Botanophilie: Mensch und Pflanze in der aufklärerisch-bürgerlichen Gesellschaft um 1800 [1 ed.] 9783412515775, 9783412515751

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Botanophilie: Mensch und Pflanze in der aufklärerisch-bürgerlichen Gesellschaft um 1800 [1 ed.]
 9783412515775, 9783412515751

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sophie ruppel

Botanophilie mensch und pflanze in der aufklärerisch-bürgerlichen gesellschaft um 1800

Sophie Ruppel

BOTANOPHILIE Mensch und Pflanze in der aufklärerischbürgerlichen Gesellschaft um 1800

Böhlau Verlag WIEN Köln Weimar

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildungen: Vorderseite: Detail aus Abb. 12a und Abb. 8 in diesem Band Rückseite: Detail aus Tafel 2 in diesem Band Korrektorat: Ute Wielandt, Baar-Ebenhausen Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51577-5

Inhalt Zu diesem Buch  Rahmungen  

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1 Mensch und Pflanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Warum eine Geschichte der Mensch-­Pflanze-­Beziehung?  . . . . . . 1.2 Das Narrativ der Trennung von Natur und Kultur in und seit der Zeit der Aufklärung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Begriffliche Anleihen aus der Anthropologie  . . . . . . . . . . . . 2 Forschungsumgebung innerhalb der Geschichtswissenschaft  . . . . . . . 3 Quellen und ihr wissensgeschichtlicher Hintergrund: Gesellschaft, Naturwissen und botanisches Wissen um 1800  . . . . . . . . . . . . . 3.1 Gesellschaftliche und mediale Voraussetzungen der Ausbreitung der Botanophilie im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert  . . 3.2 Botanische Bücher, botanische Zeitungen und Zeitschriften  . . . . 3.3 Die Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft der Aufklärung als eine offene scientific community  . . . . . . . . . 4 Botanikgeschichtlicher Kontext  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Vorgeschichte: Botanik der Antike, mittelalterliche Kräuterkunde und die frühneuzeitliche Botanik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Semantik der „Botanik“: „theoretische Botanik“ und „angewandte Botanik“ im 18. Jahrhundert  . . . . . . . . . . .

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1 Naturauffassungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts  . . . . . . . . . . . 1.1 Das Erbe aus dem 17. Jahrhundert und die Natur als Maschine: Cartesianische Vorstellungen auf dem Siegeszug?  . . . . . . . . . . . 1.2 Ein Unbehagen und die nichtcartesianische Antwort: Die große Kette der Wesen und die Beziehungen unter den Lebewesen  . . . . . . . . 1.2.1 Die Stufenleiter: Charles Bonnet  . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Verbreitung der Vorstellung der Kette der Wesen in Lehrbüchern und Traktaten  . . . . . . . . . . . . . . . . .



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Teil I Wissensweisen – Verwandte Wesen  

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1.2.3 „Verbürgerlichung“ einer Idee: Von der hierarchischen Kette zum horizontalen Netz und Gewebe  . . . . . . . . . . . . . . 2 Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Beobachtungsweisen: Experimente, Beobachtungen, Folgerungen . . . 2.2 Beobachtetes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Sexualität und Fortpflanzung der Pflanzen  . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der Schlaf der Pflanzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Und sie bewegen sich doch! – Die Bewegungen der Pflanzen  . . 2.2.4 Reizbarkeit, Irritabilität und Empfindung  . . . . . . . . . . . 2.2.5 Tierpflanzen und Pflanzentiere  . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 „Homologien“ in der Körperlichkeit von Tier und Pflanze  . . . 3 Empfindende Pflanzen und die Pflanzenseele  . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Zur Geschichte der Pflanzenseele  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Logiksuchende und die Diskussion um die Pflanzenseele ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts  . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Englische Einflüsse: Thomas Percival und seine Rezeption  . . . 3.2.2 Fortleben der Pflanzenseele nach der Jahrhundertwende  . . . . 3.3 Die erneute Aristoteles-Rezeption, die Kette der Wesen und die Pflanzenseele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Neuausgaben antiker Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Das Ende der naturwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Pflanzenseele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Kapitelschluss: „Studiensubjekte“ – eine andere moderne Naturwissenschaft?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil II Wissenspraktiken – Das Botanisieren  . .

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1 Botanophilie um 1800: „Das goldene Zeitalter der Botanik“ . . . . . 1.1 Botanisieren als Praktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 „Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung der Botanisten und Botanistinnen  . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Orte des Botanisierens: Das nahegelegene Feld, der Wald, der Tümpel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Populäre Botanik- und Botanisierhandbücher, „Frauenzimmerbotaniken“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Das Botanisieren als Teilhabe an aufklärerischer Wissensgesellschaft, Wissenschaft und religiös-aufklärerischen Vorstellungen  . . . . . . .





Inhalt |

2.1 Botanisieren als Verstandesschulung, „Herzensbildung“, Übung des Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Geistesbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Gefühlsbildung, Sinnesschärfung, körperliche Ertüchtigung  . . 2.2 Botanisieren als Schöpferlob und religiös-moralische Ertüchtigung  . . 2.2.1 Naturerkenntnis als Gotteserkenntnis  . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Phythotheologische Schriften und ökologische Beziehungen  . . 2.2.3 Werke über einzelne Gewächse, religiöse Erbauung und Zeitschriftenliteratur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Kollektive Wissensproduktion und die Verbreitung von botanischem Wissen in der Gesellschaft und im geographischen Raum . . . . . . . 2.3.1 Die botanische „Mitmach-Wissensgesellschaft“ der Zeitschriften  2.3.2 Das Abenteuer Wissenschaft und der Fokus auf die heimische Flora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Abbilden, Speichern und Verbreiten von Wissen über die Zeit hinweg: Sammeln, Trocknen und Ordnen in den Herbarien . . . . . . . . . . 3 Das Botanisieren als Teil von Soziabilität und bürgerlicher Geselligkeit . . . 3.1 Freunde gewinnen: Der Botanist als gern gesehener Gast und Weggefährte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der „botanische Wanderstab“: Wissenschaft und botanische (Gruppen-) Reisekultur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Das Abenteuer der Alpenreise  . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Botanisierende Helden in der „Fremde“ und die „Wilden“ der europäischen Gebirge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Verschränkung von Literatur, Wissen und Wissenschaft in den botanischen Reiseberichten  . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Botanische Auftragsreisen, die Gründung eines botanischen Reisevereins 1825 und die zunehmende Kommerzialisierung  . . 3.3 Botanisieren als Rückzug von der Welt? . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Tauschen, Handeln, Märkte: der Übergang zur Kommerzialisierung  . . . . 4.1 Tauschorte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Tauschanstalten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Vom Tausch zum Kauf und die Formen des botanischen Handels  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Alltagsspuren: Botanisches auf den städtischen Märkten  . . . . . . . 4.3 Kritik an der Kommerzialisierung und am naturausbeuterischen Botanisieren  . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Der Wandel zwischen 1780 und 1840: Von den personenbezogenen Wissenskreisen zur Fachwissenschaft?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



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8 | Inhalt

5.1 Öffentlichkeit und Privatheit in den botanischen Wissenskreisen um 1800  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Personennachrichten und Fürsorge . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Preisverleihungen, Ausstellungen und „botanische Geselligkeit“  5.1.3 Die offene scientific community als soziales Netz  . . . . . . . . 5.2 Aspekte des Wandels: Von der offenen zur geschlossenen scientific community?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Kapitelschluss: Das Botanisieren als Teil des Bildungsoptimismus und aufklärerisch-bürgerlicher Geselligkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . Teil III Vom Wissen zu den Alltagspraktiken – Die Pflanze im Haus   . .

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1 Wie kommen die Pflanzen ins Haus?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Universalpflanzenkundler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der eigene botanische Garten als Labor und das „Herbarium vivum“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 „Luftwissenschaft“ und die Entstehung der Zimmerpflanzenkultur  . . . . 2.1 Das Atmen der Pflanzen: Anfänge der Entdeckungen zur Photosynthese  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Jan Ingenhousz und die Produktion von „dephlogistisirter“ und „mephitischer“ Luft durch die Pflanzen  . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Weisheit Gottes in der Photosynthese: Luftwissenschaft und Theologie  . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Altes Wissen – neues Wissen: Die Pflanzenatmung und die Weiterentwicklung aristotelischen Denkens um 1800  . . . . 2.2 Die Rezeption der Thesen zu „Luftreinigung“ und „Luftverderben“ und der Common Sense  . . . . . . . . . . . . 2.3 Der Segen überwiegt: Gesellschaftlicher und medizinischer Nutzen der Pflanzen als „Luftreiniger“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die „Stubengärtnerei“: Die Haus- und Zimmerpflanzen der Städter  . . . . 3.1 „Der Stubengärtner“ – Ratgeberliteratur zur Pflanzenpflege . . . . . . 3.1.1 Protagonisten und ihre stilbildenden Werke  . . . . . . . . . . 3.1.2 Botanisches Wissen in den Stubengärtnern . . . . . . . . . . . 3.2 Das Wohnen und Leben unter Pflanzen und mit den Pflanzen – Pflanzenpflege  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die Pflege der Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 „Pflanzenkinder“ als Mitwohnende: Eigenschaften, Bedürfnisse und moralische Verpflichtung gegenüber der Pflanze  . . . . . .



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Inhalt |

3.2.3 Pflanzenpflege und bürgerliche Werte  . . . . . . . . 3.3 Die „Blumisterei“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Die „Blumisterei“ als religiös-moralische Aktivität und Wissenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Modeblumen – Heimisches und Exotisches in der Zimmergärtnerei  . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Alltagsspuren der Blumisterei und Stubengärtnerei  . . . . . 3.4.1 Ratgeber und Pflanzen auf den städtischen Märkten  . 3.4.2 Alltagsspuren der Zimmerpflanzen in der bürgerlichen Briefkultur  . . . . . . . . . . . . 4 Die Pflanze im und am Haus: Das Ineinander von Naturraum und Wohnraum im „städtischen Grün“  . . . . . . . . . . . . . 4.1 „Pflanzenmöbel“: Töpfe, Gestelle, Pflanzentische  . . . . . . 4.2 Verschränkungen von Innenraum und Außenraum  . . . . . 4.3 Vom Wintergarten zum öffentlichen Pflanzenschauhaus und zu „Winterpalästen“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Kapitelschluss: Die Interieurisierung der Pflanze als „Grünzeug“ und das Ende der aufklärerischen Botanophilie  . . . . . . . . . Farbtafeln . .

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Zusammenfassung  . .

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Die Geschichte der Botanophilie um 1800 und die Frage nach der verlorenen Ontologie  . . . . . . . . . . . . . Bibliographie  . . . . . Abbildungsverzeichnis  Dank  . . . . . . . . .

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Abb. 1  Der Arzt William Withering

Zu diesem Buch Ein Mann im dunklen Frack. Feine Schnallenschuhe und Kniebundhosen trägt er, die Mode des 18. Jahrhunderts. Vornehm gekleidet untersucht er in der freien Natur eine Pflanze, einen Fingerhut. Ein Pflanzenliebhaber? Es könnte ein Apotheker sein, ein Aufklärer, ein Bürger jedweder Couleur, ein Naturgelehrter. Durch seine Tätigkeit aber ist er gekennzeichnet als Botanist. Er hat nur wenige Werkzeuge bei sich: eine Lupe, eine kleine Schaufel und seine Botanisiertrommel, die neben ihm im Gras liegt. Bäume und Felsen über ihm verherrlichen eine mächtige, beeindruckende Natur, die aber keineswegs bedrohlich wirkt. Die Natur ist hier vielmehr ein gewaltiger, zu erforschender Raum. Das längliche, in die Höhe weisende Bildformat unterstreicht dies noch. Sie ist nicht wild, diese Natur, aber auch nicht gezähmt, eher reich und großartig. Die Fingerhutpflanze wächst hier geschützt auf einem Felsenvorsprung, dem Menschen über ein einladendes Wiesenstück zugänglich am Fuße eines jungen Baumes, dessen Kontur gemeinsam mit den Linien der Felsspalte den Botanisierenden umrahmt. Der forschende Mensch, diese Pflanze mit dem Werkzeug der Wissenschaft, der Lupe, untersuchend, scheint fast vor dem Fingerhut niederzuknien. Er betrachtet die Pflanze konzentriert, ja fast kontem­plativ. Aber er schaut nicht auf zur Natur, er schaut auf die Pflanze herab, durch das Vergrößerungsglas. Er steht im Zentrum. Er widmet sich ihr. Er sucht sie auf und tritt mit ihr in Beziehung. Eine Figur wie dieser Pflanzenfreund steht mir in d ­ iesem Buch vor Augen. Welchem Beruf er nachgeht, w ­ elchen Stand er hat, sei zunächst dahingestellt – nur: Er sei interessiert am Wissen seiner Zeit, dem Naturwissen in der Zeit der Spätaufklärung und des endenden 18. Jahrhunderts, in der die Pflanze in erstaunlichem Ausmaß in den Mittelpunkt des Interesses breiterer Schichten rückte. Welche Diskussionen über die Pflanzen oder ­welche Vorstellungen bezüglich der Pflanzen treten d ­ iesem vom aufklärerischen Wissensdurst getragenen Zeitgenossen etwa in den Zeitschriften entgegen, die er vielleicht in der Lesegesellschaft von einem Freund bekommt? Mit ­welchen Denkgebäuden sind diese Vorstellungen verbunden? Was für ein Lebewesen ist „die Pflanze“ für ihn? Wo trifft er auf Pflanzen? Welche Moden, ­welche Vorlieben bezüglich der Pflanzenwelt findet er in der Epoche der Aufklärung vor? Welche botanischen Praktiken pflegt er auf Reisen, in Straßen, Häusern und Städten? ­ iesem QuellenDieses Buch widmet sich somit der Geschichte der Botanophilie. Mit d begriff belegen die Zeitgenossen um 1800 die Begeisterung breiter, aufklärerischer Kreise für alles Botanische und die Pflanzen. In der Botanophilie verbinden sich dabei botanisches Wissen, botanische Praktiken und Alltagspraktiken des städtisch-­aufklärerischen Bürgertums auf das Engste. Es geht also um Menschen und Pflanzen, fokussiert auf den Zeitraum ­zwischen 1775 und 1840. Es geht um Botanophilie als Teil aufklärerischer Naturbeziehung.

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Die Botanophilie wird unter drei Aspekten beleuchtet. Der Aufbau des Buches verweigert sich hierbei allerdings ein Stück weit der Linearität, die nun leider ein Merkmal von Büchern darstellt, da sie auf der ersten Seite beginnen und auf der letzten Seite enden. Es handelt sich vielmehr um einen Gang durch verschiedene Buchteile, in denen aber die Linearität chronologischer Abläufe im jeweiligen Großkapitel erneut auftaucht. Nach einem einführenden Abschnitt werden in Teil I die Wissensinhalte, die Denkgebäude und Vorstellungen, die sich in dieser Zeit mit dem Pflanzenreich, den sogenannten „Vegetabilien“ oder dem „zweiten Reich der Natur“ verbinden, zu Wort kommen. In Teil II werden die Wissenspraktiken in Hinblick auf die Pflanzen, das „Botanisieren“, beschrieben und in Teil III werden die Alltagspraktiken in Form der entstehenden bürgerlichen Zimmerpflanzenkultur, der sogenannten „Stubengärtnerei“, in den Blick genommen. Die Untrennbarkeit dieser Teilaspekte, beziehungsweise die Zeitgleichheit der Aspekte sollte aber im Gedächtnis bleiben, da nur sie die zeitgenössische Lebenswelt um 1800 in ihrer Komplexität wiederzugeben vermag. Sie wird im Schlusskapitel wieder aufgegriffen werden. Auf einer tieferliegenden Ebene stellt sich dabei die Frage, ­welche Grundannahmen über die Pflanze, ­welche grundlegenden Veränderungen von Wahrnehmungsweisen in dieser Zeit möglicherweise über diesen Ausschnitt greifbar werden. Ob unter dem Begriff der Wissenschaftlichen Revolution, dem Wandel der Naturwahrnehmung in der Epoche der Aufklärung oder dem Umbruch in die Moderne – die Veränderungen und Wandlungen der Sicht des Menschen auf seine natürliche Umwelt stellen eine Grundfrage bezüglich der sogenannten Sattelzeit ­zwischen 1750 und 1850 dar. Hier wird also diese Grundfrage in Hinblick auf das Miteinander von Mensch und Pflanze gestellt. Es geht um die Pflanze als in der Lebenswelt der Zeitgenossen existentes Lebewesen, um die Pflanze als Auslöser für Prozesse der Wissensproduktion und Wissenszirkulation, als Anlass für Wissens- und Alltagspraktiken. Die Pflanze ist dabei ebenso Teil der Natur- und Seinsordnungen wie etwas, das studiert und beobachtet werden soll, wie auch ein Stück Natur, das nun in der entstehenden bürgerlichen Zimmerpflanzenkultur des 19. Jahrhunderts ins Haus transferiert wird und damit Handlungen erfordert. Die Pflanze ist dabei aber nicht nur „Objekt“ einer entstehenden modernen Naturwissenschaft und des sich von der Natur distanzierenden und diese unterwerfenden Menschen, sie ist mehr – so die Grundthese ­dieses Buches. Die Pflanze ist in dieser Zeit ein Lebewesen, das Fragen aufwirft, Interesse auf sich zieht und mit dem der Mensch in der einen oder anderen Weise unwillkürlich in Beziehung tritt. Sie wird untersucht, eingeordnet, beobachtet und in Lebens- und Alltagszusammenhänge integriert. Die Jahrzehnte um 1800 sind dabei in besonderer Weise eine Zeit des „Sich-­Zuwendens“ zur Pflanze.

Zu diesem Buch  |

Es geht dabei nicht (oder nur am Rande) um die Botanikgeschichte als Wissenschaftsgeschichte; denn weniger die Botanik als ­­solche steht im Zentrum als die Verbindung von Botanik und Gesellschaft. Es geht auch nicht um Agrargeschichte und die wirtschaftliche Nutzung der Pflanzen. Ebensowenig geht es um die vielfältigen symbolischen Implikationen des Pflanzlichen, wie sie in Literatur- und Kunstgeschichte bearbeitet werden. Es geht vielmehr um eine Wahrnehmung der Pflanzen als „Mitexistierende“ und um eine historisch-­anthropologische Analyse der Beziehungen von Mensch und Pflanze. Oder, um in Philippe Descolas Terminologie zu sprechen, um das Miteinander von „Menschen“ und „Nichtmenschen“.1 Es geht um Naturvorstellungen und aufklärerisches Wissenwollen, um das Experimentieren und Argumentieren sowie um die konkreten Praktiken mit der uns umgebenden Existenzform „Pflanze“ am Übergang zur Neuzeit. Ob dabei jeweils die Veränderung hin zum „Modernen“, zu einem uns vertrauten Denken im Fokus steht oder eher das uns Fremde – die Aufgabe besteht darin, sich den Quellen auszusetzen und diese zum Sprechen zu bringen, beziehungsweise zu versuchen, ein Bild und einen Zusammenhang von dem entstehen zu lassen, was wir dort vorfinden. Es bleibt ein Bild, was wir als Historiker und Historikerinnen zeichnen, ebenso wie die hier zu Anfang beschriebene und im Gemälde dargestellte Figur nur eine Annäherung ist. Denn in d ­ iesem Gemälde handelt es sich um ein Werk aus dem frühen 20. Jahrhundert, das hier retrospektiv einen Pflanzenfreund aus der Zeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeigt. Der hier dargestellte „Botaniker“ – oder zeitgenössisch ausgedrückt „Botanist“ und „Botanophilus“ – ist William Withering, ein heute wohl nur in der Medizingeschichte erinnerter Landarzt, der aufgrund seiner Gespräche mit kräuterkundigen Frauen die Heilwirkung der Digitalispflanze bei Herzkrankheiten entdeckte.2 Ein nicht weiter bekannter Maler namens „Arnold“ hat ihm hier im Nachhinein ein kunstvolles Denkmal gesetzt – so wie eben er sich diese Zeit dachte.3 Es bleibt ein Gemälde, ein Versuch, etwas abzubilden, ebenso wie ­dieses Buch letztlich ein „Bild“ bleibt. Der mir für d ­ ieses Buch vor Augen stehende Zeitgenosse soll dabei kein berühmter ­ lbrecht von Haller, kein weithin bekannter Johann Jakob Scheuchzer, kein Carl von A Linné sein. Er nimmt die verschiedensten Gestalten an: Er ist ein kleinerer Naturgelehrter, ein Mediziner, ein Lehrer, ein Apotheker, ein städtischer Beamter. Auch könnte sich die Figur in einer adligen Frau oder einer Gelehrten verkörperlichen. Wichtig ist nur: Er hat Zeit und vielleicht auch etwas Geld, sich den Pflanzen, dem Pflanzenwissen und den 1 Siehe Einführung, Punkt 1. 2 William Withering war englischer Arzt und Botaniker (1741 – 1799). In der „Lunar Society“ in Birmingham traf er sich mit Joseph Priestley, James Watt und anderen Naturforschenden. Siehe: Bettex, Albert: Die Entdeckung der Natur, München / Zürich 1965, S. 169. 3 „Arnold“ ist in der Bildsignatur angegeben, gemalt wurde das Bild ca. 1940, siehe Abbildungsverzeichnis.

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Schriften über Pflanzen zu widmen. Er kann möglicherweise botanische Reisen machen, Kontakte zu den berühmteren Gelehrten knüpfen oder ist mit einer gelehrten Familie verbunden, die sich der Bildung, dem Wissen und vielleicht auch gerade der Botanik in besonderer Weise verschrieben hat. Ihm wird vielleicht nicht das gesamte Spektrum der existierenden Schriften, Bilder etc. zugänglich sein. Nicht alle Formen des Miteinanders von Mensch und Pflanze seiner Zeit werden ihm geläufig sein. Aber er wird sich den vielfach verbreiteten Traktaten, den Handbüchern, den Beschreibungen der regionalen Flora und den aus dem Boden schießenden botanischen Magazinen widmen. Manches wird er sicherlich übersehen – vielleicht sogar insbesondere botanisch Hochgelehrtes, das später wissenschaftsgeschichtlich relevant wurde. Man soll ihn hierfür nicht zu sehr tadeln – er teilt ­dieses Schicksal mit derjenigen, die hier aus dem 21. Jahrhundert kulturhistorisch forschend auf diese Zeit zurückblickt.

Rahmungen 1

Mensch und Pflanze

1.1 Warum eine Geschichte der Mensch-­Pflanze-­Beziehung? Die Pflanze als Lebewesen erhält in jüngster Zeit mehr Aufmerksamkeit denn je – sei es in schnell geschriebenen populären Sachbüchern, Magazinen und Zeitungsartikeln,1 sei es in den rapide zunehmenden, aufwendigen biowissenschaftlichen Studien zu den Aktivitäten und Fähigkeiten von Pflanzen. Zwar herrscht in allgemeinen Lexika noch die uns geläufige klare Trennung z­ wischen Tieren und Pflanzen vor, indem der Unterschied von Pflanze und Tier meist in der Art der Energiebeschaffung gesehen wird – Tiere gewinnen ihre Nahrung durch die Aufnahme organischer Stoffe, während die Pflanze mithilfe des Chlorophylls Photosynthese betreibt –2 aber vermehrt kommen derzeit im allgemeinen Diskurs wieder Fragen nach den „Ähnlichkeiten“ von Mensch, Tier und Pflanze in den Blick, wenn zunehmend nach den komplexen Lebensäußerungen von Pflanzen gefragt wird. So untersucht etwa ein Forschungsprojekt an der Universität Tübingen die Reaktion und „Lernfähigkeit“ der Mimose 3 (zu der bereits um 1800 Experimente durchgeführt wurden, wie noch zu zeigen sein wird), und ganze Forschungsgruppen widmen sich den erstaunlichen Fähigkeiten von Pflanzen, die im allgemeinen Bewusstsein lange wenig Aufmerksamkeit fanden. Der italienische Botaniker Stefano Mancuso zum Beispiel verweist in seinen kürzlich auch in deutscher Sprache erschienenen Arbeiten sehr eindrücklich auf die bereits erforschten frappierenden Verhaltensweisen und Reaktionen von Pflanzen, ihre perzeptiven und kommunikativen Fähigkeiten, und scheut sich dabei auch nicht, diese in anthropomorphen Begrifflichkeiten zu beschreiben.4

1 Das Buch Das geheime Leben der Bäume des Forstwirtschaftlers Peter Wohlleben beispielsweise (erschienen 2015 in München) führte 2016/17 monatelang die SPIEGEL-Bestsellerlisten an, Artikel zu den erstaunlichen Fähigkeiten der Pflanzen finden sich derzeit GEO-Zeitschriften, Zeitungen etc. zuhauf. 2 Siehe etwa: http://www.wissen.de/lexikon/tiere (Stand 9. 3. 2017). 3 Siehe etwa die Forschungen um Katja Tielbörger an der Universität Tübingen; auch: „Genie der Mimose“, Der Spiegel, 20/2017, S. 102. (auch: http://www.spiegel.de/sp202017pflanzen; Stand 5.2.18). 4 Mancuso wendet sich dabei auch explizit an ein breiteres Publikum. Ob die anthropomorphisierende Begrifflichkeit hier immer angebracht ist, sei dahingestellt. Vielfältige Verhaltensweisen von Pflanzen sind derzeit wohl auch noch ungenügend erforscht oder erklärbar. Siehe: Mancuso, Stefano und Viola, Alessandra: Die Intelligenz der Pflanzen, München 2015. Dieses Buch lag mir erst der Abfassung dieser Arbeit zu Ende vor, Mancuso rekurriert aber in seinen Experimenten erstaunlicherweise genau auf jene Vorstellungen, die im Folgenden untersucht werden.

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Die Grenzen z­ wischen Mensch, Tier und Pflanze scheinen sich hier vielleicht zwar nicht völlig aufzulösen, aber die Pflanze kommt als Lebewesen zweifelsohne zur Zeit in neuer Weise in den Blick: Die Kommunikations- und Vergesellschaftungsformen von Pflanzen werden zunehmend beschreibbar, und nicht wenige Biologen befassen sich mit den „Pflanzenbotschaften“, mit „vegetabiler Informationsvermittlung“ oder mit „Pflanzensensorik“.5 Inwiefern hier Strukturen der pflanzlichen Signalübertragung mit tierischen und menschlichen Formen des Sehens, Hörens, Riechens vergleichbar sind, mag dahingestellt bleiben, dass aber auch im Pflanzenreich Nachrichten übertragen werden, Reaktionen auf optische, taktile und akustische Reize wie Licht, Oberflächen-­Berührungen und Schallwellen erfolgen, Botenstoffe ausgetauscht werden, Warnungen übermittelt werden etc., ist unbestritten.6 Die Frage besteht eher in der Unklarheit, ­welche Begrifflichkeiten wir damit in Verbindung bringen. Wie schnell gerade bei der Erforschung dieser oft zellularen und molekularen Prozesse unsere Alltagskategorien brüchig werden, zeigt sich in Fragen etwa nach der „Kognition“ und „Kommunikation“ oder der „Intelligenz“ von Pflanzen, nach der „Geräuschproduktion“ und den „Wahrnehmungsfähigkeiten“ von Pflanzen, nach der kollektiven Abwehr von Feinden und Ähnlichem.7 Formulierungen wie „aktives Verhalten der Pflanzen“, „Selbsterkenntnis/Fremderkenntnis“, „Manipulation anderer Organismen“ rücken die Pflanze als „verwurzeltes Wesen“8 in den verwendeten Begrifflichkeiten und damit im Allgemeinverständnis wieder stärker in die Nähe von Mensch und Tier – auch wenn dies auf wissenschaftlich-­technisch völlig anderen Grundlagen basiert als das, was hier in ­diesem Buch für das späte 18. Jahrhundert beschrieben wird. Die Frage, was die Pflanze eigentlich für ein Lebewesen ist, steht also – nicht zuletzt auch im Verbund mit der Frage nach den Tieren im Sinne der Animal Studies – zunehmend wieder im Raum.9 Geraten Grenzziehungen ­zwischen den Lebewesen erneut ins Wanken? Verändert sich unsere Wahrnehmung (oder „Nichtwahrnehmung“) der Pflanzen derzeit? 5 So etwa eine Forschergruppe der Universität Bonn um František Baluška, Dieter Volkmann u. a. Siehe u. a.: Baluška, František; Mancuso, Stefano und Volkmann, Dieter (Hrsg.): Communication in Plants. Neuronal Aspects of Plant Life, Berlin 2006; Baluška, František (Hrsg.): Plant-­Environment Interactions. From Sensory Plant Biology to Active Plant Behaviour, Heidelberg 2009; Baluška, F ­ rantišek und Ninkovic, Velemir (Hrsg.): Plant Communication from an Ecological Perspective, Berlin und Heidel­ berg 2010. Siehe auch die Zeitschriftenneugründung Plant Signalling and Behaviour. 6 Baluška, František: „Preface“, in: Frantisek, Plant-­Environment Interactions, Heidelberg 2009, S. vii. 7 Calvo, Paco und Keijzer, Fred: „Cognition in Plants“, in: Baluška, Plant-­Environment Interactions, Heidelberg 2009, S. 247 – 266. 8 Diese Formulierung wählt der Journalist Stefan Schmitt in: „Grünzeug mit Grips“, DIE ZEIT, 26. Januar 2005. http://www.zeit.de/zeit-­wissen/2005/04/Pflanzenintelligenz.xml (Stand 14.11.14). 9 In Bezug auf die Tiere siehe: Krüger, Gesine; Steinbrecher, Aline und Wischermann, Clemens: „Animate History. Zugänge und Konzepte einer Geschichte ­zwischen Menschen und Tieren“, in: Dies. (Hrsg.): Tiere und Geschichte. Konturen einer Animate History, Stuttgart 2014, S. 9 – 34.

Warum eine Geschichte der Mensch-­Pflanze-­Beziehung?  |

Auch gegenwärtige philosophische Versuche zu einer Philosophie der Pflanze, zu ihrer Bewegung, zu perzeptiver Aufnahmefähigkeit und einer veränderten Vorstellung der Pflanze als Lebewesen, wie es etwa Michael Marder versucht 10 oder wie es in Matthew Halls kulturübergreifenden Überlegungen zu Plants as Persons 11 zum Ausdruck kommt, enthalten Bedenkenswertes, wenn auch nicht jeder Versuch der Begründung einer neuen „Philosophie der Pflanze“ sofort zu überzeugen vermag.12 Historiker und Historikerinnen haben hierzu einen etwas anderen Zugang: Was genau eine Pflanze ist und wie wir sie innerhalb unserer Vorstellungswelten einordnen, ist für sie eine Frage, die sowieso nur innerhalb des jeweiligen historischen Kontextes beantwortbar ist; es ist eine Frage, die womöglich schon andere Epochen beschäftigt hat und auf die andere Kulturen vielleicht andere Antworten gefunden haben. Sich diesen Vorstellungen auszusetzen, die jeweiligen Perzeptionen des Vegetabilen als different und kulturell variabel zu beschreiben, ergänzt so auf nochmals andere Art und Weise unsere Sichtweise auf „das Grüne“ und unsere Selbstverortung innerhalb von Natur und Kultur. Die Pflanze als Grundlage aller tierischen und menschlichen Lebensvorgänge und pflanzliche Mit-Existenz als historisch-anthropologische Grundbedingung Die Bedeutung der Vegetation für den Menschen ist dabei von alters her und in jeder Kultur eine existenzielle. Denn Pflanzen produzieren in ihren Stoffwechselvorgängen die für alles Leben auf der Erde notwendigen Stoffe, ohne die weder Tier noch Mensch überleben.13 Dass Pflanzen in der Photosynthese mit Hilfe der Lichtenergie aus Wasser und dem Kohlendioxid aus der Luft organische Verbindungen und Sauerstoff herstellen, ist einer der wichtigsten Vorgänge unserer natürlichen Umwelt, denn hier werden zwei basale Bausteine für alle weiteren Lebensprozesse hergestellt: Biomasse und die den Tieren und Menschen notwendige Atemluft. Seit dem 18. Jahrhundert wurde dieser Vorgang zunehmend erforscht. Die Entdeckung des Prozesses der Photosynthese verbindet sich dabei in der Biologiegeschichte mit Namen wie Joseph Priestley, Jan Ingenhousz oder Jean Senebier – doch hierzu später. 10 Marder, Michael: Plant-­Thinking. A philosophy of Vegetal Life, New York 2013. 11 Hall, Matthew: Plants as Persons. A Philosophical Botany, New York 2011. 12 Schnell populär wurde auch im deutschsprachigen Raum der essayistisch-­spekulative Versuch E ­ manuele Coccias, eine „Philosophie der Pflanzen“ zu entwerfen, in der er von einer ontologisch unitären und homogenen Welt ausgeht. Coccias Ausführungen stehen allerdings mit den Beobachtungen und Beschreibungen der heutigen Botanik, wie sie etwa Mancuso und sein Umfeld vertreten, nicht unbedingt im Einklang. (Coccia, Emanuele: Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen, München 2018; im Original: La vie des plantes. Une métaphysique du mélange, Paris 2016.) 13 Forscher stellen beispielsweise anhand von Luftmessungen von Kanada bis zum Südpol Modellrechnungen auf, wie viel Kohlenstoff aus der Atmosphäre pro Jahr auf der Erde in Biomasse umgewandelt wird. In: Nature Vol. 477, 2011, S. 579 – 582. Siehe auch: SZ Nr. 225 (29. 9. 2011), S. 16. Heutigen Schätzungen zufolge verarbeitet die Biosphäre jedes Jahr 150 – 175 Milliarden Tonnen Kohlenstoff zu Biomasse.

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Tierisches und menschliches Leben basiert so tagtäglich auf pflanzlichen Nährstoffen und pflanzlicher Sauerstoffproduktion. Es gibt bei näherer Betrachtung wenig menschliche Bereiche, in denen Pflanzen keine Rolle spielen. Nicht zuletzt ihre „Ortsfestigkeit“ – im Gegensatz zu den Tieren – machte sie seit Beginn des Ackerbaus zum verlässlichen Lieferanten für Material und Nahrung. Pflanzen dienen uns bis heute als Basis für Nahrung und Energie, Kleidung, Baumaterial, Transportmittel, Arzneimittel usw. – ganz abgesehen von der oben erwähnten lebenswichtigen Sauerstoffproduktion. Ob man nun ­dieses Wunder der vegetabilen Materialwerdung der Gottheit zuschrieb oder eine auf Naturgesetze rekurrierende Erklärung d­ ieses Phänomens bemühte, bleibt zunächst irrelevant: Die Einzigartigkeit dieser pflanzlichen Fähigkeit zur Materialproduktion ist in allen Zeiten das bestimmende Moment und definiert die elementare Bedeutung der Pflanze für die Existenz von Leben. Oder, wie es Julius Bernhard von Rohr (1688 – 1742) schon zu Beginn der hier im Fokus stehenden Epoche sagte: „… immassen unsere Erd=Kugel, wann sie der Pflantzen entbehren solte, gröstentheils ein bloser wüster Klumpen würde, auf der die Menschen und Thiere ihr Leben unmöglich erhalten könten.“14 Pflanzen sind so im Gegensatz zu Mensch und Tier Materie produzierend, nicht konsumierend. Sie produzieren, während Tiere und Menschen „Verbraucher“ sind. Verengt auf die Perspektive des Menschen stellen sie die materielle Grundlage der menschlichen Kultur und Zivilisation dar, wie es die Ethnobotaniker Michael Balick und Paul Alan Cox formulieren.15 Aufgrund dieser existenziellen Bedeutung der Pflanze für den Menschen fand und findet sich in jeder Kultur eine kulturelle Deutung der Pflanzenwelt. Eindeutiger als in der Geschichtswissenschaft wird dies bisher in ethnologischen Studien. Für das Studium des Verhältnisses von Mensch und Pflanze in anderen historischen Epochen sind diese Untersuchungen, die ­zwischen Botanik und Anthropologie angesiedelt sind, deshalb erhellend, weil sie die Bedeutung der Pflanze für das menschliche Leben in einer fremden Kultur erforschen. Die Ethnobotanik etwa hat sich der Beziehung von Mensch und Pflanze in indigenen Völkern angenommen.16 „The very course of human culture has been deeply influenced by plants“, schreiben die Ethnobotaniker Michael J. 14 Rohr, Julius Bernhard von: Phyto-­Theologia, Oder: Vernunfft= und Schrifftmäßiger Versuch, Wie aus dem Reiche der Gewächse die Allmacht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit des grossen Schöpffers und Erhalters aller Dinge von den Menschen erkannt, Und sein allerheiligster Name hiervor gepriesen werden möge, Zweyte und verbesserte Auflage Frankfurt / Leipzig 1745, S. 2. 15 Balick, Michael J. und Cox, Paul Alan: Plants, People and Culture. The Science of Ethnobotany, New York 1996, S. 7 ff. und 99 ff. 16 Zur Einführung: Cotton, C. M.: Ethnobotany. Principles and Applications, Chichester / New York et al. 1996. Heute wird schon wieder unterschieden in viele Felder: Ethnoökologie, Traditionelle Agrarkultur, Kognitive Ethnobotanik (Naturwahrnehmung indigener Völker), Materielle Kultur, Traditionelle Phytho­chemie oder Paläoethnobotanik. Als Studiengang ist das Fach verbreitet in den USA , in geringerem Maß in Europa (bspw. Zürich).

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Balick und Paul Alan Cox und bestimmen aus anthropologischer Sicht ihr Untersuchungsgebiet als „interactions of plants and people“.17 Die ethnobotanischen Studien verweisen dabei auf die unterschiedlichen Felder der (auch historischen) Bedeutung von Pflanzen – etwa die Rolle des Gewürzhandels für den Aufstieg und Fall europäischer Metro­polen, die Folgen des Aussterbens einer Kletterpflanze, die in einem Volk als Material für Fischreusen diente, bis hin zur Entwicklung neuer Nutzpflanzen und Arzneimittel aufgrund biochemischer Analysen indigener Heilpflanzen.18 Die von Ethnologen ausgeführten umfassenden Beschreibungen von den linguistischen Klassifikationsweisen der Pflanzen bis hin zu ihrer Nutzung im religiösen Kontext basieren dabei oft auf jahrelanger Feldarbeit und spiegeln die offensichtlich universelle Tendenz des Menschen wider, die Pflanzenwelt zu ordnen, beziehungsweise sich selbst in Wissensweisen und religiösen Kontexten in ein Verhältnis zu dieser Pflanzenwelt zu setzen.19 Diese ethnologischen Herangehensweisen schärfen den Blick dafür, dass Pflanzen nicht immer so wahrgenommen wurden, wie wir sie heute ordnen oder mit Bedeutung versehen. In der wechselseitigen Beziehung von Mensch und Pflanze verbindet der Mensch die Pflanze mit kulturell unterschiedlichen Bedeutungen und Verwendungsweisen. Kann man also auch in „fremden“ Kulturen früherer Epochen Deutungsmuster aufspüren, die einer historisch anderen Kultur zuzuschreiben sind? Im vorliegenden Buch soll es in d ­ iesem Sinne um „plants and people“ gehen, allerdings weniger um Nutzungsarten denn um kulturelle Zuschreibungen und Praktiken. Der Blick soll dabei auf die Zeit um 1800, auf die frühbürgerliche Welt und ihr Verhältnis zu den Pflanzen gerichtet werden. Die Koexistenz von Pflanze und Mensch wird also als historisch-­anthropologische Grundbedingung verstanden, die mit kulturell sehr unterschiedlichen Zuschreibungen und Wissensbeständen aufgeladen sein kann. Dabei verstehe ich unter einer historisch-­ anthropologischen Grundbedingung eine grundlegende, das Menschsein determinierende Tatsache, die in allen Epochen und Kulturen existent ist, aber jeweils mit unterschiedlichen Bedeutungen verknüpft wird – wie etwa Tod, Geburt, Krankheit, Sexualität. Es geht jeweils um den „Wandel des Beständigen“.20

17 Balick / Cox, Plants, People, 1996, S. vii. 18 Heute ist dies, im Verbund mit der Molekularbiologie, ein großes Forschungsteilgebiet. Spektakulär etwa war schon 1931 die Entdeckung des Bludruckmittels Reserpin aus einer Pflanze des Himalaya. (Balick / Cox, Plants, People, 1996, S. 2 f.) 19 Bspw.: Hiepko, Paul und Schiefenhövel, Wulf: Mensch und Pflanze. Ergebnisse ethnotaxonomischer und ethnobotanischer Untersuchungen bei den Eipo, zentrales Bergland von Irian Jaya (West-­Neuguinea), Indonesien, Berlin 1987. 20 Siehe hierzu die Ausführungen von Jochen Martin, der die kulturübergreifende Fragestellung historisch-­ anthropologischer Auseinandersetzung mit menschlichen Grundsituationen und Grundbedingungen betont: Martin, Jochen: „Der Wandel des Beständigen. Überlegungen zu einer Historischen Anthropologie“, in: Winterling, Aloys (Hrsg.): Historische Anthropologie, München 2006, S. 143 – 157, hier S. 154.

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Im Vorliegenden gilt es also die Vorstellungen vom Lebewesen „Pflanze“ und die Umgangsweisen mit der Pflanzenwelt, die von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Epoche zu Epoche variieren, aufzuspüren und zu verstehen. Die Imaginationen, Erklärungsmuster und Praktiken, die sich in den verschiedenen Kulturen mit dem Pflanzenreich verbinden, verweisen dabei zweifelsohne immer auch auf die jeweilige Selbstverortung des Menschen in der Ordnung des Seienden.

1.2 Das Narrativ der Trennung von Natur und Kultur in und seit der Zeit der Aufklärung In den vergangenen Jahren erschienen sowohl in den naturwissenschaftlichen Fächern wie in den Humanwissenschaften zudem vermehrt Theorieangebote, die dazu auffordern, Kultur (beziehungsweise Mensch) und Natur in verschiedener Weise wieder näher zusammenrücken zu lassen.21 Die Trennung von Natur und Kultur dagegen erschien in vielfacher Weise gemeinhin als unhinterfragbares Signum der Moderne, das nicht zuletzt als Resultat der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft und insbesondere der Aufklärungszeit gesehen wurde. Bereits in den 1980er Jahren beschrieb beispielsweise der Philosoph Ernst ­Oldemeyer für die Zeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts drei Haupttypen des Naturbezugs des Menschen: Erstens gebe es den magisch-­mythischen Bezug zur Natur – vor der Entwicklung der Naturwissenschaft. Zwar findet er zweitens einen biomorph-­ganzheitlichen Ansatz der Naturvorstellungen im 18. Jahrhundert, wie ihn Gottfried Wilhelm L ­ eibniz oder Johann Gottfried Herder vertraten, dem zufolge der Mensch eingebettet sei in die Ordnung der Natur. Dies wird aber nicht weiter differenziert und erscheint als Gegenbewegung zur Aufklärung. Drittens beschreibt er die Vorstellung der Natur als Gegenstand und Gegenbegriff als Charakteristikum der Moderne. Gegenstand und 21 Genannt s­ eien hier etwa die Entwicklungen aus der Geologie und Geographie, die sich in der die Erdzeitalter umstrukturierenden Vorstellung des Anthropozäns von den getrennten Sphären von Mensch und Natur verabschieden. Der Mensch sei keineswegs Zuschauer einer von der Kultur unabhängigen Natur, sondern der unser derzeitiges Erdzeitalter dominant prägende globale Akteur. Und dieser Entwicklung müsse die geochronologische Begrifflichkeit Rechnung tragen. Die auf Paul Crutzen zurückgehende Forderung nach einer Neubenennung unseres Erdzeitalters setzt sich zunehmend allgemein durch. Siehe: Möllers, Nina: „Das Anthropozän. Wie ein neuer Blick auf Mensch und Natur das Museum verändert“, in: Düselder, Heike; Schmitt, Annika und Westphal, Siegrid (Hrsg.): Umweltgeschichte. Forschung und Vermittlung in Universität, Museum und Schule, Köln / Weimar / Wien 2014, S. 217 – 230. Dieser Band belegt auch die zunehmende Rezeption d ­ ieses Konzeptes in der Umweltgeschichte. Einführend zu ­diesem Konzept siehe: Ehlers, Eckart: Das Anthropozän. Die Erde im Zeitalter des Menschen, Darmstadt 2008. Auf der anderen Seite haben beispielsweise Diskussionen um agency und die Koexistenz von Mensch und natürlicher Umwelt diese Trennung ebenso in Frage gestellt.

Das Narrativ der Trennung von Natur und Kultur in und seit der Zeit der Aufklärung   |

Gegenbegriff meint dabei, dass der naturwissenschaftlichen Objektivierung der Natur quasi als Rückseite der Medaille ihre Romantisierung zugehöre. Beides sei Teil der gleichen Vorstellungswelt, da die Entfremdung von der Natur letztlich ihre Romantisierung hervorbringe.22 Historisch verläuft d ­ ieses Narrativ für die Zeit der Aufklärung und des Aufschwungs der modernen Naturwissenschaft also meist wie folgt: Die Abläufe in der Natur wurden seit dem 17. Jahrhundert zunehmend nicht mehr unmittelbar Gott zugeschrieben, sondern die Phänomene der Natur wurden mehr und mehr als den Naturgesetzen unterliegend betrachtet – beobachtbar, messbar und beschreibbar. Die Frühe Neuzeit sei eine Zeit des Wandels und des neuen beobachtenden, objektivierenden und experimentellen Naturverständnisses und damit der Entfremdung von der Natur und der Objektivierung der Natur. Gleichzeitig wachse aber mit der fortschreitenden Reduktion der Bedrohlichkeit der Natur und mit der Reduktion der direkten Abhängigkeit des Menschen von Wetter, Ernte etc. im stadtbürgerlichen Leben die emotionale Bedeutung der Natur. Die Emotionalisierung (insbesondere in Literatur und Kunst gleichgesetzt mit „der Romantik“) erscheint dabei als Gegenbewegung zur „Rationalität“ der Aufklärungsbewegung. So und ähnlich lauten die Metaerzählungen zu „Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit“: Objektivierung und Distanzierung bei gleichzeitiger erneuter, „romantischer“ Aneignung. Viele Studien zum Wandel des Naturbegriffes versuchen diesen Wandel auf ideen- und philosophiegeschichtlicher Ebene zu systematisieren und beschreiben, wie sich seit ca. 1800 eine Vorstellung der Natur als „Gegenwelt“ etabliert und sich der Mensch zunehmend vom Naturobjekt, das Untersuchungsgegenstand wird, distanziert bzw. die Naturwissenschaft sich von anderen Denksystemen emanzipiert.23 Etwas anders akzentuierte in den 1990er Jahren die deutsche Philosophin Karen Gloy die Naturbezüge des Menschen, wohl angeregt durch die ökologischen Diskussionen dieser Zeit. In ihren Arbeiten tauchen schon stärker Elemente auf, die dem Paradigma des Siegeszuges der Objektivierung der Natur auch zuwiderlaufen und auf das rekurrieren, was bei Oldemeyer die nebengeordnete Strömung einer biomorph-­ ganzheitlichen Naturinterpretation darstellt. Ihrer Geschichte des wissenschaftlichen Denkens stellte sie nämlich einen zweiten Band, die Geschichte des ganzheitlichen Denkens, gegenüber, der sich Traditionen organizistischer Naturauffassung widmete und ausgehend von den naturmagischen Auffassungen der Renaissance über Leibniz sowie die Naturphilosophie des Idealismus und der Romantik eine Linie bis zur Ökologie 22 Siehe den Band: Großklaus, Götz und Oldemeyer, Ernst (Hrsg.): Natur als Gegenwelt. Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Karlsruhe 1983. Zentral hier: Oldemeyer, Ernst: „Entwurf einer Typologie des menschlichen Verhältnisses zur Natur“, S. 15 – 42. 23 In dieser Tradition siehe etwa der Klassiker von Crombie: Crombie, Alistair C.: Von Augustinus bis Galilei. Die Emanzipation der Naturwissenschaft, Köln / Berlin 1959.

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des 20. Jahrhunderts zog.24 Damit existierten für Gloy beide Strömungen letztlich nebeneinander, wenn auch das organizistisch-­holistische Naturverständnis von der naturwissenschaftlichen Konzeption weitgehend verdrängt wurde.25 Das Verhältnis beider, scheinbar weitgehend unabhängig voneinander existierender Strömungen wird aber nicht eindeutig geklärt. Ging also dieser „biomorph-­ganzheitliche“ Ansatz unter? Hatte er erst wieder Lebenschancen im Sinne einer Entdeckung der Ökologie aufgrund der seit der Industrialisierung und besonders im 20. Jahrhundert zunehmenden Konfrontation des Menschen mit Umweltzerstörung und Umweltproblematik? Und wie lassen sich eigentlich Entfremdung von der Natur und Romantisierung der Natur in der Neuzeit zusammendenken? Lassen sich „ganzheitliche Naturanschauungen“ mit der romantischen Naturauffassung um die 1830er Jahre in eins setzen? Ist „ganzheitliches Denken“ schlicht gleichzusetzen mit „unwissenschaftlichem romantischem Denken“ – eine Art „Gegenentwurf“, wie man landläufig die literarische Strömung der Romantik als „Antwort“ auf den Rationalismus der Aufklärung erklärt hat? Und was ist eigentlich „der Rationalismus der Aufklärung“? Die Aufklärungszeit als Schlüsselepoche? Für Historiker/innen, die sich immer der Angewiesenheit auf die tradierte Überlieferung in den Quellen bewusst sind, stellt sich hier zudem unweigerlich eine zusätzliche Frage: Inwieweit hat eine Historiographie, die sich lange Zeit im Bereich der Beziehung des Menschen zur Natur auf die Entwicklung der Naturwissenschaft und die wissenschafts­ geschichtlichen Erfolgsgeschichten fokussierte, vielleicht Zeitspezifisches übersehen? Inwieweit wurden besonders diejenigen Texte und Überreste, die die Natur als die zu beherrschende Natur definierten, vielleicht bevorzugt historiographisch bearbeitet?26 24 Siehe die zwei Bände: Gloy, Karen: Die Geschichte des wissenschaftlichen Denkens. Das Verständnis der Natur, München 1995. Und: Gloy, Karen: Geschichte des ganzheitlichen Denkens. Das Verständnis der Natur, München 1996. 25 Die Hoffnung der 1990er Jahre, dass auch ganzheitlichere Denkweisen im Hinblick auf die Natur sich weiterentwickeln mögen, drückt sich in ­diesem Werk ebenso aus wie bei Klaus Meyer-­Abich, der 1997 organizistische Denkweisen in der Naturphilosophie als „vergessenen Traum“ betitelte. (Meyer-­Abich, Klaus Michael: Praktische Naturphilosophie. Erinnerung an einen vergessenen Traum, München 1997.) 26 So etwa in den klassischen Überblickswerken, die sich der entstehenden Naturwissenschaft widmen, wie etwa: Mason, Stephen F.: Geschichte der Naturwissenschaft in der Entwicklung ihrer Denkweisen, Bassum 1997. Oder etwa in älteren Überblickswerken, die aber für die Wissenschaftsgeschichte unverzichtbar bleiben, wie etwa: Crombie, Alistair: Von Augustinus bis Galilei. Die Emanzipation der Naturwissenschaft, München 1977 (engl. Original 1959). Studien, die diese Errungenschaften kritisch beleuchten, beziehen sich ebenso auf die Protagonisten „moderner Denkart“: Siehe etwa: Kinsely, David: Ecology and Religion. Ecological Spirituality in Cross-­ Cultural Perspective, Englewood Cliffs/New Jersey et al. 1995.

Das Narrativ der Trennung von Natur und Kultur in und seit der Zeit der Aufklärung   |

Inwieweit lag der Fokus möglicherweise mehr auf diesen „modernen“ (das heißt unserem Denken vertrauteren) Texten von Denkern wie René Descartes, Isaac Newton oder Francis Bacon, mit denen jenes mechanistische und desakralisierte Bild der „entzauberten“ Natur begann, welches wir der „Moderne“ zuschreiben? Oder lassen sich doch auch andere Bilder der Naturauffassung für das 18. Jahrhundert beschreiben? Peter Hanns Reill hat in seinem Werk Vitalizing Nature in the Enlightenment im 18. Jahrhundert eine spätaufklärerische Strömung des sogenannten „Vitalismus“ ausgemacht, die, indem sie den Stoff, das Material, als Belebtes konzipierte, wie er sagt, mechanistische Denkweisen abgelöst habe. Zumindest ist seine Ausgangsfrage doch sehr berechtigt: „Were mid- to late Enlightenment thinkers totally immersed in a mechanist view of nature (…)?“27 Dieses vorliegende Buch will keine Antwort auf die Frage geben, was die Naturvorstellung der Aufklärung war oder nicht war oder gar eine lineare Abfolge von Strömungen postulieren, es lässt aber Zeitgenossen zur Sprache kommen, die möglicherweise so etwas wie „Aufklärung“ als Ideal verinnerlicht hatten und dabei vielleicht doch auch andere Formen von Aufklärungen lebten und konzipierten. Dabei wird offensichtlich, was „Aufklärung“ auch sein kann, ­welche Strömungen und Denkweisen auch existierten. Diese Stimmen können die Epoche der Aufklärung vielleicht in gewisser Weise unanfälliger machen – sowohl für eine Glorifizierung der Epoche – wie wir sie etwa im politischen Diskurs erleben – wie etwa auch für die retrospektive Stilisierung zum „Sündenfall“ am Beginn einer Moderne, die in die Objektivierung der Natur, Technisierung, Instrumentalisierung und in Naturzerstörung mündete. Oder die gar – im Sinne Horkheimer und Adornos – im Totalitarismus endete 28 oder in neueren Ansätzen teilweise zum fatalen Beginn des Anthropozäns stilisiert wird.29 Im Folgenden geht es also nicht um die Aufklärung als bis heute in Europa gültiges Ideal oder die ambivalenten Konnotationen von „Aufklärung“ im heutigen Diskurs, sondern es geht um eine vergangene Vorstellungswelt,30 um einen Zugang zur Aufklärung als vielschichtige und vielstimmige historische Epoche. 27 Reill, Peter Hanns: Vitalizing Nature in the Enlightenment, Berkeley / Los Angeles / London 2005, hier S. 2. Tatsächlich haben auch ältere Darstellungen durchaus schon auf diese Ablehnung des Cartesianismus von Seiten der Biologen hingewiesen, siehe: Mayr, Ernst: Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt. Vielfalt, Evolution und Vererbung, Berlin et al. 1984, S. 80 ff. 28 Für Max Horkheimer und Theodor Adorno stand sie Pate für die Unterwerfung der Natur und letztlich auch den Faschismus, siehe: Horkheimer, Max und Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, 14. Auflage Frankfurt a. M. 2003, S. 9 ff. 29 Die Gleichsetzung des Beginns des Anthropozäns mit dem Beginn der Aufklärung ist jedoch auch zu diskutieren, siehe: Mikhail, Alan: „Enlightenment Anthropocene“, in: Eighteenth-­Century Studies, Vol 49/2, 2016, S. 211 – 231. 30 Zu dieser analytischen Trennung siehe die Ausführungen des Philosophen Werner Schneiders: S­ chneiders, Werner: Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland, Hamburg 1990, insbesondere S. 9 – 27. So kritisch die Aufklärung und die ihr angeblich innewohnende Verabsolutierung der Ratio

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1.3 Begriffliche Anleihen aus der Anthropologie Der Anthropologe Philippe Descola nähert sich in seinem 2005 erschienenen Werk Par-­ delà nature et culture 31 von einer kulturvergleichenden Warte den Interpretationen des Verhältnisses von Natur und Kultur und entwirft Begrifflichkeiten, die die Handhabung der zu beschreibenden Phänomene vereinfachen und deshalb hier übernommen werden. Es handelt sich um die Begrifflichkeit von „Menschen und Nichtmenschen“, um das abendländische Dispositiv des „Naturalismus“ (im Original „le naturalisme“) und seine Implikationen in Bezug auf die Frage nach „Physikalität und Interiorität“, die im Folgenden erläutert werden. Aufgrund seiner vielfachen ethnologischen Studien entlarvt Descola die für uns im Allgemeinen als Gegensätze konstruierten Begriffe von Natur und Kultur als im europä­ ischen Denken seit der Renaissance entwickeltes Dispositiv, das im weltweiten Vergleich geradezu einen „Sonderfall“ darstelle. Während in der Antike und in den ursprünglichen Vorstellungen indigener Völker weitgehend ein und dieselbe Natur Menschen sowie Nichtmenschen (Tiere, Pflanzen, Steine) in sich begreife, sei dies im europäischen, wissenschaftlichen Denken zunehmend von einem Dispositiv abgelöst worden, in dem der Mensch, aus der Natur herausgelöst, dieser von Naturgesetzen geordneten Natur gegenüberstehe. Damit sei im Abendland eine Reduktion der Vielfalt des Existierenden auf zwei Ordnungen heterogener Realitäten einhergegangen: die Kultur als dem Menschen zugehörige Sphäre und die Natur als in sich geschlossener Raum der Tiere, Pflanzen und Steine.32 In seinen vielfältigen Beispielen zeigt Descola sodann, „daß der Gegensatz ­zwischen Natur und Kultur nicht so universell verbreitet ist, wie behauptet wird, nicht nur, weil er für alle anderen außer für die Modernen sinnlos ist, sondern auch, weil er im Verlauf der Entwicklung des abendländischen Denkens selbst erst spät in Erscheinung trat (…).“33 Menschen und Nichtmenschen Descola geht in seiner Analyse dabei von seinen Beobachtungen über die Ordnung der Lebewesen in verschiedenen Regionen der Welt aus. In vielfachen Beispielen, etwa zu dem teilweise im 19. wie auch noch im 20. Jahrhundert gesehen wurde, im heutigen politischen Diskurs scheint sie geradezu als Allheilmittel gegen religiösen Fundamentalismus zu fungieren. 31 Descola, Philippe: Par-­delà nature et culture, Paris 2005. Ich beziehe mich aus Gründen der besseren Lesbarkeit und der Nutzung der Begriffe im Folgenden auf die überzeugende Übersetzung von Eva Moldenhauer aus dem Jahr 2011, die der deutschen Ausgabe zu Grunde liegt: Descola, Philippe: Jenseits von Natur und Kultur, übersetzt von Eva Moldenhauer, Berlin 2011. Verwendet wird der Nachdruck als Taschenbuchausgabe bei Suhrkamp, Frankfurt 2013. 32 Auch Descolas Studie erwächst aus der zunehmenden Brüchigkeit dieser Dichotomie, wie er sagt. Dieser Absatz bezieht sich auf das Vorwort: Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 11 – 13. 33 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 15.

Begriffliche Anleihen aus der Anthropologie  |

von ihm erforschten südamerikanischen indigenen Volk der Achuar, zeigt er auf, inwiefern in den Ontologien der Welt die Verwandtschaft der Lebewesen völlig anders begriffen wird als in der abendländischen Moderne. Denn hier zählen Pflanzen und Tiere beispielsweise zu den „Leuten“, „wenn sie sagen, daß die meisten Pflanzen und Tiere eine Seele (wakan) ähnlich der der Menschen besitzen, eine Eigenschaft, aufgrund deren sie zu den ‚Personen‘ zählen, insofern sie ihnen reflexives Bewußtsein und Intentionalität verleiht, sie befähigt, Gefühle zu empfinden, und es ihnen ermöglicht, Botschaften mit ihresgleichen sowie mit anderen Mitgliedern anderer Arten auszutauschen, darunter mit Menschen“34. Dies schlägt sich in Handlungen der Beschwörung des zu erlegenden Wildes nieder oder in Verwandtschaftsterminologien bezüglich der Menschen, Tiere und Pflanzen. Die Hauptattribute wie Sterblichkeit, soziales und zeremonielles Leben, Intentionalität und Erkenntnis werden analog der menschlichen Attribute gedacht.35 Die amerindianischen Volksgruppen treffen zwar durchaus auch Unterscheidungen z­ wischen den Entitäten, die die Welt bevölkern, aber die Unterscheidung ist nicht markiert durch „beseelt“ – „unbeseelt“ oder Grade der Seinsvollkommenheit, sondern stützt sich auf die Abweichung in den Kommunikationsweisen. Pflanzen und Tiere kommunizieren eben anders und haben eine andere Gestalt, gehören aber zu den „Personen“ und besitzen eine „Seele“. Insofern unterscheiden diese Kosmologien nicht z­ wischen „Menschen“ und „Nichtmenschen“.36 Derartige Kosmologien gehen auch meist von der grundsätzlichen Möglichkeit der Metamorphose aus: Menschen können Tiere werden, Tiere können sich in Menschen verwandeln. Es sind also Seinsformen unter Gleichen: „Trotz der Unterschiede ihrer inneren Anordnung ist es für alle diese Kosmologien charakteristisch, daß sie keine scharfe ontologische Unterscheidung z­ wischen den Menschen einerseits und einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten andererseits treffen. Die meisten Entitäten, die die Welt bevölkern, sind in einem großen Kontinuum miteinander verbunden, das von unitarischen Prinzipien beseelt und von demselben System der Geselligkeit geleitet wird. Tatsächlich zeigen sich die Beziehungen z­ wischen Menschen und Nichtmenschen als Beziehungen von Gemeinschaft zu Gemeinschaft (…)“37. Bäume liegen so ebenso im Wettstreit, wie das Wild Mitgefühl mit dem Jäger hat, dem es sich in Großmut ausliefert. Die „Person“ des Tieres, dessen Balg 34 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 23. 35 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 27 f. 36 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 25. Tatsächlich sei, mutmaßt Descola, dieser Dualismus völlig differenter Sphären von Kultur und Natur, von „Menschen“ und „Nichtmenschen“ aber auch insgesamt in Auflösung begriffen: „… es ist heute schwierig, so zu tun, als befänden sich die Nichtmenschen nicht überall mitten im sozialen Leben, ob sie nun die Form eines Affen annehmen, mit dem man in einem Labor kommuniziert, der Seele einer Yamswurzel, die den, der sie anbaut, im Traum aufsucht, eines elektronischen Gegners, der beim Schachspiel geschlagen werden muss, oder eines Ochsen, der bei einer zeremoniellen Opferung als Vertreter einer Person behandelt wird.“ (Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 17.) Zumindest passen hierzu auch moderne agency-­Konzepte. 37 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 29.

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geehrt wird, kehrt in anderer Form zurück, da alles in der Biosphäre zirkuliert. Die faszinierenden und sehr differenzierten Beispiele, die Descola von Amazonien über den australischen Kontinent bis hin zu den subarktischen Regionen Kanadas oder Ostsibiriens aufzeigt, können hier nicht weiter dargelegt werden. Er resumiert, „dass die Art und Weise, wie das moderne Abendland die Natur darstellt, etwas ist, was in der Welt am wenigsten geteilt wird. In zahlreichen Gegenden des Planeten werden Menschen und Nichtmenschen nicht als Wesen aufgefasst, die sich in unvereinbaren Welten nach getrennten Prinzipien entwickeln; die Umwelt wird nicht als autonome Sphäre objektiviert (…)“.38 Vergleiche man die weltweit existierenden Ontologien, so s­eien im Grunde nicht die „Andersdenkenden“ exotisch, sondern wir: „Aus Sicht eines hypothetischen Jivaro- oder chinesischen Wissenschaftshistorikers würden (…) Descartes und Newton weniger als Enthüller der distinktiven Objektivität der Nichtmenschen und der sie regierenden Gesetze erscheinen, sondern vielmehr als Architekten einer (…) völlig exotischen Kosmologie, verglichen mit der Wahl, die von der übrigen Menschheit getroffen wurde, um die Entitäten in der Welt zu verteilen und Diskontinuitäten und Hierarchien in ihr zu bestimmen.“39 Was Descolas Programm so innovativ macht, ist letztlich die Aufforderung, bei der Betrachtung von fremden (auch historischen) Existenzweisen die „Nichtmenschen“ in die Analyse miteinzubeziehen, die Perspektive nicht auf den Menschen und seine Beziehungen zu beschränken. Und damit sind wir wieder bei der Legitimation der aufgeworfenen Frage nach Pflanzen und Menschen, nach den Beziehungsmodi, die zunächst für eine Epoche nicht festgelegt sein müssen, da der Dualismus von Kultur und Natur selbst seiner Histo­ rizität überführt ist und kein überkulturell geltendes Paradigma darstellt. Im Zentrum der Analyse stehen die Beziehungen und die Geartetheit ihrer inneren Beziehungstruktur.40 Der europäische „Naturalismus“ Die „europäische“ Sichtweise zeichnet sich für Descola also durch die Annahme aus, dass allein dem Menschen „Kultur“ zugebilligt wird, d. h. allein dem Menschen beispielsweise Sprache, ­Sitten und Vergesellschaftung zugeordnet werden. Menschen unterscheiden sich hier radikal von dem, was unter „Natur“ subsumiert wird. Descola benennt diese europäische Ontologie mit dem etwas sperrigen Begriff des „Naturalismus“ („le naturalisme“).41 In dieser abendländischen „naturalistischen“ Ontologie sei die Grenze von 38 39 40 41

Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 60. Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 107. Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 176 f. Der Begriff des „Naturalismus“ bzw. „le naturalisme“ ist nicht ganz unproblematisch, da der Naturalismus bekanntermaßen ebenso eine literarische Strömung gegen Ende des 19. Jahrhunderts darstellt, in der die Natur genau beobachtet und abgebildet werden sollte, etwa insbesondere auch das Elend der Industrialisierung, Urbanisierung etc. (Gerhard Hauptmann, Emile Zolà u. a.)

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Mensch und Naturwesen unüberwindlich.42 Diese anthropozentrische Sichtweise definiere alles Nichtmenschliche durch das Fehlen von Menschlichkeit. Nur dem Menschen werde daher auch ein Konzept wie „Würde“ zugestanden, Nichtmenschen werden von höheren Formen der Erkenntnis und des Handelns ausgeschlossen.43 Descola sieht Anfänge dieser Sichtweise bereits in der Antike und spricht dem Christentum eine diese Sicht verhärtende Wirkung zu. Insbesondere aber hat für ihn die mechanistische Revolution des 17. Jahrhunderts, die die Welt als nach Naturgesetzen funktionierende Maschine definierte und keine aus Menschen und Nichtmenschen zusammengesetzte Totalität mehr erkennen kann, eine zentrale Rolle in der Entwicklung ­dieses Dispositivs, das Anfang des 20. Jahrhunderts vollendet sei.44 Zwar sieht er in Vorstellungen etwa Robert Boyles, Gottfried Wilhelm Leibniz’ oder Alexander von ­Humboldts durchaus Verfechter einer organizistischen Naturauffassung, die eine „unauffälligere Strömung“ vertraten und die der Idee einer nach einem Gesamtplan organisierten Einheitsnatur anhingen,45 wertet aber diese Vorstellungen, wie auch etwa die Konzeptionen der „Kette des Seins,“ die, wie Descola meint, nur bis Anfang des 17. Jahrhunderts geherrscht habe, als teilweise dem noch in der Renaissance herrschenden Analogismus zu, also einer „vormodernen“ Ontologie.46 Auch diese habe bald nur noch im Dienst der naturalistischen Ontologie gestanden, indem zunehmend die physische Ähnlichkeit, die Kontinuität der Physikalitäten innerhalb der Lebewesen betont worden sei, die Interiorität aber als gänzlich divergent definiert wurde.47 Hierfür muss zunächst geklärt werden, was unter „Interiorität“ und „Physikalität“ zu verstehen ist. „Interiorität“ und „Physikalität“ Mit den Begriffen der „Physikalität“ und der „Interiorität“ versucht Descola ein terminologisches Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen, das es erlaubt, über die verschiedenen Vorstellungen des Verhältnisses von Menschen und Nichtmenschen zu sprechen. Die beiden Begriffe gehen dabei davon aus, dass überkulturell in allen menschlichen Gesellschaften eine Vorstellung der zweifachen Anteile im Lebewesen herrsche: einer, der sich auf die Form, die Körperlichkeit der Lebewesen, die Physikalität, und einer, der sich 42 „Menschen vereinen sich frei, geben sich Regeln und Konventionen (…), verändern ihre Umwelt und verteilen Aufgaben, um ihren Lebensunterhalt zu erzeugen, schaffen Zeichen ­­ und Werte, die sie zirkulieren lassen, stimmen einer Autorität zu und versammeln sich, um über die öffentlichen Angelegenheiten zu beratschlagen; kurz sie tun alles, was Tiere nicht tun.“ Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2011, S. 379 f. 43 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 380. 44 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 139. 45 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 116. 46 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 302 ff. 47 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 306.

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auf die, wir würden sagen geistige-­seelische Existenz oder den „Lebensatem“ beziehe. Diese Begriffe sind aber nicht gleichzusetzen mit den Begriffen von Natur und Kultur oder Leib und Seele, sondern spiegeln mehr die Vorstellung von Leben und Gefäß des Lebens – wie auch der Körper etwa nach dem Tod noch sichtbar existent ist, aber das Lebendige sichtbar fehlt. In Descolas Worten: „Unter dem vagen Terminus ‚Interiorität‘ ist eine Reihe von Eigenschaften zu verstehen, die von allen Menschen erkannt werden und die sich zum Teil mit denen decken, die wir gewöhnlich Geist, Seele oder Bewußtsein nennen – Intentionalität, Subjektivität, Reflexivität, Affekte, die Fähigkeit, zu bezeichnen oder zu träumen. Einschließen kann man auch die immateriellen Prinzipien, von denen vermutet wird, daß sie die Belebung verursachen, wie der Atem oder die Lebensenergie (…)“.48 Und er stellt dem an die Seite: „Dagegen betrifft die Physikalität die äußere Form, die Substanz, die physiologischen, perzeptiven und sensomotorischen Prozesse, sogar das Temperament oder die Art, in der Welt zu handeln, insofern sie den Einfluss zu erkennen geben, den Körpersäfte, Ernährungsweisen, anatomische Züge oder eine besondere Art der Fortpflanzung auf das Verhalten oder den Habitus ausüben. Die Physikalität ist also nicht die bloße Materialität der organischen oder abiotischen Körper, sondern die Gesamtheit der sichtbaren Ausdrucksformen, die die einer beliebigen Entität eigentümlichen Dispositionen annehmen, wenn angenommen wird, daß sie aus den dieser Entität wesentlichen morphologischen und physiologischen Merkmalen resultieren.“49 Die Definition der Begriffe bleibt zwar komplex, entscheidend aber ist, dass nicht die aus dem abendländischen Diskurs mit hohem Ballast beladenen Begriffe von Körper versus Seele/Geist benutzt werden, sondern eine möglichst neutrale Terminologie, die zunächst offen lässt, in ­welchen Verhältnissen in einer Kultur Begriffe wie Leben, Körper, Seele gedacht und zugeteilt werden. Aus den jeweiligen Vorstellungen vom Verhältnis z­ wischen Menschen und Nichtmenschen im Hinblick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Interiorität und der Physikalität entwirft Descola eine, vielleicht etwas schematische und vom Strukturalismus Levi-­Strauss’ beeinflusste, Grammatik von vier möglichen Ontologien.Wie komplex dabei Beziehungs- und Interaktionsmodi sind und wie die Beziehungen der Lebewesen in diesen vier Ontologien geartet sind, kann hier nicht weiterverfolgt werden.50 Laut Descola ist dabei genau jene Zuordnung das Signum der Moderne und des Abendlandes, 48 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 181. 49 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 182. 50 Dabei definiert er vier mögliche Kombinationen: Handelt es sich um eine Vorstellung, in der eine Kultur ­zwischen Menschen und Nichtmenschen eine Ähnlichkeit der Interiorität, aber einen Unterschied der Physikalität betont, so ist dies mit dem Animismus gleichzusetzen, wie er etwa in den amerindianischen Kulturen verbreitet ist. In den altamerikanischen Kulturen werden so die Tiere und Pflanzen mit einer dem Menschen ähnlichen Seele (Interiorität) versehen, haben aber vom Menschen sehr unterschiedene Körper (Physikalität), die Körperform ist somit das differenzierende Merkmal; Menschen können sich aber auch in Tiere verwandeln, Tiere in Menschen, wenn sie ihre „Form“ ändern. Beide kommunizieren unter- und miteinander oder bilden zusammen eine Gemeinschaft.

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die dem Menschen zwar eine dem Tier ­gleiche Physikalität zuspricht (z. B. das Herz des Tieres funktioniert analog zum Herz des Menschen), nicht aber eine g­ leiche Interiorität (Beseeltheit / geistbegabte Existenz des Menschen). Folgerungen für eine Historische Anthropologie der Mensch-Pflanze-Beziehung Die Begrifflichkeiten von Descola ermöglichen eine Beschreibung der in der jeweiligen Ontologie herrschenden Relationen. Es wird nicht essentialistisch unterschieden z­ wischen beseelt – unbeseelt, sondern ein Instrumentarium zur Verfügung gestellt, mit dem die Anordnungen von Menschen, Tieren und Pflanzen in der jeweiligen Kultur miteinander ins Verhältnis gesetzt werden. Es wird die Anordnung, die Beziehung der Lebewesen in den Blick gerückt. Damit ist von vorneherein Kultur und Natur noch nicht als Gegensatz und Gegenwelt gesetzt, sondern eine offene, an eine Epoche zu stellende Frage. Wenn ich im Folgenden Descolas Fragehaltung einzunehmen versuche und mit Hilfe seines begrifflichen Instrumentariums die Beziehung von Mensch und Pflanze für die Zeit um 1800 in den Blick nehme, so stellt dies einen Versuch dar, in ergebnisoffener Weise nach den Beziehungen z­ wischen Menschen und Nichtmenschen zu fragen – in ­diesem Fall nach dem Verhältnis von Mensch und Pflanze. (Ergänzt sei, dass die Fokussierung der Beziehungsstrukturen in Gesellschaften zudem auch in der Geschichtswissenschaft eine Tradition hat – angeregt etwa durch Norbert Elias’ Figurationssoziologie.51 Diese Sicht wird hier nun ausgeweitet, indem die ­„Figuration“ aus Handelt es sich dagegen um eine Vorstellung, in der eine Kultur ­zwischen Menschen und Nichtmenschen eine Ähnlichkeit der Interiorität und eine Ähnlichkeit der Physikalität sieht, so ist dies in der Descola’schen Einteilung dem Totemismus zuzuordnen, wie er in den altaustralischen Gesellschaften existiert. Hier gibt es eine direkte Verbindung der Verdoppelung z­ wischen Totem und Mensch, das Totemtier ist gleichzusetzen mit dem dazugehörigen Menschen. Der Totemismus stellt in dieser Hinsicht den Extrempunkt dar, da Interiorität und Physikalität sich so sehr gleichen, dass das Totemtier und der Schamane tatsächlich eins sind. Handelt es sich wiederum um eine Vorstellung, in der eine Kultur ­zwischen Menschen und Nichtmenschen einen Unterschied der Interioritäten, aber eine Ähnlichkeit der Physikalität formuliert, so handelt es sich in der vollendeten Ausprägung um die abendländische Trennung: Der Mensch besitzt eine dem nichtmenschlichen Lebewesen ungleiche Interiorität (Geist / Seele / Bewusstsein), aber eine dem nichtmenschlichen Lebewesen ähnliche Physikalität – seine Körperlichkeit unterliegt der gleichen Naturgesetzlichkeit. Dem Menschen wird eine völlig eigene Interiorität, eine völlig eigengeartete geistige Wesenheit zuordnet, wenn er auch in körperlichen Vorgängen den gleichen Gesetzen unterliegt wie andere Lebewesen. Die letzte kombinatorische Möglichkeit ist für Descola der Analogismus, in dem sowohl im Hinblick auf die Interiorität wie auf die Physikalität ein Unterschied herrscht. Die Lebewesen stehen hier zwar angeordnet, aber unverbunden als Singularitäten nebeneinander. (Descola sieht dies noch im Denken der europäischen Renaissance und auch in der aristotelischen scala naturae oder der Kette des Seins, was noch zu diskutieren sein wird). Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 301 ff. 51 Norbert Elias hat in seiner Figurationssoziologie bereits den Fokus auf die Beziehungsstrukturen der Gesellschaft, also unter den „Menschen“ gelenkt und das Individuum in seinem Netzwerk beweglicher

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„Menschen“ und „Nichtmenschen“ besteht, wie sie Anthropologen – nicht nur Descola – nahelegen. Das Sample wird sozusagen erweitert.) Wie sind konkret Beziehungen von Mensch und Pflanze während dieser Umbruchszeit um 1800 zu fassen? Geht also der „Beginn der Moderne“ tatsächlich mit einer klaren Trennung von Mensch und Natur einher? Hat man den Begriff „Pflanze“ aufgrund des Rückgriffes auf die Anthropologie zunächst also seines „Inhaltes“ entleert – wir können nicht wissen, ­welche Bedeutungen in einer gegebenen Epoche der „Pflanze“ anhaften – so geht es um die offene Frage, wie in einer gegebenen Epoche (hier die Zeit um 1800) die Wahrnehmung von Pflanzen, das Wissen und die Wissenschaft in Bezug auf die Pflanzen, die Wissens- und Alltagspraktiken im Hinblick auf die Pflanzen beschaffen sind. Es gilt Dokumente zu sammeln und möglichst eine „dichte Beschreibung“ der in den Blick genommenen Kultur und der ihr inhärenten Bedeutungszuschreibungen und Bedeutungsgewebe anzufertigen.52 Es geht hierbei immer auch um das Nebeneinander und das Gleichzeitige des Ungleichzeitigen, um Wandel, der nicht einfach linear gedacht wird, sondern in Verschiebungen, in Strömungen oder Feldveränderungen zu denken ist. Mit dem Rückgriff auf die Anthropologie verbindet sich aber zudem insbesondere das Anliegen, dem Fremden, den möglicher­weise vergessenen Umgangsweisen mit der Natur, Vorrang und Interesse einzuräumen. Oder, wie Clifford Geertz es für die Ethnologie formulierte: „Die eigentliche Aufgabe (…) ist es nicht, unsere tiefsten Fragen zu beantworten, sondern uns mit anderen Antworten vertraut zu machen, die andere Menschen – mit anderen Schafen in anderen Tälern – gefunden haben, und diese Antworten in das jedermann zugäng­ liche Archiv menschlicher Äusserungen aufzunehmen“53. Nur dass historisch Arbeitende (im Gegensatz zu jenen, die anthropologisch arbeiten) sich weniger im Raum bewegen denn in der Zeit.

Beziehungen und Verflechtungen verortet, das in jeder Figuration einen spezifischen Aufbau habe, den es zu analysieren gelte, wolle man eine Gesellschaftsform verstehen. (Elias, Norbert: „Die Gesellschaft der Individuen“, in: Schröter, Michael (Hrsg.): Norbert Elias. Die Gesellschaft der Individuen, 4. Auflage Frankfurt a. M., 1999, S. 15 – 98, bes. S. 31 f. Dieser für das Denken von Elias zentrale Text entstand 1939, wurde aber erst später publiziert, vgl. die Anmerkungen von Schröter in dieser ­Edition.) Hat Elias in seiner Soziologie bereits die Vorstellung des „homo clausus“ als Merkmal einer bestimmten Figuration entlarvt und auf die von klein auf wirkende Interdependenz der Menschen verwiesen, so verweisen anthropologische Ansätze verstärkt auf die Interdependenz von Mensch und Natur, siehe etwa: Ingold, Tim: The Perception of Environment. Essays in Liveliood, Dwelling and Skill, London / New York 2011. 52 Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M., 4. Auflage 1995. 53 Geertz, Dichte Beschreibung, 4/1995, S. 43.

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Forschungsumgebung innerhalb der Geschichtswissenschaft

Neben der Historischen Anthropologie haben aber auch andere neuere Ansätze aus der Geschichtswissenschaft in das vorliegende Buch Eingang gefunden – namentlich die Wissensgeschichte, die neueren Fragen nach den Zusammenhängen von Science and Religion in der Geschichte der Aufklärung sowie Fragen der Umwelt- und Ökologiegeschichte. Relevante geschichtswissenschaftliche Herangehensweisen Die Themenstellung Mensch-­Pflanze-­Beziehung und die dazugehörige Fragestellung nach Denkweisen und Praktiken in Bezug auf die Pflanze ist also, wie bereits durch den Bezug auf die Anthropologie deutlich geworden sein sollte, vornehmlich dem Bereich der Histo­ rischen Anthropologie zuzuordnen. Der Grund hierfür liegt in der Überzeugung, dass einer Historischen Anthropologie – wie es auch Jochen Martin, einer der Gründerväter der Historischen Anthropologie, beschrieben hat –54 die kulturvergleichende Perspektive inhärent sein muss. Nur so wird darstellbar, dass die jeweiligen Kulturen die „Pflanze“, beziehungsweise das Verhältnis von Natur und Mensch, in sehr unterschiedlicher Weise mit Bedeutungen versehen und wir – auch auf historische Epochen bezogen – zunächst nicht wissen können, was genau eine Kultur unter einer „Pflanze“ versteht. In den Sammlungen von Wissensweisen, Bedeutungszuschreibungen und Praktiken verknüpfen sich die Fragen der Historischen Anthropologie aber hier mit Fragen, die neueren Strömungen der Wissensgeschichte eigen sind. Denn es geht auch darum, Wissen jenseits der ausgewiesenen Wissenschaftsinstitutionen und der später in Kanonbildungen anerkannten Gelehrten der Epoche zu suchen. Es geht auch um „verschüttetes Wissen“ oder „Irrläufer“ und ehemals den Diskurs beeinflussende Autoren, deren Werk aber später nicht tradiert und dem Vergessen anheim gegeben wurde. Hier findet sich also die Schnitt- oder Verbindungsstelle von Historischer Anthropologie und Wissensgeschichte: Im Versuch, sich einer Bewertung des jeweiligen „Wissensvorrats“ zu enthalten, treffen sich der Anthropologe 55 und der Wissenshistoriker.56 54 Martin, Jochen: „Der Wandel des Beständigen. Überlegungen zu einer Historischen Anthropologie“, in: Winterling, Aloys (Hrsg.): Historische Anthropologie, München 2006, S. 143 – 157. 55 Siehe hierzu auch die Diskussion eines Vortrages in: Descola, Philippe: Die Ökologie der anderen (Übersetzung von Eva Moldenhauer der in Frankreich 2011 erschienenen Ausgabe L’écologie des autres. L’anthropologie et la question de la nature), Berlin 2014. 56 Philipp Sarasin nimmt dies beispielsweise seinerseits für die Wissensgeschichte in Anspruch: „… dass der Wissenshistoriker sich gegenüber möglichen Wahrheitsansprüchen in alten Texten im Grundsatz

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Forschungen zur Frühen Neuzeit orientieren sich zudem heute weniger am Fortschrittsparadigma oder an linearen Entdeckungsgeschichten und den „großen Entdeckern“ der aufkommenden Naturwissenschaft.57 (Dies behält aber durchaus seinen berechtigten Platz in einer Wissenschaftsgeschichte.) Den neueren wissensgeschichtlichen Arbeiten zur Naturgeschichte und zur entstehenden Naturwissenschaft ist gemeinsam, dass der soziale Kontext und die sozialen Strukturen im Umgang mit dem Naturwissen in den Vordergrund gerückt werden. Die Situierung des jeweils zeitgenössischen Wissens wird hier zentral gesetzt – nicht nur die sozialen, sondern auch die kulturell-­mentalen Kontexte der Naturforscher.58 Letzteres betrachtet den Wissens- und Wissenschaftbegriff unter der Frage, was in einer Epoche denkbar ist, welches Wissen zugelassen wird oder auch verdrängt wird. (Als theoretische Referenzen für diese Studien fungieren dabei meist wissens­soziologische und wissenschaftstheoretische Werke. Insbesondere etwa Thomas Kuhns ­Kritik am Narrativ des steten wissenschaftlichen Fortschritts;59 ebenso zentral waren die von Kuhn wiederentdeckten Schriften Ludwig Flecks, der schon in den 1930er Jahren die wissenschaftliche „Tatsache“ als Produkt bestimmter Denkstile entlarvte.60 Und nicht zuletzt Michel Foucault sprengte  – besonders in der Archäologie des

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agnostisch verhält. Er wägt nicht den Wert der Argumente und prüft nicht, wer – zum Beispiel in der Wissenschaftsgeschichte – der heutigen Wahrheit schon ein Schritt näher war als der andere (…)“. Aus: Sarasin, Philipp: „Was ist Wissensgeschichte?“, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36 (2011), S. 171. Seit den 1990er Jahren hat in den historischen Wissenschaften dabei ein Wandel der Herangehensweisen an die Fragen von Wissen und Wissenschaft stattgefunden – nicht zuletzt im Zuge der Abwendung vom Paradigma der „Wissenschaftlichen Revolution“. Weder die Vorstellung einer „Revolution“ im Sinne eines einschneidenden Großereignisses noch die Existenz einer kohärenten Naturwissenschaft werden in der heutigen Geschichtswissenschaft aufrechterhalten. Zunehmend wurde kritisiert, dass dieser Begriff, der eine im 17. und 18. Jahrhundert stattfindende, fortschrittliche und als ein Großereignis fassbare Umwälzung der Naturauffassung hin zur modernen Wissenschaft und modernen Denkformen postuliert hatte, sozusagen vom Resultat her eine kohärente Erzählung wissenschaftlichen Fortschrittes generiere. Zu Geschichte des Konzeptes der Wissenschaftlichen Revolution, siehe: Shapin, Steven: The Scientific Revolution, Chicago / London 1996. Zur Kritik siehe ebenso: Osler, Margaret J.: Rethinking the Scientific Revolution, Cambridge 2000. Hier findet sich auch der berühmt gewordene Aufsatz von B. J. T. Dobbs über Newtons Suche nach dem göttlichen Wirken in Alchemie und Physik. Ähnlich zu Robert Boyle: Principe, Lawrence M.: The Aspiring Adept. Robert Boyle and his Lachemical Quest, Princeton 1998. Andere Studien dieser Art folgten. Aus der deutschsprachigen Forschungsliteratur siehe bspw.: Von Greyerz, Kaspar: „Alchemie, Hermetismus und Magie. Zur Frage der Kontinuitäten in der wissenschaftlichen Revolution“, in: Lehmann, Hartmut und Trepp, Ann Charlott (Hrsg.): Im ­­Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1999, S. 415 – 432. Oder wie Steven Shapin es formuliert: „There is as much society inside the scientist’s laboratory, and internal to the development of scientific knowledge, as there is outside.“ (Shapin, Scientific Revolution, 1996, S. 10.) Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 23. Aufl. Frankfurt a. M. 2012 (Erstveröffentlichung 1962). Siehe: Fleck, Ludwig: Denkstile und Tatsachen. Gesammelte Schriften und Zeugnisse, Frankfurt a. M. 2011. (Die Schriften stammen aus den 1930er Jahren.)

Forschungsumgebung innerhalb der Geschichtswissenschaft  |

Wissens – die klassische Einteilung z­ wischen wissenschaftlichem und nichtwissenschaftlichem Wissen.61) Eine konsequente Frage nach der Situiertheit jeglichen Wissens und jeglicher Wissenschaft führte so in der Praxis zu einer „Öffnung der Wissenschaftsgeschichte hin zu Fragestellungen der Sozial- und Kulturgeschichte“62. Und umgekehrt entstand innerhalb der Kulturgeschichte ein neues Interesse für das Thema Wissen und Wissenschaft. Auch im deutschsprachigen Raum erschienen daher in der Folge innerhalb der Kulturgeschichte Werke, die diese Fragen aufgriffen. Beispielhaft sei hier etwa genannt der Sammelband Wissen als kulturelle Praxis 1750 – 1900, der von Hans Erich Bödecker, Peter Hanns Reill und Jürgen Schlumbohm herausgegeben wurde,63 oder auch der von Richard van Dülmen und Sina Rauschenbach edierte Band Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft.64 Für diese Formen der Fragestellungen hat sich im deutschsprachigen Raum (und besonders in der Schweiz) seither das Label Wissensgeschichte etabliert. Sammelbände 65 beziehen sich ebenso hierauf wie Forschungsberichte 66 oder theoretische Weiterentwicklungen (wie etwa der im deutschsprachigen Raum weithin rezipierte Aufsatz von Philipp Sarasin Was ist Wissensgeschichte?)67. Aber auch internationale Handbücher, wie etwa die Cambridge History of Science, spiegeln diesen Paradigmenwechsel.68 „Wissenschaft“ wird nun vermehrt im Hinblick auf ihre Verbindung mit den sozialen Kontexten, den Idealen und Normen

61 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main, 16. Auflage 2013, S. 253 ff. (Kapitel: Wissenschaft und Wissen, bes. S. 258 ff.) Einflussreich – gerade für Fragen der Umgebungen der Akteure und ihrer Netzwerke – waren ebenso Bruno Latours Vorstellungen. Latour, Bruno: Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Princeton 1986. 62 So verorten Greyerz / Senn / Flubacher die in den 1980er und 1990er Jahren entstandene Wissensgeschichte in ihrer Einleitung zu ihrem Sammelband. Siehe: Greyerz, Kaspar von; Flubacher, Silvia und Senn, Philipp: „Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung“, in: Dies. (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog. Connecting Science and Knowledge, Göttingen 2013, S. 9. 63 Bödeker, Hanns Erich; Reill, Peter Hans und Schlumbohm, Jürgen (Hrsg.): Wissenschaft als kulturelle Praxis, 1750 – 1900, Göttingen 1999. 64 Dülmen, Richard van und Rauschenbach, Sina (Hrsg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln 2004. 65 Etwa: Greyerz, Kaspar von; Flubacher, Silvia und Senn, Philipp: Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog. Connecting Science and Knowledge, Göttingen 2013. 66 Siehe etwa: Speich-­Chassé, Daniel und Gugerli, David: „Wissensgeschichte. Eine Standortbestimmung“, in: traverse; Themenheft Kulturgeschichte (2012/1), S. 85 – 100; Vogel, Jakob: „Von der Wissenschaftszur Wissensgeschichte. Für eine Historisierung der ‚Wissensgesellschaft‘“, in: Geschichte und Gesellschaft 30/4 (2004), S. 639 – 660; Füssel, Marian: „Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft. Neue Forschungen zur Kultur des Wissens in der Frühen Neuzeit“, in: ZHF 34/2 (2007), S. 273 – 289. 67 Sarasin, Philipp: „Was ist Wissensgeschichte?“, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36 (2011), S. 159 – 172. 68 Siehe: The Cambridge History of Science (Band 4: Eighteenth Century; hrsg. von Roy Porter), Cambridge 2003.

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einer Epoche untersucht.69 (Peter Burkes 2016 in einer Reihe historischer Einführungen erschienenes Handbuch What is the History of Knowledge? besiegelte gewisser­maßen die Etablierung der Wissensgeschichte als historischen Ansatz.70) Im Sinne einer solchen Wissensgeschichte geht es in der vorliegenden Arbeit um die sozialen Kontexte und Wissenspools, aus denen die Protagonisten zwar hervorstechen, in die sie aber eingebunden sind und auf die sie zurückwirken – es geht um kollektive Wissensproduktion und um eine Vielfalt an Akteuren. „Zentralpersonen“ stellen also hier weniger „Einzelgenies“ denn Mittelpunkte in wellenschlagenden, sich überschneidenden Kreisen dar, die im gesellschaftlichen Gewässer Wissensbestände hin- und herschwappen lassen. Gelehrte, Wissenshungrige, Bildungsinteressierte, Hofangestellte, Experimentierfreudige und Naturbeobachter, die in vielen Feldern forschten, waren Teil dieser soziokulturellen Netze und standen in enger Verbindung untereinander. Sie waren dabei auch in Kontakt mit herrschaftspolitisch wichtigen Personen oder – im 18. Jahrhundert vermehrt – mit den literarisch-­kulturell tätigen Aufklärern. Dabei ist zudem zu beachten, dass die Kongruenz von heute als zentrale Naturgelehrte bekannten Personen und in der damaligen Zeit bekannten Naturgelehrten nicht immer gegeben ist: Ehemals weithin rezipierte Autoren (und Autorinnen) sind heute vielfach vergessen. Es tauchen somit zwar auch in d ­ iesem Buch durchaus „Lichtgestalten“ der Aufklärung auf, vorwiegend aber geht es um eine Bildungs- und „Gelehrsamkeitselite“: um an vielen Orten existierende „kleinere Gelehrte“, auch um Schüler, Ehefrauen, Mitarbeiter und die weitläufigen Kreise bildungsinteressierter Bürger und Bürgerinnen. Zumindest für das späte 18. Jahrhundert ist dabei kaum von einer abgeschlossenen Gelehrtenschicht zu sprechen, sondern eher von Gruppierungen und Kontexten, deren Ränder diffus bleiben. Die Situiertheit jeglichen Wissens führt aber noch auf einer anderen Ebene zur Ausweitung des Quellenspektrums: Wissen relativ zu denken, heißt auch – und hierin liegt der Konnex zur Anthropologie – historische Wissensbestände und Wissenschaftsinhalte nicht retrospektiv zu bewerten, nicht nach „richtig“ und „falsch“ zu sortieren, sondern die Gesamtheit der bestehenden Wissensströme und Wissensinhalte einer Epoche als genuinen Ausdruck ihrer Denkmöglichkeiten – ihrer Kultur und ihrer Bedeutungszuschreibungen – zu beobachten. Wissenschaft wird so verstanden als ein Teil einer Gesamtheit von Wissensweisen in einer Gesellschaft. Peter Burke spricht daher im Plural von „knowledges“.71 Im Deutschen ist dies nur durch ein Kompositum wiederzugeben und kann mit „Wissensbestände“, „Wissensfelder“ oder „Wissensweisen“ übersetzt werden (wie etwa in der Überschrift von Teil I). Bis ins 19. Jahrhundert hinein sind dabei die Übergänge 69 Wie etwa im von William Clark, Jan Golinski und Simon Schaffer herausgegebenen Band The ­Sciences in Enlightened Europe: Clark, William; Golinski, Jan und Schaffer, Simon (Hrsg.): The Sciences in Enlightened Europe, Chicago / London 1999. 70 Burke, Peter: What is the History of Knowledge?, Cambridge 2016. 71 Burke, History of Knowledge, 2016, S. 7 f.

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z­ wischen den wenig differenzierten Wissensfeldern zweifelsohne wesentlich durchlässiger als in heutigen Vorstellungen von Wissenschaft. Das heißt für die Quellensuche, dass auch Wissensbestände betrachtet werden müssen, die später als „Irrläufer“ der Wissenschaft oder als „falsch“ deklariert wurden, beziehungsweise als „nichtwissenschaftlich“. Es stellt sich also nicht die Frage nach „richtigem“ Wissen, als vielmehr nach dem in einer Gesellschaft als „wertvoll“ erachteten Wissen. Auch hier trifft sich die Wissens­geschichte wieder mit der Historischen Anthropologie – in der Neugier auf das, was möglicherweise nicht als „richtiges“ Wissen weitertradiert wurde – wobei die Konfrontation mit dem heute fremd anmutenden Denken, mit fremden Fragen und Antworten, die Relativität eigener Denkweisen vor Augen führt. Indem das sich in einer Gesellschaft befindliche Wissen aber selbst als Indikator gedacht wird und beobachtet wird, wie eine Gesellschaft bestimmte Wissensbestände kultiviert und zulässt, andere aber verdrängt, werden die Wissensweisen und die zirkulierenden Wissensbestände selbst zum Charakteristikum einer Gesellschaft oder einer Epoche. Zentraler als die Antworten sind somit für die Epoche der Aufklärung hier möglicherweise die Fragen, die diese Epoche stellt, das, womit sie ringt und worauf ihre Suchbewegungen zielen. Wissensweisen verbinden sich dabei gerade im 18. Jahrhundert eng mit Wissenspraktiken im Sinne des Sammelns von Wissensobjekten und mit Praktiken der Beobachtung und des Experiments. Der Begriff der Wissenspraktiken (Teil II) weist auf die enge Verzahnung von Diskurs und Praxis hin, wie sie etwa auch Anne Mariss in ihrer Studie zu Johann Reinhold Forster oder Emma Spary in ihrer Arbeit über die Wissenspraktiken am Jardin du Roi in Paris aufgreifen.72 Diese Wissenspraktiken lassen sich im 18. Jahrhundert dabei vielfach sowohl als wissenschaftliche Praktiken verstehen wie auch als aufklärerische Wissenspraktiken schlechthin. Hier ist zudem zu fragen, wie Wissen zu common sense sedimentiert und wie sich botanisches Wissen und damit verbundene botanische Praktiken zu Alltagspraktiken verfestigen. So stehen beispielsweise in der relativ wenig differenzierten Wissensgesellschaft um 1800 gelehrte Abhandlungen aus botanischen Zeitschriften und beispielsweise Ratgeberliteratur oft in sichtbarem Zusammenhang (Teil III). In den vergangenen Jahren ist dabei insbesondere die Aufklärung in historischen Arbeiten zudem in neuer Form als breite und vielgestaltige Bewegung in den Blick gekommen, die das Religiöse sehr wohl in ihre Vorstellungswelten integrierte. Insbesondere für die Frühe Neuzeit beschrieb Lorraine Daston dabei schon früh den hier zur Debatte stehenden Wandel als Verschiebung des Untersuchungsgebietes von 72 Mariss, Anne: A World of New Things. Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster (Campus Historische Studien Band 72), Frankfurt / New York 2015. Siehe auch: Förschler, Silke und Mariss, Anne (Hrsg.): Akteure, Tiere, Dinge. Verfahrensweisen der Naturgeschichte in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar 2017; Spary, Emma C.: Utopia’s Garden. French Natural History from Old Regime to Revolution, Chicago / London 2000.

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dem Gegenstand „Wissenschaft“ („science“) hin zu einem Feld „Naturwissen“ („natural knowledge“) – einem großen Wissensfeld, in dem aus heutiger Sicht betrachtete „wissen­schaftliche“ Zugänge zum Naturgeschehen mit Fragen der Theologie, Astrologie oder Alchemie bis weit in die Neuzeit hinein Hand in Hand gingen.73 Schließlich waren noch über die ganze Frühen Neuzeit hinweg Fragen der Sinnhaftigkeit der natürlichen Welt, des Ursprungs der natürlichen Welt und ihrer Funktionen – die heute allgemein als wissenschaftlich nicht lösbar in den Bereich der spekulativen Philosophie und der Glaubensinhalte verwiesen werden – noch nicht aus der Wissenschaft ausgegliedert.74 Im wissenschaftlichen Feld sind so bis in das 19. Jahrhundert hinein Philosophie und Theologie keineswegs klar getrennt. Die Hybridität der Konzepte der frühneuzeitlichen Naturforscher, das Vereinen von alten und neuen Denkformen – etwa die Kongruenz von Naturerklärung und religiöser Welterklärung oder von moderner Chemie und Alchemie – werden daher nun vermehrt beachtet.75 Die gemeinsame Entwicklung von Wissenschaft und religiösen Vorstellungen rückt zunehmend in den Blick – wie etwa in der Arbeit von Anne-­Charlott Trepp Von der Glückseligkeit alles zu wissen – die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, in Aufsätzen Kaspar von Greyerz’ oder in verschiedenen Studien zum Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer.76 73 Siehe hierzu auch: Daston, Lorraine: „Early Modern History Meets the History of the Scientific Revolution. Thoughts towards a Rapprochement“, in: Puff, Helmut und Wild, Christopher (Hrsg.): Zwischen den Disziplinen? Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Göttingen 2003, S. 37 – 54. 74 Diese Formulierung lehnt sich an an Erwin Morgenthaler, der sich mit der sprachlichen Verfestigung von neuen Wissensinhalten befasst (Morgenthaler, Erwin: Von der Ökonomie der Natur zur Ökologie. Die Entwicklung ökologischen Denkens und seiner sprachlichen Ausdrucksformen, Berlin 2000, S. 62.) Für die Biologie siehe hierzu auch: Mayr, Ernst: Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt. Vielfalt, Evolution und Vererbung, Berlin et al. 1984, S. 85 f. 75 Die Verbindung von Religion und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit ist vor allem in der angelsäch­sischen Geschichtsforschung untersucht worden. „Science and Religion“ ist hier ein riesiges Forschungsgebiet, dessen Publikationen kaum mehr überschaubar sind. In der deutschsprachigen Geschichts­wissenschaft erfährt dies in jüngster Zeit Beachtung. 76 Insbesondere in der Monographie: Trepp, Anne-­Charlott: Von der Glückseligkeit, alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, Frankfurt / New York 2009. Ebenso zeigt Trepp in verschiedenen Aufsätzen die Verbindung von Wissenschaft und Religion auf: Trepp, Anne-­Charlott: „Die Lust am Gewöhnlichen. Emotionen als Scharnier laienhafter und wissenschaftlicher Wissenskulturen“, in: Greyerz, Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens, 2013, S. 85 – 98; Trepp, Anne-­Charlott: „Zwischen Inspiration und Isolation. Naturerkundung als Frömmigkeitspraxis in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1; URL: http://www.zeitenblicke. de/2006/1/Trepp/index_html (Stand 4. 5. 2006). Siehe auch insbesondere die Arbeiten zu Johann Jakob Scheuchzer: U. a.: Boscani-­Leoni, Simona (Hrsg.): Wissenschaft – Berge – Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung, Basel 2010. Zu Scheuchzer siehe auch: Kempe, Michael: Wissenschaft, Theologie, Auklärung. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die Sintfluttheorie, Epfendorf 2003; Leu, Urs B. (Hrsg.): Natura Sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer, Zug 2012. Kaspar von Greyerz hat verschiedene Aufsätze zu ­diesem Thema publiziert und erarbeitet derzeit eine Monographie zur Physikotheologie. Siehe u. a.: Greyerz, Kaspar von: „Early Modern Protestant Virtuosos and Scienists. Some Comments“, in: Zygon – Journal of Science

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In der wissensgeschichtlichen Frage nach den mentalen Kontexten botanischen Wissens um 1800 trifft die Frage nach dem Pflanzenwissen somit auch auf sehr grundlegende Fragen, wie „die Aufklärung“ als Epoche betrachtet werden kann. Die Aufklärung ist zwar zweifellos eine Zeit der Säkularisierung und der Zurückdrängung des Einflusses der Insti­ tution K ­ irche, sie ist aber in vielfacher Weise dennoch eine Zeit intensiver Religiosität und der Assimilation von Naturwissen und Religion. Der Glaube durchläuft sozusagen die Aufklärung und zeitigt Formen der Religiosität, die mit naturwissenschaftlichem Denken verbunden werden und mit den frühneuzeitlichen Formen religiösen Lebens nur noch wenig gemein haben.77 Die religiöse Suche nach Gott ist hier in der Dechiffrierung des „Buches der Natur“, in der Naturforschung, vielfach immanent.78 Gleichzeitig aber fordert das nun anwachsende Naturwissen eine Abkehr vom homozentrischen Weltbild. Die biblisch-­christliche Vorstellung einer auf den Menschen hin geschaffenen Welt (die schon seit der frühen Astronomie zu schwanken begann) hat als Erklärungsmuster ausgedient und wird, wie schon bei Kepler und seiner Auseinandersetzung mit biblischen Aussagen, ins Bildhafte verwiesen. Die Beobachtungen in der Vegetation – etwa die Vielfalt pflanzlicher Arten, ihr Vorkommen und ihre vom Menschen unabhängige Existenz – bestätigten auf einer anderen Ebene ebenso, dass Tiere und Pflanzen nicht ausschließlich auf den Menschen hin geschaffen sein konnten. Benötigte der Mensch der endenden Frühen Neuzeit daher eine neue Schöpfungsordnung, in die er sein neues Wissen einordnen konnte? Inwiefern war diese Natur noch zum Besten des Menschen geschaffen, wenn der Mensch nicht mehr im Zentrum der Naturordnung stand? Wie war d ­ ieses Gesamtkunstwerk Gottes zu verstehen? Die gesamte „physikotheologische“ Diskussion über die von Gott in Harmonie und Vollendung nach Naturgsetzen geschaffene Welt arbeitet sich an dieser Frage ab. Voltaire und Leibniz etwa sollten sich darüber ausgiebig streiten, inwiefern die Welt als „beste aller Welten“ geschaffen sei. Tiefgehend erschüttert war dieser Glaube an die Güte Gottes in der Naturordnung für manche (wie Voltaire) beispielsweise durch das verheerende Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755.79 Die meisten botanisch (oder auch zoologisch) interessierten Naturforscher jedenfalls fanden die Lösung d ­ ieses Problems bis weit ins 19. Jahrhundert hinein tatsächlich im physikotheologischen Argument: Das von Gott in genialer Weise geschaffene Gesamtsystem and Religion (2016, Heft 3), 698 – 717. Eine frühe Auseinandersetzung mit der Physikotheologie gab es auch in der Geographie, etwa in der Gruppe um den Geographen Manfred Büttner (s. u. im Abschnitt zur Umweltgeschichte). 77 Siehe hierzu beispielsweise: Harrison, Peter: „Science and Religion. Constructing the Boundaries“, in: The Journal of Religion, Vol 86/1 (2006), S. 81 – 106. 78 Siehe u. a. Harrison, Peter (Hrsg.): The Cambridge Companion to Science and Religion, Cambridge 2010, Part I: Historical Interactions. 79 Siehe etwa: Lauer, Gerhard und Unger, Thorsten (Hrsg.): Das Erdbeben von Lissabon und der Katastro­ phendiskurs im 18. Jahrhundert, Göttingen 2008.

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der nach Naturgesetzen funktionierenden Natur ist und bleibt ihnen Beweis für die Sichtbarkeit der Größe und Güte des göttlichen Schöpfers (bis hin zu Erklärungsmustern, dass Ereignisse wie Katastrophen naturnotwendig Populationen regeln etc.). Eine der großen Fragen des 18. Jahrhunderts (und schon früher beginnend) ist daher gerade in dieser Epoche die Frage nach den von Gott eingerichteten Zusammenhängen der Lebewesen untereinander und ihrer Bedeutung füreinander im von Gott in Gang gesetzten „Uhrwerk“ der Natur. Die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts ringen so förmlich um eine Ordnungsvorstellung, die die Möglichkeit in sich trägt, naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit religiösen Vorstellungen in Einklang zu bringen, Wissenschaft und Religion zu versöhnen und die Beziehungen der Lebewesen zueinander zu klären. So verschieden die Anworten sein mögen: Eine der großen Fragen der Aufklärungszeit gilt zweifelsohne dem Verhältnis der Lebewesen untereinander. Und gerade diejenigen, die, wie etwa die sogenannten „Physikotheologen“, Vermittler ­zwischen Religion und Naturwissenschaft waren, beziehungsweise die diese noch existente Einheit dieser beiden Wissensbreiche in ihrer Form der Gelehrsamkeit verkörperten, stellten diese Frage in immer neuen Variationen. Aufgrund ­dieses mentalen Kontextes sind wissenschaftliches und religiöses Schriftgut oft nicht zu trennen, weshalb „physikotheologische“ oder „botanisch-­theologische“ Texte als Quellen hier mitbeachtet werden müssen. Wissenschaft, Religion und Naturwissen sind im 18. Jahrhundert noch nicht klar voneinander zu trennen. Das hier bearbeitete Thema zur Beziehung von Mensch und Pflanze ist nicht zuletzt auch mit Ansätzen der Umwelt- und Ökologiegeschichte verbunden. Versuche, etwa für das 17. und 18. Jahrhundert die Bereiche Wissen, Wissenschaft, Religion und Umwelt zu verbinden, entstammten in den 1980er und 1990er Jahren dem Umfeld der Geographie und sind mit den Forschungen des Kreises um Manfred Büttner verbunden, der sich in bahnbrechender Form aufgrund von „physikotheologischen“ Texten mit dem Themenbereich Umwelt – Theologie – Geschichte befasst hat, jedoch in der Geschichtswissenschaft kaum rezipiert wurde.80 Nimmt man zudem die Verbindung von Ökologie und Religion in den Blick, so verweist dies wieder auf die im vorangegangenen Abschnitt aufgeworfenen Fragen zu

80 Beispielsweise: Büttner, Manfred und Bäumer, Änne (Hrsg.): Science and Religion / Wissenschaft und Religion. Proceedings of the Symposium of the XVIIIth International Congress of History of S­ cience at Hamburg – Munich, 1. – 9. August 1989, Bochum 1989 oder Büttner, Manfred; Krolzik, Udo und ­Waschkies, Hans-­Joachim: Religion and Environment / Religion und Umwelt. Proceedings of the Symposium of the XVIIIth International Congress of History of Science at Hamburg – Munich, 1. – 9. August 1990 (Teil III ; Bochum 1990; Büttner, Manfred (Hrsg.): Religion/Umwelt-­Forschung im Aufbruch, Bochum 1989; Büttner, Manfred: „Wechselseitige Beziehungen ­zwischen Theologie und Naturwissenschaft (insbesondere Klimatologie) im 18. Jahrhundert“, in: Büttner, Manfred und Richter, Frank (Hrsg.): Forschungen zur Physikotheologie im Aufbruch (Band I), Münster 1995, S. 1 – 58.

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Kultur und Natur – etwa schon bei Donald Worster 81 oder bei David Kinsley in seinem Buch Ecology and Religion von 1995. Kinsley betont, analog zu Descola, die im interkulturellen Vergleich auffallende, im Abendland seit dem 17. Jahrhundert vorherrschende Mechanisierung und Deskralisierung der Natur, die nicht zuletzt auch zu ihrer Ausbeutung beigetragen habe.82 Ebenso finden sich bei der Frage nach der Beziehung von Mensch und Natur Anknüpfungspunkte in allgemeineren umweltgeschichtlichen und umweltwissenschaftlichen Konzepten der gemeinsamen Geschichte von Natur und Mensch. Ist der Mensch heute ein in der Natur wirkender Faktor, so erscheint auf der anderen Seite auch die Natur als in die kulturelle Sphäre hineinwirkend im Sinne einer „Koexistenz“.83 Mit der „hinter“ dem Mensch-­Pflanze-­Thema liegenden Grundproblematik, mit der Positionierung des Menschen zur Natur, haben sich schon die Klassiker der Umweltgeschichte wie etwa Clarence Glacken befasst,84 wenn auch nicht mit dem Einzelthema Mensch und Pflanze. Einzelstudien wiederum zur Wahrnehmung von Naturphänomenen wie Kometen,85 Erdbeben 86 und ähnlichen Naturereignissen verbinden (gerade in der Frühneuzeitforschung) in vielfältiger Form umweltgeschichtliche und kulturgeschichtliche Herangehensweisen. Auch die Erforschung der Tiergeschichte ist mittlerweile etabliert und 81 Worster, Donald: Nature’s Economy. A History of Ecological Ideas, Cambridge 1977. 82 Erinnert sei hier an Bacons Vorstellung der optimierten Nutzung der Natur, ihre Bändigung und Ausbeutung oder an die cartesianischen Vorstellungen einer seelenlosen Natur und die Entvölkerung des Weltalls, das nach Newton nicht mehr als Sphäre der Geistwesen existiert, sondern als endlos weiter, leerer Raum. Siehe Kinsley, David: Ecology and Religion. Ecological Spirituality in Cross-­Cultural Perspective, Englewood Cliffs (New Jersey) et al. 1995. 83 Winiwarter, Verena und Knoll, Martin: Umweltgeschichte. Eine Einführung, Köln 2007, S. 117 f. Oft allerdings wird hier die analytische Trennung der Begriffe von Kultur und Natur noch nicht aufgegeben, auch wenn Überschneidungsräume beschrieben werden, siehe S. 126 f. Neuere umwelthistorische Begrifflichkeiten, wie etwa der der „sozionaturalen Schauplätze“, der an Theodore Schatzkis Kritik dieser beibehaltenen Trennung anknüpft, versuchen diese Trennung aufzuheben. Winniwarter / Knoll, Umweltgeschicht, 2007, S. 140 oder ausführlicher: Schmid, Martin: „Die Donau als sozionaturaler Schauplatz. Ein konzeptueller Entwurf für umwelthistorische Studien in der Frühen Neuzeit“, in: ­Ruppel, Sophie und Steinbrecher, Aline (Hrsg.): ‚Die Natur ist überall bey uns‘. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit, Zürich 2009, S. 59 ff. 84 Besonders eindrucksvoll aber sind Werke, die z­ wischen allen Disziplinen angesiedelt sind, wie etwa das frühe wegweisende Werk des Geographen Clarence Glacken zum Thema Natur und Kultur in der westlichen Welt, dessen ideengeschichtlicher Überblick zu einem Grundlagenwerk der Umweltgeschichte wurde. (Glacken, Clarence J.: Traces on the Rhodian Shore. Nature and Culture in Western Thought From Ancient Times to the End of the Eighteenth Century, Berkeley / Los Angeles 1967.) 85 U. a.: Georgi, Matthias: Heuschrecken, Erdbeben und Kometen. Naturkatastrophen und Naturwissenschaft in der englischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts, München 2009. 86 U. a.: Groh, Dieter; Kempe, Michael und Mauelshagen, Franz (Hrsg.): Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Tübingen 2003.

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stellt in vielen Facetten einen Bereich dar, der die Beziehungen von Mensch und Natur in den Blick nimmt und umweltgeschichtliche und kulturgeschichtliche Ansätze verbindet.87 Indem etwa in Konzepten von agency Tieren oder anderen „nichtmenschlichen“ Entitäten historische Wirkmächtigkeit zugesprochen wird, geht es auch hier immer wieder um die „Koexistenz“ von Mensch und Natur. So verweisen sowohl Umwelthistoriker/innen wie Kulturhistoriker/innen auf die Unmöglichkeit, Handeln von jener natürlichen Umwelt zu trennen, in der es ausagiert wird.88 Damit erscheint der Mensch zunehmend nicht mehr als „der Andere“, der die ihn konfrontierende externe Welt gestaltet, sondern vielmehr als Teil eines Gesamtgefüges, wie Linda Nash es formuliert: „It is worth considering how our stories might be different if human beings appeared not as the motor of history but as partners in a conversation with a larger world, both animate and inanimate.“89 Die Vorstellung einer „Interaktion“ von Pflanze und Mensch verweist so auf die Koexistenz von Mensch und Umwelt – innerhalb derer Geschichte gestaltet wird. Konkrete Arbeiten zu Mensch und Pflanze in Früher Neuzeit und Sattelzeit Ein historisches Überblickswerk zum Thema Mensch und Pflanze in der europäischen Geschichte existiert nicht und ist möglicherweise noch für eine längere Zeit ein zu großes Unterfangen. Auch ein entsprechendes Werk zum Thema Mensch und Pflanze in der hier zur Debatte stehenden Zeit des Überganges ­zwischen Früher Neuzeit und ­früher Moderne ­zwischen ca. 1750 und 1850 findet sich nicht. Im Gegensatz zu den sich in den vergangenen Jahren verbreiternden Studien zur Tiergeschichte ist der Pflanze als solcher noch wenig Aufmerksamkeit zuteilgeworden. Es existiert also zwar kein Werk, das explizit der Beziehung von Mensch und Pflanze gewidmet ist (obgleich die Historische Anthropologie den Mensch-­Natur-­Bezug von Anfang an als historisch-­anthropologischen 87 Beispielhaft für derzeitige Forschungen siehe das Themenheft: Tiere – eine andere Geschichte? traverse (2008/3); Brantz, Dorothee und Mauch, Christof (Hrsg.): Tierische Geschichte. Die Beziehung von Tier und Mensch in der Kultur der Moderne, Paderborn et al. 2010; oder schon 1999: Münch, Paul und Walz, Rainer (Hrsg.): Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn 1999; Dinzelbacher, Peter (Hrsg.): Mensch und Tier in der Geschichte Europas, Stuttgart 2000; Böhme, Hartmut u. a.: Tiere. Eine andere Anthropologie, Köln / Weimar / Wien 2004. Die Publikationen im englischsprachigen Raum sind kaum mehr überschaubar. Beispielhaft sei genannt: Daston, Lorraine: Thinking with Animals. New Perspectives on Anthropomorphism, New York 2005. Konkret für die Frühe Neuzeit: Cuneo, Pia F. (Hrsg.): Animals and Early Modern Identity, Farnham 2014. 88 Siehe: Nash, Linda: „The Agency of Nature or the Nature of Agency“, in: Environmental History 10 (2005), S. 67 – 69, bes. S. 69. Dem Anthropologen Tim Ingold folgend, könne das Individuum nicht mehr als abgeschlossene Einheit gesehen werden, das sich einer externen Welt gegenübersieht, sondern als Organismus in seiner Umwelt. 89 Nash, Agency, 2005, S. 69.

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Themenbereich erkannt hat),90 aber manche Studien nähern sich dem Bereich der Naturwahrnehmung in einer hier relevanten Weise und greifen auch das Thema Pflanze auf. Da sich zudem die drei Teilkapitel des vorliegenden Buches auf disziplinär sehr unterschiedliche Bereiche beziehen, finden sich die jeweiligen Literturangaben zu einem großen Teil in den Teilkapiteln. Die für die vorliegende Arbeit übergreifend relevanten Werke sollen jedoch vorweg in den Blick genommen werden. Kaum einzuordnen und seiner Zeit voraus ist beispielsweise das Werk des Oxforder Historikers Keith Thomas von 1983. Thomas hat in seinem bis heute beeindruckenden Werk Man and the Natural World – Changing Attitudes in England 1500 – 1800 einen grundlegenden frühneuzeitlichen Wandel der Naturauffassung geschichtswissenschaftlich aufgegriffen und mit zahlreichen Quellenhinweisen gefüllt. Hier findet sich auch ein einschlägiges Kapitel zum Umgang mit den Pflanzen.91 Thomas beschreibt für England, analog zur Domestizierung der Tiere, besonders die Blumengärtnerei und die Begeisterung für Bäume als Ausdruck einer neuen, nicht-­utilitaristischen Sicht auf die Natur. Praktiken der Pflanzenzucht entledigten sich laut Thomas in ­diesem Wandel des Nutzcharakters und formierten sich zunehmend als moralisch-­ästhetische Tätigkeit. Thomas beschreibt, wie sich das Anpflanzen von Bäumen und die Leidenschaft der Blumenzucht gegen Ende der Frühen Neuzeit in weiten Teilen der Bevölkerung verbreiteten.92 Der Wald – vorher ein Ort des Schreckens – wurde zum Ziel des einsamen Spaziergängers, der sich nun der Naturbetrachtung hingab und Pflanzen für sein Herbarium sammelte. Städte und Universitäten pflanzten Bäume entlang von Straßen und Grundstücken, Ideen einer „Gartenstadt“ kamen auf. Bäume wurden porträtiert 93 und erhielten anthropomorphe Charakterzüge – bis hin zur Beschreibung einer Schmerzempfindlichkeit von Bäumen. Die Blumenkultur erhielt zudem ­zwischen 17. und 19. Jahrhundert einen so unermesslichen Aufschwung, dass Thomas für England von einer „Gardening Revolution“ spricht. Thomas konstatiert dabei für die Zeit um 1800 einen Rückgang des Anthropozentrismus und weniger eine Distanzierung als eine frühneuzeitliche Annäherung von Mensch und Natur.94 Das hier vorliegende Buch 90 Die Historische Anthropologie hat den Mensch-­Umwelt-­Bezug, bzw. Mensch-­Natur-­Bezug von Anfang an in den Grundbestand ihrer Fragestellungen integriert, siehe etwa: Dressel, Gert: Historische Anthropologie. Eine Einführung (Mit einem Vorwort von Michael Mitterauer), Wien / Köln / Weimar 1996, S. 152 ff. 91 Thomas, Keith: Man and the Natural World. Changing Attitudes in England 1500 – 1800. London 1983, bes. Kap. V („Trees and Flowers“, S. 192 ff.) Thomas betont die Romantisierung der Natur um 1800 als Folge der Abwendung von mechanistischen Naturvorstellungen und als Reaktion auf die neuen urbanisierten Lebensweisen. 92 Thomas, Man and the Natural World, 1983, chap. V, S. 192 ff. 93 Siehe etwa die beeindruckenden Stiche in: Rooke, Hayman: Description of some Remarkable Oaks in the Park at Welbeck, in the County Nottingham (…), London M DCC XC. 94 Thomas, Man and the Natural World, 1983, S. 300 ff.

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v­ erdankt ­diesem Vorgänger und den dort angerissenen Entwicklungen viel: Kann man auf dem Kontinent Ähnliches finden? Ist diese Herangehensweise ein Einzelfall, so gibt es aber dennoch viele Einzelstudien, die implizit von Menschen und Pflanzen, beziehungsweise dem Wissen über Pflanzen handeln – sei es in der Medizingeschichte, der Botanikgeschichte, der Geschichte des Sammelns, der Wirtschaftsgeschichte, der Agrargeschichte oder der Gartengeschichte. Natürlich hat sich die Wissenschaftsgeschichte – im Sinne der Geschichte der Botanik, also der Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Fragen des botanischen Wissens von der Pflanze – schon von jeher mit Pflanzen befasst, wenn auch weniger mit Wissensinhalten, die später als „überholt“ oder als „wissenschaftliche Irrläufer“ galten. Im Gefolge der Wissenschaftsgeschichte wurden innerhalb der Biologiegeschichte Werke verfasst, die bis heute einschlägig sind für die Geschichte der Entdeckungen und Leistungen der Protagonisten der Botanik. Verwiesen sei hier auf das umfassende Werk Geschichte der Biologie 95 oder auf den Überblick von Änne Bäumer, die zudem eine Bibliographie zur Geschichte der Biologie vorgelegt hat, in der für die Botanik­geschichte der einzelnen Epochen ausschlaggebende Werke verzeichnet sind.96 Stellvertretend für die Überblicke, die sich auf die Botanik speziell des 18. Jahrhunderts beziehen, sei hier zudem das Buch Le second règne de la nature von François Delaporte genannt.97 Neuere Studien, die wissensgeschichtliche Fragestellungen aufnehmen, setzen dabei die Entwicklungen in der Botanik mit den großen Fragen nach Denkformen, Kategorisierungen und Systematisierungen in Verbindung, wie etwa die Arbeiten von Staffan Müller-­Wille  98 oder sie fokussieren Fragen des Wissenstransfers und der Ausrottung bestimmten botanischen Wissens auch im Sinne globalhistorischer Studien und der Kolonialgeschichte, wie etwa bei Londa Schiebinger.99 Alix Cooper wiederum hat die 95 Jahn, Ilse; Löther, Rolf und Senglaub, Konrad (Hrsg.): Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien, Jena 1982. 96 Bäumer, Änne: Geschichte der Biologie (Band 3: 17. und 18. Jahrhundert), Frankfurt a. M et al. 1996. Bibliographie: Bäumer, Änne: Bibliography of the History of Biology – Bibliographie zur Geschichte der Biologie, Frankfurt a. M. et al. 1997. Weitere Botanikgeschichten finden sich unschwer, etwa schon 1938 zur Biologie: Anker, Jean und Dahl, Svend: Werdegang der Biologie, Leipzig 1938; später zur Botanik bspw.: Mägdefrau, Karl: Geschichte der Botanik. Leben und Leistung großer Forscher, Stuttgart 1973. Ein englischsprachiger Klassiker zur Geschichte der Botanik stammt von Alan G. Morton: M ­ orton, Alan G.: History of Botanical Science. An Account of the Development of Botany From Ancient Times to the Present Day, London et al. 1981. 97 Delaporte, François: Le Second Règne del la nature, Paris 1979. Dt. Übersetzung: Delaporte, François: Das zweite Naturreich. Über die Fragen des Vegetabilischen im XVIII. Jahrhundert, Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1983. 98 Müller-­Wille, Staffan: Botanik und weltweiter Handel. Zur Begründung eines natürlichen Systems der Pflanzen durch Carl von Linné, Berlin 1999. 99 Schiebinger, Londa: Plants and Empire. Colonial Bioprospecting in the Atlantic World, Cambridge (Massachusetts) / London, 2004; Schiebinger, Londa: Secret Cures of Slaves. People, Plants, and Medicine in the Eighteenth-­Century Atlantic World, Stanford 2017.

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Verbindung von globaler botanischer Entdeckungsgeschichte und der Entdeckung innereuropäischer lokaler Floren im 17. Jahrhundert aufgezeigt.100 Stärker nach Wissenspraktiken und der Wissenszirkulation in Bezug auf die Pflanzen fragen dagegen wissensgeschichtlich orientierte Studien, die sich mit der Genese und Zirkulation von Pflanzenwissen beschäftigen und Netzwerke oder Verflechtungen unter Botanikern und Botanikfreunden aufgreifen, wie etwa der Sammelband Wissen im Netz – Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts.101 Für das 16. und 17. Jahrhundert wurde auch mehrfach dargelegt, dass sich eine Vielzahl von Akteuren (Ärzte, Apotheker, adlige oder patrizische Gartenliebhaber, Geistliche, Gärtner) im botanischen Wissensfeld bewegten und wie sich d ­ ieses Wissen in Reiseberichten, Herbarien und Pflanzenbüchern niederschlug.102 In jüngster Zeit stehen also größere Personenkreise im Vordergrund, wie etwa auch in den Aufsätzen von Bettina Dietz und ihrer 2017 erschienenen Arbeit Das System der Natur – Die kollaborative Wissenskultur der Botanik im 18. Jahrhundert, in der sie Formen der Produktion von Pflanzenwissen als „kollaborative Kultur der Botanik“ des 18. Jahrhunderts konzeptualisiert – ausgehend von Carl von Linné und seinem Kreis.103 Zum Botanisieren als Wissenspraktik existiert zwar keine auf den deutschsprachigen Raum bezogene Studie, hilfreich aber sind die Monographien von Roger L. Williams, der sich mit Frankreich befasste,104 und Elizabeth Keeney, die dies für Amerika nachzeichnete.105 Sarah Easterby-­Smith hat in ihren Aufsätzen und der 2017 erschienenen Monographie Cultivating Commerce – Cultures of Botany in Britain and France 1760 – 1815106 botanische Wissenspraktiken mit Fragen von Wirtschaft und Handel in Frankreich und Großbritannien verbunden. 100 Cooper, Alix: Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe, New York 2007. 101 Dauser, Regina; Hächler, Stefan; Kempe, Michael; Mauelshagen, Franz und Stuber, Martin (Hrsg.): Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts (Coloquia Augustana Band 24), Berlin 2008. 102 Häberlein, Mark und Schmölz-­Häberlein, Michaela: „Transfer und Aneignung außereuropäischer Pflanzen im Europa des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Akteure, Netzwerke, Wissensorte“, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 61, Heft 2 (2013), S. 11 – 26. 103 Dietz, Bettina: Das System der Natur. Die kollaborative Wissenskultur der Botanik im 18. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2017. Zu den Aufsätzen siehe Teil II. Zeitlich später angesiedelt, aber ebenso auf Zentralpersonen und kollektive Wissensformen der Pflanzengeographie und Pflanzenkartierung ­bezogen ist die Arbeit von Nils Güttler. (Güttler, Nils: Das Kosmoskop. Karten und ihre Benutzer in der Pflanzengeographie des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2014.) 104 Williams, Roger L.: Botanophilia in Eighteenth-­Century France. The Spirit of Enlightenment, ­Dordrecht 2001. 105 Sie betont ebenso die für die Anfangszeit der Bewegung geltende Untrennbarkeit von „amateurs“ und „professionals“ und den Boom von botanischen Ratgebern, Journalen und Handbüchern. Keeney, E ­ lizabeth: The Botanizers. Amateur Scientists in Ninetennth-Century America, Chapel Hill/London, 1992. 106 Easterby-­Smith, Sarah: Cultivating Commerce. Cultures of Botany in Britain and France, 1760 – 1815, Cambridge 2017; zu internationalen Vernetzungen siehe z. B.: Easterby-­Smith, Sarah: „Reputation in

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Mit den Alltagspraktiken und den Pflanzen sind selbstverständlich nicht zuletzt auch Arbeiten aus der Historischen Gartenforschung befasst. Ausgehend von aufklärerischen Bildungszirkeln und anknüpfend an die Gartenforschung beschreibt insbesondere Andrea van Dülmen für die gebildeten Stände und städtischen Oberschichten des 18. Jahrhundert das botanische Interesse in der bürgerlichen Gartenkultur. Ihre Studie Das irdische Paradies – Bürgerliche Gartenkultur der Goethezeit 107 beinhaltet wertvolle Anregungen. In einigen Fällen sind es jedoch auch aus anderen Disziplinen stammende Arbeiten, die übergreifend relevant sind. Ein zentrales Werk, das z­ wischen Geschichtswissenschaft, Philosophie und Biologie angesiedelt ist und noch ausführlich zu Wort kommen wird, sei hier genannt: In Hans Werner Ingensieps Geschichte der Pflanzenseele fließen philoso­ phiegeschichtliche, ideengeschichtliche und biologiegeschichtliche Stränge zusammen; es lässt sich nur schwer explizit einer Disziplin zuordnen.108 Und schließlich ist auch der sich derzeit aus der Literaturwissenschaft heraus entwickelnde interdisziplinäre Themenbereich der Plant Studies vielversprechend für die Weiter­entwicklung einer zur „Tiergeschichte“ analogen „Pflanzengeschichte“.109

a Box. Objects, Communication and Trust in Late 18th-­Century Botanical Networks“, in: History of Science 53/2 (2015), S. 180 – 208. 107 Dülmen, Andrea van: Das irdische Paradies. Bürgerliche Gartenkultur der Goethezeit, Köln / Weimar / Wien 1999. Zur Literatur der Gartengeschichte siehe Teil III. 108 Ingensiep, Hans Werner: Geschichte der Pflanzenseele. Philosophische und biologische Entwürfe von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart 2001. 109 In der Literaturwissenschaft und der übergreifenden Kulturwissenschaft beginnt sich derzeit ein Feld der sogenannten Plant Studies zu etablieren. Siehe etwa: Kranz, Isabel; Schwan, Alexander und Wittrock, Eike: Die Sprachen der Blumen. Medien floraler Kommunikation, München 2016. Bühler, Benjamin und Rieger, Stefan: Das Wuchern der Pflanzen. Ein Florilegium des Wissens, Frankfurt a. M. 2009; interdisziplinär siehe auch die seit 2013 von Michael Marder herausgegebene Reihe Critical Plant Studies. Philosophy, Literature, Culture bei Brill, Leiden / Boston. (Siehe auch: http://www.plants.sites.arizona. edu; Stand 1. 2. 2018.)

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Quellen und ihr wissensgeschichtlicher Hintergrund: Gesellschaft, Naturwissen und botanisches Wissen um 1800

Die dem vorliegenden Buch zu Grunde liegende breite Recherche nach Quellenmaterial, das Aussagen über die Beziehung von Mensch und Pflanze zulässt, orientiert sich, wie dargelegt, an der Figur des Zeitgenossen im bürgerlich-­aufklärerischen Kontext: Welches Textspektrum stand ihm (respektive ihr) zur Verfügung? In der Hand des Zeitgenossen fallen so botanisch hochgelehrte Schriften, theologisch-­botanische Werke, populäre Handbücher und Ratgeber zusammen. Der zeitgenössische Akteur steht dabei aber nicht als Einzelperson im Zentrum, sondern als in vielfältigsten Personen anzutreffender Rezipient und Mitgestalter der Wissens- und Wahrnehmungsweisen seiner Zeit. Diese Form der Annäherung an die Quellen ist eng verbunden mit den oben beschriebenen Konzepten: Die Suche nach breit rezipierten Texten – nach auflagenstarken ­Werken, Zeitschriften oder Handbüchern und Einführungen spiegelt die Ausweitung des Wissensbegriffes aus der Wissensgeschichte wider. Die Integration der Ratgeberliteratur weitet dies aus auf die Praktiken, die heute in auf Akteure und Akteurinnen bezogenen Studien in der historischen Praxeologie 110 eng mit dem Thema Wissen verknüpft werden.111 Die Einbeziehung ehemals religionsgeschichtlich eingestufter Texte wiederum folgt einem zunehmenden Verständnis der Verbindungen von „science and religion“ innerhalb der Geschichte der Aufklärung.112 Die Kanäle der Wissensverbreitung waren in dieser Zeit dabei mehrdimensional: Hier ist an Zeitschriften, Lehrbücher, Traktate aller Art, Lehrgedichte und Unterhaltungsliteratur, Naturalienkabinette und Sammlungen ebenso zu denken wie an öffentliche Vorlesungen, Briefe, naturforschende Gesellschaften, Bildungszirkel oder Lesegesellschaften.113 Nicht alle Kommunikationskanäle finden hier Eingang, aber der Quellenkorpus setzt sich aus verschiedenen Textarten zusammen: Zum einen stellen Artikel der (botanischen) Zeitschriftenliteratur, die im 18. Jahrhundert einen immensen Aufschwung erfährt, einen zentralen Diskussionsort dar, an dem sich die Debatten über die Pflanzen, ihren Sinn, ihre 110 Haasis, Lucas u. a. (Hrsg.): Historische Praxeologie. Dimensionen vergangenen Handelns, Paderborn 2015. 111 Siehe etwa: Mariss, Anne: A World of New Things. Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster (Campus Historische Studien Band 72), Frankfurt a. M. / New York 2015. 112 Siehe etwa: Trepp, Anne-­Charlott: Von der Glückseligkeit, alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 2009. 113 Zur Medienvielfalt des 18. Jahrhunderts siehe: Tschopp, Serena: „Popularisierung gelehrten Wissens im 18. Jahrhundert. Institutionen und Medien“, in: Dülmen, Richard van und Rauschenbach, Sina: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 469 – 490.

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Eigenarten und Phänomene finden. Hinzu kommen Lehrwerke und praktische Anleitungen zum „Botanisieren“ – etwa zum Sammeln und Trocknen der Pflanzen. Ratgeber zur Pflanzenpflege und zur „Zimmergärtnerei“ finden sich ebenso wie beliebte Schriften und Traktate, die sich aus naturphilosophischer und „bürgerlich-­moralischer“ Perspektive mit den Pflanzen befassen. Aber auch breit rezipierte Werke von zentralen Naturgelehrten spielen eine Rolle. Hauswirtschaftliche Literatur und die Gartenbauliteratur stehen aufgrund der Konzentration auf die Botanophilie weniger im Fokus, grenzen aber ans Thema an. Nicht zuletzt werden auch Bildquellen zur Pflanzen- und Wohnkultur des 18. Jahrhunderts für die Frage nach dem Umgang mit (Zimmer-)Pflanzen herangezogen. Die kontextuellen Bedingungen dieser „Publikationslandschaft“ müssen zunächst betrachtet werden. Das Interesse für die Botanik, für die Pflanzen ist in den verschiedenen Epochen wohl immer vorhanden, nimmt aber gegen Ende des 18. Jahrhunderts – im Verbund mit medialen und gesellschaftlichen Veränderungen – sehr spezifische Formen an. Dieser Wandel, in den sich die Quellen (Zeitschriften und Ratgeberlitertaur, Bestseller etc.) einordnen lassen, soll im Folgenden konturiert werden.

3.1 Gesellschaftliche und mediale Voraussetzungen der Ausbreitung der Botanophilie im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert Die Zeit um 1800 ist in Europa noch geprägt von den Schrecknissen des Terreur im Gefolge der Französischen Revolution, von den Napoleonischen Kriegen und vielfachen kriegerischen Auseinandersetzungen. Für die Schweiz gilt dies ebenso, brachte doch der Einmarsch französischer Truppen 1798 mit der Helvetik einen kurzzeitig zentralisierten Einheitsstaat, der bis 1803 währte. Erst mit dem Wiener Kongress 1814/15 beginnt wieder eine Zeit relativer Ruhe und Stabilität, wenn auch die revolutionären Bewegungen Unruheherd blieben. Bevölkerungswachstum, die kulturelle Hegemonie des Bürgertums, die Aufklärung, die zunehmende Urbanisierung und die beginnende Industrialisierung lassen Adel und Landbevölkerung weitgehend in den Hintergrund treten. Insbesondere in der Schweiz stellte das Bürgertum der großen protestantischen Städte, wie Basel, Zürich, Bern oder Genf, die tonangebende Bevölkerungsschicht dar, die in vielfacher Weise mit den Bildungsschichten des Reiches, aber auch Englands, Frankreichs und Russlands in Verbindung stand.114 Die Aufklärung und die ihr inhärenten Ideale der Bildung, der Humanität, der „Helligkeit“ und des Durchdringens aller Lebensbereiche mit dem „Licht der Vernunft“ ist dabei als vielschichtige und europaweit wirksame Bewegung zu verstehen, deren Zeugnisse vor allem eines sind: das Ringen um Verstehen, um Erkennen 114 Siehe u. a.: Holenstein, André; Steinke, Huber und Stuber, Martin (Hrsg.): Scholars in Action. The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century (2 Bde.), Leiden / Boston 2013.

Gesellschaftliche und mediale Voraussetzungen der Ausbreitung der Botanophilie  |

und um eigenständiges Denken.115 Vernunft und Gefühl stehen dabei gleichermaßen als „Werkzeug“ für diesen Erkenntnisprozess bereit. Der historische Hintergrund – die medialen, gesellschaftlichen oder auch wissensgeschichtlichen Bedingungen der uns überlieferten Quellen – wird im Folgenden insbesondere im Hinblick auf die Frage nach Wissen, Wissenschaft und die Medien der Zirkulation von Wissen in der weitgehend bürgerlichen und den aufklärerischen Idealen folgenden Gesellschaftsschicht beleuchtet. Einen besonderen Stellenwert nimmt hierbei der druck- und pressegeschichtliche Aufschwung des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts ein.116 Ein „Schlüsselmedium“,117 dessen Inhalte, Umfänge und Diversifizierung zur Ausbreitung aufklärerischer Wissensinhalte beigetragen hat, ist hierbei die „Zeitschrift“, die in der Geschichtswissenschaft immer noch ungenügend beforscht ist. Sie ist einer der Motoren für die Verbreitung der aufklärerischen Inhalte und insbesondere aber auch für das naturkundliche Wissen.118 Ebenso aber gilt dies für auflagenstarke, oft über ganz Europa verbreitete Bestseller. Über diese entstehenden bürgerlichen Medien lassen sich wissensgeschichtliche Fragen insofern beantworten, als diese Druckwerke zweifelsohne nun ein größeres „Publikum“ erreichen und sich eine bürgerliche Öffentlichkeit etabliert. Allgemeiner medialer Wandel im 18. Jahrhundert Während im 16. und 17. Jahrhundert Zugänge zum gelehrten Wissen weitgehend auf eine kleine Gruppe von Gelehrten beschränkt waren, die meist in lateinischer Sprache ihre Wissenschaft und ihre Gelehrtennetzwerke pflegten, ist mit der Aufklärung und im Besonderen mit den neuen medialen Möglichkeiten des Druckwesens ein grundlegender Wandel zu konstatieren, den man im Sinne Richard van Dülmens als „Entstehung der modernen Wissensgesellschaft“ benennen kann 119 und der im 18. Jahrhundert eine 115 Einführend siehe u. a.: Outram, Dorinda: Aufbruch in die Moderne. Die Epoche der Aufklärung, Stuttgart 2006 (Original London 2006). 116 Übergreifend siehe: Faulstich, Werner: Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700 – 1830), Göttigen 2002. 117 Hierzu siehe den Band von Gantet und Schock: Gantet, Claire und Schock, Flemming (Hrsg): Zeitschriften, Journalismus und gelehrte Kommunikation im 18. Jahrhundert, Bremen 2014. Für die ­Frühzeit siehe: Gierl, Martin: „Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik ­zwischen 1670 und 1730“, in: Dülmen, Richard van und Rauschenbach, Sina (Hrsg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln 2004, S. 417 – 438. 118 Zur Entwicklung der bürgerlichen Mediengesellschaft siehe: Faulstich, Die bürgerliche Mediengesellschaft, 2002; Doering-­Manteuffel, Sabine (Hrsg.): Pressewesen der Aufklärung. Periodische Schriften im Alten Reich, Berlin 2001. Speziell zu den naturkundlichen Zeitschriften siehe: Hoorn, Tanja van und Košenina, Alexander: Naturkunde im Wochentakt. Zeitschriftenwissen der Aufklärung, Bern 2014. 119 Dülmen, Richard van und Rauschenbach, Sina: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln / Weimar / Wien 2004.

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enorme Beschleunigung erfährt. Dieser Wandel bildet den Hintergrund dessen, was in den folgenden Kapiteln beschrieben wird, denn er ermöglicht einer nun ungleich breiteren Schicht aufklärerisch gesinnter Personen die Teilnahme an Prozessen der Wissensproduktion und Wissenszirkulation. Nicht nur der Übergang von gelehrter Kommunikation in die Volksprachen – symbolhaft veranschaulicht in den nun deutschsprachigen Vorlesungen eines Frühaufklärers wie Christian Thomasius (1655 – 1728) – ist hier zu nennen. Die im 18. Jahrhundert stattfindende Umwälzung des öffentlichen Raumes, die Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit,120 ist hier als Medienrevolution zu werten, die weitausgreifende wissensund wissenschaftsgeschichtliche Folgen hat. Es ändert sich damit, wer sich alles mit den neuen Wissenschaften befassen kann und ­welche Möglichkeiten dem – gemeinhin im Bild des Bildungsbürgers gefassten – Zeitgenossen zur Verfügung stehen. Der Spätaufklärung kommt in dieser Hinsicht weniger die Rolle zu, ein Ende der Aufklärung einzuläuten, als dass sie die Aufklärung und ihre Ideale für ein größeres Publikum öffnet und in dieser Hinsicht der aufklärerischen Bewegung eine neue Qualität verleiht. Es entsteht dabei im Hinblick auf das Pflanzenwissen ein boomender Markt botanischer Bücher und botanischer Zeitungen und Zeitschriften seit dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Botanische Lehrbücher, Sammlungen von Abbildungen, die als Bestimmungsbücher fungieren konnten, ersetzten und ergänzten in dieser Zeit nun die mühsam hergestellten Herbarien der botanisch Interessierten. Der Naturforscher Joseph August Schultes, der 1817 ein Werk zur Geschichte der Botanik publizierte, merkte zu d ­ iesem für ihn jüngsten Zeitabschnitt z­ wischen dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts und dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts an: „In diese Periode fällt ferner noch eine für die Wissenschaft höchst wohlthätige Anstalt, die, soviel mir bekannt ist, zuerst in Deutschland eingeführt wurde, nämlich die der Häftweise durch den Buchhandel verkäuflichen Herbarien, wodurch botanische Kenntnisse nicht bloß überhaupt erweitert und verbreitet, sondern auch Irrungen und Zweifel am leichtesten und sichersten beseitiget und erläutert werden konnten.“121 Neu ist also insbesondere der Markt der „heftweise“ zirkulierenden Wissensmedien – die Zeitschriftenkultur.

120 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuauflage, Frankfurt a. M. 1990 (Erstauflage 1962). 121 Schultes, Joseph August Grundriss einer Geschichte und Literatur der Botanik von Theophrastos Eresios bis auf die neuesten Zeiten; nebst einer Geschichte der botanischen Gärten. Von J. A. Schultes, Königl baier. Hofrathe und ö. o. Prof. der allgem. Naturgeschichte, Botanik und speciellen Therapie, corresp. Mitgliede der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, der Kaiserl. Akademie zu Turin (…) der botanischen Gesellschaft zu Regensburg und Altenburg, der Zürcher physikalischen Gesellschaft (…), Wien 1817, S. 319. Schultes ist auch vielfaches Mitglied der naturforschenden Gesellschaften, wie die Titelei ausweist.

Botanische Bücher, botanische Zeitungen und Zeitschriften   |

3.2 Botanische Bücher, botanische Zeitungen und Zeitschriften Der verbilligte Buchdruck im 18. Jahrhundert beschleunigte die Zugänglichkeit von ­ issen in rasantem Maß und führte zu einer „Leserevolution“.122 An den enormen Anstieg W der Buchproduktion ist dabei ebenso zu denken wie an die Entstehung von Lesegesellschaften, Bibliotheken und Buchmessen. Auch war es nun erstmals möglich, als freier Schriftsteller den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Naturgeschichtliche und botanische Bücher Obwohl die „Lesergeschichte“ vielfach eher aus literaturwissenschaftlicher Sicht untersucht wurde und oft der Literaturbetrieb ins Zentrum gesetzt wird, ist hier nicht zu unterschätzen, wie groß gerade der Sachbuchanteil am Buchmarkt war. Insbesondere „Einführungen“ in die Naturkunde erfreuten sich Ende des 18. Jahrhunderts sehr großer Beliebtheit, wie die Vielzahl an Titeln dieser Art beweist. Exemplarisch genannt ­seien hier etwa Friedrich Gottlieb Leonhardis Naturgeschichte für alle Stände 123, in der die Naturreiche umfassend behandelt wurden, oder z. B. das vielfach aufgelegte Handbuch der Naturgeschichte 124 des Medizinprofessors Johann Friedrich Blumenbach. Genannt ­seien auch die Anfangsgründe der Naturgeschichte 125 von Polykarp Erxleben oder das an Frauen adressierte Werk von Johanna Charlotte Unzer Grundriß einer Natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer 126 oder gar für Kinder geschriebene Werke wie Georg Christian Raffs Naturgeschichte für Kinder 127 und viele weitere Werke dieser Art. Die Vielfalt der Texte zur Botanik kann an dieser Stelle nur angedeutet werden und wird unter den verschiedenen Aspekten wieder aufgegriffen werden. Vorweggenommen sei hier, dass sich im Verlaufe des Untersuchungszeitraumes verschiedene botanische Genres ausbilden: vom einführenden botanischen Lehrwerk bis hin zu Bestimmungsbüchern für einzelne Regionen, sogenannten „Regionalfloren“ oder „Taschenbüchern“ der Botanik. 122 Siehe etwa im Überblick: Wittmann, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1991 (bes. Kap.  VI, S. 186 ff ); Engelsing, Rolf: Der Bürger als Leser. Lesergeschichte in Deutschland 1500 – 1800, Stuttgart 1974. 123 Leonhardi, M. Friedrich Gottlieb: Naturgeschichte für alle Stände, vorzüglich für diejenigen, ­welche mit der Kenntniß der Naturkörper die Anwendung und den Nutzen zu verbinden suchen (2 Bde), Leipzig 1791 – 1792. Leonhardi war – so besagt das Titelblatt – Mitglied der Leipziger ökonomischen und hallischen naturforschenden Gesellschaft. 124 Blumenbach, D. Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte, 3. verbesserte Ausgabe Göttingen 1788. Bis 1830 erschienen mindestens 12 Auflagen. 125 Erxleben, Johann Christian Polykarp: Anfangsgründe der Naturgeschichte (…), 2. Auflage Göttingen und Gotha 1773. 126 Unzer (Ziegler), Johanna Charlotte: Grundriß einer Natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer, Halle 1751. 127 Raff, Georg Christian: Naturgeschichte für Kinder (…), Göttingen 1778.

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Zeitungen und Zeitschriften, Formen und Fundorte Der Wandel der medialen Öffentlichkeit materialisiert sich aber insbesondere im neu entstandenen und sich rasant entwickelnden Zeitungs- und Zeitschriftenwesen. Sie sind für die Geschichte der Spätaufklärung zentral und stellen hier den größten Anteil des Quellenkorpus. Sind in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunächst Zeitung und Zeitschrift kaum abgrenzbar und unterscheiden sich nur in der Häufigkeit ihres Erscheinens, so differenziert sich dies in der zweiten Jahrhunderthälfte bereits zunehmend aus, indem immer neue Zeitschriften zu Teilgebieten und spezielleren Themenbereichen erscheinen.128 Dass die Zeitgenossen anfänglich auch nicht z­ wischen „Zeitung“ und „Zeitschrift“ unterschieden, zeigen beispielsweise Titel wie Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen, ein in Basel wöchentlich erscheinendes Periodikum über gelehrte Inhalte.129 „Zeitung“ definierte hier zunächst noch nicht das Format, sondern den Wert als „Neuigkeit“. Auch umspannten sowohl „Zeitung“, „Zeitschrift“, „Journal“ oder „Anzeigen“ zunächst weitläufige und viele Themengebiete. Dem Fehlen differenzierter Formate entspricht also anfänglich auf der inhaltlichen Ebene das Fehlen inhaltlicher Trennlinien z­ wischen den verschiedenen Zeitungen und Magazinen. Erst nach der Jahrhundertmitte erscheinen zunehmend „Fachmagazine “ auf dem Markt, die sich gezielt auf bestimmte Themengebiete spezialisieren.130 (Für die Erfassung der frühen schweizerischen Zeitschriftenlandschaft sei besonders auf die Indices von Carl Luwig Lang, Hans-­Peter Marti und Fritz Blaser verwiesen, für die – hiervon eigentlich in dieser Zeit nicht eindeutig trennbare – deutsche Zeitschriftenlandschaft auf den Göttinger Index.131 Auf letzterem basiert auch das digitale Bielefelder Archiv für Zeitschriften der Aufklärung, in dem botanische 128 Generell zur Entwicklung des deutschsprachigen Zeitschriftenwesens siehe: Kirchner, Joachim: Das deutsche Zeitschriftenwesen. Seine Geschichte und seine Probleme (Teil I: Von den Anfängen bis zum Zeitalter der Romantik; Teil II: Vom Wiener Kongress bis zum Ausgange des 19. Jahrhunderts), Wiesbaden 1958 und 1962. 129 Lang, Carl Ludwig: Die Zeitschriften der deutschen Schweiz bis zum Untergang der alten Eidgenossenschaft, Leipzig 1939, S. 39. 130 Hierzu siehe bspw. in Bezug auf die Schweizer Presse das „Chronologische Verzeichnis der Zeitungsgründungen“ in: Blaser, Fritz: Bibliographie der Schweizer Presse mit einem Einschluss des Fürstentums Liechtenstein. Bibliographie de la Presse suisse. Bibliografia della Stampa svizzera, 2. Halbband, S. 1241 ff. 131 Lang, Zeitschriften der deutschen Schweiz, 1939. Marti, Hanspeter und Erne, Emil: Index der deutschund lateinsprachigen Schweizer Zeitschriften von den Anfängen bis 1750, Basel 1998; Blaser, Fritz: Bibliographie der Schweizer Presse mit einem Einschluss des Fürstentums Liechtenstein. Bibliographie de la Presse suisse. Bibliografia della Stampa svizzera, 2 Bde, Basel 1956 – 1958. Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750 – 1815. Erstellt durch eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Klaus Schmidt, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Hildesheim 1990 ff. Online (IdZ 18 und IdRZ 18): http://adw. sub.uni-­goettingen.de/pages/Main.jsf (Stand 5. 9. 2017).

Botanische Bücher, botanische Zeitungen und Zeitschriften   |

Zeitschriften aber nur teilweise erfasst sind.132 Derzeit erschließt auch ein Projekt der Akademie der Wissenschaften in Göttingen die „gelehrten Journale“.133 Viele botanische Zeitschriften sind wiederum im Digitalisierungsprojekt „Botanische Zeitschriften“ der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg auffindbar.134 Sehr gut erschlossen werden botanische Zeitschriften auch durch das Portal der Missouri Botanical Garden Library.135 Ebenso hilfreich ist die Hathi Trust Digital Library.136 Die Arbeit mit den Zeitschriften des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts bleibt aber darauf angewiesen, mit vielen verschiedenen alten gedruckten wie neuen digitalen Verzeichnissen zu arbeiten.137) Zeitschriften zur Naturgeschichte Das im 18. Jahrhundert explodierende Zeitschriftenwesen trägt in besonderem Maß zur Verbreitung, Vernetzung und Diskussion des (botanischen) Wissens bei und spiegelt die Lesewut und die Bildungsfreude des „Publikums“ wider. Im Anschluss an Habermas‘ Ausführungen zur Entstehung eines politisch-­räsonierenden Publikums ab der Mitte des 18. Jahrhunderts könnte man hier im Hinblick auf die Botanophilie von der Entstehung eines botanischen Publikums gegen Ende des 18. Jahrhunderts sprechen – und so wird es auch in den Quellen vielfach benannt. Zunächst erscheinen Artikel zur Botanik und zum Pflanzenwissen allerdings in den geläufigen „Universalzeitschriften“ – wie etwa den Göttingischen Zeitungen von gelehrten Sachen 138 oder analog etwa den in Zürich von Johann Jakob Breitinger herausgegebenen Neue Zeitungen aus der Gelehrten Welt 139 oder in der Zürcher Zeitschrift Freymüthige Nachrichten Von Neuen Büchern, und anderen zur Gelehrtheit gehörigen Sachen.140 132 Zeitschriften der Aufklärung im Bielefelder Projekt siehe: http://ds.ub.uni-­bielefeld.de/viewer/ (Stand 1.10.17). 133 Siehe: http://www.gelehrte-­journale.de/startseite/ (Stand 8. 5. 2019). 134 Botanische Zeitschriften, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (UB Frankfurt a. M.): http://sammlungen.ub.uni-­frankfurt.de/botanik (Stand 8. 5. 2019). Der hier umschlossene Zeitraum läuft von 1753 – 1914. Hier wurde aus biologischer Sicht erschlossen, etwa inwiefern diese Zeitschriften für die Erforschung der pflanzlichen Biodiversität als relevant erachtet wurden. 135 Siehe: http://www.biodiversitylibrary.org (Stand 8. 5. 2019). Siehe auch: http://www.botanicus.org (Stand 1. 10. 2017). 136 http://catalog.hathitrust.org (Stand 8. 5. 2019). 137 Das Schweizer Zeitschriften- und Presseverzeichnisse von Blaser deckt zwar den Zeitraum bis 1958 ab, fokussiert aber aufgrund der Fülle für das 19. und 20. Jahrhundert die politischen Schriften. Das umfassende Digitalisierungsprojekt der ETH Zürich (e-­periodica) ist ebenso zu konsultieren und wird fortwährend ergänzt. Siehe: https://www.e-­periodica.ch (Stand 8. 5. 2019). 138 Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, Göttingen 1739 – 1752. 139 Neue Zeitungen aus der gelehrten Welt: Zur Beleuchtung der Historie der Gelehrsamkeit, gesammelt von Biblophilo (= Johann Jacob Breitinger), Zürich 1725. 140 Freymüthige Nachrichten von neuen Büchern und andern zur Gelehrtheit gehörigen Sachen, Zürich 1744 – 1763.

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Die deutschsprachigen Zeitschriften sind dabei als ein gemeinsamer Kommunikationsraum anzusehen. Vielfach werden Artikel in den verschiedenen deutschsprachigen Magazinen mehrfach abgedruckt und Aufsätze aus anderen Zeitschriften kompiliert, zusammengefasst oder angezeigt. Ebenso werden im ganzen deutschsprachigen Raum Artikel aus englischen oder französischen Zeitschriften übersetzt und übernommen. Eine national ausgerichtete Bearbeitung der Zeitschriften des 18. Jahrhunderts erscheint somit als anachronistisch. Da die Historiographie aber über eine lange Zeit die nationalen Grenzen zum Anlass der Abgrenzung ihrer Forschungsgebiete nahm, ist kaum zu vermeiden, dass diese sich bis heute niederschlagen. Das Spektrum der deutschsprachigen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts – dessen Größe kaum überschaubar ist – bedarf hier noch einiger Aufarbeitung. Insbesondere für naturgeschichtliche Th ­ emen aufschlussreich ist beispielsweise das im Folgenden häufig zitierte Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, das in Gotha 1781 erschien und zunächst von Christoph Lichtenberg, dann von Johann Heinrich Voigt herausgegeben wurde.141 Auch die schweizerische Zeitschriftenlandschaft des 18. Jahrhunderts ist noch kaum zu überblicken. Zürich spielt dabei als Zentrum der Aufklärung und als Druckort sicherlich eine größere Rolle als das pietistische Basel oder auch Bern. Auch für die Schweiz sind an den verschiedensten Orten derartige Zeitschriften auffindbar, die sich mit Naturgeschichte befassten und auf die hier nur verwiesen werden kann.142 141 Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, zuerst herausgegeben von dem Legionsrath Lichtenberg, fortgesetzt von Johann Heinrich Voigt, Prof. der Mathematik zu Jena und Corresp. der Königl. Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen, Gotha 1781 – 1799, 1786 übernimmt Voigt die Herausgabe. 142 Zur Rolle der Schweizer Städte im Zeitschriftenwesen siehe Lang, Zeitschriften der deutschen Schweiz, 1939, S. 1 – 20. Von den für die Naturgeschichte Botanik relevanten Schweizer Zeitschriften für den Zeitraum bis 1800 nennen Carl Lang und Fritz Blaser beispielsweise: 1705 – 1707 in Zürich von Johann Jakob Scheuchzer: „Seltsamer Naturgeschichten des Schweizerlandes Wochentliche Erzehlung“ 1717 – 1720 in Zürich von Johann Conrad Hottinger: „Altes und Neues aus der Gelehrten Welt“ 1722 – 1723 von Johann Rudolf Ziegler: „Die Zeitungen der Gelehrten aus dem Schweitzer Lande“ 1724 – 1725 von Johann Jakob Breitinger: „Neue Zeitungen aus der Gelehrten Welt“ 1735 – 1737 in Basel erschienen (unbekannter Herausgeber): „Neue Zeitungen von Gelehrten Sachen“ 1744 – 1763 in Zürich von nicht genanntem Herausgeber: „Freymüthige Nachrichten von Neuen Büchern, und anderen zur Gelehrtheit gehörigen Sachen“ (kompiliert vor allem Aufsätze aus anderen deutschen Zeitschriften) 1764 – 1766 in Zürich von ungenanntem Herausgeber: „Wöchentliche Anzeigen zum Vortheil der Liebhaber der Wissenschaften und Künste“ 1773 – 1774 von Jakob Samuel Wyttenbach in Bern: „Beyträge zu der Naturgeschichte des Schweitzer​landes“ 1774 in Basel von ungenanntem Herausgeber: „Neue Zeitungen von gelehrten Sachen“ 1775 – 1779 in Bern von J. S. Wyttenbach: „Bernerisches Magazin der Natur, Kunst und Wissenschaften“ 1778 – 1779 in Zürich und Winterthur von Johann Kaspar Füeßli: „Magazin für die Liebhaber der Entomologie“, gefolgt von

Botanische Bücher, botanische Zeitungen und Zeitschriften   |

Beachtet werden muss dabei, dass viele Zeitschriften nur für eine kurze Zeit erschienen und dann schnell wieder eingestellt wurden. Immer wieder tauchen bei der Recherche daher auch Zeitschriftentitel auf, die bisher kaum erfasst sind und von denen gelegentlich nur Einzelexemplare existieren.143 Eine kurze Erscheinungsdauer etwa hatte das Magazin für die Naturkunde Helvetiens, das nur in vier Ausgaben von 1787 bis 1789 erschien.144 Bis ca. 1750 ist dabei beispielsweise in der Schweiz der Anteil der Artikel, die sich mit Pflanzen befassen, in den Blättern insgesamt noch sehr gering. Für die deutschsprachige Schweizer Zeitschriftenlandschaft, die laut Hanspeter Marti mit dem Periodikum Histo­rischer und Politischer Mercurius 1694 ihren Anfang nahm,145 lassen sich bis 1750 nur wenige auf Pflanzen bezogene Artikel finden. Marti umreißt das Themengebiet dieser ersten periodischen Publikation, des Mercurius, wie folgt: „Dieses Journal berichtet in monatlichen Abständen über die wichtigsten politischen Geschehnisse, über Naturereignisse, über Unfälle und Verbrechen sowie über weitere, besonders merkwürdige Vorfälle.“146 Diese Beschreibung trifft auf die ersten Zeitschriften wohl generell zu – die Bandbreite ist groß. Artikel zu Pflanzen finden sich dagegen, wenn auch immer noch spärlich, zum Beispiel in der Reihe Beschreibung der Natur=Geschichten Des Schweitzerlandes, in der sich Johann Jakob Scheuchzer beispielsweise zum Unterschied von Kräutern und Bäumen der Höhen und Täler äußerte.147 Auch Rezensionen zu Publikationen, die sich auf das Thema Pflanzen beziehen, sind um die Jahrhundertmitte noch spärlich. Die speziellen Interessensgebiete erhalten aber ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zunehmend eigene Journale. Eine Eingrenzung auf bestimmte Felder findet beispielsweise schon im Magazin für Pharmazie, Botanik und Materia Medica statt, das von Johann Hermann Pfingesten in Halle 1782 herausgegeben wird.148

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1781 – 1786 „Neues Magazin für Liebhaber der Entomologie“ 1787 – 1790 in Zürich von Johann Jakob Römer und Paulus Usteri: „Magazin für die Botanik“ 1787 – 1789 in Zürich von Albrecht Höpfner (so steht es in der Zeitschrift, Blaser sieht hier Hans C ­ aspar Hirzel senior und junior als Herausgeber, was aber in der Schrift selbst nicht ersichtlich wird): „Magazin für die Naturkunde Helvetiens“ 1791 – 1800 in Zürich von Paulus Usteri: „Annalen der Botanik“ (Lang, Zeitschriften, 1939 S. 33 ff.; in Blaser finden sich die Titel im alphabetischen Verzeichnis und im chronologischen Verzeichnis des zweiten Bandes.) 1791, 1795 in Zürich „Garten der Flora“ von einem ungenannten Verfasser. Z. B. ist Briefe aus der Schweiz. Zeitschrift für die gesammte Naturwissenschaft von Christoph Gottfried Andreas offensichtlich nur in Band 24 von 1864 greifbar. Magazin für die Naturkunde Helvetiens, herausgegeben von Albrecht Höpfner, Zürich 1787 – 1789. Siehe: Marti, Hanspeter und Erne, Emil: Index der deutsch- und lateinsprachigen Schweizer Zeitschriften von den Anfängen bis 1750, Basel 1998, S. 11. Marti / Erne, Schweizer Zeitschriften, 1998, S. 11. Siehe Marti / Erne, Schweizer Zeitschriften, 1998, S. 136. Magazin für Pharmazie, Botanik und Materia Medica, von Johann Hermann Pfingesten, der Arzney­ gelahrtheit Doktor und gewerkschaftlicher Bergdirektor zu Erlau (…). Halle 1782 – 1783.

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Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ändert sich dies in geradezu rasanter Form. Mit dem explodierenden Zeitschriftenmarkt kristallisieren sich schnell Themengebiete der einzelnen Blätter heraus – eine Entwicklung, die für ganz Europa zu beobachten ist. Botanische Zeitschriften Es erscheinen gegen Ende des 18. Jahrhunderts jetzt eigene botanische Zeitschriften auf dem Markt. Die erste deutschsprachige botanische Zeitschrift ist vermutlich das von Johann Jakob Römer und Paul Usteri in Zürich ab 1787 herausgegebene Magazin für die Botanik (Abb. 2). Ein früheres deutschsprachiges botanisches Journal scheint es nicht zu geben. So heißt es auch im Nachhinein in der Botanischen Zeitung von 1802: „Vor fünfzehen Jahren existierte keine botanische Zeitschrift. Usteri und Römer brachen zuerst Bahn, und unternahmen die Herausgabe des botanischen Magazins. Als ­dieses mit Beifall aufgenommen, und von vielen Botanikern unterstützt wurde, entstanden aus dem Erstlinge bald zwei weitere Werke (…)“149. Dieses Magazin sollte zunächst alle drei Monate erscheinen, was aber nicht ganz eingehalten wurde.150 Die Herausgeber Römer und Usteri betonen in ihrer ersten Ausgabe die Notwendigkeit eines solchen botanischen Journals: „Es ist auffallend, dass zu einer Zeit, wo das Studium der Naturgeschichte, mit einer Art Enthusiasmus betrieben wird, und beynahe jeder einzelne Zweig derselben sein eigenes Journal hat, noch bis jetzt das weitläufige und doch von jeher mit grösstem Fleiss bearbeitete Feld der Botanik, ohne ein solches geblieben ist. Wären die Herausgeber weniger Liebhaber dieser Wissenschaft, läge ihnen selbige weniger am Herzen – gewiss sie würden sich nicht damit beschäftiget haben, ein solches Journal herauszugeben.“151 Ob sich Römer und Usteri zu Recht als Urheber des ersten botanischen Journals rühmen können, muss offen bleiben, da die Zeitschrift hier noch kaum von Werken, die über einen längeren Zeitraum in mehreren Teilen erschienen, unterschieden werden kann. Es ließe sich aber mit gutem Grund rechtfertigen, da sie in den weiteren Journalen immer wieder als diejenigen genannt werden, die als Erste ein solches Journal herausgegeben hätten.152 In dieser Zeitschrift hatte grundsätzlich alles Platz, was thematisch mit Pflanzen in Verbindung stand. So schreiben die Herausgeber: „… bitten daher im Voraus schon um Verzeihung, wenn dem philosophischen Naturforscher gar zu oft etwas minder 149 Botanische Zeitung, Erster Jahrgang, Nr. 1 vom 8. Januar 1802, S. 1. Gemeint ist wohl hier, dass Römer das eine Journal fortsetzte und Usteri ein eigenes, die Annalen der Botanik, gründete. 150 Siehe Lang, Zeitschriften der deutschen Schweiz, 1939, S. 56. 151 Magazin für die Botanik, Erstes Stück (1787), Vorrede, S. 3. 152 Hier ist die Abgrenzung von Reihen, die weniger periodisch als in mehreren Bänden erschienen oft schwierig, etwa zu den Beyträgen zur Botanik von Albrecht Wilhelm Roth, beginnend 1782.

Botanische Bücher, botanische Zeitungen und Zeitschriften   | Abb. 2 Titelblatt Magazin für Botanik

nützliches und interessantes vorkommen sollte“153 und „Uebrigens hoffen wir, unsere Leser werden uns gerne erlauben, dass wir nicht nur bey trockenen systematischen Aufsätzen stehen bleiben, sondern öfters, uns in das angenehmere Feld der angewandten Botanik verirren“154. (Unter „angewandter Botanik“ wurden dabei Gartenbaumethoden ebenso verstanden wie etwa Nutzungsarten in der Hauswirtschaft, siehe unten 4.2). Schon in den Aufsatztiteln wird dabei deutlich, wie vernetzt die Zeitschriftenherausgeber sind und inwiefern sie Knotenpunkte der Naturforschung (noch nicht allein der Botanik, sondern der Naturgeschichte) darstellen. Paul (oder Paulus) Usteri (1768 – 1831) etwa, der Herausgeber der Annalen der Botanick, war in den 1790er Jahren – wie es im Titel des Journals heißt – „committiertes Mitgliede der corresp. Gesellschaft schweizerischer Aerzte und Wundaerzte, Mitglied der naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Berlin, Halle und Jena, der kaiserl. Academie der Naturforscher und des Collegiums der 153 Magazin für die Botanik, Erstes Stück (1797), Vorrede S. 3 f. 154 Magazin für die Botanik, Erstes Stück (1787), S. 11.

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Aerzte zu Nancy, der physikal. Privatgesellschaft in Göttingen und der botan. Gesellschaft in Regensburg“155. Usteri wirkte in Zürich als Arzt, widmete sich aber insbesondere der Botanik und wurde dann auch Aufseher des Botanischen Gartens der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich.156 Die zwei Herausgeber ­dieses ersten botanischen Magazins, Römer und Usteri, gehen später allerdings offensichtlich getrennte Wege. Römer gab sodann das Neue Magazin für die Botanik in ihrem ganzen Umfange 157 in Zürich heraus, das schnell wieder eingestellt wurde, ab 1796 publizierte er in Leipzig das Archiv für die Botanik 158; Usteri in Zürich die Annalen der Botanick (gelegentlich findet man auch die Titelvariante mit heutiger Schreibweise „Botanik“)159. Auf diese ersten Magazine folgten schnell weitere. In Regensburg wurde von David Heinrich Hoppe ab 1790 das Botanische Taschenbuch 160 herausgegeben, das jährlich erschien und sich zunächst an Ärzte und Apotheker richtete. Ein zentrales Magazin war auch das Journal für die Botanik und darauf folgend Neues Journal für die Botanik, von einem Medizinalrat und späteren Professor Schrader 161 in Göttingen herausgegeben. Die „Flora“ Am weitesten verbreitet und die wichtigste Zeitschrift für das „botanische Publikum“ war die für eine breite Öffentlichkeit konzipierte, in Regensburg 1802 erstmals herausgegebene und in hoher Frequenz, nämlich ab 1803 wöchentlich, erscheinende Botanische Zeitung. 1818 wurde sie umbenannt in Flora oder (Allgemeine) Botanische Zeitung.162 In der ­ersten Ausgabe erläutern die Herausgeber ihr Vorhaben dabei folgendermaßen: Es sollen alle botanischen Schriften rezensiert werden, wichtige Aufsätze zu neuen Erkenntnissen erscheinen und „botanische Neuigkeiten“ mitgeteilt werden. Beobachtungen, Entdeckungen, Berichte über botanische Unternehmungen oder auch Angaben über Todesfälle, Preisaufgaben und Ankündigungen von Zusammenkünften, 155 Siehe: Annalen der Botanick (hrsg. von Paulus Usteri), Zürich 1791 ff. 156 Usteri politisierte sich während der Französischen Revolution und wirkte dann als Politiker und Publizist. Zu Usteri siehe: Hürlimann, Katja: Artikel „Usteri, Paul“, in: HLS 12, Basel 2013, S. 702 f. 157 Neues Magazin für die Botanik in ihrem ganzen Umfange, Zürich 1794, dann offensichtlich wieder eingestellt. 158 Archiv für die Botanik, herausgegeben von Johann Jakob Römer, Leipzig 1796 – 1805. 159 Annalen der Botanick, Zürich 1791 – 1800 ? (Das Enddatum ist unklar.) 160 Botanisches Taschenbuch für die Anfänger dieser Wissenschaft und der Apothekerkunst, Regensburg 1790 – 1808, eventuell existieren noch spätere Bände, teilweise erscheinen sie unter Neues Botanisches Taschenbuch. 161 Journal für die Botanik, herausgegeben von Heinrich Adolph Schrader, Göttingen 1799 – 1803 und Neues Journal für die Botanik, herausgegeben von Heinrich Adolph Schrader, Erfurt 1806 – 1810. 162 Die Botanische Zeitung erschien in Regensburg ab 1802. Als Flora oderAllgemeine Botanische Zeitung erschien sie ab 1818 (Erster Jahrgang) weiterhin in Regensburg. Sie ist an verschiedenen Stellen auch digital zugänglich, siehe etwa in www.biodiversitylibrary.org (Stand 9. 5. 2019).

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geplanten Vorhaben usw. haben ebenso Platz.163 Zunächst erschien die Botanische Zeitung zweimal im Monat und wurde von Regensburg aus über die Reichspost versendet, wobei der Jahrgang mit „2 fl. 40 kr.“ berechnet wurde.164 Die Anfrage von Subskribenten war offensichtlich sofort sehr hoch und auch die Einsendungen von Artikeln und Beiträgen waren so zahlreich, dass bereits im April 1802 angekündigt wurde, die Botanische Zeitung im Folgejahr sogar wöchentlich erscheinen zu lassen. Allerdings blieb es aus Kostengründen bei einer Kupfertafel pro Jahr.165 Die Kosten scheinen sich aber zunächst in den Anfangsjahren nicht gesteigert zu haben, denn noch 1819 erwarb man das Folgeorgan Flora für 2 fl. 30 kr.166 1832 allerdings wird der Ladenpreis plötzlich mit 7 fl. 36 kr. angegeben.167 In dieser Zeit veränderte sich jedoch auch der Charakter des Magazins, es näherte sich der Form eines Spezialmagazins für Fachbotaniker an (siehe Teil II , Kap. 5.2). Zu betonen ist also, dass die Botanische Zeitung und ihre direkte Nachfolgerin, die wöchentlich ausgelieferte Flora,168 bis in die 1830er Jahre noch im Wesentlichen auf ein breites Publikum setzten. Der Anteil der Anzeigen zum Tauschhandel mit Pflanzen, die Ankündigung von Buchpublikationen etc. nahmen viel Platz ein. Die botanischen Journale waren in der Anfangszeit so quasi als „Plattformen“ und „Newsletter“ ihrer Zeit zu verstehen. Das Publikum wurde hier zum Beispiel immer wieder aufgefordert, eigene Beiträge einzusenden: „Beyträge werden ferner unter der Adresse der Redaction der Flora in Regensburg unfrankirt angenommen (…) Dadurch ergiebt sich dann von selbst eine eigenthümliche Folgenreihe der eingegangenen Beyträge und ein Maasstab der Einrückung derselben in der Flora. Doch ist dabey allerdings zu bemerken, das vor andern die Neuigkeiten des Tages, sonach die Korrespondenz und Notizen vorzugsweise berücksichtigt werden müssen (…).“169 Das wöchentlich erscheinende Blatt enthielt auf diese Weise bunt gemischt lateinische wie deutsche Abhandlungen zu Pflanzenarten oder zur Pflanzenphysiologie, Preisaufgaben, Berichte der botanischen Gesellschaft, Exkursionsberichte, Nachrichten über Sterbefälle unter den Botanikfreunden, Anzeigen zu bald erscheinenden Werken, Rezensionen, Verkaufsangebote getrockneter und lebender Pflanzen, Korrespondenzen etc.

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Botanische Zeitung, Jahrgang 1, Nr. 1 vom 8. Januar 1802, S. 3 ff. Botanische Zeitung, Jahrgang 1, Nr. 1 vom 8. Januar 1802, S. 7 f. „An unsere Leser“, Botanische Zeitung, Jahrgang 1, Nr. 8 vom 22. April 1802., S. 124 f. „An unsere Leser“, in: Flora oder Allgemeine Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Ausgabe Nr. 1 vom 7. Januar 1819, S. 14. 167 „An unsere Leser“, in: Flora, Jahrgang 15, Band 1, Ausgabe Nr. 7 vom 21. Februar 1832, S. 112. 168 Flora oder Botanische Zeitung ­welche Recensionen, Abhandlungen, Aufsätze, Neuigkeiten und Nachrichten, die Botanik betreffend enthält. Herausgegeben von der königl. botan. Gesellschaft in Regensburg, 1818 ff. 169 Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Nr. 1, 7. Januar 1819, S. 15.

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Enddaten der einzelnen Magazine zu benennen, ist oft schwierig, da sie gerne ihren Namen wechseln, gelegentlich Erscheinungslücken aufweisen oder auch wieder in ­anderen Zeitschriften aufgehen. Die Flora überdauerte schlussendlich als einschlägiges botanisches Fachmagazin.170 Verwandte Magazine, Anzeigenblätter Den botanischen Zeitschriften verwandt und in vielen Artikeln ununterscheidbar sind zudem auch die Gartenmagazine und nach der Jahrhundertwende die Magazine der „Blumisterei“. Zentral ist hier das Allgemeine Teutsche Gartenmagazin, das ab 1804 in Leipzig erschien und von Friedrich Justin Bertuch herausgegeben wurde.171 Genannt sei auch die Zeitschrift Garten der Flora aus Winterthur, die 1791 bis 1794 erschien.172 Speziell mit den Blumen befassten sich dann beispielsweise die von Jakob Ernst von Reider herausge­ gebenen Annalen der Blumisterei, die 1825 bis 1836 in Nürnberg und Leipzig erschienen.173 Garten- und Gärtnereizeitschriften stellten aber bald ein eigenes Genre dar.174 Festzuhalten bleibt die Tatsache, dass ab Ende des 18. Jahrhunderts spezifische, auf die Pflanzen und das Botanische ausgerichtete Zeitschriften erscheinen und sie zunehmend auf ein größeres Publikum ausgelegt sind. Inhaltlich steht dabei neben Aufsätzen zur „wissenschaftlichen“ Botanik im heutigen Sinne allerlei was Märkte, Personen und für Pflanzeninteressierte „Wissenswertes“ betrifft. Neben Nachrichten über die Wollpflanzenzucht in Pfalzbayern finden sich so die Briefe „botanischer Reisender“; die Rezensionen zu Gartenschriften erscheinen neben Anzeigen zu „Stubentapeten“ (Postern) mit botanischen Nomenklaturen. Das Adjektiv botanisch zeigt also hier nur an, dass es sich inhaltlich in jedweder Weise um Pflanzen handelt. Dezidiert im modernen Sinne wissenschaftliche Zeitschriften, in denen agrarwirtschaftliche oder botanisch-­theologische Abhandlungen keinen Platz mehr haben, erscheinen erst nach dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, wie etwa die Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik ab 1844.175 Aufklärerische Zeitschriften stellen so im 18. Jahrhundert und zur Zeit der Jahrhundertwende weniger ein alleiniges Medium der Gelehrtenwelt dar, denn ein Medium zunehmend

170 1965 wurde sie in weitere Unterreihen unterteilt. 171 Allgemeines Teutsches Garten=Magazin oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des Gartenwesens, Weimar 1804 ff. 172 Garten der Flora, Winterthur 1791 – 1794. Teilweise erscheint Johann Jakob Römer als Herausgeber, ­tatsächlich wird aber in den Heften kein Herausgeber genannt, dieser bleibt bisher offen. 173 Annalen der Blumisterei (…), herausgegeben von Jakob Ernst von Reider; Nürnberg und Leipzig, 1825 – 1836. 174 Siehe hierzu auch Dülmen, Das irdische Paradies, 1999. 175 Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik, herausgegeben von M. J. Schleiden und Carl Nägeli, Zürich 1844 – 1846.

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größerer, weitgehend städtischer Bildungsschichten. In der Schweiz trug dabei wohl auch die Aufhebung der Zensur mit der Helvetik 1798 zum Publikationssturm weiter bei. Neben den botanischen Magazinen wären hier auch noch die publizierten Schriften der naturforschenden Gesellschaften zu nennen, wie etwa die Denkschriften der königlich-­ bayerischen botanischen Gesellschaft zu Regensburg oder die kurzlebigen Annalen der Allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die Gesammten Naturwissenschaften, die erst Mitte des 19. Jahrhunderts erscheinenden Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel und ähnliche Publikationen, die botanisches Wissen in Umlauf brachten.176 Für alltagsgeschichtliche Fragen des Botanisierens oder Pflanzenziehens im sich nun differenzierenden Zeitungswesen können zudem Blätter, die auf aktuelle, kürzere Nachrichten hin ausgerichtet sind, herangezogen werden, etwa durch die Auswertung von Gesuchen von städtischen Marktanzeigern. So dokumentieren sich alltagsgeschichtliche Handlungen wie etwa Kauf und Verkauf von Herbarien, botanischer Litertur und Pflanzen, Sämereien, Zubehör etc. beispielsweise in Blättern wie dem in Basel seit 1770 meist donnerstags erscheinenden sogenannten Avis-­Blättlein, dessen Titel offiziell Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht-­Haus zu Basel lautete.177 Abbildungspraxis in den Zeitschriften Hingewiesen sei in ­diesem Zusammenhang hier schon auf die sich verbessernden technischen Möglichkeiten der Kupferstiche und auf feinere Darstellungsweisen im 19. Jahrhundert. Allerdings waren und blieben Drucke, beziehungsweise kolorierte Drucke bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts kostenintensiv, weshalb man nur in den teuren Folianten oft ganzseitige Abbildungen findet, die eher als Produkte des Kunstmarktes anzusehen sind, da der Text hier weitgehend zurücktritt. (Augenfällig wird dies etwa in den heute weithin bekannten Insekten- und Pflanzenbüchern der Maria Sybilla Merian.) Die für ein breites Publikum gedachten billigeren Journale enthalten zwar Kupfer­stiche, dies bleibt aber bis ins 19. Jahrhundert hinein eine Kostenfrage. Wie wichtig diese oft wenigen Kupferstiche waren, zeigt aber die Tatsache, dass auf den Titelblättern der Zeitschriften fast immer die genaue Anzahl der darin enthaltenen Kupferstiche angezeigt wurde. Ende des 18. Jahrhunderts handelt es sich meist um zwei bis vielleicht fünf, meist angehängte, kolorierte Kupfertafeln. Eine Integration von Abbildungen im Text erfolgt größtenteils erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts. 176 Denkschriften der Königlich-­Bayerischen Botanischen Gesellschaft zu Regensburg, Regensburg 1815 – 1936; Annalen der Allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften, Bern 1824 – 1825; Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel, Basel 1854 – 1994. 177 Siehe Teil II, Kapitel 4.2. Zu dieser Quelle siehe: Janner, Sara: „Allerhand Nachrichten. Das Avis-­Blättlein als Quelle zur Stadtgeschichte. Annoncen in den Wöchentlichen Nachrichten aus dem Bericht-­Haus zu Basel ­zwischen 1770 und 1810“, in: Jahresbericht / Freunde des Klingentalmuseums 2014, Basel 2014, S. 51 – 60.

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3.3 Die Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft der Aufklärung als eine offene scientific community Die Bildungsgeschichte hat lange Zeit, analog zur Wissenschaftsgeschichte, mit einem hierarchischen Modell der Wissensverbreitung gearbeitet, mit dem Begriff der „Popularisierung“ von „Wissenschaft“, indem die neuen Erkenntnisse der hervorbrechenden Naturwissenschaft „von oben nach unten“ sickern. Dies wird heute zunehmend (gerade auch für die Situation des 17. und 18. Jahrhunderts) als nicht mehr ganz zutreffend eingeschätzt.178 Zum einen gibt es die Figur des „Naturwissenschaftlers“, der für seine spezielle Forschung in einem Feld bezahlt wird, noch relativ selten. Zum anderen erhält auch die Trennung von „Wissenschaftler“, „Handwerker“ oder „Beamter“ erst im 19. Jahrhundert ihr volles Gewicht. Es rücken hier gerade in Bezug auf die Botanik für das 18. Jahrhundert eher breitere Kreise in den Blick, die im 18. Jahrhundert an den Wissenspools teilhaben und oft aus den unterschiedlichsten Berufssparten kommen.179 Diese Zirkel erscheinen, wie bereits angeklungen ist, als mehrpolige Wissenskreise, die sich überschneiden, verbinden, überlappen – etwa wie an verschiedenen Stellen ins Wasser geworfene Steine Kreise ziehen, die sich dann überschneiden und neue Bewegungslinien generieren. Dabei sind die Gelehrten vom Bürger oder Beamten kaum zu trennen. In den in ­diesem Buch auftauchenden Quellen und Personen wird dies deutlich werden. Gemeinsames Leben und Arbeiten von Schülern, Lehrern oder Familienmitgliedern in Gelehrtenhaushalten, lange Reisen zu und mit bekannten Botanikern, eine auf das Wissen und die Wissenschaft ausgerichtete Geselligkeit, sozialer Austausch und gemeinschaftliche Arbeit sind zentrale Aspekte der auf die Botanik bezogenen Wissenswelten um 1800. Bettina Dietz spricht zu Recht – von den Arbeitsstrukturen eines großen Gelehrten wie Linné herkommend – von einer „kollaborativen Wissenskultur“. Ebenso kann man – von der Warte der „kleineren“ Gelehrten, der Botanisten (und Botanistinnen) sowie der breiten Schicht der botanisch-­aufklärerisch Tätigen herkommend – von einer offenen scientific community sprechen.180 Aus der Sicht „von unten“ sind 178 Zur Debatte über die „Popularisierung“ von Wissen, wenn auch bezogen auf die etwas spätere Zeit, hat vor allem Andreas Daum beigetragen: Daum, Andreas: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848 – 1914, München 1998. 179 Siehe: Fissel, Mary und Cooter, Roger: „Exploring Natural Knowledge. Science and the Popular“, in: Porter, Roy (Ed.): The Cambridge History of Science, Vol. 4: Eighteenth-­Century Scienc, Cambridge 2003, S. 129 – 158. 180 Die Begrifflichkeit des Offenen ist zweifellos beeinflusst durch die Diskussionen im vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekt „Doing House and Family“, insbesondere auch von Joachim Eibachs Konzept des „offenen Hauses“, mit dem er die frühneuzeitlichen Familien-, Wohn- und Nachbarschaftsstrukturen und deren soziokulturelle Praktiken bezeichnet. Siehe: Eibach, Joachim: „Das offene Haus. Kommunikative Praxis im sozialen Nahraum der europäischen Frühen Neuzeit“, in: ZHF 38/4 (2011), 621 – 664.

Die Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft der Aufklärung   |

die Kreise der botanischen Gelehrsamkeit um die Wende zum 19. Jahrhundert noch nicht geschlossen. Gemeint ist damit, dass bis ins 19. Jahrhundert weder ein spezifisches Studienfach der Botanik bestand (diese war weitgehend in die medizinische Wissenschaft integriert) noch der Zugang zu den gelehrten Kreisen ausschließlich über die Institution Universität, über Diplome oder Abschlüsse erfolgte, sondern vielfach über das Selbststudium, über soziale Netzwerke, die Familie und die erbrachten „Beweise“ des Expertentums in Form von eigenen Herbarien, eigenen botanischen Gärten, der Herausgabe von botanischen Lehrbüchern, vegetationsgeographischen Werken oder ähnlichen Kompendien. Die offene scientific community der aufklärerischen Botaniker, Botanisten und Botano­ phili umfasst dabei in einem sehr hohen Maß, was ich im Folgenden botanische Geselligkeit nenne. Sie manifestiert sich im gemeinsamen Botanisieren der „Botanisten“, in gemeinsamen „botanischen Reisen“ oder etwa auch in der Mithilfe bei Publikationen durch die Einsendung und Bereitstellung von Material oder in gemeinsamen botanischen Projekten. Sie zieht zudem weite Kreise, indem sie die spätaufklärerische Gesellschaft und die bürgerliche Kultur durchdringt. Die Strukturen von Tauschen, Geben und Nehmen sind dabei ein Teil ­dieses botanisch-­sozialen Austausches. Unterhaltende Formen bürgerlicher Geselligkeit wie etwa botanische Preisausschreiben, botanische Ausstellungen und Ähnliches stellen den äußersten Rand dieser um das Botanische kreisenden Sozialverbindungen dar, die die botanophilen Kreise der Gesellschaft konstituieren. Wissenschaftliches und Soziales sind so im Zeitalter der aufklärerischen Botanophilie in sehr transparenter Weise miteinander verwoben. Die weitgehende Trennung von wissenschaftlichem und sozialem Leben erfolgt zunehmend erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts.181 Bei der offenen scientific community handelt es sich somit um eine durch Soziabilität und sozial-­familiäre Relationen in der Gesellschaftsstruktur verankerte Wissens- und Wissenschaftskultur. Wissen und Wissenschaft sind hier zudem in sich noch wenig diffe­ renziert, die einzelnen Wissensfelder sind noch eng miteinander verwoben. Wer P ­ flanzen sammelt, sammelt nicht selten auch Mineralien oder Insekten und ist so Botaniker, Mineraloge und Entomologe zugleich. Auch stellen Naturwissenschaft und Metaphysik 181 Geht man, wie etwa Peter Harrison, davon aus, dass „science“ eigentlich ein Begriff ist, der erst der institutionalisierten Wissenschaft der Moderne und dem 19. und 20. Jahrhundert zuzuschreiben ist, so könnte man für diese Form der aufklärerischen Wissens- und Wissenschaftskommunität eventuell auch von einer „Prescientific Community“ sprechen, um diese Art der Wissenschaftsform und Gelehrsamkeit zu benennen, die sich um Wissen und Wissenschaft bemüht, in ihren Sozialformen und in ihrer Verankerung in der Gesellschaft aber einer Zeit angehört, in der die Sphären von Wissenschaft und Gesellschaft wohl noch ebenso wenig getrennt sind wie etwa Geistes- und Naturwissenschaft völlig getrennte Disziplinen darstellen. „Prescientific“ hat jedoch vielfach keine neutrale Konnotation, sondern wird im Sinne von „vorwissenschaftlich“ mit „unwissenschaftlich“ vielleicht missverstanden. (Harrison, Peter: „‚Science‘ and ‚Religion‘. Constructing the Boundaries“, in: The Journal of Religion, Vol. 86/1 (2006), S. 81 – 106.)

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für die botanisch (oder auch zoologisch) Forschenden noch keine Gegensätze dar – der Botaniker ist beispielsweise oft auch Theologe. Die weitgehende Offenheit des botanischen Feldes des 18. und noch beginnenden 19. Jahrhunderts steht im Kontrast zur geschlossenen scientific community, wie sie sich in der institutionalisierten, professionalisierten und durch die Disziplinentrennung auszeichnenden botanischen Wissenschaft seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildet. Dass es sich hierbei selbstverständlich nur um ein Modell handelt, sei unbestritten. Es geht hier aber um einen Begriff, der es ermöglicht, im Folgenden die botanische Wissenskultur der Aufklärungszeit zu beschreiben und ihre Bedingungen in Kurzform aufzurufen und von den späteren Wissens- und Wissenschaftskulturen abzusetzen. Das botanische Wissens- und Wissenschaftsfeld um 1800 ist mit heutigen, im 19. und 20. Jahrhundert ausdifferenzierten Wissens- und Wissenschaftsstrukturen nicht in eins zu setzen. Wer ist das „botanische Publikum“? Greift man konkret auf die botanischen Zeitschriften um 1800 zu, so stellt sich also unweigerlich die Frage nach der Leserschaft dieser Magazine. Wer verbirgt sich hinter dem „botanischen Publikum“? Gelehrte botanische Briefwechsel sind in der Korrespondenzforschung schon seit Längerem Gegenstand gewesen, wie etwa Netzwerkstudien oder die umfassenden Arbeiten zu Albrecht von Haller belegen.182 In diesen Zusammenhängen wird heute auch der gesellschaftliche Kontext neu betrachtet. So sei etwa die Entwicklung der Botanik von einer breiten Woge der Pflanzenliebhaberei begleitet gewesen.183 Oft wird aber „der Gelehrte“ dabei doch vom „Pflanzenliebhaber“ abgegrenzt. Es bleibt aber fraglich, ob eine schematische Trennung von „Gelehrten“ und „Liebhabern“ hier möglich ist. So schreibt etwa selbst Alexander von Humboldt (aus heutiger Sicht der Prototyp des botanischen Gelehrten) 1791 in einem in den Annalen der Botanick veröffentlichten Brief über sich selbst: „Ich habe (…) doch eine Arbeit über die hiesige Flora, besonders über die Flora cryptogamica angefangen. (…) Ich stelle eigene Fahrten an, wenn ich 182 Dauser, Regina; Hächler, Stefan; Kempe, Michael; Mauelshagen Franz und Stuber, Martin (Hrsg.): ­Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts; auch: Steinke, Hubert; Boschung, Urs und Proß, Wolfgang: Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche,­ ­Göttingen 2008. 183 Siehe hierzu Steinke, Hubert: „Gelehrte – Liebhaber – Ökonomen. Typen botanischer Briefwechsel im 18. Jahrhundert“, in: Dauser, Regina u. a.: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts (Colloquia Augustana, Band 24, Berlin 2008, S. 135 – 150, hier bes. S. 135 und S. 142. Steinke unterscheidet hier anhand von Haller, Rousseau und dem Ökonomen Banks in Briefwechsel der Gelehrten, die sich der Botanik selbst widmen, Briefwechsel der „Liebhaber“, die die Botanik nur als Ansatzpunkt für die persönliche Korrespondenz nähmen, und ökonomische Briefwechsel, die den ökonomischen Nutzen im Auge haben.

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höre, dass einer auf einem alten Bau viel vermodertes Holz, die Hauptquelle meiner Flora Fodinarum gefunden hat. An Mühe lasse ich es nicht fehlen, dennoch fühl’ ich sehr, dass das Werk eines Botanikers, mehr, als eines Botanophili, wie ich, bedürfte. Im Winter hoffe ich, mein kleines Specimen Florae Freybergensis drucken zu lassen.“184 Diese Situation Humboldts 1791, der sich in d ­ iesem Zeitraum durch die Anstellung im Bergbau „nur“ nebenberuflich mit den Pflanzen beschäftigen kann und sich nicht als Botaniker, sondern als „Botanophilus“ definiert, ist paradigmatisch für die großen Kreise der botanisch Forschenden und die Autoren der botanischen Bücher: Der berufliche Haupterwerb liegt fast immer eben nicht bei der Botanik, denn die wenigsten unter ihnen sind wie Carl von Linné an einer der Universitäten für diesen Bereich oder in einem botanischen Garten angestellt. Vielmehr tragen die botanisch forschenden Ärzte, die Apotheker, die naturgelehrten Pfarrer, die Lehrer, Beamten, Räte, Militärs etc. maßgeblich zur Erweiterung und Verbreitung des botanischen Wissensgebietes bei. Zu den „Gelehrten“, beziehungsweise zum „Gelehrtenstand“ im frühneuzeitlichen Sinne, gehören sie zwar oft aufgrund eines Studiums, aber selbst das ist nicht unbedingt immer der Fall. Die Kategorie der „Botaniker“ ist – analog zum semantischen Feld „Botanik“ – noch wenig festgelegt. „Botaniker“, „Botanist“ oder „Botanophilus“ gehen in den Quellen zudem oft synonym und können weitgehend austauschbar verwendet werden. Wenn ­Alexander von Humboldt den „Botaniker“ vom „Botanophilus“ absetzt, so meint er wohl weniger denjenigen, der eine institutionell festgelegte botanische Ausbildung genossen hat, einerseits und einen „Laien“ andererseits, sondern er definiert den Botaniker als denjenigen, der seine gesamte Zeit und Mühe auf die Botanik verwendet. Die auf etwas verwendete Zeit und Mühe macht so den Spezialisten aus, nicht die institutionell-­universitäre Zugehörigkeit. Auch die Herausgeber botanischer Journale, wie Johann Jakob Römer und Paul Usteri – beide sind während der Herausgabe ihres botanischen Magazins über längere Zeit Lehrer am medizinisch-­chirurgischen Institut in Zürich –, bezeichnen sich selbst als „Liebhaber“ dieser „Wissenschaft“. Die Termini „Liebhaber“ und „Wissenschaft“ sind hier offensichtlich nicht gegensätzlich, ihre Verbindung zeigt vielmehr die in dieser Zeit herrschende Untrennbarkeit von „Amateur“/„Dilettant“ und „Wissenschaftler“ auf. Das Wissensgebiet hat sich noch nicht institutionalisiert und umgreift Apotheker, „Blumisten“ und Gärtner gleichermaßen.185 Diese bis in die 1830er Jahre offensichtlich nicht als Problem wahrgenommenen „Unschärfen“ bestehen im Übrigen in dieser Zeit auch in anderen Disziplinen. 184 Auszug aus einem Brief von Alexander von Humboldt vom 22. September 1791, abgedruckt in: Annalen der Botanick, Zweites Stück (1791), S. 193. 185 Siehe hiezu etwa auch: Keeney, Elizabeth: The Botanizers. Amateur Scientists in Nineteenth-­Century America, Chapel Hill / London 1992.

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Offensichtlich wird dies, wenn man etwa an die Versuche der „naturwissenschaftlichen“ Wieder­gabe der Natur in wissenschaftlich-­künstlerischen Werken denkt. Auch in Werken der ästhetisch orientierten „Künstler“, d. h. Naturforscher, Maler und Zeichner dieser Zeit wie etwa Caspar Wolf 186 gehen das Vermessen, Kartieren und Abbilden der Natur und die Ausgestaltung der Naturwahrnehmung ineinander über. Sammlungen und Privatkabinette als wissenschaftliche Ausweise Während man in den tradierten Institutionen der hohen Schulen oder Universitäten lange an den althergebrachten Fakultäten der Theologie, Medizin und Rechtswissenschaft festhielt, fand das neue, experimentelle Wissen seinen Platz vermehrt an außeruniversitären Orten, in den neugegründeten Akademien und den naturforschenden Gesellschaften, den Observatorien, den botanischen Gärten und in den Sammlungen.187 Botanisch aktive Universitätslehrer (und heute als Botaniker in die Wissenschaftsgeschichte eingegangene Personen) waren so in der frühneuzeitlichen Universität meist Mediziner und zudem oft praktische Ärzte.188 Auch Johann Jakob Scheuchzer, Johann Jakob Römer, David ­Heinrich Hoppe und viele andere waren zunächst als Ärzte tätig und verfolgten von dieser Warte aus das Pflanzen- und Naturstudium. „Botanik“ war also in dieser Hinsicht aus universitärer Sicht über eine lange Zeit hinweg eine Hilfswissenschaft der Arzneimittellehre. In den Universitäten blieb die Botanik bis ins späte 18. Jahrhundert innerhalb medizinischer Fakultäten verankert, bevor die ersten Botanik-­Lehrstühle entstanden. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts traten hier Fragen der Pflanzenphysiologie und die Funktionsweise des Vegetabilen mehr in den Vordergrund und begründeten eine „neue Botanik“.189 Bestimmte also nicht der Ausweis über ein absolviertes botanisches Studium die botanische Expertise, so kennt doch auch das 18. Jahrhundert Formen des „Ausweises“ von botanischer Kennerschaft: etwa die Herbarien und Naturalienkabinette. Zentral für die Erweiterung des naturwissenschaftlichen Wissens waren in vielen Fällen im 18. Jahrhundert die Sammlungen und Kabinette der (Privat-)Gelehrten und in der Folge auch 186 Vgl. Monney, Gilles: „Die Alpen sehen. Unterwegs auf den Spuren Caspar Wolfs“, in: Kunstmuseum Basel (Hrsg.): Caspar Wolf und die ästhetische Eroberung der Natur (Ausstellungskatalog), Basel 2014, S. 33 – 51, hier S. 51. 187 Siehe: The Cambridge History of Science Vol. 4: Eighteenth-­Century Science, hrsg. von Roy Porter, Cambridge, 2003, ch. 4: „Scientific Institutions and the Organization of Science“, S. 87 ff. Die Gründungen der wichtigsten Akademien finden allerdings schon im 17. Jahrhundert statt. 188 So hatte etwa schon Johann Caspar Bauhin in Basel eine langjährige Tätigkeit als Arzt und Universitätslehrer für Anatomie und Botanik: Bonjour, Edgar: Die Universität Basel. Von den Anfängen bis zur Gegenwart 1460 – 1960, Basel 1960, S. 314. 189 Müller-­Wille, Staffan: „Botanik“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Band 2, Stuttgart 2005, Sp. 348 – 357, bes. Sp. 356.

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die oft aus diesen entstehenden naturhistorischen Museen.190 Flavio Häner hat kürzlich diese Zusammenhänge von früher Sammelgeschichte und den naturhistorischen Museen am Beispiel Basels untersucht.191 So sind es auch oft einzelne (Privat-)Gelehrte, die die Wiederbelebung der im 18. Jahrhundert oft brachliegenden Universitäten forcieren.192 Zweifelsohne hatten auch Universitätsangehörige oft herausragende Bedeutung für das botanische Wissensfeld. Zu beachten ist aber Folgendes: Oftmals sind diese nicht einflussreich, weil sie Universitätslehrer sind, sondern umgekehrt, weil sie bereits eine zentrale Position in der Naturforschung innerhalb der städtischen Wissensgesellschaft hatten, wurden sie zu Universitätslehrern ernannt, wie es etwa in Basel örtlichen Leichen­ predigten zu entnehmen ist. So heißt es beispielsweise in der 1800 gehaltenen Leichenpredigt für den Mediziner (und späteren Lehrstuhlinhaber) Werner de Lachenal, er habe als Sohn eines Apothekers nach dem Philosophiestudium die Arzneiwissenschaft studiert und dann als Arzt gearbeitet. Ausgeführt wird weiter: „Seine Lieblingswissenschaft aber war und blieb immer die Botanik oder Kräuterkunde, um deren willen er die höheren Gebirge der Schweitz durchreisete. Durch diese Wissenschaft kam er in einen gelehrten Briefwechsel mit dem durch seine grosse Gelehrsamkeit und Schriften berühmten, und durch seinen Glauben an das Evangelium doppelter Hochachtung würdigen grossen Haller (…)“193. Durch diese Wissenschaft sei er sodann „als einer der grössesten Kenner in dem gelehrten Europa weit und breit bekannt geworden“194. Ganz im Sinne der Leichenpredigten werden dabei auch vorweg seine Werke der Liebe und Barmherzigkeit als geschickter Arzt gerühmt: „Wie weit er es darin gebracht, und wie Gott seine Bemühungen gesegnet, das ist nicht nöthig zu sagen; das bezeugen die Klagen so ­vieler, die ihn als Werkzeug in der Hand Gottes ehrten und liebten, durch welches ihnen der Herr aus schweren Krankheiten geholfen hat“195. Aber dann heißt es: „Da unserm werthen Verstorbenen im Jahre 1776 der Lehrstuhl eines Professors der Anatomie und Botanic durch das Los aufgetragen wurde, so war es eines seiner ersten Anliegen, dem 190 Te Heesen, Anke (Hrsg.): Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, 2. Aufl. Göttingen 2002. 191 Häner, Flavio: Dinge sammeln, Wissen schaffen. Die Geschichte der naturhistorischen Sammlungen in Basel, 1735 – 1850, Bielefeld 2017. 192 Christian Simon fasst diese Form der Wissensgesellschaft unter dem Titel „Naturwissenschaften als Interessensgebiete der städtischen Eliten“ zusammen, die sich in Basel beispielsweise 1817 um die ­Basler Naturforschende Gesellschaft gruppierten. Diese Formulierung entstammt einem der Universität Basel im Rahmen der Universitätsgeschichte als Arbeitsdokument zur Verfügung gestellten Text, siehe: Simon, Christian: Naturwissenschaften in Basel im 19. und 20. Jahrhundert. Die Philosophisch-­ Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität, 2010. Siehe: https://unigeschichte.unibas.ch/cms/ upload/FaecherUndFakultaeten/Downloads/CSimon_NaturwissenschaftenBasel.pdf (Stand 8. 5. 2019). 193 StA BS: LA 1800 10 04: Huber, Johann Rudolf: Leich=Predigt gehalten in der St. Peters ­Kirche Dienstags den 7. Weinmonats 1800 bey der Beerdigung B. Werner Delachenal, S. 18. 194 Leichenpredigt des Werner Delachenal, S. 19. 195 Leichenpredigt des Werner Delachenal, S. 19 f.

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botanischen Garten aus seinem Zerfall aufzuhelfen. Er wandte sich deßwegen an den damaligen Magistrat, both selbst eine starke Summe Geldes und seinen kostbaren Vorrath an gesammelten Kräutern und seine ­dieses Fach einschlagende Büchersammlung zum Gebrauch aller künftigen Lehrer dieser Wissen­schaft auf unsrer hohen Schule an (…). Er hatte die größte Freude, Liebhaber dieser schönen Wissenschaft darinn unterweisen zu können, ohne dabey den Besuch der Kranken hintanzusetzen, dem er um so leichter abwarten konnte, weil er mehrentheils eine sehr dauerhafte Gesundheit genossen, die erst seit kurzer Zeit zu wanken anfieng.“196 Der „Privatgelehrte“ bringt also sein Wissen und seine Sammlungen in die Universität ein und wirkt so an der Wiederbelebung und der Verankerung der neuen Naturforschung innerhalb der Universität mit. Bleiben wir beim Beispiel Basel: Ein ähnliches Bild Basels als lebendige Wissenschaftsgemeinde oder, wie man es nennen könnte, als offene scientific community zeichnet beispielsweise der Schweizreisende Johann Gerhard Andreae 1746 in seinen Briefen. Der Apotheker und Naturforscher 197 besucht auf seiner Wissenschaftsreise in Basel viele in dieser Region maßgeblichen Naturforscher und ihre Sammlungen und Privatkabinette. So etwa die angeblich noch aus der Sammlung Felix Platters stammenden Steinsammlungen, die ein Basler Gelehrter und Künstler namens Bawier gekauft habe, oder auch die von einem gewissen Stähelin nachgelassene Naturaliensammlung, zu der er schreibt: „Der berühmte Kräuterkenner Stähelin, dessen Name so oft von Haller in seiner Enumeratione Stirpium Helveticarum erwähnet ist, hatte auch eine Naturalien=Sammlung nachgelassen; und diese ist in die Hände des Herrn Frey, eines Baseler Bürgers, gekommen, der in dem französischen Schweitzer=Regiment von Boccard die Stelle eines Hauptmanns bekleidet, aber in Basel eine Wohnung hat, und sich oft daselbst aufhält. Gewiß in sehr würdige Hände! Denn der Herr Frey ist ein Mann von wahrer Gelehrsamkeit, und ein so leutseliger Mann, als guter Soldat. Da er sich lange mit dem Regiment auf der Insel Corsica aufgehalten, und daselbst die Gelegenheit genutzet hat, Corall=Arten und andere Seegeschöpfe zu sammeln, so ist dadurch seinem Cabinette ein ansehnlicher Zuwachs geworden, der dasselbe ungemein verschönert hat. Aufgetrocknete ausländische Fische, Pennae marinae von allerley Grösse, eine Menge schätzbarer Conchylien, nebst einer weissen Madrepore mit ansetzendem rothem Corall, und einem grossen Tubo vermicolari, der seinen innewohnenden Polypen noch zeiget etc. befinden sich hierunter (…).“198 Ebenso besucht er in der Folge Kabinette von Bürgermeistern, Ärzten, städtischen Räten, Apothekern, Predigern usw. Dabei wird zudem immer wieder auf die gute Aufnahme in dieser Wissenschaftsgemeinde Bezug genommen, etwa wenn er über den 196 Leichenpredigt des Wernher von Lachenal, S. 21 f. 197 Siehe: Oppenheim: Artikel „Andreae, Johann Gerhard Reinhart“, in: ADB 1, Leipzig 1875, S. 447. 198 Andreae, Johann Gerhard Reinhard: „Briefe aus der Schweitz nach Hannover geschrieben“, in: Hannoverisches Magazin, Jahrgang 2, 22. Stück vom 16. März 1764, Sp. 347.

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Prediger d’Anone schreibt: „Ich habe den Doctor schon mehr als einmal besucht, welcher dieselbe Wilfährigkeit die ich an denen bishero in Basel kennengelernten Freunden der Wissenschaften zu rühmen habe, Fremden nämlich, die sich zu unterrichten suchen, auf eine verbindliche Weise entgegen zu kommen und die Hände zu bieten, in einem sehr hohen Grade besitzet.“199 Zum visuell wahrnehmbaren Ausweis der botanischen Kenntnisse durch ein entsprechend umfassendes Herbarium oder Naturalienkabinett kommt also ein zweiter Faktor: die Bekanntschaft mit ausgewiesenen Kennern des botanischen Feldes, das Sich-­ Einschreiben in die Community in botanischer Geselligkeit. Es ist also eine Gruppe der botanisch Interessierten, der botanisch Aktiven, die sich im „botanischen Publikum“ versammelt. Der zeitgenössische Begriff des „Publikums“ bezeichnet dabei noch nicht eine Gruppe, die nur rezipiert, sondern ebenso eine, die aktiv involviert ist. In der Vergemeinschaftung von „kleineren“ und „größeren“ Gelehrten – etwa als Schreiber der Artikel und Beiträge in den botanischen Magazinen – wird dies offensichtlich. „Bildungsgeselligkeit“ und das Haus als Ort der Naturforschung Noch einen Schritt weiter führt es, das Haus als Ort der botanisch oder naturforschend aktiven Personen mit in Betracht zu ziehen. Offensichtlich wird in Reiseberichten (wie dem des genannten Apothekers Andrae), dass hier nicht Institutionen besucht werden, sondern Personen in ihrem Zuhause: Personen in ihrer Studierstube, in ihren Naturalien- und Büchersammlungen, in ihren Gärten. Damit ist eine Dimension angesprochen, die in jüngster Zeit zunehmend Beachtung gefunden hat: der Haushalt als Ort der Naturforschung,200 in den der Gelehrte und sein Forschen eingebunden sind und der insbesondere in protestantischen Gebieten durch das reformatorische Eheideal geprägt wurde.201 Geschlechtergeschichtliche Forschungen haben hier schon frühzeitig den Blick auf die Ehe, den Haushalt und die im Familiensystem tätigen und forschenden Frauen gelenkt, insbesondere im Hinblick auf die Frühe Neuzeit. Eine enge Verbindung von Haushalt und Wissensproduktion ermöglicht Frauen hier die meist als Arbeitspaar oder im Familienzusammenhang ausgeführte Forschungsarbeit.202 199 Andreae, J. G. R.: „Fortsetzung der Briefe, so aus der Schweitz nach Hannover geschrieben sind“, in: Hannoverisches Magazin, Jahrgang 2, 25. Stück vom 26. März 1764, Sp. 476. 200 Siehe: Bulinsky, Dunja: ‚Nicht dem Alter, sondern der Arbeit erlegen‘. Der Gelehrtenhaushalt des Johann Jakob Scheuchzer (erschent voraussichtlich 2019). 201 Siehe: Elizabeth Harding: Der Gelehrte im Haus. Ehe, Familie und Haushalt in der Standeskultur der frühneuzeitlichen Universität Helmstedt, Wiesbaden 2014. 202 Siehe: Mommertz, Monika: „The Invisible Economy of Science. A New Approach to the History of Gender and Astronomy at the Eighteenth-­Century Berlin Academy of Sciences“, in: Zinsser, Judith (Hrsg.): Men, Women, and the Birthing of Modern Science, Illinois 2005, S. 159 – 178. (Mommertz, Monika: „Schattenökonomie der Wissenschaft. Geschlechterordnung und Arbeitssysteme in der Astronomie

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Aber auch Tischgemeinschaften, der akademische Lehrbetrieb im Haus, häusliche Sozialordnungen, Verwandtschaft oder die im Haus mitlebenden Schüler der Gelehrten sind hier zu bedenken und weisen den Gelehrtenhaushalt als Ort der Wissensproduktion aus. In einer wenig institutionalisierten Wissenswelt stellt das eigene Haus dabei oft den Versammlungsort dar. Selbst 1836 etwa wird noch im Protokoll der botanischen Sektion der Naturforscher in Jena berichtet, man habe nur die Hauptversammlung in der Universitätsaula abgehalten, die Mitglieder der botanischen Sektion hätten sich aber dann nach dem „Sitzungslokale, der freundlichen Wohnung des Hofgärtners Baumann“, begeben, um dort ihren Geschäftsführer zu wählen.203 Die „Privathäuser“ der Gelehrten (und gelehrten Praktiker, wie hier der Hofgärtner) sind so noch lange Zeit in die Orte der Wissenszirkulation inbegriffen und dabei, denkt man an die Reisekultur, auch in gewisser Weise „öffentlich“ zugänglich. Bürgerlich-botanische Geselligkeit Nicht zu unterschätzen für die Naturforschung sind dabei auch die das 18. und frühe 19. Jahrhundert prägenden bürgerlichen Geselligkeitsformen des Gespräches, der Freundschaftspflege und der Familie, die sich mit dem Ideal der Bildung sehr stark verknüpfen. „Privatheit“ und „Öffentlichkeit“ sind in diesen Geselligkeitsformen zumindest im deutschsprachigen Raum vielfach noch weit ins 19. Jahrhundert kaum unterscheidbar.204 Vom Empfang der Freunde und Gelehrten in der Studierstube bis zur Gartengeselligkeit und der gepflegten Konversation über Pflanzenthemen 205 – die Wissenschaftsfreude des Bürgertums beziehungsweise der Aufklärungsbegeisterten ist nicht zu trennen vom sozialen Leben. Denn „das Vernünftige ist das Gesellige“.206 Zumal, wenn, wie bei einigen Botanisten, eine Trennung von Arbeits- und Wohnstätte zwar vielleicht schon im Sinne der aufkommenden Dissoziation von Familien- und Erwerbsleben 207 den Broterwerb betrifft, nicht aber die naturforschende Beschäftigung mit der Botanik.

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der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert“, in: Wobbe, Theresa (Hrsg.): Frauen in Akademie und Wissenschaft. Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700 – 2000, Berlin 2002, S. 31 – 64.) „Gesellschaftliche Versammlungen“, in: Flora, Jahrgang 19, Band 2 (1836), Ausgabe Nr. 44 vom 28. November 1836, S. 689. Siehe u. a. Hatje, Frank: „Private Öffentlichkeit. Beziehungsräume im deutschen und englischen Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts“, in: Eibach, Joachim und Schmidt-­Voges, Inken (Hrsg.): Das Haus in der Geschichte Europas, Berlin / Boston 2015, S. 503 – 523. Dülmen, Das irdische Paradies, 1999, S. 180 ff. Diese Formulierung entstammt Weigl, Engelhard: Schauplätze der deutschen Aufklärung. Ein Städterundgang, Hamburg 1997, S. 45. Siehe u. a.: Nahrstedt, Wolfgang, Die Entstehung der Freizeit, Göttingen 1972. Für die Geschlechter­ geschichte wurde die These der Trennung von Familien- und Erwerbsarbeit zentral: Hausen, Karin: „Die Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘ – eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“, in: Conze, Werner (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363 – 393.

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Wieder fragt sich wohl ein moderner Leser, inwieweit dies noch mit Wissenschaft zu tun hat. Die Problematik liegt aber genau hierin: Die Übergänge sind fließend und nicht festlegbar. Wissen und Wissenschaft sind hier kontextuell und situativ nicht klar abgrenzbar, solange sie nicht institutionell eindeutig gebunden sind, solange das Sammeln eine Form von Wissenschaft darstellt und Expertentum sich in Naturalienkabinetten, Herbarien, Publikationen manifestiert. Auch die neu gegründeten naturforschenden und explizit botanischen Gesellschaften stellen beispielsweise einen gleichwohl wissenschaftlichen wie geselligen Diskussionsort dar. 1788 etwa wird die „Linnean Society of London“ gegründet; die älteste deutschsprachige botanische Gesellschaft gründet sich in Regensburg 1790 unter Federführung von David Heinrich Hoppe. Die botanischen und naturforschenden Gesellschaften sind unmittelbar mit der bürgerlichen Geselligkeit verbunden.208 An dieser Bildungsgeselligkeit teilzuhaben, ist für die (weitgehend städtisch-­bürgerlichen) Eliten erklärtes Ziel. Bildung und Geselligkeit sind in dieser Zeit untrennbar miteinander verwoben,209 wobei sich hier sogar Literatur oder Musik in der aufklärerischen Gesellschaft mit dem Botanisieren und der Pflanzenliebe verbinden konnten – etwa in Gartenhauskonzerten, Gartenromanen etc. Botanische Bildung war so ein Teil einer umfassenden Universalbildung und war in den Idealvorstellungen der Aufklärer dabei zunehmend auch ständeübergreifend gedacht.210

208 Sie hierzu u. a.: Dietz, Bettina: „Aufklärung als Praxis. Naturgeschichte im 18. Jahrhundert“, in: Zeitschrift für Historische Forschung 36 (2009), S. 235 – 257; Dietz, Bettina: „Making Natural History. Doing the Enlightenment“, in: Central European History 43 (2010), 25 – 46. 209 Siehe hierzu u. a.: Kaschuba, Wolfgang: „Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800. Kultur als symbolische Praxis“, in: Kocka, Jürgen (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert (Band II: Wirtschaftsbürger und Bildungsbürger), Göttingen 1995, S. 92 – 127. Trepp, Anne-­Charlott: Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum ­zwischen 1770 und 1840, Göttingen 1996, Kap. VI „Familiengesellschaften oder: Die Geselligkeit der Bürger“, S. 370 – 398. 210 Siehe: Maurer, Michael: „Bildung“, in: Hahn, Hans-­Werner und Hein, Dieter: Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf, Vermittlung, Rezeption, Köln / Weimar / Wien 2005, S. 227 – 238. Der Gesamtband bietet einen Einblick in Habitus und Leitwerte des Bürgertums um 1800.

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4 Botanikgeschichtlicher Kontext Auch der botanikgeschichtliche Kontext stellt einen Teil des zu bedenkenden historischen Hintergrundes dar, der allerdings hier nur angerissen werden kann und insbesondere im Hinblick auf die Wandlungen seit dem 17. Jahrhundert betrachtet werden soll. Die Frage nach dem semantischen Umfeld des Begriffes „Botanik“ im 18. Jahrhundert führt sodann zurück zu der hier im Fokus stehenden Zeitspanne.

4.1 Vorgeschichte: Botanik der Antike, mittelalterliche Kräuterkunde und die frühneuzeitliche Botanik Will man die hier im Zentrum stehende Zeit in die Geschichte des Menschen mit den Pflanzen kurz einordnen, so ist fraglos, dass die Pflanzen und das botanische Wissen von alters her und zu aller Zeit eine wichtige Rolle spielten. Moderne Biologiegeschichten verweisen hier in umfassender Weise bis auf die Zeit der Urgesellschaften und die altorientalischen Gesellschaften zurück.211 Ein Zeitgenosse der hier zur Diskussion stehenden Zeitspanne, Joseph August Schultes, unterschied 1817 in seinem Rückblick bereits sechs Abschnitte der Botanikgeschichte.212 Im Folgenden kann nur verkürzt und simplifizierend auf diese Vorgeschichte eingegangen werden. Antike und Mittelalter unterscheiden sich dabei in ihrer Geschichte der Botanik sehr wesentlich. Im Besondern auf die Antike wird aber im Verlauf des Buches zurückzukommen sein. Menschen und Pflanzen in Antike und Mittelalter Für das Abendland markiert die griechische Antike den Beginn entsprechender schrift­ licher Aufzeichnungen zur Pflanzenkunde. Auch diese war aber zweifelsohne schon beeinflusst von ägyptischen Vorstellungen, da man bereits Papyri der Ägypter zur Arneimittellehre besaß. Schriften von Empedokles, Aristoteles, Platon und Theophrast zeugen

211 Jahn / Löther / Senglaub, Geschichte der Biologie, 1982, S. 27 ff. 212 Von Theophrast im 3. Jahrhundert vor Christus bis zu Lorenzo Medici im 15. Jahrhundert, von Lorenzo Medici bis zu den Brüdern Bauhin um 1600, das 17. Jahrhundert von den Bauhins bis zu Rudolph Camerarius und dem Entdecker und Systematiker Pitton de Tournefort am Ende des 17. Jahrhunderts, sodann die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts von Pitton de Tournefort bis Carl von Linné, die Zeit von Linné bis ins Ende des 18. Jahrhunderts über Albrecht von Haller zu den Brüdern Jussieu (Bernard de Jussieu 1699 – 1777, Antoine de Jussieu 1686 – 1758) und schließlich die Zeit um 1800 bis zum seinem Schreibdatum 1816. Schultes, Grundriss, 1817.

