Bindungsgrenzen: Überlange Mindestvertragslaufzeiten und die objektiven Freiheiten der Zivilrechtsordnung. Dissertationsschrift 9783161559402, 9783161559419, 3161559401

Trotz persönlicher Zerwürfnisse und einer geänderten Lebenssituation jeden Tag die Pflichten eines unkündbaren Dauerschu

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Bindungsgrenzen: Überlange Mindestvertragslaufzeiten und die objektiven Freiheiten der Zivilrechtsordnung. Dissertationsschrift
 9783161559402, 9783161559419, 3161559401

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Kapitel 1: Einleitung
A. Das Paradox privatrechtlicher Freiheit
B. Begriff der Bindungsgrenze und Beschränkung der Untersuchung
C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen
I. Anlage des BGB
II. Entwicklung der Bindungsgrenze
III. Praktische Grenzen und ihr Stellenwert
IV. Langfristige Bindung als Ausnahmekonstellation der Privatautonomie
1. Freiheit
2. Marktwirtschaft
V. Keine liberale Tradition von Bindungsautonomie (Savigny, Jhering, Mill, Humboldt)
D. Einzelne Fragestellungen
Kapitel 2: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten
A. Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten
I. Darstellung des Vorschlags
II. Einwände
III. Ergebnis
B. Schutz zukünftiger Freiheit (Oetker, Enderlein)
I. Darstellung des Vorschlags
1. Bindungsgrenzen als Kompromiss zwischen Bindungsautonomie und Ungebundenheit
2. Verbesserung der Freiheitsbilanz über die Lebenszeit
II. Einwände
III. Ergebnis
C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen (Parfit, Hare)
I. Darstellung des Vorschlags
1. Nur teilweise Identität des Gebundenen mit dem Bindenden (Parfit)
2. Unbeachtlichkeit von „Jetzt-für-dann-Präferenzen“ (Hare)
II. Einwände
1. Gegen Hare
2. Gegen Parfit
III. Ergebnis
D. Auseinanderfallen von vorgestellter und resultierender Verpflichtung
I. Darstellung des Vorschlags
1. Veränderlichkeit der Umstände
2. Eingeschränkter Prognosehorizont und Abdiskontieren zukünftiger Vorteile
II. Einwände
III. Ergebnis
E. Institutslogik zur Rechtfertigung der Bindungsgrenzen (Jhering)
I. Darstellung des Vorschlags
II. Einwände
III. Ergebnis
F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen
I. Darstellung des Vorschlags
1. Die Privatrechtsordnung
2. Objektive Freiheiten der Privatrechtsordnung
3. Drohende Beeinträchtigung durch private Rechtssetzung
4. Private Rechtssetzung durch langfristig bindende Standardregelungen
a) Langfristige Bindungen
b) Standardregelungen
c) Langfristige Bindung als Standardregelung
5. Keine subjektive Realisierbarkeit objektiver Freiheiten
6. Objektive Eigentums-, Berufs- und wirtschaftliche Bewegungsfreiheit
II. Einwände
1. Keine Rechtsverletzung Dritter im Sinne des Schadensprinzips
a) Darstellung des Einwands
aa) Schaden nur bei Rechtsverletzungen
bb) Verträge verletzen keine Rechte Dritter
b) Erwiderung
2. Institutionelles Rechtsdenken
a) Darstellung des Einwands
b) Erwiderung
3. Weitere Einwände
III. Ergebnis
G. Zwischenfazit
Kapitel 3: Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten
A. Ziele und Vorgehen
B. Zweck der Bindungsgrenze in Arbeits- und sonstigen Dienstverträgen (§ 624 S. 1 BGB, § 15 IV S. 1 TzBfG)
I. Einleitung
1. Regelung
2. Mögliche Erklärungen
II. Erklärungsmodelle der §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG
1. Schutz vor Subordination
2. Besonderheit Investitionen in Beschäftigte
3. Optimale Allokation der Arbeitskraft als volkswirtschaftliche Erklärung
4. Wettbewerbsschutz als volkswirtschaftliche Erklärung
a) Kartell- und wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit
aa) Kartellrechtliche Zulässigkeit
bb) Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit (UWG)
cc) Zwischenergebnis
b) Weitere Einwände gegen den Zweck des Wettbewerbsschutzes
c) Folgerungen
5. Schutz der Freiheit des Dienstverpflichteten
a) Argumente für den Freiheitsschutz als Zweck
b) Geschützte Freiheiten im Einzelnen
c) Einwand der Überflüssigkeit neben § 888 III ZPO
d) Einwand freiwilliger Übernahme der Dienstverpflichtung
III. Zwischenergebnis zum Zweck der dienst- und arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbindungsgrenze
IV. Nachträglicher Einwand: Zu weiter Anwendungsbereich der Tätigkeitsbindungsgrenze
1. Beweggründe des historischen Gesetzgebers für den weiten Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB
2. Gründe für die Fortgeltung des § 624 S. 1 BGB neben § 15 IV TzBfG
a) Einführung des § 15 IV TzBfG
b) Praktische Unschädlichkeit des Anwendungsüberhangs
aa) Rechtsprechung zur Nicht-Anwendung des § 624 S. 1 BGB im Einzelnen
bb) Kriterien der Nichtanwendbarkeit
cc) Fazit
V. Begrenzung weiterer Tätigkeitsbindungen
1. Wettbewerbsverbote
2. Aufträge
3. Personengesellschaften
a) Unzureichender Schutz durch § 724 S. 1 BGB
b) Unzureichender Schutz durch § 723 III BGB
c) Schutz durch § 624 S. 1 BGB
C. Zweck der Bindungsgrenze in Miet- und Pachtverträgen (§ 544 BGB)
I. Einleitung
1. Regelung
2. Mögliche Erklärungen
II. Individualschutz durch § 544 BGB
1. Darstellung des Vorschlags
a) Individualschutz des konkreten Eigentümers und des Mieters
b) Individualschutz der konkreten Erben
2. Einwände
a) Kein Schutz der konkreten Vertragsparteien
b) Kein Schutz der konkreten Erben
3. Ergebnis
III. Wesensmäßige zeitliche Begrenztheit von Miete und Pacht
1. Darstellung des Vorschlags
2. Einwände
3. Ergebnis
IV. Obligatorischer Charakter der Miete
1. Darstellung des Vorschlags
2. Einwände
3. Ergebnis
V. Ungeteiltes Eigentum als Grundprinzip des BGB
1. Darstellung des Vorschlags
a) Ablehnung geteilten Eigentums durch die Verfasser des BGB
b) Argumente gegen geteiltes Eigentum
c) Verbindlichkeit des Gesetzeszwecks auch bei Unmaßgeblichkeit der Argumente
2. Einwände
a) Formell und materiell geteiltes Eigentum
b) Kein Verbot materiellen Eigentums im BGB
3. Ergebnis
VI. Verfassungsrechtliches Gebot materiell ungeteilten Eigentums (Art. 14 GG)
1. Darstellung des Vorschlags
2. Einwände
3. Ergebnis
VII. Wirtschaftliche Stärkung der ehemaligen Erbmieter und Erbpächter
1. Darstellung des Vorschlags
2. Einwände
a) Keine Erleichterung von Investitionen
b) Bestreben zur Wiedereinführung der Erbpacht
3. Ergebnis
VIII. Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit von Sachen
1. Darstellung des Vorschlags
a) Kein endgültiger rechtlicher Verlust von Nutzungsmöglichkeiten
b) Anforderungen volkswirtschaftlicher Verfügbarkeit
2. Einwände
a) Mit- und Wohnungseigentum
b) Erbbaurecht
c) Grunddienstbarkeiten
d) Nießbrauchsrecht
e) Beschränkte persönliche Dienstbarkeit
f) Pfandrecht an beweglichen Sachen
g) Hypothek
h) Grundschuld
i) Rentenschuld
j) Reallast
k) Schuldrechtliche Verfügungsverbote, § 137 S. 2 BGB
3. Ergebnis
IX. Erhalt der objektiven Eigentumsfreiheit
1. Darstellung des Vorschlags
2. Einwände
a) Darstellung des Einwands
b) Erwiderung
c) Ergebnis
X. Zwischenergebnis zum Zweck der Bindungsgrenze in Miet- und Pachtverträgen (§ 544 BGB)
XI. Begrenzung weiterer schuldrechtlicher Sachbindungen (Leihe, Verwahrung)
D. Zweck der erbrechtlichen Bindungsgrenzen
I. Einleitung
II. Eigentümerschutz
III. Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit
IV. Rechtssicherheit
V. Genehmigungserfordernis von Stiftungen
VI. Schutz der Eigentumsordnung auch im Interesse nachfolgender Generationen
1. Darstellung des Vorschlags
2. Problem der Erbauflagen
3. Abgrenzung zum Schutz vor erbrechtlichen Verwirkungsklauseln
VII. Zwischenergebnis zur Erklärung der erbrechtlichen Bindungsgrenzen
E. Zweck der Bindungsgrenze in Darlehensverträgen (§ 489 BGB)
I. Einleitung
II. Erreichung marktgerechter Zinsen
III. Anpassung an veränderte Umstände
1. Kündigungsrecht als Instrument zur Anpassung der Vertragskonditionen an das Marktniveau
2. Einwände
IV. Unabsehbarkeit der Zinsentwicklung
1. Erklärung aus der Einseitigkeit des Kündigungsrechts
2. Einwände
V. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit
1. Der Schutz wirtschaftlicher Handlungsfreiheit auch durch §§ 489 II, 490 II S. 1 BGB und § 500 II BGB
2. Der Vorrang der Kündigung vor der Vertragsanpassung
VI. Zwischenergebnis zum Zweck der Bindungsgrenze in Darlehensverträgen
F. Zweck der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Versicherungsverträgen
I. Bindungsgrenzen des AGB-Rechts (§§ 307 I, 309 Nr. 9 BGB)
1. Klauselkontrolle zum Schutz von Verbrauchern als Klauselgegnern (§ 309 Nr. 9 BGB)
a) Unterlegenheit des Klauselgegners
b) Motivationsgefälle zwischen Klauselverwender und Klauselgegner
2. Klauselkontrolle zum Schutz von Unternehmern als Klauselgegnern, § 307 I 1 S. 1 BGB
a) Rationalisierung
b) Einwand eines verkehrten Schutzes von Verbrauchern und Unternehmern
c) Einwand bis zu zehnjähriger Bindung
3. Objektivierungstendenz von AGB als Erklärung des verschärften Prüfungsmaßstabs
II. Bindungsgrenzen für Versicherungsverträge als verdecktes AGB-Recht (§ 11 II S. 2, IV VVG)
G. Zweck der richterrechtlichen Fallgruppen der Bindungsbegrenzung von Getränkebezugs- und anderen Verträgen
I. Richterrechtliche Begrenzung von Bierlieferungsverträgen
1. Persönliche Freiheit („Schutz vor dem Beruf“)
2. Privatautonomie
3. Vertragsgerechtigkeit
4. Wettbewerbsschutz
5. Investitionsförderung
6. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit und Selbstständigkeit („Schutz des Berufes“)
a) Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit als Resultat allgemeiner Kündigungsfreiheit
b) Bindung des Gastwirtes als aliud zur Unselbstständigkeit des Arbeitnehmers
aa) Berufsbild selbstständiger Gastwirt
bb) Vertragliches Leitbild Selbstständigkeit
cc) Verantwortung
c) Wirtschaftliche Beweglichkeit als gesellschaftlicher Wert
7. Zwischenergebnis zum Zweck der Bierlieferungsrechtsprechung
II. Tankstellenstationärverträge und Automatenaufstellverträge
H. Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138 BGB)
I. Einleitung
II. Entwicklung der BGH-Rechtsprechung zu langdauernder Bindung
III. Erklärung der Rechtsprechung
1. Faktische Begrenzung
2. Wohlfahrtssteigernde Faktorzusammenfassungen durch sachbezogene schuldrechtliche Strukturbildung (Wärmeversorgungsvertrag, Wasserlieferungsvertrag, Stromdurchleitung)
3. Bindungsalternativen (DÜRA Vollsalz, Klinik KG)
4. Überlanger Verlust des Selbstbestimmungsrechts über die Zukunft der gesamten selbstständigen Erwerbstätigkeit
IV. Kündigungsfreundliche Auslegung, Wegfall der Geschäftsgrundlage und außerordentliche Kündigung als Einschränkungen unbegrenzter Bindung
V. Zwischenergebnis zum Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138 BGB)
I. Anmerkung zur wettbewerbs- und kartellrechtlichen Bindungsgrenze (§ 4 Nr. 10 UWG, §§ 1 ff., 19 ff. GWB, Art. 101 f. AEUV)
Kapitel 4: Allgemeine Bindungsgrenzen als Konsequenz objektiver Freiheiten
A. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“
I. Voraussetzungen einer Gesamtanalogie
1. Möglichkeit einer Gesamtanalogie
2. Schwierigkeit einer Gesamtanalogie
3. Voraussetzungen einer Gesamtanalogie
II. Keine Verallgemeinerbarkeit spezieller Bindungsgrenzen durch Gesamtanalogie
1. Gemeinsame Wertung umfassenderen Anwendungsbereichs (Erste Voraussetzung einer Analogie)
a) Verworfene allgemeine Zwecke
b) Uneinheitlichkeit unmittelbarer Zwecke
2. Verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz (Zweite Voraussetzung einer Analogie)
a) Unbegrenzte Bindungen
b) Strikte Geltung
c) Zulassung unbegrenzter Bindung
d) Unterschiedliche Zeiträume
3. Stimmen gegen eine Gesamtanalogie
4. Fazit
III. Verallgemeinerungsbedürfnis trotz fehlender Verallgemeinerbarkeit
1. Gemeinsamkeiten
2. Vereinheitlichungsbestreben
3. Besseres Recht
4. Lücke ohne Lösung
a) Ein methodisches Problem
b) Lösungsansatz
IV. Mittelbare Allgemeinwirkung zivilrechtlicher Wertungen
V. Anwendung auf das Problem der Verallgemeinerung von Bindungsgrenzen
B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen
I. Impliziter Vorbehalt der Interessenfortdauer und kündigungsfreundliche Auslegung, §§ 133, 157 BGB
1. Mutmaßlicher Parteiwille herausgeschobener statt aufgehobener Kündbarkeit
2. Kündigungsfreundliche Rechtsprechung
3. Maßstab
4. Abdingbarkeit
II. Zwingende allgemeine Bindungsgrenze, § 138 I BGB bzw. § 314 I S. 1 BGB
1. Kritik der dogmatischen Anknüpfung einer allgemeinen Bindungsgrenze an § 138 BGB
a) Verortung im Privatrecht
b) Anknüpfung an § 314 BGB statt § 138 BGB
aa) Sittenwidrigkeit überlanger Bindung, § 138 I BGB
bb) Überlange Bindung als zur Kündigung berechtigender, wichtiger Grund i.S.d. § 314 I 1, 2 BGB
cc) Außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 I BGB erst nach Ablauf angemessener Bindungszeit
(1) Auslauffristen als Ergänzung zum wichtigen Grund i.S.d. § 314 I 2 BGB
(2) § 314 I 1 BGB als isolierter gesetzlicher Ansatzpunkt ohne Rückgriff auf § 314 I 2 BGB
dd) Sonstige Anknüpfungspunkte
c) Ergebnis
2. Allgemeine Kriterien für die Begrenzung von Bindung
a) Beschränkung einer grundlegenden privatrechtlichen Freiheit
b) Soziale Relevanz der Bindung
aa) Erhebliche individuelle Belastung
bb) Keine Ausnahmekonstellation
c) Überlänge der Bindung im Hinblick auf die gefährdete objektive Freiheit
Kapitel 5: Zusammenfassung der Ergebnisse
A. Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten
B. Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten
C. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“
D. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen
Literaturverzeichnis
Register

Citation preview

Studien zum Privatrecht Band 74

Ludwig Hogrebe

Bindungsgrenzen Überlange Mindestvertragslaufzeiten und die objektiven Freiheiten der Zivilrechtsordnung

Mohr Siebeck

Ludwig Hogrebe, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaft in Münster; 2008 Erste ju­ ristische Staatsprüfung; Promotion (Münster); 2009 Master of Laws (Cambridge); 2013 Zweite juristische Staatsprüfung; 2014 Aufnahme in den Richterdienst des Landes Nordrhein-West­ falen; 2017 Ernennung zum Richter am Landgericht Aachen.

D6 Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2018 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT e­ISBN PDF 978­3­16­155941­9 ISBN 978-3-16-155940-2 ISSN 1867-4275 (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de ab­ rufbar. © 2018  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­tung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags un­ zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover­ filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Meiner Familie

Vorwort Zehn Jahre sind zwischen dem Beginn der Themensuche und der Veröffentlichung des vorliegenden Buches vergangen. In dieser Zeit ist allein das Manuskript auf fast 600 Seiten angewachsen und wieder auf unter 300 Seiten geschrumpft. Die Dissertation war – obwohl für die überwiegende Dauer dieses Zeitraums nur als Nebenbeschäftigung – immer wieder das dominante Thema dieses Lebensabschnitts und trotz meines nie geminderten Interesses an ihrer Fragestellung bin ich froh, dass er vorbei ist und die Bearbeitung nun in der Fassung vorliegt, die ich mir gewünscht habe. Diese Arbeit wäre nicht veröffentlicht worden ohne die Hilfe anderer, zuallererst nicht ohne die geduldige Unterstützung meines Doktorvaters, Herrn Prof. Dr. Thomas Gutmann. Ich danke ihm aufrichtig und von Herzen für seine freundliche Zugewandtheit und ständige Diskussionsbereitschaft sowie für die uneingeschränkte wissenschaftliche Freiheit, die er mir gewährt hat. Herr Prof. Dr. Oestmann hat als Zweitgutachter in kürzester Zeit eine umfassende Bewertung und tief gehende Analyse der vorliegenden Dissertationsschrift erstellt, in der ich mein mit ihr verfolgtes Bemühen zutiefst verstanden fühle. Dafür bin ich ihm dankbar verbunden. Der Studienstiftung des Deutschen Volkes danke ich dafür, dass sie die Entstehung dieses Buches durch ihre großzügige Förderung gewährleistet hat. Für die inhaltliche Durchsicht der Arbeit und wertvolle Anregungen danke ich Herrn Gregor Albers und meinen Eltern dafür, die mühevolle Aufgabe des Korrekturlesens übernommen und mich in meiner Ausbildung und bei der Veröffentlichung dieser Arbeit in jeder Hinsicht unterstützt zu haben. Meiner Frau danke ich, dass sie mir das Verfolgen dieses Projektes trotz der ständigen Einschränkungen des Familienlebens mit viel Verständnis ermöglicht und immer wieder Rücksicht genommen und andere Vorhaben hintangestellt hat. Insbesondere ihr und meinen Kindern widme ich diese Veröffentlichung. Die Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Sie wurde mit dem 1. Platz des Harry-Westermann-Preises ausgezeichnet.

Aachen im Januar 2018

Ludwig Hogrebe

Inhaltsübersicht Kapitel 1: Einleitung ............................................................................... 1 A. Das Paradox privatrechtlicher Freiheit ...................................................... 1 B. Begriff der Bindungsgrenze und Beschränkung der Untersuchung ........... 5 C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen............................... 7 D. Einzelne Fragestellungen ........................................................................18

Kapitel 2: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten ..........................21 A. Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten.......................................23 B. Schutz zukünftiger Freiheit (Oetker, Enderlein)......................................25 C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen (Parfit, Hare) ..........................................................................................30 D. Auseinanderfallen von vorgestellter und resultierender Verpflichtung ....37 E. Institutslogik zur Rechtfertigung der Bindungsgrenzen (Jhering) ...........41 F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen ....45 G. Zwischenfazit..........................................................................................56

Kapitel 3: Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten ................................................................................59 A. Ziele und Vorgehen.................................................................................59 B. Zweck der Bindungsgrenze in Arbeits- und sonstigen Dienstverträgen (§ 624 S. 1 BGB, § 15 IV S. 1 TzBfG) ....................................................60 C. Zweck der Bindungsgrenzen in Miet- und Pachtverträgen (§ 544 BGB) ..........................................................................................94

X

Inhaltsübersicht

D. Zweck der erbrechtlichen Bindungsgrenzen ..........................................150 E. Zweck der Bindungsgrenze in Darlehensverträgen (§ 489 BGB)...........163 F. Zweck der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Versicherungsverträgen..............................177 G. Zweck der richterrechtlichen Fallgruppen der Bindungsbegrenzung von Getränkebezugs- und anderen Verträgen...............................................195 H. Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138 BGB) ........................................................................................236 I. Anmerkung zur wettbewerbs- und kartellrechtlichen Bindungsgrenze (§ 4 Nr. 10 UWG, §§ 1 ff., 19 ff. GWB, Art. 101 f. AEUV)..................262

Kapitel 4: Allgemeine Bindungsgrenzen als Konsequenz objektiver Freiheiten ..............................................265 A. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“ ..................................................265 B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen..........................................287

Kapitel 5: Zusammenfassung der Ergebnisse ................................313

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ........................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis .............................................................................XXI

Kapitel 1: Einleitung ............................................................................... 1 A. Das Paradox privatrechtlicher Freiheit ................................................... 1 B. Begriff der Bindungsgrenze und Beschränkung der Untersuchung........... 5 C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen ................................ 7 I. II. III. IV.

V.

Anlage des BGB............................................................................... 8 Entwicklung der Bindungsgrenze ..................................................... 9 Praktische Grenzen und ihr Stellenwert ...........................................12 Langfristige Bindung als Ausnahmekonstellation der Privatautonomie ..............................................................................13 1. Freiheit ......................................................................................14 2. Marktwirtschaft..........................................................................15 Keine liberale Tradition von Bindungsautonomie (Savigny, Jhering, Mill, Humboldt) .................................................16

D. Einzelne Fragestellungen ........................................................................18

Kapitel 2: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten ..........................21 A. Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten.......................................23 I.

Darstellung des Vorschlags .............................................................23

XII

Inhaltsverzeichnis

II. Einwände ........................................................................................24 III. Ergebnis ..........................................................................................24 B. Schutz zukünftiger Freiheit (Oetker, Enderlein) ......................................25 I.

Darstellung des Vorschlags .............................................................25 1. Bindungsgrenzen als Kompromiss zwischen Bindungsautonomie und Ungebundenheit ..................................25 2. Verbesserung der Freiheitsbilanz über die Lebenszeit................27 II. Einwände ........................................................................................28 III. Ergebnis ..........................................................................................29 C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen (Parfit, Hare) ..........................................................................................30 I.

Darstellung des Vorschlags .............................................................30 1. Nur teilweise Identität des Gebundenen mit dem Bindenden (Parfit).......................................................................................31 2. Unbeachtlichkeit von „Jetzt-für-dann-Präferenzen“ (Hare)........33 II. Einwände ........................................................................................35 1. Gegen Hare ................................................................................35 2. Gegen Parfit...............................................................................35 III. Ergebnis ..........................................................................................36

D. Auseinanderfallen von vorgestellter und resultierender Verpflichtung ....37 I.

Darstellung des Vorschlags .............................................................37 1. Veränderlichkeit der Umstände..................................................37 2. Eingeschränkter Prognosehorizont und Abdiskontieren zukünftiger Vorteile...................................................................38 II. Einwände ........................................................................................39 III. Ergebnis ..........................................................................................41

E. Institutslogik zur Rechtfertigung der Bindungsgrenzen (Jhering) ............41 I. Darstellung des Vorschlags .............................................................42 II. Einwände ........................................................................................43 III. Ergebnis ..........................................................................................44 F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen ....45 I.

Darstellung des Vorschlags .............................................................45 1. Die Privatrechtsordnung ............................................................45 2. Objektive Freiheiten der Privatrechtsordnung ............................45 3. Drohende Beeinträchtigung durch private Rechtssetzung...........46

Inhaltsverzeichnis

XIII

4. Private Rechtssetzung durch langfristig bindende Standardregelungen....................................................................48 a) Langfristige Bindungen ........................................................48 b) Standardregelungen ..............................................................48 c) Langfristige Bindung als Standardregelung ..........................49 5. Keine subjektive Realisierbarkeit objektiver Freiheiten .............50 6. Objektive Eigentums-, Berufs- und wirtschaftliche Bewegungsfreiheit .....................................................................51 II. Einwände ........................................................................................52 1. Keine Rechtsverletzung Dritter im Sinne des Schadensprinzips .......................................................................52 a) Darstellung des Einwands.....................................................52 aa) Schaden nur bei Rechtsverletzungen .............................52 bb) Verträge verletzen keine Rechte Dritter ........................53 b) Erwiderung ...........................................................................53 2. Institutionelles Rechtsdenken.....................................................54 a) Darstellung des Einwands.....................................................54 b) Erwiderung ...........................................................................55 3. Weitere Einwände......................................................................55 III. Ergebnis ..........................................................................................56 G. Zwischenfazit ..........................................................................................56

Kapitel 3: Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten ................................................................................59 A. Ziele und Vorgehen .................................................................................59 B. Zweck der Bindungsgrenze in Arbeits- und sonstigen Dienstverträgen (§ 624 S. 1 BGB, § 15 IV S. 1 TzBfG) ......................................................60 I.

II.

Einleitung........................................................................................60 1. Regelung....................................................................................60 2. Mögliche Erklärungen................................................................60 Erklärungsmodelle der §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG ...........61 1. Schutz vor Subordination...........................................................61 2. Besonderheit Investitionen in Beschäftigte ................................62 3. Optimale Allokation der Arbeitskraft als volkswirtschaftliche Erklärung .............................................65 4. Wettbewerbsschutz als volkswirtschaftliche Erklärung ..............66 a) Kartell- und wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit ..................66 aa) Kartellrechtliche Zulässigkeit .......................................67

XIV

Inhaltsverzeichnis

bb) Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit (UWG) .................69 cc) Zwischenergebnis .........................................................69 b) Weitere Einwände gegen den Zweck des Wettbewerbsschutzes .....................................................70 c) Folgerungen..........................................................................71 5. Schutz der Freiheit des Dienstverpflichteten ..............................72 a) Argumente für den Freiheitsschutz als Zweck ......................72 b) Geschützte Freiheiten im Einzelnen......................................74 c) Einwand der Überflüssigkeit neben § 888 III ZPO ...............75 d) Einwand freiwilliger Übernahme der Dienstverpflichtung ....77 III. Zwischenergebnis zum Zweck der dienstund arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbindungsgrenze .........................78 IV. Nachträglicher Einwand: Zu weiter Anwendungsbereich der Tätigkeitsbindungsgrenze ..........................................................78 1. Beweggründe des historischen Gesetzgebers für den weiten Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB............79 2. Gründe für die Fortgeltung des § 624 S. 1 BGB neben § 15 IV TzBfG.................................................................81 a) Einführung des § 15 IV TzBfG.............................................81 b) Praktische Unschädlichkeit des Anwendungsüberhangs .......82 aa) Rechtsprechung zur Nicht-Anwendung des § 624 S. 1 BGB im Einzelnen .................................84 bb) Kriterien der Nichtanwendbarkeit .................................88 cc) Fazit..............................................................................89 V. Begrenzung weiterer Tätigkeitsbindungen.......................................89 1. Wettbewerbsverbote ..................................................................89 2. Aufträge.....................................................................................90 3. Personengesellschaften ..............................................................90 a) Unzureichender Schutz durch § 724 S. 1 BGB .....................91 b) Unzureichender Schutz durch § 723 III BGB........................92 c) Schutz durch § 624 S. 1 BGB ...............................................93 C. Zweck der Bindungsgrenze in Miet- und Pachtverträgen (§ 544 BGB)....94 I.

II.

Einleitung........................................................................................94 1. Regelung....................................................................................94 2. Mögliche Erklärungen................................................................97 Individualschutz durch § 544 BGB..................................................99 1. Darstellung des Vorschlags........................................................99 a) Individualschutz des konkreten Eigentümers und des Mieters ....................................................................99 b) Individualschutz der konkreten Erben.................................100 2. Einwände .................................................................................101

Inhaltsverzeichnis

XV

a) Kein Schutz der konkreten Vertragsparteien.......................101 b) Kein Schutz der konkreten Erben .......................................101 3. Ergebnis...................................................................................101 III. Wesensmäßige zeitliche Begrenztheit von Miete und Pacht ..........102 1. Darstellung des Vorschlags......................................................102 2. Einwände .................................................................................102 3. Ergebnis...................................................................................103 IV. Obligatorischer Charakter der Miete..............................................103 1. Darstellung des Vorschlags......................................................103 2. Einwände .................................................................................105 3. Ergebnis...................................................................................106 V. Ungeteiltes Eigentum als Grundprinzip des BGB ..........................106 1. Darstellung des Vorschlags......................................................106 a) Ablehnung geteilten Eigentums durch die Verfasser des BGB..............................................106 b) Argumente gegen geteiltes Eigentum..................................108 c) Verbindlichkeit des Gesetzeszwecks auch bei Unmaßgeblichkeit der Argumente ........................109 2. Einwände .................................................................................111 a) Formell und materiell geteiltes Eigentum ...........................111 b) Kein Verbot materiellen Eigentums im BGB ......................114 3. Ergebnis...................................................................................116 VI. Verfassungsrechtliches Gebot materiell ungeteilten Eigentums (Art. 14 GG)..................................................................................116 1. Darstellung des Vorschlags......................................................116 2. Einwände .................................................................................118 3. Ergebnis...................................................................................121 VII. Wirtschaftliche Stärkung der ehemaligen Erbmieter und Erbpächter ..............................................................................122 1. Darstellung des Vorschlags......................................................122 2. Einwände .................................................................................125 a) Keine Erleichterung von Investitionen................................125 b) Bestreben zur Wiedereinführung der Erbpacht ...................126 3. Ergebnis...................................................................................130 VIII.Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit von Sachen ............................130 1. Darstellung des Vorschlags......................................................130 a) Kein endgültiger rechtlicher Verlust von Nutzungsmöglichkeiten ...............................................130 b) Anforderungen volkswirtschaftlicher Verfügbarkeit ...........132 2. Einwände .................................................................................134 a) Mit- und Wohnungseigentum .............................................135 b) Erbbaurecht ........................................................................135 c) Grunddienstbarkeiten..........................................................136

XVI

Inhaltsverzeichnis

d) Nießbrauchsrecht................................................................137 e) Beschränkte persönliche Dienstbarkeit ...............................138 f) Pfandrecht an beweglichen Sachen .....................................138 g) Hypothek ............................................................................139 h) Grundschuld .......................................................................139 i) Rentenschuld ......................................................................140 j) Reallast...............................................................................140 k) Schuldrechtliche Verfügungsverbote, § 137 S. 2 BGB........142 3. Ergebnis...................................................................................143 IX. Erhalt der objektiven Eigentumsfreiheit ........................................145 1. Darstellung des Vorschlags......................................................145 2. Einwände .................................................................................146 a) Darstellung des Einwands...................................................146 b) Erwiderung .........................................................................147 c) Ergebnis .............................................................................148 X. Zwischenergebnis zum Zweck der Bindungsgrenze in Mietund Pachtverträgen (§ 544 BGB)...................................................148 XI. Begrenzung weiterer schuldrechtlicher Sachbindungen (Leihe, Verwahrung) .....................................................................148 D. Zweck der erbrechtlichen Bindungsgrenzen ..........................................150 I. II. III. IV. V. VI.

Einleitung......................................................................................150 Eigentümerschutz ..........................................................................151 Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit...............................................152 Rechtssicherheit ............................................................................153 Genehmigungserfordernis von Stiftungen......................................155 Schutz der Eigentumsordnung auch im Interesse nachfolgender Generationen..............................156 1. Darstellung des Vorschlags......................................................156 2. Problem der Erbauflagen..........................................................157 3. Abgrenzung zum Schutz vor erbrechtlichen Verwirkungsklauseln ...............................................................160 VII. Zwischenergebnis zur Erklärung der erbrechtlichen Bindungsgrenzen..............................................163

E. Zweck der Bindungsgrenze in Darlehensverträgen (§ 489 BGB)...........163 I. Einleitung......................................................................................163 II. Erreichung marktgerechter Zinsen.................................................164 III. Anpassung an veränderte Umstände ..............................................166 1. Kündigungsrecht als Instrument zur Anpassung der Vertragskonditionen an das Marktniveau ...........................166 2. Einwände .................................................................................169

Inhaltsverzeichnis

XVII

IV. Unabsehbarkeit der Zinsentwicklung.............................................170 1. Erklärung aus der Einseitigkeit des Kündigungsrechts .............170 2. Einwände .................................................................................170 V. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit .................................................172 1. Der Schutz wirtschaftlicher Handlungsfreiheit auch durch §§ 489 II, 490 II S. 1 BGB und § 500 II BGB ........172 2. Der Vorrang der Kündigung vor der Vertragsanpassung ..........176 VI. Zwischenergebnis zum Zweck der Bindungsgrenze in Darlehensverträgen....................................................................177 F. Zweck der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Versicherungsverträgen .............................177 I.

II.

Bindungsgrenzen des AGB-Rechts (§§ 307 I, 309 Nr. 9 BGB)......177 1. Klauselkontrolle zum Schutz von Verbrauchern als Klauselgegnern (§ 309 Nr. 9 BGB).....................................179 a) Unterlegenheit des Klauselgegners .....................................181 b) Motivationsgefälle zwischen Klauselverwender und Klauselgegner ..............................................................182 2. Klauselkontrolle zum Schutz von Unternehmern als Klauselgegnern, § 307 I 1 S. 1 BGB ...................................184 a) Rationalisierung .................................................................185 b) Einwand eines verkehrten Schutzes von Verbrauchern und Unternehmern .................................185 c) Einwand bis zu zehnjähriger Bindung.................................186 3. Objektivierungstendenz von AGB als Erklärung des verschärften Prüfungsmaßstabs..........................................188 Bindungsgrenzen für Versicherungsverträge als verdecktes AGB-Recht (§ 11 II S. 2, IV VVG) ........................191

G. Zweck der richterrechtlichen Fallgruppen der Bindungsbegrenzung von Getränkebezugs- und anderen Verträgen........................................195 I.

Richterrechtliche Begrenzung von Bierlieferungsverträgen ...........198 1. Persönliche Freiheit („Schutz vor dem Beruf“) ........................198 2. Privatautonomie .......................................................................202 3. Vertragsgerechtigkeit ...............................................................207 4. Wettbewerbsschutz ..................................................................212 5. Investitionsförderung ...............................................................217 6. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit und Selbstständigkeit („Schutz des Berufes“).............................................................219 a) Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit als Resultat allgemeiner Kündigungsfreiheit..........................................221

XVIII

II.

Inhaltsverzeichnis

b) Bindung des Gastwirtes als aliud zur Unselbstständigkeit des Arbeitnehmers ..............................................................222 aa) Berufsbild selbstständiger Gastwirt.............................222 bb) Vertragliches Leitbild Selbstständigkeit......................223 cc) Verantwortung ............................................................226 c) Wirtschaftliche Beweglichkeit als gesellschaftlicher Wert..229 7. Zwischenergebnis zum Zweck der Bierlieferungsrechtsprechung...................................................233 Tankstellenstationärverträge und Automatenaufstellverträge.........234

H. Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138 BGB)..........................................................................................236 I. II.

Einleitung......................................................................................236 Entwicklung der BGH-Rechtsprechung zu langdauernder Bindung.............................................................238 III. Erklärung der Rechtsprechung.......................................................245 1. Faktische Begrenzung ..............................................................247 2. Wohlfahrtssteigernde Faktorzusammenfassungen durch sachbezogene schuldrechtliche Strukturbildung (Wärmeversorgungsvertrag, Wasserlieferungsvertrag, Stromdurchleitung) ..................................................................248 3. Bindungsalternativen (DÜRA Vollsalz, Klinik KG).................253 4. Überlanger Verlust des Selbstbestimmungsrechts über die Zukunft der gesamten selbstständigen Erwerbstätigkeit ...........255 IV. Kündigungsfreundliche Auslegung, Wegfall der Geschäftsgrundlage und außerordentliche Kündigung als Einschränkungen unbegrenzter Bindung ..................................257 V. Zwischenergebnis zum Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138 BGB) ...........................261

I. Anmerkung zur wettbewerbs- und kartellrechtlichen Bindungsgrenze (§ 4 Nr. 10 UWG, §§ 1 ff., 19 ff. GWB, Art. 101 f. AEUV).....................262

Kapitel 4: Allgemeine Bindungsgrenzen als Konsequenz objektiver Freiheiten ..............................................265 A. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“ ..................................................265 I.

Voraussetzungen einer Gesamtanalogie.........................................265 1. Möglichkeit einer Gesamtanalogie ...........................................265

Inhaltsverzeichnis

XIX

2. Schwierigkeit einer Gesamtanalogie ........................................267 3. Voraussetzungen einer Gesamtanalogie ...................................268 II. Keine Verallgemeinerbarkeit spezieller Bindungsgrenzen durch Gesamtanalogie ...................................................................269 1. Gemeinsame Wertung umfassenderen Anwendungsbereichs (Erste Voraussetzung einer Analogie) ......................................269 a) Verworfene allgemeine Zwecke .........................................270 b) Uneinheitlichkeit unmittelbarer Zwecke .............................271 2. Verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz (Zweite Voraussetzung einer Analogie) ...................................271 a) Unbegrenzte Bindungen .....................................................271 b) Strikte Geltung ...................................................................272 c) Zulassung unbegrenzter Bindung........................................272 d) Unterschiedliche Zeiträume ................................................273 3. Stimmen gegen eine Gesamtanalogie .......................................274 4. Fazit.........................................................................................276 III. Verallgemeinerungsbedürfnis trotz fehlender Verallgemeinerbarkeit ...................................................277 1. Gemeinsamkeiten.....................................................................277 2. Vereinheitlichungsbestreben ....................................................279 3. Besseres Recht .........................................................................280 4. Lücke ohne Lösung..................................................................281 a) Ein methodisches Problem..................................................282 b) Lösungsansatz ....................................................................284 IV. Mittelbare Allgemeinwirkung zivilrechtlicher Wertungen .............285 V. Anwendung auf das Problem der Verallgemeinerung von Bindungsgrenzen ....................................................................286 B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen ..........................................287 I.

II.

Impliziter Vorbehalt der Interessenfortdauer und kündigungsfreundliche Auslegung, §§ 133, 157 BGB ...................288 1. Mutmaßlicher Parteiwille herausgeschobener statt aufgehobener Kündbarkeit................................................288 2. Kündigungsfreundliche Rechtsprechung ..................................290 3. Maßstab ...................................................................................292 4. Abdingbarkeit ..........................................................................293 Zwingende allgemeine Bindungsgrenze, § 138 I BGB bzw. § 314 I S. 1 BGB..............................................294 1. Kritik der dogmatischen Anknüpfung einer allgemeinen Bindungsgrenze an § 138 BGB ...................295 a) Verortung im Privatrecht ....................................................295 b) Anknüpfung an § 314 BGB statt § 138 BGB ......................296

XX

Inhaltsverzeichnis

aa) Sittenwidrigkeit überlanger Bindung, § 138 I BGB.....296 bb) Überlange Bindung als zur Kündigung berechtigender, wichtiger Grund i.S.d. § 314 I 1, 2 BGB................................................298 cc) Außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 I BGB erst nach Ablauf angemessener Bindungszeit ........................................299 (1) Auslauffristen als Ergänzung zum wichtigen Grund i.S.d. § 314 I 2 BGB ...................................300 (2) § 314 I 1 BGB als isolierter gesetzlicher Ansatzpunkt ohne Rückgriff auf § 314 I 2 BGB ....302 dd) Sonstige Anknüpfungspunkte .....................................303 c) Ergebnis .............................................................................305 2. Allgemeine Kriterien für die Begrenzung von Bindung ...........305 a) Beschränkung einer grundlegenden privatrechtlichen Freiheit....................................................306 b) Soziale Relevanz der Bindung ............................................307 aa) Erhebliche individuelle Belastung...............................307 bb) Keine Ausnahmekonstellation.....................................308 c) Überlänge der Bindung im Hinblick auf die gefährdete objektive Freiheit.........................................309

Kapitel 5: Zusammenfassung der Ergebnisse ................................313 A. Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten ....................................................................313 B. Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten ....................................................................314 C. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“ ..................................................316 D. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen ..........................................317 Literaturverzeichnis....................................................................................319 Register ......................................................................................................339

Abkürzungsverzeichnis ABHZ AblG All E.R.(D) Begr. BLV BT-Drs. Eng. Rep. EWCA Civ H.L. insb. KB KE L.G.R. L.J. L.JJ. L.Q.R. L.R. Ls. Mod. L. Rev. N.Z.L.R. NZCA O.A. QB s.a. s.o. sog. u.a. V-GVO W.L.R.

Allgemeine Brauer- und Hopfenzeitung Ablösungsgesetz All England Law Reports Begründer Bierlieferungsvertrag Bundestags-Drucksache English Reports Court of Appeal (Civil Division) House of Lords insbesondere King’s Bench Division Kommissionsentwurf Local Government Reports Lord Justice Lord Justices Law Quarterly Review Law Reports (1st series) Leitsatz Modern Law Review New Zealand Law Review New Zealand Court of Appeal Ohne Angabe Queen’s Bench Division siehe auch siehe oben sogenannte unter anderem Vertikalgruppenfreistellungsverordnung Weekly Law Reports

Im Übrigen wird verwiesen auf Kirchner, Hildebert (Begr.), Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Auflage, Berlin 2015.

1. Kapitel

Einleitung A. Das Paradox privatrechtlicher Freiheit A. Das Paradox privatrechtlicher Freiheit „In dem Zusammenhang von Freiheit und Bindung bewährt sich der Grundsatz der Privatautonomie.“ Werner Flume

Das Ziel des Privatrechts ist Freiheit, sein Mittel ist Bindung1. Der Staat stellt den Einzelnen zivilrechtliche Institute zur Verfügung, damit sie ihre freien Vorstellungen verwirklichen können2. Sie verwirklichen ihre Vorstellungen jedoch, indem sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich selbst zu zwingen3. Dieser privatrechtliche Selbstzwang eröffnet neue Handlungsräume, indem er Kooperation ermöglicht4. Denn auch ohne das Recht kann man etwas versprechen, aber nur durch das Recht kann man „für sich selbst über den gege1 Vgl. Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 6: „Die Bindung an den Vertrag ist aber eines der wesentlichen Kennzeichen einer auf der Privatautonomie beruhenden Privatrechtsordnung. Sie erklärt sich ähnlich wie die Vertragsfreiheit selbst durch die aus der Menschenwürde folgende freie Selbstbestimmung des Individuums, denn diese beinhaltet auch die Freiheit sich selbst zu binden“ (Herv. d. Verf.). Vertragsfreiheit als Mittel des Privatrechts ist insoweit die historische Idee, unfreiwillige Bindung durch freiwillige Bindung zu ersetzen; Maine, Ancient law, S. 170. Zur Kollisionslage zwischen Vertragstreue und Selbstbestimmung auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 249; Weller, Vertragstreue, S. 153. 2 Vgl. Wagner-von Papp, AcP 205 (2005), 342 ff.; MünchKomm-BGB/Einsele, § 125, Rn. 70: „Jedoch können sich die Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit nicht nur binden, vielmehr ist die Anerkennung einer solchen Bindung […] sogar erforderlich, um den Parteien Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen.“ BVerfGE 89, 214, 231 = NJW 1994, 36, 38: „[Die Gewährleistung der Privatautonomie] begründet daher die Pflicht des Gesetzgebers, rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel zur Verfügung zu stellen, die als rechtsverbindlich zu behandeln sind und auch im Streitfall durchsetzbare Rechtspositionen begründen.“ 3 Larenz, Richtiges Recht, S. 57; vgl. Canaris, Vorfälligkeitsentschädigung, S. 1055, 1063; Canaris, iustitia distributiva, S. 56 f.; Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff.; Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 5 ff.: „Die Kehrseite der Vertragsfreiheit ist der Grundsatz der Vertragsbindung“; Lorenz, Schutz vor unerwünschtem Vertrag. Anders Bassenge, Das Versprechen, S. 11, in der Zusammenfassung durch Weller, Vertragstreue, S. 162: „Etwas versprechen heißt, sich selbst verpflichten“; vgl. auch Kohler, Rechtsphilosophie. 4 Vgl. BMJ, Überarbeitung des Schuldrechts, S. XVII; MacNeil, Virginia LR 60 (1974), 589, 592.

2

1. Kapitel: Einleitung

benen Augenblick hinaus […] bürgen“5, einem anderen einen verlässlichen Handel anbieten und so die Aussicht erlangen, im Gegenzug auf von diesem angebotene Güter zugreifen zu können. Die Möglichkeit, die eigene Freiheit einzuschränken, „erweitert [...] [damit] die Kausationsfähigkeit des Subjekts um ein fast unermessliches Gebiet“6. Deswegen ist es kontraproduktiv, um der Freiheit willen zivilrechtliche Bindungen zu begrenzen. „Das Recht zur Selbstbestimmung ist [...] nicht identisch mit der Freiheit von allen Bindungen“7. Es gilt das Paradox einer privatrechtlichen Freiheit zur Bindung8: Wer Bindung begrenzt, schränkt das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ein, weil erst privatrechtlich ermöglichte Unfreiheit privatrechtliche Freiheit ermöglicht9. Der Vorrang der positiven Freiheit zur Bindung vor der negativen Freiheit von Bindung ist der Grundgedanke der Privatautonomie und die Inkaufnahme von Gebundenheit somit ein Grundpfeiler eines liberalen Privatrechts10. Die zwei Freiheiten, die dem Paradox zugrunde liegen, lassen sich als Freiheit zur Bindung und von Bindung, als Vertragsfreiheit und Vertragstreue11, als Bindungsautonomie12 und Ungebundenheit oder als positive und negative Vertragsfreiheit13 unterscheiden. Wenn man danach fragt, ob ein 5

Hartmann, Ethik, S. 465 f. Zitelmann, JherJb 16 (1878), 375; Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 187, 206, 252; vgl. Savigny, System I, S. 339 f., 344. 7 BVerfGE 72, 155, 170 = NJW 1986, 1859, 1860. 8 Vgl. Fikentscher, Die Freiheit und ihr Paradox; Wagner-von Papp, AcP 205 (2005), S. 342, 350 m.w.N.; Schlossmann, Vertrag, S. 89. 9 Vgl. Weller, Vertragstreue, S. 156: „In der außerrechtlichen Dialektik zwischen der Selbstbestimmung (Willensfreiheit), welche die natürliche Bindungsfreiheit mit einschließt, und ihrem Korrelat, der Selbstbindung, liegt der Schlüssel zum Verständnis des rechtlichen Zusammenhangs zwischen Vertragsfreiheit und Vertragstreue.“ MünchKommBGB/Kanzleiter/Krüger, § 311b, Rn. 87: „Als im 19. Jahrhundert Vertrags-, Verfügungsund Vergabungsfreiheit zu den tragenden Pfeilern der Privatrechtsordnung wurden, stellte sich das Problem, wie die Freiheit gegen sich selbst geschützt werden könne. Der Einzelne sollte sich seiner Freiheit nicht durch Vertrag begeben können; die Vertragsfreiheit selbst sollte nicht ihrerseits Gegenstand eines Vertrages sein können.“ Vom janusköpfigen Charakter des Abschlusses eines Dauerschuldverhältnisses für das Selbstbestimmungsrecht der Vertragsparteien schreibt Kitz, Dauerschuld, S. 142; Klumpp schreibt vom „Antagonismus zwischen der Kündigungsfreiheit auf der einen Seite und der Vertragsfreiheit – das heißt, die Freiheit, auf dieses Kündigungsrecht zu verzichten – auf der anderen Seite“, Klumpp, Kündigungsausschluss, 2009, S. 5. 10 Vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 2, Rn. 17, S. 24. 11 Lorenz, Schutz vor unerwünschtem Vertrag, S. 28 ff., 37 ff. 12 Der Begriff der Bindungsautonomie unterscheidet sich vom weiteren Begriff der Privatautonomie beispielsweise dadurch, dass sie nicht den Abschluss von Aufhebungsverträgen umfasst. 13 Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 23 ff., 24, unter der Überschrift „Verzicht auf die negative Vertragsfreiheit durch Selbstbindung des Schuldners im Vertragsschluß“: „Umge6

A. Das Paradox privatrechtlicher Freiheit

3

Rechtssystem „freiheitlich“ sei, will man wissen, wie sich das Rechtssystem zu dieser Unterscheidung positioniert14. Überwiegend wird angenommen, das Bürgerliche Gesetzbuch folge – zumindest in seiner Ursprungsfassung – im Grundsatz liberalen Prinzipien15, sodass man von ihm im Hinblick auf die zulässige Länge Mindestvertragslaufzeiten ein Bekenntnis zur Bindungsautonomie erwartete. In der Frage langfristiger Bindung scheint das Gesetz jedoch stattdessen einen Kompromiss beider Freiheiten zu suchen und diese durch über das gesamte Gesetz verteilte Vorschriften16 voneinander abzugrenzen, die die Bindungsdauer in Rechtsverhältnissen begrenzen (Bindungsgrenzen17). So darf sich ein Dienstverpflichteter für maximal fünf Jahre unkündbar verpflichten18 und ein Darlehensnehmer allenfalls zehn Jahre auf eine Kündigung des Darlehensvertrags verzichten19, Mieter und Vermieter dürfen für nicht länger als 30 Jahre oder die Dauer eines Lebens wechselseitige Kündigungsverzichte vereinbaren20, Allgemeine Geschäftsbedingungen dürfen teilweise nur höchstens zweijährige Mindestvertragslaufzeiten vorsehen21 und auch sachenrechtliche und erbrechtliche Bindungen begrenzt das Gesetz22. Die Rechtsprechung hat diese Regelungen noch erweitert und verschärft. Nach § 138 I BGB sollen beispielsweise auch die Vertragspartner von im BGB nicht besonders geregelten, unvertypten Dauerschuldverhältnissen wie Getränkelieferungs- und Automatenaufstellverträgen die ordentliche Kündikehrt geht derjenige, der das Leistungsverprechen abgibt, durch den Vertragsschluß eine Leistungsverpflichtung ein. Da er sich im Umfang dieser Selbstbindung seiner Handlungsfreiheit begibt, disponiert er über eine Freiheit im negativen Sinn: die Freiheit keinen Zugriff auf das eigene Leistungsvermögen ausgesetzt zu sein. Er verzichtet insoweit auf seine negative Vertragsfreiheit.“ Vgl. auch Kitz, Dauerschuld, S. 142. 14 Jhering wies bereits Mitte des 19. Jahrhunderts darauf hin, wie aufschlussreich die Frage der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten für die Einschätzung eines Rechts ist, Jhering, Geist II 1, S. 222: „Ein Punkt, an dem die Auffassung des Freiheitsbegriffs wie an keinem anderen ihre Probe bestehen kann, ist die im Begriff der Freiheit scheinbar enthaltene Möglichkeit einer Selbstvernichtung derselben.“ 15 Vgl. etwa Larenz/Wolf, BGB AT, S. 30 ff.; Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 40, 45; HKK/Rückert, Vor § 1, Rn. 93 ff.; Oetker/Maultzsch, Vertragliche SV, 2007, S. 305; Adomeit, BGB, S. 7; vgl. zur entsprechenden Kritik am Ursprungs-BGB im Hinblick auf Haferkamp, BGB während des Nationalsozialismus und in der DDR, S. 1 f. 16 §§ 309 Nr. 9 lit. a), 489 I, 500 II, 544, 594b, 624, 671, 675h I, 695, 723 f., 1202 II, 2109 I S. 1, 2162 I, 2210 BGB; außerhalb des BGB etwa § 11 II S. 2, IV VVG, § 11 WBVG, § 5 FernUSG, § 22 II Nr. 2 BBiG, § 15 IV TzBfG. 17 Zum Begriff s. unter Kap. 1, B. Begriff der Bindungsgrenze und Beschränkung der Untersuchung. 18 § 624 BGB. 19 § 489 I Nr. 2 BGB. 20 § 544 S. 1, 2 BGB. 21 § 309 Nr. 9 lit. a) BGB. 22 §§ 1202 II, 2109 I S. 1, 2162 I, 2210 BGB.

4

1. Kapitel: Einleitung

gung nur bis zu maximal 15 bis 20 Jahren ausschließen dürfen23 und in Formularmietverträgen sollen Bindungen von allenfalls vier Jahren zulässig sein24. Diese gesetzlichen Begrenzungen von Kündigungsausschlüssen waren der Sache nach überwiegend bereits bei Inkrafttreten im BGB enthalten25. Sie beschränken die Privatautonomie zeitlich ohne Rücksicht auf die Höhe der gegenseitigen Leistungen und getätigter Investitionen auf starre Werte und scheinen danach allein durch den Schutz einer Ungebundenheit erklärbar zu sein, die zur Privatautonomie im Gegensatz steht. Diese Arbeit soll zeigen, dass diese Begrenzungen von Mindestvertragslaufzeiten zum Stellenwert, den das deutsche Zivilrecht der Privatautonomie an anderen Stellen zugemessen hat, nicht in Widerspruch stehen müssen. Denn bei näherer Untersuchung lassen sie sich nicht nur als Demarkationslinie zwischen Freiheit von und zur Bindung lesen, sondern auch als Bestimmungen zum Erhalt der sozialen Wirksamkeit von Privatrechtsinstitutionen wie dem Eigentum oder der Vertragsfreiheit. Diese Hypothese soll so formuliert werden, dass Zweck der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten der Schutz so zu nennender objektiver Freiheiten im Gegensatz zu den subjektiven Freiheiten der Vertragspartner ist. Ob dies überzeugt, könnte in zweierlei Hinsicht von Interesse sein. Erstens ist die Rücksichtnahme auf die öffentlich-rechtliche Ordnung dem Modell privatrechtlichen Denkens, das dem Vertragsrecht des BGB als Grundlage zugeschrieben wird, im Grundsatz fremd 26. Diese Rücksichtnahme sollte danach allein dem öffentlichen Recht – wie heute etwa dem Kartellrecht – überantwortet sein. Ließe sich im BGB tatsächlich ein Schutzzweck objektiver Freiheiten nachweisen, könnte diese Vorstellung hinsichtlich der konstitutiven privatrechtlichen Institutionen zu korrigieren sein. Zweitens könnte die Unterscheidung zwischen einer gegenwärtigen Vertragsfreiheit der Vertragspartner einerseits und der abstrakten Fortdauer der sozialen Institution Vertragsfreiheit andererseits die von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht verwandte Formel erhellen helfen, dass die Vertragsfreiheit zum Schutz der Vertragsfreiheit beschränkt werden dürfe27. Denn wenn sich die zwei von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ange23

BGH NJW 1970, 2243; NJW 1972, 1459; WM 1977, 949. BGH NJW 2012, 521; BGH NJW 2009, 353, 354. 25 Dies gilt beispielsweise für §§ 567 a.F., der im Wesentlichen § 544 n.F. entsprach, §§ 624, 1202 II, 2044, 2109, 2162, 2210 BGB, nicht jedoch für § 609a BGB a.F., der im Wesentlichen § 489 BGB n.F. entsprechenden Vorschrift, die erst 1987 eingefügt wurde, vgl. Staudinger/Strätz, BGB-Synopse 1896–2005. Statt § 489 I Nr. 2 BGB räumte im BGB von 1900 jedoch § 247 BGB a.F. für Darlehensverträge ein großzügiges Kündigungsrecht ein, s. dazu BT-Drs. 10/4741, S. 22. 26 Vgl. HKK/Rückert, Vor § 1, Rn. 72 ff. 27 Vgl. BVerfG NJW 1990, 1469; BGH NJW 2014, 1725. 24

B. Begriff der Bindungsgrenze

5

sprochenen Formen von Vertragsfreiheit derart unterscheiden ließen, verlöre die Formel das ihr zunächst scheinbar anhaftende Moment der Beliebigkeit.

B. Begriff der Bindungsgrenze und Beschränkung der Untersuchung B. Begriff der Bindungsgrenze

Als zeitliche Bindungsgrenzen28 werden hier alle Bestimmungen verstanden, nach denen Rechtsverhältnisse unabhängig vom Willen der Betroffenen höchstens für eine bestimmte Dauer einseitig oder mehrseitig unauflösbar begründet werden können. Die Laufzeit eines vertraglichen Dauerschuldverhältnisses als seine reine Wirkungsdauer29 wird durch Bindungsgrenzen dabei nicht berührt, nur die Bindungsdauer wird durch gesetzliche Zulassung der Kündigung nach einer bestimmten Maximallaufzeit zeitlich begrenzt. Der Vertrag kann auch tatsächlich trotz bestimmter gesetzlicher Höchstbindungszeiten auf unbegrenzte Zeit fortdauern, weil keine Seite von ihren Beendigungsrechten Gebrauch macht. Mit Bindung ist für die Zwecke dieser Untersuchung die Unbeendbarkeit einer Pflicht oder Belastung ohne Mitwirkung anderer gemeint. Die Beendbarkeit eines Rechtsverhältnisses durch zweiseitige Rechtsgeschäfte (wie die einverständliche Aufhebbarkeit eines Vertrags) berührt seine Bindungswirkung nicht. Denn die Unterwerfung unter fremden Willen wird nicht dadurch gemindert, zur Disposition des Bindenden zu stehen. Bindung ist nicht gleichzusetzen mit Verpflichtung. Eine längst verjährte Forderung, die nicht mehr einseitig durchgesetzt werden kann, bindet nicht mehr; unabhängig davon, ob der Verpflichtete sich auf die Verjährungseinrede beruft. Je nachdem, ob das Rechtsverhältnis für beide oder nur eine Seite durch einseitiges Handeln unauflösbar ist, lassen sich einseitig und zweiseitig bindende Rechtsverhältnisse unterscheiden.

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Der im Folgenden verwendete Begriff der „Bindungsgrenze“ kennzeichnet zwar nur unzureichend, dass er allein zeitliche Bindungsgrenzen bezeichnen soll. Er ist jedoch der knappe und allgemein verstandene Kern der meisten der zahlreichen unterschiedlichen Bezeichnungen für die Gegebenheit, MünchKomm/Berger, § 489, Rn. 3: „absolute Bindungsgrenze“; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 501; Stelling, Vorfälligkeitsentschädigungen, S. 132, verwendet den Begriff „Höchstbindungsgrenze“; BeckOK-BGB/ H. Schmidt, § 307, Rn. 35 spricht von „Bindungsobergrenzen“; Jickeli, Langfristiger Vertrag, S. 142 ff. ähnlich als „Laufzeitgrenzen“; Spiro, Fatalfristen I, II, hingegen bezeichnet Bindungsgrenzen titelgebend als „Fatalfristen“; spezieller wird der Begriff im Zusammenhang mit der Rückzahlung von Gratifikationen benutzt, Hümmerich/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, Rn. 2850 ff. 29 Unterscheidung von Wirkungs- und Bindungskraft von Verträgen nach Gierke, BGB-Entwurf, S. 244.

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1. Kapitel: Einleitung

Rechtspraktisch tritt Bindung häufig in der Form von Mindestvertragslaufzeiten auf, in der Regel als einvernehmlicher Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit von Dauerschuldverhältnissen. Eine zeitliche Bindungsgrenze bezeichnet in diesem Fall den Zeitraum, nach dem das Dauerschuldverhältnis zwingend wieder kündbar wird. Im Folgenden sollen im Wesentlichen30 nur diese Begrenzungen von Kündigungsausschlüssen in Dauerschuldverhältnissen untersucht werden, andere Bindungsbegrenzungen wie etwa die Verjährung bleiben außer Betracht. Gegenstand dieser Arbeit sind nur zeitliche Bindungsgrenzen und diese allein als Beseitigung der in der Zeitdauer der Bindung als solcher liegenden Belastung. Als zeitliche Bindungsgrenzen behandelt werden hier somit keine Lösungsmöglichkeiten, die nicht nur durch den Ablauf einer bestimmten Dauer, sondern durch den zufälligen Eintritt weiterer Umstände bedingt sind. Langbindende Rechtsverhältnisse werden regelmäßig mit Schwierigkeiten wie etwa der Geldentwertung und sonstigen Äquivalenzstörungen konfrontiert. Sie haben die Veränderung von Rahmenbedingungen des Geschäftes zu verarbeiten, den Tod von Parteien31 oder ihrer Insolvenz. Lange Bindungsdauer kann zudem Indiz von Übervorteilung sein: Sie kann ein Faktor sein, der in Wechselwirkung mit anderen im Ergebnis zu einem Übermaß an Bindung beiträgt, oder das Produkt einer Täuschung oder Überrumpelung. Diese Schwierigkeiten und ihre rechtliche Behandlung sollen schon deswegen nicht gänzlich ausgeblendet werden, weil sie die Bindung relativieren oder sogar einen zwingenden rechtspraktischen Endpunkt theoretisch unbegrenzter Bindung markieren. Gesucht wird jedoch eine Antwort allein auf die Dauerproblematik als solche: Wie lange darf man sich im deutschen Privatrecht binden und ab wann wird die Bindung allein aufgrund ihrer Dauer exzessiv und darum unwirksam32? Bindungsgrenzen setzen danach nie nachträgliche Veränderungen nach der Begründung der Bindung voraus33. Die Lösungsmöglichkeiten, die beispiels30 Unter der Überschrift der Sachbindungsgrenzen werden auch dingliche Bindungen berücksichtigt. Auch soweit diese – wie im Fall des Erbbaurechts – die Verpflichtung zu wiederkehrenden Leistungen begründen, handelt es sich hierbei nicht um Dauerschuldverhältnisse, BGH NJW-RR 2006, 188, 189. 31 Den Dauerschuldverhältnisse grundsätzlich überdauern, BeckOK-BGB/MüllerChristmann, § 1922, Rn. 31: „Ansprüche und Verbindlichkeiten aus schuldrechtlichen Verträgen sind grds vererblich. Es geht die gesamte vertragsrechtliche Position des Erblassers auf den Erben über […]“. 32 Vgl. Paulusch, GaststättenR, S. 37: „Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, daß auch bei sonst nicht zu beanstandender Vertragsgestaltung allein eine von vornherein übermäßig lange Bindung geeignet sein kann, den Gastwirt in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit unzumutbar einzuengen.“ 33 Entsprechend sehen Strasser, GS Gschnitzer, S. 415, 422; ders., Beendigung, S. 38; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 272 nicht die außerordentliche, sondern die ordentliche Kündigung als Gegengewicht zur Gefährdung der Selbstbestimmung des Einzelnen durch

C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen

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weise das außerordentliche Kündigungsrecht, die Bestimmungen zur Störung der Geschäftsgrundlage oder zur Sittenwidrigkeit bieten, gelten hiernach nur dann als Bindungsbegrenzung eines Rechtsverhältnisses, wenn sie zu ihrer Anwendung eine bestimmte Bindungszeit ausreichen lassen, also an die Belastung anknüpfen, die eine Verpflichtung nach ihrem Inhalt aufgrund ihrer Dauer darstellt34. Die jederzeitige außerordentliche Kündbarkeit von Dauerschuldverhältnissen35 stellt somit im Grundsatz keine Bindungsgrenze dar. Denn eine außerordentliche Kündigung setzt nach der Rechtsprechung im Regelfall Gründe voraus, die über die ursprünglichen Vertragsbedingungen als solche und Motive aus der persönlichen Sphäre des Gebundenen hinausgehen müssen36. Die Untersuchung soll im Wesentlichen auf Bindungen in repräsentativen zweiseitigen Schuldverhältnissen des BGB beschränkt bleiben und nur darüber hinausgehen, wo es der Sachzusammenhang nahe legt. Insbesondere ein Eingehen auf die Besonderheiten gesellschaftsrechtlicher oder familienrechtlicher Bindungen würde eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen dieser Rechtsgebiete erfordern, die so umfangreich zu sein hätte, dass sie im Rahmen dieser Untersuchung nicht geleistet werden kann.

C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen

Man könnte Bindungsgrenzen von vornherein ablehnen, weil sie ungerechtfertigt die Privatautonomie beschränkten. Danach hätte der Gesetzgeber im BGB mit den Bindungsgrenzen eine Reihe rechtspolitisch verfehlter Bestimmungen geschaffen, deren Abschaffung zu fordern wäre. Diese Untersuchung soll stattdessen von der Arbeitshypothese ausgehen, dass die Bindungsgren-

langfristige Bindung. Auch eine nur typischerweise nach bestimmter Zeit enstehendes Kündigungsrecht ist keine Bindungsgrenze. 34 Für die gesetzlichen Bindungsgrenzen ergibt sich dies im Wesentlichen daraus, dass für unterschiedliche Vertragstypen unterschiedliche Bindungsgrenzen gelten. Die allgemeine richterrechtliche Bindungsgrenze aus § 138 BGB stellt ebenfalls auf den Inhalt der Verpflichtung ab. 35 BGH GRUR 1959, 384 (Postkalender); bestätigt durch BGH NJW 1972, 1128 (Belegungsvertrag); so auch BGHZ 29, 171, 172; 34, 367, 370; 41, 104, 108; zuletzt BGH NJW-RR 2006, 1427, 1428; vgl. auch BGH NJW 2008, 1064. Diese Rechtsprechung geht zurück auf OLG Hamburg NJW 1957, 26 und die Reichsgerichtsrechtsprechung seit RGZ 140, 264, 275. Vgl. auch BeckOK-BGB/Sutschet, § 241, Rn.29; Staudinger/Schmidt, Einl. § 241 ff., Rn. 328; Palandt/Kohler, Vorb. § 241, Rn. 22; MünchKomm-BGB/Kramer, Vorb. § 241, Rn.87. 36 BGH NJW-RR 2011, 916; BGH NJW 1991, 1829; LG München ZGS 08, 357; Palandt/Grüneberg, § 314, Rn. 9.

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1. Kapitel: Einleitung

zen keinen historischen Fremdkörper in einem liberalen BGB bilden37, sondern dass sich aus ihrer Existenz Aussagen über das bürgerliche Recht in Deutschland gewinnen lassen. Für das Aufstellen dieser Arbeitshypothese lassen sich einige Ansatzpunkte heranziehen. I. Anlage des BGB Das BGB ist auf Vertragsfreiheit angelegt. Die Bedeutung des Besonderen Teils des Schuldrechts erschließt sich erst aus der Disponibilität einer Vielzahl seiner Bestimmungen. Das BGB setzt auch die grundsätzliche Herrschaft der Parteien über die Bindungszeit ihrer Verträge voraus. An mehreren Stellen geht es jedoch davon aus, dass die resultierenden Vertragsbindungen zeitlich begrenzt oder begrenzbar sind. Dies beginnt bei solch grundsätzlichen Unterscheidungen wie der zwischen dinglichen Rechten und Schuldverhältnissen. Wäre obligatorischen Überlassungen von Besitz wie Miete und Verwahrung keine Kündbarkeit eingeschrieben, verlöre sich die Grenze zur Übertragung dinglicher Rechte, da der berechtigte Besitzer in erheblichem Umfang absoluten Schutz genießt38. Wer das Eigentum an einer Sache überträgt, hält nichts zurück und verliert jeden Anspruch auf Rückerstattung. Kaum anders ergeht es jedoch dem, der seine Sache auf ewig unkündbar wegvermietet. An die Unterscheidung zeitlicher Schuldverhältnisse und dauernder dinglicher Fortgabe knüpft das BGB mit §§ 550 S. 1, 331b I S. 1, 873 I BGB jedoch so unterschiedliche Voraussetzungen wie formlose Wirksamkeit oder das Erfordernis der notariellen Beurkundung und Eintragung in ein öffentliches Register. Das Dauerschuldverhältnis „[kann] seiner Idee nach zeitlich unbegrenzt gedacht werden“39. Aus ihm entstehen fortgesetzt neue Leistungspflichten, deren Erfüllung das Pflichtenprogramm des Grundverhältnis nie erschöpft. Zeitliche Grenzen müssen Dauerschuldverhältnissen „– quasi von außen – [erst] gesetzt werden“.40 Diese Funktion erfüllt grundsätzlich die – abdingbare – ordentliche Kündbarkeit. Aber auch aus der zwingenden außerordentlichen Kündbarkeit von Dauerschuldverhältnissen folgt eine Tendenz zu rein zeitlichen Bindungsgrenzen. Die außerordentliche Kündbarkeit setzt zwar regelmäßig das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus. Der Maßstab der Wichtigkeit steht indes in umgekehrter Relation zur Restbindungszeit, je 37

Für die grundsätzliche zeitliche Begrenztheit von Schuldverhältnissen auch Larenz/ Canaris, SRI, S. 30; Klumpp, Kündigungsausschluss, S. 5; Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 46; Claussen, Bank- und BörsenR, § 8 Rn. 43; Siebel, Int. Anleihen, S. 39, Fn. 158. 38 Vgl. zum Besitzschutz durch etwa §§ 1004, 823 I, 823 II i.V.m. § 858 BGB, dazu Staudinger/Gutzeit, Vor §§ 854–872, Rn. 62. 39 MünchKomm-BGB/Kramer, Einl. vor §§ 241 ff., Rn. 97. 40 Ebd.

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länger die Rechtsbeziehung den Parteien noch zugemutet würde, desto geringere Belastungen bilden einen außerordentlichen Kündigungsgrund (§ 314 I 1 S. 2 BGB). Führt man den Gedanken fort und lässt die Mindestvertragslaufzeit gegen Ewigkeit konvergieren, läuft die den Parteien zumutbare Belastung gegen Null41 und wird jeder Vertrag außerordentlich kündbar, weil „[j]eder Vertrag – jede obligatio – die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit beschränkt“42. An diesem Ineinanderlaufen außerordentlicher und ordentlicher Kündbarkeit zeigt sich, dass das Gesetz auf überlange Bindungen nicht angelegt ist. II. Entwicklung der Bindungsgrenze Die Vielzahl der Vorschriften zur Bindungsbegrenzung sind nicht Ausdruck einer einzelnen, möglicherweise verfehlten gesetzgeberischen Entscheidung, sondern historisch gewachsen43. Weitestgehend unabhängig voneinander wurde bei so unterschiedlichen Regelungsmaterien wie dem Dienstvertrag44 und der Nacherbfolge45, der Rentenschuld46 und dem Mietvertrag47 die Notwendigkeit gesehen, einer überlangen Dauer des Rechtsverhältnisses vorzubeugen. Diese Entwicklung war auch mit Inkrafttreten des BGB noch nicht abgeschlossen, sondern setzte sich in der Rechtsprechung des BGH zu Verträgen beispielsweise zu Verträgen über Getränkelieferungen48, Automatenaufstellungen49 oder Tankstellenbelieferungen50 fort. Zwischen den einzelnen Bindungsgrenzen bestehen zwar dogmatische Parallelen: So werden die Bindungsgrenzen in der Regel als zwingendes Kündigungsrecht nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne ausgestaltet51 und die Begrenzung auf einen Zeitraum von 30 Jahren kehrt häufig wieder52. Die rechtspolitische Entschei41

Vgl. Bydlinski, Vertragsbindung, S. 18, der davon spricht, dass der „extreme […] Zeitfaktor pro Zeiteinheit vielleicht mäßige Äquivalenz- und Zweckstörungen geradezu potenziert.“ 42 RG JBl. 1926, 12; ebenso BGH NJW 1995, 2350: „Eine Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Handlungsfreiheit ist die normale Folge jeder Vertragsbindung“. 43 Vgl. Teil C. zur jeweiligen Entstehungsgeschichte der einzelnen Vorschriften. 44 § 624 S. 1 BGB. 45 § 2109 I S. 1 BGB. 46 § 1202 II BGB. 47 § 544 S. 1 BGB. 48 Hierzu existiert eine umfangreiche Rechtsprechung, vgl. nur BGHZ 54, 145; BGH NJW 1975, 381; WM 1985, 608; 1987, 542. Einen Überblick verschaffen Palandt/ Ellenberger, § 138, Rn. 81; Erman/Palm, § 138, Rn. 88 jeweils m.w.N. 49 BGH NJW 1983, 159, 161. 50 BGH NJW 1998, 156, 160. 51 § 489 I Nr. 3 BGB; § 544 S. 1 BGB; § 624 S. 1 BGB. Ein Gegenbeispiel bildet die Rechtsprechung zu § 138 I BGB, vgl. unten, Kap. 3, G. Zweck der richterrechtlichen Fallgruppen der Bindungsbegrenzung von Getränkebezugs- und anderen Verträgen. 52 Z.B. § 544 S. 1 BGB; § 1202 II BGB; § 2109 I S. 1 BGB; § 2210 S. 1 BGB.

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1. Kapitel: Einleitung

dung für die Begrenzung von Bindung wurde jedoch durch Angehörige unterschiedlicher Rechtsorgane für jeweils unterschiedliche Bereiche immer wieder gleich gefällt. Diese rechtsevolutorische „Konvergenz“ bildet ein starkes Indiz für ein rechtspraktisches Bedürfnis nach Bindungsgrenzen. Ein weiteres Indiz für dieses Bedürfnis nach Bindungsgrenzen ist das vorläufige Ergebnis dieser Entwicklung: Systematisch gilt im deutschen Privatrecht zwar der Grundsatz zeitlich unbegrenzter Bindung (§ 311 I BGB), im rechtspraktischen Ergebnis bestehen jedoch allenthalben Bindungsgrenzen. Wo sich der Gesetzgeber im Speziellen mit der Frage auseinander gesetzt hat, hat er sich in jedem einzelnen Fall für eine Bindungsgrenze entschieden. So sieht das Gesetz für jedes Dauerschuldverhältnis eine zeitliche Bindungsgrenze vor (§§ 544, 624, 489, 695, 723 f. BGB)53, das es vertypt und durch Spezialvorschriften geregelt hat. Selbst bei den verbleibenden Dauerschuldverhältnissen ohne besondere Bestimmungen – vornehmlich Kauf- und Werkverträgen mit Dauerschuldcharakter54 – ist die zeitlich unbegrenzte Bindbarkeit ebenfalls alles andere als die praktische Regel. Soweit die Vertragsbedingungen von Verbraucherverträgen in AGB geregelt werden, konstituiert § 309 Nr. 9 BGB eine strenge Bindungsbegrenzung auf zwei Jahre. Sonstige Verträge werden am Maßstab des § 307 I BGB55 oder des § 138 I BGB56 geprüft. Soweit sich die höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Frage der Bindungsgrenzung der genannten, praktisch wichtigsten Dauerschuldverhältnisse mit langfristiger Laufzeit wie der Bierbezugsverträge zu befassen hatte, hat sie eigenständige Höchstbindungszeiten von bis zu 15–20 Jahren entwickelt und zeitlich gänzlich unbegrenzte Bindungen dezidiert für unzulässig erachtet57. Aus über einem Jahrhundert Rechtsprechung existieren nur wenige Entscheidungen, in denen der BGH im Ergebnis eine zeitlich unbegrenzte Bindung für wirksam gehalten hat58. Im Widerspruch zum

53 Der Märklervertrag bleibt insoweit ausgespart, hier fehlt es jedoch an einer Pflicht zum Tätigwerden. 54 Gegen eine Klassifizierung dieser Verträge als Dauerschuldverhältnisse Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 156 f., 165; dafür OLG Brandenburg, Urteil vom 29.10.2003 – 7 U 54/03 –, juris; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 37; NK/Krebs § 314, Rn. 9; BeckOK-BGB/ Unberath, § 314, Rn. 4 ff.; offen gelassen von BGHZ 83, 359, 362. 55 Beispeislweise in BGH WM 2011, 1716, in dem der Kündigungsausschluss eines Internetsystemvertrags geprüft wurde. 56 Beispielsweise in BGH NJW-RR 1988, 39, das die ausschließliche Überlassung des Lastzugs eines Fuhrunternehmers an eine Spedition zum Gegenstand hatte. 57 So für Bierlieferungsverträge bereits das RG, siehe etwa RGZ 63, 333 = JW 1906, 454; RG JW 1927, 119 (Bierausschank); vgl. auch RGZ 59, 109. 58 So vor allem BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag) und BGH NJW 1995, 2350, Rn. 10 (Düra Vollsalz); vgl. zu den weiteren vom BGH entschiedenen Fällen im Einzelnen unten, Kap. 3, H.II. Entwicklung der BGH-Rechtsprechung zu lang dauernder Bindung.

C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen

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Grundsatz unbeschränkter Bindbarkeit sind es im Ergebnis Bindungsgrenzen, die im Recht der Mindestvertragslaufzeiten die Regel darstellen59. Wenn eine Regelung in der geschilderten Weise bei Dauerschuldverhältnissen zur Regel wurde, hat die Rechtsprechung ihr in der Vergangenheit sogar zu allgemeiner Anwendbarkeit auf Dauerschuldverhältnisse verholfen. So fand sich ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund bei allen typisierten Dauerschuldverhältnissen (§§ 490 I, II, 543 I 1, 569, 626 I, 671 III, 696 I 2, 723 I 2 BGB). Obwohl diese Kündigungsrechte formal auf untypische Dauerschuldverhältnisse sowie Kauf- und Werkverträge mit Dauerschuldcharakter nicht anwendbar waren, erkannte der BGH auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz und erstreckte die Kündbarkeit aus wichtigem Grund auf alle Dauerschuldverhältnisse60. Auch ein abdingbares ordentliches Kündigungsrecht für Verträge auf unbestimmte Zeit (Dauerschuldverhältnis, bei deren Abschluss keine ausdrückliche Einigung über die Laufzeit getroffen wurde) fand sich bei allen typisierten Dauerschuldverhältnissen (§§ 488 III S. 1, 500 I S. 1, 542 I, 620 II S. 1, 723 I S. 1 BGB). Obwohl diese Vorschriften formal auf untypische Dauerschuldverhältnisse sowie Kauf- und Werkverträge mit Dauerschuldcharakter nicht anwendbar waren, erkannte der BGH auch hier auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz und erklärte in der deutschen Rechtsordnung – im Unterschied zu anderen61 – alle Dauerschuldverhältnisse auf unbestimmte Zeit für ordentlich kündbar62. Bindungsgrenzen finden sich bei allen typisierten Dauerschuldverhältnissen (§§ 489 I, 500 II, 544, 594b, 624, 671, 675h I S. 2, 695, 723 f. BGB). Formal sind sie auf untypische Dauerschuldverhältnisse sowie Kauf- und Werkverträge mit Dauerschuldcharakter nicht anwendbar. Der BGH konnte hierin bisher jedoch keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz erkennen63. Der Grund liegt zumindest auch in der Schwierigkeit, aus den unterschiedlichen höchstzulässigen Bindungszeiten gemeinsame Maßgaben abzuleiten. Hinsichtlich der grundsätzlichen methodischen Zulässigkeit einer Gesamtanalo59 Vgl. auch Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 940, wonach die zwei Aussagen sicher seien, dass sich in extremen Fällen Unzulässigkeit allein aus einer zu langen Dauer ergeben könne und ewige Bindungen in der Regel unzulässig seien. 60 RGZ 105, 167; 140, 264, 275; BGHZ 9, 157, 161; 50, 312, 314; 41, 104, 108; 82, 354, 359 = NJW 1982, 820, 821; BGHZ 133, 316, 320; BGH NJW 1999, 1177, 1178. 61 Etwa der des Vereinigten Königreichs, vgl. die Urteile Llanelly Railway and Dock Company v. London and Northwestern Railway Company (1874–75) L.R. 7 H.L. 550; Watford Borough Council v. Watford Rural District Council (1987) 86 L.G.R. 524; Colchester and East Essex Co-Operative Society Ltd v. Kelvedon Ltd [2003] EWCA Civ 1671. 62 Ständige Rechtsprechung seit BGH GRUR 1959, 384, 388 (Postkalender): „Die ordentliche Kündigung ist die natürliche Kündigungsart des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Dauervertrags und stellt das Gegengewicht gegen dessen fortwirkende Verpflichtungskraft dar“. 63 BGHZ 64, 288.

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gie (Rechtsanalogie64) und des Bedürfnisses nach allgemeinen Grundsätzen liegen die Verhältnisse nicht anders als für die Kündigung aus wichtigem Grund (heute § 314 BGB) oder dem Grundsatz ordentlicher Kündbarkeit von Verträgen auf unbestimmte Zeit. III. Praktische Grenzen und ihr Stellenwert Dem Recht sind derartige Grenzen nicht notwendig eingeschrieben. So markiert auch der Tod der Beteiligten rechtlich keine Zeitgrenze, weil Rechtsverhältnisse – seien sie schuldrechtlich65, seien sie dinglich (§ 1922 BGB66) – grundsätzlich (mit der Ausnahme höchstpersönlicher, individualisierter Beziehungen)67 mit vererbt werden68. Weil eine im Recht vereinbare Ewigkeit von vornherein fiktiv bliebe, stellt sich die Frage der Bindungsbegrenzung praktisch ohnehin. In den seltenen Fällen, in denen dieser Gegensatz aus praktischer Zeitlichkeit und prinzipieller Grenzenlosigkeit des Rechts sich historisch tatsächlich auswirkte, wurde der damit verbundenen „Herrschaft der toten Hand“69 in demokratischen Gesellschaften entgegengetreten. So wurden die Familienfideikommisse durch Art. 55 II S. 2 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) abgeschafft70 und durch das Reichsgesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 6. Juli 1938 endgültig abgewickelt71. Das Familienfideikommiss bezeichnet ein privatrechtliches Sondervermögen, das von einem Familienmitglied wie durch einen Nießbraucher genutzt werden, üblicherweise aber weder veräußert noch belastet oder geteilt werden darf72. Der jeweilige Inhaber erhält nur den Ertrag des Vermögens zur freien Verfügung. Da die Vermögensmasse deswegen nur durch Erbfolge (in der Regel Primogenitur) übergehen kann, bleibt sie auf unbegrenzte Zeit geschlossen erhalten. Dieses Instrument wurde typischerweise vom Adel eingesetzt, um das Familienvermögen und die damit verknüpfte soziale Stellung zukünftigen Generationen ungemindert und ungeteilt zu erhalten.

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Vgl. zu den Begrifflichkeiten Larenz, Methodenlehre, S. 383 f. Münch-Komm-BGB/Leipold, § 1922, Rn. 20; BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 1922, Rn. 31. 66 BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 1922, Rn. 59, zu Ausnahmen vergleiche etwa Rn. 61. 67 Ausnahme: höchstpersönliche, individualisierte Beziehungen, vgl. BeckOK-BGB/ Müller-Christmann, § 1922, Rn. 32; Münch-Komm-BGB/Leipold, § 1922, Rn. 23. 68 Vgl. Oettinghaus, Dauerschuldverhältnissen beim Tod. 69 Großfeld, Zauber des Rechts, 266; vgl. Deech, L.Q.R. 97 (1981), 593, 594. 70 Art. 155 Abs. 2 S. 2 WRV: „Die Fideikommisse sind aufzulösen.“ 71 Das Gesetz zur Aufhebung von Fideikommiss-Auflösungsrecht vom 23.11.2007 bereinigte schließlich das Zivilrecht (ohne Änderung der Rechtslage) auch um das bis dahin fortgeltende Abwicklungsrecht. 72 Johow, Vorentwurf II, S. 526. 65

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Auch als der in London lebende Schweizer Bankier Peter Thellusson (1737– 1797) 1796 in seinem Testament verfügte, dass sein nicht unbeträchtlicher Nachlass73 so lange anzulegen und die Erträge zu akkumulieren seien, bis der älteste bei seinem Tod lebende Urenkel versterbe74, intervenierte das britische Parlament75. Es erließ als Antwort auf den Machtanspruch des Testaments den „Accumulations Act 1800“76, der Kapitalakkumulation auf in der Regel 21 Jahre zuzüglich der Lebenszeit eines Menschen77 begrenzt und dessen – noch im Jahre 2009 neu gefasste – Regelung (in stark eingeschränkter Form) bis heute in Kraft ist78. Denn der Nachlass drohte ex ante in den ca. 70 (letztlich 63) Jahren seiner Bindung auf einen Betrag anzuwachsen, der beschrieben wurde als „to give its possessor the means of disturbing the whole economy of the country“79. IV. Langfristige Bindung als Ausnahmekonstellation der Privatautonomie Auch ein grundsätzliches Bekenntnis zur Privatautonomie muss sich schließlich nicht notwendig auch auf die Vereinbarkeit ewiger Bindungen miterstre-

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Nach Abzug der Vermächtnisse ca. £ 600.000, im 18. Jahrhundert eines der größten Vermögen in Großbritannien, Thellusson v. Woodford, 1798, 4 Vesey, 237. 74 Erben sollten in diesem Zeitpunkt die drei ältesten männlichen Nachkommen seiner drei Söhhne werden, vgl. Thellusson v. Woodford, 1798, 4 Vesey, 237. 75 Der Court of Chancery hatte entschieden, dass die Verfügung wirksam sei Thellusson v. Woodford, 1798, 4 Vesey, 237. Auch der Accumulations Act galt nur für die Zukunft, sodass Thelussons Testament wirksam blieb. 76 Das Gesetz basierte auf einer wesentlich älteren common law Regel, der sog. „rule against perpetuities“, Ch. Cas. 1, 22 Eng. Rep. 931 (Ch. 1682). „Perpetuity“ bezeichnet eine aus den Erträgen eines gleichbleibenden Kapitalstocks geleistete Rente, vgl. nachfolgend den Accumulations Act 1892. 77 Megarry/Wade, Real Property, S. 241 f.; Heute gilt eine Bindungszeit von 125 Jahren, vgl. Art. 5 I des Perpetuities and Accumulations Act 2009. Nach Art. 1 Abs. 1 des Perpetuities and Accumulations Act 1964 galt eine Bindungszeit von 80 Jahren. Vor Erlass des Gesetzes im Jahr 1964 galt eine perpetuity period von der Lebenszeit eines Menschen zuzüglich ca. 21 Jahren. Diese ursprüngliche Regelung erfasste jedoch auch solche Bindungen, die nur möglicherweise länger als die bezeichnete Zeit dauerten, während nach den Gesetzen von 1964 und 2009 eine geltungserhaltende Reduktion vorgenommen wird („wait and see-doctrine“). 78 Sie gilt heute für eng umgrenzte Bereiche als Perpetuities and Accumulations Act 2009. Bereits durch den Law of Property Act 1925 und den Perpetuities and Accumulations Act 1964 wurde die Regelung maßgeblich modifiziert. Das aktuell geltende Gesetz geht auf Empfehlungen eines Berichts aus dem Jahr 1998 zurück, Law Commission Report, Rules Against Perpetuities. 79 Thellusson v. Woodford, 1798, 4 Vesey; tatsächlich hatte sich das Vermögen bei Auszahlung im Jahre 1859 aufgrund von Kosten für Verwaltung und Erbstreitigkeiten im Wesentlichen nicht vermehrt.

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cken, denn langfristige Bindung bildet insoweit eine Ausnahmekonstellation80. Die Privatautonomie ist nach Medicus um zweier Vorzüge willen „Ausgangspunkt und Wegweiser“ privatrechtlicher Überlegungen: „Die Privatautonomie vermittelt rechtlich geschützte Freiheit, sie ermöglicht Selbstbestimmung. […] Zudem lehrt die aus der Wirtschaftsgeschichte abzuleitende Erfahrung: Die Selbstbestimmung ist ein hochwirksames Mittel zur Steuerung wirtschaftlicher Vorgänge. Insbesondere lenkt sie im Rahmen einer Wettbewerbswirtschaft Arbeit und Kapital an die Stellen, wo diese den größten Nutzen stiften.“81 1. Freiheit Hinsichtlich der freiheitsfördernden Wirkung der Privatautonomie unterscheidet sich unbegrenzte Bindbarkeit substantiell von üblichen Verträgen wie insbesondere dem punktuellem Austauschvertrag. Denn während sich im punktuellen Austauschvertrag der Vertragswille unmittelbar verwirklicht, bildete beispielsweise eine lebenslang unkündbare Arbeitsverpflichtung eine sich permanent aktualisierende, unentrinnbare Gebundenheit. Je längere Vertragsbindungszeiten vereinbart werden, desto spürbarer wird die in der Vereinbarung des zukünftigen Zustands liegende gegenwärtige Festlegung, die in Zukunft zur Perpetuierung des vergangenen Willens eines veränderlichen Individuums werden wird. Oetker zufolge gilt es in Dauersituationen deshalb immer erst zu bestimmen, worin Selbstbestimmung überhaupt liegen kann, ob in Kündigungsfreiheit oder Freiheit zur Bindung82. Nach ganz überwiegender Ansicht gibt es eine Grenze, ab der das Konzept der Unveräußerlichkeit an die Stelle der Bindungsautonomie tritt83. Insoweit 80

Vgl. etwa MünchKomm-VVG/Fausten, § 11 VVG, Rn. 175: „Die Grundsätze der Privatautonomie verlangen [sic], dass insbesondere das auf unbestimmte Zeit geschlossene Vertragsverhältnis ordentlich kündbar sein muss, da sich ansonsten die Parteien ihrer rechtlichen Verfügungsgewalt begeben würden.“ 81 Medicus, BGB AT, S. 79 (Herv. im Original). 82 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 250. Auch Oetker weist daraufhin, dass „die Freiheit zu einer vertraglichen Bindung in der Zeit in einem latenten Spannungsverhältnis zu der dogmatischen Verankerung der Vertragsfreiheit [stehe]“, Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 463. Vgl. hierzu auch Busche, Kontrahierungszwang, S. 16: „Es ist nicht die Privatautonomie, die der Rechtsordnung als apriorisches, von dieser ‚nur‘ rezipiertes und geschütztes Prinzip vorgegeben ist; die Privatautonomie leitet sich erst aus der Rechtsordnung ab.“ 83 Vgl. dagegen Locke, Second Treatise, chapter 4, § 22: „Indeed, having by his fault forfeited his own life by some act that deserves death, he to whom he has forfeited it may, when he has him in his power, delay to take it, and make use of him to his own service; and he does him no injury by it. For, whenever he finds the hardship of his slavery outweigh the value of his life, it is in his power, by resisting the will of his master, to draw on himself the death he desires.“ Auch im deutschen Naturrecht war ein Selbstverkauf in die

C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen

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fügen sich die Bindungsgrenzen in eine Reihe anderer Bestimmungen, so beschränkt § 311b II BGB die Veräußerung der eigenen wirtschaftlichen Zukunft und die Entäußerung der eigenen Vertragsfreiheit ist nach ebenso § 138 I BGB ausgeschlossen84 wie die Verfügung über die eigene Person85. Insoweit bestehen also grundsätzlich durchaus Anhaltspunkte, dass die Selbstbestimmungsfunktion der Privatautonomie die Zulassung unbegrenzter Bindung nicht erzwingt. 2. Marktwirtschaft Auch die grundsätzlich marktfördernde Wirkung eines Mehr an Privatautonomie kann im Fall eines Mehr an zeitlicher Bindbarkeit nicht ohne weiteres unterstellt werden. Der Kern von Marktfunktion der Privatautonomie ist die Delegation von Ordnungsfunktionen auf den Konsens von Interessenantagonisten. Dies führt aus vier Gründen zu einer optimierten Allokation und Aktivierung von Gütern. Wer den meisten Nutzen aus einer Ware ziehen zu können meint, bietet einen höheren Preis (1). Aufgrund der Verankerung der Vertragsfreiheit auf der untersten gesellschaftlichen Organisationsebene, dem Willensentschluss des Einzelnen, geht eine Breite Palette vorhandener Informationen in den Allokationsprozess ein (2). Aus demselben Grund hat Vertragsfreiheit einer zentralen Planung eine besondere Flexibilität voraus (3). Aus dem Freiwilligkeitsprinzip und realistischen Bewertungen nach Angebot und Nachfrage folgt schließlich eine Aktivierung ökonomischer Potenziale (4)86. Alle diese vier Vorzüge treten im Fall längerer Vertragsbindungszeiten höchstens eingeschränkt ein bzw. werden sogar konterkariert. Denn damit der Markt seiner Allokations- und Aktivierungsfunktion gerecht werden kann, dürfen Güter nicht durch Jahrzehnte laufende Verteilungsverträge auf ProSklaverei noch denkbar, Gutmann, Freiwilligkeit, S. 27, unter Berufung auf Achenwall/ Pütter, Anfangsgründe des Naturrechts, § 635, Rn. 200 f. 84 Vgl. etwa Larenz/Wolf, BGB AT S. 101; Flume, AT II, S. 1 und Art. 27 II des schweizerischen Zivilgesetzbuchs: „Niemand kann sich seiner Freiheit entäußern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.“ Vgl. auch Weitnauer, FS Weber, S. 429, 434 und Busche, Kontrahierungszwang, S. 74, der „formaler Vertragsfreiheit“ die Idee einer „materiellen Vertragsfreiheit“ im BGB gegenüberstellt. 85 Anwaltkommentar-BGB/Ring, § 1, Rn. 5; Larenz/Wolf, BGB AT, S. 101; BVerfGE 45, 187 leitet aus der Menschenwürde auch für schwere Straftäter eine Freiheitsperspektive ab, weil „[dem Grundgesetz] die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde [liegt], das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten“ (S. 1526) und „dem grundsätzlich eine Chance verbleiben muß, je seine Freiheit wiedererlangen zu können“ (S. 1528). Dies dürfte auf den Bereich jenseits der Intensität von Freiheitsstrafen jedoch nicht ohne weiteres übertragbar sein. 86 Vgl. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 127; Stiehl, Versorgungslage, S. 136.

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1. Kapitel: Einleitung

duktionsprozesse vorverplant sein87. Werden Preis und Leistung auf Jahrzehnte durch langzeitige Bindungen eingefroren, beeinträchtigt dies den Wettbewerb88, können Konkurrenten nicht mehr darauf vertrauen, ein Gut durch Bieten eines höheren Preises (1) erwerben zu können, fließen in den Allokationsprozess keine aktualisierten Informationen (2) mehr ein und die besondere Flexibilität (3) marktwirtschaftlicher Verteilung geht verloren: Die „zeitlichen Höchstgrenzen der Dauerschuldverhältnisse [wirken sich] inzident […] heilsam [sic] auf den Wettbewerb aus, weil sie eine gewisse Nachfragefluktuation und somit auch die Aufrechterhaltung eines umworbenen Nachfragemarktes ermöglichen.“89 Mit einer Dauerbindung gehen auch die Aktivierungsvorteile von Freiwilligkeit und realistischer Bewertung (4) in dem Maße verloren, wie sich die Umstände ändern, ohne dass dem durch marktwirtschaftliche Neubewertungen durch Vertragsänderungen nachgekommen werden kann oder müsste. Kurz zusammengefasst kann die Unveränderlichkeit von Vertragsbeziehungen aufgrund von Privatautonomie nicht unbedenklich auf deren Marktförderlichkeit gestützt werden, Weil der Markt als Rechtskonstrukt die Rahmenbedingung veränderlicher Vertragsbeziehungen voraussetzt90. V. Keine liberale Tradition von Bindungsautonomie (Savigny, Jhering, Mill, Humboldt) Auch die geistige Tradition des BGB ist historisch keine der Bindungsautonomie. Eine rechtswirksame Idee „grenzenloser Freiheit“ wurde von Hofer für das rechtswissenschaftliche Denken des 19. Jahrhundert ins Reich der „Mythen“91 verwiesen: Wie ein „Schutz der Freiheit gegen sich selbst“92 zu bewerkstelligen sei, war durchgehend Thema93. Wenn man stellvertretend die Schriften von Friedrich Carl von Savigny (1779–1861), Rudolf von Jhering (1818–1892), John Stuart Mill (1806–1873) oder Wilhelm von Humboldt (1767–1835) auf den der Bindungsautonomie eingeräumten Stellenwert un87 Vgl. Jickeli, Langfristiger Vertrag, S. 143. In Deutschland besitzt die Theory of Efficient Breach (vgl. Köndgens/Randow, Vertragsverletzung, S. 122, 130 ff.) wegen des Grundsatzes der Naturalerfüllung zumindest im Grundsatz keine Geltung. 88 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 31: „Langfristige Vertragsbeziehungen […] sind für die Wettbewerbsordnung […] problematisch […], da durch die hiermit verbundenen faktischen Beschränkungen zur Teilnahme am Wettbewerb während der Dauer der Vertragsbeziehung die Konkurrenz punktuell aufgehoben wird.“ Vgl. Haarmann, Geschäftsgrundlage, S. 121 f. 89 BeckOK-BGB/Becker, § 309 Nr. 9, Rn. 5. 90 Vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 GG, Rn. 124. 91 Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 5. 92 Hedemann, Fortschritte II 1, § 2, S. 27 ff.; MünchKomm-BGB/Kanzleiter/Krüger, § 311b, Rn. 87. 93 Vgl. Hofer, Freiheit ohne Grenzen.

C. Indizien für die Akzeptabilität von Bindungsgrenzen

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tersucht, wird man mit dem Bemühen konfrontiert, die Existenz von Bindungsgrenzen vor den eigenen freiheitlichen Ansprüchen zu rechtfertigen. Die zitierten Denker wandten sich dezidiert dagegen, das Recht auf die „reine Willkür“94 eines „Willensformalismus“95 zu gründen. So warnte Savigny vor der Möglichkeit des freiheitsbeschränkenden Gebrauchs der Obligation als einer „Beziehung zu einer fremden Person […] worin dieselbe, auf ähnliche Weise wie eine Sache, in das Gebiet unserer Willkühr herein gezogen, also unsrer Herrschaft unterworfen wird.“96 Bereits Savigny sprach sich daher für eine Begrenzung der Bindungsmöglichkeiten aus: „Wäre nun diese Herrschaft eine absolute, so würde dadurch in dem Andern der Begriff der Freyheit und Persönlichkeit aufgehoben; wir würden nicht über eine Person herrschen, sondern über eine Sache, unser Recht wäre Eigenthum an einem Menschen, so wie es das Römische Sklavenverhältnis in der That ist. Soll dieses nicht seyn, wollen wir uns vielmehr ein besonderes Rechtsverhältniß denken, welches in der Herrschaft über eine fremde Person, ohne Zerstörung ihrer Freyheit, besteht, […] so muß die Herrschaft […] nur auf eine einzelne Handlung derselben bezogen werden.“97

Auch bei Jhering liest sich die plastische Beschreibung eines Rechts ohne Bindungsgrenzen als Warnung: „Ungehemmt und unbeschränkt kann die Saat der Unfreiheit ausgestreut werden […]; unter der falschen Freiheit geht die wahre zugrund, und der Wille gräbt sich sein Grab.“98

Mill schließlich relativiert in „On Liberty“ sein Plädoyer für uneingeschränkte Bindungsfreiheit im Hinblick auf langfristige Verträge. Er wählt das Beispiel des Selbstverkaufs in Sklaverei, erkennt hinter diesem Beispiel jedoch das Wirken eines Prinzips, das „evidently of far wider application“99 sei: „The reason for not interfering, unless for the sake of others, with a person’s voluntary acts, is consideration for his liberty. […] But by selling himself for a slave, he abdicates his liberty; he foregoes any future use of it beyond that single act. He therefore defeats, in his own case, the very purpose which is the justification of allowing him to dispose of himself. […]. The principle of freedom cannot require that he should be free not to be free. It is not freedom, to be allowed to alienate his freedom.“100

94

Jhering Geist III, S. 329. Jhering Geist III, Fn. 441, S. 334, Fn. 442, S. 337. 96 Savigny, System I, S. 338. 97 Savigny, System I, S. 338 f. 98 Jhering, Geist III, S. 337; vgl. auch Jhering, Geist II 1, S. 219. 99 Mill, On Liberty, S. 290. 100 Mill, On Liberty, S. 290 (Herv. d. Verf.). Diese Passage wird kontrovers diskutiert, vgl. etwa Fuchs, Ethical Theory and Moral Practice 4 (2001), 321 ff. Feinberg wirft Mill an dieser Stelle ein Abgleiten in paternalistische Denkmuster vor, Joel Feinberg, RJBL, S. 123: „voluntarily acceding to slavery is too much for Mill to stomach“. Das Zitat illustriert jedoch zumindest, dass selbst Mill Schwierigkeiten damit hatt, zeitliche unbegrenzte Selbstbeschränkungen von Freiheit als Ausübung von Bindungsautonomie zu akzeptieren. 95

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1. Kapitel: Einleitung

Noch konkreter bezogen auf privatrechtliche Verträge forderte Humboldt staatliche Bindungsgrenzen: „Wo daher durch den Vertrag ein solches persönliches Verhältnis entsteht, das nicht bloß einzelne Handlungen fordert, sondern im eigentlichsten Sinn die Person und die ganze Lebensweise betrifft, […] da muß die Trennung zu jeder Zeit und ohne Anführung aller Gründe erlaubt sein. So bei der Ehe. Wo das Verhältnis zwar weniger eng ist, indes gleichfalls die persönliche Freiheit eng beschränkt, da, glaube ich, müßte der Staat eine Zeit festsetzen, deren Länge auf der einen Seite nach der Wichtigkeit der Beschränkung, auf der andren nach der Natur des Geschäfts zu bestimmen wäre, binnen welcher zwar keiner beider Teile einseitig abgehen dürfte, nach Verlauf welcher aber der Vertrag ohne Erneuerung kein Zwangsrecht nach sich ziehen könnte, selbst dann nicht, wenn die Parteien bei Eingehung des Vertrags diesem Gesetze entsagt hätten.“101

Savigny, Jhering, Mill und Humboldt seien stellvertretend für Autoritäten aus der Zeit vor Entstehung des BGB genannt, deren Verständnis von Vertragsfreiheit langfristige Bindungen als Ausnahmekonstellation behandelte.

D. Einzelne Fragestellungen D. Einzelne Fragestellungen

Im Einzelnen soll diese Untersuchung vier Fragen beantworten. Vor allen anderen Fragen soll untersucht werden, ob die gesetzlichen Bindungsgrenzen überzeugend zu begründen sind. Ungeachtet der für Bindungsgrenzen getroffenen Ausnahmen gründet das deutsche bürgerliche Recht konstruktiv und verfassungsrechtlich auf dem Respekt vor der Privatautonomie des Einzelnen. Soweit zwei Vertragsparteien sich in jeweils freier und informierter Willensbildung zu etwas verpflichten, ohne die Interessen Dritter zu beeinträchtigen, nimmt es diese Verpflichtung ernst und erkennt sie im Grundsatz an. Die erste Frage ist, wie sich die Geltung von Bindungsgrenzen mit der Privatautonomie vereinbaren lässt. Sind Bindungsgrenzen mit den klassischen Begründungen von Beschränkungen der Privatautonomie zu rechtfertigen, lässt sich für sie eine neue Form der Rechtfertigung entwickeln oder stehen sie im Widerspruch zum Prinzip der Privatautonomie (Kap. 2, Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten)? Die Beantwortung der zweiten Frage macht den quantitativen Schwerpunkt der Untersuchung aus. Sie sucht nach den Zwecken der einzelnen Bindungsgrenzen, also danach, ob sich den wichtigsten Bindungsgrenzen des bürgerlichen Rechts ein überzeugender Sinn beilegen lässt. Unmittelbar damit zusammen hängt die Untersuchung des Anwendungsbereichs der einzelnen Bindungsgrenzen. Auf welche Fälle sollten die Bindungsgrenzen ihrem jeweils ermittelten Zweck zufolge ausgedehnt werden, in welchen Fällen ist ihr Anwendungsbereich teleologisch zu begrenzen, weil sich das historisch ge101

Humboldt, GS I, S. 193.

D. Einzelne Fragestellungen

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wachsene Recht insgesamt anders nicht wertungsstringent darstellen lässt (Kap. 3, Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten)? An die Ermittlung der jeweiligen Zwecke der einzelnen Bindungsgrenzen schließt die dritte Frage an, ob sich die Wertungen der besonderen Bindungsgrenzen (etwa im Wege der Gesamtanalogie) verallgemeinern lassen. Die Rechtsprechung hat Maßstäbe entwickelt, langfristige Kündigungsausschlüsse auch jenseits besonderer Bindungsgrenzen zu überprüfen102. Lassen sich die Voraussetzungen einer „allgemeinen“ Bindungsgrenze methodisch zulässig aus den besonderen Bindungsgrenzen des Gesetzes ableiten oder sind die besonderen Bindungsgrenzen in ihren Zwecken hierzu zu disparat (Kap. 4, A. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“)? Wenn man die methodische Begründetheit einer allgemeinen Bindungsgrenze unterstellt, stellt sich die vierte Frage, wie eine solche allgemeine Bindungsgrenze dogmatisch konstruiert werden soll. Die Rechtsprechung hat den Weg über die Prüfung der Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB gewählt. Die gewählte Lösung soll ausgehend von der dogmatischen Konstruktion und den Zwecken der besonderen Bindungsgrenzen und der Art und Weise der methodischen Ableitung der allgemeinen Bindungsgrenzen noch einmal unbefangen untersucht werden. Welche dogmatischen Strukturen und Anknüpfungen empfehlen sich, um möglichst eng am Gesetz zu bleiben (Kap. 4, B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen)?

102

BGB).

S.u., Kap. 3, H. Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138

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1. Kapitel: Einleitung

2. Kapitel

Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten Eine Prämisse dieser Untersuchung ist, dass paternalistische Eingriffe grundsätzlich problematisch sind und Freiheitsbeschränkungen nur so gerechtfertigt werden dürfen, dass paternalistische Interventionen zumindest klar begrenzbar bleiben1. Wenn man die antipaternalistische Prämisse hinnimmt, bereitet ein zweiter Ausgangspunkt der Arbeit Schwierigkeiten: Die Erwartung, dass Bindungsgrenzen jedenfalls in bestimmten Konstellationen sinnvoll sein können und daher nicht von vornherein abzulehnen sind. Man kann in Frage stellen, dass Paternalismus tatsächlich ein „taboo for open discussion“ darstellen muss und auch paternalistisch begründete Bindungsgrenzen für rechtspolitisch akzeptabel halten. Die Suche nach antipaternalistischen Erklärungen der Bindungsgrenzen ist jedoch auch erforderlich, wenn man lediglich akzeptiert, dass privatrechtliche Vorschriften des ausgehenden 19. Jahrhunderts aus historischen Gründen vorrangig antipaternalistisch herzuleiten sind.

Bindungsgrenzen sind paternalistisch, wenn sie die Handlungsmöglichkeiten einer kompetenten Person ohne deren Zustimmung einschränken2, um sie in ihrem eigenen Interesse „‚vor sich selbst‘ bzw. vor den Folgen ihrer Entscheidungen [zu schützen]“3. Nach dieser auf G. Dworkin zurückgehenden Definition bedarf es also einer Freiheitsbeschränkung (1), fehlender Zustimmung (2) und der Rechtfertigung der Freiheitsbeschränkung allein mit dem Wohl des Betroffenen statt zumindest auch mit dem Wohl eines anderen oder der Allgemeinheit (3)4.

1

Diese Prämisse teilt die Untersuchung mit Gutmann, PuK, S. 1. Zum entsprechenden Rechtfertigungsbedürfnis vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 267; Larenz/Wolf, BGB AT, § 1, Rn. 3. 2 G. Dworkin, Paternalism: „Paternalism is the interference of a state or an individual with another person, against their will, and defended or motivated by a claim that the person interfered with will be better off or protected from harm.“ 3 Gutmann, PuK, S. 4 f. 4 Diese Bedingungen sind entnommen G. Dworkin, Paternalism.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

Die Beschränkungen der Privatautonomie im BGB erfüllen zwar die ersten beiden Merkmale5. Häufig lässt sich jedoch eine Begründung finden, die an bestimmte Defizite im Verhandlungsgleichgewicht anknüpft wie etwa beim Verbraucherschutz oder beim AGB-Recht6. Nach dem Maßstab des BVerfG fehlt es bei Ungleichgewichtslagen beim Vertragsschluss an der zur Bindung notwendigen Freiwilligkeit: „Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten.“7 Denn „[h]at einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung.“8 Für die Bindungsgrenzen eine vergleichbare antipaternalistische Begründung zu finden ist nicht einfach, weil sie unabhängig von bestimmten Verhandlungsungleichgewichten pauschal für alle Verträge eines bestimmten Typs gelten. Im Folgenden sollen nacheinander sechs Vorschläge dafür vorgestellt werden, Bindungsgrenzen mit der Ablehnung von Paternalismus zu vereinbaren. Keiner der ersten fünf Vorschläge wird den gegen ihn erhebbaren Einwänden im Ergebnis standhalten. Der sechste Vorschlag ist der Versuch dieser Untersuchung, die Bindungsgrenzen zu legitimieren und der Konsequenz auszuweichen, entweder die antipaternalistische Prämisse zu lockern9 oder eine Aufhebung der größtenteils bereits seit über einhundert Jahren geltenden Bestimmungen zu fordern. Schmolke beispielsweise hält – von ihm offen als paternalistisch bezeichnete – Eingriffe im Falle bestimmter langfristiger Bindungen für gerechtfertigt, weil die Menschenwürde gebiete, dass eine Partei die faktischen Voraussetzungen eines der eigenen Personenwürde angemessenen Lebens nicht aufgeben dürfe10. Die Figur des gerechtfertigten Eingriffs in 5

Dazu, dass Begrenzungen freiwilliger Freiheitsbeschränkungen ebenso paternalistisch sein können wie unfreiwillige Freiheitsbeschränkungen, s.u. Kap. 2, A. Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten. 6 Zur nicht-paternalistischen Rechtfertigung des AGB-Rechts vgl. unten, Kap. 3, F.I. Bindungsgrenzen des AGB-Rechts. 7 BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469, 1470; BVerfGE 89, 214, 231 = NJW 1994, 36, 38 f. 8 BVerfGE 81, 242 = NJW 1990, 1469, 1470. 9 Dagegen spricht nach wie vor Mill, On Liberty, S. 216: „Neither one person, nor any number of persons, is warranted in saying to another human creature of ripe years, that he shall not do with his life for his own benefit what he chooses to do with it.“ Ebd., S. 34: „His own good, either physical or moral, is not a sufficient warrant. He cannot be rightfully compelled to do or forbear because it will be better for him to do so, because it will make him happier, because in the opinion of others, to do so would be wise […] These are good reasons for remonstrating with him, or reasoning with him, or persuading him, or entreating him, but not for compelling him or visiting him with any evil in case he do otherwise.“ 10 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 87.

A. Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten

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die Selbstbestimmung verlagert die Fragestellung jedoch lediglich um eine Ebene, in Schmolkes Argumentation dahin, ob dem grundgesetzlichen Begriff der Menschenwürde eher ein paternalistische Eingriffe oder die selbstbestimmte Aufgabe der Selbstbestimmung für die Zukunft entspricht11.

A. Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten A. Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten

I. Darstellung des Vorschlags Nach G. Dworkins Paternalismusdefinition können nur Freiheitsbeschränkungen paternalistisch sein. Bindungsgrenzen scheinen bei unbefangener Betrachtung den Freiheitsraum des Begünstigten jedoch zu erweitern, weil sie ihm ein zusätzliches Recht verschaffen. Langfristige Vertragslaufzeiten bleiben trotz Bindungsgrenzen weiterhin möglich, weil die Rechtsfolge der Bindungsgrenzen nicht die Nichtigkeit längerfristiger Bindungen ist, sondern ein Kündigungsrecht für den Begünstigten. Der Gebundene kann es also bei der Zunächstgeltung seines Bindungswillens auch belassen. Nach dieser Betrachtung würden die Bindungsgrenzen nicht die Freiheit des Begünstigten einschränken, sondern nur die Freiheit seines Vertragspartners12, der sich möglicherweise einer unerwarteten Kündigung ausgesetzt sieht. Dass die Freiheit des Vertragspartners eingeschränkt wird, wäre aber ebenfalls nicht paternalistisch, denn dies geschähe nicht in seinem Interesse, sondern zum Schutz der Freiheit seines gebundenen Gegenüber. Es fehlte damit am dritten Merkmal der Paternalismusdefinition. In diesem Sinne rechtfertigte bereits Humboldt zwingende Bindungsgrenzen: „Denn wenn es gleich scheint, als sei eine solche Anordnung [eines zwingenden Kündigungsrechts nach bestimmter Zeit, d. Verf.] eine bloße Wohltat des Gesetzes und dürfte sie ebensowenig als irgendeine andre jemandem aufgedrungen werden, so wird ja niemandem hierdurch die Befugnis genommen, auch das ganze Leben hindurch dauernde Verhältnisse einzugehen, sondern bloß dem einen das Recht, den andern […] zu zwingen.“13

Selbst wenn beide Vertragspartner sich langfristig binden und eine beidseitige Bindungsgrenze beiden ein Kündigungsrecht verschafft, würde ihr Freiheitsraum nicht zu ihrem eigenen Besten eingeschränkt, sondern über Kreuz zugunsten des jeweils anderen.

11

Hierzu Kap. 2, B. Schutz zukünftiger Freiheit (Oetker, Enderlein). So lange kein anderer involviert ist, der in seinem Vertrauen geschützt ist, existiert zudem keine Bindung. Nach Smith, 59 Mod. L. Rev.(1995) 167, 178: Wenn jemand sich in eine Höhle einschließen lässt, um den Rest seines Lebens als Eremit zu leben, darf er es sich ohne Pflichtverletzung anders überlegen. 13 Humboldt, GS I, S. 193. 12

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

II. Einwände Diese Überlegung muss unrichtig sein, weil eine Begrenzung von Kündigungsausschlüssen die Privatautonomie und damit auch die Freiheit beider Parteien beschränkt. Der Argumentationsfehler liegt darin, die ursprüngliche Verpflichtungserklärung zu verkennen. Der in der Verpflichtungserklärung niedergeschlagene Wille richtet sich nicht allein auf eine bestimmte Laufzeit des Vertrags, sondern auf eine unkündbare Laufzeit. Ein Wahlrecht auf Fortdauer des Vertrages widerspricht dem geäußerten Willen des Gebunden, kein Wahlrecht zu bekommen. Die Einräumung des Kündigungsrechts entzieht ihm rückwirkend sein ursprüngliches Recht zur Selbstbindung. Sich selbst nicht unfrei machen zu können, ist eine Unfreiheit14. Durch Bindungsgrenzen beschränkt der Staat Rechte des Bürgers, es handelt sich nicht um „merely a refusal to help“15. Die Rechtsordnung verweigert dem Bürger zwar lediglich eine aktive Unterstützung, ohne ihm unmittelbar etwas zu verbieten, da dieser sich auch weiterhin privat verpflichten kann. Der Bürger hat jedoch ein Recht gegen den Staat, ihm Zwang zur Verfügung zu stellen, von dem er sich selbst nicht mehr zu befreien vermag16. Denn wenn der Staat für sich ein Gewaltmonopol in Anspruch nimmt, muss er im Grundsatz auch die Durchsetzung vertraglicher Rechte übernehmen17.

III. Ergebnis Auch die Privatautonomie ist eine Freiheit, die im Sinne der Paternalismusdefinition beschränkt werden kann. Für Beschränkungen der Privatautonomie sind die ersten beide Merkmale der Paternalismusdefinition daher so zu lesen, dass Freiheitsbeschränkungen (1) gegen den Willen des Bedachten (2) auch und immer dann vorliegen, wenn ihm Freiheitsbeschränkungen verwehrt werden (1a), die er freiwillig auf sich genommen hat (2a). Liegt eines dieser beiden Merkmale (1a und 2a) bei einer Regelung nicht vor, ist sie bereits nicht mehr paternalistisch. Deswegen knüpft auch das BVerfG an die fehlende Freiwilligkeit (2a) an, um Beschränkungen der Privatautonomie antipaternalistisch zu rechtfertigen.

14

Vgl. Gutmanns Definition von Freiheit als „ein[em] Zustand der ‚Nichtrestriktion von Optionen‘“, Freiwilligkeit, S. 209, im Anschluss an Benn/Weinstein, Mind (1971) 89, 194, 201. 15 Smith, 59 Mod. L. Rev. (1995) 167, 176. 16 Für die Qualifikation dieser Funktion als Abwehrrecht Maunz/Dürig/Di Fabio, 63. EL 2011, Art. 2 GG, Rn. 102. Nicht eindeutig BVerfGE 89, 48, 61: „Art. 2 Abs. 1 GG schützt den Einzelnen vor hoheitlichen Eingriffen in Verträge, die er abgeschlossen hat“. 17 Weller, Vertragstreue, S. 174.

B. Schutz zukünftiger Freiheit

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B. Schutz zukünftiger Freiheit (Oetker, Enderlein) B. Schutz zukünftiger Freiheit

I. Darstellung des Vorschlags Die soeben aufgestellten antipaternalistischen Forderungen verursachen möglicherweise ein gewisses Unbehagen. Wenn die Rechtsordnung niemandem ohne guten Grund freiwillige Selbstbeschränkungen seiner Freiheit versagen darf, kann sie selbst bei eklatanten Beispielen von Unfreiheit machtlos sein. Dass diese Machtlosigkeit den „souveränen Privatwillen“ schützt, schafft wenig Vertrauen, wenn es „keine passendere Illustration für ‚den Triumph [dieses Willens] gibt als das Bild eines römischen Schuldknechts in Fessel und Fußblock“18. Die Quelle des Unbehagens entspringt daraus, die Bindungsautonomie des Gebundenen gegen seine Gebundenheit für lange Dauer abzuwägen. Ginge es den Menschen nicht möglicherweise besser, wenn das Rechtssystem nicht nur ihre Freiheit eines bestimmten Moments betrachtete, sondern auch die Folgen der Entscheidungen dieses Moments für ihre Freiheit in der Zukunft? Wenn das Unbehagen zuträfe und der Freiheit von Bindung tatsächlich eine derartige eigenständige Bedeutung neben der Freiheit zur Bindung zukäme, ließen sich Bindungsgrenzen ohne weiteres als Demarkationslinie eines notwendigen Kompromisses gleichgeordneter Freiheiten rechtfertigen. Eine eigenständige Bedeutung ungebundener Freiheit zu begründen, verursacht jedoch einige Schwierigkeiten. Bei Oetker findet sich ein Ansatz, die Idee zukünftiger Freiheit von Bindung theoretisch mit der Alleinstellung der Privatautonomie zu verbinden19. Enderlein hat den Versuch übernommen, auch „beharrliche Antipaternalist[en]“20 von dem Stellenwert zukünftiger Freiheiten zu überzeugen. 1. Bindungsgrenzen als Kompromiss zwischen Bindungsautonomie und Ungebundenheit Oetker will die eingangs dargestellte Doppelbedeutung von Freiheit bereits in den Begriff der Selbstbestimmung hineinlesen, um eine einseitige Festlegung auf eine der beiden Freiheiten zu vermeiden, die ein Einbruchstor zur Derogation der jeweils anderen Freiheit bildete. Zunächst lehnt Oetker es zwar ab „Freiheit zur Bindung und Freiheit von der Bindung […] zu einem einheitlichen, durch die Vertragsfreiheit vermittelten institutionellen Zusammenhang 18

Schlossmann, Vertrag, S. 89 f. Durch diesen Versuch unterscheidet er sich von anderen Autoren, die ebenfalls eine Notwendigkeit „angemessener Lösungsmöglichkeiten“ mit der „Herstellung intertemporaler praktischer Konkordanz“ unterschiedlicher Autonomien begründen wollen, wie etwa Wagner-von Papp, AcP (2005) 205, 342, 356. 20 Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 60. 19

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

[zu] verklammern.21“ Nach Oetker bildet jedoch die Vertragstreue, die der Freiheit zur Bindung folgt, „eine […] Sinneinheit“ mit der Selbstbestimmung22. Vertragstreue ist nicht „formaler Selbstzweck, sondern verleiht der Selbstbestimmung des Einzelnen rechtliche Verbindlichkeit“23, hat also „eine dienende Funktion“. Weil nach Oetker die Selbstbestimmung neben der Vertragsfreiheit auch die Freiheit zur Beendigung von Dauerschuldverhältnissen umfasst24, wird damit auch der Grundsatz der Vertragstreue durch die Beendigungsfreiheit bestimmt, sodass letztendlich gilt, dass „das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen die inhaltliche Reichweite des Grundsatzes ‚pacta sunt servanda‘ prägt“25. Mit dieser Herleitung ist der Gegensatz von Freiheit zur Bindung und Freiheit von Bindung ein „vermeintlicher Konflikt“, Vertragstreue steht „unter dem immanenten Vorbehalt einer Kongruenz mit der Selbstbestimmungsordnung“ als seiner „Inhaltsbestimmung“ und (jedenfalls) eine letztendliche Bindungsgrenze zur Vermeidung von Ewigkeitsbindung ist „bereits integraler Bestandteil der Selbstbestimmungsordnung“26. Der Grundsatz der Vertragstreue reicht dann „bereits tatbestandlich nicht so weit“27, in Gegensatz mit dieser Bindungsgrenze zu treten. Soweit die Selbstbestimmungsordnung Bindungsgrenzen erfordert28, kann die Vertragstreue für diese Bindungsgrenzen danach keine Schranke mehr bilden29, die damit keiner weiteren Rechtfer21 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 258 f.; vgl. auch ebd., S. 258: „Bettermann hob zu Recht hervor, dass eine für Dauerverträge anzuerkennende Kündigungsfreiheit nicht aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ableitbar ist.“ 22 Oetker, a.a.O., S. 250. 23 Oetker, a.a.O., S. 250 f. 24 Oetker, a.a.O., S. 256: „Die traditionellen Freiheitsschichten der Vertragsfreiheit – die Abschluß- und die Inhaltsfreiheit – werden bei Dauerverträgen deshalb durch die Beendigungsfreiheit ergänzt.“ S. 260: „Aus diesem Wertungsfundament folgt, dass das Recht zur Kündigung – korrespondierend mit der Freiheit zur zeitlich dimensionierten vertraglichen Bindung – in allgemeiner Form in den durch Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Freiheitsschutz einbezogen ist.“ 25 Oetker, a.a.O., S. 250. 26 Oetker, a.a.O., S. 259. 27 Ebd. 28 Sie also wie die Begrenzung unbefristeter Verträge „konstitutiver Bestandteil einer auf der Privatautonomie aufbauenden und sie verwirklichenden Selbstbestimmungsordnung [sind]“, Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 258. 29 Oetker, a.a.O., S. 250: „das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen [setzt] der Vertragstreue ebenso wenig Schranken, wie die Vertragstreue das Selbstbestimmungsrecht begrenzt“. Für die Verhinderung von Ewigkeitsbindung: „so dass der Grundsatz ‚pacta sunt servanda‘ keine Schranke für eine aus diesem Grunde erlaubte Beendigung von Dauerverträgen etabliert. Hieraus folgt zugleich, dass das keine Einschränkung des Grundsatzes der Vertragstreue ist.“ Oetker, a.a.O., S. 259 (Herv. d. Verf.).

B. Schutz zukünftiger Freiheit

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tigung mehr bedürfen30. Wenn überhaupt ist es die Vertragstreue, die sich gegenüber begrenzter Bindung zu rechtfertigen hätte, denn „das Recht zur einseitigen Beendigung ist […] nicht als Durchbrechung des Bestandsschutzes zu werten, sondern vielmehr ist der gesetzlich etablierte Bestandsschutz im Lichte der vorstehenden Ausführungen als Durchbrechung der Kündigungsfreiheit zu qualifizieren.“31 2. Verbesserung der Freiheitsbilanz über die Lebenszeit Eine ausführliche Begründung dafür, weshalb das Recht überhaupt Kompromisse eingehen und neben der Bindungsautonomie auch die Freiheit von Bindung berücksichtigen sollte, liefert Enderlein32. Ihm zufolge ist es „[rechtssetzenden Instanzen] prima facie geboten“33, die Bilanz der Freiheitsräume zu maximieren, die der Einzelne über die Dauer seines Lebens insgesamt genießt. Zukünftige Freiheiten sind in dieses Kalkül daher ebenso wie gegenwärtige einzustellen34. Er meint, dies müsse auch von einem antipaternalistischen Standpunkt35 aus einleuchten. Seine Begründung läuft letztlich darauf hinaus, dass das Paternalismusverbot dem überhaupt nur zum Zweck des Freiheitsschutzes existiert. Daher sei es widersinnig, dass er der Maximierung von Freiheitsräumen entgegenstehen solle. Enderlein baut seine Argumentation darauf auf, dass jeder zumindest den gegenwärtigen Freiheitsraum eines anderen maximieren dürfe, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten. Denn es verspreche geringen Freiheitsgewinn, dem Einzelnen zwingend auch die Wahlmöglichkeit darüber einzuräumen, die eigenen Freiheitsräume zu maximieren oder dies zu unterlassen. Wenn man ihm 30

„Das Recht zur einseitigen Beendigung von Dauerverträgen bedarf deshalb keiner zusätzlichen Legitimation, wenn sie die institutionellen Voraussetzungen zur Verhinderung einer Ewigkeitsbindung schafft“ Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 259 (Herv. d. Verf.). 31 Oetker, a.a.O., S. 257. 32 Ähnlich etwa auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 86. 33 Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 59 ff. 34 Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 52 ff. 35 Auch Mill, On Liberty, S. 290, begründet das Selbstversklavungsverbot – wie beschrieben – mit dem Schutz zukünftiger Autonomie. Wer einen Verkauf in Sklaverei ablehnt, muss ihm auf diesem Weg jedoch nicht folgen. Stattdessen kann man dieses Verbot auch damit rechtfertigen, dass es selbstwidersprüchlich sei, seine Verpflichtungsfähigkeit aufzugeben und sich über diesen Zeitpunkt hinaus zu verpflichten, in Aknüpfung an die kantische Argumentationslinie Gutmann, Iustitia Contrahentium, Kapitel 3, m.w.N. Diese Begründung ist beschränkbarer als eine pauschale Argumentation mit zukünftiger Freiheit: Denn gemeint ist nicht jede selbstwidersprüchliche Verpflichtung (beispielsweise ist ein Verkauf einer bereits verkauften Sache an einen anderen Erwerber zulässig), sondern nur eine Erklärung, die gleichzeitig ihre eigene Geltungsgrundlage (z.B. § 1 BGB) negiert. Sie erfasst damit nicht jede Bindungsgrenze, sondern nur eine solche unter Aufgabe der Rechtsfähigkeit.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

diese Wahlmöglichkeit trotzdem zwingend zugestehen wolle, verhalte man sich selbstwidersprüchlich. Denn dieses Zugestehen könne selbst nur den Zweck verfolgen, den Freiheitsraum des anderen zu maximieren und auch dies fordere man unabhängig davon, ob der andere dies im konkreten Fall wünsche oder nicht. Sobald man den Ausgangspunkt akzeptiert, dass gegenwärtige Freiheitsräume unabhängig vom Willen ihres Inhabers maximiert werden dürfen, hält Enderlein es für zwingend, auch dessen zukünftige Freiheiten in die Rechnung einzubeziehen. Denn wenn man sich dafür entscheide, die gegenwärtigen Freiheiten des anderen ohne Rücksicht auf seine zukünftigen Freiheiten zu maximieren, beschränke man unabhängig vom Willen des anderen dessen Freiheitsbilanz über die Lebenszeit und bevorzuge eigenmächtig bestimmte Freiheiten (die gegenwärtigen) gegenüber anderen (den zukünftigen). II. Einwände Anders als Enderlein annimmt, ist bereits die Maximierung der gegenwärtigen Freiheitsräume eines anderen unzulässig, wenn sie gegen dessen Willen geschieht. Seine Argumentation geht fehl, weil er mit der „Maximierung des Freiheitsraums“ etwas anderes meinen muss, als man zunächst annehmen könnte. Es kann ihm hierbei nicht um eine reine Erweiterung des gegenwärtigen Freiheitsraumes des anderen gehen. Eine solche reine Erweiterung des Freiheitsraumes ist bereits deswegen nicht paternalistisch, weil es schon an einer Freiheitsbeeinträchtigung fehlt (1. Merkmal der Definition, s.o.). Enderlein will jedoch begründen, dass man einige Freiheiten auf Kosten anderer maximieren darf und damit auch zukünftige auf Kosten gegenwärtiger. Wenn Enderlein von einer Maximierung gegenwärtiger Freiheiten schreibt, die unabhängig vom Willen des Inhabers zulässig wäre, schwebt ihm also vor, dass man den Freiheitsraum eines anderen an einer Stelle minimal beeinträchtigen dürfe, um ihn an anderer Stelle erheblich erweitern zu können. Ein solcher potentiell unerwünschter Austausch von Handlungsmöglichkeiten verbietet sich jedoch und zwar nicht (selbstwidersprüchlich) deswegen, weil damit der Freiheitsraum des Begünstigten maximiert werden soll36, sondern weil Freiheit gerade das Recht ihres Inhabers bedeutet, die ihm selbst genehmste Handlungsmöglichkeit zu wählen37. Es wäre selbstverständlich unzulässig, das Reiseticket eines anderen an einen tristen Ort unabhängig von dessen Willen gegen ein Reiseticket einzutauschen, das für jeden anderen Ort gültig wäre. Denn wenn der andere vor allen Orten der Welt allein an jenen reisen wollte, bevormundete man ihn trotz der formalen Erweiterung 36

Gutmann, PuK, S. 20. Dies lässt sich mit Gutmann, PuK, S. 21, damit begründen, dass Freiheit bzw. Autonomie sich nicht von ihrem Inhaber abspalten lässt, um dann in „verdinglichter“ Form gegen diesen gewendet zu werden. 37

B. Schutz zukünftiger Freiheit

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seiner Handlungsmöglichkeiten38. Für die Verwirklichung von Freiheit kommt es nicht darauf an, wie viele Handlungsmöglichkeiten der Freiheitsraum umfasst39, sondern ob die gewünschte darunter ist. Wenn es aber darauf ankommt, wer Handlungsmöglichkeiten auswählt, fehlt es an der von Kompromissmodellen vorausgesetzten Gleichrangigkeit von Bindungsautonomie und ungebundener Freiheit40. Denn Beschränkungen der Freiheit zur Bindung erfolgen durch den Staat als einem anderen, die Beschränkung der negativen Vertragsfreiheit jedoch durch den Beschränkten selbst. III. Ergebnis Es sprechen prinzipielle Erwägungen dagegen, die gegenwärtige Freiheit zur Bindung im Hinblick auf die zukünftige Freiheit von Bindung zu relativieren41. Denn wer von „der positiven Vertragsfreiheit auf der einen [Seite]“ Gebrauch macht, „[verzichtet] auf die negative Vertragsfreiheit auf der anderen Seite“42, sodass der Freiheitsverlust freiwillig erfolgt. Weil Freiheit sich nicht von anderen Gütern i.S.d. Paternalismusdefinition unterscheidet, darf sie dem Einzelnen nicht zu seinem eigenen künftigen Besten aufgedrängt werden43. Ein antipaternalistisches Rechtssystem gewährt Privatautonomie stattdessen als „Selbstherrlichkeit“44 und überlässt Dispositionen innerhalb einer Freiheitssphäre allein ihrem Inhaber45. Der Einzelne kann nur dann frei entscheiden, wenn das Recht ihm auch „unrechte Torheiten“ gestattet, die frei-

38 Bereits der Ansatz der Freiheitsmaximierung durch Dritte muss scheitern, weil er ein nicht erzielbares Verständnis über die Wertigkeit voraussetzt, die Freiheiten individuell besitzen, Gutmann, Freiwilligkeit, S. 27. Enderlein wendet hiergegen ein, dass es etwa im Verfassungsrecht ständige Praxis sei, unterschiedliche Freiheiten gegeneinander abzuwiegen, Rechtspaternalismus, S. 63. Ständige Praxis ist es jedoch nur, Freiheiten unterschiedlicher Inhaber gegeneinander abzuwägen. Über eigenen Freiheiten disponiert auch im Verfassungsrecht grundsätzlich ihr Träger selbst. 39 Das sieht auch Enderlein selbst, der in einem plastischen Beispiel die zahllosen Möglichkeiten zum Ausfüllen eines Lottoscheins Lebensentscheidungen wie der Wahl eines Studiums gegenüberstellt, Rechtspaternalismus, S. 54; vgl. auch Gutmann, PuK, S. 19. 40 Auch Enderlein würde Bindungsgrenzen nicht wie Oetker als Wahrung von Selbstbestimmung erklären. Er sieht sie stattdessen als reine „Positionsverbesserungen“, Rechtspaternalismus, S. 353 ff. 41 Vgl. hierzu ausführlich Gutmann, PuK, S. 19 ff. 42 Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 23 ff.; vgl. auch Kitz, Dauerschuld, S. 142. 43 Nach Gutmann/Fateh-Moghadam, Autonomy, S. 10, wird die Trägerin der geschützten Entscheidungsfreiheit zu einer „trustee of her future manifestations“. 44 Flume, AT II, S. 6. 45 Vgl. zur Skepsis des Rechts gegenüber einem Konzept „temporal akkumulierter“ Entscheidungsfreiheit auch Gutmann, Freiwilligkeit, S. 27.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

heitsbilanziell kontraproduktiv sind 46. Denn „ist der Wille frei, warum sollte seine Thätigkeit nicht auch darin bestehen können, sich selbst zu beschränken und nach allen Seiten hin zu binden und fesseln?“47

C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen (Parfit, Hare) C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen

I. Darstellung des Vorschlags Bisher wurde davon stillschweigend davon ausgegangen, dass der Gebundene sich zu einem früheren Zeitpunkt freiwillig gebunden hat und sich daher zu einem späteren Zeitpunkt an seinem Willen festhalten lassen muss. Die Persönlichkeit eines Menschen ist jedoch veränderlich und ein Wille kann veralten48. Rechtlich muss dies im Grundsatz unbeachtlich sein, weil jede vertragliche Bindung zwingend voraussetzt, einem zukünftigen Selbst seinen vergangenen Willen zuzurechnen. Das Recht muss jedoch nicht zwingend voraussetzen, dass die Zurechnung eines vergangenen Willens auch zeitlich unbegrenzt sein muss. Vertragliche Bindung ist auch dann noch möglich, wenn das Recht zeitliche Bindungsgrenzen vorsieht. Vielleicht sollen die Bindungsgrenzen des BGB in diesem Sinn sicherstellen, dass Verträge nur so lange binden, wie der Gebundene im Vertragsschluss noch einen Ausdruck seiner eigenen Persönlichkeit erkennen kann. Kohler hat in Bezug auf eine bestimmte Art von Bindungen davon gesprochen, dass eine zeitliche Begrenzung „zur Gewährleistung jeweils aktueller, den auf Dauer veränderten Umständen angepasster Privatautonomie generell erforderlich [sei]“49. Wie lange eine Bindung noch Ausdruck der Persönlichkeit des Gebundenen ist, hängt von den Umständen und dem jeweiligen Ver46 Denn „[e]in Autonomierecht, das unter dem Vorbehalt seiner gesamtfreiheitsmaximierenden Ausübung steht, ist keines“, Gutmann, PuK, S. 22. Dabei handelt es sich bereits um eine Anmaßung, freiheitsbilanziell kontraproduktive Entscheidungen überhaupt als „Torheiten“ zu bezeichnen. Denn wie Gutmann, PuK, S. 19 darlegt, ist das „Schließen von Freiheitsräumen“ gerade der Sinn von Entscheidungen. Man kann zwar versuchen, sie offen zu halten, indem man nichts tut – aber wozu? 47 Jhering, Geist II 1, S. 222. 48 Die Schwierigkeiten, die daraus folgen, den menschlichen Willen als Bezugspunkt zu wählen, obwohl menschliche Präferenzen sich über die Zeit ändern, diskutiert ausführlich Brandt, MUR, 168 ff. Sie stellen die Varianten des Präferenzutilitarismus nach Brandt vor unüberwindliche Hindernisse. 49 Staudinger/Kohler, § 137, Rn. 45 (Herv. d. Verf.). Kohler bezieht sich allerdings nur auf mittelbar verfügungsbeschränkende rechtsgeschäftliche Regelungen, bei denen er eine gewisse zeitliche Begrenzung „im Interesse der Freiheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs [für] wünschenswert“ hält.

C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen

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tragstyp ab. Auf diesem Weg ließen sich neben den Bindungsgrenzen also auch die stark voneinander abweichenden Bindungszeiten im BGB systematisch erklären. 1. Nur teilweise Identität des Gebundenen mit dem Bindenden (Parfit) Die Annahme vertraglicher Bindung über die Zeit scheint zunächst keine theoretischen Schwierigkeiten zu verursachen. Die Mindestvoraussetzung für vertragliche Selbstbindung ist lediglich, dass es sich beim Gebundenen um denselben handelt, der sich auch gebunden hat50. Dass ein früheres und späteres Selbst identisch sind, ist eine logische Frage mit eindeutiger Antwort51. Auf das Problem, inwieweit sich die Persönlichkeit des Menschen in der Zwischenzeit graduell verändert hat, muss das Recht sich nicht einlassen. Es kann sich auf die Frage der Identität beschränken. Dass es sich bei einem Menschen durch die Zeit um denselben handelt, ist eine Frage seiner Identität. Woran diese Identität hängt, wird unterschiedlich bestimmt. Manche wollen darauf abstellen, dass ein späteres Selbst denselben Körper hat wie ein früheres Selbst bzw. es sich um denselben Organismus handelt (sog. physische und biologische Theorien), andere knüpfen an psychische Merkmale wie die Erinnerung oder das Bewusstsein an (sog. psychische Theorien), wieder andere halten Identität für „ein eigenständiges Faktum“, dass sich nicht durch fundamentalere Bestandteile ausdrücken lässt52. Wichtig ist die Frage der Identität deshalb, weil sie notwendig ist, um von Persönlichkeit sprechen zu können, die ihrererseits eine notwendige Bedingung für Autonomie ist53. Was es für einen Menschen bedeutet, eine Persönlichkeit zu besitzen, hängt je nach Auffassung beispielsweise davon ab, was der Mensch wahrnimmt oder ob er eine bestimmte Form der Rationalität besitzt, ob er versucht, sich zu begreifen oder sein Leben in ein größeres Ganzes einzuordnen54. Ein Mensch besitzt darüber hinaus die Fähigkeit zur Autonomie, wenn er seine Gedanken und Einstellungen nach ihrem Entstehungsprozess als eigene akzeptieren kann55.

Der Philosoph Parfit hat allerdings die These aufgestellt, dass die Frage der Identität hinter ihrer Ja-/Nein-Logik ebenfalls einen graduellen Charakter hat und damit über die Zeit mehr oder weniger zutreffen kann56. Das scheint kontraintuitiv zu sein, er belegt seine These jedoch mit einem starken Argument. 50

Zur Notwendigkeit von Identität für autonome Selbstbindung Quante, Personale Autonomie, S. 395. 51 Zur eindeutigen Logik von Begriffen im Gegensatz zu ihrer möglicherweise graduellen Natur Parfit, Later Selves, S. 137. 52 Quante, Personale Autonomie, S. 385, 392. 53 Ebd., 388 f., 395 ff., passim. Quante spricht statt von Persönlichkeit von praktischer Identität. 54 Ebd., S. 397. 55 Ebd., S. 398 f. 56 Parfit, Later Selves, S. 137 f., zur Ja/Nein-Logik der Identität, ebd., S. 139 f., zur graduellen Identität.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

Unabhängig davon, welche Merkmale übereinstimmen müssen, um zweimal vom Selbst einer identischen Person sprechen zu können, handelt es sich bei der Identität danach um eine besondere Verknüpfung durch kontinuierliche Übereinstimmung57. Beispielsweise kann man auf die Erinnerungen eines Menschen abstellen, um seine Identität festzustellen. Er kann sich zwar möglicherweise nicht direkt an alle seine vergangenen Handlungen erinnern, aber zumindest konnte er sich an jedem seitdem vergangen Tag an die Ereignisse des vorherigen erinnern, sodass ihn eine kontinuierliche Erinnerungskette mit seinem vergangenen Selbst verbindet. Identität ist danach eine kontinuierliche Kette direkter Verbindungen. Das Gleiche gilt, wenn man die Identität einer Person danach bestimmt, ob es sich um einen Menschen im selben Körper handelt. Sämtliche Körperzellen eines Kleinkinds können im Alter durch andere ersetzt worden sein. An jedem einzelnen Tag wird jedoch nur ein geringer Anteil von Körperzellen erneuert, sodass früheres und späteres Selbst durch eine kontinuierliche Kette fast vollständig identischer Körper verbunden sind. Weil es um Willensäußerungen geht, kann man eine fortdauernde Vertragsbindung jedoch kaum damit begründen, dass es sich überwiegend um denselben Körper handelt, dessen Träger daher identisch ist und gebunden bleiben muss58.

Die Glieder dieser Kette bildet die Übereinstimmung der gewählten Identitätsmerkmale von Tag zu Tag, die sich mehr oder weniger entsprechen können. Nach Parfit ist Identität damit der Sache nach ein graduelles Konzept. Wenn das Recht fortdauernde Vertragsbindung mit der Identität des Gebundenen begründet, rechtfertigt es die Bindung danach also damit, dass der sich selbst Bindende aufgrund der Kontinuität von Merkmalen wie etwa seinen Charaktereigenschaften, Erinnerungen und Wünschen nach wie vor derselbe ist. Wenn Identität aber der Sache nach graduell ist und auf veränderlichen Merkmalen beruht, ist er der Sache nach auch nicht mehr ganz derselbe. Die Identität eines Menschen unterscheidet sich in ihrer fehlenden Eindeutigkeit danach nicht mehr von seiner veränderlichen Persönlichkeit. Parfit schlägt vor, die kontinuierliche aber veränderliche Identität des Menschen anzuerkennen. Wer Parfit hierin folgt, wird nicht jeder späteren Fortentwicklung des Selbst die Bindung eines früheren Selbst zumuten wollen. Er wird stattdessen Bindungsgrenzen befürworten, um die Willenszurechnung auf Zeiträume zu begrenzen, nach deren Ablauf der Gebundene mit dem Bindenden kaum noch etwas gemein hat, auch wenn es sich kontinuier57 Dieses Argument setzt allerdings voraus, dass man eine reduktionistische Theorie von Identität akzeptiert und nicht dem oben beschriebenen „simple view“ folgt, vgl. dazu Parfit, Later Selves, S. 140. Parfit nimmt trotz seiner in der Tradition Lockes stehenden Beispiele für seine Argumentation in Anspruch, sie gelte auch für andere reduktionistische Identitätstheorien, ebd., S. 139, 161, Fn. 6. 58 Parfit, Later Selves, S. 139: „We can […] dismiss bodies, since they are morally trivial.“

C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen

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lich um dieselbe Person handelte59. Denn der Kern des Vertrags ist Gewalt über das eigene spätere Selbst. Mit welchem Recht nimmt der Vertragsschließende jedoch sein eigenes späteres Selbst für gegenwärtige Freiheitsverwirklichung in Anspruch? Parfit selbst sieht auch die Möglichkeit, aufgrund seiner Vorschläge eine stärkere Form der Vertragsbindung zu begründen, nach der sogar einverständliche Aufhebungsverträge unter Umständen abdingbar wären. Er beschreibt einen russischen Adligen, der die Ländereien seiner erwarteten Erbschaft als überzeugter Sozialist mit Wirkung für die Zukunft an die darauf lebenden Bauern überträgt. Diese Übertragung kann er bis dahin nur mit Zustimmung seiner Frau widerrufen. Diese bittet er jedoch, seinem zukünftigen Ich den Wunsch nach Erteilung der Zustimmung abzuschlagen. Jahrzehnte später hat der Adlige seine sozialistischen Ideale aufgegeben und will seine Ländereien behalten. Parfit hält ihn für außerstande, seine Ehefrau von einem Versprechen zu entbinden, dass ein früheres, gänzlich anders motiviertes Selbst ihr unwiderruflich abgenommen hat. Die scheinbare Unwiderruflichkeit des Versprechens beruht auf zwei Fehlannahmen60. Erstens baut Parfit in sein Beispiel die unausgesprochene Prämisse ein, dass das frühere Selbst sich hinsichtlich der Güter verpflichten durfte und seine Bindung auch das spätere Selbst trifft. Dies wäre gerade zu zeigen gewesen, denn nach Parfits eigenem Beispiel fallen die Ländereien erst dem späteren, anderen Selbst zu. Wenn das spätere Selbst vom früheren nicht gebunden werden kann, ist die Frage irrelevant, ob es die von vornherein unsinnige, nur für die Vergangenheit gültige Bindung dieses Selbst beseitigen kann oder nicht61. Der zweiten Fehlannahme nach ist nicht nur der Adlige selbst, sondern auch seine Frau gebunden, weil sie sich selbst als gegenüber dem früheren Selbst verpflichtet sehen muss, das noch sozialistischen Idealen anhing62. Parfit übersieht, dass er diesen Grundsatz nur für günstige Verträge aufstellen wollte, statt für Freiheitseinschränkungen wie in seinem Beispiel: „So I can clearly promise you that I shall help your later selves. […] I may then regard myself as committed, not to you, but to your earlier self.“63 Wenn Parfit früheres und späteres Selbst als numerisch verschieden unterscheiden möchte, muss er auch Verträge zu Lasten des späteren Selbst untersagen.

2. Unbeachtlichkeit von „Jetzt-für-dann-Präferenzen“ (Hare) Hare hat sich ebenfalls mit der Frage auseinandergesetzt, welcher Willenszeitpunkt maßgeblich sein soll und dabei darauf hingewiesen, dass ein Wille 59 Parfit, Later Selves, S. 144: „I might say: ‚I, and all my later selves, shall help you.‘ But it is plausible to reply that I can only bind my present self.“ 60 Parfit hält Fälle derart gesteigerter Bindung ohnehin für äußerst selten, ebd., S. 145. 61 Parfits Beispiel führt in die Irre, weil das fragliche Rechtsgeschäft verfügungsähnlich ist. Verfügungen kann ein späteres Selbst in der Tat nicht mehr umkehren. Verpflichtungen treffen jedoch das spätere Selbst. Wenn man in Parfits Beispiel das Verprechen von Arbeitsleistungen an die Stelle des Versprechens von Ländereien setzt, wird dies deutlich. Warum sollte das spätere Selbst weniger Vertragsfreiheit hinsichtlich seiner gegenwärtigen Arbeitskraft genießen als das frühere? 62 Parfit, Later Selves, S. 144: „Such a promise may indeed seem especially binding. […] I may […] regard myself as committed, not to you, but to your earlier self.“ 63 Ebd., S. 144.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

zur Bindung sich auf keinen gegenwärtigen Zeitpunkt bezieht (es handelt sich um keine „Jetzt-für-jetzt-Präferenz“), sondern auf einen zukünftigen Zeitpunkt (eine „Jetzt-für-dann-Präferenz“)64. Was sich der Gebundene in der Jetzt-für-dann-Präferenz vorgenommen hat, muss aber nicht mehr dem entsprechen, was er später tatsächlich will. Hare drückt dies so aus, dass die Jetzt-für-dann-Präferenz von der Dann-für-dann-Präferenz abweichen kann. Hare stellt diese Überlegungen an, weil er eine moralische Theorie entwickeln möchte, die Handlungen danach bewertet, ob sie den Wünschen der Menschen entsprechen (also eine Version des Präferenzutilitarismus). Nach seiner Auffassung kann er hierbei Jetzt-für-dann-Präferenzen außer Acht lassen65. Sein Grund für diese Missachtung ist, dass das Glück des Menschen sich ausschließlich danach richtet, ob sein jeweils gegenwärtiger Wille erfüllt wird. Deswegen hält Hare es für ein „Gebot der Klugheit“, sich nicht nach dem zu richten, das man sich irgendwann für den jetzigen Zeitpunkt vorgenommen hat, sondern jeweils nach dem, was man zum gegenwärtigen Zeitpunkt möchte und was man in der Zukunft zu diesem späteren Zeitpunkt wollen wird66. Danach würde er beispielsweise eine Diät nicht deswegen einhalten, weil er sich dies vorgenommen hat, sondern weil sein Genuss, sich attraktiver zu fühlen, „Dann-für-dann“ größer sein wird als sein jetziger Wunsch, sich ungesund zu ernähren. Nach Hares Moraltheorie „[haben] wir nur diejenigen Vorschriften und Präferenzen anderer zu betrachten […], die diese auch dann noch hätten, wenn sie stets in dem eben definierten Sinne klug wären.“67 Ein Rechtssystem, das diese Maßgabe befolgen möchte, ist gut beraten, Bindungsgrenzen einzuführen. Denn sie verhindern, dass Bürger sich beim Eingehen von Bindungen von Jetzt-für-dann-Präferenzen leiten lassen und dann Handlungen vornehmen, „die nicht vollzogen zu haben [sie] dann sehr stark vorziehen würden, da sie zur Nicht-Erfüllung [ihrer] Dann-für-dann-Präferenzen führen“68. Bereits Radbruch hat die Erkenntnis geschildert, die diese von Hare und Parfit geteilte Missachtung des früheren Bindungswillens veranlasst: „Der bindende Wille ist der Wille von gestern, der gebundene der Wille von heute und morgen. Der gebundene Wille ist der wankelmütige, empirische, der bindende der als 64

Hare erörtert dies nicht allein auf den Willen zur Bindung, sondern auf alle Formen von Präferenzen, Hare, Moralisches Denken, S. 160 ff. 65 Er will Präferenzen anderer nur insoweit berücksichtigen, wie sie sich nach dem Gebot der Klugheit richten, dass (allein) Jetzt-für-jetzt- und Dann-für-dann-Präferenzen maximiert werden, Hare, Moralisches Denken, S. 164 f. 66 Man sollte also eine „andere Präferenzen […] unterordnende Jetzt-Präferenz dafür haben […], daß die Erfüllung unserer Jetzt-fürjetzt und Dann-für-dann Präferenzen maximiert wird“, Hare, Moralisches Denken, S. 164. 67 Hare, Moralisches Denken, S. 165. 68 Hare, a.a.O., S. 164.

C. Vorrang des gegenwärtigen Willens vor ehemaligem Wollen

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konsequent gedachte Wille […] und also ein fingierter Wille. Der Wille bindet also nicht selbst, vielmehr wird der wandelbare empirische Wille an den fingierten Dauerwillen gebunden. Vertragsbindung ist nicht Autonomie, sondern Heteronomie.“69

II. Einwände 1. Gegen Hare Hares Ansatz lässt sich nicht auf Verträge übertragen, um Bindungsgrenzen antipaternalistisch zu begründen. Denn wie Gutmann dargelegt hat, bietet Hares Außerachtlassen „unkluger“70 Jetzt-für-dann-Präferenzen nur eine neue Formulierung für eine paternalistische Forderung71. Wenn ein Rechtssystem Hares Moraltheorie folgt und den Dann-für-dann-Präferenzen einer Person vor ihren Jetzt-für-dann-Präferenzen Vorrang einräumt, beschneidet es den gegenwärtigen Willen dieser Person im Hinblick auf ihr zukünftig Bestes. Niemand darf sich festlegen, weil ihn dies später unglücklich machen könnte. Aufgrund dieses „paternalistische[n] Moment[s] im Kern der Theoriebildung“72 sollten Hares Überlegungen daher nicht auf vertragliche Bindungen erstreckt werden73. 2. Gegen Parfit Selbst wenn die Aufgabe personaler Identität Erklärungsschwierigkeiten hinsichtlich der Bindungsgrenzen beseitigt, werden durch die radikale Infragestellung der lebensweltlichen Prämisse der Selbstidentität74 mindestens ebensolche Schwierigkeiten für die Erklärung des im Übrigen geltenden Privatrechts eröffnet (vgl. §§ 1, 1922 BGB)75. Es ist überraschend, inwieweit sich Parfits Modell einer Identität mit Halbwertzeit mit der Rechtslage in Deutschland zunächst vereinbaren lassen: Begriffe wie Kausalität, Verschulden und Haftung werden durch Verjährungsvorschriften begrenzt, Straftäter erhalten bei überlangen Verfahren tat69

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 142. Hare, Moralisches Denken, S. 165. 71 Gutmann, PuK, S. 30. 72 Ebd. 73 Hare selbst war davon überzeugt, dass schon eine umfassende Moraltheorie auch Jetzt-für-dann-Präferenzen berücksichtigen müsse, Moralisches Denken, S. 163. Er sah sich selbst jedoch nicht zur Formulierung einer derartigen allgemeinen Theorie in der Lage, ebd., und traf seine Entscheidung, Jetzt-für-dann-Präferenzen generell außer Acht zu lassen, als „vereinfachende Annahme“, ebd., S. 162. 74 Gutmann, Freiwilligkeit, S. 24: „Es widerspricht in radikaler Weise unserer Selbstwahrnehmung, eine Änderung von Einstellungen und Überzeugungen als Tod der Person als Zurechnungssubjekt zu begreifen. Auch ein späteres, verändertes Selbst bleibt auf seine früheren Einstellungen und Eigenschaften und damit auf sich selbst bezogen.“ 75 Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 28 f.; vgl. auch Gutmann, Freiwilligkeit, S. 25. 70

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

sächlich die von Parfit geforderten76 Strafrabatte und selbst Verurteilungen zu lebenslangen Freiheitsstrafen werden dadurch begrenzt, dass nach ausreichender Frist geprüft wird, ob der Verurteilte sich verändert hat (§ 57a StGB). Diese oberflächliche Vereinbarkeit täuscht jedoch, denn die begrenzenden Regeln wie die Vorschriften über die Verjährung folgen der Logik von mangelndem Interesse und Rechtssicherheit (vgl. §§ 203 ff. BGB) und spätestens im Fall dinglicher Zuordnung führt jede Relativierung von Selbstidentität ins Absurde77. Parfits Anregungen eignen sich auch nicht zu dem Zweck dieses Untersuchungsteils, Bindungsgrenzen theoretisch zu rechtfertigen, ohne paternalistischen Denkmustern die Tür zu öffnen. Denn die Idee eines zukünftigen Selbst bietet einen idealen Anknüpfungspunkt, um Freiheitseinschränkungen des gegenwärtigen Selbst zum Schutz eines angeblich anderen zu rechtfertigen78. III. Ergebnis Gutmann ist darin zu folgen, dass ein antipaternalistisches Recht „präsentistisch“ sein muss und dem gegenwärtigen Selbst einer Person keine Rücksichten auf seine eigene Zukunft abzwingen darf79. Umgekehrt muss dann jedoch gelten, dass jedem die Folgen seiner eigenen Entscheidungen der Vergangenheit uneingeschränkt zugemutet werden müssen80. Die bereits abgelehnten ersten beiden Lösungsvorschläge (Kap. 2, A Keine Freiheitsbeschränkung des Begünstigten; Kap. 2, B. Schutz zukünftiger Freiheit) versuchten dieser Konsequenz auszuweichen. Der soeben dargestellte dritte Lösungsvorschlag war der dritte und letzte Versuch dieser Art, auf den in 76

Parfit, Later Selves, S. 143 f. Ist die Unbegrenztheit von Eigentum als fiktive „Vererbung“ an ein nur teilweise identisches späteres Selbst zu konstruieren, bei der keine Erbschaftssteuer anfällt, oder handelt es sich um konkludente Übertragungsvorgänge ohne bestimmbaren Übergangszeitpunkt? 78 Gutmann, Freiwilligkeit, S. 25 f.: „Vor allem aber hätte die Parfitsche Position […] normative Konsequenzen, die für Rechtsordnungen nur schwer zu verkraften wären: [Mit ihre könnten] grundsätzlich paternalistische Interventionen zugunsten späterer (möglicher) Selbste der Betroffenen nicht-paternalistisch gerechtfertigt werden. Denn wer raucht, extrem klettert etc. würde auf der Grundlage der Parfitschen Prämissen eben nicht nur sich selbst, sondern einen anderen oder ‚quasi-anderen‘ gefährden oder schädigen. Damit wären zugunsten späterer Selbste staatliche Schutzpflichten für die betroffenen Rechtsgüter auf den Plan gerufen, die sich nur in der Form von Freiheitseingriffen bei gegenwärtigen Selbsten der Betroffenen umsetzen ließen.“ 79 Gutmann, PuK, S. 22. Zur „Grundsatzentscheidung für die Entscheidungsfreiheit des jweils ‚aktuell‘ [d.h. sich bindenden] Selbst“ auch Gutmann, Freiwilligkeit, S. 27. 80 Vgl. in diesem Sinne zu einer aufschlussreichen Ulysses-Konstellation und der wie bei Elster, Ulysses, als „Selbstpaternalismus“ hingenommenen Bindung sogar über den beidseitigen Willen hinaus BGH NJW 2012, 48 (Spielsperrvertrag). 77

D. Auseinanderfallen von vorgestellter und resultierender Verpflichtung

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dieser Untersuchung eingegangen wird: Mit der Freiheit des Kündigenden sind Bindungsgrenzen nicht zu rechtfertigen. Für alle Fälle von Willensschwankungen muss man es daher bei der schlichten Erkenntnis Jherings belassen: „Die Anerkennung der bindenden Kraft der Verträge […] heißt nichts als Sicherung des ursprünglichen Zweckes gegen den nachteiligen Einfluss einer späteren Interessen-Verschiebung oder veränderter Interessen-Beurtheilung in der Person des anderen Theils oder: rechtliche Einflusslosigkeit der Interessenänderung“81.

D. Auseinanderfallen von vorgestellter und resultierender Verpflichtung D. Auseinanderfallen von vorgestellter und resultierender Verpflichtung

Bisher wurde festgestellt, dass erstens allein der Inhaber einer Freiheit bestimmen kann, welche Wahl er zwischen Bindungsautonomie und Freiheit von Bindung trifft (Kap. 2, B.), und dass zweitens auf seine Wahl im Zeitpunkt der Bindungsentscheidung abgestellt werden muss, selbst wenn er seine Meinung nachträglich ändert (Kap. 2, C.). Viel gewisser als der Wille des Gebundenen werden sich jedoch die Umstände ändern, unter denen er seine Erklärung abgegeben hat. I. Darstellung des Vorschlags 1. Veränderlichkeit der Umstände Was eine Willenserklärung bedeutet, hängt von ihrem Kontext ab82. Wenn sich dieser Kontext im Laufe der Zeit ändert, bedeutet eine formal inhaltlich gleich fortgeführte Bindung für den Gebundenen etwas anderes, als die Bindung, die er freiwillig übernommen hatte83. Man könnte vertreten, dass das Recht in einem solchen Fall Kündigungsrechte gewähren kann, ohne paternalistisch zu sein. Bindungsgrenzen wären demnach regelmäßig unproblematisch. Denn bei den meisten langfristigen Verträgen ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Bedeutungswandel der geschilderten Art eintritt. Gegen Kündigungsrechte spricht in diesem Fall jedoch, dass die Erklärung des Gebundenen regelmäßig gewöhnliche Abweichungen mit umfasst. Der Gebundene hat sich auf lange Zeit verpflichtet, obwohl ihm in aller Regel das Risiko geänderter Umstände bewusst war. Er ist nicht gezwungen, auf sein 81

Jhering, Geist II 1, S. 78, 262. Palandt/Ellenberger, § 133, Rn. 15. 83 Für die Auslegung einer Willenserklärung dürfte allein auf die ursprünglichen Umstände ihrer Abgabe abzustellen sein, sodass ihr Inhalt von nachträglichen Änderungen unberührt bleibt, Palandt/Ellenberger, § 133, Rn. 6b, 17. Was die durch diese konstante Auslegung ermittelte Bindung jedoch konkret für den Gebundenen bedeutet, kann sich in seiner Bedeutung stark mit den Umständen ändern. 82

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

Kündigungsrecht zu verzichten, sodass er sich an wechselnde Umstände nicht mehr flexibel anpassen kann. Wenn er es doch tut, muss seine Erklärung als abstrakte84 Verpflichtung aufgefasst werden, selbst dann unkündbar verpflichtet zu bleiben, wenn sich die Umstände geändert haben. Wenn ein Kaufmann beispielsweise verspricht, eine Ware auf Jahrzehnte zum Fixpreis zu liefern, hat er Verluste aus Preisschwankungen zu tragen. Bindungsgrenzen lassen sich auch nicht mit der Möglichkeit rechtfertigen, dass sich besonders gravierenden Änderungen der Umstände ereignen, die nicht mehr in der Schwankungsbreite der abstrakten Verpflichtung liegen85. Denn Gegenstand dieser Untersuchung sind nur solche Bindungsgrenzen, die unabhängig von besonderen Ereignissen allein aufgrund der Dauer der übernommenen Bindung gelten86. Bei relevanten Änderungen der Umstände sind stattdessen die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB und der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 I BGB heranzuziehen. Anders als Bindungsgrenzen versuchen diese Regelungen im Grundsatz, die ursprünglich gewollte freiwillige Bindung wieder herbeizuführen, statt nur die unfreiwillige Bindung zu beenden (§ 313 I, III BGB).

2. Eingeschränkter Prognosehorizont und Abdiskontieren zukünftiger Vorteile Man kann Bindungen über einen gewissen Zeitraum hinaus nicht mehr für freiwillig übernommen halten, weil die Entscheidung für oder gegen eine derartige Bindung die menschliche Rationalität überfordert87. Zunächst können derartige Bindungen aufgrund der Veränderlichkeit der Umstände den menschlichen Prognosehorizont übersteigen. Wenn der Gebundene eine abstrakte, unkündbare Verpflichtung auf lange Zeit eingeht, kann er nicht alle möglichen Veränderungen vorhersehen, denen er sich mitunterworfen hat. Dies lässt seine „Bindung […] zeitlich ganz unüberschaubar“88 werden, sodass es „für die Beteiligten [...] nicht annähernd möglich 84

Begriff nach Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 79. Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 313, beschreibt im Anschluss an ein Zitat von Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 79, einen denkbaren Begründungsweg, um in derartigen Fällen trotz abstrakter Verpflichtung zu Bindungsgrenzen zu kommen: Es ginge um „vom Betroffenen selbst gesetzten Grenzen seiner Bindung. Um diese zu ermitteln, ‚muss die im Moment des Vertragsschlusses nur abstrakt erteilte Ermächtigung so weit konkretisiert werden, dass die Grenzen der Unterwerfung unter die fremde Gestaltungsmacht erkennbar wird.‘“ 86 S.o., Kap. 1, B. Begriff der Bindungsgrenze und Beschränkung der Untersuchung. 87 Vgl. Kitz, Dauerschuld, S. 142 f. 88 BGH NJW 2007, 295, Rz. 10, (Herv. d. Verf.): „Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Der Senat hat bereits im Urteil vom 11.07.1968, BGHZ 50, 316, 321 f., den Zweck des § 723 Abs. 3 BGB darin gesehen, Vereinbarungen über die Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechts die Wirksamkeit zu versagen, bei denen die Bindung der Gesellschafter an die Gesellschaft zeitlich ganz unüberschaubar ist und infolgedessen ihre persönliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit unvertretbar einge85

D. Auseinanderfallen von vorgestellter und resultierender Verpflichtung

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[ist], die Entwicklung über einen [besonders langfristeigen Bindungszeitraum] vorherzusehen und in ihrer Vertragsgestaltung zu berücksichtigen“89. Schon Mill wollte Beschränkungen der Bindungsautonomie akzeptieren, „when an individual attempts to decide irrevocably now what will be best for his interest at some future and distant time.“90 Bei der Einschätzung langfristiger Bindungen leidet die überwiegende Zahl der Menschen zudem an einem anderen rationalen Defekt: Sie ziehen einerseits 50 Euro sofort 100 Euro in zwei Jahren vor, andererseits verzichten sie auf 50 Euro in vier Jahren, wenn sie dafür in sechs Jahren 100 Euro erhalten91. Dass Menschen zukünftige Vorteile geringer schätzen als gegenwärtige (dass sie zukünftige Vorteile diskontieren), wäre kein Indiz für irrationales Verhalten, weil eine bestimmte Wartezeit einen bestimmten Nachteil darstellen kann. Wenn Menschen den Nachteil dieser Wartezeit jedoch uneinheitlich bewerten, deutet dies auf impulsives statt rationales Diskontieren zukünftiger Vorteile92. Das bedeutet, dass Menschen für zeitnahe Gegenleistungen Bindungen eingehen würden, die sie bei distanzierter Betrachtung für überhöht hielten. Aus diesen Gründen warnt Kitz von unbegrenzten Bindungen: „Das Phänomen der begrenzt rationalen Entscheidung beim Abschluss eines Dauerschuldverhältnisses kann im Lichte des Grundsatzes ‚pacta sunt servanda‘ dazu führen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in nicht mehr hinnehmbarem Ausmaß beschnitten wird. […] Je länger die Vertragsbindung ist, die eine Partei eingeht, desto mehr wirkt sich die Begrenztheit der rationalen Entscheidung aus und desto mehr wird das Selbstbestimmungsrecht für die Zukunft beschnitten.“93

II. Einwände Auch wenn Menschen beim Eingehen langfristiger Bindungen irrational handeln, sollte das Recht vorsichtig damit sein, solche Bindungen zu beschränengt wird. Hierin ist ihm die Literatur ganz überwiegend gefolgt […]. Derselbe Gedanke liegt § 724 BGB zugrunde.“ Ebenso BGH NJW-RR 2012, 1242. 89 Staudinger/Jeinsen, § 594b, Rn. 2: „Der Grund für die – modifizierte – Beibehaltung der mietrechtlichen Regelung des § 544 ist, daß das gesetzgeberische Motiv des Ausschlusses einer Art ‚Erbmiete bzw -pacht‘ auch heute noch von Bedeutung sein soll. Die Parteien sollen, wenn sie eine längere als 30-jährige Besitzüberlassung wünschen, eine entsprechende dingliche Veränderung herbeiführen. Es ist für die Beteiligten außerdem nicht annähernd möglich, die Entwicklung über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren vorherzusehen und in ihrer Vertragsgestaltung zu berücksichtigen.“ 90 Mill, Principles, S. 459. 91 Ainslie, American Economic Review 81 (1991), 334; vgl. auch Ainslie, Picoeconomics. 92 Ainslie/Haslam, Hyperbolic Discounting, S. 57, 72 ff. 93 Vgl. Kitz, Dauerschuld, 142 f. Eine starke Betonung des eingeschränkten Prognosehorizonts findet sich auch in Bydlinski, Vertragsbindung.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

ken. Denn nicht jedes Geschäft, das langfristige Bindungen beinhaltet, ist mit den „eigentlichen“ Zielen des Gebundenen unvereinbar und in der Regel ist das Recht weniger erfolgreich als der Einzelne, seine „eigentlichen“ Ziele zu ermitteln und zu beurteilen, welche Geschäfte rationale Mittel sind, sie zu erreichen. Man könnte das Begrenzen irrational eingegangener Bindungen für einen Fall „weichen Paternalismus“ halten94, der nach Auffassung vieler zulässig sein soll95. Weicher Paternalismus erfasst insbesondere Freiheitbeschränkungen mit dem Zweck, dem Einzelnen die Folgen von Irrtümern zu ersparen. Mill beschreibt den Fall, dass ein sprachunkundiger Ausländer im Begriff ist, eine marode Brücke zu betreten96. In dieser Konstellation erscheint es prinzipiell unbedenklich, den Fremden zunächst zurückzuhalten und festzustellen, ob er sich über die Lebensgefahr im Klaren ist. Unter den Oberbegriff des „weichen Paternalismus“ werden jedoch zahlreiche sehr unterschiedliche Fallkonstellationen gefasst, von denen nicht alle unproblematisch sind97. Jedenfalls die vorgetragene Rechtfertigung von Bindungsgrenzen mit der Gefahr von Fehlprognosen und irrationales Diskontierens des Gebundenen lässt sich von „hartem“ Paternalismus nicht ausreichend abgrenzen und ist daher abzulehnen. Denn wenn der Einzelne sich dafür entscheiden darf, sich selbst durch ein schlechtes Geschäft zu schädigen, muss er sich auch dafür entscheiden dürfen, das bloße Risiko einer Schädigung einzugehen98. Wenn er sich durch eine unmögliche Prognose überfordert und auf einen guten Ausgang hofft oder zukünftige Bindungen irrational unterschätzt, darf man ihn über seinen Irrtum aufklären, um sicherzustellen, dass er sich bewusst für das Geschäft entscheidet. Wenn er beispielsweise einen Lottoschein löst, der mehr kostet, als die Gewinnchance ökonomisch wert ist, sollte man ihm davon abraten. Wenn er trotzdem auf dem Geschäft besteht, handelt es sich um eine bewusste Selbstschädigung.

94

G. Dworkin, Paternalism. Gutmann/Fateh-Moghadam, Autonomy, S. 5. 96 Mill, On Liberty, S. 272. 97 Gutmann/Fateh-Moghadam, Autonomy, S. 383, 386 ff., passim. 98 Man könnte versucht sein, besonders langfristige Bindung als hinreichendes Indiz für Unfreiwilligkeit zu werten. Die Beschränkung der Privatautonomie durch Bindungsgrenzen lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf kompromittierte Willensfreiheit zurückführen. Es handelt sich um echte Verbote von Ergebnissen rechtsgeschäftlichen Handelns, unabhängig vom Weg ihres Zustandekommens, die also auch unter der Bedingung einer bei dem Vertragsschluss im konkreten Fall möglicherweise unbeeinträchtigten Freiwilligkeit gelten. Vom Ergebnis von Vertragsverhandlungen pauschal auf Unfreiwilligkeit zu schließen setzt jedoch voraus, zumindest auch die Höhe der Gegenleistung mitzuberücksichtigen, vgl. BGH NJW 1990, 1595. 95

E. Institutslogik zur Rechtfertigung der Bindungsgrenzen (Jhering)

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III. Ergebnis Bindungsgrenzen lassen sich nicht dadurch rechtfertigen, dass die Bindung dem „eigentlichen“ Willen des Gebundenen widerspricht, weil ihn die Einschätzung der eingegangen Bindung prognostisch und rational überfordert. Denn solange er nicht irrtümlich annimmt, dass bestimmte Umstände unveränderlich seien, ist ihm die Ungewissheit seiner Prognose bewusst; und selbst wenn er irrational entscheidet, entscheidet er autonom, solange ihm alle ex ante ermittelbaren Umstände bekannt sind. Ein „eigentlicher“ Wille hinter dem voll informierten, tatsächlich gebildeten Willen existiert nicht.

E. Institutslogik zur Rechtfertigung der Bindungsgrenzen (Jhering) E. Institutslogik zur Rechtfertigung der Bindungsgrenzen (Jhering)

Jhering hat sich ausführlich mit dem Problem der „Selbstvernichtung der Freiheit“99 beschäftigt, dass „[d]er freie Mann […] durch Vertrag seine persönliche Freiheit aufgeben oder beschränken“ und „die Freiheit des Eigentums für ewige Zeit verkümmern“ kann100. Seine Überlegungen haben die Aufnahme von Bindungsgrenzen in das BGB mit veranlasst101

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Jhering, Geist II 1, S. 219. Jhering, a.a.O., S. 222. 101 So bezieht sich Johow bei seiner Begründung des Sachenrechtsentwurfs – wenn auch ohne ausdrückliches Zitat – deutlich auf den durch v. Jhering gebildeten Gedanken, vgl. Johow, Vorentwurf I, S. 501: „Das Verfügungsrecht des Eigenthümers findet seine natürliche Begrenzung durch den Begriff des Eigenthums. Dieser Begriff ist durch das objektive Rechte gegeben und der Bestimmung durch Privatwillkür entrückt. Der Eigenthümer kann allerdings an sich mit der Sache machen, was er will, er kann dieselbe namentlich auch aus seinem Vermögen ausscheiden und also das Eigenthum aufgeben. Aber er kann nicht die Sache in seinem Vermögen behalten und gleichzeitig sein Eigenthum durch willkürliche Abtrennung einzelner Befugnisse, welche dasselbe verleiht, abschwächen. Dürfte er dies, so läge es in seiner Hand, das Eigenthum an einer bestimmten Sache in ein Recht umzuformen, welches die Rechtsordnung nicht mehr als Eigenthum gelten lassen könnte. Damit aber wäre der Eigenthumsbegriff selbst verflüchtigt.“ Ebd., S 646: „In der Doktrin des gemeinen Rechts besteht jedoch längst kein Zweifel mehr, daß die Scheidung der in dem Eigenthum liegenden Befugnisse in Ober- und Untereigenthum nicht bloß unrömisch, sondern auch unvereinbar ist mit dem Begriff des Eigenthums“. Weiterhin formuliert Johow, Vorentwurf II, S. 1085 f. beispielsweise: „Dem Besitzer zu verstatten, mittelst Eigenthumsübertragung sein Gut zu veräußern, hat für das Gemeinwesen keinen Nachteil“. Fast wortgleich heißt es bei Jhering, Geist II 1, S. 232: „Dem Besitzer zu verstatten, beliebig sein Gut zu verkaufen hat für den Staat keinen Nachteil.“ 100

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

I. Darstellung des Vorschlags Jhering findet die Grenze für den Gebrauch einer durch ein Rechtsinstitut gewährten Freiheit in dem Gebot der praktischen Fortdauer dieses Instituts. In der Verwendung der aus dem Institut gespeisten Freiheit ist der Einzelne also frei, die Quelle seiner Freiheit darf er jedoch nicht beseitigen. Übertragen auf das heutige Recht ließe sich dies so formulieren, dass eine Bestimmung wie § 311 I BGB selbst nicht dispositiv ist, auch wenn sie rechtliche Disposition ermöglicht. Die Grenze der freiwilligen Selbstbeschränkung von Freiheit wäre demnach, dass unter den Selbstbeschränkungen der ausgeübten Freiheit die grundsätzliche Freiheitsgewährung noch erkennbar bleibt. Ewige Belastungen des Eigentums oder die Aufgabe der Vertragsfreiheit würden das zugrunde liegende Institut gänzlich verschütten und damit die ursprüngliche Quelle der Freiheitsgewähr zum Versiegen bringen. Damit ist für Jhering „die Freiheit eine Eigenschaft der Institute und eine Schranke des subjektiven Willens.“102 Jhering begründet diese Auffassung auf drei Weisen. Er leitet sie nicht nur als „römische Anschauungsweise“ aus den Quellen ab103, sondern will auch eine „von der Jurisprudenz dem Wesen der Freiheit selber entnommene Selbstbeschränkung derselben auf wissenschaftlichem Wege“104 erreicht haben. Jherings „wissenschaftliche“ Herleitung ließe sich – auf das heutige Recht bezogen – so formulieren: Da im Privatrecht die Freiheit in Form von Instituten gewährt werde, muss sich die Freiheit innerhalb dieser Institute halten. Die nur durch die Institute bestehende Freiheit kann ihre Form nicht übersteigen und eben jene Institute verändern oder beseitigen, denn das Institut bildet das „Maß für die dem Subjekt innerhalb desselben zu verstattende freie Bewegung“105. Der Gesetzgeber will also dem Eigentümer Herrschaft über eine Sache einräumen, jedoch nicht die Herrschaft zur Änderung des Sachenrechts106. Durch Ausübung der Vertragsfreiheit kann nicht ihre eigene Geltungsvoraussetzung aufgehoben werden, weil die Geltung von Vertragsfreiheit selbst nicht Teil der gesetzgeberischen Delegation zur Regelung der eigener Angelegenheiten ist, sondern ihre Grundlage107. Jhering leitet seinen Schutz der Freiheit von Bindung auch aus einem „meisterhaft[en]“108 römischen Freiheitsbegriff her, in dessen „angeboren

102

Jhering, Geist II 1, S. 222, Überschrift. Jhering, a.a.O., S. 224, 226 ff. 104 Jhering, a.a.O., S. 219. 105 Jhering, a.a.O., S. 224 f. 106 Vgl. erneut Johow, Vorentwurf I, S. 501. 107 Ähnlich Mill, On Liberty, S. 290. 108 Jhering, Geist II 1, S. 224. 103

E. Institutslogik zur Rechtfertigung der Bindungsgrenzen (Jhering)

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gefundene[r] Constitution“109 eine Begrenzung von Freiheit bereits angelegt ist. Für ihn stützt sich „[d]er Anspruch des Individuums auf die rechtliche Freiheit“ auf deren „sittliche Bestimmung“110, Raum für „den schöpferischen Beruf der Persönlichkeit“ zu schaffen111. Er kann dem Individuum deshalb die Möglichkeit versagen, die Grundlage für seine schöpferische Entfaltung in der Zukunft zu beseitigen. Damit wird Jherings Freiheit zwar zu einer Pflicht112 und dadurch beschränkt, dass der Staat „nur [die] wahre, ethisch berechtigte Freiheit des Subjekts anzuerkennen und zu verwirklichen hat.“113 Er kann jedoch ein Modell aufstellen, in dem „Freiheit [...] das Prinzip für die Gestaltung des Privatrechts“ einschließlich der „Festlegung von Grenzen“ bildet114 und der Begriff des Instituts als Scharnier zwischen Bindungsautonomie und Ungebundenheit dient. II. Einwände Die von Jhering für seine Erkenntnis im römischen Recht angegebene Begründung lässt sich auf das BGB nicht übertragen. Zunächst ist die von Jhering behauptete Unabdingbarkeit von Instituten nicht zwingend. Denn es ist nicht logisch notwendig verboten115, ein Institut praktisch auszuhöhlen. Der Gesetzgeber kann dem Einzelnen verbieten, die Möglichkeiten eines Instituts für die Zukunft aufzugeben, indem er sich langfristig bindet. Das Eheinstitut ist jedoch beispielsweise auf einmalige Bindung angelegt116, erst seit 1977 ist eine Scheidung allein aufgrund von Zerrüttung möglich117. Obwohl das Recht auf Ehe unveräußerlich ist (Art. 6 I GG), ist der Erhalt der Ungebundenheit „optional“118. Wo der Verbrauch eines Instituts durch einmalige Nutzung verboten ist, kann dies also keinen „Artenschutz privatrechtlicher Institute“ bezwecken, sondern muss andere Gründe haben. Die Ehe ist nicht das einzige Beispiel für ein „optionales“ Institut. Beispielsweise sind Institute, die der Gesetzgeber zur Erleichterung des Rechtsverkehrs bereitstellt, ein Ange109

Jhering, a.a.O., S. 222. Jhering, a.a.O., S. 223: „Darin eine dem dem Begriff der Freiheit widerstrebende Bevormundung von Seiten des Staats zu erblicken, ist nur möglich, wenn man weder der Freiheit, noch dem Staat eine sittliche Bestimmung zuschreibt.“ 111 Jhering, Geist II 1, S. 223. 112 Ebd., S. 223, Unterüberschrift: „die Freiheit eine Pflicht“. 113 Jhering, Geist II 1, S. 223. 114 Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 73. 115 Vgl. Jhering, Geist II 1, S. 225, Fn. 340: „logische[s] Element der Insitute“. 116 § 1306 BGB, § 172 StGB. 117 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14.06.1976. 118 Zur Unterscheidung optionaler von obligatorischen unveräußerlichen Rechten und ihren theoretischen Konsequenzen Dufner, Unveräußerlichkeit, S. 3, im Anschluss an Feinberg, Philosophy and Public Affairs (1977) 7 no. 2, S. 93 ff. 110

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

bot, auf das der Einzelne auch verzichten kann. Wer sich die Möglichkeiten der Stellvertretung oder der elektronischen Form nimmt, indem er umfassende Höchstpersönlichkeitsund Formerfordernisse vereinbart, verletzt nicht die §§ 164 ff.; § 126a BGB119. Dies liegt daran, dass der Begriff des Rechtsinstitutes zwar unterschiedliche Konnotationen besitzt, im Mindestmaß jedoch lediglich die „Summe der vorhandenen rechtlichen Regelungen zu einem abgrenzbaren Themenkomplex“ bezeichnet120. Instituten selbst einen Eigenwert zuzuweisen – wie es nach Jhering auch das sog. institutionelle Rechtsdenken versucht hat121 – setzt damit voraus, zunächst einen entsprechend anspruchsvollen Institutsbegriff zu definieren. Andernfalls besteht die Gefahr, ein regelungstechnisches Werkzeug zur Rechtsquelle zu überhöhen122.

Hinter dem von Jhering vorgestellten Freiheitsbegriff steht schließlich eines der (oben abgelehnten123) Kompromissmodelle. Indem das Rechtssystem die Freiheit des Einzelnen nur anerkennen soll, soweit sie den „schöpferischen Beruf der Persönlichkeit“ nicht verstellt, fordert Jhering eine Beschränkung der Bindungsautonomie im Interesse der Freiheit von Bindung. Auch wenn Jhering die Abgrenzung der beiden Freiheiten originell durch den Begriff des Instituts organisiert, bietet seine auf „sittliche Ausübung“ beschränkte Bindungsautonomie wenig Schutz vor staatlicher Bevormundung124. Denn sein Freiheitsbegriff läuft auf eine „Disciplin des abstracten Freiheitsgefühls“125 hinaus, die der „abstracte[n] Freiheit des Subjekts“ „eine Bahn [vorgibt], die [es] einhalten muß und soll“126. III. Ergebnis Jhering ist aufgefallen, dass umfassende Selbstbindungen die Möglichkeiten beseitigen können, die das Recht durch bestimmte Institute geschaffen hat. Diese Möglichkeiten für die Zukunft zu beseitigen, ist jedoch nicht begriffsnotwendig untersagt. Es ist denkbar, dass der Gesetzgeber die Möglichkeiten einiger Institute aus guten Gründen davor schützt, durch den Einzelnen vollständig aufgegeben zu werden. Um Jherings Gedanken für eine antipaternalistische Rechtfertigung von Bindungsgrenzen verwenden zu können, sind diese Institute jedoch zu ermitteln und die Gründe zu benennen. 119

Vgl. hierzu auch Wagner-von Papp, AcP (2005) 205, 342 ff. Fischer, RInstRd, S. 12. 121 Raiser, Institutionenschutz, S. 145 ff. will Institutionen „vor Missbrauch schützen“; zur Kritik vgl. unten, Kap. 2, F.II.2. Institutionelles Rechtsdenken. 122 Fischer, RInstRd, S. 12 ff. 123 S. o., Kap. 2, B. Schutz zukünftiger Freiheit. 124 Zum Versuch, Beschränkungen der Privatautonomie durch den Schutz von Instituten zur rechtfertigen, auch Gutmann, Freiwilligkeit, S. 239. 125 Jhering, Geist II 1, S. 225. 126 Jhering, a.a.O., S. 225. Dagegen sprechen wiederum die von Gutmann, Freiwilligkeit, aufgezeigte Unzulänglichkeit des Unternehmens, aus einem Freiheitsbegriff Zwang zu begründen. 120

F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen

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F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen

I. Darstellung des Vorschlags 1. Die Privatrechtsordnung Der Einzelne ist der Ausgangspunkt des Privatrechts: Es handelt von individuellen Rechten und Pflichten in isolierten Beziehungen. Indem eine einzelne Beziehung aus dem Geflecht herausgeschnitten wird, das jedes Rechtssubjekt umgibt, wird eine Rechtsfrage beherrschbar und somit entscheidbar. Der Fokus auf Einzelne bedeutet jedoch nicht, dass privatrechtliche Vorschriften zur Ordnung gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens nichts zu sagen hätten. Auch aus Ihnen können sich – mittelbar – solche Aussagen ergeben. Denn gesetzgeberische Strukturvorgaben müssen nicht in zwangsbewehrte Vorschriften gefasst sein, zu denen die Grundentscheidung für die Vertragsfreiheit als Rückzug des Staates in Gegensatz stünde. Strukturvorgaben bestehen immer. Die Grundentscheidung für die Vertragsfreiheit selbst ist eine Strukturvorgabe. In dem Verzicht des Gesetzgebers auf strukturelle Festschreibungen durch Hoheitsakte liegt positiv seine Entscheidung für die Dispositionsfreiheit des Einzelnen. Die im gesetzgeberischen Gewähren von Vertragsfreiheit liegende Delegation ist nicht die Entscheidung gegen eine Ordnung, sie ist (gemeinsam mit etwa der Eigentumsfreiheit) die Entscheidung für eine dezentrale Ordnung privater Selbstverantwortung127. 2. Objektive Freiheiten der Privatrechtsordnung Dass die Vertragsfreiheit Bestandteil der Privatrechtsordnung ist, bedeutet jedoch nicht, dass es dem Einzelnen verboten wäre, sie zu beschränken. Ein solches Verbot wäre widersinnig, denn jede Vertragsbindung schränkt die subjektive Vertragsfreiheit für die Zukunft ein. Dies ist zulässig, weil Bindungsautonomie schwerer wiegt als Freiheit von Bindung und die Privatrechtsordnung hierdurch nicht verändert wird. Denn auch wenn Vertragsbindungen die subjektive Vertragsfreiheit beschränken, lassen sie die objektive Wirksamkeit der Vertragsfreiheit als Teil der Privatrechtsordnung unberührt. Sie gilt für andere Vertragspartner und andere Vertragsgegenstände ebenso unvermindert fort wie sie für den Gebundenen selbst wieder entsteht, sobald er den eingegangenen Vertrag erfüllt hat. Der privatautonome Handlungsspielraum des Gebundenen reicht ab diesem 127 Vgl. BVerfGE 81, 242, 254: „[Eine] Privatautonomie, auf deren Grundlage als Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung die Vertragspartner ihre Rechtsbeziehungen eigenverantwortlich gestalten und damit zugleich über ihre grundrechtlich geschützten Positionen ohne staatlichen Zwang entscheiden […]“ (Herv. d. Verf.).

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

Moment wieder soweit, wie es seine Mittel und das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage in dem jeweiligen Zeitpunkt erlauben. Deswegen stehen Vertragsbindungen nicht im Gegensatz zur privatautonomen Ordnung des Zivilrechts, sondern erhalten und bestätigen sie128. Wie Flume schreibt, besteht „[d]ie Eigenart der Rechtsordnung der Privatautonomie […] darin, daß durch jedes privatautonome Verkehrsgeschäft die Ordnung der Privatautonomie erneut integriert wird. Jeder Vertrag über Güter und Leistungen ist als Vereinbarung in Selbstbestimmung nur möglich, wenn allgemein grundsätzlich der Verkehr von Gütern und Leistungen in Selbstbestimmung erfolgt, und er trägt zu seinem Teil dazu bei, daß auch andere in Selbstbestimmung den Austausch von Gütern und Leistungen vereinbaren können.“129

Nicht jede subjektive Freiheit enthält das Gebot, objektiv fortgelten zu sollen. Der Gesetzgeber kann sich jedoch entscheiden, (in ihrer objektiven Geltung hier im Folgenden kurz objektiv genannte130) Freiheiten zu einem Teil der Privatrechtsordnung zu machen. 3. Drohende Beeinträchtigung durch private Rechtssetzung Die privatautonome Ordnung des Zivilrechts kann durch bestimmte Formen rechtsgeschäftlichen Handelns umgestaltet werden, die nicht nur die subjektive, sondern die objektive Wirksamkeit einer Freiheit beseitigen131. Durch einen punktuellen Austauschvertrag ist dies nicht möglich. Durch ihn setzen die Einzelnen kein abstrakt-generelles Recht; er kann allenfalls in der Masse 128 Wie Luhmann, RdG, S. 49, schreibt haben „[r]echtsbezogene Kommunikationen […] als Operationen des Rechtssystems immer eine doppelte Funktion als Produktionsfaktoren und als Strukturerhalter.“ Eine privatautonome Ordnung kann nicht anders als durch die Vereinbarung von Vertragsbindungen wirken, denn „[a]utopoietische Systeme sind […] an ihren Operationstypus gebunden, […] sowohl für die Erzeugung nächster Operationen als auch für die Bildung von Strukturen.“ 129 Flume, AT II, S. 10 (Herv. d. Verf.). 130 Der Begriff und der Gedanke durch Institute vermittelter objektiver Freiheiten stammt von Jhering, Geist II 1, S. 225: „Die abstracte Freiheit des Subjekts findet also an der in dem einzelnen Institut enthaltenen objektiven Freiheit ihr Ziel und Maß vor.“ Vgl. auch Jhering, a.a.O., S. 223: „Objektivismus in der Auffassung der Freiheit“ und insbesondere Jhering, a.a.O., S. 224: „Die römische Anschauungsweise und damit die Quintessenz der folgenden Ausführung läßt sich vielleicht am bezeichnendsten dahin angeben, daß sie in der Freiheit nicht bloß ein Gut oder eine Eigenschaft der Person erblickt, sondern auch eine objektive, vom Willen der Person unabhängige, unzerstörbare Eigenschaft der Rechtsinstitute.“ 131 Bydlinski, Vertragsbindung, S. 22: „In einer Zeit, in der sich der Gedanke der freien Wirtschaft allmählich durchzusetzen begann und in der der man allmählich daran ging, die feudalistischen, zünftlerischen und bürokratischen Beschränkungen des freien Wirtschaftsverkehrs abzubauen, sollten solche Beschränkungen auch nicht ungehemmt auf privatrechtlicher (vertrags-, familien- oder erbrechtlicher) Grundlage geschaffen werden können.“ Vgl. zu diesem Risiko auch Wielsch, Freiheit und Funktion, S. 186 ff.

F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen

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von Einzelverträgen an der spontanen Bildung instabiler Muster mitwirken132. Private können jedoch nicht nur einzelne Verträge schließen, sondern auch dauerhafte Regelungen für ihr Zusammenleben und ihre Geschäftsbeziehungen schaffen, die neue Strukturen begründen (etwa in Form von Gesellschaften oder langfristigen Rahmenverträgen)133. Auch durch das Setzen derartiger Strukturen gestalten Private die zivilrechtliche Ordnung im Grundsatz noch nicht um, da die Einzelnen im Zivilrecht ihre Angelegenheiten selbst regeln und hierbei eigenverantwortlich handeln sollen. Inhaltlich dürfen sie sich jedoch nur auf Regelungen einigen, die mit den staatlichen Bestimmungen vereinbar sind. Private Strukturbildung kann sich hierbei nicht nur in Widerspruch zu dem unmittelbaren Wortlaut konkreter Vorschriften setzen, sondern auch zu der Strukturvorgabe der Privatrechtsordnung, dass bestimmte Freiheiten objektiv fortdauern sollen134. Das klassische Beispiel für private Strukturvereinbarungen, die sich gegen die freiheitliche Ordnung selbst richten, sind Wirtschaftskartelle. Eucken hat sie anschaulich als „Vorstoß privater Akteure in die vom Staat im 19. Jahrhundert geräumten Regelungsräume beschrieben, die neue Strukturen von Unfreiheit geschaffen“ hätten135. Diese Beschreibung deckt sich mit der Beobachtung Hanaus, der in be-

132

Luhmann, RdG, S. 41 ff., 211 f., 241 ff. hat diesen Prozess als autopoietische Rechtserzeugung beschrieben. 133 Vgl. Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft, der durch seine Beobachtung bereits auf die sogleich folgende Argumentation Euckens Einfluss genommen hat. Auf welche Weise Vertragsgestaltungen eine andere Ordnung an die Stelle der staatlichen setzen können, illustriert die Zuckerfabrik-Entscheidung (RGZ 128, 1). In diesem Fall sah eine Zucker herstellende GmbH unkündbaren Nebenpflichten ihrer Gesellschafter vor, die u.a. umfassten, eine bestimmte Menge Rüben anzubauen und der Gesellschaft abzuliefern. Weder war die Gesellschaft zeitlich auf eine bestimmte Dauer beschränkt, noch vermochte der klagende Gesellschafter (einer von 150) sich der Verpflichtung durch Abtretung des Geschäftsanteils zu entziehen, zu der er der Zustimmung der Gesellschaft bedurft hätte. Nachdem die Beitrittentscheidung einmal erfolgt war, zwang die Bindung die einzelnen Rübenbauern permanent zum Rübenanbau und der Erfüllung von Ablieferungsvorgaben in Form von „Pflichtrüben“ nach einem bestimmten Plan. Ein selbstständiges Ausscheiden aus dem Anbaukollektiv war nicht zulässig, erst Recht keine Kündigung der Gesellschaft oder der Nebenpflicht. In allen bedeutenden Fragen besaß das Kollektivs der „Generalversammlung“ ein Letztentscheidungsrecht. Zugelassen wurde hingegen die lediglich zehnjährige Bindung in BGH NJW-RR 2012, 626 (Mastkükenbrüterei). 134 Auch Gutmann erwägt den Gesichtspunkt des Normenschutzes als Grenze der Selbstbeschränkung von Freiheit und rekurriert hier insbesondere auf den Schutz der „Orientierungssicherheit über die tragenden normativen Grundlagen des Gemeinwesens“, Gutmann, Iustitia Contrahentium, Kap. 3. Vgl. zudem Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 124. 135 In Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 51 ff.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

stimmten Fallgestaltungen eine strukturelle Gleichheit von staatlich und privat ausgeübter Macht ausmacht136, die er als „privatheteronome Gestaltungsmacht“ bezeichnet137.

Wirtschaftskartellen gelingt es durch ihre Marktmacht, nicht nur die Verhältnisse der Vertragspartner zu regeln, sondern darüber hinaus auch marktwirtschaftliche Strukturen zu verändern und eine andere Ordnung an ihre Stelle zu setzen. Sie besitzen somit eine Strukturwirkung, die sich gegen die vom Gesetzgeber gewollte Ordnung richtet. 4. Private Rechtssetzung durch langfristig bindende Standardregelungen Auch langfristig bindende Verträge können eine Strukturwirkung für einen bestimmten Sachbereich entfalten, wenn sie hier zu Standardregelungen werden. a) Langfristige Bindungen Langfristige Vertragsbindungen wirken über die Regelung konkreter Fallgestaltungen hinaus, indem sie das Verhältnis der Rechte und Pflichten der Parteien innerhalb der Beziehung dauerhaft festschreiben, anstatt sie wechselnden Verhandlungserfolgen zu überlassen. Sie regeln die Rechtsbeziehung abstrakt. Langfristige Bindungen stellen als solche für die privatautonome Ordnung des Zivilrechts keine Gefahr dar. Sie wirken nur relativ und besitzen damit einen klar begrenzten persönlichen Anwendungsbereich. Sie können gerade aufgrund ihrer abstrakten Regelungswirkung wichtige Funktionen innerhalb der Rechtsordnung übernehmen, so etwa im Fall des wohnungsbaufördernden Erbbaurechts138, in Fällen wie dem einer rechtlich abzusichernden Stromdurchleitung139 oder bei Wärmeversorgungsverträgen140.

b) Standardregelungen Unterschiedliche Gründe können dazu führen, dass ein Großteil der Verträge in einem Sachbereich vergleichbare Standardregelungen enthalten. Ein wich136

So folgert Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 312 über Hanau. Zum heteronomen Potenzial privatrechtlichen Handelns auch Bachmann, Private Ordnung, S. 300 ff. 137 Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 68; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1034, 1041, Fn. 69. Er fasst diese jedoch wohl zu weit, wenn er sie theoretisch bereits im staatlichen Geltungsbefehl zur Rechtsverbindlichkeit privaten Willens verortet. Dieser Pfad führt dazu, jede private Freiheit unter Verhältnismäßigkeitsvorbehalt zu stellen. Dementsprechend hat Hanau auch Schwierigkeiten zu begründen, weswegen dies wiederum „keine weitergehenden Konsequenzen haben [soll] als diese nicht ohnehin schon im System der Privatautonomie angelegt ist“, vgl. Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 312 über Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 69. 138 Johow, Vorentwurf II, S. 1090. 139 BGH, Beschluss vom 15.09.2009 – VIII ZR 241/08 –, juris (Stromdurchleitung). 140 BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag).

F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen

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tiges, aber nicht das einzige Beispiel sind Allgemeine Geschäftsbedingungen, die von Vertragsgegnern aus mangelndem Interesse an Geschäften akzeptiert werden, die für sie eine vergleichsweise geringe ökonomische Bedeutung besitzen, weil sie sie seltener abschließen. Auch die Marktmacht einer Seite kann Standardregelungen hervorbringen, beispielsweise könnten Verkäufer aufgrund eines knappen Angebots in der Lage sein, bei jedem abgeschlossenen Geschäft zwischen Unternehmern individualvertraglich umfangreiche Ausschlüsse des Gewährleistungsrechts durchzusetzen. Unabhängig davon, ob wirtschaftliche, soziale oder verhandlungsökonomische Prozesse für die Gleichrichtung der Vertragsbedingungen verantwortlich sind, erlangen Regelungen auf diese Weise in der Rechtspraxis einen generellen Anwendungsbereich. Da die Vertragspartner derartigen Standardbedingungen in jedem einzelnen Vertrag freiwillig zustimmen müssen – ihre Geltung sich also weiterhin individuell herleitet –, ist ihre generelle Wirkung unbedenklich. Dies gilt nicht nur für Allgemeine Geschäftsbedingungen, sondern auch für ungünstige Vertragsbedingungen, die Produkt des wirtschaftlichen Verhandlungsübergewichts einer Seite sind. Denn es ist Zeichen einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Ordnung, wenn die Vertragskonditionen mit den Schwankungen von Angebot und Nachfrage wechseln.

c) Langfristige Bindung als Standardregelung Wenn ein Vertragsteil dem anderen wirtschaftlich, sozial oder verhandlungsökonomisch überlegen ist, kann er seine Verhandlungsmacht dadurch konservieren, dass er sie zur Vereinbarung langfristiger Bindungen einsetzt. Wenn diese Überlegenheit typisch für Verträge eines Sachbereichs ist, können langfristige Bindungen hier zu Standardregelungen werden. Denn für jeden einzelnen Vertragspartner, der diese Überlegenheit besitzt, ist es rational, langfristige Bindungen individuell einzufordern, und die kollektiv bestehende Unterlegenheit der anderen Seite wird hierdurch kontinuierlich verstärkt. Bestünden keine Bindungsgrenzen, dürften beispielsweise Arbeitgeber in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ihre Überlegenheit in Einstellungsverhandlungen dafür einsetzen, Stammkräfte besonders lang an sich zu binden. Dies verschlechterte in Zukunft insbesondere die Verhandlungsposition von Berufsanfängern, die deswegen ihrerseits eine höhere Bereitschaft entwickelten, langfristigen Bindungen zuzustimmen. Weil sich die Entwicklung zur Vereinbarung langfristiger Bindungen selbst verstärkte, könnten langfristige Kündigungsausschlüsse in einem bestimmten Sachbereich auf diese Weise zu Standards werden, die durch individuelles Verhandeln nicht mehr vermieden werden können. Solange die Arbeitsplätze rar und die Arbeitslosigkeit hoch blieben, fiele diese Veränderung nicht wesentlich ins Gewicht, denn die wirtschaftlichen Anreize, zu kündigen, wären ohnehin gering. Die langfristigen Bindungen bestünden jedoch auch dann noch, wenn die Konjunktur wechselte.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

Damit erwerben langfristige Bindungen als Standardbedingungen eine Strukturwirkung141 und können die vom Gesetzgeber gewollte objektive Wirksamkeit bestimmter Freiheiten beseitigen. Wenn die formal bestehende Kündigungsfreiheit der Arbeitnehmer in einem Wirtschaftszweig rechtspraktisch immer seltener wird, dann gestaltet dies die Berufsfreiheit um, die Teil der Privatrechtsordnung ist. 5. Keine subjektive Realisierbarkeit objektiver Freiheiten Was diese dauerhaften Bindungen beseitigen, ist jedoch nur die Realisierbarkeit der objektiven Freiheiten und ob sich die objektiv geltenden Freiheiten der Zivilrechtsordnung realisieren lassen, wird vom Gesetz im Grundsatz ignoriert. Manche Freiheiten, die der Staat formal gewährt und achtet, erlangen zwar erst dann einen Sinn, wenn auch die sozialen Mindestvoraussetzungen ihrer Ausübbarkeit bestehen142. Vertragsfreiheit zu genießen hängt davon ab, in einer freiheitlichen Gesellschaft zu leben und unbeeinträchtigt mit grundsätzlich kooperationswilligen Partnern verhandeln zu können. Robinson Crusoe muss Subsistenzwirtschaft betreiben, auch wenn er formal Vertragsfreiheit genießt; ein ehemaliger Sklave, dem niemand etwas abkauft oder Arbeit anbietet, gelangt nicht in den Genuss seiner formalen Berufsfreiheit.

Trotzdem kann sich das Zivilrecht gegenüber sozialen Verhältnisse neutral verhalten, weil wirtschaftliche und soziale Machtverhältnisse so wechselhaft und mögliche Vertragspartner so zahlreich sind, dass im Regelfall jeder Einzelne auf Dauer ausreichend Gelegenheit bekommt, Verträge zu Konditionen abzuschließen, die stärker durch seinen Willen bestimmt werden als durch die Verhandlungsmacht seines Gegenübers. Die zumindest vorübergehende subjektive Realisierbarkeit der objektiven Freiheiten bleibt als Perspektive gewahrt. Dies gilt auch für Verträge, die typischerweise eine stärkere Seite kennen, weil auch deren Verhandlungsstärke Schwankungen unterliegt, die insbesondere der Entwicklung von Angebot und Nachfrage folgen.

Das Zivilrecht kann dank dieser Wechselhaftigkeit tatsächlicher Verhältnisse objektive Freiheiten damit vereinbaren, die Marktgesetzlichkeiten unangetastet zu lassen und gegenüber sozialen Verhältnissen liberal zu bleiben. Die Vertragsfreiheit erfüllt bei Schwankungen im Umfang ihrer tatsächlichen Realisierbarkeit gerade ihre marktwirtschaftliche Funktion. 141

Vgl. auch Bachmann, Private Ordnung, S. 330 ff. Auch Gutmann weist in seiner Auseinandersetzung mit dem Problem der Selbstbeschränkung von Freiheit darauf hin, „dass individueller Freiheitsgebrauch nicht voraussetzungsfrei ist, sondern in den Interaktionszusammenhang einer konkreten Rechtsgemeinschaft eingebunden ist“, Iustitia Contrahentium, Kap. 3. Vgl. hierzu auch Wielsch, Freiheit und Funktion, S. 188. 142

F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen

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Das Recht kann es der Wechselhaftigkeit tatsächlicher Verhältnissen allerdings nur überlassen, die tatsächliche Realisierbarkeit objektiver Freiheiten zu gewährleisten, nicht jedoch auch die rechtliche Realisierbarkeit objektiver Freiheiten. Denn mit der Grenzenlosigkeit langfristiger rechtlicher Bindungen ließe der Gesetzgeber auch zu, dass die bestehenden wirtschaftlichen und gegenwärtigen Machtverhältnisse festgeschrieben würden. Damit können langfristige Bindungen die Perspektive beseitigen, dass sich vom Gesetzgeber gewollte Freiheiten realisieren lassen. Nur die Wechselhaftigkeit der tatsächlichen Verhältnisse gewährleistet, dass überlegene Verhandlungsmacht erstens sachbedingt ist und beispielsweise darauf beruht, dass Arbeitgebern mit zunehmender Arbeitslosigkeit auch eine zunehmend wichtige Funktion zufällt. Zweitens gefährden langfristige Bindungen auch die soziale Durchlässigkeit, die Machtgefälle mit dem Gebot der Chancengleichheit vereinbar hält, weil beispielsweise ein langjähriger Arbeitnehmer die Freiheit besitzt, seine Stelle zu kündigen und sich selbst als Arbeitgeber zu versuchen. Drittens bleiben Machtgefälle durch die Wechselhaftigkeit der tatsächlichen Verhältnisse „prekär“, weil Prärogative, die sich eine soziale Gruppe hat kollektiv einräumen lassen, ihr in anderen Konjunkturen wieder abgehandelt werden können143. 6. Objektive Eigentums-, Berufs- und wirtschaftliche Bewegungsfreiheit Es lassen sich einige Beispiele für grundlegende Freiheiten der Privatrechtsordnung finden, die gegenüber langfristigen Bindungen anfällig sind. Die Eigentumsfreiheit ist in besonderem Maße darauf angewiesen, dass die subjektiven Rechte des Eigentümers nicht durch ein Geflecht von Bindungen und Nutzungsrechten anderer überlagert werden, mit denen Generationen von Inhabern die Sache belastet haben. Die Berufsfreiheit ist eine Freiheit, die in besonderem Maße von der Abschlussbereitschaft anderer abhängt. Unternehmerische Freiheit ist in besonderem Maße auf die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit Selbstständiger angewiesen, die eigenständig über geschäftliche Weichenstellungen entscheiden. Wenn diese grundlegenden Freiheiten nicht mehr objektiv – also nicht zugunsten eines bestimmten, sondern zugunsten des jeweiligen Inhabers – erhalten bleiben, verändert sich auch der Stellenwert der Selbstbestimmung in der Privatrechtsordnung. Dies ist nicht per se unzulässig. Will dies jedoch ein Gesetzgeber verhindern, der einerseits auf die objektive Wirksamkeit von Freiheiten setzt und andererseits die Neutralität des Zivilrechts gegenüber 143

Vgl. hierzu Engel, Soziale Funktion des Eigentums, S. 68: „In einer Marktwirtschaft gibt es keine dauerhafte gesellschaftliche Macht. Vorsprungsgewinne vernichtet der imitierende Wettbewerb. Wer heute Marktführer ist, kann diese Stellung morgen schon durch Geschicklichkeit und Erfindungsreichtum eines aktuellen oder potenziellen Wettbewerbers einbüßen.“

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

sozialen Verhältnissen wahren will, kann er dies erreichen, indem er für besondere Vertragstypen Bindungsgrenzen einführt. II. Einwände 1. Keine Rechtsverletzung Dritter im Sinne des Schadensprinzips a) Darstellung des Einwands Man könnte gegen den dargestellten Vorschlag einwenden, dass er das Schadensprinzip („harm principle“) verletze. Da Verträge regelmäßig nur die beteiligten Parteien beträfen und diese freiwillig handeln, würde durch langfristige Bindungen niemand geschädigt und Freiheitseinschränkungen hätten daher unzulässig zu sein. Denn „[w]enn […] meine Handlung, oder überhaupt mein Zustand mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, so thut der mir Unrecht, der mich daran hindert“.144 Selbst wenn langfristige Bindungen die Realisierbarkeit der Freiheiten Dritter beeinträchtigen könnten, sei dies kein Schaden, sondern allenfalls eine unbeachtliche Beeinträchtigung von Interessen Dritter. Denn niemand habe ein Anrecht (1) auf die Nichtselbstbindung eines anderen (2). aa) Schaden nur bei Rechtsverletzungen Dem Schadensprinzip selbst lässt sich nicht entnehmen, worin ein Schaden besteht; also welches Interesse im Konfliktfall als „geschädigt“ geschützt werden soll und welches entgegengesetzte Interesse lediglich für den entgangenen Vorteil eines Schädigers steht. Mill geht nur dann von einem Schaden aus, wenn Interessen beeinträchtigt werden, „which, either by express legal provision or by tacit understanding, ought to be considered as rights.“145. Auch Feinberg nimmt an, „that no plausibly interpreted harm principle could support the prohibition of actions that cause harms without violating rights“146.

Der Grund für diese Beschränkung auf Rechte ist, dass nicht jedes enttäuschte Interesse bereits eine Freiheitsbeschränkung rechtfertigen kann. Auch im legitimen marktwirtschaftlichen Wettbewerb beeinträchtigt der Erfolg des Konkurrenten das eigene Interesse an Gewinn147. Wenn das Rechtssystem selbst die Vorstellungen eines pikierten Nachbarn zum Anlass von Interventionen nehmen könnte, liefe das Schadensprinzip leer.

144

Kant, MdS, S. 230. Mill, On Liberty, S. 213 (Herv. d. Verf.). 146 Feinberg, Harm to Others, S. 36 f. 147 Ebd. 145

F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen

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bb) Verträge verletzen keine Rechte Dritter Danach könnten prävalente langfristige Bindungen Dritte nicht schädigen, weil der Nichtvertragsschluss eines Gebundenen allein Teil von dessen Freiheitssphäre sei, nicht Teil der Freiheitssphäre zukünftiger Vertragsinteressenten oder Eigentümer. Diese hätten keine geschützte Rechtsposition daran, dass sich eine bestimmte Person mit ihnen vertragsbereit halte oder ihre Sache bindungsfrei. Es mache keinen Unterschied, ob diese mit ihnen keinen Vertrag abschließe, weil sie sich bereits an einen anderen gebunden habe oder weil sie mit niemandem abschließen will148. b) Erwiderung Der Schutz objektiver Freiheiten lässt sich mit dem Schadensprinzip vereinbaren, weil dieses die Realisierbarkeit der Freiheiten Dritter mitberücksichtigen muss. Ein Schadensprinzip, dass nur formale Beeinträchtigungen subjektiver Rechte berücksichtigt, aber nicht zumindest prinzipiell auch ein Unterschreiten der Mindestanforderungen ihrer sozialen Realisierbarkeit, schützt subjektive Rechte nur unvollständig. Denn vor einem derart formalen Schadensprinzip wäre auch das Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen nicht mehr zu rechtfertigen. Weil niemand ein Recht darauf hat, dass andere mit ihm Verträge schließen, verletzt auch die Preispolitik eines Kartells formal kein Recht anderer. Ob Einzelne oder die Allgemeinheit ein Recht oder ein durch das Schadensprinzip geschütztes Interesse daran haben, dass die Kartellbeteiligten ihnen Vertragsschlüsse zu Wettbewerbsbedingungen anbieten, ist im Ergebnis unerheblich. Falls man eine derartige Rechtfertigung des Kartellierungsverbots akzeptiert, könnte das Schadensprinzip nach jeder dieser Konstruktionen auch einen Schutz objektiver Vertragsfreiheit vor prävalenten Bindungen erlauben.

Auch wenn der Einzelne kein Recht auf konkrete Vertragsangebote oder Eigentum an bestimmten Gegenständen hat, hat er ein schutzwürdiges Interesse daran, überhaupt eine realisierbare Chance auf ein gleichrangiges Abschließen von Verträgen oder auf die Begründung freien Eigentums zu besitzen. Das Schadensprinzip schützt nicht nur den Inhalt subjektiver Rechte, sondern auch die Regeln, nach denen sie bestehen. 148 Anderer Ansicht wäre möglicherweise Feinberg, Harm to Self, S. 22 f., der den Verteidigern eines Forts im Angriffsfall das Recht auf Selbstmord verwehren will. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass ein liberaler Antipaternalismus immer auch ein größeres Recht des Einzelnen an sich selbst voraussetzen muss als das Interesse der Allgemeinheit beträgt. So kann beispielsweise die Allgemeinheit durch privates Verhalten Einzelner Beeinträchtigungen erleiden, wenn sie aufgrund viktorianischer Moralvorstellungen an homosexuellen Praktiken Anstoß nimmt. Darauf kann es bei einem Verbot homosexueller Praktiken jedoch nicht ankommen, weil der Einzelne ein vorrangiges Recht auf seine eigene sexuelle Freiheit besitzt.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

2. Institutionelles Rechtsdenken a) Darstellung des Einwands Raiser hat im 20. Jahrhundert – ähnlich wie Jhering im 19. – gefordert, neben subjektiven Rechten auch Institutionen als Gestaltungsprinzip des Rechts anzuerkennen149 und den Gebrauch der subjektiver Rechte auf den Zweck der Institutsgewährung zu begrenzen150. Wer die Vertragsfreiheit zur Aufhebung der Vertragsfreiheit benutzt, könnte danach „Institutsmissbrauch“ betreiben151. Dieser Vorschlag ist in der Literatur als „Institutionelles Rechtsdenken“ stark kritisiert worden152. Diese Kritik könnte sich auch gegen den hier vorgeschlagenen Schutz objektiver Freiheiten richten, denn auch Raiser hält – anders als Jhering – nur ausgewählte Institute für objektiv zwingend 153. Zudem klingt auch bei Raiser eine Herleitung aus dem Schutz der Privatrechtsordnung an, wenn er mit diesen Instituten „[d]iejenigen Ordnungsgefüge [schützen will], die den festen Rahmen für unser ganzes gesellschaftliches oder wirtschaftliches Leben abgeben“ und die das 19. Jahrhundert als „allgemeine und gleiche Rechts- und Handlungsfähigkeit“ erstritten hat. Gegen Raisers Anliegen wurde eingewandt, dass institutionelles Rechtsdenken – einmal anerkannt – dem Rechtsanwender verdeckte Rechtspolitik ermögliche154. Statt sich darauf zu beschränken, aus Instituten strikt den „Wertungsplan des Gesetzgebers“155 zu ermitteln, eröffne die Argumentation mit dem unbestimmten „Wesen“156 des Instituts „unbegrenzte Auslegung[smöglichkeiten]“157. Hierdurch verlören subjektive Rechte ihren materialen Gehalt und böten keinen Schutz mehr gegenüber dem Zugriff des Rechtsanwenders158. Dieser Kritik lässt sich hinzufügen, dass die Einführung eines konkurrierenden privatrechtlichen Gestaltungsprinzips subjektive Rechte zudem auch konstruktiv relativierte. 149

Raiser, Institutionenschutz, S. 148 f. Ebd., S. 152. 151 Ebd., S. 152 ff. 152 Vgl. Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 277 ff., 291 f.; ders., Institutionelles Rechtsdenken, passim. 153 Er grenzt sie ab von Instituten, „die von der Rechtsordnung zu organisatorischen Einrichtungen ausgeformt, aber nicht zwingend angeordnet sind, deren Gebrauch vielmehr den Parteien freisteht“, Rüthers, Unbegrenzte Auslegung., S. 164. 154 Fischer, RInstRd; S. 22; Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 45, 52, 63, passim. 155 Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 40. 156 Rüthers, a.a.O, S. 32. 157 Rüthers, a.a.O., S. 45 ff.; Fischer, RInstRd, S. 10: „Wird für die Rechtsfindung der Geist, der Charakter, die Natur oder das Wesen einer Institution beschworen, so erscheint, wenn denn überhaupt etwas erscheint, allenfalls der Geist des Beschwörenden.“ 158 Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 63 ff. 150

F. Schutz objektiver Freiheiten als Rechtfertigung der Bindungsgrenzen

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b) Erwiderung Der hier vorgeschlagene Schutz objektiver Freiheiten ist mit dem theoretischen Ansatz des institutionellen Rechtsdenkens nicht vergleichbar. Die objektiven Freiheiten des Privatrechts sollen kein weiteres konstruktives Gestaltungsprinzip des Privatrechts bilden, sondern einen Schutzzweck, den der Gesetzgeber bei der Einräumung eines subjektiven Rechts auf Kündigung verfolgt. Nach der hier vorgetragenen Argumentation soll ihnen auch kein Eigenwert zukommen, der gegen individuelle Interessen ausgespielt werden kann, sondern eine Stellvertreterfunktion für das Interesse Dritter am Erhalt ihrer Handlungsspielräume. Anders als im „institutionellen Rechtsdenken“ sollen objektive Freiheiten damit ebenfalls nicht dazu dienen, den Wortlaut des Gesetzes zu überspielen, sondern die in ihrem Wortlaut unzweifelhafte gesetzgeberische Entscheidung für Bindungsgrenzen erklären, für die sich nur schwer ein anderer „Wertungsplan des Gesetzgebers“ – ganz im Sinne Rüthers – ermitteln lässt. Wer dem Gesetzgeber zumindest prinzipiell zugesteht, auch im Privatrecht objektive Freiheiten schützen zu dürfen, gefährdet auch deswegen keine rechtsstaatlichen Grundsätze, weil sich das Privatrecht aufgrund der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten ohnehin bereits mit der objektiven Dimension von Vertrags-, Berufs- und Eigentumsfreiheit auseinandersetzen muss. 3. Weitere Einwände G. Dworkin akzeptiert Beschränkungen der Vertragsfreiheit als nichtpaternalistisch, wenn sie erforderlich sind, um das spieltheoretische Dilemma159 von Unterschieden in kollektiv und individuell rationalem Verhalten zu überwinden160. Man könnte dies für den vorzugswürdigen Weg halten, Bindungsgrenzen zu begründen. Langfristige Verträge sind ein Werkzeug zur Verdauerung wirtschaftlicher Macht gesellschaftlicher Gruppen. Für deren Antagonisten ist es unter Modellannahmen kollektiv sinnvoll, sich derartigen Bindungen zu verweigern, um bei veränderten wirtschaftlichen Umständen einen Wechsel der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zu ermöglichen; individuell hängt dies jedoch von der jeweils angebotenen Gegenleistung ab. Der theoretische Nachteil dieses Begründungswegs ist jedoch, dass die Argumentation mit einem „eigentlichen“ kollektiven Willen schwer eingrenzbar ist. Man könnte weiter argumentieren, dass die Beeinträchtigung der objektiven Vertragsfreiheit durch langfristige Bindungen ein reines Wettbewerbsproblem darstellt, dem deswegen auch allein nach kartellrechtlichen Grundsätzen begegnet werden sollte161. Sich selbst kollektiv verstärkende 159

Kollock, Annual Review of Sociology (1998) 24, 183, 185 f. G. Dworkin, Paternalism 1972, S. 278 ff. 161 S. zur sog. „Bündeltheorie“ noch unten, Kap. 3, G.I.4 Wettbewerbsschutz. 160

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

Verhandlungsungleichgewichte können jedoch bereits im Vorfeld kartellrechtlich relevanten Fehlverhaltens entstehen, wo es sich um ein Problem der zivilrechtlichen Ordnung insgesamt handelt. Nach kartellrechtlichen Prinzipien allein ließen sich die Bindungsgrenzen des BGB nicht konstruieren. So setzen diese anders als die daneben bestehenden speziellen kartellrechtlichen Bindungsgrenzen beispielsweise nicht voraus, dass der einzelne begrenzte Vertrag einen wesentlichen Beitrag zur gesamten Verkrustung des Marktes leistet. Schließlich ließe sich gegen den dargestellten Vorschlag einwenden, dass die Argumentation mit der Realisierbarkeit objektiver Freiheiten die Trennung von Sein und Sollen verletze: Die mangelnde Realisierbarkeit objektive Freiheiten könne deren Geltung nicht beeinträchtigen, weil es sich um eine reine Frage ihrer Wirksamkeit handele162. Daher könne sie kein normatives Argument für Bindungsgrenzen sein. Wenn jedoch der Gesetzgeber selbst geltende Freiheiten wirksam erhalten möchte, darf er zu diesem Zweck zusätzliche geltende Normen wie Bindungsgrenzen schaffen. III. Ergebnis Einige Freiheiten des Privatrechts könnte der Gesetzgeber nicht nur subjektiv als disponible Freiheiten gewähren, sondern auch objektiv als indisponible Freiheiten schützen wollen. Diese objektiven Freiheiten müssen nicht zwingend oder denknotwendig geschützt werden. Auch die Privatrechtsordnung als ganze könnte disponibel sein und die inhaltliche Reichweite von Instituten wie der Eigentumsfreiheit könnte mit der Zeit wechseln. Wenn der Gesetzgeber allerdings Bindungsgrenzen erlassen hat, lassen sich diese sinnvoll dadurch erklären, dass sie objektive Freiheiten schützen sollen. Denn durch Bindungsgrenzen entstehen die ursprünglich eingeräumten Freiheiten zyklisch neu und bleiben somit ein Strukturmerkmal der Privatrechtsordnung. Durch Bindungsgrenzen kann der Gesetzgeber subjektiven Freiheiten eine objektive Wirksamkeit bewahren, die das Allgemeininteresse an der kollektiven Möglichkeit individueller Freiheit schützt.

G. Zwischenfazit G. Zwischenfazit

Die Prämissen dieser Untersuchung waren nicht zwingend. Man kann einen „harschen Antipaternalismus“163 in der Suche nach den Zielen zivilrechtlicher Regelungen schon deswegen für überholt halten, weil der Gesetzgeber selbst sich diesem nicht kompromisslos verpflichtet fühle. Man kann es weitergehend auch explizit für richtig halten, dass der Gesetzgeber dem Einzelnen bei 162 163

Vgl. Kelsen, RR, S. 83, passim. Quante, Anti-Paternalismus, 73.

G. Zwischenfazit

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der Ausübung seiner Freiheitsrechte maßvolle Hilfestellungen leistet. Schließlich kann man die Bindungsgrenzen als paternalistische Bestimmungen rechtspolitisch kritisieren. Wenn man weder den antipaternalistischen Anspruch noch die Bindungsgrenzen aufgeben möchte164, gerät man in Schwierigkeiten, weil eine langfristige Bindung ebenso freiwillig übernommen wird wie jede andere. Diese Untersuchung soll einen Weg anbieten, Bindungsgrenzen trotzdem zu rechtfertigen. Danach schützt der Gesetzgeber Freiheiten, die die Privatrechtsordnung konstituieren, durch Bindungsgrenzen davor, ihre objektive Wirksamkeit zu verlieren. Hinter den Bindungsgrenzen steht danach nicht das einleitend beschriebene Paradoxon der Freiheit von und zur Bindung, sondern der Konflikt der objektiven mit der subjektiven Freiheitsgeltung. Dieser Konflikt beruht darauf, dass objektive Freiheit die Bedingung ihrer subjektiven Möglichkeit ist. Wenn die Erklärung der Bindungsgrenzen und ihre Herleitung zutrifft, dann wird das Gesetz langfristige Bindungen in solchen Verträgen begrenzen, die typischerweise in wirtschaftlichen, sozialen oder verhandlungsökonomischen Ungleichgewichtslagen abgeschlossen werden und elementare Freiheiten des Privatrechts subjektiv beschränken. Welche objektiven Freiheiten der Gesetzgeber schützt, ist eine Frage des positiven Rechts. Prinzipiell muss daher für jede Bindungsgrenze untersucht werden, ob der Schutz einer objektiven Freiheit sie am überzeugendsten erklärt.

164

Laut Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 84, wird diese Position weithin geteilt, so soll nach der herrschenden Lehre im staatsrechtlichen Schrifttum in die „Freiheit zur vertraglichen Selbstbindung bei hinreichend freier Selbstbestimmung aus auschließlich paternalistischen Motiven in keinem Fall eingegriffen werden [dürfen]“ während in der „Zivilrechtslehre […] weitgehende Einigkeit dahingehend [bestehe], dass in Extremfällen oder andernfalls ‚untragbaren Ergebnissen‘“ – wie bei „‚Knebelungsverträgen‘ […], die die wirtschaftliche Freiheit des einen Teils so sehr beschränken, dass dieser seine freie Selbstbestimmung ganz oder im Wesentlichen einbüßt“ – „ein übermäßig belastender Vertragsschluss zum Schutze der belasteten Partei jedenfalls korrigiert werden darf“. Dieser Widerspruch ist bisher weder überzeugend überwunden noch aufgelöst worden.

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2. Kapitel: Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

3. Kapitel

Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten A. Ziele und Vorgehen A. Ziele und Vorgehen

Im Hauptteil der Arbeit soll ermittelt werden, welche Zwecke der Gesetzgeber mit exemplarisch ausgewählten Bindungsgrenzen verfolgt. Der Zweck gesetzlicher Bestimmungen ist ein Zentralbegriff, an dem Auslegung, Rechtsfortbildung und Kritik ansetzen. Indem dieser Abschnitt den gegenwärtigen Zweck jeder der besonderen Bindungsgrenzen entwickelt, leistet er somit Vorarbeit für die weitere Ausarbeitung und Fortentwicklung der Dogmatik zu den einzelnen Bindungsgrenzen (hierzu einleitend Kap. 4, B.). Darüber hinaus lässt sich auch die Frage der Verallgemeinerbarkeit der einzelnen Bindungsgrenzen zu einer allgemeinen Bindungsgrenze nur im Hinblick auf die Zwecke der besonderen Bindungsgrenzen beantworten (vgl. Kap. 4, A.). Ob die einzelnen Bindungsgrenzen schließlich die abstrakten Legitimitätsgrenzen für Bindungsgrenzen einhalten (Kap. 2.), lässt sich nur dadurch überprüfen, die jeweiligen Zwecke der besonderen Bindungsgrenzen zu ermitteln. Für die einzelnen Bindungsgrenzen bieten sich regelmäßig eine Reihe unterschiedlicher Zwecke als Erklärungen an. Für praktische Zwecke wird es in einer solchen Situation in der Regel ausreichen, anzunehmen, dass die Vorschrift eine Mehrzahl von Zwecken fördere und sich eine Systematisierung als „schematische Betrachtung“ erübrige. Während der rechtsanwendende Zugriff auf die Bindungsgrenzen die genauen Wechselbeziehungen sowie Schwerpunkte der Zweckverfolgungen in diesen Fällen offen lassen kann und als Spielraum künftiger Rechtsentwicklung auch offen halten wird, muss sich eine theoretische Untersuchung entscheiden und gegebenenfalls für jede Bindungsgrenze das Verhältnis ihrer Zwecke ermitteln. Die einzelnen Zwecke werden dazu nacheinander dargestellt und im Ausgangspunkt darauf überprüft, ob sie sich mit der Intention des historischen Gesetzgebers in Einklang bringen lassen. Bedeutung hat dies jedoch nur, wenn der Zweck im nächsten Schritt auch die gesamte Regelung – insbesondere einschließlich ihrer nachfolgenden Fortentwicklung durch die Rechtsprechung – sparsam und widerspruchsfrei erklärt. Die (höchstrichterliche) Rechtsprechung soll der Zweckermittlung hierbei zunächst als Prämisse die-

60

3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

nen, die Richtigkeit ihrer Ergebnisse – nicht notwendig auch ihrer Begründungen – also unterstellt werden. Der entscheidende Prüfungsschritt für jede Erklärung ist drittens, ob sich die derart erklärte Regelung plausibel in die übrigen Wertungen und Maßgaben des Rechtsbereichs einfügt, weil zu vermuten ist, dass das Recht als folgerichtiges gewollt ist1. An diesem Anspruch muss auch die Rechtsprechung sich messen lassen. Zu den insoweit zu berücksichtigenden Wertungen gehört auch das Prinzip der Privatautonomie, sodass dieser Abschnitt (Kap. 3) und der vorherige (Kap. 2) insoweit in einem nicht völlig auflösbaren Verhältnis wechselseitiger Bestätigung und Widerlegung stehen.

B. Zweck der Bindungsgrenze in Arbeits- und sonstigen Dienstverträgen (§ 624 S. 1 BGB, § 15 IV S. 1 TzBfG) B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

I. Einleitung 1. Regelung Nach § 624 S. 1 BGB hat jeder Dienstverpflichtete nach spätestens fünf Jahren ein von wichtigen Gründen unabhängiges Kündigungsrecht. Dies galt und gilt insbesondere für Arbeitnehmer, wie seit 2001 § 15 IV S. 1 TzBfG ausdrücklich anordnet2. Gemeinsam enthalten §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG eine der stärksten Wertungen aller Bindungsgrenzen: Nach 5 Jahren kann jeder Dienstverpflichtete frei entscheiden, ob er an seiner bisheriger Stelle bleiben oder wechseln möchte, unabhängig davon, was er seinem Vertragspartner versprochen hat, welche Vergünstigungen dieser ihm im Gegenzug gewährt hat und welchen möglicherweise betriebsgefährdenden Verlust der Abgang des Dienstverpflichteten für den Dienstberechtigten bedeutet. Ohne die Bindungsgrenze des § 624 S. 1 BGB könnten Arbeitnehmer sich statt für 5 Jahre bis an ihr Lebensende binden3. 2. Mögliche Erklärungen Vier mögliche Erklärungen des § 624 S. 1 BGB sollen hier näher untersucht werden. Zunächst könnte man vermuten, dass § 624 S. 1 BGB Beschäftigte vor Maßregelung bewahren (1. Schutz vor Subordination) oder ihnen einen 1

Vgl. R. Dworkin, LE, und Jakl, Recht aus Freiheit, S. 32 ff. Zur lediglich klarstellenden Wirkung des § 15 IV TzBfG BT-Drs. 14/4374, S. 20; vgl. auch etwa Staudinger/Preis, § 624, Rn. 3: „Die Vorschrift ist im Interesse einer zusammenhängenden und überschaubaren Regelung aller befristeten Arbeitsverhältnisse in das TzBfG übernommen worden“. 3 Wegen der grundsätzlichen Höchstpersönlichkeit der Dienstleistungspflicht (§ 613 S. 1 BGB) ist diese nicht vererblich, Jauernig/Mansel, § 611, Rn. 6. 2

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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Anteil an den Vorteilen verschaffen möchte, die die Fertigkeiten und Kenntnissen bieten, die sie im Zuge ihrer Tätigkeit oder aufgrund besonderer Fortbildungsmaßnahmen erworben haben (2. Besonderheit Investitionen in Beschäftigte). Die Verfasser des § 624 S. 1 BGB gaben jedoch zwei andere Gründe für die Vorschrift an: In der Ersten Kommission genannt wurden „sozialpolitische und volkswirthschaftliche Gründe“4 (3. Optimale Allokation der Arbeitskraft als volkswirtschaftliche Erklärung und 4. Wettbewerbsschutz als volkswirtschaftliche Erklärung), die Zweite Kommission ergänzte den „Schutz der persönlichen Freiheit“5 (5. Schutz der Freiheit des Dienstverpflichteten). II. Erklärungsmodelle der §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG 1. Schutz vor Subordination Die Tätigkeitsbindungsgrenze könnte zunächst dazu dienen, eine überobligatorische Unterwerfung des Dienstleisters unter Weisungen und Erwartungen des Dienstberechtigten zu verhindern. Insbesondere ein Arbeitnehmer geriete durch die unkündbare Tätigkeitsverpflichtung in eine im Hinblick auf die Zukunft derart starke persönliche Abhängigkeit, dass er ggf. die Durchsetzung legitimer Rechtspositionen gegen das Wohlwollen seines Arbeitgebers abwöge6. Regelmäßig stehen dem Arbeitgeber umfangreiche Weisungsbefugnisse zu, die er nach freiem Ermessen zur Verfolgung eigener finanzieller Interessen ausüben darf. Der Arbeitnehmer kann sich dem Weisungsfluss des Arbeitgebers durch Kündigung entziehen, wobei er von einem Ungleichgewicht profitiert: Während ein Arbeitgeber durch Sozialvorschriften in seiner 4

Jakobs/Schubert, SR II, S. 806. „Es komme im Wesentlichen darauf an, zwischen dem berechtigten Interesse des Dienstherrn an der Aufrechterhaltung geschlossener Verträge und dem Rechte des Arbeiters auf Schutz seiner persönlichen Freiheit einen billigen Ausgleich zu treffen“, Protokolle II, S. 300 (Herv. d. Verf.). In den Materialien finden sich in diese Richtung auch noch weitere Hinweise, vgl. Denkschrift-BGB-Entwurf, S. 120: „Diese Gebundenheit darf indessen nicht dahin führen, dass die wirtschaftliche Freiheit des zur Leistung der Dienste Verpflichteten in unzulässiger Weise beschränkt wird“ (Herv. d. Verf.). Der Herabsetzung der Bindungsfrist von ursprünglich 10 Jahren auf 5 Jahre durch die Erste Kommission wurde ebenfalls damit begründet, dass eine zehnjährige Bindung „[den] Dienstnehmer übermäßig in der persönlichen Freiheit [beschränke] und [...] dem Gang der modernen Entwicklung [widerstrebe], die darauf gerichtet sei, die wirtschaftliche Freiheit des Arbeiters zu erweitern“ (Herv. d. Verf.). Auch im Bundesrat wurde § 624 S. 1 BGB als Vorschrift zum Schutz von „Freiheit und Selbstbestimmung“ des Dienstverpflichteten aufgefasst, Jakobs/Schubert S. 809. 6 Diesen Abhängigkeitsaspekt betont auch OLG Hamm DB 78, 1445, 1446. Zur Gefahr, dass der Arbeitgeber „eine zu starke Position bei der Auseinandersetzung mit dem Arbeitnehmer über die zukünftigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses“ erlangt BGH GRUR 1966, 263, 265 (Bau-Chemie). 5

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Kündigungsfreiheit eingeschränkt ist, ist ein Arbeitnehmer in der Ausübung seines Kündigungsrechts frei. Im Fall von Kündigungsausschlüssen gerät dieses Verhältnis aus dem Gleichgewicht. Die Weisungsbefugnisse des Arbeitgebers werden permanent, die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers ist aufgehoben. Durch § 624 S. 1 BGB bleibt dem Arbeitnehmer seine Verteidigungsmöglichkeit in zumindest suspendierter Form erhalten. Die Bindungsgrenze gewährte gegenwärtigen Schutz durch Wahrung zukünftiger Kündbarkeit. Auch die Protokolle legen nahe, dass der Schutz vor Subordination bei Erlass des § 624 S. 1 BGB eine Rolle gespielt hat7.

Gegen den Schutz vor Subordination als Zweck der heutigen Tätigkeitsbindungsgrenze spricht jedoch entscheidend, dass dieser Schutz keinen Eingriff in die Bindungsautonomie erfordert. Maßregelung oder Gängelung durch einen Arbeitgeber kann unmittelbar verboten und die Rechtsposition des Arbeitnehmers insgesamt gestärkt werden, statt nur Bindungszeiten zu verkürzen. Der Gesetzgeber ist diesen Weg gegangen und hat es Vorschriften wie dem Maßregelungsverbot des § 612a BGB übertragen, einen Arbeitnehmer bei der Ausübung seiner Rechte abzusichern. Nach heutiger Rechtslage ist daher anzunehmen, dass ein unkündbarer Arbeitnehmer – vom sozialen Arbeitsrecht geschützt – seine Rechte eher besonders selbstbewusst wahrnehmen wird, auch wenn er selbst ebenfalls nicht kündigen kann. 2. Besonderheit Investitionen in Beschäftigte Möglicherweise lässt sich die Akzeptanz bis zu fünfjähriger und die Begrenzung darüber hinausgehender Bindung durch § 624 S. 1 BGB mit der Eigenart von Investitionen in Beschäftigte erklären. Die im Grundsatz zulässige langfristige Bindung von Beschäftigten ermöglicht danach volkswirtschaftlich erwünschte Investitionen in Humankapital, indem sie den investierenden Beschäftigungsgebern eine Amortisationsperspektive bietet. Die Begrenzung der Bindung auf einen bestimmten Zeitraum wäre hingegen auf den Beitrag zurückzuführen, den der Beschäftigte selbst zu leisten hat. Investitionen in Beschäftigte kennzeichnet die Besonderheit, dass sie eine gemeinsame Anstrengung bilden. Eine Fortbildungsmaßnahme und Lernanstrengungen des Beschäftigten führen nur gemeinschaftlich zu einer Wertsteigerung zukünftiger Arbeitskraft. § 624 S. 1 BGB sicherte, dass dementsprechend auch beide Seiten von der resultierenden Wertsteigerung profitieren. Nach spätestens fünf Jahren würde der Verpflichtete an den Erträgen einer zwischenzeitlichen Steigerung seiner Leistungsfähigkeit beteiligt. Die gesetzliche Konzeption wäre demnach so zu deuten, dass sie eine angemessene Verteilung von Vorteilen und ausreichende Leistungsanreize für den Beschäftigten bezweckt. 7

Protokolle II, S. 299 f.

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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Auch die Rechtsprechung legt nahe, dass Investitionen und Bindungszeiten in einem Zusammenhang stehen. So hat das BAG in vergangenen Urteilen Arbeitgebern nachgerade empfohlen „die Ausbildung davon abhängig [zu] machen, daß ein Langzeitvertrag mit einer Laufzeit von bis zu fünf Jahren abgeschlossen wird (§ 624 S. 1 BGB) oder lange Kündigungsfristen vereinbart werden (§ 622 V BGB).“8 In Rechtssystemen, die keine § 624 S. 1 BGB vergleichbare Regelung kennen, haben diese Verteilungsfragen hingegen zu einschneidenden Entscheidungen geführt. Im historischen High-Court-Fall Warner Bros. Studios Incorporated v. Nelson [1937] 1 KB 209 („Bette Davis“) etwa versuchte die Schauspielerin Bette Davis vergeblich, sich von einer unkündbaren Bindung zu ihrem Studio zu befreien, die nach ihrem Engagement 1932 noch bis 1942 dauerte. Nach deutschem Recht ermöglichte § 624 S. 1 BGB dem Markt in diesen Fallgruppen, den gesteigerten Marktwert des Stars zu taxieren und ihn angemessen am Erfolg zu beteiligen. So würde verhindert, dass sich die Verhandlungssituation einer Schauspielerin vor ihrem Erfolg vertraglich unbegrenzt perpetuierte.

Es sprechen jedoch wohl zu viele Argumente dagegen, dass diese Wirkung Zweck der Tätigkeitsbindungsgrenze ist. Die höchstzulässige Bindungsdauer von fixen fünf Jahren wird insbesondere in keinerlei Beziehung zur Höhe etwaiger Investitionsaufwendungen gesetzt, weder durch das Gesetz, noch durch eine ergänzende Rechtsprechung. Das Gesetz setzt nicht einmal voraus, dass es überhaupt zu Investitionen in eine erhöhte Leistungsfähigkeit gekommen wäre. Die Fünfjahresgrenze gölte zudem unabhängig von der Dauerhaftigkeit des Nutzens, den eine mögliche Investition stiftete. Es erscheint wenig überzeugend, § 624 S. 1 BGB als Vorschrift über die Verteilung von Investitionsvorteilen nach Leistungsanteilen zu erklären, wenn die Vorschrift die Bindung eines fertig Aus- und Fortgebildeten ebenso lange zulässt wie die eines Lehrlings9. Gegen eine Erklärung des § 624 S 1 BGB durch Investitionen spricht auch der Umkehrschluss aus dem Recht der mittelbaren Beschränkungen der Kündigungsfreiheit. Hierbei handelt es sich um Vertragsregelungen, die die Kündigung anders als von § 624 S. 1 BGB vorausgesetzt nicht gänzlich ausschließen, sondern sie lediglich mit Nachteilen verknüpfen. So werden Vertragsstrafen oder Abfindungen des Dienstverpflichteten an den Dienstberechtigten vereinbart oder etwa die Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten, des Weihnachtsgeldes oder anderer Gratifikationen im Kündigungsfall. 8

BAGE 76, 155; vgl. auch BAG NJW 1977, 973, 974: „Dagegen verfängt der Einwand nicht, es sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, erhebliche Mittel aufzuwenden mit dem Risiko, daß der Arbeitnehmer alsbald abwandert. Er kann die Ausbildung davon abhängig machen, daß ein Langzeitvertrag – nach § 624 S. 1 BGB mit einer Bindung für den Arbeitnehmer bis zur Dauer von fünf Jahren – abgeschlossen oder lange Kündigungsfristen vereinbart werden“, unter Verweis auf BAGE 28, 159. 9 Schönhöft, NZR-RR 2009, 625, 629; Stück, DStR 2008, 2020. § 624 S. 1 BGB bezeichnet auch die Bindungsbegrenzung von Ausbildungsverhältnissen, § 22 II Nr. 2 BBiG setzt für eine Kündigung des Auszubildenden mit der Berufsaufgabe einen besonderen wichtigen Grund voraus.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Überraschenderweise werden die Erschwerungen der ordentlichen Kündigung durch die Rechtsprechung strenger beurteilt als ein vollständiger Ausschluss der ordentlichen Kündigung i.S.d. § 624 S. 1 BGB10. Sie sind in jedem Fall nur bei äquivalenten Aufwendungen des Arbeitgebers zulässig11. Der Grund hierfür ist, dass vollständige Kündigungsausschlüsse zu Lasten eines Arbeitnehmers nach dem Symmetriegebot des § 622 VI BGB auch auf den Arbeitgeber zu erstrecken sind12. Bei mittelbaren Kündigungsbeschränkungen ist dies regelmäßig nur formal möglich, weil Abfindungspflichten den Arbeitnehmer stärker treffen als den Arbeitgeber13, eine echte Symmetrie damit nicht möglich ist14. Die Zulässigkeit der Pflicht zur Rückzahlung von Aus- und Fortbildungskosten im Kündigungsfall dient somit der gerechten Verteilung von Investitionskosten15 und -nutzen16. Hier wird die höchstzulässige Dauer der möglichen Rückzahlungspflicht nach der der Aus- oder Fortbildungsmaßnahme deswegen auch in Beziehung zur

10 Obwohl nach § 624 S. 1 BGB ein Kündigungsausschluss auf bis zu fünf Jahre zulässig ist, hat die Rechtsprechung eine zusätzliche, vorzeitige Kündigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers gegen Leistung einer Abfindung für unzulässig erachtet, BAG NZA 1990, 147. 11 Vgl. etwa BAG NZA 1996, 1151; BAG NJW 1999, 1571; BVerfG NZA 1999, 194. 12 Vgl. BAG NZA 1990, 147, 148; Preis, NZA 2000, 348, 349: „Für die Kündigung gilt darüber hinaus, dem Rechtsgedanken des § 622 VI BGB entsprechend, dass einseitige Kündigungserschwerungen für den Arbeitnehmer unwirksam sind und damit auch jegliche Vereinbarung einer strengeren Form nur für die arbeitnehmerseitige Kündigung.“ 13 Vgl. etwa BAG NZA 1990, 147; 1996, 1151: „Ein Verstoß gegen diese Bestimmung [des § 622 VI BGB, d. Verf.] ist nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur dann gegeben, wenn einzelvertraglich für den Arbeitnehmer längere Kündigungsfristen oder ungünstigere Kündigungstermine festgelegt werden als für den Arbeitgeber, sondern bereits dann anzunehmen, wenn die Kündigung des Arbeitnehmers gegenüber der des Arbeitgebers erschwert ist. Daher sind Kündigungsbeschränkungen zu Lasten des Arbeitnehmers als unzulässig anzusehen.“ 14 Vgl. zu den Rechtsfolgen asymmetrischer Kündigungsrechte Rein, NZR-RR 2009, 462ff. Das Arbeigsgericht hatte § 89 II S. 2 HGB analog anwenden wollen, Rein spricht sich für die Unwirksamkeit der asymmetrischen Begünstigung des Arbeitgebers aus. So auch Kindler, 2000, 744, 747. 15 BAGE 28, 159; 76, 155; BAG NJW 1996, 1916, 1917: „Die bei der gerichtlichen Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln gebotene Interessenabwägung hat sich vorrangig daran zu orientieren, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Aus- oder Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt.“ Die zulässige Bindungsdauer ist jedoch in der Regel kürzer (genaue Auflistung in BAG NJW 1996, 1916); vgl. auch BAG WM 2008, 1923 (etwa bis zu drei Jahren Bindung bei einjähriger Fortbildungsdauer); BAGE 42, 48, 54 (keine dreijährige Bindung bei halbjähriger Fortbildung). 16 Der Nutzen besteht hier darin, „daß der Arbeitnehmer eine Ausbildung erhält, die ihm auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder im Bereich seines bisherigen Arbeitgebers berufliche Möglichkeiten eröffnet, die ihm zuvor verschlossen waren“, BAG NJW 1977, 973 ff.

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Höhe der Arbeitgeberaufwendungen17 gesetzt18. Vollständige Kündigungsausschlüsse i.S.d. § 624 S. 1 BGB werden hingegen nicht wegen Investitionen, sondern um der Arbeitsplatzsicherheit willen zugelassen, die sie dem Arbeitnehmer nach § 622 VI BGB verschaffen19. 3. Optimale Allokation der Arbeitskraft als volkswirtschaftliche Erklärung § 624 S. 1 BGB könnte Kündigungsausschlüsse begrenzen, damit Beschäftigte auf die Stelle wechseln können, an der sie am effizientesten eingesetzt werden können. Optimale Faktorallokation setzt Fungibilität voraus. Bei vollständiger Fungibilität von Faktoren sorgt der Markt dafür, dass sie an die Stelle gelangen, an der sie den größten Nutzen bringen. Je größer der Grenznutzen ist, den sie für einen Interessenten besitzen, desto höher ist der Preis, den er für sie bieten kann. Langfristige Tätigkeitsbindungen stehen diesem Mechanismus entgegen.

Eine solche Zwecksetzung lässt sich jedoch nicht mit dem Regelungsgehalt des § 624 S. 1 BGB vereinbaren. Für eine optimale Faktorallokation würde ein Sonderkündigungsrecht des Dienstberechtigten bei einem Angebot, an anderer Stelle zu wesentlich günstigeren Konditionen arbeiten zu dürfen, genügen. Einem solchen, über § 626 BGB konstruierten Recht hat das BAG 1970 jedoch eine klare Absage erteilt20. § 624 S. 1 BGB verleiht dagegen ein Recht, das für bis zu fünf Jahre eine möglicherweise suboptimale Allokation gestattet, danach aber auch volkswirtschaftlich „disfunktionaler“ Arbeitsplatzwechsel gestattet21. Insbesondere Letzteres fügt sich besser in das Bild eines Kündigungsrechts, das die persönliche Freiheit des Dienstverpflichteten in ihrem vollen Umfang schützen soll. Eine Zwecksetzung optimaler Faktorallokation vermöchte auch nicht zu erklären, weshalb das Kündigungsrecht nur einseitig gilt: Ein Arbeitgeber kann bis an sein Lebensende an einen bestimmten Arbeitnehmer gebunden werden, der seinerseits Kündigungsfreiheit genießt22. Dies gilt unter Umständen selbst dann, wenn der Arbeitgeber den 17 In der Regel pauschal bemessen als Dauer der Fortbildung, BAGE 76, 155; BAG NJW 1996, 1916, 1917: „Die Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln hängt auch von der Fortbildungs- und Bindungsdauer ab. Beide müssen in angemessenem Verhältnis stehen. Denn da der Arbeitgeber während der Fortbildung üblicherweise die Vergütung fortzahlt oder einen Unterhaltszuschuß gewährt, hängt von ihrer Dauer regelmäßig die Höhe der Arbeitgeberaufwendungen maßgeblich ab.“ 18 BAG NJW 1996, 1916; BAGE 76, 155. 19 In Bezug auf Kündigungsfristen BAG NZA 2009, 370, 373: „Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass die Kündigungsfrist für beide Parteien nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile bringt, für die Kl. nämlich einen erhöhten Bestandsschutz ihres Arbeitsverhältnisses“. 20 BAG WM 1971, 118. 21 Binder, ZfA 1978, 75, 78 f. 22 BAG BB 2004, 2303.

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Arbeitnehmer für einige Monate oder gar Jahre nicht beschäftigen kann23. Somit bleibt ein unproduktives Arbeitsverhältnis bestehen, obwohl die Arbeitskraft an anderer Stelle regelmäßig nutzbringender eingesetzt werden könnte. Dieser Erklärungsansatz für § 624 S. 1 BGB vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. 4. Wettbewerbsschutz als volkswirtschaftliche Erklärung Die Tätigkeitsbindungsgrenze könnte dazu dienen, den Wettbewerb zu schützen24. Der Wettbewerb der Dienstherren um Arbeitskräfte ist als Faktorwettbewerb Voraussetzung für freie Konkurrenz auf dem Absatzmarkt. Wenn ein Großteil der Beschäftigten in einem bestimmten Bereich langfristig unkündbar gebunden ist, erschwert dies als Marktzutrittsschranke das Hinzukommen weiterer Wettbewerber25. Marktzutrittsschranken sind nach Bain der absolute Kostenvorteil, den der exklusive Zugang zu einem essentiellen Produktionsfaktor gewährt26. Die durch langfristige Bindung der Beschäftigten eintretende Verknappung des Angebots an Arbeitskraft kann auch als „raising rival’s costs“27 strategisch eingesetzt werden, um eine Marktposition abzusichern28. Dies wirkt sich nicht nur abschreckend auf potenzielle Konkurrenz aus (entry deterrence), sondern erschwert auch bestehenden Konkurrenten den Ausgleich von Arbeitskräftefluktuation. Dies wiederum führt zu einer Erhöhung von Faktorentgelten, die langfristig abgesicherte Unternehmen erst mit erheblicher Verzögerung erreicht. Diesen Mechanismus kann § 624 S. 1 BGB zwar nicht gänzlich verhindern, er erschwert ihn jedoch.

a) Kartell- und wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit Nicht jedes Wettbewerbshemmnis wird jedoch durch die Rechtsordnung verboten. Beispielsweise ist es Unternehmen uneingeschränkt erlaubt, durch internes Wachstum Marktmacht zu erlangen, solange sie diese nicht missbrauchen29. Die langfristige Bindung von Arbeitskräften könnte kartell- und wettbewerbsrechtlich ebenfalls unbedenklich sein.

23

BAG NZR-RR 2006, 416; vgl. auch BAG BB 2004, 2303. Vgl. die Überlegungen in Jickeli, Langfristiger Vertrag, S. 144. 25 Vgl. Bain, Barriers. Zur Theorie der Marktzutrittsschranken vgl. Machlup, Wettbewerb, S. 205 ff.; Rosar, Markteintrittsverhinderung; Weizsäcker, Theoretical Treatment, Kap. 1, 2, 5, und 6. 26 Bain, Barriers, S. 144 f. 27 Schmidt, Markteintrittsschranken, S. 55; vgl. auch Rosar, Markteintrittsverhinderung. 28 Vgl. Aberle, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik. 29 Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 173. 24

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aa) Kartellrechtliche Zulässigkeit Das europäische und das deutsche Kartellrecht gewährleisten, dass „wirtschaftliche Macht da [beseitigt wird], wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs beeinträchtigt“30. Sie begründen also den Wettbewerb nicht, sondern schützen den bestehenden Wettbewerb gegen Beschränkungen31. Hierbei wird der Wettbewerb nicht vor jedem wettbewerbsbeschränkenden Erfolg geschützt, sondern vor bestimmten (potenziell) wettbewerbsbeschränkenden Handlungen der Marktteilnehmer, im Einzelnen insbesondere vor wettbewerbsbeschränkenden Absprachen (Art. 101 AEUV, §§ 1 ff. GWB), dem Missbrauch von Marktmacht (Art. 102 AEUV, §§ 19 ff. GWB) und Zusammenschlüssen, die eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken (§§ 35 ff. GWB). Die langfristige Bindung von Beschäftigten könnte kartellrechtlich als Missbrauch von Marktmacht unzulässig sein, insbesondere als „Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes“ (Art. 102 Abs. 2 lit. b AEUV). Unter dieses Verbot des „Behinderungsmissbrauchs“32 werden solche Handlungen gefasst, die eine Herabsetzung der Wettbewerbsintensität bewirken33. Die Rechtslage hinsichtlich der Verfügungsmacht, die ein marktbeherrschendes Unternehmen über wichtige Faktoren erlangt, wird unter dem Begriff der „essential facilities doctrine“34 verschlagwortet. Nach diesem in mehreren Urteilen europäischer Gerichte35 entwickelten Konzept hat ein marktbeherrschendes Unternehmen Konkurrenten entgeltlich den Zugang zu wesentlichen Einrichtungen zu gewähren, wenn hierin die einzige Möglichkeit liegt, zusätzlichen Wettbewerb zu eröffnen. Ausdruck dieses Gedankens im deutschen Recht ist § 19 IV Nr. 4 GWB, der den Zugang zu Netzen und Infrastruktureinrichtungen regelt, „wenn es dem anderen Unternehmen […] ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, […] als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden“. Kartellrechtlich ist es zulässig, sich durch die Kontrolle von Rohstoffen eine beherrschende Stellung auf dem Markt zu sichern, es ist lediglich unzulässig, dass „ein Unternehmen in beherrschender Stellung auf dem Rohstoffmarkt, […] um sich diese Rohstoffe für die Herstellung ihrer eigenen Derivate vorzubehalten, die Belieferung eines Kunden, 30

BT-Drs. 2/1158, S. 21. Langen/Bunte/Bahr/Bunte, Einf. zum GWB, Rn. 49, 53. 32 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann/Lübbig, Art. 82 EG, Rn. 174. 33 Ebd. 34 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann/Lübbig, Art. 82 EG, Rn. 210. 35 EuGH, Urteil vom 29.04.2004 – C-418/01, IMS Health/NDC Health – Slg. 2004, I5039; EuG, Urteil vom 10.07.1991 – Rs. T-69/89, RTE/Kommission – Slg. 1991, II-485; EuGH, Urteil vom 26.11.1998 – Rs. C-7/97, Oscar Bronner/Mediaprint – Slg. 1998, I7791; EuG, Urteil vom 17.09.2007 – T-201/04, Microsoft/Kommission – Slg. 2007, II3601. 31

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der selbst diese Derivate herstellte, [verweigert]“36. Aus dieser „essential facilities“-Rechtsprechung folgt also kein Verbot, einen bestimmten Faktor langfristig zu binden. Lediglich darf ein marktbeherrschendes Unternehmen nach dem zulässigen Erwerb von Kontrolle über „essential facilities“ seine Wettbewerber nicht gänzlich vom Zugang zu dem von ihm kontrollierten Faktor ausschließen. Auf langfristig bindende Beschäftigungsverträge übertragen bedeutete dies, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen sich gegen Abwerbungsversuche potenzieller Konkurrenten nicht grundsätzlich sperren darf37. Falls der Beschäftigungsgeber keine marktbeherrschende Stellung inne hat, sind langfristig bindende Beschäftigungsverträge rein kartellrechtlich sogar dann zulässig, wenn Wettbewerbern bewusst die Abwerbung von Beschäftigten versagt wird. Denn kartellrechtlich gilt in diesem Fall quod non licet Jovi licet bovi38. Erst in dem Moment, in dem eine marktbeherrschende Stellung geschaffen wurde, trägt das dann marktbeherrschende Unternehmen eine besondere Verantwortung dafür, dass sich das wettbewerbsgefährdende Potenzial seiner Position nicht realisiert39. Eine Ausnahme von der Voraussetzung einer marktbeherrschenden Stellung gilt nach der sog. „Bündeltheorie“40, wenn im Einzelnen unbedenkliche Verträge kumulativ eine Marktabschottung bewirken. Aber auch nach der „Bündeltheorie“ sind Verträge aber nur dann kartellrechtswidrig, wenn „der streitige Vertrag in erheblichem Maße zu der Abschottungswirkung [beiträgt]“41.

Bis zu dieser Grenze sind Handlungen, die den Nachfragewettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt durch Faktorkontrolle mindern, nur dann kartellrechtswidrig, wenn sie auf Konzertierung von Unternehmen beruhen (vgl. Art. 101 I lit. c Var. 2 AEUV)42. Eine Form solcher Konzertierung sind auch vertikale Vereinbarungen, also Vereinbarungen zwischen Wettbewerbsteilnehmern unterschiedlicher Wettbewerbsstufen, durch die beispielsweise ein 36 EuG, Urteil vom 17.09.2007 – T-201/04, Microsoft/Kommission – Slg. 2007, II-3601, Rn. 320, in Bezug auf EuGH, Urteil vom 6.03.1974 – verb. Rs. 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission – Slg. 1974, 223. 37 Eine derartige Erstreckung der „essential facilities“-doctrine haben die europäischen Gerichte allerdings nie vorgenommen. Sind sind sehr zurückhaltend mit einer Qualifikation als „essential facilities“, vgl. zum Beispiel EuG, Urteil vom 23.10.2003 – Rs T-65/98, Van den Bergh Foods/Kommission – Slg. 1998, II-2641. 38 Vgl. Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann/Lübbig, Art. 82 EG, Rn. 174 ff. 39 EuGH, Urteil vom 16.03.2000 – verb. Rs. C-395/96 P und C 396/96 P, Compagnie Maritime Belge/Kommission – Slg. 2000, I-1365, Rn. 114. 40 Kirchhoff, in: HdB-KartellR, § 9, Rn. 16; vgl. auch Wahl, NJW 1988, 1431, 1432. 41 EuGH, Urteil vom 28.02.1991 – Rs. C-234/89, Delimitis/Henninger Bräu – Slg. 1991, I-935, Ls. 1. 42 Vgl. etwa Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Wägenbaur, Art. 81 Abs. 1 EG, Rn. 308; Langen/Bunte/Bahr/Bunte, § 1 GWB, Rn. 205.

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bestimmter Zulieferer als Versorgungsquelle für die Wettbewerber seines Abnehmers ausgeschlossen wird43. Soweit die Kontrolle einer Versorgungsquelle jedoch nicht durch Konzertierung von Wettbewerbsteilnehmern erlangt wird (oder durch Zusammenschlüsse, § 36 GWB), setzt das Kartellrecht ihr bis zur Grenze des Missbrauchs einer erlangten Marktbeherrschung nichts entgegen44. bb) Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit (UWG) Solange ein Unternehmen nicht marktbeherrschend ist, enthält das Kartellrecht kein Verbot, sich Faktoren anzueignen und ihre Weitergabe an Konkurrenten zu verhindern. Dies eröffnet im Grundsatz Möglichkeiten zur Behinderung von Wettbewerbern. Hier wird das Kartellrecht jedoch durch das Verbot der „gezielten Behinderung von Mitbewerbern“ in § 4 Nr. 10 UWG ergänzt. Danach ist es unter anderem unzulässig, „wenn ein Unternehmen mehr Ware bezieht, als es selbst für seine Produktion oder den Vertrieb benötigt, und es hierdurch einzig den Zweck verfolgt, den Bezug der gleichen Ware für Mitbewerber unmöglich zu machen oder zu verteuern“45. Da es gerade Ausdruck des Nachfragewettbewerbs ist, sich zu Lasten von Wettbewerbern knappe Faktorgüter zu verschaffen46, kommt es darauf an, ob die Güter zumindest auch zur Förderung des eigenen Geschäftsbetriebes erworben werden oder ausschließlich zur Schädigung des Mitbewerbers47. Übertragen auf die langfristige Bindung von Beschäftigten bedeutet dies, dass die Verträge auf eine längere Zeit unkündbar geschlossen werden müssten, als der Beschäftigungsgeber voraussichtlich Bedarf an den entsprechenden Personalkapazitäten haben wird. Im Übrigen sind langfristige Kündigungsausschlüsse auch wettbewerbsrechtlich zulässig. cc) Zwischenergebnis Grundsätzlich lässt das Kartell- und Wettbewerbsrecht also die langzeitige Kontrolle von Faktoren zu. Die langfristige Bindung von Beschäftigten 43

Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Wägenbaur, Art. 81 Abs. 1 EG, Rn. 308. Kartellrechtlich wird somit ein bestimmter Grad an Faktorkontrolle zugelassen, da sich das Kartellrecht wie oben angesprochen nicht mit der Schaffung, sondern vornehmlich mit der Erhaltung des Wettbewerbs befasst ist. So überlassen beispielsweise Art. 81, 82 AEUV den Mitgliedstaaten „welche Voraussetzungen und Spielräume [sie] für das wettbewerbliche Verhalten von Unternehmen schaffen“ und somit auch, ob sie Wettbewerb durch die Schaffung und Beibehaltung von Marktzutrittsschranken von vornherein begrenzen, Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Bergmann/Lübbig, Art. 82 EG, Rn. 201. 45 Köhler/Bornkamm/Köhler, § 4 UWG, Rn. 10.68; HeidelbergerK/Plaß § 4, Rn. 457/ 459. 46 Fezer/Götting, §§ 4 Rn. 10 UWG, Rn. 141. 47 Ebd. 44

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

scheint somit als Begründung eines „Verfügungsrechts“ an einem knappen Produktionsfaktor den Wertungen des geltenden deutschen Kartell- und Wettbewerbsrechts nicht zu widersprechen. Erst wenn Beschäftigte allein zu dem Zweck der Behinderung von Wettbewerbern gebunden werden oder marktbeherrschende Unternehmen potenziellen Wettbewerbern keine ihrer langfristig gebundenen Beschäftigten gegen ein angemessenes Entgelt überlassen, obwohl dies im Ergebnis jeglichen Wettbewerb ausschließt, greifen kartell- und wettbewerbsrechtliche Verbote ein. b) Weitere Einwände gegen den Zweck des Wettbewerbsschutzes Obwohl langfristige Kündigungsausschlüsse kartell- und wettbewerbsrechtlich grundsätzlich unbedenklich sind, könnte die Tätigkeitsbindungsgrenze prinzipiell trotzdem dem Wettbewerbsschutz dienen und eine weitergehende, über das übrige Niveau des Wettbewerbs- und Kartellrechts hinausgehende wettbewerbsrechtliche Vorschrift im BGB bilden. Dagegen spricht jedoch, dass die von langfristigen Kündigungsausschlüssen ausgehenden Gefahren für den Wettbewerb auf dem Absatzmarkt insgesamt überschaubar sind. Denn Arbeitskraft eignet sich schon nicht zum Errichten absoluter Marktzutrittsschranken, weil das Angebot an Arbeitskräften flexibel ist und sich daher nicht effektiv kontrollieren lässt48. Im Interesse des Wettbewerbs ist es dabei nicht unbedingt schutzwürdig, wenn Wettbewerber einander Mitarbeiter abwerben, statt eigene Mitarbeiter anzulernen. Denn von Mitarbeitern über allgemeines Ausbildungswissen hinaus erworbenes know-how wird von der Rechtsordnung grundsätzlich dem Anstellungsunternehmen zugewiesen (§ 17 UWG49, §§ 74 ff. HGB, § 110 GewO, §§ 6, 7 ArbeitnErfG)50. Sollte es zu einer überwiegenden Bindung aller Fachkräfte in einem Markt kommen, würde der Faktorwettbewerb zudem voraussichtlich nicht erlö48

Es handelt sich allenfalls um ein Marktzutrittshemmnis, zu dieser Unterscheidung Schmidt, Markteintrittsschranken. 49 Dies bildet gerade auch einen Schutz vor der Verwertung durch ehemalige Beschäftigte, Köhler/Bornkamm/Köhler, § 17 UWG, Rn. 59. 50 Einschränkend ist anzumerken, dass Beschäftigte ihre erworbenen Kenntnisse auch im Dienste neuer Arbeitgeber nutzen (§ 17 I UWG: „während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses“, zu den Grenzen der Verschwiegenheitspflicht nach § 17 UWG auch Köhler/Bornkamm/Köhler, § 17 UWG, Rn. 59) und Wettbewerbsverbote die Dauer von zwei Jahren nicht überschreiten dürfen. Aber diese Verwertung geschieht um des Beschäftigten willen, das Interesse des ehemaligen Arbeitgebers an Geheimhaltung ist gegen das Interesse des Beschäftigten an seinem beruflichen Fortkommen abzuwägen (Köhler/ Bornkamm/Köhler,§ 17 UWG, Rn. 59), nicht gegen das Interesse der Wettbewerber, ebenfalls am kommerziellen Potenzial neuentwickelter Abläufe zu partizipieren (zum Grundkonflikt vgl. auch Harte/Henning/Omsels, § 4 Nr. 10 UWG, Rn. 23: „Mitarbeiter sind ein wichtiges Gut im Wettbewerb. Die Mitarbeiter sind in der Wahl ihres Arbeitsplatzes hingegen frei.“) Sie sind grundsätzlich auf den Weg eigener Investitionen gewiesen.