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von der Beschäftigung mit der Pflanze.213 Unter botanici verstand man dabei jene, die generell „Pflanzenkenntnisse“ besaßen oder auch Kräuter sammelten und verkauften.214 Seit der Antike – und möglicherweise noch früher – gab es dabei Ansätze einer Wissen­ schaft, die Pflanzen um ihrer selbst willen betrachtete und analysierte. In den antiken Schriften finden sich dabei unterschiedliche Positionen, wie d ­ ieses Lebewesen einzuordnen ist. So kommt etwa für Empedokles die Pflanze durchaus als Form der Reinkarnation der menschlichen Seele in Frage und auch Platon gesteht den Pflanzen im Timaios so etwas wie eine Seele und Empfindungsfähigkeit zu.215 (In der Begrifflichkeit Descolas gesprochen teilen sie also Formen der Interiorität mit dem Menschen.) Tradiert, bzw. interpretiert wurden im christlichen Mittelalter – und darüber hinaus – aber meist mehr Zuordnungen, die der Pflanze nur ein vegetatives Lebensprinzip zugestanden und von einer christlich überformten Lesart der aristotelischen Schriften zeugen. In der mittelalterlichen Aristoteles-­Rezeption gehören Pflanzen nämlich zwar dem Reich des Lebendigen an, haben aber keine Empfindungsfähigkeit wie etwa die Tiere oder gar eine Seele wie der Mensch. Hans Werner Ingensiep konstatiert daher für die mittelalterliche Lesart der scala naturae des Aristoteles und der daraus resultierenden Einordnung der Pflanze (Pflanzen leben, Tiere leben und empfinden, Menschen leben, empfinden und denken) einen „Seelenschwund im Lebendigen.“216 Diese Interpretation aristotelischer Vorstellungen im Sinne einer sehr untergeordneten Stellung der Pflanze in der Naturordnung korrelierte mit den biblisch-­christlichen Auslegungen der Weltordnung im europäischen Mittelalter. Denn hier waren Pflanze und Tier nur auf den Menschen hin geschaffen und hatten keinerlei Anteil an der göttlichen Wesenheit. Göttliche Abbildhaftigkeit kam allein Adam und Eva zu, die im einge­ hauchten göttlichen Odem Anteil an der geistigen, überirdischen und ewigen Existenz besaßen – also eine Seele hatten. Schon die Kluft ­zwischen Mensch und Tier war im bibli­schen Denkhorizont unendlich groß,217 wie weit mußte erst der Abstand von Mensch und Pflanze sein? Nicht zuletzt aus dieser christlichen Vorstellung der zum Nutzen des Menschen geschaffenen Pflanze heraus standen über viele Jahrhunderte des Mittelalters hinweg in der Pflanzenliteratur die Verwendungsweisen der Pflanzen in Ernährung und Arzneiwesen im Vordergrund. In den spätantiken und frühmittelalterlichen Jahrhunderten verengt sich das abendländische Interesse am Pflanzenreich zunächst auf eine anthropozentrische 213 Siehe: Ingensiep, Hans Werner: Geschichte der Pflanzenseele. Philosophische und biologische Entwürfe von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart 2001. 214 Müller-­Wille, „Botanik“, Enzyklopädie der Neuzeit, Band 2, 2005, S. 348. 215 Ausführlich hierzu siehe: Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 5 – 34, ebenso S. 58 ff. 216 Ingesiep, Pflanzenseele, 2001, S. 58. 217 Siehe etwa: Dinzelbacher, Peter: „Mittelalter“, in: Ders. (Hrsg.): Mensch und Tier in der Geschichte Europas, Stuttgart 2000, S. 181 – 292.

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Zugangsweise zur Pflanze im Aspekt des Nutzens. Das Mittelalter kennt – trotz des großen Einflusses der Schriften aus dem arabischen Raum ­zwischen 600 und 1200 –218 vorwiegend Schriften, sogenannte „Kräuterbücher“, die dem Gebrauch der Pflanzen gewidmet sind. Es sind Kompilationen bekannter Pflanzen und ihrer für den Menschen wichtigen Eigenschaften in Ernährung und Heilwesen. Die Pflanze war also zum Nutzen des Menschen und auf ihn hin geschaffen, eine Vorstellung, die für das durch und durch christlich geprägte Mittelalter – und noch einige Zeit darüber hinaus – dominant blieb. Zur Veranschaulichung sei ein Exempel hier genannt, das wohl in kaum einer Bibliothek fehlte: das weit verbreitete „Kreuterbuch“ des Stadtphysikus Adam Lonitzer (1528 – 1586).219 1557 zum ersten Mal gedruckt, wurde es in vielfältigen Auflagen bis Anfang des 18. Jahrhundert immer wieder publiziert.220 Dem im Sündenfall zu Krankheit und Mühsal verdammten Menschen erteilt Gott hier durch die Pflanze medizinische Hilfe und Trost. Von Garten­ freuden und Ästhetik ist noch keine Rede, vielmehr geht es um die Kenntnis der aus dem „Erdgewächs“ bereiteten Arznei. Durch die Vertreibung aus dem Paradies hat dabei der Mensch alles Wissen um die Pflanzenkräfte verloren und muss ­dieses nun mühsam wieder­gewinnen.221 Lonitzer weiß zwar noch, dass sich nach der Sintflut kluge Menschen (die Griechen) auch um das Pflanzenwissen bemüht haben, geht aber nicht weiter darauf ein. Vielmehr geht es ihm um Konkretes im Feldbau: Wann man ­welche Pflanzen säen, düngen oder schneiden soll, wie man Bäume vor Schädlingen und Krankheiten bewahrt usw. Die Beschreibungen der einzelnen Pflanzen folgen einem Dreierschritt: Zunächst wird von der Herkunft des Namens gehandelt, dann die Pflanze beschrieben. Den größten Teil nimmt aber der Abschnitt „Krafft und Wirkung“ ein. So werden etwa bei den Kirschen die verschiedenen Arten beschrieben, die Form der Blätter, der Rinde, der Blüten. Von ihrer „Complexion“ her sind sie kalt und feucht, saure Kirschen machen frisch, die süßen weichen den Bauch auf. Man kann Latwerg (Marmelade) aus ihnen kochen; Kirschwasser ist gut gegen die rote Ruhr oder die „Hitz der Leber und Magens / und stärckets Hertz.“222 218 Siehe Pavord, Anna: The Naming of Names. The Search for order in the World of Plants, London 2005, S. 93 ff. 219 Vorliegende Ausgabe: Lonitzer, Adam: Kreuterbuch, Künstliche Conterfeytunge der Bäumer / Stauden / Hecken / Kreuter / Getreyde / Gewürtze (…) Durch Adamum Lonicerum, der Artzney Doctorrem, und verordneten Physicum zu Franckfort am Mayn 1604. 220 Mir sind bis 1713 15 Auflagen bekannt. 221 „Es ist aber ohne zweiffel / ­­solche Erkandtnuß aller Erdtgewächse / anfangs gar vollkommen gewesen / Dann es ist das menschliche Geschlecht / nechst nach den Engeln / die edelste Creatur Vnnd Geschöpffe Gottes deß Allmechtigen / (…) daß er unsterblich / vnd eines vollkommenen Verstandts in allen dingen (…) Es hat aber der leydige Teufel (…) solche ­­ herrlichkeit dem Menschen mißgünnet / durch sein Listigkeit denselben verführet (…) Vnd ist also der Fluch wegen der vbertrettung vnd Falls des ersten Menschens / vber das gantze Ertrich kommen / Dann Gott saget zu Adam: Verflucht sey die Erde um deinetwillen / Disteln und Dorn soll sie tragen (…) dieser hat den Menschen die erste erkantnuß geschwächet / vnd allen Geschöpffen ihre vollkommenhet entzogen.“ Lonitzer, Kreuterbuch (1604), Vorrede, Blatt iii f. 222 Lonitzer, Kreuterbuch, Blatt XXVIII f.

Vorgeschichte |

Ähnlich sind die Beschreibungen der Tiere. Von allen Tieren wird vor allem ihre „Wirkung“ auf den Menschen beschrieben. So wirkt etwa Hasenhirn gegen Zittern oder gegen die Schmerzen zahnender Kinder, Hasenblut vertreibt Flecken auf dem Leib, gedörrte Hasenleber wirkt gegen Fallsucht etc. und Hasenfleisch macht generell melancholisch.223 Sodann kommen die Tiere, die man nicht selbst beobachtet hat und „Traditionswissen“ darstellen: der Blick des Basilisken tötet den Menschen, der Lindwurm lebt in Arabien und Afrika,224 und was das Reich der Mineralien angeht, so vertreibt beispielsweise der Amethyst Trunksucht und böse Gedanken.225 Die Struktur ist offensichtlich: Nach jeweiliger kurzer physiognomischer Beschreibung und kurzer Beschreibung des jeweiligen Habitats erfolgt ausführlich die Beziehung der Pflanzen, Tiere und Steine zum Menschen in der Form, dass ihr Nutzen für den Menschen – auf den hin sie ja in biblischer Lesart geschaffen sind – reflektiert und vervollständigt wird. Die Kräuterbücher des 16. und frühen 17. Jahrhunderts ähneln sich in dieser Vorgehensweise, sie stellen meist medizinische Pflanzen- und Volkskunden da, in denen aber oft zudem Wissen aus arabischen und griechischen Schriftaussagen kompiliert wird. Verfasst werden sie auch im 16. Jahrhundert schon meist in der Volkssprache, was ihren Charakter als Gebrauchsliteratur unterstreicht. Als zentrale Autoren sind bspw. Hieronymous Bock (1498 – 1554), Otto Brunfels (1488 – 1534), Leonhardt Fuchs (1501 – 1566), Carolus Clusius (1526 – 1609), Conrad Gessner (1516 – 1565) und viele andere zu nennen.226 Auch in den Kräuterbüchern finden sich dabei zwar schon Ordnungsversuche und Typisierungen der Pflanzen,227 der Schwerpunkt liegt jedoch zweifelsohne auf dem Nutzen der Pflanzen im täglichen Gebrauch. Sich wandelnde Wahrnehmungen der Natur kündigen sich aber ab dem Spätmittelalter an und nehmen vermutlich in der italienischen Renaissance ihren Ausgang.228 Der erste Universitätsgarten etwa, der nicht mehr vorwiegend dem Ziehen von Heilkräutern, sondern reinen Studienzwecken gewidmet war, entstand in Padua 1545. Im deutschsprachigen Raum folgten 1579 Leipzig, Gießen 1605 und Jena 1609.229 223 224 225 226

Zum Hasen siehe: Lonitzer, Kreuterbuch, 1604, Bl. CCCXXVII recto und verso. Lonitzer, Blatt CCCXXXI. Lonitzer, Blatt CCCLXIX. Siehe bspw.: Museum Giersch und Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg (Hrsg.): Die Entdeckung der Pflanzenwelt. Botanische Drucke vom 15. bis 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2009. Ausführlich und mit noch weit ausladenderer Kenntnis über die frühen Botaniker infomiert man sich am Besten in den Quellen selbst, zeitnahen Werken, wie etwa bei Karl F. W. Jessen 1864, der auch über die antike und mittelalterliche Botanik noch ausführlich berichtet: Jessen, Karl F. W.: Botanik der Gegenwart und Vorzeit in culturhistorischer Entwickelung. Ein Beitrag zur Geschichte der abendländischen Völker, Leipzig 1864 (Reprint 1978). 227 Zur Suche nach Klassifikationsweisen in der Zeit vor Linné siehe: Pavord, Anna: The Naming of Names. The Search for Order in the World of Plants, London 2005. 228 Siehe: Anker, Jean und Dahl, Svend: Werdegang der Biologie, Leipzig 1938, S. 81 ff. 229 Anker / Dahl, Werdegang der Biologie, 1938, S. 84.

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Das 17. Jahrhundert: Wissenswandel Mit gutem Recht sehen diejenigen, die sich mit der Geschichte der Botanik befassen, vielfach in der Figur des Engländers John Ray im 17. Jahrhundert einen Gründervater der Botanik. Ray und seine Zeitgenossen gingen vermehrt zu einer rein beschreibenden Form der Pflanzenerfassung über und vollzogen so eine Trennung von Arzneimittellehre bzw. Gebrauchsliteratur auf der einen Seite und deskriptiver botanischer Literatur auf der anderen Seite. Von nun an legten gelehrte Naturforscher ihr Augenmerk erneut zunehmend auf die Lebensweisen der Pflanzen, auf ihre Bestimmung und ihre Eigenarten. So entstand seit dem 16. und vorwiegend im 17. und 18. Jahrhundert eine botanische Wissen­ schaft, die die Pflanze nun losgelöst von ihrem Nutzen für den Menschen betrachtete. Zweifelsohne lebte aber auch im 17.  Jahrhundert eine den Pflanzen gewidmete „Gebrauchsliteratur“ fort – in Form von Handbüchern der Arzneimittellehre ebenso wie in der Hausväterliteratur, in der konkrete Anleitungen zum Verwerten von Früchten, zur Nutzung von Pflanzen zum Färben etc. versammelt waren. Besonders beliebt in ­diesem Bereich der praktischen Anleitungen waren in dieser Zeit die in immer vielfältigeren Formen den Markt erobernden Gartenhandbücher. Diese Bücher zu Gärtnerei und Gartenmode waren sehr von englischen Vorbildern beeinflusst, erfreuten sich großer Beliebtheit und waren bereits an ein größeres Publikum gerichtet.230 In der Gartengeschichte wurde dies bereits vielfach untersucht.231 So wird etwa das Gartenhandbuch des württembergischen Garteninspektors Peter Gabriel 1673 bereits zum dritten Mal unter dem Titel: „Allgemeiner Gärtner / Von Setz= und Pflantzung allerhandt fruchtbarer Bäumer / schöner Kräuter und Blumen / in allerley Gärten und Ländern (…)“232 gedruckt. Hier bleibt der Nutzcharakter noch weitgehend erhalten: was der Gärtner von Böden, Winden, Witterung etc. verstehen muss, wann und wo er ­welche Pflanzen setzen kann etc. Zu diesen Wissenskreisen um den konkreten Umgang mit Pflanzen und Verwendungsweisen kamen aber im Laufe des 17. Jahrhunderts vermehrt weitere Wissensaspekte hinzu, die sich nun in den Vordergrund schoben. Sie fußen auf einem generellen Wandel der Naturauffassung und Naturerkundung: Es formieren sich zunehmend theoretische Zugänge zur Pflanze, im Sinne der verstärkten Suche nach Klassifikationssystemen und experimentell-­beobachtender Sichtweise der Pflanze, basierend auf einem neuen Blick 230 Aus England beispielsweise: Blake, Stephen: Compleat Gardeners Practice, directing the Exact Way of Gardening in three Parts: The Garden of Pleasure, The Physical Garden, the Kitchin Garden, London 1664. 231 Ausführliche Literaturhinweise hierzu, auch zu älteren Werken der Gartengeschichte finden sich bei Andrea van Dülmen: Dülmen, Das irdische Paradies, 1999. 232 Gabriel, Peter: Allgemeiner Gärtner / Von Setz= und Pflantzung allerhandt fruchbarer Bäume / schöner Kräuter und Blumen / in allerley Gärten und Ländern / Zu deß Menschen grosser Ergötzlichkeit; Eingerichtet nach der Kunst=lehrenden Regeln / wie man die Erde recht erkennen / verbessern / und der Sonnen Höhe über jeglichem Clima beobachten solle (….); Esslingen 1673.

Vorgeschichte |

auf die Natur. Es ist die zunehmende Hinwendung zur experimentell-­beobachtenden Naturerforschung um des Wissens willen. Auch wenn ­dieses Wissen letztendlich ebenso zu einer Verbesserung der Natur führen sollte und auch so dem Menschen „nützlich“ sein sollte, handelt es sich um einen grundlegenden Wandel der Methoden der Erkenntnis, in dem gemeinhin der Beginn der modernen Naturwissenschaft gesehen wird – die Hinwendung zu Beobachtung, Experiment, Wiederholbarkeit und Verifizierbarkeit. Meist wird diese „Entstehung der Naturwissenschaft“ verbunden mit Namen wie Francis Bacon (1551 – 1626), Johannes Kepler (1571 – 1630), Isaac Newton (1642 – 1727) oder René Descartes (1565 – 1650). Schon den Historiographen des 19. Jahrhunderts war dieser im 17. Jahrhundert stattfindende Wandel bewusst. In einer der ersten Geschichten der Botanik, 1864 von Karl Jessen publiziert, wird diese Zeit unter dem Titel „Die Reformation der Naturwissenschaft“ subsumiert, denn Descartes habe „das menschliche Denken an die Spitze der Wissenschaft gestellt“ 233. Aus Sicht der Biologie sind hier zudem die Mikroskopiker als Symbolfiguren ins Rampen­licht zu rücken, etwa der holländische Autodidakt und Mikroskopiker Antonij van Leeuwenhoek (1632 – 1723), Robert Hooke (1635 – 1702), Jan Swammerdam (1637 – 1680) oder Nehemiah Grew (1641 – 1712).234 Ihre Entdeckungen von Blattstrukturen, von Bakterien, von Spermatozoen oder Mikroorganismen versetzten die Gelehrten und Wissens­ interessierten dieser Zeit in Unglauben und Aufruhr. Allerdings wurden diese Entdeckungen zunächst auch stark angezweifelt und entfalteten ihre Breitenwirkung erst im 18. Jahrhundert.235 Dieser Wandel vollzieht sich weder abrupt, noch werden ab d­ iesem Zeitpunkt frühere Vorgehensweisen ausgeblendet, noch ist er zu verstehen als ein von wenigen „modernen“ Naturwissenschaftlern in die Dunkelheit hineingetragenes Licht, wie es die Aufklärer später selbst gerne darstellten. Vielmehr könnte man eher von einem Phänomen der „longue durée“ sprechen, einem kollektiven Mentalitätswandel, der „moderne“ Auffassungen der Natur als Untersuchungsobjekt in das Strömungssystem der Wissensweisen einfließen ließ, das sich zunehmend verbreiterte, das alte Flußsystem veränderte, aber sicher auch Nebenflüsse bestehen ließ. Das 17. Jahrhundert markiert aber zweifelsohne den Ausbau experimenteller, beobachtender oder auch quantifizierender und mathematischer Methoden, die in der Naturforschung seit der Renaissance Einzug hielten. Im 18. Jahrhundert ist dieser zudem getragen von einem Fortschrittsoptimismus, der sich in vielen Zeitzeugnissen niederschlug. Eingefangen wird d­ ieses Erstaunen und der Glaube an den Wissensfortschritt beispielsweise in einer Schrift des Gelehrten Heinrich 233 Jessen, Botanik der Gegenart und Vorzeit, 1864, S. 206 ff, hier S. 213. 234 Hierzu siehe: Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 1 ff. 235 Siehe: Bettex, Entdeckung der Natur, Zürich 1965, S. 157 und Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 5 ff.

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Sander, der 1784 staunend berichtet: „In einer Pfüze von zehen Quadratschuhen sind mehr kleine Thiere, als große, in die Augen fallende Thiere auf dem ganzen Erdboden. Vielleicht machte eine Million Räderthiere noch kein Sandkörnchen aus.“236 Die Welt scheint ihm als schier unermessliches Gefäß voller Wunder, die nur darauf warten, von den Naturforschern und Wissbegierigen entdeckt zu werden, bis hinauf ins Weltall: „Wie viel Neues würden wir entdecken, wann wir im Universum herumschiffen könnten? (…) Neue Classen, neue Ordnungen, neue Geschlechter, neue Arten! Da wird es Wesen geben von aller Art, Wesen ohne Körper, Wesen mit Körpern verschiedener Facon, von verschiedener Dichtigkeit und Feinheit, da werden Thiere sein, von denen ich mir jetzt keinen Begriff machen kan, Pflanzen, die ganz eine andere Natur, ein fremdes Ansehn, eine verschiedene Bildung, eine mir jetzt räzelhafte Atmosphäre haben (…) nach den Bedürfnissen einer jeden Welt eingerichtet (…)“.237 Während sich die Universitäten nur langsam den neuen naturwissenschaftlichen Forschungsfeldern öffneten, tummelten sich diese beobachtenden, experimentierenden Naturforscher in den neugegründeten Akademien und akademischen Gesellschaften – meist unter dem aus utilitaristischen Gründen gewährten Schutz und Schirm der Fürsten, die sich praktischen Nutzen erhofften. Die Fürstenhöfe förderten so die neuen „praktischen“ Wissenschaften durch die Einrichtung von Laboratorien, Sternwarten, botanischen Gärten oder Einrichtungen für die Schiffsbaukunst. Dabei liegt es auf der Hand, dass sich die Fürstenhäuser konkreten Nutzen von diesen neuen „Technologien“ versprachen. 1645 wurde die Royal Society in London gegründet, 1666 die Académie de Sciences in Paris und 1652 die Academia Caesarea Leopoldino-­Carolina in Wien. Auf Leibniz’ Engagement hin wurde um 1700 die Preußische Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufen.238 Die Verbindungen und Beziehungen z­ wischen den Forschenden waren eng, wobei Freundschaft und Feindschaft, die sozialen Beziehungsnetze, eine zentrale Rolle spielten.239 Entdeckungen wurden hier diskutiert, Experimente und Schauversuche vorgeführt, Berechnungen vorgelegt. Antonij van Leeuwenhoek etwa berichtete von seiner mikroskopischen Entdeckung der „kleinen Thierchen“ in der Royal Society in London, Robert Hooke veröffentlichte in ihrem Auftrag seine mikroskopischen Beobachtungen in seinem Werk „Micrographia“.240 Man diskutierte die Beobachtungen mit den nun vielfach hergestellten Instrumenten wie Mikroskopen, Teleskopen und Thermometern. Man wurde 236 237 238 239

Sander, Heinrich: Von der Güte und Weisheit Gottes in der Natur, Frankfurt und Leipzig, 1784, S. 14. Sander, Weisheit Gottes, 1784, S. 18 f. Siehe u. a.: Anker / Dahl, Werdegang der Biologie, 1938, S. 86. Siehe: Kühn, Sebastian: Wissen, Arbeit, Freundschaft. Ökonomien und soziale Beziehungen an den Akademien in London, Paris und Berlin um 1700, Göttingen 2011. 240 Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 5 ff.

Vorgeschichte |

Zeuge chemischer Versuche. Georg Ernst Stahl (1660 – 1734) erzeugte (in Fortentwicklung der Elementenlehre) aus seinen Verbrennungsversuchen die Freisetzung eines Stoffes, „Phlogiston“ genannt, der zu einem Modestoff der Zeit wurde und auch in den Diskussionen um die Pflanzen eine große Rolle spielen sollte.241 Unter „Phlogiston“ wurde dabei ein Stoff verstanden, der sich bei allen Verbrennungsprozessen bilden würde. Ebensowenig wie aber für diese Zeit eine Trennung von Handwerk und Naturerforschung zu konstatieren ist, ist eine Trennung von Wissenschaft und Naturphilosophie, respektive Naturtheologie auszumachen. Ersteres lässt sich illustrieren an der Figur des Tuchhändlers und Mikroskopikers Anton van Leeuwenhoek und seinen bahnbrechenden Entdeckungen, als er angeblich 1676 mit der Stecknadel Bakterien aus den Zahnritzen „zweier Frauenzimmer“ zog oder 8.280.000 Lebewesen in einem Wassertropfen fand.242 Letzteres zeigt sich bei Joseph Priestley, dem Erforscher der „Luftreinigung durch die Pflanzen“ (der Photosynthese), der ebenso viele religiöse Schriften hinterlassen hat wie naturwissenschaftliche. Was bedeutet ­dieses Umfeld für das Pflanzenwissen? Die Pflanze und ihre Lebenserscheinungen werden in die Experimente und Beobachtungen ebenso einbezogen wie andere Phänomene der Natur: So erforschte etwa der Mediziner Marcello Malpighi (1628 – 1694) den Aufbau von Pflanzen und Tieren; der Arzt Nehemia Grew schrieb ein erstes Werk zur Pflanzenanatomie (1682 The Anatomy of Plants) und erläuterte den Aufbau von Wurzeln, Stengeln, Knospen, Früchten und Samen und sammelte erste Erkenntnisse zur Sexualität der Pflanzen.243 Johan Baptista van Helmont führte seine Experimente zum Pflanzenwachstum aus. Waren in den Sperma­tozoen Leeuwenhoeks die „Samenthierchen“ zu sehen, aus denen der Mensch heranwuchs, wie war die Fortpflanzung der Pflanzen zu erklären? Private Herbarien, Raritätenkabinette und Sammlungen aller Art nahmen zudem immer umfangreichere Ausmaße an. Die Entdeckung Robert Boyles (1627 – 1691), dass Lebewesen aller Art in Spiritus unversehrt aufbewahrt werden konnten, brachte eine enorme Erweiterung dieser Sammeltätigkeiten. Neue Pflanzenbücher, gedruckte Herbarien, Florilegien ermöglichten die Bestimmung von Pflanzen.244 Gelehrte entwickelten neue Nomenklaturen; botanische Gärten versammelten ­dieses Wissen in ihren Sammlungen lebender Pflanzen. 241 Noch im 18. Jahrhundert wurde von Joseph Priestley in seinen Versuchen ­zwischen den verschiedensten Überlegungen zu „Feuerluft“ und „Faulluft“ das „Phlogiston“ für wahrscheinlich gehalten. Siehe Mason, Stephen F.: Geschichte der Naturwissenschaft in der Entwicklung ihrer Denkweisen, Bassum 1997, 360 ff. 242 Ausführlich zu van Leeuwenhoek und seinem Werk siehe schon: Dobell, Clifford: Antony van ­Leeuwenhoek and his „little animals“, New York 1960 (Original 1932). 243 Siehe Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, Teil I. 244 Zu den frühen Regionalfloren siehe Cooper, Inventing the Indigenous, 2007.

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Gleichzeitig brachten die Entdeckungsreisenden des 17. Jahrhunderts zunehmend neue Pflanzen nach Europa, wo sie das Interesse von Adligen, Gelehrten und auch schon der reichen Patrizier in den Städten fanden.245 Bereits im 16. Jahrhundert waren erste exotische Pflanzen nach Mitteleuropa gekommen – Tulpen, Narzissen, Hyazinthen. Einige Studien zu den „Pflanzenjägern“ machen diese Mode anschaulich.246 Im 17. Jahrhundert nahm die Begeisterung für exotische Blumen besonders in den Niederlanden ein ungeheures Ausmaß an. So wurden in der bekannten „Tulipomanie“ Tulpen zu Kostbarkeiten, die an den holländischen Märkten und Börsen schließlich für Preise gehandelt wurden, die mit denen für Häuser vergleichbar waren, bis 1637 ein Börsencrash erfolgte. Anne Goldgar hat die sozialen und mentalen Auswirkungen dieser „Tulpenkrise“ dargelegt.247 Das Modeobjekt „Tulpe“ wurde hier in einem Umfeld zum Wertgegenstand, in dem sich das Botanisieren bereits als Oberschichtphänomen etabliert hatte: Der Wert der Pflanze orientierte sich nicht mehr an ihrer Kraft als Nahrungs- und Heilmittel, sondern an Vorstellungen von Neuheit, Schönheit und Exotik. So fanden sich auch unter den Tulpensammlern Beamte, Rechtsgelehrte und Kaufleute – insbesondere Tuchhändler. Vielfach wird gerade diese Zunahme neuentdeckter Pflanzen als Auslöser einer weiteren Entwicklung des 17. Jahrhunderts angesehen: als Ursache für den Beginn der Suche nach einer Ordnung in der Pflanzenwelt, nach Klassifikationsweisen. Änne Bäumer sieht dagegen in den Bemühungen der Klassifikation zu Recht mehr als nur ein „Verwalten“ der vielen neu entdeckten Arten. Vielmehr wollten die Systematiker nicht nur ein Hilfsmittel des Ordnens erstellen, sondern sie wollten die gottgegebene, der Natur zu Grunde liegende Ordnung ergründen.248 Sammeln und Ordnen ist dabei nur zunächst eine Beschäftigung der Gelehrten, sie verbreitet sich aber zunehmend in weiteren gesellschaftlichen Schichten.

245 Siehe beispielsweise: Schmölz-­Häberlein, Michaela: „Aussereuropäische Pflanzen in realen und imaginären Gärten des 16. Jahrhunderts“, in: Häberlein, Mark und Zink, Robert (Hrsg.): Städtische Gartenkulturen im historischen Wandel, hrsg. von Mark Häberlein und Robert Zink (Stadt in der Geschichte Band 38), Ostfildern 2015; ebenso: Häberlein, Mark und Schmölz-­Häberlein, Michaela, Transfer und Aneignung außereuropäischer Pflanzen (2013); Großkinky (Hrsg): Die Entdeckung der Pflanzenwelt, Ausstellungskatalog 2009. 246 Beispielsweise: Hielscher, Kej und Hücking, Renate: Pflanzenjäger. In fernen Welten auf der Suche nach dem Paradies, München 2002; Hücking, Renate: Die Beute der Pflanzenjäger. Von Europa bis ans südliche Ende der Welt, München 2010. 247 Goldgar, Anne: Tulipmania. Money, Honor, and Knowledge in the Dutch Golden Age, Chicago 2007. Für Goldgar steht der Aufstieg der Tulpe zum Spekulationsobjekt für den Beginn eines Wertewandels, in dem traditionelle gesellschaftliche Werte wie Ehre etc. abgelöst werden durch pekuniäre Wertvorstellungen. Die Tulpe ist hier Sinnbild des Wandels der Naturauffassung – sie ist ihres konkreten Nutzens für die Existenz des Menschen weitgehend entblößt, tritt aber in neuer Form ein in die Umgebung des Menschen. 248 Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 257.

Vorgeschichte |

Meist spielt jedoch zunächst die Erfassung der in den botanischen Gärten und Medicinalgärten gezogenen Pflanzen eine Rolle. Namen wie etwa Herman Boerhaave (1668 – 1738), Jan Commelin (1629 – 1692) oder Augustus Quirinus Rivinus (1652 – 1723) sind hier zu nennen.249 Aber nicht nur Ordnungsversuche finden sich in dieser Zeit. Auch Versuche, allgemeine Merkmale der Pflanzen zu bestimmen, nehmen zu, beispielsweise bei ­Joachim Jungius (1587 – 1657), der allgemeine Teile der Blütenpflanzen beschreibt. (Interessanterweise werden hier Moose und Pilze noch nicht mitberücksichtigt, diese gelten den Zeitgenossen noch weithin als abgestoßene Pflanzenteile.)250 Anna Pavord hat in ihrem Werk The Naming of Names. The Search for Order in the World of Plants die Entwicklung der Bennenungspraktiken bis ins 17. Jahrhundert zusammengetragen.251 Als eigentlicher Begründer der Botanik, auf dessen Überlegungen sich auch Linné bezieht, gilt vielfach der bereits genannte Engländer John Ray (1627 – 1705).252 Ob dies aufgrund seines Werkes gerechtfertigt ist oder nicht, mag der Botaniker entscheiden, unstrittig ist aber, dass Rays Werk in seiner Zeit von einer langandauernden Strahlkraft war, die kommende Generationen bis ins 19. Jahrhundert hinein prägen sollte. Auch Ray war dabei ein Universalgelehrter, ein Natur-, Gottes- und Menschenforscher, der ebenso über englische Sprichwörter schrieb und Reiseberichte verfasste, wie er Insekten beobachtete und Pflanzen katalogisierte oder Anweisungen zu einem guten christlichen Leben gab.253 Sein großes Werk „Historia Plantarum“, begonnen 1686, beschrieb 6.100 Pflanzen. In seinen botanischen Werken nahm er Elemente von Jung, Malpighi und Grew ebenso auf, wie er antike Einteilungen von Bäumen, Sträuchern und Kräutern aufgriff oder die Pflanzen nach Unterschieden von Frucht und Blüte einteilte und eine Klassifikation und Beschreibung der zu dieser Zeit in Europa bekannten Arten lieferte.254 Seine Grundüberzeugung, dass die Natur und alles Seiende in einer von Gott gegebenen vernünftigen Ordnung existiere, zieht sich durch seine Werke und machte ihn zur Referenz­ figur für diejenigen, deren Naturbeobachtung und Naturbeschreibung sich innerhalb religiös-­aufklärerischer Rahmensetzung bewegten. Bezeichnenderweise war sein populärstes Buch das 1691 erschienene The Wisdom of God Manifested in the Works of the C ­ reation,255 in 249 Siehe: Winter, Christian: „Sammeln, Ordnen und Systematisieren“, in: Museum Giersch und Universitätsb. J. C. Senckenberg, Die Entdeckung der Pflanzenwelt, Frankfurt a. M. 2009, S. 59 (und folgende Seiten). 250 Siehe Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 75. 251 Pavord, Anna: The Naming of Names. The Search for Order in the World of Plants, London 2005. 252 Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 77 ff. 253 Zu Ray siehe u. a.: The Oxford Dictionary of National Biography, Vol. 46, Oxford 2004; Raven, Charles: John Ray, Naturalist. His Life and Works, Cambridge 1942 (und spätere Neuauflagen), ­Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 77 ff. 254 Siehe: Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 77 ff. 255 Siehe etwa die Ausgabe von 1744: Ray, John: The Wisdom of God Manifested in the Works of the Creation. In Two Parts. The heavenly Bodies, Elements, Meteors, Fossils, Vegetables, Animals (Beasts, Birds,

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dem er sein Naturwissen akkumulierte und einem größeren ­Publikum zugänglich machte – vom Kosmosaufbau über den Einfluss des Mondes bis hin zu den Vögeln, Fischen und Pflanzen. Möglicherweise erklärt sich Rays Popularität gerade hieraus: Sie entsprach dem zeitgenössischen Bedürfnis, die religiöse Suche nach göttlichen Geheimnissen in der Natur, im „Buch der Natur“, mit der naturwissenschaftlichen Naturbeobachtung zu verbinden.256 The Wisdom of God wurde bis ins 19. Jahrhundert gedruckt.257 Hinein ins 18. Jahrhundert Ebenso wie für die Entdeckungen der Pflanzenanatomie oder die mikroskopischen Analysen begeisterte man sich auch für die sich neu in Europa verbreitenden Pflanzen, die die Forschungsreisenden und „Pflanzenjäger“ im 18. Jahrhundert aus Übersee mitbrachten. Wer nicht selbst auf „Sammelreise“ gehen konnte, verschickte und tauschte Pflanzensamen oder auch Abbildungen, und botanische Gärten wurden zu „Freiluft“-Wunderkammern, in denen die verschiedensten Gewächse aus fernen Ländern bestaunt werden konnten.258 In realer Ausgestaltung zeigten sie das, was Linné und andere in ihren Werken vollbringen wollten: eine Darstellung der gesamten Pflanzenwelt. Immer mehr neue Pflanzen aus Asien und Amerika hielten dabei Einzug. Das hierauf folgende 18. Jahrhundert – und damit ist die Hochzeit der in d ­ iesem Buch näher zu beschreibenden Zeit der aufklärerischen Botanophilie erreicht – sollte zum Jahrhundert der Pflanzenliebe werden, zur Zeit, in der sich – auch dank der neuen Medien – das Pflanzenwissen in Windeseile verbreitete und das Botanisieren zur aufklärerischen Mode wurde.

Fishes and Insects) more particularly in the Body of the Earth, its Figure, Motion, Consistency; and in the admirable Structure of the Bodies of Man and other Animals; as also in their Generation etc. (…) The Eleventh Edition, Glasgow M DCC XLIV. 256 In der deutschsprachigen Forschung sind lange Zeit diese religiös motivierten Naturstudien unter dem Label „Physikotheologie“ als einer Literaturgattung angehörige Textsorte klassifiziert worden, was ihren Inhalt mehr auf ein Formspiel reduziert, als ihn ernst zu nehmen. Die früher genannte und bei Bäumer kritisch referierte Argumentation, Ray habe d ­ ieses Werk als Rechtfertigung geschrieben, da er sich als Priester den Naturstudien gewidmet habe, verfehlt die Struktur der damaligen Gelehrtenwelt. Es sind zu weiten Teilen die theologisch oder medizinisch Gebildeten, die sich in der neuen Naturforschung versuchen und dies keineswegs als Gegensatz zur Religion, sondern vielmehr als Entschlüsseln der göttllichen Gesetze in der Natur begreifen. 257 Es erschienen (mindestens) 12 Auflagen allein in England, Übersetzungen in viele europäische Sprachen folgten. Fortgeführt wurde es in William Derhams Werk. Diejenigen, die sich im 18. Jahrhundert mit zoologischen oder botanischen ­Themen befassen, beziehen sich auf Ray – nicht zuletzt Carl von Linné. Man darf vermuten, dass auch um die Jahrhundertwende forschende Botaniker, wie etwa Joseph Pitton de Tournefort (1656 – 1708), das Werk kannten. 258 Hausinger, Angela: „‚Freiluft-­Wunderkammern‘ und Tulpenfieber“, in: Museum Giersch und Universitätsb. J. C. Senckenberg: Die Entdeckung der Pflanzenwelt. Botanische Drucke vom 15. – 19. Jahrhundert (Ausstellungskatalog), Frankfurt a. M. 2009, S. 47.

Semantik der „Botanik“  |

4.2 Semantik der „Botanik“: „theoretische Botanik“ und „angewandte Botanik“ im 18. Jahrhundert Sprach man im 18. Jahrhundert vom „zweiten Reich der Natur“, so war das „Reich der Gewächse“, waren die Pflanzen gemeint. Der Begriff des „Botanischen“ umfasste dabei noch für lange Zeit jegliches, was in irgendeiner Form mit dem Wissen über Pflanzen zu tun hatte. Noch in Zedlers Universallexikon gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wird die Botanik beispielsweise umfassend verstanden, hier heißt es: „Botanica, Botanike, Kräuter=Kunst, Ars herbaria, Frantzösisch Botanique. Eine Wißenschafft, die Kräuter, Blumen, Saamen und Pflantzen, nicht nur durch gewiße Kennzeichen von einander zu unterscheiden, sondern auch dererselben Natur, Eigenschafften, Krafft und Würkung zu verstehen.“259 Alle drei, sowohl Systematik und Physiologie als auch Arzneiwissenschaft, gehören hier noch zusammen. Allerdings wird unter dem Stichwort „Botanicus“ sodann in zwei Klassen von Botanikern unterschieden: diejenigen, die, wie etwa Bauhin und Clusius, sich bloß mit der Namensgebung und äußerlichen Gestalt der Pflanzen, und diejenigen, die sich mit den medizinischen Kräften der Pflanzen befasst hätten.260 Beide sind aber hier noch „Botaniker“. Ebenso finden sich in den Lehrwerken und Zeitschriften zur „Botanik“ in dieser Zeit noch verschiedene Bereiche selbstverständlich nebeneinander. So etwa im Werk des kurpfälzischen Hofrats und Professors Georg Adolph Suckow Anfangsgründe der theoretischen und angewandten Botanik,261 das 1786 herausgegeben wurde. Auch eine der ersten Bibliographien zur Botanik, 1794 verfasst von einem Geheimrat, Arzt und Medizinprofessor namens E. G. Baldinger, umfasst selbstverständlich beide Bereiche. Er handelt in seiner Litterar=Geschichte der theoretischen und praktischen Botanik agrarisch-­ökonomische ­Fragen nach dem Nutzen unter der Rubrik „praktische Botanik“ und reine Wissensfragen unter „theoretischer“ Botanik ab.262 „Theoretische“ Botanik beinhaltet dabei Abteilungen wie „Fundamental-­Botanik“, „Theoretische Pflanzenkunde“, „Anatomie“, „Physiologie“ oder „Pathologie“ der Pflanzen; „praktische“ oder „angewandte“ Botanik ­Themen wie „Nahrungspflanzen“, „Giftpflanzen“, „Arzneipflanzen“ oder „technische und ökonomische Pflanzen“.263 Ebenso behandeln die gegen Ende 259 Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-­Lexicon aller Wissenschaften und Künste (…), 1731 – 1754, Band 4, Sp. 839 (http://www.zedler-­lexikon.de, Stand 10. 5. 2019). 260 Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-­Lexicon aller Wissenschaften und Künste (…), 1731 – 1754, Band 4, Sp. 839 (http://www.zedler-­lexikon.de, Stand 10. 5. 2019). 261 Suckow, Georg Adolph: Anfangsgründe der theoretischen und angewandten Botanik (Zwei Teile in drei Bänden), Leipzig 1786. 262 Baldinger, E. G.: Ueber Litterar=Geschichte der theoretischen und praktischen Botanik, Marburg 1794. Baldinger war Geheimer Rat und Leibarzt sowie zunächst Professor der Medizin in Marburg und sodann seit 1769 Botanik-­Professor in Jena, wie er in seinem Vorwort schreibt. 263 Baldinger, Litterar=Geschichte, 1794, S. 34 ff.

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des 18. Jahrhunderts verfassten „Populär-­Botaniken“, d. h. Handbücher der Botanik, die im Hinblick auf ein größeres Publikum geschrieben sind, meist beide Bereiche. Eine andere, z­ wischen „Bibliographie“ und „Geschichte der Botanik“ angesiedelte Arbeit von J. A. Schultes aus dem Jahr 1817 ist sogar europäisch ausgerichtet und führt die Werke aus verschiedenen Bereichen nach chronologischen Abschnitten einer Botanikgeschichte auf.264 Auch in den ersten Werken zur Geschichte der Botanik finden sich die unterschied­ lichen Bereiche nebeneinander: So etwa in Karl F. W. Jessens 1864 verfasster Geschichte der Botanik: Botanik der Gegenwart und der Vorzeit.265 Er beginnt seinen Überblick mit der ältesten Pflanzenkunde in Indien und Ägypten, schreibt über Griechen und Römer, über das christliche Mittelalter und die großen Beiträge der Araber, die wieder auf das griechische Denken aufbauten. Anfänge der Systematik, der „Signatur“ der Gewächse sieht er im 16. Jahrhundert, die „Reformation“ der Naturwissenschaft jedoch lässt auch er mit Bacon und Descartes anbrechen, da diese zu den Entdeckungen des 17. Jahrhunderts geführt habe. Für das 18. Jahrhundert gehören für ihn Feld- und Gartenbau ebenso noch in das botanische Feld wie die Weiterentwicklung der Systematik. Jessen widmet zudem sogar ein eigenes 60seitiges Kapitel dem Thema „Populäre Naturkunde und Botanik im 18. und 19. Jahrhundert“.266 Darinnen finden sich: „Naturliebe in Europa“, „Pflanzenliebe“, aber auch Fragen der botanischen Philosophie und Theologie, der Pflanzen in der Literatur etc. Erste Grenzziehungen nimmt er erst vor, wenn er über die „Wissenschaftliche Botanik im 19. Jahrhundert“ berichtet. Dem Zeitgenossen scheint hier durchaus eine im 19. Jahrhundert stattfindende Veränderung bewusst zu sein. Dabei handelt es sich fraglos um eine semantische Begriffsverengung. Der Begriff „Botanik“ wird um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Bereich eingegrenzt, der zuvor mit „theoretische Botanik“ bezeichnet worden war. Die Ausgliederung jener Aspekte aus der „Botanik“, die sich mit medizinischen, agrarökonomischen oder auch naturphilosophischen Fragen befassten, fand so frühestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts statt, zeitgleich mit der „Wissenschaftswerdung“, beziehungsweise der Institutionalisierung von eigenen Botaniklehrstühlen in der Universität und der Ausgliederung ­dieses Fachbereiches aus der medizinischen Fakultät, zu der die Botanik zunächst zählte. Erst hiermit wird die Botanik zu einer an Labore gebundenen und „nur dem Spezialisten zugänglichen wissenschaftlichen Einzeldisziplin“.267 Julius Sachs etwa schließt in seiner 1860 verfassten Geschichte der Botanik sodann alle der angewandten Botanik vormals zugeschriebenen Aspekte aus und beschreibt in seinem Werk 264 265 266 267

Schultes, J. A.: Grundriss, 1817. Jessen, Botanik der Gegenwart und der Vorzeit, 1864. Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit, 1864, S. 336 – 396. Müller-­Wille, „Botanik“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Band 2, 2005, Sp. 356.

Semantik der „Botanik“  |

allein jene wissenschaftlichen Errungenschaften, die die Systematik und Nomenklatur der Pflanzen, Anatomie, Sexualtheorie etc. betreffen.268 Den frühen Zeitgenossen und Botanisten des 18. Jahrhunderts dagegen entspricht also eine sehr weit gefasste Begrifflichkeit der Botanik: Das Nebeneinander von Artikeln über Pflanzenarten, moralischen Nutzen der Beschäftigung mit den Pflanzen und landwirtschaftlich-­haushälterischen Pflanz- und Verwertungsrezepten in den Zeitschriften stellt die Norm dar, auch wenn es Gelehrte oder gelehrte Bücher gibt, die sich ausschließlich etwa mit dem Thema der Klassifizierung von Pflanzen befassen. Im allgemeinen Sprachgebrauch – wie er sich in den Zeitschriften und Handbüchern zeigt – betrifft „Botanik“ im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert noch jedwedes mit Pflanzen in Verbindung stehende Wissen.

268 Sachs, Julius: Geschichte der Botanik vom 16. Jahrhundert bis 1860, München 1875 (Neudruck Hildesheim 1965).

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TEIL I

Wissensweisen – Verwandte Wesen

O liebster Baum! rief ich aus, belehret mich doch, wie es immer möglich ist, daß ihr und eures gleichen reden könnet, da alle unsere Pflanzen nicht nur stumm, sondern zugleich so unempfindlich sind, wie die Steine. Damit kann ich euch dienen, war die Antwort; aber ich muß es euch sagen, daß die Schuld bloß an euch liegt, uns nicht zu verstehen. Die Pflanzen in eurer Welt reden auch, sie verstehen einander, aber sie reden eine Sprache, ­welche für Eure Sinnen zu schwach ist (…). (aus Krüger, D. Johann Gottlob: „Krügers Träume“, 3. vermehrte Auflage Halle 1765, erster Traum, S. 4.)

Unter dem Titel „Wissensweisen“ – man könnte auch von Wissensinhalten oder Wissens­ beständen sprechen – werden in ­diesem ersten Teil zeitgenössische Sprechweisen über Pflanzen untersucht. Später als „wissenschaftlich“ verfestigtes Wissen fließt hier in oft mit Wissensbeständen zusammen, die später nicht mehr weitertradiert wurden. Als bestimmend erscheint hier vielfach eine Vorstellung der Verwandtschaft ­zwischen Pflanze, Tier und Mensch, die uns heute fremd ist. Ebenso aber tauchen Elemente auf, die wissen­ schaftsgeschichtlich auch später relevant blieben und uns heute vertraut sind. Sie ­werden sicherlich nicht immer in ihrer vollen Komplexität hier bedacht, da der Fokus übergreifend auf dem liegt, was uns möglicherweise eher als „Fremdartiges“ und „anderes Denken“ begegnet.

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Naturauffassungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nimmt, wie dargelegt, das Interesse an der Pflanze zu. Größere und kleinere Gelehrte beschäftigten sich mit der Frage, wie die Pflanze in einer Zeit, in der die biblische Weltordnung zwar nicht abgeschafft, aber nun doch weitgehend in das Reich des Symbolischen und Bildhaften verwiesen war, zu beschreiben sei. Gerade diese Vermischung, die Verbindung mit den großen Fragen einer neuen, aber noch keines­wegs gefestigten oder modern-­naturwissenschaftlich zementierten Weltsicht bewirkt das breite Interesse einer wissensfreudigen aufklärerischen Bildungsschicht, die die Diskussionen über die Pflanzenwelt nicht allein den „Spezialisten“ überließ. Wenn die Welt tatsächlich nach Naturgesetzen funktionierte, gleich einem Uhrwerk von Gott in Gang gesetzt, wie waren die Lebewesen zu erklären? Was war ihre „Lebenskraft“? Newtons nach Bewegungsgesetzen funktionierendes Weltsystem hatte Gott als Schöpfer des Lebens zwar nicht abgeschafft, aber er war hinter seine Naturgesetze zurückgetreten. Welchen Gesetzen also folgten Mensch, Tier und Pflanze? Und was unterschied sie noch voneinander?

1.1 Das Erbe aus dem 17. Jahrhundert und die Natur als Maschine: Cartesianische Vorstellungen auf dem Siegeszug? Insgesamt betrachtet sind die Diskussionen um die Pflanze im 18. Jahrhundert bestimmt durch Grundfragen, die im 17. Jahrhundert aufgetaucht waren: Fragen nach den Methoden der Naturforschung, Fragen nach der Ordnung der Lebewesen und ihrer Systematisierung, den Lebensfunktionen und der Ordnung des Seienden schlechthin. Zum einen bleiben dabei Vorstellungen aus dem 17. Jahrhundert in der Diskussion, wie etwa die weitere Rezeption und Diskussion der Vorstellungen Descartes, andererseits verlangten Entdeckungen und Erkenntnisfortschritte nach neuen Erklärungen. Blickt man in heutige Darstellungen der Botanikgeschichte der Neuzeit,1 so bleibt meist unbestritten, dass „die Kenntnis der pflanzlichen Strukturen und Funktionen den Botanikern des XVIII. Jahrhunderts entscheidende Anstösse verdankt“2. Und zweifelsohne ist das 18. Jahrhundert die Zeit, in der das Pflanzenwissen eine wesentliche Erweiterung 1 Ein Überblick findet sich in: Müller-­Wille, Staffan: Artikel „Botanik“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Band 2, Stuttgart 2005, Sp. 348 – 357. 2 Georges Canguilhem im Vorwort zu: Delaporte, Francois: Das zweite Naturreich. Über die Fragen des Vegetabilischen im XVIII. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1983, S. 7.

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erfährt. Aus heutiger naturwissenschaftlicher Sicht betreffen diese Errungenschaften dabei den Einzug experimenteller und quantifizierender Methoden in die Biologie.3 Inhaltlich sind es im Bereich der Vegetation Fragen der Ernährung, Fortpflanzung und Bewegung, die erforscht werden. François Delaporte hat bereits ausführlich diese Diskussionskomplexe und ihre Umfelder in seinem Band Le second règne de la nature (1979) dargelegt.4 Delaporte sieht hier in den Anfängen der modernen Botanik am Ende des 18. Jahrhunderts vor allem die Folgen des mit den neuen Methoden verbundenen mechanistischen Weltbildes am Werk, das die Fragen nach der „Maschine Natur“ hervorgerufen habe, wie auch insgesamt den Wandel der Untersuchungs- und Beobachtungsmethoden. Die Analyse der Pflanzen und ihrer Funktionsweisen setze, so Delaporte, das mechanistische Denken voraus.5 Gleichzeitig findet er allerdings im 18. Jahrhundert Methodeneklektizismus, Analogiedenken sowie Verbindungen zur Metaphysik, da die Pflanzenphysiologie erst im Entstehen begriffen sei.6 Die heutige Wissenschaftsgeschichte sieht vielfach um ca. 1840 die neue Zeit des Positivismus heranrücken. Weniger oft widmen sich wissenschaftsgeschichtliche Studien dagegen der Sattelzeit, wohl auch durch Epochengrenzen strukturell gehindert. Diese Phase erscheint eher Zeit der Vermischung, als Beginn des Neuen, das noch Altes, „Rückwärtsgewandtes“ mit beinhaltet, denn als eine eigenständige Epoche. Eines der Beispiele, wo dies explizit zum Thema gemacht wird, ist der von Stefano Poggi und Maurizio Bossi herausgegebene Band Romanticism in Science – Science in Europe.7 Die Autoren nehmen konkret den Zeitraum ­zwischen 1790 und 1840 in den Blick und konstatieren besonders für den deutschsprachigen Raum um die Jahrhundertwende eine Vorstellung von Naturforschung, die der Überzeugung folgt, dass jede Naturwissen­schaft auch die Natur als Ganzes im Blick haben muss. Wissenschaft war in dieser Zeit in großen Teilen immer noch Naturphilosophie – vielleicht im deutschsprachigen Raum sogar stärker, als dies möglicherweise in anderen europäischen Ländern der Fall war. Gleichzeitig sei es, so Poggi und Bossi, ein Zeitraum enormer wissenschaftlicher Aktivität gewesen.8 Schaut 3 Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 141 ff. 4 Delaporte, François: Das zweite Naturreich. Über die Fragen des Vegetabilischen im XVIII. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1983 (frz. Original: 1979). 5 Delaporte, Das zweite Naturreich, 1983, S. 19. Gleichwohl zeigt Delaporte in seinen konkreten Ausführungen gerade für das 18. Jahrhundert jene Mischung sowohl „moderner“ Methoden des Experiments und der Hypothesenbildung wie ebenso dem Fortschritt zuträgliche, ältere Methoden der Analogiebildung auf, indem die Pflanzenphysiologie ihre Gegenstände an der Tierphysiologie entwickelt. Inwieweit also hier schon allein „moderne“ naturwissenschaftliche Methoden der Quantifzierung, des Experiments und der reinen Funktionsanalyse vorherrschend sind, bleibt zunächst offen. 6 Delaporte, Das zweite Naturreich, 1983, zur Metaphysik siehe etwa S. 70 ff. 7 Poggi, Stefano und Bossi, Maurizio (Hrsg.): Romanticism in Science. Science in Europe, 1790 – 1840, Dordrecht / Boston / London 1994. 8 Poggi / Bossi, Romanticism in Science, 1994, S. xiii. Poggi sieht dabei diese Nähe von Philosophie und Naturwissenschaft und den Versuch, die Ganzheit der Natur im Blick zu behalten, nicht als irrationale

Das Erbe aus dem 17. Jahrhundert und die Natur als Maschine  |

man auf das botanische Wissen, so ist auch hier dies eindeutig der Fall. Die diskutierten Phänomene verquicken dabei in der botanischen Wissenswelt im 18. Jahrhundert Fragen der Pflanzenphysiologie mit Fragen der Pflanzenphilosophie oder „Pflanzentheologie“. Der Cartesianismus Zweifelsohne drangen im 17. und 18. Jahrhundert physikalische, mathematische und chemische Methoden in die Naturgeschichte und die Naturphilosophie ein und wurden auch für die Beschreibung physiologischer Phänomene genutzt. So sah beispielsweise schon Johan Baptista van Helmont (1577 – 1644) die „Gärung“ als Hauptgrund der Lebensprozesse an; wenn auch die Lebenskraft („Archeus“ – in Anlehnung an P ­ aracelsus) diese chemischen Prozesse steuere.9 Derartige „chemische“ Erklärungsmuster, die im Grunde Bewegung als Folge von Gärung und Nahrungszersetzungsprozessen verstanden, weiteten sich aus und lagen auch Descartes’ Vorstellungen des Körpers als „Maschine“ zu Grunde. Sein Dualismus von Geist / Seele auf der einen Seite und Materie / Körper auf der anderen Seite wurde zu einem großen Diskussionskomplex ­zwischen den „Mechanisten“ und den „Animisten“.10 (Dass auch Descartes selbst diese Trennung möglicherweise nicht in allen seinen Schriften rigide vertrat, steht auf einem anderen Blatt. Zumindest wurde die cartesianische Idee in der Rezeption so verbreitet.) Die Fragen nach Körper und Seele, beziehungsweise nach der Funktionsweise der Körper waren in Bezug auf den Menschen dabei ebenso zu diskutieren wie auf Tiere und Pflanzen. Die cartesianische Vorstellung einer Körpermaschine, deren Antriebsmechanismus im Herzen saß, wo durch ein Feuer und durch eine Art Fermentierungsprozess Wärme gebildet wurde, begründete diese Vorstellung.11 Dieser Idee des „Automatenkörpers“ bei Descartes entspricht Descolas Beschreibung des abendländischen Naturalismus: Von der Körpermaschine her sind Mensch und Tier mehr oder weniger gleich geartet, nicht aber von ihrer Interiorität her,12 denn Descartes hebt dabei den Menschen aufgrund des ihm zugehörigen Verstandes, beziehungsweise der Seele, aus der Natur heraus: „.. car pour la raison, ou le sens, d’autant qu’elle est la seule chose qui nous rend hommes, et nous distingue des betes (…)“13 – die Vernunft, der Geist macht hier den Menschen zum Menschen, während sein Körper analog zur Körpermaschine des Tieres funktioniert. Descartes beschreibt

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romantische Strömung, sondern erklärt „that the Romantic age was a great scientificial age“ (siehe S. xv.). Zu Helmont und seinen Nachfolgern siehe: Anker / Dahl, Werdegang der Biologie, 1938, S. 99 ff. Gloy, Geschichte des wissenschaftlichen Denkens, 1995, S. 163 ff. Descartes, René: Discours de la méthode, 1637, frz.-dt. Ausgabe Hamburg 1990, S. 77 ff. Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, 259 ff. Descartes, René: Discours de la méthode, 1637, frz.-dt. Ausgabe Hamburg 1990, S. 4.

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so die Mechanismen des Herzens und die Bewegungsmaschine des Menschen. Er kann sich sogar theoretisch vorstellen, dass man Maschinen konstruieren könnte, die den Menschen ähnlich wären. Denn der Körper ist für ihn nur eine in unendlicher Komplexität erschaffene Maschine, wenn auch von einem genialen Baumeister geschaffen: „Dies wird dem keineswegs sonderbar vorkommen, der weiss, wie viele verschiedene Automaten oder bewegungsfähige Maschinen menschliche Geschicklichkeit zustande bringen kann, und dies unter Verwendung nur sehr weniger Einzelteile verglichen mit der großen Anzahl von Knochen, Muskeln, Nerven, Arterien, Venen und all den anderen Bestandteilen, die sich im Leibe jedes Tieres finden. Er wird diesen Leib für eine Maschine ansehen, die aus den Händen Gottes kommt und daher unvergleichlich besser konstruiert ist und weit wunderbarere Getriebe in sich birgt als jede Maschine, die der Mensch erfinden kann.“14 Der Unterschied eines von Gott und dem Menschen hergestellten Körpers besteht also allein in in dessen Komplexität. Daher würde man ­zwischen einem Affen und einer Maschine mit den Organen und der Gestalt eines Affen keinen Unterschied erkennen. Dennoch würde man im Sinne Descartes den Unterschied z­ wischen einer konstruierten Menschmaschine und einem Menschen an zwei Momenten erkennen: Diese Maschinen könnten nie Worte oder Zeichen ­­ bedeutungsgebend kombinieren und könnten nicht aus Einsicht handeln, sondern nur aufgrund der Einrichtung ihrer Organe – wie es eben die Tiere tun. Denn nur der Mensch ist zusätzlich ausgestattet mit der ihm von Gott gegebenen vernünftigen Seele. Tiere dagegen haben keinen Verstand und keine Seele, sie folgen nur der Einrichtung ihrer Organe – dem von Gott so erschaffenen Uhrwerk, das man also theoretisch sogar nachbauen kann.15 Aus diesen Vorstellungen erwuchsen auch Phantasien einer künstlich herstellbaren „Tiermaschine“, wie die berühmte „mechanische Ente“ von Jacques de Vaucanson.16 Allein der Mensch ist also hier im Besitz dieser Seele. Und die Seele des Menschen ist „ihrer Natur nach vollkommen unabhängig vom Leibe und folglich nicht mit ihm zu sterben bestimmt.“17 Descartes gab dabei dem Menschen, wie etwa auch Pia Jauch ausgeführt hat, die mit der Bibel im Einklang stehende Vorstellung der Einzigartigkeit seiner Seele zurück, die andere Theorien nicht stützen konnten.18 Oder anders gesagt: 14 Descartes, Discours, 1637, deutsche Ausgabe von 1990, S. 91 ff. 15 Descartes, Discours, 1637, deutsche Ausgabe von 1990, S. 92 ff. 16 Siehe: Münch, Paul: „Feinde, Sachen, Maschinen – Freunde, Mitgeschöpfe, Verwandte. Menschen und andere Tiere in der Vormodern“, in: Ruppel / Steinbrecher, Natur ist überall bey uns, 2009, S. 19 – 39. 17 Descartes, Discours, 1637, deutsche Ausgabe von 1990, S. 97. 18 Siehe etwa Ursula Pia Jauch, die die Tiermaschine Descartes im Wesentlichen als denkerischen Versuch sieht, die Unsterblichkeit und Einzigartigkeit der Menschenseele zu retten: Jauch, Ursula Pia: „‚Les animaux plus que machine‘? Von Menschentieren, Tierautomaten und anderen bestialischen Träumereien. Anmerkungen aus philosophischer Sicht“, in: Böhme, Hartmut u. a. (Hrsg.): Tiere. Eine andere Anthropologie, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 237 – 250.

Das Erbe aus dem 17. Jahrhundert und die Natur als Maschine  |

Descartes steht hier, so betrachtet, vielleicht weniger für den Anfang einer modernen Naturwissenschaft als für das letzte Aufbäumen eines christlich-­anthropozentrischen Weltbildes, das die Einzigartigkeit der menschlichen Existenz im Vergleich zu den anderen Lebewesen und die „Ebenbildlichkeit“ des Menschen mit Gott in dieser ausschließlich dem Menschen zugesprochenen und von Gott gegebenen, unsterblichen Seele rettet. Ausgeschlossen aus der göttlichen Ebenbildlichkeit und Jenseitigkeit aber sind Tiere ebenso wie Pflanzen. Die Natur gehört nicht in eine geistige Sphäre der Jenseitigkeit und Immaterialität. Auch theologische Vorstellungen körperlicher Auferstehung (die es ja in mittelalterlichen Vorstellungswelten durchaus gab) gehören im Grunde jetzt alten Glaubensvorstellungen an. Descartes ging damit weit über aristotelische Stufungen innerhalb der Lebewesen hinaus, die in der scala naturae zwar dem Menschen ein höheres Seelenvermögen zugestanden (Pflanzen leben, Tiere leben und empfinden, Menschen leben, empfinden und denken), ihn aber nicht völlig radikal vom Rest der Natur abgrenzten. Vielmehr verbanden sich so in der cartesianischen Automatentheorie christlich-­römische Vorstellungen mit den zeitgenössischen, in der Naturforschung formulierten Gesetzen der Mechanik, wie Paul Münch dargelegt hat.19 Möglicherweise waren zwar Descartes eigene Vorstellungen vom Körper, beziehungsweise von den Tieren als „Automaten“, vielfach komplexer als die Rezeption seiner Ideen, zentraler aber ist hier: Sie wurden diskutiert. Denn sie gaben eine Antwort auf die grundlegenden Fragen des Lebens, die nun nicht mehr mit der Autorität der K ­ irche und der Bibel beantwortet werden konnten: Was ist der Mensch? Was ist ein Tier? Was ist eine Pflanze? Indem Descartes die dem Menschen zugeschriebene Seele mit der res cogitans gleichsetzt, grenzt er sie völlig von der res extensa, dem Körper, ab. Wenn aber Vernunftbegabung und Denken das Merkmal der Seele bilden, so werden die Tiere, ebenso wie der menschliche Körper, alleine der res extensa zugeschrieben. Erneut in die Descola’sche Begrifflichkeit gewendet: Der cartesianische Mensch unterscheidet sich von den Nichtmenschen durch eine von diesen völlig einzigartige Interiorität bei gleichzeitiger ähnlicher Physikalität, einer ähnlichen „Körpermaschine“. Tier und Mensch erhalten also in dieser Vorstellung die ­gleiche Physikalität, nicht aber die ­gleiche Interiorität.20 Zumindest in der vereinfachten Rezeption der cartesianischen Vorstellungen hatten Tiere keine rationale Seele, ihre Bewegungen waren rein mechanisch. Auch wenn ­Descartes selbst möglicherweise Empfindungen der Tiere nicht ganz verneinte, betrachtete er sie aber als mechanisch verursachte unbewusste Reaktionen.21 So stellte seine 19 Zu antiken, christlichen und cartesianischen Einteilungen siehe: Münch, „Feinde, Sachen, Maschinen – Freunde, Mitgeschöpfe, Verwandte“, in: Ruppel / Steinbrecher: ‚Die Natur ist überall bey uns‘, 2009, S. 19 – 39. 20 Dies entspricht bei Descola dem „Naturalismus“. 21 Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 104.

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­ eorie für viele eine Trennung dar, die nur den Menschen als mit Vernunft und Seele Th begabtes Wesen erscheinen ließ, Tiere aber mit einem aufgezogenen Uhrwerk gleichsetzte. Mechanische Erklärungsmuster – bestätigt durch Experimente zum Blutkreislauf, zur Muskelbewegung, Atmung oder Herzbewegung – kursierten ebenso wie besagte Gärungsprozesse als wahrscheinlicher Auslöser der Bewegung bei allen Lebewesen. Anatomen machten sich daher daran, Tier-, Menschen- und „Pflanzenkörper“ zu öffnen und zu untersuchen. Die „Empfindung“ als Reaktion auf einen Reiz konnte dabei durchaus mit der Maschinenvorstellung kombiniert werden und sagte noch nicht unbedingt etwas über die Existenz von Seelenanteilen (etwa bei Tier und Pflanze) aus. Gleichzeitig war aber die Problematik der Leib-­Seele-­Korrelation beim Menschen unklar. Auch die Körpermaschine des Menschen schien zwar an Ursache und Wirkung gekoppelt – wie etwa bestimmte Nahrungsmittel melancholisch machen konnten oder auch bestimmte menschliche Empfindungen durch Reize (Umgebung, Nahrung) hervorgerufen wurden. Wann waren diese Empfindungen aber nun reizausgelöste Körperreaktionen, wann Seelenbewegungen? Die „Leitungssysteme“, das Bindeglied z­ wischen Seele und Körper, stellten dabei oft in zeitgenössischer Vorstellung die Nervenbahnen dar, durch die Seelenanteile strömten.22 Wie aber war hier die Verbindung von Körper und Seele zu denken? Hatten also Cartesianisten durchaus ein ungelöstes Problem mit der Erklärung der Wechselwirkung von Körpermaschine und Seele, so waren auf der anderen Seite diejenigen, die Vorstellungen einer Tierseele oder gar einer Pflanzenseele vertraten, bemüht, im Tier- oder Pflanzenkörper Nervenbahnen nachzuweisen. Die Singularität des Menschen, erzeugt über die Zuschreibung der Seele, rückte in gewisser Weise aber auch Pflanzen und Tiere wieder näher zusammen. Die Natur steht hier also weitgehend auf der einen Seite, der Mensch auf der anderen. Doch so weit auch diese cartesianischen Vorstellungen mit den Erkenntnissen der sezierten Tierkörper, der Anatomie des Menschenkörpers oder den Erkenntnissen zu Blutkreislauf, Stoffwechsel, Wachstum etc. zusammenpassten – sie hinterließen offensichtlich doch, insbesondere im 18. Jahrhundert, ein Unbehagen. Ein Unbehagen, das dieser Weltsicht mehr und mehr die Gefolgschaft verweigerte.

22 Stolberg, Michael: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln 2003. Siehe auch: Brockmeyer, Bettina: Selbstverständnisse. Dialoge über Körper und Gemüt im frühen 19. Jahrhundert, Göttingen 2009, siehe S. 229 ff.

Ein Unbehagen und die nichtcartesianische Antwort  |

1.2 Ein Unbehagen und die nichtcartesianische Antwort: Die große Kette der Wesen und die Beziehungen unter den Lebewesen Das beschriebene Unbehagen führte zu einer ganz anderen Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Mensch, Tier und Pflanze. Es führte zu Antworten, die ebenso mit den neuen naturwissenschaftlichen Beobachtungen und Erkenntnissen zusammenpassten, den zoologisch und botanisch forschenden Naturgelehrten und ihren Anhängern aber plausibler erschienen. Und je mehr man in die Schriften der Naturforscher, Naturphilosophen und Naturinteressierten des späten 18. Jahrhunderts hineinliest, desto mehr leuchtet in vielen Abhandlungen eine Vorstellung auf, die das 18. Jahrhunderts hier viel maßgeblicher bestimmte als der Cartesianismus: Die bereits 1936 von Arthur Lovejoy dargelegte Idee der großen Kette der Wesen, die für all jene plausibler blieb, die sich weniger mit Physik, Mathematik oder Mechanik befassten, als mit der Biologie und den Zusammenhängen in der Natur. Sie arbeiteten diese Vorstellung, nicht zuletzt in einer erneuten Rezeption aristotelischer Vorstellungen, aus. Die Vorstellung der „Kette der Wesen“ oder der stufenweisen und kontinuierlichen Verwandtschaft aller Reiche der Natur 23 war für das späte 18. Jahrhundert offensichtlich ein wirkmächtigerer Erklärungsversuch der Lebenszusammenhänge als die cartesianischen Trennungsversuche von Körper und Seele. Arthur Lovejoy wertet die Vorstellung der in feinsten, graduellen Unterschieden existierenden Stufenfolge und Verkettung aller Lebewesen schon 1936 als eine der am weitesten verbreiteten Vorstellungen westlicher Philosophie.24 Er beschreibt die Geschichte dieser Idee – von ihren Ursprüngen in der griechischen Philosophie über das Mittelalter bis zu ihrem Ende im 19. Jahrhundert durch das Auftauchen evolutionistischer Ideen. Sie ist für ihn insbesondere für das 18. Jahrhundert bestimmend. Inwieweit sie sogar – sowohl in komplexen Ausarbeitungen wie in Lehrwerken – noch weit in das 19. Jahrhundert hineinwirkte, wird zu zeigen sein. 23 Übergreifend zur Ideengeschichte siehe auch: Feuerstein-­Herz, Petra: Die große Kette der Wesen. Ordnungen in der Naturgeschichte der Frühen Neuzeit (Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel), Wiesbaden 2007. 24 Lovejoy, Arthur O.: Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens, Frankfurt a. M. 1993 (erste Auflage Harvard 1936), siehe vor allem S. 221 ff. Lovejoy wertet die Vorstellung der Kette der Wesen als „geheiligte Formel des 18. Jahrhunderts“ (S. 222). Im Kapitel „Die Kette der Wesen und die Biologie des achtzehnten Jahrhunderts“ schreibt er: „Keine geschichtliche Untersuchung der Biologie des 18. Jahrhunderts kann ihrem Gegenstand gerecht werden, wenn sie die Tatsache übersieht, daß für die meisten wissenschaftlich Interessierten in dieser Zeit die Lehre von der Kette der Wesen (…) weiterhin eine wesentliche Voraussetzung bei der Bildung wissenschaftlicher Hypothesen war.“ Lovejoy, Kette der Wesen, Neuauflage 1993, S. 274. Lovejoy gilt als einer der Begründer der Ideengeschichte. Er setzte sich in anderen Werken kritisch mit dem Monismus auseinander, der insofern mit der Kette der Wesen in Verbindung steht, da sich hier alle Lebewesen aus einer Grundform, einem Grundprinzip heraus zu entwickeln scheinen. Siehe Lovejoy, Arthur O.: The revolt against dualism. An inquiry concerning the existence of ideas, Chicago 1930.

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Die Vorstellung einer Verbundenheit aller Lebewesen geht ursprünglich ebenso zurück auf die aristotelische scala naturae wie auch auf platonisches Gedankengut. In ihrer christlichen Ausprägung, die antikes Gedankengut und christliche Offenbarung assimilierte, reicht diese Kette, wie etwa noch bei Alexander Pope, von Gott über die Engel und über alle Wesen bis hin zur kleinsten unsichtbaren Welt.25 Die Stufung der Lebewesen ist hier in allerkleinsten Schritten gedacht, wie es Lovejoy beschreibt, denn die Kette der Wesen besteht „aus einer unendlichen Zahl von Gliedern, die von den niedersten, gerade noch dem Nichtsein entgangenen Dingen in hierarchischer Abfolge durch alle denkbaren Stufen hindurch zum ens perfectissimum reichten (…).“26 Für die Naturforscher des 18. Jahrhunderts bot sie so ein Instrumentarium, um innerhalb der Arten eine Ordnung herzustellen – vom kleinen Insekt zum großen Landtier. Aber sie „säkularisierten“ sie: Gott tritt – wie er hinter die Naturgesetze zurückgetreten war – nun hinter die von ihm geschaffene Kette der Wesen zurück. Meist sind im 18. Jahrhundert Engel und Geistwesen nicht mehr eingeschlossen, wohl aber der Mensch. Grundlage dieser Vorstellung, die platonische Kosmologie, den aristotelischen Stufenleitergedanken, christliche Kosmosvorstellungen und zunehmend auch neues Naturwissen (hiervon später) verband,27 war eine von Gott unveränderlich geschaffene Stufung alles Seienden. Jedes Glied der „Kette“, jede Art von Wesen unterschied sich in dieser Vorstellung von seinem benachbarten Lebewesen nur in geringfügigster Weise, so dass in einer kontinuierlichen Abstufung die größtmögliche Fülle an Wesen geschaffen war. Tatsächlich formuliert sich hier im Kontinuitätsprinzip der Kette der Wesen eine Denkweise, die der cartesianischen diametral entgegengesetzt war und die Ähnlichkeit etwa auch von Mensch und Affe integrierte: Ähnlichkeit – bis zur Ununterscheidbarkeit – regierte die Artenvielfalt, nicht klare Abgrenzbarkeit. Und auch der Mensch war in diese Artenfolge eingeordnet. Tatsächlich ist dabei in der so vielfach ausgestalteten Kette der Wesen davon auszugehen, „dass der Mensch sich physisch oder psychologisch von der unmittelbar benachbarten nichtmenschlichen Spezies nur auf nahezu verschwindende Weise unterscheiden konnte“,28 was in gewisser Weise evolutionäre Ideen vorbereitet, aber noch nicht die zeitliche Dimension integriert. Denn die Verfechter der Kette der Wesen gingen von einer durch Gott zu Anfang der Welt stabil geschaffenen, schier unendlichen Artenvielfalt aus.

25 Lovejoy zitiert hier das berühmte Gedicht von Alexander Pope: „Vast chain of being! which from God began, Natures aethereal, human, angel, man, Beast, bird, fish, insect, what no eye can see, No glass can reach; from Infinite to thee …“ Lovejoy, Kette der Wesen, 1993, S. 79. 26 Lovejoy, Kette der Wesen, 1993, S. 78. 27 Lovejoy, Kette der Wesen, 1993, S. 37 ff. 28 Lovejoy, Kette der Wesen, 1993, S. 235.

Ein Unbehagen und die nichtcartesianische Antwort  |

Das heißt aber, dass sich Physikalität und Interiorität von Mensch, Tier und Pflanze auf einer Kontinuitätsskala befanden und Ähnlichkeiten die einzelnen Lebewesen so verbanden, dass nur minimale Veränderungen sie unterschieden – sowohl in ihrer körperlichen Ausgestaltung wie in ihren geistig-­seelischen Fähigkeiten. (Die von Philippe Descola für die Kette der Wesen des 17. Jahrhunderts beschriebene Ontologie des „Analogismus“, der unzählige unverbundene Einzelelemente in der Welt am Werk sieht, die sich sowohl in Physikalität wie Interiorität unterscheiden und sich wiederum in Symmetrien und Analogien verbinden, entspricht dieser Denkweise des 18. Jahrhunderts möglicherweise nicht ganz, denn die Betonung liegt hier – zumindets für das 18. und beginnende 19. Jahrhundert – nicht auf der Abgrenzung der Einzelorganismen, sondern auf ihrer Verbundenheit und ihren Beziehungen miteinander.)29 Nur so und auf Grund ­dieses Gedankens werden die Diskussionen um die Seele der Tiere, die Seele der Pflanzen oder die Empfindungen von Pflanzen, die sich Ende des 18. Jahrhunderts in einem ausladenden Diskurs verbreiten, überhaupt denkbar. Und nur auf dieser Grundlage wiederum sind Beschreibungen von „Lungen der Pflanzen“, der Wurzel als „Mund“ etc. auf der anderen Seite – also Ähnlichkeiten der Physikalität von Tier und Pflanze, von denen im Folgenden die Rede sein wird – logisch anknüpfbar. Die Kreaturen sind sich hier tatsächlich ähnlich, wenn nicht gleich. Und: Der Mensch ist hier nicht aus dem großen Ganzen herausgehoben, seine Position ist keine der Exteriori­ tät. Er steht aber auch gleichzeitig nicht mehr im Mittelpunkt der Welt, wie es das geozentrische Weltbild des Mittelalters definierte. Er ist eingeordnet in die Natur und ihre Verflechtungen – ein Gedanke, der in physikotheologischen Texten immer wieder ausgeführt wird. Die Verwandtschaft ­zwischen Mensch, Tier und Pflanze wird dabei in den vielfältigsten Schattierungen und Genres ausgemalt.30 Angesichts der neuen Forschungen in Biologie und Anatomie, die den Naturgesetzen unterliegende Körper der Lebewesen konstatierten, blieben also offensichtlich zwei mögliche Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu den anderen Lebewesen und zum göttlichen Schöpfer, dessen Existenz immer noch fraglos war: Entweder das Göttliche und Geistige war eigentlich unabhängig vom Irdischen, und die menschliche, unsterbliche Seele getrennt von der nach Automatentheorien funktionierenden Körpermaschine – wie in Descartes’ Lösung. Dann war das Göttliche allerdings 29 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2011, S. 302 ff. 30 Dies ist in theoretischen wie sachlichen Texten auffindbar und wird auch in der Literatur poetisch umgesetzt, wie etwa bei William Blake (1757 – 1827) in seinem Gedicht: Am not I A fly like thee? Or art not thou A man like me? (Blake William, „The Fly“, in: Ricks, Christopher (Hrsg.): William Blake. The Complete Poems, Harmondsworth 1977, S. 124.

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aus dem Buch der Natur weitgehend verschwunden und manifestierte sich nur noch im Schöpfungsprozess des genial geschaffenen Uhrwerkes. Oder, und das war die viel plausiblere Vorstellung für viele Naturforscher, die sich mit den Tieren und Pflanzen sowie ihren Lebensformen und Fähigkeiten befassten: Das Geistige, und damit der göttliche Funken der Seele, des Lebendigen, war im Grunde überall in der Schöpfung vorhanden, wo sich Leben manifestierte. In der Schöpfung, in der Erforschung der Natur war dann die Nähe zum Göttlichen erreichbar, im liber naturae offenbarte sich Gott nicht nur durch die Genialität seiner Schöpfung, sondern diese Schöpfung war durchzogen von einem Merkmal der Immaterialität. Dies war die Antwort der physikotheologisch argumentierenden Naturforscher. So schreibt sogar schon John Ray, der Urvater der Botanik und der physikotheologischen Naturforschung, explizit gegen Descartes’ Thesen an. Ray gesteht Tier und Pflanze dabei eine Art Seele zu: „For my Part, I should have no Scruple to attribue the Formation of Plants, their Growth and Nutrition to the Vegetable Soul in them; and likewise the Formation of Animals (…).“31 Er verteidigt eine immaterielle Form der Lebenskraft.32 Gelegentlich fragt Ray sich zwar, ob er Descartes falsch verstanden habe, jedoch schreibt er immer wieder an vielen Stellen seines Werkes gegen die Maschinenvorstellung an.33 Rays Vorstellung der Verbundenheit und Verflochtenheit ­zwischen den Wesen der Natur und der Wahrnehmbarkeit Gottes in der Natur lässt die rein mechanistische Vorstellung für ihn nicht zu. Ebensowenig ist sie mit der großen auf dem Kontinent im 18. Jahrhundert folgenden physikotheologischen Bewegung vereinbar, die letztlich nur die Speerspitze einer ganzen Generation Naturforschender darstellt, die sich diesen Prämissen verschrieben hat. Steht bei Ray, dessen Text im 17. Jahrhundert verwurzelt ist, noch die von Gott in optimaler Fülle und Genialität geschaffene Kreatur im Zentrum, so verbindet sich diese Vorstellung der Fülle im 18. Jahrhundert mit den Neuentdeckungen der schier unendlichen Anzahl von Lebewesen noch zunehmend konkreter mit der Ketten- und Verwandtschaftsvorstellung der Wesen.

31 Ray, Wisdom of God, Ausgabe 1744, S. 53 f. 32 Um eine Art Mittelweg zu finden, fügt Ray zwar als bewegendes Prinzip eine mögliche immaterielle „Lebenskraft“ („Plastick Principle“) ein, lehnt aber eine Automatentheorie ab: „You will ask me, Who or what is the Operator in the Formation of the Bodies of Man, and other Animals? I answer, The sensitive Soul itself, if it be a spiritual and immaterial Substance, as I am inclinable to believe; but if it be material and consequently the whole Animal but a mere Machine, or Automaton, as I can hardly admit, then must we have recourse to a Plastick Nature.“ Ray, Wisdom of God, Ausgabe von 1744, S. 55. Siehe hierzu auch: Delaporte, Das zweite Naturreich, 1969, S. 71 ff. 33 Bspw. beim Beschreiben der Vögel: „Secondly, That Birds which feed their Young in the Nest th’ in all likelihood they have no Ability of counting the Number of them, should yet (…) not omit or forget one of them, but feed them all; which, unless they did carefully observe and retain in Memory which they had fed, which not, were impossible to be done: This I say, seems to me most strange and admirable, and beyond the Possibility of a mere Machine to perform.“ Ray, Wisdom of God, Ausgabe 1744, S. 107.

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Auch Gottfried Wilhelm von Leibniz kann beispielsweise als Protagonist derjenigen gelten, die an dieser Tradition festhielten und die Idee eines Kontinuitätsprinzips innerhalb alles Seienden verfochten und ausarbeiteten. Er ist aber nur einer unter vielen, die diese Schöpfungsordnung für plausibler hielten.34 In Leibniz’ Ausarbeitung der von Gott, der „ultima ratio“, als beste aller Welten erbauten Schöpfung bestand die Welt aus „Monaden“, die sich nur minimal voneinander unterschieden, geordnet nach einer göttlichen Vernunft, im Stufenfolgenprinzip.35 So schreibt Leibniz: „So sind auch die Menschen mit den Tieren verbunden, diese mit den Pflanzen und diese wiederum mit den Fossilien, ­welche ihrerseits sich an die Körper anschliessen, die unsere Sinne und unsere Vorstellung als tot und unbelebt darbieten. Da nun nach dem Gesetz der Kontinuität dann, wenn die Wesensmerkmale eines Dinges sich einem anderen annähern, alle Eigenschaften des ersteren sich denen des letzteren ebenfalls annähern müssen, so müssen alle Ordnungen der natürlichen Dinge eine einzige Kette bilden, deren einzelne Arten gleichsam wie die Kettenglieder so eng miteinander verbunden sind, dass es den Sinnen und der Vorstellung unmöglich ist, den genauen Punkt auszumachen, wo eines beginnt oder wo es endet: da ja alle Arten, die sozusagen in diesen Grenzbereichen liegen, zweideutig und mit Merkmalen ausgestattet sind, die ebenso gut den beiden benachbarten Arten angehören könnten.“36 Für unzählige Gelehrte des 18. Jahrhunderts blieb somit diese Kette der Wesen das Grundmuster der Welt. Und besonders für die an botanischen und zoologischen Fragen interessierten Gelehrten und Naturforscher (und damit in der Biologie) blieb die „Kette der Wesen“ vor allem aus einem Grund plausibel: Biologisch war mit der Kette der Wesen auch die Artenvielfalt (inklusive der Menschenarten) verstehbar – ebenso wie etwa die Entdeckung von Zoophyten, die zu vielfachen Überlegungen anregten. Die Auseinandersetzung mit „Pflanzenthieren“ und „Thierpflanzen“ legt hiervon beredt Zeugnis ab, wie etwa im Folgenden das Beispiel von Charles Bonnet zeigt. 34 Grundlegend zu Leibniz’ Position innerhalb ganzheitlicher Denkweisen siehe: Gloy, Karen: Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens. Verständnis der Natur, München 1996, S. 39 ff. 35 Lovejoy, Kette der Wesen, 1985, S. 176 ff. 36 „Les hommes tiennent donc aux animaux, ceux-­ci aux plantes et celles-­ci déréchef aux fossiles, qui se ­lieront à leur tour aux corps, que les sens et l’imagination nous représentent comme parfaitement morts et informes. Or puisque la loi de la Continuité exige, que, quand les détermination essentielles d’un Etre se rapprochent de celles d’un autre, qu’aussi en conséquence toutes les propriétés du premier doivent s’approcher graduellement de celles du dernier, il est nécessaire, que tous les ordres des Etres naturels ne forment qu’une seule chaine, dans laquelle les différentes classes, comme autant d’anneaux, tiennent si étroitement les unes aux autres, qu’il es impossible aux sens et à l’imagination de fixer précisement le point, où quelqu’une commence, ou finit: toutes les espèces, qui bordent, ou qui occupent, pour ainsi dire, les Régions d’inflexion et de rebroussement, devant etre équivoques et douées de caractères, qui peuvent se rapporter aux espèces voisines également.“ Aus: Leibniz, G:W.: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, übersetzt von A. Buchenau und hrsg. von Ernst Cassirer, Band II, Hamburg 1906, S. 558. Das Zitat findet sich auch bei Lovejoy, Kette der Wesen, Ausgabe 1985, S. 177. Diese Stelle scheint mir hier so zentral, dass ich sie aus Lovejoy übernehme, ebenso übernehme ich die in der Ausgabe von 1985 erschienene Übersetzung.

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1.2.1 Die Stufenleiter: Charles Bonnet Auf besonders differenzierte Weise führte der Genfer Naturforscher Charles Bonnet (1720 – 1793) die Stufenleiteridee der scala naturae weiter. Er füllte die Vorstellung der Kette der Wesen mit konkreten Elementen und entwarf so komplexe Stufungen der Lebewesen.37 Bonnet, der mehreren naturforschenden Akademien Europas angehörte, wurde sowohl durch seine Studien zu Insekten wie auch durch seine naturphilosophischen Studien bekannt.38 Wie einflussreich sein Werk für die Naturforschenden war, ist bisher schwer einzuschätzen, die häufige Nennung des „großen Bonnet“ in zeitgenössischen Werken lässt aber auf eine sehr breite Rezeption schließen. Genauere Studien fehlen hier, in der Biologiegeschichte taucht er nur am Rand auf.39 Und doch sind es gerade diese Ideen, die in den größeren Kreisen diskutiert, rezipiert und bearbeitet werden. Bonnet stellte möglicherweise für diejenigen, die sich konkret mit dem Verhältnis von Pflanzen und Tieren befassten, eine Art Sprachrohr und einen Exponenten der Kettentheorie dar. Seine „Kette der Wesen“, deren hierarchische Abstufung nun zwar nicht mehr die Engelssphären und Planeten bis hin zu Gott als Schöpfer und Vollendung der Wesen umfasste, aber die Grundideen von einer aufsteigenden Stufen­folge beibehielt, war weiterhin durch das Prinzip der Kontinuität geprägt. Charles Bonnet hielt dabei aber an der Konstanz der Arten seit der Schöpfung fest und beharrte auf der Präexistenz von Keimen, in denen der Schöpfungsplan angelegt war. Wie viele andere auch versuchte er diese Ideen konkret mit Leben zu füllen und entwarf detaillierte Stufenabfolgen in Pflanzen- und Tierwelt, etwa von der Biene bis zum Auerochsen.40 Diese Entwürfe sind nicht zuletzt auch Teil der Suche nach Ordnung innerhalb der Natur, nach Klassifikation und Systematik. Antoine-­Laurent Jussieus Vorschläge zu einer natürlichen Ordnung gehören ebenso in diesen Zusammenhang wie letztlich die zahlreichen Klassifikationsvorschläge der Zeit.41 Mit seiner 1764 in französischer Sprache erschienenen Contemplation de la nature, die 1766 auf Deutsch unter dem Titel Betrachtung über die Natur 42 erschien und in viele Sprachen übersetzt wurde, wurde Charles Bonnet dabei über die Grenzen der Gelehrtenwelt 37 Siehe auch: Müller-­Wille, Staffan: „Scala naturae“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Band 11, Stuttgart 2010, Sp. 628 – 631. 38 Zu seinem Leben siehe Luginbühl-­Weber, Gisela: „Bonnet, Charles“, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Band 2, 2003, S. 570 – 571. 39 Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 209 ff. 40 Siehe hierzu auch: Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 209 ff; Bonnet begann diese Vorstellungen bereits in seinen Insektenbüchern, führt sie aber dann erst später vollständig aus. 41 Siehe: Stevens, Peter F.: The development of biological systems, New York 1994. 42 Die hier benutzte Ausgabe: Bonnet, Charles: Betrachtung über die Natur von Herrn Karl Bonnet (…) mit den Zusätzen der italienischen Uebersetzung des Herrn Abt Spallanzani (…) und einigen eigenen Anmerkungen herausgegeben von Johann Daniel Titius, 3. Auflage Leipzig 1774.

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hinaus bekannt.43 Zunächst lässt sich konstatieren, dass sein ursprünglich auf Französisch 1764 erschienenes Werk Contemplation de la nature bereits 1764 ins Englische übertragen wurde – möglicherweise also den dortigen „Pflanzensensitivisten“ bekannt war. 1766 wurde es ins Deutsche übertragen. Allein deutschsprachige Auflagen lassen sich sodann 1772, 1774, 1783, 1803 oder 1805 finden. Ins Russische wurde das Werk offensichtlich 1811 übersetzt.44 Es handelt sich also um einen europäischen „Bestseller“ der Aufklärung, dessen Bedeutung für die Zeitgenossen noch völlig unterschätzt wird. Offensichtlich wurde das Werk dabei von Bonnet auch immer weiter überarbeitet, denn noch 1782, klagend über seinen Gesundheitszustand und seine schlechten Augen, schreibt er beispielsweise an den Basler Leutnant Frey, mit dem ihn eine philosophische Freundschaft verbindet: „Les additions que j’ai faites a cette suite ne sont pas moins considérables que celles que j’avais faites aux six premiers volumes. La Contemplation de la Nature qui en fait partie, est actuellement un assez grand ouvrage. (…) Ce livre étoit de tous mes ecrits qui demandoit le plus à etre perfectionné (…)“45. Bonnets Stufenleiteridee geht vom Prinzip der Kontinuität aus. Er sah, im Gegensatz zu den Klassifikationsversuchen Linnés, in Begriffen wie „Art“ oder „Gattung“ künstliche Begriffe, die wenig weiter halfen. Damit reihte sich Bonnet in die Riege derjenigen ein, die Carl von Linnés Klassifikationsversuche kritisch beäugten und argumentierten, dass ein starres Klassifikationsmodell den verschwimmenden Übergängen der Lebewesen in der Kette der Wesen nicht gerecht würde, bzw. ein „natürliches“ System vonnöten sei. Auch Bonnet betont allerdings dabei das Bruchstückhafte seines Wissens über die Abfolge der Wesen 46 und sieht letztlich auch sein Klassifikationsmodell nur als grobes Hilfskonstrukt zur Orientierung in der unendlich komplexen Natur. Aber er legt die Betonung weniger auf Differenzen und Gruppierungen als auf die Beziehungen in der Natur: „So wenig man sich auch in der Natur umsieht, so findet man doch in allen ihren Theilen die genaueste Verbindung, und Beziehung aufeinander. (…) Je mehr die Anzahl der Beziehungen und Verhältnisse in der Natur zunehmen wird, desto mehr Gewißheit, Umfang und Schärfe wird unsere natürliche Kenntniß erlangen. Beziehungen aber nenne ich hier diejenigen Eigenschaften und Bestimmungen, mittelst welcher verschiedene Dinge zu einerley Hauptendzwecke abzielen. Könnten wir die mancherley Beziehungen einsehen, 43 So wertet es Gisela Luginbühl-­Weber wohl zu Recht im HLS. (HLS, Band 2, 2003, S. 571). 44 Diese Angaben beziehen sich auf die über die internationalen Bibliothekskataloge eruierbaren Angaben (Karlsruher Virtueller Katalog) und sind nicht letztgültig. 45 Charles Bonnet an Monsieur Frey, Lieutenant Colonel au Régiment Suisse de Boccard à Basle, in: Archiv der Familie Frey im Staatsarchiv Basel, Signatur: StaBS PA 485 B 6 h 7. 46 „Indem ich die Stufenleiter der Dinge gezeichnet habe, so will ich dadurch, wie ich zur Gnüge erinnert, keineswegs die eigentlichen Stufen der Natur fest setzen, sondern nur einen Weg zeigen, wie man die natürlichen Dinge durchlaufen könne. Die Natur hat allerdings ihre Stufenfolgen; wie schon die Alten erkannt, und wir nunmehr einige deutlich vor Augen haben. Wir kennen aber die Art, die Ordnung und die Kette dieser Stufenfolgen zur Zeit nur noch sehr unvollständig.“ (Bonnet, Betrachtung über die Natur, 1774, S. XXXII f.)

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­ elche die Pflanze zu der Erde, der Luft, dem Wasser, dem Feuer, und zu den übrigen w Körpern hat, ­welche auf sie wirken, oder auf ­welche sie Einfluß hat; könnten wir ferner die Beziehungen einsehen, w ­ elche diese angeführten Körper selbst untereinander hätten: so wäre unsere ­Theorie des Wachsthumes vollkommen, und wir würden eben so deutlich erkennen, wie eine Pflanze wächst, als wir sehen, wie sich der Zeiger einer Uhr bewegt.“47 Zwar benutzt auch Bonnet also gelegentlich hier die zeitgenössischen Metaphern von Uhrwerk oder auch „Maschine“, sein Modell ist aber zweifelsohne anticartesianisch, da er den Menschen innerhalb der Kette der Wesen einordnet. Allein Gott steht außerhalb seiner Schöpfung: „Zwischen der niedrigsten und der höchsten Stufe der körperlichen, oder geistischen Vollkommenheit sind unzählige mittlere Stufen vorhanden. Aus der Reihe dieser Stufen besteht die allgemeine Kette. Sie vereiniget alle Wesen, verbindet alle Welten, und umgiebt alle Sphären. Bloß ein einziges Wesen ist außerhalb dieser Kette; dasjenige nämlich, welches sie hervorgebracht hat.“48 Resümierend urteilt er am Ende seines Werkes: „Die Natur geht durch unmerkliche Abfälle vom Menschen zum Polypen, von ­diesem zur empfindlichen Pflanze, von dieser zum Trüffel herab. Die höhern Arten hängen jederzeit durch irgendeinen Charakter mit den niedrigern, und diese mit den noch niedrigern, zusammen.“49 Auf seiner Koninuitätsskala erstreckt sich diese Kette der Wesen von der untersten Stufe der Gewächse, die nur als unförmige Masse wahrnehmbar ist,50 über die Pilze, Schwämme und Moose zu den Kräutern, Sträuchern und Bäumen. Das Mineralreich, die Steine sind hier jedoch nicht innerhalb dieser Kette, sie sind reine Materialanhäufungen und gehören nicht zum Reich des Lebendigen. Im Gegensatz zu vielen anderen Botanikern, die Klassifikationsversuche unternahmen, geht es Bonnet also gerade um das Verschwimmen, um die Zwischenwesen, die unendliche Kontinuität und Vielfalt dieser Lebewesen. Den Übergang ­zwischen Tieren und Pflanzen beispielsweise würden – nach seinem Kenntnisstand – die Mimosen als gerade noch pflanzenartige Lebensform und die Polypen als gerade schon tierförmige Lebensform bilden. Dabei beschreibt er seine Erfahrungen und Versuche in einer so bilderreichen Art und Weise, dass auch heutige Leser und Leserinnen eine Ahnung erhalten, warum Bonnets Ausführungen so populär wurden. So erzählt er etwa ausführlich in einer Art Pflanzenkrimi seine Erfahrungen mit den Mimosen (mimosa pudica, zeitgenössisch „Fühl- oder Sinnkraut“, heute als Pflanze klassifiziert) und den Nesseltieren wie Seeanemonen bzw. Korallen (Anthozoa, zeitgenössisch „Polypen“; heute als Tier klassifiziert). Über die Mimose schreibt er wie über ein scheues Tier: „Die furchtsame, empfindliche Pflanze (sensitiva) oder die Mimosa, flieht die Hand, w ­ elche sich ihr nähert; sie kriecht schnell zusammen, und 47 48 49 50

Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. XXXIX und XL (Vorrede). Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 29. Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 371. Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 40 f.

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diese Bewegung scheint, wegen der Aehnlichkeit mit dem, was in Thieren vorgeht, diese Pflanze zu demjenigen Gliede zu machen, welches das Gewächsreich mit dem Thierreiche verknüpfet.“51 Fesselnd wirkt regelrecht eine Art Tauchgang zu den „Polypen“, den Seeanemonen, (die auch in den Zeitschriften später oft kommentiert werden): „Etwas weiter hin nehme ich unten im Wasser, eine Art von Kelch, einen kleinen Körper, eine Blume gewahr. Ich will ihn anrühren, und er zieht sich zurück, und verschwindet gänzlich. Ich lasse ihm seinen Willen, ich trete zurück, und er kömmt wieder aus seinem Kelche, und breitet sich aus. Ich weis nicht, was ich aus dieser Erscheinung machen soll. Ich sehe zur Seite einen andern ähnlich gestalteten Körper. (…) Er steht auf einem kleinen Stamme, dessen unterstes Ende an einer Pflanze ansitzt, dessen oberes aber, nach unten gebogen, sich in viele kleine Aeste zertheilet. (…) Ein Würmgen geht vorbey, und berühret einen von diesen Aesten ganz leise; augenblicklich windet sich der Ast um das Würmgen, verkürzet sich, und führt dasselbe nach dem oberen Ende des Stammes zu. Hier entdecke ich eine kleine Oeffnung, die sich größer machet, um das Würmgen einzunehmen. (…) Einen Augenblick darnach sehe ich dies sonderbare Geschöpf sich von der Pflanze los machen, und sich in Bewegung setzen. Die Aeste, so vormals Aerme vorstelleten, vertreten nun die Stelle der Beine.“52 Wundersamerweise kann er auch Teile ­dieses Geschöpfes abschneiden und es verwandelt sich in ein neues Geschöpf: „Voll von diesen Wundern schneide ich eines dieser Thiere der Länge nach, bis in die Mitte des Körpers von einander. Bald darauf habe ich ein Ungeheuer mit zwey Köpfen. Ich wiederhole die Operation vielmals an demselben Thiere, und bringe solchergestalt eine Hydra zuwege, die noch viel erstaunender, als die Lenäische ist. Ich schneide viele von diesen Thieren quer durch, und setze die durchschnittenen Stücke mit den Enden zusammen. Sie wachsen, wie gepfropft, aneinander, und machen wiederum nur ein einziges Thier aus. Dieser Seltenheit folget noch eine andere. Ich kehre eines von diesen Insecten wie einen Handschuh um, und bringe das Äußere nach innen, und das Innere nach außen. Das Thier ist in nichts verändert; es lebet, es wächst, es vermehret sich.“53 Im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte etwa findet sich so eine „Tierblume“ (Abb. 3). Dieses Tier, welches sich durch Äste und Schösslinge vermehre, sei ein Zwischenwesen. Analog zu denken, wenn auch bei Bonnet nicht so detailliert ausgeführt, ist der Übergang ­zwischen Tier und Mensch: „… je näher die Thiere in ihrer Structur der menschlichen kommen, desto näher sie ihm auch auf der Stufenleiter seyn werden.“54 So galten Polyp und Mimose als Übergang vom Tier- zum Pflanzenreich, der 51 52 53 54

Bonnet, Betrachtungen übeer die Natur, 1774, S. 48. Bonnet, Betrachtungen der Natur, 1774, S. 49 f. Bonnet, Betrachtungen der Natur, 1774, S. 50 f. Bonnet, Betrachtungen der Natur, 1774, S. 52.

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102 |  Naturauffassungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts Abb. 3 „Tierblume“

Seelöwe meist als Übergang z­ wischen Fischen und Vierfüßern, der Affe als Bindeglied ­zwischen Tier und Mensch.55 Auffallend bleibt, dass die in Zeitschriften, Lehrbüchern und unzähligen physikotheologischen Detailstudien auftauchenden Autoren die Position Bonnets – eine die Pflanzen einbeziehende Vorstellung der beseelten Welt der Lebewesen – ebenso vertraten. Vielen, die im Folgenden noch zu Wort kommen sollen, wird es ergangen sein wie Charles Bonnet, der hier als Symbolfigur für diese Naturwahrnehmung fungiert und der bekannte: „Was mich betrifft, so gesteh ich frey, daß diese Philosophie sehr nach meinem Geschmacke ist. Ich will gern glauben, daß diese Blumen, die unsere Gärten und Felder schmücken, daß diese Bäume, deren Früchte unser Gesicht und Geschmack so angenehm vergnügen, und daß diese majestätischen Stämme, woraus unsre weitläuftigten und bejahrten Wälder bestehen, insgesammt empfindende Wesen sind, w ­ elche ihres Theils die Annehmlichkeiten des Daseyns schmecken.“56 55 Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 209 ff. 56 Bonnet, Betrachtungen der Natur, 1774, S. 351 f.

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1.2.2 Verbreitung der Vorstellung der Kette der Wesen in Lehrbüchern und Traktaten Dass die Kettenvorstellung als Ordnungsmuster keine Idee eines einzelnen Gelehrten war, sondern dass Bonnet hier etwas formuliert, was für die Mehrheit der mit Tieren und Pflanzen befassten Aufklärer das Grundmuster ihres Tuns darstellte, spricht nicht nur aus der Popularität von Bonnets Schriften, sondern auch aus dem immer wieder selbstverständlich auftauchenden Rekurs auf die Kette der Wesen in Lehrbüchern, Traktaten aller Art oder Zeitschriftenartikeln. Dieses Grundmuster stellte keineswegs eine vereinzelte „Spezialidee“ dar, sondern findet sich genauso in französischen oder englischen Schriften in allen Variationen. Oliver Goldsmith steht hierfür Pate in England,57 Antoine-­Laurent de Jussieu versucht in Frankreich seine Systematisierungsversuche mit der Kontinuitätsthese in Einklang zu bringen.58 Viele andere wären hier zu nennen, deren innereuropä­ ische Verbindungen bisher wenig einsichtig sind.59 Auch in vielen auflagenstarken Lehrbüchern und „Gesamtdarstellungen“ ist die Kette der Wesen meist Grundlage alles Weiteren. In Einführungen in die Botanik wird sehr selbstverständlich auf die Kettenvorstellung rekurriert, so heißt es etwa in der 1800 erschienenen zweiten Auflage der Anleitung zur Pflanzenkenntnis von Nikolaus Joseph von Jacquin: „Wenn wir zwey sehr verschiedene Wesen, z. B. eine Eiche und einen Kohl beobachten, so werden wir, durch weiteres Nachforschen, eine lange Reihe anderer Wesen entdecken, w ­ elche durch deutliche Übereinstimmungen stufenweise von diesen zwey entgegen­gesetzten Wesen abgehen, in der Mitte ihres Zwischenraumes zusammentreffen, ihn ausfüllen, und also eine fortgesetzte, den Kohl mit der Eiche verbindende Kette ausmachen werden. Wir werden lernen, die Natur schreite langsam durch fast unmerkliche Stufen fort, ohne einen leeren Raum zu lassen. Also gibt es keinen in der ungeheuren Kette der Dinge, und der den wir wahrzunehmen meynen, liegt vielmehr in den beschränkten Gränzen unserer Verstandeskräfte.“60 Oder in dem umfassenden Werk Anfangsgründe der Naturgeschichte von Johann C. Polykarp Erxlebens wird angemahnt: „Und zu allem diesen kömmt nun noch das hinzu, was diese Kenntnisse in einen 57 Siehe u. a.: Lynskey, Winifred: „Goldsmith and the Chain of Being“, in: Journal of the History of Ideas 6 (1945), S. 363 – 374. 58 Hierzu: Stevens, Peter F.: The Development of Biological Systematics. Antoine-­Laurent de Jussieu, Nature, and the Natural System, New York 1994. 59 Im Verbund mit Ordnungs- und Klassifikationsfragen noch diskutiert: Diekmann, Annette: Klassifikation – System – ‚scala naturae‘. Das Ordnen der Objekte in Naturwissenschaft und Pharmazie z­ wischen 1700 und 1850 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie Band 64), Stuttgart 1992. In der Enzyklopädie der Neuzeit existiert kein separater Eintrag zur „Kette der Wesen“, nur zur „scala naturae“, die aber in ihrer Fortentwicklung nicht weiter verfolgt wird. 60 Jacquin, Nikolaus Joseph: Anleitung zur Pflanzenkenntnis nach Linnés Methode. Zum Gebrauche der Vorlesungen an der Universität, 2. Auflage Wien 1800, S. 14.

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systematischen Zusammenhang setzt, zu einer Universalgeschichte macht; die Ueberschauung der Natur im Ganzen, und die Untersuchung der wechselseitigen Beziehung der natürlichen Körper aufeinander. So wird der Anfänger zu der Beobachtung der allervortrefflichsten und iede zur Empfindung fähige Seele in anbetende Verwunderung setzenden Ordnung, und des genauesten Zusammenhanges der Kette der natürlichen Körper untereinander geleitet. Wer die Natur nur nach den einzelnen Theilen kennt, der glaubt allerwärts Unordnung, hier Ueberfluß, dort Mangel zu sehen; er sieht Unvollkommenheiten in der Welt, die nirgends, als in seinem schwachen Gehirne vorhanden sind. Pope mag ihn lehren: All Nature is but Art, unknown to thee; All Chance, Direction, which thou canst not see; All Discord, Harmony, not understood; All partial Evil, universal Good.

Und mich dünkt, die Welt von dieser Seite aus der Naturgeschichte kennen lernen, das ist noch wohl immer mehr werth, als erfahren, daß der Wolf ein Thier mit einwärts gekrümmtem Schwanze ist.“61 Gerade Alexander Pope und seine Begrifflichkeit der chain of being tauchen hier immer wieder als Bezugspunkte auf.62 Die bei Pope und Leibniz mit der Kette der Wesen verbundene Vorstellung der Vollkommenheit der Schöpfung führte dabei nicht zuletzt auch zur Theodizee-­Debatte des 18. Jahrhunderts und zur Auseinandersetzung über die Erklärung von Leid und Zerstörung innerhalb der Schöpfung.63 Was aber für die Philosophen in der Theodizee-­Debatte die Frage nach dem Leid in der Welt ist, wird für die im Detail Forschenden in Botanik und Zoologie die Beobachtung von Wachsen und Verderben in der Natur und führt schließlich zum Kreislaufgedanken (siehe Teil II, Kap. 2.2.2). Die Vorstellung der Kette wird dabei von einigen auch neu interpretiert und abgewandelt. Der Professor und Handbuchautor Wilbrand aus Gießen erläutert beispielsweise 1821 in der Zeitschrift Flora den gesamten „Weltkörper“ als sich von der unten angesiedelten anorganischen Masse her nach oben hin, in die organische, dem Licht entgegen erstreckende Kette. Aufklärungsmetaphern durchziehen hier immer wieder die Bilder: „Das Wesen der organischen Natur besteht nun darin, dass sich in den Erscheinungen des Lebens allmählig die geistige Seite hervorhebt, und immer sich mächtiger verkündigt, 61 Erxleben, Naturgeschichte, 1773, Vorrede S. 5. 62 Siehe hierzu Lovejoy, Kette der Wesen, 1985, S. 78 ff. 63 Siehe hierzu etwa die Auseinandersetzungen ­zwischen Voltaire und Rousseau anlässlich des Erdbebens von Lissabon: Rousseau, Jean-­Jacques: „Brief über die Vorsehung“, 1756, in: Breidert, Wolfgang (Hrsg.): Die Erschütterung der vollkommenen Welt. Die Wirkung des Erdbebens von Lissa­bon im Spiegel europäischer Zeitgenossen, Darmstadt 1994, S. 79 – 96.

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bis im Menschen endlich der Geist frey der Natur gegenüber steht. Das Leben in der organischen Natur kann demnach mit einem Strom verglichen werden, welcher von der unorganischen Natur aus heraufsteigt, und sich in stäter Veredelung dem Menschen nähert. Die einzelnen organischen Geschöpfe sind in ­diesem Strom Ausdrücke, worinn sich das Leben auf jeder Stufe versinnlicht. Ein wissenschaftlich-­klares Gemälde des Lebens auf der Erde muss demnach die verschiedenen Aeusserungsweisen ­desselben, wie sie in den verschiedenen organischen Geschöpfen zum Vorschein kommen, in der gegenseitigen Folge darstellen, worin sich die Geschöpfe dem Menschen nähern.“64 Betont wird hier immer wieder die Verwandtschaft der Wesen, wenn auch unbestritten bleibt, dass der Mensch den höchsten Anteil an „Geist“ besitzt. Stufenleiter und Höherentwicklung Auch für den renommierten Jenaer Naturkundelehrer Carl August Batsch geht es beispielweise in seinem Lehrwerk Botanische Unterhaltungen für Naturfreunde zu eigner Belehrung selbstverständlich um die gottgegebene Stufenfolge der Wesen und die intelligible Naturordnung: „(…) hier ist von allen Seiten bestimmter Plan einer heiligen Kraft, der Natur der wirkenden Gottheit. Wir steigen noch höher. Wo wir hinsehen, oder wo wir glücklicher sehen, finden wir Zusammenhang, Ordnung, Zweck; ein Gesetz in der mannigfaltigsten Ausführung. (…) Es kann nichts in ihr unnütz seyn, denn unsre fortschreitende Kenntniss zeigt uns, dass wir irrten, wenn wir das Gegentheil glaubten.“65 Der Mensch ist dabei ebenfalls in dieser Stufensphäre in sich differenziert. So ist es nämlich die permanente Aufgabe des Menschen, Seele und Geist weiterzuentwickeln, „höhere Stufen zu erklimmen“. Die Position auch der Naturforschenden auf der Stufenleiter ist unterschiedlich, so heißt es bei Batsch in Reflexion des eigenen Tuns: „Nur als Spiel angesehen, wird so die Sammlung bunter Conchylien, Schmetterlinge, und Blumen nicht die scharfe Rüge verdienen, die sie uns, wenn wir einige Stufen höher gestellt sind, zu verdienen scheint; es lässt sich denken, dass höhere Geister selbst unsere tiefsten Vergleichungen noch spielend und unbestimmt finden können.“66 Diese in die Stufenleiteridee implizierte Forderung nach Höherentwicklung entspricht völlig dem aufklärerischen Erziehungspostulat und der Vorstellung von der Bildbarkeit des Menschen, bzw. macht das aufklärerische Denken grundlegend aus: Der Mensch kann 64 Wilbrand, B.: „Ueber die wissenschaftliche Behandlung der Pflanzenkunde überhaupt, und über Pflanzen­ physiologie insbesondere“, in: Flora oder Botanische Zeitung (…), Jahrgang 4, Band 1, Ausgabe Nr. 5 vom 7. Februar 1821, S. 69 f. 65 Batsch, A.: Botanische Unterhaltungen für Naturfreunde zu eigner Belehrung über die Verhältnisse der Pflanzenbildung, Teil I, Jena 1793, S. VI. 66 Batsch, Botanische Unterhaltungen, Teil I, 1793, S. VI f.

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und soll strebend nach Bildung und Vervollkommnung höhere Stufen erklimmen, aber er kann auch auf einer quasi animalischen Stufe existieren oder sogar in den „Dämmerzustand“ einer Pflanze verfallen. Dass diese Idee der Stufung unter den Menschen im Laufe der Geschichte in den Rassetheorien missbraucht werden sollte, steht auf einem anderen Blatt. Hinzugefügt sei hier noch, dass nur wenige Denker, wie etwa Julien Offray de La Mettrie, aus der Kettenvorstellung den gegenteiligen, atheistischen Schluss ziehen und eine letztlich der Immaterialität beraubte gleichartige Interiorität aller Lebewesen kon­ struieren. In La Mettries 1748 erschienenem Traktat L’Homme-­Plante  67 sind zwar auch Interiorität und Physikalität von Mensch, Pflanze und Tier ähnlich geartet, aber der „Seele“ wohnt nichts Göttliches, Spirituelles oder Immaterielles mehr inne, sie ist allein funktional für die Lebensbewältigung und Folge der (körperlichen) Bedürfnisse des Lebewesens. Auch für ihn folgt aber beispielsweise auf das letzte und unscheinbarste aller Tiere die am meisten mit Geist begabte Pflanze.68 Und so ordnet er den Menschen auch in die Kette der Natur ein: „Ob wir nun vom geistreichsten Menschen zum kümmerlichsten Gewächs hinabsteigen oder sogar zu den Fossilien und dann vom geringsten dieser Körper wieder zum ersten aller Genies hinaufsteigen und dabei das Spektrum aller Bereiche berühren, immer und überall werden wir diese Einheit in der Vielfalt der Natur bewundern können. Endet etwa an dieser Stelle der Geist? Dort drüben scheint er uns am Erlöschen zu sein und ist wie ein Feuer ohne Nahrung; doch anderswo lodert er wieder auf. Bei uns Menschen hingegen leuchtet er ganz hell (…).“69 Die menschliche Seele wird aber hier letztlich zum Auswuchs des differenziertesten Mechanismus, eine reine Notwendigkeit, eine höhere Komplexität der Maschine, ihr wohnt keine Spiritualität mehr inne.70 Für La Mettrie stehen die verschiedenen Zustände des Geistes immer in kausaler Beziehung zu denen des Körpers.71 In L’homme machine von 1748 schreibt er ausführlich über die „Seele“ als komplexe Hirnstruktur: „Da nun aber einmal alle Funktionen der Seele dermaßen von der entsprechenden Organisation des Gehirns und des gesamten Körpers abhängen, dass sie offensichtlich nichts anderes sind als diese Organisation selbst, haben wir es ganz klar mit einer Maschine zu tun. (…) Das Denken entwickelt sich doch ganz offensichtlich mit den Organen. Warum sollte die Materie, aus der sie bestehen, nicht auch Schuldgefühle hervorbringen können, seit 67 La Mettrie, Julien Offray de: L’Homme-­Plante. Der Mensch als Pflanze, 1748, Neudruck (frz. – dt.) Weimar 2008. 68 La Mettrie, L’Homme-­Plante. Der Mensch als Pflanze, 1748, Neudruck 2008, S. 53. 69 La Mettrie, L’Homme-­Plante. Der Mensch als Pflanze, 1748, Neudruck 2008, S. 57. 70 Siehe hierzu auch: Sarasin, Philipp: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte de Körpers 1765 – 1914, Frankfurt a. M. 2001, S. 51 ff. 71 La Mettrie, Julien Offray de: Der Mensch als Maschine (1748), aus dem Französischen von Bernd A. Laska, Nürnberg 1985, S. 32 ff.

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sie irgendwann einmal im Laufe der Zeiten die Fähigkeit des Empfindens erworben hatte?“72 Damit setzt also auch La Mettrie konsequent den Gedanken der Kette der Wesen um – nur mit umgekehrter Schlussfolgerung als etwa Leibniz, Pope, Bonnet oder die Schar der physikotheologisch argumentierenden Naturforscher. Die Gleichartigkeit und Verwandtschaft von Mensch, Tier und Pflanze führt bei La Mettrie nicht zum beseelten Universum, sondern zur großen seelenlosen Weltmaschine. Empfindung oder Geist sind hier ausschließlich eine Reiz-­Maschine-­Reaktion, eine den Notwendigkeiten angemessene Körperkomplexität, kein die Natur durchwebendes geistig-­seelisches Vermögen. Diese Vorstellung wurde jedoch bekanntermaßen von den Aufklärern als „atheistisch“ abgelehnt. Carl von Linné und die Linnéaner: Gegenspieler, die vereinzeln und sezieren? Ebenso, wie die Pflanze in die Natur und ihre Beziehungsnetze eingeordnet wird, ebenso wird sie aber auch aus dieser entnommen, vereinzelt und seziert, um untersucht und kategorisiert zu werden. Namentlich steht hierfür meist Carl von Linné (1707 – 1778). Linné ist wissenschaftsgeschichtlich vermutlich die wirkmächtigste Figur der Botanik des 18. Jahrhunderts und sein „System“ (so die Zeitgenossen), seine binäre Nomenklatur ist es, die sich letztlich 1867 in einer Einigung internationaler Botaniker in Paris durchsetzte und bis heute ihre Gültigkeit weitgehend bewahrt hat.73 Auch Carl von Linnés Vorstellungen fußen dabei aber auf der aristotelischen Einteilung der Natur. Auch bezog Linné sich explizit auf den Engländer John Ray oder auch Joseph Pitton de Tournefort (1656 – 1708) oder auch den Naturgelehrten Herman ­Boerhaave (1668 – 1738). Von Ray und Tournefort nahm er Vorstellungen auf, insbesondere Rays Idee einer binären Nomenklatur. Auf diese binäre Struktur aufbauend schuf Linné ein feststehendes, einfaches Ordnungsmuster der Benennung der Pflanzen, eine Nomenklatur mit einem Doppelnamen nach Gattung und Arteigenschaft (in einem charakterisierenden Beiwort).74 Linné hat somit zweifelsohne das botanische Wissen einen weiten Schritt vorangetrieben und seine Nomenklatur hat die Kommunikation der Pflanzenforscher und Pflanzenfreunde vereinfacht und ermöglicht. Oft wird dabei aber von einem eklatanten Gegensatz ­zwischen Vertretern der scala naturae und der „natürlichen Systeme“ und Vertretern des „künstlichen Systems“ Linnés ausgegangen. Zweifelsohne setzten sich Vertreter eines sogenannten „natürlichen Systems“ der Pflanzen, die nach Verwandtschaftsgraden und 72 La Mettrie, Mensch als Maschine 1748, übers. 1985, S. 67 f. 73 Siehe: Winter, Christian: „Sammeln, Ordnen und Systematisieren“, in: Museum Giersch / Universitätsb. Senckenberg, Die Entdeckung der Pflanzenwelt, Frankfurt a. M. 2009, S. 59. 74 Bäumer, Geschichte der Biologie, Band 3, 1996, S. 265 ff.

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Stufen ordnen wollten, von Linnés „künstlichem System“ in der Folge vielfach vehement ab und versuchten sich an anderen Einteilungen und Benennungen. Dennoch war wohl auch Linné bewusst, dass eine „natürliche“ Einteilung wünschenswert wäre, aber noch ausstand und schwerer zu realisieren war.75 War aber Linnés Naturordnung der Kettenidee entgegengesetzt? Es lässt sich zeigen, dass auch Linnés Vorstellungen der Gesamtordnung der Natur in manchen seiner Publikationen durchaus auf der Kettenvorstellung und den Beziehungen der Lebewesen beruhten, wenn er auch in der Frage nach einer praktischen Kategorisierung der Pflanzen und Tiere anders vorging.76 Im Licht seiner Schrift zur Oeconomia naturae von 1749 wird dies beispielsweise deutlich.77 Auch Linné ist durchaus ein Vertreter derjenigen, denen es in „physikotheologischer“ Herangehensweise im Ganzen der Schöpfung um die Erforschung des göttlichen Planes geht. In der Oecono­­ Verkettungen und Verknüpfungen, die die Natur mia naturae kommen gerade solche als ökologischen großen Zusammenhang erfassen, zum Ausdruck. Hier werden Verbindungen der Lebewesen, Kreisläufe des Lebens beschrieben, wobei der Mensch, ebenso wie später bei Bonnet, in die Natur als Teil derselben eingeordnet ist. Aufgrund dieser Schrift etwa hat Erwin Morgenthaler in seinem Buch Von der Ökonomie der Natur zur Ökologie Linné sogar als Angelpunkt ökologisch-­ganzheitlicher Sichtweisen interpretiert und gerade nicht nur als Sezierer, Systematisierer und Objektivierer der Natur.78 Linné als Symbolfigur einer kompletten Umstrukturierung des abendländischen Denkens und einer großangelegten mentalitätsgeschichtlichen Veränderung des Abendlandes im Sinne einer modern-­naturwissenschaftlichen, objektivierten und systematischen und sezierenden Herangehensweise an die Natur zu stilisieren, scheint mehr als zweifelhaft. In der konkreten Frage einer Systematik und Nomenklatur war Linné allerdings (und sind seine Anhänger Ende des 18. Jahrhunderts) tatsächlich im Gegensatz zu jenen, die ein „natürliches System“ vertraten. Dennoch ist zu beachten, dass vielleicht durchaus ein Bewusstsein dafür vorhanden war, dass jede Systematisierung zuletzt nur eine Art Hilfsmittel darstellen konnte, das die Kontinuitätsskala nie wirklich abbilden konnte. Auch Linné selbst sah wohl in den „künstlichen“ Kategorien eher einen Notbehelf und nicht mehr als ein Hilfsmittel.79 75 Jahn / Lötzer / Senglaub, Geschichte der Biologie, 1982, S. 279. 76 Lindroth, Sten: „The Two Faces of Linnaeus“, in: Frängsmyr, Tore (Hrsg.): Linnaeus. The Man and his Work, Berkeley / Los Angeles / London 1983, S. 1 – 62. 77 Linné, Carl von: Die Oeconomie der Natur, in: Des Ritters Carl von Linné Auserlesene Abhandlungen aus der Naturgeschichte, Physik und Arzneiwissenschaft (zweiter Band), Leipzig 1777, 1 – 56. Die erste, lateinische Fassung datiert von 1749. Es handelt sich um eine mit einem Schüler gemeinsam verfasste Schrift. 78 Morgenthaler, Von der Ökonomie zur Ökologie, 2000, S. 95 f. 79 Siehe etwa: Jahn u. a. (Hrsg.), Geschichte der Biologie, 2004, S. 274 ff. Siehe auch: Diekmann, Annette: Klassifikation – ‚scala naturae‘. Das Ordnen der Objekte in Naturwissenschaft und Pharmazie z­ wischen

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Damit steht er nicht allein. So schreiben beispielsweise die Herausgeber des Magazins für die Botanik: „Sollte es nun aber möglich seyn, dass irgend eines von allen den Systemen, ein System der Natur wäre? Gewiss nicht – die Natur bringt weder Classen noch Ordnungen noch Gattungen hervor – sie zeugt nur Arten, und verbindet diese Arten gewiss nicht nach einer einzigen Übereinstimmung, sondern durch einer unermessliche Anzahl gleichgewichtiger Uebereinstimmungen: ihre Kette, durch die sie die geschaffnen Wesen verbindet, ist nichts weniger als einfach, sondern von allen Seiten her, unendlich in einander geflochten.“80 Die verschiedenen Ordnungssysteme und Ordnungsvorschläge der Botaniker ­seien daher nur Hilfsmittel. Um aber überhaupt ordnen zu können, müsse man nun die bisher nur bruchstückhaft erkennbare Kette erforschen. Und so brauche man eben alle „Systeme“, die jeweils Vor- und Nachteile hätten, besonders für Anfänger dieser Wissenschaft. Dabei geht es aber immer wieder um beide Perspektiven, die Detailforschung und die Gesamtzusammenhänge, wie etwa F. A. von Braune im Botanischen Taschenbuch 1803 ausführt: „Es ist gewiß, je genauer wir die Theile eines zusammengesetzten Wesens kennen, desto vollkommener ist die Kenntniß von dem Ganzen selbst; je mehrere Naturkörper mit ihren Bestandtheilen, Aehnlichkeiten, Verschiedenheiten, Eigenschaften und Bestimmungen wir kennen, desto heller und ausgebreiteter werden unsere Begriffe von der Stuffenfolge und Verbindung aller Naturkörper, von der Oekonomie und Einrichtung der ganzen Natur selbst seyn.“81 Abschließend soll hier festgehalten werden, dass im Feld der zoologisch und botanisch interessierten Naturforscher durch die immer weiter ausgestaltete Kettenvorstellung in anderer Weise als bei Descartes die Seele des Menschen innerhalb der Naturwissenschaft gerettet wird: nicht über die Singularität des Menschen im Gegensatz zu den nach Naturgesetzen funktionierenden Maschinenwesen im Pflanzen- und Tierreich, sondern über die Ähnlichkeit aller Lebewesen in ihrer Physikalität und ihrer Interiorität, einem immateriellen Anteil, an Geist oder Seele, der allerdings in der Kontinuitätsskala nach unten hin bis zur Unkenntlichkeit abnimmt und so in den Pflanzen für uns unsichtbar wird. Dabei wird in der Ähnlichkeit z­ wischen Mensch, Pflanze und Tier ein weiterer Gedankenschritt vorbereitet: Der Gedanke eines sich vom Tier her entwickelnden Lebewesens Mensch. Der Sprung, den Charles Darwin dann in der Evolutionsbiologie vollzieht, besteht in der Einfügung der Dimension der Zeitlichkeit, die bereits 1700 und 1850, Stuttgart 1992. 80 Römer, Johann Jakob und Usteri, Paulus: „Eigene Abhandlungen und Aufsätze“, in: Magazin für die Botanik (hrsg. von Dens.), Jahrgang 1787, 1. Stück, S. 16 f. 81 Braune, Franz Anton von: „Betrachtungen über das Studium der Botanik“, in: Botanisches Taschenbuch für die Anfänger dieser Wissenschaft und der Apothekerkunst (hrsg. von David Heinrich Hoppe in Regensburg), Jahrgang 1803, S. 65.

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bei Georges de Buffons Versuch einer Erklärung von Erdzeitaltern vorgedacht wurde.82 Auch Buffon war aber, wie Bonnet, Vertreter der Stufenleiter- und Kettenvorstellung, der graduelle Übergänge z­ wischen den Lebewesen annahm und ihre Ähnlichkeit betonte.83 Wissenschaftshistoriker und -historikerinnen ordnen die Stufenleiteridee (sowie ihre Verfechter, verkörpert in Bonnet, Leibniz oder auch den Physikotheologen) allerdings oft, wie etwa Änne Bäumer, in eine Rubrik „Spezielle Ideen“ ein, wenn auch auf den Zusammenhang mit „allgemeinen Vorstellungen“ gelegentlich verwiesen wird.84 Tatsächlich liegt aber diese Stufenleiteridee de facto vielfältigen Schriften zu Tieren und Pflanzen zu Grunde. Sie ist so häufig nur am Rande wissenschaftsgeschichtlich rezipiert worden, muss aber wissensgeschichtlich als sehr weit verbreitete Vorstellung gelten. Für große Bevölkerungskreise scheint im 18. Jahrhundert viel weniger eine völlige Trennung von Mensch und Natur den Denkrahmen zu bilden denn eine Vorstellung der Natur, deren Zusammenhänge und Beziehungen zu erforschen sind.

1.2.3 Verbürgerlichung einer Idee: Von der hierarchischen Kette zum horizontalen Netz und Gewebe Bereits gegen Mitte des 18. Jahrhunderts tauchen zudem Vorstellungen auf, die das Bild der Kette erweitern. Julius Bernhard von Rohr (1688 – 1742) etwa spricht schon von der „Verknüpfung aller Dinge“85 und beschreibt Kreisläufe in der Natur. Beispielsweise führt er aus, dass die „Leute sich gar sehr vergehen, da sie manch Gewächse außer der allgemeinen Verknüpfung allein betrachten (…).“86 Gleichgewichtsgedanken, Fragen der Balance in der Natur kommen hier auf. Was hier bei von Rohr noch mit dem „Naturhaushalt“ der oeconomia naturae beschrieben werden kann und auch bei Carl von Linné zum Kreislaufgedanken und zur Vorstellung eines Gleichgewichts innerhalb der Beziehungen in der Natur führt, wird beispielsweise bei Heinrich Sander (1754 – 1782) nicht nur weitergeführt, sondern weiterentwickelt zu einer Vorstellung der netzartigen Verknüpfung der Naturdinge.87 82 Le Comte de Buffon: Époques de la nature, Bern M DCC XCII. Zu de Buffon siehe: Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 225 ff. 83 Dies wird beispielsweise offensichtlich in: Buffon, Comte de: Herrn Buffons allgemeine Naturgeschichte, Dritter Theil, Berlin 1771, S. 137 ff. (Kapitel „Vergleichung ­zwischen Thieren und Gewächsen“). 84 Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 212. 85 Von Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 271. 86 Von Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 42. 87 Dies ist an anderer Stelle ausgeführt und kann hier nur in Bezug auf die Kette der Wesen aufgegriffen werden. Ausführlich hierzu siehe: Ruppel, Sophie: „Von der Phythotheologie zur Ökologie. Kreislauf, Gleichgewicht und die Netzwerke der Natur in Beschreibungen der Oeconomia naturae im 18. Jahrhundert“,

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Sander wurde 1754 im badischen Köndringen geboren, starb bereits 1782 mit 28 Jahren und hinterließ dennoch ein breites Werk – ein Vielschreiber aus protestantischem Haus.88 Wie viele der Naturforscher war er vom Vater zum Predigeramt bestimmt und ging zum Studium nach Göttingen und Tübingen, wo er sich dann jedoch vorwiegend für die Naturgeschichte interessierte. Als typischer Forschungsreisender seiner Zeit besuchte er in Paris die führenden Botaniker und bestaunte alles Sehenswerte. 1775 bis 1782 wurde er „Professor der Naturgeschichte“ in Karlsruhe am Gymnasium. Offensichtlich stand er in regem Kontakt mit anderen Naturforschern und war auch Ehrenmitglied der Berlinischen Gesellschaft Naturforschender Freunde und der Fürstlich Anhaltischen deutschen Gesellschaft zu Bernburg. Sein Werk umfasst einerseits religiöse Erbauungsschriften und Reisebeschreibungen, andererseits naturgeschichtliche Werke und Lehrbücher. Die Idee von den Beziehungen in der Natur entwickelt er (unter anderem) in seinem 416 Seiten umfassenden Werk Von der Güte und Weisheit Gottes in der Natur 89 – ein Werk, das 1778 zum ersten Mal erschien, bereits 1803 in der 7. Auflage vorlag und offensichtlich weit verbreitet war.90 Nach Angabe seines zeitgenössischen Biographen wurde es auch ins Holländische übersetzt und habe „ungemeinen Beifall“ gefunden.91 Heute ist Sander eher als Reise­ schriftsteller des 18. Jahrhunderts bekannt, der auf seinen Reisen u. a. Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Nicolai, Sophie von La Roche oder Georg Joachim Zollikofer traf. Auch Sander rekurriert in seinem Text auf die Vorstellung der Kette der Wesen und die kontinuierliche Abstufung der Wesen, die sich von ihren jeweiligen Nachbarn nur gering unterscheiden, um die größtmögliche Vielfalt zu erreichen: „Von der Wurmseele bis zur Seele des Elephanten (…) vom dummsten Ostiaken, der seinen Gott im Stiefel auf die Jagd mit nimt, bis zur Seele des Newtons, des Leibnizs (…) bis zur feinen Seele Mosheims, die jeden Gegenstand vervielfältigt; von hundert Seiten ansehen kan – wie viele Millionen Stufen liegen ­zwischen ihm und dem Cannibalen, der seiner Feinde Fleisch frißt!“92

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in: Boscani Leoni, Simona und Stuber, Martin: Wer das Gras wachsen hört (JGLR 2017), Innsbruck 2017, S. 59 – 80. Es existiert eine bereits kurz nach Sanders Tod 1785 von einem Freund verfasste Lebensbeschreibung, in der auch Briefe ediert sind. Hierauf stützen sich die Angaben zu seinem Leben: Götz, Georg Friederich: Leben des Herrn Heinrich Sanders, Professors am Gymnasium illustre in Karlsruhe (…), zweite Auflage Dessau und Leipzig, 1785. In der ADB ist er nicht erfasst. Hier verwendete Auflage: Sander, Heinrich: Von der Güte und Weisheit Gottes in der Natur. Von ­Heinrich Sander, Professor am Gymnasio in Carlsruhe, und Ehrenmitglied der Berlinischen Gesellschaft Naturforschender Freunde, neue verbesserte Auflage Frankfurt und Leipzig 1784. Auflagen erschienen 1778, 1780, 1782, 1784, 1788, 1800, 1803; 1827 taucht eine wiederum als 6. Auflage ausgewiesene Auflage auf; die genaue Auflagenzahl bleibt so etwas im Unklaren. Vereinfacht wiederholt er die Thematik auch in dem vielfach erschienenen, der Jugend gewidmeten Werk: Sander, Heinrich: Das Grosse und Schöne in der Natur. Ein Lesebuch zur Belehrung und Erbauung für die Jugend und jeden Liebhaber der Naturgeschichte, München 1815 (erste Auflage 1781). Götz, Leben Sanders, 1785, S. 31. Sander, Weisheit Gottes in der Natur, 1784, S. 20.

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Dabei darf kein Glied der Kette fehlen: „Kein Thier, auch das Unscheinbarste, auch das Giftigste nicht, ist in der Welt überflüssig. Sie haben alle ihre Verrichtungen, ihre Bestimmungen, ihre Verkettungen mit andern, ihre Beziehungen aufs Pflanzenreich, auf andre Thiergattungen oder auf uns. Sie sind eine unabsehliche Reihe von mehr oder weniger uns ähnlichen Kreaturen, eine lange endlose Kette, deren Glieder alle aufs bündigste in einander gefugt, so mit einander verbunden sind, daß keins ohne das andre bestehen kan.“93 ­Sander entwickelt d ­ ieses Bild der ineinandergefügten Natur jedoch in neuer Weise weiter in die Horizontale und findet zum Bild der vernetzten Natur: „Alles ist, wie in einer Tapete, in einander verwebt. Soll diese Art von Geschöpfen fortdauren, so muß auch jene ihre Währung behalten. Leiden die Pflanzen, so trift der Schaden auch die Thiere. Die Länder der Schöpfung grenzen an einander, die Wege der Natur verschlingen sich (…).“94 Er konstatiert: „Vermittelst dieser tausendfachen Verkettungen und Verknüpfungen regiert Gott die Welt.“95 Denn: „Das Gras, jede Kornbluhme steht mit der ganzen Atmosphäre, ja mit dem ganzen Sonnensysteme in genauer Verknüpfung.“96 Und „Millionen von Geschöpfen verflechten ihre Wirkungen untereinander.“97 Auch wenn Sander hier nicht den Begriff des „Ökosystems“ verwendet, so sind seine seitenlangen Beschreibungen etwa des Waldes nichts anderes als genau d ­ ieses: die Beschreibung eines Netzwerkes, in dem die verschiedenen Pflanzen, Tiere und Organismen im Zusammenspiel stehen.98 Hier steht somit nun weniger die Fülle der Wesen oder die Kontinuität der Arten der Kettenvorstellung im Zentrum als vielmehr ihre Interdependenz, ihre Anordnung nebeneinander, wie es das Bild des Netzes, des Gewebes oder der Tapete veranschaulicht. Die ursprüngliche hierarchische Anordnung verflacht. Wobei hier betont werden soll, dass die Tapete im 18. Jahrhundert ein Bild darstellt, das bürgerlich konnotiert ist und aus dem bürgerlichen Wohnraum entnommen ist. Sander verlässt so in seinem Werk zum größten Teil das Bild der vertikalen Stufenleiter wie das der linearen Kette und beschreibt das horizontale Netzwerk der Arten, die wechselseitigen Verknüpfungen aller natürlichen Dinge, den Menschen inbegriffen. Mit 93 94 95 96 97 98

Sander, Weisheit Gottes in der Natur, 1784, S. 304. Sander, Weisheit Gottes in der Natur, 1784, S. 184. Sander, Weisheit Gottes in der Natur, 1784, S. 26. Sander, Weisheit Gottes in der Natur, 1784, S. 71. Sander, Weisheit Gottes in der Natur, 1784, S. 69. Er beschreibt, wie ein einziger Baum von den untersten Wurzeln bis zur Krone den Wohnort für Insekten darstellt, wie Moose und Schwämme eine Verbindung mit dem Baum eingehen, wie die Bäume den Tieren Schutz gewähren und Vögel sich im Baum ansiedeln, wie das Wasser auf den faulenden Blättern stehen bleibt und Kleinstorganismen hier leben, wie das Laub im Winter Puppen, Kerne und erstarrte Tierchen bewaht und so weiter. Die Schweine wiederum graben nach den Wurzeln und vermindern die Larven der Insekten und halten deren Population in Schach, die Waldmäuse, die Eichhörnchen, die Vögel ernähren sich von Fruchtkernen, Beeren und Samen, tragen zum Aufwühlen und Umgraben des Bodens bei, zum Ausstreuen und Verpflanzen der Gewächse und zur Fruchtbarkeit des Bodens. Sander, Weisheit Gottes in der Natur, 1784, S. 351 ff.

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diesen Beobachtungen findet Sander zu Einsichten über Energieflüsse und Stoffwechsel­ prozesse der Natur.99 Sander steht hier beispielhaft für die Weiterentwicklung des Gedankengutes. Die Idee der Kette der Wesen wird um 1800 in vielen Schriften in dem Sinne erweitert, dass kaum mehr eine lineare Abstufung gemeint ist, sondern die vielfältigen Verkettungen der Wesen in den Blick kommen. So heißt es etwa im Botaniklehrbuch von Nikolaus Joseph von Jacquin im Jahr 1800: „Die Natur verbindet die Wesen nicht durch eine einzige Übereinstimmung, sondern durch eine unermessliche Anzahl gleichgewichtiger Übereinstimmungen, und bildet also nicht eine einfache, sondern eine unendlich, in unter einander geflochtene Kettenstücke, abgetheilte und unterabgetheilte Kette.“100 Auch der Franzose Jean-­Baptiste de Robinet (1735 – 1820) etwa rückt – sich auf Leibniz beziehend – in seinem vier Bände umfassenden naturgeschichtlichen Werk De la Nature (1763 – 1766 publiziert) die Verwandtschaft von Pflanze, Tier und Mensch in den Vordergrund. Sein Werk erschien in mindestens drei Auflagen in Amsterdam und enthält eine ausgefeilte Th ­ eorie der Stufenleiter der Natur, vom Gleichgewicht des Guten und Schlechten in der Natur sowie von den Gesetzen der Kontinuität, die er an den „Pflanzentieren“ und „Tierpflanzen“ spezifiziert.101 Gottfried Reinhold Treviranus (1776 – 1837)102 wiederum führt in seinem Werk Biologie, oder Philosophie der lebenden

99 Detailreich beschreibt er etwa das Absterben eines Baumes: „Dort ist ein abgestorbener nach etlichen Jahrhunderten endlich abdorrender Baum. Die Natur gab ihm viel, solang er noch in seiner Kraft stand. Er bewirthete auf seinen Zweigen eine Menge Geschöpfe, und nun soll er ganz wieder ins Magazin der Schöpfung zurückkehren. Die Natur empfängt ihn auf verschiedenen Wegen. Zuerst sezen sich Steinflechten (Lichenes) an ihm an, bald hernach Schwämme, diese ziehen schon viele Feuchtigkeiten an sich, die Fäulnis fängt an. Nun dringen schon die Holzböcke (Cerambyces L.), die Bohrkäfer (Ptini L.), die Blattläuse, Schröter und andre durch viele tausend kleine Öffnungen in den sterbenden Baum hinein. Alle Rizen werden belebt, junge Brut von mehrern Geschlechtern wird darinn ernährt, einige Raupen ­zwischen die Borke und das weichere Holz, andre kriechen zu den Wurzeln, einige fangen an der äusseren Spize an. Die Menge der Insekten lockt die Vögel mit den langen Zungen in den geraden keilförmigen Schnäbeln. Diese wittern die Raupen unter der Rinde, schlagen so lange an den schwächsten mürbsten Stellen an, bis die ohnehin bald halb verfaulte Rinde reißt, und sie die weidenden Raupen herausziehen können. Alle diese Zerstörungen befördern den geschwinden Uebergang des verfallenden Baumes in Erde und Stoff zu neuen Erzeugungen. Sobald die Menge der flüssigen Theile weggeflogen ist, verliert das Gebäude seine Haltung, und sinkt zum Erdhaufen herab. Ist es nicht ein heller Spiegel der göttlichen Allwissenheit, die dem Baum diese Räuber und Fresser, dem Insekt diese Aufwühler, dem Specht diese Kost bestellt hat, und das alles zur Wiedererstattung, zur Erhaltung der ewigen Jugend des Ganzen voll Lieblichkeit und Schönheit, so unendlich weise veranstaltet hat?“ (Sander, Gottes Weisheit in der Natur 1784, S. 225 ff.) 100 Jacquin, Anleitung zur Pflanzenkenntnis, 1800, S. 13 f. 101 Robinet schließt dabei sogar auch Zwischenwesen ­zwischen Mensch und Tier (etwa Fischmenschen) nicht aus Robinet, J. B.: De la Nature (4 Bde), Amsterdam 1763 – 1766, bes. in Buch 4: Über das Gesetz der Kontinuität. Das Werk erschien in mindestens drei Auflagen. 102 Siehe Pagel, Julius: Artikel „Treviranus, Gottfried Reinhold“, in ADB 38, Leipzig 1894, S. 588.

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Natur für Naturforscher und Ärzte 103, das fünfbändig von 1802 bis 1822 erschien, ebenso sehr komplexe „Gradationen“ aus. Treviranus, der schon mit Begriffen wie „Biologie“ und „Leben“ operiert und unter den lebenden Wesen alles versteht, was eigenes Wachstum und eigene Bewegung zeigt,104 sieht dabei letztlich die lebende Natur als einen einzigen großen Organismus.105 T ­ reviranus umreißt dies beispielsweise im sechsten Abschnitt des ersten Buches in einem Kapitel über die „Gradationen der lebenden Natur“,106 wo er eine komplexe Vorstellung der Stufen- und Gradationlehre darlegt, in der es um verschiedene Mischungsverhältnisse in den Körpern geht: „Man spricht von einer Stufenfolge, von Verwandtschaften und Verkettungen der lebenden Körper. Man vergleicht die Natur bald mit einer Leiter, bald mit einem Netze. (…) Unsere Antwort ist folgende: Die ganze lebende Natur lässt sich in Ansehung der Mischung ihrer Organismen unter zwey grosse Abtheilungen bringen: in der einen hat der Stickstoff, in der andern der Kohlenstoff das Uebergewicht. Jene begreift die Thiere und Thierpflanzen, diese die Pflanzenthiere und Pflanzen. Die erstern nähern sich insgesammt der animalischen, die letztern der vegtabilischen Organisation.“107 Für ihn gibt es innerhalb des Kontinuums also verschiedene Mischverhältnisse von Stoffarten. Aus der einfachen Leiter oder Kette werden so komplexe Theorien der graduellen Unterschiede.108 In einem Abschnitt über die „Verbindung des physischen Lebens mit der intellektuellen Welt“ bezieht er sich auf Aristoteles und Argumentationen der Analogie und Verwandtschaft: „Allenthalben im Thierreiche aber (…) findet eine, schon von Aristoteles anerkannte und für jeden, 103 Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte, Band 1 – 5, Göttingen 1802 – 1822. Treviranus setzt sich mit verschiedenen Theorien zu „belebt“, „beseelt“ etc. auseinander und handelt dann von den Tieren, (Säugetiere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten, aber auch von den „Thierpflanzen“ und „Pflanzenthieren“ als Übergangswesen), um dann in den weiteren Bänden über die Verbreitung der Tiere und Pflanzen, über Wachstum und Fortpflanzung, über Ernährung, Bewegung und Schlaf oder Reizbarkeit, Wärme und Nerven, Seelenkräfte und Sinne zu handeln. 104 Treviranus, Biologie, Band 1, 1802, S. 16 f. 105 Treviranus, Biologie, Band 1, 1802, S. 107 f. 106 Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte, Band 1, Göttingen 1802, S. 446 ff. 107 Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte, Band 1, Göttingen 1802, S. 446 f. 108 Im sechsten Band, in dem er auf Seelenkräfte und Sinne eingeht, wird besonders eindrücklich, w ­ elche Lebewesen etwa w ­ elche Fähigkeiten schon besitzen oder nicht. Dabei ist Seele und Bewusstsein etwas, das sich in der Stufenlehre sozusagen in Tier- und Pflanzenreich mehr und mehr verringert, bzw. für den Menschen schließlich dort nicht mehr wahrnehmbar ist. Er schreibt im Abschnitt Gebiet und Stufenfolge des Beseelten in der lebenden Natur: „Es lässt sich nicht bestimmen, wie weit sich dieser Mangel an Bewusstseyn im Thierreiche erstreckt. Nur in uns selber kennen wir mit voller Gewissheit ein bewusstes Leben. Bey den übrigen thierischen Wesen nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass sie Bewustseyn ihres Daseyns haben, desto mehr ab, je mehr ihre Lebensäusserungen blos automatischer Art sind (…).“ (Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte, Band 5, Göttingen 1822, S. 6 f.)

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der die Natur mit unbefangenen Sinnen beobachtet, unverkennbare psychologische Ähnlichkeit statt. (…) worauf sich bey Untersuchungen über das Gebiet und die Stufenfolge des Beseelten im Thierreiche bauen lässt.“109 Zwar äußert er sich nicht direkt zu Seelen- und Bewusstseinskräften der Pflanze, aber die ausgeklügelte Gradationslehre zeigt, wie sehr diese Vorstellungen von zunehmender seelischer Komplexität innerhalb der Kette der Lebewesen noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts für viele Botaniker und Zoologen die Grundlage des Denkens darstellten. Treviranus wiederum wird in der Biologiegeschichte unter der Rubrik „Romantische deutsche Naturphilosophie in der Biologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts“ kategorisiert und damit zu jener Strömung gerechnet, die sich von den empirischen Naturwissenschaften entfernt und zu romantisch-­spekulativen Betrachtungen geneigt habe, aber nach 1830 an Einfluss verloren habe.110 Hier bleibt aber in vieler Hinsicht unklar, wie und ob diese Theorien weiterlebten oder letztlich auch mit späteren ökologischen Theorien in Verbindung stehen. Bei manchen Verfassern überwiegt allerdings das Spekulative zweifelsohne. Auch M. Römer, der 1835 ein Handbuch der allgmeinen Botanik zum Selbststudium verfasst, spricht selbstverständlich vom „Gewebe“, lehnt bezeichnenderweise das Bild der „Stufen­leiter“ ab und sucht die Antwort in kreis- und kugelförmigen Anordnungen in der Natur: „Bonnet, stätige Reihen in der Verwandtschaft der natürlichen Körper ahnend, gab Veranlassung, den Zusammenhang derselben unter sich mit einer Stufenleiter zu vergleichen. Keine Vorstellung konnte unglücklicher sein. Die Verwandtschaften der natürlichen Wesen durchkreuzen und berühren sich auf den scheinbar am weitesten von einander entfernten Punkten, sie bilden gleichsam ein Netz oder noch besser ein Gewebe von unzähligen Kreisen, deren Peripherien sich wechselseitig berühren und durchschneiden. Schon die Anordnung des Weltalls, die Harmonie der Sphären, die sich in Kreisen und Ellipsen um und durcheinander bewegen, während sie selbst derselben Gestalt sich mehr oder weniger nähern, muss eben sowohl auf diese Idee führen wie das Entstehen aller Körper aus Bläschen und kugelförmigen Embryonen. Beinahe gleichzeitig entwickelten mehrere Naturforscher ersten Ranges, Agadh, Fries, Decandolle, Mac Leay, jeder in einem anderen Gewande, aber alle von der gleichen Idee durchglüht, die große und herrliche Idee der natürlichen Verwandtschaften, ­welche einen neuen Blick in die geheimen Werkstätten der Natur eröffnete.“111 Hier wird die Verwandtschaft der Wesen sehr spekulativ.112 109 Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte, Buch 9 (findet sich in Band 6), Göttingen 1822, hier S. 7. 110 Z. B. Jahn / Lötzer / Senglaub, Geschichte der Biologie, 1982, S. 305 ff. 111 Römer, M.: Handbuch der allgemeinen Botanik zum Selbststudium auf der Grundlage des natürlichen Systems bearbeitet von M. Römer, königl. Landrichter in Aub, Erste Abtheilung, München 1835, S. 3. 112 „Wenn die Bildungsreihen der Geisterwelt, wie zu vermuthen, sich in immer grössern und umfassendern Ringen um die Gebilde unsers Planeten schlingen, so wird auch wohl z­ wischen ihnen und diesen leztern eine Berührung und eine Verwandtschaft stattfinden, und es möchten in dieser höhern Klasse erschaffener Wesen wohl die Imponderabilien und der Aether die Tangenten des Kreises irdischer K ­ örper

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116 |  Naturauffassungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts

Dass Theologie, Philosophie und Naturlehre in den kollektiven Wissenspraktiken bis weit ins 19. Jahrhundert nicht zu trennen sind, betont aber sogar noch 1848 ­Matthias Jacob Schleiden in seinen auflagenstarken populären Vorträgen Die Pflanze und ihr Leben, die bis Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder gedruckt werden.113Auch für Schleiden steht noch 1855 zwar außer Frage, das Physik und Metaphysik nicht trennbar sind, aber er sah sich fern aller romantischer Naturphilosophie oder Schwärmerei. Er betont, sich allem „schellingisch-­naturphilosophischem Geschwätz, von Phanta­ stereien frei“ zu halten und „daß die Wissenschaft auch ohne die Schminke jener bewußten oder unbewußten Lüge, ­welche Dichtung dem Gedanken, Phantasie dem Wissen, Traum der Wahrheit unterschieben möchte, anziehend, ja selbst ­liebenswürdig erscheinen kann.“114 Was er inhaltlich unter dieser philosophischen Naturlehre versteht, grenzt aber an Aspekte, die wir heute gemeinhin unter Ökologie fassen: „Man kann fügliche die sämmtlichen Betrachtungen unter vier Gesichtspuncte orden: erstens, wie verhält sich die Pflanze für sich als Aufgabe wissenschaftlicher Forschung, zweitens, in ­welchen Beziehungen stehen die einzelnen Pflanzen zu einander, drittens, in welchem Verhältniß stehen die Pflanzen als Organismen zum Organismus der ganzen Erde, und viertens, wie verhält sich der Mensch zur Pflanzenwelt.“115

sein, während in dem höchsten Reiche der leztern die Krone der planetarischen Schöpfung, der Mensch, den Uebergang zur Geisterwelt vorbereitet, und die condensirten Licht- und Nebelmassen des Sternenhimmels vielleicht in ihrem Verwandtschaftskreise eine Affinität zu den Vegetabilien andeuten.“ (Römer, Handbuch, 1835, S. 3. 113 Noch 1855 heißt es im Vorwort: „Ein großer Theil der Laien, selbst unter den Gebildeten, ist noch von früher daran gewöhnt, den Botaniker für einen Krämer in barbarisch=lateinischen Namen anzusehen, für einen Mann, der Blumen pflückt, sie benennt, trocknet und in Papier wickelt, und dessen ganze Weisheit in Bestimmung und Classification ­dieses künstlich gesammelten Heu’s aufgeht. Leider ist ­dieses Bild des Botanikers einmal wahr gewesen, aber es schmerzte mich, zu sehen, daß es jetzt, wo es auf den größten Theil der Pflanzenforscher nicht mehr paßt, noch von gar Vielen festgehalten wird und ich versuchte, (…) zu zeigen wie die Botanik fast mit allen tieffen Disciplinen der Philosophie und Naturlehre aufs Engste zusammenhängt (…).“ (Schleiden, M. J.: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge, 4. Auflage Leipzig 1855, S. XIV f.) 114 Schleiden, M. J.: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge, 4. Auflage Leipzig 1855, S. XVI. 115 Schleiden, M. J.: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge, 4. Auflage Leipzig 1855, S. XVI.

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Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze

Die grundlegende Verwandtschaft und Ähnlichkeit der Lebwesen in der Kette der Wesen führte nicht nur zu besonderen Formen der Betrachtung der Gesamtordnung der Natur um 1800. Sie führte auch in Bezug auf die Pflanze zu den vielfältigsten Analysen bezüglich ihrer Organe, ihrer Lebensweise und ihrer Eigenheiten, wie im Folgenden insbesondere mit Hinblick auf die botanischen Zeitschriften oder verbreitete botanische Literatur dargelegt werden soll. Die Begeisterung der Zeit für das Experimentieren, das Beobachten und Debattieren verbindet sich hier mit den Beobachtungen zur „Physikalität“ der Pflanze, die an die Physikalität von Mensch und Tier gemahnt. Betrachtet man die Diskussionen um die Anatomie oder um die vitalen Funktionen und Lebensweisen der Pflanzen, so wird offensichtlich, dass in dieser Anfangszeit der Wissensbildung über die Pflanze als Lebewesen die Beschreibungen von Begrifflichkeiten geprägt sind, die gleicher­maßen für Mensch, Tier und Pflanze verwendet wurden. Im Folgenden wird dafür der Begriff der Homologie verwendet. Homologien Homologie meint dabei hier, aus dem Griechischen kommend (homologein, d. h. übereinstimmend), eine grundsätzliche Verwandtschaft und Übereinstimmung von Merkmalen, eine Vielfalt in der Gleichheit. Im weiteren Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff also eine Gleichheit oder Ähnlichkeit, die nicht auf den ersten Blick augenfällig sein muss, aber dennoch vorhanden ist, wie etwa auch in Pierre Bourdieus Begriff der Homologie von Räumen.116 In der heutigen vergleichenden Anatomie bezeichnet dagegen die Homologie die Übereinstimmung von Organen, physiologischen Prozessen und Lebensweisen verwandter Arten, die evolutionär gemeinsame Ursprünge aufweisen. Der evolutionäre Gedanke ist jedoch in der hier zur Diskussion stehenden Zeit noch nicht vorhanden, man geht im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert noch weitgehend von einer statischen Natur aus. Was konnte man also damals unter Homologie verstehen? 116 Pierre Bourdieu nutzt den Begriff für die Beschreibung etwa der Homologie von Räumen, wenn bspw. Anordnungen im physischen Raum den Hierarchien im sozialen Raum entsprechen, also Sozialstruktur und physische Raumstruktur homolog, gleichartig sind. Siehe etwa die Studien zum kabylischen Haus, in: Bourdieu; Pierre: Entwurf einer ­Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, 4. Auflage 2015. Für die Diskussion über diese Begriffe – insbesondere den der Homologie – danke ich insbesondere Dorothee Rippmann, mit der ich diese Fragen zu Analogie oder „Gleichheit“ gewinnbringend erörtern durfte.

118 |  Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze

Tatsächlich taucht der Begriff der Homologie zeitgenössisch ohne den Bezug auf die spätere, darwin’sche Evolutiontheorie bereits auf. So verwendete ihn wohl Richard Owen (1804 – 1892) erstmalig für Übereinstimmungen der Lebewesen, denn er suchte nach einem von Gott geschaffenene Archetypen (ähnlich wie Goethes Suche nach der Urpflanze). Owen stand den Vertretern der Natural Theology nahe und benutzte diesen Begriff in den 1840er Jahren generell für die Gleichartigkeit von Organen bei verschiedenen Tieren.117 In ­diesem Sinne soll er hier für eine Form der Gleichheit stehen, die von den Zeitgenossen als ­­solche postuliert wurde und trotzdem vielfältigste Formen von Lebewesen umschloss. Dass es sich in den Aussagen der Zeitgenossen zu Gleichheit oder Ähnlichkeit der Lebewesen nicht nur angesichts des Mangels an moderner Terminologie in Bezug auf Pflanze und Tier um den metaphorischen Gebrauch einer am Menschen ausgerichteten Terminologie handelt, sondern dass tatsächlich um die Vielfalt in der Gleichheit der Lebewesen untereinander in dieser Zeit gerungen wird, wird in den Debatten deutlich. Die Diskussionen drehen sich um die Körperorgane der Pflanzen, um Phänomene des Pflanzenschlafes, um pflanzliche Sexualität, um pflanzliche Mobilität oder um die Empfin­dungsfähigkeit der Pflanzen und die Frage nach der Pflanzenseele. Was die Naturforschenden, die Botaniker und Botanisten, hier beschreiben, ist dabei im Grunde die anticartesianische Deutung der Natur, nämlich eine, die von einer Gleichheit der Lebewesen in ihrer Wesenheit, in ihren Seelen- und Körperprozessen, in ihrer Teilhabe an Lebensaltern und an „Leben“, an Werden und Vergehen ausgeht.

2.1 Beobachtungsweisen: Experimente, Beobachtungen, Folgerungen Zunächst stellt sich dabei auch die Frage: Was heißt eigentlich „Naturforschung“ in einer Zeit, in der Physik und Metaphysik noch nicht auseinandergetreten sind? Grundlegend für die Erforschung der Natur ist im 18. Jahrhundert noch die mehrfach erwähnte Aufteilung nach den drei Reichen der Natur: den Steinen, den Pflanzen und Tieren. Sie spiegelt die aristotelische Naturlehre und die Struktur der Lehrbücher für Anfänger der Naturkunde des 18. Jahrhunderts wider.118 Mit den zunehmend genaueren 117 Siehe: Haupt, Hans: „Das Homologieprinzip bei Richard Owen. Ein Beitrag zur Geschichte des Platonismus in der Biologie“, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Band 28, 1935, S. 143 – 228; Rupke, Nicolaas A.: Richard Owen. Biology without Darwin, Chicago 2009. 118 Sie findet sich ebenso bei Johann Beckmanns Werk Anfangsgründe der Naturhistorie wie etwa bei Johann Christian Polykarp Erxlebens ebenfalls unter dem Titel Anfangsgründe der Naturgeschichte erschienenem Werk und vielen anderen. Auch Lehrbücher für Kinder rekurrierten zunächst auf die vereinfachte Rezeption aristotelischer Stufung – Pflanzen leben, Tiere bewegen sich und fühlen, Menschen denken. (Siehe etwa: Raff, Georg Christian: Naturgeschichte für Kinder, Göttingen 1778.) Gelegentlich, wie etwa

Beobachtungsweisen |

Beobachtungs- und Messmethoden sowie neuen aus Übersee eingewanderten Pflanzenarten geriet diese Einteilung jedoch mehr und mehr in Frage und erschien – gerade auch im Hinblick auf die Kette der Wesen – als zu einfach. In vielfacher Weise wurden daher von den botanisch Interessierten Versuche angestellt, Beobachtungen mitgeteilt, Experimente wiederholt. Vieles konnte dabei von vielen mit bloßem Auge beobachtet werden oder ohne größeren Aufwand experimentell nachvollzogen werden, anderes erwuchs aus der Kombination von Beobachtung und Analogieschluss. Pflanzenexperimente allgemein Auch wenn im 18. Jahrhundert unterschiedliche Diskurse nebeneinander bestanden – cartesianisch denkende Forscher biologische Vorgänge mechanistisch erklären wollten, während eine andere Strömung diejenigen Naturforscher einte, die jeden Organismus im Gegensatz hierzu als Form von Seelenkraft oder Lebenskraft erklärten und vitalistische und animistische Theorien vertraten – so waren doch die Vorgehensweisen beider bei der konkreten Untersuchung der Pflanzen kongruent. Gleichgültig welcher Fraktion man angehörte: Das Leben der Pflanzen sollte jetzt in Beobachtung und Experiment geklärt werden – nicht durch die Übernahme tradierter Aussagen oder Berichte. Beobachtung und Experiment waren dabei mitnichten nur einzelnen Gelehrten vorbehalten, sondern stellten zunehmend eine Umgangsweise mit der Natur dar, die vielfache gesellschaftliche Kreise zog. „Die Geschichte der Natur steht allerdings mit dem Forschungstriebe des menschlichen Geistes in enger Verbindung. Betrachten wir den Menschen von seiner frühesten Jugend an, wo sich die ersten Ideen entwickeln, bis zu dem höchsten Greisenalter, so nehmen wir in ihm einen regen Trieb wahr, seine Kenntnisse zu erweitern und sich unbekannte Erscheinungen erklären zu lassen“,119 heißt es im Neuen Magazin für die Botanik in einer Rezension zu einem Lehrbuch von August Batsch. Hier wird ausgesprochen, was für viele in der Zeit der Aufklärung ein Grunddiktum darstellte: Es sei ein dem Menschen ureigenes Verlangen, dass er die Erscheinungen der ihn umgebenden Natur erklären möchte. Kaum eine Epoche hat diesen Wissensdrang des Menschen wohl so in das Zentrum ihrer Überzeugungen und Ideale gestellt wie das aufklärerische 18. Jahrhundert. Aufgrund der Hinwendung zu den neuen Wissensweisen – dem Experiment, der Beobachtung, der Nachprüfbarkeit – und der Abwendung von Autoritätsgläubigkeit und tradiertem Wissen entstand hier auch im „Publikum“ eine neue Umgangsweise mit dieser dem Menschen angeborenen Neugier: Es ging nicht mehr bei Erxleben, wird für die Pflanzen aber auch der Mangel an Empfindung als Unterscheidungsmerkmal zum Tier angegeben, nicht nur die fehlende Bewegungsfähigkeit. 119 Da ein Verfasser der Rezension nicht angegeben ist, handelt es sich wohl um den Herausgeber selbst, Römer, der hier kommentiert. Siehe: Neues Magazin für die Botanik in ihrem ganzen Umfange. Heraus­ gegeben von J. J. Römer, Zürich 1794, Band 1, S. 265.

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120 |  Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze

nur um das „Etwas-­erklärt-­bekommen“, sondern es ging um die eigenen Versuche, die eigene Beobachtung, um das umgesetzte kantianische sapere aude, das alleinige Vertrauen auf die eigenen Verstandeskräfte. In der Praxis hatte dies zur Folge, dass die Experimentierfreudigkeit zunahm – nicht nur bei einzelnen Gelehrten, die ihre Beobachtungen mitteilten, sondern in einer größeren neuen Öffentlichkeit, unterstützt in Zeitschriften, Sozietäten und in urbaner Geselligkeit. Versuche wurden nachgebaut, Beobachtungen beschrieben, Überprüfungen von Experimenten begrüßt, Neues angezweifelt, diskutiert, validiert oder verworfen. Experimente mit Pflanzen konnten dabei in vielfacher Weise angestellt werden. Beispielhaft sind viele bis heute in Überblickswerken zur Entwicklung der Naturwissenschaft aufgeführte Experimente, wie sie etwa Stephen Hales (1677 – 1761) zur Ernährung von Pflanzen unternahm. Er führte Messungen durch, wie viel Wasser eine Pflanze mit den Wurzeln einzieht und durch die Blätter wieder ausdünstet oder wie stark die Saugkraft von Wurzeln ist.120 Zu denken ist auch an die Experimente zur Luftreinigung von Jan Ingenhousz, Joseph Priestley und Jean Senebier (siehe Teil III , Kap. 2) oder die verschiedenen Versuche zur Befruchtung von Pflanzen mit Hilfe von Insekten etc. Derartige Versuche wurden ausführlich in den Magazinen besprochen. Aber es gab bei Weitem nicht nur diese, an die wir uns heute erinnern, weil sie als Wege zum „richtigen“ Wissen weitertradiert wurden. Es gab ebenso vielfältige Versuche, die heute fremd oder gar sinnlos erscheinen. Die Bandbreite der Experimente der Zeitgenossen war dabei enorm: So finden sich in den Quellen unzählige Versuche zu vitalen Lebensfunktionen der Pflanzen – ebenso zu konkreten Pfropfvorgängen und Züchtungen, bis hin zu skurril anmutenden Versuchen über die „Selbstentzündung“ von in Fett gekochten Kräutern.121 So wurde beispielsweise erläutert, dass Kräuter, die in Öl oder Fett liegen, Häuser in Brand setzen könnten. Besonders nachdem Schiffe gebrannt hätten, habe man den Selbstentzündungen nun mehr Aufmerksamkeit gewidmet und so habe ein Laborant etwa Johanniskraut in gereinigtem „Baumöl“ gekocht und filtriert, um Wundsalbe herzustellen, und auch ­dieses habe sich entzündet.122 Hieraus ergaben sich so oftmals auch alltagspraktische Erkenntnisse.

120 Bettex, Entdeckung der Natur, 1965, S. 154. 121 Siehe: „Versuche über die Selbstentzündung der in fetten Substanzen gekochten Kräuter. Vom Hrn ­Saladin, Arzt zu Lille in Flandern“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 3, 2. Stück (1785), S. 70 f. 122 „Es erhellet aus diesen Versuchen, daß die Kräuter, sie mögen aromatisch, oder geruch= und geschmacklos seyn, sich allemal von selbst entzünden, wenn sie in Oel oder anderm Fett, und selbst in Rindermark gesotten werden, wenn nur alle Feuchtigkeit aus ihnen gedunstet ist (…) Es können also durch sie bey unvorsichtiger Behandlung gar wohl Laboratorien, Küchen, Vorrathskammern, die nicht recht feuerfest sind, und somit ganze Häuser in Brand geraten.“ Saladin, Selbstentzündung, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, 1785, S. 72 f.

Beobachtungsweisen |

Praxisnahe Forschung Besonders in der wöchentlichen Zeitschrift Flora finden sich die unterschiedlichsten Experimentbeschreibungen. So wurde beispielsweise 1820 in der Flora „Ueber die Kunst, verwelkte Blumen wieder zu beleben“123 gesprochen. Der Beitrag stammte von A. Vogel, einem Mitglied der Münchner Akademie der Wissenschaften, der sich wiederum auf ein Journal aus der Physik bezog. Bezeichnenderweise ging es aber hier nicht einfach um praktische Tipps, Schnittblumen frisch zu halten, sondern um die Beobachtungen an den Pflanzen, auch wenn derartige Beobachtungen später wieder in Alltagpraktiken der Bürgerhäuser umgesetzt werden konnten. So beschreibt der Beiträger detailliert über fünf Seiten hinweg sein Wissen und seine Erfahrung: „Schon vor langer Zeit hat man die Bemerkung gemacht, dass die warmen Mineral-­Quellen Gasteins in Salzburg die Eigenschaft besitzen, den zum Theil verwelkten Blumen, ­welche in das warme Wasser getaucht werden, ein schönes und frisches Aussehen wieder zu geben (…)“.124 Nun sei die Wirkung warmen Wassers in englischen und französischen Zeitschriften erneut beschrieben worden, weshalb er dem Phänomen nachgehen wolle: „Ich wiederholte den Versuch, und fand ihn fast wider meine Erwartung auf das vollkommenste bestätigt. Verschiedene eben gepflückte Blumen mit ihren Blättern, als rothe und weisse Malven, Glocken, Lamberten, hatten 24 Stunden an der freien Luft gelegen, und einen gleichen Grad von Verwelkung erreicht. Von jeder Art nahm ich zwei. Die eine wurde bis zur Hälfte des Stiels in Wasser aus der Isar, welches eben zu kochen aufhörte, die andere in kaltes Isarwasser gestellt. Nach Verlauf von einigen Stunden begann die Blume, w ­ elche im heissen Wasser gestanden hatte, sich aufzurichten und nahm endlich eine ganz senkrechte Stellung an, die Blätter verloren ihre Runzeln, wurden wieder voll und grün, die Blumen öffneten sich, nahmen ihre natürliche Farbe wieder an, und blieben noch einen Tag frisch. Diejenigen Blumen dagegen, ­welche in kaltes Wasser getaucht standen, hatten fast gar keine Veränderung erlitten.“125 Die ­gleiche Wirkung sei mit destilliertem kochendem Wasser zu erreichen. Als Ursache vermutet er dann, dass das heiße Wasser die Poren öffne und das Wasser daher noch mal in der Pflanze emporsteige. In seinen Ausführungen nimmt er dabei auch immer wieder Bezug auf andere Botaniker, die ähnliche Versuche angestellt hätten. Es geht also um genaue Analysen, oft um genaue Versuchsanweisungen, das genaue Festhalten von Vorgängen und nicht selten auch um die genaue Angabe, wann, wie und wo diese Versuche stattfanden. 123 Abdruck einer Abhandlung „Ueber die Kunst, verwelkte Blumen wieder zu beleben, von A. Vogel, Mitglied der Königl. Baier. Academie der Wissensch. in München“ (Bezogen auf eine Abhandlung aus Gilbert’s Annalen der Physik, Jahrgang 1819, 3. Stück, S. 225), in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 3, Band 1, Regensburg, Ausgabe vom 14. Juni 1820, S. 347 ff. 124 Flora oder Botanische Zeitung, 14. Juni 1820, S. 347. 125 Flora oder Botanische Zeitung, 14. Juni 1820, S. 349 f.

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122 |  Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze

Hier werden wieder Strukturen der Wissenszirkulation deutlich: Beobachtungen werden vorgetragen, veröffentlicht, erneut irgendwo abgedruckt, nachvollzogen und erweitert, wiederum veröffentlicht usw. Dabei finden sich als Beiträger der Artikel in den botanischen Magazinen sowohl Namen, zu denen heute keine weiteren Informationen mehr auffindbar sind, wie auch Forscher, die bis heute als die herausragenden Gelehrten dieser Zeit im kollektiven Gedächtnis geblieben sind. Auch sie beschreiben in den Zeitschriften dergleichen untrennbar ­zwischen „Praxis“ und „Grundlagenforschung“ angesiedelte Beobachtungen. So legte etwa der heute als Pflanzenphysiologe rezipierte Genfer Jean Senebier (1742 – 1809)126 seinen Lesern im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte Beobachtungen über Einflüsse der Witterung auf die Pflanzen 127 dar. „Organisirte“ Körper befänden sich demnach in einer bestimmten Spannung, und jede von außen einwirkende Veränderung bewirke Empfindung und Reaktion. Die Menge der in der Luft vorhandenen elektrischen Flüssigkeit könne nicht vermehrt oder vermindert werden, ohne dass die Körper dabei litten, so gäbe es Personen, die bei bevorstehendem Gewitter von Krämpfen und Nervenanfällen heimgesucht würden etc. Senebier erläutert die Verhaltensweisen der Tiere – wie Wasservögel auf das kommende Wetter reagieren, wann Eidechsen in ihren Löchern bleiben, bei welcher Witterung Katzen sich putzen etc. Ebenso betrifft dies die Pflanzen: „Auch die Pflanzen spüren besondere Wirkungen, wenn sich das Wetter ändern will. Holz und Stricke schwellen auf und zeigen sich als Hygrometer, wenn es regnen will. Auch öffnen sich bey einigen Pflanzen die Blumen nicht eher, als wenn es regnen will, z. B. der Ibiscus trionum. Auch die Blüthe der Pimpinella öffnet sich, wenn sich das Wetter ändern will, und die Stengel des Klees erheben sich, wenn Regen bevorsteht.“128 Daraus leitet er Wettervorhersagen ab. Für den Leser sind auch seine Angaben zur Wärme nachprüfbar und anwendbar in Garten und Landwirtschaft: Die meisten Bäume verlieren laut seinem Artikel bei 4 Grad unter 0 ihre Blätter (hier bezogen auf Grad Réaumur, A. d. V.), unter 30 Grad minus erfrieren Nussbäume oder Pflaumenbäume; bei einigen Tagen über 4 Grad fängt der Haselstrauch an zu blühen, bei 6 ½ die Küchenschelle, bei 7 die Petersilienwurzel und die Birke, bei 9 der Ahorn, die Feldzwiebel, die Narzisse etc. Senebier fügt Tabellen eines Herrn Cotte an, der entsprechende Aufzeichnungen zu vielfältigen Temperaturmessungen bei Blüh- und Reifezeit von Pflanzen und Früchten, beim Auftauchen bestimmter 126 Jean Senebier (1742 – 1808) wurde insbesondere wichtig für die Entdeckung der „Pflanzenatmung“, siehe Bettex, Entdeckung der Natur, 1965, S. 176 f.; Cetta, Toni: Artikel „Senebier, Jean“, in HLS 11, Basel 2012, S. 436. 127 Senebier, „Vorherbestimmung der Witterung“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1792), S. 17 – 36. 128 Senebier, J.: „Beobachtungen über Thiere und Pflanzen zur Vorherbestimmung der Witterung“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 8, 2. Stück (1792), S. 21.

Beobachtungsweisen |

Insekten oder Zugvögel gemacht habe.129 Andere Botaniker beziehen sich in ihren Artikeln dann wieder auf Senebiers Aussagen usw. Bei diesen Experimenten mit Pflanzen macht sich nun auch der Einfluss der fortschreitenden Chemie und Physik bemerkbar – Parameter wie Wärme und Licht werden in ihrer Wirkung auch auf pflanzliche Körper hin untersucht. Die Versuche sind aber andererseits in den meisten Fällen noch nicht so elaboriert oder gar an technische Gerätschaften geknüpft, dass der interessierte Leser des botanischen Magazins nicht entsprechend mitagieren könnte, Dinge nachprüfen könnte oder Eigenes einbringen könnte. Nur wenige Versuchsbeschreibungen erfordern technische Hilfsmittel, wie etwa eine „Elektrisiermaschine“, wie es im Folgenden beschrieben wird. Die Elektrisierung von Pflanzen Die „Elektrizität“ ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine vielfach diskutierte und geradezu in Mode gekommene Erscheinung, wie Oliver Hochadel es beschreibt.130 „Elektrizität“ wurde beispielsweise auch vielfach im Hinblick auf Pflanzen untersucht. Dabei ging es um Ladungen, Spannungen und Entladungen, die nicht immer klar zuordenbar waren, wohl aber, etwa durch Reibung in Elektrisiermaschinen, erzeugt werden konnten. „Elektrizität“ schien in der Luft zu sein, sich in Blitzen zu entladen und grundlegenden Einfluss auf die Lebewesen zu haben. Meist ging man davon aus, „daß das elektrische Fluidum wirklich einen sehr wirksamen Einfluß auf Pflanzen und vegetabilische Substanzen überhaupt und deren Vervollkommnung habe“, wie ein Artikel im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte darlegt, wo der Verfasser bezeugt, dass Pflanzen, die in einem Zimmer mit einem „elektrischen Apparat“ standen, wunderbar gediehen und wie welke Pflanzen durch das Elektrisieren sich wieder aufrichteten etc.131 Im Hamburgischen Magazin etwa finden sich entsprechende Beschreibungen, wo ein Johann Browning aus Bristol das „Elektrisieren“ eines Baumes erläutert – zeitgemäß in Briefform gefasst und schon 1748 abgedruckt.132 Browning beschreibt, wie es zu den 129 Senebier, „Vorherbestimmung der Witterung“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, 1792, S. 28 ff. 130 Siehe: Hochadel, Oliver: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung, Göttingen 2003. Die Entdeckungen zur Elektrizität in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind mit den Versuchen von Franklin, Faraday, Volta, Coulomb, Ampére u. a. verbunden, siehe Bettex, Entdeckung der Natur, 1965, S. 121 ff. 131 „Ueber die Wirksamkeit der Elektriztät auf vegetabilische und thierische Körper“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 5, 4. Stück (1788), S. 57 f. 132 „Auszug aus einem Briefe von Herrn Johann Browning von Bristol an Herrn Baker M. d. k. Ges. vom 11. Dec. 1746. Die Wirkung der Elektricität auf Pflanzen betreffend“, in: Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen, Band 2, 6. Stück (1748), S. 629 – 631 (BZA)

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124 |  Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze

­ ersuchen kam: „Weil ich einen Arbeitsmann mit einer guten elektrischen Maschine V zu Bristol hatte, fiel mir ein, einen Baum zu elektrisieren“. Solche Elektrisiermaschinen, in denen die Reibung z­ wischen unterschiedlichen Materialien Energie erzeugt, wurden vielfach verwandt und genutzt, um die Auswirkungen dieser neuentdeckten Kraft auf bestimmte Dinge zu untersuchen. Browning etwa versprach sich hierbei das „Erheben der Blätter“, was nicht geschah, fand jedoch einen „Strom schönes purpurblaulichten Lichtes, so einem Amethysten sehr ähnlich fiel, und einen Zoll lang von dem äußern iedes Blattes aufwärts gieng“, was er den „wässerichten Theilchen“ zuschrieb.133 „Elektrizität“ schien so einen Einfluss insbesondere auf Flüssigkeiten zu haben und wurde nicht nur im Zusammenhang mit dem Blutkreislauf bei Tier und Mensch diskutiert, sondern auch in Bezug auf den Pflanzensaft. Derartige Versuche erforderten aber offensichtlich Apparaturen, die nicht jedermann zugänglich waren. Denoch finden sich ähnliche Artikel oder Rezensionen zu entsprechenden Büchern, die sich mit solchen Experimenten und Beobachtungen zur „Elektrizität“ und ihrer Wirkung auf Pflanzen befassen, in hoher Zahl, was auf das Interesse des Publikums an diesen Versuchen schließen lässt.134 Aber ­­solche Versuche und Experimente werden auch mit praktischen Fragen verbunden, wie etwa 1809 ein Beitrag eines Herrn Crome in den Annalen des Ackerbaus darlegt, der dieser Kraft „Elektrizität“ einen immensen Einfluss auf die Vegetation zuschreibt.135 Ausgehend von den Überlegungen, dass nicht nur der Boden Einfluss auf das Pflanzenwachstum habe, sondern eben auch die umgebende Luft, welcher die Pflanze ausgesetzt ist, erläutert der Autor die Vorstellungen der Chemiker über die Zusammensetzungen der Luft aus „luftförmigen“ und „dunstförmigen“ Körpern sowie die Struktur der Blätter mit ihren Saugöffnungen und vermutet hier vielfältige Einflüsse durch Wärme, Licht und besagte Elektrizität: „Es ist wohl hinreichend erwiesen, dass auch diese problematische Materien, die Elektricität, die bei so manchen Erscheinungen in unserer Atmosphäre die wichtigste Rolle mitspielt, und sich immer in derselben verbreitet findet, einen wichtigen Einfluss auf die Vegetation äussert. Aber wie diese Materie selbst wirkt, das wird uns wahrscheinlich nicht eher deutlich werden, ehe wir nicht selbst genauere Kenntnisse von ihrer Natur haben. (…) Es scheint indessen 133 Browning, Hamburgisches Magazin (1748), S. 629 f. 134 Weitere Beispiele: Ungenannter Autor: „Ueber die Bewegungen des Hedysarum gyrans und die Wirkung der Elektrizität auf dasselbe“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 6, 3. Stück, (1790), S. 5 – 27. Ingenhouß: „Ueber den Einfluss der Luftelektricität auf das Wachsthum der Pflanzen“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 6, 4. Stück (1790), S. 70 – 81. Oder Auszüge aus einem Brief von Jan Ingenhouß „Ueber die Wirkung der Luftarten, der Licht- und Wärmegrade und der Electricität auf das Keimen und Wachsen der Pflanzen“, in: Magazin für das ­Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 5. Band, /2. Stück (1788), S. 34 – 46 (BZA). 135 Crome, G. E. W.: „Ueber den Einfluss der Atmosphäre und ihrer Veränderungen auf die Vegetation“, in: Annalen des Ackerbaus 9 (1809), S. 411 – 460 (BZA).

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durch die neueren Entdeckungen im Gebiete der Physik immer wahrscheinlicher zu werden, dass sie mit dem Licht und Wärmestoff in naher Verbindung steht (…) Die meisten Versuche der Physiologen beweisen uns, dass mässig angewandte Elektricität dem vegetabilischen wie dem thierischen Körper zuträglich, dass indessen starke angewandte elektrische Schläge den Pflanzen nachtheilig sind, und ihre Reizempfänglichkeit durch Ueberreizung gänzlich abstumpfen.“136 Blitze zumindest s­ eien für die Bäume fatal und auch gebe es die Erscheinung des „Taubwerdens“ von Pflanzenblüten nach einem Gewitter oder nach Wetterleuchten.137 Aber auch durch den Regen komme immer ein gewisses Maß an Elektrizität und Kohlensäure auf die Pflanzen herab.138 Er bezieht sich sodann auf Joseph Priestley: „Nach Priestley’s Beobachtungen hat der Blitz vorzüglich den Nutzen, die Luft zu zersetzen, und während dieser Zeit das kohlen­saure Gas abzuscheiden, welches dann grösstentheils von dem herabfallenden Regen aufgenommen und zur Erde geführt wird. Durch diese Wirkung erklärt sich denn auch die Erfrischung nach der vorher so schwülen, drückenden Luft, und der wohlthätige fruchtbare Einfluss eines Gewitterregens auf das Wachsthum der Pflanzen. Andere Naturforscher streiten gegen diese Behauptung, weil sie das Wasser, welches bei einem Gewitterregen fällt, völlig frei von Kohlensäure fanden!“139 „Kohlensäure“ jedoch sei zentral für das Pflanzenwachstum.140 Unklar sei auch, ob nicht die Elektrizität beim Befruchtungsgeschäft der Pflanzen mitwirke 141 usw. Viele derartige Spekulationen sind heute schwer nachzuvollziehen, die Art und Weise aber, in der hier um Erkenntnisse gerungen wird, abgeglichen wird mit Erfahrungen und Versuchen anderer, macht anschaulich, wie sich hier weder Gelehrte und Nichtgelehrte trennen lassen, noch „Erwiesenes“ von „Spekulatives“ klar getrennt ist. Ein eher schillernder Schmelztiegel des Wissens und Forschens scheint hier auf. Argument trifft auf Gegenargument, Beobachtungen anderer werden aufgegriffen, überprüft, verändert. Über Jan Ingenhousz heißt es im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte: „Man weiß, daß sich Hr I. viele Mühe gegeben hat, um über die Wirksamkeit der künstlichen Electricität auf das Gedeihen der Gewächse etwas zu entscheiden (…)“.142 Sodann wird über Versuche mit Jasminpflanzen berichtet, die sich um einen Blitzableiter 136 137 138 139 140

Crome, Einfluss der Atmosphäre, S. 437 f. Crome, Einfluss der Atmosphäre, S. 439. Crome, Einfluss der Atmosphäre, S. 439. Crome, Einfluss der Atmosphäre, S. 440. „Der Antheil des kohlensauren Gases hingegen, welches sich vorzüglich nahe der Erdoberfläche in den untern Luftschichten befindet, wirkt sehr vortheilhaft auf die Pflanzen ein: sie athmen dasselbe ein, binden den Kohlenstoff desselben, und hauchen den Sauerstoff wieder aus.“ (Crome, Einfluss der Atmosphäre, S. 421). 141 Crome, Einfluss der Atmosphäre, S. 439. 142 Unbekannter Verfasser: „Ueber den Einfuss der Luftelektricität auf das Wachsthum der Pflanzen“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 6, 4. Stück (1790), S. 70.

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rankten und dort besonders reich blühten etc. Es wird hier erläutert: „(…) man glaubt wirklich, daß die Fruchtbarkeit welche man nach solchen Gewitterregen bemerkt, von der Electricität herrühre, die sie mit sich aus den Wolken zur Erde bringen. Hr. I. hält indessen auch auf diese Meynung nicht viel. Wäre die Electricität so wirksam, so müßten die Früchte aus den Gewächshäusern, die durch keinen Tropfen elektrisches Wasser befeuchtet werden (…) den in den Gewitterregen gewachsenen weit nachstehen, welches aber gegen die Erfahrung ist. Wäre die Luftelectri­cität zum Wachsthum der Pflanzen bestimmt, so müsste die wohl im Sommer am stärksten seyn. Allein die Erfahrung lehrt, daß der Schnee weit länger elektrisch bleibt als der Regen; auch müßte das Wachsthum am stärksten seyn, wenn die Luftelectricität am stärksten wäre, welches man aber gleichfalls nicht so findet; nach Saussure steigt die Luftelektricität an heitern Tagen von früh morgens nach und nach immer höher und kommt gegen Mittag, zu einem gewissen Maximum, von da scheint sie wieder abzunehmen bis zum Fallen des Thaues, wo sie wieder vorwärts geht“143. Es folgen Versuche, die Ingenhousz angeblich selbst angestellt habe – mit gespannten Messingdrähten in seinem Garten, metallenen Leitern, mit denen er die Elektrizität auffing. Er habe aber keine Wirkung der aufgefangenen Elektrizität feststellen können. Ganze Gitterwerke hätten seinen Garten geziert. Ähnliche Versuche habe ein Herr Breda in Wien angestellt usw. Zweifelsohne schwingt allerdings gerade bei den Fragen um die Elektrizität auch ein Unterhaltungseffekt mit, etwa wenn man in der Flora unter „Lesefrüchte“ 1822 liest: „An einem schwülen Sommerabend bemerkte Johnson zu Witterby in Schottland, das die Blumen der Tuberosen leuchteten. – Er fand, dass drei Blumen, die schon zu welken anfingen, kleine Funken von lichtgelber Farbe mit grosser Geschwindigkeit ununterbrochen ausstiessen, und dass sich dabei ein sehr starker fast unangenehmer Geruch verbreitete. Dass die Funken dufteten, liess sich unterscheiden; bei aller Aufmerksamkeit aber wurde kein Knistern, wie von electrischem Licht, entdeckt.“144 Experimente zur Entstehung von Leben aus totem Material Zum Forschungsobjekt wurde dabei alles, was in der eigenen Umgebung auffindbar war. Für die Frage nach der Entstehung etwa von „Tieren“ waren es beispielsweise Experimente, die von vielen nachgestellt werden konnten – etwa wenn man in einem Glas auf einem Fensterbrett im Sonnenlicht Blätter vermodern ließ und sich mit der Zeit Algen oder sogar Kleinstlebewesen (Wimperntierchen, Pantoffeltierchen, mehrzellige Rädertierchen) 143 Unbekannter Verfasser: „Ueber den Einfuss der Luftelektricität auf das Wachsthum der Pflanzen“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 6, 4. Stück (1790), S. 72 f. 144 Ohne Verfasserangabe unter „Lesefrüchte“ in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 5, 1. Band, Ausgabe Nr. 3 vom 21. Januar 1822, S. 44.

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unter dem Mikroskop oder gar mit dem bloßen Auge beobachten ließen. Hierzu diente auch die vielbeschriebene Beobachtung der „Priestley’schen grünen Materie“, die jeder auf dem Fensterbrett ziehen konnte, wenn er etwa Blätter in einem Glas unter Wärmeeinwirkung verfaulen ließ. So berichtete ein nicht weiter benannter Verfasser unter der Rubrik „Botanische Notizen“ in der Flora 1820 genauestens, wie er etwas beobachtet, was Joseph Priestley schon beschrieben hatte: Dass sich in abgestandenem Wasser die sogenannten „Converfen“ oder „Infusorien“ bildeten. (Beide Begriffe werden in dieser Zeit offensichtlich mehr oder weniger deckungsgleich für die mikroskopisch sichtbaren Kleinstlebewesen verwendet, wobei die Infusorien stärker mit „Bewegung“ assoziiert werden, also im zeitgenössischen Denken schon stärker auf der Stufe des Tieres standen.) Diese sogenannte „Priestley’sche Materie“ warf jedenfalls die Frage nach der Entstehung von Leben auf. Der unbenannte Verfasser schreibt: „Seit einigen Tagen (im Jan.) ist das eine unserer warmen Häuser in einem vegetabilischen Destillationsprozess begriffen: das Wasser, das durch die Wärme verdunstet, sammelt sich an den oberen Fenstern und tröpfelt an den Rahmen herab, so dass sich überall schöne Flecken von grüner Priestleyischer Materie bilden. Die frisch zusammengeronnenen Tropfen zeigen unter dem Microskop keine Spur von Infusionsthierchen; die ältern, die gewöhnlich schon etwas Membran abgesetzt haben, sind zähe und schleimig, wie Quitenschleim. Diese bestehen denn alle aus unzähligen kleinen durchsichtigen Blättchen wie Sporidien, die sich aneinanderreihen und grün werden, wie man dies sehr deutlich beobachten kann. (…) Von der gewöhnlichen Priestleyischen Materie die ich voriges Jahr im April so schön zu beobachten die Freude hatte, ist diese doch seltsam verschieden, da ich noch nie ein lebendes Infusorium entdecken konnte.“145 Derartige Beobachtungen stießen die Fragen um die Enstehung von Leben an. Verschiedenste Abhandlungen erschienen hierzu, Nees von Esenbeck schrieb hierzu ebenso wie ein Dr. Ehrenberg, der dessen Beitrag in der Flora kommentierte: „Sie haben mir, verehrter Freund, durch die gründliche Bestätigung meiner Beobachtungen eine sehr grosse Freude gemacht, und ich will gern Ihrem Wunsch genügen, einige Bemerkungen hinzuzusetzen. Möge hier eine kurze Uebersicht von dem stehen, was ich zu den Acten der Academie der Naturforscher in Bonn als Vorläufer einer ausführlichen Behandlung des Gegenstandes eingesendet habe. Mein Bestreben war seit einger Zeit: die Grenze ­zwischen der Generatio aequivoca oder der Erzeugung organischer Körper aus anorganischen und erstorbenen Stoffen, zur eigenen Belehrung zu beobachten, und weil Pilze und Infusorien bis in die neueste Zeit die Angeln dieser Sache gewesen sind, so theilte ich meine Nebenstunden unter die

145 Unbekannter Verfasser in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 3, Band 2, Ausgabe 36 vom 28. September 1820, S. 573 f.

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Beobachtung beider.“146 Und er berichtet ausführlich von seinen Versuchen, aus „toter Materie“ Lebewesen oder gar „Tiere“ zu ziehen. Gerade die Beobachtung von Schimmelpilzen auf angefeuchtetem Brot etc. erfreute sich großer Beliebtheit. Die zunehmende Verbreitung des Mikroskops ermöglichte dabei vielen die Teilnahme an der entstehenden „Mikrobiologie“. Die Möglichkeit, Kleinst­ lebewesen in Regenpfützen zu beobachten, erschien wie die Verheißung der Entdeckung unendlicher Welten. Wer ein Mikroskop besaß, konnte beispielsweise folgenden Versuch, den Nees von Esenbeck der Jüngere 1824 in der Flora beschrieb und der mit einer Kupfer­tafel illustriert wurde (Abb. 4)147, leicht nachstellen: „Ich habe Ihnen einen nicht unwichtigen Beitrag zur Geschichte der in Wasser wachsenden Schimmel mitzutheilen (…). In einem mit der Rinde der Alixia aromatica (…) bereiteten destillirten Wasser, welches ungefähr 8 Monat in einem leicht mit Papier verschlossenen Glase an einem feuchten Ort, aufbewahrt worden war, fand ich folgende, hier näher zu beschreibende Schimmelvegetation: Am Boden des Glases lagen mehrere etwas abgerundete Schimmelflocken, von sehr zarter flockig-­häutiger Farbe. Eine dieser Flocken schwamm nahe unter der Oberfläche, so dass ein kleiner Theil der etwas gewölbten oberen Seite derselben aus dem Wasserspiegel hervorragte; an dieser Stelle hatten sich kleine runde Häufchen von staubig-­körnigem Ansehen und graulich-­grüner Farbe gebildet. (…) Der unmittelbare Zusammenhang der grünlichen Köpfchen mit der im Wasser schwimmenden flockigen Substanz war leicht zu erkennen (…).“148 Bei der weiteren Untersuchung mit dem Mikroskop könne man dann Fäden mit Köpfchen erkennen, denn aus Wasser entstünden, wenn es in Zersetzung begriffene Sub­ stanzen enthielte, sogenannte „Fadenpilze“.149 Und er ergänzt: „Es scheint zur Bildung dieser Wesen der Mangel des Lichts eben so nöthig, als umgekehrt das Sonnenlicht zur Erzeugung wirklicher Conferven aus reinem Wasser erforderlich ist. (…) Ein tieferes Wesen derselben Familie geht unter, und aus seinen Elementen steigt ein vollkommenes auf.“150 Unter „Conferven“ verstand man hier wieder alles, was sich an Kleinstlebewesen in derartigen Tümpeln oder in abgestandenem Wasser mit Laubresten oder Ähnlichem entwickelte. Dabei war immer noch die Streitfrage, inwieweit sich diese Kleinstlebewesen bewegten oder nicht bewegten, inwieweit also aus „Material“, aus dem Verfall von Pflanzen einfache Tiere entstehen konnten. Ob diese „Conferven“ nun tierischer oder 146 „Zusatz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 3, Band 2, Ausgabe 34 vom 14. September 1820, S. 534. 147 Kupfertafel zur brieflichen Abhandlung von Esenbeck, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 1, im Jahrgangsband eingebunden z­ wischen Ausgabe 10 vom 14. März 1824 und Ausgabe 11 vom 21. März 1824, ­zwischen S. 160 und 161. 148 Nees von Esenbeck d. J. unter „Correspondenz“ in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 1, Ausgabe 11 vom 21. März 1824, S. 161 f. 149 Esenbeck, Flora oder Botanische Zeitung (1824), S. 163. 150 Esenbeck, Flora oder Botanische Zeitung (1824), S. 163.

Beobachtungsweisen | Abb. 4 Schimmelkulturen

pflanzlicher Art waren, war nicht geklärt.151 Hier schien manchen, man habe die Zwischenform ­zwischen Tier und Pflanze vor sich, man könne hier den Übergang z­ wischen den „Stufen“ der Lebewesen fassen. Theologisch gesehen dagegen war allerdings diese Sichtweise nicht unproblematisch, wenn etwa jemand behauptete, dass aus „totem Material“ hier Lebewesen enstünden. Gedankenexperimente und Beobachtung Ebenso mit den Formen der Beobachtung sind „Gedankenexperimente“ verbunden, indem nicht selten der Versuch unternommen wird, mit mathematischen Mitteln ein Pflanzensystem zu entwerfen. So heißt es etwa in einer in der Botanischen Zeitung von 1803 erschienenen Rezension zu einem derartigen Werk: „Die Astronomen haben sich vielfältig mit 151 Auch heute sind hier Abgrenzungen und Übergänge ­zwischen Grünalgen und Blaualgen (Bakterien) wohl komplexer Natur.

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den Zahlenverhältnisen der Gestirne unsers Sonnensystems beschäftigt, und es ging aus ihren Betrachtungen das endliche Resultat hervor, dass diese Körper nichts weniger, als aufs Gerathewohl in den Raum hingeworfen, oder von einem ungeschickten Cometen blind aus der Sonne hinausgeschleudert s­ eien, sondern dass hier, wo nichts als ungefähre Stellung zu seyn scheint, der schönste und herrlichste Einklang aller Verhältnisse sei. Sollte so was nicht auch bei den organischen Gebilden unsers Erdballs Platz haben? Es hat nicht an scharfsinnigen Botanisten gefehlt, w ­ elche gewisse Uebereinstimmungen der Zahlenverhältnisse unter den verschiedenen Blüthetheilen wahrgenommen haben. (…) Der ungenannte Verfasser der Abhandlung, die wir anzeigen, hat diese Idee, (…) sehr vollständig ausgeführt.“152 Es folgt dann die Beschreibung eines sehr komplizierten mathematischen Systems der Zahlenverhältnisse bei Staubfäden, Griffelzahlen, Blattständen etc. Gedankenexperiment und Beobachtung konnten hier ineinander übergehen. Die Freude am Spekulieren, am Denken und Experimentieren wird hier greifbar. Spekulatives und Erwiesenes sind dabei nicht immer klar definiert. Dies ist aus der Sicht der Zeitgenossen auch nicht nötig, denn ist eine Idee im Raum, so werden sich andere Naturforscher finden, die dem wiederum nachgehen, werden Dinge belegt und widerlegt werden und so wird sich mit der Zeit die „richtige“ Sichtweise im Kollektiv der aufklärerisch Forschenden herausdestillieren. Das Noch-­nicht-­wissen und Spekulieren ist eine legitime aufklärerische Position. Der Positivismus hat noch nicht Einzug gehalten. Nicht legitim dagegen ist aus Sicht der Aufklärer das Nichtfragen oder Nicht-­darüber-­Nachdenken. Offenes Land der Forschung Den Zeitgenossen war also durchaus bewusst, dass sie vor vielen Rätseln standen. So ruft ein Verfasser im Magazin für die Botanik von 1787 am Schluss einer Abhandlung über Schwämme aus: „Wer kann sagen, er habe es unwidersprechlich dargethan, dass keine Thierchen in den Schwämmen vorhanden seyen, ­welchen man den geschwinden Wachsthum und den so sonderbaren und merkwürdigen Bau der Schwämme zuschreiben könne? Liebe Naturforscher! Es bleibt wahrlich unsern Nachkommen noch viel zu entdecken übrig!“153 Die Mannigfaltigkeit und heute teilweise Verwirrung stiftende Vielfalt an Behauptungen, Beobachtungen und Erklärungsversuchen veranschaulicht, wie sehr hier eine ganze Gruppe botanisch Interessierter mitagierte, sich als Teil der neuen Wissenschaft verstand und wie der Fantasie beim Entwerfen von Experimenten keine Grenzen gesetzt waren. 152 „Prag bei Calve: Entwurf eines Pflanzensystems nach Zahlen und Verhältnissen“, in: Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Ausgabe Nr. 4 vom 28. Februar 1803, S. 49 – 58. 153 Lycoperdon arrizon; Abdruck eines Auszugs einer Abhandlung über Schwämme, in: Magazin für die Botanik, 1. Stück (1787), S. 73.

Beobachtetes |

2.2 Beobachtetes Die Beobachtungen und Experimente im endenden 18. Jahrhundert führen zu Dikussionen über den „Pflanzenkörper“ und seine Organe. Dabei geht es nicht nur um die durch Carl von Linné schon erneut ins Spiel gebrachte Frage nach der Sexualität der Pflanzen, sondern generell um ihre „Organe“, ihre Extremitäten, die Saftkreisläufe und schließlich gar um ihre Empfindungsfähigkeit.

2.2.1 Sexualität und Fortpflanzung der Pflanzen Wie entstanden Pflanzen? Die unterschiedlichen Formen generativer Reproduktion bei Pflanzen – die geschlechtliche Fortpflanzung durch Bestäubung bei Blütenpflanzen sowie die bei vielen Pflanzen ebenso vorkommende ungeschlechtliche Reproduktion – waren im 18. Jahrhundert noch nicht geklärt, auch wenn Linné für höhere Pflanzenarten die pflanzliche „Sexualität“ dargelegt hatte und zum klassifizierenden Merkmal erhoben hatte. Wie war die Fortpflanzung insbesondere bei Moosen und Algen zu verstehen? Bei den Debatten um die vegetabilen Reproduktionstheorien muss im Hintergrund mitgedacht werden, dass auch die Embryologie erst im Entstehen war, dass also auch für Mensch und Tier keineswegs geklärt war, wie die Genese des Embryos zu bewerten war.154 Schon 1682 allerdings hatte Nehemiah Grew im Hinblick auf die Pflanzen die Staubgefäße als Träger des männlichen Befruchtungsstoffes ins Gespräch gebracht, aber noch 1819 stellte die Berliner Akademie die Preisfrage, ob es bei Pflanzen denn überhaupt eine Befruchtung gebe?155 Die in dieser Zeit vieldiskutierte Frage nach der Fortpflanzung der Pflanzen war hier zu Beginn der Erforschung pflanzlicher Reproduktion also nicht zuletzt auch eine Frage nach dem Zusammenhang von Materie und Lebewesen. War die Entstehung kleiner Lebewesen immer an die Verbindung von Ei und Samen gekoppelt? War das Lebewesen dann im Ei oder im Samen vorgebildet? War – nachdem die geschlechtliche Fortpflanzung der Blütenpflanzen insbesondere durch Linnés Schriften Teil des Allgmeinwissens geworden war – also in der Vegetation im Grunde generell von einer geschlechtlichen Fortpflanzung auszugehen und ein neues Lebewesen nur durch Ei und Same zeugbar und vielleicht diese geschlechtliche Fortpflanzung bei bestimmten Pflanzenarten, wie 154 Siehe Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 285 ff.; Arni, Caroline: Pränatale Zeiten. Das Ungeborene und die Humanwissenschaften (1800 – 1950), Berlin 2018. Offensichtlich gibt es hier auch Analogien zum „pflanzenhaften“ Zustand des Ungeborenen und auch hier werden Fragen der „Beseelung“ diskutiert; siehe Arni, Pränatale Zeiten. Das Ungeborene und die Humanwissenschaften (1800 – 1950), Berlin 2018, S. 57 ff. 155 Bettex, Entdeckung der Natur, S. 174.

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etwa Moosen, nur mit noch besseren Mikroskopen beobachtbar und deshalb noch nicht verifizierbar? Oder gab es doch ungeschlechtliche Reproduktion im Pflanzenreich? Gab es eine Entstehung von Algen und Kleinstlebewesen aus „Materie“ durch Fäulnis und Gärung (was schnell in gefährliche Nähe zum Atheismusverdacht rückte)? Konnten in „Urzeugung“, wie etwa in den beschriebenen Experimenten zur „Priestley’schen Materie“, aus den im Wasser verfaulenden Blättern (in zeitgenössischer Vorstellung „Materie“) in den Tümpeln Kleinstlebewesen ohne Zeugung entstehen? Entstanden so einfache Tiere aus toter Materie und durch Fäulnisprozesse, höhere Tiere dagegen durch Zeugung? War „Materie“ eigentlich tot oder belebt? Was jeweils unter „Urzeugung“, der Entstehung von Lebewesen aus „unorganisierter Substanz“156, zu verstehen ist, variiert dabei auch in den Quellen erheblich. Oder existierten sogar alle Lebewesen, wie es die christliche Tradition nahe legte, in kleinster Form seit der Schöpfung der Welt und entfalteten sich nur? Waren sie gar unerkennbar klein vollständig vorgeformt en miniature im Körper eines Elternteils? Warum konnte man durch Teilung (etwa bei Pflanzen und Würmern) neue Lebewesen erzeugen? Galt einem aristotelisch geschulten Naturforscher letztlich alles Existierende als belebt, so war die Entstehung der Lebewesen aus abgestorbenen Lebewesen (beispielweise der „Conferven“ und „Infusorien“ aus dem verfaulten Laub im Tümpel) für ihn durchaus denkbar. Auch viele Physikotheologen, die Gott und das göttliche belebende Prinzip überall in der Natur fanden, standen so einer Position nicht unbedingt fern. Sah jedoch ein cartesianisch geprägter Naturforscher, der Materie und Geist rigide trennte, auf das Konzept der Urzeugung, so musste dies, als zufälliges Entstehungsprinzip aus Totem, aus leblosem Material, dem Atheismusverdacht unterliegen. Ob hier allerdings immer klare Linien gezogen werden können, welcher Richtung ein Naturforschender zuzuordnen ist, ist sehr zweifelhaft. Viel zu selbstkritisch ist dabei auch die Position vieler Naturforschender der Zeit, die sich durchaus bewusst waren, dass vieles im Naturgeschehen noch ungeklärt war und sich noch im Stadium der Hypothesen und Theorien befand.157 Die Streitigkeiten ­zwischen jenen, die eine überall existierende pflanzliche Sexualität annahmen, und jenen, die von möglichen ungeschlechtlichen Reproduktionsweisen ausgingen, zeigen aber zudem erneut den Grundkonflikt auf, mit dem sich die Zeitgenossen 156 Siehe hierzu auch Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 41 ff. 157 François Delaporte, der sich aus biologiegeschichtlicher Sicht ausführlich mit den Debatten des 18. Jahrhunderts um die vegetabile Fortpflanzung befasst hat, unterscheidet in etwas anderer Weise zwei Lager in ­diesem Streit und trennt die sogenannten Anhänger des „Sexualismus“, die allen Pflanzen eine der menschlichen und tierischen Sexualität analoge Fortpflanzungsweise unterstellten, von denen des „Agamismus“, die die Fortpflanzung ohne Befruchtungsvorgang verfochten (s. u.). Sicherlich war auch diese Trennung vorhanden und zeigt, wie komplex diese Diskussionen waren. Siehe: Delaporte, Das zweite Naturreich, Ausgabe 1983, S. 83 ff.

Beobachtetes |

auseinandersetzten: Wie viel Verwandtschaft und Ähnlichkeit bestand ­zwischen den Pflanzen, den Tieren und den Menschen? Gestand man den Pflanzen eine Form zweigeschlechtlicher Sexualität zu, so rückte diese die Pflanzen in die Nähe von Mensch und Tier. Waren dagegen Entstehungsmöglichkeiten pflanzlicher Materie durch „Urzeugung“, durch das Zusammenfinden bestimmter „Materienteile“ gegeben, so war das Pflanzenreich dem Tier- und Menschenreich ferner und näher an der „Materie“ zu verorten, wobei aber zentral blieb, wie man diesen Urstoff oder diese Materie interpretierte. Zweigeschlechtlichkeit Zweifelsohne ist der mit Linnés Name verbundene „Sexualismus“ im 18. Jahrhundert zunächst die vorherrschende Idee. Hier wurde im Pflanzensamen in Analogie zum Tier ein befruchtungsfähiges Ei gesehen. Analog zur Tier- und Menschenwelt musste es somit männliche und weibliche Pflanzen geben, beziehungsweise zumindest männliche und weibliche Pflanzenteile. So konnte man etwa bei einer Blüte Griffel und Narbe als weibliches, „empfangendes“ Genital der Pflanze deuten und die Staubbeutel oder Staubfäden als männliches. Menschliche und tierische Fortpflanzungsmechanismen wurden dabei auf die Pflanze übertragen. „Die Pflanzenphysiologie bleibt der Tierphysiologie verpflichtet“158, wie Delaporte es beschreibt. Londa Schiebinger hat gezeigt, wie die in dieser Zeit herrschenden kulturellen Strukturierungen der Welt in „Weibliches“ und „Männliches“ diese Muster mitbedingten, die in die wissenschaftlichen Texte eingingen.159 Anders gesagt: Wer zweigeschlechtliche Sexualität im Pflanzenreich suchte, der fand sie auch. Und sei es in der Annahme, dass – beispielsweise etwa bei Moosen und Flechten – diese Elemente so winzig klein waren, dass man sie eben (noch) nicht nachweisen könne. Die Geschlechterstereotype der Zeit wurden dabei teilweise in sehr ausschweifenden Formen auf die Pflanzenwelt übertragen – sowohl bei Carl von Linné wie bei Erasmus Darwin (1731 – 1802)160 oder in fast satirisch anmutender Form bei Julien Offray de La Mettrie. Schiebinger wertet dabei das Geschlechterstereotyp als eines der „mächtigsten Organisationsprinzipien für die Umwälzungen in der Naturanschauung des 18. Jahrhunderts“.161 Sicherlich ist dies stimmig für die Linné’schen Klassifikationsweisen und die Diskussionen um die pflanzliche Heterosexualität. Nicht zu vergessen ist dabei aber die dieser Idee zu Grunde liegende Vorstellung einer überhaupt möglichen Analogie von Pflanze und Tier, der Verwandtschaft der Wesen innerhalb der Seinskette. Erst die 158 Delaporte, Das zweite Naturreich, Ausgabe 1983, S. 94. 159 Schiebinger, Londa: Nature’s Body, Boston 1993. Im Folgenden wird die deutsche Übersetzung von 1995 zitiert: Schiebinger. Londa: Am Busen der Natur. Erkenntnis und Geschlecht in dn Anfängen der Wissenschaft, Stuttgart 1995. 160 Siehe: Schiebinger, Natur, 1995, S. 26 ff. 161 Schiebinger, Natur, 1995, S. 16.

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grundsätzliche Annahme einer möglichen Verwandtschaft und Ähnlichkeit unter allen Lebewesen inklusive des Vegetabilen macht es überhaupt möglich und notwendig, die gefundenen Pflanzenteile analog zur gesellschaftlich vorgefundenen Welt zu strukturieren. Erst die Einordnung des Menschen innerhalb einer in Kontinuitäten und graduellen Unterschieden verflochtenen Natur macht eine solche ­­ Annahme plausibel und lässt die Erstreckung menschlicher Eigenschaften auf das Vegetabile zu. Die Nähe der Wesen ermöglicht Vorstellungen, die den ursprünglich christlich-­cartesianischen Trennungen von Mensch und umgebender Natur zuwiderlaufen. Eine Übertragung von zeitgenössischen Genderzuschreibungen des 18. Jahrhunderts auf die vorgefundenen, angeblich sexuellen Unterschiede z­ wischen Pflanzen oder Pflanzenteilen basiert auf einer Nähe von Mensch und Pflanze – auch bei Linné. Linné rückte damit definitiv – ob er das nun beabsichtigt hatte oder nicht – die Pflanze noch weiter in die Nähe des Menschen. Würden Pflanzenkeime dagegen allein durch Wachstum oder durch Ernährung aktiviert, besäße die Pflanze keinerlei Sexualität und wäre eine kategorisch von Mensch und Tier sehr unterschiedene Lebensform. Wie weit diese Zuschreibungen ausphantasiert wurden, lässt sich nicht nur bei Londa Schiebinger nachlesen, sondern wird in vielfacher Weise auch in den hier bearbeiteten Zeitschriften offensichtlich. Befruchtung und Bestäubung zumindest der Phanerogamen, der Blütenpflanzen, waren schließlich Vorgänge, die jedem Botanisten zugänglich und beobachtbar waren. Glücklich, wer ein Mikroskop besaß. Die allgemeinen Versuche waren jedoch auch ohne große Ausrüstung möglich. So wurden beispielsweise Johann Gottlieb Gleditschs (1714 – 1786) Versuche der Befruchtung einer Palme durch das Übertragen von Pollen per Hand nicht nur immer wieder erwähnt, sondern vielfach nachgestellt und erprobt.162 Ende des 18. Jahrhunderts blieb dabei die linné’sche Sexuallehre der Pflanzen – die im Übrigen wiederum auf Vorgängern wohl bis in die Antike hinein fußte – weitgehend unumstritten. Im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte wird beispielsweise (wohl vom Herausgeber, zu ­diesem Zeitpunkt Lichtenberg) das Werk eines Herrn Desfontaines zusammengefasst, das von der „Reizbarkeit der Geschlechtstheile bey den Pflanzen“ handelt. Hier wird gesagt: „Man hätte vielleicht niemals vermuthet, daß sich die Aehnlichkeit z­ wischen den Thieren und Pflanzen bis auf die Reizbarkeit der Geschlechtstheile erstrecke, wenn man sich nicht durch Beobachtungen selbst wirklich davon überzeugt hätte. Die Bewegung der Geschlechtstheile hat man bisher nur bey dem Sauerdorn (Berberis) oder indischen Feige (Opuntia) und dem Heiden=Isop (Helianthe) 162 Gleditsch vermutete eine Zweigeschlechtlichkeit der Dattelpalmen. Er erhielt von einem botanischen Garten Blüten einer Dattelpalme und konnte damit sein eigenes Exemplar bestäuben. Siehe u. a. die Würdigung seiner Versuche und Werke in: Willdenow, Carl Ludwig und Usteri, Paulus: Beyträge zur Biographie des verstorbenen Hofrath und Professor Dr. Johann Gottlieb Gleditsch (…), Zürich 1790.

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beobachtet, wo sie sehr leicht in die Augen fällt. Hr. Desfontaines, ein geschickter Botaniker, von der Pariser Akademie der Wissenschaften, hat eine Reihe von ihm über diesen Gegenstand angestellter Beobachtungen der Akademie noch vor seiner Abreise nach den Küsten der Barbaren, vorgelesen, davon das Gegewärtige ein Auszug ist.“163 Es folgen Ausführungen über die Staubbeutel der Lilie: „Die Staubbeutel der Lilien sind vor ihrer Oefnung längst der Fäden gleichlaufend am Griffel befestigt, von dem sie sich auf 5 bis 6 Linien weit entfernt befinden. Sobald aber der Staub heraus geht, so werden sie am Ende der Fäden, woran sie fest waren, beweglich, und es nähert sich einer nach dem andern sehr sichtbar der Narbe; sobald sie aber ihren befruchtenden Staub über d ­ ieses Organ verbreitet haben, entfernen sie sich auch wieder fast augenblicklich von demselben.“164 Es folgen analoge Beschreibungen zur persischen „Schachtblume“, zum „Kamelheu“, zum „Goldwurz“, zu Knoblaucharten, zu Spargel. Die Analogie zum Tier wird dabei immer wieder explizit gemacht: „Nichts ist indeß in dieser Art wunderbarer, als die Bewegung der männlichen Geschlechtstheile beym Gerberbaum (Rhus). Dieser hat 10 Staubfäden, von ­welchen 5 mit den Blumenblättern abwechseln, und die übrigen 5 ihnen entgegengesetzt sind. (…) Im Augenblick der Befruchtung heben sie sich bey zweyen ja bisweilen bey dreyen zugleich hervor, beschreiben einen Viertelskreis, bringen ihre Staubbeutel ganz nahe an die Narbe, und wenn sie den Fruchtknoten beschwängert haben, so entfernen sie sich, beugen sich nieder und verhüllen sich zuweilen aufs neue wieder in die Vertiefungen der Blumenblätter. (…) Welcher andern Ursache wollte man nun wohl eine ­­solche Bewegung der Befruchtungswerkzeuge zuschreiben, als einer Art von Organisation, die der thierischen entsprechend ist?“165 Die Terminologie verbleibt dabei in ­diesem semantischen Feld von „Schwängerung“, „Mannbarkeit“, „Geschlechtstheile“. Rollentypische Erwartungen der Zeitgenossen scheinen ungehindert auf: „Die Staubfäden bey den Tabackspflanzen neigen sich oft alle zugleich nach dem Staubweg, um ihn zu befruchten, so daß, wenn man sie zur Zeit der Ergießung ihres Staubs beobachte, sie diesen Geschlechtstheil so innig berühren, daß sie eine ordentliche Krone über ihm bilden; aber auch hier gehen sie alsbald wieder an ihre vorigen Stellen zurück, wenn sie ihr Geschäfte verrichtet haben. Jene Art männlicher Gleichgültigkeit, die man bey den Thieren nach der Begattung durchaus wahrnimmt, und die alsdann erfolgende Entfernung des Männchens vom Weibchen, scheint sich auch bey den Pflanzen wieder zu finden (…). Die Bewegungen der Griffel und Narben sind weniger allgemein und überhaupt weniger in die Augen fallend, als der Staubfäden ihre; 163 Ungenannter Zusammenfasser (wohl der Herausgeber Lichtenberg): „Ueber die Reizbarkeit der Geschlechtstheile bey den Pflanzen, von Hrn Desfontaines“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, herausgegeben von dem geheimen Secretär und Archivar Lichtenberg zu Gotha, Band 3, 4. Stück (1786), S. 37 f. 164 Ueber die Reizbarkeit, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1786), S. 38. 165 Ueber die Reizbarkeit, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1786), S. 39 f.

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so daß sich also das Gesetz der Schamhaftigkeit und der Delicatesse, auf die Art, auch bis auf die Pflanzen erstreckt.“166 In diesen Beschreibungen klingen die sich in dieser Zeit ausdifferenzierenden geschlechterpolaren Vorstellungen männlicher Aktivität und weiblicher Passivität zweifelsohne an. Die Übertragung menschlicher und tierischer Fortpflanzung auf das Pflanzenreich stellte aber die Naturforschenden schnell auch vor Probleme: Wie erklärte man dann Windbestäubung oder Insektenbestäubung? Konnte man den „Hermaphrodismus“ der Pflanzen also noch durch die gemeinsame Existenz weiblicher und männlicher Organe im Pflanzenkörper erklären, so blieb die Frage nach den Pflanzen, die keine selbstständige Befruchtung ausführen konnten, virulent, ebenso wie diejenige nach den moosartigen Gewächsen, den Kryptogamen, bei denen man keine „Sexualorgane“ dingfest machen konnte. Festzuhalten bleibt, dass für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts Carl von Linnés Beschreibungen zu den Fortpflanzungsorganen der Pflanzen zunächst unbestritten waren und erst Anfang des 19. Jahrhunderts wieder aufgrund der weiteren Beobachtungen, insbesondere zu den Moosen und Algen, neu hinterfragt wurden. Das Publikums­ interesse richtete sich aber zunächst unweigerlich auf die von Linné beschriebenen Aspekte, zumal Linnés Klassifikationssystem – und damit die für alle handhabbare Klassifizierungs­methode – auf der Anzahl und Anordnung von Staubgefäßen und Griffel, den Blütenorganen, basierte. Und dieses trug maßgeblich zur Verbreitung des Botanisierens bei. Linnés Art der Beschreibungen mischte zudem in zeittypischer Manier Wissenschaftliches mit literarischen Sprachformen und war wiederum eingewoben in die Geschlechterbilder der Zeit.167 Es wurde geradezu das „Intimleben“ der Pflanzen dargelegt, was in der Öffentlichkeit vielfältig auch zur Missbilligung führte. Linné ist dabei wiederum Motor der Verbreitung, ähnliches Gedankengut existierte aber auch vorher schon. Der Herausgeber der Physikalischen Belustigungen etwa macht der Leserschaft eine in Frankreich bereits vor Linnés Ausführungen erschienene Schrift zur „Vermählung der Pflanzen“ aus der Feder eines LaCroix aus Irland zugänglich, die ebenso in anthropomorphen, stark sexualisierten Bildern die pflanzliche Fortpflanzung beschrieb.168 Der Herausgeber erläutert bezüglich des Traktates von LaCroix: „Man wird aus d ­ iesem Gedichte abnehmen, daß schon die verschiedene Geschlechter der Pflanzen, wozu sich einige vergebliche Kräuterkenner heute zu Tage so dumm anstellen, vor Linnäus Zeiten sind eingesehen worden. Der gegenwärtige Verfasser hat die 166 Ueber die Reizbarkeit, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1786), S. 41 ff. 167 Schiebinger, Natur, 1995, S. 26 ff. 168 Diese Schrift erschien offensichtlich zunächst als lateinisches Gedicht und wurde dann in Frankreich in Briefform publiziert, worauf sich der Herausgeber hier stützt: LaCroix, D. MacEnroe, dit de: „Die Vermählung der Pflanzen“, in: Physikalische Belustigungen, 28. Stück (1756), Sp. 1331 – 1358, (BZA).

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Vergleichung mit den thierischen Theilen noch viel weiter getrieben, als der berühmte Linnäus, der so vorsichtig darinn gewesen ist, und doch von so vielen Narren deswegen die abgeschmacktesten Vorwürfe hat hören müssen.“169 Im übersetzten Text heißt es dann: „(…) wisset, daß die Blumen auch lieben können, und daß sie das Geheimniß haben, sich einander die unschuldige Glut mitzutheilen, die sie erhitzt. (…) Es mag nun das Männchen oder das Weibchen beysammen wohnen, oder sie mögen getrennet seyn; wenn sie einmal die ersten Flammen der Liebe gefühlt haben, so arbeiten Hymen, Cupido und seine M ­ utter an ihrer Vereinigung. (…) Wenn die Verliebten beysammen wohnen, so giebt Aurora das Zeichen ­­ zur Liebe, so bereiten sich die Stamina, die Spitze öfnet sich, der Saamengeist dünstet aus und trift mit einem Mahl die weiblichen Theile damit er mit desto grosserer Gewalt in die feinen Canäle der Trompete dringen könne, die ihn bis in die innerste Substanz der Placenta führet. (…) Dieser fruchtbare Hauch breitet sich in Nabelschnuren aus, und macht alle Germina fruchtbar. Das Weibchen freuet sich, in der Hofnung sich von neuem wieder leben zu sehen.“170 Die liebevolle ­Mutter stirbt dann für ihre Nachkommen usw. Die verwendete Bildlichkeit geht hin bis zur „Ehescheidung“, etwa bei sich entfernenden Staubbeuteln des zweiblättrigen Knabenkrautes, wie in einem Artikel über die „Ehescheidung oder Auswanderung der Männer von ihren Weibern im Pflanzenreiche“ in den Annalen der Botannick nachzulesen ist.171 Dass im Sinne mancher Zeitgenossen daher das Studieren der pflanzlichen „Sexualität“ für Frauen als unschicklich galt, während die Botanik als ­­solche sonst durchaus den Frauen aus dem Bürgertum angeraten wurde, liegt auf der Hand.172 Ungeschlechtliche Entstehung, Präformation und die Enstehung des Lebendigen aus dem Lebendigen Neben der vor allem durch Linné populär gemachten Sexuallehre der Pflanzen bestanden, wie gesagt, im 18. Jahrhundert auch andere Diskurse über die pflanzliche Reproduktion und wurden unter neuen Vorzeichen erneut aufgegriffen. Hier gingen nun einige, in Bezug auf die Kleinstlebewesen oder auch in Bezug auf bestimmte Pflanzenarten, von der „Agamie“ der Pflanzen, der „Ehelosigkeit“, also einer möglichen pflanzlichen Fortpflanzung ohne Befruchtung aus.173 169 LaCroix, Die Vermählung, in: Physikalische Belustigungen, (1756), Sp. 1331 – 1358, hier Sp. 1331 (BZA). 170 LaCroix, Vermählung, Physikalische Belustigungen (1756), Sp. 1338 f. 171 Naumburg, D. J. S.: „Ehescheidung oder Auswanderung der Männer von ihren Weibern im Pflanzenreiche“, in: Annalen der Botanick (hrsg. von P. Usteri), 9. Stück (1794), S. 12 ff. 172 Siehe: Schiebinger, Londa: Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft, Stuttgart 1993, S. 337 ff. („Was war so weiblich an der Botanik?“) 173 Delaporte, Das zweite Naturreich, 1983, S. 103 ff.

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Anhänger der Epigenese, der „Urzeugung“, die schon auf antike Schriften zurückging, nahmen auch teilweise an, dass Lebewesen aus abgestorbenem „Material“ neu entstehen könnten, d. h. dass Mikroorganismen aus „Teilchen“ entstehen können, die nach dem Tod anderer Lebewesen sozusagen als Minibausteine frei werden und so Leben bilden könnten.174 Laut Tuberville Needham konnte sich angeblich so etwa eine tote Fliege in einen Pilz umwandeln.175 Vielfach wiederum im Einklang mit religiösen Vorstellungen einer von Anbeginn an vollkommenen Schöpfung, waren die Anhänger der Präformationslehre, die annahmen, dass das vorgeformte Lebewesen vollständig im Samen oder im Ei präexistierte und nicht erst durch Zeugung enstand. (Dies konnte also bei geschlechtlicher oder ungeschlecht­ licher Fortpflanzung der Fall sein.) Während die Präformisten dabei von der Existenz des Lebewesens im Elternkörper (im Ei oder im Samen) ausgingen und das ganze Lebewesen dort vorgebildet war und sich dann entwickelte, hingen diejenigen, die an die Präexistenz glaubten, im Grunde sogar der alten Schöpfungstheorie an, indem sie annahmen, dass alle Lebewesen seit Schöpfungsbeginn durch Gott in dieser Weise vorgebildet waren und dann nur zur Entfaltung kamen. Damit entstand das Lebewesen im Sinne von Präformationsund Präexistenzlehre aber nicht aus „toter“ Materie, sondern bestand aus Lebendigem, wenn nicht sogar aus direkt von Gott geschaffenen Mikroformen. In der Schöpfungstheologie verwurzelte Naturforschende mochten jedenfalls offensichtlich die Vorstellung einer Entstehung von Pflanzen oder gar Tieren aus toter Materie offensichtlich nicht akzeptieren und wandelten sie entsprechend um, wobei aristotelische Vorstellungen mit schöpfungstheologischem Gedankengut verbunden wurden. Die Materie erschien ihnen dabei als Beseeltes, Lebendiges – aristotelisch mit Lebensatem Versehenes. War diese Materie belebt oder gar minimalst beseelt, schien dies mit Kontinuitätsthesen der Kettenvorstellungen vereinbar. Im Hinterkopf zu behalten ist dabei, dass die Trennung ­zwischen „Organischem“ und „Anorganischem“ im 18. Jahrhundert noch nicht existierte, ein Lebensprinzip des Organischen – das abgekoppelt zu denken war von etwas wie „Seele“ – nicht allgemeingültig definiert war, dies sich aber hier zu formieren beginnt. Die Epigenese unter Atheismusverdacht? Viele, die die Entstehung aus gestaltlosem Material offenbar in gefährlicher Nähe zum Atheismus sahen, verteidigten schlichtweg das Linnésche Sexualsystem und lehnten die ungeschlechtliche Entstehung von Leben aus „Materie“ ab. Eher schien ihnen mikro­ skopisches Arbeiten noch nicht ausgereift genug, um diese Befruchtungsvorgänge bei 174 Delaporte, Das zweite Naturreich, 1983, S. 103 ff. Auch: Bäumer, Geschichte der Biologie, S. 142 f. 175 Bäumer, Geschichte der Biologie, S. 143.

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allen Pflanzen beobachten zu können. So schreibt etwa ein Pastor Kloß 1785 im Hannoverischen Magazin gegen derartige Vorstellungen an: Es sei nicht denkbar, dass „Moose und Gewächse aus Fäulniß gleichsam durch ein chemisches Aufbrausen“ (hier sind die Gärungsprozesse gemeint, A. d. V.) entstünden.176 Vielmehr bestätige die Erfahrung, dass auch Moose sich durch Samen oder Zeugungssäfte fortpflanzen würden. Er erläutert über vierzig Spalten und drei Heftfolgen hinweg seine vielfältigen Versuche über die Entwicklung befruchteter und unbefruchteter Pflanzen, die er angestellt habe. Für Kloß ist dabei klar, dass die Entwicklung der Keime nur durch den „befruchtenden Saft“ (den Samen) ausgelöst werden könne. Er bezieht sich dabei immer wieder auf Bonnet, mit dem er außerdem auch einig sei, dass Tiere und auch Pflanzen daher nicht nach einer „Mechanik“, sozusagen als Maschine aus toter Materie nachgebaut werden könnten. Auch gibt er konkrete Versuchsanweisungen, wie die Leserschaft seine Versuche nachbauen könne.177 Erneute Diskussionen nach der Wende zum 19. Jahrhundert Bis Anfang des 19. Jahrhunderts blieb die Vorstellung, man müsse bei Moosen, Algen oder Pilzen etc. nur noch lange genug die Mikroskope und die Bildauflösung verbessern, um die Befruchtungsorgane bestimmen zu können, vorherrschend. Vorstellungen der „Urzeugung“, der spontanen Entstehung von Pflanzen oder Tieren aus Materie waren offensichtlich seltener äußerbar, wenn diese Materie als „unbelebt“ zu denken war. Dennoch blieben die Fragen aufgrund der fortschreitenden Entdeckungen im Feld der Mikro­ organismen problematisch. Erneut wirbelte die Debatte um eine mögliche Entstehung des Lebendigen aus der toten Materie zu Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Gab es vielleicht Ausnahmen? Andere mögliche Vorgänge der Fortpflanzung? Warum entwickelte sich ein in Wasser eingelegter Same spontan, ohne weitere Befruchtung? Besonders Moose, aber auch die heute weder zu den Pflanzen noch zu den Tieren zu zählenden Pilze beziehungsweise Schimmel, blieben ein Rätsel und wurden um die Jahrhundertwende zu einem der beliebtesten Untersuchungsobjekte. Schon Carl ­Ludwig Willdenow bemerkte 1796 in den Annalen der Botanick in einer Abhandlung über das Keimen der Pflanzen: „Was dem Thiere das Ey, ist den Gewächsen der Saame. Dass alle Pflanzen die man bis jezo entdeckt hat, und die in der Folge der Zeit noch entdeckt werden, sich durch Saamen fortpflanzen, wird von den meisten Naturforschern als wahr, und gewiss ausgemacht angenommen. Es hat aber nicht an Zweiflern, weder jezo, noch in frühern Zeiten, gefehlt, die einige Gewächse als Ausnahme von der Regel betrachten.“178 176 Kloß, J. F.: „Generation der Pflanzen“, in: Hannoverisches Magazin, 23. Jahrgang, 40./41./42. Stück (1785), Sp. 625 – 668, hier 626 f. 177 Kloß, Generation, 1785, Sp. 657 f. 178 Willendow, Carl Ludwig: „Ueber das Keimen der Pflanzen“, in: Annalen der Botannick. 17. Stück (1796), S. 1 f.

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Er fährt fort, Linné habe das Geschlecht der Pflanzen untersucht und vermutete Befruchtungswerkzeuge bei allen Pflanzen, manche aber leugneten diesen Fortpflanzungsweg bei Moosen, Flechten und Pilzen. Gerade Pilze stellten eine offene Frage dar, die Botanisten ­seien sich hier nicht einig: „Die Pilze hielt man anfangs für Gewächse ohne Blumen und Saamen, bis sie Herr von Münchhausen zu den Thieren zählen wollte, und endlich sind sie sogar von einigen für Krystallisationen der verfaulten gummösen Pflanzentheile angesehen worden“, schreibt Willdenow.179 Oder man habe bei Champignons im Mikro­ skop kleine Tierchen gefunden und daher angenommen, diese hätten den Pilz erbaut. Die Moose, Pilze und Mikroorganismen sind es daher, die Anfang des 19. Jahrhunderts die Diskussion um die Fortpflanzung der „Vegetabilien“ und das Entstehen von Leben erneut entfachen. So lässt sich etwa in den 1820er Jahren im Magazin Flora eine lange Debatte über ungeschlechtliche Fortpflanzung verfolgen. Bereits 1819 publiziert ein ungenannter Autor im Magazin Flora „Einige Beobachtungen über das Entstehen der Algen, Flechten und Daubmoose“.180 Derartige Überlegungen werden immer komplexer: „Vielfältige Untersuchungen und Beobachtungen derjenigen Bürger der Pflanzenwelt, ­welche auf der niedersten Stufe der Vegetation stehen, und in w ­ elchen gleichsam der erste Impuls vegetabilischen Lebens erwacht, haben mir ein Resultat geliefert, das von den Ansichten, die man bis jetzo von diesen Gewächsen hatte, bedeutend abweicht (…). Die ausführlichen Beobachtungen hierüber werde ich die Ehre haben der Kaiserl. Leop. Car. Akademie der Naturforscher zu Bonn, vorzulegen. Algen Flechten und Laubmoose, auf ­welche drei Familien meine Untersuchungen sich bis jetzo erstrecken, erzeugen sich unter günstigen Umständen ohne Saamen, durch die Zersetzung des Wassers. Der gemeinschaftliche Ursprung aller dieser verschiedenartigen vegetabilischen Bildungen ist das Monas Lens. Monas Lens ist das vegetabilische Infusorium, das von dem Lichte getödtet und angezogen, in Priestleysche Materie übergeht, aus welcher sich sodann durch fortwährende Einwirkung des Lichts und der Luft und dadurch bedingte fortschreitende Evolution des vegetabilischen Bildungstriebes die Algen, Flechten und Laubmoose entwickeln. Die verschiedenartige Ausbildung der Priestleyschen grünen Materie in Algen, Flechten und Laubmoosen, wird durch die verschiedene Einwirkung des Lichts, der Luft, der Feuchtigkeit und der chemischen Einwirkung der Unterlage bedingt. (…)“181 Der Autor fährt fort, dass es in Laubmoosen also keine Zweigeschlechtlichkeit gebe, sondern nur eine Art „Keimpulver“, ebenso würden sich Flechten durch Sprossen fortsetzen etc. 179 Willdenow, Keimen, Annalen der Botanick (1796), S. 5. 180 In der Überschrift heißt es noch „Hornschuchiana*“, möglicherweise ist also Hornschuch der Autor. Ungenannter Autor „Einige Beobachtungen über das Entstehen der Algen, Flechten und Daubmoose“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, 1. Band, Ausgabe 9 vom 7. März 1819, S. 140 ff. 181 Ungenannter Autor, Beobachtungen über das Entstehen der Algen, Flechten und Daubmoose, Flora (1819), S. 140 f.

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Warum ist dies überhaupt von Bedeutung? Es ist offensichtlich die Behauptung der Entstehung von Lebewesen durch „Materie“ (wir würden heute sagen durch organische Substanz), durch Zersetzungsprozesse, durch die Einwirkung von Licht und Wasser, die kritisch ist. Die Frage nach der geschlechtlichen Fortpflanzung vermischte sich so in vielen Fällen zweifellos mit der Frage nach der Entstehung von Leben. Zu beachten ist, dass auch die allgemeine Embryologie hier ein komplexes Feld darstellte, in dem sich beispielsweise der Epigenetiker Caspar Friedrich Wolff und der den Präformationsthesen anhängende Albrecht von Haller gegenüberstanden.182 Auch hier wirkten wohl noch immer die Fragen nach, inwiefern – cartesianisch gedacht – rein mechanische Vorgänge Leben bedingten oder inwiefern es einer wie auch immer gearteten Lebens- und Seelenkraft innerhalb der Tier- und Pflanzenwelt bedurfte, die letztlich immateriell war. Epigenetiker, die dem Material keine Immaterialität zugestanden, waren eigentlich Cartesianer der striktesten Sorte: Die Maschine Pflanze oder Tier entstand aufgrund mechanischer Gesetze und Prozesse aus der Materie heraus. Die Seele blieb dem Menschen vorbehalten und wurde ihm vielleicht auch erst zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft zuteil. „Urzeugung“ ließ sich also aber in ihren Anfängen einerseits im heutigen Sinne cartesianisch-­materialistisch denken, indem Maschinenpflanzen und Maschinentierchen aus dem Unbeseelten entstanden. Andererseits konnte dies aber genauso gut im Sinne des Gedankengutes der Kette der Wesen innerhalb einer nur graduellen Unterschiedlichkeit in der Natur und der Kontinuität verstanden werden: als Enstehung von neuem Leben aus letztlich „belebt“ oder „beseelt“ gedachtem Material. Vielfältige Schattierungen der Interpretation finden sich hier und bleiben teilweise schwer nachvollziehbar. So schreibt etwa ein Professor Wenderoth aus Marburg zum Werk des Arztes und Botanikers August Henschels (1790 – 1856) in einer Beilage zur Flora von 1821, auch er habe lange Zeit die Sexualtheorie Linnés als richtig erachtet und sei von der Zweigeschlechtlichkeit der Zeugungsorgane aller Pflanzen überzeugt gewesen, jetzt aber müsse er zugeben, dass nur im Tierreich die Trennung ­zwischen Weiblichem und Männlichem bestehe: „Im Thierreiche herrscht die Trennung; in der Pflanze aber ist die vollkommenste Vereinigung und Verschmelzung des Geschlechtlichen (…). So ist denn auch die Pflanze ihrer Natur nach, als ­­solche und als Ganzes hermaphroditisch (…)“183 So gebe es die Möglichkeit der Samenbildung auch da, wo keine Staubgefäße ­seien (bei Moosen, Farnen) und Samenbildung, auch wenn kein Pollen auf die Narbe gelangt sei. Oder ein ungenannter Autor kommentiert in der Flora 182 Zur weiteren Einordnung in die Erforschung des entstehenden Lebens, siehe: Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, Kap. Embryologie, S. 285 ff. Zur Embryologie siehe: Arni, Pränatale Zeiten, 2018. 183 Ungenannter Autor: „Von der Sexualität der Pflanzen“ (über eine Arbeit von Henschel). Zweite Beilage zur Flora oder botanischen Zeitung, Band 1 (1821), S. 33 ff, Zitat S. 39 f.

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in einem Aufsatz „Ueber das Pflanzengeschlecht“: „Seit ungefähr einem Jahrhunderte ist der Glaube allgemein geworden, dass den Pflanzen geschlechtliche Verhältnisse zugeschrieben werden müssten, und dass ohne Zuthun des Pollens kein Saame erzeugt werden könne. Ganz neuerdings wurde dieser Glaube wankend gemacht, und die entgegengesetzte Meinung fand berühmte und schätzbare Anhänger. Ja, die Sache wird als so ausgemacht gewiss angesehen, dass eine bekannte encyclopädische Zeitung weissagt, es werde kein deutscher Botaniker wagen, den Handschuh dagegen aufzuheben (…). Linne’s zahlreiche Anhänger schweigen, und kaum lässt sich etwas mehr hören, als ein anonymes Murren, während die Gegner laut frohlocken.“184 Er deutet dann seine Gründe an, die seiner Meinung nach für Linné sprächen, kritisiert das Werk August Henschels und kündigt eine eigene Publikation in dieser Sache an. Sodann entbrennt in der Flora eine brieflich geführte Debatte um die Henschel’schen Vorstellungen. Ein Briefwechsel z­ wischen einem Herrn Sternberg und Nees von E ­ senbeck über Henschels Schrift wird in einer Beilage abgedruckt,185 wozu es in der von N ­ ees von Esenbeck verfassten Einleitung heißt: „Vielleicht ist es manchem, der die hier genannte Schrift kennt, und Theil nimmt an den durch sie unter denkenden Naturforschern vielseitig zur Sprache gebrachten Gegenständen, nicht uninteressant, neben der lauten Stimme der öffentlichen Kritik, auch die leisere einer vertraulichen Korrespondenz zu vernehmen, in der zwey Freunde der Botanik sich über das zu verständigen suchen, worüber sie die Entscheidung der Zeit und der Meister in der schweren Kunst der Beobachtung, ­lieber abwarten, als sich durch thätige Theilnahme mit dem Für und Wider abfinden zu wollen. Nächstdem werden mir unsere Leser Dank wissen, dass ich von dem verehrten Grafen von Sternberg die Erlaubniss habe, die folgenden Briefe mittheilen zu dürfen (…).“186 Es folgt der Brief von Sternberg: „Herr Dr. Henschel bestreitet das Linnéische Sexual-­System; die Gründe dagegen beruhen auf Beobachtungen, sind in einer logischen Folgereihe vorgetragen – sie verdienen Aufmerksamkeit. Mit vieler Wärme und fast poetischer Begeisterung wird ein anderes System an die Stelle gesetzt; ­dieses erfordert eine genauere Prüfung. Dass die Befruchtung durch unmittelbare Bestäubung in manchen Pflanzen ganz unmöglich sey, dass man den Insekten eine viel zu bedeutende Einwirkung auf die Befruchtung zugestanden habe, davon habe ich mich selbst überzeugt; dadurch ist jedoch die Sexualität, die sich wohl auf die verschiedene Weise äußern kann, noch nicht widerlegt.“187 Er erzählt sodann von eigenen Versuchen mit einer Carica macrocarpa, (eine Art Feigengewächs), die jahrelang keine 184 Ungenannter Autor: „Ueber das Pflanzengeschlecht“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 4, Band 1, Ausgabe 12 vom 28. März 1821, S. 185 f. 185 „Ueber Henschels Schrift von der Sexualität der Pflanzen. Breslau 1820. Aus Briefen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 4, Band 2 (1821), erste Beilage, S. 1 ff. 186 Ueber Henschels Schrift, Flora, (1821), S. 1 f. 187 Ueber Henschels Schrift, Flora (1821), S. 3.

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Früchte brachte, bis sie durch männliche Blüthen einer von einem Freund mitgebrachten entsprechenden Pflanze bestäubt wurde. Sie trug auch nur in d ­ iesem einen Jahr. Nees von Esenbecks Antwort ist insofern interessant, als er bereits reflektiert, dass man bei der Beschreibung der Phänomene von der Tier- und Menschenwelt ausging: „Beachten wir die Geschlechtsfunction, so ist es wohl keinem Zweifel unterworfen, dass ihre erste Beurtheilung von der Betrachtung der menschlichen Geschlechtstheile und der Geschlechtstheile der höheren Tiere ausging. (…) Wie sich aber die Beobachtung über die Stufen des Thierreichs hinabbewegt, verliert sich zunächst bald der äußere Bau, wie bey Fischen und Fröschen, – bald dessen Zweckmässigkeit, wie bey vielen Insekten, bey Krebsen & c & c – es erlischt die Form des Gebrauchs, das leibliche Ineinanderwirken, bey Fischen & c. – es erlischt die Vorstellung einer Wirkung mit dem Gegensatze der Bildung mit der Eingeschlechtligkeit der Muscheln u. s. w. – es erlischt endlich die Frage selbst mit dem Erlöschen jedes differenten, auf ­­solche Wirkung hinweisenden Gebildes (…).“188 Nees von Esenbeck folgt hier also wieder der Logik der Komplexität und ordnet diese in die Kette der Wesen ein: Je höher das Lebewesen auf der Stufenleiter des Seienden angesiedelt ist, desto differenzierter sind auch seine Organe. Sexualorgane verlören sich daher absteigend innerhalb des Pflanzenreiches. Von Schrank wiederum befindet zu d ­ iesem Thema: „Ob die Thiere durch das doppelte Geschlecht zu den Pflanzen herabgewürdiget, oder diese zu den Thieren hinauf gesteigert werden, daran liegt wohl gar nichts; Unterschied ­zwischen beiden ist allemal da: bei den Thieren ist die Begattung eine Handlung, zu welcher das Thier den Trieb in sich wahrnimmt, bei den Pflanzen eine blosse Begebenheit, die in ihr vorgeht, und wovon sie nichts weiss, nichts wissen kann, weil ihr das wahrnehmende Princip, die Seele, fehlt.“189 Damit wurde hier wiederum vom Tisch gewischt, was eine Analogie von Pflanze und Tier darstellen könnte. Aber fehlt ihnen in der Vorstellung der Naturforschenden die Seele? Dass Moose, Flechten etc. über andere Fortpflanzungsmöglichkeiten als die Phanerogamen, die Blütenpflanzen, verfügen, ist in der Folge im 19. Jahrhundert bald umumstritten. Dabei wird die Pflanzenwelt immer weiter differenziert. Es blieb aber immer noch die Frage, wie d ­ ieses Material beschaffen sei, aus dem sie sich entwickeln. So verwirrend für den heutigen Leser die Aussagen bleiben, wichtig ist festzuhalten, dass diese Fragen zur Lebensentstehung und zur Komplexität der Lebewesen um 1800 (und darüber hinaus), wissenschaftliche Fragen blieben, dass die – heute philosophische oder religiöse Frage nach der Beseeltheit von Pflanze und Tier, die vom Lebensbegriff noch nicht getrennt wurde – durchaus wissens- und wissenschaftsgeschichtlich noch eine Rolle spielte. 188 Ueber Henschels Schrift, Flora (1821), S. 12 f. 189 Ritter von Schrank: „Ueber das Geschlecht der Pflanzen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 5, Band 1, Ausgabe 5 vom 7. Februar 1822, S. 68.

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2.2.2 Der Schlaf der Pflanzen Können Pflanzen schlafen? Fragen zu derartigen einzelnen Pflanzenphänomenen sind ebenso ein Teil des in der Vorstellung der Kette der Wesen angelegten Gleichheitsdiskurses. Pflanzen in ihrer Verwandtschaft zu Mensch und Tier standen auch hier zur Diskussion. Wo dabei der metaphorische Gebrauch des Wortes „Schlaf“ beginnt und wo dieser endet, ist dabei oft nur schwer beurteilbar. Auch hier scheint sich aber wieder im Besonderen ein Pflanzenphänomen der Aufmerksamkeit zu erfreuen, das mit bloßem Auge für jeden beobachtbar war – wie etwa das Schließen der Blüten oder der Blätter bei bestimmten Pflanzen in den Abendstunden. Bereits 1755 wurde eine kleine Schrift von Linné veröffentlicht – sozusagen innerhalb seiner Forschergruppe, denn es handelte sich um eine akademische Probeschrift unter seiner Leitung –, in der es um den Schlaf der Pflanzen ging: Somnus plantarum.190 1759 publizierte sodann Rudolf August Vogel eine Schrift De plantarum quo noctu dormire dicuntur.191 In England erschien von John Hill 1757 sein aufsehenerregendes Werk The Sleep of Plants.192 Der „Schlaf“ der Pflanzen stand dabei mit dem Phänomen der „Bewegung“ der Pflanzen und den Fragen nach der Einwirkung von Licht und Wärme in Verbindung.193 Inwieweit der Engländer John Hill und Carl von Linné hierüber in Kontakt standen oder dem als schmales Büchlein publizierten Brief Hills an Linné die tatsächliche Korrespondenz vorausging, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Hill (1716 – 1775) war Arzt, Apotheker und Universalgelehrter, der u. a. auch das British Magazine herausgab und somit dem „Publikum“ bekannt war. Die Frage gilt hier eher der Rezeption und Bearbeitung derartiger ­Themen. Bereits 1758 wird beispielsweise die unter Linnés Ägide entstandene Schrift für das deutschsprachige Publikum von einem nicht weiter genannten Schreiber zusammengefasst und in den Nützlichen Sammlungen unter dem Titel Anmerkungen von dem Schlaf der Pflanzen publiziert.194 Die Zusammenfassung hier beginnt mit dem Analogieschluss: „Die Pflanzen haben mit den Thieren viele Eigenschaften gemein (…) Die Pflanzen müssen ihre Bewegung und Ruhe haben: denn wenn sie alzusehr in Ruhe sind, wie dies in den Treibhäusern geschieht, so werden sie kränklich, mit Insekten überzogen, faul, schwächlich und blaß, da andere, ­welche einer freyen Luft geniessen, und 190 Linnaeus, Carolus: Somnus plantarum. In dissertatione academia propositus (…) praeside Carolo L ­ inneo (…) a Petro Bremer 1755. 191 Rudolf August Vogel: De statu plantarum quo noctu dormire dicuntur, Göttingen 1759. 192 Hill, John: The Sleep of Plants, and Cause of Motion in the Sensitive Plant, Explain’d. By J. Hill. In a Letter to C. Linnaeus, Professor of Botany at Upsal, London M.DCC.LVII. 193 Ingensiep reißt daher die Frage nach dem „Schlaf“ der Pflanzen unter dem Aspekt der Bewegung an. Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 280 ff. 194 Anonym zusammengefasst: „Anmerkungen von dem Schlaf der Pflanzen, aus einer academischen Probe­ schrift, die unter dem Vorsitz des Hrn Linnäi zu Upsal 1755 verthteidigt wurde“, in: Nützliche Sammlungen, 4. Stück, Freytag, den 13ten Januarius 1758, Sp. 49 – 60 (BZA).

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durch die Winde erschüttert werden, stärker und muntrer sind, und schön blühen.“195 Zwar wird ausgeführt, dass Pflanzen keine willkürlichen Bewegungen oder Empfindungen hätten wie die Tiere, jedoch habe es „dem Schöpfer gefallen, wo nicht allen, doch den meisten Pflanzen etwas dem Schlaf ähnliches beyzulegen.“196 Und so nähmen die Pflanzen – wieder analog zu den Tieren – im „Schlafzustand“ besondere Haltungen ein. Sie falteten die Blätter zusammen, „nicht nur, damit sie nicht so leicht von Stürmen und Winden verletzt werden, sondern auch, damit sie bey dem Genusse einer stillen Ruhe gleichsam wieder neue Kräfte erhalten“197. Wer im Sommer zur Nachtzeit durch Wiesen, Wälder und Gärten wandere, könne d ­ ieses Phänomen leicht beobachten. Die Veränderung der Blattstellung sei wohl mit der Wärme zu erklären, da die Sonnenwärme des Tages die Blätter und Stengel der Pflanzen weicher mache, die Kühle der Nacht sie wieder zusammenziehe. Allerdings könne es nicht nur die Kälte sein, da sich das Phänomen auch in Treibhäusern mit gleichbleibender Temperatur zeige usw.198 Die ersten Überlegungen zum Schlaf der Pflanzen habe Linné angestellt, nachdem er eine blühende Blume mehrmals abends nicht habe wiederfinden können, und daraufhin die Gestalt der Pflanzen nachts mit einer Laterne eingehender untersucht habe. Im Folgenden geht es sodann um die verschiedenen Blattstellungen während des „Pflanzenschlafes“ und Detailbeobachtungen. Das Thema fand Interesse. John Hills offensichtlich weithin rezipierte Abhandlung The Sleep of Plants, die in 1757 England erschien, wurde 1768 ins Deutsche übertragen, 1776 dort erneut gedruckt.199 Hill seinerseits machte weitgehend das Licht als Ursache für das Phänomen des Schlafes der Pflanzen verantwortlich. In seinem als Brief an Linné verfassten Büchlein wird dargelegt, wie man in dem abendlichen Schließen der Blätter eine Folge von Schwankungen in Temperatur und Feuchtigkeit gesehen habe.200 Hill geht dabei, ebenso wie Linné, an die Ursachen der Schlafbewegung in mechanistischer Denkweise heran: „Wir finden, daß sehr viele Blumen ihre Blätter Abends zusammen falten. So sonderbar diese Sache ist, so gewöhnlich ist sie doch. Es ist uns aber auch bekannt, daß eine jegliche Wirkung ihre Ursache habe. Wir müssen nur diese nicht durch unbestimmte Muthmassungen, sondern in den festgesetzten Eigenschaften der Körper, 195 196 197 198 199

Anonym, Anmerkungen von dem Schlaf der Pflanzen, 1758, Sp. 49 f. Anonym, Anmerkungen von dem Schlaf der Pflanzen, 1758, Sp. 50. Anonym, Anmerkungen von dem Schlaf der Pflanzen, 1758, Sp. 51. Anonym, Anmerkungen von dem Schlaf der Pflanzen, 1758, Sp. 51 f. Hill, John: Abhandlung vom Schlaf der Pflanzen, und von der Ursache der Bewegung der Empfindenden Pflanzen, in einem Sendschreiben an den Schwedischen Ritter von Linné; aus dem Engl. übersetzt und mit Anmerkungen erläutert von Heinrich Joh. von Hahn, Carlsruhe 1776. 200 Hill, John: Der Schlaf der Pflanzen und die Ursache der Bewegung an dem Fühlkraut erklärt von D. J. Hill in einem Briefe an Herrn Linnaeus öffentlichem Lehrer der Kräuterkunde zu Upsal. Aus dem Englischen übersetzt. Nürnberg, bei George Peter Monath, 1768, S. 14 f. (Eine zweite Übersetzung erscheint 1776).

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und in ihrem bekannten Einfluß, den sie in verschiedenen Fällen aufeinander haben, aufsuchen.“201 Er berichtet über die Auswirkungen der verschiedenen Klimate, über Versuche in den verschiedenen Ländern und erläutert sodann seine Lichttheorie, da er in den Pflanzen Fasern gefunden habe, die durch Licht in Schwingung versetzt würden.202 Sodann berichtet er über seine Versuche: „Ich nahm den siebenden August, Abends eine Aberuspflanze aus dem Glashaus und setzte sie in mein Studierzimmer, wo sie die Wirkung eines gemäßigten Tageslichtes haben konnte, ohne daß sie der unmittelbaren Wirkung der Sonne ausgesetzt war. (…) Die Lappen der Blätter waren Abends, da ich die Pflanze auf mein Zimmer brachte, senkrecht von der Mittelriebe herabgefallen, und hatten sich, mit ihren untern Seiten zusammen geschloßen. In ­diesem Zustand blieben sie die Nacht durch; und also in der vollkommensten Ruhe. Eine halbe Stunde nach Anbruch des Tages fiengen sie an sich voneinander abzusondern, und eine Viertelstunde nach Sonnenaufgang stunden sie horizontal, platt und völlig ausgebreitet. (…) Den Tag darauf brachte ich die Pflanze in ein Zimmer, wo weniger Licht war. Des Morgens waren die Lappen aufgerichtet, doch nicht so, daß sie eine horizontale Stellung hatten; sie ließen auch am Abend den Kopf früher hängen“ usw.203 Im Bericht über ausführliche Versuchsreihen zeigt sich so seine Vorstellung, dass der Lichteinfluss die Hauptursache für das abendliche Schließen der Pflanzenblätter sein müsse, was durch das „Anstossen“ durch das Licht, einen auf den Pflanzenkörper gesetzten Reiz, geschehe. Wichtig ist ihm dabei die Nachvollziehbarkeit, er schreibt: „Diese Versuche sind so beschaffen, daß sie jedermann für sich anstellen kann; und alle diejenigen, ­welche Glashäuser haben, können diese Wahrnehmung ebenfalls haben. Sie sind beständig und unveränderlich.“204 Er schreibt sogar in einem eigens dafür eingerichteten Kapitel über die Art und Weise dieser Versuche: „Damit die Liebhaber, w ­ elche gerne die in den vorhergehenden angeführten Versuche wiederholen möchten, desto ungehinderter darinnen fortkommen können, so will ich eine nähere Beschreibung von den Pflanzen und Werkzeugen geben, die ich zu den meinigen gebraucht habe.“205 Es erfolgt also regelrecht die Aufforderung an jeden Interessierten, seine Versuche nachzubauen. So ist auch folgerichtig in der Ausgabe von 1768 eine weitere kleine Abhandlung beigefügt, in der ein Professor der Arzneiwissenschaft aus Göttingen, D. Joh. Gottfried Zinn, über seine Erfahrungen mit dem Nachbau der Versuche berichtet, bei denen er etwa Pflanzen in Schränke einschloss etc.206 Er bestätigte grundsätzlich Hills These, zog aber in Zweifel, dass alleinig 201 202 203 204 205 206

Hill, Schlaf der Pflanzen, 1768, S. 17. Hill, Schlaf der Pflanzen, 1768, S. 31. Hill, Schlaf der Pflanzen, 1768, S. 36 f. Hill, Schlaf der Pflanzen, 1768, S. 55 f. Hill, Schlaf der Pflanzen, 1768, S. 62 ff. Zinn, D. Joh. Gottfried: Abhandlung von dem Schlafe der Pflanzen, in: Hill, Schlaf der Pflanzen, 1768, S. 71 ff. (Ob diese Abhandlung der Ausgabe von 1768 immer angehängt war, ist unklar, hier handelt es

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das Licht ausschlaggebend sei, da der Pflanzenschlaf beispielsweise im Sommer schon vor Einsetzen der Dunkelheit beginne: „Warum schließt, daß ich unter so vielen nur eines Beyspiels erwähne, der gelbe Bocksbart seine Blumen täglich z­ wischen neun und zehn Uhr völlig, es mag die Sonne scheinen, oder der Himmel mit Wolken überzogen seyn? So lange wir also die eigentliche Ursache der Veränderung an besagten Blumen nicht bestimmen können: so lange werden wir auch auser Stande seyn, von dem Schlafe der Pflanzen eine Erklärung zu geben (…).“207 Er lässt also, wie viele seiner Zeit, die letztgültige Erklärung noch offen. Hills Werk wurde nicht nur mehrmals in deutscher Sprache gedruckt und kommentiert, in verkürzter, publikumsgerechter Form wird es auch beispielsweise in den Berlinischen Sammlungen wiedergegeben.208 Der Terminus des „Pflanzenschlafes“ etablierte sich offensichtlich so weit, dass in den Zeitschriftenartikeln gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder sehr selbstverständlich von den schlafenden Pflanzen – etwa im Gewächshaus – gesprochen wird. In ähnlichen Formulierungen heißt es hier immer wieder: „Am Abend, wo sehr viele Pflanzen im Treibhause schliefen, waren die Blätter zusammengezogen (…)“.209 Eindrücklich hierzu sind popularisierte Formen der Wissensvermittlung, beispielsweise in der literarischen Ausgestaltung ­dieses Themas durch einen anonymen Autor im Gartenkalender von 1783.210 Hier wird auf 17 Seiten die Geschichte einer Pflanzenfreundin (Wilhelmine genannt) erzählt, die mit einem Begleiter durch den abend­ lichen Garten wandelt: Zunächst wird eine romantische Szenerie aufgebaut, in der die Protagonisten im vom Mondschein überstrahlten Garten wandeln: „Alles war voll süsser Ruhe. Sie ergoss sich über unsrer aller Empfindungen, selbst über unsre Unterredungen (…).“211 Wilhelmine wird sodann von ihrem Begleiter auf den Schlaf der Pflanzen hingewiesen: „Selbst die Pflanzen haben an der allgemeinen Ruhe der Natur Theil; sie beginnen jetzt ihren Schlaf. Wie? Die Pflanzen schlafen? fragte sehr lebhaft Wilhelmine, eine junge Schönheit, die sich nicht glücklicher fühlt, als wenn sie sich in der Natur unterrichten kann. Ja, die Pflanzen schlafen, liebste Wilhelmine! Ist es Ihnen gefällig, so wollen wir ihren Schlaf belauschen. Lassen Sie Ihre niedliche Blumen­ stickerei beym Nachtisch. Kommen Sie (…).“212 Im Fortwandeln wird der schönen ­Wilhelmine von ihrem Begleiter erläutert, dass die Pflanzen, ähnlich den Tieren, für den sich um das Exemplar der Universitätsbibliothek in Basel.) Zinn, Schlaf der Pflanzen, 1768, S. 86. Hill, John: „Etwas über den Schlaf der Pflanzen“, in: Berlinische Sammlungen 7 (1775), S. 169 – 176. Hier z. B. in Annalen der Botanick, Fünfzehntes Stück (1795), S. 127. Unbekannter Verfasser: „Vom Schlaf der Pflanzen“, in: Gartenkalender Jahrgang 2 (1783), S. 218 – 235 (BZA). 211 Unbekannter Verfasser, Schlaf der Pflanzen, Gartenkalender (1783), S. 219. 212 Unbekannter Verfasser, Schlaf der Pflanzen, Gartenkalender (1783), S. 219 f. 207 208 209 210

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Schlaf eine andere Haltung einnehmen. Man lustwandelt also und betrachtet Robinie, Hahnen­fuß, Schildklee etc. und die verschiedenen Blattformen, die sich unterschiedlich zusammenfalten – eine Art Einführung in die verschiedenen nächtlichen Blattstellungen. Sodann erfolgt durch die nicht näher benannte Lehrperson ein kleiner Abriss der Botanikgeschichte des Pflanzenschlafes – wie dies schon in der Antike beobachtet worden sei, wie Linné aufgrund des ­Versteckspieles seiner kostbaren Blumen, die er im abendlichen Garten nicht wiederfinden konnte, begonnen habe die verschiedenen Blattstellungen zu beschreiben etc. Der nächste Schritt ist die Erläuterung möglicher Ursachen, wozu Wilhelmine zunächst gedrängt wird, ihre Schritte zum Gewächshaus zu lenken: „Sehen Sie, welch ein Glanz an den Fenstern des Gewächshauses brennt (…). Ich sehe es, Wilhelmine, ich sehe es mit Empfindung, wie Sie. Die Scene dort scheint uns zu rufen. Lassen Sie uns auf einen Augenblick ins Gewächshaus gehen. Ihr Freund, der Mond, will uns da noch einige Merkwürdigkeiten zeigen.“213 Es erfolgen weitere Erläuterungen zu Blattstellungen, in romantische Sprache gewendet: „Sie erblicken dort einen Strauch von sehr feinem Ansehen; man nennt ihn die strauchartige Amorpha (Amorpha fruticosa). Wie ruhig schläft das Bäumchen, indem seine zarten Blätter unter dem Stiel ganz herab­hängen.“214 Wilhelmine wird nachdenklich und stellt die obligatorische Frage: „Ich merke wohl, die Pflanzen schlafen im Freyen so gut, als im Gewächshause; also Kälte und Wärme. --- Ich verstehe Sie, Wilhelmine (…). Sie wollen nach der Ursache dieser wunderbaren Erscheinung fragen.“215 Der Erzähler erklärt, dass Kälte, Wärme und Feuchtgkeit keinen Einfluss haben auf den Pflanzenschlaf, und vergisst nicht die entsprechenden Versuche von Hill und Linné zu erläutern. Auch Zinn habe in Versuchen festgestellt, dass der Lichtentzug nichts verändert, er habe auch das lichtunabhängige Einsetzen des Pflanzenschlafes beobachtet, das immer zur selben Zeit stattfände. Ebenso ergänzt er Namen von weiteren Forschern, die sich mit dem Phänomen beschäftigt hätten – Mairan, Du Hamel oder du Fay. Der Erzähler schließt seine weitläufigen Ausführungen mit dem Resumée, dass das Phänomen noch nicht ganz geklärt sei und wohl als innerer Rhythmus der Natur betrachtet werden müsse. Wilhelmine fragt dann nach der Absicht der Natur bei dieser Einrichtung und ihr Lehrer führt aus: „Bey dem Pflanzenschlaf können wir indessen eine Vorsorge der Natur, die edlern Theile, die Blumen und die Frucht zu beschützen wol nicht verkennen; und diese Vorsorge wollte, dass sie den Schlaf nicht von äussern Ursachen abhängig machte, sondern ihn den Pflanzen als eine Eigenschaft mittheilte, die selbst über die Macht der äussern Ursachen herrscht.“216 Dann wird 213 214 215 216

Unbekannter Verfasser, Schlaf der Pflanzen, Gartenkalender (1783), S. 225. Unbekannter Verfasser, Schlaf der Pflanzen, Gartenkalender (1783), S. 226. Unbekannter Verfasser, Schlaf der Pflanzen, Gartenkalender (1783), S. 226. Unbekannter Verfasser, Schlaf der Pflanzen, Gartenkalender (1783), S. 232.

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Wilhelmine daran erinnert, dass der Schlaf nun auch sie rufe. Die dialogische Erzählung schließt: „Wir gingen unter frohen Empfindungen fort. Wilhelminens Mond sah uns nach; sie glaubte, mit einiger Sehnsucht. In Ihrem Schlafcabinet, sagte ich, werden sie ihn wieder finden; mit stillem freundlichem Blick wird er über Ihnen hangen, wenn sie selbst noch im süssen Traum die Liebe der Natur gegen ihre schlummernden Geschöpfe empfinden.“217 Der Text ist ein Paradebeispiel für die Mischung von Naturwissen und Literatur in dieser Zeit, für die Hybridität, die Untrennbarkeit von neuer, naturwissenschaftlicher Herangehensweise an die Naturphänomene und gleichzeitiger aufklärerisch-­literarischer Aneignung des Naturwissens. In der Absicht des Autors steht einerseits eine sachliche, sprachlich objektivierte Wissensvermittlung, andererseits das absichtsvolle Einbetten des botanischen Wissens in eine angedeutete Liebesgeschichte, die unterhaltenden Charakter besitzt. Wobei sie, nebenbei bemerkt, die lobenswürdige weibliche Wissbegierde feiert, gleichzeitig den belehrenden Part aber ihrem männlichen Begleiter zuweist. Soziale Eingebundenheit von Wissensinhalten wird hier unvermittelt dargeboten. Der Publikationsort im Gartenkalender weist dem Wissen ein breites Publikum zu.

2.2.3 Und sie bewegen sich doch! – Die Bewegungen der Pflanzen Jahrhundertelang war die Fähigkeit zur Bewegung das unhinterfragte unterscheidende Merkmal z­ wischen Tier und Pflanze gewesen. Im Blick auf Pflanzen aus aller Welt, mit neuen Beobachtugsmethoden und dem neuen Naturinteresse generell kam diese Annahme aber nun mehr und mehr ins Schwanken: So führte die genaue Beobachtung der Pflanzen zu neuen Befunden: Zwar waren die Bewegungen der Pflanzen mit dem menschlichen Auge kaum wahrnehmbar, beziehungsweise nur im Falle weniger Pflanzen sichtbar, doch waren die Resultate dieser Bewegungen – etwa zum Licht hin – wohl bestimmbar. Konnte man mit dem Mikroskop unendlich kleine Tiere sichtbar machen, so war vielleicht die Bewegung der Pflanzen bald durch einen feinen Zeitmesser belegbar? Zudem wurden nun Pflanzen entdeckt, deren Blattbewegungen mit bloßem Auge sichtbar waren, wie bei der Mimose (in damaliger Diktion das „Sinnkraut“). Ab dem 17. Jahrhundert wird in England diese „Sinnpflanze“, die Mimose, bekannt und insbesondere von Henry Power ins Gespräch gebracht, der sie im Londoner Garten beobachtete.218 1661 nahm sich dort bereits die Royal Society des Phänomens an und ein renommiertes Kommitee (u. a. auch Robert Boyle und Timothy Clarke) 217 Unbekannter Verfasser, Schlaf der Pflanzen, Gartenkalender (1783), S. 235. 218 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, 215 ff.

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Abb. 5a und 5b  Telegraphenpflanze, „wach“ und „schlafend“

führte Experimente mit dieser Pflanze durch, die teilweise auch in Robert Hookes Micrographia von 1665 aufgenommen wurden. Auch der Botaniker und Physikotheologe John Ray nahm sich schon der Sinnpflanze an.219 Im deutschsprachigen Raum wurde sie etwas später bekannt. Ähnliches gilt für die sogenannte „Telegraphenpflanze“. So wird etwa im Botanischen Taschenbuch von 1791 von einer in der Pariser Akademie gehaltenen Rede eines Herrn Broussonet über eine „ihre Blätter von selbst bewegende Pflanze“ berichtet, die von Mylady Monson in Indien entdeckt worden sei und die den Redner zu weitläufigen Auseinandersetzungen über die „Gleichheit der Pflanzen mit den Thieren“ veranlasst habe.220 Die hier gemeinte aus Indien stammende „Telegraphenpflanze“ (Codoriocalyx motorius)221 bewegt ­ eueste aus der Physik tatsächlich sichtbar permanent ihre Blätter. Im Magazin für das N 219 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 219 f. 220 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1791), S. 56 ff. 221 „Telegraphenpflanze“ ist ein um 1800 gebräuchlicher Ausdruck, wobei mit Telegraph noch keine elektrischen Telegraphen gemeint sein können, sondern vermutlich erste Erfindungen von Sprachmaschinen. Eventuell wurde angenommen, dass die Pflanze in ihren Bewegungen sich mitteilt oder kommuniziert, dies bleibt aber spekulativ.

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und Naturgeschichte von 1790 findet sich eine Darstellung dieser Pflanze in „wachem“ und „schlafendem“ Zustand (Abb. 5a und 5b).222 In die Reihe dieser besonderen Pflanzen gehörte auch der Sonnentau, der allerdings wohl schon seit dem 16. Jahrhundert bekannt war. Er schien sich von Fleisch der Insekten zu ernähren und gleich einem Tier die Beute zu fangen, zeigte also ebenso Bewegungsabläufe. Wenn nun Bewegung nicht mehr das entscheidende Unterscheidungskriterium ­zwischen Pflanze und Tier war, was dann? Bewegung zur Sonne hin, Schlingpflanzen, Wurzeln Zunächst ist es die Bewegung der Pflanze zur Sonne hin, die die Zeitgenossen beschreiben. Offensichtlich war (und ist) diese etwa bei den Sonnenblumen, die sich über den Tagesverlauf mit der Sonne drehen. Pflanzen, die ein derartiges auffälliges Bewegungsspektrum zeigen, faszinierten die Zeitgenossen ungemein. Auch die Bewegungen der Schling- und Kletterpflanzen wurden nun sorgfältig beobachtet. So erläutert etwa Broussonet in einem Aufsatz Ueber die Aehnlichkeit z­ wischen Bewegungen der Thiere und der Pflanzen 1787 hierzu: „Das Gesetz, nach welchem die Pflanzen genöthiget sind, sich auf diese oder jene Art zu bewegen, beherrscht sie sehr mächtig; (…) Je länger je lieber, so schlingen sie sich in einander, um durch diese Vereinigung gleichsam ihre Gewalt zu vergrössern (…).“223 Ähnlich wird über die Bewegungen der Wurzeln gesprochen, die sich gezielt ihre Wege im Erdreich suchen. Aber auch Blütenentfaltung, Veränderungen im Tageslauf etc. belegten ja die grundsätzliche Bewegungsfähigkeit der Pflanzen, wenn auch meist nicht abgestritten wurde, dass die Bewegung der Pflanzen wesentlich geringer ausfiel als die der Tiere. Oft wird von den Autoren, ähnlich Broussonet hier, die Bewegung der Pflanzen sodann der sogenannten „Reizbarkeit“ zugeschrieben, der Reaktion der Pflanze auf Licht, Temperatur oder Berührung. Broussonet urteilt: „Die verschiedenen Theile der Pflanze haben zwar die Fähigkeit sich zu bewegen, allein die Bewegung ist von einer ganz andern Art als die, ­welche man an den Thieren wahrnimmt. Die merklichsten bei Pflanzen, und w ­ elche auf die schnellste Art hervorgebracht werden, entstehen doch meistens nur von irgend einer reizenden Ursache. Die Reizbarkeit, die nichts anders als eine durch Bewegung sichtbar gemachte Empfindlichkeit ist, ist ein allgemeines Gesetz welchem die Natur alle belebten Geschöpfe unterworfen hat (…).“224 222 Die Kupfertafeln finden sich meist am Ende der Bände, hier eingefügt nach S. 184 (Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 6/3 (1790). Fig. 1 zeigt die Pflanze im „Wachzustand“, Fig. 2 im „Schlafzustand“. 223 „Ueber die Aehnlichkeit ­zwischen den Bewegungen der Thiere und Pflanzen, nebst Beschreibung einer Art Schildklee dessen Blätter in einer ständigen Bewegung sind, von Herrn Broussonet J. de phys. May 1787“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 6, 3. Stück (1790), S. 47 f. 224 Broussonet; Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (3/1790), S. 44 f.

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Handbücher der Naturgeschichte behalfen sich daher nun nicht selten mit der Unterscheidung von „willkürlicher Bewegung“, beziehungsweise „freiwilliger Bewegung“ der Tiere und „unwillkürlicher Bewegung“, „Bewegung auf einen Reiz hin“ bei den Pflanzen wie etwa Johann Friedrich Blumenbach in seinem Handbuch der Naturgeschichte. (Blumenbachs Handbuch stellt ein klassisches Lehrmittel dar und wurde allein bis 1830 mindesten zwölf mal neu aufgelegt.)225 In der dritten Auflage von 1788 heißt es: „Die Thiere sind (…) belebte und beseelte Körper, die (…) willkührliche Bewegung besitzen (…). Die Pflanzen sind zwar ebenfalls organisirte Körper, aber blos belebt, so daß ihnen die willkührliche Bewegung gänzlich mangelt (…)“226. Hier ist also nun die Art der Bewegung ausschlaggebend. Manche Bewegungen blieben aber dennoch unerklärt und widersprachen dieser ­Theorie: So war doch der „Schlaf“ der Pflanzen, die abendliche Bewegung des Zusammenfaltens der Blätter (das die Botanik heute der Pflanze inhärenten, circadianen Rhythmen, den Tageszeitrhythmen, zuschreibt) nicht ausschließlich durch den „Reiz“ der Dämmerung und Verdunkelung zu erklären. Und bestimmte Kleearten etc. schlossen (und schließen) im Sommer ihre Blätter bereits weit vor Sonnenuntergang, also ohne den „Reiz“ des „Lichtentzuges“. Geklärt schien die Bewegungsursache also nicht immer. Insbesondere diejenigen aber, die sich dem Bereich der Mikroorganismen annäherten, blieben vielfach bei der Unterscheidung von „selbstständiger Bewegung“ und „nichtselbstständiger Bewegung“ als Differenzmerkmal von Tier und Pflanze. So beschreibt etwa Prof. Schrank aus Ingolstadt in den Annalen der Botanick in einem Aufsatz „Ueber die grüne Materie der Aufgüsse“227 (über das grünlich werdende Wasser, wenn er Blätter im Wasser im Sonnenlicht stehen ließ): „Es giebt ein Augustthierchen, das so sehr der Wasserseide gleichkömmt, dass sich kaum zween Fäden dieser Pflanze ähnlicher sehen.“228 Es ­seien aber hier tatsächlich Tierchen, die man im Mikroskop sehen könne, und hier könne man klar die Bewegungsarten trennen: „Während ich tausend Male sah, dass sich die Fäden der Aufgusswasserseide schlechterdings nach den hydrostatischen Gesetzen bequemten, gar keine eigene Bewegung haben, und wann sie zufällig bis an den Rand des Wassertropfens geriethen, davon nie wieder von selbst losgingen, auch wohl bey mehrerm Wasser (…) mit beschleunigter Geschwindigkeit gegen den höhern Rand getrieben wurden: ging mein Steckethierchen seinen gravitätischen Gang den ganzen Durchmesser 225 Diese Angabe bezieht sich auf in internationalen Bibliothekskatalogen ausgewiesene Ausgaben und kann möglichereise noch nach oben korrigiert werden. 226 Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte, dritte Auflage Göttingen 1788, hier S. 5. 227 „Ueber die grüne Materie der Aufgüsse. Ein Schreiben von Herrn Rath und Prf. Schrank aus Ingolstadt an den Herausgeber“, in: Annalen der Botanick. Herausgegeben von Dr. Paulus Usteri (…), 9. Stück (1794). 228 In: Annalen der Botanick, 9. Stück (1794), S. 4.

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des Wassers durch, und wenn es von der Glaswand aufgehalten ward, gieng es eben so gravitätisch wieder zurück, ohne dass das Wasser selbst die geringste Veranlassung zur Bewegung gewesen wäre (…).“229 Wenn es auch bei den Kleinstlebewesen also schwierig zu beurteilen war – die Bewegung mancher Pflanzen wurde nun durch die vielfältigsten Beobachtungen bestätigt und schließlich nicht mehr angezweifelt. Weniger als ein Jahrhundert später, 1880, werden u. a. von Charles Darwin die Bewegungen der Pflanzen genauestens nach ihren verschiedensten Ausrichtungen beschrieben, wobei er die Wurzelspitze mehr oder weniger mit dem Gehirn der niederen Tiere verglich, da sie die Bewegungen steuere.230 Gerade die Frage nach einer Steuerungszentrale oder nach „nervenähnlichen“ Fasern blieb so noch länger Teil der Debatte.

2.2.4 Reizbarkeit, Irritabilität und Empfindung Die Vorstellungen von „Reizbarkeit“ oder „Irritabilität“ sind in der Folge des Cartesianismus dabei eine gängige Erklärungsmöglichkeit für Bewegung generell. Albrecht von Haller (1708 – 1777) etwa hatte die Irritabilität als Phänomen an Tieren aufgezeigt, indem sich Muskeln und Nerven auf einen erhaltenen Reiz hin bewegten. Hallers vielfältige Versuchsreihen belegten die grundsätzliche Fähigkeit von Muskel­gewebe, sich auf einen Reiz hin zusammenzuziehen – wie auch immer die Zusammenhänge mit einer inneren „Lebenskraft“ oder gar „Seele“ zu deuten waren. Haller unterschied dabei „Irritabilität“, die Bewegung der Muskelfaser auf den Reiz hin, von der „Sensibilität“, der Empfindungsfähigkeit, die nur den Nervenfasern eigen sei.231 (Schließlich gab es ja auch das Phänomen der über den Tod hinweg anhaltenden Reizbarkeit von Fasern, obwohl eine Empfindungsfähigkeit des dann seelenlosen Körpers ausgeschlossen war.) Hallers Modell trennte also mechanische Eigenschaften (Reizbarkeit) von im weitesten Sinne geistig-­seelischen (Empfindung) – es blieb vom Mechanismus beeinflusst.232 Den Pflanzen „Reizbarkeit“ zuzuschreiben, setzte sie zwar in ihrer Körperlichkeit – in Descola’scher Begrifflichkeit in ihrer Physikalität – dem Tier und dem Menschen gleich, aber noch nicht in ihrer Interiorität oder geistig-­seelischen Kapazität. Die Grenze stellte jetzt 229 Schrank, Ueber die grüne Materie, Annalen der Botanick, 9. Stück, (1794), S. 6. 230 Siehe: Darwin, Charles: The Power of Movement in Plants, New York 1892. Die Erstausgabe datiert von 1880, 1881 wurde das Werk offensichtlich schon ins Deutsche übersetzt. Ebenso erschienen Ausgaben in französischer, russischer und italienischer Sprache. 231 Siehe hierzu: Steinke, Hubert: Irritating Experiments. Haller’s concept and the european controversy on irritability and sensibility, Oxford 2003; Steinke, Hubert: „Anatomie und Physiologie“, in: Steinke, Hubert; Boschung, Urs und Proß, Wolfgang: Albrecht von Haller. Leben, Werk, Epoche, Göttingen 2008, S. 226 – 254, insb. S. 241 ff. Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 343 ff. 232 So wertet es zumindest Bäumer. Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 345.

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also nicht mehr die Bewegung dar – diese konnte man den Pflanzen offensichtlich kaum mehr absprechen – wohl aber die Frage nach „Empfindungsfähigkeit“. Das „Sinnkraut“ Die Diskussionen um „Reizbarkeit“ und „Empfindungsfähigkeit“ der Pflanzen wurde besonders beflügelt durch die Beobachtungen an der Mimose, der „Sinnpflanze“. Die aus den Tropen stammende Mimose (Mimosa pudica), in der zeitgenössischen Abbildung und in ihrer heutigen Form in der Abbildung zu sehen (Abb. 6a und 6b), schließt bei leichter Berührung blitzschnell ihre gefiederten Blätter. Diese (ja auch sprichwörtlich gewordene) empfindliche Pflanze übte auf die Botanisten des 18. Jahrhunderts eine ungeheure Faszination aus. Hans Werner Ingensiep nennt die im 17. Jahrhundert nach Europa gelangte „Sinnpflanze“ zu Recht die „Herausforderung“ für die Cartesianer.233 Sie wurde Ausgangspunkt vielfacher Diskussionen um die Frage, inwiefern hier allein ein mechanischer Reiz die Bewegung auslöste, oder ob Pflanzen nicht doch in minimaler Form etwas wie „Empfindungsfähigkeit“ besaßen. Nicht nur in den Untersuchungen der Royal Society oder in den Äußerungen der Gelehrten,234 diese Fragen zum „Sinnkraut“ wurden auch im „botanischen Publikum“ debattiert. Experimente zur „Reizbarkeit“ und „Empfindsamkeit“ dieser Pflanze wurden wieder und wieder nachgestellt und variiert. In den Zeitschriften finden sich genaueste Beschreibungen der Techniken der Berührung und der Reaktion der Pflanze. So werden beispielsweise die Beobachtungen eines Herrn Creve 1795 in den Annalen der Botanick berichtet: Man kenne ja die Bewegungen der Mimosen, wenn man die Blätter und Blattstiele berühre. Besonders wenn man die Stelle z­ wischen Stiel und Blatt berühre, falle der Blattstiel in extremer Geschwindigkeit abwärts, und Creve berichtet: „Am Abend, wo sehr viele Pflanzen im Treibhause schliefen, waren die Blätter zusammengezogen, die Blattstiele standen aufrecht. Ich wiederholte den Versuch an den Blattstielen, die weit empfindlicher als am Tage bey grösster Sonnenhitze zu seyn schienen, und auch bey der sanftesten Berührung der untern Flächen des Gelenkes, fiel mit einem Male der Blattstiel abwärts, die Blätter blieben zusammengezogen (…).“235 Wichtig sind dabei aber immer auch die zusätzlichen Informationen des Berichterstatters, dass er zum Zwecke dieser Versuche sich im Treibhaus in Wien aufgehalten habe, wo er mit Erlaubnis der Brüder Jacquin diese Experimente anstellen durfte etc. Die gemeinsame

233 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 220 f. 234 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 225. 235 Hier werden schlicht Auszüge aus Schriften unkommentiert wiedergegeben: „D. Creve von der thierischen Electricität – in Schriften der Ges. naturf. Fr. in Berlin. XI. 2.(…)“ in: Annalen der Botanick. Herausgegeben von Dr. Paulus Usteri (…),15. Stück (1795), S. 126.

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Abb. 6a und 6b  Mimose, 18. Jahrhundert und heute

Beobachtung und der Austausch unter den Botanisten und Botanikern scheinen hier auf, denn sie validierten die Beobachtung (vgl. Teil II, Kap. 3). Wer keine Mimose besaß, konnte aber auch an weniger exklusiven Gewächsen ähnliche Versuche anstellen, wie etwa am Berberitzenstrauch (Sauerdorn). James Edward Smith etwa berichtet in typischer Weise über ein Experiment, das einerseits Fragen der Reizbarkeit wie auch Fragen der Bestäubung und Fortpflanzung nachging: „Da ich öfters gehört hatte, daß die Staubfäden der Berberis communis einen beträchtlichen Grad von Reizbarkeit besäßen, so stellte ich in dem Garten zu Chelsea den 25. Mai 1786, an einer Blume, die vollkommen aufgeblüht war einen Versuch dieserhalb an: Es war ohngefähr 1 Uhr Nachmittags an einem schönen warmen Tage bey nur ganz schwachem Winde.

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Die Staubfäden solcher Blumen, ­welche offen waren, lagen rückwärts gebogen gegen das Blatt, und solchergestalt von demselben bedeckt. (…) Jetzt berührte ich mit einer feinen Spitze sanft die innere Seite an einem von den Fäden, und augenblicklich sprang er von dem Blatte zurück, und berührte mit dem Staubbeutel die Narbe (…).“236 Er nimmt sodann Blumen mit nach Hause und kann das Experiment dort wiederholen, versucht dann genauer festzustellen, welcher Teil der Pflanze reagiert, und stellt Vermutungen an, wie ankommende Insekten die Staubbeutel berühren etc. Smith seinerseits sieht hier eindeutig „Reizbarkeit“ am Werk – die Reaktion der Pflanze auf einen gesetzten Reiz. Heute ist dies von den Springkräutern weithin bekannt. Springkräuter waren aber in Europa ursprünglich nicht – oder nur sehr marginal – heimisch und wurden erst im 19. Jahrhundert nach Europa gebracht. (Mittlerweile haben sie sich in Europa so ausbreitet, dass sie – wie etwa das „Indische Springkraut“ oder auch „Japanische Springkraut“ – als invasiver Neophyt heimische Pflanzenarten bedrohen und daher bekämpft werden.) Die Frage nach der Reizbarkeit der Pflanzen oder auch der „Empfindlichkeit“ und gar „Empfindung“ der Pflanzen führte jedenfalls zu immer neuen Versuchen. So wird auch im Magazin für die Botanik 1787 aus einem Brief von Robert Bruce an den berühmten Londoner Pflanzensammler Joseph Banks zitiert:237 „Die Averrhoa Carambola des von Linné, ein Baum, den man in Bengalen den Camruc oder Camrunga nennt, hat eine Eigenschaft, die sehr viel ähnliches mit denjenigen der Gattung der Mimosa, die man deswegen empfindliche hiess, hat: ihre Blätter nämlich bewegen sich bei der Berührung sehr merklich.“238 Man könne die Blätter auf verschiedenste Art in Bewegung setzen, keine Bewegung erfolge jedoch bei einem Einschnitt mit der Schere, wenn man die Lage des Blatts nicht verändere: „Bey einer genauern Untersuchung fand ich alsdenn, dass zwar das Blatt derjenige Theil wäre, dessen Bewegung in die Augen fiele, dass sich aber derselbige eigentlich nur leidend verhalte, und dass im Grunde im Blattstiel der Sitz der Empfindung sowohl als Bewegung zu suchen wäre. Man dorffte nemlich das Blatt in Stücken schneiden, oder aus allen Kräften quetschen, wenn man nur Achtung gab, dass seine Lage nicht verändert würde, oder sonst keine Erschütterung statt fände: sobald aber diese Bedingnisse nicht in Acht genommen wurden, sobald der Blattstiel mitlitt, sobald erfolgte auch Bewegung des Blattes.“239 236 „Bemerkungen über die Reizbarkeit der Vegetabilien von James Edward Smith“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 6, 2. Stück (1790), S. 14 f. Laut dortigen Angaben handelt es sich um eine Übersetzung aus den Philosophical Transactions. 237 „Nachricht von der Empfindlichkeit des Baumes Averrhoa Carambola. Aus einem Brief von Robert Bruce. d. A. K. D. an Baronet Joseph Banks, Präsident der Königl. Gesellschaft (Nachricht aus den Philosophical Transactions Vol. LXXV), in: Magazin für die Botanik. Herausgegeben von Joh. Jakob Römer und Paul Usteri, 1. Stück (1787), S. 96 f. 238 Brief an Banks, Magazin für die Botanik (1787), S. 96. 239 Brief an Banks, Magazin für die Botanik (1787), S. 98.

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Diese Versuche von Bruce werden nicht nur in einem Journal beschrieben, sondern werden in vielfältiger Weise wiederholt. Die wohl aufsehenerregenden Nachrichten seiner Experimente finden sich etwa genauso im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte von 1787.240 Hier wird noch ausführlicher erläutert: „(…) die Empfindlichkeit selbst und die bewegende Kraft haben eine wie die andere ihren Sitz im Stiel.“241 Und weiter wird beschrieben: „Hr. Br. brannte einmal mit einem etwas starken Brennglase ein Loch in ein Blatt, aber das Blatt schien dadurch nicht gerührt zu werden; hingegen da er den Brennpunkt des Glases auf den Stiel richtete, so machte das Blatt eine so plötzliche Schwingung, als ob es einen starken Stoß erhalten hätte. Diese Versuche beweisen augenscheinlich, daß der reizbare Theil des Camruga sich in seinen Blattstielen und seiner Rinde befindet, und vielleicht ist dies eben der Fall bey den übrigen empfindlichen Pflanzen. Hr. Bruce ist sehr für diese Meynung und hat sich vorgesetzt, durch fernere Versuche ein größeres Licht darüber zu verbreiten.“242 Die Versuchsreihen mit Pflanzen erinnern hier vielfach an die in dieser Zeit ebenso üblichen Tierversuche. Ein Jahrzehnt später waren diese Beobachtungen offensichtlich weithin bekannt und auch die Mimosen waren offensichtlich nicht mehr so unerschwinglich und exotisch, denn die Botanisten trieb nun beispielsweise auch um, wie man etwa die Mimose für das Herbarium einlegen könne. So schreibt ein Beneficiat Schmidt – wieder selbstverständlich auf die Erklärung dieser Phänomene im Sinne der Kette der Wesen verweisend – 1797 im Botanischen Taschenbuch: „Es ist bekannt, daß einige Mimosen eine so merkwürdige Reitzbarkeit haben, die sie, wegen der Aehnlichkeit mit dem, was im Thierreich vorgehet, zu demjenigen Gliede in der Kette der Natur zu machen scheint, welches das Pflanzenreich mit dem Thierreich verbindet. Bei der geringsten Berührung oder Erschütterung senken sie alsogleich ihre Zweige und legen sie an den Stamm an; und mit ebensolcher Geschwindigkeit schließen sie auch ihre gefiederten Blätter (…) es fällt daher sehr schwer, diese empfindsame Pflanze kunstmäßig, und in ihrer natürlichen Lage der Zweige und Blätter für das Herbarium einzulegen (…) weil sie nicht mehr in ihren vorigen Zustande zu bringen sind.“243 Und er empfiehlt, sie bei kaltem Wetter einzulegen, da sie dann in eine Art Erstarrung falle, „die sie so gefühllos macht, daß man mit ihr thun kann, was man will“.244

240 „Ueber die empfindliche Eigenschaft des Baums Averrhoa Carambola. Vom Hrn Bruce“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 4, 2. Stück (1787), S. 58 – 61. 241 Bruce, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1787), S. 60. 242 Bruce, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1787), S. 61. 243 Beneficiat Schmidt: „Etwas über das Einlegen der empfindsamen Mimosen“, in: Botanisches Taschenbuch (1797), S. 136. 244 Schmidt, Einlegen der empfindsamen Mimosen, Botanisches Taschenbuch (1797), S. 137.

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Hatte man so die Bewegungen der Pflanzen nachgewiesen, so war auch hier die Beantwortung der Frage nach der Ursache der Bewegung in zweierlei Gestalt möglich: Cartesianisch gedacht war der Automatenkörper der Pflanze analog zum Tierund Menschenkörper einer gleichen Reizreaktion fähig, was erneut die Ähnlichkeit der Physikalität der Lebewesen verdeutlicht. Im Sinne der Kette der Wesen war diese Ähnlichkeit ebenso gegeben. Sprach man aber von „Empfindung“, so war fraglich, ob es sich hier um eine körperliche oder seelische Qualität handelte. Hatten Pflanzen also „Empfindungen“? Reizbarkeit und Empfindung Bewegungsreaktionen konnten also mit Albrecht von Hallers (1708 – 1777) und nachfolgend von Johannes Friedrich Gmelins (1748 – 1804) geprägtem Begriff pflanzlicher „Irritabilität“ beschrieben werden. Ein physikalischer oder mechanischer Reiz löste eine Kontraktion der Fasern aus. Aber war dies nicht gleichzusetzen mit „Sensibilität“, also Empfindung, wie man von einer menschlichen Empfindung sprach? Haller trennte diese Begriffe. Aber nicht alle Naturforschenden sahen das so. Damit aber verschiebt sich die Diskussion hin zur Frage nach „Empfindung“. K. J. Oehme etwa sah 1776 in seinem Artikel „Ueber die Reitzbarkeit im Pflanzenreich“ in den Beschäftigungen der berlinischen Gesellschaft naturforschender Freunde „Pflanzentiere“ oder „Tierpflanzen“ wie etwa den „Polypen“ (die Seeanemone) oder das „Fühlkraut“ (die Mimose) schlicht als Bindeglieder z­ wischen Reizbarkeit und Empfindung.245 Wie die meisten ging er von der Ähnlichkeit von Tieren und Pflanzen aus. Er fasste dies – als Verfechter der Kettenvorstellung – folgendermaßen zusammen: „Dem Menschen ist die feinste, die vollkommenste und dauerhafteste Empfindung zugefallen. Die Thiere empfinden alle dunkler und ihre Empfindung nimmt in demVerhältnisse des Abstandes ab, in welchem sie von dem Menschen stehen. Die edelste Art von Empfindung, die uns allein zukömmt, ist die, w ­ elche mit Vernunnft und Ueberlegung verbunden ist. Die übrigen Thiere empfinden blos, indem sie sich selbst und dessen, was mit ihnen vorgeht, bewusst sind. In den unteren Klassen von Thieren scheint auch das Bewusstsein zuzunehmen und der Polyp, hat gewiss einen Grad der Empfindung, der von der unsrigen so sehr, als seine Organisation, verschieden ist. (…) Den Pflanzen ein Bewußtseyn zuschreiben, hiesse sie zu sehr erheben und paradoxe Meynungen vertheidigen, die mehr ein Spiel der erhitzten Einbildungskraft, als eine Frucht der durch Nachdenken erregten Ueberzeugung sind. Im Gegentheile den Fühlkräutern alle Fähigkeit, Eindrücke von äussern Gegenständen anzunehmen, 245 Oehme, K. J.: „Ueber die Reitzbarkeit im Pflanzenreich“, in: Beschäftigungen der berlinischen Gesellschaft naturforschender Freunde 2 (1776), S. 79 – 90 (BZA).

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und sie an sich bemerken zu lassen, absprechen, hiesse sie zu sehr vom Thierreiche trennen und das schönste Kettenglied z­ wischen zwey benachbarten Reichen vernachläßigen. Man muss ihnen daher eine Empfindung ohne Bewußtseyn verstatten oder, wenn ­dieses ein Widerspruch ist, einen andern Namen dafür erfinden.“246 Hier wird wieder deutlich, warum diese Überlegungen im allgemeinen Publikum überhaupt Interesse finden: Im Zusammenhang mit der Verortung der Pflanzen in der Ordnung der Natur geht es letzten Endes immer auch um die Gesamtordnung der Welt und um den Platz des Menschen darin. Oehme übernimmt dabei ausdrücklich den Hallerschen Begriff der Reizbarkeit, verbindet diesen aber mit Empfindung: „Lassen Sie uns, meine Leser, diesen so wohl gewählten Namen beibehalten, und die Erscheinungen der Reizbarkeit auf die Fiber der P ­ flanzen anwenden, um daraus die Fühlbarkeit einer Pflanze zu erklären.“247 Beides geht bei ihm graduell ineinander über – ein eindrückliches Beispiel, wie die Kettenvorstellung mit konkretem Leben gefüllt wird: „Wenn der Polyp empfindet, so ist es gewiss in sehr geringem Grade, und wenn die Dinnäa (die Venusfliegenfalle, also die Pflanze, A. d. V.) blos durch Reitzbarkeit ihre Bewegungen äussert; so muss diese die Reitzbarkeit anderer Pflanzen weit übersteigen.“248 Insbesondere englischsprachige Schriften zu dieser Thematik werden hier in den botanischen Magazinen – oft in Auszügen – wiedergegeben. So schreibt etwa Eduard Smith im Magazin für die Botanik ausführlich zu dieser Frage, über die er sich auch mit Bonnet in Genf unterhalten habe,249 wobei er insbesondere die verschiedensten Versuche mit den Staubfäden der Vogelbeere ausführt.

2.2.5 Tierpflanzen und Pflanzentiere Alle diese Überlegungen und Fragen führen immer wieder zum Problem der Grenzziehung ­zwischen Pflanze und Tier.250 Bei all dieser Ähnlichkeit der „Körper“ von Pflanze und Tier, wo blieb für die Zeitgenossen die Grenze? Doch bei der Bewegung, jetzt nur 246 247 248 249

Oehme, Reitzbarkeit, 1776, S. 80 f. Oehme, Reitzbarkeit, 1776, S. 81 f. Oehme, Reitzbarkeit, 1776, S. 83 f. Smith, Eduard: Einige Bemerkungen über die Reitzbarkeit der Pflanzen“, in: Magazin für die Botanik, 7. Stück (1790), S. 78 ff. 250 Siehe hierzu auch: Bühler, Benjamin: „‚Steinpflanzen und Pflanzentiere‘. Vom Störfall zur universalen Ordnung“, in: Bäumler, Thomas; Bühler, Benjamin und Rieger, Stefan (Hrsg.): Nicht Fisch – nicht Fleisch. Ordnungssysteme und ihre Störfälle, Zürich 2011, S. 17 – 32. Der Literaturwissenschaftler Bühler interpretiert die Pflanzentiere und Tierpflanzen aber als Herausforderung existenter Ordnungssysteme, die dann die Vorstellung der kontinuierlichen Kette hervorrufe, weniger letztere als grundlegendes ­Ordnungsmuster dieser Zeit.

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unterschieden nach der Art der Bewegung? Bei der Unterscheidung von Reizbarkeit (bei den Pflanzen) und Sensibilität, beziehungsweise Empfindung (bei den Tieren)? Offensichtlich scheint hier wieder auf, dass in der Vorstellung der „Kette der Wesen“ eine genaue Trennung von Tier und Pflanze kaum möglich war, andererseits aber genau um diese Abgrenzung immer wieder die Diskussion entbrannte. Wollte man die Grenze einebnen, so musste man am Ende den Pflanzen Empfindungen oder gar eine Art „niedere“ Seele zugestehen. Waren Zellen und Gewebe, aus denen Pflanze, Tier und Mensch bestanden, also ähnlich oder doch unterschiedlich? Rückten die Mimose oder die Telegraphenpflanze als sich bewegende Pflanzen, beziehungsweise der Sonnenthau als sich bewegende und insektenfressende Pflanze die Pflanzen in die Nähe der Tiere, so rückten auf der anderen Seite die Entdeckungen zu den Süßwasserpolypen die Tiere in die Nähe der Pflanzen. Diese „Tierblumen“ beschäftigten dabei nicht nur, wie beschrieben, Botaniker wie Bonnet, sondern wurden über die Zeitschriften weithin bekannt. So erscheinen immer wieder Artikel über diese, beispielsweise auch im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte von 1787. Hier heißt es – ähnlich wie schon bei Bonnet – in einem aus dem Französischen übersetzten Aufsatz „Ueber die gefiederte See=Anemone, oder Thierblume“:251 „Wenn irgend ein Insect durch seine Bildung den Uebergang vom Thier= zum Pflanzenreiche machen kann, so ist es ohnstreitig die Seeanemone. (…) Sie gleicht in der That, zumal in einiger Entfernung, vollkommen einer aufgeblühten Blume, deren Stiel in einem Felsen steckt. (…) Es ist auch in der That jedem zu verzeihen, ein Geschöpf für eine Pflanze anzusehen, das auf den ersten Blick eine regelmäßige Anordnung von 36 Blumenblättern zeigt, ­welche eine Rose bilden (…). Indessen wenn man die Seeanemone etwas aufmerksamer, und besonders mit einem Vergrösserungsglase betrachtet, so verschwindet auf einmal das ganze Blendwerk; die vermeintlichen Blumenblätter verwandeln sich in Federn, oder wenigstens Arme (…). Aus dem doppelten Staubweg wird (…) ein Organ, das die vom Meere gelieferten Nahrungsmittel einzunehmen und klein zu machen im Stande ist; der Schaft verwandelt sich auf ähnliche Weise in den Rumpf oder Leib des Thiers; selbst der Theil endlich, welcher im Felsen steckt, kann als die Basis desselben angesehen werden, und die Stelle seiner Füsse vertreten.“252 Der Autor beschreibt, wie diese „Tierblume“ erst unter dem Mikroskop erkennbar werden lässt, dass die Blumenblätter als Arme zu betrachten ­seien, wie die angeblichen „Befruchtungswerkzeuge“ sich als Öffnungen zur Nahrungsaufnahme entpuppen, die „Tierblume“ sich in Höhlen versteckt, mit ihren Armen kleine Insekten 253 fängt usw. Aber er reflektiert: „Bey näherer Betrachtung dieser Seeanemone und Vergleichung derselben mit Wasser= und 251 „Ueber die gefiederte See=Anemone, oder Thierblume. Vom Hrn Ritter Lefebüre de Hayes (Journ. de phys. Nov. 85), in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte zuerst herausgegeben von dem Legionsrath Lichtenberg, fortgesetzt vom Prof. Voigt zu Gotha, Band 4, 3. Stück (1787), S. 28 – 38. 252 Lefebüre, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1787), S. 28 f. 253 Mit „Insekten“ sind in dieser Zeit oftmals alle Arten von Kleintieren benannt, auch Wasserlebewesen.

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Landthieren muß man sich allerdings wundern, daß man sie aller äusserlichen Theile, die sie zum Rang eines belebten und beseelten Geschöpfs erhüben, beraubt findet. Es ist in der That nicht möglich, an ihrem Bau etwas aufzufinden, das Kopf, Augen, Beine oder Füsse vorstellen könnte (…)“254. Zwischenwesen Die Entdeckung und Erforschung dieser „Zwischenwesen“ stärkte und stützte also diejenigen, die wie Bonnet von der Stufenleitertheorie und der „Kette der Wesen“ als grundlegendem Ordnungsprinzip der Natur ausgingen. In der Vorstellung einer graduellen Unterschiedenheit der Wesen auf einer Kontinuitätsskala waren „Zwischenformen“ fraglos akzeptabel und bestätigten offensichtlich die Kontinuitätsthese. Allerdings fiel nun das Mineralreich zunehmend aus dieser Stufenfolge heraus, es gehörte um 1800 schlicht nicht mehr zu den Formen der „organisierten“ Körper, als sich die Unterscheidung in Organik und Anorganik zunehmend durchsetzte. Die Idee der „Zwischenwesen“ war allerdings ja auch nicht vollkommen neu. Schon in Darlegungen und Darstellungen des 17. Jahrhunderts gab es, wenn auch in viel umittelbarerer Form als im 18. und 19. Jahrhundert, eine Vielfalt an „Zwischenwesen“. In der Histoire admirable des plantes von Claude Duret etwa (1605) finden sich beispielsweise sehr eindrückliche Darstellungen der „Zoophytes, ou Plant-­animales, Plantes & Animaux tout ensemble“.255 Hier beispielsweise in Form eines Baumes, dessen Blätter, wenn sie zu Boden fallen, wegkrabbeln können (Abb. 7a).256 Oder man findet gar ein auf einem Stamm angewachsenes wildschweinartiges Tier (Abb. 7b). Diese Art „großer“ Zwischenwesen gehörten allerdings im 18. Jahrhundert bereits ins Reich der Fantasie und verschwanden auch aus den Reiseberichten. Die Begriffe „Zoophyten“, oder „Pflanzenthiere“ und „Thierpflanzen“ sind also aber älterer Provenienz, als zunächst zu vermuten ist. Auch die Seeanemonen und polypartigen „Tierpflanzen“ waren schon bekannt, wie die Beschreibung und Darstellung der aus den Muscheln entwachsenden Pflanzen belegt,257 und können auf aristotelisches Schriftgut zurückgeführt werden (siehe unten 3.3). Aber das 18. Jahrhundert unterzieht diese Lebewesen jetzt dem experimentellen Prozess: Nachprüfbarkeit und Beobachtbarkeit („mit eigenen Augen“) stehen nun im Vordergrund und bestätigten die Theorien der Anhänger der Ketten- und Netzvorstellungen. 254 Lefebüre, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1787), S. 32 f. 255 Duret, Claude: Histoire admirable des plantes et herbes esmerueillables & miraculeuses en nature: mesme d’aucunes qui sont vrays Zoophytes, ou Plant-­animales, Plantes & Animaux tout ensemble, ­pourauoir vie vegetatiue, sensitive & animale: Avec leurs portraicts au naturel, selon les histoires, descriptions, voyages & navigations des anciens & modernes Hebrieux (…), Paris, 1605. 256 Duret, Histoire admirable, 1605, S. 319 und 330. 257 Duret, Histoire admirable, 1605, Chap. XVII.

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162 |  Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze Abb. 7a und 7b  Krabbelblätter und Wildschweinbaum

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2.2.6 Homologien in der Körperlichkeit von Tier und Pflanze Waren Pflanzen aber nun offensichtlich der Bewegung fähig, so lag es auf der Hand, die Homologie (die Gleichartigkeit, bei Vielfalt und Varianz innerhalb der Gleichartigen, s. o. Einleitung zu 2) im konkreten Bewegungsapparat bei Pflanzen, Tier und Mensch zu suchen. Auch Analogien in der Körperlichkeit sind aber keineswegs eine neue Erfindung des 18. Jahrhunderts, sondern gehören längeren Traditionen an. Die Wurzel als „Mund“ der Pflanze etwa stellt ein jahrhundertelang tradiertes Bild dar. Auch in Lexika zu Anfang des 18. Jahrhunderts werden beispielsweise Tier und Pflanze „organisch“ nahe beieinander angesiedelt. So heißt es etwa im Curieusen und Realen Natur=Kunst=Berg=​Gewerck und Handlungslexicon von 1717: „Pflantze, Planta werden von einigen Tieffsinnigen Animalia infimae classis genannt, weil sie gleichsam eben wie die Thiere, ihr Leben und Wachsthum haben. Dann, da dienen ihnen die Wurtzeln statt eines Mundes (…). Luft=röhrlein (…) ­welche nichts als Luft in sich halten, wie die Lungen und Luft=Röhren der Thiere. Endlich sind in dem innersten Marck des Samens (…) lauter kleine runde Bläslein, oder hole Kügelein, ­welche obige Meinung bestärcken, gleichwie die den Thieren verschiedene Wasser= Blut= und Luft=Ader=Gefässe (…).“258 La Mettrie sollte diese Gedanken 1748 in seinem L’Homme Plante sogar so weit treiben, dass es wie eine ins Lächerliche gezogene Übertreibung erscheint: Die mensch­ lichen Lungen entsprechen den Blättern der Pflanze, menschliche Arme und Beine den Stengeln, das menschliche Sperma dem Blütenstaub etc.259 In anderer Weise dagegen, allein seinen Experimenten trauend, untersuchte Stephen Hales in seinem Werk Vegetable Staticks von 1727 bereits den Saftkreislauf der Pflanzen – analog zum Blutkreislauf des Tieres – und gilt damit als Begründer der Pflanzenphysiologie.260 Für die Naturforschenden war die Frage nach der Gleichheit von Pflanzen-, Tier- und Menschenkörper Ende des 18. Jahrhunderts aufgrund der wahrgenommenen Bewegungen der Pflanzen also sehr konkret. Bewegungsapparat und „Gelenke“ der Pflanzen So beschrieb man etwa die „Gelenke“ der Pflanzen. Es wird beispielsweise berichtet über einen französischen Botanisten namens Amoreux, der sich auf den Standpunkt gestellt 258 In: Curieuses und Reales Natur= Kunst= Berg= Gewerck und Handlungslexicon (…), 3. Auflage ­Sachsen 1717, S. 1235 ff. 259 La Mettrie, Julien Offray de: L’Homme-­Plante. Der Mensch als Pflanze (1748), dt.-frz. Ausgabe, Weimar 2008. 260 In deutscher Sprache erschien das Werk 1748: Hales, Stephen: Statick der Gewächse oder angestellte Versuche mit dem Saft der Pflantzen und ihrem Wachsthum (…), Halle 1748.

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habe, dass man alle Stellen der Pflanzen, an denen Blätter, Zweige, Äste oder Stengel ­mittels „Bändern“ miteinander verbunden s­ eien, als „Gelenke“ der Pflanzen ansehen müsse.261 Es geht also hier um die Verbindungsgefäße, die Fibern z­ wischen Baum und Blatt. Wenn der Saftumfluss nicht mehr erfolge, falle das Blatt ab, wie beim Tier Gliedmaßen abfallen würden, wenn der Kreislauf unterbrochen werde. Wenn man das abgefallene Blatt untersuche, sehe man Vertiefungen, wo der Blattstiel verbunden war: „Wenn man das Ende eines Blattstiels, der sich freywillig vom Ast losgemacht hat, genau untersucht, so findet man es sehr abgeplattet, erweitert und mit ordentlichen Vertiefungen und Hervorragungen versehen, wodurch es mit dem Ast in Verbindung gewesen ist. Bisweilen sind diese Vorrichtungen klammerförmig, bisweilen herzförmig, mondförmig, ausgehöhlt wie eine Rimmer (Handwerksgerät, A. d. V.), wie die Löffel; bisweilen sind sie ganz platt; walzenförmig, dreyseitig etc. Alles dieses hat die größte Aehnlichkeit mit der Gestalt der Knochen am Ort der Gelenke.“262 Diese „Gelenke“ dienten der unmerklichen Bewegung je nach Wetter und würden allerdings nur augenfällig in den sich rasch bewegenden Pflanzen, wie etwa der Mimose. Ebenso hätten die Blumenblätter ihre Gelenke zum Zwecke des täglichen Entfaltens und Zusammenziehens etc.263 Oder ein anonymer Übersetzer veröffentlicht im Hannoverischen Magazin 1787 einen ursprünglich englischen Text,264 in dem dargelegt wird: „Zwar ist das Bewegungsvermögen in den Thieren vollkomner, als in den Pflanzen, allein, gänzlich kann man letztern doch diese Eigenschaft nicht streitig machen.“265 Denn Pflanzen würden Gefahren ausweichen, Insekten fangen, sich durch das Schließen der Blätter gegen die Witterung schützen, sich zur Sonne drehen, den Weg zur Nahrung suchen. Verschiedenste Bewegungsbeispiele werden hier angeführt: die kreisenden Bewegungen der rankenden Arme der Gewächse, wenn sie Halt suchen, die Samen der Wasserlilie, die immer bis zur Oberfläche wandern etc. Der Autor schlussfolgert: „Alle hier erzählten Thatsachen setzen es außer Zweifel, daß ­zwischen den Pflanzen und Thieren, selbst in Rücksicht des Bewegungsvermögens eine große Aehnlichkeit herrscht. (…) Alle diese Erscheinungen entstehen im vegetabilischen Körper eben so wohl von einem Selbstbewegungsvermögen als im thierischen und eben dies Bewegungsvermögen macht das eigentlich Karakteristische 261 „Physisch botanische Betrachtungen über die Gelenke der Pflanzen. Von einem Herrn Amoreux dem Sohn (Iurn. de Ph. 84 Mai)“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 3, 1. Stück (1785), S. 66 – 70. 262 Amoreux, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1785), S. 68. 263 Amoreux, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1785), S. 70. 264 Ungenannter Verfasser: „Versuch über die wunderbaren Eigenschaften und Kräfte der Pflanzen, in Vergleichung mit den Eigenschaften der Thiere“, in: Hannoverisches Magazin 25. Jahrgang, 47. Stück vom 11. Juni 1787, Sp. 737 – 752 (BZA). Es kann sich nur um einen Text aus dem Umfeld T. Percivals handeln, möglicherweise eine Reaktion auf diesen, da den Pflanzen zwar Gefühle abgesprochen werden, dennoch aber Argumente von Percival aufgegriffen werden (siehe den folgenden Abschnitt). 265 Ungenannter Verfasser, Wunderbare Eigenschaften, Sp. 737.

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aus, wodurch sich ein organisierter Körper von einer todten Masse unterscheidet.“266 Bewegung wird hier also nicht zum Signum des Tieres, sondern nun zum Signum des Lebendigen schlechthin. Ähnlich argumentiert ein ungenannter Autor noch 1832 in Bezug auf die „Wirbel“ der Pflanzen in einem langen Aufsatz: „(…) was ich zu erweisen mich bemühen werde, ist speciell, ist – dass ich es kurz sage – der Satz: Der Pflanzenleib ist wie der Thierleib aus Wirbeln gebaut. (…) Die ursprüngliche Bedeutung des Wirbels kann keine andere als die einer Blase – einer Kugel seyn. Dies ist die Grundform, und so wie sich einerseits (in der anorganischen Welt) aus ihrem feuchten Schoose der Krystall niederschlägt, so blüht anderseits im Reiche der Organismen aus ihr jede individuelle Gestalt auf.“267 Er geht also dabei von einer grundlegenden Kugelform alles Lebendigen aus, aus der sich dann nach allen Seiten Wirbel bilden würden. Dies sei bei Pflanze und Tier gleich: „Die erste infusorielle Erscheinung der Thierwelt und das erste vom Lichte und der Erde determinirte pflänzliche Schleimkügelchen sind sich der Form nach ganz gleich – sind hier ruhende, dort bewegte, selbstbestimmende Wirbeln, – ja noch mehr – beide sind eins sich selbst ergänzend (…).“268 Wieder besteht so Gleichheit: „So erscheint uns denn der Pflanzenstamm, er mag sich über die Erde erheben oder unter dieselbe als Wurzelstock ausdehnen, als eine Wirbelsäule von übereinander gereihten nach einer bestimmten Ordnung sich folgenden Wirbeln.“269 Haare und Haut Weitere Gleichsetzungen kann man leicht finden, so etwa auch ­zwischen den Dornen der Pflanzen und den Haaren der Tiere. So wird ein Artikel eines Herrn Defay Ueber den Ursprung und die Verrichtungen der Dornen an den Pflanzen vom Herausgeber des Magazins für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte 1786 zusammengefasst, in dem es heißt: „Hr. Defay ist nicht mit denjenigen Botanikern einstimmig, w ­ elche die Verrichtungen der Dornen blos auf die Vertheidigung der Pflanzen, die damit versehen sind, einzuschränken scheinen, und es hat nach ihm, eine sehr große Uebereinstimmung ­zwischen ihnen und dem Haar oder den Fäden der Pflanzen statt, ­welche beyderseits als Ausführungskanäle angesehen und mit dem Haar der Thiere verglichen werden können. (…) Wegen der Aehnlichkeit, die Hr. D. ­zwischen den Dornen und dem Haar der Thiere findet, glaubt er, daß die Verrichtungen der einen und der andern Maasgabe der Natur der Körper, an ­welchen sie sitzen, ganz dieselben sind; und die Pflanzen bedürfen in Betracht der Ausdünstung, die ihnen als lebendigen Geschöpfen wesentlich nothwendig ist, so 266 Ungenannter Verfasser, Wunderbare Eigenschaften, Sp. 745 f. 267 „Die Pflanze als Wirbelgebilde dargestellt“ von Hrn Dr. ***“, in: Flora, Jahrgang 15, 1. Band, Nr. 10 vom 14. März 1832, S. 146 f. 268 Wirbelgebilde, Flora, 14. März 1832, S. 153 f. 269 Wirbelgebilde, Flora, 14. März 1832, S. 156.

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gut wie die Thiere gewisser Werkzeuge zu Ausführung der überflüssigen Materien, die sie enthalten. (…) Wollte man Herrn Defay einwenden, daß die Dichtigkeit der starken und spitzigen Dornen sich weit von dem biegsamen und weichen Charakter des thierischen Haars entferne, so kann er antworten, daß es eine Menge Pflanzen giebt, die ebenfalls ein weiches und wolligtes Haar haben, und dadurch seine Vergleichung rechtfertigen; und überdem wird die Aehnlichkeit auch durch die Vergleichung der Dornen mit den Stacheln und Borsten mancher Thiere zur Gnüge bestätiget.“270 Pflanzenlunge und Pflanzenblut Auch der Vergleich mit einzelnen Tiergattungen ist nicht selten. Ein anonymer Schreiber etwa führt 1749 im Hamburgischen Magazin schon 1749 seine Beobachtungen zur Ähnlichkeit von Pflanzen und Insekten aus.271 Er bezieht sich auf die Beobachtungen von Hales: „Es haben die Pflanzen eben wie die Thiere, Adern, Blut, welches in diesen Adern fließet, Luftröhren und Gefässe, die zur Durchlassung der Luft bestimmet sind, die ihnen statt der Lunge dienen, Häute, Knorpel, Drüsen, Bänder, Schweißlöcher, Werkzeuge der Fortpflanzung, zwey unterschiedene Geschlechter, beständige Ausdünstung um der neuen Nahrung Platz zu machen, eine Jugend und ein reifes und hohes Alter. Sie haben ferner Krankheiten, als Erstickung der Gefässe, Ueberbeine, unzeitige Geburten, Blut­stürzungen, den Krebs, Wunden, Würmer und dergleichen.“272 Nur müssten sie sich zur Nahrungssuche eben nicht bewegen, sondern die Nährstoffe kämen durch das umgebende Luft- und Erdreich direkt zu ihnen. Beide, Pflanzen und Insekten, hätten jedoch keine eigene Körperwärme, ihr Blut sei schwerfälliger als das der Menschen, bei beiden geschähe das Atemholen durch bandförmige Luftröhren, die wie eine Spirallinie schneckenförmig gewunden s­ eien (wie seine mikroskopischen Beobachtungen zeigten).273 270 „Ueber den Ursprung und die Verrichtungen der Dornen an den Pflanzen. Aus einer Abhandlung des Hrn. Defay“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 4, 2. Stück (1787), S. 62 f. (Die Zusammenfassung stammt wohl vom Herausgeber, Voigt). 271 Ungenannter Verfasser: „Betrachtungen über die Pflanzen und ihre Analogie zu den Insekten“, in: Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen 1749, Band 4, 1. Stück, S. 419 – 436 und S. 467 – 487 (BZA). 272 Ungenannter Verfasser, Pflanzen und ihre Analogien zu den Insekten, Hamburgisches Magazin 1749, 4. Bd, 4. St., S. 419 f. 273 Ungenannter Verfasser, Pflanzen und ihre Analogie zu den Insekten, Hamburgisches Magazin, 4. Band, 4. Stück (1749), S. 421 (BZA). Eine Seele jedoch streitet der Autor den Pflanzen ab, da sie keine willkürliche Bewegung besäßen: „Die Bewegung entstehet bey den Thieren aus zween Gründen, der erste ist bloß mechanisch (…). Der Zweyte Grund der Bewegung beruhet in dem Willen, hiedurch entschließen sie sich zu gehen, zu ruhen, für ihre Jungen Sorge zu tragen, ihr Leben zu vertheidigen, oder andere anzufallen. Die Pflanzen haben nur diese erste Art dieser Bewegungen. Es war also ganz unnütz, daß viele alte und einige von den neuern Weltweisen die Pflanzen mit einer Seele, die ihren Wachsthum besorgen sollte, haben beschenken wollen.“

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Ebenso wie Milch und Blut als verwandte Säfte galten,274 sahen die Zeitgenossen so vielfach den Pflanzensaft als eine Art „Blutwasser“. In Supplemente zur Biologie des Blutes und des Pflanzensaftes schreibt der Bonner Anatomie- und Physiologieprofessor A. F. I. C. Mayer 275 1827, der die Bewegungen in Tierblut und Pflanzensaft beobachtet hat, über die beweglichen Teilchen im Pflanzensaft: „Es ist die Lebenskraft, w ­ elche die Ströme dieser Kügelchen zusammenhält. (…) So sind diese Kügelchen also die Urwesen alles Lebendigen, die elementarischen Atome, Molécules, aus w ­ elchen alle anderen organischen Wesen zusammengesetzt sind. (…) Ich will sie Elementarthiere (…) nennen. So ist also das Element, woraus die Pflanze wächst und sich bildet, eine thierische Flüssigkeit, ein Pflanzenblut, ein mit Urthieren angeschwängerter Saft (…).“276 Und er schlussfolgert: „So ist also keine fremde Pflanzenwelt mehr mir gegenüber, kein anderes von meinem Leibe verschiedenes Reich.“277 Und er seinerseits sieht um 1827 damit das Problem der Reizbarkeit und Empfindung von Pflanzen als gelöst an, wenn er schreibt: „Endlich finden nun die Spuren von Reizbarkeit, von Sensibilität, von willkürlicher Bewegung, von Sinn und Instinct, ­welche man bei den Pflanzen wahrgenommen hat, und wofür man bisher Vergebens ein Prinzip, eine Grundursache, aufzufinden wusste, ihre Deutung und Würdigung. Ein Strom von Urthieren bewegt sich in der Wurzelfaser und zieht sie hin und her (…) sie sind es endlich, ­welche (…) die verschiedenen Bewegungen bestimmen, von dem einfachen Pflanzenschlafe bis zum instinctartigen Festhalten der Insekten durch Dionaea muscipula. Die Kügelchen sind die von jeher gesuchten Muskel- und Nervenfasern der Pflanze (…) empfindliche und Sinnsubstanz in dem Chaos des Pflanzenblutes aufgelöst (…)“.278 Bei diesen Vorstellungen bezieht sich Meyer zudem auch durchweg auf Beobachtungen anderer Gelehrter, wie etwa eines Professors Schultz in Berlin, Link, Rudolphi, Nees von Esenbeck und anderer. Für Mayer ist wiederum der Weg von den Urthieren im Pflanzenblut zur Pflanzenseele nicht weit, denn er nimmt keinen Leib-­ Seele-­Dualismus an, sondern geht von deren Identität aus, wobei er sich unter anderem auf Fichte bezieht.279 274 Orland, Barbara: „Verwandte Stoffe. Blut und Milch im Frauenkörper“, in: Arni, Caroline und ­Saurer, Edith (Hrsg.): Blut, Milch und DNA. Zur Geschichte generativer Substanzen, L’homme 21 (2010), Köln / Wien 2010, S. 71 – 80. 275 Die Titelei des unten aufgeführten Werkes weist ihn aus als Professor der Anatomie und Physiologie in Bonn, Direktor des dortigen anatomischen Institutes und Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften. Vermutlich handelt es sich um August Franz Josef Karl Mayer (1787 – 1865), siehe: Rüdinger, Nikolaus: Artikel „Mayer, Karl“, in: ADB 21, Leipzig 1885, S. 121 – 122. 276 Mayer, A. F. I. C.: Supplemente zur Lehre vom Kreislauf, 1. Heft („Supplemente zur Biologie des Blutes und des Pflanzensaftes“), Bonn 1827, S. 50 f. 277 Mayer, Supplemente, 1827, S. 52. 278 Mayer, Supplemente, 1827, S. 57 f. 279 Siehe: Mayer, A. F. J. C.: Die Elementar-­Organisation des Seelen-­Organs, Bonn 1838, insbes. S. 7 f.

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Nerven An Fragen der Reizbarkeit oder Empfindlichkeit der Pflanzen grenzt die Homologiefrage auch in jenem Moment an, in dem von „Nerven“ der Pflanzen gesprochen wird. Schrieb Haller die Sensibilität (Empfindlichkeit) allein den Nervenfasern zu, die Irritabilität aber anderen Körperfasern, so fragten sich Pflanzenforscher in der Folge, wie dies im „Reich der Vegetabilien“ beschaffen sei. Viele blieben hier bei der beschriebenen Einteilung, die die Nervenfasern und die Empfindung dem Tier vorbehielten – aber nicht alle. So beschreibt etwa ein Prof. Ritgen aus Gießen 1828 in seinem Aufsatz Einige Bemerkungen über den Bau der Pflanzen, besonders im Vergleich mit dem der Thiere“,280 dass den Pflanzen zwar wenig „Selbstbewegung“ zukomme, er erklärt dies aber mit einer besonderen „Einigung“, einer Komplexitätsstufe der Nervengebilde, die im Menschen zur Gehirnbildung führe, bei den Tieren „zerstreute“ Nervengebilde forme, während die Pflanzen sich nur aus einem ursprünglichen „Nervenbrei“ entwickeln würden. Hier heißt es: „Bei den Pflanzen besteht eben so wenig eine gesonderte Nervenbildung wie bei den niedersten Thieren. Es fragt sich aber, ob die Pflanzen nicht etwas besitzen, welches dem Nervensystem im weitesten Sinne des Wortes entspricht.“281 Das Problem liegt nun für den Autor in der Embryologie: „Es ist der Anfang jedes durch Zeugung entstehenden Thiers eine gestaltlose breiige Masse, ­welche durch die Nervenwirksamkeit der Zeugenden vermittelt, eine Befähigung zur selbstständigen Entwicklung in den vollkommenen Bau des erwachsenen Thiers erhält. Dieser erste breiige Anfang ist also ein nervenbelebter, ist Nervenbrei. In d ­ iesem Nervenbrei bildet sich, wie wir es vom bebrüteten Ei wissen, zunächst eine besondere Nervenregion, dann ein gesondertes Nervengebilde als Rückenmark, um welches hin erst später alle übrigen Theile entstehen (…).“282 Und er fährt fort: „In ­diesem weitesten Sinne den Begriff von Nervenbestand genommen, als allgemeinen Träger der Urlebenswirksamkeit, kann man auch behaupten, dass die Pflanze Nervenbrei besitze. (…) Dasselbe ist der Fall mit dem Anfange des Pflanzenembryos. (…) Sobald aber aus dem ersten Nervenbrei die ersten Pflanzentheile sich zu entwickeln anfangen, zieht sich der für die Weiterbildung dieser und für die erste Bildung der übrigen Theile als Anfang dienende Nervenbrei mehr auf besondere Gegenden zurück. In Bezug auf diese Gegend, wo sich der stete Hauptvorrat von Nervenbrei sammelt, besteht ein auffallend entgegengesetztes Verhalten in der Thierwelt und in der Pflanzenwelt. Dort zieht sich der Nervenbrei in die Tiefe zurück, 280 Ritgen (Vorname nicht eruierbar): „Einige Bemerkungen über den Bau der Pflanzen, besonders im Vergleich mit dem der Thiere von Hrn. Prof. Ritgen in Giessen“, in: Flora oder botanische Zeitung, herausgegeben von der königl. bot. Gesell. in Regensburg, 1828, Jahrgang 11, Band 1, Ausgabe Nro. 16 vom 28. April 1828, S. 241 ff. 281 Ritgen, Bemerkungen über den Bau der Pflanzen, Flora, Band 1, Nr. 16 (1828), S. 243. 282 Ritgen, Bemerkungen über den Bau der Pflanzen, Flora, Nr. 16 (1828), S. 243 f.

Beobachtetes |

hier lagert er sich an der Oberfläche (…).“283 Bei den Zoophyten jedoch lagere dieser Brei in der Mitte. So s­ eien sie also einerseits Anfang der Tierwelt, andererseits Anfang der Pflanzenwelt usw. Aufgrund der nur graduellen Unterschiede in Beweglichkeit, Empfindungsfähigkeit und organischer Substanz sind also die Lebewesen gleich. Die Unterschiede ergeben sich eher durch Ausdifferenzierung, Komplexität oder Anordnung – wo w ­ elche Stoffe lagern. Nerven, Empfindung und Seele? Nerven in Bezug auf den Menschen wiederum hatten auch eine Schlüsselposition für Cartesianer, wenn es um die Frage des Zusammenspiels von Körper und Seele ging – um „Empfindung“.284 In cartesianischer, substanzdualistischer Sicht stellte schließlich die Frage nach dem Ort der wechselseitigen Beeinflussung von Körper und Seele ein ungelöstes Problem dar. Wo interagierten die beiden Substanzen? In den Nervenbahnen? Was war eine durch einen Reiz ausgelöste Bewegung der Körpermaschine, was eine Bewegung der Seele? Es blieb ein ungelöstes Problem. Vielen frühen Botanikern ging es wohl so wie einem Wiesbadener Lehrer, der in einer Abhandlung „Ueber die Kräfte und Lebensverrichtungen, ­welche die Pflanzen mit den Thieren gemein haben“ 1840 schrieb: „So wie man gemeiniglich bei thierischen Körpern die Reizbarkeit betrachtet, kann sie theils durch äußerlich angebrachte körperliche Reizungen, theils durch die Seele in Bewegung gesetzt werden, ­welche, indem sie die Lebenskraft in gewissen Organen in Wirksamkeit setzt, als eine Reizung angesehen werden kann. Aber um d ­ ieses letzte bei den Pflanzen anzunehmen, müßten wir zugleich Nerven, als die Organe, durch ­welche die Seele wirken sollte annehmen. Nun läßt es sich wohl nicht leugnen, daß manche Phänomene der Pflanzen, wie ich weiter unten darthun werde, auf andere Weise, wie es scheint, sich nicht können erklären lassen; aber wir haben noch zu wenig Kenntniß von der Organisation der Pflanzen, um hierin etwas gewisses bestimmen zu können (…). Ob die Pflanzen diese Empfindung besitzen, können wir auf keine Weise mit Gewißheit sagen, da wir noch nicht bestimmen können, ob sie Nerven oder 283 Ritgen, Bemerkungen über den Bau der Pflanzen, Flora, Nr. 16 (1828), S. 246 f. 284 Teilweise sprechen sich die Autoren wieder in Anlehnung an Aristoteles für eine „vegatative Seele“ aus, bzw. man spricht nach neuen Begrifflichkeiten, wie sie etwa C. F. Meyer 1752 in den Hannoverischen Gelehrten Anzeigen mit dem Begriff der „Vegetabilität“ zu fassen sucht. Er definiert Vegetabilität als Vermögen zur Ausdehnung und zur Vermehrung des Gewebes bei Tier und Pflanze. Bei d ­ iesem Ausdehnen würden sich bei der Pflanze in den in ihr lagernden alkalischen Salzen Gärungsprozesse abspielen; diese Kraft nennt er dann wiederum „vegetativische Seele“. Das Vegetabile (als Vermögen zum Wachstum) wird hier zum Begriff des Lebens schlechthin. Wird also einmal das Pflanzliche analog zum Tierischen gesetzt, so andermal das Tierische in die „Vegetabilität“ inkorporiert. Meyer, C. F.: „Von der Vegetabilität der Pflanzen und Thiere“, in: Hannoverische Gelehrte Anzeigen, Band 2, 82tes Stück (1752), Sp. 1093 – 1100 (BZA).

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170 |  Die Pflanze als Lebewesen: die Gleichartigkeit von Mensch, Tier und Pflanze

irgend ein anderes Organ haben, worauf die Lebenskraft, ihren Wirkungen auf thierische Körper analog, wirken könnte. Ihnen alles Gefühl absprechen, das kann man auch nicht. Jahrhunderte verschwanden, und kein Naturforscher kannte Nerven an Würmern. Erst ­ efühlen, Späteren ward diese Entdeckung vorbehalten.“285 Wo also möglicherweise von G von Bewusstsein oder gar einer Seele der Pflanzen gesprochen werden konnte, daran schieden sich die Geister. Oder man hoffte auf zukünftige Erkenntnisse.

285 Roth (ein Conrector aus Wiesbaden): „Ueber die Kräfte und Lebensverrichtungen, ­welche die Pflanzen mit den Thieren gemein haben“, in: Ankündigung der (…) 1840 stattfindenden Schulfeierlichkeit nebst einer Abhandlung von Conrector Roth, Wiesbaden 1840, S. 1 – 14, hier S. 6 f. 8 (Universitätsbibliothek Basel).

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Empfindende Pflanzen und die Pflanzenseele

Die Debatte um die Pflanzenseele im Sinne einer Auseinandersetzung z­ wischen „rationalen“ oder „aufklärerischen“ Vorstellungen und einem „dem Wunderglauben und der Magie verwandten Animismus“286 zu interpretieren, greift im Licht des bisher Gesagten offensichtlich zu kurz. Im Folgenden wird die Diskussion um die Pflanzenseele als eine insbesondere am Ende des 18. Jahrhunderts mit aufklärerisch-­naturwissenschaftlichen Denk- und Argumentationsweisen auf das Engste verbundene Problematik verstanden.

3.1 Zur Geschichte der Pflanzenseele Fragen nach einer Pflanzenseele gelten aus heutiger Sicht als unwissenschaftlich. Die Pflanzenseele und die Pflanzensensibilität werden daher in biologiegeschichtlicher, also wissenschaftshistorischer Sicht meist nicht oder nur am Rand behandelt, obgleich diese Fragen die Gelehrten im 18. Jahrhundert sehr beschäftigten. Sie gehören also zu Wissens­ bereichen, die sozusagen als „falsch“ oder „unwissenschaftlich“ kaum Eingang in die Biologiegeschichte fanden, nicht tradiert wurden oder höchstens unter der Rubrik „spezielle Ideen“287 abgetan werden. Tatsächlich aber knüpfen sie für die Zeitgenossen an die Lehren der Antike an und entwickeln antikes Gedankengut innerhalb des Kontextes der neuen Beobachtungen zu den Pflanzen in neuer Weise – und aus Sicht der Zeitgenossen aus wissenschaftlicher Perspektive – weiter. Ob dabei zudem altgermanische botanische Vorstellungswelten zum Tragen kommen,288 die durch das christliche Mittelalter, das den Pflanzen und den Tieren allein eine dem Menschen dienende Stellung zuordnete, verdeckt waren, muss eher offen bleiben. Allerdings verweist auch die wenig später, im 19. Jahrhundert, aufgearbeitete 286 Die Frage der Pflanzenseele wird oft mit einem anti-­rationalen Animismus in Zusammenhang gesetzt, etwa in der Enzyklopädie der Neuzeit. Hier wird eine klare Zuweisung vorgenommen: „Die Beseelung der Natur, auch der unbelebten, ist Teil einer umfänglichen Glaubensauffassung, die keine Trennung von Natur und Kultur kennt und sich im Bildgedächtnis der Neuzeit vielfältig niederschlägt. Sie war in Europa und nicht nur dort seit der Antike bis in die Neuzeit von großem Einfluss auf das Nachdenken über Natur und wurde mit dem Aufkommen wie der Durchsetzung protestantischer und naturwissenschaftlich-­materialistischer Glaubenformen als Aberglaube marginalisiert.“ Sieglerschmidt, Jörn: „Animismus“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Band 1, Stuttgart / Weimar 2005, Sp. 397. 287 Siehe bspw. Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 197 ff. Eine Stichwort „Pflanzenseele“ findet sich im Register nicht und auch in den Ausführugen wird das Problem der Seele nur im Hinblick auf die Tiere erläutert (S. 212 ff.) 288 Siehe z. B.: Gerlitz, Peter: Heiliger Baum – heiliges Tier. Mensch und Natur in archaischen Kulturen, Düsseldorf 2003.

172 |  Empfindende Pflanzen und die Pflanzenseele

germanische Mythologie auf verwandte Vorstellungen. Bäume können hier Wohnorte von Verstorbenen, Schutzgeistern, Dämonen oder Göttern sein oder stellen Heiligtümer dar. Seelen manifestieren sich in meteorischen Ereignissen (Sturm, Wind) oder Tier- und Menschengestalt.289 Die Komplexität dieser Mythologien und ihrer Tradierungen würde allerdings eine eigene Auseinandersetzung mit d­ iesem Thema erfordern. Verbindungs­ linien – trotz der Kontinuität derartiger Elemente im Volksglauben – zu den mitteleuropäischen Vorstellungen im 18. bzw. 19. Jahrhundert sind bisher sehr fraglich. Offensichtlich und belegbar dagegen ist aber ein zweiter Traditionsstrang innerhalb der neuen Naturwissenschaft: die Rückbindung an antike Schriften, die über den arabischen Raum vermittelt wurden. Möglicherweise im Dunkeln liegen wiederum in dieser Hinsicht die Verbindungen bis hin zu indischen Elementen, die über die arabischen Einflüsse vermittelt waren oder vielleicht sogar erneut in der Zeit der europäischen Expansion einwanderten. Ideengeschichte Ideengeschichtlich hat Hans Werner Ingensiep die Geschichte der „Pflanzenseele“ von der Antike bis zur Gegenwart dargelegt,290 dessen Erläuterungen im Folgenden zu Grunde gelegt werden.291 Ingensiep spricht von der „Geschichte einer verlorenen Idee“.292 Und in der Tat ist uns heute – zumindest im westlichen Denken – diese Vorstellung sehr fern, zumal heute philosophische Konzepte wie „die Seele“ selbst in Auflösung begriffen sind. In den alten indoeuropäischen Kulturen sind Überlegungen zur „Pflanzenseele“ dagegen durchaus zu finden – in den indischen Lehren ebenso wie etwa in der griechischen Philosophie. Der Hinduismus betrachtet die Pflanze von alters her als beseeltes Lebewesen und auch der frühe Buddhismus bekennt sich hierzu. Diesen Vorstellungen verwandt sind altgriechische Schriften, etwa des Empedokles (ca. 483 – 423 v. Chr.), der Vorstellungen einer Seelenwanderung ausführt, die die Pflanzen miteinschließt.293 Auch den Vorsokra­ tikern, etwa Anaxagoras und Demokrit, werden entsprechende Überlegungen zu den 289 Siehe: Meyer, Elard Hugo: Germanische Mythologie, Berlin 1891. Zum Seelenglauben siehe S. 61 ff., zum Baumkult S. 83 ff. 290 Ingensiep, Hans Werner: Die Geschichte der Pflanzenseele. Philosophische und biologische Entwürfe von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart 2001. 291 Wenn hier Elemente aufgegriffen werden, die er in seinem Buch ebenso aufgreift, so möge die Leserschaft mitdenken, dass das Werk von Ingensiep meine Arbeit in einem hohen Maß beeinflusst hat, dass es sich hier um vielfache Bezüge und eher um eine Weiterführung seiner Ausführungen handelt und ich mich bemühe, wichtige Stellen und gedankliche Übernahmen zu kennzeichnen, dass aber ­dieses gesamte Kapitel unter einer großen, auf ihn Bezug nehmenden Fußnote zu lesen ist. 292 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S.1. 293 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 13 ff.

Zur Geschichte der Pflanzenseele  |

Pflanzen zugeschrieben. In Platons Timaios finden sich Beschreibungen der Pflanzen als Lebewesen, die mit Sinnesorganen und seelischem Empfindungsleben ausgestattet ist.294 Die griechische Kultur zeugt, scheint es, somit noch nicht von der bei Descola beschriebenen Trennung von Natur und Kultur.295 Die entscheidende Zäsur in der europäischen Geschichte der Pflanzenseele stellt wohl unweigerlich die Christianisierung dar. Und die christlich-­biblische Tradition strukturiert für das gesamte Mittelalter und bis spät in die Frühe Neuzeit hinein die Kosmologie. In der christlich-­biblischen Weltordnung war dabei die aus der Natur herausragende Stellung des Menschen fundamental. Der Mensch, geschaffen in Ebenbildlichkeit zu Gott und mit seinem „Atem“, der Seele, begabt, war ein von den Naturwesen Unterschiedenes. Nur er trägt den Odem Gottes in sich. Diese Unterschiedlichkeit wird biblisch nochmals betont durch die Teilhabe an „Erkenntnis“, verbildlicht im Sündenfall. Diese „Erkenntnis“ treibt den Menschen aus einer unbewusst-­harmonischen Naturordnung, dem Paradies, hinaus und lässt die Grenze ­zwischen Natur und Mensch noch stärker aufscheinen. Er ist nicht mehr Teil der friedlich-­paradiesischen Ordnung; gleichwohl „herrscht“ er über die Natur. In der christlich-­biblischen Konzeption der Herrschaft des Menschen über Tier und Pflanze rückte der Mensch somit sehr weit von der Pflanze ab. Das christliche Mittelalter kennt zwar die Antikerezeption oder gewisse Gegenläufer, wie sie sich etwa in franziskanischen Idealen manifestierten; grundlegend aber blieb die herausgehobene Stellung des Menschen bestehen. Hinsichtlich der antiken Überlieferung griff es wohl auch weniger auf Platon zurück. Rezipiert wurden in Hinsicht auf die Naturvorstellungen vielmehr aristotelische ­Lehren – und dies in spezifischer Weise, in christlicher Ausdeutung. Aristoteles hatte der Pflanze – im Gegensatz zu Platon – eine „vegetative Seele“ zugeschrieben und diese aber als nährende, wachsende und sich fortpflanzende Kraft definiert. Damit hatten Pflanzen zunächst keine Sinneswahrnehmung. Zwar trennt Aristoteles nicht ­zwischen „Leben“ und „Seele“, dies wurde aber nicht weiter beachtet. Die aristotelische Dreiteilung: Pflanzen leben, Tiere leben, bewegen sich und nehmen wahr, Menschen leben, nehmen wahr und denken – blieb für das ganze Mittelalter, insbesondere die Scholastik, in der Form der Abstufung und Grenzziehung bestimmend. Nur dem Menschen war das geistig-­seelische Prinzip inhärent. Damit waren Bilder einer Pflanzenseele oder der Nähe von Mensch, Tier und Pflanze zunächst weit in den Hintergrund gerückt. (Im Volksglauben und in magischen Praktiken von ­Mittelalter und Früher Neuzeit blieben ­­solche Elemente allerdings lebendig – und wurden von der ­Kirche vehement bekämpft.)

294 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 28 ff. 295 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 107 f. Ob hier wirklich Anfänge des abendländischen Naturalismus zu finden sind, wie Descola dies sieht, mag der Althistoriker klären.

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In der Renaissance und ihrer Rückbesinnung auf die Antike finden sich wieder teilweise Gelehrte, die der Pflanze ein Seelenleben zuschreiben – etwa Andrea ­Cesalpino (1519 – 1603), Johan Baptista van Helmont (1579 – 1644) oder Tommaso Campanella (1568 – 1639), wie Ingensiep beobachtet. Diese diskutierten aber eher generell die Gesamtheit der Natur als beseeltes Lebewesen.296 Das beginnende Interesse an der Pflanzenseele im 17. Jahrhundert basierte dagegen im Wesentlichen auf den neuentdeckten Pflanzen und den nun beschriebenen Erscheinungen der Pflanzenbewegungen. Es sind also jetzt die Beobachtungen in der Pflanzen­welt, die diese Frage wieder auftauchen lassen. Eine breite Diskussion, angeregt insbesondere auch durch Schriften aus England, erfolgt ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die beginnende Debatte um die Pflanzenseele ist zweifelsohne zudem eine Folge des sich grundsätzlich ausweitenden Interesses an der Botanik seit den 1760er Jahren. Sie findet um die Jahrhundertwende ihren Höhepunkt und endet gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, indem in der zunehmenden Trennung von Kultur- und Naturwissenschaft die Frage nach der „Seele“ mehr und mehr in den Bereich der Philosophie und Theologie verwiesen wird.

3.2 Logiksuchende und die Diskussion um die Pflanzenseele ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Wenn die „Kette der Wesen“, wie sie von den zoologisch-­botanisch Forschenden, von Gelehrten wie Leibniz oder Bonnet und vielen anderen für eine zutreffende Art der Naturbeschreibung gehalten wurde, eine minimale, graduelle Veränderung von Art zu Art enthielt, bei w ­ elchen Lebewesen sollte man dann die Grenze von Empfindungsfähigkeit, Bewusstsein und Seele ziehen? Wäre diese vorzustellen wie ein „Versickern“ jener Eigenschaften innerhalb des Kontinuums? War dann den Pflanzen wirklich noch Empfindung, Gefühl und Seele abzusprechen? Solche Fragen riefen die „Pflanzensensitivisten“ des 18. Jahrhunderts auf den Plan, die insbesondere ihre Vorbilder in England fanden. Waren die Beobachtungen zu den Bewegungen der Pflanzen nicht mehr zu widerlegen und hatten die tradierte Grenze ­zwischen Tier und Pflanze ins Wanken gebracht, so trieben die Fragen nach möglichen Empfindungsfähigkeiten und Gefühlen der Pflanzen die Diskussion in diese Richtung weiter. „Empfindung“ war schließlich über Jahrhunderte hinweg allgemein dem Tiere zugeordnet, das sich wiederum vom Menschen durch die fehlende Verstandestätigkeit unterschied. Je nachdem, ob diese Verstandestätigkeit mit der Existenz der Seele verbunden wurde – und damit allein dem Menschen zugeschrieben wurde, wie im cartesianischen Denken – oder ob das Prinzip der „Seele“ mit dem Prinzip des Lebendigen verbunden wurde, fanden sich unterschiedliche Positionen über 296 Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 176 ff.

Logiksuchende und die Diskussion um die Pflanzenseele  |

die Frage der Beseeltheit der Lebewesen. Zu Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts flammte diese Diskussion um die Pflanzenseele, die vielfach später als Teil einer neuen „romantischen“ Naturmystik interpretiert wurde, vehement auf. Betont sei aber bereits hier, dass nicht die „Romantik“ – quasi in Ablehnung des Rationalismus der Aufklärung – „mystische“ Vorstellungen einer beseelten Natur hervorbrachte. Vielmehr generierte die Aufklärung selbst, und zwar nicht in der Abkehr von Logiken oder gar einer Verherrlichung der Irrationalität, sondern in logischer Konsequenz aus der Kette der Wesen, diese Vorstellungen. Hinzu kommt aber ein zweites Moment, das auf der Hinwendung zur Pflanze und der Botanikbegeisterung basierte, so die hier vertretene These, die noch ausgeführt werden wird: Die Vorstellungen der Pflanzenseele korrelieren mit einer erneuten Rezeption und erneuten Lesart aristotelischer Schriften zu Beginn des 19. Jahrhundert innerhalb der botanisch und zoologisch ausgerichteten Wissens- und Wissenschaftsfelder. Anfänge in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Schon der Mediziner Johann Jakob Unzer (1727 – 1799, auch bei Ingensiep anführt) widmete d ­ iesem Thema eine Abhandlung mit dem Titel Vom Gefühle der Pflanzen.297 Unzer, der als Arzt tätig war, gab ab 1759 die weitverbreitete und in mehrere Sprachen übersetzte Wochenzeitschrift Der Arzt und medizinische Handbücher heraus und wurde durch seine Schriften zu Philosophie und Physiologie seinerzeit sehr bekannt.298 Allerdings zeugt Unzers Text von einem eher an aufklärerischer Unterhaltsamkeit interessierten Zugang zum Thema, schreibt er doch bereits zu Beginn: „Ich hoffe, es soll Ihnen also wenig darauf ankommen, wenn Sie hören, daß auch die Blumen Seelen haben, dass eine schöne Tulpe vielleicht eben so viel denkt, als Ihre schwatzhafte Französin. Ich bin schon lange mit ­diesem Einfalle bekannt, und darum kommt er mir gar nicht mehr fremde vor. Wollen Sie mir nicht erlauben, daß ich Sie auch damit bekannt mache? Sie werden hernach das Vergnügen haben können, sich mit ihrem Blumenstrausse zu unterreden; Sie werden den Wäldern mit mehr Vertrauen Ihr Leid klagen (…).“299 Dennoch legt er entsprechende Gedanken zur Ähnlichkeit von Tier und Pflanze dar.300 Unzer orientierte sich bei seinem ungläubigen Staunen über derartige Vorstellungen allerdings auch an 297 Unzer, Johann August: „Schreiben an Mademoiselle R Vom Gefühle der Pflanzen“, in Ders.: Sammlung kleiner Schriften (Teil I: Physikalische), 2. Auflage Lüneburg und Hamburg 1768, S. 123 – 133. Der Aufsatz war offensichtlich zunächst in seiner Zeitschrift erschienen und wurde in der Sammlung kleiner Schriften erneut abgedruckt. 298 Siehe: Carstens: Artikel „Unzer, Johann August“, in: ADB 39, Leipzig 1895, S. 331. Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 271 ff. Johann August Unzer ist der Ehemann der Gelehrten Johanna Charlotte Unzer (Ziegler). 299 Unzer, Vom Gefühle, 1768, S. 124. 300 Unzer, Vom Gefühle, 1768, S. 126.

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den wundersamen Erzählungen der Reisebeschreibungen, nicht nur an der ernsthaften botanischen Diskussion. So berichtet er erneut von den Duret’schen wundersamen Pflanzen: „Lachen Sie mich nicht aus: denn ich bin im Stande, Sie mit folgender Nachricht ganz ernsthaft zu machen. Die Verwandelung, ­welche mit den Blättern gewisser Bäume auf den philippinischen Inseln vorgeht, ist eine ausserordentliche Seltenheit. Denn sobald sie zu ihrer vollkommenen Zeitigung gelangt sind, wird ein lebendiges Thier daraus, welches sich vom Aste los machet, und in der Luft herum flieget, doch aber die Farbe des Blattes behält. Der Leib besteht aus den härtesten Blattfasern, der Kopf aus dem Stiele, oder aus dem Theile des Blattes, damit es am Baume hieng, und der Schwanz aus dem andern Ende. Die Blattrippen geben die Füsse ab, und das übrige die Flügel.“301 Weitere Geschichten zur Umwandlung von Pflanzen in Tiere, wie etwa die besagten laufenden Blätter, erklärt er aber prosaisch mit der Existenz von Würmern: „Ich will gern zugestehen, daß diese Würmer in den Blättern wachsen, und daß ihre Eyer von ihrer M ­ utter in dasselbe hineingestochen worden sind. Es erhellet doch allemal so viel hieraus, daß eine belebte thierische Substanz in einer Pflanze wohnen, und ihr solchergestalt eine Art Empfindung ertheilen könne, die vielleicht das Geheimniß bey manchen empfindlichen Pflanzen allein ausmacht.(…) Auf diese Weise wäre es mit der Verwandelung der Blätter in Thiere nicht wunderbarer, als mit den Fliegen, die aus den Galläpfeln kommen. (…) Daß die Theile des Blatts sich in die Theile des Thieres zu verwandeln scheinen, kann wol daher rühren, daß die vertrockneten Blätter, in ­welchen das künftige Thier ausgebreitet liegt, sobald es seine Glieder reget, zerbrechen, und auf den feuchten Gliedern des neuauskriechenden Wurms kleben bleiben.“302 In seiner distanzierten Haltung und im weitgehenden Verweis der Pflanzenseele in die Welt des Mirakulösen zeigt sich Unzer noch nicht wirklich als Vertreter des Gedankens der Pflanzenseele, aber der Text gibt zunächst einen Widerschein der Tatsache, dass diese Frage nun in die Diskussion kommt. Auch die mit August Unzer verheiratete Johanna Charlotte Unzer (Ziegler) sieht die Frage als ungelöst an, schreibt sie doch in ihrer Naturlehre: „Ein Thier wächst, lebet und empfindet: aber das leztere trift, wie man sagt, bey den Pflanzen nicht zu. Ich rede hiervon, als von einer Sache, die andere Leute sagen, aber ich weiß noch nicht, ob ich eben dasselbe behaupten soll. Ich zweifle keinesweges, wenn ich einmal Lust bekommen werde, neue Wahrheiten zu erfinden, daß ich noch die Pflanzen zu den Thieren machen werde. Es kommt alles darauf an, daß ich ihnen Seelen schaffe, ­welche sie noch nicht zu haben scheinen. (…) allein ich sollte doch bey nahe glauben, daß man die Pflanzen damit noch werde versehen können. (…) Ein paar Grade mehr Schläfrigkeit würden ohne Zweifel einen Phlegmaticus in eine Pflanze verwandeln. Sein Grund der Seele, seine 301 Unzer, Vom Gefühle, 1768, S. 131. 302 Unzer, Vom Gefühle, 1768, S. 132 f.

Logiksuchende und die Diskussion um die Pflanzenseele  |

dunkeln Vorstellungen, könten dennoch in ihm, nach wie vor bleiben. Was hindert uns, die Seelen der Pflanzen mit den allerdunkelsten Vorstellungen zu versehen? (…) Lasst uns Leibnitzianerinnen werden: so werden die Pflanzen beseelt seyn. (…) Ich will nur erst die wichtigen Widerlegungen dieser Meinung abwarten, die etwa in den nächsten Jahren herauskommen: alsdenn soll man einen mathematischen Beweiß von den Seelen der Pflanzen gewiß zu hoffen haben.“303 Im deutschsprachigen Raum ist für die Frage der Pflanzenseele in der Anfangszeit zweifels­frei auch der vielgelesene Schweizer Charles Bonnet zentral, dessen Gedankengut hier (vor den Engländern Percival und Tupper, s. u.) die Grundlagen für die Diskussion legte. Er wurde im deutschsprachigen Raum weit ins 19. Jahrhundert hinein rezipiert. Sein ursprünglich 1764 auf Französisch erschienenes Werk Contemplation de la nature wurde bereits im gleichen Jahr ins Englische übertragen – möglicherweise war es den dortigen Pflanzensensitivisten bekannt. In der 1774 bereits in dritter Auflage aufgelegten Betrachtung über die Natur 304 jedenfalls schreibt Bonnet, der die Kette der Wesen in ausgefeilter und konkretisierter Form begreift: „Ich habe zwar über die Existenz der Thierseelen nichts entschieden, aber doch die Wahrscheinlichkeit dieser Meinung aus der Analogie gezeiget. (…) Daher habe ich im Polypen, der mir zu empfinden geschienen, eine Seele angenommen. Ich gebe indessen zu, daß eine durch innerliche Kraft bewegliche Maschine alle ­­Zeichen der Empfindung äußerlich an sich haben könne; aber wie viele Handlungen äußern die Thiere, ­welche man auf eine mechanische Weise nicht anders, als sehr gezwungen, erklären kann?“305 Zwar sei die Seele wohl immateriell, aber sie sei in unserer Beobachtung ja immer mit dem Körper verbunden. In seiner Vorstellung erscheinen die Seele und Körper als untrennbar Verbundenes: „Ich habe nicht behauptet, es sey unmöglich, daß die Seele ohne Körper denke. Es können ja reine Geister ohne einigen Körper vorhanden seyn, die Begriffe haben; ob ich gleich nicht im mindesten einsehe, wie sie solche ­­ haben. Ich weis blos, daß die Empfindung, so ich von meinem Ich habe, jederzeit nur eine, dabey einfach und untheilbar sey. Daraus schließe ich, daß ich nicht durchgehends aus Materie bestehe. (…) Ich behaupte daher die Existenz meiner Seele, und halte sie für eine immaterielle Substanz, die der Schöpfer mit einem organischen Körper vereinbaret hat. Ich lerne folglich aus der Betrachtung meines Wesens, daß ich aus der Vereinigung zwoer sehr verschiedenen Substanzen entstanden bin. Ich sehe auch, daß ich in der gegenwärtigen Ordnung der Dinge keine Begriffe, als mittelst meines Körpers habe (…). Ferner lehret mich die 303 Unzer/Ziegler, Johanna Charlotte: Johannen Charlotten Zieglerin Grundriß einer Natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer, Halle 1751, S. 51 f. 304 Bonnet, Charles: Betrachtung über die Natur vom Herrn Karl Bonnet (Mitgliede der römisch=kaiserl. Gesellschaft der Naturforscher, und der Akademien und Gesellschaften zu Petersburg, London, Stockholm, Lyon, München (…) 3. Auflage, Leipzg 1774. 305 Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. LV.

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Erfahrung, daß meine Seele ewig mit einem gewissen Körper vereiniget, und daß ich folglich in Ewigkeit ein vermischtes Wesen bleiben werde. (…) Denn meine Seele kann sich nicht selbst sehen und fühlen; sie sieht und fühlet aber die Körper durch Hülfe dessen, mit dem sie vereinbaret ist.“306 Bonnet wehrt sich hier einerseits gegen die Mechanisten, andererseits kommt er in seiner Vorstellung der Untrennbarkeit von Körper und Seele vielleicht auch der Häresie gefährlich nahe. Ebenso wie bei den Menschen ist für Bonnet bei den Tieren Materie und Immaterielles verbunden. Seelen haben aber dabei durchaus verschiedene Zustände – die Krankheit etwa kann eine Menschenseele in den Zustand der Tierseele versetzen.307 Damit ist auch wieder ein Übergang von Mensch und Tier gegeben: „Je näher die Thiere in ihrer Structur der menschlichen kommen, desto näher sie ihm auch in der Stufen­leiter seyn werden.“308 Analoges gilt für Tier und Pflanze: „Welches ist aber eigentlich die Stufe, wo die Empfindung sich zu offenbaren anfängt? Vom Polypen, oder von der Muschel zur Pflanze scheint eine geringe Distanz zu seyn.“309 Existiert also die pflanzliche Wahrnehmung nicht, nur weil sie für unsere menschlichen Sinne nicht wahrnehmbar ist? Bonnet greift dabei die antiken Vorstellungen auf und denkt sie weiter, wenn er schreibt: „Die Pflanze scheint uns, nicht nur äußerlich in der Folge ihrer Handlungen, sondern auch innerlich in ihrer Structur unbeseelet zu seyn. Die schärfste und geübteste Zergliederungskunst entdecket uns an ihnen kein Organon, welches denen ähnlich wäre, worinnen die Empfindung beym Thiere ihren Sitz hat. (…) Wir haben aber noch ­Ursache, an der Richtigkeit desselben zu zweifeln. Wir haben gesehen, daß alles stufenweise, gleichsam wie Schattierungen, in der Natur auf einander folget. Wir können daher nicht genau angeben, bey welcher Stufe die Empfindung eigentlich anfängt. Sie könnte sich wohl bis auf die Pflanzen, wenigstens auf diejenigen erstrecken, die den Thieren am nächsten sind (…).“310 Für Bonnet ist klar: Alles ist eine Frage der Abstufung, des Maßes und Grades, deshalb solle man die Empfindungfähigkeit der Pflanzen zwar nicht generell überschätzen, aber ebensowenig die Geisteskraft mancher Insekten unterschätzen, die geniale Handlungsweisen hervorbringen.311 Er spricht von einer unendlichen Vielfalt der Empfindungsweisen und Vielgestaltigkeit der Seelen. Bonnet konstatiert in Bezug auf die Empfindungsfähigkeiten: „Die Pflanzen sind in einem gänzlichen Unvermögen, uns diese Empfindung zu erkennen zu geben, diese Empfindung ist äußerst schwach; vielleicht ohne Willen und Begierde, weil das Unvermögen selbige an den Tag zu legen von 306 307 308 309 310 311

Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. LXIII f. Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. LXXXI. Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 52. Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 73. Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 350. Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 73 ff.

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ihrer organischen Einrichtung herkömmt, und man allen Grund hat, zu urtheilen, daß sich der Grad der geistigen Vollkommenheit nach dem Grade der körperlichen richte. Unterdessen, wenn man den Pflanzen die Empfindung abspricht, lässt man die Natur, ohne alle Ursache, einen Sprung thun. (…) Allein vielleicht giebt es unter der Empfindung der Muschel und der Pflanze ihrer noch viele Zwischenstufen, und vielleicht noch mehrere unter der empfindlichsten Pflanze, und der, die es am wenigsten ist. Die Stufenfolge, ­welche wir überall wahrnehmen, muß uns diese Philosophie beybringen, und der neue Grad der Schönheit, den das Weltgebäude dadurch bekömmt, nebst dem Vergnügen, die empfindenden Wesen zu vervielfältigen, müssen uns nöthigen, sie anzunehmen. “312 Das naturphilosophische Gesamtgebäude, für das Bonnet hier als Protagonist steht, schien zweifellos die Vorstellungswelt der Zeitgenossen Ende des 18. Jahrhunderts treffend zu beschreiben, stellte es doch eine Synthese von christlichem Schöpfungsglauben, Naturwissenschaft und der letztlich aus dem griechischen Denken übernommenen scala naturae, der Verkettung, Verknüpfung und Ähnlichkeit aller Lebewesen dar. ­Bonnet gelingt es also auszusöhnen, was die Zeitgenossen umtreibt: die Vereinbarkeit von Gottes­glauben und Naturwissenschaft, von altgriechischer Wissenschaft und christ­ licher Vorstellungswelt.

3.2.1 Englische Einflüsse: Thomas Percival und seine Rezeption Die in England vielleicht noch durchschlagendere Debatte wirkte ebenso in den deutschsprachigen Raum hinein. Furore in den deutschen Zeitschriften etwa machte ein ursprünglich in England erschienener Text: die Schrift Speculations on the Perceptive Power of Vegetables von Thomas Percival (1740 – 1804), einem Fellow der Royal Society und Schüler Joseph Priestleys. Sein Text erschien 1785 zunächst in den prominenten Memoirs of the Literary and Philosophical Society of Manchester und wurde dann in England mehrfach aufgelegt.313 Allein dass der Text im zentralen Zeitschriftenorgan der englischen Naturforscher publiziert wurde und die darin enthaltenen Überlegungen offensichtlich in der prominenten Literary and Philosophical Society of Manchester vorgetragen worden waren, spricht für die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung. Was war Percivals Absicht? In der Erstfassung beschreibt er das Anliegen seiner Schrift: „(…) in which I shall attempt to shew, by the several analogies of organization, life, instinct, spontaneity, and self-­motion, that plants, like animals, are endued with powers, both of 312 Bonnet, Betrachtungen über die Natur, 1774, S. 351 f. 313 Percival, Thomas: „Speculations on the Perceptive Power of Vegetables“, in: Memoirs of the Literary and Philosophical Society of Manchester, Vol. II, MDCCLXXXV, S. 114 – 130.

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perception and enjoyment.“314 Es geht also um Wahrnehmung und (Glücks-)empfinden im Pflanzenreich. Seine Argumentation baut hierbei darauf auf, dass den Pflanzen Leben („a living principle“) zugeschrieben werden müsse und dass diese Idee von Leben eine, wenn auch minimale Komponente von Wahrnehmung („perceptivity“) und Glücksempfinden („enjoyment“) beinhalte.315 Percival geht zunächst auf die traditionelle Unterscheidung der drei Reiche der Natur ein und entwickelt dann auf dem Hintergrund der Vorstellung der Kette der Wesen seine Argumentation: „Lapides crescunt; vegetabilia crescunt et vivunt; animalia crescunt, vivunt, et sentiunt. This climax, of Linneus, is conformable to the doctrines of Aristotle, Pliny, Jungius, and others (…). That a gradation subsists, in the scale of beings, is clearly manifest; but the higher advances we make in physical knowledge, the nearer will the degrees be seen to approach each other. And it is no very extravagant conjecture to suppose, that, in some future period, perceptivity may be discovered to extend, even beyond the limits now assigned to vegetable life.“316 Korallen habe man beispielsweise früher auch nur als fossile Körper angesehen und erst die neueren Erkenntnisse hätten nun dazu geführt, diese zunächst zu den maritimen Pflanzen und dann sogar zu den Tieren zu rechnen. Percival rechnet hier also – bei entsprechendem technischem Fortschritt – mit der weiteren Entdeckung von Fähigkeiten und Eigenschaften der Pflanzen. Schließlich hatte ja auch das Mikroskop Nichtsichtbares sichtbar gemacht. Da er dabei grundsätzlich von der auch in England besonders prominenten Vorstellung der great chain of being, der Kette der Wesen, ausgeht, ist es nur konsequent, die in feinsten Abstufungen vorhandenen Fähigkeiten alles Lebendigen in dieser Kette der Wesen nicht nur für möglich zu halten, sondern diese im Konkreten zu suchen. Er gibt daher zunächst die verschiedenen schon bewiesenen Beispiele für die Bewegungen der Pflanzen an: wie die Samen sich in der Erde so ausrichten, dass die Pflanzen aus der Erde herauswachsen, wie sie der Sonne folgen, ihre Blätter schließen, Insekten fressen etc. Ins Glas eingesperrte Pflanzen wachsen immer in Richtung des Flaschenhalses, in jedem dunklen Raum wächst die Pflanze in Richtung einer Öffnung zum Licht usw. Sein Hauptargument für die Wahrnehmungsfähigkeit und Empfindungsfähigkeit von 314 Percival, Perceptive Power of Vegetables, 1785, S. 115. (Achtung, hier gibt es gelegentlich unterschiedliche Seitenzahlen, die hier angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf den Bestand der Bodleian Library in Oxford.) 315 Er schreibt: „(…) we cannot hesitate to ascribe to the plant a LIVING PRINCIPLE . And by admitting this attribute, we advance a step heigher in the analogy we are pursuing. For, the idea of life naturally implies some degree of perceptivity: And whereever perception resides, a greater or less capacity for enjoyment seems to be its necessary adjunct. Indefinite and low, therefore, as this capacity may be, in each single herb or tree, yet, when we consider the amazing extent of the vegetable kingdom (…) the aggregate of happiness, produced by it, will be found to exceed our most enlarged conceptions.“ (Percival, Perceptive Power of Vegetables, 1785, S. 115.) 316 Percival, Perceptive Powers of Vegetables, 1785, S. 116 f.

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Pflanzen ist dabei zweifellos die Bewegungsfähigkeit der Pflanzen, wofür natürlich auch er im Besonderen die „Sinnpflanze“ (Mimose) und die Venusfliegenfalle bzw. die Sonnentaugewächse ins Feld führt sowie die später immer wieder als Beispiel angeführte Seerose. Je nach Notwendigkeit ist dabei die Bewegungsfähigkeit der Pflanze größer oder geringer: „Nature has wisely proportioned the powers of motion, to the diversified necessities of the beings endued with them. Corallines and Seapens are fixed to the spot, because all their wants may be there supplied. (…) The water-­lily, be the pond deep or shallow in which it grows, pushes up its flower-­stems, till they reach the open air (…). About seven in the morning, the stalk erects itself, and the flowers rise above the surface of the water: In this state they continue till four in the afternoon, when the stalk becomes relaxed, and the flowers sink and close.“317 Ebenso wird auch auf die Homologie im Körperbau von Tier und Pflanze verwiesen, auf die Fortpflanzung, die Fähigkeit zum Selbstschutz durch Dornen oder auf Wachstumsbewegungen. Die Selbstbewegung jedoch erscheint als der Beweis einer der animalischen Bewegung vergleichbaren Reaktion auf die Umweltbedingungen, die das Streben nach „happiness“ belegt. Percival führt sodann die verschiedensten Pflanzen an, deren Bewegung zu beobachten ist. Damit ordnet sich Percival ein in jene religionsphilosophischen ­Strömungen, die die Welt als eine von Gott in bestmöglichem Zustand für alle Geschöpfe geschaffene Ordnung verstanden – eine in England wie auf dem Kontinent von den Physikotheologen vertretene Vorstellung, die im deutschsprachigen Raum in der Philosophie von Leibniz ihren prominentesten Ausdruck fand.318 So schlussfolgert Percival auch: „ (…) that the greatest possible sum of happiness exists in the universe. The bottom of the ocean is overspread with plants, of the most luxuriant magnitude. Immense regions of the earth are covered with perennial forests. Nor are the Alps, or the Andes, destitute of herbage, though buried in depths off snow. And can it be imagined, that such a profusion of life subsists without the least sensation or enjoyment? Let us rather, with humble reverence, suppose, that vegetables participate, in some low degree, of the common allotment of vitality: And that our great Creator hath appointed good, to all living things, ‚in number, weight, and measure‘.“319 Zwar spricht Percival nicht von Erwiesenem (aus Vorsicht?), sondern nennt seine Ausführungen „speculations“, die Argumentationslinie belegt jedoch seine Parteinnahme für die Vorstellung pflanzlicher Empfindung und die Existenz eines seelisch-­geistigen Vermögens der Pflanze. 317 Percival, Perceptive Powers of Vegetables, 1785, S. 122 ff. 318 Ingensiep stellt Percival daher in eine Reihe mit dem „sozialeudämonistischen Utilitarismus“ Jeremy Benthams (1748 – 1832) und dessen Forderung nach dem „größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl“. Bentham hatte dies auch auf die Tiere angewandt und so die angelsächsische Tierrechtsbewegung begründet. Percival weitete diesen Gedanken auf die Pflanzenwelt aus. (Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 317.) 319 Percival, Perceptive Power of Vegetables, 1785, S. 126 f.

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Rezeption im deutschsprachigen Raum Eine leicht gekürzte deutsche Fassung von Percivals Thesen erschien bereits 1786 im Journal aller Journale unter dem Titel „Dr. Percival’s Gedanken und Gründe über das Empfindungsvermögen der Pflanzen“, die aber wiederum auf eine Textvorlage aus The European Magazine rekurriert.320 Der Übersetzer ersetzt hierbei die Kernbegriffe „perceptivity“ und „enjoyment“ folgendermaßen: „Denn der Begriff vom Leben führt einen Theil von Fühlkraft natürlich mit sich; und wo Fühlkraft wohnt, da muss auch mehr oder weniger Fähigkeit, zu genießen seyn“321. Die zentrale Stelle wird hier folgendermaßen übersetzt: „Dass auf der Leiter der Wesen ein Stufengang sich befindet, ist ganz augenscheinlich; je weiter wir aber in der Kenntniss der Physik kommen, desto näher bei einander werden wir die Grade finden. Und die Muthmassung zu fällen, dass in einem künftigen Zeitpunkte man die Fühlkraft ausgebreiteter finden wird, als man sie jetzt dem Leben der Pflanzen zuschreibt, ist so ausschweifend nicht. Die Korallen und Schwämme wurden sonst für Fossilien gehalten; die Versuche des Grafen Marsigli aber erwiesen, dass sie Leben besitzen, und brachten ihn dazu, sie mit den Seepflanzen in eine Klasse zu versetzen. Die Bemerkungen von Ellis, Jussieu und Peyronel haben sie seit der Zeit zum Range der Thiere erhoben. Die Aufdeckung eines Irrthums bei lange wahrgeglaubten Meinungen in einem Zweige von menschlicher Kenntniss erregt den Verdacht, dass auch dergleichen anderswo in einer verwandten Wissenschaft seyn kann; und wenn wir die Instinkte, Willenheit und selbstbewegende Kraft der Pflanzen tiefer untersuchen, so werden wir sehen, dass dieser Verdacht nicht ohne Grund ist.“322 Immer wieder wird dabei jetzt auf die willentliche Bewegung der Pflanzen hingewiesen. So werden die Wurzeln über Steine hinweg in den Boden dirigiert, die Sonnenblume wendet sich jeden Tag der Sonne zu, denn „die Natur hat die Kräfte der Bewegung nach den verschiedenen Bedürfnissen der mit ihnen versehenen Wesen abgemessen“323. Diese Beobachtungen der Bewegung – auch bei Pflanzen, die sich ohne jede äußere Einwirkung bewegen (gemeint ist hier wohl die Telegraphenpflanze) – führen zur Begrifflichkeit des beseelten Wesens, wenn es in der deutschen Übersetzung lautet: „Die Gesetze der Elektri­ cität können diese Phänomene ­dieses beseelten Pflanzenkörpers auch nicht erklären (…). Vielleicht schreiben einige Philosophen es einer Vi insitae oder Reitzbarkeit zu (…). Aber diese Hypothese widerlegt sich selbst. Denn das Daseyn der Reitzbarkeit kann nur durch 320 Am Schluss der Übersetzung wird als Quelle The European Magazine genannt. Siehe: „Dr. Percival’s Gedanken und Gründe über das Empfindungsvermögen der Pflanzen“, in: Journal aller Journale, Band 4 (1786), S. 93 – 107 (BZA). 321 Dr. Percivals Gedanken, Journal aller Journale (1786), S. 95. 322 Dr. Percivals Gedanken, Journal aller Journale (1786), S. 96 f. 323 Dr. Percivals Gedanken, Journal aller Journale (1786), S. 102.

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die Erfahrung von Reitzungen erst gefunden werden, und die Idee des Reitzens schliesst die des Fühlens in sich.“324 In Frankfurt erscheint bereits 1790 eine weitere Schrift, die sich in kommentierender Weise mit der ­Theorie Percivals auseinandersetzt. Allerdings erscheint sie anonym, was nicht weiter verwundert, da der Verfasser selbst dem Leser auseinandersetzt, dass er wohl geneigt ist, Percival zuzupflichten, sich aber bewusst ist, dass jeder, der diesen Gedanken zustimmt, sich möglicherweise dem Atheismusverdacht aussetze. Die 60-­seitige Abhandlung erscheint unter dem Titel Also hätten die Pflanzen Vorstellungen und Bewusstseyn ihrer Existenz? Eine Diatribe für Liebhaber der Naturkunde und Psychologie.325 Teilweise liefert der Verfasser eine Zusammenfassung der Gedanken Percivals, vor allem aber kommentiert er diese. Percival gehe hier von hohen Wahrscheinlichkeiten und vielfachen Evidenzen aus, denn: „Die Pflanzen sind in ihrem innern und äussern Bau den Thieren so sehr ähnlich, daß die Botaniker fast alle ihre Ausdrücke und Benennungen, deren sie sich bei der Beschreibung einer Pflanze bedienen, aus der Anatomie und Physiologie der Thiere hernehmen.“326 So rede man bei Pflanzen wie Tieren von Häuten, Zellgewebe, Adern, Augen, Füßen, Mark, Samen, Eierstöcken etc. Und dies sei zu Recht so, da es Ausdrücke für die belebte Natur ­seien, die auf die Organisationsweise des Lebendigen ziele: ­„Lauter Ausdrücke, die einer leblosen Natur gar nicht zukommen, noch sich dazu ­schicken! Wir bemerken aber bei den Pflanzen durchhin, daß in ihrem Bau, in ihrer Organisation, allerdings Kräfte liegen; zu wachsen, sich zu erhalten, sich empor zu heben, sich zu regen, einer gewissen Bewegung treu zu bleiben, sich durch Samen fortzupflanzen, ihre Triebe zu äussern.“327 (Zustimmend ergänzt hier auch noch der Herausgeber/Drucker in einer Fußnote, dass Pflanzen zudem analog zu den Tieren Elektrizität leitende Körper ­seien, und ebenfalls, wenn sie welk oder verdorrt sind, genauso wie der trockene Tierknochen die Elekrizität nicht mehr leiten.) So wird zunächst Percivals Argumentation dargelegt, wie auch die Idee der von Gott geschaffenen größtmöglichen Glückseligkeit. Hier heißt es: „Kleinheit im Einzelnen muß uns nicht täuschen. In der individuellen Pflanze, oder Staude, die du ansiehst, mag dieser Genuß, diese Perception sehr geringfügig zu seyn scheinen, oder auch würklich seyn. Ueberschaue aber einmal das Ganze, und betrachte, welch’ ein Auswurf heraus kommt! Wenn von dem Hysop, der an der Mauer kriecht, bis an die Ceder auf Libanon, jedes Gewächs, jedes Vegetabil, sein Leben genießt, und sich seines Daseyns freut, w ­ elche veste Idee verbreiteter Glückseligkeit entsteht nicht hirdurch!“328 324 Dr. Percivals Gedanken, Journal aller Journale, 1786, S. 104. 325 Anonymer Verfasser: Also hätten die Pflanzen Vorstellungen und Bewusstseyn ihrer Existenz? Eine ­Diatribe für Liebhaber der Naturkunde und Psychologie, Frankfurt 1790. 326 Anonym, Diatribe, 1790, S. 7. 327 Anonym, Diatribe, 1790, S. 8. 328 Anonym, Diatribe, 1790, S. 10.

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Der Verfasser spricht dann allerdings – über Percival hinausgehend – auch den Mineralien nicht unbedingt ein Leben ab. Er schreibt: „Auch im Mineral= und Steinreich ist ein gewisses Leben; – künftige Aufklärung wird uns wol noch vertrauter mit solchen auffallenden Ideen machen, die unsere gegenwärtigen Decennien noch nicht ertragen.“329 In seiner Schrift spricht er sodann die Leserschaft direkt an: „Empört diese Folgerung? Ist sie zu kühn? – Nur die Worte fallen auf. Man vergißt, wenn man sich so sehr gegen diese Behauptung sträubt, wie viele G r a d e das Vermögen des Bewußtseyns haben, wie sehr verschieden alles, was Vorstellungskraft heißt, der Schwäche und der Stärke, der Dunkelheit und Helle nach, seyn könne! Ist’s doch in der Körperwelt so, daß so viele Millionen Thierchen, auch Sand und Staub, Saft und Wasser öfters erst durchs Mikroscop uns bemerklich werden; warum sollte es sich nicht eben also in der Geister=Welt (die vielleicht nur eine sogenannte Geister=Welt ist, und wer weis, wie viel materielles in sich hat?) warum in dieser nicht ebenso befinden?“330 Es folgen die verschiedensten Beispiele von Pflanzenverhalten. Gefährliche, atheismusverdächtige Erkenntnisse? Der Autor ist sich bewusst: „Percivals Meinungen und Behauptungen werden immer viele Gegner finden; das läßt sich nicht anders erwarten. Aufmerksame Leser aber, die Unbefangenheit und kaltes Urteil lieben, werden sich hüten, den Stab rasch über seine Hypothese zu brechen, zumal wenn sie wahrnehmen, daß auch andre Philosophen, (…) in ihren wichtigsten Räsonnements auf Wege gerathen die mit denen (…) zusammentreffen.“331 In den folgenden Passagen bezieht er sich dann, ohne einen Namen zu nennen, auf die weit verbreiteten Schriften des Verfassers des Werkes Anleitung einer allgem. Sittenlehre für alle Menschen und dessen Begriff der „Lebenskraft“. Er zitiert ihn anonym: „Es befindet sich z­ wischen dem Menschen und den ihm untergeordneten Thieren kein a­ ndrer Unterschied, als denn die Entfernung ihrer verschiedenen Stufen, auf w ­ elchen sie auf der großen Entwicklungs=Leiter aller Wesen gegen einander stehen, notwendig machen. Das Übrige hat er mit ihnen gemein.“332 Bei besagtem Autor heiße es auch: „Die Empfindungen des Baums sind von der gröbsten Art; sie werden bei der Raupe feiner; und bei noch künstlicher gebauten Thieren klaren sich Gefühle allmälig auf; es treten schon Vorstellungen ein, die freilich bei manchen kaum etwas besser, als dunkle Empfindungen seyn mögen, bei einigen aber doch zu einem gewissen Grad der Klarheit gelangen. – Der 329 330 331 332

Anonym, Diatribe, 1790, S. 12. Anonym, Diatribe, 1790, S. 20. Anonym, Diatribe, 1790, S. 39. Anonym, Diatribe, 1790, S. 46.

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Mensch endlich hat das deutlichste Bewußtseyn (…) und es finden sich auch bei ihm die herunter gehenden Stufen in die Dunkelheit (…).“333 In der weiteren Abhandlung wird allerdings offensichtlich, warum er selbst anonym bleibt, beziehungsweise auch den zitierten Autor nicht namentlich nennt: Die weiteren Ausführungen machen deutlich, dass die Vorstellung der Gleichartigkeit und nur graduellen Verschiedenheit von Mensch, Tier und Pflanze eben genau nur in jenen zwei Möglichkeiten weitergedacht werden konnte, die bereits angesprochen wurden: Entweder die Natur war in dieser Sichtweise nun durchweg beseelt – was mit der christlichen Lehre der Einzigartigkeit der menschlichen Seele wohl kaum in Übereinstimmung zu bringen war – oder die „Seelenfunktion“ des Menschen war, wie auch in der Vorstellung von La Mettrie, ein Produkt reiner Lebensnotwendigkeit und Physikalität und damit der Mensch lediglich eine „Maschine“. Der Verfasser der Diatribe jedenfalls bezieht sich, was sich aus dem angegebenen Titel Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen ergibt, offensichtlich auf Johann Heinrich Schulz (1739 – 1823) und seine anonym erschienenen Werke. Schulz, ein Prediger und Lehrer, der schließlich wegen Verstößen gegen religiöse Erlasse seines Amtes enthoben wurde, vertrat beispielsweise die Ansicht, dass man von Gott, dem Ursprung alles Seienden, nichts wissen könne und der Mensch, wie jedes andere Wesen auch, nur eine künstliche Maschine sei, dessen Empfindungen und Vorstellungen der Notwendigkeit seiner Existenz unterworfen ­seien und der „wie ein Holz vom Strom fortgerissen“ sei.334 Dass derartige Äußerungen unter Häresieverdacht fielen, ist offensichtlich.335 Der Verfasser gibt dabei zu, dass manche der Sätze des nicht genannten Weltweisen wohl weder von Percival, noch vom deutschen Herausgeber dieser Schrift unterschrieben würden, denn „der anonyme Weltweise spricht dem Menschen alle Geistigkeit ab“.336 Hier kommt nun aber beim Verfasser der Diatribe die oben genannte zweite Denkmöglichkeit zum Tragen: Man könne dies ja auch umdrehen: Statt dem Menschen alle geistigen Kräfte abzusprechen, könne man umgekehrt argumentieren (in einer allerdings von der ­Kirche ebensowenig tolerierten pantheistischen Lösung): „Weil die Menschen neben ihren körperlichen Organen (…) auch geistige Kräfte besitzen, so sind, wegen mehrerer auffallender 333 Anonym, Diatribe, 1790, S. 48 f. 334 So wird er 1891 in der ADB beschrieben, siehe: Frank, G.: „Schulz, Johann Heinrich“, in: ADB 32, Leipzig 1891, S. 745 – 747. 335 Der Verfasser der Diatribe zitiert diesen entsprechend: „Hieraus folgt: daß ein besondrer für sich bestehender und von dem menschlichen Körper wesentlich verschiedener Geist, oder Seele, ein Wesen einfacher Natur, das nach der Meinung vieler in den Menschen wohnen und leben, in ihm denken, urtheilen, beschliesen, und seinen Körper regieren soll, ein bloses Geschöpf der Einbildung sei. (…) Nein! daß der Mensch deutliche Vorstellungen und ein deutliches Bewußtseyn hat, daß er vernünftig denken, urteilen, überlegen, und sich nach seinen besten Einsichten entschliessen kann, ist eine blose und die nächste Folge seiner Organisation, so wie das Grünen und Blühen des Baums natürliche Folge von der seinigen ist.“ Anonym, Diatribe, 1790, S. 50 f. 336 Anonym, Diatribe, 1790, S. 52.

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Analogien, auch wohl den Pflanzen neben ihren gröbern Organen ähnliche geistige Kräfte zuzugestehen.“337 Und er fährt fort: „Es ist sonderbar, wie mühsam einige Naturhistoriker besorgt sind, ­dieses wahrscheinliche Resultat wegzustreiten. Lieber sprechen sie den viel tausend kleinen Thierchen, ­welche uns das Mikroskop entdeckt, den Polypen, den Aelchen im Essig, den Maden im Käse, und allen Infusions=Thierchen gar das animalische Leben ab, und statuiren für sie eine blos organische Beweglichkeit, nur damit die alte Contradiction gegen die Pflanzen wolbehalten und gesichert bleiben möge.“338 Sehr klar konstatiert er: So fürchte man offensichtlich, „die Cardinal=Lehre von dem Wesen der menschlichen Seele von deren Einfachheit und Unsterblichkeit, dürfte darüber in Gefahr geraten (…)“.339 Seine eigene Position also stimmt mit Percival überein, für ihn führt die Idee der Kette der Wesen aber im Gegensatz zum zitierten atheistisch argumentierenden Schulz zur Vorstellung der Beseeltheit aller Lebewesen. Wobei er allerdings vorsichtig bei der Annahme bleibt, es könne kein Mensch überhaupt genaue Aussagen über die Geister machen: „Ist die belebende Kraft in den Pflanzen etwas einfaches, so wissen wirs nicht, woher ­dieses einfache kommt, noch wohin es fährt, so wenig als bei der menschlichen Seele. Spricht man: ‚Es ist Gottes Hauch, Ausfluß aus der Allmacht!‘ – so muß dieß von der menschlichen Seele, und von dem, was sich in jeder Pflanze regt, gelten, selbst nach der ältesten und strengsten Orthodoxie gelten. ‚Gott selber wohnt in dieser Reizbarkeit, und äussert sich darin thätig‘! – ist die Sprache des Canzel-­Predigers und des frommen Naturlehrers.“340 Ob der Verfasser der Diatribe wiederum Johann Heinrich Schulz gerecht wurde, mag dahingestellt bleiben. Schulz spricht nämlich in seiner anonym erschienenen Schrift Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen dem Menschen nicht kategorisch die Vernunft ab und argumentiert mit graduellen Abstufungen der Vernunft.341 Er leugnet keineswegs Gott als weisen Verursacher der Welt oder die eindeutige Unterscheidung der Menschengattung vom Tier, betont aber die Unterschiede der Individuen innerhalb der Gattungen.342 Auch hier herrscht das Prinzip der graduellen Unterschiede: „Ich gebe auch gerne zu, dass da, wo die Grenze der einen Gattung aufhört, auch sogleich die Grenze der folgenden Gattung anfange, dergestalt: dass das vollkommenste Geschöpf aus einer niedrigern Gattung und das unvollkommenste aus der zunächst darauf folgenden höhern Gattung unmittelbare Neben=Männer sind, die nichts drittes ­zwischen sich haben (…).“343 Auch Schulz spricht dabei aber selbst Steinen und Metallen das Leben nicht ab, da auch 337 338 339 340 341

Anonym, Diatribe, 1790, S. 53. Anonym, Diatribe, 1790, S. 53 f. Anonym, Diatribe, 1790, S. 55. Anonym, Diatribe, 1790, S. 57. Schulz, Johann Heinrich (ursprünglich anonym erschienen): Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen, ohne Unterschied der Religionen, nebst einem Anhange von den Todesstrafen, Berlin 1783, Vorrede, S. 3. 342 Schulz, Sittenlehre, 1783, S. 14 f. 343 Schulz, Sittenlehre, 1783, S. 16 f.

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sie „wachsen“. Empfindung und Gefühl aber zeigen schon die Pflanzen. Ein hoch entwickeltes Tier hat bereits Empfindungen wie Neid, Eifersucht, Treue; ein Mensch die Sprache: „Es heisst nicht: Der Mensch hat etwas ganz Besonderes, wovon sich gar nichts ähnliches, keine schwächere Spuren bey den Thieren finden lassen. Keinesweges. Sondern, wenn gesagt wird: Der Mensch hat Vernunft, so kann das nur so viel heissen: Die Lebenskraft des Menschen fasst unter allen Lebenskräften der uns bekannten Gattungen der Geschöpfe, das stärkste und grösste Vermögen in sich, zu erkennen, zu vergleichen, zu beurtheilen, u. s. w. Der Mensch übertrift so dem Maass und Grade dieser Fähigkeit nach, alle übrigen ihm bekannten Geschöpfe der Erde.“344 Die Vorstellung, dass damit ein „niederes“ Geschöpf einer Gattung der nächstniederen Gattung naherücke, etwa ein afrikanischer Urwaldbewohner dem Tier wesentlich näher stünde als ein europäischer Gelehrter, war daher für die Ethnologie des 19. Jahrhunderts keine neuartige Idee. Zweifelsohne waren hier im späteren 19. Jahrhundert wohl auch Rassetheorien anschlussfähig.345 Für und Wider im botanischen Publikum Inwieweit das „Publikum“ nun diese Vorstellungen der graduellen Vernunft- und Seelendistribution befürwortete oder nicht, ist nur punktuell beurteilbar. In der Deutschen Allgemeinen Bibliothek zumindest 1793 lehnt ein Rezensent die in der Diatribe dargelegten Vorstellungen schlicht als Schwärmerei ab: „Wenn jedes Gewächs sein Leben geniesst, sich seines Daseyn freut (…)? Wenn das kein Roman, keine Schwärmerey ist, was ist es denn? Der Rec. schätzt und ehrt die Beweise der Güte Gottes in der ganzen Natur eben so sehr (…) aber er glaubt nicht, daß es nöthig, noch weniger nützlich sey, auf Kosten des gesunden Menschenverstandes sich neue zu träumen (…).“346 Und er 344 Schulz, Sittenlehre, 1783, S. 21 f. 345 Was einerseits Verwandtschaft des Lebendigen ist, ist andererseits Hierarchisierung. So schreibt Schulz konkret: „Gesezt, alle Menschen wären in einer Reihe oder Linie gestellet, dergestalt: dass derienige Mensch, der unter allen die gröste vernünftige menschliche Lebens=Kraft hätte, die sich in den besten und weitläufigsten Ueberlegungen und in der lebhaftesten Thätigkeit zeigte, oben an stünde. Auf ihn folgten sie nach und nach herunter, ie nachdem die vernünftige Lebens=Kraft des einen immer k­ leiner und schwächer ausfiele, als des andern seine; so würde endlich in dieser Reihe der dummste und unthätigste Mensch den Beschluss machen. Nun wollen wir uns vorstellen, dass die Gattungen der übrigen Thiere sich in ihren Reihen an diese Menschen=Linie anschlössen; so würde auf den einfältigsten Menschen zunächst der klügste Affe (oder Orang-­Utang) folgen. Wenn die Reihe der Affen auch wieder nach der Ordnung, die die Verschiedenheit ihrer Lebens=Kraft gibt, völlig gestellt dastünde, so würden die übrigen Arten der Thiere (vermuthlich die Hunde) folgen, und so ein Geschlecht nach dem andern. Endlich, wenn das ganze Thier=Reich zu Ende wäre, so würde sich das Pflanzen=Reich, und hinter ­diesem das Stein=Reich u. s. w. anschliessen.“ (Schulz, Sittenlehre, 1783, S. 22 f.) Über dem Menschen folgen dann die noch vollkommeneren Wesen (Engel etc.). 346 Anonyme Rezension zu: Percival, Thomas: Also hätten die Pflanzen Vorstellungen und Bewusstseyn ihrer Existenz? Eine Diatribe für Liebhaber der Naturkunde und Psychologie, in: Allgemeine deutsche

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ruft die Leser dazu auf, dieser Schwärmerei vehement entgegenzutreten, „damit nicht eine blos dichterische Idee, zu sehr versinnlicht, sich ein Uebergewicht über richtige Vernunftsätze erwerbe.“347 Er seinerseits unterscheidet sodann z­ wischen „Leben“ und „Empfindung“ – eine Grenzziehung, die wohl von den meisten sich äußernden Naturforschern akzeptiert wurde. Ebenfalls 1793 erscheint im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte ein Artikel von Meyer: Ueber die Empfindung der Pflanzen, der sich mit Percivals Thesen auseinandersetzt.348 Er berichtet: „Herr Percival und Herr Bell haben indeß im ersten und zweiten Theil der philosophischen und literarischen Abhandlungen zu Manchester Gründe aufgestellt, die sie bewegen, (…) den Pflanzen ein besonderes Empfindungsvermögen zuzuschreiben.“349 Meyer gesteht den Pflanzen Ernährungsvorgänge zu, sieht aber hier kein Empfindungsvermögen am Werk, sondern nur „Lebenskräfte“. Dies sei nur „Reizbarkeit“ und nicht „Genuss“, wie etwa der Hund es zeige, wenn er lieber unter dem warmen Stubenofen verweile, als nach draußen zu gehen. Meyer stößt sich dabei vor allem an der Vorstellung des größtmöglichen Genusses: „Sie (die Pflanze, A. d. V.) bedarf der reinen freyen Luft, weil sie sonst nicht ihrer Natur gemäß leben kann, der Hund wird aber gewiß nicht umkommen, wenn man ihn auch vom Ofen entfernt hält. (…) und daher muß freylich die Summe der Glückseeligkeit, die sich Herr Percival im Pflanzenreiche so lebhaft denkt, leider gänzlich verschwinden.“350 Er schreibt den Pflanzen nur „Reizbarkeit“ zu: Bei der Venusfliegenfalle sei es der Berührungsreiz, ebenso wie bei der Mimose. Auch sei der Schlaf der Pflanzen eine Folge der Einwirkung von Licht und Wärme. Ähnliches gelte für die Bewegung der Staub­ fäden mancher Pflanzen. Hier vermutet er, dass es die starken Gerüche sein könnten, die den Reiz darstellen, damit die reifen Samenfäden in Bewegung geraten. Man müsse also ­„zwischen dem Gefühl eines organischen Körpers, welches äußere Kräfte dadurch, daß sie auf einzelne Theile desselben würken, hervorbringen, und z­ wischen dem Gefühl desselben unterscheiden, welches durch die Macht der Seele erregt wird. Nur die erste Klasse des Gefühls kann bey Pflanzen statt finden, die zweite mangelt durchaus.“351 Dies entspricht wieder der in der Zeit vorhandenen Vorstellung der doppelten möglichen Ursache von Empfindungen: durch äußeren Reiz (auch Ernährung etc.) oder durch die Bewegungen der Seele. Offensichtlich war die Behauptung einer Pflanzenseele im deutschsprachigen Raum gegen Ende des 18. Jahrhunderts also nicht ohne Gegnerschaft. Bibliothek 113/1. Stück (1790); hier S. 143 (BZA). 347 Rezension zu Percival, 1790, S. 144. 348 Meyer, D. F. A. A.: „Ueber die Empfindung der Pflanzen“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 8, 2. Stück (1793), S. 99 – 115. 349 Meyer, Empfindung, Magazin für das Neueste aus der Phyik und Naturgeschichte (1793), S. 100 f. 350 Meyer, Empfindung, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1793), S. 103. 351 Meyer, Empfindung, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1793), S. 113.

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Sicherlich war die hier nicht weiter zu verfolgende Diskussion einer „Seele“ im Reich der Tiere dabei noch ausladender und vermutlich der Pflanzenseelendiskussion vorausgehend 352 – am Beindruckendsten wohl schon 1750 ausgeführt in Georg Friedrich Meiers Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Tiere.353 Aber auch die Behauptung der Tierseele war wohl problematisch.

3.2.2 Fortleben der Pflanzenseele nach der Jahrhundertwende Während die Vorstellung der Pflanzenseele im deutschsprachigen Raum etwas zurückhaltender rezipiert wurde, fand sie in England wohl breitere Akzeptanz. Ein populäres Beispiel stammt von James Perchard Tupper: An Essay on the Probability of Sensation in Vegetables; With Additional Observations on Instinct, Sensation, Irritability.354 Die Schrift erschien 1811 in einer ersten Auflage. 1817 und 1818 wurde das Traktat erneut gedruckt. Tupper, ein Mitglied des Royal College of Surgeons und Fellow der Londoner Linnean Society, resümiert auf dem Hintergrund der Kettenvorstellung erneut viele der genannten Argumente: die Ähnlichkeit von Tier und Pflanze in Körperbau, Bewegungen, Handlungen usw. Er geht dabei allerdings schon von einem Lebensprinzip alles Organischen aus. Tupper sieht hier die Grenze zwar z­ wischen Mineralreich und belebten Wesen als eindeutig ziehbar, nicht aber ­zwischen dem Animalischen und Vegetabi­lischen.355 Die Trennung von Organischem und Anorganischem kündigt sich hier an, sehr selbstverständlich liegt aber auch hier der ganzen Natur dabei die Kettenvorstellung zu Grunde.356 352 Ingensiep, Hans Werner: „Tierseele und tierethische Argumentationen in der deutschen philosophischen Literatur des 18. Jahrhunderts“, in: International Journal of History and Ethics of Natural Sciences, ­Technology and Medicine 4 (1996), S. 103 – 118; Ingensiep, Hans Werner: „Der Mensch im Spiegel der Tier- und Pflanzenseele. Zur Anthropologie der Naturwahrnehmung im 18. Jahrhundert“, in: Schings, Hans-­Jürgen (Hrsg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert (DFG Symposion 1992), Stuttgart / Weimar 1994, S. 54 – 79. 353 Meier, Georg Friedrich: Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere, Zweyte Auflage, Halle 1750. 354 Tupper, James Perchard: An Essay on the Probability of Sensation in Vegetables; with Additional Observations on Instinct, Sensation, Irritability &c. By James Perchard Tupper, Member of the Royal College of Surgeons, and Fellow of the Linnean Society, London M.DCCC.XI. 355 „Naturalists have arranged all kinds of matter under three general classes; the Animal, – the Vegetable, – and the Mineral. Those substances which belong to this last department being more particularly subject to the laws of chemistry, and having only an arrangement of parts without organization, may be easily distinguished from animals and vegetables; but the line of separation between these two last is not so readily ascertained.“ (Tupper, Sensation in Vegetables, 1811, S. 3 f.). 356 „From man down to the most humble plant the distance is immense; but yet the whole of it is occupied by an innumerable diversity of beings, every species of which progressively descends below another in regard to the excellence of its attributes and the extent of its powers. And so gradual is this descend throughout the whole system of living beings, that the most inferior of a species resembles in many

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Auch Tupper setzt sich mit der Bewegung von Wurzeln oder Blütenblättern auseinander, mit dem Pflanzenschlaf, tierähnlichen Organen der Pflanze und den ähnlichen Reaktionen auf die Umwelt, die eine Unterscheidung ­zwischen Tier und Pflanze in zeitgenösssicher Sicht verunmöglichen – die Argumente sind bekannt.357 Bei all dem könne man den Pflanzen eine Empfindungsfähigkeit (sensation) nicht absprechen. Sie sei nur schlicht, wie bei allen anderen Lebewesen – inklusive dem Menschen – an die Notwendigkeiten (modern gesprochen, die Umweltbedingungen) angepasst.358 Tupper spricht dabei zwar nicht explizit von der Pflanzenseele, wohl aber von der „rationality of vegetables“ oder der „rational power in vegetables“.359 Getragen ist sein gesamter Essay vom (physikotheologischen) Staunen und dem Respekt gegenüber der Schöpfung, die ihn ausrufen lassen: „How widely and wonderfully different is the mature vegetable from the seed which gave it being! How great the contrast between the diminutive acorn and the stately forest-­oak!“360 Im Lichte auch der sehr vorsichtig und teilweise anonym bleibenden deutschsprachigen Traktate ließe sich dabei fragen, wieso der Gottesbezug in diesen Schriften immer wieder neu konfirmiert wird. Dennoch sollte den Zeitgenossen auch nicht zu schnell strategisches Schreiben unterstellt werden, in dem die Anrufung Gottes allein die wissenschaftlichen Erkenntnisse legitimieren soll, beziehungsweise den Atheismusverdacht entkräften soll. Die Auffindbarkeit Gottes in der Natur, die Naturforschung als dem Menschen aufgetragene Verherrlichungs Gottes, als Sichtbarmachung der von Gott geschaffenen Wunder war für viele im 18. Jahrhundert wohl schlicht noch eine Wissenswahrheit.

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respects the most perfect of that which is next below it. Hence the transition from the animal to the plant is effected by shades so imperceptible that it is difficult, and perhaps impossible, to determine what are those beings which actually form the last link in the scale of animal existence, and the first in that of vegetables.“ Tupper, Sensation in Vegetables, 1811, S. 4 f. „Some naturalists, however, have had an idea of discriminating between them by making the locomotive power essential to animals. But upon inquiry this character will not be found universally true; for some species of these are found to adhere to rocks, without having the power of changing their situation. Other naturalists have supposed, that the distinguishing character of a vegetable consists in its having neither brain, nor any receptable answering to a stomach. It is true, we cannot discover any thing which bears an organic resemblance to the brain in any part of the vegetable body; but, on the other hand, the existence of this organ cannot be demonstrated in all animals (…)“ (Tupper, Sensation in Vegetables, 1811, S. 5 f.). Tupper dehnt dabei Hallers Vorstellungen einfach auf die Pflanzen aus: „HALLER calls that a sensible part of the human body, when the mind may be conscious of any impression made on it; and in brutes, he calls those parts sensible, which when stimulated occasion evident signs of uneasiness to the animal. Now, the principles of this rule will very forcibly apply to vegetables. For instance, – if we do any injury to a plant, it will sooner or later, according to the degree and nature of that injury exhibit such appearances as evidently show that it is affected by it. (…) it cannot be unreasonable to suppose that all living beings partake of sensation, of such kind, and in such degree, as is best suited to the particular sphere of existence in which Providence has placed them.“ (Tupper, Sensation in Vegetables, 1811, S. 60 f und 63.) Tupper, Sensation in Vegetables, 1811, S. 102. Tupper, Sensation in Vegetables, 1811, S. 2 f.

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3.3 Die erneute Aristoteles-Rezeption, die Kette der Wesen und die Pflanzenseele Ob nun aufgrund der Botanophilie und des Interesses an jeglichen Pflanzenschriften oder aufgrund einer generellen Rückbesinnung der Aufklärungszeit auf antike Vorbilder 361 – zentral ist, dass die Zeitgenossen des 18. und 19. Jahrhunderts dabei erneut auf Aristoteles beziehungsweise aristotelische Texte rekurrieren. Indem sie aber in ihrer Aristotelesrezeption den Begriff der gemeinsamen Seele aller Lebewesen betonen, lesen sie diesen neu und führen seine Gedankengänge fort. Während die mittelalterliche Aristoteles-­Rezeption weitgehend die Grenzen, die Stufung der Kreatur betonte, um die antike Vorstellungswelt in den christlichen Kosmos zu integrieren, betont die Aristoteles-­Rezeption des 18. und 19. Jahrhunderts den nahtlosen Übergang von Mensch, Tier und Pflanze sowie die Teilhaftigkeit aller Lebewesen am Prinzip der Seele als Prinzip des Lebendigen. Die folgenden Ausführungen veranschaulichen diesen Befund.

3.3.1 Neuausgaben antiker Texte Auffallend sind zunächst die zeitgenössischen Editionen oder Übersetzungen bis dato nicht in deutscher Sprache erschienener antiker Pflanzenschriften, beziehungsweise die Herausgabe übersetzter antiker Fragmente um die Jahrhundertwende. Seit dem Mittelalter nicht mehr edierte lateinische Naturlehren aus der Antike wurden neu bearbeitet und zugänglich gemacht. 1816 beispielsweise erscheint die erste deutschsprachige Übersetzung von Aristoteles’ De animalium unter dem Titel Aristoteles Naturgeschichte der Tiere, übersetzt von F ­ riedrich 362 Strack. Strack erläutert: „Mein Vaterland erhält hier zum ersten Mal in deutscher Übersetzung eine der vorzüglichsten Schriften des großen Aristoteles.“363 Strack weist dabei nicht nur auf die Komplikation hin, dass ein Übersetzer dieser Schrift sowohl der griechischen Sprache mächtig sein müsse wie auch „hinreichende Kenntniß der Naturgegenstände“ haben müsse,364 sondern er benennt auch die für die Zeitgenossen nach wie vor zentrale Position des aristotelischen Werkes für die Naturwissenschaft, wenn er 361 Dies ist für die Kunst-, Literatur- oder Geistegeschichte sehr selbstverständlich, für die Naturgeschichte bzw. die Naturwissenschaft, die ja als genuin „moderne“ Erfindung gilt, allerdings weniger aufgearbeitet, siehe u. a.: Steiner, Uwe; Emden, Christian und Vöhler, Martin (Hrsg.): Humanismus und Antikerezeption im 18. Jahrhundert (3 Bde), Heidelberg, 2009 ff. 362 Aristoteles Naturgeschichte der Thiere, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von Dr. Friedrich Strack, Professor der Naturgeschichte und der alten Sprachen am Gymnasium zu Düsseldorf, Frankfurt a. M. 1816. 363 Aristoteles Naturgeschichte der Thiere, Strack, Übersetzung von 1816, Vorwort, S. VII. 364 Aristoteles Naturgeschichte der Thiere, Strack, Übersetzung von 1816, Vorwort, S. VIII.

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schreibt: „So wie in der Logik, Ethik, Rhetorik und andern Wissenschaften, so steht auch in der Naturgeschichte dieser würdige Patriarch noch als unverwerflicher Lehrer da, und scheint mit Newton und Kant ein Kleeblatt zu bilden, das für ewige Zeiten dem Menschengeschlecht als Wegweiser in allen wissenschaftlichen Untersuchungen von der Vorsehung aufgestellt ist.“365 1822 wird Theophrasts Naturgeschichte der Gewächse von Sprengel in deutscher Übersetzung herausgeben, an der Sprengel fast dreißig Jahre gearbeitet hatte.366 1824 veröffentlichte Henschel (dessen Name in den botanischen Zeitschriften geläufig ist) ein Werk mit dem Titel Commentatio de Aristotele botanico philosopho, das die gesamte aristotelische Pflanzenlehre zusammenfasste und entsprechende Textstellen gesammelt wiedergab.367 1838 wiederum wurden von Friedrich Wimmer Fragmente zur aristotelischen Pflanzenlehre, die Phytologiae Aristotelicae fragmenta 368, ediert. 1841 gab Ernst Heinrich F ­ riedrich 369 Meyer, der später eine umfassende Geschichte der Botanik verfasste, die den aristo­ telischen Schriften als zugehörig betrachtete Kompilation De Plantis des Nicolaus ­Damascenus heraus. Sie ist überliefert über eine arabische Schrift von Isaac Ben Honain, die im Hochmittelalter (um ca. 1200 von Alfredus) in das Lateinische übertragen worden war 370 und seit dem Mittelalter offensichtlich nicht mehr im Umlauf gewesen war.371 Allein die Häufung der Übersetzungen und Herausgaben sprechen für ein neu erwachtes Interesse an den antiken Schriften zur Pflanzenwissenschaft.

365 Aristoteles Naturgeschichte der Thiere, Strack, Übersetzung von 1816, Vorwort, S. XXIV. 366 Theophrast’s Naturgeschichte der Gewächse. Uebersetzt und erläutert von K. Sprengel, 2 Bände, Altona 1822, hier in der vorangestellten Widmung an den Freiherrn Stein von Altenstein. 367 Henschel, A. G.: Commentatio de Aristotele Botanico Philosopho, Vratislaviae 1824. Henschel kommentiert hier: „Plantam habere animam et vitam, dogma est Aristotelis fundamentale (…)“ – Pflanzen haben Seele und Leben. (Henschel, Commentatio, 1824, S. 10.) 368 Es handelt sich um einer über hundert Seiten lange Auswahl aristotelischer Aussagen zu Pflanzen in einer griech.-lat. Ausgabe: Wimmer, Friedrich: Phytologiae Aristotelicae fragmenta, Vratislaviae 1838. 369 Zu Meyer und seinem umfassenden botanischen Werk siehe: Wunschmann, E.: Artikel „Meyer, Ernst Heinrich Friedrich“, in: ADB 21, Leipzig 1885, S. 565 – 569. 370 Nicolai Damasceni De Plantis Libri Duo Aristoteli Vulgo Adscripti. Ex Isaaci Ben Honain Versione Arabica Latine Vertit Alfredus. Ad Codd. Mss. Fidem Addito Apparatu Critico recensuit E. H. F. Meyer, Phil. Med. D. P. P. O. Lipsiae, sumtibus Leopoldi Voss, 1841. 371 Zur Textüberlieferungsgeschichte siehe: Drossaart Lulofs, H. J. und Poortmann, E. L. J.(Hrsg.): Nicolaus Damascenus de Plantis. Five Translations (Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afdeling Letterkunde 139), Amsterdam / New York / Oxford 1989. Hier werden Fragmente und Übertragungen aus dem Syrischen, Arabischen, Hebräischen, Lateinischen und Griechischen sowie die komplexe Textgeschichte erläutert. Nicolaus Damascenus kompilierte wohl eine Schrift aus Aristoteles’ De Plantis und aus Theophrasts Hist. Plant.; diese ging verloren, wurde ins Syrische übertragen, dann ins Arabische und von dort ins Lateinische und dann wieder ins Griechische. Auch laut Drossart Lulof und Poortmann rekurriert Meyer auf die mittelalterliche Ausgabe.

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In den 1850er Jahren entbrannte schließlich sogar ein Philologenstreit über die Frage, ob die Schrift De Plantis nun Aristoteles zuzuschreiben sei oder nicht.372 (Heute ist sie dem pseudo-aristotelischen Corpus zugerechnet.) Meyer publizierte zudem auch in seiner 1854 bis 1857 erschienenen vierbändigen Geschichte der Botanik 373 die über das aristotelische Werk verstreuten Fragmente aristotelischer Phytologie in deutscher Sprache. Auch wenn vermutlich jedem, der über ein Studium verfügte, die aristotelischen Schriften wohl mehr oder weniger geläufig waren, legte er damit die antiken Grundlagen nun in einer volkssprachlichen Übersicht für eine breite Leserschicht frei. Seine Übersicht über Aristoteles und seine Auswahl aristotelischer Fragmente zeigt dabei die Lesart des frühen 19. Jahrhunderts und ist daher eine nähere Betrachtung wert. Es handelt sich um Fragmente aus den verschiedensten Schriften, die, wie er sagt, nur einen „dürftigen Ersatz“ bieten für die eigentliche, verlorengegangene Th ­ eorie der ­Pflanzen des Aristoteles.374 Aristoteles als Gründervater der modernen Naturwissenschaft in der Botanik nach der Jahrhundertwende Meyer erachtet dabei Aristoteles und Theophrast für den Beginn der wissenschaftlichen Pflanzenkunde als so wichtig, dass er konstatiert: „Mit vollem Recht glaube ich daher jenen beiden vorgenannten Männern fast allein ein Buch widmen zu dürfen. An Reichthum des Inhalts wird es keinem nachstehn und die meisten überbieten.“375 Einen gut vierhundert Seiten zählenden Band seines vierteiligen Übersichtswerks widmet er daher aristotelischen Vorstellungen von Pflanzen (aristotelischen Aussagen und dem Werk des Aristoteles-­Schülers Theophrast).376 Bezeichnend ist, dass Meyer sich wiederum zudem auf eine griechische Neuausgabe der aristotelischen Werke im Auftrag der Berliner Akademie der Wissenschaften im Jahr 1831 beziehen kann.377 Warum nun ist diese offensichtlich erneute Aristoteles-­Rezeption so zentral? Sie ist überraschend, weil sie von den Zeitgenossen nicht in historisierender Weise als Gedankengut ehemaliger Autoritäten rezipiert wird, sondern als wahrhafte und immer noch 372 Auf diesen Gelehrtenstreit bezieht sich: Senn, G.: „Hat Aristoteles eine selbstständige Schrift über Pflanzen verfasst?“, in: Philologus. Zeitschrift für das Klassische Altertum und sein Nachleben, Band 85, Heft 2 (1930), S. 113 – 140. 373 Meyer, Ernst H. F.: Geschichte der Botanik (4 Bde), Königsberg 1854 – 1857. 374 „(…) leider besitzen wir seine ‚Theorie der Pflanzen‘ nicht mehr. Nur zerstreute Stellen seiner zahlreichen übrigen Werke verwandten Inhalts (…) lassen uns die Grösse des Verlustes ermessen.“ (Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 80.) 375 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 80. 376 Aristoteles stellt also für ihn den Beginn der wissenschaftlichen Botanik dar. Hierin folgt er der Wertung, die schon Kurt Sprengel in seiner 1817 erschienenen zweibändigen Geschichte der Botanik vornahm: Sprengel, Kurt: Geschichte der Botanik. Neu bearbeitet. In zwey Theilen, Altenburg / Leipzig 1817,1818. 377 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 92.

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gültige Erkenntnisquelle. Die Zeitgenossen sind eben nicht nur Kinder ihrer Zeit, indem sie beobachten und experimentieren. Sondern sie sind immer noch und erneut Enkel des unermesslichen Einflusses der Autoritäten der Antike – denen sie genau diese Art wissenschaftlichen Vorgehens zuschreiben: Beobachtung, Experiment, Nachprüfbarkeit. (Dagegen schütteln sie die Autoritäten des christlichen Mittelalters, zumindest in Gestalt der kirchlichen Lehrmeinungen, nach und nach ab.) Das Frappierende ist: In den hier bei Meyer ins Deutsche übersetzten aristotelischen Fragmenten kommen all jene Elemente zum Tragen, die in den vorangegangenen Abschnitten als uns fremde Elemente des Denkens über das Pflanzenleben aufgetaucht sind. Meyer geht zunächst auf die ionische Naturphilosophie ein, auf Thales, Anaximander und Anaximenes, bei denen die gesamte Natur beseelt gewesen sei.378 Für die Phytologie des darauf folgenden Empedokles bezieht er sich auf Schriftstellen bei Plutarch, in denen Empedokles kommentiert wird: Pflanzen besäßen wie die Tiere Verlangen, Gefühl der Lust und Unlust, Verstand und Einsicht sowie beiderlei Geschlechter: „Dachte sich aber Empedokles die Pflanzen einmal beseelt, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn er Erscheinungen an ihnen, die wir mechanisch zu erklären gewohnt sind, als ­­Zeichen der Seelenthätigkeit betrachtete.“379 Ebenso werden die Vorstellungen der Seelenwanderung bei Empedokles und der Wiedergeburt der Seelen im Pflanzenreich vorgestellt, obgleich er sich dagegen verwehrt, dass dies wirklich eine Seelenwanderung sei – vielleicht wiederum, um nicht in Atheismusverdacht zu geraten.380 Er erklärt die Beseeltheit alles Lebendigen dabei mit der Kette der Wesen, die schon die Griechen erkannt hätten: „(…) ihre Stufenleiter reichte, wenn nicht von noch tiefern Stufen ab, wenigstens von den geringsten Pflanzen an bis hinauf zu den Göttern (…)“381. Er wertet dabei die ionische Naturphilosophie als „Vorgeschichte“, Aristoteles dagegen als den „Gründer wissenschaftlicher Botanik“.382 Im dritten Band seiner Geschichte der Botanik beschäftigte sich Meyer zudem bezeichnenderweise ausführlich mit indischer Pflanzenkunde, mit den Persern und Arabern. Der vierte Band führt dann bis in die Zeit von Paracelsus. Offensichtlich plante Meyer zwar eine Fortführung bis in seine Zeit, konnte dies aber nicht verwirklichen, weshalb Jessen später mehr oder weniger in seine Fußstapfen trat.383 378 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 34 ff. 379 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 52 f. 380 Dennoch zitiert er Stellen, die dies ausdrücken: „Denn vordem schon ward ich, vielleicht als Knab oder Mägdlein / Staude vielleicht, oder Vogel, und Fisch tonlos in der Salzfluth. (…) Alle ja sind sie dasselbe, doch unter einander gestürmet / Werden sie anders geartet, und wandeln sich in der Entwicklung“, Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 54. 381 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 54. 382 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 74. Platon dagegen wird nur kurz gestreift. 383 Auch Karl Jessen, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts Meyers Geschichte der Botanik fortschrieb, zitiert in seiner Botanick der Gegenwart und Vorzeit von 1864 sehr ausführlich aristotelische Passagen.

Die erneute Aristoteles-Rezeption, die Kette der Wesen und die Pflanzenseele   |

Ohne hier den aristotelischen Ursprungstexten und den damit verbundenen philologischen Fragen nachfolgen zu können, w ­ elche aristotelischen Gedanken in w ­ elchen Texten nun in w ­ elchen Umwegen über das Arabische, über den Aristoteles-­Schüler Theophrast etc. in w ­ elchen Worten zu den Zeitgenossen des frühen 19. Jahrhunderts gelangt 384 sind, ist hier also wichtig, dass derartige griechische Texte zur Pflanzenlehre erschienen. Im Blick auf diese enorme Relevanz, die den antiken Texten zugesprochen wird, ist es nur folgerichtig, dass Meyer sich in seinem gesamten dritten Band auch auf die Lehren der Inder, Perser und Araber bezieht. Denn die griechischen Werke waren, so Meyer, ins Persische übersetzt worden und verbanden sich auf persischem Boden mit indischen Vorstellungen.385 Die Perser erscheinen so als „Vermittler z­ wischen Indern und Arabern, wie ­zwischen Griechen und Arabern“386. Gerade in Bezug auf die Botanik der arabischen Schriftsteller finden sich aber offenbar Weiterführungen der aristotelischen Pflanzenseele. So nennt Meyer etwa hier im Besonderen das Werk Ibn Sînâs beziehungsweise Avicennas, der eine Seelenlehre aufgestellt habe, in der von der Pflanzenseele, der Tierseele und der Menschenseele gesprochen worden sei.387 Der Reichtum dieser botanischen Tradition – und ihres möglichen Einflusses auf das Abendland – lässt sich anhand des Meyer’schen Werkes nur erahnen. Aristoteles’ Historia animalium Auch in der 1816 von Strack ins Deutsche übersetzten Historia animalium sind die Lebewesen in kaum wahrnehmbarer Abstufung organisiert und die Grenze z­ wischen Tier und Pflanze fließend: „So steigert sich jenes Princip des Lebens in unmerklichen Stufen bis zur Thierseele herauf, so daß man in dem Verfolg jener Reihen das Nächstverwandte und das in der Mitte Liegende kaum zu unterscheiden vermag (…). Einige Seepflanzen nehmlich lassen den Beobachter völlig zweifelhaft, ob er sie zu den Gewächsen oder den Thieren zählen soll: denn sie sind angewachsen, und sehr viele verderben, wenn man sie losreißt. So sind Steckmuscheln wirklich in den Boden festgewachsen, und die Scheidenmuscheln können, sobald man sie losreißt, nicht mehr leben. Ueberhaupt erscheint die ganze Reihe von Schalthieren in Vergleichung mit den Thieren, die sich bewegen können,

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So heißt es hier: „Die Seele ist die Ursache und der Grund aller lebenden Wesen, von ihr wird jede Lebensthätigkeit veranlaßt, ihretwegen geschieht dieselbe und aus ihr besteht das Wesen des lebendigen Körpers“ und so sei die erste Aufgabe sich fortzupflanzen und zu ernähren um „ein anderes hervorzubringen, das ihresgleichen ist, das Thier ein Thier, die Pflanze eine Pflanze, damit sie an dem Ewigen und Göttlichen theilhaben, soviel sie vermögen“. (Aristoteles-­Zitat bei Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit, 1864, S. 17.) Siehe Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit, 1864, S. 21 ff. Meyer, Ernst H. F.: Geschichte der Botanik, Band 3, Königsberg 1856, S. 2. Meyer, Geschichte der Botanik, Band III, 1856, S. 19. Meyer, Geschichte der Botanik, Band III, 1854, S. 197 f.

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wie Vegetabilien. Auch lassen sich an ihnen theils keine Sinneswerkzeuge wahrnehmen, theils nur undeutlich. (…) Und so scheint in gewissen Abstufungen immer eins mehr als das andere Leben und Bewegung zu besitzen.“388 Das im 18. Jahrhundert genutzte Anschauungsmaterial findet also hier schon seine Basis. Explizit unter dem Titel Verwandtschaft des Thiers und der Pflanze übersetzt später Meyer, sich auf die Historia animalium von Aristoteles beziehend, ganz im Sinne des Kontinuitätsprinzips, wie es sich auch bei Leibniz in fast wörtlichen Anklängen findet: „So geht die Natur allmälig über von den beseelten Dingen zu den Thieren, so dass sich, wo die Grenze und wo die Mitte sind, in der Reihenfolge verbirgt. Denn auf die Gattung der unbeseelten Dinge folgt zunächst die der Pflanzen, und unter diesen unterscheidet sich eine von der anderen darin, dass die eine mehr die andre weniger Antheil am Leben zeigt. Vergleicht man aber diese Gattung im Ganzen mit jenen andern Dingen, so zeigt sie sich offenbar wie beseelt, wenn mit den Thieren, wie unbeseelt; und gleichwohl ist der Uebergang von ihnen zu den Thieren, wie gesagt, ununterbrochen. Denn bei ­einigen, die im Meere wohnen, möchte man zweifeln, ob sie Thiere oder Pflanzen s­ eien.“389 Hier sind wieder die Anemonen und Korallen angesprochen, die Bonnet so eindrücklich schilderte. Und er übersetzt weiter, auf De partibus animalium bezogen: „Die Austern unterscheiden sich ihrer Natur nach wenig von den Pflanzen, doch sind sie thierhafter als die Schwämme; diese haben ganz das Wesen einer Pflanze. Denn ununterbrochen geht die Natur über von den unbeseelten Dingen zu den Thieren durch diejenigen, ­welche zwar leben, doch noch nicht Thiere sind, so dass die einander nahe stehenden sich nur sehr wenig von einander unterscheiden“390. Eine Stufung, im Sinne einer Abgrenzung, wird von den Übersetzern des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts also nicht betont, sondern vielmehr das Prinzip der Kontinuität. Auch das im 18. Jahrhundert in den Briefwechseln so gern benutzte Bild der „Auster“ oder des Zustands der „Austernseele“, als unbewegliche, geistlose phlegmatische Natur und „Dämmerzustand“, in die der Mensch zurückfallen kann, findet vermutlich hier seinen Ursprung. Unter der Überschrift „Leben und Seele der Pflanzen“ zitiert Meyer, bezogen auf De anima: „Die Seele ist die Ursache und das Princip des lebendigen Körpers. (…) Alle Naturkörper sind Organe der Seele, die thierischen sowohl wie die pflanzlichen: der Seele wegen sind sie. Auch das in den Pflanzen befindliche Princip scheint eine Art Seele zu sein. Sie allein kommt den Thieren und Pflanzen gemeinsam zu; diesselbe lässt sich unterscheiden vom empfindenden Princip, nichts aber hat Empfindung ohne sie.“391 Die „Seele“ ist hier, in Meyer’scher Übersetzung, also auch der Pflanze eigen. 388 Aristoteles Naturgeschichte der Thiere, Übersetzung von 1816, S. 394 f. 389 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 94, übersetzt von Meyer nach Wimmers Ausgabe der Hist. Animal. des Aristoteles, VIII, cap.1. 390 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 94, übersetzt aus De partib. animal. IV. 391 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 96, Meyers Übersetzung, bezogen auf De anima II, cap. 4.

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Auch hat die aristotelische Pflanze ähnliche Organe wie Mensch und Tier, denn die „Wurzeln (sind) ein Analogon des Mundes“,392 wenn auch der Kopf der Pflanze ihre Wurzel ist und sie somit umgekehrt gedeiht.393 Auch Pflanzen bestehen aus Adern, durch die ihr Blut fließt, zum Garmachen und Verdauen der Nahrung n ­ utzen sie die Erdwärme, ihre Sekretionen sind äußerlich, sie erleiden Erschöpfung durch das übermäßige Ausscheiden des Samens und bedienen sich des Bodens als Uterus, in dem die neue Pflanze keimt. Sie verlieren ihre Blätter wie die Menschen die Haare und ihre Artenvielfalt ist wie in der ganzen Natur verursacht durch die verschiedensten Mischungsverhältnisse der Stoffe.394 Unterschieden sind die Pflanzen bei Aristoteles (in Meyers Übersetzung) von den Tieren allerdings durch die Form der Sexualität, denn: „Bei allen Thieren also, ­welche Ortsbewegung haben, ist das Weibliche vom Männlichen getrennt, ein Thier ist weiblich, das andere männlich, beide jedoch der gleichen Art, wie beiderlei Menschen. Bei den Pflanzen dagegen sind diese Kräfte vermischt, und das Männliche vom Weiblichen nicht unterschieden; daher sie auch aus sich selbst zeugen, und keinen Befruchtungsstoff ausstoßen, sondern die Leibesfrucht, die man Samen nennt.“395 Das führt aber keineswegs dazu, die Pflanze zum Andersartigen zu erklären, sondern vielmehr nähern sich umgekehrt die Tiere im Geschlechtsakt der Urform des Pflanzlichen an: „Gewissermassen findet sogar dasselbe bei den Thieren statt, die das Weibliche und das Männliche getrennt haben, denn wenn sie zeugen wollen, so werden sie unzertrennlich wie bei den Pflanzen, und ihre Natur bringt es mit sich, dass sie Eins werden, so dass augenscheinlich, indem sie sich mischen und paaren, ein Thier aus zweien wird (…).“396 Hier ist also die Pflanze der Prototyp – die Urform, das Urwesen, was an die Goethe’sche Suche nach der Urpflanze gemahnt. (In der Linné’schen Lehre dagegen wird umgekehrt die pflanzliche Fortpflanzung an die tierische und menschliche angepasst.) Die (pseudo-)aristotelische Schrift „De Plantis“ Insbesondere aber im Diskurs über die pseudo-­aristotelische Schrift De Plantis wird die Bedeutung dieser erneuten Rezeption zu Beginn des 19. Jahrhunderts sinnfällig. Auch De Plantis hat Meyer 1841 ediert – dies allerdings in lateinischer Version. Auch hier werden 392 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 112. 393 „Bei dem Menschen wegen seiner aufrechten Stellung zeigt sich das am deutlichsten, dass das sein Oben ist, was auch das Oben des Ganzen ist; bei den übrigen Tieren hält es die Mitte; bei den Pflanzen aber, ­welche unbeweglich sind, die ihre Nahrung aus der Erde nehmen, muss dieser Theil nothwendig immer unten sein. Denn es entsprechen einander die Wurzeln bei den Pflanzen und bei den Thieren der sogenannte Mund, mit welchem jene ihre Nahrung aus der Erde nehmen, diese woher sie wollen.“ Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 114 f. 394 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 117 bis 129. 395 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 132, übersetzt aus De generat. animal. I, cap. 23. 396 Meyer, Geschichte der Botanik, Band I, 1854, S. 132, übersetzt aus De generat. animal. I, cap. 23.

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aber genau diese Inhalte aufgegriffen. Wie kürzlich Peter Goedings in seiner deutschen Übersetzung ausgeführt hat, ist eine aristotelische Schrift „Über Pflanzen“ nicht im griechischen Original erhalten, mittlerweile ist diese damascenische aber in den aristotelischen Korpus aufgenommen worden.397 Es handelt sich um die oben genannte Schrift, die vermutlich von Nicolaus Damascenus (geb. 64 v. Chr.) aus Schriften des Aristoteles und Theophrast kompiliert wurde, die ins Syrische, dann Arabische, Lateinische und von dort erneut ins Griechische übersetzt wurde.398 (Diese letztere griechische Version, die auch Meyers lateinischer Version zugrunde liegt, ist in das aristotelische Gesamtwerk aufgenommen worden und liegt ebenso der Übersetzung von Peter Goedings zu Grunde, die im Folgenden zitiert wird.)399  Aristoteles geht hier (wenn man der Einfachheit halber hier Aristoteles als Urheber annimmt) nämlich explizit der Frage der Pflanzenseele nach und spricht dabei der Pflanze den elementarsten Teil der Seele zu, da die Seele aller Urgrund des Lebens sei. Die Seele sei zudem Ursprung aller Bewegung. Zwar zeige die Pflanze keine offensichtliche Fähigkeit zur Wahrnehmung, zur Ortsbewegung, zur Atmung oder gar zur Vernunft, aber sie entwickele sich, sie reife und sie zeige Bewegungselemente wie etwa die Wasser- und Saftbewegung, das Wachstum etc.400 Zur Frage steht also hier nicht, ob die Pflanze über eine Seele verfügt – das erscheint als unstrittig, denn die Seele wird als Lebensursache verstanden – sondern vielmehr allein von welcher Komplexität diese Seele ist. Aristoteles verneint hier zwar die Vorstellung des Anaxagoras, dass Pflanzen Schmerz, Freude und Genuss empfänden, oder gar, wie Empedokles, Anaxagoras und Demokrit behauptet hätten, dass sie sogar über Geist und Erkenntnis verfügen würden.401 So kann zwar Aristoteles an der Pflanze keine Wahrnehmung,402 keine Atmung, keine Bewegung und keinen Schlaf erkennen, dennoch sagt er: „Das Unbeseelte hat keine Seele oder Teile der Seele. Die Pflanze gehört aber nicht zu dem, was eine Seele entbehrt, weil sie einen Teil der Seele in sich hat. Allerdings ist sie kein Tier, weil sie keine Wahrnehmung hat. Der 397 Aristoteles über Pflanzen. Übersetzt und kommentiert von Peter Goedings, 2. korrigierte Auflage, Berlin 2007, S. 5. Goedings verweist zudem auf die von Aristoteles selbst gegebenen Hinweise auf seine Pflanzenschrift, sowie auf Übereinstimmungen von Wortgebrauch und Gedankengut mit den weiteren Texten des aristotelischen Corpus’. 398 Aristoteles über Pflanzen. Übersetzt und Kommentiert von Peter Goedings, 2. korrigierte Auflage, Berlin 2007, S. 5. Siehe hierzu auch Drossart Lulofs / Poortmann, Nicolaus Damascenus De Plantis, 1989. 399 Aristoteles über Pflanzen, Übersetzung von Goedings, 2007, S. 19 – 181. 400 Siehe hierzu auch die Einleitung von Goedings (Goedings, Aristoteles über Pflanzen, 2007, S. 5 ff.). 401 De Plantis, Übersetzung von Goedings, S. 24. 402 Der Text besagt: „In Pflanzen finden wir aber weder Wahrnehmung noch ein spezielles für die Wahrnehmung eingerichtetes Glied, auch nicht etwas, das dem ähnlich ist oder eine dafür erkennbare Form, oder etwas das daraus folgt. Ebenso wenig gibt es eine räumliche Bewegung oder einen Weg, worauf sich die Pflanze zum Wahrgenommenen in Bezug setzt. Es gibt keinerlei Hinweise, wodurch wir erkennen können, dass sie Wahrnehmung hat, jedenfalls nicht auf die g­ leiche Weise wie wir erkennen und ausfindig machen können, dass sie wächst und sich ernährt.“ (De Plantis, Übersetzung Goedings, S. 24 f.)

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Schritt vom Belebten zum Unbelebten ist in einigen Fällen auch nur klein.“403 Folge­ richtig ist auch die Morphologie der Pflanze den anderen lebendigen Wesen ähnlich: „Jeder Teil einer Pflanze, der aus anderen Teilen zusammengesetzt ist, ist einem tierischen Glied ähnlich. So ist das Hüllgewebe einer Pflanze in ihrer Natur der tierischen Haut ähnlich. Die Fasern mit den Sehnen vom Tier zu vergleichen, und so ist es auch mit den anderen Teilen.“404 So ­seien die Blätter ähnlich dem abfallenden Geweih oder den Haaren der Tiere, auch Tiere verkröchen sich zur Winterzeit in Höhlen und im Boden usw. Die bekannten Bilder tauchen hier auf: die Wurzeln als Mund der Pflanze, der Stamm als Gestalt usw. Auch gibt es Analogien z­ wischen Pflanze und Mensch: „Es gibt Glieder, die wir bei allen Gewächsen angetroffen haben, und die dem Wachstum und der Verlängerung d­ ienen wie Wurzel, Zweige, Stämme und Sprosse. Diese sind menschlichen Gliedern ähnlich, die alle andern Glieder einfassen.“405 Der aristotelische Text beschreibt also Homologien der Lebewesen, sieht aber offensichtlich keine Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit bei der Pflanze am Werk. Aber er ist, wie Goedings es betont, „offen für jegliche neue Entdeckung.“406 Tatsächlich wird nämlich im Text mehrfach betont: Er, Aristoteles, könne keine Bewegung an der Pflanze wahrnehmen, er könne keinen Schlaf, er könne keine Atmung an der Pflanze sehen, er könne keine Empfindung oder eine Reaktion auf eine Empfindung wahrnehmen. Deshalb spreche er der Pflanze nur die rudimentäre Ernährungs- und Wachstumsseele zu. Sie sei aber Teil der mit Seele begabten Wesen, da für ihn die „Seele“, die aber in jedem Lebewesen anders geartet sein könne, den Urgrund alles Lebendigen darstellt. Was aber, wenn nun mit den exotischen Pflanzen wie der Mimose oder der aus Indien stammenden „Telegraphenpflanze“ Pflanzen entdeckt wurden, die sich sichtbar bewegten? Wenn durch die Entwicklung des Mikroskops klar wurde, dass das menschliche Auge nur einen Bruchteil der Welt sehen kann, wenn feine Messgeräte plötzlich Bewegungen messen können, die für das bloße Auge nie sichtbar waren? Wenn unter dem Mikroskop und in den Experimenten klar wird, dass die Pflanzen „atmen“, indem sie durch die Spaltöffnungen der Blätter Luft „einsaugen“ und abgeben? Wenn etwa die Mimose sogar sichtbar auf den Berührungsreiz reagiert, indem sie ihre Blätter zusammenzieht? Was, wenn die Pflanzen nachts „schlafen“, wenn sie, wie der Klee, ihre Blätter zusammenfalten und sich ihre „Atmung“ nachts verändert? Die Naturkundler fanden sich offenbar an einer Wegmarke der Wissenschaftsentwicklung wieder, die mit Hilfe der neuen Techniken des Mikroskops und der neuen 403 De Plantis, Übersetzung von Goedings, 2007, S. 29. 404 De Plantis, Übersetzung von Goedings, 2007, S. 52. 405 De Plantis, Übersetzung von Goedings, 2007, S. 62. In der griechischen Fassung wird ausdrücklich die Ähnlichkeit mit dem Menschen (anthropos) benannt, siehe der Kommentar Goedings’. 406 Goedings, Aristotels über Pflanzen, 2007, S. 7.

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Mess­instrumente das, was Aristoteles angestoßen hatte, nun weiterentwickeln konnte. Auf der Hintergrundfolie neuen Wissens um die sich nun bewegenden, atmenden und eventuell auch empfindenden Pflanzen wurden aristoteleische Schriften also neu gelesen. Die Lebewesen waren in sich und untereinander verwandt. Aristotelisch erklärbar war diese Verwandtschaft aufgrund der Teilhaftigkeit an der Seele als Prinzip alles Lebendigen. Die cartesianische automatenhafte, seelenlose Tier- und Pflanzenwelt, bzw. der Sub­ stanzdualismus, entsprach für die Forscher offensichtlich nicht dem Wahrgenommenen. So waren die Naturforscher des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in gewisser Weise auch erneute Renaissance-­Menschen. Sie waren erneute Rezipienten der „Alten“ und verbanden dies mit ihren Beobachtungen. Die beseelte Natur war erneut denkbar innerhalb der neu beobachteten Lebensäußerungen der Pflanzen, innerhalb der Vorstellungen von Kontinuität und Verwandtschaft unter den Lebewesen, innerhalb von Verbindungen und Beziehungen der Kette der Wesen, geschaffen von einem hinter ­dieses komplexe Gebilde zurücktretenden Schöpfer. Diese grundlegenden Vorstellungen der Kontinuität z­ wischen Mensch, Tier und Pflanze, die auf der Verbindung von Naturbeobachtung und erneuter Antikenrezeption basierten, führten im Verbund mit den Beobachtungen zur Bewegung der Pflanzen und der Reaktion von Pflanzen auf Berührungen etc. sehr folgerichtig zu Fragen nach den Seelenkräften der Pflanzen.

3.3.2 Das Ende der naturwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Pflanzenseele Die Pflanzenseele konnte allerdings nur so lange Teil der Naturforschung sein, als die Metaphysik noch nicht aus der Naturwissenschaft ausgegliedert war. Dies kündigte sich im 19. Jahrhundert aber ebenso an. Die Summa oder das Ende einer Diskussion: Theodor Fechners Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen von 1848 Das 1848 niedergelegte Werk Theodor Fechners Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen kann einerseits als Summa der Überlegungen zur Pflanzenseele gelten, andererseits als Ende einer naturwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Pflanzenseele.407 Aus heutiger Perspektive rückt Fechner stark in die Nähe von Literaten und Philosophen, weniger in die der Biologen. Und schon zeitgenössisch betrachtet, stellt sich die Frage, inwieweit Nanna noch eine (natur)wissenschaftliche Summa der Argumente jener Botaniker 407 Fechner, Gustav Theodor: Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen, Leipzig 1848. Siehe hierzu auch Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 368 ff.

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und Naturforscher ist. Ingensiep formuliert, Fechner gehe es „um ein breit angelegtes philoso­phisches und naturwissenschaftliches Plädoyer für die Pflanzenseele auf der Höhe des Wissens seiner Zeit“408. Ebenso könnte man das Werk als Schrift eines letzten Universalgelehrten ­zwischen botanischer Philosophie, Physikotheologie und Botanik einordnen, die ins Ästhtetische, Spekulative und Literarische weist. Der Titel Nanna, der heute auch eher an einen Roman gemahnt, nimmt dabei Bezug auf die Gattin des germanischen Lichtgottes Baldur, die Fechner an die Stelle der Allegorie der Flora setzt. Fechner verteidigt sein Thema gleich zu Beginn der Schrift, er schreibt: „Man dürfte überdies bald finden, daß die Frage, um die es sich hier handelt, kein so vereinzeltes Interesse hat, als es vielleicht für den ersten Anblick scheinen möchte. Ob die Pflanzen beseelt sind oder nicht, ändert die ganze Naturanschaung (…).“409 Analog zu Aristoteles beginnt er mit der Vorstellung, dass „Leben“ ohne den Begriff der Seele nicht denkbar sei. Er argumentiert mit den bekannten Analogien von Tier, Mensch und Pflanze. In dieser Gleichsetzung von Leben und Seele werden nun die Unterscheidungen hinfällig und machen einer Allgemeinbeseelung der Natur Platz: „(…) wie fern die zierlich gebaute und geschmückte Gestalt der reinlichen Pflanze minder würdig sein sollte, eine Seele zu hegen, als die unförmliche Gestalt eines schmuzigen Wurmes? Sieht ein Regenwurm uns seelenvoller an als ein Vergißmeinnicht? Scheint uns sein dunkles Wühlen unter der Erde mehr von freiem Trieb und Empfindung zu verrathen als ihr Emporstreben über die Erde (…)?“410 Fechner bezieht sich dabei sogar auf interkulturelle Perspektiven: „Es scheint mir, daß wir bei unserm Urtheil über die Stellung der Pflanzen in der Natur nicht eben klüger sind, als die nordamerikanischen Wilden, ­welche, statt männliches, ­weibliches und sächliches Geschlecht zu unterscheiden, belebte und unbelebte Gegenstände unterscheiden, nun aber zu den belebten Wesen Thiere und Bäume, zu den unbelebten Kräuter und Steine rechnen.“411 Ebenso bezieht er sich auch auf indische Lehren und zitiert aus altindischen Gesetzbüchern, etwa aus den „Verordnungen des Menu“, einem hinduistischen Gesetzbuch, das 1794 in Englische und 1797 ins Deutsche übersetzt worden war 412: „Die Thiere und Pflanzen, umringt mit vielgestaltiger Finsterniß, haben wegen voriger Handlungen inneres Bewußtseyn, und fühlen Vergnügen und Schmerz.“413 ­Fechner beschreibt so kulturübergreifend argumentierend die Relativität von Wissen und lenkt 408 409 410 411 412

Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 371. Fechner, Seelenleben der Pflanzen, 1848, S. IX. Fechner, Seelenleben der Pflanzen, 1848, S. 13. Fechner, Seelenleben der Pflanzen, 1848, S. 18. Hindu Gesetzbuch oder Menu’s Verordnungen nach Cullucas Erläuterung, ein Inbegriff des Indischen Systems religiöser und büergerlicher Pflichten. Aus der Sanskrit=Sprache wörtlich ins Englische übersetzt von Sir William Jones, und verteutschet (…) von Joh. Christ. Hüttner, Weimar 1797 (englische Übersetzung Calcutta 1794). 413 Fechner, Seelenleben der Pflanzen, 1848, S. 26.