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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schen, sondern sich lediglich verlagern. Es würde sich eine Ablösemarkt bilden, auf dem etablierte Wettbewerber um Ablöseangebote für ihre Mitarbeiter konkurrieren würden51. Zudem würden Unternehmen in die Ausbildung eigener Fachkräfte investieren, weil deren Wert mit der Höhe der Ablösesummen steigen würde und es gerade die Zulässigkeit langfristiger Bindungen ermöglichen würde, die Investitionen abzusichern. Diese Argumente sprechen dagegen, § 624 S. 1 BGB als wettbewerbsschützende Vorschriften einzuordnen. Auch historisch wäre dies wenig überzeugend. Denn zurzeit des Inkrafttretens dieser Vorschrift herrschte im deutschen Recht noch kein Bewusstsein für Gefährdungen des Wettbewerbs. Seit einer Entscheidung des Reichsgericht aus dem Jahr 188752 waren Kartelle offiziell zugelassen und noch bis zur Zerschlagung der Kartelle nach dem Zweiten Weltkrieg53 war die deutsche Wirtschaft weitgehend kartellisiert54. c) Folgerungen Da § 624 S. 1 BGB somit nicht dem Schutz des Faktorwettbewerbs dienen sollte, muss die Erste Kommission mit dem von ihr angeführten „sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Gründen“55 für den Erlass der Vorschrift etwas anderes im Sinn gehabt haben, das möglicherweise auf eine Verbindung dieser beiden Aspekte hinausläuft. Grundsätzlich erstreckt „die Freiheit des Wettbewerbs [...] sich auch auf die Nachfrage nach Arbeitnehmern.“56 Dieser Wettbewerb ist jedoch lediglich ein Mittel und kein Selbstzweck, denn es sind vor allem die Beschäftigten selbst, die von diesem Wettbewerb profitieren. „Wettbewerb um Arbeitskräfte“57 gewährleistet insbesondere, dass Beschäftigte marktgerecht vergütet werden sowie die größtmögliche Wahlfreiheit für ihre persönlichkeitsrelevanten Arbeitsplatzentscheidung gewinnen58. Nach diesem Verständnis wäre es der Ersten Kommission also nicht um den Schutz des Wettbewerbs, sondern

51 Soweit lediglich einzelne marktbeherrschende Unternehmen einen Großteil potenzieller Mitarbeiter gebunden hätten oder Unternehmen sich koordinierten, griffe das Kartellrecht ein, §§ 1, 19 GWB, Art. 101 AEUV. 52 RGZ 38, 155 (Sächsisches Holzstoffkartell). 53 Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 164, das GWB wurde 1958 erlassen. 54 Schmidt, a.a.O., S. 163. 55 Jakobs/Schubert, SR II, S. 806. 56 Köhler/Bornkamm/Köhler § 17 UWG, Rn. 59. 57 Ebd. 58 So begründen Harte/Henning/Omsels, § 4 Nr. 10 UWG, Rn. 23 den Arbeitskraftwettbewerb unter anderem mit der „Mobilität von Arbeitnehmern“ und der Gefahr, dass andernfalls Arbeitskräfte in ihrer „persönliche[n] Bewerbungsfreiheit übermäßig eingeschränkt [würden]“.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

um die sozialpolitische und volkswirtschaftliche Wirkung einer Stärkung der Verhandlungsposition der Beschäftigten gegangen. Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht den Wert des Arbeitskräftewettbewerbs im Wirken der Marktmechanismen zu Gunsten der Beschäftigten. Als der BGH in seinem Urteil „Bau-Chemie“ Gelegenheit hatte, sich zu den Zwecken des Arbeitskräftewettbewerbs zu äußern59, verhinderte er eine Einschränkung dieses Wettbewerbs, weil dies „die berufliche Freizügigkeit der in abhängiger Stellung Tätigen in einer nicht zu vertretenden Weise einschränk[te] und dem Arbeitgeber eine zu starke Position bei der Auseinandersetzung mit dem Arbeitnehmer über die zukünftigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses verschaff[te]. Diese Auswirkungen lägen nicht im Interesse der Allgemeinheit.“60 Diese Aspekte betreffen jedoch nicht mehr den Wettbewerbsschutz als solchen, sondern die nun folgende Zwecksetzung für die Tätigkeitsbindungsgrenze. 5. Schutz der Freiheit des Dienstverpflichteten a) Argumente für den Freiheitsschutz als Zweck Für die persönliche Freiheit des Dienstverpflichteten als Schutzzweck der Tätigkeitsbindungsgrenze spricht jede Intuition, da der Arbeitsvertrag ihren Hauptanwendungsfall bildet und dessen Besonderheit in einer regelmäßig gegebenen besonderen Freiheitsbedeutung und Persönlichkeitswirksamkeit besteht61. Das Reichsoberhandelsgericht urteilte bereits im 19. Jahrhundert, dass „‚es mit der sittlichen Freiheit des Menschen unvereinbar und deshalb unstatthaft sei‘, sich zu Erwerbszwecken ‚für die ganze Lebenszeit zu binden.‘“62 Auch die Genealogie des § 624 S. 1 BGB deutet auf den Schutz persönlicher Freiheit als Zweck der Vorschrift hin63, denn die Fassung des Vorentwurfs64 entsprach nach den Recherchen des Redaktors65 einer im revolutionären Frankreich entstandenen Bestimmung zur Verhinderung der Sklaverei 59

BGH GRUR 1966, 263 (Bau-Chemie). BGH GRUR 1966, 263, 265 (Bau-Chemie, Herv. d. Verf.). 61 Auch Leo DB 1961, 1518, 1520 sieht hierin den Zweck der Tätigkeitsbindungsgren-

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ze. 62 ROHGE 13, 417, 418. Vgl. auch das Urteil des BVerfGE 72, 155, 170 = NJW 1986, 1859, 1860, demzufolge eine umfassende Einschränkung der Privatautonomie nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht betrifft. Entsprechendes dürfte für langfristige arbeitsvertragsliche Bindungen gelten. 63 So explizit auch Ascheid/Preis/Schmidt/Backhaus, § 624 BGB, Rn. 4. 64 Also die Fassung der Art. 619 und Art. 628 des Dresdner Entwurfs, vgl. Kübel, Vorentwurf I, S. 554 f., 587 f., nach dem Antrag Nr. 406 von v. Kübel, vgl. Jakobs/Schubert, SR II, S. 805. 65 Kübel, Vorentwurf I, S. 588.

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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(Art. 1780 Code Civil)66 und hatte ihren deutschen Ursprung in preußischen Regelungen zum Schutz des Gesindes67. Ähnlich wie § 544 BGB68 spross § 624 S. 1 BGB aus Barrieren gegen die Wiedererrichtung feudalistischer Verhältnisse über den Umweg der Privatautonomie69. Nach den Protokollen wurde die für § 624 S. 1 BGB ursprünglich vorgesehene Zehnjahresfrist auf fünf Jahre abgesenkt, um die „wirthschaftliche Freiheit des Arbeiters“ zu erweitern und einer übermäßigen Bindung „in der persönlichen Freiheit“ vorzubeugen70. Zwar nannte Planck als wesentlicher Urheber des heutigen § 624 S. 1 BGB71 noch ausschließlich „sozialpolitische und wirtschaftliche“ Gründe für den Erlass der Vorschrift. Die Beziehung der unterschiedlichen Begründungen wird jedoch schon von Plancks Kommentar als hierarchisch dargestellt, die Bestimmung sei vorrangig „zum Zwecke des Schutzes der persönlichen Freiheit“72 erlassen. Für den Schutzzweck persönlicher Freiheit spricht weiterhin die mit fünf Jahren vergleichsweise kurze zulässige Bindungsdauer. Zudem ist die Bindungsgrenze des § 624 S. 1 BGB einseitig und gilt nur zugunsten des Dienstverpflichteten, dessen persönliche Freiheit in Frage steht.

66 Vgl. auch Binder, ZfA 1978, 75, 87. Dnach geht § 624 S. 1 BGB „auf Art. 1780 Code Civil [zurück] – eine Norm, die als Ausdruck der ‚Arbeitsfreiheit‘ in die Kodifikationen des bürgerlichen Rechts Eingang gefunden hat. Es sollte auf diese Weise verhindert werden, daß über den Weg vertraglicher Konstruktion die gerade erst beseitigten feudalen Verhältnisse wiederhergestellt würden“. 67 Denkschrift-BGB-Entwurf, S. 120: „Im Anschluß an die neuere Rechtsentwicklung (vergl. § 17 des Preuß. Edikts vom 14. September 1811, Code civil Art. 1780, Sächs. Gesetzbuch § 1234) wird daher bei Dienstverhältnissen, die für die Lebenszeit einer Person oder für längere Zeit als fünf Jahre eingagangen sind, dem Verpflichteten vom Entwurfe das Recht gewährt, das Verhältniß nach dem Ablaufe von fünf Jahren unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist zu kündigen (§ 615 Satz 1, 2)“ (Herv. d. Verf); ebenso Motive II, S. 467; Protokolle II, S. 300. Vgl. § 17 des Preuß. Edikts, die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse betreffend vom 14. September 1811 (abgedruck in PrGS 1811, Bd. 1810–1813, S. 281 ff.); Art. 1780 code civil: „On ne peut engager ses services qu’à temps, ou pour une entreprise déterminée.“ 68 S.o., Kap. 3, C.VII. Wirtschaftliche Stärkung der ehemaligen Erbmieter und Erbpächter. 69 Vgl. Binder, ZfA 1978, 75, 87, sowie die Orientierung am preußischen Edikt vom 14.09.1811 nach den Motiven II, S. 467. 70 Protokolle II, S. 300. 71 Vgl. seine Antragstellung, Jakobs/Schubert, SR II, S. 806. 72 Planck/Knoke, § 624, S. 993.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

b) Geschützte Freiheiten im Einzelnen § 624 S. 1 BGB schützt vornehmlich die Berufsfreiheit (Art. 12 I S. 1 GG), die nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich das Recht der Kündigung umfasst73. Das BVerfG hat entschieden, dass „die faktische Bindung [des Arbeitnehmers] an seinen Arbeitgeber zugleich in empfindlicher Weise sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit [berührt], dessen Schutz im beruflichen Umfeld von Art. 12 I S. 1 GG mit umfaßt wird“74, woraus die Nichtigkeit faktischer Erschwerungen von Arbeitnehmerkündigungen folgen kann75. Auch der oben geschilderte Bette-Davis-Fall aus dem angloamerikanischen Rechtsraum illustriert bei näherer Betrachtung mindestens ebenso sehr die Schutzwirkung der Tätigkeitsbindungsgrenze für die Berufsfreiheit wie die von ihr bewirkte angemessene Verteilung von Investitionserträgen. Denn die Schauspielerin wollte insbesondere den Zwängen des damaligen Studiosystems entkommen, nach dem den Schauspielern Rollen und Auftritte einseitig zugewiesen wurden76. Mit der Berufsfreiheit wird auch die persönliche Freiheit geschützt77. Denn der Beruf dient nicht nur der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundla-

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BAG NJW 1962, 1981, 3. Ls., 1983: „Das Recht, den Arbeitsplatz frei zu wählen, umfaßt bei auf unbestimmte Zeit eingegangenen Arbeitsverhältnissen auch das Recht, den gewählten Arbeitsplatz [...] aufzugeben und zu wechseln. Die auf vertraglicher Absprache beruhende Begründung von Zahlungspflichten zu Lasten des kündigenden Arbeitnehmers kann eine Beschränkung des Grundrechts des Art. 12 I S. 1 GG bedeuten und damit zur Unwirksamkeit der Vereinbarung führen“. 74 BVerfG NZA 1999, 194, 198. 75 Ebd., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG. Vgl. auch BVerfGE 81, 242, insb. 254, wonach ggf. erforderlich sei, „daß der Gesetzgeber im Zivilrecht Vorkehrungen zum Schutz der Berufsfreiheit gegen vertragliche Beschränkungen schafft“. 76 Vgl. Warner Bros. Studios Incorporated v. Nelson in [1937] 1 KB 209. 77 Zum Schutz der Persönlichkeitsentfaltung des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht etwa BAG NJW 1978, 239; 1956, 359, 360: „Deshalb muß der Arbeitgeber nicht bloß auf Grund seiner Treupflicht, sondern vor allem auch auf Grund der jedermann aus Art. 1 und 2 GG obliegenden Verpflichtung (BGHZ 13, BGHZ 13, 338, Nipperdey bei NeumannNipperdey-Scheuner, Grundrechte II 15, 37) alles unterlassen, was die Würde des Arbeitnehmers und die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen kann“; bestritten nur in der Herleitung, vgl. Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12 GG, Rn. 76: „Für Art. 12 bedeutet dies, dass die vom BAG hier gefundenen Ergebnisse über die Generalklauseln der §§ 138, 157, 242 BGB zu vermitteln gewesen wären. Ergebnismäßig hätte dies jedoch für die betreffenden Entscheidungen in aller Regel keine Konsequenzen (regelmäßige Ergebnisidentität von unmittelbarer und mittelbarer Drittwirkungslehre).“ Zu dem möglichen Konfliktverhältnis zwischen Einschränkungen der Kündigungsmöglichkeit und dem Persönlichkeitsschutz vgl. BAG NJW 1962, 1981.

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ge, sondern auch „der personalen Entfaltung des arbeitenden Menschen in der Gesellschaft“78. Bei langfristigen Tätigkeitsbindungen droht die Gefahr, dass der Verpflichtete sich nach bestimmten Zeiträumen nicht mehr mit seiner Arbeit identifizieren kann und sie nicht mehr als Verwirklichung seiner freien Willensentscheidung erlebt. Dies gilt vor allem dann, wenn der Betroffene seine Persönlichkeitsentfaltung umorientiert und sich sein neues Selbstbild im Rahmen vergangener Tätigkeitsverpflichtungen nicht realisieren lässt. Langfristige Dienstverträge binden den Dienstverpflichteten in bestimmten Persönlichkeitsstrukturen, sodass mit der Berufsfreiheit auch die Freizügigkeit des Betroffenen wiederhergestellt wird 79. Ob extrem langfristige Arbeitsverträge im Hinblick auf das Recht der Freizügigkeit mit dem europäischen Recht vereinbar wären, ist zweifelhaft80. In der Rechtsache Bosman hat der EuGH entschieden, dass auch Bestimmungen zwischen Privaten, die Wechselhindernisse wie hohe Ablösesumme nach Ablauf der Arbeitsverträge vorsehen, um der Freizügigkeit willen unwirksam sind. § 624 S. 1 BGB wahrt somit auch die europarechtliche Freizügigkeit. Er wurde 1896 allerdings aus anderen Gründen verabschiedet und es ist davon auszugehen, dass diese in ihm weiterwirken. Solange nicht die Aufhebung des § 624 S. 1 BGB erwogen wird, kommt es somit für ein Verständnis der Bindungsgrenze nicht entscheidend darauf an, dass sie auch verhindert, dass eine europarechtliche Problematik überhaupt erst entsteht. Aber es fügt sich in das Bild des individuellen Persönlichkeitsschutzes, dass durch die Vorschrift auch das Recht des Einzelnen darauf gewahrt wird, „[sein] Herkunftsland zu verlassen, um sich zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten“81.

c) Einwand der Überflüssigkeit neben § 888 III ZPO Als Vorschrift zum Schutz der Freiheit des Dienstverpflichteten, der den Vertrag selbst geschlossen hat, scheint es des § 624 S. 1 BGB neben § 888 III ZPO nicht zu bedürfen82. Nach § 888 III ZPO kann die Verpflichtung aus 78

BVerfGE 50, 290, 362. In diesen Zusammenhang stellt etwa Rolfs die §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG, Rolfs, EuR 2004, 150. Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 15.12.1995 – Rs. C-415/93, Royal club liegeois/Bosman – Slg 1995, I-4921. 80 Kelber sieht die Notwendigkeit einer Abwägung von Vertragsfreiheit und Freizügigkeit, in der § 624 S. 1 BGB mit der höchstzulässigen Bindungszeit von 5 Jahren europarechtlichen Anforderungen gerade genügt, Kelber, NZA 2001, 11; vgl. auch Rolfs, EuR 2004, 150. Die Kommission erwog zu dieser Zeit aufgrund des Bosman-Urteils sogar eine Bindungsbegrenzung auf ein Jahr, FAZ, 06.09.2000, Nr. 207, S. 46. 81 Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 15.12.1995 – Rs. C-415/93, Royal club liegeois/ Bosman – Slg 1995, I-4921, Rn. 95. 82 So formuliert etwa Binder, ZfA 1978, 75, 91 f.: „Es ist zu prüfen, ob der sich aus einer arbeitsvertraglichen Bindung ergebende mobilitätshemmende Charakter nicht dadurch geschmälert wird, daß trotz vertragswidriger Beendigungserklärung ein Zwang zum Wiedereintritt in den Betrieb vom Arbeitgeber nicht ausgeübt werden kann“. 79

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

einem Dienstvertrag, höchstpersönliche Handlungen zu erbringen, nicht erzwungen werden. Der Dienstberechtigte erlangt also allenfalls einen Titel auf die Dienste des Verpflichteten, dieser muss jedoch trotz seiner Verurteilung kein Zwangsgeld leisten, geschweige denn Zwangshaft fürchten. Der Dienstberechtigte ist somit auf Sekundäransprüche verwiesen, die ebenfalls nur selten geltend gemacht werden. Denn „man darf […] die Augen nicht davor verschließen, daß in der Realität Arbeitgeber infolge der Schwierigkeit eines exakten Schadensnachweises und des Zugriffs auf den ausgeschiedenen Arbeitnehmer das Prozeßrisiko scheuen“83. Aufgrund von § 624 S. 1 BGB muss sich die Rechtsordnung jedoch nicht darauf verlassen, sanktionslos gebrochen werden zu können (§ 888 III ZPO). Stattdessen bietet sie auch dem rechtstreuen Freiheitssuchenden eine Lösungsmöglichkeit, indem sie ihn von seiner Pflicht entbindet (§ 624 S. 1 BGB)84. Entstehungsgeschichtlich handelt es sich bei § 888 III ZPO ohnehin eher um eine freiheitliche Ergänzung zu § 624 S. 1 BGB als um eine Vorschrift, die eine freiheitliche Zwecksetzung des § 624 S. 1 BGB widerlegt. Im Jahr 1898 wurde die dem heutigen § 888 III Alt. 1 ZPO entsprechende Vorschrift in der Reichstagskommission zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend Aenderungen der Civilprozeßordnung vorgeschlagen85. Zurzeit der BGB-Kodifikation von 1874 bis 1896 war sie weder in der Civilprozeßordnung86, noch als Bestimmung prozessrechtlicher Natur im BGB-Entwurf der Ersten Kommission87 oder im EGBGB-Entwurf88 enthalten. Zweck dieser neuen prozessrechtlichen Bestimmung war, niemanden entgegen „den heutigen freiheitlichen [sic] Anschauungen […] durch Geldstrafen oder gar durch Haft zwangsweise in seinem Dienste festzuhalten“, obwohl „die Verweisung des Gläubigers auf die Interesse-Forderung [...] in derartigen Fällen meist 83

Binder, ZfA 1978, 75, 100. Nur in der in auf ein bestimmtes Tätigwerden lautenden Rechtspflicht liegt auch der dieser Untersuchung zugrunde gelegte Unterschied der Tätigkeitspflichten zu reinen Zahlungspflichten. 85 Seuffert, Civilproßessordnung, S. 9; CPO-Mat, S. 789. 86 § 774 CPO hatte bis dahin lediglich einen Absatz. 87 Die zwischenzeitlich in § 888 III Alt. 2 ZPO a.F. enthaltene eherechtliche Bestimmung, die nunmehr ihren Platz in § 120 Abs 3 FamFG gefunden hat, war danach im materiellen Familienrecht enthalten. Diese und andere Bestimmungen wurden erst von der Zweiten Kommission aus dem BGB ausgegliedert und Teil der Gesetzesvorlagen zur Anpassung prozessualer Bestimmungen an das BGB, vgl. Gebhard, Vorentwurf-EGBGB, S. XI. 88 Vgl. den vorgeschlagenen § 774 II C.P.O., der sich lediglich auf den eherechtlichen Teil des § 888 III ZPO bezog, Gebhard, Vorentwurf-EGBGB, S. 939 f., sowie das Fehlen einer § 888 III Alt. 1 ZPO entsprechenden Bestimmung im Entwurf eines Gesetzes betreffend die Änderung der Civilprozeßordnung vor den Beratungen der Reichstagskommission, vgl. CPO-Mat, S. 78: Nach Nr. 217 sollte der neue § 774 II CPO1900 wiederum nur die eherechtlichen Bestimmungen enthalten. 84

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keine praktische Bedeutung [habe]“ und somit „Zwang als das einzige Mittel [erscheine], um dem Gläubiger zu dem zu verhelfen, worauf er einen urtheilsmäßigen Anspruch habe“89. d) Einwand freiwilliger Übernahme der Dienstverpflichtung Dagegen, dass die Tätigkeitsbindungsgrenze zum Schutz der Freiheit des Dienstverpflichteten in Berufswahl, Persönlichkeitsentwicklung und Freizügigkeit dienen soll, lässt sich der in Kapitel 2 ausführlich behandelte Einwand vorbringen, dass der Dienstverpflichtete eine länger als fünfjährige, unkündbare Bindung freiwillig übernimmt und er deswegen keines Schutzes durch die Rechtsordnung bedarf. Regelmäßig hatte der Dienstverpflichtete die Wahl, unterschiedliche Bindungszeiten zu fordern und er kann sich aus guten Gründen für eine beispielsweise lebenslange Selbstbindung entschlossen haben. Ein solcher Grund kann etwa die Arbeitsplatzsicherheit sein, die Arbeitnehmer nach § 622 VI BGB zwingend als Gegenleistung für ihren befristeten Verzicht auf ordentliche Kündigung erhalten.

Für den Schutz spricht jedoch die Unterlegenheit von Arbeitnehmern gegenüber Arbeitgebern. Die von § 624 S. 1 BGB geschützte Freiheit ist nicht die Freiheit des Verpflichteten selbst90, sondern der Schutz aller Beschäftigten vor einer Verkrustung des Arbeitsmarkts. Unkündbare Dienstverhältnisse beeinflussen oder beschränken jedenfalls als Arbeitsverhältnisse die Freiheit zu Berufswechseln, die Persönlichkeitsentwicklung und die Freizügigkeit erheblich. Den Arbeitgebern kommt aus verschiedenen Gründen beim Aushandeln dieser Beeinflussung ohnehin eine stärkere Verhandlungsposition zu, eine Verengung des Arbeitsmarkts würde zu zusätzlichen Freiheitseinschränkungen führen. Eine gesteigerte Kündigungsfreiheit wirkt sich durch die höhere Mobilität von Arbeit in höherer Fluktuation aus, verschiebt damit die Marktbedingungen zugunsten neuer Bewerber und sichert ab, dass ihnen die Möglichkeit zur Wahl eines Arbeitsplatzes nicht nur formal, sondern auch tatsächlich zusteht. Geschützt wird somit nicht der konkrete Vertragspartner des Dienstleistungsvertrags, sondern die objektive Freiheit der Berufswahl91.

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CPO-Mat, S. 789. S.u. Kap. 3, B.II.5.c Einwand der Überflüssigkeit neben § 888 ZPO. 91 Vgl. hierzu die Bemerkung der Protokolle, denen zufolge § 624 S. 1 BGB die „wirtschaftliche Freiheit des Arbeiters“ sichern soll, Protokolle II, S. 300, sowie Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 361, 363. 90

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III. Zwischenergebnis zum Zweck der dienst- und arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbindungsgrenze Die Begrenzung der Bindungszeit in Dienstverträgen auf 5 Jahre durch §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG dient dem Schutz der Beschäftigten in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, ihrer auch europarechtlich verbürgten Freizügigkeit und ihrer vom Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 GG mit umfassten92 Freiheit zum Wechsel des Berufs. Geschützt wird jedoch nicht die persönliche Freiheit des einzelnen Beschäftigten, geschützt wird das Interesse aller Beschäftigten an der selbstverantwortlichen Wahrung ihrer persönlichen Freiheit. Denn während sich für den Einzelnen in seiner konkreten Situation Vor- und Nachteile langfristiger beidseitiger Kündigungsausschlüsse – nach der Vermutung der Richtigkeitsgewähr der Privatautonomie93 und § 622 Absatz 6 BGB – die Waage halten werden, sichert die Gesamtheit derartiger Verträge den Arbeitskräftebedarf der Beschäftigungsgeber zuverlässig ab und verstärkt deren Marktmacht. Die Tätigkeitsbindungsgrenze sorgt demgegenüber insgesamt für ein Mehr an Wettbewerb um Arbeitskräfte, das einer Verkrustung der Marktverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirkt und verhindert, dass insbesondere die ohnehin schwächere Verhandlungsposition von Berufseinsteigern zu einer fortschreitenden Aushöhlung der Berufsfreiheit – und mit ihr verbundener Freiheiten – führt. IV. Nachträglicher Einwand: Zu weiter Anwendungsbereich der Tätigkeitsbindungsgrenze Wenn die Tätigkeitsbindungsgrenze die persönliche Freiheit von Beschäftigten vor der wirtschaftlichen Überlegenheit der Beschäftigungsgeber schützen soll, besitzt sie offenbar den falschen Anwendungsbereich. In der bisherigen Darstellung wurde insbesondere die Bedeutung der Tätigkeitsbindungsgrenze für Arbeitnehmer behandelt. Der Wortlaut des § 624 S. 1 BGB erfasst darüber hinaus auch unternehmerisch am Markt angebotene Dienstleistungen, etwa durch selbstständige Dienstleister wie Rechtsanwälte oder Ärzte (vgl. nunmehr § 630b BGB), die keine Verhandlungsübermacht ihrer einzelnen Dienstherrn zu fürchten haben. Dies war dem Gesetzgeber bewusst94. Obwohl die persönliche Freiheit des Dienstherrn in diesen Fällen nicht gefährdet ist, 92

BVerfG NZA 1999, 194; BAG NJW 1962, 1981. Schmidt-Rimpler, AcP 141 (1941), S. 130 ff., 156 f. 94 Jakobs/Schubert, SR II, S. 807: „[Die Vorschrift] erscheine nicht minder auch bei andere Dienstverhältnissen, sofern nur der Dienstverpflichtete zur Dienstleistung in Person verpflichtet sei, angemessen und aus den Gründen, worauf sie beruhe, sogar nothwendig.“ MünchKomm-BGB/Schwerdtner, § 624, Rn. 2; BT-Drs. 14/4374 S. 20: „Für Dienstverhältnisse, die nicht Arbeitsverhältnisse sind, gilt weiterhin § 624 des Bürgerlichen Gesetzbuchs“; BeckOK-BGB/Fuchs, § 624, Rn. 2; ErfK/Müller-Glöge, § 624 BGB, Rn. 1; Staudinger/Preis, § 624, Rn. 3; KR/Fischermeier, § 624, Rn. 4. 93

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hat er daran festgehalten, sie in den Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB einzubeziehen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens haben die BGBVerfasser den Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB stattdessen noch weiter vergrößert, indem sie die ursprünglich in der Vorschrift enthaltene Einschränkung gestrichen haben, die Dienste müssten in Person zu leisten sein95. Auch wenn der Dienstnehmer sämtliche Dienstleistungen von ihrerseits kündigungsberechtigten Mitarbeitern besorgen lässt, darf er geschlossene Verträge also nach fünf Jahren außerordentlich kündigen. Hierdurch geraten auch juristische Personen und rechtsfähige Gesellschaften in den Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB. Dieser weite Anwendungsbereich scheint dagegen zu sprechen, dass die Vorschrift die persönliche Freiheit der Dienstleister schützen soll. Über Art. 19 III GG genießen inländische juristische Personen zwar ebenfalls Berufsfreiheit96 und auch selbstständige Dienstleister können darauf angewiesen sein, langzeitig bindende Verträge ab einem bestimmten Zeitpunkt zu kündigen, etwa wenn ein Arzt andernfalls nicht in der Lage wäre, seine Praxis an einen Nachfolger zu veräußern. Geschützt wird in diesen Fällen jedoch nicht die persönliche Freiheit der Dienstverpflichteten, sondern ihre unternehmerische Freiheit97.

1. Beweggründe des historischen Gesetzgebers für den weiten Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB Der ursprüngliche Grund für den weiten Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB war die Vorsicht der BGB-Verfasser, die alle möglichen Fallkonstellationen pauschal erfassen wollten und den erheblichen Anwendungsüberhang dafür in Kauf nahmen98. Die Begrifflichkeiten des modernen 95

Heinrich, in: Jakobs/Schubert SR II, S. 810. BVerfGE 21, 261, 266; 50, 290, 363; 115, 205, 229. 97 Für juristische Personen ergibt sich dies bereits daraus, dass Art. 19 III GG seine Grenze findet, wo Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen Schutzobjekte sind, „die nur natürlichen Personen wesenseigen sind“, BVerfGE 95, 220, 242; 106, 28, 42. Auch durch ihre Beschäftigten gewinnt die juristische Person kein Substrat persönlicher Freiheit, denn in diesem Verhältnis sind die Beschäftigten als natürliche Personen ihrerseits durch § 624 S. 1 BGB geschützt, sodass Bindungen der juristischen Person nicht auf deren Beschäftigte durchwirken OLG Köln, NJW 1980, 1395: „Es ist also in der Tat richtig, bei der Frage nach der analogen Anwendung der Norm auf die Personenbezogenheit des Vertragsverhältnisses abzustellen, jedoch anders als der Kl. meint, auf die Person allein dessen, der dem Dienstverpflichteten gleichsteht, hier also auf den Kl. selbst, nicht aber auf die einzelne DRK-Schwester, die bei der Erfüllung der Pflichten aus dem Heimvertrag für den Kl. tätig wird.“ 98 Vgl. Lorenz, Schutz vor unerwünschtem Vertrag, S. 513 f.: „Der Schutz […] kann typisiert oder individualisiert erfolgen. Typisierung bedeutet hierbei tatbestandsunabhängigen Schutz in dem Sinne, dass es auf eine konkrete Beeinträchtigung der Entscheidungsfreihti nicht ankommt. Der Tatbestand der Regelung löst sich so von der ihr zugrundliegenden ratio und eröffnet die Möglichkeit des Missbrauchs. Charakteristische und un96

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Arbeitsrechts waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht entwickelt, sodass sich als Anknüpfung der Dienstvertrag anbot. Auf Antrag Kurlbaums war der dem heutigen § 624 S. 1 BGB entsprechenden Bestimmung des Kommissionsentwurfs99 in der Ersten Kommission ein Absatz 2 angefügt worden, nach dem „die Bestimmungen des ersten Absatzes [...] keine Anwendung [finden], wenn der Dienstverpflichtete die Dienste durch einen Anderen leisten lassen darf“100. Der Grund hierfür lag darin, dass „In den Fällen, in denen der Dienstverpflichtete nicht in Person zu leisten habe, ‚in welchen also die Leistung den Karakter der Fungibilität annimmt und einer Geldleistung verwandt wird‘, [...] die Vorschrift unzutreffend sei (Motive II, 467)“101. Diese Einschränkung auf höchstpersönliche Dienste hielt die Erste Kommission noch für selbstverständlich102, im Reichstag wurde sie indes aufgehoben103. Anlass für die Aufhebung war nach einem zeitgenössischem Bericht über die entsprechende Sitzung die Schrift Dernburgs „Die persönliche Rechtsstellung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch“ von 1896104. Dernburg wies darauf hin, dass selbst von der dauerhaften Bindung durch nicht höchstpersönliche Dienstverpflichtungen eine Gefahr für die persönliche Freiheit des Dienstverpflichteten ausgehe105. Aus wirtschaftlichen Gründen könne sich nämlich eine faktische Höchstpersönlichkeit ergeben, schlicht weil das Geld fehle, die Dienste durch einen anderen besorgen zu lassen. Der Reichstag wünschte also den Schutz von Dienstverpflichteten vor jeder rechtlich oder faktisch höchstpersönlichen Bindung über fünf Jahre hinaus106. Dass der historische Gesetzgeber den Vorteil eines umfassenden Schutzes persönlicher Freiheit über den Nachteil von Anwendungsüberhängen stellte, ergibt sich auch daraus, dass die Erste Kommission bewusst auch Dienstleistungspflichten geringen Umfangs in den Anwendungsbereich einbezog, weil

vermeidliche Folgen einer solchen Typisierung sind die Probleme von Schutzübermaß und Schutzuntermaß.“ 99 § 557 Kommissionsentwurf (KE). 100 Heinrich, in: Jakobs/Schubert, SR II, S. 806, 807. 101 Darstellung der Entstehungsgeschichte bei Ascheid/Preis/Schmidt/Backhaus, § 624 BGB, Rn. 4; vgl. auch Jakobs/Schubert, SR II, S. 805 f., danach würde die Verpflichtung andernfalls „einer Geldleistung verwandt“. 102 In der Redaktion wurde dieser Zusatz deswegen zunächst sogar weggelassen, vgl. Heinrich, in: Jakobs/Schubert, SR II, S. 807. 103 Heinrich, in: Jakobs/Schubert, SR II, S. 810. 104 Ebd. 105 Dernburg, Persönliche Rechtsstellung, S. 29 ff. 106 Vgl. auch Mugdan II, 1289: § 624 S. 1 BGB soll auch gelten, wenn der Dienstverpflichtete „zwar durch einen anderen leisten dürfe, thatsächlich aber nicht in der Lage sei, für die Dienstleistung einen Vertreter zu beschaffen“.

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diese Pflichten in Person zu leisten seien107. Die Abschaffung des Höchstpersönlichkeitserfordernisses wurde später umgekehrt mit der Gefahr umfangreicher faktischer Inanspruchnahme begründet108. Durch diese doppelte Erweiterung des Anwendungsbereichs bewirkte der Gesetzgeber, dass § 624 S. 1 BGB nun auf Dienste anwendbar wurde, die weder umfangreich noch in Person zu erbringen waren. § 624 S. 1 BGB wurde damit zu einer Vorschrift, die pauschal auf alle Dienstleistungspflichten anwendbar ist, auch wenn der Gesetzgeber nur bestimmte im Sinn hatte. Der Inhalt der Tätigkeitspflicht ist dabei ohne Bedeutung: „[Auf] die Art der Beschäftigung […] kommt es [nicht] entscheidend an“109. Seit RGZ 80, 278 ist entschieden, dass für eine Verpflichtung zu Kunst die gleiche Bindungsfrist von fünf Jahren gilt wie für jede andere Tätigkeit beispielsweise körperlicher Art110. „Für § 624 ist es [...] unerheblich, ob die Dienstleistung in einem Betrieb oder Haushalt erbracht wird oder künstlerischer bzw. wissenschaftlicher Natur ist“111. Vorbehaltlich des abdingbaren § 627 BGB ist auch ein Dienstleister in wechselseitiger persönlicher Nähestellung zum Dienstherren ebenso lange bindbar wie jeder andere112. Konzipiert wurde die Fünfjahresfrist dabei für eine bestimmte Personengruppe: „Wenn nun auch die Bestimmung einer zehnjährigen Gebundenheit in Ansehung der einheimischen Arbeiter [unbedenklich erscheint], so müsse sie doch bedenklich erscheinen gegenüber ausländischen, auf einer niedrigeren Kulturstufe befindlichen Arbeitern, welche von inländischen Arbeitgebern eingeführt werden.“113 Die zweite Kommission nimmt in diesen Ausführungen also bewusst in Kauf, dass § 624 S. 1 BGB die Privatautonomie aller „einheimischen Arbeiter“ übermäßig beschränkt. Dass die Vorschrift damit den „zwischen dem berechtigten Interesse des Dienstherrn an der Aufrechterhaltung geschlossener Verträge und dem Rechte des Arbeiters auf Schutz seiner persönlichen Freiheit […] billigen Ausgleich“114 verfehlen würde, war vom historischen Gesetzgeber im Interesse einer einheitlichen Regelung gewollt.

2. Gründe für die Fortgeltung des § 624 S. 1 BGB neben § 15 IV TzBfG a) Einführung des § 15 IV TzBfG Bis 2001 war der § 624 S. 1 BGB also bewusst weit gefasst, um jedenfalls alle Fallgruppen sicher zu erfassen, in denen Verhandlungsungleichgewichte in Verbindung mit langfristigen Kündigungsausschlüssen die persönliche Freiheit der Dienstleister gefährden könnte. Seit 2001 trägt diese Begründung 107

Jakobs/Schubert, SR II, S. 807: „[Die Vorschrift] erscheine nicht minder auch bei andere Dienstverhältnissen, sofern nur der Dienstverpflichtete zur Dienstleistung in Person verpflichtet sei, angemessen und aus den Gründen, worauf sie beruhe, sogar nothwendig“, (Herv. d. Verf). 108 Dernburg, Persönliche Rechtsstellung, S. 29 ff. 109 MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 2. 110 Planck/Knoke, § 624, S. 993. 111 MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 2. 112 Vgl. auch Planck/Knoke, § 624, S. 1000. 113 Protokolle II, S. 299 f. (Herv. d. Verf.). 114 Ebd.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

jedoch nicht mehr. Denn in diesem Jahr gliederte der Gesetzgeber durch den gleichlautenden § 15 IV TzBfG Arbeitsverhältnisse aus dem Anwendungsbereich des § 624 S. 1 BGB aus, sodass § 624 S. 1 BGB nur noch auf selbstständige Dienstverhältnisse115 bzw. „den unabhängigen Dienstvertrag“116, „freie Dienstverhältnisse“117 anwendbar ist. Damit § 624 S. 1 BGB nur noch den früheren Absicherungsbereich der eigentlich bezweckten Regelung und schützt im wesentlichen Teil seines verbleibenden Anwendungsbereichs unternehmerische Dienstleister, obwohl neuere Rechtsnormen zu dienstvertraglichen Mindestvertragslaufzeiten nicht mehr nach Dienstberechtigtem und Dienstverpflichtetem differenzieren, sondern nach Verbraucher und Unternehmer. Nach § 309 Nr. 9 lit. a BGB ist es der Dienstberechtigte, der vor Mindestvertragslaufzeiten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschützt wird, während der Dienstverpflichtete keinerlei Schutz erhält. Die Wertung ist gegenüber § 624 S. 1 BGB also genau umgekehrt. Wie § 309 Nr. 9 lit. a BGB räumt auch § 5 FernUSG ausschließlich dem Teilnehmer am Fernunterricht nach Ablauf des ersten Halbjahres ein Kündigungsrecht ein, während der Veranstalter auf ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund verwiesen bleibt. Nach dem Wortlaut des § 624 S. 1 BGB hingegen könnte etwa ein Rechtsanwalt oder Arzt Mandanten und Patienten unkündbar an sich binden118, selbst aber trotz etwaiger anders lautender Vertragsbestimmungen nach fünf Jahren kündigen. Der Gesetzgeber sah 2001 trotzdem keine Veranlassung, § 624 S. 1 BGB aufzuheben oder seine bisherige Fassung zu ändern119, weil sich der Anwendungsüberhang der Vorschrift in der Rechtspraxis als unproblematisch herausgestellt hatte. b) Praktische Unschädlichkeit des Anwendungsüberhangs Zunächst gilt für Dienstleistungen höherer Art im Grundsatz § 627 BGB (fristlose Kündigung bei Vertrauensstellung), sodass diese ohnehin beidseitig kündbar sind. Diese Vorschrift ist zwar abdingbar, jedoch nicht durch

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MünchKomm-BGB/Schwerdtner § 624, Rn. 2; BT-Drs. 14/4374, S. 20: „Für Dienstverhältnisse, die nicht Arbeitsverhältnisse sind, gilt weiterhin § 624 des Bürgerlichen Gesetzbuchs“; BeckOK/Fuchs, § 624, Rn. 2; ErfK/Müller-Glöge, § 624 BGB, Rn. 1; Staudinger/Preis, § 624, Rn. 3; KR/Fischermeier, § 624, Rn. 4. 116 Staudinger/Preis, § 624, Rn. 3. 117 BeckOK/Fuchs, § 624, Rn. 2. 118 In Bezug auf Rechtsanwälte Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor §§ 611 ff. BGB, Rn. 172; in Bezug auf Behandlungsverträge Staudinger/Richardi/Fischinger, Vor §§ 611 ff., Rn. 133. 119 BT-Drs. 14/4374, S. 20: „Für Dienstverhältnisse, die nicht Arbeitsverhältnisse sind, gilt weiterhin § 624 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.“

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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AGB120, sodass in der Praxis in aller Regel für Dienste höherer Art keine Kündigungsausschlüsse vereinbart werden. Kündigungsausschlüsse werden außerhalb sozialer Ungleichgewichtslagen, in den eine Beschränkung persönlicher Freiheit in Rede steht, auch deswegen selten wider die Interessen des Dienstleisters vereinbart, weil dieser a priori keine schlechtere Verhandlungsposition hat und auch der Dienstberechtigte seine Verhandlungsposition gegenüber weiteren Dienstleistern nicht durch Kündigungsausschlüsse festigen kann. Deswegen beruft sich in entscheidenden Fällen kaum jemals ein Dienstleister auf eine Unwirksamkeit von Kündigungsausschlüssen121. Stattdessen steht „[in] den problematischen Fallkonstellationen [...] häufig nicht die übermäßige Festlegung des zur Dienstleistung Verpflichteten, sondern die langfristige Bindung der wirtschaftlich Schwächeren, zur Geldleistung verpflichteten Partei zur Diskussion“122, die sich nicht auf § 624 S. 1 BGB berufen kann. Weil der Anwendungsüberhang des § 624 S. 1 BGB von seinen Begünstigten nur selten genutzt werden muss, mussten die Gerichte entsprechend selten entscheiden, ob ihnen die Berufung auf § 624 S. 2 BGB zu gewähren ist123. Wo Rechtsstreitigkeiten diese Frage zum Gegenstand hatten, hat die Rechtsprechung pragmatische Wege gefunden, einseitige Kündigungsrechte wirtschaftlich überlegener Dienstleister im konkreten Einzelfall zu vermeiden. Bei den unternehmerisch angebotenen Leistungen handelt es sich oft nicht allein um Dienstleistungen124. Deswegen konnten die Gerichte die Nichtanwendbarkeit § 624 S. 1 BGB damit begründen, dass bei gemischten Verträgen im Einzelfall zu prüfen sei, welche gesetzliche Vorschrift passe und bei § 624 S. 1 BGB sei dies nicht der Fall125.

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BGH MDR 2005, 1285 unter Hinweis auf die „herrschende Meinung in der Rechtsprechung und der Fachliteratur“; vgl. etwa bereits BGH NJW 1989, 1479. BGH NJW-RR 1989, 759 hielt auch einen individualvertraglich vereinbarten Ausschluss für unzulässig. 121 Vgl. BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag); BGH NJW 2003, 886; BGHZ 120, 108. 122 MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 6. 123 Insoweit hat sich seit Leo DB 1961, 1518, 1520 nichts geändert. 124 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag); BGH NJW 1969, 1662 (Tankstellenstationärvertrag ’69); OLG Hamm DB 78, 1445; OLG Köln NJW 1980, 1395. 125 Exemplarisch OLG Köln NJW 1980, 1395 „Allerdings würde dem stillschweigenden Ausschluß auch der Kündigungsmöglichkeit des § 624 S. 1 BGB durch die Parteien der Umstand nicht entgegenstehen, daß § 624 S. 1 BGB nach allgemeiner Ansicht unabdingbar ist (vgl. Palandt/Putzo, § 624 Anm. 1 b). Denn diese Unabdingbarkeit gilt nur für einen Vertrag, auf den die Vorschriften der §§ 611 ff. BGB über den Dienstvertrag direkt anzuwenden sind, nicht aber auch für solche Verträge, auf die die dienstvertraglichen Normen allenfalls entsprechend anzuwenden sind. Bei einer entsprechenden Anwendung ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen, ob die Sachlage und die beiderseitigen Interessen der Parteien die Anwendung der Norm rechtfertigen.“ (Herv. d. Verf).

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Genauer wurde § 624 S. 1 BGB zwar für anwendbar gehalten, jedoch als ausnahmsweise abdingbar bezeichnet. Im Fall einer zwingenden Vorschrift wie § 624 S. 1 BGB, deren Wirkung sich fast ausschließlich in einer Beschränkung der Vertragsfreiheit erschöpft, bedeutet dies jedoch eine Reduktion auf Null.

Da § 624 S. 1 BGB aufgrund dieses pragmatischen Umgangs mit seinem Anwendungsüberhang in der Rechtspraxis keine Schwierigkeiten verursacht, konnte der Gesetzgeber ihn 2001 unverändert beibehalten. Der Vorteil davon, neben Arbeitnehmern auch sonstige Dienstleister durch eine Bindungsgrenze zu schützen, liegt darin, dass auch schutzbedürftige formal Selbstständige oder leitende Angestellte zu erfassen126. aa) Rechtsprechung zur Nicht-Anwendung des § 624 S. 1 BGB im Einzelnen Die Urteile zur Anwendbarkeit des § 624 S. 1 BGB auf unternehmerische Dienstleister folgen fast durchgehend einer restriktiven Linie, die sich an neun grundlegenden Urteilen nachzeichnen lässt. 1912 1930 1969 1978 1979 1982 1993 1995 1996

RGZ 78, 421 (Villenbau) RG RGZ 128, 1 (Gesellschaftsvertragliche Nebenleistungspflicht) BGH NJW 1969, 1662 (Tankstellenstationärvertrag ’69) OLG Hamm Urt. v. 08.05.1978, 18 U 205/77 (Handelsvertretervertrag ’78) OLG Köln NJW 1980, 1395 (Altenheimvertrag) BGH NJW 1982, 1692 (Tankstellenstationärvertrag ’82) BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag) BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz) OLG Düsseldorf Urt. v. 15.10.1996, 23 U 27/96 (Sukzessivwerkvertrag) RG

Tab. 1: Wichtige Urteile zur Nichtanwendbarkeit des § 624 S. 1 BGB

Bereits das Reichsgericht wollte § 624 S. 1 BGB erst nach einer „Prüfung der Frage, ob ein solches Kündigungsrecht als gerechtfertigt angesehen werden kann, den berechtigten Belangen der Gesellschaft [also der Kündigungsgeg-

126

Vgl. BAG NZA 1999, 839.

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nerin, der Verf.] in vollem Umfang Rechnung [zu tragen]“127 auf dienstvertragsähnliche Verhältnisse anwenden128. Die Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 624 S. 1 BGB ist teilweise missverständlich, weil die Vorschrift gelegentlich nur dafür zitiert wird, dass Verträge auf unbestimmte Zeit ordentlich kündbar sind129 und im Anschluss an derartige Entscheidungen gelegentlich in der Literatur so wiedergegeben wird, dass § 624 S. 1 BGB auf den beurteilten Vertragstyp anwendbar sei130. In diesen Fällen wird die Bestimmung aber nicht als Vorschrift zur Begrenzung von Bindung auf Zeit zitiert, denn die auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Verträge enthielten keine Kündigungsausschlüsse.

Auch der BGH äußert sich regelmäßig zurückhaltend. Ein Beispiel für ein „komplexe[s] Vertragsverhältnis“131, also einen gemischten Vertrag mit dienstvertraglichen Elementen ist der sogenannte Tankstellenstationärvertrag. In einem Tankstellenstationärvertrag vereinbaren in der Regel ein Mineralölunternehmen und ein „Stationär“, dass der Stationär ein Grundstück zur Verfügung stellt und das Mineralölunternehmen das Kapital zur Errichtung der notwendigen Tankstellenanlagen und einer Verkaufstelle. Der Stationär muss sich zudem verpflichten, gegen eine Provision im Namen und auf die Rechnung des Mineralölunternehmens langfristig Treibstoff und weitere Güter wie etwa Schmierstoffe zu vertreiben.

Der BGH führt schon bei der dogmatischen Einordnung des Vertrags eine „Abwägung der beiderseitigen Interessenlage“132 durch, um zu ermitteln, ob 127

RGZ 128, 1, 18 (Zuckerfabrik). In einer früheren Entscheidung hatte das RG ebenfalls Zurückhaltung geübt und nur auf den „der Bestimmung des § 624 BGB zugrunde liegende[n] Gedanken“ rekurrieren wollen, RGZ 78, 421, 424. 128 Im konkreten Fall trafen einen GmbH-Gesellschafter dienstvertragliche Nebenpflichten, denen er sich auf Dauer zu entziehen wünschte. Kritisch zu dieser Entscheidung Ascheid/Preis/Schmidt/Backhaus,§ 624 BGB, Rn. 8. 129 Die „entsprechende Anwendung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Kündigung von Dienstverhältnissen“ (RGZ 78, 421, 423) war somit nur das generalisierende obiter dictum der Anwendung „also auch der Vorschrift des § 623 [des heutigen § 620 BGB, d. Verf.]“ (RGZ 78, 421, 423 f.). 130 Das Reichsgericht, heißt es, habe § 624 S. 1 BGB als „nicht bloß auf eigentliche Dienstverträge, sondern auch auf dienstvertragsähnliche Verhältnisse“ anwendbare Vorschrift betrachtet, Staudinger/Preis, § 624, Rn. 6; MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 6, zu RGZ 128, 1, 17 (Zuckerfabrik); ebenso RGZ 78, 421, 424 (Villenbau), der BGH sei demgegenüber „jedoch deutlich zurückhaltender“, MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 6. Tatsächlich zitierte das Reichtsgericht in den genannten Entscheidungen § 624 BGB jedoch lediglich im Hinblick auf die grundsätzliche ordentliche Kündbarkeit von auf unbestimmte Zeit geschlossenen dienstvertragsähnlichen Verhältnissen. 131 Vgl. im Zusammenhang, BGH NJW 1969, 1662, 1663: „Stationärverträge sind somit keine reinen Dienstverträge, sondern komplexe Vertragsverhältnisse. Sie können sich aus mehreren Einzelverträgen verschiedener Vertragstypen zusammensetzen. Sie können auch gemischte Verträge eigener Art darstellen, bei denen dann jeweils der einheitliche Vertrag die Merkmale verschiedener Vertragstypen in sich vereinigt.“ 132 BGH NJW 1969, 1662, 1663 (Tankstellenstationärvertrag ’69).

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

eine Anwendung des § 624 S. 1 BGB angemessen ist. Nach der Rechtsprechung des BGH scheidet eine analoge Anwendung des § 624 S. 1 BGB auf Tankstellenstationärverträge aus, da eine Begrenzung der Bindung auf fünf Jahre das vom Mineralölkonzern für die Anlagenerstellung zur Verfügung zu stellende Kapital übermäßig begrenzte und somit investitionshemmend wirkte133. Mit dieser materiellen Interessenprüfung stellte sich der BGH gegen die dogmatische Argumentation des Berufungsgerichts, dass „bei einem solchen Vertragsverhältnis der Charakter des Dienstvertrages [so sehr überwiegt], daß sich der Gesamtvertrag ausschließlich nach dessen Regeln richten müßte.“134 Weil der BGH bei der Anwendung des § 624 S. 1 BGB sich nicht nach dem überwiegenden Vertragscharakter richtet, konnte er bei der Beurteilung eines Wäschereivertrags den Vertragstyp offen lassen und stattdessen feststellen, dass § 624 S. 1 BGB jedenfalls nicht anwendbar sei135. Denn wie das Berufungsgericht festgestellt hatte, handelten beide Parteien „wirtschaftlich selbstständig und in Verfolgung ihrer eigenen Interessen“136. Auch im Fall „Düra Vollsalz“ schied für den BGH eine Anwendung des § 624 S. 1 BGB aus, weil die dienstpflichtige Partei der anderen wirtschaftlich überlegen war137. In der Entscheidung „Heimträgervertrag“ verwehrte das OLG Köln dem Altenheimträger die Berufung auf § 624 S. 1 BGB im Hinblick auf die typisierte beiderseitige Interessenlage138 und die Abhängigkeit der Heimbewohner. Auch hier blieb dem Dienstleister als überlegenen Vertragsteil eine Kündigung nach § 624 S. 1 BGB versagt. 133

BGH NJW 1969, 1662 (Tankstellenstationärvertrag ’69); BGH NJW 1982, 1692 (Tankstellenstationärvertrag ’82). Auch wo die Rechtsprechung eine Anwendung des § 624 S. 1 BGB verneint hat, soll der Rechtsgedanke der Vorschrift anwendbar sein und zu einer Beschränkung der höchstzulässigen Bindung auf 25 Jahre führen: „Vielmehr verstößt [die weitergehende zeitliche Bindung, d. Verf.], auch wenn – wie dargelegt – § 624 S. 1 BGB auf Stationärverträge unmittelbar keine Anwendung findet, gegen den gesetzgeberischen Grundgedanken dieser Vorschrift, die zum Schutz der Dienstverpflichteten vor einer übermäßigen Beschränkung ihrer persönlichen und beruflichen Freiheit die Möglichkeit zur Beendigung langfristiger Vertragsverhältnisse nach Ablauf einer bestimmten Frist unabdingbar vorschreibt“, BGH NJW 1982, 1692 (Tankstellenstationärvertrag ’82). Dies ist jedoch weniger eine Anwendung des § 624 S. 1 BGB als der – im Rahmen des § 138 BGB übliche (vgl. unten, Kap. 3, G.I.6 Wirtschaftliche Handlungsfreiheit und Selbstständigkeit) – Schutz unternehmerischer Freiheit und Selbstständigkeit. Aus Klarstellungsgründen sollte in diesem Bereich nicht mit dem Rechtsgedanken des § 624 S. 1 BGB argumentiert, sondern die Parallele zur Bierlieferungsrechtsprechung (s.u.) gezogen werden. 134 BGH NJW 1969, 1662 (Tankstellenstationärvertrag ’69). 135 BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag). 136 Ebd. 137 BGH NJW 1995, 2350, 2350 (Düra Vollsalz). 138 OLG Köln NJW 1980, 1395 (Altenheimvertrag). Nach der Feststellung „Denn diese Unabdingbarkeit gilt nur für einen Vertrag, auf den die Vorschriften der §§ 611 ff. BGB über den Dienstvertrag direkt anzuwenden sind, nicht aber auch für solche Verträge, auf die die dienstvertraglichen Normen allenfalls entsprechend anzuwenden sind“, fährt das OLG fort mit der Überleitung: „Bei einer entsprechenden Anwendung ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen, ob die Sachlage und die beiderseitigen Interessen der Parteien die Anwendung der Norm rechtfertigen“.

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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Die Rechtsprechung hat die Anwendung des § 624 S. 1 BGB im Grenzbereich seiner Einschlägigkeit nicht ausnahmslos abgelehnt. Vereinzelt wurde die Bestimmung sogar auf andere Vertragstypen analog angewandt. Andere Dauerschuldverhältnisse können vergleichbare Tätigkeitspflichten wie Dienstverträge bewirken und auf derartige Verträge soll § 624 S. 1 BGB anwendbar sein. Faktische Tätigkeitspflichten sind bei Werk- oder Kaufverträgen (bzw. Werklieferungsverträgen) denkbar, also beispielsweise einem Vertrag über ein noch zu erstellendes Kunstwerk. Zu entscheiden hatten derartige Fälle 1972 das OLG Hamburg und 1996 das OLG Düsseldorf. Das OLG Hamburg hatte über einen Reinigungsvertrag zu entscheiden, den es nicht als Dienstvertrag, sondern als „Dauerwerkvertrag“ qualifizierte, auf den die dienstvertragsrechtlichen Kündigungsvorschriften analog anzuwenden sein139. Das OLG Hamburg vertrat, dass § 649 BGB – das jederzeitige Kündigungsrecht des Bestellers – als unpassend auf Dauerwerkverträge nicht anzuwenden sei, vermochte sich hiermit jedoch nicht durchzusetzen140. Das OLG Düsseldorf hingegen wandte § 624 S. 1 BGB auf Sukzessivwerkverträge an, eine entsprechende personale Prägung vorausgesetzt141. Danach setzt die Anwendung des § 624 S. 1 BGB nicht notwendig einen Dienstvertrag voraus, sondern „eine entsprechende Anwendung [des § 624 S. 1 BGB kommt auch] bei vergleichbaren Dauerschuldverhältnissen in Betracht“142. Auf Handelsvertreterverträge als spezielle Dienstleistungsverträge sollte nach zunächst vertretener Ansicht § 624 S. 1 BGB mit der Begründung nicht anwendbar sein, dass §§ 89 ff. HGB ein spezielleres Kündigungsrecht vorsähen143. Hinter dieser formalistischen Argumentation stand die Überlegung, dass „soziale Privilegierung für den Handelsvertreter als selbständigen Kaufmann [...] sachfremd [erscheinen]“144. Die vom RG großzügig bejahte145 und vom BGH offen gelassene Frage146 hat das OLG Hamm147 dahingehend entschie139

OLG Hamburg MDR 1972, 866. A.A. Schweyer, CR 1989, 1103; im Folgenden ereignete sich ein Wechsel der Rechtsprechung, vgl. etwa OLG Brandenburg, Urteil vom 29.10.2003 – 7 U 54/03 –, juris. 141 OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.1996 – 23 U 27/96 (Sukzessivwerkvertrag). Vgl. auch OLG München NJW-RR 1996, 561. 142 BeckOK-BGB/Fuchs, § 624, Rn. 2; vgl. auch MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 1 f.. Der BGH konnte die analoge Anwendung des § 624 S. 1 BGB auf Dauerschuldverhältnisse mit faktischen Tätigkeitspflichten bisher offen lassen, BGH NJW-RR 1986, 982 (Haarteilservicevertrag). 143 Vgl. etwa LG Hamburg NJW 1963, 1550; Boldt BB 1962, 906 ff. 144 LG Hamburg NJW 1963, 1550; vgl. auch Leo DB 1961, 1518; Duden NJW 1962, 1326 und das OLG Stuttgart NJW 1965, 2255 hinsichtlich der „einleuchtenden Begründung, daß die Bestimmung des § 624 S. 1 BGB den Dienstverpflichteten, der sich regelmäßig gegenüber dem Dienstberechtigten in einer schwächeren Stellung befindet, vor allzu großer persönlicher Abhängigkeit und Bindung schützen will, daß aber die für das Dienstund Arbeitsverhältnis typische personelle Abhängigkeit und die regelmäßig schwächere Stellung des Arbeitnehmers beim Handelsvertreter als Kaufmann und selbständigem Gewerbetreibenden nicht besteht.“ 145 RGZ 78, 421. 146 BGH NJW 1969, 1662 (Tankstellenstationärvertrag ’69); BGH NJW 1995, 2350, 2350 (Düra Vollsalz); vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/Backhaus, § 624 BGB, Rn. 8 f. 140

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

den, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob der Verpflichtete einer jener Handelsvertreter sei, „die wirtschaftlich ihrem Unternehmer durchaus gleichstehen oder ihm sogar überlegen sind.“ In solchen Fällen werde „die entsprechende Anwendung von § 624 S. 1 BGB dem Gesetzeszweck nicht gerecht“148. Im entschiedenen Fall gestattete das OLG hingegen dem wirtschaftlich unterlegenen Handelsvertreter, der seine Tätigkeit in eigener Person ausübte, die Berufung auf § 624 S. 1 BGB.

bb) Kriterien der Nichtanwendbarkeit Im Lichte des Zwecks der Vorschrift ist es „nachvollziehbar und im Einklang mit dem Gesetz“ „der (wirtschaftlich stärkeren) zur Dienstleistung verpflichteten Partei die Berufung auf § 624 BGB zu versagen“149. In diesem Bereich rechtfertigen Investitionsschutz150 und Privatautonomie die Bindungskraft von Kündigungsausschlüssen151. Wann die Bindung ausnahmsweise doch nach § 624 S. 1 BGB begrenzt werden soll, ist umstritten. In der Literatur wird vertreten, dass es darauf ankomme, ob der Vertrag eine besondere personale Prägung aufweise152 bzw. eine „Prägung des gesamten Vertragsverhältnisses durch personenbezogen-dienstvertragliche Elemente“153. Der BGH hat diesem Kriterium jedoch ausdrücklich eine Absage erteilt154. Auch die Dienstvertragsähnlichkeit des Vertrags ist als solche kein aufschlussreiches Indiz für die Anwendbarkeit des § 624 S. 1 BGB, weil der BGH die Anwend147

OLG Hamm DB 78, 1445. Ebd., S. 1446: „Maßgeblich kommt es darauf an, welche Bindungen sich die Parteien gegenseitig insgesamt auferlegen und ob der langen Bindung des Handlesvertreteres adäquate Gegenleistungen gegenüberstehen.“ Vgl. KG MDR 1997, 1041. 149 MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 6. 150 BGH NJW 1982, 1692 (Tankstellenstationärvertrag ’82); BGH NJW 1995, 2350, 2350 (Düra Vollsalz); BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag). 151 BGH NJW 1982, 1692 (Tankstellenstationärvertrag ’82). 152 ErfK/Müller-Glöge, § 624 BGB, Rn. 1; so auch Staudinger/Preis, § 624, Rn. 5: „Bei gemischten Verträgen kann § 624 nur dann angewendet werden, wenn nach der Vertragsgestaltung die persönliche Dienstleistung überwiegt, d.h. das Vertragsverhältnis mehr personenbezogen als unternehmensbezogen ausgestaltet ist“; Ascheid/Preis/Schmidt/ Backhaus, § 624 BGB, Rn. 7 f.; MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 5: „Der Anwendungsbereich des § 624 ist erst eröffnet, wenn es sich vorrangig um eine personenbezogene, weniger um eine unternehmensbezogene Tätigkeit handelt.“ BeckOK-BGB/Fuchs, § 624, Rn. 2: „Bei gemischttypischen Verträgen kommt die Vorschrift zur Anwendung, wenn das dienstvertragliche Element überwiegt“. Vgl. auch Rittner, NJW 1964, 2225 sowie das neuere Urteil des LG Karlsruhe IPRax 2002, 532. Für eine entsprechende Anwendung für Verträge mit überwiegend personenbezogenen Elementen aus der Rechtsprechung auch LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 01.04.2009 – 6 Sa 409/08 –, juris. 153 Ascheid/Preis/Schmidt/Backhaus, § 624 BGB, Rn. 7 f. 154 Der BGH formulierte, es „[komme] nicht darauf an, […] ob der Inhaber der Beklagten die Arbeiten in der Tankstelle nicht alle persönlich leistet und ob die Beklagte aus der Tankstelle erheblichen Gewinn zieht“, BGH NJW 1969, 1662 (Tankstellenstationärvertrag ’69). 148

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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barkeit der Vorschrift von der strikten Anknüpfung an den Vertragstypus des Dienstvertrags entkoppelt hat. Ausschlaggebend ist vielmehr das Kriterium, ob in Verträgen dieser Art der Dienstnehmer dem Dienstherrn wirtschaftlich „gleich steht“155 oder ihm sogar überlegen ist. Dieser Kriterium passt zu dem für § 624 S. 1 BGB ermittelten Zweck. Als Maßstab der von der Rechtsprechung durchgeführten materiellen Gesamtschau empfiehlt sich – unter Hinzufügung der objektiven Perspektive – damit das typisierte Verhandlungsgewicht der Wirtschaftsakteure und ob eine Bindung von Arbeitskraft über fünf Jahre hinaus eine bestehende Ungleichgewichtslage zu Lasten der persönlichen Freiheit der Dienstleister noch zu verschärfen droht. cc) Fazit Im praktischen Ergebnis besteht kein Anwendungsüberhang des § 624 S. 1 BGB, weil die Rechtsprechung ihn teleologisch reduziert – auch wenn sie dies so nicht klar benennt. Die teleologische Reduktion ist richtig und notwendig156. Sie bestätigt, dass § 624 S. 1 BGB dazu dienen soll, die persönliche Freihit von Dienstleistern im Fall ihrer Gefährdung zu schützen. Sie ist jedoch unabhängig davon sinnvoll, ob gemischte Verträge geschlossen werden, und sollte methodisch nicht als Abdingbarkeit des § 624 S. 1 BGB bezeichnet werden. § 624 S. 1 BGB ist nicht auf solche Arten von Dienstleistungen anzuwenden, bei denen der Anbieter dem Dienstherrn typischerweise wirtschaftlich und sozial gewachsen ist Denn zu Lasten eines Stärkeren kann kein Verhandlungsungleichgewicht perpetuiert werden. V. Begrenzung weiterer Tätigkeitsbindungen Neben Dienst- und Arbeitsverträgen, gemischten Verträgen und Dauerschuldverhältnissen vergleichbarer Wirkung bestehen weitere Formen vertraglicher Verpflichtung, die Tätigkeitspflichten zum Inhalt haben können. Auch diese müssen bindungsbegrenzt sein, wenn Grund der Tätigkeitsbindungsgrenze tatsächlich der typisierte Schutz persönlicher Freiheit ist. 1. Wettbewerbsverbote Bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten handelt es sich nicht um Tätigkeitsvereinbarungen, sondern um Tätigkeitsunterlassungsvereinbarungen. Für 155

OLG Hamm DB 78, 1445. So im Ergebnis auch MünchKomm-BGB/Henssler, § 624, Rn. 3; Ascheid/Preis/ Schmidt/Backhaus, § 624 BGB, Rn. 4 zumindest für juristische Personen; Duden, NJW 1962, 1327; ErfK/Müller-Glöge, § 624 BGB, Rn. 1: „§ 624 soll den Dienstverpflichteten in seiner persönlichen Freiheit schützen und betrifft damit allein natürliche Personen, die ihre Dienstpflicht in Person zu leisten haben“ (Unterstreichung d. Verf.). A.A. wohl: Staudinger/Preis, § 624, Rn. 3: „§ 624 läßt keine Ausnahmen zu.“ 156

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die berufliche Verwirklichungsfreiheit bilden diese Verträge eine verschärfte Einschränkung: Nicht nur hinsichtlich des Wie, sondern auch hinsichtlich des Ob. Die demnach zu erwartenden Bindungsgrenzen kurzer Frist sieht das Gesetz in § 74a I S. 3 HGB i.V.m. § 110 S. 2 GewO vor (Beschränkung auf zwei Jahre). Außerhalb des Anwendungsbereichs der Vorschrift wird eine Bindungsbegrenzung von Wettbewerbsverboten aus allgemeinen Rechtsgedanken hergeleitet157, was auch verfassungsrechtlich geboten ist158. 2. Aufträge Auftragsverträge nach §§ 662 ff. BGB enthalten Tätigkeitspflichten, ohne dass der für entgeltliche Austauschverträge geltende § 624 S. 1 BGB seinem Wortlaut zufolge anwendbar ist. Das Gesetz hat Aufträge jedoch ohnehin als bindungsfrei ausgestaltet. Nach § 671 I BGB können sich sowohl der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer vom Auftrag jederzeit einseitig durch Widerruf bzw. Kündigung befreien. Die Vorschrift ist, wie sich aus § 671 III BGB schließen lässt, zwar zulasten des Auftragnehmers dispositiv159. Aufgrund der Unentgeltlichkeit des Auftragsverhältnisses ist jedoch nicht zu erwarten, dass der Auftragnehmer in Ausübung dieses Verzichtsrechts Bindungen eingeht, die nach Umfang und Dauer übermäßig sind. Auch gerichtlich war, soweit ersichtlich, kein derartiger Fall zu entscheiden. In der theoretischen Konstellation, dass ein Auftragnehmer eine über fünfjährige Tätigkeitspflicht erheblichen Umfangs unkündbar und ohne Gegenleistung übernimmt, ohne dass dies eine Anwendung des § 138 I BGB rechtfertigt160, dürfte § 624 S. 1 BGB analog anzuwenden sein. 3. Personengesellschaften Bei Personengesellschaften können im Gesellschaftervertrag grundsätzlich auch Dienstleistungen als Beiträge oder Nebenpflichten vereinbart werden (§ 706 III BGB, §§ 105 III, 161 II HGB). Hierbei muss es sich nicht zwingend um Geschäftsführungspflichten handeln. Es kann auch jeder andere 157 Für Gesellschafter einer Personengesellschaft BGH NJW 1991, 699; 1994, 384, 385; für GmbH-Geschäftsführer OLG Düsseldorf NZG 1999, 405; vgl. auch BGH NJW-RR 1996, 741; NJW 2000, 2585; 2004, 66; 2005, 3061. 158 BGH NJW 1991, 699; Goette, AnwBl 2007, 637. 159 Der Auftraggeber hingegen vermag auf sein Widerrufsrecht im Grundsatz nicht zu verzichten, MünchKomm-BGB/Seiler, § 671, Rn. 7. Ein Verzicht ist nur in der Sonderkonstellation zulässig, dass der Auftrag auch im Interesse des Beauftragten erteilt wurde, Staudinger/Martinek, § 671, Rn. 2. 160 MünchKomm-BGB/Seiler, § 671, Rn. 8: „Unabhängig von diesen aus dem Wesen des Auftrags folgenden Regeln sind Verzichtserklärungen nach den Vorschriften außerhalb der §§ 662 ff. zu überprüfen. So können sie etwa nach § 138 oder wegen Verstoßes gegen zwingende erbrechtliche Bestimmungen unwirksam sein.“

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Einsatz von Arbeitskraft geschuldet sein, sodass der Gesellschaftsvertrag einen ähnlichen Verpflichtungsinhalt haben kann wie ein Dienstvertrag161. Da die Regelung des § 624 S. 1 BGB nach der Gesetzessystematik auf Gesellschaftsverträge nicht anwendbar ist, muss eine andere Bindungsgrenze den Tätigkeitsverpflichteten schützen, falls langfristige Tätigkeitsbindungen tatsächlich durchgehend verhindert werden sollen. Denn anders als es den Anschein hat, verschaffen auch die personengesellschaftsrechtlichen Bindungsgrenzen (§§ 723 III, 724 BGB) keinen ausreichenden Schutz. a) Unzureichender Schutz durch § 724 S. 1 BGB Nach § 724 S. 1 BGB kann eine auf Lebenszeit eingegangene Gesellschaft ebenso gekündigt werden wie eine auf unbestimmte Zeit geschlossene Gesellschaft, also grundsätzlich jederzeit, § 723 I S. 1 BGB (vgl. auch §§ 134, 161 II HGB). Diese Bestimmung unterscheidet sich von allen anderen Bindungsgrenzen, weil sie noch der Regelungsidee folgt, nach der nur lebenslange Bindungen zu begrenzen sind162. Ursprünglich waren zahlreiche Bindungsgrenzen wie § 724 S. 1 BGB formuliert, so etwa die Bindungsgrenzen des Code civil, des Sächsischen BGB, des Schweizerischen Gesetzes über das Obligationenrecht sowie der Hessischen und Bayerischen Entwürfe163. Auch die den Beratungen der Ersten Kommission zugrunde liegende erste Fassung des heutigen § 624 S. 1 BGB entsprach diesen Lebenszeitbestimmungen164. Die heutige Fassung des § 624 S. 1 BGB und somit die moderne regelungstechnische Form einer Bindungsgrenze geht auf einen Änderungsantrag Plancks zurück. Spätere Anträge, die hinter diesem Regelungsniveau zurückblieben, haben die BGB-Verfasser von diesem Zeitpunkt an abgelehnt165. Sie haben es jedoch versäumt, die Fassung des § 724 S. 1 BGB an diese Entwicklung anzupassen. § 724 S. 1 BGB weist deswegen mehrere Schwächen auf. Insbesondere hat der Verweis auf die Kündbarkeit von Gesellschaften, die auf unbestimmte Zeit eingegangen wurden (§ 723 I S. 1 BGB), zur Folge, dass eine auf die Lebenszeit eines Gesellschafters unkündbar geschlossene Gesellschaft nach dem Wortlaut des § 724 S. 1 BGB sofort kündbar ist und somit ihren Zwecken kaum wird gerecht werden können. Die Rechtsprechung sah sich daher gezwungen, § 724 S. 1 BGB insoweit für teilweise abdingbar zu erklären. Die auf Lebenszeit eines Gesellschafters geschlossene Gesellschaft ist somit entgegen dem Wortlaut des § 724 S. 1 BGB nicht jederzeit kündbar, wenn sich 161

BeckOK-BGB/Schöne, § 706, Rn. 13. § 544 BGB enthält insoweit eine umgekehrte Wertung. 163 Vgl. Kübel, Vorentwurf I, S. 588 f. 164 Vgl. Kübel, Vorentwurf I. 165 Vgl. den der Zweiten Kommission vorliegenden Vorschlag zur Änderung des § 563 E II, Protokolle II, S. 299. 162

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

dies aus dem Zweck der Gesellschaft oder den Umständen ergibt166. Die Konzeption etwa des § 624 S. 1 BGB hat demgegenüber den Vorzug, dass im zeitlichen Gleichlauf von Tatbestand und Rechtsfolge von vornherein erst nach Ablauf der zulässigen Bindungszeiten ein Kündigungsrecht gewährt wird. Aufgrund dieser Unzulänglichkeit des § 724 S. 1 BGB legt die Rechtsprechung die Bestimmung eng aus. Sie wendet die Vorschrift dem Wortlaut entsprechend nur auf Bindungen an, die ausdrücklich an die Lebenszeit eines Gesellschafters anknüpfen, und erstreckt ihre Anwendbarkeit insbesondere nicht auch auf solche Bindungen, die zeitlich eindeutig über die voraussichtliche Lebenszeit der Gesellschafter hinausgehen167. Durch diesen engen Anwendungsbereich verfehlt § 724 S. 1 BGB die Schutzfunktion, überlange Gesellschafterbindungen zu verhindern. Denn die Lebenszeit eines Gesellschafters hat keinen notwendigen Bezug zu Überlänge, seine Lebenserwartung kann einerseits eine auch ex ante sehr kurz bemessene Bindungszeit bedeuten, erlaubt andererseits aber auch äußerst lange Bindungen. Deswegen wird § 724 S. 1 BGB nicht als Bindungsgrenze, sondern als Bestimmung zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit interpretiert168. b) Unzureichender Schutz durch § 723 III BGB Die Rechtsprechung hat nicht hingenommen, dass § 724 S. 1 BGB keinen Schutz vor überlangen Tätigkeitsbindungen verschafft, sondern zunächst § 723 III BGB erweiternd ausgelegt. § 723 III BGB ordnet nach seinem Wortlaut allein an, dass ein (nach § 723 I, II BGB) gegebenes Kündigungsrecht nicht beschränkt werden dürfe („durch welche das Kündigungsrecht“, Hervorhebung durch d. Verf.). Damit ist er seinem Wortlaut nach auf die ordentliche Kündbarkeit überlang befristeter Gesellschaften nicht anwendbar, denn für befristete Gesellschaften existiert kein ordentliches Kündigungsrecht, das beschränkt werden könnte. Deswegen „entsprach es der früher herrschenden Meinung, dass Befristungen in Gesellschaftsverträgen zwar nicht auf die Lebenszeit eines Gesellschafters (§ 724 BGB), im Übrigen aber zeitlich unbeschränkt vereinbart werden konnten“169. Der BGH hat § 723 III BGB jedoch zur Bindungsgrenze weiterentwickelt. Demnach komme den §§ 723, 724 BGB insgesamt ein „auf die persönliche Freiheit der Gesellschafter gerichtete[r] Schutzzweck“ zu170, der erfordere, dass „die Gesellschafter [...] die Dauer ihrer Bindung einigermaßen überse166

MünchKomm-BGB/Schäfer, § 724, Rn. 9. BeckOK-BGB/Schöne, § 724, Rn. 3. 168 BGH WM 1967, 315, 316; BeckOK-BGB/Schöne, § 724, Rn. 3. 169 BGH NZG 2007, 65. 170 MünchKomm-BGB/Schäfer, § 723, Rn. 65. 167

B. Dienstvertragliche Bindungsgrenze

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hen und sich mit ihren wirtschaftlichen Dispositionen von vornherein […] darauf einstellen konnten“171. Hieraus hat der BGH einen Zweck des § 723 BGB abgeleitet, „solchen Vereinbarungen über die Beschränkung des ordentlichen Kündigungsrechts die Wirksamkeit zu versagen, bei denen die Bindung der Gesellschafter an die Gesellschaft zeitlich ganz unüberschaubar und ihre persönliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit infolgedessen unvertretbar eingeengt sein würde.“172 § 723 III BGB wird damit zum Anknüpfungspunkt einer Bindungsgrenze, mit der je nach den Umständen des Einzelfalls Bindungen von bis zu 12–15 Jahren noch vereinbar sein können, die jedoch zumindest Bindungen auf 30 Jahre untersagt173. Eine derart großzügige Bindungsgrenze schützt jedoch nicht im vergleichbaren Maß wie § 624 S. 1 BGB die persönliche Freiheit eines Tätigkeitsverpflichteten. Sie gilt auch nicht nur für Gesellschaften, die besondere Dienstleistungspflichten vorsehen, sondern für alle. § 723 III BGB mag daher für das aus dieser Untersuchung ausgeklammerte gesellschaftsrechtliche Bindungsproblem Bedeutung haben, den Schutz persönlicher Freiheit vor Tätigkeitsbindungen vervollständigt diese Vorschrift jedoch nicht. c) Schutz durch § 624 S. 1 BGB § 624 S. 1 BGB ist auf Personengesellschaften grundsätzlich nicht anwendbar174. In einem Fall, in dem Nebenpflichten aus dem Gesellschaftsvertrag das „wirtschaftliche Fortkommen“ des Gebundenen „ernstlich gefährdeten“175, entschied das RG, dass soweit die „Nebenverpflichtungen“ auf persönliche Dienstleistungen gerichtet seien, den Dienstverpflichteten nach § 624 S. 1 BGB ein Kündigungsrecht zuzugestehen sei. Fraglich ist die dogmatische Herleitung dieses Ergebnisses. Grundsätzlich ergeben sich als Beitrag vorgesehene Dienstleistungspflichten allein aus dem Gesellschaftsvertrag und sind damit auch allein gesellschaftsrechtlich zu begrenzen. Soweit die gesellschaftsvertragliche Dienstleistungspflicht reicht, können die Dienstleistungen nicht aus einem Dienstvertrag geschuldet sein, § 624 S. 1 BGB findet somit keine Anwendung176. Die Rechtsprechung nutzt jedoch einen weiten Spielraum, stattdessen einen im Gesellschaftsvertrag vereinbarten, aber als eigenständiges Vertragsverhältnis neben den Gesellschaftsvertrag tretenden 171

BGHZ 50, 316, Rz. 23. Ebd.; vgl. BGH NJW 2007, 295. 173 MünchKomm-BGB/Schäfer, § 723, Rn. 66; K. Schmidt, GesR, § 50 II 4c bb; BGH WM 1967, 315 f.; Staudinger/Keßler, § 723, Rn. 40. Zu Bindungsgrenzen befristeter Personengesellschaften Oetker, Dauerschuldverhältnis, § 27; Erman/Westermann, § 723, Rn. 20; Heckelmann, Abfindungsklauseln, S. 132 f.; Gersch, BB 1977, 874; Wiedemann, GesR, S. 389 ff.; BGH WM 1967, 315; Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937. 174 MünchKomm-BGB/Schäfer, § 723, Rn. 64. 175 RGZ 128, 1, 17 (Zuckerfabrik). 176 BAG NJW 1979, 999. 172

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Dienstleistungsvertrag anzunehmen177. Ob eine gesellschaftsrechtliche Pflicht oder ein Drittgeschäft vorliegt, ist beispielsweise immer dann zu entscheiden, wenn ein Entgelt für die Dienstleistung vorgesehen ist178. Führt die Auslegung zu dem Ergebnis, dass wegen des Umfangs der Dienstleistungspflicht von einem eigenständigen Dienstvertrag neben dem Gesellschaftsvertrag auszugehen ist, ergibt sich über diese Konstruktion auch die Anwendbarkeit des § 624 S. 1 BGB179. Die Rechtsprechung hat hier zwar keine lückenlose Begrenzung von Tätigkeitsbindungen in Personengesellschaftsverträgen geschaffen. Gerade für umfängliche Tätigkeitspflichten hat sie hiermit jedoch einen Weg gefunden, Bindungen zu begrenzen.

C. Zweck der Bindungsgrenze in Miet- und Pachtverträgen (§ 544 BGB) C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

I. Einleitung 1. Regelung Mietparteien können grundsätzlich Mindestmietdauern ohne Kündigungsrecht vereinbaren180. Auch wenn hierbei sämtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen für den Abschluss von Mietverträgen auf bestimmte Zeit vorliegen (insb. jene des § 575 BGB181), ist die Mietbindung einer Sache sowie die finanzielle Bindung eines Mieters jedoch nach § 544 BGB begrenzt. Diese Bindungsgrenze gilt auch für Pachtverträge, §§ 581 II, 594b BGB, auf miet- oder

177 Grundsätzlich besteht eine Vermutung dafür, dass im Gesellschaftsvertrag enthaltene Leistungspflichten keine Drittgeschäfte sind, sondern gesellschaftsrechtliche Verpflichtungen, BGHZ 70, 61, 63; BGHZ 93, 159, 161 ff. 178 BeckOK-BGB/Schöne, § 706, Rn. 13. 179 Dieser Vorschlag der Auflösung der RGZ 128, 1, 1 (Zuckerfabrik) zugrunde liegenden Problematik findet sich auch bei Ascheid/Preis/Schmidt/Backhaus, § 624 BGB, Rn. 8. 180 Dies verstößt insbesondere nicht gegen § 573c IV BGB oder § 575 IV BGB, BGH NJW 2004, 1448; NJW 2005, 1574, 1575; NJW 2011, 59; NJW 2006, 1056. 181 Diese Vorschrift stellt allerdings nur für den Fall Voraussetzungen auf, dass mit Ende der Bindungszeit das Mietverhältnis auch ohne weiteres (also durch Befristung statt Kündigung) enden soll. Auf den früher sog. „einfachen Zeitmietvertrag“, also einen auf unbestimmte (Lauf-)Zeit geschlossenen, jedoch entgegen dem abdingbaren § 542 I BGB mit befristetem Kündigungsausschluss versehene Mietvertrag (der also zunächst unkündbar ist und dann kündbar weiterläuft), ist § 575 BGB nicht anwendbar, Blank/Börstinghaus/ Blank, § 575, Rn. 84; MünchKomm-BGB/Häublein, § 575, Rn. 2; § 573c, Rn. 19 sowie die zitierten Urteile des BGH. Gegen die Wirksamkeit zeitlich befristeter Kündigungsausschlüsse Kandelhard, WuM 2004, 129.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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pachtähnliche Rechtsverhältnisse ist sie analog anzuwenden182. Nach der miet- und pachtrechtlichen Bindungsgrenze können die Parteien sich entscheiden, die Kündigung entweder für die Lebenszeit einer Partei oder für höchstens dreißig Jahre auszuschließen. Im Folgenden werden die mietrechtlichen Begriffe grundsätzlich stellvertretend für Miete und Pacht gebraucht und § 544 BGB für die Begrenzung von Miet- und Pachtverträgen zitiert.

Flankiert wird die Bindungsgrenze durch außerordentliche Kündigungsrechte von Mieter und Vermieter beim Tod des Mieters nach §§ 564 S. 2, 580 BGB. Diese Kündigungsrechte sind jedoch abdingbar183 und gelten weder gegenüber (eintretenden) nahen Verwandten und Ehepartnern noch für Verpächter (§§ 563, 563a, 584a II, 594d BGB). Als Bindungsgrenze haben sie daher keine Bedeutung: Wenn die Parteien sich nach § 544 S. 1 BGB gegen eine Bindung auf die Lebenszeit einer Partei und für eine Bindung auf dreißig Jahre entscheiden, gilt dies auch über den Tod des Mieters oder Pächters hinaus. Wenn Mindestmietdauern (wie häufig) in AGB vereinbart werden, kommt es auf § 544 BGB nicht an, denn formularmäßig vereinbarte Mindestmietdauern von mehr als vier Jahren sind nach § 307 I BGB unwirksam184; ebenso asymmetrische, einseitig den Mieter belastende Bindungen185. Im Fall individualvertraglicher Vereinbarungen kommt dem Mobilitätsinteresse des Mieters nach der Rechtsprechung des BGH auch bei über vierjährigen Bindungen kein Vorrang gegenüber dem Interesse des Vermieters an längerfristiger Bindung zu186. Denn wenn er der Bindung individualvertraglich zugestimmt habe, reiche es aus, dass er einen Nachmieter stellen187 bzw. sein Sonderkündigungsrecht wegen unberechtigter Verweigerung der Erlaubnis zur Untervermietung (§§ 540 I 2, 553 BGB)188 ausüben kann189. 182

Analoge Anwendung des § 544 auf miet- oder pachtähnliche Rechtsverhältnisse: RGZ 121, 11; BGH WM 1968, 7 = LM Nr. 31 zu § 581; auch bei unentgeltlicher Gebrauchsüberlassung: RG LZ 1917, 801. 183 Palandt/Weidenkaff, § 580, Rn. 1; § 584a, Rn. 1; § 594d, Rn. 1; MünchKomm-BGB/ Harke, § 594, Rn. 4. 184 BGH NJW 2012, 521; 2011, 59; 2005, 1574 noch zu § 9 I AGBG. 185 BGH NJW 2009, 912, Ls. der Redaktion: „Der einseitige, formularmäßige und allein den Mieter belastende Kündigungsrechtsausschluss außerhalb einer Staffelmietvereinbarung hält der Klauselkontrolle […] nicht stand.“ 186 BGH NJW 2013, 2820; 2004, 1448. 187 BGH NZM 2003, 277; OLG München ZMR 1995, 579, 581; NJW-RR 1995, 393; OLG Hamm WM 1995, 577. Ein jederzeitiges Kündigungsrecht durch das Nennen von drei Nachmietern existiert jedoch nicht, Derleder, NZM 2004, 247, 248. 188 Ein „Geheimtipp“, um sich lästiger Bindung zu entziehen, Schönleber NZM 1998, 948, Hannemann, in: AnwHb-MietR, § 29, Rn. 137. 189 BGH NJW 2004, 1448.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Im Fall formularmäßiger Kündigungsausschlüsse ist eine Mindestmietdauer, die über vier Jahre hinausgeht, nach dem BGH jedoch wegen der „[zunehmenden Bedeutung] der Mobilität und Flexibilität in der heutigen modernen Gesellschaft“190 und der Möglichkeit unvorhergesehener oder ungewollter Veränderungen unzulässig191. Die Möglichkeit, dem Vermieter Nachmieter zu stellen bzw. um Erlaubnis zur Untervermietung zu bitten192, hält der BGH für „zu unsicher, um die erhebliche Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit des Mieters durch einen formularmäßigen Kündigungsverzicht auszugleichen“193. Hierbei dürfte zu berücksichtigen sein, dass der Mieter umso größere Schwierigkeiten haben wird, einen Nachmieter zu stellen, je lästiger die Bindung ihn beschwert194. Einseitige Kündigungsverzichte schließlich sind (mit Ausnahme von Staffelmietvereinbarungen195) nach der Rechtsprechung des BGH individualvertraglich196, generell jedoch nicht in AGB zulässig197, selbst wenn es sich um Bindungszeiten von nur einem Jahr handelt198. Besonderheiten gelten für Kündigungsausschlüsse im Zusammenhang mit Staffelmietvereinbarungen. Wegen des Interesses auch des Mieters an einer derartigen verlässlichen und ggf. günstigen Mietregelungen einerseits, andererseits aber seiner gesteigerten Schutzbedürftigkeit, sich einer steigenden Miete langfristig auszusetzen, gelten für Kündigungsausschlüsse in mancher Hinsicht mildere, in anderer Hinsicht strengere Maßstäbe. Kündigungsausschlüsse sind auch formularmäßig und einseitig zu Lasten des Mieters bis zu vier Jahren zulässig199. Selbst individualvertraglich und beidseitig sind die Kündigungsausschlüsse jedoch nicht länger als vier Jahre zulässig, § 557a IV BGB200. Für längere Zeit vereinbarte Bindungsdauern werden auf vier Jahre reduziert201.

Als miet- und pachtvertragliche Sachbindungsgrenze sollen hier nur §§ 544, 594b BGB untersucht werden, weil nur sie privatautonom vereinbarter Mindestmiet- bzw. -pachtzeiten unabhängig von allen Bemühungen der Parteien unter allen Umständen begrenzen202. Wie sich u.a. aus der drastisch verkürz190

BGH NJW 2005, 1574, 1575. Ebd. 192 Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 554 BGB ist § 540 I 1 S. 2 BGB zudem abdingbar, Palandt/Weidenkaff, § 540, Rn. 1. 193 BGH NJW 2011, 597; 2005, 1574, 1575. Dies gilt auch im Falle einseitiger Kündigungsverzichte mit kurzer Mindestmietzeit, BGH NJW 2009, 912, hierzu sogleich. 194 So auch Derleder, NZM 2004, 247, 249. 195 BGH NJW 2009, 353, 354. 196 BGH NJW 2004, 1448. 197 BGH NJW 2009, 912. Ausgenommen werden von dieser Entscheidung Staffelmietvereinbarungen, vgl. § 557a IV BGB. 198 BGH NJW 2009, 912. 199 Ebd.; BGH NJW 2006, 1056. 200 Vgl. auch BGH NJW 2011, 597, 597. 201 BGH NZM 2006, 653. 202 Abgesehen von den genannten Fällen können Mietverträge mit langfristigen Mindestvertragslaufzeiten nur unter bestimmten, auf Vermieterseite eintretenden Umständen 191

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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ten Bindungszeit (auf vier Jahre statt der Lebenszeit des Mieters) ergibt, folgen die Bindungsbegrenzungen der §§ 307 I 1, 557a IV BGB spezifischen Zwecken, die sich nach den typenunabhängigen Wertungen des AGBRechtes203 und den Besonderheiten von Staffelmietvereinbarungen richten. 2. Mögliche Erklärungen Eine Bindungsgrenze für Mietverträge hat die Wirkung, dem vermietenden Eigentümer oder wenigstens seinen Erben ihr Eigentum zu erhalten. Ob dies Zweck des § 544 S. 1 BGB ist, ist jedoch fraglich (2. Individualschutz), denn historisch waren andere Gründe für den Erlass der Vorschrift ausschlaggebend. Nach den Protokollen hielten die Verfasser des BGB „[d]ie in Vorschlag gebrachte Bestimmung […] aus volkswirthschaftlichen Gründen für erforderlich, um die Erbmiethe oder ein dieser ähnliches Verhältniß auszuschließen.“204 In den Motiven wurde dem vorangestellt, dass „die zeitliche Begrenzung der Gebrauchsüberlassung [zudem] schon begriffsmäßig für die Miethe wesentlich“ sei205. Ob die letzte Aussage zutrifft, dass Bindungsgrenzen schon um der zeitlichen Begrenztheit der Miete willen notwendig sein sollen, lässt sich bezweifeln (3. Wesensmäßige zeitliche Begrenztheit der Miete). Eine zeitlich unbegrenzte Miete könnte allenfalls in unzulässige Konkurrenz zu sachenrechtlichen Instituten treten (4. Obligatorischer Charakter der Miete). Welche Gründe gegen eine Erbmiete sprechen sollen, versteht sich jedoch ebenso wenig von selbst. Nach dem Reichsgericht sollen „viel weniger volkswirtschaftliche Gründe als solche der juristischen Konstruktion zu der Bestimmung des § 567 BGB [=§ 544 BGB2002, Verf.] geführt“ haben206. Denn bei dem historischen Institut der Erbmiete207 handelt es sich um ein Beispiel

durch den Mieter gekündigt werden (§§ 554 III 2, 561 I 1, 578 II, 1056 II, 1568a III 2, 2135 BGB; §§ 109 I, 111 InsO; § 57a ZVG, §§ 36 III 2, 31 III WEG, § 30 II ErbbauRG). Durch diese Kündigungsrechte kann also keine Partei eine Vertragsbeendigung erzwingen. Alle weiteren Kündigungsmöglichkeiten unkündbarer geschlossener Mietverträge setzen das Vorliegen wichtiger Gründe (§§ 543, 563 IV, 569, 578 II BGB) oder von Sonderkonstellationen (§ 563a II BGB) voraus. 203 Hierzu noch unten, AGB-Bindungsgrenzen, Kap. 3, F.I. Bindungsgrenzen des AGB Rechts (§§ 307 I, 309 Nr. 9 BGB). 204 Motive III, S. 413. 205 Mudgan II, S. 230, 413 (Einfügung d. Verf.). 206 RGZ 66, 221, 224. 207 Zum Institut der Erbmiete bzw. Erbpacht detailliert Schierholz, Erbpacht und Rentengüter, S. 3 ff. In Preußen wurde der Begriff sehr eng verwendet (er erfasste beispielsweise nicht das Erbzinsrecht). Die Begriffsverwendung im EGBGB dürfte deutlich weiter zu verstehen sein, vgl. hierzu Schlegelberger, Handw. ZivHR, Stichwort „erbpacht und

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

für sog. geteiltes Eigentum, das sowohl mit dem Eigentumsbegriff des BGB (5. Ungeteiltes Eigentum als Grundprinzip des BGB) als auch dem des Grundgesetzes (6. Verfassungsrechtliches Gebot ungeteilten Eigentums) unvereinbar sein könnte. Die „Erbmiethe oder ein dieser ähnliches Verhältniß“208 wie die Erbpacht oder Erbleihe209 verschaffen dem Erbmieter, -leiher oder -pächter210 ein vollständiges Nutzungs- und Verfügungsrecht über eine Sache („Erbgerechtigkeit“211), die als „dominium utile“ ein sog. „Untereigentum“ mit Nutzungsrechten darstellt212. Der „Obereigentümer“ hatte Anrecht auf einen jährlichen Pachtzins und ggf. weitere Zahlungen wie etwa eine Beteiligung in Höhe von 2% des Verkehrswertes des Grundstückes bei jedem Wechsel des Untereigentümers einschließlich jedes Erbfalls. Seine einzige Aussicht auf Wiedererlangung seines Grundstückes waren ein Vorkaufsrecht sowie verschiedene, an bestimmte Bedingungen gebundene Rückfallrechte. Da der Erbpächter wiederum zur Bewirtschaftung und Instandhaltung des Grundstücks verpflichtet war, sowie das Grundstück nicht verlassen durfte ohne für die weitere Bewirtschaftung Sorge getragen zu haben213, wirkte die Erbpacht stabilisierend auf die agrarischen Verhältnisse. Sie bildete einen Teil der grundherrschaftlichen Agrarverfassung, war jedoch die für den Bauern günstigste Form eines Nutzungsrechts214.

Wenn man nach volkswirtschaftlichen Gründen gegen die Erbmiete und für eine mietrechtliche Bindungsgrenze sucht, helfen die Gesetzesmaterialien nicht weiter. Denn was die die angesprochenen volkswirtschaftlichen Gründe gewesen sein sollen, wird an keiner Stelle genauer ausgeführt215. Der Schuldrechtsredaktor von Kübel war vor Bearbeitung des Mietrechts verstorben216, sodass den Beratungen der Ersten Kommission der sog. Dresdner Entwurf217 zugrunde

emphyteuse“, S. 111; vgl. auch Stier-Somlo/Elster, HwRWS II, S. 304 zur EGBGB Interpretation. 208 Motive III, S. 413. 209 Die Erbmiete als Paradigma dieser Verhältnisse war eine historisch wenig bedeutende Verwandte der Erbpacht, zum Begriff vgl. Jhering, Besitzwille, S. 385: „Als Ausdruck bringe ich dafür nach Analogie der Erbpacht Erbmiethe in Vorschlag“. 210 Im Folgenden: Erbpächter. 211 ALR I 18. 212 HdRG/Brauneder, Stichwort: „Erbleihe, Erbpacht“, S. 968 f. 213 Ebd., S. 969. 214 Ebd., S. 970: „günstigste Leihform im Mittelalter“; vgl. auch Lütge, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 464; vgl. auch Handbuch der Staatswissenschaften, n. 227, S. 188. 215 Bereits Gierke als Zeitgenosse kritisierte, dass für den heutigen § 544 BGB als grundlegende Vorschrift keine genaueren Gründe angegeben wurden, Gierke, BGBEntwurf, S. 244: „Warum die ‚Volkswirthschaft‘ länger währende vererbliche Miet- oder Pachtrechte durchaus verbietet, führen sie nicht weiter aus. Für die dem Entwurfe alleine bekannte Art von Nationalökonomie ist die Verderblichkeit solcher Verhältnisse eine von selbst einleuchtende Wahrheit.“ 216 Schubert, Einführung, S. 43.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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gelegt wurde218, der keine entsprechende Bestimmung enthalten hatte. Erst ein in den Beratungen der Kommission „nachträglich gestellter Antrag“219 unbekannter Urheberschaft führte die Bestimmung ein. Es sind auch keine nachfolgenden Erörterungen dokumentiert, die Licht auf die volkswirtschaftlichen Beweggründe des Gesetzgebers werfen könnten – von geringeren Korrekturen am Wortlaut abgesehen hat § 544 S. 1 BGB bis heute den ursprünglich beantragten Regelungsgehalt220.

Da die Erbpacht in Deutschland jedoch im Zuge der Bauernbefreiung abgeschafft worden war, lässt sich vermuten, dass die BGB Verfasser dem Begriff des Volleigentums zutrauten, den ehemaligen Untereigentümern eigenverantwortlicheres Wirtschaften und ein erleichtertes Stellen von Kreditsicherheiten zu ermöglichen (7. Wirtschaftliche Stärkung der Nutzungsberechtigten). Ein weiterer volkswirtschaftlicher Vorteil des Volleigentums könnte die Gewährleistung von Marktgängigkeit und umfassender Nutzbarkeit sein. § 544 BGB könnte hier in eine Reihe mit zahlreichen Begrenzungen dinglicher Sachbindungen zu stellen sein (8. System von Sachbindungsgrenzen zum Erhalt von Marktgängigkeit und Nutzungsmöglichkeiten). Schließlich ist erneut zu prüfen, ob sich nicht auch die mietrechtliche Bindungsgrenze sich am überzeugendsten damit erklären lässt, die objektive Wirksamkeit der Eigentumsfreiheit davor zu schützen, durch eine stete Zunahme ewiger Mietbindungen faktisch eingeschränkt zu werden (9. Erhalt der objektiven Eigentumsfreiheit). II. Individualschutz durch § 544 BGB 1. Darstellung des Vorschlags a) Individualschutz des konkreten Eigentümers und des Mieters Der am nächsten liegende Zweck des § 544 BGB scheint der Schutz des konkreten Eigentümers der vermieten Sache zu sein: Er soll die Gewissheit haben, sein Eigentum nach einer gewissen Bindungsfrist wieder uneingeschränkt zu seiner Verfügung zu erhalten und sich der Rechte etwaiger Mieter 217

Es handelt sich um einen am Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch orientierten Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über die Schuldverhältnisse, der bereits 1866 entstanden war. 218 Der Dresdner Entwurf war durch von Kübel maßgeblich mitgestaltet worden, vgl. etwa Kübel, Vorentwurf I, S. XVII f. 219 Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse II, S. 543. 220 Noch durch das Mietrechtsreformgesetz von 2001 wurde die bestehende Regelung des § 567 BGB1900 im Wesentlichen unverändert übernommen, BT-Drs. 14/4553, S. 44. Der Wortlaut dieser Bestimmung wurde allein hinsichtlich des Fristbeginns ab „Überlassung der Mietsache“ verändert. Der ursprüngliche Antrag lautete: „Ist der Miethvertrag nicht auf die Lebenszeit des Miethers oder des Vermiethers abgeschlossen, so kann der auf längere Dauer als dreißig Jahre abgeschlossene Miethvertrag mit dem Ablaufe des dreißigsten Jahres gekündigt werden“, vgl. Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse II, S. 543.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

an der Sache entledigen zu können. Dies erscheint umso notwendiger, als nach § 566 BGB das Mietverhältnis auch nachfolgende Eigentümer unbegrenzt beschwert221. § 544 BGB berechtigt zwar nur den Vermieter, begünstigt damit aber mittelbar jeden Eigentümer, nicht nur den selbst vermietenden, weil eine Kündigung nach § 544 BGB eine den § 985 I BGB blockierende Besitzrechtskette durchbricht (§ 986 I S. 1 Alt. 2 BGB). Dass § 544 BGB auch dem Mieter ein außerordentliches Kündigungsrecht verschafft, spricht ebenfalls nicht gegen den Schutz des Eigentümers. Vielleicht soll der Mieter als Ausgleich dafür kündigen dürfen, selbst keine verlässliche Bindung seines Vertragspartners zu erhalten; vielleicht bezweckt das Kündigungsrecht den Mieters dessen eigenständigen Schutz als weiterer Zweck des § 544 BGB neben dem Schutz des Eigentümers. Denn der konkrete Mieter wird durch § 544 BGB zwar lediglich vor einer reinen Geldzahlungspflicht bewahrt, diese wird einen Wohnungsmieter rechtspraktisch jedoch häufig an eine bestimmte Wohnung binden. Denn „[d]a die Miete […] nicht selten einen beträchtlichen Teil des Einkommens aufzehrt, wird es dem Mieter [...] kaum möglich sein, eine zweite Wohnung zu unterhalten“222. b) Individualschutz der konkreten Erben Statt des vermietenden Eigentümers könnte § 544 BGB auch erst dessen Erben schützen wollen. Den Erben des vermietenden Eigentümers steht jenseits des § 544 BGB weder nach dessen Tod ein außerordentliches Kündigungsrecht zu noch nach dem Tod des Mieters, wenn Personen nach § 563 BGB in das Mietverhältnis eintreten.

Im Erbrecht gelten zahlreiche Bindungsgrenzen zulasten des Erblassers, die Bindungen des ererbten Eigentums begrenzen223. Diese Bindungsgrenzen sind § 544 BGB ähnlich: Sowohl die konkrete Höchstdauer des Kündigungsausschlusses von dreißig Jahren nach § 544 S. 1 BGB als auch die Möglichkeit, nach § 544 S. 2 BGB ausnahmsweise eine Bindung für die gesamte Lebenszeit einer Vertragspartei einzugehen, finden sich bei den erbrechtlichen Bindungsgrenzen wieder. Diese Konstruktionsparallele scheinen nahezulegen, dass § 544 BGB und die erbrechtlichen Bestimmungen Teil eines einheitlichen Konzepts bilden, das die Erben vor Einschränkungen ihres Erbes durch den Erblasser schützt. Die Erben des Mieters werden – und wurden – durch §§ 563 III, 564 S. 2 BGB ausreichend geschützt. 221

Vgl. auch §§ 1056 II 1, 2135 BGB. BGH NJW 2005, 1574, 1576; NJW 2011, 597. 223 S.u., Kap. 3, D. Zweck der erbrechtliche Bindungsgrenzen. 222

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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2. Einwände a) Kein Schutz der konkreten Vertragsparteien § 544 S. 1 BGB kann schon aufgrund der Dauer der Bindungszeiten nicht den konkreten Eigentümer einer Sache schützen sollen224. Denn die Vorschrift lässt ausdrücklich zu, einen Mietvertrag unkündbar auf die Lebenszeit eines vermietenden Eigentümers zu schließen. Das Gleiche gilt für den Wohnungsmieter, der nach § 544 S. 2 BGB ebenfalls Zeit seines Lebens an eine Wohnung gebunden werden darf. Auch die dreißigjährige Bindungszeit nach § 544 S. 1 BGB ist so bemessen, dass im Regelfall nicht die ursprünglichen Vertragsparteien, sondern erst ihre Erben von der Vorschrift profitieren. Wenn die Rechtsordnung einen Eigentümer nicht davor schützt, seine Sache endgültig zu veräußern, kann sie ihn zudem auch nicht um seiner selbst willen davor schützen, seine Sache endgültig wegzuvermieten.

b) Kein Schutz der konkreten Erben Dass § 544 S. 1 BGB die individuellen Interessen der Erben des vermietenden Eigentümers schützen soll, ist jedoch ebenfalls zweifelhaft. Das Anrecht der Erben auf eine vererbte Sache ist lediglich ein Regelungsreflex des Vererbungsrechts des Erblassers: Solange der Erblasser lebt, besitzt der Erbe lediglich eine ungeschützte Erwartung225; mit dem Erbfall erlangt er „unverdientes Vermögen“226. Wenn der Erblasser selbst in seiner Beziehung zur Sache durch einen Mietvertrag gebunden war, kann der Erbe nicht mehr erlangen als der Erblasser hatte. Denn seine Rechtsposition ist in Zweck und juristischer Konstruktion inhärent abgeleitet. Auch die überraschende Parallelität des § 544 BGB und der erbrechtlichen Bindungsgrenzen in Dreißigjahresdauer und Lebenszeitausnahmen ist eine scheinbare: Bei § 544 BGB wird zur Zeit des Erbfalls regelmäßig die längste Zeit der 30 Jahre bereits abgelaufen sein (sofern § 580 BGB überhaupt abbedungen wurde), bei den erbrechtlichen Bindungsgrenzen beginnt die Frist erst mit dem Erbfall zu laufen. Die Lebenszeitausnahmen beziehen sich bei § 544 BGB auf das Leben des Erblassers oder seines Vertragspartners, im Fall der erbrechtlichen Bestimmungen hingegen auf das Leben des Erben selbst.

3. Ergebnis Weder der vermietende Eigentümer, noch seine Erben haben ein schutzwürdiges Interesse daran, zu irgendeinem Zeitpunkt eine ungebundene Sache zu erlangen. Dass § 544 BGB ihnen eine ungebundene Sache verschafft, könnte 224

Vgl. auch BGH NZM 2013, 646. Einer „nuda spes“, Gutmann, Freiwilligkeit, S. 208; Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348; ebenso Blomberg, Freiheit und Bindung des Erblassers, S. 189 f., 190, 197, 206. 226 Beckert, Unverdientes Vermögen. 225

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

daran liegen, dass nicht sie selbst individuell geschützt werden sollen, sondern das bei ihnen liegende Resteigentum. III. Wesensmäßige zeitliche Begrenztheit von Miete und Pacht 1. Darstellung des Vorschlags Bis heute wird die mietrechtliche Bindungsgrenze damit begründet, dass sie die „wesensentsprechende zeitliche Begrenzung der Miete“ wahren solle227. Auch die Kommission bezog sich auch diesen Gedanken228. Miete ist danach eine „Gebrauchsüberlassung auf Zeit“ und § 544 BGB erkennt dies an, indem er verhindert, dass unter dem Deckmantel eines Mietverhältnisses unkündbare Gebrauchsüberlassungen vereinbart werden. § 544 BGB begrenzt zwar nicht die Laufzeit des Vertrags, aber auch Kündigungsmöglichkeiten gewährleisten die Zeitlichkeit der Miete (§ 542 I BGB).

2. Einwände Die Zeitlichkeit der Miete ist nicht der Grund für die mietrechtliche Bindungsgrenze, sie beruht auf ihr. Die historisch allgemein anerkannte Begrifflichkeit, es könne wesensmäßig keine zeitlich unbegrenzbare Miete geben, ist vor dem Hintergrund des früher geltenden Rechts zu sehen229: Die (einfache) Miete war damals zu Formen der Erbmiete abzugrenzen. „Die zeitliche Begrenzung der Gebrauchsüberlassung“230 war danach „begriffsmäßig für die Miethe und Pacht wesentlich“231, weil es sich andernfalls um einen Fall der Erbmiete gehandelt hätte232. Der BGB-Gesetzgeber hätte in Anknüpfung an 227

BGH NJW 1996, 2028, Rn. 13: „Der Mietvertrag gibt dem Mieter einen Anspruch auf Gebrauchsüberlassung auf Zeit. Diese zeitliche Begrenzung der Bindung der Vertragsparteien soll durch § 567 BGB [entspricht § 544 BGB2002, d. Verf.] sichergestellt werden.“ OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.12.2007 – 1 U 119/07 –, juris, Rn. 40: „Erklärter Sinn und Zweck dieser Norm des § 544 Satz 1 BGB (bzw. § 567 BGB a.F.) ist es, der wesensentsprechenden zeitlichen Begrenzung der Miete Rechnung zu tragen und eine ‚Erbmiete oder ein dieser ähnliches Verhältnis auszuschließen‘“. 228 Mudgan, Motive zum BGB II, S. 230, 413. Dieser Gesichtspunkt wurde erst von den Verfassern der Motive hinzugefügt, die auf diesen Einwand möglicherweise bei der Zusammenfassung der Beratungsprotokolle und der Begründung des Vorentwurfes aufmerksam wurden, der eine entsprechende Bemerkung zum Wesen der Miete enthält, Kübel, Vorentwurf I, S. 379. 229 Insbesondere vor dem Hintergrund des Tit. I 18 des ALR von 1794. 230 Kübel, Vorentwurf I, S. 379. 231 Ebd. 232 „Wäre ausdrücklich auf Kündigung überhaupt verzichtet oder der Vertrag auf ‚ewige Zeiten‘ abgeschlossen, so würde das Rechtsverhältniß der Parteien nach den Grundsätzen der Emphyteuse [einer Form der Erbmiete, d. Verf.] oder Superfizies zu beurtheilen sein“, Kübel, Vorentwurf I, S. 379.

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den früheren Rechtszustand die Erbmiete ebenso gut zulassen und sie durch Verzicht auf eine Bindungsgrenze gemeinsam mit der (einfachen) Miete in einem einzigen Institut zusammenfassen können. Auch die Motive haben das Argument des „Wesens der Miete“ zwar anerkannt, betonen jedoch die eigenständige Bedeutung der Bestimmung: „Wenngleich die zeitliche Begrenzung der Gebrauchsüberlassung schon begriffsmäßig für die Miethe wesentlich ist, so ist doch die Bestimmung des § 523 [entspricht § 544 BGB2002, d. Verf.] eine positive.“233

3. Ergebnis Die Zeitlichkeit der Miete beruht auf einer bewussten Entscheidung des BGB-Gesetzgebers. § 544 BGB ist deswegen keine begriffliche „Selbstverständlichkeit“, sondern „Niederschlag einer Wertung“234, die ermittelt werden muss. IV. Obligatorischer Charakter der Miete 1. Darstellung des Vorschlags Die gesetzgeberische Entscheidung für einen sachenrechtlichen numerus clausus mit Typenzwang könnte erfordern, im Mietrecht eine zeitliche Bindungsgrenze vorzusehen, wenn diese einen schuldrechtlichen Charakter behalten soll235. Im ALR 1794 war eine „Verdinglichung“236 der Miete noch zulässig237. Der BGB Gesetzgeber könnte sich gegen „eine Quasi-Verdinglichung des lediglich schuldrechtlichen und befristeten Benutzungsrechts des Mieters“238 233

Motive II, S. 413 (Herv. d. Verf.). So formuliert Armbrüster für die parallele Problematik des § 137 BGB, MünchKomm-BGB/Armbrüster, § 137, Rn. 7. 235 Vgl. BGH NJW 2004, 1523, 1524: „Das zwingende Kündigungsrecht soll die Entstehung einer ‚Erbmiete‘ verhindern (vgl. RGZ 73, 341, 342 m.w.N.), mit der außerhalb des numerus clausus der Sachenrechte und des Buchungszwangs der Grundstücksrechte die Verkehrsfähigkeit des Grundeigentums gefährdet würde“; OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.12.2007 – 1 U 119/07 –, juris, Rn. 40. 236 Dulckeit, Verdinglichung; vgl. dazu die Rezension von Westermann, AcP 152 (1953), 93 ff. 237 Zur Dinglichkeit der Miete nach ALR vgl. I 7 §§ 1, 3; I 21 § 2 ALR und Dernburg, Preußisches Privatrecht, S. 737 ff. 238 OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.12.2007 – 1 U 119/07 –, Rn. 40, juris. Vgl. Johow, Vorentwurf II, S. 501 f.: „Das Verfügungsrecht des Eigenthümers findet seine natürliche Begrenzung durch den Begriff des Eigenthums. Dieser Begriff ist durch das objektive Recht gegeben und der Bestimmung durch Privatwillkür entrückt. […] [Der Eigentümer] kann nicht die Sache in seinem Vermögen behalten und gleichzeitig sein Eigenthum durch willkürliche Abtrennung einzelner Befugnisse, welche dasselbe verleiht, abschwächen. Dürfte er dies, so läge in seiner Hand, das Eigenthum an einer bestimmten Sache in ein Recht umzuformen, welches die Rechtsordnung nicht mehr als Eigenthum gelten lassen 234

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entschieden haben, um einen Einbruch schuldrechtlicher Inhaltsfreiheit239 in das Sachenrecht zu verhindern240. Wer mehr will, als nach § 544 BGB durch Miete möglich ist, muss danach „eine entsprechende dingliche Veränderung herbeiführen“241. Wäre das Nutzungsrecht des Mieters nicht zumindest prinzipiell zeitlich begrenzbar, würde es sich kaum von einem dinglichen Nutzungsrecht unterscheiden. Denn die Mieter verschafft einem Besitzer einer Besitzrecht, das im deutschen Zivilrecht einen nahezu umfaskönnte. Damit aber wäre der Eigenthumsbegriff selbst verflüchtigt. Der Eigenthümer kann daher zwar vertragsmäßig sich verpflichten, in dieser oder jener Beziehung über die Sache nicht zu verfügen, auch seinem Erben eine solche Verpflichtung letztwillig auferlegen. Aber der Effekt, der sich auf diese Weise erzielen lässt, kann nur ein obligatorischer sein. […] Soll dagegen das Eigenthum selbst von der beabsichtigten Beschränkung ergriffen werden, so ist dies nur auf dem Umwege erreichbar, daß der Eigenthümer einem Anderen ein dieselbe begründendes Recht an der Sache oder auf Erwerbung der Sache einräumt, welches von der Rechtsordnung als vereinbar mit dem Eigenthumsbegriff angesehen wird.“ Für den numerus clausus des Sachenrechts als Hintergrund des § 544 BGB spricht auch, dass diese Vorschrift auf dingliche Rechte ihrem Sinn und Zweck nicht passen soll, BGH, Urteil vom 20.09.1974 – V ZR 44/73 –, juris: „Hiernach läßt sich die Annahme eines Pachtverhältnisses mit der bisherigen Begründung nicht halten. Erschöpfen sich aber die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien in jenem Kausalverhältnis zur Grunddienstbarkeit, so ergibt sich ein Recht für die Klägerin, sie zu kündigen, nicht schon aus ihrer über 30-jährigen Dauer. Denn auf ein solches Kausalverhältnis ist § 567 BGB weder unmittelbar noch nach seinem Sinn und Zweck entsprechend anzuwenden: diese sind zwar auf Vermeidung der Erbmiete und Erbpacht gerichtet […], aber nicht auf die zeitliche Begrenzung einer Grunddienstbarkeit, die vielmehr nach ihrer Natur als dingliches Recht unbegrenzt und erst auf rechtsgeschäftlichem Weg (etwa wie hier durch auflösende Bedingung) begrenzbar ist.“ 239 Vgl. Savigny, Obligationenrecht, S. 17. 240 Vgl. Wiegand, FS Kroeschell, S. 623; BGH, Urteil vom 17.04.1996 – XII ZR 168/94 –, Rn. 13, juris: „Der Gesetzgeber will verhindern, daß durch einen Mietvertrag eine einem dinglichen Nutzungsrecht angenäherte, auf Dauer angelegte Nutzungsberechtigung erreicht werden kann“; OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.12.2007 – 1 U 119/07 –, juris, Rn. 40: „Eine Quasi-Verdinglichung des lediglich schuldrechtlichen und befristeten Benutzungsrechts des Mieters bzw. eine eigentümerähnliche Stellung desselben soll verhindert werden, die das Mietobjekt letztlich dem Rechtsverkehr entzöge […]. Eine quasi-dingliche, „ewige“ Baulast aufgrund der Unkündbarkeit des Mietvertrags – wie vom Beklagten angenommen – kommt vor diesem Hintergrund von vornherein nicht in Betracht.“ Zu einer entsprechenden Erklärung des § 137 BGB mit dem ergänzenden Hinweis auf die Funktionsfähigkeit der Zwangsvollstreckung MünchKomm-BGB/Armbrüster, § 137, Rn. 2, 5 f. 241 Staudinger/Jeinsen, § 594b, Rn. 2 (Herv. d. Verf.): „Der Grund für die – modifizierte – Beibehaltung der mietrechtlichen Regelung des § 544 ist, daß das gesetzgeberische Motiv des Ausschlusses einer Art ‚Erbmiete bzw -pacht‘ auch heute noch von Bedeutung sein soll (BT-Drs. 10/509, S. 24, zu § 594b). Die Parteien sollen, wenn sie eine längere als 30-jährige Besitzüberlassung wünschen, eine entsprechende dingliche Veränderung herbeiführen. Es ist für die Beteiligten außerdem nicht annähernd möglich, die Entwicklung über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren vorherzusehen und in ihrer Vertragsgestaltung zu berücksichtigen (BT-Drs. aaO).“

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senden absoluten Schutz genießt: Bei Entzug und Beeinträchtigungen der Mietsache stehen dem Mieter als berechtigtem Besitzer possessorische (§§ 861, 862, 867 BGB) und petitorische (§ 1007 I, II BGB) Rechte zu, er besitzt eigenständige Unterlassungs- und Beseitigungs- sowie Schadensersatzansprüche analog § 1004 I 2 BGB, § 823 I BGB242. § 566 BGB schützt den Mieter sogar gegenüber gutgläubigen Erwerbern und verknüpft ihn somit enger an die Mietsache als den Eigentümer.

Auch die Formvorschriften wie §§ 311 b I, 873 I BGB und das Grundbuchrecht sind darauf angewiesen, dass obligatorische Nutzungsrechte einen Abstand zum Übertragen dinglicher Nutzungsrechte wahren. Andernfalls könnte ein Eigentümer sein Grundstück schriftlich unkündbar vermieten (§ 550 BGB), statt ein Übertragungsgeschäft zum Grundbuch anzumelden (§ 873 I BGB) und bereits die Verpflichtung hierzu notariell beurkunden zu lassen (§ 311b I BGB). 2. Einwände § 544 BGB kann den numerus clausus des Sachenrechts deswegen nicht schützen sollen, weil eine zeitliche Begrenzung das Nutzungsrecht des Mieters nicht ausreichend von dinglichen Rechten abgrenzt. Dingliche Rechte können selbst zeitlich begrenzt sein. Nießbrauchsrechte sind nach § 1061 S. 1 BGB beispielsweise auf die Dauer eines Lebens beschränkt und die Rentenschuld weist mit § 1202 II BGB eine Bindungsgrenze von 30 Jahren auf, die derjenigen der Miete ähnelt. Ob das Besitz- und Nutzungsrecht eines Mieters dem Zweck des numerus clausus zuwiderläuft, hängt hingegen nicht davon ab, ob es auf 30 Jahre begrenzt wird. Denn numerus clausus und Typenzwang sollen dazu dienen, Dritten Orientierungssicherheit über absolut geschützte und damit von ihnen zu beachtende Rechte zu verschaffen. Wenn die Miete aufgrund ihrer Inhaltsfreiheit Dritte über die Rechte des Mieters im Unklaren lässt, dann wäre auch eine jeweils dreißigjährige Unklarheit zu lang. Wenn der Besitz des Mieters ausreichende Publizität seiner Rechte sicherstellt, wäre in dieser Beziehung hingegen auch eine ewige Miete unschädlich. Auch entstehungsgeschichtlich kann der absolute Schutz des Mieterrechts nicht Anlass für eine Bindungsgrenze gewesen sein, um das schuldrechtliche von dinglichen Nutzungsrechten abzugrenzen. Der heutige § 544 BGB gelangte zu einer Zeit in das Gesetzgebungsverfahren zum BGB, in der noch nicht der Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“, sondern der Grundsatz „Kauf bricht Miete“ vorgesehen war243 und noch keine BGH-Rechtsprechung zum berechtigten Besitz als sonstigem Recht i.S.d. §§ 823, 1004 BGB existierte.

Als Schutz zum Schutz der Formvorschriften der §§ 311b I, 873 BGB hätte § 544 BGB einen intolerablen Anwendungsüberhang. Denn die mietrechtliche Bindungsgrenze gilt nicht nur für die Vermietung von Grundstücken 242 243

BGHZ 32, 194, 204; 62, 243, 248; 66, 277, 282; 137, 89, 98. § 509 des Ersten Entwurfs, vgl. Mugdan II, S. 212.

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(etwa im Wohnungsmietrecht, §§ 549–577a ff. BGB, mit einer Verweisung in § 578 I BGB zur Geltung für andere Mietverhältnisse über Grundstücke und Räume, § 94 BGB), sondern auch für sämtliche Mobilien. Der Schutz von Formvorschriften erklärt zudem nicht, weshalb § 544 BGB ein Kündigungsrecht anordnet. Hätte das BGB auf § 544 BGB verzichtet und somit eine Erbmiete gestattet, hätte der Gesetzgeber diese – wie beispielsweise das Erbbaurecht244 – in den Anwendungsbereich des § 311b I BGB einbeziehen können. 3. Ergebnis Ob das gegenüber Dritten geschützte obligatorische Nutzungsrecht eines Mieters den numerus clausus des Sachenrechts gefährdet, kann offen bleiben. Denn die mietrechtliche Bindungsgrenze trüge zur Lösung dieses Problems jedenfalls zu wenig bei, als dass hierin ihr Zweck gesehen werden könnte. V. Ungeteiltes Eigentum als Grundprinzip des BGB 1. Darstellung des Vorschlags a) Ablehnung geteilten Eigentums durch die Verfasser des BGB Der Gesetzgeber wollte durch § 544 BGB die „Erbmiethe und ähnliche Verhältnisse“ verhindern. Die Erbpacht245 (ein „der Erbmiethe ähnliches“ Verhältnis246) wurde historisch gerade „als Musterfall geteilten Eigentums […] immer von neuem in Acht und Bann getan“247. Auch die Verfasser des BGB distanzierten sich von „geteiltem Eigentum“248 und gründeten das BGB auf 244

Zu den Parallelen von Erbmiete, Erbpacht und Erbbaurecht vgl. sogleich, CIII.5 Ungeteiltes Eigentum als Grundprinzip des BGB. 245 Vgl. hierzu HdRG/Brauneder, Stichwort: „Erbleihe, Erbpacht“, S. 968 f. 246 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die dingliche Erbpacht, da sie das historische Bild bietet, von dem sich die Motive zu dem heutigen § 544 BGB abgrenzen. Die obligatorische Erbmiete, die als Resultat einer Aufhebung des § 544 BGB möglich wäre, kam historisch schon deswegen nicht vor, weil Rechtsverhältnisse einer bestimmten Fixdauer als dinglich behandelt wurden. Wegen der historisch noch nicht klar ausdifferenzierten Begrifflichkeit lassen sich die Ausführungen zur (dinglichen) Erbpacht als Ausführung zu „Erbmiethe und ähnlichen Verhältnissen“ verstehen, vgl. Johow, in: Gebhard, Vorentwurf EGBGB, S. 627. Zur Gleichsetzung von der in den Protokollen erwähnten Erbmiete mit der Erbpacht vgl. Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 938 unter III. 247 Hedemann, Fortschritte II 1, S. 25 (Herv. d. Verf.). 248 Sie folgerten ein Verbot ungeteilten Eigentums unmittelbar aus dem abstrakten Eigentumsbegriff: „Deshalb lässt sich das Eigenthum auch nicht so theilen, daß dem Einen und dem Anderen eine Reihe bestimmter im Eigenthume liegender Befugnisse zugewiesen werden und dem beiderseitigen Rechte der Karakter des Eigenthums beigemessen wird.“, Motive III, S. 262. Die Vorkommission und die Erste Kommission betonten entsprechend, dass die Erbpacht ein „im Absterben begriffene[s]“ Institut sei, Schubert, Entstehungsge-

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den entgegengesetzen, sog. abstrakten Eigentumsbegriff, § 903 S. 1 BGB249. Deswegen hat bereits das Reichsgericht den Gesetzgeber so verstanden, dass § 544 BGB Volleigentum als abstraktes Institut schützen und eine Wiederbegründung „geteilten Eigentums“ über den Umweg des Mietrechts verhindern solle250. Nach heutigem Verständnis ist Eigentum das umfassende Recht, mit einer Sache nach Belieben zu verfahren (Volleigentum). Danach hat das Eigentumsrecht an jeder beliebigen Sache immer denselben Umfang (abstraktes Eigentum) und an jeder Sache kann es nur ein Eigentumsrecht geben (Einheit des Eigentums)251. Etwaige andere dingliche Rechte an dieser Sache sind immer eine Beschränkung dieses prinzipiell umfassenden Vollrechts. Sie bleiben als beschränkte dingliche Rechte hinter dem umfassenden dinglichen Recht Eigentum zurück und ändern als „iura in re aliena“ nichts daran, dass die Sache allein dem Eigentümer zugeordnet bleibt252. Dem Konzept des „geteilten Eigentums“253 hingegen liegt ein Eigentumsbegriff zugrunde, nach dem die rechtliche Herrschaft über eine Sache aus einer Vielzahl von Einzelbefugnissen zusammengesetzt ist, die jeweils für sich unterschiedliche Ausprägungen von Eigentum sind und die in einer Person zusammenfallen können, dies jedoch nicht müssen254. Eigentum ist danach also weder abstrakt, noch einheitlich. Nach der Lehre vom geteilten Eigentum, wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorherrschte, kann etwa ein Obereigentümer das grundsätzliche Verfügungsrecht über die Sache haben (Proprietät), während gleichzeitig ein Untereigentümer Nutzungsberechtigter ist255 (Inhaber des Nutzeischichte BGB, S. 174; Johow, Vorentwurf II, S. 1071. Diese Formulierung wurde später auch in die Motive aufgenommen, Motive III, S. 6. 249 Das BGB definiert Eigentum in § 903 BGB abstrakt als grundsätzliche Herrschaft und nicht als Aufzählung einzelner Befugnisse, Motive III, S. 262: „Das Bedürfnis [einzelne Befugnisse des Eigentümers aufzuzählen, Verf.] liegt […] nicht vor, da das Eigenthum nicht eine Summe einzelner Befugnisse ist“. Als „Abstrahierung des Eigentumsbegriffes“ auch bezeichnet von Wiegand, Bodenmobilisierung, S. 143. 250 RGZ 130, 143, 146. 251 Vgl. Engel, Soziale Funktion des Eigentums, S. 134. Dies gilt auch wenn die Ausübung dieses einen Eigentumsrechts ggf. mehreren zusteht (vgl. §§ 1007 ff. BGB). 252 Dieses Konzept trat gegenüber der Vorstellung geteilten Eigentums zeitweise in den Hintergrund, vgl. Strauch, FS Hübner, S. 274. 253 Die „Teilung“ des Eigentums bezieht sich nur auf die Teilung der Berechtigung in unterschiedliche Berechtigungsschichten. Damit betrifft das geteilte Eigentums als solches weder das Miteigentum noch den Grundsatz der Teilbarkeit des Eigentumsrechts an einem Objekt in nebeneinander stehende Eigentumsrechte an Objektteilen (dies war gerade ein Ziel der Bauernbefreiung, vgl. Art. 37 I Charte Waldeck, Art. 40 I OktVerf). Zugrundegelegt wird den folgenden Ausführungen zunächst ein allgemeiner Begriff ungeteilten Eigentums im Sinne Wagners, der in der Debatte des 19. Jahrhunderts die doppelte Konsequenz der Kritik am geteilten Eigentum gezogen sieht, sowohl gegen das, was im Laufe der Darstellung (s.u., Kap. 3, C.V.2.a Formell und materiell geteiltes Eigentum) als formell geteiltes Eigentum bezeichnet werden soll, gerichtet zu sein, als auch gegen das, das später als materiell geteiltes Eigentum bezeichnet werden soll, Wagner, Geteiltes Eigentum, S. 121 f. 254 Dernburg, Preußisches Privatrecht, I, S. 446; Strauch, FS Hübner, S. 273. 255 Strauch, FS Hübner, S. 279, Fn. 40.