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den Blick auf die Sozialisation: „In der That, wie können wir uns wundern, wenn uns gar nicht einfällt, an eine Seele der Pflanzen zu denken, da wir von Jugend auf von den Pflanzen so haben reden hören, als könnte von einer Seele derselben nicht die Rede seyn. (…) Man lasse statt dessen einmal die M ­ utter zu ihrem Töchterchen sagen: Sieh, mein Kind, das Blümchen freut sich seines Lebens (…) alle Blümchen haben ­Seelen, wenn auch nicht so verständige wie die Menschen, aber doch recht liebliche; und du mußt keine Blume aus bloßem Muthwillen abreißen. (…) Man lasse den Lehrer zum Knaben in der Schule sagen: Die beseelten Wesen theilen sich der Hauptsache nach in zwei Classen, ­­solche, die in der Erde festgewachen sind, das sind die Pflanzen, und ­­solche, w ­ elche sich darüber hinwegbewegen können, das sind die Menschen und Thiere (…)“.414 Desgleichen bezieht er sich auf Protagonisten der Pflanzenseelendebatte wie Percival und Bonnet. So gewappnet will er sodann die verschiedenen Gegenargumente entkräften. Dass die Pflanzen keine Nerven hätten, keine freie willkürliche Bewegung, keine zentrales Organ als Sitz der Seele ausmachbar wäre, sie nur auf Zweckerfüllung für Mensch- und Tierwelt hin geschaffen ­seien, dass man sich keinen noch niedereren Seelenzustand als den der Tiere denken könne etc. sei etwa beispielsweise keineswegs erwiesen; dass die Seelentätigkeit allein an den eiweißartigen Nervenfäden hänge, die in Mensch und Tier entdeckt worden s­ eien ebenso wenig: „Was liegt denn überhaupt in der Eiweißmaterie der Nerven so Wundervolles, das sie allein zu Trägern oder Vermittlern von Seelenthätigkeit eignete. Mir scheint der Faserstoff der Pflanzen, wenn man einmal Fasern verlangt, ganz ebenso gut dazu geeignet (…).“415 Er geht auf die teleologischen Argumente ein, inwieweit eine seelenlose Pflanzenwelt der vollkommenen Schöpfung nicht entsprechen kann, inwieweit Analogien der Lebewesen die Pflanzenseele nahe legen, bis hin zu Freiheitsdrang und Wille: „Sperre ein Thier, einen Menschen ein; und sicher entwischt er durch das erste oder bequemste Loch, das du offen lässt (…). Daß die Pflanze es nicht minder sicher, ja vielleicht noch sicherer, thut, spricht das gegen oder dafür, daß sie ebenso sicher das Bedürfnis von Licht und Luft als wir von Freiheit fühlen? Bliebe sie einmal hinter dem Brette, möchte ich viel eher glauben, sie kümmerte sich nicht um das Licht; nun aber weil ihr Gefühl sie zwingt, sollte es darum weniger Gefühl sein?“416 Fechner schließt sogar die besonders feine Ausbildung bestimmter Sinnesempfindungen bei Pflanzen nicht aus, bestimmte Sinne könnten gar entwickelter sein als etwa beim Menschen, wenn auch nicht die geistigen Fähigkeiten, es komme schließlich auf die Lebenweise an.417 414 415 416 417

Fechner, Seelenleben der Pflanzen, 1848, S. 30, 31 f. Fechner, Seelenleben der Pflanzen, 1848, S. 40. Fechner, Seelenleben, 1848, S. 111. Fechner, Seelenleben, 1848, S. 329 f.

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Durch alle diese Überlegungen sieht er die abendländische Wahrnehmung der Pflanze als unwahrscheinlich an: „Die ursprüngliche Natur=Ansicht der Völker, sowie der charakteristische und ästhetische Eindruck, den uns die Pflanzen unmittelbar machen, spricht viel mehr für die Seele der Pflanzen, als die unter uns herrschende, auf anerzogenen Vorstellungen beruhende, Volksansicht gegen dieselbe. (…) Die Pflanzen sind uns zwar im Ganzen unähnlicher als die Thiere, stimmen doch aber gerade in den Hauptgrundzügen des Lebens noch mit uns und den Thieren so überein, daß wir, wenn auch auf einen großen Unterschied in der Art der Beseelung z­ wischen ihnen und uns, doch nicht auf den Grundunterschied von Beseelung und Nichtbeseelung selbst zu schließen berechtigt sind.“418 Die Folge ist eine Vielfalt der Seelenarten: „Es ist wahrscheinlich, daß das Seelenleben der Pflanzen noch viel mehr ein rein sinnliches ist als das der Thiere, w ­ elche, wenn auch nicht Vernunft und Selbstbewußtseyn, noch Erinnerung des Vergangenen und Voraussicht des Zukünftigen haben, während das Pflanzenleben wahrscheinlich im Fortleben der Gegenwart aufgeht.“419 Analog zu physikotheologischen Werken schließt Fechner in seinem letzten Satz mit dem Rückbezug auf Gott, wobei er die Pflanze direkt als Wesen anspricht und ermahnt: „Alle Pflanze aber in ihrer Niedrigkeit bleibe dessen gedenk, daß sie ein Gewächs ist von Gott und vor Gott, das seine Freiheit nur hat im Bande und sie nur brauchen soll im Verbande.“420 Fechners Werk wurde zwar von Botanikern wie Nichtbotanikern rezipiert, in der Mitte des 19. Jahrhunderts erregte es aber die Gemüter nicht mehr. Was Ende des 18. Jahrhunderts noch durch das Ineinandergreifen von Religion und Wissenschaft als häretische Denkweise kritisch erschienen war, ist nun eine Frage, die in der sich fortschreitend vollziehenden Trennung von Physik und Metaphysik in den Bereich der Glaubensfragen verwiesen wird. Philosophie und Theologie werden aus der Botanik mehr und mehr ausgegliedert. Und so kann auch ein Rezensent im nun botanischen Fachmagazin nonchalant schreiben: „Man mag von dieser Sache halten, was man will, soviel ist gewiss, dass das vorliegende Buch mit Sachkenntniss und einem Style geschrieben ist, der es sowohl für Gelehrte als für Dilettanten zu einer anziehenden Lektüre machen wird“.421 Fechners wohl auch lebenslänglicher innerer Kampf um eine Einheit von Physik und Metaphysik ist nicht mehr zu gewinnen. Teleologische und metaphysische Fragen stehen nicht mehr im Zentrum der Naturwissenschaft. Anders formuliert: Naturforscher wie Newton, die Generation der Aufklärer und Physikotheologen suchten noch Gott 418 419 420 421

Fechner, Seelenleben, 1848, S. 387. Fechner, Seelenleben, 1848, S. 389 f. Fechner, Seelenleben, 1848, S. 399. F. (Fürnrohr?): „Nanna, oder über das Seelenleben der Pflanzen (Rezension), in: Flora, Neue Reihe, Jahrgang 7, Band 1, Nr. 6 vom 14. Februar 1849, S. 88 ff.

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in der Natur; in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist diese Suche beendet. Der Gottesglaube wird Privatsache. Er ist genauso wenig staatstragend wie Fundament der Wissenschaft. Die fortschreitende Differenzierung der Disziplinen erlaubt die Abkehr von allen Fragen eines „Weltentwurfes“ und verweist sie in das Reich des Spekulativen. Fechners Werk wird daher teilweise abgelehnt oder als rein hypothetisches Denkspiel um eine Glaubensfrage abgetan. Die „moderne“ Naturwissenschaft hat gesiegt. Dass heutige, neue Experimente zur Kommunkation von Pflanzen oder zu „rationalen“ Verhaltensweisen der Mimose – die möglicherweise lernen kann, wann eine Berührung nicht mit Gefahr verknüpft ist – die Grenzen z­ wischen Tier- und Pflanzenreich möglicher­ weise erneut wieder verwischen, steht auf einem anderen Blatt.422

422 So etwa in einem ein 2016 begonnenen Projekt von Katja Tielbörger und Michael Gruntman am ­Institut für Evolution und Ökologie an der Universität Tübingen.

4 Kapitelschluss: „Studiensubjekte“ – eine andere moderne Naturwissenschaft?

Kehren wir zum Abschluss des Kapitels noch einmal zur zentralen Zeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts zurück: 1790 beschrieb ein ungenannter Autor im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, wie er das am „Stubenfenster“ gepflanzte „Hedysarum gyrans“ (heute Codoriocalyx motorius, eine stetig die Blätter bewegende Pflanze), die sogenannte „Telegraphenpflanze“, beobachtete. Er wählte folgende Worte: „Die merkwürdigen Eigenschaften des Hedysarum gyrans (…) hatten schon längst den Wunsch in mir erregt, es selbst zu sehen und zu beobachten. (…) man konnte diese noch bey keiner Pflanze bemerkte, fortwährende und ohne alle äußere Ursache erfolgende Bewegung nicht ohne Erstaunen, nicht ohne ein gewisses Gefühl der Theilnehmung betrachten, das uns sonst nur gegen lebende Wesen eigen ist. Mich interessierte diese liebe Stubengesellschaft so, daß ich jeden freyen Augenblick nutzte, mich mit ihr zu unterhalten, und dabey immer neue Merkwürdigkeiten entdeckte. Abends sah ich sie mit mir einschlafen, denn das gänzliche Zusammenfallen und Ruhen der Hauptblätter läßt sich mit nichts beßer vergleichen; früh mit dem Tage erwachte sie, und je schöner und heiterer der Tag war, destomehr Lebendigkeit und Anstrengung zeigte sich in allen beweglichen Theilen. (…) Zog nur eine Wolke vor die Sonne, oder man sezte die Pflanze vom Licht weg, sogleich verlor sie das muntere Ansehen; ein einziger Sonnenblick heiterte sie wieder auf.“423 Der Autor hat, trotz aller Sorgfalt, die er auf die Pflanze verwendet, sogar später noch ihren Tod zu beklagen. Ist dies noch ein Gegenstand, den er untersucht? Ähnliches wie für die Herangehensweisen an den „Untersuchungsgegenstand“, bzw. das Studiensubjekt gilt für die Sprache, in der Wissen zirkuliert wird. 1799 publiziert Johann Wolfgang von Goethe im Archiv für die Botanik die „Metamorphosen“: Und hier schliesst die Natur den Ring der ewigen Kräfte, Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an; Dass die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge, Und das Ganze belebt so wie das Einzelne sey. Nun, Geliebte, wende den Blick zum bunten Gewimmel, 423 Ungenannter Autor: „Ueber die Bewegungen des Hedysarum gyrans und die Wirkungen der Elektrizität auf daßelbe“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 6, 3. Stück, (1790), S. 5 – 27, hier S. 5 f.

206 |  Kapitelschluss: „Studiensubjekte“ – eine andere moderne Naturwissenschaft? Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt. Jede Pflanze winket dir nun die ewgen Gesetze, Jede Blume sie spricht lauter und lauter mit dir.424

Uns heute erscheint dies als schwärmerischer, dichterischer Vortrag. Aber ist es für G ­ oethe und seine Zeitgenossen „Dichtung“? Oder ist es „Wissenschaft“? Das Ineinander von Kunst, Literatur, Wissenschaft und auch Unterhaltung sind um 1800 gängige Praxis. So kommentiert der Herausgeber: „Linnaeus war liberal genung auch den Dichter unter denjenigen zu nennen, ­welche der Botanik förderlich seyn könnten. Dies bewog den vortrefflichen Verfasser des Versuchs über die Metamorphose der Pflanzen, den Herrn Geheimrath und Kammerpräsidenten von Göthe zu Weimar, seine Idee über die Metamorphose der Pflanzen durch dichterischen Vortrag noch weiter zu verbreiten (…).“425 Hier klingt zudem nicht nur die Vorstellung des als Kette der Wesen und als Organismus gedachten Kosmos an, hier taucht auch die „Sprache der Blumen“ auf. Bei Goethe „spricht“ die Blume zu uns. Tatsächlich finden sich um 1800 sogar Versuche, den Pflanzen und Blumen eigenständige kommunikative Interaktion zuzusprechen. Sprechende Natur? Der österreichische Naturgelehrte und Vegetationsgeograph Leopold von Trattinick (1764 – 1849) etwa vertrat die Vorstellung, dass die Natur mit dem Menschen kommuniziere. Trattinick, der sich insbesondere um die Mykologie verdient machte und am Hof Franz I. Custos der höfischen Naturalienkabinette wurde, stand in enger Korrespondenz mit vielen Gelehrten seiner Zeit (auch mit Goethe und Alexander von Humboldt). Er war Mitglied vieler gelehrter Gesellschaften und hinterließ ein umfangreiches Werk zur Gewächskunde Österreichs.426 In einer Beilage zur Flora von 1821 publizierte er – in Anlehnung an Humboldts Werk – einen Aufsatz mit dem Titel „Ein Schritt vorwärts in unsern Ansichten der Natur“.427 Er legt dort dar, inwiefern Kommunikation nicht nur auf den Menschen beschränkt ist. In letztlich physikotheologischer Weise geht es hier um die moralisch-­religiöse Mitteilung. Hier spricht also Gott durch die Natur. Trattinick argumentiert mit dem sinnlichen Eindruck: „Wenn nun aber die Musik eine Sprache ist (…) wie eigensinnig, wie inconsequent müssten wir nicht denjenigen schelten, der noch ferner behaupten wollte, es gebe ausser der Wortsprache kein anderes Mittel, wodurch ein vernünftiges Wesen (…) sich andern Wesen offenbaren und verständigen könnte? 424 425 426 427

„Die Metamorphose der Pflanze“, in: Archiv für die Botanik, Band 2, 1. Stück (1799), S. 34 ff, hier S. 36. „Die Metamorphose der Pflanzen“, in: Archiv für die Botanik, Band 2, 1. Stück (1799), S. 34 ff. Wunschmann, Ernst: Artikel „Trattinick, Leopold“, in: ADB 38, Leipzig 1894, S. 498 – 499. Trattinick, Leopold von: „Ein Schritt vorwärts in unsern Ansichten der Natur“, in: Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 1 – 30.

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Und wirklich sind die Gebilde der Natur ganz auf dieselbe Weise beseelt und von demselben Vermögen durchdrungen, mit dem uns die Meisterwerke der Kunst (…) und die Musik ansprechen. Es fehlt nur an uns, wenn wir bisher weniger diese Ausdrücke begriffen haben.“428 So müsse man die Pflanzen studieren, um ihre Mitteilungen zu verstehen: „(…) so kömmt es nur auf uns an, dass wir diesen ihren Zeugnissen, Darstellungen und Aussprüchen eine grössere Aufmerksamhkeit zuwenden, durch Uebung und Beharrlichkeit eine bessere Fertigkeit in Erfassung derselben uns aneignen, mit einem Wort, dass wir ihren Geist eben so fl ­ eissig und gründlich studiren (…) und genaue Dollmetscher der Natursprache werden.“429 Wortreich beschreibt er die „Begegnung“ mit einer Pflanze auf einer Wiese: „Ei, ich hätte dich gar nicht bemerkt, hätt’ ich nicht hier der Ruhe und dem Genuss der verjüngten Natur mich hingegeben. Es ist der Gamanderartige Ehrenpreis (Veronica ­Chamaedrys L.). Das freundliche Pflänzchen kriecht einfach und anspruchslos z­ wischen den Gräsern herum, aber die kleinen Sträusschen voll himmelblauer Blumen schmücken im ausgesuchtesten Ebenmaass den ganzen Spielraum meiner nächsten Umgebung. Je näher ich es betrachte, je mehr ziehen mich seine Reitze, und die Holdseligkeit seines stillen Daseyns an. Ich empfinde dabei den ganzen Werth der kindlichen Unbefangenheit, und den Liebreitz einer unentstellten, von der Natur allein besorgten Entbildung. (…) Wir befinden uns weit besser unter demüthigen, nüchternen, aber doch holdseligen Wesen, als in dem Widerschein der grössten Ueppigkeit, und der Alles überstrahlenden Glorie, die nur betäubt, und blendet, während die Gesellschaft jener Andern einen wohltuenden, und ausheiternden Mondenschimmer in unserer Seele zurücklässt. – Genug, mein liebes Pflänzchen! Ich habe dich verstanden, und kehre froher und ruhiger zu meiner Heimath zurück, als ich in der deinigen ankam!“430 Diese „Sprache der Pflanzen“ ist für ihn aber nicht als Träumerei zu verstehen, sondern als Tatsache: „Jedes Gras, jedes Moos, jede Flechte spricht uns nach ihrer Art (…) Uebung und unversehrtes Naturgefühl sind die besten Lehrmeister in d ­ iesem Studium. (…) Uebrigens muss man aber auch eben so wenig ein Träumer, ein Geisterseher, ein überspannter Fanatiker seyn. Man muss seine Fantasien nicht in die Natur hineindichten, sondern vielmehr aus ihr schöpfen, sie mit kindlicher Arglosigkeit befragen, und ihre Antworten weder zu mässigen, noch zu verschärfen im Sinne haben.“431 Trattinick 428 Trattinick, Ein Schritt vorwärts, Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 6. 429 Trattinick, Ein Schritt vorwärts, Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 8 f. 430 Trattinick, Ein Schritt vorwärts, Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 11 f. 431 Trattinick, Ein Schritt vorwärts, Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 12.

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spricht den physikotheologischen Gedanken aber auch konkret aus: „Ich wandle hier nicht einsam durch die Blumenflur. Tausende von Wesen sprechen mich an, und verkünden mir die erfreulichsten Mittheilungen aus dem Geiste des allgegenwärtigen Urhebers!“432 Er, seinerseits, will d ­ ieses Studium vorantreiben: „Da das Studium der Natursprache eine noch ganz neue Sache ist, da wir darinn noch so wenige Vorgänger haben, und da es noch nicht möglich ist, die Anleitung dazu in Regeln zu fassen, und systematisch zu behandeln, so müssen wir freilich wohl uns vor der Hand mit den kleinsten Gewinnsten, mit unvollkommenen Versuchen, und gleichsam blindlings ergriffenen Vorbildern begnügen.“433 Trattinick gibt dann regelrechte Übersetzungsbeispiele: Wenn eine unansehnliche Pflanze ausnehmend schöne Blüten hat, verdeutliche sie die Idee, dass ein edler Geist sich mit rauhen ­Sitten paaren könne usw. Und er schlussfolgert: „Meine Versuche mögen nun noch so geringfügig seyn, es geht doch aus ihnen klar hervor, und es ist durch sie, als durch Practik und Erfahrung erwiesen, dass es in der Kräuterwelt eine Menge Ideen gebe, die ein höchst ideenreiches Urwesen, wie der Künstler in seinem Gemälde, in ihren Formen deponirt, und der Auffassung anderer rationeller Wesen vorbehalten hat.“434 Damit ist über die religiöse Dimension erneut das Geistige in die Natur, in die Pflanzenwelt hineinverlagert. Hier nicht nur in Form der Beseeltheit – die Trattinick voraussetzt – sondern in der Kommunikation der Lebewesen untereinander und in der Kommunikation Gottes mit den Menschen durch die Natur. Die Verwandtschaft der Wesen Wie ist diese Vorstellung der Pflanze um 1800 nun zu fassen? Angesichts der Zuschreibung menschlicher Morphologie, Eigenschaften oder gar Empfindungsweisen und Kommunikation scheint sich der Begriff einer Anthropomorphisierung der Pflanze anzubieten. Dennoch trifft dieser Begriff nicht ganz zu. Denn Anthropomorphisierung impliziert, dass menschliche Eigenschaften auf etwas Nichtmenschliches übertragen werden, etwas „vermenschlicht“ wird. Somit setzt ­dieses Konzept aber die Trennung Menschliches – Nichtmenschliches voraus. Dies wird den dargelegten Wahrnehmungsweisen der Pflanze um 1800 aber nicht gerecht. Tatsächlich ist im Denken des 18. Jahrhunderts von der Gleichartigkeit und Verwandtschaft der Lebewesen auszugehen, von einer inneren und äußerlichen, seelischen und gestaltlichen Einheit der Lebewesen, auch wenn die Pflanze in ihrer Lebensweise nur in graduell sehr geringer Form diese Überschneidungen zum 432 Trattinick, Ein Schritt vorwärts, Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 14. 433 Trattinick, Ein Schritt vorwärts, Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 16. 434 Trattinick, Ein Schritt vorwärts, Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 4 (1821), an Band 1 angehängt, S. 25.

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Menschsein aufweist. Aufgrund dieser „Gleichheit“ in der Vielgestaltigkeit wird hier der oben erläuterte Begriff der Homologie vorgezogen. Auch in mittelalterlichen Quellen, die offensichtlich auf aristotelischen Grundlagen aufbauen, kann diese Beschreibung der Pflanze – mit ähnlichen Organen wie Lunge, Haut, Haare, Venen, Mund – gelegentlich aufgefunden werden, wie es beispielsweise Dorothee Rippmann für die weit verbreiteten Schriften Bartholomaeus Anglicus’ aus dem Spätmittel­ alter ausführt.435 Findet man hier also die Vorläufer? Entspricht die immer noch in den Quellen des frühen 19. Jahrhunderts angetroffene Vorstellung der Homologie im Bau der Lebewesen also einer rückwärtsgewandten, „mittelalterlichen“436, gar „nichtwissenschaftlichen“ Vorstufe des Pflanzenwissens? Die erläuterten Pflanzenversuche, der Rückgriff auf antikes Denken und die Weiterentwicklungen der Vorstellungen der in Kontinuität verbundenen Lebewesen legen eine andere Lesart nahe. Nimmt man den Blick der Zeitgenossen ein, so ist hier ohne Frage die Rede von Wissenschaft und Gelehrsamkeit, von Wissensweisen und Beobachtung, von Experiment und Logik. Radikalisiert man also die Aufgabe historischen Beschreibens als Wissensgeschichte und enthält sich des Urteils des (in Europa) Spätergeborenen über „richtiges“ und „falsches“ Wissen, dann stellt sich ein andere Perspektive ein. Eine Ontologie der Verwandtschaft In unserem Allgemeinverständnis wird der Beginn der „Moderne“ grundsätzlich mit der „modernen“ Naturwissenschaft im Sinne einer „Objektivierung“ der Natur verbunden, die erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder in die Kritik gerät. Dabei wird meist ein Bogen gespannt von Descartes, Bacon und der frühen Naturforschung bis hin zur modernen Dichotomie von Kultur und Natur. Aber wird das den Zeitgenossen gegen Ende des 18. Jahrhunderts gerecht? Die Naturbegeisterten aller Couleur des endenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts waren, wie deutlich geworden ist, mitnichten Cartesianer, eher könnte man sie Aristotelianer nennen, da sie vielfach die neue Naturbeobachtung mit in der griechischen Antike wurzelnden Naturvorstellungen der Seinskette verbinden, diese ausbauen und differenzieren. Sie sind „modern“ in ihren Herangehensweisen an die Naturerklärung im Sinne von Experiment, Beweis, Nachprüfbarkeit und logischer Argumentation sowie in ihrer Ablehnung buchstabengetreuer Bibelexegese. Sie sind andererseits im Rückgriff 435 Rippmann, Dorothee: „… dass die Erde die ­Mutter und die Sonne der Vater der Pflanzen ist. Bartholomaeus Anglicus’ enzyklopädisches Wissen über Pflanzen im Solarzeitalter“, in: MIÖG 123 (2015), S. 341 – 370. 436 Wenn man hier überhaupt einheitlich von „mittelalterlich“ sprechen kann, da frühmittelalterliche Dokumente möglicherweise noch wesentlich stärker an römisch-­pantheistische und „heidnische“ Vorstellungen der Beseelung der Natur anknüpfen als etwa das Hochmittelalter. Siehe bspw.: Barros, Carlos: „Die ‚Vermenschlichung‘ der Natur im Mittelalter“, in: Spindler, Konrad (Hrsg.): Mensch und Natur im mittelalterlichen Europa. Archäologische, historische und naturwissenschaftliche Befunde, Klagenfurt 1998, S. 281 – 310.

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auf die Antike „verharrend“ in einer Ontologie, die, untermauert von einem christlichen Schöpfergott als Ursprung alles Seienden, den Menschen in die Natur einordnet. Diese Richtung der Naturforschung gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist nicht beschreibbar in dem von Philippe Descola beschriebenen, cartesianisch alles regierenden abendländischen „Naturalismus“, der Kultur und Natur, den Menschen und die ihn umgebende Natur in völlig verschiedene Entitäten trennt, im Gegenteil. Die „Kreaturen“, die als Lebendige erschaffenen Wesen, stehen hier miteinander in Verbindung; das Lebendige teilt die gleichen Merkmale, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung und in gradueller Stufung.437 Wie die dargelegten Beispiele belegen, hat die Kette der Wesen keineswegs seit Anfang des 17. Jahrhunderts ihre Gültigkeit verloren. Vielmehr existierte zumindest in einem Teil des „modern-­naturwissenschaftlichen“ europäischen Denkens eine Form jener in Verwandtschaften, in Beziehungen und einem Gesamtsystem formierten Weltwahrnehmung, die das Potential zu ganzheitlicheren Denkweisen in sich trug. Die Vorstellung der Kette der Wesen ermöglichte dabei die Einordnung neuentdeckter Phänomene wie die Bewegung der Pflanzen in die Grundstrukturen der Welt. Die dazugehörige Ontologie ist eine Ontologie der Verwandtschaft, der Ähnlichkeit und Verbindung aller Lebewesen. Die Lebewesen waren grundsätzlich miteinander vergleichbar und noch 1806 etwa wird von der russisch-­kaiserlichen Universität in Wilma die Preisfrage ausgegeben: „Welches sind die Hauptkrankheiten der Gewächse und die wahre Analogie ­zwischen diesen Krankheiten und denen der Thiere?“438 Aus dem Blickwinkel der Seinskette betrachtet, war den Pflanzen zwar also eine graduell niedrigere Stufe von Bewusstsein oder eine inferiore Form der Seele zuzuordnen, wie es die Vorstellung eines Kontinuums in der Kette der Wesen nahelegte, aber auch sie waren entfernte Verwandte des Menschen. Ein Sinnbild des Verschwimmens der Grenzen z­ wischen Mensch, Tier und Pflanze etwa ist die Darstellung der sogenannten „Palmenträgerin“ im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte von 1787, einer Meeres­ schnecke, die in ihrer Gestalt an eine Frauenfigur gemahnt und deren Haut Palmbäumchen zu bilden schien.439 Mensch, Tier und Pflanze fallen hier bildhaft in eins (Abb. 8). 437 Descola sieht zwar in der Stufenleitertheorie noch analogische Denkweisen am Werk, diese verlören aber seit Anfang des 17. Jahrhunderts ihren Stellenwert, „um bald nur noch als vertraute Metapher im Dienst der naturalistischen Ontologie verwendet zu werden, als bequeme Formulierung des Prinzips der Kontinuität der Physikalitäten, das für das erkennende Subjekt wahrscheinlich notwendig ist, damit es ohne Zweifel und Bedauern die absolute Singularität seines Geistes behaupten kann.“ (Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 306.) 438 „Vermischte Nachrichten“, in: Neues Journal für die Botanik, Band 1, 3. Stück (1805), S. 185. 439 Siehe: „Beschreibung der Palmenträgerin (…) einer von Hern A. Dicquemare entdeckten Meerschnecke (…)“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 4, 4. Stück (1787), S. 57 ff. Man nenne diese auch „Pflanzenschnecke“. Hier heißt es: „Was aber diese schöne große Schnecke

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Abb. 8 Palmenträgerin

Von der Kette der Wesen her gedacht war die „Pflanzenseele“ dabei weder mystisch-­ irrational noch religiös begründet, sie war schlicht eine logische Konsequenz, sie ist in dieser Zeit „nicht nur denkmöglich, sondern denknotwendig“440. Im 19. Jahrhundert aber verschwinden die Diskussionen um die Pflanzenseele oder die Gleichartigkeit aller Lebewesen. Fragen der Homologie ­zwischen Mensch, Pflanze und Tier werden zunehmend als veraltete Vorstellungen abgetan. Über die genannte Schrift zum Vergleich des Blutkreislaufes bei den Tieren und des Saftkreislaufes bei den Pflanzen, die noch 1827 publiziert wird, kann ein Rezensent in der 1828 mehr und mehr als Fachzeitschrift agierenden Flora spöttisch anmerken: „denn nach dem Durchlesen der ganzen Schrift, wird der Leser vielleicht erkannt haben, dass die Sphäre des Pflanzenlebens in die des Thierlebens nicht nur hineinreicht, sondern, dass sie ein Ganzes bilden, das nur den am meisten charakterisirt, und was den Hrn A. bewegt hat, ihr den Namen Palmenträgerin beyzulegen, ist, daß ihre Haut auf beyden Seiten des Rückens von den Fühlhörnern an bis an den hintersten Theil, wo sie eine Falte macht, sich aufwärts krümmt, sich erhebt, ungleich erweitert, und auf solche ­­ Art sehr leichte und überaus artig beblätterte Palmbäumchen bildet, deren Fuß hohl und offen ist, so daß ihre beständig mehr oder weniger aufgeworfenen Ränder (…) einen ordentlichen Palmenwald ausmachen, welches gar einen angenehmen Anblick giebt.“ (Zitat S. 58.) 440 Diese Formulierung benutzt Ingensiep in Bezug auf Bonnet, sie ist aber nicht nur für Bonnet, sondern für eine ganze Generation von Naturforschern zutreffend. (Ingensiep, Pflanzenseele, 2001, S. 297.)

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äussern Erscheinungen nach sich verschieden darstellt.“441 Er wirft dem Autor sodann vor, er solle lieber bei seinem Berufsgeschäft bleiben,442 statt sich in der Botanik zu versuchen, denn er kenne die neuen Forschungen nicht und habe keine Ahnung von der Zellbiologie und von den Bewegungen des Pflanzensaftes, beziehungsweise scheine kleine Organismen wahrzunehmen, wo sich doch nur Zellsaft bewege. Auch Vorstellungen der verschwimmenden Grenzen z­ wischen Tier und Pflanze werden nun zunehmend abgelehnt. So erläutert 1830 Friedrich Rudolphi in Bezug auf die Kleinstlebewesen und die Frage nach den pflanzlichen Algen und den tierischen „Infusorien“: „Unter den pflanzlichen Gebilden, ­welchen man vorzugsweise eine thierisch-­infusorielle Bewegung zuschrieb, stehen die Sporidien der Algen oben an, und sie können in dieser Hinsicht um so mehr als Repräsentanten aller anderen gelten, als hier überall dieselben Gesetze zu walten scheinen. Die Algensporidien nun sollen sich, nach der Trennung von der Mutterpflanze, – nach einigen selbst noch in dieser, – selbstständig und ganz auf thierische Art bewegen, ja selbst eine Zeitlang Thier seyn, bis sie endlich, ihres thierischen D ­ aseyns müde, wiederum zur Pflanze werden. (…) Je genauer ich aber die Struktur der Algen, besonders ihrer Fortpflanzungs-­Organen, mir klar zu machen suchte, je anhaltender und häufiger ich die Entwickelung der Sporidien zu neuen Individuen beobachtete, desto mehr Thatsachen drängten sich mir auf, die mit jener Ansicht unvereinbar waren.“443 Rudolphi leugnet sodann nicht, dass es sich bei beiden um Leben handle, wohl aber konstatiert er, dass die Bewegung der Infusorien eine andere sei als die der Algen, die auf physikalischen Ursachen wie etwa der Wasserbewegung beruhe, weshalb hier keine keine Zwischenformen beobachtbar s­ eien, sondern entweder Pflanzen oder Tiere.444 Das Tier habe eine willentliche Bewegung, die Pflanze nicht.445 Tier und Pflanze erscheinen wieder klar getrennt. Gerieten Pflanzen also wieder zunehmend in die Nähe der „Dinge“?

441 Rezension zu „Supplemente zur Biologie des Blutes und des Pflanzensaftes“, in: Flora, Jahrgang 11, Band 2, Ausgabe vom 14. Juli 1828, S. 401 ff, hier S. 402. 442 Wie der Verfasser selbst schon sage, würden mikroskopische Untersuchungen mehr Zeit und Geduld erfordern und „Es würde aber wohl der gelehrten Welt mehr Nutzen erwachsen seyn, wenn Hr. Mayer bei seinem Berufsgeschäfte geblieben wäre, was ihm daher Recensent für künftige Zeiten anempfiehlt.“ (Biologie des Blutes und des Pflanzensaftes, Flora, 14. Juli 1828, S. 403 f.) 443 Rudolphi, Fr.: „Ueber die Ursachen der Bewegung kleiner Körper unter dem zusammengesetzten Mikro­ skop“, in: Flora, 13. Jahrgang, Band 1, Ausgabe Nr. 1 vom 7. Januar 1830, S. 3 f. 444 Rudolphi, Ursachen der Bewegung, Flora, 7. Januar 1830, S. 6. 445 „Das physische Leben der Pflanze wird durch physikalische Kräfte hervorgebracht, erhalten und angeregt. Licht und Luft, Wasser und Wärme sind die Elemente, die das pflanzliche Leben bedingen und beenden. Wo daher eine Bewegung eintritt, da kann sie auch nur durch physikalische Reize hervorgehen; (…)“. (Rudolphi, Ursachen der Bewegung, Flora, 7. Januar 1830, S. 7 f.)

TEIL II

Wissenspraktiken – Das Botanisieren

Drey Reiche sinds, die in der Welt uns die Natur vor Augen stellt. Die Anzahl bleibt in allen Zeiten Bey den Gelehrten ohne Streiten. Doch wie man sie beschreiben muß, Da irrt fast jeder Physikus. Hört, ihr Gelehrten, hört Mich an, Ob ich sie recht beschreiben kann? (Aus: Der Naturforscher, eine physikalische Wochenschrift auf die Jahre 1747 und 1748, hrsg. von Christlob Mylius, 9. Stück, 1747, S. 71 ff.)

Der folgende, zweite Teil ­dieses Buches widmet sich nun weniger den im ersten Teil diskutierten Wissensinhalten als den Wissenspraktiken als genuinem Teil der Botanophilie um 1800. Die Botanophilie schlägt sich nicht nur in breiten Diskursen nieder, sondern ebenso in mit diesen verbundenen Praktiken, namentlich dem Botanisieren. Das Botanisieren umgreift dabei sowohl die Aneignung und Anwendung botanischen ­Wissens wie auch die Produktion botanischen Wissens in den zahlreichen Publikationen zur regionalen Vegetation, zu einzelnen Arten und zu botanisch-­theologischen Fragen. Auch das Speichern ­dieses Wissens in den Herbarien als Teil aufklärerisch-­bürgerlicher Wissenspraktiken kommt in den Blick. Im Fokus stehen hierbei insbesondere die Fragen nach der Trägerschaft dieser Wissenspraktiken und nach ihren gesellschaftlichen Funktionen. Aufklärer, Gelehrte, Reisende, Pflanzenhandel treibende Gärtner kommen hier ebenso zu Wort wie botanisierende Frauen oder auch Kinder. Insofern steht der Konnex zur bürgerlich-­aufklärerischen Geselligkeit und zu den aufklärerisch-­erzieherischen Idealen zur Diskussion. Die immer weitere Popularisierung und Kommerzialisierung der Botano­ philie weist schließlich auf das Ende der aufklärerischen Botanophilie hin.

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Botanophilie um 1800: „Das goldene Zeitalter der Botanik“

In der historischen Forschung hat das Botanisieren bisher wenig Interesse erfahren: Für Frankreich hat, wie erwähnt, Roger L. Williams ­dieses Phänomen in seinem Buch Botanophilia in Eighteenth-­Century France beschrieben,1 für Großbritannien und Frankreich behandelt die Studie von Sarah Easterby-­Smith Cultivating Commerce – Cultures of Botany in Britain and France 1760 – 18152 insbesondere den sich ausweitenden Pflanzenmarkt. ­Elizabeth Keeney hat für die amerikanische Geschichte die Bewegung des Botanisierens zu Beginn des 19. Jahrhunderts in ihrem Werk The Botanizers nachgezeichnet.3 Auch Nils Güttler greift in seiner kürzlich erschienenen Studie zur Vegetationskartographie die Pflanzenliebhaberei am Rande auf 4 und verweist auf die weitgehende Forschungslücke 5. Den Zeitgenossen dagegen scheint die spätaufklärerische Botanophilie durchaus bewusst gewesen zu sein – anlässlich einer Rezension zu einem neu erschienenen Taschenbuch der Arzneipflanzen heißt es 1827 beispielsweise: „So fehlt es den Anfängern keineswegs an Gelegenheit Botanik mit allen möglichen Hülfsmitteln zu studieren, weswegen man in dieser Hinsicht gegenwärtiges Zeitalter in Rückblick nur eines halben Säculums das goldene der Botanik füglich nennen könnte.“6 Auch wenn spätere Einschätzungen, wie etwa die von Karl Jessen 1864 in seiner Geschichte der Botanik, diese Zeit „populären Botanisierens“ z­ wischen ca. 1780 und 1840 abwerten und sie pejorativ als „schwärmerische Übergangszeit“ und „Zeitalter der Stagnation“ z­ wischen der angeblich wissenschaftlicheren Anatomie und Physiologie der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der „wissenschaftlichen“ Botanik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ansetzen,7 so bleibt doch der frappierende Befund, dass auch hier schon zeitgenössisch die Existenz einer weit verbreiteten Botanophilie bestätigt wird. Jessen überschreibt auch ­dieses Kapitel seiner Geschichte der Botanik mit dem Titel „Populäre Naturkunde und 1 Williams, Roger L.: Botanophilia in Eighteenth-­Century France. The Spirit of Enlightenment, Dordrecht 2001. 2 Easterby-­Smith, Sarah: Cultivating Commerce. Cultures of Botany in Britain and France, 1760 – 1815, Cambridge 2017. 3 Sie betont ebenso für die für die Anfangszeit der Bewegung geltende Untrennbarkeit von „amateurs“ und „professionals“ und den Boom von botanischen Ratgebern, Journalen und Handbüchern. (Keeney, Botanizers, 1992.) 4 Güttler, Kosmoskop, 2014, Kap. I. 5 Güttler, Kosmoskop, 2014, S. 38. 6 Unbekannter Verfasser (vermutlich der Herausgeber Hoppe) in einer Rezension: „Taschenbuch der Arzneipflanzen (…) von J. Leo (…), in: Flora oder Botanische Zeitung (…), Jahrgang 10, Band 1, Nr. 14 vom 14. April 1827, S. 223. 7 Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit, 1864, S. 314 und 338 f.

216 |  Botanophilie um 1800: „Das goldene Zeitalter der Botanik“

Botanik im 18. Jahrhundert“8 und allein die schier unzählbare Menge der in dieser Zeit entstandenen sogenannten „Floren“, der Handbüchern zur Flora bestimmter Regionen, die er nennt, lässt aufhorchen und weist der Zeit um 1800 eine besondere Stellung zu.9 Im Jahre 1802 beschreibt Franz Anton von Braune (1766 – 1853)10, ein österreichischer Kanzlist, fürstlicher Sekretär, Zeitungsredakteur und Pflanzenforscher (der die Flora um Salzburg in drei Bänden beschrieben hatte), in der Botanischen Zeitung, w ­ elche Menschen sich d ­ iesem Botanisieren widmen: „Ja, Menschen, ­welche mit einem tiefdringenden, scharf beobachtenden Geiste ausgestattet sind, w ­ elche die Schönheit und Grösse der Natur auch in ihren kleinsten Werken mit begeisterungsvollem Wohlge­ fallen erforschen, und mit einem alle Beschwerlichkeiten, alle Gefahren ­überwindenden, Feuereifer aufsuchen, diese sind zu Botanikern geschaffen, mögen auch gewöhn­liche Menschen, Menschen, deren Austernseelen für die erhabenen Reitze der Natur keinen Sinn haben, lächeln, und sie Schwärmer nennen (…)“11. Damit benennt von Braune die zentralen aufklärerischen Werte von Verstandes- und Herzensbildung als Grundlage der Beschäftigung mit der Botanik – gepaart mit den bürgerlichen Werten der Leistungsgesellschaft, da „Beschwerlichkeiten“, „Gefahren“ und Mühen nicht gescheut werden dürfen. Für „Austernseelen“, also diejenigen, die sich der Welt nicht mit Wissbegierde zuwenden, sondern sich in ihrer kleinen Welt begnügen und deren „Seelenkomplexität“ sozusagen im schlichten Zustand der „Auster“ verbleibt, ist die Beschäftigung mit der Botanik nicht geschaffen. Damit wird ein aufklärerisches botanisches Bildungspostulat benannt, wie es sich in den Quellen vielfältig variiert findet: Wer immer seine menschliche Fähigkeit zur Bildung vorantreiben möchte, der wende sich dem botanischen Wissensfeld zu.

1.1 Botanisieren als Praktik Unter dem „Botanisieren“ lassen sich vielfältige Wissenspraktiken fassen, die zeitgenössisch eher ein ganzes Aktivitätsfeld umreißen denn eine klar abgrenzbare Tätigkeit. Im Folgenden sollen daher zunächst die Praktiken und ihre Akteure beleuchtet werden. Elizabeth Keeney bestimmt in ihrer Studie zu Amerika das Botanisieren als Aktivitätenfeld von „procuring, identifying, preserving and exchanging specimens“. 12 Das ist einerseits richtig, bringt aber in vielen Fällen die unter dem Botanisieren verstandene 8 9 10 11

Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit, 1864, S. 336 – 396. Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit, 1864, ab S. 370. Siehe: Reichardt, Heinrich Wilhelm: „Braune, Franz Anton von“, ADB 3, Leipzig 1876, S. 275. Braune kommentiert hier eine biographische Skizze über einen Herrn Pichler: „Biographische Skizze (…)“, in: Botanische Zeitung (…), Nro. 7 vom 8. April 1802. 12 Keeney, Botanizers, 1992, S. 10.

Botanisieren als Praktik  |

Naturforschung ­zwischen aufklärerischem Wissensdrang, früher Naturwissenschaft und Naturliebe nur wenig zum Ausdruck, denn die Zeitgenossen unterschieden das Botanisieren noch nicht vom Botanikstudium. In Anleitungen für Anfänger, wie vorzugehen sei, wird die zentrale Aktivität aber tatsächlich nicht selten so beschrieben, wie Keeney es zusammenfasst. Fortgeschrittene dagegen verstanden unter dem Botanisieren ebenso das vielschichtige Erfassen der Pflanzengeographie, das Verständnis der Pflanzenanatomie, die Entdeckung neuer Pflanzenarten auf Exkursionen und botanischen Reisen und nicht zuletzt das gemeinschaftliche Erstellen von Kompendien, den Austausch von Pflanzenexemplaren oder auch das bereits beschriebene Experimentieren mit Pflanzen. Grundelemente des Botansierens Der Arzt Albrecht Wilhelm Roth (1757 – 1828)13 publizierte 1778 eine der ersten deutschsprachigen, an ein breiteres Publikum gerichtete Einführungen, die Anweisung für ­Anfänger, Pflanzen zum Nutzen und Vergnügen zu sammlen und nach dem Linneischen System zu bestimmen.14 Sie wurde 1783 und 1803 erneut aufgelegt. Er widmete hier den ersten Teil seines Buches ausführlich der Tätigkeit des Botanisierens, dem Pflanzensammeln und der Frage, was hierbei zu beachten ist. Er erläutert: Zunächst gehe es darum, die richtigen Pflanzen auszusuchen. Hier wird den wildwachsenden Pflanzen der Vorzug gegeben: „Man ziehe diejenigen Pflanzen, ­welche wild wachsen (…) allemal denenjenigen vor, ­welche in denen Gärten gezogen werden; (…), weil nemlich durch die künstliche Bebauung (Cultura), die Pflanzen von ihrer gewöhnlichen Organisation abweichen, und also Gelegenheit zu grossen Irrungen geben. Bey einer gründlichen Untersuchung, muss man die Pflanzen so kennen lernen, wie ihre eigentliche Natur ist.“15 Zunächst beginnt man mit Blumen, da dies am einfachsten sei. Am besten sammelt man dabei die Pflanzenexemplare, wenn sie in voller Blüte stehen und ihre „Vollkommenheit“ erreicht haben. Dabei rät Roth – ganz im Sinne der neuen empirischen Vorgehensweisen – nur den eigenen Sinnen zu trauen: „Man bemühe sich, so viel wie möglich ist, die Blumen ohne ein Vergrösserungsglas zu untersuchen, weil man sich gar zu leicht an den Gebrauch desselben gewöhnet; und wenn man nur erst ein wenig Uebung hat, so beobachtet man, wenn man sonst gute Augen hat, mit blossem Auge die Theile besser, als mit Hülfe eines Vergrösserungsglases. Sind die Blumen aber gar zu klein, so bediene man sich nur bloss eines gemeinen Handmikroskops (…).“16

13 Zu Roth, siehe: Olbers Focke, Wilhem: Artikel „Roth, Albrecht Wilhelm“, in: ADB 29, Leipzig 1889, S. 305. 14 Roth, Albrecht Wilhelm, Anweisung für Anfänger Pflanzen zum Nutzen und Vergnügen zu sammlen und nach dem Linneischen System zu bestimmen, Gotha 1778. 1803 wurde diese Anweisung erneut aufgelegt. 15 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 40. 16 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 42.

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Der Botanist benötigt nur ein paar wenige weitere Werkzeuge: „Die zur Untersuchung der Pflanzen nöthigen Stücke sind: a) Ein kleines Messer, um die Theile der Blume, wenn sie gross ist, behutsam abzulösen oder die Blume ohne starke Erschütterung von ihrem Stengel abzuschneiden. b) Eine kleine Zange, w ­ elche aber sehr spitzig seyn muss, und deren Spitzen genau mit einander passen. Diese braucht man bey denen kleinen Blumen am nöthigsten, theils sie damit zu fassen, theils aber auch ihre Theile behutsam aus einander zu legen. c) Das System der Pflanzen, nach w ­ elchen man untersuchen will oder in Ermangelung dessen auch nur bloss die Pflanzenbeschreibung der Gegend. d) Papier und Bleystift um die untersuchten Theile und den im System gefundenen Namen, den Ort wo sie gewachsen u. dergl. sich aufzeichnen zu können.“17 Die korrekte Vorgehensweise beinhaltet dabei auch die Dokumentation von Fundort und Fundzeit – eine Art Beleg, der die Glaubwürdigkeit und die Regeln der neuen Wissensweisen untermauert: Der Naturforscher hat hier nicht etwa von alten Autoritäten Wissen übernommen, sondern eigene Beobachtungen angestellt und bürgt mit seinen Sinnen für das Gesehene und Erforschte. Bei diesen Ratschlägen beruft Roth sich wiederum auf den renommierten Albrecht von Haller: „Der Herr von Haller giebt Anfängern den Rath, sie sollen auf die Berge, Wiesen und Felder, in die Sümpfe und Wälder gehen, und Pflanzen daselbst sammlen. Sie sollen an denen frischen Pflanzen die Gestalt, die Anzahl, die Lage, die Farbe, die Grösse, den Geruch und den Geschmack der Wurzel, des Stengels, der Blätter, der Blumen, des Kelches, der Blumenblätter, der Staubfäden, der Staubwege, der Saamen und Saamenkapseln, genau untersuchen und aufzeichnen und alsdenn den Tag, den Monath und den Ort, wo sie gewachsen, zu jeder Pflanze hinzufügen. Siehe Alberti Halleri Diss. De studio methodico botanices absque praeceptore, Goettingae 1736. 4to Vi. pag. 13 – 20.“18 Natürlich soll man sich bemühen, trockene Pflanzen zu erhalten, weshalb sie wegen des Taus weder morgens noch abends und keinesfalls bei Regen gesucht werden sollen: „Man sucht also zum Sammlen einen schönene heitern Tag aus und wählt die Zeit, von zehn Uhr des Morgens bis Nachmittags um fünfe.“19 Gelegentlich ist Nässe natürlich unumgänglich: „Ist man also genöthiget Pflanzen nass zu sammlen, so thut man am besten, dass man, so bald man nach Hause kömmt, den untern Theil der Pflanze in frisches Wasser legt, damit sie frisch bleiben; und sie auf ­­solche Art an einen schattigen, trocknen, luftigen Ort setzt, damit die Feuchtigkeiten von dem obern Theil der Pflanze nach und nach abtrocknen können.“20 Ein weiterer zu beachtender Punkt ist die Vollständigkeit der Pflanze: „Das zweyte worauf man beym Sammlen hauptsächlich zu sehen hat ist, dass man sucht, so viel wie möglich ist, vollständige Pflanzen (…) zum Auflegen in der Blüte zu bekommen (…) 17 18 19 20

Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 42. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 43. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 51. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 51 f.

Botanisieren als Praktik  |

nicht gegen das Ende, sondern lieber im Anfange der Blüte zu sammlen; doch so, dass ihre Theile sich auch schon völlig entwickelt haben. (…) Das zweyte Stück welches zur Vollkommenheit einer Pflanze gehört, sind die Blätter. Blumen ohne Blätter zu sammlen, ist ebenso thöricht und lächerlich, als Pflanzen ohne Blumen sammlen und auflegen.“21 Zur Vollständigkeit der Pflanze gehört dann auch die Wurzel: „Das dritte Stücke einer vollkommenen Pflanze macht die Wurzel aus. (…) Das vierte, was die Vollkommenheit einer Pflanze mit ausmacht, ist die Frucht. Eine vollkommene Pflanze wird also die genannt, ­welche Blüten, die drey Arten von Blätter, (wenn sie sonst der Natur der Pflanze zugegen sind), Wurzel und Frucht beysammen hat. Die mehresten von denen kleinen Pflanzen, können als ­­solche vollkommene Stücke gesammlet und aufgeleget werden (…).“22 Bei saftigen Früchten wie Kirschen und Pflaumen wartet man laut den Anweisungen jedoch nicht, bis sie reif sind, bei Schoten ebensowenig, da diese sonst aufspringen. Auch geht es hier nicht um den ästhetischen Wert der Sammlung, sondern um die Vollständigkeit des Wissens: „Viele verfallen auch in den Fehler, dass sie bey der Sammlung der Pflanzen nur bloss auf die Schönheit sehen und diejenigen nur sammlen, w ­ elche schöne und ansehnliche Blüten haben; die unansehnlichen aber werden ganz vernachlässigt und gleichsam mit einer Art Verachtung übergangen. Demjenigen der sich eine vollkommene Sammlung machen will, muss eine Blume so lieb seyn wie die andere, sie mag ein ­schönes oder schlechtes Ansehen haben.“23 Wie verfährt man nun mit den gesammelten Exemplaren? Zunächst ist darauf zu achten, dass sie nicht welk werden: „Da es oft die Umstände erfordern, sich einige Stunden bey dem Pflanzensammlen aufzuhalten (…) so ist es beynahe unumgänglich nöthig, dass man einen kleinen länglichen Korb oder Schachtel bey sich habe, in ­welchen man die gesammlete Pflanzen legt (…) und mit etwas Moos bedeckt, welches sie frisch erhält.“24 Werden sie doch welk, legt man sie zunächst zuhause ins Wasser und an einen kühlen Ort. Bei kleinen Pflanzen empfiehlt es sich, diese gleich zu pressen: „Bey denen kleinern, zartern Pflanzen thut man wohl, wenn man sie gleich an dem Orte, wo man sie gefunden, auflegt. Zu ­diesem Zweck lässt man sich ein Buch von Löschpapier oder starken Druckpapier machen, welches aber mit einigen Bändern versehen seyn muss, damit man es zusammen binden kann und die aufgelegten Blumen beym tragen nicht heraus fallen oder ihre Lage verändern.“25 Man legt sie jeweils der Natur gemäß: „Beym Auflegen der Pflanzen hat man hauptsächlich darauf zu sehen, dass die Pflanze die Lage wieder bekömmt, die sie ihrer Natur nach 21 22 23 24 25

Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 52. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 54. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 57. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 57. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 58.

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220 |  Botanophilie um 1800: „Das goldene Zeitalter der Botanik“

hatte.“26 Roth folgend legt man Blätter so, wie sie an der Pflanze angeordnet sind, Stengel kann man halbieren, reife Früchte schneidet man ein und presst sie langsam ­zwischen beschwerten Papierbögen usw. Man soll mehrere Exemplare sammeln, der Ort zum Trocknen soll schattig, aber luftig sein, etwa ein Gartenhaus. Feuchtes Papier muss täglich im Freien getrocknet werden, die Papiere ­zwischen den Pflanzen müssen täglich gewechselt werden, Fettgewächse kann man mit dem Plätteisen trocknen, Schwämme muss man sehr schnell trocknen, da sie sonst faulen.Trockene Pflanzen kann man sodann aufkleben, oder in kleinen Schachteln ­zwischen Papierbögen aufheben. Auf diese Weise erläutern die Anweisungen für Anfänger dem angehenden Botanisten jedweden möglichen Fall und bieten Ratschläge, wie die Pflanzen gefunden, bestimmt und konserviert werden können. Dabei geht es, wie dargelegt, nicht um die ästhetischen Aspekte einer Pflanzensammlung, sondern vielmehr um die Vollständigkeit – was entsprechende Probleme aufwirft, wenn es sich etwa um saftige Früchte, Pilze etc. handelt.

1.2 „Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung der Botanisten und Botanistinnen Wer um 1800 botanisch aktiv ist, bzw. „botanisiert“, ist nicht unbedingt qua „Beruf“ mit den praktischen Verwendungsweisen der Pflanzen befasst, wie etwa die Ärzte und Apotheker, sondern betreibt diese Tätigkeit vor allem im Hinblick auf Pflanzenkenntnis und Wissenserwerb. Zentral ist dabei meist die autodidaktische Wissensaneignung, die Zeit und Mühe, die auf die eigene Sammlung verwendet wird. David Heinrich Hoppe schreibt im Botanischen Taschenbuch von 1798: „Die Botanik, selbst die Naturgeschichte ohne Lehrmeister zu studiren, ist keine so schwere Sache als man sich wohl gewöhnlich vorstellt. (…) Wer die Pflanzenkenntniße erlernen will, muß sich mit den Pflanzen beschäftigen, das heißt, er muß selbst Pflanzen sammlen, selbst einlegen, selbst untersuchen“.27 Die Betonung liegt dabei auf dem Selbststudium. Dabei geht es, wie er schreibt, nicht um einen bestimmten Nutzen, sondern um die Beschäftigung mit den Pflanzen um des Wissens willen: „Ich verstehe aber unter der Einsammlung der Pflanzen nicht das sogenannte Colligiren der Kräuterweiber, w ­ elche Wurzeln graben, Blätter pflücken und Blumen zupfen, um ­­solche an Apotheker zu verkaufen, sondern ich verstehe darunter die sogenannten botanischen Excursionen, w ­ elche der Lehrling selbst unternimmt, um in Wiesen und Wäldern, auf Bergen und in Thälern die wildwachsenden in der Blüthe stehenden Pflanzen aufzusuchen.“28 26 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 60. 27 Hoppe, David Heinrich: „Über die Erwerbung botanischer Kenntnisse“ in: Botanisches Taschenbuch für die Anfänger dieser Wissenschaft und der Apothekerkunst auf das Jahr 1798 (Regensburg 1798), S. 19 f. 28 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 21.

„Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung  |

Hoppe beschreibt dabei eine „Nebenbeschäftigung“, die aber zeitintensiv ist. So sollte, laut Hoppe, der Anfänger mindestens zweimal wöchentlich botanisieren. Bei 12 Exkursionen in einem Sommer solle so dann eine Sammlung von ungefähr 150 Pflanzen pro Sommer entstehen: „Der Anfänger (…) gehe zu dem Ende zu dem ersten besten Platze wo mehrere Pflanzen wachsen, es sey nun eine Wiese, oder ein Wald. (…) Er nehme indessen von jeder ihm beliebigen leicht einzulegenden Pflanze 2 Exemplare und lege ­­solche neben einander in das mitgenommene mit einem Pappendeckelumschlag versehene Papier. Eine solche ­­ kleine Excursion wird höchstens ein paar Stunden Zeit erfordern. (…) Freilich muß eine solche ­­ Excursion öfter wiederholt werden, wenn anders ein Nutzen daraus entstehen soll (…).“29 Das erste Exemplar der Pflanze dient hier bei Hoppe zum „Einlegen“, also zum Pressen. Das zweite Exemplar dient der Untersuchung der Pflanze. Hier klingt an, dass sich das Botanisieren nicht allein im Sammeln und Ordnen erschöpft, sondern dem Beobachten, Experimentieren und Untersuchen verwandt bleibt. Die Aneignung der Voraussetzungen für das Bestimmen der Pflanzen erfolgt ebenso im Selbststudium durch die entsprechenden Lehrwerke: „Hierzu ist nun durchaus nothwendig, daß er (der Anfänger, A. d. V.) den theoretischen Theil der Botanik hauptsächlich in den Lehrbüchern studire, wozu der Wildenow’sche Grundriß der Pflanzenkunde sehr zweckmäßig ist; diesen Theil muß er gleichsam wie Vocabeln auswendig lernen, und dann gelegentlich sein Erlerntes auf die Pflanzen selbst anwenden, und so die ­Theorie mit der Praxis verbinden. Für allen Dingen muß man sich die Mühe geben dasjenige recht zu fassen, was zu den Classen gehört, und zu dem Ende die Namen derselben, und ihre Kennzeichen, wie das A. B. C. im Kopfe haben. Denn die Erforschung der Klasse ist das erste, was bei der Bestimmung der Pflanzen zu erwägen ist (…). Oefters ist d ­ ieses gar nicht schwer, es beruhet solches zum Beispiel bei den ersten 11 Classen nur auf die Zählung der Staubfäden (…).“30 Hier wird das bereits erwähnte Merkmal deutlich, das für fast alle der zeitgenössischen auflagenstarken Botaniklehrbücher und Botanikhandbücher gilt: Das Bestimmen der Pflanzen erfolgte nicht aufgrund von Abbildungen, wie in heutigen Bestimmungsbüchern, sondern über das Zählen von Staubfäden, bzw. ihre Anordnung, also nach Linné’scher Bestimmungsmethode. Linnés Methode war gerade deshalb im Hand- und Lehrbuchbereich so erfolgreich und ermöglichte den Boom des Botaniserens, weil keine teuren Kupfertafeln notwendig waren. Teure Folianten waren nur den wenigen gut situierten Gelehrten zugänglich, nicht etwa einem Apothekerlehrling. Hoppe betont dabei, dass d ­ ieses System des Bestimmens leicht erlernbar sei: „Wenn der Anfänger einmal gelernt hat, dass die gemeine Erbse in die 17te Classe und der Löwenzahn in die 19te gehöre; so wird er bei einigem Nachdenken leichtlich schließen können; dass auch die Wicke und der Blasenbaum in die 17te, die Scorzonere und der Bocksbart 29 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 21 ff. 30 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 28 f.

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in die 19te Classe zu setzen seye. Hat der Anfänger es nun so weit gebracht, daß er die Classe jeder Pflanze zu suchen weiß; so kann er auch seine gesammelten Pflanzen schon nach den Classen ordnen, und ­dieses wird ihm schon viel Vergnügen machen, und seine Neigung zur Wissenschaft vermehren. Von der Classification geht es zur Bestimmung der Ordnung über, die in den ersten 13 Classen auf die Zahl der Griffel u. s. w. beruht (…).“31 Sodann geht man zur Bestimmung der Gattung über und endlich zu der Art etc.32 So würde man zum Pflanzenkenner werden, besonders wenn man die langen Winterabende zum Studium der Lehr­bücher nutze. Das botanische Wissen ist dabei immer weiter durch die eigene botanistische Aktivität erweiterbar. So kann der Botanist zu immer größerem Expertentum voranschreiten. Das Bestimmen und Erlernen der Pflanzenarten geht dabei parallel mit dem Anlegen des eigenen Herbariums und der Erweiterung des eigenen botanischen Wissens in Sammeltätigkeit, Beobachtung und Experiment. Der Botanist wird dabei zum Botanikspezialisten und Wissenschaftler. So heißt es etwa 1822 in einem Beitrag in der Flora: Ein Landmann trauere nur über die Regenschauer während der Blühzeit oder ein Gärtner hadere, wenn er keine Fruchtknoten sehe. Dann sei er dankbar über das Wissen des Botanisten: „Sie (die Landmänner und Gärtner, A. d. V.) wissen zwar die Ursache dieser Erscheinungen nicht, aber der Botanist, welcher sie weiss, belehrt sie, sie folgen ihm, wenn es in ihrer Macht steht, und finden Ursache, ihm für seine Lehre zu danken. Er selbst, der Botanist, begnügt sich mit blossen Beobachtungen nicht, er stellt Versuche an (…).“33 So erkenne der Botanist, dass das Entfernen der Staubgefäße zu Unfruchtbarkeit führe, er folgere aus seinen Experi­ menten, wie die Teile der Blüte zusammenwirken, wann eine Pflanze Frucht bringe usw. Der Botanist unterscheidet sich also in dieser Vorstellung vom bäuerlichen Nutzer der Agrarkultur oder Apotheker durch seine wissenschaftliche Neugier, durch seine Erforschung der Natur. Hieraus erwächst die Frage, w ­ elche Personenkreise sich nun tatsächlich unter den Botanisten (und Botanistinnen) verbergen. Wer versteht sich als „Botanist“, wer „botanisiert“? Dem heutigen Substantiv „Botanist“ haftet das Amateurhafte seiner Tätigkeit sehr stark an, während der „Botaniker“ im Allgmeinen den Typus des Gelehrten bezeichnet. Vor der Einführung rein botanischer Lehrstühle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der „Botaniker“ oder „Botanist“ – in den Quellen wird meist „Botanist“ verwendet – jedoch in seiner beruflichen Hauptbeschäftigung vielfach mit anderen Dingen beschäftigt: 31 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 29 f. 32 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 30. 33 Ritter vom Schrank: „Ueber das Geschlecht der Pflanzen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 5, Band 1, Nr. 4 vom 28. Januar 1822, S. 49 ff.

„Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung  |

Es waren Apotheker, Ärzte, Prediger oder auch Soldaten, Kaufmänner und viele mehr, die sich mit dem Botanisieren befassten. Der Spezialbegriff „Botanist“ taucht dabei in den Quellen gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. David Heinrich Hoppe publiziert beispielsweise in den 1790er Jahren, also in den Anfängen der aufklärerischen Botanophilie, in seinem Botanischen Taschenbuch Listen der „Nahmen von Botanisten“ und in w ­ elchen Städten man antreffen finden könne.34 So können sich hier Gleichgesinnte schnell zusammenfinden. Wenn auch Apotheker und Mediziner hier die Mehrheit darstellen, so sind doch viele andere bürgerliche Berufe ebenso vertreten. „Botanist“ zu sein, ist also zunächst keine Berufsbezeichnung, sondern eine Bezeichnung des Interessensfeldes und beschreibt die Zugehörigkeit zu einem Wissenskreis. Das Botanisieren ist der Inhalt einer (meist) zusätzlichen Beschäftigung, verschiedener Nutzen kann aber dann daraus gezogen werden. In einer Anweisung zur Bestimmung unbekannter Pflanzen im Botanischen Taschenbuch heißt es: „Richtige und genaue Bestimmung bekannter oder unbekannter Pflanzen ist der Hauptzweck des Botanisten. (…) Hat man erst eine wahre Kenntniß irgend einer Pflanze, so ist eine Entdeckung ihrer giftigen oder heilsamen Eigenschaften, ihres ökonomischen oder medizinischen Nutzens um so leichter (…). Entdeckung der Kräfte einer Pflanze hat freilich der Botanist am ersten Gelegenheit zu machen, er siehet die Pflanze an ihrem natürlichen Standorte, er prüfet alsobald ihren Geschmack, ihren Geruch, woraus sich schon manche Bemerkung der Würkung schließen läßt. Ist nun der Botanist zugleich Arzt, so hat er Gelegenheit, (…) die nöthigen Versuche darüber anzustellen. (…) Ist der Botanist zugleich Apotheker, so hat er freilich nicht die Gelegenheit eines Arztes, um auf Erfahrungen gegründete Versuche anzustellen, aber ist Chemist (…). Dennoch beruhet die Bemühung des eigentlichen Botanisten blos auf wahre Bestimmung der Pflanzen, und diese ist es schon an und für sich, ­welche eine unendliche Menge von Gegenständen darbietet, um die Bemühungen des Untersuchers mit unzählbaren Vergnügen zu belohnen.“35 Der „Botanist“ zeichnet sich also durch das „Botanisieren“ aus, durch das O ­ rdnen, Beschreiben, Untersuchen und Bestimmen. Die Frage nach der „Nutzung“ der Pflanze in medizinischer, pharmazeutischer, ernährungswissenschaftlicher oder agrarisch-­­öko­ nomischer Sicht obliegt sodann den einzelnen Berufsständen. Typische Lebensläufe Lebensläufe der Botanisten weisen zwar meist ein Studium auf, ­dieses umfasst aber in dieser Zeit meist aus unserer heutigen Sicht sehr verschiedene Bereiche. Oft verknüpft sich 34 Beispielsweise in: Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1792), S. 1 f. 35 „Anweisung zur Bestimmung unbekannter Pflanzen“ (offensichtlich vom Herausgeber), in: Botanisches Taschenbuch (1791), S. 15 f.

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damit sodann die Bekanntschaft mit einem in der Botanik bewanderten Naturgelehrten bzw. die Arbeit als „Schüler“ oder Gehilfe eines Naturgelehrten. In der posthum veröffentlichten Lebensbeschreibung des Berner Botanikers Friedrich Ehrhart (1742 – 1795)36 etwa heißt es: „Mein Vater überliess es mir, was ich werden wollte. Ich wählte die Oeconomie, ­welche ich bis zu seinem Tode theoretisch und practisch studirte. Ich legte mich auch etwas auf die Botanik, und sammelte die Pflanzen der dortigen Gegend, arbeitete auch, ungeacht ich noch ein Knabe war, an einer Florula Holderbankensi, wovon der selige Haller Wind bekam, und Lust bezeigte, mich in seinem Hause zu haben, und mir die Stelle eines Amuensis (Schreibgehilfe, Handlanger, A. d. V.) und Bibliothecarii antragen liess, ­welche ich mir aber verbitten musste, weil ich meinen kränklichen Vater nicht verlassen wollte.“37 So geht Ehrhardt dann zunächst nach Nürnberg und wird Apotheker, macht viele botanische Reisen mit Freunden, geht nach Schweden und studiert schließlich auch dort eine Weile. Er erzählt: „Die Ferien und übrigen Stunden, die ich nicht zum Hören der Collegien gebrauchte, nuzte ich fleissig zum Botanisiren, und sammelte für mich und meine Freunde eine Menge Schwedischer Pflanzen, entdekte auch viele neue (…).“38 Das weitere Leben verschlägt ihn nach Hannover zum Apotheker Andreae, wozu er konstatiert: „Mit der Apotheke hatte ich nichts zu thun, sondern brachte sein Herbarium, sein Saamenkabinett, seine Hölzersammlung und dergl. in Ordnung (…).“39 Desweiteren korrigiert er später für den Sohn Linnés Aufsätze und erhält „Forschungs­gelder“ vom Fürstenhof, um Braunschweig-­Lüneburg botanisch zu bereisen und eine „Flora“ dieser Gegend zu schreiben. Er wird schließlich dann Hof-­Botanicus in Herrenhausen, heiratet, macht weitere Reisen und wird Mitglied in verschiedenen gelehrten Gesellschaften. Was Ehrhardt hier zum „Botaniker“ macht, ist also weniger ein „Studium“ der Botanik denn seine permanente Beschäftigung mit d ­ iesem Wissensgebiet und seine Kontakte zu anderen mit der Botanik befassten Personen. Ähnlich etwa hört sich der Lebenslauf des Pflanzenforschers Friedrich Mayer an, der in einem von Hoppe verfassten Nachruf in der Flora 1829 gewürdigt wird. Hier berichtet Hoppe in ergriffenem Ton von dem verstorbenen Botanisten-­Freund, den er bei einem Kutschenunfall verloren hat: „Friedrich Mayer war zu Anfang d ­ ieses Jahrhunderts einer

36 Es existiert nur ein kurzer Eintrag zu ihm in der ADB : Liliencron, Rochus von: Artikel „Ehrhart, ­Friedrich“, in: ADB 5, Leipzig 1877, S. 713 – 714. 37 „Biographische Nachrichten von dem verstorbenen vortrefflichen Botaniker Friedrich Ehrhart, Von ihm selbst geschrieben“, in: Annalen der Botanick. Herausgegeben von Dr. Paulus Usteri, committiertes Mitgliede der corresp. Gesellschaft schweizerischer Ärzte und Wundärzte, Mitglied der naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Berlin, Halle und Jena, der kaiserl. Academie der Naturforscher, und des Colle­ giums der Aerzte zu Nancy, der physikal. Privatgesellschaft in Göttingen und der botan. Gesellschaft in Regensburg, 19. Stück (1796), S. 1. 38 Biographische Nachrichten, Annalen der Botanick (1796), S. 2 f. 39 Biographische Nachrichten, Annalen der Botanick (1796), S. 4.

„Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung  |

meiner fleissigsten Zuhörer bei den botanischen Vorlesungen (…).“40 Er sei dann nach Frankfurt gegangen und Bankier und Kaufmann geworden; später habe er in Wien als Erzieher der Söhne eines reichen Bankiers gewirkt und wurde „ein sehr gründlicher Gelehrter in allen schönen Wissenschaften. (…) Er war Mitglied von mehreren gelehrten Gesellschaften, und die botanische Zeitung, wo sein Name in allen Jahrgängen glänzt, hat noch neuerlichst seine ehrenvolle Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften zu Padua angezeigt. Als vieljähriger treuer Freund und fleissiger Correpondent, besuchte er mich auch mehrmalen zu Regensburg, Salzburg und Heiligenblut, und war auf allen dortigen Excursionen mein treuer Begleiter. (…) mir entfällt die Feder.“41 Das Botanisieren „für alle Stände“ Das Botanisieren wird dabei in Zeitschriftenaufsätzen wie Handbüchern zudem als allen „gebildeten Ständen“ angemessene Beschäftigung beschrieben. Sowohl in Vorworten wie in Titelgebungen (etwa der Populären Botanik (…) zum Gebrauch und Selbstunterricht der Erwachsenen und der Jugend von Christian Friedrich Hochstetter)42 kommt dies zum Ausdruck. Gleichzeitig wird um 1800 nicht selten bedauert, dass die Erforschung der Natur, die Naturwissenschaft, universitär auch noch kaum etabliert sei und zu wenig Wertschätzung erfahre. Franz Anton von Braune 43 schreibt 1803 im Botanischen Taschenbuch: „Es gereicht fürwahr nicht zur Ehre unsers Zeitalters, daß noch zur Stunde nur drey Wissenschaften alle öffentlichen Stellen unter sich theilen (gemeint sind Recht, Medizin und Theologie, A. d. V.), und daß diejenigen, ­welche doch der Grund aller übrigen sind, nemlich Philosophie, Physik und Naturgeschichte, nicht hinlänglichen Lebens=Unterhalt verschaffen (…).“44 Und er verteidigt das botanische Interesse: „Es ist leider gewiß, daß das Studium der physikalischen Wissenschaften (…) noch dazu allzu wenig geschätzt und cultivirt werde. (…) Es giebt Menschen, ­welche ausser dem 40 Der Unfall wird in einem Nekrolog angezeigt, in: Flora, Jahrgang 12, Band 1, Nro. 3 vom 21. Januar 1829, S.46 f.; Hoppes Nachschrift folgt direkt darauf. 41 Hoppe, „Nachschrift“, Flora, Band 1, Nro. 3 vom 21. Januar 1829, S. 47 f. 42 Hochstetter, Christian Friedrich: Populäre Botanik oder faßliche Anleitung zur Kenntniß der Gewächse, besonders der in Deutschland und in der Schweiz am häufigsten wildwachsenden Arten, wie auch der deutschen Culturpflanzen und der merkwürdigsten Gewächse der wärmern Länder. Zum Gebrauch und Selbstunterricht der Erwachsenen und der Jugend, überhaupt aller derer, die mit der Pflanzenwelt näher bekannt zu werden wünschen, besonders der Schullehrer und Schulgehülfen, der Gymnasial= und Realschüler, junger Pharmaceuten und aller Jünglinge und Töchter aus den gebildeten Ständen, von M. Ch. F. Hochstetter, Professor am Königlichen Hauptschullehrer=Seminar und zweiten Stadtpfarrer zu Eßlingen, Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften. , 2 Theile, Reutlingen 1831. 43 Braune war ein östereichischer Kanzlist, Sekretär und Botanist, siehe: Reichardt: „Braune, Franz Anton“, in ADB 3, Leipzig 1876, S. 275. 44 Braune, Franz Anton von: „Betrachtungen über das Studium der Botanik“, in: Botanisches Taschenbuch (1803), S. 62 f.

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sogenannten Brod=Studium alle übrigen Wissenschaften, vorzüglich die Naturgeschichte, insonderheit Botanik für unbedeutend, für bloßen Zeitvertreib und Tändeley ansehen: ja es giebt sogar Menschen, die ­dieses Studium so gefährlich, so verführend und eben so verderblich, wie Romanen=Lektüre schildern und behaupten wollen: Daß es meistens selbst von den Gelehrten als ein Geist und Herz entnervendes Studium voll esprit de bagatelles getrieben werde, welches man liebe, weil es viel zu sehen, wenig zu denken, und wahren geschäftigen Müßiggang gebe, und wobey man mehr sich freut, sein Herbarium als sein Herz vollkommen zu machen; allein das Studium der Botanik ist so unbedeutend, so verderblich nicht, als es einige aus Unwissenheit einsehen, oder aus Vorurtheil Haß und Nebenabsichten zu verschreyen suchen; es ist vielmehr wichtig, gemeinnützig, Geist und Herz erhebend. Pflanzenkunde gewährt dem Cosmologen, Philosophen, Mediciner, Chemiker, Chirurgen und Apotheker, auch dem Cameralisten, Oekonomen, Maufakturisten und Fabrikanten, selbst dem Priester und Rechtsgelehrten wichtige Vortheile; sie ist allen Ständen, allen Gelehrten mehr und minder nothwenig.“45 Gerade für den Gelehrtenstand – also in der Vorstellung der Zeit alle, die in irgendeiner Form Bildung genossen oder „studiert“ hatten, wurde das Botanisieren empfohlen. In einem „Zuruf an angehende Botaniker“ von 1808 heißt es (nachdem erneut beklagt wurde, dass allein Theologie, Medizin und Jurisprudenz Brotberufe in der Wissenschaft ­seien): „Wo ist der Mensch, der nicht neben seinem Berufsgeschäfte noch einen andern Zeitvertreib suchte? Man findet Erholungen in Gesellschaften, in Komödien, in Tänzen, in Spielen und vielen andern Dingen. Sehr oft wollen sich aber diese Lieblingsvergnügungen nicht mit unserm Stand vertragen, wir müssen sie oft sehr eingeschränkt ausüben, oft aber denselben ganz entsagen. (…) Glücklicherweise gibt es nun aber noch andere Beschäftigungen, die der Würde eines Gelehrten mehr angemessen, und besonders geeignet sind, ihn, nach langer Ausübung seiner Berufsgeschäfte, angenehm zu zerstreuen. Ich rede hier von den Nebenwissenschaften, die so oft den Gelehrten zur Unterhaltung dienen, von den Betrachtungen der Natur (…).“46 Da die Pflanzen im täglichen Leben von großer Bedeutung s­ eien, handele es sich hier um nützliches Wissen, das sich aber mit dem Schönen verbinde: „Die Ausübung der Botanik ist also ein sehr nüzlicher Gegenstand für unsere Wißbegierde, und zugleich mit unnennbarem Vergnügen verbunden. Mit einem Vergnügen, das sich jeden Frühling erneuert und reizender unsern Empfindungen mittheilt. Jeder Spatziergang bietet uns neue Bekanntschaften dar (…). Ohne Zweifel ist also die Botanik das wichtigste Nebenstudium für einen gebildeten Geschäftsmann, und vollkommen geeignet, ihn in Erholungsstunden angenehm zu unterhalten.“47 45 Braune, Studium, Botanisches Taschenbuch (1803), S. 63 ff. 46 Unbekannter Verfasser: „Zuruf an angehende Botaniker von dem Herausgeber“, in: Botanisches Taschenbuch (1808), S. 3 f. 47 Zuruf an angehende Botaniker, Botanisches Taschenbuch (1808), S. 6 f.

„Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung  |

Auch das (ökonomische) Wissen über Nahrungsmittel, Färbstoffe, Hölzer etc. sei in den verschiedensten Sparten wichtig. In einer „Abhandlung über den Nutzen und die Nothwendigkeit des Studiums der Kräuterkunde“48 werden diese Argumente detailliert ausgeführt: Gewöhnlich pflege man gegen das Studium der Botanik einzuwenden, dass der Arzt ja den Apotheker habe, der Ökonom nur die Kenntnis der Gräser und Küchenpflanzen brauche, der Forstmann nur die Kenntnis der Hölzer etc., „derohalben gehöre die Botanik nur allein für Liebhaber, für Naturforscher, und für eigentliche Botanisten.“49 Darauf entgegnet aber der Verfasser: „Es ist ja die Folge nicht, daß alle diejenigen, w ­ elche diese Wissenschaft lernen, große Botaniker werden müssen; sondern ein jeder braucht für sich nur so viel Kenntnisse zu erwerben, als er für seine künftige Bestimmung braucht. So viel er aber auch zu wissen nöthig haben mag, so muß er diese durchaus nicht empirisch, sondern wissenschaftlich zu erlangen suchen: Derohalben ist es nöthig, daß er die Art und Weise Pflanzen zu zergliedern, die Sprache und das System der Botanik wohl inne habe.“50 Die Botanik wird hier zur notwendigen Hilfswissenschaft für alle anderen: „Obgleich die Kräuterkunde im strengsten Verstande nicht zu denjenigen Wissenschaften gerechnet werden kann, die uns Brod verschaffen; (…) muß denn alles nur des Gewinnes wegen erlernet werden? Niemand zählt die Mathematik, die Physik, die Chemie, im strengsten Verstande zu denjenigen Wissenschaften, die uns Unterhalt verschaffen, ob gleich alle diese angenehm und nothwendig sind, als Hülfswissenschaft ist die Botanik sehr nützlich (…).“51 Sie wird so regelrecht zur Tugend im Dienst des Vaterlandes: „Wenn aber irgend jemand zur weitern Ausbreitung der Botanik etwas beyträgt; so wird er sich um das menschliche Geschlecht verdient machen. Dies ist die Pflicht eines jeden Patrioten.“52 Botanisierende Frauen Gab es auch botanisierende Frauen? Nicht selten waren Kontakte zu den Kreisen der Botanisen und das entsprechende Selbststudium auch für Frauen möglich. In der „Kräuterwissenschaft“ waren Frauen traditionell aktiv gewesen – erinnert sei hier an die heilkundigen Frauen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.53 Die frühe historische Frauenforschung ist diesen Fragen nach den Zugängen zu Wissen und Wissenschaft in Bezug auf Mädchen und Frauen 48 „Abhandlung über den Nutzen und die Nothwendigkeit des Studiums der Kräuterkunde“. Es handelt sich offensichtlich um die freie Übersetzung eines Traktates „De necessitate et utilitate studii botanici“ eines E. C. Rodschied von 1790, abgedruckt in: Botanisches Taschenbuch (1793), S. 189 ff. 49 Nutzen des Studiums der Kräuterkunde, Botanisches Taschenbuch (1808), S. 191. 50 Nutzen des Studiums der Kräuterkunde, in: Botanisches Taschenbuch (1808), S. 194. 51 Nutzen des Studiums der Kräuterkunde, in: Botanisches Taschenbuch (1808), S. 193. 52 Nutzen des Studiums der Kräuterkunde, in: Botanisches Taschenbuch (1808), S. 197. 53 Auf diesen Aspekt hat früh schon die Hexenforschung hingewiesen, wie auch die Studien zum Hebammenwesen. Siehe beispielsweise: Opitz, Claudia (Hrsg.): Der Hexenstreit. Frauen in der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung, Freiburg 1995.

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nachgegangen.54 Die entstehende Botanik wurde dabei in der Frauen- und Geschlechter­ geschichte vielfach gerade als für Frauen besonders geeignete Wissenschaft dargestellt.55 Ein Zeitgenosse, Christian Friedrich Harless, bestätigt die Aktivität der weiblichen Gelehrten in ­diesem Feld, schreibt er doch 1830 in seinem Werk Die Verdienste der Frauen um Naturwissenschaft und Heilkunde: „Besonders weist die lezte Hälfte des XVIII. Jahrhunderts und die neueste Zeit eine im Verhältnis zu der frühern Zeit viel bedeutendere Zahl von Frauen und Jungfrauen aus den gebildeten Klassen des Mittelstandes und auch ziemlich viele aus den höhern Ständen auf, w ­ elche sich mit unermüdlichem Fleiss mit der Botanik, und auch mit andern Zweigen der Naturgeschichte beschäftigten, auch viele ­welche in treuen Darstellungen von Pflanzen und Thieren mit dem Pinsel und mit der Bleifeder sich auszeichneten und wenigstens durch diese Kunstleistungen ihre Liebe zur Naturgeschichte wie ihr Talent bekundeten (…) und blieben gleichwohl durch ihre Bescheidenheit dem großen Publikum unbekannt.“56 Trotz existierender Studien zur Geschichte der Frauen im botanischen Wissens- und Wissenschaftsfeld fehlt für den deutschsprachigen Raum jedoch ein Überblick über die Botanikerinnen ­zwischen 1750 und 1850 und so scheinen Frauen wissenschaftshistorisch bis heute kaum ins Gewicht zu fallen, wenn man dies mit den unzähligen Arbeiten über ihre männlichen Zeitgenossen vergleicht. Sie sind jedoch auffindbar in entsprechenden Frauenzimmerlexika 57 und in zeitgenössischen Zusammenstellungen, wie etwa im oben zitierten Werk von Harless.58 Auch in den botanischen Magazinen werden die Botanistinnen und Botanikerinnen immer wieder erwähnt. 1790 schreibt beispielsweise Hoppe im Botanischen Taschenbuch: „Ich will Ihnen noch einige Frauenzimmer nennen, ­welche Botanistinnen waren (…).“59 Im Folgenden zählt er auf, ­welche Verdienste etwa Maria Sibylla Merian (1647 – 1717), Elizabeth Blackwell (1712 – 1770) oder Catharina Helena ­Dörrien (1717 – 1795) zukamen. Ebenso wie bei ihren männlichen Zeitgenossen 54 Einschlägig ist hier immer noch das Handbuch von Opitz / Kleinau: Opitz, Claudia und Kleinau, Elke: Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung (2 Bde), Frankfurt a. M. 1996. 55 Siehe u. a. Schiebinger, Londa: The Mind Has No Sex? Women in the Origins of Modern Science, Cambridge (Massachusetts) / London 1989; George, Samantha: Botany, Sexuality and Women’s Writing 1760 – 1830; Shteir, Ann B.: Cultivating Women, Cultivating Science. Flora’s Daughters and Botany in England 1760 – 1860. 56 Harless, Chr. Fr.: Die Verdienste der Frauen um Naturwissenschaft und Heilkunde, Göttingen 1830, S. 193. Alison Martin erwähnt d ­ ieses Werk von Harless in: Martin, Alison: „Frauenzimmerbotanik. Unschuldiger Zeitvertreib und Mode?“, in: Holm, Christiane und Zaunstöck, Holger (Hrsg.), Frauen und Gärten um 1800. Weiblichkeit – Natur – Ästhetik, Halle 2009, 36 – 47. 57 Zu den Frauenzimmelexika siehe: Schmidt-­Kohberg, Karin: Manche Weibspersonen haben offtmals viel subtilere Ingenia als die Manspersonen. Weibliche Gelehrsamkeit am Beispiel frühneuzeitlicher Frauenzimmerlexika und Kataloge, Sulzbach/Taunus 2014. 58 Siehe auch: Schindel, August von: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, 3 Bände, Leipzig 1823 – 1825. 59 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1790), S. 12.

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ist dabei bei Botanikerinnen selten allein von der Botanik zu sprechen als vielmehr von der Beschäftigung mit den zu dieser Zeit noch wenig getrennten Gebieten der Gelehrsamkeit. Frauen dieser Zeit beschäftigen sich, wie etwa Dörrien, oft mit Dichtkunst, Naturlehre oder Pädagogik gleichzeitig. Für die Geschichte der Frühen Neuzeit ist dabei auch aus geschlechtergeschichtlicher schon länger ersichtlich, dass die Zugänge zu Wissen und Wissenschaft im 17. oder 18. Jahrhundert noch anders gelagert waren als in den institutionalisierten Wissenschaftssystemen der Moderne.60 Die wenig institutionalisierten Zugänge etwa zu den neugegründeten Akademien, zu öffentlichen Vorlesungen, zu Salondebatten, zu Gelehrtenhaushalten, zu klösterlichen Bildungszentren oder für adlige Frauen auch zu den mit den Höfen assoziierten oder am Hof beschäftigten Gelehrten stellten für Frauen im 18. Jahrhundert noch vielfältige Kontaktmöglichkeiten zu Gelehrsamkeit und der neu aufblühenden Naturwissenschaft dar.61 Welche Formen der Zugänge zu Wissen und Wissenschaft Frauen nutzten, soll im Folgenden kurz beleuchtet werden. Freundschaft, Autodidaxe und Kontakte Gerade das Beispiel Catharina Helena Dörriens 62 zeigt, wie die in der Aufklärung hoch bewertete Freundschaft und der Kontakt zu Naturforschern und adligen Gönnern, die ihre Bibliotheken zur Verfügung stellten, für die Aneignung botanischen Wissens ausschlaggebend sein konnte. In einem im Magazin für Frauenzimmer abgedruckten Brief, in welchem Dörrien ihre Lebensgeschichte erzählt, beschreibt sie beispielsweise, wie sie beim Lateinunterricht der Brüder Kenntnisse erwarb und wie sie von Vater und ­Mutter in botanischen Grundkenntnissen unterwiesen wurde, wie sie Freundschaft mit einer Justizräthin von Erath schloss und zu dieser nach Dillenburg zog und dort die Bibliothek des 60 Siehe bspw. Ceranski, Beate: „Wunderkinder, Vermittlerinnen und ein einsamer Marsch durch die akademischen Institutionen. Zur wissenschaftlichen Aktivität von Frauen in der Aufklärung“, in: Opitz, Claudia; Weckel, Ulrike und Kleinau, Elke (Hrsg.): Tugend, Vernunft und Gefühl. Geschlechterdiskurse der Aufklärung und weibliche Lebenswelten, Münster et al. 2000. 61 Siehe schon bei: Schiebinger, Londa: The Mind Has no Sex? Women in the Origins of Modern Science, Cambridge (Massachusetts) 1989; Opitz, Claudia und Kleinau, Elke (Hrsg.): Geschichte der Mädchenund Frauenbildung (2 Bde), Frankfurt a. M. 1996; siehe auch: Opitz, Claudia: Um-­Ordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte, Tübingen, 2005, S. 96 ff.; Hohkamp, Michaela und Jancke, Gabriele (Hrsg.): Nonne, Königin und Kurtisane. Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit, Königstein/Taunus 2004. Diese strukturellen Fragen nach den Zugängen von Frauen zur Gelehrsamkeit sind auch weiterverfolgt worden, siehe etwa: Wobbe, Theresa (Hg.): Zwischen Vorder- und Hinterbühne. Beiträge zum Wandel der Geschlechterbeziehungen in der Wissenschaft vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bielefeld 2003; Stärker auf die Neuzeit ausgerichtet: Abir-­Am, Pnina und Outram, Dorinda (Hrsg.): Uneasy Careers and intimate lives. Women in Science 1789 – 1979, New Brunswick 1987. Viele weitere Studien wären hier zu nennen. 62 Siehe: Viereck, Regina: ‚Zwar sind es weibliche Hände‘. Die Botanikerin und Pädagogin Catharina Helena Dörrien 1717 – 1795, Frankfurt / New York 2000.

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Herrn von Erath ­nutzen durfte. Dort begann sie Pflanzen zu zeichnen, wobei sie betont: „Ich hatte aber keinen andern Lehrmeister als einige Bücher (…).“63 Die eigentliche Förderung erfolgte wiederum durch einen gelehrten Gönner, denn sie fährt fort: „Der Professor Hofman in Herborn, welcher sich auf die Botanik gelegt hatte, und bisweilen hierher kam, fand viel Vergnügen an meinen Kräuterabbildungen, und schrieb mir gleich die lateinischen Namen darunter. (…) Nunmehr wurde ich sowol von dem Herrn von Erath, als von dem Herrn Professor Hofmann sehr gebeten, damit fortzufahren und ein vollständiges botanisches Werk daraus zu machen.“64 Von Erath besorgte auch entsprechendes Farbmaterial und botanische Werke, wie „des Linnäus Genera und Species“65. So begann Dörrien mit den Gewächsen der nassauischen Gegend, fuhr fort mit Gräsern, Moosen usw. Auch in Dörriens Fall war es das Selbststudium, gefördert durch einen botanisch interessierten Professor, welches sie zur „Botanikerin“ machte. Der Zugang zu Herbarien, Lehrbüchern etc. wurde so oft durch familiäre, verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen ermöglicht. Allerdings erhielten Frauen nur in wenigen Fällen Lateinunterricht und auch wenn im 18. Jahrhundert schon viele Lehrbücher in deutscher Sprache erschienen, war die fehlende Lateinkenntnis noch ein Hindernis. Aber auch „Begabung“ als Voraussetzung taucht auf: Dörrien selbst beispielsweise verweist auf ihre Fähigkeiten der genauen Beobachtung, wenn sie erläutert: „Und ich muss hinzu setzen, daß mein Gesicht (das Sehvermögen ist gemeint, A. d. V.) zu der Zeit so stark war, daß ich schon in der Ferne, ja sogar, wenn ich in einer Chäse botanisiren fuhr, wahrnehmen konnte, wenn sich etwas neues zeigte, das ich noch nicht abgebildet hatte.“66 Dörrien wurde 1776 Ehrenmitglied der Berliner Gesellschaft Naturforschender Freunde sowie weiterer naturforschender Gesellschaften.67 Im seit 1790 jährlich erscheinenden Botanischen Taschenbuch erläutert bspw. David Heinrich Hoppe, der Gründer der ersten botanischen Gesellschaft in Regensburg, ihren Rang in einem Schreiben an die Lehrlinge der Apothekerkunst: „Catharina Helena Dörrien hat ebenfalls ein Werk abgebildeter Pflanzen geliefert, und noch dazu die im ganzen Nassauischen Lande wild wachsenden Pflanzen selbst aufgesucht, und deutlich beschrieben; ein Werk, welches den lautesten Beifall der Botanisten erhalten hat, und in sehr vielen neuen Schriften angeführet wird: selbst bei den Schwämmen, die doch schwerer als alle andere Gewächse zu bestimmen sind, zieht man sie zu Rathe.“68 In die Allgemeine Deutsche Biographie, deren entsprechender 63 „Biographische Nachrichten von berühmten Frauenzimmern“, in: Magazin für Frauenzimmer, Jahrgang 1785 (Band 4: Oktober, November, Dezember), S. 131. 64 „Biographische Nachrichten von berühmten Frauenzimmern“, in: Magazin für Frauenzimmer, Jahrgang 1785 (Band 4: October, November, Dezember), S. 131. 65 Ebd., S. 132. 66 Biographische Nachrichten, Magazin für Frauenzimmer, Jahrgang 1785, Band 4, S. 133. 67 Viereck, Dörrien, 2000, S. 66 ff. 68 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1790), S. 13.

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Band zum Buchstaben D 1877 erschien, wurde Dörrien dagegen nicht aufgenommen; erst durch die Studie von Regina Viereck wurde sie als Botanikerin wiederentdeckt.69 Dörriens Arbeiten – mehr als 1.400 Pflanzenaquarelle und -beschreibungen – wurden allerdings nur teilweise veröffentlicht.70 Das Meiste fiel dem Vergessen anheim, wie auch etwa die Arbeiten von Charlotte Unzer (1724 – 1782), Dorothea Gürnth (1749 – 1813) und vielen anderen. An Catharina Dörriens Werdegang wird aber exemplarisch deutlich, was sowohl für Frauen wie auch für viele Männer in dieser Zeit galt: Der Weg zur Botanik führte ­vielfach über die Autodidaxe und war somit auch Frauen nicht per se verschlossen. Botanische Wissenschaft und adliger Rang Oft förderten auch adlige Frauen botanische Studien und waren in diese involviert.71 Sophie Charlotte, Königin von Preußen (1668 – 1705) etwa rief gemeinsam mit dem am Hof angestellten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) die Berliner Akademie der Wissen­schaften ins Leben und verschrieb sich insbesondere der Botanik. Anna Amalia, Herzogin von Sachsen (1739 – 1807), sammelte in Begleitung Goethes in Italien Naturalien, um dann Beschreibungen dieser Naturalien anzufertigen.72 Über die Botanikerin und Universalgelehrte Karoline Luise, Markgräfin von Baden-­Durlach (1723 – 1783), die die Herausgabe eines großen botanischen Sammelwerks begann, heißt es sodann rückblickend 1910 in der Allgemeinen Deutschen Biographie: „Mit besonderer Vorliebe pflegte sie die Naturwissenschaften, somit ein Gebiet, das ihrem Geschlechte fremd zu sein pflegt.“73 Familien und „Arbeitspaare“ Auch im 18. Jahrhundert sind Frauen durchaus aufgrund der Verbindung von Wissen, Wissenschaft und Haushalt oder Familie in den Strukturen der frühneuzeitlichen Wissen­produktion eingebunden oder zumindest mit diesen assoziiert.74 „Botaniker­ familien“ und Gelehrtenkreise schlossen Frauen in ihre Netzwerke ein. Die Ausbildung 69 Vierck, Dörrien, 2000 s. o. 70 Dörrien, Catharina Helena: Verzeichniß und Beschreibung der sämtlichen in den Fürstlich Oranien=​ Nassauischen Landen wildwachsenden Gewächse, verfasset von Catharina Helena Dörrien der Botanischen Gesellschaft in Florenz Ehren=Mitglied, Herborn, 1777. 71 Die in die Naturgeschichte, bzw. Botanik involvierten Fürstinnen finden sich bei Harless in einem eigenen Kapitel. 72 Harless, Verdienste der Frauen, 1830, 212. 73 Karl Obser: Artikel „Karoline Luise, Markgräfin von Baden(-Durlach)“, in: ADB 55, Leipzig 1910, 511. 74 Zu den Frauen in diesen Arbeitszusammenhängen siehe die Arbeiten von Monika Mommertz, z. B.: ­Mommertz, Monika: „Schattenökonomie der Wissenschaft. Geschlechterökonomie und Arbeitssysteme in der Astronomie der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert“, in: Wobbe, Theresa (Hrsg.): Frauen in Akademie und Wissenschaft. Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700 – 2000, Berlin 2002, S. 1 – 64.

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über Väter und die Mitarbeit mit Brüdern oder Ehemännern konnte hierfür die Basis darstellen. Wissenschaft zu treiben war in vielen Fällen eine gesamtfamiliäre Unternehmung oder auch ein Unternehmen des frühneuzeitlichen „Arbeitspaares“75 – wie etwa bei der Naturgelehrten und Dichterin Johanna Charlotte Unzer (geborene Ziegler, 1724 – 1782), die mit dem Mediziner Johann August Unzer (1727 – 1799) verheiratet war. Die Universalgelehrte Johanna Charlotte Unzer verfasste beispielsweise das 500seitige Werk: Johannen Charlotten Zieglerin Grundriß einer Natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer.76 Hier beschrieb sie den gesamten Naturraum – Mineralreich, Pflanzenreich und Tierreich. In ihrer 1767 erschienenen knapp 900seitigen Weltweisheit für Frauenzimmer 77 schrieb sie zudem über die Vernunftlehre generell oder physikalische Probleme der Schwerkraft, des Magnetismus, der Bewegung oder über die Elemente Luft, Wasser, Feuer und Erde und das Universum. Charlotte Unzer wirkte auch an der von ihrem Mann herausgegebenen medizinischen Zeitschrift „Der Arzt“ mit.78 Unzer ist dabei ein erhellendes Beispiel, wie sich die Bewertung (natur-)gelehrter Frauen im 19. Jahrhundert veränderte. Noch Harless beschrieb sie 1830 als „eine vielfach unterrichtete, und eben sowohl in den schönen Künsten, und insbesondere in der Dichtkunst für ihre Zeit ausgezeichnete, als auch in der Philosophie und Naturlehre bewanderte Frau“79. Im Artikel der 1885 herausgegebenen Allgemeinen Deutschen Biographie dagegen wird ihr Werk als „naiv frauenzimmerlich“ abgetan.80 Ihr Werk und ihre Bedeutung – immerhin war sie zu ihrer Zeit weithin bekannt und Ehrenmitglied verschiedener naturforschender Gesellschaften – wird hier regelrecht einem Verriss preisgegeben. Weibliches botanisch-hauswirtschaftliches Schreiben als Broterwerb Christine Dorothea Gürnth (1749 – 1813) aus Schlesien konnte ihre botanischen Schriften sogar als Einkommensquelle n ­ utzen. Sie verfasste eine vierbändige Gartenoekonomie für 75 Dieser mittlerweile in der Frühneuzeitforschung etablierte Begriff geht auf die Arbeiten von Heide Wunder zurück. Siehe bspw.: Wunder, Heide: ‚Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‘. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992. Mommertz, Monika: Schattenökonomie der Wissenschaft. Geschlechterökonomie und Arbeitssysteme in der Astronomie der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert, in: Wobbe, Vorder- und Hinterbühne, 2003, 1 – 64. 76 Ziegler/Unzer, Johanna Charlotte: Johannen Charlotten Zieglerin Grundriß einer Natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer, Halle 1751. 77 Ziegler/Unzer, Johanna Charlotte: Johannen Charlotten Unzerin, gebohrnen Zieglerin, Kayserlicher gekrönten Dichterin, und der Königl. Großbritannischen, wie auch der Herzogl. Braunschweigischen deutschen Gesellschaften zu Göttingen und Helmstedt Ehrenmitglieds Grundriß einer Weltweisheit für das Frauenzimmer (…), Halle 1767. In ihrem Vorwort spricht sie von ­diesem „zweyten Theil der Weltweisheit“, gemeint ist mit dem ersten Teil wohl das Werk von 1751. 78 So Harless, Verdienste der Frauen, 1830, S. 221. 79 Harless, Verdienste der Frauen,1830, S. 220. 80 Roethe, Gustav: Artikel „Unzer, Johanne Charlotte“, in: ADB 39, Leipzig 1895, 331 – 334.

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Frauenzimmer 81 sowie ein Handbuch der Blumengärtnerei,82 publizierte zur Hauswirtschaft, zur Forstökonomie und Kochkunst und gab ein Journal für Frauen und allgemeinere Ratgeberliteratur für Frauen heraus.83 Auch Gürnth und ihr Werk sind weitgehend in Vergessenheit geraten und harren der Aufarbeitung. Gürnth gehört zudem zur Gründungsgeneration der ersten Frauenzeitschriften aus weiblicher Feder.84 Harless urteilt 1830 über ihre Werke: „Vorzüglich waren es der ökonomische Theil der Pflanzen- und Gartenkunde, der Anbau und die Gewinnung und Behandlung des Flachses, Hanfes, verschiedener zum Färben dienender Gewächse, und mehrerer anderer für die Haushaltung und den Küchenbedarf, wie für die Gesundheit nützlicher Pflanzen und Früchte, auch die Blumenpflege, und nicht minder die Diätetik im weitesten Umfang, mit ­welchen sich diese würdige und kenntnisvolle Frau auf das thätigste beschäftigte, und ­welche sie zu den Gegenständen ihrer zahlreichen, durchaus sehr gut und praktisch geschriebenen, auch mit verdientem Beifall aufgenommenen Schriften machte.“85 Laut Harless hatte Gürnth (geborene H ­ entschel) Unterricht in Naturgeschichte, „Technologie“ und Mathematik bei einem Professor B ­ urckhardt erhalten.86 Harless schreibt über sie: „Eine grosse Bescheidenheit hielt sie ab, ihre Schriften unter ihrem Namen herauszugeben.“87 (Sie publizierte teilweise unter dem Pseudonym „Amalie“. In die Allgemeine Deutsche Biographie, Band G von 1879, wurde auch sie nicht aufgenommen.) Dörrien, Unzer und Gürnth gehörten allerdings zu den wenigen Botanikerinnen, die tatsächlich eigene Werke zur Botanik publizierten. Damit sind sie heute immerhin über Bibliothekskataloge erfassbar oder tauchen in den bis ins 19. Jahrhundert in der Tradition der „Frauenzimmerlexika“88 fortgesetzten Sammlungen auf.89 Festzuhalten ist hier dass insbesondere der Prozess der Exklusion naturwissenschaftlich tätiger Frauen, ihrer Namen und ihrer Werke, in den biographischen Nachschlagewerken 81 Gürnth, Christine Dorothea: Gartenökonomie für Frauenzimmer oder Anweisung die Produkte des Blumen-, Küchen- und Obstgartens in der Haushaltung aufs mannigfaltigste zu benutzen, 4 Bände, Züllichau 1790 – 1795. 82 Gürnth, Christine Dorothea: Die Gartenfreundin, oder Handbuch der Blumengärtnerei, Glogau 1807. 83 Harless listet allein sieben Schriften aus der ökonomischen Botanik auf, sowie vier Werke zur Kochkunst. Harless, Verdienste der Frauen, 1830, 236 ff. 84 Weckel, Ulrike: Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum, Tübingen 1998, S. 29. 85 Harless, Verdienste der Frauen, 1830, S. 235. 86 Harless, Verdienste der Frauen, 1830, S. 236. 87 Harless, Verdienste der Frauen, 1830, S. 236. 88 Zu den Frauenzimmerlexika siehe: Schmidt-­Kohberg, Manche Weibspersonen haben offtmals viel subtilere Ingenia, 2014. 89 Auch in einer 1823 bis 1825 erschienenen dreibändigen Sammlung von Carl Wilhelm Otto August von ­Schindel finden sich die gelehrten Frauen. Unter dem etwas verwirrenden Titel Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts sind hier bis ins frühe 19. Jahrhundert publizierende Frauen alphabetisch aufgelistet. Von Schindel, Carl Wilhelm Otto August: Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, 3 Bände, Leipzig 1823 – 1825. Schindel stellt eine unschätzbare Fundgrube dar.

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des späten 19. Jahrhunderts, die Rekonstruktion erschwert und bis heute die Suche nach den verdeckten und vergessenen Frauen im Sinne einer klassischen „Frauengeschichte“ wünschenswert macht. Wirken im Hintergrund Viele Frauen wirkten eher in vielfältiger Weise an den Arbeiten ihrer Ehemänner oder befreundeter Gelehrter mit, an Vorarbeiten oder Illustrationen, wie auch Harless es 1830 schon beschreibt: „So weiss ich selbst, dass insbesondere in dem kunstliebenden und kunstreichen Nürnberg schon seit Preislers Zeiten mehrere sehr brave Künstlerinnen im Thier-, Insekten-, Conchylien- und Pflanzenmalen mit unermüdlicher Sorgfalt sich mit Zeichnung und Ausmalung verschiedener Gegenstände der Thier- und Pflanzenwelt beschäftigen (…) sowie auch Einige derselben zu den grossen naturhistorischen Werken eines Rösel, Knorr, Trew, Seeligmann, Kleemann, Ledermüller, Schreber, Esper, Panzer, u. a. (…) durch ihr Talent im fleissigsten Ausmalen der Zeichnungen und Kupfer sehr verdienstlich mitwirkten.“90 Sie sind also eher „Mitwirkende“. Das Wirken als „Gehilfin“ und die Verdeckung der Botanikerinnen macht in vielen Fällen die Aufarbeitung problematisch: Frauen publizierten ihre eigenen Arbeiten oftmals nicht (oder nicht unter ihrem Namen). Weiblichen Geschlechts zu sein, verschloss so vielleicht weniger den eigentlichen persönlichen Zugang zur botanischen Wissenschaft und zum botanischen Arbeiten als vielmehr den Zugang zu Publikation und Buchmarkt – und damit zu Überlieferung und Tradition. Allerdings sollte hier nicht unbeachtet bleiben, dass „Autorschaft“ in dieser Zeit grundsätzlichn nur in Anfängen existiert und auch männliche „Autoren“ vielfach ungenannt blieben, Kompilationen und kollektive Arbeitsweisen durchaus zum Alltag gehörten. Insofern ist fraglich, inwiefern Frauen der Zugang zur Publikation „verwehrt“ wurde oder dieser auch schlicht als nicht nötig erachtet wurde. England als Vorbild? Eine Übersicht zu den frühneuzeitlichen Botanikerinnen Englands hat Ann Shteir im Jahr 1996 vorgelegt.91 Shteir zeigt, dass nicht wenige Frauen botanische Bücher lasen, botanische Vorlesungen besuchten, mit anderen Naturforschern korrespondierten, heimische Farne, Moose, Meerespflanzen sammelten, Herbarien anlegten, mikroskopische Beobachtungen machten und botanische Bücher verfassten.92 Nach ihren Forschungen 90 Harless, Verdienste der Frauen, 1830, S. 193 f. 91 Shteir, Ann B.: Cultivating Women, Cultivating Science. Flora’s daughters and botany in England 1760 – 1860, London 1996. Auch: Shteir, Ann B.: „Botanical Dialogues: Maria Jacson and Women’s Popular Science Writing in England“, in: Eighteenth-­Century Studies, Vol. 23, No 3 (1990), S. 301 – 317. 92 Shteir, Flora’s Daughters, 1996, S. 3 f.

„Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung  |

für England sind Frauen besonders für die Zeit z­ wischen ca. 1790 und 1830 als Autorinnen von Botanik-­Büchern sichtbar.93 Interessanterweise taucht diese Beobachtung, wonach Frauen in England sehr stark in das botanische Feld involviert waren, auch in den Zeitschriften auf. So beschreibt ein Herr Welden unter der Rubrik „Correspondenzen“ 1840 in der Flora, dass es in England in jeder größeren Stadt „botanische und Gartenbau-­Gesellschaften“ gebe.94 Und bezüglich der Frauen fährt er fort: „Sehr auffallend war es mir, vorzüglich bei den englischen Damen so viel gründliche Kenntniss und Vorliebe selbst für das wissenschaftliche Studium der Botanik zu finden. Madame Marriath und ihre Töchter sind Autoren und haben in einem botanischen Werke viele neue Pflanzen auch des Continents, beschrieben und abgebildet. Die Schwestern des Hrn Loudon sind die Uebersetzerinnen von den Auszügen aus allen deutschen Werken, die der Bruder für seine Werke über den Gartenbau benöthigt. Uebrigens gibt es in England einige Lehrbücher der Botanik und der Pflanzen­ zucht, bloss für Damen geschrieben, da die lateinische Sprache ihrer Wissbegierde oft Hindernisse in den Weg legt. “95 Spuren und Bruchstücke Bruchstückhaft tauchen in der Botanik aktive Frauen des späten 18. Jahrhunderts aber auch in den deutschsprachigen botanischen Zeitschriften auf, indem sie als „Pflanzen­ liebhaberinnen“ und Teilnehmerinnen botanischer Aktivitäten genannt werden.96 In Berichten zu botanischen Exkursionen heißt es beispielsweise 1802 unter der Rubrik „Botanische Notizen“: „Hr. Adrian Lezai, ein vorzüglicher Freund und Kenner des Alpenflores, der mit seiner Gemahlin, die ebenfalls eine enthusiastische Liebhaberin der Pflanzenkunde ist, eine botanische Reise durch die Schweiz, Salzburg, Oester­reich, Ungarn, Dalmatien und Italien machte, bestieg den Untersberg, wobei ihn seine Frau bis in die Firmialpe begleitete.“97 Auch werden offensichtlich gelegentlich Pflanzen nach ihren Entdeckerinnen benannt. Dass insbesondere die Aufklärerinnen sich hier 93 Shteir sieht dies auch im Verbund mit der Verbreitung des linné’schen Klassifikationssystems als Grundlage der Verbreitung des Botanisierens: „The year 1760 marks the time when the spread of the Linnaen system, a classificatory scheme for grouping and naming plants, contributes to cultivating interest in botany in England. The ease and simplicity of this system recommended botanical study to men, women and children. During the period 1760 – 1830, botany was constructed as both a fashionable and an ‚improving‘ pursuit in line with social and cultural values.“ (Shteir, Flora’s Daughters, 1996, S. 4.) 94 Welden, „Correspondenz“, in: Flora, Jahrgang 23, Band 1, Nr. 1 vom 7. Januar 1840, S. 9. 95 Welden, „Correspondenz“, in: Flora, Jahrgang 23, Band 1, Nr. 1 vom 7. Januar 1840, S. 7. 96 Die Einzelnachweise finden sich sehr verstreut über die Magazine, 1802 etwa wird von einem Botaniker namens Lezai berichtet, dessen Frau „ebenfalls eine enthusiastische Liebhaberin der Pflanzenkunde“ sei (Siehe: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 1 (1802), Nr. 20 vom 14. Oktober 1802, 314 f.) 97 Botanische Zeitung, Jahrgang 1 (1802), Nr. 20 vom 14. Oktober 1802, S. 314 f.

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betätigten, zeigt das Beispiel von A ­ ngélique de Charrière (1732 – 1817),98 die in Lausanne eine „Samstagsgesellschaft“, einen Salon führte. Sie korrespondierte beispielsweise mit dem Basler Botaniker und späteren Universitätsprofessor Werner de Lachenal über Pflanzenfragen und übersandte ihm botanische Funde aus ihrem Herbarium. In einem Brief vom 15. April 1783 schreibt sie: „Monsieur le ­Professeur, je prends la liberté de vous envoier quelques plantes je désire vivement q­ uelles puisseront vous faire quelque plaisir. (…) Voila une mousse – qu’un Botanicste d’ici croit nouvelle. Votre avis sur cette plante Monsieur feroit un grand effet dans la nouvelle societe de phisique (…)“.99 So führten auch Frauen in den aufklärerischen Kreisen Herbarien und nahmen am allgemeinen botanischen Diskurs teil. Allerdings schwanken die normativen Aussagen immer wieder ­zwischen der Bestätigung der Nützlichkeit des botanischen Wissens für Frauen. Und häufig findet sich die Einschränkung, dass das wissenschaftliche Interesse hier nicht zu weit getrieben werden sollte. In den „Betrachtungen über das Studium der Botanik“ von Franz Anton von Braune heißt es 1803 einerseits: „Es giebt fürwahr kaum einen Stand, welchem Kräuterkunde nicht mehr oder minder nützlich und nothwendig ist. Selbst für das weibliche Geschlecht ist sie nicht überflüssig, sondern sie kann demselben oft zum Nutzen, auch zur Bildung des Geistes und zum Vergnügen gereichen (…).“100 Er schränkt diese generelle Aussage jedoch später im Text andererseits ein: „Ich behaupte nicht, daß Köchinnen, Gärtnermädchen, Land= und Hauswirthinnen Botanistinnen seyn sollen; aber gewiß ist es doch, daß eine genaue Kenntniß verschiedener, vorzüglich der ökonomischen und giftigen Pflanzen für dieselben nicht überflüssig seyn würde. Ich bin weit entfernt zu behaupten, daß Mädchen die Botanik Jacquinns, Willdenows u. d. gl. Lehr= und Anfangsgründe=Handbüchern studiren sollen, ich bin überzeugt, daß das Studium der Botanik nach seinem ganzen Umfange keine passende Beschäftigung und angenehme Lectüre für Frauenzimmer sey, indessen glaube ich doch, daß es gut seyn würde, wenn bey Erziehung des weiblichen Geschlechts die Pflanzenkunde auf eine zweckmäßige Art zur Sprache käme, vielleicht würde manches weibliche Talent, dem es bisher an Anlaß und Gelegenheit sich zu entwickeln gebrach, zu einer bewunderungswürdigen Vollkommenheit sich ausbilden.“101 Die Standpunkte in der Frage botanischer Bildung für das weibliche Geschlecht variierten offensichtlich. 98 Leider existiert im Historischen Lexikon der Schweiz kein Eintrag zu de Charrière. Siehe u. a.: ­Perrochon, Henri: „Une femme d’esprit: Mme de Charrière-­Bavois (1732 – 1817), in: Revue historique vaudoise 42 (1934) S. 100 – 117, 165 – 188. (https://www.e-­periodica.ch/digbib/view?pid=rhv-001:1934:42; Stand 15. 5. 2019). 99 Angélique de Charrière an Werner de Lachenal am 15. April 1783; in: UB Basel, NL 39 Wernhard de Lachenal, 9 – 10 Korrespondenz von Angélique de Charrière. 100 Braune, Franz Anton von: „Betrachtungen über das Studium der Botanik“, in: Botanisches Taschenbuch (1803), S. 85. 101 Braune, Betrachtungen, in: Botanisches Taschenbuch (1803), S. 86 f.

„Selbststudium“ und autodidaktische Wissensaneignung  |

Botanik und Pädagogik, Botanisieren in der Familie, botanisierende Kinder Auch Kinder werden im Zuge der zunehmenden Popularität des Botanisierens im 19. Jahrhundert in diese Tätigkeit mit einbezogen und in die Botanik eingewiesen. Schon Heckers Bemühungen der Reformierung des Unterrichtswesens erfolgten in dieser Richtung. Die Aufklärungspädagogik maß der Naturbeobachtung innerhalb der Erziehung grundsätzlich einen hohen Wert zu.102 Auch erschienen in sehr hohen Auflagen allgemeine naturkundliche Werke für Kinder, wie etwa die 1833 schon in 14. Auflage gedruckte Naturgeschichte für Kinder von Georg Christian Raff, einem Lehrer für Geschichte und Geographie am Göttinger Lyceum.103 Auch heißt es in Hoppes Botanischem Taschenbuch bereits 1803: „Zu wünschen, und gewiß sehr gut wäre es, wenn schon bey der Erziehung und dem Unterrichte der Jugend auf die Pflanzenkunde Rücksicht genommen würde, da diese Wissenschaft fast allen Ständen und Gewerben bald mehr, bald minder nützlich und nothwendig ist (…).“104 Bereits 1790 erschienen beispielsweise auch Anzeigen im Magazin für die Botanik, die „Stubentapeten“ für die Jugend anpriesen. Sie zeigten auf kolorierten Tafeln Giftpflanzen und Giftschwämme (Pilze) und ermunterten so die Jugend zum Lernen.105 Belege für die Durchsetzung der botanischen Inhalte in der Schulpädagogik sind auch die spätestens ab den 1830er Jahren erscheinenden Botaniklehrbücher.106 So etwa das von Freiherr C. R. A. Krassow und Eduard Leyde herausgegebene Lehrbuch der Botanik für Gymnasien und höhere Bürgerschulen.107 Die pädagogische Zielsetzung ist auch hier eindeutig aufklärerisch geprägt – es geht um das Üben des Geistes, das Wecken der Neugier etc. So heißt es hier im Vorwort: „Es kann unsere Absicht nicht sein, daß der Schüler auf dem Gymnasium schon ein Botaniker werden soll; aber abgesehen davon, daß auch die Botanik ein Mittel sein kann, die Anschauung zu üben, soll sie den Schüler doch mit den alltäglichen Dingen bekannt machen, und ihn einführen in ein Gebiet der Natur, das so mannigfaltige Interessen darbietet.“108 Diese – noch abbildungslosen – Schullehrbücher mehren sich in der Folgezeit. Beispielhaft sei etwa noch verwiesen auf die

102 Düwell, Susanne: „Erziehung durch ‚Vorzeigung der Dinge in der Natur‘. Aufklärungspädagogik und Naturgeschichte“, in: Hoorn / Košenina, Naturkunde im Wochentakt, 2014, S. 221 – 238. 103 Raff, Georg Christian: Naturgeschichte für Kinder (…) Göttingen 14. Auflage 1833. 104 Braune: Betrachtungen, in: Botanisches Taschenbuch (1803), S. 81. 105 Magazin für die Botanik, Band III, 7. Stück (1790), S. 170. 106 Zur Umsetzung des Botanisierens in den Schulen siehe auch: Keeney, Botanizers, 1992, Kapitel 4: ­Children, Education, and Amateur Botany, S. 51 – 68. 107 Krassow, C. R. A. Freih. von und Leyde, Eduard: Lehrbuch der Botanik für Gymnasien und höhere Bürgerschulen, Berlin, Posen und Bromberg 1836. Laut Titelblatt war Leyde Lehrer am Gymnasium zum grauen Kloster in Berlin. 108 Krassow / Leyde: Botanik für Gymnasien, 1836, S. V.

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Schul=Naturgeschichte von Johannes Leunis,109 deren zweiter Teil die Botanik abhandelt und auch didaktische Vorgehensweisen im Botanikunterricht reflektiert. Integrierte Abbildungen finden sich im Schulbuchsektor erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, wie etwa im Lehrwerk von Moritz Seubert 110 Naturgeschichte des Pflanzenreichs, das 302 Holzschnitte als in den Text integrierte kleine Abbildungen enthält, die etwa Wurzelformen oder Blattformen illustrieren. Wilhelm Julius Behrens Lehrbuch Methodisches Lehrbuch der Allgemeinen Botanik für höhere Lehranstalten von 1880 dagegen enthält, wie es das Titelblatt ankündigt, „Original=Abbildungen in 400 Figuren, vom Verfasser nach der Natur auf Holz gezeichnet“, die auch Kleinteile der Pflanzen wie etwa Staubgefäßformen oder Fruchtknotenformen darstellen. Zu dieser Zeit wird die integrierte Abbildung zum Standard.111 Das Botanisieren mit Kindern wurde allerdings schon um 1800 allerorten propagiert. Selbst Immanuel Kant erläuterte in seinen Vorlesungen über Pädagogik: „Das Gedächtniß wird kultivirt durch das Behalten von Namen in Erzählungen; 2) durch das Lesen und Schreiben (…); 3) durch Sprachen (…) Dan thut ein zwäckmäßig eingerichteter Orbis Pictus seine guten Dienste, und man kann mit dem Botanisiren, mit der Mineralogie, und der Naturbeschreibung überhaupt den Anfang machen.“112 Alltagsspuren Die Beschäftigung von Kindern beziehungsweise Schulkindern mit dem Botanisieren lässt sich auch in Alltagszeugnissen nachweisen, wie etwa in Eltern-­Kind-­Briefwechseln aus Basler Bürgerfamilien um 1820.113 In den Briefschaften um Johann Rudolf ­Burckhardt (1774 – 1829), einem Basler Professor der Anatomie und Botanik, wird beispielsweise nachvollziehbar, wie sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene oft gemeinsam in der Familie den botanischen Arbeiten widmeten. Über den – allerdings schon 20-jährigen – Sohn berichtet der Vater beispielsweise seiner Ehefrau 114, dass der Sohn sich mit 109 Leunis, Johannes: Schul=Naturgeschichte (…) für höhere Lehranstalten, Teil II: Botanik, Hannover 1849. 110 Das Titelblatt weist ihn als „Professor an der polytechnischen Schule in Carlsruhe“ aus: Seubert, Moritz: Naturgeschichte des Pflanzenreichs (…), Stuttgart 1853. 111 Behrens, Wilhelm Julius: Methodisches Lehrbuch der Allgemeinen Botanik für höhere Lehranstalten (…), Braunschweig 1880. 112 Kant, Immanuel: Über Pädagogik, hrsg. von D. Friedrich Theodor Rink, Königsberg 1803, S. 60. Es handelt sich hier um eine (wohl austorisierte) Niederschrift der Vorlesung durch Kants Schüler ­Friedrich Theodor Rink. 113 Den Hinweis auf diese Bestände verdanke ich Elise Voerkel; es handelt sich um den Nachlass NL 152 Burkchard-­Socin, in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel. 114 Der Ehemann betitelt hier die Ehefrau offensichtlich mit „Liebes Mütterchen“. Um die eigene M ­ utter Johann Rudolfs des Älteren kann es sich nicht handeln, da diese zu d ­ iesem Zeitpunkt bereits verstorben ist. Zudem weist die Adresse an die „Frau Professorinn“ die Adressatin als seine Frau aus.

Orte des Botanisierens  |

dem Pflanzentrocknen beschäftige,115 wobei dies offensichtlich auch als Mittel gegen die Langeweile gewertet wird: „Eins nach dem andern geht fort. Der Aufenthalt kann für mancherley Menschen langweilig werden. Uns hilft unser Pflanzenarbeit (…)“116. Auch Lehrer-­Schüler-­Beziehungen im Umfeld werden sichtbar, wenn der Sohn 1822 schreibt: „Liebe M ­ utter! Das Wetter ist veränderlich, meistens trübe, doch regnet es bei Tag gewöhnlich nur wenig Tropfen. Freitag Nachmittags war es schöner als Vormittags (…)“. Und er sei gegangen, um „eine wilde Nelke zu suchen, ­welche der Herr Professor Fallerius daselbst gefunden, u. seine Dose, ­welche er dort verloren hatte, ich fand aber nur die erstere (…)“117. Über die Umstände in der Studierstube berichtet er: „Noch bewohnen wir unser grosses aber finsteres Zimmer, was uns zu unseren botanischen Beschäftigungen sehr unbequem (…) ist. Wir sind daher noch nicht einmal mit der Untersuchung und Einlegen der Ausbeute der ersten Alpenreise Rudolfs fertig. An einem der nächsten Tage, wenn es das Wetter erlaubt, unternimmt er die Zweite, auf den Monte Luna“118. Das Botanisieren dient sogar als Ausflucht, wenn der Brief des Sohnes an die ­Mutter nur kurz gerät: „Liebe ­Mutter! (…) Es geht uns gut. Viel mehr kann ich jetzt nicht schreiben, denn wir haben den Tisch voll Pflanzen (…).“119 Basler Familiendarstellungen, wie etwa das Bildnis der Familie Bischoff-­Bischoff, ­zeigen ebenso die Integration der botanischen Betätigung in das familiäre Selbstverständnis (Taf. 1).

1.3 Orte des Botanisierens: Das nahegelegene Feld, der Wald, der Tümpel Die Frage „Wo wird botanisiert?“ ist eng verknüpft mit der Frage nach der Zugänglichkeit des Materials. So sind es insbesondere die erwähnten geringen Kosten und das überall auffindbare „Material“, die der botanisch orientierten Naturforschung den Weg in die bürgerlich-­ aufklärerischen Bildungsschichten, in das bürgerliche Selbstverständnis und Selbstbild bahnen. 115 UB BS, NL 152: Burckhardt-­Socin, Johann Rudolf (1774 – 1829), Paket C: Correspondenz von Großvater und Großmutter, Brief an Frau Professorinn Burckhardt im Botanischen Garten am St. Johanns Graben vom 12. August 1822, Bleistiftnummerierung 39. 116 UB BS, NL 152: Burckhardt-­Socin, Johann Rudolf (1774 – 1829), Paket C: Correspondenz von Großvater und Großmutter, Brief an Frau Professorinn vom 16. August 1822, Bleistiftnummerierung 41. 117 UB BS, NL 152: Burckhardt-­Socin, Johann Rudolf (1774 – 1829), Paket C: Correspondenz von Großvater und Großmutter, Brief an die Frau Professorinn vom 5. August 1822, Bleistiftnummerierung 95. 118 UB BS, NL 152: Burckhardt-­Socin, Johann Rudolf (1774 – 1829), Paket C: Correspondenz von Großvater und Großmutter, Brief an Frau Burckhardt-­Socin vom 29. Juli 1822, Bleistiftnummerierung 32 E. 119 UB BS, NL 152: Burckhardt-­Socin, Johann Rudolf (1774 – 1829), Paket C: Correspondenz von Großvater und Großmutter, Brief ist undatiert (Angabe: Pfeffers. Zweite Woche. Freitag.), Bleistiftnummerierung 32D.

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Die Schriften der Zeit weisen unermüdlich auf diesen Umstand hin. So schreibt etwa Albrecht Wilhelm Roth 1778 in seiner Anweisung für Anfänger Pflanzen zum Nutzen und Vergnügen zu sammlen und nach dem Linneischen System zu bestimmen: „Unter allen Betrachtungen, ­welche man der Natur widmet, hat diejenige viel vorzügliches, ­welche sich mit denen Pflanzen beschäftiget. Sie ist nicht kostbar, und die Natur hat in den mehresten Gegenden, diesen Schatz freygebig ausgetheilet.“120 Pflanzen sind jedem (und jeder) frei zugänglich. Sie können am Wegrand, auf der nächsten Wiese oder im nächstgelegenen Wald gesammelt werden. Der botanisch interessierte Naturforscher braucht im Vergleich zu anderen Gebieten der Naturforschung nur wenige Utensilien, um dieser Wissenschaft nachzugehen. Für die Gebiete wie die Mineralogie oder die Zoologie etc. galt dies nicht im gleichen Maß. Um die Jahrhundertwende ist das Botanisieren so das offene Tor der aufkommenden Wissensgesellschaft, ein Wissens- und Wissenschaftszweig, an dem jeder teilhaben konnte, solange er Zeit, und eventuell etwas Geld aufbringen konnte – vielleicht für ein Handmikroskop sowie für eine Handbibliothek und eventuell noch das Abonnement einer botanischen Zeitschrift. Dabei sind die verschiedenen heimischen, wildwachsenden Pflanzen im deutschspra­chigen Raum um die Wende zum 19. Jahrhundert noch keineswegs alle erfasst und stellen ein großes, allen Botanisten offen zugängliches Forschungsfeld dar. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass d ­ ieses begrenzt war, der aufmerksame Leser konnte bereits um 1830 auf so viele Veröffentlichungen zur jeweiligen Flora verschiedenen Regionen blicken, dass die Wahrscheinlichkeit, neue Pflanzen zu entdecken – und damit in den Kreisen der Botanisten (und Botanistinnen) zu reussieren und bekannt zu werden – immer geringer wurde. Wo wird botanisiert? Botanisieren kann man zunächst auf jedem Spaziergang, bei jedem Aufenthalt in der Natur oder auch im Garten. Innerhalb der Studierstube folgt sodann – ebenso als Teil des Botanisierens – das Ordnen, Bestimmen und Experimentieren. Botanisiert wird aber ebenso auf explizit botanischen Reisen (Teil II, Kap. 3.2) oder in jeder Stadt, in der man sich aufhält. Der hier bereits bekannte Schweizreisende und Hofapotheker Johann Gerhard Reinhard Andreae (1724 – 1793)121 etwa berichtet schon 1764 über die verschiedenen Bäume an öffentlichen Plätzen in Basel oder über eine besondere Kirschbaumart, die er im markgräflichen Garten gefunden habe, nicht ohne dabei zu beklagen, dass der „medicinische Garten“ der Universität dagegen in schlechtem Zustand sei.122 Auch die Naturalienkabinette und Sammlungen der Gelehrten stehen den Botanikinteressierten offen. So besuchte Andreae auf seinem Weg 120 Roth, Anweisung für Anfänger Pflanzen, 1778, S. 12 f. 121 Siehe: Oppenheim, Alphons: „Andreä, Johann Gerhard Reinhard“, in: ADB 1, Leipzig 1875, S. 447. 122 Andreae, Johann Gerhard, Reinhard: „Briefe aus der Schweitz nach Hannover geschrieben“, in: Hanno­ verisches Magazin, 2. Jahrgang (1764), Sp 340 ff (BZA).

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etwa in Basel unter anderem den Hauptmann Frey, einen Freund von Charles Bonnet, der eine ausgedehnte Naturalien- und Pflanzensammlung besaß. Über diese berichtet Andreae: „An halb schwammartigen Seepflanzen ist hier auch ein beträchtlicher Vorrath: aber das seltenste und vortrefflichste unter den Seegeschöpfen ­dieses Cabinetts ist wol unstreitig das Stück von der Thierpflanze, dergleichen Mylius und Ellis beschrieben haben, und die so viel Aehnlichkeit mit dem Original bisher noch nicht bekannt gewesenen Encrino hat (…). Hr. F. weiß nicht, woher ­dieses Stück ist; sein Herr Vater hat es ihm nachgelassen.“123 Seltene, oder vieldiskutierte Pflanzen, wie etwa die „Thierpflanzen“ oder „Pflanzenthiere“ können so in den Kabinetten der Bildungsbürger bewundert werden. Grundsätzlich sind es also neben der freien Natur auch die Gärten der Botanikinteressierten und deren Studierstuben, die Orte des Botanisierens darstellen. Je weiter sich jedoch das Botanisieren ab der Jahrhundertwende verbreitet, desto mehr verbinden sich auch Orte wie etwa botanische Gärten der Universitäten mit neuen öffentlichen Praktiken. Öffentliche Botanikvorlesungen gewinnen ebenso an Interesse wie das Selbststudium im botanischen Garten der Stadt, der auch explizit den Interessen der Öffentlichkeit dient. So wird etwa über den von Curtis bei London angelegten botanischen Garten berichtet: „Oeffentlicher Nutzen, war dabey wieder eben so sehr sein Zweck. Dem edlen Vergnügen Botanic zu studiren suchte er eine bequeme Gelegenheit zu geben, woran es oft dem eifrigsten Liebhaber fehlt. Diese Wissenschaft ist um so wichtiger, weil nicht nur die Wohlfahrt ganzer Nationen davon abhängt, insofern sie einen Bezug auf die Agricultur hat, sondern auch das Glück jedes einzelnen Menschen, in so fern es auf Arzneiwissenschaft, und die Wahl der Küchenkräuter ankömmt, damit nicht essbare Pflanzen mit gifftigen verwechselt werden.“124 „Schönes“ Wissen Gelegentlich wird zudem argumentiert, dass das „Sezieren“ der Pflanzen – im Gegensatz zum Sezieren der Tiere oder gar des Menschen – auch für zart besaitete Seelen möglich sei, was für die Tiere nicht so gelte.125 Zugänglichkeit, Handhabbarkeit und die Verbindung von botanischem Interesse mit dem ästhetischen Vergnügen sind so Gründe für die zunehmende Popularität der bürgerlichen Beschäftigung mit Pflanzen. Nicht von ungefähr verbindet sich dabei die Kultur des Botanisierens auch mit der Spaziergangskultur 123 Andreae, Briefe aus der Schweitz, Hannoverisches Magazin (1764), Sp. 348 f. 124 Hofmedicus Domeier: „Ueber einige botanische Institute in London“, in: Annalen der Botanick (1792), S. 67. 125 Wie es etwa der Engländer John Shute Duncan zusammenfasst: „But different objects stimulate different minds to inquiry. Perhaps the contemplation of the vegetable kingdom may be suited to the varied conditions of more persons than the investigation of the animal structure: for plants, abundantly bordering our paths, are more readily procured for the purposes of analytical examination, attract more continual attention in our moments of leisure by many trivial allurements, and give little or no shock to the most irritable sympathies during dissection.“ (Duncan, John Shute: Botanical Theology. Or Evidence and Attributes of the Deity (…), Oxford 1826, S. 1 f.)

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der Jahrhundertwende, wie sie Karl Gottlieb Schelle beschreibt.126 So erscheinen jetzt entsprechende botanische Führer für „botanische Spaziergänge“.127

1.4 Populäre Botanik- und Botanisierhandbücher, „Frauenzimmerbotaniken“ Der Aufschwung der für eine breitere Bevölkerung geschriebenen Literatur zu Pflanzen um 1800 und in den darauffolgenden Jahrzehnten ist immens. Die Art der für den praktischen Gebrauch bestimmten Publikationen reicht dabei von vielfältigen einführenden Werken in die Pflanzenkunde bis hin zu botanischen Reiseführern. In der Diktion der Zeitgenossen werden sie alle als „Botaniken“ betitelt. Frühe botanische Lehrbücher vor der Jahrhundertwende Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts richten sich Einführungen in die Botanik zunächst weitgehend an Mediziner und angehende Apotheker – also mithin an einen noch engen Leserkreis in höheren Lehranstalten. Sie weiten aber sodann ihren Publikumskreis zunehmend aus. Die Einbeziehung der Botanik in allgemeinere Bildungsinhalte verknüpft sich ab der Jahrhundertmitte zudem mit der pädagogischen Bewegung des 18. Jahrhunderts und der damit verbundenen Einführung neuer Schulfächer und Bildungsinhalte aus der Naturgeschichte. Eines der frühsten Botaniklehrbücher für allgemeine Schulen stammt von dem Reformpädagogen Julius Hecker (1707 – 1768)128, der sich für die Entwicklung des preußischen Volksschulwesens einsetzte. Reformpädagogik – Julius Hecker als Reformer Heckers Einleitung in die Botanic erschien 1734, also noch vor Linnés Systema naturae, mit dem Untertitel: (…) von der Rechten Anführung der Jugend auf Schulen zu Erlernung reeller Wissenschaften und der wahren Weisheit.129 Hecker, der wie viele Gelehrte seiner Zeit sowohl 126 Schelle, Karl Gottlieb: Die Spatziergänge, oder, Die Kunst spatziernzugehen, Leipzig 1802. Hierzu siehe: König, Gudrun: Eine Kulturgeschichte des Spazierganges. Spuren einer bürgerlichen Praktik 1780 – 1850, Wien 1996. 127 Beispielsweise: Botanisches Taschenbuch, wißbegierigen Spatziergängern in den englischen Anlagen um Leipzig gewidmet, Leipzig 1794. Dieses Werk, so erläutert der Autor im Vorwort, wurde ursprünglich offensichtlich vor 1790 von einem Herrn Baumgart konzipiert und dann von einem Herrn von Schreber überarbeitet. 128 Siehe: Kämmel, H.: „Hecker, Johann Julius“, in ADB 11, Leipzig 1880, S. 208 ff. 129 Ioannis IVLII Heckers (Johannes Julius Hecker) Paed. Reg. Hall. Collegae, Einleitung in die ­Botanic, worinnen die Nöthigste Stücke dieser Wissenschaft kürtzlich abgehandelt werden. Mit

Populäre Botanik- und Botanisierhandbücher  |

Theologe als auch Mediziner war,130 beabsichtigte in seinem Werk eine allgemeinere Volksbildung im Bereich der Botanik, die hier zu den „reellen“ Wissenschaften gezählt wurde. Es gehe, wie es in der von Friedrich Hoffmann, einem preußischen Hofrat und Mitglied der Medizinischen Fakultät, verfassten Vorrede in der Ausgabe von 1734 heißt, um die „praktischen und nützlichen“ Wissenschaften.131 Hecker selbst betont in seinem Vorbericht dabei in physikotheologischer Weise die religiöse Dimension: „Der grosse Schöpfer so mannigfaltiger Gewächse lasse diese Arbeit insonderheit dazu gesegnet seyn, daß durch die Erkentniß seiner Geschöpfe seine Ehre verherrlichet und seine Güte und Freundlichkeit auch in den allergeringsten Gräsgen geschmecket werde. Denn die Erde ist voll der Güte in den Werken des HERRN (…).“132 Inhaltlich ist hier das Botanikhandbuch noch sehr umfassend konzipiert: Hecker vereint Erläuterungen zur Struktur und zu den Lebensfunktionen der Pflanze mit Benennungsfragen sowie Fragen des Nutzens in der Medizin. Bezeichnend für diese ­zwischen Theologie, Naturwissenschaft und Pädagogik stehenden Lehrpersonen und Lehrmittel ist, dass sich hier auch ein Kapitel findet mit dem Titel: „Von dem Nutzen der Kräuter­erkenntniß zur Erläuterung einiger Stellen in der Hl. Schrift“.133 Neben die Gotteserkenntnis durch die Botanik tritt aber auch für Hecker schon das „Vergnügen durch Erkenntnis“, mit „offenen Augen“ durch die Welt zu gehen.134

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einer Vorrede Herrn Friederich Hoffmanns med. D. Königl. Preussischen Hofraths (…) von der Rechten Anführung der Jugend auf Schulen zu Erlernung reeller Wissenschaften und der wahren Weisheit, Halle 1734. Er lehrte Sprachen und Naturkunde am von A. H. Francke eingerichteten Pädagogium in Halle, dessen reformpädagogische Bemühungen den neuen Unterrichtsfächern wie Ökonomie, Physik, Geographie, Sport, Chemie oder Biologie galten. (Kämmel, „Hecker“, ADB 11, Leipzig 1880, 208 ff.) „Denn es ist ja bekant, daß die ganze vernünftige Oeconomie der Agricultur, des Gartenbaues, Weinwachses und der Viehzucht, auch die Zubereitung der Erze und Mineralien in der Physic ihren Grund haben (…).“ (Hecker, Einführung in die Botanic, 1734, Vorrede von Hoffmann, unpaginiert.) Hier wird also im Vorbericht des Autors zeitgemäß der physikotheologische Rahmen gesetzt, obwohl das Werk keinerlei weiteren Erbauungscharakter trägt – Hecker handelt vielmehr die verschiedenen Aspekte der Botanik seiner Zeit ab. Er unterscheidet dabei drei Teile der Botanik: botanica nominalis (Namen und Benennung), botanica philosophica (Struktur, Fortpflanzung, Ernährung und Eigenschaften) und botanica medica oder oeconomica (Nutzen in der Ökonomie und Arznei). (Hecker, Einführung in die Botanic, 1734, Vorrede b4.) Hecker, Einführung in die Botanic, 1734, S. 186 – 204. „Es dienet zuförderst diese Wissenschaft zu einer ehrerbietigen Bewunderung der vollkommensten Allmacht, Güte und Weisheit des grossen Schöpfers (…) ueberdem eröffnet die Kräuter= und Blumen­wissenschaft einem Liebhaber derselben die Quelle eines heiligen Vergnügens und verständiger Bewunderung. Denn wo andere, ­welche die Wunder GOttes in seinen Geschöpfen nicht überlegen und also ohne Empfindung sind, da ergetzt sich ein solcher auch an dem geringsten Gräsgen. Die Structur und alles, was er davon gelernet, die proportionirte Grösse, Besaamung, Stellung der Blätter, Wachsthum und dergleichen mehr geben ihm Anlaß zu tausend vergnügenden Gedanken. (…) Dazu kann auch grechnet werden, daß einer der in der Botanic informiret ist, in den Naturalienkammern, prächtigen Gärten, auf Reisen, in Wäldern, Thälern und Gebirgen, Wiesen und Feldern

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Heckers Darstellung stellt im Grunde ein Zwischenstück dar, das die Kräuterbücher des 16. und 17. Jahrhunderts mit den phytotheologischen Werken einerseits und mit den Botanikhandbüchern des späten 18. und 19. Jahrhunderts andererseits verbindet. Noch wird also die botanische Beschreibung von tradiertem Kräuterwissen begleitet: Auf detaillierte Pflanzenbeschreibungen folgen beispielsweise Erläuterungen, w ­ elche fünfblättrige Blumen schmerzstillend sind, w ­ elche Kräuter die Leber und die Milz reinigen oder wie aromatische Pflanzen eine nervenstärkende Kraft besitzen etc. Allerdings lehnt Hecker es ab, von der Gestalt der Gewächse auf ihre Wirkung zu schließen, dies sei Aberglaube.135 Analogien ­zwischen den Teilen der Pflanzen und den Organen der Tieren sind für ihn aber ebenso selbstverständlich wie für viele andere Zeitgenossen – der Saftumlauf der Pflanzen entspricht dem Blutkreislauf von Mensch und Tier, die Wurzel dem Mund, die Blätter den Extremitäten usw.136 Das 1734 erschienene Werk scheint jedoch seiner Zeit voraus gewesen zu sein und noch keinen Absatz auf dem Buchmarkt gefunden zu haben. Im Gegensatz zu späteren Werken ähnlichen Inhalts wurde es nicht öfter aufgelegt, dann aber von um 1800 und später schreibenden Autoren immer wieder als Autorität zitiert. Studenten und Interessierte Vorlesungen begleitende Botaniklehrbücher für Studenten wiederum erschienen vermehrt gegen Ende des 18. Jahrhunderts und waren ebenso zunehmend auch an allgemein Interessierte gerichtet. Der niederländisch-­österreiche Universitätslehrer und Direktor des botanischen Gartens in Wien, Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin,137 schrieb b­ eispielsweise für ein studentisches Publikum eine Anleitung zur Pflanzenkenntnis nach Linné’s Methode 138, die 1785 herauskam und in mehreren Umarbeitungen bis 1840 drei weitere Auflagen erfuhr. Auch er sah die Botanik als für alle Menschen wichtiges Wissensfeld an: „Der vernünftige Mensch, will er sich anders nicht bis zum Thiere herabwürdigen, dessen ganzes Bestreben auf die Selbsterhaltung und die Fortpflanzung seiner Art abzielt, muss auch noch andere nicht minder wesentliche Bedürfnisse für

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gleichsam allenthalben zu hause ist, und mit offenen Augen siehet. Imgleichen kann ein solcher in der Oeconomie, beym Landleben und Spatzieren eine weit grössere und heiligere Luft geniessen, als andere. Er weiß von vielen Dingen sodenn Raison zu geben, wenn andere entweder voll unwissender Bewunderung dabey stehen, oder gar kein Vergnügen für ihre Einfalt antreffen können.“ (Hecker, Einführung in die Botanic, 1734, S. 3 und 4.) Hecker, Einführung in die Botanic, 1734, S. 71 ff. Hecker, Einführung in die Botanic, 1734, S. 50 ff. Siehe: Reichhardt: „Jacquin, Nikolaus Joseph“, in: ADB 13, Leipzig 1881, S. 631 f. Hier verwendete Auflage: Jacquin, Nikolaus Joseph: Anleitung zur Pflanzenkenntnis nach Linné’s Methode. Zum Gebrauche der Vorlesungen an der Universität, 2. Auflage Wien 1800.

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den denkenden Theil seines Wesens fühlen.“139 Er wertet die Botanik als Fach, das für breitere Schichten bisher untauglich gewesen sei, was sich aber jetzt ändere: „Allein unsere Botanik, um nichts zu verhehlen, scheint vielen eine langweilige, trockene, gar nicht zum Gefallen eingerichtete Wissenschaft zu seyn. (…) denn wer kann ein fortgesetztes Lesen, ich will nicht sagen eines ganzen Werkes, nein nur einiger Seiten, von Bauhins Pinax, Linnés Gattungen, Tourneforts Institutionen, und anderer ähnlicher aushalten, ohne dass ihm das Buch vor Langeweile aus den Händen falle.“140 Tatsächlich bemüht er sich jetzt, seine Ausführungen über Wurzeln, Blütenbau etc. in unterhaltsamerer Form darzulegen. Nach der Jahrhundertwende mehren sich derartige Bände, die sich explizit an das ganze Bildungspublikum wenden. Symptomatisch sind hierfür Werke wie etwa die 1804 erschienene Anleitung zum Selbststudium der Botanik des Berliner Apothekers und späteren Professors Carl Ludwig Willdenow,141 die bereits 1809 in zweiter Auflage erschien,142 als Handbuch zu „öffentlichen“ Vorlesungen konzipiert war und zum „Klassiker“ avancierte. Dieses Werk wurde bis 1833 mindestens in sieben Auflagen publiziert.143 1829 erschien bereits eine auf Heinrich Rebau fußende Naturgeschichte für die deutsche Jugend,144 ähnliche Werke sind unschwer zu finden. Die nun in zunehmender Zahl erscheinenden Handbücher werden Zeugnisse und Motoren des bürgerlichen Vergnügens des „Botanisierens“. Das Botanisieren avanciert zum Inhalt bürgerlicher Bildung und sollte zur bevorzugten Tätigkeit bürgerlicher Mußestunden werden. „Populärbotaniken“ und Anleitungen zum Botanisieren ab der Jahrhundertwende Botanikhandbücher und Anleitungen zum praktischen Botanisieren lassen sich dabei in der Zeit der Jahrhundertwende meist noch nicht trennen. Beide Aspekte, das botanische Basiswissen und die Anweisungen, wie man beim Botanisieren vorgehen soll, finden sich in Werken, die im Titel eine Einführung in die Pflanzenkunde oder in die Botanik ausweisen, wie auch in Titeln, die die Anleitung zum Sammeln und Bestimmen der Pflanzen in den Vordergrund stellen.

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Jacquin, Anleitung zur Pflanzenkenntnis, 1800, S. 3. Jacquin, Anleitung zur Pflanzenkenntnis, 1800, S. 11. Siehe: König, Clemens: „Willdenow, Karl Ludwig“, in ADB 43, Leipzig 1898, S. 252 ff. Hier vorliegend: Willdenow, Carl Ludwig: Anleitung zum Selbststudium der Botanik, 2. vermehrte Auflage Berlin 1809. 143 Die in den Ausgaben der Bände auffindbaren Angaben zur Auflage entsprechen nicht immer den tatsächlichen Auflagen, die hier angegebenen Schätzungen basieren auf Recherchen in internationalen Bibliotheksverbünden. Hier fassbare Auflagen: 1804, 1805, 1809, 1817, 1822, 1832, 1833. 144 Hochstetter, Christian Friedrich und Rebau, Heinrich: Naturgeschichte für die deutsche Jugend, zweite umgearbeitete Ausgabe, Stuttgart 1829. Auch ­dieses Werk erlebte mindestens 5 Auflagen.

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Es existierten zunächst meist Mischformen, da unter „Botanik“ noch die vielfältigen Teilgebiete des Pflanzenbestimmens, der Erforschung der Lebensweise der Pflanzen, der ökonomischen und medizinischen Verwendung der Pflanzen oder auch Ackerbau und Gartenbau verstanden werden konnten. Aspekte der „angewandten“ oder „praktischen“ Botanik – im Sinne der Nutzung der Pflanzen als Nahrungs- oder Heilmittel – ­wurden aber ab der Jahrhundertwende dann zunehmend aus dem botanischen Schriftgut ausgeklammert. Es erschienen nun Werke, die sich im Wesentlichen auf botanisches Basiswissen zur Anatomie und den Lebensfunktionen der Pflanzen und auf das Bestimmen, Sammeln und Trocknen (das „Botanisieren“) konzentrierten. Ein Zeugnis der Hochphase des bürgerlichen Botanisierens in den 1830er und den folgenden Jahren ist das 1831 erschienene Werk von Christian Friedrich Hochstetter Populäre Botanik, oder faßliche Anleitung zur Kenntniß der Gewächse. Es konnte von Lehrern und Schülern genutzt werden und war, wie es im Untertitel hieß, „zum Gebrauch und Selbstunterricht der Erwachsenen und der Jugend, überhaupt aller derer, die mit der Pflanzenwelt näher bekannt zu werden wünschen“ bestimmt.145 Christian Friedrich Hochstetter (1787 – 1860) Christian Friedrich Hochstetter (1787 – 1860)146 steht hier wieder für eine ganze Autorengruppe. Er war Theologe und Botaniker. Im Untertitel seines 1831 erstmals erschienenen Werkes bezeichnet er sich als „Professor am Königlichen Hauptschullehrerseminar und zweiten Stadtpfarrer von Esslingen“. Er stammte aus einer w ­ ürttembergischen Beamten- und Pfarrerfamilie. Viel mehr ist von ihm bisher nicht bekannt. Im Titelblatt der dritten Auflage der Populären Botanik von 1849 wird offensichtlich, dass er später auch Mitglied der Leopoldina, der Botanischen Gesellschaft in Regensburg, in verschiedenen Landwirtschafts- und Ackerbaugesellschaften sowie im „Verein für Blumen= und Gartenbau“ in Stuttgart und sogar in wissenschaftlichen Gesellschaften Südafrikas war. Hochstetter publizierte mehrere Allgemeinbotaniken und Naturgeschichten, aber auch an ein breiteres Publikum gerichtete Schriften zur Geographie, Geologie und Mineralogie, eine Populäre Mineralogie oder Fossilien- und Gebirgskunde für alle Stände.147

145 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831. 146 In seinen Werken erscheint der Name als Ch. F. Hochstetter, so auch in vielen Bibliothekskatalogen; mit vollem Namen gelegentlich Christian Ferdinand Friedrich Hochstetter. 147 Hochstetter, Christian Friedrich: Populäre Mineralogie oder die Fossilien- und Gebirgskunde für alle Stände; insbesondere für die Jugend und für Lehrer an Real-, Gewerbs- und Volksschulen, auch für Geistliche, Pharmaceuten, Gewerbsmänner und Landwirthe, Reutlingen 1836.

Populäre Botanik- und Botanisierhandbücher  |

Abb. 9  Titelblatt „Populäre Botanik“, Hochstetter

Die Populäre Botanik (Abb. 9 und Taf. 2) erschien zu Hochstetters Lebzeiten mindestens in drei Auflagen.148 Wilhelm Hochstetter, vermutlich sein Sohn, überarbeitete d ­ ieses Werk später nochmals in den 1870er Jahren und gab es dreibändig als Hochstetter’s populäre Botanik oder fassliche Anleitung zur Kenntniß der Pflanzen für Schule und Haus heraus.149 (Im Folgenden soll die erste Ausgabe von 1831 als Referenz für die 1830er Jahre dienen.) Hochstetter formulierte sein volksaufklärerisches Credo bereits in der Vorrede sehr deutlich: „Daß die Wissenschaften nicht bestimmt sind, das Monopol einzelner Stände oder Classen der menschlichen Gesellschaft zu bleiben, sondern daß sie je länger je mehr, wenigstens in einem gewissen Umfange, das Gemeingut Aller werden sollen, ist längst anerkannt. Vor der Hand sind wenigstens auf jeden Fall die gebildeten Stände berufen, an den sämmtlichen Wissenschaften Antheil zu nehmen. Aber um für Alle, oder doch 148 Mir liegen Auflagen von 1831, 1837 und 1849 vor. 149 Hochstetter, Wilhelm und Hochstetter Christian Friedrich: Populäre Botanik oder faßliche Anleitung zur Kenntniß der Pflanzen für Schule und Haus (…), Stuttgart, 1875 und 1877.

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für Viele zugänglich zu werden, müssen die einzelnen Wissenschaften von ihrer Höhe herabsteigen und sich ihrer strengen Formen so viel als möglich entledigen können; sie dürfen es nicht verschmähen in einem weniger gelehrten Gewande zu erscheinen (…). Aus d ­ iesem Gesichtspunkt betrachtet schien mir eine populäre Botanik zum Selbstunterricht für diejenigen, ­welche diese Wissenschaft zwar nicht zu einem vorzüglichen Gegenstand ihres Studiums machen, aber sich doch diejenigen Kenntnisse aus derselben aneignen wollen, ohne ­welche ihnen ein wichtiger Beitrag zu einer umfassenden Bildung, und eines der angenehmsten Mittel, sich den Genuß der freien Natur zu erhöhen, fehlen würde – eine nicht unverdienstliche Arbeit.“150 Er sei auch von vielen Seiten zu dieser Arbeit aufgefordert worden, und so habe er „in dem gegenwärtigen Buche die angedeutete Aufgabe zu lösen gesucht. „Ich gründete meinen Plan auf das allgemeine Bedürfnis nicht nur der Jünglinge und Töchter aus den gebildeten Ständen, sondern auch so vielen Erwachsenen, w ­ elche in ihrer Jugend weder Anleitung noch Gelegenheit hatten, mit der Pflanzenwelt näher bekannt zu werden, und von denen ich sehr oft den Wunsch aussprechen hörte, dass es ihnen doch gelingen möchte, wenigstens die in der nächsten Umgegend ihres Wohnorts wildwachsenden Pflanzen, wie auch die wichtigsten deutschen Culturgewächse und die merkwürdigsten Pflanzen der fremden Erdtheile, deren Producte für die Heilkunde oder für Künste und Gewerbe durch den Handel zu uns kommen, einigermaßen näher kennen zu lernen.“151 Im Gegensatz zu August Batsch, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch explizit davon ausging, dass die „arbeitenden Menschenklassen“ keine Zeit für das Botanisieren und die Naturforschung hätten,152 ging es hier bei Hochstetter also nun nicht mehr ausschließlich um die „gebildeten Stände“, wenn sie auch noch immer im Zentrum stehen. Dabei stützte sich Hochstetter erneut weitgehend nicht auf die neuesten Nomenklaturen und Kunstwörter, sondern auf dasjenige, was, wie er sagt, nun schon länger gelte, wie etwa die Linné’sche Benennungspraxis. Er berücksichtigte besonders die volkstümlichen Namen der Pflanzen. Hochstetter bedankt sich zudem beim Verleger, dass dieser den Preis des Buches „so niedrig, als nur immer möglich“ gehalten habe.153 Er publizierte zu Beginn die zugehörigen kolorierten Stiche, einen Blühkalender und ein Glossar auch separat in einem zweiten Teilbändchen. Der zweite Teilband stellte also eher einen nicht zwangsläufig notwenigen Ergänzungsband dar, der je nach finanziellen Möglichkeiten dazu erworben werden konnte oder auch nicht. In späteren Ausgaben, nachdem die Abbildungen offensichtlich günstiger geworden waren, wurden dann beide Teile zusammengefasst. 150 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, Vorrede S. V. 151 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, Vorrede, S. VI. 152 Batsch, August: Grundzüge der Naturgeschichte des Gewächs=Reichs. Ein Handbuch für Lehrer auf Gymnasien, und für Naturfreunde zu eigner Belehrung über die Verhältnisse der Pflanzenbildung (…), Weimar 1801, Vorrede, S. VI. 153 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, Vorrede, S. X.

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Botanisieren für alle Auf diese Einleitung folgen konkrete Ratschläge, wie jedwede Leserschaft schnelle Fortschritte in der Pflanzenkunde machen könne: „Das erste Beginnen des Frühlings ist die geeignetste Zeit zum Anfang in der Pflanzenkunde. Die ersten Blumen, w ­ elche der verjüngte Sonnenstrahl nach dem Scheiden des Winters hervorlockt, werden ohnedieß gerne von Jedem gepflückt – wie viel mehr von dem, der nun ein Vertrauter der Blumenwelt werden will! Wie man in einer kleinen Gesellschaft schneller bekannt und vertraut wird (…) so ist es auch die kleine Zahl der lieblichen Gewächse (…) womit wir uns schneller befreunden können (…).“154 Also soll man im März oder April beginnen, zunächst Bäume, Sträucher und Kräuter unterscheiden und benennen lernen, Gräser vielleicht erst im nächsten Frühling oder im Sommer, erst wesentlich später die kryptogamischen Gewächse (Moose, Farne etc.), denn für diese brauche man auch Mikroskope usw. Die Kryptogamen will Hochstetter nur am Rand behandeln: „Da bei gegenwärtigem Buche Leser vorausgesetzt werden, ­welche mehr nur ihrer allgemeineren Bildung wegen und zu ihrem Vergnügen die Gewächskunde erlernen wollen, so werden den cryptogamischen Pflanzen aus ­diesem Grunde nur wenige Blätter eingeräumt werden. Ganz übergehen dürfen wir sie aber nicht, denn den Freund der Natur interessiert das Kleine, wie das Große, und es gewährt inniges Vergnügen, ein Moos oder einen Pilz vor das Auge zu nehmen, und den eigenthümlichen Bau der Theile zu bewundern (…).“155 Hochstetter gibt genaue Anweisungen zur Bestimmung der Pflanze, die an die Ratschläge Roths gemahnen, der rund 50 Jahre vorher seine Anweisung verfasste.156 Die Pflanzen werden zerlegt und von der Blüte her wird anhand des Aufbaues Klasse und Ordnung bestimmt. Sodann liest man die Beschreibung der verschiedenen Arten, die unter diese Gattung fallen, und findet so die genaue Zuordnung durch das Handbuch.157 Auch hier sei nochmals betont, dass die in diesen populären Bestimmungsbüchern verwendete Linné’sche Methode bis in die 1830er auch ohne Abbildungen der Pflanzen funktionierte, indem man Griffel und Staubgefäße zählte, ordnete und mit Hilfe von weiteren Merkmalen die richtige Pflanze herausfand. Als Ausrüstung benötigt der Botanikfreund auch um 1830 noch wenige Hilfsmittel: „Die kleinen Werkzeuge, deren der anfangende Botaniker benöthiget ist, um seine Untersuchungen bequemer vornehmen zu können, sind 1.) eine kleine Lanzette oder auch nur ein Federmesser zum Zergliedern der wichtigsten Theile der Pflanze, 2.) eine Pinzette (ein kleines Zängelchen) zum Anfassen und Festhalten der zarten Theile, um 154 155 156 157

Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 2. Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 4. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778. Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 4 f.

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s­­ olche bequemer vor das Auge bringen zu können, 3.) eine mäßig vergrößernde Louppe (d. h. ein einfaches Mikroscop, welches in Holz, Bein oder Messing gefaßt ist).“158 Im Übrigen sei es förderlich, sich schnell eine Sammlung getrockneter Pflanzen anzulegen, da solch eine geordnete Sammlung Vergnügen bereite und das Lernen der Namen erleichtere – dazu brauche man Fließpapier, Steine und Gewichte zum Pressen, größere Folianten etc. Die Pflanzen sammelt man in einer Blechbüchse mit Deckel, möglichst mitsamt der Wurzel usw.159 Hochstetter gibt eine Einführung in das Linné’sche System und behandelt die Pflanzenarten, wie auch die Lebensweise der Pflanzen. Er spricht schon von „organischen“ Wesen, die den Tieren ähnliche Organe haben und eine gewisse „Lebens= oder Bildungs=Kraft“ besitzen, spricht ihnen aber die „willkürliche“ Bewegung, die nur den Tieren eigen sei, ab.160 Ein Bewusstsein oder gar eine Pflanzenseele will Hochstetter ihnen nicht zuschreiben: „Sie sind gleichsam schlafende oder träumende Wesen, die nie zu irgend einem Bewußtseyn gelangen, aber ihr stilles, geräuschloses Leben besteht in einer Reihe von Entwicklungen, die wir mit Bewunderung wahrnehmen, wenn aus einem kleinen Körnlein nach und nach ein schön belaubter Stengel sich entwickelt, an deren Enden sich prachtvolle Blumen entfalten, oder wenn ein anderes Saamenkorn nach vielen Jahren zum mächtigen Baum emporgewachsen ist (…).“161 Ordnung der Natur? Auf die Kette der Wesen wird gegen Mitte des 19. Jahrhunderts in den Botanikhand­ büchern nicht mehr rekurriert. In den „Rahmungen“ der Werke, in Vorworten und Nachworten, ist jedoch noch lange der Verweis auf die Erkenntnis der Wunder der göttlichen Schöpfung zu finden. Hochstetter etwa beschließt seine Beschreibung exotischer Pflanzen – und damit sein ganzes Buch – mit einem Zitat aus Alexander von Humboldts „Ansichten der Natur“, in welchem Humboldt die farbenprächtigsten Tropenpflanzen beschreibt, und endet dann: „Obgleich also uns Deutschen in der Regel nicht vergönnt ist, die Wunder des Pflanzenreichs in den heissen Erdstrichen mit leiblichen Augen zu schauen, so vermögen wir doch mit Hülfe der Beschreibungen der Naturforscher durch unsere innere Anschauung uns mitten unter diese Wunder zu versetzen. Und was anders 158 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 5. 159 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 5 f. 160 Bewegungen im Pflanzenreich erfolgen seiner Meinung nach ausschließlich aufgrund äußerer Reizeinwirkungen. Pflanzen bewegen sich „… nur kraft des von Außen bewirkten Reizes, und nicht durch eine unabhängige innere Erregung; und ebendasselbe gilt von denjenigen Pflanzen, deren es auch viele bei uns giebt, die zu einer gewissen Tageszeit, besonders Abends ihre Blumen schliessen oder ihre Blätter senken; weil es immer zu bestimmter Tageszeit oder unter gewissen Witterungsumständen geschieht (…)“. (Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 9.) 161 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 10.

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kann der Eindruck davon seyn, als daß wir ausrufen müssen: Herr des Himmels und der Erde, allenthalben bist Du dem Menschen nahe! Alle Lande sind Deiner Ehre voll. Dich loben alle Berge und Hügel, fruchtbare Bäume und alle Cedern (…).“162 Erwähnt sei noch, dass Hochstetter in der dritten Auflage seines Werkes 1849 in der Vorrede die Entwicklung der vorangegangenen Jahrzehnte kommentiert, indem er schreibt: „Unter der Menge von Schriften, ­welche den volksfreundlichen Zweck haben, die Naturwissenschaften allgemein zugänglich zu machen, nehmen die botanischen Schriften für unsre deutsche Jugend und für jeden Freund des Pflanzenreichs nicht die kleinste Zahl ein. Ich muß es deswegen für ein besonderes Glück halten, daß meine populäre Botanik, w ­ elche schon vor 19 Jahren ihren ersten Eintritt in den Kreis naturgeschichtlicher Volksschriften gewagt hat, seitdem von den Mitbewerbern auf ­diesem Felde noch nicht verdrängt worden ist, sondern auch immer so häufig verlangt wird, daß eine dritte Auflage nöthig geworden ist.“163 „Frauenzimmerbotaniken“ Als spezielle Unterart der Populärbotaniken kann man jene Werke ansehen, die unter „Frauenzimmerbotaniken“ subsumiert werden. Ab den 1780er Jahren erscheinen Handbücher, die in der Titelei explizit Frauen ansprechen – etwa Botanik für Frauenzimmer / Botanik für Damen etc. Inwieweit sich die jeweilige „Frauenzimmerbotanik“ aber tatsächlich allein an Frauen richtet oder gar eine „Sonderbotanik“ für das weibliche Geschlecht aufstellt und damit möglicherweise geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen der Zeit transportiert, ist sehr fraglich. Im Vergleich mit bereits genannten Populärbotaniken, die im Titel als Adressaten die Pflanzenliebhaber, aber etwa auch die „Jünglinge und Töchter aus den gebildeten Ständen“ nennen, lässt sich für die frühen Werke eher nur die generelle Ausweitung des Publikums und eine marktstrategische Benennungspraxis konstatieren.164 Dabei ist festzuhalten, dass sich die „Frauenzimmerbotaniken“ einordnen lassen in den grundsätzlichen Aufschwung allgemeinverständlicher Werke über das neue Naturwissen, die im Titel auch Frauen ansprachen. Genannt ­seien hier beispielsweise Francesco A ­ lgarottis Newtons Welt-­Wissenschaft für Frauenzimmer von 1745,165 das Kompendium Lehrsätze der Naturgeschichte für Frauenzimmer 166 des Vielschreibers Johann 162 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 808. 163 Hochstetter, Populäre Botanik, 1849, Vorrede. 164 Diese Thematik ist ausführlicher ausgeführt in: Ruppel, Sophie: „Die Schätze Florens. ‚Frauenzimmerbotaniken‘ und botanisches Wissen um 1800“, in: Opitz, Claudia und Ruppel, Sophie: Wissen schaffen; L’homme 29/1 (2018), S. 51 – 68. 165 Algarotti, Francesco: Jo. Newtons Welt-­Wissenschaft für Frauenzimmer Oder Unterredungen über das Licht, die Farben, und die anziehende Kraft / Aus dem Italiänischen des Herrn Algarotti, durch Du Perron de Castera ins Französische und aus ­diesem ins Teutsche übersetzet, Braunschweig 1745. 166 Jung-­Stilling, Johann Heinrich: Lehrsätze der Naturgeschichte für Frauenzimmer, Karlsruhe 1816.

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Heinrich Jung-­Stilling oder das dreibändige Werk Vorlesungen über die Naturlehre für ­Frauenzimmer von ­Friedrich Kries (1832 – 1836).167 „Fachbücher“ für Damen finden sich aber auch in einzelnen Sparten, wie etwa auch der Chemie etc.168 Das Botanisieren wurde zur zentralen aufklärerischen Wissenspraktik einer Vielzahl von Personen. Aus dieser Perspektive erscheint bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, beziehungsweise bis zur Auflösung des aufklärerisch-­botanischen Projektes eine wenig institutionalisierte Botanik existent, die zwangsläufig eine auch den Frauen nicht ganz unzugängliche Wissenssphäre und Wissenschaft darstellte. Sieht man im 18. und noch im beginnenden 19. Jahrhundert eine Kollektivkultur einer offenen botanischen scientific community am Werk, die sich um bestimmte Zentren gruppierte, so könnte man für das botanische Wissen zudem weniger von einer Popularisierung akademischen Wissens um 1800 sprechen, als vielleicht sogar eher umgekehrt für die Zeit nach 1840 einen Rückzug der botanischen Wissenschaft in einen nur Männern (mit zunehmend festgelegtem Werdegang) zugänglichen, universitären Elfenbeinturm postulieren. Botanikerinnen und Botanistinnen waren in den Anfängen keineswegs nur „Objekte“ der Popularisierung von Wissen, sondern sie waren im botanischen Wissensfeld ebenso integraler Teil der Wissensproduktion wie etwa Schüler der Gelehrten, Geschwister der Gelehrten und andere Botanisten männlichen Geschlechts. Frauen wurden allerdings wohl nur in seltenen Fällen zum „Zentrum“ der Wissenskreise und wenn, so wurde ihr Werk nicht im gleichen Maß tradiert wie das ihrer männlichen Zeitgenossen.169 Auch wenn (die nur in geringer Zahl vorhandenen) Aufsätze in den „Frauenzimmerbotaniken“ ein mit Rollenstereotypen aufgeladenens Lehrbuchformat sehen170, ist dies auf ­diesem Hintergrund zu hinterfragen, denn sie sind oftmals weniger in einer „Sonderbotanik“ tatsächlich nur an Frauen gerichtet, als dass sie ein an ein breiteres Publikum 167 Kries, Friedrich: Vorlesungen über die Naturlehre für Frauenzimmer (3 Bde), Leipzig 1832 – 1836. 168 Siehe beispielsweise: Szász, Ildikó: Chemie für die Dame. Fachbücher für das ‚Schöne Geschlecht‘ vom 16. – 19. Jahrhundert, Königstein/Taunus 1997. Szász beschäftigt sich hier analog mit den „Frauenzimmerapotheken“, die chemische Kenntnisse vermittelten. Auch die Chemie wurde als für Frauen geeignetes naturwissenschaftliches Feld angesehen. Szász wertet die Chemiebücher für Frauen zwar als Zeugnis der allgemeinen Verbreitung von Kenntnissen auf dem Gebiet der Chemie, betont dabei aber stark ihre Funktion als geschlechtsspezifische Variante und ihre Ausrichtung auf eine weibliche Leserschaft und lenkt den Blick nicht zuletzt auf das weibliche Bildungspublikum als kaufkräftige Klientel derartiger Bücher. Szász weist auf die Verengung dieser Wissenskompendien auf rollenspezifische Aspekte der Frau als Hausfrau, Gattin und M ­ utter im 19. Jahrhundert hin. So lassen hier die frühen Schriften ihrer Ansicht nach wenig Geschlechtsspezifik erkennen, aber im Verlauf des 19. Jahrhunderts „verlagern sich die Schwerpunkte unter Betonung typischer weiblicher Aufgabenbereiche zur Haushaltschemie hin“. (Szász, Fachbücher, 1997, S. 214.) 169 Für das Umfeld Linnés beispielsweise, siehe: Dietz, Bettina: Das System der Natur. Die kollaborative Wissenskultur der Botanik im 18. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2017. 170 Siehe z. B. Martin, Alison E: „Frauenzimmerbotanik: unschuldiger Zeitvertreib und Mode?“, in: Holm, Christiane und Zaunstöck, Holger (Hrsg.): Frauen und Gärten um 1800. Weiblichkeit – Natur – Ä ­ sthetik, Halle 2009, S. 36 – 47.

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adressiertes Lehrbuchformat darstellen. Insbesondere der hier meist aufscheinende Rekurs auf Rousseaus Lettres botaniques 171 verstellt hier den Blick. Dass dieser Text eine die Frauen betreffende Mode des Botanisierens begründet habe, darf aus wissensgeschichtlicher Sicht bezweifelt werden. Ohne Frage waren Rousseaus botanische Lehrbriefe populär und wurden vielfach gelesen und übersetzt. Sie trugen auch zur weiteren Verbreitung des Botanisierens unweigerlich bei. Ob sie aber zu den „Botaniken“ im engeren Sinn gezählt werden können oder nicht doch umgekehrt eher als Zeugnis eines selbst von der Welle des Botanisierens erfassten Pädagogen, Philosophen und Geschlechtertheoretikers gelten müssen, sei dahingestellt. August Batsch und seine Nachfolger Das erste und wichtigste Werk dieser Art aus der Feder eines Naturgelehrten und Botanikers ist hier fraglos die Botanik für Frauenzimmer und Pflanzenliebhaber ­welche keine Gelehrten sind des Jenaer Naturgeschichtsprofessors August Batsch (1761 – 1802). Dieses Werk Batschs wird von den Pflanzenfreunden und Pflanzenfreundinnen geschätzt und dankbar aufgenommen. Deutsche Augaben erscheinen zusätzlich 1798, 1802, 1804, 1818 und 1834. Ins Französische wird es 1799 übersetzt, 1810 ins Schwedische, wo es 1835 w ­ ieder aufgelegt wird.172 Batsch etwa beginnt sein Werk ohne jegliche Überlegungen, warum und wie weit die Botanik als Gegenstand für die Frauen geeignet sei. Er bekundet vielmehr den Willen, das Wissen seiner Zeit in lesbarer Form zusammenzufassen. Er verhandelt die Vielgestaltigkeit der Pflanzen, den menschlichen Gebrauch der Pflanzen, die verschiedenen Gewächsarten (Bäume, Sträucher, Kräuter, Gräser, Moose, Schwämme, Blütenpflanzen etc.), stellt die Pflanzenteile vor, erläutert das „Atmen der Gewächse“, „Geschlecht und Liebe der Pflanzen“, Früchte, den „Schlaf“ der Pflanzen, die „Empfindlichkeit“ der Blätter und auch „Krankheit und Tod“ der Pflanzen. Das pflanzliche Leben ist ihm ein Wunder, das jedes Menschen Beachtung verdient: „Wo wir nur in der freyen Natur hinsehen, wo die Luft und ihre Feuchtigkeit nur einige Zeit wirken konnte, überall sehen wir Pflanzen verbreitet. Der nackte Felsen, und seine Zertrümmerung, das mit den Strömen fortgeführte Gerölle, der trockene Sand, der verhärtende Thon halten sich nicht lange; sie werden früher oder später mit Pflanzen besetzt; ja selbst das glühende 171 George, Samantah: Botany, Sexuality and Women’s Writing 1760 – 1830, Manchester 2007. Und: George, Samantha: „Cultivating the Botanical Woman: Rousseau, Wakefield and the Instructions of Ladies in Botany“, in: Zeitschrift für pädagogische Historiographie 12/2, 2006, S. 3 – 11. Siehe auch: Kleinau, Elke: „Botany and the Taming of the Female Passion. Rousseau and Contemporary Educational Concepts of Young Women“, in: Studies of Philosophy and Education 31, 2012, S. 465 – 476. 172 Dies sind von mir eruierte Auflagen aus Bibliothekskatalogen und die Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die tatsächliche Situiation der damaligen Auflagen kann anders aussehen.

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Glas, welches die feuerspeyenden Berge ausgiessen, wird nach und nach ein fruchtbarer Boden (…)“173. Jedes denkende Wesen sollte sich also mit den Phänomenen der Natur befassen.174 Zu allen problematischen Fragen nimmt er Stellung. Zur Grenze von Pflanze und Tier etwa führt er aus: „Wie sehr sind nicht die Thiere durch Köpfe, Augen, Mund, Gliedmaassen, Beweglichkeit, Bau der Eingeweide, Trennung und Aeusserung der ­Geschlechter, von diesen angewurzelten, ästigen, blatt- und blumentragenden Geschöpfen verschieden? An der Grenze fliessen sie jedoch zusammen. Die Schwämme, kugelförmig, ästig, schüssel­artig, die fadigen Gewächse im Wasser, die staubförmigen Schimmel, haben jene ausgezeichnete Bildung nicht, aber sie wachsen still, und entwickeln sich auf eine ähnliche Weise. Dadurch nur unterscheiden sie sich von der ästigen Coralle, von dem Kugelthier und Seeigel, von der schüsselförmigen Seenessel, von den punktförmigen Gewürmen, die sämmtlich Thiere sind, und sich mit Schnelligkeit, willkürlich, zu gewissen Zwecken bewegen, die sie ausser sich erlangen wollen.“175 Ebenso spricht er beispielsweise über die Atmung der Pflanzen, denn „Die Pflanzen haben keine Lungen, keine Kiemen, keine Luftröhren; man sieht keine Bewegung vom Aus- und Einathmen; und doch ist ihnen das Athmen und der Gefässbau so nothwendig, als den Thieren.“176 Anschaulich vergleicht Batsch gerade das Atemholen der Pflanzen mit dem der Fische, die die lebenserhaltende Luft aus dem Wasser holen – Pflanzen können dies entweder aus der Luft oder aus dem Wasser. Die Fortpflanzung mit Hilfe des Blütenstaubs, der Insekten und des Winds wird ebensowenig ausgelassen.177 Auf bisher ungeklärte Phänomene der Pflanzenwelt weist er hin, wie etwa auf das „Leuchten der Gewächse“, wie man es an faulem Holz und Kartoffelknollen beobachtet habe,178 usw. Auch die Frage der Pflanzenseele lässt Batsch nicht unberührt, er zieht sich aber schon auf den neutraleren Begriff der „Lebenskraft“ zurück.179 173 Batsch, Botanik für Frauenzimmer, 1795, S. 1. 174 Batsch, Botanik für Frauenzimmer, 1795, siehe Abschnitt 6 „Menschlicher Gebrauch der Pflanzen“, S. 6 f. 175 Batsch, Botanik für Frauenzimmer, 1795, S. 13 f. 176 Batsch, Botanik für Frauenzimmer, 1795, S. 32 f. 177 Gerade die Fortpflanzung gilt ihm aber als Unterschied z­ wischen Pflanze und Tier, bzw. Mensch: „Bey den Thieren ist der Unterschied der Geschlechter, und die Beziehung derselben auf einander, die sich in Liebe und Fortpflanzung äussert, darum von jeher auffallender gewesen, da die meisten Thiere entweder zu dem einen oder dem anderen Geschlechte gehören (…) Nur äusserst wenige, wie z. B. die Schnecken, sind männlich und weiblich zugleich, und gleichwohl vereinigen sich zwey Thiere, um die Art fortzupflanzen. Im Gewächsreiche ist es umgekehrt, und die Zwittergeschöpfe, ­welche beyde Geschlechter vereinigen, machen die Regel aus, von welcher die geringere Zahl abgeht.“ (Batsch, Botanik für Frauen­ zimmer, 1795, S. 67 f.) 178 Batsch, Botanik für Frauenzimmer, 1795, S. 118 f. 179 „L e b e n auch die Pflanzen würklich? Wa c h s e n sie nicht blos ohne nähere Aehnlichkeit mit den ­Thieren? Oder sind sie wohl gar den Thieren noch verwandter, haben sie wohl gar e i n e S e e l e ? Ich darf

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Im Kontext des gesamten botanischen Wissensgebietes gesehen, verfasst Batsch so ein zentrales Kompendium, das das Pflanzenwissen seiner Zeit auf neuestem Stand komprimiert. Er scheut sich ebensowenig, komplexe Fragen wie Atmung, Fossilienfunde etc. anzusprechen. Dem „Frauenzimmer“ nicht zumutbare Th ­ emen oder Komplexitäten 180 scheinen in ­diesem Werk nicht auf. Auch Frauenzimmerbotaniken nach der Jahrhundertwende verfahren zunächst in dieser Weise. In Ludwig Reichenbachs Botanik für Damen werden sogar insbesondere die Verdienste der Frauen in der botanischen Wissenschaft im Vorwort explizit hervorgehoben und die großen Fähigkeiten der Frauen in den Naturwissenschaften gerühmt.181 Um die Jahrhundertmitte allerdings ändert sich dies zunehmend. 1854 schaltet Anton Reichenbach seinem Werk Botanik für Damen oder allgmeine und besondere Pflanzenkunde anschaulich, leicht faßlich und mit besonderer Beziehung auf den edlen Beruf der Frauen 182 eine Einleitung vor, die keinen Zweifel mehr an den bürgerlich-­geschlechterpolaren Vorstellungen lässt. Sicher ist, dass sich ebenfalls um 1850 die strukturellen Umgebungen botanischer Wissenswelten verändern und sich damit ehemals offene Zugänge zu Wissen­schaftsfeldern schließen. So verlief der Weg zum botanischen Wissen, der anfänglich für viele Botanisten (und Botanistinnen) über bürgerliche Kreise, Gesellschaften, Akademien und Sozietäten und führte, schliesslich mehr und mehr über nun eingerichtete „wissenschaftliche“ erwarten, dass diese Fragen selbst hier am rechten Ort stehen, aber eine gelehrte, spitzfindige Antwort müssen wir vermeiden. (…) Die Pflanze l e b t w i r k l i c h . (…) Sie hat Adern im innern, wird durch sie ernährt, scheidet dadurch eigene Säfte ab, bringt Ihres Gleichen hervor, hat eine eigene Geschichte von ihrem Anfange bis zum Tode. Dies alles nennt man Leben, und die eigne Kraft, die es bewirkt, die Lebenskraft. Dasselbe findet man bey den Thieren, wenn man ihren Geist, ihre Empfindung, ihre willkührliche Entschliessung wegdenkt. Durch diese allein sind sie überhaupt von den Pflanzen getrennt.“ (Batsch, Botanik für Frauenzimmer, 1795, S. 131 ff. 180 Im von Batsch aufbereiteten Curtis Botanical Magazine von 1796 (unter dem Titel Der geöffnete Blumengarten) ist dies schon eher der Fall. Hier beschreibt ein unbekannter Herausgeber im Vorwort die Entwicklung der vorangegangenen Jahre: „Seitdem die Naturgeschichte eine ganz andere Gestalt gewonnen hat, man sie als eine für den cultivirten Menschen höchstwichtige ja unentbehrliche Wissenschaft hält, und seitdem man sie nicht allein in Teutschland, sondern in ganz Europa mit Eifer studirt, wählte sich das schöne Geschlecht das Pflanzenreich, und aus d ­ iesem wieder die B l u m e n k u n d e zu ihrem Lieblings-­Studio.“ Auf d ­ ieses Vorwort folgen direkt die – offensichtlich in ­diesem Garten vorhandenen – Blumen, ohne weiteren Kommentar. (Batsch, August Joh. Ge. Carl: Der geöffnete Blumengarten. Theils aus dem Englischen von Curtis Botanical Magazine, neu bearbeitet, theils mit neuen Originalien bereichert, Weimar 1796, hier S. III und S. IV f. Vorwort des Herausgebers.) 181 Reichenbach, Heinrich Gottlieb Ludwig: Botanik für Damen, Künstler und Freunde der Pflanzenwelt überhaupt, enthaltend eine Darstellung des Pflanzenreichs in seiner Metamorphose, eine Anleitung zum Studium der Wissenschaft, und zum Anlegen von Herbarien. Ein Versuch von H. G. Ludwig ­Reichenbach (…), Leipzig 1828. 182 Reichenbach, Anton B.: Botanik für Damen oder allgemeine und besondere Pflanzenkunde anschaulich, leicht faßlich und mit besonderer Beziehung auf den edlen Beruf der Frauen dargestellt von Dr. A. B. Reichenbach, Lehrer der Naturgeschichte an der Realschule in Leipzig (…), Leipzig 1854.

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Institutionen.183 Die Prozesse der Institutionalisierung schritten fort, die Geschlechterpolarisierung weitete sich im 19. Jahrhundert vehement aus.184 Im 18. und frühen 19. Jahrhundert dagegen zeigt sich im Botanisieren noch jenes immense aufklärerische Projekt in actu, das das aufklärerische Abenteuer beinhaltet und jeden Menschen betraf: Das Studium der Pflanzen war im Prinzip offen für jeden und jede – der oder die Zeit erübrigen konnte und die Mittel für die Anschaffung einer kleinen Handbibliothek besaß. Länderbotaniken, Regionalfloren, Taschenbücher Neben den populären Gesamtbotaniken, die noch die Einführung in die Pflanzenkunde und das Bestimmungsbuch verbanden, erschienen nach der Jahrhundertwende unzählige „Regionalbotaniken“ oder „Regionale Floren“, die als Bestimmungsbücher für einzelne Länder fungierten oder die Vegetation für kleinere Landstriche aufarbeiteten. Sie basierten meist auf den Werken großer Gelehrter, wie etwas dem Werk Hallers, hatten aber eine etwas andere Zielsetzung. Hier ging es weniger um die Vollständigkeit des Wissens als um ein Lehrkompendium, das den Botanisten die Bestimmung der Pflanzen einer Region oder eines Landes ermöglichen sollte. So etwa die 1802 von Johann Rudolf Suter (1766 – 1827) erschienene Helvetiens Flora,185 die in einem kleinen, handlichen Bandformat erschien, um insbesondere unterwegs dienlich und praktisch zu sein, allerdings noch in lateinischer Sprache gehalten war. Die praktische Ausrichtung war hier Suters erklärtes Ziel, denn er schreibt: „Hallers unsterbliches Werk (…) ist die reiche Quelle, aus welcher ich für gegenwärtige Flora meines Vaterlandes schöpfte. Die Wichtigkeit und Seltenheit des Buchs sowohl als sein unbequemes Format in Folio veranlassten schon lange den Gedanken bey mir, die Pflanzen Helvetiens in einer leichten tragbaren Form nach Linneischer Ordnung bekannt zu machen (…).“186

183 So spricht bspw. auch Staffan Müller-­Wille etwa erst für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Ausbildung von Lehrstühlen, Studiengängen etc. und verweist auf die „soziale Gemeinschaft“ der Sammler und Botaniker, die Verbindung von ökonomischer und wissenschaftlicher Sphäre, die weitreichenden Korrespondenzen, Austauschvorgänge und Kommunikationsprozesse unter Naturforschenden. Müller-­Wille, Staffan: „Ein Anfang ohne Ende. Das Archiv der Naturgeschichte und die Geburt der Biologie“, in: Dülmen, Richard van und Rauschenbach, Sina (Hrsg.): Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 587 – 606. 184 Hausen, Karin: „Die Polarisierung der ‚Geschlechtscharaktere‘ – eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“, in: Conze, Werner (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363 – 393. 185 Suter, Johann Rudolf: Helvetiens Flora; worinn alle im Hallerischen Werke enthaltenen und seither neuentdeckten Schweizer Pflanzen nach Linnès Methode aufgestellet sind, Zürich 1802. 186 Suter, Helvetiens Flora, 1802, Vorrede.

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Bearbeitungen, Neuherausgaben, Neuauflagen Suters handliches Bestimmungsbuch war offensichtlich für viele eine Art Handwerkszeug. Benutzerspuren der Besitzer belegen dies. Im vielen Exemplaren zeigt sich, wie ­dieses Werk auch als „Buch im Buch“ eingebunden und ergänzt werden konnte, indem am Rand handschriftliche Ergänzungen auftauchen.187 Über Suters Biographie ist wenig bekannt.188 Im Titelblatt und in seiner Vorrede wird ersichtlich, dass er als Arzt in Zürich tätig war. Alpenreisen absolvierte er selbst nur wenige aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit, er erhielt aber von verschiedenen „Pflanzen­suchern“ entsprechende Exemplare. Er weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass er selbst von Haller nichts übernommen habe, was er nicht selbst untersucht habe. Auch habe er sich eine entsprechende Kräutersammlung ausgeliehen, die ursprünglich einem Schüler ­Hallers gehört habe.189 Offensichtlich sind derartige Werke stark nachgefragt worden, denn 1822 wird ­dieses Werk überarbeitet wieder herausgegeben von Johann Hegetschweiler (1789 – 1839), einem Zürcher Arzt und Politiker,190 jetzt in zwei Bänden unter dem Titel Helvetiens Flora ­enthaltend die phanerogamischen Gewächse Helvetiens 191 (Phanerogamen: Blütenpflanzen, A. d. V.). Die Ausführungen über die Flora der Kantone sind hier erweitert, Höhenlagen und Gewächse der Alpen werden erläutert, und Hegetschweiler kommentiert die Notwendigkeit dieser Ausgabe folgendermaßen: „Trotz allen diesen vielfältigen Arbeiten fehlt es jetzt wieder an einem compendiösen und einigermassen vollständigen Handbuch der schweizerischen Gewächse für Reisende und Anfänger, da das Sutersche Werk bereits seit einiger Zeit vergriffen ist (…).“192 Diese Praxis der Neuherausgabe durch andere Autoren, der Überarbeitung und Ergänzung ist dabei vielfach anzutreffen. Ein weiteres Beispiel für ein derartiges bilderloses, für die Allgemeinheit bestimmtes deutsches Bestimmungsbuch ist das 1832 erschienene Die Pflanzen der Schweiz des Churer Naturkundelehrers und späteren Präsidenten der Naturforschenden Gesellschaft Graubündens Alexander Moritzi (1806 – 1850).193 Wie fast alle diese Bücher gliedert er die 187 Etwa in von F. Hagenbach benutzten Ausgabe von Suters Werk in der Universitätsbibliothek Basel; Bot 1526:1. 188 Zu Johann Rudolf Suter siehe: Marti-­Weissenbach, Karin: „Suter, Johann Rudolf“, in: HLS, Band 12, Basel 2013, S. 154. 189 Suter, Helvetiens Flora, 1802, Vorrede. 190 Siehe: Meyer von Knonau: Artikel „Hegetschweiler, Johannes“, in ADB 11, Leipzig 1880, S. 276 – 278. Oder: Bürgi, Markus: Artikel „Hegetschweiler, Johannes“, in HLS Band 6, Basel 2007, S. 188. 191 Suter, Johann Rudolf: Helvetiens Flora enthaltend die phanerogamischen Gewächse Helvetiens, zuerst bearbeitet von Joh. Rudolf Suter, vermehrt herausgegeben von Johann Hegetschweiler (2 Bde), Zürich 1822. 192 Suter / Hegetschweiler, Helvetiens Flora, 1822, S. CXX. 193 Moritzi, Alexander: Die Pflanzen der Schweiz, ihrem wesentlichen Charakter nach beschrieben und mit Angaben über ihren Standort, Nutzen (…), Chur 1832. Alexander Moritzi ist im Historischen Lexikon

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Schweizer Pflanzen in Linné’scher Manier in Klassen je nach Existenz und Lage der Staubbeutel und gibt wieder genaue Anweisungen für die Vorgehensweise des Bestimmens. „Taschenbücher“ Handlichere Werke erschienen nun zunehmend auch unter dem Titel Taschenbuch. So etwa das weit verbreitete und immer wieder aufgearbeitete Werk von Wilhelm Daniel Joseph Koch für den gesamten deutschsprachigen Raum: Taschenbuch der Deutschen und Schweizer Flora, enthaltend die genauer bekannten Pflanzen, ­welche in Deutschland, der Schweiz, in Preussen und Istrien wild wachsen (…).194 Immer noch bilderlos, avancierte ­dieses Werk offensichtlich zum Klassiker. Zunächst kam es 1838 unter dem Titel Synopsis der Deutschen und Schweizer Flora 195 auf den Markt, 1844 gekürzt und in kleinerem Format aufgelegt als „Taschenbuch“ (Taschenbuch der Deutschen und Schweizer Flora). Bis 1881 erschien d ­ ieses abbildungslose Bestimmungsbuch in mindestens 13 Auflagen. Sogar bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Werk immer wieder überarbeitet und neu herausgegeben. Koch verwendete bei der Pflanzen­einteilung zunächst das in dieser Zeit neben dem Linné’schen Klassifikationssystem existierende sogenannte „DeCandollische System“.196 Aber auch er ergänzte hierzu das Linné’sche, „weil, nach meiner Ansicht und langjährigen Erfahrung, ­dieses System für die grosse Masse von Freunden der Botanik, w ­ elche sich nicht ganz besonders mit dieser Wissenschaft beschäftigen können, das einzig praktische ist“.197 Die Einteilungen von Linné und DeCandolle (oder auch Jussieu) wurden so vielfach nebeneinander genutzt.198 (In späteren Auflagen wird dann ganz umgestellt auf die Linné’sche Ordnung.) Das eigentliche Verzeichnis beginnt hier mit „Gefässpflanzen“ – ringfaserig, zerstreutfaserig etc.,

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der Schweiz erwähnt, siehe: Lienhard, Luc: Artikel „Moritzi, Alexander“, in: HLS Band 8, Basel 2009, S. 737. Koch, Wilhelm Daniel Joseph: Taschenbuch der Deutschen und Schweizer Flora, enthaltend die genauer bekannten Pflanzen, w ­ elche in Deutschland, der Schweiz, in Preussen und Istrien wild wachsen und zum Gebrauche der Menschen in grösserer Menge gebauet werden, nach dem DeCandollischen Systeme geordnet, mit einer vorangehenden Uebersicht der Gattungen nach den Classen und Ordnungen des Linneischen Systemes, bearbeitet von D. Wilh. Dan. Jos. Koch, königl. bayer. Hofrathe ordentl. Professor der Medicin und Botanik an der Universität Erlangen u. Director des bot. Gartens daselbst, Leipzig 1844. Koch, Wilhelm Daniel Joseph: Synopsis der Deutschen und Schweizer Flora (…), Frankfurt a. M. 1838. Augustin-­Pyrame de Candolle (1778 – 1841) lehrte in Genf und gründete den dortigen botanischen Garten. Sein Klassifikationssystem setzte sich nicht durch. Siehe: Sigrist, Réne: Artikel „Candolle, Augustin-­ Pyramus de“, in: HLS 3, Basel 2004, S. 191 f. Koch, Taschenbuch, 1844, S. VI. Zu den Systemen und ihren Überschneidungen siehe den komplexen Band von: Hoefle, M. A.: Die Pflanzensysteme von Linné, Jussieu, de Candolle (…), Heidelberg 1845. Auch Linné versuchte seine „künstliche“, nach den Fortpflanzungsorganen organisierte Nomenklatur mit einem „natürlichen S­ ystem“ zu verbinden.

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und endet nach knapp sechshundert Seiten mit den „Gramineen“, den Gräsern, dann folgt das Register. 1847 erfolgte ein Ergänzungsband über die „Kryptogamen“, die Moose, Pilze und Flechten. Wilhelm Daniel Joseph Koch (1771 – 1849) war zunächst Arzt und später königlich bayeri­scher Hofrat sowie Medizin- und Botanikprofessor in Erlangen und Mitglied in 34 gelehrten Gesellschaften.199 Allein die Anerkennung seiner Leistungen durch die Aufnahme in diese vielen Gesellschaften weist seine Popularität aus. Die Mitgliedschaft in gelehrten Gesellschaften kann hier durchaus als Ausweis und Gradmesser der Anerkennung wissenschaftlicher Leistung dienen. Auf den Titelblättern der Werke wird die Mitgliedschaft in gelehrten Gesellschaften immer erwähnt und bestimmt den Verfasser als „ausgewiesenen“ Wissenschaftler, stellt also in der wenig insti­tutionalisierten offenen scientific community des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts ähnlich wie die eigene Naturaliensammlung einen Ausweis des Expertentums dar. Im Artikel der Allgemeinen Deutsche Biographie von 1882 jedenfalls heißt es zu Kochs Werk: „Was vor d ­ iesem klassischen Werke an floristischen Arbeiten in Deutschland erschienen, ist d ­ iesem gegenüber, unbedeutend gewesen, und was nachher die botanische Litteratur in ­diesem Fache aufzuweisen hat, stützt sich durchaus auf Koch’s Synopsis“.200 Im 19. Jahrhundert war Koch offensichtlich europaweit als „Deutschlands größter Florist“201 bekannt. Der Erlanger Professor der Medizin und der Botanik bemühte sich dezidiert um Kürze und Verstehbarkeit und adressierte ein allgemeines Publikum. Er schreibt in seinem Werk Taschenbuch der deutschen und Schweizer Flora: „Es ist bei dem vielfachen Wechseln der Namen in unserer Zeit gewiss sehr wünschenswerth, dass in Büchern wie meinigen ­­solche gebrauchet werden, die Jeder sogleich versteht“202. Das breitere Publikum liegt ihm am Herzen: „Noch bemerke ich, dass ich für diejenigen, ­welche Zeit und Mittel haben sich der Botanik in ihrem ganzen Umfange zu widmen und tiefer einzudringen, diese Uebersicht nicht geschrieben habe, für diese bedarf es umfassender Werke; allein es gibt ausser diesen Forschern eine Menge von Freunden der Pflanzenkunde, ­welche neben ihren Berufsarbeiten in der Flora ihrer Gegend sich umsehen (…).“203 Weitere für ein größeres Publikum geschriebene Bestimmungsbücher sind unschwer zu finden. Etwa beispielsweise auch von Martin Balduin Kittel 204 Taschenbuch der Flora 199 Zu seiner Biographie siehe: Wunschmann, Ernst: „Koch, Wilhelm Daniel Joseph“, in: ADB 16, Leipzig 1882, S. 402 – 405. 200 Wunschmann, Ernst: „Koch, Wilhelm Daniel Joseph“, in: ADB 16, Leipzig 1882, S. 402 – 405, hier S. 403 f. 201 So die Wortwahl in der ADB, Wunschmann, Koch, 1882, S. 402. 202 Koch, Taschenbuch der Deutschen und Schweizer Flora, 1844, S. IV. 203 Koch, Taschenbuch der Deutschen und Schweizer Flora, 1844, S. VII. 204 Kittel (1797 – 1885?) war laut dem Titelblatt seines Werkes Professor der Naturwissenschaften am königlichen Lyceum und Rektor der Landwirtschaftsschule in Aschaffenburg sowie Mitglied verschiedener gelehrter Gesellschaften. Siehe Titelblatt von: Kittel, Taschenbuch, 1837.

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Deutschlands zum bequemen Gebrauche auf botanischen Exkursionen 205 von 1837. Auch ­dieses wurde im Minitaschenbuchformat gedruckt und ist auch explizit an Anfänger gerichtet: „Die Herausgabe ­dieses Werkchens mag sich vor den Botanikern von Profession durch den Titel rechtfertigen; geschrieben ist es für Anfänger. Es sollte zu Excursionen bequem seyn, und ist zur Vermeidung der häufigen Missverständnisse in deutscher Sprache abgefasst.“206 Er beschränkt sich allerdings auf Deutschland und verweist für die Schweiz auf die Werke von Koch und anderen bekannten Autoren: „Wer dort botanisieren will, findet in Reichenbachs und Kochs Werken die nöthige Hilfe.“207 Sein Vorwort endet mit guten Wünschen für den Botanik-­Anfänger: „Somit wünsche ich schliesslich dem jungen Botaniker, bei dem ich ohnehin gute Augen voraussetze, dass er recht viele und interessante Pflanzen mit meinem Taschenbuche in der Hand finden, bestimmen und die reine, beseeligende Freude geniessen möge, ­welche ich selbst mitempfinde, so oft ein junger Mann unter meinen Schülern, durch selbstthätiges Vergleichen, eine Pflanze mit Hilfe d ­ ieses Büchleins erkennt. Gott möge jeden, der sich desselben bedient, begleiten, in seinen Schutz nehmen und zum Heile desselben und seiner Nebenmenschen in guter Gesundheit erhalten, dass sie alt werden wie Linné, Jussieu, Lamark und Jacquin.“208 Weitere, ähnliche Werke für die Anfänger des Botanisierens aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind in großer Menge vorhanden.209 Regionalbotaniken und lokale Flora Alix Cooper hat aufgezeigt, dass regionale „Floren“ schon seit dem 16. und 17. Jahrhundert erschienen. Das naturforschende Interesse richtete sich also nicht nur auf die fremde überseeische Natur, sondern ebenso auf die heimatliche Natur.210 Diese Entwicklung setzt sich hier fort und weitet sich in großem Stil aus, indem im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum sowohl unzählige deutschsprachige Regional­botaniken

205 Kittel, Martin Balduin: Taschenbuch der Flora Deutschlands zum bequemen Gebrauche auf botanischen Excursionen, Nürnberg 1837. 206 Kittel, Taschenbuch der Flora Deutschlands, 1837, S. V. 207 Kittel, Taschenbuch der Flora Deutschlands, 1837, S. V. 208 Kittel, Taschenbuch der Flora Deutschlands, 1837, S. XI f. 209 Beispielsweise u. a. auch: Mössler, Johann Christoph: Taschenbuch der Botanik zur Selbstbelehrung, Hamburg 1805. Schmidlin, Eduard: Populäre Botanik, oder, Gemeinfassliche Anleitung zum Studium der Pflanze und des Pflanzenreiches: zugleich ein Handbuch zum Bestimmen der Pflanzen auf Excursionen, Stuttgart 1857. Lorinser, Gustav und Lorinser, Friedrich: Taschenbuch der Flora Deutschlands und der Schweiz. Zur sicheren und leichteren Bestimmung der wildwachsenden und allgemein cultivirten phanerogamischen und kryptogamischen Gefäss-­Pflanzen, Wien 1847. Röhling, Johann Christoph: Deutschlands Flora. Ein botanisches Taschenbuch, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1812/13. Und viele mehr. 210 Cooper, Alix: Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe, Cambridge 2001.

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für ein größeres Publikum erschienen wie auch vom Format her handliche Regionalbotaniken für den Gebrauch bei Exkursionen. Für die Regionen der Schweiz beispielsweise Ludwig von Fischers Taschenbuch der Flora von Bern 211, Jakob Wartmanns St. Gallische Flora für Anfänger 212, oder Albert ­Köllikers Verzeichnis der phanerogamischen Gewächse des Cantons Zürich 213. Kölliker seinerseits erläutert ausführlich, ­welche weiteren Schriften er über die Flora Zürichs gefunden hat und ­welche Herbarien ihm zur Verfügung gestanden haben. Genannt sei auch Christian F ­ riedrich 214 ­Froelichs Botanische Spaziergänge im Kanton Appenzell  , das im Titel wieder die Kombination von „Spazierengehen“ und „Botanisieren“ veranschaulicht. Oft kommt in diesen Werken die Begeisterung des Verfassers für die Natur und die heimatliche Landschaft im Vorwort zum Ausdruck, wenn Froelich schreibt: „Möge nun diese Schrift wohlwollend aufgenommen werden, und namentlich die Schuljugend Vergnügen und Belehrung darin finden. Dem Pflanzenliebhaber, sonderheitlich dem fremden Reisenden, überreiche ich dieselbe als Führerin in unsere Berge, als Lehrerin der Pflanzenwelt daselbst und als theures Andenken an die u n v e r g l e i c h l i c h (Sperrdruck im Original, A. d. V.) schönen ­ ieses Werk, um 1850 Punkte und Fernsichten des appenzellischen Berggeländes.“215 Auch d gedruckt, beinhaltet noch eine kleine Einführung in die Gewächskunde und kommt im Bestimmungsteil ohne Abbildungen aus. Fünf Abbildungen sind angehängt sowie eine Karte des Kantons Appenzell. Es wären viele weitere Werke dieser Art zu nennen.216 Analoge Werke erscheinen für die deutschen Gebiete. Die 753-seitige, schon 1789 erschienene Baierische Flora von Franz von Paula Schrank (1747 – 1835), einem „Professor der ökonomischen Botanik, sowie Doktor der Philosophie und Theologie und kurfürstlich, baierischem, geistlichen Rath“, wie das Titelblatt seines Werkes erläutert,217 beschränkt sich auf die Region Bayern. Joseph Meinrad von Engelberg, ein großherzoglich-­badischer „Medicinalrath“, und Roth von Schreckenstein geben in fortlaufender Zeitschriftenform ab 1804 eine Flora der Gegend um den Ursprung der Donau und des Neckars heraus, die später in Buchform zusammengebunden wieder publiziert wird.218 211 Fischer, Ludwig von: Taschenbuch der Flora von Bern. Systematische Uebersicht der in der Gegend von Bern wildwachsenden und zu öconomischen Zwecken allgemein cultivirten phanerogamischen Pflanzen, Bern 1855. 212 Wartmann, Jakob: St. Gallische Flora für Anfänger und Freunde der Botanik, St. Gallen 1847. 213 Kölliker, Albert: Verzeichniss der Phanerogamischen Gewächse des Cantons Zürich, Zürich 1839. 214 Froelich, Christian Friedrich: Botanische Spaziergänge im Kanton Appenzell. Beschreibung der daselbst wildwachsenden Pflanzen in systematischer Ordnung, Trogen, ohne Angabe des Jahres, Vorwort von 1850. 215 Froelich, Botanische Spaziergänge im Kanton Appenzell, 1850, 3. Seite der Vorrede. 216 Etwa auch: Zschokke, Eugen: Verzeichniß der in der Umgegend von Aarau wildwachsenden Pflanzen (…), Aarau 1847. Moritzi, Alexander: Die Pflanzen Graubündens; Neuchâtel 1839. Usw. 217 Schrank, Franz von Paula: Baierische Flora, München 1789. Zur Person siehe: Wunschmann, Ernst: Artikel „Schrank, Franz de Paula von“, in: ADB 32, Leipzig 1891, S. 450 ff. 218 Engelberg, Joseph Meinrad von und Schreckenstein, Friederich Freyherr von: Flora der Gegend um den Ursprung der Donau und des Neckars (…), 4 Bde, Donaueschingen 1804 – 1814. In der Buchauflage

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Die nach der Jahrhundertwende publizierten Regionalbotaniken erhalten dabei im Großen und Ganzen immer mehr den Charakter von Bestimmungsbüchern für die jeweils heimische Flora. P. F. Cürie 219 gibt beispielsweise 1823 eine Anleitung, die im mittleren und nördlichen Deutschland wachsenden Arten auf eine leichte und sichere Weise durch eigene Untersuchung zu bestimmen heraus, die bis 1891 mindestens 13 Auflagen erlebte und bis ins 20. Jahrhundert immer wieder überarbeitet und neu publiziert wurde.220 Eigenes Wissen – kollektives Wissen Gustav Schübler und Georg von Martens 221 beschreiben in der Vorrede ihrer 1834 erschienenen Flora von Württemberg 222 noch zwei weitere Merkmale derartiger Regionalbotaniken, die bemerkenswert sind: Zum einen die dem neuen Wissenschaftsverständnis geschuldete Tatsache, dass sie explizit kein Wissen mehr aus anderen Kompendien unbesehen übernehmen, sondern alles Beschriebene selbst beobachtet haben und belegen können. So versichern sie: „(…) unternahmen selbst, ausser häufigen Excursionen in unsere nähere Umgebungen, mehrere Reisen in die entlegenen Gegenden Würtemb. zu Ausfüllung der vorhandenen Lücken (…) wobei wir bemercken, dass wir alle aufgeführten Pflanzen, die einzige Orobanche Rapum ausgenommen, selbst gesehen haben und beinahe alle auch in unsern Herbarien nachweisen können.“223 Zum Anderen beschreiben sie, wie sie seit dem Jahre 1822 „alle inländischen Pflanzenforscher“ zu Mitteilungen aufgefordert hätten – Schübler in seiner Funktion als Professor in Tübingen, Martens über den landwirtschaftlichen Verein in Stuttgart. Sie publizieren daher auch ein fünfseitiges Verzeichnis der „Finder“ und „Einsender“ seltener Pflanzen.224 Unter diesen „Findern“ tummeln sich Ärzte, Apotheker, Stadträte, Pfarrer, Lehrer und Beamte – städtisches Bildungsbürgertum. Beeindruckend ist auch das Werk von J. Ch. Döll mit dem Titel Rheinische Flora. Beschreibung der wildwachsenden und cultivirten Pflanzen des Rheingebietes vom Bodensee

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von 1814 wird neben den langen Pflanzenbeschreibungen (Blütezeit, „Wohnort“, Blatt- und Blütenform etc.) sogar noch ausführlich der Nutzen und die Besonderheiten einzelner Pflanzen erläutert – ein zu dieser Zeit in den Bestimmungsbüchern nicht mehr sehr gebräuchlicher Zusatz, der in das Feld der medizinischen oder ökonomischen Werke verlagert ist. Trotz des großen Erfolges seines Werkes ist über die Person Cüries in den biographischen Lexika nichts eruierbar. Cürie, P. F.: Anleitung, die im mittleren Deuutschland wachsenden Pflanzen auf eine leichte und sichere Weise durch eigene Untersuchung zu bestimmen, 2. Auflage Görlitz 1828. Zu Gustav Schübler (1887 – 1834) siehe: Wunschmann, Ernst, Artikel „Schübler, Gustav“, in: ADB 32, Leipzig 1891, S. 639 f. Zu Georg von Martens (1788 – 1872) siehe Wunschmann, Ernst: Artikel „Martens, Georg Matthias von“, ADB 20, Leipzig 1884, S. 467 – 471. Schübler, Gustav und Martens, Georg von: Flora von Württemberg, Tübingen 1834. Schübler / Martens, Flora von Württtemberg, 1834, Vorrede S. III f. Schüber / Martens, Flora von Württemberg, 1834, S. XXIX–XXXIII.

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bis zur Mosel und Lahn, mit besonderer Berücksichtigung des Grossherzogthums Baden von 1843.225 Das vom Großherzogtum Baden in Auftrag gegebene Werk des badischen Professors und Hofbibliothekars befasst sich mit dem Rheingebiet von Bregenz bis Koblenz. Als Bibliothekar hatte er offensichtlich Zugang zu den botanischen Werken seiner Zeit. Er listet allein für sein begrenztes Bearbeitungsgebiet der Rheinebene mehr als 30 mittlerweile existierende sogenannte „Localfloren“ auf, die z­ wischen ca. 1800 und 1840 entstanden ­seien – von der Flora des Regierungsbezirks Coblenz von einem Verfasser namens Wirtgen bis hin zu einer von einem Herrn Kirschleger verfassten Statistique de la Flore d’Alsace. Das Verzeichnis ist dem von Koch ähnlich: Er gibt die lateinischen und deutschen Namen an und beschreibt die rheinischen Gegenden und Standorte auf 832 Seiten im Taschenbuchformat. Dabei erläutert der Autor auch hier die Benutzerfreundlichkeit: „Es sind bei ­diesem Schlüssel vorzugsweise leichter wahrnehmbare Merkmale aller Pflanzengebilde benutzt worden, ­welche auch der minder Geübte leichter aufzufinden weiss. Der Gelehrte weiss ja ohnehin, wo er jegliches zu finden hat (…).“226 Weitere Aufzählungen dieser vielfältig erscheinenden Regionalfloren erübrigen sich, sie sind in in kaum überschaubarer Menge vorhanden.227 Pflanzenarchäologie, begrenzte Vielfalt und kollektive Wissensproduktion Alle diese genannten Werke wären für einen Pflanzenarchäologen, Vegetationshistoriker oder auch Geologen eine Fundgrube, könnte man hier doch nachvollziehen, ­welche Pflanzen in dieser Region zur Mitte des 18. Jahrhunderts in ­welchen Regionen noch vorhanden waren: So war etwa der in dieser Zeit ja viel diskutierte Sonnentau (da er eine fleischfressende Pflanze ist) auch in Württemberg, am Bodensee oder in der Pfalz 225 Döll, J. Ch.: Rheinische Flora. Beschreibung der wildwachsenden und cultivirten Pflanzen des Rheingebietes vom Bodensee bis zur Mosel und Lahn, mit besonderer Berücksichtigung des Grossherzogthums Baden. Von J. Ch. Döll, Grossherzoglich Badischem Professor, erstem Bibliothekare an der Grossherzog­ lichen Hofbibliothek in Carlsruhe und Mitgliede mehrerer Gelehrtenvereine, Frankfurt a. M. 1843. 226 Döll, Rheinische Flora, 1843, S. XXIV, Fußnote. 227 Bspw. Dennstedt; August Wilhelm: Weimar’s Flora, Jena 1800. Oder auch zu Österreich: Schultes, Joseph August: Oesterreichs Flora. Ein Handbuch auf botanischen Excursionen, enthaltend eine kurze Beschreibung der in den Erbstaaten des österreichischen Kaiserthumes wildwachsenden Pflanzen, 2. Auflage Wien 1814. Auch Schultes ist laut der Titelei Hofrat und Professor der Naturgeschichte. Schultes (1773 – 1831) war seinerzeit ein weithin berühmter österreichischer Botaniker, Mediziner und Naturwissenschaftler über den wenig bekannt ist. Er verfasste auch den bereits erwähnten „Grundriss einer Geschichte und Literatur der Botanik“. Oder etwa von dem schon öfter erwähnten F. A. Braune: Braune, Franz Anton von: Salzburgische Flora, oder Beschreibung der in dem Erzstifte Salzburg wildwachsenden Pflanzen: nebst Angabe ihrer Wohnorte, Blühezeiten, Dauer, Gestalt etc. ihrer Anwendbarkeit in der Heilkunde und Haushaltungswissenschaft, Salzburg 1797 (3 Bde). Regionale Botaniken sind in vielfältigster Weise publi­ziert worden.

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heimisch und verbreitet. Pflanzenfreunde haben sehr offensichtlich im 18. Jahrhundert eine enorm größere Pflanzen­vielfalt in ihrer Umgegend vorgefunden als wir sie heute aus diesen Regionen kennen. Wichtig ist festzuhalten, dass die Erkundung und Kartierung der jeweils regionalen Flora in den Jahrzehnten ­zwischen 1800 und ca. 1840 einen immensen Aufschwung nahm und dann auch mehr oder weniger um 1850 abgeschlossen war, das heißt neue Funde sich zwangsläufig mit der Zeit reduzierten und regionale Besonderheiten weitgehend aufgearbeitet waren. Betonenswert ist dabei ebenso, dass d­ ieses g­ esellschaftliche Großprojekt der Erforschung und Kartierung der heimischen Flora ein gemeinschaftliches Unternehmen von „großen“ und „kleinen“ Forschern darstellt und oftmals viele zu der Entstehung einer Regionalflora beitrugen, indem sie den Verfassern, den Zen­ tralpersonen, gefundene Pflanzenexemplare zusandten oder anderweitig zur Verfügung stellten. So erklären sich auch die in den Zeitschriften vielfach auftauchenden Aufforderungen zur Mithilfe bei dem Entstehen einer „Flora“, eines neuen regionalen Handbuches (siehe II, 2.3.1). Aber nicht nur räumlich werden die Bestimmungsbücher nun eingegrenzt, ebenso erfolgen Publikationen zu bestimmten Pflanzenklassen oder -gattungen, wie von F ­ riedrich Weber und D. M. H. Mohr über Deutschlands kryptogamische Gewächse (also Farne, Moose etc.),228 von Christian Friedrich Reuss die Botanische Beschreibung der Gräser 229 oder von Heinrich Christian Funck Deutschlands Moose 230. Zunehmend, allerdings erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, erscheinen dann auch Verzeichnisse mit Abbildungen – etwa von J. C. Weber Die Alpen-­Pflanzen Deutschlands und der Schweiz in colorirten Abbildungen.231 Oder etwa von Heinrich Römer die Flora der Schweiz, oder Abbildungen sämmtlicher Schweizer Pflanzen.232 Über die von C. T. ­Zollikofer herausgegebenen Hefte Alpenflora der Schweiz in Abbildungen 233 heißt es in einer 1829 erschienenen Rezension in der Flora: „Es ist von dem erfahrnen Botaniker Dr. Zollikofer und dem geschickten Lithographen Gsell ein herrlicher Gedanke, die 228 Weber, Friedrich und Mohr, D. M. H.: Botanisches Taschenbuch auf das Jahr 1807. Deutschlands krypto­gamische Gewächse, Kiel 1807. 229 Reuss, Christian Friedrich: Botanische Beschreibung der Gräser. Nach ihren mancherley einzelnen Bestandtheilen für Anfänger der Botanik wie für sonstige Pflanzen=Liebhaber und Oeconomen von einem Pflanzenkenner, Frankfurt a. M. 1788. 230 Funck, Heinrich Christian: Deutschlands Moose. Ein Taschenherbarium zum Gebrauch auf botanischen Excursionen, herausgegeben von Heinrich Christian Funck, mehrerer naturforschenden Gesellschaften Mitglied. Baireuth 1820. 231 Weber, J. C.: Die Alpen-­Pflanzen Deutschlands und der Schweiz in colorirten Abbildungen nach der Natur und in natürlicher Grösse, 2 Bde, München 1847. 232 Römer, Heinrich: Flora der Schweiz, oder, Abbildungen sämmtlicher Schweizer-­Pflanzen zu den ­Werken von Gaudin, Monnard und Hegetschweiler, Zürich 1843. 233 Zollikofer, Caspar Tobias: Versuch einer Alpen-­Flora der Schweiz, St. Gallen 1828 ff.

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Schweizerpflanzen in Abbildungen auf Stein herauszugeben, und auf diese Weise die ebenso interessanten als grösstentheils seltenen Alpenpflanzen auch denjenigen wenigstens in kenntlichen Abbildungen mitzutheilen, die sich nicht in der glücklichen Lage befinden, unsere Hochgebirge bereisen zu können, um sie an Ort und Stelle selbst zu sammeln. Wir wollen daher hiemit die höchst zweckmässige Ausführung, und die damit erzielte Brauchbarkeit d­ ieses Werkes öffentlich bekräftigen, um nicht nur Botaniker von Beruf, sondern auch Pflanzenfreunde überhaupt und Liebhaber der schönen Natur zur Unterstützung aufzufordern, damit dasselbe mit Fleiss und ohne Unterbrechung fortgesetzt werden könne (…).“234 Hier ist also das „botanische Publikum“ erneut sowohl als Rezipient wie als Mitproduzent im Blick. Mehrbändige Werke, teure Folianten, Abbildungen Dass auch die teuren wissenschaftlich-­künstlerischen Pflanzendarstellungen in dieser Zeit aufgrund des allgemeinen botanischen Interesses einen Höhepunkt erreichen, liegt auf der Hand. Publikationen zur botanischen Buchillustration und künstlerischer Darstellung im 18. Jahrhundert finden sich unschwer und beeindrucken in heutigen Ausstellungskatalogen. Beispielhaft sei hier auf bibliographische Werke verwiesen wie etwa Die botanische Buchillustration – ihre Geschichte und Bibliographie von Claus Nissen, der bezeichnenderweise die Zeit z­ wischen 1740 und 1840 als „Blütezeit der Pflanzenillus­ tration“ einschätzte.235 Neuere Publikationen 236 und besonders Ausstellungskataloge vermitteln ein Bild dieser Tradition ­zwischen Kunst und Naturforschung,237 die hier nicht weiter verfolgt werden kann. Festzuhalten für die Formen aufklärerisch-­botanischer Wissenskultur bleibt aber, dass in den „Floren“ und populären, auflagenstarken Botanikhandbüchern erst ab 234 Rezension zu „Versuch einer Alpenflora (…)“, in: Flora, Jahrgang 12, Band 1, Nro. 6 vom 14. Februar 1829, S. 90. 235 Siehe: Nissen, Claus: Die botanische Buchillustration, ihre Geschichte und Bibliographie (2 Bde), Stuttgart 1951. Hierzu auch: Nissen, Claus: Botanische Prachtwerke. Die Blütezeit der Pflanzenillus­tration von 1740 – 1840, Wien 1933. Siehe auch: Feldmann, Reinhard (Hrsg.): Blüten und Blätter. Illustrierte Kräuter- und Pflanzenbücher aus fünf Jahrhunderten, Münster 1996. Zur Entwicklung des Farbbdrucks siehe u. a.: Grimm, Melanie; Kleine-­Tebbe, Claudia und Stijnman, Ad: Lichtspiel und Farbenpracht. Entwicklungen des Farbdrucks 1500 – 1800, Wolfenbütteler Hefte 29, Wiesbaden 2011. 236 Als neueres internationales Werk sei auf den von O’Malley und Meyers herausgegebenen Band The Art of Natural History. Illustrated Treatises and Botanical Paintings 1400 – 1850 verwiesen: O’Malley, Therese und Meyers, Amy R. W. (Hrsg.): The Art of Natural History. Illustrated Treatises and Botanical P ­ aintings 1400 – 1850, New Haven 2008. 237 Siehe etwa: Museum Giersch / Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg: Die Entdeckung der Pflanzenwelt. Botanische Drucke vom 15. bis 19. Jahrhundert (Ausstellungskatalog), Fulda 2009. Oder: Amelung, Peter (Hrsg.): Blütenpracht und Farbenzauber. Illustrierte Pflanzenbücher des 18. und 19. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog), Stuttgart 1993.

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der Mitte des 19. Jahrhunderts Illustrationen als Wissenshilfen fungieren. Die kostbaren Darstellungen von Pflanzen in verkaufbaren Kupferstichen – wie etwa von Maria Sybilla Merian oder Georg Flegel – standen eher dem damaligen Kunstmarkt nah. Diese ­glichen noch nicht einer modernen visuellen Information in einem botanischen Bestimmungsbuch, deren inhärenter Wert nicht in der Ästhtetik liegt, sondern allein in der visuellen Zusatzinformation. Mehrbändige Werke mit vielen Abbildungen, wie etwa Heinrich Gustav Reichenbachs vielbändiges Verzeichnis Deutschlands Flora mit höchst naturgetreuen, charakteristischen Abbildungen aller Pflanzen-­Arten 238, blieben für viele Pflanzenliebhaber noch bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts unerschwinglich. Dann allerdings erfolgt ein Wandel – ab der Jahrhundertmitte wurden Abbildungen billiger und zunehmend in den Text integriert. Das 1876 erschienene Lehrbuch der praktischen Pflanzenkunde in Wort und Bild, für Schule und Haus, für Gebildete aller Stände von Carl Hoffmann verzeichnete schließlich 1.000 Abbildungen, 60 großformatige kolorierte doppelseitige Tafeln und 214 Holzschnitte.239 Aber selbst derartige Bände verbildlichen jedoch vielleicht weniger den auf den praktischen Gebrauch zielenden Zweck der Publikation als die nun Ende des 19. Jahrhunderts existierende repräsentative Funktion dieser Bücher im gehobenen Bürgertum. Lexika, Nachschlagewerke, Übersetzungen ­ ärtnerey Vielbändige, teure botanische Lexika, wie etwa das Vollständige Lexicon der G und Botanik 240, erscheinen ebenso um die Wende zum 19. Jahrhundert wie erste Biblio­ graphien zur Pflanzenliteratur, wie etwa Baldingers Ueber Litterar=Geschichte der ­theoretischen und praktischen Botanik.241 Auch Übersetzungen grundlegender englischsprachiger Bücher, wie etwa des Werkes von John Lindley 242, kommen im frühen 19. Jahrhundert auf den Buchmarkt.