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gentums, des dominium utile256). Beide sind als Inhaber jeweils einer Teilfunktion der rechtlichen Sachherrschaft vollwertige Eigentümer der Sache. Denn Verfügungs- und Nutzungsrecht sind nach der Lehre vom geteilten Eigentum lediglich „stärkerer oder schwächerer Ausdruck desselben Herrschaftsrechtes“257.

b) Argumente gegen geteiltes Eigentum Der Redakteur des Sachenrechtsentwurfes Johow258 begründet die Ablehnung des geteilten Eigentums durch das BGB damit, dass „in der Doktrin des gemeinen Rechts […] längst kein Zweifel mehr [besteht], daß die Scheidung der in dem Eigenthum liegenden Befugnisse in Ober- und Untereigenthum nicht blos unrömisch, sondern auch unvereinbar ist mit dem Begriff des Eigenthums“.259 Die rechtswissenschaftliche Missbilligung des geteilten Eigentums, auf die hier angespielt wird, geht auf Thibaut zurück. Während das ALR von 1794 geteiltes Eigentum noch ausdrücklich vorsah260 wies Thibaut 1801261 „quellenmäßig unanfechtbar“262 nach, dass das klassische römische Recht noch kein geteiltes Eigentum gekannt hatte263, sondern dieses erst auf eine freie Rechtsfortbildung der Glossatoren zurückginge264. Er postulierte stattdessen den abstrakten Eigentumsbegriff als das 256

Vgl. Lautz, EntwDU. Strauch, FS Hübner, S. 275. 258 Johow ist besonders geeignet, über die diesbezüglichen Beweggründe der Verfasser des § 544 BGB Auskunft zu erteilen, weil er sich für die Erste Kommission mit dem Problemkreis des geteilten Eigentums, der Agrarverhältnisse, der Erbmiethe und Erbpacht befasst hat, vgl. insb. Johow, Vorentwurf II, S. 1069 ff. Einige Indizien sprechen sogar dafür, dass er es war, der den Antrag auf Aufnahme des heutigen § 544 BGB formuliert haben könnte. Der Antrag wurde gestellt, als die mietrechtlichen Bestimmungen mit den Ergebnissen der anderen Redaktoren abgegelichen wurden und durch ihn wurde die von Johow getroffene Entscheidung gegen die dingliche Erbpacht und ähnliche Verhältnisse geteilten Eigentums schuldrechtlich abgesichert. Er hätte auch Anlass gehabt, nur kursorisch von „Erbmiethe und ähnlichen Verhältnissen“ zu sprechen, anstatt diese aufzuschlüsseln, da er die „ähnliche[n] Verhältnisse“ bereits an anderer Stelle aufgelistet hatte, Johow, Vorentwurf II, S. 1069 Nicht zuletzt ist zudem auch der kursorische Verweis auf die Nationalökonomie als Begründung des Antrags typisch für seine Arbeitsweise und seinen Stil, vgl. Hansel, LÖK. 259 Begründung des § 87 des Vorentwufes, Johow, Vorentwurf I, S. 522. 260 ALR I 18. 261 Thibaut, Versuche, S. 67 ff. Die frühere Kritik an der Lehre vom geteilten Eigentum blieb rechtspraktisch weitgehend bedeutungslos, vgl. ebd., S. 67. 262 Laut Strauch, FS Hübner, S. 282. 263 Thibaut, Versuche, § 77; vgl. auch Münchener Gutachten, S. 19. 264 Vgl. hierzu im Einzelnen auch Hedemann, Fortschritte II 1, S. 4 m.w.N. Thibaut ging nicht darauf ein, dass die Glossatoren bei der Entwicklung des geteilten Eigentums aus dem römischen Recht möglicherweise auch das Ziel hatten, eine Übertragung des römischen Sachenrechts auf die soziale Ordnung des Mittelalters zu ermöglichen, Strauch, FS Hübner, S. 278 f.; Wieacker, Wandlung der Eigentumsverfassung, S. 18. 257

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„eigentliche Eigenthum“265, der als begrifflich klares Konzept an die Stelle der uneinheitlichen266 Auffassungen und Ausgestaltungen des Nutzeigentums setzen sollte267. „Fortan war [das geteilte Eigentum] in der Pandektenwissenschaft tot.“268 c) Verbindlichkeit des Gesetzeszwecks auch bei Unmaßgeblichkeit der Argumente In der Literatur wird § 544 BGB entgegenhalten, als Vorschrift zur Beseitigung geteilten Eigentums veraltet zu sein und ihren ursprüngliche Sinnkontext verloren zu haben269. Thibauts begrifflich-historische Kritik am geteilten Eigentum ist für das heutige Recht unmaßgeblich. Für eine historisch arbeitende Rechtswissenschaft des gemeinen Rechts war der römisch-rechtliche Eigentumsbegriff bestimmend270, durch die gesetzgeberische Umsetzung der Institute und eine zu Thibauts Zeit mit Sicherheit fast dreihundert Jahre271 währende Rechtspraxis wäre die fehlerhafte Ableitung geteilten Eigentums aus römisch-rechtlichen Quellen nach heutigem Verständnis jedoch geheilt worden272 und die

265 Thibaut, Versuche, S. 85 ff., vgl. Wiegand, Bodenmobilisierung; sowie Strauch, FS Hübner, S. 291 f.; Dernburg, Preußisches Privatrecht Band I, S. 446: Die Teilung des Eigentums habe in der „unrömischen Aufassung“ gewurzelt, wonach „das Eigenthumsrecht nicht qualtitativ als die Anwartschaft auf die Gesammtherrschaft der Sache bestimmt, sondern quantitativ nach dem Umfang der Befugnisses des Berechtigten bemessen wurde“. 266 Vgl. Wiegand, Bodenmobilisierung, S. 134. 267 Thibaut, Versuche, S. 85 ff. Insbesondere diese Aussicht dürfte auch die BGB-Verfasser angesprochen haben, denen die Vereinheitlichung der im gesamten Gebiet des damaligen Deutschen Reiches historisch gewachsenen Nutzungseigentumsformen aufgegeben war. 268 Strauch, FS Hübner, S. 282; s. auch Wagner, Geteiltes Eigentum, S. 61 f., 85. Die tatsächliche Abschaffung geteilten Eigentums hatte neben dem rechtswissenschaftlichen einen politischen Hintergrund. Die Abschaffung des geteilten Eigentums sollte danach auch dem „gemeinen Wohl“ dienen, Motive-Charte-Waldeck, Zu Art. 37. Die Beseitigung des geteilten Eigentums war insgesamt ein wesentlicher juristischer Prozess im Deutschland des 19. Jahrhunderts: „Das ganze 19. Jahrhundert hat an dieser Reform gearbeitet“, Hedemann, Fortschritte II 1, S. 16. 269 Roquette, BB 1967, 509, 510; ebenso Sternel, Mietrecht 3. Aufl., Rn. IV 535 (nicht mehr enthalten in Sternel, Mietrecht, 4. Auflage). 270 Strauch, FS Hübner, S. 282. Bethmann-Hollweg vertrat, dass selbst der Gesetzgeber an den abstrakten, römisch-rechtlichen Eigentumsbegriff gebunden sei und daher kein geteiltes Eigentum vorsehen dürfe, Bethmann-Hollweg, Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 22. 271 Vgl. Kammergerichtsordnung von 1521, cap. 32, § 2. 272 Bereits zeitgenössische Kritiker Thibauts erhoben den Vorwurf, dass seine Argumentation mit ursprünglichen römisch-rechtlichen Bestimmungen gegen „deutschrechtlich fundierte“ Institute für das in Deutschland geltende Recht von vornherein ohne Relevanz sei, Arnold, Eigentum in deutschen Städten, S. 146 f. Vgl. auch die Kritik Wagners, Geteil-

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Frage des Eigentumsbegriffs im BGB der rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers überlassen273. Thibauts begriffliche Argumentation ist prinzipiell nicht zwingend, weil er die logische Unvereinbarkeit geteilten Eigentums mit dem Begriff des Eigentums aus einem Eigentumsbegriff ableitet, den er selbst zuvor voraussetzt274. Nach heutigem Verständnis entscheidet der Gesetzgeber selbst darüber, welcher Eigentumsbegriff „durch das objektive Recht gegeben [ist].“275 Roquette hält den heutigen § 544 BGB deswegen für abdingbar: Die Vorschrift solle nur anzuwenden sein, wenn die Vertragsparteien nichts anderes vereinbart hätten276, was den Anwendungsbereich des § 544 BGB auf annähernd Null reduzierte277.

Der Gesetzgeber hat jedoch in Kenntnis der Entwicklung den ehemaligen § 567 BGB als heutigen § 544 BGB nicht nur beibehalten und aus Anlass der Reform des Landpachtrechts zusätzlich § 594b BGB eingefügt, sondern zudem ausdrücklich klar gestellt, dass die hinter § 567 BGB a.F. stehenden Überlegungen „auch heute noch von Bedeutung“ sei278. Wenn § 544 BGB also tatsächlich einer Eigentumsteilung vorbeugen soll, ist diese gesetzgeberische Entscheidung nach wie vor verbindlich. tes Eigentum, S. 62, und Wieackers Formulierung eines „historischen Positivismus der Quellenforschung“, Wieacker, Wandlung der Eigentumsverfassung, S. 18. 273 So bereits Gierke, BGB-Entwurf, S. 324: „Der römische Eigentumsbegriff ist nicht etwa bloß als ein auch für uns geeignetes geschichtliches Gebilde, sondern als ein unentrinnbares Gebot der Rechtslogik aufgenommen.“ Planck behauptete in seiner Entgegnung auf diese Kritik hingegen, der abstrakte Eigentumsbegriff sei „keine römische Erfindung […] sondern das ist der Begriff des Eigenthumes, der allen Rechten zu Grunde liegt. Ja, ich behaupte, es ist gar kein anderer Begriff des Eigenthumes möglich.“; zit. nach Mugdan I, S. 886. 274 Vgl. Wiegands Kritik von Thibauts Argumentation, Wiegand, Bodenmobilisierung. Kritisch dazu, Abweichungen vom römischen Eigentumsbegriff für „logisch unmöglich“ und einen „wissenschaftlichen Holzweg“ zu halten auch Strauch, FS Hübner, S. 272. (Die durch Gierke – als Gegner der Abschaffung geteilten Eigentums – in BGB-Entwurf, S. 324, behauptete logische Unmöglichkeit ist entgegen der teilweise irreführenden Zitierung eine Ironisierung, wie aus der Einleitung auf S. 323 a.E. deutlich wird: „Die Motive belehren uns…“.) Nach Förster ist Thibaut damit seinem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden, bei der Fassung des Eigentumsbegriffes nicht beim „leidigen Hang der Juristen, historische Begriffe philosophisch, oder aus der sogenannten Natur der Sache zu entwickeln“, A.F.J. Thibaut, Versuche, S. 24 ff., mitzutun, Förster, in: Förster/Eccius, Preußisches Sachenrecht, § 167, S. 140. Die begriffliche Orientierung der „Kritik an der Lehre vom geteilten Eigentum“ illustriert auch eine Dissertation aus dem Jahr 1976, die die entsprechenden Argumente zusammengetragen hat, Hass, Nutzungseigentum, S. 51 ff. 275 Johow, Vorentwurf II, S. 501. 276 Roquette, BB 1967, 509, 510; anders Sternel, Mietrecht, Rn. IV-535, der einen Paradigmenwechsel in der Begründung der Vorschrift fordert (ebenfalls nicht mehr enthalten in Sternel, Mietrecht 4. Auflage). 277 § 544 BGB könnte danach nur dann angewandt werden, wenn die Parteien einen Kündigungsausschluss ohne weitere Bestimmung vereinbaren hätten, der jedoch nicht zeitlich unbegrenzt dauern sollte. 278 BT-Drs. 10/509, S. 24.

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2. Einwände Das BGB richtet sich nicht gegen materiell geteiltes Eigentum wie eine unkündbare Miete, sondern entschied sich nur regelungstechnisch dagegen, unterschiedliche Berechtigungen an einer Sache als formelle Teilung des Eigentums aufzufassen. Da eine unkündbare Miete nach dem Verständnis des BGB das Eigentum nicht formell teilt, kann auch § 544 BGB nicht dazu dienen, eine derartige Eigentumsteilung zu verhindern. a) Formell und materiell geteiltes Eigentum Der Begriff des geteilten Eigentums wird im juristischen Sprachgebrauch unterschiedlich verwendet, einmal in einem formellen, einmal in einem materiellen Sinn279. Deswegen wurde auch die Erbpacht in manchen Zusammenhängen als Form geteilten Eigentums bezeichnet280, in anderen nicht281.

Eigentum ist formell geteilt, wenn das Gesetz das Eigentum definiert, indem es mehrere Teileigentumsrechte mit unterschiedlichen Befugnissen auflistet, die auch unterschiedlichen Berechtigten zustehen können. Das Gegenmodell ist eine abstrakte Definition des Eigentums (§ 903 S. 1 BGB: „Der Eigentümer einer Sache kann [….] mit der Sache nach Belieben verfahren und andere 279

Vgl. Wagner, Geteiltes Eigentum, S. 121 f., der davon spricht, dass „[i]n der der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderst [...] auf zwei Fronten der Kampf gegen das geteilte Eigentum geführt worden [sei]. Auf der einen Seite [habe] es sich um die wissenschaftliche Auseinandersetzung über den Begriff des Eigentums [gehandelt]“ – hier geht es um formell geteiltes Eigentum – „[a]n der zweiten Front ging es um die Vernichtung des Inhalts des geteilten Eigentums, um die Beseitigung derjenigen Institute, in denen das geteilte Eigentum lebendig gewesen war.“ Diese inhaltliche „Front“ zielt gegen materielles Teileigentum. 280 Hedemann, Fortschritte II 1, S. 25. 281 Nach der Begrifflichkeit des ALR 1794 handelte es sich bei der Erbpacht systematisch gerade nicht um eine Form geteilten Eigentums. Nach dem formellen Verständnis des ALR 1794 von geteiltem Eigentum fielen in diese Kategorie nur Lehen, Erbzinsgut und Fideikommiss, vgl. ALR I 8 §§ 16–22; Strauch, FS Hübner, S. 281. Die Erbpacht habe das ALR 1794 „nicht als nutzbares Eigenthum, sondern nur als dingliches Recht an fremder Sache betrachtet“. 281 Dernburg, Preußisches Privatrecht, S. 447: „Durch das Gesetz vom 2. März 1850, betreffend die Ablösung der Reallasten § 2 wurde dann das Obereigenthum der Lehnsherren bei allen inländischen Lehen […] sowie das Obereigenthum der Guts- oder Grundherren am Erbzingsut geradezu aufgehoben. Zugleich beseitigte das Gesetz auch das Eigenthum der Erbverpächter zu Gunsten des Erbpächters, obgleich das Landrecht dessen Berechtigung nicht als nutzbares Eigenthum, sondern nur als dingliches Recht an fremder Sache betrachtet hatte“ (Herv. d. Verf); Strauch, FS Hübner, S. 280; vgl. auch § 2 des Ablösungsgesetzes von 1850, der nicht den eingeschränkten Begriff „Obereigentum“ gebraucht, sondern den uneingeschränkten Begriff „Eigentum“.

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von jeder Einwirkung ausschließen“), die zunächst ein einziges Volleigentumsrecht schafft, das durch beschränkte dingliche Rechte anderer belastet werden kann. Inhaltlich unterscheiden sich abstraktes und formell geteiltes Eigentum dadurch, dass Belastungen eines einzigen Volleigentumsrecht durch Konsolidation erlöschen, getrennt nebeneinander stehende Teileigentumsrechte sich allenfalls in einer Hand vereinen282. Im Übrigen ist die Wahl zwischen beiden Modellen eine regelungstechnische. Materiell liegt Teileigentum bereits dann vor, wenn das Gesetz besonders umfassende Nutzungsrechte zulässt, die in ihrem Umfang einem Eigentumsrecht gleichkommen283. Puchta wandte sich gegen materiell geteiltes Eigentum und begründete dies damit, dass „[d]er Begriff des Eigenthums als der totalen Herrschaft über die Sache […] ein danebenstehendes gleiches und höheres Recht aus[schließe].“284 Die Forderung materiell ungeteilten Eigentums trifft also inhaltliche Vorgaben285 für die Ausgestaltung sachenrechtlicher (und schuldrechtlicher) Nutzungsrechte an einer Sache: Diese müssen in ihrem Umfang beschränkt und zeitlich begrenzt sein286. Auch wenn das Ge282

Vgl. Dernburg, Pandekten, S. 55 f. „Sobald das Recht des Beliehenen nicht intensiv auf eine partielle räumliche Herrschaft begrenzt oder zeitlich begrenzt ist, entstehen Zweifel darüber, auf welcher Seite das Eigenthum zu suchen ist, und neigt sich die Waagschale zu Gunsten des Beliehenen. […] des materiellen Eigenthums des Beliehenen…“, Johow, EGBGB, Landesgesetze, S. 225, in: Gebhard, EGBGB, S. 623; s.a. Wiegand, Bodenmobilisierung, S. 144, 154. Vgl. Hedemann, Fortschritte II 1, S. 25; außerdem den von Strauch, FS Hübner, S. 282 zugrunde gelegten Begriff geteilten Eigentums, der etwa auch das Erbbaurecht, S. 285, Wohnungseigentum, S. 286, und das Anwartschaftsrecht, S. 288, erfasst. Gegen dieses materiell geteilte Eigentum richteten sich auch Art. 40 OktVerf und § 91 AblG, s.u. 284 Puchta, Heutiges römisches Recht, §§ 144, 146; MünchKomm- BGB/Säcker, § 903, Rn. 11. 285 Vgl. Wagner, Geteiltes Eigentum, S. 121 f. 286 „Das jus in re hat a) nicht die Totalität des Eigenthums, so umfassend es auch sein möge; b) wenn das jus in re das Eigenthum noch so sehr mindert, so ist es doch dem Eigenthume gegenüber etwas zeitiges, von welchem das Eigentum befreit werden kann“, Puchta, Heutiges römisches Recht, § 146. Diese zwei Elemente der Beschränktheit und Zeitlichkeit aller neben das Verfügungsrecht tretenden Rechte sind das rechtspolitische Programm des ungeteilten Eigentums, das im 19. Jahrhundert gesetzlich verwirklicht wurde, exemplarisch in Preußen durch das Ablösungsgesetz (AblG) vom 2.3.1850 (Preußisches Gesetz, betreffend die Ablösung der Reallasten und die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse vom 2.3.1850, S. 77 ff.). Hierin werden die unterschiedlichen Formen geteilten Eigentums jeweils zu Volleigentum eines der Berechtigten verschmolzen und ewige Lasten für ablösbar erklärt. Für die Zukunft bestimmt § 91 AblG zur Beschränktheit „[b]ei erblicher Ueberlassung des Grundstückes ist fortan nur die Uebertragung des vollen Eigenthums zulässig“ und zur Zeitlichkeit: „Es kann […] auch vertragsmäßig die Kündigung [neu auferlegter fester Geldrenten, Verf.] nur während eines bestimmten Zeitraumes, welcher dreißig Jahre nicht übersteigen darf, ausgeschlossen […] werden“ (§ 91 III S. 2 AblG). „Mit Ausnahme fester Geldrenten dürfen Lasten, welche 283

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setz sich regelungstechnisch für einen abstrakten Eigentumsbegriff entschieden hat, kann es Nutzungsrechte zulassen, die materiell Teileigentum darstellen, weil sie ebenso umfassenden Umfangs wie das Eigentum und nichts „Zeitiges“287 sind. Die Unterscheidung formellen und materiellen Eigentums in den Materialien wird auch dadurch erschwert, dass zwar auch Johow geteiltes Eigentum „dem Namen nach“288 und „der Sache nach“289 kennt, er hiermit jedoch eine andere Unterscheidung meint290. „[D]em Namen nach“ geteiltes Eigentum nimmt er an, wenn das Gesetz unterschiedliche Teilrechte jeweils ausdrücklich als „Eigentum“ bezeichnet (das Eigentum also nominell teilt), „der

nach dem gegenwärtigen Gesetze ablösbar sind, einem Grundstück von jetzt ab nicht auferlegt werden“ (§ 91 II AblG). 287 Puchta, Heutiges römisches Recht, §§ 144, 146. 288 Johow, Vorentwurf II, S. 523. 289 Ebd. 290 In den Motive werden Vorbehalte gegen formell und materiell geteiltes Eigentum zumindest räumlich vermischt. So wird zunächst aus dem abstrakten Eigentumsbegriff die Ablehnung des formell geteilten Eigentums entwickelt (Motive III, S. 262: „[Es lasse] sich das Eigenthum auch nicht so theilen, daß dem Einen und dem Anderen eine Reihe bestimmter im Eigenthume liegender Befugnisse zugewiesen werden und dem beiderseitigen Rechte der Karakter des Eigenthums beigemessen wird.“), dann richtet sich die Kritik ohne trennenden Absatz und zunächst auch weiterhin unter der Überschrift „Getheiltes Eigenthum“ gegen nach Zweck, Dauer und Inhalt unbeschränkte „begrenzte“ (Motive III, S. 262) dingliche Rechte, also gegen materiell geteiltes Eigentum (Motive III, S. 262 f.: „Ist der Inhalt eines das Eigenthum beschränkenden Rechtes ein sehr umfassender, so kann ein Mißverhältniß eintreten. Der Entwurf sucht einem solchen Missverhältnisse thunlichst vorzubeugen, indem er die Begründung vererblicher veräußerlicher Nutzungsrechte und im Uebrigen die Begründung begrentzter Rechte an der Sache nur zu einem beschränkten Zwecke, auf eine begrenzte Dauer oder unter Beschränkung des Rechtsinhaltes zulässt […]“). Beide Gesichtspunkte werden dann (nun unter der Überschrift „Vererbliche und veräußerliche Nutzungsrechte“) durch den Hinweis verknüpft, materiell geteiltes Eigentum sei historisch auch als Eigentum bezeichnet worden („dominium-utile im Gegensatz zu directum“, Motive III, S. 263), was im Hinblick auf die durch diese Begriffsvermischung verursachte Unklarheit kritisiert wird (Motive III, S. 263: „Das Merkmal des Eigenthumes, die Konsolidationslage und die Vermuthung für die Unbeschränktheit des Rechtes, kann immer nur auf der einen Seite vorhanden sein, doch wird unter Umständen zweifelhaft, auf welcher Seite das Merkmal zutrifft, auch haben die Gesetzgebungen vielfach das Nutzoder Untereigenthum gegenüber dem Obereigenthume in dieser Beziehung bevorzugt.“). Welche Unklarheit aus der Begriffsvermischung der Motive selbst verursacht wird, illustriert die Anmerkung v. Gierkes (die dieser explizit auf diese Stelle der Motive bezieht, vgl. Gierke, BGB-Entwurf, S. 324), der die Verfasser des BGB für den Widerspruch kritisiert, einerseits geteiltes Eigentum für „undenkbar“ zu erklären, andererseits Institute geteilten Eigentums fortbestehen zu lassen (Gierke, BGB-Entwurf, S. 324, Fn. 1, fragt provokativ: „[B]esteht es mit undenkbarem Inhalt fort?“). Dieser Widerspruch wäre zu entkräften gewesen, hätten die Motive klargestellt, nur formell geteiltes Eigentum für „undenkbar“ zu halten und im BGB nur materiell geteiltes Eigentum fortbestehen zu lassen (vgl. nur Art. 63 EGBGB).

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Sache nach“ ist Eigentum für ihn geteilt, wenn das Gesetz das Eigentum nicht abstrakt, sondern durch Aufzählung definiert (also das Eigentum formell aufteilt). Auch die Erkenntnis, dass das BGB nur von einer formellen (und nominellen) Teilung des Eigentums Abstand nimmt, nicht jedoch von materieller Eigentumsteilung, wird durch die Materialien eher verdunkelt als erhellt. Denn auch Johow äußert sich kritisch gegenüber Instituten materiell geteilten Eigentums 291 – wobei er nach seiner Begriffsverwendung konsequent nicht von einem materiellen Teileigentumsrecht spricht, sondern von einem „inhaltlich unbeschränk[t] vererblich[en] und veräußerlich[en] Nutzungsrecht“292. Diese Kritik gründet er jedoch nicht auf seine historistisch-begrifflichen Vorbehalte gegen geteiltes Eigentum, denn für ihn handelt es sich bei diesen umfassenden Nutzungsrechten schon nach seiner Begriffsverwendung nicht um Ausprägungen geteilten Eigentums – weder „der Sache“, noch „dem Namen“ nach. Die Opposition der BGB-Verfasser wurde insoweit als Unternehmen beschrieben, „den Fortbestand [materiell geteilten Eigentums, d. Verf.]“ mit einer „Deklaration als beschränktes dingliches Recht“ zu kombinieren293.

b) Kein Verbot materiell geteilten Eigentums im BGB Die BGB-Verfasser entschieden sich für abstrakt definiertes Volleigentum294 und gegen formell geteiltes Eigentum295. Die Begründung umfassender und 291

Johow, Vorentwurf II, S. 1069 f. Johow, a.a.O., S. 1069. 293 Vgl. hierzu Gebhard, Vorentwurf-EGBGB, S. 622; Johow, Vorentwurf I, S. 224; Vorentwurf II, S. 524: „Nach der Doktrin des römischen Rechts unterliegt es keinem Zweifel, daß […] Rech[te] des Bauern an dem verliehenen Gut als dingliche Rechte an fremder Sache aufzufassen sind. Aber ebenso zweifellos ist, daß diese Auffassung gesetzgeberisch nicht zu verwerthen ist. Nach der allgemeinen Rechtsüberzeugung, wie sie sich im Laufe der Jahrhunderte gebildet hat, tritt das Untereigenthum, weil es fast den gesammten Inhalt des Eigenthums in sich aufgenommen hat, entschieden in den Vordergrund. Dem Volke gilt es als Eigenthum, dem gegenüber die Rechte des Obereigenthümers sich zu Beschränkungen und Belastungen des Eigenthums verflüchtigten“ (Herv. d. Verf). 294 Johow, Vorentwurf II, S. 503: „Während bei sonstigen dinglichen Rechten das Gesetz die in denselben liegenden Befugnisse spezialisiert, wird bei dem Eigenthum dessen Rechtsinhalt in der Weise festgestellt, daß zunächst in der einen oder anderen Ausdrucksweise die Sache in allen ihren Beziehungen der Herrschaft des Berechtigten unterstellt wird und sodann die Vollständigkeit und Ausschließlichkeit der Herrschaft in einzelnen Punkten wieder aufgehoben werden [abstrakter Eigentumsbegriff, d. Verf.]. Das Gesetz stellt mithin den Inhalt des Eigenthums fest, indem es zunächst voll giebt, sodann aber das Gegebene wieder beschränkt. […] Nach der Böckingschen Ansicht müsste man […] die Unbestimmtheit durch Bestimmungen ersetzen. Diese Aufgabe wird kaum lösbar sein. Die Restriktion und nicht die Position ist bei der Ermittelung der im Eigenthum liegenden Befugnisse der richtige Weg.“ Vgl. hierzu auch die Motive III, S. 262 f.: Wegen der Zugrundelegung des abstrakten Eigentumsbegriffs „[lasse] sich das Eigenthum auch nicht so theilen, daß dem Einen und dem Anderen eine Reihe bestimmter im Eigenthume liegender Befugnisse zugewiesen werden und dem beiderseitigen Rechte der Karakter des Eigenthums beigemessen wird [= formell geteiltes Eigentum]“. 295 Johow denkt in der Begründung des EGBGB-Vorentwurfes über eine ausdrückliche Bestimmung nach, gemäß den Motiven hielt die Kommission eine solche Bestimmung jedoch für überflüssig, weil sie sich bereits implizit aus dem BGB ergebe, Motive III, 292

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zeitlich unbegrenzter Nutzungsrechte, die materiell Teileigentum darstellen, ist im deutschen Zivilrecht jedoch zulässig296. Bereits das BGB von 1900 sah an zeitlich prinzipiell unbegrenzten, umfassenden Nutzungsrechten das Erbbaurecht und den Nießbrauch juristischer Person vor. Auch die damalige Zulässigkeit von Familienfideikommissen297 sowie die spätere Einführung des Wohnungseigentums und die Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Anwartschaftsrecht lässt sich als „schrittweise Schaffung von Formen geteilten Eigentums“ interpretieren298. Weil insbesondere das Erbbaurecht – neben der Emphyteuse eine der beiden klassischen Formen materiellen Untereigentums – in das BGB1900 übernommen wurde, kann die Skepsis des BGB gegenüber der Erbpacht kaum darauf zurückgeführt werden, dass es sich hierbei um die andere klassische Form materiellen Untereigentums handelte299. S. 263. Auch Johow sah in der Tat das formell geteilte Eigentum als „wissenschaftlich unmöglich“ an und seine „Verwirklichung durch die deutsche Rechtsgeschichte“ nur als einen „ungeheuerliche[n] logische[n] Schnitzer“ (so Gierke, BGB-Entwurf, S. 324), siehe Johow, Vorentwurf II, S. 500: „Dasselbe [das ALR 1794, d. Verf.] zerlegt, einer jetzt längst überwundenen Auffassung folgend, unter §§ 9 ff. das Eigenthum…“ (Herv. d. Verf). Er verweist hierbei auf Bethmann-Hollweg, Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, S. 22, der die Eigentumsverfassung des ALR für „geradezu falsch“ hält. Johow weiter, a.a.O, S. 522: „Aus dem Begriffe des Eigenthums folgt, daß an einer Sache nur ein ausschließendes Herrschaftsrecht bestehen kann. Wenn gleichwohl die Rechtsordnung ein Eigenthumsrecht Mehrerer an dereselben Sache in verschiedener Weise zugelassen hat, so fragt es sich, wie diese Erscheinungen mit dem Begriffe des Eigenthums zu vereinigen sind.“ Neben formell geteiltem Eigentum lehnt Johow auch nominell geteiltes Eigentum ab, Johow, Vorentwurf II, S. 523. 296 MünchKomm-BGB/Säcker, § 903, Rn. 16. 297 Zum Begriff s.o., Kap. 1, C.III. Praktische Grenzen und ihr Stellenwert. Das Familienfideikommiss war nicht im BGB enthalten, bis 1919 jedoch zugelassen, endgültig aufgehoben wurde es durch Art. 3 II Kontrollratsgesetz Nr. 45 vom 25.02.1947, zu seiner Konstruktion vgl. Johow, Vorentwurf II, S. 526. 298 Zum Anwartschaftsrecht Wiegand, Bodenmobilisierung, S. 154; vgl. hierzu auch Strauch, FS Hübner; zum Wohnungseigentum Roquette, BB 1967, 509, 510; Sternel, Mietrecht 3. Aufl., Rn. IV 535 (nicht mehr enthalten in Sternel, Mietrecht 4. Auflage). Allerdings ist nach der hier getroffenen Unterscheidung das Anwartschaftsrecht möglicherweise sogar eine Form formellen Teileigentums und das Sonder- und Gemeinschaftseigentum von Wohnungseigentümern möglicherweise nur eine Ausnahme von den §§ 93 ff. BGB unter Wahrung der Einheitlichkeit der sich jeweils auf Teilsachen beziehenden Eigentumsrechte als solcher. 299 Die Archetypen geteilten Eigentums sind emphyteusis und superficies. Emphyteusis bezeichnete die Abteilung eines Nutzungseigentums vom Volleigentum, superficies bezeichnete ein dingliches, vererbliches und veräußerliches Baurecht auf fremdem Grundstück, Thibaut/Bucholtz, System des Pandektenrechts, S. 66 f. Die emphyteusis entwickelte sich zu zahllosen speziellen Untereigentumsformen (eine davon hieß wiederum emphyteusis), insbesondere zur Erbpacht. Die superficies wurde als ursprünglicher Bestandteil des Vorentwurfs ins BGB aufgenommen (§§ 1012 ff. BGB1900; Johow, Vorentwurf II, S. 1069

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Dem Johowschen Vorentwurf verdankt die davor sog. superficies ihren deutschen Namen Erbbaurecht300.

3. Ergebnis § 544 BGB lässt sich nicht mit der konzeptuellen Entscheidung des BGB gegen geteiltes Eigentum erklären, weil diese Entscheidung sich gegen formell geteiltes Eigentum richtet und nicht gegen materiell geteiltes. Eine unkündbare Miete, wie § 544 BBG sie verhindert, wäre kein geteiltes Eigentum im formellen Sinn, sondern allenfalls geteiltes Eigentum im materiellen Sinn. Soweit die BGB-Verfasser auch einzelne Institute nur materiell geteilten Eigentums wie die Erbpacht kritisiert und nicht in das BGB übernommen haben, kann es sich hierbei um keine konzeptuelle Kritik handeln, die sich auch gegen das in das BGB übernommene Erbbaurecht gerichtet hätte. Die Vorbehalte gegen die Erbpacht müssen auf anderen Gründen beruht haben. VI. Verfassungsrechtliches Gebot materiell ungeteilten Eigentums (Art. 14 GG) 1. Darstellung des Vorschlags Auch wenn das BGB materiell geteiltes Eigentum zulässt, könnte eine materielle Teilung des Eigentums gegen die Eigentumsfreiheit des Grundgesetzes verstoßen. In der Literatur wird teilweise angenommen, der Gesetzgeber sei bei Versuchen, „Miet- und Pachtrechte zu verstärken“, verfassungsrechtlich beschränkt: Diese obligatorischen Rechte dürften „nicht als ‚Nutzungseigentum‘ den Eigentümer in das nackte Verfügungsrecht drängen.“301 Die Rechtfertigung des § 544 BGB könnte demnach darin liegen, materiell geteiltes Eigentum als Einschränkung des sich im Eigentum manifestierenden privaten Freiheitsraumes des Menschen zu verhindern. Historisch besteht eine Verbindung zwischen der Aufhebung des geteilten Eigentums und der Begründung des Grundrechts auf Eigentumsfreiheit durch die Bewegung des deutschen

ff.). Allerdings hatte Johow der Kommission 1878 zunächst noch vorgeschlagen, von einer Aufnahme abzusehen, Johow, Vorentwurf III, S. 973 ff., 975: „Der Redaktor hat sich […] lange mit dem Gedanken getragen, die Superficies in den Entwurf aufzunehmen, es ist ihm jedoch je länger je mehr zweifelhaft geworden, ob diesses Rechtsinstitut wirklich dem Verkehr noch Dienste zu leisten vermag […]. Unter diesen Umständen schien es geboten, die Frage nach der Aufnahme der Superficies in das B.G.B. der Kommission zur Vorentscheidung zu unterbreiten.“ 300 Johow, Vorentwurf II, S. 1092: „War nach dem Vorstehenden die Superficies […] in den Entw. aufzunehmen, so erscheint es angemessen, dem Institut einen deutschen Namen zu geben. […] Der Entw. glaubt […], daß der Name Erbbaurecht am meisten bezeichnend und verständlich sein würde und bedient sich desselben.“ 301 Leisner, Eigentum, S. 1023, Rn. 52.

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Konstitutionalismus302. Auch vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes kann § 544 BGB daher schon dem Schutz der Eigentumsfreiheit gedient hat.

Das BVerfG folgt allerdings in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Eigentumsrechte einen weiten Spielraum genieße, weil kein „‚an sich‘ umfassendes und verfassungsrechtlich gewährleistetes Eigentumsrecht“303 existiere, sondern die Institutsgarantie des Art. 14 GG nur gewährleiste, dass der Gesetzgeber überhaupt eine Form von Eigentum schaffe, „das den Namen Eigentum verdient“304. Nach einer Ansicht soll die Eigentumsfreiheit trotzdem „eine Grundentscheidung […] für die Überwindung des ‚geteilten Eigentums‘ zum Ausdruck“ bringen305. Sie begründet dies mit einer Notwendigkeit von „Systemgerechtigkeit“306, wonach der Gesetzgeber zwar zwischen unterschiedlichen Eigentumskonzeptionen wählen dürfe, sich jedoch konsequent für eine entscheiden müsse. Ein Nebeneinander etwa von Volleigentum und geteiltem Eigentum dürfe er nur erlauben, wenn er dafür überzeugende Gründe habe, die eine Durchbrechung des gewählten Zivilrechtssystems „erforderlich“ erscheinen lasse307. Nach einer weiteren Ansicht soll der Gesetzgeber an einen Eigentumsbegriff gebunden sein, der in der „Traditionslinie des einheitlichen, abstrakten, römisch-rechtlich geprägten Eigentums“ stehe308 und „eine Aufspaltung des einheitlichen Eigentumsrechts an einem bestimmten Gut in mehrere selbstän-

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Abschaffung und Neubegründungsverbot des geteilten Eigentums in Preußen (§§ 2, 91 AblG) gingen auf Art. 40 der oktroyierten Verfassung und diese auf den entsprechenden Art. 37 III der Charte Waldeck zurück, vgl. Bericht der Agrarkommission, S. 1286 ff., die sich auf den Verfassungsauftrag des Art. 40 bezieht. Im „Grundrechtsteil“ eingeordnet („Von den Rechten der Preußen“) gewährte Art. 40 PrOktVerf neben dem Neubegründungsverbot geteilten Eigentums eine Form der (Grund-)Eigentumsfreiheit: „Das Recht der freien Verfügung über das Grundeigenthum unterliegt keinen anderen Beschränkungen, als denen der allgemeinen Gesetzgebung“. In Charte Waldeck und Oktryoierter Verfassung gingen die Gewährung von Eigentumsfreiheit und ungeteiltem Eigentum also miteinander einher. In diese Tradition wird auch Art. 14 GG gestellt, Maunz/Dürig/Papier, Art. 14, Rn. 26. 303 BVerfGE 58, 300, Rn. 158 ff.; a.A.: MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 34. 304 So Wolff, FG Kahl, IV, S. 5f. 305 Maunz/Dürig/Papier, Art. 14, Rn. 24. 306 Münchener Gutachten, S. 86: „Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder Einzelnormen […] auf ihre Systemgerechtigkeit hin überprüft […]. Diesen Gesichtspunkt wird man auf die Wahl von Rechtsformen und Rechtsinstitutionen übertragen müssen.“ 307 Münchener Gutachten, S. 86. 308 MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 33. Wie Depenheuer einräumt liegt Art. 14 I 2 mit Gierkes Theorie von den Innenschranken des Rechts ein germanisitisches Konzept zugrunde.

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dige Berechtigungen“ verbiete309. Denn der offene Eigentumsbegriff berge die Gefahr, dass es „zu einem normativen Leerlaufen der Verfassungsgarantie“ komme, die so „dem Gesetzgeber gegenüber [keinen] Selbstand gewinnen“ könne310. Obwohl es keinen „apriorischen, natürlichen oder ‚übergesetzlichen‘ Rechtsbegriff des Eigentums“ gebe311, müsse die Eigentumsfreiheit am Leitbild des § 903 S. 1 BGB ausgelegt werden. Denn gerade aufgrund der „unverzichtbare[n] Normgeprägtheit“ und der „historisch[en] Kontingenz“ des Eigentumsgrundrechts müsse die Verfassung sich an dem „ausgeformte[n] Rechtsinstitut“ orientiert haben, das sie im „im bürgerlichen Recht des Jahres 1949 [vorfand]“312. 2. Einwände Aus der Verfassung lässt sich kein unmittelbares Kündbarkeitsgebot von Mietverhältnissen ableiten. Denn materielles Teileigentum wird durch Art. 14 GG nicht verboten, sondern geschützt: Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG umfasst der Schutzbereich der Eigentumsfreiheit die Rechtsstellung von Mietern; der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff ist also selbst geteilt313. Eine Aufwertung der Mieterposition verwirklicht in dieser Hinsicht die grundgesetzliche Eigentumsfreiheit314. 309

Leisner, Eigentum, S. 1023, Rn. 51; vgl. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 206 f. 310 Depenheuer, Eigentumsschutz, S. 167; MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 32 und erneut in Rn. 35; vgl. auch, Rn. 30; sowie Depenheuer, Eigentumsbegriff, S. 29, 40. Die Figur eines notwendigen Selbstands der Verfassung geht zurück auf Leisner, Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Das „Eigentum nach dem Gesetz“ des Nassauskiesungsbeschlusses hält Depenheuer für eine verkehrte „Freiheit nach dem Gesetz“ statt einer „Freiheit gegenüber dem Gesetz“, die in Umkehrung des Verhältnisses von Verfassung und Gesetz dem Staat statt dem Bürger den ersten Zugriff auf das Eigentum gewähre (MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 32; vgl. auch Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 189; MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 35 ff.) 311 MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 31; vgl. auch die Wiederholungen ebd., Rn. 30 (fett gedruckt) und in Depenheuer, Eigentumsschutz, S. 158; MKS/Depenheuer, Art. 14. Ebenso Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 186 ff. 312 MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 32. Für Depenheuer bildet § 903 BGB demnach die „magna charta des Eigentumsgrundrechts“, MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 33; Depenheuer, Eigentumsschutz, S. 124 und 167. Depenheuer geht damit vom gleichen Ausgangspunkt aus wie das BVerfG im Nassauskiesungsbeschluss, zieht jedoch den umgekehrten Schluss. Ähnlich Wendt, der die Eigentumsfreiheit jedoch nur an „die Gewährleistung überkommener typischer Grundformen und Grundstrukturen“ gebunden wissen will, Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 189; er verweist auf Leisner, Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, S. 44 Fn 114, S. 48 f.; und Boehmer, in: Nipperdey, GR II, S. 403 f. 313 BVerfGE 89, 1. Dies ist eine Ausformung des sog. erweiterten Eigentumsbegriffs im Verfassungsrecht, der zahlreiche vermögenswerte Rechte des Privatrechts erfasst und „notwendig auch eine Wandelbarkeit des Eigentumsbegriffs“ bedeutet, MüKu/Bryde, Art. 14, Rn. 41, der insoweit auf BVerfGE 2, 380, 401; 20, 351, 355 f. verweist. Vgl. BN-

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Die Institutsgarantie des Eigentums konserviert einen Freiheitsraum von Individuen315, keine Begriffe316. Um dies zu gewährleisten, hat das BVerfG seine ursprüngliche Formel von einer „bürgerlich-rechtlichen Geprägtheit“317 des Art. 14 GG aufgegeben318. Damit hängt die Zulässigkeit materieller Teileigentumsrechte von ihrer konkreten Ausgestaltung ab. Da Erbbaurechte allgemein für verfassungsgemäß gehalten werden, muss auch eine unkündbare Miete in dieser Hinsicht mit der Institutsgarantie vereinbart werden können319. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes320 lässt den Art. 14 GG auch nicht „normativ [l]eerlaufen“321 weil das BVerfG inhaltliche Anforderungen wie „Privatnützigkeit“ und „Verfügbarkeit“ an das Eigentumsinstitut stellt322. Komm-GG/Kimminich, Art. 14, Rn. 11 ff.; Badura, DJT 49, T 7; Sendler, DÖV 1974, 73 f. Hierauf entgegnet Wendt: „[…] aus dem Umstand, daß der Schutzkreis der Eigentumsgarantie über das sachenrechtliche Eigentum hinausgeht, darf daher [wegen der strukturellen Unterschiedlichkeit der Rechtsstellung des Eigentümer von der Rechtsstellung eines Inhabers beschränkter dinglicher Rechte] nicht gefolgert werden, daß das Sacheigentum beliebig und maßstabslos durch (sach-)eigentumsähnliche Rechtsformen verdrängt werden könnte. Das würde die ‚spezifische Widerstandskraft‘ der Eigentumsgarantie gefährden.“ 314 Vgl. MüKu/Bryde, Art. 14, Rn. 41: „[Es wird häufig übersehen], daß mit der Ausweitung des Eigentumsbegriffs (Rn. 11) oft auf beiden Seiten eigentumsrechtlich geschützte Positionen bestehen, z.B. beim Konflikt von Vermietern und Mietern, Versicherern und Versicherten, Grundeigentümern und Nutzungsberechtigten.“ 315 BVerfGE 104, 1. 316 Böckenförde, Sozialbindung des Eigentums, S. 327: „Die Befugnis zur Inhaltsbestimmung des Eigentums, die Art. 14 I S. 2 GG dem Gesetzgeber einräumt, bezieht sich nicht nur auf die Regelung der Ausnutzbarkeit des Eigentums, sondern auch auf die Gestaltung der Eigentumsformen“; „[bei der] Gestaltung der Eigentumsordnung ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich keineswegs auf die Sachherrschaftsform ‚Eigentum‘, wie sie das BGB geregelt hat, festgelegt; das Rechtsinstitut ‚Eigentum‘ des BGB stellt selbst nur eine geschichtliche Ausprägung des ‚Eigentums‘, wie es Art. 14 GG im Blick hat, dar“ (Herv. d. Verf). Vgl. ähnlich Floßmann, Eigentumsbegriff im Wandel, S. 139; Wolff, FG Kahl, S. 5 ff. Die Wandelbarkeit der Eigentumsverfassung schon aus dem erweiterten Eigentumsbegriff folgernd MüKu/Bryde, Art. 14, Rn. 41; MünchKomm-BGB/Säcker, § 903 BGB, Rn. 12; Krohn/Löwisch, Eigentumsgarantie, S. 2; vgl. BVerfGE 58, 300, Rn. 163. 317 BVerfGE 1, 264, 278; 2, 380, 402; 11, 64, 70; 14, 263, 278; 20, 351, 355; 21, 150, 155; 25, 215, 222. 318 BVerfGE 58, 300, 335 (Nassauskiesung): „Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muss aus der Verfassung selbst gewonnen werden.“ Vgl. MüKu/ Bryde, 14, Rn. 11; MünchKomm-BGB/Säcker, § 903, Rn. 20. Aus diesem Grund wurden auch Leisners verfassungsrechtlichen Bezüge auf das privatrechtliche Eigentum zum Teil stark kritisiert, so würde ein „[Eigentumsbegriff] nicht näher begründ[et] und im einzelnen konkretisier[t], sondern eher beschwor[en]“, Brünneck, Eigentumsgarantie, S. 322. 319 Vgl. hierzu auch Schulte, JZ 1984, 297, 299 f. 320 Hiervon distanziert sich Depenheuer in MKS/Depenheuer, Art. 14, Rn. 32 a.E. 321 Depenheuer, Eigentumsbegriff, S. 29, 40.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Auch wenn man die Forderung einer einheitlichen Durchführung eines Eigentumsbegriffs akzeptiert, folgt hieraus noch nicht die Unzulässigkeit einer unkündbaren Miete. Denn als materielles Teileigentum ließe sie die formelle Systementscheidung des Privatrechts für ein abstraktes Volleigentum grundsätzlich unangetastet. Die verfassungsrechtliche Skepsis gegenüber geteiltem Eigentum ist großteils in der Auseinandersetzung mit einer konkreten historischen Teileigentumsform entstanden323. In den Siebziger Jahren existierte ein politisches Vorhaben, ein Obereigentum der Kommunen einzuführen, um die städtebauliche Planung zu vereinfachen324. Die fachwissenschaftlichen Bedenken gegen dieses Vorhaben lassen sich auf unkündbare Mieten nicht ohne weiteres übertragen325, weil es sich bei dem vorgeschlagenen kommunalem Obereigentum erstens 322 BVerfGE 24, 367, Rn. 82 (Hamburger Deichurteil); S-BHB/Hofmann, Art. 14, Rn. 4; Wunderlich, BVerfG zur Eigentumsgarantie, S. 11; Böckenförde, Sozialbindung des Eigentums, S. 328; Eschenbach, Schutz des Eigentums, S. 269: „Privatnützigekeit und grundsätzliche Verfügungsfähigkeit werden somit losgelöst von einer zivilrechtlichen Sichtweise“. 323 Vgl. Verweise auf den Vorschlag bei Maunz/Dürig/Papier, Art. 14, Rn. 26 a.E., Rn. 66 ff. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des vorgeschlagenen kommunalen Obereigentums wurde diskutiert im sog. „Münchener Gutachten“. Insbesondere die Kommentierung Papiers im Maunz-Dürig lehnt sich stark an das Münchener Gutachten an: In den zehn Fußnoten zu den Rn. 24 bis 26 und den elf Fußnoten zu den Rn. 67 bis 71 (insgesamt 21 Fußnoten) zitiert Papier das Gutachten sechzehnmal. Die übrigen Quellenangaben stimmen häufig mit den Fußnoten des Münchener Gutachtens überein, so zitiert Papier beispielsweise in Fn. 6 zu Rn. 26 (S. 35): „Vgl. Lautz, EntwDU; Landsberg, Die Glosse des Accursius und ihre Lehre vom Eigentum, 1883, bes. S. 99 ff.“ (Herv. d. Verf.); in der entsprechenden Anm. 14 zum Teil B 2 des Münchener Gutachtens heißt es: „Für die Kenntnis dieser Zusammenhänge ist heute noch grundlegend die 1886 entstandene Göttinger jur. Diss. von K. Lautz, Entwicklungsgeschichte des dominium utile (1916). Vgl. ferner E. Landsberg, Die Glosse des Accursius und ihre Lehre vom Eigentum (1883) bes. S. 99 ff.“ (Herv. d. Verf). Auch der Inhalt folgt wesentlich dem Münchener Gutachten. Um nur ein Beispiel zu nennen, heißt es im Münchener Gutachten, S. 18: „Das kennzeichnendste Merkmal der alten Bodenverfassung ist darin zu sehen, daß man Grund und Boden nur in Abhängigkeit von einem Herrn besitzen konnte“ (Herv. d. Verf); „[b]ei aller Verschiedenheit im einzelnen […] war die Grundherrschaft stets auch eine Form politischer Herrschaft“, (Herv. d. Verf.). Bei Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rn. 66 ff. heißt es „Die Bodenverfassung unter dem Lehnswesen und der Grundherrschaft war durch den Umstand geprägt, dass Grund und Boden nur in Abhängigkeit von einem Herrn besessen werden konnten. Lehnherr und Grundherr hatten nicht nur sachenrechtliche Befugnis an dem von ihnen verliehenen Boden, sie übten damit auch politische Herrschaft aus.“ Auch Wendts Veröffentlichung war von der Opposition gegen das kommunale Obereigentum geprägt, vgl. Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 204 ff. 324 SPD-Bodenrechtskommission, Vorschläge zur Bodenordnung, S. 37 ff.; SPD, Reform der Bodenordnung, S. 5 ff.; der Vorschlag geht zurück auf Vogel NJW 1972, 1544 ff. 325 Vgl. in diese Richtung differenzierend Staudinger/Seiler, Vor §§ 903 ff., Rn. 60. Auch Papiers Position dürfte dahingehend teilweise zu relativieren sein. So zitiert er in seiner historischen Darstellung (Maunz/Dürig/Papier, Art. 14, Rn. 24.) die sehr kritische historische Position der historischen Einordnung im Münchener Gutachten, in der konkre-

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um eine bereits formelle Eigentumsteilung handelte und diese zweitens darauf zielte, das Privateigentum um Funktionen zu kürzen, die politisch als hinderlich empfunden wurden326.

3. Ergebnis Nicht alle Ausgestaltungen materiell geteilten Teileigentums verstoßen bereits gegen die Institutsgarantie des Eigentums. § 544 BGB ist deswegen nicht dadurch zu erklären, dass das Grundgesetz eine derartige Schutzvorschrift notwendig mache, um eine materielle Teilung von Eigentum zu verhindern.

ten verfassungsrechtlichen Analyse (Maunz/Dürig/Papier, Art. 14, Rn. 71) spiegelt sich hingegen das differenziertere Gesamtergebnis des Gutachtens wieder. Trotz der generalsierenden Einleitung etwa der Rn. 24 lässt sich Papier nicht ohne weiteres so verstehen, dass ein Mietrecht ohne Sachbindungsgrenze „verfassungsrechtlich [...] von vornherein unzulässig“ sei (vgl. Ergebnis des Münchener Gutachtens, S. 114), auch wenn an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Eigentumsspaltung„erhebliche Bedenken“ bestehen, Rn. 69. An andere Stelle differenziert Papier ausdrücklich nach verschiedenen Formen der Ausgestaltung, vgl. Maunz/Dürig/Papier, Art. 14, Rn. 71, je nachdem, ob das Untereigentum sich gegebenenfalls wieder mit dem Obereigentum zum Volleigentum konsolidieren kann oder nicht. 326 Münchener Gutachten, S. 85 f., 114. In der historischen Einordnung werden diese Zweifel noch deutlich stärker pointiert und generalisiert, vgl. ebd., S. 86 und 114 einerseits, andererseits S. 23: „[Die Auffassung der Grundrechte als Freiheitsrechte] bedeutet aber, daß die geschichtliche Grundentscheidung gegen das Eigentum als Instrument öffentlicher Gewalt und damit für ein prinzipiell unbeschränktes privates Bodeneigentum noch immer gültig ist. Mit dieser freiheitlichen Eigentumsverfassung ist eine Aufteilung des Grundeigentums in ein öffentliches Verfügungseigentum und ein privates Nutzungseigentum nicht vereinbar“. Noch der von Stein verfasste vorherige Abschnitt klingt deutlich aufgeschlossener, ebd., S. 17 f: „Die Eigentumsordnung muß und kann dem ständigen sozialen Wandel angepaßt werden. […] Es gibt keinen vorgegebenen, absoluten Begriff des Eigentums. […] Der Gesetzgeber hat damit einen erheblichen Gestaltungsspielraum für die Anpassung der Eigentumsordnung an den sich ständig vollziehenden sozialen Wandel“. Das Gesamtergebnis fällt entsprechend differenziert aus, ebd., S. 85 f., 144: Danach sollen ein öffentliches Verfügungseigentum und ein privates Verfügungseigentum „verfassungsrechtlich nicht von vornherein unzulässig“ sein. In der Literatur wurde teilweise bestritten, dass der gegenständliche rechtspolitische Vorschlag sich überhaupt auf geteiltes Eigentum richte, weil das vorgeschlagene Nutzungseigentum die Bezeichnung Eigentum nicht verdiene, Westermann, Aufspaltung des Bodeneigentums, S. 58 ff.; Hass, Nutzungseigentum, 174 ff., 179, 186 ff., 191, sodass Kritik des Münchener Gutachtens ohnehin nur vorsichtig generalisiert werden kann.

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VII. Wirtschaftliche Stärkung der ehemaligen Erbmieter und Erbpächter 1. Darstellung des Vorschlags Die Aufhebung der Erbpacht hatte nicht nur einen rechtswissenschaftlichen, sondern auch einen politischen Ausgangspunkt: die sog. Befreiung der Bauern und die mit ihr einhergehende Agrargesetzgebung. Anstoß zur Bauernbefreiung gaben sowohl die im Bauernstand herrschende wirtschaftliche Not327 als auch die ökonomischen Unzulänglichkeiten der grundherrschaftlichen Ordnung328. Von einer Aufwertung der Rechtsposition der Bauern versprach man sich sozialpolitische329 und volkswirtschaftliche Verbesserungen330. Der „produktive[n] Klasse“ sollten zulasten unproduktiver Rentiers331 größere Spielräume zu eigenverantwortlichem Wirtschaften und insbesondere zur Aufnahme von Krediten332 verschafft werden. Grundstückseigentümer können leichter Sicherheiten stellen als Erbpächter. 327

Fulda, Ueber die Klagen unserer Zeit, S. 79: „… sehen wir den Landmann in immer größere Noth und Dürftigkeit geraten…“. 328 Smith, Wohlstand der Nationen, S. 324: „[V]on einem Pächter bestelltes Land, [melioriert] bei gleich guter Wirtschaft, weit langsamer […] als Boden, den sein Eigentümer selbst bebaut“. Mit dem entsprechenden Befund zur Situation in Deutschland im 19. Jahrhundert Grünberg, Agrarpolitik. 329 Grund für das Neubegründungsverbot der Erbpacht war u.a. ein Erfordernis „des materiellen Wohls“, Motive-Charte-Waldeck, Zu Art. 37; vgl. Rauer, Protocolle Verfassungskommission, S. 127; vgl. Hippel, Bauernbefreiung, zit. n. Achilles, Agrargeschichte, S. 126: „[D]ie Integration auch des ‚armen Bauern‘ in die frühkonstitutionelle Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung kann als das entscheidende Ziel der Bauernbefreiung bezeichnet werden“. Dafür, dass sozialpolitische statt rechtswissenschaftliche Gründe für die Aufhebung der Erbpacht als Institut materiell geteilten Eigentums maßgeblich waren, spricht auch, dass das Untereigentum zum Volleigentum aufgewertet wurde, obwohl nach pandektistischer Doktrin der Obereigentümer aufgrund der Konsolidationsperspektive als der „eigentliche“ Eigentümer galt, vgl. Dernburg, Pandekten, S. 55 f. 330 Dernburg, Preußisches Privatrecht, S. 510; zum Ganzen Staudinger/Mayer, § 1018, Rn. 4 ff. Neben diesen Gründen dürften auch fiskalische Erwägungen eine Rolle gespielt haben, weil Grundherrn von öffentlichen Lasten in der Regel „exemt“ waren, Achilles, Agrargeschichte, S. 92. 331 „Erbpacht […] als Symbol einer ‚ewigen Rente‘“ Hedemann, Fortschritte II 1, S. 25 332 Fulda, Ueber die Klagen unserer Zeit, S. 79: „Wir suchen und glauben es [die Ursache der Not] zunächst zu finden in dem Mangel an Geld“; Rudhart, Gewerbe, Handel Staatsverfassung, S. 97 f.: „Beynahe allgemein sind die Klagen über Mangel an Kapitalien und über Mangel an baarem Gelde. […] Wohl würden die von allen Seiten und besonders von den Grundbesitzern erhobenen Klagen über Geldmangel verstummen, wenn das Grundeigenthum weniger belastet, […]“ wäre; Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 269 ff. Schon in der Einleitung zum Edikt von 1817 heißt es, es sei „alles zu entfernen, was den einzelnen bisher hinderte, den Wohlstand zu erlangen, den er nach dem Maß seiner Kräfte zu erreichen fähig war; Wir haben ferner erwogen, daß die vorhandenen Beschränkungen […] im Besitze und Genuß des Grundeigenthums […] der Wiederherstellung der Kultur eine große Kraft [der] Thätigkeit [des Landarbeiters] entziehen, [...] indem sie auf den Werth des

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Die für Deutschland exemplarische333 Bauernbefreiung in Preußen lässt sich in zwei Phasen aufteilen334. Zunächst wurde die öffentlich-rechtliche Bestandteile der Grundherrschaft beseitigt und die Erbuntertänigkeit der Bauern abgeschafft. Die wichtigste Regelung war hier das auf von Stein zurückgehende sog. „Oktoberedikt“ von 1807335, das unter anderem bestimmte: „Mit dem Martinitage eintausendachthundertundzehn (1810) hört alle Gutsuntertänigkeit in Unseren sämtlichen Staaten auf. Nach dem Martinitage 1810 gibt es nur frei Leute“336. Auch „bessere“337 Rechtsverhältnisse wie die Erbpacht wurden 1821 von Lasten in Form von bestimmten Zinsen und Diensten befreit338. Privatrechtlich erhielten in dieser Phase lediglich Bauern mit einer schwachen Rechtsposition gegen Abtretung der Hälfte oder eines Drittels des von ihnen bewirtschafteten Landes volles Eigentum am Rest339. Grundeigenthums und den Kredit des Grundbesitzers einen höchst schädlichen Einfluß haben“, Einleitung zu dem Edikt den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend vom 9. Oktober 1807; Hedemann, Fortschritte II 1, S. 7 unter Verweis auf ALR II 7 § 248; vgl. Staudinger/Mayer, § 1018, Rn. 2 ff., Rn. 4: „Zur Erhöhung der Verkehrs-, insbesondere der Beleihungsfähigkeit der Grundstücke entschied sich der Gesetzgeber des BGB unter dem Einfluss des bürgerlichen Liberalismus und korrespondierend mit dem von der romanistischen Rechtsschule wiederentdeckten umfassenden Eigentumsbegriff des römischen Rechts für ein einheitliches Eigentum […]. Dies führte zur Ablehnung der umfassenden veräußerlichen und vererblichen Nutzungsrechte, etwa in Gestalt der Erbpacht (emphyteusis ), die früher als Unter- oder Nutzungseigentum verstanden wurden, und nunmehr nur noch kraft Landesrecht nach Maßgabe des Art 63 EGBGB aufrechterhalten sind […]. Durch die Einführung der beschränkt dinglichen Nutzungsrechte entstand entgegen dieser Konzeption aber die Gefahr des dauernden Auseinanderfallens von nur schwer beleihbarem bloßen Verfügungseigentum und Nutzungsrechten für Dritte.“ 333 Die preußische Bauernbefreiung galt als das „für Deutschland klassisch[e] Beispiel des Befreiungsvorgangs“, Treue, Wirtschaftsgeschichte, S. 539, Gutmann, zit. n. Wagner, Geteiltes Eigentum, S. 112; zudem war nach Auffassung des ersten Kommissionspräsidenten, von Pape, „das Preußische Recht für das moderne Deutsche Immobiliarrecht grundlegend geworden und von der Preußischen Gesetzgebung auf dem Gebiete des letzteren nach umfassenden Vorarbeiten Reformen durchgeführt sind, welche für das Deutsche Zivilgesetzbuch den größten Werth haben und die ernsteste Beachtung verdienen“, Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 276. 334 Vgl. Lütge, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 436 f. 335 Edikt „den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend“ vom 9. Oktober 1807, vgl. Witte, Bauernbefreiung, S. 9. 336 § 12 I Edikt zur Bauernbefreiung. Daneben wurde in dieser Phase insb. auch die wirtschaftliche Position von Domänenbauern (solche, deren Grundherr der Staat selbst war) verbessert und Beschränkungen der Veräußerbarkeit von Bauernland und Rittergütern aufgehoben, die sich zuvor in ständischen Bindungen und Maßnahmen zum Bauernschutz bestanden, vgl. Lütge, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 436 f. 337 HdRG/Brauneder, Stichwort: „Erbleihe, Erbpacht“, S. 970: „günstigste Leihform im Mittelalter“; vgl. Coing, Handbuch der Quellen; Lütge, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 464: Bauern mit „besserem, d.h. emphyteutischem Besitzrecht“. 338 Preußische Ablösungsordnung für Erbzins- bzw. Erbpachtgrundstücke, 1821, Preußische Gesetzessammlung 1821, N. 7, S. 77–87, abgedr. bei Steitz, Quellen, S. 54 ff. 339 Vgl. etwa §§ 10, 37, 30 des Regulierungsedikts vom 14.9.1811.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Erst nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 wurde die Bauernbefreiung durch den Gesetzgeber zu Ende geführt340. 1850 wurden durch ein umfassendes Gesetz die Reste der mittelalterlichen Agrarordnung beseitigt, das Prinzip der Landentschädigung aufgegeben und allen Bauern die Möglichkeit gegeben, ihre wirtschaftlichen Lasten durch Zahlungen abzulösen (Ablösungsgesetzgebung)341. Die Erbpacht wurde als besseres Rechtsverhältnis entschädigungslos unter Ablösung des Erbpachtzinses in volles Eigentum umgewandelt342, das Obereigentum wurde abgeschafft und die Neubegründung von Teileigentum wurde verboten343.

Die Verfasser des BGB fühlten sich den Ergebnissen der Bauernbefreiung verpflichtet344. Sie befürchteten, Institute wie die Erbpacht würden „immer aufs Neue die Agrarfrage stellen“345 und „für die Agrargesetzgebung neue 340 Im Revolutionsjahr 1848 gestattete der preußische König, eine preußische Nationalversammlung zur Erarbeitung einer Verfassung einzuberufen, die unter dem Vorsitz des Abgeordneten Waldeck einen Entwurf erarbeitete („Charte Waldeck“). Die Charte sah in Art. 37 auf einen Antrag des Sachenrechtsdozenten Heinrich Albert Zachariä hin neben der Verfügungsfreiheit über das Grundeigentum und anderen Maßnahmen der Bauernbefreiung unter anderem vor, dass „[b]ei erblicher Ueberlassung eines Grundstückes […] nur die Ubertragung des vollen Eigenthums zulässig [sei]“, siehe Rauer, Protocolle Verfassungskommission, S. 54; vgl. Best/Weege, Biographisches Handbuch, S. 369; Zachariä, Privatrecht Braunschweig-Wolfenbüttel. In der Reaktionsphase setzte der Monarch im Dezember 1848 eine andere Verfassung in Kraft („oktroyierte Verfassung“), die jedoch die Bestimmungen der Charte Waldeck zur Neuordnung der Agrarverfassung (Art. 37) als Art. 40 der oktroyierten Verfassung übernahm. Das Ablösungsgesetz von 1850 setzte diesen Verfassungsauftrag um, Bericht der Agrarkommission, S. 1285 ff. 341 Lütge, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 438. 342 § 2 des Gesetzes betreffend die Ablösung der Reallasten und die Regulierung der gutsherrlichen und der bäuerlichen Verhältnisse, ausgegeben zu Berlin 13.3.1850, Stück Nr. 10, Gesetz Nr. 3233, S. 77–111 der Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten (AblG 1850): „Ohne Entschädigung werden folgende Berechtigungen, soweit sie noch bestehen, hiermit aufgehoben: […] 2) Das […] Eigenthums-Recht des Erbverpächters; […] Erbpächter erlangen mit dem Tage der Rechtskraft des gegenwärtigen Gesetzes, und lediglich aufgrund desselben, das volle Eigenthum“; die Ablösung des Erbzinses regelte § 6 AblG1850. 343 § 91 I AblG 1850: „Bei erblicher Ueberlassung eines Grundstücks ist fortan nur die Übertragung des vollen Eigentums zulässig“; vgl. Art. 40 III der oktroyierten Verfassung. 344 „Der Entwurf muß […] die mühsam errungene Regelung der agrarischen Verhältnisse auf der Grundlage des vollen Eigenthums zu befestigen trachten.“, Johow, Vorentwurf II, S. 1070. Im Münchener Gutachten ist entsprechend von einer „rechtspolitischen Scheu“ des Gesetzgebers vor geteiltem Eigentum die Rede. Zur Beschränkung auf die preußische Entwicklung s.o., Kapitel 3, Fn. 67333. Die Beseitigung der Erbpacht und ihre Gründe waren den BGB-Verfasser päsent; Johow war ein preußischer Sachenrechtler und zurzeit der Ersten Kommission waren die rechtlichen Reformen zur Bauernbefreiung zwar seit 24 Jahren (zumindest in Preußen) abgeschlossen, die finanzielle Abwicklung der „Regulirung“ dauerte jedoch noch an, Johow, Vorentwurf II, S. 1069. 345 Johow, Vorentwurf II, S. 1069. Johow hielt die Erbpacht und andere, ihr ähnliche Institute (ebd., S. 1069) für veraltete Instrumente zur Verbesserung der agrarischen Verhältnisse. Sie hätten ursprünglich dazu dienen sollen, den Grund und Boden „aus den Händen

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Aufgaben und Schwierigkeiten schaffen“346. Wenn das BGB § 544 BGB damit begründet, dass eine Erbmiethe bzw. Erbpacht zu verhindern sei, scheint es sich hierdurch auf das sozialpolitische und volkswirtschaftliche Ziele der Bauernbefreiung zu beziehen, die begrenzte Ressource Boden leistungskräftigen Landwirten zuzuordnen347. Die Bauernbefreiung hatte auch die politische Freiheit der Bauern zum Ziel. Hierzu diente jedoch die Aufhebung der öffentlich-rechtlichen Untertänigkeit in der ersten Phase der Bauernbefreiung, die unabhängig von der Aufhebung der privatrechtlichen Erbpacht erfolgte.

2. Einwände Durch ein Verbot von Erbmiete und Erbpacht sind jedoch weder volkswirtschaftliche noch sozialpolitische Verbesserungen für eine bestimmte Bevölkerungsschicht zu erreichen. a) Keine Erleichterung von Investitionen Selbst wenn die Erbpacht das Stellen von Sicherheiten erschwerte, erleichterte sie auf andere Weise Investitionen. Denn die Erbpacht kombiniert einen (kurzfristig) geringen Kapitalaufwand einerseits mit der für Investitionen in das Grundstück benötigten Sicherheit andererseits. Adam Smith, dessen Theorie für die volkswirtschaftlichen Erwartungen an die Bauernbefreiung maßgeblich war348, forderte gerade um dieser Investitionssicherheit willen eine Verlängerung von Pachtzeiten349. Auch in der Anfangsphase der Bauernbefreiung wurde die Erbpacht eingesetzt, um die Rechtsstellung der Bauern zu verbessern: Eine der ersten Maßnahmen der Bauernbefreiung war die Umwandlung der Zeitpacht auf den königlichen Domänen in Erbpacht und nach § 5 des Ediktes zur Bauernbefreiung von 1807 wurde die Erbverpachtung der Privatgüter als Zuweisung eines „besseren Rechts“ geschützt.

der nominellen Eigenthümer […] in die Hände derjenigen Personen [hinüberzuspielen], welche sich selbstthätig der Kulturarbeit unterzogen.“ Johow, Vorentwurf II, S. 1070. Diesen Übertragungszweck sah er als erfüllt an, die entsprechenden Institute geteilten Eigentums hielt er somit für überholt. 346 Johow, Vorentwurf II, S. 1069 f. 347 Johow, a.a.O., S. 1069. 348 The wealth of nations erschien 1776 und hatte insbesondere über die Rezeption durch Kraus einen maßgeblichen Einfluss auf die politische Gestaltung der Bauernbefreiung. Von Schroetter als Mitglied des Königsberger Kreises um Kant und Kraus formulierte das Edikt zur Bauernbefreiung, das durch von Stein für ganz Preußen in Kraft gesetzt wurde, Witte, Bauernbefreiun S. 4, 8. Kritisch Kosselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 369 f. 349 Smith, Wohlstand der Nationen, S. 315 ff., („Die Behinderung der Landwirtschaft im alten Europa nach dem Untergang des Römischen Reichs“), S. 322.

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Die Erbpacht ermöglichte also Landwirten mit geringer Kapitalausstattung überhaupt tätig zu werden und Landwirten mit Kapital, Investitionen in die Verbesserung statt in den Erwerb des Betriebes zu tätigen. Zudem würde die Erbpacht die Möglichkeit des Erwerbs zu Eigentum nicht ersetzen, sondern träte als zusätzlich vom Gesetzgeber angebotene Gestaltungsmöglichkeit mit ihm in einen Wettbewerb der Institute: Böte das Eigentumsrecht größere Vorteile für Landwirte, würde es sich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien gegen die Erbpacht durchsetzen. Durch die Alternative der Erbpacht hätten sie jedoch die Möglichkeit, diese zu wählen, wenn sie ihren Bedürfnissen eher entspricht350. Durch agrarrechtliche Sondergesetze wie das Landpachtverkehrsgesetz oder die Höfeordnung dokumentierte der Gesetzgeber im 20. Jahrhundert zwar, die Agrarstruktur nicht den Marktkräften überlassen zu wollen. Jedenfalls seit der Regelung der speziellen landpachtrechtlichen Bindungsgrenzen des § 594b BGB bezieht § 544 BGB sich allerdings überwiegend auf Gegenstände, die nach der Vorstellung des Gesetzgebers marktwirtschaftlichen Gesetzen unterliegen.

Auch im 19. Jahrhundert wurde darauf hingewiesen, dass ein zusätzliches Institut der Erbpacht neben dem Volleigentum das Sachenrecht liberalisieren würde. Dies wurde vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen mit geteiltem Eigentum zwar als Sophismus abgetan351. Das Erbbaurecht belegt jedoch, dass in einer marktwirtschaftlichen Ordnung sozialpolitische und volkswirtschaftliche Ziele mit Instituten materiell geteilten Eigentums vereinbar sind352. b) Bestreben zur Wiedereinführung der Erbpacht Auch historisch bewirkte die sog. Bauern-„Befreiung“353 keine wirtschaftliche Stärkung der Landwirte, sondern „ein[e] erheblich[e] Ausdehnung des

350 Nach AK-BGB/Ott, § 903, Rn. 21, steht die Dualität von Volleigentum und beschränkten dinglichen Rechten sachgerechten Lösungen entgegen, wenn differenziertere Lösungen erforderlich sind; ähnlich MünchKomm-BGB/Säcker, § 903, Rn. 10: „Die begriffliche Klarheit, die die systematische Teilung der dinglichen Rechte in Eigentum (als das Vollrecht umfassender materieller Zuordnung einer Sache zu einer Person) einerseits und in beschränkt dingliche Rechte andererseits ausstrahlt, ist indes mit nicht unerheblichen Nachteilen […] verbunden, auf die in der Literatur in den letzten Jahrzehnten verstärkt hingewiesen worden ist.“ Vgl. auch Staudinger/Seiler, Vor §§ 903 ff., Rn. 60; Krauss Geteiltes Eigentum. 351 Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 104, 266. 352 Vgl. § 32 II ErbbauRG, nach dem „das Erbbaurecht zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses minderbemittelter Bevölkerungskreise“ dienen kann. 353 Treue, Wirtschaftsgeschichte, S. 538: „Die sog. Bauernbefreiung…“. Die Bezeichnung „Bauernbefreiung“ geht auf das gleichnamige, mehrbändige Standardwerk Georg Friedrich Knapps zurück, Knapp, Bauernbefreiung.

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Großgrundbesitzes“354. Die Bauern wurden zu Verlierern der Reform355, weil in einer Marktwirtschaft auf Dauer nicht die formale Rechtsstellung von Personen den Umfang ihrer Sachherrschaft bestimmt, sondern die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel356. Wer von der Aufwertung der Sachnutzung zu Eigentum letztendlich profitierte, richtete sich deshalb nach außerhalb des Sachenrechts liegenden wirtschaftlichen Verhältnissen357. Weil für Bauern der Saldo ihrer gewonnen Rechte, den ihnen neu aufgebürdeten Lasten und dem Verlust ihnen zuvor zustehender Fürsorgerechte358 tendenziell negativ war, sperrten sie selbst sich vielfach gegen ihre „Befreiung“359.

Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde verstärkt die Wiedereinführung der Erbpacht oder eines entsprechenden „Zwischeninstituts“ zwischen Pacht und Eigentum gefordert360, um kapitalschwachen Kleinbauern die Vergrößerung ihrer Agrarfläche zu ermöglichen. In Preußen wurden zu diesem Zwecken die Rentengüter geschaffen361, die im Wesentlichen vergleichbar mit der Erbpacht war362. Auf die Gründe, aus denen die Erbpacht zuvor abge354 Bezogen auf das für die BGB-Verfasser exemplarische (Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, S. 276) Preußen, Treue, Wirtschaftsgeschichte, S. 538, 540; Schierholz, Erbpacht und Rentengüter, S. 1 f.: Verlagerung von „Bauernland in Junkerhand“; Dany, Liberalisierung der preußischen Agrarverfassung, S. 165 ff.; Lütge, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 443 mit Berechnungen des Landverlusts. 355 Vgl. (weltanschaulich beeinflusst) Hedemann, Fortschritte II 1, S. 79 bis 358: „Nachteiligen Folgen der Bodenbefreiung“ und Gegenmaßnahmen. 356 Vgl. Knapp, Bauernbefreiung: „Der Gesetzgeber hätte sich sagen sollen, daß die Freiheit allein ihren Mann nicht nährt“, zit. nach Meier, Franz. Einflüsse, S. 283. 357 Insbesondere die Höhe der Ablösezahlungen führte dazu, dass Landwirte das ihnen eingeräumte Grundeigentum nicht halten konnten, Henning, Die Industrialisierung in Deutschland, S. 49 f. 358 Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 268, Fn. 118. 359 Witte, Bauernbefreiung, S. 7: „Die Bauern seien [zur Abschaffung der Dienste] vielfach nicht bereit, da sie dadurch die Fürsorge verlieren und die Grundherren für die nötige Anschaffung von Geräten, Fahrzeugen und Zugvieh entschädigen müßten“. 360 Vgl. etwa Wunderlich, Wiedereinführung der Erbpacht; Paasche, Erbpacht und Rentengüter; vgl. auch Schlegelberger, Handw. ZivHR, Stichwort „erbpacht und emphyteuse“, S. 111: „Eine (heute wieder stärker betonte) wirtschaftliche Funktion der Erbpacht ist die, der Kultivierung von Oedländereien zu dienen (so schon die Emphyteuse des oströmischen Rechts“; hierzu auch Stier-Somlo/Elster, HwRWS II, S. 303. 361 Paasche, Erbpacht und Rentengüter; vgl. auch Hedemann, Fortschritte II 1, S. 130 ff.; Hofer, Freiheit ohne Grenzen, S. 252 ff., S. 263 ff. 362 Schierholz, Erbpacht und Rentengüter, S. 59: „Die deutsche Erbpacht und die preußischen Rentengüter sind in vielen Beziehungen, wie sich ohne weiteres ergiebt, verwandte und gleichgeartete Institute.“ Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass durch die Rentengüter versucht wurde, die soziale Funktion der Erbpacht auf Grundlage eines reinen Systems von Volleigentum zu konstruieren: „Der große und einschneidende Unterschied zwischen ihnen liegt in dem verschiedenartigen Begriff beider Rechtsinstitute. Die deutsche Erbpacht ist ein Recht an einem fremden Grundstücke, das preußische Rentengut eine

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

schafft worden war, hatte sich „nirgendwo ein tieferes Eingehen“ gefunden363. Dass die Bauernbefreiung bestehende Erbgerechtigkeiten in Volleigentum umwandelte, war notwendig, um die perpetuierten Strukturen der feudalistischen Güterverteilung abzulösen364. Das Institut der Erbpacht bedurfte auch der Umgestaltung365. Ein vollständiges Neube-

dem Erwerber zu Eigentum übertragene Besitzung“, Schierholz, Erbpacht und Rentengüter, S. 60, ebd. weiter: „Während aber dem Erbpächter ein dingliches, vererbliches, eigentumsähnliches Nutzungsrecht eingeräumt wird, mit welchem sogar ein beschränktes Verfügungsrecht verbunden ist, kann das Eigentum des Rentengutsbesitzers am Rentgute bis zur gänzlichen Tilgung der Rentenverplichtung zu Gunsten des Rentenberechtigtunte gewissen Beschränkungnen unterliegen. In ihrem Inhalte kommmen sich also beide Rechtsinstitute sehr nahe“. 363 Ruprecht, Die Erbpacht, S. 50. 364 S. o., Exkurs Erbpacht, Kap. 3, C.I.2 Mögliche Erklärungen, vgl. auch Schlegelberger, Handw. ZivHR, Stichwort „erbpacht und emphyteuse“, S. 111: „Die Rechtsentwicklung der letzten 100 Jahre ist der Erbpacht zunächst durachaus feindlich gewesen. Man seh in ihre ein Werkzeug, um feudale Abhängigkeiten aufrehtzuerhalten“. Vgl. hierzu Benda, ZSR 1974, 1,3 f.; Motive-Charte-Waldeck, Zu Art. 37: „Fortdauer der Ueberreste des Feudal-Staates“; Dernburg, Preußisches Privatrecht, S. 510: „Entledigung von Verkettungen, welche in überlebten Wirtschaftsystemen ihren Grund hatten“. Code rural von 1791: „Le territoire de France, dans tout son étendu, est libre comme les personnes qui l’habitent“. 365 Die Erbpacht wurde 1850 laut der Begründung der parlamentarischen Agrarkommission als ein solches Recht aufgehoben, das „dem einen Teil keinerlei greifbaren Nutzen brachten, den anderen aber massiv beschränkte“, Kommissionbericht über den GesetzEntwurf im Betreff der Ablösung der Reallasten und der Regulierung der gutsherrlichbäuerlichen Verhältnisse vom 23.11.1849, abgedruckt in: Bericht der Agrarkommission, S. 1285. Nachteile des historischen Erbpachtinstituts waren zunächst Verfügungseinschränkungen (ALR I 18 § 2: „Ueber die Proprietät der Sache können nur der Ober- und nutzbare Eigentümer gemeinschaftlich, mithin keiner derselben ohne Zuziehung und Bewilligung des Andern, gültig verfügen“). Weiterhin bestanden Vorgaben bei der Bewirtschaftung (z.B. die Pflicht, es „in guter Kultur zu halten“, Goeschen/Erxleben, Vorlesung Civilrecht, S. 296, Grundstücksveränderungen durften sich nicht nach außen als Verschlechterungen darstellen, Gesterding, Lehre vom Eigentum, S. 421, 435; vgl. ALR I 18 § 8; Schmoller, Allgemeinen Volkswirtschaftsftslehre, S. 408: „Die ältere Unfreiheit des bäuerlichen Grundeigentums bestand darin, daß der einzelne Bauer nicht wirtschaften durfte und konnte, wie er es für richtig hielt. Er musste Getreide da und dann bauen, wie seine Nachbarn, er musste säen, pflügen, ernten, wie es der Schulze gebot.“) Schließlich bestand das Risiko von Heimfallrechten, vgl. Gesterding, Lehre vom Eigentum, S. 437 ff. Die „Abmeyerung“ (Verlust der Erbpachtgerechtigkeit zugunsten des Eigentümers) drohte je nach Partikularrecht bei „Verschlechterung“ des Grundstücks, Vermögensverfall des Erbpächters oder „liederliche[m] Lebenswandel“, auch wenn dieser nachweislich zu keiner „Deterioration“ (Verschlechterung) geführt hatte, Schierholz, Erbpacht und Rentengüter, S. 10 ff. Eine Reform des Instituts wäre jedoch ohne weiteres möglich gewesen, so wie etwa die später geschaffenen preußischen Rentengüter ohne Änderung von Veräußerlichkeit und Variabilität als Formen des Untereigentums hätten ausgestaltet werden können; formal wurden sie in ein reines Volleigentumsystem eingefügt. Zur Fungibilität und erhöhten Variabilität der Rentengüter Schierholz, Erbpacht und Rentengüter, S. 59.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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gründungsverbot366 ging über das in einer marktwirtschaftlichen Ordnung erforderliche Maß jedoch hinaus. Möglicherweise war die Erbpacht aus Gründen, „die an sich dem Wesen der Erbpacht fremd und lediglich ein Ausfluß wachsender grundherrlicher Gewalt über die eingesessene Bauernschaft [waren]“367, derart „in Misskredit“368 geraten, dass sie nicht lediglich von ihren „[Entartungen] […] im Laufe der feudalen Entwicklung“369 befreit, sondern gänzlich abgeschafft wurde370. Auch in Frankreich, in dem die revolutionären Befreiung des Bodens zugunsten freier Bauern371 ihren Ausgang genommen hatte, wurde später mit einer ablösbaren „emphyteuse“372 eine Art Erbpacht wiedereingeführt373.

Den Verfassern des BGB war diese Entwicklung bekannt. Das einflussreiche preußische Landes-Oekonomie-Collegium drängte die Erste Kommission, im BGB ein der Erbpacht entsprechendes Institut vorzusehen374. Obwohl Johow die Gründe für diesen Antrag anerkannte375, wies er ihn im Ergebnis zurück. Dies spricht dafür, dass die Nichtaufnahme der Erbpacht ins BGB anderen Zwecken diente als der wirtschaftlichen Stärkung der Bevölkerungsschicht der Bauern. Ganz ohne Auswirkungen auf das BGB blieben die Befürworter der Erbpacht dennoch nicht. Die Großherzogtümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz hatten die Erbpacht bei Verfassen des BGB noch nicht abgeschafft. Sie setzten einen landesgesetzli366

§ 91 AblG1850 in Umsetzung des Art. 40 III Oktroyierte Verfassung; vgl. zB auch § 78 des sächsischen Ablösungsgesetzes vom 17.03.1832. 367 Steinbrück, HwSt – Pacht, S. 785. 368 Ebd. 369 Ebd. 370 Ebd.: „An sich ein für den Erbpächer durchaus vorteilhaftes Besitzrecht, entartete es aber zu dessen Nachteil im Laufe der feudalen Entwicklugn. Mit der Umwandlung des Eigentums der vollfreien Bauern in Erbpachtverhältnisse ging fast überall eine Herabminderung auch der persönlichen Freiheit der Bauern einher und zu den usprünglichen Abgaben an den Obereigentümer (Erbzins, Erbbestandsgeld) gesellten sich in wachsendem Maße eine Fülle von sonstigen Naturallasten und Arbeitsleistungen feudaler Natur, die an sich dem Wesen der Erbpacht fremd und lediglich ein Ausfluß wachsender grundherrlicher Gewalt über die eingesessene Bauernschaft doch dazu beitrugen, das Institut selber in Misskredit zu bringen.“ 371 Hier waren ein der Erbpacht entsprechende Institut (bail perpétuel irrachetable) und alle weiteren Obereigentumsrechte bereits zwischen dem 04.08.1789 und dem 17.7.1793 abgeschafft worden. 372 Die Emphyteuse ist die römisch-rechtliche Form der Erbpacht, im gemeinen Recht bezeichnete sie später nur noch eine ihr ähnliche Form geteilten Eigentums. 373 Hedemann, Fortschritte II 1, S. 25 f., 130 f.; vgl. auch Schlegelberger, Handw. ZivHR, Stichwort „erbpacht und emphyteuse“, S. 111: „Neuerdings beurteilt man das Erbpachtrecht wieder günstiger und sucht es für verschiedene Zwecke zu verwenden. Bezeichnend ist, daß ein so modernes Gesetzbuch wie das brasilianische die Erbpacht regelt, nachdem sie aus den Gesetzbüchern Argentiniens, Chiles usw. verschwunden war. In Italien hat man die Ablösbarkeit eingeschränkt.“ 374 Johow, Vorentwurf II, S. 1070. 375 Johow, Vorentwurf II, S. 1070.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

chen Vorbehalt in Art. 63 EGBGB durch, um „wichtige Interessen der Landeskultur“ davor zu schützen, „eine schwere Schädigung [zu] erleiden“ und den Landesregierungen ihr „wichtigstes Mittel zur Besserung der sozialen Verhältnisse“ zu lassen376. Zur Zeit des BGB galt also Erbpacht nicht mehr als Hindernis der, sondern als Mittel zur wirtschaftlichen Stärkung der Unterprivilegierten.

3. Ergebnis Durch den Verzicht auf erbpachtähnliche Institute und seine Absicherung durch § 544 BGB wollten die Verfasser des BGB kein Partei für eine bestimmte Bevölkerungsschicht ergreifen. Die „volkswirthschaftlichen Gründ[e]“377“, die sie dazu bewogen haben, sind daher in gesamtgesellschaftlichen Vorteilen des Volleigentums zu suchen. VIII. Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit von Sachen 1. Darstellung des Vorschlags a) Kein endgültiger rechtlicher Verlust von Nutzungsmöglichkeiten Zweck des § 544 BGB könnte sein, Sachen für den Markt verfügbar zu halten. Ein Eigentümer darf sein Eigentum vollständig auf einen anderen übertragen und sich somit dauerhaft entrechten, ohne dass diese Veräußerung „für das Gemeinwesen [einen] Nachteil hat“378. Zwischen dauerhafter Bindung und dauerhafter Entäußerung muss also ein Unterschied bestehen379. Wenn „volkswirthschaftlich[e] Gründe“ für § 544 BGB bestehen380, liegen sie hier. Die Besonderheit dauerhaften Bindung ist die „Fesselung“381 oder „Bestrickung“382 von Eigentum, die sie bewirkt383. Volleigentum ist voll fungibel. 376

Mugdan III, S. 708. Die nach Art. 63 S. 1 EGBGB fortbestehenden Erbpachtverhältnisse wurden durch Art. 3 II des Kontrollratsgesetzes Nr. 45 vom 25.02.1947 zum 24.04.1947 in Volleigentum umgewandelt: „Alle anderen land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke, die bisher in der Rechtsform einer besonderen Güterart besessen wurden, wie beispielsweise – ohne daß diese Aufzählung erschöpfend sein soll – Fideikommisse und ähnliche gebundene Vermögen, Erbpachtgüter, Lehnbauerngüter, Renten- und Ansiedlungsgüter, werden freies, den allgemeinen Gesetzen unterworfenes Grundeigentum.“ 377 Vgl. Motive II, S. 413. 378 Johow, Vorentwurf II, S. 1085; vgl. Jhering, Geist II 1, S. 338; Geist II 1, S. 232. 379 Vgl. Johow, in: Gebhard, Vorentwurf-EGBGB, S. 622: „Eigenthumsbelastung ist an sich eine wenig wünschenswerthe und zu und zu Verwickelungen führende Erscheinung.“ Deswegen sollte man „der Regel nach […] einen Jeden, welcher einer Sache bedarf, darauf verweisen, daß er dieselbe zu erwerben suchen möge“. 380 Motive II, S. 413; Johow, Vorentwurf II, beruft sich in seinen Erörterungen auf die „Landeskultur“, S. 1204, und stellt an zahlreichen weiteren Stellen volkswirtschaftliche Überlegungen an, S. 1069, 1085, 1088, 1090, 1203. 381 Johow, Vorentwurf II, S. 1085. 382 Vgl. Johow, Vorentwurf II, S. 1203 f.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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Nach einem Eigentümerwechsel bleibt eine Sache dem Rechtsverkehr vollständig erhalten, sie „ist nur aus einer Hand in die anderer gegangen, [...] befindet sich aber in der zweiten ganz so frei wie in der ersten“384. Eine vermietete Sache hingegen bleibt für die gesamte Mietzeit mit einem obligatorischen Recht bestrickt und in ihrer Verfügbarkeit gemindert, § 566 BGB. Eine Erbmiete wäre also ein Allokationshemmnis385. Die zeitliche Beschränkung von Miete, Pacht und beschränkten dinglichen Rechten könnte demnach dazu gedient haben, dass im Interesse der „circulation“386 dem Markt Sachen nie vollständig entzogen werden, sondern sie spätestens nach einer Generation387 wieder in den Pool potentiell verfügbarer Gegenständen zurückgeführt werden, die nach den Gesetzen der Preisbildung umverteilt werden388. Denn „wird ein Gegenstand ganz extra commercium gestellt, kann der Markt nicht mehr für seine Allokation sorgen“389. Ein der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts, auf die sich die Motive berufen, unerwünschter Umstand: „Je beweglicher unsere Volkswirtschaft geworden, desto weniger bleibt großes Vermögen in den Händen der Unfähigen und Faulen“390. Sachen „wandern“ zum „besten Wirt […], weil der Unfähige verkaufen muß“391.

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Pfeiffer, Ideen zu einer neuen Civil-Gesetzgebung, S. 169 ff.: „Den freyen Verkehr der Staatsbürger möglichst zu befördern, ihre Rechtsverhältnisse zu vereinfachen, und die Fesseln zu zerbrechen, welche den Eigenthümer hindern, von seinem Rechte vollen Gebrauch zu machen“, zit. nach: Hedemann, Fortschritte II 1, S. 13. 384 Jhering, Geist II 1, S. 227. 385 Bei der historisch Ausgestaltung der Erbpacht „ergab [es] sich […] von selbst, daß die beiden Herren, der Ober- und der Untereigentümer, einander gegenseitig im Wege standen“, Hedemann, Fortschritte II 1, S. 6. 386 Hedemann, Fortschritte II 1, S. 25 f. 387 Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 939. 388 Jhering warnte noch, durch langfristige Eigentumsbeschränkungen könne „das ganze Eigenthum im Staat […] einer rechtlichen Erstarrung anheimfallen, die Freiheit des Verkehrs für ewige Zeiten gelähmt, der Fortschritt namenlos erschwert, ja vielfach völlig unmöglich gemacht werden“, Jhering, Geist II 1, S. 233. Die Fungibilitätsidee findet auch in der Rechtsprechung zu § 544 BGB immer wieder Erwähnung. So hat der BGH die in den Motiven angesprochene Gefahr der Erbmiete als Gefährdung der Verkehrsfähigkeit des Grundeigentums identifiziert, BGH NJW 2004, 1523, 1524, und auch das OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.12.2007 – 1 U 119/07 –, juris, Rn. 40 hat § 544 BGB als Garant dafür gesehen, dass vertragliche Vereinbarungen nicht „das Mietobjekt letztlich dem Rechtsverkehr [entziehen]“. 389 Engel, Die soziale Funktion des Eigentums, S. 50. 390 Über den Kenntnisstand des 19. Jahrhunderts Schmoller, Allgemeine Volkswirtschaftsftslehre, S. 408 (Das heutige Grundeigentumsrecht und die Richtungen der heutigen Landpolitik), S. 423. Schmollers Zeugnis über die Nationalökonomische Forschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird noch mehrfach herangezogen werden, vgl. Prigram, Ökonomisches Denken, S. 413: „Gustav von Schmoller, der sehr bald als Führer der historisch-ethischen Schule allgemein anerkannt wurde, arbeitete nicht nur das wirtschaftspoli-

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Wie der BGH formulierte, „kann [...] davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber an der Möglichkeit einer umfassenden wirtschaftlichen Ausnützung des Grund und Bodens im Interesse der allgemeinen Wohlfahrt interessiert ist und [dementsprechend ein] Interesse an der Begrenzung von ‚ewigen Beschränkungen‘ [besteht]“392. Möglicherweise lag hier auch der eigentliche Ehrgeiz der Bauernbefreiung. Vor der Reform konnten weder Ober- noch Untereigentümer „beliebig über den Grund und Boden verfügen […], immer wurde [einer …] in irgendeiner Weise durch den anderen gehemmt.“393 Hedemann spricht davon, durch diese Entwicklung sei ein „guter Teil“ der landwirtschaftlichen Nutzfläche „totgelegt“ worden394. Mit der Bauernbefreiung einher ging dagegen die „Mobilisierung des Bodens“395.

b) Anforderungen volkswirtschaftlicher Verfügbarkeit Ewige Mietbindungen können eine Sache praktisch dem Rechtsverkehr entziehen, weil beliebige Dritte ein dauerhaftes, nicht von jederzeitiger Kündigung bedrohtes Nutzungsrecht, das ihnen Investitionen in die Sache erlaubt396, nur erwerben können, wenn Mieter und Vermieter sich nicht gegenseitig blockieren. tische, sondern auch das wissenschaftliche Programm der deutschen Ökonomen seiner Generation aus.“ Er war zudem Mitglied des preußischen Landes-Öconomie-Kollegiums. 391 Achilles, Agrargeschichte, Industrialisierung, S. 113; vgl. Hofer, ab S. 252, Zitat in Fn. 74, S. 261. 392 BGH NJW 1964, 1226, 1227: „Allein die juristische Person ist hinsichtlich ihrer Dauer mit dem Grundeigentum nicht gleichzustellen. Die Fälle ihres Untergangs, beispielsweise durch Selbstauflösung, Konkurs, Staatsakt, sind ungleich häufiger als der Untergang eines Grundstücks, der nur ganz selten eintritt, etwa durch das Wegreißen von Grund und Boden durch das Meer. Es widerstreitet daher dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck nicht, wenn Beschränkungen in der wirtschaftlichen Ausnutzung von Grundstücken durch die Rechtsform der Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit für eine juristische Person mit dem Zweck des Schutzes von Grundeigentümern in dieser ihrer Eigenschaft eine Beschränkung der Benutzung des dienenden Grundstücks von langer Dauer herbeiführen.“ 393 Hedemann, Fortschritte II 1, S. 6; vgl. auch Welter, Gutsherrrlich-bäuerliches Rechtsverhältnis, S. 142, Anm. a): „Unter Grundstück, dessen Veräußerung, Verpfändung etc. in diesen Paragraphen untersagt war, konnte selbstredend nur das nutzbare Eigenthum des Bauern verstanden werden“. 394 Hedemann, Fortschritte II 1, S. 6. 395 Auch in Frankreich verzichtete man auf die sozialpolitische gewünschte Wiedereinführung eines erbpachtähnlichen Instituts und begründete dies damit, dass man „einer Zeit des freien Güterverkehrs entgegen [gehe], und gerade diese ‚circulation des immeubles‘ [...] durch Rechtseinrichtugnen, die auf eine ewige Rente hinausliefen, hintangehalten [werde]“, Hedemann, Fortschritte II 1, S. 26. 396 Der Abschluss eines unkündbaren Untermietvertrags mit dem „Erbmieter“ reichte nicht aus, weil § 553 I BGB nur Wohnraummietern einen Anspruch auf Zustimmung verschafft und dieser nur gilt, wenn allein ein Teil der Wohnung überlassen werden soll,

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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Die durch § 544 BGB bewirkte Einschränkung der Vertragsfreiheit kann jedoch nur dann mit einem Gebot der Verfügbarkeit von Sachen gerechtfertigt werden, wenn es sich hierbei um eine Regel handelt, die auch für alle anderen Formen von Bindungen gilt. Denn für die volkswirtschaftliche Verfügbarkeit einer Sache macht es keinen Unterschied, ob sie dem Markt durch Mietbindungen oder beispielsweise dingliche Belastungen entzogen wird, und wenn der Eigentümer seine Sache ohnehin „extra commercium“397 stellen darf, bedarf es keiner mietrechtlichen Bindungsgrenze. Die Geltung einer solchen Regel ist widerlegt, wenn das BGB Gestaltungen zulässt, die nicht einmal ein Mindestmaß an Verfügbarkeit erfüllen. Ein Verfügbarkeitsgebot, das § 544 BGB gerade noch rechtfertigen könnte, hat geringere Voraussetzungen als der sachenrechtliche Übertragbarkeitsgrundsatz398. Denn nicht jeder zeitweise Ausschluss der Übertragbarkeit entzieht dem Markt die Nutzbarkeit einer Sache in dem selben Maß wie es ewige Mietbindungen können. Die Möglichkeit der Neubewertung und -allokation einer gebundenen Sache kann bereits dadurch gewahrt werden, dass die Sachbindung nur zeitlich begrenzt ist oder selbst ein Recht auf Nutzung der Sache gewährt, das seinerseits unabhängig vom Willen des Eigentümers übertragen werden kann. Die Ausnahmen vom sachenrechtlichen Übertragbarkeitsgrundsatz399 widersprechen für sich also noch nicht der Geltung eines Marktverfügbarkeitsgebots. Zur Wahrung der marktwirtschaftlichen Güterfluktuation muss lediglich jedes sachbindende Recht zu irgendeinem Zeitpunkt in beliebiger Form die Neubewertung und entsprechende Allokation seines Gegenstands zulassen.

Marktverfügbarkeit soll hier also verstanden werden als die nicht durch andere als den Berechtigten400 verhinderbare, zumindest zukünftige Erwerbbarkeit eines jeden Nutzungsrechts an einer Sache401. Mit Erwerbbarkeit ist das Fehlen rechtlicher Hindernisse gemeint, das Aufbringen ausreichender Mittel wird also unterstellt. Rechtliche Nutzungsrechtshindernisse können demnach bestehen, ohne dem Markt die Nutzung der Sache in bestimmter Hinsicht zu entziehen, allerdings müssen sie entweder zeitlich begrenzt sein oder ein der Mieter hieran ein berechtigtes Interesse geltend machen und dem Vermieter die Überlassung zugemutet werden kann. 397 Engel, Die soziale Funktion des Eigentums, S. 50. 398 Baur/Stürner, Sachenrecht, S. 34. 399 Ebd. 400 Die Blockademöglichkeit eines anderen erlaubt diesem theoretisch, nahezu den gesamten Wohlfahrtsgewinn der Übertragung abzuschöpfen. Hierdurch wird der Erwerb einer Nutzungsmöglichkeit stärker erschwert als durch die immer bestehende Möglichkeit einer Veräußerungsunwilligkeit eines Einzelnen. 401 Das zur Rechtfertigung des § 544 BGB mindestens erforderliche Gebot der Marktverfügbarkeit muss sich nicht auf alle Gegenstände erstrecken, weil auch nur Sachen vermietet werden können .

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

gleichwertiges Recht auf die entsprechende Nutzung gewähren, das seinerseits irgendwann übertragen werden kann. Dieses Mindestmaß an Marktverfügbarkeit wird durch Gestaltungen widerlegt, auf die zugleich drei Bedingungen zutreffen. Erstens müsste es sich um Rechte (mit korrespondierender Pflicht des Berechtigten) handeln, welche den Eigentümer an der Übertragung des Eigentums an der Sache beschränkt. Die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs begründet eben so wenig die Übertragbarkeit einer Sache wie die Möglichkeit, eine Sache unter Verstoß gegen schuldrechtliche Pflichten zu übertragen. Denn die Rechtsordnung darf sich nicht darauf verlassen, gebrochen zu werden402. Ein Verwertungsrecht (wie beispielsweise eine Grundschuld) erschwert die Übertragung, wenn der Zeitpunkt der Verwertung im freien Ermessen des Inhabers des Verwertungsrechts steht und das Recht nicht vorher abgelöst werden kann403. Denn dies schafft für einen Erwerber das schwer zu kalkulierende Risiko, dass von ihm getätigte Investitionen letztlich einem anderen zugute kommen.

Zweitens muss diese Übertragungshinderung zeitlich unbegrenzt sein, das in Frage stehende Recht muss sich also unkündbar, unablösbar und unbegrenzbar ausgestalten lassen. Durch zeitlich begrenzte Rechte wird die Marktverfügbarkeit der belasteten Sache nur suspendiert, nicht ausgeschlossen. Schließlich ist noch eine dritte Voraussetzung erforderlich, weil die Nutzungsmöglichkeiten einer Sache dem Rechtsverkehr auch dann zur Verfügung stehen, wenn sämtliche Teilnutzungsrechte jeweils übertragbar und so ausgestaltet sind, dass ihr Wert insgesamt den Wert des Vollnutzungsrechts erreicht. Der Aufwand, die Nutzungsmöglichkeiten einer Sache von unterschiedlichen Teilberechtigten zu erwerben, mindert die rechtliche Marktverfügbarkeit nicht. Denn Mindestvoraussetzung der Markverfügbarkeit aller Nutzungsmöglichkeiten einer Sache ist lediglich das jeweils unabhängige Verfügungsrecht der oder des Berechtigten. Die Verfügungsunwilligkeit einzelner Teilnutzungsberechtigter widerspricht der Marktverfügbarkeit der Nutzungsmöglichkeiten ebenso wenig wie die Verfügungsunwilligkeit des Volleigentümers.

2. Einwände Ein striktes Verbot, die Verfügbarkeit von Sachen endgültig zu beseitigen, kennt das BGB nicht. Die nach dem BGB zulässigen Sachbindungen sind zwar prinzipiell so ausgestaltet, dass sie in ihren üblichen Ausformungen die Marktverfügbarkeit der betroffenen Sachen wahren, weil Unübertragbarkeit 402 Entsprechend dem Grundsatz, dass die Rechtsordnung sich bei der Erreichung ihrer Ziele nicht auf ihren eigenen Bruch verlassen darf. 403 Wenn das Verwertungsrecht durch den Eigentümer ab einem absehbaren Zeitpunkt abgelöst werden kann, reicht dies zur Marktverfügbarkeit des belasteten Grundstücks aus, weil dann Dritte durch Einsatz kalkulierbarer Mittel bei Veräußerungswilligkeit eines einzigen Berechtigten ein dauerhaftes Nutzungsrecht erwerben können.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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und zeitliche Unbegrenztheit der entsprechenden Rechte nie zusammenfallen. Wenn der Berechtigte es allerdings darauf anlegt, kann er seine Sache durch verschiedene zulässige Gestaltungen endgültig dem Rechtsverkehr entziehen, wie insbesondere die zeitlich unbegrenzte Zulässigkeit schuldrechtlicher Verfügungsverbote nach § 137 S. 2 BGB belegt. a) Mit- und Wohnungseigentum Die Begründung von Miteigentum an einer Sache schließt ihre Marktverfügbarkeit nicht aus, weil die Nutzung der einzelnen Bruchteile der Gemeinschaft gemäß dem unabdingbaren404 § 747 S. 1 BGB unabhängig voneinander übertragbar ist, §§ 743 II, 1008 BGB. Der nach § 758 BGB unverjährbare, jederzeitige Aufhebungsanspruch gemäß § 749 I BGB kann hingegen auf ein Recht zu außerordentlichen Kündigung beschränkt werden (§ 749 II BGB), das dem Gebot der Marktverfügbarkeit für sich nicht gerecht würde.

Für Wohnungseigentum gelten besondere Regeln. Anders als bei Miteigentum und sonstigen Bruchteilsgemeinschaften ist die Unauflöslichkeit der Gemeinschaft nicht nur vereinbar, sondern zwingend, § 11 I S. 1 WEG; dies gilt selbst bei Vorliegen wichtiger Gründe, § 11 I S. 2 WEG.

Zwar darf die Veräußerung von Wohnungseigentum von der Zustimmung anderer abhängig gemacht werden, § 12 I WEG, die Zustimmung darf nach § 12 II WEG jedoch nur aus wichtigem Grund verweigert werden. b) Erbbaurecht Ein Erbbaurecht kann zwar auf unbefristete Zeit eingeräumt werden405. In der Praxis wird meist eine Laufzeit von maximal 99 Jahren gewählt406. In aller Regel besteht auch keine Veranlassung, ein zeitlich unbegrenztes Erbbaurecht zu bestellen statt das Volleigentum am Grundstück zu übertragen. Eine verpflichtende zeitliche Höchstgrenze für Erbbaurechte besteht jedoch nicht.

Die Bestellung eines Erbbaurechts hebt die Marktverfügbarkeit der Sachnutzung jedoch nicht auf, weil seine eigene Übertragbarkeit (§ 1 I ErbbauRG) ähnlich wie die des Wohnungseigentums gewährleistet wird. Es ist zwar zulässig, die Wirksamkeit von Verfügungen über das Erbbaurecht von der Zustimmung des Eigentümers oder eines Obererbbauberechtigten abhängig zu machen; auch der Erbbauberechtigte hat jedoch (von gesetzlich eng umrisse404 Ein Abbedingen des § 747 S. 1 BGB fällt unter § 137 S. 1 BGB, vgl. MünchKomm-BGB/Schmidt, § 747, Rn. 8, 11. Zur schuldrechtlichen Einschränkung des § 747 S. 1 BGB vgl. Kap. 3, C.VIII.2.k Schuldrechtliche Verfügungsverbote. 405 LG Deggendorf, MittBayNot 1987, 254. 406 MünchKomm-BGB/Oefele/Heinemann, Vorbemerkung ErbbauRG, Rn. 5; Großfeld/ Gersch, JZ 1988, 937, 939; Verweis auf, Ingenstau/Hustedt, ErbauRG, § 1, Rn. 114.

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nen Ausnahmen abgesehen407) einen unabdingbaren408 Anspruch auf Erteilung der Zustimmung nach § 7 I ErbbauRG409. c) Grunddienstbarkeiten Die Grunddienstbarkeit schneidet aus der Verfügungsmacht des Eigentümers einen Nutzungsausschnitt aus, ohne selbstständig übertragbar410 oder zeitlich begrenzt zu sein (§ 902 I 1 S. 1 BGB). Die Nutzungsmöglichkeit steht dem Rechtsverkehr jedoch trotzdem zur Verfügung, weil die Grunddienstbarkeit gemeinsam mit dem Eigentum am herrschenden Grundstück übertragen werden kann (§ 96 BGB)411. Sie stellt letztlich also nur eine veränderte Zuordnung von Nutzungsbefugnissen dar. § 1019 BGB gewährleistet, dass der von den §§ 93 ff. BGB abweichende Zuschnitt des Umfangs der Eigentumsrechte sinnvoll ist. Nach dieser Vorschrift muss die hinzutretende Grunddienstbarkeit dem Eigentum am herrschenden Grundstück einen grundstücksbezogenen hinzufügen. Verliert sich auf Dauer der grundstücksbezogene Vorteil, sodass es nach einer bestimmten Zeit zu einem kontraproduktiven Zuschnitt der Berechtigungen kommt, so erlischt nach § 1019 BGB die Grunddienstbarkeit412 und ihr Inhalt fällt an den Eigentümer des dienenden Grundstücks zurück. Mit dieser Vorschrift rechtfertigte auch Johow die zeitliche Unbegrenztheit des Grunddienstbarkeit413.

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Eine Verweigerung der Zustimmung setzt (vorausgesetzt der Erwerber ist grundsätzlich in der Lage, seine Verpflichtungen als Erbbauberechtigter zu erfüllen) voraus, dass „der Erbbauberechtigte sein Recht in unlauterer Weise, insbesondere zu Spekulationszwecken ausnützen will“ (Staudinger/Rapp, § 7 ErbbauRG, Rn. 26; vgl. Oefele/Winkler, Handbuch des Erbbaurechts S. 190 ff.) und Zwecke des Erbbaurechts wesentlich beeinträchtigt oder gefährdet werden. 408 BeckOK-BGB/Maaß, § 7 ErbbauRG, Rn. 2; MünchKomm-BGB/Oefele/Heinemann, § 7 ErbbauRG, Rn. 2. 409 Wie § 1 IV ErbbauRG belegt, ist das Erbbaurecht auf Übertragbarkeit angelegt. Durch das Verbot auflösender Bedingungen und von Verpflichtungen zur Aufgabe des Erbbaurechts (§ 1 IV ErbbauRG) soll „zur Erleichterung der Übertragbarkeit und Beleihbarkeit ein unvorhersehbares Erlöschen während der vereinbarten Dauer des Erbbaurechts ausgeschlossen werden“, MünchKomm-BGB/Oefele/Heinemann, § 1 ErbbauRG, Rn. 1. Denn es ist gerade Zweck des Erbbaurechts, Veräußerlichkeit und Beleihbarkeit zu fördern, MünchKomm-BGB/Oefele/Heinemann, § 7 ErbbauRG, Rn. 1; Staudinger/Rapp, § 1 ErbbauRG, Rn. 25. 410 Vgl. jurisPK-BGB/Münch, § 1018, Rn. 34: „Die Übertragung von Grunddienstbarkeiten ist nur zusammen mit dem herrschenden Grundstück gemäß den §§ 873, 925 BGB möglich, da Grunddienstbarkeiten gemäß § 96 BGB mit dem Eigentum an dem herrschenden Grundstück verbunden sind. Grunddienstbarkeiten können daher mit dem Grundstück gutgläubig erworben werden.“ 411 Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, S. 34, Rn. 20. 412 BGH NJW 1984, 2157. 413 Johow, Vorentwurf II, S. 146 f., vgl. auch S. 143 ff.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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Auch die Nutzbarkeit des dienenden Grundstücks kann durch die zeitlich unbegrenzte Grunddienstbarkeit dem Rechtsverkehr nicht vollständig entzogen werden. Denn eine Grunddienstbarkeit muss dem Eigentümer des belasteten Grundstücks eine sinnvolle Nutzungsmöglichkeit belassen (§ 1018 BGB : „in einzelnen Beziehungen“414) und darf seine Verfügungsmacht am dienenden Grundstück nicht beeinträchtigen415 (vgl. auch §§ 1020, 1023 BGB). d) Nießbrauchsrecht Das Nießbrauchsrecht ist das erste Beispiel für ein Recht, dass so ausgestaltet werden kann, dass dem Rechtsverkehr die Nutzung einer Sache endgültig entzogen wird. Prinzipiell lässt es die Marktverfügbarkeit der Sache intakt. Es ist im Grundsatz zwar gemäß § 1059 S. 1 BGB zwingend 416 unübertragbar417, dabei jedoch ebenso zwingend418 zeitlich begrenzt: Als subjektiv-persönliches Recht erlischt es mit dem Tode des Nießbrauchers (§ 1061 S. 1 BGB). Ist der Nießbrauchsberechtigte allerdings eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, ist das Erlöschen des Nießbrauchs ungewiss (§ 1061 S. 2 BGB). Das BGB fühlt sich dem Bedürfnis der Marktgängigkeit insoweit verpflichtet, in diesen Fällen das Gebot der Unübertragbarkeit zumindest einzuschränken: Der Nießbrauch kann von einer juristischen Person oder einer rechtsfähigen Personengesellschaft gemeinsam mit einem Unternehmensteil übertragen werden, dem er dient (§ 1059a I Nr. 2 S. 1, Nr. 1, II BGB), „weil die Beteiligten [beim Nießbrauch, der einer juristischen Person zusteht] im Allgemeinen mit der unbegrenzten Dauer des Nießbrauchsrechts zu rechnen haben.“419 Nach (inzwischen) allgemeiner Ansicht 414

Vgl. BeckOK-BGB/Wegmann, § 1018, Rn. 44; MünchKomm-BGB/Joost, § 1018, Rn. 28; BayObLGZ 1965, 181; BayObLG DNotZ 1991, 254, 255; NJW-RR 2005, 604; RPfleger 1980, 150, 151; MDR 1982, 144, 145 (Holznutzungsrecht); KG NJW 1973, 1128 jeweils m.w.N.; OLG Köln DNotZ 1982, 442. 415 BGHZ 29, 244, 247 ff.; BGH NJW 1962, 486; BGHZ 107, 289, 292; BGH NJW-RR 2003, 733, 735 = DNotZ 2003, 533; RGZ 111, 384, 395; BayObLGZ 1979, 444, 448; 1980, 232, 236 f; 1989, 89, 93; BayObLG MittBayNot 1981, 21; RPfleger 1981, 352, 353 = MDR 1981, 758; NJW 1982, 1054, 1055. 416 BayObLGZ 1980, 176, 178; Bassenge, NJW 1996, 2777; MünchKomm-BGB/ Pohlmann, Vor §§ 1030 ff., Rn. 19; § 1059, Rn. 1 f. 417 Staudinger/Frank, § 1059, Rn. 1. Dieser Ausschluss der Fungibilität ist stark umstritten (s. Nachweise ebd.), noch im Ersten Entwurf war anderes vorgesehen (MünchKomm-BGB/Pohlmann, § 1059, Rn. 1). Die Möglichkeit der Ausübungsüberlassung kann ausgeschlossen (§ 1059 S. 2 BGB) und der Ausschluss ins Grundbuch eingetragen werden, was ihm dingliche Wirkung verleiht (BGHZ 95, 99; Staudinger/Frank, § 1059, Rn. 9). 418 MünchKomm-BGB/Pohlmann, Vorbemerkung zu den §§ 1030 ff., Rn. 17, 19; Hattenhauer, Entzweites Eigentum, S. 83, 90 ff. 419 BeckOK-BGB/Wegmann, § 1059a, Rn. 1. „Wie schon seine Vorgängernormen, die Vorschriften der §§ 1 bis 4 des Gesetzes über die Veräußerung von Nießbrauchsrechten

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

soll die Übertragbarkeit des Nießbrauchs nach § 1059a I Nr. 2 S. 1 BGB jedoch im Vorhinein abbedungen werden können, indem es auflösend auf den Übertragungsfall bedingt wird420. Man könnte gegen diese Ansicht das Interesse an der volkswirtschaftlichen Verfügbarkeit von Sachen einwenden, für den Nachweis eines Marktverfügbarkeitsgebots im BGB wäre dies allerdings eine petitio principii.

e) Beschränkte persönliche Dienstbarkeit Die Rechtslage hinsichtlich beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten entspricht im Wesentlichen jener hinsichtlich des Nießbrauchs (§ 1092 I, II i.V.m. §§ 1059a–1059d BGB, § 1090 II i.V.m. § 1061 BGB), mit dem Unterschied, dass nach § 1092 III BGB unter bestimmten Voraussetzungen auch bestimmte Leitungs- und Transportrechte übertragen werden können421. f) Pfandrecht an beweglichen Sachen Auch Pfandrechte können die Marktverfügbarkeit belasteter Sachen beschränken, indem sie zeitlich unbeschränkt zu Lasten jedes Erwerbers gelten. Dies gilt jedoch nur für Grundpfandrechte, das Pfandrecht an beweglichen Sachen (§ 1204 BGB) ist zeitlich durch verschiedene Lösungsmöglichkeiten begrenzt422: § 1223 II BGB gewährt dem Verpfänder ein Befriedigungs- und § 1249 BGB (unter anderem) dem Eigentümer ein Ablösungsrecht. Zudem kann auch der persönliche Schuldner durch Erfüllung der Forderung die Rückgabe des Pfands bewirken (§ 1223 I BGB). Es ist nicht zulässig, die Erfüllbarkeit der Forderung zeitlich unbegrenzt in das Ermessen des Gläubigers zu stellen, um ein „unablösbares Pfandrecht zu schaffen423.

und beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1468) und des § 1 der 1. Durchführungsverordnung vom 12.6.1936 (RGBl. I S. 489) dazu, soll § 1059 zusammen mit den Folgeregelungen in § 1059b bis § 1059e den Nießbrauch wirtschaftlichen Bedürfnissen anpassen.“ 420 NK-BGB/Lemke, § 1059a, Rn. 3; Staudinger/Frank, § 1059a, Rn. 4; BeckOK-BGB/ Wegmann, § 1059a, Rn. 13; Palandt/Bassenge, § 1059a, Rn. 1; MünchKomm-BGB/ Pohlmann, § 1059a, Rn. 7. Für den zwingenden Charakter der Vorgängernorm zu § 1059a BGB ursprünglich Drescher DNotZ 1936, 271. Diese Unübertragbarkeit gewährleistet anders als bei natürlichen Personen nicht die zeitliche Begrenztheit des Nießbrauchsrechts, weil das Nießbrauchsrecht auch der einzige Verömgensgegenstand einer juristischen Person sein kann, sodass es nicht notwendig zu Übertragungsversuchen kommen muss. 421 Vgl. im Einzelnen BT-Drs. 13/3604. 422 Bestünde keine dieser Lösungsmöglichkeiten, läge kein Pfandrecht vor, BGHZ 23, 293, 299; MünchKomm-BGB/Damrau, § 1223, Rn. 16. 423 Die durch ein Pfandrecht gesicherte Forderung muss spätestens bei Fälligkeit auch erfüllbar sein, BGH NJW 1957, 1515, und jeder Anspruch muss ab einem bestimmten Zeitpunkt fällig werden. Es gibt zwar Ansprüche, die weder verjähren noch ohne vorherige

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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g) Hypothek Auch Hypotheken beseitigen nicht die Marktverfügbarkeit der belasteten Sache. Denn gemäß § 1142 BGB hat der Eigentümer ein zwingendes424, durch kein Zurückbehaltungsrecht hemmbares425 Befriedigungsrecht bei Erfüllbarkeit der Forderung426. Diese Erfüllbarkeit kann der Eigentümer bei Verkehrshypotheken selbstständig herbeiführen427, weil der ebenfalls zwingende428 § 1141 I S. 1 BGB dem Eigentümer ein eigenes Kündigungsrecht gewährt; bei einer Sicherungshypothek muss der Eigentümer die Erfüllbarkeit der Forderung abwarten (§§ 1185 II, 1142 BGB). h) Grundschuld Prinzipiell ist eine Grundschuld jederzeit übertragbar429, analog § 1142 BGB430 ablösbar bzw. durch den Eigentümer selbstständig kündbar Kündigung des Gläubigers fällig werden (sog. verhaltene Ansprüche, vgl. etwa § 696 S. 1, 3 BGB, OLG Köln, MMR 2009, 862). Die Rechtsprechung hat in die Vereinbarung von Fälligkeitskündigungsklauseln jedoch „von jeher“ (Gernhuber, Erfüllung und ihre Surrogate, S. 69 f.) nach §§ 133, 157 BGB eine zeitliche Begrenzung der Ausübbarkeit auf einen angemessenen Zeitraum hineingelesen, auch wenn diese Klauseln keine derartige Begrenzung enthielten, RG JW 1908, 234; 1915, 572; RGZ 142, 268, 275 f. m.w.N. Wenn Parteien es dagegen ausdrücklich darauf anlegen, die Fälligkeit eines Anspruchs ohne zeitliche Grenze hinauszuschieben, ist ihr Wille nach der Rechtsprechung nicht darauf gerichtet ist, einen Anspruch im Sinne des BGB zu begründen (BGHZ 23, 293). Falls beispielsweise die Fälligkeit eines Darlehensrückforderungsanspruchs auf unbegrenzte Zeit hinausgeschoben und durch Überlassung einer Sache als Pfand gesichert wird, ist daher von einem Kauf auszugehen (ebd.). Ein Schuldverhältnis ohne Berechtigung des Schuldners, den geschuldeten Gegenstand zu leisten, sei „undenkbar“ (BGH NJW 1957, 672, 672). Demnach können nur prinzipiell tilgbare Forderungen gesichert werden (MünchKomm-BGB/ Damrau, § 1204, Rn. 16; vgl. auch § 1223, Rn. 16), es kann kein Pfandrecht geben, „das den [Gläubiger] allein berechtigten sollte, sich aus dem Pfand zu befriedigen, das aber der [Schuldner] nicht sollte beseitigen können.“ (BGHZ 23, 293). 424 BGH NJW 1976, 845; BGHZ 97, 280; BGHZ 108, 372; BeckOK-BGB/Rohe, § 1192, Rn. 230. Ein Ausschluss des Befrieidigungsrechts wirkt nur persönlicht, somit nicht zu Lasten des Rechtsnachfolgers, Staudinger/Wolfsteiner, § 1142, Rn. 19. 425 RGZ 141, 220. 426 Fälligkeit ihm gegenüber, also nach Kündigung gegenüber dem Eigentümer, § 1141 BGB. 427 Seit der Entscheidung des Reichsgerichts von 1922 zu schweizerischen Goldhypotheken ist geklärt, dass die Verkehrshypothek durch den Eigentümer unabhängig von Befristungen der gesicherten Forderung gekündigt werden kann (RGZ 104, 352). Vgl. Staudinger/Wolfsteiner, § 1142, Rn. 4 f., dort auch zum Problem der Identität von Eigentümer und Schuldner. 428 MünchKomm-BGB/Eickmann, § 1141, Rn. 5; Soergel/Konzen, § 1141, Rn. 2. Zurückhaltend Staudinger/Wolfsteiner, § 1141, Rn. 6. 429 BGHZ 85, 388, 392; 108, 237, 243; BGH NJW 1989, 3151, 3152; NJW-RR 1997, 910; MünchKomm-BGB/Eickmann, § 1154, Rn. 44.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

(§ 1193 I S. 2 Alt. 1 BGB)431. Isolierte Grundschulden können die Marktverfügbarkeit des belasteten Grundstücks beeinträchtigen, weil die Übertragbarkeit der Grundschuld ebenso ausgeschlossen werden kann432 wie das Kündigungsrecht des Eigentümers, § 1193 II S. 1 BGB. Eine isolierte Grundschuld kann damit theoretisch erst nach Kündigung durch den Gläubiger abgelöst werden. In der Praxis wird die Disponibilität des § 1193 I BGB zwar regelmäßig im Gegenteil dazu genutzt, das Kündigungserfordernis auszuschließen, sodass die Grundschuld sofort fällig ist und somit auch jederzeit abgelöst werden könnte433.

Bei Sicherungsgrundschulden kann das Kündigungsrecht des Eigentümers seit 2008 hingegen nicht mehr ausgeschlossen werden (§ 1193 II S. 2 BGB)434, was „mindestens 90% der praktischen Fälle erfasst“435. i) Rentenschuld Anders als bei den übrigen Grundpfandrechten ist bei der Rentenschuld durch eine eigene Bindungsgrenze gewährleistet, dass sie das Grundstück nicht zeitlich unbeschränkt belastet (§ 1202 II BGB): Nach spätestens 30 Jahren und 6 Monaten kann der Eigentümer die Rentenschuld durch Zahlung einer im Vornherein bestimmten Summe ablösen §§ 1199 II S. 2; 1201, 1202 BGB. j) Reallast Die gesetzliche Konzeption der Reallast (§ 1105 ff. BGB) enthält keine dem § 1202 II BGB entsprechende Sachbindungsgrenze, obwohl die Reallast in mehreren Beziehungen nur eine allgemeinere Form einer Rentenschuld ist436. 430

BeckOK-BGB/Rohe, § 1192, Rn. 229; BGHZ 108, 372, 379 m.w.N. = NJW 1990, 258, 260; BGH WM 1985, 953, 954; Jacoby AcP 203 [2003] 564; vgl. aber Staudinger/ Wolfsteiner, § 1142, Rn. 26. 431 Jacoby AcP 203 [2003] 564 bejaht eine Analogie zu § 1142 BGB, nach Staudinger/ Wolfsteiner, § 1142, Rn. 25 f., ist die Kündigungsmöglichkeit des § 1193 I S. 2 Alt. 1 BGB ausreichend; vgl. MünchKomm-BGB/Eickmann, § 1142, Rn. 25. Auf die Fälligkeit der Forderung kommt es auch im Falle einer Sicherungsgrundschuld grundsätzlich nicht an, Staudinger/Wolfsteiner, § 1142, Rn. 25. 432 Jauernig/Jauernig, § 1191, Rn. 25; Staudinger/Wolfsteiner, § 1154, Rn. 79; Einl. zu den §§ 1113 ff., Rn. 138; OLG Stuttgart OLGZ 1965, 96; Palandt/Bassenge, Einf. § 854, Rn. 12; vgl. aber auch BGH LM § 1192 Nr. 9 = NJW 1972, 1463, 1464; MünchKomm-BGB/Roth, § 413, Rn. 4. Nach OLG Stuttgart OLGZ 1965, 96, 97; OLG Köln DNotZ 1970, 419, 422 gelten §§ 413, 399 Alt. 2 BGB, a.A. MünchKomm-BGB/ Armbrüster, § 137, Rn. 20. 433 Staudinger/Wolfsteiner, § 1142, Rn. 25. 434 Art. 6 Nr. 8, 12 S. 3 des Gesetzes vom 12.08.2008. Diese Vorschrift richtet sich gegen die Praxis des sofortigen Fälligstellens von Grundschulden, verbietet jedoch im Ergebnis auch einen Ausschluss des Kündigungsrechts des Eigentümers. 435 MünchKomm-BGB/Eickmann, § 1193, Rn. 1.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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Eine subjektiv-dingliche Reallast (§§ 1105 II BGB) wird wie eine Grunddienstbarkeit wesentlicher Bestandteil des herrschenden Grundstücks (§ 1110 BGB) und kann somit ebenfalls unselbstständig mit dem Eigentum am herrschenden Grundstück übertragen werden. Die Übertragbarkeit einer subjektiv-persönlichen Reallast (§§ 1105 I, 1111 BGB) kann hingegen rechtsgeschäftlich ausgeschlossen werden (§ 399 Alt. 2 BGB). Soweit sie einer natürlichen Person zusteht, erlischt sie damit grundsätzlich bei deren Versterben437, die Reallast einer juristischen Person beschränkt hingegen die Verfügbarkeit der belasteten Sache438. Während „reichsgesetzlich keinerlei Beschränkung des Institutes vorgeschrieben wird“, können zwar Landesgesetze „die Begründung von Reallasten ausschließen oder beschränken“439. In derzeit zumindest neun Bundesländern können jedoch zeitlich unbeschränkte Reallasten vereinbart werden440.

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Die Rentenschuld lautet auf Zahlung von Geld zu regelmäßigen Terminen, die zwar nicht zugunsten eines subjektiv-dinglich Berechtigten vereinbart werden kann, aber ggf. als Briefrecht. Inhalt von Reallast können nicht nur Geld-, sondern auch anderen Leistungspflichten sein, die an nicht notwendig regelmäßig wiederkehrenden Terminen zu Gunsten eines subjektiv-persönlich (§§ 1105 I, 1111 BGB) oder subjektiv-dinglich (§§ 1105 II, 1110 BGB) Berechtigten zu erbringen sind und für deren Erbringung der Eigentümer ggf. persönlich haftet; vgl. MünchKomm-BGB/Joost, § 1105, Rn. 51. 437 Staudinger/Mayer, § 1111, Rn. 3; BeckOK-BGB/Wegmann, § 1111, Rn. 2 ff.: „Bzgl der Vererblichkeit gilt, dass übertragbare Reallasten auch vererbt werden können (BayObLG DNotZ 1989, 567), es sei denn, dass die Reallast ihren Wesen nach unvererblich ist.“ Dieser Zusammenhang ist allerdings kein notwendiger, die „verbreitete Vorstellung, wonach die Vererblichkeit nur in den Grenzen der Übertragbarkeit bestehe, ist unbegründet“; MünchKomm-BGB/Joost, § 1111, Rn. 2. 438 Johows Konzeption der Reallast (§ 364 seines Sachenrechtsentwurfes, zit. nach Schubert, Vorlagen, Sachenrecht Bd. 1, S. 74 f.) sah noch jederzeitige Ablösbarkeit der Reallast zu einem Fixbetrag vor. Diese Ablösbarkeit konnte zwar gemäß § 365 des Entwurfs ausgeschlossen werden, nach § 365 I Nr. 1 jedoch nicht auf längere Zeit als auf eben jene dreißig Jahre, die sich auch in §§ 544, 594b, 1202 II BGB und den erbrechtlichen Sachbindungsgrenzen wiederfinden. 439 Motive III, S. 579. 440 Nach fast allen deutschen Landesrechten waren zurzeit des Verfassens des BGB zumindest die meisten Reallasten ablösbar (Motive III, S. 573 ff.; Ausnahme war wiederum Mecklenburg, vgl. Motive III, S. 576). Zur damaligen Zeit wurde die Verfügbarkeit der belasteten Gegenstände also nicht beeinträchtigt, das Recht der Reallasten wurde jedoch teilweise liberalisiert, so setzte Bayern das Ablösbarkeitsgebot bereits 1923 „bis auf weiteres“ aus, Hamburg hob die entsprechenden Bestimmungen mit Gesetz vom 23.06.1969 auf. In jüngerer Zeit haben auch Baden-Württemberg (28.06.2000) und Rheinland-Pfalz (11.04.2005) die zwingenden Ablösungsbestimmungen aufgehoben. Zudem gilt in den neuen Bundesländern einerseits das ZGB nicht mehr, das die Reallasten gänzlich abgeschafft hatte, andererseits haben die neuen Bundesländer vom Landesrechtsvorbehalt des EGBGB zur Regelung der Reallasten noch keinen Gebrauch gemacht. Ausnahme ist Thüringen, das am 3.12.2002 eine zeitliche Beschränkung der Begründung unablösbarer Real-

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

k) Schuldrechtliche Verfügungsverbote, § 137 S. 2 BGB Der Berechtigte kann sich (und seine Erben441) gegenüber einem anderen verpflichten, über die Sache nicht mehr zu verfügen442. Diese schuldrechtliche Sachbindung kann er durch Vertragsstrafeversprechen und – im Fall von Grundstücken – der Vormerkung eines bedingten Übertragungsanspruchs für den Fall des Zuwiderhandelns noch verstärken (§ 883 II BGB)443. Ähnlich können durch bedingte Übertragungen Verfügungsbeschränkungen herbeigeführt werden. Gemäß § 161 I, II BGB steht die Wirksamkeit aller nachfolgender Verfügungen unter dem Vorbehalt, dass es nicht zum Bedingungseintritt kommt. Im praktisch bedeutsamen Fall des Eigentumsvorbehalts kann der Veräußerer jedoch ab Fälligkeit des Kaufpreisanspruchs und über seine Verjährung hinaus (§ 216 II S. 2 BGB) durch Fristsetzung nach § 323 BGB eine Klärung der Sachberechtigung erzwingen.

In der Literatur wurde lange Zeit vertreten, dass schuldrechtliche Verfügungsverbote zeitlich begrenzt sein müssten und nach dreißig Jahren unwirksam würden444. Der BGH hat dieser Ansicht jedoch eine Absage erteilt und lasten auf die Lebenszeit des Berechtigten eingeführt hat, im Falle von juristischen Personen auf maximal 30 Jahre, § 23 AGBGB Thüringen. 441 BGH NJW 1997, 861. 442 Schuldrechtliche Verpflichtungen zur Übertragung einer Sache (ggf. einschließlich einer Vormerkung) binden sie ebenfalls, sind aber dadurch zeitlich begrenzt, dass sie entweder durch Erfüllung erlöschen oder verjähren (§ 194 BGB). Verpflichtungen, die erst auf Verlangen des Gläubigers fällig werden, binden die Sache bereits bevor sie zu verjähren beginnen. Im Fall von Übertragungsansprüchen darf diese Schwebelage jedoch nicht unbegrenzt lange andauern (vgl. Staudinger/Peters/Jacoby, § 199, Rn. 13 ff. dazu, dass die Verjährung verhaltener Ansprüche jenseits der §§ 695 f. BGB eine Frage des Einzelfalls ist). Aus §§ 315 S. 1, 2, 242 BGB wird abgeleitet, dass der Gläubiger die Erfüllbarkeit in angemessener Frist herbeizuführen habe, Nastelski JuS 1962, 289, 290; OLG Naumburg OLGE 20, 166; MünchKomm-BGB/Krüger, § 271, Rn. 10 m.w.N.; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, S. 70; nach e.A. soll die Erfüllbarkeit etwa spätestens mit dem Tod des Gläubigers eintreten, vgl. MünchKomme-BGB/Westermann, Rn. 78; vgl. auch Rieble, NJW 2004, 2270 für einen Beginn der Verjährungshöchstfristen vor Fälligkeit. 443 Staudinger/Kohler, § 137, Rn. 55; BGHZ 134, 182, 186 f. m.w.N. auch zur Gegenansicht. 444 Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 943 f.: Eine zeitlich unbegrenzte Unterlassungspflicht nach § 137 S. 2 BGB führe dazu, dass „im Ergebnis [...] [der] Freiheitsraum [des Verpflichteten] daher ebenso eingeschränkt [wird], die Gegenstände des Rechtsverkehrs [...] in fast gleicher Weise verringert […] werden wie bei einer dinglich wirkenden Absprache.“ Aus der Sorge um eine Bindung nachfolgender Generation heraus sei nach den Rechtsgedanken des § 137 S. 1 BGB und des § 544 BGB nur „eine Bindung, die unseren Erwerber und seine Rechtsnachfolger nicht übermäßig lange bindet“, zulässig, ebd., S. 944; ebenso Palandt/Ellenberger, 71. Auflage, § 137, Rn. 5 a.E.: „Die Verpfl, nicht zu verfügen, wird nach 30 Jahren wohl nach allg RGrds unwirks“; Berger, Verfügungsbeschränkungen, S. 117; MünchKomm-BGB/Armbrüster, § 137, Rn. 25 m.w.N., nunmehr unter Verweis auf die Ansicht des BGH; a.A. nunmehr etwa Palandt/Ellenberger, § 137, Rn. 5 a.E.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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festgestellt, dass mit dem Wortlaut des § 137 S. 2 BGB das Verfügen über eine Sache zeitlich unbegrenzt verboten werden darf445. Dieser Rechtsprechung ist zu folgen, weil schuldrechtliche Verfügungsverbote nach Wortlaut und Systematik des § 137 BGB unbegrenzt zulässig sein sollen und das BGB das Marktverfügbarkeitsprinzip wie gezeigt auch an anderer Stelle nicht konsequent durchgeführt hat. 3. Ergebnis Aus dem BGB lässt sich kein strikt geltendes Gebot ableiten, dass Sachen dem Rechtsverkehr erhalten bleiben müssen. Marktverfügbarkeit bildet allenfalls ein Regelungsleitbild, das prinzipiell verfolgt, aber nicht ausnahmslos durchgeführt wird. Der Gesetzgeber hat sich bei der Ausgestaltung der Sachenrechte pragmatisch an wirtschaftlichen Bedürfnissen orientiert446. Die Erbpacht wurde verworfen, weil für sie kein derartiges Bedürfnis mehr gesehen wurde447.

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Der BGH will rechtsgeschäftliche Verfügungsverbote nach § 138 BGB begrenzen, wenn sie „die Verfügungsbefugnis des Schuldners auf übermäßige Dauer einschränken“, BGH NJW 2012, 3162. Dies schützt nach dem BGH jedoch nicht die Verfügbarkeit der Sache, sondern die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Schuldners insgesamt. In der Entscheidung, auf die der BGH verweist (BGH NJW 1997, 861), wird eine Begrenzung nach § 138 BGB deswegen unter anderem mit dem Argument verneint, dass „die vereinbarten Bedingungen […] auf einen einzigen Vermögensgegenstand [des Schuldners, d. Verf.] [begrenzt seien]“. Es stellt sich allerdings die Frage, weshalb jemand, der sich verpflichtet, über eine ihm zu schenkende Sache nicht zu verfügen, weniger wirtschaftliche Bewegungsfreiheit genießen sollte als jemand, der nichts geschenkt bekommt. Überzeugender ließe sich darauf abstellen, dass nicht der Beschenkte um seiner selbst willen besser gestellt, sondern dass die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit abstrakt geschützt werden soll. 446 „Die Zulassung solcher Einrichtungen ist mithin nur dann gerechtfertigt, wenn ein reelles dauerndes Bedürfnis dadurch befriedigt wird“, Johow, Vorentwurf II, S. 1086, vgl. auch S. 1085: „die moderne durch die wissenschaftliche Entwickelung und die praktischen Erfolge der Volkswirtschaftslehre erleuchtete Gesetzgebung [befolgt] die Tendenz, das System der dinglichen Rechte durch Beseitigung kulturschädlicher Rechtsintitute und solcher, die nicht einem anerkennenswerthen Bedürfnisse entsprechen, soviel als möglich zu vereinfachen.“ (Herv. d. Verf.), wortgleich bereits in seinem Vorschlag zur Nichtaufnahme der superficies, Johow, Vorentwurf III, S. 974; vgl. auch Johow, Vorentwurf II, S. 1203; Gebhard, EGBGB, S. 622. Durch diesen Bedürfnisvorbehalt lassen sich auch die großzügigen Landesrechtsvorbehalte (etwa Art. 63 EGBGB) erklären, die die Einschätzung weiterdelegieren, ob zeitlich unbegrenzte beschränkte dingliche Rechte einer angemessenen Nutzung im Weg stehen oder aus landesspezifischen Besonderheiten einer angemessenen Ressourcennutzung gerade entsprechen (wie etwa nach Einschätzung der damaligen Regierungen im Falle der beiden Mecklenburg, die durch extensiven Gebrauch von Erbpachtrechten eine intensive Nutzung der landwirtschaftlichen Fläche durch selbstverantwortliche Bauern erreichen wollten. Hier erschien die weitere Zulassung der Erbpacht „aus praktischen Gründen unentbehrlich“). Vgl. auch die Interpretation von Staudinger/Mayer,

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Nach den bisherigen Ergebnissen soll § 544 BGB nicht den individuellen Interessen der Vertragsparteien oder des Eigentümers, sondern dem Schutz des Eigentums selbst vor zeitlich unbegrenzten Mietbindungen dienen. Dabei ähnelt das umfassende und zeitlich unbegrenzte Nutzungsrecht eines unkündbaren Mieters, das gemäß § 566 BGB und als Besitzrecht absoluten Schutz genießt, dem Nutzungsrecht des Eigentümers. Es kann ihm insbesondere vom Umfang her wirtschaftlich gleichkommen. Das umfassende und zeitlich unbegrenzte Nutzungsrecht eines Mieters unterscheidet sich von Eigentum im Wesentlichen dadurch, dass der Mieter über sein Nutzungsrecht nicht eigenständig verfügen kann und ihm formal nicht der gleiche Stellenwert zukommt wie dem Eigentum. Wenn das BGB den Schutz der eigenständigen Verfügbarkeit von Sachen in § 137 S. 2 BGB gegenüber der Vertragsfreiheit zurücktreten lässt, muss die in § 544 BGB liegende Beschränkung der Vertragsfreiheit mit dem formalen Stellenwert des Eigentums zu begründen sein.

§ 1018, Rn. 4 ff.: „Um der […] drohenden Gefahr von ‚ewigen Dienstbarkeiten‘ zu begegnen, schränkte man die Verkehrsfähigkeit von Dienstbarkeiten ein. […] Der aus dem klassizistischen römischen Recht in das BGB übernommene Grundsatz der Unübertragbarkeit der beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten […] konnte nicht aufrechterhalten werden. […]. Für juristische Personen, aber auch für rechtsfähige Personengesellschaft ergab sich aber zunehmend durch die Globalisierung und die Notwendigkeit zur Abgrenzung neuer Märkte ein weitergehendes praktisches Bedürfnis für eine Übertragung dieser Rechte […]. Ein deutliches Kennzeichen für die ‚Mobilisierung‘ dieser Rechte“. 447 Zunächst argumentiert Johow nicht gegen die Erbpacht als solche, sondern stellt lediglich das fehlende Bedürfnis für die Fortdauer eines solchen Instituts fest, Johow, Vorentwurf II, S. 524: „Das Lehnrecht und die verschiedenen Formen des bäuerlichen Besitzrechts – das Erbzinsrecht, das Erpachtrecht, die Emphyteusis etc. – eignen sich nicht zur reichsgesetzlichen Regelung. Das BGB hat nur das lebendige Recht der Gegenwart in sich aufzunehmen. Jene Institute aber sind im Absterben begriffen, sie ragen, wie die Vokommission sich ausdrückt, nur noch ‚als trümmerhafte Reste mittelalterlichen Wirtschaftsund Verwaltungssystems in die Gegenwart hinein, sie können dem Landesrecht, unter welchem sie bestehen, überlassen bleiben. ‘“ Johow kann sich in seiner Auffassung auf den Bericht der Vorkomission, S. 6, und den Bericht des Justizausschusses des Bundesrathes, S. 2, stützen. Zur überkommenen Funktion des Instituts führt er ebd. auf S. 1069 aus: „Die große soziale Funktion der verschiedenen Arten von vererblicher und veräußerlicher Landleihe (Emphyteusis, Meierrecht, Erbpachtrecht u.s.w.) bestand darin, daß sie allmählich den Grund und Boden aus den Händen der nominellen Eigenthümer, welche aus ihren Besitzthümern, ohne dieselben unmittelbar zu bewirtschaften, allerlei Einkünfte, Dienste, Abgaben, Renten u.s.w., bezogen, in die Hände derjenigen Personen hinüberspielte, welche sich selbstthätig der Kulturarbeit unterzogen. Diese Funktion ist für Deutschland im Allgemeinen als beendigt anzusehen, an der Stelle der abgelebten sind neue Rechtsbedürfnisse zu Tage getreten.“ Ebenso Wagner, Geteiltes Eigentum, S. 62 f, 122: „Die Aufgabe des geteilten Eigentums war gelöst und damit die geschichtliche Form für den Augenblick ihres Inhaltes beraubt.“; vgl. hierzu Gierke, Privatrecht II, S. 372.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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IX. Erhalt der objektiven Eigentumsfreiheit 1. Darstellung des Vorschlags § 544 BGB soll das Eigentum schützen. Nicht das Eigentum einer bestimmten Person, sondern das Eigentum als Grundprinzip der privatrechtlichen Ordnung. Der historische Gesetzgeber sah ein zentrales Anliegen des BGB darin, dass Sachen den Berechtigten im Grundsatz zu formalem Eigentum zugeordnet werden. Sohm hielt dies für einen wichtigen Grund, um dem Reichstag in der Ersten Lesung die Annahme des BGB zu empfehlen: „Der Entwurf wird bürgerliches Recht bringen: Freiheit des Eigentums – unentbehrlich für uns alle. […] Unsere ganze öffentliche und sittliche Freiheit, die wir als Einzelpersönlichkeit besitzen, […] wird uns durch das Privateigentum, das freie Privateigentum, allein ermöglicht… Freies Eigentum! Endlich sind wir dazu gekommen.“448

Die Grundentscheidung des BGB-Entwurfs zu „freiem Eigentum“ beruhte auf Jherings Gedanken von der Schutzwürdigkeit des Instituts Eigentum. Der Sachenrechtsredaktor Johow folgt dessen Einfluss449, wenn er schreibt: „[Der Eigentümer] kann nicht die Sache in seinem Vermögen behalten und gleichzeitig sein Eigenthum durch willkürliche Abtrennung einzelner Befugnisse, welche dasselbe verleiht, abschwächen. Dürfte er dies, so läge in seiner Hand, das Eigenthum an einer bestimmten Sache in ein Recht umzuformen, welches die Rechtsordnung nicht mehr als Eigenthum gelten lassen könnte. Damit aber wäre der Eigenthumsbegriff selbst verflüchtigt.“450

Diese historische Intention deckt sich mit der Regelung des § 544 BGB, die abstrakt das Eigentum schützt statt bestimmte konkrete Rechtsinhaber. Den Vermieter schützt sie nicht, weil sie ihm ausdrücklich nicht zu dessen Lebzeiten zu Gute kommen muss451. Sie schützt nicht den erbenden Eigentümer, weil der um seiner selbst willen nicht mehr zu bekommen hat, als der Erblasser hatte. Sie schützt keine bestimmte Bevölkerungsschicht, die vor ihren

448 Zit. nach Hedemann, Fortschritte II 1, S. 16, Fn. 10. Selbst Gierke formulierte gelegentlich, das römische Recht habe „endlich“ volles Eigentum herbeigeführt, Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 648. 449 Johow beruft sich zwar nicht explizit auf Jhering, an mehreren Stellen wird jedoch der Ursprung seiner Argumentation deutlich. Vgl. etwa Johow, Vorentwurf II, S. 1085 f.; Vorentwurf III, S. 974 f. und Jhering, Geist II 1, S. 232 (etwa: „Dem Besitzer zu verstatten, mittelst Eigenthumsübertragung sein Gut zu veräußern, hat für das Gemeinwesen keinen Nachtheil“ einerseits und „Dem Besitzer zu verstatten, sein Gut zu verkaufen, hat für den Staat keinen Nachtheil“); s. bereits oben, Kapitel 2, Fn. 101. 450 Johow, Vorentwurf II, S. 501 f. 451 § 544 S. 2 Alt. 1 BGB, vgl. oben, Kap. 3, C.II.2.a Kein Schutz der konkreten Vertragsparteien.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

eigenen Vertragsentscheidungen zu bewahren wäre452. § 544 BGB schützt die Eigentumsfreiheit als Merkmal der Zivilrechtsordnung. Deswegen erschließt sich seine Wirkung aus der Perspektive der Sache statt einer Partei: Die inzwischen irgendeiner Person zugeordnete Sache wird durch Kündigung irgendeiner Seite frei, nachdem diese Sache eine bestimmte Zeit gebunden war. Indem der Gesetzgeber dafür Vorsorge trifft, dass immer wieder der Eigentümer über die Nutzung der Sache bestimmt, erhält er für die Zukunft die allgemeine Chance auf umfassende Sachherrschaft. Der Eigentümer kann zeitweise Bindungen eingehen und den Umfang seiner Sachherrschaft beschränken, der Grundumfang der Eigentumsfreiheit stellt sich jedoch zyklisch wieder her. Indem der Gesetzgeber langfristige Bindungen nicht ausnahmslos, sondern prinzipiell begrenzt, schützt er das Eigentum als Leitbild der Sachenrechtsordnung. Der Eigentümer genießt im Grundsatz die Freiheit, seine Sachherrschaft durch beliebige Bindungen auszugestalten. Auch langfristige Bindungen sind zulässig, wo sie ein geringes Risiko mit sich bringen, das Eigentum als Grundbaustein der Sachenrechtsordnung tatsächlich in Frage zu stellen. Bei den verbreitetsten der die Eigentümerwillkür beschränkenden Geschäfte sind jedoch nur zeitlich begrenzte Bindungen zulässig, um das Eigentum als praktisch wirksames Grundprinzip zu erhalten. Deswegen sind manche beschränkte dingliche Rechte in besonderen Konstellationen oder Institute von geringer rechtstatsächlicher Bedeutung wie die Reallast oder isolierte Grundschulden unbegrenzt zulässig. Institute wie die Erbpacht oder das Familienfideikommiss, die zeitweise in der Lage waren, die Wirtschaftsordnung zu prägen, hat der Gesetzgeber hingegen zeitlich begrenzt oder abgeschafft.

2. Einwände a) Darstellung des Einwands Dagegen ließe sich einwenden, dass ein abstrakter Schutz des Eigentums um seiner selbst willen diesem eine eigenständige Bedeutung zumesse, die es nicht habe. Für den Einzelnen könne es nur auf den Umfang seines Nutzungsrechts ankommen, nicht auf dessen Namen. Wenn das ewige Nutzungsrecht eines Mieters gegenüber dem Nutzungsrecht des Eigentümers Nachteile für die Allgemeinheit aufwiese, hätte der Gesetzgeber diese Nachteile durch eine Umgestaltung des Nutzungsrechts zu beseitigen, statt es zeitweise zuzulassen. Wenn das Nutzungsrecht des Mieters hingegen unbedenklich sei und das Selbstbestimmungsrecht des Eigentümers schwerer wiege als der Erhalt des uneingeschränkten Inhalts seiner formalen Rechtsstellung, bestünde auch kein Grund, zyklisch unbelastetes Eigentum sicherzustellen.

452

Vgl. auch Johow, der keine bestimmte Gruppe durch das Volleigentum stärken möchte, sondern der Auffassung ist, dass „die Wirtschaftsverhältnisse in ihrer Gesamtheit“ „auf der Grundlage des Volleigentums zu ordnen [sind]“, Johow, Vorentwurf II, S. 1070.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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b) Erwiderung Die eigenständige Qualität der Zuweisung von Eigentum an einer Sache statt eines anderen Rechts gleichen Umfangs liegt darin, dass Eigentum dem Einzelnen nicht nur einen Verfügungsraum verschafft, sondern ihm die Sache darüber hinaus überantwortet. Eigentum ist kein besonders umfangreiches unter vielen Rechten453. Eigentum ist die umfassende rechtliche Herrschaft über und Verantwortung für die Sache; das „Vollrecht“, das „alle Befugnisse [vereinigt]“454. Der Gesetzgeber könnte darauf verzichten, ein einzelnes Recht an der Sache besonders herauszustellen. Die besondere Aufladung des Eigentumsrechts ist jedoch Ausdruck einer von ihm gewählten Wirtschafts- und Privatrechtsordnung, die Güter letztlich Einzelnen zuordnet. Wegen der besonderen Beziehung eines Eigentümers zu seiner Sache unterscheidet das BGB den Eigen- vom Fremdbesitzer unabhängig davon, ob ersterer in größerem Umfang als letzterer berechtigt ist (§ 872 BGB ; §§ 836 III, 900, 927, 937, 955, 958, 988, 1006, 1120, 1127 BGB).

Der Mehrwert der Überantwortung der Sache an den Eigentümer liegt für diesen darin, dass das Eigentum hierdurch zum Argument in rechtlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wird. Der Allgemeinheit verschafft sie einen Verantwortlichen, der für die Sache haftungsrechtlich und hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Pflichten einsteht und dabei zumindest insoweit leistungsfähig ist, als er zyklisch von der ihm gehörenden Sache profitiert. Indem der Gesetzgeber das Eigentum als Leitbild der Güterzuordnung („objektive Freiheit“) erhält, verschafft er schließlich jedem Einzelnen die Perspektive, umfassende Sachherrschaft zu erlangen. Wenn hingegen immer mehr und immer unübersichtlichere Rechte das Eigentum zeitlich unbegrenzt beschränken und sich „fortan durch alle Jahrhunderte fort[schleppen]“455, wird die gegenwärtige Rechtslage immer stärker von der vergangenen bestimmt und das „Anrecht auf Freiheit des Eigenthums, das jede neue Generation mit zur Welt bringt“456, vereitelt.

453

Vgl. Dernburg dazu, dass Eigentum schon aufgrund seiner Konsoldiationsperspektive immer die „Anwartschaft auf unbeschränktes Recht“ sei, Dernburg, Preußisches Privatrecht, S. 446. 454 Staudinger/Seiler, Vor §§ 903 ff., Rn. 2; dazu Schwab, Art. Eigentum, in: Geschichtliche Grundbegriffe, S. 65 ff., 81. 455 Jhering, Geist II 1, S. 227: „sich selbst konnte er [der Eigentümer im vorbildlichen römischen Recht, Verf.] binden und ruiniren, […] den zukünftigen Eigenthümer nicht.“ Jhering warnt, dass zeitliche unbegrenzte dingliche Belastungen des Eigentums „einen Zustand der Unfreiheit (servitus) [begründen], der jedem Besitzer [bzw. Eigentümer, Verf.] für ewige Zeiten fühlbar bleibt.“ 456 Jhering, ebd.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Das Ziel, den Einfluss früherer Inhaber auf die Ausgestaltung der Eigentumslage zu vermindern, ist im britischen Recht die „dead hand rationale“ hinter der zeitlichen Begrenzung von Regelungen über langfristige Kapitalakkumulationen457. Im 19. Jahrhundert motivierte sie das Verbot des Familienfideikommiss durch die Paulskirchenverfassung (Art. IX, § 170 Paulskirchenverfassung), das durch die Weimarer Reichsverfassung im 20. Jahrhundert in Kraft gesetzt wurde (Art. 155 Absatz 2 Satz 2 WRV).

c) Ergebnis Der Gesetzgeber gewährleistet, dass Eigentumsfreiheit objektiv erhalten bleibt und rechtspraktisch als Grundsatz die Sachzuordnung bestimmt. Das „freie Eigentum“ wird hierzu prinzipiell vor zeitlich unbegrenzten Bindungen geschützt. X. Zwischenergebnis zum Zweck der Bindungsgrenze in Miet- und Pachtverträgen (§ 544 BGB) Die miet- und pachtrechtliche Bindungsgrenze nach §§ 544, 581 II, 594b BGB setzt der Privatautonomie der Vertragsparteien derartig großzügige Grenzen, dass es ihr nicht um deren Schutz gehen kann. Wenn das BGB anordnet, dass individualvertragliche Bindungen erst in dreißig Jahren bzw. nach Versterben einer Vertragspartei zu enden haben, kommt es durch diese langfristige Zulassung von Bindungen den Gestaltungsbedürfnissen der Parteien weit entgegen. Indem das Gesetz nach Ablauf dieser Frist Kündigungsrechte gewährt, stellt es nach dem für die Vertragspartner individuell relevanten Bindungszeitraum die grundsätzliche gesetzgeberische Sachenrechtsordnung wieder her. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Nutzung von Sachen im Prinzip ihren Eigentümern zustehen, auch wenn diese sie langfristig anderen überlassen dürfen. Durch diese Grundsatzentscheidung erhält das Gesetz eine eigenständige Bedeutung des Eigentumsrechts, die es zu einer grundlegenden Freiheit des Privatrechts macht. Eine privatautonome Umgestaltung der Sachenrechtsordnung, die zunehmend unterschiedlich gestaltete obligatorische Nutzungsrechte ohne die besondere Qualität des Eigentums an dessen Stelle setzt, schließt es durch die Bindungsgrenze aus und schützt damit die Eigentumsfreiheit vor faktischer Überlagerung. XI. Begrenzung weiterer schuldrechtlicher Sachbindungen (Leihe, Verwahrung) Weitere Formen schuldrechtlicher Sachbindung sind Leihe (§§ 598 ff. BGB) und Verwahrung (§§ 688 ff. BGB). In aller Regel werden derartige Verträge 457

Vgl. Law Commission Report, Rules Against Perpetuities, Seite 6 unter 1.9, und Schlüter, Grenzen der Testierfreiheit, S. 575.

C. Miet- und pachtvertragliche Bindungsgrenze

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keine Bindungsprobleme aufwerfen. Die Verwahrung dürfte schon deswegen keine Sachbindungsproblematik verursachen, weil sie wesensnotwendig den Interessen des Hinterlegers dient und eine Leistung und kein Recht des Verwahrers darstellt. Die Verwahrung wird also wesentlich durch eine Tätigkeitspflicht, nicht durch ein Nutzungsrecht gekennzeichnet. In den Grenzfällen unregelmäßiger Verwahrung mit Nutzungsrecht etwa verweist das Gesetz auf die Anwendung der Darlehensvorschriften (§ 700 I 1 S. 2 BGB). Versuchten die Parteien dennoch, einen Verwahrungsvertrag als Sachbindungsform einzusetzen, müssten sie zunächst das jederzeitige Rückforderungsrecht des Hinterlegers aus § 695 BGB abbedingen. Dies hält die inzwischen458 ganz überwiegende Meinung bereits für generell unzulässig459. Der auch nur zeitweilige Ausschluss des Kündigungsrechtes des Hinterlegers beseitige den Charakter des Verwahrungsvertrags, weil in diesen Fällen der Verwahrer ein eigenständiges Interesse am Besitz der verwahrten Sache dokumentiert460. Dies soll auch bei entgeltlicher Verwahrung gelten461. Nach anderer Ansicht soll es sich, ohne Unterschied für die Belange dieser Untersuchung, auch bei Ausschluss des § 695 BGB noch um einen atypisch ausgestalteten Verwahrungsvertrag handeln. Für die (analoge) Heranziehung des § 544 BGB kommt es nicht auf diese Unterscheidung an. Denn jedenfalls wenn eine Bindung des Hinterlegers von mehr als 30 Jahren oder der Lebenszeit einer Partei in Frage steht, verliert die Sachüberlassung ihren Charakter als Recht des Hinterlegers und wird zur Pflicht, sodass entweder auf den Vertrag insgesamt oder auf diesen Vertragsteil eines atypischen Vertrags von Anfang an miet- oder leihvertragliche Bestimmungen über Kündigungsausschlüsse anzuwenden sind. Denn die Bindung eines Hinterlegers kann nie so weit gehen wie die eines Vermieters, der Sachüberlassung schuldet. Die Leihe wird regelmäßig deswegen keine Bindungsproblematik aufwerfen, weil sie unentgeltlich ist. Für gewöhnlich dürfte keine Partei ohne Gegenleistung einem überlangen Ausschluss des Kündigungsrechtes zustimmen. Ausnahmen bestehen in einigen Sonderkonstellationen, von den die Dauerleihgabe an ein Museum die wichtigste ist. Hier überlässt typischerweise ein privater Sammler eines der ihm gehörenden Kunstwerke unentgeltlich einem öffentlichen Museum, um es aus altruistischen Motiven oder zur Aufwertung des Exponates der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen462. Das Museum besorgt die fachgerechte Lagerung und Pflege sowie die Ausstellung. Zur Lösung dieser Fälle existiert noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung, 458

Vgl. zum früheren Streitstand MünchKomm-BGB/Hüffer, 4. Auflage 2005, § 695,

Rn. 2. 459

Staudinger/Reuter, Vor §§ 688 ff., Rn. 6. HK-BGB/Schulze, 695, Rn. 1; MünchKomm-BGB/Henssler, § 695, Rn. 2; Palandt/ Sprau, § 695, Rn. 1. 461 Palandt/Sprau, § 695, Rn. 1. 462 Vgl. Loschelder, NJW 2010, 705. 460

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

aber sowohl die Literatur463 als auch die Obergerichte464 tendieren dazu, § 544 BGB auf Dauerleihgaben entsprechend anzuwenden465. Dem ist zuzustimmen, weil der Gesetzgeber Bindungsgrenzen nicht systematisch entwickelt hat, sondern in Reaktion auf problematische Konstellationen. Dass er bei manchen Vertragstypen, die kaum jemals eine Bindungsproblematik aufwerfen, keine Bindungsgrenzen vorgesehen hat, muss und darf daher nicht als planmäßige Zulassung langfristiger Bindung verstanden werden. § 544 BGB enthält eine sachgerechte Regelung, die das an sich vertragstypenfremde Problem langfristiger Bindung in Verwahr- und Leihverträgen konsistent zu lösen vermag. Wenn ein Vermieter seine Sache trotz Gegenleistung des Mieters nach bestimmter Frist zurückerhält, muss dies erst Recht für den Verleiher gelten, der keine Gegenleistung enthält. Zwischen der irgendwann kündbaren Leihe und der Schenkung bleibt für unkündbare Leihverträge systematisch kein Raum.

D. Zweck der erbrechtlichen Bindungsgrenzen D. Erbrechtliche Bindungsgrenzen

I. Einleitung Die erbrechtlichen Bindungsgrenzen bieten eine Möglichkeit, die zur Erklärung der Sachbindungsgrenze herangezogenen Überlegungen zu prüfen. Das Erbrecht des BGB enthält eine einheitliche Begrenzung von Bindung durch mehrere Bestimmungen, die 30 Jahre nach dem Erbfall die Unwirksamkeit von Beschränkungen eintreten lassen: Auf diese Weise wird der Vorerbe nach 30 Jahren ohne Eintritt des Nacherbfalls gemäß § 2109 I S. 1 BGB Vollerbe466, ein immer noch aufgeschobenes Vermächtnis wird unwirksam (§ 2162 I S. 2 BGB), gemäß § 2044 II S. 1 BGB wird nach dreißig Jahren in einer Erbengemeinschaft die Auseinandersetzung möglich und eine Dauervollstreckung endet, § 2210 S. 1 BGB. Alle vier Bestimmungen ähneln sich in Struktur, Entstehungsgeschichte und Rechtsfolgen: Angeknüpft wird grundsätzlich an einen Zeitraum von 30 Jahren, es existieren Ausnahmen für 463

Loschelder, NJW 2010, 705, 708; Jauernig/Mansel, § 604, Rn. 3; § 598, Rn. 10. OLG Celle NJW-RR 1994 1473 merkt an, dass „vieles für eine solche entsprechende Anwendung des [§ 544 BGB2002] auf Dauerleihverträge spricht“. 465 Zur analogen Anwendung des § 544 auf miet- oder pachtähnliche Rechtsverhältnisse im Allgemeinen RGZ 121, 11; RG LZ 1917, 801; BGH WM 1968, 7; dafür auch Looschelder, NJW 2010, 707, 708 unter Verweis auf ein obiter dictum des OLG Celle. 466 Ggf. ist das Testament dahingehend auszulegen, dass der Nacherbfall spätestens nach 30 Jahren als eingetreten fingiert werden soll, um eine Vollerbschaft des Vorerben zu verhindern, die dem Willen des Erblassers widerspricht, MünchKomm-BGB/Grunsky, § 2109, Rn. 2; Palandt/Edenhofer, § 2109, Rn. 1; Motive V, S. 91: „Die Grenze ist aber nicht in dem Sinne gesetzt, daß der Nachlaß mit Ablauf der Frist in der Hand des noch lebenden Vorerben dessen unbeschränktes Eigentum wird“. 464

D. Erbrechtliche Bindungsgrenzen

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die zeitliche Bedingung der Bindung auf Ereignisse in der Person, die Bestimmungen wurden in dieser Form erst durch das BGB eingeführt und sie führen zur Unwirksamkeit der Bindungsbestimmung nach dem zulässigen Zeitablauf. Diese Ähnlichkeiten prädestinieren sie für eine Wertungsabstraktion. Als Erklärung der Einzelbestimmungen kommt erstens der individuelle Eigentümerschutz in Betracht: Nach 30 Jahren der Beschränkung erlangt der Eigentümer seine volle Freiheit nach § 903 S. 1 BGB. Zweitens könnte hinter den Bestimmungen das Marktverfügbarkeitsgebot stehen, nach dem der Volkswirtschaft das dreißig Jahre lang gebundene Gut wieder zur Verfügung gestellt werden soll467. Näher als bei den übrigen Sachbindungsgrenzen liegt drittens die Zweckbestimmung, 30 Jahre nach dem Tod des Erblassers Rechtssicherheit hinsichtlich der endgültigen Zuordnung des Erbes zu schaffen. Viertens könnten die erbrechtlichen Bindungsgrenzen das Genehmigungserfordernis von Stiftungen vor Umgehungen bewahren. Fünftens könnten sie wie die Sachbindungsgrenzen dem Schutz der objektiven Eigentumsordnung und der mit ihr verknüpften Freiheitsperspektive dienen, insbesondere indem sie auch das faktische Entstehen eines Fideikommisses verhindern. II. Eigentümerschutz Wenn erstens der konkrete Erbe als Eigentümer von Einschränkungen befreit werden soll468, stellt sich die Frage, weshalb im Fall erbrechtlicher Bindungen ein Rückfall aller Teilrechte an den Eigentümer zwingend ist, an anderer Stelle jedoch nicht. Wie erörtert beschränken beispielsweise Grunddienstbarkeiten, Erbbaurechte und Reallasten den Eigentümer ohne zeitliche Grenze. Die dingliche Entäußerung von subjektiven Rechten ist grundsätzlich endgültig469. Die Begrenzung erbrechtlicher Bindungen ist auch nicht mit einer von Großfeld und Gersch geforderten470 Begrenzung schuldrechtlicher Verfügungsverbote i.S.d. § 137 S. 2 BGB auf dreißig Jahre vergleichbar, da diese – wenn man ihre Begrenzung befürwortet – um ihrer obligatorischen Wirkung willen begrenzt werden471. Bei der Erbauflage wurde, anders als bei den erwähnten erbrechtlichen Beschränkungen, keine Dreißigjahresgrenze normiert, 467

So die Motive V, S. 90, Rn. 7. So etwa Palandt/Edenhofer, § 2109, Rn. 1; § 2210, Rn. 1: „Das Gesetz will damit grdsätzl verhindern, dass dem Erben die Herrschaft über den Nachl […] für immer entzogen werden kann“. 469 So schon Tuhr, AT, S. 143. 470 Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 943 f.; im Anschluss hieran ursprünglich auch Palandt/Ellenberger, 71. Auflage, § 137, Rn. 5 a.E.; MünchKomm-BGB/Armbrüster, § 137, Rn. 25 m.w.N., anders nunmehr BGH NJW 2012, 3162. 471 Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 944; Palandt/Ellenberger, § 137, Rn. 5. 468

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

was man unter anderem damit rechtfertigte, dass dies im Hinblick auf „deren lediglich obligatorische Wirkung“472 nicht notwendig sei. Die Nacherbfolge mit dinglich wirkenden Verfügungsbeschränkungen (§§ 2113 ff. BGB) und dinglicher Wirkung bei Eintritt des Nacherbfalls (§ 2139 BGB) wurde hingegen begrenzt473. Zudem berief sich die Erste Kommission zur Rechtfertigung der Beschränkungsbestimmungen ausdrücklich auf die Parallele zum Nießbrauchsrecht (§ 1061 S. 1 BGB)474, also auf die zeitliche Begrenzung einer dinglichen Belastung. Dies weckt Zweifel daran, ob der Schutz des konkreten Eigentümers Zweck der aufgeführten Bindungsgrenzen ist. Sie werden dadurch erhärtet, dass die Begrenzung der Nacherbfolge nach § 2109 I S. 1 BGB gegebenenfalls dazu führt, dass der jeweilige Eigentümer (der Vorerbe) sein Eigentum an einen Dritten (den Nacherbfolger) verliert475. Die Vorschrift äußert sich nicht zur Frage, ob nach Ablauf der dreißig Jahre dem Vorerbe oder dem Nacherbfolger das Eigentum an der Sache zufallen soll. Sie gebietet allein, die Schwebelage in die ein oder andere Richtung zum Abschluss zu bringen; schützt folglich keinen Beteiligten in seinen individuellen Interessen. III. Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit Die Verfasser des BGB sahen den Sinn der erbrechtlichen Bindungsgrenzen im Schutz vor einer „übermäßig langen Vinkulierung des nachgelassenen Vermögens“476, die „aus nationalökonomischen Gründen“477 nicht wünschenswert sei. Der Volkswirtschaft sollten also die entsprechenden Vermögenswerte nicht dauerhaft entzogen werden, um die Gesamtheit der Investitionsgüter im Wirtschaftskreislauf frei verfügbar zu halten. Diese historische Begründung erbrechtlicher Bindungsgrenzen widerspricht der obigen Folgerung478, dass sich dem Gesamteindruck der durch sachenrechtliche Institute ermöglichten Bindungen kein unbedingtes Gebot der Marktverfügbarkeit entnehmen lässt. Die Ausführungen in den Materialien bieten lediglich einen weiteren Beleg für Marktverfügbarkeit als gesetzgeberisches Leitbild, das bei der Gestaltung des BGB berücksichtigt, jedoch nicht strikt umgesetzt wurde. Denn auch die erbrechtlichen Bindungsgrenzen lassen sich weder mit dem Gebot der Marktverfügbarkeit erklären, noch las-

472

Protokolle V, S. 308. § 2109 I S. 1 BGB. 474 Motive V, S. 91. 475 Ebd.; MünchKomm-BGB/Grunsky, § 2109, Rn. 2; Palandt/Edenhofer, § 2109, Rn. 1. 476 Motive V, S. 90. 477 Ebd., S. 90. 478 S.o., Kap. 3, C.VIII. Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit von Sachen. 473

D. Erbrechtliche Bindungsgrenzen

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sen sich die von ihnen zugelassenen Bindungen mit einem Gebot der Marktverfügbarkeit vereinbaren479. So können die unterschiedlichen erbrechtlichen Bindungsgrenzen schon deswegen nicht durchweg auf die Gewährleistung von Marktverfügbarkeit zielen, weil die begrenzten Bindungen nicht durchweg die Verfügungsfreiheit beschränken. Die Bindungsgrenze § 2109 I S. 1 BGB gilt auch für den befreiten, also verfügungsberechtigten Vorerben. Im Fall der Testamentsvollstreckung und des Auseinandersetzungsausschlusses ist zwar der einzelne Erbe in der Verfügung über die Nachlassgegenstände beschränkt (§§ 2211 I, 2033 II BGB). An seine Stelle tritt jedoch eine andere verfügungsbefugte Instanz (§§ 2205 f., 2209 S. 2 i.V.m. 2207, 2040 I BGB), sodass der Wert der Nachlassgegenstände der Volkswirtschaft uneingeschränkt zur Verfügung steht480. Ein aufgeschobenes Vermächtnis schließlich wird nach überwiegender Ansicht nicht über § 2179 BGB i.V.m. § 161 BGB durch eine Verfügungsbeschränkung geschützt, weil andernfalls die Anwartschaft auf einen Vermächtnisanspruch mit dinglicher Wirkung vor Verfügungen geschützt wäre, der Vermächtnisanspruch selbst jedoch nicht. Auch hier kann also der Zweck der Bindungsgrenze nicht die Wiederherstellung einer Verkehrsfähigkeit sein481, die nie beeinträchtigt wurde. IV. Rechtssicherheit Zweck der erbrechtlichen Bindungsgrenze könnte die Rechts- und Orientierungssicherheit einer auf Volleigentum gerichteten Ordnung sein. Die Gemeinsamkeit der begrenzten Institute ist das Element der Unsicherheit über die endgültige Zuordnung der Nachlassgegenstände: Das Vorliegen einer Schwebelage. Die gesamthänderische Bindung des ungeteilten Nachlasses ist ebenso vorläufig wie die Verfügungsgewalt des Testamentsvollstreckers oder die Zuordnung von Nachlassgegenständen zum Vorerben bzw. von Vermächtnisgegenständen zum Erben. Das Gesetz bringt insbesondere in § 202 II BGB482 zum Ausdruck, dass die Beteiligten einen Zustand der Unsicherheit und Vorläufigkeit auch willentlich nicht über 30 Jahre hinaus verlängern können. § 2082 II BGB schließt die Anfechtung von letztwilligen 479

Zu diesem, auf Erbauflagen bezogenen Punkt s.u. BGH NJW 1993, 2168. Mit der Ausnahme des § 2207 S. 2 BGB. 481 Wovon der Gesetzgeber jedoch ausging: Zur Begründung des § 2162 BGB (§ 1869 des Entwurfs) wird in den Motiven V, S. 182, ausdrücklich auf die Ausführungen zur Nacherbschaft verwiesen, Motive V, S. 90 f.: „Die Vinkulierung des Nachlasses über dreißig Jahre nach dem Tode des Erblassers hinaus ist […] aus dem schon erwähnten volkswirthschaftlichen Grunde nicht wünschenswerth“; auch in der Zweiten Kommission bestand Übereinstimmung, sich an die Regelungen zur Nacherbfolge anzuschließen, Protokolle V, S. 213. 482 Die Verjährung kann durch Rechtsgeschäft nicht über eine Verjährungsfrist von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn hinaus erschwert werden. 480

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Verfügungen nach Ablauf von 30 Jahren aus und enthält somit die Wertung, dass die Herstellung von Rechtssicherheit nach einem derart langen Zeitraum das Ziel der Verwirklichung des Erblasserwillens überwiegt483. Dieses Rechtsmotiv macht bei konsequenter Umsetzung auch Regelungen wie die §§ 2044, 2162, 2109, 2210 BGB erforderlich484. Auch die Verfasser des BGB wollten durch die erbrechtlichen Bindungsgrenzen zwangsläufigen „Belästigungen und Gefährdungen der Gläubiger“485 wegen einer „nicht wünschenswerthen Verwicklung der Rechtsverhältnisse“486 vorbeugen. Die bei Erbengemeinschaft, Vorerbschaft, aufgeschobenem Vermächtnis und Dauertestamentsvollstreckung bestehenden Zuordnungsvorläufigkeiten werden zunehmend schwieriger auflösbar, weil mit fortschreitender Zeit auch die Beweisschwierigkeiten zunehmen. Dieser Gedanke könnte auch die Wahl der Grenze von 30 Jahren erhellen. 30 Jahre sind die Zeitdauer einer Generation487, nach deren Ablauf der natürliche Lauf der Dinge unter anderem die Benennung von Zeugen erschwert (30 Jahre zuvor ist es zum Ableben der Erblassergeneration gekommen). Die jeweiligen Ausnahmen zur Dreißigjahresgrenze (§§ 2044 II S. 2, 2109 I S. 2, 2163 I, 2210 S. 2 BGB) stützen diesen These, indem sie auf die Lebensdauer einer zur Zeit des Erbfalles lebenden Person abstellen488, die Pauschalierung der Spanne einer Generation auf 30 Jahre somit für den Einzelfall auflösen. Das entscheidende Argument für die Zwecksetzung, endgültige Zustände zu schaffen, ist die Nichtbegrenzung der Erbauflage. Denn nur bei einer solchen Zwecksetzung lässt sich die Nichtberücksichtigung der Erbauflage erklären: Die Zweite Kommission hat eine Bindungsgrenze für Erbauflagen auf einen Antrag von Jacubezky489 hin ausführlich diskutiert490. Obwohl sie die Parallelen zu den begrenzten Instituten sah491, verzichtete sie auf die Einfü-

483 Die zeitliche Begrenzung von Schwebelagen wird auch an zahlreichen anderen Stellen im BGB ausgedrückt, so z.B. in den §§ 2082, 1954 BGB. 484 Vgl. zur Wechselwirkung des § 2162 BGB mit den Verjährungsvorschriften Staudinger/Otte, § 2162, Rn. 4. 485 Motive V, S. 90. 486 Ebd., bezogen jedoch auf die Beschränkung der Zahl der Nacherbfälle, die später durch die umgestaltete isolierte Dreißigjahresgrenze ersetzt und nicht Gesetz wurde. 487 Nicht im Sinne der Lebensspanne, sondern im Sinne des Generationenabstands, dieser wurde zur Entstehungszeit des BGB mit 36,5 Jahren angesetzt, Rümelin, Generation, S. 285 ff. 488 Das Ereignis in der Person eines zur Erbzeit bereits Lebenden ist spätestens sein Tod, die Höchstdauer ist also die jeweilige Lebensspanne eines Menschen. Eine ggf. deutlich längere Bindung erlaubt § 2109 I Nr. 2 BGB. 489 Vgl. Jakobs/Schubert, Erbrecht I, S. 1375, Antrag Nr. 3a. 490 Protokolle V, S. 241 ff. 491 Protokolle V, S. 242: „Habe man eine Beschränkung der Nacherbfolge festgesetzt und […] eine entsprechende Beschränkung der Wirksamkeit der Vermächtnisse für noth-

D. Erbrechtliche Bindungsgrenzen

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gung einer entsprechenden Zeitgrenze. Ihre leitenden Erwägungen waren hierbei nicht etwa, dass Erbauflagen die volkswirtschaftliche Verfügbarkeit des belasteten Nachlasses bzw. Nachlassgegenstands notwendig geringer beeinträchtigen als etwa ein aufgeschobenes Vermächtnis. Denn selbst als Jacubezky einen erneuten Antrag stellte, zumindest explizit vinkulierende Auflagen zu begrenzen492, wurde dieser mit Hinweis auf das praktische Bedürfnis, etwa „Briefschaften“ dem Rechtsverkehr zeitlich unbegrenzt zu entziehen, abgelehnt493. An anderer Stelle wurde ausgeführt, dass die unbegrenzte Beschränkung der Verwendung des Nachlasses durch Auflagen wünschenswert sei494. Dieser Widerspruch zu den zuvor getätigten „nationalökonomischen“ Erwägungen lässt sich auflösen, indem man als Zweck der Bindungsgrenzen neben dem Schutz der Verkehrsfähigkeit gleichgeordnet auf das Auflösen von Schwebezuständen abstellt: Die durch Auflagen beschränkte Verwendbarkeit des Nachlasses besteht von Anfang an und ohne latente Zuordnungsverschiebung. Es besteht kein Bedürfnis, einen vorläufigen Zustand aufzulösen, weil von Anfang an Endgültigkeit gegeben ist. Verwendet beispielsweise eine Universität bestimmte Gelder jahrhundertelang für einen bestimmten Zweck495, so verfestigt sich die dahinter stehende Regel. Demgegenüber stellen Zuordnungswechsel nach mehr als 30 Jahren (etwa aufgrund eines aufschiebend bedingten Vermächtnisses) einen verfestigten Rechtszustand in Frage. Dem einzelnen Berechtigten mag der Erhalt seiner Rechte wichtiger sein als Gewissheit über die Richtung ihrer endgültigen Zuordnung. Die Rechtsordnung verfolgt jedoch im Hinblick auf die absolute Wirkung dinglicher Rechte das Ziel eindeutiger Zuweisung und fordert im Sachenrecht daher Publizität, Abstraktion und die Beschränkung auf einen numerus clausus bekannter Formen496. Im Erbrecht mag sie daher auch ein Prinzip der Endgültigkeit fordern. V. Genehmigungserfordernis von Stiftungen Aus der Nichtbegrenzung von Erbauflagen wird auch deutlich, dass Zweck der erbrechtlichen Bindungsgrenzen nicht sein kann, das Genehmigungserfordernis der Stiftung zu schützen: Gerade eine Auflage kann stiftungsähnliche Wirkung haben. Wäre es den Verfassern des BGB mit ihrer Warnung ernst gewesen, dass eine Testamentsvollstreckung ohne Bindungsgrenze einer

wendig erachtet, so liege es nahe, ebenfalls hinsichtlich der Möglichkeit mittelst letztwilliger Verfügungen Auflagen anzuordnen, eine zeitliche Schranke aufzurichten“. 492 Im Rahmen der Beratungen des § 2210, Protokolle V, S. 305, Antrag 1, § 1886a. 493 Protokolle V, S. 308. 494 Protokolle V, S. 242. 495 Beispiel nach den Protokollen V, S. 242. 496 Vgl. Baur/Stürner, SachenR, S. 35 ff.

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Stiftung gleich komme497, so hätten sie auch die Auflage begrenzen müssen. Dass sie sich des Zusammenhangs bewusst waren, illustrieren ihre Beispiele, wie etwa das Vermächtnis an eine Universität mit einer bestimmten Verwendungsauflage498 oder Armenunterstützungen499. Hieraus ist zu schließen, dass der Gesetzgeber eine „der Stiftung ähnliche Dauerwirkung“500 durch den Verzicht auf eine Bindungsgrenze gerade ermöglichen wollte501. Folgerichtig ist auch die Konstruktion einer sog. unselbstständigen Stiftung durch Auflagen zulässig502. Da der Gesetzgeber stiftungsähnliche Wirkungen im Erbrecht bewusst ermöglicht hat, kann der Schutz des förmlichen Stiftungsverfahrens durch die erbrechtlichen Bindungsgrenzen nicht mehr sein als ein Regelungsreflex. VI. Schutz der Eigentumsordnung auch im Interesse nachfolgender Generationen 1. Darstellung des Vorschlags Die erbrechtlichen Bindungsgrenzen fügen sich grundsätzlich in das auf die übrigen Sachbindungsgrenzen projizierte Bild. Zuordnungsgewissheit ist eines der Ziele, die eine sachenrechtliche Ordnung zu erreichen suchen kann. Möglicherweise ist auch der weitere Aspekt der durch die Sachbindungsgrenzen konstituierten Eigentumsordnung durch die erbrechtlichen Bindungsgrenzen mit bezweckt: Nachfolgenden Inhabern Handlungsfreiheit hinsichtlich der ihnen formal zugewiesenen Sachen zu verschaffen und so zu sichern, dass zwar möglicherweise nicht der einzelne Erbe, aber die Erbengeneration als Personengruppe irgendwann die Herrschaft über die Rechtsobjekte erlangt503. „If a settlor or testator had total liberty to dispose of his property among future beneficiaries, the recipients, being fettered by his wishes, would never enjoy that same freedom in their turn. The liberty to make fresh rearrangements of assets is necessary […] in order to be able to manoeuvre in the light of new tax laws, changes in the nature of the property and

497 Protokolle V, S. 308: „Der Erblasser würde ohne zeitliche Schranke in der Lage sein, ohne landesgesetzliche Genehmigung eine Stiftung […] ins Leben zu rufen“. 498 Protokolle V, S. 242. 499 Ebd. 500 MünchKomm-BGB/Schlichting, § 2192, Rn. 3. 501 So auch Brox/Walker, AT, Rn. 463; Staudinger/Otte, § 2192, Rn. 20. 502 RGZ 75, 378, 380; s.a. RGZ 96, 15, 19, m.w.N.: „Es ist mithin grundlegend davon auszugehen, daß hier […] eine sog. unselbständige Stiftung errichtet ist“; vgl. Wochner, ZEV 1999, 125, 128 f.; Schmidt, ZEV 2003, 316; MünchKomm-BGB/Leipold, § 1940, Rn. 6 a.E.; Staudinger/Otte, § 1940, Rn. 6. 503 Vgl. hierzu BGH NJW 2012, 3162, 3163 a.E. und Schlüter, Grenzen der Testierfreiheit, S. 575, 580 ff.

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in the personal circumstances of the beneficiaries, unforeseeable by the best-intentioned and most perspicacious of donors.“504

2. Problem der Erbauflagen Bei den erbrechtlichen Bindungsgrenzen liegt es nahe, dass auch sie dazu dienen, eine „Herrschaft der Toten über die Lebenden“505 zu verhindern506. Sowohl der Zusammenhang mit der Abschaffung der Fideikommisse und der thematische Kontext dieser Bindungsgrenzen als auch die Generationenfrist höchstzulässiger Bindung stützen die These objektiver Befreiungswirkung. Allein die zeitlich unbegrenzte Zulassung von Erbauflagen fordert sie heraus, diese jedoch umso entschiedener. Diese Herausforderung gilt nicht nur der Erklärung erbrechtlicher Bindungsgrenzen. Auch mit der Begründung der miet- und pachtvertraglichen Bindungsgrenze durch den Schutz objektiver Eigentumsfreiheit lässt sich kaum vereinbaren, an anderer Stelle ohne jede zeitliche oder inhaltliche Begrenzung die Verknüpfung von Nachlassgegenständen mit Weisungen des Erblassers zuzulassen. Diese Zulässigkeit ist Ausdruck der gegenteiligen Vorstellung, dass die gegenwärtige Herrschaft des Eigentümers auch in rechtlicher Hinsicht eine vollständige ist: Er kann die Sache nicht nur nach Gutdünken vernichten und ihrer Verwendung so tatsächlich zum Schicksal werden, sondern auch aus der Willensentscheidung eines Moments heraus ihre Verwendung für alle Zeiten fortschreiben. Die Erklärung, dass Erbauflagen regelmäßig bereits endgültige Zuordnungen schafften, reicht in der Zusammenschau mit § 544 BGB nicht mehr aus, um zu begründen, weshalb Erbauflagen aus der zeitlichen Bindungsbegrenzung zum Schutz der Eigentumsordnung ausgespart wurden. Denn Zuordnungsgewissheit ist kein exklusiver Vorzug einer Ordnung, die zum Volleigentum strebt; auch beispielsweise eine Erbmiete schafft endgültige, wenn auch geteilte Zuordnungsverhältnisse. Erbauflagen bergen eine noch stärkere Gefahr der Vorstrukturierung des Freiheitsraumes Eigentum als eine Erbmiete507, weil das Institut der Erbauflage von vornherein darauf angelegt ist, eine rechtsverbindliche Einflussnahme zu ermöglichen. Zwar besitzt der Begünstigte selbst kein Vollziehungsrecht, trotzdem kann die Durchsetzung der Erbauflagen gewährleistet werden, weil Dritte vollziehungsberechtigt sind und 504

Deech, (1981) 97 L.Q.R. 593, 594. Vgl. Großfeld, Unsterblichkeit, S. 3 ff., insb. S. 7. 506 In dieser Richtung auch Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 943. Zur „dead hand rationale“ vgl. Kap. 1, C.III. Praktische Grenzen und ihr Stellenwert sowie Kap. 3, C.X Zwischenergebnis zum Zweck der Bindungsgrenze in Miet- und Pachtverträge. 507 Bydlinski, Vertragsbindung, S. 23: „Ausgerechnet die Auflage ist zulässig, obwohl die Auflage doch Inbegriff eines primär freiheitsbeschränkenden und nur sehr unsicher nützlichen Vertrags ist.“ 505

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

für sie ein Anreiz zur Durchsetzung des Erblasserwillens besteht508. Im Hinblick auf die Wahrung freiheitlichen Eigentums erscheinen Erbauflagen deswegen als besonders gefährlich: Sie zementieren nicht die Machtverhältnisse zwischen Lebenden, sondern wahren einen überlebten Willen, bei dem nicht gewährleistet ist, dass überhaupt ein Lebender noch Interesse an dessen Wahrung hat. Weil Erbauflagen die Zuordnung von Gütern zwischen Lebenden unberührt lassen, lässt sich spekulieren, dass es auch an jener Verschränkungsdichte verschiedener Sachrechte fehlt, welche den Freiheitswert materiell geteilten Eigentums bei Mietverhältnissen herabzusetzen droht. Auflagen betreffen nicht notwendig die Verwendung des zugewendeten Vermögens, sodass sie typischerweise keine Sachbeschränkungen darstellen und somit keine zeitliche Begrenzung aufgrund des Schutzes der Eigentumsverhältnisse rechtfertigen mögen. Verwendungsbeschränkende Auflagen sind jedoch ebenfalls zulässig, sie wirken sich auf die Willensherrschaft des Zuwendungsempfängers über den empfangenen Vermögensgegenstand nicht weniger einschränkend aus als mietrechtliche Bindung und auch diesen Fällen werden die übrigen erbrechtlichen Bindungsgrenzen nicht analog angewandt, wie das Beispiel einer der BGH-Entscheidungen zu diesem Thema belegt509. Im Fall hatte die Erblasserin bestimmt, ein vererbtes Haus dürfe nur zu gemeinnützigen Zwecken nach näherer Bestimmung verwendet werden. Der BGH ließ zu, dass diese Zweckbestimmung die Nutzung des Hauses ab dem Erbfall bis in alle Ewigkeit beschränke510. Ohne der Schutz der Volleigentumsordnung als Erklärung aufzugeben kann die Zulassung von Erbauflagen nur so erklärt werden, dass Erbauflagen in die Gruppe jener Institute fallen, von denen das BGB nach ihrer sozialen Verwendung keine rechtspraktische Infragestellung eines Volleigentumsleitbildes fürchtet. In zweierlei Hinsicht bergen Erbauflagen gegenüber anderweitigen privatrechtlichen Eigentumseinschränkungen geringeres Konfliktpotenzial: Sie haben in der Tendenz eine positive gesellschaftliche Wirkung und besitzen für die Eigentumsordnung als Ganze nur geringe Bedeutung. Zum ersten Punkt ist zunächst zu fragen, was einen Erblasser bewegen könnte, statt eines Vermächtnisses oder Untervermächtnisses an den Begünstigten nur eine Auflage an den Beschwerten zu formulieren. Die Wahl der Auflage als Form verfolgt bestimmte Ziele. Soll beispielsweise eine entferntere Verwandte mitversorgt werden, schiene es naheliegend, der Verwandten unmittelbar Vermögensgegenstände zuzuwenden und so auch die persönliche 508

So dieser vom Auflagebschwerten nicht respektiert wird, fallen zur Vollziehung notwendige Mittel ggf. einem aus dem Kreis der Vollziehungsberechtigten zu, § 2196 I BGB. 509 BGH NJW 1993, 2168. 510 Ebd.

D. Erbrechtliche Bindungsgrenzen

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Beziehung von Begünstigtem und Beschwertem von Spannungspotenzial freizuhalten. Eine Erbauflage wird stattdessen gewählt, wo eine Inanspruchnahme des Beschwerten durch den Begünstigten „untunlich ist“, insbesondere weil der Zweck eine unbestimmte Vielzahl von Personen begünstigt. Der Erblasser will häufig, dass „mit seinem Geld etwas Gutes“ getan wird, also in der Regel etwas im Interesse der Allgemeinheit oder einer anderen größeren Personengruppe Liegendes. Weil der Erblasser sich über sein Ableben hinaus nur derzeitige ideelle Bedürfnisse befriedigen kann, sind es typischerweise „überpersönliche Zwecke über einen langen Zeitraum“, die durch Erbauflagen erreicht werden sollen511. Solche Initiativen zu verkürzen bestand und besteht für den Gesetzgeber kein Anlass. Zur Bedeutung der Erbauflage für die Eigentumsordnung steht zu vermuten, dass die Erbauflage nicht als derart hinreichende Gefährdung objektiv geltender Eigentumsfreiheit eingesetzt wurde und wird, um dem Gesetzgeber eine zeitliche Begrenzung erforderlich erscheinen zu lassen. Die Konstruktion, durch Erbauflagen beschwerter Zuwendungen erfolgt gewöhnlich auch deshalb, weil „mit der Zuwendung regelmäßig über die Auflage hinausgehende Zwecke verfolgt werden“512. Es sind neben sozialen Zwecken Detailfragen aus der persönlichen Sphäre, die durch Erbauflagen geklärt werden; klassischerweise etwa die Organisation der Grabpflege, die Gewährleistung persönlicher Gefallen oder familiärer Wünsche. Einem anderen vor den BGH gelangten Fall zur Begrenzung der Wirkung von Erbauflagen lag die hundertjährige Pflicht zu u.a. dem gemeinsamen Besuch des Familiengrabs an einem bestimmten Jahrestag zugrunde513. Das von der Ersten Kommission gewählte Beispiel persönlicher Briefe, die dem Rechtsverkehr entzogen werden sollen, geht ebenfalls in diese Richtung. Zwar bieten Erbauflagen darüber hinaus das Potenzial zu mutwilliger Gängelung. Die Sanktion der Vereitelung oder Nichterfüllung von Erbauflagen besteht nach dem Gesetz jedoch allein im Verlust der zur Erfüllung der Auflage erforderlichen Mittel (§ 2196 I, II BGB). Der erfüllungsunwillige Beschwerte verliert in diesem Fall nicht mehr als bei Erfüllung der Auflage, sodass §§ 2192 ff. BGB keinen Erfüllungsdruck schaffen. Unabhängig von der durch den Erblasser gewählten Gestaltung besteht für den Beschwerten zudem gegebenenfalls die Möglichkeit, das Erbe auszuschlagen und stattdessen einen ihm zustehenden Pflichtteil geltend zu machen. Dies begrenzt gegenüber Pflichtteilsberechtigten von vornherein den durch die Erbauflage erzeugbaren verhaltenssteuernden Anreiz. Zudem werden gesellschaftlich relevantere Auflagen durch das Recht auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 138 I BGB zeitlich begrenzt. Denn 511

MünchKomm-BGB/Leipold, § 1940, Rn. 1. Staudinger/Otte, § 2195, Rn. 3 513 BGH NJW 1965, 688. 512

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für Vermächtnisanordnungen ist anerkannt, dass auf Gebrauchsüberlassungspflichten und Dienstleistungspflichten die Bindungsgrenzen der §§ 544, 624 S. 1 BGB analog anzuwenden seien514. Die dahinter stehende Überlegung, dass der Erblasser den Beschwerten nicht weiter binden könne, als er selbst sich vertraglich binden kann515, trifft auch für Erbauflagen zu. Entscheidend ist hierfür nicht, ob der Begünstigte selbst oder Vollziehungsberechtigte die Erfüllung solcher Pflichten fordern können. Unter der Voraussetzung, dass die in Erbauflagen festgelegten Pflichten einen entsprechend umfassenden Umfang erlangen und außerhalb des Kreises der Verfolgung anerkannter gemeinnütziger Zwecke liegen, begründet der erbrechtliche Ursprung der Bindungen keine Ausnahme von der Anwendung der gesetzlichen Bindungsgrenzen. 3. Abgrenzung zum Schutz vor erbrechtlichen Verwirkungsklauseln Im Bereich erbrechtlicher Bindungen sind mehrere Grundsatzentscheidungen über Heiratsklauseln in Testamenten ergangen, die innerhalb von Adelshäusern üblich waren516. Das BVerfG hat derartige Klauseln zum Teil akzeptiert517, jedoch aus Anlass der „Hohenzollern-Entscheidung“518 für Ebenbürtigkeitsklauseln Zulässigkeitsgrenzen aufgezeigt. Diese Entscheidung untermauert die formulierte Schutzhypothese, indem sie die Fortschreibung einer Ordnung bereinigt, die vergangen und unfreiheitlich ist. Ziel der Entscheidung ist offenbar eine Ordnung, in der Ehepartner frei gewählt werden können. Aber die Entscheidung gibt auch Anlass, die Art der Freiheitseinschränkung genauer zu mustern, die da abgewehrt werden soll. Der Erblasser ist Inhaber der Testierfreiheit, die ihm ein Recht gibt, über sein Eigen nach Gutdünken zu verfügen. Der Erbprätendent hingegen ist nur Inhaber einer rechtlich ungeschützten Erwartung, deren Inhalt dem freien Gutdünken des Erblassers unterliegt519. Wer sich darauf einrichtet, ohne ma514 Wenn die Vermächtnisanordnung keine auflösende Bedingung und keinen Endtermin vorsieht, können noch die Bestimmungen über das Erlöschen höchstpersönlicher Rechte (§ 759 BGB: Leibrente; § 1061 BGB: Nießbrauch) oder, falls ein Anspruch auf Gewährung des Besitzes oder auf Leistung von Diensten vermacht ist, die Kündigungsvorschriften für die entsprechenden vertraglichen Schuldverhältnisse (§§ 567, 624 BGB) zu beachten sein, deren Anwendung geboten ist, weil der Erblasser den Beschwerten nicht in weiterem Umfang binden kann, als er sich selbst vertraglich binden könnte, Staudinger/ Otte, § 2162, Rn. 4. 515 S. vorherige Fn. 516 BGH NJW 2008, 1157 (Hohenzollern I); BVerfG NJW 2004, 2008, hierzu: Gutmann, NJW 2004, 2347; BayObLG FamRZ 2000, 380 (Leiningen); BVerfG FamRZ 2000, 945. 517 BVerfG FamRZ 2000, 945, Gegenstand der Entscheidung war ein Konsensvorbehalt für Heiraten im Haus Leiningen. 518 BVerfG NJW 2004, 2008. 519 Gutmann, NJW 2004, 2347, 2348.

D. Erbrechtliche Bindungsgrenzen

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terielle Sorgen den Pflichten eines Prinzen nachkommen zu können520, trägt das Risiko, dass sich dieser Wunsch nicht bewahrheitet. Die Erbeinsetzung unter der Bedingung einer Ebenbürtigkeitsklausel beschränkt demnach die Freiheit des Erbprätendenten nicht, weil sie ihm nichts entzieht, worauf er ein Anrecht hätte521. Sie ist ein Angebot an den Erbprätendenten, sich für ein bestimmtes Verhalten belohnen zu lassen. Ein Angebot ist jedoch immer nur eine Erweiterung von Handlungsalternativen und vermag Freiheit somit nicht zu beschränken522. Eine Verführung als Zwang zu bezeichnen, beruht auf dem „mechanistischen Missverständnis“523. Daraus folgt, dass die individuellen Interessen des Erbprätendenten durch die Entscheidung nicht geschützt werden können, denn der Erbprätendent hat kein Interesse daran, sich die Option einer Belohung entziehen zu lassen (und sein Interesse an einer Belohnung ohne Leistung ist nicht schutzwürdig). Weshalb sollte es um seiner selbst willen zulässig sein, ihn vollständig zu enterben, nicht jedoch, ihm die Chance einzuräumen, durch bestimmte Handlungen ein ihm nicht zustehendes Einkommen zu erlangen? Einer Begründung der Entscheidung aus der Entschließungsfreiheit des Art. 6 I GG und entsprechender subjektiver Rechtsverletzung dürfte nicht zu folgen sein524. Es ist nicht der Erbprätendent, der ein Interesse daran hat, besser gar nicht als auf diese Weise bedacht zu werden. Die Entscheidung des BVerfG lässt sich daher auch nicht in diesem Sinne deuten. Gegenstand des Hohenzollern-Falls ist ein Konflikt von Ordnungen. Im Streit mit dem moderneren Verständnis der Partnerwahlfreiheit bei der Eheschließung steht die rechtstatsächliche Fortgeltung eines überkommenen Ebenbürtigkeitserfordernisses. Denn für den Betroffenen wiegt es rein wirtschaftlich gleich schwer, auf ein ihm andernfalls zufallendes Erbe zu verzichten oder zeitgleich mit dem Anfall eines Erbes eine Strafzahlung in gleicher Höhe leisten zu müssen. Die erbrechtliche Sanktionierung von „Hausgesetzen“ öffnet den Weg zur Entstehung von Subgesellschaften, die nach eigenen Ordnungen leben, in welche die Freiheiten des Grundgesetzes im praktischen Ergebnis nicht dringen. Eindeutiger wird diese Gefahr am Beispiel von Moralnormen, die etwa religiös motiviert Frauen diskriminieren und deren Einhaltung testamentarisch abgesichert wird. Auch hierin läge für die betroffenen Frauen nur eine Erweiterung des Handlungsraums, aber auch eine zusätzliche, ggf. gerichtsfeste Hürde, sich von unfreiheitlichen Ordnungsvorstellungen zu emanzipieren. Auch wenn das Grundgesetz keine Lebensgestaltungen 520 521

BGH JZ 1956, 279; Staudinger/Otte, § 2074, Rn. 38. Gutmann, Freiwilligkeit, S. 206 ff.; ebenso Blomberg, Freiheit und Bindung, S. 190,

206 f. 522 Gutmann, Freiwilligkeit, S. 149 ff., 203, 215, 222; ebenso Blomberg, Freiheit und Bindung, S. 198 f. 523 Gutmann, Freiwilligkeit, S. 219 ff. 524 Gutmann, NJW 2004, 2347; Staudinger/Otte, § 2074, Rn. 36.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

vorgibt, erhebt es den Anspruch, Lebensgestaltungen durch die praktische Wirksamkeit seiner Gewährleistungen zu prägen525. Auch diese Überlegung rechtfertigt jedoch die Entscheidung gegenüber der Autonomie des Einzelnen noch nicht, sondern führt zu weiteren, schwer zu beantwortenden Fragen. Denn die Hausgesetze wirken in den Verfügungen von Todes wegen nicht als Eingriff in die Handlungsfreiheit der Bedachten fort, sondern lediglich als Beeinflussung526. Wenn sie somit den Handlungsraum der Bedachten um den Preis missbilligenswerter Verhaltensmuster nur erweitern, wie können sie dann einem Grundgesetz praktische Bedeutung entziehen, das auch in der objektiven Dimension seiner Grundrechte die Freiheit des Einzelnen nur erweitern soll? Legt die prominente Bedeutung der Menschenwürde im Grundgesetz nicht ein Menschenbild nah, das von dem Einzelnen das selbstbehauptende Ausschlagen eines Vermögens erwarten darf und muss, statt sich bei der Partnerwahl nach eigenem Maßstab inakzeptable Vorschriften machen zu lassen? Liegt die Freiheit des Einzelnen bei der Wahl des Ehepartners nicht darin, selbst entscheiden zu können, sich in der Partnerwahl von finanziellen, emotionalen oder sonstigen Gesichtpunkten leiten lassen zu wollen? Denn wie groß Vorbildwirkung des Adels sein mag, die Gesellschaft als ganze wird hierdurch nicht geprägt, eine Entscheidung des Erbprätendenten, sich Ebenbürtigkeitsvorschriften unterwerfen zu wollen, wirkt nicht über seine private Sphäre hinaus. Eine freiheitliche Gesellschaft muss zudem besondere Ordnungen aushalten können, nach denen eine Minderheit zu leben wünscht, wie es als Kernerkenntnis hinter der Religionsfreiheit steht. Die praktische Wirksamkeit der Grundrechte in objektiver, also gesellschaftlicher Hinsicht wird durch Versuche, nach abweichenden Ordnungen zu leben, zunächst nur bestätigt. Nimmt man eine Infragestellung der objektiven Wirksamkeit der Grundrechte vorschnell an, mindert dies empfindlich den Umfang subjektiver Freiheitsgewährung. Die Grenze ist erst da erreicht, wo die grundrechtliche Ordnung ihre praktische Wirksamkeit verliert, weil ihre Gewährungen gesellschaftlich überwiegend von anderen Systemen überlagert werden, die grundrechtliche Fragen fern gerichtlicher Überprüfung nach eigener Logik erschöpfen. Dass den Hausgesetzen des Adels eine derartige praktische Relevanz zukommt, muss bezweifelt werden, ob die generelle Zulassung entsprechender Verwirkungsklauseln hingegen eine solche Entwicklung befürchten ließe, wäre zu untersuchen.

525

Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Absatz 3, Rn. 13 ff., 64 f. Zur Differenzierung zwischen Eingriff und Beeinflussung etwa Gutmann, Freiwilligkeit, S. 215. 526

E. Bindungsgrenze für Darlehensverträge

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Diese Fragen müssen im Rahmen dieser Arbeit nicht erschöpfend beantwortet werden527. Lehnt man die Entscheidung ab, erstreckt sich diese Ablehnung nicht auch auf die erbrechtlichen Bindungsgrenzen des BGB. Denn anders als die Beschränkung erbrechtlicher Verwirkungsklauseln nach der Hohenzollernentscheidung schützen die erbrechtlichen Bindungsgrenzen, die das BGB vorsieht, die Integrität des Eigentumsinstituts. Erbrechtliche Verwirkungsklauseln verwehren oder gewähren dem Erbprätendenten nach seiner Wahl das Erbe in seinem vollen Bestand und sind aus der Warte der Eigentumsordnung daher unbedenklich. Erbrechtliche Bindungsklauseln hingegen überlassen das Erbe nur vorläufig und damit unvollständig. Während die Hohenzollernentscheidung die Verhaltenssteuerung durch erbrechtliche Verwirkungsklauseln unter Umständen beschränkt, lässt das BGB erbrechtliche Bindungen gerade auf bis zu dreißig Jahre zu. Was das BGB begrenzt, ist lediglich die resultierende Vorläufigkeit des Eigentums, der es zum Schutz des Instituts einen (großzügigen) Endpunkt setzt. VII. Zwischenergebnis zur Erklärung der erbrechtlichen Bindungsgrenzen Wie die Sachbindungsgrenzen bezwecken auch die erbrechtlichen Bindungsgrenzen den Schutz einer gesellschaftlichen Ordnung, in der Sachen den Rechtssubjekten im Grundsatz als Eigentum zugeordnet sind. Die unbegrenzte Zulassung erbrechtlicher Bindungen gefährdete die Zuordnungsgewissheit, die einen der Vorteile der Eigentumsordnung bildet. Durch die sach- und erbrechtlichen Bindungsgrenzen wird gewährleistet, dass nicht nur die gegenwärtige, sondern jede Eigentümergeneration das größtmögliche Maß an Willensverwirklichung in Bezug auf Sachherrschaft und Testierfreiheit erhält.

E. Zweck der Bindungsgrenze in Darlehensverträgen (§ 489 BGB) E. Bindungsgrenze für Darlehensverträge

I. Einleitung Ein Gelddarlehen ist mit Ablauf der Zeit zurückzuzahlen, für die der Darlehensvertrag geschlossen wurde, oder mit ordentlicher Kündigung nach § 488 III S. 1 BGB. Der Tod des Darlehensnehmers hingegen beendet die Bindungszeit des Darlehensvertrags regelmäßig nicht528. Das ordentliche Kündigungsrecht nach § 488 III S. 1 BGB ist grundsätzlich disponibel. Die §§ 489, 490, 500 BGB schränken diese Disponibilität jedoch ein. Darlehensverträge mit anfänglich oder nachträglich veränderli527

Vgl. stattdessen beispielsweise die instruktive Untersuchung von Blomberg, Freiheit und Bindung, und Gutmann, NJW 2004, 2347. 528 BGH NJW 2005, 2779.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

chem Zinssatz sind gemäß § 489 I Nr. 1, II BGB jederzeit oder zumindest zum Zeitpunkt der Veränderung des Sollzinssatzes hin kündbar, Darlehensverträge mit gebundenem Sollzinssatz sind gemäß § 489 I Nr. 2 BGB nach spätestens 10 Jahren kündbar, besicherte Darlehen gegen Leisten einer Vorfälligkeitsentschädigung auch nach § 490 II S. 1 BGB (etwa bei Bedürfnis nach anderweitiger Verwendung der Sicherung). Verbraucherdarlehensverträge können (entsprechend der Verbraucherkreditrichtlinie529) gegen eine Vorfälligkeitsentschädigung immer vorzeitig zurückgeführt werden, § 500 II BGB. Gemäß § 500 I BGB kann der Verbraucher Darlehen auf unbestimmte Zeit zwingend jederzeit kündigen. Das Gesetz erlaubt dementsprechend eine Gesamtbindungszeit bei Gelddarlehen (im Folgenden: Darlehen) von höchstens 10 Jahren (Entstehung des Kündigungsrechts) und 6 Monaten (Kündigungsfrist). II. Erreichung marktgerechter Zinsen Die wirtschaftliche Begünstigung des Kündigungsberechtigten durch die Bindungsgrenze des § 489 I Nr. 3 BGB ist weder ein Rechtsreflex noch eine Begleiterscheinung des Verfolgens anderer Ziele. Der Gesetzgeber bezweckte mit § 489 I Nr. 2 BGB dezidiert die wirtschaftliche Besserstellung des Kreditnehmers gegenüber seinem freiwillig akzeptierten vertraglichen Los. Bei der Einführung des § 489 BGB530 im Jahre 1987 orientierte er sich eng531 am Vorbild des § 18 Hypothekenbankengesetz (HypBankG)532. Diese 1899 erlassene Vorschrift sollte den Hypothekenbanken verwehren, zeitlich unbegrenzte oder längerfristige Zinsbindungen zu vereinbaren, dem Kreditnehmer hingegen erlauben, sich auf dem Geldmarkt zu günstigeren Hypothekenzinsen einzudecken533. „Da das Anliegen dieser Regelung, den Schuldner nach Ablauf einer längeren Zeit vor der Bindung an einen nicht mehr zeitgemäßen Zinssatz zu bewahren, für alle festverzinslichen Darlehen gleichermaßen Bedeutung hat“534, erweiterte der Gesetzgeber fast neunzig Jahre später den Anwendungsbereich der Vorschrift über § 489 I Nr. 2 BGB. Die Begründung 529

Art. 16 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge (VerbrKrRL). 530 Zur Zeit seiner Einführung § 609a BGB1987. Zwischen 2002 und 2010 war der heutige § 489 I Nr. 2 BGB2010 § 489 I Nr. 3 BGB2002, Nachfolger des damaligen § 489 I Nr. 2 BGB2002 ist der heutige § 500 II BGB. 531 Vgl. die inhaltlichen Anleihen etwa bei der Regelung von Prolongationsvereinbarungen, § 489 I Nr. 3 Hs. 2; BT-Drs. 10/4741, S. 23. 532 „Dem Schuldner ist urkundlich das Recht einzuräumen, die Hypothek ganz oder teilweise zu kündigen und zurückzuzahlen. Das Recht der Rückzahlung darf nur bis zu einem Zeitraume von 10 Jahren ausgeschlossen werden.“ 533 So in der Begründung zu dem damaligen § 17 des Gesetzesentwurfes, dem späteren § 18 HypBankG, zu finden in VDH, HypothekenbankG. 534 BT-Drs. 10/4741, S. 23.

E. Bindungsgrenze für Darlehensverträge

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des Referentenentwurfs nimmt dabei deutliche Anleihen bei der Begründung des § 18 HypBankG535. Seine sonstige Zurückhaltung bei der wirtschaftlichen Korrektur von Parteivereinbarungen pflegt der Gesetzgeber hierbei nicht, der Kreditnehmer „soll […] die Möglichkeit haben, sich […] Veränderungen des Geldmarktes […] zunutze zu machen“536; die Gesetzesmaterialien diagnostizieren „wirtschaftlich sinnvolle Kündigung[en]“537 und halten einen „längerfristige[n] Ausschluß des Kündigungsrechts“ für „nicht veranlasst“538. Berechtigterweise folgert die Literatur daher, es sei Zweck des § 489 I Nr. 2 BGB, dem Darlehensnehmer ein Recht auf Umschuldung und Zinssenkung auf das jeweilige Marktniveau einzuräumen539. Die Kündigungsmöglichkeit fungiert danach in der Sache als Druckmittel540. Die Frage nach Gründen der Ausgleichslosigkeit des Kündigungsrechts stellt sich bei § 489 I Nr. 2 BGB demnach nicht: Die Ausgleichslosigkeit ist Programm. Der Idee nach empfindet der Gesetzgeber die Zinsentwicklung des Marktumfeldes als prägender für die Darlehenskonditionen denn die vergangene Vereinbarung der Parteien. Laut Referentenentwurf dient der heutige § 489 I Nr. 2 BGB541 dazu, „eine ausgewogene Verteilung von Zinsänderungsrisiken auf Darlehensnehmer und -geber zu gewährleisten“542. In einem fest gebundenen Sollzins liegt jedoch eine Übernahme des Risikos von Zinsänderungen durch den jeweils benachteiligten Teil. Dies ist bereits eine faire und privatautonom ausgewogenen Risikoverteilung. Der Vorrang des Marktzinses ist besonders ungewöhnlich, weil die vollständige Abkopplung der Parteien von der Marktentwicklung erstens Planungssicherheit ermöglicht, die Risikoübernahme zweitens der Regelsituation bei punktuellen Austauschverträgen entspricht und drittens der Parteiwille auch einen umstandsadäquateren und gerechteren Maßstab zu 535

Referentenentwurf, ZIP 1985, 1294: „Spätestens nach Ablauf dieses Zeitraums soll der Schuldner die Möglichkeit haben, sich durch Kündigung vom Darlehensvertrag zu lösen die Veränderungen des Geldmarktes, die möglicherweise zu einem Sinken der Zinsen geführt haben, zunutze zu machen.“ 536 Referentenentwurf, ZIP 1985, 1294. 537 BT-Drs. 10/4741, S. 1. 538 BT-Drs. 10/4741, S. 23. 539 Schimansky/Bunte/Lwowski/Bruchner/Krepold, § 79, Rn. 1; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 749; vgl auch Palandt/Weidenkaff, § 489, Rn. 1; BeckOK-BGB/Rohe, § 489, Rn. 1: „Die Norm dient dazu, bei verzinslichen Darlehen mit Festlaufzeit eine weitgehende Anpassung der Verzinsung an die Marktentwicklung zu ermöglichen. Im Ergebnis werden Darlehen mit fester Zinsbindung bis zum vorgesehenen Vertragsablauf begünstigt. Zugleich werden Umschuldungen erleichtert“, jeweils m.w.N. 540 Schimansky/Bunte/Lwowski/Bruchner/Krepold, § 79, Rn. 1: „Die Regelungen des § 489 BGB sollen den Darlehensnehmer in die Lage versetzen, mit dem Darlehensgeber unter dem Druck des Kündigungsrechtes marktgerechte Zinsvereinbarungen zu treffen.“ 541 Damals: § 609a I Nr. 3 BGB1987. 542 Referentenentwurf, ZIP 1985, 1294.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

bilden scheint als der Einfluss eines nach externen Kriterien fluktuierenden Marktzinses. Will man der Privatautonomie jene Geltung verschaffen, die ihrem Stellenwert für das deutsche Zivilrecht zukommt, scheint kaum eine andere Sichtweise denkbar als jene Köndgens, der die ex-post-Situation vermeintlich unzumutbar über dem Marktniveau liegender Zinsen („Was sich vor den Gerichten als Härtefall geschäftlich unerfahrener Darlehensnehmer darstellt…“543) auf eine „kognitive Fehlleistung“544 ex ante zurückführt („…ist in Wahrheit eine systematische Fehleinschätzung des Marktzinsrisikos bei Festzinskrediten.“545). Nach dieser, der Privatautonomie verpflichteten Sichtweise wären dementsprechend nicht absolute Bindungsgrenzen angezeigt, sondern Schutzvorschriften bei Vertragsschluss, etwa erweiterte Aufklärungspflichten des Darlehensgebers546 oder verschärfte Formerfordernisse. Was soll es bedeuten, den Zinssatz eines Darlehens auf marktgerechte Bedingungen zurückzuführen? Marktgerechte Zinsen für ein Darlehen sind danach jene, die bei Vereinbarung des Darlehens marktgerecht waren, nicht die jeweils aktuellen Marktzinsen in jedem Zeitpunkt der Laufzeit. Der Gegensatz verläuft nach dieser Lesart nicht zwischen marktgerechten und privatautonom vereinbarten Zinssätzen, sondern zwischen Konditionen der Vergangenheit und denen der Gegenwart. Es stellt sich auch die Frage nach der Begrenzbarkeit der Denkfigur „wirtschaftlich sinnvoller Kündigungen“. Weshalb sollten etwa nicht auch bei langfristigen Werkverträgen oder Lieferbeziehungen periodische Anpassungen an aktuelle Marktkonditionen durch eine Höchstbindungszeit von zehn Jahren zwingend sein? III. Anpassung an veränderte Umstände 1. Kündigungsrecht als Instrument zur Anpassung der Vertragskonditionen an das Marktniveau Die gesetzgeberische Intention dahingehend zu verstehen, die wirtschaftliche Begünstigung des Darlehensnehmers über den Wert der Privatautonomie zu stellen547, greift zu kurz. Die wirtschaftliche Begünstigung des Darlehensnehmers ist weder schlichter Reflex noch eigentlicher Zweck des § 489 I Nr. 2 BGB, sie ist das Mittel zur Erreichung eines anderen Zwecks. Zeitgleich mit dem heutigen § 489 I Nr. 2 BGB hat der Gesetzgeber eine Vorgängervorschrift zum heutigen § 500 II BGB eingeführt, den damaligen § 609a I Nr. 2 BGB1987548. Die Gesetzesbegründung betont besonders, dass 543

Köndgen, WM 2001, 1637, 1643. Ebd. 545 Ebd. 546 Ebd. 547 Von sozialpolitischen Gründen für § 247 BGB a.F. spricht RGRK/Alff, § 247, Rn. 1. 548 § 609a I Nr. 2 BGB1987: „(1) Der Schuldner kann ein Darlehen, bei dem für einen bestimmten Zeitraum ein fester Zinssatz vereinbart ist, ganz oder teilweise kündigen, 2. wenn 544

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diese erleichterte Kündigungsmöglichkeit (die bereits nach 9 Monaten wirksam werden konnte) „wegen der damit verbundenen Kosten“ in der Regel nicht zu „Umschuldungen zum Zwecke der Zinsanpassung an ein allgemein gesunkenes Zinsniveau“ führen werde, sondern zu Umschuldungen aufgrund einer „meist erheblichen wirtschaftlichen Bedrängnis“549. Als ausdrücklich verboten wird eine Ausdehnung der Vorschrift auf „vergleichbare Darlehen, bei denen Zinsänderungen häufig zu Umschuldungswünschen führen“ bezeichnet550. Weshalb wird für dieses Kündigungsrecht eine Umschuldung zur Anpassung an das Marktniveau so dezidiert ausgeschlossen, wenn nach derselben Gesetzesbegründung mit dem zugleich eingeführten § 489 I Nr. 2 BGB eine eben solche Umschuldung bezweckt wird? Der Unterschied kann nur in den unterschiedlichen Zeiträumen liegen, nach 9 Monaten dominiert das vereinbarte Zinsniveau, erst nach 10 Jahren soll ein niedrigeres Marktniveau verbindlicher werden. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren wurde ursprünglich dadurch ausgelöst, dass das im BGB1900 enthaltene besondere Kündigungsrecht für Darlehen (§ 247 BGB1900) an eine Zinshöhe von mindestens 6% p.a. als absolute Größe geknüpft war und in der Hochzinsphase zum „voraussetzungslosen, allgemeinen Kündigungsrecht“ zu werden drohte551. § 489 I Nr. 2 BGB bezweckt folglich gerade keine voraussetzungslose Orientierung des Zinssatzes am marktüblichen Rahmen (die zu verhindern Ziel der Reform war), sondern die Anpassung des Zinssatzes an das Marktniveau nach Ablauf eines gewissen Zeitraums. Die Tatbestandsvoraussetzung des Ablaufes von zehn Jahren Bindungszeit ist somit kein Kompromiss des Zwecks der Vorschrift mit anderen Werten, sondern Grund der Anpassung. Nach seinem historischen Zweck stellt sich § 489 I Nr. 2 BGB somit als institutionalisierte Form einer Vertragsanpassung dar, wie sie auch § 313 I BGB vorsieht. Die dogmatische Form der Verwirklichung dieses Regelungszwecks wäre eine andere, aber dem Grundgedanken nach könnte man auch bei § 489 I Nr. 2 BGB von einem „gesetzlich vorgeprägte[n] Fall der Vertragsanpassung“552 (i.S.d. § 313 I BGB) sprechen. Während der das Darlehen einer natürlichen Person gewährt und nicht durch ein Grund- oder Schiffspfandrecht gesichert ist, nach Ablauf von sechs Monaten nach dem vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten; dies gilt nicht, wenn das Darlehen ganz oder überwiegend für Zwecke einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit bestimmt war“. 549 BT-Drs. 10/4741, S. 23. 550 BT-Drs. 10/4741, S. 23. 551 BT-Drs. 10/4741, S. 22. 552 Bezogen auf die Anordnung des heutigen § 490 II BGB2010 Berger, Kreditvertragsrecht, S. 24, der hier die Meinung Mülberts referiert. Dieser geht jedoch für § 490 II BGB so weit, über die Zweckverwandtschaft auch eine dogmatische Verwandschaft anzunehmen (den Anpassungs- gegenüber einem Kündigungscharakter sieht er durch die Vorfälligkeits-

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

BGB-Gesetzgeber in § 313 I, III BGB die Zumutbarkeit etwaiger Veränderungen vermutet, unterstellte er demzufolge in § 489 I Nr. 2 BGB nach 10 Jahren Veränderungen des allgemeinen Zinsniveaus, die er (unabhängig davon, ob die Geschäftspartner ein gleichbleibendes Zinsniveau zur Geschäftsgrundlage gemacht haben oder mit veränderlichen Zinssätzen rechneten) für unzumutbar hielte. Durch die Ausformulierung als einseitiges Kündigungsrecht beschränkte er die Fälle der Anpassung auf Zinssätze, die in einem solchen Umfang gesunken sind, dass eine Kündigung trotz der in der Gesetzesbegründung angesprochenen Kosten553 sinnvoll ist. § 489 I Nr. 2 BGB wäre danach als Anpassung an gewandelte Umstände statt an ein gegenüber der Vereinbarung „richtigeres“ Marktniveau zu interpretieren. Der Erklärung des Rechts der übrigen Bindungsgrenzen als Anpassungsvorschriften widerspräche ihre Herkunft aus der Zeit um 1900; also einer Zeit, zu der Rechtsprechung und Lehre gegenüber Anwendungen des clausula rebus sic stantibus-Gedankens sehr zurückhaltend waren554, es noch an der Formulierung des Rechtsbegriffs der Geschäftsgrundlage555 und dem Eindruck der Inflation fehlte556; die Wende der Rechtsprechung hin zur Anpassung von Vertragsbedingungen an geänderte Umstände fand erst in den Zwanzigerjahren statt557. Während es bei den anderen Bindungsgrenzen daher aus historischen Gründen unwahrscheinlich ist, dass sie den Gedanken des heutigen § 313 BGB enthalten und noch über ihn hinausgehen, spricht in der Entstehungsgeschichte des § 489 BGB nichts dagegen. Dessen Vorgängernorm wurde 1987 nicht von der Rechtsprechung, sondern vom Gesetzgeber selbst geschaffen, und zwar als Vorschriften für Verträge in dem besonders dynamischen Marktumfeld der Finanzprodukte558. Der Gedanke des heutigen § 313 BGB war etabliert559 und aus § 490 III BGB folgt ohnehin, dass die Kündigungsvorschriften des Darlehensrechtes über ihn hinausgehen mögen.

entschädigung gewahrt) und daraus Abdingbarkeit abzuleiten, Mülbert, WM 2002, 465, 475. Eine solche dogmatische Verwandtschaft bedürfte insbesondere bei derart weitreichenden Folgerungen jedoch einer noch weitergehenden Begründung. Sie stünde im Falle des § 490 II BGB2010 auch im Gegensatz zur Überschrift „Außerordentliches Kündigungsrecht“ (die von 2002 stammt, also aus der Zeit von Mülberts Aufsatz). Aus dem Gegensatz zu den Differenzierungen der §§ 489, 499, 500 BGB folgt, dass sich diese Überschrift nicht nur auf das außerordentliche Kündigungsrecht des Kreditgebers in Absatz 1, sondern auch auf Absatz 2 bezieht (§ 489 BGB: „Ordentliches Kündigungsrecht des Darlehensnehmers“; § 499 BGB: „Kündigungsrecht des Darlehensgebers; Leistungsverweigerung“; § 500 BGB: „Kündigungsrecht des Darlehensnehmers; vorzeitige Rückzahlung“). 553 BT-Drs. 10/4741, S. 23. 554 BeckOK-BGB/Unberath, § 313, Rn. 2; HKK/Meyer-Pritzel, § 313, Rn. 12 ff. 555 Die Monographie Oertmanns erschien im Jahr 1921, Oertmann, Geschäftsgrundlage. 556 Vgl. zu dessen Beitrag BeckOK-BGB/Unberath, § 313, Rn. 2. 557 RGZ 107, 78; HKK/Meyer-Pritzel, § 313, Rn. 19 ff. 558 Dagegen spricht, dass § 18 HypBankG als Vorbild des § 489 I Nr. 2 BGB aus dem 19. Jahrhundert stammt und der § 489 I Nr. 2 BGB ausweislich der Gesetzesbegründung zu eben denselben Zwecken eingeführt wurde wie diese Vorschrift. 559 Vgl. ständige Rechtsprechung des BGH seit BGHZ 2, 176, 188.

E. Bindungsgrenze für Darlehensverträge

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Bereits die Gesetzesbegründung betonte, dass der heutige § 489 I Nr. 2 BGB den Darlehensnehmer nicht vor beliebigen überhöhten Zinsen schützen solle, sondern vor „nach Ablauf einer längeren Zeit“ „nicht mehr zeitgemäßen“ Zinsen560. Auch die vergleichsweise kurze Bindungsfrist von zehn Jahren (Bierlieferungsverträge: 15–20 Jahre, Miete: 30 Jahre – Lebenszeit) entspräche dem Bild der Anpassung an ein besonders wechselvolles Marktumfeld. Dazu spricht auch der Regelungskontext der Vorschrift für diese Erklärung. § 489 II BGB misst dem Zinsniveau eine solche Bedeutung zu, dass er in Erweiterung eines allgemeinen Grundsatzes des Rechts der Dauerschuldverhältnisse561 Kündbarkeit bei Preisänderungen anordnet. Dieser Gedanken hinter § 489 II BGB könnte in der Kündbarkeitsrechtsfolge des § 489 I Nr. 2 BGB fortgeführt werden, wenn nach Zeitablauf die Beibehaltung nominaler Zinssätze faktisch eine Zinsänderung bedeutet, weil der Zinssatz eine andere Relation zum heutigen Marktniveau besitzt als ursprünglich vereinbart. § 489 I Nr. 1 BGB ist Ausdruck eines Konzepts von Wechselwirkungen zwischen Zinsbindungs- und Vertragsbindungszeit, das der Gesetzgeber dem gesamten heutigen § 489 BGB zugrunde gelegt hat562. Auch er fügte sich in ein Konzept der Kündbarkeit ab Änderung des Darlehenspreises. Zusammenfassend wäre die Beschränkung der Privatautonomie durch § 489 BGB dann dahingehend formulieren, dass der Darlehensnehmer nicht abstrakt seine Zustimmung zur Bestimmung des Zinses erteilen kann, sondern nur zu einem konkreten Zinssatz, und zwar in seiner Bedeutung durch den Marktkontext. 2. Einwände Es stellt sich zunächst die Frage, weshalb der Gesetzgeber der Entwicklung der Darlehenspreise eine gegenüber der Preisentwicklung sonstiger Dauerschuldverhältnisse derart gesteigerte Bedeutung eingeräumt haben sollte. Hierauf ließe sich möglicherweise entgegnen, dass der Gesetzgeber wegen der besonderen Dynamik des Zinsmarktes anders als bei anderen Vertragsbeziehungen nach zehn Jahren gravierende Veränderungen nachgerade erwartet. Einmal, weil eine gravierende Veränderung des Zinsniveaus nach Ablauf von zehn Jahren Erfahrungswerten entspricht, andererseits, weil öffentliche Stellen maßgeblichen Einfluss auf die Marktbewegungen ausüben: Der Staat selbst beeinflusst durch die Zinspolitik seiner Institution bewusst das allgemeine Zinsniveau und damit die relative Bedeutung des Vertrags. Änderungen des konkreten Zinsniveaus wirken sich drittens überproportional auf die Rentabilität fremdfinanzierter Vorhaben aus. Wegen der besonderen Relevanz und der besonderen Dynamik der Finanzierungskosten für fremdfinanzierte Vorhaben liegt bei Darlehensverträgen ein Abwarten günstigerer 560

BT-Drs. 10/4741, S. 23. Vgl. den Referentenentwurf, ZIP 1985, 1294. 562 BT-Drs. 10/4741, S. 20 f. 561

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Marktbedingungen nahe. In der Möglichkeit der Anpassung an geänderte Umstände liegt demgegenüber ein Maß von Zeitunabhängigkeit, das die Folgenschwere der langfristigen Bindung an – zum kontingenten Zeitpunkt des Vertragsschlusses – geltende Finanzierungskonditionen wenigstens mindert. Auch wenn man sich mit dieser Entgegnung zufrieden gibt stellt sich indes die weitere Frage, wie vor dem Regelungsziel einer Anpassung an die Marktverhältnisse das in § 489 I Nr. 2 BGB enthaltene Ungleichgewicht zu erklären ist: Das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers auch bei gebundenem Sollzinssatz bedeutet, dass der Darlehensgeber zeitlich unbegrenzt das Risiko der Verschlechterung der Zinssätze trägt, der Darlehensnehmer aber das Risiko der Verbesserung der Zinsbedingungen nicht über 10 Jahre hinaus. Ist Ziel allein die Anpassung der Finanzierungskonditionen an die unvorhersehbare Entwicklung des Marktumfelds, weshalb wird nicht auch einem darlehensgebenden Kreditinstitut durch ein Kündigungsrecht eine Anpassung an den Marktzins gestattet? Nach § 313 III BGB wird aufgrund von nachträglichen Veränderungen zudem nur so zurückhaltend wie möglich in die Vertragsregelung eingegriffen. Die Vorschrift stellt einen Vorrang der Anpassung des Vertrags auf und verleiht nur als ultima ratio ein Kündigungsrecht. § 489 I Nr. 2 BGB kennt keine derartige Abstufung. Für eine reine Anpassungsvorschrift wäre dieses unmittelbare Kündigungsrecht unverhältnismäßig. IV. Unabsehbarkeit der Zinsentwicklung 1. Erklärung aus der Einseitigkeit des Kündigungsrechts Man könnte stattdessen versuchen, die Einseitigkeit des Kündigungsrechts zum Ausgangspunkt seiner Erklärung zu machen und mit der erhöhten Schutzbedürftigkeit der Darlehensnehmer zu argumentieren. Möglicherweise ist nicht die Anpassung als solche Ziel der Bindungsgrenze, sondern die Befreiung des Darlehensnehmers aus einer ihm unüberschaubaren Bindung. Die Einseitigkeit des Kündigungsrechts wäre dann auf eine typisierte Überlegenheit der Darlehensgeber zurückzuführen, die sich gegen ungünstige Marktentwicklungen besser abzusichern vermögen als das Gros der Darlehensnehmer. 2. Einwände Die Einseitigkeit des Kündigungsrechts lässt sich insofern nur schwer aus der typisierten Überlegenheit der Darlehensgeber und der Schutzbedürftigkeit der Darlehensnehmer erklären weil § 489 BGB nicht nur zu Lasten von Kreditinstituten oder etwa Kaufleuten gilt, sondern zu Lasten jedes Darlehensgebers geht, der dem Darlehensnehmer nicht überlegen sein muss. Laut Mülbert und

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Schmitz etwa soll § 489 BGB auch für Bauspardarlehen gelten, zugunsten der Bausparbank und zu Lasten des Sparers563. Auf der anderen Seite erfasst § 489 I Nr. 2 BGB alle Darlehensnehmer, unabhängig von ihrer jeweiligen Schutzbedürftigkeit: „Dieser Mindestschutz kommt unter deutschem Recht unterschiedslos allen Schuldnern zugute, gleichgültig ob einer ein Arbeitnehmer mit 3500 DM Monatseinkommen oder die Siemens AG […] oder die Weltbank ist; nur […] Gebietskörperschaften hat der Gesetzgeber von dieser Art Zwangsbeglückung freigestellt“564. Bei diesem weiten Anwendungsbereich handelt es sich entstehungsgeschichtlich nicht um gesetzgeberisches Versehen, sondern um eine bewusste Entscheidung. Der Wortlaut der Norm blieb trotz ausdrücklichen Hinweises in der Literatur auf einen „rechtspolitische[n] Fehler“ unkorrigiert565, obwohl der Gesetzgeber für personelle Einschränkungen des Anwendungsbereichs durch die damalige Nachbarnorm (§ 609a I Nr. 2 BGB1987) sensibilisiert war, die nur für „das Darlehen einer natürlichen Person“ galt, das nicht „ganz oder überwiegend für Zwecke einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit bestimmt war“566. Auch als diese Umschreibung im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung durch den Begriff „Verbraucher“ ersetzt wurde, blieb der heutige § 489 I Nr. 2 BGB unverändert auf alle Darlehensnehmer anwendbar. Der Gesetzgeber teilte die Bedenken der Literatur offenbar nicht, sondern wollte den § 489 I Nr. 2 BGB auch auf wirtschaftlich starke Darlehensnehmer angewendet wissen. Die Kritik an fehlender personeller Eingrenzung des § 489 I Nr. 2 BGB567 beruht auf der Erklärungsannahme, dass § 489 I Nr. 2 BGB den Schutz wirtschaftlich unerfahrener Kreditnahme vor Fehleinschätzungen zum Ziel habe. Das Gesetz stellt im Regelfall allerdings die Erklärungsannahme in Frage, nicht die Annahme das Gesetz. Liegt die Zielsetzung nicht in der Verhinderung einer „kognitiven Fehlleistung“568, sondern in der Begrenzung von Einflussnahme, bestimmt sich die 563

Mülbert/Schmitz, FS Horn, S. 777, 785 ff. Köndgen, WM 2001, 1637, 1642, bezogen auf § 609a I Nr. 3 BGB1987, die Vorgängernorm zu § 489 I Nr. 2 BGB2010. Durch den Verfasser gekürzt wurde die Beschränkung auf inländische Gebietskörperschaften im Gegensatz zur EU, diese ist seit der Fassung der Regelung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht mehr aktuell. 565 Vgl. Mülbert, WM 2002, 465, 475; Köndgen, WM 2001, 1637, 1643. 566 § 609a I Nr. 2 BGB a.F. (Herv. d. Verf.). 567 Köndgen, WM 2001, 1637, 1642 zu § 609a BGB: „Dieser Mindestschutz kommt unter deutschem Recht unterschiedslos allen Schuldnern zugute, gleichgültig ob einer ein Arbeitnehmer mit 3500 DM Monatseinkommen oder die Siemens AG oder die EU oder die Weltbank ist; nur den Bund sowie inländische Gebietskörperschaften hat der Gesetzgeber von dieser Art Zwangsbeglückung freigestellt […] Die 10-Jahresfrist als Obergrenze für langfristige Verschuldung zu Festzinsen erweist sich damit gegenüber Kaufleuten und ausländischen öffentlichen Händen als sinnlose Überregulierung.“ Ausländische Gebietskörperschaften werden seit der Fassung der Vorschrift in § 489a BGB a.F. ausgenommen. 568 Köndgen, WM 2001, 1637. 564

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Gefahrenlage nicht nach der Qualität der Beratung und Verhandlungskompetenz bei Vertragsschluss, die bei wirtschaftlich starken Darlehensnehmern außer Frage steht, sondern nach der Einflusssituation nach Ablauf von zehn Jahren. Auch wirtschaftlich starke Akteure können unter Finanzierungsdruck geraten und nicht mehr in der Lage sein, geschäftliche Weichenstellungen gegen ihre Finanzierungsgeber durchzusetzen. Dies betrifft die Wahrung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit der Darlehensnehmer. V. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit Um herauszufinden, ob Ziel der Vorschrift (§ 489 I Nr. 2 BGB) die Wahrung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit ist, soll das gesamte Darlehenskündigungsrecht in den Blick genommen werden, das neben § 489 I Nr. 2 BGB noch weitere Besonderheiten zugunsten des Darlehensnehmers aufweist. 1. Der Schutz wirtschaftlicher Handlungsfreiheit auch durch §§ 489 II, 490 II S. 1 BGB und § 500 II BGB Wenn die wirtschaftliche Begünstigung des Darlehensnehmers durch das Kündigungsrecht nach 10 Jahren nur das Mittel zur Wahrung seiner Unabhängigkeit ist und die dann erfolgende Anpassung an das marktübliche Zinsniveau durch eine tatsächliche oder angedrohte Umschuldung nur der Weg, fügt sich § 489 I Nr. 2 BGB harmonischer in das Darlehenskündigungsrecht und seine Geschichte ein, als es zunächst den Anschein hat. Auch § 500 II BGB verfolgt keine rein wirtschaftliche Zwecksetzung. Bereits § 609a I Nr. 2 BGB1987, seine Vorgängernorm, sollte dezidiert nicht dazu dienen, „Umschuldungen zum Zwecke der Zinsanpassung an ein allgemein gesunkenes Zinsniveau“569 zu ermöglichen. Anders als § 489 I Nr. 2 BGB setzte er zudem keinen Ablauf einer erheblichen Bindungszeit voraus570 und konnte schon deswegen nicht die Anpassung von Vertragskonditionen an veränderte Verhältnisse bezwecken. Ziel dieser Vorschrift war dagegen die Beseitigung von Notlagen571, das Kündigungsrecht wurde „aus sozialen Gründen“ eingeräumt572. Diese Regelung wurde durch § 500 BGB noch aus-

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BT-Drs. 10/4741, S. 23. § 609a I Nr. 2 BGB1987: „Der Schuldner kann ein Darlehen, bei dem für einen bestimmten Zeitraum ein fester Zinssatz vereinbart ist, ganz oder teilweise kündigen, […] 2. wenn das Darlehen einer natürlichen Person gewährt und nicht durch ein Grund- oder Schiffspfandrecht gesichert ist, nach Ablauf von sechs Monaten nach dem vollständigen Empfang unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten; dies gilt nicht, wenn das Darlehen ganz oder überwiegend für Zwecke einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit bestimmt war“. 571 BT-Drs. 10/4741, S. 23. 572 Referentenentwurf, ZIP 1985, 1294. 570

E. Bindungsgrenze für Darlehensverträge

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geweitet573. Sie ist somit Zeugnis des zunehmenden Wertes, den das BGB der Erhaltung der wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Darlehensnehmers gegenüber Bindungsgefahren zumisst. Auch das Kündigungsrecht nach § 490 II S. 1 BGB soll nach überwiegender Meinung nicht zur Anpassung der Zinskonditionen eingesetzt werden dürfen574, dies wäre zudem auch kaum möglich575. Die Vorschrift beruht576 auf einer ursprünglich richterrechtlichen Rechtsfortbildung durch den BGH577, die dem Darlehensnehmer bei Vorliegen berechtigter Gründe gegen angemessene Vorfälligkeitsentschädigung einen Anspruch auf Entlassung aus dem Vertrag gewährte, weil das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme dies gebiete. Diese Rechtsfortbildung wurde stark kritisiert, weil sie „die Schleusen für die vorzeitige Kündigung von Festzinskrediten generell einen Spalt weit geöffnet [habe]“578, aufgrund von Erwägungen, die in „abenteuerliche[r] Formulierung“579 „geeignet [seien], unermesslichen dogmatischen Flurschaden anzurichten“580. Kernpunkt der Kritik ist die potenzielle Reichweite der Rechtsprechung, die an „Grundpfeilern der Schuldrechtdogmatik rüttel[e]“581, „in ihrer praktischen Breitenwirkung von größter Sprengkraft sein könnte“582 und „weit über Bankdarlehen hinaus[reiche, …] etwa auch viele Dienst- und wohl alle Gesellschaftsverträge erfassen [müsse]“. „Sogar ein Arbeitnehmer oder Wohnungsmieter könnte nicht sicher davor sein, unter ganz unsicheren Voraussetzungen von der anderen Partei mit Geld aus dem Vertrag herausgedrängt zu werden“583, denn „mit der Logik des BGH ließen sich mit Leichtigkeit auch langfristige Mietverträge zu Fall bringen“584. Dieser Kritik ist nicht zu folgen. Die Ausgangslage des Kündigungsrechts nach § 490 II S. 1 BGB und des früheren richterrechtlichen Kündigungsrechts ist ein Bedürfnis 573 An die Stelle einer Kündigung mit Wirkung nach frühestens 9 Monaten ist jederzeitige Rückzahlbarkeit getreten, jedoch um den Preis einer Vorfälligkeitsentschädigung. 574 Becher/Lauterbach, WM 2004, 1163, 1166, Fn. 59 m.w.N.; BeckOK-BGB/Rohe, § 490, Rn. 23: „Günstigere Zinskonditionen bei einem anderen Kreditgeber begründen alleine keinesfalls ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung nach S 1“; MünchKomm-BGB/Berger, § 490, Rn. 26: „Dagegen ist die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Darlehensnehmers im Hinblick auf das Grundpfandrecht nicht tangiert, wenn er, etwa im Rahmen einer Umschuldung, durch Ablösung des Kredits lediglich in den Genuss günstigerer Darlehenskonditionen bei derselben oder einer anderen Bank kommen möchte“. 575 Die Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 II S. 3 BGB erreicht den Gewinn aus der Differenz zwischen ursprünglich vereinbarten und derzeit martkgerechten Zinsen. 576 Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drs. 14/6040 v. 14.05.2001, S. 26; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/7052, S. 200. 577 BGHZ 136, 161, 164 ff.; BGH NJW 1997, 2878. 578 Köndgen, WM 2001, 1637. 579 Medicus, EwiR 1997, 922. 580 Köndgen, ZIP 1997, 1645. Vgl. Canaris, Vorfälligkeitsentschädigung, S. 1055, 1064. 581 Köndgen, ZIP 1997, 1645. 582 Köndgen, WM 2001, 1637. 583 Medicus, EwiR 1997, 922. 584 Köndgen, ZIP 1997, 1645.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

des Darlehensnehmers nach vorzeitiger Ablösung seines Kredits (wie etwa die anderweitige Verwertung einer beliehenen Sache, § 490 II S. 2 BGB), dessen Wert für den Darlehensnehmer das wirtschaftliche Interesse des Darlehensgebers am Fortbestand des Vertrags (den kumulierten Wert der Mehrzinsen gegenüber der absehbaren Marktentwicklung) übersteigt. Der Darlehensnehmer könnte in dieser Situation mangels Kündigungsrecht seine Pflichten aus dem Darlehensvertrag gegen den Willen des Darlehensgebers auch durch vorgezogene Zahlung sämtlicher ausstehender Beträge einschließlich zukünftiger Zinszahlungen nicht ablösen. Er ist in jedem Fall auf die Zustimmung des Darlehensgebers angewiesen, der vom Darlehensnehmer theoretisch eine Ablösungssumme fordern kann, die sein Erfüllungsinteresse übersteigt. Vor der Entscheidung des BGH hatten in der Tat „einige Kreditinstitute unter Missbrauch ihres Nachfragemonopols erhöhte Ablösungsentgelte gefordert“585. Dieses Vorgehen wird auch von der Kritik an der BGH-Rechtsprechung missbilligt und, in der Sache treffend, zurückgeführt auf eine durch das erhöhte Auflösungsbedürfnis586 stark beeinträchtigte „faktische[…] Entscheidungsfreiheit und […] Möglichkeit zu privatautonomer Selbstbestimmung“ 587. Sie diagnostiziert das „[Fehlen eines] funktionierenden Konditionenwettbewerb[s]“588 aufgrund der Abhängigkeit vom konkreten Darlehensgeber, der „seine Preise diktieren kann“589. Dieses „Monopol“ lässt sich jedoch nicht zugleich mit dem von § 490 II S. 1 BGB gewährten Kündigungsrecht als Beschränkung der Privatautonomie beklagen. Mit dem Kündigungsrecht bei der Pflicht zur Leistung einer Vorfälligkeitsentschädigung strebte der BGH einen plausiblen Kompromiss an, der inzwischen durch § 490 II BGB den Rang einer gesetzgeberischen Auflösung des Konfliktes besitzt. Dass der grundsätzliche Konflikt von Freiheit und Bindung auch bei Dienst-, Arbeitsund Mietverträgen auftritt und Gesichtspunkte der durch § 490 II S. 2 BGB geschützten Verwertungsfreiheit590 auch für die Begrenzung von Sachbindungen sprechen, ist kein Gegenargument. Denn auch für diese Bereiche bestehen die bekannten Wertungen der §§ 544, 624 S. 1 BGB, des § 15 IV S. 1 TzBfG oder des § 1136 BGB, auf den der BGH sich in seiner Ursprungsentscheidung ausdrücklich bezieht591. Entgegen Medicus sind Arbeitnehmer und andere Leistungsverpflichtete in Dauerschuldverhältnissen aufgrund unterschiedlicher Soziotypik zudem so lange vor Rechtsfortbildung sicher, wie nicht auch in diesem Verhältnissen ein vergleichbares Risiko wirtschaftlicher Abhängigkeit der Arbeitgeber und Vermieter festgestellt wird592. Dass eine unvertretbare wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer soziotypisch wird, steht nicht zu vermuten.

585

Köndgen, WM 2001, 1637, 1643. Bei dem Auflösungsbedürfnis dürfte es sich jedoch lediglich um eine starke Motivlage handeln, welche die Entscheidungsfreiheit nicht herabsetzt, sondern ihr Inhalt ist. Die Herabsetzung der Entscheidungsfreiheit ergibt sich aus der Abhängigkeit vom Darlehensgeber. 587 Canaris, Vorfälligkeitsentschädigung, S. 1055, 1056. 588 Canaris, Vorfälligkeitsentschädigung, S. 1055, 1057. 589 Köndgen, ZIP 1997, S. 1646. 590 Vgl. hierzu § 1136 BGB und bei § 544 BGB. 591 BGH NJW 1997, 2878, 2879. 592 Vgl. auch Canaris, Vorfälligkeitsentschädigung, der in diesem Zusammenhang auf den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers hinweist. 586

E. Bindungsgrenze für Darlehensverträge

175

Der – kritisierte593 – weite Anwendungsbereich der Regelung belegt, dass sich das Gesetz für einen nachdrücklichen Schutz der Handlungsfreiheit entschieden hat. So wollen BGH594 und Gesetzesbegründung595 die Kündigungsmöglichkeit – über „ein bloßes Notlagenprivileg weit hinaus“596, „international ungewöhnlich“ – auch bei rein wirtschaftlichen Motiven gewähren597. Dies geht über einen Schutz privater Freiheit in Bedrängnis hinaus. Es statuiert ein Recht, seine bedrohte wirtschaftliche Handlungsfreiheit zu wahren, wie der BGH ausdrücklich formuliert598. Das Abstellen auf die Freiheit des Darlehensnehmers, seine zur Sicherung des Darlehens beliehene Sache anderweitig zu verwerten, ist der Schutz einer Freiheit zu wirtschaftlicher Beweglichkeit599. Aufschlussreich ist auch der Umstand, dass durch das Kündigungsrecht nach § 490 II BGB der Bank kein wirtschaftlicher Nachteil entsteht, der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber „denjenigen Schaden zu ersetzen [hat], der diesem aus der vorzeitigen Kündigung entsteht“ (§ 490 II S. 3 BGB600), ohne dass dieser Schaden wie etwa bei §§ 501, 502 I BGB begrenzt wäre. Ziel der Regelung ist demnach keine Befreiung des Darlehensnehmers von den wirtschaftlichen Konsequenzen seines Vertragsschlusses oder auch nur eine wirtschaftliche Besserstellung, sondern

593 Kritisiert wurde etwa, dass die Regelung nicht auf soziale Härtefälle beschränkt wurde, sondern auch wirtschaftliche Kündigungsmotive mitumfasst: BeckOK-BGB/Rohe, § 490, Rn. 23; Nachweise bei Köndgen, Vorfälligkeitstilgung, S. 102, vgl. bereits S. 69 ff. 594 Vgl. bereits obiter BGHZ 136, 161 = NJW 1997, 2975, 2877. 595 BT-Drs. 14/6040, S. 255. 596 Köndgen, Vorfälligkeitstilgung, S. 69. 597 Vgl. auch das Beispiel von MünchKomm-BGB/Berger, § 490, Rn. 26: „Die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Darlehensnehmers ist aber auch dann betroffen, wenn er das belastete Grundstück zur Absicherung eines erheblich umfangreicheren, bei der kreditgebenden Bank nicht erhältlichen Kredits benötigt.“ 598 BGHZ 136, 161: „Darin läge ein Eingriff in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Kreditnehmers, die das Gesetz – wie § 1136 zeigt – gerade auch bei der grundpfandrechtlichen Bealstung von Grundstücken gewahrt wissen will“ (Herv. d. Verf.). 599 MünchKomm-BGB/Berger, § 490, Rn. 26: „Das in S. 1 genannte berechtigte Interesse des Darlehensnehmers an der Vertragsbeendigung ist danach immer nur dann gegeben, wenn durch eine Weigerung der Bank, den Vertrag vorzeitig zu beenden, seine wirtschaftliche Handlungsfreiheit gerade im Hinblick auf das Grundpfandrecht tangiert ist“ (Herv. d. Verf.). Vgl. auch BGHZ 136, 161 wie soeben zitiert und Staudinger/Mülbert, § 490, Rn. 57, 64 m.w.N. 600 Vgl. bereits BGHZ 136, 161: „Da den Kl. somit ein Anspruch auf Einwilligung in die vorzeitige Kreditabwicklung gegen eine die Interessen der Bekl. wahrende Vorfälligkeitsentschädigung zustand, durfte die Bekl. für ihre Zustimmung entgegen der Ansicht des BerGer. nicht jeden beliebigen ‚Preis‘ bis zur Grenze des § 138 BGB verlangen. Sie konnte vielmehr nur den Ausgleich der Nachteile beanspruchen, die ihr durch die vorzeitige Kreditablösung entstanden.“

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

allein die Wahrung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit601 vor dem Einfluss seines Finanzierungsgebers. Die Gesetzgebungsgeschichte der Darlehenskündigung durch den Darlehensnehmer kann also auch als Entwicklung zu verstärkter Wahrung wirtschaftlicher Handlungsfreiheit verstanden werden. Hierzu passt es, den § 489 I Nr. 2 BGB als Norm zum Schutz wirtschaftlicher Handlungsfreiheit einzuordnen, wie es in der Literatur geschieht602. Auch ein weiteres Argument spricht für einen Schutz der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit durch § 489 I Nr. 2 BGB. § 489 V S. 2 Hs. 2, II BGB ordnet an, dass ein Kündigungsausschluss nur vereinbart werden kann, wenn der Zinssatz für die gesamte Vertragslaufzeit als feststehende Prozentzahl ausgedrückt wird; andernfalls gilt der Zinssatz als veränderlich i.S.d. § 489 II BGB. Diese hohen Anforderungen lassen sich damit begründen, dass die von langfristig gebundenen Darlehen ausgehende Gefahr für die wirtschaftliche Selbstbestimmung erfordert, die wirtschaftlichen Konsequenzen der Bindung durch Kenntnis der genauen Zinsziffer und ihre ungefähre Einordnung in den Marktzusammenhang abschätzen zu können. Wo dies nur unzulänglich möglich ist (§§ 489 I Nr. 1, 2, II, 500 II BGB), schützt das Gesetz die Handlungsfreiheit vor dieser unkündbaren Bindung und die in den Materialien angesprochene Anpassung des Zinssatzes an das Marktniveau ist nur der Weg, dieses Ziel zu erreichen. 2. Der Vorrang der Kündigung vor der Vertragsanpassung Wenn § 489 I Nr. 2 BGB dem Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit dient, macht auch der angesprochene Unterschied zu § 313 III BGB Sinn, denn durch das unmittelbare Kündigungsrecht wahrt der Darlehensnehmer seine Finanzierungsautonomie. Es bietet die Möglichkeit, sich dem wirtschaftlichen Einfluss eines konkreten Finanzierungsgebers zu entziehen und einen Wechsel des Darlehensgebers zu ermöglichen. Durch eine periodische Anpassung des Zinssatzes allein verlöre der Darlehensgeber noch nicht seinen Status und Einfluss als Finanzier. Anders als § 313 BGB erlaubt § 489 I Nr. 2 BGB auch dann den Wechsel zu einem anderen Finanzierungsgeber, wenn die angebotenen Konditionen identisch sind. Nur durch ein unmittelbares Kündigungsrecht vermag der Darlehensnehmer sich sowohl dem

601 Für die wirtschaftliche Handlungsfreiheit als Ziel der Norm schon Berger, Kreditvertragsrecht, S. 1; vgl. auch MünchKomm-BGB/Berger, § 490, Rn. 26, Fn. 88. 602 Schimansky/Bunte/Lwowski/Bruchner/Krepold, § 79, Rn. 2: „§ 489 Abs. 1 Nr. 3 BGB begrenzt den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechtes auf höchstens 10 Jahre; dadurch soll eine übermäßige Bindung an den Darlehensgeber vermieden und eine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit im Kern erhalten bleiben“; MünchKomm-BGB/Berger, § 489, Rn. 3.

F. Bindungsgrenzen für AGB und Versicherungsverträge

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Zinssatz als auch dem Einfluss des Darlehensgebers zu entziehen603. Das Ziel, die Unabhängigkeit des Darlehensnehmers zu wahren, erklärt somit neben der Einseitigkeit des durch § 489 I Nr. 2 BGB verliehenen Kündigungsrechts auch seine Unmittelbarkeit. VI. Zwischenergebnis zum Zweck der Bindungsgrenze in Darlehensverträgen Die darlehensrechtliche Bindungsgrenze schützt Darlehensnehmer in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit vor dem bestimmenden Einfluss von Darlehensgebern. § 675h I BGB enthält eine – einseitige – Bindungsgrenze, die Kontowechsel ermöglichen soll604. Auch dies scheint auf einen besonderen Schutz der Partnerwahlfreiheit bei den Zahlungsdiensterahmenverträgen ob ihres grundlegenden Stellenwertes hinzudeuten, respektive auf einen Schutz des Wettbewerbs. Tatsächlich handelt es sich jedoch wohl um eine reine Verbraucherschutzvorschrift, da die Vorschrift für Nichtverbraucher aufgrund ihrer Disponibilität605 keine Bindungsgrenze enthält606.

F. Zweck der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Versicherungsverträgen F. Bindungsgrenzen für AGB und Versicherungsverträge

I. Bindungsgrenzen des AGB-Rechts (§§ 307 I, 309 Nr. 9 BGB) Die Begrenzung von Bindungszeiten in AGB-Klauseln („Mindestvertragslaufzeit“) ist ebenso praxisrelevant wie unübersichtlich. Praktisch werfen Verträge, bei denen längerfristige Kündigungsausschlüsse vorgesehen sind, regelmäßig so viele Regelungsfragen auf, dass der Einsatz von AGB sich anbietet und nach der soweit strengen Rechtsprechung des BGH in der Regel auch der vereinbarten Mindestvertragslaufzeit AGB-Charakter verleiht607. Die Klauselkontrolle nach den §§ 309 Nr. 9, 307 I BGB tritt in diesem Fall als Begrenzungsmaßstab an die Stelle der in dieser Arbeit erörterten Bindungsgrenzen. Unübersichtlich ist die Bindungsbegrenzung im Rahmen der Klau603

Für die Wahrung wirtschaftlicher Handlungsfreiheit als Ziel des § 489 I Nr. 2 BGB spricht auch die Verwandtschaft zur Bierlieferungsrechtsprechung, die ebenfalls der Gefahr dauerhafter wirtschaftlicher Abhängigkeit von langfristigen Kreditgebern begegnet, vgl. unten, Kap. 3, G.I. Richterrechtliche Begrenzung von Bierlieferungsverträgen. 604 MünchKomm-BGB/Casper, § 675h, Rn. 3. 605 § 675e Abs. 4 BGB; MünchKomm-BGB/Casper, § 675h, Rn. 4. 606 Vgl. auch Erwägungsgründe Nr. 20, 29 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (ZDRL), deren Art. 45 durch § 675h BGB umgesetzt wird. 607 Vgl. etwa den Fall BGH NJW 2005, 1574, bei dem die konkrete Vertragslaufzeit handschriftlich eingetragen wurde.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

selkontrolle deshalb, weil außerhalb des Anwendungsbereichs des § 309 Nr. 9 BGB nach der Generalklausel des § 307 I 1 S. 1 BGB für jeden Einzelfall unterschiedliche Maßstäbe gelten und unterschiedliche Mindestvertragslaufzeiten zulässig sind 608. Für die gesamte Mannigfaltigkeit der Einzelfälle sei auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen609. Im Grundsatz gilt jedoch, dass zeitlich unbegrenzte Kündigungsausschlüsse in AGB kaum jemals möglich sein werden610. Für die in § 309 Nr. 9 BGB genannten Verträge gilt gegenüber Verbrauchern die Bindungsgrenze von maximal611 zwei Jahren. Auch Mobilfunkverträge fallen etwa unter diese Vorschrift612. In Wohnungsmietverträgen sind Ausschlüsse bis zu vier Jahren denkbar613, einseitige Ausschlüsse zulasten des Wohnungsmieters jedoch allenfalls gegen Gewährung entsprechender Vorteile614. Auf derartige Gegenleistungen kommt es auch bei Mindestvertragslaufzeiten gegenüber Unternehmern im Einzelfall entscheidend an615. Einen Orientierungswert bietet ein Korridor von drei616 bis fünf617 Jahren Bindungszeit einerseits, die auch ohne entsprechenden Ausgleich zulässig sein können618, bis zu zehn619 Jahren Bindungszeit andererseits, deren Überschreitung regelmäßig zu Unwirksamkeit führt620. Ge-

608

BGH NJW-RR 2012, 249; BGHZ 143, 104. U.a. Staudinger/Coester, § 307, Rn. 536 ff. m.w.N.; Palandt/Grüneberg, § 309, Rn. 96; MünchKomm-BGB/Wurmnest, § 309 Nr. 9, Rn. 21 f. jeweils m.w.N. 610 Vgl. hierzu OLG Stuttgart OLGZ 1990, 249, 253. 611 Maximal, da parallel auch eine Prüfung nach § 307 I 1 S. 1 BGB stattzufinden hat, die ggf. einen strengeren Maßstab bildet. 612 Zur AGB-rechtlichen Zulässigkeit von Vertragslaufzeiten bis zu 2 Jahren OLG Hamm, MDR 2010, 1175. 613 BGH NJW 2005, 1574; 2011, 597; NZM 2011, 150; NZM 2005, 419. 614 BGH NJW 2009, 912: „Der einseitige, formularmäßige und allein den Mieter belastende Kündigungsrechtsausschluss außerhalb einer Staffelmietvereinbarung hält der Klauselkontrolle – insoweit Abgrenzung von Senat NJW 2004, 1448 – nicht stand“; vgl. auch LG Duisburg, NZM 2003, 354: „Ein in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarter vierjähriger Kündigungsausschluss, der nur für den Mieter gilt, ist unwirksam.“ 615 BGH NJW-RR 2012, 249. 616 Staudinger/Coester, § 307, Rn. 538. 617 BGH NJW 2001, 2331; Staudinger/Coester, § 307, Rn. 541; für Haftpflicht-, Unfallund Sachversicherung; MünchKomm-BGB/Kieninger, § 307, Rn. 160; BGHZ 127, 35 einerseits und BGH NJW 1995, 2710 andererseits. Für Verträge über Telekommunikationsanlagen Strauß NJW 1995, 697, 699 f.; MünchKomm-BGB/Wurmnest, § 309 Nr. 9, Rn. 11. 618 Bewachungsvertrag, MünchKomm-BGB/Kieninger, § 307, Rn. 109. 619 BeckOK-BGB/Becker, § 309 Nr. 9, Rn. 34 ff.; Palandt/Grüneberg, § 309 Nr. 9, Rn. 6; BGH NJW 2000, 1110; NJW 2003, 1313. Zur Wirkung der Gegenleistung bei der Verlängerung des zulässigen Bindungszeitraums auf bis zu 10 Jahre BGH NJW-RR 1997, 942, 943 und BGH NJW 2003, 886, 888. 620 Vgl. BGH NJW 1997, 3022, 3024. 609

F. Bindungsgrenzen für AGB und Versicherungsverträge

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rechnet wird hierbei nicht vom Vertragsbeginn, sondern bereits vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses621. 1. Klauselkontrolle zum Schutz von Verbrauchern als Klauselgegnern (§ 309 Nr. 9 BGB) Keine Bindungsgrenze des BGB ist nominal strenger als § 309 Nr. 9 BGB. Zwei Jahre ist das Maximum an Mindestvertragslaufzeit, das gegenüber Nichtunternehmern622 (§ 310 I 1 S. 1 BGB) in AGB für die bezeichneten Vertragstypen ausbedungen werden darf. Wie drastisch diese knappe Bemessung der Höchstbindungszeit ist, wird daran deutlich, dass außerhalb ihres Anwendungsbereichs auch in AGB regelmäßig ein Vielfaches an Bindungszeit ausbedungen werden kann (§ 307 I 1 S. 1 BGB)623. Auch im Übrigen gelten bei der AGB-rechtlichen Kontrolle von Bindungsgrenzen besonders strenge Maßstäbe, die bei Verträgen zu kürzeren Bindungszeiten als nach den jeweils einschlägigen gesetzlichen Bindungsgrenzen oder der Kontrolle nach § 138 I BGB führen. Wird etwa die Ausschließlichkeitsbindung von Bierlieferungsverträgen nach § 138 I BGB für 15–20 Jahre zugelassen, beträgt dieser Zeitraum für Ausschließlichkeitsbindung in AGB nur 5–10 Jahre. Teilweise werden Bindungsgrenzen für Dauerschuldverhältnisse begründet, die bei individualvertraglicher Vereinbarung keine speziellen gesetzlichen Bindungsgrenzen kennen.