238 Reichenbach, Heinrich Gustav Ludwig: Deutschlands Flora: mit höchst naturgetreuen, charakteristischen Abildungen aller ihrer Pflanzen-­Arten in natürlicher Grösse und mit Analysen auf Kupfertafeln (…), Leipzig 1837 – 1838. 239 Siehe: Hoffmann, Carl: Lehrbuch der praktischen Pflanzenkunde in Wort und Bild, für Schule und Haus, für Gebildete aller Stände (…) Stuttgart 1876. 240 Dietrich, Friedrich Gottlieb: Vollständiges Lexicon der Gärtnerey und Botanik: Oder alphabetische Beschreibung vom Bau, Wartung und Nutzen aller in- und ausländischen, ökonomischen, officinellen und zur Ziere dienenden Gewächse, Weimar und Berlin 1802 – 1824 (21 Bände). 241 Baldinger, E. G.: Ueber Litterar=Geschichte der theoretischen und praktischen Botanik. Von E. G. ­Baldinger, Geh. Rath, Leibarzt und Professor Primarius der med. Fakult. zu Marburg (…), Narburg 1794. Hier werden alle Arten von Schriften aufgeführt – von Klassifikationsversuchen über Kräuter­ bücher bis hin zu Gartenkalendern oder Werken über biblische Pflanzen. 242 Bspw. Lindley, John: Grundzüge der Anfangsgründe der Botanik. Aus dem Englischen, Weimar 1831.

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Botanische Zeitschriften und das Botanisieren Die botanischen Zeitschriften und Magazine, die hier ebenso zur Verbreitung des Botanisierens beitrugen, sind bereits genannt worden. Sie umfassten aber eine viel größere Bandbreite an botanischen ­Themen, Nachrichten oder Hilfestellungen als die eigent­lichen Einführungen in die Botanik, Regionalfloren oder Bestimmungshilfen. Sie stellten für die Botanisten eher den Rahmen dar, in welchem etwa eine neuentdeckte Pflanze ausführlich beschrieben werden konnte und Hinweise und Aktuelles ihren Platz hatten. Zugleich erschienen aber auch Reihen, die sich alleine den neuentdecken Pflanzenarten widmeten. Sozusagen in fortgeführter Buch- oder Heftform boten sie eine Übersicht über neuentdeckte Arten, wie etwa Ludwig Reichenbachs Deutschlands Flora.243 Sehr kleine Heftreihen erschienen zunächst in dünnen losen Blattsammlungen, wie etwa Jacob Sturms Deutschlands Flora in Abbildungen nach der Natur, mit ca. 16 oder 17 Miniaturtafeln zum Preis von einem Sächsischen Reichstaler. Diese wurden dann bis in die 1860er Jahre ständig um neue Hefte erweitert.244 Buchhandel, Büchertausch und „Antiquariat“ Dass die botanischen Handbücher von größeren Bevölkerungsanteilen genutzt wurden, zeigen Verzeichnisse der in Buchhandlungen erhältlichen Bücher. So sind beispielsweise um die 1820er Jahre im Basler Avisblättlein,245 dem Anzeigenblatt der Stadt, vierteljährlich Bücherverzeichnisse der „Schweighauser’schen Buchhandlung zu Basel“ eingelegt, die eine eigene Rubrik „Naturwissenschaft, Botanick“ auflisten. Diese Bücher wurden also auch vom Bürgertum gekauft und waren in einer lokalen Buchhandlung erhältlich. Vielfach tauchen hier nicht nur bekannte Namen auf, sondern auch Verfasser und Werke, zu denen keine weitere Information erruierbar ist: So etwa in den Anzeigen von 1819246 ein „Gemeinnütziges Handbuch der Gewächskunde“ von einem Dr. Mösler oder ein in Heften erscheinendes „Museum der Naturgeschichte Helvetiens“ von einem N. C. Seringe, eine „Naturlehre für Bürger und Volksschulen“ von J. G. Melos usw. Teilweise sind ­­solche Titel bis heute über Bibliothekskataloge auffindbar, teilweise sind sie verloren

243 Reichenbach, Ludwig (Hrsg.): Deutschlands Flora (…) zur Aufnahme und Verbreitung der neuesten Entdeckungen innerhalb Deutschlands und der angrenzenden Länder, beginnend 1837 (fortgeführt bis 1914). 244 Siehe: Sturm, Jakob: Deutschlands Flora in Abbildungen nach der Natur mit Beschreibungen, Nürnberg 1798 ff. 245 Das Avisblättlein erschien schon für kurze Zeit in den 1730er Jahren in Basel, dann ab 1750 unter dem Titel Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel. 246 Siehe: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1819. Besagtes eingelegtes Buchhandelsverzeichnis folgt vierteljährlich, hier die Ausgabe des zweiten Vierteljahres, S. 244 ff.

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gegangen. In jedem Fall bestätigt die Varianz und Vielfalt der botanischen Handbuchtitel die Existenz eines „botanischen“ Segmentes des Buchmarktes in dieser Zeit. Aufschlussreich ist ebenso, dass ältere Werke im Gebrauchtmarkt angeboten werden, so etwa Werke von Caspar Bauhin oder John Ray. In den Verkaufsspalten des Anzeigenblattes heißt es dann beispielsweise: „Rai Historia plantarum, Londini 1686. 3 vol. fol. In No. 282 an der Spahlen sich zu melden“.247 Aber auch gerade erst erschienene Handbücher werden hier wieder weiterverkauft, so etwa das „Handbuch der Botanik nach Linnés System. Mit Hinweisung auf die natürliche Pflanzen=Familien, und mit Bemerkungen zur Benutzung der einzelnen Pflanzen in der Pharmacie, Oekonomie, Technologie u. s. w.; zum Gebrauche beym Selbststudium der Botanik und bey Vorlesungen von J. B. Wilbrand. 2 Bde (…)“248.

247 Drittes Stück Wöchentlicher Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Donnerstags, den 21. Januar 1819, Zu kaufen begehrt, Nr. 8, S. 19. 248 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, 35. Stück, Donnerstags, den 2. Herbstm. 1819, Anzeige des Buchhändlers Neukirch, Nr. 30, S. 284.

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Das Botanisieren als Teilhabe an aufklärerischer Wissensgesellschaft, Wissenschaft und religiös-aufklärerischen Vorstellungen

Im Jahre 1837 räsoniert der österreichische Mediziner und Botaniker Franz Unger 249 in einem Vortrag über „Die Schwierigkeiten und Annehmlichkeiten des Studiums der Botanik“. Nachdem er ausführlich beschrieben hat, wie sich der Blumenfreund an den Erinnerungen und Sammlungen bis in das hohe Alter hinein erfreut, endet er seinen Vortrag: „Und so habe ich Ihnen, meine Herren, sowol die Schwierigkeiten, als die Lust, die das Studium der Pflanzenkunde mit sich bringt, treu und wahr, so gut ich vermochte, geschildert. Das Abwägen beider gegen einander lasse ich nun Ihnen selbst über. Die Entscheidung ist nicht schwierig, wo gesunder Verstand und ein gefühlvolles Herz die Waage hält. Nur das Eine möchte ich Ihnen noch zur Beherzigung empfehlen, daß all’ unser Thun und Treiben, wessen Namens es sei, nur dann einen bleibenden Wert erhält, wenn es nicht irgend eines Vorteils wegen, den wir daraus ziehen, sondern darum geschieht, um unserer irdischen Bestimmung, w ­ elche immer Licht und Wahrheit will, näher zu kommen. Nur um dieser willen betrachten Sie auch meine Bemühungen, die im A u f k l ä r e n I h r e s G e i s t e s den schönsten Lohn finden.“250 In ­diesem Zitat wird nicht nur deutlich, wie weit die Aufklärung in das 19. Jahrhundert hineinwirkte, sondern hier wird der eigentliche Kern des Botanisierens benannt: Das Botanisieren ist ein immanenter Teil der aufklärerischen Bewegung. Sein Ziel ist nicht utilitaristische Verwertbarkeit, sondern Wissenserwerb. Aufklärerische Botanophilie hat hier nicht die Unterwerfung der Natur im Sinn. Sondern hier geht es um eine Annäherung an die Natur, um ein Erkennen des eigenen Menschseins innerhalb der Natur. Diese Annäherung erfolgt laut Unger mit „gesundem Verstand“ und „gefühlvollem Herz“, um „unserer irdischen Bestimmung“ näher zu kommen. Die Entwicklung einer modernen Naturwissenschaft ist hier nicht mit einer Ökonomisierung gleichzusetzen, mag sich diese auch in anderen, gleichzeitigen Entwicklungen manifestieren. Ebensowenig wie die Pflanze in den wissenschaftlichen Diskussionen der Zeit als reines Objekt gesehen wird, ist die Zielsetzung des Wissenserwerbs hier mit der Versachlichung der Natur gleichzusetzen. Erkenntnis ist hier ein Wert an sich, Erkenntnis ist noch nicht kapitalisiert, da

249 Zu Unger siehe: Klemun, Marianne (Hrsg.): Einheit in der Vielfalt. Franz Ungers (1800 – 1870) Konzepte der Naturforschung im internationalen Kontext, Göttingen 2016. 250 Unger, Franz: „Die Schwierigkeiten und Annehmlichkeiten des Studiums der Botanik. Ein Vortrag, gehalten am 8. März 1837“, in: Unger’s Vermischte Schriften (ohne Orts- und Jahresangabe) Nr. 3, S. 11.

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sie als Wert in der Gesellschaftsstruktur fungiert – vergleichbar etwa dem in Mittelalter und Früher Neuzeit dem Menschen zugehörigen Begriff der Ehre. In Absetzung von adligen Umgangsweisen mit Pflanzen im 17. Jahrhundert ist dabei im weitgehend bürgerlich konnotierten Botanisieren des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts auch nicht die pompöse Repräsentationstechnik adliger Gartengestaltung oder des Orangeriewesens im Fokus, sondern der Umgang mit Wissen, mit Erkennen und Bildung. So steht hier im Wesentlichen folgerichtig zunächst nicht das Exotische oder Kostbare zur Debatte, sondern im Gegenteil das Heimische, das Vaterländische und die lokale Flora. Ganz im Sinne aufklärerischer Postulate ist das Interesse nicht auf das Geordnete und Gebändigte in der Natur gerichtet, wie in den von Frankreich inspirierten Gartenanlagen des 17. Jahrhunderts, sondern auf die wildwachsende Natur, das Natürliche, die „freie“ Natur, in der der „freie“ Mensch zu seinem eigentlichen Wesen gelangt: Dem „Licht der Wahrheit“ soll der Mensch der Aufklärung durch sein Selbststudium und die stete Bemühung zur Selbstvervollkommnung, durch stetes Fragen und Suchen näher kommen.251 Im Folgenden werden diese Aspekte des Botanisierens als aufklärerische Beschäftigung näher erläutert.

2.1 Botanisieren als Verstandesschulung, „Herzensbildung“, Übung des Körpers Im Botanisieren verbinden sich in aufklärerischer Weise Wissenschaft und Naturliebe. Wollte man hier von einer „romantischen Wissenschaft“ sprechen, darf man nicht das genuine Anliegen der Zeitgenossen, Verstand und Gefühl in Einklang zu bringen verkennen. Verstand und Gefühl werden hier gerade nicht als sich ausschließende Beobachtungsformate gesehen, sondern beides soll in „nachdenkender Empfindung“ verbunden sein.

2.1.1 Geistesbildung Die immerwährend fortschreitende „Geistesbildung“ des Menschen bildet den zentralen Kern der Zielsetzungen, die sich mit dem Botanisieren verknüpfen. In vielfältigen Schattierungen wird dies im Räsonieren über das „Studium der Botanik“ von allen Seiten beleuchtet. Insbesondere August Batsch steht für diese Verbindung von Aufklärung und Botanik – nicht nur in seinen vielfältigen an ein allgemeines Publikum gerichteten 251 Selbst der Garten, der genuin die eingehegte Natur verkörpert, unterwirft sich in den Moden des englischen Landschaftsgartens jetzt dem Anschein der Natürlichkeit (siehe III).

Botanisieren als Verstandesschulung  |

Schriften oder seiner Botanik für Frauenzimmer, sondern ebenso beispielsweise in seinen Botanischen Unterhaltungen für Naturfreunde 252 von 1793. Aber auch viele andere Autoren plädieren für die Beschäftigung der Bevölkerung mit der Botanik. So schreibt etwa der Gründer der Regensburger botanischen Gesellschaft und Herausgeber des Botanischen Taschenbuches, David Heinrich Hoppe, 1798 in einem Brief: „Es ist eine ausgemachte Wahrheit, daß ein Jüngling der sich mit der Pflanzenkunde beschäftiget, sein Gedächtniß stärket, seine Beurtheilungskraft vermehret und sein Herz veredlet. (…) Die vielen Namen w ­ elche die Pflanzenkunde mit sich führt, sind dem Anfänger oft ganz unbekannt. Er gewöhnt sich nach und nach an die Töne, behält sie im Gedächtniß, und gehet dadurch den sichersten Weg dasselbe zu stärken. (…) Er stärket seine Beurtheilungskraft, indem er bei mehr erlangter Kenntnisse in der Pflanzenkunde gar oft von Zweifeln geleitet und geführet wird. Er lernt bei Bestimmung der Pflanzen vorsichtig seyn, siehet sich genöthiget, oft eine Pflanze für etwas anders zu halten als dieser oder jener Schriftsteller angegeben hat, und findet oft daß eine Pflanze die man ihm als Abart nannte, wahre Art sey. Hierdurch wird er gezwungen Schriftsteller nachzuschlagen, ihre Gedanken zu erforschen, und ihre Meinungen zu vereinigen.“253 So schult das Botansieren sowohl das Memorieren wie das eigenständige Urteil. Immer wieder wenden sich die Autoren botanischer Lehrbücher dabei auch gegen die Einstellung, man müsse nur die Pflanzen kennen, die in der Medizin nützlich ­seien. Man solle vielmehr die Hauptkennzeichen der Pflanzen generell kennen, um sie einordnen zu können. Auf d ­ ieses Verstandestraining wird immer wieder rekurriert, und es wird auf das Trainieren der für die Aufklärer so zentralen Urteilskraft hingewiesen: „Ein grosser Nutzen der Pflanzenkenntnis, wie auch jeder andern Wissenschaft, ist unter andern auch dieser, dass man sein Gedächtniß und Beurtheilungskraft schärft.“254 „Höhere“ Bildung und der innere Forschungsdrang In einer Rezension zu Batschs Unterhaltungen für Naturfreunde im Neuen Magazin für die Botanik wird zudem der Zusammenhang der möglichen „Höherentwicklung“ des Menschen – durch die Ausbildung der Geistes- und Seelenkräfte – mit der Botanik benannt: „Also, auch schon dem ungebildeten Menschen ist die Kenntniss der ihm oder seinem Viehe (…), nützlichen oder schädlichen Pflanzen, höchstwichtig. Aber der gebildete Mensch bleibt nicht blos bey diesen interessirten Absichten (…) die Betrachtung der Vielfachheit der Formen, der Farben, der Gerüche u. s. w. wirkt in ihm schon 252 Batsch, August: Botanische Unterhaltungen für Naturfreunde zu eigner Belehrung (…), zwei Teile, Jena 1793. 253 Hoppe, „Anwortschreiben“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), S. 37 und 38. 254 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 14.

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ein besonderes Vergnügen, und Empfindungen, die seinen Geist unmerklich schon auf eine höhere Stuffe führen; und entdeckt ihm endlich die sorgfältige Vergleichung in den Bildungen, den Farben, den Gerüchen und in der Entwicklung dieser Eigenschaften (…).“255 „Höhere“ Bildung ist hier tatsächlich wörtlich gemeint: Durch Bildung kann sich der Mensch im Sinne der Kette und Stufenfolge der Wesen vervollkommnen, eine „höhere Stufe“ erklimmen. Im Sinne des aufklärerischen Menschenbildes ist dieser Forschungsdrang dem Menschen angeboren und macht seine Humanität in allen Lebensaltern aus, schreibt doch der Verfasser: „Die Geschichte der Natur steht allerdings mit dem Forschungstriebe des menschlichen Geistes in enger Verbindung. Betrachten wir den Menschen von seiner frühesten Jugend an, wo sich die ersten Ideen in ihm entwickeln, bis zu dem höchsten Greisenalter, so nehmen wir in ihm einen regen Trieb wahr, seine Kenntnisse zu erweitern und sich ihm unbekannte Erscheinungen erklären zu lassen. Die ihn allenthalben, wohin er nur seine Blicke wirft, umgebende Natur bietet ihm Erscheinungen in Menge dar, deren Grundursachen er nicht kennt (…).“256 Daher ist es eine allgemeine Aufgabe, möglichst vielen diese Kenntnissuche zu erleichtern, wie Batsch betont: „Wenn die Geschichte der Natur, wie man in neuerer Zeit fast allgemein überzeugt ist, mit dem Forschungstriebe des menschlichen Geistes in der nächsten Verbindung steht, so wird es für jeden, der es vermag, eine Pflicht seyn, sowohl diesen Trieb zu erhalten und zweckmässig zu befriedigen, als auch, zur Erreichung des letztern, die Mittel möglichst zu erleichtern.“257 So könne man sich zwar auch einfach an der Natur erfreuen, „aber im Ganzen kann die Menschheit hier nicht stehen bleiben. Die sorgfältige Vergleichung findet statt in den Bildungen, den Farben, den Gerüchen, und in der Entwicklung dieser Eigenschaften, Verhältnisse, die selbst unter einander verbunden sind, und endlich einen grossen Bau darstellen, dessen äusserste Enden, oder bemerkbare Erscheinungen, durch eine Menge immer mehr vereinigter Zweige, oder durch Vernunft entdeckter Verhältnisse, in wenige Stämme oder allgemeine Gesichtspunkte zusammenfliessen.“258 Der volksaufklärerische, letztlich revolutionäre Gedanke erfolgt genau hieraus, aus dem jedem Menschen eigenen Forschungstrieb, aus der über die Vernunft hergestellten Gleichheit der Menschen: Weniger durch die Gleichheit aller im heutigen Sinne als in der gleichen Entwicklungs- und Bildungsfähigkeit. Batsch ist allerdings realistisch genug, um anzunehmen, dass ­dieses Unternehmen, Naturwissen zugänglich zu machen, Zeit in Anspruch nehmen wird: „Die Resultate der zweckmässigen Naturkenntniss liegen 255 Römer, J. J.: Rezension zu „A. J. G. C. Batsch: Botanische Unterhaltungen für Naturfreunde (…) Jena 1793“, in: Neues Magazin für die Botanik in ihrem ganzen Umfange. Herausgegeben von J. J. Römer (1794), S. 264 ff., hier 266. 256 Rezension zu Batsch, Neues Magazin für die Botanik (1794), S. 265. 257 Batsch, Botanische Unterhaltungen, 1793, Vorrede, S. III. 258 Batsch, Botanische Unterhaltungen, 1793, Vorrede, S. V.

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in Bibliotheken vergraben, die Cabinette der Reichen und Großen sind der Menge, oft aus natürlichen und gerechten Gründen, verschlossen, und der gelehrte Naturforscher arbeitet in seiner Art um Gold und Ruhm. Doch ist Naturkenntniss Bedürfniss für die ganze edlere Menschheit; und diese ist wahrlich nicht an Stand, Reichthum, und Celebrität gebunden! – Es wird lange Zeit hingehen, ehe man mit wahrer Einsicht die allgemein interessanten Verhältnisse der Schöpfung aus den ungeheuern Magazinen sonder aufstellen, und ehe man sie der großen Menge vernünftiger, denkender, würdiger, aber von dem Reichthum der Wenigern ausgeschlossner Wesen schicklich wird haben mittheilen können.“259 Sinn und Zweck des Botanisierens nach der Jahrhundertwende – Hochstetter, 1831 In seinem ersten Kapitel „Einladung zur näheren Kenntnis der Pflanzenwelt“ folgt auch Hochstetter zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausdrücklich weniger dem Gedanken der Nützlichkeit botanischen Wissens als vielmehr der Freude, die d­ ieses Wissensgebiet jedem bereite: „Kaum kann es irgend eine Wissenschaft geben, ­welche nützlicher und angenehmer wäre, als diejenige, ­welche uns mit dem Pflanzenreich näher bekannt macht, und ­welche wir die B o t a n i k (…) nennen. Schon das Kind fühlt sich angezogen von der großen Mannigfaltigkeit, von der überraschenden Schönheit, von dem wunderbaren Bau, von der Farbenpracht, von den balsamischen Gerüchen und dem vielfachen Nutzen der Pflanzen. Die Natur selbst ladet sonst nirgends bei ihren Werken mit solcher Freundlichkeit zu ihrer nähern Betrachtung ein (…). Sollten wir nicht eine Wissenschaft liebgewinnen, die uns anleitet, wie wir d ­ iesem Winke der Natur folgend mit ihren anmuthigsten Gebilden uns näher befreunden (…)?“260 Für den aufklärerischen und empfindsamen Menschen sei dies geradezu eine Grundnotwendigkeit: „Jeder denkende Mensch sollte wenigstens nach einiger Kenntniß der ihn überall umgebenden Pflanzenwelt streben, um dem Vorwurfe zu entgehen, daß er fast wie ein Blinder täglich unter den schönsten Werken des Schöpfers wandle. Wie viel Nützliches, wie viel Schönes und Bewunderndwürdiges bleibt dem verborgen, der nie Anleitung und Gelegenheit gehabt hat, in ­diesem Gebiete der Natur bekannt zu werden! Wohlan, lieber Leser, so laß dich an der Hand der Freundin B o t a n i k leiten, damit dir eine Quelle des reinsten Genusses geöffnet werde. Höre dieser Freundin aufmerksam zu, laß dich von ihr in Wälder und Fluren, auf Berggipfel und in Thalgründe führen – dein Verstand und dein Gefühl werden süße Nahrung finden, deine Erholungsstunden werden angenehmer, dein Blick in die Natur wird wonniger werden.“261 259 Batsch, Botanische Unterhaltungen, 1793, Vorrede, S. VIII f. 260 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 1. 261 Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 1 f.

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Der Beginn ­dieses Volkslehrbuches liest sich dabei fast wie ein Stück aus der Literatur der Empfindsamkeit: „Die Blumen werden dir entgegenkommen und dich begrüßen, auch die kleinsten werden dir aus ihren Schlupfwinkeln zuwinken. Es wird dir ein Vergnügen gewähren, die nützlichen von den schädlichen zu unterscheiden, die rauhen und die zarten mit prüfendem Auge zu betrachten, die bescheidenen und die stolzen kennen zu lernen, und alle ihre verschiedenen Eigenthümlichkeiten zu erforschen. Bei der Zergliederung der einzelnen Theile und ihrer Vergleichung wird sich dein Scharfsinn üben, und dein Gedächtnis wird gerne die Namen der unbekannten (…) aufbewahren. (…) Durch tausend überraschende Gestalten, durch Farbe und Geruch, und durch die Wunder des innern Baus wird dein Gefühl für Schönheit, Anmuth und Zweckmäßigkeit ergötzt werden, und ein höheres Gefühl wird dich dabei lehren, D e m zu danken, der dich so geschaffen hat, daß du dich seiner Werke freuen, und sie mit nachdenkender Empfindung betrachten kannst.“262 Der aufklärerische Aufruf, sich mit der Natur und insbesondere mit den Pflanzen zu beschäftigen, gilt allen Menschen: „Darum laß dich einladen, lieber Leser, wer du auch seyst, Jüngling, oder Jungfrau, oder Erwachsener – Erzieher oder Volkslehrer, oder in welchem Geschäft und Beruf du lebst – von der lieblichen Freundin B o t a n i k zu lernen. Sie wird es dir in ­diesem Buche so leicht und so angenehm als möglich zu machen suchen, und die Aufmerksamkeit, ­welche du ihr schenkst, wird reichlich von ihr belohnt werden.“263

2.1.2 Gefühlsbildung, Sinnesschärfung, körperliche Ertüchtigung 1791 heißt es im Botanischen Taschenbuch: „Ihr alle, die ihr Gefühl für die Natur habt, reißet euch von aller Gleichgültigkeit gegen sie los, und haltet es nicht zu gering für euch, nach Kenntnis von ihr zu streben.“264 Die Beschäftigung mit der Natur wird hier immer wieder nicht nur mit der Verstandesbildung, sondern auch mit dem Gefühl, mit der „Herzensbildung“ in Verbindung gebracht.265 Für das Botanisieren gilt dies in besonderem Maße und wird meist in den Vorworten der Populärbotaniken entsprechend thematisiert. Nicht aus Zufall erscheint auch auf dem Titelblatt der ersten, von Römer und Usteri in Zürich herausgegebenen, botanischen Zeitschrift auf dem Titelblatt das Motto: „Kannst du der Wesen unzählbare Heere, den kleinsten Halm fühllos 262 263 264 265

Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 2. Hochstetter, Populäre Botanik, 1831, S. 2. Dem gesamten Band vorangestelltes Zitat von Gieseke, in: Botanisches Taschenbuch (1791). Siehe hierzu auch: Trepp, Anne-­Charlott: „Die Lust am Gewöhnlichen. Emotionen als Scharnier laienhafter und wissenschaftlicher Wissenskulturen“, in: Greyerz, Kaspar von; Flubacher, Silvia und Senn, Philipp: Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog. Connecting Science and Knowledge, Göttingen 2013, S. 85 – 98.

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beschauen?“266 Die „Gefühlsbildung“ steht zwar nicht immer im Zentrum, klingt aber stets wieder an. Auch der bereits erwähnte Arzt und Naturforscher Albrecht Wilhelm Roth (1757 – 1828)267 rekurriert in seiner 1778 erschienenen Anweisung für Anfänger Pflanzen zum Nutzen und Vergnügen zu sammlen 268 auf die Vorteile für Gemüt und Geist. Roth, der bezeichnender­ weise in Halle die Gymnasialzeit und ein Medizinstudium absolvierte und ein Leben lang als praktischer Arzt tätig blieb, entgegnet etwa dem Einwand, dass das Studium der Botanik zu viel Zeit erfordere: „Derjenige, welcher nachlässig und ganz ohne alle Empfindung, an den Schönheiten der Natur vorübergehet, dessen Gemüth durch tobende Leidenschaften und falsche Freuden verderbt ist, muss die reinesten Freuden entbehren. Glücklich aber ist der, dessen Seele durch keinen Vorwurf verfolgt, jeden Eindruck der Reize und Vortrefflichkeit der Natur empfindet. Kein Ekel verdirbt ihm die immer neuen Freuden, die die Schönheiten der Natur, in endloser Mannigfaltigkeit ihm anbieten. (…) Es wird ihm allemal das grösste Vergnügen bleiben, die unermesslichen Werke des grossen Schöpfers, die ungekünstelte, harmonische Pracht der Natur zu betrachten, und zu untersuchen. (…) Können unsere Spaziergänge, die doch zur Aufheiterung unseres Geistes, und zur Erfrischung unserer Seelenkräfte dienen sollen, wohl besser, angenehmer und nützlicher zugebracht werden; als wenn wir die allbelebende, immer thätige und immer schöne Natur, uns zur Aufmunterung dienen lassen, in ihr Inneres einzudringen, und die um uns her duftenden Blumen, nach ihren innern und äusern Theilen zu untersuchen und nach Gründen zu unterscheiden?“269 In der Flora von 1822 wiederum wird ein Auszug aus einem Lehrbuch von Wenderoth gedruckt „Zur Beherzigung beim Eintritt des Frühlings“, in dem es heißt: „Wenn schon blosse Spaziergänge in einer solchen Gegend, wenn das Ersteigen der Gebirge, das Ueberschauen der herrlichsten Landschaft, der Genuss der mit tausend Düften geschwängerten, von tausend lebenvollen Lauten und Accorden der Natur und ihrer Geschöpfe in melodischen Schwingungen erbebenden Lüfte mit Zaubergewalt unsere Herzen bewegen und sie zur Freude, ja zum Entzücken stimmen, wie sehr muss sich dann der Genuss dessen erhöhen, der ihn mit den lieblichsten und unschuldigsten Kindern der Natur, die uns alljährlich als treue Freunde wieder erscheinen, zu theilen, der ihn von ihnen erst recht zu empfangen versteht! Wenn wir befreundet sind mit den um uns herum grünenden 266 Motto des Titelblattes: Magazin für die Botanik. Herausgegeben von Joh. Jacob Römer und Paulus Usteri; Erstes Stück, Zürich 1787 (siehe Abbildung im Einführungskapitel). 267 Siehe Olbers Focke, Wilhelm: Artikel „Roth, Albrecht Wilhelm“, in: ADB 29, Leipzig 1889, S. 305. 268 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778 (zweite Auflage 1803). Von Roth stammen viele Werke zur Botanik, etwa auch: Roth, Albrecht von: Beyträge zur Botanik, Bremen, 1782 – 1783. In der ADB wird er als erster Verfasser einer „deutschen Flora“ geehrt. Siehe: Siehe Olbers Focke, Wilhelm: Artikel „Roth, Albrecht Wilhelm“, in: ADB 29, Leipzig 1889, S. 305. 269 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 12 f.

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und blühenden Gegenständen; wenn wir die verborgenen Kinder der Flora zu entdecken und ihre innersten Reize zu würdigen vermögen; wenn ein lieblicher, ein zarter Fremdling uns überrascht, ein noch nie gesehener uns entzückt, ein lang entbehrter Bekannter uns die Freude des Wiedersehens gewährt!“270 Festzuhalten bleibt, dass hier „Empfindung“ und „Naturforschung“ Hand in Hand gehen, wie etwa auch August Batsch erläutert: „Als blosses Vergnügen der Empfindung wird die Naturbetrachtung wirken, wenn man sich durch die Vielfachheit der Formen, der Farben, Gerüche, Oberflächen unterhält, so dass man sie nur als Mittel ansieht, auf eine angenehme Weise von einer Empfindung zur andern überzugehen.“271 Es geht hier also nicht ausschliesslich um das verstandesgeleitete Studium der Natur, sondern, ganz im Sinne aufklärerischer Kultur, um Freundschaft, um Freundschaft mit den Pflanzen. Bewegung im Freien Ebenso wird im Lob des Botanisierens immer auch auf die körperliche Bewegung an der frischen Luft und die Ertüchtigung eingegangen. Schon Albrecht Wilhelm Roth verweist 1778 auf die positiven Auswirkungen ­dieser Beschäftigung auf die Gesundheit der Bevölkerung und preist das Botanisieren als erholsame Pausenbeschäftigung an: „Wem die schädlichen Folgen einigermassen bekannt sind, ­welche die starken Arbeiten des Leibes und des Geistes, wenn sie sogleich nach der Mahlzeit verrichtet werden, nach sich ziehen: Der wird sich gewiss für selbige hüten, aber auch im Gegentheil nicht zu weit gehen und stille sitzen, sondern wenigstens stehen oder sich eine gelinde und angenehme Bewegung machen. Kurz, damit ich meine Grenzen nicht überschreite, er wird suchen, wenn er sonst arbeitsam ist, keine Stunde des Tages, also auch diese nicht, ganz unnütz zuzubringen, ohne doch dabey seiner Gesundheit und übrigen Geschäften Abbruch zu thun. Ein Studierender, wenn er sonst Lust hat etwas nützliches zu thun, kann also in denen Stunden nach der Mahlzeit Pflanzen sammlen, auflegen, trocknen u. s. w. und dabey doch die medicinischen Regeln zur Erhaltung seiner Gesundheit beobachten und seine vom Studieren ermattete Seele aufheitern.“272 Der Botanist muss sein Haus verlassen und die Natur vor Ort studieren: „Wie die Naturgeschichte überhaupt, so ist auch jener Theil derselben, welcher das vegetabilische Reich, oder die Kenntniß der Pflanzen, zum Gegenstande hat, und die Botanik ausmacht, 270 „Zur Beherzigung beim Eintritt des Frühlings“, in: Flora, Jahrgang 5, Band 1, Nr. 13 vom 7. April 1822, S. 193 f. 271 Batsch, Botanische Unterhaltungen, 1793, Vorrede, S. III. 272 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 59 f.

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keine von jenen Wissenschaften, die sich ruhig und gemächlich am Studirpulte erlernen läßt. Denn die Natur läßt sich nicht bloß aus Büchern studiren. Sie liebt gar sehr ihre eigene Plätze, wo sie ihre Schätze nur dem fleißigen Forscher und Beobachter feil bietet, und ihre Orakel von sich giebt. Wer sie also mit Vortheile studiren will, muß selbst ihren verborgenen Wegen nachspüren, muß sie in ihrer geheimsten Werkstätte selbst belauschen, sie selbst fragen, wie sie es macht. (…) Der Pflanzenforscher muß sich den Gemächlichkeiten des häuslichen Lebens entziehen, muß Wiesen, Felder, Wälder, Berge und Thäler durchwandern, muß überall die Natur selbst aufsuchen, muß seine Beobachtungen, die sich an frischen Pflanzen am bequemsten und richtigsten machen lassen, auf den Wohnplätzen derselben selbst aufzeichen, und diese zu Hause erst in Ordnung bringen.“273 Die positive Wertschätzung der Bewegung an der frischen Luft korreliert wiederum mit den pädagogischen Bemühungen um das Studium der freien Natur wie auch der neuen Forcierung körperlicher Anstrengung. So ruft auch der Lehrbuchverfasser ­Wenderoth 1822 aus: „Dazu die stärkende, Geist und Körper, Sinne und Gemüth erkräftigende Bewegung! In der That, es ist fast unbegreiflich, wie ein gebildeter Mensch nicht bloss um desswillen die freundlichste der Wissenschaften zur Gefährtin seines Lebens machen, wie er nicht gern jede Gelegenheit ergreifen mag, ihr auf den Hochaltären der Natur zu huldigen.“274 Anstrengungen sind hier Teil der Vergnügung, was an die in die ­gleiche Zeit fallende Entdeckung der Berge und des Wanderns erinnert, mit dem sich das Botanisieren verschwägert (siehe Teil II , 3.2.1 Alpenreisen): „Wer an Beschwerlichkeiten dabei denken kann, dem ist freilich zu rathen zu Hause zu bleiben. Zum Naturforscher ist er ohnehin verdorben. Der bessere aber mag sich besinnen, dass Mühe den Genuss erhöhet.“275 Der Schreiber fasst die aufklärerische Position treffend zusammen: „Darum hinaus in das Freye, zu schauen, zu ahnen, und zu verstehn, menschlich zu empfinden und zu leben und einzustimmen in den Plan der Schöpfung.“276 Die aufklärerischen Grundwerte könnten klarer nicht benannt werden: Das Studieren der Natur führt zur Schulung des Verstandes, zu Sensibilisierung und Empfindsamkeit, zur Stärkung des Leibes und zur Humanität schlechthin, sich vollendend im Gotteslob. 273 Schmidt, Beneficiat: „Ueber botanische Reisen, besonders Alpenreisen, wie sie sind und wie sie seyn sollten“, in: Botanisches Taschenbuch (1796), S. 98 f. 274 „Auszug aus einem Lehrbuch“, Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 5, Band 1, Nr. 13 vom 7. April 1822, S. 194. 275 „Auszug aus einem Lehrbuch“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 5, Band 1, Nr. 13 vom 7. April 1822, S. 194. 276 „Auszug aus einem Lehrbuch“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 5, Band 1, Nr. 13 vom 7. April 1822, S. 195.

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2.2 Botanisieren als Schöpferlob und religiös-moralische Ertüchtigung Das Verständnis der Natur soll in den botanischen Lehrwerken, ebenso wie in den „physikotheologischen“ Werken, immer auch zum Schöpferlob führen. In vielen Fällen, etwa im Werk des Karlsruher Theologen und Naturgeschichtsprofessors Heinrich Sander,277 sind die Beschäftigung mit der Natur und die moralisch-­religiöse Vervollkommnung nicht voneinander zu unterscheiden. Das Verfassen „physikotheologischer“ Werke muss dabei als Praktik angesehen werden, die ­zwischen „Wissenschaft“ und „Frömmigkeit“ angesiedelt ist und nicht immer eindeutig einer Seite zugeordnet werden kann.278 Als Praktik aber ist diese Art des Umgangs mit dem Naturwissen einzustufen, da sie im Sinne einer Übung, einer kontemplativen Versenkung in die Natur, in einer Tätigkeit des Beobachtens wurzelt, die sodann in vielfältigster Weise zu Papier gebracht wird. Sie gleicht – dem Zeitgenossen – einer Übung der Seele und der Sinne gleichermaßen.

2.2.1 Naturerkenntnis als Gotteserkenntnis Das Motiv der Gotteserkenntnis durch das Botanisieren wird auch in den Zeitschriften benannt. Hoppe etwa konstatiert: „Er (der Botanist, A. d. V.) veredlet endlich sein Herz, wenn er bei den genauen Untersuchungen und Beobachtungen so mannichfaltiger Gewächse, die Größe des Schöpfers erkennt, bewundrungsvoll an dieselbe hinstaunt, und die so abwechselnden Schönheiten der Natur unendlich verehret.“279 Auch in Bezug etwa auf Batschs Bemühungen zur Verfassung allgemeinverständlicher Lehrwerke rühmen Rezensenten gerade diese religiöse Bildung durch die Auseinandersetzung mit der Naturforschung: „Verhältnisse, die, wie sich Herr Batsch ausdrückt, selbst unter einander in bestimmten Abstufungen verbunden sind und endlich einen grossen Baum darstellen, dessen äusserste Enden, oder bemerkbare Erscheinungen, durch eine Menge immer vereinigter Zweige, oder durch Vernunft entdeckter Verhältnisse, in wenige Stämme oder allgemeine Gesichtspunkte zusammenfliessen, (…) so wird sein (des Botanisten, A. d. V.) Geist auf eine Höhe geführt, von der er mit Verwunderung herabschaut, und staunt, dass er sie erklimmen konnte, er fühlt sich seinem Schöpfer näher; betrachtet nicht mehr die ihn umgebende Natur als blos zur Abhülfe seiner Bedürfnisse geschaffen, sondern sieht in jedem Wesen, in welcher Form es sich ihm auch darstellt, des Unerschaffnen 277 Etwa in: Sander, Heinrich: Das Große und Schöne in der Natur. Ein Lesebuch zur Belehrung und Erbauung für die Jugend und jeden Liebhaber der Naturgeschichte (2 Bde), München 1815. 278 Siehe Trepp, Von der Glückseligkeit alles zu wissen, 2010. 279 „Antwortschreiben“ Hoppes an einen Korrespondenten, in: Botanisches Taschenbuch, 1798, S. 38.

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Bild, und Wahn und Aberglauben verschwinden aus seiner Seele. Sie, die Betrachtung und Erforschung der Natur ist also allein im Stande wahre Geistekultur zu bewirken, und warmen Dank verdient der Rechtschaffne, der auf ­diesem Wege seine Mitmenschen zu bilden sucht.“280 Abwehr von Aberglauben und Müßiggang Die fortwährende Geistesbildung wehrt dabei dem „Aberglauben“, wie der Rezensent Batschs es formuliert: „Und welcher Geisteskultur kann ein Mensch fähig seyn, so lange er noch in den Banden des Aberglaubens gefangen liegt, so lange er nicht die ihn umgebende allenthalben auf ihn wirkende Natur kennt und ihre Wirkungen bald Gespenstern, Unholden, Teufeln, bald bessern Wesen, die er durch abentheuerliche Worte und Handlungen zu seinem Dienste zu leiten gedenket, zuschreibt, und dadurch immer mehr seinen Schöpfer verkennt und sich von ihm entfernt! Verdienet also nicht der Naturforscher, der den verirrten Menschen wieder auf die richtige Bahn zu leiten, ihn der Wahrheit und seinem Schöpfer näher zu bringen sucht, warmen Dank?“281 Aber nicht nur dem Aberglauben wird hier entgegengewirkt, sondern auch dem verpönten Müßiggang. Denn erst die immerwährende Bildung des Geistes macht den Menschen aus und lässt ihn in der Stufenfolge der Natur „aufsteigen“ zu „Höherem“, wie Franz Anton von Braune im Botanischen Taschenbuch 1803 in seinen Betrachtungen über das Studium der Botanik schreibt: „Es ist endlich in der That auch eine beschämende Unwissenheit, eine unverzeihliche Unachtsamkeit, jene Wesen nicht zu kennen, die man täglich vor Augen hat, die man bey jedem Spatziergange zu tausenden mit Füssen tritt, die uns und unsern nützlichsten Thieren zur Nahrung dienen (…). Beschämend und unverzeihlich ist diese Nichtkenntniß der Pflanzen um so mehr, da jederman täglich Zeit und Gelegenheit hat, selbe zu sehen und kennen zu lernen; denn jeder Anger, jede Wiese, jeder Wald, jeder Hügel, wird von verschiedenen Pflanzen bewohnt, gewährt Stoff für Wißbegierige, Stoff zur Belehrung, zum Nachdenken, zum Nutzen und Vergnügen. Dem Freunde und Beobachter des Pflanzenreiches fehlt es nie an Beschäftigung und findet, so wie überhaupt der Naturforscher, immer Stoff zu Betrachtungen, jeder Baum, jedes Gras ist seiner Aufmerksamkeit würdig, jeder Spatziergang kurzweilig und lehrreich; er bewundert die Grösse, Mannigfaltigkeit, planmäßige Austheilung, zweckmässige Einrichtung, Stuffenfolge, Harmonie und Schönheit der Natur in dem kleinsten unbedeutenst scheinenden Wesen, sein Geist verliert sich in tiefes Nachdenken, sein Herz erhebt sich und wird entzückt, wo der Nichtbotaniker keinen Anlaß zu Nachdenken findet, nichts

280 Rezension zu Batsch: Botanische Unterhaltungen, in: Neues Magazin für die Botanik, 1794, S. 267. 281 Rezension zu Batsch, Neues Magazin für die Botanik, 1794, S. 265 f.

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als Wald und Wiesen sieht (…).“282 Durch die „nachdenkende Empfindung“ wird so die Komplexität des Seelenlebens ausgeweitet, wobei Geist und Herz gleichermaßen beteiligt sind. Gefühlsbildung und Verstandesbildung führen den Botanisten zur Höherentwicklung der Seele und damit näher zu Gott – in Anbetracht der göttlichen Schöpfung.

2.2.2 Phythotheologische Schriften und ökologische Beziehungen Phythotheologische Schriften verbinden das Anliegen der Pflanzenbeobachtung explizit mit religiöser Praxis und stehen in der „physikotheologischen“ Tradition, die die genaue Naturbeobachtung und die Naturlehre explizit mit dem Schöpferlob verbindet. Die Debatte um die Sinnhaftigkeit der Vegetation basiert hier wiederum auf der Debatte um die Sinnhaftigkeit der Gesamtheit der Schöpfung und steht damit auch eng mit den Fragen um die Beziehungen der Lebewesen untereinander, um die Kette der Wesen, und mit den ökologischen Beobachtungen der Zeitgenossen in Verbindung. Diese Schriften kommen aus dem Feld jener Naturforscher, die ihre naturwissenschaftlichen Studien explizit auf der Grundlage ihres Gottesglaubens betrieben. Gerade mit den Erkenntnissen der neuen Naturwissenschaft wollten sie gegen das Schreckgespenst des Atheismus, gegen Vorstellungen einer zufällig entstandenen Welt oder auch gegen mechanistische Vorstellungen anschreiben. Für diese physikotheologisch-­aufklärerischen Naturforscher war im Göttlichen die ultima ratio zu sehen und somit in der von Gott kunstvoll und planvoll entworfenen Welt das göttliche Wirken erkennbar. Die meisten botanisch oder zoologisch orientierten Naturforschenden des 18. Jahrhunderts stellten so ihre Studien in einen religiösen Rahmen,283 wie stark aber die einzelnen Verfasser dabei in den Einleitungen, Vorwörtern oder Einzelkapiteln ihrer Kompendien des Naturwissens den religiösen Aspekt betonen, differiert. „Physikotheologische“ Schriften verbinden, wie Anne-­Charlott Trepp dargelegt hat, Naturwissen und religiöse Praxis.284 Wissenschaft und Religion entwickeln sich über die 282 Braune, Franz Anton von: „Betrachtungen über das Studium der Botanik“, in: Botanisches Taschenbuch (1803), S. 87 ff. 283 Nur ein Beispiel: In seinem Werk Anfangsgründe der Naturhistorie von 1767 etwa erläutert Johann Beckmann, die Naturgeschichte lehre einerseits nützliche Dinge: nämlich für des Menschen Nahrung, Medizin und „Bequemlichkeit“ zu schaffen. Vor allem aber beweise sie andererseits das Dasein Gottes und seine Allmacht, da er die Reiche der Natur aus dem Nichts geschaffen habe. (Beckmann, Johann: Anfangsgründe der Naturhistorie, Göttingen und Bremen 1767, unpaginierte Einleitung.) 284 Siehe: Trepp, Anne-­Charlott: Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, Frankfurt / New York 2009. Auch: Trepp, Anne-Charlott: „Zwischen Inspiration und Isolation. Naturerkundung als Frömmigkeitspraxis in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ , in: zeitenblicke 5 (2006), Nr.1; URL: http://www.zeitenblicke.de/2006/1/Trepp/index_html (Stand 4. 5. 2006).

Botanisieren als Schöpferlob und religiös-moralische Ertüchtigung   |

Frühe Neuzeit hinweg so vielfach weniger in Gegenerschaft denn in einer engen Verbindung. In manchen Fällen steht der religiöse Aspekt sehr stark im Vordergrund, in anderen nicht. Wenn auch in manchen Werken – besonders denen der protestantischen Prediger – sicherlich der Charakter des Erbauungsbuches vorherrscht, so spielt er in anderen eine untergeordnete Rolle. Dennoch ist zu beachten, dass sich fast alle gelehrten Werke dieser Zeit zumindest in der „Rahmung“, in Vorworten, Nachworten oder Kapitelenden, des Schöpfungslobes – und damit physikotheologischer Argumente – bedienen. Auch der bereits erwähnte Johann Julius Hecker beispielsweise, dessen frühes Botaniklehrbuch später wissenschaftsgeschichtlich (botanikgeschichtlich) rezipiert wurde, bindet 1723 seine Einleitung in die Botanik entsprechend in ­dieses Gotteslob ein, um erst dann mit seinen botanischen Ausführungen fortzufahren.285 Botanische Werke und theologische Werke sind hier miteinander verwoben. Am offensichtlichsten wird ­dieses Problem der Vermischung von Textgenres, Argumentationsformen und Inhalten in der Figur John Rays: Biologiehistoriker rezipierten ihn als Vater der Botanik;286 Theologen als Begründer der Physikotheologie. Anders formuliert und um mit Robert Crocker zu sprechen, „Wissenschaft“ als im heutigen Sinne von der Metaphysik getrenntes Segment existierte noch nicht. Religion und Wissenschaft sind für diese Zeit nicht trennbar.287 Der Botaniker John Ray und die Physikotheologie am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum Die physikotheologisch-­botanische (phythotheologische) Art der Betrachtung der Pflanzen beginnt bereits am Übergang zum 18. Jahrhundert mit dem bereits mehrfach erwähnten Botaniker und Physikotheologen John Ray (1627 – 1705). Rays 1691 erschienenes Werk The Wisdom of God Manifested in the Works of the Creation war über die ganze Aufklärungszeit hinweg und bis zur Wende zum 19. Jahrhundert enorm einflussreich und wurde immer wieder gedruckt.288 Es ist europaweit sicherlich eines der meist gelesenen Bücher des 18. Jahrhunderts. 285 Hecker, Johann Julius: Ioannis iulii Heckers Einleitung in die Botanic, Worinnen die Nöthigsten Stücke dieser Wissenschaft kürtzlich abgehandelt werden (…), Halle 1734. 286 Ray taucht in fast allen Werken zur Geschichte der Botanik als einer ihrer Gründerväter auf. 287 „‚Science‘ is an almost wholly anachronistic term when applied to seventeenth-­century natural philosophy. The methodological precedents and experimental legacies of the eighteenth and nineteenth centuries cannot be drawn upon to define what was still conceived of, broadly, as a field of investigation and argument in ‚natural philosophy‘, that branch of philosophy concerned with natural phenomena.“ (Crocker, Robert: „Introduction“, in: Ders. (Hrsg.): Religion, Reason and Nature in Early Modern Europe, Dordrecht / Boston / London 2001, S. xi.) 288 Verwendete Ausgabe: Ray John: The Wisdom of God Manifested in the Works of the Creation. In Two Parts. The heavenly Bodies, Elements, Meteors, Fossils, Vegetables, Animals (…), With Answers to some Objections, by John Ray, late fellow of the Royal Society. The Eleventh Edition, Corrected, Glasgow

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Ray liefert in einer Gesamtschau der Natur hier Beschreibungen von den Himmels­ körpern bis hin zur biologischen Einzelheiten wie der Kiemenatmung der Fische. Sein Werk ist dabei durchaus als wissenschaftlicher Text seiner Zeit zu verstehen. Er zitiert immer wieder zeitgenössische Autoren und gibt genauestens deren Werke und Aussagen an. Ray widmet dabei auch den Pflanzen ein langes Kapitel, sie sind hier aber noch nicht alleinig im Fokus. In den Beschreibungen der Pflanzenwelt steht in ­diesem „Bestseller“ Rays (er hat auch viele weitere naturwissenschaftliche und botanische Werke verfasst) eindeutig der Aspekt der Erkenntnis im Vordergrund: Das zunehmende Wissen über die Natur und die Pflanzen befördert das Staunen über die von Gott sinnreich angelegte Schöpfung.289 In den deutschsprachigen Raum vermittelt wurden die englischen Physikotheologen, für die Ray hier als Vorreiter steht, unter anderem durch Johann Albert Fabricius (1668 – 1736) sowie Christian Wolff (1679 – 1754) und ihre Kreise. Auch in Christian Wolffs Werk nehmen dabei Pflanzen einen breiten Raum ein. Wolff betont ebenso die Gotteserkenntnis durch die Beobachtung der Natur 290 und rekurriert in seinen Pflanzenkapiteln auf die Naturgelehrten der Zeit (wie etwa Nehemiah Grew, Anton van Leuwenhoek etc.). Im 1723 erschienenen Werk Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur fasst er das zu M DCC XLIV. Englische Ausgaben finden sich in internationalen Bibliothekskatalogen u. a. für 1691, 1692, 1701, 1704, 1709, 1714, 1717, 1722, 1727, 1735, 1743, 1744, 1756, 1758, 1762, 1768, 1777 und 1798. Übersetzung ins Deutsche: 1717 unter dem Titel „Gloria Dei oder Spiegel der Weißheit und Allmacht Gottes: Offenbahret in denen Wercken der Erschaffung“, von Caspar Calvör übersetzt. Zur Person Rays siehe: The Oxford Dictionary of National Biography, Vol. 46, ed. by H. C. G. M ­ atthew und Brian Harrison, Oxford 2004. 289 In Bezug auf die Pflanzen beschreibt er ihre Teile von den Wurzeln bis zu den Blättern, wie Pflanzen auf Experimente reagieren, etwa, wenn man ihnen die Blätter wegnimmt, über verschiedene Arten der Pflanzen, über ihre Überlebensstrategien – von den Dornen als „Waffen“ gegen Tiere bis hin zu ihrerm Überdauern in Hitze und Kälte. Alle diese Einrichtungen der Pflanzenwelt verweisen für ihn auf die Größe und Genialität Gottes. Sind sie nicht von offensichtlichem Nutzen für den Menschen, so dient doch die Erkenntnis der Dinge der Erkenntnis der Größe Gottes. 290 Wolff, der im Übrigen auch zur deutschen Übersetzung der Werke des niederländischen Physikotheologen Bernhard Nieuwentyt ein Vorwort schrieb, stilisierte sich wohl selbst als Begründer dieser Art von Schriften, die er, vermutlich über seine englischen Kontakte (er war Mitglied der Englischen Akademie der Wissenschaften) rezipierte.Wolfgang Philipp hat aus theologiegeschichtlicher Sicht die Vernetzungen der in „physikotheologischen“ Textformen publizierenden Gelehrten schon 1957 umfassend aufgearbeitet: P ­ hilipp, Wolfgang: Das Werden der Aufklärung in theologiegeschichtlicher Sicht, Göttingen 1957, bes. S. 19 ff. Als „natürliche Theologie“ oder „Wolffianismus leibniz’scher Prägung“ blieben diese Texte aber lange Zeit nur in der Theologiegeschichte bekannt. Philipps umfangreiche Studie von 1957 bildet hier immer noch ein Kompendium von unschätzbarem Wert, da er auch eine Unzahl der im deutschsprachigen Raum im 18. Jahrhundert erscheinenden Spezialstudien erruiert, die unter der Fahne der „Physikotheologie“ einzelne Naturphänomen in dicken Wälzern abhandeln. Hier bietet sich ein farbenprächtiges Erscheinungsbild, aus dem nur sehr wenige Beispiele genannt s­ eien: etwa die Rana-­Theologie über die Frösche und Kaulquappen von Friedrich Menz; von Adolf Gottlieb Schirach die Melitto-­Theologie über die Bienen; die Chiono-­Theologie von Balthasar Heinrich Heinsius über den Schnee; die Litho-­Theologie von Friedrich Christian Lesser über die Steine und viele mehr.

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Beginn des 18. Jahrhunderts zirkulierende Wissen über die Pflanzenteile zusammen.291 Ausführungen über die Wurzeln, die „Luftröhren“, den Aufbau der Blätter, die Pflanzennahrung etc. vermitteln so innerhalb seines Wissenskompendiums das Teilgebiet „Pflanzen“. Auch eigene Beobachtungen von Experimente fügt er ein. Sein Anspruch, botanisches Wissen selbst zu validieren, wird immer wieder deutlich.292 Auch Wolffs Werke wurden breit rezipiert, seine Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur erschien bis 1746 mindestens in sieben Auflagen.293 Handelt es sich hier nun um naturgeschichtliche Werke, philosophische Werke oder theologische Werke? Aufgrund der universalistischen Form der Gelehrsamkeit dieser Zeit ist dies schlicht eine anachronistische Frage. Aus den Pflanzenkapiteln der physikotheologisch-­naturwissenschaftlichen Übersichtskompendien heraus jedoch sollten im Laufe des 18. Jahrhunderts „phythotheologische“ Werke entstehen, die allein die Pflanzenwelt und oder gar einzelne Pflanzenarten behandelten und die so explizit speziell botanisches Wissen und Gotteslob verbanden. Phythotheologische Werke, die sich speziell mit Pflanzen befassen Eines der frühen phythotheologischen, also nur mit Pflanzen befassten, Werke stammt erneut aus England: Die von John Denne verfasste Schrift The Wisdom of God in the Vegetable Creation 294 aus dem Jahr 1730. Sie trägt eindeutig den Charakter einer Predigt und Erbauungsschrift.295 Der Prediger Denne, der die Natur als auf den Menschen hin geschaffen begreift, beschreibt darin eine statische Natur, in der alles Existierende bereits 291 In seiner schon 1723 publizierten Schrift Vernünftige Gedancken Von den Würckungen der Natur (…) ­finden sich drei Kapitel zu den Pflanzen (Wolff, Christian: Vernünftige Gedancken Von den Würckungen der Natur (…) Halle 1723.) 292 Etwa wenn er die Theorien zur Fortpflanzung der Pflanzen erläutert:„Man findet in der Blüte inwendig allerhand Stengel rings herum, daran oben etwas zu sehen, so gantz staubig ist und den Staub auf den obern Theil des Behältnisses von dem Samen fallen lässet. Einige vergleichen das Behältnis des ­Saamens mit der M ­ utter in den Thieren und Weibern, den obern Theil davon mit dem Geburts=Gliede der Weiber, die Stengel mit dem Geburts=Gliede der Männer und den Staub mit dem männlichen Saamen. Nach ihrer Meinung wird der Saame durch den Staub fruchtbar gemacht (…) Ich habe mir zwar fürgenommen gehabt die Sache zu untersuchen: allein ich habe es immer wieder vergessen.“ Da aber beispielsweise auch aus den Zwiebeln Blumen erwachsen, zweifelt er an dieser linné’schen Vorstellung. Auch legt er sich nicht endgültig fest, ob Pflanzen alleinig aus dem immer schon in kleinster Form existierenden und von Gott bei der Schöpfung geschaffenen Samen erwachsen, wie es die Präformisten behaupteten, oder ob nicht doch auch aus Erde und Luft, ohne die Präexistenz von Keimen, neue Pflanzen entstehen können. (Wolff, Christian: Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur den Liebhabern der Wahrheit Mitgetheilet, Halle 1723, S. 641 ff.) 293 Auffindbar sind folgende Ausgaben: 1723, 1725, 1730, 1734, 1739, 1741, 1746. 294 Denne, John: The Wisdom of God in the Vegetable Creation. A Sermon Preach’d in the Parish-­Church of St. Leonard Shoreditch (…), 1730, by Johne Denne, Archdeacon of Rochester, London 1730. 295 Die Schrift wurde 1733 nochmals ergänzt: Denne, John: The Wisdom and Goodness of God in the Vegetable Creation. Further Consider’d in a Sermon Preach’d (…), London 1733.

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am Schöpfungstag kreiert ist.296 Er räsoniert aber auch über den Aufbau der „Vegetabilien“, über mikroskopische Beobachtungen, ihren Nutzen in Werkzeugbau, Nahrung und Medizin. Die wunderbare Vielfalt und Ausstattung der Pflanzen ist für ihn Beweis von Gottes Größe und Allmacht.297 Denne geht sogar so weit, die jährliche Wiederkehr von Gräsern und Pflanzen mit der Auferstehung des Menschen nach dem Tod zu vergleichen, und gerät damit unversehens nahe an Wiedergeburtsvorstellungen im Kreislauf der Natur: „Why then should it not seem probable, according to that common rule of reasoning from the analogy of nature, that even Parts of human bodies, which are of all others the most curiously and wonderfully made, tho’ sinking for a while into corruption, and mouldering into dust, shall not be for ever buried in the caverns of the grave; but spring up with new life, vigour and beauty, even as vegetables from rotten particles of seed (…).“298 Ob derartige Vorstellungen in England eher formulierbar waren als im deutschsprachigen Raum, muss dahingestellt bleiben. Julius Bernhard von Rohr (1688 – 1742) und seine „Phythotheologia“ Das zentrale phythotheologische Werk des deutschsprachigen Raumes im 18. Jahrhundert stellt zweifelsohne die Phyto-­Theologia von Julius Bernhard von Rohr (1688 – 1742) dar. Sie erschien zunächst 1740, dann in zweiter Auflage 1745.299 Von Rohr gilt als Kameralist und bekannter Autor der sogenannten „Hausväterliteratur“ und sicherlich waren für ihn Aspekte des Ökonomischen zentral.300 Wie viele seiner Zeitgenossen war auch er Univeralgelehrter.301 Die Pflanzen und ihr Wachstum standen 296 „… we find, that the seeds of vegetables are real and perfect plants, marvellously folded up and ­inclosed in a shell, or skin; whence it becomes highly probable, that all the seeds and plants, that ever were or shall be in the world, were form’d together in embryo, by the word of the Almighty on that solemn day of the Creation, when God said ‚Let the earth bring forth grass‘ (…) Denne, Wisdom of God in the Vegetable Creation, S. 6. 297 „From every one of theses instances, I Say, it does clearly and undeniably appear, that there must be some Almighty Mind, wonderful in counsel, and excellent in working, who first modell’d (…) the vegetable Creation (…).“ Denne, Wisdom of God in the Vegetable Creation, 1730, S. 20. 298 Denne, Wisdom of God in the Vegetable Creation, 1730, S. 28 f. 299 Im Folgenden wird die zweite, verbesserte Auflage von 1745 verwendet: Rohr, Julius Bernhard von: Julii Bernhards von Rohr, Merseburgischen Domherrns und Land=Cammer=Raths PHYTO-­THEOLOGIA, Oder: Vernunfft und Schrifftmäßiger Versuch, Wie aus dem Reiche der Gewächse die Allmacht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit des grossen Schöpffers und Erhalters aller Dinge von den Menschen erkannt, Und Sein allerheiligster Nahme hiervor gepriesen werden möge. Zweyte und verbesserte Auflage, ­Franckfurt / Leipzig, Verlegts Michael Blochberger, 1745. 300 Zur Hausväterliteratur siehe u. a.: Kruse, Ulrike: Der Natur-­Diskurs in Hausväterliteratur und volksaufklärerischen Schriften vom späten 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert (Presse und Geschichte – Neue Beiträge Band 70), Bremen 2013. 301 Er studierte Rechtswissenschaft, Physik, Chemie, Ökonomik und auch Mathematik. Zeitweise hielt er sich in Holland auf, einige Zeit am Hannover’schen Hof, wo er in Sophie von Hannover eine Gönnerin

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im Zentrum seines Interesses: etwa in seiner als Erweiterung der forstwissenschaftlichen Schrift Hans Carl von Carlowitz 302 bezeichneten Historia Naturalis Arborum von 1732,303 die, wieder eingebettet in ausschweifendes Schöpferlob, genaue und praktische Anweisungen über die Baumzucht enthielt. Eine auf die Praxis bezogene botanische Schrift aus der Feder Rohrs stellt auch sein Physicalisch=Oeconomischer Tractat / Von dem Nutzen der Gewächse / insonderheit der Kräuter und Blumen von 1736 dar.304 Das hier im Fokus stehende Werk Phyto-­Theologia, Oder Vernunfft- und Schrifftmäßiger Versuch, Wie aus dem Reiche der Gewächse die Allmacht, Weisheit, Güte und Gerechtigkeit des grossen Schöpffers (…) erkannt werden möge interpretiert auf 540 Seiten die Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit der Vegetation. Die Aufforderung an den Leser, den Schöpfer der Pflanzenwelt zu loben, zieht sich durch den gesamten botanischen Text und erscheint immer nach dem Abschluss inhaltlicher Aspekte. Etwa nach der Erläuterung der Pflanzenstiele: „Laß dir, o Mensch! Dasjenige, was du in d ­ iesem Kapitel gelesen, zu einer Anleitung dienen, um die Fußstapfen Gottes aus den Stämmen und Stengeln der Gewächse zu erkennen.“305 Neben diesen religiösen Bezügen besteht aber ebenso der Bezug auf die botanischen Gelehrten seiner Zeit. Er rekurriert in vielfältigen Verweisen nicht nur auf die Engländer John Ray, William Derham und Robert Boyle, sondern ebenso auf italienische, französische oder niederländische Gelehrte wie etwa Tournefort, Malphigi oder Leuwenhoek. Auch die sogenannten „Naturkündiger“ des deutschsprachigen Raumes werden erwähnt, wie etwa Johann Jakob Scheuchzer, Gottfried Wilhelm Leibniz, Julius Hecker, Barthold Heinrich Brockes und andere. Der „gröste Welt=Weise“ jedoch bleibt für ihn, wie er schreibt, sein Lehrer Christian Wolff.306 Dass er in der Phyto-­Theologia den Versuch unternimmt, die Religion mit der neuen Wissenschaft zu verbinden, beschreibt er selbst: „Wie mich nun diese Schrifften, w ­ elche die Lehre der Natur=Wissenschafft mit der natürlichen GOttes=Gelahrtheit verbunden, jederzeit belustiget und erbauet, also bin durch ihre Beyspiele ebenfalls angefeuert

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fand und wo er vermutlich auch auf Leibniz traf. Er wirkt einerseits als Landkammerrat, ab 1732 auch als Domherr zu Merseburg. Seine umfangreichen Schriften reichen von Untersuchungen über die Erforschung des Gemüts über vielfache Bücher zur Hauswirtschaft bis hin zu Büchern über die Zeremonialwissenschaft und über die Staatsklugheit. Vorwiegend gilt sein Interesse aber offensichtlich ab ungefähr 1720 seinem Landgut, wo er Feldbau, Weinbau und Gärtnerei betreibt – woraus er viele seiner in Buchform gefassten Erkenntnisse schöpft. Die Angaben zu seiner Biographie stammen aus: ADB 29, Leipzig 1889, S. 60 – 62. Hans Carl von Carlowitz gilt heute weithin als Begründer des Nachhaltigkeitsprinzips. Historia Naturalis Arborum (…) oder Naturmäßige Geschichte der von sich selbst wilde wachsenden Bäume und Sträucher in Teutschland (…), Leipzig 1732. Rohr, Julius Bernhard von: Julii Bernhards von Rohr / Hoch=Fürstl. Sächsisch=Merseburgischen Land=Cammer=Raths und Dom=Herrns der Bischöfflichen Stiffts=Kirche Physicalisch=Oeconomischer Tractat / Von dem Nutzen der Gewächse / insonderheit der Kräuter und Blumen / In Beförderung der Glückseligkeit und Bequemlichkeit des menschelichen Lebens (…), Coburg 1736. Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 69. Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 371.

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worden, den Fußstapffen dieser Männer zu folgen, und den glorwürdigsten Schöpffer und Erhalter aller Dinge, nach dem Maaß der mir von ihm hierzu geschenckten Kräffte ebenfalls zu preisen. Ich habe mir hierbey das Reuch der Gewächse zu meinem Gegenwurff ausersehen, als welches in Ansehung der Lehr=Art, von welcher hier die Rede ist, meines wenigen Ermessens, von meinen Vorgängern noch nicht so ausführlich abgehandelt worden.“307 Von Rohrs Kompendium trägt dabei gleichzeitig innerhalb d­ ieses Rahmens das Pflanzen­­ wissen seiner Zeit zusammen. Wenn er etwa von den Blättern handelt, so erklärt er deren Funktion als Schutz vor Sonnenstrahlen, ihre Reinigungsfunktion für Nahrungssäfte, ihre Aufgabe, Tau und Feuchtigkeit zu speichern usw. Ein in Rohrs Text ebenso auftauchendes Element ist die bekannte Analogie von Pflanze und Tier sowie zum Menschen und dessen Organen.308 Die Vorstellung der Kette der Wesen, die letztlich von einem Kontinuum und einer ausgeprägten Verwandtschaft innerhalb der Natur ausging, bestimmt auch seine Sichtweise, nicht etwa die cartesianische Trennung ­zwischen dem „Seelenwesen Mensch“ und der „Maschine Natur“. Rhethorische Figuren in phytotheologischen Werken Rhetorische Figuren, die nicht zuletzt auch Unterhaltungscharakter tragen, sind die in diesen Werken immer wiederkehrenden „Was wäre wenn …?“-Fragen. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt, denn ebenso, wie von Rohr bereits am Anfang darüber spekuliert, wie leblos die Erde ohne Vegetation wäre, lässt sich dies an allen Einzelpflanzen durchspielen, beispielsweise bei der Anordnung der Früchte hoch in den Bäumen: „Es dürfften wohl wenig Pflantzen angetroffen werden, die beständig auf der Erde wegkriechen und nicht vielmehr einen Trieb bezeugen sich in die Höhe zu richten. Doch ­dieses ist ebenfalls eine Würckung der göttlichen Güte und Weisheit. Was würden uns wohl die Gewächse mit ihren schönsten Blüthen und herrlichsten Früchten vor Nutzen leisten, wenn sie alle auf der Erde liegen solten? Würden nicht die zarten und safftigen wie ein Zweiffels-­Knoten sich ineinander schlingen? Würde nicht der gantze Erdboden mit ­Pflantzen bedeckt und selbige von den Thieren eher zertreten, abgefressen und verwüstet werden, ehe sie den Menschen zu Nutze kämen? Manche würden vor der Zeit in der nassen Erde verfaulen, andere aber in heissem Sande verbrennen, bevor sie noch ihre Früchte zur Zeitigung gebracht. Viele würden auch von manchen gifftigen Thieren als Schlangen, Ottern, Kröten, Eydexen u. s. w. weit ärger als ietzo zu geschehen pflegt, beschmeisset werden.“309 Früchte wie die Quitten, die zum Einkochen und Einlagern bestimmt 307 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, Vorrede (Blatt 5). 308 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 32. 309 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 25 f.

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sind, haben hartes Fleisch und reifen erst spät im Jahr. Schlehen und Hagebutten sind roh ungeniessbar, was Diebe abhält, sie zu stehlen. Bäume wachsen in den Himmel, so dass die Zimmermänner daraus lange Bretter sägen, ohne die Häuser und Schiffe kaum erbaut werden könnten usw.310 Hier wird nochmals deutlich, dass mit der Vorannahme der sinnhaften Ordnung der Vegetation der Gottesbeweis inhärent ist. Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit der Pflanzen In Rohrs Text wird damit die im 18. Jahrhundert verbreitete Vorstellung der von Gott geschaffenen optimalen Ordnung der Welt fassbar. Im Sinne Leibniz’ ist die Welt so als „beste aller Welten“ eingerichtet – keines der Geschöpfe, keine Einrichtung ist „unnütz“, auch wenn der Mensch dies mit seinem unzulänglichen Verstand nicht immer sofort erkennen kann.311 Vielfach liegt dabei der „Nutzen“ auf der Hand, wie etwa bei den Arznei­kräutern und Nahrungspflanzen. Neben dem praktischen Nutzen der Pflanzen in seinen vielfältigsten Formen (von der Herstellung von Schminke bis zur Abbildung durch Kupferstecher) tritt aber im 18. Jahrhundert zunehmend der wissenschaftliche Nutzen. Die Natur ist somit Studierstube und Experimentierfeld der Wissensbegierigen: „Die gelehrten Natur=Forscher sind bemühet alle ihre Theile auf das genaueste zu betrachten, und die in ihnen verborgen liegenden Kräffte und Eigenschafften zu entdecken. Sie zergliedern sie so viel als möglich, sie beschauen sie durch die Vergrößrungs=Gläser, sie bringen sie unter die Lufft=Pumpe, unter die Pressen, sie zerhacken sie, lassen sie gären und setzen sie alsdenn in einen distilir-­Kolben, sie verbrennen sie zu Asche, um die Saltze aus ihnen zu gewinnen, und stellen mancherley Versuche mit ihnen an, theils ihre Erforschungs=­Begierden ie mehr und mehr zu sättigen, theils auch ihren Nächsten mit demjenigen, was sie hiervon erkennen lernen, zu dienen.“312 Und auch der seelisch-­moralischen Seite des Menschen wird durch die Pflanzenwelt Genüge getan: „Eine schöne Landschafft, ein wohlangelegter Gartten, ein dunckler Wald (…) ist zu allen Zeiten her vermögend gewesen, die Augen und Hertzen der Sterblichen bey einer lieblichen Jahres=Zeit zu belustigen. Dieses Vergnügen machen sich so wohl die höchsten Standes=Personen als geringsten aus dem Volcke, die Gelehrten so wohl als die Ungelehrten, Reiche so wohl als Arme, die Kinder so wohl als die Erwachsene, nebst den Aeltesten teilhafftig. (…) Andere erwehlen die Einsamkeit im Grünen, damit sie nicht von dem Geräusche der Welt in ihrem Nachsinnen gestöret 310 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 39. 311 Wie Rohr schreibt: „Hierbey werden manche die Unrichtigkeit ihres Schlusses bemercken, dass sie nicht alsofort dasjenige, dessen Nutzen sie nicht einsehen, vor etwas unnützes achten.“ (Von Rohr, Phyto-­ Theologia, 1745, S. 181.) 312 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 114 ff.

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werden, wann sie Sachen von grosser Wichtigkeit überlegen, oder sonst etwas, darzu eine genauere Aufmercksamkeit erfordert wird, ausdencken wollen. Manche, die mit innerlichen oder äusserlichen Leiden geplaget, suchen in dem Freyen einige Erquickung und Beruhigung des Gemüthes, damit sie hierdurch in etwas gestärcket werden.“313 Die im 18. Jahrhundert aufkommende Begeisterung für das Landleben wird hier greifbar und der neue Trend zum Aufenthalt in der Natur und zur Bewegung in der Natur aufgrund des gesundheitlichen Nutzens: „Wie die mancherley Bewegungen, nebst der aus der Land=und Garten=Lust entspringenden Belustigung des Gemüths zur Gesundheit der Menschen ein grosses Würcken, ist vielen aus der Erfahrung bekannt (…).“314 Von Rohr, der seine Erkenntnisse selbst aus der Hauswirtschaft schöpft, bleibt aber – es handelt sich ja hier um ein sehr frühes Werk – nicht bei allgemeinen Erläuterungen stehen, sondern beschreibt sehr konkret die Verwendungsgebiete der Pflanzen, was den heutigen Leser erahnen lässt, wie zentral die Pflanze für das frühneuzeitliche Leben war.315 Ökonomie, Theologie und Botanik verbinden sich so in seinem Werk auf das Engste. Von der Kette der Wesen zur Interdependenz oder: Von der Bio-Theologie zur Ökologie Auffallend sind in Rohrs Ausführungen die Überlegungen zu den Beziehungen der Lebewesen untereinander sowie die Beziehung der Pflanzen zu ihren Umweltbedingungen, womit er als Vorgänger des bereits erwähnten Heinrich Sander gelten kann. Rohr ist überzeugt: „Man wird fast nicht einen eintzigen Theil eines Gewächses antreffen, der nicht einer gewissen Gattung der Thiere, oder des Ungeziefers, zur Wohnung oder zur Speise gewidmet seyn soll.“316 Vielfältigste Beispiele aus der Welt der Käfer, Maden oder Fliegen führt er hierfür an. Seine konkreten Beispiele für Kreisläufe in der Natur greift er dabei 313 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 318 f. 314 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 331. 315 Die unterschiedlichsten Verfahrensweisen werden hier angeführt: die Gewinnung von Salpeter aus wilden Kräutern, Blättern und verfaultem Obst; die Salzherstellung aus Samen; die Beizung von Holz durch bestimmte Metall-­Kräuter-­Mischungen; das Lampenöl aus zerstoßenen Kernen; die Creutzbeer=Staude für das Grünfärben; die Besenherstellung aus Zweigen; das Drechseln aus Vogelbeerbaumholz; die Stricknadelherstellung aus Holunderholz usw. Das Pappelholz ist für Blasebälge, das Espenholz für Schüsseln, das Buchsholz für Kämme und Flöten, das Lindenholz für die Lettern der Buchdrucker, der Lindenbast für Körbe, die Fichtenrinde für Peitschen, bestimmte Asche für die Glasherstellung, bestimmte getrocknete Blätter gegen Motten, das Meyer-­Kraut wird benutzt in der Käseherstellung, das Wasser des Vogelbeerbaums ist nötig zur Bier- und Obstweinherstellung, Öle gewinnt man aus verschiedenen Pflanzen, mit bestimmtem Pflanzensud kann man Wäsche bleichen etc. Auch Arzneiwissen führt er entsprechend an: Welche Kräuter schweißtreibend, wundstillend sind etc. Zwar hält er es eher mit den „Erfindungen zu den ietzigen Zeiten“, kombiniert es aber durchaus mit tradierten Ähnlichkeitsprinzipien: regenschirmähnliche Pflanzen vertreiben Feuchtigkeiten und Blähungen, Pflanzen mit schwerem Dunst verursachen Schläfrigkeit und Dummheit und angenehme Rosendüfte stärken die Nerven etc. 316 Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 473.

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im Besonderen bezüglich der Wälder heraus, die ja eines seiner Spezialgebiete darstellen.317 Gleichgewichtsgedanken und Verknüpfungen in der Natur klingen dabei an.318 Was hier bei Rohr noch mit dem „Naturhaushalt“ unter der Regie Gottes als Hausvater beschrieben werden kann, wird bei Carl von Linné (1741 – 1783) in seiner Oeconomia naturae 319 von 1749 oder besonders auch bei Heinrich Sander in seinem Werk Von Gottes Güte und Weisheit in der Natur 320 von 1778 schließlich zum Kreislaufgedanken und zur Vorstellung eines Gleichgewichts innerhalb der Beziehungen in der Natur verfeinert. Hier von „ökologischem Denken“ in der Frühen Neuzeit zu sprechen, erscheint vielleicht zunächst fragwürdig – wurde doch das Entstehen eines ökologischen Bewusstseins und einer Wissenschaft der Ökologie vornehmlich mit der beginnenden Umweltzerstörung in Zeiten der Industrialisierung in Verbindung gebracht. Je mehr sich aber eine historisch-­anthropologische Sichtweise etabliert, die im Verhältnis von Mensch und Natur ein alle Epochen durchziehendes Untersuchungsfeld sieht, desto mehr rückt auch das ökologische Denken vormoderner Zeiten in den Blick der Geschichtswissenschaft und der Umwelthistorie.321 Von einer anderen Warte aus hat etwa schon der Sprachwissenschaftler Erwin M ­ orgenthaler in seinem Band Von der Ökonomie der Natur zur Ökologie nach den (sprachlichen) Vorläufern ­dieses Denkfeldes gesucht 322 und auch im englischsprachigen Kontext wurden frühneuzeitliche (physikotheologische) Texte früh in die Ökologiediskussion miteinbezogen – etwa schon 1967 im Werk von Clarence Glacken Traces on the Rhodian Shore – Nature and Culture in Western Thought From Ancient Times to the 317 Bspw. in: Rohr, Julius Bernhard von: Historia Naturalis Arborum et Fructicum Sylvestrium Germaniae Oder Naturmäßige Geschichte der von sich selbst wilde wachsenden Bäume und Sträucher (…) Leipzig 1732. Alle Werke Rohrs hier aufzuführen sprengt den Rahmen: Allein Zedlers Universallexikon zählt schon 29 Schriften auf. 318 Etwa, wenn er sich gegen die Einteilung nützliches Kraut – Unkraut wehrt: „Wann einige bey manchen Gewächsen verspühren, daß sie zur Beförderung der Bequemlichkeit des menschlichen Lebens sehr nützlich oder wohl gar unentbehrlich, bey anderen hingegen ihren Nutzen nicht so gleich wahrnehmen, so sind sie gar bald fertig, nach ihrer Unwissenheit eine neue Eintheilung zu machen, und theilen die Pflantzen in die nützlichen und unnützlichen, oder in das Unkraut ein. Daß aber dergleichen Leute sich gar sehr vergehen, da sie manch Gewächse ausser der allgemeinen Verknüpfung allein betrachten (…).“ (Rohr, Phyto-­Theologia, 1745, S. 42.) 319 Linné, Carl von: „Die Oeconomie der Natur“, in: Des Ritters Carl von Linné Auserlesene Abhandlungen aus der Naturgeschichte, Physik und Arzneywissenschaft (Zweyter Band), Leipzig 1777, S. 1 – 56 (erste lat. Fassung 1749). Siehe hierzu auch: Morgenthaler, Erwin: Von der Ökonomie zur Ökologie, Berlin 2000. 320 Sander, Heinrich: Von der Güte und Weisheit Gottes in der Natur (…), verbesserte Auflage Frankfurt / Leipzig 1784. 321 Siehe: Dressel, Gert: Historische Anthropologie. Eine Einführung, Wien / Köln / Weimar 1996, S. 152 ff; Siemann, Wolfram und Freytag, Nils: „Umwelt. Eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie“, in Siemann, Wolfram (Hrsg.): Umweltgeschichte. ­Themen und Perspektiven, München 2003, S. 7 – 20. 322 Er hat den Physikotheologen und im Besonderen Carl von Linné ökologisches Denken zugeschrieben: Morgenthaler, Erwin: Von der Ökonomie der Natur zur Ökologie. Die Entwicklung ökologischen Denkens und seiner sprachlichen Ausdrucksformen, Berlin 2000.

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End of the Eighteenth century;323 konkret auf die Ökologiegeschichte bezogen dann aber bei Robert McIntoshs The Background of Ecology 324 oder bei Donald Worster in seinem Band Nature’s Economy – A History of Ecological Ideas.325 Worster stellte sich schon 1977 auf den Standpunkt, dass ökologisches Denken existierte, bevor der Begriff „Ökologie“ ­dieses Feld benannte. Er operiert mit dem Begriff „nature’s economy“– ähnlich wie Erwin Morgenthaler für den deutschsprachigen Raum später den Begriff des „Naturhaushaltes“ als Basismetapher für diese Denkströmungen einsetzte. (Siehe ausführlicher an anderer Stelle 326 und Teil I, Kap. 1.2.3).

2.2.3 Werke über einzelne Gewächse, religiöse Erbauung und Zeitschriftenliteratur Was in von Rohrs Phyto-­Theologia in Bezug auf die Gesamtheit der Gewächse ausgeführt wird, findet sich in ähnlicher Weise in ausschweifenden Werken zu einzelnen Arten wieder, detailliert auf die Anatomie und Lebensweisen einzelner Pflanzen ausgerichtet. Langatmige Bände befassen sich beispielsweise mit Blumen im Allgemeinen 327 oder auch mit einzelnen Gewächsen wie der Rose,328 der Tulpe,329 dem Grashalm 330 etc. Diese Werke komprimieren zwar auch Pflanzenwissen, meist ist aber ihr Charakter als religiös motivierte Wissenspraktik bestimmend. Viele dieser Werke stammen schon aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, ähnliche Schriften erscheinen aber auch noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts.

323 Glacken, Clarence: Traces on the Rhodian Shore. Nature and Culture in Western Thought From Ancient Times to the End of the Eighteenth Century, Berkeley / Los Angeles 1967. 324 McIntosh, Robert P.: The Background of Ecology. Concept and Theory, Cambridge et al. 1985. 325 Worster, Donald: Nature’s Economy. A History of Ecological Ideas, Cambridge et al. 2. Auflage 1985 (1. Auflage 1977). Während Morgenthalers zentrale Referenzfigur dabei Carl von Linné darstellt, ist dies für Worster die Figur Gilbert White of Selborne (1720 – 1793), der eine detaillierte Beschreibung des Ökosystems seines Pfarrbezirkes hinterließ. 326 Ausführlich hierzu siehe: Ruppel, Sophie: „Von der Phythotheologie zur Ökologie. Kreislauf, Gleichgewicht und die Netzwerke der Natur in Beschreibungen der Oeconomia naturae im 18. Jahrhundert“, in: Boscani Leoni, Simona und Stuber, Martin: Wer das Gras wachsen hört (JGLR 2017), Innsbruck 2017, S. 59 – 80. 327 Benemann, Johann Christian: Gedancken über das Reich derer Blumen / Bey müßigen Stunden ­gesammlet, von einem Liebhaber solcher schönen Geschöpffe, Dresden / Leipzig, 1740. 328 Benemann, Johann Christian: Die Rose, zum Ruhm ihres Schöpfers und Vergnügen edler Gemüther, beschrieben von dem Verfasser derer Gedanken über das Reich derer Blumen, Leipzig 1742. 329 Benemann, Johann Christian: Die Tulpe, zum Ruhm Ihres Schöpfers und Vergnügen edler Gemüther, beschrieben von dem Verfasser derer Gedancken über das Reich der Blumen, Dresden / Leipzig 1741. 330 Denso, Johann Daniel: Beweis der Gottheit aus dem Grase (…), Amsterdam 1750.

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Blumen Schon 1736 erschien eine Schrift eines Studenten der Arzneimittellehre, Michael ­Morgenbesser  331: Von der Absicht des Schöpfers bey Darstellung der Blumen und der daher entstehenden Pflicht der Menschen 332. Für diese Abhandlung erhielt er einen „Preis der Literatur und Beredsamkeit“. Hier klingen einige Argumente an, die beispielsweise Christian Benemann später in seinen Werken über die Blumen ausgiebig bespricht. So rekurriert Morgenbesser einerseits auf den Nutzen der Blumen als Nahrung der Tiere, stellt aber schon stärker den moralischen Nutzen in den Vordergrund: „Was ist uns aber wohl näher, was giebet uns zu mehrerem Vergnügen Gelegenheit, was lieben wir mehr, als angenehme Blumen? Die göttliche Vorsehung zeiget uns durch diese lieblichen Verwandlungen der Felder und Gärten, dass wir an etwas Höhers denken sollen, als an uns. Wie könnten wir also unserer Pflicht besser nachkommen, als wenn wir diese Schönheiten, ­welche wir so öfters mit Füßen treten, einmal etwas genauer ansehen, die Absichten des Schöpfers in ihnen zu entdecken suchen, und die daher entspringenden Pflichten erwegen.“333 Die Anatomie der Blumen sei so kunstvoll, dass es unmöglich sei, dass sie allein „aus einem gewissen Zusammenlaufe unförmlicher Körper“ entstanden ­seien.334 Sodann fährt er aber mit dem konkreten Nutzen fort: als Nahrung, als Arzneimittel, als Gewürz, als Grundstoff für Kleidung etc. Besonders der arzneiliche Nutzen liegt ihm dabei am Herzen, der hier auch mit der Luftreinigung durch die Pflanzen verbunden wird: „Die Luft wird durch unterschiedene Ausdünstungen aus der Erde öfters verunreiniget. (…) Wie vorteilhaft sind hingegen die angenehmen Lüftchen, ­welche uns in den mit Blumen überdeckten Gefilden anwehen? Wie zuträglich sind uns die flüchtigen Theilchen, w ­ elche aus denselben in uns ziehen? Sie erfrischen die Säfte, sie stärken die Sinne, sie ermuntern die Lebensgeister, sie erfreuen die Seele, sie stellen oft die kränklichsten Körper wieder her, sie machen uns geschickt, den Verrichtungen weit eifriger nachzugehen, als vorhin.“335 Was Morgenbesser hier beginnt, führt Christian Benemann 336 in ausschweifender Form aus und weiter. Sein umfangreiches Werk zu den Blumen Gedancken über das Reich derer Blumen 337 umfasst auf 448 Seiten alle denkbaren Aspekte: die göttlichen 331 Biographisch ist Morgenbesser offensichtlich nirgendwo fassbar. 332 Morgenbesser, Michael: Von der Absicht des Schöpfers bey Darstellung der Blumen und der daher entstehenden Pflicht der Menschen. Eine Schrift durch w ­ elche, im Jahre 1736 den 7. October, den in der deutschen Gesellschaft aufgesetzten ausserordentlichen Preis erhalten hat, von Michael Morgenbesser, der Arzneywissenschaft Beflissener, aus Breslau, Leipzig 1736. 333 Morgenbesser, Absicht bey Darstellung der Blumen, 1736, S. 10. 334 Morgenbesser, Absicht bey Darstellung der Blumen, 1736, S. 19. 335 Morgenbesser, Absicht bey Darstellung der Blumen, 1736, S. 25 f. 336 Auch Benemann ist nur über seine Schriften zu erfassen. 337 Benemann, Johann Christian: Gedancken über das Reich derer Blumen / Bey müßigen Stunden gesammlet, von einem Liebhaber solcher schönen Geschöpffe. Dresden und Leipzig 1740.

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Absichten, den Gebrauch der Blumen, ihre botanischen Eigenheiten und ihre Aufgabe, den Menschen zu Gottes- und Selbsterkenntnis zu führen. Er stellt sein Werk allerdings eindeutig innerhalb der Schöpfungstheologie auf. So beziehen sich auch seine Ausführungen über den „Ursprung der Blumen“ auf die Genesis: „(…) so bald das Licht von der Finsterniß, und das Trockene, welches die Erde genennet werden solte, vom Wasser geschieden worden, sie, die Erde, auf dass Wortt des Allmächtigen Graß und Kraut, dass sich besaamete, ein jegliches von seiner Art aufgehen lassen (…). Da haben wir den Ursprung derer Blumen, als derenthalben nie jemand gezweiffelt, daß sie nicht unter dem Nahmen des Graßes und Krautes mit begriffen gewesen. Und so wissen wir, daß sich dieselben, so, wie alles, was sonst lebt und schwebt, auf das Geheiß des Göttlichen Meisters dargestellet haben.“338 Allerdings schließt er mit dem Kommentar, dass hier auch gelegentlich übermäßige Spekulationen über die Absichten Gottes bei der Erschaffung der Gewächse entstünden: „Man wird mir aber doch auch nicht verargen, wenn ich dabey etwas zweiffelhaft bin, ja frey bekennen muß, daß mir öffters vorkommen wollen, als ob wir schwachsinnige Menschen dem unermeßlichen Wesen mehr Absichten andichtete, als dasselbe iemahls gehabt.“339 Kritisch setzt er sich mit anderen Gelehrten auseinander: Athanasius Kircher habe gemeint, es wüchsen auch auf anderen Planeten Blumen, Kepler habe dies für den Mond angenommen. Diese Vorstellungen ­seien aber schwierig, da dort die Temperaturverhältnisse völlig anders beschaffen sein dürften.340 In den im heutigen Sinne botanischen Fragen geht es sodann um Teile der Blüte, Fragen der Empfindungsfähigkeit, die Vielfalt der Blattfarben und Blattformen, über Kelche, Griffel, Staubfäden und Fortpflanzung. Er kann sich aber weder denjenigen anschließen, die den Pflanzen eine Seele zuschreiben, noch denjenigen, die sie ins Reich der Dinge verweisen – also weder den Befürwortern der Pflanzenseele noch den Mechanisten: „Dass zwar diejenigen, sonder Zweiffel zu weit gegangen, w ­ elche denenselben, und allen Pflanzen überhaupt, nicht nur Leben und Empfindung, sondern auch ordentliche Sinne zuschreiben (…) unter die Thiere setzen wollen: und dass diejenigen vollends über die Schnur gehauen, w ­ elche ihnen, wie Anaxagoras, Democritus, und die Glieder und Anhänger der Manichäischen Secte, verständige Seelen, Liebe und Hass, Freude und Traurigkeit, Wachen und Schlafen zueignen (…). Es findt sich aber auf der andern Seite nicht weniger Bedencken denjenigen beyzufallen, ­welche die Blumen und Pflanzen darum, daß sich dieselben nicht so, wie andre belebte Creaturen, von einem Orte zum andern bewegen können, unter die gantz leblose Dinge zehlen wollen. Denn ob ich gleich dahin gestellt seyn lasse, wie weit gründlich gesagt werden könne, daß sich ihr Leben und Empfindung 338 Benemann, Reich derer Blumen, 1740, S. 12 ff. 339 Benemann, Reich derer Blumen, 1740, S. 34. 340 Benemann, Reich derer Blumen, 1740, S. 46 ff und 49.

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dadurch offenbahre, dass die Arten von der schon benannten Sensitiva, ihre Blätter, wenn man sie anrühren wolte, zurückzögen (… die Mimose ist gemeint, A. d. V.) so ist doch sonst aus ihrem Wachsthum und Vermehrung gar klärlich abzunehmen, dass sie eine Art eines Lebens in sich haben, und daher auch einer Bewegung zu ihrer Erhaltung, und Fortpflantzung mächtig sind.“341 Benemann bleibt also vorsichtig in seinen Aussagen und hält sich eher an die Beschreibung der „Röhrgen“ und „Fäsergen“, an Knospenformen, Wurzeln und Blätterarten etc. Auch über die Einteilung der Gewächse schreibt er ausführlich. Einerseits beschreibt er verschiedene tradierte Ordnungssysteme – etwa nach Größe, nach Standorten, nach den Planeten (solarische, lunarische, mercurialische Pflanzen etc.), andererseits beschreibt er die Ordnungsversuche von Ray, Tournefort, Rivinus und anderen. Er zieht für sich aber das Fazit: „Kurtz; wir stehen noch in einer ziemlichen Verwirrung.“ 342 Zwar erwähnt er, dass „insonderheit auch in jüngster Zeit der Herr D. Linnäus“ sich damit befasse und wohl zu besseren Ergebnissen komme, d­ ieses von vielen gelobte Werk liegt ihm aber offensichtlich noch nicht vor. (Die Systema naturae erschien erstmals 1737.) Auch in Fragen der Fortpflanzung legt sich Benemann nicht fest. Nicht denkbar jedoch ist für ihn, dass Pflanzen ohne Samen, nur aus totem Material entstünden. Auch im Streit über die Geschlechtlichkeit der Pflanzen legt er sich nicht fest, da er selbst mit Tulpen Versuche angestellt habe. Er habe die Griffel weggeschnitten und sie hätten sich dennoch vermehrt usw. Auch hier verweist er aber auf zukünftige Fortschritte: „Vermuthlich werden wir über unsre Frage bald mehr Licht bekommen, da unlängst zwey berühmte Botanici, die Herren Linnäus und Siegesbeck, darüber in öffentlichen Zwey-­Kampf gerathen, und jener das doppelte Geschlecht behaupten, dieser aber solche ­­ Lehre und Meynung nicht allein für unrichtig, sondern auch gar für unzüchtig ausgeben wollen.“343 Festzuhalten bleibt, dass in Benemanns Werk, wie in vielen anderen ähnlichen Werken, eine sehr vorsichtige Haltung zu den Streitfragen der Zeit eingenommen wird. Er lässt die aktuellen „Forschungsfragen“, etwa nach der Empfindungsfähigkeit und der geschlechtlichen Fortpflanzung, offen. Nichtsdestotrotz scheinen die zeitgenössischen botanischen Streitpunkte allesamt auf, eingekleidet in ein religiös-­erbauliches Werk. Benemanns wichtigstes Anliegen ist insgesamt aber zweifelsohne den moralische ­Nutzen von Blumen zu erklären, den er unter Kapitelüberschriften wie „Von der Schönheit und Lieblichkeit derer Blumen“, „Vom Gebrauche und Mißbrauche derer Blumen“, „Von der Gleichheit derer Blumen mit denen Menschen …“ etc. abhandelt. Beeindruckend sind dabei erneut Benemanns Analogien von Mensch und Blume. Nicht 341 Benemann, Reich derer Blumen, 1740, S. 58 ff. 342 Benemann, Reich derer Blumen, 1740, S. 102 f. 343 Benemann, Reich derer Blumen, 1740, S. 151.

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nur nutzt er (wie andere Naturgelehrte dieser Zeit auch) die geläufigen Analogien wie den Vergleich der „Fäsergen der Blumen“ mit den Blutgefäßen der Menschen und Tiere. Er sieht auch die Blume, ähnlich wie Denne, gleichsam als Sinnbild menschlicher Existenz: Die Dauer der Blühzeit ist kurz, sie wird welk und schwach, wie auch das menschliche Leben kurz ist und in Alter und Schwachheit übergeht. Dabei bezieht er sich auf Prophetenworte aus der Bibel („Eure Gebeine (…) sollen grünen wie das Gras“) und so wird die jährliche Wiederkehr der Blumen für Benemann zum Gleichnis für die Auferstehung.344 So gedeihen die Blumen zur Freude des Menschen, halten ihn von Lastern fern und dienen letztlich der Gottes- und Selbsterkenntnis des Menschen. Analog liest sich Benemann Werk Die Rose, zum Ruhm ihres Schöpfers und Vergnügen edler Gemüther beschrieben von 1742, in dem er auf mehr als 200 Seiten die Rosenarten, ihre Anatomie, ihre Heilkräfte und ihre Wirkung auf das Gemüt und „wie der Schöpfer bey der Rose zu verehren sei“ beschreibt.345 Auch sein Werk über die Tulpen: Die Tulpe, zum Ruhm ihres Schöpffers, und Vergnügung edler Gemüther 346 von 1741 analysiert die Anatomie der Tulpe, Herkunft und Geschichte wie auch die Vielfalt. Integriert ist zudem ein ausführliches Tulpenverzeichnis des Baden-­Durlach’schen Gartens, bei dem die entsprechenden Zwiebeln käuflich erwerbbar ­seien.347 Hier zeigt sich erneut, wie wenig die Textgattungen hier noch getrennt sind und Theologisches, Literarisches, Botanisches und Ökonomisches (hier der konkrete Tulpenzwiebelmarkt) ineinandergreifen. Gras Die Ausführungen Benemanns über die Blumen zeigen, dass auf diese naturwissenschaftlich-­ theologische Weise im Grunde jeder noch so kleine Teil der Natur betrachtet werden konnte – von der Wellhornschnecke bis zum Grashalm wurden entsprechende biologische Beobachtungen und Erklärungen mit dem Schöpfungslob verbunden. Die Nähe dieser Werke botanischer Beredsamkeit zur Dichtung, zum zeittypischen Lehrgedicht, lässt sich an Johann Daniel Densos Chortotheologie, oder Beweis der Gottheit aus dem Grase von 1750 illustrieren. Denso, ein Naturgelehrter aus Stettin,348 verfasste ein knapp 30 Seiten umfassendes Lehrgedicht über das Gras, in dem es heißt:

344 Benemann, Reich derer Blumen, 1740, S. 442. 345 Benemann, Christian: Die Rose, zum Ruhm ihres Schöpfers und Vergnügen edler Gemüther, Leipzig 1742. 346 Benemann, Johann Christian: Die Tulpe zum Ruhm ihres Schöpffers, und Vergnügung edler Gemüther, Dresden / Leipzig 1741. 347 Manche der Ausgaben verzeichnen auch die zugehörigen Preise, jedoch nicht alle. 348 In der ADB wird Denso (1708 – 1795) nur knapp als Gymnasialprofessor und Rektor beschrieben, der sich besonders um die Belebung naturwissenschaftlicher Studien verdient gemacht habe. Siehe: ADB 5, Leipzig 1877, S. 57 f..

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Kommt näher ihr betäubten Geister! Empfindet Gottes Maiestät: Wie ein unendlich=weiser Meister Im Kleinen seine Kunst erhöht. Betretet nicht / das Gras mit Füssen Wo nicht der Fuß mit Ehrfurcht tritt / Und wo euch nicht durch ieden Schritt / Die weise Schlüsse lehren müssen: Ihr seid von Gott sehr hoch beglücket Der euren Pfad so künstlich schmücket.349

Es folgen dann Ausführungen über die verschiedenen Standorte der Gräser, wie das Gras selbst durch Mauern bricht, wie es im Winter modert, im Sturm unbeschadet bleibt durch seine Biegsamkeit, wie sich die Samenkörner im Wind verbreiten, wie die Saftröhren dem Blutkreislauf von Tier und Mensch gleichen, ­welche Farben und Formen es annimmt, wie es den Tieren als Nahrung dient, in der Apotheke Verwendung findet usw. Das Gras wird hier – wie dort die Blumen oder die Früchte etc. – zum Abbild alles Lebendigen schlechthin. So sind auch dem christlich geprägten Naturforscher des Abendlandes in der Zeit der Aufklärung immer noch die „zwei Bücher aufgeschlagen“, das liber scripturae und das liber naturae. Während aber im Mittelater die Heilige Schrift die ausschlaggebende Seite war, neigt sich in der Zeit der Aufklärung die Waagschale auf die andere Seite, zum „Buch der Natur“ hin. Noch sind beide aber nicht voneinander zu trennen. Phythotheologie in den botanischen Zeitschriften Auch in den gelehrten Zeitschriften finden sich phytotheologische Ausführungen, die ebenso zur Naturgeschichte der Zeit gehören, wie Ausführungen über eine neu entdeckte Pflanzengattung. 1789 etwa erschien im Magazin für die Botanik ein Auszug einer Schrift von O. Fr. Müller „Ueber die ersten Gewächse unsers Erdkörpers und den vom Schöpfer eingeschränkten Platz ihres Aufenthalts“, in dem ausgeführt wird, wie Gott verschiedene Pflanzen für verschiedene Standorte geschaffen habe: „dass sie ihr Daseyn nicht einem Ohngefähr, einem willkührlichen Zusammenfluss wilder Atomen, oder unorganisirter Moleculn zu danken haben, auch dass der Schöpfer nicht aufs Gerathewohl aus voller Hand alle Keime der Thiere und Pflanzen ausgeschüttet habe, sondern dass ein auf die Natur und Beschaffenheit eines jeglichen eingerichteter

349 Denso, Johann Daniel: Herrn Denso’s (…) Beweis der Gottheit aus dem Grase, Amsterdam 1750, S. 182.

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Unterhalt und Nahrung im Voraus zubereitet, und einem jeden sein eigenthümlicher Platz angewiesen worden.“350 Auch Franz Anton von Braune integriert in seine „Betrachtungen über das Studium der Botanik“ 1803 ausführliche physikotheologische Argumentationen und schreibt u. a.: „Wenn man den Gang der Vegetation aufmerksam und bey jeder Gelegenheit beobachtet, wie hier ein Saamenkorn Monate, Jahre lang in der Erde liegt, bis es keimt, wie hier ein Baum mit seiner Ausbildung Jahrhunderte zubringt, dort ein Pilz in einer Nacht emporwächst, sich vollkommen ausbildet, und wieder in Verwesung übergeht, wie hier ein Gewächs die Dicke von mehreren Schuhen und eine Höhe von vielen Klaftern erreicht, jenes nur mit bewafnetem Auge deutlich gesehen werden kann; wenn man beobachtet, wie die Pflanzen sich nähren und fortpflanzen, was sie hirin mit den Thieren gemein haben (…) wenn man betrachtet, ­welche Gewächse auf Ebenen, ­welche auf hohen Gebirgen, ­welche in heissen, ­welche in kalten Zonen, ­welche auf trockenem Lande, ­welche in den Meeren, Seen, Flüssen und Pfützen wohnen, ­welche Gestalt und Eigenschaften, diese, ­welche jene besitzen, wie sie durch unendlich verschiedene Grade der Schnellkraft, des Zusammenziehungs=Vermögens, der Reizbarkeit, der Lebenskraft und des Bildungstriebes bald sich allgemach so sehr der Natur eines Thieres nähern, daß der Botanist und der Zoologe Anspruch machen kann, es gehöre dieser organische Körper in sein Gebiet, bald so aussehen und vegetiren, daß sie kaum organische Körper zu seyn scheinen, ja wenn man alles d ­ ieses, und dergleichen noch mehr beobachtet, kurz: wenn man Botanik studirt, so wird man grenzenlose Nahrung für den Geist, neue vollkommene Begriffe von dem Plane und der Einrichtung der Natur und tausendfache Beweise von der Harmonie, Ordnung, und Oekonomie des Ganzen finden. Hieraus erhellet nun zur Genüge, daß Kenntniß des Pflanzenreichs dem Cosmologen, dem Philosoph, und auch dem Theologen, nützlich sey, indem sie sowohl zur Läuterung, als auch zur Erweiterung der Kenntniß und Begriffe von Gott und Natur vieles beyträgt.“351 Ausführlich physikotheologisch argumentiert zum Beispiel auch ein Doktor Hiller im Magazin für Pharmazie, Botanik und Materia Medica in seiner langen Abhandung Ueber die weitere Untersuchung der Pflanzengewächse, deren Nothwendigkeit und Nutzbarkeit 1783: Vernunft, Gotteserkenntnis und naturwissenschaftliche Erkenntnis fallen hier immer wieder in eins. Die naturwissenschaftliche Erkenntnis führt zur Gotteserkenntnis, wenn Hiller etwa berichtet: „Kein vernünftiger Erdenbewohner wird wohl zweifeln, daß unser Erdball mit den darauf befindlichen Geschöpfen nicht das Daseyn, die Weisheit, die Allmacht, und die größte Güte des Schöpfers gegen uns beweisen sollte. (…) Der berühmte Niewentyt spottete ehemals über den Ausspruch des Heilands von der 350 „Ueber die ersten Gewächse unsers Erdkörpers (…)“, in: Magazin für die Botanik, 5. Stück (1789), S. 177. 351 Braune, Franz Anton von: „Betrachtungen über das Studium der Botanik“, in: Botanisches Taschenbuch (1803), S. 68 f.

Kollektive Wissensproduktion und die Verbreitung von botanischem Wissen   |

schönsten Bekleidung der Feldlilie, nachdem er aber diese Lilien, oder die herbstliche Zeitlose (…) genauer untersucht, und unter das Vergrößerungsglas gebracht hatte, hat er eine solche ­­ Schönheit des Baues gefunden, daß er den Urheber des ganzen Weltalls erkannte, und die Werke der ganzen Natur als höchst schön bewunderte. Daher seine Schrift von dem Daseyn Gottes, erwiesen aus den Wundern der Natur entstanden ist.“352 Der Ungläubige wird also hier durch die Wissenschaft zum Glauben bekehrt. Alle diese Schriften verstehen sich dabei immer auch als Aufforderung an den Leser oder die Leserin, dem Beispiel des Verfassers zu folgen. Der Aufruf in die Natur hinaus zu gehen und gleich dem Verfasser die Blumen und Gräser zu sammeln, zu betrachten und so zum Ausgangspunkt für Beobachtung und Kontemplation gleichermaßen zu machen, erfolgt in allen physikotheologischen Werken.

2.3 Kollektive Wissensproduktion und die Verbreitung von botanischem Wissen in der Gesellschaft und im geographischen Raum Als ein weiteres Signum der botanischen Forschung und der Botanophilie ist zu nennen: die weitverbreitete Vorstellung der Erforschung der Pflanzenwelten als kollektive Aufgabe. Wie in jüngster Zeit die bereits erwähnte Arbeit von Bettina Dietz (Das System der Natur, 2017) deutlich machte, war schon die Zeit des Carl von Linné geprägt von einer, wie Dietz es nennt, kollaborativen Wissenskultur.353 Wie Dietz in ihrer Studie ursprünglich von Linné ausgeht und sozusagen bei einer Zentralfigur auf diese umfassenden kolla­ borativen Arbeits- und Publikationsstrukturen gestoßen ist, lässt sich dies umgekehrt auch für die Ränder der Wissenkreise zeigen. Wissensgeschichte und Wissenschaftgeschichte verbinden sich dabei auf das Engste mit der Bildungs- und Aufklärungsgeschichte. Wie bei der Frage nach den botanisierenden Personen deutlich wurde, wird das Botanisieren insbesondere etwas später, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als grundsätzlich jedem offenstehende Beteiligung an der neuen bürgerlichen Wissens- und Bildungs­ gesellschaft populär. Das aufklärerische Projekt zum botanischen Wissen umfasst dabei einerseits sozial vertikale Verbreitungsprozesse (die Botanik ist wichtig für „alle Stände“), andererseits aber auch horizontale Verbreitungsprozesse über Räume hinweg (sie soll sich in die verschiedensten europäischen Länder ausbreiten) sowie diachrone Prozesse über die Zeit hinweg (das erarbeitete Wissen soll gespeichert werden und möglichst allen zugänglich gemacht werden). Dabei geht es aber nicht um eine Verbreitung im Sinne 352 Hiller: „Ueber die weitere Untersuchung der Pflanzengewächse, deren Nothwendigkeit und Nutzbarkeit“, in: Magazin für Pharmazie, Botanik und Materia Medica, Band 2, Halle 1783, S. 1. 353 Dietz, System der Natur, 2017.

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eines „Top-­down“-Prozesses,354 sondern um ein kollektives Unternehmen.355 In d ­ iesem Sinne waren auch Kompilationen – Zusammenstellungen von Wissenswertem aus verschiedenen Büchern oder anderen Journalen – eine alltägliche und erwünschte Praxis, die dem Postulat der Wissenszirkulation und der erwünschten kollektiven Wissensproduktion Rechnung trugen.356

2.3.1 Die botanische „Mitmach-Wissensgesellschaft“ der Zeitschriften Eine besondere Rolle in diesen kollektiven Verbreitungs- und Speicherungsprozessen botanischen Wissens nehmen in medialer Hinsicht die Zeitschriften ein. Sie können dies aber nur aufgrund der Tatsache, dass der aufklärerisch-­botanophilen Bewegung ein didaktisch-­pädagogischer Grundzug eignet: Alle Regionen sollen von möglichst vielen Botanikfreunden botanisiert und katalogisiert werden, um Europa (und letztlich die gesamte Vegetation) zu erfassen. Die Zeitschriften als „Rundbriefe“ der Freunde der Botanik Die Zeitschriften stellen ein genuines Medium der Aufklärung dar und haben sich auch so verstanden – ihre aufklärerische Aufgabe war es, Wissen und Diskussionen zugänglich zu machen. Die Journale und Magazine rückten dabei viel stärker als etwa die Briefe der Naturforschenden einen größeren Leserkreis ins Zentrum. Zwar verbanden schon die Korrespondenznetze größere Kreise als nur Gelehrte untereinander. Gerade Ärzte des 18. Jahrhunderts, wie etwa Christoph Jacob Trew in Nürnberg, standen mit den verschiedensten Zirkeln im Austausch.357 Auch Johann Jacob Scheuchzer hielt beispielsweise nicht nur Kontakt zu Gelehrten, sondern versuchte ebenso im Kontakt zu Bauern, Jägern etc. 354 Die Vorstellung der „von oben“ dirigierten Wissensverbreitung ist in der Wissengeschichte mittlerweile vielfach kritisiert worden, siehe: Greyerz, Kaspar von; Flubacher, Silvia und Senn, Philipp: „Einführung. Schauplätze wissensgeschichtlicher Forschung“, in: Dies. (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog. Connecting Science and Knowledge, Göttingen 2013, S. 9 – 34. 355 Ähnlich argumentiert Bettina Dietz in folgendem Aufsatz: Dietz, Bettina: „Making Natural History. Doing the Enlightenment“, in: Central European History 43 (2010), S. 25 – 46. Für das 19. Jahrhundert siehe Daum, Wissenspopularisierung, 2002. 356 Zur Rolle der Kompilation, insbesondere in den Zeitschriften, siehe: Gierl, Martin: „Compilation and the Production of Knowledge in the Early German Enlightenment“, in: Bödeker, Hans Erich; Reill, Peter Hans und Schlumbohm, Jürgen (Hrsg.): Wissenschaft als kulturelle Praxis, Göttingen 1999, S. 69 – 104. 357 Siehe: Schnalke, Thomas: Medizin im Brief. Der Städtische Arzt des 18. Jahrhunderts im Spiegel seiner Korrespondenz, Stuttgart 1997.

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sein Wissen zu vervollständigen.358 Aber während den Frühaufklärern im Wesentlichen noch der Brief als Medium des Austausches als zentrales Mittel galt,359 der nur wenige Leser erreichte, änderte sich diese Situation in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Mit den aufkommenden Zeitschriften setzte in rasanter Geschwindigkeit der Wandel ein: Zu den Briefen gesellten sich sozusagen die „Rundbriefe“ der Zeitschriften. Die Zeitschrift ermöglicht ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Sprung von der Einzelkommunikation hin zur Kommuikation in einer Gruppe und verändert damit das gesamte Sozialgefüge der Wissenskreise. Die entstehende „bürgerliche Öffentlichkeit“360 im Segment des „botanischen Publikums“ ist in d­ iesem Sinne zunächst vor allem als Kommunikation in der Gruppe zu verstehen – Briefe Einzelner, Erkenntnisse Einzelner, Nachrichten über einzelne Personen werden hier „öffentlich“ gemacht, das heißt einem größeren Personenkreis zugänglich. In ihren Anfängen sind die botanischen Zeitschriften dabei kaum als „Informations­ medium“ zu sehen, in welchem Botaniker das Publikum belehren, als vielmehr als Medium des Austausches, der Vernetzung, und als „Plattform“. Die Zeitschrift weitet den Kommu­ nikationsraum der Aufklärung erheblich aus. Die (Selbst-)Verpflichtung zur Mitteilung Das Teilen des Wissens und Mitteilen des Gefundenen in den Zeitschriften gemahnt an den pädagogischen Aspekt aufklärerischen Denkens. Da Wissenszirkulation und Wissensweitergabe über Jahrhunderte hinweg in hohem Maß über das Medium „Brief“ erfolgte, bricht d ­ ieses aber auch nicht plötzlich mit der Entstehung des Zeitschriftenwesens weg, sondern geht in den Anfängen mit ­diesem eine Verbindung ein. Tatsächlich erfolgt die Bereitstellung von Information in der Frühzeit des Zeitschriftenwesens nämlich sehr oft in Briefform – eingesandte Briefe, die botanische Beobachtungen schildern, werden hier gedruckt. Das Schreiben „botanischer Briefe“ flankiert die sogenannten „Abhandlungen“, die sich ausführlicher mit bestimmten botanischen Fragen beschäftigen, beziehungsweise diese können auch in Briefform in der Zeitschrift auftauchen. In den brieflich gefassten Texten bleibt so die Forscherperson als erzählendes Ich erhalten, das sich verpflichtet fühlt, dem botanischen Publikum, das oft auch wie eine fiktive Person direkt angesprochen wird, Rapport zu erstatten. Diese Form der 358 Siehe auch: Boscani-­Leoni, Simona: „Vernetzte Welten. Das Korrespondenznetz von Johann Jakob Scheuchzer“, in: Leu, Urs B. (Hrsg.): Natura Sacra. Der Frühaufklärer Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733), Zug 2012, S. 131 – 162. 359 Siehe hierzu auch: Dauser, Regina; Hächler, Stefan; Kempe, Michael; Mauelshagen, Franz und Stuber, Martin (Hrsg.): Wissen im Netz. Botanik und Wissenstransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts, Berlin 2008. 360 Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1962.

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fiktiven Fragen und Antworten stellt so eine gängige Form der Zeitschriftentexte dar und beschränkt sich keineswegs auf die botanischen Magazine.361 Im Botanischen Taschenbuch von 1790 heißt es beispielsweise unter der Überschrift „Botanische Briefe an einen Freund in Niedersachsen geschrieben“: „Ich habe Ihnen bei meiner Abreise aus der dasigen Gegend versprochen diejenigen botanischen Bemerkungen, w ­ elche ich vielleicht in der hiesigen Gegend zu machen Gelegenheit haben würde, aufzuzeichnen, und Ihnen ­­solche mitzutheilen. Jetzo da sich der Herbst mit vollem Ernste einstellet, und das Botanisiren eine Weile unterbrochen wird, habe ich die nöthige Zeit mein botanisches Tagebuch in Ordnung zu bringen, und erfülle mein Versprechen, indem ich Ihnen dasselbe bekannt mache. Könnte ich Ihnen zugleich nur einigermaßen diejenigen Vergnügen mittheilen, die ich bei der Ausführung meiner Excursionen empfand, so würden Ihnen meine Briefe nicht ganz gleichgültig seyn (…)“ u. s. w.362 Die botanische Wissenschaft enthält auf diese Weise noch sehr stark ein personales, beziehungsorientiertes Moment, bis hin zu den Informationen über die Vorfälle und Ereignisse im Leben der Forscher etc. Zweifelsohne ermöglicht auch die Form des Briefes in manchen Fällen schlicht auch die Publikation kritischer Inhalte, indem sich der Herausgeber auf die Rolle des „Editors“ der Inhalte, etwa eines anonym eingesandten Briefes, zurückziehen konnte. Bereitsstellung von Information als Folge der Differenzierung und Verbreitung Die zeitgenössischen Herausgeber sind sich dabei auch der aufklärerischen Aufgabe der Wissensdistribution bewusst. Schon Johann Jakob Römer und Paul Usteri betonen in der allerersten botanischen Zeitschrift von 1787: „Wir hoffen daher, jeder wahre Verehrer der Botanik, werde uns Dank wissen, wenn wir ihn mit den neuesten Entdeckungen und Bereicherungen dieser Wissenschaft bekannt zu machen suchen: wenn wir ihm selbst unterweilen ganz neue Beobachtungen und Entdeckungen vor Augen legen: über den oder diesen verwickelten, unbestimmten und dunkeln Gegenstand ein neues Licht verbreiten und nähere Bestimmung hineinbringen: wenn wir ihn (…) mit allen, auch den kleinsten, in sein Fach einschlagenden neuen Schriften nach und nach bekannt machen: ihm auf unsern Kupfern Pflanzen abbilden, die er sonst nicht, oder doch noch lange nicht, und oft vielleicht nur in kostbaren Büchern, die er sich nicht selbst anschaffen kann, würde zu sehen bekommen (…).“363 Die Herausgeber publizieren dabei bewusst in deutscher Sprache und betonen ihren eigenen „Büchervorrat“ sowie ihre Kontakte zu „einheimischen und fremden Botanikern“. Römer und Usteri 361 Siehe etwa auch die von Sophie von LaRoche herausgegebene Frauenzeitschrift Pomona u. a. Vgl. auch: Weckel, Ulrike: Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. Jahrhundert und ihr Publikum, Tübingen 1998. 362 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1790), S. 50 f. 363 Magazin für die Botanik, Erstes Stück, 1787, Vorrede, S. 5.

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kommentieren dabei ihren Standort Zürich: „Unser Zürich ist zwar viel kleiner und unbedeutender als manche Stadt und Universität in Deutschland, es hat uns aber noch niemalen an den Büchern gefehlt, die wir gerne haben wollten, und wir wussten uns selbige noch allemal zu verschaffen.“364 Römer und Usteri stoßen dabei eine Entwicklung an, die nun ihren Lauf nimmt. Die weiteren botanischen Zeitschriftengründungen oder Umgestaltungen werden immer wieder mit der Erweiterung des botanischen Wissens und mit der Nachfrage des „Publi­ kums“ begründet. Der „Medicinalrath“ und spätere Professor Heinrich Adolf Schrader aus Göttingen 365 etwa begründet 1799 die Herausgabe seines Journals für die Botanik mit den Worten: „In dem Maasse, wie seit mehreren Jahren die Botanik erweitert, berichtiget und vervollkommnet wird, vermehrt sich nach Verhältniss die Schwierigkeit, das ganze Gebiet derselben zu übersehen. Es ist daher eine Zeitschrift, die von Zeit zu Zeit von den Entdeckungen der einheimischen und auswärtigen Botaniker Rechenschaft giebt, und selbst zur weitern Vervollkommnung der Wissenschaft mitwirkt, ein Bedürfniss (…).“366 Im Jahr 1806 wird das Journal nochmals erweitert.367 Dabei sind die Herausgeber der Journale und Magazine auf die Einsendungen von Artikeln angewiesen und fördern daher nicht zuletzt aus Eigeninteresse die Vorstellung, dass die Erfassung der Pflanzenwelt eine nur kollektiv zu lösende Aufgabe sei. Ankündigungen öffentlicher Vorlesungen und Förderung junger Botanikfreunde Nicht nur Zeitschriftenherausgeber, auch die involvierten Gelehrten, wie etwa August Batsch, der „botanische Kenntnisse auch unter einer Klasse von Menschen zu verbreiten gesucht hat, bey denen man sonst (…) eben keine solide Wissenschaft zu suchen gewohnt ist“368, bemühen sich um die Ausbreitung botanischen Wissens. Eine Vielzahl an Gelehrten, die sich vielleicht zeitweise an Universitäten in botanischen Vorlesungen aufgehalten haben oder sich in vielen Fällen autodidaktisch botanisches Wissen angeeignet 364 Magazin für die Botanik, Erstes Stück, 1787, Vorrede, S. 9 f. 365 Siehe Wunschmann, Ernst: Artikel „Schrader, Heinrich Adolph“, in: ADB 32, Leipzig 1891, S. 429 f. Schrader war auch Direktor des botanischen Gartens. 366 Schrader, Heinrich Adolf (Hrsg.): Journal für die Botanik. Herausgegeben vom Medicinalrath Schrader. Band 1 (Göttingen 1799), S. III f. 367 Als er das Magazin neu gestaltet, heißt es: „Bei d ­ iesem neuen Journale, das als Fortsetzung von dem, im Dieterichschen Verlage erschienenen, angesehn werden kann, ist im allgemeinen derselbe Plan befolgt, der letzterm zum Grunde liegt. Nur hat man, um den Wunsch des botanischen Publicums zu b­ efriedigen, die Einrichtung getroffen, dass regelmässig alle Vierteljahre ein Stück zu 11 – 12 Bogen, mit den dazu gehörigen Kupfertafeln, erscheinen wird, und drei Stücke einen Band ausmachen werden.“ (Schrader (Hrsg.): Neues Journal für die Botanik. Herausgegeben vom Professor Schrader. Band 1 (Erfurt 1805), Vorrede. Gewidmet ist das neue Journal Alexander von Humboldt.) 368 Rezension zu Batschs Frauenzimmerbotanik, in: Archiv für die Botanik, Band 1, 1. Stück (1796), S. 124.

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haben, kündigen in den Journalen ihre öffentlichen Vorlesungen an. So etwa der Zürcher Arzt C. S. Schinz im Jahr 1795, der in den Annalen der Botanik erläutert: „… ich habe den Entschluss gefasst, so viel meinen wichtigern Berufsgeschäften unbeschadet möglich ist, die mir anvertraute botanische Lehrstelle so lange beyzubehalten, bis ich selbige zu verlassen gezwungen werde. Ich kündige hiermit einen botanischen Cursus an, w ­ elchen ich, wenn sich Liebhaber dazu finden, auch d ­ ieses Jahr zu halten gedenke“.369 Es ist zu vermuten, dass diese Vorlesungen nicht unentgeltlich stattfanden, eine genaue Angabe hierüber gibt es in ­diesem Fall aber nicht. In der Flora wird beispielsweise über eine besondere Vorlesung in London berichtet. Sie wurde von einem Herrn Doktor Thornton mit Hilfe von transparenten Lehrtafeln („200 transparente Gemälde“) gehalten und dieser verlangte 10 Schillinge Eintritt für 12 Vorlesungen.370 Tatsächlich erscheinen aber auch unentgeltliche Angebote in den Anzeigen. So findet sich beispielsweise im Neuen Journal für die Botanik 1809 ein „Uneigennütziges Erbieten wissbegierige junge Botaniker mit einer Sammlung getrockneter Gewächse unentgeltlich zu unterstützen“, in dem es heißt: „Da ich in einer Gegend lebe, in der man sich aus Botanik und ähnlichen Wissenschaften eben nicht viel macht, ich dagegen seit mehreren Jahren Botanik u. s. w. in den Nebenstunden, die mir die gewöhnlichen Berufsgeschäfte übrig liessen, mit besonderer Vorliebe wissenschaftlich bearbeitet habe, und ­unverdrossen zu bearbeiten fortfahre: so hat sich meine ohnehin reiche Sammlung getrockneter Pflanzen nun dergestalt vermehrt, dass sich (…) nun ein solcher Vorrath gehäuft (…). Dieser beträchtliche Vorrath ist bestimmt, jungen angehenden Freunden der Botanik, die mit Vorliebe und Wissbegierde sich ­diesem Studium ergeben wollen, entweder keine Gelegenheit haben, sich getrocknete Pflanzen zu d ­ iesem Studium zu verschaffen, oder die Kosten hierzu zu scheuen Ursache haben, auf das uneigennützigste, folglich ganz unentgeltlich, nützlich zu werden.“371 Der Anbieter unterschreibt dabei mit „Der Botaniker A. N. in P.“372 Wer interessiert sei, solle sich bei der Redaktion melden. Hier steht die aufklärerische Aufgabe der Wissensverbreitung im Fokus, die zudem zweifelsohne mit Ehrfragen gekoppelt ist, denn die Großzügigkeit und freigebige Weiter­gabe von Wissen konnte sicherlich zum Ruhm beitragen. Dabei war die scientific community offensichtlich noch nicht so unüberschaubar, dass Namenskürzel nicht zuordbar gewesen wären. 369 Er kündigt hierfür auch ausführlich die Inhalte an: Es geht um den „Körper“ der Pflanze, Unterschiede zum Tier, Teile der Pflanze, Fortpflanzung, Ordnungssysteme und die Einteilung der Gewächse, Anleitungen zur Untersuchung der Pflanzen, Standorte, Eigenschaften, Bewegung der Säfte, Respiration, Nutzen, Mittel, durch w ­ elche den Pflanzen Sauerstoff entlockt wird, Ernährung und Ausdünstung usw. („Anzeige botanischer Vorlesungen“, in: Annalen der Botanik, 14. Stück (1795), S. 76.) 370 „Aus Old England“, in: Flora, Jahrgang 7, Band 1, Ausgabe Nr. 15 vom 21. April 1824, S. 237 ff. Auch wurde von der Pflanzenanatomie ebenso gesprochen wie von Reiseberichten, einzelnen Pflanzengattungen und dem Beweis Gottes aus dem Reich der Gewächse. 371 „Uneigennütziges Erbieten (…)“, in: Neues Journal für die Botanik, Band 3, 2. Stück (1809), S. 248 f. 372 „Uneigennütziges Erbieten (…)“, in: Neues Journal für die Botanik, Band 3, 2. Stück (1809), S. 250.

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Wieder und wieder wird dabei von den Naturforschern betont, dass die botanische Wissenschaft auch insgesamt kostengünstig zu betreiben sei – keiner solle sich durch Kosten abschrecken lassen, denn ein Handmiskroskop, Löschpapier und Kleber ­seien günstig zu erwerben.373 Entsprechend finden sich in städtischen Anzeigenblättern, wie dem sogenannten Avisblättlein aus Basel, Anzeigen zu günstigem Kauf und Verkauf kleinerer Mikroskope auf dem Gebrauchtwarenmarkt. Hier heißt es beispielsweise 1819: „1. Ein zusammengesetztes gutes Microscop mit Fuß=Gestell, von guter Einrichtung und nöthigem Apparat. Item ein kleines aber recht gutes Zug=Perspectiv, mit Futeral, wo möglich von Dolon. Beydes wünschte man um billigen Preis zu kaufen, leidet aber kein langer Verzug. Der Liebhaber ist im Berichthaus zu vernehmen.“374 Der Markt für Botanisches und die dazugehörigen Hilfsmittel ist zweifellos vorhanden. Aufrufe zu kollektiven wissenschaftlichen Unternehmungen Die botanische Wissenschaft als kollektives Unternehmen ist schon in Bezug auf die sogenannten Regionalbotaniken, die Handbücher für regionale Floren, angeklungen, zu denen häufig viele Sammler und Botanisten beitragen. Die botanischen Zeitschriften widerum unterstützen diese Wissenzirkulation, indem sie einerseits zur Einsendung von Beiträgen auffordern, andererseits aber die Plattform darstellen für Aufrufe derjenigen, die die Heraus­gabe einer „Flora“ planen und hier „Mithelfer“ suchen. Einzelne Autoren stellen dabei in Artikeln ihr Vorhaben vor und bitten um Mitteilungen bezüglich bestimmter Pflanzen oder um die Zusendung getrockneter Exemplare etc. Neben vielen Beispielen dieser Art findet sich etwa 1827 die von Hoppe geschriebene „Aufforderung an die deutschen Botanisten zur Förderung von Sturms Deutschlands Flora“375 – eine Art Großprojekt. Man möge bitte neu entdeckte Pflanzen zusenden, damit der Kupferstecher Jacob Sturm 376 sie in d ­ ieses Werk einbringen könne. Hoppe schwebt dabei eine 373 Wie es auch bei Batsch anklingt: „Die Betrachtung des Pflanzenreiches hat vor aller andern Naturforschung den Vorzug, dass sie an Mannigfaltigkeit keiner weicht, und an Leichtigkeit und Wohlfeilheit sie alle übertrifft. Die Untersuchungen, w ­ elche ich aufstelle, werden fast gar keine Kosten verursachen, und ein Handmicroscop, aus einer halbzölligen Glaslinse, und etwas feines Papier, um die z­ wischen Löschpapier getrockneten Kräuter, oder die ­zwischen Büchern getrockneten und gepressten Blumen zur Erinnerung mit Gummi aufzukleben, wird alles seyn, was man braucht.“ (Batsch, Botanische Unterhaltungen, 1793, S. XII.) 374 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Zwanzigstes Stück, Donnerstags den 20. May 1819, Zu kaufen begehrt, Nr. 1, S. 172. 375 Hoppe: „Aufforderung“, in: Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 10, Band 1 (1827), 2. Beilage (Beilagen sind in dieser Zeit an die Bände angehängt!), S. 30 f. 376 Zu Jacob Sturm (1771 – 1848) siehe: Wunschmann, Ernst: Artikel „Sturm, Jakob“, in: ADB 37, Leipzig 1894, S. 20 f. Zum Werk Sturms siehe auch: http://www.biodiversitylibrary.org/item/148250 (Stand 15. 5. 2019). In den Bibliotheken sind oft nur Teilbestände des Gesamtwerkes vorhanden. Zu Sturms immensem Gesamtwerk und seinem Umfeld liegt offensichtlich keine Studie vor.

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„Nationalflora“ vor, ein umfassendes Überblickswerk, wenn er schreibt: „Dänemark hat seine Flora Danica, Schweden seine Swensc Botanic und England seine English Botany, in ­welchen die Pflanzen jener Länder in Abbildungen vorgestellt werden und worauf jene Nationen mit recht stolz seyn können. Deutschland? – Ja, Deutschland hat nicht minder ein ähnliches Werk aufzuweisen: Sturms Deutschlands Flora in Abbildungen mit Beschreibungen (…)“377. Dieses müsse aber noch vervollständigt werden, wobei alle mitarbeiten sollen: „Dessen unerachtet sollen keineswegs einzelne Monographien, noch die zweckmässigen Beiträge anderer Botaniker ausgeschlossen bleiben. Vielmehr werden die letztern hiemit dringend aufgefordert, zur Vervollkommnung des Sturmischen Werks auf alle Weise beizutragen, und wie es bisher so höchst zweckmässig von Kaulfuss, Reichenbach, Koch u. a. geschehen, einzelne Merkwürdigkeiten in möglichst vollkommenen Exemplaren an den Verfasser zur Aufnahme in die Flora gelangen zu lassen, was um so ungehinderter geschehen kann, als alle Hefte unabhängig voneinander sind, und auch ferner bleiben werden.“378 Was 1798 als kleine lose Blattsammlung von Abbildungen und Pflanzenbeschreibungen im Taschenformat begonnen hatte, wird so bis in die 1860er Jahre hinein immer wieder um neue Hefte erweitert und in späteren Ausgaben zu Bänden gefasst. 1862 erscheint (dies legen die Bibliothekskataloge nahe) die von einem Sohn Sturms weitergeführte letzte Folge, die den Pilzen gewidmet ist. Das Werk bleibt Grundlage der bis ins 20. Jahrhundert erschienenen und immer wieder erweiterten Reihe Flora von Deutschland. Ging es hier um eine nationale Anstrengung, so wurde auch die Erfassung regionaler Floren als gemeinschaftliche Aufgabe gesehen, was in vielen Bekanntmachungen oder publizierten botanischen Briefen in den Magazinen deutlich wird. So druckt etwa die Flora noch 1834 in der Rubrik „Correspondenz“ einen Auszug aus einem Schreiben von einem „Herrn Oekonomie-­Kommissarius Schramm“ an Professor Hornschuch ab, in dem es heißt: „Möchte es Ihnen (Hornschuch ist gemeint, A. d. V.) doch auch gefallen, eine allgemeine Pommersche Flora vorzubereiten, wozu nach einer leider! nur unverbürgten Sage Hoffnung vorhanden ist. Freilich wäre es zu d­ iesem Behufe höchst wünschenswerth, das der nördlichste Theil unserer Provinz, welcher in botanischer Hinsicht so wenig bekannt ist, genau durchforscht, seine Berge und Sümpfe durchsucht, die Dunkelheiten seiner Wälder aufgehellt würden. Allein abgesehen davon, dass dergleichen Reisen Zeit und Geld kosten, ist es ja überhaupt so schwierig, alle Interessen zu verschmelzen und viele vereinzelte Kräfte zu einem einzigen, grossen Zwecke zu vereinigen.“379 Hornschuch selbst hatte offensichtlich d ­ ieses Vorhaben bereits in den Blick genommen, denn zur 377 Hoppe: „Aufforderung“, in: Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 10, Band 1 (1827), 2. Beilage, S. 30 f. 378 Hoppe: „Aufforderung“, in: Flora oder Botanischen Zeitung, Jahrgang 10, Band 1 (1827), 2. Beilage, S. 31. 379 „Auszug aus einem Schreiben des Hrn. Oekonomie-­Kommissarius Schramm in Stargard in Hinterpommern an den Prof. Hornschuch in Greifswald. Stargard den 14. September 1832“, in: Flora, Jahrgang 17, Band 1, Nr. 10 vom 14. März 1834, S. 153 ff, hier S. 157 f.

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angesprochenen Notwendigkeit, die Flora Pommerns zu bearbeiten, schreibt er in einer Fußnote: „In Beziehung auf vorstehende freundliche Aufforderung bemerke ich, dass gleich nach meiner erfolgten Anstellung hier um so mehr der Entschluss in mir reifte, eine Flora der hiesigen Gegend herauszugeben (…) ich benützte deshalb alle freie Zeit zu Excursionen (…) und forderte die Botaniker Pommerns auf, mich zu ­diesem Zwecke durch Einsendung der Pflanzen ihrer Gegend bei ­diesem Unternehmen zu unterstützen. (…) habe ich das Gebiet der von mir herauszugebenden Flora (…) auf ganz Pommern ausgedehnt, indem mir in einem Neffen der dazu nöthige botanische Wanderer heranwächst. Mit dessen und meiner Freunde Schramm, Neuschild und Prochnow Hülfe hoffe ich das nöthige Material zu beschaffen, um das beabsichtigte Werk auf eine die Ansprüche der Wissenschaft befriedigende Weise vollenden zu können (…) H.“380 Mehrere Elemente der kollektiven Wissensproduktion werden hier deutlich: Die gegenseitigen Bitten um Unterstützung und die Vorstellung, dass die Vollständigkeit des botanischen Wissens nur in kollektiver Anstrengung erreicht werden kann. C ­ hristian Friedrich Hornschuch wendete sich für sein Vorhaben nicht nur an die Botaniker und Botanisten Pommerns, sondern aktivierte Freunde und Verwandte, um sein Vorhaben auszuführen. Besonders die Arbeit mit Schülern, Söhnen, beziehungsweise hier dem Neffen, der zum Botanisieren angeleitet wird, ist paradigmatisch. Auch Hornschuch selbst, ursprünglich ein Apothekerlehrling, war so zum Botaniker geworden, indem er in Regensburg ­Hoppes Gehilfe wurde, bei der Herausgabe der Flora half, später zeitweise in Berlin Willdenows Moosherbarium ordnete, und in Nees von Esenbeck einen weiteren Gönner fand. Schlussendlich wurde er zum Professor in Greifswald berufen.381

2.3.2 Das Abenteuer Wissenschaft und der Fokus auf die heimische Flora Wie bereits erwähnt, hat Alix Cooper in ihrer Studie Inventing the Indigenious – Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe bereits die Aufmerksamkeit auf das seit dem 17. Jahrhundert zunehmende Interesse der Akteure für die eigene, lokale umgebende Natur gelenkt, das im 16. und 17. Jahrhundert einen Aufschwung erfährt.382 Zweifelsohne kann das Entdecken des Exotischen mit dem Entdecken des Lokalen in Beziehung gesetzt werden. Eine Kausalrelation, indem das Entdecken des „nahen Fremden“ 380 Flora, 17. Jahrgang, 1. Band, Nr. 10 vom 14. März 1834, S. 158 f. 381 Christian Friedrich Hornschuch (1793 – 1850) war von Haus aus Apotheker, Schüler Hoppes und ­später an der Herausgabe der Flora mitbeteiligt. Er beschäftigte sich vorwiegend mit den Moosen. Siehe: Häckermann, Adolf: „Hornschuch, Christian Friedrich“, in: ADB 13, Leipzig 1881, S. 158 – 159. 382 Cooper, Alix: Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe, Cambridge / New York 2007. Siehe auch Ogilvie, Brian: The Science of Describing. Natural History in Renaissance Europe, Chicago 2006.

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als Reaktion auf die Entdeckung des „fernen Fremden“ begründet wird, wird dabei aber der Komplexität des Phänomens der europäisch-­aufklärerischen Begeisterung für das neue Naturwissen um 1800 vielleicht nicht umfassend genug gerecht. Vielmehr zeigt sich hier eine dieser Zeit grund­legend zuzuordnende Suchbewegung, die sich generell auf alle neuen Wissensinhalte bezieht. Aber die narrativen Strategien in den Zeitschriften folgen durchaus den großen Entdeckungsreisen und deren Berichten. Die Struktur der Erzählung von Entdeckerreise und kleineren Exkursionen ist vielfach analog. Beim Botanisieren, der Entdeckung der Welt „im Kleinen“, ist sozusagen nur die Zielrichtung umgekehrt – statt in die große Welt führt die Reise manchmal in die mikroskopisch kleine Welt, in die unendliche Vielfalt eines Stücks Wiese und in die heimische unentdeckte Flora und Fauna. Der Entdeckungsreise in die Ferne steht so die Entdeckungsreise in die Nähe gegenüber. Grundlegend aber ist die positive Bewertung dieser Suchbewegung, wo auch immer der oder die Einzelne sie ausführt. Die „kleinen Abenteurer“ und ihre „Entdeckungsgeschichten“ Es lässt sich zeigen, dass die Verbindung zu den „großen“ Forschern und ihren Forschungsreisen in den Aussagen der Zeitgenossen auch bewusst angesprochen wird. In botanischen Briefen, in denen Pflanzenfunde beschrieben werden, ist die Entdeckerfreude ein gängiges Motiv. In Texten wie etwa „Botanische Briefe an einen Freund in ­Niedersachsen geschrieben“, wie sie in ähnlicher Weise in Hoppes Botanischem Taschenbuch immer ­wieder gedruckt werden, schreibt ein ungenannter Autor: „Es war, wie Sie wissen, am Ende Aprils, als ich in die hiesige Gegend reisete, und auch die erste Excursion machte. Mit froher Erwartung entfernte ich mich von der Stadt, und wanderte einem Gehölze zu, welches ich vor mir liegen sah. Wenn ich nun auch gegenwärtig keine Reise um die Welt machte; auch nicht Japan, Sibirien oder Lappland besuchte, oder die Pyrenäen, oder die Schweitzeralpen bereisen konnte; wenn meine Bemerkungen auch im geringsten nicht in Betracht kamen, mit den Entdeckungen jener berühmten Männer, w ­ elche die genannten Gegenden mit so vielen Gefahren durchwandert haben; so empfand ich doch vielleicht eben so viel Vergnügen, eben die frohe Erwartung, wie jene Männer, und in dieser Rücksicht hatte ich doch etwas gemeinschaftliches mit ihnen. Betrachtete ich ohnedem, daß ich 60 bis 70 Meilen weiter gen Süden gekommen war, und mich in dem südlichen Deutschland befand, von dem ich wusste, daß mehrere seltene Pflanzen als in der Gegend, wo ich bisher botanisirt hate, daselbst wachsen sollten, so konnte es ja nicht fehlen, daß ich Gelegenheit haben muste, meine Pflanzen=Sammlung zu vermehren, und Beobachtungen zu machen, und das war ja mein einziger Endzweck.“383 Und so beschreibt er im Folgenden seine Wanderungen, eine schwärzliche Küchenschelle, zu der auch ein Leibarzt namens 383 „Botanische Briefe an einen Freund in Niedersachsen“, in: Botanisches Taschenbuch (1791), S. 52 ff.

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Störck Versuche angestellt habe, eine Enzian-­Sorte und berichtet, dass er sie an verschiedene Freunde geschickt habe, die meinten, es sei der bayrische Enzian u. s. w. Wertschätzung des Heimischen und Nicht-Exotischen In einem Heft der Flora von 1824 schreibt Alexander Braun 384: „Die gemeinsten Pflanzen werden nicht selten am wenigsten beachtet, am unvollkommensten beobachtet und am mangelhaftesten bearbeitet – wir übergehen sie oft, weil wir gerne zuerst nach den seltenen greifen. Der Anfänger übersiehet sie leicht, weil sie, als alltägliche Erscheinungen, für sein Auge keinen Reitz mehr haben, und auch ausserdem meist die unansehnlichsten sind. Der Stümper zertritt sie, und schreitet verachtend über sie hinweg, um Glockenund Sternblumen zu pflücken, oder die armen Orchideen auszubohren. Der Pflanzenwucherer geht unbekümmert vorüber, weil er keinen Gewinn aus ihnen zu ziehen hofft. So kommt es denn, dass sie in manchen Herbarien theils ganz fehlen, theils in schlechtem Zustand getroffen werden. – Als die gemeinsten Bürger der Flora, ­welche gemeiniglich den grössten Theil des Jahres hindurch blühen, und mit jederlei Erdreich vorlieb nehmen, treten sie uns zu verschiedenen Jahreszeiten und an verschiedenen Standorten unter den mannigfaltigsten Formen entgegen, unsern Scharfsinn zu prüfen.“385 Braun, der im Folgenden in der Gegend um Karlsruhe vorkommende Knöterichgewächse beschreibt, hält hier ein Plädoyer für die Wertschätzung der eigenen, heimischen Flora – eine Idee, die von vielen Botanisten geteilt wird. Die Wertschätzung der „kleinen“, „unscheinbaren“ Pflanzen korreliert dabei unweigerlich auch mit der Vorstellung einer Wertschätzung der „kleinen“ Leute, der „kleinen“ Gelehrten, die zum großen Projekt der Kartierung und Kategorisierung der heimischen Flora beitragen. Und schon 1790 heißt es in einer Anzeige eines Buchhändlers aus Erlangen, der ein Bestimmungsbuch in Form eines Kalenders anpreist: „Meine Absicht war, einen Kalender zu liefern, der unterrichten und mehr als Tändeley seyn soll, aus dieser Ursach habe ich die Pflanzenkenntniss, und zwar von deutschen Pflanzen gewählt. Es ist beinah jetzt Mode, und gewiss die lobenswürdigste und nützlichste von allen, einige Kenntniss der Natur zu erhalten, die sich nirgends leichter und angenehmer, als bey Untersuchung der Pflanzen erreichen lässet. Deutsche sollen nun vorzüglich ihre einheimischen schönen Gewächse interessiren, die sich einem jeden Liebhaber in seiner Gegend auf Spaziergängen in Wiesen und Feldern, in dunklen Wäldern und auf hohen Bergen, allenthalben von selbst in grosser Menge darbieten. (…) Um aber auch für die Bequemlichkeit der 384 Hier ist unklar, ob es sich um den jungen Alexander Braun (1805 – 1877) (siehe: Wunschmann, Ernst: „Braun, Alexander“, in ADB 47, Leipzig 1903, S. 186 – 193) oder Franz Anton Alexander von Braune (1766 – 1853), den österreichischen Botaniker, handelt. 385 Braun, Alexander: „Ueber die zur Abtheilung persicaria gehörigen Polygona, w ­ elche bei Karlsruhe vorkommen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 1 (1824), Nr. 23 vom 21. Juni 1824, S. 353 f.

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Pflanzenforscher zu sorgen, habe ich das Format eines Kalenders gewählt, das sich ohne Beschwerlichkeit überall bey sich führen lässt.“386 Inwiefern diese Untersuchung der eigenen Umgebung, der eigenen Heimat sich im 19. Jahrhundert mit den entstehenden nationalen Bewegungen verbinden lässt, mag dahingestellt bleiben. Sicher ist, dass das Erfassen der eigenen natürlichen Umwelt, das Botanisieren im Nahbreich, zur Mode wird, zur Beschäftigung, die dem nach Bildung strebenden Bürger (und der Bürgerin) „standesgesmäß“ ist. Die Ausbreitung botanischer Kenntnisse als Erfolgsgeschichte Die kollektive Wissensproduktion im heimischen Feld ist allerdings naturgemäß eine in ihren Ressourcen begrenzte. Die Geschichte des Kartierens 387 und Botanisierens der heimischen Landstriche liest sich beispielsweise 1788 noch wie eine Verheißung, wie ein Aufbruch ins Neue und in eine neue Zeit. So heißt es in einer ausführlichen Beschreibung der Kleearten durch einen Herrn Reynier, ein Mitglied der physikalischen Gesellschaft in ­Lausanne, im Magazin für die Naturkunde Helvetiens, das von einem Stadtapotheker namens Albrecht Höpfner aus Biel herausgegeben wurde: „So wie sich die Anzahl der Beobachter vermehrt, so vervollkommnen sich auch unsere Kenntnisse. Es geschieht sowohl durch die Entdeckung bisher unbekannter Gegenstände, als durch die Bemerkung neuer Beziehungen, in solchen, die schon bekannt sind, überhaupt auch durch die mannigfaltigen Berichtigungen unsrer irrigen und vorgefaßten Ideen. (…) Die Erforschung der Natur ist nicht länger innert die Mauren einer Universität oder auf die Dictata eines Professors eingeschränkt. Unsern Wünschen entspricht die Natur aller Orten, in Wäldern und Klüften, in tiefen Morästen, in Abgründen und auf den Gipfeln der Berge. Oeffentliche Bekanntmachung der Entdeckungen und Beobachtungen, selbst der unbedeutendsten, ist es, die unsere Kenntnisse erweitert; und ­dieses ist das Geschäft des Naturforschers.“388 1824 dagegen ist dies bereits Realität geworden. In einem Aufsatz über den „Zustand der Botanik am Ende des ersten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts“ wird konstatiert: „Die Botanik war in den verflossenen Jahrhunderten, ungeachtet des grossen Einflusses, ­welchen sie, in Verbindung mit den übrigen naturhistorischen Wissenschaften, auf die Kultur der Völker, somit auf das Wohl und die Glückseligkeit der Menschheit hat, meistens nur das Eigenthum einzelner Gelehrten. Glücklicher Weise hat sich solches in 386 Magazin für die Botanik, 12. Stück (1790), Anzeige eines Buchhändlers namens Johann Jacob Palm in Erlangen, zu einem Werk „Deutschlands Flora“ von G. F. Hoffmann, S. 126 ff, hier S. 127. Der Buchhändler Palm aus Erlangen, der diese Anzeige eingibt, liefert ­dieses Buch mit 13 Kupfern in der Schwarz-­ weiß-­Fassung für 1 Rthlr 12 Groschen. 387 Siehe hierzu auch Güttler, Kosmoskop, 2014. 388 Reynier: „Beschreibung zweier Klearten“, in: Magazin für die Naturkunde Helvetiens, Band 2 (1788), S. 78.

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unserm Zeitalter sehr geändert, da nicht nur die naturhistorischen Wissenschaften überhaupt, sondern auch die Botanik insbesondere in allen Ländern sehr ausgebreitet und ein lobenswürdiger Gegenstand der Unterstützungen europäischer Regierungen geworden sind (…).“389 Es s­ eien nun viele naturhistorisch Reisende mit königlicher Unterstützung unterwegs, gute Lehrwerke ­seien vorhanden, viele Forscher trügen zum Wissen bei, sie würden viele wissbegierige Jünglinge unterrichten, auch gebe es viele Gärtner, die zum Wissen beitrügen, botanische Gärten, Museen usw. usf. Keine botanische Spezies werde in dieser Zeit mehr ausgelassen: „Und so kann es nicht fehlen, dass durch die vereinte Bemühung Aller, unsere Kenntnisse sich mehren von dem Pilze bis zur Palme, die gleichmäßig in unseren Zeiten der Gegenstand fleissigster Nachforschungen geworden sind.“390 Dass sich hier bereits ein Abflauen der Bewegung des Botanisierens ankündigt, liegt auf der Hand – irgendwann sind die Pflanzenvorkommen kategorisiert und katalogisiert und neue Entdeckungen kaum mehr zu machen. Die „natürlichen Ressourcen“ d ­ ieses Wissensgebietes sind also erschöpflich, der prestigeträchtige „Neuheitsfaktor“ der Entdeckungen der Botanisten ist nur für eine bestimmte Zeit gültig. Auch das botanische Entdeckungszeitalter der heimischen Flora nimmt ein Ende, das spätestens um die Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht ist. Der für die Wissenschaftlichkeit zentrale Faktor des Neuen, der Neuentdeckung ist hier in Bezug auf die heimische Spezies begrenzt. Die sich weiterentwickelnde Botanik verlegt sich Mitte des 19. Jahrhunderts folgerichtig immer weiter in Richtung Mikrobiologie, Morphologie, Zellbiologie usw. Die Verbreitung über geographische Räume hinweg Eine Ausdehnung botanischer Kenntnisse nicht nur innerhalb der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, sondern auch über die europaweiten geographischen Räume hinweg begleitet die Botanophilie von Anfang an. Zwar wird der Fokus hier weniger auf die exotischen als auf die jeweils heimischen Gewächse gelenkt, jedoch nur insofern, dass das anvisierte botanische Wissen ausgebaut werden soll und dies vielmehr in einer europäischen oder sogar über Europa hinausweisenden aufklärerischen Haltung. Der aufklärerische Bildungsgedanke macht an Grenzen nicht Halt. Er ist Ende des 18. und noch bis ins 19. Jahrhundert weitgehend orientiert an einer transnational agierenden aufklärerischen Bewegung. (Insofern ist hier auch immer, wenn von „Aufklärung“ die Rede ist, nicht etwa die „Schweizer Aufklärung“ oder die „Deutsche Aufklärung“ gemeint, sondern 389 „Zustand der Botanik am Ende des ersten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts (Aus einem Berichte der Königl. botan. Gesellschaft (…)“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 2, Nr. 30 vom 14. August 1824, S. 465 ff. (Entnommen einem Bericht der Botanischen Gesellschaft zu Regensburg.) 390 Zustand der Botanik am Ende des ersten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts (Aus einem Berichte der Königl. botan. Gesellschaft (…)“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 2, Nr. 30 vom 14. August 1824, S. 474.

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vielmehr die Aufklärung als europäisches – und vielleicht auch über Europa hinausweisendes Phänomen –, wie es sich in den deutschsprachigen Quellen niederschlägt, was viel mehr einer forschungstechnischen Setzung entspricht denn der Situation der Zeit). Denn noch über die Jahrhundertwende hinaus formiert sich die Zugehörigkeit zur Wissens- und Bildungselite zweifelsohne sehr stark auf einer europäischen, beziehungsweise teilweise schon globalen Ebene, die noch das Erbe der lateinischsprachigen Gelehrtenrepublik in sich trägt. „Aufklärung“, „enlightenment“, „les lumières“ ist um 1800 ein europäisches und in seinem Anspruch auch über Europa hinausweisendes Projekt.391 Dass es hierbei also nicht um die Popularisierung eines bestimmten Wissens über den ganzen Raum geht, sondern vielmehr darum, dass die Bewohner verschiedener Räume durch die Ausbreitung des Wissens- und Bildungspostulates in die Suchbewegung einbegriffen werden und so zum großen Projekt beitragen, ist den Zeitgenossen durchaus bewusst. Erst das gemeinsame Erforschen des jeweils Heimischen ermöglicht das wissenschaftliche Zusammenspiel der Regionen. Die Regensburger Herausgeber der Botanischen Zeitung, die um die Magazine von Römer und Usteri aus Zürich oder um das von Schrader in Göttingen herausgegebene Blatt wissen, halten deshalb auch weitere botanische Journale nicht für überflüssig, sondern begrüßenswert: „Eine periodische Schrift wird immer in der Gegend am meisten gelesen, wo sie erscheint. Die Schweitzerischen und Göttingischen Journale sind in Baiern fast unbekannt, da die Schweitz und Göttingen gleich weit von Baiern entfernt sind. Die Botaniker in Baiern und den angränzenden Ländern sind aber ebenfalls von dem Eifer beseelt, diese interessante Wissenschaft anzubauen und zu vervollkommnen. Sie werden gewiss, durch unser Blatt aufgemuntert, mit besonderm Enthusiasmus die botanischen Schätze ihres Landes zu kennen suchen, und indem sie allgemeine Beiträge zu der großen Flora der Welt liefern, zugleich die Wissenschaft selbst vervollkommnen.“392 Die in den Magazinen immer wieder auftauchenden Aufrufe an die Botaniker und Botanisten, bei Projekten mitzuhelfen, verfolgen damit auch den Zweck der räumlichen Expansion des aufklärerisch-­naturwissenschaftlichen Gedankens. So schreibt etwa ein Pfarrer aus Teichröda 1824 in einem Aufsatz über den Zustand der Botanik im thüringischen Fürstentum Schwarzburg-­Rudolstadt: „Unter die deutschen Gegenden, ­welche in botanischen Schriften am wenigsten erwähnt werden, gehört ohnstreitig der in der Ueberschrift genannte Landstrich. (…) Ueber die vordere Herrschaft hingegen finden sich nur hie und da einzelne das Gewächsreich berührende Nachrichten in Schriften zerstreut, wo sie das botanische Publikum eben nicht zu suchen pflegt (…). Die Hauptursache 391 Siehe etwa: Outram, Dorinda: The Enlightenment, Cambridge 1995. So erscheint es heute auch zu Recht in deutschsprachigen Buchtiteln (bspw. Geier, Manfred: Aufklärung. Das europäische Projekt, Hamburg 2013). 392 „Plan dieser Zeitschrift“ (der Text ist vermutlich von Hoppe, unterschrieben mit „Botanische Gesellschaft in Regensburg), in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1 (1802), S. 3.

Kollektive Wissensproduktion und die Verbreitung von botanischem Wissen   |

diese Mangels (…) besteht wohl darinn, dass Botaniker mit wissenschaftlichem Sinne und gediegenen Kenntnissen hier zu den Seltenheiten gehören und wo sie sich finden, zu tief in anderweitige Geschäfte verwickelt sind, um auf die Botanik ihr Hauptaugenmerk richten zu können. Gleichwohl wäre recht sehr zu wünschen, dass Männer von Kenntnissen, Musse und Willen, ihre Entdeckungen öffentlich mitzutheilen, auf diesen noch im Dunkel liegenden Theil von Flora’s Gebiete die Fackel der wissenschaftlichen Beleuchtung trügen (…).“393 „Weiße Flecken“ der botanischen Landkarte werden so angezeigt, in der Hoffnung, diese Gebiete ebenso zu erschließen. Unstrittig ist wiederum, dass das botanische Wissen allen Professionen in allen Regionen und Ländern nützlich sei. Schon 1795 schreibt ein Herr Seetzen über die Regionalbotaniken: „Niemand wird den ausgebreiteten Nutzen verkennen, ­welchen die Pflanzen­verzeichnisse gewisser Städte, Distrikte und ganzer Länder stiften. Dem Botanisten von Profession, dem Oekonom, dem Kaufmann, dem Arzt, dem Manufakturier, dem Künstler, dem denkenden Staatsmann, dem Liebhaber von englischen Gartenanlagen, diesen allen können sie gleich wichtig werden.“394 Dabei sei auch die Natur in gewisser Weise „gerecht“ und in ihrer Vielfalt in jedem Landstrich untersuchenswert, wie etwa Heinrich Flörke in einer Abhandlung über die Vegetation im Salzburgischen Gebirge erläutert: „Keine Gegend auf unserer Erde ist für den Pflanzenforscher ganz uninteressant, weil keine, so gleichförmig sie dem ersten Anblicke nach auch scheinen möchte, ganz arm an Produkten ist, die nach der Beschaffenheit des Bodens und des Klima’s auch besonders modificiret sind.“395 Ziel ist und bleibt die Erfassung der gesamten Flora (letztlich der „Weltflora“) zu der jeder Landstrich dazugehört. Erfolgreiche räumliche Ausbreitung Die räumliche Verbreitung des Botanisierens wurde eine Erfolgsgeschichte. Aus den verschiedenen Ländern wird immer wieder über den Stand der Botanik in ihren Ländern referiert, um die Fortschritte zu konstatieren. So schreibt etwa ein russischer Hofrat und Professor der Naturgeschichte namens Germann aus der damals zu Russland gehörigen, aber deutschsprachigen Universitätsstadt Dorpat (die heutige estnische Universitätsstadt 393 „Winke für Botaniker, ­welche auf ihren Forschungsreisen die Schwarzburg-­Rudolstädtischen Lande vorderer Herrschaft berühren; von Hrn Pfarrer Schönheit in Teichröda“, in: Flora oder Botanische ­Zeitung, Jahrgang 7, Band 2, Nr. 29 vom 7. August 1824, S. 449 f. 394 „Ueber Pflanzenverzeichnisse gewisser Gegenden (Florae) von Herrn Doctor U. J. Seetzen in Jever. Vorgelesen in der physikalischen Privatgesellschaft zu Göttingen, im Januar 1795“, in: Annalen der Botanick, 16. Stück (1795), S. 20. 395 „Ueber die Abstufungen der Vegetation im Salzburgischen Gebirge; vom Herrn Heinrich Flörke“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 1.

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Tartu) an die Herausgeber der Botanischen Zeitung in einem Bericht: „Schon längst versprach ich (…) etwas über den Eingang, den das Studium der Botanik und die Liebhaberei für Pflanzen bei unsern cultivirten und höhern Ständen seit kurzem gefunden hat, zu melden. Ich thue ­dieses sehr gerne, denn es gewährt mir ein ausnehmendes Vergnügen, Ihnen zu zeigen, dass auch bei uns diese liebliche Wissenschaft Eingang findet, und dass manche sich schon eifrig mit derselben beschäftigen.“ Er könne zwar keine so berühmten Namen nennen, wie sie in der botanischen Zeitung stünden, aber „so kann ich Ihnen doch wenigstens so manchen Liebhaber der exotischen Gewächse nennen. Nur für diese haben unsere Sammler bis jetzt allein Gefühl, die inländischen Pflanzen werden noch nicht hinlänglich geachtet, und dahero kann also Botanik, im ­eigentlichen Sinne des Wortes genommen, hier noch nicht grosse Fortschritte machen. Aber, d ­ ieses wird und muss durch die Errichtung mehrerer Universitäten im Reiche geschehen. Schon jetzt, da unsere hiesige Academie noch nicht volle 3 Jahre existirt, zeigt sich schon für das Studium der Botanik ein wohltätiger Erfolg. Unter allen Zweigen der Naturgeschichte findet die Botanik auf unserer Universität den meisten Eingang (…). Bei den reichen Gutsbesitzern Russlands gehört es jetzt fast allgemein zum Ton, Gewächs- und Treibhäuser, angefüllt mit den kostbarsten und seltensten Gewächsen der entferntesten Gegenden, zu besitzen.“396 Die Verbreitung des Botanisierens – von entlegenen Reichsgebieten bis hin nach Russland – wird so propagiert und zeigt sich als erfolgreiches Programm. Aufsätze aus den verschiedenen Gegenden zum „Stand der Botanik“ berichten über Fortschritte, über Gründungen naturforschender Gesellschaften, universitäre Einrichtungen oder neue botanische Magazine.

2.4 Abbilden, Speichern und Verbreiten von Wissen über die Zeit hinweg: Sammeln, Trocknen und Ordnen in den Herbarien Sammeln, Konservieren und Ordnen (auch das Tauschen) sind zweifelsohne Grundmuster menschlicher Tätigkeit. Welcher Wert aber welchem Objekt innerhalb einer Kultur beziehungsweise einer sozialen Gruppe zugeschrieben wird, ist veränderlich. Gelten manche Sammelaktivitäten nur für kurze Zeit als prestigebildend, so etablieren sich andere Sammel­kulturen über längere Zeiträume hinweg. Sammeln, Konservieren und Ordnen sind so nicht erst ein Signum der Frühen Neuzeit und der beginnenden Moderne, obwohl eine auffällige Sammel-, Kategorisierungs- und Klassifizierungswut z­ wischen 17. und 396 „Schreiben des Herrn Hofr. und Prof. Germann, an die Herausgeber (…) Dorpat am 25. December 1804“, in: Botanische Zeitung, Jahrgang 4 (1805), S. 17 ff.

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19. Jahrhundert unbestritten bleibt.397 Im folgenden Kapitel geht es zunächst um die differenzierte Ausgestaltung des Sammelns und Ordnens. (Zum Tauschen von Pflanzen als Phänomen der bürgerlichen Gesellschaftsbildung und Bildungsgesellschaft siehe unten Kap. 4). Die Herbarien als „das Bleibende“ Zentral für das botanische Sammeln und Ordnen ist das Anlegen eines Herbariums, das einerseits als Ort des Wissenserwerbs und andererseits als Ort der Wissensdarstellung und bürgerlichen Wissensrepräsentation fungiert. So finden sich im 18. Jahrhundert nicht nur die vielfältigen Anweisungen zum Bestimmen der Pflanzen, sondern auch viele Publikationen, die sich mit dem Darstellen der Pflanzen befassen. Auch die umfassenden Werke zum Selbststudium der Pflanzenkunde enthalten meist Buchteile, die sich mit dem Aspekt befassen, wie ein Herbarium anzulegen ist. Das Herbarium der getrockneten Pflanzen ist dabei dabei zweifellos dem Garten, dem „Herbarium vivum“, verschwistert. Im Folgenden sei jedoch zunächst das „konservierte“ Wissen im Blick (zu den Übergängen zum Herbarium vivum und Gärten siehe auch Teil III, 1.2). Die Genealogie der Dinge Das Sammeln, Trocknen und Ordnen des botanischen Wissens in der visualisierten Form der Herbarien ermöglicht die Verbreitung des Wissens über die Zeit hinweg. Herbarien werden dabei oft innerhalb der Familie weitergegeben und erhalten so eine eigene Genealogie der Dinge. Sie bezeichnen meist einen intergenerationellen Zusammenhang durch den Übergang etwa vom Vater auf den Sohn, gegebenenfalls auch von der ­Mutter auf die Nachkommen, und sind so an die Genealogie der Familie angeschlossen. Diese Eigenschaft besitzen nicht alle Dinge. Insbesondere in unserer heutigen materialgesättigten Gesellschaft ist diese Eigenschaft sicherlich auf wesentlich weniger Dinge, sogenannte „Erbstücke“, beschränkt als in Knappheits­ gesellschaften anderer Epochen. Herbarien wurde zweifelsohne ein derartiger Wert als „Erbstück“ zugesprochen. Herbarien waren also subjektiv und objektiv wertvolle Gegenstände. Sie waren ein Ausweis angehäuften Wissens, ein in mühsamer und jahrelanger 397 Prominent gemacht wurde diese Vorstellung der Zugehörigkeit des Ordnens und Klassifizierens zur Entstehung der Moderne zwischne 17. und 19. Jahrhundert durch die Arbeiten von Michel Foucault, insbesondere sein Werk Die Ordnung der Dinge (Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a. M. 1974.) Zum Sammeln im 17. und 18. Jahrhundert siehe aber auch die mittlerweile sehr differenzierte Forschungsliteratur, z. B. Te Heesen, Anke (Hrsg.): Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001; Findlen, Paula: Possessing Nature. Museums, Collecting and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkeley 1994.

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Arbeit geschaffenes Werk, ein Ergebnis sedimentierter Arbeitszeit, ein Werk, das eingereiht in die genealogischen Zusammen­hänge auch den bürgerlichen Wert der Leistung innerhalb der Familie visualisierte. In Aussagen über die erbenden Neffen, den Sohn, den jungen Schüler etc., der das Werk fortführen soll, kommt diese Struktur zum Ausdruck. So schreibt Hoppe beispielsweise in der Flora anlässlich des Todes des Botanikers und Botanisten Friedrich Mayer 1829: „Möge sein jetzt in München studirender uns allen rühmlichst bekannter Neffe, Hr. Alexander Braun, der wahrscheinliche Erbe seiner bedeutenden Bibliothek und seines an 16.000 Arten enthaltenden Herbariums, diesen biographischen Faden verlängern (…).“398 Aus dem gleichen Grund ist auch der Apotheker Andreae erschüttert, als er in Basel ein vernachlässigtes Herbarium „retten“ möchte. Laut seinem Reisebericht findet er die noch vorhandene Kräutersammlung Caspar Bauhins bei einer Witwe aus der Nachkommenschaft Bauhins in erbarmungswürdigem Zustand mit lose herumliegenden Exemplaren und berichtet: „Ich habe, und gewiß blos um des grossen Namens willen des Samlers, einige wenige Louisd’or für dies nunmehrige Gerippe eines Herbarii geboten, um dasselbe noch von seinem völligen Untergange zu retten. Denn es liegt in einer grossen Lade auf dem Boden des Hauses unter dem Dache, wo es vor Staub und Gewürme nicht gesichert ist, und mit starken Schritten zur Verwesung eilet. Allein die verwittwete Besitzerin will es doch für einen so vermeintlich geringen Preis nicht weggeben. Ich muß es also seinem Schicksale überlassen, mit welchem das Menschliche einerley ist und weihe ihm mitleidig meine Seufzer.“399 Hier wird also das Werk des Erschaffers, das, was von ihm überleben sollte, unsachgemäß dem Verfall preisgegeben. Die Objektbiographien der Herbarien können aber auch positivere Verläufe außerhalb der Familie aufweisen. Gelegentlich werden sie weiterverkauft, oder an „öffentliche“ Institutionen wie Universitäten etc. zur „Förderung der Wissenschaft“ übergegeben. In jedem Fall aber zielen sie darauf, über den Tod des sammelnden Botanisten hinaus zu bestehen und möglicherweise sogar von Söhnen, Schülern etc. fortgeführt zu werden. Das Herbarium als Nachschlagewerk Welche Funktion kommt aber – abgesehen vom Wissensbeweis – dem Herbarium zu? ­Albrecht Wilhelm Roth erläutert die Sicht des Besitzers eines Herbariums: „Der Nutzen einer Sammlung getrockneter Pflanzen ist zwar nicht so ausgebreitet, als die Kenntnis derselben; demohnerachtet aber ist er nicht weniger erheblich (…). Ein A ­ potheker zum Beyspiel, wenn er nicht schon sehr geübt ist, muß seine Zuflucht zu seinem Herbario 398 Hoppe: „Nachschrift“, in: Flora, Band 1, 1829, Nro 3 vom 21. Januar 1829, S. 48. 399 Andreae, J. G. R.: „Fortsetzung der Briefe, so aus der Schweitz nach Hannover geschrieben sind“, in: Hannoverisches Magazin, Jahrgang 3 (1765), Sp. 1627.

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nehmen, um die Pflanzen, die ihm von denen sogenannten Kräutermännern zum Gebrauch gebracht werden, zu untersuchen. Kommen sie nicht mit denen überein, die er etwa unter diesen Namen in seiner Sammlung hat, so verwirft er sie.“400 Das Herbarium dient also als Vergleichspunkt und Nachschlagewerk. Es entsteht für den Besitzer ein fortwährend erweiterbares „Bestimmungsbuch“. Das Herbarium fungiert so als Bestimmungshilfe mit entsprechenden Visulisierungen. Insbesondere in einer Zeit, in der Kupferstiche teuer waren, entstand aus den getrockneten Exemplaren eine Möglichkeit, die frische Pflanze anhand des getrockneten Abbildes zu bestimmen, denn Bestimmungsbücher mit Abbildungen wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und im Zuge neuer Druckverfahren für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich. Statt auf das Abbild der Natur zu rekurrieren, stützt man sich so auf die konservierte Natur selbst. Zudem war ein Herbarium jahreszeitenunabhängig und weitete so das Botanisieren auf die Wintermonate aus: „Eine Pflanzensammlung dienet auch hauptsächlich dazu, die im Sommer gesammleten Pflanzen, im Winter, wenn alles erstorben zu seyn scheinet, wieder in das Gedächtniss zurück zu rufen, und sich daran zu Vergnügen, vornemlich wenn sie mit Sorgfalt aufgelegt und ihrer Natur gleich geblieben sind.“401 So ist im Grunde das Herbarium als geordnete Übersicht über die Pflanzen mit der sogenannten „Flora“, der gedruckten Übersicht über die Pflanzen, sehr verwandt. Die Herbarien gehen sozusagen den Handbüchern und Floren als Vorform voraus, beziehungsweise mit ihnen Hand in Hand. Fast alle Botaniken oder Magazine gegen Ende des 18. Jahrhunderts enthalten deshalb auch Abhandlungen über das Zerlegen, Trockenen und Aufbewahren von Pflanzen in den Sammlungen.402 Getrocknete Exemplare in verkäuflichen Heften In einer „Ankündigung einer Flora germanica sicca oder Sammlung der Vegetabilien Deutschlands“, die unter Mitwirkung der botanischen Gesellschaft in Regensburg erstellt werden soll, heißt es im Botanischen Taschenbuch 1797: „Das ganze botanische Publikum ist von dem Nutzen, und von der Unentbehrlichkeit der Herbarien überzeugt, durch deren Herausgabe die Kräuterkunde auf die schnelleste, leichteste und wohlfeileste Weise verbreitet, und die Kenntniß an viele Pflanzen auf einmal erworben wird; es ist daher nicht notwendig, erst durch Beweise (…) einiges Interesse für gegenwärtiges Unternehmen zu gewinnen. Jeder Botaniker strebt nach dem Besitze eines möglichst vollständigen Herbariums; allein (…) nicht alle Pflanzen wohnen (…) in allen Gegenden (…).“403 Daher wird 400 401 402 403

Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, Erster Theil, S. 15. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, Erster Theil, S. 16. U. a: Batsch, A.: „Ueber Blumenpräparate“, in: Magazin für die Botanik, 10. Stück (1790), S. 3 – 13. „Ankündigung einer Flora germanica sicca oder Sammlung der Vegetabilien Deutschlands“, in: Botanisches Taschenbuch (1797), S. 250.

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hier nun eine in Heften organisierte Ausgabe von getrockneten Pflanzenexemplaren angekündigt. Das erste Heft soll 100 getrocknete und nach Linné’schem System bestimmte Pflanzen enthalten, welches die Subskribenten für einen Dukaten erwerben können. Hier ist also das getrocknete Pflanzenexemplar sogar in die Zeitschrift integriert. Es handelt sich um eine Art „vervielfältigtes Herbarium“. Sie sind so den frühen losen Blattsammlungen mit colorierten Abbildungen ähnlich. In den Anfängen gehen also Zeitschrift, Bildersammlung und käufliches Herbarium in Heftform sogar ineinander über. Ziel sowohl der Sammlung getrockneter Pflanzen wie der Sammlung von Abbildungen ist aber immer eine möglichst lückenlose Übersicht über die Gewächse. Das bildorientierte eigene Herbarium flankiert so das zunächst abbildunglose Bestimmungsbuch. Beides gehört aber zusammen und wird nebeneinander genutzt. Die Natur selbst liefert in den Anfängen das Bild. Das Abbilden erfolgt wieder anhand der Natur. Abbilden und Sammeln entwickeln sich gemeinschaftlich. Das Speichern des botanischen Wissens erfolgt jeweils auf allen zur Verfügung stehenden Ebenen. Der Nutzen des Herbariums deckt sich so weitgehend mit dem Nutzen des Studiums der Botanik schlechthin. Oder wie Roth es formuliert: „Die Hauptabsicht einer Kräutersammlung, ist gewiss auch diejenige, die Pflanzen so viel wie möglich nach ihrer Grösse, Lage, Richtung, Farbe usw. beständig zu erhalten, um sie voneinander, dem äussern Ansehen nach, unterscheiden und uns daran vergnügen zu können. Eben deswegen sammlen wir Pflanzen, legen sie auf und trocknen sie.“404 Grundtechniken beim Erstellen des Herbariums Die Grundtechniken der Erstellung eines Hebariums werden sowohl in den Zeitschriften wie auch in den umfassenderen Botaniken und zunehmend in eigens zu d ­ iesem Thema erscheinenden Monographien dargelegt. Die Vorgänge gleichen sich hier sehr. Hoppe und viele andere widmen diesen Vorgängen ausführliche Beschreibungen. Meist heißt es, beim Einlegen müsse die Pflanze so rasch wie möglich ­zwischen Papierbögen und unter ansteigendem Druck getrocknet werden. Die besten Farben erhalte man, so Hoppe, wenn man sie schnell in der Wärme trockne, Schreibpapier sei dienlicher als Löschpapier, man wähle zur Pflanzentrockunng einen sonnenreichen Ort, entweder ein Zimmer oder den Hausboden. Man nehme am besten Bretter in Größe des Papieres, bestücke sie mit Löschpapier, lege darüber Schreibpapier, darauf die Pflanze, gut ausgebreitet, dann wieder ein Schreibpapier und fünf Bögen Löschpapier, wieder ein Brett, erneutes Papier mit Pflanzen, am Ende werde der Stapel mit Steinen beschwert. In den ersten Tagen müssten die Pflanzen täglich zweimal mit frischem Papier versehen werden, dann lasse man vom Buchbinder Foliobände aus weißem Papier herstellen, je Heft mit ungefähr 13 Bögen. In 404 Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 50.

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diese Hefte könne man nun eine Pflanze nach der andern hineintragen und mit Stecknadeln feststecken, oder mit einem kleinen Streifen Papier mit Kleister pappen, oder mit grünen Fäden festnähen usf.405 Andere Methoden, etwa die Einordnung in Schachteln oder Schrankschubladen, sowie weitere ausgefeiltere Einrichtungsmethoden eines Herbariums werden ebenso detailliert beschrieben. Geordnet werden kann alphabetisch, systematisch oder auch chronologisch nach dem Datum des Fundes usw. So ist über das Herbarium ist das beim Botanisieren erworbene Wissen konservierbar und dabei jederzeit erweiterbar. Ausweitungen der Herbariums-Techniken Zunächst stellen die Anweisungen zum Anlegen der Herbarien nur Teilaspekte innerhalb der Anweisungen zum Pflanzensammeln dar. Schon im Botanischen Taschenbuch von 1792 findet sich jedoch eine ausschließlich auf diesen Aspekt gerichtete „Anweisung Pflanzen einzulegen“. Insbesondere wegen der Praktiken des Tausches, heißt es, wäre hier Aufklärung notwendig: „Es ist wohl kein Wunsch unter denen der Botanik Beflissenen gegründeter, als jener: Daß man oft getrocknete Pflanzen erhält, die selten sind, von entfernten Orten geschickt werden, daß die, sage ich, besser eingelegt seyn dürften. Ich will daher versuchen, denen jungen Lesern für w ­ elche eigentlich der Verfasser ­dieses Buch bestimmt, einen Weg zu zeigen, durch w ­ elchen sie bei nur scheinbarer Mühe, jene Pflanzen w ­ elche sie theils für ihr Herbarium, theils zum Tausch gegen andere für ihre Freunde bestimmen, gut trocknen, und Ehre damit einlegen können.“406 Die Zeitbeständigkeit wird wiederholt angesprochen: „Es ist ein wahres Vergnügen nach langen Jahren in seinem Herbario Pflanzen unter die Hände zu bekommen, die alle ihre Theile vollkommen, und ein jeder besonders seine ihm eigene Farbe noch besitzet. Ersterer Wohlstand wird erreicht, wenn man die Pflanze in ihrem vollkommenen Zustand einlegt; letzterer durch verschiedene beim Einlegen zu bemerkende Handgriffe. Recht oft ist der Fall, daß mancher sich in wenigen Jahren ein viele 100 Pflanzen zählendes Herbar sammlet, welches aber leider in kurzer Zeit abgeschoßen, schwarz, nicht selten verschimmelt und von Würmern zerstört erscheint (…).“407 Die Pflanze muss daher in allen ihren Teilen und „in ihrer ganzen Schönheit“ eingelegt werden, wenn die Wurzel zu dick ist, dann soll man sie gesondert aufbewahren, ebenso bei großen Samenkapseln, zu dicke Stengel kann man spalten. Wie man klebrige Gewächse gleich auf den Bogen legt, auf dem sie verbleiben sollen, wie Gewächse mit viel Saft zunächst in siedendes Wasser gesetzt werden, wie zarte Wasserpflanzen schwimmend aufgefangen werden, usw. wird genauestens dargelegt. 405 Hoppe: „Ueber die Erwerbung botanischer Kenntnisse“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), S. 23 ff. 406 „Anweisung, Pflanzen einzulegen, vom Provisor Haas“, in: Botanisches Taschenbuch (1792), S. 34 – 42, hier S. 34. 407 „Anweisung, Pflanzen einzulegen, vom Provisor Haas“, in: Botanisches Taschenbuch (1792), S. 34 f.

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Johann Friedrich Wilhelm Koch (1759 – 1831), laut Titelblatt seines Werkes ein Prediger an der St. Johanniskirche in Magdeburg und möglicher Verwandter des bereits vielzitierten Wilhelm Daniel Joseph Koch (1771 – 1849), widmet in seinem 1797 erschienenen dreibändigen Botanischen Handbuch für deutsche Liebhaber der Pflanzenkunde überhaupt 408 bereits ein ganzes Kapitel dem Aufbau eines Herbariums. (Bezeichnenderweise wurde ­dieses Werk 1808 überarbeitet und erneut unter dem Titel Botanisches Handbuch zum Selbstunterricht für deutsche Liebhaber der Pflanzenkunde 409 herausgegeben. Eine dritte Auflage folgte 1824.) Auch Koch bestätigt den Zusammenhang von Handbuch und Herbarium als „Findmittel“ und Wissensspeicherung: „Ein gutangelegtes und wohlerhaltenes Herbariums ist die vollkommenste Abbildung der Pflanzen, deren man sich zum Untersuchen, zum Vergleichen in zweifelhaften Fällen, zum Bekanntbleiben mit der Gestalt derselben und ihren botanischen Namen etc. bedienen kann, und w ­ elche mehr Nutzen hat, als die künstlichen Abbildungen, die theils zur Beförderung ­dieses Studiums so kostspielig, theils der Natur selten ganz getreu zu seyn pflegen. Zu einem guten unterrichtenden Herbarium gehört, daß alle charakteristischen Theile der darin enthaltenen Pflanzen vorhanden, daß sie nach ihrer natürlichen Lage ausgebreitet, daß ihre Farbe erhalten, daß sie mit richtigen Systemnamen versehen, gut geordnet und sicher aufbewahret sind.“410 Je weiter sich das Botanisieren ausbreitet, desto eher finden sich aber auch Werke, die allein dem Trocknen und Ordnen gewidmet sind. Ein Beispiel ist das in zweifacher Auflage erschienene Werk Belehrung die Pflanzen zu trocknen und zu ordnen von Johann Hedwig, das die Materie auf 206 Seiten ausbreitet.411 Hedwig erläutert noch detaillierter den Nutzen eines Herbariums, die Verfahren beim Auflegen und Abtrocknen, die Aufbewahrung und den Schutz vor Würmern etc., die linnéschen Systematik, die geeigneten Behältnisse etc. Das Genre differenziert sich immer weiter aus. In F. Lüdersdorff’s Werk Das Auftrocknen der Pflanzen fürs Herbarium, und die Aufbewahrung der Pilze, nach einer Methode wodurch jenen ihre Farbe, diesen ausserdem auch ihre Gestalt erhalten wird von 1827 geht es beispielsweise um die schwierige Konservierung von Pilzen durch komplexe chemische 408 Koch, Johann Friedrich Wilhelm: Botanisches Handbuch für deutsche Liebhaber der Pflanzenkunde überhaupt, und für Gartenfreunde, Apotheker und Oekonomen, 3 Theile, Band III: Vorkenntnisse und Anleitung zum Untersuchen und Sammeln der Pflanzen, Magdeburg 1797/98, S. 217 – 237. 409 Koch, Johann Friedrich Wilhelm: Botanisches Handbuch zum Selbstunterricht für deutsche Liebhaber der Pflanzenkunde überhaupt (…), Magdeburg 1808. 410 Koch, Johann Friedrich Wilhelm, Botanisches Handbuch, 1798, S. 217. 411 Hedwig, Johann: Belehrung die Pflanzen zu trocknen und zu ordnen. Sie frisch nach dem Linné zu untersuchen und im System ausfündig zu machen. Für junge Botaniker von D. Johann Hedwig, Professor der Gewächskunde und verschiedener gelehrten Gesellschaften Mitglied, Gotha 1797 (zweite Auflage 1801).

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Verfahren.412 Bestimmte Mischungen von Öl, Alaun und Salz zur Behandlung der ­Pflanzen oder flüssiger Talg für das Konservieren der Pilze werden vorgeschlagen. Wieder andere, wie etwa ein Herr Hartmann im Hamburgischen Magazin, stellen schon früh differenzierte Versuche und Überlegungen an, wann das Trocknen in Hirsekörnern, Weizen, Reis oder Sand sinnvoll ist, wann man die Blumen pflücken muss, damit sie ihre Farbe behalten, und ­welche Art von Wärme – Sonnenwärme, Stuben- oder Ofenwärme – wann das beste Ergebnis zeitigt.413 Wie ein in den Berlinischen Sammlungen abgedruckter Bericht (aus dem „Universal Museum“) zeigt, schwören manche auf das Trocknen der Pflanzen in heißem Sand.414 Sich weiter differenzierende Techniken und Moden Zwischen den 1800er Jahren und dem Abflauen der aufklärerisch-­botanischen Bewegung um die 1840er Jahre finden immer weitere technische Neuerungen und Entwicklungen statt. So heißt es schon 1801 in einer Abhandlung von Hoppe über „Eine sehr gute Methode Cryptogamen aufzubewahren“ (also blütenlose Moose und Farne), dass man Mitte des 18. Jahrhunderts noch die Pflanzen auf Papierbögen aufgeklebt habe, während man sie nun lieber lose ­zwischen Bögen in Pappschachteln verwahre, auf denen man Klassen und Ordnungen vermerke.415 Dies entspricht eher wieder dem bei Roth erwähnten Einordnen in Schachteln oder gar einen Botanisierschrank, der 24 Fächer für die Klassen enthielt. Zumindest scheint aber das Aufkleben aufgrund der schlechten und Insekten anziehenden Leime vielfach wieder aufgegeben worden zu sein, ebenso wie leimhaltiges Papier wohl eher Probleme bereitete. Der bereits vielfach zitierte Botaniker Koch aus Kaiserslautern 416 jedenfalls schreibt in der Rubrik „Botanische Notizen“ über 412 Luedersdorff, F.: Das Auftrocknen der Pflanzen für’s Herbarium und die Aufbewahrung der Pilze, nach einer Methode wodurch jenen ihre Frabe, diesen ausserdem auch ihre Gestalt erhalten wird, Berlin 1827. 413 Hartmann, J. F.: „Versuch, wie die Schönheit der Blumen und Pflanzen im Austrocknen zu erhalten“, in: Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen, Band 24, 4. Stück (1760), S. 375 – 384 (BZA). 414 So etwa lautet die Anweisung, wie man Farbe und Gestalt der Pflanzen erhält, hier: Man wäscht feinen Sand, siebt ihn, trocknet ihn, nimmt eine irdenes Gefäß, macht etwas Sand heiß und bedeckt dessen Boden, legt dann die Pflanze hinein und schüttet sie mit d ­ iesem Sand vorsichtig zu, so dass die Blätter stufenweise ausgebreitet werden, dann setzt man das Gefäß in einen Ofen oder in ein Treibhaus und erwärmt es mehrere Tage, je nach Dicke der Pflanze usw. Anonym (bzw. Aus dem Universal Museum: „Ein Mittel die Pflanzen zu erhalten“, in: Berlinische Sammlungen 5 (1773), S. 268 – 270 (BZA). Ebenso an anderer Stelle und möglicherweise von Hill: „Ein Mittel Blumen und Pflanzen zu erhalten“, in: Hannoverisches Magazin 10 (1772); S. 1646 – 1648. 415 Hoppe: „Eine sehr gute Methode Cryptogamen aufzubewahren“, in: Botanisches Taschenbuch (1801), S. 125. 416 Koch (1771 – 1849) war zu dieser Zeit in Kaiserslautern als Arzt tätig und wurde 1824 Botanikprofessor in Erlangen. Siehe: Wunschmann, Ernst: Artikel „Koch, Wilhelm“, in: ADB 16, Leipzig 1882, S. 402 – 405.

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die „Conservation der Herbarien: „Insekten und Schimmel sind die beiden Feinde der Herbarien. (…) Ich hatte früher meine Pflanzen in Schreibpapier, also in geleimtem, liegen, sie schimmelten sehr stark, als der Schrank, welcher die Päcke enthielt, während einem kalten Winter an einer kalten Mauerwand stand und die Insekten frassen mir eine Pflanze nach der andern, weil ich die Päcke nur mit Brettern beschwert und nicht fest zugebunden hatte. Seit 12 Jahren liegen meine Pflanzen in weissem Druckpapier, also in ungeleimtem Papiere, welches ich allem andern vorziehe; seitdem ist mir keine Pflanze mehr verschimmelt, und kaum eine von einem Insekte gefressen worden (…).“417 Koch berichtet von verschiedenen Erfahrungen: Fließpapier schmecke den Kleidermotten, man solle alles im Warmen, Trockenen lagern usw. Die Probleme von Kälte, Insektenbefall und Feuchtigkeit der damaligen Häuser werden in Kochs Bericht sehr anschaulich. Verschiedenste Stoffe und Methoden kommen hier zum Einsatz; auch der Übergang zur ähnlich der Botanik weit verbreiteten und voranschreitenden Chemie wird hier deutlich. So wird über die Methoden eines Greifswalder Chemikers namens H ­ ünefeld 1833 in der Flora berichtet: „Prof. Dr. Hünefeld hat in neuerer Zeit eine sinnreiche Methode bekannt gemacht, vermittelst welcher man im Stande ist, Pflanzen zu trocknen, dass sie nicht nur die Farbe, Gestalt, sondern auch Biegsamkeit ihrer zartesten Theile, wie z. B. der Staubfäden, behalten. Das Wesentliche des Verfahrens, welches in der ­angeführten Schrift genauer beschrieben ist, besteht darin, dass man die zu trocknenden Pflanzen in einen leicht zu verschliessenden Kasten legt, sie vorsichtig mit Sem. Lycopodii bestreut, und dann noch trocknen geglühten salzsauren Kalk in besonderen Gefässen hineinsetzt. (…)“418 Um die 1830er, 1840er Jahre differenzieren sich so die einzelnen Tätigkeiten des Botanisierens immer mehr aus und bilden zunehmend eigene Wissensfelder. Ordnen nach dem Linné’schen „System“: Die Beliebtheit der Linné’schen Nomenklatur Das Ordnen der Pflanzen erfolgt in den Anweisungen, wie bereits erwähnt, meist nach Linné, auf den schon Roth rekurriert. Während also die Ordnungssysteme unter den Gelehrten weitläufig diskutiert wurden, hielten sich die Anweisungen für Anfänger an die Linné’sche Ordnung. Warum setzte sich die Linné’sche Klassifikationsweise hier durch und nicht etwa andere Versuche – von Michel Adanson, Joseph Gärtner, Antoine-­Laurent de Jussieu oder des Genfers Augustin – Pyrame de Candolle?419 417 Koch „Zur Conservation der Herbarien“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 2, Nr. 31 vom 21. August 1824, S. 488 – 494, hier S. 488 f. 418 „Ueber die von Prof. Dr. Hünefeld empfohlene Methode Pflanzen zu trocknen; von Hrn. Prof. Dr. G ­ öppert in Breslau“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 16, Band 1, Nr. 13 vom 7. April 1833, S. 193 f. 419 Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 270 ff.

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In seinem Hauptwerk „Systema Naturae“ von 1735 hatte Linné diese Ordnungsweise vorgelegt. Die Pflanzen teilte er in ein „künstliches System“ von 24 Klassen, deren Einheiten an den Merkmalen der Blütenorgane festgemacht waren.420 Versetzt man sich in die Situation der Zeit, so wird plausibel, weshalb ­Linnés Vorschlag die Welt der Pflanzenfreunde begeisterte: Dieses Hilfmittel basierte auf klar sichtbaren Unterschieden in der Pflanzenwelt und war leicht anwendbar. Zuordnungen waren explizit darauf bedacht, Verwirrungen zu vermeiden. Kurze Attribute benannten das Wesentliche der jeweiligen Pflanzen. Linné hielt sich an knappe Charakterisierungen und klare Regeln der Namensgebung und lichtete so das Durcheinander der Nomenklatur, die bis dato oftmals in barocker Manier mit langen Synonymen und Artnamen operierte. Wie sollten sich zwei Pflanzenfreunde über ihren Gegenstand also verständigen? Dazu kommt eine heute schnell übersehbare Eigenschaft des Linné’schen Vorschlages, die bereits erwähnt wurde: die Bestimmung anhand des Abzählens von Staubbeuteln, Stand der Blütenorgane etc. war ohne Abbildungen der Pflanzen möglich – eine nichtvisuelle Erkennungsmethode in einer Zeit, in der Werke mit Drucken oder gar Farbdrucken für den Laien noch kaum erschwinglich waren. Tatsächlich kommen die Anleitungen zum Pflanzensammeln und Ordnen in der Hochzeit des Botanisierens um 1800 ohne Abbildungen aus. Linnés Bedeutung für die Popularität des Botanisierens liegt, so scheint es, in genau d ­ iesem Verfahren. Seine Form der Pflanzeneinteilung erfreute sich zunehmender Beliebtheit, weil sie ein prakti­kables Instrumentarium für das alltägliche Botanisieren einer breiten Masse darstellte, was kein Kontinuitätstheoretiker so leisten konnte. Selbst 1864 noch urteilt der frühe „Botanikhistoriker“ Jessen über den Wettstreit um die richtige Systematik, in der sich vielfach Vertreter des „künstlichen“ Systems von Linné mit Vertretern des „natürlichen“ im Sinne Jussieus und anderen verfeindeten: „Während man aber das natürliche System vermisste, bot das linné’sche durch seine Fasslichkeit und Sicherheit ein bequemes Unterrichtsmittel für die Kenntnis nützlicher und schädlicher Pflanzen dar. So kam es in die Hände der Lehrer an höhern und niedern Schulen (…).“421 Auch Roth erläutert schon 1778, dass das Ordnen zwar entweder nach „künstlichem“ oder „natürlichem“ System erfolgen könne, wobei Linnés Ordnung nach Anzahl, Beschaffen­heit und Anordnung der Staubfäden und Stempel der Pflanzen das „künstliche System“ darstelle. Das „natürliche System“ würde die Pflanzen ihrer Verwandtschaft nach darstellen. (Die Zeitgenossen sprechen hier von „System“ und machen keinen Unterschied ­zwischen „System“ und „Nomenklatur“.) Da man für das „natürliche System“

420 Zum Funktionsweise der linné’schen Klassifikation siehe ausführlichWilliams, Botanophilia, 2001, S. 19 ff. 421 Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit, 1864, S. 379.

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aber alle Glieder in der Kette der Pflanzen kennen müsste, was bisher nur bruchstückhaft gelungen sei, so sei ­dieses nicht geeignet für den Anfänger.422 Der Anfänger wird dabei genau angeleitet, wie er vorzugehen hat: „Findet er nun eine Blume, die er nach dem System des Hrn von Linne untersuchen will; so muss er zuerst auf die Anzahl und Beschaffenheit der Staubfäden sehen (…). Kurz man untersuchet, welcher von denen Fällen der verschiedenen Classen und Ordnungen des Systems (…) bey dieser Blume Statt findet. Daher ist es nothwendig, dass man mit denen leichtern Blumen im Untersuchen den Anfang mache, und alsdenn zu denen schwerern übergehe. Hat man Classe und Ordnung gefunden, in w ­ elche die Blume gehöret; so untersucht man um das Geschlecht (genus) zu finden, die übrigen Theile der Blume, als z. B. die Blumenblätter, wieviel deren sind, und wie sie beschaffen, oder ob die Krone, statt der Blumenblätter nur bloss Einschnitte habe (…). Ist das Geschlecht bestimmt; so betrachtet man, um die Art (species) zu finden, die ganze Pflanze, hauptsächlich aber die Blätter, weil bey denen mehresten Pflanzen, die Unterscheidungs=zeichen der Arten, von denen Blättern hergenommen sind.“423 Habe man dann die getrockneten Pflanzen nach Linnés 24-Klassen-­System bestimmt, so verwahre man sie am Besten im besagten Schrank mit 24 Fächern, schreibe auf die Schachteln die Klassen und Ordnungen, den Namen und die Hauptkennzeichen etc.424 Die späteren Anweisungen und Populärbotaniken folgen fast ausschließlich dieser Vorstellung, dass der Anfänger sich nach Linnéschem System richten solle. Die eigene Herstellung von Abbildungen Die visuelle Darstellung von Naturwissen erhält im 18. Jahrhundert nicht nur durch die Ausbreitung der Herbariumspraktiken eine neue Dimension, sondern ebenso durch die Zunahme von selbst hergestellten botanischen Abbildungen nach der Jahrhundertwende. Vielleicht kann man hier also doch auch von einer grundsätzlichen Aufwertung des Visuellen sprechen – basieren doch auch Experiment und Beobachtung als nun zentrale Wissensmethoden weitgehend auf visuellen Eindrücken.425 Diese Bedeutung der Pflanzenzeichnungen und der botanischen Malerei innerhalb des wissenschaftlichen Kontextes und die Funktion dieser Zeichnungen als korrekte Repräsentation einer

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Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 19 f. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 44. Roth, Anweisung für Anfänger, 1778, S. 74 f. Siehe etwa den Band: Dürbeck, Gabriele u. a. (Hrsg.): Wahrnehmung der Natur, Natur der Wahrnehmung. Studien zur Geschichte visueller Kultur um 1800, Dresden 2001. Darin beispielsweise: ­Wiesenfeldt, Gerhard: „Säkularisierung der Naturerkenntnis. Zur bildlichen Darstellung von Experimenten in Lehrbüchern des 18. Jahrhunderts“, in: Dürbeck, Wahrnehmung der Natur, Natur der Wahrnehmung, 2001, S. 103 – 116. Oder: Stafford, Barbara: Artful Science. Enlightenment Entertainment and the Eclipse of Visual Education, Cambridge (Massachusetts) 1994.

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Pflanzenart hat Kärin Nickelsen in ihrer Arbeit Wissenschaftliche Pflanzenzeichnungen – Spiegelbilder der Natur? dargelegt.426 Allerdings waren Kupferstiche ja gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch kostspielig. In den botanischen Zeitschriften werden pro Heft zunächst nur wenige Kupfer- oder auch Holzstiche mitgeliefert. Dass diesen aber eine hohe Bedeutung zukommt, lässt sich daran ablesen, dass auf den Titelblättern der Hefte immer vermerkt wird, wie viele „Kupfer“ das Heft jeweils enthält. Meist handelt es sich dann um 1800 um ein bis drei „Kupfer“.427 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass man auch selbst versuchte, eigene Abbildungen von Pflanzen herzustellen und dass sich für das Abdrucken von Pflanzen und das Anfertigen botanischer Zeichnungen eigene Handbücher finden. Anweisungen zum Abdrucken von Pflanzen Ein Beispiel hierfür ist das 1784 (und 1785 in zweiter Auflage) erschienene Werk des Apothekers Ernst Wilhelm Martius 428 Neueste Anweisung, Pflanzen nach dem Leben abzudrucken.429 In seiner Vorrede wendet sich Martius explizit an das „botanische Publi­ kum“: „Daß ich meine Methode, Pflanzen nach dem Leben abzudrucken, bekannt mache, geschieht nur auf Anrathen einiger Gönner und Freunde, die mich öfters darum ersuchten, und deren Verlangen ich mit Vergnügen hiermit erfülle. Kann ich mich gleich keiner neuen Erfindung rühmen; so schmeichle ich mir doch, des botanischen Publikums Zufriedenheit dadurch zu erlangen, daß meine Methode von allen bekannt gewordenen sehr unterschieden ist (…).“430 Ziel ist dabei, eine naturgetreue Abbildung zu erhalten: „Da nun eine gute Abbildung der Pflanzen unstreitig sehr viel zur Kräuterkenntnis beiträgt, die Unterhaltung einer lebendigen Kräutersammlung aber Manchem zu mühsam und beschwerlich ist; so wird es einem jeden Liebhaber der Botanik nicht unangenehm seyn, sich Abbildungen zu verfertigen, die der Natur vor allen andern, weil sie von den Urbildern der Pflanzen genommen sind, am nächsten gleich kommen.“431 426 Nickelsen, Kärin: Wissenschaftliche Pflanzenzeichnungen – Spiegelbilder der Natur? Botanische Abbildungen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert, Bern 2000. 427 Dies ist bei den meisten botanischen Magazinen der Fall, eine typische Titelseite lautet: Flora oder Botanische Zeitung w ­ elche Recensionen, Abhandlungen, Aufsätze, Neuigkeiten und Nachrichten, die Botanik betreffend enthält. Herausgegeben von der königl. botan. Gesellschaft Regenburg. Zweiter Jahrgang. Erster Band. Mit 1 Kupfertafel. Regensburg 1819. 428 Ernst Wilhelm Martius (1794 – 1868) war Universitäts- und Hofapotheker in Erlangen; leider existiert zu ihm kein Eintrag in der ADB. 429 Martius, Ernst Wilhelm: Neueste Anweisung, Pflanzen nach dem Leben abzudrucken, Wetzlar 1784 (2. Auflage erscheint 1785). 430 Martius, Anweisung Pflanzen abzudrucken, 1784, Vorrede S. 1 f. 431 Martius, Anweisung Pflanzen abzudrucken, 1784, S. 3.

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Seine eigene Methode des Abdruckens, deren Ziel er explizit mit einem „Herbarium pictum“ gleichsetzt, beschreibt er folgendermaßen: „Wir machen von Künruß und Leinöl eine schwarze Farbe, so dick an Consistenz, daß sie nicht mehr fliesse, sondern stehe, wie sie etwa von den Buchdruckern gebraucht wird; diese streichen und tragen wir mit einem Ballen oder breiten Pinsel aller Orten gleich dick, auf einen halben oder ganzen Bogen Papier (…).“432 Eventuell muss man die Farbe zwei- oder dreimal auftragen, darunter soll man ein glatt gehobeltes Brett legen, auf die Farbe wird das frische Kraut gelegt, dann wieder Papier darüber, vorsichtig soll man darüberstreichen, dann das Blatt oder Kraut von dem geschwärzten Bogen wieder abnehmen, wiederum auf einen weißen Bogen legen, darüber wieder Löschpapier und sodann Löschpapier und Kraut wieder abnehmen usw. Martius erläutert auch die vielen Versuche, die er mit Farben angestellt hat etc. In einem Anhang folgen Beispieldrucke. Die Botanisten sind hier auch technische Neuerer. Martius etwa beschreibt auch im Botanischen Taschenbuch im Jahre 1791, als er schon Sekretär der Botanischen Gesellschaft in Regensburg ist, eine besondere Methode eines Herrn Völsch aus Hamburg, bei der man Konzeptpapier mit Öl tränkte und diesen Bogen über einer Lampe bewegte, bis er mit schwarzem Flor überzogen war, womit man die Pflanzen einschwärzte.433 Ähnliche Anweisungen findet man von J. H. Dunker, einem Prediger aus Rathenau, in seiner Schrift Pflanzen=Belustigungen oder Anweisungen wie man getrocknete Pflanzen auf eine leichte und geschwinde Art sauber abdrucken kann.434 Hier sind Druckverfahren wie das Abdrucken mit den Ballen der Buchdrucker und der Buchdruckerschwärze, oder das Abdrucken durch ein mit Druckerschwärze überzogenes Birnbaumbrett erläutert. Dass diese Druckverfahren beliebt waren, zeigt sich in seinem Vorwort zur zweiten Auflage, in dem er schreibt: „Als ich vor einigen Jahren Pflanzen=Belustigungen, oder Anweisung, wie man auf eine leicht und geschwinde Art alle Pflanzen, wie in Kupfer gestochen, sauber abdrucken kann, als eine Probe an das Licht treten ließ, erhielt mein Unternehmen, weil es eine angenehme Kinderbeschäftigung sey, Beifall, so daß die erste Auflage davon bald vergriffen war.“435 Dunker hängt dabei Beispiele in seinem Heft an. Beeindruckend ist die bis heute gut erhaltene Qualität solcher Abdrucke, wie etwa der Abdruck einer geschwärzten Brombeerranke in Dunkers Pflanzenbelustigungen zeigt (Abb. 10).

432 Martius, Anweisung Pflanzen abzudrucken, 1784, S. 13 f. 433 „Noch etwas über die Pflanzenabdrücke, vom Herrn Provisor Martius in Regensburg“, in: Botanisches Taschenbuch (1791), S. 39 ff. 434 Dunker, J. H. A.: Pflanzen=Belustigungen oder Anweisung wie man getrocknete Pflanzen auf eine leichte und geschwinde Art sauber abdrucken kann, für Kinder, vielleicht auch für Zeichner und Stickerinnen, von J. H. A. Dunker Prediger zu Rathenau (Heft 1), 2. Auflage Brandenburg 1798. 435 Dunker, Pflanzen=Belustigungen, 1798, S. 1.

Abbilden, Speichern und Verbreiten von Wissen  | Abb. 10 Brombeere, geschwärzt und abgedruckt

Ebenso gab es Anleitungen zum Zeichnen der Pflanzen, wie etwa das aus dem Eng­ lischen übersetzte Werk Botanisches Zeichenbuch oder leichter Unterricht Blumen richtig nach Natur zu zeichnen 436 von James Sowerby oder das mindestens in drei Auflagen erschienene Auserlesene Blumen-­Zeichenbuch für Frauenzimmer 437 von Georg Wolfgang Knorr belegen. Das Sammeln und Pressen der getrockneten Exemplare, das Zeichnen der Pflanzen sowie die Versuche, selbst Abdrucke herzustellen, gehen in den Praktiken Hand in Hand und dienen noch weit über 1800 hinaus nicht nur einer Pflanzenästhetik, sondern in ­vielen Fällen auch der Herstellung visueller Bestimmungshilfen.

436 Sowerby, James: James Sowerby’s Botanisches Zeichenbuch oder leichter Unterricht Blumen richtig nach Natur zu zeichnen, Weimar 1797. 437 Knorr, Georg Wolfgang: Auserlesenes Blumen-­Zeichenbuch für Frauenzimmer, aus welchem das Blumen­ zeichnen ohne viele Anweisung ganz leichte erlernet werden kann, Nürnberg 3. Auflage 1780 (erste Auflage ca. 1765).

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Das Botanisieren als Teil von Soziabilität und bürgerlicher Geselligkeit

Das Botanisieren verbindet sich in seiner Funktion auch mit der Form der Gruppenbildung im bürgerlichen Milieu, beziehungsweise „Wissenskreise“ sind in vielfacher Weise soziale Kreise. Das gemeinsame Botanisieren stellt quasi ein Gefäß dar, in dem die bürgerlich-­aufklärerische Gesellschaft sich trifft. Geselligkeit und Soziabilität sind dabei zwei Aspekte der Vergemeinschaftung. „Geselligkeit“ in Form der „bürgerlichen Geselligkeit“ ist dabei ein für die Forschung zum 18. Jahrhundert seit Langem etablierter Begriff und ein genuiner Teil der bürgerlichen Kultur dieser Zeit. Unter „Soziabilität“ ist ein noch etwas anderes Element zu verstehen. Während die Konnotation des Begriffes sociability in der englischen Sprache stark auf der allgemeinen Geselligkeit liegt und mit dieser gleichgesetzt werden kann, stellt das deutsche Lehnwort Soziabilität stärker einen in der Psychologie verwendeten und aus dieser in die Allgemeinsprache diffundierenden Terminus dar. Aus dem Lateinischen von sociabilis (verträglich, zum Gefährten geeignet) abgeleitet, fokussiert es die Fähigkeit des Einzelnen, soziale Beziehungen aufzunehmen und zu unterhalten. Wenn im Folgenden einerseits von Soziabilität und andererseits von Geselligkeitsformen gesprochen wird, so um zwei miteinander zusammenhängende, aber verschiedene Momente des Botanisierens zu verdeutlichen: Zum einen die Vorstellung, dass das Botanisieren, bzw. das Botanikstudium jemanden vermehrt „soziabel“ macht, also ihn tauglich macht zur Geselligkeit und zur Teilnahme am sozialen Leben. Der Erwerb des (botanischen) Wissens befähigt im sozialen Bereich zur Partizipation an bürgerlicher (Wissens-)Kultur. Diese als Fähigkeit zum botanisch-­sozialen Miteinander gedachte Eigenschaft steht sodann andererseits in Verbindung mit vielfältigen, sich auch mit anderen Formen der bürgerlichen Geselligkeit verschränkenden Geselligkeitsformen der botanophil-­ aufklärerischen Kreise. (Eher am Rande sei bemerkt, dass Soziabilität auch in der Botanik als Fachbegriff fungiert und hier für die Art des Wachstums der Pflanzen – ob sie als Einzelpflanzen vorkommen, in Gruppen wachsen oder in Polsterform, in Kolonien oder in Herden – steht. Eigenschaften der Pflanze und Eigenschaft des Botanisten lassen sich aus moderner Sicht zusätzlich überblenden.)

Freunde gewinnen  |

3.1 Freunde gewinnen: Der Botanist als gern gesehener Gast und Weggefährte Viele Quellenaussagen betonen diese sozialen Implikationen des Botanisierens. In einem Brief Hoppes an einen ungenannten (vermutlich fiktiven) Korrespondenten wird im Botanischen Taschenbuch von 1798 den Lesern plastisch vor Augen gestellt, ­welche Vorteile das Botanisieren im Hinblick auf die Soziabilität des Einzelnen bietet. Hoppe erläutert hier zunächst allgemein: „Wenn ein junger Mann, welcher von der Natur vortrefliche Fähigkeiten erlangt hat, mit solchen einen Eifer und Fleiß verbindet, sich zu vervollkommnen, so ist gar nicht zu zweifeln, daß derselbe ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werde.“438 Denn er erreiche nicht nur Bildung, sondern: „Er macht sich ohnedem Freunde an allen Orten, die jederzeit bereitwillig seyn werden, ihm zu dienen.“439 Hoppe gibt, indem er die botanischen Ambitionen des jungen Apothekers unterstützt, gleich selbst ein Beispiel für die bereitwillige Aufnahme aller Interessierten in die Kreise der Botanophilen: „Wie man sich durch botanische Kenntnisse Freunde erwerben kann, bedürfte kaum eines Beweises, indem ich Ihnen mein heutiges Verfahren als Beispiel anführen könnte, allein ich kann Sie noch überdies versichern, daß jeder Pflanzenforscher dem Sie Ihren Eifer für diese Wissenschaft beweisen werden, so verfahren wird, er wird sich gewiß einVergnügen daraus machen Ihnen zu dienen, Ihre Neigung zu loben und Ihren Enthusiasmus zu vermehren.“440 Der junge Botanist soll sich also in seinem Wissen vervollkommnen und wird hierfür ohne Zweifel mit Erfolg belohnt werden: „So ausgerüstet mit edlem Herzen, mit gründlichen Kenntnissen und (Ihren Freunden nachahmend) muthvoll jedermann mit Vergnügen zu dienen, erscheinen Sie als Mann auf dem Schauplatz der Welt, und erwarten den Lohn Ihres Fleißes. Sollten Sie zu den Bewohnern desselben nicht das Zutrauen hegen dürfen, daß sie ihre Verdienste erkennen werden? Sollten sie Ihnen nicht Beyfall schenken? o gewiß! Sollte nicht vielleicht hie oder da ein Landesherr, oder eine einsichtsvolle Regierung, Ihre Kenntnisse bemerken und belohnen? Sollten Sie nicht wenigstens viel eher Gelegenheit haben, auf irgend eine Weise Ihr Glück zu machen, als so viele andre, ­welche Ihnen in allen Betracht weit nachstehen müssen? o gewiß!“441 Er selbst will sich so für den jungen Pflanzenfreund in seinen Kreisen verwenden und betont: „Ich darf es Ihnen endlich nicht verhehlen, daß es sich die hiesige botanische Gesellschaft hauptsächlich zum Augenmerk genommen hat, junge Apotheker in dieser Wissenschaft aufzumuntern, und zu unterstützen. In d ­ iesem Betracht wird als Mitglied 438 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 35 (Korrespondenz). 439 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 37. 440 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 38 f. 441 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 39.

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derselben, Pflicht für mich seyn, diese Gesellschaft auf Ihren Eifer und Fleiß aufmerksam zu machen, wenn ich fernerhin davon überzeugt werde, woran zu zweifeln ich jedoch gar keine Ursache habe.“442 Wer sich also im botanischen Bereich ausbildet, macht sich „gesellschaftsfähig“. Er bildet gesellschaftlich notwendige und gern gesehene Fähigkeiten aus – nicht nur in ­seiner fachlichen Kompetenz, sondern auch in seinen Freundschaften und Beziehungen. Lehrer-­Schüler-­Beziehungen spielen hierbei vielfach eine zentrale Rolle – wie etwa auch in den „botanischen Dialogen“ der Zeitschrift Botanische Unterhaltungen mit jungen Freunden der Kräuterkunde auf Spatziergängen, die z­ wischen Juni 1784 und Mai 1785 monatlich erschien.443 Betonung des Gemeinschaftsgeistes und der Solidarität Das gemeinschaftliche und kooperative Element der botanischen Aktivitäten wird in den Quellen immer wieder betont: „Freundlich wollen wir uns demnach überall die Hände bieten, uns überall freundschaftlich belehren und gutmüthig zurechte weisen. Dadurch wird manches Saamenkorn ausgestreuet werden, viele werden keimen, und vielleicht doch für uns noch blühen, wenn auch erst für die Nachwelt Früchte tragen,“444 heißt es in einem Schreiben der Redaktion der Flora in einer Januarausgabe zum Jahresbeginn von 1819. Kooperation und konstruktive Kritik werden hier angemahnt und in vielen Teilen der Korrespondenzen immer wieder beschrieben. Ob diese Kooperation immer so gelebt wurde, darf zwar bezweifelt werden, Fakt ist jedoch, dass die solidarische Arbeit am gemeinsamen botanischen Großprojekt, der Erfassung der vaterländischen Flora, als Wertvorgabe existiert und angemahnt wird. Auch in den botanischen Berichten taucht diese Handlungsmaxime immer wieder auf, etwa wenn Christian Friedrich Hornschuch in einem 1819 in der Flora publizierten Brief beschreibt:445 „Es ist ein erhebendes, und zu schwierigen Unternehmungen im Fache der Naturgeschichte ermunterndes Gefühl, das den Naturforscher beseelt, wenn er einen Blick auf die rege Thätigkeit der deutschen Naturforscher, besonders Botaniker, wirft. – Ueberall wo sein Blick weilt, findet er gleichen Eifer, ­gleiche Zuvorkommenheit in Mittheilung gewünschter Naturschätze und 442 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 40. 443 Botanische Unterhaltungen. Mit jungen Freunden der Kräuterkunde auf Spatziergängen. Erstes Monatsstück für den Brachmonat 1784 – zwölftes Stück Mai 1785, vermutlich herausgegeben von Georg Anton Weizenbeck, München 1784 – 1785. 444 „An die Leser der Flora“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, 1819, Ausgabe vom 7. Januar 1819, S. 16. 445 Hornschuch 1793 – 1850 war Sohn eines Apothekers, machte sich durch seine Naturstudien einen Namen und wurde zunächst Gehilfe Hoppes in Regensburg und dann Mitherausgeber der Flora. Nach vielen naturgeschichtlichen Reisen wurde er Professor der Naturgeschichte. Siehe: Häckermann, Adolf: Artikel „Hornschuch, Christian Friedrich“, in: ADB 13, Leipzig 1881, S. 158 – 159.

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interessanter Beobachtungen, freundliche Zurechtweisung bey Irrungen, und überall wird er durch brüderlich dargebotene Hülfe aufgefordert, Hand in Hand dem großen Ziele, das ihm gesteckt ist, entgegen zu streben. Neid und Habsucht findet er nirgends, beyde sind dem Naturforscher fremd, und nie schmückt sich derselbe mit fremden Federn, im Gegentheil erkennt er bescheiden und wahrheitsliebend fremdes Verdienst an, wo es sich findet. Nachfolgendes möge einen Beweis für das über die Gefälligkeitsliebe der Botaniker Gesagte geben.“446 Daraufhin erzählt er, er habe für die Herausgabe seiner Bryologia germanica in Rostock um bestimmte Laubmoosarten gebeten und sei reich beschenkt worden: „Kaum hörten dies die Mitglieder der dortigen naturforschenden Gesellschaft, als sie mir nicht allein die dieser Gesellschaft gehörenden Blandowischen und Cromeischen Moossammlungen übersendeten, sondern die Herren Mitglieder Dr. Detharding, Dr. Dittmar, Magister Siemsen und Professor Flörke theilten mir auch ihre eigenen, an Blandow’schen Moosarten besonders reichen Moossammlungen, so wie alle in das Gebiet der Bryologie einschlagenden Werke ihrer Bibliotheken mit (…).“447 Daher spricht er jungen Botanikfreunden Mut zu: „Möge dies die Anfänger der Botanik ermuthigen, wenn sich ihnen Zweifel aufdrängen, die sie nicht zu lösen vermögen, damit sie sich dadurch nicht zurückschrecken lassen, sondern standhaft weiter schreiten, und der Liberalität der Meister der Wissenschaft vertrauen, die mit Vergnügen ihnen das Dunkel erleuchten werden.“448 Und er selbst wendet sich an die „deutschen Moosfreunde“, ihm weiterhin für sein Werk erneut Beistand zu leisten: „Ermuthigt durch so viele Beweise von Gefälligkeitsliebe, bitte ich die deutschen Moosfreunde wiederholt, mir die etwa in ihren Händen befindlichen neuen, oder zweifelhaften deutschen Moosarten gütigst, wenn auch nur zur Ansicht, mitzutheilen.“449 Ruhm durch Großzügigkeit Zu beachten ist hierbei, dass Großzügigkeit und die Bereitschaft, Wissen weiterzugeben, in der aufklärerischen Wertewelt zweifelsohne statuserhöhende Werte darstellen. Ruhm oder der Ruf, ein guter Botaniker zu sein, verbinden sich mit der Art und Weise, wie das Studium der Botanik betrieben wird, ob bereitwillig gegenseitige Hilfe geleistet wird und ob das Wohl der Wissenschaft bzw. der aufklärerischen Verbreitung von Wissenschaft vor 446 Brief Hornschuchs unter „Correspondenz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Nr. 10 vom 14. März 1819, S. 156 f. 447 Brief Hornschuchs unter „Correspondenz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Nr. 10 vom 14. März 1819, S. 157 f. 448 Brief Hornschuchs unter „Correspondenz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Nr. 10 vom 14. März 1819, S. 158. 449 Brief Hornschuchs unter „Correspondenz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Nr. 10 vom 14. März 1819, S.158.

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dem Eigennutz rangiert. Nur das uneigennützige Verfolgen der wissenschaftlichen Ziele fungiert hier im Diskurs als wahre (weil aufklärerisch gesonnene) Wissenschaft. In „Kurznachrichten“ heißt es beispielsweise 1788 im Magazin für die Botanik über einen Herrn Zorn, der bereitwillig seine Schätze teilt: „Dem Edelmuthe Herrn Apotheker Zorn’s in Kempten, – welcher Liebhaber der Botanik kennt den Mann nicht? – haben wir eine Sammlung von Zwiebeln und Sämereyen zu verdanken, von welcher sich für uns und unsere Leser ungemein viel nützliches und interessantes und angenehmes hoffen lässt. Die Beyspiele sind selten, wo ein Liebhaber sich eines so kostbaren Schatzes so freywillig und mit so viel guter Art begiebt, weil er glaubt, er könne desselben nicht gehörig warten. Nur der ächte Liebhaber, der nicht sich, sondern seiner Wissenschaft lebt, ist einer solchen Aufopferung fähig.“450 Weggefährten: Botanisch-aufklärerische Freundschaftskultur Dass das botanische Arbeiten vielfach im Netzwerk und in gemeinsamer Anstrengung erfolgt, ist bereits in vielen Aspekten des botanischen Wissensfeldes zur Sprache gekommen. Dennoch sei hier betont, dass hier die Verflechtungen ein sehr hohes Maß an Dichte aufweisen – nicht zuletzt, weil die Größe der botanisierenden Kommunität trotz der Ausbreitung in die bürgerliche Kultur hinein um 1800 noch immer überschaubar ist. Rudolf Suters Vorrede in seinem Werk Helvetiens Flora von 1802 lässt ­­solche Beziehungen beispielsweise offensichtlich werden. Er erzählt: „Meine medizinische Praxis erlaubte mir aber nur einmal, und das nicht länger als 3 Wochen, eine Reise nach dem Heiligthum der Alpen. Ich nahm zu meinem Gefährten jenen Thomas mit, der schon für Haller Pflanzen suchte, um in so kurzer Zeit doch so viel als möglich zu finden, und botanisierte durch die reichen Gebirge (…)“451. Typischerweise ist er, wie viele (abgesehen von den Zentralfiguren, wie etwa Linné oder Haller etc.), hauptberuflich anderweitig eingespannt. Dies wird aber ausgeglichen durch die Mithilfe anderer: „Die mir fehlenden Blüthen der Alpen, so wie auch alle seit Haller neu gefundenen Pflanzen, erhielt ich seither von Herrn Schleicher, einem geschickten Pflanzensucher der sich zu Bex aufhält, dessen unermüdetem Fleisse wir viele Entdeckungen zu danken haben, und noch mehrere verdanken werden. Auf diese Art erhielt ich eine ziemlich vollständige helvetische Flora, und ich habe, einge wenige Pflanzen ausgenommen, nichts beschrieben, ja selbst nicht einmal einem Haller nachgeschrieben, ohne vorher untersucht zu haben. (…) Um auch in der Beschreibung einiger schwieriger Pflanzen desto sicherer 450 „Kürzere Nachrichten“, in: Magazin für die Botanik, 3. Stück (1788), S. 125. 451 Suter, Johann Rudolf: Helvetiens Flora worinn alle im Hallerischen Werke enthaltenen und seither neuentdeckten schweizer Pflanzen nach Linné’s Methode aufgestellt sind, von Johann Rudolf Suter, Med. et Philos. Doct., Zürich 1802, Vorrede S. XIII. Hierzu schließen nahtlos die Bebachtungen von Bettina Dietz an: Dietz, System der Natur, 2017, S. 56 ff.