Jede Erklärung der Bindungsbegrenzung durch § 309 Nr. 9 BGB muss einen spezifischen Grund für die Verkürzung der Bindungszeiten gegenüber Individualverträgen nennen. Generelle Begründungen für Bindungsbegrenzung überhaupt, wie sie in Urteilsgründen gelegentlich angeführt werden, reichen in dieser Hinsicht nicht aus. So führt der BGH hinsichtlich Ausschlussklauseln in Wohnungsmietverträgen aus, die Bindungsbegrenzung schütze die Dispositionsfreiheit des Mieters, seine „Mobilität und Flexibilität“ in ihrer „zunehmende[n] Bedeutung“ „in der heutigen modernen Gesellschaft“624. Diese Begründungen sind unvollständig, weil individualvertragliche Kündigungsausschlüsse Mobilität und Flexibilität des Mieters im selben Maße beeinträchtigen. Für die knappe Bemessung der zweijährigen Bindung in § 309 Nr. 9 BGB hat eine Kombination aus den Besonderheiten von AGB und der allgemeinen Schutzwürdigkeit von Verbrauchern Bedeutung. Besondere gesetzgeberische 621

Statt aller BGH NJW 2011, 597. Genauer: Gegenüber allen mit Ausnahme von Unternehmern, juristischen Personen des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtlichen Sondervermögen. 623 So ist in einem BLV nach § 309 Nr. 9 BGB eine Ausschließlichkeitsbindung von maximal 2 Jahren statthaft (Staudinger/Coester-Waltjen, § 309 Nr. 9, Rn. 12), nach § 307 I BGB eine Bindung von bis zu zehn Jahren (BGH NJW 2001, 2331; Staudinger/ Coester, § 307, Rn. 539), außerhalb von AGB sogar bis zu 20 Jahre. 624 BGH NJW 2011, 597. 622

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Wertungen und die weiteren Voraussetzungen des § 309 Nr. 9 BGB können nur eine untergeordnete Rolle spielen. Denn da im Anwendungsbereich des § 309 I BGB (nach allerdings bestrittener625 Ansicht) eine parallele Prüfung am Maßstab des § 307 I 1 S. 1 BGB durchgeführt wird626, die teilweise sogar zu einer strengeren Bemessung von Bindungszeiten führt627, muss die generelle ratio der knappen Begrenzung bereits in den allgemeinen im Recht enthaltenen Wertungen enthalten sein, die sich in „den Geboten von Treu und Glauben“628 des § 307 I BGB niederschlagen629. Die Auflistung von Vertragstypen in § 309 Nr. 9 BGB kann schon deswegen nicht wesentlich für die Verkürzung der Bindungszeit sein, weil über § 307 I 1 S. 1 BGB zugunsten von Verbrauchern auch für solche Verträge schärfere Bindungsgrenzen entwickelt wurden, die in § 309 Nr. 9 BGB nicht aufgeführt sind630. Der Status der Verbraucher muss hingegen relevant sein, weil aus § 307 I S. 1 BGB für Kündigungsausschlüsse gegenüber Unternehmern großzügigere Bindungsmöglichkeiten gewonnen werden als bei einer Prüfung von Bindungsmöglichkeiten gegenüber Verbrauchern an demselben § 307 I S. 1 BGB631. Entscheidend für die Begrenzung ist jedoch der Klauselcharakter der Kündigungsausschlüsse. Mit der Einstufung eines Kündigungsausschlusses als AGB steht und fällt die Bindungsbegrenzung. Denn auch Mindestvertragslaufzeiten gegenüber Unternehmern sind nur mit gewissen Begrenzungen zulässig. Die Individualvertraglichkeit der Vereinbarung von Kündigungsausschlüssen führt hingegen regelmäßig zu einer weitergehenden Zulässigkeit von Mindestvertragslaufzeiten632. Auch gegenüber Verbrauchern kann die 625

So für Zeitungsabonnements und Fitnessverträge Palandt/Grüneberg, § 309, Rn. 94. OLG Hamm NJOZ 2010, 2157; BGHZ 120, 108; OLG Hamburg, MDR 1999, 1128; NJW-RR 1987, 47. 627 BGHZ 120, 108 = NJW 1993, 326, 328: „Auch wenn damit die zweijährige Bindungsfrist des § 11 Nr. 12a AGB-Gesetz nicht erreicht wird, ist eine Kontrolle des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit und der sich daraus ergebenden bindenden Restlaufzeit des Vertrags am Maßstab des § 9 AGB-Gesetz möglich, weil der Gesetzgeber in § 11 Nr. 12a AGB-Gesetz nur Höchstfristen festlegen wollte, deren Überschreitung die Klausel stets unwirksam macht“. Für Zeitungsabonnements OLG Hamburg, MDR 1999, 1128; NJW-RR 1987, 47. Am Maßstab des § 307 I Nr. 1 BGB ergibt sich für Mobilfunktverträge eine zulässige Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten, OLG Hamm NJOZ 2010, 2157. 628 § 307 I 1 S. 1 BGB. 629 § 307 I S. 1 BGB. 630 Vgl. die Wohnungsmiete, die für bis zu 4 Jahre zulässig ist, BGH NJW 2005, 1574; 2011, 597; MünchKomm-BGB/Coester-Waltjen, § 309 Nr. 9, Rn. 11. 631 MünchKomm-BGB/Wurmnest, § 309 Nr. 9, Rn. 21 f. 632 In diesen Fällen gelten allein die bereits behandelten übrigen Bindungsgrenzen (§§ 489 I Nr. 2, 544, 624 S. 1 BGB etc.), die in der Mehrzahl nur auf bestimmte Vertragstypen Anwendung finden. 626

F. Bindungsgrenzen für AGB und Versicherungsverträge

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ordentliche Kündbarkeit individualvertraglich auf Jahrzehnte ausgeschlossen werden633. Gegenüber Wohnungsmietern können individualvertraglich bis zu dreißigjährige Bindungen vereinbart werden (§ 544 S. 1 BGB)634, in AGB jedoch nur Bindungen von bis zu 4 Jahren. Die Erklärung des § 309 I Nr. 9 BGB muss dementsprechend bei der Schutzbedürftigkeit des Gebundenen als Verwendergegenseite ansetzen. a) Unterlegenheit des Klauselgegners Ausgehend von den Charakteristika von AGB liegt es nahe, die Erheblichkeit der Verkürzung in dem von Lorenz angesprochenen Wechselspiel von Entscheidungsfreiheit im Abschlusszeitpunkt und der Reichweite zulässiger Inhalte zu suchen: „Je sensibler die Rechtsordnung gegenüber Störungen der Entscheidungsfreiheit im Vertragsanbahnungsprozeß ist, desto mehr kann sie im Falle rechtlich nicht zu beanstandender Vertragsanbahnung den Grundsatz der Vertragstreue betonen […].“635 Umgekehrt könnte gelten, dass Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit zu einer Begrenzung der Bindungskraft der abgegebenen Erklärung führen, wie sie etwa § 309 Nr. 9 BGB darstellt. Eine erste derartige Einschränkung der Entscheidungsfreiheit bildet das „typische[n] Machtgefälle[s] zwischen Vertragspartnern“, also die typische wirtschaftliche und intellektuelle Überlegenheit des Klauselverwenders636. Die Überlegenheit des Klauselverwenders schafft als Erklärungsmodell der AGB-rechtlichen Bindungsgrenzen jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten, denn Überlegenheitssituationen sind nicht auf die AGB-Verwendung beschränkt. Das Problem, weswegen für individualvertragliche Verbraucherverträge keine Bindungsgrenzen gelten sollen, für denselben Vertrag in AGB jedoch eine Bindungsgrenze von nur zwei Jahren, stellt sich beim Abstellen auf die Überlegenheitssituation in aller Schärfe. Auch wenn AGB das „typische[s] Machtinstrument“ von „Verhandlungsüberlegenheit“ sein mögen637, kann ein Wohnungsmieter gerade im Falle seiner Verhandlungsunterlegenheit auch individualvertraglich seine Interessen nicht wesentlich besser wahren als gegenüber einer Verwendung von AGB, sodass eine Heraufsetzung der Bin633 Für Kauf- und somit Bezugsverträge bestehen nach Gesetz und Rechtsprechung, abgesehen von Fällen des Ausschlusses der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit, individualvertraglich keine ausdrücklichen Bindungsgrenzen. An sich könnte etwa das Zeitungsabonnement eines Verbrauchers für Jahrzehnte unkündbar abgeschlossen werden, eine Grenze bildet nur die Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu § 138 BGB. 634 BGH NJW 2013, 2820: „Entgegen der Auffassung des BerGer. kann ein Kündigungsausschluss im Wege der Individualvereinbarung auch für einen Zeitraum vereinbart werden, der über die bei einer allgemeinen Geschäftsbedingung höchstens zulässige Frist von vier Jahren deutlich hinausgeht“. 635 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 513. 636 Staudinger/Schlosser, Vor §§ 305 ff., Rn. 3. 637 Ebd.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

dungszeit von 4 Jahren638 auf 30 Jahre639 hieraus kaum zu rechtfertigen wäre. Eine Entwicklung von allgemeinen Bindungsgrenzen für den Fall der Unterlegenheit eines Vertragspartners im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hat bisher nicht stattgefunden, der Verbraucherschutz soll sich dezidiert auf AGB beschränken640. Die Frage ist wichtig, weil sie erhebliche Rückwirkung auf die Weise hat, in der auch die übrigen Regeln zur Bindungsbegrenzung zu verstehen sind. § 309 Nr. 9 BGB bleibt in seinem Anwendungsbereich zudem nicht nur hinter klassischen Unterlegenheitskonstellationen zurück, er geht auch darüber hinaus: Auch wenn der Klauselsteller als Verbraucher handelt, bleibt § 309 Nr. 9 BGB gegenüber Verbrauchern anwendbar (§ 310 I, II BGB a contrario), ohne dass es bei einem Verbraucher Gründe für eine externe (also wirtschaftliche oder intellektuelle) Überlegenheit gäbe. Die einzige Überlegenheit eines AGB stellenden Verbrauchers gegenüber einem anderen Verbraucher als Klauselgegner liegt in der AGB-Verwendung selbst. b) Motivationsgefälle zwischen Klauselverwender und Klauselgegner Bereits aus der AGB-Verwendung selbst folgt eine Form Überlegenheit, nämlich das Motivationsgefälle, das aus der unterschiedlichen Bedeutung der Klauseln für die Vertragspartner herrührt. Der Verwender bestimmt die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen, für den Klauselgegner stehen bei einzelnen Klauseln demgegenüber nur verhältnismäßig geringe Interessen in Frage. Verhalten sich beide Seiten rational, kann der Klauselgegner in die (rechtliche) Prüfung der AGB und einen Vergleich mit den Konditionen von Konkurrenten sowie überhaupt in die Beschäftigung mit dem AGB-Inhalt nur geringere Ressourcen investieren als der Verwender, der die Kosten auf eine Vielzahl von Transaktionen umlegen will (rationales Desinteresse)641. Das typische Motivationsgefälle zwischen Klauselverwender und Klauselgegner beruht auf den Charakteristika von AGB 642, liefert einen Grund für die Nichtbegrenzung individuell vereinbarter Mindestvertragslaufzeiten in Verbraucherverträgen und erklärt, weshalb ein Verbraucher vor dem Klauselverwender auch dann geschützt werden muss, wenn dieser selbst Verbraucher ist (und auf fremde Klauselformulierungen zurückgreift). Auch in der Literatur wird der Grund für § 309 Nr. 9 BGB nicht in weitergehenden Zwecken gesehen, sondern allein in „der Korrektur fehlenden Aushandelns“643, also 638

BGH NJW 2005, 1574; 2011, 597. § 544 BGB. 640 Vgl. Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05.04.1993. 641 Vgl. Staudinger/Schlosser, Vor §§ 305 ff., Rn. 4. 642 § 305 I S. 1 BGB: „für eine Vielzahl von Verträgen vorfoumliert[e] Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen […] stellt“. 643 BeckOK-BGB/Becker, § 309 Nr. 9, Rn. 5: „Daneben wirken sich die zeitlichen Höchstgrenzen der Dauerschuldverhältnisse inzident auch heilsam auf den Wettbewerb aus 639

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dem Modus eines Vertragsschluss durch AGB. Um festzustellen, ob die Erklärung des § 309 Nr. 9 BGB tatsächlich in diesem Motivationsgefälle liegt, bedarf es eines genaueren Verständnisses von der Ableitung der Inhaltskontrolle. Trotz des angesprochenen Motivationsgefälles lässt der Gesetzgeber die Verwendung von AGB zu. Das Motivationsgefälle stellt die Zulässigkeit von AGB auch nicht in Frage, sondern rechtfertigt ihre Verwendung als eine praktikable Lösung. Die intensive Auseinandersetzung wenigstens eines Teils mit den Regelungsherausforderungen einer Wirtschaftsbeziehung ist ebenso wenig zu kritisieren wie die Rechtssicherheit, die der Einsatz von AGB befördert. Die möglicherweise problematische Einseitigkeit dieser Auseinandersetzung liegt in der Entscheidung des AGB-Gegners. Er ist nicht daran gehindert, die Konditionen (möglicherweise auch rechtlich) beraten zu prüfen und andere Konditionen auszuhandeln. Durch die Zulässigkeit von AGB erhält der Vertragspartner des Verwenders indes die Möglichkeit, aufgrund der Vorarbeit des Verwenders zu geringeren Transaktionskosten zu kontrahieren. Er kann sich gegen Verhandlungen im Einzelnen entscheiden, wenn die hieraus zu erwartende Verbesserung seiner Vertragsposition den Aufwand für ihn nicht lohnt. Dass seine Rechtsposition durch die AGB in überschaubarem Umfang verschlechtert wird, nimmt er hin. Für eine staatliche Intervention besteht insoweit kein Grund. Dieses beidseitig vorteilhafte Modell erfordert jedoch, dass der Klauselgegner dem Verwender eine Blankettermächtigung für die Vertragsformulierung erteilt. Diese beruht auf dem Vertrauen, dass die Konditionen sich im Rahmen des Üblichen und Erwartbaren halten. Die AGB-Regelungen dürfen sich daher im Streitfall für den Klauselgegner nicht als so ungünstig erweisen, dass erstens das ganze Modell scheitert, weil der Klauselgegner in seinem eigenen Interesse gehalten ist, künftig auf individuellem Aushandeln zu bestehen, wenn für den Verwender Abweichungen vom dispositiven Recht wichtig sind. Zweitens ist der Klauselverwender schon aus dem Gedanken seiner praktischen Ermächtigung, die Vertragsregelung als Sache beider Vertragsteile zu besorgen, nicht als gänzlich pflichtenfrei zu denken. Es ist drittens möglicherweise sogar zweifelhaft, ob die pauschale Zustimmung des AGB-Gegners zur Geltung von AGB nicht als von vornherein derart beschränkt verstanden werden muss, dass sie für Klauseln außerhalb des Üblichen (§ 305c I BGB) und des als ausgeglichene Regelung Vertretbaren (MünchKommBGB/Kieninger Rn. 1), weil sie eine gewisse Nachfragefluktuation und somit auch die Aufrechterhaltung eines umworbenen Nachfragemarktes ermöglichen. Diese Wirkung ist aber Rechtsreflex, nicht Regelungszweck. Denn Nr 9 ist Konkretisierung der Klauselverbote §§ 305c, 307. Sie dient dem Schutz der Verwendergegenseite vor Übervorteilung durch missbräuchliche Gestaltung der Vertragsbedingungen und damit allein der Korrektur fehlenden Aushandelns – nicht hingegen dem Schutz der allgemeinen Rechtsordnung.“

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(§§ 307 ff. BGB) nicht gilt. Daher ist eine Inhaltskontrolle notwendig und gerechtfertigt. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass just die Bindungszeit durch die Inhaltskontrolle drastischen Grenzen unterworfen wird. Die Bindungszeit kann selbst punktuell unbedeutende Verträge durch Multiplikation der Vertragslast relevant werden lassen644. Hierdurch lässt sich die knappe Bemessung der Bindungszeit in § 309 Nr. 9 BGB erklären. Zweijährige Bindung ist demnach die vom Gesetzgeber angenommene Grenze, ab der eine solche Relevanz der in der Vorschrift genannten Verträge anzunehmen ist, dass das rationale Desinteresse des Klauselgegners seine Rationalität verliert645. Auch die parallele Prüfung nach § 307 I 1 S. 1 BGB und die für bestimmte Situationen auch knapper bemessenen Bindungszeiten646 lassen sich so erklären, da je nach Vertragstyp und übriger Vertragsgestaltung (der Vertragslast) die Relevanzschwelle bereits früher beginnen kann. Mit Becker lässt sich § 309 Nr. 9 BGB damit begründen, dass lange Laufzeiten nicht in AGB „versteckt“, dass „Verheimlichungen kein Raum gelassen werden [soll]“647. Wenn eine Vertragspartei gegenüber einem Verbraucher eine über zweijährige (bei Wohnungsmiete: über vierjährige) Bindungszeit zu vereinbaren wünscht, muss er diese Mindestvertragslaufzeit danach zur Sprache bringen. 2. Klauselkontrolle zum Schutz von Unternehmern als Klauselgegnern, § 307 I 1 S. 1 BGB Den Schutz von Unternehmern vor Mindestvertragslaufzeiten in AGB zu erklären, stellt sich demgegenüber prima facie als schwieriger dar. Einige Erklärungsansätze scheiden von vornherein aus. Aufgrund der Professionalität unternehmerischer Geschäftsbeziehungen lassen sich Annahmen wie eine informationelle Überlegenheit des Verwenders auch nicht als typisch aufrechterhalten. Ebenso wenig lässt sich typischerweise von einer wirtschaftlichen Überlegenheit der Verwender- oder der Gegenseite ausgehen. Wirtschaftlich starke Parteien treten gegenüber anderen sowohl anbietend als auch nachfragend auf, sowohl als Verwender als auch als Gegner von AGB, gege644

Vgl. Bydlinski, Vertragsbindung, S. 14. BGH NJW-RR 1986, 982 (Haarteilservicevertrag) zu § 309 Nr. 11 BGB: „Diese Regelung trägt dem Gedanken Rechnung, daß eine derart lange Laufzeit wegen ihrer essentiellen Bedeutung für den Vertragsinhalt nicht lediglich in vorformulierten Geschäftsbedingungen enthalten, sondern zum Gegenstand individueller Vereinbarung gemacht werden sollte. Damit ist nur das Gewicht einer langfristigen Bindung anerkannt, aber keine Abwertung solcher Bindung im Sinne grundsätzlicher Bedenklichkeit vorgenommen worden.“ 646 OLGR Saarbrücken 2004, 295 ff.; BGH NJW 1985, 2585. 647 BeckOK-BGB/Becker, § 309 Nr. 9, Rn. 4, unter Verweis auf Ulmer/Brandner/ Hensen/Christensen, § 11 Nr. 12, Rn. 1. 645

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benenfalls auch als beides zugleich. Ein Motivationsgefälle gegenüber der Gegenpartei besteht für Unternehmer nur außerhalb des Geschäftsfelds, in dem sie ständig tätig werden. § 307 I 1 S. 1 BGB schützt jedoch ohne Ansehen des jeweiligen Geschäfts und der Einseitigkeit oder Beidseitigkeit648 des Verwendens von AGB jeden Unternehmer, dem AGB gestellt werden. Die Unternehmerdefinition bringt es mit sich, dass ein erheblicher Teil der getätigten und nach § 307 I S. 1 BGB geschützten Rechtsgeschäfte sich für den Geschützten regelmäßig wiederholt. a) Rationalisierung Eine Begründung für den weitreichenden Schutz von Unternehmern vor Bindungsklauseln liegt darin, dass Unternehmer die Möglichkeiten und ebenbürtige Motivation besitzen mögen, AGB zu kontrollieren und gegebenenfalls Einzelbedingungen auszuhandeln, sie dies aber vermeiden möchten. Das Rationalisierungspotenzial von AGB ist über Konstellationen unzureichender Motivation hinaus nutzbar. Auch und gerade bei einer Vielzahl von Verträgen mit einer Vielzahl unterschiedlicher Vertragspartner und jeweils unterschiedlichen AGB kann es für einen Unternehmer ökonomisch sinnvoll sein, die Prüfung der AGB auf offenkundige Einseitigkeiten zu beschränken, auch wenn er sich eine genauere Prüfung im Hinblick auf die Bedeutung des Geschäftes an sich lohnen würde. Der Zweck von AGB sowohl gegenüber Verbrauchern als auch gegenüber Unternehmern lässt sich unter den allgemeineren Begriff der Rationalisierung fassen649. Im ersten Fall handelt es sich um eine rational zwingende, im zweiten Fall um eine lohnende Rationalisierung. Die Inhaltskontrolle durch das Recht entlastet nach dieser Erklärung den Unternehmer von der unbedingten Notwendigkeit einer eigenen Kontrolle. b) Einwand eines verkehrten Schutzes von Verbrauchern und Unternehmern Gegen das Rationalisierungsmodell könnte zunächst sprechen, dass es zum widersinnigen Ergebnis führt, dass gegenüber Unternehmern nur kürzere Bindungszeiten zulässig sind als gegenüber Verbrauchern. Denn nach dem Gesagten lohnt sich für Verbraucher eine individuelle Prüfung von Klauseln 648 Eine Ausnahme vom Schutz ergibt sich jedoch bei sich widersprechenden AGB, BGH NJW 2002, 1651; NJW-RR 2001, 484. Es ließe sich daher vertreten, dass § 307 I BGB dort gilt, wo ein Unternehmer aus dem Motivationsgefälle heraus auf die Verwendung eigener AGB verzichtet, die entgegengesetzte AGB seines Vertragspartners beseitigen, während er sich im Übrigen durch die Verwendung eigener AGB schützt. Die richterrechtliche Klauselkontrolle auch zugunsten von Unternehmern (insb. Kaufleuten) wurde jedoch in einer Zeit begründet, als noch die Theorie des letzten Wortes galt, MünchKomm-BGB/Basedow, Vor §§ 305 ff., Rn. 8 f.; § 310, Rn. 3. 649 So auch MünchKomm-BGB/Basedow, Vorbemerkung zu §§ 305 ff., Rn. 2.

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nicht, was eine nachträgliche Inhaltskontrolle erforderlich macht. Für Unternehmer hingegen lohnt sich eine individuelle Prüfung, erst die Inhaltskontrolle macht sie ggf. überflüssig. Damit lohnt sich für einen Verbraucher eingehendes AGB-Studium weder absolut im Verhältnis zum Wert seines Geschäfts noch relativ zu den durch ein individuelles Aushandeln erreichbaren Verbesserungen der eigenen Rechtsposition. Für den Verbraucher ist es also rational, auch auf das Risiko längerer Mindestvertragslaufzeiten hin auf ihm gestellte AGB einzugehen. Für Unternehmer hingegen lohnte im Vergleich zum Geschäftsumfang ein Prüfen und Verhandeln der AGB. Erst ein relativ zu dem durch Inhaltskontrolle sichergestellten Klauselinhalt nur geringfügig besseres Verhandlungsergebnis ermöglichte den Rationalisierungseffekt. Dies setzt überschaubare Mindestvertragslaufzeiten voraus. Zwar mögen Unternehmer weniger schutzbedürftig als Verbraucher sein, dem Rationalisierungsmodell ist dieses Argument jedoch fremd. Diese widersinnige Folgerung eines verkehrten Verhältnisses von § 307 I S. 1 BGB und den §§ 308 f. BGB650 lässt sich noch teilweise entkräften. Denn diese Argumentation unterstellt, dass der Gesetzgeber bzw. die Gerichte jeden Klauselinhalt bis zur Grenze des für den AGB-Gegner noch rationalen Nichtaushandelns zulassen. Der Gesetzgeber kann sich jedoch auch für eine andere Aufteilung des beiderseitigen Vorteils aus der Zulassung von AGB entscheiden und sich statt am Grund für die Zulassung von AGB an den Gründen für die Inhaltskontrolle orientieren, also beispielsweise an einem effektiven Schutz des von Nichtunternehmern aufgebrachten Vertrauens in die Berücksichtigung auch seiner Interessen durch den Verwender. c) Einwand bis zu zehnjähriger Bindung Die Zulässigkeit von bis zu zehnjährigen Mindestvertragslaufzeiten in AGB gegenüber Unternehmern ist mit dem Rationalisierungsmodell jedoch nicht zu vereinbaren. Nur in seltenen Fällen wird eine Bindungszeit von zehn Jahren keinen Anlass zur Verhandlungsaufnahme bieten und der Versuch nicht lohnen, diese Bindungszeit in Verhandlungen zu verkürzen. Die bis zu zehnjährige Bindung von Unternehmern ist jedoch nicht in jedem Fall zulässig. Die Klauselkontrolle könnte sicherstellen, dass dieser Rahmen des Zulässigen nur ausgeschöpft wird, wenn es sich für den Klauselgegner insgesamt um eine Geschäft handelt, das nah am erzielbaren Verhandlungsergebnis liegt. Das Rationalisierungsmodell kann aufrecht erhalten werden, wenn die in AGB zulässigerweise zu vereinbarenden Konditionen (einschließlich der bis zu zehnjähriger Mindestvertragslaufzeit) einem ausgewogenen Interessenausgleich als Ergebnis eines fiktiven Aushandelns nahe kommen. 650

Die Anwendung von § 310 I 1 S. 2 BGB führt regelmäßig zu gegenüber §§ 308 f. BGB liberaleren Maßstäben.

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§ 307 I 1 S. 1 BGB hat die Wahrung eines derartigen, als ausgewogenen Interessenausgleich vertretbaren Vertragsgleichgewichts zum Ziel: „Ob die langfristige Bindung der anderen Vertragspartei in Allgemeinen Geschäftsbedingungen diese unangemessen benachteiligt, ist anhand der typischen Erfordernisse des Geschäfts und seiner rechtlichen Grundlagen zu beurteilen; hierbei ist auf die Wirtschaftlichkeit des Geschäfts insgesamt […] abzustellen.“651 „[Bei einer Gesamtwürdigung von Leistungen, Rechten und Pflichten] ist nicht auf das Verhältnis der Streitteile als solches, sondern auf eine Interessenabwägung abzustellen“652. Hierzu passt die maßgebliche Bedeutung der Höhe von Gegenleistungen653 bzw. erbrachten Investitionen654 des Klauselverwenders bei der Beurteilung der Zulässigkeit der jeweiligen in den AGB vorgesehenen Bindungszeit. Wenn ohne entsprechende Gegenleistung etwa nur eine dreijährige statt einer bis zu zehnjährigen Mindestvertragslaufzeit zulässig ist655, könnte dies auf der Maxime beruhen, Bindungszeiten seien so auszugleichen, dass der Klauselgegner nicht in Verhandlungen einzutreten braucht. Die Inhaltskontrolle ist zur Aufrechterhaltung der Rationalisierungserklärung im Ergebnis jedoch unzureichend. AGB werden vom Verwender realistischerweise erstellt, um sich eine vorteilhaftere Vertragsposition zu verschaffen. Die Inhaltskontrolle ist nicht geeignet, diese tendenzielle Einseitigkeit über eine generelle Missbrauchskontrolle hinaus zu begrenzen. Denn erstens bleiben fundamentale Faktoren zur Beurteilung der Vertragsgerechtigkeit als essentialia negotii von der Prüfung im Grundsatz ausgespart (§ 307 III S. 1 BGB). Auch wo die Rechtsprechung trotzdem die Höhe der Gegenleistung bei der Beurteilung von Klauseln berücksichtigt hat, hat sie nicht versucht, die jeweiligen Verträge insgesamt betriebswirtschaftlich zu bewerten656. 651

BGH NJW 2003, 1313, 2. Ls. (Herv. d. Verf.). BGH NJW 2003, 1313, 1315 unter Verweis auf BGH NJW 1997, 3022 m.w.N. 653 Zur Relevanz etwa die Zusammenfassung der Rechtsprechung bei BeckOK-BGB/H. Schmidt, § 307, Rn. 35. Vgl. auch BGH NJW 2003, 886, 888. 654 BGH NJW-RR 1997, 942, 943; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2002 – X ZR 220/ 01 –, juris, Rz. 16; vgl. auch Staudinger/Coester, § 307, Rn. 540 in Bezug auf Kabelanschlussverträge: „Für die zulässige Vertragsdauer im Verhältnis zum Grundstückseigentümer gelten nach dem BGH als Leitlinien das berechtigte Interesse des Verwenders an der Amortisation seiner Investition einerseits und das berechtigte Interesse des Grundstückseigentümers an der Disposition über sein Eigentum andererseits“. 655 Staudinger/Coester, § 307, Rn. 538; zu BLV ebd., Rn. 539; Palandt/Grüneberg, § 307, Rn. 78. 656 BGH NJW-RR 1990, 1075, Tz. 21: „Danach muß die Höhe des Beförderungsentgeltes bei der Würdigung der Mindestvertragsdauer außer Betracht bleiben. Unterliegen – wie hier – die Hauptleistungspflichten des Vertrages nicht der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBGesetz, darf also die Angemessenheit des Beförderungsentgeltes nicht geprüft werden, kann die unangemessene Benachteiligung des Zeitungszustellers nicht damit begründet werden, daß er seine Vertragspflichten über den Zeitraum eines Jahres für eine nach An652

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Zweitens erfolgt die Inhaltskontrolle von AGB nicht durch einen Gesamtvergleich der jeweiligen Positionen der Vertragspartner, wie es in einer Verhandlung der Fall wäre, sondern im Grundsatz klauselweise. Die Inhaltskontrolle richtet sich gegen bestimmte Klauseln nicht als Teil eines Vertrags, sondern isoliert gegen diese Klauseln. Auch wo die Rechtsprechung die Wechselwirkung mit anderen Klauseln als Gesamtwirkung prüft657, beurteilt sie nicht den Vertrag insgesamt, sondern die Verstärkung einer Klauselwirkung durch in anderen Klauseln getroffene, jedoch wirkungszugehörige Regelungen658. Drittens erfolgt die Inhaltskontrolle ohne Rücksicht auf das Verhandlungspotenzial des Klauselgegners im Einzelfall und das ihm erreichbare Ergebnis, weil die Prüfung nach überindividuellen Maßstäben erfolgt. Damit ist die Erklärung der AGB durch das Rationalisierungsmodell aufzugeben. 3. Objektivierungstendenz von AGB als Erklärung des verschärften Prüfungsmaßstabs Der Grund dafür, dass Mindestvertragslaufzeiten in AGB stärker begrenzt werden als individualvertragliche Mindestvertragslaufzeiten, liegt in einer anderen Eigenschaft von AGB. Diese Eigenschaft schlägt sich auch darin nieder, dass die Rechtsprechung bei der Prüfung von Bindungszeiten wie erwähnt einen überindividuellen Maßstab anlegt. Umstände des konkreten Falls wie beispielsweise Amortisationsbedingungen der spezifischen Investition bleiben außer Betracht659. Die Klausel wird nicht nur nach ihrer Wirkung im konkreten Vertrag bewertet, sondern abstrakt und auch nach ihrer potenziellen Wirkung in weiteren Verträgen. sicht des Kl. nicht vollwertige Gegenleistung zu erbringen habe“; BGH NJW-RR 1997, 942, 943; NJW 2003, 886. 657 Beispielsweise BGH NJW 1995, 254. 658 Hierfür müssen mehrere Klauseln in ihrem Zusammenwirken zu einer uangemessenen Benachteiligung des Klauselgegners fürhren. Nichtig ist auch dann nicht der Vertrag insgesamt, sondern nichtig nicht nur die zusammenwirkenden Klauseln. 659 Vgl. etwa BGH NJW 1997, 3022, 3024: „4. Ohne Einfluß auf das Ergebnis der Interessenabwägung bleibt auch der Hinweis der Revisionserwiderung auf den Vortrag der Bekl. in der Berufungsinstanz, eine 20jährige Laufzeit sei aus wirtschaftlichen Gründen erforderlich, da sich die Investitionen sonst nicht lohnten. Bei der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG ist nicht auf die Individualinteressen des einzelnen Vertragspartners abzustellen. Es gilt eine ‚überindividuell-generalisierende, typisierende, von den konkreten Umständen des Einzelfalls absehende Betrachtungsweise‘ (st. Rspr. des BGH und herrsch. Auffassung in der Literatur, s. BGHZ 98, 303, 308 […]; Senat, BGHZ 110, 241, 244 […]; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im PrivatR, 1992, S. 310; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 9 Rn. 78 m.w.Nachw.). Es kommt daher nicht darauf an, ob die Bekl. bei ihrer Kalkulation einen Gewinn – wie vorgetragen – erstmals im 15. Vertragsjahr erwirtschaften kann. Entscheidend ist vielmehr, ob generell eine 20jährige Vertragsbindung erforderlich ist, damit die Vermarktung von Telekommunikationsanlagen in der vorliegenden Weise wirtschaftlich sinnvoll ist. Das hat die Bekl. weder vorgetragen, noch ist es sonst ersichtlich.“

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Die Formulierung als AGB verschafft der einzelnen Vereinbarung von Mindestvertragslaufzeiten das Potenzial einer gesellschaftlichen Dimension660. Sowohl AGB gegenüber Unternehmern als auch AGB gegenüber Nichtunternehmern ermöglichen eine Komplexität und Ausführlichkeit, die sie auch bei einer Prüfung durch den Vertragsgegner absichern. Insbesondere im Massengeschäft der Verbraucherverträge besteht die Gefahr struktureller Verfestigung von AGB. Manche AGB regeln praktisch Vertragstypen oder Marktbereiche661. Sie verwischen als generell-abstrakte Regelungen die Grenze zu gesetzlicher Regelung. Ihre Wirkung hierbei geht hierbei vielfach noch über die Bedeutung dispositiven Gesetzesrechts hinaus, weil sie nicht mehr zur Disposition gestellt werden. Der Verwender kann sich dies in den jeweiligen Fällen erlauben, weil AGB durch ihre Standardisierungstendenz eine kollektiv verwendete Klauselordnung bilden, die auch seine Konkurrenten ihren Verträgen zugrundelegen. So monopolisieren AGB die Formulierung von Vertragskonditionen. Hierin liegt die Einschränkung der Vertragsfreiheit des Klauselgegners662: Unter bestimmten Rahmenbedingungen bilden AGB auf Dauer aus einer Gesamtheit von individuell rationalen Einzelhinnahmen durch Klauselgegner die unumgehbare Ordnung eines Marktes, deren praktische Unverhandelbarkeit die Privatautonomie der Klauselgegner um die Inhaltsfreiheit auf die Abschlussfreiheit reduziert. Besonders deutlich wird die Anknüpfung an das abstrakte Potenzial von AGB in der Rechtsprechung des BGH, dass Vertragspartner AGB nachträglich auch im Rahmen individualvertraglichen Aushandelns nicht mehr den Charakter von AGB nehmen können und dürfen663. Wenn sie einmal auf AGB zurückgegriffen haben, kann der durch die AGB-Kontrolle geschützte Vertragspartner mit seinem Gegenüber selbst nach Punkt für Punkt durchgeführten Verhandlungen nicht mehr individualvertraglich vereinbaren, für jeweils bestimmte, individuell ausgehandelte Gegenleistungen pro Klausel insgesamt auf den Schutz der AGB-Kontrolle zu verzichten. Dies gilt selbst wenn ihm die Reichweite und Bedeutung dieses Verzichts im Einzelnen vollständig klar ist. Dem BGH zufolge soll diese Beschränkung der Vertragsfreiheit die Vertragsfreiheit schützen. Damit kann der Schutz der Individualvertragsfreiheit der beiden beteiligten Vertragspartner jedoch nicht gemeint sein, denn diese hätten möglicherweise von vornherein sämtliche Regelungen individualvertraglich wirksam vereinbaren dürfen, wie kompliziert und im Ganzen unüberschaubar sie auch hätten sein mögen. Der Unterschied zwischen anfänglicher individualvertraglicher Vereinbarung und der anfänglichen Verwendung von AGB, der die in diesem Fall unabdingbare AGB-Kontrolle rechtfertigt, liegt in der vorprägenden Wirkung, die 660 Vgl. Raiser, AGB; Rehbinder, AGB, S. 15 ff.; Bachmann, Private Ordnung, S. 265 ff. 661 Etwa Allgemeine Versicherungsbedingungen oder die Allgemeine Geschäftsbedingungen der privaten Banken. 662 Vgl. BGH NJW, 1964, 1123; 1965, 246; 1969, 230; auch Löwe, FS Larenz ’73, S. 373, 374, 375. 663 BGH NJW 2014, 1725.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

AGB selbst auf individualvertragliche Vereinbarungen besitzen; seien es nachträgliche Vereinbarungen Dritter oder nachträgliche Vereinbarungen der Vertragspartner selbst.

Historisch wurde AGB zunächst normativer Charakter zugeschrieben664. Diese Einstufung als „fertig bereit liegende[n] Rechtsordnung“665 beruhte auf Beobachtungen zu den Geltungsgrundlagen und zur abstrakten Wirkung von AGB. Die Produktion von Klauseln ähnelt eher Normierung als Vereinbarung. Die Einbeziehung von AGB kann zwar inzwischen konsequent individualvertraglich dargestellt werden. Diese Konstruktionsleistung ermöglichte die Zuschreibung individualvertraglichen Rechtscharakters, diese Einordnung beseitigt jedoch nicht die funktionale Erscheinungsform von AGB als „selbstgeschaffene[m] Recht“666. Auch der Auftrag des § 307 I 1 S. 1 BGB an den Verwender, auch den eigenen entgegengesetzte Interessen zu berücksichtigen, deutet daraufhin, dass das Stellen von AGB mehr ist als das Verhandeln einer Vertragspartei in Verfolgung eigener Interessen. Die Nichtprüfung dispositiven Rechts gemäß § 307 III S. 1 BGB ist demnach nur folgerichtig, denn hier bestimmte der Gesetzgeber selbst den Inhalt der praktisch normativen Ordnung. Durch die Inhaltskontrolle im Übrigen wahrt der Gesetzgeber die von ihm abstrakt-generell gewährten Freiheiten und geschützten Werte667. Ein Beispiel bildet die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Privatrechtsordnung zu konzipieren, welche die „Mobilität und Flexibilität in der heutigen modernen Gesellschaft“668 zulässt und ihr Rechnung trägt669. Die Dispositionsfreiheit 664

HKK/Hofer, §§ 305–310 (I), Rn. 5 m.w.N. RG DR 1941, 1210, 1212. 666 So auch heute noch. Palandt/Grüneberg, Überbl v § 305, Rn. 3 in Anlehnung an Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft. 667 A.A. zumindest für den Schutz des Wettbewerbs durch § 309 Nr. 9 BGB BeckOK-BGB/Becker, § 309 Nr. 9, Rn. 5: „Diese Wirkung [des Wettbewerbsschutzes] ist aber Rechtsreflex, nicht Regelungszweck. Denn Nr 9 ist Konkretisierung der Klauselverbote §§ 305c, 307. Sie dient dem Schutz der Verwendergegenseite vor Übervorteilung durch missbräuchliche Gestaltung der Vertragsbedingungen […] – nicht hingegen dem Schutz der allgemeinen Rechtsordnung.“ Dies erklärt jedoch nicht, weshalb § 309 Nr. 9 BGB Mindestvertragslaufzeiten selbst dann begrenzt, wenn sie übereinstimmend in wechselseitig gestellten AGB vorhanden sind. Neben dem objektiven Prüfungsmaßstab spricht auch die im Grundsatz klauselweise Prüfung im Gegensatz zu einer Plausibilitäts- und Äquivalenzkontrolle des gesamten Vertragsergebnisses gegen einen individuellen Schutz der Verwendergegenseite vor den Konsequenzen der Nichtaushandlung der Vertragsbedingungen. Dass die Dispositionsfreiheit als solche und nicht die konkrete individuelle Last des Vertrags Schutzgegenstand der §§ 309 Nr. 9, 307 I BGB bildet, stimmt zudem damit überein, dass die Zulässigkeitsfrist für Mindestvertragslaufzeiten bereits ab Vertragsschluss gerechnet wird; BGH NJW 1993, 1651, 1652 f.; Staudinger/Coester, § 307, Rn. 530. 668 BGH NJW 2005, 1574, 1575. 669 BGH NJW 2005, 1574. 665

F. Bindungsgrenzen für AGB und Versicherungsverträge

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der Einzelnen liegt erst in der Abwesenheit struktureller Festschreibungen – seien sie durch Gesetz, seien sie durch AGB670. Unternehmer haben aufgrund der Regelmäßigkeit, mit der sie Geschäfte abschließen, noch ein größeres individuelles Interesse, sich selbst gegen die Standardisierung von Mindestvertragslaufzeiten zu verwahren. Insoweit sieht das Recht seine Grundsatzentscheidung für die Dispositionsfreiheit des Einzelnen daher auch durch AGB nicht gefährdet, die Mindestvertragslaufzeiten bis zu 10 Jahren enthalten. Im nichtunternehmerischen Bereich fürchtet es jedoch alle Klauseln mit Mindestvertragslaufzeiten über wenige Jahre hinaus. II. Bindungsgrenzen für Versicherungsverträge als verdecktes AGB-Recht (§ 11 II S. 2, IV VVG) Einige weitere Bindungsgrenzen gehören aufgrund ihrer ähnlichen Zweckbestimmung an diese Stelle, obwohl es sich bei ihnen um typenabhängige Bindungsgrenzen handelt. Ein Beispiel ist die Bindungsgrenze des § 11 II S. 2, IV VVG671. Diese nach § 18 VVG halbzwingende Bestimmung672 ordnet für alle bis auf einige enumerierte Versicherungsverträge673 die Kündbarkeit nach spätestens drei Jahren Bindungszeit an. Nach der Vorgängerregelung des § 8 II S. 3, III S. 1 VVG waren von 1994 bis 2007 noch Mindestvertragslauf-

670

Vgl. BGH NJW 1993, 1651, 1652: „Das mit der gesetzlichen Regelung verfolgte Ziel, formularmäßige Einschränkungen der Dispositionsfreiheit auf einen Zeitraum von höchstens zwei Jahren zu begrenzen, gebietet es daher, die Bezugsbindung des Kunden spätestens zwei Jahre nach Vertragsschluß auch dann entfallen zu lassen, wenn der Beginn der beiderseitigen Leistungen auf einen späteren Zeitpunkt festgesetzt ist.“ Vgl. OLG Stuttgart OLGZ 1990, 249: „Zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung von Dauerschuldverhältnissen im allgemeinen und Dienstvertrag im besonderen gehört, daß nach einem gewissen Zeitablauf jede Partei die Möglichkeit haben muß, sich durch ordentliche Kündigung einseitig vom Vertrag zu lösen.“ 671 § 11 Abs. 2, 4 VVG lauten: „II Ist ein Versicherungsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen, kann es von beiden Vertragsparteien nur für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode gekündigt werden. Auf das Kündigungsrecht können sie einvernehmlich bis zur Dauer von zwei Jahren verzichten. IV Ein Versicherungsvertrag, der für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen worden ist, kann vom Versicherungsnehmer zum Schluss des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.“ 672 Ausnahmen des halbzwingenden Charakters gemäß § 210 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EGVVG für Großrisiken und laufende Versicherung. 673 Die Bestimmung gilt etwa für die Haftpflichtversicherung, die Rechtschutzversicherung, die Transportversicherung, die Gebäudefeuerversicherung, die Unfallversicherung und Pflichtversicherungen wie die KfZ-Haftpflichtversicherung. Ausgenommen aus ihrem Anwendungsbereich sind nach §§ 168, 176, 195, 205 VVG Lebensversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung und Krankenversicherung, für die aufgrund Besonderheiten der Prämienkalkulation Sonderbestimmungen bestehen.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

zeiten bis zu fünf Jahren zulässig674. Versicherungsverträge auf unbestimmte Zeit mit einem zusätzlichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung können bereits nach 2 Jahren erstmalig gekündigt werden, § 11 II S. 2 VVG. Bereits die im Jahr 1991 eingeführte Fassung dieser Bindungsgrenze wurde damit begründet, den Versicherungsnehmer vor Belastungen bei „Änderung persönlicher Umstände oder Störung des Vertrauens zum Versicherer“675 zu schützen. Die Vorschrift sollte den „Bedürfnissen und Interessen des Versicherungsnehmers“676, insbesondere seinen Dispositionsinteressen677 stärker Rechnung tragen als versicherungsaufsichtsrechtliche Regulierung678. Wieso aber sollte der Versicherungsnehmer seinen Bedürfnissen und Interessen in freier Verhandlung mit dem Versicherer nicht selbst besser Rechnung tragen können als eine verpflichtende Bindungsgrenze? Dies könnte durch Verbraucherschutzüberlegungen begründet sein. Tatsächlich schlug die Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts in ihrem Abschlussbericht im Jahr 2004 eine auf Verbraucherverträge beschränkte Fortführung der Bindungsgrenze vor679. Der Gesetzgeber hat sich dieser Beschränkung jedoch nicht angeschlossen. In der Regierungsbegründung heißt es zur Begründung der Endfassung, auch kleine Unternehmer und Freiberufler seien schutzwürdig680. Der Gesetzgeber geht also aus anderen Gründen davon aus, die Vertragsfreiheit biete keinen ausreichenden Schutz der Bedürfnisse und Interessen der Versicherungsnehmer. Ungewöhnlich erscheint auch die Kürze der zulässigen Bindungszeit. Eine derart kurze Bindungsfrist von 2 bzw. 3 Jahren (für Verträge auf unbestimmte 674

§ 8 III VVG1994. Zwischen 1991 und 1994 waren es ebenfalls drei Jahre, jedoch war unter der zusätzlichen Voraussetzungen eine Ausnahme gestattet, dass dem Versicherungsnehmer Alternativangebote gemacht wurden, § 8 III VVG1991 (Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 1990, BGBl. I, S. 2864, 2865): „Der Versicherungsnehmer kann […] kündigen, es sei denn, daß der Versicherer dem Versicherungsnehmer schriftlich vor Abschluß des Vertrages auch Verträge für die Dauer von einem Jahr, drei, fünf und zehn Jahren angeboten hat und dabei auf Verträge mit einer Dauer von fünf und mehr Jahren einen Prämiennachlaß einräumt, dessen Vomhundertsatz mindestens der Dauer der Laufzeit entspricht.“ Diese Fassung wurde als nicht überzeugend bereits drei Jahre später verändert. So wurde beispielsweise die Pflicht kritisiert, immer alle vier Alternativangebote (auch solche mit längerer als letztendlich vereinbarten Laufzeit) machen zu müssen, vgl. Prölss/Martin/Prölss, 27. Auflage, § 8 (a.F., der Verf.), Rn. 35. 675 BT-Drs. 11/6341, S. 34 f. 676 BT-Drs. 11/8321, S. 8 ff.; Art. 2 des Gesetzes v. 17.12.1990. Das Gesetz wurde im Hinblick auf der Zustimmung durch den Bundesrat bedürftiger Teile aufgespalten. 677 BGH NJW 1995, 1289 (Wohngebäudeversicherung). 678 BT-Drs. 11/6341, S. 34 f., BT-Drs. 11/8321. 679 VVG-Komission, Abschlussbericht, 1.2.2.7.3 Festlaufzeit, S. 29 ff. 680 Begründung zum Entwurf der Bundesregierung v. 20.12.06, BT-Drs. 16/3945, S. 63, mit Verweis auf S. 59 f.

F. Bindungsgrenzen für AGB und Versicherungsverträge

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oder bestimmte Zeit) ist im Übrigen nur in dem soeben untersuchten § 309 Nr. 9 BGB vorgesehen. Weshalb sollte ein (möglicherweise ein verhältnismäßig unbedeutendes Risiko und überschaubare Zahlungspflichten enthaltender) Versicherungsvertrag sich um einen derartigen Faktor von Darlehensverträgen unterscheiden, bei denen der Gesetzgeber eine zehnjährige Bindung für zulässig gehalten hat? Die „[Ermöglichung] marktgerechten Verhaltens“681 und eine „angemessene Reaktion auf unvorhergesehene Umstände […], die dem Gefahrenbereich des Kündigenden entstammen“682, die zur Begründung angeführt werden, wären für andere Dauerschuldverhältnisse ebenso valide Ziele, ohne dort durchgehend zu Bindungsgrenzen geführt zu haben683. Weshalb sollten sie bei Versicherungsverträgen eine der kürzesten Bindungsgrenzen des Zivilrechts rechtfertigen? Beide Fragen lassen sich damit erklären, dass Versicherungsverträgen dieselbe Besonderheit zukommt wie AGB-Klauseln. § 11 VVG hält Verhandlungen der Parteien deswegen für unzureichend zur eigenständigen Herbeiführung des Interessenausgleichs, weil zulässigen Versicherungsbedingungen regelmäßig prägende Wirkung für das gesamte Marktsegment zukommt und sich die Regelungen wettbewerblicher Kontrolle entziehen. Es überzeugt auch deshalb nicht, § 11 II S. 2, IV VVG im Hinblick auf das hierdurch unterbundene freie Aushandeln von Mindestvertragslaufzeiten zu kritisieren, weil Versicherungsverträge fast ausnahmslos durch Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) ausgestaltet werden684. Diese AVB werden dem Versicherungsnehmer regelmäßig unverhandelbar gestellt. Der BGH hat betont, dass der mit AVB konfrontierte Versicherungsnehmer „bei der Ausgestaltung des Antragsformulars […] davon ausgehen [muß], keine andere Wahl zu haben, als das Vertragsverhältnis über eine Laufzeit von zehn Jahren einzugehen oder das Risiko nicht versichern zu können“685. Aus diesem Grund 681

BGHZ 127, 35. Ebd. 683 Vgl. BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag). 684 Die Vereinbarung von Versicherungsbedingungen, die nicht als AGB zu qualifizieren sind, ist eine seltene Ausnahmeerscheinung. Hierzu Präve, ZfV 1992, 62, 66: „Eine Einzelfallvereinbarung ist gegeben, wenn sie – wie der Name schon sagt – nur in einem einzigen Fall Anwendung findet […]. Da sich die [...] Laufzeit regelmäßig aus bestimmten Vorgaben ergibt, die die von den Versicherern im Massengeschäft verwendeten Antragsformulare enthalten, dürfte dieser Fall praktisch von keiner großen Relevanz sein.“ Notthoff, DAR 1999, 150, 154: „Diese Rechtsprechung ist erkennbar von dem Bestreben getragen, sämtliche Verträge, in denen eine zehnjährige Vertragslaufzeit vereinbart worden ist, der Inhaltskontrolle des AGB-Gesetzes unterfallen zu lassen. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum der BGH mit der Entwicklung der ‚Überlagerungstheorie‘ das Vorliegen einer Individualisierungsvereinbarung selbst in den Fällen ablehnt, in denen dem Versicherungsnehmer – unstreitig – eine Wahlmöglichkeit eingeräumt worden ist.“ Vgl. insoweit etwa BGH VersR 1997, 345. 685 BGH NJW 1995, 1289 (Wohngebäudeversicherung). 682

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

gehört die Bindungsgrenze des § 11 II S. 2, IV VVG in den Kontext der AGB-Bindungsgrenzen: Bei der Vorschrift handelt es sich wesentlichen um eine an der Zulässigkeit von AVB-Klauseln orientierten Vorschrift. Die Erklärung der versicherungsvertraglichen Bindungsgrenze – insbesondere der knappen Höchstbindungsdauer – mit dem Strukturpotenzial versicherungsvertraglicher Regelungen findet auch in der übergangsweisen Behandlung von Altverträgen eine Stütze. Vor 1991 bestand keine gesetzliche Begrenzung von Kündigungsausschlüssen686. Die Rechtsprechung begrenzte jedoch ab 1994 retrospektiv Altverträge durch Anwendung der AGBVorschriften687 und bezog nach den Unfallversicherungsverträgen688 sukzessive andere Versicherungstypen in den Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung ein689. Auf diese Weise wurde auch für Altverträge ein dem zwischen 1991 und 1994 geltenden § 8 III S. 1 VVG1991 entsprechender Schutz realisiert, obwohl eine Anwendung der Vorgängernorm zu § 309 Nr. 9 BGB vom AGBG ausdrücklich ausgeschlossen wurde690. Hintergrund dieser rückwirkenden Rechtsänderung war, dass 1994 aufgrund europäischer Vorgaben691 die versicherungsaufsichtsrechtliche Genehmigungspflichtigkeit von AVB weitgehend abgeschafft wurde, die – möglicherweise auch wegen der besonderen Standardisierungstendenz von AVB – zuvor seit fast 100 Jahren bestand692. § 11 VVG steht entstehungsgeschichtlich in der Nachfolge dieser Kontrolle. Auch der Abschlussbericht der Kommission zur VVG-Reform erwähnte ausdrücklich die Anlehnung des heutigen § 11 VVG2004 an die Bindungsgren-

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Römer/Langheid/Römer, 2. Auflage, § 8 VVG (a.F., d. Verf.), Rn. 40. Obwohl die Bindungszeit keine unwesentliche Vertragskondition darstellt, hielt der BGH sie für prüfbar nach der Vorgängervorschrift des § 307 III S. 1 BGB, BGHZ 127, 35; BGH VersR 1994, 1049; 1995, 1185, 1997, 345, jedoch nicht nach § 23 Nr. 6 AGBG (§ 309 Nr. 9a BGB n.F., vgl. § 309 Nr. 9 Hs. 2), sondern nach § 9 I 1 AGBG (§ 307 I 1 S. 1 BGB). 688 BGHZ 127, 35. 689 BGH NJW 1994, 2396 (Privathaftpflicht- und Hausratversicherung); BGH NJW 1995, 1289 (Wohngebäudeversicherung); BGH VersR 1994, 1052; 1994, 1213; 1995, 459; 1997, 345; BB 1994, 1736;. Eine fünfjährige Bindungsfrist wurde in der Rechtsprechung überwiegend für zulässig (BGH 1995, 2710; 1996, 519; NJW 1997, 1849), zum Teil in Anwendung der erwähnten Gesichtspunkte jedoch ebenfalls für unzulässig gehalten (OLG Köln NJW-RR 1996, 436, 437). 690 § 23 II Nr. 6 AGBG. 691 Vgl. Art. 8 Abs. 3 Unterabs. 2 der 1. Richtlinie Schadensversicherung i. d. F. des Art. 6 der 3. Richtlinie Schadensversicherung 92/49/EWG vom 18. 6. 1992 (ABl. EG Nr. L 228, S. 1 ff.) und Art. 8 Abs. 3 Unterabs. 1 der 1. Richtlinie Lebensversicherung i. d. F. von Art. 5 der 3. Richtlinie Lebensversicherung 92/96/EWG vom 10. 11. 1992 (ABl. EG Nr. L 360, S. 1 ff.). 692 Vgl. MünchKomm-VVG/Bruns, Vor §§ 307–309 BGB, Rn. 3. 687

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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zen des AGB-Rechtes693, wobei im Hinblick auf das gegenüber anderen Verträgen per se kündigungsfreundlichere Versicherungsrecht (Sonderkündigungsrechte etwa im Versicherungsfall, § 96 VVG, und bei Prämienerhöhung, § 31 VVG) eine etwas erhöhte Frist gewählt wurde694. Die Einordnung der versicherungsvertraglichen Bindungsgrenze basierte auf einer Gleichsetzung von Versicherungskonditionen mit vorformulierten Vertragsbedingungen, weil der Gesetzgeber davon ausging, dass Versicherungen die Vertragskonditionen durch AVB regeln. Diese Annahme wird von der Gesetzesbegründung (wie auch dem Abschlussbericht der VVG-Kommission) auch dort dokumentiert, wo sie im Vertrauen auf die Verwendung von AVB auf die Normierung eines Kündigungsrechts für den Versicherer verzichtete695. Dass im Gesetzgebungsprozess der Anwendungsbereich der Bindungsgrenze über Verbraucherversicherungsverträge hinaus auf alle Versicherungsverträge erstreckt wurde, lässt sich ebenfalls damit erklären, dass die Gestaltung von Versicherungsverträgen in allen Konstellationen durch den extensiven Gebrauch von AVB geprägt wird und die VVG-Regelungen somit wie das AGB-Recht einen über den Verbraucherschutz hinausgehenden Anwendungsbereich haben müssen. Die versicherungsvertragliche Bindungsgrenze begründet zwar formal eine typenabhängige Bindungsgrenze, bildet teleologisch jedoch einen Teil der AGB-rechtlichen Bindungsbegrenzung. Das hierzu Gesagte gilt damit zu § 11 II S. 2, IV VVG entsprechend.

G. Zweck der richterrechtlichen Fallgruppen der Bindungsbegrenzung von Getränkebezugs- und anderen Verträgen G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

Nicht alle Bindungsgrenzen des deutschen Privatrechts beruhen auf unmittelbarer gesetzgeberischer Entscheidung. Seit Inkrafttreten des BGB hat die höchstrichterliche Rechtsprechung ihre durch die Generalklausel zur Sittenwidrigkeit (§ 138 I BGB) gewährten Spielräume genutzt, um jenseits der klassischen Vertragstypik für bestimmte Fallgruppen weitere Bindungsgren693

VVG-Kommission, Abschlussbericht, S. 31. VVG-Kommission, Abschlussbericht, 1.2.2.7.3 Festlaufzeit, S. 29 f., 31. 695 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20.12.06, BT-Drs. 16/ 3945, S. 63: „Entsprechend dem Votum der VVG-Kommission wird auf eine Regelung über das Kündigungsrecht des Versicherers verzichtet. Der Versicherer kann sich ein den Vorschriften der Absätze 2 und 3 entsprechendes Recht in seinen AVB vorbehalten; insoweit ergibt sich auch aus § 18 VVG-E keine Beschränkung.“ Im Abschlussbericht der VVG-Kommission, ebd., heißt es insoweit: „bei einem gesetzlichen Sonderkündigungsrecht des Versicherungsnehmers ist dies in Frage gestellt, denn der Versicherer wird dasselbe Kündigungsrecht auch für sich in den AVB vorsehen“ 694

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

zen zu entwickeln. Bekannt und praktisch bedeutsam ist die umfangreiche696 und seit über einem Jahrhundert weitgehend konsistente Rechtsprechung zur Bindungskraft von Bierlieferungsverträgen697. Unter Bierlieferungsvertrag (eigtl. Getränkebezugsvertrag) soll die klassische Konstellation des Versprechens eines Vertragspartners (im Folgenden: Gastwirt) verstanden werden, gegen Gewährung geldwerter Leistungen (regelmäßig zinsgünstige Darlehen) den Getränkebedarf eines bestimmten Gastronomiebetriebs ausschließlich bei einer bestimmten Brauerei zu decken698. Obwohl die wirtschaftliche Bedeutung solcher Verträge immer wieder betont wird699, können sie nicht über bestimmte Bindungszeiten hinaus geschlossen werden. Die jeweils höchstzulässige Bindungszeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Je nach Inhalt der Bierbezugsverpflichtung werden Bierlieferungsverträge aufgrund unterschiedlicher Bindungsdauern begrenzt. Einen Richtwert bilden höchstzulässige Bindungzeiten von 15 Jahren; Bierlieferungsverträge mit einer Bindungszeit von mehr als 20 Jahren sind „schon allein wegen ihrer Zeitdauer“700 in aller Regel sittenwidrig701. 696 Vgl. seit RGZ 63, 333, der Entscheidung, ab der die Bierlieferungsrechtsverträge – anders als zuvor, RGZ 59, 109 – nicht mehr am Maßstab der Gewerbeordnung, sondern an § 138 BGB überprüft wurden, exemplarisch allein die Reichsgerichtsrechtsprechung in der Zeit zwischen 1906 und 1920: RGZ 63, 390; RG JW 1906, 419; 1906, 684; RGZ 67, 101; RG JW 1909, 412; 1910, 62; ABHZ 1911, 26; Warneyer 1913, 219; ABHZ 1913 II, 2368 oder etwa die Entscheidungen des BGH aus den besonders entscheidungsreichen Siebzigerjahren BGH NJW 1970, 2243 (Zur Laterne); WM 1970, 99; BGHZ 54, 145; BGH NJW 1970, 2243; 1972, 1459; WM 1973, 357; 1973, 924; MDR 1974, 396; NJW 1974, 2089; WM 1975, 307; MDR 1975, 399; WM 1975, 307; 1975, 850; 1976, 508; 1977, 641; NJW 1979, 865; BGHZ 74, 293; BGH NJW 1979, 865; WM 1979, 947; NJW 1979, 2149. 697 Die Vertragsform wird auch als „Bierbezugsvertrag“ oder „Bierabnahmevertrag“ bezeichnet. 698 Vgl. die Erläuterungen in EuGH, Urteil vom 28.02.1991 – Rs. C-234/89, Delimitis/ Henninger Bräu – Slg. 1991, I-935, Rn. 10 ff.: „Bierlieferungsverträge sehen in der Regel vor, daß der Lieferant dem Wiederverkäufer bestimmte wirtschaftliche und finanzielle Vorteile einräumt, indem er ihm unter anderem Darlehen zu günstigen Bedingungen gewährt, Räumlichkeiten für den Betrieb der Gaststätte verpachtet und technische Anlagen, Mobiliar sowie andere für den Gaststättenbetrieb notwendige Einrichtungsgegenstände zur Verfügung stellt. Als Gegenleistung für diese Vergünstigungen verpflichtet sich der Wiederverkäufer normalerweise, für einen bestimmten Zeitraum Vertragswaren nur vom Lieferanten zu beziehen.“ 699 Vgl. hierzu insbesondere die frühen Entscheidungen des RG wie RGZ 63, 333; RG JW 1906, 419; 1906, 684. 700 BGH WM 1977, 949. 701 Wahl, BLV, S. 18; BGH NJW 1970, 2243; bestätigt durch BGH NJW 1972, 1459; WM 1977, 949, Rn. 22: „Ausnahmsweise anerkannte Laufzeiten über 20 Jahre hinaus sind extreme Sonderfälle, die einer Verallgemeinerung nicht zugänglich sind“; „in Sonderfällen kann eine Bindungsfrist von höchstens 20 Jahren gerade noch hingenommen werden“; s.a. BGH WM 1970, 1402; BGH WM 1972, 1224; BGH NJW 1979, 2150, 2151. Im Detail ist umstritten, inwieweit es sich bei zwanzig Bindungsjahren um eine absolute Grenze han-

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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Die Bindungsbegrenzung von Bezugsverträgen erfolgt über die allgemeine Generalklausel des § 138 I BGB, an der die Rechtsprechung auch die Bindungen sonstiger Vertragstypen überprüft, für die das Gesetz ebenfalls keine besonderen, typenspezifischen Bindungsgrenzen vorsieht. Trotzdem lassen sich die Bezugsverträge nicht in die allgemeine Gruppe von Verträgen ohne spezielle gesetzliche Bindungsgrenzen einordnen, sondern stellen einen Sonderfall dar. Denn die Rechtsprechung hat für diese Fallgruppe weitere Prüfungsgrundsätze und Konkretisierungen entwickelt.

Eine Besonderheit der Bierlieferungsverträge gegenüber den bisher behandelten Langzeitverträgen liegt darin, dass neben der Bindung ausdrücklich die Exklusivität des Vertragsverhältnisses vereinbart wird („Ausschließlichkeitsbindung“)702. Die Liste möglicher Erklärungen für die Bindungszeitbegrenzung von Bierlieferungsverträgen ist lang. Die Sittenwidrigkeit könnte zunächst mit einem Übergreifen der Auswirkungen überlang bindender Bierlieferungsverträge in die persönliche Freiheitssphäre der kontrahierenden Gastwirte zu begründen sein (a). Der wiederholte Hinweis der Rechtsprechung auf die wirtschaftlichen Machtverhältnisse zwischen den Vertragsparteien weist in Richtung einer Erklärung aus dem Argumentationsstrang eingeschränkter Freiwilligkeit des Gastwirtes (insbesondere bei Berufsbeginn703) gegenüber der Marktmacht der Brauerei, einer infolgedessen unausgeglichenen Verhandlungssituation und somit eingeschränkter Bindungskraft der nicht vollständig privatautonomen Erklärung (b). Die von der Rechtsprechung auf die Höhe der Gegenleistung gelegte Betonung704 hingegen legt die Vermutung einer richterlichen Kontrolle des Äquivalenzverhältnisses nahe (c). Die Dauer delt, vgl. Streit, BLV, 80 ff.; Klaas, BB 1974, 1098. Von der ursprünglichen Rechtsprechung wurden Bindungen bis zu 30 Jahren akzeptiert, vgl. Paulusch, GaststättenR, 40; BGH DB 1959, 1367; BGH v. 5.10.1966 (25 Jahre). Die dingliche Sicherung der Ausschließlichkeitsbindung etwa durch Eintragung entsprechender Dienstbarkeiten (die als Verbot des Getränkeverkaufs formuliert sein müssen, von dem die Brauerei für ihre Biermarke dann Ausnahmen gestattet) ist zeitlich nicht notwendigerweise zu begrenzen, BGH NJW 1988, 2362. Mit dem Fortfall der schuldrechtlichen Verpflichtung wird die Sicherheit jedoch kondizierbar, vgl. BGH WM 1988, 765; 1988, 1091. Die Vereinbarung zeitlich gänzlich unbegrenzter Ausschließlichkeitsbindung ist immer nichtig, BGHZ 68, 1, 5; BGH NJW 1979, 2150; 1988, 2362; LM Nr. 27 zu § 138 (Bb); WM 1979, 947; 1980, 877; 1984, 88, 89; RG JW 1927, 119; BGH WM 1970, 99; NJW 1972, 1459. Hierzu Paulusch, GaststättenR, S. 37: „Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, daß auch bei sonst nicht zu beanstandender Vertragsgestaltung allein eine von vornherein übermäßig lange Bindung geeignet sein kann, den Gastwirt in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit unzumutbar einzuengen.“ In diesem Fall findet anders als in sonstigen Fällen auch keine geltungserhaltende Reduktion auf ein zulässiges Bindungsmaß statt, die Ausschließlichkeitsbindung ist anfänglich nichtig, Paulusch, GaststättenR, S. 38. 702 Streit, BLV, S. 24. Zur Differenzierung faktischer und rechtlicher Ausschließlichkeitsbindung vgl. Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 31. 703 RGZ 63, 390; BGHZ 147, 279; Paulusch, GaststättenR, S. 35. 704 Vgl. nur BGH NJW-RR 2012, 249; NJW 2000, 1110, 1112; BGHZ 143, 104.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

der Ausschließlichkeitsbindung wäre in diesem Sinne ein reiner Wirtschaftsposten und § 138 I BGB fungierte als Ausgleich der historischen Nichtaufnahme der laesio enormis-Ausnahme ins BGB durch den Gesetzgeber705, wie die Rechtsprechung sie im Rahmen des § 138 I BGB auch durch die Figur „wucherähnlicher Geschäfte“ betreibt706. Die wirtschaftliche Bedeutung der Bierlieferungsverträge für den Fassbiermarkt (unterschiedliche Autoren gehen von Bindungsgraden zwischen 40% und 80% des gesamten Fassbierverkaufs aus707) lässt einen wettbewerbsschützenden Gedanken hinter der Bierlieferungsrechtsprechung vermuten (d). Denkbar scheint auch, dass die Bindungsbegrenzung der mit zunehmender Bindungszeit abnehmenden rechtfertigenden Kraft der anfänglich als Gegenleistung erbrachten Investition der Brauerei Rechnung tragen soll (e). Nach ausdrücklicher Auskunft der Urteile708 soll die Bierlieferungsrechtsprechung schließlich das unveräußerliche Minimum wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit des Gastwirtes schützen (f). I. Richterrechtliche Begrenzung von Bierlieferungsverträgen 1. Persönliche Freiheit („Schutz vor dem Beruf“) Die größte Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit liegt regelmäßig im Verfolgen einer Berufstätigkeit. Ein Beruf ermöglicht einerseits, sich auch in der sozialen Sphäre zu verwirklichen. Die Verwirklichung innerhalb der privaten Sphäre wird andererseits durch einmal übernommene berufliche Pflichten und Obliegenheiten bedingt und beschränkt. Die mit jedem Beruf einhergehende Bindung der Persönlichkeit ist jedoch aufgrund ihrer permanenten Freiwilligkeit unproblematisch. Die Berufsaufgabefreiheit als notwendiges Korrelat der Persönlichkeitsbindung besitzen Selbstständige grundsätzlich ohnehin, Arbeitnehmern wird sie durch § 15 IV S. 1 TzBfG gewährt. Bierlieferungsverträge durchbrechen diese Ordnung, auf Gastwirte finden §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG keine Anwendung, andererseits hält die Ausschließlichkeitsbindung sie auf Jahrzehnte an einer Tätigkeit fest, mit der sie sich möglicherweise bereits nach Monaten nicht mehr identifizieren. So könnte eine Erklärung der Bierlieferungsrechtsprechung lauten, die die Bindungsgrenze von Wirten und Arbeitnehmern auf eine einheitliche Überlegung zurückführt und dabei die Überlegungen der Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit integriert. Die Ausschließlichkeitsbindung, die im theoretischen Mindestmaß lediglich ein Verbot des Bierbezugs von konkurrierenden Brauereien beinhaltet, 705

Motive II, S. 322; Becker, laesio enormis, S. 166 ff.; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138, Rn. 270. 706 Vgl. Flume, ZIP 2001, 1621. 707 Wahl, NJW 1988, 1431, 1432; Streit, BLV, S. 16, Fn. 4 m.w.N. 708 BGHZ 64, 288, 291.

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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schränkt in der Praxis die Berufsaufgabefreiheit des Gastwirtes zumindest faktisch ein. Im Einzelnen hängt diese Wirkung von der jeweiligen Vertragsgestaltung ab, insbesondere von der Vereinbarung von Mindestabnahmemengen sowie der Existenz und Großzügigkeit etwaiger Nachfolgeklauseln. Regelmäßig wird eine Mindestabnahmemenge vereinbart, die den Wirt je nach seinen Vermögensverhältnissen und abhängig von externen Faktoren dazu zwingt, seine Gastwirtschaft über die volle Vertragslaufzeit selbst zu betreiben709. Es ließe sich daran denken, den Betrieb der Gastwirtschaft etwa als Geschäftsgrundlage des Bierlieferungsvertrags zu qualifizieren. Dem Gastwirt könnte zuzubilligen sein, seine grundlegende Lebensplanung vollständig nach privaten Motiven zu treffen. Die privaten Beweggründe seiner Entscheidung könnten im Interesse seiner Autonomie in der Lebensgestaltung dann als externe Faktoren zu behandeln sein, die Rechte nach §§ 313 III S. 2, 314 BGB auslösen können710. Einen solchen Weg ist die Rechtsprechung (jedenfalls im Grundsatz zu Recht) nicht gegangen711. Jegliche auf freier Willensentscheidung beruhende Umstände werden aus dem Anwendungsbereich des § 313 BGB von vornherein ausgeschieden712. Auch für die Kündigung aus wichtigem Grund werden Störungen aus dem eigenen Risikobereich ausgeschieden, selbst wenn sie unvermeidbare Konsequenzen von Entscheidungen aus der Privatsphäre darstellen713. Speziell bei Bierlieferungsverträgen wurde auch Arbeitsunfähigkeit aufgrund schwerer Krankheit als ein unabwendbarer, aus der Privatsphäre stammender Umstand für sich allein nicht als ausreichend befunden, um ein Sonderkündigungsrecht auszulösen714. In dem Fall sollte der Gastwirt verpflichtet sein, dem Vertrag wenigstens durch einen Nachfolger nachzukommen. Ließe man zu, dass Gastwirte trotz Ausschließlichkeitsbindung ihren Beruf aufgeben, wären Umgehungen und Verschiebungen der Risikosphären kaum zu unterbinden. Ausschließlichkeitsbindungen könnten durch Pausieren und anschließende Neuaufnahme der Tätigkeit abgestriffen werden. Wirtschaftliche und private Motive vermischen sich zudem, wenn ein Gastwirt sich im Falle schlechter Geschäftsentwicklung 709

Vgl. etwa BGH NJW-RR 1993, 562; NJW 1999, 3187; 1992, 2145. Vgl. zu ähnlichen Modellen die besonderen außerordentlichen Kündigungsrechte in § 22 II Nr. 2 BBiG und § 490 II BGB. 711 BGH WM 1985, 608 Ls. 1; OLG Düsseldorf MDR 1973, 224; OLG Frankkfurt BB 1985, 1820; Streit, BLV, S. 224. 712 Hieran halten auch BGHZ 136, 161; BGH NJW 1997, 2878 fest, obwohl sie ein Ergebnis anstreben, dass praktisch weitgehend dem heutigen § 490 II BGB entspricht; vgl. auch Palandt/Grüneberg, § 313, Rn. 22. 713 BGH NJW-RR 2011, 916 (DSL); LG München ZGS 08, 357 (Festnetzvertrag bei Umzug); BGH NJW 1991, 1829; Palandt/Grüneberg, § 314, Rn. 9. 714 Nach OLG Frankfurt BB 1985, 1820 reichte es beispielsweise nicht aus, dass ein Wirt nach einer Kehlkopfkrebsoperation nicht mehr in der Lage war, die Gaststätte zu führen. 710

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

entscheidet, einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Die Ausschließlichkeitspflicht des Gastwirtes drohte praktisch unter Rentabilitätsvorbehalt gestellt und das Risiko der Geschäftsentwicklung auf die Brauerei überwälzt zu werden. In Ermangelung solcher Kündigungsmöglichkeiten liegt es umso näher, die zeitliche Begrenzung der Ausschließlichkeitsbindung als gangbareres Konzept des Persönlichkeitsschutzes zu erklären. Dies umso mehr, als bei Bierlieferungsverträgen auch die weitere zur Erklärung der Bindungsgrenze des § 624 S. 1 BGB angeführte Gefahr besteht, dass ab einer bestimmten Laufzeit die freie Interessendurchsetzung des Wirtes durch Angewiesenheit auf die Kooperation der Brauerei gemindert wird. Die auf der Selbstständigkeit des Wirtes beruhende Verantwortung für die Geschäftsentwicklung einerseits zusammen mit Mindestabnahmepflichten zu zudem gegebenenfalls wirtschaftlich schwierigen Bezugskonditionen anderseits können zur einer Minderung der privaten Persönlichkeitssphäre führen. Dies ist ein Risiko, das nicht geringer zu gewichten ist als bei langfristig gebundenen Arbeitnehmern und dessen Nichtberücksichtigung zur Erklärung der Bierlieferungsrechtsprechung einen auffälligen Kontrast zwischen dem völligen Fehlen von persönlichkeitsschützenden Bindungsbegrenzungen bei Bierlieferungsverträgen zu der restriktiven Regelung der §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG schüfe. Dienen die Bindungsgrenzen des Dienstvertrags- und Arbeitsrechts und der Bierlieferungsrechtsprechung jedoch in unterschiedlichen Abstufungen dem einheitlichen Zweck des Persönlichkeitsschutzes, fragt es sich, weshalb die Bindungshöchstzeiten so unterschiedlich ausfallen. Erklären lässt sich die längere Bindbarkeit von Gastwirten vielleicht durch eine Gesamtbetrachtung der Persönlichkeitsverwirklichung innerhalb und außerhalb der beruflichen Sphäre. Wegen der vergleichsweise hohen Eigenbestimmung des Gastwirtes und der damit verbundenen Verwirklichungsmöglichkeiten innerhalb des Berufes könnte ihm eine insgesamt längere Bindung zuzumuten sein als einem Arbeitnehmer. Unbeantwortet bleibt dann jedoch die Frage, weshalb sich dieser Unterschied derart erheblich auswirken soll, dass Gastwirte für bis zu 20 Jahre, also einen wesentlichen Teil ihres Berufslebens, sollen gebunden werden können. Die gegenüber dem Fünfjahreszeitraum der §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG bis zu viermal längere Bindungszeit verleiht der Bindungsgrenze eine andere Qualität, die tendenziell gegen einen einheitlichen Zweck beider Regelungen spricht. Ist der Persönlichkeitsschutz tatsächlich Erklärungsmodell der Bierlieferungsrechtsprechung, muss, so würde man vermuten, sog. Nachfolgeklauseln eine gesteigerte Bedeutung zukommen, nach denen der gebundene Gastwirt seine Verpflichtung durch Weitergabe seiner Bindung auf eine Mithaftung für den von ihm ausgesuchten Nachfolger beschränken kann. Tatsächlich kommt der Vereinbarung oder Nichtvereinbarung derartiger Klauseln

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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jedoch eine vergleichsweise geringe Relevanz für die Begrenzung zu715. So wurden vergleichbare Fälle vom selben Zivilsenat in geringem zeitlichen Abstand trotz identischer Nachfolgeklausel im Hinblick auf Unterschiede in der Verpflichtung zur Inventargestellung und abweichende Tilgungsbedingungen unterschiedlich entschieden: Wurde im ersten Fall der Vertrag als sittenwidrig und von Anfang an nichtig eingestuft716, hielt der BGH den Vertrag im zweiten Fall mit der vergleichsweise langen Bindungszeit von 16 Jahren aufrecht717. Gegen diesen Einwand lässt sich die Erklärung durch den Persönlichkeitsschutz jedoch verteidigen. Auch bei Mietverträgen besteht für den Mieter ggf. die Möglichkeit, sich von der eigenen Bindung durch Ersatzmieterstellung zu befreien, die Rechtsprechung hält diese Lösung wegen ihrer Unwägbarkeiten jedoch für „zu unsicher, um die erhebliche Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit des Mieters […] auszugleichen“718. Entsprechend gilt § 624 S. 1 BGB wegen praktischer Abgrenzungsschwierigkeiten auch, wenn der Dienstverpflichtete sich zur Erfüllung seiner Pflichten eines anderen bedienen darf. Auch die Erfüllung der Bedingungen der Nachfolgeklausel in Bierlieferungsverträgen wird von der Rechtsprechung als in der praktischen Wirkung verhältnismäßig unbedeutende Minderung der Bindungslast eingestuft, da etwaige Nachfolger „erfahrungsgemäß […] in erster Linie an einem bindungsfreien Pachtobjekt interessiert sind“719. Auch wenn die Rechtsprechung die Erleichterungswirkung von Nachfolgeklauseln hier nach Streit unterschätzen soll720, lässt sich so erklären, weshalb die Rechtsprechung Nachfolgeklauseln so wenig berücksichtigt. Dass es ihr bei der Begrenzung von Bierbezugsbindungen nicht auch um den Schutz der persönlichen Freiheit der Gastwirte ginge, lässt sich aus dieser Nichtberücksichtigung somit nicht ableiten. Die besondere Belastungswirkung der Ausschließlichkeitswirkung bei persönlich motiviertem Aufgabeverlangen wird von der Rechtsprechung durchaus als „besonders drückende, wenn auch nicht schlechthin zu beanstandende“ anerkannt721.

Die Erklärung der Bierlieferungsrechtsprechung aus dem Persönlichkeitsschutz vermag jedoch letzten Endes nicht zu überzeugen, wenn man den Stellenwert berücksichtigt, den das BGB der Privatautonomie an anderer Stelle gegenüber der Unliebsamkeit persönlichkeitsrelevanter Festlegungen zumisst. Ein unbesorgter Achtzehnjähriger vermag sich individualvertraglich für den Rest seines Lebens zur Miete einer Wohnung zu verpflichten, notariell beur715 So wird z.B. in BGH MDR 1974, 396 auf die Nachfolgeklausel „hingewiesen“, „vor allem“ wird jedoch auf eine Rückzahlungsklausel abgestellt. 716 BGH MDR 1974, 396. 717 BGH NJW 1974, 2089. 718 BGH NJW 2011, 597. 719 Ebd. 720 Streit, BLV, S. 128 ff. 721 BGH GRUR 84, 298 m.w.N. sowie BGH NJW 2011, 597. Insgesamt werden die richterlichen Erörterungen jedoch im Schwerpunkt deutlich stärker durch Erwägungen zur jeweiligen Bindungszeit und dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bestimmt als durch Umstände, die ein Übergreifen des Bierlieferungsvertrages in die Persönlichkeitssphäre erwarten lassen, vgl. etwa BGH GRUR 84, 298 und die Abgrenzung zu BGH NJW 1974, 2089 in BGH MDR 1974, 396; sowie einerseits BGH NJW 1966, 652; GRUR 1984, 298; OLG Köln NJW-RR 2007, 498; andererseits LG Koblenz WuW 1955, 217.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

kundet sein ererbtes Elternhaus zu veräußern oder sich durch riskante Wertpapiergeschäfte zu ruinieren. Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ drückt aus, dass die private Persönlichkeitsentwicklung hinter der Achtung der Privatautonomie zurückzustehen hat. Bierlieferungsverträge lassen dem Gebundenen weite Spielräume, seine Tätigkeit mit der privaten Lebensgestaltung zu vereinbaren. Sollte er deswegen eine Mindestabnahmemenge verfehlen, ähnelt seine Situation eher der eines Käufers, der einen Fehlkauf bereut, als eines in seiner privaten Lebensführung beeinträchtigten Arbeitnehmers. Die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung gilt zudem nicht nur für Private, sondern im Schwerpunkt für Unternehmer. Weswegen die Rechtsordnung diese Unternehmer vor den Rückwirkungen langfristiger Verträge auf ihre private Sphäre stärker schützen sollte als den beispielhaft angeführten gerade Volljährigen, ist nicht zu erklären722. 2. Privatautonomie Die Begründbarkeit der Bindungskraft privater Erklärungen durch die Privatautonomie steht unter der Bedingung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen von Selbstbestimmung gegeben sind723. Dies sind insbesondere Gleichrangigkeit und eine symmetrische Informationsverteilung. Defizite selbstbestimmter Willensbildung vermögen die Bierlieferungsrechtsprechung bei Zugrundlegung eines Rechtfertigungsmodells der Privatautonomie zu erklären: Die Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit durch Bierlieferungsverträge tritt im Grundsatz hinter die Anerkennung weitgehender Privatautonomie zurück. Wenn die Entwicklung von der privatautonomen Basis der Erklärung fortführt und die nur begrenzte Rechtfertigungskraft eingeschränkt autonomer Erklärungen offenbart, führt diese Einschränkung jedoch zur Unzulässigkeit der Bindung und zur Gewährung von Sonderkündigungsrechten. Es lassen sich eine Reihe von Anhalts- und Anknüpfungspunkten dafür finden, dass die Richtigkeitsgewähr von Willensäußerungen des Gebundenen im Fall von Bierlieferungsverträgen gemindert ist. Wider eine vollständig autonome Willensbildungen stehen zunächst die Probleme, vor die der schiere zeitliche Umfang der avisierten Bindung den Erklärenden stellt. So wird die Unüberschaubarkeit eines Bindungszeitraums 722

Bisher erörtert wurde allein der schlicht individualnützige Schutz persönlicher Freiheit, vergleichbaren Gleichstellungsbedenken beim Schutz wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit wurde durch Hinweis auf die daneben bestehende gesellschaftliche Dimension wirtschaftlicher Unbeweglichkeit begegnet. An dieser Stelle versagt jedoch dieser Weg. Selbst wenn die Rechtsordnung den Wirt nicht aus privatbezogener Sorge um seine persönliche Freiheit vor den Bindungen von Bierlieferungsverträgen schützt, sondern wegen der Bedeutung persönlicher Freiheit ihrer Glieder für die Gesellschaft, bleibt die Diskrepanz bestehen. Denn weshalb die freie Persönlichkeitsentwicklung des Mieters für die Gesellschaft von derart geringerer Bedeutung sein soll, ist ebenfalls nicht zu erklären. 723 Vgl. BVerfGE 81, 242, 254 = NJW 1990, 1469, 1470.

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über 20 Jahre hinaus auch als Grund dafür genannt, weshalb es sich hierbei um eine Höchstgrenze für die Ausschließlichkeitsbindung handelt: Weil „ein Gastwirt erfahrungsgemäß nicht in der Lage ist, über einen derart […] langen Zeitraum hinaus das Risiko der von ihm eingegangenen Bindung hinreichend zu erkennen und abzuschätzen“724. So kann das Marktumfeld in einer solchen Zeitspanne ebenso wenig vorhergesehen werden wie die Geschäftspolitik der Brauerei (etwa intensive Werbung etc.) oder ihr Bemühen bei der Betreuung. Dies rührt an das fundamentalere Spannungsverhältnis von Privatautonomie und langfristigen Bindungsverhältnissen, dass der Verpflichtungswillen in einer veränderlichen Welt einen Bedeutungswandel erfährt. Auch das Abzinsen weit in der Zukunft liegender Nachteile wurde bereits beschrieben, dass besonders intensiv wirkt, wenn es sich wie bei den Bierlieferungsverträgen um einseitige Dauerpflichten handelt. Die Gegenleistung wird sofort erbracht, sodass sich bei Erreichen des zukünftigen Zeitpunkts die Verhältnisse umkehren. Wegen der inzwischen eingetretenen zeitlichen Distanz wird der in der Gegenleistung liegende Vorteil subjektiv weniger stark empfundenen, als erhaltener Vorteil ist er ohnehin bereits in die Beurteilung der eigenen Situation eingepreist und wird von daher gering geschätzt725. Der Nachteil der eigenen Bindung aktualisiert sich hingegen, der Abzinsungseffekt entfällt. Diese psychologischen Mechanismen programmieren eine Belastung der Vertragsbeziehung durch zukünftiges Reuen der Vertragskonditionen. Die Bierlieferungsrechtsprechung gewährt demgegenüber ein Recht, einmalig zu irren. Mit regelmäßig zulässigen Höchstbindungszeiten zwischen 15–20 Jahren bietet sie dem Gastwirt die Gelegenheit, sich nach Ablauf dieser Bindungszeit noch einmal für eine andere Brauerei zu entscheiden. Zu diesen auf der zeitlichen Distanz beruhenden Schwierigkeiten privatautonomer Dauerbindung treten bei Bierlieferungsverträgen häufig noch situative Herausforderungen freier Willensbildung726. So dienen die gewährten Darlehen unter anderem dem Zweck der Existenzgründung als Gastwirt, sodass Bierlieferungsverträge typischerweise gerade auch zu Beginn der beruflichen Tätigkeit als Gastwirt abgeschlossen werden. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der angehende Gastwirt in einer besonders schwachen Verhandlungs- und Informationsposition (vgl. den Gedanken der §§ 309 Nr. 9727, 512, 655e II BGB). Auch sonst begünstigen die wirtschaftlichen Machtverhältnisse Verhandlungspositionen der Brauereien, die sich den deutschen Biermarkt aufteilen: 1998 kontrollierten 15 Brauereien zwei Drittel des deutschen Bier-

724

Hiddemann, WM 1975, 942. Ainslie/Haslam, Hyperbolic Discounting, insb. S. 72 ff. 726 Z.B. handelte in RG JW 1938, 2395 ein Nichtfachmann. 727 Staudinger/Coester, § 307, Rn. 539. 725

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

marktes728, sieben Jahre später waren es bereits nur noch acht729 mit der Tendenz zu weiterer Konsolidierung730. Denkbar ist, dass aufgrund derartiger Beschränkungen selbstbestimmter Willensbildung der resultierenden Erklärung nur zeitlich begrenzte Bindungswirkung zugestanden wird. Die Anerkennung von Privatautonomie bedeutet zwar, sich zur Verpflichtungsbegründung mit weniger als dem ideal gebildeten Willen zufriedenzugeben, weil dieser ideale Wille nicht existiert. Bei derart schwerwiegenden und potenziell existenziellen Verpflichtungen wie jener zu besonders langdauernder Bindung könnten die Anforderungen erhöht und die Möglichkeit abstrakter Bindung um zukünftige Kündigungsrechte reduziert sein. Generell gilt, dass unter bestimmten Bedingungen aus bis zu Marktbeherrschung bzw. Abhängigkeitsverhältnissen gesteigerter Marktmacht oder gesteigerter Angewiesenheit eines Teils auf einen Vertragsschluss ein Kontrahierungszwang folgen kann731. Denkbar scheint dann auch umgekehrt ein dogmatisch als Kündigungsrecht abgekürzter Dekontrahierungszwang aufgrund einer existenziellen wirtschaftlichen Angewiesenheit darauf, ein Abhängigkeitsverhältnis zu verlassen. Eine solche Argumentation rührt an den Kern eines liberalen Privatrechts. Die Notwendigkeit von Willensprognosen über Zeiträume von mehr als zwanzig Jahren und die allgemeine Situation der eine Ausschließlichkeitsbindung übernehmenden Gastwirte stellt die selbstbestimmte Willensbildung zweifellos vor besondere Herausforderungen. Es hat jedoch eine entmündigende Nebenwirkung, über Formvorschriften hinaus die Anforderungen an die Autonomie der Willensbildung zu erhöhen. Das BGB hat auf eine relative, nach der Schwierigkeit der Angelegenheiten gestaffelte Geschäftsfähigkeit verzichtet und geht stattdessen von einer Regelvermutung unbeschränkter Geschäftsfähigkeit aus732. Die Selbstregelung eigener Angelegenheiten und die Verlässlichkeit des Wortes im rechtsgeschäftlichen Verkehr wird dadurch ermöglicht, geäußerten Willen unabhängig von seinen Motiven anzuerkennen. Privatrechtliche Freiheit ist immer die Freiheit zur falschen Entscheidung. Im BGB gelten daher enge Anforderungen, den Grundsatz der Wirksamkeit von Willenserklärungen aus Gründen fehlerhafter Willensbildung zu entkräften (§ 119 II BGB, § 138 II BGB). Die Bierlieferungsrechtsprechung lässt sich nicht aus einer unzureichenden Willensbildung des Verpflichteten erklären. 728 Tagesspiegel v. 16.06.1998, Immer weniger Brauereien kontrollieren den Biermarkt; http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/immer-weniger-brauereien-kontrollieren-den-biermarkt/ 46110.html, letzter Abruf: 04.07.2015. 729 KPMG, Biermarkt 2005. 730 KPMG, Biermarkt 2007. 731 § 33 i.V.m. § 20 Abs 1 und 2 GWB. 732 Vgl. zu relativer Geschäftsfähigkeit BGHReport 2001, 714.

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Die erste Schwierigkeit für eine solche Erklärung stellt die Rechtsprechung zur Anschlussbindung dar. Wird während der Bindungszeit eines Bierlieferungsvertrags die Bindungsdauer erhöht, betrachtet der BGH die ursprüngliche Bindungszeit und die Anschlussbindungszeit nicht nur getrennt, sondern unter Umständen (bei einem „inneren Zusammenhang“733 mit der ursprünglichen Bindung) auch einheitlich. In einem Fall verlängerten Wirt und Brauerei nach vier von vorgesehenen zwanzig Jahren die Bindungszeit um weitere vier Jahre, der BGH nahm eine unzulässige 24-jährige Bindung an734. Diese Rechtsprechung zu Anschlussbindungen lässt sich mit der Figur zeitlich begrenzter Bindungskraft nicht erklären, denn die Verlängerungserklärung wirkte lediglich zwanzig Jahre in die Zukunft, also eine nach der Rechtsprechung zu Erstbindungen unter (den in diesem Fall im Übrigen gegebenen) Umständen noch zulässige Bindungszeit. Auch das Unabsehbarkeitsargument ist mit der Rechtsprechung zu Anschlussbindungen unvereinbar, denn wenn dem Gastwirt bei erstmaligem Vertragsschluss zugetraut wird, zwanzig Jahre in die Zukunft zu planen, muss dies auch für die (Wieder-)Verlängerung der Restbindungszeit auf 20 Jahre gelten. Um die Rückführung der Bierlieferungsrechtsprechung auf Einschränkungen der Privatautonomie mit den Entscheidungen zur Anschlussbindung zu vereinbaren, müsste man auf dieses und andere Argumente des schieren zeitlichen Umfangs der Bindung verzichten und sich auf die Argumente der besonderen Abschlusssituation beschränken. Begründen lässt sich die Einheitsbetrachtung nur so, dass sich der Gastwirt bei einer Restbindungszeit von 16 Jahren noch in einer solchen Abhängigkeit von der Brauerei befindet, dass ihm keine Ablehnung des Verlängerungsbegehrens zuzutrauen ist735. Dies deckt sich damit, dass in den Fallgestaltungen der Einheitsbetrachtung die Bindungszeiten regelmäßig nach verhältnismäßig kurzer Laufzeit und bei fortbestehenden Darlehenspflichten verlängert wurden736. In dem Beeinflussungspotenzial der fortbestehenden 733

BGH NJW-RR 1990, 816. BGH NJW 1974, 2089, 2090. 735 So auch BGH NJW 1974, 2089, 2090: „Gerade in solchen Fällen, in denen der Gastwirt infolge seiner langfristigen Bindung gar nicht in der Lage ist, sich mit Kreditwünschen erfolgreich an eine andere Brauerei zu wenden, er also insoweit ohnehin besonders stark von der Vertragsbrauerei abhängig ist, erscheint eine einheitliche Bewertung der Einzelverträge hinsichtlich der höchstzulässigen Vertragsdauer geboten.“ Die beschriebene Abhängigkeit ist jedoch dadurch gemindert, dass der Gastwirt den Kredit für die nächsten 16 Jahre Bindung bereits vor vier Jahren erhalten hat und er in dieser Zeit unabhängig von Annahme oder Ablehnung der Verlängerung Kredite nur als Gegenleistung einer erst in 16 Jahren beginnenden Bindung erhalten wird. 736 Vgl. als Beispiele für Anwendung der Einheitsbetrachtung etwa BGH NJW 1972, 1459; NJW-RR 1990, 816; NJW 1974, 2089: Die Verlängerungsvereinbarung fand nach 4 von insgesamt 20 Jahren Bindungszeit und somit in einem Zeitpunkt statt, zu dem der „Gastwirt noch keinerlei Chance, sich mit Kreditwünschen an andere Brauerei zu wenden“. 734

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Bindung läge der „innere Zusammenhang“ mit der Verlängerungsentscheidung. Begründet man die Bierlieferungsrechtsprechung mit der Situation des Wirtes bei Vertragsabschluss, wird jedoch ebenfalls zusätzlicher Erklärungsbedarf geschaffen. Das BGB berücksichtigt Beeinflussungen eines Vertragsschließenden in der Abschlusssituation; nirgendwo jedoch in vergleichbarer Weise wie es die Bierlieferungsrechtsprechung täte. Die Überrumpelungssituation eines Haustürgeschäftes begründet ein Widerrufsrecht in der Frist von 14 Tagen (§ 355 II S. 1 BGB), Irrtümer sind entweder unbeachtlich oder berechtigen zu unverzüglicher Anfechtung. Das BGB erweitert auf diese Weise die Überlegungsfrist und „verbessert“ somit die Bedingungen der Willensbildung in der Abschlusssituation. An anderer Stelle wird Entsprechendes durch Formvorschriften (z.B. §§ 311b I, 492 I S. 1, 550 S. 1, 766 S. 1 BGB) oder Aufklärungspflichten (§ 491a BGB i.V.m. Art. 247 EGBGB, §§ 6 f. VVG) versucht. Selbst die aus einer weniger dezidiert liberalen Periode des BGB stammenden Schutzkonzepte privatautonomer Selbstbestimmung bemühen sich um zeitnahe Rechtssicherheit in die eine (Wirksamkeit) oder andere (Unwirksamkeit) Richtung. Die Bierlieferungsrechtsprechung besitzt demgegenüber eine andere Qualität. Sie schafft kein Recht der Beseitigung des ganzen Vertrages in überschaubarer Frist, sondern limitiert inhaltlich die zu treffenden Vereinbarungen. Eine vergleichbare einseitige Intervention in das Vertragsgleichgewicht bildet das AGB-Recht. Die im Anwendungsbereich der §§ 308 f. BGB von den Verbrauchern oft ungelesenen AGB verfügen jedoch nicht nur über eine noch geringere Verwurzelung in der privatautonomen Willensbildung zur Erreichung dieses Vertragsgleichgewichts (die Bindungszeit in Bierlieferungsverträgen gehört neben dem Preis und der Höhe der Mindestabnahmemenge zu den entscheidenden Parametern des Vertrages). Die AGB-Bestimmungen selbst sind auch nicht allein durch Einschränkungen ihrer privatautonomen Rechtfertigung zu erklären, sondern im Sinne des Schutzes der Freiheitsgewährung durch Privatrechtsinstitute737.

Zudem tragen die einzelnen Begründungen herabgesetzter Selbstbestimmung bei genauerer Untersuchung weniger weit, als es zunächst den Anschein hat. Zunächst ist die konkrete wirtschaftliche Verhandlungsposition der Wirte gegenüber den Brauereien weniger ungünstig738. Es trifft zwar zu, dass ein Großteil des Marktes von wenigen wichtigen Brauereien bestimmt wird, die den Markt von Kunden klassisch nachgefragter Marken oligopolisieren. Den verbleibenden Marktanteil teilt sich in Deutschland jedoch eine im internationalen Vergleich sehr hohe Zahl kleinerer und mittlerer Brauereien, die zu 737 S.o., Kap. 3, F. Zweck der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten in AGB und Versicherungsverträgen. 738 Vgl. hierzu bereits Klaas, BB 1974, 1098, 1099 unter Hinweis auf u.a. den intensiven Brauereinwettbewerb.

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einem insgesamt intensiven Brauereinwettbewerb beitragen739. Erhebliche Überkapazitäten der Brauereien und ein entsprechender Konsolidierungsdruck740 bilden Rahmenumstände, die den Größenvorteil der Brauereien gegenüber dem einzelnen Gastwirt zumindest ausgleichen. Auch die Begründung der Verhandlungsschwäche der Gastwirte damit, dass Bierlieferungsverträge typischerweise in der Existenzgründungsphase abgeschlossen werden, ist nicht zu halten. Dass der Bierlieferungsvertrag von einem Existenzgründer abgeschlossen wurde, wird durch die Rechtsprechung als verlängernder Faktor für die Bindungszeit berücksichtigt. D.h. die Gerichte argumentieren gerade nicht mit der Schwäche des Gastwirtes in der Abschlusssituation, sondern umgekehrt damit, dass die Brauereien dem Gastwirt durch Abschluss eines Bierlieferungsvertrages und Gewährung des Darlehens die Existenzgründung erst ermöglicht haben, was eine längere Bindungszeit des neuen Gastwirtes rechtfertige741. Die geschilderten Umstände herabgeminderter Privatautonomie sind schließlich im Wesentlichen nicht auf die richterlichen Fallgruppen überlanger Bindung im Rahmen des § 138 I BGB beschränkt. Es handelt sich um allgemeine Schwierigkeiten der Rechtfertigung weit in die Zukunft weisender Verträge durch das Modell privatautonomer Selbstbindung. Weshalb also sollte die Rechtsprechung seit 1906 die Bierlieferungsrechtsprechung nicht auf sämtliche Dauerschuldverhältnisse erweitert haben? Dauerschuldverhältnisse sind im Allgemeinen in ihrer Laufzeit nicht auf in Ausnahmefällen bis zu 20 Jahren beschränkt, sondern nur unter besonderen Voraussetzungen anpass- oder kündbar, §§ 313 f. BGB. Die allgemeinen Schwierigkeiten privatautonomer Rechtfertigung überlanger Ausschließlichkeitsbindungen erklären möglicherweise, weshalb eine abweichende staatliche Festlegung der Bindungszeiten überhaupt mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Sie begründen jedoch nicht, weshalb die Rechtsprechung ausgerechnet im Recht der Bierlieferungsverträge von diesem Spielraum Gebrauch gemacht hat. Die Bierlieferungsrechtsprechung kann durch das Modell langsam verblassender Zurechenbarkeit der Selbstbindung allenfalls verteidigt, aber nicht begründet werden. 3. Vertragsgerechtigkeit Eine gegenüber dem Wirtschaftsmodell des BGB noch unempfindlichere Erklärung der Bierlieferungsrechtsprechung wäre, dass das von den Parteien vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung „falsch“ sei. Deswegen setzten die Gerichte die Ausschließlichkeitsbindung als Leistung eines 739

KPMG, Biermarkt 2007. 75 % der befragten Brauereien erwarteten eine Reduktion der Zahl unabhängiger Brauereibetriebe um 25%–33% in den nächsten 5 Jahren, KPMG, Biermarkt 2007. 741 BGHZ 147, 279; RGZ 63, 390, vgl. auch Paulusch, GaststättenR, S. 35. 740

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Vertragsteils herab und gewährleisten so Äquivalenz. Dies widerspricht diametral der gesetzgeberisch vorausgesetzten Erkenntnis, dass neben dem frei ausgehandelten Preis kein anderer, „richtiger“ Preis existiert742. Eine solche Erklärung kann sich jedoch auf das schwer zu entkräftende Argument berufen, dass die Bindungszeitverkürzung durch die Bierlieferungsrechtsprechung ausgleichslos erfolgt743. Nach dem ersten Anschein lässt die Bierlieferungsrechtsprechung das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung der typischerweise mit dem Bierlieferungsvertrag verbundenen Darlehensgewährung im Wesentlichen unberührt. Regelmäßig wird vereinbart, dass die anfänglich gewährte Darlehenssumme durch einen Aufschlag auf den Bierpreis zurückgezahlt werden kann. Vermindert sich Dauer der Ausschließlichkeitsbindung und dementsprechend die abgenommene Biermenge so weit, dass die Summe der Aufschläge die Darlehenssumme zuzüglich Zinsen nicht mehr erreichen, entfällt damit nach der Rechtsprechung keineswegs die Rückzahlungspflicht des Gastwirtes744. Die Rückzahlung des Darlehens durch Aufschläge wird nur als Ersetzungsbefugnis ausgelegt745, sodass bei ausfallendem Bierbezug die ursprüngliche Zahlungspflicht fortbesteht.

Wenn die Bierlieferungsrechtsprechung die Rückzahlungspflicht des Gastwirtes dem Betrag nach auch unberührt lässt, verändert sie dennoch das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Denn der Sinn der Bierlieferungsverträge mit Ausschließlichkeitsbindung liegt gerade darin, dem Gastwirt Finanzierungsmöglichkeiten zu besseren als den marktüblichen Konditionen zu verschaffen. Deswegen wird der Umfang der Rückzahlungspflicht des Gastwirtes zuzüglich zu leistender Zinszahlungen nur in Kombination mit dem gesamten Umfang der Ausschließlichkeitsbindung die Gegenleistung ergeben, um derentwillen die Brauerei das Darlehen ursprünglich geleistet hat. Die Herabsetzung der Ausschließlichkeitsbindung verändert einen Teil dieses Gesamtpaketes. Es wäre denkbar, dass sich entsprechend die Gegenleistungspflichten der Brauerei mindern, etwa Darlehensumfang, Zinsrabatt oder die Kaufpreisermäßigung des Bieres746. Wenn Zweck der Bierlieferungsrechtsprechung tatsächlich der Schutz der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Gastwirtes ist, wäre gegen eine solche Ausgleichspflicht prinzipiell nichts einzuwenden: Der Vertrag wird in dem Umfang aufrechterhalten, in dem er mit der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Gastwirtes noch vereinbar ist und die Parteien werden dementsprechend so gestellt, als hätten sie den Ver742

MünchKomm-BGB/Westermann, Vor §§ 433 ff., Rn. 11. Vgl. statt aller BGH NJW 1992, 2145, Ls.: „Wird ein allein wegen übermäßig langer Dauer der Bezugsbindung sittenwidriger Getränkelieferungsvertrag in entsprechender Anwendung des § 139 BGB mit verkürzter Laufzeit aufrechterhalten, so haben die weiteren beiderseitigen Vertragspflichten, vor allem auch die Gegenleistungen der Brauerei, in Bestand und Umfang unverändert zu bleiben.“ 744 Vgl. BGHZ 54, 154. 745 OLG Koblenz NJW-RR 2001, 348, 349. 746 Vgl. OLG München, Urteil vom 08.02.1991 – Az: 14 U 382/90. 743

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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trag von Anfang nur mit einer Ausschließlichkeitsbindung auf zulässige Dauer geschlossen. Nur durch eine Ausgleichspflicht kann zudem sichergestellt werden, dass ein Gastwirt, der bei den Vertragsverhandlungen seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit vor überlanger Ausschließlichkeitsbindung im Gegenzug zu ungünstigeren Konditionen selbst gewahrt hat, nicht im Ergebnis schlechter gestellt wird, als ein Gastwirt, der sich auf eine längere Bindung eingelassen hat. Demgegenüber hält der BGH die Idee eines solchen Ausgleichs vor dem Hintergrund von „Sinn und Ziel der Senatsrechtsprechung“747 (VIII. ZS) für „denkgesetzwidrig“748. „Denkgesetzwidrig“ wäre ein solcher Ausgleich jedoch nur, wenn die Intervention in das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht nur ein Nebeneffekt der Rechtsprechung wäre, sondern eben „Sinn und Ziel der Senatsrechtsprechung“. Der BGH zieht den entsprechenden Schluss, die „Unausgewogenheit im Verhältnis der beiderseitigen Leistungen“749 heranzuziehen, um die Ausgleichslosigkeit der Herabsetzung zu verteidigen: „Nur die einseitige Vertragsanpassung vermag das nach § 138 I BGB zu beanstandende Mißverhältnis der Verpflichtungen beider Vertragsteile auszugleichen“750. „Wenn [...] eine Gegenleistung der Kl. in Höhe von 80000 DM keine Vertragslaufzeit von 20 Jahren rechtfertigen kann, dann muß eine um 1/4 gekürzte Vertragsdauer zu einer um 1/4 verminderten Gegenleistung der Kl. in einem ebenso unangemessenen Verhältnis stehen.“751

Diese Argumentation ist in sich schlüssig, trifft aber nur zu, wenn die Sittenwidrigkeit keine im Hinblick auf die Freiheit des Gebundenen absolute, sondern zumindest auch eine im Hinblick auf die erhaltene Leistung relative ist. Dies bedeutet nichts anderes als richterliche Korrektur des durch Parteien vereinbarten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Ausgangspunkt für die Begründung der Bierlieferungsrechtsprechung als Herstellung von Äquivalenz ist die bestimmende Bedeutung der von der Brauerei erbrachten Gegenleistung für die Dauer der höchstzulässigen Bindungszeit752, die in den Urteilsgründen auch gegenüber der Betonung des Aspektes wirtschaftlicher Freiheit zunehmend in den Vordergrund tritt753. Dabei kann die überlange Bindungsdauer zunächst zu einem anfänglichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung beitragen. Weiterhin kann sich die Inäquivalenz auch erst nachträglich ergeben: Während die Gastwirte 747

BGH NJW 1992, 2145, 2146. Ebd. 749 Ebd. 750 Ebd (Herv. d. Verf.). 751 Ebd. 752 Vgl. etwa BGH NJW 2000, 1110; Paulusch, GaststättenR, S. 28, 44 mit Verweis auf BGH WM 1973, 1360; NJW 1974, 2089; ZIP 1984 335; WM 1985, 608. 753 Streit, BLV, 75. 748

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

bis zum Vertragsschluss vom Wettbewerb der Brauereien noch profitieren, ändern sich die Machtverhältnisse mit Vertragsschluss drastisch. Eine überlange Ausschließlichkeitsbindung nimmt der Brauerei den Anreiz zu gegenüber dem Gastwirt besonders hochwertiger Leistungserbringung. Hinzu tritt die nur unvollständige Vorfestlegbarkeit der Leistung für einen derart langen Zeitraum. „Weiche“ Faktoren (z.B. die Bereitschaft der Brauerei zur Anpassung an eine aggressive Preispolitik des Marktumfeldes, die Innovationskraft der Brauerei, ihre Betreuungsleistung oder ihre Reaktion auf Geschmacksschwankungen) und etwaiges Kulanzverhalten der Brauerei sind durch festsetzbare Vertragspflichten nur unter ebenso hohem Aufwand in der Vertragsgestaltung schwer zu erfassen wie die von ihr installierten Kontrollmechanismen zur Verhinderung rufschädigender Skandale und der dynamische Umfang ihrer Werbetätigkeit. Die Bierlieferungsrechtsprechung könnte demgegenüber sicherstellen, dass Nutzen und Lasten des Bierlieferungsvertrags für den Gastwirt zeitlich nicht zu weit auseinanderfallen und die Ausschließlichkeitsbindung als Teil der Kapitalvergütung nicht überlang nach Rückzahlung des Darlehens weiterläuft. Dass der Rückzahlungszeitpunkt des Darlehens auf die Zulässigkeitsdauer der weiterlaufenden Ausschließlichkeitsbindung keine Auswirkungen hat, ist jedoch allgemein anerkannt. Zudem fällt die unvollkommene Vorfestlegbarkeit der Leistung der Brauerei vergleichsweise wenig ins Gewicht. Die Leistungsquantität ist eindeutig bestimmbar und auch die Leistungsqualität lässt sich auf dem heutigen Stand der Messtechnik vergleichsweise unaufwändig überprüfen754. Zwar wirken sich neben den Parametern Quantität und Qualität auch die genannten, weniger klar vorfestlegbaren Aspekte auf das Leistungsverhältnis zu den Gastwirten aus. Im Vergleich zu anderen Dauerschuldverhältnissen kennzeichnet Bierlieferungsverhältnisse jedoch kein solches Maß an fehlender Vorfestlegbarkeit, dass hieraus eine ausnahmsweise Bindungszeitkontrolle in just dieser Fallgruppe zu erklären wäre. Des Weiteren ist eine Inäquivalenz der in einem späten Vertragsstadium ausgetauschten Leistungen auch deswegen nur bedingt zur Erklärung von Bindungsverkürzungen geeignet, weil dies bis zu einem gewissen Grad Teil des ökonomischen Sinns der Bierlieferungsverträge ist und die Vorleistung der Brauerei im frühen Vertragsstadium ausgleicht. Insbesondere nach Rückzahlung des Darlehens stellt die verbleibende Ausschließlichkeitsbindung eine planmäßige einseitige Begünstigung der Brauerei dar, eine auch im Interesse des Gastwirtes zeitlich gestreckte Gegenleistung zur Kapitalvergütung. Eine Äquivalenzkorrektur durch die Rechtsprechung ohne entsprechende Herleitung aus Defiziten in der privatautonomen Bildung der Bindungserklä754

Vgl. die von der Mitteleuropäischen Brauereianalysenkommission gesammelten und standardisierten Methoden: MEBAK, Methodensammlung. Vgl. zu weiteren Messmethoden die Forschungen etwa der Lehrstühle für Technologie der Brauerei an der TU München.

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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rung sieht sich neben prinzipiellen Bedenken zudem praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Bierlieferungsrechtsprechung orientiert sich, anders als andere Äquivalenzkorrekturen im Rahmen des § 138 I BGB, nicht am Verhältnis der Gegenleistungspflichten gegenüber marktüblichen Preisen, sondern an dem absoluten Wert der Bindungszeit. Dies stellte eine aus Äquivalenzerwägungen begründete Rechtsprechung vor das Problem, Maßstäbe „richtiger“ Preis-Leistungs-Verhältnisse jenseits der Marktpreisbildungen zu ermitteln. Schließlich lassen sich die Besonderheiten der Bierlieferungsrechtsprechung aus drei Gründen nicht mit dem Zweck einer Herstellung von Äquivalenz vereinbaren. Wäre erstens die Bindungsdauer ein reiner Äquivalenzposten im Gesamtpaket des Preis-Leistungs-Verhältnisses, wäre nicht zu erklären, weswegen die Rechtsprechung zur Herstellung der Äquivalenz ausschließlich die Bindungsdauer vermindert. Es ist nachvollziehbar, weshalb die Rechtsprechung darauf verzichtet, stattdessen die Gegenleistung der Brauerei zu erhöhen. Die Leistungspflichten des Gastwirtes hingegen erstrecken sich wesentlich auch auf Zinshöhe und Rückzahlungszeitraum, nicht allein auf die Dauer der Ausschließlichkeitsbindung; ohne dass die Rechtsprechung je erwogen hätte, für die Herbeiführung einer Äquivalenz bei diesen Pflichten anzusetzen. Es ist zweitens überraschend, dass die Verträge in den jeweiligen Fallkonstellationen mit sehr unterschiedlichen Vertragskonditionen durch dieselbe Beschränkung der Bindungsdauer auf eine Bindungszeit in einem vergleichsweise schmalen Korridor von regelmäßig etwa 15–20 Jahren auf eine jeweils identische Äquivalenz zurückgeführt worden sein sollen. Nicht aus dem Preis-Leistungs-Verhältnis und seiner Korrektur ist schließlich drittens zu erklären, weswegen die Rechtsprechung Bindungen von 15 Jahren regelmäßig für zulässig hält, Bindungen von mehr als 20 Jahren hingegen nur in seltenen Ausnahmefällen und aus besonderen Gründen755 und jede signifikant länger dauernde Bindung für generell unzulässig756. Weshalb sollte eine höchstzulässige Bindungsdauer von nur zwanzig Jahren existieren, deren Überschreitung unabhängig von weiteren Erhöhungen der Gegenleistung der Brauerei unzulässig ist, wenn Zweck der Bierlieferungsrechtsprechung allein die Verhinderung eines Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung wäre? Es existieren alternative Erklärungsansätze für die Ausgleichslosigkeit der Bindungszeitherabsetzung. So ist denkbar, dass die ausgleichslose Herabsetzung Abschreckungswirkung gegenüber den Brauereien entfalten soll, um die Effektivität der Höchstgrenze sicherzustellen, die auch nicht aus Interesse an der späteren Transformation in Ausgleichszahlungen überschritten werden 755 BGH NJW 1974, 2089; DB 1973, 1843; WM 1975, 307; NJW 1979, 865; GRUR 1984, 298; WM 1984, 88, 89. 756 BGH NJW 1970, 2243; 1972, 1459; 1979, 2149; 1985, 2693; 1989, 2362; 1992, 2145; s. auch Wahl, Bierlieferungsvertrag, S. 18.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

soll. Dies gilt insbesondere deswegen, weil aufgrund der ausnahmsweisen geltungserhaltenden Reduktion757 der Bindungsdauern die Abschreckungswirkung einer vollständigen Nichtigkeit nach § 138 I BGB nicht eintritt, was die verhaltenssteuernde Wirkung der Unzulässigkeit herabsetzt758. Zudem kann diese Ausgleichslosigkeit auch den begrenzten Mitteln der Gastwirte geschuldet sein, deren wirtschaftliche Beweglichkeit nur unter der Bedingung von Geldzahlungen wiederherzustellen in vielen Fällen faktisch einer Nichtwiederherstellung gleichkommen könnte. Ein Ausweichen in Äquivalenzerwägungen ist vor dem Hintergrund derartiger Erklärungsansätze nicht erforderlich, jedenfalls vermag er nicht zu überzeugen. 4. Wettbewerbsschutz In der Ausschließlichkeitsbindung liegt die wesentliche Besonderheit der Bierlieferungsverträge. Es liegt daher nahe, eine besondere Sittenwidrigkeitsprüfung durch die Rechtsprechung auf die Ausschließlichkeitsbindung als Wettbewerbsverbot zurückzuführen. Demnach stellte die Bierlieferungsrechtsprechung eine frühe Form des Wettbewerbsschutzes dar, die Wurzel einer Wettbewerbsidee im BGB, die etwas unscharf unter dem Stichwort wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit entwickelt wurde. Nicht zufällig handelte es sich dann bei den Fallgruppen der Sittenwidrigkeit wegen überlanger Bindungsvereinbarungen um eben jene, die bis in jüngere Zeit die Gerichte hinsichtlich ihrer Zulässigkeit nach den heutigen Maßstäben des Wettbewerbsrechts beschäftigen. Die Bindungsbegrenzung von Bierlieferungsverträgen dient danach der Bewahrung der Marktdynamik gegenüber der Gefahr der Erstarrung durch ausdefinierte Rechtsbeziehungen. Dies kann zunächst im Interesse des Konsumenten sein, indem die Dynamik des Marktumfeldes etwa zeitnah Integration von Innovationen oder Anpassungen an Geschmacksschwankungen ermöglicht und sich so auf die unmittelbare Angebotsqualität auswirkt. Die flexiblere Anpassung des Angebots an Konsumentenwünsche beschränkt sich hierbei nicht auf Getränke, durch häufige759 Zustimmungsklauseln in Bierlieferungsverträgen kann auch die Umwandlung vornehmlich auf Getränkeumsatz gerichteter Gastwirtschaften in Betriebe gehobener Gastronomie durch die bindungsbegünstigte Brauerei blockiert werden. Verbessert wird der Zugang des Konsumenten zu Biermarken und Brauereien und Gastronomieangebote durch ein und dieselbe Gastronomiestelle, also etwa seine „Stammkneipe“. Die Bindungsbegrenzung über § 138 I BGB liegt auch im Interesse der Wettbewerber (also anderer Brauereien), denen die Ausschließlichkeitsbindung den Zugang zu Gastwirtschaften und so mittelbar zum Endkunden 757

BeckOK-BGB/Wendtland, § 138, Rn. 33. Vgl. dagegen § 306 II BGB. 759 Vgl. z.B. BGH DB 1959, 1367. 758

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versperrt, und deren Interessen als Wettbewerbsfreiheit (Art. 2, 12 GG) auch selbstzweckfähig sind. Die Verkürzung der Bindungszyklen könnte aber auch mit dem Interesse der Allgemeinheit an einem Biermarkt erklärt werden, der die ihm volkswirtschaftlich zugedachten Funktionen erfüllen und die entsprechenden Wohlfahrtsgewinne erzielen kann. Für all diese Interessen lässt sich eine Bierlieferungsrechtsprechung reklamieren, die dem Wettbewerbsschutz dient. Der Wettbewerbsschutz als Erklärung der Sittenwidrigkeit bietet zudem den Vorteil, auch zur Begründung der zeitweisen Zulässigkeit der Ausschließlichkeitsbindung geeignet zu sein, ist also eine selbstbegrenzte Erklärung: Die Zulässigkeit von Bierlieferungsverträgen erleichtert Gastwirten zunächst den Markteintritt und erhöht die Wettbewerbsintensität auf dem Gastronomiemarkt, ab einer gewissen Bindungsdauer beginnen jedoch die wettbewerbsmindernden Effekte zu überwiegen. Die komplexe Ermittlung dieser Dauer wäre demnach Gegenstand der variierenden Bierlieferungsrechtsprechung. Eine Erklärung der Bierlieferungsrechtsprechung muss begründen, weswegen in der Vergangenheit bestimmte Fallgruppen gegenüber der Gesamtheit der Dauerschuldverhältnisse für eine Bindungsbegrenzung herausgegriffen wurden. Es kann sich hierbei um die historische Zufälligkeit handeln, dass Langzeitbindungen vornehmlich in bestimmten Verträgen auftraten oder nur in bestimmten Fallgruppen zu mehrinstanzlichen Gerichtsverfahren führten. Will man auf dieses Argument nicht ausweichen, müssen die Fallgruppen (also etwa die Getränkebezugsverträge) eine besondere Schutzwürdigkeit hinsichtlich des erklärenden Wertes aufweisen. Mit der Ausschließlichkeitsbindung weisen Getränkebezugsverträge im Hinblick auf den Wettbewerbsschutz eine solche Besonderheit gegenüber anderen Dauerschuldverhältnissen auf. Aus rein wettbewerblicher Sicht ist diese Besonderheit jedoch weniger einschneidend, als man zunächst vermuten mag. Selbst im theoretischen Fall einer vollständigen Getränkebindung sämtlicher Gastwirtschaften eines regionalen Marktes bleibt ein Marktzutritt durch Neueröffnung von Gaststätten realisierbar. Der Aufbau marktumspannender Vertriebsketten ist eine hohe, aber nicht unüberwindbare Marktzutrittshürde. Vermag der Neubewerber einen Wettbewerbsbeitrag etwa in Form von Getränkeinnovationen zu erbringen, werden auch ehrgeizige Expansionspläne durch die Notwendigkeit, ein eigenes Vertriebsnetz aufzubauen, nicht wesentlich behindert760. Dass eine bereits 1906 begründete und weitgehend ungebrochen fortgeführte Rechtsprechung dem Wettbewerbsschutz dienen soll, ist schwer zu vereinbaren mit der damaligen Rechtsprechung des RG, Kartelle im Regelfall 760 Der Getränkeanbieter Starbucks hat sich zwischen 1987 und 2000 von zunächst 11 auf weltweit 6000 Filialen vergrößert und hierdurch seinen Wert von 3,8 Millionen Dollar auf ca. 10 Mrd. Dollar gesteigert (also auf mehr als das Zweitausendsechshundertfache in dreizehn Jahren), vgl. Steinborn, DIE ZEIT, 16.04.2003, S. 7.

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für zulässig zu halten761. Das Bewusstsein für die Gefahren von Wettbewerbseinschränkungen gelangte erst mit der Verordnung gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2. November 1923 in das deutsche Recht, ohne dass hieraus jedoch wesentliche Änderungen der Bierlieferungsrechtsprechung bewirkt worden wären. Auch die weitere geschichtliche Entwicklung spricht gegen einen wettbewerbsschützenden Zweck, denn seit dem 1. Januar 1958 galt in Deutschland mit dem GWB eine Spezialgesetzgebung zum Wettbewerbsschutz, neben der ein Bedeutungsverlust der Bierlieferungsrechtsprechung zu erwarten gewesen wäre, hätte es sich hierbei um eine Frühform wettbewerbsschützender Instrumente gehandelt. Stattdessen verschärften sich die Maßstäbe noch, so tolerierte die Rechtsprechung der Siebziger statt Bindungszeiten von bis zu 30 Jahren nur noch Verträge mit bis zu 20 Jahren Bindungszeit als „die äußerste Grenze des in einem Einzelfall gerade noch Zulässigen“762. Diese Verschärfung ließe sich als Teil der weiteren Durchdringung des Rechts durch das Wettbewerbsideal begreifen, sodass die Verschärfung der Bierlieferungsrechtsprechung in den Siebzigern kein Widerspruch zum Inkrafttreten des GWB wäre, sondern eine Folge. Diese Lesart ist jedoch darauf angewiesen, dass für die aus § 138 I BGB entwickelte Rechtsprechung neben dem GWB und Art. 101 ff. AEUV eine eigenständige wettbewerbsschützende Rolle verbleibt. Aus zwei Gründen handelt es sich bei einem solchen komplementären Regelungskonzept jedoch um die weniger geeignete Form des Wettbewerbsschutzes. Die Verbote des GWB und des AEUV763 sind erst bei einer Relevanz für den Wettbewerb einschlägig, die Bindungsgrenzen der Bierlieferungsrechtsprechung betreffen jedoch jeden einzelnen Vertrag. Dieser Anwendungsbereich wäre für ein wettbewerbsschützendes Konzept zu weit, denn einzelne Ausschließlichkeitsbindungen wirken sich nur in unbedeutendem Maß auf den Wettbewerb aus. Ohnehin nur ausnahmsweise und selbst dann regelmäßig nur marginal betroffen wird der Wettbewerb unter Gastwirten. Erst eine Wettbewerbsstufe höher wirkt sich die Ausschließlichkeitsbindung so aus, dass Konkurrenten der begünstigten Brauerei den einzelnen belasteten Gastwirt als Vertriebskanal ihrer Getränke verlieren. Wettbewerbsrelevant wird dieser Ausfall jedoch nur im Zusammenspiel mit anderen, also bei insgesamt 761 762

Seit RGZ 38, 155 (Sächsisches Holzstoffkartell). St. Rspr. des BGH siehe nur BGH NJW 1974, 2089; vgl. Paulusch, GaststättenR,

S. 46. 763 Auch Alleinbezugsvereinbarungen werden von Art. 101 AEUV (dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen) erfasst, jedoch nicht ohne weiteres, sondern nur, wenn „nach der Analyse der Vereinbarung in ihrem rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext feststeht, dass sie eine beachtliche Markteintrittbeschränkung für Wettbewerber bewirkt oder eine Erhöhung des Marktanteils von Wettbewerbern erheblich vermindert.“ Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Gonzales Díaz, Art. 81 Abs. 1 EG, Rn. 128.

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hoher Bindungsquote764. Dieser Wettbewerbsgefährdung begegnet das Kartellrecht jedoch durch die „Bündeltheorie“765. Kartellrechtliche Voraussetzung der Nichtigkeit ist, dass „der nationale Markt für den Absatz von Bier in Gaststätten für Mitbewerber, die auf diesem Markt Fuß fassen oder ihren Marktanteil vergrössern könnten, schwer zugänglich [ist]“ und „der streitige Vertrag in erheblichem Maße zu der Abschottungswirkung [beiträgt]“766. Zum Schutz potenzieller Wettbewerber reicht dies aus. Die einzige Form von Wettbewerb, die exklusiv durch die Bierlieferungsrechtsprechung geschützt wird, ist der auf die einzelne Gaststätte bezogene Getränke- und Brauereiwettbewerb, also letztlich das Interesse des Gastes daran, dass seinen wechselnden Getränkebedürfnissen nach marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten entsprochen wird, ohne dass er zur Geltendmachung seiner Nachfragemacht die Gastwirtschaft wechseln müsste. Dass der aus Gründen beispielsweise der Atmosphäre, der Lage oder der Zusammensetzung der Gästeschaft favorisierte Gastronomiebetrieb nicht die favorisierten Getränkemarken anbietet, wird jedoch unter das allgemeine Lebensrisiko zu fassen sein. Zweitens bleibt die Bierlieferungsrechtsprechung in den Rechtsfolgen signifikant hinter dem Wettbewerbsschutz des Kartellrechts zurück. Nach den kartellrechtlichen Regelungen in Art. 101 ff. AEUV, dem GWB und der Vertikalgruppenfreistellungsverordnung (V-GVO)767 stellen Ausschließlichkeitsbindungen in Getränkelieferungsverträgen im Grundsatz keine Wettbewerbsgefahr dar768. Ist dies ausnahmsweise doch der Fall, so sind selbst freigestellte Verträge (solche mit einem beidseitigen Marktanteil von jeweils weniger als 30%769) allenfalls mit Bindungszeiten von bis zu fünf Jahren zulässig. Nach dieser Wertung sind Bindungszeiten von bis zu zwanzig (historisch sogar bis zu dreißig770) Jahren deutlich zu lang und können kaum als effizienter Beitrag zum Wettbewerbsschutz betrachtet werden. Es ist somit wenig überzeugend, die Bierlieferungsrechtsprechung zu § 138 I BGB als Konzept zur wettbewerbsschützenden Ergänzung des Kartellrechts zu stilisieren. Ihre Regelungen sind außerhalb des Anwendungsbe764 Das OLG Frankfurt berief sich in der Delimitis-Vorlage auf die Kommission, die Bindungsgrade in Deutschland bis immerhin 60% angab. 765 Kirchhoff, in: HdB-KartellR, § 9, Rn. 16. 766 EuGH, Urteil vom 28.02.1991 – Rs. C-234/89, Delimitis/Henninger Bräu – Slg. 1991, I-935, Ls. 1; BGH NJW 1992, 2145. 767 Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20.04.2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. L 102 vom 23.04.2010, S. 1). 768 Vgl. auch Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 81: Die V-GVO begrenzt die Höchstbindungszeit auf 5 Jahre, wenn die Voraussetzungen des Art. 101 AEUV durch die Bündeltheorie bejaht werden können. 769 Art. 3 V-GVO. 770 Vgl. BGH DB 1959, 1367; Paulusch, GaststättenR, S. 40.