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zu gehen, bat ich mir von B. Mohr, Minister der Wissenschaften, die Durchsuchung der Kräutersammlung aus, ­welche die Republik vom gelehrten Herrn Tribolet, einem Schüler Hallers, an sich gekauft hatte (…).“452 Die eigene Arbeit – die zum Standardwerk avanciert – wird zudem in Form des Bescheidenheitstopos bewertet: „Hätte den seel. Lachenal der Tod nicht an der Erfüllung seines Versprechens gehindert, oder würden die Herren Morell, Wyttenbach, Usteri, Römer, vorzüglich aber Herr Haller, der Sohn des grossen Mannes, diese Arbeit übernommen haben, so wäre die meinige überflüssig gewesen, und das Publicum hätte was vollkommeneres erhalten.“453 Vorweg steht also – zumindest normativ – nicht der Ruhm oder oder die eigene Leistung, sondern eher ein Dienstgedanke. Der bürgerliche Leistungsgedanke trägt in d ­ iesem „Dienst an der Wissenschaft“ noch eine mittelalterliche Komponente der Verbindung von Leistung und Dienst in sich (wie er sich etwa bei den mittelalterlichen Ministerialen findet). Es löst also nicht plötzlich und ad hoc der moderne Gedanke einer individuellen Leistung die frühere Werteskala ab, sondern es finden Verschiebungen und graduelle Veränderungen statt. Der „Dienst“ führt hier, auf die Wissenschaft und den Bildungsfortschritt der Menschheit bezogen, noch prestigeträchtige Elemente mit sich, die ebenso Ahnungen des mittelalterlichen „dienest“ in sich tragen und sowohl auf die Verbindung mit etwas Höherem hinweisen als auch auf eine Zugehörigkeit zu einem größeren Verband. Das Botanisieren als Möglichkeit der Kontaktaufnahme Immer wieder wird in den Korrespondenznachrichten der botanischen Zeitschriften berichtet, wen man wo getroffen habe, wer sich wo aufhalte, wer ­welche Unternehmungen vorhabe oder durchführe. Hornschuch etwa berichtet in der Flora von den Bekanntschaften mit verschiedenen Botanikern, die er auf einer Seereise macht, oder über ein Treffen mit einem nun bereits 84jährigen Schüler Linnés in Lund usw.454 Ebenso sind die Herbarien oder ein „privater“ botanischer Garten – als Herbarium vivum – immer wieder Grund, die „Mitforschenden“ aufzusuchen und sich in die bürgerliche Kultur der Geselligkeit und Gastgeberschaft bzw. Besuchskultur 455 einzuschreiben. Schon der Schweizreisende Andreae sieht ohne Frage im gemeinsamen botanischen Interesse einen legitimen Grund der Kontaktaufnahme und langer Besuche, wenn er von seiner Fahrt nach Mühlhausen berichtet: „Es wohnet hier ein mir bekannt gewordenes paar Männer, 452 Suter, Helvetiens Flora, 1802, Vorrede S. XV f. 453 Suter, Helvetiens Flora, 1802, Vorrede S. XIX. 454 Hornschuch in den „Correspondenz-­Nachrichten“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 3, Band 2, Nr. 27 vom 21. Juli 1820, S. 413 ff. 455 Siehe: Jancke, Gabriele: Gastfreundschaft in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Praktiken, Normen und Perspektiven von Gelehrten, Götttingen 2013.

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das ich näher kennen zu lernen wünschte. Der erste ist der Burgermeister der Stadt, Herr Rißler, und der andere der Hr. Doct. Hofer. Ich besuchte diesen letztern zuerst, und fand bey ihm ein zahlreiches Cabinet, worin ein nach Linnäischem System geordnetes ziemlich starkes Herbarium, verschiedene Marina, und mehrere sehr schätzenswürdige Versteinerungen sind.“456 In Bezug auf den Bürgermeister erwähnt er hier im Besonderen dessen „Herbarium vivum“, den Garten: „Was ausser dem erwähnten in ­diesem Garten noch gefällt, das ist die Lebhaftigkeit und Gesundheit, deren alle seine Pflanzen zu geniessen scheinen. Des Hrn. Burgermeisters Erfahrung in der Cultur derselben muß also sehr stark seyn, auch vermehret er, die er vermehren will, wie der Vorrath der aufgezogenen jungen zeiget, mit einer ungemeinen Leichtigkeit.“457 Auch hier zeigt sich wieder die Naturaliensammlung, das Herbarium oder Garten im Sinne eines „Herbarium vivum“ als Ausweis von autodidaktisch erworbener Wissenschaft. Der Aspekt der Besuchsreise zeigt die aus der Studierstube hinausweisenden Momente des Botanisierens, von denen noch in Bezug auf die botanischen Reisen die Rede sein wird. Botanisieren in der Brief- und Freundschaftskultur Das Botanisieren fügt sich dabei nahtlos in die aufklärerische Freundschafts- und Briefkultur ein. Einerseits finden sich entsprechende Passagen in einzelnen Briefschaften, die in weitläufigeren freundschaftlichen Briefwechseln allerdings Einzelstellen bleiben, andererseits verbinden sich botanisch-­freundschaftliche Briefwechsel wiederum mit dem hier untersuchten Zeitschriftenmedium, indem ­­solche Briefe dort abgedruckt werden. Hornschuch teilt beispielsweise in der Rubrik „Botanische Notizen“ seine Beobachtungen zu den Moosen mit und zitiert dabei wörtlich aus einem Brief seines Freundes, des Apothekers Heinrich Lucas aus Koblenz, der wie er selbst ähnliche Beobachtungen zu Moosen machte. Hier wird also das Gesprächsartige im Sinne der Gellert’schen Brief­reform auch in den botanischen Briefen unter Freunden hörbar: „Coblenz 1818. Dec. 10 – - – Denke Dir was mir vor einigen Tagen für eine Moosfreude zu Theil wurde! Ich gehe aus und mich treibt der Gedanke, am Rhein Gymnostomum sphaericum aufzuspüren (…). Der Rhein war sehr zurückgetreten, ich springe in das kiesige Bette desselben, um am höheren Ufer eben die Durchsuchung anzufangen, und im Moment trifft mein Blick auf ein paar kugelrunde Mooskapseln, ich falle darüber her und habe Gymnostonum sphaericum in Händen. Schillers Worte die er über den Genius der Ueberzeugung und des leitenden Genius sagt, fielen mir dabey ein: ‚was 456 Andreae, J. G. R.: „Fortsetzung der Briefe, so aus der Schweitz nach Hannover geschrieben sind“, in: Hannoverisches Magazin, Jahrgang 2, 25. Stück von Montag, den 26. März 1764, S. 386 (BZA). 457 Andreae, J. G. R.: „Fortsetzung der Briefe, so aus der Schweitz nach Hannover geschrieben sind“, in: Hannoverisches Magazin, Jahrgang 2, 25. Stück von Montag, den 26. März 1764, S. 391 (BZA).

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der Eine verspricht, hält der Andre gewiss.‘ – Du weißt wie sehr man jetzt bemüht ist, mathematische Verhältnisse in Pflanzenfamilien und Gattungen aufzusuchen, selbst du gabst mir in deinem letzten Briefe ein Beyspiel an (…)“458. Hierauf erläutert er dann sein eigenes Schema der Moosarten, das mathematischen Regeln folgt. Zweifelsohne ist dies zwar ein für die Publikation bestimmter Brief, aber nichtsdestotrotz zeigt er die normativ aufzufassende Form des botanischen Briefes. Die in den Zeitschriften gedruckten botanischen Briefe stellen so im Sinne von Briefstellern Beispielbriefe dar, denen man in der eigenen Korrespondenz folgen konnte. Feindseligkeiten als fehlende „Urbanität“ Hin und wieder scheinen in den Artikeln auch Brüche und Feindseligkeiten auf, indem Verrisse geschrieben werden oder Auseinandersetzungen ausgetragen werden. So wird etwa ein gerade erschienenes Werk zur Pflanzenphilosophie 1789 im Magazin für die Botanik in einer mit C. M. unterzeichneten Rezension (die Zeitgenossen wussten offensichtlich innerhalb der botanischen Kommunität, um wen es sich handelt) völlig abgeurteilt mit den Worten: „Dem Scribler zu sagen, dass Pflanzenphilosophie Unsinn sey, wäre auch Unsinn; weil das voraussetzen würde, dass ­­solche Scribler wüssten, was Philosophie ist; und Philosophia botanica heisst doch wohl nicht Pflanzenphilosophie – Das ganze Ding ist übrigens ein elender, verstümmelter Auszug aus Jacquins Terminologie; es lohnt sich nicht der Mühe den Wisch nur anzusehen.“459 Gerade im Magazin für die Botanik scheint der Umgangston hin und wieder rauher zu sein, beschwert sich doch 1790 der pfälzische Hofarzt und Botaniker Friedrich Medicus über Beleidigungen, denen er (u. a. von anonymen Briefschreibern) ausgesetzt gewesen sei. Und er beklagt dies als Mangel an „Urbanität“, die hier im Sinne des lateinischen Ursprungs in Verbindung gebracht wird mit feinen S­ itten und gutem Benehmen (und sich bezeichnenderweise von der dem Hof zugeordneten ‚Höflichkeit‘ absetzt)460: „Gewiss ist Urbanität eine der wesenlichsten Eigenschaften, die dem Verehrer der Wissenschaften ziemt. (…) Ich bitte nur das billige Publicum die Misshandlungen zusammen zu reihen, mit denen man (…) mich beehrt hat. Man vergass sich so weit, mir in einer gelehrten Zeitung öffentlich zu drohen, wofern ich fortfahren würde, meine Beobachtungen 458 „Entwicklungsstufen der Laubmoose. Mitgehtheilt von Hrn. Dr. Hornschuch“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1 (1819), Ausgabe Nr. 11 vom 21. März 1819, S. 173 f. 459 Eine mit C. M. unterschriebene Rezension zu „Pflanzenphilosophie, im Auszuge (…) Augsburg 1787“, in: Magazin für die Botanik, 5. Stück (1789), S. 10. 460 Die Urbanitas bezeichnet im Lateinischen nicht nur das Städtische, sondern auch feines Benehmen, Witz, Esprit, siehe Stowasser, Lateinisch-­deutsches Wörterbuch, München, Ausgabe 1994. Auch hier wird bei Medicus wieder nur der Nachname genannt, es ist aber wahrscheinlich, dass es sich um ­Friedrich Casimir Medicus handelt, der sich in den Zeitschriften öfter zu Wort meldet.

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heraus­zugeben. Waren diese und mehrere dergleichen Behandlungen Urbanität?“461 Er gibt aber auch der Hoffnung auf Besserung Ausdruck: „Allerdings ist zur Ehre und zum Nutzen der Wissenschaften zu wünschen, dass nie Animosität, hingegen ruhiger Beobachtungsgeist und philosophisches Denken herrschen möge.“462 Grundsätzlich sind aber diese Auseinandersetzungen eher randständig im Vergleich mit Berichten über Kooperation und Freundschaft. Und wenn auch gelegentlich in den späteren Jahren Auseinandersetzungen aufscheinen – wie etwa über die Stellung der Schuppen bei den Tannenzapfen ­zwischen Schimper und Braun 1835463 – so ist doch der Gedanke der Konkurrenz unter den Naturforschenden in den Jahrzehnten z­ wischen 1780 und 1840 in den botanischen Zeitschriften so gut wie nicht fassbar, während das gemeinschaftliche Botanisieren und das kollektive Projekt eines immer größeren und von allen geteilten Wissens durchweg spürbar sind.

3.2 Der „botanische Wanderstab“: Wissenschaft und botanische (Gruppen-) Reisekultur „Eine merkwürdige Erscheinung unserer Zeit sind die botanischen Reisen, ­welche gegenwärtig bei weitem mehr als jemals ausgedehnt und an der Tagesordnung sind. Wenn man vor wenigen Decennien noch von einem beträchtlichen Theile der deutschen Gebirgsländer mit Wahrheit sagen konnte, dass sie in Ansehung der Botanik ein unbekanntes Land seyen, so kann eine ­­solche Behauptung jetzt noch kaum bei den entferntesten Ländern statt finden.“464 So heißt es in einem 1824 erscheinenden Bericht über den „Zustand der Botanik am Ende des ersten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts“ in der botanischen Zeitung Flora. Hier wird also einerseits von einem Höhepunkt des Botanisierens berichtet, andererseits deutet sich schon ein Niedergang an. Ein Grund des Abflauens des heimischen Botanisierens im Sinne der wissen­schaftlichen Neuentdeckungen verbindet sich schließlich mit der Tatsache, dass irgendwann die gängigen Pflanzen kategorisiert und kaum noch neue Entdeckungen zu machen sind. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch stellen die botanischen Reisen und Exkursionen ein zentrales Element wissenschaftlicher Praktiken dar und stehen in den folgenden Ausführungen im Mittelpunkt. Exkursionen können dabei in der eigenen Umgebung, 461 „Antwort auf den Brief (…), in: Magazin für die Botanik, 10. Stück (1790), S. 198. 462 „Antwort auf den Brief (…), in: Magazin für die Botanik, 10. Stück (1790), S. 199. 463 So zum Beispiel K. Fr. Schimper in einem Brief an den Redakteur, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 18, Band 2, Ausgabe Nr. 47 vom 21. Dezember 1835, S. 748 ff. 464 „Zustand der Botanik am Ende des ersten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 2, Nr. 30 vom 14. August 1824, S. 465 ff, hier S. 474.

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in stadtfernen Regionen oder in den Gebirgen ausgeführt werden, wobei die nicht-­ botanisierten Regionen naturgemäß um die 1830er und 1840er Jahre im Schwinden begriffen sind, bzw. hier zwar noch zu Übungszwecken botanisiert werden kann, Novitäten aber nicht mehr erwartbar sind. Auch aus ­diesem Grund nehmen zu Anfang des 19. Jahrhunderts mehr und mehr Moose, Farne, Algen und Pilze eine zentrale Rolle ein, die im 18. Jahrhundert noch wenig beachtet wurden. Das Minimieren der unentdeckten Arten geht also einher mit der Wendung hin zu vegetativen Kleinformen, was wiederum in Verbindung steht mit der nach 1800 erneut aufflammenden Diskussion um die Kleinstlebewesen, Algen, Flechten und Moose (siehe Teil I, Kap. 2). Die Verbindung von Botanik, Reisekultur und der europäischen Expansion ist in historischen Studien bereits in vielfacher Weise offensichtlich geworden.465 Der Transfer von Pflanzen aus der „Neuen Welt“ oder entfernten Erdteilen, verbunden mit Namen wie Alexander von Humboldt oder Johann Reinhold Forster 466, ist dabei nicht zuletzt auch Teil globaler und transkultureller Geschichtsschreibung. Gerade die überseeischen Botanikreisen und die Entdeckung exotischer Pflanzen stellen mittlerweile ein klassisches Feld der Kultur- und Botanikgeschichte dar.467 Die im Folgenden beschriebenen „heimischen“ botanischen Reisen und Exkursionen des beginnenden 19. Jahrhunderts stehen dabei in enger Verbindung mit der Entdeckerlust, die sich nicht nur auf das Exotische, sondern auch auf die eigene umgebende Natur ausweitet.468 Die botanischen Reisen weisen aus Sicht der Botanisten und Botanistinnen auf mehrere Momente aufklärerischer Wissensbegeisterung hin: auf das oft in Gemeinschaft zu erwerbende Wissen und das Wagnis des „Selbststudiums“, das sich in den Reisen und Exkursionen manifestiert, die eben nicht in exotische Länder führen müssen, und auf die Entdeckerfreude. Botanische Reisen können dabei in der schleswig-­holsteinischen Provinz stattfinden oder in beliebigen Wäldern, Wiesen und Sümpfen. Vielfach allerdings tragen sie der Schweiz- und Alpenbegeisterung des 18. Jahrhunderts Rechnung.

465 Zur Thematik von Botanik und Kolonialismus siehe u. a. den von Schiebinger herausgegebenen Sammel­ band: Schiebinger, Londa und Swan, Claudia (Hrsg.): Colonial Botany. Science, Commerce and Politics in Early Modern World, Philadelphia 2005. Zu innereuropäischen Fragen von Botanik und Ökonomie siehe: Easterby-­Smith, Sarah: „Selling Beautiful Knowledge. Amateurship, Botany and the Market-­Place in Later Eighteenth-­Century France“, in: Journal for Eighteenth-­Century Studies 36/4 (2013), S. 531 – 543. Hierzu sind in den letzten Jahren auch viele Einzelstudien entstanden. 466 Die ausgeweitete Forschungslandschaft zu Alexander von Humboldt soll hier nicht referiert werden. Zu Forster lesenswert ist die Arbeit von Anne Mariss, die auf Praktiken des Wissenserwerbs zielt: Mariss, Anne: ‚A world of new things‘. Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster, Frankfurt / New York 2015. 467 Siehe etwa: Aitken, Richard: Botanical Riches. Stories of Botanical Exploration, Burlington 2. Auflage 2007. 468 Cooper, Alix: Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe, New York 2007.

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Die Entdeckung der alpinen Gebirgswelt (vor allem durch Johann Jakob Scheuchzer)469 ist in den letzten Jahren zunehmend untersucht worden. Auch die den botanischen Reisen oftmals verwandten Schweizreisen des 18. Jahrhunderts 470 und insbesondere der deutsche Philhelvetismus 471, der „Aufbruch“ in die Alpen seit dem 18. Jahrhundert sind ins Blickfeld von Schweizer und österreichischen Historikern und Historikerinnen gerückt.472 Aus neuzeitlicher Sicht sind auch die zu Forschungszwecken im 19. Jahrhundert unternommenen Alpenreisen Gegenstand des Interesses geworden.473 Die Alpen als Raum sind dabei im 18. Jahrhundert noch wesentlich weniger von nationalen Grenzen bestimmt als in der späteren Zeit, weshalb dieser Raum als ein zusammenhängender Gebirgsraum wahrgenommen wurde,474 der die Botanisten geradezu anlockte. Exkursionen und Reisen im Dienste der Botanik Die Berichte über botanische Exkursionen und Reisen nehmen in allen botanischen Magazinen einen zentralen Platz ein. Am stärksten gilt dies wohl für Hoppes Botanisches Taschenbuch. Aber auch in allen anderen Magazinen ist die Mischung von Exkursionsbzw. Reisebericht und Darlegung botanischer Funde und Erkenntnisse ein geläufiges Textgenre. Besonders in den 1820er Jahren findet sich eine Fülle dieser Texte, in denen 469 Boscani Leoni, Simona (Hrsg.): Wissenschaft – Berge – Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung / Scienza – montagna – ideologie. Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) e la ricerca naturalistica in epoca moderna, Basel 2010. 470 Zur Popularität der Schweizreise siehe u. a. schon: Faessler, Peter: „Reiseziel Schweiz. Freiheit ­zwischen Idylle und ‚großer‘ Natur“, in Bausinger, Hermann; Beyrer, Klaus und Griep, Wolfgang (Hrsg.): Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München 1991, S. 243 – 248. 471 Bspw. Böning, Holger: „‚Arme Teufel an Klippen und Felsen‘ oder ‚Felsenburg der Freiheit‘? Der deutsche Blick auf die Schweiz und die Alpen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Mathieu, Jon und Boscani Leoni, Simona (Hrsg.): Die Alpen! Les Alps! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance. Pour une histoire de la perception européenne depuis la Renaissance“, Bern et al. 2005, S. 175 – 190. 472 Siehe etwa: Mathieu, Jon: „Alpenwahrnehmung. Probleme der historischen Periodisierung“, in: Ders. und Boscani Leoni, Simona (Hrsg.): Die Alpen! Les Alps! Zur europäischen Wahrnehmungsgeschichte seit der Renaissance. Pour une histoire de la perception européenne depuis la Renaissance“, Bern et al. 2005, S. 53 – 72. Die Entdeckung der Bergwelt als Raum hat eine längere Geschichte, siehe etwa schon 1974: Oppenheim, Roy: Die Entdeckung der Alpen, Frauenfeld 1974; Scharfe, Martin: Berg-­Sucht. Eine Kulturgeschichte des frühen Alpinismus, Wien 2007. Konkret zu den Netzwerken der Alpenreisenden: Klemun, Marianne: „Alpenbotanik, Transfer und Raum als Netzwerk der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft und deren Publikationsorgane“, in: Dauser / Hächler / Kempe / Mauelshagen / ­Stuber (Hrsg.): Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts“, Berlin 2008, S. 271 – 288. 473 Siehe bspw.: Felsch, Philipp: Laborlandschaften. Physiologische Alpenreisen im 19. Jahrhundert, Göttingen 2007. 474 Ähnlich der übergreifenden Darstellung von Jon Mathieu: Mathieu, Jon: Die Alpen. Raum – Kultur – Geschichte, Stuttgart 2015. Hier finden sich auch weitere Hinweise zur Alpenforschung im Allgemeinen.

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sich die genauesten Angaben der Parameter – von der detaillierten Fundortbeschreibung bis zur Stunde des Fundes inklusive der Wetterangaben etc. – mit der Freude am Reisebericht mischen. Unzählige Berichte lesen sich ähnlich wie beispielsweise der „Bericht über einige botanische Exkursionen durch Oesterreich, Steiermark und Salzburg“ eines Herrn Dr. Sauter von 1824: „Am 15. August bestieg ich den bei 6000 Par Fuss hohen Oetscher, der ein Zweig der nordöstlichen Kalkalpenkette der Obersteiermark ist (…) wächst hier auch die für Oestreich neue sibirische Euphorbia pilosa, die Schultes als in Ungarn auf trocknen Hügeln vorkommend zweifelhaft anführt, und die Dr. Host (…) für die E. palustris gehalten zu haben scheint. (…) Da sie bisher nicht genug beachtet worden ist, und ohne Zweifel auf mehrern Alpen vorkömmt, so dürfte eine genaue Beschreibung nicht überflüssig seyn, besonders da die Gmelinische und Decandolische nicht genau übereinstimmen: Caulis pedalis (…)“475. Entsprechende langatmige weitere Beschreibungen folgen. Genaue Auseinandersetzungen mit Klassifikationen wechseln so mit den Beschreibungen der Pflanze, ihrem Auffinden usw. ab. Dabei eignet sich zunächst jede Region für die Ausführung von botanischen Exkursionen und „botanischen Wanderungen“. Ein Professor Baer aus Königsberg berichtet beispielweise ebenso detailliert über seine „Botanische Wanderung an der Küste von Samland“, einer Halbinsel an der Ostsee,476 und zieht sehr bewusst die Form des Exkursionsberichtes der des reinen Pflanzenverzeichnisses vor. Er erzählt 1821 in der Flora: „Statt eines nackten Katalogs lege ich jetzt unsern Freunden die Erzählung einer im vorigen Sommer an der Küste von Samland gemachten botan. Wanderung vor, theils um meine Dankbarkeit für den Genuss, den mir die Berichte anderer Reisender gewährt haben, an den Tag zu legen, theils um an der schönen Sitte, die die botan. Zeitung unterstützt, Antheil zu nehmen, dass die Freunde des Naturstudiums von ihren Reisen auch den Entfernten erzählen, und so eine Republik bilden, die kein anderes Band kennt, als das gemeinschaftliche Interesse an der Wissenschaft, und kein anderes Gesetz, als die gegenseitige Unterstützung.“477 Zwar könne er seine Leser in „kein brasilianisches Tempe, auf keine Alpen, und an keine adriatische Küste führen“, sondern nur in die „Sandwüsten des Ostesseestrandes“, da aber diese Pflanzenwelt noch wenig beschrieben sei, lohne sich das Unterfangen. Hier scheint jedoch auch wieder die offensichtliche Begrenztheit ­dieser Tätigkeiten auf: Ist die Region einmal vollständig „botanisiert“ und beschrieben, so bleibt hier nichts mehr zu tun.

475 „Bericht über einige botanische Exkursionen durch Oesterreich, Steiermark und Salzburg“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 1, Nr. 14 vom 14. April 1824, S. 209 ff. 476 Zwischen Kurischem Haff und Frischem Haff gelegen, nördlich des damaligen preußischen Königsberg, heutigen Kaliningrad. 477 „Botanische Wanderung an der Küste von Samland. Von Prof. Baer in Königsberg“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 4, Band 2, Nr. 26 vom 14. Juli 1821, S. 397 ff.

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Begleitpersonen und kurzweilige, gemeinsame botanische Reisen Die botanischen Reisen und Exkursionen werden meist in Begleitung unternommen. Botanisierende Freunde und „Pflanzenliebhaber“ aus allen Ständen und Berufssparten fungieren als gegenseitige Begleitpersonen ebenso wie Ehefrauen, Verwandte und Schüler. Wie sehr dabei auch der Geselligkeitsaspekt in den Vordergrund treten kann, zeigt etwa die 1802 von einem Herrn Milichhofer in der Botanischen Zeitung publizierte „Kurze Nachricht über eine botanische Reise nach Berchtesgaden“, in der es heißt: „Durch das schöne Wetter eingeladen, machte ich, in Gesellschaft des H. H. Hofkammerdirektors Baron von Moll, Dr. Schalhammern und Hofkaplan Hechenbergers eine kleine Reise nach Berchtesgaden, wohin wir den 12ten Aug. von Salzburg aus so frühe aufbrachen, dass wir um halb 8 Uhr Morgens daselbst eintrafen. Hier versahen wir uns mit einigen Lebensmitteln, und setzten dann unsern Weg bis zum Bartholomä See fort, wo wir gegen 11 Uhr Mittags ankamen. Hier wurde ein Schiff für uns zubereitet, mit welchem wir unsere überaus angenehme Fahrt auf dem See antraten, die über eine Stunde dauerte, nach welcher wir auf der Halbinsel St. Bartholomä landeten, und an das Ufer stiegen. Nach bestellten Mittagsmahle besahen wir das Schloss, dessen herrliche Lage wir alle bewunderten, giengen dann, theils am Ufer des Sees botanisiren, theils lagerten wir uns in den kühlen und erquickenden Schatten des Schlosses; denn die drückende Hitze war unerträglich. Nach dem Mittagessen traten wir sämmtlich den Weg nach der sogenannten Eiskapelle an (…). Nun fiengen wir an, uns nach Insekten und Pflanzen umzusehen. Am Wege hierher, und besonders in der Gegend der Eiskapelle sammelten wir folgende Gewächse (…).“478 (Hierauf folgt eine Liste mit Gewächsen.) Über eine „Saxifraga“, ein Steinbrechgewächs, das er vorher nicht kannte, schreibt er: „Herr Hofkaplan Hechenberger entdeckte sie, wir fanden aber nur drei Exemplare. Diese Pflanze hat völlig den Bau von Saxifraga caesia, und sie wächst auch mit derselben an den nemlichen Orten; nur sind ihre Blumenblätter etwas grösser, mehr zugespitzt, und von citronengelber Farbe; die Staubbeutel hervorragend, und orangefarben; die Blätter nur wenig mit weissen Puncten besetzt. Wir finden nirgends eine Abbildung und Beschreibung davon.“479 Er erzählt das weitere Vorgehen: „Wir verfügten uns wieder in die Eiskapelle, und stellten hier einige physikalische Versuche an. Die Temperatur des hervorfliessenden Wassers betrug 5°, die Temperatur der freien Luft in der Eiskapelle 2° nach Reaumur 480 (…).Wir 478 „Kurze Nachricht über eine botanische Reise nach Berchtesgaden. Vom Herrn Mielichhofer, Hochfürstl. Salzburgischem Bergwerksbeamten in Salzburg“, in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1 (1802), Heft 19 vom 28. September 1802, S. 297 f. 479 „Kurze Nachricht“, in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1 (1802), Heft 19 vom 28. September 1802, S. 299. 480 Die Temperaturskala nach Réaumur wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeführt, wurde dann aber zunehmend von der Celsius-­Skala abgelöst. 5° Réaumur entsprechen 6,25° Celsius; 2° Réaumur entsprechen 2,5° Celsius.

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nahmen unsern Rückweg nach dem Schlosse durch eine andere Gegend, und sammelten noch (…)“.481 Es folgen die entsprechenden Pflanzennamen. Rückgekehrt wird die gemeinsame Arbeit und der gemeinsame Abend entsprechend beendet: „Nun legten wir die zartesten Pflanzen ein, machten uns dann über unsere Abendtafel, und begannen nun noch beim Mondscheine eine angenehme Spatzierfahrt auf dem See, von welcher wir in der Nacht um 12 Uhr zurückkehrten.“482 Die hierauf folgenden Tage werden in analoger Weise beschrieben, wobei die botanische Exkursion mehr einer gemeinsamen zeitgenössischen Lustfahrt vergleichbar ist. Auch wenn nicht alle botanischen Reisen in dieser Weise einem gemeinsamen Ausflug ähneln, sind offensichtlich Begleitungen in hohem Maße erwünscht. So werden geplante Reisen in den Zeitschriften daher auch angekündigt, etwa um Begleiter zu finden. Auch geplante Versammlungen werden angekündigt. Im Botanischen Taschenbuch von 1800 schreibt der Herausgeber über „Günstige Aussichten für Botanik und für reisende Botaniker“483: „Die Unternehmung von Alpenreisen ist seit wenigen Jahren stark Mode geworden, und die wichtigen Resultate davon, für die Naturgeschichte, und insbesondere für die Botanik, werden sich bald zeigen, wenn die auf jenen Reisen gemachten Entdeckungen erst mehr bekannt werden. Zu den glücklichsten Ereignissen, die für die Botanik besonders wichtig sind, rechne ich einen botanischen Congreß, der im August 1800 auf der Pasterze, am Fuße des Großglockners in Kärnthen gehalten, und wobei unser ehrwürdiger verdienter Greiß Wulfen präsidiren wird. Um die Botaniker in den Stand zu setzen über ­dieses Ereigniß vollkommen urtheilen zu können, sehe ich mich genöthiget, hier etwas aus meiner Privatkorrespondenz mitzutheilen, was ich freilich sonst nicht gerne thue; indessen hoffe ich um so mehr Verzeihung darüber, weil ich meine botanischen Freunde zugleich dadurch benachrichtigen kann, wohin im nächsten Sommer mein botanischer Wanderstab gerichtet seyn wird.“484 Hier kündigt der Schreiber also nicht nur seine eigenen Pläne an, für die er offensichtlich Mitstreiter sucht, sondern macht seine Kollegen auch aufmerksam auf die Zusammenkunft der Botanikfreunde auf der „Pasterze“, einem österreichischen Gletscher, also einen „Kongreß“, der eher als gemeinsame Exkursion der Interessierten betrachtet werden muss denn als „Tagung“ im heutigen Sinne. Botanikreisende versammelten sich also an bestimmten Orten, um ihr Wissen auszutauschen. Dass es sich hier um einen Ort der Alpen handelt, ist allerdings kein Zufall.

481 „Kurze Nachricht“, in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1 (1802), Heft 19 vom 28. September 1802, S. 300. 482 „Kurze Nachricht“, in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1 (1802), Heft 19 vom 28. September 1802, S. 300. 483 „Günstige Aussichten für Botanik, und für reisende Botaniker“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 214 ff. 484 „Günstige Aussichten für Botanik, und für reisende Botaniker“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 214 f.

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3.2.1 Das Abenteuer der Alpenreise „Noch nie sind die hiesigen Alpen von fremden Botanikern zahlreicher besucht worden, als heuer; und unsere Pflanzen wandern nicht nur nach Berlin, Wien und Regensburg, sondern auch nach Böhmen und Frankreich“485, berichtet die Botanische Zeitung im Jahre 1802 aus der Stadt Salzburg. Nicht nur s­ eien die Forscher aller Länder auf die Berge gestiegen, man habe auch Pflanzen mitgenommen. Selbst an die botanisierende Madame Bonaparte wurden sie in einer Büchse nach Paris geschickt etc.486 Waren die Alpen schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Reiseziel botanisch-­naturwissenschaftlicher Reisen, wie etwa bei Albrecht von Haller,487 so werden sie gegen Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts das botanische Reiseziel schlechthin. Dabei ist nicht nur die Schweizbegeisterung der deutschen Aufklärer tragend, sondern die Begeisterung für die Bergwelt als ­­solche und das Interesse am gesamten Alpenbogen. Besonders in Hoppes Botanischem Taschenbuch finden sich zahllose Berichte über botanische Alpenreisen. Die Popularität botanischer Reiseberichte findet sich aber auch in anderen Magazinen und flaut wohl erst mit dem Ende der Hochphase des Botanisierens in den 1840er, 1850er Jahren ab. Schon 1798 beschreibt beispielsweise ein Johann Nepomuk Gebhard, ein „Bergwerks=Praktikant“, seine Erfahrungen mit der Bergflora im Botanischen Taschenbuch.488 Der Text besteht zunächst aus einem Blühkalender, mündet aber dann in einen Wander­ bericht, in dem einerseits Weg und Landschaft beschrieben werden, andererseits aber die zu dieser Zeit in den Alpen blühenden Pflanzen: „Schlüßlich füge ich einen Bericht von der Excursion bey, w ­ elche ich den 20ten May auf das sogenannte Roßfeld, einem Alpengebirge nahe bey Hallein, machte. Es war für eine Alpenreise noch sehr früh an der Zeit. Man mißrieth mirs, und Jedermann glaubte, Flora würde mich sehr karg abspeisen. Doch mein Entschluß war fest, ich wollte wenigstens sehen, ob man mir wahr sagte, und ob diese Reise mir zur Warnung dienen sollte, künftig nicht mehr so früh ein Alpengebirg zu besteigen (…)“ 489. An der Wende zum 19. Jahrhundert sind die Alpenpflanzen dabei offenbar noch ein in weiten Teilen unbekanntes Terrain, erläutert doch der Herausgeber Hoppe in einer Nachschrift: „Mit vielem Vergnügen habe ich die beiden Aufsätze vom Herrn Gebhard 485 „Botanische Notizen“ (Verfasser ungenannt, vermutlich Hoppe selbst), in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1, 1802, Nr. 20 vom 14. Oktober 1802, S. 314 f. 486 „Botanische Notizen“ (Verfasser ungenannt, vermutlich Hoppe selbst), in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1, 1802, Nr. 20 vom 14. Oktober 1802, S. 315. 487 Schon Haller schreibt einen entsprechenden Reisebericht: Haller, Albrecht von: Premier voyage dans les Alpes, 1728 – 1732 (ediert von Aurélie Luther), Genf 2008. 488 „Tagebuch über die Blühezeit einiger Frühlingsblumen im Jahre 1797 (…)“, in: Botanisches Taschenbuch, Jahrgang 1798, S. 1 ff. 489 „Tagebuch über die Blühezeit einiger Frühlingsblumen im Jahre 1797 (…)“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), S. 11 f.

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gelesen, und ich trage um so weniger Bedenken, solche ­­ in das botanische Taschenbuch aufzunehmen, da sie zum Theil ­­solche Pflanzen enthalten, die in Deutschland noch wenig bekannt sind und in den deutschen Floren meistens fehlen. (…) Auch die kleine Alpenreise ist darum schon wichtig, weil sie in der frühen Jahreszeit unternommen wurde, in welcher die Botanisten meistens noch abgeschreckt werden, eine solche ­­ Reise zu machen, weil das Wetter gewöhnlich schlecht, und die Ausbeute meistens nur gering ist (…)“490. Hoppe gibt dann der Hoffnung Ausdruck, selbst noch in dieser Sache Beiträge leisten zu können. Wanderlust In den folgenden Jahrzehnten nimmt offensichtlich das Phänomen der botanischen Alpenreisen weiter zu. 1824 ist es beispielsweise recht selbstverständlich von dieser Begeiste­ rung für die Berge und ihre Flora zu sprechen, wie etwa ein Herr Sauter aus Wien in der Flora von 1824 über seine Alpenexkursion schreibt: „Dass ich bei meiner diesjährigen Reise von Wien nach Salzburg so viel wie möglich der Flora opferte, und dass sie mir wieder so schöne Stunden verschaffte, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Mein lang gehegter Wunsch, die Himmelssäule Watzmann wieder zu besteigen und auf ihm wieder das Hochgefühl des Alpenlebens zu geniessen, und seinen herbstlichen Flor kennen zu lernen, wurde Mitte Sept. ausgeführt (…).“491 Die Vorliebe für Regionen abseits der Fahrwege, insbesondere die Begeisterung für Bergregionen und unwegsames Gelände, das nur zu Fuß erreicht werden kann, korreliert so einerseits mit der Suche nach nicht entdeckten Pflanzen unzugänglicher Gelände­ formationen, wie auch mit der aufkommenden Wanderfreude, Bergbegeisterung und der aufklärerisch-­romantischen Naturliebe. Alpenabenteuer Die Erkundungen der Flora der Gebirgswelt verlagern die Abenteuerlust und Entdeckerfreude somit ins innereuropäische Gebirge, statt sie in fremden Erdteilen zu suchen. Insofern sind gerade die Alpenreisen die Entdeckungsfahrten der kleinen Forscher oder derjenigen, die aus den verschiedensten Gründen nur für kürzere Zeiten von Zuhause abkömmlich sind. Wer nicht die Mittel und Möglichkeiten hat, sich auf große außereuropäische Reisen zu begeben, kann so dennoch an dieser Form 490 „Tagebuch über die Blühezeit einiger Frühlingsblumen im Jahre 1797 (…)“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), S. 14 f. 491 V. Sauter unter der Rubrik „Correspondenz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 1, Nr. 9 vom 7. März 1824, S. 141.

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der „Horizonterweiterung“ teilhaben. Nicht selten wird daher auch der gefahrvolle Charakter der botanischen Gebirgsreisen betont. Beneficiat Schmidt erläutert 1796: „Man irrt sich aber sehr, wenn man sich botanische Reisen, besondes Gebirgsreisen als gemächliche Lustreisen denkt, und den Botaniker wohl gar oft darum beneidet. Es giebt tausend Unbequemlichkeiten, Gefahren und Hindernisse, die sich dem reisenden und beobachtenden Pflanzenforscher fast alle Augenblicke in den Weg legen.“492 Man müsse beispielsweise die Reise zu Fuß machen, sonst könne man nicht botanisieren, was im unwegsamen Gelände abenteuerlich sein könne: „Denn bald führt den Reisenden ein sehr schmaler Pfad an einem fürchterlichen Abgrund vorbey; bald muß er über die steilsten Höhen hinaufklettern und dann beim Herabsteigen sich noch größern Gefahren bloß geben; bald hat er sich mit größter Mühe und Unbequemlichkeit durch den Krumholzkiefer, oder die von den Alpenbewohnern so genannten Latschen (pinus pumilio) durchzuarbeiten; bald kömmt er von der erstickenden Hitze der Thäler auf die kälteste Gipfel der Berge (…).“493Oder er fürchtet den Wetterumschwung oder im Nebel den Weg zu verlieren; das Übernachten in einfachen Hütten und die Verpflegung in den ­Alpenhütten ist einfach usw. Andererseits gibt es auch „Vergnügliches“, wie die reine Luft, die Aussichten, die Entdeckung neuer Pflanzen etc.494 Schmidt gibt den Alpenreisenden praktische Hinweise: Gebirgsreisen sollten im Sommer stattfinden, man muss ein „Pflanzensystem“, also ein Handbuch, mitnehmen sowie weitere botanische Hilfsbücher. Im besten Fall hat man einen ortskundigen Führer. Man führt ein Tagebuch über die Exkursion, man verfertigt von allen gesammelten Pflanzen ein Verzeichnis etc.495 Die Beschreibungen der Alpenexkursionen lesen sich in nicht wenigen Fällen wie spannende Abenteuergeschichten, wobei das seltene Pflänzchen als unter Gefahren zu erringende Trophäe fungiert. Hoppe selbst etwa beschreibt wortreich eine Gebirgsreise im Botanischen Taschenbuch von 1800.496 Ein erster Teil der fast 40seitigen Abhandlung liest sich wie ein Abenteuerroman, während die eigentlichen botanischen Bemerkungen erst in der zweiten Hälfte des Berichtes folgen. Er berichtet beispielsweise von einer Wanderung, die er – was eher ungewöhnlich ist – alleine unternimmt: „Ich hatte einmal die ganze Woche keine Excursion machen können, weil es beständig regnete, und sahe mich daher genöthiget es auf einen Sonntage zu thun, weil das Wetter erträglich wurde. Ich nahm meinen Weg, den ich gut wußte, ganz allein, gerade nach dem hohen 492 „Ueber botanische Reisen, besonders Alpenreisen wie sie sind, und wie sie seyn sollten. Vom Herrn Beneficiat Schmidt in Rosenheim“, in: Botanisches Taschenbuch (1796), S. 98 – 121, hier S. 100. 493 „Ueber botanische Reisen", in: Botanisches Taschenbuch (1796), S. 101. 494 „Ueber botanische Reisen“, in: Botanisches Taschenbuch (1796), S. 101 ff. 495 „Ueber botanische Reisen“, in: Botanisches Taschenbuch (1796), S. 98 – 121, hier S. 106 ff. 496 „Bericht über meine diesjährige botanische Reise; vom Herausgeber“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 160 – 198.

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Throne zu. Unterwegs verirrte ich mich durch ein äusserst geringes Versehen, in den Latschen (Pinus Pumilio). Da ich nicht zurückgehen wollte, mußte ich mich seitwärts durcharbeiten, um einen Felsen zu erreichen, der vor mir, in einer mir nicht ganz unbekannten Gegend lag. Das war ein mühsames Hinunterklettern, wozu ich eine halbe Stunde brauchte, und einige Male weder vor noch rückwärts kommen konnte. Als ich endlich mit vieler Mühe den Felsen erreichte, fiel ein dicker Nebel plötzlich ein. Ich botanisirte anfangs fort, ohne zu wissen in welcher Gegend ich wäre (…). Eine ungestüme Witterung erhob sich. Die Kälte auf dieser beträchtlichen Höhe war äusserst empfindlich. Der entsetzliche Windstoß nöthigte mich, mich auf die freie Erde niederzulegen, oder gebückt weiter zu kriechen, wenn ich nicht in den Abgrund hinabgeschleudert werden wollte. Zum Glück regnete es nicht, sondern dieser verwandelte sich der Kälte wegen meistens in Schnee und Hagel. Am meisten ängstigte mich der dicke Nebel, der mir keine Aussicht ließ, und es schlechterdings unmöglich machte, den Rückweg zu finden. Ich verkroch mich eine halbe Stunde lang, aber es wurde alles ärger, und die nasse Kälte nöthigte mich zur Bewegung. – Aber wohin – ich war in einer kritischen Lage (…).“497 Da er weiß, dass am Fuße des Berges ein Brunnen zu sehen war, steigt er zu den verschiedenen Seiten des Felsens ab und findet beim siebten Abstieg endlich den Brunnen, an dem er sich wieder orientieren kann: „Endlich erblickte ich durch den Nebel eine mir bekannte Felsenspitze, wandte mich dem zu Folge links, stieg hinab, und erreichte glücklich den gesuchten Brunnen. O wie froh war ich. Hier herum blüheten die seltensten Gewächse, um derentwillen ich die Excursion unternommen hatte; aber ich nahm keine einzige, eilte zurück, und traf glücklich gegen Abend in meiner Wohnung an.“498 Ein anderes Mal rutscht er beim Einsammeln einer Alpen-­Kuhschelle (anemone apiifolia) mit einem Baumstamm, an dem er sich festgehalten hatte, über ein Schneefeld ins Tal: „Die schönsten Exemplare wuchsen an einem steilen Abhange, und ich hätte die wenigsten erreichen können, wenn nicht ein starker abgestorbener Baumstamm in die Quere gelegen wäre, an ­welchen ich mich halten konnte; allein beim Ausgraben der Pflanzen glitschte ich auf dem Schneelager aus, der Baumstamm wankte, und ich fuhr zugleich mit ihm in die Tiefe hinab, glücklich genug, daß ich das ganz ohne Schaden davon kam.“499 Ein weiteres Mal, durch das Pflanzensammeln zurückgeblieben von der begleitenden Gruppe, fällt er von einer kleinen Felsenklippe: „Bei solcher Eile that ich einen sehr bösen Fall von einer doch nur niedrigen Felsenklippe. Meine blechene Büchse, die ich 497 „Bericht über meine diesjährige botanische Reise“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 173 ff. 498 „Bericht über meine diesjährige botanische Reise“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 175 f. 499 „Bericht über meine diesjährige botanische Reise“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 176.

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um die Schultern trug, stemmete sich mir während des Falles entgegen, wodurch sie ganz zusammen gedrückt wurde, ich bekam einen Stoß in die linke Seite, wodurch ich 3 Wochen lang einen heftigen innerlichen Schmerz empfand (…).“500 Bei einer dreizehnstündigen Klettertour gemeinsam mit Herrn Braune erleiden die beiden auch starken Durst, da sie an keinen Sennhütten oder Brunnen vorbeikommen: „In dieser Noth blieb uns nichts übrig, als uns am Rande des Schnees auf den Bauch zu legen, und das wenige Wasser was sich von dem schmelzemdem Schnee etwa gesammelt hatte, aufzulecken.“501 Selbst Mystisches, Ahnungsvolles und Unerklärliches begegnet ihnen, wobei von Braune, der offensichtlich meist sein Begleiter ist, als Zeuge dieser unerklärlichen Vorkommnisse aufgerufen wird. So taucht etwa eine bestimmte Pflanze gerade in dem Moment auf, in dem er nach ihr fragt. Als er eine Sennerin sieht und fragt, ob sie ­Liesel heiße, heißt sie tatsächlich so. Er hat Ahnungen, wo Braune seinen Bergstock verloren hat, und ­Ähnliches.502 Die Alpenwelt wird so gezeichnet als gefahrvolle und auch geheimnisvolle Welt. Der Botaniker und Botanist trotzt ihr ihre Geheimnisse ab, riskiert für das botanische Wissen sein Leben und hat auch zur einheimischen Bevölkerung nur bedingt Zugang.

3.2.2 Botanisierende Helden in der „Fremde“ und die „Wilden“ der europäischen Gebirge Die botanischen Alpenreisen zu Beginn des 19. Jahrhunderts weisen nicht nur den Charakter des Abenteuerlichen und Heldenhaften auf, sondern erscheinen als Begegnung mit der Fremde und ähneln nicht wenig den Entdeckerberichten über die Begegnung mit „unzivilisierten“ Völkern. Die Alpenbevölkerung erscheint als in ihrer Kultur hermetisch abgeschlossen lebende Bevölkerung, ähnlich den „wilden“ Kulturen Amerikas. Im Bericht eines Herrn Flörke „Ein Paar salzburgische Alpen-­Excursionen“503 von 1801 wird dies beispielsweise deutlich. Flörke beschreibt in seinem fast 40 Seiten umfassenden Bericht zunächst seinen Aufbruch: „Nach ­diesem vorläufigen Ueberblick der Gegend machte ich mich am 26. Junius frühe auf den Weg, um dem für mich so reitzenden 500 501 502 503

„Bericht über meine diesjährige botanische Reise“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 177. „Bericht über meine diesjährige botanische Reise“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 178 f. „Bericht über meine diesjährige botanische Reise“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 180 ff. „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen. Von dem Herrn Flörke“, in: Journal für die Botanik. Heraus­ gegeben vom Medicinalrath Schrader, Band 4, 1. Stück. Mit sieben Kupfertafeln, Göttingen (1801), S. 137 – 170. (Die Bandzählungen sind in den Originalen nicht kohärent, die hier angegebene Zählung bezieht sich auf das Original der UB Basel. Digitalisate sind bruchstückhaft und weisen teilweise andere Bandzählungen auf.

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Berge zu zueilen. Meine Ausrüstung bestand ausser meinem gewöhnlichen Excursions-­ Apparate an Hammer, Meisel, Mappe, ein Paar hundert Papierkapseln, um Kryptogamisten einzupacken, einigen Tüchern und Bändern u. s. w. auch aus etwas Proviant, weil ich die Wohlfahrt meines Magens nicht vom Zufalle abhängig machen wollte, ob ich eine Alpenhütte finden würde oder nicht, nach deren Lage ich mich ohnehin nicht einmahl erkundigen konnte, da mein niedersächsicher Dialect dem Gebirgsvölkchen ganz unverständlich war, und ich damahls im Gegentheile auch noch fast keine Sylbe von der Zillerthalischen Sprache verstand.“504 Er referiert auch Alltagsgeschichtliches und Volkskundliches: „Meine gutwillige Wirthin gab mir ein halb Dutzend hier so genannter Ochsenzungen, welches äusserst zähe, in etwas Schmalz gebratene Mehlkuchen sind, eine kleine Flasche herben Wein, und ein Stück Brot mit auf den Weg, das aus dem gröbsten Gersten- und Rockenmehle zusammen gerührt und auf irgend einem heissen Stein geröstet war. Letzteres verwundete meinen ungewohnten Gaumen bei jedem Bissen, denn es waren 1 – 2 Linien lange Gersten-­ Grannen, ja ganze Gerstenkörner darin. – Etwas geniessbareres konnte das ehrliche Weib nicht aufbringen, und ich würde hier wahrscheinlich wirklichen Hunger gelitten haben, wenn sie in der Folge nicht einen alten Ziegenbock abgestochen und etwas geräuchertes Schweinefleisch zum Vorschein gebracht hätte, um mich statt der ewigen Knödel, Nudel, Nockeln, und wie die unverdaulichen Mehlbreie des hiesigen Volkes alle heissen mögen, mit etwas animalischer Nahrung zu versehn.“505 Die Umstände der botanischen Reise ähneln also der Entdeckung neuen Landes und bleiben ähnlich abenteuerlich: „Als ich ungefähr ¼ Stunde gegangen war, kam ich an eine fast anderthalb Stunden lange Felsspalte, die an einigen Stellen 100 Fuss tief, und abwechselnd von 10 – 20 – 60 Fuss breit ist (…). Hier führte mich ein mit Gelender versehener Fussteig durch verschiedene Krümmungen bis zu einem Stege hinab, der über dieser Spalte lag. Hoch über denselben schlugen Ahorn-, Birken und Kiefernbäume ihre Wipfel zusammen und machten die Gegend dunkeler und schauerlicher. Ich liess einen Stein von dem Stege ins Wasser fallen, um die Höhe desselben zu messen. Er gebrauchte gerade 2 Secunden Zeit, ehe er dasselbe erreichte. (…) In dieser Gegend gab es sehr viel zu botanisieren. Angelica verticillaris, Vernoica urticaefolia … (Es folgt eine längere Aufzählung von Pflanzennamen, A. d. V.).“506 Er läuft dann weiter an einem kleinen Bach entlang, gerät in den Nebel, sucht im Wald Schutz vor dem starken Regen und berichtet immer wieder, ­welche Alpenblumen er wo vorgefunden hat. Dabei werden 504 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 139. 505 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 139 f. 506 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück 1801, Göttingen (1801), S. 140 ff.

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unspektakulärere Funde ebenso aufgezählt wie spektakuläre: „Eine wahre Freude hatte ich, als ich auf den Rücken dieser Seitenanhöhe am Grimberge gelangte. Es war eine etwas geneigte Fläche mit der schönen Alpenrose und mit einzeln umher liegenden Thonschiefer- und Quarzblöcken bedeckt, an denen schon die Umbilicaria crinita und flocculosa erschienen (…). Hier machte ich Halt und hielt ein kleines Mahl, während welcher Zeit vom nahen Grimberge das Donnern eines herabstürzenden Felsenblockes, den das Regenwasser nach und nach abgelöset haben musste, erscholl. Es dauerte fast 20 Secunden, ehe das Getöse und Gerassel der nach und nach durch das grössere Stück in Bewegung gesetzten und immer tiefer herunter laufenden Steine aufhörte.“507 Die spektakulären Funde erfordern offensichtlich Risikofreude, Wagnis und Mut des hier botanisierenden Helden. Weiterwandernd bewundert er die Landschaft und entdeckt dann ein paar Alpenhütten, die jedoch verlassen sind: „Die benachbarten Berge waren alle höher als mein Standort. Die Gegenstände waren mir aber dafür so nahe, dass ich sie deutlicher unterscheiden konnte. Aecker, Wiesen, Waldungen, Wolken, die an den Bergen lagen, Alpen, kahle Felsen, Schnee und Gletscher, das alles überschauete ich mit einem Blicke und staunte über das Grosse, Schöne und Mannichfaltige, was mir diese Aussicht gewährte. Dabei war die Erleuchtung und das Farbenspiel, der abwechselnden Wolkenzüge wegen, ungemein gross, und so in einander übergehend, dass keine Kunst sie so verschmelzen und verwischen kann.“508 Immerhin findet er menschliche Hinterlassenschaften in dieser Wildnis: „Die beiden Hütten waren nur Heuställe, deren es viele auf den Alpen gibt, um das Heu bis zum Winter aufzubewahren, wo man es, wenn Schneebahn ist, bequemer herunter schaffen kann. Ich fand sie leer; wenn man aber in einer wilden Gegend schon lange einsam herumgestiegen ist, freut man sich schon, nur Spuren von Menschen zu finden. Es war eine Stelle da, wo man ehedem einst Feuer angemacht hatte, auch ein Bretchen, auf dem man sitzen konnte. Mit einer Art häuslicher Behaglichkeit legte ich meine Sachen ab und ruhete ein wenig aus. Lange durfte ich mich aber nicht aufhalten. Ich war von Rhododendron ferrugineum, Pinus Pumilio und hohen Kräutern die noch immer voll Wasser hingen, bis an die Hälfte des Leibes nass geworden, und meine Stiefel hatte ich ganz voll Wasser. Ein herber Wind, der von den, auf der nord- und nordöstlichen Seite des Grimberges liegenden Schneefeldern kam, strich durch die locker zusammengefügte hölzerne Hütte, und kühlte mich zu rasch ab, weshalb ich weiter stieg, um in Bewegung zu bleiben.“509 507 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 146 f. 508 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 148. 509 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 1149 f.

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Insbesondere der schnelle Wetterwechsel in den Bergen bleibt dem aus dem Flachland stammenden Botanisten eindrücklich: „Sehr überraschend war mir darauf die Schnelligkeit, womit sich zuweilen die Durchsichten nach den benachbarten Bergen öffneten. Ein Paar Secunden sahe ich das schöne Grün der Alpen durch ein vorübereilendes Wolkenfenster. Die nächste Secunde war schon der Schleier wieder da, und neue Nebelmassen, die wirbelnd von dem stärkeren Luftzuge gejagt wurden, waren alles was ich sahe. Wenn ich nach unten blickte hatte ich die Empfindung als wenn ich auf einer unermesslich hohen Säule stände, die zuweilen der Traum erschafft. Alles um mich war verschwunden und der Nebel machte gleichsam den unbestimmten Abgrund aus, über dem die Steine, die mir zum Standpuncte dienten, schwebten oder emporgehoben waren. Hier wandelte mich eine Spur von Schwindel an, von dem ich sonst bei hellem Wetter, auch auf den jähsten Höhen nichts empfinde.“510 Sodann steigt er wieder ab zu seinem Quartier, beschreibt, ­welche Pflanzenarten er findet, verjagt ein paar aufdringliche Kühe etc. Besonders die Nahrungsgewohnheiten der Bergbewohner werden Teil des Abenteuers, als er am nächsten Tag erneut aufbricht: „Dieses Mahl gab meine Wirthinn mir ein paar Krapfen (…) mit, wie sie eine andere Art Mehlkuchen nennen, die mit etwas Käsebutter gefüllt und dann in der Pfanne gebraten werden. Das arme Volk bemühet sich, seinen Speisen anlockende Nahmen zu geben, um es darüber zu vergessen, dass es einen Tag wie den andern einen halbrohen, zähen Mehlteig käuet. So haben sie doch auch ein Gericht das sie Mandeln nennen, und das sind stinkende Käsebrocken, die mit Mehl, etwas Semmel und Schmalz vermengt und am Feuer weiter zugerichtet werden.511 Klingt hier ein Überlegenheitsgefühl des „Zivilisierten“ an, der die Bergbevölkerung offensichtlich quasi mit einer Art „Eingeborenenvolk“ gleichsetzt, so wird dies noch dadurch verstärkt, dass anscheinend die Geldwirtschaft hier kaum Einzug gehalten hat und die Verhaltensweisen als quasi kindliche beschrieben werden: „Ich war des Tages zuvor auf einer Excusion nach Gross-­Thornau hingerathen und hatte bei den guten Leuten Milch gegessen, wofür sie hernach keine Bezahlung nehmen wollten, wie überhaupt keine Bauersfrau für dergleichen Bewirthungen von mir hat etwas nehmen wollen. Die Alten setzten sich um mich und fragten nach manchen Dingen, die ich aber nur halb verstand; daneben passten sie sich meinen Hut, der ihnen des hohen Kopftheiles wegen auffallend war, da sie hier sehr flache Hüte haben, nach der Reihe auf und fragten sich lächelnd: wie schau ich aus? (…) Die runden Töchter walzten unterdessen nach dem Tacte einer edeln Maultrommel, die einer ihrer Brüder spielte, vor Muthwillen so lange und so rasch in dem Zimmer herum, dass ihnen (…) die Hosen, welches Strümpfe ohne Füssling sind, herunter glitten 510 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 153 f. 511 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 156 f.

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(…).“512 Selbst die Elemente „Tanz“ und „fehlende Scham“ als Elemente der Beschreibung von eingeborenen Völkern werden also zitiert. Der Botanist steht hier offensichtlich im „Eingeborenenkontakt“. Die „Fremden“ werden dabei beschrieben als freundlich, kindlich-­ unschuldig, aber unzivilisiert. Der Bericht fährt ähnlich fort: Die Bergleute nötigen ihn Milch zu essen, kennen aber die Namen der umliegenden Berge nicht, usw. Während also die Expeditionen nach Übersee quasi in die Horizontale aufbrechend eine neue Welt erkunden, brechen die ins Gebirge sich aufmachenden Forscher in die Vertikale auf. Beide finden – aus ihrer Perspektive – das Gleiche: als kulturlos, unschuldig und kindlich-­naiv beschriebene „Wilde“.

3.2.3 Die Verschränkung von Literatur, Wissen und Wissenschaft in den botanischen Reiseberichten Der obige Bericht sagt natürlich wenig aus über die tatsächliche Kultur der alpinen Bevölkerung zu Anfang des Jahrhunderts. Ein Linguist könnte vielleicht aus den Sprachbeschreibungen Schlüsse über historische Sprachformen ziehen, ein Ethnologe vielleicht hier und da etwas über Ernährungsgewohnheiten herausdestillieren. Erhellend ist vielleicht aber dieser Versuch, ein Selbstbild eines Botanisten zu erstellen, der sich hier als kulturell und zivilisatorisch Überlegener zeichnet, wie dies im Sinne der Kette der Wesen ja durchaus ein mögliches Bild der Zeit war: Der aufgeklärte Geist eines „Wissenschaftlers“ steht in dieser Vorstellung der Kette der Wesen weit über dem des „Eingeborenen“, der zwar hier im Bericht ein freundliches Wesen besitzt, aber nicht die Namen der ihn umgebenden Bergspitzen kennt. Hier dürften die zeitgenösssischen Topoi des unwissenden, aber auch „reinen“ Eingeborenen und Wilden stärker am Werk sein als die tatsächliche Beschreibung der Bergkultur. Ob in ­diesem Gebiet in dieser Zeit Namen für die Bergriesen existieren oder nicht, bleibt allerdings wirklich fraglich. Tatsächlich geht die Bergforschung davon aus, dass die europäischen Bergnamen, Oronyme, oft erst aus jüngerer Zeit, der Zeit der alpinistischen Erschließung im 19. und 20. Jahrhundert stammen.513 Worüber diese Berichte aber durchaus handfestere Auskunft geben, ist die Struktur und Logik der damaligen Wissenszeitschriften, die sich mühelos z­ wischen Biologie, Literatur oder auch Philosophie und Religiosität bewegen. Die Hybridität der Texte in den frühen „wissenschaftlichen“ Zeitschriften zeigt die Vorliebe für die (aus unserer Sicht) Vermischung der Textsorten. In botanischen Reiseberichten verbinden sich Fiktion und 512 „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück, Göttingen (1801), S. 157 f. 513 Siehe u. a.: Scharfe, Berg-­Sucht, 2007, S. 106 ff. Im internationalen Vergleich siehe: Mathieu, Jon: Die dritte Dimension. Eine vergleichende Geschichte der Berge in der Neuzeit, Basel 2011, S. 182 f.

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Wissen, Wissenschaft, Beobachtung und Unterhaltung. Hier materialisiert sich die Janusköpfigkeit aufklärerischen Wissensdrangs ­zwischen Wissenschaft und Literatur im Text. Ad personam verkörpert sich diese Vorliebe der Epoche für die Verbindung von Literatur und Wissenschaft in Johann Wolfgang von Goethe quasi prototypisch. Erneut ist dabei nicht von einer „Wissenspopularisierung“ zu sprechen, die dem Publi­ kum im unterhaltsamen Medium des Reiseberichtes Wissen darbietet. Im Gegenteil: Die Lust am Fabulieren, die „Schreibwut“ (wie auch die wohl schwerer dingfest zu machende „Lesewut“) gehören genuin zum wissenschaftlichen und wissensgeschichtlichen Grundverständnis der Zeit. Sie gehören zum Selbstverständnis der Botanisten, deren Identität sich in Korrespondenzen, Zeitschriften und den kommunikativen Formen der Sozietäten und Vereine zusammenfügte. Wissen ist dabei einerseits „Kenntnis“, aber für den Aufklärer eben nicht nur „Kenntnis“ im heutigen Sinne, sondern immer auch das Teilen der Kenntnis mittels Sprache und Literatur, der aufklärerische Dienst am Wissensfortschritt der Menschheit. Denn dieser Wissensfortschritt ist Teil einer nach Höherem strebenden Humanitas. Verbunden ist „Kenntnis“ aus aufklärerischer Sicht dabei mit der ebenso zentralen „Empfindung“, heute würde man sagen, der „emotionalen Erfahrung“ (siehe Teil II, 2.1). So rechtfertigt auch Hoppe in einer „Beschreibung einer botanischen Reise nach dem Brocken“, die er 1784 mit den „botanischen Freunden“ Heintze und Wagenfeld gemacht hatte, diese Darstellungsweisen: „Da diese Reise für uns, in Ansehung der vermehrten Kenntisse in der Pflanzenkunde sehr wichtig war, und auch in Absicht des Vergnügens einen solchen Eindruck auf uns machte, daß wir uns derselben zeitlebens mit der grössten Empfindung der Freude erinnern werden; so habe ich geglaubt, manchem meiner Leser einen Dienst zu leisten, wenn ich ihm Bruchstücke von dieser Reise mittheilte.“514 Dabei gibt Hoppe Angaben zu seinen Begleitern und zur Geschichte der bereisten Landschaft, liefert detaillierte Wegbeschreibungen, beschreibt die Einkehr in den Gasthöfen, ­welche Pflanzen gesammelt wurden, das Wetter, sonstige Merkwürdigkeiten und seine „Empfindungen“, die Begeisterung für die Natur. Die in unserem Sinne wenig „objektive“ Darstellung ist hier intendiert und trägt zur Freude an den Wissenswelten bei. Der Unterhaltungscharakter wird keineswegs geleugnet, sondern ist Teil der Aufgabe und wird vom Publikum dankbar aufgenommen, wie ein Leser in der Sparte „Korrespondenz“ schreibt: „Mit Vergnügen lese ich immer wieder in Ihrer beliebten Zeitschrift die interessanten Reiseberichte, die die Botaniker in verschiedenen Gegenden Deutschlands unternommen haben.“515

514 „Beschreibung einer botanischen Reise nach dem Brocken“, in: Botanisches Taschenbuch (1792), S. 101 – 133. 515 Der Apotheker Morovich unter „Korrespondenz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 17, Band 1, 1834, Ausgabe vom Nr. 5 vom 7. Februar 1834, S. 77 f.

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Andere Publikationen sind dezidiert in d ­ iesem Zwischenbreich angesiedelt, wie etwa ein Oestereichischer Blumenkranz des Leopold von Trattinick, zu dem es in der Flora heißt: „Mit ­diesem poetischen Taschenbuche, das sich sowohl durch seine Form, als durch seinen Inhalt, zu einem freundlichen Begleiter auf ländlichen Spaziergängen empfehlen dürfte, schmeichelt sich der Herausgeber, nicht allein den Verehrern der Musen, sondern überhaupt allen Gebildeten, den Freunden der schönen Natur, insbesondere aber denen, die sich mit der sittlichen und ästhetischen Bildung der Jugend befassen, eine Freude zu machen.“516 Botanik und Poetik, Wissenschaft und Ästhetik sind hier nicht trennbar.

3.2.4 Botanische Auftragsreisen, die Gründung eines botanischen Reisevereins 1825 und die zunehmende Kommerzialisierung Dass „botanisch Reisende“ nicht selten den „botanischen Freunden“ getrocknete Pflanzen­ exemplare und andere Naturalien mitbrachten oder auch gegen ein Entgelt abgaben, liegt auf der Hand und ist in den Aussagen der botanischen Magzine nachvollziehbar. So bietet etwa ein Graf Jenison in der Flora an, von seiner vorwiegend entomologisch ausgerichteten Reise nach Südfrankreich und in die Pyrenäen preiswert „zoologische Naturalien“ mitzubringen. Sein Begleiter, ein Botaniker und Philosophiestudent aus Heidelberg, steuert getrocknete Pflanzenexemplare oder Samen bei, wie es in den „Anzeigen“ heißt.517 Weniger begüterte Botanisten konnten offensichtlich so „Subskribenten“ anwerben. Diesen versprachen sie, Pflanzenexemplare zu besonders günstigen Konditionen mitzubringen, wenn diese bereits vor der Reise bezahlt würden. So warben sie Gelder für die geplanten Exkursionen ein. Ein qualitativer Sprung hinsichtlich dieser eher zufälligen und gelegentliche Kauf- und Tauschhändel von Botanikfreund zu Botanikfreund setzte jedoch 1825 mit der Entwicklung von Auftragsreisen und der Gründung eines „botanischen Reisevereins“ im Sinne einer Art „Actiengesellschaft“ ein. In der zweiten Beilage der Flora von 1825 findet sich eine „Anzeige für Pflanzenliebhaber von Dr. Steudel und Prof. Hochstetter“, in der es heißt: „Ein junger sehr eifriger, mit hinlänglichen Kenntnissen ausgerüsteter und in der Kunst des Pflanzentrocknens vorzüglich erfahrner Botaniker, ist bereit, in dem bevorstehenden Sommer eine botanische Reise in die Alpen von Tyrol, Salzburg, Oestreich oder der Schweiz (…) zu unternehmen und zum Vortheil derjenigen daselbst zu sammeln, w ­ elche das Unternehmen zu unterstützen geneigt sind. Für die geringe Summe von 1 Louisd’or (11 fl. rheinisch) würde man zum allerwenigsten 200 Arten gut getrockneter Alpenpflanzen in vollständigen, gutgewählten, und bei kleinern Arten, oder wo es 516 „Oesterreichischer Blumenkranz“, in: Flora, Jahrgang 3, Band 1, Ausgabe Nr. 9 vom 7. März 1820, S. 143. 517 „Anzeige“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 8, Band 1, Nr. 6 vom 14. Februar 1825, S. 93 f.

Der „botanische Wanderstab“  |

die Vollständigkeit erfordert, mehrfachen Exemplaren im Laufe des nächsten Spätjahrs erhalten. Höchst wahrscheinlich aber würde der Antheil für jeden Einzelnen das Doppelte betragen; denn die ganze Ausbeute würde als Eigenthum der Beitragenden betrachtet und unter diese verteilt werden.“518 Die Teilnehmer konnten dabei sogar Wünsche bezüglich der zu bereisenden Region oder der zu sammelnden Pflanzenfamilien angeben. Sobald sich 40 Teilhaber für das Unternehmen finden würden, sollte diese Auftragsreise zustande kommen. Dieses von Ernst Gottlieb von Steudel (1783 – 1856)519, einem Tierarzt aus Esslingen, sowie dem Esslinger Stadtpfarrer und Professor Christian Friedrich Hochstetter 520 1825 gegründete botanische Unternehmen entwickelte sich in der Folge zum sogenannten „Naturhistorischen Reiseverein“. Zunächst beschränkten sich diese Auftragsreisen auf weniger bekannte Gebiete Europas, weiteten sich aber in der Folge auch auf außereuropäische Ziele aus. Kommerzialisierung der botanischen Reisen Bereits 1826 wurde ­dieses vom Erfolg gekrönte Unternehmen ausgeweitet. Hier heißt es in den Korrespondenzen: „Der glückliche Erfolg des Herrn Fleischers in das südliche Tyrol, ­welche eine Ausbeute von mehr als 400 seltenen Phanerogamen (Blütenpflanzen, A. d. V.) und etwa 150 Cryptogamen (blütenlose Pflanzen, A. d. V.). das Mehrfache davon in Allem etwa 15.000 Exemplare, und die Auffindung mehrerer für die Flora von Deutschland neuen Arten geliefert hat, bestimmte die ersten Veranlasser der Reise, die Herren Dr. Steudel und Prof. Hochstetter in Esslingen, ihrem vorjährigen Versprechen gemäss, nicht nur für den nächsten Sommer zu einer zweiten Reise eine Aktiengesellschaft von Botanikern einzuladen, sondern auch den Versuch zu machen, ob sich nicht ein stehender Verein zur Ausführung jährlicher Reisen (…) durch Zusammenwirkung und Vereinigung möglichst vieler Freunde der Botanik und der übrigen naturhistorischen Wissenschaften gründen lassen werde.“521 Steudel und Hochstetter gründeten so ein Reiseinstitut für das Sammeln von Naturalien, wobei sie zunächst den Schwerpunkt auf die Botanik legten, aber auch andere natur­geschichtliche Sammelstücke nicht ausschlossen. Zunächst wurde das Unternehmen für die ersten Jahre geplant: „Die Einladung geht vorerst nur zu einer Theilnahme von 518 Zweite Beilage zu: Flora oder Botanische Zeitung (1825), angehängt an den ersten Band, S. 94. 519 Siehe: Wunschmann, Ernst: Steudel, Ernst Gottlieb von“, in: ADB 36, Leipzig 1893, S. 151 – 152. 520 Es handelt sich um den bereits mehrfach erwähnten Christian F. Hochstetter (1787 – 1860), der Stadtpfarrer in Esslingen und Botanikprofessor war, den Verfasser der „Populären Botanik“. Leider gibt es zu Hochstetter keinen Eintrag in der ADB . Sonstige Informationen sind widersprüchlich und wenig verlässlich. 521 „Abermalige Förderung der Botanik von Würtemberg aus“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 1, Ausgabe Nr. 6 vom 14. Februar 1826, S. 87.

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fünf Jahren, mit einem jährlichen Beitrage von 15 fl. Die Aktionärs würden mit jedem Jahre den verhältnismässigen Quotienten der Ausbeute erhalten. Der Anteil des auf der letzten Reise durch Herrn Fleischer in Tyrol 1825 Gesammelten betrug für jeden mehr als 200 Arten sehr schön getrockneter Pflanzen.“522 Man verschickt daher nun Einladungsschreiben an den Kreis der Pflanzenfreunde und zweifelt nicht am Gelingen. Die Resultate des Unternehmens im Jahre 1826 werden zu Anfang des Jahres 1827 bekannt gemacht, indem Hochstetter berichtet: „Gewiss sehen die Leser der Flora bereits in gespannter Erwartung einem Bericht über die merkwürdigeren Pflanzen entgegen, ­welche durch die Bemühungen und den Eifer der von dem naturhistorischen Reiseverein im Jahr 1826 ausgesandten beiden Reisenden, der Herren Fleischer und Müller erbeutet wurden. (…) Die in diesen interessanten Gegenden gemachte Ausbeute beträgt mehr als 20.000 Exemplare getrockneter Pflanzen, viele lebende Gewächse und Sämereyen, eine Auswahl an Insekten und Conchylien (…). Mehr als 600 Arten Phanerogamen und über 100 Arten Cryptogamen, grösstentheils Moose, waren das Resultat dieser Sammlung. Auf jede Actie zu 15 fl. kamen hievon mehr als 200 Arten als Antheil, wozu nun noch diejenigen Pflanzen gerechnet werden müssen, ­welche die Herren Theilnehmer aus der Levante zu erwarten haben.“523 Sodann wird ausführlich berichtet über besondere Arten, die hierbei gefunden wurden. Der Bericht wird in der Folgeausgabe der Flora auch noch fortgeführt. Im Dezember selbigen Jahres schreiben die Initiatoren erneut in der Flora: „Den verehrten Mitgliedern des botanischen Reisevereins geben wir hiermit die erfreuliche Nachricht, dass der Reisende Herr Fleischer am 1. October, mit allen im Laufe ­dieses Jahres bei Smyrna für den Verein gesammelten Schätzen der Flora des Orients, glücklich in Triest angekommen ist. Nachdem er dort 21 Tage im Contumaz-­Hause hatte zubringen müssen, ist er nach einem sehr beschwerlichen und gefahrvollen Ueber­ gange über die Alpenkette am 20. diesen Monats glücklich in München angelangt, und wird in d ­ iesem Augenblicke von uns in Esslingen erwartet. Die Kisten w ­ elche seine Sammlungen enthalten, sind auch bereits hierher unterwegs, so dass im nächsten Monate die Austheilung dieser seltenen Schätze beginnen kann. Den brieflichen Mitheilungen Hrn. Fleischers zufolge hat er wenigstens 25 000 Exemplare getrockneter Pflanzen nebst vielen Sämereien, und einer Partie Zwiebeln und Knollen, auch einige zoologische Gegenstände mitgebracht. Gewiss werden sämmtliche Theilnehmer dem Fleiss und der Ausdauer der Reisenden, welcher in dem heissen Klima des Orients unter mancherlei Gefahren eine so bedeutende Sammlung zusammenbrachte, 522 „Abermalige Förderung der Botanik von Würtemberg aus“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 1, Ausgabe Nr. 6 vom 14. Februar 1826, S. 88. 523 „Ueber die Leistungen des botanischen Reisevereins im Jahr 1826; von Hrn Prof. Hochstetter“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 10, Band 1, Ausgabe Nr. 5 vom 7. Februar 1827, S. 65 f.

Der „botanische Wanderstab“  |

ihr Lob und ihre Bewunderung nicht versagen, und wir hoffen, dass auch der innere, wissenschaftliche Werth dieser Sammlungen, worüber wir jetzt freilich noch keinen Bericht erstatten können, die Erwartungen der Herren Abonnenten auf das vollkommenste befriedigen werde. Aber ­welche Gefahr bedrohte unsern Reisenden noch fast am Ziele seiner Reise!“524 Steudel und Hochstetter beschreiben dann ausführlich die gefährliche Alpenüberquerung der Reisenden, wie sie beinahe Opfer einer Lawine wurden, überrascht von früh im Jahr einsetzenden Schneefällen etc. Herr Müller wurde in Sardinien von räuberischen Gebirgsbewohnern überfallen, musste eine in dortigen Gefilden häufig vorkommende Darmentzündung überstehen usw. Der Bericht schließt mit weiteren Plänen für diese Art Auftragsreisen, die im nächsten Jahr vermutlich nach Norwegen führen sollen. Weitere Vereinsgründungen, Entwicklungen Einerseits bieten immer wieder einzelne „botanische Reisende“ in den Magazinen an, von ihren Reisen Sammelobjekte mitzubringen. Andererseits macht das Modell des würtem­bergischen botanischen Reisevereins Schule und findet Nachahmer. So wird etwa in Aschersleben 1832 ein ebensolcher Verein gegründet. Hier wird berichtet, dass sich Freunde des dortigen botanischen Gartens zusammengetan hätten, um einen derartigen botanischen Verein zu gründen. „Um gegen Erlegung eines jährlichen Beitrages Pflanzen zum Einlegen zu erhalten“.525 Das heißt die Mitglieder zahlen auch hier Geld ein, mit welchem sodann eine entsprechende Auftragsreise finanziert wird. Gründungsmitglieder sind zwei nicht weiter spezifizierte Herren, zwei Doktoren, drei Apotheker, zwei Lehrer, ein Sekretär, ein Ratsherr und ein Prediger. Auch der württembergische – nun nicht mehr nur „botanisch“, sondern „naturhistorisch“ arbeitende und also verschiedene Naturalien sammelnde – Reiseverein wirkt weiter. Immer wieder finden sich Nachrichten ­dieses Reise-­Vereines von Hochstetter und Steudel in den Zeitschriften. So wird beispielsweise in den nun für derartige Nachrichten angehängten „Intelligenzblättern“ der Allgemeinen Botanischen Zeitung 1832526 über die Unternehmungen berichtet. In d ­ iesem Jahr taucht allerdings das Problem auf, 524 „An die Mitglieder des botanischen Reisevereins“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 10, Band 2, Ausgabe Nr. 48 vom 28. Dezember 1827, S. 763 ff. 525 „Ueber das naturwissenschaftliche Streben in Aschersleben (…) von Hrn. Apotheker Hornung“, in Flora oder allgemeine Botanische Zeitung, 15. Jahrgang, Erster Band, Ausgabe Nr. 18 vom 14. Mai 1832, S. 287 f. 526 „Nachricht an die verehrlichen Mitglieder des naturhistorischen Reise-­Vereins“, in: Flora oder Allgemeine Botanische Zeitung, Jahrgang 15, Band 1 (1832), Intelligenzblatt 2, S. 19 f. Achtung: Ab den 1830er Jahren gibt es zunehmend aus der nun in allgemeine Botanische Zeitung umbenannten Flora beigelegte Extrablätter: „Beiblätter“, „Literaturberichte“ und „Intelligenzblätter“. Nicht alle Digitalisate und Biblio­ theksbestände sind vollständig. Die hier zu Grunde gelegten Originale finden sich in der Universitätsbibliothek zu Basel.

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dass die Kosten der im Jahr 1831 gemachten Auftragsreisen aufgrund des Todes eines der Mitarbeiter höher ausfallen als gedacht. Hier heißt es: „Da die Vertheilung der im vorigen Jahre in den West- und Hochpyrenäen und im Dept. des Landes durch den Verein veranstalteten Pflanzen-­Sammlungen nun so weit fortgeschritten ist, dass die Versendung der Paquete in 3 Wochen beginnen kann, die sehr bedeutenden Kosten dieser Reise aber noch nicht gedeckt sind, so sehen wir uns veranlasst, unsern verehrten Mitgliedern zuvor folgende nähere Nachricht zu geben, und einen Vorschlag zu machen, durch dessen Genehmigung uns die vollständige Deckung der Kosten sehr erleichtert werden würde.“527 Die Ausbeute dieser Reise war nämlich zwar groß gewesen, leider war aber einer der Mitarbeiter auf der Reise an einem Nervenfieber gestorben: „Dieses betrübende Ereigniss, das allen Mitgliedern des Vereins nahe gehen wird, hat nun durch die Kosten der Krankheit und Beerdigung, die den mittellosen Eltern des Verstorbenen nicht aufgebürdet werden konnten, die Gesammtausgabe für die ohnedies kostspielige Pyrenäen-­Reise noch bedeutend erhöht.“528 Daher wird nun der Vorschlag gemacht, dass die Aktionäre vom reichlich zusammengekommenen Material, von dem ursprünglich auch ein Anteil für den direkten Verkauf geplant war, jeweils 50 zusätzliche Arten erhalten, dafür aber eine Nachzahlung leisten. Hier wird auch deutlich, inweit ­dieses „Aktienunternehmen“ nun nicht mehr nur über die Anteile der „Aktiennehmer“ verfügte, sondern nun durch den Verkauf eines eigenen Anteiles Kapital für das Unternehmen selbst anhäufen konnten. Trotz aller Trauerbekundungen zu d ­ iesem Fall geht man dabei erstaunlich schnell zum Alltag über, denn im folgenden Abschnitt geht es bereits wieder um die nächsten geplanten Reisen: „Wir haben zwar die einfache Actie für die Reise nach Algier pro 1832 auf 30 fl. gestellt, bieten jedoch denjenigen, denen dieser Betrag zu hoch seyn dürfte, auch die halbe Actie à 15 fl. an, um allen bisherigen verehrlichen Mitgliedern des Vereins die Theilnahme möglich zu machen. Dass auch auf Insecten, Mollusken und andere zoologische Gegenstände Bestellungen angenommen werden und dafür ebenfalls Pränumeration (Vorauszahlung, A. d. V.) statfindet, haben wir schon in der frühen Anzeige über die Algierer Reise bemerkt, zur Befriedigung derjenigen Mitglieder, ­welche auf Caucasische Pflanzen pränumerirt haben, sind nun, nach sichern Briefen, mehrere interessante Sendungen unterwegs, deren Ankunft wir nächstens entgegensehen; und worüber wir zu seiner Zeit nähere Nachricht geben werden. Prof. Hochstetter. Dr. Steudel.“529

527 „Nachricht an die verehrlichen Mitglieder des naturhistorischen Reise-­Vereins“, in: Flora oder Allgmeine Botanische Zeitung, Jahrgang 15, Band 1 (1832), Intelligenzblatt 2, S. 19 f. 528 „Nachricht an die verehrlichen Mitglieder des naturhistorischen Reise-­Vereins“, in: Flora oder Allgmeine Botanische Zeitung, Jahrgang 15, Band 1 (1832), Intelligenzblatt 2, S. 20 f. 529 „Nachricht an die verehrlichen Mitglieder des naturhistorischen Reise-­Vereins“, in: Flora oder Allgmeine Botanische Zeitung, Jahrgang 15, Band 1 (1832), Intelligenzblatt 2, S. 23 f.

Botanisieren als Rückzug von der Welt?  |

Ausweitungen, Kommerzialisierung und die zunehmende Unübersichtlichkeit der beteiligten Personen und Kreise werden hier offensichtlich. Spätestens 1835 erhält der Reise­verein zudem „staatliche“ Unterstützung. Im zweiten „Intelligenzblatt“ von 1835 heißt es in einer „Einladung an die Freunde der Botanik“: „Der naturhistorische Reiseverein in Würtemberg, eine Actiengesellschaft zu Erlangung seltener Naturerzeugnisse, besonders des Gewächsreichs, hat mit Unterstützung Sr. Majestät des Königs von Würtem­berg und der Regierung eine wissenschaftliche Reise nach Arabien veranstaltet, und zwei Reisende dahin abgesandt (…).“530 Insofern verbinden sich nun derartige „private“ Unternehmungen auch mit von Herrscherhäusern gesponserten Forschungsreisen. Es folgt sodann ein Bericht über deren Aufenthalt in Cairo, wo der eine Abgesandte, wie nur knapp berichtet wird, bereits an der Pest starb, der zweite jedoch von März bis Ende des Sommers sammelte und 30.000 Exemplare getrockneter Pflanzen und viele Sämereien erbeutete. Diese Unternehmungen weiten sich also immer mehr aus, bilden eigene Institutionen aus und stellen schließlich weniger einen Zusammenschluss von Botanikern denn kommerziell arbeitende Unternehmen dar.

3.3 Botanisieren als Rückzug von der Welt? Sie, sie die Natur, und wenn auch hier alles verwelket, Wenn auch hier alles der Zeit brausender Wirbel verschlingt; Wenn er, wie Blätter ein Bach, das Leben der Völker dahinreisst, Leicht ihre Formen zerbricht, und über Leichen sich wälzt (…) Lächelnd sieht sie herab auf der Nationen Umwälzung, Und die Brandung der Welt thürmt nicht die Wogen zu ihr. Staaten mögen verblühn, die Rose der Alpen blüht ruhig.531

Das dem botanischen Nachschlagewerk des Schweizers Rudolf Suter 1802 vorangestellte eigene Gedicht illustriert nicht nur erneut das Ineinander von literarischer und wissen­ schaftlicher Form, sondern bringt auch ein Moment zum Ausdruck, das mit einem Rückzug in die Natur angesichts der politischen Wirren der Zeit umschrieben werden kann. Die 1798 in der Eidgenossenschaft ausgerufene helvetische Republik, die kriegerischen Auseinandersetzungen und ihre 1803 erfolgende Auflösung sind hier zweifelsohne mitzudenken. Die Beschäftigung mit der Natur als „Gegenwelt“ zur Tagespolitik, die 530 „Einladung an die Freunde der Botanik“, in: Intelligenzblatt Nr. II zu Flora oder Allgemeine Botanische Zeitung, Jahrgang 18, Band 2 (1835), angehängte Intelligenzblätter, S. 17 f. 531 Suter, Johann Rudolf, Helvetiens Flora (…), Zürich 1802, vorangestelltes Gedicht.

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Hinwendung zur Beständigkeit, zur Unwandelbarkeit der Natur (auch der Beständigkeit der Berge) ist hier Motivation der Beschäftigung mit der Natur. Allerdings wird dies in den Texten selten explizit angesprochen. Wenn man in dieser Weise das Botanisieren auch in gewisser Weise als Rückzugsbewegung in politisch bewegten Zeiten interpretieren kann, so ist es dennoch weniger verbunden mit dem ebenso um 1800 gesungenen Lob der „Einsamkeit“ oder der „Waldeinsamkeit“ romantischer Literatur und Malerei.532 Die Bewegung des Botanisierens ist – trotz des hin und wieder aufscheinenden Rückzuges aus politischen Diskussionen und Geschehnissen – kein Rückzug eines Individuums aus der Geselligkeit schlechthin. Gelegentlich mag man also einen Rückzug der Kreise der Bildungselite „ins Private“, in die Wissenschaft und die zu erforschende Natur finden, vielfach stehen aber tatsächlich gerade Naturforscher wie etwa der Zürcher Paul Usteri (1768 – 1831, Mitheraus­geber des Magazins für die Botanik),533 als Politiker oder der Naturforscher Georg Forster (1754 – 1794)534 als Mitbegründer der Mainzer Republik in engster Verbindung mit den revolutionären Bewegungen. Weniger als von einem Rückzug in die Naturwissenschaft ist hier für das endende 18. Jahrhundert eher von in ganz Europa zirkulierenden Ideen, Konzepten und aufklärerischen Vorstellungswelten zu reden, die ineinander greifen. Das Botanisieren ist in hohem Maß weniger ein Rückzug ins „Private“, denn eine Form sozialer Gruppenbildung, ein Kommunikationsmittel und ein Mittel der Herstellung von Beziehungen. Und allenfalls der gemeinsame Rückzug aus der Welt durch den Gang in die Natur ist hier konstitutiv. Dieser Charakter des Botanisierens als Gemeinschaftsprojekt einer Kommunität wird immer wieder beschworen: „Einem Pflanzenliebhaber ist es ohne Zweifel nicht allein sehr angenehm, sondern auch von großem Nutzen, wenn er von einer neuen Gegend, die er zu botanisiren hat, bereits eine sogenannte Flora vorfindet, oder auch nur einen Freund antrift, der in dieser Wissenschaft erfahren, und die Gegend botanisch durchwandert hat.“535

532 So erwähnt etwa auch der „Einsamkeitstheoretiker“ Johann Georg Zimmermann, dass die Dichter und Philosophen „die Einsamkeit suchten und liebten. Sie verließen die Gesellschaft der Menschen, aus der Liebe für die Stille ihrer Gärten und die Schatten ihrer Büsche.“ Siehe: Zimmermann, Johann Georg: Von der Einsamkeit, Frankfurt und Leipzig 1777, S. 44 f. 533 Zu Paul Usteri siehe: Hürlimann, Katja: Artikel „Usteri, Paul“, in: Historisches Lexikon der Schweiz, Band 12, Basel 2013, S. 702 f. Usteri (1768 – 1831) wirkte in Zürich als Botaniker und Arzt, ebenso aber übernahm er politische Ämter und arbeitete als Publizist und Verleger. 534 Zu den vielfachen Rollen bei Georg Forster in der Naturforschung und den revolutionären Bewegungen siehe: Goldstein, Jürgen: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt, Berlin 2015. 535 „Botanische Briefe an einen Freund in Niedersachsen geschrieben“ (vermutlich von Hoppe selbst), in: Botanisches Taschenbuch (1790), S. 51.

4 Tauschen, Handeln, Märkte: der Übergang zur Kommerzialisierung

Um 1800 steht noch vielfach der Tausch im Zentrum, weniger der Verkauf der Pflanzen­ exemplare, auch wenn Handel und Markt sich ab den 1830er Jahren ausweiten, was zugleich eine Entfernung von der aufklärerischen Botanophilie beinhaltet. Der Botanophilus wird nun mehr und mehr Teilnehmer einer Mode und „Amateur“, er rückt weiter an den Rand der sich mehr und mehr abschließenden botanischen scientific community. Tauschen Schon die Korrespondenznetze der Gelehrten liessen vielfache Aussagen zum Pflanzentausch zu.536 Arbeiten zu Albrecht von Hallers Korrespondenznetzen zeigen diese Tauschbeziehungen der Gelehrten beispielhaft auf.537 Der entstehende Pflanzenmarkt wiederum wurde jüngst von Sarah Easterby-­Smith in ihrem Werk bereits mehrfach erwähnten Werk Cultivating Commerce beschrieben.538 Zum nichtkommerziellen Tauschverhalten der breiteren Kreise und des „botanischen Publikums“ lässt sich jedoch noch wenig sagen. Das Phänomen des Tauschens von botanischen Fundstücken, in Bezug auf die getrockneten Pflanzenexemplare und die Naturalien, sind auch in den hier bearbeiteten Quellen bereits im Hinblick auf die Kommerzialisierung der botanischen Reisen angeklungen. Das Tauschen von Pflanzen als Teil der Zirkulationsprozesse und zentraler Teil des Aufbaus der sozialen Strukturen unter den Botanophilen soll hier noch um einige Aspekte erweitert werden. Zum einen werden dabei nicht nur „tote“ Pflanzen getauscht oder verkauft, sondern in hohem Maß auch Samen und lebende Pflanzen. (Dieser Aspekt weist bereits in das nächste Kapitel der sich ausweitenden Pflanzenzucht und Pflanzenpflege hinüber, siehe Teil III, Kap. 3). Zum anderen sind hier nicht alle Strukturen direkt auf eine Kommerzialisierung hin zu deuten, sondern erfüllen in den Anfängen den tatsächlichen Zweck 536 Dauser, Regina u. a. (Hrsg.): Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts, Berlin 2008. Zu den Netzwerken im botanischen Feld siehe auch: Widmer, Eric D. und Sigrist, René: „Training links and transmission of knowledge in 18th Century Botany. A Social Network Analysis“, in: REDES (Revista hispana para el análisis de redes sociales“, Vol. 21, Nr. 7, Dezember 2011; http://revistaredes.rediris.es (Stand 20. 9. 2017). 537 Siehe bspw.: Steinke, Hubert und Stuber, Martin: „Haller und die Gelehrtenrepublik“, in: Steinke, Hubert; Boschung, Urs und Proß, Wolfgang: Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche, Göttingen 2008, S. 381 – 414. 538 Zum Pflanzenmarkt in England und Frankreich siehe auch Easterby-­Smith, Cultivating Commerce, 2017.

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des Tauschprinzips und der Herstellung von Beziehung: Ich erhalte vom Tauschpartner eine Pflanze, die nicht in meinem Besitz ist, während der Tauschpartner eine erhält, die nicht in seinem Besitz ist. Der Tausch ist mithin zu Beginn ein Handel z­ wischen Gleichgesinnten, nicht ­zwischen Händler/Verkäufer und Käufer. Gabe und Gegengabe Belege für den Pflanzentausch und auch für großzügige Pflanzengaben, die auf Gegen­ seitigkeit hin ausgerichtet waren, sind vielfach in Magazinen oder auch Botanikhandbüchern, die nicht selten Verzeichnisse anführen, wer ­welche Pflanzen an die Autoren geschickt hat, zu finden. Auch der Marburger Geheimrat und Mediziner E. G. Baldinger beispielsweise beschreibt in seiner Litterar=Geschichte der theoretischen und praktischen Botanik 539 solche ­­ Tauschprozesse: „Meine erste Sorge war, den Botanischen Garten mit der möglichen Anzahl ausländischer Pflanzen, Bäume, Sträuche und Pflanzen zu vermehren. Ich bat in einem Stück unsrer Jenaischen gelehrten Zeitung alle Freunde des Pflanzen=Studiums, besonders die Besitzer ansehnlicher Pflanzungen, und alle Vorsteher botanischer Gärten, mich mit Bäumen, Pflanzen und deren Samen zu versorgen. Mein Wunsch wurde über alle Erwartung erfüllt. Die Durchlauchtigste Fürstin und Frau, Anna Amalia (…) war die erste Wohltäterin, ­welche auf Ihren Befehl aus den Gärten aus Weimar alle vorräthigen Bäume, Stauden, und Gewächse nach Jena schickte.“540 Er berichtet auch, dass er aus Straßburg, aus Tübingen und zahlreichen anderen Städten Pflanzen erhalten habe. Fürsten, Landgrafen, Forstmeister, Jäger, Leibärzte, Professoren und viele andere ­schicken ihm Pflanzensamen, wobei er viele Geber namentlich nennt und ihnen dankt: „Gleditsch zu Berlin; Murray zu Göttigen; Carthäuser zu Giesen, und viele andere, wetteiferten gleichsam, unsern Garten mit den schönsten Gewächsen zu bereichern. Wir tauschten alle auf die uneigennützigste Weise. Sogar aus Italien, Sibirien, Dänemark, bekam ich S­ ämereyen.“541 Baldinger, der zudem öffentliche und unentgeltliche Vorlesungen hält, kommentiert volksaufklärerisch: „Jeder Posttag war für mich ein Freudenfest, wo neue Remisen ankamen, die den Garten bereicherten, um unsern Studierenden nützlich zu werden. Die Uneigennützigkeit mit welcher mich so viele berühmte Gelehrte unterstützten, war für mich ein Wonnegefühl; denn nichts schadet dem Wachsthum und der Ausbreitung der Pflanzenerkenntniß mehr als Pflanzenneid, und die überflüßige Kostbarkeit neuer botanischer Werke, die durch Luxus im Druck, Papier, Stich, bemahlen, 539 Baldinger, E. G: Ueber Litterar=Geschichte der theoretischen und praktischen Botanik. Von E. G. ­Baldinger, Geh. Rath, Leibarzt und Professor Primarius der med. Fakult zu Marburg, vormaligen Professor zu Jena, Mitglied der Heßischen Gesellschaft des Ackerbaues und der Botanischen Gesellschaft zu Regensburg u. s. w., Marburg, in der Neuen Akademischen Buchhandlung 1794. 540 Baldinger, Litterar=Geschichte, 1794, S. 17. 541 Baldinger, Litterar=Geschichte, 1794, S. 18 f.

Tauschorte |

so vertheuert werden, daß solche ­­ Niemand kaufen kann.“542 Vor der Jahrhundertwende ist somit die Gruppe der „botanophili“ noch engmaschig verknüpft und sieht sich als Kollektiv, das gemeinsam am großen Projekt der Erschließung der Pflanzenwelt arbeitet. Dabei muss im Blick behalten werden, dass die Pflanzenwelt einen Teil dieser Verbreitung und kollektiven Verarbeitung des Naturwissens darstellt, öffentliche Vorlesungen zu verschiedenen naturwissenschaftlichen Th ­ emen wurden zu Anfang des 19. Jahrhunderts überall populär, wie etwa auch im Wanderer in der Schweiz über „populäre Vorlesungen“ berichtet wird: „Zu unsern Tagen, wo sich die Kreise des Wissens so rasch erweitern und die Pflege der Wissenschaft und der Litteratur aufgehört hat, die ausschließliche Beschäftigung einer gelehrten Kaste zu sein; jetzt, wo in allen Klassen der Gesellschaft ein Bedürfniß nach höherer Bildung sich zeigt, jetzt ist es in dieser Hinsicht anders und in den größern Städten des gebildeten Theils von Europa zur beinahe allgemeinen Sitte geworden, öffentliche Vorträge über die wichtigsten Gegenstände in populärer Form zu halten. England, das in neuer Zeit dem europäischen Festlande so häufig zum Muster gedient, hat auch in dieser Beziehung das Beispiel gegeben; Frankreich hat es schnell nachgeahmt, (…) auch bei uns begründet sich diese Sitte mit jedem Jahr mehr und wird wahrscheinlich in kurzer Zeit ganz einheimisch in allen Schweizerstädten seyn. (…) In den regsamern und beweglichern Theilen der Schweiz, d. h. in Genf und Lausanne, gehört es schon seit Jahren zum guten Tone, daß Herren und Frauenzimmer die dort gehaltenen öffentlichen Vorlesungen besuchen; in neuester Zeit geschieht Aehnliches in Bern und wenn wir uns nicht irren, sind auch schon Versuche dieser Art in Zürich gemacht worden. Basel ist in dieser Beziehung nicht nur nicht zurückgeblieben, sondern hat den deutschen Schweizerstädten schon ziemlich lange mit nachahmungswürdigem Beispiel vorgeleuchtet. (…) im Laufe ­dieses Winters hält Herr von Tscharner aus Bern populäre Vorträge über die Physik, w ­ elche von wenigstens 250 Personen beiderlei Geschlechts besucht werden.“543

4.1 Tauschorte Zunächst sind die botanischen Gärten Tauschorte für Botanikfreunde, insbesondere, wenn es um lebende Pflanzen geht. Dabei kann es sich sowohl um botanische Gärten der Universitäten handeln, die in den meisten Fällen ursprünglich Medizinalgärten gewesen waren, wie auch um Gärten einzelner Botanisten. So bietet etwa schon 1796 ein Herr Achard verschiedene Pflanzen aus seinem Garten an, da er sich aufgrund von Anbauversuchen mit verschiedenen „in öconomischer sowie technologischer Hinsicht“ 542 Baldinger, Litterar=Geschichte, 1794, S. 19 f. 543 „Ueber populäre Vorlesungen in den Schweizerstädten“, in: Der Wanderer in der Schweiz. Eine malerische Zeitschrift, herausgegeben von Freunden des Vaterlandes, Jahrgang 1 (1835), Nr. 32, S. 126 f.

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zu prüfenden Pflanzen befasst habe.544 Er publiziert daher ein ganzes Tauschverzeichnis mit Haus- wie Gartenpflanzen, möchte aber im Gegenzug Pflanzen, die er selbst noch nicht besitzt. Das Tauschverzeichnis wird in den Annalen der Botanik 1797 mit folgenden Worten angkündigt: „Verzeichniss einer Sammlung Treib-­Gewächs-­Orangerie-­Haus-­ Pflanzen, wie auch im Freyen ausdauernder Bäume, Sträucher (…) w ­ elche in meinem Garten cultivirt und den Liebhabern der Botanik zum Tausch gegen andere, in ­diesem Verzeichniss nicht benannte entweder als Pflanzen oder Saamen angeboten werden“545. In den Zeitschriften publizierte Pflanzenverzeichnisse der verschiedenen Gärten fungierten also als Kataloge, w ­ elche Pflanzen im jeweiligen Garten erhältlich waren – sei es im Tausch oder im Verkauf. Insbesonders die botanischen Gärten der Hafenstädte wurden so schnell zum Umschlagplatz für Gewächse, wie etwa der botanische Garten in Hamburg, von dem es 1827 heißt: „Die Schnelligkeit, mit welcher die seltensten und neuesten Gewächse aus allen Welttheilen entweder directe, oder durch Verbindung mit England, nach Hamburg gebracht werden können, macht den dortigen Garten zu einem sehr wichtigen botanischen Institute, durch ­welchen ein zweckmässiger Verkehr mit ganz Deutschland statt finden kann. Daher ist das vorliegende Verzeichniss von grosser Wichtigkeit, und verdient um so mehr allgemein beachtet zu werden, als die Preise höchst billig angesetzt, und sogar, was uns am meisten wundert, wahre Alpenpflanzen (…) sehr wohlfeil zu haben sind.“546 Kürzere Ausführungen zu den konkret angebotenen Gewächsen folgen. Ein weiterer „Tauschort“ und Kommunikationsort der Pflanzenbegeisterung sind zweifelsohne auch die botanischen Gesellschaften, die hier aber nicht weiter verfolgt werden sollen. Insbesondere die von David Heinrich Hoppe 1790 gegründete Botanische Gesellschaft von Regensburg, in der sich die pflanzensammelnden Bildungsbürger trafen, sei hier genannt.547 Nach ihrem Vorbild gründeten sich in vielen weiteren Städten botanische Vereine.

544 „Verzeichnis einer Sammlung Treib-­Gewächs-­Orangerie-­Haus-­Pflanzen, wie auch im Freyen ausdaurender Bäume (…)“, in: Annalen der Botanik, 21stes Stück (1797), S. 104. 545 „Verzeichnis einer Sammlung Treib-­Gewächs-­Orangerie-­Haus-­Pflanzen, wie auch im Freyen ausdaurender Bäume (…)“, in: Annalen der Botanik, 21stes Stück (1797), S. 103. 546 „Verzeichnis der Topfpflanzen und der im Lande ausdauernden Staudengewächse, w ­ elche im Hamburgischen botan. Garten abgegeben werden können“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 10, Band 1, Ausgabe Nr. 6 vom 14. Februar 1827, S. 92 f. 547 Zur Botanischen Gesellschaft in Regensburg allgemein, siehe z. B.: Ilg, Wolfgang: Die Regensburgische Botanische Gesellschaft, Regensburg 1984.

Tauschorte |

4.1.1 Tauschanstalten Stellen einerseits die botanischen Gärten Tauschorte für lebende und getrocknete Pflanzen dar, so wird ­dieses Bedürfnis nach Tausch und Pflanzenzirkulation auch in den botanischen Magazinen aufgegriffen und bearbeitet. Analog zur Ausbildung der Auftragsreisen in Bezug auf das Sammeln der Pflanzen bilden sich ab den 1820er Jahren regelrechte Tauschbörsen und Tauschkreise für Pflanzen aus. Schon in der Flora von 1819 finden sich Vorschläge zur Einrichtung von zentralen botanischen Tauschanstalten in Regensburg, Wien oder Hamburg, wo die Pflanzenliebhaber Dubletten abgeben könnten, dafür andere Arten erhalten könnten und so „die Kommunikation aller Botaniker Deutschlands ungemein erleichtert“ würde.548 Schließlich beförderte Hoppe selbst die Bildung einer „Tauschanstalt“ in Regensburg. In einer Beilage zur Flora von 1823 heißt es in einer „Nachricht von einer Anstalt zum Pflanzenverkehr“549: „Die mancherlei Vorträge und Wünsche zu einem Centralherbarium; die Begierde nach vollständigen Herbarien von Deutschlands Flora; das Bedürfniss der Floristen, Monographen, Systematiker u. s. w., von Pflanzenexemplaren aus verschiedenen Gegenden und seltenen Arten; endlich das laut geäusserte Verlangen der Gartenbesitzer und Gartenvorsteher nach lebendigen Alpengewächsen und Sämereien, haben den längst gehegten und in der 11. Flora 1822 S. 171 bereits angedeuteten Wunsch zur Errichtung einer Anstalt zum Pflanzenverkehr in so weit zur Ausführung gebracht, dass der erste Versuch damit gemacht werden kann. (…) Diese Anstalt steht in unmittelbarer Verbindung mit der hiesigen königl. baierischen botanischen Gesellschaft, zunächst mit dem botanischen Garten derselben, und wird sich daher der Lieferung sowohl von getrockneten Pflanzenexemplaren, als auch von frischen Alpengewächsen und Sämereien unterziehen.“550 Hierfür sollen entsprechende Verzeichnisse erstellt werden, die offensichtlich über die Magazine publiziert werden sollen. Die Teilnehmer dieser von der botanischen Gesellschaft Regensburg unterstützten Tauschanstalt konnten hier Dubletten sowohl von lebenden wie von getrockneten Exemplaren abgeben und erhielten dafür andere Exemplare. Es handelte sich also zunächst – im Gegensatz zum botanischen Reiseverein, wo man gegen Geldhinterlegung getrocknete Exemplare erhielt – um eine wirkliche Tauschanstalt. Allerdings dauerte es nicht lange bis zudem ein finanzieller Grundstock für d ­ ieses Unternehmen geschaffen wurde, indem die Teilnehmer eine kleine Menge der bereits vorhandenen Dubletten kaufen konnten. Auch wurden wenig später innerhalb ­dieses „Institutes“ Auftragsreisen durchgeführt, was dann 548 „Vorschläge“, in Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Ausgabe Nr. 29 vom7. August 1819, S. 453 f. 549 „Nachricht von einer Anstalt zum Pflanzenverkehr“, in: Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, zu Band 1 (1823), S. 385 (hier im Original der UB Basel findet sich eine fortgeführte Seitenzählung von Band und Beilage, in manchen Digitalisaten erfolgt eine neue Seitenzählung, dann S. 1.). 550 „Nachricht von einer Anstalt zum Pflanzenverkehr“, in: Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, zu Band 1 (1823), S. 385 f.

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Entwicklungen analog zur Kommerzialisierung der botanischen Reisevereine in Gang setzt. Zunächt aber konnte jeder seine speziellen Wünsche angeben, seine Bestände zum Tausch anbieten und so an d ­ iesem Netzwerk teilhaben. Die Schirmherrschaft über diese Tauschanstalt hatte Hoppe, der zu dieser Zeit schon Direktor der botanischen Gesellschaft war, gemeinsam mit dem „Legationsrath“ Felix, dem Direktor des botanischen Gartens und einem „Inspector“ Emmerich, der als „Custos des Herbariums“ betitelt wird.551 Diese Tauschanstalt nahm in den Folgejahren ihren Aufschwung und wurde immer mehr als Marktplatz der Botanisten genutzt. Ähnliche Aktivitäten verbreiteten sich. Unter den Anzeigen etwa schreibt ein P. M. Opitz aus Prag: „Einige meiner Menthen-­Gebilde sind bereits in den Verzeichnissen jener Pflanzen, ­welche bei mir gegen Tausch oder Kauf zu bekommen (…). Ich ersuche bei dieser Gelegenheit die Hrn Entdecker neuer Pflanzen, wenn sie mir ihre Entdeckungen zum Behufe ­dieses Austausches in Vielzahl einsenden, auch die Diagnosen dieser neuen Pflanzen beizufügen (…). Schlüsslich ersuche ich alle Herrn Theilnehmer der Tauschanstalt, fernerhin meine in der Flora eingerückte Bitte wegen Mentha und Thymus gefälligst zu beachten, und statte zugleich jenen Herrn ­hiemit meinen öffentlichen Dank ab, w ­ elche mich bereits bei d­ iesem Unternehmen gütigst unterstützt haben (…).“552 Opitz nennt dann wiederum namentlich alle Geber: Grafen, Handelsmänner, Apotheker, Ärzte, Professoren, Gärtner, einen Schiffrechnungsführer, einen Rentmeister und weitere Personen. Auch ­dieses zunächst individuelle Unternehmen weitete sich schnell aus. Bereits im Dezember 1824 berichtet Hornung aus Aschersleben, er sei von Herrn Opiz gebeten worden, dem botanischen Publikum noch weitere Ideen zu den Tauschanstalten vorzutragen. Es gäbe beim Privattausch noch immer hohe Kosten, man solle daher den Transport aus entlegenen Gegenden bündeln: „Zu ­diesem Endzwecke müssten mehrere bestimmte Orte als Speditionsniederlagen festgesetzt werden. In diesen übernähme ein Mitglied des Vereins oder ein Kommissionär den Empfang und die Weiterbesorgung, ­welche zu festgesetzten Zeiten erfolge. So dürfte sich Frankfurt a. M. als Hauptspeditionsort für die Rheingegenden eignen.“553 Es folgen komplexe Überlegungen zu Speditionsorten. Die weitere Ausweitung der Opitz’schen Tauschanstalt nahm so ihren Lauf. 1835 etwa heißt es in den Beiblättern der Flora, in die derartige Informationen nun ausgelagert sind, über das nun als „Naturalientauschunternehmen“ betitelte Unterfangen: „Am Schlusse des Jahres 1834 zählte mein Unternehmen 530 Herrn Abnehmer (…). Es sind an Pflanzen 684,334 Ex., Insekten 92,349; Conchylien 75. Ex. eingeliefert; 559,802 Pflanzen, 57,901 Insekten und 20 Conchylien an die einzelnen Sammlungen abgegeben worden. Bei 551 „Nachricht von einer Anstalt zum Pflanzenverkehr“, in: Erste Beilage zur Flora oder Botanischen Zeitung, zu Band 1 (1823), S. 388 bzw. in erneuter Zählung S. 4. 552 Anzeige in: Flora oder Botanische Zeitung, Ausgabe Nr. 31, vom 21. August 1824, S. 485 f. 553 „Vorschlag über Opiz Pflanzentausch-­Anstalt“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Nr. 48 vom 28. Dezember 1824, S. 754.

Tauschorte |

Pflanzen lieferte im J. 1834 die meisten Exemplare ein: Herr Hofmeister Moriz Angelis zu Admont in Steyermark 6355 Ex.; Herr Wundarzt Langer in Reichenberg 4043 Ex., Herr M. C. Lorinser in Prag 3980 Ex.; Hr. Wundarzt Ed. Hoffmann in Prag 2887 Ex.“554 Sodann wird beschrieben, wer die schönsten Exemplare abgegeben hat, wer die meisten Gattungen abgegeben hat, wer die seltensten etc. Gerade in diesen Namensnennungen wird deutlich, dass es sich aber trotz aller Kommer­ zialisierung und trotz „Unternehmertums“ dennoch immer noch um ein Unterfangen handelt, das einem bestimmten Personenkreis zugehörig war, und eben nicht ausschließlich von kommerziellen Interessen geleitet wurde, sondern ein Zwischending z­ wischen Unternehmen und botanischer Interessengemeinschaft darstellte.

4.1.2 Vom Tausch zum Kauf und die Formen des botanischen Handels Vom Tausch ist der Weg jedoch nicht weit zum Kauf. Schon in der bekannten niederlän­ dischen Tulpenmanie im 17. Jahrhundert war die Pflanze ja zum Handels- und Wertgegenstand geworden.555 Im deutschsprachigen Raum um 1800 liegt allerdings im Gegensatz hierzu der Fokus nicht auf dem als Wert- oder Kunstgegenstand verstandenen Objekt „Tulpe“, sondern hier steht der Wert der jeweiligen Pflanze als Teil des Wissenssystems im Vordergrund, als Teil von Sammlung und Wissenskompilation. Der Übergang zu Kauf und Verkauf findet sich zunächst im Angebot der Botanisten, ihre überzähligen Exemplare kostengünstig an andere weiterzugeben. So schreiben etwa die zwei Ärzte Meyer und Sherbius sowie ihr Mitarbeiter Gärtner unter „Nachrichten an die Freunde der Botanik“ schon 1801 im Archiv für die Botanik: „In der Vorrede der Wetterauischen Flora machten wir uns anheischig, zur Erleichterung des botanischen Studiums, Liebhabern gegen eine billige Entschädigung getrocknete Pflanzen der hiesigen Gegend zu überlassen. Schon hat sich eine Anzahl von Freunden der Pflanzenkunde gefunden, ­welche auf eine getrocknete Flora der Wetterau bey uns subskribiert haben. (…) man wendet sich mit seiner Bestellung in postfreyen Briefen an (…).“556 Oder der ­„Landphysikus“ Roth aus Vegesak erläutert: „Bey der immermehr zunehmenden Neigung für die Pflanzenkenntniss bin ich seit einiger Zeit von verschiedenen Pflanzenliebhabern ersucht worden, ihnen zur Vervollkommnung ihrer Sammlung oder zur Erweiterung ihrer Kenntnisse, trockene Pflanzen mitzutheilen. Ich habe mich daher entschlossen, 554 „Opizens Naturalienunternehmen am Schlusse des Jahres 1834“, in: Beiblätter zur Flora oder Botanischen Zeitung, zu Band 1 (1835), S. 111 f. 555 Goldgar beschreibt die Rationalität des Tulpenhandels und die inneren Motivationen der frühen Handels­ gesellschaft, in der die Tulpen zum Prestige- und Wertobjekt avancieren konnten. Goldgar, Anne: Tulipmania. Money, Honor and Knowledge in the Dutch Golden Age, Chicago / London 2007. 556 „Nachricht für Freunde der Botanik“, in: Archiv für die Botanik, Band 2, 2. Stück, 1801, S. 314 f.

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wenn sich vor Ostern 1795 eine hinlängliche Anzahl Liebhaber finden sollte, im nächsten Sommer eine Sammlung trockener Pflanzen zusammen zu bringen, und sie denenselben zu überlassen. In dem Falle, wo mir freie Wahl gelassen wird, will ich von einheimischen ­Pflanzen jede Decade für 6 ggr. und von ausländischen Pflanzen jede Dekade für 8 ggr. liefern. Wenn aber jemand von einheimischen Pflanzen zur Vervollkommnung seiner Sammlung einzelne oder seltene deutsche Pflanzen, auch besondere Familien, z. B. Gräser, Seegewächse &c. verlangen sollte; so kann ich jede Dekade nicht unter 10 ggr. den Friedrichsd’or zu 4 Thlr. 16 ggr. gerechnet, liefern. Briefe und Gelder erwarte ich alsdann postfrey.“557 Es entwickelt sich aus diesen Initiativen heraus ein regelrechter Pflanzenmarkt, wie es auch Sarah Easterby-­Smith für das endende 18. Jahrhundert in Frankreich und England beschrieben hat.558 In den Zeitschriften wird dabei die Kommerzialisierung greifbar. Beispielsweise schreibt G. Vothmann im Gartenkalender 1785:559 Er, Vothmann, habe schon 1782 „gut getrocknete und sauber aufgelegte“ Pflanzen zum Verkauf angeboten (3 Reichstaler pro Hundert Stück), er habe aber feststellen müssen, dass er nun mehr verlangen müsse: „Vorher hatte ich, bey Bestimmung der 3 Rthlr., auf alle die dabey erforderliche Umstände nicht gehörige Rücksicht genommmen, weil ich damals meine eigene Sammlung so ganz beyläufig in meinen wenigen müssigen Nebenstunden eingerichtet hatte, ohne eben die darauf verwandte Zeit mit in Rechnung zu bringen. Vielmehr sahe ich, bey der Festsetzung eines möglichst niedrigen Preises, ganz dahin, den Freunden der Botanik d ­ ieses leichte, angenehme Hülfsmittel zur Erlernung der nützlichen, und in so vieler Hinsicht interessanten Kräuterwissenschaft auf eine recht bequeme und äusserst wohlfeile Art in die Hände zu liefern. – Ich fand aber bey der Verfertigung besonderer Sammlungen gar bald, daß es nun mehr als bloße Nebensache sey, und daß ich bey dem beträchtlichen Versäumniß der mit andern Berufsgeschäften ohnehin für mich vollbesetzten Zeit, mit dem angegebenen Preise der 3 Rthlr das Hundert zu kurz käme.“560 Deshalb zeige er nun öffentlich an, dass er nun 4 Reichstaler pro Hundert Stück verlange. Den Käufer erwarte dabei gute Qualität: „Die Liebhaber können sich dazu verlassen, daß ich keinen Fleiß noch Kosten sparen werde, um ihnen auserlesene, vollständige und kennbare Pflanzen in einer zierlichen und ordentlichen Einrichtung mitzutheilen; wobey ich mich hier auf den Beyfall der jetzigen Besitzer davon berufen darf.“561 Der Handel mit den 557 Annalen der Botanick, 14. Stück (1795), S. 64. 558 Easterby-­Smith, Sarah: „Selling Beautiful Knowledge. Amateurship, Botany and the Market-­Place in Late Eighteenth-­Century France“, in: Journal for Eighteenth-­Century Studies, Vol. 36, No. 4 (2013), S. 531 – 543; Easterby-­Smith, Cultivating Commerce, Cambridge, 2017. 559 Vothmann, J. G.: „Nachricht von Sammlungen aufgetrockneter Pflanzen“, in Gartenkalender, Jahrgang 4 (1785), S. 257 – 262 (BZA). 560 Vothmann, Aufgetrocknete Pflanzen (1785), S. 257 f. (BZA). 561 Vothmann, Aufgetrocknete Pflanzen (1785), S. 259 (BZA).

Tauschorte |

Pflanzen gerät also hier zunehmend zur Hauptbeschäftigung und wird hierdurch professionalisiert. Er wird zum Beruf, im Sinne des Handelsmannes. ­Vothmann garantiert dabei beste Ware: Die Pflanzen ­seien gut getrocknet, auf starkes Schreibpapier geheftet, zierlich beschrieben mit linneisch-­lateinischen und deutschen Namen, mit prächtigen Farben etc. versehen. Auch bietet er nun auch besondere Zierpflanzen an, für 6 Reichstaler pro 100 Stück. Von diesen Kauf- und Tauschaktionen zeugen in der Folge nicht nur die vielfältigen Pflanzenverzeichnisse botanischer Gärten und die Listen tauschbarer oder käuflich erwerbbarer Pflanzen,562 sondern auch die nun als eigenständige Publikationen herausgegebenen Übersichtsverzeichnisse zum Pflanzentausch und -verkauf, wie beispielsweise das vom Kommerzienrat K. C. A. Neuenhahn 1788 und erneut 1803 herausgegebene Handbuch für Gartenfreunde und angehende Botaniker; oder systematisches Verzeichnis von 2261 Arten Saamen und Pflanzen (…) ­welche um beigesetzte Preise zu haben sind.563 Ein weiteres Beispiel für derartige Verzeichnisse ist das 1829 von Julius Friedrich ­Wilhelm Bosse in vielfältigen Auflagen und bis zur Jahrhundertmitte immer neuen Überarbeitungen herausgegebene Vollständige Handbuch der Blumen-­Gärtnerei (…) mit Angabe der bekannt gewordenen Pflanzenpreise, und der Orte, an ­welchen die beschriebenen Pflanzen zu finden oder käuflich und gegen Tausch zu haben sind (…).564 In solchen Verzeichnissen konnte man somit nachschlagen, wo und zu welchem Preis eine bestimmte Pflanze zu erhalten war. War auf dieser Ebene der Verzeichnisse nach Einzelpflanzen recherchierbar, so finden sich in den Zeitschriften aber auch „Pauschalangebote“, wie es etwa unter den Verkaufsanzeigen in der Flora 1819 lapidar heißt: „Ein herbarium vivum, das sehr zahlreich und bedeutend ist, aus europäisch-­einheimischen und Gewächshaus-­Pflanzen bestehend und wissenschaftlich geordnet, ist aus der Hand zu billigem Preise verkäuflich abzustehen. Das Nähere davon ist durch frankirte Briefe zu erfahren bey Anton Spener lit. H Nro 18 in Frankfurt a. M.“565 562 Bspw.: Verzeichniss der im Botanischen Garten in Tübingen kultivirten Pflanzen, abgebbar gegen Tausch oder Barzahlung, Tübingen 1854 (wohl als fortlaufende Zeitschrift geplant, erschien aber nur einmalig). 563 Neuenhahn, K. C. A.: Handbuch für Gartenfreunde und angehende Botaniker; oder systematisches Verzeichnis von 2261 Arten Saamen und Pflanzen, sowohl zum Gebrauch für Küchen= Blumen= als auch Baumgärten, ­welche um beigesetzte Preise zu haben sind, von Neuenhahn, dem jüngeren, in Nordhausen, Frankenhausen 1788. 564 Bosse, Julius Friedrich Wilhelm: Vollständiges Handbuch der Blumen-­Gärtnerei oder genaue Beschreibung von mehr als 4060 wahren Zierpflanzen-­Arten mit Angabe des Vaterlandes, der Blüthezeit, der vorzüglichsten Synonyme, der bekannt gewordenen Pflanzenpreise, und der Orte, an ­welchen die beschriebenen Pflanzen zu finden oder käuflich und gegen Tausch zu haben sind (…), bearbeitet von J. F. W. Bosse, Hannover 1829 (und weitere Auflagen offensichtlich bis 1859). 565 „Anzeige für angehende Botaniker, Pflanzenkenner und wissenschaftliche Gärtner“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 2, Ausgabe Nr. 28 vom 28. Juli 1819, S. 444.

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Ebenso wird in den Magazinen Zubehör angeboten – etwa Mikroskope, die ein Händler im Archiv für die Botanik offeriert. Über bestimmte Buchhändler in Brandenburg und Berlin sind diese per Post zu beziehen.566 Ebenso etwa kann man „Handluppen“ beim „Optikus und Universitäts-­Mechanikus in Leipzig“ kaufen.567 Verschicken und Überbringen Erahnen lassen sich die weitläufigen Tauschprozesse auch in den Anweisungen zum Verschicken der Pflanzen. So übersetzt beispielsweise der Herausgeber der Berlinischen Sammlungen einen Text von einem „würdigen Freunde“, ­welchen er selbst in England kennengelernt habe, unter dem Titel Auf was Weise allerley Arten Naturalien gesammlet, aufbewahret, und nach entlegenen Ländern verschickt werden können.568 Nachdem er zunächst die Problematik bei verschiedenen Tierarten und besonders bei großen Tieren behandelt hat, geht er zum Pflanzenreich über: „Das Pflanzenreich bietet uns eine eben so unermeßliche Verschiedenheit von Hervorbringungen (…). Nichts ist daher nothwendiger, als auf die Ueberbringung zu sehen wie die Pflanzen und Saamen auf die leichteste Art, ohne von ihrer Fruchtbarkeit etwas zu verlieren, nach verschiedenen Weltgegenden können geschaffet werden.“569 Die Samen müssen vollkommen reif sein, bei trockenem Wetter gesammelt werden, Nüsse und Hülsensamen können zum Schutz vor Insekten mit Flüssigkeiten behandelt werden und dann getrocknet werden. Sie sind in gewachstem Papier oder geschmolzenem Wachs aufzubewahren. Saftreiche Samen müssen erst ausgepresst werden, ganz kleine Samen kann man auch in trockenem Sand transportieren, Gläser mit Samen packt man wiederum in ein Gefäß, das mit einer Mischung gefüllt ist, die aus zwei Teilen Küchensalz und einem Teil Salpeter sowie einem Teil Salmiak besteht – das hält die Samen kalt und verhindert das Auskeimen. Ganze Pflanzen und Sträucher müssen mit einem Klumpen Erde, der die Wurzeln bedeckt, mitgenommen werden; diesen umwickelt man mit feuchtem Moos und mit russischer Bastmatte und Bindfaden und legt sie dann in eine Kiste oder Schachtel usw. Kaufen, Verkaufen, Verschicken und Verpacken werden im nun entstehenden Pflanzen­markt zu zentralen und komplexen ­Themen.

566 Anzeige unter der Rubrik „Nachrichten“, in: Archiv für die Botanik, Band 2, 1. Stück (1799), S. 124. 567 Anzeige im Archiv für die Botanik, Band 2, 3. Stück (1802), S. 490. 568 Ungenannter Verfasser: „Kurze Beschreibung für Liebhaber der Naturgeschichte: Auf was Weise allerley Arten Naturalien gesammlet, aufbewahret, und nach entlegenen Ländern verschickt werden können“, in: Berlinische Sammlungen 4 (1772), S. 453 – 469 (BZA). 569 Ungenannter Verfasser, Auf was Weise Naturalien verschickt werden können (1772), S. 464 und 465.

Alltagsspuren |

4.2 Alltagsspuren: Botanisches auf den städtischen Märkten Auch auf den städtischen Märkten sind die praktischen Auswirkungen der Botanophilie nachweisbar. Wissenszirkulation und Praktiken des Umgangs mit Pflanzen in Garten und Haus gehen dabei Hand in Hand und sind nicht voneinander trennbar. In der Entwicklung der Annoncen beispielsweise im städtischen Anzeigenblatt in Basel lässt sich dies ablesen. Im sogenannten Avisblättlein (später „Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel)570 lassen sich beispielhaft für Basel Entwicklungsschritte des botanophilen Zeitalters z­ wischen 1780 und 1840 aufzeigen: So werden seit der Jahrhundertwende dort vermehrt Botanikhandbücher verkauft. Die bereits erwähnte ortsansässige Schweighauser’sche Buchhandlung, deren Verzeichnisse dem Avisblättlein hinzugefügt sind, preist insbesondere in den 1819/1820er Jahren in ihren Werbeblättern in der Rubrik „Naturwissen­schaft, Botanick“ entsprechende Werke zur Gewächskunde an.571 Kleine Verkaufsanzeigen für Herbarien, in denen es kurz und knapp heißt „Eine ­Parthie wohlgetrockneter Pflanzen“572, illustrieren die Verbreitung des Botanisierens ebenso wie Annoncen zu großangelegten Herbarien. Es heißt in einer Anzeige vom 18. Februar 1819: „Eine Sammlung von 3630 Stück getröckneten gut eingelegten Pflanzen, Bäume, Gesträucher, Pyramiden, Orangerie= Gewächshaus= und Sommerflor=Pflanzen, die in Bollwiler gesammlet worden sind, in den Gärten und Baumschulen der Gebrüder Baumann. Die Kaufliebhaber sind höflich ersucht, sich sogleich zu melden bey Martin Baumann, Gärtner der Herrn Forcart=Weiß in Basel.“573 Ebenso wird das für die botanische Wissenschaft nötige Zubehör gekauft und verkauft. Man sucht etwa „Ein zusammengesetztes gutes Microscop mit Fuß=Gestell, von guter Einrichtung und nöthigem Apparat. Item ein kleines aber recht gutes Zug=Perspectiv, mit Futeral, wo möglich von Dolon. Beydes wünschte man um billigen Preis zu kaufen, leidet aber kein langer Verzug. Der Liebhaber ist im Berichthaus zu vernehmen.“574

570 Janner, Avisblättlein als Quelle zur Stadtgeschichte, Jahresbericht Freunde des Klingentalmuseums, 2014. 571 Siehe Einlageblätter der Schweighauser’schen Buchhandlung in den Bänden: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, von allerhand dem Publiko, sowohl in= als ausserhalb der Stadt und des Landes zu wissen nöthig= und nützlichen ökonomischen, politischen, historischen, gelehrten und andern, auch in die Curiosität einschlagenden Materien; auf das Jahr MDCCCXI (…) folgend auf das 17. Stück vom 29. April 1819. (Vierteljährlich eingelegte Verkaufsverzeichnisse der Buchhhandlung.) 572 Siehe: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel: Vier und zwanzigstes Stück Wöchentlicher Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Donnerstags den 15. Brachm. 1820, z­ wischen Nr. 39 und 40, S. 184. 573 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel: Siebentes Stück Wöchentlicher Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Donnerstags, den 18. Hornung 1819, S. 54 Anzeige 43. 574 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel: Zwanzigstes Stück Wöchentlicher Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Donnerstags den 20. May 1819, Zu kaufen begehrt, Nr. 1, S. 172.

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Getrocknete Pflanzen, lebende Pflanzen und Pflanzensamen sind gleichermaßen begehrt. Ein Einheimischer warnt sogar vor fahrenden Samenhändlern, wenn er anzeigt: „Endunterschriebener zeigt ergebenst an, daß er wieder frisch mit aller Sorten Sämereyen bestens versehen ist, und dieselben so billig als die herumstreichenden Samenhändler erlassen kann und für seine Waare gutsteht; Preislisten können wieder abgeholt werden.“575 Auch ganze Sammlungen lebender Pflanzen werden abgegeben, wenn es heißt: „Eine schöne Sammlung botanischer Pflanzen, sehr gut conditionirt, um billigen Preis“.576 Die Gärtnereien, deren Anzeigen um die Jahre 1810, 1820 häufiger werden, fungieren dabei, analog zu den botanischen Gärten, einerseits als Ort, an dem man Samen von neuen – fremdländischen – Pflanzen erhalten kann, aber ebenso als Ort, an dem man diese in natura bewundern kann. So heißt es des Öfteren etwa: „Beym Gärtner Fürbringer in klein Basel, sind nebst seinen schönen Pflanzen, auch folgende hier noch nicht gesehene sehr schöne dito in der Flor zu sehen, als: Dahlia pupurea und cocinea; kein Pflanzenfreund wird es bereuen, solche ­­ gesehen zu haben; auch sind schöne gefüllte Hyacinthen, das Dutzend für 25 Btz., und das Hundert für ein Louisd’or wie auch allerhand andere Sorten, um billigen Preiß zu haben.“577 Die Anzeigen der Gärtner werden zwar in den Jahren um 1829/30 sodann ausführlicher und länger, erscheinen aber wieder in geringerer Frequenz. Möglicherweise ist in Basel die Welle der Botanophilie schnell wieder vorbei, denn in den Anzeigenblättern von 1840 nimmt Gärtnerisches und Botanisches keinen großen Raum mehr ein im Vergleich zu Anzeigen aus dem Bereich der Kleidermode oder des Mobiliars.578

4.3 Kritik an der Kommerzialisierung und am naturausbeuterischen Botanisieren So stark die Ausbreitung des Botanisierens zunächst um die Jahrhundertwende begrüßt wurde – bald zeigen sich die negativen Folgen einer Vermassung des Botanisierens. Eine kritische Reflexion der Begeisterung für die Alpenflora klingt bereits 1802 an, wenn es heißt: „Bald wird man die ersten botanischen Gärten von Europa mit Schätzen der Salzburgischen Flora geziert sehen; bald wird man wegen Ausrottung einer oder der andern 575 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel: Siebentes Stück Wöchentlicher Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Donnerstags den 18. Hornung 1819, Nr. 6, S. 53. 576 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel: Ein und dreissigstes Stück Wöchentlicher Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Donnerstags den 3. Augustm. 1820, Nr. 33, S. 234. 577 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel: Acht und dreyßigstes Stück Wöchentlicher Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, Donnerstags den 20ten Herbstm. 1810, S. 257 Nr. 9. 578 Hier und da sucht ein Gärtner eine Anstellung, dessen Anzeige nun sogar mit einer kleiner Illustration versehen wird, wie überhaupt nun kleine bildliche Einsprengsel vorhanden sind, die offensichtlich nun aufgrund der fortschreitenden Drucktechnik erschwinglich sind.

Kritik an der Kommerzialisierung und am naturausbeuterischen Botanisieren   |

seltenen Pflanze Besorgnis tragen dürfen. Doch, so lange Männer von ächtem botanischen Sinne, wie Hoppe, Mikan, Vaena u. d. g. auf unsern Alpen botanisiren, die nicht wie ein gewisser bekannter Pflanzenhändler in der Schweiz sammeln, und mit Monopolistengeiz das übrige ausrotten, haben wir noch nicht nöthig, die Standorte seltener Pflanzen, zu verheimlichen, sondern können sie ruhig hinführen, und uns vielmehr freuen, von fremden Botanikern besucht zu werden (…).“579 Auch wenn hier mit dem „Monopolisten“ noch nicht der Naturhistorische Reiseverein von Steudel und Hochstetter gemeint sein kann, da dieser erst 1825 mit seinen Tätigkeiten begann, so klingt hier kritisch an, wohin die Verbreitung des Botanisierens führen kann: Zur Zerstörung und Minimierung der einheimischen Pflanzenwelten, zum Artensterben. Was als Unternehmung kleiner Kreise mit aufklärerischen Idealen begann, hatte sich spätestens in den 1820er und 1830er Jahren derart ausgeweitet, dass mit der oben genannten Ökonomisierung und Kommerzialisierung die Ursprungslandschaften regelrecht geplündert wurden. Die, allerdings sehr leise, Stimme der Kritik an der Delokalisierung von Natur- und Kulturgut lässt sich in den Magazinen nun vernehmen. Ein Freiherr von Uechtritz schreibt 1819 in einem Brief: „Manche Botaniker gleichen den Engländern, die aus Griechenland, Italien, Aegypten etc. viele Antiken fortschleppen, wo sie Lokalwerth behalten, wenn sie auch durch Wetter und Menschenunverstand verstümmelt werden. In England fragt Niemand danach, dort zernagt sie das feuchte Clima. So reisen und graben manche Botaniker alle Pflanzen ein und derselben Species aus, unbekümmert, ob die Nachwelt dort noch ­welche findet, wenn sie nur in den Herbarien (nur zu oft) verschimmeln und den Würmern zum Raub werden. (…) Im Riesengebirge, das ohnedies sehr schmal und dessen Hochgebirge nur 2 – 3 Meilen lang ist, verschwinden seltne Pflanzen immer mehr (…). Darum bitte ich meine Herren in Florens Namen um die gütige Schonung ihrer Lieblinge. Ein Pflänzchen in loco natali, wenn es auch von Kühen und Ziegen benagt ist, giebt mehr Stoff zum Nachdenken, als das zierlichst getrocknete Prachtexemplar im Herbarium. Dies bitte ich wohl zu bedenken.“580 Nicht nur die Besitzgier von Einzelnen oder gar der Händler steht dabei in der Kritik, sondern auch die Ruhmsucht mancher Botanisten, die die kleinste Gelegenheit ergreifen, um etwa auf der Entdeckung einer Unterart zu bestehen und diese nach sich benennen wollen. So heißt es in den „Botanischen Notizen“ der Flora 1819: „So sehr man seit ­Linné’s Zeiten fast blindlings und mit Hintansetzung alles eigenen Sehens und Denkens unmittelbar den Fussstapfen des grossen Mannes folgte (…) so sehr weichen doch viele seiner Nachfolger, die nicht nur seinen Geist nicht athmeten, sondern auch als lumina 579 „Botanische Notizen“ (vermutlich von Hoppe verfasst), in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1, Nr. 20 vom 14. Oktober 1802, S. 315 f. 580 Brief von Freiherr M. von Uechtritz unter „Correspondenz“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Ausgabe Nr. 3 vom 21. Januar 1819, S. 37 f.

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minora kaum den Namen botanophili verdienen, in einem Stücke von seinen rühmlichen Grundsätzen ab, nämlich in Umänderung der Trivialnamen der Gewächse (…), um in Veränderung eines solchen Namens ihr Licht leuchten zu lassen. “581 Marktwert, Eigennutz und Ruhmsucht werden so in den Artikeln angeprangert. Auch die Zeitgenossen nahmen also wahr, das die „gute alte Zeit“, in der eine kleine, überschaubare scientific community von „Botanophili“, von – im Sinne des Wortes – „echten Pflanzenliebhabern“ die Natur durchstreifte, sich dem Ende zuneigte.

581 „Botanische Notizen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Nr. 14 vom 14. April 1819, S. 220 f.

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Der Wandel zwischen 1780 und 1840: Von den personenbezogenen Wissenskreisen zur Fachwissenschaft?

Die zunehmende Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, als Entwicklung von der Frühen Neuzeit hin zur Moderne, stellt einen großen Diskussionskomplex dar, der vielleicht nicht für alle gesellschaftlichen Perspektiven uneingeschränkt gültig ist, sicherlich aber eine Problematik bezeichnet, die die Berufswelt, das Erwerbsleben zumindest in den urbanen professionellen Sphären durchzieht. Die Institutionalisierung von Verwaltung, Wissenschaft und auch die Differenzierung der unternehmerischen Sphären führten zwar nicht immer zur völligen Entfamiliarisierung des Erwerbslebens, die Familie als Träger des Betriebes und der Wirtschaftseinheit aber wurde in ihrem Status vermindert. Der Typus des familiären Kleinunternehmens oder gar die familiären Arbeitspaare aus Gelehrtenschaft, Kaufmannschaft usw. verschwinden zugunsten von Anstellung, Beamten­tum und der lokalen Dissoziation von Familien- und Erwerbsleben.582 Sind diese zunehmenden Trennungen von beruflicher und privater Sphäre wie auch der einzelnen beruflichen Sphären aufgrund der Differenzierung und Professionalisierung im 19. Jahrhundert wohl weitgehend unbestritten, so ist doch die Chronologie dieser Entwicklung immer wieder fraglich. Sie kann auch hier nicht vollständig aufgelöst werden, dennoch sollen die im botanischen Feld aufscheinenden Wandlungen hier angerissen werden. In den botanischen Magazinen zeigt sich dies im Wandel vom Breitenmagazin zur Fachzeitschrift am Beispiel der Flora.

5.1 Öffentlichkeit und Privatheit in den botanischen Wissenskreisen um 1800 Zur Gründungszeit um 1800 stellte das Magazin ein Sammelsurium der verschiedensten Elemente dar. Es wandelt sich erst im 19. Jahrhundert zur botanischen Fachzeitschrift im Sinne heutiger wissenschaftlicher Zeitschriften. Die in den Anfängen des Magazins waltende Breite der inhaltlichen Aspekte – vom Tomatenanbau über botanisch-­ philosophische Ausführungen bis zu mikroskopischen Beobachtungen von Algen – ist bereits vielfach angeklungen. Die Flora verband dabei in ihrer ersten Erscheinungszeit 582 Diese Veränderungen in Familien- und Berufswelt haben bereits Michael Mitterauer und in der Folge viele Studien in der Familienforschung seit den 1970er Jahren beschrieben. (U. a.: Mitterauer, Michael: Vom Patriarchat zur Partnerschaft, München 1977).

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nicht nur Aufsätze und Abhandlungen aus heute als unvereinbar gedachten Disziplinen, sondern auch „öffentliche“ Nachrichten mit heute als „private“ Nachrichten eingestuften Elementen. Mit dem Fortschreiten des 19. Jahrhunderts zeigt sich aber ein Wegfall derartiger „privater“ Elemente. Ebenso wird die Sorte der in der Zeitung erscheinenden Textformen auf die botanischen Abhandlungen reduziert, während Philosophisches, Preisverzeichnisse, Briefe etc. zunehmend in Beiblätter ausgelagert oder nicht mehr abgedruckt werden. Ebenso verkleinert sich der Beiträger- und (vermutlich) Leserkreis.

5.1.1 Personennachrichten und Fürsorge Solange der Kreis der Botanisten um 1800 noch überschaubar war, nahmen also Informationen zu zentralen Handlungträgern, zu Personen und Aktivitäten einen breiten Raum ein. Reisenachrichten Ein sich sehr lange durchziehender, wichtiger und ausgebreiteter Bereich persönlicher Nachrichten etwa sind die durchwegs auftauchenden Reisenachrichten. Dabei gehen das Interesse an wissenschaftlichen Funden und an der Person ineinander über. Vielfältig etwa sind Nachrichten wie: „Der naturhistorische Reisende, Hr. Dr. Sieber aus Prag, ist, nachdem er sich durch zwey Jahre in Creta, Aegypten, Syrien, Jerusalem u. s. w. aufgehalten, glücklich in Triest gelandet. Sobald er die Comtumaz (hier ist wohl eine Art Quarantäne gemeint, die man absolvieren musste, bevor man ins Heimatland zurückkehren durfte, A. d. V.) daselbst vollstreckt haben wird, gedenckt er mit seinen Sammlungen aus allen drei Reichen, Mumien und Alterthümern, die 18 Kisten anfüllen, nach Prag zurückzukehren, wo er jedoch nicht länger verweilen wird, als nöthig ist, um seine Sammlungen zu ordnen, und zum Theil abzusetzen, um dann wieder eine neue noch ausgedehntere Reise zu beginnen.“583 Oder es heißt in einer mit „Reisende Botaniker“ betitelten Rubrik: „Hr. Dr. E ­ hrenberg, welcher sich bekanntlich mit Hrn. Dr. Hemprich im Juli 1820 zu Triest nach Aegypten einschiffte (Flora 1820 S. 636) (…) ist am 5. December glücklich wieder in Triest angelangt, und wird sich nach ausgestandener Quarantaine sofort nach Berlin begeben. Von seiner Krankheit, die ihn sehr mitgenommen hat, ist er fast gänzlich hergestellt. Die Botanik wird sich durch seine Erfahrungen sehr bereichert sehen, und wir hoffen, unsern Lesern 583 Unter „Nachrichten“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 2, Band 1, Ausgabe Nr. 6 vom 14. ­Februar 1819, S. 96.

Öffentlichkeit und Privatheit in den botanischen Wissenskreisen um 1800  |

manches darüber mittheilen zu können.“584 Es folgen Informationen über einen Herrn Holl, der in den Apennin abgereist ist sowie einen Gärtner mit Namen Eschenlohr, der nach Korsika aufgebrochen ist. Die Beispiele sind hier beliebig gewählt und zeigen nur die Struktur dieser Art von Nachrichten in den Magazinen an. Auch längere „Nachrichtenlosigkeit“ wird dabei zu dieser Zeit noch kommentiert, so heißt es etwa 1802: „Vom Herrn von Humboldt hat man lange keine Nachrichten. Man fängt dieserhalb an, etwas besorgt zu werden, da man bisher gewohnt war, von ihm öfters Briefe und zwar gewöhnlich in Duplicaten zu erhalten.“585 Nachrichten über Tod, Beförderung, Begegnungen „Erfurt. Am 12ten May früh vier Uhr entschlief nach einem vierteljährigen Kranken­ lager Hr. Dr. Johann Samuel Naumburg, ausübender Arzt und Privatlehrer der Naturgeschichte aus hiesiger Universität.“586 So und ähnlich wird auch immer wieder das Versterben bekannter Experten angezeigt und betrauert. Nicht selten erfolgt dabei auch eine längere oder kürzere Lebensbeschreibung des Betroffenen und es wird berichtet, was mit der entsprechenden wissenschaftlichen Hinterlassenschaft geschieht. So heißt es etwa über das Herbarium von Gieseke: „Des verstorbenen Professor Gieseke’s grosses Herbarium ist für 40 Louisd’or verkauft. Der Käufer hat es einer gewissen Madame Ross in London geschenkt, die sehr viel Kenntniss in der Botanik haben soll. Zwanzig Packen mit Doubletten hat Hr. Dreves aus Gieseke’s Nachlass erstanden. Man glaubt, dass letzterer den besten Kauf gethan habe. – Georg Forster’s schönes Herbarium ist auch nach London gekommen, aber bey weitem theurer bezahlt.“587 Die beiden letzteren Beispiele stammen aus dem Archiv für die Botanik, womit auch verdeutlicht werden soll, dass diese Art personenbezogener Berichterstattung in allen botanischen Magazinen der Zeit existierte. Die meisten der botanischen Magazine stellen allerdings nach 1830 ihr Erscheinen wieder ein, so dass der Wandel hier weniger in der Zeitschrift selbst nachvollziehbar ist, als dass ihr Verschwinden symptomatisch ist für das Abklingen einer Bewegung. Aber nicht nur der Tod von Personen wird angezeigt, sondern auch Beförderungen, Begegnungen, Adressänderungen etc. So schreibt Wies 1826 bspw. in der Flora: „Ich ersuche die Theilnehmer der süddeutschen Pflanzen-­Tausch-­Anstalt, auf meiner Adresse die Buchstaben B. S. zu setzen, damit die Briefe während meinem etwanigen 584 „Reisende Botaniker“, in Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 1, 1826, Ausgabe Nr. 2 vom 14. Januar 1826, S. 31. 585 „Botanische Notizen“, in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1, Band 1, Ausgabe Nr. 20 vom 14. Oktober 1802, S. 314. 586 Unter „Aublet“, in Archiv für die Botanik, Band 2, 2. Stück (1801), S. 312. 587 Archiv für die Botanik, Band 2, 2. Stück (1801), S. 310.

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Aufenthalt auf den Alpen von einem hiesigen Freunde beantwortet werden können. Tübingen. Wies, Med. St.“588 Oder es wird von Begegnungen berichtet, etwa von Hornschuchs Besuch in Regensburg: „Da Hr Prof. Hornschuch wünschte, die persönliche Bekanntschaft des Hrn Präsidenten der Königl. botan. Gesellschaft, Grafen von Bray, zu machen, und die alte Bekanntschaft des Hrs. Prof. Duval zu erneuern, so begleitete ihn Hr. Prof. Hoppe nach Irbach, wo sich dann ein Zusammentritt von Botanikern bildete (…).“589 Unter Rubri­ken wie „Botanische Notizen“ werden allerlei „Personennachrichten“ kommuniziert: Nees von Esenbeck habe den roten Adlerorden erhalten, Ehrenberg sei von seiner Ägypten­reise heimgekehrt, Hornschuch werde eine Alpenreise antreten; Nees von E ­ senbeck werde mit dem Gärtner Sinning bald ein Werk mit Abbildungen der blühenden Gewächse des botanischen Gartens zu Bonn herausgeben, der Geheime Rat Link habe wieder die Feder ergriffen und ein Werk angekündigt, Schlechtendal bringe ein neues Botanik-­Journal mit dem Titel „Linnaea“ heraus usw.590 So stellt die Zeitschrift hier noch eine Art Plattform dar, über die inhaltliche wie die Personen betreffende Nachrichten ausgetauscht werden, Tauschaktionen und ökonomische Transaktionen getätigt werden sowie neueste Entwicklungen besprochen werden.

5.1.2 Preisverleihungen, Ausstellungen und „botanische Geselligkeit“ Nicht nur das Verschwimmen von Wissen, Wissenschaft und persönlichen Nachrichten ist in der Frühzeit der botanischen Magazine zentral, es schließen auch an die gelehrten Kommunikationen und Aktivitäten nahtlos gesellig-­unterhaltende Aktivitäten des Bürgertums an. Sensationen, Preise, Ausstellungen Botanisches gehört in dieser Zeit zum Wissenswerten schlechthin. So haben beispielsweise Nachrichten über exotische Pflanzen durchaus auch Sensationscharakter. Und es wird von ihrer Entwicklung berichtet, wie etwa im Archiv für die Botanik von 1801: „Die Pflanzen, die Capitain Baudin in 150 Kisten nach Paris gebracht hat, wachsen mit vieler Munterkeit und einige haben geblüht. Eine Begonia pentaphylla hat fleischfarbene Blumen von 588 Unter „Anzeigen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 1, Ausgabe Nr. 3 vom 21. Januar 1826, S. 48. 589 Unter „Botanische Notizen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 2, Ausgabe Nr. 37 vom 7. Oktober 1826, S. 591 f. 590 „Botanische“ Notizen, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 1, Ausgabe Nr. 15 vom 21. April 1826, S. 234 ff.

Öffentlichkeit und Privatheit in den botanischen Wissenskreisen um 1800  |

der Gestalt der Catalpa, aber grösser. Eine Art Tournefortia scheint neu (…). Vier Arten Palmen fangen an zu schiessen; unter diesen die Cocosnuss und die Kohlpalme. Merkwürdig ist ein baumartiges Polypodium (…).“591 Ebenso wird mitgeteilt, ­welche Blumen und Gewächse Preise bei sogenannten „Blumen­ausstellungen“ erzielt haben. Diese wurden von botanischen Gesellschaften und Vereinen ausgerichtet, wie etwa 1826 in der Flora unter „Botanische Notizen“ berichtet wird: „Von den niederländischen Blumengesellschaften wurden bei den vorjährigen Preisvertheilungen nachstehende Gewächse als die vorzüglichsten befunden: Zu Dornick erhielt den ersten Preis eine Robinia hispida, ­welche der Blumengärtner Hr. Oloes gezogen hatte. Den 2ten Preis (…) usw.“592 Blumenausstellungen sind allerdings erst in den 1820er und 1830er Jahren zu finden. (Sie sind verbunden mit der im nächsten Kapitel verfolgten „Blumisterei“, jener Zeit, in der die Begeisterung für das botanische Wissen um die verschiedenen Pflanzen eher zurückgeht, während das Ziehen von Pflanzen einen Aufschwung nimmt, siehe Teil III .) Über derartige Ausstellungen wird sodann berichtet: „Obschon die diesjährige, am 4. Mai eröffnete Blumen-­Ausstellung durch die bisher so ungünstige Witterung mit mancher Prachtverminderung bedroht schiene, so übertraf selbe dennoch alle beiden vorhergehenden an Blüthenreichthum und selbst seltneren Gewächsen. Es ist dies immer ein Beweis, wie sehr derlei öffentliche Ausstellungen auf den Geschmack des Publikums einwirken und neue Liebhaber erzeugen.“593 Gelegentlich führen derartige öffentliche Ausstellungen sogar zu Auseinandersetzungen in der bürgerlichen-­gebildeten Gesellschaft. So berichtet etwa Nees von Esenbeck vom sogenannten „Rosenstreit“ in Hamburg, bei dem es um die richtige Benennung und Zuordnung einer Rose ging und um die Frage, ob hier eine neue Rosenart vorliege oder nicht. „Gelehrte“ und Publikum“ nahmen hier gleichermaßen teil. Nees von Esenbeck kommentiert: „Es scheint, dass von dieser Zeit an, vielleicht schon früher, das Publikum der Stadt Hamburg überflüssigen Antheil an ­diesem Streite genommen, dadurch Erbitterung, ­Aerger, ja vielleicht Sorge in ­diesem und jenem geweckt habe. Das Redouté’sche Rosenwerk wurde von Hrn Prof. Lehmann herbeigeschafft, die die fragliche Rose vorstellende Tafel aufgesucht und das Werk im botan. Garten zur Beurtheilung der Kenner und Nichtkenner ausgestellt. Man fand das Bild mit der Rose: Königin von Dänemark übereinstimmend. Es ist ein schönes Bild der Rosa alba bifera, oder wie man sie nennen will; die Herren Booth und ihre Freunde liessen, wie leicht zu denken, diese Ueber­ einstimmung nicht gelten (…). Auch Briefe wurden als Zeugnisse im Original und in

591 Unbetitelte vermischte Nachrichten, in: Archiv für die Botanik, Band 2, 2. Stück (1801), S. 310. 592 „Botanische Notizen“, in Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 1, Nr. 2 vom 14. Januar 1826, S. 29 f. 593 Unter „Correspondenz“, in: Flora oder Allgemeine botanische Zeitung, Jahrgang 20, Band, 1, Nr. 20 vom 28. Mai 1837, S. 317.

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beglaubigten Abschriften vorgelegt und vom Publikum eingesehen.“594 Es existiert also, im Verbund mit verschiedenen Expertenlagern, eine öffentlich-­gesellig-­gelehrte Kommunikation über eine Rosenart, die offensichtlich mit großer Ernsthaftigkeit geführt wird. Der komplexe Bericht über den Streit wird sogar noch in der nächsten Ausgabe fortgeführt. Geselliges, Unterhaltendes kommt des Weiteren in Preisfragen, Berichten zu „Merkwürdigkeiten“ oder sogar in Rätseln zum Ausdruck. So finden sich in der Flora zum ­Beispiel auch „Naturhistorische Rätsel.595 Bürgerliche Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft und bürgerliche Geselligkeit bis hin zur Unterhaltung gehen hier zur Blütezeit aufklärerischer Botanophilie Hand in Hand. Im zentralen Medium der aufklärerischen Zeitschrift schlägt sich diese Verbindung augenfällig nieder.

5.1.3 Die offene scientific community als soziales Netz Gelegentlich erscheint die offene scientific community dabei auch als Netzwerk, das sogar in sozialen Notfällen einspringt. So findet sich beispielsweise in der Flora von 1826 ein „Aufruf an die Humanität der deutschen Botaniker, namentlich der Mitglieder der königl. bayer. botanischen Gesellschaft zu Regensburg“ in dem es heißt: „Ein sehr ausgezeichneter, in ganz Europa bekannter Botaniker, Mitglied unseres wissenschaftlichen Vereins, befindet sich durch eine Folge von Unglücksfällen und als Opfer einer verhängnisschweren erschütterten Zeit, in dem grössten Unglücke. Die bitterste Dürftigkeit verfolgt ihn und bei seiner zahlreichen Familie nagt tiefer Gram, über die Unmöglichkeit, sich selbst zu helfen, an seinem Leben. In ­diesem Verhältnis übernimmt es die unterzeichnete Gesellschaft, ihren Wirkungskreis über den der Wissenschaft auszudehnen, und wünscht durch eine zeitgemäße Hülfe, der Wissenschaft einen ihrer verdienten Priester zu erhalten, sich selbst aber das Bewusstseyn zu verschaffen, die ihr verliehnen Mittel zu einem edlen Zwecke nach Vermögen angewendet zu haben. Sie bittet daher alle deutschen Botaniker, und jeden Freund der Wissenschaft (…) ­diesem trefflichen im Unglück schmachtenden Botaniker (…) durch einen verhältnissmässigen Geldbeitrag eine Unterstützung werden zu lassen. (…) Jede, auch die kleinste Gabe wird willkommen seyn und den segnenden Dank der Gesellschaft erndten.“596 Der Name des Betroffenen 594 Von der gesamten Auseinandersetzung wird berichtet in: „Der Rosenstreit. An O… von Nees v. ­Esenbeck“, in: Flora oder Allgemeine Botanische Zeitung, Jahrgang 17, Band 2, Ausgabe Nr. 25 vom 7. Juli 1834, S. 385 ff, hier S. 395. 595 In Reimform etwa wird beschrieben: „Ein Sämann zieht singend herum in der Welt / Er hat weder Acker, noch Wiesen noch Feld (…)“ usw., wobei vermutlich ein Samen verbreitender Vogel gesucht ist. („Naturhistorisches Räthsel“, in: Flora, Jahrgang 2, Band 1, Ausgabe Nr. 10 vom 14. März 1819, S. 160.) 596 „Aufruf“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 2, Ausgabe Nr. 46 vom 14. Dezember 1826, S. 733 ff.

Aspekte des Wandels  |

wird nicht veröffentlicht, wohl aber die Spendernamen. Spenden werden eingesammelt durch Von Schrank in München, Dr. Steudel und Prof. Hochstetter in Esslingen, Prof. Koch in Erlangen, Prof. Hornschuch in Greifswald, Prof. Bekker und Apotheker Meyer in Frankfurt, Apotheker Wild in Cassel, usw. Die Sammelstellen sind so über das ganze Reich verteilt, wobei Professoren zwar die größte Gruppe stellen, aber auch Apotheker und Geheimräte beteiligt sind. Der in Not geratene Wissen­schaftler erhält also Hilfe. In der auf Bekanntschaft, Freundschaft und Kollektivität beruhenden offenen scientific community ist die „Wissenschaft“ nicht nur Beruf, sondern in gleichem Maße soziales Umfeld und – wie sich hier zeigt – soziales Netz.

5.2 Aspekte des Wandels: Von der offenen zur geschlossenen scientific community? Das langsame Fortschreiten der Professionalisierung der Botanik verändert jedoch die Welt der Botaniker. In der Entwicklung der Zeitschrift Flora lässt sich dies teilweise nachvollziehen. Bereits 1820 weist die Flora beispielsweise sogenannte „Beilagen“ auf, Extrabroschüren, die nun zusätzlich publiziert wurden. Zwar fanden sich in diesen Beilagen, genau wie im Basisheft zunächst auch Abhandlungen zu botanischen Th ­ emen, Korrespondenzen oder auch „botanische Nachrichten“ aller Art, dies änderte sich aber rasch. (Gelegentlich tauchen auch sogenannte „Ergänzungsblätter“ auf,597 ab 1831 ist nicht mehr von Beilagen, sondern dem beigefügten „Intelligenzblatt“ die Rede.) In den beigefügten Broschüren finden sich nun mehr und mehr die zum Kauf gesuchten oder für den Verkauf gedachten Pflanzenverzeichnisse, Nachrichten vom botanischen Reiseverein, Buchanzeigen, Preisfragen etc., weniger die Abhandlungen. Die „Spreu“ wird zwar sozusagen nicht sofort vom Weizen getrennt, denn auch im Hauptheft finden sich immer noch gelegentlich Nachrichten und Reiseberichte etc., das Hauptgewicht liegt aber im Basismagazin nun zunehmend auf den Abhandlungen. Auch hier handelt es sich so weniger um eine sofortige Auslagerung der persönlichen und ökonomischen Nachrichten, sondern eher um Schwerpunktverschiebungen, indem das nun offensichtlich zunehmend als „nichtwissenschaftlich“ Eingestufte mehr und mehr in die Beilagenblätter verlagert wird. Insgesamt werden Literaturberichte und Verkaufsanzeigen ab ca. 1832 sodann fast ausschließlich auf die Beiblätter verlagert, während im Basisblatt das verbleibt, was die „Wissenschaft“ selbst betrifft: Abhandlungen, Korrespondenzen von „Wissenschaftlern“ und Sitzungsberichte.598 Ab 1843 erscheint die Flora sodann zudem in Form einer Neuen 597 Z. B. 1828 und die folgenden Jahrgänge. 598 Siehe: „An unsere Leser“, in: Flora, Jahrgang 15, Band 1, Nr. 7 vom 21. Februar 1832, S. 111 f.

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Reihe. Man verlegt sie in einem neuen größeren Druckformat und strukturiert 1843 sogar zeitweise Inhaltsverzeichnisse nach Teilfächern (Histologie, Organologie, Physiologie etc.). Zweifelsohne verläuft der Prozess des Wandels von der Informationsplattform des botanischen Publikums zum fachwissenschaftlichen Magazin nicht linear, dennoch ist der Charakter der Flora um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein völlig anderer als jener zu Beginn des Jahrhunderts. Minimierung des Personenkreises Die Flora ist, wie es scheint, die einzige aus dieser Zeit bis heute ununterbrochen fortgeführte deutschsprachige botanische Zeitschrift. Bis 1888 wurde sie in Regensburg verlegt, ab 1965 wurde sie in Teilgebiete (Physiologie und Biochemie sowie Morphologie und Geobotanik) unterteilt.599 Der qualitative Wandel fällt auch in der Titelblattgestaltung ­zwischen erstem und zweitem Band von 1830 ins Auge. Ab dem zweiten Band von 1830 werden auf dem Titelblatt die „werten mitwirkenden Herren“ (die Autoren der Abhandlungen) namentlich genannt.600 Diese Liste wächst 1831 auf 30 mitarbeitende Herren an. (Hauptherausgeber sind jetzt August Emanuel Fürnrohr und Hoppe.) Es gibt also jetzt ein Autorenteam aus renommierten Personen, während vorher der Plattformcharakter vorherrschend war und es in vielen Fällen darum ging, jedwede von einem Interessenten eingesandte Beobachtung, Neuigkeit oder Angebotsannonce zu publizieren. Aber auch auf personaler Ebene der botanischen Gesellschaften werden nun offensichtlich stärkere Grenzen gezogen. Waren beispielsweise die Mitglieder der botanischen Gesellschaft in Regensburg zunächst ein bunt gemischtes Völkchen aus Ärzten, Apothekern, Räten, Lehrern, Predigern,601 so zeigen die in der Flora publizierten Aufnahmelisten von neuen Mitgliedern nach dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts zunehmend ein anderes Gesicht. 1830 beispielsweise sind unter 24 neu aufgenommenen Personen nur noch ein Advokat, ein Generalsuperintendant eines botanischen Gartens in Kalkutta und zwei Pastoren – alle anderen sind Professoren oder Doktoren.602 Waren in den frühen Jahren alle Botanisten und Pflanzenfreunde aufgefordert, ihre Beobachtungen, Experimente und sonstigen Erkenntnisse botanischer Art in der Flora mitzuteilen, so heißt es 599 Wobei beispielsweise eine der seit 1970 laufenden Reihen lautet: Flora – Morphology, Distribution, Functional Ecology of Plants. Siehe: http://www.bibliothek.uni-­regensburg.de/hoppe/flora.htm (Stand 16. 6. 2016). 600 Mittlerweile sind es 24 Mitarbeiter („werte Herren“) von einem Herrn Becker bis zu einem Herrn ­Zuccarini. Siehe das Titelblatt von Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 13, Band 2 (1830). 601 Siehe etwa: „Ehrenbezeugungen“ (Nennung der 1801 aufgenommenen Mitglieder der Botanischen Gesellschaft Regensburg), in: Botanische Zeitung, Jahrgang 1, Nr. 8 vom 22. April 1802, S. 127 ff. 602 Unter: „Ehrenbezeigungen“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 13, Band 1, Ausgabe Nr. 19 vom 21. Mai 1830, S. 303.

Aspekte des Wandels  |

1841 in den Statuten zur Flora: „Für öffentliche Belehrung hat die Gesellschaft ein Organ in der ihr herausgegebenen Flora oder allgemeinen botanischen Zeitung. Diese Zeitschrift gibt Nachricht von den wissenschaftlichen Leistungen der Mitglieder, wie von anderweitigen Arbeiten auf dem Felde der Botanik, indem sie Abhandlungen, Uebersetzungen, Auszüge, Recensionen und kleinere Anzeigen veröffentlicht. Es wird hierbei beabsichtigt, dass vorzugsweise die von den Mitgliedern herausgegebenen Schriften durch Vermittlung der Gesellschaft in Auszügen oder Recensionen dem grössern Publikum bekannt gemacht werden.“603 Hier geht es nicht mehr um den Austausch aller, hier wird nur noch dem Publikum etwas mitgeteilt – es wird belehrt. Unter den Mitgliedern wird nun in Ehrenmitglieder („im Leben oder in der Wissenschaft hochgestellte Personen“), „beitragende Mitglieder“ sowie in „Freunde der Botanik im Allgemeinen“ unterschieden. Letztere sind diejenigen „welche sich, ohne unmittelbar an den wissenschaftlichen Arbeiten der Gesellschaft Theil zu nehmen, zur Förderung praktischer Zwecke zu einem jährlichen Geldbeitrag anheischig machen und von der Gesellschaft Mittheilungen von Sämereien und andern auf die Pflanzenkultur sich beziehenden Gegenständen entgegennehmen.“604 Die Freunde der Botanik im Allgemeinen erscheinen hier nur noch als Geldgeber und Liebhaber der praktischen Pflanzenzucht, sie gelten nicht mehr als „Wissenschaftler“, wie die Professoren und Doktoren. Während in der Anfangszeit der Botanophilie, im 18. Jahrhundert, selbst der botanisch tätige Medizinprofessor meist weiter als praktischer Arzt tätig blieb, heißt es 1828: „Es erfordern auch mikroskopische Untersuchungen Musse und Geduld, ja dass man sich ihnen ausschliesslich widmen könne, und vertragen sich nicht wohl mit den Anstrengungen eines andern Berufes“605. Professionalisierung wird hier greifbar: Botanische Wissenschaft wird zum Beruf. Sie ist nicht mehr „Gelehrsamkeit“. Gelehrsamkeit ohne institutionelle Anbindung wiederum ist keine „Wissenschaft“ mehr.

603 „Statuten der königlich-­bayerischen botanischen Gesellschaft zu Regensburg“, in: Flora oder allgemeine Botanische Zeitung, Jahrgang 24, Band 1, Ausgabe Nr. 1 vom 7. Januar 1841, S. 2. 604 „Statuten der königlich-­bayerischen botanischen Gesellschaft zu Regensburg“, in: Flora oder allgemeine Botanische Zeitung, Jahrgang 24, Band 1, Ausgabe Nr. 1 vom 7. Januar 1841, S. 3 f. 605 Rezension von Meyers Schrift zur Kreislauflehre, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 11, Band 2, Ausgabe Nr. 26 vom 14. Juli 1828, S. 403.

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6 Kapitelschluss: Das Botanisieren als Teil des Bildungsoptimismus und aufklärerischbürgerlicher Geselligkeit

Das Botanisieren und Herborisieren zeigte sich in mannigfaltigen Facetten als Teil der aufklärerischen Bildungsbewegung. Aspekte der Verbreitung von Wissen und Wissen­ schaft in den verschiedenen Ständen und Regionen, unter Frauen, Männern und ­Kindern zielten dabei nicht nur auf die „Bildung“ eines botanischen Allgemeinwissens, sondern auf die Erziehung zum Forschen, Beobachten und Suchen schlechthin – mit Goethes Faust formuliert, zum „Streben“ nach Erkenntnis. Der Appell zur Beteiligung an der botanischen Wissenskompilation für das Kollektiv gilt dabei der Ausbildung aller Verstandes- und Herzenskräfte des Individuums. Das Botanisieren stand dabei zunächst jedem und jeder offen, der oder die Zeit und geringfügig auch materielle Mittel für die Ausübung dieser Tätigkeit erübrigen konnte. Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Botanisieren somit ein integraler Bestandteil des großen Abenteuers „Aufklärung“, ein Teil jener Ideale, die fest im Glauben daran verankert waren, dass jede und jeder sich selbst durch den Wissens­ erwerb, durch die Teilnahme an den Zirkulationsprozessen des Wissens erziehen und „verbessern“ kann, ja zur eigentlichen „Humanität“ ausbilden kann. In d ­ iesem Glauben an die Bildbarkeit der eigenen Person begegnet uns das egalitäre Moment der Aufklärung ebenso wie die hierarchisierte Kette der Wesen. In der aufklärerischen Idee vom Menschen hat dabei jeder und jede die Möglichkeit zur Selbsterziehung, wie weit er allerdings damit fortschreitet, bestimmt seinen Standort, bestimmt, auf welcher „Stufe“ auf der Leiter hinauf zur wahren Humanität er steht. Jeder kann so durch Bemühung, durch „Studium“, durch die den bürgerlichen Werten voranstehende Leistung seinen „Rang“ auf der Stufenleiter verbessern. Das Botanisieren ist daher weitgehend eine aufklärerisch-­ bürgerliche Tätigkeit. Es geht vom Leistungsprimat aus und nicht von der gottgesetzten stabilen Rangordnung aristokratischen Denkens, auch wenn fraglos Adlige unter den Botanisten und Botanistinnen zu finden sind. Dabei geht es beim Botanisieren vielfach um eine gemeinsame Tätigkeit, um den Austausch und nicht zuletzt um botanisch-­ bürgerliche Geselligkeit. Den „neuen Medien“ um 1800, den Zeitschriften, kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie öffnen in völlig neuer Weise für größere Gruppen den Zugang zum botanischen Wissen und ermöglichen in ihren Anfängen für eine größere Bevölkerungsgruppe eine Art „Demokratisierung“ des Wissens und der Wissenschaft. Botanisches Wissen und botanische Wissenschaft sind um 1800 so noch offene Felder, in denen vielfältige Personenkreise teilhaben und die noch nicht getrennt sind. Die auf

Kapitelschluss: Das Botanisieren als Teil des Bildungsoptimismus  |

das Kollektiv ausgerichtete botanische Wissenschaft zieht sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Prozesse von Institutionalisierung, Professionalisierung und Differenzierung in den für viele unzugänglichen wissenschaftlichen Elfenbeinturm zurück. „Wissenschaftliches“ botanisches Wissen wird dann (wieder) nur noch in der „scientific community“ zirkuliert, nicht mehr in der Gesellschaft als Ganzes. Mit der Trennung von Erwerbs- und Familienleben, der Trennung von Arbeitsraum und Privatraum 606 etabliert sich eine vom Haus dissoziierte professionelle (männliche) botanische Wissen­ schaft, wie es Elizabeth Keeney für das 19. Jahrhundert in Amerika beschrieben hat: Die neue, professionalisierte und institutionell gebundene Botanik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgt nun in den Laboren der Universitäten, erfordert eine universitäre Ausbildung und formiert sich in einer weitgehend geschlossenen scientific community.607 Dass aber auf der anderen Seite auch die Tradition der im 19. Jahrhundert zunehmend in den Bereich der amateurhaften und freizeitlichen Botanik abgedrängten, sammelnden und beschreibenden Naturforschung durchaus weiterlebte und als „eigenständiger Modus der naturhistorischen Forschung“ gewürdigt werden sollte, hat Tobias Scheidegger in seiner Arbeit zur außeruniversitären Naturforschung in der Schweiz um 1900 kürzlich dargelegt.608

606 Siehe: Nahrstedt, Wolfgang: Die Entstehung der „Freizeit“ ­zwischen 1750 und 1850, Hamburg 1972, S. 200 ff.; aus geschlechtergeschichtlicher Sicht: Hausen, Karin: „Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegleung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben“, in: Conze, Werner (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363 – 393. 607 Siehe: Keeney, Elizabeth B.: The Botanizers. Amateur Scientists in Nineteenth-­Century America, C ­ hapel Hill / London 1992, besonders Kapitel 9. 608 Scheidegger, Tobias: „Petite Science“. Außeruniversitäre Naturforschung in der Schweiz um 1900, Göttingen 2017.

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TEIL III

Vom Wissen zu den Alltagspraktiken – Die Pflanze im Haus

Im Flügel oben hinterm Korridor, Wo es so jählings einsam worden ist – Nicht in dem ersten Zimmer, wo man sonst Ihn finden mochte, in die blasse Hand Das junge Haupt gestützt, die Augen träumend Entlang den Wänden streifend, wo im Laub Von Tropenpflanzen ausgebälgt Getier Die Flügel spreizte und die Tatzen reckte, Halb Wunder noch, halb Wissensrätsel ihm – Nicht dort; der Stuhl ist leer, die Pflanzen lassen Verdürstend ihre schönen Blätter hängen; Staub sinkt herab; – nein, nebenan die Tür (…) (Theodor Storm, Geh nicht hinein, 1878, in: Laage, Karl Ernst und Paulsen, Ingwert: Theodor Storm – Gedichte, Husum, 8. Auflage 1991, S. 55.)

Um 1800 stehen Wissensinhalte, Wissenspraktiken und Alltagspraktiken miteinander in Verbindung und gehen ineinander über. Der folgende dritte Teil ­dieses Buches ist daher den „botanophilen Alltagspraktiken“ gewidmet. Damit sind Handlungen in Bezug auf die Pflanzen gemeint, die sich in Routineabläufen, in im Alltagsleben anfallenden, sich wiederholenden, aber auch nach Moden variierenden Tätigkeiten manifestieren. Diese Alltagspraktiken stehen zu Beginn der bürgerlichen Zimmerpflanzenkultur noch in enger Verbindung mit den botanischen Wissenspraktiken. Botanisches Wissen stellt um 1800 noch eine Art Sediment dar, auf dem die Zimmerpflanzenkultur aufbaut. Die hier erfolgende Annäherung an „die Pflanze im Haus“ begreift das Phänomen der nach der Jahrhundertwende entstehenden Zimmerpflanzenkultur deshalb als Praktik, die mit der Botanophilie in Verbindung steht und an ihr zunächst noch Teil hat. Die Zimmer­ pflanzenkultur steht anfänglich im direkten Zusammenhang mit den in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Wissensinhalten über das Lebewesen „Pflanze“ und den Wissenspraktiken der aufklärerisch-­botanisierenden Wissensgesellschaft und ihrer bürgerlich-­botanischen Geselligkeit. Die Botanophilie hat dabei zweifelsohne Schnittmengen mit der allgemeinen Gartenliebe um 1800 und mit kulturellen Traditionen der Gärtnerei, beziehungsweise ist mit dieser verschwistert. Diese Schnittmengen sollen im Folgenden mitbeachtet werden, ohne hier allerdings die Geschichte des Gartenwesens umfassend verfolgen zu können. Vielmehr geht es um die Permeabilität der Wissensfelder um 1800, um Verbindung und Verknüpfung. Es geht um die Umsetzung von botanischem Wissen in Alltagspraktiken und um die in dieser Zeit noch engen Verzahnungen ­zwischen Wissen, Wissenschaft und Alltagspraktiken. In den Blick kommen Pflanzen als Studienobjekte, „Luftreiniger“ und ins Haus geholte Natur. Das Ziehen der Pflanzen im Haus, auf Fensterbrettern und in Fensterkästen steht hier noch in vielfacher Beziehung zu dem botanisch-­naturwissenschaftlichen Wissen. Es entfernt sich im 19. Jahrhundert aber mehr und mehr von ­diesem und wird Teil bürgerlicher Wohnkultur und Selbstinszenierung. Zum populär gewordenen Botanisieren gesellt sich mehr und mehr die Integration der Pflanze in die Innenräume, wobei immer weniger botanische, dafür immer mehr ästhetische Elemente eine Rolle spielen. Die Verbreitung der exotischen Pflanzen als repräsentative Zurschaustellung bürgerlichen Wohlstandes und die „Interieurisierung“ der Pflanze kennzeichnen um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Ende des eigentlichen aufklärerisch-­botanophilen Zeitalters.

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„Wie kam das Grün ins Haus?“ Christel Köhle-­Hezinger hat diese Frage schon 1998 aus volkskundlicher Sicht gestellt.1 Eigene, umfassendere historische Studien zur Entstehung der Zimmerpflanzenkultur in Europa finden sich nicht. (Für den amerikanischen Raum hat Tovah Martin – leider aber mit zu wenig Verweisen auf die Quellen – den Einzug der Zimmerpflanzen in die viktorianische Kultur beschrieben.)2 Köhle-­Hezinger versuchte in ihrem Aufsatz, Licht auf das Verhältnis von Mensch und Pflanze zu werfen. In ihrer Lesart – aufgrund ihrer Beschäftigung mit der Volkskultur und vorwiegend ländlicher Kultur – wanderten die Pflanzen en gros erst im 19. Jahrhundert „ins Haus“, während vorher eher Trockenblumen, Blumenmuster in Form von Kränzen, Intarsien, Geschirrbemalungen etc. üblich gewesen s­ eien. Und sehr lucide schreibt sie, allerdings bezogen auf heutige Praktiken: „Oft, so scheint es, ist (…) die kulturelle Tätigkeit um die Pflanze herum wichtiger als diese selbst.“3 Für die hier im Zentrum stehenden (bildungs-)bürgerlichen Kreise, in denen bereits am Ende des 18. Jahrhunderts die „Zimmergärtnerei“ ihren Aufschwung nimmt, ist dies zweifellos zutreffend. In der bürgerlich-­botanischen Wissenskultur folgt sozusagen die „lebendige“ Pflanze in Form der Zimmerpflanze verzögert der „toten“ Pflanze in Form des Herbariums „ins Haus“ beziehungsweise in die Studierstube und steht mit dieser zunächst auch in Verbindung. Von den Zweigen der Wissensentwicklung ist die entstehende Zimmerpflanzen­kultur nicht zu trennen, wie etwa der Wissenschaft von der Luft (siehe unten Kap. 2). Die Praktiken der bürgerlichen Zimmerpflanzenkultur sind in dieser Zeit von den Praktiken der neuen Wissensgesellschaft noch nicht abgekoppelt. Hier sollen zunächst die Übergänge und Zwischenzonen von botanischen Wissensfeldern, botanischer Bildung und praktischer Pflanzenzucht in den Blick kommen, die Umsetzung von Wissen in den Praktiken der „Pflanzenwartung“ und der „Blumisterei“, wie es in den Quellen heißt. Betont sei dabei, dass es sich im Folgenden wiederum nicht 1 Köhle-­Hezinger, Christel: „Wie kam das Grün ins Haus? Anmerkungen zum Verhältnis Mensch – Haus – Pflanze“, in: Bimmer, Andreas C. (Hrsg.): Grünzeug. Pflanzen im ethnographischen Blick (Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung = Neue Folge der Hessischen Blätter für Volkskunde) Band 34, Marburg 1998, S. 11 – 34. Erneut wurde der Aufsatz in einem Jubiläumsband abgedruckt: Köhle-­Hezinger, Christel: Alltagskultur. Sakral – profan (Ausgewählte Aufsätze), Münster 2011, S. 141 – 160. Es ist einer der wenigen Aufsätze, die sich explizit mit der Zimmerpflanzenkultur befassen. 2 Martin, Tovah: Once upon a Windowsill. A History of Indoor Plants, Portland 1989. Tovah Martin verbindet dies vorwiegend mit der Entstehung des Salons im viktorianischen Haus und auch mit einzelnen Architekten, wie etwa Andrew Jackson Downing, laut dessen ­Theorie Menschen, die sich mit schönen Dingen umgeben, notgedrungen moralisch bessere Menschen ­seien, weshalb er offenbar die Zimmerpflanze empfahl. Siehe Martin, S. 5 f und 12 f. 3 Köhle-­Hezinger, Wie kam das Grün ins Haus?, 1998, S. 13.

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um eigentliche Nutzpflanzen im und am Haus handelt, wie sie etwa Judith Sumner in ihrer Arbeit American Household Botany aufgegriffen hat, obwohl auch diese eng mit der Zier- und Zimmerpflanzenkultur wie auch dem botanischen Wissen verknüpft sind. Dieser Aspekt grenzt hier jedoch an.4 Gartengeschichtliche Werke wiederum beachten selten das „Grüne“ im Haus.5

1.1 Universalpflanzenkundler In Hoppes Botanischem Taschenbuch ist der Zusammenhang von botanischem Wissensdurst und „Zimmergärtnerei“ offensichtlich. Für Hoppe steht beim Hereinholen der Pflanzen in Fensterkästen oder Zimmer zweifelsohne aber die Beobachtung und das wissenschaftliche Interesse im Vordergrund. In einem Aufsatz Ueber das Erziehen der Pflanzen schreibt er: „Hier (im Zimmer, A. d. V.) hat man Gelegenheit täglich das immer weiter aufblühende Gewächs mit Aufmerksamkeit zu beobachten, und bei dieser Gelegenheit so manche Entdeckung zu machen, die einem sonst entgangen wäre.“6 Hier kann man laut Hoppe auch Versuche mit Pflanzen anstellen oder durch das Ziehen der Pflanzen im Zimmer den optimalen Blühzeitpunkt zum Trocknen der Pflanzen abwarten. Manche Pflanzen können sowieso nur im Haus gezogen werden: „Ja mancher kann auf diese Art die seltensten Alpenpflanzen erziehen, einlegen und beobachten, die er sonst vielleicht in seinem Leben nicht gesehen hätte.“7 Auf den folgenden Seiten erscheinen passenderweise Berichte über Alpenexkursionen und im gleichen Heft auch eine Ankündigung einer Lieferung von Samen von empfindlichen Alpenpflanzen durch Franz Anton von Braune aus Salzburg und Joseph Schmidt aus Rosenheim, die wohl besser im Haus gezogen werden.8 Botanik, das Botanisieren und das Ziehen der Pflanzen im Haus, im Zimmer gehen so 4 Sie schreibt: „In the relatively recent past, all humans had to be skilled practical botanists in order to survive; we had to know which vegetables would hold up during winter storage, which herbs to use for specific illnesses, how to prepare plant fibres for weaving, and how to select the right woods for construction or cooking fires. (…) Food and herb preservation, garden cultivation, brewing, baking, retting of fibres, and dyestuff preparation were once routine tasks, all demanding practical botanical knowledge.“ (Sumner, Judith: American Household Botany. A History of Useful Plants 1620 – 1900. Portland / Cambridge 2004, S. 9.) 5 Aussagekräftig hier: Dülmen, Das irdische Paradies, 1999; Polianski, Igor: Die Kunst, die Natur vorzustellen. Die Ästhetisierung der Pflanzenkunde um 1800 und Goethes Gründung des botanischen Gartens zu Jena im Spannungsfeld kunsttheoretischer und botanischer Diskussionen der Zeit, Jena / Köln 2004. 6 Hoppe, David Heinrich: „Ueber das Erziehen der Pflanzen“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), hier S. 43. 7 Hoppe, Erziehen der Pflanzen, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 46. 8 Braune, Franz Anton von und Schmidt, Joseph: „Ankündigung einer Saamen=Lieferung von Alpenpflanzen“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), S. 215 ff.

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zunächst ineinander über und schließen nahtlos an an die „Wintergärtnerei“ und „Stubengärtnerei“ an. Verschwistert ist die Pflanzenliebe im Haus zweifelsohne zudem mit der weitläufigen Gartenkultur des 18. und 19. Jahrhunderts. Gartenkultur im 18. Jahrhundert Die übergreifenden Forschungen zur hauswirtschaftlichen Gartenkultur sind mittlerweile vielfältig und können hier nur ausschnitthaft zu Wort kommen.9 Zur nichtagrarischen, ästhetischen Gartengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, etwa zu kunstvollen Gärten vom Barockgarten hin zum englischen Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts, sowie zu Gärten der Fürsten, zu großen botanischen Gärten, zu Frauen und Gärten wie auch den politischen Dimensionen der Gestaltung repräsentativer Gärten etc. ist eine umfassende Forschungsliteratur vorhanden.10 Für die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts stehen dabei allerdings meist die bedeutenden botanischen Gärten, die Ästhetik und die Gartenliebe der großen Gelehrten und Literaten im Mittelpunkt, wie etwa bei Igor Polanskis umfassendem Werk Die Kunst, die Natur vorzustellen – die Ästhetisierung der Pflanzenkunde um 1800 und Goethes Gründung des botanischen Gartens zu Jena.11 Die allgemeine Gartenmode fungiert dabei aber als Hintergrundfolie. Oft stehen die künstlerisch-­ästhetischen Fragen, etwa die Debatte um die Ablösung des geometrischen Stiles durch den englischen Landschaftsgarten und die „Gartenrevolution“ im Zentrum des Interesses, also die „Gartenkunst“.12 9 Für die Forschungen zur Gartengeschichte des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit steht vielfach die Hausväterliteratur im Zentrum, die sich auf Fragen des hauswirtschaftlichen Nutzens bzw. der Ernährung bezieht und weitgehend auf Gutsbesitzer zugeschnitten war. In der Folgezeit weiten sich diese vielfach agrarischen Fragen auf die im späten 18. Jahrhundert gegründeten ökonomischen und landwirtschaftlichen Sozietäten aus. Zur Hausväterliteratur siehe u. a.: Kruse, Ulrike: Der Natur-­Diskurs in Hausväterliteratur und volksaufklärerischen Schriften vom späten 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert, Bremen 2013. Zu den Sozietäten bspw.: Stuber, Martin (Hrsg.): Kartoffeln, Klee und kluge Köpfe. Die Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern OGG (1759 – 2009), Bern 2009. 10 Allgemein einführend siehe etwa: Vercelloni, Matteo und Vercelloni, Virgilio: Geschichte der Gartenkultur. Von der Antike bis heute, Mainz 2010; engl.: The Invention of the Western Garden, Glasgow 2010. Die umfassende Literatur zum Garten in der Geschichte ist hier nicht referierbar. Interessant zu einzelnen ­Themen bspw.: Tabarasi, Ana-­Stanca: Der Landschaftsgarten als Lebensmodell. Zur Symbolik der „Gartenrevolution“ in Europa, Würzburg 2007; Zu Frauen und Gärten: Holm, Christine und Zaunstöck, Holger (Hrsg.): Frauen und Gärten um 1800. Weiblichkeit – Natur – Ästhetik, Halle 2009; Wickham, Louise: Gardens in History. A Political Perspective, Oxford 2012. Siehe auch die Ausgabe der L’Homme, die sich mit Frauen und Gärten befasst: Barth-­Scalmani, Gunda und Mettele, Gisela (Hrsg.): Gärten (L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, Jahrgang 27, Heft 2 (2016). 11 Polianski, Die Kunst, die Natur vorzustellen, 2004. 12 Dülmen, Das irdische Paradies, 1999, S. 1 ff.

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Sucht man jedoch nach der Alltagskultur „privater“ Kleingärtnerei oder städtischer Gärten – wobei sich Nutzgarten und Blumengarten meist mischen – so finden sich hier kaum entsprechende Studien. Anton Zeven, der sich auf der Basis von Handbüchern und alten Stichen auf die Suche nach der Geschichte der Gemüsegärten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts begeben hat, sieht dies hierin begründet, dass die Gärten der „kleinen Leute“ wohl zu sehr Teil der Normalität der Geschichte waren, als dass ihre Existenz und ihre Formen dokumentiert worden wären.13 „Private“ Kleingärten bleiben in ihren konkreten Ausgestaltungen wenig greifbar.14 Eine der wenigen Studien, die sich populären Formen der bürgerlichen Gartenkultur als Element dieser Gesellschaft und ihrer Gesellig­keitsformen des 18. Jahrhunderts widmet, stammt von Andrea van Dülmen. In ihrer 1999 erschienen Studie Das irdische Paradies. Bürgerliche Gartenkultur der Goethezeit stellt sie explizit die städtische Gesellschaft ins Zentrum.15 Dabei ist die Quellenlage zumindest in Fragen normativer Aussagen zur allgemeinen bürgerlichen Gartenliebe für die Zeit um 1800 weitreichend. Schon zeitgenössische Biblio­ graphien wie die Bibliotheca hortensis von Friedrich Jakob Dochnahl von 1861 verweisen auf das umfassende zeitgenössische Schriftgut.16 Dochnahls Werk gliedert sich dabei in Rubriken wie Gartenbotanik, Gehölzkunde, Blumengärtnerei, Obstbau etc. Diese Literatur ist vielfältig und noch keineswegs umfassend bearbeitet.17 Hier können nur wenige wichtige zeitgenössische Werke genannt werden. Beispielsweise das Ende des 18. Jahrhunderts entstandene, damals bekannte fünfbändige Werk von Christian Cajus Lorenz Hirschfeld Th ­ eorie der Gartenkunst.18 Viele wichtigen Anstöße kamen aus England und englischsprachige Werke zur Gartengeschichte und Gartenwissenschaft wurden übersetzt, wie etwa das umfassende Werk von J. C. Loudon Encyclopädie des Gartenwesens, das in zwei Bänden 1823 und 1824 erschien und über Heizröhren der „Warmhäuser“ bis zur 13 Er kann aber anhand von Stichen aus den Niederlanden städtische Kleingartenanlagen hinter den direkt an die Straße gebauten Häusern beschreiben und eruiert den Anbau von Gemüsesorten über zeitgenössische Marktdarstellungen und verweist auch auf die Funde der botanischen Archäologie. Siehe: Zeven, A. C.: „On the History of Vegetable Gardens in North-­west Europe“, in: Botanical Journal of Scotland 46/4 (1994), S. 605 – 610. S. 605 schreibt er: „Quite a number of historians are attracted by the subject of the history of gardens, but they mostly restrict themselves to the well designed, well laid out gardens of wealthy individuals or families. The vegetable gardens of the common man and woman have received little attention, the main reason being that the history of vegetable gardens is not documented.“ 14 Dieses Defizit wird auch beklagt, so auch der Eindruck im Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst von 2011: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur DGGL (Hrsg.): Private Gartenkultur. Geschichten, Moden, Trends, München 2011. 15 Dülmen, Das irdische Paradies, 1999. 16 Dochnahl, Friedrich Jakob: Bibliotheca hortensis. Vollständige Gartenbibliothek oder alphabetisches Verzeichnis aller Bücher, w ­ elche über Gärtnerei (…) von 1750 bis 1860 in Deutschland erschienen sind, Nürnberg 1861. 17 Auch Dülmens Werk stellt hierfür eine Fundgrube dar. Dülmen, Das irdische Paradies, 1999. 18 Hirschfeld, Christian Cajus Lorenz: ­Theorie der Gartenkunst, 5 Bände, Leipzig 1779 – 1785.

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Herstellung künstlichen Regens und zum im Gewächshaus integrierten Kanarienvögel­ haus alle denkbaren Aspekte der Gartenwissenschaft umfasste.19 Loudon wird allenthalben zitiert, obwohl er sich, wie auch Hirschfeld in seinem Hauptwerk, in dieser Ausführlichkeit wohl eher an Hofgärtner beziehungsweise angestellte Gärtner richtete und nicht speziell an die „kleinen Leute“. Für das allgemeinere Publikum erschien aber beispielsweise ab 1782 Hirschfelds Reihe Taschenbuch für Gartenfreunde 20. Auch verschiedene Gartenzeitschriften und Journale für die Gartenkunst wie das Allgemeine Teutsche Garten-­Magazin  21 und die Allgemeine deutsche Garten-­Zeitung 22 kamen auf den Markt. Vielfältige Gartenratgeber in ausführlicher oder komprimierter Form wie Der populäre Gartenfreund 23 von Eduard Oscar Schmidt und Ferdinand Herzog oder der offensichtlich auch im deutschsprachigen Raum sehr verbreitete englische Bestseller von John Abercrombie Every man his own Gardener standen den Pflanzenliebhabern zur Verfügung. Abercrombies Werk wurde unter dem Titel Praktische Anweisung zur Gartenkunst für alle Monate des Jahres 1779 ins Deutsche übersetzt.24 Während zunächst viele botanischen Handbücher nach 19 J. C. Loudon: Eine Encyclopädie des Gartenwesens; enthaltend die ­Theorie und Praxis des Gemüsebaues, der Blumenzucht, Baumzucht und der Landschaftsgärtnerei (…) Von J. C. Loudon, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede. Aus dem Englischen. Mit vielen Abbildungen in Steindruck (2 Bde), Weimar 1823. Hier fand man in universalgelehrter Weise alles, was das Gartenwesen betraf: Geschichte der Gärtnerei, Gartenwesen der verschiedenen Länder von den Niederlanden bis zu Russland, die allgemeine Pflanzenkunde und Benennungssysteme, die Anleitung zur Anlegung von Herbarien, die Fragen der „Vegetabilischen Organologie“ (der Pflanzenteile wie Wurzeln, Blätter, Rinde …) über die Ernährung und Fortpflanzung, von Krankheiten bis hin zu Bodenbeschaffenheiten, Dünger, Gartengeräte und -maschinen, über Treibhäuser, Ziergebäude im Garten, von Ananashäusern bis zur Melonenkultur und zu einzelnen Gewächsen von Hülsenfrüchten bis zur Orange. 20 C. C. L. Hirschfeld: Taschenbuch für Gartenfreunde auf das Jahr (…), Kiel 1782 ff. 21 Allgemeines Teutsches Garten=Magazin oder gemeinnützige Beiträge für Theile des praktischen Gartenwesens. Mit ausgemahlten und schwarzen Kupfern, Weimar 1804 – 1824. Diese monatlich erscheinenden Hefte enthielten Artikel zu „Landschafts=Gartenkunst, Garten=Baukunst, Treib= und Gewächshaus=Gärtnerei, Blumisterei, Gemüsebau, Obstkultur, Oeknomische Gärtnerei, Garten=Botanik“, dazu Buchbesprechungen und verschiedene Mitteilungen. Siehe Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 1 (1804), S. 3 f. sowie die einzelnen Abteilungen der Hefte. 22 Allgemeine Deutsche Garten=Zeitung, hrsg. von der Gartenbau-­Gesellschaft in Frauendorf, 1823 ff. In den Bibliotheken sind oftmals nur Einzelhefte vorhanden, auffindbar aber unter: http://www. biodiversitylibrary.org (Stand 15. 5. 2019). 23 Hier: Schmidt, Eduard Oscar und Herzog, Ferdinand: Der populäre Gartenfreund, oder: Die Kunst alle in Deutschland vegetirenden Blumen und Gemüse auf die leichteste und beste Weise durch Absenker, Samen und Verpflanzen zu ziehen. Von Anlegung der Mistbeete und Treibkasten und von der Aufbewahrung und Durchwinterung der Gewächse. Mit einem Gartenkalender, Herschels Witterungstabelle und 35 nützlichen Anweisungen zur Gartenwirthschaft und zur Vertilgung der Garten=Insekten, 3. Auflage Quedlinburg und Leipzig 1848. Das Werk erschien 1843 bereits in zweiter Auflage und wurde im 19. Jahrhundert unzählige Male wieder gedruckt. 24 Abercrombie, John und Mawe, Thomas: Every Man his own Gardener (…), London 1791. Dieses Werk erschien in vielfältigen Auflagen; in der deutschen Übersetzung 1779: Praktische Anweisung zur

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Gewächsen geordnet waren, ordneten Mawe und Abercrombie nach den im Jahreskreis anfallenden Beschäftigungen des Gärtners in den einzelnen Monaten, was offensichtlich als praxisnäher empfunden wurde und zum bahnbrechenden Erfolg d­ ieses komprimierten Werkes beitrug. Auch in fortlaufender Heftform erschienen Gartenund Pflanzenratgeber, die einerseits die einzelnen Arten botanisch beschrieben, andererseits Anweisungen für ihre Pflege gaben, wie etwa die Reihe Garten der Flora oder Beschreibung und Abbildung verschiedener Pflanzen für Liebhaber der schönen Garten­ kunst.25 Explizit auf das weniger betuchte Bürgertum zugeschnitten ist beispielsweise das 1843 erschienene, zusammenfassende Werk von Eduard Schmidlin Die bürgerliche Gartenkunst.26 Hier, gegen Jahrhundertmitte, sind auch Topfpflanzen und der ­Zimmerbeziehungsweise Fenstergarten in die Ausführungen integriert. Zeitgenössische Monographien zur Gartenkultur im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts, wie etwa das Werk des Friedrich von Lupin Die Gärten – ein Wort seiner Zeit (1820),27 stellen sogar bereits Werke zur Gartengeschichte dar, die von der Antike bis in seine eigene Zeit das Gartenwesen analysierten. In welchem Verhältnis stehen nun die Gartenmode der Zeit und die Botanophilie? Universal-Pflanzenkundler: Botanisten und die Gärtnerei Das aufklärerisch-­botanistische Ideal lag, wie dargelegt, nicht in der Entwicklung des ­Spezialistentums, sondern in der fortschreitenden Verbreitung universellen Wissens – eine Wissensvorstellung, die dem gesamtgesellschaftlichen Fortschritt und dem Glauben an die wachsenden Erkenntnismöglichkeiten einer Gesellschaft geschuldet war. Auch im Bezug auf die Gärtnerei bestand daher vielfach die Forderung, diese mit dem botanischen Wissen zu verknüpfen. Die Verbreitung des Pflanzenwissens ist dabei zunächst sowohl Teil der botanischen Wissenspraktiken wie Teil der Gartenkultur. Noch 1840, als sich die Sphären wohl vielfach schon zu trennen beginnen, spricht sich beispielsweise ein nicht weiter benannter Herr Welden in der Flora in seinem Bericht über die Situation der Botanik in England für die Verbindung von botanischem Wissen und praktischer „Pflanzenwartung“ aus, indem er positive Beispiele anführt: „In England existiren derlei Gartenkunst für alle Monate des Jahres von Thomas Mawe, John Abercrombie, und einigen andern erfahrnen Gärtnern; Nach der siebenten verbesserten englischen Ausgabe übersetzt und mit Anmerkungen erläutert, Leipzig 1779. 25 Ungenannte Verfasser (teilweise Johann Jacob Römer zugeschrieben): Garten der Flora oder Beschreibung und Abbildung verschiedener Pflanzen für Liebhaber der schönen Gartenkunst. Nebst einer ­kurzen praktischen Anweisung zu derselben Wartung, Winterthur 1791 ff. 26 Schmidlin, Eduard: Die Bürgerliche Gartenkunst oder praktische Anleitung zur zweckmässigen Anlage, Eintheilung und Bestellung der Haus= und Wirtschafts=Gärten (…), zweite Auflage, Stuttgart 1852. (Hier liegt die zweite Auflage vor, erste Auflage: 1843; vielfältige spätere Auflagen.) 27 Lupin auf Illerfeld, Friedrich von: Die Gärten. Ein Wort seiner Zeit, München 1820.

Der eigene botanische Garten als Labor und das „Herbarium vivum“   |

Societys in jeder grössern Stadt, die dann unter sich und mit dem Auslande in stetem Verkehr sind. Warum sollte nicht auch die Wissenschaft mit der Anwendung Hand in Hand gehen (…). Man sieht nicht bald einen grössern Park, der nicht seine botanische Abtheilung hätte (…)“.28 Welden erläutert weiter, dass besonders die Topfpflanzen der privaten Gärten in England beeindruckend ­seien: „Diess hat mich bewogen (…) die Bauart der Glashäuser, ihre Heizmethode zu untersuchen, und so bin ich nach und nach auf die Verschönerungs-­Principien der Engländer mit ihren Hülfen übergegangen, ­welche selbe überhaupt das Studium der Gewächskunde in das tägliche Leben verweben, und der Wunsch, meinen Landsleuten gleichen Genuss zu verschaffen, hat mir die Idee gegeben, alle meine hierauf bezugnehmenden Erfahrungen in irgendeinem Journale (…) bekannt zu geben (…) ganz vorzüglich für Deutschland und die wohlhabendere Mittelklasse berechnet.“29 Wenn hier also davon gesprochen wird, „das Studium der Gewächskunde in das tägliche Leben“ zu verweben, wird die Zielrichtung explizit: Die botanischen Wisseninhalte und Wissenspraktiken mit gärtnerischen und pflanzenpflegerischen Alltagspraktiken zu verknüpfen.

1.2 Der eigene botanische Garten als Labor und das „Herbarium vivum“ Wie bereits angeklungen, stellt der eigene (botanische) Garten, das „Herbarium vivum“, für die Botanikinteressierten so einen Ort der Pflanzenbeobachtung, der Experimente und der „Sammlung“ dar. Ratschläge zur Einrichtung und Nutzung des eigenen botanischen Gartens, der Botanikzimmer Das Studium der Botanik, der eigenen Pflanzen wird in den botanischen Journalen allen empfohlen, die mit der Pflanzenwissenschaft befasst sind. David Heinrich Hoppe beispielsweise erläutert in einem Aufsatz über das „Erziehen der Pflanzen“ im Botanischen Taschenbuch von 1798: „Im Garten mache man Versuche mit Pflanzen zu ökonomischen und medizinischen Zwecken, hauptsächlich aber um die Pflanzenkenntnis zu erweitern „und den Anfängern Gelegenheit zu geben, botanische Sammlungen zu machen.“30 Daher gebe es auch keine Universität mehr ohne botanischen Garten und diesen solle man nach 28 Unter „Correspondenz“, Bericht eines Herrn Welden über die Botanik in England, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 23, Band 1, Ausgabe Nr. 1 vom 7. Januar 1840, S. 9 f. 29 Welden, Botanik in England, Flora oder Botanische Zeitung, Band 1 (1840), S. 10 f. 30 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 41.

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Möglichkeit auch selbst anlegen. Er konstatiert: „Diejenigen, ­welche einen eigenen Garten besitzen, werden leicht einen Platz übrig haben, um daselbst mehrere Pflanzen anzuziehen; (…) die den Winter nicht vertragen, zieht man in Blumenscherben (Blumentöpfen, A. d. V.) und stelle ­­solche im Winter bei dem Mangel eines Gewächshauses, in ein ungeheiztes Zimmer, oder in einen Keller, bis die wiederkehrende Frühjahrszeit es erlaubt, ­­solche herauszutragen.“31 In der freien Natur gefundene Pflanzen können so auch langfristig beobachtet werden. Habe man keinen Garten, so könne man vielleicht im Garten eines Freundes Pflanzen ziehen oder einen Garten mieten: „So macht es wenige Kosten, wenn man sich ein kleines Stück in einem Garten miethet und dahin seine Gewächse bringet. Wer aber auch d ­ ieses nicht vermag, der muß endlich seine Zuflucht zu Blumenscherben nehmen; um doch wenigstens die eine oder andere Pflanze, die ihn am meisten interessirt, oder aus einem oder andern Grund wichtig ist, zu ziehen.“32 Auch erhalte man für das Herbarium bessere Exemplare zum Pressen, wenn man sie nur zum geeigneten Zeitpunkt aus dem eigenen Garten hole statt sich müde nach einer langen botanischen Wanderung mit schon angetrockneten Exemplaren mühen zu ­müssen. Denn: „Wer botanisirt hat, weis selbst was dazu gehöret, wenn man die, mehrere Stunden weit geholten Pflanzen, schön einlegen will. (…) Es ist also einleuchtend, wie nützlich das eigene Erziehen der Pflanzen seye, und aus dieser Ursache allerdings sehr zu empfehlen.“33 (Offensichtlich schieden sich aber hier die Geister, denn manche Botanisten insbesondere der Anfangszeit beharrten durchaus auf der Sammlung in der „freien Natur“.) Hoppe erteilt zumindest hierzu alle notwendigen weiteren Ratschläge: „Es bleibt also nur noch die Frage übrig: woher bekommt man Pflanzen oder Sämereien, ­welche man ziehen oder ansäen will. Diese Frage kann freilich nur ein Anfänger thun, welcher gar keine auswärtige Bekanntschaft hat. Es giebt an jedem Orte Pflanzen oder Blumenliebhaber, und sogar in mehrern gemeinen Gemüßgärten trift man manchmal seltene Gewächse, sogar Alpenpflanzen (…).“34 Oder man kauft sie bei einem sogenannten „botanischen Gärtner“: „Die meisten botanischen Gärtner verkaufen Pflanzen und Saamen für billiges Geld, und einige z. B. die Gärtner zu Herrenhausen geben jährlich Cataloge mit Preisen von ihren Gewächsen heraus. Ueberdem giebt es mehrere Verzeichnisse von Pflanzen und Saamen die man theils zum Tausche, theils für Geld haben kann. (…) Ja mancher kann auf diese Art die seltensten Alpenpflanzen erziehen, einlegen und beobachten, die er sonst vielleicht in seinem Leben nicht gesehen hätte.“35

31 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 41 f. 32 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 42 f. 33 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 44 f. 34 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 45. 35 Hoppe, Botanisches Taschenbuch (1798), S. 46.

Der eigene botanische Garten als Labor und das „Herbarium vivum“   |

Der (eigene) botanische Garten als Labor Der botanische Garten wird dabei im Großen wie im Kleinen zum wissenschaftlichen Labor. Etwa durch die Beobachtung der Pflanzen, durch botanische Experimente oder im Zusammenhang mit anderen Wissensgebieten wie etwa der Meteorologie. Nees von Esenbeck berichtet in der Flora 1835 von verschiedenen Experimenten aus Bonn, wo die Brüder gemeinsam den botanischen Garten (allerdings hier den der Universität) aufgebaut hatten: „In den letzten sehr heissen Tagen des vergangenen Monats versuchten wir hier im botan. Garten die Entzündung der Blüthen des Dictamnus albus. Das Experiment gelang sehr gut und es war ein schöner Anblick, wie bei der Annäherung eines brennenden Fidibus unterhalb der grossen Blüthentrauben eine lebhafte Flamme ­zwischen den Blüthen aufloderte. Dabei entwickelte sich ein angenehmer aromatischer citronenähnlicher Geruch. Am andern Tag zeigte sich, dass die Blüthen nichts gelitten hatten. Nur die Drüsen, w ­ elche bei der hohen Temperatur eine Atmosphäre von dunstförmigen ätherischem Oel um die Blüten versammeln, waren versengt.“36 Die (eigenen) botanischen Gärten sind so, analog zu den Naturalienkabinetten, eine ins Freie oder ins Gewächshaus ausgeweitete Studierstube. Wie auch bei den Naturalienkabinetten ist hier die Trennung z­ wischen „privater“ und „öffentlicher“ Einrichtung anachronistisch. In vielen Fällen ist der Übergang fließend, oft gehen die privaten Bestände an lebenden Pflanzen später in den Sammlungen und Gärten der Universitäten und Museen auf,37 wie etwa bei den Brüdern Nees von Esenbeck. Das Miteinander von botanischer und gärtnerischer Aktivität zeigt sich also in R ­ äumen, Akteuren, den zeitgenössischen Medien wie den Wissenspraktiken, die in die Alltagspraktiken und die Fragen der Materialität übergehen. Der Garten als Herbarium vivum und die zum Studium notwendigen Materialien Der Garten (oder auch das Botanikzimmer) stellt für den Botanisten (die Botanistin) also ein herbarium vivum dar und gehört zur Grundausrüstung des Botanisten. In einer Abhandlung über das Versauern der Topfpflanzen schreibt beispielsweise Jakob Klier: „Da die physiologische und ästhetische Pflanzen-­Kultur seit mehreren Jahren mein Lieblings-­ Studium und die einzige Unterhaltung in den von meinen Berufsgeschäften freien Stunden ist, so schmeichle ich mir, dass es man es mir nicht verdenken werde, wenn ich in diesen Blättern einen Gegenstand zur Sprache bringe (…). Zum Material der Botanik 36 Nees von Esenbeck unter „Correspondenzen“ in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 18, Band 2, Ausgabe vom 14. Juli 1835, S. 412. 37 Häner, Flavio: Dinge sammeln, Wissen schaffen. Die Geschichte der naturhistorischen Sammlungen in Basel 1735 – 1850, Bielefeld 2017.

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gehört nämlich meines Erachtens 1) eine ausgewählte Bibliothek, 2) ein gut erhaltenes Herbarium nebst Zugehör an Früchten und Samen, Hölzern, Präparaten, Zeichnungen, Instrumenten u. s. w. und endlich 3) botanische Gärten.“38 Mit den „botanischen Gärten“ sind hier wiederum sowohl eigene botanische Gärten wie die Gärten der Universitäten gemeint, wie auch das „botanische Zimmer“. Der eigene, kleine botanische Garten, der dem Botanisten zur Verfügung steht, stellt vielleicht manchmal auch nur einen Teil des u. a. aus Gemüsegarten, Kräutergarten etc. bestehenden Hausgartens dar. Viele Botanisten zogen so die entsprechenden Pflanzen in ihren Gärten, Höfen oder Zimmern, Gewächshäusern und Glaskästen. Der Botanist ist immer der Gärtner Die Einheit von Botanik und Gärtnerei zeigt sich hierbei in den Personen. Andersherum gesagt: Ebenso wie Botanisten gärtnern, botanisieren die Gärtner. Diese ­Personengruppen sind oft nicht voneinander unterscheidbar. In frühen Titeln von Werken aus dem 18. Jahrhundert wird dies ersichtlich, etwa in dem englischen Bestseller The Universal Gardener and Botanist von Thomas Mawe und John Abercrombie, im Untertitel ein „Dictionary of Gardening and Botany“.39 Auch im weit verbreiteten Gartenlexikon von Philip Miller ist dies deutlich, dessen englischer Titel sofort auf diesen Zusammenhang verweist: The Gardener’s and Botanist’s Dictionary.40 Theoretisches und praktisches Wissen wird noch gemeinsam kompiliert. Man mag an dieser Stelle einwenden, dass derartige Überschneidungen von ­Theorie und Praxis wohl in allen Zeiten existieren. Zu betonen ist aber, dass es sich hier weniger um „Überschneidungen“ handelt denn um ein noch wenig in sich differenziertes Wissensgebiet „Botanik“. Themenvielfalt und vielfältige Aktivitätenfelder der Protagonisten sind konsti­ tutiv für diese Form der Wissensgesellschaft.

38 Klier, Jakob: „Einige Andeutungen über das Versauern der Topfpflanzen (…)“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 18, Band 1, Ausgabe Nr. 18 vom 14. Mai 1835, S. 273 f. Er führt dann weiter aus, wie gerade exotische und seltene Gewächse bestimmter Behandlung in Frühbeeten, Gewächshäusern und Töpfen erfordern. 39 The Universal Gardener and Botanist; or a General Dictionary of Gardening and Botany (…), London 1778. 40 Die deutsche Übersetzung Das englische Gartenbuch lässt diese Verbindung aber nur noch im ausführlichen Titel erkennen. Der ausführliche deutsche Titel beinhaltet die Nennung der Botanik: Miller, Philip: Das englische Gartenbuch, oder, Philipp Millers (…) Gärtner-­Lexikon; dazu kommt noch die Historie der Pflanzen, der Character (…) wie auch eine Erklärung der in der Botanick und Gartenkunst gebräuchlichen Kunstwörter; nebst einer (…) dienlichen Nachricht, von der Beschaffenheit und dem Nutzen des Barometers, Thermometers und Hygrometers (…) und dem besonderen Einfluss, den die Luft, die Erde, das Feuer und Wasser in das Wachstum der Pflanzen haben. (…) in das Deutsche übersetzet, von D. Georg Leonhart Huth, der Republik Nürnberg ordentlichem Physico, Nürnberg (…) 1750 – 1758.

Der eigene botanische Garten als Labor und das „Herbarium vivum“   |

Theoretisches Wissen, praktisches Wissen und materielle Kultur Vielfache Aspekte der Gartenwissenschaft schließen unmittelbar an die in den Journalen beschriebenen Aktivitäten und Diskussionen der im zweiten Teil diskutierten Praktiken der Botanisten an. So sind es nicht nur die Fragen des Verschickens getrockneter Pflanzenexemplare, sondern selbstverständlich werden auch Methoden der Übermittlung lebender Pflanzen und ihre Behandlung im Garten diskutiert. In der Botanischen Zeitung von 1802 – nur eines unter vielen Beispielen – heißt es: „Die Methode des Herrn Abbé Vaena, frische Alpengewächse zu verpflanzen und zu versenden, verdient Aufmerksamkeit und Nachahmung. Die Gewächse werden mit einem guten Theil mütterlicher Erde auf dem Gebürge ausgehoben, mit frischem Moose bedeckt, und in Körben herunter getragen. Am folgenden Tage geschieht die einstweilige Versetzung derselben mit der Muttererde und dem Moose, bei dem Logis des Hrn Abbé, an einem schattigen Orte, wobei die Anfeuchtung, besonders bei warmen Wetter sehr oft wiederholt wird. Soll ein Transport nach Wien abgehen, so werden viereckige Kästchen, ohngefähr von einem Schuh Durchmesser, und etwas geringerer Höhe mit guter Gartenerde gefüllt, dann eine oder auch mehrere Alpenpflanzen kunstmässig auf diese Erde gebracht und rund umher mit frischem Moose bedeckt (…)“41. Verzeichnisse und Pflanzenkataloge sprechen so auch nicht entweder Gärtner oder Botaniker an, sondern die „Botanophili“, die „Pflanzenliebhaber“, wie etwa in Franz Carl Achards Verzeichniß einer Sammlung Treib-­Gewächs-­Orangeriehaus-­Pflanzen (…) ­welche in meinem Garten cultiviert und den Liebhabern der Botanik zum Tausch (…) angeboten werden.42 Die Verbindung von Wissen und Praxis ist dabei explizit gewollt, die botanischen Wissensfragen, die praktischen Fragen des Gärtnerns und die Materialfragen können nur gemeinsam gelöst werden.

41 „Botanische Notizen“, in: Botanische Zeitung, Band 1, Ausgabe Nr. 19 vom Dienstag, den 28. September 1802, S. 303 f. 42 Achard, Franz Carl: Verzeichniß einer Sammlung Treib-­Gewächs-­Orangeriehaus-­Pflanzen (…) ­welche in meinem Garten cultivirt und den Liebhabern der Botanik zum Tausch (…) angeboten werden, B ­ erlin 1796/1798.

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2 „Luftwissenschaft“ und die Entstehung der Zimmerpflanzenkultur Aber nicht nur das Interesse an der Botanik selbst spielte bei der Integration der Pflanze ins Haus eine Rolle, sondern auch andere Erkenntnisse der neuen Naturwissenschaft bestimmten diese Entwicklung mit. Insbesondere die Erkenntnisse der „Wissenschaft von der Luft“ und die Funktionen der Pflanzen für die „atembare Luft“ – die Entdeckungen zur Photosynthese – schlugen sich in alltäglichen Praktiken der Zimmergärtnerei nieder.

2.1 Das Atmen der Pflanzen: Anfänge der Entdeckungen zur Photosynthese Im Hintergrund der Fragen um die Zimmerpflanzenzucht steht wissens- und wissen­ schaftsgeschichtlich eine der großen Entdeckungen der Pflanzenwissenschaft, die weniger einem einzigen Gelehrten zuzuschreiben ist denn einer fortschreitenden und fortgeschriebenen Entdeckungs- und Experimentgeschichte: die Photosyntheseleistung der Pflanzen. Dabei entstehen der Luftsauerstoff der Atmosphäre wie eben auch das pflanzliche „Material“. In der Lichtreaktion wird aus Kohlenstoffdioxid und Wasser unter Einfluss der Lichtenergie in chlorophyllhaltigen Organismen Sauerstoff und Glukose gebildet. In allgemeinen Handbüchern wird die Entdeckung der Photosynthese vor allem mit den Erkenntnissen von Johan Baptista van Helmont (1580 – 1644), Joseph Priestley (1733 – 1804) und Jan Ingenhousz (1730 – 1799) in Zusammenhang gebracht. Die kollektive Entdeckungsgeschichte dieser Vorgänge lässt sich dabei allerdings nicht nur an diesen drei Personen festmachen. Weitere Erkenntnisse trugen unter anderm auch Carl Scheele (1742 – 1786), Jean Senebier (1742 – 1809) und Antoine de Lavoisier (1743 – 1794) bei, wobei die jeweiligen Beiträge umstritten sein konnten. Insbesondere ­zwischen Ingenhousz und Senebier gab es hierüber Auseinandersetzungen, was etwa die ausführlichen Verteidigungsreden im Ingenhousz’schen Werk belegen.43 Im Folgenden sollen jedoch nicht die Gelehrtenpersönlichkeiten und ihre Streitigkeiten als ­­solche im Zentrum stehen, sondern das zeitgenössische Wissen, 43 Siehe die langen Vorreden des Verfassers in: Johann Ingen=Housz K. K. Hofraths und Leibarztes, der Königl. Gesellschaften zu London, der Batavischen Gesellschaft der Experimentalphilosophie zu Rotterdam u. u. Mitgliedes. Versuche mit Pflanzen, hauptsächlich über die Eigenschaften, ­welche sie in einem hohen Grade besitzen, die Luft im Sonnenlichte zu reinigen, und in der Nacht und im Schatten zu verderben; nebst einer neuen Methode, den Grad der Reinheit und Heilsamkeit der athmosphärischen Luft zu prüfen. Aus dem Französischen übersetzt von Johann Andreas Scherer (…), 3 Bände, Wien 1786 – 1790.

Das Atmen der Pflanzen: Anfänge der Entdeckungen zur Photosynthese  |

beziehungsweise die zeitgenössischen Fragen und Antworten und ihre Verbindung mit den Alltagspraktiken. Die Frage nach der Pflanzenatmung und der Produktion von „atembarer Luft“ Schon Johan Baptista van Helmont spekulierte im 17. Jahrhundert, dass das Material für das Pflanzenwachstum aus der Luft stammen könnte – es also Austauschprozesse von Pflanze und Luft geben könnte. Er wollte herausfinden, wie viel Erde eine Pflanze als Nahrung benötigt. (Dass Pflanzen ihre Nahrung aus der Erde ziehen, ist schon eine aristo­telische Vorstellung.) Daher pflanzte Helmont in mehreren Versuchsreihen beispielsweise eine Weide, die zweieinhalb Kilogramm wog, in 100 Kilogramm Erde ein und ließ sie dort wachsen. Nach fünf Jahren grub er den Baum aus und stellte fest, dass er nun 80 Kilogramm wog. Die getrocknete Erde wog aber immer noch 99 Kilogramm und 940 Gramm. Wenn er nicht mehr annehmen wollte, dass Gott diese Weide auf wundersame Weise wachsen ließ, woher kam das Material?44 Joseph Priestley (1733 – 1804), mit dessen Namen die Entdeckung der Photosynthese heute weitgehend verbunden wird, ging ähnlichen Fragen nach und führte in den 1770er Jahren Pflanzenexperimente durch. Er stellte nun fest, dass eine Kerze in einem geschlossenen Gefäß erlosch und eine Maus dort erstickte. Wenn er aber in diese „verdorbene Luft“ eine Pflanze setzte, so überlebte diese seltsamerweise. Offensichtlich ging Priestley, wie er nach vielfachen weiteren Versuchen schrieb, zunächst von der Ähnlichkeit aller lebenden Kreatur dabei insofern aus, dass er unterstellte, dass alle Lebewesen (und auch das Feuer) Luft verbrauchten. Die Experimente belehrten ihn aber eines Besseren: Die Pflanzen schienen eine „andere Luft“ zu verbrauchen als die Tiere. Wenn er eine Pflanze in ein Gefäß stellte, dessen Luft durch eine Kerzenflamme bereits „verbraucht“ war, lebte sie nicht nur weiter, sondern veränderte die Luft innerhalb von wenigen Tagen so, dass sie wieder für ein Tier oder eine Flamme „atembar“ war.45 Damit war klar, dass es verschiedene Luftsorten beziehungsweise verschiedene Anteile in der Luft geben musste. 44 Dies ist hier vereinfacht dargestellt, es handelte sich um viele Versuchsreihen. Siehe u. a.: Pagel, Walter: Joan Baptista van Helmont. Reformer of Science and Medicine, Cambridge 1982. 45 „Accordingly, on the 17th of August, 1771, I put a sprig of mint into quantity of air, in which a wax candle had burned out, and found that, on the 27th of the same month, another candle burned perfectly well in it. This experiment I repeated, without the least variation in the event, not less than eight or ten times in the remainder of the summer. Several times I divided a quantity of air in which the candle had burned out, into two parts, and putting the plant into one of them, left the other in the same exposure, contained, also, in a glass vessel immersed in water, but without any plant; and never failed to find, that a candle would burn in the former, but not in the latter. I generally found, that five or six days were sufficient to restore this air, when the plant was in its vigour.“ (Priestley, Different Kinds of Air, 1773, S. 24.)

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Priestley – Theologe, Naturphilosoph und Universalgelehrter und zentrale Figur der englischen Aufklärung 46 – beschrieb seine Entdeckungen zunächst in der für England zentralen Zeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society im Jahr 1772/177347 und konnte jetzt erklären, warum die „atembare Luft“ auf der Erde nie ausging: Durch die Pflanzen, die die Luft „reinigten“. Für Priestley stand fest: „This observation led me to conclude, that plants, instead of affecting the air in the same manner with ­animal respiration, reverse the effects of breathing, and tend to keep the atmosphere sweet and wholesome.“48 Für Priestley hieß das zunächst nicht, dass Pflanzen nicht atmeten, sondern nur, dass sie eine andere Luft atmeten als Mensch und Tier. Priestleys Erkenntnisse erhielten eine hohe Aufmerksamkeit in der Gesellschaft der Aufklärung und hatten F ­ ragen angestoßen, die es weiter zu klären galt.49

2.1.1 Jan Ingenhousz und die Produktion von „dephlogistisirter“ und „mephitischer“ Luft durch die Pflanzen Explizit mit der Pflanzenatmung beschäftigte sich sodann der holländische Arzt Jan ­Ingenhousz (1730 – 1799).50 Der Holländer war nach seinen Studien zunächst in Leiden als Arzt tätig, ging dann aber nach London, um sich mit der Pockenimpfung zu befassen. Aufgrund seiner Erfahrungen mit der Pockenkrankheit wurde er von Maria Theresia 46 Siehe: „Priestley, Joseph“, in: Oxford Dictionary of National Biography Vol. 46, Oxford 1896 (in heutiger Form siehe http://www.oxforddnb.com, Stand 20. 5. 2019). 47 Priestley, Joseph: „Observations on Different Kinds of Air“, in: Philosophical Transactions Vol. LXII (1773), London M.DCC.LXXII, alle Pamphlete mit erneuter Paginierung, S. 1 – 120. Das Titelblatt gibt beide Jahreszahlen an, die Zitationen nehmen 1772 als korrektes Jahr an. 48 Priestley, Different Kinds of Air, 1773, S. 49. 49 Der Aufsatz wurde gelesen, Priestley experimentierte weiter und publizierte weiter. Priestley selbst ging aber in der Folge weniger den – in heutiger Diktion – biologischen Fragen weiter nach denn chemischen Fragen der einzelnen Gase und Gasgemische. 1775 erschien in London bereits die zweite Auflage seines Werkes Experiments and Observations on Different Kinds of Air (Priestley, Joseph: Experiments and Observations on Different Kinds of Air, London MDCCLXX ), das jedoch weniger auf die Wirkung der Pflanzen ausgerichtet war, denn auf die Fragen verschiedener Arten von Luft – ebenso wie das in drei Teilen von 1778 bis 1780 in deutscher Sprache erschienene Versuche und Beobachtungen über verschiedene Gattungen der Luft, in dem vor allem die Luftarten, aber auch ihre schädlichen Wirkungen in Frage der Krankheiten (oder auch die Schädlichkeit „fixer“ Luft für die Pflanzen) diskutiert wurden und wo nicht nur Priestleys Vorstellungen publiziert wurden, sondern ebenso viele an ihn geschriebene Briefe und Beschreibungen ähnlicher Versuche und Experimente der interessierten Gelehrten. Priestley, Joseph: Dr. Priestley’s (…) Versuche und Beobachtungen über verschiedene Gattungen der Luft (3 Teile), Wien und Leipzig, 1778 – 1780, zu den Pflanzen siehe Teil III , S. 285 f. 50 Die Schreibweisen variieren: in deutschsprachigen Publikationen aus dem 18. Jahrhundert auch: Johann Ingenhouß.