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reichs des Kartellrechts zum Wettbewerbsschutz weitgehend überflüssig und innerhalb des Anwendungsbereiches unzureichend. Beibehalten werden kann die Idee von der Bierlieferungsrechtsprechung zum Schutz des Wettbewerbs nur, wenn man den Wettbewerbszweck weiter versteht, auf eine Weise, die schon in Richtung bestimmter makroökonomischer Vorstellung zur Marktgestaltung weist. Die Bierlieferungsrechtsprechung wäre demnach keine Reparaturmaßnahme zum Schutz eines wiederherzustellenden Wettbewerbs, sondern eine Vorfeldmaßnahme zur Steigerung der Wettbewerbsintensität. Ziel wäre erstens eine allgemeine Verbesserung des Wettbewerbsklimas durch prinzipielle Senkung von Marktzutrittsschranken, weil ein besonders intensiver Wettbewerb für volkswirtschaftlich entsprechend fruchtbringend gehalten wird. Zweitens ginge es vornehmlich oder daneben um eine prophylaktische Aufweichung möglicher Marktverkrustungen, um gar nicht erst Marktbedingungen aufkommen zu lassen, in denen der Einsatz kartellrechtlicher Mittel notwendig wird. Aber auch diese zurückgenommene Position ist nicht uneingeschränkt haltbar. Denn besonders lang bindende Bierlieferungsverträge können für interessierte Brauereien gerade notwendiges Mittel eines sicheren Marktzutritts sein. Gerade um der positiven Effekte von Ausschließlichkeitsbindungen willen hat sich die Kommission zu ihrer Freistellung in der Vertikal-GVO entschlossen771. Diese Effekte werden sowohl in der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit772 als auch zur Kartellrechtswidrigkeit von Bierlieferungsverträgen ausdrücklich betont773. Positive Effekte von Ausschließlichkeitsbindungen außerhalb des Bereichs kartellrechtlicher Einschränkungen stellen die Erwünschtheit prohibitiver „Vorfeldmaßnahmen“ aus wettbewerblicher Sicht stark in Frage. Sie wären zum Teil sogar potenziell europarechtswidrig, denn just zur Stärkung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt bestimmen Art. 3 II S. 1 VO (EG) 1/03 und § 2 II GWB, dass nationales Recht zum Wettbewerbsschutz keine Ausschließlichkeitsbindungen verbieten darf, welche die V-GVO freigestellt hat774. Wettbewerbsschutz wird durch 771

Vgl. Erwägungsgründe Nr. 6 ff. der V-GVO. Vgl. bereits RGZ 63, 390: „[Bierlieferungsverträge] dienen dem Interesse beider Vertragsteile, dem Wirt, der mangels genügender eigener Mittel durch Gewährung des Darlehens in den Stand gesetzt wird, sich eine selbstständige Existenz zu gründen, oder den Geschäftsbetrieb zu vergrößern, oder weiteren Kredit sich zu verschaffen, der Brauerei, die dadurch auf eine bestimmte Zeit sich die Kundschaft sichert und entsprechend mit ihrem Geschäftsbetrieb, insbesondere ihrer Produktion, sich einrichten kann.“ 773 Vgl. EuGH, Urteil vom 28.02.1991 – Rs. C-234/89, Delimitis/Henninger Bräu – Slg. 1991, I-935, Rn. 10 ff. 774 „Die Anwendung des einzelstaatlichen Wettbewerbsrechts darf nicht zum Verbot von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen führen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind, aber […] durch eine Verordnung zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags erfasst sind.“ 772

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spezielle gesetzliche Vorschriften nicht nur besser, sondern zumindest in diesen Fällen auch abschließend verwirklicht. 5. Investitionsförderung Die Rechtsprechung hat trotz der Missbilligung überlanger Bindung das Anliegen verfolgt, Investitionen in unabhängige Gastwirtschaften mit Investitionen in Eigenwirtschaften gleichzustellen und eine Amortisation des Kapitals zu gewährleisten775. Hierdurch bleibt das auf der Ausschließlichkeitsbindung aufbauende Investitionsmodell gewahrt. Der Gedanke des Gleichlaufs der Bindungszeit mit fiktiven Investitionsverläufen lässt sich weiterspinnen zum Gleichlauf der durch Kapitalhingabe gerechtfertigten Bindungszeit mit der Lebensdauer der durch dieses Kapital angeschafften Gegenstände. Dieser Gleichlaufgedanke ist nach zwei Seiten hin theoretisch produktiv: Aus der Perspektive des Gastwirtes gewährleistet die begrenzte Abwicklungszeit des Bierlieferungsvertrags, dass die Ausschließlichkeitsbindung nur so lange dauert, wie er noch Nutzen aus der Investition zieht776. Hierdurch wird entsprechend bei erneutem Investitionsbedarf eine erneute Kreditaufnahme möglich. In der Rechtsprechung wurde wiederholt darauf hingewiesen777, dass Gastwirte sich regelmäßig wirtschaftlich in der Situation befinden, sich nur durch den Neuabschluss von Bierlieferungsverträgen weiteren Kredit zu von ihnen tragbaren Konditionen verschaffen zu können. Gegenüber den Brauereien schafft die Prüfung fiktiver Alternativinvestitionen etwa in den Aufbau eines eigenen gastwirtschaftlichen Betriebs, dessen Einrichtung inzwischen ebenfalls zerstört wäre, ein Fairnesskriterium. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Darlehen in Bierlieferungsverträgen regelmäßig zweckgebunden sind. Der Gastwirt erhält kein zeitlich unbegrenztes Potenzial, sondern zum Aufbau einer Gaststätte bestimmte Mittel, von deren konkretem Einsatz auch die Brauerei durch das Gewinnen einer neuen Vertriebsmöglichkeit profitiert. Nach Rückzahlung des Darlehens dauert die Ausschließlichkeitsbindung noch fort, wie auch der Gastwirt weiter von der Investition profitiert. Wenn aber diese nicht mehr nützlich ist, bildet eine fortbestehende Ausschließlichkeitsbindung nur noch ein einseitig bindendes Relikt der ehemals beiderseitigen Förderung der Geschäftsbeziehung. Um zu ermitteln, weshalb die Lebensdauer angeschaffter Wirtschaftsgüter von rechtlicher Relevanz für die Bindungszeitbestimmung sein sollte, lohnt es, einzelne Urteile genauer zu lesen. Zentraler Gesichtspunkt ist die Höhe 775

RG JW 1906, 419. Abschreibungsperioden sind zwar regelmäßig deutlich kürzer als 15–20 Jahre (vgl. BMF, Absetzungen für Abnutzung (AfA) bei Pkw und Kombifahrzeugen, Nr. 1: „[…] ist für Pkw und Kombifahrzeuge […] grundsätzlich eine Nutzungsdauer von fünf Jahren anzunehmen“), die tatsächliche Nutzungsdauer ist jedoch deutlich länger. 777 BGH NJW-RR 1990, 816; WM 1975, 850; NJW 1972, 1459. 776

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der Gegenleistung778, der „entstehende […] Kapitalaufwand“ und der Zeitraum seiner Amortisation gegenüber dem bestehenden Kreditbedarf779. Die Erörterungen kreisen um das Schaffen wirtschaftlicher Werte. Demnach könnte die volkswirtschaftlich begründete Förderung wirtschaftlicher Unternehmungen durch ein kreditfreundliches Rechtsumfeld und die Überwindung von Kapitalknappheit eine Erklärung der Bierlieferungsrechtsprechung sein. Eine vergleichbare Förderung der Gütermenge läge in der ökonomischen Aktivierung der Partnerwahlfreiheit der Gastwirte als Zweck der Bierlieferungsrechtsprechung, auch hierbei handelte es sich im Übrigen um eine selbstbegrenzte Erklärung. Die Möglichkeit von Ausschließlichkeitsbindung erlaubt den Gastwirten, den Informationsaufwand zum Verschaffen eines Marktüberblicks durch Vergleich von Angeboten unterschiedlicher Qualitäten zu vermeiden, die für eine rationale Ausübung der Partnerwahlfreiheit in regelmäßigen Abständen erforderlich wäre. Die Wirte veräußern ihren Verzicht auf die Partnerwahlfreiheit. Dies führt einerseits aufgrund von Effizienzgewinnen zur Reduktion von Transaktionskosten, andererseits minimiert es die Chance, dass die Kompromissbereitschaft der Brauereiseite aufgrund eines Informationsdefizits des Gastwirtes wettbewerblich nicht realisiert werden kann. Die Gebote für Ausschließlichkeitsbindung sind zwar immer noch, zugleich aber auch nur noch um nachfolgenden Leistungsunterschiede zu bereinigen. Gegenüber solchen Erklärungen ist jedoch Skepsis angebracht. Das BGB ist angelegt als reichseinheitliche Kodifikation des bürgerlichen Rechts, nicht als Programm zur Steigerung der Gütermenge auf Einzelmärkten, dies gilt auch im Rahmen des § 138 I BGB. Für die Bemessung der Höchstbindungszeiten ist die Höhe der Gegenleistung zudem zwar maßgeblich, jedoch nur innerhalb eines bestimmten Korridors, der nach oben unabhängig von der Gegenleistung auf zwanzig Jahre begrenzt ist, was gegen Investitionsförderung als Endzweck der Bierlieferungsrechtsprechung spricht780. Auch Investitionen in den Fortbestand eines Unternehmens sind ein, jedoch kein ausschlaggebender Faktor bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit781. An Hin-

778

BGH NJW 1974, 2089; 2000, 1110; WM 1984, 88. BGH NJW 1972, 1459; 2000, 1110, 1112 f. 780 RG JW 1927, 119; BGH WM 1970, 99; maximal 20 Jahre BGH WM 1970, 1402; 1975, 307. Dagegen bei „außergewöhnlich hohen Leistungen der Brauerei im Vergleich zu relativ niedrigen Gegenleistungen des Gastwirtes“ Klaas, BB 1974, 1098, 1099. 781 OLG Frankfurt OLGZ 1967, 260, 264: „Die Sittenwidrigkeit des Klinik KGes würde auch nicht dadurch beseitigt werden, daß die Klägerin bei Abschluß des Vertrages eine ernsthafte Sanierung der Schuldnerin angestrebt hätte. Selbst wenn also der Zweck des Vertrages dahin gegangen wäre, die Firma D. lebensfähig zu erhalten, wie es in Ziff. 1 des Klinik KGes zum Ausdruck gekommen ist, so genügte doch dieser Zweck allein nicht, dem Vertrag den Charakter der Sittenwidrigkeit zu nehmen (vgl. RG in HRR 30 Nr. 90).“ 779

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weisen auf eine Orientierung an der Dauerhaftigkeit angeschaffter Güter bei der Bemessung der Höchstbindungszeiten fehlt es ganz. Gegen diese Erklärungen spricht auch, dass Ausschließlichkeitsbindung nicht notwendig das Erbringen bestimmter Investitionen oder überhaupt einer Gegenleistung voraussetzt. In keinem vom BGH entschiedenen Fall wurde eine kurzfristige Ausschließlichkeitsbindung von beispielsweise nur wenigen Monaten für sittenwidrig erklärt, weil (beispielsweise aufgrund marktüblicher Darlehenskonditionen) keine Gegenleistung im Äquivalenzverhältnis zur Bindung stand. Gegen eine übermäßige Betonung des Darlehenselements spricht auch die erwähnte Unabhängigkeit der Höchstbindungszeit vom Rückzahlungszeitpunkt des Darlehens. Gegen Parallelen zur Bindungsgrenze des § 489 I, II BGB spricht auch die zehnjährige Höchstbindungszeit dieser Bindungsgrenze, die diese Bestimmung von der Bierlieferungsrechtsprechung mit einem Korridor unzulässiger Höchstbindungszeiten zwischen 15 Jahren782 und 20 Jahren783 mit Ausnahmen in beide Richtungen784 unterscheidet. 6. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit und Selbstständigkeit („Schutz des Berufes“) Als Zweck der Begrenzung wird in der Rechtsprechung der Schutz der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit angegeben785. Im Gegensatz zur persönlichen Freiheit bezieht diese wirtschaftliche Freiheit sich nur auf die Ausgestaltung und autonome Wahrnehmung der gewählten Berufstätigkeit, nicht auf deren Auswirkungen im privaten Bereich. Ein Recht zur Aufgabe jedweder Tätigkeit wird somit von der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit anders als von der persönlichen Freiheit nicht erfasst. Wenn der gebundene Gastwirt nach dieser Erklärung ein Minimum von Selbstständigkeit behalten soll, betrifft dies seine Eigenschaft als unabhängiger Unternehmer; die Bierlieferungsrechtsprechung schützt ihn vor endgültiger Eingliederung in den wirtschaftlichen Einflussbereich der Brauerei. Die Einräumung wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit ist, da nicht allen gewährt, 782

BGHZ 74, 293; BGH WM 1981, 687; NJW 1985, 2693; 1992, 2145. BGH NJW 1979, 2150, 1970, 2243; 1972, 1459; 1974, 2089; 1979, 865; 1985, 2693; 1989, 2362; 1992, 2145; NJW-RR 1998, 816; WM 1973, 357; 1973, 925; 1975, 307; 1975, 850; 1981, 687; 1984, 88; GewA 1977, 235; OLG Frankfurt NJW 1977, 1157; Wahl, BLV, S. 18; s.a. BGH NJW 1970, 2243; bestätigt durch BGH NJW 1972, 1459. 784 Vgl. BGH NJW 1979, 865 einerseits, BGH WM 1984, 88, 89 andererseits, sowie BGH WM 1975, 307; NJW 1979, 865 und BGH DB 1973, 1843: „Es ist allerdings richtig, daß nach gefestigter Rechtsprechung des Senats die ausschließliche Bindung an eine Brauerei den Zeitraum von 20 Jahren grundsätzlich nicht überschreiten darf [m.w.N.]. Dieser Grundsatz schließt jedoch nicht schlechthin aus, daß in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen eine geringe Überschreitung dieses Zeitraumes – im vorliegenden Fall 3 ½ Jahre […] – noch hingenommen werden kann.“ 785 Statt aller etwa BGHZ 64, 288, 291; WM 1973, 357; 1974, 1042. 783

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

offenbar kein unveräußerliches subjektives Recht786. Auch ein Gastwirt mit Bierlieferungsbindung ist jedoch wirtschaftlich immer beweglicher als ein abhängiger Arbeitnehmer. Die unabhängige wirtschaftliche Beweglichkeit von Arbeitnehmern erschöpft sich in Kündigungsfreiheit, sie können nur ihre abhängige Position insgesamt aufgeben, um zumindest die theoretische Möglichkeit wirtschaftlicher Beweglichkeit zu erlangen. Weshalb sollte bei Gastwirten anders als bei Arbeitnehmern wirtschaftliche Abhängigkeit einen Anlass zu richterlicher Intervention darstellen, die ihnen zu einem Raum ohne Einflussnahmemöglichkeit der Brauerei verhilft? Weshalb sollte ihnen eine Abhängigkeit erspart bleiben, in die sie sich, nicht anders als jeder Arbeitnehmer, vertraglich begeben haben? Dem Gastwirt verschafft die Bindungsgrenze ein unveräußerliches Recht auf Selbstständigkeit, dem Arbeitnehmer nur ein Wahlrecht zwischen unterschiedlichen Abhängigkeiten. Die Gegenleistung der Ausschließlichkeitsbindung besteht regelmäßig darin, dass die Brauerei die Finanzierung der Betriebsmittel übernimmt. Brauereien könnten ihren Vertrieb alternativ durch eigene Gaststätten mit angestelltem Personal realisieren. Weshalb soll die Brauerei schlechter gestellt werden, die Gaststätten einrichtet und sie hinsichtlich der Bierlieferung gebundenen, im Übrigen aber selbstständigen Gastwirten überlässt? Die Rechtsprechung entlässt Gastwirte im Namen der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit aus selbst übernommenen Bindungen. Drei Antworten stehen zur Verfügung, weswegen hierin keine Ungleichbehandlung gegenüber abhängigen Arbeitnehmern liegt. Erstens könnte ihr eigenes, ihnen bereits nach 5 Jahren gewährtes Kündigungsrecht gemäß § 15 IV S. 1 TzBfG Arbeitnehmern ausreichende wirtschaftliche Bewegungsfreiheit verschaffen (einheitliche Bindungsgrenze). Zweitens lässt sich die Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern und Gastwirten in Zweifel ziehen, weil die Unterschiede beider Gruppen in ihrer Beziehung zu wirtschaftlicher Beweglichkeit sich als wesentlich erweisen (aliud)787. Selbst wenn man annimmt, dass Gastwirten durch die Bierlieferungsrechtsprechung eine Perspektive wirtschaftlicher Beweglichkeit eingeräumt wird, die Arbeitnehmern verwehrt bleibt, muss hierin drittens noch keine ungerechtfertigte Begünstigung der Gastwirte liegen. Ihnen muss hierdurch kein individualnütziges „Recht auf Selbstständigkeit“ zugewiesen sein, möglicherweise profitieren sie lediglich reflexhaft davon, zur Förderung anderer Zwecke mit wirtschaftlicher Beweglichkeit ausgestattet zu werden.

786

Vgl. Staudinger/Sack, § 138, Rn. 463 ff. Zu der Identität des Kriteriums der Vergleichbarkeit und des wesentlichen Unterschiedes BKGG/Huster, Art. 3. 787

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a) Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit als Resultat allgemeiner Kündigungsfreiheit Es ließe sich vertreten, dass Arbeitnehmer deswegen kein Gegenbeispiel zu einem Recht auf wirtschaftliche Bewegungsfreiheit bilden, weil in der Kündigungsfreiheit der Arbeitnehmer dasselbe Recht auf Entscheidungsfreiheit wirke, das als Recht auf wirtschaftliche Bewegungsfreiheit auch die Bierlieferungsrechtsprechung inspiriere. Bindungsfreier Gastwirt und kündigender Arbeitnehmer sind jedoch keine unterschiedlichen Phänotypen ein und desselben Prinzips. Anders als bei Gastwirten ist die wirtschaftliche Unbeweglichkeit von Arbeitnehmern akzeptiert und kein Grund für ihr Kündigungsrecht nach fünf Jahren. Dies beginnt damit, dass Gastwirte ihre notwendige wirtschaftliche Bewegungsfreiheit für die Bindungszeit nicht aufgeben. Bei Arbeitnehmern hingegen ist ein jahrelanger vollständiger Verlust wirtschaftlicher Beweglichkeit anerkannt. Zudem werden weite Teile des Arbeitslebens und eine Vielzahl von Lebenswegen durch unselbstständige Arbeit geprägt. Weshalb soll Unselbstständigkeit just bei Gastwirten einen Grund für eine Begrenzung übernommener vertraglicher Pflichten bilden, die die wirtschaftliche Beweglichkeit wiederherstellen soll? Das Kündigungsrecht der Arbeitnehmer dient nicht der Wiederherstellung ihrer wirtschaftlichen Beweglichkeit, sondern anderen Zwecken788. Auch ein Arbeitnehmer kann seine Kündigung zum Anlass nehmen, sich wirtschaftlich selbstständig zu machen und wirtschaftliche Bewegungsfreiheit als Gastwirt neu zu begründen. Anders als ein Gastwirt der Bierlieferungsrechtsprechung führt er jedoch noch keine Gaststätte, deren ungebundener Betrieb ihm anheimfällt. Der Arbeitnehmer gewinnt durch Kündigung in seinem Tätigkeitsbereich nicht Entscheidungsfreiheit hinzu, sondern verliert seine Einflussnahmemöglichkeit. Die wiedergewonnene private Entscheidungsfreiheit des kündigenden Arbeitnehmers kann im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz wertvoll sein, anders als bei Gastwirten jedoch nicht im Hinblick auf die wirtschaftlichen Erfordernisse der Gastwirtschaft selbst. Das Kündigungsrecht der Bierlieferungsrechtsprechung wie die Tätigkeitsbindungsgrenze der §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG ermöglichen die Wahrung persönlicher Freiheit gegenüber beruflicher Verpflichtung, also Schutz vor dem Beruf. Nur beim bierlieferungsvertraglich Gebundenen als selbstständigem Gastwirt dient das Kündigungsrecht jedoch auch dem Schutz des Berufs.

788

S.o., Kap. 3, C.II.3 Zwischenergebnis zum Zweck der dienst- und arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbindungsgrenze.

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b) Bindung des Gastwirtes als aliud zur Unselbstständigkeit des Arbeitnehmers Der Schutz der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Gastwirts ließe sich damit begründen, dass der Gastwirt durch die Perspektive wirtschaftlicher Selbstständigkeit nicht besser gestellt werde als der Arbeitnehmer, sondern nur anders. Die Rollen eines selbstständigen Unternehmers und die eines abhängig Beschäftigten folgten jeweils eigenen Leitbildern mit ihren Vorund Nachteilen. Deswegen könnte wirtschaftliche Abhängigkeit bei selbstständigen Gastwirten Anlass zu ausgleichsloser Herabsetzung ihrer selbst übernommenen Verpflichtung sein, ohne dass Arbeitnehmern deswegen Wege aus ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit eröffnet werden müssten – suum cuique. Für diese Erklärung muss man einen Unterschied finden, der den unterschiedlichen Stellenwert wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit für Arbeitnehmer und bezugsgebundene Gastwirte erklärt. aa) Berufsbild selbstständiger Gastwirt Die unterschiedlichen Rechte könnten sich auf die unterschiedlichen Berufsbilder eines Gastwirtes und einer abhängig beschäftigten Gastronomiekraft zurückführen lassen. Das Berufsbild des Gastwirtes steht nach dieser Argumentation in einem wirtschaftlichen Kontext, der periodisch bestimmte wirtschaftliche Veränderungen erzwingt, die in Selbstständigkeit zu treffen sind. Um den Beruf als Wahlmöglichkeit zu erhalten, müsste das Recht die Möglichkeit zu solchen notwendigen Anpassungen freihalten. Anders gefasst wäre das Kündigungsrecht der Bierlieferungsrechtsprechung Ausdruck einer Schutzpflicht, da es sich um eine Einflussnahme in Privatverhältnissen handelt, in denen Grundrechte nicht in ihrer klassischen Abwehrfunktion wirken789. Auch wenn die ursprüngliche Reichsgerichtsrechtsprechung nicht auf das Grundgesetz zurückgeführt werden kann, so existierte die Idee einer solchen Berufsfreiheit doch schon 1906790. Es ist jedoch bereits nicht unproblematisch, aus einem Freiheitsrecht wie Art. 12 I S. 1 GG Beschränkungen der Vertragsfreiheit abzuleiten791. Sicher überfordert es jedoch Art. 12 I S. 1 GG, aus ihm eine institutionelle Gewährleistung bestimmter Berufsbilder zu lesen, die entgegenstehende vertragliche Bindungen entfallen lässt792. Auch Berufe, über die die wirtschaftlich789 Zum Verhältnis der grundrechtskonformen Auslegung und der Schutzpflichten des Staates vgl. etwa Pieroth, GR, S. 31, Rn. 100. 790 Vgl. Art. 17 f. der Verfassung der Französischen Republik vom 24.06.1793. 791 Mit Recht dagegen Gutmann, Freiwilligkeit, S. 229 ff. 792 Maunz/Dürig/Scholz, 59. EL, Art. 12, Rn. 76: „Namentlich werden keine bestimmten Berufe oder Berufsbilder […] in ihrem Bestand „institutionell“ gewährleistet.“ Eine Schutzpflichtverletzung setzt zudem einen Eingriff in eine Freiheit voraus, nicht nur ein

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technische Entwicklung hinweggegangen ist, genießen keinen Erhaltungsschutz. Zwar greift die Berufsfreiheit auf eine Differenzierung nach Berufsbildern zurück, hieraus ergibt sich jedoch nicht die Unwirksamkeit vertraglicher Pflichten, die den Interessenten in der Wahrnehmung eines bestimmten Berufsbildes hindern. Die Existenz jedes Berufsbildes steht unter dem Vorbehalt seiner privaten Verwirklichung im allgemeinen Zivilrechtsverkehr 793. Gleiches gilt für die von der Berufsfreiheit mitgewährleistete Verwirklichungsfreiheit innerhalb eines Berufs. Pacta sunt servanda, auch wenn dies zu den privaten Wünschen wirtschaftlicher Verwirklichung nicht passt. Wer als Gastwirt wirtschaftlich unabhängig zu sein wünscht, muss sich in der geltenden Wirtschaftsordnung die hierfür notwendigen wirtschaftlichen Mittel erarbeiten und darf keinen Vertragspflichten zustimmen, die seine wirtschaftliche Unabhängigkeit gefährden. Aus der Berufsfreiheit lassen sich keine Sonderrechte ableiten, sondern das Erhalten von Chancen, deren Wahrnehmung einem derzeit vertraglich gebundenen Gastwirt nicht anders offen steht als einem derzeit abhängig Beschäftigten. Inwieweit Ausschließlichkeitsbindung der von der Berufsfreiheit gewährten Freiheit zum Wechsel des Berufs widersprechen (ebenso wie der Kündigungsausschluss eines Arbeitnehmers dessen Wechselfreiheit), ist wiederum eine unter der Überschrift des „Schutzes vor dem Beruf“ zu erörternde Frage. bb) Vertragliches Leitbild Selbstständigkeit Der wesentliche Unterschied zwischen gebundenem Gastwirt und Arbeitnehmer könnte darin liegen, dass der gebundene Gastwirt der Brauerei „an sich“ als Selbstständiger gegenübergetreten ist. Denn aus diesem Grund drängt sich der Eindruck auf, die aus langfristiger Bindung geschaffene wirtschaftliche Abhängigkeit verstoße wider den „eigentlichen“ Status des Gastwirtes, den es durch Bindungszeitbegrenzung wiederherzustellen gelte. Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit wäre nach dieser Erklärung disponibel, aber nicht mittelbar (wie bei Bierlieferungsverträgen) in Konsequenz anderer Abreden, sondern nur unmittelbar (wie beim Abschluss von Arbeitsverträgen), durch offenen Verzicht auf die wirtschaftliche Beweglichkeit als solche. Wenn der Status wirtschaftlicher Selbstständigkeit nach außen aufrechterhalten bleibt, stünde faktische wirtschaftliche Unbeweglichkeit als „Knebelung des Inhabers“ und „weitgehende Unterwerfung unter [fremden] Willen“ im Angebot, Gutmann, Freiwilligkeit, S. 234; ebenso Blomberg, Freiheit und Bindung, S. 183 f. 793 BAG NJW 1964, 1921, 1922: „Art. 12 Abs. 1 GG garantiert nur jedem das Recht, seinen Beruf frei zu wählen, kann aber nicht verheißen, daß er im erwählten Beruf dauernd beschäftigt wird. Dieses von ihm übernommene Risiko muß der Betreffende auf Grund seiner freien Entscheidung grundsätzlich selbst tragen. Denn sonst stagnierten der freie Wettbewerb und die freie Wirtschaft.“

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Gegensatz zu „der allgemein anerkannten, das Geschäftsleben beherrschenden Sittenordnung und [… dem] Anstandsgefühl ihrer Beteiligten“794. Im zitierten Fall war der Inhaber eines finanziell prekären Betriebes durch die Sanierungsvereinbarungen „zum Angestellten – ‚technische[n] Betriebsleiter‘ – seines eigenen Betriebes geworden“795. In der Stellung eines technischen Betriebsleiters liegt nichts Sittenwidriges, die Sittenwidrigkeit beruht lediglich auf dem Widerspruch dazu, dass „ihm nach außen formell seine Inhaberschaft bewahrt blieb“796. Einem tatsächlichen Betriebsleiter (wie dem bei einer Brauerei abhängig beschäftigten Betreiber einer Gastwirtschaft) hingegen bliebe ein Recht auf Herstellung wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit demgegenüber berechtigterweise verwehrt, weil seine Position gegenüber der Brauerei nie als eine „an sich“ selbstständige bestand. Zur Entwicklung dieser Ansicht ist zunächst zu klären, worin dieses „an sich“ von Selbstständigkeit besteht. Auch der Arbeitnehmer tritt seinem Arbeitgeber bei der Vertragsbegründung als selbstständiger Wahrer seiner Interessen gegenüber, ob die Vertragsbeziehung zu wirtschaftlicher oder persönlicher Abhängigkeit führen soll, lässt sich allein dem Vertragsinhalt entnehmen. Den Status als abhängig Beschäftigter erhält ein Vertragspartner durch seine Selbstverpflichtung zu abhängiger Beschäftigung, weshalb sollte ein Gastwirt, der sich privatautonom in eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit begibt, den Zwischenstatus eines „an sich Selbstständigen“ behalten? Ihm steht kein anderer Status zu als der eines „in einer gewissen wirtschaftlichen Abhängigkeit Stehenden“. „Eigentliche Selbstständigkeit“ ließe sich nur durch einen numerus clausus von Status erklären, der zu einer binären Sortierung in „selbstständig“ und „unselbstständig“ zwingt. Da der Gastwirt sich nicht in das Leitbild des abhängig Beschäftigten fügt, müsste seine Vertragsbeziehung ihn im Leitbild der Selbstständigen erhalten. Aber weshalb sollten keine Zwischenformen existieren und zulässig sein? Diese kommen etwa einer abhängig beschäftigten Person in der Gastwirtschaft zugute, die durch sukzessive Erweiterung ihres Vertrags um die Übernahme weiterer Verantwortung in einen Zwischenstatus aufsteigt, ohne dass dieser Zwischenstatus etwas Vorläufiges hätte, das einem „an sich“ bestehenden Leitbild der Tätigkeit widerspräche. Auf die ursprüngliche Position der Vertragspartner kommt es zur Beurteilung ihrer Selbstständigkeit nicht an, entscheidend ist allein das Ziel des Vertrags797. Denn Vertragsbeziehungen haben sich ebenso wenig an begrifflichen 794

OLG Frankfurt, NJW 1967, 1043. BAG NJW 1964, 1921, 1922. 796 Ebd. 797 BGH MDR 1972, 846 (Rolli Eiskrem): „Daß der Kläger solche Bindungen als selbständiger Kaufmann übernommen hat, sagt daher über die Unbilligkeit der Beschränkungen seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit an sich noch nichts entscheidendes aus. Der Kläger hat sich als Eigenhändler zweiter Stufe durch den Vertrag in die Vertriebsorganisa795

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Leitbildern auszurichten wie an abstrakten Berufsbildern der Verfassung. Das Leitbild einer Vertragsbeziehung ergibt sich allein aus den Vereinbarungen der Parteien. Es ist denkbar, dass der Vertragsbeziehung der Parteien das Ziel der Begründung einer selbstständigen Gastwirtschaft zugrunde liegt, mit dem sich eine wirtschaftliche Unbeweglichkeit des Gastwirtes nach Ablauf von mehr als zwanzig Jahren nicht vereinbaren lässt. Ein solches Leitbild wäre jedoch im Einzelfall nachzuweisen. In der Rechtsprechung fehlt es an in diese Richtung weisenden Feststellungen tatsächlicher Art. Die Gerichte haben in der bisherigen Bierlieferungsrechtsprechung nicht das Vorhandensein besonderer Leitbilder der Selbstständigkeit oder Selbstwidersprüche untersucht, wie es nach dieser Erklärung zu erwarten wäre. Stattdessen hat der BGH aus Anlass einer Entscheidung zu einem (nicht auf Gertränke bezogenen) Bezugsvertrag ausdrücklich formuliert, dass es der Inhalt und Umfang der konkret übernommenen vertraglichen Verpflichtungen und keine abstrakten Leitbilder sind, die den Status der Vertragspartner definieren798: Eine Verpflichtung wird somit nicht als „an sich“ Selbstständiger oder Unselbstständiger übernommen, sondern die Selbstständigkeit oder Unselbstständigkeit bemisst sich nach der übernommenen Verpflichtung. Zudem bedingt man das Recht auf wirtschaftliche Bewegungsfreiheit, wenn man den soeben aufgestellten Prämissen entsprechend verfährt und den Anspruch des Gastwirtes auf Wiederherstellung wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit als ein aus einem Vertragsleitbild abgeleitetes und damit allein vertraglich fundiertes Recht konstruiert. Die Bindungsgrenzen der Bierlieferungsrechtsprechung wären danach darauf angewiesen, einen Selbstwiderspruch der Bindungsklausel mit einem als höherrangig gedachten Leitbild nachweisen zu müssen799. Diese Art der Erklärung der Bierlieferungsrechtsprechung läuft darauf hinaus, überlange Bindungsfristen unter bestimmten Umständen, bei nur ausreichend eindeutiger Vereinbarung oder Prägung der Vertragsbeziehung durch wirtschaftliche Abhängigkeit zuzulassen. Die Unwirksamkeit der Vereinbarung überlanger Bindung nach der Bierlieferungsrechtsprechung ist hingegen indispositiv. Gegen eine nur bedingte Unwirksamkeit überlanger Bindung in Bierlieferungsverträgen spricht neben der Ausnahmslosigkeit der Rechtsprechung800 auch die Verankerung der Unwirksamkeitsfolge in der Bestimmung des § 138 I BGB. Sittenwidrige Bindungen sind nicht nur unwirksam, falls sie den Parteien vorschwebenden Leitbildern widersprechen, sondern immer, weil sie zu gesellschaftlichen Leitbildern in krassem Gegensatz stehen. tion des Beklagten eingegliedert und […] sich damit abgefunden, während der Vertragsdauer nicht als unabhängiger Händler mit selbständiger Markttätigkeit zu arbeiten.“ 798 BGH MDR 1972, 846, 846 (Rolli Eiskrem). 799 Alternativ beschränkte sich die Geltung der Bierlieferungsrechtsprechung nur auf Vereinbarungen in bestimmter Form (etwa in AGB), die als minder starke Vereinbarungen anders als gewöhnliche Verträge das Leitbild der Rechtsbeziehung nicht zu ändern vermöchten. 800 Vgl. zu der immer wieder bestätigten Höchstbindungsgrenze etwa BGH NJW 1970, 2243; 1972, 1459; 1974, 2089; 1979, 865; 1979, 2150; 1985, 2693; 1989, 2362; 1992, 2145; NJW-RR 1998, 816; WM 1973, 357; 1973, 925; 1975, 307; 1975, 850; 1981, 687; 1984, 88.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Wenn wirtschaftliche Unbeweglichkeit von Arbeitnehmern gesellschaftlich akzeptiert ist, bei Gastwirten hingegen unabhängig von der Parteivereinbarung sittenwidrig ist, müssen sich der gesellschaftlichen Wahrnehmung auch Abgrenzungskriterien entnehmen lassen, die wiederum als Anknüpfungspunkt der Erklärung dienen können. Zieht man das obige Beispiel der in einer Gastwirtschaft beschäftigten Person erneut heran, der sukzessive weitere Verantwortung vertraglich übertragen wird, liegt nahe, dass statt des den Vertragsbeziehungen zugrunde liegenden (Un-)Abhängigkeitsleitbilds das Erreichen eines bestimmten Maßes von Verantwortung über die Sittenwidrigkeit wirtschaftlicher Unbeweglichkeit entscheidet. Diese Vermutung wird verstärkt durch das weitere Beispiel eines angestellten Rechtsanwalts, der schrittweise an die Partnerschaft herangeführt wird und schließlich eine entsprechende Haftung übernimmt. Bedeutend ist demnach nicht, aus welcher Position der Gastwirt der Brauerei gegenübergetreten ist oder welche Position er sich erhoffte, sondern welchen Grad an Verantwortung er durch den Vertrag erlangt. cc) Verantwortung Die unterschiedlichen Vor- und Nachteile der Positionen von Gastwirten und abhängig Beschäftigten spiegeln sich in anderer Hinsicht in den unterschiedlichen Bindungsgrenzen wider. Der bis auf Bierbezugspflichten unabhängige Gastwirt genießt einerseits in erheblichem Maß die Freiheit, seine Persönlichkeit in seinem Beruf zu verwirklichen. Deswegen wird ihm für seine Bindung anders als Dienstverpflichteten nicht bereits nach fünf, sondern erst nach bis zu 20 Jahren ein Kündigungsrecht gewährt. Andererseits trägt der selbstständige Gastwirt eine besondere Verantwortung für seine Gaststätte, der er nur mit einem gewissen Mindestmaß wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit gerecht werden kann801. Ihn trifft das wirtschaftliche Risiko des Gaststättenbetriebs und er prägt ihn mit seinen Entscheidungen. Die abhängig beschäftigte Gastronomiekraft trägt geringere Risiken, hat dafür kein Recht auf wirtschaftliche Beweglichkeit. Dies erklärt die unterschiedliche rechtliche Gewährung wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit damit, dass aus der wirtschaftlichen Verantwortung ein Bedürfnis nach wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit erwächst. Die als Mini801

Vgl. zum Wechsel der Maßstäbe Paulusch, GaststättenR, S. 28: In RGZ 152, 251 wurde die Wirksamkeit daran geknüpft, dass der Gastwirt in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit nicht so einengt werde, dass er seine Selbständigkeit ganz in die Hände der Brauerei gebe; in BGHZ 54, 145; BGH WM 1972, 1224 daran, dass die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Gastwirts, seine Selbständigkeit und Möglichkeit, sich veränderten Umständen in seiner Betriebsführung anzupassen, nicht in einer Weise einengt würden, die mit den Anschauungen eines redlichen rechtsgeschäftlichen Verkehrs nicht zu vereinbaren seien.

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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mum unabhängiger Entscheidungsfreiheit immer, auch bei Bezugsbindung bestehende Verantwortung des Gastwirtes für seine Gaststätte bringt es mit sich, dass der Gastwirt auch die Nachteile seiner Entscheidungen trägt. Dieses wirtschaftliche Risiko lässt sich nicht auf das Spektrum seiner trotz Bezugsbindung verbleibenden Entscheidungsfreiheit begrenzen. Wenn das Angebot Gaststätte in seiner Gesamtheit vom Konsumenten nicht angenommen wird, erlangt der Gastwirt auch dann nichts, wenn der Angebotsteil in seiner Entscheidungssphäre (etwa der Gestaltung der Atmosphäre und der Qualität der Bedienung) ansprechend war. Deswegen übernimmt der Gastwirt mit einer langfristigen Bierbezugsverpflichtung immer ein Risiko; desto unkalkulierbarer, je länger die Bindung dauert. Nach dieser Erklärung ist die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit disponibel, aber nur als Ganze, nicht teilweise802. Die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Gastwirtes besitzt danach deswegen unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen den Charakter eines Sollzustands, weil sich erst in ihr der vollständige Gleichlauf von Entscheidungskompetenz und Risiko herstellt. Die Bindungsbegrenzung von Bierlieferungsverträgen wäre danach die Kehrseite des Prinzips, dass Arbeitnehmern nicht das unternehmerische Risiko überwälzt werden darf, weil ihnen die korrespondierende Entscheidungskompetenz fehlt. Im deutschen Zivilrecht existiert zwar außerhalb des Arbeitsrechts kein allgemeines und ausnahmsloses, über den Verträgen stehendes Gebot des Gleichlaufs von Risiko und Entscheidung. Ein solches Prinzip wäre unvereinbar mit dem Stellenwert der Privatautonomie. Es begegnet keinen Zulässigkeits- oder gar Sittenwidrigkeitsbedenken, erklärt ein Vertragsteil sich bereit, irgendein Risiko aus der Sphäre des anderen Vertragsteils zu tragen (z.B. Haftungsausschlüsse zwischen Unternehmern)803. Im Fall einer Haftpflichtversicherung liegt im Auseinanderfallen von Haftung und Risiko der Sinn des Geschäfts.

Die Ausschließlichkeitsbindung von Gastwirten hat jedoch erhebliche Rückwirkungen auf – und setzt Fehlanreize für – den Kernbereich der Geschäftsführung. Aus gutem Grund ist die Vorsatzhaftung weder versicherbar (§ 81 I VVG)804 noch disponibel (§§ 276 III, 444 Alt. 1, 639 Alt. 1 BGB)805 und löst jeder Schadenfall im Versicherungsrecht Kündigungsrechte aus. Dass jeder im Kernbereich seiner Entscheidungsfreiheit die Folgen seines Handelns trägt, gehört als Prinzip der Selbstverantwortung zu den Fundamentalprinzipien der Wirtschafts- und Privatrechtsordnung. 802

Vgl. unter diesem Gesichtspunkt OLG Frankfurt NJW 1967, 1043. Zu den weit gefassten Grenzen dieser Risikoübernahme Henssler, Risiko, S. 200 ff. 804 Die Versicherung vorsätzlichen Handelns verstößt gegen die guten Sitten, um einen „Freibrief“ vorsätzlicher Rechtsverletzungen zu verhindern, BGHZ 33, 97, 101; MünchKomm-VVG/Looschelders, § 81, Rn. 137; Prölss/Martin/Armbrüster, § 81, Rn. 29; Römer/ Langheid/Langheid, § 81, Rn. 6. 805 Vgl. hierzu Staudinger/Löwisch, § 276, Rn. 119. 803

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Auch § 311b II BGB repräsentiert den Gedanken, dass die wirtschaftliche und persönliche Unabhängigkeit des Einzelnen um seines wirtschaftlichen Antriebs willen zu schützen sei806. Leidet der Gastwirt auf Dauer zu stark unter seiner Festlegung auf die Brauerei, gefährdet dies vielleicht den Wettbewerb, widerspricht vielleicht dem Geist des Vertragsschlusses, übervorteilt vielleicht den verpflichteten Vertragsteil. Sicher gefährdet es jedoch die Motivation des Gebundenen, im vom ihm zu verantwortenden Teil der Leistung gegenüber dem Konsumenten ein Niveau zu halten oder zu erreichen, von dem er im Hinblick auf die mangelnde Attraktivität des Getränkeangebots wirtschaftlich nicht profitieren wird. Wie erörtert ist für einen Teil der Getränkegastronomie periodische Anpassung des Getränkeangebots, die fremdfinanzierte Modernisierung des Interieurs oder sonstige Anpassungen an ein geändertes Marktumfeld dabei von existenzieller Bedeutung807.

Den wirtschaftlichen Anreiz zu individueller Anstrengung zu erhalten ist von gesamtgesellschaftlichem Interesse. Deswegen verbietet § 311b II BGB selbst bei überadäquatem Preis und völlig unabhängig davon, aus welchen wohl abgewogenen Gründen sich der Veräußernde zur Übertragung seines zukünftigen Vermögens zu verpflichten wünscht, die Beseitigung des Gleichlaufs von Leistungssteigerung und Profit. Der Gastwirt hat die notwendige wirtschaftliche Bewegungsfreiheit zurückzuerlangen. Nicht weil sein Wort nicht gölte oder wirtschaftliche Bewegungsfreiheit zu den unveräußerlichen Rechten jedes Individuums zählte, sondern weil er um des Ganzen wegen als wirtschaftlicher Akteur erhalten bleiben soll. Unselbstständige Tätigkeit verwirklicht die professionellen Vorstellungen eines Arbeitgebers, selbstständige Tätigkeit eigene Vorstellungen. Mischformen bergen jedoch die Gefahr wechselseitiger Blockade808. Gastwirten wird wirtschaftliche Bewegungsfrei806

BeckOK-BGB/Gehrlein, §311b, Rn. 38. Die Notwendigkeit strenger Bindungsbegrenzung etwa während des Ersten Weltkriegs illustriert, wie stark Bezugsbindungen die Fähigkeit der Gebundenen mindern, sich auf wandelnde wirtschaftliche Gegebenheiten einzustellen. Am 07.10.1916 wurde die „Verordnung über die Malz- und Gerstenkontingente der Bierbrauerein sowie den Malzhandel“ erlassen, die in § 6 Abs. 1 bindende Bierlieferungsverträge nur für die Dauer des nächstfolgenden Kontingentsjahrs zuließ und in § 6 Abs. 2 alle Verträge zwischen 15.2.1915 und dem Inkrafttreten der VO (9.10.1916) für insoweit nichtig erklärte, wie sie Bezugsverpflichteten über den 01.10.1917 hinaus banden. Mit der Verordnung über die Malzkontingente der Brauereien und den Malzhandel vom 20.11.1917 wurden Geschäfte zwischen Brauereien von diesen Bestimmungen ausgenommen, mit Erlass vom 25.04.1917 auch die Gastwirtschaften in ihrem Eigentum (§ 9). Der Grund lag darin, dass die Bindungen den „geschäftlicher Verkehr zwischen den Brauereien und ihren Abnehmern in einer Weise beeinflusste, die sich für beide Teile denkbar ungünstig gestaltete“ Künstler, BLV 1926, S. 35 unter Hinweis auf den Tätigkeitsbericht des Deutschen Brauerbundes e.V. 1920/21, S. 94 ff. Am 16.8.1921 wurden die Beschränkungen wieder aufgehoben. 808 Vgl. Kap. 3, C.VIII Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit von Sachen. 807

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heit damit möglicherweise nicht individualnützig, sondern aufgrund Interessen der Allgemeinheit gewährt. Denn Sinn des Gleichlaufs von Chance und Risiko ist, dass die Summe der in Eigeninteresse geschlossenen Verträge im Allgemeininteresse bleibt. c) Wirtschaftliche Beweglichkeit als gesellschaftlicher Wert Ein Gastwirt muss nach einigen Jahren vertraglicher Bindung gewandelten wirtschaftlichen Erfordernissen nachkommen und die Rechtsordnung lässt dies zu, obwohl die vertragliche Bindung nominal länger liefe. Der Gastwirt profitiert davon so offensichtlich, dass es erklärungsökonomisch nahe liegt, aus dem hervorstechenden individualnützigen Gewinn zu schließen, die Bindungsgrenze bezwecke den wirtschaftlichen Vorteil des Gastwirtes. Diese Erklärung vermag jedoch vor dem Paternalismusvorwurf nicht zu bestehen und lässt sich nach den für die Legitimität von Bindungsgrenzen entwickelten Maßstäben mit der grundsätzlichen Bedeutung der Privatautonomie nicht vereinbaren. Der Gastwirt erhält mit der ausgleichslosen Begrenzung seiner Bezugspflicht etwas, auf das er nach seiner eigenen vertraglichen Verpflichtungserklärung keinen Anspruch hat. Dabei ist er als Leiter einer Gaststätte mit Bezugsbindung insoweit wirtschaftlich beweglicher als ein anderer, der den Vertragsschluss samt des damit verbundenen Fremdkapitals aufgrund der langen Bindungszeit von vornherein abgelehnt hat. Weshalb sollte eine Peron, die etwas unter Bedingungen erhalten hat, um ihrer selbst willen noch besser gestellt werden, wenn ein Unbeschenkter um seiner selbst willen gar keine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit erhält? Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit kann aus Gleichbehandlungsgründen um der Person selbst willen im Privatrecht nur soweit geschützt werden, wie die eigenen Vertragsvereinbarungen sie erzielt haben. Diesbezüglich ist auch auf die Wertung des § 311b II BGB zurückzukommen. § 311b II BGB verbietet Verpflichtungen zur Verfügung über zukünftiges Vermögen unabhängig vom Maß der Gegenleistung. Selbst und gerade wenn das Geschäft dem Verpflichteten ein sorgenfreies Leben ermöglichen würde, verweigert die Privatrechtsordnung die Wirksamkeit des günstigen Geschäfts; nicht aus Sorge um die ökonomische Zukunft des Verpflichteten, sondern aus Erwägungen ihres eigenen Funktionierens. Ein Unterschied zwischen Terminkontrakten oder Gelegenheiten effizienter Vertragsbrüche einerseits und der Situation der Bierlieferungsrechtsprechung und des § 311b II BGB andererseits liegt darin, dass letztere einen dauerhaften Zustand schaffen, der eine gesellschaftliche Rolle bestimmt. Ein Geschäft, das auf fehlerhafter Einschätzung zukünftiger Zustände beruht, wird entweder ökonomisch verkraftet oder führt zur Insolvenz. In jedem Fall geht die Entwicklung darüber hinweg. Durch überlange Bierlieferungsverträge wie durch

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Veräußerungen zukünftigen Vermögens verfestigen sich jedoch Wirtschaftsstrukturen, in denen Entscheidungskompetenz und Folgenverantwortung auseinanderfallen. Schon in der Beschränkung wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit selbst liegt eine gesellschaftliche Festlegung, die nicht nur wegen ihrer Folgewirkungen, sondern als solche im Widerspruch zur vom BGB vorausgesetzten Gesellschaftsordnung stehen kann. Dieser Ansatz findet eine Stütze in den entstehungsgeschichtlichen Wurzeln der Bierlieferungsrechtsprechung, die der Diskussion um die Gewerbefreiheiten entstammt. Entwickelt wurde der Rückgriff auf § 138 I BGB im Jahr 1906809 in Auseinandersetzung mit §§ 8 Ziff. 2, 10 GewO810, dem Verbot von Gewerbeberechtigungen, Zwang- und Bannrechten (hier: eines besonderen Zwangrechts)811. Diesen Bestimmungen ist eine unpersönliche (objektive) Perspektive eigen812: Für ablösbar erklärt wurden ausdrücklich nicht „die einer einzelnen physischen Person gegenüber eingeräumten Rechte, sondern nur die dinglich gemachten oder Personengemeinschaften bzw. Kategorien von Einzelpersonen gegenüber eingeräumten“813. Um dieser sachbezogenen Anknüpfung willen wurden die Bestimmungen vom II. Zivilsenat des RG (anders als vom III. Zivilsenat noch zwei Jahre zuvor814) für nicht unmittelbar auf Bierlieferungspflichten anwendbar gehalten815, weil Bierlieferungsbin809

RGZ 63, 333. Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21.06.1869 (Stand 1906), § 7: „Vom 1. Januar 1873 ab sind, soweit die Landesgesetze solches nicht früher verfügen, aufgehoben: […] 4) […] sofern sie nicht auf einem Vertrage zwischen Berechtigten und Verpflichteten beruhen: a) das mit dem Besitze einer […] Brauerei oder Braugerechtigkeit oder einer Schankstätte verbundene Recht, die Konsumenten zu zwingen, daß sie bei den Berechtigten […] das Getränk ausschließlich von denselben beziehen ([…] der Brauzwang)“; § 8: „Von dem gleichen Zeitpunkte (§ 7) ab unterliegen, […], der Ablösung: […] 2) das Recht, den Inhaber einer Schankstätte zu zwingen, daß er für seinen Wirthschaftsbedarf das Getränk aus einer bestimmten Fabrikationsstätte entnehme. […]“; § 10: „Ausschließliche Gewerbeberechtigungen oder Zwangs- und Bannrechte, welche durch Gesetz aufgehoben oder für ablösbar erklärt worden sind, können fortan nicht mehr erworben werden“ (Herv. d. Verf.). Der heutige Wortlaut entspricht weitgehend nach wie vor dem historischen. 811 RGZ 59, 109, 111. 812 Das Recht muss sich nach § 8 Ziff. 2 GewO ausdrücklich auf den jeweiligen Inhaber der Gaststätte beziehen. 813 RGZ 59, 109, 111. 814 RGZ 59, 109. 815 In Abgrenzung von RGZ 59, 109 und der entsprechenden Ansicht der Vorinstanz, RGZ 63, 333: „§ 8 Ziff. 2 aaO verlangt als mindestes, dass durch Vertrag oder dingliches Recht jeder Inhaber einer Schankstätte – also die durch Inhaberqualität bezeichnetet Kategorie von Einzelpersonen – gezwungen sei, für seinen Wirtschaftsbetrieb das Getränk aus einer bestimmten Fabrikationsstätte zu entnehmen. Sein Mindesterfordernis ist ein unmittelbarer Zwang gegen jeden Inhaber der Schankstätte. Daran fehlt es nach den eigenen Ausführungen des Oberlandesgerichts, wonach der Zwang sich nur mittelbar – durch eine 810

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dungen formal den Gastwirt als eine bestimmte Person verpflichten und sich nur mittelbar auf seine Funktion als jeweiligen Inhaber der Gaststätte auswirken. Den Bestimmungen wurde jedoch der Rechtsgedanke entnommen, den Träger der Gaststätte in seiner wirtschaftlichen Beweglichkeit zu schützen. Aus diesem Rechtsgedanken wurde dann über § 138 I BGB die Bierlieferungsrechtsprechung wegen Verstoßes gegen die Wertung der §§ 8 Ziff. 2, 10 GewO entwickelt816. Diese Rechtsprechung des II. Zivilsenats setzt sich – mit einigen Tendenzverschiebungen, insbesondere hinsichtlich der Richtwerte für Bindungszeiten – über eine ungebrochene Kette aus Urteilen bis in die heutige höchstrichterliche Rechtsprechung fort. Geschützt wird nicht der Gastwirt als Person, sondern die wirtschaftliche Beweglichkeit als Wert. Die Unterscheidung zwischen einem Wert wirtschaftlicher Beweglichkeit und der wirtschaftlichen Beweglichkeit der einzelnen Gastwirte scheint schwer durchzuhalten zu sein. Wie soll Zweck einer Rechtsprechung die Förderung der wirtschaftlichen Beweglichkeit von Gastwirten sein, aber doch nicht individualnützig für diese? Wenn es um den Wert wirtschaftlicher Beweglichkeit als solchen gehen soll und nicht um die (insbesondere volkswirtschaftlichen) Folgewirkungen wirtschaftlicher Beweglichkeit für Dritte (Wettbewerbswirkung, etc.), kann dann das gesellschaftliche Interesse am Wert wirtschaftlicher Beweglichkeit in etwas anderem liegen als in der Berücksichtigung der Summe der Individualinteressen der einzelnen Gastwirte? Es kann. Auch wenn nach den Regeln einer Privatrechtsordnung der Einzelne sich kraft seines Willens in wirtschaftliche Unbeweglichkeit zu begeben vermag, kann die Gesellschaftsordnung insgesamt dennoch wirtschaftliche Beweglichkeit als Wert verfolgen. Ein Wert kann fortbestehen und geschützt werden, mag seine Einschränkung durch zahlreiche einzelne, individuell zulässige Vereinbarungen wirtschaftlicher Unbeweglichkeit auch erlaubt sein. Der Einzelne soll drohenden Nachteilen für sich durch wirtschaftliches Handeln begegnen können, auch wenn diese Fähigkeit selbst zu seiner Disposition gestellt wird. Die Möglichkeit zur Beschränkung wirtschaftlicher Beweglichkeit wird im Vertrauen darauf eingeräumt, dass das Eigeninteresse an wirtschaftlicher Beweglichkeit ein ausreichendes Regulativ bilde. Die praktische Wirksamkeit wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit soll trotz individueller Disponibilität gewahrt bleiben817. Das Ziel bilden also im gesellschaftlichen weitere zwischen den Beklagten und den jeweiligen Inhaber zu treffende Vereinbarung – ‚immer‘ gegen den Inhaber der Schankwirtschaft richte. Ein solcher nur möglicher, nur durch einen Vertrag zwischen dem Verpflichteten und dem Inhaber der Schankstätte bedingter, jeweils erst zu begründender Zwang der einzelnen Inhaber reicht zur unmittelbaren Anwendung des § 8 Ziff. 3 aaO nicht zu“ (Herv. d. Verf.). 816 RGZ 63, 333. 817 Obwohl die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit nicht unveräußerlich ist, wird wirtschaftliche Unbeweglichkeit durch das Recht missbilligt. Es können also zwei Schutzintensitäten unterschieden werden: Erstens private Rechtsgüter, die der privatrechtlichen Dispo-

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Maßstab im Grundsatz freie Wirtschaftsakteure. Wenn vor dieser Zielsetzung ihre Individualinteressen die Einzelnen überwiegend zur Aufgabe wirtschaftlicher Beweglichkeit veranlassten, liefe dies insgesamt dem Regelungsziel einer wirtschaftlich freien Gesellschaft zuwider. Nicht wegen der kumulierten Individualinteressen818, denen wirtschaftliche Unbeweglichkeit nach der zu respektierenden Einschätzung der Betroffenen gerade entspräche, sondern weil die resultierenden Abhängigkeiten819 als rechtspraktisches Ergebnis der Disponibilität eine Gefahr für die gesellschaftliche Entwicklung bildeten und gesetzgeberischen Wertungen widersprächen. Das gesellschaftliche Interesse am Erhalt eines existenziellen Mindestmaßes820 wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit der Geschäftsinhaber ist jenes am liberalen Gleichlauf von Entscheidungskompetenz und Risiko als Verantwortlichkeit im doppelten Sinn821. In der Pflicht zur Folgentragung liegt der Mechanismus der Selbstkontrolle von Macht, auf den eine freiheitliche Gesellschaft aufbaut. Auch die Steuerungsfunktion der „unsichtbaren Hand“ versagt, wenn die Folgen strategischer Entscheidung nicht getragen werden müssen. Die Gastwirte begünstigt dieses Interesse aufgrund des konkreten gesellschaftlichen Kontexts822, in dem sie sich bewegen, unter anderem wesition ihres Inhabers von vornherein entzogen werden (etwa bestimmte höchstpersönliche Rechtsgüter). Zweitens zunächst vollverfügbare Rechtsgüter, deren Disponibilität bestimmte Schranken kennt: Es wird nicht bereits jede Einschränkung missbilligt, sondern erst eine Einschränkung eines bestimmten Ausmaßes. 818 Der rationale Wille hinter vertraglicher Unfreiheit rechtfertigt nur die Transformation einer früheren – ggf. unfreiheitlichen – Situation als im Interesse des Einzelnen, er schützt vertragliche Unfreiheit nicht vor dem Vorwurf in sie transformierter Unfreiheit. 819 Nicht erlaubt wäre, dass „die Beklagten in ihren Verdienstmöglichkeiten während der langfristigen Dauer ihrer Bezugsbindung weitgehend vom Belieben der Klägerin abhingen und sie zudem durch die für die Zeit nach der Vertragsbeendigung vorgesehenen Regelungen unbillig belastet wurden; […] so kommt doch in der Verbindung der die Beklagten über lange Zeit hin treffenden Beschränkungen einerseits mit den der Klägerin weithin einschränkungslos zustehenden Rechten (Preisänderungsrecht, Direktbelieferungsrecht) andererseits die Unausgewogenheit der gegenseitigen Rechte und Pflichten deutlich zum Ausdruck“, BGH NJW-RR 1987, 628, 630. 820 Ein darüber hinausgehender Schutz wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit wird nicht über § 138 BGB, sondern allenfalls über § 307 I BGB realisiert, BGH NJW-RR 1997, 942, 943. 821 Hayek, Freiheit, Kapitel 5: Freiheit und Verantwortung, S. 93 ff.: „Freiheit bedeutet nicht nur, daß der Mensch sowohl die Gelegenheit als auch die Last der Wahl hat; sie bedeutet auch, daß er die Folgen seines Handelns tragen muß und Lob und Tadel dafür erhalten wird. Freiheit und Verantwortung sind untrennbar.“ S.a. ebd., S. 100: „Wenn wir den Menschen Freiheit lassen, weil wir sie für vernunftbegabte Wesen halten, müssen wir es ihnen auch der Mühe wert machen, als vernünftige Wesen zu handeln, indem wir sie die Folgen ihrer Entscheidung tragen lassen.“ 822 Generalisierende Formulierungen würden verkennen, dass wirtschaftliche Bewegungsfreiheit nicht allgemein, sondern nur in ganz bestimmten, eng umrissenen Fallgrup-

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gen ihres besonderen Verhältnisses zu Brauereien. Dem Schutz wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit geht es auch um Gastwirte823, jedoch nicht abstrakt, sondern in ihrer gesellschaftlichen Rolle. Für den Schutz vor der individuellen Belastung, die mit einem besonders elementaren Verlust ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit einherginge, reicht das durch § 314 I 1 S. 1 BGB gewährte Kündigungsrecht wegen Unzumutbarkeit der Bindung aus. Die Anwendung der Sittenwidrigkeitsvorschrift beruht darauf, dass übermäßige Bierlieferungsbindungen darüber hinaus gegen die gesetzgeberische Ordnung verstoßen. 7. Zwischenergebnis zum Zweck der Bierlieferungsrechtsprechung Die Bierlieferungsrechtsprechung schützt das Minimum wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit, dessen Gastwirte bedürfen, um eigenständige Wirtschaftsakteure zu bleiben und ihrer Verantwortung für den Betrieb gerecht werden zu können. Geschützt wird damit das objektive Interesse am Erhalt der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit der Gebundenen. Dieses objektive Interesse liegt darin, die Zuweisung von Risiko und Entscheidungskompetenz nicht auseinanderfallen zu lassen, sondern in einer Person zu vereinigen. Dies stellt diese Rechtsprechung in einen Zusammenhang mit dem Schutz einer auf Eigentümerschaft aufgebauten Sachherrschaftsordnung durch Sachbindungsgrenzen und der Wahrung der Finanzierungsautonomie von Darlehensnehmern zum Schutz vor inhaltlicher Einflussnahme durch Darlehensgeber, verwirklicht werden jeweils objektive Ordnungsvorstellungen.

pen indisponibel wird. Geschützt werden Rechte und Pflichten bestimmter Gesellschaftsgruppen (Gastwirte), die sich aufgrund bestimmter struktureller Unterlegenheiten in besonderen Gefahrsituationen befinden, in gesellschaftlich unerwünschte Abhängigkeitssituationen zu erlangen. Eine abstrakte, allein Rechtspositionen wiegende Betrachtung ist nicht in der Lage, diese Fallgruppenumreißung zu erklären, weil diese sich erst aus der besonderen gesellschaftlichen Lage dieser Gruppen erschließt, die Bindungen, die in anderen Verträgen akzeptabel wären, aufgrund der tatsächlichen Position dieser Vertragspartner als unvertretbar erscheinen lässt. Geschützt werden keine abstrakten, nach wechselseitiger Rechten und Pflichten bilanzierten Rechtspositionen, sondern konkrete gesellschaftliche Rollen unter Berücksichtigung der Rechtsauswirkungen in der tatsächlichen Situation der Gastwirte. 823 Staudinger/Sack, § 138, führt Knebelungsverträge als Fälle von Sittenwidrigkeit gegenüber dem Vertragspartner und nicht gegenüber der Allgemeinheit, vgl. auch BGH NJW 1998, 2531, 2533: „Die Beurteilung als sittenwidriger Knebelungsvertrag setzt nämlich voraus, daß durch eine einseitige Vertragsgestaltung im Übermaß die persönliche oder geschäftliche Handlungsfreiheit des Vertragspartners eingeschränkt wird, insbesondere dadurch, daß die wirtschaftliche Übermacht eines Vertragspartners zur Fremdbestimmung des anderen Vertragsteils eingesetzt wird“.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

II. Tankstellenstationärverträge und Automatenaufstellverträge Nach dem zur Zwecksetzung der Bierlieferungsrechtsprechung Gesagten, kann ihr Anwendungsbereich teleologisch nicht auf das Feld von Getränkelieferungsverträgen zu beschränken sein. Anderen Vertragstypen (insbesondere anderen Bezugsverträgen) liegen ähnliche Konstellationen zugrunde. Beispiele sind etwa Tankstellenstationärverträge oder Schmiermittelverträge, in denen sich ein Tankstellenpächter typischerweise gegen Gewährung eines Darlehens einer Ausschließlichkeitsbindung unterwirft824 oder Automatenaufstellverträge, in denen ein Gastwirt für ein Darlehen (regelmäßig zuzüglich einer Umsatzbeteiligung) Glücksspielautomaten seines Vertragspartners in seiner Gaststätte anbringt und bestimmte Charakteristika des Gaststättenbetriebs zusichert825. Zu beiden Vertragstypen existiert erwartungsgemäß eine entsprechende Rechtsprechung. Eine analoge Anwendung des § 624 S. 1 BGB auf Tankstellenstationärverträge mit einer entsprechend kurzen Höchstbindungszeit von nur 5 Jahren hat der BGH abgelehnt826. Wegen ihres überwiegend unternehmensbezogenen statt personenbezogenen Charakters liegt die Bindungsproblematik dieser Verträge näher an jener der Bierlieferungsverträge als an der Bindungsproblematik unkündbarer Dienstverträge827. Zu diesen Verträgen hat sich entsprechend eine Rechtsprechung entwickelt, die der Bierlieferungsrechtsprechung ähnelt, bei der Bemessung von Höchstbindungszeiten jedoch Besonderheiten der jeweiligen Vertragskonstellationen berücksichtigt, insbesondere Unterschiede in der Veränderlichkeit des jeweiligen Marktumfelds828. Während Bierlieferungsverträge für eine Bindungszeit zwischen 15 bis 20 Jahren zulässig sind, wird bei Tankstellenbelieferungsverträgen eine bis zu fünfundzwanzigjährige Laufzeit zugelassen829, im Einzelfall einer stark in Bewegung befindlichen Marktumgebung wurde jedoch bereits eine fünfzehnjährige Bindungsdauer als zu lang eingestuft830. Ein Automatenaufstellungsvertrag wiederum, der ein Veränderungsverbot für den Charakter der Gaststätte enthält, kann wegen dieser Beschränkung der unternehmerischen Flexibilität nur

824

BGH NJW 1998, 156, 160. BGH NJW 1983, 159, 161. 826 BGHZ 52, 171; 83, 313. 827 BGHZ 83, 313. 828 Der BGH ist in einem Fall eines ausnahmsweise besonders veränderlichen Wirtschaftsumfelds (die Zeit nach der Wende in den neuen Bundesländern BGH NJW 1998, 156) von der regelmäßig zulässigen Bindungszeit in Tankstellenstationärverträgen abgewichen und hat Zweifel an der Zulässigkeit einer fünfzehnjährigen Laufzeit geäußert, NJW 1998, 160. 829 BGHZ 52, 171, 175, 176, 181. 830 BGH NJW 1998, 156, 160. 825

G. Bindungsgrenze für Bierlieferungsverträge

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auf bis zu 10 Jahre geschlossen werden831. Dies fügt sich in das am Beispiel der Bierlieferungsrechtsprechung herausgearbeitete Schutzkonzept. Die Kriterien zur Bemessung der Höchstbindungszeiten ähneln sich bei allen drei Vertragstypen. Für die Zulässigkeit einer vergleichsweise langen Bindung sprechen die Höhe der Gegenleistung bzw. Investition832 und die Dauer ihrer Amortisation833, sowie die Qualität834 und Breite835 des Sortiments, inwiefern es also die (wechselnden) Interessen der Konsumenten abzudecken vermag. Bei Bierlieferungsverträgen wurde entsprechend dem letzten Gesichtspunkt auch berücksichtigt, ob Spezialbiere anderer Brauereien von der Ausschließlichkeitsbindung ausgenommen sind 836, oder ein ergänzender Fremdbierbezug ggf. zulässig ist837 oder ob die Ausschließlichkeitsbindung es dem Gebundenen besonderes erschwert, sich „dem wechselnden Publikumsgeschmack [anzupassen]“838. Gegenteilig wirken sich weitere inhaltliche Beschränkungen der Ausschließlichkeitsbindung aus, wie beispielsweise die Bindung von Gaststättenbetreibern an eine bestimmte Biersorte839 oder an einen bestimmten Charakter840; ebenso die Bindung eines Tankstellenpächters an die Veräußerung bestimmter Öle und Fette841.

831 BGH NJW 1978, 1155; 1983, 159, 161; für die Fristen in AGB vgl. Palandt/ Grüneberg, § 307, Rn. 75. 832 BGH NJW 1974, 2089; WM 1984, 88; 1985, 608, III.1; 1992, 1285, II.1; NJW 1992, 2145, 2146. Paulusch, GaststättenR, S. 28, 44 unter Verweis u.a. auf BGH WM 1973, 1360; WM 1974, 1042; ZIP 1984 335; WM 1985, 608. BGH NJW 2000, 1110, 1112: „In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist seit jeher anerkannt, dass das höchstzulässige Maß an Bezugsbindungen davon abhängt, wie erheblich die Gegenleistungen sind, die der bindende Teil nach dem Vertrag zu erbringen hat“. 833 BGH NJW-RR 2012, 249; BGHZ 143, 104; Vgl. zu Berücksichtgiung von Armotisationsfristen auch BGH NJW-RR 1993, 1460 Ls. 2 (Wäschereivertrag); BGHZ 64, 288, 292 (Wärmeversorgungsvertrag). 834 RGZ 63, 390; RG JW 1906, 419. 835 BGH NJW 1970, 2243; 1974, 2089; 1979, 865. 836 RGZ 63, 390; Paulusch, GaststättenR, S. 43. 837 BGH WM 1970, 1402; 1973, 357; Paulusch, GaststättenR, S. 42. 838 BGH NJW 1972, 1459. 839 BGH NJW 1974, 2089, 2090, vorletzter Absatz: Die Bindung an einen bestimmten Brauereianbieter führt dazu, dass die Gastwirte sich „mithin nur in begrenztem Maße einem etwa geänderten Publikumsgeschmack [also an eine Veränderung des Abnehmermarktes]anpassen [können]“; es sind „Änderungen der Konsumgewohnheiten, insbesondere Veränderungen in der Geschmacksrichtung […, die] ein vitales Interesse daran begründen können, nicht über allzu lange Zeit an ein und dieselbe Brauerei gebunden zu sein“; BGH WM 1984, 820. 840 BGHZ 71, 80. 841 BGHZ 52, 171; BGH NJW 1998, 156.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Um die Höhe der Gegenleistung bemessen zu können, wird diese ins Verhältnis zu dem Rückzahlungsrisiko des Darlehens842 gesetzt. Verlängernd auf die zulässige Bindungszeit wirkt sich aus, wenn die Bezugspreise während der Bindungsperiode an den Marktpreisen orientiert werden843. Ebenso wirkt sich aus, wenn der Vertrag einem Teil die wirtschaftliche Existenzgründung überhaupt ermöglicht hat844. Für eine Begrenzung sprechen eine besondere Länge des Bindungszeitraums845 und die Bindungsintensität846, die sich etwa nach der Höhe einer etwaigen Vertragsstrafe847 sowie dem belassenen Spielraum zur selbstständigen und flexiblen Unternehmensführung während der Bindungszeit848 bestimmt849.

H. Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138 BGB) H. Allgemeine richterrechtliche Bindungsgrenze

I. Einleitung Wendet man den Blick von Bindungsgrenzen einzelner Vertragstypen und -fallgruppen, stößt man auf eine sehr unterschiedliche Form von Verträgen. Gerade der abstrakte Typus des Werkvertrags steht für einen Reichtum tatsächlicher Gestaltungen, indem er – nach Definition und Zählung Weyers über 100850 – Vertragsarten sammelt, die wenig mehr als das Bewirken eines Erfolgs eint, der eine Spannbreite von einem Haarschnitt oder einer Taxifahrt über einen Theaterbesuch bis hin zum Bau eines Hauses vertritt851. Zudem haben dank der Typenfreiheit Vereinbarungen zwischen den klassischen Vertragstypen seit Inkrafttreten des BGB zunehmend an Bedeutung gewonnen852. 842

RG JW 1906, 419; BGHZ 147, 279; Paulusch, GaststättenR, S. 36 unter Hinweis auf BGH WM 1973, 357. 843 RGZ 63, 390 (Tagespreisklausel). 844 RGZ 63, 390; BGHZ 147, 279; Paulusch, GaststättenR, S. 35. 845 BGH NJW 1970, 279: „Je länger der Zeitraum ist, für den ausschließliche Bezugsverpflichtungen übernommen werden, desto näher liegt der Schluß, daß die wirtschaftliche Freiheit des Gastwirtes in einer Weise beschränkt wird, die den an das Wirtschaftsleben zu stellenden Anforderungen von dem, was billig und gerecht ist, nicht mehr entspricht“. 846 Vgl. Erman/Palm, § 138, Rn. 88. 847 BGH WM 1977, 641; 80, 1309; vgl. auch BGH NJW 1993, 64. 848 Paulusch, GaststättenR, S. 43 unter Verweis auf BGH WM 1985, 608. 849 Ein Recht zur Übertragung des Vertrags auf einen Nachfolger wirkt sich ebenfalls verlängernd aus, BGH NJW 1966, 652; GRUR 1984, 298; OLG Köln NJW-RR 2007, 498; LG Berlin NJW-RR 1990, 820, a.A.: LG Koblenz WuW 1955, 217. 850 Weyers, Werkvertragsrecht, in: BMJ, Überarbeitung des Schuldrechts II, S. 1128. 851 Vgl. zur praktischen Bedeutung des Werkvertrags Staudinger/Jacoby, Vor §§ 631 ff., Rn. 2. 852 So haben sich seit Inkrafttreten des BGB weitere Vertragstypen wie etwa Leasing-, Franchise-, Factoring- oder Lizenzverträge herausgebildet.

H. Allgemeine richterrechtliche Bindungsgrenze

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Versucht man, das Feld allgemeiner Verträge zu strukturieren, stößt man auf eine Vielzahl unterschiedlicher Hauptpflichten. Die spezifische Bindungsbegrenzung für jede einzelne dieser Vertragsarten zu bestimmen, stellt für die Rechtsprechung eine umfangreiche Aufgabe dar, die bisher nur zu geringen Teilen und auch dort meist erst holzschnittartig bewältigt ist. Rahmen und Grundlage dieses Unterfangens bildet eine Reihe wegweisender höchstgerichtlicher Urteile über Kündigungsausschlüsse in Verträgen, die so bedeutend waren, ihren Weg bis in die höchsten Instanzen zu finden. Nur aus diesen Stichproben kann das Recht der Bindungsgrenzen erschlossen werden, das nach Ansicht der Rechtsprechung für diesen Bereich der im Regelungsgrundsatz grenzenlosen Bindung gilt. Danach „[eröffnet der] das Schuldrecht bestimmende Grundsatz der allgemeinen Vertragsfreiheit [...] auch die Möglichkeit, rechtsgeschäftliche Bindungen über einen langen Zeitraum einzugehen“853, „die Wirksamkeit einer vereinbarten langfristigen oder gar einer zeitlich unbegrenzten Bindung [hängt] davon ab, ob und inwieweit das nach den gegebenen Umständen des Einzelfalls mit dem Grundsatz von Treu und Glauben und den guten Sitten vereinbar ist“854. Nicht mehr mit den guten Sitten vereinbar ist es, wenn den Gebundenen eine „einseitige Belastung […] in seiner wirtschaftlichen und persönlichen Freiheit über das erträgliche Maß hinaus einengt“855 oder er seinem Vertragspartner sogar „gleichsam auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist“856. Dieser Ausgangspunkt bietet in der Anwendung allerdings weite Spielräume. Je nach Auffassung kann man einen für sehr lange oder sogar unbegrenzte Zeit Gebundenen für im Grunde immer „über das erträgliche Maß“ hinaus eingeengt halten oder für einen solchen Befund gegenüber dem Regelfall der Dauerbindbarkeit das Hinzutreten besonderer Umstände fordern. Die im Wesentlichen in zwölf Entscheidungen entwickelte höchstgerichtliche Rechtsprechung ist nicht ohne weiteres einer bestimmten Position zwischen diesen Extremen zuzuordnen, weil sie selbst in der Anwendung dieser Richtsätze zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangte.

853

BGHZ 64, 288, 290. Ebd. 855 BGH NJW 1957, 711, 712. 856 BGHZ 64, 288, 291; BGH NJW-RR 1993, 1460, 1461 (Wäschereivertrag). 854

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

II. Entwicklung der BGH-Rechtsprechung zu langdauernder Bindung 1925 1930 1957 1972 1975

RG RG BGH BGH BGH

I. KS. VIII.

1976 1978

BGH BGH

IV. VIII.

1982 1993 1995 2008

BGH BGH BGH BGH

II. X. VIII. VIII.

2009

BGH

VIII.

Inseratenvertrag Zuckerfabrik Verlagsoption Rolli Eiskrem Wärmeversorgungsvertrag Maklervertrag857 Wasserlieferungsvertrag Holiday Inn Wäschereivertrag DÜRA Vollsalz Handelsvertretervertrag Stromdurchleitung

Unbegrenzte Bindung zugelassen. Unbegrenzte Bindung ausgeschlossen. Unbegrenzte Bindung ausgeschlossen. Unbegrenzte Bindung ausgeschlossen. Unbegrenzte Bindung zugelassen. Unbegrenzte Bindung ausgeschlossen. Hyp. begrenzte Bindung zugelassen. Unbegrenzte Bindung ausgeschlossen. Unbegrenzte Bindung bezweifelt. Unbegrenzte Bindung zugelassen. Bindung auf Lebenszeit zugelassen. Bindung bis Erschließung zugelassen.

Tab. 2: Tabelle höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Mindestvertragslaufzeiten (chronologisch) und der Zulassung langfristiger Bindung

In einem nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteil gelangte das RG 1925 zu der Erkenntnis, dass schuldrechtliche Verträge selbst dann wirksam seien, wenn sie als auf unbegrenzte Zeit unkündbar geschlossen werden858. Anlass war der Versuch eines Verlegers, sein gegenüber einer Staatsforstverwaltung erteiltes Versprechen zu kündigen, gegen ein Veröffentlichungsmonopol kostenlos alle Bekanntmachungen über Holzverkäufe in der Zeitung „Der Holzmarkt“ zu veröffentlichen (Inseratenvertrag). Das Gericht berief sich für die Zulässigkeit unkündbarer Verträge jenseits des Rechts der Bierlieferungsverträge auf zwei ältere Urteile859, in denen die auf unbegrenzte Zeit vereinbarte Unkündbarkeit jedoch wegen Eingreifens gesetzlicher Kündigungsrechte ohnehin zu lediglich begrenzter Bindung führte, was die Bindungsproblematik relativierte. Dieses Urteil ist also die erste höchstrichterliche Stellungnahme zur Zulässigkeit unbegrenzter Bindung nach dem BGB. Fünf Jahre später hatte das Reichsgericht über die ZuckerfabrikKonstellation zu entscheiden, also über unkündbare Nebenpflichten einer GmbH. In diesem Zusammenhang formulierte das Reichsgericht ohne jede Einschränkung „eine ewige Bindung [… sei] mit den Grundgedanken des heutigen Rechts nicht vereinbar“860. Mit dieser Maßgabe gab das RG dem 857

Außer BGH WM 1976, 533 auch BGH BGH WM 1974, 257, 260. RG LZ 1925, 971 (Inseratenvertrag). 859 Gruchot 59, 409; RG Warneyer 1915, Nr. 167 (Kalivertrag). 860 RGZ 128, 1, 17 (Zuckerfabrik, Herv. d. Verf.). Vgl. auch S. 16: „Der Gedanke, dass bei allen Dauerleistungsverhältnissen für den Verpflichteten unter Umständen eine einsei858

H. Allgemeine richterrechtliche Bindungsgrenze

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Berufungsgericht auf, zu prüfen, ob eine weitere Bindung des Gesellschafters im Fall bereits sittenwidrig sei oder noch berechtigten Belangen der Gesellschaft entspreche861 (aufgrund der geltungserhaltenden Reduktion ist für die Wirksamkeit eines Vertrags auf die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vergangene Bindungszeit abzustellen, auf eine zukünftige Unwirksamkeit kommt es nicht an). Diese Skepsis gegenüber unbegrenzter Bindung schien der BGH sich zu eigen zu machen, als er 1957 in Abkehr von der älteren Rechtsprechung des RG862 die grundsätzlich zulässigen verlagsrechtlichen Optionsvereinbarungen für sittenwidrig erklärte, soweit sie einen Autor zeitlich unbegrenzt verpflichteten, seine Werke zunächst einem bestimmten Verlag anzubieten (Verlagsoption)863. In der gegenständlich und zeitlich unbegrenzten Verpflichtung liege eine „einseitige Belastung des Autors, die ihn in seiner wirtschaftlichen und persönlichen Freiheit über das erträgliche Maß hinaus eineng[e]“ und somit als sittenwidrig nichtig sei864. In einer ersten Entscheidung zu einem Handelsvertretervertrag entschied der BGH 1972 entsprechend, dass eine Eisbezugspflicht zu zumutbaren Bedingungen kündbar zu sein habe, der Handelsvertreter deswegen für eine Pflicht zur „Übergabe seiner Kunden“865 bei Kündigung eine angemessene Entschädigung erhalten müsse (Rolli Eiskrem)866. Gerade an einem Liefervertrag zeigte sich jedoch 1975, wie großzügig der BGH im Einzelfall tatsächlich gewillt war, bei der Anwendung der Richtsätze dem Grundsatz der Zulässigkeit zu folgen. Der VIII. Zivilsenat verzichtete nicht nur darauf, auf einen zeitlich unbegrenzt bindenden Wärmeversorgungsvertrag die besonders strengen Regeln für Lieferverträge (Bindung von tige Lösung der Bindung so oder so möglich sein muß, durchzieht das ganze heutige Privatrecht“. 861 Diese Bindungsbergrenzung sollte unabhängig von einer etwaigen analogen Anwendung des § 624 S. 1 BGB gelten, RGZ 128, 1, 17 (Zuckerfabrik). 862 RGZ 79, 156 ff., Bindung eines Komponisten von Operetten, hierzu BGH NJW 1957, 711, 713. 863 BGH NJW 1957, 711. 864 BGH NJW 1957, 711, 712 f. 865 So im § 12 des abgeschlossenen Vertrags, BGH MDR 1972, 846, 846 (Rolli Eiskrem). 866 BGH MDR 1972, 846, 846 (Rolli Eiskrem): „Wäre dem Kläger nach Ablauf der ersten fünf Jahre eine Lösung seiner Eingliederung in den Vertrieb des Beklagten nur bei Einbuße seines auf eine bestimmte Markenware aufgebauten Großhandelsbetriebs unter unzumutbaren Bedingungen möglich, so stellte die vollständige Bindung seiner Arbeitskraft und seines Betriebs an die Vertriebsinteressen des Beklagten als Händler unter Begebung der Möglichkeit, unmittelbar im Vertriebssystem des Herstellers tätig zu werden (§§ 1 und 4 des Vertrags) oder sonst eine Markttätigkeit mit einem selbständigen Sortiment zu betreiben, eine Einschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit dar, die der Vertragsfreiheit nach § 138 BGB gesetzten Grenzen überschritte.“

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

ausnahmsweise bis zu zwanzig Jahren867) anzuwenden. Er hielt in diesem Urteil ausdrücklich fest, dass bei einer Lieferung zu angemessenen Preisen „kein überzeugender Grund ersichtlich [sei], der es […] geboten erscheinen ließe, dem Beklagten […] die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung überhaupt oder jedenfalls nach bestimmter Laufzeit des Vertrages zuzugestehen“ (Wärmeversorgungsvertrag)868. Der BGH erklärte eine nur bei wichtigem Grund kündbare ewige Bindung ausdrücklich für zulässig869. Es lässt sich begründen, in diesem Urteil einen Sonderfall zu sehen, dessen Aussage nicht verallgemeinert werden dürfe. Der Betreiber eines Fernheizwerks ist darauf angewiesen, in einem räumlich eng umgrenzten Bereich eine bestimmte Mindestzahl von Kunden zu beliefern, um die hohen Unterhaltskosten tragen zu können. Eine Dauerbindung (wenn auch nicht in alle Ewigkeit) ist daher notwendige Voraussetzung dafür, dass überhaupt Fernheizwerke gebaut werden. Als der BGH ein Jahr später (1976) über das Alleinverkaufsrecht eines Maklers zu entscheiden hatte, stellte er für diese Vertragsform fest, eine zeitlich unbegrenzte Laufzeit sei grundsätzlich sittenwidrig, weil „jede bewußt zeitlich unbegrenzt vereinbarte Dauerbindung dieser Art [...] die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des betroffenen Vertragspartners in unzulässig starkem Maße [beeinträchtige]“ (Maklervertrag)870. 1978 war es wiederum am VIII. Zivilsenat, über langdauernde bzw. ewige Bindung zu befinden, diesmal in Form eines Wasserbezugsrechts. Er prüfte auch in diesem Fall ganz im Sinn seiner in Wärmeversorgungsvertrag getätigten Aussage keine Auflösung des seit 1901, also seit 77 Jahren bindenden Vertrags871, sondern beschränkte sich auf die Suche nach einer Möglichkeit zur Preisanpassung („Wasserlieferungsvertrag“)872. Weil der preisgünstige Liefervertrag jedoch zum Nachteilsausgleich für einen wegen Bergbaus versiegten Brunnen geschlossen worden war, argumentierte der VIII. Zivilsenat 867

BGHZ 68, 1, 5; 74, 293; BGH NJW 1989, 2362; NJW-RR 1990, 816. BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag). 869 Gegen die Zulässigkeit eines vollständigen Kündigungsausschlusses unter Hinweis auf den Zweck des ordentlichen Kündigungsrechts, „eine mit dem Selbstbestimmungesrechte des einzelnen unvereinbare Ewigkeitsbindung [zu verhindern]“ Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 461. Er relativiert die Entscheidung des BGH dahingehend, dass ein zweckbefristetes Dauerschuldverhältnis vorgelegen habe, ebd., Fn. 45. Entsprechend der Bindungsgrenze eines „hypothetischen Brunnens“ – vgl. sogleich zu BGH MDR 1979, 490 (Wasserlieferungsvertrag) – ergäbe sich entsprechend eine Befristung des Vertrags auf die (allerdings erhebliche) Lebensdauer des Fernheizwerks. Ebenfalls ablehnend Jickeli, Langfristiger Vertrag, S. 156. 870 BGH WM 1976, 533, Ls. 1 (Maklervertrag). 871 Er begründet dies wegen rechtlicher Schwierigkeiten damit, dass die Klägerin letztlich nur eine Änderung begehre und eine solche „wenn überhaupt“ kraft Gesetzes (gemäß den Grundsätzen des WGG) eintrete. Damit weist er den (Änderungs-)Kündigungsversuch der Klägerin ab. 872 BGH MDR 1979, 490. 868

H. Allgemeine richterrechtliche Bindungsgrenze

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mit der schadensrechtlichen Zweckbestimmung des Vertrags: „[Es handele sich] der Sache nach um eine vertragliche Vereinbarung über die von der Zeche ‚S.‘ zu erbringende Schadensersatzleistung“873. Diese Charakterbestimmung des nach seinem unmittelbaren Wortlaut nur der Wasserversorgung dienenden Vertrags lieferte dem BGH nicht nur Maßstäbe der Preisanpassung, sie hielt auch den Weg zur argumentativen Begründung von Beendigungsmöglichkeiten durch Berücksichtigung hypothetischer Alternativverläufe offen874. Konkret ließ der BGH nur aus Gründen der Beweislast die Behauptung der Klägerin außer Acht, der Brunnen wäre inzwischen ohnehin einem Anschluss an die allgemeine Trinkwasserversorgung gewichen875. Zwei weitere BGH-Urteile vermitteln den Eindruck eines gegenüber dem praktischen Ergebnis extrem langdauernder876 Bindung zurückhaltenderen Linie. 1982 begrenzte der BGH das durch Betriebsführungsvertrag verliehene Recht, im Namen und auf Rechnung der Eigentümer ein Hotel zu führen, auf 20 Jahre (Holiday Inn)877. Ursprünglich war vereinbart worden, dass der Manager nach 20 Jahren dreimal die Möglichkeit haben sollte, seine Betriebsführung auf fremde Kosten für je zehn Jahre zu verlängern, sodass er das Hotel bis zu 50 Jahre lang nach seinem Ermessen betreiben durfte, während sich die Eigentümer verpflichteten „den täglichen Betrieb des Unternehmens weder zu stören noch sich in irgendeiner Form einzumischen“878. Hintergrund war, dass die Hoteleigentümer sich auf Verlangen ihrer Kreditgeber bei der Führung des Hotels der Expertise einer internationalen Hotelkette versichern wollten. Trotz des gewerblichen Charakters des Geschäfts und seiner notwendig zu erhöhter Sorgfalt bei Vertragsschluss führenden Bedeutung für das gebundene Eigentümerehepaar sah der BGH in diesem Fall durchaus Grund, den Eigentümern die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung zuzugestehen, und zwar nach der bestimmten Erstbindungszeit des Vertrags von 20 Jahren. Man mag dies dem weiten Bindungsumfang zuschreiben, demgegenüber eine Wärmebezugspflicht kaum ins Gewicht fällt. Aber auch eine solche, gegenüber dem gesamten Umfang der Betätigungsfreiheit der Gebundenen kaum ins Gewicht fallende Pflicht hat der BGH in einem 1993 zu entscheidenden Fall kritisch beurteilt (Wäschereivertrag)879. Gegenstand der Entscheidung war nicht die gesamte Betriebsführung eines Hotels, sondern allein die Ex873

Ebd. (Herv. d. Verf.). Vgl. zur Bindung des Vertragspartners als „hypothetischer Brunnen“ und seinen Konsequenzen auch oben zur Begrenzung der Ausschließlichkeitsbindung in Bierlieferungsverträgen als „fiktive Betriebsmittel“, Kap. 3, G.I.6 Wirtschaftliche Handlungsfreiheit und Selbstständigkeit. 875 BGH MDR 79, 490. 876 Zu diesem Begriff, vgl. Bydlinksi, Vertragsbindung. 877 BGH NJW 1982, 1817. 878 So der Vertragswortlaut, vgl. BGH NJW 1982, 1817 (Holiday Inn). 879 BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag). 874

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

klusivvereinbarung mit einer Wäscherei, die im Hotel anfallende schmutzige Wäsche nur dort reinigen zu lassen. Der BGH hat in diesem Fall zwar als Ausgangspunkt betont, dass das BGB-Werkvertragsrecht „keine zeitliche Begrenzung zulässiger Bindungen [kenne]“880 und im Fall selbst keine Begrenzung der Bindungszeit vorgenommen. Er hat die Feststellung der für eine überlange Bindung sprechenden Umstände jedoch dem Tatrichter mit der eindringlichen Maßgabe überwiesen, dass „die Kündigung [...] im vorliegenden Fall nach rund 15-jähriger Laufzeit ausgesprochen worden [sei]“ und „darüber hinausgehende zeitliche Bindungen [...] in der Rechtsprechung des BGH überwiegend kritisch beurteilt [würden]“881, wobei er auf die restriktive und eigentlich spezielle Bierlieferungsrechtsprechung verwies882. Bis auf die Entscheidungen des VIII. Zivilsenats im Fall Wärmeversorgungsvertrag (je nach Lesart auch in Wasserlieferungsvertrag) folgte somit die Rechtsprechung des BGH der pragmatischen Tendenz, in der Anwendung der Richtsätze die grundsätzliche Zulässigkeit zeitlich unbegrenzter Bindung zu betonen, daraus folgende praktische Schwierigkeiten im einzelnen Fall jedoch durch großzügige Handhabung der Ausnahme (unerträgliche Belastung wirtschaftlicher und persönlicher Freiheit) zu vermeiden. In den aktuellsten drei Leitentscheidungen zur Zulässigkeit langfristiger Bindung akzentuierte hingegen der VIII. Zivilsenat, in dessen Zuständigkeit sie fielen, wieder stärker die Bedeutung des privatrechtlichen Prinzips der Selbstverantwortung. Im ersten Urteil (Düra Vollsalz)883, der zweiten Entscheidung zur Bindung von Handelsvertretern, entschied der VIII. Zivilsenats 1995, dass die Vertriebsgesellschaft eines Salzherstellers den Alleinvertriebsvertrag mit einer KG als ihrer Handelsvertreterin nicht ordentlich kündigen könne, nachdem das Berufungsgericht schon von einem „Grundgedanken der gesetzlichen Regelung von Dauerschuldverhältnissen“ hatte ausgehen wollen, „daß sich jede Partei nach bestimmten Vertragszeiten einseitig vom Vertrag lösen können müsse“884. Die Vertriebsgesellschaft zahlte der Handelsvertreterin für den Absatz mehrerer Salze ein laufendes Entgelt. Im Fall des „Düra Vollsalz“ war diese Zahlungspflicht einerseits unkündbar, andererseits war das „Düra Vollsalz“ kaum verkäuflich. Dass der BGH in diesem Fall auch nach 23 (bei Urteilsverkündung über 26) Jahren Bindungszeit nicht wenigstens eine Perspektive ordentlicher Kündbarkeit in der Zukunft aufzeigte, ist in zweifacher Hinsicht zu relativieren. Erstens war die dem Urteil zugrunde liegende Kündigungszeit kürzer als es schien, da der Kündigungsausschluss erst 13 Jahre 880

BGH NJW-RR 1993, 1460, Nr. 2 (Wäschereivertrag). BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag). 882 Diese ist Gegenstand des im Urteil zitierten Artikels von Hiddemann, WM 1975, 942. 883 BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz). 884 OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.1994 – Az.: 1 U 175/93. 881

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zuvor vergleichsweise bestätigt worden war885. Bedeutend ist die konkrete Bindungszeit von nur 13 Jahren deshalb, weil wegen der geltungserhaltenden Reduktion sittenwidrig überlanger Bestimmungen eine bindungsbejahende Entscheidung immer nur die vorläufige Zulässigkeit der Bindung behandelt, also nur die Zulässigkeit einer Bindungsdauer bis zum Entscheidungszeitpunkt886. Zweitens enthielt sich der BGH in Düra Vollsalz generalisierender Aussagen zu grenzenloser Bindung887. Ganz im Gegenteil übte er sich bei seiner Zurückweisung der Aussage, die Lösbarkeit bilde einen indispositiven Grundgedanken der Dauerschuldverhältnisse, in einer an Neutralität grenzenden888 Zurückhaltung: Die Formulierung, diese Rechtserkenntnis des OLG Stuttgart „treffe nicht den entscheidenden Punkt“, ist ein wenig eindeutiger Widerspruch gegen eine Aussage, die dem Ausgangspunkt der Urteilsbegründungen des BGH889 entgegensteht890. In der vorletzten Leitentscheidung, der dritten zu einem Handelsvertretervertrag, hatte der BGH 2008 über Schadensersatz wegen schuldhaft veranlasster fristloser Kündigung zu entscheiden (§ 89a II HGB). Dieser sog. „Aufhebungsschaden“891 ist als Verfrühungsschaden892 zeitlich durch eine hypothetische ordentliche Kündigung beschränkt, die im vorliegenden Fall zu Lasten des Unternehmers abbedungen war. Der BGH hielt diese unbegrenzte 885

BGH NJW 1995, 2350, 2351 (Düra Vollsalz). Vgl. zu diesem Effekt auch BGH DB 1967, 501. In diesem Urteil wurde über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus einer unwirksam auf Lebenszeit ausgeschlossenen Kündigung eine Befristung des Vertrags konstruiert, sodass sich ein Kündigungsausschluss ergab. Da die Lebenszeit als Befristungsdauer wegen Verstoßes gegen § 723 III BGB ausschied, stellte sich das Rechtsproblem, woher die Maßstäbe für die Befristung zu nehmen seien. Das Berufungsgericht hatte diese Frage mit der Begründung offen gelassen, jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei noch keine Kündigung zulässig gewesen. Der BGH wies lediglich um „der Rechtsklarheit und dem Rechtsfrieden unter den Parteien“ willen darauf hin, dass ihm eine Befristung auf 30 Jahre angemessen erscheine. 887 BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz). 888 Der mehrfache Rückgriff auf BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag) klingt im Vergleich dazu distanziert: „Andererseits hat der BGH bei Wärmelieferungsverträgen die durch den Ausschluß des Rechts zur ordentlichen Vertragskündigung des Abnehmers bewirkte Bindung an den Wärmelieferanten für 20 Jahre oder sogar unbestimmte Zeit gebilligt.“ 889 BGH VersR 2008, 1492 (Handelsvertretervertrag): „Der das Schuldrecht bestimmende Grundsatz der allgemeinen Vertragsfreiheit ermöglicht es, rechtsgeschäftliche Bindungen über einen langen Zeitraum einzugehen“, unter Verweis auf BGHZ 64, 288, 290; BGH NJW 1995, 2350. 890 Grund hierfür mag wiederum eine Vermischung von dispositiver und zwingender Kündbarkeit von Dauerschuldverhältnissen gewesen sein. 891 Faulhaber, jurisPR-HaGesR 6/2008, Anm. 1. 892 BGHZ 122, 9; vgl. für § 628 II BGB MünchKomm-BGB/Henssler, § 628 BGB, Rn. 73. 886

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Laufzeit implizit für wirksam, indem er einen zeitlich unbegrenzten Schadensersatzanspruch des Handelsvertreters bejahte (Handelsvertreter)893. Diese Entscheidung erinnert an ein Urteil des BAG von 2004894, in dem dieses den Kündigungsausschluss zu Lasten eines Arbeitgebers auf unbegrenzte Zeit zugelassen hat895. Zu berücksichtigen ist, dass diese Vertragsverhältnisse, die grundsätzlich höchstpersönliche Pflichten zum Gegenstand haben, tatsächlich durch das altersbedingte Beenden der Tätigkeit begrenzt werden, wie der BGH in Handelsvertreter ausdrücklich betont896. Im Ergebnis wird somit keine zeitlich unbegrenzte Bindung zugelassen, sondern eine kürzere als die durch § 544 zugelassene lebenslange Bindung. Eine zeitlich unbegrenzte Bindung hielt der VIII. Zivilsenat noch einmal im Jahr 2009 für wirksam, wiederum in einem Liefervertrag (Stromdurchleitung)897. Dieser Beschluss ist besonders bemerkenswert, weil der Kündigungsausschluss nicht ausdrücklich im Vertragstext enthalten war und der BGH ausnahmsweise898 nicht die ordentliche Kündbarkeit des Vertrags folgerte, sondern von einem konkludenten Kündigungsausschluss ausging. Der Eigentümer mehrerer Grundstücke hatte ein Grundstück verkauft und sich zu dessen Anschluss an die öffentliche Stromversorgung über die Infrastruktur eines zweiten verpflichtet. Da die ursprünglichen Anschlusspläne sich nicht realisieren ließen, vereinbarte er mit dem Käufer den Anschluss über ein drittes, ihm noch gehörendes Grundstück. Der Versuch des Verkäufers, diese weitere Vereinbarung wieder zu kündigen, blieb wegen des Verstoßes gegen einen konkludent in diesem zweiten Vertrag enthaltenen Kündigungsausschluss folgenlos. Der Käufer hatte zwar die theoretische Möglichkeit, sein Grundstück auch über ein viertes Grundstück an die öffentliche Stromversorgung anzuschließen, nach Auffassung des BGH stand dem Verkäufer jedoch so lange kein Recht auf ordentliche Kündigung zu, bis die Erschließung des

893

BGH NJW 2008, 3436. BAG, Urteil vom 25.03.2004 – 2 AZR 153/03, 2, AP Nr. 5 zu 3 624 S. 1 BGB. 895 Zumindest was den hier interessierenden Aspekt des Kündigungsausschlusses angeht, im Rahmen der Berechnung des Verfrühungsschadens für § 628 II BGB kommt das BAG zum Teil zu arbeitsrechtsspezifischen Ergebnissen, vgl. etwa BAG AP Nr. 18; BAG AP Nr. 13 = NZA 2002, 325, 329 f. (Bestandsschutz wird in Analogie zu § 9, 10 KSchG berücksichtigt). 896 BGH VersR 2008, 1492 (Handelsvertretervertrag): „Damit hat die Bekl. auch das Risiko übernommen, dem Kl. die ihm nach dem Vertrag gebührenden Leistungen bis zur altersbedingten Beendigung seiner Handelsvertretertätigkeit gewähren zu müssen.“ 897 BGH, Beschluss vom 15.09.2009 – VIII ZR 241/08 –, juris (Stromdurchleitung). 898 BGH NJW 1988, 332; NJW 2008, 1064, Tz. 23. Vgl. auch BGH, Beschluss vom 15.09.2009 – VIII ZR 241/08 –, juris, Rz 9: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht ein ordentliches Kündigungsrecht eines Dauerschuldverhältnisses nicht, soweit und solange es durch vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen worden ist, BGH NJW-RR 2006, 117, 120; 1993, 1460 (Wäschereivertrag). 894

H. Allgemeine richterrechtliche Bindungsgrenze

245

Käufergrundstücks nicht tatsächlich erfolgt war. Solange sich die Erschließung nicht durchführen ließ, war der Verkäufer gebunden. III. Erklärung der Rechtsprechung Mit diesen Urteilen steht zunächst fest, dass trotz aller eingangs dargestellter Bedenken unbegrenzte Bindung nicht nur im theoretischen Ausgangspunkt denkbar ist, sondern auch in praktischen Fällen höchstrichterlich bestätigt wurde – ewige Kündigungsausschlüsse sind nach der Rechtsprechung des BGH im Grundsatz zulässig899. Im Einzelnen lässt sich die Zulassung von Kündigungsausschlüssen in vielen Fällen relativieren, weswegen auch in der Literatur trotz des entgegengesetzten Grundsatzes des BGH daran festgehalten wird, dass nach der Rechtsprechung „‚ewige‘ Bindungen in der Regel unzulässig [seien]“900. Es bleibt jedoch bei der Zulassung grenzenloser Bindung zumindest in Wärmeversorgungsvertrag und DÜRA Vollsalz. Mit diesen Entscheidungen scheidet es aus, sämtliche Dauerschuldverhältnisse nach etwa dreißig Jahren901 oder für jedenfalls überhaupt irgendwann902 ordentlich kündbar zu halten. Die Frage beschränkt sich darauf, in welchen Fällen grenzenlose Bindung zulässig ist und in welchen nicht. Damit trägt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im deutschen Zivilrecht die Privatautonomie den Abschluss zeitlich unbegrenzter Verträge. Es fehlte also nicht an der Rechtfertigung langfristiger Bindung, wenn dem Willen der Parteien auf unbegrenzte Bindung in anderen Konstellationen die rechtliche Anerkennung versagt blieb, denn jeder wirksame Vertrag wird den rechtlichen Anforderungen an Privatautonomie im gleichen Maß gerecht. Die Privatautonomie ist damit im deutschen Privatrecht zeitlich unbegrenzt gewährt; vermag sie in den Bindungsfällen eine unbegrenzte Bindung zu rechtfertigen, muss sie auch in jedem anderen Fall zunächst schon wegen privatautonomer Begründung wirksam sein. Der Begründungsaufwand trifft damit unabhängig von ihrer Zahl immer die Begrenzungsfälle, wie es Regel und Ausnahme der Richtsätze nahe legen. Trotzdem wurden langfristige Bindungen im Rahmen durch die Rechtsprechung überwiegend nach § 138 BGB begrenzt. Im Folgenden soll versucht werden, hierfür einige Kriterien herauszuarbeiten und Erklärungen für die

899

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Verbot einer Verjährungsvereinbarung über 30 Jahre hinaus, § 202 II BGB, BGH NJW 2008, 2995 (Aluminiumdächer). Anders ließ sich in Bezug auf Garantieverträge die ähnlich gelagerte Entscheidung BGH NJWRR 1994, 1327 (Zielfernrohr) lesen. 900 Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937; vgl. auch Klumpp, Kündigungsausschluss, 2009, S. 5. 901 Vgl. mit diesem Vorschlag Spiro, Fatalfristen II. 902 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 257 ff.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

punktuelle Zulassung sehr langer oder ewiger Bindung darzustellen, auch wenn der BGH selbst vor Systematisierungen warnt: „Angesichts der jeweils unterschiedlichen Interessenlage lassen sich […] Gesichtspunkte, die für die Rechtsprechung bei besonderen Fallgruppen maßgeblich waren, nicht schematisch auf andere Sachverhaltsgestaltungen übertragen.“903

Faktische Begrenzung 1915 1998 2004 2008

RG OLG Zweibrücken BAG BGH

Kalivertrag Ehevereinbarung Arbeitgeber ohne Kündigungsrecht Handelsvertretervertrag

⊕ (⊕) (⊕) (⊕)

Wohlfahrtssteigernde sachbezogene Strukturbildung 1975 1978 1982 1997 2006 2009

BGH BGH OLG München OLG Hamm OLG Koblenz BGH

Wärmeversorgungsvertrag Wasserlieferungsvertrag Fernwärmeversorgung Fernwärme Fernwärme-Altvertrag Stromdurchleitung

⊕ (⊕)

(⊕)

Bindungsalternativen 1995 1999

BGH OLG Hamm

DÜRA Vollsalz Treuhändervertrag

⊕ ⊕

Überlanger Verlust des Selbstbestimmungsrechts über die Zukunft der gesamten selbstständigen Erwerbstätigkeit 1930 1957 1972 1982 2006 2009

903

RG BGH BGH BGH BGH LAG Schl.-Holstein

Zuckerfabrik Verlagsoption Rolli Eiskrem Holiday Inn Freiberuflersozietät Personalüberleitungsvertrag

BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz) unter Verweis auf BGHZ 64, 288, 291 und BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag).

247

H. Allgemeine richterrechtliche Bindungsgrenze

Sonstige 1976 1925 1993

BGH RG BGH

Maklervertrag Inseratenvertrag Wäschereivertrag



Tab. 3: Tabelle obergerichtlicher Entscheidungen zur Sittenwidrigkeit von Mindestvertragslaufzeiten (nach Zwecken). Entscheidungen, die keine Bindungsgrenzen vorsehen, sind mit einem ⊕ markiert

1. Faktische Begrenzung Aus der Zahl der Urteile stechen zunächst diejenigen heraus, in denen die zugrunde liegende Interessenlage selbst eine zeitliche Begrenzung in sich trägt (faktische Begrenzung). In solchen Fällen scheint eine Bindungsbegrenzung zunächst besonders wichtig, weil mit dem Entfallen der zugrunde liegenden Interessenlage die Bindung ihren Nutzen für den anderen Teil verlieren und als reine Beschränkung fortdauern kann. Zum Umgang mit solchen Fällen reicht jedoch das überkommene schuldrechtliche Instrumentarium aus904. Das Entfallen der Interessenlage stellt einen Grund für das Entfallen der Bindung dar, sodass es des „grund-losen“ Instruments der Bindungsgrenze nicht bedarf. Wie es demnach zu erwarten wäre, hat die Rechtsprechung deswegen die Begründung darüber hinausgehender Bindungsgrenzen unterlassen. In diese Kategorie fallen zunächst von § 624 S. 1 BGB nicht erfasste Tätigkeitspflichten wie in der Handelsvertreterentscheidung von 2008905 oder der erwähnten BAG-Entscheidung von 2004906, welche die Bindung des in § 624 S. 1 BGB nicht berücksichtigten Arbeitgebers betraf907. Auch andere Gerichte haben sich die Zweckbefristung von Bindungen zunutze gemacht, wo sie bestand. Schon 1915 hat das RG einen auf die tatsächliche Ausbeutung eines Kalivorkommens gerichteten Pachtvertrag auch wegen dieser Begrenzung908 für unbedenklich gehalten (Kalivertrag)909. Das OLG Zweibrücken hatte ebenfalls keine Schwierigkeiten mit der Zulässigkeit der Ehevereinbarung, als es 1998 mit einer Umgangsregelung konfrontiert wurde, die zwar keine festgelegte oder befristete Laufzeit enthielt, aber wegen Volljährigkeit des betroffenen Kindes 15 Jahre nach Vertragsschluss spätestens zu diesem Zeitpunkt enden würde910. 904

Z.B. §§ 275, 313, 314 BGB; bzw. aus dem AT §§ 133, 157 BGB. BGH VersR 2008, 1492 (Handelsvertretervertrag). 906 BAG BB 2004, 2303 (Lebenslange Arbeitgeberbindung). 907 Oetker will unter diese Kategorie auch den Wärmeversorgungsfall (BGHZ 64, 288) fassen, vgl. Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 461, Fn. 45. 908 Wesentlich bestimmte die Entscheidung auch, dass nach 30 Jahren zudem ohnehin die Voraussetzugen der pachtvertragliche Bindungsgrenze vorlägen. 909 RG Warneyer 1915, Nr. 167 (Kalivertrag). 910 OLGR Zweibrücken 1999, 33. 905

248

3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Für den Einzelnen kann eine seine Lebenszeit andauernde oder übersteigende Bindung eine schwere Belastung darstellen; selbst eine „nur“ fünfzehnjährige Bindung, wenn sie etwa den gesamten Umgang mit seinem Kind bis zur Volljährigkeit reguliert. Bindungsgrenzen werden von der Rechtsprechung jedoch offenbar nicht gezogen, um diesen individuellen Belastungen zu begegnen. Diesbezüglich wird regelmäßig auf andere Lösungsmöglichkeiten verwiesen911. Für die individuelle Sphäre gilt in zeitlicher Hinsicht danach uneingeschränkt das Prinzip der Privatautonomie, selbstbestimmt übernommene individuelle Härten sind als Kehrseite der Autonomie hinzunehmen. Ihnen wird nicht typisiert durch Bindungsgrenzen begegnet, sondern allenfalls im Einzelfall wegen Unvorhersehbarkeit oder aus anderen, besondern Gründen912. 2. Wohlfahrtssteigernde Faktorzusammenfassungen durch sachbezogene schuldrechtliche Strukturbildung (Wärmeversorgungsvertrag, Wasserlieferungsvertrag, Stromdurchleitung) Die Fälle Wärmeversorgungsvertrag, Stromdurchleitung und Wasserlieferungsvertrag lassen sich nur mit Einschränkungen der Kategorie faktisch beschränkter Bindungsfälle zuordnen. Auch in diesen drei Fällen hat der BGH keine Bindungsgrenze gesetzt und auch hier bestehen anderweitige Begrenzungen: Im Stromdurchleitungsfall gilt die Bindung nur bis zum Anschluss des Grundstücks an die öffentliche Versorgung, in Wasserlieferungsvertrag dauert die Bindung so lange, wie ein hypothetischer Brunnen ausreichend ergiebig wäre, und auch in Wärmeversorgungsvertrag darf man annehmen, dass die Bindung letzten Endes auf die Dauer der Fortexistenz des Fernheizwerks begrenzt bleibt913. Anders als in der vorgenannten Kategorie sind diese Begrenzungen dem Zweck der Verträge jedoch weniger von vornherein immanent als vielmehr mittelbare Konsequenz eines besonderen Zwecks. Die Bindung erfüllt in allen drei Fällen eine bestimmte Funktion: Sie vertritt sachenrechtliche Beziehungen. Bereits bei der Untersuchung der miet- und pachtvertraglichen Bindungsgrenze wurde darauf hingewiesen, dass das BGB sachenrechtliche Zusammengehörigkeit wenigstens zum Teil nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gestaltet: Das dem sachenrechtlichen Spezialitätsprinzip innewohnende Boykott- und Zerstückelungspotenzial wird ausgeschlossen, Wertsteigerungen genießen Priorität (§ 950 BGB) und was wirtschaftlich zusammengehört, wird das Recht nicht trennen (§§ 93, 94 BGB). Wirtschaftliche Einheiten 911

Insbesondere auf das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund, das bei individueller Zumutbarkeit ansetzt. Vgl. hierzu unten Kap. 4, B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen. 912 §§ 313, 314 BGB. 913 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 461, Fn. 45.

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lassen sich jedoch nicht allein durch das Instrumentarium des Sachenrechts zusammenfügen. An den Funktionsgrenzen des Sachenrechts erlangen dauerhafte schuldrechtliche Bindungen hierfür einen eigenen Sinn. Die Ausführungen in Wärmeversorgungsvertrag machen etwa deutlich, dass der Betrieb eines Fernheizwerks nur in der stabilen Verbindung zu einer Abnehmergemeinschaft ein wirtschaftlich sinnvolles Ganzes ergibt. In Stromdurchleitung und Wasserlieferungsvertrag erlaubt die dauerhafte Bindung, lagebezogene Vor- und Nachteile durch subjektive Rechte zu ersetzen und somit ökonomisch zu aktivieren. Der ursprüngliche Brunneneigner hätte sich zur Sicherung seiner dauerhaften Wasserversorgung in Wasserlieferungsvertrag andernfalls gegen das gesamte Projekt des Baus der Zeche wenden müssen, mit im Erfolgsfall möglichen volkswirtschaftlichen Verlusten. In Stromdurchleitung wurde durch die Liefervereinbarung die Erschließung eines Grundstücks rechtlich gesichert, wo sie sich tatsächlich als schwierig erwies. Die sichernde schuldrechtliche Nachbildung ökonomischer Strukturen in entsprechender Dauerhaftigkeit würde durch eine allgemeine Bindungsgrenze gefährdet, auf die der BGH demgemäß verzichtet hat914. Umgekehrt hat diese Zwecksetzung auch ohne Bindungsgrenze eine begrenzende Rückwirkung auf die Bindungsdauer. Die Bindung importiert durch ihre Sachbezogenheit eine entsprechende Zeitlichkeit, die Wasserlieferungsbindung als hypothetischer Brunnen kann versiegen. Dass in diesen Fällen durch die langdauernde Bindung Strukturen geschaffen wurden, reicht als Erklärung ihrer Zulässigkeit noch nicht aus. Denn es ist Kennzeichen langer Bindungsdauer, Vertragsbeziehungen zu objektiven Strukturen zu verfestigen. Entscheidend ist, dass die Verfestigung der Verpflichtung in diesen Fällen einen gesellschaftlichen Mehrwert verspricht. Dies wird auch in weiteren Rechtsprechungsbeispielen zu Wärmeversorgungsverträgen deutlich. Das OLG München berücksichtigte bei der Zulassung eines längerfristigen Wärmeversorgungsvertrags energiepolitische Zielsetzungen915. Das OLG Hamm rechtfertigte die fortdauernde Unkündbarkeit eines vergleichsweise kostenintensiven und 46 Jahre lang bindenden Wärmeversorgungsvertrags mit Hinweis auf die geringere Luftverschmutzung und 914

Man mag die Kündigungsausschlüsse in BGH, Beschluss vom 15.09.2009 – VIII ZR 241/08 –, juris (Stromdurchleitung) und BGH MDR 79, 49 (Wasserlieferung) auch schon für treuwidrig halten, weil sie der Verpflichtung der Gebundenen zu diesen Verträgen widersprechen. Für die Bedürfnis einer Untersuchung zur Zulässigkeit unbegrenzter Bindung erweist sich dieses Argument jedoch insoweit als noch nicht ausreichend, als es den Blick lediglich auf die zeitlich unbegrenzte Zulässigkeit der zugrunde liegenden Verpflichtung lenkt. 915 OLG München OLGZ 1982, 192, 194: „Erst die Garantie eines dauernden bzw. länger bestehenden Anschlusses einer gewissen Anzahl von Eigentümern oder Mietern ermöglicht der Klägerin überhaupt eine rationelle Wärmeerzeugung, wie sie gerade derzeit energiepolitisch anzustreben ist“

250

3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

entsprechend geringere Folgekosten für die Allgemeinheit beim Einsatz von Fernwärme. Das OLG Koblenz ließ noch 2006 bei Altverträgen eine zeitlich unbegrenzte Bindungszeit zu und rechtfertigte die erhöhten Kosten mit „Komfortvorteile[n] von hohem Stellenwert“916, die die Fernwärmetechnik biete. Es erkannte hierin eine „der Verbesserung des Kleinklimas dienende Maßnahme zur Hebung der Wohn- und Lebensqualität“917 und betonte besonders den Gemeinschaftsbezug einer Fernwärmeversorgung918. Schon der BGH hat sich im Wärmeversorgungsurteil auf diese gesellschaftlichen Vorteile bezogen919. Interessanterweise begründete er sein Urteil mit der Möglichkeit eines öffentlich-rechtlichen Anschlusszwangs, statt die Gemeinde darauf zu verweisen, entsprechend durch Satzung tätig zu werden920. Dies lässt sich so verstehen, dass die Überwindung einer Allmende-Problematik durch privatrechtliche Strukturschaffung mit positiven gesellschaftlichen Auswirkungen nicht durch Bindungsbegrenzung eingedämmt, sondern als Alternative zu einer damit erübrigten Rechtsetzung begrüßt wird921. Es mag bedenklich sein, dass die Rechtsprechung einer legislativen Entscheidungsfindung vorgreift, wenn sie sich etwa auf eine „in den letzten Jahren in den Vordergrund getretene[n] allgemein-politische[n] [sic] Zielsetzung“ beruft, „die Fernwärmeversorgung als energiesparendes und umweltfreundliches Heizungssystem zu fördern“922. Es ist jedoch anerkannt, dass sich die Rechtsprechung bei der Auslegung des § 138 I BGB an gewandelten gesellschaftlichen Auffassungen zu orientieren hat. Somit besteht ein Grund dafür, die langfristige Bindung in diesen Fällen zuzulassen. Ob die in diesen Urteilen entwickelte gänzliche Begrenzungslosigkeit indes tatsächlich haltbar ist, bleibt zweifelhaft. Denn die schwache Perspektive einer faktischen Bindungsbegrenzung kann sich als trügerisch erweisen923. Gerade dem mehrfach bestätigten924 Wärmeversorgungsver916

OLG Koblenz NJW-RR 2006, 1285, 1285, Ls. 4, 1287, Ziffer 4. Ebd. 918 OLG Koblenz NJW-RR 2006, 1285, 1285, 1287, Ziffer 5. 919 BGHZ 64, 288 = NJW 1975, 1268, 1269 (Wärmeversorgungsvertrag): „Dies und der Umstand, daß der dauernde Anschluß einer großen Anzahl von Ein- und Mehrfamilienhäusern an ein zentrales Heizwerk erst eine rationelle Wärmeerzeugung ermöglicht, die Umstellung auf andere Energien gegebenenfalls erleichtert und außerdem der Reinhaltung der Luft dient, veranlaßt Gemeinden, die zu ihren Versorgungsbetrieben auch Heizwerke zählen, durch Ortssatzung Anschlußzwang ohne zeitliche Begrenzung vorzuschreiben.“ 920 BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag). 921 Vgl. insb. BGH, Beschluss vom 15.09.2009 – VIII ZR 241/08 –, juris (Stromdurchleitung). 922 BGHZ 100, 1, Rz. 22. 923 Es ist in BGH, Beschluss vom 15.09.2009 – VIII ZR 241/08 –, juris (Stromdurchleitung) denkbar, dass sich auf Jahrzehnte und länger keine anderweitige Anschlussmöglichkeit wird finden lassen, der Bedarf des Begünstigten in BGH MDR 79, 49 (Wasserlieferung) – es handelt sich um eine Gaststätte – kann auch auf lange Zeit weiterhin durch einen 917

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trag-Urteil lässt sich vorwerfen, sich mit diesem Problem nicht auseinander gesetzt zu haben. Nicht außer Acht zu lassen ist, dass der BGH hier mit exemplarischer Wirkung eine auch im praktischen Ergebnis durch ordentliche Kündigung vollständig unbegrenzte Bindung zugelassen hat. Eine Auseinandersetzung mit der praktischen Bedeutung einer solchen grenzenlosen Bindung und ihrer Auswirkungen lässt das Urteil vermissen. Als Beispiel mag die Annahme des BGH dienen „die Art der Wärmeerzeugung und die Wärmequelle [seien] für den Abnehmer von untergeordneter Bedeutung“925. Dies ist (inzwischen) abhängig vom ökologisches Bewusstsein der jeweiligen Konsumenten. Im Fall der Fernwärme wirkt sich dies noch nicht aus, weil es sich nach wie vor um eine sich ökologisch empfehlende Art der Wärmeversorgung handelt. Aber auch wenn diese Technik durch den Fortschritt überholt sein wird, werden unbegrenzte Wärmeversorgungsverträge noch so lange weiter binden, wie die vorhandenen Kraftwerke weiter betrieben werden. Ob die Art der Wärmeerzeugung auch dann noch für den (mit dem Erwerb des jeweiligen Grundstücks verpflichteten) Abnehmer von untergeordneter Bedeutung sein wird, ist ungewiss. Dies illustriert, dass der Wandel der Verhältnisse bei derart langfristigen Bindungen das Vorstellungsvermögen übersteigt und scheinbare Gewissheiten sich bereits in überschaubaren Zeiträumen ändern können926. Dass der Gesetzgeber927 mit einer zeitlich unbegrenzten Bindung im praktischen Ergebnis nicht einverstanden war, lässt sich aus der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme vom 20.06.1980 (AVBFernwärmeV) ableiten. Diese Verordnung wurde erstmalig fünf Jahre nach dem Urteil des BGH vom Bundesminister für Wirtschaft erlassen und begrenzt in § 32 I AVBFernwärmeV die Bindungsdauer von Fernwärmeverträgen auf zehn Jahre. Dies lässt sich als legislative Korrektur der BGH-Rechtsprechung verstehen. Die Rechtsprechung selbst hat die AVBFernwärmeV nicht so verstanden und in ihr lediglich einen anderen Kompromiss zwischen den Zielen einer verlässlichen Planung für das Fernwärmeunternehmen und der größtmöglichen Wahrung der Dispositionsfreiheit gesehypothetischen Brunnen zu decken sein und eine Fernheizwerk kann auf eine Weise kontinuierlich gewartet und in Teilen renoviert und ersetzt werden, dass sich auf unbestimmbare Zeit kein Beedingungszeitpunkt für die Bindung des Verfügenden über den Hausanschluss und seiner Rechtsnachfolger ausmachen lässt. 924 BGH WM 1980, 1433, 1434 unter II 2 a; 1984, 820, 822 unter II 2; 1985, 490, 491, 493 unter II a, d; BGHZ 100, 1. 925 BGHZ 64, 288 = NJW 1975, 1268, 1269 (Wärmeversorgungsvertrag). 926 Die Umweltbewegung in Deutschland (sog. zweite Umweltbewegung) war zurzeit des Urteils von 1975 bereits entstanden und im Erstarken begriffen. Acht Jahre später institutionalisierte sie sich als „Grüne Aktion Zukunft“, auf die auch die heutigen Grünen zurückzuführen sind. Das Bundesumweltministerium wurde 1986 gegründet. 927 Im materiellen Sinne, die AVBFernwärmeV ist eine Verordnung.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

hen928. In sog. Altverträgen, die vor Inkrafttreten der Verordnung am 1. April 1980929 geschlossen wurden930, lässt der BGH daher nach wie vor entsprechend den Grundsätzen von Wärmeversorgungsvertrag jegliche Bindungszeit zu931: „Die Entscheidung des Verordnungsgebers, für künftige Fernwärmeversorgungsverträge eine höchstens zehnjährige Laufzeit zuzulassen, stellt eine vermittelnde Lösung einander widersprechender politischer Zielsetzungen dar, bringt aber nicht zum Ausdruck, daß der bisherige Zustand für die Abnehmer nicht zumutbar war.“932 Auch auf diese Rechtsprechung hat der Verordnungsgeber reagiert und die AVBFernwärmeV im November 2010 dahingehend geändert, dass Altverträge spätestens zum August 2011 gekündigt werden können933. Die vom BGH für alle Ewigkeit zugelassenen Bindungen enden damit spätestens 36 Jahre nach seinem Urteil. Die deutliche Bindungsbegrenzung auf zehn Jahre, wo zuvor jede Bindungszeit zugelassen wurde, gilt indessen nur „soweit Fernwärmeversorgungsunternehmen für den Anschluß an die Fernwärmeversorgung und für die Versorgung mit Fernwärme Vertragsmuster oder Vertragsbedingungen verwenden, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind (allgemeine Versorgungsbedingungen)“, § 1 I S. 1 AVBFernwärmeV. Die AVBFernwärmeV wurde im Anwendungsbereich des § 310 II BGB erlassen. Ihre Bindungsgrenze steht damit in Verwandtschaft zu den verschärften Bindungsgrenzen nach §§ 307, 309 Nr. 9 BGB. Dass bezüglich AGB oder AVB beson928

BGH NJW 1987, 1622, 1624. Rückwirkend von der Verkündung am 20.06.1980. 930 Diese Altverträge bleiben nach der ausdrücklichen Anordnung des § 37 III S. 2 a.F. AVFernmWärme1980 von der AVFernmWärme unberührt. 931 BGHZ 100, 1; OLG Koblenz NJW-RR 2006, 1285. 932 BGHZ 100, 1. 933 Geändert durch Art. 5 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Energieeffizienz und Energiedienstleistungen (EDL-GEG) vom 04.11.2010 (BGBl. I S. 1483). Dort heißt es nun in § 32 I S. 1: „Die Laufzeit von Versorgungsverträgen beträgt höchstens zehn Jahre.“ Die Einschränkung der Versorgungsverträge auf solche, „die nach Inkrafttreten dieser Verordnung zustande kommen“ wurde gestrichen, ebenso die Sonderregelung für diese sog. Altverträge in § 32 II a.F. Auch § 37 II S. 3 a.F., der regelte, dass die „vereinbarte Laufzeit der vor Verkündigung dieser Verordnung abgeschlossenen Versorgungsverträge […] unberührt [bliebe]“ wurde gestrichen, stattdessen heißt es nunmehr ausdrücklich, dass „§ 32 Absatz 1 in der Fassung vom 12.November 2010 […] auch auf bestehenden Versorgungsverträge anzuwenden [ist], die vor dem 1. April 1980 geschlossen wurden. Vor dem 1. April 1980 geschlossene Versorgungsverträge, deren vereinbarte Laufzeit am 12. November 2010 noch nicht beendet ist, bleiben wirksam. Sie können ab dem 12. November 2010 mit einer Frist von neun Monaten gekündigt werden, solange sich der Vertrag nicht nach § 32 Absatz 1 Satz 2 verlängert hat.“ Die letztgenannte Verlängerung betrifft nur den Fall nichtrechtzeitiger Kündigung trotz Kündigungsmöglichkeit, also nur Bindungszeiten, die bereits vor diesem Datum ausgelaufen sind. Diese Verträge verlängern sich um fünf Jahre, in jedem Fall kann jeder über zehnjährige Vertrag damit zum Ende des Jahres 2015 gekündigt werden. 929

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dere Gesichtspunkte eingreifen und dementsprechend besondere Maßstäbe gelten, wurde bereits dargestellt934. Für Individualverträge hält die Rechtsprechung entsprechend an der Zulässigkeit unbegrenzter Kündigungsausschlüsse in Wärmeversorgungsverträgen fest935. Entscheidender ist, dass die Rechtsprechung zudem Wege gefunden hat, den resultierenden praktischen Schwierigkeiten zu begegnen936. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich insbesondere aus Fällen der nächsten Kategorie. 3. Bindungsalternativen (DÜRA Vollsalz, Klinik KG) Zwei aus den ausgehenden 1990er-Jahren stammende Entscheidungen legen nahe, dass der Gedanke langfristiger Sicherung wirtschaftlicher Beziehungen möglicherweise über den Bereich sachverbessernder Bindungen hinaus zu erweitern ist937. DÜRA Vollsalz gestattete die Verfestigung eines Vertriebsverhältnisses. Vier Jahre später erging eine Entscheidung des OLG Hamm über den Vertrag einer Kommanditgesellschaft mit einem Dritten, zur Entlastung ihrer Geschäftsführung ihre Kommanditisten zu betreuen („Klinik KG“). Hintergrund dieses Vertrages war, dass die Kommanditgesellschaft eine auf Herz-, Kreislauf-, rheumatische und psychosomatische Erkrankungen spezialisierte Klinik betrieb und der Dritte sie bei der Platzierung von Kommanditanteilen unterstützte. Um DÜRA Vollsalz richtig einzuordnen, hilft es, sich die dem Fall zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse zu vergegenwärtigen. Zwar geriet die Herstellerseite (der Mutterkonzern bzw. ihre Vertriebsgesellschaft) durch den einseitigen Ausschluss ihres ordentlichen Kündigungsrechts in die schwächere Vertragsposition, dieser Kündigungsausschluss war von ihr jedoch erstens so gewollt und schützte zweitens den wirtschaftlich deutlich Unterlegenen. Nur dreizehn Jahre vor ihrem Kündigungsversuch hatte die Herstellerseite in einem Vergleich – und aller Wahrscheinlichkeit nach gründlich juristisch beraten – der sehr differenzierten Regelung zugestimmt, dass innerhalb eines Pakets von insgesamt drei Verträgen (Siedesalz, Steinsalz, Vollsalz) alle Verpflichtungen bis auf einen 70%-Teil des Vollsalz-Vertrages kündbar sein sollten. Der BGH beruft sich in seiner Urteilsbegründung wiederholt auf den besonders informierten Charakter dieser Entscheidung, wenn er aus der Erfahrung des Herstellers im Wirtschaftslebens und der bereits 21-jährigen Zusammenarbeit mit dem Vertragspartner folgert, dass der „südwestdeutsche 934 S.o., Kap. 3, F. Zweck der Begrenzung von Mindestvertragslaufzeiten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Versicherungsverträgen. 935 Vgl. etwa KG CuR 2007, 71. Dies entspricht der Bestätigung von BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag) durch BGH WM 1980, 1433, 1434; 1984, 820, 822; 1985, 490, 491, 493; MDR 1987, 577. 936 Hierzu sogleich. 937 Vgl. darüber hinaus BGH NJW-RR 2012, 626 (Mastkükenbrüterei).

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Großhersteller von Salzprodukten“938 „den teilweisen Kündigungsverzicht nach Abschätzung der damit verbundenen Risiken eingegangen [sei]“939. Es hieße einen Kompromiss zwischen Vertragsfreiheit und Freiheit von Bindung zulasten der Vertragsfreiheit aufzulösen, aus einer solchen Situation heraus auf Bindungsgrenzen zu erkennen, nur weil der Herstellerseite der Kündigungsausschluss lästig geworden war. Dies gilt insbesondere, weil nach dem in den Vorinstanzen außer Acht gelassenen Vorbringen der Gegenseite die schließlich unbefriedigenden Umsätze des Vollsalzprodukts auf bewusste unternehmerische Entscheidungen des Großherstellers zurückgingen. Hinzu trat die wirtschaftliche Überlegenheit der Herstellerseite gegenüber ihrem Handelsvertreter. Notfalls ließe sich für den Großhersteller auch die ihn (bzw. seine Vertriebsgesellschaft) ökonomisch in sehr überschaubaren Maßen beeinträchtigende Bindung ohne Schwierigkeiten verkraften. Auch Klinik KG lässt sich auf ähnliche Weise erklären. Die zum Inhalt des Betreuungsvertrags in Klinik KG führenden Geschehnisse verliefen zwar unübersichtlich, im praktischen Ergebnis schloss jedoch die Gebundene mit dem Betreuenden einen Vertrag zugunsten Dritter, nämlich zugunsten ihrer Kapitalgeber, der zu betreuenden Kommanditisten. Entsprechend sollte im Deckungsverhältnis als Außenverhältnis kein Kündigungsrecht bestehen. Dafür bestand im Vollzugsverhältnis für die Kommanditisten als Dritte ein ordentliches Kündigungsrecht. Bei echten Verträgen zugunsten Dritter ist bei Bindungsfragen einerseits zu berücksichtigen, dass eine Kündigung im Deckungsverhältnis ein bereits erworbenes Recht des Dritten beeinträchtigen und daher scheinbar ein Rechtsgeschäft zu Lasten Dritter darstellen kann940; andererseits, dass der Dritte nicht in die Position eines Vertragspartners einrückt und Einwirkungen auf das Vertragsverhältnis damit grundsätzlich dem Versprechensempfänger vorbehalten bleiben941. Klinik KG ist somit ein Sonderfall, aus dem keine allgemeinen Rückschlüsse gezogen werden können. Das Problem der Bindung des Versprechensempfängers an seine Gegenleistungspflicht in Dauerschuldverhältnissen zugunsten Dritter kann die Wirksamkeit des Deckungsverhältnisses dann unberührt lassen, wenn es sich im Valutaverhältnis lösen lässt. In Klinik KG kam es daher wesentlich auf die rechtliche Möglichkeit der Komplementärin an, auf die Wahrnehmung des Kündigungsrechts durch die Kommanditisten hinzuwirken.