Das Atmen der Pflanzen: Anfänge der Entdeckungen zur Photosynthese  |

an den Wiener Hof berufen, wo er als Leibarzt der kaiserlichen Familie in Wien arbeitete. Sein Werk ist umfangreich und umfasst nicht nur pflanzenphysiologische Arbeiten, sondern auch Werke zum Beispiel zur Elektrizität und zum Magnetismus.51 Er hielt sich lange Jahre in der Nähe von London auf, wo er auch mit Joseph Priestley zusammentraf.52 Ingenhousz’ Weiterentwicklung der Photosynthese am Ende des 18. Jahrhunderts Ingenhousz zollte dabei seinen Vorgängern Tribut: Er habe von den Entdeckungen ­ riestleys gelesen, dass Pflanzen in einer faulen und für Tiere ungeeigneten Luft gut P gediehen, der Ritter Pringle habe dies auch 1773 in der Royal Society in London dargelegt, dass daher keine Pflanze unnütz sei und die entferntesten Waldungen zur Luftreinigung beitrügen. Allerdings habe Priestley auch widersprüchliche Ergebnisse in seinen Versuchsreihen gehabt, weshalb er weitere Versuche habe machen wollen.53 Er selbst erkannte in der Folge die Bedeutung des Sonnenlichtes für die pflanzliche „Atmung“ (die Sauerstoffproduktion) sowie die Bedeutung der grünen Pflanzenanteile und publizierte dies zunächst 1779 in englischer Sprache.54 Bereits 1780 erschien sein Werk auf Deutsch: D. Johann Ingenhousz, Kaiserlich-­Königlichen Hofraths und Leibarztes, der Königl. Grossbrittanischen Gesellschaften der Wissenschaften Mitglieds Versuche mit Pflanzen, wodurch entdeckt worden, dass sie die Kraft besitzen, die atmosphärische Luft beim Sonnenschein zu reinigen und des Nachts über zu verderben.55 In ­diesem Werk beschrieb Ingenhousz ausführlich die von Priestley in die Diskussion gebrachten Vorgänge der Photosynthese, beziehungsweise – in der Diktion der Zeit – wie man aus den Blättern „dephlogistisirte Luft“, „reine Luft“ entnehmen könne. „Phlogistongeschwängerte Luft“ und „phlogistisirte Luft“ war in dieser Zeit synomym mit „nicht atembarer Luft“, „verbrauchter Luft“ und „fauler Luft“. Laut Georg Ernst Stahl (1659 – 1734)56 und seiner „Phlogistontheorie“ entstand bei der Verbrennung von ­Stoffen 51 Ausführlich zu Ingenhousz’ Werk und Leben siehe: Wiesner, Julius: Jan Ingen-­Housz. Sein Leben und Wirken als Naturforscher und Arzt, Wien 1905. 52 Dolezal, Helmut: „Ingen=Housz, Jan“, in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 171 f. 53 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, Vorrede des Verfassers, S. XXX – XXXII. 54 Ingenhousz, Jan: Experiments upon vegetables, discovering their great power of purifying the common air in the sun-­shine, and of injuring it in the shade and at night. To which is Joined, A new Method of examining the accurate Degree of Salubrity of the Atmosphere. By John Ingen-­Housz, Counsellor of the Court and Body Physician to their Imperial and Royal Majesties (…), London 1779. 55 Ingenhousz, Johann: D. Johann Ingenhousz, Kaiserlich-­Königlichen Hofraths und Leibarztes, der Königl. Grossbrittanischen Gesellschaft der Wissenschaften Mitglieds, Versuche mit Pflanzen, wodurch entdeckt worden, dass sie die Kraft besitzen, die atmosphärische Luft beim Sonnenschein zu reinigen und des Nachts über zu verderben (…), Aus dem Englischen, Leipzig 1780. 56 Stahl, der ein vitalistisches und anti-­mechanistisches physiologisches Modell entwickelt hatte, ist insbesondere den „Lebenswissenschaftlern“ bekannt, da er sich mit Formen des organischen Lebens befasste. Den grundlegenden Unterschied zur Maschine oder zum Unbelebten sah Stahl im dem Organismus

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und Gasen, wie eben auch bei der Atmung, die als Verbrennung verstanden wurde, der Stoff „Phlogiston“.57 Welcher Begriff auch immer in den Quellen jeweils verwendet wird – das Grundproblem war der Unterschied von „atembarer“ (sauerstoffreicher) und „nicht atembarer“ (sauerstoffreduzierter) Luft. Ingenhousz’ Werk, das sich mit diesen Luftarten und der Rolle der Pflanzen für diese Luftarten befasste, stieß auf großes Interesse. Bereits in den Jahren 1786 bis 1790 erschien eine verbesserte Ausgabe nun in drei Bänden, wobei der erste Band die grundlegenden Erkenntnisse enthielt, die Folgebände eher als Ergänzungsbände fungierten, die weitere Versuch beschrieben.58 1780 wurde das Werk zudem in französischer 59 und in holländischer Sprache publiziert 60. Auch hier handelt es sich um einen in ganz Europa gelesenen Bestseller.61 Im ersten Band der dreibändigen deutschen Ausgabe kommentiert bereits der Übersetzer: „Die günstige Aufnahme, ­welche das Publicum für die verschiedenen Ausgaben ­dieses Werkes, w ­ elche bis jetzt schon erschienen sind, an den Tag geleget hat, ist sicherer Bürge, daß die Republik der Gelehrten einen besondern Werth auf den Inhalt ­dieses Werkes legt. In der That, wenn wir erwägen, daß es uns eine Entdeckung bekannt macht, die ein helles, neues und erwünschtes Licht über die Natur und die Bestimmung eines ganzen Naturreiches wirft; eine Entdeckung, die das Geheimniß des

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inhärenten Ziel der Lebenserhaltung, das letztlich mit dem Terminus der Seelen- oder Lebenskraft beschrieben werden konnte. Dieser Lebenserhaltung diente auch das Atmen. Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 201 ff. Der schottische Chemiker Joseph Black (1728 – 1799) dagegen sprach von „fixierter Luft“ und gilt heute als Entdecker des Kohlenstoffdioxids, das Antoine Laurent de Lavoisier (1743 – 1794) später tatsächlich nachweisen konnte. Zu den verschiedensten Versuchen zur Atmung und Luft siehe u. a.: Bäumer, Geschichte der Biologie, 1996, S. 127 ff. Johann Ingen=Housz K. K. Hofraths und Leibarztes, der Königl. Gesellschaften zu London, der Batavischen Gesellschaft der Experimentalphilosophie zu Rotterdam u. u. Mitgliedes. Versuche mit Pflanzen, hauptsächlich über die Eigenschaften, w ­ elche sie in einem hohen Grade besitzen, die Luft im Sonnenlichte zu reinigen, und in der Nacht und im Schatten zu verderben; nebst einer neuen Methode, den Grad der Reinheit und Heilsamkeit der athmosphärischen Luft zu prüfen. Aus dem Französischen übersetzt von Johann Andreas Scherer der Arzeneiwissenschaft Doctor, der Hochfürstlich=Hessenhomburgisch=patriotischen Gesellscahft Mitgliede. Verbesserte und vermehrte Auflage. Mit einer Kupfertafel. Wien, gedruckt und verlegt bey Christian Friedrich Wappler 1786. Die Folgebände mit analogem Titel erscheinen 1788 und 1790. Ingenhousz gibt dabei in seinen Bänden seitenweise Versuchanleitungen, die der Leser nachstellen kann, ebenso gibt er (in einer Art Bibliographie, die auf die Einleitung folgt) wichtige Werke zum Thema an und rekurriert im Text immer wieder auf die Erkenntnisse der Gelehrten seiner Zeit. Das Werk enthält genaue Anleitungen, wie man in entsprechenden mit Wasser gefüllten Gefäßen „reine“ Luft herstellen kann, welches Wasser sich für die Versuche eignet usw. Ingenhousz, Jan: Expériences sur les vegetaux (…), Paris 1780. Ingenhousz, J.: Proeven op plantgewassen, ontdekkende derzelver zeer aanmerkelijk vermogen om de lucht des dampkrings te zuiveren, geduurende den Dag, en inde Zonne-­schijn; en om gemeene lucht des nachts ent wanner ze in de schadun zijn, te bederven, Delft 1780. Vielleicht würden hier weitere Recherchen die Popularität d ­ ieses in ganz Europa gelesenen Bestsellers noch bestätigen.

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unsichtbaren Einflusses der Pflanzen auf das Element unsers Lebens offenbaret: so darf es uns nicht wundern, das Ingen=Houszens Werk die Aufmerksamkeit aller Gelehrten auf sich gezogen hat.“62 Die Produktion von „dephlogistisirter“Luft durch die Pflanzen Ingenhousz fasst bereits in der Vorrede seine Erkenntnisse zusammen, die er in der Folge in Einzelheiten ausbreitet. Er schreibt: „Ich beobachtete, daß die Pflanzen nicht nur allein die Eigenschaft besitzen, eine verdorbene Luft in der Zeit von sechs oder mehrern Tagen, wie es Priestley’s Versuche anzugeben scheinen, zu verbessern, sondern daß sie ­dieses wichtige Geschäft in wenig Stunden auf die vollständigste Art endigen. Daß diese wunder­bare Wirkung keines Weges von dem Wachsthume der Pflanzen, sondern von dem Einflusse der Sonnenstrahlen auf dieselben abhänget (…) daß die Pflanzen überdem die bewundernswürdige Eigenschaft besitzen, die in ihrer Substanz befindliche Luft, die sie ohne Zweifel aus der Atmosphäre eingesogen haben, zu reinigen, und in eine sehr reine, wahrhaft dephlogistisirte Luft zu verwandeln. – Daß sie von dieser gereinigten und belebenden Luft einen häufigen Regen (wenn man sich so ausdrücken darf ) ausströmen, der die Atmosphäre, indem er sich durch die Masse verbreitet, in dem Stande der Heilsamkeit unterhält, und zur Fortdauer des thierischen Lebens fähiger macht.“63 Ingenhousz beobachtete dabei den Prozess der Sauerstoffherstellung anhand der Luftbläschen, die sich an in Wasser getauchten Blättern bildeten, wobei er sich unter anderem auch auf Charles Bonnet bezog.64 Die ausgetretene Luft habe er in den verschiedensten Versuchen untersucht: „Wenn wir die Luft, die diese Bläschen bildet, untersuchen, so werden wir bald überzeuget seyn, daß sie bey weitem keine gemeine Luft ist; wir werden sie von viel besserer Beschaffenheit finden, als die beste atmosphärische; sie ist eine wahre dephlogistisirte Luft, sie vergrößert die Flamme einer Wachskerze beträchtlich, mit einem blendenden Glanz, und eine erloschene Kerze entzündet sich wieder, wenn nur noch das geringste Feuertheilchen daran blieb. Dieses ätherische Flüssige, das die Blätter im Ueberflusse, gleichsam als einen wohlthätigen Regen ausströmen, muß natürlicherweise viel zur Reini­ gung des Luftkreises beytragen.“65 Auf diese Weise „dephlogistisierten“ die Pflanzen die Atmosphäre: „Aus allem diesen können wir neue Aufklärungen über die Einrichtungen 62 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, Vorbericht S. XIII. 63 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, Vorrede des Verfassers, S. XLVI ff. 64 In einem Kapitel über die „Produktion von reiner Luft“ beschreibt er die „Bestimmung der Pflanzenblätter“: Schon Bonnet habe diese Luftbläschen beobachtet, aber nun sei klar, „(…) daß diese Luft­bläschen ihr Daseyn nicht der im Wasser befindlichen, und durch die Blätter herausgepumpten Luft, oder der ausgedehnten und den Blättern anhangenden zu danken haben, sondern einer Lebensbewegung, die in den Blättern im Sonnenlichte statt findet (…).“ (Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 9.) 65 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 10 f.

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verschiedener Theile der Welt, über die Abhängigkeit der Wesen unter einander, über die gegenseitigen Dienste, die sie einander leisten, und wozu sie der Urheber der Natur zur Erhaltung des Ganzen bestimmt hat, sammeln. Wir werden sehen, daß die Pflanzen, indem sie das brennbare Wesen oder das Phlogiston aus der atmosphärischen Luft abscheiden, das Uebrige als dephlogistisirte Luft, als ein für sie selbst schädliches, für die Thiere aber sodann sehr heilsames Flüssiges fortschaffen, und daß die Thiere, nachdem sie die Vortheile dieser gereinigten Luft beym Einathmen genossen haben, ihrerseits den Pflanzen selbe mit dem überflüssigen Brennbaren ihres Körpers, als eine der vornehmsten Pflanzennahrung, zurückgeben. (…) Mit einem Worte, wir werden sehen, daß die Natur den Pflanzenblättern ein viel edleres Geschäft anvertrauet habe, als man ihnen bis jetzt zugeschrieben hat (…).“66 Hatte also schon Priestley diese Wirkung festgestellt, so erweiterte Ingenhousz d ­ ieses Wissen um einen zentralen Punkt: Er erkannte, dass diese „Reinigung“ nicht durch Wärme, sondern durch Licht ausgelöst wird. Er beschreibt in seinem Werk sodann die unterschiedlichen Mengen von „Dephlogistisirung“ bei verschiedenen Pflanzen und Blattarten. Besonders gut etwa reinigten die Blätter der Weinrebe und der Linde die Luft. Verschiedene Pflanzen produzierten dabei verschieden geformte Luftbläschen, bei manchen bildeten sie sich schon nach Sekunden, bei anderen erst nach Stunden, bei manchen wurde viel „dephlogistisirte Luft“ abgeschieden, bei manchen nur wenig usw.67 Mephitisierung der Luft Ebenso beobachtete Ingenhousz aber, dass dieser Prozess nachts oder bei fehlendem Sonnen­licht zum Erliegen kommt, beziehungsweise sich umkehrt. Und in vielen Kapiteln legt er den Schwerpunkt gerade auf diesen Teil des Prozesses, auf die, wie er sagt, „Mephitisierung“ der Luft durch die Pflanzen. Diese sieht er nachts und im Schatten am Werk und bemerkt, „ (…) daß diese Wirkung (der Luftreinigung durch die Pflanzen, A. d. V.) nicht ununterbrochen fortwähret, sondern erst dann anfängt, wenn die Sonne (…) die in der Nacht erstarrten Pflanzen erweckt, und zu dem heilsamen Geschäfte, die Luft für die thierische Schöpfung zu verbessern, fähig gemacht und vorbereitet hat, ein in der Dunkelheit der Nacht gänzlich stillstehendes Geschäft.“68 Die Luft wird in der Dunkelheit für ihn regelrecht „mephitisiert“ (bösartig, dem Mephisto zugehörig). ­Ingenhousz gibt dieser „Mephitisierung“ der Luft großen Raum. Im Schatten verhalte es sich nämlich folgendermaßen: „Denn eine Pflanze kann im Dunkeln fortkommen, ja bis zu einer ansehnlichen Höhe aufwachsen, sie wird aber daselbst weder dephlogistisierte 66 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 13. 67 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 25 ff. 68 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. L f.

Das Atmen der Pflanzen: Anfänge der Entdeckungen zur Photosynthese  |

Luft geben, noch die Kraft haben, eine schädliche zu verbessern; im Gegentheil streuet sie in die umgebende Luft ein wahres Gift herum.“69 (Tatsächlich ist ja auch die Umkehrung des Photosyntheseprozesses in der Nacht vorhanden, unter Einfluss der Dunkelheit kommt der Photosyntheseprozess zum Stillstand, beziehungsweise die Pflanzen verbrauchen sodann eine – allerdings minimale – Menge Sauerstoff und geben in dieser Zeit eine minimale Menge Kohlenstoffdioxid ab, Ingenhousz konnte aber deren Menge noch nicht messen.) Auch die später validierte Beobachtung, dass nur die grünen Anteile der Pflanze an der „Luftreinigung“ beteiligt ­seien, dass also nur die chlorophyllhaltigen Pflanzenteile diesen Prozess vollziehen können, brachte ihn weiter zu seiner ­Theorie der mephitischen Luft.70 Den nichtgrünen Anteilen der Pflanze, den Blumen, Wurzeln und Früchten, sprach er nämlich sogar eine gefährliche „Aushauchung“ von Giften zu: „Daß alle Blumen (Blüten, A. d. V.) beständig eine tödtende Luft aushauchen, durch die sie die umgebende Luft sowohl am Tage als in der Nacht, sowohl im Lichte als im Schatten verderben und (…) eins der schrecklichsten Gifte verbreiten. (…) Daß frisch aus der Erde gegrabene Wurzeln den nähmlichen schädlichen Einfluß auf die Luft haben, wie die Blumen; einige ausgenommen – Daß überhaupt die Früchte zu allen Zeiten diese verderbliche Eigenschaft beybehalten, besonders in der Dunkelheit, und daß sich diese giftige Eigenschaft so weit erstreckt, daß so gar die allerwohlschmeckendsten Früchte, z. B. Pfirsichen, die Luft in einer einzigen Nacht so vergiften können, daß man sich in Lebensgefahr befinden würde, wenn man in einem kleinen Zimmer bey einer großen Menge solcher Früchte eingeschlossen wäre.“ Diese Erkenntnisse habe er in mehr als fünfhundert Versuchen gewonnen, die er in einem Landhaus nahe London durchgeführt habe.71 Dieses grundlegende Wissen erscheint dabei erneut als für jeden und jede zugängliches und überprüfbares Wissen: Die Werke enthalten alle möglichen Versuchsanweisungen für die Experimente mit Blättern, Früchten, Stengeln oder Wurzeln oder auch über nötige Gerätschaften, Messgeräte etc. Tatsächlich ist also die hier mit den Instrumenten der Zeit gemachte „Grundlagenforschung“ durchweg richtig, nur konnte Ingenhousz mit seinen Instrumenten der Luftgütemessung die Anteile der produzierten „Luftarten“ nicht genau abschätzen, weil ihm die Voraussetzungen der Bestimmung von Gasgemischen in der Luft fehlten. Die von 69 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 58. 70 Auch s­ eien nicht alle Pflanzenteile beteiligt, sondern die Blätter und die grünen Stengel. Manche P ­ flanzen ­seien besser geeignet für diese Vorgänge, andere schlechter und er habe festgestellt, „Daß überhaupt alle Pflanzen die sie umgebende Luft in der Nacht und sogar mitten am Tage im Schatten verderben“. Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. LIV. 71 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. LIV ff. Der Übersetzer kommentiert allerdings auf S. LVI in den Fußnoten, dass Senebier den ganzen mephitischen Einfluss der Pflanzen auf die Luft verwerfe, solange sie nicht im Zustande der Gärung ­seien.

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den im Dunkeln oder im Schatten stehenden Pflanzen ausgehenden Gefahren sind in daher seiner Darstellung dramatisch: „ Eine Hand voll Blätter kann zwey Maß Luft in einer einzigen Nacht dergestalt vergiften, daß ein Thier in weniger als einer Minute darin sterben würde.“72 Manche Pflanzen produzierten in der Dunkelheit dabei mehr schädliche Ausdünstung als andere, besonders gefährlich sei das Bilsenkraut, dichte, schattige Wälder beinhalteten eine ungesunde Luft usw. Damit waren also in seiner Vorstellung auch alle im Schatten stehende Pflanzen eher schädlich. Am extremsten aber war die „mephitische“ Wirkung der Blüten und Früchte, denn „alle Früchte überhaupt hauchen Tag und Nacht, im Licht und im Schatten schädliche Luft aus, und besitzen eine besondere Kraft der benachbarten Luft eine bösartige Eigenschaft mitzutheilen.“73 Die Früchte schienen sogar noch die Blüten in dieser schädlichen Eigenschaft zu übertreffen.74 „Dephlogistisierung“ und „Mephitisierung“ der Luft durch die Zimmerpflanzen und Stadtbäume Ingenhousz, wie viele der im botanischen Feld Bewanderten, war aber nicht nur Naturforscher, sondern vor allem praktischer Arzt. Ihn interessierten die alltagspraktischen Auswirkungen seiner Forschungen. Schon im Vorwort seines Werkes kündigt er an: „Ich schmeichle mir, daß meine Entdeckungen dem gemeinen Wohle werden nützlich seyn können, wenn man die Folgerungen, die man daraus ziehen kann, wird benutzet haben; und hoffe, daß sie wenigstens dazu dienen werden, die Gefahr zu vermeiden, der man sich aussetzt, wenn man in einem verschlossenen Zimmer schläft oder sich aufhält, worin eine große Menge Pflanzen, Blumen und Früchte aufbewahret ist. Man wird den Nutzen jener großen Anzahl von wildwachsenden Pflanzen einsehen, die uns bis jetzt nur zur Last zu seyn schienen, weil wir die Vortheile nicht kannten, w ­ elche sie uns dadurch verschaffen, daß sie die uns umgebende Luft auf eine unsichtbare Art reinigen, und eine beträchtliche Menge dephlogistisirte Luft liefern, die wir, wenn wir wollen, zum Einathmen benutzen können.“75 Der medizinische Nutzen, der aus den Erkenntnissen erwächst, ist für ihn dabei also zweischneidig: Einerseits verbessern Zimmerpflanzen an einem hellen Tag die Luft in der Wohnung, andererseits kann dies in seiner Vorstellung in der Nacht zur Verschlechterung der Luft führen. Ingenhousz urteilt daher: „Die berühmtesten Ärzte empfehlen zwar frische Baumzweige oder Stauden in die Krankenzimmer aufzustellen, und man 72 73 74 75

Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 62 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 72. Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 72. Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. LXII.

Das Atmen der Pflanzen: Anfänge der Entdeckungen zur Photosynthese  |

hat niemahls davon die geringste Gefahr gemuthmaßet. Ich bin der Meinung, daß man aus dieser Anstalt an einem hellen Tag, wenn viel Sonnenlicht ins Zimmer fällt, wie auch durch die Kühlung, w ­ elche die wässerigen Ausdünstungen derselben verursachen, einen Nutzen schöpfen kann. Wollte man aber in einer kleinen, düstern Kammer, und besonders die Nacht hindurch sehr viele solcher grünen Zweige setzen, so würde ich einer übeln Wirkung wegen besorgt seyn.“76 Wovor Ingenhousz immer wieder eindrücklich warnt, sind die Ausdünstungen der Blüten und Früchte – der nichtgrünen Pflanzenteile.77 Allerdings wird auch hier dann wieder nach Obst- und Blumenarten differenziert: „Ein Strauß, der beyläufig dreyßig Blüthen vom Geisblatte enthielt, deren angenehmer Geruch jedermann bekannt ist, verunreinigte in drey Stunden mitten am Tage eine Luftmasse von zwey Pinten dergestalt, daß ein Licht nicht mehr darin brennen konnte. (…) daß also eine Person, die ihrem Hange zu diesen Blumen nachgäbe, sich leicht in die größte Lebensgefahr stürzen könnte.“78 Die neuen Erkenntnisse erklären für ihn das bisher in manchen Fällen Unerklärliche: „Die plötzlichen Todesfälle, w ­ elche durch eine große unbedachtsame Menge Blumen, die man in einem kleinen und genau verschlossenen Schlafzimmer aufbewahret hat, verursachet worden, sind nicht sehr selten. Da ­dieses nur von wenigen Menschen gescheuete Gift sich oft unter dem lieblichsten Wohlgeruch versteckt, so hat es manchmahl Menschen getödtet, deren plötzlichen Tod man andern Ursachen zugeschrieben hat.“79 Es folgen vielfältige Erzählungen derartiger Fälle aus eigener Beobachtung und Berichten von Ärzten etc. Hieraus erwachsen sodann Handlungsanweisungen, die er in einem Abschnitt „Ueber die Wirkung lebender Pflanzen, die man in den Zimmern aufbehält“ beschreibt.80 ­Ingenhousz rät: „Empfangen die Pflanzen das Sonnenlicht unmittelbar, so verbessern sie die Luft des Zimmers. (…) setzt man sie aber weit von den Fenstern ins Zimmer, wohin die Sonne nicht scheunt, oder an was immer für einen Platz des Hauses oder Zimmers, der nicht wohl erleuchtet ist, so verderben sie daselbst die Luft offenbar, und diese üble Wirkung ist desto beträchtlicher, wie finsterer der Ort ist, an welchem die Pflanzen sich befinden. Jede Pflanze verdirbt mehr oder weniger die Luft in einem Zimmer bey Nacht, besonders mitten im Sommer und wenn sie blühet.“81

76 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 64. 77 Ein Abschnitt widmet sich dem Thema „Alle Blumen hauchen zu jeder Zeit eine der tödlichsten Lüfte aus, und vergiften sowohl mitten im Sonnenlichte, als in der Nacht und im Schatten eine grosse Luftmasse.“ (Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 68 ff.) 78 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 69. 79 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 69. 80 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 80 f. 81 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 80 f.

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Da er unterschiedliche Mengen dephlogistisierter, beziehungsweise im Schatten mephitisierter Luft bei verschiedenen Pflanzen gefunden hat, ist dies seiner Meinung nach eine neue Herausforderung für die Gärtnereiwissenschaft: „Da aber aus meinen Versuchen erhellet, daß einige Pflanzen eine reinere dephlogistisirte Luft abgeben, als andere, und einige mehr Vermögen haben, die Luft in der Nacht zu verderben: so scheint mir, könne man es nicht gleichgültig ansehen, w ­ elche Baumarten man anpflanze, wenn man die Gesundheit der Luft zur Absicht hat.“82 Hier sei aber erst der Anfang eines Weges beschritten, den die Naturforscher fortführen müssten. Zum Beispiel glaubte er festgestellt zu haben, dass Walnussbaumblätter im Schatten ein hohes Maß an schlechten Dünsten produzierten usw. Die genaue Anordnung der Bäume und der Baumsorten müsse in den Städten beachtet werden: „Scheint es nicht ebenfalls wahrscheinlich, daß man von großen an enge Plätze gepflanzte Bäume, die mit hohen Gebäuden umgeben sind, und die Sonnenstrahlen abhalten einige nachtheilige Wirkung befürchten könne, besonders wenn die Fenster des Zimmers sich auf ­­solche allzu beschattete Bäume öffnen?“83 Bei richtiger Auswahl und richtiger Ortswahl für die Stadtbäume und Zimmerpflanzen dagegen war seiner Meinung nach ein positiver Effekt zu erwarten.

2.1.2 Die Weisheit Gottes in der Photosynthese: Luftwissenschaft und Theologie Ingenhousz’ geht dabei ebenso wie andere Zeitgenossen von der durch Gottes Weisheit geschaffenen Genialität der in der Natur herrschenden Gesetze aus. Auch hier ist Wissen­schaft der Versuch, der von Gott gegebenen Ordnung auf die Spur zu kommen, wohl wissend, dass die menschlichen Erkenntnisse eingeschränkt und viele Zusammenhänge in der Natur noch unentdeckt sind.84 Immer wieder rekurriert er auf diese physikotheologische Rahmung seiner Forschungen, beispielsweise, wenn es um Wasserpflanzen geht: „Diese Wirkung der Pflanzen auf die unreine Luft ist nicht bey allen ein und dieselbe. Ich habe beobachtet, daß Wasserpflanzen und diejenigen, ­welche gerne am Wasser und an Sümpfen wachsen, diese Eigenschaft in einem höhern Grade besitzen. Sollte dieß nicht ein besonderer Zug der göttlichen Vorsicht seyn? Denn auf diese 82 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 108. 83 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 178 f. 84 Zu Beginn des Werkes bekennt er: „Unsere Seelenkräfte sind zu eingeschränkt, um alle Endursachen der unendlichen Menge Dinge, die uns umgeben, und wovon wir weder die Natur, noch den Nutzen derselben kennen, zu entdecken. Jede Entdeckung, die wir in den Wirkungen, ­welche die Natur bis jetzt verschleiert hielt, machen, zeigt uns mehr und mehr die höchste Weisheit ihres Urhebers. Man muß voraus­setzen, er habe seinen Schöpfungsplan so entworfen, daß alle Wesen alle ihnen möglichen Endzwecke erfüllen, und sich gegenseitige Hülfe leisten.“ (Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 4 f.)

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Art werden die aus den stehenden Wässern und Morästen aufsteigenden, schädlichen Dünste von den Pflanzen, w ­ elche gerne an d ­ iesem Ort wachsen, verzehrt.“85 Zwar liegt bei Ingenhousz nicht der Fokus auf dem physikotheologischen Moment der Gottesverehrung und des Gottesbeweises aus der Schöpfung wie bei den eigentlichen „Physikotheologen“, jedoch ist auch seine Wissenschaft selbstverständlich eingebunden in die gesamtphilosophisch-­religiöse Vorstellung der von Gott in Naturgesetzlichkeiten geschaffenen Welt.86 In dieser Sichtweise ist jetzt ein neues Stück der Wunder der Natur entschlüsselt: ­Ingenhousz schreibt in einem Schlusswort: „Ich glaube entdeckt zu haben, daß die Gewächse an der wunderbaren Natureinrichtung, durch w ­ elche der Luftkreis in dem für unsere Erhaltung notwendigen Zustande der Heilsamkeit unterhalten wird, viel Antheil haben; indem sie die faulen und phlogistischen Theilchen einsaugen, womit die zahllose Menge Thiere und so viele andere Ursachen jenes Element beladen, und daß sie zu gleicher Zeit eine gereinigte und wahrhaft belebende Luft häufig regnen. Auch glaube ich erwiesen zu haben, daß der durch die Pflanzen auf das Thierreich bewirkte wichtige Vortheil nicht von dem Wachsthume selbst abhänge, sondern von dem Einfluße des Tageslichts (…). Die Betrachtung der Endursachen lehret uns, daß ­dieses Weltall keinem blinden Ungefähr zu danken hat; (…) daß es von einem allmächtigen Wesen geschaffen worden ist, das der Welt zugleich mit dem Daseyn die wunderbarsten und unaufhörlich wirkenden Kräfte gegeben hat, die alle mit einer bewundernswürdigen Übereinstimmung zu einem einzigen und allgemeinen Zweck, zur Erhaltung des Ganzen, abzielen.“87

2.1.3 Altes Wissen – neues Wissen: Die Pflanzenatmung und die Weiterentwicklung aristotelischen Denkens um 1800 Fraglos hatte Ingenhousz grundlegende Mechanismen der Photosynthese erkannt und erforscht. Ingenhousz sah aber – im Gegensatz zu unserem heutigen Denken – die Photosynthesefähigkeit der Pflanze dennoch nicht als ein die Pflanze vom Tier unterscheidendes Merkmal an. Er sah hierin vielmehr einen weiteren Beleg der Ähnlichkeit aller Lebewesen. Er kann hierin kein unterscheidendes Merkmal sehen, da er, analog zur Interpretation aristotelischen Denkens in seiner Zeit, grundsätzlich eine Gleichheit aller Lebewesen voraus­ setzt, schreibt er doch über die Ähnlichkeit der Pflanzen mit den Tieren: „Wenn wir die Oekonomie der Pflanzen mit der Oekonomie der Thiere vergleichen, so werden wir finden, 85 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 54. 86 Siehe hierzu auch: Harrison, Peter: „‚Science and Religion‘. Constructing the Boundaries“, in: The Journal of Religion, Vol. 86, Nr. 1 (2006), S. 81 – 106. 87 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 159 f.

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daß diese zwey Wesen mehr Aehnlichkeit unter einander haben, als uns ihre scheinbaren Verschiedenheiten davon anzeigen. Die Pflanze, ein lebendiges Wesen, welches wächst und endlich im Alter, wie die Thiere, stirbt, muß eben sowohl, wie diese, Speise zu sich nehmen und, um Nahrung daraus zu ziehen, selbe verdauen, und das Uebrige, als überflüßig und schädlich, fortschaffen. “88 Nur sind eben nicht nur die Wurzeln, wie lange angenommen, Orte der Nahrungsaufnahme, sondern auch die Blätter. Analog gibt die Pflanze auch an verschiedenen Orten Stoffe ab, was aber wieder den Tieren gleich gesetzt wird.89 Obwohl also die Abgabe sauerstoffreicher Luft („wohlthätige Luft“) im Tageslicht und sauerstoffarmer („vergifteter Luft“) offensichtlich ist, bleibt er bei der Vorstellung der ähnlichen Lebensweise von Pflanze und Tier, da auch die Tiere an unterschiedlichen Stellen des Körpers unterschiedliche Stoffe abgeben würden. So existierten nun verschiedene Formen der Ausdünstung bei allen Lebewesen.90 Im dritten Band seiner Versuche mit Pflanzen widmet er sogar ein eigenes Kapitel ­dieser Thematik. Unter dem Titel: „Fortgesetzte Bemerkungen über die Aehnlichkeit der Thiere und Pflanzen“91 fasst er diese Überlegungen zusammen: „Ich habe im ersten Bande ­dieses Werkes mehrere Seiten gezeiget, wo die thierische und vegetabilische Oekonomie eine viel auffallendere Aehnlichkeit zu haben scheint, als uns die Verschiedenheit ihres äußeren Ansehens erblicken läßt. Wenn wir erwägen, daß die Geschöpfe beyder organischen Reiche einen ihrer Natur nach verhältnißmässigen Grad der Wärme dazumahl hervorbringen (…) daß die bey Thieren und Pflanzen fortdauernden Ausdünstungen nach der Verschiedenheit der Organe ihres Körpers verschieden sind; daß die Fortpflanzung der Arten in beyden Naturreichen eine so ausgezeichnete Aehnlichkeit hat, (…) so ist es leicht glaublich, daß jene Gränzen, w ­ elche die einfachsten Wesen beyder Reiche der Natur von einander scheiden, sehr enge sind, oder vielleicht in einander fließen.“92 Entsprechend kann er auch das Einstellen der Sauerstoffproduktion bei Nacht im Sinne des „Pflanzenschlafes“ als Ähnlichkeitsmoment deuten: „Hierher kann man auch den Schlaf zählen, jene süße Ruhe, ­welche die Natur unter die ganze organische Schöpfung, 88 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 14. 89 „Wenn wir die Einfachheit der Pflanzenökonomie in Rücksicht auf ihre Nahrung, die sie nur aus der Erde, oder der sie umgebenden Luft schöpfen können, in Erwägung ziehen: so geräth man in Verwunderung, wie (…) die Ausflüsse aus den verschiedenen Theilen der Pflanzen so verschieden sind, daß die Blätter eine der heilsamsten Lüfte aushauchen, während dessen die Blumen, die Früchte und die Rinde eine der gemeinen Luft ähnliche liefern. Die nähmliche Erscheinung findet auch bey den Thieren statt. Die verschiedenen Organe unsers Körpers arbeiten sehr verschiedene Feuchtigkeiten aus. (…)“ ­(Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 16.) 90 „Die wässerige Ausdünstung aus der Oberfläche der Pflanzen ist ferner eine Verrichtung, die sie mit den Thieren gemein haben. Diese dünsten ebenfalls, wie die Pflanzen, eine luftartige Flüssigkeit aus (…)“ (Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, 1786, S. 19.) 91 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, Band III, 1790, S. 167 ff. 92 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, Band III, 1790, S. 167 f.

Die Rezeption der Thesen zu „Luftreinigung“ und „Luftverderben“   |

als ein unschätzbares und nothwendiges Geschenk vertheilet hat (…). Und dieß haben auch die Pflanzen mit den Thieren gemein; sie schlafen bey abwesender Sonne.“93 Nachts stellen also die Pflanzen ihre Tätigkeit der Luftreinigung, das heißt ihre Aktivität, ein. Das Phänomen der Photosynthese, das heute als zentrales Unterscheidungsmerkmal von Tier und Pflanze beschrieben wird, wird in ­diesem letztlich noch aristotelischen Rahmen, der auf der Vorstellung einer Homologie der Lebewesen beruht, zwar erkannt, aber noch anders bewertet. Die Photosyntheseleistung der Pflanzen wird regelrecht zum erneuten Beleg für die Verwandtschaft der Wesen und ihre nur graduelle Unterschiedlichkeit. Nochmal anders gewendet: In dieser auf der Verwandtschaft der Lebewesen beruhenden Ontologie des endenden 18. Jahrhunderts ist zwar die Beobachtung des Faktischen (Pflanzen reinigen die Luft mit Hilfe von Sonnenlicht und „grünen Anteilen“, Chlorophyll) nicht unterschieden von heutigen Annahmen. Different ist aber der hieraus jeweils gezogene Schluss über die Beziehung von Mensch und Pflanze. Sehen wir ­hierin heute eine dem Menschen und dem Tier nicht vergleichbare Lebensform, so sahen Ingenhousz und seine Zeitgenossen im „Atmen“ der Pflanzen das verbindende Moment dieser Lebensformen.

2.2 Die Rezeption der Thesen zu „Luftreinigung“ und „Luftverderben“ und der Common Sense Viele Gelehrte machten entsprechende Versuche und verfolgten Entdeckungen weiter oder beteiligten sich an der Diskussion. Auch von Jean Senebier (1742 – 1809) wurden ähnliche Experimente wiederholt und verändert,94 ebenso wie vermutlich von vielen weniger bekannten Gelehrten. Ebenso sickerten die Vorstellungen in breitere Wissenskreise. Naturforschende und aufklärerische Wissenskreise Bereits 1780 legte beispielsweise auch Johann Reinhold Forster (1729 – 1798)95, heute wohl eher bekannt als Begleiter Cooks auf dessen Entdeckungsreisen, dem wissensinteressierten Publikum im Göttingischen Magazin der Wissenschaften und Litteratur in 93 Ingenhousz, Versuche mit Pflanzen, Band III, 1790, S. 169 f. 94 Senebier, Jean: Recherches sûr l’influence de la lumière solaire pour métamorphoser l’air fixe en air pur par la végétation (…), Genf 1783. (Deutschsprachige Ausgabe: Senebier, Jean: Physikalisch-­chemische Abhandlungen über den Einfluss des Sonnenlichtes auf alle drei Reiche der Natur (…), 4 Teile in zwei Bänden, Leipzig 1785. 95 Anne Mariss hat anhand der Person Forsters zeitgenössische wissenschaftliche Praktiken und Wissenspraktiken aufgezeigt, siehe: Mariss, Anne: ‚A World of new things‘. Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster, Frankfurt / New York 2015.

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einem Abdruck eines Sendschreibens an Lichtenberg 1780 ähnliche Sachverhalte dar. Er schrieb hier über den „Versuch einer ­Theorie über die Ursache, ­welche die Blätter der Pflanzen veranlaßt, im Sonnenlichte die faule Luft zu reinigen, im Schatten aber dieselbe zu vergiften“.96 Forster erläuterte die Beobachtungen Priestleys und Ingenhousz’ und bestätigte: „Je klärer und heller der Tag, desto reiner ist die erhaltene dephlogisirte Luft. Ferner hat kein anderer Theil der Pflanze, als nur allein die Blätter und grünen Stängel ­dieses Vermögen.“97 Er verbindet dies wiederum mit zeitgenössischen Theorien über Wärme 98 und stellt weitere Theorien auf: Die Phosphorsäure halte in den Blättern die Eisenteilchen gelöst, Luft enthalte Brennbares; d ­ ieses setze sich auf die Eisenteilchen und mache diese blau, was mit den gelblichen jungen Blättern die grüne Farbe hervorbringe u. s. w. Forster jedoch bleibt, wie auch Ingenhousz, nicht bei der theoretischen Problematik stehen, sondern räsoniert weiter und erläutert auch den Nutzen und Schaden von Zimmerpflanzen: „Vernünftige Aerzte werden nunmehr grüne Stauden und Pflanzen beim Sonnenschein in die Krankenstube setzen, um die Luft zu reinigen; des Abends hingegen werden sie ­­solche wieder hinausschaffen.“99 Stark riechende Pflanzen solle man aber nicht hierfür nehmen. Er erzählt die Geschichte eines Mannes, der viel stark riechendes Geissblatt in sein Schlafzimmer gesetzt habe und fast erstickt wäre, wenn nicht seine Frau die Fenster geöffnet und die Pflanzen hinausgworfen hätte. Aber auch für den Umgang mit Pflanzen im Freien habe dies Konsequenzen: Man solle Bäume nur an der Sonnenseite der Häuser pflanzen, aber nicht an der Nordseite. Man solle zu dichtes Gebüsch lichten usw. Der Forschungsreisende steuert seinen Erfahrungsschatz bei. Er erzählt das Beispiel ehemals grüner Inseln, wo man die Wälder ausgerottet habe und nun die Sonne alles ausbrenne. Auch würden die Engländer auf Barbados die Wälder ausrotten: Jetzt sei die Fruchtbarkeit dort sehr vermindert. Die Einwohner s­eien nun kränklich und hätten keinen Tropfen Wasser auf der Insel.100 Dagegen habe man in glücklicherweise ein Gesetz erlassen, wonach bestimmte Waldungen nie veräußert werden dürften. Wer dort einen Baum verletze, werde von der Insel verbannt. Auch in 96 Forster, J. R.: „Hrn. Dr. Forsters Versuch einer ­Theorie über die Ursache, w ­ elche die Blätter der P ­ flanzen veranlasst, im Sonnenlichte die faule Luft zu reinigen, im Schatten aber dieselbe zu vergiften“, in: ­Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur, Jahrgang 1, 2. Stück (1780), S. 185 – 206 (BZA). 97 Forster, Versuch, 1780, S. 187. 98 Die Zusammenhänge mit der Wärmeentwicklung im lebendigen Organismus werden hier diskutiert. Forster stellt den Ablauf des Prozesses in den Blättern sehr komplex dar: „Die phlogistische Luft wird eingesogen aber sogleich im Blatte wieder decomponirt, oder in ihre Bestandtheile zerlegt. Das brennbare aus der Luft muss nämlich mit einigen Theilen der Pflanzen, die damit eine nähere Verwandtschaft haben, sich vereinigen, und allmählig nach vielen Veränderungen und Modificationen in die Substanz der Pflanze übergehen; die vom brennbaren gereinigte Luft aber, w ­ elche schwerer als gemeine Luft ist, wohltätig aus den Blättern auf Menschen und Thiere herabträufeln.“ (Forster, Versuch, 1780, S. 193 f.) 99 Forster, Versuch, 1780, S. 199. 100 Forster, Versuch, 1780, S. 202 f.

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Palästina habe man mit Abholzungen die gesunde Luft verdorben usw.101 Auch Forster schließt von diesen ökologischen Erläuterungen ausgehend an physikotheologische Vorstellungswelten an, wenn er endet: „Es muss endlich die Betrachtung der Veränderungen der Luft, des aufmerksamen Weltbürgers Ehrfurcht gegen Gott erhöhen (…) in ihr selbst hat die Natur auch Mittel, dieselbe Luft nicht nur zu säubern, sondern besser und gesünder zu machen. Wie sehr Vater ist der Schöpfer in allen seinen Theilen seiner Schöpfung!“102 Rezeption im weiteren „Publikum“ Aus Sicht des „Publikums“ war es weniger wichtig, wer w ­ elche Erkenntnisse beitrug, denn ­welchen Nutzen und w ­ elche Schlussfolgerungen man aus d ­ iesem neuen Wissen ziehen konnte. Bereits kurz nach Erscheinen der Übersetzung von Ingenhousz’ Werk aus dem Englischen wurde es in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek angezeigt und inhaltlich zusammengefasst.103 Eine erneute Anzeige erfolgte bei Herausgabe des zweiten und dritten Bandes.104 Im Zürcher Magazin für Botanik von 1787 erschien eine Rezension, in welcher der Herausgeber von den gemachten Entdeckungen schwärmte: „Ein vorzüglich wichtiges und interessantes Werk, von dem wir aber, sehr ungerne, unserm Plane gemäß, keinen Auszug geben dörfen, sondern uns mit blosser Anzeige der Resultate begnügen müssen. Ingenhousz, Priestley, Senebier, Bonnet, Spallanzani, Fontana, Volta … welches Jahrhundert kann eine solche ­­ Anzahl zugleich lebender eben so scharfsinniger und unermüdeter Beobachter der Natur aufweisen? Wo je einer in des andern Fussstapfen tritt, wiederlegt, modificiert, und doch alle für den gleichen grossen Endzweck arbeiten“105. Sodann werden die Resultate zusammengefasst.106 Besonders betont wird aber 101 Forster, Versuch, 1780, S. 203 f. 102 Forster, Versuch, 1780, S. 205 f. 103 Rezension zu „Johann Ingenhouß Versuche mit Pflanzen (…)“, in Allgemeine Deutsche Bibliothek (1781), S. 124 ff. (BZA). 104 Rezension zu: „Johann Ingen=Houß, (…) Versuche mit Pflanzen (…) 2ter und 3ter Bd, in: Allgemeine Deutsche Bibliothek 109 (1792), S. 166 – 168 (BZA). 105 Rezension zu „Johann Ingenhousz (…) Versuche mit Pflanzen (…)“, in: Magazin für die Botanik, 2. Stück (1787), S. 120 – 126, hier 120 f. 106 „Dass diese Würkung nicht ununterbrochen fortwährt, sondern erst dann anfängt, wenn die Sonne schon eine Zeitlang über dem Horizont gestanden, und durch den Einfluss ihres Lichtes die in der Nacht erstarrten Pflanzen erwekt, und zu dem heilsamen Geschäfte, die Luft für die thierische Schöpfung zu verbessern vorbereitet, und fähig gemacht hat; ein in der Dunkelheit der Nacht gänzlich stillstehendes Geschäft. (…) Dass die Pflanzen, durch hohe Gebäude oder andere Gewächse beschattet, dieser Bestimmung nicht Genüge leisten, das ist, die Luft nicht verbessern; sondern im Gegentheil eine unheilsame, für athmende Thiere schädliche Luft aushauchen, und ein wahres Gift in die sie umgebende Luft verbreiten.“ (Rezension zu „Johann Ingenhousz (…) Versuche mit Pflanzen (…)“, in: Magazin für die Botanik, 2. Stück (1787), S. 123.)

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auch hier – analog zu Ingenhousz’ Werk – die Gefahr, die durch Blumen und Früchte ausgehe.107 So scheint das Element der Luftreinigung in den Rezensionen manchmal fast auf einen weniger wichtigen Nebeneffekt zu schrumpfen. Auch im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte wird in einem Kommentar zu Ingenhousz ausgeführt, wie ausgewachsenen Pflanzen im Sonnenschein „schädliche Luftarten“ in „respirable“ Luft wandeln, diese aber des nachts verderben. Hier heißt es: „Die Eigenschaft der Pflanzen, die gute Luft bey Nachtzeit zu verderben, oder die bereits durchs Athmen etc. verderbte noch schlimmer zu machen, ist weit kräftiger, als die, eine gute Luft im Sonnenschein zu verbessern (…). Es ist in der That sonderbar, daß die Umstände überaus günstig seyn müssen, wenn eine Pflanze die gute Luft verbessern soll (…).“108 Die „Mephitisierung“ wird also betont. Die Artikel der Zeitschriften befassen sich also in sehr unterschiedlicher Weise mit den neuen Erkenntnissen. Manche beschreiben auch ausschließlich die von den Zimmerpflanzen ausgehenden Gefahren. So werden auch Versuche eines Herrn Marigues im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte beschrieben, die sich alleinig den negativen Ausdünstungen der Pflanzen widmen: „Aus diesen Versuchen, die jedermann sogleich und ohne Umstände selbst anstellen kann, erhellet, wie schädlich es sey, sich den Ausdünstungen der Pflanzen und selbst den angenehmsten Gerüchen verschiedener Blumen, ohne Unterschied auszusetzen. Nelken, Lilien, Rosen, Tuberosen u. s. w. können in Zimmern, die nicht gar zu groß sind, und nicht widerholt mit frischer Luft angefüllt werden, den Tod bringen. Um sich hiervon vollkommen zu überzeugen, darf man nur über einen oder die andere dieser Blumen, die man vorher von dem Stocke abgeschnitten, und damit sie aufrecht stehen bleiben, auf ein Stöckgen Thon gesteckt hat, eine Gasglocke stürzen und allen Zugang der äußern Luft verhindern, welches sehr leicht geschehen kann, wenn man die Glocke in einen Teller mit Wasser setzt. Nach Verlauf von 12 bis 24 Stunden wird die eingeschlossene Luft nicht nur ein hineingebrachtes Licht, als das deutlichste Zeichen ­­ ihrer tödtenden Eigenschaft, mehrmal auslöschen, sondern 107 „Dass alle Blumen beständig eine tödtende Luft aushauchen, und die sie umgebende Luft sowohl am Tage als in der Nacht, sowohl im Lichte als im Schatten verderben, und in einer beträchtlichen Luftmasse, worinn sie eingeschlossen sind, ein’s der schrecklichsten Gifte verbreiten.“ Zu den Früchten heißt es: „Dass überhaupt die Früchte zu allen Zeiten diese verderbliche Eigenschaft beybehalten, besonders in der Dunkelheit, und dass sich diese giftige Eigenschaft so weit erstreckt, dass sogar die aller wohlschmeckendsten Früchte, z. B. Pfirsichen, die Luft in einer einzigen Nacht so vergiften können, dass man sich in Lebensgefahr befinden würde, wenn man in einem kleinen Zimmer bey einer grossen Menge solcher Früchte eingeschlossen wäre. (…) Dass selbst die Sonne, ohne Beyhülfe der Pflanzen, nicht vermögend ist die Luft zu verbessern, sondern vielmehr schädlich macht, wenn sie allein wirket.“ (Rezension zu „Johann Ingenhousz (…) Versuche mit Pflanzen (…)“, in: Magazin für die Botanik, 2. Stück (1787), S. 124 f.) 108 „Ueber die Wirkung der Luftarten (…) aus einem Schreiben des Hrn Ingenhouß an Hrn Molitor ­gezogen“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, 5. Band, 2. Stück (1788), S. 40.

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selbst Thiere, denen man sie zu athmen giebt, plötzlich tödten.“109 Der „Wildwuchs“ an Interpretationen, Berichten und Versuchsbeschreibungen in den Magazinen zeugt vom entsprechenden Publikumsinteresse. Was die praktischen Umsetzungen der neuen Wissensbestände und den Übergang in das Allgemeinwissen, den Common Sense angeht, ist zu beobachten, dass zunächst also beide Elemente – die Luftreinigung durch die Pflanzen sowie das Verderben der Luft durch die Pflanzen – tradiert werden. Die Vorstellungen der Gesundheitsschädigung durch Pflanzenaktivitäten werden allerdings besonders vor der Jahrhundertwende vielfach durchgespielt, während sich nach der Jahrhundertwende der Reinigungseffekt findet. „Bewiesene“ Gefahr durch die Zimmerpflanzen 1782 etwa warnt ein ungenannter Schreiber im Gartenkalender vor der „Schädlichkeit der Blumen im Zimmer“.110 Zunächst erklärt er, wie wunderbar Blumen sind, aber er mahnt sodann: „Aber auch dieser Genuß unserer Vergnügungen, so unschuldig sie sind, so gerne die Natur sie uns gönnt, erfordert Vorsichtigkeit; mitten in dem Kelch süsser Düfte lauert ein Feind, der unsere Gesundheit, oft unserm Leben droht.“111 Hier wird es regelrecht dramatisch, wenn der Mensch die Einrichtung der Natur nicht beachtet: „Hier, in den Freyen und luftigen Lustplätzen der Natur, erquicken und beleben uns diese Düfte, ohne schädlich zu werden. (…) wir tragen die Blumen, die unserm Geruch am meisten schmeicheln, in unsre Schlafkabinette, in unsre Speisezimmer, und wo wir uns sonst gerne aufhalten. Und wir bedenken nicht, daß diese Wohlgerüche, die uns in freyer Luft ohne Gefahr erquickten, in verschlossenen Zimmern oft ein tödliches Gift werden. (…) Viele Personen von zärtlichen Nerven werden von Schwindel oder doch einer geringern Betäubung überfallen, wenn sie in ein Zimmer kommen, wo Violen oder Mösch (Asperula odorata) (Waldmeister, A. d. V.) duften (…). Es sind verschiedene Fälle von Damen bekannt, die von dem Geruch einer Hyacinthe in Ohnmacht fielen. Wir ­dürfen nur ein lange versperrtes Gewächshaus vor uns öffnen lassen; man empfindet gleich beim Eintritt eine gewisse Beängstigung, die sich erst dann wieder verliehrt, wann wir an die freye Luft zurück kommen. Der Schlaf im Gewächshaus ist äusserst gefährlich.“112 Einige Blumen s­eien besonders gefährlich: der weiße Diptam (Aschwurz, A. d. V.) etwa hauche sogar während der Blütezeit eine entzündliche Luft aus, Ausdünstungen 109 „Versuche und Beobachtungen über die erstickenden Ausdünstungen verschiedener Pflanzen von Marigues“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 1, 1. Stück (1781), S. 70 f. 110 Ungenannter Verfasser: „Von der Schädlichkeit der Blumen in den Zimmern“, in: Gartenkalender, Jahrgang 1, 1782, S. 230– 239 (BZA). 111 Ungenannter Verfasser, Schädlichkeit der Blumen (1782), S. 231 f. 112 Ungenannter Verfasser, Schädlichkeit der Blumen (1782), S. 231 f.

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des Walnussbaums ­seien besonders gefährlich usw. Der Schreiber berichtet: „Man hat so manche Beyspiele von Personen, die in ihrem Bette erblasst gefunden worden, und wo man keine andere Ursache ihres plötzlichen Todes entdecken konnte, als die vielen Blumen, die sich im Zimmer befanden.“113 Es folgen weitere Beispiele: ein Bischof in Breslau sei an den Ausdünstungen der Rosen erstickt, Personen nachts voller Angst aufgewacht und erst am offenen Fenster wieder zu sich gekommen und ähnliche Vorfälle. Auch hier wird auf die entsprechenden Versuche verwiesen, die jeder selbst anstellen könne, sowie auf Ingenhousz’ Ausführungen über die giftigen Dämpfe der Pfirische, der Bohnen etc. Ein Herr Wundram erläutert im Allgemeinen Teutschen Garten=Magazin: „Viele andere mit den Früchten wiederholte Versuche bewiesen immer die Schädlichkeit ihrer Ausdünstungen. Diese Früchte waren: Aepfel, Birnen, Pflaumen, Maulbeeren, Weintrauben, Citronen, Pfirsichen, Bohnen. Wo ein großer Haufen dieser Früchte sich in einem verschlossenen Zimmer befindet, da wird ihre Ausdünstung gefährlich seyn. Eben dies gilt von frischen aus der Erde gegrabenen Wurzeln. (…) Einige Blumen sind besonders schädlich, als die Blüten vom Geißblatt, wovon die angesteckte Luft noch den ganzen Wohlgeruch behält, die Orangenblüte, die Ringelblume, die weißen Lilien, die Narcisse, die Jonquillen, die Rosen und andere von einer starken Ausduftung. Auch die Ausdünstungen von Kräutern, besonders von unserm Mösch, und von grünen frischen Birkenzweigen, womit man besonders in Niedersachsen, um die Zeit des Pfingstfestes, die Wohnungen ausschmückt, sind gefährlich.“114 Weitere Fallbeschreibungen aus verschiedenen Informationsquellen illustrieren in diesen Aufsätzen das Gesagte: „Triller berichtet, dass ein junges Mädchen an einer Erstickung von Violenduft verstorben, und daß eine Gräfin von Salm durch einen eben solchen Zufall ihr Leben verloren. (…) Im Jahre 1764 erwachte zu London eine junge Dame, die mit ihrem Mädchen in einem mit Blumen angefüllten Zimmer schlief, mit einer schreck­ lichen Angst, und hatte kaum noch so viele Kraft, um ihre Bettgesellschafterin zu wecken, die sich noch nicht so ermattet fand. Diese stand auf, öffnete das Fenster; aber beide konnten sich nicht eher wieder erholen, bis sie die Blumen aus dem Fenster geworfen hatten. (…) Herr Dr. Forster erwähnt eines Mannes, der aufs Land reisete, unter Weges den Wagen halten und sich von seinen Bedienten eine Menge von stark riechendem Geißblatte aus den Hecken pflücken ließ. Es ward bei seiner Ankunft auf seinen Befehl ins Schlaf­zimmer ins Wasser gesetzt. In der Nacht erwachte der Mann, und war fast am Ersticken, konnte kaum sprechen, und hatte Mund und Nase voll vom Geschmacke und Geruche des Geißblatts. Er würgte sich, und riefe einigmal: Caprifolium! Seine Frau 113 Ungenannter Verfasser, Schädlichkeit der Blumen (1782), S. 236. 114 Dr. Wundram aus Eboldshausen: „Einige praktische Bemerkungen über die Schädlichkeit der Blumen in den Zimmern“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des praktischen Gartenwesens, Jahrgang 1, 11. Stück (1804), S. 461 ff., hier 462.

Die Rezeption der Thesen zu „Luftreinigung“ und „Luftverderben“   |

öffnete Thür und Fenster, und warf den Unglückstopf mit den Blumen auf die Straße. Die frische Luft gab dem Manne Linderung, allein er fühlte eine Mattigkeit und eine Art Lähmung an der Zunge, die zwei Tage lang und darüber anhielt, ehe er völlig genesen war.“115 Zwei junge Leute, die in einem Zimmer mit einem Pommeranzenbaum schliefen, der in der Nacht zu blühen anfing, wurden so betäubt, schwindelig und angsterfüllt, dass sie nur noch mit Mühe die Fenster öffnen konnten usw. Betäubung, Schwindel und ­Angstattacken erscheinen hier immer wieder als die gängigen Symptome bis hin zum Tod durch Krämpfe oder Ersticken. Mixturen von „altem“ und „neuem“ Wissen Allerdings ist diese Art der Vorstellung der Schädlichkeit stark duftender Blumen nicht nur auf Ingenhousz’ Versuche zurückzuführen, sondern baut auf ein wesentlich älteres Wissenssegment auf. Schon Johann Friedrich Zückert, der bereits vor der Publikation der Priestley’schen und Ingenhousz’schen Versuche 1770 eine Abhandlung von der Luft und Witterung und der davon abhängenden Gesundheit der Menschen schrieb,116 formulierte derartige Vorstellungen der Schädlichkeit von pflanzlichen Gerüchen und Ausdünstungen. Hier heißt es etwa: „Alle diejenigen Dinge aus dem Pflanzenreiche, die einen starken flüchtigen Geruch geben, sind manchen Menschen unerträglich, und unter gewissen Umständen tödtlich.“117 Sowohl in Ingenhousz’ Denken wie auch bei seinen Lesern ist also vermutlich tradiertes Wissen um die Schädlichkeit von Gerüchen 118, wie sie in den frühneuzeitlichen Miasmentheorien existierten, ebenso eingewoben. Das „alte“ Wissen um die Schädlichkeit der Düfte schwingt so trotz seiner vielfältigen Erkenntnisse zur Luftreinigung durch die Pflanzen sowohl in seinem eigenen Werk wie auch in dessen Rezeption ständig mit. 115 Wundram, Schädlichkeit der Blumen (1804), S. 463 ff. 116 Zückert, D. Johann Friedrich: Abhandlung von der Luft und Witterung und der davon abhangenden Gesundheit der Menschen, Berlin 1770. 117 „Der Geruch des Rosmarins, der Lilien, Rosen, Märzviolen, des Flieders (…) und mehrerer balsamischer Pflanzen nimmt vollblütigen oder zärtlichen Leuten den Kopf stark ein, und macht eine große Neigung zum Schlaf, wenn diese starken Gerüche in einem engen Zimmer eingeschlossen sind. Ja in den Schlafzimmern können sie eine tödtliche Schlafsucht oder einen Schlagfluß verursachen. Triller hat das Exempel gesehen, daß ein junges Fräulein sich des Abends eine Schüssel mit Violen in ihr Schlafzimmer bringen ließ. Sie schloß alles feste zu und schlief ein. Am Morgen wurde sie halb erstickt und sterbend angetroffen. Sie starb auch, trotz aller zu ihrer Rettung angewandten Mühe, noch am ­nämlichen Tage. (…) Es gibt Bäume, deren Ausdünstung auch in freyer Luft denen, die unter deren Schatten schlafen, schädlich, ja tödtlich ist. Im Reiche gibt es Wälder von Wallnußbäumen, und daselbst ist es ganz bekannt, daß Reisende, ­welche diese Wälder paßiren, leicht betaumelt werden, und eine unwiderstehliche Neigung zum Schlaf bekommen.“ Andere bekämen Fieber unter den Walnußbäumen, in Amerika gebe es Bäume, deren Geruch tödlich sei, usw. (Zückert, Luft und Gesundheit, 1770, S. 194 f.) 118 Zur Geschichte des Geruchs siehe: Corbin, Alain: Pesthauch und Blütenduft, dt. Ausgabe Berlin 1984.

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2.3 Der Segen überwiegt: Gesellschaftlicher und medizinischer Nutzen der Pflanzen als „Luftreiniger“ Dennoch neigt sich nach der Jahrhundertwende die Waagschale offensichtlich langsam aber sicher auf die Seite der Vorstellung, dass die gesundheitsfördernde Aktivität der Pflanzen ein zu nutzender Segen sei. (Zeitweise sind allerdings beide Schwerpunktsetzungen gleichzeitig vorhanden und Streitpunkt.) In den Wöchentlichen Mannigfaltigkeiten etwa, einer Basler Wochenschrift zur „allgemeinen Belehrung aller Stände“119, wird im Jahr 1813 schon von „Sauerstoff“ oder „Lebensluft“ gesprochen, dem lebenswichtigen Luftanteil, der durch die Pflanzen hergestellt werde. In einem Artikel „Ueber die Einwirkung der Pflanzen auf die Atmosphäre“ heißt es: „Jedermann weiß, daß die Luft einen verschiedenen Einfluß auf Leben und Gesundheit habe, und daß auf die gute oder schlechte Beschaffenheit derselben sehr viel ankomme (…). Nun wird der Sauerstoff derselben auf mannigfaltige Weise entzogen, z. B. durch das Einathmen, durch das Verbrennen und durch das Verwesen der Körper. (…) Der Abgang des Sauerstoffgases mußte nothwendig wieder ersetzt werden, wenn das thierische Leben fortwähren sollte. Die Blätter und Stiele der Pflanzen und Kräuter sind es, die diesen wohlthätigen Ersatz gewähren; aus ihnen entwickelt die Sonne bei Tage durch ihr Licht die belebenden Stoffe. (…) Die gesündeste Luft wird da bereitet, wo der Sonnenstrahl die grünenden Gewächse am ungehindertsten treffen kann.“120 ­Hieraus lassen sich für die Diätetik Folgerungen ableiten: Wer sich vor verdorbender Luft bewahren wolle, der meide schattige Bäume und halte sich zur Abend- und Nachtzeit nicht in grünen Lauben und Bogengängen auf. Im Sonnenschein könne man aber die positiven Effekte ­nutzen. Die nächtliche Gefahr wird jetzt nicht mehr ganz so dramatisch dargestellt, ist aber noch vorhanden: „Es taugt daher nicht, die Pflanzentöpfe des Nachts innerhalb des Wohnzimmers zu behalten. (…) Kräftigen Menschen werden zwar ein paar ­Blumenstöcke nicht schaden; aber Schwächere dürften auch hievon sehr leicht einen nachtheiligen Einfluß verspüren.“121 Viele plädieren aber nun für das Ziehen der Pflanzen in Zimmern und in der Stadt. So schreibt sogar schon 1775 ein gewisser F. A. Klockenbring im Hannoverischen Magazin in einem Aufsatz „Von der Verbesserung der Luft in Städten und Wohnzimmern“: „Die vortrefflichen neuen Entdeckungen des D. Priestley, über die Eigenschaft der wachsenden Vegetabilien, einer durch Fäulnis verderbten Luft ihre gesunde Beschaffenheit wieder zu geben; können auch für die öffentliche Gesundheit nützlich werden. 119 Wöchentliche Mannigfaltigkeiten, erschien in Basel von 1812 bis 1813 in 52 Nummern und wurde dann wieder eingestellt. 120 Wöchentliche Mannigfaltigkeiten Nr. 12 vom Mittwoch, dem 24. März 1813, S. 93 ff. 121 Wöchentliche Mannigfaltigkeiten Nr. 12 vom Mittwoch, dem 24. März 1813, S. 94.

Der Segen überwiegt  |

(…) Priestley sagt: man kann sicher annehmen, daß in unsern Tagen die Luft zum Athemholen nicht weniger gut ist, als vor zweytausend Jahren (…). Zu dem wichtigen Zweck der Reinigung der Luft vor faulenden Theilen, hat die Natur zwey große Behelfe. Eins, die vegetabilische Schöpfung, das andere, die See und übrige große Gewässer.“122 ­Priestleys Versuche werden kurz beschrieben, die Wirkung der Pflanzen als Luftreiniger ist hier unbestritten. Die Natur sei somit entsprechend eingerichtet: „Also wächst kein Pflanzenhalm vergebens, sondern jedes Gewächs von der Eiche des Waldes bis zum kleinsten Kraut, ist auch in dieser Absicht dem Menschen nützlich. Hierzu würken die duftende Rose und das g­ iftige Tollkraut gemeinschaftlich. Auch Wälder und Kräuter in den entferntesten unbewohnten Gegenden, sind uns dadurch nützlich, so wie wir ihnen; indem die Winde sie durch unsere faulenden Ausdünstungen und uns durch die von ihnen verbesserte Luft erhalten.“123 Wie im Großen, so funktioniere diese Luftreinigung aber auch im Kleinen: „Also ist die alte Gewohnheit, wie die meisten alten Gewohnheiten, Töpfe und Blumen oder andern Gewächsen in den Wohnzimmern zu haben, nicht so albern; also ist das ius in urbe, die mit Bäumen bepflanzten Gassen in den holländischen Städten, nicht so abgeschmackt, als einige neuere eingebildet philo­ sophisch Reisende behaupten; also ist es gut in den engen Höfen bey Wohnhäusern, wo kein freyer Zug der Luft ist, wenn es nur einigermaßen angeht, einen Baum zu pflanzen; gut, die Kirchhöfe, vornemlich in den Städten, wenn noch Verstorbene darauf begraben werden, so wie die Wälle mit Bäumen zu besetzen; gut, an den Orten, wo Gärbereyen, Seifensiedereyen und ähnliche Handwerke getrieben werden, wo möglich, Pflanzen und Bäume zu ziehen.“124 Dass Bäume in der Stadt dabei oft früher ausschlagen als auf dem Land, ist für Klockenbring ein weiterer Beleg, dass die Pflanzen, im Gegensatz zu Mensch und Tier, „die faulenden Theile der Luft zu ihrer Erhaltung und Nahrung anziehen“125. Klockenbring schlägt zudem den Bogen zum Gesundheitsdiskurs und den im 18. Jahrhundert verbreiteten Kurreisen und der Verherrlichung des Landlebens: „Daher endlich ist auch der Aufenthalt außerhalb der Stadt, oder auf dem Lande, für die Gesundheit um desto vorteilhafter, je mehr hier die Luft von den wenigen faulenden Dünsten, durch die mehreren Gewächse gereinigt werden kann.“126 Die gegen Ende des Jahrhunderts aufkommende Mode der Landpartie oder des Aufenthaltes im Gartenhaus vor der Stadt lässt sich hiermit durchaus in Verbindung bringen, denn im Sinne der medizinischen Luftwissenschaft hing so die Gesundheit des Menschen zu weiten Teilen an der Güte der Luft. 122 Klockenbring, F. A.: „Von der Verbesserung der Luft in Städten und Wohnzimmern“, in: Hannoverisches Magazin, Jahrgang 13 (1775), Spalte 903 – 906 (BZA), hier 903. 123 Klockenbring, Verbesserung der Luft in Städten und Wohnzimmern, 1775, Sp. 905. 124 Klockenbring, Verbesserung der Luft in Städten und Wohnzimmern, 1775, Sp. 905. 125 Klockenbring, Verbesserung der Luft in Städten und Wohnzimmern, 1775, Sp. 906. 126 Klockenbring, Verbesserung der Luft in Städten und Wohnzimmern, 1775, Sp. 906.

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Noch konkreter werden die Aussagen in Zeitschriften wie beispielsweise Der unterhaltende Arzt über Gesundheitspflege, Schönheit, Medicinalwesen, Religion und ­Sitten. Unter der Überschrift „Grünende Pflanzen und Bäume werden bestens empfohlen“ beschreibt J. C. Tode 1789 die positiven Effekte von Zimmerpflanzen.127 Die luftreinigende Wirkung der Pflanzen sei erwiesen: „Daß die grünenden Pflanzgewächse am Tageslichte oder vielmehr im Sonnenschein reine oder Lebensluft entwickeln, nach Untergang der Sonne aber eine schädliche Luft hergeben, bleibt nun nach wiederholten mannigfaltigen Versuchen immer eine Wahrheit (…).“128 Lange Zeit habe das Ziehen der Pflanzen an Fenstern als eitler Tand gegolten, aber: „(…) anstatt uns über diesen Prunk lustig zu machen, sollten wir vielmehr das Volk dazu ermuntern, und ihm die Vortheile zeigen, die es von solchen Grünigkeiten hat.“129 Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um kostbare oder gewöhnliche Pflanzen handele: „In der That, was der große Potpourri dem Reichen ist, das ist der demüthige Blumentopf seinem Schuhflicker: nur mit dem Unterschiede, daß jenes kostbare Geschirr nur zu Zeiten geöffnet wird und seine Wohlgerüche verbreitet, das lebendige Kraut aber den ganzen Tag nutzt, und so lange die Sonne am Himmel steht, böse Dünste einsaugt und gesunde wieder von sich giebt.“130 Für die Praxis heißt das: „Man sieht daraus, daß es immer besser ist (…) Wohnungen und andere Gebäude, wo viele Menschen beysammen leben, weben und schweben, mit Gärten oder Bäumen zu zieren, als alles was grün ist zu vertilgen (…).“131 Mit etwas Geschick kann so viel Gutes getan werden: „Freylich müssen die grünen Sonnenschirme nicht zu nahe an den Gebäuden stehen, um nicht durch die herabträufelnde Nässe Dach und Fach zu verderben, auch nicht zu dicht um einen ewigen Schatten zu erhalten. Aber das lässt sich leicht anordnen.“132 Ihm stehen aber noch weit mehr Anwendungen mit allgemeingesellschaftlichem Nutzen vor Augen: „Besonders ist es zufolge diesen neuen Entdeckungen Pflicht, Spitälern und Gefängnissen diese Dunstsauger, wie man Pflanzengewächse wohl nennen mag, angedeihen zu lassen. (…) Die Beamten, die in Gerichtssälen, Zollstuben, Postkontoren und so weiter dem stark mit Phlogiston geschwängerten Dunstkreise gemeiner Leute ausgesetzt sind, sollten sich mit guten wohlriechenden Pflanzen verschanzen. Sie würden dadurch nicht nur ihre Nase, sondern auch ihre Lungen vor den bösen Ausdünstungen verwahren. 127 Tode, J. C.: „Grünende Pflanzen und Bäume werden bestens empfohlen“, in: Der unterhaltende Arzt über Gesundheitspflege, Schönheit, Medicinalwesen, Religion und S­ itten. 1785 – 1789, 1789, 4. Band, S. 63 – 64. Tode, J. C.: „Fortsetzung des S. 64 abgebrochenen Absatze“, in: Der unterhaltende Arzt über Gesundheitspflege, Schönheit, Medicinalwesen, Religion und ­Sitten, 1785 – 1789, Band 4, 1789, S. 99 – 103 (BZA ). 128 Tode, Grünende Pflanzen werden empfohlen, 1789, S. 63. 129 Tode, Grünende Pflanzen werden empfohlen, 1789, S. 99. 130 Tode, Grünende Pflanzen werden empfohlen, 1789, S. 99. 131 Tode, Grünende Pflanzen werden empfohlen, 1789, S. 100. 132 Tode, Grünende Pflanzen werden empfohlen, 1789, S. 101.

Der Segen überwiegt  |

(…) Gefangenen sucht man itzt überall mehr Schonung und Erleichterung zu verschaffen. Warum könnte man ihnen nicht auch ein Paar armselige Blumentöpfe zukommen lassen, die den Gift des Loches einsaugen, und dem Unglücklichen zur Erquickung und zum Zeitvertreib dienen könnten? Von dem Gefangenen, dessen Dunstkreis beständig von einigen wohlriechenden Kräutern gereinigt würde, wäre schwerlich so viel Gestank und Gefahr zu befürchten, als man sonst davon erwarten muß.“133 Auch Tode kennt aber die Einschränkungen, wie sie Ingenhousz herausgefunden hatte: „Allerdings ist verschiedenens dabey in acht zu nehmen. Die Pflanzen müssen so stehen, daß sie dem Sonnenlichte ausgesetzt sind, weil sie unter dessen Einfluß die meiste reine Luft entwickeln. Wenn Vater Phöbus zur Ruhe geht, muß man sich den Ausdünstungen der Bäume und Kräuter entziehen, weil sie alsdann anfangen Schädliches auszuhauchen. (…) Abends im Dunkeln sollte man keine Grünigkeiten bey sich stehen lassen; doch so lange Licht genug brennt, geht es wohl an.“134 Um 1800 wird die Vorstellung, dass Zimmerpflanzen im Sonnenlicht die Stubenluft verbessern, mehr oder weniger zum Allgemeingut. Auch beispielsweise Gottfried Albert Kohlreif, der sich insbesondere der Thematik der gesunden Stubenluft widmete, konstatierte diese Wirkung. Er befasste sich insbesondere mit Fragen der Zugluft, der Wärmegrade, der Luftfeuchtigkeit, der Ofenluft und Ausdünstungen in Wohnungen.135 Während seiner Meinung nach dichte Wälder aufgrund des Schattens eher ungesunde Luft produzierten,136 war für ihn die reinigende Wirkung der dem Sonnenlicht ausgesetzten Gewächse unumstritten: „Es ist bekannt, daß die Pflanzen zur Nachtzeit und an dunklen Orten keine dephlogistisirte Luft, ja fast gar keine Luft geben, jedoch beträgt die Menge der schädlichen Luft, ­welche Pflanzen eine Nacht hindurch entbinden noch nicht dem hundertsten Theil der dephlogistisirten Luft, ­welche eben diese Gewächse an einem schönen Tage in zwo Stunden geben. “137 Die Atemvorgänge von Mensch und Tier stünden mit den Atemvorgängen der Pflanzen in umgekehrtem Verhältnis: „Bei unserm Athmen ist gerade der umgekehrte Prozeß; wir athmen phlogistisirte und dephlogistisirte Luft ein und bei ruhigem Athmen phlogistisirte Luft wie auch Luftsäure aus. So helfen wir den Pflanzen und sie wieder uns. (…) so ist es wahrscheinlich, daß diese Pflanzen, die man oft im Winter oder bei angehendem Frühjahr so groß und schön bei ihnen wachsend antrifft, den Qualm und Dampf ihrer 133 Tode, Grünende Pflanzen werden empfohlen, 1789, S. 101 f. 134 Tode, Grünende Pflanzen werden empfohlen, 1789, S. 102. 135 Kohlreif, Gottfried Albert: Abhandlung von der Beschaffenheit und dem Einfluß der Luft, sowohl der freyen athmospärischen als auch der eingeschlossenen Stubenluft auf Leben und Gesundheit der ­Menschen. Von Gotfried Albert Kohlreif, Russisch kaiserlichem Professor der Physik und der medicinischen Electricität; wie auch der St. Petersburgischen kaiserlichen freyen ökonomischen Gesellschaft Mitglied, Weißenfels und Leipzig, bei Friedrich Severin, 1794. 136 Kohlreif, Einfluß der Luft auf Leben und Gesundheit, 1798, S. 41. 137 Kohlreif, Einfluß der Luft auf Leben und Gesundheit, 1798, S. 169 f.

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Zimmer oder die Feuchtigkeit ihrer Dunst= und Phlogiston reichen Zimmer­luft durch die Zweige und Blätter an sich ziehen, in sich saugen und sich aneignen: sodann sie dekomponiren und in gesunde Luft umwandlen, oder eigentlich gesundere Luft daraus entwickeln und abscheiden. Solche Pflanzen entnehmen also ihren Wohnungen viele ungesunde Luft.“138 Medizinischer Nutzen Die Verbindung von Pflanzen und Luftreinigung wird in der Folgezeit immer mehr in den Vordergrund gerückt. Im immer wieder aufgelegten Hauslexikon der Gesundheitslehre für Leib und Seele heißt es noch 1872: „Menschen und Thiere athmen ihr eigenes Gift aus, das in kurzer Zeit die Atmosphäre so mit Kohlensäure füllen würde, daß alles Athmen darin aufhören und jeder Athemzug den Tod bringen würde, wenn die Natur die Pflanzen nicht beauftragt hätte, die Luft fortwährend zu reinigen und die Kohlensäure einzusaugen, um daraus mit Hülfe des Wassers sich selbst zu bilden.“139 Dass Menschen und Tiere durch ihren Atmungsvorgang die Luft in Zimmern unbrauchbar machen, ist bis Ende des 19. Jahrhunderts eine gängige Vorstellung. Man spricht dabei im 19. Jahrhundert noch nicht von einem Sauerstoffmangel im geschlossenen Raum, sondern vom Ausatmen eines Giftes, des sogenannten „Anthropotoxins“, das sich in geschlossenen Räumen durch das Ausatmen von Mensch und Tier ansammle.140 Nicht zuletzt in den Hygienediskussionen um das Lüften und das nächtliche Öffnen der Fenster wird dies im 19. Jahrhundert verhandelt. Dabei war das nächtliche Öffnen der Fenster offensichtlich noch lange umstritten.141 Vermutlich schwingt hier in den Diskussionen noch genau jene „wissenschaftliche Tatsache“ mit, die die Nachtluft als gesundheitsschädlich erscheinen lassen musste: die „Tatsache“, dass Pflanzen im Schatten und in der Dunkelheit die Luft „verderben“ und vergiften. Handbücher weisen noch lange auf diese doppelte Aktivität der Pflanzen hin. Zumindest heißt es noch 1869 in einem Handbuch zur Chemie des täglichen Lebens über die Pflanzen: „Bei Tage hauchen sie Sauerstoff aus und athmen sie Kohlensäure ein. Bei Nacht oder im Dunkeln kehrt sich dieser Vorgang um, sie nehmen dann Sauerstoff auf und hauchen Kohlensäure aus.“142 Die „Kohlensäure“ bleibt einerseits ein gefährlicher Stoff, andererseits lebensnotwendig 138 Kohlreif, Einfluß der Luft auf Leben und Gesundheit, 1798, S. 170 f. 139 Klencke, Hermann: Hauslexikon der Gesundheitslehre für Leib und Seele, 3. neu durchgearbeitete und vermehrte Auflage, vierter Abdruck, zweiter Theil, Leipzig 1872, S. 32. 140 Siehe hierzu: Holm, Christiane: „Bürgerliche Wohnkultur im 19. Jahrhundert“, in: Das Haus in der Geschichte Europas, 2015, S. 244. 141 Siehe: Mathieu, Jon: „Das offene Fenster. Überlegungen zu Gesundheit und Gesellschaft im 19. Jahrhundert“, in: Annalas da la Societad Retorumantscha 106 (1993), S. 291 – 309. 142 Johnston, James F. W.: Die Chemie des täglichen Lebens (…), Band 1, Berlin 1869, S. 85.

Der Segen überwiegt  |

für die Pflanzen: „Jedes grüne Blatt an den Kräutern des Feldes und in dem Laube der Bäume saugt d ­ ieses Gas aus der Luft auf, wenn die Sonne scheint. Es ist für das Pflanzenleben eben so unentbehrlich wie der Sauerstoff für das Thier. Wäre keine Kohlensäure in der Luft, so würde das Wachsthum der Pflanzen gänzlich stocken. Bald würde uns nur eine traurige Wüste umgeben, und mit dem erforderlichen Pflanzenleben würde auch das der Thiere aufhören müssen. Aber die Kohlensäure ist ein Gift für die Thiere! Eben deshalb darf die Luft nur eine so geringe Menge davon enthalten.“143 Es folgt hierauf der Bericht über eine „mit Kohlensäure überladenen Luft“, ein berüchtigtes „Giftthal“ auf der indonesischen Insel Java, in welchem Tiere binnen weniger Minuten verendeten.144 Pflanzenheilanstalten Der gesundheitsfördernde Einfluss der Pflanzen führt sogar so weit, dass im 19. Jahrhundert Heilanstalten für Lungenkranke entstehenen, die sich diesen medizinischen Aspekt zunutze machen. Nachdem Joseph Priestley und Jan Ingenhousz die Sauerstoffproduktion der Pflanzen nachgewiesen hatten und Antoine Laurent de Lavoisier (1743 – 1794) auf der anderen Seite den chemischen Vorgang der Atmung belegen konnte,145 lag es nahe, Lungenkranken eine erhöhte Zufuhr „gereinigter“ (sauerstoffreicher) Luft anzuraten. Nicht nur ausgiebige Spaziergänge in der Natur sollten hierzu beitragen, sondern mit entsprechenden Pflanzen bestückte Wintergärten in den Kurorten. Otto Hüttig, ein Gartenbaulehrer, der im späten 19. Jahrhundert einen Ratgeber zur Einrichtung des Zimmergartens unter dem Titel Illustrirte Zimmer=Flora publiziert, bezieht sich auf diese. Seine Absicht ist es, auch jenen ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, die die heilsame Kraft der Pflanzen n ­ utzen wollen, aber nicht in eine derartige Heilanstalt fahren können. Hier heißt es: „Mein Buch hat noch einen andern Zweck, als den, die mehr als 40jährigen Erfahrungen des praktischen Gärtners und Lehrers des Gartenbaus weiteren Kreisen zugänglich zu machen: Hie und da sind nämlich Heilanstalten für Brustkranke entstanden, für w ­ elche der Aufenthalt in mit lebenden Pflanzen gefüllten Räumen ein Heilmittel ist, wie die sog. „Wintergärten“ in Dr. Brohmer’s Heilanstalt Göbersdorf in Schlesien 146 und die in Falkenstein im Taunus u. a. beweisen; wo diese noch nicht vorhanden sind, da könnte mein Buch vielleicht als bescheidener 143 Johnston, Chemie des täglichen Lebens, Band 1, 1869, S. 11. 144 Johnston, Chemie des täglichen Lebens, Band 1, 1869, S. 12 f. 145 Siehe hierzu: Toellner, Richard: Illustrierte Geschichte der Medizin, Band 5, Geschichte der Lungenheilkunde, S. 2703 f. Zu Lavoisier ebenso: Bettex, Entdeckung der Natur, 1969, S. 41 ff (Die neue Chemie der Gase). 146 Gemeint ist offensichtlich Hermann Brehmer, der in Görbersdorf eine Heilanstalt gründete, die insbesondere für an Lungenschwindsucht Erkrankte gedacht war. Siehe: Pagel, Julius: „Brehmer, Hermann“, in: ADB 47, Leipzig 1903, S. 216 f.

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Rathgeber für die Einrichtung und Pflege solcher Wintergärten dienen; jedenfalls aber könnte es demjenigen, welcher noch nicht geneigt oder der noch nicht gezwungen ist, ­­solche Anstalt als letzten Hoffnungsanker zu benützen, und der sich deshalb sein eigenes Zimmer zur Heilanstalt wird einrichten wollen, zur Einrichtung für diesen Zweck einige Winke geben. (…) Einem jeden solchen Kranken wünsche ich der Befolgung meiner und seines Arztes Rathschläge den besten Erfolg; vielleicht werden sie auch ein Mittel sein, solcher Krankheit vorzubeugen.“147 Von der gesundheitsfördernden Fähigkeit der Pflanzen im Zimmer zur Ästhetik Was nun kaum mehr bestrittener gesundheitsfördernder Nutzen der Pflanzen war, verliert durch genauere Messungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts aber teilweise wieder an Bedeutung. So diskutiert etwa der bayerische Chemiker Max Pettenkofer in einem Vortrag 1877 „Ueber den hygienischen Werth von Pflanzen und Pflanzungen im Zimmer und im Freien“148 die Frage, inwieweit Zimmerpflanzen der Gesundheit förderlich sind. Allgemein behaupte man ja, dass die Vegetation die Luft verbessere, indem die Pflanzen Kohlensäure absorbierten, unter Einfluss des Sonnenlichtes Sauerstoff in die Atmosphäre abgäben und daher die Landluft gesünder sei als die Stadtluft – dem müsse er aber widersprechen. So sei in Messungen der Sauerstoffgehalt in der Waldluft nicht höher als in der Stadtluft oder in einer vegetationslosen Wüste.149 Er, der nun die Mengen der produzierten Gase offenbar besser abschätzen kann, erläutert: „Wenn man aber, gezwungen durch so unzweideutige Thatsachen, auch zugibt, dass die Vegetation auf die Zusammensetzung der freien Atmosphäre keinen merklichen Einfluss auszuüben vermag, so wird man doch nicht gleich geneigt sein, auch die von ­vielen gehegte Vorstellung fallen zu lassen, dass wir in einem eingeschlossenen Raume, im Zimmer durch Pflanzen die Luft zu verbessern vermögen, weil ja doch bekanntlich jedes grüne Blatt unter dem Einflusse des Lichtes Kohlensäure verzehrt und Sauerstoff dafür abgibt. (…) Es ist verzeihlich, wenn diese Frage jeder Blumenfreund gerne bejaht sähe. Haben doch schon Ärzte vorgeschlagen, die Schulzimmer anstatt sie besser zu ventiliren, mit 147 Hüttig, Otto: Illustrirte Zimmer=Flora. Praktische Winke zur Anzucht und Pflege der Pflanzen, besonders der Blumen im Zimmer, in der Veranda als Wintergarten und im Freien. Nebst Anweisung zum Trocknen, Bleichen und Färben von Gräsern, Blumen und Blättern, auch deren Verwendung zum Kranz, Blumenstrauss, Blumenkissen usw., nebst einem Nachtrag: Der Obstbaum und Weinstock in Töpfen (…) Hauptsächlich für den Liebhaber bearbeitet und herausgegeben von O. Hüttig, Oranienburg 1886, S. III f. Die ausführliche Titelei weist ihn als Gartenbau-­Direktor aus. 148 Pettenkofer, Max: „Ueber den hygienischen Werth von Pflanzen und Pflanzungen im Zimmer und im Freien. Vortrag gehalten in der bayerischen Gartenbau-­Gesellschaft zu München im Januar 1877“, in: Ders. Populäre Vorträge, Braunschweig 1876/1877, S. 81 – 101 (entspricht bei anderer Seitenzählung Heft 3). 149 Pettenkofer, Populäre Vorträge, Hygienischer Wert von Pflanzen 1877, S. 82 f.

Der Segen überwiegt  |

Blumentöpfen zu zieren, damit deren grüne Blätter und Zweige die Kohlensäure aus dem Munde der Kinder verschlingen und ihnen dafür Sauerstoff zurückgeben. – Aber auch mit dieser Annahme kann die Hygiene sich nicht einverstanden erklären. (…) Die Arbeitskraft von 20 Blumentöpfen würde nun noch lange nicht hinreichen, um die Kohlen­säure zu zerlegen, ­welche auch nur ein einziges Kind in gleicher Zeit ausathmet.“150 Dennoch sieht er einen Wert in den Pflanzungen und Gärten – dieser wird aber nun psychologisch begründet: „Die Blumen im Zimmer betrachte ich für Alle, denen ihr Anblick Freude macht, als ein Genussmittel des Daseins überhaupt (…).“151 Allein deshalb ­seien sie nützlich, denn ein zufriedener, mit Freude erfüllter Körper sei auch weniger krankheitsanfällig. Die „heilsame Kraft“ der „Luftreinigung“ und der Verbesserung des Raumklimas durch Pflanzen kennen wir im allgmeinen Diskurs bis heute, die Gefahr nicht mehr – abgesehen von wenigen, heute nicht mehr begründbaren Mythen über die Schädlichkeit von Blumensträußen in Krankenzimmern.152 Verliert die Natur also generell über die Frühe Neuzeit hinweg an Bedrohlichkeit, so schien die Gefahr des nächtlichen oder schattigen Waldes sich jedoch zunächst sogar durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu bestätigen. Genauere Messungen allerdings relativierten diese zunehmend. Der schattige Wald oder die im Schatten gepflanzten Bäume der Stadt haben ihren Schrecken verloren.

150 Pettenkofer, Populäre Vorträge, Hygienischer Wert von Pflanzen 1877, S. 86 f. 151 Pettenkofer, Populäre Vorträge, Hygienischer Wert von Pflanzen 1877, S. 93 f. 152 Siehe u. a. ein Artikel in der ZEIT-ONLINE vom 29. Oktober 1997. http://www.zeit.de/stimmts/1997_44_ stimmts. „Düfte am Krankenbett. Blumen im Krankenzimmer werden nachts auf den Flur gestellt, weil sie den Sauerstoff aus der Luft entfernen. Stimmt’s?“ (Stand 12. 11. 2017.)

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Die „Stubengärtnerei“: Die Hausund Zimmerpflanzen der Städter

Die seit der Wende um 1800 zunehmende Mode, die Pflanzen ins Haus zu bringen, fi ­ ndet, wie beschrieben, ihre wissensgeschichtliche Rückbindung einerseits in den beschriebenen botanischen Studien, auf deren Erfordernisse man eingeht, wenn empfindliche Pflanzen nun im Haus gezogen werden. Andererseits steht sie aber in Verbindung mit den beschriebenen medizinisch-­chemischen Wissensvorräten der „Luftwissenschaft“ und ihren in den common sense übergegangenen Ausformungen, die der Pflanze im Haus eine luftreinigende Funktion zuschrieben. Die um 1800 entstehende Zimmerpflanzenkultur ist zudem ebenso gebunden an die immense Ausweitung des Gartenwesens und die umfassende Mode der innerstädtischen Gärtnerei, in deren Fahrwasser der Garten ins Haus verlegt wird. Sie entwickelt nun im 19. Jahrhundert zunehmend eine eigene Dynamik im Verbund mit Architektur, Ästhetik und Konsumkultur und markiert damit das Ende der aufklärerischen Botanophilie. Die Stubengärtnerei ist daher zunächst noch Teil der Botanophilie oder zumindest verwandt mit dieser, koppelt sich aber gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend von der botanischen Wissenschaft ab und wird unhinterfragtes Element eines bourgeoisen Lebensstils. Der Boom der Ratgeberliteratur zum Thema Zimmerpflanzen, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzt und bis Mitte oder gar Ende des 19. Jahrhunderts anhält, belegt diesen Teil bürgerlicher Lebenswelt. Die „Natur im Haus“ wird in einer völlig neuen Weise durchsetzt und überformt von bürgerlichen Wertvorstellungen der Häuslichkeit, der Geschäftigkeit und der Familie. Arbeiten zu urbanen, bürgerlichen Wohnformen des endenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts haben in vielfältiger Weise auf Prozesse der hier im Bürgertum stattfindenen „Interieurisierung“153 oder der „Verhäuslichung“154 hingewiesen. Hier wird sie auch in Bezug auf die Pflanzen wirksam, indem diese „ins Haus wandern“. Die Pflanzen vollziehen dabei unter anderem einen Bedeutungswandel von der Pflanze als Teil der Repräsentation botanischen Wissens und als „luftreinigende“ Lebewesen zum integralen Bestandteil bürgerlichen Wohninterieurs. Zwar haben sie ihren Ruf als raumklimaverbessernde Elemente bis heute behalten, Zimmerpflanzen sind aber heute nicht mehr den Tieren verwandte Naturwesen im Haus, sondern gehören heute eher zu den „Dingen“ im Haus. 153 Holm, Christiane: „Bürgerliche Wohnkultur im 19. Jahrhundert“, in: Eibach / Schmidt-­Voges, Haus in der Geschichte Europas, 2015, S. 233 – 252. 154 Eibach, Joachim: „Das Haus in der Moderne“, in: Eibach / Schmidt-­Voges, Haus in der Geschichte Europas, 2015, S. 19 – 40.

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3.1 „Der Stubengärtner“ – Ratgeberliteratur zur Pflanzenpflege 1838, auf dem Höhepunkt der Stubengärtnerei, in seinem Werk Der vollkommene Stuben­ gärtner oder Anweisung die schönsten Blumen im Zimmer und vor dem Fenster zu ziehen definiert Jakob Ernst von Reider die Zimmerpflanzenkultur folgendermaßen: „Die Stuben­ gärtnerei ist im Allgemeinen nichts anders, als die Verlegung des Gartens ins Zimmer, um hier bequem Blumen zu ziehen. Wie man zur Blumenzucht im Garten eine eigene Einrichtung nothwendig hat, eben so für die Blumenzucht im Zimmer.“155 Die Beschränkung des Zimmergärtners liegt allein in Platzgründen: „Die Grenze aller Zimmergärtnerei findet man darin, daß Pflanzen, ­welche nicht ins Vorfenster und vor das Fenster passen, von dem Zimmergarten ausgeschlossen bleiben.“156 Den Zimmerpflanzen eignet dabei schon früh ein ästhetisches Moment an, es geht sozusagen nicht um einen Nutzgarten und um dessen Verlegung ins Haus (beziehungsweise nur in sehr wenigen Fällen, etwa bezogen auf Küchenkräuter), sondern um die Verlegung des exotisch-­botanischen Gartens oder des Blumengartens ins Haus. Für Reider geht es hier auch um „Nahrung für die Sinne“: „Unter Stubengärtnerei verstehet man die Anzucht und Unterhaltung aller jener Blumen= und Zierpflanzen, w ­ elche die Sinne fesseln und zu den vorhandenen Verhältnissen passen. (…) Deshalb sind alle Pflanzen in der Stube und vor dem Fenster willkommen, ­welche sich durch schöne Blumen und Wohlgeruch, oder durch beides zugleich, oder sonstige Merkwürdigkeit auszeichnen.157 Die Schwerpunktsetzungen sind in diesen frühen Ratgebern zur Z ­ immerpflanzenkultur, den sogenannten „Stubengärtner“, zwar unterschiedlich, eindeutig ist jedoch, dass die Zimmergärtnerei zunehmend dem Moment der Ästhetik Raum gibt. Anfänge der Stubengärtnerei Die Stubengärtnerei im großen Stil setzt gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein, breitet sich in den 1810er bis 1830er Jahren explosionsartig aus und ist gegen Mitte des 19. Jahrhunderts als Teil bürgerlicher Lebens- und Wohnkultur fest etabliert. Dazu passend sind die architektonischen Veränderungen im Stadthaus: die Fenster werden größer, die Decken höher, die Räume lichtdurchfluteter. Die „vegetabilen“ Merkmale des Gebäudes, der „guten Adresse“, spiegeln dabei ebenso den Status der Familie wider wie etwa die Art

155 Reider, Jakob Ernst von: Der vollkommene Stubengärtner oder Anweisung die schönsten Blumen im Zimmer und vor den Fenstern zu ziehen, um das ganze Jahr über Blumen zu haben, 2. Auflage 1838, eingelegte Einleitung, folgend auf S. LXII, vor S. 1. 156 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, eingelegte Einleitung, folgend auf S. LXII, vor S. 1. 157 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, eingelegte Einleitung, folgend auf S. LXII, vor S. 1.

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der Sitzmöbel, der Tapeten oder das Klavier im Bereich des Interieurs.158 Wer einmal das Augenmerk auf die dargestellten Pflanzen in bürgerlichen Familien- und Wohnraumdarstellungen des 19. Jahrhunderts gelegt hat, findet diese unweigerlich mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie etwa die Haustiere. In Carl Friedrich Zimmermanns Aquarell Berliner Wohnzimmer von 1816 versammeln sich regelrecht die Merkmale bürger­licher Kultur: Die Kunstgegenstände im Raum, das Lesen, die Hausmusik, das gebildete Gespräch ­zwischen den Geschlechtern (Paar am Fenster), die Besuchskultur (ein Freund der Familie tritt ein), das wohlerzogen spielende Kind, das Haustier (der Hund) und: die Pflanzen auf dem Fensterbrett beziehungsweise vor dem Spiegel (Taf. 3). Die „Wintergärtner“ zwischen Zimmerbotanik und Stubengärtnerei Bereits mehrfach ist angeklungen, dass Botanisten „empfindliche“ Pflanzen ins Haus bringen, um sie vor Sonne, Regen oder Kälte zu schützen. Insbesondere die Frage der Kälte – zunächst im Sinne der Frage nach der Überwinterung der neuen und oftmals aus anderen Klimaten stammenden Pflanzen – erschien für diese dringlich. Einen Übergang des Botanisierens zur „Stubengärtnerei“ stellen daher zunächst die Überlegungen zur Überwinterung und zum „Winterblumenbau“ dar. So wird etwa 1785 im Hannoverischen Magazin bezüglich des Winters diskutiert, „ob es möglich sey, alle Töpfe, in w ­ elchen man Blumen treibt, während der Zeit in den Fenstern zu haben“.159 Den Pflanzen wird dabei viel Raum innerhalb der Wohnräume zugestanden. Stein schreibt: „Inzwischen kann der Raum vor den Fenstern durch Tische oder andere Gestelle hinreichend vergrößert werden, da drei bis vier Fuß von dem Fenster ab noch immer Licht genug für jede zu treibende Pflanze ist. Es kömt hier nur darauf an, ob es die sonstige Einrichtung im Zimmer leidet, widrigenfalls die frisch eingebrachten Töpfe, wenn die Fensterbänke schon besetzt wären, an jedem beliebigen Orte des Zimmers vorlieb nehmen müßten, bis die in den Fenstern zur Flor gekommenen Töpfe ihnen Platz machen können, so bald sie es nöthig haben. (…) Was die Wartung betrift, so sind meines Erachtens Grotians Winterbelustigungen für jeden Anfänger der Stubentreiberei hinlänglich (…).“160 Das genannte Werk des herzoglich sächsischen Sekretärs – so weist ihn das Titelblatt aus – August Grotjan erschien zunächst 1750, dann 1766 als 3. Auflage in zwei Teilen unter dem Titel Physikalische Winter-­Belustigung.161 158 Vgl. hierzu u. a.: Fuhrmann, Bernd u. a.: Geschichte des Wohnens. Vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2008, S. 107 ff. (Abschnitt „Bürgerliche Wohnwelten“). 159 Stein, J. H.: „Beantwortung der im 88ten Stück des Magazins befindlichen Anfrage wegen des Winterblumenbaues“, in: Hannoverisches Magazin 23 (1785), Sp. 1569 – 1574, hier Spalte 1569 (BZA). 160 Stein, Winterblumenbau, 1785, Sp. 1571. 161 Grotjan, Johann August: Physikalische Winter-­Belustigung mit Hyacinthen, Jonquillen, Tazzeten, Tulipanen, Nelken und Levcojen. Teil 1: welcher auf das accurateste zu erkennen giebt, wie die genannten

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Ähnliche Werke kamen nun vermehrt auf dem Buchmarkt, etwa 1801 der sehr populäre Wintergärtner von Friedrich Gottlieb Dietrich. Er wurde 1808 bereits ins Schwedische übersetzt und erlebte 1833 seine 5. deutsche Auflage.162 Offensichtlich traf diese Problematik auf breites Interesse und Dietrich war dem Publikum schon durch ein unzählige Male aufgelegtes Lexikon der Gärtnerei und Botanik bekannt.163 (Dieses beliebte Lexikon wird in den Quellen mit „Der Dietrich“ betitelt.) Zwischen „Wintergärtner“-Ratgeber und „Stubengärtner“-Ratgeber angesiedelt ist das Werk von Karl Alexis Waller mit dem Titel Der Stubengärtner, oder Anweisung die schönsten Zierpflanzen in Zimmern und vor Fenstern zu ziehen, und auf leichte Art zu durchwintern, das zunächst 1806 erschien, dann – wenn nicht noch öfter – 1812, 1818, 1821 und 1831 erneut gedruckt wurde.164 In der Ausgabe von 1812 schreibt Waller über sein Anliegen: „Im Jahre 1806 erschien die erste Auflage d ­ ieses Werkchens. Bey der Ausarbeitung desselben hatte ich es mir zum Gesetze gemacht, jenen Blumenfreunden, die weder Gärten noch Glashäuser besitzen, eine wohlfeile und fassliche Anweisung zu geben, eine Menge der schönsten ausländischen Pflanzen in Zimmern und vor Fenstern zu cultiviren, und auf eine leichte Art zu überwintern. Diese Idee hatte nicht nur das Glück, dem Publicum zu gefallen; auch drey mir zu Gesicht gekommene Recensionen erwähnten meines Büchleins theils mit Beyfall, theils mit schonender Nachsicht. Die Folge davon war, dass mehrere Schriftsteller denselben Gegenstand ergriffen, und ihn, Jeder nach Maßgabe seiner gärtnerischen Kenntnisse, gut oder schlecht, bearbeiteten. Dessen ungeachtet war schon nach Verlauf von vier Jahren die erste Auflage gänzlich vergriffen (…) Die Concurrenz mehrerer Bücher mit dem meinigen, und der Umstand, daß schon in so kurzer Zeit eine neue Ausgabe nöthig war, haben mir den angenehmen Beweis Zwiebel-­Gewächse, zur Winterszeit, nicht nur zur schönsten Flor zu bringen, sondern auch solche ­­ Flor auf jeden verlangten Winter-­Tag sich bestimmen lasse; dabey die Zeugung, Fortpflanzung und Auswinterung der Nelken und Levcojen mit vielen Arcanis gelehrt wird: Nebst einem Anhang in ­welchen die Eigenschaften einiger Garten-­Gewächse erkläret werden, aus eigener Erfahrung mitgetheilet, Nordhausen 3. Auflage 1766. Teil 2: welcher die allerleichteste Art prächtige Käyserkronen, Tulipanen, Narcissen, und viel andere Blumen mittelst der Erde im härtesten Winter herfür zu bringen zeiget: anbey die im ­Ersten Theile fürgetragenen Abhandlungen ferner aufkläret und fester bestimmet, Nordhausen 3. Auflage 1766. ­Weitere, verbesserte Auflagen folgten. 162 Mir liegt die Auflage von 1802 vor: Dietrich, Friedrich Gottlieb: Der Wintergärtner Oder Anweisung die beliebtesten Modeblumen und ökonomischen Gewächse ohne Treibhäuser und Mistbeete, in Zimmern, Kellern und andern Behältern zu überwintern, oder für den offenen Garten vorzubereiten, Weimar 1802. (Offensichtlich ist das die 2. Auflage, was nicht ausgewiesen ist, eine dritte, verbesserte Auflage erscheint in Berlin 1808.) 163 Dietrich, Friedrich Gottlieb: Vollständiges Lexikon der Gärtnerei und Botanik, Weimar 1802 ff. 164 Mir liegt die zweite Auflage vor: Waller, Karl Alexis: Der Stubengärtner, oder Anweisung die schönsten Zierpflanzen in Zimmern und vor Fenstern zu ziehen, und auf eine leichte Art zu durchwintern. Von Karl Alexis Waller, zweyte, stark vermehrte und verbesserte Ausgabe, Nordhausen 1812.

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gegeben, daß die Anzahl der Blumenfreunde in Deutschland von Jahr zu Jahr immer zugenommen hat.“165 Waller bewegt sich dabei schon weit weg von den sogenannten „Botaniken“, aber er sieht es offensichtlich noch als notwendig an, sich verteidigen zu müssen, dass er nun Linné’sche Klassen, Ordnungen oder Gattungsmerkmale nicht mehr angibt: „Die Anzeige der Classe und Ordnung, in ­welche eine Pflanze nach Linné’s System gehört, so wie die Angabe der Gattungs=Charaktere sind weggelassen worden, weil die Erfahrung mich belehrt hat, daß dieß für den Blumenfreund, der nicht zugleich das Studium der Botanik liebt, ohne allen Nutzen ist. Der Geübtere kennt gewiß die botanischen Hülfsmittel, um eine Pflanze zu bestimmen; Anfänger nehmen davon keine Notiz.“166 Dabei werden aber die „Pflegeanweisungen“ durchaus noch aus den „Botaniken“ entnommen. Es muss seiner Ansicht nach immer beachtet werden, ­welche Gegebenheiten eine Pflanze in der freien Natur bevorzugt: „Die Erfahrung ist hier, so wie in Tausend andern Dingen die beste Lehrmeisterin: man studire genau die Natur jeder Pflanze, man gebe Acht auf das, was ihr nachtheilig ist.“167 Natürlich lieben Pflanzen hohe, nach Süden ausgerichtete, luftige Zimmer. Sie dulden laut Waller keinen Staub, da dieser die Blattöffnungen verstopft, und man solle vor allem das Sandstreuen bei der Zimmerreinigung unterlassen. Habe man nur wenige Pflanzen im Zimmer, so könne man vor dem Auskehren ein Tuch über die Pflanzen breiten. Das sonst notwendige Abbürsten der Pflanzen mit dem Pinsel sei mühsam, ebenso das Abwaschen, wofür er jedoch den Bau einer feinstrahligen Gießvorrichtung (ein sehr kompliziertes Glasgerät) empfehle usw. Ähnliche komplizierte Anweisungen gelten der Ofenwärme, der Wasserzufuhr, der Topfauswahl oder den Tinkturen gegen Ungeziefer (wie etwa Schnupftabak und Seifenspiritus gegen Insekten).168 Wie viele seiner Nachfolger lässt er auf seine allgemeinen Ausführungen dann ein alphabetisches Pflanzenverzeichnis folgen, wobei er zu jeder einzelnen Pflanze spezielle Pflegehinweise gibt. Allerdings trägt er, anders als in den Anfängen der Botanophilie, fast ausschließlich exotischen Pflanzen aus Japan, Mexiko, Peru etc. Rechnung. Die heimischen Pflanzen werden hier wenig mitbedacht. (Laut Waller sind dabei 1812 unter anderem die aus England importierten Heiden in Deutschland modern sowie die Hortensie aus China oder auch die Mimose aufgrund des Interesses des Publikums an ihrer Bewegung und „Reizbarkeit“ (siehe Teil I, Kap. 2.2.3). Obwohl hier in den nach der Jahrhundertwende publizierten Ratgebern zum „Winter­ blumenbau“ rasch auch die Freude an den im Haus dekorativ blühenden Pflanzen als Motivation aufscheint und auf die beginnende Mode der „Blumentreiberei“ verweist, 165 166 167 168

Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, Vorrede. Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. xii f. Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 18. Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 19 ff.

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bleibt doch festzuhalten, dass in den Anfängen diese Entwicklung noch stark mit der Frage des Überlebens der nun zunehmend aus anderen Klimaten stammenden Gewächse im Zentrum stand. Ob nun die Orangerien der Wohlhabenden, die für die Überwinterung der Pflanzen gebaut waren, hier einen Vorbildcharakter hatten oder nicht, dem normalen Stadtbürger diente für die Überwinterung ein Zimmer, der Anbau von Fenster­ kästen oder später der Wintergarten (s. u. 4.4) , als eigens für diesen Zweck eingerichteter Raum der Stadtvilla. Die Gärtnerei im Innenraum Dass die „Gärtnerei“ sich damit quasi nahtlos in den Innenraum erstreckt, zeigt sich auch darin, dass der Stubengarten zunächst analog zum Freiluftgarten bearbeitet wird. So sehen beispielsweise die Zimmergartenkalender für die Stubengärtnerei ebenso monatlich anfallende Arbeiten vor wie für die Frischluftgärtnerei. „Monatskalender“ in den Ratgebern zeigen die Arbeiten im Zimmergarten an.169 Im März muss man den Gewächsen Luft geben, im April die Gewächse an Freiluft gewöhnen oder auch versetzen, im Mai an die Luft stellen und Ableger machen. Im Juni sind die Pflanzen möglichst im Freien (vor dem Fenster, auf dem Balkon, im Hof ).170 Im Juli erscheinen die Nelken: „Der herannahende Nelkenflor spannt in einem sehr hohen Grade die Erwartung der Liebhaber. Ob, insonderheit ihre Samen=Blumen, schön, ob sie rein blühen werden, ob die Grundfarbe mit der Zeichnung nicht ineinander gelaufen erscheinen wird? Dies ängstigt sie im voraus, und es bereitet ihnen einen hohen Genuß, wenn alles ihren Wünschen gemäß erfolgt. Unbeweglich, oft stundenlang, stehen sie dann bei ihren Blumen, die übrige Welt vergessend (…). So fesselt und beseligt die Leidenschaft der Blumen=Liebhaberei! Aber! Freilich welkt dieser Genuß auch mit den Blumen dahin, und läßt eine Leere zurück, w ­ elche nur durch die Hoffnung, im künftigen Jahre die Hingeschwundenen wieder zu sehen, ausgefüllt wird.“171 Im August wird man Samen sammeln und Ableger ziehen, im September die Pflanzen aus warmen Zonen in die Winterquartiere bringen, die Pflanzen versetzen und erste Zwiebelgewächse für den Winter einsetzen; im Oktober die Oleander, Rosen etc. hereinbringen sowie das Einpflanzen von Zwiebeln für den Winter beenden; im November heizen und sparsam 169 Schon Bouché integriert in seinen Stubengärtner daher eine knapp zwanzigseitige „Monathliche Übersicht der Pflanzen=Behandlung im Zimmergarten“, in dem die jeweils im Jahresverlauf anfallenden Arbeiten des Zimmergärtners beschrieben werden. (Bouché, Peter Carl: Der Zimmer= und Fenstergarten oder kurze und deutliche Anleitung die beliebtesten Blumen und Zierpflanzen in Zimmern und Fenstern ziehen, pflegen und überwintern zu können. (…), 6. Auflage Berlin und Leipzig 1833, S. 294 – 312.) 170 „Heiter und zufrieden schaut nunmehr der Blumenliebhaber um sich; denn nun hat er seine Pflanzen, bis auf einige wenige, der freien Luft anvertraut. Er versetzt und pflanzt nach Gefallen, begießt, säubert, bindet (…)“. (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 303.) 171 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 305.

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begießen, die Glashäuschen abdichten usw. Der Dezember bringt die größten Freuden: „Jetzt, da Schnee und Frost den Menschen in seine Wohnung zurück scheucht, fängt man an mehr in seinem Wintergarten zu leben. Schon drängen sich die kleinen rothen Tulpen aus ihren Blattscheiden hervor; schon hauchen die Maiblümchen ihrem Besitzer Wohlgeruch entgegen (…).“172 Damit steht die Zimmergärtnerei zeitlich im umgekehrten Verhältnis zur Freiluftgärtnerei: Ihre Hochsaison ist der Winter! Aufhebungen von Zeitmarkierungen: der Frühling im Winter und das „Treiben“ der Pflanzen im Zimmer Die Zimmerpflanzenkultur dehnt also die Gärtnerei auf die Wintermonate aus und ermöglicht die Aufhebung der im Garten waltenden Jahreszeiten. Dabei werden mehr oder weniger die Zyklen der Natur überlistet, wie Robert B ­ etten es Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt: „Am Fenster aber blühen und treiben die Zimmer­pflanzen, so üppig und grün, daß es eine Lust ist, sie anzuschauen. Ein dankbares Gefühl überkommt mich beim Betrachten der lieben Kinder Floras, die mir einen Sommer ins Zimmer gezaubert haben, während draußen im Garten alles längst öde und kahl geworden ist und rauhe Winde die letzten Blüthen zerstören.“173 Beim sogenannten „Treiben“ der Gewächse geht es daher darum, in der Winterzeit schon Frühlingsblumen zu ziehen.174 So kann man durch künstliche Wärme die Gewächse früher zum Blühen bringen: „In Zimmern nun, wo man die Fenster, hinter w ­ elchen man das Treiben bewerkstelligen will, so hat heraus bauen lassen, daß den Gewächsen das Licht von oben durch ein Fensterdach zugesichert wird (…) erreicht man diesen vorgesetzten Zweck am vollkommensten.“175 Jakob Ernst von Reider verfasst sogar eine eigens diesen Treibkästen gewidmete Abhandlung.176 Eine von den Pflanzen, die man im Glashäuschen „treiben“ kann, ist etwa die Rose.177 Bouché beschreibt sehr ausführlich auf drei Seiten, wie man eine immerblühende Rose 172 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 311. 173 Betten, Robert: Unsere Blumen am Fenster. Anweisung zur Blumenzucht und Pflege von Robert ­Betten, Redakteur des „praktischen Ratgebers im Obst= und Gartenbau“. Mit 115 Illustrationen. Zweite Auflage, Frankfurt a. d. O. 1895 (erste Auflage 1890), S. 1. 174 „Unter Treiben der Gewächse im Allgemeinen, verstehen wir gemeinhin, nicht allein die unmittelbar, durch künstlich erzeugte Hitze, außer der Jahreszeit, der Natur abgezwungenen Blumen und Früchte; sondern auch künstlich zurückgehaltene und verspätete Gewächse, die bei einer ganz geringen Wärme langsam bis tief in den Winter fortblühen (…).“ (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 253 ff, hier S. 253.) 175 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 256. 176 Reider, Jakob Ernst von: Der Treibkasten in seiner Unentbehrlichkeit für höhere Blumisterei. Dargestellt von Jakob Ernst von Reider, Königl. Bayerisch. erstem Landgerichtsassessor, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede (…), Nürnberg 1829. 177 „Da wir die aus China und Japan zu uns gekommene immerblühende Rose besitzen, w ­ elche sich vorzüglich zur Stubenpflanze eignet, und, wie die Erfahrung lehrt, auch im Winter unmittelbar in den

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pflegt, wie man die Temperatur beachtet etc., denn dies ist eine komplizierte Angelegenheit.178 Diese Art von „Treiben“ verweist jetzt auf die dekorative Funktion der Zimmer­ pflanze. Dabei steht nicht mehr die „artgerechte“ Haltung im Vordergrund. Bouché experimentiert dabei mit den verschiedenen Arten. Auch der Orangenbaum lasse sich leicht „treiben“, die Nelke ebenso wie auch Erdbeeren, Myrten oder Ranunkeln. Zwergflieder habe er schon zu Weihnachten zum Blühen gebracht, den Schneeballstrauch stelle man im Januar ins Zimmer, dann blühe er im März.179 Bei Bouché gibt es zudem so etwas wie einen „Nutzgarten“ im Zimmer.180 So gedeihen Radieschen im Zimmer oder im Glashäuschen wie auch Kresse. Aus der schnellwachsenden Kresse könne man dabei auch dekorative Namenszüge, Pyramiden etc. wachsen lassen. Salat wachse zwar nicht unmittelbar im Zimmer, aber im Glashäuschen oder auf den Fensterbrettern. In Töpfen gedeihe Petersilie, Sauerampfer, Estragon, Schnittlauch, Kerbel oder Spinat eigentlich zu jeder Jahreszeit. Der Nutzenaspekt der „Treiberei“ ist hier also noch gelegentlich vorhanden, es geht noch nicht immer allein um das Dekorative. In einer Fußnote gibt Bouché aber zu: „Es springt in die Augen, daß, obschon manches von der Küchentreiberei wirklichen Nutzen gewährt, vieles mehr zum Vergnügen dient.“181 Bouché ist hier nicht der einzige, der dem „Treiben“ einen so großen Raum innerhalb der Stubengärtnerei zubilligt. Fast alle Stubengärtner-­Ratgeber widmen d ­ iesem Aspekt lange Kapitel.

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Zimmern selbst, dicht an die Fenster gestellt, zur Blüte zu bringen ist; so können wir doch solche ­­ nicht genug empfehlen, und fangen deswegen damit zuerst an.“ (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 257.) „… und bei dem allen läuft man doch Gefahr, umsonst zu arbeiten, wenn trübes Wetter zu lange anhält. In ­diesem Falle, und wenn dann unerwartet starker Sonnenschein eintritt, eile man dieser Art Schatten zu geben, um die Stöcke nach und nach wieder an die Sonne zu gewöhnen (…).“ (Bouché, Zimmerund Fenstergarten, 1833, S. 258.) Das immerblühende Veilchen blühe bei entsprechender Behandlung dicht am Fenster den ganzen Winter hindurch bis in den April; Vergissmeinnicht blühe im Doppelfenster bis in den Dezember fort; wenn man den Granatbaum im Dezember in Töpfe pflanze und bei 15 – 20 Grad Wärme belasse, blühe er nach sechs Wochen. Die Hyazinthe lasse sich besonders gut treiben, ebenso eigneten sich Tulpe, Jonquille (Narzisse), Märzenbecher, Schneeglöckchen, die schon im August in Töpfe gepflanzt werden müssten, usw. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 257 – 285. Ein Beispiel hierfür ist die Bohne: „Die Bohne (…) zum Treiben bedient man sich der gewöhnlichen Garten=Schneidebohne, als die bekannte robusteste. Man steckt sie im Dezember, einen Zoll tief, in gewöhnliche (…) Töpfe, läßt diese bis zum Aufgehen im Wohnzimmer – sobald sich aber die beiden ersten Blätter gebildet haben, stellt man die Bohnentöpfe, bei 10 bis 15 Grad, in eins der beschriebenen Glashäuschen (…). Bei Beobachtung dieser Vorschriften wird man mit Vergnügen seine Bohnenpflanzen blühen und Früchte tragen sehen.“ (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 286.) Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 291.

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3.1.1 Protagonisten und ihre stilbildenden Werke Während die ersten Ratgeber zur Haltung von Zimmerpflanzen um 1810 aufkommen, ist ihre Anzahl in den 1830er und 1840er Jahren bereits schwer überschaubar. Das Genre setzt sich weiter fort in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei es aber den Charakter des „Neuen“ verliert. Schwierig ist dabei, dass diese Werke zwar sehr offensichtlich auflagenstark waren, aber diese Ratgeberliteratur nicht immer als archivierenswert galt und deshalb teilweise in den Bibliotheken heute sehr verstreut zugänglich ist.182 Gärtnerdynastien und Botanik Zu den am weitesten verbreiteten und „klassischen“ Stubengärtner-­Ratgebern sind die Werke der bereits genannten Familie Bouché zu zählen. 1808 erschien von Carl Paul Bouché (gelegentlich taucht das Werk auch unter dem Namen des Vaters, Jean David Bouché, auf ) erstmalig das Werk Der Zimmer= und Fenstergarten. Oder kurze und deutliche Anleitung die beliebtesten Blumen und Gewächse in Zimmern und Fenstern ziehen.183 In nur leicht veränderter Form erschien das Werk sodann 1810, 1811, 1812, 1815, 1816, 1817, 1821, 1822, 1825 und 1833 in einer „vermehrten“ und verbesserten, offensichtlich besonders populären (und im Folgenden hauptsächlich zitierten) Ausgabe von Peter Carl Bouché,184 auf die noch eine Ausgabe 1834 folgte.185 Es ist offensichtlich, dass der Bouché’sche Ratgeber Anklang fand und das eigentliche Genre der Ratgeber zur Stubengärtnerei begründete. Tatsächlich findet hier ein qualitativer Sprung zur Zimmergärtnerei im großen Stil statt. Es geht nicht mehr nur um das

182 Digitalisate sind bei Abfassung des vorliegenden Textes nur teilweise vorhanden. Aufgrund der beschränkten Zugänglichkeit insbesondere zu den Originalen wird im Folgenden nicht immer die Erstauflage zitiert, sondern auch spätere Auflagen, was jedoch für das Gesamtphänomen nicht ausschlaggebend ist. 183 Bouché, Carl Paul: Der Zimmer- und Fenstergarten. Oder kurze und deutliche Anleitung, die beliebtesten Blumen und Gewächse in Zimmern und Fenstern zu ziehen, pflegen und überwintern zu können. Nebst einer Anweisung zur Blumentreiberei und zu einer für alle Monate geordneten Behandlung der in ­diesem Werke vorkommenden Gewächse. Von Carl Paul Bouché, Kunstgärtner zu Berlin. Berlin bei Friedrich Maurer 1808. 184 Bouché, Peter Carl: Der Zimmer= und Fenstergarten oder kurze und deutliche Anleitung die beliebtesten Blumen und Zierpflanzen in Zimmern und Fenstern ziehen, pflegen und überwintern zu können. Nebst einer Anweisung zur Blumentreiberei und zu einer für alle Monate geordneten Behandlung der vorkommenden Gewächse. Vermehrt durch einen Anhang: Betrachtungen über den Stadtgarten oder Anweisung zur möglichsten Benutzung der Räume hinter und z­ wischen Gebäuden in den Städten. Von Peter Carl Bouché Instituts=Gärtner der Königl. Gärtner=Lehranstalt und Mitglied der Gartenbau=Gesellschaft in den Königl. Preuss. Staaten. Sechste verbesserte und vermehrte Auflage Berlin und Leipzig 1833. 185 Diese Angaben sind möglichweise nicht vollständig, sie beziehen sich auf die im Karlsruher Virtuellen Katalog eruierbaren Bibliotheksverbünde.

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für Botanisten zentrale Problem des Überwinterns empfindlicher Pflanzen,186 sondern um eine Kultur der Pflanze im Haus. Mit den Werken der Familie Bouché setzt also eine Schwerpunktverlagerung ein: Der Fokus liegt jetzt auf der Zimmergärtnerei als eigenständige Unterart der Gärtnerwissenschaft.187 Die Familie Bouché und die botanische Gartenwissenschaft Bei der Familie Bouché handelt es sich um eine ganze Gärtnerdynastie.188 Dass sie sich auch als solche ­­ verstand, zeigt sich darin, dass gelegentlich das g­ leiche Werk sowohl unter dem Namen des Vaters wie unter dem Namen des Sohnes oder eines Bruders heraus­gegeben wurde.189 Botanisch-­gärtnerisches Wissen und materielle Grundlagen der Gärtnerei wurden so über viele Generationen hinweg in der Familie tradiert. Das Werk dieser Familie zur Stubengärtnerei wird zudem von späteren Autoren als Steinbruch weiter­verwendet. In ­diesem Familienunternehmen aus Handelsgärtnern, Botanikern und Kunstgärtnern sind die Einzelpersonen gelegentlich nur schwer zu unterscheiden. Die ursprünglich hugenottische Familie kam wohl im 17. Jahrhundert nach Berlin und heiratete dort ­wiederum in andere Gärtnerfamilien ein.190 Wie bei den Botanikern finden sich also auch hier „Berufsdynastien“. Wie in einer Adelsdynastie die Herrschaftsaufgabe, wird hier im bürgerlichen Milieu die berufliche Aufgabe eines „Berufsstandes“ noch lange gemeinsam ausgeführt und über Generationen hinweg weitergegeben. 186 In Werken wie etwa dem Buch von Karl Alexis Waller mit dem Titel Der Stubengärtner, oder Anweisung die schönsten Zierpflanzen in Zimmern und vor Fenstern zu ziehen, und auf leichte Art zu durchwintern, das 1806 erschien, ist in gewisser Weise noch das Überwintern der empfindlichen (oft exotischen) Pflanzen im Zentrum des Interesses. Mir liegt die zweite Auflage vor, Waller erwähnt aber die erste Ausgabe von 1806 hier in seinem Vorwort: Waller, Karl Alexis: Der Stubengärtner, oder Anweisung die schönsten Zierpflanzen in Zimmern und vor Fenstern zu ziehen, und auf eine leichte Art zu durchwintern. Von Karl Alexis Waller, zweyte, stark vermehrte und verbesserte Ausgabe, Nordhausen 1812. 187 Fast zeitgleich erschien zwar auch ein sehr schmales Bändchen von Christian Friedrich Poscharsky und trägt den Titel Der Stuben=Gärtner oder deutliche Anweisung zur Kenntniß, Behandlung und Wartung derjenigen Blumen und Ziersträucher w ­ elche in Töpfen vor Fenstern und in Zimmern erzogen und gehalten w ­ erden ­können. Dieses ist aber sehr knapp gehalten und offensichtlich weniger stilbildend. Hier verwendete Ausgabe: Poscharsky, Christian Friedrich: Der Stuben=Gärtner oder deutliche Anweisung zur Kenntniß, Behandlung und Wartung derjenigen Blumen und Ziersträucher w ­ elche in Töpfen vor Fenstern und in Zimmern erzogen und gehalten werden können, nebst genauer Anweisung dieselben zu Durchwintern, damit der Liebhaber zu allen Jahreszeiten (selbst im härtesten Winter) immer neue Blumen erhalte, herausgegeben von Christian Friedrich Poscharsky, Kunst= und Handelsgärtner in Dresden. Zweyte verbesserte und vermehrte Auflage, Pirna 1810. Eine erste Ausgabe datiert offensichtlich von 1808. 188 Siehe: Schalt, Wilhelm: Bouché, Jean David, in: Neue Deutsche Biographie, Band 2, Berlin 1955, S. 491. 189 In den vielfältigen Auflagen ­dieses Ratgebers zur Zimmerpflanzenkultur variiert die Verfasserangabe – mal taucht das Werk unter Carl Peter Bouché auf, mal unter Jean David Bouché, mal unter Carl Paul Bouché. 190 Zu den Einzelpersonen, bzw. dem komplexen Stammbaum der Familie siehe: Wimmer, Alexander: „Die Berliner Gärtnerfamilie Bouché 1705 – 1933“, in: Schmidt, Erika; Hansmann, Wilfried und Gamer, Jörg: Garten – Kunst – Geschichte, Worms 1994, S. 44 – 53.

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Für das endende 18. und beginnende 19. Jahrhundert sind Jean David (1747 – 1819)191 und seine Söhne zentral. Jean David stammte bereits aus einer Gärtnerfamilie und führte in ­Berlin offensichtlich erstmalig die Obst- und Gemüsezucht in Glashäusern ein. Seine großen Treibhäuser nutzte er angeblich zudem als Kaffeehäuser, in denen sich auch hohe Staats­ beamte und der König zur Kaffeestunde trafen.192 Seine drei Söhne betätigten sich ebenso in Gärtnerei und Botanik. Peter Carl (1783 – 1856) und Peter Friedrich (1785 – 1856) führten sein schriftstellerisches Werk und die Gärtnerei fort, wobei Peter Friedrich insbesondere mit den Professoren und den Studenten der Universität kooperierte, aber auch als Handelsgärtner und Entomologe arbeitete. Peter Carl, der viel mit Willdenow zusammenarbeitete, wurde Lehrer für Gartenbau, dessen Sohn wiederum Inspektor des sodann gegründeten botanischen Gartens.193 Die Gärtnerei wurde so immer wieder an die Söhne übergeben, und weitere Söhne arbeiteten im Bereich der Botanik und Naturforschung. Auch die aus Südamerika durch Alexander von Humboldt nach Deutschland gebrachten Pflanzenexemplare wurden vermutlich von der Familie Bouché in Berlin bearbeitet und „betreut“. Die Familie Bouché lässt sich so als Vermittlungsinstanz zum breiteren Publikum verstehen – ihre Werke sind explizit für ­dieses geschrieben und stellen den Konnex zu den Praktiken der „Botanik“ dar. Bouché’s Ratgeber zur Stubengärtnerei Carl Paul Bouché 194 begründet in der ersten Ausgabe des „Zimmergärtners“ von 1810195 seine Schreibmotivation mit dem allgegenwärtigen Interesse des Publikums: „Mit jedem Jahre wird es mehr Bedürfniß, die Fenster mit Blumenstöcken zu besetzen, und mein Verhältniß hierin zum Publikum, welchem ich jedes Jahr hindurch einen großen Theil Blumen liefre, ingleichen die immerwährenden mündlichen wiederholten Lehren und Anweisungen zur Wartung derselben, machten mir diesen schriftlichen Aufsatz notwendig.“196 Er kommentiert die wachsende Zahl der Zimmer- und Fensterpflanzen: „Die Blumenliebhaberei wächst mit jedem Tage; immer mehr füllen sich die Fenster mit zierlichen Blumentöpfen. Der Luxus stellt da manche ausländische Prachtpflanze zur Schau auf. Mancher eifrige Liebhaber derselben läßt sich einen Fensterkasten oder ein Treibhäuschen vor seine Stubenfenster bauen, und genießt die Früchte seiner Sorgfalt mit stillem 191 192 193 194

Siehe: Schalt, Wilhelm: Bouché, Jean David, in: Neue Deutsche Biographie, Band 2, Berlin 1955, S. 491.

NDB, Band 2, 1955, S. 491.

Wimmer, Gärtnerfamilie Bouché, 1994. Diese Ausgabe wird vielfach dem Vater Jean David zugeschrieben und erscheint teilweise unter dem Verfasser Jean David Bouché in den Bibliothekskatalogen. 195 Diese Ausgabe liegt hier vor: Bouché, Carl Paul: Der Zimmer= und Fenstergarten. Oder kurze und deutliche Anleitung die beliebtesten Blumen und Gewächse in Zimmern und Fenstern ziehen, pflegen und überwintern zu können. Nebst einer Anweisung zur Blumentreiberei (…) von Carl Peter Bouché, Kunstgärtner zu Berlin, Reutlingen in der I. I. Mäcken’schen Buchhandlung 1810. 196 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1810, S. 4 f.

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Vergnügen. Ein anderer noch eifrigerer kauft sich für einige Groschen einen Goldlack, Nelkenstock u. dgl., pflegt sie und zertändelt sich damit, trägt sie im Frühling an die Sonne, giebt ihnen bei milderem Winterwetter Luft, schützt sie im Sommer gegen die brennende Sonnenhitze, und freut sich, seine Lieblinge oft nach Jahren noch in einem Zustande von Wohlbefinden zu sehen.“197

3.1.2 Botanisches Wissen in den Stubengärtnern Die naturphilosophischen und wissenschaftlichen Diskussionen (Teil I) sind der Ratgeberliteratur zur Stubengärtnerei teilweise noch präsent, stehen aber nicht mehr im Vordergrund. Auch Gärtner pochen beispielsweise auf methodisch ähnliche Vorgehensweisen wie die Botaniker – etwa die genaue eigene Beobachtung oder das Experimentieren. So schreibt etwa Randow – analog zu Aussagen in den Regionalfloren – zu Beginn seines Werkes: „Fast alle hier aufgeführten Pflanzen habe ich selbst gezogen und längere Zeit beobachtet (…) und zwar habe ich sie fast immer im Zimmer, oft unter sehr ungünstigen Umständen gehalten“198. Und er erläutert, auf w ­ elche botanischen Schriften er sich zudem bezogen habe. Bouché argumentiert ähnlich: „Sorgfältige Beobachter merken der Pflanze bald die Art ab, wie sie behandelt werden muß. Unsere Botaniker geben uns hierin einen Leitfaden an die Hand, indem sie uns das Vaterland derselben, oft auch den Standort anzeigen, nämlich, ob es eine Gebirgs=, Wald=, Sumpf= oder Feld=Pflanze sey, nennen; bei neuen Gewächsen büßt man indessen immer etwas ein, weil man die Behandlungsart entweder gar nicht, oder doch nur sehr unvollkommen mit empfängt (…)“199. Das Lebewesen Pflanze In den frühen Stubengärtner-­Ratgebern sind auch generelle Ausführungen zur Pflanze als Lebewesen aufgenommen. Die Werke changieren also noch z­ wischen Wissenkompendium und Ratgeber. Bouché beispielsweise vergleicht, ganz im Stil der Zeit, die Pflanze in seinen Ausführungen von 1833 noch oft mit dem Tier, etwa wenn es um die Nahrungsaufnahme geht.200 Die Pflanze nehme ihre Nahrung vorwiegend durch die Wurzel auf, 197 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1810, S. 9. 198 Randow, R. v.: Nützlicher Rathgeber für Stubengärtner, bey Auswahl der schönsten Gewächse und deren zweckmäßigster Behandlung, größtentheils nach eigenen Erfahrungen bearbeitet von R. v. Randow, Leipzig 1828, S. IV. 199 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1810, S. 10. 200 „So wie die verschiedenen Arten der Thiere nicht alle auf einerlei Nahrung angewiesen sind, eben so verhält es sich auch mit den Pflanzen, nur mit dem Unterschiede, daß die Nahrung der Letzern nicht so auffallende Verschiedenheiten zeigt (…).“ (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 2.)

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weshalb man auf die Zusammensetzung der Erde viel Sorgfalt verwenden müsse. Ebenso wie die verschiedenen Tiere, schreibt Bouché, ­seien auch die Pflanzen auf unterschiedliche Nahrung angewiesen – manche wachsen im Sumpf, andere auf Wiesen, wieder andere auf Sand.201 Diese bewahre man am Besten unter freiem Himmel auf, wie man überhaupt die Freiluftexistenz so weit wie möglich nachempfinde, indem man beispielsweise auch zum Gießen Schneewasser und Regenwasser verwende. Auch beschreibt er das „Atmen“ der Gewächse – im Grunde sei ihnen die frische Luft am gesündesten: „Die atmosphärische Luft ist allen Pflanzen nothwendig; einige verlangen jedoch eine rauhere, freiere; andere, beschirmt unter Bäumen, hinter Hecken und Wänden, eine beschränktere; alle aber wollen Luft einathmen, und dies Geschäft verrichten abermals die Blätter, w ­ elche als Lungen der Pflanzen zu betrachten sind.“202 Die Diskussionen um die Bewegungs- beziehungsweise Empfindungsfähigkeit der Pflanzen (Teil I, 2) greift Bouché im Verbund mit der Lichtfrage auf: „Das Licht, besonders das S o n n e n l i c h t , ist ein Haupt=Reizmittel zum Wachsthum der Pflanzen (…). Der Sonne huldigen, die Moose und Schwämme ausgenommen, alle Geschlechter der Pflanzen, namentlich das Geschlecht der Wolfsbohnen, deren gefingerte Blätter sich beständig der Sonne zuwenden, ihr von der Stunde ihres Aufganges bis zu ihrem Nieder­ gange folgen, und sich dann, gleichsam traurig, niedersenken.“203 Ebenso geht er auf die unter den Botanisten so viel beachtete Mimose ein: „Merkwürdig ist das Geschlecht der S i n n p f l a n z e n , deren gefiederte Blätter viel Reizbarkeit besitzen, und sich ebenfalls des Abends zum Schlaf zusammenlegen. “204 Photosynthese und Gesundheitsaspekte Die Entdeckungen zur durch das Licht ausgelösten Photosynthese der Pflanzen werden nun als selbstverständlich vorausgesetzt. Bouché etwa schreibt: „Das Licht zersetzt durch seinen Reiz das Wasser in den Pflanzen, giebt ihnen durch das Entbinden und Aushauchen des Sauerstoffgases die gehörige Farbe, und trägt auf diese Weise zur Gesundheit und zum Wachsthume derselben bei (…)“205. Er geht jedoch auf diesen Aspekt nicht weiter ausführlich ein. Auch wenn in den Ratgebern zur Stubengärtnerei meist nun eingeräumt wird, dass die verbrauchte Zimmerluft den Pflanzen nicht unbedingt nützlich sei und diese 201 „Es ist also bei der Kultur der Gewächse unumgänglich nöthig, daß, wenn nicht Mühe und Zeit umsonst angewendet werden sollen, man so viel als möglich einer jeden Pflanze eine ­­solche Erdart zu verschaffen suchen muß, die derjenigen, in welcher sie im wilden Zustande wächst, wenn auch nicht ganz, doch aber so viel als möglich gleich kömmt.“ (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 3.) 202 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Ausgabe 1810, S. 12, Ausgabe 1833, S. 5. Der Text der Ausgabe von 1833 weicht hier nur geringfügig von der Ausgabe von 1810 ab. 203 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 6. 204 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 5 f. 205 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 6.

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Frischluftzufuhr bräuchten, so hält sich doch die Vorstellung der gesundheitsfördernden Tätigkeit der Pflanzen bei Lichteinfall. Der gesundheitsschädigende Aspekt dagegen taucht nur noch selten in den Zimmerpflanzenratgebern auf.206 Auch andere, von den Naturgelehrten behandelte ­Themen werden in den Stubengärtner-­Ratgebern verhandelt – etwa das sogenannte „Abblatten“ der Bäume, mit dem schon Charles Bonnet oder Stephen Hales sich beschäftigt hatten. Wenn etwa bei frühzeitigem Frost noch zu viel Saft in den Bäumen stehe und diese zu erfrieren drohten, könne man den Baum durch frühzeitiges Abblaten vor dem Erfrieren ­bewahren usw.207 Das „Abblatten“ ist in dieser Zeit ein allgemein botanisch-­gärtnerisches P ­ roblem, das viele beschäftigt. Betonung des Praktischen Der 1808 begonnene Bouché’sche Ratgeber wird in den Folgejahren immer wieder erweitert und neu herausgegeben. 1833, als beispielsweise die sechste Auflage des Zimmer- und Fenstergartens erscheint,208 ist die Zimmerpflanzenkultur etabliert. Damit geht es nun immer mehr um die praktische Hilfe für den Zimmergärtner. Und offensichtlich geht es hier nicht mehr um „Gärtner“, sondern um das Gärtnern der „kleinen Leute“: „Ein sehr großer Theil des Publikums, aus Mangel einer zweckmäßigen Anleitung – abgeschreckt durch Mißgriffe, wodurch öfteres Hinsterben seiner Lieblinge bewirkt wird – entsagt einer Beschäftigung, die ihm nur Mißmuth gewährt. Diesen vorzüglich ist dies Werk gewidmet; ihnen, ­welche, mit inniger Liebe zur Gärtnerei beseelt, nicht Gelegenheit hatten, sich mit derselben zu beschäftigen, und nur auf wenige Topf=Pflanzen in ihren Zimmern beschränkt sind, ihnen wird es willkommen seyn, zweckmäßige, auf Erfahrung gegründete Regeln in möglichster Kürze hier aufgestellt zu finden.“209 Es geht also um diejenigen, die keinen Garten besitzen oder nur über beschränkte Mittel verfügen. Es geht um Ratgeberliteratur.

206 Biedenfeld, Ferdinand Freiherr von: Die Blumen im Zimmer, Leipzig 1853, S. 4. 207 Zu Bonnet und Hales in dieser Frage siehe: Ungenannter Kompilator: „Von der Nützlichkeit des Abblatens der Bäume und Pflanzen“, in: Nützliche Sammlungen, 1755, 1. Teil, Sp. 121 – 126 (BZA). 208 Bouché, Zimmer= und Fenstergarten, 1833. 209 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 1. Hier zitiert wird die Ausgabe von 1833, die Aussagen der verschiedenen Ausgaben ähneln sich.

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3.2 Das Wohnen und Leben unter Pflanzen und mit den Pflanzen – Pflanzenpflege Die Pflanzen- und Blumenliebe macht nun nicht mehr an der Haustür Halt. Pflanzen werden in die Studierstube, ins Zimmer und schließlich in den Wohnraum geholt. Zunächst gilt es daher, wie es in den Ratgebern veranschaulicht wird, diesen Mitbewohnern ein ihnen entsprechendes Umfeld bereitzustellen. Ist um 1800 die Pflege der Pflanzen, die im Folgenden beleuchtet wird, noch eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der Pflanze als Lebewesen und eine Art Familiarisierung, ein Hereinnehmen der Pflanzen in die häusliche Sphäre der Familie, ein Eingliedern in die Welt im Haus und die Zimmerpflanze ein in der bürgerlichen Wohnstube befind­ liches Lebewesen, so eignet den Pflanzen in den bürgerlichen Villen und den dekorativ-­ repräsentativen Wintergärten nur noch wenig der Status eines „Lebewesens“ an. Im 19. Jahrhundert werden die Pflanzen zunehmend in dekorativ-­repräsentative Objekte verwandelt. Die Zimmerpflanzenkultur des späteren 19. Jahrhunderts verabschiedet sich von inhaltlichen Auseinandersetzungen mit dem Lebewesen „Pflanze“ und der aufklärerisch-­ wissensdurstigen Botanikliebe im Sinne der aufklärerischen Botanophilie. Die Pflanzen verbleiben zwar als Zimmerpflanzen im Wohnraum, die eigentliche Botanophilie jedoch findet hier ihr Ende.

3.2.1 Die Pflege der Pflanzen Die Pflege der Pflanzen stellt allerdings zunächst, in den frühen Zimmerpflanzenratgebern, das Hauptthema dar. Die Bedürfnisse der jeweiligen Pflanze richten sich, wie erläutert, zunächst nach den Gegebenheiten, unter denen sie in der freien Natur vorkommt, oder wie Ferdinand Biedenfeld es noch 1853 formuliert: „Aus Allem leuchtet für den denkenden Blumenfreund ein großer Hauptgrundsatz hervor: Bemühe dich, deinen Pflanzen im Zimmer möglichst viel von den Lebenselementen zu ertheilen, ­welche die Natur im Freien und in ihrer Heimat ihnen bietet.“210 Damit wiederholt er die in allen Zimmerpflanzenratgebern beschriebene Aufforderung, sich in der Gestaltung der Pflanzenumgebung möglichst an der „draußen“ existierenden Natur zu orientieren und „drinnen“ möglichst ähnliche Bedingungen zu schaffen.211 Entsprechend werden Standortsuche 210 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 5. 211 Waller spricht 1812 dabei noch von der „Ökonomie“, dem Haushalt, der Pflanzen: „Das Vergnügen, welches einem Blumenfreunde seine Pflanzen gewähren können, hängt größtentheils von der Sorgfalt ab, die er auf ihre Pflege verwendet. Diese Sorgfalt erstreckt sich auf Alles, was auf die gesammte Oekonomie der Pflanzen Einfluß hat, auf ihren Standort, die Erde, worin sie wachsen sollen, das nöthige Sonnenlicht, die Luft, Wärme u. s. w. Je angmessener die Behandlung der Pflanze ist, je mehr sie der

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im Zimmer, Fragen von Temperatur, Topferde, Wasserzufuhr, Luft- und Lichtzufuhr en detail für die einzelnen in Töpfen kultivierten Pflanzen diskutiert. Hierbei gleichen sich die Aussagen in den verschiedenen Werken weitgehend, nicht zuletzt wohl aufgrund der vielfältigen und in dieser Zeit selbstverständlichen Praktiken des „Abschreibens“ und Kompilierens. Wenn hier im Folgenden verschiedene „Stubengärtner“ zu Wort kommen, so um deren Vielfalt zu demonstrieren.212 Der Standort im Moosbett am Zimmerfenster, im angebrachten Glashäuschen oder im Raum Die Aussagen zu Standorten im Zimmer variieren kaum in den inhaltlichen Aspekten, wohl aber in der Ausführlichkeit. In Fragen des Standortes ist immer die Licht- und Luftmenge der entscheidende Faktor – die Lichtmenge in vorgebauten Glasfenstern, auf Gesimsen und Gestellen: „Eine Pflanze wird in einem hohen, luftigen Zimmer ebenso freudig wachsen, als sie in einem engen niedrigen und dumpfigen Stübchen zurück bleiben, oder gar absterben wird. Die Lage eines Zimmers, worin man eine kleine Gärtnerei treiben will, sey gegen Süden oder Südosten.“213 Schon Poscharsky widmet dieser Frage einen ganzen Absatz.214 Zu Recht steht dem heutigen Leser bei den Raumbeschreibungen ein Altbau mit hohen Decken vor Augen. Und die Frage taucht unweigerlich auf, inwieweit sich die bürgerliche Baukultur des 19. Jahrhunderts nicht sogar auf die „Bedürfnisse“ der Pflanzen hin in ihrem Formenreichtum entwickelt hat, inwieweit hohe Fenster und Decken nicht nur architektonisches Merkmal bürgerlicher Repräsentanz von Reichtum darstellten, sondern auch dem konkreten Vorhaben der Innenausstattung mit Pflanzen Rechnung trugen. Auch Bouché gibt lange Anweisungen über den Standort der Pflanzen – am B ­ esten am Fenster oder in einem eigens dafür am Fenster angebrachten Glashäuschen. Er beschreibt detailliert, wie d ­ ieses aussehen soll, wie man im Winter Moos auf den Boden legt, wie man es im Winter nachts abdecken muss oder die Pflanzen abends ins Zimmer holen muss. Insbesondere das Stellen der Pflanzen in ein Moosbett wird oft angeraten, was einerseits gegen Frost schützen soll, andererseits die Feuchtigkeit in der Luft erhöht,

Natur derselben in ihrem wilden Zustande angepaßt ist, desto freudiger wird ihre Vegetation seyn, desto größere und schönere Blumen wird sie liefern.“ (Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 17.) 212 Nicht immer wird hier die Erstauflage verwendet, da diese nicht mehr bei allen Werken greifbar ist, offensichtlich wurde diese Gattung der Ratgeber nicht unbedingt als „achivierenswert“ befunden. Da inhaltliche Aussagen aber kaum variieren, dürfe dies nur eine untergeordnete Rolle für die Argumentation spielen. 213 Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 18. 214 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 1810, S. 3 f.

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wenn man ­dieses hin und wieder ebenso begießt.215 Auch andere Ratgeber formulieren dies.216 Gelegentlich wird auch geraten, Wasserschalen in den Räumen aufzustellen, in denen die Pflanzen wachsen.217 Randow etwa bleibt aber insgesamt realistisch, wenn er konstatiert: „Sehr wenige Wohnungen haben eine solche ­­ Lage, daß man sie günstig für 218 die Blumenzucht nennen kann.“ Es kann also nur um eine Angleichung von Innen und Außen gehen, völlig optimale Bedingungen sind selten herstellbar. Luftzufuhr, Wärme, Wasser, Erde Auch wann Fenster geöffnet werden sollen, bei welcher Witterung eine Luftzufuhr zuträglich oder abträglich sei, bedarf ausladender Überlegungen. Dass reine Ofenluft die P ­ flanzen besonders im Winter gefährde, wird vielfach betont.219 Die „Inhalte“ anderer Ratgeber werden hier häufig fast wörtlich übernommen; schon Poscharsky fordert die Frischluftzufuhr.220 Die Praxis hat also hier in der Zimmergartenkultur schnell erwiesen, dass das Ingenhousz’sche Modell der Pflanze als „Dunstsauger“ und „Luftreiniger“ insofern revidiert werden muss, dass eine Zimmerpflanze durchaus auch der Frischluft bedarf und nicht nur (oder sogar besonders gut) in „verbrauchter“ Luft gedeiht. Vor raschen Temperaturwechseln dagegen wird häufig gewarnt. Generell ist die Frage der Wärmegrade im Zimmer eine der diffizilsten. Bouché etwa teilt daher die Pflanzen je nach dem Grad des Bedürfnisses nach Wärme in vier Klassen: die im Sommer und Winter ohne Schutz „ausharren“, muss man in einem kalten Zimmer überwintern (die Nelke, der Flieder); dann gibt es diejenigen, die bei ungefähr 5 Grad überwintert w ­ erden müssen und Helligkeit brauchen (zum Beispiel die Myrte, die Orange), diejenigen, die bis 10 Grad und Helligkeit brauchen und gegen geringsten Frost geschützt werden müssen (etwa Sonnenwende, Stechapfel) und diejenigen, die selbst den Sommer hindurch „unter 215 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 16 f. 216 Randow etwa schreibt: „Da in den Städten die vor den Fenstern stehenden Blumentöpfe sehr durch den gewöhnlich heftigen Luftzug, und durch den Widerschein verstärkten Sonnenstrahlen ausgedörrt werden, so ist es gut, die Töpfe mit Moos zu umfüttern, welches man an heißen Tagen zuweilen anfeuchtet.“ (Randow, Rathgeber für Stubengärtner, 1828, S. 4.) 217 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 7. 218 Randow, Rathgeber für Stubengärtner, 1828, S. 2 f. 219 Wredow etwa konstatiert 1819: „Atmosphärische Luft ist den Pflanzen immer äußerst wohlthätig, deshalb muss man auch ­­solche Gewächse, ­welche immer grün bleiben, den Winter über nicht allein so nahe ans Fenster stellen als möglich ist, sondern ihnen zuweilen auch etwas frische Luft verschaffen, wenn die Witterung hierzu milde genug ist.“ (Wredow, J. C. L.: Der Gartenfreund, oder vollständiger, auf ­Theorie und Erfahrung gegründeter Unterricht über die Behandlung des Bodens und Erziehung der Gewächse im Küchen=, Obst= und Blumengarten in Verbindung mit dem Zimmergarten (…), Wien 1819, S. 288.) 220 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 1810, S. 4: „Bei warmen Wintertagen müssen überdies die Fenster geöffnet, und den Pflanzen frische Luft verschafft werden.“

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Fenstern“ gehalten werden müssen (Bleiwurz, Gloxinie) und etwa 15 Grad im Winter erforderlich machen.221 Die Raumtemperatur insgesamt richtet sich also möglichst nach den Pflanzen.222 Diese Anpassungen der Zimmertemperatur erfordern eine ständige Beobachtung, denn man: „muß (…) sich allerdings hüten, durch zu viel, oder zu wenig Wärme das Erkranken, oder gar den Tod der Pflanzen zu bewirken.“223 Nach der Frage der Licht- und Wärmezufuhr sind die Wasserzufuhr und die Auswahl der Erden die nächstwichtigen Aufgaben des Stubengärtners: „Nichts erfordert mehr Aufmerksamkeit, als das Begiessen der Topfgewächse; man muß daher mit aller Vorsicht dabei zu Werke gehen. Durch das zu viele, oder zu wenige Begießen ist schon manche Pflanze getödtet worden (…)“224, schreibt Bouché. Oder Poscharsky führt aus: „Mit ­vieler Vorsicht müssen die Blumen in Töpfen auch begossen werden. (…). Denn liebt eine Blume nicht von Natur viel Feuchtigkeit, wie z. B. die Balsaminen: so findet sie in dem vielen Begießen ihren sichern Tod. (…) Uebrigens ist zu bemerken, daß das Wasser, mit dem man Blumen im Winter begießet, nicht eiskalt, sondern temperiert seyn muß.“225 Dass sich das Regenwasser zum Begießen besser eignet als Brunnenwasser, erklärt sich für die Zeitgenossen ebenfalls aus der Ableitung der Pflegehinweise aus den natürlichen Gegebenheiten im Freien. Ähnlich ausführlich wird in den verschiedenen Ratgebern die Frage nach der jeweils tauglichen Erde für die entsprechende Topfpflanze behandelt. Schon Poscharsky gibt hier ausführliche Handlungsanweisungen: „Eine brauchbare Blumenerde, vornämlich für die Erziehung der Blumen in Töpfen, die ein Stubengärtner eben verlangt, bereitet man nun aber so zu: man sticht guten Rasen auf Angern aus, auf denen das Vieh zu weiden pflegt, oder nimmt, in Ermangelung des Rasens, gute Gartenerde, hauptsächlich von Gurkenbeeten; vermischt damit Erde aus hohlen Bäumen, ferner Erde, die von Holzplätzen zusammengeschaufelt wird; Teichschlamm, welcher aber schon einige Jahre gelegen haben muß, Holzasche, Ruß und Erde von verfaultem Jätekraute. Dies alles zusammen bringt man auf einen Haufen, und sticht es alle Monate einmal um, bis es sich in eine trockne Erde verwandelt hat.“226 Später muss sie gesiebt werden, mit Wasser und Wassersand versetzt werden. Die Prozeduren sind hier äußerst langwierig. Jegliche 221 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 18 f. 222 „Während des Winters ist die Heitzung der Zimmer, in w ­ elchen der Blumenfreund seine Lieblinge aufbewahrt, eins von denjenigen Geschäften, auf welches er seine größte Aufmerksamkeit richten muß (…) am sichersten thut der, wenn er sich eines Thermometers bedient, und bei Frostwetter gegen Abend einige Mal nachsieht, ob die Kälte nicht etwa stark zunimmt, und die Heitzung deshalb zu verstärken ist.“ In Ermangelung eines Thermometers kann man auch Wasserschalen aufstellen und beobachten, wenn es zu kalt wird, setzt man die Töpfe kurzzeitig in die Zimmermitte. (Bouché, Zimmer- und Fenster­garten, 1833, S. 20.) 223 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 5. 224 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 7.. 225 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 2. Auflage 1810, S. 5 f. 226 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 2. Auflage 1810, S. 2.

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Erde muss gesiebt werden, man bewahrt sie unter freiem Himmel auf, im Sommer wird sie mit Regenwasser befeuchtet, im Winter mit Schneewasser usw. Verschiedene „Rezepte“ zur Zubereitung der Erden werden in den Ratgebern dargelegt.227 Die Reinigung der Pflanzen Da die Pflanzen – in der zeitgenössischen Diktion – durch die Blätter Lebensluft erhalten, müssen diese auch „gereinigt“ werden, wie etwa Schmidlin beschreibt: „Und doch athmen die Pflanzen durch ihre Blätter und müssen also erkranken, wenn ­­solche mit einer Kruste von Schmutz überzogen werden (…) man suche die Zimmerpflanzen möglichst rein zu erhalten von allem Staub und Unrath, und namentlich auch von Blattläusen, Spinnen und anderen Insekten, entferne von Zeit zu Zeit die verdorbenen Blätter, und lasse keinen Moder oder Schimmel aufkommen.“228 Schon bei Poscharsky heißt es: „In den Stuben leiden die Blumenpflanzen unbeschreiblich durch den Staub, welcher beim Auskehren auf sie fällt; denn er hindert ihre Ausdünstung und verstopft ihre Einsaugungsgefäße.“229 Daher muss man sie immer wieder reinigen, bei gutem Wetter draußen mit Wasser abbrausen usw. Hierzu gibt es entsprechendes Werkzeug – Bürsten, Schwämme, Pinsel, feinstrahlige Gießvorrichtungen und dergleichen mehr: „Man wasche und bürste häufig die Stämme und Zweige der Bäume, und setze seine Pflanzen überhaupt zuweilen dem Regen aus. Die leder= oder pergamentartigen Blätter der Orange, der Lorberen u. s. w. reinige man mit einer weichen Bürste (…).“230 Raupen, Kellerwürmer muss man absammeln, ebenso Läuse, die sich im Zimmer ebensogut vermehren wie draußen; man vertreibt sie mit Tabakrauch.231 Zur Reinerhaltung und äußeren Pflege gehören auch das Umtopfen und Wechseln der Erde, das Schneiden von dürren Ästen oder auch das Anbinden an Stöcke und Geländer. Das rechte Maß bei der Behandlung der vegetabilen Mitbewohner Immer wieder scheint in den Ratgebern bei all diesen komplexen Handlungsanweisungen auf, dass die Pflanzenpflege eine Angelegenheit ist, die ebenso genaue Beobachtung 227 Andere Ratgeberautoren sprechen konkret von Formen der „Nelkenerde“, „Heideerde“, Erden für Zwiebel­gewächse, für Fettpflanzen, für Hortensien etc, wobei genaue Mischungsverhältnisse aus Garten­ erde, Flusssand, Moorerde, Kuhdünger etc. angegeben werden. (Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 14 ff.) 228 Schmidlin, Bürgerliche Gartenkunst, 1852, S. 533. 229 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 2. Auflage 1820, S.4. 230 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 11 ff. 231 Gegen manche Milben gibt man „Spalierwasser“, welches aufgelösten Merkur (=Quecksilber) enthält etc. etc. In anderen Stubengärtnern werden diese Verfahren ebenso beschrieben. Siehe etwa: Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 34 f.; Liliencron, Anweisung Gewächse ohne Kosten in Zimmern und Fenstern zu ziehen, ca. 1820, S. 58 f.

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und Überlegung erfordert wie insbesondere ein Gespür für das rechte Maß. Dabei ist erneut die Nähe zu den neuen pädagogischen Vorstellungen der Zeit erkennbar, wenn es etwa bei Waller in Fragen der Frischluftzufuhr heißt: „Aber man kann auch die Pflanzen verzärteln, wenn man jedes kühle Lüftchen, jeden kalten Regentropfen sorgsam von ihnen abhält. Solche Gewächse geben dann eben so wenig große und schöne Blumen, so wenig sich von einem verzärtelten Menschen große und schöne Handlungen erwarten lassen. Sie vegetiren jämmerlich, und hören nicht auf zu kränkeln, bis sie durch einen frühzeitigen Tod den Pflanzenfreund in Betrübnis versetzen. “232 Oder Schmidlin formuliert: „Nicht weniger häufig, als das gänzliche Vernachlässigen, bringt den Zimmerpflanzen eine unbedachte und übertriebene Pflege den Tod. Man will denselben alles Gute angedeihen lassen, sorgt ängstlich, daß ja kein Lüftchen an sie gelangen könne, begießt sie alle Augenblicke (…) und wenn sofort die Wurzeln erkranken, weil sie in einem förmlichen Sumpfe stecken, und die Pflanze bleich und gelb wird, so begießt man noch mehr und noch mehr, in der Meinung, derselben noch nicht genug Gutes gethan zu haben, und wundert sich als dann gar sehr, wenn sie so recht eigentlich im Galopp dahin geht.“233 Für die Pflanze gilt, ähnlich zum Kind in der Pädagogik der Aufklärung, dass es wichtig ist, das rechte Maß ­zwischen Zuwendung und „Verzärteln“ einzuhalten.

3.2.2 „Pflanzenkinder“ als Mitwohnende: Eigenschaften, Bedürfnisse und moralische Verpflichtung gegenüber der Pflanze Die Pflanze wird in der bürgerlichen Studier- oder Wohnstube um 1800 regelrecht in das Familienleben integriert. Sie erhält zwar nicht den Status eines Haustieres, dennoch gemahnen die Bilder, die hier gezeichnet werden, durchaus an die in Form des Tieres ins Haus geholte Natur, dem man gute Lebensbedingungen schaffen soll, das ernährt wird und in alltägliche Routinen und Abläufe integriert wird. Reider beispielsweise beschreibt den Status der Zimmerpflanze in seinem Stubenratgeber mit folgenden Worten: „Wie freudig arbeitet sich’s nicht, wenn auf dem Tische so recht nahe die lieblichen Hyazinthen stehen, dass man unausgesetzt deren Wohlgerüche in sich ziehen, dabei in den Ruhepunkten den anmuthigsten Aurikeln in das helle, anziehende Auge blicken kann? (…) Wer freut sich nicht an der lieblichen Volkameria, wer nimmt nicht Theil an dieser lieblichen Pflanze! Und welches grosse Fest ist nicht im häuslichen Kreise, wenn der Cactus grandiflorus erblüht, dessen wunderschöner Anblick dann in der Nacht Alle mit

232 Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 17 f. 233 Schmidlin, Bürgerliche Gartenkunst, 1852, S. 533.

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hinreissender Bewunderung erfüllt.“234 Die Pflanze bewirkt hier Wohlgeruch, Ruhe und ihr Blühen wird zum Anlass des Familienfestes. Das Lebewesen am Stubenfenster Bereits erwähnt wurde der unbenannte Naturforschende, der 1790 über die von ihm gepflegte und beobachtete „Telegraphenpflanze“ als ein Wesen schrieb, dem man nicht „ohne ein gewisses Gefühl der Teilnehmung“ begegnen könne (Teil I, Kap. 4). Er schreibt über diese Pflanze in einer Weise, die an ein Haustier erinnert. Mit aller Sorgfalt „pflegt“ er diese Pflanze, kann sie aber zu seinem Leidwesen nicht erhalten. Seine Trauer über ihr „Dahinscheiden“ wird in entsprechenden Bildern des Verlustes zum Ausdruck gebracht, die sogar etwas wie eine Erinnerungskultur beinhalten: „Schade daß die kühle Herbstwitte­ rung mir das Vergnügen sie zu besitzen so bald raubte, und meine Hoffnung täuschte, sie vielleicht doch noch blühend, und denn also in ihrer ganzen Vollkommenheit zu sehen. In der Mitte des Septembers wurden sie krank, die Blätter welkten, die Bewegungen wurden schwächer, hörten endlich gar auf, und die Blätter fielen ab. Die Erinnerung an dies zartfühlende, sich selbst bewegende Geschöpf der Pflanzenwelt hat mir seitdem oft Vergnügen gemacht (…)“235. Für diesen Autor jedenfalls ist die Trennung ­zwischen Tier und Pflanze obsolet: „Man hat viel über die Empfindungs- und Bewegungskräfte der Pflanzen gestritten, und um bestimmte Grenzen z­ wischen dem Pflanzen- und Thierreich zu ziehen, ihnen Anfangs die Ortsbewegung (vim loco movendi) und da man vom Gegentheil überzeugt wurde, die willkührlichen Bewegungen abgesprochen. (…) Kein Mensch zweifelt mehr daran, daß Thiere und Pflanzen zu e i n e r großen Familie, zu der Familie der organisirten Wesen gehören. Die völlige Gleichheit der Fortpflanzung, und die Ernährung durch innere Aßimilation sind Eigenschaften, die dem vollkommensten Thiere so gut wie der rohesten Pflanze eigen sind, und diese Familie von den unorganischen (die ich deswegen nicht tod nennen möchte) durch eine Kluft trennen, die man ­zwischen Pflanzen und Thieren vergebens sucht.“236

234 Reider, Jakob Ernst von: Die Mode=Blumen oder Kultur der Camellien, Azaleen, Hortensien, Nerium Oleander, Volkamerien, Balsaminen, Aster, so wie aller Arten Basilikum. Für Blumenfreunde ­welche weder Glas= noch Treibhaus besitzen, um ihre Fenster doch das ganze Jahr über mit schönsten Blumen zu zieren, Nürnberg 1829, S. 5 f. 235 Ungenannter Verfasser (eventuell Hufeland): Ueber die Bewegungen des Hedysarum gyrans und die Wirkung der Elektrizität auf dasselbe“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (3/1790), S. 7. 236 Unbenannter Verfasser, Bewegungen des Hedysarum Gyrans, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (3/1790), S. 21.

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Ursprung allen Fühlens und Bewegens ist für ihn – wie auch für die meisten Zeitgenossen um 1800 – die Mensch, Tier und Pflanzen eigene Reizbarkeit.237 Zwar sei sie in den Pflanzen nur geringfügig anzutreffen, beziehungsweise nur bei wenigen Pflanzen mit bloßem Auge erkennbar, der Unterschied z­ wischen Tier und Pflanze ist aber ein gradueller. Damit äußert sich dieser Autor hier zwar nicht zur Frage der Seele, wie die Vetreter einer Pflanzenseele, aber die Ähnlichkeit innerhalb der Gruppe der lebendigen Wesen wird postuliert. Auch er geht in der ontologischen Verortung seiner Zimmerpflanze sozusagen grundsätzlich von der besagten Homologie ­zwischen Mensch, Pflanze und Tier aus (Teil I). Als „organisierte“ Wesen, als Wesen mit Organen und Lebenstätigkeit sind sie Teil der großen Familie der lebenden Wesen „Eigenschaften“ und Bedürfnisse der Pflanzen So sind Pflanzen in den frühen Stubengärtner-­Texten nicht „Dinge“, sie sind nicht „Grünzeug“. Es wird auch über die Zimmerpflanze in uns überraschender Weise in semantischen Wortfeldern gesprochen, die wir heute nicht mehr benutzen würden. Poscharsky etwa spricht ihnen „Eigensinn“ zu: „Denn es giebt nur sehr wenig Blumen, die sich eine jede Behandlung gefallen lassen. Die meisten sind überaus eigensinnig, und sterben bald ab, wenn man bei ihnen etwas versehen hat“238. Bedürfnisse der Pflanzen werden einerseits mit den Gegebenheiten in der freien Natur in Verbindung gebracht, andererseits aber in vielen Fällen auch mit den Bedürfnissen des Menschen gleichgesetzt. Biedenfeld etwa sinniert über das Problem, dass die menschlichen Wohnräume den Bedürfnissen der Pflanzen leider nicht wirklich entsprechen: „Wer die Lebensbedingungen der Pflanzen mit diesen (in der freien Natur, A. d. V.) mehr oder minder unvermeidlichen Umständen in allen menschlichen Wohnräumen vergleicht, dem wird auch sogleich einfallen, daß alle Pflanzen darin einer besondern Behaglichkeit sich unmöglich erfreuen können, am wenigsten jene mit offenen Augen schlafenden, jene Immergrünen aus Neuholland, Chile etc. deren Laubwerk so oft über Winter in geheizten Räumen vor Schmerz sich krümmt und rollt, oder aus Verzweiflung ganz verwelkt und abstirbt.“239 Schmerz, Verzweiflung werden hier der Pflanze zugeschrieben, wobei sie als stummes Wesen oder sogar als ausgeliefertes Wesen erscheint. Ausgangspunkt für die Ähnlichkeit von Mensch und Pflanze wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert dann allerdings weniger die Frage der Seele als die Zugehörigkeit zum „Reich des Lebendigen“, wie auch Robert Betten noch 1890 schreibt, der 237 Unbenannter Verfasser, Bewegungen des Hedysarum Gyrans, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (3/1790), S. 23. 238 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 1810, S. 1. 239 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 3 f.

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dann allerdings ähnliche Bedürfnisse von Mensch und Pflanze postuliert: „Möchten wir doch von dem Gedanken ausgehen, daß die Pflanzen gleich uns ein Leben besitzen, daß sie Bedürfnisse haben, von denen die Erhaltung und Gesundheit ­dieses Lebens abhängt und daß diese Bedürfnisse in vielen Fällen den unserigen gleichen. Wenn wir diesen Ausgangspunkt festhalten, so wird uns das Verständniß für die schöne Pflanzenwelt sehr erleichtert werden. (…) So seltsam es klingen mag, selbst bei der Wahl des besten Platzes für unsere Pflanzen können wir uns sehr viel nach unserm eigenen Wohlbehagen richten, wenn wir die Zeit, w ­ elche wir mit der Feder oder der Nadel arbeitend im Zimmer verbringen, in Betracht ziehen. Wir bedürfen dann unbedingt des Lichtes und ebenso bedarf dessen auch die Pflanze, denn sie arbeitet ja auch: Ja, sie gebraucht zu ihrer Arbeit das Licht in noch höherem Maße als wir, denn vermittelst des Lichtes muß sie in den Blättern alle Nahrung, ­welche die Wurzeln aufgesogen haben, für den Körper erst mundgerecht machen.“240 Daher erfordern die Pflanzen auch größte Aufmerksamkeit, wenn sie „krank“ sind, wie es im Garten der Flora heißt: „Auch auf das geringste Kränkeln seiner Pflanzen muß man Achtung geben, wenn man nicht gewärtig seyn will selbige ganz zu verlieren. Sobald man also wahrnimmt, daß eine Pflanze gelb wird und welkt, so muß man sie ohne Verzug aus dem Geschirr nehmen, ihre Wurzeln sorgfältig untersuchen, und so die Ursache der Krankheit zu entdecken trachten.“241Auffallend ist insbesondere die Häufung der Verweise auf die „Krankheiten“ der Pflanzen. Vermutlich spiegelt sich hier die für den Menschen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert noch wesentlich schneller existenzielle Bedrohlichkeit von Krankheit. Grausamkeit gegen Pflanzen Die Vernachlässigung von Pflanzen wird auch von Biedenfeld als moralisch verwerflich, grausam oder gefühllos stigmatisiert – ein Verhalten, das er insbesondere jenen zuschreibt, die die Pflanzen nur als Dekor verwenden, aber für sie keine Sorge tragen. Diese versteht er auch nicht als Adressaten seiner Bücher: „Wir sprechen hier nicht von dem Verhältniß bei vermögenden Leuten, wo es sich lediglich darum handelt, blühende oder grüne Gewächse zum Schmuck aufzustellen, und alle die zu verblühen oder zu welken beginnen, sogleich beseitigt und durch frische ersetzt werden. Sie mögen abwechselnd braten und frieren, ein leidensvolles Dasein ist allemal ihre Bestimmung. Wir erwähnen jener Umstände nur in Betreff von Gewächsen, ­welche in der Wohnung selbst wohnen, blühen, ihren Winterschlaf genießen, von neuem in Vegetation treten und mit ihrem

240 Betten, Blumen am Fenster, 2. Auflage 1895, S. 2 und 3. 241 „Kranke Pflanzen“, in: Garten der Flora, 1. Heft (1791), S. 12.

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Erblühen erfreuen sollen.“242 Biedenfeld, wenn er über das Begießen, das Entfernen von Ungeziefer oder den Wechsel der Erde spricht, vergleicht die Hauspflanze dabei sogar explizit mit dem Haustier: „Die Beachtung aller dieser Verhältnisse ist für die Gesundheit und Schönheit der Pflanzen im Zimmer wesentlich, sie nimmt unsere tägliche Aufmerksamkeit und Liebe in Anspruch, und ihre Vernachlässigung rächt sich stets bitter. Ausgehungerte und übersättigte Pflanzen gewähren einen so traurigen Anblick, wie das in schlappe Haut gehüllte Skelett einer armen Katze oder der unbehülfliche Fettklumpen eines keuchenden Mopses; sie haben vor diesen nur den Vorzug, daß sie nicht ächzen und keuchen, auch leichter zu beseitigen sind.“243 Bezeichnung der Pflanzen als „Kinder“ oder „Zöglinge“ Sowohl in den Aufsätzen der botanischen Magazine wie in der Stubenratgeberliteratur verbinden sich zudem immer wieder die Aussagen über Pflanzen mit familialen Bezeichnungen. So schreibt etwa Koch in seinen Ausführungen über die „Aconiten“ (Eisenhut­ arten aus der Familie der Hahnenfußgewächse): „Die in den Alpen vokommenden Aconita habe ich zu seiner Zeit (…) zur weitern Beobachtung empfohlen. (…) Ich hätte gerne mehr Arten aufgestellt, wenn ich ein deutliches und konstantes Kennzeichen für sie hätte auffinden können; ich habe ja unter den verlassenen Kindern selbst einige. Diese werde ich sogleich nebst den übrigen aufnehmen, sobald man mir gesagt haben wird, wodurch sie sich konstant von ihren Brüdern unterscheiden.“244 Pflanzen werden so immer wieder als „Kinder“ und „Zöglinge“ angesprochen, der Pflanzenliebhaber als „Erzieher“. Waller etwa beklagt in folgenden Worten den frühzeitigen „Pflanzentod“ im Winter: „Im Sommer geht es noch so ziemlich; aber in der kalten Jahreszeit gewinnt alles eine andere Gestalt. Da findet manche Pflanze ihren Tod, theils aus Schuld, theils auch ohne Schuld ihres Erziehers.“245 Die Pflanzen vor dem Winter, der Kälte zu schützen ist dabei tagtägliche Fürsorgepflicht; der Winter wird zum personifizierten Mörder: „Der mürrische, langweilige Winter bietet dem Blumenfreunde nichts Erfreuliches dar (…). Täglich muß der Pflanzenfreund besorgen, daß der unbarmherzige Würger eindringe und ihm dieselben kalt und gefühllos morde.“246 Oder Lupin auf ­Illerfeld ruft aus: „Wie ich sie liebe, der Pflanzenwelt Kinder, ein unendlich verschiedenes Daseyn (…). Alle hat der Himmel lieblich erschaffen, und wo wir auch den Hauch des unendlichen Zaubers minder gewahren, trägt 242 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 11. 243 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 21. 244 Hofrath Dr. Koch aus Erlangen: „Einige Zusätze zu den (…) Bemerkungen über Aconiten“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 17, Band 2, Nr. 26 vom 14. Juli 1834, S. 412. 245 Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 2. Auflage 1812, S. 30. 246 Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 2. Auflage 1812, S. 218.

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Wahrnehmung, nicht Mangel die Schuld.“247 Kinder und Pflanzen werden analog gesetzt als diejenigen, deren Kräfte der Sinneswahrnehmung und der Seele sich noch in einem rudimentären Zustand befindet, noch der Entfaltung harren, zur Entfaltung gebracht werden müssen. In ihrer „Erziehung“ – der Begriff wird sowohl für Kinder wie für Pflanzen gebraucht – geht es darum, ihre Anlagen zur „Entfaltung“ zu bringen. Die Semantik der „Entfaltung“ von Anlagen und Talenten weist bis heute auf diese ehemaligen Verbindungen hin.248

3.2.3 Pflanzenpflege und bürgerliche Werte Die hier angeführten Pfleganleitungen zeigen eine „Umsorgung“ der Pflanzen in der Wohnung, die aus heutige Sicht teilweise wie „verschroben“ wirkt. Aber was beobachtet man hier eigentlich? Gewiss mag die Fülle der Anweisungen und die Differenziertheit der Handlungsweisen oder Gegenstände verblüffen, aber zeigt sich hier mehr als eine etwa schrullige Alltagspraxis, wie sie etwa in Carl Spitzwegs bekanntem „Kakteenfreund“ bildhaft geworden ist? Tatsächlich spiegeln sich in der Zimmerpflanzenkultur bürgerliche Werte, die konstitutiv sind für diese Epoche und ihre Kultur. In Form der „Verhäuslichung“ erfolgt hier eine kulturell überformte Annäherung an Elemente aus der Natur, an die Pflanze – eine von der aufklärerisch-­bürgerlichen Kultur überformte Annäherung. Der Haushalt wird um die Tiere und Pflanzen erweitert. Die bürgerliche Familie weitet sich in der Horizontalen aus. Aufklärerisch-­bürgerliche Werte werden auf die Beziehung zur Pflanze übertragen. Verstand und Gefühl bei der Pflanzenpflege Die Ausgestaltung der Beziehung zur Pflanze findet auf beiderlei Weise statt: Einerseits in der Form der Beobachtung, des Wissens und der Nutzung der „Verstandestätigkeit“, andererseits aber in der Kultivierung eines „empfindsamen“ Naturgefühles und einer offensichtlich „gefühlten“ Annäherung an die Pflanze. Hierin sieht die Aufklärung keinen Widerspruch. Die Pflanze erhält zwar keinen Namen wie das Haustier, sie wird aber hingebungsvoll gepflegt, genährt, platziert und an Wind und Wetter vorsichtig gewöhnt. Anders gesagt und wie oben beschrieben: Der Reiche, der seine Pflanzen nur um der Zurschaustellung von Reichtum und Exotik willen zieht, aber nicht „mit dem Herzen“ bei der Sache ist, läuft fehl. Es geht hier (zumindest in den Anfängen) nicht nur um eine 247 Lupin auf Illerfeld, Friedrich: Die Gärten. Ein Wort seiner Zeit, München 1820, S. 39. 248 Analog wird von „Pflanzanstalten“ im Sinne von Schulen und Ausbildungsstätten gesprochen.

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Konsumgeschichte oder eine Geschichte der Luxusgüter, indem exotische Pflanzen Teil der Repräsentation von Reichtum und Mittel der Distinktion sind, wie man es aus den früheren Jahrhunderten auch aus den Orangerien des Adels schon kannte. Diesen Aspekt gibt es zwar auch und er nimmt im Laufe des 19. Jahrhunderts zu, aber die vor und um 1800 propagierte „Erziehung“ der Pflanzen im Haus stellte zunächst etwas anderes dar. Sie erforderte „Verstandes- und Herzensbildung“. Damit sind Kernanliegen bürgerlich-­ aufklärerischer Ideale benannt. Reinlichkeit, Ordnung und die Vermeidung von Müßiggang In der Stubengärtnerei kommen konkret noch weitere Aspekte bürgerlicher Kultur hinzu – die bürgerlich-­häuslichen Tugenden. Diese werden dabei in der Art der auf die Pflanzen ausgewiesenen Handlungen deutlich. Zum einen findet sich hier die Reinlichkeit, die sich in den ausgiebigen Ritualen des Abbürstens der Pflanzen, des täglichen Entfernens welker Blätter bis hin zum Abstreichen mit Pinseln etc. manifestiert. Hat sich die bürgerliche Ordnungsliebe im Haus schon in der Herbariumskultur gezeigt, so findet man sie wieder in der Anordnung der Zimmerpflanzen und der Abfolge der auszuführenden Handlungen, wie Reider es betont: „Eine gewisse Ordnung soll man bei seiner Pflanzenpflege halten, wo man dann versichert ist, dass die Lieblinge keine Noth leiden.“249 Einen besonderen Stellenwert hat in ­diesem Zusammenhang auch die Vermeidung von Müßiggang. Die Stubengärtnerei steht insbesondere im Einklang mit der bürgerlichen Tugend des Immer-­beschäftigt-­Seins: „Bei einer Stubengärtnerei muss man sich mit seinen Pflanzen unausgesetzt zu schaffen machen, den Pflanzen öfters die Erde auflockern, sie mit dem Gießen nicht versäumen, die Töpfe öfters verstellen, den eingeschlossenen Pflanzen zu rechter Zeit frische Luft geben, die schadhaft gewordenen Theile abnehmen und sogleich entfernen, die hohen Stengel an Stäbe anbinden usw. Im Winter muss man seine Aufmerksamkeit auf die Pflanzen verdoppeln, die Töpfe öfters umstellen, zur rechten Zeit, aber nur sehr mässig gießen, viel frische Luft einlassen, die Erde öfters auflockern, die Insekten vertilgen, und sobald als möglich die Pflanzen zur Vegetation anreizen, daher schon frühzeitig frische Erde geben und für die Erhöhung der Wärme sorgen (…)“, schreibt Reider.250 Eigentlich ist man daher den ganzen Tag beschäftigt: „Man muss sich mit den Pflanzen im Stubengarten unausgesetzt zu thun machen, und jede im Auge behalten, somit keine vergessen. Denn man muss sich gut einprägen, dass nur durch besondere Pflege die Vollkommenheit jeder Pflanze erzielt werden kann.“251 249 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 47. 250 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 36 f. 251 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 45 f.

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Man muss sie beständig umsetzen, gießen, reinigen, auf die Erde achten, sie rechtzeitig anbinden, rechtzeitig schneiden usw. Und so gehört, wie Reider konstatiert, „zur Stubengärtnerei eine besondere Regsamkeit, und Freude, um die müßige Zeit deren Pflege anhaltend zu widmen“252. Die Kultivierung von Häuslichkeit und privater Geselligkeit angesichts der Wirren der Zeit Ein mit oben genannten Elementen verbundener Aspekt ist der Rückzug ins „Häusliche“. Teilweise ist dies im 19. Jahrhundert auch mit dem „Privaten“ zu verbinden, wenn man darin den Rückzug vom nun außerhäusigen Erwerbsleben und wohl auch dem Politischen versteht. So heißt es etwa bei Waller 1812 in Bezugnahme auf die politischen Wirren der Zeit: „So mancher drückende Vorfall läßt es uns deutlich genug gewahr werden, in welch einer verhängnißvollen Zeit das Loos unsers Lebens fiel: Kann man es dem gefühlvollen Manne daher wol verargen, wenn er unmuthsvoll den Blick wegwendet, und dafür seine lieben Pflanzen hegt und pflegt, die in ewiger Ruhe und Frieden grünen und blühen? Nein, so grausam wird niemand seyn, die Beschäftigung mit der Blumisterey in geschäftslosen Stunden eine frivole und nichtswürdige Beschäftigung zu schimpfen!“253 Wie auch immer die konkreten Situationen der Schreiber ausgesehen haben mögen, beziehungsweise die politischen Umstände in den einzelnen Regionen gelagert sein konnten – die Flucht in die Häuslichkeit, in das Soziale, das Familiäre scheint in den durch das 19. Jahrhundert hinweg aufgelegten Stubengärtner-­Werken gelegentlich auf. In Johann August Schmidts weit verbreitetem Handbuch Der kleine Hausgärtner, oder kurze Anleitung, Blumen und Zierpflanzen sowohl in Hausgärtchen als vor den Fenstern und in Zimmern zu ziehen heißt es in der 7. Auflage von 1857254: „In dem stillen häuslichen Leben, oder in der Einsamkeit gewährt uns nicht leicht irgend etwas so reines, s­ chuldloses Vergnügen und eine so angenehme und zugleich so lehrreiche Unterhaltung, als die Erziehung und Pflege der Pflanzen, die entweder durch die Farbenpracht ihrer Blumen, oder durch den lieblichen Wohlgeruch, den sie aushauchen, oder durch den besonderen Bau ihrer Stengel, Blätter und Blüthen unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Bei der Beschäftigung mit ihnen gewinnen wir eine angenehme Erholung von unsern Berufsarbeiten; unser Geist wird näher mit den in der Natur herrschenden Gesetzen bekannt und gewinnt dadurch eine festere Ueberzeugung von der weisen und grossen Weltordnung; 252 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 10. 253 Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, Vorrede. 254 Schmidt, Johann August Friedrich: Der kleine Hausgärtner, oder kurze Anleitung, Blumen und Zierpflanzen sowohl in Hausgärtchen als vor den Fenstern und in Zimmern zu ziehen, 7. Auflage Weimar 1857. Die erste Auflage ­dieses Werkes erschien 1825, die neunte Auflage 1873.

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unser Gemüth aber wird dabei von so manchen Unanehmlichkeiten des Lebens abgezogen.“255 Fraglos geht es hier auch nicht mehr um die Nahrungsmittelerzeugung und den Gemüsegarten, sondern um eine Kulturpraktik des in der Stadt außerhäusig erwerbstätigen Bürgers. Zu betonen ist dabei aus geschlechtergeschichtlicher Sicht, dass es sich hier durchaus um einen männlich konnotierten Rückzug ins Private und in die nun vom Erwerbsleben weitgehend abgetrennte häusliche Sphäre handelt. Die Verbindung einer „Verhäuslichung“ von Frauenrollen mit der „Verhäuslichung“ von Pflanzen, in dem Sinne, dass weitgehend die Frauen für die Pflege der Pflanzen zuständig gewesen wären, drängt sich nicht auf. Zu fragen bleibt auch, inwieweit der vereinzelt in den Werken genannte Topos der „Einsamkeit“ dem bürgerlichen Leben entspricht. Tatsächlich scheint es aber auch hier, analog zum Botanisieren, meist weniger um eine individuell erlebte „Einsamkeit“ zu gehen. Unter dem „Privaten“ konnte durchaus das Gesellige der bürgerlichen Kultur verstanden werden, denn die Gärten, Gewächshäuser, Wintergärten etc. waren sehr offensichtlich Orte bürgerlicher „privater“ Geselligkeit. Konzerte im Palmenhaus, Geselligkeit im Wintergarten, Teestunden im Gewächshaus sind Teil dieser „privaten“ bürgerlichen Kultur (siehe unten, Kap. 4.3).

3.3 Die „Blumisterei“ Zweifelsohne ist die Vorliebe für Blühpflanzen von alters her bekannt. Dennoch kommt es zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die sich ausbreitenden Pflanzenmärkte im deutschsprachigen Raum zu einer Erweiterung der Blumenliebe, der sogenannten „Blumisterei“. Randow beschreibt dies 1828: „Obgleich die Blumenliebhaberey in Europa schon seit ­vielen Jahren stark getrieben wurde, so hat sie doch in der letzten Zeit bedeutend zugenommen, und wird mit jedem Jahre durch die herrlichen neuen Pflanzen gesteigert, w ­ elche die Handels­gärtner zur Schau und zum Verkauf stel256 len.“ Wann genau der Begriff der „Blumisterei“ erstmals in den Quellen auftaucht, ist schwer zu bestimmen. Zu vermuten steht, dass er sich erst nach der Jahrhundertwende einbürgert. Dass die Blumenliebe von alters her Traditionen hatte und sich mit der Luxusthematik verband, war den Zeitgenossen dabei bewusst. Schon 1805 heißt es im Allgemeinen Teutschen Gartenmagazin: „Die Blumisterei stammt ursprünglich aus dem Orient ab, und kam von da nach Europa – die Blumen waren von undenklichen Zeiten her ein vorzüglicher Gegenstand des Asiatischen Luxus. Bemerkenswerth ist es, daß unter allen orientalischen Völkern, vorzüglich die ­Türken, sich auf 255 Schmidt, Der kleine Hausgärtner, 7. Aufl. 1857, Vorrede S. V f. 256 Randow, Rathgeber für Stubengärtner, 1828.

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die Kultur der Blumen legten (…). Daher kommt es auch, daß wir in Europa unsere meisten und schönsten Gartenblumen aus der Levante bekommen haben.“257 (So etwa die Ranunkeln oder die Tulpen.) Auch auf die Tulpenliebe der Holländer im 17. Jahrhundert bezieht man sich.258 Hier sei der Preis über den des edelsten Metalles gestiegen, beispielsweise sei für eine Tulpenzwiebel 4.600 Gulden und eine Kutsche mit zwei Schimmeln gezahlt worden, ein anderer habe sogar 12 Morgen Land für eine Zwiebel ausgegeben.259 Einen feststehenden Begriff bildet die „Blumisterei“ zweifelsohne ab 1825, mit der Heraus­gabe der monatlichen Zeitschrift Annalen der Blumisterei 260 durch Jacob Ernst von Reider, die bis 1836 in Nürnberg und Leipzig in der Zeh’schen Buchhandlung erschien. Auch diese Zeitschrift konnte man aber aus Kostengründen entweder mit oder ohne Kupferstiche beziehen.261 Der Autor, Reider (1784 – 1853), ein Landgerichtsassessor und Gutsbesitzer aus Bayern, veröffentlichte zahlreiche kompilatorische Schriften zu Landwirtschaft und Gartenbau.262 U. a. finden sich bei ihm Titel wie Der schnell unterrichtende Botaniker und Blumist 263, Die systematische Cultur aller bekannten Blumen= und Zierpflanzen 264, Die Modeblumen 265 oder Der vollkommene Handelsgärtner 266. Analog zu Bouchés Werk ist sein Ratgeber Der Vollkommene Stuben­gärtner 257 „Die erstaunende Blumenliebhaberei der Holländer, der beträchtliche Handel, den sie schon seit beinahe 200 Jahren damit treiben, und was für ungeheure Summen oft Liebhaber für eine seltene Blume zahlten, ist bekannt. (…) Am auffallendsten ist er in der höchst sonderbaren Geschichte der Holländischen Tulipomanie, die sich Mitte des XVIIten Jahrhunderts begab (…).“ (Siehe: „Ueber die Modeblumenzucht und besonders über die ehemalige Holländische Tulipomanie“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 2, 3. Stück (1805), S. 100.) 258 Siehe: „Ueber die Modeblumenzucht und besonders über die ehemalige Holländische Tulipomanie“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 2, 3. Stück (1805), S. 100 ff. 259 Zur Tulipomanie siehe: Goldgar, Anne: Tulipmania. Money, Honor and Konowledge in the Dutch Golden Age, Chicago und London 2007. 260 Reider, Jakob Ernst von (Hrsg): Annalen der Blumisterei. Für Blumenfreunde, Gartenbesitzer und Saamen­händler. In Verbindung mehrerer Gartenfreunde herausgegeben von Jacob Ernst von Reider, Königl. Baier. erstem Landgerichts=Assesor, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede, 1825 – 1836. 261 So wird sie auch in der Flora angezeigt: „Annalen der Blumisterey. Erster Jahrgang 1825 (…) Monatlich erscheinet davon unter der Redaction des Hrn v. Reiter 1 Heft mit zwei ausgemalten Kupfertafeln – 12 solcher Hefte machen einen Jahrgang aus, welcher 4 fl. 48 kr., und ohne Kupfer die Hälfte kostet.“ (Flora, Jahrgang 9, Band 1, Ausgabe Nr. 23 vom 21. Juni 1826, S. 367 f.) 262 Siehe: Löbe: „Reider, Jakob Ernst von“, in: ADB 27, Leipzig 1888, S. 682 f. 263 Reider, Jakob Ernst von: Der schnell unterrichtende Botaniker und Blumist oder vollständiges Verzeichniß aller Blumen= und Zierpflanzen in der Beschreibung der Arten (…), Nürnberg 1835. 264 Reider, Jakob Ernst von: Die Systematische Kultur aller bekannten Blumen= und Zierpflanzen. Von Jakob Ernst von Reider, erstem Landgerichtsassessor, vieler gelehrten Gesellschaften Mitgliede, Augsburg in der Jenisch= und Stage’schen Buchhandlung 1833. 265 Reider, Jakob Ernst von: Die Mode=Blumen oder Kultur der Camellien, Azaleen (…), Nürnberg 1829 (erweitert und neuaufgelegt in den Folgejahren). 266 Reider, Jakob Ernst von: Der vollkommene Handelsgärtner (…), Weimar 1843.

Die „Blumisterei“  |

oder Anweisung die schönsten B ­ lumen im Zimmer und vor den Fenstern zu ziehen 267, der in mehreren Auflagen erschien. Leider ist zu Reider und seiner Familie wenig Biographisches bekannt. Die Annalen der Blumisterei berichteten in diesen Jahren über alles, was mit der Blumen­zucht zu tun hatte, und nicht mehr allgemein über Pflanzen und Pflanzenzucht. Man fand darin etwa konkrete Hinweise auf neue Arten,268 Informationen, wo ­welche Blumen zum Kauf oder Tausch angeboten wurden,269 Preisangaben von Handelsgärtnern,270 Nachrichten über Blumenausstellungen,271 farbige Kupfer beschriebener Blumen, Berichte über neue Zierpflanzen, Anzeigen zu neuartigen Stellagen und Blumenmöbeln, Angaben zu neuesten Publikationen aus der „blumistischen Literatur“ oder auch Samenhändlerverzeichnisse. Analog zu den frühen Jahren der Flora sind die Annalen der Blumisterei dabei als Forum konzipiert, an dem jeder mitarbeiten kann, wie es im ersten Heft heißt: „Zugleich werden alle Blumenliebhaber und Kunstgärtner eingeladen, uns mit ihrem Vorrathe an Blumen und Ziergewächsen bekannt zu machen, so wie uns Beiträge zuzusenden, ­welche sie denn zu dem Zwecke dieser Zeitschrift entsprechend nicht nur allein mit Dank angenommen, sondern auch von der Verlagshandlung mit einem Louis’dor pr. gedrucktem Bogen honoriert werden.“272 Die Blumisterei wird also nun als eigenes Feld etabliert, das Reider nun einer eigenen Zeitschrift für würdig erachtet: „Und doch ist der Blumisterei keine einzige Zeitschrift 267 Der „Vollkommene Stubengärtner“ erschien in einer ersten Auflage 1832 und in der hier zitierten Fassung von 1838. Auch seine anderen Werke zur Blumisterei erfuhren mehrere Auflagen. Reider, Ernst Jakob von: Der vollkommene Stubengärtner oder Anweisung die schönsten Blumen im Zimmer und vor dem Fenster zu ziehen, um das ganze Jahr über Blumen zu haben. Von Jakob Ernst von Reider, Königl. Baierischem erstem Landgerichtsassessor, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede, zweite, vermehrte Auflage Leipzig 1838. 268 Unter der Rubrik „Neue sehr merkwürdige Blumen und Zierpflanzen“ heißt es beispielsweise: ­„Goodyera discolor. Ker. Unter d ­ iesem Namen blühte im Treibkasten der Frau von Hepp zu Nürnberg im Monat April eine ganz neue Zierpflanze, ­welche von Lüttich herkam, und im heurigen Jahr dahier bei 30 Grad Wärme zum ersten Mal blühte.“ (Reider: „Neue sehr merkwürdige Blumen und Zierpflanzen“, in: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 5, Heft 2 (1829), S. 81.) 269 Im zweiten Heft des vierten Jahrganges heißt es etwa: „Wer Lust hat, folgende Blumengewächse käuflich oder durch Tausch anderer Blumenpflanzen an sich zu bringen, beliebe sich um so mehr recht bald bei der Redaction der Annalen zu melden, als wir versichern können, daß die angebotenen und unten verzeichneten Pflanzen sehr gut gehalten, und, fast sämmtlich Prachtexemplare, um die billigsten Preise zu haben sind. 18 Stück baumartige, 8 Schuh hohe Rosen, (…).“ (Reider, „Anerbieten“, Annalen der Blumisterei, Jahrgang 4, Heft 2 (1828), S. 81 f.) 270 Etwa: „Verzeichnis der großen Rosensammlung des Kaufmanns Wilhelm Keller in Duisburg am Rhein“, Annalen der Blumisterei, Jahrgang 4, Heft 4 (1828), S. 257 f. 271 Reider: „Die Blumenausstellung zu Wien im Mai 1828“, in: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 4, Heft 2 (1828), S. 82 f. Auch hier findet sich ein langes Verzeichnis der dort vertretenen Arten. 272 Reider, Jacob Ernst von: „Ueber den Zweck und Plan dieser Zeitschrift“, in: Annalen der Blumisterei. Jahrgang 1, Heft 1 (1825), S. 5 f.

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ausschliesslich gewidmet, obschon dieser Gegenstand ein so zahlreiches Publikum hat. Das deutsche Garten=Magazin, Reichenbachs ästhetisches Gartenjournal, enthalten nicht den 10ten Theil darüber. Was helfen dem Blumisten weitläufige Beschreibungen vom Gemüsebau und der Obstbaumzucht?“273 Die Differenzierung der Wissensgebiete wird hier greifbar. Die Hefte fanden offensichtlich Anklang, denn die Zuschriften der Korrepondenten wuchsen offensichtlich von Jahr zu Jahr. 1834, im zehnten Jahr, resümiert Reider: „Dieser zehnte Jahrgang der Annalen der Blumisterei ist ein Beweis, daß ­dieses Unternehmen sich des allgemeinen Beifalls des blumistischen Publikums zu erfreuen hat. (…) Es muss aber auch jedem Blumenfreunde daran liegen, daß ein Journal erhalten werde, woraus man zu jeder Zeit sich über den Stand der Blumisterei in Deutschland unterrichten kann. Frankreich hat seinen bon jardinier, ein Werk, das jährlich 7 – 90 fl. kostet (…) England hat das Journal von London. Aber beide Werke enthalten weit mehr andere Gegenstände, als nur Blumisterei, und sind daher sehr mangelhaft (…). Wir haben ausser den Annalen in Deutschland sonst kein Werk über praktische Blumisterei.“274 Reider sieht sich also hier in einer Vorreiterrolle, ist aber wohl vertraut etwa mit französischen und englischen Journalen, was die europäische Dimension der Blumisterei illustriert.

3.3.1 Die „Blumisterei“ als religiös-moralische Aktivität und Wissenschaft Die Blumisterei wird dabei zunächst ebenso als moralisch-­geistige Tätigkeit verteidigt wie vordem das Botanisieren, wenn Reider konstatiert: „Man muss selbst Blumist seyn, nicht Blumenfreund, nicht Botaniker, nicht Gärtner, das genügt nicht, sondern mit Leidenschaftlichkeit, ganz und leibhaftig in und mit den Blumen leben. Mancher hält das für eine Kleinlichkeit des Geistes, im eigentlichen Sinne für eine Erbärmlichkeit des Verstandes, mit lebendigem Gefühl vor einem Beete voll Tulpen stehen zu bleiben (…).“275 Das Gegenteil aber sei der Fall. Die Beschäftigung mit den Blumen und das Blumenstudium werden erneut als religiös-­erbauliche Tätigkeit und Verstandesübung definiert. Blumisterei, Empfindsamkeit und Schöpferlob Die Beschäftigung mit den Blumen wird, wie in den phythotheologischen Schriften mit dem Schöpferlob verbunden: „Die Blume scheint zu uns zu sprechen, uns zu verstehen, wie jedes Thier. Es ist ja die Blume auch ein organisches Wesen, hat somit Leben, und Alles, was lebt, sind Theile eines Ganzen, kommen und gehen gleichsam in uns und aus 273 Reider, Annalen der Blumisterei, Heft 1 (1825), S. 4 f. 274 Reider: „Vorrede“, in: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 10, Heft 1 (1834), S. 7 ff. 275 Reider: „Vorrede“, in: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 10, Heft 1 (1834), S. 10 f.

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uns. (…) Da nun jede Blume ein Theil der unbeschreiblichen Schöpfung ist (…) so kann die Anstaunung und Bewunderung derselben nie kleinlich erscheinen. (…) Wozu, fragt man sich, diese Farbenpracht? Und diese Farbenpracht zu lernen, also die Natur zu erforschen, soll eine Kleinigkeit seyn? Und ist nicht alles Forschen mehr als Kunst? Der Blumist studirt die Farben und die Zeichnung der Blumen, eben so, wie der Künstler die Formen der Natur. Jede Kunst und jede Wissenschaft hat ein mathematisches Verhältniß, welches erst studirt werden muß, ehe man solches begreifen lernt. So gehet es auch dem Blumisten.“276 Ein empfindsames Gemüt kann sich dabei der Begeisterung für die Blumen nicht entziehen: „Nur äusserst rohe und unsittliche Menschen haben an Blumen kein Wohlgefallen, deren Herz hängt am toten Steine. – Es wird aber auch die Liebhaberei zur Leidenschaft, und nur in dieser Extase trifft man alle Blumisten. Somit dürfen wir denselben nicht verargen, wenn sie vor ihren Blumen, oder gar vor ihren Lieblingen stehen, und dieselben studiren, daß sie alle Kunst der ganzen Welt vergessen. Nur in ihren Lieblingen haben sie ihren höchsten Genuß.“277 Blumisterei als Wissenschaft? Nicht nur die ausführlichen Beschreibungen neuer Zierblumenarten und die Vermittlung neuer Erkenntnisse über bestimmte Arten gemahnen an den Anspruch, hier ein wichtiges Wissensgebiet zu vertreten. Es finden sich beispielsweise in den Annalen der Blumisterei auch Erzählungen von „Forschungsreisen“, die nun nicht mehr als „botanische Reisen“ dem „blumistischen Publikum“, sondern als „blumistische Reisen“ erläutert werden. So beschreibt Reider in den Annalen der Blumisterei ausführlich „Meine blumistische Reise nach Franken und dem Rhein im Jahre 1828“.278 Diese „blumistische Reise“ weist ähnliche Merkmale auf wie vordem die botanische Reise. Er tritt seine Reise begleitet von einem befreundeten Ratsherrn an und nutzt diese, um Blumensammlungen und Gleichgesinnte zu besuchen: „Mit unendlich vieler Lust trat ich die schon längt beschlossene Reise der Blumisterei zu Liebe an. Ich versprach mir recht viel Neues und Schönes zu finden, und vorzüglich ging der Zweck dahin, die rechte Kultur einiger großen Geschlechter unserer Lieblingsblumen kennen zu lernen, weßhalb ich einige der ersten Blumisten zu besuchen trachtete.“279 Dabei ist er wiederum nicht der einzige reisende Blumist, sondern Teil einer community: „Ich reiste nach Abend, während 276 Reider, Vorrede, Annalen der Blumisterei (1834), S. 10 f. 277 Reider, Vorrede, Annalen der Blumisterei (1834), S. 12 f. 278 Reider, Jakob Ernst von: „Meine blumistische Reise nach Franken und dem Rhein im Jahre 1828“, in: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 4, Heft 2 (1828), S. 103 – 152. (Der Reisebericht geht dann in die Behandlung der Frage über, wie man am besten Erika zieht.) 279 Reider, Blumistische Reise, Annalen der Blumisterei (1828), S. 103.

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einige von unserem ­Blumenverein, dem Rufe der heurigen Wiener Blumenausstellung folgende, ihre Reise nach Morgen richteten; einer lenkte seinen Weg nach den Niederlanden, einer nach Süden. Jeder derselben muß neue Pflanzen zurückbringen, und in solcher Art können wir viel Neues und Merkwürdiges für ­dieses und das folgende Jahr unseren Freunden mittheilen. (…) Schon in Fürth machten wir recht erfreuliche Entdeckungen. Im Garten der Witwe des Herrn Dr. Petz trafen wir die schönsten Arten Pelargonien, als Davejanum, M. Maitland, (…).“280 Es folgen die Nennungen verschiedenster Pflanzen. Weiter ging es zu einem Herrn H ­ offmann: „Um so mehr fanden wir in der neu etablirten Samenhandlung des Herrn Hoffmann zu Fürth, deren Besitzer, ein sehr eifriger Blumist, bemüht ist, alle Pflanzenarten aus Samen anzuziehen, oder durch Stecklinge zu vermehren.“281 Auch hier folgen genaue Beschreibungen seiner Glaskästen und wie er die Stecklinge zieht etc., w ­ elche seltenen Topfgewächse er hat. Sodann fahren sie zu einem Heinrich Sander in Kitzingen:282„Herr Heinrich Sander der Aeltere, einer der ersten Blumisten Deutschlands, besitzt hier gleich an seiner Wohnung einen ungefähr ½ Tagwerk großen Garten (…). Herr Sander ist ein rationeller Blumist, hat ganz besondere Kenntnisse in der Pflanzenkunde, und hierbei den hohen, ganz echten, ästhetischen Geschmack, welcher nur dem eigentlichen Blumisten eigen ist.“283 Auch hier legt Reider wieder Wert darauf, dass Sander ein „rationeller“ Blumist ist, also über botanische Kenntnisse verfügt. Dies wird auch in der Art seiner Sammlung offensichtlich, einem sehr spezialisierten Herbarium vivum: „Vorzüglich ist derselbe ein leidenschaftlicher Liebhaber der Eriken, und es wird sich nicht leicht eine Eriken-­Sammlung finden, ­welche so groß und vollständig wäre (…). Nicht zu läugnen ist, daß die Kultur der Eriken sehr schwierig ist, daher einen sehr gebildeten, besonders aufmerksamen Blumisten erfordert. (…) Herr Sander hat gegenwärtig an 300 Arten Eriken, ­welche er meist aus England, theils in Samen, theils als Pflanzen erhalten hat. Er fährt fort, diese große Sammlung theils aus sich, theils durch neue Arten zu vermehren; denn hört er nur von Weitem von einer neuen Art Erica, gleich muß sie verschrieben werden, sie mag kosten, was sie will.“284 Was ist Sander nun? Blumenliebhaber? Oder nicht doch eher ein Botaniker, der sich auf die gerade modern gewordenen und aus England kommenden Heidekrautpflanzen spezialisiert hat? Die Fragen sind nur retrospektiv relevant. In den fließenden Übergängen von Gelehrsamkeit, Botanophilie und der Wissenschaftsform des Sammelns ist die Materialität seines Herbarium vivum fraglos größter Ausweis von Sanders Expertentum. 280 Reider, Blumistische Reise, Annalen der Blumisterei (1828), S. 103 f. 281 Reider, Blumistische Reise, Annalen der Blumisterei (1828), S. 104 f. 282 Ob hier Verbindungen zur Familie des Naturgelehrten und Schriftstellers Heinrich Sander (siehe Teil I, Kap. 2.2.2) bestehen, ist unklar. 283 Reider, Blumistische Reise, Annalen der Blumisterei (1828), S. 110. 284 Reider, Blumistische Reise, Annalen der Blumisterei (1828), S. 111 f.

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Reider führt genauestens aus, wie Sander die Stecklinge im Frühjahr in einem Treibkasten vermehre, wie im Sommer die Erikapflanzen an der Wohnhauswand in Töpfen stünden usw. Nach langwierigen, ca. 30-seitigen generellen Erläuterungen über die Zucht von Erika folgt ein dreiseitiges Verzeichnis derjenigen Erika-­Sorten, die Herr Sander „gegen Tausch oder Kauf“ abzutreten bereit sei, sowie ein kolorierter Kupferstich der nach ­Sander benannten Art der Erica sanderi 285 (Taf. 4). Ist für Reider die Verbindung von Blumisterei und Wissenschaft noch selbstverständlich, so muss er sich doch schon offensichtlich gegen Anfechtungen seiner botanischen Kompetenz zur Wehr setzen. Denn in einer Verteidigungsrede gegen Kritiker schreibt er 1831: „Ich bin ein 36jähriger Gärtner, ich habe viel Geld auf Blumen verwendet, habe die berühmtesten Sammlungen von Blumenpflanzen besucht, geprediget und so die Blumisterei studirt. Ich habe einen der ersten Botaniker der Welt, Herrn Dr. Panzer zum Lehrer in der Botanik gehabt, er war mein Führer und Rathgeber in der Botanik über 15 Jahre lang, er hat das Meiste zu meiner Blumisterei eigenhändig geliefert. Mir standen sein unendlich kostbares Herbarium und seine Bibliothek der kostbarsten und besten botanischen und andern naturhistorischen Werke zu Diensten, er war mein vertrauter Freund. Ich selbst besitze die vollständige Literatur der Blumisterei und Gartenkunst (…). Ich bin in den glücklichen Stand gesetzt, auch die doppelte Zahl von Feinden zu verachten (…)“286. Offensichtlich ist also die Verbindung von theoretischer Botanik und Gärtnerei im Sinne der „praktischen Botanik“ um 1830 doch nicht mehr unumstritten.

3.3.2 Modeblumen – Heimisches und Exotisches in der Zimmergärtnerei Ab den 1830er Jahren bilden sich sodann in immer schnelleren Folgen „Blumenmoden“ aus. Die Frage der Modepflanzen hat zweifelsohne immer auch mit der Frage zu tun, wann w ­ elche Pflanzen nach Europa einwanderten. Jack Goody (in The Culture of F ­ lowers),287 Victor Hehn (in: Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa)288 oder auch ­Gabriele Tergit  289 haben sich damit befasst. Übereinstimmend wird beispielsweise 285 Reider, Blumistische Reise, Annalen der Blumisterei (1828), S. 152 ff. 286 Reider, Jakob Ernst von: „Meine Beruhigung“, in: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 7, Heft 2 (1831), S. 85 ff, hier S. 87, 89. 287 Goody, Jack: The Culture of Flowers, Cambridge 1993. 288 Hehn, Victor: Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie das übrige Europa. Historisch-­linguistische Skizzen, 8. Aufl. Berlin 1911. 289 Tergit, Gabriele: Kaierskron und Päonien rot. Kleine Kulturgeschichte der Blumen, München und Zürich 1963. (Diese älteren Darstellungen belegen ihre Aussagen leider oft nur mangelhaft.)

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für das 17. Jahrhundert als Modeblume immer wieder die Tulpe genannt, für das 18. Jahrhundert die Nelken, die Aurikeln oder auch die Hyazinthen, zu denen sogar eigene Abhandlungen existieren.290 Auch in den Ratgebern zur Stubengärtnerei wird den Modeblumen Raum gegeben, ebenso wie in kleingärtnerischen Werken, die sich ausschließlich mit Blumen befassen.291 Grundsätzlich schränken natürlich Lichteinfall und Luftmangel dabei insbesondere den „Stubengärtner“ ein, andererseits eignen sich gerade empfindliche Pflanzen laut Bouché manchmal nur für den Stubengarten. So etwa die Hyazinthe, von der er schreibt: „Sie übertrifft die orientalische Hyazinthe, ihre Ur=Mutter, eine kleine einfache Blume, in jeder Hinsicht so sehr, daß man diese Verwandlung für das Werk der Zauberei, oder die gebaute Hyazinthe für eine ganz andere Art Blume zu halten versucht wird. (…) Die ihrer Schönheit wegen allgemein bekannten, längst kultivirten Pflanzen eignen sich, ihrer verzärtelten Natur wegen, am besten zum Fenster= oder Stuben=Garten.“292 Heimische Pflanzen, Obst, Kräuter und Gemüse Nicht immer ist klar unterscheidbar, ­welche Pflanze um 1800 noch zu den „Exoten“ gehört und w ­ elche bereits zu den „heimischen“ gerechnet wird. Auffallend ist aber, dass sich zumindest die frühen „Stubengärtner“ oft explizit auch für die heimischen Gewächse aussprechen – wiederum eine Analogie zum Botanisieren. Bouché etwa schreibt: „Einige werden mir Vorwürfe machen, wie ich eine Citronen=Melisse, Garbe und dgl. habe mit aufnehmen können? (…) so sehe ich auch keinen Grund ein, warum eine Pflanze deswegen weniger Aufmerksamkeit verdient, weil sie auf vaterländischem Boden wächst, als eine andere weit her geholte.“293 Bouché beschreibt daher auch das heimische Vergissmeinnicht: „Obschon dies Blümchen auf unsern Wiesen wild wächst, so hat man es doch, seiner schönen blauen B ­ lüten, so wie seines auf Freundschaft und Liebe deutenden Namens wegen, nicht ungern in seiner Nähe. Besonders lieben es unsere empfindsamen jungen Damen und Herren (…). Bekommt Jemand ein Vergißmeinnicht=Sträußchen aus einer ihm theuren Hand, und fürchtet es hinwelken zu sehen, so stelle man, sollte sich kein Blumentopf zur Hand befinden, seine Blumen in das erste beste Gefäß mit Wasser, und setze solches an einen schattigen, zugfreien Ort. Nicht selten schlagen diese Blumenzweige Wurzeln im Wasser, 290 Voorhelm, Georg: Abhandlung von Hyacinthen in welcher aus eigner Erfahrung die Art und Weise wie solcher zu erziehen sey, gelehret wird von Georg Voorhelm / Blumisten zu Harlem (…), Nürnberg 1735. 291 Beispielsweise in: Winkler, Christian Gottlob: Der neueste Blumen=Freund. Eine practische=physicalisch=botanische Garten=Schrift, Leipzig und Budissin 1778. (Die ist eine zusammengestellte Reihe über den Anbau einzelner Blumen in 12 Stücken.) 292 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 15 f. 293 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. V f.

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und so kann man sie alsdann nach Gefallen in Blumentöpfe pflanzen, um auf ­­solche Art das Geschenk zu verewigen.“294 Vielfach tauchen als Pflanzen in der Stube auch Gewächse auf, die heute wohl nicht mehr als Zimmerpflanzen gelten – etwa der beliebte Feigenbaum, der sich deshalb für den Stuben- und Fenstergarten eigne, weil schon sehr kleine junge Bäume hier Früchte tragen.295 Oder auch die „krautartige Baumwolle“,296 der Tabak 297 und immer wieder Bohnenarten 298. Auch Gewürzpflanzen tauchen auf, wie etwa der Rosmarin, Ingwer und Basilikum. Exotik Einen großen Anteil an den Modeblumen haben dennoch zweifelohne exotische und aus fernen Erdteilen importierte Pflanzen.299 Gerade der Vielschreiber Reider hielt sich insbesondere an die exotischen Pflanzen und die Neuheiten. In seinem Vollkommenen Stuben­gärtner widmete er sich beispielsweise den „seit 1830 erst bekannt gewordenen neuen Blumen= und Zierpflanzen, w ­ elche für den Stubengarten passen“.300 Diese habe er auf Reisen gefunden und sie s­ eien noch sehr selten und nirgendwo beschrieben. Ihm geht es also auch um den Reiz des Neuen. Auch bespricht er auf der Suche nach Novitäten die nun vermehrt stattfindenden „Blumenausstellungen“.301 Bei Reider geht so nun schon mehr um die Pflanze als Luxus- und Konsumgut. Es geht um „Prachtblumen“, weniger um das Heimische. Derartige „Prachtblumen“, wie etwa die Amaryllis, werden auch in den Annalen der Blumisterei abgebildet (Taf. 5). Zu den exotischen Pflanzen erscheinen insbesondere ab den 1830er Jahren spezielle Publikationen in dieser Rubrik. Eine ausführliche Anweisung zur „Wartung“ besonders exotischer Pflanzen ist beispielsweise das 1836 erschienene Werk von Johann Carl Leuchs: 294 295 296 297 298 299

Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 174. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 113 f. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 124. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 178. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 196. Zur Jagd nach exotischen Pflanzen siehe etwa: Fry, Carolyn: Pflanzenschätze. Aus der Ferne in den ­Garten: von leidenschaftlichen Sammlern, fremden Ländern und exotischen Pflanzen, München 2010. 300 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, Vorrede, S. V. 301 „Mit herzlichem Vergnügen haben wir bemerkt, dass die Blumisterei im Zunehmen begriffen ist. Davon überzeugten wir uns aus den unendlich prachtvollen Blumenausstellungen in d ­ iesem Frühjahre. Die Pracht eines solchen Wintergartens lässt sich gar nicht beschreiben. Wir hatten daher die Veranlassung genommen über die Anlegung und Einrichtung eines solchen prachtvollen Wintergartens das Nöthige zu sagen, und daher auch zu d ­ iesem Behufe das Ganze des Treibens aller Prachtpflanzen kund gegeben, was man bei der ersten Auflage vermisste. Sonach haben wir in dieser Auflage die drei wichtigsten Gegenstände der Stubengärtnerei, die Ueberkommung alter Prachtpflanzen, der neuesten Blumenpflanzen, und der Aufstellung einer grossen Menge Prachtblumen (…)“ (Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. VI.)

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Anleitung zum Anbau zarter Gewächse und zur Eingewöhnung ausländischer Pflanzen.302 Leuchs handelt dabei zunächst von der vegetationsgeographischen Verteilung der Pflanzen auf der Erde, über Klima und Boden, sowie über Witterungen der Klimate und stellt hiervon ausgehend Regeln auf für die Eingewöhnung exotischer Pflanzen, wie man etwa die Pflanzen vom zu frühen Treiben abhält, wie man Wärme vermehrt, verschiedenste Schutzhäuser für Zitronenbäume baut usw. Ein weiteres Beispiel sind auch schon die von Friedrich Casimir Medicus erschienenen Beiträge zur Kultur exotischer Gewächse.303 Ratschläge etwa zum Ziehen exotischer Pflanzen finden sich zudem in kürzerer Form in Zeitschriftenartikeln. Beispielsweise wird im Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte schon 1783 „Des Herrn Staatsraths Demidoff Verfahren, die Saamen fremder Gewächse auf das vorteilhafteste und sicherste keimend zu machen“ beschrieben.304 Diese Verfahren sind kompliziert: „Der Hr. Staatsrath hat dazu eine Menge irdene gut glasurte Schüsseln in Bereitschaft; in jede wird eine Sorte Saamen gethan, feuchtes Moos. Oder wenn die Saamen fein sind, erst ein Leinwand=Läppchen und über dasselbe Moos in die Schaale gelegt, und ­dieses Moos beständig nass erhalten.“305 Jeden Morgen und jeden Abend schaut man mit einem hölzernen Griffel behutsam nach, ob das Samenkorn einen Wurzelkeim zeigt, und pflanzt diesen dann in einen kleinen Blumentopf mit fein gesiebter Erde. „Die allerfeinsten Saamen aber, ­welche diese Behandlung nicht erlauben, säet er, nach Art vieler englischer Gartenliebhaber, auf die Oberfläche feinzerriebenen ganz verrotteten Holzes, welches wohl befeuchtet sein muss, auf solchem lässt sich besonders der Saame von Farrenkräutern am besten ziehen“, berichtet der Verfasser.306 Modeblumen Schon Bouché bespricht in seinen alphabetisch sortierten Beschreibungen verschiedenste Gewächse aus allen Erdteilen, die in dieser Zeit beliebt waren, und kommentiert ihre Eignung als Stubenpflanze. So beginnt er mit dem aus Italien und Sizilien eingewanderten Acanthus, der Pflanze, die schon in der Antike eine Rolle spielte; bespricht 302 Leuchs, Johann Carl: Anleitung zum Anbau zarter Gewächse und zur Eingewöhnung ausländischer Pflanzen. Nebst Angabe der Mittel, die Pflanzen vor den schädlichen Einflüssen unseres Climas zu sichern, die Wärme desselben zu vermehren, einem Verzeichniss eingewöhnter Pflanzen und Beschreibung der durch heisses Wasser geheizten Treibhäuser. (…), Nürnberg, 2. Auflage 1836 (erste Auflage 1822). 303 Medicus, Friedrich Casimir: Beiträge zur Kultur exotischer Gewächse, Mannheim 1806. 304 Ungenannter Verfasser: „Des Herrn Staatsraths Demidoff Verfahren, die Saamen fremder Gewächse auf das vortheilhafteste und sicherste keimend zu machen“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 2, 1. Stück (1783), S. 72 – 73. 305 Ungenannter Verfasser, Staatsrath Demidoff, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1783), S. 72. 306 Ungenannter Verfasser, Staatsrath Demidoff, Magazin für das Neueste aus Physik und Naturgeschihte (1783), S. 73.

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die Agave aus Amerika als „zierliche“ Pflanze, die langsam wachse und wenig frische Luft brauche, weshalb sie sich besonders als Stubenpflanze eigne, wie auch alle anderen Kakteen und die Aloe, zu der er ausführt: „Schade, daß dies schöne Gewächs, welches wir in unsern Gärten schon seit 1561 zur Zierde unterhalten, so selten zur Blüte gebracht wird.“307 Offensichtlich weithin besonders beliebt sind aber zu Anfang des 19. Jahrhunderts der Zitronen- und Orangenbaum. Bouché widmet diesen zwei ganze Seiten, während bei den anderen Pflanzen kleinere Absätze vorherrschen. Ihr ursprüngliches Herkunftsland sei Indien, aber sie wüchsen jetzt auch wild in Asien, Portgual, Italien und Südfrankreich. Bouché gerät hier ins Schwärmen über den „Pomeranzenbaum“ (unter dem ein Zitronenbaum, Orangenbaum oder Pampelmusenbaum verstanden werden kann): „Der Pomeranzenbaum ist unstreitig unter allen Bäumen einer der schönsten, und allgemein beliebt. Wer wünscht ihn nicht! Wer hegt und pflegt ihn nicht gern!“308 Auch die ­Zypres­se sei geeignet für den Stubengarten, da sie langsam wachse,309 der Stechapfel aus Peru übertreffe „an Schönheit die mehresten übrigen blühenden Bäume“.310 Auch die Nelke, die aus Italien komme, gehört für ihn noch zu den „ausländischen Pflanzen.“311 Heute eher vergessen ist der damals besonders beliebte Myrtenbaum. Myrtenkränze oder -zweige spielten offensichtlich in Hochzeitsbräuchen eine Rolle.312 Möglicherweise versuchte man hier, aus den Zweigen Wurzeln zu ziehen, um so als Symbol der geschlossenen Ehe die Zimmerpflanze zu behalten. Ähnliche Aussagen zu beliebten Zimmerpflanzen treffen auch die anderen Stubengärtner-­Ratgeber. Poscharsky etwa widmet den Orangenbäumen sogar einen eigenen Anhang.313 In allen Stubengärtner-­Ratgebern wird als langfristig beliebtes Gewächs die Rose benannt. Schon Waller schreibt: „Rosa (…) Sie ist die Königin unter den Blumen; sie beherrscht das ganze Pflanzenreich. Sie findet sich in dem kostbaren Prachtgarten des Fürsten, und der ärmsten Tagelöhner, der in seinem Gärtchen sonst keine Blume baut, freut sich ihrer Schönheit. Die vornehme, reiche und elegante Dame schmückt mit ihr den künstlich gelockten Haarputz, und sie glänzt am vollen Busen 307 308 309 310 311

Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 27. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 72. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 88. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 92. Hier unterscheidet er die verschiedensten Nelken: Bartnelke, Chinesennelke, Federnelke, stolze Nelke etc. (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 94 f.) 312 „Myrtus (…) der gemeine Myrtenbaum (…) Es ist nach dem Orangenbaum der am meisten geachtete, und wird, so lange die Myrte das Symbol der Liebe und der Freude bleibt, auch wohl geschätzt werden. Welches junge Mädchen wollte wohl, ohne einen Kranz von dieser Pflanze, sich dem Gott Hymen weihen! Rosen und Myrten erhöhen die Feste, Schmiegen sich reizend dem bräutlichen Haar (…).“ (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 175.) 313 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 1810, S. 104 ff.

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des fleißigen Dorfmädchens.“314 Bouché unterscheidet hier sehr viele Unterarten: die hundertblättrige Rose, die chinesische Rose, die Damaszener Rose, die Zuckerrose, die Moosrose etc.315 Johann Jakob von Reider ist in der Folge derjenige, der nicht nur über die Stubengärtnerei als ­­solche, sondern konkret über Modeblumen Werke publiziert – in dem 1829 – 1831 erschienenen dreifach aufgelegten und jeweils veränderten Werk Modeblumen oder Kultur der Camellien, Azaleen, Hortensien, Nerium Oleander (…) für Blumenfreunde ­welche weder Glas- noch Treibhaus besitzen (…).316 Er verfolgt dabei die sich ändernden Vorlieben.317 Spezielle Moden und Änderungen der Moden Speziell zu Anfang des 19. Jahrhunderts scheint die schon in Reiders blumistischen Reise­ beschreibungen ausführlich besprochene Erika modern zu sein, denn Waller schreibt schon 1812: „Die Heiden gehören in England, und seit einiger Zeit auch in Deutschland zu den Modeblumen.“318 Speziell erwähnt wird immer auch die vieldiskutierte „Sinnpflanze“ (Mimose) als Sammelobjekt.319 Je weiter das 19. Jahrhundert allerdings voranschreitet, desto schneller ändern sich die Modepflanzen. Ihre Vielfalt ist nun kaum mehr überschaubar. Auch Randow bestätigt 1828 den rasanten Wandel der Pflanzenmoden: „Wer früher damit zufrieden war, ein Orangen= oder Mytenbäumchen, einige Nelken und ein paar Muskatstöckchen auf seine Fenster zu stellen, der zierte vor 15 bis 20 Jahren die 314 Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 191. 315 Rosen: Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 212 f. 316 Reider, Jakob Ernst von: Die Mode=Blumen oder Kultur der Camellien, Azaleen, Hortensien, Nerium Oleander, Volkamerien, Balsaminen, Aster, so wie aller Arten Basilikum. Für Blumenfreunde ­welche weder Glas= noch Treibhaus besitzen, um ihre Fenster doch das ganze Jahr über mit schönsten Blumen zu zieren, Nürnberg 1829. Reider, Jakob Ernst von: Mode=Blumen, drittes und letztes Heft, oder Kultur der beliebtesten, ganz neuen, nur sehr prachtvollen, dann der Florblumen. Für Blumenfreunde, w ­ elche weder Glas= noch Treibhaus besitzen (…), Nürnberg 1831. (Der Band von 1830 liegt mir leider nicht vor.) 317 Reider beginnt mit der Aster, für die er lange Beschreibungen und Pflegetipps ausführt, geht dann zu Azalea, Balsamine, Camellia (chinesische Rose), Hortensie (Strauchpflanze aus China), Oleander, ­Volkameria aus Japan und weiteren Modeblumen, deren Pflege er auf 95 Seiten beschreibt. Die Auflagen von 1830 und 1831 sind jeweils um neue Pflanzen erweitert. 1831 beginnt er mit Aloe, dann Alströmerie, Amaryllis, Anagallis, Antholyza, Arbutus (Erdbeerbaum), Alclepias (Seidenpflanze). Hier werden auf 180 Seiten sehr, sehr viele Blumen- und Pflanzenarten mit nur k­ urzen Beschreibungen versehen – die Menge der genannten Blumen hat immens zugenommen. 318 Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 101 f. 319 „Mimosa. Seit langen Zeiten nehmen die Sinnpflanzen eine wichtige Stelle in den Sammlungen der Liebhaber ein (…) Kaum hat man ein Blatt mit dem Finger oder auch einem Stöckchen berührt, so fallen die Blätter gleich zusammen, und richten sich nach und nach wieder auf (…).“ (Waller, Stubengärtner oder Zierpflanzen durchwintern, 1812, S. 162.)

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Zimmer mit der niedlichen Fuchsia, prächtigen Hortensia und der immerblühenden Rose. Aber auch diese sind im Laufe der Zeit vergessen worden, und haben nunmehr den Pelargonien, Alpenrosen und Camellien weichen müssen. – So wechselt diese Liebhaberey mit ihren Pfleglingen fortwährend, und die Zahl der schön blühenden Gewächse ist jetzt so ungeheuer groß geworden, daß es schwer, ja fast unmöglich wird, aus dieser Menge das Beste zu wählen. Mit dem festen Vornehmen, nur wenig Auserkohrnen ein Plätzchen auf seinen Fenstern zu gönnen, fängt der Blumenfreund zu sammeln an. Aber ohne daß er es selbst will, wächst ihre Zahl, er weiß nicht mehr, woher Raum nehmen, sie alle unterzubringen, er will die schlechtesten Sachen wieder entfernen, und geräth in neue Verlegenheit. Welche Pflanze soll das Loos der Verbannung treffen?“320 Blumisterei im Kleinbürgertum und Luxuskritik Einige Stubengärtner-­Autoren, wie etwa Ludwig Karl Christoph von Liliencron 321, nehmen in der Folge insbesondere das Kleinbürgertum in den Blick und beschränken sich auf dasjenige, was für alle Städter möglich und ohne Kenntnisse möglich sein sollte.322 ­Liliencron bezieht sich dabei explizit auf Bouché, Poscharsky, Dietrich und weitere „Garten­schriftsteller“, übernimmt aber nur dasjenige, das auch für weniger wohlhabende Personen realisierbar sei: „Da aber diese Anweisung eigentlich für diejenigen geschrieben ist, die keine Kosten anwenden, und doch Blumen und Gewächse im Zimmer haben wollen. (…) Ausser den angeführten Autoren sind Dieterichs, Hermes und einiger anderer Garten=Schriftsteller Werke mit Hinsicht benutzt, daß alles für diesen Zweck dienliche herausgenommen ist, wenn es sich hier in Hamburg und dieser Gegend, ohne Geldverspielung, von einem Jeden ausführen ließ, der allenfalls auch nichts mehr von der Pflanzenzucht weis (…).“323 Bevor er auf allgemeine Pflanzenpflegehinweise 320 Randow, Rathgeber für Stubengärtner, 1828, S. 1. 321 Liliencron baut offensichtlich auf dem Werk von Friedrich Gottlieb Dietrich, Bouché und Poscharsky auf, wie es der Titel bezeigt: Liliencron, Ludwig Karl Christoph Baron von: Allgemeiner Zimmer= Blumen= und Pflanzengärtner oder deutliche Anweisung die beliebtesten Blumen und Gewächse ohne Kosten in Zimmern und Fenstern zu ziehen, zu pflegen und zu überwintern. Nach Bouché, Diederich, Poscharski frey bearbeitet, Hamburg, ohne Jahresangabe (wohl 1820). 322 Liliencron schreibt: „Dies kleine Büchelchen soll eine faßliche Anweisung enthalten, um einige 70 verschiedene Arten von Blumen oder Gewächsen im Zimmer zu erziehen. Es mag seyn, daß man vielleicht noch mehrere im Zimmer treiben könnte, wenn man Kosten, Mühe und ein besonderes Zimmer dazu anwendet, allein diejenigen, die ohne weitere Umstände von Jedem, der Blumen liebt, wenn er auch keine Kenntnisse davon besitzt, ohne allen Aufwand, im sonst auch geheizten Wohnzimmer, vorzüglich im Winter, zur Blüthe gebracht werden können, glaube ich alle angeführt zu haben.“ Liliencron, Anweisung Gewächse ohne Kosten in Zimmern und Fenstern zu ziehen, ca. 1820, Vorrede. 323 Liliencron, Anweisung Gewächse ohne Kosten in Zimmern und Fenstern zu ziehen, ca. 1820, Vorrede.

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und die speziellen Arten eingeht, endet er: „und so füge ich nur noch den Wunsch und die Hoffnung hinzu, daß ich durch die Zusammenstellung dieser paar Blätter zum Vergnügen mancher, vorzüglich auch solcher Menschen beigetragen habe, die die Freude nicht erkaufen können.“324 Je nach Verfasserinteresse setzen so die „Stubengärtner“ jetzt inhaltlich und in Hinsicht ihres Adressatenkreises verschiedene Schwerpunkte. Generell ist aber das (stadt-)bürgerliche Publikum angesprochen – vom Villenbesitzer bis zum Lohnarbeiter. Kritik am luxuriösen Blumenkonsum Gelegentlich setzen sich die Autoren aber von den Moden, denen insbesondere wohlhabende Großbürger folgten, auch vehement ab, indem der repräsentative Gebrauch der Pflanzen als inadäquate Umgangsform mit Pflanzen angeprangert wird. ­Ferdinand von Biedenfeld etwa analysiert: „Auch der Reiche (…) sucht für seinen Palast das Prunkende, das Neueste, das Herrlichste zu Ausschmückung der Hallen und Prunksäle. Er fragt dabei nicht ängstlich, ob die Pflanzen und Blumen in solcher Lage erkranken und sterben müssen, die Kranken undt Todten werden beseitigt und durch neue Opfer ersetzt; (…). Der Reiche und Große liebt nur selten die Blumen an sich, sondern lediglich als ein Prunkmittel, als einen Modeartikel, dessen Pflege er andern überträgt und überläßt.“325 Hier schieden sich also die Geister: die „Pflanzenfreunde“, die „Botanophili“ verstanden unter ihrer Pflanzenliebe auch die entsprechende Sorge für diese Lebewesen im Haus. Für diejenigen, für die der Pflanzenluxus und die Pflanzenexotik Teil der Repräsentation von Reichtum und Weltläufigkeit waren, wurden sie zum Dekorationsgegenstand und Teil der „Dinge“ im Haus.

3.4 Alltagsspuren der Blumisterei und Stubengärtnerei Die alltäglichen Spuren der Blumisterei und der Zimmerpflanzenzucht festzuhalten – jenseits der normativen Quellengattung der „Stubengärtner“-Ratgeberliteratur – ist nicht ganz einfach. Im Folgenden sollen jedoch zwei Bereiche, in denen die Blumisterei und die Stubengärtnerei Spuren hinterlassen haben, beleuchtet werden: die Verkaufs- und Kaufsanzeigen städtischer Märkte und die Beschreibungen von Zimmerpflanzen in der brieflichen Kommunikation um 1800.

324 Liliencron, Anweisung Gewächse ohne Kosten in Zimmern und Fenstern zu ziehen, ca. 1820, Vorrede. 325 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 2.

Alltagsspuren der Blumisterei und Stubengärtnerei  |

3.4.1 Ratgeber und Pflanzen auf den städtischen Märkten Eine Möglichkeit, die es erlaubt, ausschnitthaft Alltagskultur und Alltagskonsum in ­Fragen der bürgerlichen (Zimmer-)pflanzenkultur in den Blick zu nehmen, sind städtische Anzeigenblätter. In Basel etwa erschien seit 1729 (und bis 1844) das bereits genannte Avisblättlein, (beziehungsweise wie es um 1800 hieß, die Wöchentlichen Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel), in dem Verkaufsanzeigen, Kaufgesuche und auch lokale Bekanntmachungen wie Todesanzeigen und Eheschließungen, aber auch Stellenanzeigen oder „Verlorenes“ bekannt gemacht wurden.326 Die hier im Interesse stehenden Kaufs- und Verkaufs­anzeigen umfassten alles, was für Haus und Hof notwendig war: s­ eien es Kutschen, Möbel, Kleidung, Bücher oder Nahrungsmittel. Die Anzeigen waren durchnummeriert und so findet sich das Angebot über zwei Kanarienvögel neben den Kirchensitzen, den Teleskopen, den Stoffen, den „Elekrisiermaschinen“, den Hunden oder Wein und Käse oder eben auch den (Zimmer-)Pflanzen. Der traditionelle Pflanzenmarkt Durchforstet man diese voluminösen Anzeigenblätter, so lässt sich, für das Beispiel Basel, das Auf- und Abflauen der Pflanzenliebhaberei durchaus erkennen.327 Um 1789/1790 und 1800 etwa herrscht in den Basler Anzeigen in puncto Pflanzen noch eindeutig der Nahrungsmittelbereich vor. Besonders in den Frühjahrsmonaten werden beispielsweise die Setzlinge von den Gärtnern angezeigt. Blumen oder Ziergewächse tauchen zwar auf, aber nur am Rande. Im Vordergrund stehen Saatgut, junge Obstbäume oder Ernteprodukte. So heißt es etwa: „Blumenköhl= Rübköhl= und andere Setzling, nebst wohlriechenden holländischen Blumen, sind in der Aeschenvorstadt im Hunkely des Hirschgäßleins zu haben“.328 Ähnliche Anzeigen sind unschwer zu finden.329 326 Zum Basler Avisblättlein siehe: Janner, Sara: „Allerhand Nachrichten. Das Avis-­Blättlein als Quelle zur Stadtgeschichte: Annoncen in den ‚Wöchentlichen Nachrichten aus dem Bericht-­Haus zu Basel‘ ­zwischen 1770 und 1810“, in: Freunde des Klingentalmuseums, Jahresbericht 2014, Basel 2014, S. 51 – 60. 327 Die hier in Zehnjahresschritten konsultierten Jahrgänge des wöchentlich erscheinenden Blattes beziehen sich auf die Jahrgänge 1788/1789, 1799/1800, 1810/1811, 1819/1820; 1829/1830, 1840. 328 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1788, im Dreyzehnten Stück, Donnerstag, den 27. März 1788, Anzeige Nr. 5, S. 115. 329 Oder 1810 heißt es: „Caillat, Gärtner in No. 751 am Leonhardsgraben, offerirt den Liebhabern der Gärtnerey, w ­ elche ihn mit ihrem Zutrauen beehren werden, von den besten Obst=Bäumen, hochstämmig, halbhochstämmig, Pyramiden, Zwergbäume, Spalier; von allen Sorten schattigte Bäume und fremde Gewächse für ins freye Land; auch ist er versehen mit der besten Qualität aller Sorten Gemüs=Sämereyen, von frühster und bester Art Käfer= und Ausmach=Mues, véritable Ulmer Spargeln=Wurzeln, 2= und 3jährige und gute Setz=Zwiebeln; alles in billigsten Preißen.“ (Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, im Zehnten Stück, Donnerstag, den 8. März 1810, Anzeige Nr. 50, S. 62.)

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Zunahme der Stubengärtnerei und Blumisterei Die Angebote an Gewächsen für den Haus- und Küchengarten verschwinden zwar ebenso wenig wie die von Gärtnern für Sämlinge oder die angebotenen Erzeugnisse an Kartoffeln, Spargeln, Radieschen und Ähnlichem, aber nach der Jahrhundertwende nehmen die Anzeigen zu Zimmer-, Zier- und Topfpflanzen rapide zu. So wird im März 1810 angezeigt: „Beym Gärtner Gysin in Herrn Petersins Garten zu St. Elisabethen, sind alle Sorten Kacheln=Pflanzen (Topfpflanzen, A. d. V.), darunter dato blühende sind; wie auch Blumen zu Mayen um billige Preiße zu haben.“330 Granatapfelbäume gibt es nun ebenso wie Oleander, Lorbeer- oder Myrtenbäume 331 und auch auf die mögliche Besichtigung von Novitäten wird verwiesen: „Beym Gärtner Fürbringer in klein Basel, sind nebst seinen schönen Pflanzen, auch folgende hier noch nicht gesehene sehr schöne dito in der Flor zu sehen, als: Dahlia pupurea und cocinea; kein Pflanzenfreund wird es bereuen, solche ­­ gesehen zu haben; auch sind schöne gefüllte Hyacinthen, das Dutzend für 25 Btz., und das Hundert für ein Louisd’or wie auch allerhand andere Sorten, um billigen Preiß zu haben.“332 Derartige Anzeigen werden sodann über mehrere Wochen im Anzeigenblatt wiederholt. Dabei sind es nicht nur Handelsgärtner, die die Pflanzen anbieten, sondern auch Privatleute: „In der No. 777 auf dem hintern Bach sind schöne Marquottes, gefüllte Violny, Craneum und andere Pflanzen zu haben.“333 Ratgeberliteratur und Pflanzenmarkt Die Verschränkung von Ratgeberliteratur und städtischem Alltagshandeln zeigt sich in einem extra eingehefteten Anzeigenblatt von 1810, das sich an die Blumisten, Botanophilen und Pflanzenliebhaber aller Art wendet. Hier wird das Erscheinen des Bouché’schen Ratgebers für „Zimmer- und Fenstergärtner“ angezeigt: „Anzeige für Blumen= und Pflanzenliebhaber. So eben ist erschienen und für 13 ½ Batzen in allen Buchhandlungen in Carton brochirt zu haben: Der Zimmer= und Fenstergärtner“334 (Abb. 11). Im Kommentar dazu heißt es: „Der Herr Verfasser der hier angezeigten vortrefflichen 330 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, im Zehnten Stück, Donners­ tag, den 8. März 1810, Anzeige Nr. 31, S. 61. 331 Z. B. Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, im Ein und dreyßigsten Stück, Donnerstag, den 2. Augstm. 1810, Anzeige Nr. 62, S. 212. 332 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, im Acht und dreyßigsten Stück, Donnerstag, den 20ten Herbstm. (Gemeint ist September, A. d. V.) 1810, Anzeige Nr. 9, S. 257. 333 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, im Neun und dreyßigsten Stück, Donnerstag, den 27ten Herbstmon. (Gemeint ist September, A. d. V.) 1810, Anzeige Nr. 28, S. 263. 334 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, angehängt an das 29. Stück vom 19. Heumon. (August, A. d. V.) 1810, S. 204 f.

Alltagsspuren der Blumisterei und Stubengärtnerei  | Abb. 11  Werbeblatt für den „Stubengärtner“ von Bouché

Schrift, fand sich daher oft im Fall, von einer Menge von Personen über diesen Gegenstand berathen zu werden. Um nun diesen sowohl als auswärtigen Anfragen Genüge leisten zu können, wurde diese Anweisung aufgesetzt, die allen Liebhabern der Blumen sowohl als der Gewächskunde überhaupt, eines der willkommensten Geschenke seyn muss, indes bis jetzt wenig zuverlässige Werke von dieser Gattung vorhanden sind. Ueber alles was auf die besondere Cultur der Pflanzen selbst sowohl, als auf die Behandlung der zu jedem Gewächse gehörigen Erde nur den mindesten Bezug hat, wird man in ­diesem Buche äusserst zweckmässige und auf Erfahrung gegründete Regeln, in möglichster Kürze aufgestellt finden.“335 In den Anzeigen tauchen nun auch ganz allgemein vielfältige Ratgeber zur Gärtnerei, Wintergärtnerei und Blumengärtnerei auf. Das Angebot an Pflanzenhandbüchern

335 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, angehängt an das 29. Stück vom 19. Heumon. (August, A. d. V.) 1810, S. 204 f.

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innerhalb der angebotenen Bücher ist immens.336 Man trifft auf die bekannten Namen – etwa Der Wintergärtner von Dietrich usw. Auch fliegende Händler werden angekündigt. So heißt es 1810: „Die Gebrüder ­Häußler aus Harlem in Holland, sind hier angekommen mit einem Sortiment extra schöner Blumenzwiebeln, nemlich: Hyacinthen, aller Sorten doppelte und einfache Taceten, Jonquillen, Narcissen, Ranunkel, Tilipanen und aller Sorten Iris etc. wie auch etwas Blumenköhl= und rothes Kraut=Saamen, um billigen Preiß; logiren in No. 1138 in der Weissengaß, bey Jakob Gaß.“337 Die Leserschaft der städtischen Marktblätter konnte sich so schnell informieren, wo entsprechende Pflanzen zu erwerben waren. Blühender Pflanzenmarkt Um 1819/20 ist dieser Blumenmarkt etabliert. Die Anzeigen häufen sich, das Angebot wird immer differenzierter und richtet sich teilweise auch explizit auf die Zimmer- und Fenster­ gärtnerei aus. Die Gärtnerfamilie Fürbringer etwa zeigt an: „Bey Gärtner Fürbringer, Vater, No. 916 zu St Elisabethen, ist ein schöner Nelkenflor zu sehen; auch sind blühende Agapanthus und geranium tricolor & c. um billigen Preis zu haben; für diejenigen, die ihre Fenster und Stellagen wohlfeil garnieren möchten ist eine Parthie schöne blühende Pflanzen besonders aufgestellt, wovon man immer 6 Stück á 20 Batzen u. einzeln à 4 Btz. das Stück auslesen kann.“338 Johann Adam Gaß, vermutlich der Sohn des Gärtners Jakob Gaß, nennt sich selbst nun „Blumist“ und schaltet für das Avisblättlein ungewöhnlich lange Anzeigen. So schreibt er etwa: „Unterschriebener benachrichtigt mit ­diesem die verehrungswürdigen Blumen=Liebhaber, daß die im letzten Avis-­Blatt avertirten Harlemer Blumen=Zwiebeln, Wurzeln und Knollen bestens angekommen sind, und um nachbemerkte Preise abgegeben werden können: Gefüllte und einfache Hyacinthen mit Namen und Farben beschrieben, 7 à 9 Btz. das Stück, ohne Namen gefüllte und einfache rothe, weisse und blaue, à 5 Btz. 5 Rp.; frühe, späte und gefüllte Tulipanen in auserlesenen schönen Rummel, à 1 Btz. 5 Rp.; einfache u. gefüllte Tulipanen Duc van thol, 1 Btz. 5 Rp. á 2 Btz 5 Rp. Gefüllte Tulipanen, Couronne imperiale, à 5 Btz. 5 Rp.; Paraguay-­Tulpen in recht schönen Sorten im Rummel. 2 Btz. Tazetten, Grand-­Morarque, à 6 Btz. Grand Pimo à 5 Btz. Grand Soleil d’or. à 4 Btz.: ganz gelbe und weisse à 4 Btz. Iris Hispanica, Anglica und Persica, 2 à 3 Btz. Fritillarien 336 Ein Beispiel: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1811, Achtes Stück, Donnerstags den 21. Hornung 1811, S. 51, Anzeige 1. Dies gilt sowohl für die Anzeigen im Avisblättlein wie für die eingelegten Angebotsblätter der Buchhandlungen. 337 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1810, Sieben und vierzigstes Stück, Donnerstags den 22ten Winterm. (November, A. d. V.) 1810, S. 327, Anzeige 1. 338 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1819, Sieben und zwanzigstes Stück, Donnerstags den 8ten Heum. (August, A. d. V.) 1819, S. 231, Nr. 19.

Alltagsspuren der Blumisterei und Stubengärtnerei  |

in recht schönen Sorten, à 2 Btz. Couronna imperialis, verschiedene recht schöne Sorten 7 à 10 Btz. Lihum Mortagon, à 6 Btz. Iris susima, à 10 Btz. (…)“ und so weiter und so fort.339 Die Anzeige erstreckt sich über mehrere Spalten. Am Schluss endet er: „(…) Joh. Adam Gaß, Blumist St. Albanvorst. No. 1273.“ Basel hat zu dieser Zeit mindestens vier Gärtner beziehungsweise Blumisten in der Stadt, die entsprechende Blütenpflanzen vertreiben. Lokalhistorische Geschichtsbücher erwähnen für Basel insbesondere den „Aurikeli-­Schneider“340 und generell die Vorliebe der Schweizer für die Aurikeln (Primeln).341 Schneider, im Hauptberuf Münsterorganist, war wohl ein weithin bekannter Aurikelzüchter. (Jochen Wiede bezeichnet in seinem Werk zur Basler Gartenkunst die Aurikel als „Armeleuteblume“ des 19. Jahrhunderts, da sie leicht vermehrbar war.342 Auch Jonas David Labram, der bekannte Basler Lithograf, hat vielfach diese Art gezeichnet.343) Nennt sich der Gärtner Gaß nun „Blumist“, so nennt sich der Sohn des Gärtners Fürbringer nun „Handelsgärtner“ und schaltet ebensolche langen Anzeigen.344 Derartige Anzeigen wiederholen sich vielfach, es variiert nur das angebotene Sortiment.345 Auch in den Jahrgängen 1829 und 1830, zehn Jahre später, sind diese Anzeigen zu finden.346 Dabei 339 Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1819, Vierzigstes Stück, Donnerstags den 7ten Weinm. (Oktober, A. d. V.) 1819, S. 324 f, Nr. 41. 340 Kölner, Paul: „Anno Dazumal“, Basler Heimatbuch, Basel 1929, S. 376 f. Laut Kölner war dieser Aurikel-­ Züchter selbst den Hofgärtnern in England, Dänemark oder Russland bekannt. 341 Rieder, Marilise: „Aurikeln, eine verschwundene Gartenmode“, in: Mitteilungen der Schweizerischen Gesellschaft für Gartenkultur = Bulletin de la Société Suisse des Arts du Jardin 9 (1991), S. 4 – 8. http:// dx.doi.org/10.5169/seals-382207, Stand 22. 1. 2015). Zu den Aurikeln gibt es Einzelwerke, die sich nur mit Aurikeln befassen. 342 Wiede, Jochen: Mythos – Mensch – Mode. Gartenkunst und der Umgang mit der Natur in Basel, Privat­druck der Offizin der Basler Zeitung, 1992, S. 46. 343 Rieder, Aurikeln, 1991, S. 6. 344 Z. B.: „Unterzeichneter benachrichtigt seine werthen Gönner und Freunde, daß er noch mit schönen Grasblumen-­Margoten von 50 Sorten, von ­welchen Blätterkarten zur Einsicht abgeholt werden können, versehen ist; auch können die Liebhaber, ­welche bey ihm ausgezeichnet haben, die Ihrigen abholen ­lassen. Ferner hat er schöne Tulipanen-­Zwiebeln in Rommel, à 80 Btz. das 100; Iris, Anglica und Persica, à 2 Btz. das Stück; Amarillis formosissima à 3 Btz. das Stück; Fritillaria imperialis à 3 Btz. das Stück; Lilium martagon à 2 Btz. das Stück. Auch ist er mit allerhand schönen Pyramiden, Freyland=Pflanzen u. Gesträuch in Gärten bestens versehen, und erhaltet nächstens allerhand Obstbäume, welches er alles um billige Preise verkauft. Auch empfiehlt er sich ferner mit neuen Anlagen und Garten=Arbeit, und wird sich immer billig finden lassen. W. Fürbringer, Sohn, Handels=Gärtner, No 10 vor dem Bläsithor.“ in: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1819, Ein und Vierzigstes Stück, Donnerstags den 14ten Weinm. 1819, S. 335, Nr. 20. 345 Weitere Beispiele unter vielen anderen: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1819, Fünftes Stück, Donnerstags den 7. Weinm. 1819, Nr. 41, S. 324 f.; Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1820, Neun und dreissigstes Stück, Donnerstags den 28ten Herbstm. 1820, S. 291, Nr. 15. usw. 346 Etwa: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1829, Sieben und dreissigstes Stück, Donnerstags den 10. Sept. 1829, S. 346, Nr. 25; usw.

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470 |  Die „Stubengärtnerei“: Die Haus- und Zimmerpflanzen der Städter

sind es immer sowohl professionelle Blumisten wie Privatleute, die entsprechende Ware anbieten, wenn auch Privatleute eher kürzere Anzeigen schalten.347 In Basel allerdings scheint die Blumisterei bereits in den 1830er Jahren wieder ­abzuebben. Im Avisblättlein von 1840 finden sich derartige Anzeigen nur noch selten. Dagegen nehmen nun Kleidermode und insbesondere Pelzmode offensichtlich zu: Strickwaren, Tuche, Wolle, Porzellan etc. weisen nun den bürgerlichen Status aus. Auch in Bern oder Zürich drucken städtische Anzeigenblätter um 1800 offensichtlich analoge Anzeigen für Blumenliebhaber.348 Nicht auszuschließen ist dabei, dass die Hochphase der Blumistik von Stadt zu Stadt variierte und die städtische Zimmerflanzen- und Fensterblumenmode nicht unbedingt überall zeitgleich stattfand.

3.4.2 Alltagsspuren der Zimmerpflanzen in der bürgerlichen Briefkultur Aussagen zu Wintergärten, neu erstandenen Pflanzen oder dem Gedeihen von Zimmerpflanzen sind in bürgerlichen Korrespondenzen zwar sehr verstreut und kommen meist gemischt mit weiteren Nachrichten zur Sprache, sie tauchen aber immer wieder auf. In der Korrespondenz Karl Viktors von Bonstetten mit Friederike Brun etwa geht dieser nicht nur auf botanische Exkursionen ein, die er mit Blumenbach gemacht habe, und beschreibt, von wem er neue Samen bekommen habe, ­welche neuen Gemüsesorten oder neuen Alpenpflanzen es gebe,349 sondern erzählt auch, dass er sich einen Wintergarten angelegt habe: „An dem schönen Flusse ist unter dem Hause, das Du kennst, ein grünes Kabinet; (…) wo das Kabinet ist, geht ganz am Strome hin eine schöne lange Terrasse. Da hab’ ich ein Treibhaus gebaut, wo Du im Winter unter grünen Bäumen lesen, schwatzen, spazieren kannst.“350 Auch in Briefwechseln aus der Mitte des 19. Jahrhundert lässt sich die in die Alltags­ kultur übergewechselte Zimmerpflanzenkultur nachvollziehen. Beispielsweise in den Briefwechseln der Familie Grimm sind entsprechende Berichte zu finden.351 So schreibt der 27jährige Dichter, Philologe und Kunstkritiker Herman Friedrich Grimm (1828 – 1901) an seine ­Mutter Dorothea Grimm (1795 – 1867, geborene Wild) am 6. September 1853 347 Z. B. „Zwey Pommeranzen=Bäumlein, 2 Zipreßlein und 1 Myrthlein, ein schönes Blumenstellage mit Verdeck, viele Gartenkacheln und dergleichen, alles Mangel Platzes um billigen Preiß, in No. 1022.“ In: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, auf das Jahr 1830, Ein und dreissigstes Stück, Donnerstags den 5. Aug. 1830, S. 294, Nr. 25. 348 Rieder, Aurikeln, 1991, S. 6. 349 Matthisson, Friedrich von (Hrsg.): Briefe von Karl Viktor von Bonstetten an Friedrike Brun, Erster Theil, Frankfurt a. M. 1829, S. 95; Brief vom 11. Juli 1801. 350 Matthisson, Briefe von Karl Viktor von Bonstetten, Erster Theil, 1829, S. 190; Brief vom 24. Januar 1804. 351 Den Hinweis auf die Korrespondenzen der Geschwister Grimm verdanke ich Heide Wunder.

Alltagsspuren der Blumisterei und Stubengärtnerei  |

neben Nachrichten über befreundete Familien, die gerade fortschreitende Gefahr der Cholera oder die genossene Graupensuppe auch über Pflanzen in der Wohnung: „ (…) die asclepia rankt sich weiter an der wand, und ist schon oben über die mitte des fensters hinaus, ich will ein nägelchen einschlagen sonst hält sie sich nicht mehr in der höhe.“352 Oder an seinen Vater Wilhelm Grimm (1786 – 1859) schreibt er im August 1853: „Arnim’s sind vor 3 tagen abends vorläufig nach Rehme davongefahren. d. Giesel (Gisela von Arnim, die Tochter Bettina von Arnims, A. d. V.) hat mir einen theil ihrer blumen gegeben, und ich daraus ein mythenbäumchen (…) auf den tisch gestellt, wo es in musse seine weissen knöpfe ausbreitet. deine zettel habe ich dir in die stube gelegt (…) dein cactus, den ich einmal verloren glaubte, weil ihm bei offengebliebenem fenster ein platzregen fast alle erde fortgeschwemmt hatte, wächst rasch weiter, die asclepia am fenster im saal noch üppiger, der lorbeerbaum kümmert so hin, ich habe ihm der läuse wegen alle blätter abgeschnitten, nun scheint ihm neue lust zu kommen.“353 Ein Gemälde, das Charlotte Amalie Grimm (1793 – 1833; verheiratete Hassenpflug, eine der Schwestern von Jacob und Wilhelm Grimm) am Fenster in ihrer Stube zeigt, bebildert die in der Korrespondenz auffindbaren Aussagen. Die Pflanzen stehen hier einerseits außerhalb des Fensters auf einem Sims, andererseits in der Stube (Taf. 6).

352 Briefwechsel der Brüder Grimm: Ehrhardt, Holger (Hrsg.): Briefwechsel der Brüder Grimm (einschließlich des Briefwechsels z­ wischen Herman Grimm und Dorothea Grimm, geb. Wild, Kasseler Ausgabe Band I, Kassel / Berlin 1998, hier Brief von Herman Grimm an Dorothea Grimm aus Berlin am 6. 9. 1853, S. 245. 353 Briefwechsel der Brüder Grimm: Ehrhardt, Holger (Hrsg.): Briefwechsel der Brüder Grimm, Band I, Berlin 1998, hier Brief von Herman Grimm an seinen Vater Wilhelm Grimm vom 16. August 1853, S. 241.

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4 Die Pflanze im und am Haus: Das Ineinander von Naturraum und Wohnraum im „städtischen Grün“

Die folgenden Überlegungen weisen teilweise über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus und grenzen an stadtgeschichtliche und architekturgeschichtliche Entwicklungen an, die hier nur angedeutet werden. Ohne auf regionale Varianten eingehen zu können, besteht zunächst ja grundsätzlich das Verbindende des städtischen Wohnens, des Wohnens in der Agglomeration, in der vergleichsweisen Enge in der Stadt und im Fehlen von Gärten und Pflanzen. Dennoch entwickelte sich gerade hieraus eine spezifisch bürgerliche Kultur des „Grünen“, die sich nicht nur darin erschöpfte, dass die Pflanze ins Haus integriert wurde, sondern vielmehr darin, dass Pflanze und Möbelstück, Haus und Garten, Stadt und Natur vielfach inein­ ander übergehen und diese Grenzverschiebungen zum Inbegriff bürgerlicher Wohnkultur werden. Dabei steht im Folgenden nicht das „öffentliche Grün“ der schon erforschten städtischen Parks 354 im Fokus, sondern das „private“ oder vielmehr „halböffentliche“ Grün der bürgerlichen Oberschicht. Das hier gemeinte „Stadtgrün“ findet sich am Haus, im Zwischenbereich von Familie und Gesellschaft. Es wächst z­ wischen den Häusern in Innenhöfen oder es findet sich in Wintergärten als Orten der Geselligkeit und Repräsentation, in „botanischen Zimmern“, oder eben konkret räumlich ­zwischen Haus und Straße auf Fensterbrettern und in am Fenster angebrachten Glaskästen. Nicht zuletzt findet es sich auch am „Stadtrand“: Wer es sich leisten konnte, entkam in den Sommermonaten zu Ende des 18. Jahrhunderts insofern auch ins Grüne, als er, beziehungsweise die Familie, sich in ein Gartenhaus vor der Stadt zurückzog. Allerdings war nicht allen diese sommerliche Flucht aus den frühneuzeitlichen, oft noch in ihrer Bausubstanz aus dem Mittelalter stammenden, engen und dichtbebauten Städten möglich. Weniger gut situierten Stadtbewohnern in der Stadt, beziehungsweise in der Winterzeit, wenn es in einem Gartenhaus zu kalt war, blieb das Fensterbrett, ein Hof, ein Balkon – und eben das Zimmer selbst als Ort, den man versuchte zu begrünen. Reichere Bürger leisteten sich dabei zunehmend hohe Räume und hohe Fenster. 354 Hierzu siehe: Hennebo, Dieter: Entwicklung des Stadtgrüns von der Antike bis in die Zeit des Absolutismus (Geschichte des Stadtgrüns Band 1), 2. Auflage Hannover / Berlin 1979. Sowie: Wiegand, Heinz: Entwicklung des Stadtgrüns in Deutschland z­ wischen 1890 und 1925 (Geschichte des Stadtgrüns Band 2), Berlin / Hannover 1977. Das Thema erfährt in jüngster Zeit wieder Interesse, siehe: Häberlein, Mark und Zink, Robert: Städtische Gartenkulturen im Wandel (Stadt in der Geschichte, Band 40), Ostfildern 2015.

„Pflanzenmöbel“ |

Im Gegensatz zu den kleinen Fenstern der Bauernhäuser, die keinen Platz für Pflanzen im Haus vorsahen, wurde die Pflanze auf dem Fensterbrett zum Ausweis bürgerlicher Wohnkultur. Der Wintergarten als Element des städtischen Hauses wurde besonders in England im 18. Jahrhundert modern. Im deutschsprachigen Raum etablierte er sich im 19. Jahrhundert. Das Aufkommen und die Blütezeit der „Stubengärtner“ als Ratgeber für Zimmerpflanzen steht am Beginn dieser Entwicklung, ebenso aber begleiten die Stubengärtner die stattfindenden Entwicklungen. Dabei lassen sich zunächst Elemente ausfindig machen, die mit den Zimmerpflanzen in Verbindung stehen: Raumaufteilungen, Möbelausstattung oder auch die mit diesen Räumen in Verbindung stehenden bürgerlichen Lebens- und Geselligkeitsformen. Ebenso grenzen diese Entwicklungen aber auch an architekturgeschichtliche Fragen an. Wohnelemente, Raumfragen bis hin zu ö­ ffentlichen „Pflanzenschauhäusern“ verdeutlichen dabei die Integration der Pflanze im Haus und in städtischen Gebäuden. Grenzen von außen und innen werden so verschoben, Haus und Natur greifen ineinander und verbinden sich in neuer Weise. Dies zeigt sich nicht zuletzt in Wohnraumdarstellungen der Zeit, in der sich anschließenden architektonischen Mode des Wintergartens und letztlich in den großen Pflanzenschauhäusern des 19. Jahrhunderts. Die Verschränkung von Natur und Kultur, von Innen und Außen wird so im 19. Jahrhundert ein Signum der bürgerlichen Wohn- und Stadtkultur. Insofern ist vielleicht nicht nur von einer „Verhäuslichung“ der Pflanzen zu sprechen sondern auch von einem Versuch der Aufhebung der Grenzen z­ wischen Außenraum und Innenraum, Naturraum und städtischem Raum.

4.1 „Pflanzenmöbel“: Töpfe, Gestelle, Pflanzentische In Werken zur Wohn- und Architekturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts wird die bürgerliche Vorliebe für das „Wohnen im Grünen“ meist erwähnt, wird aber vorwiegend auf die Gartenhausarchitektur und die sommerliche Stadtflucht bezogen, die Pflanzen im Haus werden meist kaum beachtet.355 Selten werden Zimmerpflanzen (Topfpflanzen, Zimmerlauben, Pflanzengitter) hier in die Überlegungen einbezogen.356 Auf 355 Siehe etwa Benker, Gertrud: Bürgerliches Wohnen. Städtische Wohnkultur in Mitteleuropa von der Gotik bis zum Jugendstil, München 1984. 356 Eine ältere Darstellung der Kulturgeschichte des Wohnens dagegen, verfasst von Edmund Meier-­Oberist, illustriert in seiner Kulturgeschichte des Wohnens (erschienen 1956) die Vollendung bürgerlicher Wohnformen im abendländischen Raum im 19. Jahrhundert sogar explizit mit Zimmerlauben oder an Holzgittern rankenden Efeu- und Klettergewächsen. Meier-­Oberist, Edmund: Kulturgeschichte des Wohnens im abendländischen Raum, Hamburg 1956, bes. Kap. XII, S. 243 – 262, hier S. 254.

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474 |  Die Pflanze im und am Haus

Interieurbildern zur Geschichte des Wohnens oder der bürgerlichen Familie jedoch finden sich die Zimmerpflanzen in erstaunlichem Maß oder gar in überwältigender Fülle, wie etwa in der Darstellung der Familie des Berliner Fabrikanten Wesfal in einem Gemälde von Eduard Gaertner (Taf. 7). Tatsächlich entwickelten sich differenzierte Formen der Vorrichtungen, der „Möbel“ oder „Räume“ für Pflanzen im Laufe des 19. Jahrhunderts und etablierten sich als funda­ mentaler Teil bürgerlicher Wohn- und Konsumkultur. Anders als in Bauernhäusern bedeutete das Zustellen der Fensterbretter hier nun nicht mehr unbedingt einen inakzeptablen Licht- und Wärmeverlust. In hohen, nun lichter gebauten Stadthäusern mit mehr und mehr verbesserten Heizsystemen waren große Fensterflächen gewünscht und prestigeträchtig. Ob möglicherweise sogar von vorneherein so gebaut wurde, dass ein Platz für Pflanzen am Fenster oder für ein „botanisches Zimmer“, einen Wintergarten vorhanden war, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Die für Pflanzen im Haus eingerichteten Orte und Möbel sind erstaunlich vielfältig. Handelt es sich zu Beginn der Zimmerpflanzenkultur noch vorwiegend um die Frage nach Töpfen, Gestellen oder etwa der Lage eines Raumes in Bezug auf die Himmelsrichtungen und damit den Lichteinfall, so setzt im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Differenzierung ein. Vielfältigste Gerätschaften, Vorrichtungen und Raumelemente illustrieren die Ausgestaltung bürgerlicher Zimmerpflanzenkultur. Töpfe Was heute selbstverständlich ist, bedarf zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch der Erklärung: Die Pflanzen im Zimmer werden in Töpfe gesetzt. Die Topfgröße muss hier der Pflanzenart angepasst sein.357 Materialarten, Öffnungen und Formen (Kegelform, Zylinderform etc.) werden angesprochen. Randow (1828), der kegelförmige Töpfe bevorzugt, etwa widmet dem Thema einen längeren Abschnitt und gibt genaue Angaben zu Material: „Die besten Blumentöpfe sind von gewöhnlichem rohen Ton (…). Die Töpfe aus Porzellan sind nicht viel werth (…) denn die dichte Masse hindert das Ausdünsten der Erde zur Seite (…) und die Pflanze kränkelt oder geht wohl gar ein.“358 Verschiedene Varianten finden sich entsprechend auch in Abbildungen des Allgemeinen Teutschen Gartenmagazins.359 Auch Reider und andere Ratgeberautoren geben hier genaueste Anweisungen, wie der Topf der „Vegetationskraft“ der jeweiligen Pflanzen entsprechen muss, und bespricht notwendige Gerätschaften wie Trichter, Glasglocken, Gießkannen, Scheren, Messer etc.360 357 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 9 f. 358 Randow, Rathgeber für Stubengärtner, 1828, S. 12 f. 359 Allgemeines Teutsches Garten=Magazin oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des praktischen Gartenwesens, Weimar 1804 ff, hier Jahrgang 4, VIII. Stück (1807), Tafel 22, Tafeln anschließend an S. 353 ff. 360 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 8 ff.

„Pflanzenmöbel“ |

Fensterbretter, Gesimse und Glaskästen Das Fenster wird nun als Ort der Pflanzen und als Schnittstelle von Innen und Außen zentral. Auch kunstgeschichtlich wird es im 19. Jahrhundert zu einem immer wieder aufgegriffenen Motiv, nicht zuletzt in der Darstellung des zur Landschaft – zur Natur – hin offenen Fensters. Nicht selten strukturieren dabei die auf dem Fensterbrett arrangierten Blumentöpfe die Gemälde des 19. Jahrhunderts.361 Insbesondere die Aussicht aus dem Fenster mit den auf dem Fensterbrett stehenden Blumentöpfen wird zum Topos bürgerlicher Wohnidylle, wo, aus einem Innenraum heraus, der Blick in die Ferne schweifen kann.362 Martinus Christian Wesseltoft Rørbye hat dies in seiner Aussicht von der Wohnung des Künstlers 1825 ins Bild gesetzt (Taf. 8). Die kulturgeschichtliche Bedeutung des Fensters 363 als Übergangselement von Innen und Außen in der städtischen Architektur des 19. Jahrhunderts ist allerdings vielschichtig und kann hier nicht umfassend weiterverfolgt werden. Sogenannte „Gartensäle“ beispielsweise staffierte man mit Gemälden aus, die den fiktiven Ausblick auf eine Landschaft suggerierten, oder man bemalte Wände mit Palmen und mächtigen Bäumen, um im Innenraum ein Abbild der freien Natur entstehen zu lassen. In den nun mit Heizröhren versehenen Stadthäusern war das Fenster jedenfalls nun nicht mehr nur Ort des Lichteinfalls oder drohendes Einfallstor für Kälte und Feuchtigkeit, sondern zentrales Element großbürgerlichen Bauens und großbürgerlicher Repräsentation. Der Stadtbürger dieser Zeit bevorzugte nicht nur hohe, große Fenster, sondern umgab diese auch mit Vorhängen aus Luxusstoffen aller Art.364 Großflächige Verglasungen durch die Herstellung rechteckiger Glastafeln waren produktionstechnisch zwar schon seit dem 17. Jahrhundert möglich, wurden aber aufgrund der zunächst hohen Materialkosten flächendeckend erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts üblich.365 Dekorationselemente (Gesimse, Ornamente, Rahmungen) treten im Laufe des 18. Jahrhunderts verstärkt 361 Kulturgeschichtlich sowohl gebäudetechnisch die Fensterarchitektur wie auch Fenstersymbolik für das frühe 19. Jahrhundert – insbesondere die Romantik – auszuloten, dem Fenster seinen konkreten historischen Platz zuzuweisen, ohne andererseits auch überzeitlich existierende Symboliken zu vernachlässigen, ist bisher nur ansatzweise erfolgt. Einen Versuch in dieser Richtung findet sich in: Selbmann, Rolf: Eine Kulturgeschichte des Fensters von der Antike bis zur Moderne, Berlin 2010. Hier sind insbesondere die zahlreichen Abbildungen sehr aufschlussreich. 362 Siehe: Selbmann, Rolf: Eine Kulturgeschichte des Fensters von der Antike bis zur Moderne, Berlin 2010, S. 34 f. 363 Das Fenster stellt kunstgeschichtlich ein in allen Epochen auftauchendes Motiv dar, insbesondere im 19. Jahrhundert wird es aber zum zentralen Motiv in Kunst und Literatur, nicht zuletzt auch die Darstellung des zur Landschaft hin offenen Fensters, wobei nicht selten im Vordergrund die auf dem Fenster­ brett arrangierten Blumentöpfe die Gemälde strukturieren. 364 Meier-­Oberist, Kulturgeschichte des Wohnens, 1956, S. 225. 365 Giess, Harald: Fensterarchitektur und Fensterkonstruktion in Bayern ­zwischen 1780 und 1910, München 1990, S. 118 ff.

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476 |  Die Pflanze im und am Haus

hinzu.366 Gleichzeitig verliert das Fenster offensichtlich in den breiteren Straßenzügen und Alleen der Villenarchitektur des 19. Jahrhunderts (im Vergleich zu spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Straßenarchitektur) weitgehend seine Funktion als Ort sozialer Kommunikation.367 Während „Fensterbänke“ – etwa in mittelalterlichen Burgen oder auch in Bauernstuben mit kleinen Fenstern – dazu dienten, Sitzmöglichkeiten am spärlichen Licht zu ermöglichen, dienten die für die Pflanzen anzubringenden „Fensterbretter“ der großflächigen Fenster des Bürgerhauses nun als Standort der Pflanzen. Fensterbretter und „Gesimse“ konnten dabei sowohl außen an der Hauswand angebracht sein wie auch im Innenraum am unteren Fensterrand. Meist wird daher von den Pflanzen „in der Stube und vor dem Fenster“368 gesprochen, da man je nach Witterung die Pflanzen draußen, vor dem Fenster, oder drinnen im Zimmer platzieren konnte. „Fensterbretter“ im Innenraum scheinen dabei bis ins 19. Jahrhundert noch nicht generell üblich zu sein, denn laut Reider muss man sie extra anfertigen lassen: „Im Zimmer werden die Fenster mit breiten Gesimsen versehen, damit man hierauf Töpfe stellen kann. Man lässt diese Gesimse ganz eben, und zwar wenigstens Schuh breit machen, worauf die Pflanzen ganz im Licht stehen können.“369 Ebenso spricht Reider von Fensterbrettern, die außen angebracht werden: „Sehr zweckmäßig sind vor den Fenstern besondere Blumenbretter, ­welche man äußerst elegant herstellen lassen kann. Man soll dieselben niemals unter 1 ½ Schuh Breite anfertigen lassen, aber auch so, daß sie auf beiden Seiten wenigstens Schuh lang über das Fenster hinausreichen. Dieselben müssen wenigstens 2 Reihen großer Töpfe hintereinander stellen lassen. Der Rand muß aber stets ¾ Theil so hoch, als ein Topf seyn, damit keine hohe Pflanze darüber hinabfallen kann, wenn sie auch von dem Winde umgeworfen würde.“370 Vielfach wird auch die Anbringung eines Glaskastens am Fenster angeraten. Hier wird – vermutlich aus Raumgründen und Fragen der Lichtzufuhr – die Anbringung außen bevorzugt, wenn auch gelegentlich Glaskästen im Innenraum ebenso besprochen werden. Insbesondere Bouché scheint hier stilbildend zu sein, da sich andere Ratgeber auf die Bouché’sche Methode beziehen.371 Bouché schreibt: „Ein solches Glashäuschen muß ganz aus Glasfenstern bestehen, ausgenommen der Boden, dieser muß doppelt und aus starken Brettern gearbeitet seyn, (…). Die Höhe des Glashäuschens ist willkührlich, 366 Giess, Fensterarchitektur, 1990, S. 12 ff. 367 Zur frühneuzeitlichen Verortung siehe etwa: Jütte, Daniel: „Das Fenster als Ort sozialer Interaktion. Zu einer Alltagsgeschichte des Hauses im vormodernen Europa“, in: Eibach / Schmidt-­Voges, Haus in der Geschichte Europas, 2015, S. 467 – 483. 368 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 1. 369 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 1 f. 370 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 5. 371 Z. B. Liliencron, Anweisung Gewächse ohne Kosten in Zimmern und Fenstern zu ziehen , ca. 1820, S. 60 ff.

„Pflanzenmöbel“ |

oft richtet sie sich auch nach der Höhe des Fensters, an welchem es angebracht ist. Die Tiefe muß zwei Fuß, oder doch nicht viel mehr betragen, weil sonst bei starker Kälte die aus dem Zimmer in dasselbe einströmende Wärme, nicht zureichend ist, um es gehörig zu erwärmen und gegen das Eindringen des Frostes von außen zu schützen. Während des Winters ist es nöthig, ein solches Glashäuschen die Nacht hindurch, nicht blos von allen Seiten, sondern auch oben mit Decken, Matten oder Laden zu bedecken.“372 Durch den vor dem Fenster angebrachten Glaskasten wird so der genutzte Raum nach außen hin erweitert. Die „Zimmerpflanzen“ existieren somit in einem Zwischenraum ­zwischen Innen und Außen und verbinden beide Bereiche. Allerdings ist für derartige Maßnahmen ein gewisser Wohlstand vonnöten: „Dass man nur sein eigenthümliches Haus zur Stubengärtnerei verwenden kann, versteht sich von selbst“, schreibt Reider.373 Glaskästen sind so kleinste Wintergärten, wie Liliencron schreibt: „Mittelst ­dieses Glashäuschens werden Blumen= und Pflanzenliebhaber im Stande seyn, das im Kleinen zu leisten, wozu Besitzer von Gärten und Treibhäusern im Großen allein im Stand sind.“374 Dass sich die Mode der Fenstergärtnerei gegen Jahrhundermitte ebenso in den anderen westeuropäischen Ländern wiederfindet, lässt sich dabei nicht nur an den Übersetzungen entsprechender Werke aus und in verschiedenen Sprachen ablesen, sondern wird in Artikeln aus Architekturzeitschriften bestätigt. In einer französischen Architekturzeitschrift etwa heißt es: „En Belgique, en Hollande, en Angleterre et dans plusieurs parties de l’Allemagne, l’étranger qui parcourt les rues des grandes villes n’a qu’à regarder aux fenetres pour faire un cours complet de floriculture .“375 Gestelle, Pflanzentische, Pflanzensessel Die frühen Stubengärtner-­Ratgeber bis in die 1830er Jahre beschreiben die im Zimmer angebrachten oder aufgestellten Vorrichtungen für die Pflanzen noch in eher nüchterner Weise. Bei Bouché finden „Pflanzenmöbel“ noch kaum Erwähnung, bei Poscharsky heißt es lapidar: „Man lässt für die Blumen, die man des Winters in Stuben zieht, Stellagen an den Fenstern zurechte machen.“376 Reider erläutert: „Dann muss man passende Stellagen sich anfertigen lassen, um die Töpfe in der Art darauf zu stellen, dass keine Pflanze der andern das Licht entziehet. Hierzu passen nur hohe Stufen, ­welche bis herab auf den Fußboden gehen, und bis zur Hälfte des Fensters reichen. Man muß eine kleinere 372 373 374 375

Bouché, Zimmer= und Fenstergarten, 6. Auflage 1833. Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 10. Liliencron, Anweisung Gewächse ohne Kosten in Zimmern und Fenstern zu ziehen, ca. 1820, S. 61 f. Siehe etwa: In: Revue générale de l’Architecture et des travaux publics (ed. par César Daly), Vol 13 (1855), Sp. 22 ff. Hier in einem Brief an den Herausgeber. Der Hinweis auf diese Zeitschrift ist aus Koppelkamm entnommen. 376 Poscharsky, Der Stuben=Gärtner, 1810, S. 5.

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Stellage im Wohnzimmer, und eine große im Winterungsorte haben.“377 Um den Pflanzen immer genügend Licht zukommen zu lassen, „muß man die Stellage mit kleinen Rädern versehen (…) um in solcher Art die ganze Stellage sammt den Töpfen bald gegen das Fenster gegen Mittag, bald an jenes gegen Morgen oder Abend hinschieben zu können.“378 Allerdings muss die ­„Stellage“ auch so sein, dass alle Pflanzen Luftzug erhalten, Luft und Sonne müssen auch auf die Erde in den Töpfen fallen usw. Hier ist noch zweifelsohne das Gedeihen der Pflanze, die Zufuhr des ihr notwendige Lichtes und der Frischluft handlungsleitend. Je nach Tageszeit wird ­dieses Gestell an ein anderes Fenster geschoben, um der Pflanze möglichst gute Wachstumsbedingungen zu bieten. Solche auch „Blumenstände“ genannten Vorrichtungen werden auch in Garten­ zeitungen erwähnt, etwa im Allgemeinen Teutschen Garten=Magazin von 1807: „Die Damen lieben sehr, Blumen und wohlriechende Pflanzen in ihren Zimmern zu haben; sind aber oft in Verlegenheit wo sie dieselben hinsetzen sollen, daß sie die Tische und andere Meubles nicht verderben; und die Fenster nicht versperren; denn die Pflanze will Licht und Luft haben, wenn sie im Zimmer, im Schatten und bei eingeschlossener Luft nicht bald verderben soll. Dazu nun dient der (…) leichte Blumenstand (…) welcher oben und unten 6 Blumentöpfe, w ­ elche in Untersetznäpfen stehen, tragen kann. Er ist leicht von Holz gearbeitet, und weiß mit Oelfarbe angestrichen. Man kann ihn leicht bewegen, mit den Gewächsen forttragen, an das Fenster setzen, und aus mehreren solchen Blumenständen in einem Zimmer, Saale oder Gallerie einen ganzen Zimmergarten bilden.“379 Reider kennt aber auch schon den „Pflanzentisch“, der noch stärker das dekorative Element berücksichtigt: „Solche Tische werden in das Fenster gegen Mittag oder Morgen eingepaßt, haben aber kein Tischblatt, sondern einen Boden, der so tief ist, als die Töpfe sind, und eine Einfassung. Hierein werden die Töpfe z­ wischen frisches, recht grünes Moos eingestellt, und die ganze Oberfläche mit dem nemlichen Moose bedeckt, so, daß man glaubt, die Pflanzen kommen aus dem Moos hervor.“380 Der Blumentisch eigne sich nur für gleich hohe Pflanzen wie etwa Tulpen, Ranunkeln, Hyazinthen usw., dann aber gewähre er einen schönen Anblick: „Man denke sich die außerordentliche Pracht, so 24 Arten Hyacinthe, oder Tulpen, oder Aurikeln, jeden Augenblick in der z­ ierlichsten Stellung übersehen zu können! Muß nicht eine ­­solche Pracht das mit den schönsten Meubles ausgestattete Prunkzimmer noch viel angenehmer machen? Der Blumenfreund sorgt, daß er unausgesetzt den so eingerichteten Tisch von glänzendem Mahagoniholz mit goldnem altdeutschen Gestell voll der schönsten Blumen hat. Im Januar stehen hier Amaryllisarten, im Februar Aurikeln, im März Hyacinthen, im April Tulpen, im Mai Monatsrosen, im Juni Levkojen, 377 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 1. 378 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 2. 379 F. J. B.: „Der Blumenstand“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 4, 7. Stück (Juli 1807), S. 264 (mit Abbildung). 380 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 2 f.

„Pflanzenmöbel“ |

im August Balsaminen, im September Astern, im October Monatsrosen, im November Crocus und Zeitlosen, im Dezember Ranunkeln.“381 Bei derartige „Pflanzenmöbeln“ und Vorrichtungen gehen Möbelstück und Pflanzenelement sehr eindrücklich ineinander über. Übergang zum überwiegend dekorativen Charakter der „Pflanzenmöbel“ In den Anfängen sind zum Beispiel die verschiedenen Glasglocken, „Käfige“ oder Schirme zunächst für exotische Pflanzen entworfen und stellen weitgehend am Zweck orientierte Schutzvorrichtungen für Pflanzen dar. So beschreibt etwa Thouin im Gartenmagazin 1809 neue Erfindungen derartiger Gerätschaften: Sonnenschirme für die Pflanzen aus Korbgeflecht oder Blech, bewegliche Glaskästen, Gitterwerke, Kübel usw. Diese hier abgebildeten Hilfsmittel kurz nach der Jahrhundertwende sind aber noch eher praktischer Natur.382 Die im Allgmeinen Teutschen Gartenmagazin abgebildeten Schutzvorrichtungen erinnern uns heute tatsächlich eher an Käfige (Abb. 12a und 12b). Die im Laufe des 19. Jahrhunderts entworfenen Ampeln, Hängegärten, Möbel oder Wasserbecken dagegen sind mehr als Einrichtungsgegenstände des ins Haus verlegten Gartens zu verstehen. An den zur Zimmerpflanzenkultur zugehörigen Gegenständen lässt sich so die Wende zum dekorativen Charakter der Zimmerpflanzenzucht gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ablesen. Biedenfeld, 1853, spricht nicht mehr nur von Blumenbrettern oder Blumengestellen, Tischen oder Glaskästen, sondern ebenso von „sehr nahe hängende Ampeln, in sehr hellen Zimmern auf Consolen, Säulen, Gestelle für Vasen und Töpfe an den Pfeilern ­zwischen den Fenstern, in von zwei Seiten Tageslicht empfangenden Zimmern auch Tische, Rundgestelle, etc. in der Mitte des Zimmers.“383 Den Blumentisch gibt es nun in verschiedensten Varianten mit Vertiefungen, Moosbett, Wasserleitungen, Glasglocken oder Ähnlichem.384 381 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 3. 382 Thouin, A. (zu Paris): „Beschreibung und Anwendung mehrerer Geräthschaften neuer Erfindung zur Wartung einer großen Menge Pflanzen in den botanischen Gärten“, in: Allgemeines Teutsches Garten=​ Magazin, Jahrgang 6, 10. Stück (Oktober 1809), Tafeln anschließend an S. 420, Tafeln 41 und 42. 383 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 8 f. 384 „Der Blumentisch: ein Tisch von jeder beliebigen Größe und Form, an sich ganz wohlfeil und einfach oder mit allen Raffinements des Luxus als Prunkmöbel versehen, wie es eben Jeder haben will und kann. Seine Einrichtung für Aufnahme und Beherbergung von Topfpflanzen bleibt in allen Fällen sehr einfach folgende: Die Tischplatte hat innerhalb ihres Randes eine Vertiefung von zwei bis drei Zoll, mit hochrandigem gut verzinnten Blech oder Zink belegt; im Mittelpunkt liegt ­dieses etwas tiefer und hat eine kleine Oeffnung, durch ­welche eine Blechröhre in ein unter dem Tisch hängendes Gefäß leitet, damit alles aus den Töpfen abträufelnde Wasser ablaufen und in d ­ iesem Gefäße sich sammeln könne, ohne den Fußboden zu beschmutzen. Die Blumentöpfe darauf werden durch ein Lager von grünem Moos möglichst unsichtbar gemacht und das Ganze mit einer möglichst großen Glocke von weißem Glas bedeckt, worunter die Pflanzen an Licht nichts verlieren, von der winterlichen Ofenwärme nicht unmittel­bar betroffen werden, und frei bleiben von aller Berührung mit Staub, Dunst, Rauch.“ ­(Biedenfeld, ­Blumen im Zimmer, 1853, S. 46.)

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480 |  Die Pflanze im und am Haus

Abb. 12a und 12b  „Pflanzenkäfige“

Dass sich hier in der weitgehend repräsentativen Funktion der Pflanzen und Pflanzenmöbel bürgerliche Oberschichtskultur und adlige Kultur im 19. Jahrhundert einander annähern, zeigt die Einrichtung auch adliger Wohnsitze mit entsprechenden „Blumenmöbeln“. Ursula zu Dohna etwa beschreibt beflanzte Nachttische in adligen Häusern, Jardinieren, Blumentische und sogar Schreibtische mit Metalleinsätzen über den Tischbeinen für die Aufnahme von Zimmerpflanzen oder Schreibtischstühle mit nach oben geschwungenen Füllhörnern, in ­welche man Topfpflanzen setzte.385 Gesamtkunstwerke: die Verschränkung von Kunst und Natur „Bei dem Aufstellen der Topfpflanzen muss man stets danach trachten, die Blumen nach Uebereinstimmung von Gestalt, Grösse, Farbe und Zeichnung anzureihen, und nur da Kontraste anzubringen, wo die Verbindung aufhört. Um Blumen geschmackvoll zu ordnen, müssen nur g­ leiche Verhältnisse aneinander gereihet werden, somit auch g­ leiche Farben, damit nur eine Farbe allmählig in die andere übergehe, daher macht nur die dunkelste oder die hellste, oder die einfachste den Schlußstein.“386 Die Stubengärtner geben, wie hier Reider, zunehmend Ratschläge, wie das Gesamtkunstwerk des „Zimmergartens“ 385 Dohna, Ursula zu: „Blumenmöbel der Zeit um 1800“, in: Schmidt, Erika; Hansmann, Wilfried und Gamer, Jörg: Garten – Kunst – Geschichte, Worms 1994, S. 113 – 115. 386 Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 4.

Verschränkungen von Innenraum und Außenraum  |

gestaltet werden kann. Das Ensemble muss mit der Wohnungseinrichtung harmonieren: „Im Wohnzimmer muss diese Stellage niedriger, aber auch eleganter seyn (…). Man muss die Grösse und Gestalt derselben nur allein nach der Einrichtung des Zimmers ermessen (…).“387 Auch nach der Größe der Pflanzen wird sortiert: „Man stelle allemal hohe Pflanzen in die Mitte des Fensters, und immer kleinere neben an, jedoch so, dass die Kleinsten in die Ecken, nicht in zu grossem Kontraste zu dem mittelsten Stock zu stehen kommen. Oder man kann auch die kleinste Pflanze in die Mitte des Fensters stellen. So müssen die zunächststehenden immer etwas höher und einander gleich seyn, dass so die Blüten eine wellenartige Linie, oder Band bilden. (…) z. B. in der Mitte eine Amaryllis, dann auf beiden Seiten Lack, oder Winterlevkojen, in den beiden Ecken ­Rhododendron ponticum etc.“388 In jeder Hinsicht „muß man jede Pflanze so aufstellen, daß sie den erwünschten Effekt macht“389. Daher stellt man große Blumen eher weiter oben oder in entfernten Zimmerteilen auf, duftintensive dort, wo man ihren Wohlgeruch erleben kann, schön gezeichnete so, dass genug Licht auf sie fällt usw. Pflanzen werden auch regelrecht als Raumteiler und Element der Möblierung verwendet, etwa in Form von Zimmerlauben oder efeuüberwachsenen Gittern, die Teile des Wohnraumes abgrenzten. Die Pflanze wird so Teil des Möbelstückes, der Wand oder des Wandschirmes – eine von der Kultur überformte Natur, eine künstliche Natur.

4.2 Verschränkungen von Innenraum und Außenraum In vielen Fällen sind auch Gartengebäude und Wohngebäude nicht zu unterscheiden. Innenraum und Außenraum gehen ineinander über. Die Natur existiert dabei jetzt im menschlichen Wohnraum ebenso, wie der Mensch im Naturraum „wohnt“. Die bürgerliche Vorliebe für das Grüne manifestiert sich so auch in der Gartenhausarchitektur, die sich im 19. Jahrhundert nicht nur in Adel und reichster Schicht etwa des Handels- und Fabrikantenbürgertums ausbreitet, sondern zunehmend auch in oberen bis mittleren Schichten des Bürgertums der Hansestädte oder wachsenden Städte in Süddeutschland, der Schweiz und Österreichs. Die Architekturgeschichte hat sich hier meist mit einzelnen Städten oder berühmten Personen befasst, etwa mit Schiller und Goethe.390 Im 19. Jahrhundert, oft verbunden mit der Schleifung der Stadtmauern, w ­ urden diese Gartenhäuser ein Teil der Stadt und zum Modell der Stadtrandvilla. Das zur Goethezeit 387 388 389 390

Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 1. Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 4. Reider, Der vollkommene Stubengärtner, 2. Auflage 1838, S. 4. Siehe z. B. Museum für Hamburgische Geschichte (Hrsg.): Gärten, Landhäuser und Villen des hamburgischen Bügertums (…), Hamburg 1975; Rödel, Wolfgang: Goethes Gartenhaus in Weimar, Weimar 1956. Siehe auch Polianski, Die Kunst die Natur vorzustellen, 2004.

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vor der Stadt errichtete Gartenhaus avancierte gegen Ende des 18. Jahrhunderts für reiche bürgerliche Schichten zu einem zentralen Ort für familiäre und bürger­liche Geselligkeit.391 Goethe etwa erwarb einen Garten außerhalb Weimars, ­Schiller vor den Toren Jenas. Aber nicht nur Literaten, auch Kaufleute, Pfarrer, Lehrer und Beamte zog es im Sommer aus dem inneren Ring der Stadt. Schon Lupin Freiherr von Illerfeld beschrieb in seiner gartenhistorischen Schrift von 1820, Die Gärten – ein Wort seiner Zeit, diese bürgerliche Entwicklung: „Bald wurden die Städte mit Außenwerken ländlichen Lebens, unter der Firma ‚Gartenhäuser und Gärten‘, umlagert. Dahinein trug der kleine Bürger der Stadt spät Abends die Sorgen des Tages und seine Kinder: jene zu zerstreuen, diese zu erfrischen in ländlicher Luft. Der eine pflanzte hier für des Hauses Bedarf den eignen Kohl, und der Pflanzen nutzbare Art, eine anderer den fruchttragenden Baum für Kinder und Enkel, auch wohl Blumen, dem Weibe den Straus für den Sonntag zu binden (…). Weder Schenken noch Spielwinkel verschlangen die Zeit und das Geld und die Freuden der Bürger, nur der Garten war Zeuge häuslichen Glücks, mit dem Nachbar und dem Freunde getheilt.“392 Zu betonen ist hier, dass Lupin von „kleinen Bürgern“ spricht. „Behausungen“ und Zimmer der Pflanzen im Garten Im Garten existieren Arrangements, die kaum zu unterscheiden sind vom Wintergarten im Haus. Im Allgemeinen Teutschen Gartenmagazin von 1805 etwa wird die Anlage eines sogenannten „Blumenhauses“ angeraten, eine Art Pavillion. Hier heißt es: „Die schönsten Sammlungen von Topfgewächen machen im Garten nur dann gehörige Wirkung, wenn sie so aufgestellt sind, daß jede Pflanze in Ansehung ihrer Form und Farbe mit der andern gefällig harmonirt.“393 Hier ist für den Betrachter kaum zu unterscheiden, ob es sich nun um einen Raum im Haus oder einen Raum im Garten handelt, denn dieser Raum wird wie ein Wintergarten eingerichtet, nur dass Dach, Boden und Außenwände weniger befestigt sind: „Zur Aufstellung der Töpfe wird inwendig längs den Wänden ein aus drei Stufen bestehendes Postament errichtet (…) zur vollkommenen Benutzung gehören noch fünf Roll=Gardinen von Drillisch oder geöltem Segeltuche, um die Gewächse vor Regen und Sonne gehörig zu schützen (…).“394 Derartige Schauräume im Garten sind andererseits auch kaum abgrenzbar von Gewächshäusern. Sie dienen oft gleichzeitig Nutzen und Vergnügen, etwa als kleines „Frucht- und Blumenhaus“395 und generell der Pflege empfindlicher Gewächse. 391 Siehe: Dülmen, Das irdische Paradies, 1999, Teil 3: Das Leben im Garten. 392 Lupin auf Illerfeld, Friedrich von: Die Gärten. Ein Wort seiner Zeit, München 1820, S. 6. 393 v. Essen: „Das Blumenhaus“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 2, 8. Stück (August 1805), S. 305 ff. (S. 346 ff. folgen die zugehörige Tafeln.) 394 Blumenhaus, Allgemeines Teutsches Garten=Magazin (1805), S. 307. 395 Siehe beispielsweise: „Anlage eines kleinen Frucht= und Blumenhauses für Privat=Gärten“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 5, 7. Stück (Juli 1808), S. 243 ff.

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In der 1852 erschienenen Anleitung von M. Neumann Grundsätze und Erfahrungen über die Anlegung, Erhaltung und Pflege von Glashäusern aller Art 396 heißt es: „Die Liebe für Pflanzen, der Geschmack am Gartenbau haben in dem letzten Jahrzehend durch ganz Europa unermeßliche Fortschritte gemacht (…). So gelangte man allmälig dahin, daß in unsern Tagen ein halbwegs bedeutender Garten eines Glashauses nicht mehr ermangeln kann, und d ­ ieses Bedürfnis wächst täglich in so hohem Grade, daß beinahe jeder Privatmann, der sich behaglich im Besitze eines Gartens oder Gärtchens fühlt, auch bald das Bedürfnis oder die Lust empfindet, damit irgend eine Anstalt zu winterlicher Aufbewahrung seiner Lieblinge, zu deren sicherer Vermehrung oder zum Treiben zu verknüpfen. Die Mode, in allen größern Gärten irgend eine Art von Glashaus als höchste Zierde zu haben, rückt auch in Deutschland immer näher, während sie in Frankreich schon beinahe allgemein geworden ist.“397 Neumann behandelt dann die verschiedensten Glashausarten – vom Kakteenhaus bis zum Treibhaus für Frühfrüchte, von im Garten stehenden „Wintergärten“, die hier der Überwinterung der Pflanzen dienen, bis zum Aquarium für Wasserpflanzen. Behausungen für Menschen im Garten vor der Stadt Ebenso wie von den „Behausungen“ für die Pflanzen in Garten und Haus kann man von den „Behausungen“ für die Menschen im Garten sprechen. Der Garten ist nicht nur ein Raum, in dem man lustwandelt, um dann in den Innenraum zurückzukehren, sondern er enthält verschiedenste Aufenthaltsorte und „Innenräume“. So wird angeraten, überdachte Sitzgelegenheiten, sogenannte Gartensitze, in verschiedenen historisierenden Stilen (ägyptisch, griechisch-­römisch, gothisch) einzurichten.398 „Blumensitze“,399 auf- und abbaubare Räume – wie ein chinesischer Pavillion oder ein weniger regen- und winddichtes indisches Zelt – können eingerichtet werden. Dabei dienen die verschiedenen „Räume“ jeweils verschiedenen geselligen Anlässen: „Der chinesische Pavillion 396 Neumann, M.: Grundsätze und Erfahrungen über die Anlegung, Erhaltung und Pflege von Glashäusern aller Art (…), zweite Auflage Weimar 1852. Diese Übersetzung aus dem Französischen erschien in erster Auflage 1845, wurde aber dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch mehrfach aufgelegt. Neumann war, wie das Titelblatt ihn ausweist, Direktor der Gewächshäuser des Museums der Naturgeschichte in Paris. 397 Neumann, Glashäuser aller Art, 2. Aufl. 1852, Einleitung S. 1. 398 „Es finden sich öfters in englischen Gärten Plätze und Partien, von w ­ elchen aus man über eine schöne Gegend eine angenehme Aussicht hat. Diese Stellen eignen sich aber gerade nicht dazu, um ein Gebäude dort aufzuführen (…). Man errichtet dann gewöhnlich an dergleichen Orten einen bedeckten Sitz, in welchem man vor den Sonnenstrahlen sowohl, als vor dem Regen gleich sicher geschützt ist.“ (Sturm: „Entwürfe zu Gartensitzen“, in Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 4, 5. Stück (Mai 1807), S. 171 f.) 399 „Der Blumensitz ist eine solidere Garten=Decoration (…) Er schließt eine Halbzirkel ein, dessen um 3 Stufen erhabener Fußboden mit Sandplatten belegt ist (…) die Pfeiler der Mauer sind mit figurierten Blumentöpfen und Vasen, in ­welchen schönblühende und großblättrige Pflanzen stehen, decorirt (…).“ F. J. B: „Garten=Baukunst – Der Blumen=Sitz“, in: Allgmeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 4, 7. Stück, Juli 1807, S. 264.

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ist eigentlich ein gesellschaftlicher Gartensitz an einem offenen Platze, wo kleine Feten, Tänze, Feuerwerke und dgl. gegeben werden (…). Das indische Zelt ist hingegen eine sehr leichte und bewegliche Decoration (…) wo etwa die Herrschaft mit einer zahlreichen Gesellschaft speisen oder Thee trinken will.“400 Feststehende Rosenlauben 401 umschließen eher einen offenen Raum, im Gegensatz zu kleinen Gartenhäusern, die regelrecht das Wohnen im Grünen erlauben. Größere Gartenhäuser wiederum nähern sich dem normalen Wohnhaus an und enthalten Schlafzimmer, Küche, Studierstube und Gesindezimmer.402 Zahlreiche in den Gartenzeitschriften publizierte Baupläne für kleinere und größere Wohnhäuser im Garten zeugen von dieser saisonalen Wohnform. Sturm etwa publiziert im Allgemeinen Teutschen Garten=Magazin von 1806 „ein Gartenwohnhaus für eine mäßige Familie vom Mittelstande, auf teutsche S­ itten und teutsches Klima, berechnet“.403 Kinderlauben im Garten Auch für die Kinder wird der Garten nach Möglichkeit entsprechend eingerichtet. So entwirft etwa F. J. Bertuch einen „Garten für Kinder“, von dem er schreibt: „Es muß blühende Lustgebüsche und darin alle unschädlichen Kinderspiele und Lauben in Menge enthalten, und dabei einen großen Rasenplatz, wo sich die Kinder tummeln, und ihren Körper ausarbeiten können. Ferner eine kleine botanische Partie und Baumschule zum Unterrichte in der Pflanzenkunde und Kultur, und endlich einen geräumigen Garten=Salon zum Tanze für die Kinder, wozu ihnen die ­Mutter auf dem Fortepiano die Musik macht (…) und an demselben ein Paar Kabinets, eins für mich und meine Bücher, und das andere für die Naturalien=Sammlung meiner Kinder (…).“404 Ebenso­wenig wie für den Vater ist der Garten aber für die Kinder allein „Freizeitraum“, 400 F. J. B.: „Garten=Baukunst – Der chinesische Pavillion und das indische Zelt“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 4, 7. Stück, Juli 1807, S. 263 f. 401 Bertuch: „Landschafts=Gartenkunst – Der Rosenmantel“, in: Allgmeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 1, 1. Stück, 1804, S. 17 ff. 402 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird der Erwerb oder das Mieten eines Gartens vor der Stadt, damit man in einem „Gartenhaus“ den Sommer verbringen konnte, für die wohlhabenderen Bürgerfamilien zum Ideal. Ausführlich hierzu siehe Dülmen, Das irdische Paradies, S. 132 ff. 403 Siehe etwa: D. Sturm: „Ueber Wohnhäuser in Gärten“, in Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 3, 3. Stück (März 1806), S. 85 ff., hier S. 87. Die Tafel 7 (S. 132 ff.) illustriert seine Ideen. Größere Gartenhäuser enthalten dabei von der Gesindestube bis zur Bibliothek und zum Arbeitszimmer des Mannes alle notwendigen Wohnräume. (Für eine kleinere Familie zeichnet er ein: Flur, Vestibül, Korri­ dore, Wohnzimmer, Cabinet, Kinderzimmer, Schlafzimmer, des Mannes Bibliothek, Arbeitszimmer des Mannes, kleiner Saal mit 3 Glastüren, durch die man in den Garten gelangt, Gästezimmer, ­Speisekammer, Küche, Gesindestube, Zimmer für erwachsene Kinder.) 404 F. J. Bertuch: „Ein Garten für Kinder“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 6, 1. Stück, Januar 1809, S. 3 ff.

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vielmehr sollen schon die Jüngsten hier auch Naturkenntnisse erwerben und sich mit „theoretischer“ und „praktischer“ Botanik beschäftigen. Das ganze familiäre Leben ist so an den Garten angebunden. Dülmen resümiert für die Zeit z­ wischen ca. 1770 und 1830: „Für zwei bis drei Generationen hatten der Besitz eines Gartens, die mit ihm zusammenhängenden Beschäftigungen und das Leben im Garten eine unveränderte und ungewöhnlich hohe Bedeutung.“405 Stadtgärtchen in der Stadt Nicht alle konnten sich einen Garten vor den Stadttoren (der „Schrebergarten“ des Kleinbürgers kommt erst später auf )406 leisten. In der Stadt selbst führen daher Botanophilie, Gartenliebe und Blumisterei zur Bepflanzung kleinster Flächen und Hinterhöfe. Innenhöfe oder Arkadenhöfe, die Vorder- und Hinterhaus mit schmalen S­ eitenflügeln verbanden,407 wurden mit Pflanzen bestückt. Bernd Roeck etwa schreibt über den Raum ­zwischen den Bürgerhäusern: „Der auf diese Weise gebildete Innenhof geriet bei Anlagen der bürgerlichen Oberschicht zum architektonischen Zentrum, das begrünt und mit Brunnen, Vogelvolieren und anderen ‚points de vues‘ geschmückt werden konnte.“408 Innenhöfe, Hinterhöfe oder Treppenaufgänge wurden so zum „zwischenhäuslichen“ und ­zwischen Hausteilen angesiedelten Element bürgerlich-­städtischer Pflanzen-­Wohnkultur, das zwar nicht mit den auch innerstädtischen Parkanlagen etwa in den Residenzstädten konkurrieren konnte, aber mit dem Aufschwung des Bürgertums eine eigene bürgerliche Kultur des Grünen etablierte. Schon Bouché nimmt in seinen Ratgeber eine Abhandlung über solch einen „Stadtgarten“ auf. Die 6. Auflage von 1833 weist diesen Anhang sogar in der Titelei aus, was dessen Bedeutung illustriert.409 Dabei definiert Bouché den Stadtgarten: „Unter dem Worte 405 Dülmen, Das irdische Paradies, 1999, S. 229 f. 406 Siehe: Stein, Hartwig: Inseln im Häusermeer. Eine Kulturgeschichte des deutschen Kleingartenwesens bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, Frankfurt 1998; Egbert, Marie-­Luise: „Vom kleinen Glück in der Gartensparte. Deutsche Kleingärten im historischen Wandel“, in: Häberlein, Mark und Zink, Robert: Städtische Gartenkulturen im historischen Wandel (Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, Band 40), Ostfildern 2015, S. 213 – 230. 407 Siehe u. a. zur bürgerlichen Wohnkultur: Roeck, Bernd: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit, 2. Aufl. München 2011; Fuhrmann, Bernd (u. a.): Geschichte des Wohnens. Vom Mittel­alter bis heute, Darmstadt 2008; Meier-­Oberist, Edmund: Kulturgeschichte des Wohnens im abendländischen Raum, Hamburg 1956. 408 Roeck, Bernd: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der Frühen Neuzeit, 2. Auflage 2011, S. 16 (Kapitel: Bürgerliches Wohnen). 409 Bouché, Peter Carl: Der Zimmer= und Fenstergarten oder kurze und deutliche Anleitung die beliebtesten Blumen und Zierpflanzen in Zimmern und Fenstern ziehen, pflegen und überwintern zu können. Nebst einer Anweisung zur Blumentreiberei und zu einer für alle Monate geordneten Behandlung der vorkommenden Gewächse. Vermehrt durch einen Anhang: Betrachtungen über den Stadtgarten oder

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S t a d t g a r t e n begreife ich hier einen jeden, mehr oder minder beschränkten Raum, welcher hinter oder ­zwischen Gebäuden in Städten auf irgendeine Weise bepflanzt ist.“410 Und so schreibt er für diese Innenhof-­Gartenbesitzer: „Es ist kein Wunder, daß die mehrsten Besitzer dieser kleinen Gärten Klage über das schlechte Gedeihen derselben führen, und oft eine Beschäftigung, w ­ elche ihnen nur Mißmuth gewähret, aufgeben. Ihnen sei daher diese kleine Abhandlung, als Versuch zum glücklichen Erfolge, vorzüglich gewidmet; um so mehr, weil meines Wissens noch in keinem Gartenbuche hierüber Berathung gegeben worden.“411 Bei diesen Kleinst-­Grünanlagen geht es für ihn insbesondere darum, die Begrenztheit zu kaschieren und die Illusion einer weitläufigeren Natur hervorzurufen.412 Während auf dem Land der Garten mit der Landschaft verschmelze, suche man in der Stadt die Grenzen zu verdecken – an schattigen Stellen gedeihen notfalls Farne und Moose, Schwämme oder Flechten.413 Hier geht es daher auch um die Vielfalt der Gewächse und besonders um die Raumnutzung: „Kein Plätzchen ist unbenutzt: überall, unter und neben den Bäumen und Sträuchern, decken die artigsten Gewächse den Boden; und kriechende und klimmende Pflanzen bekleiden die schattigen Ort und Wände.“414 Zu beachten ist beispielsweise, dass besonders zartere Pflanzen aufgrund der geschützten Lage hier gut gedeihen können, hierzu gibt er konkrete Beispiele – etwa Birnen, Mandeln oder Wein. Der Schatten als möglicherweise schlechter Standort, da die Pflanzen hier nicht durch Lichteinfluss Sauerstoff produzieren können, spielt hier offensichtlich keine Rolle mehr. Ansonsten solle man bei Sonnenlichtmangel Schattengewächse pflanzen wie Efeu: „Wo das Sonnenlicht und der freie Luftzug fehlt, kann man füglich nichts besseres thun, als solchen Ort mit Gewächsen beflanzen, w ­ elche an schattigen Orten, in Wäldern, an Grotten und Gemäuer wildwachsend gefunden werden.“415 Auch so aber ist ein Stück Natur in der Stadt nachbildbar: „Wenn übrigens eine solche ­­ Pflanzung mit Geschmack geordnet ist, so steht sie keiner andern nach. Es überrascht den Pflanzenkenner, auf

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Anweisung zur möglichsten Benutzung der Räume hinter und z­ wischen Gebäuden in den Städten. Von Peter Carl Bouché Instituts=Gärtner der Königl. Gärtner=Lehranstalt und Mitglied der Gartenbau=Gesellschaft in den Königl. Preuss. Staaten. Sechste verbesserte und vermehrte Auflage Berlin und Leipzig 1833. (Der Anhang folgt auf S. 313 unter der Überschrift: „Betrachtungen über den Stadtgarten, vorzüglich über Gärten in großen Städten“.) Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 313. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 314. „Ein Park fesselt zwar durch Größe; und wenn ein richtiger Geschmack die Gegend zu wählen verstand, und so zu benutzen wußte, daß schöne Naturscenen zweckmäßig zu einem Ganzen verbunden, durch reiche Pflanzungen, gehoben durch edle Baukunst erhielten; (…) so kann man Aehnliches allerdings nicht mit einem Stadtgarten erzielen. Hier findet der umgekehrte Fall statt: hier sucht man die Grenzen durch Pflanzungen möglichst zu verstecken, um dem Garten wenigstens eine täuschende Größe zu geben.“ (Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 314.) Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 317 ff. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 314. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 317.

Vom Wintergarten zum öffentlichen Pflanzenschauhaus  |

einem engen Raum der Natur gemäß wieder zu finden, was er sonst mühsam auf weiten Wanderungen einsammelte.“416 Hier spielen Waldpflanzen eine wichtige Rolle: „Je mehr ein solcher Garten Schatten hat, um so mehr müssen wir uns in demselben der Waldpflanzen bedienen.“417 Auch hier entsteht dabei ein Gesamtkunstwerk: „Ist der Raum zu beschränkt, so lässt sich nichts anders, als das Dickigt eines Waldes darstellen. Die Wände bepflanzt man alsdann, um überall das Auge auf etwas Grünem ruhen zu lassen, mit Epheu, wildem Wein, Waldreben, Geißblatt, Hopfen, Zaunrüben u. dgl. Wo die Pflanzung an den Wänden gar nicht fort will, lasse man dieselben mit Prospekten, Grotten usw. bemalen.“418 Hinterhofgarten und Bemalung, Natur und Kunst gehen auch hier ineinander über. Der Effekt ist wiederum eine künstlich hergestellte Naturerfahrung: „Auf diese Weise sieht sich der eintretende Naturfreund aufs angenehmste überrascht und, zu seinem Vergnügen, unerwartet in einen Wald versetzt!“419

4.3 Vom Wintergarten zum öffentlichen Pflanzenschauhaus und zu „Winterpalästen“ Die Häuser und Räume für Pflanzen nehmen im 19. Jahrhundert so viele verschiedene Formen an. Sie belegen zunächst im Übergang von der Studierstube und dem botanischen Zimmer zum Wintergarten als Teil des bürgerlichen Hauses das Interesse des bürgerlichen Publikums an den Pflanzen. Dieses verbindet sich mit Formen der botanisch-­bürgerlichen Geselligkeit und im 19. Jahrhundert schließlich mit der Repräsentation von Wohlstand, Reichtum und Luxus. Eine „öffentliche“ botanische Geselligkeit entsteht durch die Einrichtung sogenannter „Pflanzenschauhäuser“, die Errichtung „künstlicher Paradiese“420. Typen von Pflanzenhäusern und Pflanzenräumen Der aus Glas gefertigter Anbau des Wohnhauses, im heutigen Sprachgebrauch „Wintergarten“, wurde zunächst in England modern,421 andere Länder übernahmen aber offensichtlich diese Form der Pflanzenräume. (Für Amerika beschreibt etwa Judith Sumner den Wintergartenanbau als Standard der „middle class houses“ ab den 1860er Jahren.)422 416 417 418 419 420

Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 317. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 317. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 321 f. Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, Anhang Stadtgarten, 1833, S. 322. Koppelkamm, Stefan: Künstliche Paradiese. Gewächshäuse und Wintergärten des 19. Jahrhunderts, Berlin 1988. 421 Koppelkamm, Stefan: Gewächshäuser und Wintergärten im neunzehnten Jahrhundert, Stuttgart 1981, bes. S. 42 ff. 422 Sumner, American Household Botany, 2004, S. 332.

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Einen derartigen angebauten Pflanzenraum bezeichnete man damals zunächst als „botanisches Zimmer“. Der Begriff des „Wintergartens“ dagegen ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht trennscharf vom Gewächshaus, dem Treibhaus oder auch der Orangerie abgegrenzt. So findet sich beispielsweise 1806 im Allgemeinen Teutschen Garten=Magazin ein Bericht „Der Winter=Garten oder die Orangerie im Herzogl. Parke zu Meiningen“.423 Der Herzog hatte hier im Park ein Pflanzenhaus für Sommer und Winter angelegt, das an bestimmten Tagen für das Publikum oder „öffentliche Gesellschaften“ geöffnet war. Der Herzog lud hier Gäste in das künstliche Naturparadies ein, um „alle fühlende und gesittete Menschen, sie mochten ihm unterthan oder fremd seyn, an seinen Genüssen der schönen Natur Theil nehmen zu lassen (…).“ Darinnen fanden sich Felsklippen, exotische Pflanzen, Palmen, Kanarienvögel und „unter denselben laden weiße, zierlich geformte Kanapees und Rundtischchen die frohe Gesellschaft zur Ruhe und zum Genusse in ­diesem kleinen Hesperiden Garten ein.“424 Nach heutigem Sprachgebrauch ist hier eher eine Mischform ­zwischen adliger-­höfischer Orangerie und dem für das Publikum geöffneten sogenannten „Kristallpalast“, einem öffentlichen „Botanischen Garten“ des 19. Jahrhunderts – als Ort öffentlicher Geselligkeit im Pflanzenambiente – beschrieben. Tatsächlich sind die verschiedenen Typen der Pflanzenhäuser und Pflanzenräume in den Quellen nur schwer unterscheidbar. Aus architekturgeschichtlicher Sicht kann man rück­ blickend Kategorisierungen vornehmen. (Das Pflanzenhaus hat dabei eine lange Tradition.)425 Stefan Koppelkamm etwa versucht aus heutiger Perspektive für das 19. ­Jahrhundert verschiedene Bautypen zu unterscheiden.426 In seiner Typologie unterscheidet er Gewächshäuser und Wintergärten, die im 18. und 19. Jahrhundert immer noch existente Orangerie als höfischen,

423 F. J. B.: „Der Winter=Garten oder die Orangereie im herzogl. Parke zu Meiningen“, in: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 3, 1. Stück (Januar 1806), S. 4 ff. (Unter dem Titel „Wintergarten“ finden sich im Übrigen nicht selten zu Beginn des 19. Jahrhunderts Sammlungen von Erzählungen oder Novellen.) Siehe z. B. die bei Eberhard Friedrich Wolters herausgegebenen Hefte „Wintergarten“, Stuttgart 1831 ff. 424 Winter=Garten, Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 3, 1. Stück (Januar 1806), S. 4 f. 425 Koppelkamm, Gewächshäuser und Wintergärten, 1981, S. 8 ff. Zu den Ursprüngen der Gewächshäuser fasst Koppelkamm zusammen: Das Bemühen unabhängig von einem gegebenen Klima und unabhängig von den Jahreszeiten Pflanzen in einem eigens geschaffenen Gehäuse aufzuziehen und aufzubewahren lässt sich wohl bis in zur Antike zurückverfolgen – es finden sich Reste von „Glashäusern“aus dünnen Scheiben eines durchscheinenden Steins aus der vorchristlichen Zeit. In der Renaissance brachten die Entdeckungsreisen des späten 15. Jahrhunderts sowie die Handelsschiffe neue Pflanzen, Samen und Blumenzwiebeln, die im europäischen Klima nicht ohne Schutz überlebten und entsprechende Glashäuser erforderten. Die wichtigste Rolle spielte hier wohl die Orange, die an Fürstenhöfen auch aus kulinarischen Gründen gezogen wurde, während die lebenden Pflanzensammlungen der Naturgelehrten und der Glashäuser der botanischen Gärten sich mehr naturwissenschaftlichen Interesse verdankten. (Koppelkamm, Gewächshäuser und Wintergärten, 1981, S. 10 ff.). Zusammenfassend auch: Zabeltitz, Christian: Geschichte und Entwicklung der Gewächshäuser, 2. Auflage Erfurt 2008. 426 Zu den Typologien der Pflanzenhäuser siehe: Koppelkamm, Gewächshäuser und Wintergärten, 1981, S. 8 ff.

Vom Wintergarten zum öffentlichen Pflanzenschauhaus  |

auf Repräsentation ausgerichteten Bau 427 (Beispiele hierfür sind Gewächshäuser in Schloss Schönbrunn oder Ludwigs II. in München) 428 und die seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Städten erbauten Kristallpaläste, Winterpaläste und sogenannten Floren als Wunderwerke der modernen Glas- und Eisenarchitektur. Mit Hilfe neuer Möglichkeiten der Glasverarbeitung und heiztechnischer Neuerungen entstanden große „öffentliche Winter­ gärten“ und „Volkspaläste“, deren Hauptfunktion in der gesellschaftlichen Unterhaltung zu sehen ist. Das botanische Zimmer auf dem Weg zum repräsentativen Wohnraum Im Wohnhaus angelegte Räume mit großen Glasfronten werden zeitgenössisch mit „Pflanzen­kabinett“, „botanisches Zimmer“ oder „Gewächshaus“ bezeichnet. Sie stellten keine eigenständigen Bauten, sondern Anbauten an bestehende Wohnhäuser dar. Sie fungierten sowohl als Raum für die Pflanzen im Winter und als Aufbewahrungsort für exotische Pflanzen wie auch als Erweiterung des bürgerlichen Wohnraumes. Die Übergänge von „Cabinet“ zu „botanischem Zimmer“ und einem Wintergarten im heutigen Sinne sind fließend. Bei Schmidlin heißt es 1852: „Am besten ist es immer, wenn man seinen Topfpflanzen ein eigenes helles Zimmer, welches mit einem Ofen versehen ist, einräumen kann. Aber wer ist so glücklich, zumal wenn man in der Miethe wohnt? Da muß man eben seine Zuflucht zum Wohnzimmer oder zu einem anstoßenden Cabinet nehmen, welches nöthigenfalls vom ersteren einige Wärme erhalten kann. Ein solches Cabinet, selbst wenn es als Schlafzimmer benützt wird, und also die Pflanzen viel von Staub zu leiden haben, ist dem Wohnzimmer vorzuziehen, eben weil daselbst eine gleichförmigere Temperatur unterhalten werden kann, während solche ­­ im Wohnzimmer den Tag über meistens zu hoch ist und des Nachts zu tief herabsinkt.“429 Wintergärten als eigenständige Räume stellten aber nicht nur einen Innenraumgarten dar, sondern waren, zumindest im Sommer, auch Teil des bewohnten Raumes. Bouché schreibt hierzu: „Ein Gartensaal oder Kabinett, im Wohnhause selbst angebracht, zu welchem ein paar Stufen führen, wäre dem Sommervergnügen gewidmet und diente im Winter zur Aufbewahrung der Orange und anderer kalten Hauspflanzen.“430 Der in heutigen Begriffen als „Wintergarten“ benannte Raum wird so auch als Raum bürger­licher (Sommer-)Geselligkeit definiert. Bezeichnenderweise schließt ­dieses „Cabinet“ der Pflanzen zunächst oft an die Bibliothek an,431 was an seine ehemalige Verbindung mit der ­Studierstube erinnert. 427 Allgemein zur Geschichte der Orangerien u. a.: Landwehr, Jürgen (Hrsg.): Natur hinter Glas. Zur Kultur­geschichte von Orangerien und Gewächshäusern, St. Ingbert 2003. 428 Koppelkamm, Künstliche Paradiese, 1988, bes. die Abbildungen S. 60 ff. 429 Schmidlin, Bürgerliche Gartenkunst, 2. Auflage 1852, S. 535. Die erste Auflage erschien 1843, eine dritte 1863. 430 Bouché, Zimmer- und Fenstergarten, 1833, S. 326. 431 Ullrich, Ruth-­Maria: Glas-­Eisenarchitektur. Pflanzenhäuser des 19. Jahrhunderts, Worms 1989, S. 51.

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Andererseits weist es – auch architektonisch – nicht selten Verbindungen zum Garten auf.432 Auch literargeschichtlich aber lässt sich das P ­ flanzenzimmer – das als Wunderkammer auch zoologische Elemente enthalten konnte – auffinden.433 Repräsentation und Luxus Die stadtbürgerlichen Pflanzenzimmer jeglicher Größe sind dabei auch nicht ohne eine Verbindung zur Orangerie oder dem späteren Pflanzenschauhaus zu denken. Denn auch den privaten stadtbürgerlichen Pflanzenzimmern eignet zunehmend ein Moment der Repräsentation und des Luxus, der Geselligkeit und der „Freizeit“. Hier geht es nicht mehr wie ehemals in der Studierstube um das Studieren der Flora, sondern um die Zurschaustellung von Luxuspflanzen, Exotik und Reichtum. Die nach der Jahrhundertmitte erschienenen Stubengärtner-­Ratgeber beschreiben den immer ausgefeilteren ästhetischen Charakter der Blumen- und Pflanzenpflege. Otto Hüttig etwa erläutert in seiner Illustrirten Zimmer=Flora 434 nicht nur die entsprechenden Pflanzen, sondern insbesondere auch raumästhetische Aspekte bis hin zu Wasserpflanzenaquarien. Dieser ästhetische Aspekt, bis hin zur vollkommenen Spielerei, kommt auch im 1853 erschienenen Die Blumen im Zimmer 435 von Ferdinand Freiherr von Biedenfeld von 1853 zum Ausdruck. Auch hier ist den Anordnungen, den Farbgebungen und der Einpassung ins Mobiliar etc. entsprechend Raum gegeben: „Vor den Fenstern tragen zierliche Gestelle ein kleines Gärtchen von blühenden Gewächsen, z­ wischen Doppelfenstern prangen stolz auserwählte Pflanzen, im Boudoir der Hausfrau umrankt Epheu eine niedliche Laube, lächeln Blumen in schwebenden Ampeln und Körbchen, prunkt eine Art von Candelaber mit Blumen statt mit Lichtern, wetteifern blühende Zwerggewächse und wundersame Farnen an Zierlichkeit und Phantastik mit den seltsamen Bagatellen des Nippestischchen, erinnern exotische Gewächse unter Glasglocken an ferne Zonen, prangen Nischen und Ecken mit dem heitern Grün aus Australien, Neuholland und Chile.“436 Der repräsentative Charakter dieser Form 432 Ullrich, Glas-­Eisenarchitektur, 1989, S. 51. 433 So beschreibt Theodor Storm (1817 – 1842) etwa in seinem Gedicht „Geh nicht hinein“ den Weg durch ein derartiges Zimmer. (Siehe das ­diesem Teil vorangestellte Zitat.) 434 Hüttig, Otto: Illustrirte Zimmer=Flora. Praktische Winke zur Anzucht und Pflege der Pflanzen, besonders der Blumen im Zimmer, in der Veranda als Wintergarten und im Freien. Nebst Anweisung zum Trocknen, Bleichen und Färben von Gräsern, Blumen und Blättern (…) Mit einem Titelbilde und 112 in den Text aufgenommenen Abbildungen. Hauptsächlich für den Liebhaber bearbeitet und herausgegeben von O. Hüttig Direktor em. und Lehrer des Gartenbaus, Oranienburg 1886. Ed. Freyhoff ’s Verlag. 435 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853. 436 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 1 f. Auch er schreibt dann in der Folge aber auch über „Hauptlebenselemente der Pflanzen und deren Widersacher in Wohnungsräumen“, sowie Luft, Licht, Wärmeproblematik, Rauch, Insekten, Wasser, Düngung, Töpfe, das Verpflanzen, Schneiden, die Glaskästen, die Blumentreiberei, den Monatskalender für den Zimmergarten etc.

Vom Wintergarten zum öffentlichen Pflanzenschauhaus  |

der ­Zimmer­pflanzenkultur hat mit der aufklärerischen Botanikliebe hier nicht mehr viel gemein. Die Pflanze wurde zum Schmuckstück und als solches auch entsprechend präsentiert, wie etwa in den Pflanzenvitrinen, den sogenannten Wardian Cases, die an Reliquienschreine gemahnen. Möglicherweise waren derartige kleinere Glaskästchen aber anfänglich durchaus ein Ausrüstungsgegenstand der Botanisten, die empfindliche Pflanzen darin etwa von Übersee nach Europa transportierten.437 Sumner beschreibt, wie Pflanzen in diesen kleinen kostbaren Glaskästen zu zur Schau gestellt wurden, die oftmals auf kostbaren Holzständern in den verschiedensten Größen und Formen drapiert wurden.438 Dass der dekorative Aspekt die Zimmerpflanzenkultur von Anfang an begleitet, ist unbestritten, verband doch gerade das winterliche Gärtnervergnügen die Stubengärtnerei mit der Ästhetik, wenn beim „Treiben“ der Pflanzen im tiefsten Winter im Zimmer die Blumen zum Blühen gebracht wurden. Schon der Botaniker Hoppe, den in dieser Frage mehr die Pflanzenexperimente interessieren, kommentierte 1798: „Wahrlich! Es ist keine kleine Freude, wenn man mitten im Winter bei der stärksten Kälte, wenn alle Dächer voll Schnee liegen, mehrere Pflanzen in seiner Stube erziehen, wenn man nach und nach die Saamenkörner keimen, und mehrere Zwiebeln treiben siehet (…).“439 Dieser dekorative Aspekt wird aber in der Zimmergärtnerei aber nun zunehmend zum Hauptanliegen und beschränkt sich nicht mehr auf Elemente wie das Treiben, sondern hat gegen Mitte des 19. Jahrhunderts die bürgerliche Wohnkultur durchdrungen. Diese Entwicklung findet sich auch nicht nur im europäischen Raum, sondern ebenso in den Vorlieben für Topfpflanzen im „Parlor“, in den Empfangsräumen amerikanischer Bürgerhäuser, wie vielfache Publikationen aus dem 19. Jahrhundert belegen.440 Pflanzenschauhäuser und Winterpaläste Werden beim „Treiben“ der Pflanzen im Haus Jahreszeiten aufgehoben, so bieten die ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommenden öffentlichen Pflanzenschauhäuser und „Floren“ ebenso die Illusion eines anderen Raumes. Mit dem Eintreten in das Pflanzenschauhaus erfolgt das Eintreten in andere Klimate und in eine exotische Welt mit fremden Pflanzen (und teilweise fremden Tieren). Derartige riesige Eisen-­ Glas-­Konstruktionen entstanden in England schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, etwa der von Joseph Paxton anlässlich der Weltausstellung in London 437 Sumner, American Household Botany, 2004, S. 332. Sie bezieht sich hier auf eine Broschüre von Ward „On the Growth of Plants in Closely Glazed Cases“. 438 Sumner, American Household Botany, 2004, S. 333. 439 Hoppe, Botanisches Taschenbuch für die Anfänger dieser Wissenschaft und der Apothekerkunst auf das Jahr 1798, Regensburg 1798, S. 42 f. 440 Siehe etwa: Rand, Edward Sprague: Flowers for the Parlor and Garden, Boston 1868; oder Johnson, Edwin: Winter Greeneries at Home, New York 1878.

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1851 gebaute Kristallpalast. Die Pflanzenschauhäuser als repräsentative Bauten beziehungsweise als öffentliche Wintergärten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellen dabei, wie etwa Ruth-­Maria Ullrich architekturgeschichtlich in ihrem Band Glas-­Eisenarchitektur – Pflanzenhäuser des 19. Jahrhunderts belegt,441 ein europäisches Phänomen dar. Sie enstehen analog zu den seit Ende des 18. Jahrhunderts eingerichteten Menagerien.442 Auch aus der Familie Bouché stammen schriftliche Werke zum Thema Gewächshäuser 443 und Pflanzenschauhäuser in Eisen-­Glas-­Konstruktion der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.444 Besonders diese Großformen der Pflanzenhäuser sind, wie Koppelkamm formuliert, vom „Nebeneinander von vegetabilen und konstruktiven Formen“ geprägt und von der „Künstlichkeit des Vorhabens, Natur in einem gläsernen Gehäuse einzuschließen, um so ein artifizielles Paradies zu schaffen.“445 In diesen großen, öffentlichen (oder zumindest zeitweise für das Publikum geöffneten) Pflanzenschauhäusern waren einerseits exotische Pflanzen ausgestellt, andererseits fand man sich hier zum Kartenspiel, zur Teestunde oder zum Konzert zusammen.446 Financiers dieser Großbauten waren Obrigkeiten oder finanzkräftige Handelsbürger. Der öffentliche „Wintergarten“ fungierte so als bürger­ liches Vergnügungszentrum, wie Ruth-­Maria Ullrich beschreibt: „Sein Bauprogramm als Wintergarten, der architektonisch gefaßte Natur- und Erlebnisraum unter künstlichem Himmel als Stätte der menschlichen Begegnung behält das ganze 19. Jahrhundert über seine magische Ausstrahlung. Namensgebungen wie ‚Jardin d’Hiver, Palais des Fleurs, Palais Végétal, Floral Temple, Cathédrale des Fleurs‘ sind Ausdruck dieser Begeisterung.“447 Auf alten Stichen sind diese Pflanzenschauhäuser, wie etwa der Winter Garden in South Kensington in London, vielfach abgebildet (Abb. 13).

441 Ullrich, Glas-­Eisenarchitektur, 1989. 442 Rieke-­Müller, Annelore und Dittrich, Lothar: Der Löwe brüllt nebenan. Die Gründung Zoologischer Gärten im deutschsprachigen Raum 1833 – 1869, Köln / Weimar / Wien 1998. 443 Bouché, Carl David und Bouché, Julius: Bau und Einrichtung der Gewächshäuser. Ein Handbuch für Gärtner und Baumeister, 2 Bde, Bonn 1886. 444 So stammt das Palmenhaus des Botanischen Gartens in Berlin, das in den 1850er Jahren entworfen wurde, von Carl David Bouché (1809 – 1881). 445 Koppelkamm, Gewächshäuser und Wintergärten, S. 8. 446 Siehe die vielfachen Abbildungen in Koppelkamm, Künstliche Paradiese, 1988; oder Ullrich, Glas-­ Eisenarchitektur, 1989. 447 Ullrich, Glas-­Eisenarchitektur, 1989, S. 29.

Vom Wintergarten zum öffentlichen Pflanzenschauhaus  |

Abb. 13  Öffentlicher Wintergarten, London, South Kensington

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Kapitelschluss: Die Interieurisierung der Pflanze als „Grünzeug“ und das Ende der aufklärerischen Botanophilie

Im „Jahrhundert des Interieurs“ oder dem „Jahrhundert der Dinge“, wie Christiane Holm das 19. Jahrhundert benennt, fällt kulturwissenschaftlich betrachtet grundsätzlich eine wachsende Zahl von „Dingen“ ins Auge.448 Die Pflanze gerät als Zimmerpflanze in den Sog dieser Interieurisierung. Sie wird in Verbindung mit den „Pflanzenmöbeln“ wie den beschriebenen Pflanzentischen, Stellagen oder Hängevorrichtungen zum Teil der Inneneinrichtung. Die mit den Einrichtungsgegenständen so verbundene Pflanze rückt in die Nähe der für das bürgerliche 19. Jahrhundert so zentralen Dinge im Raum (Sessel, Schränke, Kommoden bis hin zu Wäsche und Geschirr). Häuser und Villen erhalten dabei oft seit Mitte des 19. Jahrhunderts – aufgrund der technischen Neuerungen in der Glasherstellung nun architektonisch möglich – nicht nur hohe Fenster mit Fensterbrettern für die Zimmerpflanzen, sondern auch einen zusätzlichen Raum für die Pflanzen, den Wintergarten. Dieser wird vielfach Teil der repräsentativen Räume des Bürgerhauses. Die dort gezogenen Pflanzen symbolisieren zunehmend den Luxus und Wohlstand des jeweiligen Hauses. Während in der Zeit der eigentlichen aufklärerischen Botanophilie um 1800 die Pflanze noch vielfach als Naturwesen ins Haus gesetzt wurde, für dessen Wohlergehen auch in aufwendiger Pflege Sorge zu tragen war, wird sie im Laufe des 19. Jahrhunderts zum selbstverständlichen Teil des Inventars der bürgerlichen Wohnung. Sie wird interieurisiert. Im Gegensatz zum Haustier ist die Hauspflanze dabei zunehmend kein dem Menschen verwandtes Wesen mehr, sondern ein Gegenstand im Haus. Das botanisch-­wissenschaftliche Interesse ist nun weitgehend in den Hintergrund getreten.449 So konstatiert auch 1852 Eduard Schmidlin in seinem Werk Bürgerliche Gartenkunst: „Jeder wird sich daraus überzeugen, daß ­dieses Handbuch ihm alle weiteren Gartenbücher entbehrlich macht, es wäre denn, daß er die Blumenzucht bis zum Umfange einer großen botanischen Collection betreiben wollte, was aber keineswegs mehr in den Bereich der 448 Holm, Christiane: „Bürgerliche Wohnkultur im 19. Jahrhundert“, in: Eibach / Schmidt-­Voges: Haus in der Geschichte Europas, 2015, S. 233 – 254, hier S. 233; Edwards, Clive: Turning Houses into Homes. A History of Retailing and Consumption of Domestic Furnishing, Aldershot 2005. Zu Basel siehe: Roda, Burkard von: „Das Interieur-­Bild als Quelle. Wohnen in Basel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in: Kunst & Architektur in der Schweiz 55, Heft 2 (2004), (Das Wohninterieur im 19. Jahrhundert), S. 27 – 33. 449 Koppelkamm, Gewächshäuser und Wintergärten, 1981, S. 9.

Kapitelschluss: Die Interieurisierung der Pflanze als „Grünzeug“  |

b ü r g e r l i c h e n Gartenkunst gehört. Denn solche ­­ Sammlungen setzen Einrichtungen voraus, viel zu künstlich und viel zu kostspielig, als daß sie ohne tüchtige Sachverständige ausgeführt werden könnten, und ­welche außerhalb der Gränzen des Aufwandes liegen, den sich ein wenn auch sehr vermögender Privatmann erlauben wird.“450 Die botanische Sammlung und das botanische Wissen gehören Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr zur „Bürgerlichkeit“, sondern sind nun Felder für Spezialisten. Eine Botano­philie als Teil des Gelehrtendaseins oder an der Natur interessierten aufklärerischen Wissensdrangs und ein genuines Interesse an der Botanik und dem Lebewesen „Pflanze“ existiert nur noch in Ausnahmen. Die Blumenmode wird nun ein selbstverständlicher Teil des Lebens im Haus, fernab der Berufsgeschäfte. Sie ist Teil des ins Privat-­Gesellige verlagerten familiären Lebens. Sie steht dabei meist im „Zwischen“, am Fenster, von dem aus man in die Welt blickt: „Der Aermste liebet einige Blumen an seinem Fenster: mit einem Blick zärtlicher Sorge nimmt er Abschied von ihnen, wenn er bei Tagesanbruch hinausgeht zur Arbeit; mit einem Blick der Freude begrüßt er sie am Abend, wenn er müde und hungerig in seine Hütte zurückkehrt (…). Sie schmücken ja sein kleines Fenster so freundlich, sie bilden ihm selbst den heitern Vorgrund bei jedem Blick in die Welt hinaus.“451 Der Bedeutungswandel der Pflanzen umschließt so den Wandel vom mühevollen Studium des Lebewesens „Pflanze“ zum Gegenstand rekreativer Tätigkeit. Eingeschlossen hierin ist die Ausweitung der Bedeutung als Dekorationsobjekt. Vielfältige weitere Publikationen zur Zimmer- und Wohnungsgärtnerei belegen dies im 19. Jahrhundert.452 Von der Botanophilie zum Luxus Auch die nach englischen Vorbildern eingerichteten Wintergärten und Wohnraumerweiterungen, die schon baulich geplant den Pflanzen einen eigens für sie konstruierten Raum boten und nicht wenig kostenaufwändig waren, avancierten schnell zu repräsentativen Wohnelementen des wohlhabenden Bürgertums. Wintergärten stellten nun einen zusätzlichen Wohnraum dar, verbanden Natur und Kunst, erscheinen aber nicht mehr als Ergebnis botanophiler Tätigkeit, sondern als Kultur- und Luxuselement des reichen Bürgertums. Im 1885 als Bestseller verkauften Roman Bel Ami von Guy de 450 Schmidlin, Bürgerliche Gartenkunst, 2. Auflage 1852, S. VI. 451 Biedenfeld, Blumen im Zimmer, 1853, S. 1. 452 Hier wären viele Beispiele zu nennen, etwa: Riese, H.: Riese’s Wohnungsgärtnerei. Leichtfaßliche Anleitung Blumen und Blattpflanzen mit Erfolg und ohne umständliche und kostspielige Einrichtungen in unsren Wohnräumen zu halten, zu pflegen und zu ziehen, Berlin 1887; Hartwig, J.: Der illustrierte Hausgärtner. Anleitung, Blumen und Zierpflanzen in kleinen Gärten und Zimmern zu ziehen, nebst Kulturangabe der beliebtesten Zierpflanzen für Wohnzimmer, Kalthäuser und das freie Land, Weimar 1883; u. a.

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Maupassant wird dies beispielweise eindrücklich beschrieben. Ganze Szenen spielen hier im Gewächshaus: Die überbordenden, jetzt meist exotischen Zimmerpflanzen und die Treibhausluft spiegeln dabei die Dekadenz und moralische Verkommenheit der neureichen Pariser Oberschicht, in die der Emporkömmling Duroy sich durch geschicktes gesellschaftliches Spiel einschmeichelt: „Sie kamen zum letzten Salon und hatten das Gewächshaus vor sich, einen großen Wintergarten voll hoher Tropenbäume über einem Dickicht seltener Blumen. In dem grünen Dunkel, worein das Licht wie Silberregen stäubte, atmete man die laue Frische feuchter Erde und den Hauch schwerer Düfte. Man hatte das seltsam süße, ungesunde und verzaubernde Gefühl von einer entnervend weichen, künstlichen Natur.“453 Der Protagonist Du Roy findet sich hier in einer künstlichen Natur wieder, die ihm als Inbegriff des angestrebten Wohlstandes erscheint: „Man schritt über moosartige Teppiche ­zwischen dichtem Gesträuch. Plötzlich erblickte Du Roy zur Linken, unter einem breiten Dom von Palmenbäumen, ein mächtiges Bassin aus weißem Marmor, wo man hätte baden können, und am Rand vier große Schwäne aus Delfter Fayence, aus deren halboffenen Schnäbeln Wasser floß. Der Boden des Bassins war mit Goldstaub übersät, und riesige große Fische schwammen darin, bizarre chinesische Ungeheuer mit vorspringenden Augen und blaugeränderten Schuppen, gleichsam Mandarine des nassen Elements, die über dem Goldgrund gleitend und schwebend an die fremdartigen Stickereien aus dem Reich der Mitte erinnerten. Der Journalist blieb mit klopfendem Herzen stehen. ‚Das ist’s, das ist Luxus‘, sagte er sich. ‚Das sind Häuser, in denen man wohnen müsste. Andere sind so weit gekommen. Warum sollte ich nicht so weit kommen?‘“454 Diese Wohnkultur des Biedermeier, bei Maupassant schon in ihrer Dekadenz beschrieben, die den morallosen Emporkömmling Du Roy zu fesseln vermag, hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter von der hier als aufklärerische Botanophilie beschriebenen Pflanzen- und Botanikliebe um 1800 entfernt. Die Botanophilie als Verbindung von gelehrtem Wissen und populären botanischen Wissenpraktiken und einem aufklärerischen Interesse an „botanischer Bildung“ überlebt die Jahrhundertmitte nicht.

453 Maupassant, Guy de: Bel Ami. Aus dem Französischen von Josef Halperin, Ausgabe Ulm, 1979, S. 350. Das Original erschien 1885. Die zeitgenössischen Illustrationen bebildern den Pflanzenreichtum ­dieser Interieurs zusätzlich. Der Hinweis auf diesen Roman findet auch in Koppelkamm. (Koppelkamm, Gewächshäuser und Wintergärten, 1981, S. 42 f.) 454 Maupassant, Bel Ami, Ausgabe von 1979, S. 350 f.

Tafelteil |

Tafel 1  Basler Familienbildnis

Farbtafeln

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Tafel 2  Farbtafel aus der Populären Botanik

Tafelteil |

Tafel 3  C. F. Zimmermann: Berliner Wohnzimmer

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Tafel 4  Erica Sanderi

Tafelteil |

Tafel 5  Prachtblume: Amaryllis

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Tafel 6  Charlotte Grimm am Fenster

Tafelteil |

Tafel 7  Familie im Gewächshaus

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Tafel 8  Topfblumen am Fenster

Zusammenfassung Die Geschichte der Botanophilie um 1800 und die Frage nach der verlorenen Ontologie Auf der Ebene der historischen Narration ist d ­ ieses Buch zunächst eine Geschichte dessen, was – mit einem Quellenbegriff gefasst – Botanophilie genannt werden kann. Darüber hinaus scheinen Vorstellungswelten auf, die die Zeit der Aufklärung und den Übergang zur Moderne differenzieren und Fragen aufwerfen. Die Geschichte der aufklärerischen Botanphilie Botanophilie meint die aufklärerische Begeisterung für das botanische Wissen und für die Pflanze. Es geht um das sich auf vielen Ebenen manifestierende Interesse aufklärerisch-­ bürgerlicher Schichten für „die Vegetabilien“, „die Grünigkeiten“ und das „zweite Reich der Natur“. Die Jahre ­zwischen 1780 und 1840 stellen dabei insofern einen eigenen Abschnitt der Auseinandersetzung mit der Pflanzenwelt dar, als hier, verbunden mit aufklärerischem Wissensdrang und aufklärerischen Idealen, dem botanischen Wissen, dem Botanisieren und den damit verbundenen Wissenspraktiken wie auch den botanischen Alltagspraktiken ein hoher Wert zugesprochen wird. Diese Begeisterung für das Botanische und die Pflanzen zieht weite Kreise. Sie wird durch den sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts rasch ausdifferenzierenden Zeitschriftenmarkt vorangetrieben und schlägt sich auch in „Bestsellern“ nieder: in immer wieder aufgelegten botanischen Handbüchern und „Populärbotaniken“, in Anleitungen zum Botanisieren, in phythotheologischen Schriften und nicht zuletzt in den sogenannten „Stubengärtnern“, den Ratgebern zur „Erziehung“ der Pflanzen im Haus. Will man auf das zu Anfang beschriebene Bild eines fiktiven Pflanzenfreundes um 1800 zurückgreifen, so sieht sich dieser einer erstaunlichen Fülle an Schriften gegenüber, die diese Botanophilie manifestieren. Drei Ebenen d ­ ieses weitreichenden Interesses an der Pflanze – dargestellt in den drei Teilen – wurden dabei sichtbar: 1. die Diskussionen um die Pflanze als Lebewesen, 2. die Wissenspraktiken des Botanisierens und schließlich 3. die in den Alltag sickernden Wissens­elemente und botanischen Praktiken, die die Entstehung einer bürgerlichen Zimmer­pflanzenkultur förderten und formten. Teil I (Wissensweisen) widmete sich der Pflanze in den Naturauffassungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Zentral war hier, dass diejenigen, die sich in dieser Zeit mit dem botanischen Wissen befassen, weithin selbstverständlich auf die naturphilosophische Idee der Kette der Wesen rekurrieren. Nicht zuletzt in einer neuen Rezeption

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aristotelischer Schriften und in einer eigenen Lesart und Fortführung der scala naturae wird die Pflanze von den Zeitgenossen in einer Natur verortet, in der alle Lebewesen miteinander in Beziehung stehen. Dabei schreiben viele gegen ein cartesianisches, mechanistisches Bild der Natur an. Der Mensch steht hier nicht einer völlig anders gearteten Natur gegenüber, sondern er ist das komplexeste Geschöpf innerhalb der nur graduell unterschiedenen Naturwesen. Für die Botanophili ist die Pflanze daher keineswegs nur ein zu untersuchendes „Objekt“, sondern ein Lebewesen, ein Gegenüber und ein Mitexistierendes. Dabei sind die „Botanisten“ oder „Botanophili“ dennoch der neuzeitlichen Naturwissenschaft und den naturwissen­ schaftlichen Methoden von Experiment, Beobachtung und Nachprüfbarkeit zutiefst verpflichtet. Sie beobachten die „Krankheiten“ der Pflanzen, sie untersuchen den „Schlaf“ der Pflanzen, sie prüfen nach, wie sich Pflanzen bewegen, ernähren, wachsen und sterben. Im Gegensatz zum allgemeinen Narrativ der Objektivierung der Natur in der modernen Naturwissenschaft beschäftigen sie sich aufgrund ihrer Naturauffassung in Gestalt der Pflanze mit einem Lebewesen, nicht nur mit einem Untersuchungsgegenstand. Augenfällig wird dies in den Vorstellungen von homologen (im Sinne der Zeitgenossen „gleichartigen“) Organen, Körperprozessen und Widerfahrnissen im Lebensablauf aller Lebewesen und in den postulierten Fähigkeiten der Pflanzen. Die Pflanzen atmen, es wird ihnen Sexualität zugeschrieben, ihre „Gelenke“ werden ebenso untersucht wie ihr „Blutsaft“, ihre Bewegungen, ihr Werden und Vergehen. Die „Homologie“ (in dieser Zeit als Gleichartigkeit alles Lebendigen gedacht) manifestiert sich dabei in Bildern von Verwandtschaft, in verschwimmenden Grenzen z­ wischen Mensch, Tier und Pflanze und in der Möglichkeit, in Beziehung zu treten. Beispielhaft sei erinnert an jenen botanischen Gelehrten, der seine Telegraphenpflanze „nicht ohne Teilnehmung“ betrachtete und über ihren Tod noch lange trauerte.1 Im Hinblick etwa auf neuentdeckte Pflanzen wie die Mimose wird dabei ebenso über die Empfindungsfähigkeit der Pflanzen nachgedacht wie über die Möglichkeit einer „Pflanzenseele“. Hand in Hand mit diesen Diskussionen gehen die in Teil II (Wissenspraktiken) beschriebenen Praktiken des Botanisierens. Die praktische Seite der Botanophilie ist dabei weithin durchdrungen von aufklärerischen Idealen. In der Auseinandersetzung mit der Botanik und der Pflanze sehen die der Aufklärung verpflichteten Zeitgenossen Übungen des Verstandes, die Aufforderung zur (autodidaktischen) Bildung, aber auch die Ausbildung der empfindenden und moralischen Kräfte im Menschen. Der Aspekt der Gotteserkenntnis durch die Naturerkenntnis ist dabei allenthalben implizit und explizit vorhanden. Neben der Inkorporation des Botanischen in ein aufklärerisches Bildungsprogramm zeigen sich 1 Ungenannter Verfasser, Bewegungen des Hedysarum gyrans, Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte (1790), S. 5 – 27.

Die Geschichte der Botanophilie um 1800 und die Frage nach der verlorenen Ontologie  |

die aufklärerischen Elemente aber auch in der aufklärerisch-­botanischen Geselligkeit, in kollektiven botanischen Projekten, in botanisch-­aufklärerischer Freundschaftskultur, in der botanischen Reisekultur und im Ineinander von Wissen, Wissenschaft, Literatur und Philosophie. Dem aufklärerischen Ideal der sich immer weiter ausbreitenden Wissenskreise, dem Ideal der sich „erhellenden Landschaften“ und dem durch Bildung zu erreichenden Fortschritt der Menschheit steht dabei eine Sozialstruktur der Wissens- und Wissenschaftsfelder zur Seite, die ich eine offene scientific community genannt habe. Damit ist eine Wissens- und Wissenschaftsform gemeint, in der ganze Familien botanisierten, Schüler der Gelehrten im Haus des Lehrers wohnten oder Ehefrauen, Schwestern und Kinder in die familiären Unternehmungen des Botanisierens eingebunden waren. In dieser noch wenig reglementierten Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft sind zudem Disziplinen­ grenzen noch kaum existent. Ein Botaniker oder „Botanist“ weist sich nicht unbedingt durch ein botanisches Studium innerhalb der medizinischen Fakultät aus, sondern vielfach durch seine autodidaktischen botanischen Studien. Herbarien, Naturalienkabinette, eigene botanische Gärten oder die Verfasserschaft botanischer Kompendien machen dabei sein Expertentum ebenso sichtbar wie etwa die Mitgliedschaft in vielen gelehrten Gesellschaften. Der „Botanist“ oder „Botanophilus“ kann daher zum Beispiel Beamter sein, Soldat, Gräfin, Apotheker oder tatsächlich Medizinprofessor. Der zur offenen scientific community gehörige Personenkreis ist also wesentlich größer als später der Personenkreis einer botanischen Fachwissenschaft ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dies heißt nicht, dass es nicht auch in dieser Zeit zentrale botanische Gelehrte gab, um die herum sich die entsprechenden Kreise bildeten; es bedeutet aber, dass die Übergänge z­ wischen Experten und Nichtexperten fließend sind und die Ränder „offen“ ausfasern. Die Kreise der Botanisten stellen dabei nicht nur ein wissenschaftliches, sondern in einem hohen Maß auch ein soziales Netzwerk der bürgerlich-­aufklärerischen Gesellschaft dar, in der „botanische Geselligkeit“ als Teil aufklärerischer Kultur und bürgerlicher Bildungsideale gelebt werden. Ab den 1830er und 1840er Jahren beginnt sich die botanische Wissens- und Wissenschaftslandschaft allerdings zu verändern. Zum einen hält die Kommerzialisierung Einzug, die dem schnellen Wachstum des Kreises der „Pflanzenfreunde“ Rechnung trägt: Im deutschsprachigen Raum werden ab 1830 Institutionen des Pflanzentausches und des Pflanzenmarktes geschaffen und die massive Ausweitung des Botanisierens trennt ­dieses zunehmend von Wissenschaft und Gelehrsamkeit ab, beziehungsweise generiert die nun explizit gezogene Grenze z­ wischen Wissenschaftler und Hobbybotaniker. Der Kern der Botanik aber wandelt sich ebenso: Aus einem weiten, schillernden Wissensfeld heraus etabliert sich im 19. Jahrhundert eine botanische Fachwissenschaft, in der der „Botaniker“ zum wissenschaftlichen, an die Labore der Universität gebundenen Berufsbild wird. Die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung der Botanik in der Moderne verändert dabei zugleich, was semantisch unter „Botanik“ zu verstehen ist. Die universitäre Botanik zieht sich auf die ehemals „theoretische Botanik“ zurück und widmet sich der

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Pflanzenanatomie, der Physiologie, der Zellbiologie usw. Die ehemals „praktische Botanik“, von den Anbaumethoden und Nutzungsarten bis hin zur „botanischen Philosophie“ werden dann ebenso ausgeklammert wie etwa das Sammeln an Bedeutung verliert, das über Jahrhunderte hinweg einen zentralen Teil der Botanik darstellte. Das ehemals mit der Wissenschaft verbundene Botanisieren und die Pflanzenpflege verbleiben innerhalb der nun entstehenden Freizeitkultur. Die Pflanze als Ganzheit, als Lebewesen mit Beziehungen zu anderen Lebewesen, wie sie in phythotheologischen Aufsätzen um 1800 noch auftauchte, steht um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr zur Debatte. Diese Thematik wird in der Botanik nicht weiter verfolgt, sie etabliert sich möglicherweise als Thema der Ökologie später aus jenen Kreisen, die dennoch monistische Vorstellungen leibniz’scher Prägung weiter verfolgten und ausbauten, wie etwa Ernst Haeckel. Mögliche Traditionslinien liegen hier aber noch weitgehend im Dunkeln. Die in Teil III dargelegten Anfänge und Entwicklungen der Zimmerpflanzenkultur zeigen schließlich den Wahrnehmungswandel von seiten der Alltagspraktiken her auf. Die Pflanze wandert seit dem späten 18. Jahrhundert in die stadtbürgerlichen Häuser. Sie stellt zunächst ein Stück Natur dar, das, ähnlich wie die Haustiere in dieser Zeit, als „Natur im Haus“ kulturell überformt wird. Sie erfordert hier intensive Pflege und „artgerechte“ Haltung bis hin zu einem eigenen „botanischen Zimmer“. Anders aber als die Tiere wird die Pflanze als ortsfestes Lebewesen nicht nur domestiziert, sondern sie wird im Laufe des 19. Jahrhunderts interieurisiert. Das heißt, sie ändert ihren Status: Vom in der freien Natur existierenden Lebewesen, das ins Haus geholt wird und dem man möglichst auch im Haus gute Bedingungen schaffen sollte, wird sie mehr und mehr zum Gegenstand, zum „Pflanzenmöbel“ und zum Grünzeug. Sie verliert weitgehend ihren Status als Lebewesen und gehört nun zunehmend zu den „Dingen“ im Haus, die sich in der bürgerlichen Wohnkultur des 19. Jahrhunderts ja in vielfältiger Weise ausdifferenzieren. Mit diesen „Dingen“ geht sie in eins, indem sie sich auch in Form von „Pflanzenmöbeln“ konkret mit diesen verbindet. Während die bürgerliche Zimmerpflanzenkultur in ihren Anfängen dabei zudem noch stark mit dem Wissen und der Wissenschaft – etwa der Luftwissenschaft und den Erkenntnissen zur „Luftreinigung“ durch die Pflanzen – verwoben war, entfernt sie sich in der Folge immer weiter hiervon. Die Ratgeber zur „Stubengärtnerei“, zur Zimmerpflanzenkultur blenden alle botanisch-­philosophischen und naturwissenschaftlichen Fragen zunehmend aus. Die Zimmerpflanze wird zum Dekorationsobjekt in der bürgerlichen Wohnkultur. Die eigentliche aufklärerische Botanophilie findet hier ihr Ende. Fasst man die Entwicklung in allen drei Schwerpunkten zusammen, so lässt sich für das 19. Jahrhundert eine Statusänderung der Pflanze beobachten: 1. Der Pflanze entschwinden

Die Geschichte der Botanophilie um 1800 und die Frage nach der verlorenen Ontologie  |

„Körper“ und „Seele“. 2. Die Pflanze wird in der modernen Botanik zum Studienobjekt. 3. Die Pflanze wird in der bürgerlichen Zimmerpflanzenkultur zum Dekorationsobjekt. Handelt es sich also um eine Verdinglichung der Pflanze? Diese Vermutung drängt sich auf, ist aber vielleicht noch nicht ganz abschließend zu beantworten. Inwiefern sich dies sogar möglicherweise in eine „Entseelung“ der Dinge in der Moderne einordnen lässt, bleibt hier offen. Eine „Historische Anthropologie der Pflanze“ um 1800? Historisch-­anthropologisch betrachtet ist – ebenso wie in der Erforschung der Wahrnehmungsweisen von Tieren und den damit verbundenen Praktiken – grundsätzlich davon auszugehen, dass Gesellschaften, beziehungsweise historische Epochen, jeweils sehr unterschiedliche Formen der Wahrnehmung von Pflanzen und der Umgangsweisen mit Pflanzen ausprägen und ausprägten. In kulturvergleichender Sicht wird dies leicht nachvollziehbar, wenn etwa christliche Vorstellungen bezüglich der Pflanzen mit hinduistischen oder buddhistischen Vorstellungen konfrontiert werden, wie es Matthew Hall in seinem Werk Plants as Persons gelingt.2 Die auf Pflanzen bezogenen Wissensbestände und Praktiken reichen dabei jeweils weit über die reine Nahrungsfunktion der Pflanzen hinaus und spiegeln nicht zuletzt Vorstellungen des Menschen von sich selbst wider. Oder, formuliert in den Worten von Klaus Meyer-­Abich, der sich in den 1990er Jahren mit dem Verhältnis von Kultur und Natur befasste: „Der Mensch erkennt sich nur im Anderen, aber nicht nur im anderen Menschen, sondern im Anderen des Ganzen der Natur“3. Wie Michael Marder in seinem philosophischen Versuch Plant-­Thinking – A Philosophy of Vegetal Life darlegt, waren Pflanzen allerdings in den dominanten europäischen Denkhorizonten nach der Trennung von Physik und Metaphysik – also ungefähr ab der Mitte des 19. Jahrhunderts – kein Gegenstand ethisch-­philosophischer Überlegungen mehr. Die Logiken und Implikationen des vegetabilischen Lebens spielten von da an nur noch in biochemischen, molekularbiologischen oder ökologischen Zusammenhängen eine Rolle.4 2 Hall, Matthew: Plants as Persons. A Philosophical Botany, New York 2010. Hall sieht aber im europä­ ischen Denken, von Aristoteles angefangen über biblische Aussagen und von Thomas von Aquin bis zu De Buffon, eine mehr oder weniger lineare Geschichte der Missachtung (disregard) der Pflanze, für Hall ist die europäische Pflanzenwahrnehmung „zoocentric and hierarchical“. (Hall, Plants as Persons, 2010, S. 157). 3 Der Philosoph Klaus Michael Meyer-­Abich erinnert unter ­diesem Titel an die holistischen Konzepte innerhalb der Philosophie: Meyer-­Abich, Klaus Michael: Praktische Naturphilosophie. Erinnerung an einen vergessenen Traum, München 1997, S. 24. 4 Marder, Michael: Plant-­Thinking. A Philosophy of Vegetal Life, New York 2013, S. 2 f. Wie allerdings vielleicht gerade auch aufklärerische Überlegungen in frühe ökologische Überlegungen mündeten, ist

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In der heutigen, abendländischen modernen Sichtweise sind Pflanzen daher, wie Marder es formuliert, „wholly other and foreign to us“.5 Dies ist aber für die spätaufklärerische Gesellschaft um 1800 nicht der Fall. Die Pflanze um 1800 lässt sich über die erstaunliche Nähe von Pflanze und Mensch in der Diktion der Quellen beschreiben. Die semantische Nähe (etwa die „Lunge der Pflanze“, ihr „Körper“, ihr „Blutsaft“) ist weder metaphorisch zu erklären noch als „vorwissenschaftlich“ oder als „fehlende Begrifflichkeit“ gering zu schätzen. Um 1800 ist die Pflanze in vielfachen wissenschaftsgeschichtlichen und wissensgeschichtlichen Zeugnissen tatsächlich noch ein dem Menschen Ähnliches, ein Verwandtes. Sicherlich mag es auch hier und da andere Ansichten gegeben haben. Den Konzepten einer Pflanzenseele haben sich nicht alle botanischen Experten angeschlossen. Die überwältigende Vielfalt der Quellen zeigt aber die Pflanze fraglos als ein dem Menschen ähnliches Lebewesen. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts verdeutlichen Aufsätze in den botanischen Zeitschriften diese „Homologie“ von Mensch, Tier und Pflanze. Auch finden sich Praktiken, die diese Nähe z­ wischen Mensch, Tier und Pflanze voraussetzen. Die Annahme einer Verwandtschaft der Lebewesen war also eine Prämisse, die Beobachtungen, Experimente, Handlungen und Erkenntnisse in vielfacher Weise vorstrukturierte und bedingte. Dagegen werden in der späteren Naturwissenschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts Pflanze und Tier weiter auseinandergerückt. Das Verständnis der Pflanze als dem Menschen Ähnliches, gar „Homologes“ – in Körperprozessen und Erfahrungen Gleichartiges – wirkt zunächst auf heutige Lesende fremd. Die um 1800 verbreitete Vorstellung der dem Menschen homologen Pflanze zeichnet die Pflanze im vorliegenden Buch jedoch als ein Lebewesen innerhalb einer Ontologie, die die Lebewesen als Vielheit in der Einheit darstellt. In der von aristotelischen Vorstellungen beeinflussten Kette der Wesen erscheint die Pflanze in dieser Zeit nicht nur als dem Menschen organisch gleichartig geschaffenes Wesen, sondern auch als mit an den Menschen erinnernden Fähigkeiten ausgestattet – wenn auch in weniger komplexer Form. Umgekehrt erinnern aufklärerische Formulierungen auch aus der Perspektive des Menschen an diese Verwandtschaft – etwa der mögliche Rückfall eines Menschen in den „Dämmerzustand“ des Vegetabilen wie auch die Gleichsetzungen von Pflanze und Kind in der aufklärerischen Pädagogik. Es mag Einwände geben: Dem einen scheint die Hinwendung zur Pflanze vielleicht schlicht einem romantischen Naturgefühl verpflichtet, das in Ablehnung rationalistischen Aufklärungsdenkens schwärmerische Umgangsweisen mit der Natur ausbildet, dem anderen als Relikt einer vorwissenschaftlichen, mittelalterlichen Vorstellung. Beides noch kaum erforscht. Siehe Ruppel, Von der Phythotheologie zur Ökologie, 2017. 5 Marder, Plant-­Thinking, 2013, S. 3.

Die Geschichte der Botanophilie um 1800 und die Frage nach der verlorenen Ontologie  |

existiert zweifelsohne auch – sowohl die träumerisch-­romantischen literarischen Imaginationen der Pflanze, wie sie sich etwa in der blauen Blume des Heinrich von Ofterdingen von Novalis finden (Blume und Frauenantlitz gehen hier in eins), wie auch die in mittelalterlichen Quellen bereits auffindbare Gleichsetzung der Körperorgane von Pflanze und Mensch, wie sie etwa Dorothea Rippmann in Schriften des Bartholomaeus Anglicus im Spätmittelalter findet.6 Beides steht auch zweifelsohne im Zusammenhang mit der hier beschriebenen Anthro­pologie der Pflanze um 1800 – in beidem erschöpft sie sich aber nicht. Das Literarische schöpft aus seiner Gegenwart, das jeweils gegenwärtige Wissen schöpft zweifelsohne immer auch aus dem Vorangegangenen. Tatsächlich kennen auch mittelalterliche Quellen (und vermutlich Quellen der Renaissancezeit) Lesarten der homologen Körperorgane von Pflanze und Mensch.7 Denn auch sie rezipieren, wenn auch in geringerer Form, die antiken Schriften. Im christlichen Mittel­ alter sind sie aber wohl meist von den biblischen Wahrheiten überformt – die antiken Texte werden unter dem Primat christlicher Schöpfungslehre gelesen. Insofern muss aus mittelalterlich-­biblischer Sicht die Stufe, der Abstand ­zwischen Menschen und anderen Naturwesen in der antiken scala naturae betont werden, nicht die Kontinuität der Arten. Im Verständnis der biblischen Genesis ist die Pflanze nicht dem Menschen verwandt. Sie ist Ernährungshilfe oder medizinische Hilfe des Menschen; für ihn und auf ihn hin geschaffen, in völliger Andersartigkeit, ohne den Odem Gottes, ohne Seelenvermögen, ohne die Einzigartigkeit der menschlichen Seele. Kultur versus Natur. Polemisch gesagt: Descartes ist aus dieser Perspektive nicht einer der ersten modernen Denker, sondern einer der letzten radikal mittelalterlichen Denker. Was aber ist mit der christlichen Überformung während der Aufklärungszeit? Weit davon entfernt, Gott auszublenden, finden die Aufklärer – in der Auseinandersetzung mit neuentdeckten Pflanzen sowie auf der Basis einer neuen Lesart antiker Schriften – zu neuen religiösen Vorstellungen: So sind etwa die „Physikotheologen“, die sich mit dem befassten, was wir heute „Biowissenschaften“ nennen würden, in ihrer Selbstwahrnehmung keineswegs die Verteidiger des „Alten“ oder die Ewig-­Gestrigen. Vielmehr sind sie Beobachter und Decodierer der aus der größten Vernunft, aus Gott, ausfließenden Naturgesetzlichkeit. Sie suchen in einer christlich-­naturwissenschaftlichen Tradition die Existenz und Sichtbarkeit Gottes im „Buch der Natur“. Gott aber wird jetzt aufklärerisch gleichgesetzt mit der ultima ratio. Er ist der Urheber und Genius der nach Naturgesetzen in Vollkommenheit geschaffenen Welt. Die Verwandtschaft von Mensch, Tier und Pflanze wird 6 Rippmann, Dorothee: „… dass die Erde die M ­ utter und die Sonne der Vater der Pflanzen ist. ­Bartholomaeus Anglicus’ enzyklopädisches Wissen über Pflanzen im Solarzeitalter“, in: MIÖG 123 (2015), S. 341 – 370. 7 Vgl. Rippmann, Pflanzen im Solarzeitalter, 2015, S. 357.

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gedacht als ein großes „vernünftiges“ Gesamtkunstwerk in der Kette der Wesen: Gott hat in seiner Weisheit alle Lebewesen an die ihnen zugewiesenen Wohnplätze (und die Arten aneinander) angepasst. Dabei wird zudem Ende des 18. Jahrhunderts die Vorstellung der Kette der Wesen ausdiffe­renziert und in die Horizontale ausgeweitet. Sie erscheint als Netzwerk, als Webteppich und als Ineinander der Arten – von Gott geschaffen in größtmöglicher Fülle und Vollkommenheit. Inwieweit das Bürgerliche mit der Verdichtung des Horizontalen, mit der Betonung horizontaler Verwandtschaft (im Gegensatz zur aristokratischen, genealogischen Betonung der Vertikalen) hier eine Rolle spielt, mag dahingestellt bleiben. Verbindungen zur Verwandtschaftsforschung wären hier durchaus denkbar.8 Der Aufklärung – auch in Ablehnung der vorangegangenen höfischen Kultur – ist die Horizontale immanent, weniger die Vertikale. Zweifelsohne spielt dabei auch die bürgerliche Wertschätzung der Familie und des Hauses im Hinblick auf die Naturwesen eine herausragende Rolle. Die Pflanze wird ins Haus integriert. Auch die pflanzlichen Lebewesen gehören Familien an und werden in dieser Zeit in „Familien“ eingeteilt, als Teil der Gesamtfamilie der Lebewesen. Die Beobachtungen und Entdeckungen der Botanik belegen dabei für die Zeitgenossen das Theorem einer Verbindung und Verknüpfung aller in Kontinuität verbundenen Lebewesen, wie sie etwa in den aristotelischen Schriften (neu) gefunden wird. Sei es in den in Ökosystemen aufzeigbaren gegenseitigen Angewiesenheiten der Geschöpfe aufeinander, sei es in den Funden zu den „Verbindungsstellen“ in dieser Kette – etwa in den sich bewegenden Pflanzen (wie die Mimose und die Telegraphenpflanze) oder den „festsitzenden Tieren“ (die Seeanemone). Aus aufklärerisch-­christlich überformter Sicht belegen diese die größtmögliche Fülle der von Gott geschaffenen Lebewesen. Die kognitive Dissonanz ­zwischen Antike und Christentum wird so aufgelöst. Erst Darwin (beziehungsweise die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts) wird Gott letztlich eliminieren. Die dann erfolgende Integration der Dimension der Zeitlichkeit und des Prinzips der Anpassung der Arten an die Umweltbedingungen lassen den Schöpfer nochmals einen weiteren Schritt hinter die Natur zurücktreten. War Gott in den Präformationstheorien noch der eigentliche Schöpfer aller Arten, so ist seine Funktion gegen Ende des 19. Jahrhunderts keine schöpferisch-­spielerisch-­kreative mehr. Gottes Rolle als Gestalter und Handelnder ist von da an nicht mehr vorhanden, weder in einem konkreten Eingreifen in das Geschehen der Welt, über das sich noch Leibniz und Clarke stritten, noch als Schöpfer der aktuellen Artenvielfalt. 8 Insbesondere ist hier zu denken an die Arbeiten von David Sabean u. a., die die Bedeutung der horizontalen Verwandtschaftsbande für diese Zeit betont haben (Sabean, David W.; Teuscher, Simon und Mathieu, Jon: Kinship in Europe. Approaches to Long-­term Development, 1300 – 1900, New York / Oxford 2007), oder auch an aktuelle Überlegungen zum Begriff des Geschwisterlichen in der Moderne (Engelstein, Stefani: „Geschwister und Geschwisterlichkeit in der Epistemologie der Moderne“, in: l’homme 28/2 (2017), S. 49 – 68.).

Die Geschichte der Botanophilie um 1800 und die Frage nach der verlorenen Ontologie  |

Der Plural: Die Epoche der Aufklärungen Die moderne Naturwissenschaft und die damit einhergehende Distanzierung des Menschen von der Natur erschienen in ihrer bahnbrechenden Wirkung für Europa als so dominant und so konstitutiv für „die Moderne“, dass Gegenströmungen bisher im besten Fall als „Gegenreaktion“, als gegen den aufklärerischen Rationalismus gerichteter Aufruhr eines Sturm und Drang oder einer das Gefühl zum Kampfbegriff erhebenden Romantik erklärbar waren. Aber gab es ein naturwissenschaftliches Denken in der Aufklärung? Was verstanden die Aufklärer selbst unter ihrem Vernunftglauben? Oder muss man, analog zu den Aufklärungen, vielleicht auch hier im Plural von den Rationalismen sprechen? Offensichtlich fühlten sich auch diejenigen mit den modernen Denkweisen und der neuen Wissenschaft ihrer Zeit im Einklang, die in ihren Vorstellungen Mensch und Natur nicht trennten. Sie folgten zwar nicht mehr konkreten biblischen Aussagen über die Welt, wohl aber folgten sie eigenen Konzepten und Naturauffassungen, die anti-­ mechanistisch waren und Gott als ultima ratio integrierten. Die Aufklärung und der Rationalismus (oder die Rationalismen) dieser Zeit haben dabei zweifelsohne – auch im Rückgriff auf antike Logiken – im endenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert ontologische Denkmöglichkeiten erlaubt, die Formen organizis­ tischen Denkens zeitigten. Bis hin zu Vorstellungen, die nicht nur dem Menschen, sondern auch Tieren und sogar Pflanzen eine „Seele“ oder ein im Dämmerzustand befindliches geistiges Sein zugestanden – eine immaterielle Interiorität. Peter Hanns Reill hat Vorstellungen dieser Art als „Vitalismus“ des 18. Jahrhunderts beschrieben und damit gegen die Auffassung einer monolithischen, allein dem Mechanistischen verpflichteten Aufklärung angeschrieben. Er konnte dies insbesondere mit Entwicklungen in der zeitgenössischen Chemie in Verbindung bringen.9 Ob diese Vorstellungswelten eine kohärente Bewegung 10 darstellen und klar als Bewegung abgrenzbar sind, die auf den Cartesianismus folgt, mag dahin gestellt bleiben. Zweifelsohne aber sind sie, wie auch Reill sagt, Teil eines „powerful counterdiscourse to mechanism (…) and not against the general outlines of Enlightened scientific thought, a competing language of nature that did not deny the Enlightenment’s basic values“11. Sie sind so Teil der Aufklärung und des Bemühens um Rationalität, Logik und um das Erfassen der Welt durch Verstand und Vernunft. Sie sind aber nicht, wie auch Reill betont, schlicht anitaufklärerischer 9 Reill, Hans Peter: Vitalizing Nature in the Enlightenment, Berkeley / Los Angeles / London 2005. Auch schon im Aufsatz: Reill, Peter Hans: „Vitalizing Nature and Naturalizing the Humanities in the Late Eighteenth Century“, in: Studies in Eighteenth-­Century Culture 28 (1999), S. 361 – 381. Reill ist hier zweifellos ein Pionier, andere Arbeiten gehen aber ebenso in diese Richtung, siehe hierzu: Baker, Keith Michael und Gibbs, Jenna M. (Hrsg.): Life Forms in The Long Eighteenth Century, Toronto, 2016. 10 „A relatively coherent movement“. (Reill, Vitalizing Nature, 2005, S. 255.) 11 Reill, Vitalizing Nature, 2005, S. 30.

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Romantik zuzuordnen, sie sind aus Sicht der Zeitgenossen eine wissenschaftlich fundierte Sichtweise der Natur in einer Zeit, in der Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften im Denken der Zeitgenossen noch nicht getrennt waren.12 Aufklärung ist damit nicht mehr die Aufklärung, sondern einem Plural, Aufklärungen zuzuordnen. Die nach Vernunft und Wissen strebende Aufklärung kennt nicht nur die auf den Cartesianismus aufbauende Trennung von Mensch und Natur, beziehungsweise Kultur und Natur, sie kennt auch Gegenentwürfe. Die aufklärerische Bemühung um Logiken, das In-­Frage-­ Stellen, das Ringen um Erkenntnis – auch um die Erkenntnis einer weithin als göttlich geschaffen verstandenen Natur – reicht dabei weit ins 19. Jahrhundert hinein.13 Zentral für das genuin Aufklärerische erscheint dabei weniger die Antwort als die Fragehaltung, die Wissbegierde und das „Offenhalten“ von Fragen, wie es auch in den vielfältigen Aussagen der Botanophilen im Sinne eines „Das wissen wir noch nicht“ aufscheint. So ist, wie auch Dorinda Outram betont, die Aufklärung durchaus ein Feld von Widersprüchen und Divergenzen, sie ist polymorph und durchsetzt von vielfältigen Positionen, und insbesondere das Feld der „Wissenschaft“ entwickelte sich erst; es war noch nicht getrennt von anderen Wissensfeldern.14

12 Siehe Reill, Vitalizing Nature, 2005, S. 2. Wie Reill es ausdrückt: „… thinkers from diverse intellectual backgrounds, reflecting the lack of strict disciplinary boundaries during the eighteenth century. Chemists trained as doctors, doctors who taught moral philosophy, moral philosophers who pondered the secrets of generation, polymaths who wrote poetry and studied comparative anatomy, amateur and professional natural historians bent upon collecting as many new specimens as possible, mathematics who wrote about chemistry and chemists who wrote about mathematics, theologians, civil servants, diplomats, and educated lay persons – all were fascinated by the need to establish a new vocabulary to account for living nature.“ (Reill, Vitalizing Nature, 2005, S. 11.) Ob Reills Zuordnungen der einzelnen Personen zu einer abgrenzbaren Bewegung des Vitalismus so dezidiert machbar ist, sei hier dahingestellt. 13 Schon Roy Porter beschreibt 1990 die Aufklärung als eine Bewegung, die sich eben nicht in einer kleinen Gruppe von Giganten oder immer gleichen Überzeugungen fassen lasse, sondern in einer ganzen Schar Gebildeter und vor allem Bildungsinteressierter, im Sinne einer „Geisteshaltung“ oder „mentalité“. Porter betont also in der aufklärerischen Wertewelt das Prozesshafte. Das zentrale Moment liegt im Selbstbild der Aufklärer als Kritiker, die mit Hilfe der menschlichen Fähigkeit zum Denken das Wesen des Menschen verstehen und die Natur analysieren wollten – aber durchaus auch zu unterschiedlichen Antworten fanden. Porter, Roy: Eine kleine Geschichte der Aufklärung, dt. Ausgabe Berlin 1991 (London 1990), S. 16. Siehe auch Kapitel „Wer war die Aufklärung?“, S. 56 ff. Er benutzt das Bild des Eisberges, um zu verdeutlichen, wie die Lichtgestalten und großen Namen zweifelsohne von einer breiten Schicht jener getragen waren, die die Ideale der Aufklärung verinnerlichten, diesen nacheiferten oder aufklärerische Werte für sich reklamierten und nicht zuletzt auch verschiedene Antworten auf die Fragen der Zeit fanden. 14 Im Englischen löst der Begriff „science“ offensichtlich erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Terminus „natural philosophy“ ab, – was für das deutschsprachige „Wissenschaft“ allerdings nicht gilt. Outram erläutert für England: „The words ‚science‘ and ‚scientist‘ were not invented until the 1830s in England. Before that ‚natural philosophy‘ was probably the term in use. (…) ‚science‘ was not yet separated out from other intellectual areas, nor were its practitioners readily distinguished from practitioners of other forms of intellectual enquiry (…) science was not yet a defined body of knowledge, not yet a discipline,

Die Geschichte der Botanophilie um 1800 und die Frage nach der verlorenen Ontologie  |

Ontologien der Moderne Die Aufklärung wird bis heute gleichgesetzt mit Schlagwörtern wie „Verwissenschaft­ lichung“, „Objektivierung der Natur“, „Säkularisierung“ oder einer „Naturerkenntnis“, die in „rationaler“ Weise letztlich die Natur zum Objekt von Optimierung, Ausbeutung und industrieller Nutzung gemacht habe. Dass diese Entwicklungen unter anderem in der Aufklärung wurzeln, ist nicht anzuzweifeln. Bedacht werden aber muss, dass jegliche „Rationalität“ und „Logik“ auch innerhalb bestimmter Setzungen agiert, die den Rahmen des Erkennbaren bestimmen. Diese Setzungen waren auch in der Aufklärung für viele größere und kleinere Gelehrte eng verbunden mit dem Glauben an eine von Gott in vollkommener, „vernünftig“ in Naturgesetzen organisierten Welt. Für diejenigen, die sich mit Tieren und Pflanzen befassten, war die Einheit der Lebewesen, die Verwandtschaft alles Lebendigen eine „Tatsache“. Galt also beispielsweise für Ingenhousz die Einheit des Lebendigen in Physikalität und Interiorität als gegebene ontologische Rahmung, so war die logische Schlussfolgerung aus seinen Erkenntnissen zur Photosynthese nicht die Differenz von Pflanze und Tier, sondern seine Entdeckungen bestätigten in seiner Vorstellungswelt erneut ihre Homologie, indem die „Atmung“ der Pflanze nun besser verstehbar war. Nichtsdestotrotz agierte Ingenhousz innerhalb der durch die Aufklärung und die neue Naturwissenschaft etablierten Methoden: Experiment, Beobachtung, wieder­ holbarer Beleg. Erst wenn Historikerinnen und Historiker sich losgelöst vom heutigen Alltagsverständnis des Begriffs „Aufklärung“15 der Aufklärung als Epoche nähern, können Rahmungen und Logiken des Denkens dieser Zeit aufscheinen, die für sie spezifisch sind, zeitgebunden zu verstehen sind und nicht notwendigerweise mit unseren heutigen Vorstellungen kongruent gehen. Um auf die Begrifflichkeit Descolas zurückzukommen: Es wird in den um 1800 denkbaren Konzepten zur Verwandtschaft der Lebewesen untereinander eine andere Ontologie sichtbar – eine, die wir gewöhnlich nicht mit dem „Rationalismus“ der Aufklärung in Verbindung bringen: Nicht nur die Ähnlichkeit in der Physikalität innerhalb der Lebewesen existiert hier, sondern – im Gegensatz zum mechanistischen Denken – auch die Ähnlichkeit der Interioritäten.16 Die Lebewesen sind hier in einem Ganzen und in Beziehungen verwoben, wobei der Mensch in ­dieses Netzwerk einbegriffen ist. Zeigt sich hier ein Strang europäischen, ökologischen Denkens, der mit dem Lauf der Geschichte zunehmend und wohl vor allem a body of knowledge separate from other bodies of knowledge (…).“ (Outram, Enlightenment, 1995, S. 48 f.) 15 Zu dieser Unterscheidung siehe: Schneiders, Werner: Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland, Hamburg 1990, insb. S. 9 – 27. 16 In der Ontologien-­Lehre Philippe Descolas würden diese Vorstellungen aber nicht dem abendländischen Naturalismus entsprechen.

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im 20. Jahrhundert beiseite geschoben wurde? Den die Aufklärung aber ebenso ermöglichte und der dem Abendland bestimmte Denkhorizonte zumindest teilweise zurückgeben kann, die Philippe Descola seit Bacon und Descartes für d ­ ieses verloren glaubt?17 Tatsächlich geraten pflanzliche Kommunikationsweisen und Fragen nach Lernfähigkeit und „Kognition“ heute erneut in den Blick 18 – befinden wir uns wieder in einem Wandlungsprozess? Was bleibt? Was bleibt also vom ahistorischen, politischen Begriff der Aufklärung? Ist sie nur noch als Historisch-­Untersuchbares existent, mit vielfältigsten, vielleicht einander auch widersprechenden Vorstellungen und Strömungen? Hat sie als wegweisende Epoche westlichen Denkens gar ausgedient? Den Optimismus der Aufklärung nicht zu verlieren, könnte doch auch heißen, jenen ganzheitlichen Denkentwürfen der gemeinschaftlichen Existenz von Mensch, Tier und Pflanze in einem in Naturgesetzlichkeiten gestalteten Kosmos eine Chance zu geben, die in der Epoche der Aufklärung ebenso vorhanden waren wie die letztlich auf der cartesianischen Trennung basierende Dualität von Natur und Kultur. Aber das ist keine historische Analyse mehr, sondern der Descola’sche Traum eines „völlig neuen Systems des Zusammenlebens, das von Neuem die Trennung z­ wischen Menschen und Nichtmenschen ablehnen würde“.19 Oder – vorsichtiger gesagt – es bleibt auch heute die Möglichkeit einer der Natur wieder demütiger begegnenden Haltung. In der Sichtbarmachung der in letzter Konsequenz den anderen Lebwesen ähnlichen mensch­ lichen Existenz – trotz aller technischen, medizinischen und kulturellen Errungenschaften. Es wäre die Anerkennung der Verwandtschaft unserer Existenz mit der des Tieres und der Pflanze, letztlich die Anerkennung unserer „Natur“. Aber das ist nicht das Feld einer Geschichtswissenschaft, sondern eine, auch mit der Aufklärung zutiefst verbundene, moderne Bebilderung der Sehnsucht nach dem Paradies.

17 Descola, Philippe: Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 99 ff. 18 Beispielsweise: Baluška, František (Hrsg.): Plant-­Environment Interactions. From Sensory Plant Biology to Active Plant Behaviour, Heidelberg 2009. 19 Descola, Jenseits von Natur und Kultur, 2013, S. 583.

Bibliographie Hilfsmittel und Lexika (heutige und zeitgenössische) Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Leipzig 1875 – 1912. (auch online zugänglich unter https://www.deutsche-­biographie.de/index.html; Stand 10. 5. 2018). Curieuses und Reales Natur= Kunst= Berg= Gewerck und Handlungslexicon (…) 3. Auflage Sachsen 1717. Dietrich, Friedrich Gottlieb: Vollständiges Lexicon der Gärtnerey und Botanik: Oder alphabetische Beschreibung vom Bau, Wartung und Nutzen aller in- und ausländischen, ökonomischen, officinellen und zur Ziere dienenden Gewächse, Weimar und Berlin 1802 – 1824 (21 Bände, genannt „Der Dietrich“). Enzyklopädie der Neuzeit (EndZ), Stuttgart 2005 – 2012. Hauslexikon der Gesundheitslehre für Leib und Seele von Hermann Klencke, 3. neu durchgearbeitete und vermehrte Auflage, Leipzig 1872. Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Basel 2002 – 2014. Miller, Philipp: Das englische Gartenbuch, oder, Philipp Millers (…) Gärtner-­Lexikon (…) in das Deutsche übersetzet, von D. Georg Leonhart Huth, der Republik Nürnberg ordentlichem Physico, Nürnberg (…) 1750 – 1758. The Oxford Dictionary of National Biography (ODNB), Oxford 1885 – 1900. The Universal Gardener and Botanist; or a General Dictionary of Gardening and Botany (…), London 1778. Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-­Lexicon aller Wissenschaften und Künste (…), 1731 – 1754 (http://www.zedler-­lexikon.de, Stand 19. 5. 2019).

Fachbibliographien Bäumer, Änne: Bibliography of the History of Biology – Bibliographie zur Geschichte der Biologie, Frankfurt a. M. et al. 1997. Blaser, Fritz: Bibliographie der Schweizer Presse. Mit einem Einschluss des Fürstentums Liechten­ stein. Bibliographie de la Presse suisse. Bibliografia della Stampa svizzera (2 Bde), Basel 1958. Index deutschsprachiger Zeitschriften 1750 – 1815. Erstellt durch eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Klaus Schmidt, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Hildesheim 1990 ff. Online (IdZ 18 und IdRZ 18): http://adw.sub.uni-­goettingen.de/pages/Main.jsf (Stand 5. 9. 2017). Marti, Hans-­Peter und Erne, Emil: Index der deutsch- und lateinsprachigen Schweizer Zeitschriften von den Anfängen bis 1750, Basel 1998. Lang, Carl Ludwig: Die Zeitschriften der deutschen Schweiz bis zum Untergang der alten Eidgenossenschaft (1798), Leipzig 1939.

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Gedruckte Quellen I: Zeitschriftenbestände Für diese Studie wurden fast ausschließlich die Originale benutzt, nur in Ausnahmefällen lag nur das Digitalisat vor (gekennzeichnet mit BZA = Bielefelder Archiv der Zeitschriften der Aufklärung). In jenen Fällen, in denen Seitenzählungen oder Bandzählungen in den Originalen variieren, beziehen sich die Angaben im Text auf die Bestände der Universitätsbibliothek Basel. Die Zeitschriften sind vielfach digitalisiert und einsehbar. Besonders hilfreich für die botanischen und naturkundlichen Zeitschriften sind die Digitalisate folgender Institutionen:

Biodiversity Heritage Library des New York Botanical Garden http://www.biodiversitylibrary.org (Stand 19. 5. 2019)

Hathi Trust Digital Library http://www.hathitrust.org (19. 5. 2019)

Bielefelder Archiv der Zeitschriften der Aufklärung (BZA) http://ds.ub.uni-­bielefeld.de/viewer/ (Stand 1. 10. 2017)

Botanische Zeitschriften der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg http://sammlungen.ub.uni-­frankfurt.de/botanik (Stand 1. 10. 2017)

e-­periodica Dieses Digitalisierungsprojekt zu Schweizer Zeitschriften an der ETH Zürich wird fortwährend ergänzt: http://www.e-periodica.ch (Stand 19. 5. 2019)

Gelehrte Journale/Akademie der Wissenschaft, Göttingen http://gelehrte-journale.de/Startseite (Stand 12. 9. 2019)

Zeitschriftenbestände – als Gesamtbestand durchgesehen oder im für die Zeit relevanten Teil ausgewertet Annalen der Blumisterei. Für Blumenfreunde, Gartenbesitzer und Saamenhändler. In Verbindung mehrerer Gartenfreunde herausgegeben von Jacob Ernst von Reider, Königl. Bayer. erstem Landgerichts=Assesor, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede, (1)1825 – (12) 1836; erschien zunächst monatlich, dann vierteljährlich. Botanische Zeitung: ­welche Recensionen, Abhandlungen, Aufsätze, Neuigkeiten und Nachrichten, die Botanik betreffend enthält, Regensburg, Jahrgang 1 – 6, 1802 – 1807, erschien zunächst vierzehntägig, dann wöchentlich. (Später ersetzt durch: Flora oder Botanische Zeitung, s. u.) Botanisches Taschenbuch für Anfänger dieser Wissenschaft und der Apothekerkunst, herausgegeben von David Heinrich Hoppe in Regensburg, Bände von 1790 – 1808, erschien jährlich.

Bibliographie |

Botanische Unterhaltungen. Mit jungen Freunden der Kräuterkunde auf Spatzier­gängen. Erstes Monatsstück für den Brachmonat 1784 – zwölftes Stück Mai 1785, vermutlich herausgegeben von Georg Anton Weizenbeck, München 1784 – 1785. Der Botaniker, oder compendiöse Bibliothek alles Wissenswürdigen aus dem Gebiete der Botanik, Gotha und Halle 1793 – 1799, erschien in ca. drei Heften pro Jahr. Der Naturforscher, eine physikalische Wochenschrift auf die Jahre 1747 und 1748, hrsg. von Christlob Mylius. Flora oder botanische Zeitung w ­ elche Recensionen, Abhandlungen, Aufsätze, Neuigkeiten und Nachrichten, die Botanik betreffend enthält, herausgegeben von der könig. botan. Gesellschaft zu Regensburg, Jahrgänge von 1818 bis 1850 (später umbenannt in Flora oder allgemeine botanische Zeitung), erschien wöchentlich. Garten der Flora oder Beschreibung und Abbildung verschiedener Pflanzen für Liebhaber der schönen Gartenkunst, Winterthur 1791 – 1794; erschien unregelmäßig. (Der Herausgeber wird im Heft nicht genannt, unterschiedliche Zuschreibungen, eventuell Friedrich Jakob Dochnal.) Journal für die Botanik, herausgegeben von Heinrich Adolph Schrader, Göttingen 1799 – 1803. Nachfolgend: Neues Journal für die Botanik, herausgegeben von Heinrich Adolph Schrader, Erfurt 1806 – 1810; erschien unregelmäßig. Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Gotha 1781 – 1799, hrsg. von Georg Christoph Lichtenberg (ab 1786 übernahm Voigt die Herausgabe), erschien halbjährlich und öfter. Magazin für die Botanik, hrsg. von Johann Jakob Römer und Paulus Usteri, Zürich 1787 – 1790, erschien unregelmäßig, geplant war eine vierteljährliche Ausgabe. Der Nachfolger wurde heraus­ gegeben von Paulus Usteri: Annalen der Botanick, Zürich 1791 – 1800, erschien vierteljährlich. Ein zweiter Nachfolger wurde herausgegeben von Römer: Neues Magazin für die Botanik in ihrem ganzen Umfange, hrsg. von Johann Jakob Römer, Zürich 1794 (Römer publizierte dies dann ab 1796 umbenannt in Archiv für die Botanik in Leipzig 1796 – 1805). Magazin für die Naturkunde Helvetiens, hrsg. von Albrecht Höpfner, Zürich 1787 – 1789, erschien halbjährlich bzw. jährlich. Magazin für Pharmazie, Botanik und Materia Medica, hrsg. von Johann Hermann Pfingsten der Arzneygelahrtheit Doktor und gewerkschaftlicher Bergdirektor zu Erlau (…), Halle 1782 – 1783, erschien unregelmäßig. Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel, von allerhand dem Publiko (…) zu wissen nöthig (…), erschien wöchentlich. Städtisches Anzeigenblatt, in den 1730er Jahren unter dem Titel Avisblättlein; hier beachtet für die Entwicklung der städtischen Märkte sind die Verkaufsanzeigen und Kaufgesuche. Die hier in Zehnjahresschritten konsultierten Jahrgänge des wöchentlich erscheinenden Blattes beziehen sich auf die Jahrgänge 1788/1789, 1799/1800, 1810/1811, 1819/1820; 1829/1830, 1840. Wöchentliche Mannigfaltigkeiten, erschien in Basel von 1812 bis 1813 in 52 Nummern und wurde dann wieder eingestellt. Zeitschrift für wissenschaftliche Botanik, herausgegeben von M. J. Schleiden und Carl Nägeli, Zürich 1844 – 1846.

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Ergänzend hinzugezogene Zeitschriften und Reihen Allgemeines Teutsches Garten=Magazin oder gemeinnützige Beiträge für alle Theile des praktischen Gartenwesens, 1804 – 1811, im Verlage des Landes=Industrie=Comptoirs Weimar (vermutlich herausgegeben von Freidrich Justin Bertuch); erschien jährlich. Annalen der Allgemeinen Schweizerischen Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften, Bern 1824 – 1825. Allgemeine Deutsche Garten=Zeitung, hrsg. von der Gartenbau-­Gesellschaft in Frauendorf, 1823 ff. Der Wanderer in der Schweiz. Eine malerische Zeitschrift, herausgegeben von mehreren Freunden des Vaterlandes, Basel 1835 – 1841. Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen, Göttingen 1739 – 1752. Hannoverisches Magazin, Hannover 1763 – 1790. Magazin für Frauenzimmer, bzw. Neues Magazin für Frauenzimmer, 1782 – 1791, erschien vierteljährlich. Neue Zeitungen aus der gelehrten Welt: Zur Beleuchtung der Historie der Gelehrsamkeit, gesammelt von Johann Jacob Breitinger), Zürich 1725. Taschenbuch für Gartenfreunde auf das Jahr (…), herausgegeben von C. C. L. ­Hirschfeld, Kiel 1782 ff.

Gedruckte Quellen II: Monographien und zentrale Einzelaufsätze der Zeitschriften Vorbemerkung Aufgrund der Materialfülle werden hier nur die mehrfach zitierten Zeitschriftenartikel aufgeführt. Die Angaben unter „Ungenannter Verfasser“ sind somit eher als Beispiele für die Vielfalt dieser Texte zu betrachten. „Ungenannter Verfasser“ bezeichnet einen nicht weiter erkennbaren Autor, oft handelt es sich hier um den jeweiligen Herausgeber der Zeitschrift; „Ungenannter Kompilator“ verweist darauf, dass hier Wissenswertes aus anderen Monographien und Artikeln beschrieben wird. Da der Begriff des „geistigen Eigentums“ im behandelten zeitlichen und geographischen Raum nicht existiert und ­dieses Wissen als Allgemeingut (für die Allgemeinheit gut) verstanden wird, ist hier nicht immer eine genaue Unterscheidung und Zuordnung möglich. In vielen Fällen handelt es sich dann um einen Aufsatz des Herausgebers der Zeitschrift, aber nicht immer. Je früher im Gesamtbestand der Zeitschrift, desto eher sind die meisten Texte vom Herausgeber selbst geschrieben oder von d ­ iesem aus anderen Texten kompiliert. Die fehlende Namensnennung hat tatsächlich nur in wenigen Fällen damit zu tun, dass dieser anonym bleiben sollte, sondern meist damit, dass es „Autorschaft“ im heutigen Sinne nicht gibt. Oft wird auch nur der Nachname genannt. Das Wiederholen, Kompilieren oder auch Verändern von Texten bei Übersetzungen stellt eine Normalität dar und wird nicht angezeigt. Einmalig zitierte Abhandlungen und Aufsätze finden sich nur in den Fußnoten. Einzelne Anzeigen, „Botanische Notizen“, „An unsere Leser“, „Nachrichten“, „Korrespondenzen“ oder Anzeigen aller Art erscheinen ebenso nur in den Fußnoten.

Bibliographie |

Zu den Monographien: Durch das vielfache Auftauchen der gleichen Nachnamen (bei unterschiedlichen Vornamen) wird deutlich, dass es sich hier um ganze „Botanisten-­Dynastien“ h ­ andelt, deren Familienzusammenhänge allerdings oft im Dunkeln liegen, weil zu den verschiedenen Personen oft keine weiteren Angaben eruierbar sind.

Abercrombie, John und Mawe, Thomas: Every Man his own Gardener (…), London 1791. Dieses Werk erschien in vielfältigen Auflagen; in der deutschen Übersetzung 1779: Praktische Anweisung zur Gartenkunst für alle Monate des Jahres von Thomas Mawe, John Abercrombie, und einigen andern erfahrnen Gärtnern; Nach der siebenten verbesserten englischen Ausgabe übersetzt und mit Anmerkungen erläutert, Leipzig 1779. Achard, Franz Carl: Verzeichniss einer Sammlung Treib-­Gewächs-­Orangeriehaus-­Pflanzen (…) ­welche in meinem Garten cultivirt und den Liebhabern der Botanik zum Tausch (…) angeboten werden, Berlin 1796/1798. Algarotti, Francesco: Jo. Newtons Welt-­Wissenschaft für Frauenzimmer Oder ­Unterredungen über das Licht, die Farben, und die anziehende Kraft / Aus dem Italiänischen des Herrn ­Algarotti, durch Du Perron de Castera ins Französische und aus ­diesem ins Teutsche übersetzet, Braunschweig 1745. Amoreux / Ungenannter Übersetzer: „Physisch botanische Betrachtungen über die Gelenke der Pflanzen. Von einem Herrn Amoreux dem Sohn (Journ. de Ph. 84 Mai)“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 3, 1. Stück, 1785, S. 66 – 70. Andreae, Johann Gerhard Reinhard: Briefe aus der Schweitz nach Hannover geschrieben, in: Hannoverisches Magazin, 2. Jahrgang, verschiedene Fortsetzungen in den Heften von 1764. Aristoteles (in der Übersetzung zu Anfang des 19. Jh.): Aristoteles Naturgeschichte der Thiere, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von Dr. Friedrich Strack, Professor der Naturgeschichte und der alten Sprachen am Gymnasium zu Düsseldorf, Frankfurt am Main 1816. Aristoteles: Über Pflanzen. Pflanzenschriften aus dem aristotelischen Corpus in heutiger Übersetzung; Aristoteles über Pflanzen. Übersetzt und Kommentiert von Peter Goedings, 2. korrigierte Auflage, Berlin 2007. Aristoteles: Naturgeschichte der Thiere, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von Dr. Friedrich Strack, Professor der Naturgeschichte und der alten Sprachen am Gymnasium zu Düsseldorf, Frankfurt am Main 1816. Baldinger, E. G.: Ueber Litterar=Geschichte der theoretischen und praktischen Botanik. Von E. G. Baldinger, Geh. Rath, Leibarzt und Professor Primarius der med. Fakult. zu Marburg, Marburg 1794. Baumgart und Schreber: Botanisches Taschenbuch, wißbegierigen Spatziergängern in den englischen Anlagen um Leipzig gewidmet, Leipzig 1794. (Ursprünglich offensichtlich vor 1790 von einem Herrn Baumgart konzipiert und dann von einem Herrn von Schreber überarbeitet.) Batsch, August: Botanische Unterhaltungen für Naturfreunde zu eigner Belehrung über die Verhältnisse der Pflanzenbildung (Teil I), Jena 1793. Batsch, August: Botanik für Frauenzimmer und Pflanzenliebhaber ­welche keine Gelehrten sind von D. Aug. Joh. Ge. Carl Batsch, Professor zu Jena, Weimar 1795.

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522 | Bibliographie Batsch, August Joh. Ge. Carl: Der geöffnete Blumengarten. Theils aus dem Englischen von C ­ urtis Botanical Magazine, neu bearbeitet, theils mit neuen Originalien bereichert, Weimar 1796. Beckmann, Johann: Anfangsgründe der Naturhistorie, Göttingen und Bremen 1767. Behrens, Wilhelm Julius: Methodisches Lehrbuch der Allgemeinen Botanik für höhere Lehranstalten (…), Braunschweig 1880. Benemann, Johann Christian: Gedancken über das Reich derer Blumen / Bey müßigen Stunden gesammlet, von einem Liebhaber solcher schönen Geschöpffe, Dresden und Leipzig, 1740. Benemann, Johann Christian: Die Tulpe, zum Ruhm Ihres Schöpfers und Vergnügen edler Gemü­ ther, beschrieben von dem Verfasser derer Gedancken über das Reich der Blumen, Leipzig 1741. Benemann, Johann Christian: Die Rose, zum Ruhm ihres Schöpfers und Vergnügen edler Gemü­ ther, beschrieben von dem Verfasser derer Gedancken über das Reich der Blumen, Dresden / Leipzig 1742. Betten, Robert: Unsere Blumen am Fenster. Anweisung zur Blumenzucht und Pflege von Robert Betten, Redakteur des „praktischen Ratgebers im Obst= und Gartenbau“. Mit 115 Illustrationen. Zweite Auflage, Frankfurt a. d. O. 1895 (erste Auflage 1890). Biedenfeld, Ferdinand Freiherr von: Die Blumen im Zimmer, Leipzig 1853. Blake, Stephen: Compleat Gardeners Practice, directing the Exact Way of Gardening in three Parts: The Garden of Pleasure, The Physical Garden, the Kitchin Garden, London 1664. Blumenbach, D. Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte, 3. verbesserte Ausgabe Göttingen 1788. Bis 1830 erscheinen mindestens 12 Auflagen. Bonnet, Charles: Betrachtung über die Natur von Herrn Karl Bonnet (…) mit den Zusätzen der italienischen Uebersetzung des Herrn Abt Spallanzani (…) und einigen eigenen Anmerkungen herausgegeben von Johann Daniel Titius, 3. Auflage Leipzig 1774. Bosse, Julius Friedrich Wilhelm: Vollständiges Handbuch der Blumen-­Gärtnerei oder genaue Beschreibung von mehr als 4060 wahren Zierpflanzen-­Arten mit Angabe des Vaterlandes, der Blüthezeit, der vorzüglichsten Synonyme, der bekannt gewordenen Pflanzenpreise, und der Orte, an ­welchen die beschriebenen Pflanzen zu finden oder käuflich und gegen Tausch zu haben sind (…), bearbeitet von J. F. W. Bosse, Hannover 1829 (und weitere Auflagen offensichtlich bis 1859). Bouché, Carl Paul: Der Zimmer- und Fenstergarten. Oder kurze und deutliche Anleitung, die beliebtesten Blumen und Gewächse in Zimmern und Fenstern zu ziehen, pflegen und überwintern zu können. Nebst einer Anweisung zur Blumentreiberei und zu einer für alle Monate geordneten Behandlung der in ­diesem Werke vorkommenden Gewächse. Von Carl Paul ­Bouché, Kunstgärtner zu Berlin. Berlin bei Friedrich Maurer 1808 (entspricht der Ausgabe aus Reutlingen in der Mäcken’schen Buchhandlung 1810). Bouché, Peter Carl: Der Zimmer= und Fenstergarten oder kurze und deutliche Anleitung die beliebtesten Blumen und Zierpflanzen in Zimmern und Fenstern ziehen, pflegen und überwintern zu können. Nebst einer Anweisung zur Blumentreiberei und zu einer für alle Monate geordneten Behandlung der vorkommenden Gewächse. Vermehrt durch einen Anhang: Betrachtungen über den Stadtgarten oder Anweisung zur möglichsten Benutzung der Räume hinter und z­ wischen Gebäuden in den Städten. Von Peter Carl Bouché Instituts=Gärtner der Königl. Gärtner=Lehranstalt und Mitglied der Gartenbau=Gesellschaft in den Königl. Preuss. Staaten. Sechste verbesserte und vermehrte Auflage Berlin und Leipzig 1833 (Es handelt sich um das

Bibliographie |

von Peter Carl Bouché erneut herausgegebene und vielfach ergänzte erste Werk aus der Familie Bouché, alle Auflagen können hier nicht berücksichtigt werden, siehe Teil III.) Bouché, Carl David und Bouché, Julius: Bau und Einrichtung der Gewächshäuser. Ein Handbuch für Gärtner und Baumeister, 2 Bde, Bonn 1886. Braune, Franz Anton von: Salzburgische Flora, oder Beschreibung der in dem Erzstifte Salzburg wildwachsenden Pflanzen: nebst Angabe ihrer Wohnorte, Blühezeiten, Dauer, Gestalt etc. ihrer Anwendbarkeit in der Heilkunde und Haushaltungswissenschaft, Salzburg 1797 (3 Bde). Braune, Franz Anton von: „Betrachtungen über das Studium der Botanik“, in: Botanisches Taschenbuch für die Anfänger dieser Wissenschaft und der Apothekerkunst (hrsg. von David Heinrich Hoppe in Regensburg) (1803), S. 62 ff. Broussonet: „Ueber die Aehnlichkeit z­ wischen den Bewegungen der Thiere und Pflanzen, nebst Beschreibung einer Art Schildklee dessen Blätter in einer ständigen Bewegung sind, von Herrn Broussonet J. de phys. May 1787“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 6, 3. Stück, 1790, S. 44 ff. Bruce, Robert: „Ueber die empfindliche Eigenschaft des Baums Averrhoa Carambola. Vom Hrn Bruce“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 4, 2. Stück, (1787), S. 58 – 61. Buffon, Georges Louis Leclerc de: Herrn Buffons allgemeine Naturgeschichte. Eine freye mit einigen Zusätzen vermehrte Übersetzung nach der neuesten französ. Ausgabe, 7 Theile, B ­ erlin 1771 – 1774. Crome, G. E. W.: „Ueber den Einfluss der Atmosphäre und ihrer Veränderungen auf die Vegetation“, in: Annalen des Ackerbaus 9 (1809), S. 411 – 460. Cürie, P. F.: Anleitung, die im mittleren Deutschland wachsenden Pflanzen auf eine leichte und sichere Weise durch eigene Untersuchung zu bestimmen, 2. Auflage Görlitz 1828. Damascenus (zeitgenöss. vermutlich neu auf Basis der mittelal. Handschrift. ediert): Nicolai Damasceni De Plantis Libri Duo Aristoteli Vulgo Adscripti. Ex Isaaci Ben Honain Versione Arabica Latine Vertit Alfredus. Ad Codd. Mss. Fidem Addito Apparatu Critico recensuit E. H. F. Meyer, Phil. Med. D. P. P. O. Lipsiae, sumtibus Leopoldi Voss, 1841. Darwin, Charles: The Power of Movement in Plants, New York 1892. (Die Erstausgabe datiert von 1880.) Denne, John: The Wisdom of God in the Vegetable Creation. A Sermon Preach’d in the Parish-­ Church of St. Leonard Shoreditsch (…), 1730, by Johne Denne, Archdeacon of Rochester, London 1730. Denso, Johann Daniel: Beweis der Gottheit aus dem Grase (…), Amsterdam 1750. Dennstedt, August Wilhelm: Weimar’s Flora, Jena 1800. Derham, William: Physico-­theology or, a Demonstration of the being and Attributes of God, from his works of Creation (…) Twelfth Edition, Glasgow MDCCLII, S. 406 ff. (Übersetzt wurde ­dieses Werk ins Deutsche von Johann Albert Fabricius und erlebte unzählige Auflagen, u. a.: 1730, 1732, 1736, 1741, 1750, 1764, 1773; ebenso finden sich französische, italienische oder holländische Auflagen.) Descartes, René: Discours de la méthode, 1637, frz.-dt. Ausgabe Hamburg 1990.

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524 | Bibliographie Dietrich, Friedrich Gottlieb: Der Wintergärtner Oder Anweisung die beliebtesten Mode­blumen und ökonomischen Gewächse ohne Treibhäuser und Mistbeete, in Zimmern, Kellern und andern Behältern zu überwintern, oder für den offenen Garten vorzubereiten, Weimar 1802. Dochnahl, Friedrich Jakob: Bibliotheca hortensis. Vollständige Gartenbibliothek oder alphabetisches Verzeichnis aller Bücher, ­welche über Gärtnerei (…) von 1750 bis 1860 in Deutschland erschienen sind, Nürnberg 1861. Döll, J. Ch.: Rheinische Flora. Beschreibung der wildwachsenden und cultivirten Pflanzen des Rheingebietes vom Bodensee bis zur Mosel und Lahn, mit besonderer Berücksichtigung des Grossherzogthums Baden. Von J. Ch. Döll, Grossherzoglich Badischem Professor, erstem Bibliothekare an der Grossherzoglichen Hofbibliothek in Carlsruhe und Mitgliede mehrerer Gelehrtenvereine, Frankfurt a. M. 1843. Dörrien, Catharina Helena: Verzeichniß und Beschreibung der sämtlichen in den Fürstlich Oranien=Nassauischen Landen wildwachsenden Gewächse, verfasset von Catharina Helena Dörrien der Botanischen Gesellschaft in Florenz Ehren=Mitglied, Herborn 1777. Domeier (ein „Hofmedicus“): „Ueber einige botanische Institute in London“, in: Annalen der Botanick (1792), S. 67. Duncan, John Shute: Botanical Theology. Or Evidence and Attributes of the Deity (…), Oxford 1826. Dunker, J. H. A.: Pflanzen=Belustigungen oder Anweisung wie man getrocknete Pflanzen auf eine leichte und geschwinde Art sauber abdrucken kann, für Kinder, vielleicht auch für Zeichner und Stickerinnen, von J. H. A. Dunker Prediger zu Rathenau (Heft 1), 2. Auflage Brandenburg 1798. Duret, Claude: Histore admirable des plantes et herbes esmerueillables & miraculeuses en nature: mesme d’aucunes qui sont vrays Zoophytes, ou Plant-­animales, Plantes & Animaux tout ensemble, pourauoir vie vegetatiue, sensitive & animale: Avec leurs portraicts au naturel, selon les histoires, decriptions, voyages & navigations des anciens & modernes Hebrieux (…), Paris, 1605. Engelberg, Joseph Meinrad von und Schreckenstein, Friederich Freyherr von: Flora der Gegend um den Ursprung der Donau und des Neckars (…), 4 Bde, Donaueschingen 1804 – 1814. Erxleben, Johann Christian Polykarp: Anfangsgründe der Naturgeschichte (…), 2. Auflage Göttingen und Gotha 1773. Fechner, Gustav Theodor: Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen, Leipzig 1848. Fischer, Gotthelf (als Kompilator und Kommentator): „J. Ingehouss über Ernährung der Pflanzen und Fruchtbarkeit des Bodens. Aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Gotthelf Fischer, der Weltweisheit Doctoren, der Arzneiwissenschaft Bacc. Mitgliede des Collegii physico-­mathamatici zu Basel u. s. w. Nebst einer Einleitung über einige Gegenstände der Pflanzenphysiologie von F. A. Humboldt. Leipz. 1798“, in: Journal für die Botanik, Band 1, 2. Stück (1799). Fischer, Ludwig von: Taschenbuch der Flora von Bern. Systematische Uebersicht der in der Gegend von Bern wildwachsenden und zu öconomischen Zwecken allgemein cultivirten phane­ rogamischen Pflanzen, Bern 1855. Flörke (Vorname nicht eruierbar): „Ein paar salzburgische Alpen-­Exkursionen. Von dem Herrn Flörke“, in: Journal für die Botanik, Band 4, 1. Stück (1801). Mit sieben Kupfertafeln, Göttingen

Bibliographie |

1801, S. 137 – 170. (Die Bandzählungen sind in den Originalen nicht kohärent, die hier angegebene Zählung bezieht sich auf das Original der UB Basel.) Forster, J. R.: „Hrn. Dr. Forsters Versuch einer Th ­ eorie über die Ursache, w ­ elche die Blätter der Pflanzen veranlasst, im Sonnenlichte die faule Luft zu reinigen, im Schatten aber dieselbe zu vergiften“, in: Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur, 1. Jahrgang 2. Stück (1780), S. 185 – 206. Froelich, C. Fr.: Botanische Spaziergänge im Kanton Alppenzell. Beschreibung der daselbst wildwachsenden Pflanzen in systematischer Ordnung, Trogen 1850. Funck, Heinrich Christian: Deutschlands Moose. Ein Taschenherbarium zum Gebrauch auf botanischen Excursionen, herausgegeben von Heinrich Christian Funck, mehrerer naturforschenden Gesellschaften Mitglied, Baireuth 1820. Gabriel, Peter: Allgemeiner Gärtner / Von Setz= und Pflantzung allerhandt fruchbarer Bäume / schöner Kräuter und Blumen / in allerley Gärten und Ländern / Zu deß Menschen ­grosser Ergötzlichkeit; Eingerichtet nach der Kunst=lehrenden Regeln / wie man die Erde recht erkennen / verbessern / und der Sonnen Höhe über jeglichem Clima beobachten solle (….), Esslingen 1673. Goethe Johann Wolfgang von: „Die Metamorphose der Pflanze“, in: Archiv für die Botanik, Band 2, 1. Stück (1799), S. 34 ff. Götz, Georg Friederich: Leben des Herrn Heinrich Sanders, Professors am Gymnasium illustre in Karlsruhe (…), zweite Auflage Dessau und Leipzig, 1785. Grimm’sche Familienbriefe: Ehrhardt, Holger (Hrsg.): Briefwechsel der Brüder Grimm (einschließlich des Briefwechsels z­ wischen Herman Grimm und Dorothea Grimm, geb. Wild), Kasseler Ausgabe Band I, Kassel / Berlin 1998. Grotjan, Johann August: Physikalische Winter-­Belustigung mit Hyacinthen, Jonquillen, Tazzeten, Tulipanen, Nelken und Levcojen (…) zwei Teile, Nordhausen 3. Auflage 1766. Gürnth, Christine Dorothea: Gartenökonomie für Frauenzimmer oder Anweisung die Produkte des Blumen-, Küchen- und Obstgartens in der Haushaltung aufs mannigfaltigste zu benutzen, 4 Bände, Züllichau 1790 – 1795. Gürnth, Christine Dorothea: Die Gartenfreundin, oder Handbuch der Blumengärtnerei, Glogau 1807. Hales, Stephen: Statick der Gewächse oder angestellte Versuche mit dem Saft der Pflantzen und ihrem Wachsthum (..), Halle 1748. Harless, Chr. Fr.: Die Verdienste der Frauen um Naturwissenschaft und Heilkunde, Göttingen 1830. Hartmann, J. F.: „Versuch, wie die Schönheit der Blumen und Pflanzen im Austrocknen zu erhalten“, in: Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen, 24. Band, 4. Stück (1760), S. 375 – 384. Hartwig, J.: Der illustrierte Hausgärtner. Anleitung, Blumen und Zierpflanzen in kleinen Gärten und Zimmern zu ziehen, nebst Kulturangabe der beliebtesten Zierpflanzen für Wohnzimmer, Kalthäuser und das freie Land, Weimar 1883. Hecker, Johannes Julius: Ioannis IVLII Heckers Paed. Reg. Hall. Collegae, Einleitung in die Botanic, worinnen die Nöthigste Stücke dieser Wissenschaft kürtzlich abgehandelt werden Mit

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526 | Bibliographie einer Vorrede Herrn Friederich Hoffmanns med. D. Königl. Preussischen Hofraths …. von der Rechten Anführung der Jugend auf Schulen zu Erlernung reeller Wissenschaften und der wahren Weisheit, Halle 1734. Hedwig, Johann: Belehrung die Pflanzen zu trocknen und zu ordnen. Sie frisch nach dem Linné zu untersuchen und im System ausfündig zu machen. Für junge Botaniker von D. Johann Hedwig, Professor der Gewächskunde und verschiedener gelehrten Gesellschaften Mitglied, Gotha 1797 (zweite Auflage 1801). Henschel, A. G.: Commentatio de Aristotele Botanico Philosopho, Vratislaviae 1824. Hegetschweiler, Johann, aufbauend auf Suter, Johann Rudolf: Helvetiens Flora enthaltend die phanerogamischen Gewächse Helvetiens, zuerst bearbeitet von Joh. Rudolf Suter, vermehrt herausgegeben von Johann Hegetschweiler (2 Bde), Zürich 1822. Hill, John: The Sleep of Plants, and Cause of Motion in the Sensitive Plant, Explain’d. By J. Hill. In a Letter to C. LINNAEUS, Professor of Botany at Upsal, London M.DCC.LVII. (Dt. Ausgabe: Hill, John: Abhandlung vom Schlaf der Pflanzen, und von der Ursache der Bewegung der Empfindenden Pflanzen, in einem Sendschreiben an den Schwedischen Ritter von Linné; aus dem Engl. übersetzt und mit Anmerkungen erläutert von Heinrich Joh. von Hahn, Carlsruhe 1776.) Hiller: „Ueber die weitere Untersuchung der Pflanzengewächse, deren Nothwendigkeit und Nutzbarkeit“, in: Magazin für Pharmazie, Botanik und Materia Medica, Band 2, Halle 1783, S. 1 – 24. Hirschfeld, Christian Cajus Lorenz: ­Theorie der Gartenkunst, 5 Bde, Leipzig 1779 – 1785. Hochstetter, Christian Friedrich: Populäre Botanik oder faßliche Anleitung zur Kenntniß der Gewächse, besonders der in Deutschland und in der Schweiz am häufigsten wildwachsenden Arten, wie auch der deutschen Culturpflanzen und der merkwürdigsten Gewächse der wärmern Länder. Zum Gebrauch und Selbstunterricht der Erwachsenen und der Jugend, überhaupt aller derer, die mit der Pflanzenwelt näher bekannt zu werden wünschen, besonders der Schullehrer und Schulgehülfen, der Gymnasial= und Realschüler, junger Pharmaceuten und aller Jünglinge und Töchter aus den gebildeten Ständen, von Ch. F. Hochstetter, Professor am Königlichen Hauptschullehrer=Seminar und zweiten Stadtpfarrer zu Eßlingen, Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften, 2 Theile, Reutlingen 1831. (Anm.: In den Bibliothekskatalogen und den Werken sind die Vornamen – Christian Ferdinand Friedrich Hochstetter – meist verkürzt auf Christian Friedrich, weshalb dies hier auch verkürzt angegeben wird.) Hochstetter, Christian Friedrich und Rebau, Heinrich: Naturgeschichte für die deutsche Jugend, zweite umgearbeitete Ausgabe, Stuttgart 1829. Hochstetter, Christian Friedrich: Populäre Mineralogie oder die Fossilien- und Gebirgskunde für alle Stände; insbesondere für die Jugend und für Lehrer an Real-, Gewerbs- und Volksschulen, auch für Geistliche, Pharmaceuten, Gewerbsmänner und Landwirthe, Reutlingen 1836. Hochstetter, Christian Friedrich: Naturgeschichte des Pflanzenreichs in Bildern. Nach der Anordnung des allgemein bekannten und beliebten Lehrbuchs der Naturgeschichte von G. H. v. Schubert, Stuttgart 1853 (weitere Auflagen folgten). Hochstetter, Wilhelm und Hochstetter, Christian Friedrich: Populäre Botanik oder faß­ liche Anleitung zur Kenntniß der Pflanzen für Schule und Haus (…), Stuttgart 1875 und 1877.

Bibliographie |

Hochstetter, Christian Friedrich und Steudel, F.: „Abermalige Förderung der Botanik von Würtemberg aus“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 9, Band 1, Ausgabe Nr. 6 vom 14. Februar 1826, S. 87 – 96. Hoefle, M. A.: Die Pflanzensysteme von Linné, Jussieu, de Candolle (…), Heidelberg 1845. Hoffmann, Carl: Lehrbuch der praktischen Pflanzenkunde in Wort und Bild, für Schule und Haus, für Gebildete aller Stände (…), Stuttgart 1876. Hoppe, David Heinrich: „Ueber die Erwerbung botanischer Kenntnisse“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), S. 17 – 39. Hoppe, David Heinrich: „Zuruf an angehende Botaniker vom Herausgeber“, Botanisches Taschenbuch (1808), S. 1 ff. Hoppe, David Heinrich: „Bericht über meine diesjährige botanische Reise; vom Herausgeber“, in: Botanisches Taschenbuch (1800), S. 160 – 198. Hoppe, David Heinrich: „Ueber das Erziehen der Pflanzen“, in: Botanisches Taschenbuch (1798), S. 40 ff. Hornung, (vermutl. Ernst Gottfried): „Ueber das naturwissenschaftliche Streben in Aschersleben (…) von Hrn. Apotheker Hornung“, in Flora oder Botanische Zeitung, 15. Jahrgang, 1. Band, Ausgabe Nr. 18 vom 14. Mai 1832, S. 287 f. Hüttig, Otto: Illustrirte Zimmer=Flora. Praktische Winke zur Anzucht und Pflege der Pflanzen, besonders der Blumen im Zimmer, in der Veranda als Wintergarten und im Freien. Nebst Anweisung zum Trocknen, Bleichen und Färben von Gräsern, Blumen und Blättern, auch deren Verwendung zum Kranz, Blumenstrauss, Blumenkissen usw., nebst einem Nachtrag: Der Obstbaum und Weinstock in Töpfen (…) Hauptsächlich für den Liebhaber bearbeitet und herausgegeben von O. Hüttig, Oranienburg 1886. Hüttner, Joh. Christ. (Übersetzer): Hindu Gesetzbuch oder Menu’s Verordnungen nach ­Cullucas Erläuterung, ein Inbegriff des Indischen Systems religiöser und bürgerlicher Pflichten. Aus der Sanskrit=Sprache wörtlich ins Englische übersetzt von Sir William Jones, und verteutschet (…) von Joh. Christ. Hüttner, Weimar 1797 (englische Übersetzung, Calcutta 1794). Ingenhousz, Jan: Experiments upon vegetables, discovering their great power of purifying the common air in the sunshine, and of injuring it in the shade and at night. To which is Joined, A new Method of examining the accurate Degree of Salubrity of the Atmosphere. By John Ingen-­Housz, Counsellor of the Court and Body Physician to thei Imperial and Royal Majesties (…), London 1779. Ingenhousz, Jan: Expériences sur les vegetaux (…), Paris 1780. Ingenhousz, Jan: D. Johann Ingenhousz, Kaiserlich-­Königlichen Hofraths und Leibarztes, der Königl. Grossbrittanischen Gesellschaft der Wissenschaften Mitglieds, Versuche mit Pflanzen, wodurch entdeckt worden, dass sie die Kraft besitzen, die atmosphärische Luft beim Sonnenschein zu reinigen und des Nachts über zu verderben (…), Aus dem Englischen, Leipzig 1780. Ingenhousz, Jan: Johann Ingen=Housz K. K. Hofraths und Leibarztes, der Königl. Gesellschaften zu London, der Batavischen Gesellschaft der Experimentalphilosophie zu Rotterdam u. u. Mitgliedes. Versuche mit Pflanzen, hauptsächlich über die Eigenschaften, w ­ elche sie in einem hohen Grade besitzen, die Luft im Sonnenlichte zu reinigen, und in der Nacht und im Schatten zu verderben; nebst einer neuen Methode, den Grad der Reinheit und Heilsamkeit

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528 | Bibliographie der athmosphärischen Luft zu prüfen. Aus dem Französischen übersetzt von Johann Andreas Scherer (…), 3 Bände, Wien 1786 – 1790. Jacquin, Nikolaus Joseph: Anleitung zur Pflanzenkenntnis nach Linnés Methode. Zum Gebrauche der Vorlesungen an der Universität, 2. Auflage Wien 1800. Jessen, Karl F. W.: Botanik der Gegenwart und Vorzeit in culturhistorischer Entwickelung. Ein Beitrag zur Geschichte der abendländischen Völker, Leipzig 1864 (Reprint 1978). Johnson, Edwin: Winter Greeneries at Home, New York 1878. Johnston, James F. W.: Die Chemie des täglichen Lebens (…), Band 1, Berlin 1869. Jung-­Stilling, Johann Heinrich: Lehrsätze der Naturgeschichte für Frauenzimmer, Karlsruhe 1816. Kant, Immanuel: Über Pädagogik, hrsg. von D. Friedrich Theodor Rink, Königsberg 1803. Kittel, Martin Balduin: Taschenbuch der Flora Deutschlands zum bequemen Gebrauche auf botanischen Excursionen, Nürnberg 1837. Klier, Jakob: „Einige Andeutungen über das Versauern der Topfpflanzen (…)“, in Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 18, Band 1, Ausgabe Nr. 18 vom 14. Mai 1835, S. 273 ff. Klockenbring, F. A.: „Von der Verbesserung der Luft in Städten und Wohnzimmern“, in: Hanno­ verisches Magazin, Jahrgang 13. (1775), Spalte 903 – 906. Kloss, J. F.: „Generation der Pflanzen“, in: Hannoverisches Magazin, 23. Jahrgang, 40./41./42. Stück (1785), Spalte 625 – 668. Knorr, Georg Wolfgang: Auserlesenes Blumen-­Zeichenbuch für Frauenzimmer, aus welchem das Blumenzeichnen ohne viele Anweisung ganz leichte erlernet werden kann, Nürnberg 3. Auflage 1780 (erste Auflage ca. 1765). Koch (Vorname nicht eruierbar): „Zur Conservation der Herbarien“, in: Flora oder Botanische Zeitung, Jahrgang 7, Band 2, Nr. 31 vom 21. August 1824, S. 488 – 494. Koch, Johann Friedrich Wilhelm: Botanisches Handbuch für deutsche Liebhaber der Pflanzenkunde überhaupt, und für Gartenfreunde, Apotheker und Oekonomen, 3 Theile, Band III: Vorkenntnisse und Anleitung zum Untersuchen und Sammeln der Pflanzen, Magdeburg 1797/98. Koch, Johann Friedrich Wilhelm: Botanisches Handbuch zum Selbstunterricht für deutsche Liebhaber der Pflanzenkunde überhaupt (…), Magdeburg 1808. Koch, Wilhelm Daniel Joseph: Synopsis der Deutschen und Schweizer Flora (…), Frankfurt a. M. 1838. Koch, Wilhelm Daniel Joseph: Taschenbuch der Deutschen und Schweizer Flora, enthaltend die genauer bekannten Pflanzen, ­welche in Deutschland, der Schweiz, in Preussen und Istrien wild wachsen und zum Gebrauche der Menschen in grösserer Menge gebauet werden, nach dem DeCandollischen Systeme geordnet, mit einer vorangehenden Uebersicht der Gattungen nach den Classen und Ordnungen des Linneischen Systemes, bearbeitet von D. Wilh. Dan. Jos. Koch, königl. bayer. Hofrathe ordentl. Professor der Medicin und Botanik an der Universität Erlangen u. Director des bot. Gartens daselbst, Leipzig 1844. Kohlreif, Gottfried Albert: Abhandlung von der Beschaffenheit und dem Einfluß der Luft, sowohl der freyen athmospärischen als auch der eingeschlossenen Stubenluft auf Leben und Gesundheit der Menschen. Von Gotfried Albert Kohlreif, Russisch kaiserlichem Professor der Physik und der medicinischen Electricität; wie auch der St. Petersburgischen kaiserlichen freyen ökonomischen Gesellschaft Mitglied, Weßenfels und Leipzig, bei Friedrich Severin, 1794.

Bibliographie |

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532 | Bibliographie Reichenbach, Heinrich Gottlieb Ludwig: Deutschlands Flora: mit höchst naturgetreuen, charakteristischen Abildungen aller ihrer Pflanzen-­Arten in natürlicher Grösse und mit Analysen auf Kupfertafeln (…), Leipzig 1837 – 1838. Reichenbach, Heinrich Gottlieb Ludwig (Hrsg.): Deutschlands Flora (…) zur Aufnahme und Verbreitung der neuesten Entdeckungen innerhalb Deutschlands und der angrenzenden Länder, beginnend 1837 (fortgeführt bis 1914). Reider, Jakob Ernst von: „Meine blumistische Reise nach Franken und dem Rhein im Jahre 1828“, in: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 4, Heft 2 (1828), S. 103 – 152. Reider, Jakob Ernst von: Der Treibkasten in seiner Unentbehrlichkeit für höhere Blumisterei. Dargestellt von Jakob Ernst von Reider, Königl. Bayerisch. erstem Landgerichtsassesor, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede (…) Nürnberg 1829. Reider, Jakob Ernst von: Die Mode=Blumen oder Kultur der Camellien, Azaleen, Hortensien, Nerium Oleander, Volkamerien, Balsaminen, Aster, so wie aller Arten Basilikum. Für Blumenfreunde ­welche weder Glas= noch Treibhaus besitzen, um ihre Fenster doch das ganze Jahr über mit schönsten Blumen zu zieren, Nürnberg 1829. Reider, Jakob Ernst von: Mode=Blumen, drittes und letztes Heft, oder Kultur der beliebtesten, ganz neuen, nur sehr prachtvollen, dann der Florblumen. Für Blumenfreunde, w ­ elche weder Glas= noch Treibhaus besitzen (…), Nürnberg 1831. (Der Band von 1830 lag mir leider nicht vor.) Reider, Jakob Ernst von: Vollständige Anweisung zur zweckmäßigen Anlegung von Blumen=, Obst=, Gemüse=, Hopfen=, Schul=, Haus= und botanischen Gärten (…); Berlin 1832. Reider, Jakob Ernst von: Die Systematische Kultur aller bekannten Blumen= und Zierpflanzen. Von Jakob Ernst von Reider, erstem Landgerichtsassessor, vieler gelehrten Gesellschaften Mitgliede, Augsburg in der Jenisch= und Stage’schen Buchhandlung 1833. Reider, Jakob Ernst von: Der schnell unterrichtende Botaniker und Blumist oder vollständiges Verzeichniß aller Blumen= und Zierpflanzen in der Beschreibung der Arten (…), Nürnberg 1835. Reider, Ernst Jakob von: Der vollkommene Stubengärtner oder Anweisung die schönsten Blumen im Zimmer und vor dem Fenster zu ziehen, um das ganze Jahr über Blumen zu haben. Von Jakob Ernst von Reider, Königl. Baierischem erstem Landgerichtsassessor, mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede, zweite, vermehrte Auflage Leipzig 1838 (erste Auflage 1832). Reider, Jakob Ernst von: Der vollkommene Handelsgärtner (…), Weimar 1843. Reuss, Christian Friedrich: Botanische Beschreibung der Gräser. Nach ihren mancherley einzelnen Bestandtheilem für Anfänger der Botanik wie für sonstige Pflanzen=Liebhaber und Oeconomen von einem Pflanzenkenner, Frankfurt a. M. 1788. Riese, H.: Riese’s Wohnungsgärtnerei. Leichtfaßliche Anleitung Blumen und Blattpflanzen mit Erfolg und ohne umständliche und kostspielige Einrichtungen in unsren Wohnräumen zu halten, zu pflegen und zu ziehen, Berlin 1887. Ritgen (Vorname nicht eruierbar): „Einige Bemerkungen über den Bau der Pflanzen, besonders im Vergleich mit dem der Thiere von Hrn. Prof. Ritgen in Giessen“, in: Flora oder botanische Zeitung, herausgegeben von der königl. bot. Gesell. in Regensburg, Jahrgang 11, Band 1, Ausgabe Nro 16 vom 28. April 1828, S. 241 – 252. Robinet, J. B.: De la Nature (4 Bde), Amsterdam MDCCLXIII–MDCCLXVI.

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534 | Bibliographie Schmidlin, Eduard: Populäre Botanik, oder, Gemeinfassliche Anleitung zum Studium der Pflanze und des Pflanzenreiches. Zugleich ein Handbuch zum Bestimmen der Pflanzen auf Excursionen, Stuttgart 1857. Schmidt, Beneficiat: „Ueber botanische Reisen, besonders Alpenreisen, wie sie sind und wie sie seyn sollten“, in: Botanisches Taschenbuch (1796), S. 98 – 121. Schmidt, Eduard Oscar und Herzog, Ferdinand: Der populäre Gartenfreund, oder: Die Kunst alle in Deutschland vegetirenden Blumen und Gemüse auf die leichteste und beste Weise durch Absenker, Samen und Verpflanzen zu ziehen. Von Anlegung der Mistbeete und Treibkasten und von der Aufbewahrung und Durchwinterung der Gewächse. Mit einem Gartenkalender, Herschels Witterungstabelle und 35 nützlichen Anweisungen zur Gartenwirthschaft und zur Vertilgung der Garten=Insekten, 3. Auflage Quedlinburg / Leipzig 1848. Das Werk erschien 1843 bereits in zweiter Auflage und wurde im 19. Jahrhundert unzählige Male wieder gedruckt. Schmidt, Johann August Friedrich: Der kleine Hausgärtner, oder kurze Anleitung, Blumen und Zierpflanzen sowohl in Hausgärtchen als vor den Fenstern und in Zimmern zu ziehen, 7. Auflage Weimar 1857. Schrank, Franz von Paula: Baierische Flora, München 1789. Schübler, Gustav und Martens, Georg von: Flora von Württemberg, Tübingen 1834. Schultes, Joseph August: Oesterreichs Flora: Ein Handbuch auf botanischen Excursionen, enthaltend eine kurze Beschreibung der in den Erbstaaten des österreichischen Kaiserthumes wildwachsenden Pflanzen, 2. Auflage Wien 1814. Schultes, Joseph August: Grundriss einer Geschichte und Literatur der Botanik von Th ­ eophrastos Eresios bis auf die neuesten Zeiten; nebst einer Geschichte der botanischen Gärten. Von J. A. Schultes, Königl baier. Hofrathe und ö. o. Prof. der allgem. Naturgeschichte, Botanik und speciellen Therapie, corresp. Mitgliede der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, der Kaiserl. Akademie zu Turin (…) der botanischen Gesellschaft zu Regensburg und Altenbur, der Zürcher physikalischen Gesellschaft (…), Wien 1817. Schulz, Johann Heinrich (ursprünglich anonym erschienen): Versuch einer Anleitung zur Sitten­ lehre für alle Menschen, ohne Unterschied der Religionen, nebst einem Anhange von den Todesstrafen, Berlin 1783. Senebier, Jean: Recherches sur l’influence de la lumière solaire pour métamorphoser l’air fixe en air pur par la végétation (…), Genf, 1783. (Deutschsprachige Ausgabe: Senebier, Jean: Physikalisch-­ chemische Abhandlungen über den Einfluss des Sonnenlichtes auf alle drei Reiche der Natur (…), 4 Teile in zwei Bänden, Leipzig 1785. Senebier, Jean: „Beobachtungen über Thiere und Pflanzen zur Vorherbestimmung der Witterung“, in: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 8, 2. Stück (1792), S. 17 – 36. Seubert, Moritz: Naturgeschichte des Pflanzenreichs (…), Stuttgart 1853. Sowerby, James: James Sowerby’s Botanisches Zeichenbuch oder leichter Unterricht Blumen richtig nach Natur zu zeichnen, Weimar 1797. Sprengel, Kurt: Geschichte der Botanik. Neu bearbeitet. In zwey Theilen, Altenburg und Leipzig 1817, 1818. Stein, J. H.: „Beantwortung der im 88ten Stück des Magazins befindlichen Anfrage wegen des Winterblumenbaues“, in: Hannoverisches Magazin 23 (1785), Sp. 1569 – 1574.

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Bibliographie |

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Briefe von und an Charles Bonnet im Staatsarchiv Basel Charles Bonnet an Monsieur Frey, Lieutenant Colonel au Régiment Suisse de Boccard à Basle, in: Archiv der Familie Frey im Staatsarchiv Basel, Signatur: StaBS PA 485 B 6 h 7.

Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel: Nachlass des Botanikers Werner von Lachenal NL 39: Wernhard de Lachenal, 9 – 10 Korrespondenz von Angélique de Charrière (Universitätsbibliothek Basel).

Nachlass der Familie Burckhard-­Socin: NL 152: Burckhard-­Socin, Johann Rudolf (1774 – 1829), Paket C: Correspondenz von Großvater und Großmutter

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Der Arzt William Withering Zeichnung von Arnold, abgedruckt in Bettex, Entdeckung der Natur, 1965, S. 169; der Verbleib ­dieses Werkes ist trotz ausführlicher Suche leider unklar geblieben. Abb. 2: Titelblatt Magazin für die Botanik Magazin für die Botanik, hrsg. von Joh. Jakob Römer und Paul Usteri, 1. Stück (Zürich 1787), Titelblatt. Universitätsbibliothek Basel: Bot. 456. Abb. 3: „Tierblume“ Kupfertafel aus: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, hrsg. von Lichtenberg, Gotha, Band 4, 3. Stück (1786), nach S. 186. Universitätsbibliothek Basel: Jb.IX.4. Abb. 4: Schimmelkulturen Kupfertafel in der Flora oder Botanische Zeitung, Band 1, Teil 1 (1824), folgend auf S. 160. Universitätsbibliothek Basel: Bot. 4918, 1824.1:1. Abb. 5a und 5b: Telegraphenpflanze, „wach“ und „schlafend“ In: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 6, 3. Stück (1789), eingefügt nach S. 184, Tafel 1 und 2. Universitätsbibliothek Basel, Signatur BS: Jb IX. 6. Abb. 6a und 6b: Mimose, 18. Jahrhundert und heute Aus: Hill, John: Herrn Hills (…) Abhandlung von dem Schlaf der Pflanzen und von der Ursache der Bewegung der Empfindenden Pflanze (…), Carlsruhe 1776, angehängte, ausklappbare Kupfertafel. Universitätsbibliothek Basel: Bot. 2329. Mimose heute: Foto: Sophie Ruppel, 2017. Abb. 7a und 7b: Krabbelblätter und Wildschweinbaum Aus: Duret, Claude: Histore admirable des plantes (…), Paris, 1605, S. 319 und 330. Universitätsbibliothek Basel: Bot 3102. Abb. 8: Palmenträgerin In: Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte, Band 4, 4. Stück (Gotha 1787), nach S. 188. Universitätsbibliothek Basel: Jb.IX.4. Abb. 9: Titelblatt „Populäre Botanik“, Hochstetter Aus: Hochstetter, Ch. F.: Populäre Botanik oder faßliche Anleitung zur Kenntniß der Gewächse (…), Reutlingen 1837. Universitätsbibliothek Basel hq. V.28. Abb. 10: Brombeere, geschwärzt und abgedruckt In: Dunker, J. H. A.: Pflanzen=Belustigungen oder Anweisung wie man getrocknete Pflanzen auf eine leichte und geschwinde Art sauber abdrucken kann (…), Heft 1, 2. Auflage Brandenburg 1798; Universitätsbibliothek Basel Bot. 253. No. 4, zweiter angehängter Abdruck. Abb. 11: Werbeblatt für den „Stubengärtner“ von Bouché Eingelegt in: Wöchentliche Nachrichten aus dem Bericht=Haus zu Basel (…) 1810, angehängt an das 29. Stück, von Donnerstag, den 19ten Heum. 1810 (folgend auf S. 204). Universitätsbibliothek Basel, Ztg. 1.

Abbildungsverzeichnis |

Abb. 12a und 12b: „Pflanzenkäfige“ Aus: Allgemeines Teutsches Garten=Magazin, Jahrgang 6 (Weimar 1809), 10. Stück, October 1809, Tafel 41 und 42, folgend auf S. 420. Universitätsbibliothek Basel: hs II 6. Abb. 13: Öffentlicher Wintergarten, London London, Conservatory, Gardens, South Kensington, Stich von 1861 (Privatbesitz). Taf. 1: Basler Familienbildnis Rudolf Braun, Interieur-­Bild mit Familie Bischoff-­Bischoff, Basel 1832, mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Basel; Foto: P. Portner Taf. 2: Farbtafel aus der „Populären Botanik“ Aus: Hochstetter, C. F.: Populäre Botanik oder faßliche Anleitung der Kenntniß der Gewächse (…) Reutlingen, 1837. Universitätsbibliothek Basel hq. V.28. Taf. 3: C. F. Zimmermann: Berliner Wohnzimmer Carl Friedrich Zimmermann, Berliner Wohnzimmer, Feder in Schwarz, Aquarell, ca. 1816; Kunsthalle Bremen, Kupferstichkabinett; Fotocopyright: Kunsthalle Bremen / Kulturgutscanner Artothek. Taf. 4: Erica Sanderi In: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 4, Heft 2 (1828), 3. koloriertes Kupfer, nach S. 160. Universitätsbibliothek Basel: Bot 455. Taf. 5: Prachtblume: Amaryllis In: Annalen der Blumisterei, Jahrgang 4, Heft 2 (1828), 2. koloriertes Kupfer, nach S. 160. Universitätsbibliothek Basel: Bot 455. Taf. 6: Charlotte Grimm am Fenster Ölgemälde von Ludwig Emil Grimm (1790 – 1863): Der Lotte ihre Stube, 1821, mit freundlicher Genehmigung der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen. Taf. 7: Familie im Gewächshaus Ölgemälde von Eduard Gaertner, 1836: The Family of Mr. Wesfal in the Conservatory (Darstellung der Familie des Berliner Wollfabrikanten Westphal); Metropolitan Museum of Art, New York. (Auch abgedruckt in Dülmen, Das irdische Paradies, Tafel IV.) Taf. 8: Topfblumen am Fenster Martinus Christian Wesseltoft Rørbye (1803 – 1848); Aussicht von der Wohnung des Künstlers, 1825; Statens Museum for Kunst, Kopenhagen.

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Dank Dieses Buch ist entstanden: dank des vielfältigen Miteinanders am Departement Geschichte der Universität Basel, dank einer Projektstelle in einem wunderbaren Sinergia-­Projekt des Schweizerischen Nationalfonds zu Haus und Familie in der Sattelzeit, dank der nie endenden Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Sonder­ lesesaals und der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel, dank der finanziellen Unterstützung bei der Drucklegung durch die Freiwillige Akade­ mische Gesellschaft in Basel und dank der freundlichen Aufnahme und Bearbeitung im Programm des Böhlau-­Verlages. Begleitet ist d ­ ieses Werk von vielen Diskussionen mit Kollegen und Kolleginnen, mit Freunden und Freundinnen und nicht zuletzt mit den Studierenden, mit denen ich diese Jahre geteilt habe und deren Namen ich nicht alle nennen kann. Besonders dankbar aber bin ich drei Personen: Claudia Opitz für die langjährige Unterstützung und die vielfältige Zusammenarbeit in Basel. Jon Mathieu danke ich als meinem ersten Leser. Vor allem aber danke ich Volker Hasenauer für die Korrektur des Manuskripts. Basel, im Oktober 2019

Sophie Ruppel