938

BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz). BGH NJW 1995, 2350, 2352 (Düra Vollsalz). 940 Vgl. Staudinger/Jagmann, Vor § 328, Rn. 71; MünchKomm-BGB/Gottwald, § 328, Rn. 28. 941 Staudinger/Busche, Eckpfeiler des Zivilrechts, Rn. F-19. 939

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4. Überlanger Verlust des Selbstbestimmungsrechts über die Zukunft der gesamten selbstständigen Erwerbstätigkeit In seinen übrigen Entscheidungen zu langfristiger Bindung hat der BGH jeweils Bindungsgrenzen aufgestellt. An ihrem praktischen Beispiel zeigt sich, was der BGH unter dem nur zeitlich begrenzt disponiblen Kerngehalt wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit versteht. Der BGH hielt im Ergebnis solche langfristigen Pflichten für unzulässig, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit endgültig und insgesamt dominierten. In Zuckerfabrik wurde die Dispositionsfreiheit von Landwirten vor unkündbaren Rübenanbau- und Ablieferungspflichten geschützt, die den größten Teil der landwirtschaftliche Erzeugung bestimmten942. Weil sie sich mit der Größe des bewirtschafteten Landes die Abliefermengen erhöhten, ließen diese Lieferpflichten keine Möglichkeit, parallel in unternehmerischer Freiheit eine landwirtschaftliche Produktion aufzubauen; auch durch andere wirtschaftliche Maßnahmen konnte der Landwirt ihnen nicht entgehen943. In Verlagsoption war der Autor zwar zunächst nur verpflichtet, seine Bücher dem Verlag vorzugsweise anzubieten und ihm eine angemessene Entscheidungsfrist einzuräumen. Wegen der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung von Vorschüssen für Schriftsteller legte die Bindung im Ergebnis jedoch die kommerzielle Verwertung des vollen Umfangs seines künstlerischen Schaffens in die Hände eines Verlags. Der „Rolli“-Vertreter in Rolli Eiskrem hätte ohne Bindungsbegrenzung nicht die Möglichkeit erlangt, sich in seinem Eisvertrieb dem Einflussbereich eines einzelnen Großhändlers zu entziehen. In Holiday Inn wurde die unternehmerische Hoheit der Hoteleigner über den Betrieb ihres Hotels wiederhergestellt944, welche sie in geradezu bemerkenswerter Vollständigkeit945 verloren 942

Die Pflicht belief sich auf die Ablieferung von 100 Doppelzentnern pro halbem Hektar, das entspricht pro Hektar 20 t. Die Erträge eines Hektars lagen zur damaligen Zeit bei durchschnittlich etwa 26 t pro Hektar, vgl. Krafft, Pflanzenbaulehre; Meyers Konv-Lex, S. 207 ff., Stichwort: „Rübenbau“. 943 Zur Abtretung des Geschäftsanteils bedurfte er der Zustimmung der Gesellschaft. Vgl. dazu, dass nicht die weitgehende Beseitigung der unternehmerischen Bewegungsfreiheit überhaupt, sondern nur entsprechend langfristige Bindung begrenzt wird, die sogar formalvertragliche Zulassung zehnjähriger Bindung bei weitgehender Beseitigung der unternehmerischen Bewegungsfreiheit in BGH NJW-RR 2012, 626 (Mastkükenbrüterei). 944 Zurückführen ließe sich die Begrenzung des bindenden Managementvertrags ggf. auch auf das Prinzip der Selbstorganschaft. Der BGH hat derart hohe Anforderungen der Selbstorganschaft jedoch ausdrücklich abgelehnt, BGH NJW 1982, 1817 (Holiday Inn). 945 Der BGH weist ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, die Einhaltung der nur innerhalb billiger Grenzen durch die Kette abänderbaren internationalen Normen für das Betreiben von Holiday Inn-Hotels zu erzwingen sowie zu baulichen Veränderungen ab einer bestimmten Kostenhöhe die Zustimmung zu verweigern. Inhaltlichen Einfluss auf die Gestaltung der Normen hatten die Hoteleigner jedoch nicht und ein Zustimmungsrecht zu größereren baulichen Veränderungen war mehr Ausdruck ihres fortbestehenden Eigentums an den Gebäuden als Möglichkeit zu unternehmerischer Gestaltung. Die Eigner waren im

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

hatten, obwohl dieser Betrieb auf ihre Kosten und ihr finanzielles Risiko geschah. Zwei weitere, bisher nicht behandelte Urteile fallen ebenfalls in die Kategorie der Fremdbestimmung bzw. Vorfestlegung der gesamten unternehmerischen Zukunft. In Freiberuflersozietät war ein Rechtsanwalt auf 30 Jahre unkündbar dazu verpflichtet, in einer Rechtsanwaltssozietät zu arbeiten und für die Alterssicherung der Seniorpartner zu haften. In diesem Fall prüfte der BGH die Bindung zwar nicht an § 138 I BGB, sondern am vorrangigen § 723 III BGB, begrenzte die Bindung jedoch ebenfalls aus der Überlegung an 14 Jahre, dass andernfalls der Anwalt ggf. „seine persönlichen beruflichen Vorstellungen nicht – mehr – verwirklichen kann“. Auch die letzte Entscheidung zu überlanger Bindung betrifft die Einschränkung selbstständiger Erwerbstätigkeit, in diesem Fall durch das LAG Schleswig Holstein. In einem unbegrenzt bindenden Personalüberleitungsvertrag (PÜV) hatte der Erwerber eines Klinikums und mehrerer Alten- und Pflegeheimen die „Besitzstandwahrung“, also die weitgehende Beibehaltung der hohen Sozialstandards der Mitarbeiter versprochen. Durch die Festschreibung der Arbeitsbedingungen wurde die Leitungsmacht des neuen Betreibers etwa durch die notwendige Einvernehmlichkeit von Versetzungen weitgehend eingeschränkt, der seine Weisungsbefugnisse auch nicht durch Neueinstellungen erweitern konnte, weil neue Mitarbeiter ebenfalls nach den Bestimmungen des PÜV begünstigt werden sollten (§ 2 Nr. 1 S. 2 PÜV). Auch hier war es die zeitlich unbegrenzte Einschränkung unternehmerischer Entscheidungsfreiheit, die auf eine bestimmte Zeit (20 Jahre) beschränkt wurde. Die Entscheidung Maklervertrag fiele insofern aus der Reihe, als die Veräußerung von Grundstücken nicht Teil des Erwerbsbetriebs des Gebundenen war (weswegen er sich überhaupt an den Makler gewandt und ihm ein „Alleinverkaufsrecht“ eingeräumt hatte). Zwar war er ein Architekt, der die Grundstücksveräußerung zum Teil seiner Betätigung gemacht hatte, indem er die Veräußerung vom Abschluss eines Architektenvertrags mit ihm abhängig machte. Alleinverkaufsrechte hätten auch das Geschäftsmodell seiner weiteren Tätigkeit bedroht, denn von den 4.900 m² Grundstück, die er erworben hatte, verblieben ihm noch ca. 3.100 m², ca. 1.800 m² waren verkauft. Darauf kam es ausweislich der Entscheidung jedoch nicht an, der BGH formuliert allgemein, ein zeitlich unbegrenzt eingeräumtes Alleinverkaufsrecht müsse „immer sittenwidrig“ sein, „jede bewußt zeitlich unbegrenzt vereinbarte Dauerbindung dieser Art beeinträchtig[e] die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des betroffenen Vertragspartners in unzulässig starkem Maße“946.

Übrigen auf Jahrzehnte nicht nur gezwungen, jede kaufmännisch vertretbare Entscheidung ihres Managers zu dulden, sondern diese auch zu finanzieren und hatten insoweit dem Manager zu dessen uneingeschränkten Verfügung ein immer wieder aufzufüllendes Konto einzurichten. 946 BGH WM 1976, 533, 533 (Maklervertrag).

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IV. Kündigungsfreundliche Auslegung, Wegfall der Geschäftsgrundlage und außerordentliche Kündigung als Einschränkungen unbegrenzter Bindung Es ist zwar zunächst richtig, dass der BGH ewige Bindung für im Grundsatz zulässig erklärt und in mehreren Urteilen (Wärmeversorgungsvertrag, DÜRA Vollsalz, ggf. Wasserlieferungsvertrag, Stromdurchleitung) auch zugelassen hat. Diese Beschreibung der ordentlichen Unkündbarkeit vermittelt jedoch keinen vollständigen Eindruck von der tatsächlichen Bindung, denn die praktischen Auswirkungen dieser Rechtsprechung werden auf anderen Wegen gemindert. Eine entscheidende Relativierung der resultierenden Bindung liegt in den früh entwickelten Grundsätzen vom Wegfall der Geschäftsgrundlage und ihrer Fortführung in § 313 BGB. Das indispositive Recht der außerordentlichen Kündigung bietet einen weiteren Ausweg aus ansonsten auswegsloser Bindung und die an Zweck und Treu und Glauben orientierte Auslegung (§ 157 BGB) bietet weitere Anknüpfungspunkte, Rechtsbindung erträglich zu halten947 oder in unpassenden Fällen ganz in Frage zu stellen. Diese Möglichkeiten sind in jede Bindung hineinzudenken und unterscheiden zeitlich unbegrenzte Bindungen des deutschen Privatrechts von tatsächlich ewigen Festlegungen. Dennoch schaffen diese Bindungsminderungen keine ausreichenden Spielraum für Freiheit, weil der Gebundene ihrem Eintreten weitgehend unbeherrschbar ausgeliefert ist. Wie etwa der Primat der Anpassung vor Kündigung zeigt, richten sich diese Institute in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen vornehmlich auf den Erhalt, nicht auf die Befreiung von Bindung. Es existieren jedoch Indizien dafür, dass die Rechtsprechung in Fällen unbegrenzter Bindung gewillt ist, die Grenzen dieser Institute weiter zu ziehen. Dies beginnt bei der Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB, die weitgehend dafür verantwortlich ist, dass die Gerichte sich nur in vergleichsweise wenigen Fällen überhaupt mit unbegrenzter Bindung auseinanderzusetzen hatte. Die Rechtsprechung geht von einer Auslegungsvermutung ordentlicher Kündbarkeit aus948. Ausdrücklich „auf unbestimmte Zeit“ abgeschlossene Verträge können unter Einhaltung der gewöhnlichen Kündigungsfristen sofort gekündigt werden949. Das Gleiche gilt in Fällen, in denen der Vertrag sich nicht zu ordentlichen Kündigungsrechten äußert, hier liest die Rechtsprechung ein ordentliches Kündigungsrecht in den Vertrag hinein950. Selbst dort, 947

Etwa die in BGH NJW 1982, 1817 (Holiday Inn) in den Managementvertrag gelesene Einschränkung der „Pflichtgemäßheit“ der Entscheidungen des Managers bei der Führung des Hotels. 948 So im Ergebnis bereits BGH GRUR 1959, 384, 388 (Postkalender); NJW 1972, 1128 (Belegungsvertrag); LAG Bielefeld, Urt. v. 08.06.1933, ARS Bd. 19, 81; vgl. auch Dirk Neumann, Lebens- und Dauerstellung, DB 1956, 571. 949 Ständige Rechtsprechung seit BGH GRUR 1959, 384 (Postkalender). 950 Siehe die Entwicklung dieser Rechtsprechung in RGZ 78, 424; OLG Hamburg NJW 1957,26; BGH GRUR 1959, 384 (Postkalender); NJW 1972,1128 (Belegungsvertrag); 1995, 2350 (Düra Vollsalz).

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

wo sich dies mit dem Parteiwillen nicht vereinbaren lässt und deswegen Kündigungsausschlüsse angenommen werden müssen, findet die Rechtsprechung regelmäßig Umstände, die sie zum Anlass nehmen kann, diese Kündigungsausschlüsse zu begrenzen. In Kalivertrag ergänzte das Reichsgericht die faktische Begrenzung um die Auslegung, dass das Recht „doch jedenfalls nicht länger dauern [sollte]“951 als bis zur vollständigen Ausbeutung des Kalivorkommens. In Maklervertrag orientierte sich der BGH an der Zeitspanne, die notwendig war, um die dem Zweck des Kündigungsausschluss entsprechende gesicherte Vermittlung leisten zu können. Auch in Wasserlieferungsvertrag bedingte der BGH mit dem schadensersatzrechtlichen Charakter des Vertrags die Dauerpflicht durch Überlagerung mit ihrem Zweck952. In Stromdurchleitungsvertrag entschied der BGH, dass der Zweck des Kündigungsausschlusses nur eine Dauer bis zum Anschluss des Hauses an die öffentliche Versorgung erfordere und begrenzte ihn daher entsprechend. Für die Formulierung von Kündigungsausschlüssen setzt die Rechtsprechung hohe Hürden: „eine zeitlich unbegrenzte – und damit auch jeden künftigen Rechtsnachfolger bindende – Besitzüberlassung unter Ausschluß jeglicher Kündigungsmöglichkeit [kann] nur angenommen werden [...], wenn ein dahin gehender Parteiwille unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist. Denn ein derart ausgestaltetes Dauerschuldverhältnis bildet in der deutschen Rechtsordnung die Ausnahme“953. Im Fall entschied der BGH, dass der Überlassung der Originalmanuskripte aus dem Nachlass von Ödön v. Horvath an die Akademie der Künste nichts gegen eine ordentliche Kündbarkeit „nach einer angemessenen Auswertungszeit“ zu entnehmen war. Diese Begrenzung des Kündigungsausschluss richtete er ausdrücklich an den Erfordernissen des Vertragszwecks aus (Archivvertrag). Nach diesen Urteilen darf man folgern, dass sich in der Rechtsprechung das Mittel etabliert hat, Kündigungsausschlüsse durch Zweckorientierung zu qualifizieren und dadurch die Problematik überlanger Bindung zu meiden, ohne in Konflikt mit der Vertragsfreiheit zu geraten. Dies kann soweit gehen, dass (ergänzende) Auslegung die Funktion von Bindungsgrenzen übernimmt. Internatsverträge sind nach der Rechtsprechung des BGH von der Schülersei951

RG Warneyer 1915, Nr. 167, S. 249 (Kalivertrag). Interessanterweise sind ebensolche Fälle in anderen Jurisdiktionen aufgetreten und wurden ebenfalls auf dem Wege kündigungsfreundlicher Auslegung gelöst. So entschieden britische Gerichte etwa in Staffordshire Area Health Authority v. South Staffordshire Waterworks Company [1978] 1 W.L.R. 1387 gegen den Wortlaut des zum Ausgleich für eine Absenkung des Grundwasserspiegels geschlossenen Wasserlieferungsvertrags, dass die Bindungszeit „at all times hereafter“ nicht als Kündigungsausschluss, sondern als Bindungszeit „at all times hereafter during the subsistence of this contract“ zu verstehen sei, und ermöglichte so die Kündigung. Vgl. aber The Power Company Ltd v. Gore District Council [1997] 1 N.Z.L.R. 537. 953 BGH, Urteil vom 07.03.1987 – I ZR 250/85 –, juris (Archivvertrag, Herv. d. Verf.). 952

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te trotz formularmäßigen Kündigungsausschlusses kündbar, weil ihre „besondere Eigenart und die Interessenlage es gem. §§ 242, 157 BGB gebieten, dem Vertragspartner des Schul- und Internatsträgers ein nicht an das Vorliegen bestimmter Gründe geknüpftes Recht zur ordentlichen Kündigung des für eine bestimmte Zeit geschlossenen Vertrages einzuräumen.“954. Gegen dieses „zum Wesen des [Internat-]Vertrages“ gehörende Kündigungsrecht verstoßende Klauseln sind unwirksam. An ihre Stelle tritt nicht das dispositive Recht der Dienstverträge, das für die auf die regelmäßig auf den Schulabschluss befristeten Internatsverträge ebenfalls Unkündbarkeit vorsieht, sondern das ordentliche Kündigungsrecht nach §§ 242, 157 BGB als „die sich aus dem allgemeinen Grundsatz der Vertragsauslegung ergebende Rechtslage“955. Vergleichbare Lösungen wurden bereits bei Begründung der Bierlieferungsrechtsprechung (etwa im „Bierausschankfall“ des RG) genutzt956. Die Störung der Geschäftsgrundlage diente etwa in Wasserlieferungsvertrag als weitere Anknüpfungsmöglichkeit für eine Beschränkung von Bindungszeit auf das nach dem Vertragszweck notwendige Maß957. Eine wesentlich bedeutendere Rolle bei der indirekten Bindungsbegrenzung spielt jedoch die Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund. Wenn Urteile langfristige Bindung zulassen, tun sie dies regelmäßig im Hinblick und unter besonderer Betonung der Möglichkeit, die Bindung außerordentlich zu kündigen, sollte sie sich als unzumutbar erweisen958. Insbesondere in Wärmeversorgungsvertrag wurde im Anschluss an eine Debatte in der Zeitschrift Betriebsberater im 954

BGH NJW 1985, 2585, 2586. Ebd. 956 RG JW 1927, 119 (Bierausschank). 957 BGH MDR 79, 49, 50 (Wasserlieferung): „Daraus ergibt sich zugleich, daß eine ersparte Eigenaufwendung von sechs Pfennig je cbm Geschäftsgrundlage des Vertrages vom 31. Juli 1901 war.“ Auch die schadensersatzrechtliche Charakterisierung der Wasserlieferungspflicht in Wasserlieferungsvertrag bot eine zweckorientierte Beendigungsmöglichkeit, die dogmatisch nicht als Vertragsauslegung begründet wurde, sondern dadurch, dass ein Gleichlauf der vertraglichen Wasserlieferungspflicht mit dem Umfang der fortentwickelten Schadensersatzpflichten des Zechenbetreibers als Geschäftsgrundlage des Vertrags eingestuft wurde. Vgl. auch die Erörterungen in BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz). 958 Z.B. RG LZ 1925, 971, 972 (Inseratenvertrag): „Kann ihm [dem Gebundenen] die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zugemutet werden, so steht ihm die Kündigung wegen eines wichtigen Grundes zu“. Auch Bydlinski, Vertragsbindung, S. 8, folgert, dass „[i]n der schon erwähnten Entscheidung des deutschen Reichsgerichtes [...] der zeitlich völlig unbegrenzte Inseratenvertrag ausdrücklich für gütlig gehalten [wird]; […] wegen der doch immerhin bestehenden Auflösbarkeit aus wichtigem Grund bei Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung.“ Vgl. des Weiteren OLG Koblenz NJW-RR 2006, 1285; OLG Stuttgart, NZG 2007, 786, 787 f. unter Herausstellung, dass bei zeitnaher Kündigungsmöglichkeit „wegen des Fehlen eines wichtigen Grunds zur fristlosen Kündigung auch nicht unter unzumutbaren Umständen abgewartet werden muss“; BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag); BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag). 955

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Jahr 1970959 der Schutz durch das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund erörtert und für ausreichend befunden960, worauf sich der BGH später mehrfach berief961. Wie weitreichend die Rechtsprechung diesen Schutz jedoch im Einzelfall auffasst, offenbart sich in anderen Urteilen. Ein Beispiel hierfür bildet zunächst die zitierte BAG-Entscheidung Lebenslange Arbeitgeberbindung962. Hier wurde der Ausnahmecharakter der außerordentlichen Kündigung zwar betont963, für die Fälle langfristiger Bindung aber relativiert964. Das außerordentliche Kündigungsrecht soll nach Auffassung des BAG auch dazu dienen, der verfassungsrechtlichen Vorgabe einer Lösungsmöglichkeit des anderweitig ohne Kündigungsrecht bleibenden Arbeitgebers nachzukommen965. Unzumutbarkeit weiterer Bindung soll bereits anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber für die Arbeitskraft des Begünstigten keine Verwendung mehr habe oder im „Fall des Auftretens von ‚atmosphärischen Störungen‘“966. Ohne den Hinweis auf dieses starke Kündigungsrecht aus wichtigem Grund bliebe auch die Darstellung von DÜRA Vollsalz unvollständig. In dieser, einer der wenigen BGH-Entscheidungen im Ergebnis nicht begrenzter Bindung verwies der BGH auf die Möglichkeit, dass die schlechte Absetzbarkeit des entscheidungsgegenständlichen Salzprodukts bereits eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen (alternativ einen Wegfall der Geschäfts-

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Golling, BB 1970, 324, 327 einerseits, Degen/Odenthal, BB 1970, 1421, 1423 andererseits 960 BGHZ 64, 288 = NJW 1975, 1268, 1269 (Wärmeversorgungsvertrag): „Erfolgt unter diesen Umständen die Abgabe der Wärme und des warmen Wassers zu einem angemessenen Preise, so ist kein überzeugender Grund ersichtlich, der es in Anbetracht der berechtigten Belange der Klägerin geboten erscheinen ließe, dem Beklagten neben dem Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grunde die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung überhaupt oder jedenfalls nach bestimmter Laufzeit des Vertrages zuzugestehen. Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grunde (§ 242 BGB) gewährt dem Abnehmer ausreichenden Schutz.“ 961 BGH NJW-RR 1993, 1460, 1461 (Wäschereivertrag): „Schließlich ist auch zu erwägen, daß die Kündigungsklausel des § 8 II geeignet sein könnte, dem Bekl. ausreichenden Schutz seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu sichern“ unter Verweis auf BGHZ 64, 288, 293. 962 BAG BB 2004, 2303. 963 Ebd., S. 2305: „Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung kann nur ausnahmsweise zulässig sein, denn zu dem vom Arbeitgeber zu tragenden Unternehmerrisiko zählt auch die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist.“ 964 Ebd., S. 2305 weiter: „Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers kann dem Arbeitgeber aber insbesondere dann unzumutbar sein, wenn eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen ist.“ 965 Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist dem Arbeitgeber insoweit ein Kündigungsrecht einzuräumen, Etzel, ZTR 2003, 210. 966 BAG BB 2004, 2303; vgl. Oetker, ZfA 2001, 287, 332.

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grundlage darstellen) könne967. Vom Berufungsgericht wollte der BGH hierfür im Wesentlichen nur geprüft wissen, ob der Erlöseinbruch auf bewusste Entscheidungen der Kündigenden zurückzuführen sei968. In Holiday Inn begrenzte der BGH die Bindung der Hoteleigener ohnehin von 50 auf 20 Jahre. Zusätzlich setzte er jedoch auch hier die grundsätzlich strengen969 Voraussetzungen der Kündigung aus wichtigem Grund soweit herab, dass die „die Beklagte ein [außerordentliches!] Kündigungsrecht schon dann ha[be], wenn das Hotel auf die Dauer gesehen keinen Ertrag abw[erfe].“ Aus „Wesen und Sinn und Zweck“ des auf „wirtschaftliche und gewinnbringende Hotelführung“ angelegten Vertrags folgerte er ein Kündigungsrecht mangels Ertrags bereits für den Fall, dass die Gewinne länger als nur zeitweise nicht so hoch seien wie eine angemessene Verzinsung des Fremdkapitals970 zuzüglich einer „gewisse[n] Rendite des eingesetzten Eigenkapitals“. Diese Rechtsprechung zur außerordentlichen Kündbarkeit setzt den grundsätzlich zulässigen Ausschluss ordentlicher Kündbarkeit in ein neues Licht971. V. Zwischenergebnis zum Zweck der allgemeinen richterrechtlichen Bindungsgrenze (§ 138 BGB) Die Bindungsgrenzen der Rechtsprechung lassen sich nicht erklären als Recht jedes Einzelnen auf Beendigungsfreiheit. Der Schutz eines solchen Rechts durch Bindungsgrenzen widerspräche es, dass der BGH wiederholt die privatautonome Freiheit zur Bindung in den Urteilsbegründungen betonte und mehrmalig zeitlich unbegrenzte Bindung zuließ, ohne Rücksicht auf ein derartiges individuelles Recht zu nehmen. Die Rechtsprechung beantwortet demnach keine generelle Frage wie jene nach dem Konflikt zwischen Freiheit von Bindung und Freiheit zur Bindung, sondern Einzelfälle. 967 BGH NJW 1995, 2350, 2352: „Nach dem derzeitigen Sachstand ist [...] nicht völlig auszuschließen, daß den letztgenannten Umständen Bedeutung unter den rechtlichen Gesichtspunkten der Kündigung aus wichtigem Grund […] oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zukommen kann. [Aus diesem Grund] war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Prüfung und erneuten Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen.“ 968 Ebd.: „Das BerGer. wird […] gegebenenfalls aufzuklären haben, ob und inwieweit ein etwaiger Erlöseinbruch die Folge eigener unternehmerischer Entscheidungen der Muttergesellschaft der Bekl. ist, wie dies die Kl. behauptet (z.B. Streichung des Werbetats). Für die Prüfung eines dadurch etwa eingetretenen wichtigen Grundes oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage […]“. 969 BGH NJW-RR 2011, 916 (DSL). 970 Im Fall hatten die Beklagten Kredite aufgenommen, sodass entsprechende Zinszahlungen zu leisten waren. 971 Wegen der Möglichkeit zur Kündigung aus wichtigem Grund dem Ausschluss der ordentlichen Kündigung gegenüber aufgeschlossen auch Bydlinski, Vertragsbindung, 8 f.; 10; Horn, Gutachten, S. 560, 573.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Das Abgrenzungskriterium ist ein Minimum „wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit“ verstanden als Freiheit, wenigstens einen Teil der eigenen Erwerbstätigkeit langfristig wieder gestalten zu dürfen. An dieser Freiheit könnte in der Weise ein überindividuelles Interesse bestehen, dass eine verantwortungsvolle Gestaltung (und bis dahin effektive Kontrolle fremder Entscheidung) vorzugsweise von jenen erwartet werden kann, die, weil sie etwa die Substanz des Unternehmens halten, die langfristigen Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen letzten Endes werden zu tragen haben. Insgesamt spielen die Entscheidungen für oder gegen die Bindungsbegrenzung nur eine Nebenrolle, weil die Rechtsprechung das Bindungsproblem durch eine kündigungsfreundliche Auslegung im Wesentlichen bereits im Vorfeld entschärft.

I. Anmerkung zur wettbewerbs- und kartellrechtlichen Bindungsgrenze (§ 4 Nr. 10 UWG, §§ 1 ff., 19 ff. GWB, Art. 101 f. AEUV) I. Wettbewerbs- und kartellrechtliche Bindungsgrenze

Weil die langfristige Bindung von Konsumenten und Faktoren eine Marktzutrittsschranke für Wettbewerber bilden kann, ist sie unter bestimmten Umständen kartellrechtlich verboten. Verboten sind wettbewerbsbeschränkende Absprachen (Art. 101 AEUV, §§ 1 ff. GWB), der Missbrauch von Marktmacht (Art. 102 AEUV, §§ 19 ff. GWB) und Zusammenschlüsse, die eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken (EG-Fusionskontrollverordnung972, §§ 35 ff. GWB). In Abwesenheit einer besonderen Marktmacht können langfristig unkündbare Vereinbarungen als wettbewerbsgefährdende Absprachen verboten sein. Das sind grundsätzlich nur Vereinbarungen, die auch eine ausdrückliche Beschränkung der Handlungsfreiheit eines Vertragspartners beinhalten. Wenn sonstige Verträge aufgrund langfristiger Bindungen den Wettbewerb spürbar beschränken, können indes auch sie unter Art. 101 AEUV fallen973. Ggf. kann ein langfristig bindender Vertrag sogar als unzulässiger Zusammenschluss gewertet werden, weil „unter bestimmten Umständen [...] auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu einer faktischen Kontrolle führen [kann]“974, so wenn „langfristige Lieferverträge 972

Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20.01.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, AblEU 2004 L 24 v. 29.01.2004, S. 1. 973 Vgl. EuG, Urt. vom 15.09.1998 – verb. Rs. T-374/94, T-375/94, T-384/94 and T388/94, European Night Services u.a./Kommission – Slg. 1998, II-3141, Fn. 46, Rn. 136; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Wägenbaur, Art. 81 Abs. 1 EG, Rn. 131. 974 Komission, Konsolidierte Mitteilung der Komission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Rn. 20; vgl. Sache IV/ECSC.1031 – US/Sollac/Bamesa v. 28.07.1993;

I. Wettbewerbs- und kartellrechtliche Bindungsgrenze

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oder Lieferratenkredite in Verbindung mit strukturellen Verflechtungen einen bestimmenden Einfluss gewähren“975. Die Bindungsfristen spielen für diese Bewertung eine entscheidende Rolle, so hat die Kommission in der Sache CCIE/GTE wegen einer verhältnismäßig kurzen Geltungsdauer der Vereinbarung einen Kontrollwechsel verneint976. Die oben977 ausführlicher beschriebenen Bindungsbegrenzungen des Kartellrechts bieten in mehrerer Hinsicht Besonderheiten. Dies zeigt sich zunächst darin, dass sie ohne weitere Untersuchung zu erklären sind: Sie dienen allein der Erhaltung des Wettbewerbs. Dies lässt sich deswegen im Gegensatz zu allen anderen untersuchten Bindungsgrenzen so unzweifelhaft feststellen, weil diese Bindungsgrenzen von vornherein einem anderen Regelungsmodell folgen. Sie knüpfen nicht an Bindungen eines bestimmten zivilrechtlichen Vertragstyps an, sondern schützen unmittelbar den Wettbewerb ganzer Märkte als objektiv wirksamen Wert. Auch das über die Stellschrauben des Ermessens und einer Berücksichtigung der Marktverhältnisse justierbare öffentlich-rechtliche Instrumentarium unterscheidet diese Bindungsgrenzen von den übrigen untersuchten, die zivilrechtlich und strikt gelten. Für das Gesamtpanorama der Zwecke konnte die Zwecksetzung des Wettbewerbsschutzes zurückgestellt werden, weil die kartellrechtlichen Bindungsgrenzen diese Zwecksetzung abschichten, indem sie das gesamte Privatrecht flankieren und die Wahrung ihres Schutzobjektes hinreichend gewährleisten. Bemerkenswert ist, wie es dem Kartellrecht gelungen ist, die theoretischen Schwierigkeiten anderer Bindungsgrenzen zu meiden. Der Wettbewerbschutz ist ein volkswirtschaftliches Globalziel, das sich vornehmlich nicht auf individuellen Schutz richtet, sondern auf den Erhalt einer objektiven Ordnung vor Korrumpierung durch die überschießende Gesamtwirkung privater Vereinbarung von Bindungszeiten. Während privatrechtliche Bindungsgrenzen beim einzelnen Institut ansetzen und das Störpotenzial der Vertragsfreiheit in Hinblick auf die objektive Ordnung durch Innenbegrenzung derselben zu vermeiden suchen, bieten die kartellrechtlichen Bindungsgrenzen eine öffentlich-rechtliche Ergebniskontrolle, die abhängig von globalen Parametern978 auf dem jeweiligen Markt, besonders ordnungsgefährliche979 Geschäfte reguliert.

Sache IV/M.625 – Nordic Capital/Transpool v. 23.08.1995; Sache IV/M.794 – Coca-Cola/ Amalgamated Beverages GB v. 22.01.1997. 975 Komission, Konsolidierte Mitteilung der Komission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Rn. 20 976 Vgl. Sache IV/M.258 – CCIE/GTE v. 25.09.1992. 977 Siehe Kap. 3, B.II.4 Wettbewerbsschutz als volkswirtschaftliche Erklärung. 978 Etwa der Voraussetzung einer spürbaren Wettbewerbsbeeinträchtigung. 979 Vgl. die de-minimis-Ausnahmen und die Gruppenfreistellungsverordnungen.

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3. Kapitel: Einzelne Bindungsgrenzen

Durch die regelungstechnische Integration der Gesamtumstände erlangen kartellrechtliche Bindungsgrenzen eine Sozialfühligkeit, wie sie einem objektiven Schutzgegenstand angemessen ist. Sie folgen zudem ein Modell vertragstypenunabhängiger und damit nicht pauschalierender, sondern unmittelbar aus dem zu schützenden Wert abgeleiteter Voraussetzungen. Deshalb ergibt sich eine hohe Deckung des teleologisch gebotenen mit dem normativ formulierten Anwendungsbereich, die Korrektur einer auf Typizität beruhten Pauschalierung ist überflüssig (allerdings um den Preis einer gewissen Rechtsunsicherheit, die allen Generalklauseln eigen ist). Die generelle Anwendung dieses Modells auf alle objektiven Schutzobjekte von Bindungsgrenzen und damit die Ausgliederung ihrer jeweiligen Problematik aus dem Privatrecht wäre jedoch nicht ohne weiteres möglich, weil das Ziel von Bindungsgrenzen sich nicht in jedem Fall so wertungsneutral berechnen lässt wie im Fall des Wettbewerbsschutzes: Die Existenz von Wettbewerb ist ein volkswirtschaftlich definierter Umstand. Die praktische Wirksamkeit der Vertragsfreiheit hingegen, die durch überwiegende Vertragsbindungen der Vergangenheit beschädigt zu werden droht, lässt sich nicht wertungsunabhängig bestimmen, da die Geltung der Vertragsfreiheit sich auf die Wirksamkeit eines Privatrechtsmodells richtet.

4. Kapitel

Allgemeine Bindungsgrenzen als Konsequenz objektiver Freiheiten A. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“ A. Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen

I. Voraussetzungen einer Gesamtanalogie 1. Möglichkeit einer Gesamtanalogie Die Verallgemeinerung von Bindungsgrenzen durch Gesamtanalogie hängt davon ab, ob die fragmentarische Geltung der Bindungsgrenzen planwidrig ist. Canaris behandelt dieses Problem im Rückgriff auf den Gleichheitssatz. Ihm zufolge hat die Analogie Doppelfunktion: Sie dient nicht nur der Ausfüllung, sondern auch dem Auffinden von Lücken1. Seine hierfür herangezogene Vorstellung vom Gleichheitssatz ist eine materielle2. Für ihn ist die Forderung des Gleichheitssatzes gleichbedeutend mit jener nach der inneren Folgerichtigkeit des Rechts, also dem System3. Folgerichtigkeit und Einheit sind „Emanationen und Postulate der Rechtsidee“4. Dies geht weit über die formale Gleichbehandlung Gleicher durch denselben Rechtssatz hinaus. Es bedeutet, dass nicht nur dem anderen eine Anfechtungsmöglichkeit eingeräumt werden muss, wo dem einen eine Anfechtungsmöglichkeit eingeräumt würde. Es bedeutet, dass der andere sich wegen des Bestehens des Anfechtungsrechts 1

Canaris, Lückenfeststellung, S. 72. Canaris leitet aus der Ausprägung der „Rechtsidee“ in Gleichheitssatz und Gerechtigkeit die „innere Einheit und Folgerichtigkeit der Rechtsordnung“ ab (Canaris, Lückenfeststellung, S. 155, These 2.) Diese Folgerichtigkeit ist nach seinem Verständnis eine Forderung an das Privatrecht, ein anzustrebendes Ideal (vgl. ebd., S. 130 f.). Dass dem Recht eine Einheit zugrunde liegt wie eine Systembildung sie voraussetzt, ist für ihn „Emanation der Rechtsidee“ (ebd., S. 16, § 1.II.2: „Folgerichtigkeit und Einheit als Emanationen und Postulate der Rechtsidee“). 3 Canaris, Systemdenken, S. 17: „Weit entfernt, eine Verirrung zu sein, wie die Kritiker des Systemdenkens behaupten, lässt sich der Gedanke des juristischen Systems somit aus einem der obersten Rechtswerte, nämlich aus dem Gerechtigkeitesgebot und seinen Konkretisierungen im Gleichheitssatz und in der Tendenz zur Generalsisierung [Fn.: Diese steht übrigens nicht etwa dem Gleichheitssatz selbständig gegenüber, sondern ist im Gegenteil dessen Folge; …] rechtfertigen.“ So auch Jakl, Recht aus Freiheit, S. 32. 4 Canaris, Systemdenken, S. 16, Überschrift. 2

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

auf einen im Grundsatz bestehenden Vorrang des Willensschutzes vor dem Vertrauensschutz in dieser Rechtsordnung berufen kann. Es bedeutet, nicht nur die Anwendung des einzelnen Rechtssatzes für allgemein zu erklären, sondern auch die dahinter liegende Wertungsentscheidung: „[Der Gleichheitssatz ist] als Maßstab für die Feststellung der Unvollständigkeit des Gesetzes heranzuziehen. Dazu aber ist der Rückgriff auf die Wertungen des positiven Rechts unerläßlich“5. Dies bindet den Gesetzgeber im Grundsatz an einem Regelungsort an seine an einem anderen Regelungsort getroffene Wertungsabwägung. Wertungen haben nach ihrem Charakter einen breiteren Anwendungsbereich als der einzelne Rechtssatz, ihr Ausdruck. Einen Rechtssatz auf seine Wertungen zurückzuführen offenbart nach Canaris somit ein Bedürfnis gleichartiger Rechtsentscheidungen in gleichartigen Wertungskonstellationen, dem entweder eine lückenlose und folgerichtige Rechtsordnung bereits entspricht oder dem durch Gesamtanalogie Geltung zu verschaffen ist6. R. Dworkin versucht das Prinzip der inneren Folgerichtigkeit des Rechts („integrity“) vom Gleichheitssatz zu unterscheiden7. So ließe sich beispielsweise die Kritik an einem nur für Frauen bestimmter Geburtsjährgänge geltenden Abtreibungsverbot („checkerboard statutes“) nicht allein mit dem Gleichheitssatz erklären. R. Dworkin begründet dies damit, dass derartige nach Gruppen differenzierende Regelungen durchaus gerecht sein könnten, weil sie als Kompromissregelungen immer noch besser seien als das jeweilige Extrem (für einen Abtreibungsgegner die Legalisierung, für einen -befürworter ein vollständiges Verbot). Da für ihn das Verbot ungerechtfertigter Ungleichbehandlungen ein untergeordneter Bestandteil des allgemeinen Gerechtigkeitsgebot zu sein scheint, meint er auf diese Weise nachweisen zu können, dass es ein anderes Prinzip als der Gleichbehandlungsgrundsatz sein müsse, das durch checkerboard statutes verletzt werde: „Suppose we can rescue only some prisoners of tyranny; justice hardly requires rescuing none. […] So it seems we have no reason of justice for rejecting the checkerboard strategy in advance, and strong reasons of fairness for endorsing it.“8 Selbst wenn man die Gleichsetzung von Gerechtigkeit und Gleichheitssatz akzeptiert, ist insoweit erstens nicht nachvollziehbar, weshalb der Gesetzgeber auf der Ebene der Geltung Kompromisse hinnehmen müsste, und zweitens welchen eigenständigen Stellenwert man mit dieser Argumentation dem Gleichbehandlungsgebot überhaupt noch einräumen kann. R. Dworkins Anliegen dürfte insoweit auch nur die Klarstellung sein, dass seine Entdeckung der integrity nicht nur eine andere Formulierung für den altbekannten Gleichheitssatz, sondern als weiteres Prinzip notwendig ist. Das gilt jedoch auch, wenn man das eigenständige Rechtsprinzip der integrity bzw. Folgerichtigkeit als einen – besonders weitgehenden – Aspekt des Rechts des Einzelnen auf Gleichbehandlung erklärt. 5

Canaris, Lückenfeststellung, S. 71. Der Gesamtanalogie als Figur steht Canaris kritisch gegenüber, Canaris, Lückenfeststellung, S. 47. Hierzu auch Larenz, Methodenlehre, S. 384 ff. 7 R. Dworkin, LE, S. 180 ff. Zu Gemeinsamkeiten in der Theoriebildung Canaris’ und R. Dworkins ausführlich Jakl, Recht aus Freiheit, S. 74 ff., insb. bezogen auf R. Dworkins Auffassung in „Taking rights seriously“. 8 R. Dworkin, LE, S. 181 f. 6

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An die Rechtsordnung den Anspruch innerer Folgerichtigkeit zu erheben, bedeutet einen hohen Anspruch an sie zu erheben, aber keinen unberechtigten9. Wenn der Gesetzgeber den Kaufvertrag mit Erfüllungsansprüchen verknüpft, ebenso den Werkvertrag mit Erfüllungsansprüchen verknüpft, den Dienstvertrag, das Darlehen und die Bürgschaft, nicht aber die Wette, dann hat er hierfür einen Grund. Bochenski10 zufolge lassen sich abstrakte Rechtswertungen nur schwer falsifizieren, weil sie anders als Naturgesetze Ausnahmen zulassen. Dies zieht die Folgerichtigkeit des Rechts am Maßstab abstrakter Rechtswertungen nicht in Zweifel, soweit man diese lediglich als Verbot grundloser Ausnahmen versteht, als Verbot eines Rechts der checkerboard statutes. R. Dworkin liefert eine umfassende rechtspolitische Begründung für den Maßstab der integrity11. De lege lata findet die Forderung nach Folgerichtigkeit ihre Rechtfertigung bereits in der Begründungsbedürftigkeit gesetzgeberischer Entscheidungen, die nicht ernst genommen werden kann, ohne Konsistenz zu verlangen.

Canaris materieller Gleichheitsanspruch an Rechtswertungen geht von der Vermutung aus, dass der Gesetzgeber seine Wertungen nicht willkürlich von Fall zu Fall verändert, sondern mit Grund; dass er also sein Recht auch im Sinne konsistenter Wertungen verstanden wissen möchte12. Akzeptiert man ein Folgerichtigkeitspostulat auf der Abstraktionshöhe von Wertungen, gelangt man zu Canaris’ Folgerung: der Analogie als Instrument zum Auffinden und Ausfüllen von Lücken, weil Einzelregelungen als Wertungsentscheidungen des Gesetzgebers ein Bedürfnis folgerichtiger Umsetzung schaffen und ein Beispiel für die rechtstechnische Ausgestaltung einer solchen folgerichtigen Umsetzung bieten. 2. Schwierigkeit einer Gesamtanalogie Die Voraussetzungen einer Gesamtanalogie nach diesem Maßstab sind hoch. Das Verfahren der Gesamtanalogie besteht je nach Darstellung aus der Induktion eines Prinzipienapparates13 oder aus einem Kranz von Ähnlichkeits9

So im Ergebnis auch Jakl, Recht aus Freiheit, S. 33 f. Bochenski, Denkmethoden, S. 75. 11 R. Dworkin, LE, S. 186. 12 Die Wahrung des „inneren Systems“ (Begriff nach Heck, Begriffsbildung, S. 142 f.; in Abgrenzung zu Heck wird es bei Canaris „Das System als axiologische oder teleologische Ordnung“ genannt, Canaris, Systemdenken, S. 41) gewährleistet, dass Wertungen nicht durch Wechsel der juristischen Mittel umgangen werden können. 13 Canaris, Lückenfeststellung, S. 97, zieht diesen Begriff generell der Bezeichnung als Rechtsanalogie vor, da kein Schluss von Besonderem auf Besonderes vorliege, sondern ein Schluss vom Besonderen auf Allgemeines: „§ 90 Als Mittel der Auffindung solcher allgemeiner Prinzipien des positiven Rechts bietet sich dabei in erster Linie die Induktion. In diesem Zusammenhang ist insbesondere ein Verfahren zu erwähnen, das meist als Rechts10

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schlüssen zu Einzelregelungen, denen als Zwischenschritt ein Prinzipienapparat zu entnehmen ist. Nach Larenz14 bedeutetet Gesamtanalogie, „mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände die gleiche Rechtsfolge anknüpfen, ein[en] ‚allgemeine[n] Rechtsgrundsatz‘ [zu entnehmen], der auf einen im Gesetz nicht geregelten Tatbestand wertungsmäßig ebenso zutrifft wie auf die geregelten Tatbestände.“ Gesamtanalogie bedeutet damit, die Zwecke mehrerer Rechtssätze auf das höhere Abstraktionsniveau eines Rechtsgrundsatzes zu führen und die Begrenzungen dieses Rechtsgrundsatzes zu bezeichnen15.

Die Schwierigkeit der Gesamtanalogie liegt indes in der Wertungsreichweite (also dem Grad von Abstraktion) eines Rechtsgedankens, zu dem sie noch angewendet wird. Die Herausforderungen fortschreitender Abstraktion bestimmen sich erstens danach, als wie komplex es sich darstellt, die mit den einzelnen Regelungen verfolgten Zwecke zu ermitteln. Zweitens lässt sich den ermittelten Einzelzwecken mit zunehmender Verallgemeinerung immer seltener ein gemeinsamer Sinn entnehmen, der noch aussagekräftig ist und konkrete rechtliche Folgerungen erlaubt. Drittens ist es unterschiedlich anspruchsvoll, die in das Recht eingeflossenen Gründe dafür zu benennen, dass manche Regelungsgebiete entsprechende Bestimmungen aufweisen, andere jedoch nicht. In einem klaren Fall wird mit allen ähnlichen Regelungen derselbe Zweck verfolgt und planmäßige Nichtgeltungen bestehen entweder nicht oder lassen sich auf ein abgrenzbares Nichtzutreffen des Zweckes zurückführen. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen ist kein klarer Fall. Die einzelnen Bindungsgrenzen und ihre Rechtsfolgen wie Regelungskontexte sind zu unterschiedlich für das Herauspräparieren eines einzelnen, überwölbenden Zwecks16. 3. Voraussetzungen einer Gesamtanalogie Weil hinter den besonderen Bindungsgrenzen kein einzelner Zweck steht, muss für eine Gesamtanalogie ein hinter ihnen stehendes gemeinsames Konzept festgestellt werden. Dies müsste in der Weise der Fall sein, dass sich die unterschiedlichen Zwecke der besonderen Bindungsgrenzen nach denselben Regeln kombinieren lassen, während je nach Vertragstyp jeweils einer der Zwecke stärker in den Vordergrund tritt. Das Verhältnis der Zwecke muss also identisch sein, auch wenn es sich je nach Regelungszusammenhang unterschiedlich auswirkt. Die Parallelitäten der Bindungsgrenzen dürfen sich analogie bezeichnet wird […] Dabei wird aus mehreren gesetzlichen Vorschriften ein gemeinsamer Grundgedanke gewonnen, und diesem wird dann der Charakter eines allgemeinen Rechtsprinzips zugesprochen.“ 14 Larenz, Methodenlehre, S. 384. 15 Canaris, Lückenfeststellung, S. 97. 16 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 634.

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nicht in der lediglich oberflächlichen Ähnlichkeit eines historisch verfügbaren Regelungsinstruments erschöpfen, das ohne inneren Zusammenhang zur Bewältigung disparater Regelungsvorhaben jeweils für geeignet gehalten wurde. Die beiden Voraussetzungen einer Gesamtanalogie ergeben sich daraus, dass eine Gesamtanalogie die Diskrepanz zwischen der Allgemeinheit einer Wertung und der Beschränktheit ihrer besonderen Regelung auflöst. Die erste Voraussetzung einer Gesamtanalogie ist damit, dass den Bindungsgrenzen in Form des gemeinsamen Konzepts eine Wertung gemeinsam sein muss, deren Anwendungsbereich über den Anwendungsbereich der einzelnen Bindungsgrenzen hinausgeht. Anders ausgedrückt: Es muss zuerst überhaupt eine Aufgabe vorliegen („planwidrige Regelungslücke“). Die zweite Voraussetzung einer Gesamtanalogie besteht darin, dass die Einzelregelungen auch einen gemeinsamen Rechtssatzkern enthalten müssen, der sich verallgemeinern lässt. Der umfassendere, über die Einzelbestimmungen hinausgehende Anwendungsbereich der gemeinsamen Wertung stellt mit der planwidrigen Regelungslücke eine Aufgabe, die sich mit dem gegebenen Material lösen lassen muss („Regelung einer vergleichbaren Interessenlage“). II. Keine Verallgemeinerbarkeit spezieller Bindungsgrenzen durch Gesamtanalogie Welche Haltung nimmt das deutsche Privatrecht gegenüber langfristiger Bindung ein? Es wurde gezeigt, aus welchen besonderen Gründen besondere Vertragstypen besonders bindungsbegrenzt werden. Gefragt war nach mehr, danach „ob die einschlägigen gesetzlichen Regeln aufgrund ihrer erkennbaren Zwecke und Grundwertungen nicht doch, wenn schon nicht für jede Vertragsbindung, so doch für enger umschriebene Sachlagen und Lebensverhältnisse, gewisse Verallgemeinerungen gestatten“17. Gefragt war nach einem Übergreifen besonderer Begrenzungszwecke in die allgemeine Geltungsebene der Dauerschuldverhältnisse; der Fortsetzung allgemeiner Ansätze der Begrenzungsregulierung in der Zuspitzung besonderer Vertragstypen. 1. Gemeinsame Wertung umfassenderen Anwendungsbereichs (Erste Voraussetzung einer Analogie) Die Erklärungen der Bindungsgrenzen müssten sich für eine Gesamtanalogie zunächst auf eine gemeinsame Wertung zurückführen lassen, die in ihrer Allgemeinheit die einzelnen Bindungsgrenzen übersteigt.

17

Bydlinski, Vertragsbindung, S. 11.

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

a) Verworfene allgemeine Zwecke Viele Zwecke spielten eine Rolle bei Wirkung und Erklärung einzelner Bindungsgrenzen, kein einzelner erwies sich jedoch als tragende Erwägung hinter jeder Bindungsgrenze. Der Persönlichkeitsschutz des wankelmütigen Menschen vor Selbstfestlegung wäre an sich geeignet, Bindungsgrenzen zu erklären. § 544 BGB erlaubt jedoch lebenslange Bindung von Mieter oder Vermieter und Rechtsprechung wie Gesetz (§§ 323 I ff.; 353 BGB) werten Privatautonomie höher als Reugründe. Überhaupt besitzen Bindungsgrenzen allgemein für den Schutz bestimmter individueller Interessen eine zu erratische Begünstigungswirkung, die etwa bei der Begrenzung von Nacherbschaft einen endgültigen Zufall ebenso an den Vor- wie an den Nacherben zulässt. Auf den Übermaßgedanken lassen sich Bindungsgrenzen schon deswegen nicht gründen, weil Äquivalenzgesichtspunkte nie zu fixen Höchstgrenzen führen. Aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wie der Sicherung von Faktorallokation und Leistungsanreizen ließen sich zwar Höchstgrenzen herleiten, diese Fragen werden jedoch bereits durch das Kartellrecht effektiver und passgenauer geschützt als ein unflexibles System vertragstypendifferenzierender Bindungsgrenzen es vermöchte. Auf konzeptuelle Gründe wie das Wesen des Dauerschuldverhältnisses als Verpflichtung auf Zeit oder die Abgrenzung schuldrechtlicher und sachenrechtlicher Rechtsgeschäfte lässt sich eine allgemeine Bindungsbegrenzung nicht stützen, weil Gegenbeispiele langfristig zulässiger Bindung existieren18. Aus dem gleichen Grund bleibt die Tatsache folgenlos, dass die Bindungsdauer den menschlichen Prognosehorizont übersteigt, denn was bei der Vereinbarung von Erbbaurechten auf 90 Jahre, dem Abschluss eines Bierlieferungsvertrags auf bis zu 20 Jahre oder der Verfügung einer Vorerbschaft für dreißig Jahre zulässig ist, kann keinem allgemeinem Prinzip des Privatrechts widersprechen. Selbst die klassische Anknüpfung von Beschränkungen der Privatautonomie an die Unterlegenheit eines Vertragspartners reicht nicht aus, Bindungsgrenzen als Gesamtphänomen zu erklären. Macht- oder Informationsgefälle in der Verhandlungssituation, sozialpolitische Intervention zur Verbesserung der wirtschaftlichen Position sozial Schwacher, der Schutz vor Abhängigkeit – während derartige Erklärungen für eine Bindungsgrenze wie § 624 S. 1 BGB und vielleicht auch § 489 BGB Erklärungshilfen bieten, werden sich die Bindungsgrenze zugunsten – auch – des Vermieters in § 544 BGB oder andere beidseitige Bindungsgrenzen nicht auf die typische Unterlegenheit eines Vertragsteils zurückführen lassen. Auch aus den beiden großen Konfliktfeldern von Bindung lassen sich keine allen Einzelfällen adäquate, allgemeingültige Aussagen deduzie18 Vgl. BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag); BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz) – wenn hier aus dem Wesen des Dauerschuldverhältnisses bzw. schuldrechtlicher Verträge keine Bindungsbegrenzung folgt, kann Bindungsbegrenzung kein Teil dieses Wesens sein.

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ren: Als allgemeine Erklärungen von Bindungsgrenzen tragen weder Freiheit noch Markt. Die gefundenen Zwecke sind kleinteiliger und spezifischer, auf den Regelungskontext des begrenzten Vertragstyps bezogen. b) Uneinheitlichkeit unmittelbarer Zwecke Die einzelnen Bindungsgrenzen sind unmittelbar nur durch jeweils unterschiedliche Zwecke stimmig zu erklären19. Für § 624 S. 1 BGB bildet der Schutz persönlicher Selbstbestimmung den Erklärungsschwerpunkt, § 544 BGB betrifft hingegen die gesetzgeberische Vorstellung von Sachzuordnung. Erbrechtliche Bindungsgrenzen markieren die Einflusssphären unterschiedlicher Generationen von Vermögensträgern, während die aus § 138 I BGB entwickelten Bindungsgrenzen dazu dienen, die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit selbstverantwortlich Erwerbstätiger vor vollständiger Aufhebung zu schützen. Zeitliche Begrenzung der Bindung durch AGB trägt deren besonderer Disposition zur Strukturschaffung Rechnung, die einerseits ihr Potenzial als besonders geltungsmächtiges Instrument begründet, andererseits auch besondere Restriktionen erfordert. Die unter Umständen besondere Bestimmungsmacht von Finanzierungsgebern erklärt, weshalb §§ 489 I Nr. 1, 2, II, 500 II BGB nach festen Zeiträumen Finanzierungsautonomie zurückgewähren. Diese unterschiedlichen Bindungsgrenzen mögen auf höherer Abstraktionsebene einer gemeinsamen Regelungsidee folgen, wertungsidentisch sind sie nicht. Ihre unmittelbaren Zwecke unterscheiden sich derart, dass sich auf dieser Ebene keine Aussage für eine Gesamtanalogie gewinnen lässt. 2. Verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz (Zweite Voraussetzung einer Analogie) Eine Gesamtanalogie fordert nicht nur das Vorliegen eines Wertungsüberhangs aus vergleichbaren Regelungen mit wenigstens teilweise gemeinsamem Zweck, sondern auch eine rechtssatzförmige Lösung, die bereits derart hinreichend konkretisiert bereitsteht, dass letzte verbleibende Leerstellen unmittelbar und unstreitig aus dem gemeinsamen Zweck deduziert werden können, ohne dass es einer gesetzgeberischen Konkretisierungsleistung bedürfte. a) Unbegrenzte Bindungen Die Idee der Gesamtanalogie bezeichnet bereits die Lösung des durch die planwidrige Regelungslücke aufgeworfenen Problems: Die Verallgemeinerungen eines einzelnen Rechtssatzes, der auf jede einzelne Konstellation passt. Bis zu einem gewissen Grad sind auch komplexere Lösungen noch als Gesamtanalogie zu bezeichnen, wenn statt eines einzelnen der Inbegriff meh19

Zu den heterogenen Gründen für die ausnahmsweise Bevorzugung aktuellen späteren Willens gegenüber früherer Bindung Gutmann, Freiwilligkeit, S. 27.

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rerer Rechtssätze herangezogen wird, um die vor dem gemeinsamen Wertungshintergrund denkbaren Einzelfälle einer – den unterschiedlichen Akzentuierungen der Wertung adäquaten – Regelung in rechtssatzhafter Konkretisierung zu unterwerfen. Die weißen Flächen der Begrenzungslandkarte unterminieren ebenso diese zweite, auf Rechtssätze bezogene Verallgemeinerungsleistung der Gesamtanalogie wie jene Wertungsverallgemeinerung. Die Zahl der Vertragsformen, deren Bindungsrecht noch im Dunkeln liegt, ist zu groß. b) Strikte Geltung Diese Ungewissheit steht im Kontrast dazu, dass in den bindungsbegrenzten Bereichen die Rechtssätze strikt gelten, auch jeder verallgemeinerte Bindungsrechtsatz somit definitive Aussagen träfe. Beispielsweise wird ausnahmslos jede Mietbindung zeitlich durch § 544 BGB begrenzt, unabhängig von ihrer Relevanz für den gesetzgeberischen Gesamtplan von Zuordnung. Trotz der Uneinheitlichkeit der Zwecke ließen sich Analogiegedanken der Form hegen, dass die jeweiligen Schutzgegenstände vertragstypenübergreifend vor jeder überlangen Bindung geschützt würden. Eine Analogie bedeutete jedoch nicht nur, die Wertung und den Schutz zu verallgemeinern, sondern gerade auch den strikt geltenden Rechtssatz, dem diese entnommen wurden. Jede Verallgemeinerung des Schutzes über die benannten Vertragstypen hinaus bedürfte zudem besonderer Flexibilität im Hinblick auf vertragstypeneigene Besonderheiten, die Analogien zu strikt geltenden Regeln nicht bieten. Unternommen wird die flexible typenunabhängige Bewahrung bindungsempfindlicher Werte allein durch Generalklauseln wie § 138 I BGB oder Art. 101 f. AEUV, §§ 1, 19 I GWB. Für die in den klassischen gesetzlichen Bindungsgrenzen enthaltenen Wertungen lässt sich dies aufgrund ihrer Einkleidung in strikte Regeln nicht ohne weiteres verwirklichen. c) Zulassung unbegrenzter Bindung Eine besondere Herausforderung für eine Analogie zu strikt geltenden Bindungsgrenzen stellt die gelegentliche Zulassung unbegrenzter Bindung am Maßstab des § 138 I BGB dar20. Die hieraus resultierenden Schwierigkeiten für die Verallgemeinerung von Bindungswertungen sind aber noch grundsätzlicher: Auf der Abstraktionsebene der Dauerschuldverhältnisse verlieren typenspezifische Erschwernisse ihre Bedeutung, das Problem langfristiger Bindung wird auf den Grundkonflikt zwischen Freiheit zu und Freiheit von Bindung reduziert. Wie können unter dieser Argumentsbeschränkung Bindungsbegrenzungen begründet werden, wenn hier auch nur im Einzelfall 20

salz).

BGHZ 64, 288, 290 (Wärmeversorgungsvertrag); BGH NJW 1995, 2350 (Düra Voll-

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unbegrenzte Bindung zugelassen wurde? Wenn in einem Fall die Freiheit zur Bindung die Freiheit von Bindung vollständig überwiegt, können es nur Besonderheiten sein, welche die übrigen Bindungsgrenzen begründen. Unabhängig von der Zahl der Besonderheiten und aller entsprechenden Bindungsgrenzen ist eine allgemeine Begrenzungsaussage wie die in Gesamtanalogie aus strikt geltenden Vorschriften gewonnene Bindungsgrenze damit bereits widerlegt. d) Unterschiedliche Zeiträume Einen verallgemeinerungsfähigen Inbegriff einzelner Bindungsgrenzen zu finden, stößt auch auf die praktische Schwierigkeit, dass die Höchstbindungszeiten als Kernparameter jeder Bindungsgrenze sich von Vorschrift zu Vorschrift unterscheiden21. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der unmittelbaren Begrenzungszwecke ist es nicht ohne weiteres möglich, die unterschiedlich langen Höchstbindungszeiten miteinander zu einer Wertung zu vereinbaren: Die unterschiedlichen Zeiträume sind keine graduellen Variationen wertungsidentischer Zwecke in unterschiedlichen Kontexten, sondern Ausdruck unterschiedlicher Regelungsentscheidungen. Danach ist es allenfalls möglich, unterschiedliche Bindungen bestimmten Kategorien von Begrenzungsdauern zuzuweisen. Spiro hat für das Schweizer Recht versucht, Dauerschuldverhältnisse je nach Bindungsinhalt unter ein solches Raster von Höchstbindungszeiten zu bringen. Das deutsche Recht differenziert jedoch primär nach Vertragstypen. Eines der größeren Hindernisse bei der Erklärung der einzelnen Bindungsgrenzen war, dass einander entsprechende Bindungsinhalte gelegentlich unterschiedlich begrenzt bzw. teilweise begrenzt, teilweise nicht begrenzt wurden. Für eine Verallgemeinerung müsste den Vertragstypen also ein anderes Merkmal entnommen werden, um ein „inneres System“ zu bilden. In Betracht kommt hierfür nur der rechtsunsichere Weg, nach Schutzgegenständen zu differenzieren. Ein Schutzgegenstand, der sich möglicherweise bis zur Typenunabhängigkeit erweitern ließe, ist etwa die Wahrung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Verpflichteten. Selbst wenn sich das Zusammenspiel unterschied21

Schon wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen ist keine Rechtsanalogie möglich, vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 384 Rechtsanalogie: „Hier wird mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände die gleiche Rechtsfolge anknüpfen, ein ‚allgemeiner Rechtsgrundsatz‘ entnommen, der auf den im Gesetz nicht geregelten Tatbestand wertungsmäßig ebenso zutrifft wie auf die geregelten Tatbestände“ (Herv. d. Verf.); Bydlinski, Methodenlehre, S. 478: „Bei der ‚Rechtsanalogie‘ (Gesamtanalogie) wird zunächst aus einer Mehrzahl verwandter Vorschriften induktiv ein gemeinsames Prinzip erschlossen. Es erweist sich als auch auf den ‚ähnlichen Fall‘ deduktiv anwendbar. Die übereinstimmende Rechtsfolgenanordnung der Ausgangsvorschriften […]“ (Herv. d. Verf.).

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licher Schutzgegenstände in ein geschlossenes System von Bindungsgrenzen bringen lassen sollte, ohne dass die Rekonstruktion der gesetzgeberischen Bindungsdauervorstellungen an der Komplexitätsgrenze scheitert, wäre dieses Unterfangen allerdings kaum noch Entwicklung einer allgemeinen Bindungsgrenze durch Gesamtanalogie zu nennen. Statt eine allgemeine Bindungsgrenze aus vorhandenem Rechtssatzmaterial zu gewinnen, würden einzelne Bindungsgrenzen teleologisch erweitert. Die Verallgemeinerung von typenunabhängigen Einzelschutzgegenständen setzt einen anderen methodischen Weg voraus, wenn aus ihr ein einzelner Rechtssatz gewonnen werden soll. 3. Stimmen gegen eine Gesamtanalogie Mit diesen Schwierigkeiten konfrontiert haben auch andere Untersuchungen von dem Ziel einer Gesamtanalogie Abstand genommen. Oetker folgert, dass sich „der de lege lata anzutreffende Normbefund als teleologisch zu wenig strukturiert [erweist], um hieraus im Wege von Gesamtanalogien ein auf einzelne Vertragsgruppen bezogenes differenziertes System zeitlicher Höchstgrenzen zu etablieren“, wobei er unter anderem auf die unterschiedlichen Höchstbindungsdauern bereits innerhalb der Gebrauchsüberlassungsverträge verweist (§ 489 BGB einerseits, § 544 BGB andererseits)22. Auch Großfeld/Gersch resümieren, „jeder Vertragstyp erforder[e] den ihm eigenen Schutz der Vertragsparteien […]. Daher gibt es keine schematische Zeitgrenze für Verträge“23. Dies bezieht sich zunächst auf eine fixe Höchstbegrenzung aller Bindungen auf beispielsweise dreißig Jahre, wie sie auch seit Jahrzehnten nicht mehr vertreten wird24. Darüber hinaus steht auch eine Verallgemeinerung kürzerer Bindungsfristen vor großen Schwierigkeiten, denn die folgende auf das österreichische Recht bezogene Einschätzung Bydlinskis lässt sich auf das BGB übertragen: „Die einschlägigen gesetzlichen Begrenzungsvorschriften sind verstreut und unsystematisch. Die Rechtslage dürfte weithin auch von historischen Zufälligkeiten beherrscht sein.“25 Schon der Gesetzgeber selbst hatte bei der Formulierung des § 309 Nr. 9 BGB26 „erhebliche Schwierigkeiten, eine für sämtliche Dauerschuldverhältnisse passende Laufzeit- und Kündigungsfristbegrenzung in einer einzigen Norm zusammenzu22

Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 502. Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 943. 24 Der Vorschlag stammt aus dem Jahr 1929, Bauer-Mengelberg, Knebelverträge, S. 76 ff., S. 86: „Endlose Verträge, ein Exkurs“. In der neueren Literatur wird er durchgehend abgelehnt, vgl. nur Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 501, der die „normative Basis“ einer deratigen Schlussfolgerung vermisst. Auch in der Rechtspraxis konnte sich der Vorschlag nach anfänglichem Wohlwollen (RGZ 128, 1, 17) nicht durchsetzen, vgl. BGH NJW 1995, 2350, 2351. 25 Bydlinski, Vertragsbindung, S. 19. 26 Damals § 11 Nr. 12 AGBG. 23

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fassen“27, weswegen er den Anwendungsbereich der Vorschrift auf bestimmte Vertragstypen beschränkte28. Aufgrund der Mannigfaltigkeit der Bindungszeiten in den unterschiedlichen Dauerschuldverhältnissen sprach sich auch der Gutachter Horn gegen eine Vereinheitlichung des Bindungsrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz aus: „Das Recht der ordentlichen Kündigung kommt für eine Kodifizierung [...] nicht in Betracht. Es ist bereits in einer Vielzahl einzelner, vertragsspezifischer Vorschriften geregelt und entzieht sich einer vereinheitlichenden Kodifizierung.“29 Es wäre überraschend, wenn eine Gesamtanalogie als Instrument rechtsanwendender Methodik erfolgreich wäre, wo auch mit gesetzgeberischem Spielraum kapituliert wurde. Der BGH hat eine Gesamtanalogie aus den speziellen gesetzlichen Bindungsgrenzen ausnahmslos abgelehnt. Nach seiner Auffassung fehle es in der Regel an „gesetzliche[n] Bestimmungen, die die Länge der Vertragsdauer beschränken“, weswegen es möglich sei, „Bindungen über einen langen Zeitraum“ einzugehen30. Auch aus einer Zusammenschau von Bindungsgrenzen folge kein zwingendes Kündigungsrecht31. Langfristige Bindungen würden 27 Staudinger/Coester-Waltjen, § 309 Nr. 9, Rn. 2: „Angesichts dieser Zielsetzung der Vorschrift einerseits und der Vielgestaltigkeit der zu regelnden Dauerschuldverhältnisse andererseits ergaben sich für den Gesetzgeber des AGBG erhebliche Schwierigkeiten, eine für sämtliche Dauerschuldverhältnisse passende Laufzeit- und Kündigungsfristbegrenzung in einer einzigen Norm zusammenzufassen, welche als Teil des Verbotskatalogs des heutigen § 309 ohne Ermessenspielraum auskommen sollte“. 28 Konkret ausgeschlossen wurden aus diesem Grund die Gebrauchsüberlassungsverträge, vgl. Staudinger/Coester-Waltjen, § 309 Nr. 9, Rn. 2. 29 Horn, Gutachten, S. 626 f. 30 BGH NJW-RR 1993, 1460 a.E. (Wäschereivertrag); BGHZ 64, 288, 290 (Wärmeversorgungsvertrag); BGH NJW 1995, 2350, Rn. 10 (Düra Vollsalz). BGH NJW-RR 1986, 982, 983; NJW 1995, 2350, 2351. Vgl. auch BGH NJW-RR 1986, 982 (Haarteilservicevertrag). 31 Einige Zitate scheinen in eine andere Richtung zu weisen, so sollen § 567 BGB1900 (der heutige § 544 BGB2002), § 624 BGB und § 723 BGB Teil einer Gesamtanalogie sein. Gemeint ist jedoch lediglich die Gesamtanalogie zur ordentlichen Kündbarkeit von Verträgen auf unbestimmte Zeit (also Verträgen mit unbegrenzter Lauf- statt Bindungszeit). Ergebnis dieser Gesamtanalogie ist gerade kein zwingendes ordentliches Kündigungsrecht, sondern ein dispositives, BGH NJW 1995, 2350, 2351 (Düra Vollsalz): „Die im Gesetz für verschiedene langfristige oder auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Verträge geregelte Möglichkeit der Vertragsbeendigung durch ordentliche Kündigung (vgl. etwa §§ 564 Abs. 2, 567, 581 Abs. 2, 620 Abs. 2, 621, 624 S. 1 BGB, § 89 Abs. 1 HGB) haben die Parteien bzw. ihre Rechtsvorgänger hier zu Lasten der Rechtsvorgängerin der Beklagten ausdrücklich vertraglich abbedungen. Auch dies ist als Folge der Vertragsfreiheit rechtlich grundsätzlich möglich. Deshalb sind […] die […] Kündigungsregeln des § 89 HGB und § 624 S. 1 BGB […] hier weder direkt noch entsprechend anwendbar“ (Herv. d. Verf.) m.w.N.; BGH NJW-RR 1993, 1460, 1460 (Wäschereivertrag): „Dem BerGer. kann allerdings nicht darin gefolgt werden, daß die Vorschriften der §§ 624, 723 BGB entsprechend anzuwenden

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nicht durch eine allgemeine Bindungsgrenze, sondern allein wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben oder die guten Sitten begrenzt32. Diese Art der Begrenzung entzieht sich nach dem BGH jeder Form von Generalisierung33, „eine einheitliche für alle Vertragsverhältnisse geltende höchstzulässige Bindungsdauer“34 hat die Rechtsprechung ohnehin immer abgelehnt35. Die Begrenzung bleibt der von „den gegebenen Umständen des Einzelfalls“36 abhängige Sonderfall, weil Bindung über lange Zeiträume „grundsätzlich […] weder gegen die guten Sitten (§ 138 I BGB) noch gegen Treu und Glauben [verstößt]“37. 4. Fazit „Daß die verschiedenen Fälle nicht zu einer generellen für alle privatrechtlichen Bindungen geltenden Globalregel verallgemeinert werden können, trifft gewiß zu“38; jedenfalls per Gesamtanalogie ist eine solche Verallgemeinerung nicht möglich. Die Bindungsgrenzen bieten trotz Ähnlichkeit ihrer Zwecke keine gesamtanalogiefähige rechtstechnische Bewältigung des ihnen zugrunde liegenden allgemeinen Wertungsproblems. seien, weil Vorschriften über ein ordentliches Kündigungsrecht fehlten. Das BerGer. hat insoweit nicht berücksichtigt, daß die §§ 624, 723 BGB nur dann entsprechend angewendet werden können […], wenn das ordentliche Kündigungsrecht nicht durch vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen worden ist.“ BGH, Beschluss vom 15.09.2009 – VIII ZR 241/08 –, juris (Stromdurchleitung), Rz. 6: „In beiden nach der Schuldrechtsreform ergangenen Urteilen hat der Bundesgerichtshof die grundsätzliche Möglichkeit bejaht, ein Dauerschuldverhältnis in entsprechender Anwendung der §§ 584, 624, 723 BGB ordentlich unter Einhaltung einer Frist zu kündigen“ (Herv. d. Verf.), aber: „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht ein ordentliches Kündigungsrecht eines Dauerschuldverhältnisses nicht, soweit und solange es durch vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen worden ist“ 32 Statt aller BGH NJW 1995, 2350, 2351 (Düra Vollsalz): „Die Grenzen der durch den Ausschluß des Rechts zur ordentlichen Kündigung für die Beklagte bewirkten langfristigen Vertragsbindung werden allein durch die guten Sitten (§ 138 BGB) und den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gezogen“; BGHZ 64, 288, 290 (III 2) (Wärmeversorgungsvertrag). 33 BGH NJW 1995, 2350, 2351 (Düra Vollsalz): „Die Sittenwidrigkeit langfristiger Vertragsbindungen läßt sich nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung und Abwägung der jeweiligen vertragstypischen und durch die Besonderheiten des Einzelfalls geprägten Umstände bestimmen“ 34 Vgl. auch LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 01.04.2009 – 6 Sa 409/08 –, juris. 35 So explizit OLG Zweibrücken, Urteil vom 28.07.1998 – 5 UF 19/98 –, juris; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 01.04.2009 – 6 Sa 409/08 –, juris. Vgl. auch BGHZ, 64, 288, 290; BGH WM 1984, 1546 ff.; NJW-RR 1993, 1460 f. (Wäschereivertrag); NJW 1995, 2350, 2351. 36 BGHZ 64, 288 = NJW 1975, 1268, 1269 (Wärmeversorgungsvertrag). 37 BGH NJW-RR 1993, 1460 (Wäschereivertrag). 38 Bydlinski, Vertragsbindung, S. 11.

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Für eine Gesamtanalogie muss sich nicht nur ein gemeinsamer Zweck der Einzelregelungen finden lassen. Es müssen auch konkrete Rechtssätze bestehen, die sich als rechtstechnischer Regelungsvorschlag des Gesetzgebers zur Lösung der im Allgemeinen aufgeworfenen Regelungsproblematik heranziehen lassen. Da Normzwecke selbst für eine Geltung per se regelmäßig zu diffus sind, bedürfen sie rechtssatzhafter Umsetzung. Analogiefähig sind dabei nur solche konkreten Rechtssätze, die in ihrer Regelung über die Auflösung des Wertungsproblems nicht hinausgehen, wie sie aus dem Inbegriff der den Einzelregelungen zugrunde liegenden Wertungen zu gewinnen ist. Denn die Legitimationsfunktion der Analogie reicht nicht weiter. Die einzelnen Bindungsgrenzen unterscheiden sich in ihrer rechtssatzhaften Ausgestaltung und sie eint auch kein unmittelbarer gemeinsamer Zweck. Sie installieren auf der Mikroebene ihrer strikten Geltung einen die Privatautonomie begrenzenden Mechanismus, der den Zweck der Bestimmungen widerspiegelt, aber nicht abbildet. Der mögliche gemeinsame Zweck der Bindungsgrenzen liegt in einer Makroforderung von Freiheit. Weil er sich auf einer solchen Abstraktionsebene bewegt, dass für eine Umsetzung eigenständige und für sich jeweils nicht verallgemeinerbare „policy“-Entscheidungen erforderlich werden, ist eine Gesamtanalogie im strengen methodischen Sinn nicht möglich. Auf irgendeiner Ebene der Abstraktion lassen sich zwischen allen Regelungen Gemeinsamkeiten finden. Der gemeinsame Zweck der Bindungsgrenzen ist jedoch noch so konkret, dass er allein die Bindungsgrenzen erfasst und somit aussagekräftig ist. Er ist nur nicht so konkret, dass sich auch ausreichende Gemeinsamkeiten in der rechtssatzhaften Ausgestaltung der Bindungsgrenzen finden ließen. III. Verallgemeinerungsbedürfnis trotz fehlender Verallgemeinerbarkeit 1. Gemeinsamkeiten Man kann sich damit zufrieden geben, das Bindungsrecht als eine Ansammlung historisch gewachsener Begrenzungsinseln in der grundsätzlichen Unbegrenztheit von Bindung zu verstehen. Nichts in Gesetz oder Rechtsprechung spricht dagegen und die Schwierigkeiten im Besonderen Teil dieser Untersuchung sprechen dafür, die inzwischen hinlänglich bekannten Begrenzungsvorschriften für in ihrer rechtlich stringenten Bildung noch unfertige Formationen zu halten, die der Gesetzgeber als sporadische Kompromisse mit den Bedürfnissen der Lebenswirklichkeit einem Recht eingefügt hat, das im Übrigen prinzipienfest der privatautonomen Freiheit zur Bindung verschrieben ist. Es existierte dann kein Institut der Bindungsgrenze, sondern nur eine Reihe von Sondertatbeständen. Es ist allerdings auch eine andere Sichtweise möglich und wohl auch näher liegend. Man stößt auf sie, wenn man beginnt, nach dem Grund dafür zu

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

suchen, dass es die maßgeblichen Dauerschuldverhältnisse sind, die der Gesetzgeber begrenzt hat. Bindungsbegrenzt sind etwa Mietverhältnisse, Lieferverträge, Darlehensverhältnisse, Pachtverträge, BGB-Gesellschaften und Versicherungsverträge. Eine solche Konstellation spricht gegen zufällige Parallelen. Begrenzt sind die praktisch bedeutsamen Vertragsverhältnisse, solche, in denen Bindungsprobleme die Wahrnehmung rechtsetzender Instanzen erreichen und in denen ausreichende Anreize bestehen, eine Bindungsüberdehnung zu riskieren. Wenn die Wahl der Bindungsgrenzen historischen Zufällen geschuldet wäre, nach welchem Maßstab hätte dann die Rechtsprechung eine weitere hinzugefügt? Die Bindungsbegrenzung über § 138 I BGB orientiert sich maßgeblich an wirtschaftlicher Bewegungsfähigkeit Selbstständiger, bildet jedoch keine allgemeine Bindungsgrenze, sondern eine Fallgruppe, die für bestimmte Verträge einschlägig ist, für andere nicht. Weshalb die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit Selbstständiger über § 138 BGB schützen, weshalb nicht die nachfragende Bewegungsfreiheit der Bezieher von Fernwärme? Die Bindungsgrenzen eint zwar kein unmittelbarer gemeinsamer Zweck. Aber sie beruhen auf einer einheitlichen Wertung von allgemeiner Gültigkeit39. Diese Wertung wurde nie allgemein verbindlich gesetzt. Wo sie jedoch in Frage gestellt wurde, hat das Recht sie geschützt. Die Tätigkeitsbindungsgrenze der §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG schützt Freiheit auch gegen den expliziten eigenen Willen des Dienstverpflichteten, in Individualvereinbarungen nicht anders als in Formularverträgen und auch bei noch so günstigen Geschäften. Diese Intervention in Angelegenheiten der Parteien sichert, dass gar nicht erst die Gefahr leibeigenhafter Abhängigkeiten entstehen kann, die sich in einer auf die freiheitlichen Entscheidungen ihrer Mitglieder bauenden Gesellschaft verbieten. Die Sachbindungsgrenzen schützen nicht vor Bindungswirkungen, die allein die Parteien, beispielsweise den jeweiligen Mieter oder Vermieter treffen. Die Sachbindungsgrenzen schützen vor Bindungswirkungen, die darüber hinaus rechtspraktisch die Zuordnung von Sachen wider gesetzgeberische Vorgaben verändern. Erbrechtliche Bindungsgrenzen schützen die gesellschaftlichen Strukturen vor verlustsanktionierter Erstarrung in den Vorgaben vergangener Generationen. § 489 BGB schließlich schützt vor einer über die Wahrung ihrer Vermögensinteressen hinausgehenden Einflussnahme durch Kreditgeber. Der durch die Rechtsprechung gewährte Schutz vor wirtschaftlicher Abhängigkeit ist keine frivole Neuschöpfung, er gehört in diese Reihe. Die Begrenzungszwecke sind unterschiedlich, jedoch nicht ohne gemeinsamen Gehalt. Die Rechtsordnung setzt Bindungsgrenzen trotz Privatautonomie, um die rechtliche Verfestigung gesellschaftlicher Abhängigkeit zu mindern, die mit 39

Vgl. zur Abgrenzung zwischen Gesamtanalogie und Reihen von Sondertatbeständen Canaris, Lückenfeststellung, S. 99.

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der Langzeitigkeit von Bindung einhergeht. Was bedeutet es aber, wenn die Wahl begrenzter Rechtsverhältnisse nicht allein historisch zufällig erfolgte, sondern auch mit System? 2. Vereinheitlichungsbestreben Trotz der geschilderten Schwierigkeiten fehlte es nie an Vorbehalten gegenüber überlanger Bindung und Versuchen, ihr Wertungen des BGB entgegenzustellen40. Von Tuhr konstatierte schon 1910 eine Abneigung der Rechtsordnung gegen unbegrenzte obligatorische Verhältnisse41; in jüngerer Zeit warnte etwa Weller vor der Gefahr ewiger Fesselung an Dauerschuldverträge und befürwortete „unter dem Eindruck der allgemeinen Prinzipien“ eine Korrektur durch Kündigung42. Schmidt entwickelt aus dem Gedanken des § 309 Nr. 9 BGB die „Devise, dass Dauerschuldverhältnisse prinzipiell von jeder Seite auch ohne besondere Gründe beendbar sein müssen“43 und Großfeld/ Gersch kommen unter der Überschrift „Notwendigkeit von Zeitgrenzen“ zum Resultat „andere Regelungsmechanismen genügen nicht; auf Zeitgrenzen kann man in einer freiheitlichen Rechtsordnung grundsätzlich nicht verzichten.“44 Kitz befürwortet gar offen den oben abgelehnten Weg, durch Gesamt40

Flume, AT II, 370; Larenz, Schuldrecht Bd. I, S. 30; Spiro, Fatalfristen, S. 1196 f.; Gschnitzer, JherJb, Bd. 76 (1926), 317, 349. In Bezug auf § 137 BGB formuliert auch Kohler in Staudinger/Kohler, § 137, Rn. 45: „Eine zeitliche Begrenzung mittelbar verfügungsbeschränkender rechtsgeschäftlicher Regelungen ist im Interesse der Freiheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs in der Tat wünschenswert; sie ist bei Dauerschuldverhältnissen zur Gewährleistung jeweils aktueller, den auf Dauer veränderten Umständen angepasster Privatautonomie generell erforderlich und bei diesen auch von der Rechtsordnung anerkannt, wie jetzt § 314 BGB bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zeigt. Allerdings verzichtet das Gesetz, wie die Verjährungsregel zeigt, auf die Festlegung einer bestimmten Frist, innerhalb deren der Unterlassungsanspruch längstens durchsetzbar sein soll.“ 41 Tuhr, AT, S. 143: „Einer unbegrenzten Dauer obligatorischer Verhältnisse ist die Rechtsordnung abgeneigt“; vgl. auch Gierke, Privatrecht III, S. 582, Fn. 73. 42 Weller, Vertragstreue, S. 289: „Dem Wesen der Dauerschuldverträge wohnt somit die Gefahr inne, die Parteien ewig an den Vertrag zu fesseln. Diese Eigenschaft der Dauerschuldverträge ist unter dem Eindruck der allgemeinen Prinzipien, wonach eine vertragliche Ewigkeitsbindung ausgeschlossen sein soll (vgl. § 311b Abs. 2 BGB) und jedem Vertragspartner durch vertragsgerechtes Verhalten die Befreiung vom Vertrag möglich sein muss, zu korrigieren. Als Korrekturinstrumente gelten die ordentliche und die außerordentliche Kündigung.“ S. 290: „Die Beendigungsmöglichkeit von Dauerschuldverträgen durch Kündigung erweist sich nach alledem als eine systemnotwendige [sic] Korrektur der Vertragsbindung. Sie kompensiert die bei Dauerschuldverhältnissen nicht gegebene Vertragsbeendigungsfunktion der Naturalerfüllung“. 43 Schmidt, Schuldverhältnis, S. 76: „309 Nr. 9 (…) Diese Bestimmung macht schon deutlich, dass der Gesetzgeber in der Langfristigkeit durchaus ein Risiko für die persönliche Freiheit sieht (…) Aus alledem fließt die Devise, dass Dauerschuldverhältnisse prinzipiell von jeder Seite auch ohne besondere Gründe beendbar sein müssen.“ 44 Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937, 943

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analogie die ordentliche Kündbarkeit aller Dauerschuldverhältnisse zu begründen, „um eine unzulässige Ewigkeitsbindung auszuschließen“.45 Dass Oetker in seinem grundlegenden Werk eine solche Gesamtanalogie ablehnt, wurde bereits erwähnt46. Auch er hält jedoch ewige Bindungen für einen Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen47 und langfristige Bindung für eine „Durchbrechung der Kündigungsfreiheit“48 im Sinne einer Freiheit zur Kündigung49. Dieser hartnäckige Unglaube an ewige und extrem langfristige Bindung leuchtet gelegentlich auch in der Rechtsprechung auf. Erstmalig formulierte das RG 1930: „Der Gedanke, dass bei allen Dauerleistungsverhältnissen für den Verpflichteten unter Umständen eine einseitige Lösung der Bindung so oder so möglich sein muß, durchzieht das ganze heutige Privatrecht.“50 Auch dem BGH lag der Oetkersche Gedanke der „Beendigungsfreiheit“51 schon nah, als er etwa 1997 formulierte „Der Grundsatz der Vertragstreue erfährt jedoch bei Dauerschuldverhältnissen dann Ausnahmen, wenn berechtigte Interessen eines Vertragsteils dies gebieten“52 oder 1959 feststellte: „Die ordentliche Kündigung ist die natürliche Kündigungsart des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Dauervertrags und stellt das Gegengewicht gegen dessen fortwirkende Verpflichtungskraft dar.“53 3. Besseres Recht Derartige Stellungnahmen sind nicht überraschend, wenn man sie nicht allein als Ausdruck der praktischen Fragwürdigkeit ewiger Bindung versteht, sondern auch als Ausdruck des Anspruchs der Dogmatik an sich selbst. Strukturparallelen sind Indizien für Wertungen, die in ihrer Allgemeinheit über den Bereich der Vorschrift hinausgehen, in der sie ihren Ausdruck gefunden haben. Dies gilt insbesondere bei Vorschriften aus unterschiedlichen sachlichen Zusammenhängen, die von unterschiedlichen Personen weitgehend unabhängig voneinander formuliert wurden. Erscheint die „Entfaltung einer Einheit in einer Mannigfaltigkeit“54 demnach möglich, bleibt die Idee eines Flicken45

Kitz, Dauerschuld, S. 142 f. S.o. Kap. 4, A.II.3 Stimmen gegen eine Gesamtanalogie. 47 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 251 f. 48 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 257. 49 Vgl. ähnlich Weller, Vertragstreue, S. 290. 50 Erstmalig 1930 in RGZ 128, 1, 17 (Zuckerfabrik). 51 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 257. Den Gedanken der „Beendigungsfreiheit“ rezipiert auch Klumpp, Kündigungsausschluss. 52 BGH NJW 1997, 2875; hierzu Köndgen, ZIP 1997, 1645, 1645: „Die beiden tragenden Elemente dieser Begründung statuieren Prinzipien von einem solchen Generalisierungsnveau, dass sie sich nicht auf Darlehensverträge werden beschränken lassen.“ 53 BGH GRUR 1959, 384, 388 (Postkalender). 54 Kant, Kritik der reinen Vernunft, Rn. 860; vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 19. 46

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teppichs von Bindungsbegrenzungen unbefriedigend. Bildet darüber hinaus die „Sichtbarmachung der über einzelne Regelungskomplexe hinausgreifenden allgemeinen Rechtsgedanken und Wertungsmaßstäbe“55 einen „unverzichtbaren Bestandteil der juristischen Arbeit“56, ist es nicht unbedeutend, ob es möglich ist, „eine einmal gesetzte (primäre) Wertung in all ihren Konsequenzen zu Ende zu denken, sie auf vergleichbare Fälle zu übertragen, Widersprüche mit anderen, schon gesetzten Wertungen zu beseitigen und Widersprüche bei der Setzung neuer Wertungen (sei es im Wege der Gesetzgebung, sei es im Wege der Rechtsfortbildung) zu verhüten“57. Besitzt das Begrenzungsrecht ein inneres System, ist eine Deckung von Wertung und Anwendungsbereich einer Regelung möglich, die in ihrem Anliegen das Gegenteil von Begriffsjurisprudenz ist: Die Wertungssystematik des Gesetzes gelte unabhängig von seiner Regelungssystematik. Demgegenüber ist das zulässige Umgehungsgeschäft, dass also ein in dem einen rechtlichen Gewand missbilligter Erfolg in einem anderem erzielt werden darf, symptomatisch für die Konsequenzen unbereinigter Divergenzen zwischen dem Verallgemeinerungsbedürfnis einer Wertung und dem Anwendungsbereich seiner Regelung. Eine fragmentarisierte Behandlung von prinzipiell allgemeinen Bindungsfragen wirkt in einer Vielzahl ungewollter Wertungsinkonsistenzen zurück. Beide Tugenden eines Rechtssystems, Einzelfallgerechtigkeit und Wertungskonsistenz, sind Ziele der Dogmatik. Methodik ist die Antwort auf die Frage, welche Freiheiten die Dogmatik zur Erreichung dieser Ziele genießt. Wo diese Freiheit nicht ausreicht, Wertungskonsistenz zu verwirklichen58 bleibt diese wie Einzelfallgerechtigkeit nichtsdestoweniger Ideal59. Inkonsistenz ist nie allein Feststellung, sondern immer auch Aufgabe60. 4. Lücke ohne Lösung Weil die Wahl begrenzter Rechtsverhältnisse nicht allein historisch zufällig erfolgte, sondern auch mit System, ist Folgerichtigkeit möglich. Für die Untersuchung bedeutet es noch etwas anderes. Als erste Voraussetzung einer

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Canaris, Systemdenken, S. 265 oben, S. 302, Ende von „Typen und Typenreihen“. Larenz, Methodenlehre, S. 473, letzter Satz „Zur Systemfrage“, in Bezug auf das „innere System“. 57 Canaris, Systemdenken, S. 46 f. 58 Voraussetzung ist, dass der konkrete Gegenstand bereits eine Einheitlichkeit besitzt, die gefunden werden kann und die ihm nicht erst „wie ein Netz übergeworfen wird“, Engisch, Studium generale Jg. 10 (1957), 173, 176 59 Canaris, Systemdenken, S. 130, stellt insoweit klar, dass soweit das geltende Recht Wertungswidersprüche kenne, diese allenfalls das Sein, nicht jedoch das Sollen der Rechtseinheit widerlegten, da das System des Rechts nicht axiomatisch-logisch, sondern axiologisch, und somit durch einzelne Widersprüche nicht widerlegbar sei. 60 Vgl. R. Dworkin, LE, insb S. 180 ff. 56

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

Analogie wurde ein korrekturbedürftiges Problem benannt61, im Fall der Gesamtanalogie eine Diskrepanz zwischen der Allgemeinheit einer Wertung und der Beschränktheit ihrer besonderen Regelung. Die unmittelbaren Zwecke der Bindungsgrenzen unterscheiden sich, aber aus dem gemeinsamen Gehalt der unterschiedlichen Begrenzungszwecke ergibt sich ein solcher Wertungsüberhang. Hierfür interessiert, dass für eine Gesamtanalogie die Ausgangstatbestände „einander weder gleich noch absolut ungleich sein [dürfen]“, sondern „gerade in den für die rechtliche Bewertung maßgebenden Hinsichten übereinstimmen [müssen]“62. Canaris fordert für diese Übereinstimmung bewertungsbegründender Merkmale keine Identität der Zwecke, sondern eine gemeinsame ratio legis, die hinter den Einzelzwecken steht63. Besteht die Voraussetzung einer Gesamtanalogie nun darin, eine Ähnlichkeit der Bindungsgrenzen festzustellen, die in einer gemeinsamen ratio trotz unterschiedlicher Zwecke besteht, kann diese erste Analogievoraussetzung für die Bindungsgrenzen bejaht werden. Es bleibt dabei, dass eine Gesamtanalogie der Bindungsgrenzen schon wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen der Einzelregelungen nicht in Betracht kommt64. Der Grund hierfür liegt jedoch erst in der zweiten Voraussetzung einer Gesamtanalogie zu Bindungsgrenzen: Ihre ratio ist allgemein, die Regelungen selbst sind es nicht. a) Ein methodisches Problem In der Prüfung von Analogien ist ein Problem angelegt: Die erste Voraussetzung einer Analogie ist nicht nur neutraler Teil einer zweistufigen Prüfung, sondern aus ihr folgt eine selbstständige Aussage. Wenn erste Voraussetzung der Analogie ist, dass ein Bestandteil der geltenden Rechtsordnung „im positiven Recht keine zureichende Ausgestaltung erfahren hat“65, bzw. „fordert die […]‚ratio legis‘ […] die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung einer gesetzlichen Norm“66, wenn Ausgangspunkt ein „Moment der ‚unbefriedigenden‘, der ‚planwidrigen‘ Unvollständigkeit“67 ist, dann erkennt die erste 61

Ebd.: „Jede Analogie hat zwei Voraussetzungen: Einerseits muss zunächst überhaupt ein Problem bestehen (‚planwidrige Regelungslücke‘), dies ergibt sich aus den Wertungen des Rechts.“ 62 Larenz, Methodenlehre, S. 381. 63 Canaris, Lückenfeststellung, S. 75, 93 f., 97 f., 127 f. 64 Vgl. oben und Larenz, Methodenlehre, S. 384: „Hier wird mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände die gleiche Rechtsfolge anknüpfen, ein ‚allgemeiner Rechtsgrundsatz‘ entnommen, der auf den im Gesetz nicht geregelten Tatbestand wertungsmäßig ebenso zutrifft, wie auf die geregelten Tatbestände“ (Herv. d. Verf.). 65 Canaris, Lückenfeststellung, S. 142 (Herv. d. Verf.). 66 Bydlinski, Methodenlehre, S. 474 (Herv. d. Verf.); vgl. Canaris, Lückenfeststellung, S. 78 (Herv. d. Verf.). 67 Engisch, Jur. Denken, S. 241.

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Voraussetzung einer Analogie ein Bedürfnis, das ohne Vorliegen der zweiten Analogievoraussetzung offen bleibt (Analogie als Mittel der Lückenfeststellung68). Selbst wenn eine eindeutige Wertung eine allgemeine Bindungsbegrenzung forderte, hieße dies noch nicht, dass dieser Forderung nach dem Modell der Regelung entsprochen werden dürfte, an deren Beispiel sich die Wertungsentscheidung des Gesetzgebers ablesen ließ. Findet sich keine passende Regelung, dann hört die planwidrige Regelungslücke nicht auf, für die Folgerichtigkeit des Rechts ein Problem darzustellen, es entfällt lediglich die am nächsten liegende Möglichkeit, es zu lösen. Denn „eine Lücke ist da, um ausgefüllt zu werden“69. Das methodische Problem „unausfüllbare[r] Lücken“70 ist der Methodenforschung nicht entgangen71. Canaris rühmt sich, als erster herausgearbeitet zu haben, dass nach Feststellung der Lücke als erstem Schritt in der Analogie als zweitem Schritt „nur eine unter mehreren in Betracht kommenden Ausfüllungsmöglichkeiten“72 liege. Lückenfeststellung und -ausfüllung können bei teleologischer Ähnlichkeit dann auseinanderfallen, „wenn die Rechtsähnlichkeit sich nicht auf alle regelungsbedürftigen Punkte erstreckt, insbesondere, wenn sie z. B. nur hinsichtlich des Grundes eines Anspruchs, nicht aber hinsichtlich aller Einzelheiten der Rechtsfolge vorliegt“73. Da die hinter den Einzelregelungen stehenden Prinzipien „wesensgemäß dadurch bestimmt sind, dass sie keinen rechtssatzmäßigen Charakter haben […], bedarf [es] daher noch eines besonderen Prozesses, durch den das Prinzip in Rechtssätze verwandelt wird.“74 Dieser Konkretisierungsprozess kann scheitern, weil „ein Prinzip oder ein Wert sich nicht verwirklichen lässt, ohne dass das Gesetz

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Canaris, Lückenfeststellung, S. 78. Vgl. oben, Kap. 4, A.I. Voraussetzungen einer Gesamtanalogie: Wertungsentscheidungen schaffen bei Geltung des Folgerichtigkeitspostulats ein Bedürfnis entsprechender Umsetzung für den gesamten Rechtsbereich. 69 Im Zusammenhang, Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 635: „Die Ermittlung einer Regelungslücke ist immer das Ergebnis einer Wertung. Wer eine Lücke aufzeigt, beauptet das Fehlen einer erwünschten Reglung und hat damit schon den entscheidenden Schritt zur Auslegung getan, denn eine Lücke ist da, um ausgefüllt zu werden.“ Allerdings mit der Folgerung: „In Anlehnung an Pawlowski ziehen wir es deshalb vor, auf eine ‚Lücke‘ als Voraussetzung der Analogie überhaupt zu verzichten“. 70 Canaris, Lückenfeststellung, S. 194. 71 Canaris, Lückenfeststellung, S. 172 ff., 180, 194; Larenz, Methodenlehre, S. 402; Häublein, WuM 2010, 391; Neuner, Rechtsfortbildung, S. 390, Rn. 39: „Unausfüllbare Lücken“; Engisch, Jur. Denken, S. 241 ff.; ders., FS Sauer, S. 97 ff. 72 Canaris, Lückenfeststellung, S. 145, am Beispiel der „Rechtsverweigerungslücken“. 73 Canaris, Lückenfeststellung, S. 149, bezogen auf „teleologische Lücken“. Vgl. die Differenzierung der Lückenfestellung und -ausfüllung in Bezug auf Wertlücken, Canaris, Lückenfeststellung, S. 160 f.: „so handelt es sich hier […] nicht mehr um die Lückenfestellung, sondern um ein Einzelproblem bei der Ausfüllung der Lücke.“ 74 Canaris, Lückenfeststellung, S. 161, am Beispiel der Prinzip- und Wertlücken.

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durch bestimmte technische Vorschriften ergänzt wird“75, weil „willkürliche Entscheidungen [...] nicht Sache des Gesetzesanwenders, sondern des Gesetzesgebers [sind]“76. Engisch fragt danach, wie die Lückenausfüllung geschehen soll, wenn „die logische und telelogische ‚Expansionskraft‘ des Gesetzes […] nicht hinreicht, um die gesuchte Entscheidung zu finden und zu begründen“77 und sorgt sich, „ob es nicht ungeachtet aller geschilderten Möglichkeiten der ergänzenden Rechtsfindung Fälle gibt, in denen eine Lückenausfüllung nicht möglich ist“78. b) Lösungsansatz Es kann sich der Eindruck einstellen, dass das Problem unausfüllbarer Lücken nur vor die Alternative stellt, entweder die Ansprüche an die Lückenfeststellung zu erhöhen und einen partiell geteilten Wertungsgehalt zu ignorieren79, oder ein unbefriedigtes Bedürfnis nach Folgerichtigkeit anzuerkennen und hinnehmen zu müssen, weil die „Grenzen der Lückenausfüllung“80 erreicht wurden81. Beides bleibt unbefriedigend: Das Folgerichtigkeitspostulat zu erheben, ohne es erfüllen zu können, genauso wie das Entwicklungsstadium eines Flickenteppichs für plausibler zu halten als die Vermutung kohärenter gesetzgeberischer Wertungsentscheidungen82. Es existiert jedoch eine weitere Lösungsmöglichkeit. Die Analogie ist kein isoliertes Mittel der Lückenausfüllung, sondern Teil eines größeren methodischen Komplexes83. Innerhalb dieses Komplexes geht die Gesamtanalogie in die Anwendung rechtssatzübergreifender Wertungen über. Bydlinski hat diesen Übergang schon 1968 problematisiert84 und mit dem erfolgsbezogenen Kriterium bezeichnet, „ob sich durch die vorgenom75

Canaris, Lückenfeststellung, S. 194 am Beispiel der Prinzip- und Wertlücken. Engisch, FS Sauer, S. 98; vgl. auch Canaris, Lückenfeststellung, S. 175. 77 Engisch, Einführung ins juristische Denken, 11. Auflage, S. 260; vgl. hierzu auch Engisch, FS Sauer, S. 99. 78 Engisch, Einführung ins juristische Denken, 11. Auflage, S. 269. 79 Canaris, Lückenfeststellung, S. 149: „Dabei ist freilich stets genau zu prüfen, ob die Rechtsfolge ‚teilbar‘ ist und ob nicht ‚teilweise‘ Unähnlichkeit in Wahrheit eine vollständige ist und so die gesamte Analogie ausschließt.“ 80 So die Überschrift bei Canaris, Lückenfeststellung, S. 172 81 Vgl. hierzu auch Engisch, FS Sauer, S. 102: „So glauben wir [Engisch], selbst echte Rechtslücken und damit Grenzen des Prinzips der ‚Geschlossenheit der Rechtsordnung‘ nicht gänzlich leugnen zu dürfen.“ 82 Vgl. dagegen das Plädoyer R. Dworkins für „integrity“ und gegen „checkerboardstatutes“, LE, insb S. 180 ff. 83 Vgl. zu dem Strauß von Möglichkeiten zur Lückenausfüllung auch Engisch, Einführung, S. 241 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 474. 84 Bydlinski, JBl. 1968, 222 f., vier Jahre nach der Veröffentlichung von „Die Festellung von Lücken im Gesetz“. 76

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mene Induktion bereits eine konkrete Rechtsfolge ergibt oder nicht“85. Damit bedarf es keiner besonderen methodischen Folge aus dem Vorliegen allein der ersten Analogievoraussetzung mehr, weil sich die Folgerungen bereits nach allgemeinen methodischen Grundsätzen ergeben. Dies lässt sich begrifflich verdeutlichen, wenn man in seiner Meinungsverschiedenheit zu Larenz der Ansicht Canaris folgt, dass die sog. „Rechts-“ oder „Gesamtanalogie“ nicht als Analogie zu einem Kreis von Einzelregelungen, sondern als Induktionsschluss zu verstehen ist86. Verfolgt man den Induktionsgedanken weiter, lässt sich zwischen Wertungsinduktion und Rechtssatzinduktion differenzieren. Die Induktion einer Wertung ist Teil des ersten Schritts der Gesamtanalogie, aber sie besitzt eigenes Lösungspotenzial für das in Frage stehende Problem, weil die Integration von Wertungen in den rechtssatzhaft programmierten Entscheidungsprozess eine Kernkompetenz zeitgenössischer Rechtsmethodik darstellt. Weil die Markierung eines rechtsimmanenten Bedürfnisses nach Gestaltung demgegenüber die entscheidende Herausforderung einer Methodik des positiven Rechts darstellt, ist die Funktion der Analogie, Lücken zu identifizieren, wichtiger als ihre Funktion, diese auszufüllen. Bereits die erste Voraussetzung der Gesamtanalogie bildet als Induktion einer Gesamtwertung eine eigenständige methodische Figur. IV. Mittelbare Allgemeinwirkung zivilrechtlicher Wertungen Wenn die erste Voraussetzung einer Gesamtanalogie vorliegt, bedeutet dies, dass eine gemeinsame Wertung unterschiedlicher Vorschriften gefunden ist. Rechtswertungen können und müssen statt durch Analogie auf andere Weise im Recht Berücksichtigung finden. Es ist anerkannt, dass Richter bei der Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln die Wertungen insbesondere der Grundrechte zu berücksichtigen haben („mittelbare Drittwirkung“)87. Gleiches gilt für die grundsätzlichen Wertungsentscheidungen des Zivilgesetzgebers wie jenen zum Vertrauensschutz oder zur grundsätzlichen Achtung der Privatautonomie. Über den Weg der Auslegung von Generalklauseln kann 85

Lt. Bydlinski, Methodenlehre, S. 474, Fn. 153 konnte er sich auf diese Abgrenzung auch mit Canaris einigen. 86 Einerseits Canaris, Lückenfeststellung, S. 97, zur Rechtsanalogie/Induktion, m.w.N., andererseits Larenz, Methodenlehre, S. 384 ff. Vgl. hierzu auch Bydlinski, Methodenlehre, S. 478: „Bei der ‚Rechtsanalogie‘ (Gesamtanalogie) wird zunächst aus einer Mehrzahl verwandeter Vorschriften induktiv ein geminsames Prinzip erschlossen. Es erweist sich als auch auf den ‚ähnlichen Fall‘ deduktiv anwendbar.“ und Engisch, Einführung, S. 256, der Rechtsanalogie und Analogie für nur graduell unterscheidbar hält. Die Beantwortung dieser Frage kann auch Rückwirkung darauf haben, wie die Rechtsanalogie zwischen den von Canaris gebildeten Typen von „teleologischen Lücken“ und „Prinzipienlücken“ zu verorten ist. Bydlinksi hält Prinziplücken von vornherein für einen Unterfall teleologischer Lücken, ebd., S. 474. 87 Seit BVerfGE 7, 198 allgemeine Meinung.

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eine gemeinsame Wertung unterschiedlicher Rechtssätze also auch dort in ihrer vollen Allgemeinheit berücksichtigt werden, wo eine Analogie mangels verallgemeinerungsfähigen Regelungsgehalts der Rechtssätze scheitert. Der Geltungsmodus rechtssatzloser Wertungen liegt nicht in konkreter Anwendbarkeit, sondern in der Einwirkung auf den normativen Teil der Rechtsanwendung. Wertungsüberhänge können unter anderem durch Berücksichtigung bei Vertrags- und Gesetzesauslegung (insb. auch bei ergänzender Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB) und bei der Auslegung von Generalklauseln wie § 307 I S. 1 BGB, der Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB oder der außerordentlichen Kündbarkeit aus wichtigem Grund abgebaut werden. Dies soll im Folgenden die mittelbare Allgemeinwirkung zivilrechtlicher Wertungen genannt werden. Der Unterschied zwischen einer Gesamtanalogie und mittelbarer Allgemeinwirkung liegt darin, dass ein durch Gesamtanalogie verallgemeinerter Rechtssatz unmittelbar angewendet werden kann, während die Anwendung der Bindungswertungen auf den Einzelfall im Rahmen der Generalklauseln einer – ebenfalls wertenden – Konkretisierung bedarf.

V. Anwendung auf das Problem der Verallgemeinerung von Bindungsgrenzen Das Recht der Bindungsgrenzen ist ein Anwendungsfall des Problems unausfüllbarer Lücken. Den Vorschriften zur ordentlichen Kündbarkeit von Verträgen auf unbestimmte Zeit und der Kündbarkeit aller Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund ließen sich sowohl eine allgemeine Wertung als auch ein rechtssatzfähiger Regelungsvorschlag entnehmen. Der Bindungsbegrenzung hingegen lässt sich nur eine teilweise Wertungsverallgemeinerung entnehmen, der nicht durch Gesamtanalogie entsprochen werden kann: Die einzelnen Bindungsrechtssätze sind unterschiedlich und es existiert keine gesetzliche Umsetzung allein jenes Wertungsgehaltes, den sie teilen. Sie sind zu unflexibel in ihrer binären Entschlossenheit, als dass sie sich aus ihrem gemeinsamen Wertungsgehalt heraus in einem einzelnen Rechtssatz vereinbaren ließen. Auch bei der Gesamtanalogie der außerordentlichen Kündigung bestand zwar das Problem der Mannigfaltigkeit und Typenkontextsensitivität der Fälle. Dies wirkte sich jedoch nicht gegen die Verallgemeinerung der rechtssatzhaften Regelung aus, weil die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs für die Kündigung „aus wichtigem Grund“ ohnehin ein Einfallstor für Wertungen bot und eine flexible Reaktion auf Unterschiede ermöglichte. Das Missverhältnis zwischen dem verhältnismäßig schwachen gemeinsamen Wertungsgehalt der Bindungsgrenzen einerseits und der strikten Rechtsfolgenhärte im Angebot lösungsgeeigneter Rechtssätze andererseits kann de lege lata auf der Rechtsfolgenseite der Wertungserstreckung austariert werden. Nur der gemeinsame Wertungsgehalt der Bindungsgrenzen ist verallge-

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meinerbar. Auch Oetker kommt zu dem Ergebnis, dass „solange spezielle gesetzliche Bindungen fehlen [...] den durch Laufzeitbindungen erzeugten Gefährdungslagen bei langfristigen Vertragsbeziehungen ausschließlich die allgemeine Generalklausel in § 138 I BGB begegnen [kann]“88. Wenn Gerichte in der Vergangenheit beispielsweise feststellten, dass mit § 624 S. 1 BGB eine spezielle Bindungsgrenze einen „allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck [bringe]“89, gegen den Bindung auch dann verstoßen kann, wenn diese Vorschrift „unmittelbar keine Anwendung findet“90, bezogen sie sich auf die mittelbare Allgemeinwirkung von Bindungsgrenzen.

B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen

Jeder kann sich so lange binden, wie es ihm beliebt. Diese Regel ist trotz Ausnahmen91 und Relativierungen92 ein freiheitlicher Grundsatz des deutschen Privatrechts. Das Recht ist in seiner Durchführung pragmatisch. Wo die Durchführung dieses Grundsatzes Missbrauchsmöglichkeiten wie übersteigerte Abhängigkeitsverhältnisse eröffnet oder objektive Freiheiten der privatrechtlichen Ordnung erodiert zu werden drohen, löst es sich im jeweils notwendigen Maß von der Grundregel und ordnet Bindungsgrenzen an. Die große Vielzahl privatrechtlicher Bindungen mag unter dieser Schwelle bleiben, besonders langfristige Bindungen natürlicher Personen wird jedoch häufig mit dem Gebot der objektiven Fortgeltung privatrechtlicher Freiheiten in Konflikt geraten. Unabhängig davon, wie flächendeckend sie für besonders langfristige Bindungen angeordnet sind, bleiben die Durchbrechungen jedoch rechtsfertigungsbedürftige Ausnahmen. Aus ihrer Mannigfaltigkeit lässt sich keine unverrückbare allgemeine Bindungsgrenze bilden, kein allgemeiner Begrenzungsautomatismus jedes Rechtsverhältnisses nach fixen Höchstbindungszeiten. In der Gesamtheit ihrer Wertungen enthalten sie allerdings die Erkennt88 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 504; vgl. auch S. 249: „Eine Auflösung dieser Kollisionslage [zwischen Vertragstreue und Selbstbestimmung], die […] Vertragstreue und Selbstbestimmung über die zivilrechtlichen Generalklauseln einer durch einen Abwägungsprozeß zu erzielenden praktischen Konkordanz zuführt, erweist sich bei diesem Verständnis als die logische und zugleich unausweichliche [sic!] Konsequenz.“ 89 LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 01.04.2009 – 6 Sa 409/08 –, juris: „Sie [die Vorschrift § 624 BGB] bringt einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, demzufolge die Beendigung langfristiger Vertragsverhältnisse nach Ablauf einer bestimmten Frist möglich sein muss, wenn das vertragliche Pflichtenprogramm auch persönliche Leistungspflichten umfasst“ unter Verweis u.a. auf MünchKomm-BGB/Henssler, BGB, 5. Aufl. § 624, Rn. 1. 90 BGHZ 83, 313. 91 Z.B. §§ 489 I, 544, 594b, 624 BGB. 92 §§ 313, 314 BGB.

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

nis, dass bestimmte Bindungsvereinbarungen nach den Umständen des Einzelfalls durch Kündigungsrechte zu mindern sind. Diese mittelbare Allgemeinwirkung von Bindungsgrenzen hat dogmatische Folgen. I. Impliziter Vorbehalt der Interessenfortdauer und kündigungsfreundliche Auslegung, §§ 133, 157 BGB 1. Mutmaßlicher Parteiwille herausgeschobener statt aufgehobener Kündbarkeit Im geltenden Recht bestehen unterschiedliche Wege, übermäßige Bindung zu verhindern. Nicht alle ähneln den hier untersuchten Bindungsgrenzen mit ihrer starren Begrenzung der Privatautonomie. Durch die mittelbare Allgemeinwirkung von Bindungsgrenzen lässt sich nicht nur die kündigungsfreundliche Gesetzesauslegung begründen, sondern bereits die kündigungsfreundliche Auslegung von Verträgen. Im Ausgangspunkt werden übermäßige Bindungen selten vereinbart, weil niemand, der eine interessengerechtere Alternative besitzt, einen seine Interessen erheblich beschränkenden Vertrag schließt. Wo Vertragsparteien übereinstimmend langfristige Bindungen vereinbaren und die damit einhergehenden Beschränkungen in Kauf nehmen, werden diese regelmäßig einem Zweck dienen, der nur in Fällen undurchdachter Formulierungen oder von Prognosefehlern über die langen Zeiträume zu übermäßiger Bindung zu führen droht. Diesen Gefahren kann durch eine Auslegung von Bindungsverträgen begegnet werden, welche von der Annahme ausgeht, dass die Parteien im Regelfall keine übermäßige Bindung an sich gewünscht haben werden, sondern Bindung nur als Mittel zum Erreichen weitergehender Ziele einsetzen wollten. Ein ausdrücklicher Kündigungsausschluss wirkt noch fort, wenn er seine Funktion erfüllt hat. In der Begriffssphäre der Rechtssprache bedeutet der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechtes, dass ein – nicht durch Tod der Parteien endender – Vertrag auch in Jahrhunderten nicht gekündigt werden darf. Vereinbaren die Vertragsparteien den Ausschluss der ordentlichen Kündigung, werden sie hiermit in aller Regel jedoch nicht die positive Vorstellung eines bis in alle Ewigkeit bindenden Vertrages verknüpfen, der all ihre Erben um den Preis einer Ausschlagung bindet. Obwohl selbst unerfüllbare Versprechen abgegeben werden können (§ 311a I BGB), dürften derart weitgehende Bindungen in der Praxis selten dem tatsächlichen übereinstimmenden Willen der Vertragspartner entsprechen. Eine vorsichtig kündigungsfreundliche Auslegung, die problematische Konstellationen entschärft, darf sich auf die Vermutung vernünftiger Interessenverfolgung durch die Parteien stützen. Mit einer an die Begründung der clausula rebus sic stantibus93 angelehnten Herleitung ließe sich die Annahme 93

Vgl. zur clausula rebus sic stantibus HKK/Meyer-Pritzel, § 313, Rn. 4 ff.

B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen

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einer stillschweigenden Klausel rechtfertigen, derzufolge der Vertrag dann gekündigt werden darf, wenn der mit dem Kündigungsausschluss verfolgte Zweck erreicht ist94. Ein Kündigungsrecht nach längerfristiger Bindung kann dem wirtschaftlichen Sinn der ursprünglichen Vereinbarung entsprechen und eine ergänzende Vertragsauslegung auslösen, wenn die vom gebundenen Teil bei Vertragsschluss vorgestellte Bindungslast überschritten wurde und die nach dem Vertragszweck erforderliche Dauer abgelaufen ist; also der Zweck der Bindung zur Zufriedenheit des Begünstigten verwirklicht wurde. Die Annahme von „implied contract terms“ zur Konstruktion eines Kündigungsrechtes, wenn dies mit dem geäußerten Willen vereinbar ist und vernünftigen Parteiinteressen entspricht, ist im common law gängig, in dem sich das Problem dauerhafter Bindung mangels einer dem § 313 BGB vergleichbaren Regelung schärfer stellt als in Deutschland 95. Ein solches Kündigungsrecht tut der Vereinbarung dann kein Unrecht, wenn die Vertragsauslegung ungeäußerten tatsächlichen Vorstellungen und den Interessen der Parteien entspricht, indem sie vorbehaltlos sämtliche denkbaren Interessen hinter langfristiger Bindung bis an die Grenze sittenwidriger Überteuerung oder wettbewerbsrechtlicher Unzulässigkeit anerkennt. Auch das Streben nach außergewöhnlichem Gewinn oder die Entlastung von den Mühen fortwährender Kundenwerbung im Qualitätswettbewerb dürfen mit dem Kündigungsausschluss (mit-)verfolgte Zwecke sein96. Auch diesen Bedürfnissen wird jedoch, bei aller Schwierigkeit der genauen Bestimmung dieses Zeitpunkts, irgendwann über den ursprünglich vorgestellten Umfang hinaus genügt sein. Wie die Praxis von Abfindungsregelungen im Umgang mit unkündbaren Verpflichtungen zeigt, ist auch das Interesse an unbegrenzter Bindung in der Regel in endliche Beträge übersetzbar. Dies muss nicht immer der Fall sein. Eine Auslegung als zweckbegrenzte Bindung führt nicht ausnahmslos zur Beendbarkeit von Verträgen. Sie schlägt jedoch eine Brücke von den theoretischen Schwierigkeiten unbegrenzter Bindung zu ihrer praktischen Lösung, so eine solche besteht. Kohler entwickelte in seiner Kommentierung des § 137 BGB eine flexible Begrenzung von Bindungszeiten97, bevor der BGH derartigen Begrenzungen rechtsgeschäftlicher Verfü-

94

Vgl. RGZ 78, 421, 421 f. (Villenbau). Kores Manufacturing Ltd. v. Kolok Manufacturing Ltd. [1958] 2 W.L.R. 858; Staffordshire Area Health Authority v. South Staffordshire Waterworks Company [1978] 1 W.L.R. 1387; Dwr Cymru Cyfyngedig v. Edgar [2004] All E.R.(D) 05 (hierzu Thomas, N.C.J 2005 (155), 200 f.) dessen Sachverhalt BGH MDR 1979, 490 (Wasserlieferungsvertrag) ähnelte. 96 Grenzen ziehen insoweit das Kartellrecht und das Sittenwidrigkeitsverbot, die jedoch eigenständige Wirksamkeitsanforderungen stellen, die bereits aus Gleichbehandlungsgründen separat geprüft werden sollten. 97 Staudinger/Kohler, § 137, Rn. 47. 95

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

gungsgebote eine Absage erteilte98. Er verwandte die Figur eines Interessefortfalls als Begrenzung unbegrenzter Verfügungsunterlassungsvereinbarungen. Ausgangspunkt war der von Großfeld und Gersch geäußerte Vorschlag99, unbefristete Unterlassungspflichten wegen des „Verbots übermäßiger Beschränkung der Freiheit des Rechtsinhabers“100 in auf dreißig Jahre befristete Unterlassungspflichten umzudeuten, der in der Literatur Zustimmung erfahren hatte101, bis eine Begrenzung von Verfügungsverboten über 20 Jahre später vom BGH abgelehnt wurde102. Auch Kohler hielt „eine zeitliche Begrenzung mittelbar verfügungsbeschränkender rechtsgeschäftlicher Regelungen [für] im Interesse der Freiheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs in der Tat wünschenswert“103. Sie sei „bei Dauerschuldverhältnissen zur Gewährleistung jeweils aktueller, den auf Dauer veränderten Umständen angepasster Privatautonomie generell erforderlich und bei diesen auch von der Rechtsordnung anerkannt“104. Die von Großfeld und Gersch vorgeschlagene Lösung entwickelte er jedoch weiter, um die starre Dreißigjahresgrenze durch ein flexibleres Kriterium zu ersetzen. Er favorisiert eine Lösung, die „aufgrund von Treu und Glauben zu einer Anspruchsbegrenzung jeweils mit Rücksicht darauf führt, ob dem Untersagungsanspruch noch ein anerkennenswertes Interesse zugrunde liegt.“105

2. Kündigungsfreundliche Rechtsprechung Auch die deutsche Rechtsprechung zum BGB hat im Umgang mit überlangen Bindungen wiederholt deutlich im Sinne einer kündigungsfreundlichen Auslegung entschieden106. So ist unbegrenzte Bindung zwar theoretisch vereinbar107, die Formulierung einer entsprechenden Klausel darf jedoch keinen Raum für Zweifel lassen. Andernfalls nimmt die Rechtsprechung an, dass die Parteien wenigstens irgendwann irgendeine Beendigungsmöglichkeit zu haben wünschten108. „Bei Fehlen einer ausdrücklichen zeitlichen Begrenzung 98

BGH NJW 2012, 3162 vgl. Palandt/Ellenberger, 71. Auflage, § 137, Rn. 5 a.E. einerseits, Palandt/Ellenberger, § 137, Rn. 5 andererseits. 99 Großfeld/Gersch, JZ 1988, 937. 100 Staudinger/Kohler, § 137, Rn. 47. 101 MünchKomm-BGB/Mayer-Maly/Armbrüster, 5. Auflage, § 137, Rn. 25; Palandt/ Kohler, 71. Auflage, § 137, Rn. 3. 102 BGH NJW 2012, 3162. S. hierzu unter Kap. 3, C.VIII.2 Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit von Sachen, Einwände. 103 Staudinger/Kohler, § 137, Rn. 47. 104 Ebd. 105 Ebd. 106 BGH GRUR 1959, 384, 386 f.; BGH NJW 1985, 2585, 2586; RG Bierbezugsvertrag. Vgl. auch BGH VersR 2008, 1492; RG Warneyer 1915, Nr. 167 (Kalivertrag); OLG Zweibrücken, Urteil vom 28.07.1998 – 5 UF 19/98. Möglicherweise schon deshalb, weil „die Beschränkung der natürlichen Freiheit […] nicht weiter, als es das wahre Bedürfnis des Verkehrs erfordert, durch die Rechtsinstitute anerkannt und geschützt werden soll“, Savigny, Obligationenrecht, S. 7 f., und der Ausschluss der ordentlichen Kündigung erst in der Zwecksetzung der Bindung innere Rechtfertigung findet, vgl. Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 500. S. auch RG JW 1908, 234; RGZ 142, 268, 275 f. (m.w.N.); 107 Vgl. insb. RG LZ 1925, 971 (Inseratenvertrag). 108 Vgl. BGH, Urteil vom 07.03.1987 – I ZR 250/85 –, juris (Archivvertrag).

B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen

291

[wird] stets im Rahmen der Vertragsauslegung zu prüfen sein, ob die Parteien nicht doch eine Befristung – etwa in Anlehnung an vergleichbare gesetzliche Regelungen (§§ 567, 1202 Abs. 2, 2044 Abs. 2 BGB) auf längstens 30 Jahre – gewollt haben“109. Auf diese Weise wurde etwa bereits der „Bierausschank“-Fall des RG praktisch gelöst110. In seiner Postkalender-Entscheidung111 hat der 1. Senat des BGH diesen Weg gewählt, um ein ähnliches Bindungsproblem zu lösen: Die Parteien hatten 1928 einen unvertypten Vertrag geschlossen, ohne ausdrücklich eine Kündigungsmöglichkeit vorzusehen. Der BGH hat die ca. 30 Jahre später ausgesprochene Kündigung für wirksam erachtet, weil „eine Vertragsauflösung zugelassen werden müsse, soweit der Charakter des Vertrags es gestatte und eine Auflösungsmöglichkeit nach den besonderen Umständen des Einzelfalls geboten erscheine.“112 In ergänzender Vertragsauslegung schloss der BGH die mangels eindeutiger Abrede über die Beendigung von ihm konstatierte Lücke durch „die Annahme, daß im Grundsatz eine Kündigung der Vertragsbeziehungen möglich war.“ Es würde „jeder Lebenserfahrung widersprechen, anzunehmen, daß sich die Bekl. etwa [für eine unbegrenzte Zeit und ohne die Möglichkeit einer Kündigung] hätte verpflichten wollen […]. Ebensowenig könnte angenommen werden, daß sich die Kl. ihrerseits in Anbetracht der bei Vertragsabschluß jedenfalls noch völlig ungewissen Abwicklung der Beziehungen zu einer so weitgehenden, jeder Verkehrsübung widersprechenden Verpflichtung unterworfen haben würde.“113

Auch in anderen Fällen, in denen sich der BGH mit einer unangemessenen Bindung konfrontiert sah, behalf er sich durch den Rückgriff auf ein sich in ergänzender Vertragsauslegung ergebendes Kündigungsrecht. So kann sich trotz formularmäßig wirksam vereinbarter Erstlaufzeit und daraus folgendem Kündigungsausschluss „aus der besonderen Eigenart eines Dienstvertrages und den typischen Interessen der Beteiligten gem. §§ 242, 157 ein ordentliches Kündigungsrecht ergeben“114. In der weitgehenden Entscheidung „Internatsvertrag“ entschied der 9. Zivilsenat, dass „die Fehleinschätzung der Internatseignung ihres Kindes“ „zwar zum Risikobereich der Eltern [gehöre]“115. Dennoch sei mangels vereinbarter Probezeit für den formularmäßig geschlossenen Vertrag „gem. §§ 157, 242 BGB im Wege ergänzender Vertragsgestaltung im ersten Jahr der Vertragsbindung ein zusätzliches ordentliches Kündigungsrecht der Vertragspartner des Schul- und Internatsvertrages zuzulas109

Paulusch, GaststättenR, S. 39, unter Verweis auf RG JW 1927, 199. RG JW 1927, 119. 111 BGH GRUR 1959, 384, 386 f. 112 BGH GRUR 1959, 384, 386 f. 113 Ebd. 114 Staudinger/Coester, § 307, Rn. 531. 115 BGH NJW 1985, 2585, 2586. 110

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

sen“116, obwohl der Internatsvertrag auf eine andere Laufzeit befristet war. Es ist anzunehmen, dass der BGH auch bei Auftreten des Problems überlanger Bindung immer dann den Weg ergänzender Vertragsauslegung gehen wird, wenn dies nach den Parteivereinbarungen möglich ist117. Allgemein anerkannt ist die immanente Zweckbegrenzung von Sicherungsrechten wie der Sicherungsgrundschuld oder der zur Sicherung von Bierlieferungsverträgen eintragbaren Dienstbarkeiten: Die dinglichen Rechte binden zwar an sich auf unbegrenzte Zeit, aus der Sicherungsabrede ist jedoch ein Rückübertragungsanspruch herzuleiten, wenn die Bindung des parallelen Bierlieferungsvertrages erlischt118.

3. Maßstab Jede Bindungsbegrenzung steht vor dem grundsätzlichen Problem, einen Maßstab zu finden. Es ist grundsätzlich ungewiss, „welchen Zeitraum die Parteien gewählt hätten“119; eine bestimmte Frist zu setzen führt in die Nähe der „Willkür“120. Unter anderem in den Fällen Wasserlieferung121 und Holiday Inn122 stand auch der BGH vor diesem Problem. In Wasserlieferung wählte er – allerdings über den dogmatischen Weg eines Kündigungsrechts wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, respektive eines außerordentlichen Kündigungsrechts aus wichtigem Grund – den Zweck der Bindung auch als Maßstab ihrer Begrenzung123. Der BGH stellte auf den Zweck des ausdrücklich unkündbar geschlossenen Vertrags als Ausgleichsregelung „eines in dem Ausfall lang andauernder Vorteile liegenden Dauerschadens“124. Obwohl – oder gerade weil – der Vertrag geschlossen wurde, um eine schadensersatzrechtliche Regelung zu ersetzen und damit zu vermeiden, sollte der Zweck der übernommenen Bindung diese soweit prägen, dass „auch spätere Ereignisse und ihre hypothetische Einwirkung auf den Ablauf der Dinge für die Schadensersatzpflicht zu berücksichtigen“ wären, nämlich als Beendigungsrecht im Fall des Erlöschens des hypothetischen Schadensersatzanspruchs 116

Ebd. Dies ergibt sich auch aus dem Grundsatz, dass die Parteien im Zweifel eher eine wirksame, ihren Bindungswillen zur Geltung bringende Regelung anstreben als eine über die Grenzen der Zulässigkeit (im Fall allgemeiner Bindungen nach der Rechtsprechung: gemäß § 138 I BGB) hinausgehende Bindung, BGH NJW 2011, 59. 118 BGH WM 1988, 765; WM 1988, 1091. 119 BGH NJW 1982, 2309. 120 Vgl. ebd. 121 BGH MDR 79, 49 (Wasserlieferung). 122 BGH NJW 1982, 1817 (Holiday Inn). 123 BGH MDR 79, 49 (Wasserlieferung). Auch Wagner-von Papp wählt den Zweck der Vereinbarung als Maßstab für die von ihm geforderte „‚angemessene‘ Lösungsmöglichkeit“ von gewillkürten Formklauseln, Wagner-von Papp, Die privatautonome Beschränkung der Privatautonomie, AcP 205 (2005), S. 342, 362. 124 BGH MDR 79, 49 (Wasserlieferung). 117

B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen

293

(beispielsweise weil der streitgegenständliche Brunnen inzwischen ohnehin versiegt wäre). Auch der Betriebsführungsvertrag über das Hotel in Holiday Inn sollte dem BGH zufolge trotz des Kündigungsausschlusses nach einer sich aus der Zwecksetzung des Vertrags abgeleiteten Bindungsfrist ein Kündigungsrecht zulassen. Da der Vertrag nach „Wesen und Sinn und Zweck“ „auf die wirtschaftliche und gewinnbringende Hotelführung der Klägerin angelegt [war]“, sollte dies bereits dann der Fall sein, wenn über „vorübergehende ‚Durststrecken‘“ hinaus die „Gewinne […] so gering [würden], dass sie nicht ausreich[t]en um die laufenden Verpflichtungen der Beklagten zu decken […] und eine gewisse Rendite des eingesetzten Eigenkapitals zu gewährleisten.“ In Internatsvertrag konnte der BGH sich damit behelfen, an das Schulhalbjahr als „eine Unterrichtseinheit [anzuknüpfen], die sich als Zeitpunkt für die Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung seitens der Eltern anbietet.“125 Auch im umgekehrten Fall zu überlanger Bindung wurde der Vertragszweck zur Bestimmung der Bindungsdauer herangezogen. Wird etwa ein Darlehen zur Existenzgründung gewährt, wäre dies an sich jederzeit kündbar. Das OLG Hamm hat dem Vertragszweck jedoch die stillschweigende Bestimmung einer Befristung entnommen. Das Ende der Befristung und des damit einhergehenden Kündigungsausschlusses setzte es dabei auf den Zeitpunkt fest, an welchem der Bindungszweck (Existenzgründung) erreicht sei126.

Es bedarf naturgemäß immer einer Bemessung im Einzelfall, wenn man den mutmaßlichen Parteiwillen dadurch zu verwirklichen trachtet, Kündigungsausschlüsse auf die Dauer ihrer Zweckverwirklichung zu begrenzen. Allgemein lässt sich davon ausgehen, dass die mit einem unqualifizierten Kündigungsausschluss gewünschte effektive Bindungszeit jeweils zumindest die marktüblichen und die ggf. zwischen den Parteien früher vereinbarten oder erwogenen Bindungszeiten überschreiten wird. Bei einseitig bindenden Verträgen wird die Bindungsdauer zudem mindestens die Zeit bis zur deutlichen Amortisation der erbrachten Gegenleistung einschließlich eines marktüblichen Gewinns und zuzüglich eines Abschlags für den Verhandlungserfolg eines dem Vertragswortlaut nach unqualifizierten Kündigungsausschlusses umfassen. Zweifel in der Bemessung gehen hierbei zu Lasten des Gebundenen, der sich nach dem Wortlaut des Vertrags einer noch weitergehenden Bindung unterworfen und Klarstellungen zu seinen Gunsten unterlassen hat. 4. Abdingbarkeit Das Lösungspotenzial einer kündigungsfreundlichen Auslegung bleibt von vornherein auf Fälle geringeren Bindungswillens begrenzt, weil sie an den 125

BGH NJW 1985, 2585, 2587. BeckOK-BGB/Rohe, § 489, Rn. 6: „Die stillschweigende Bestimmung kann sich aus dem Zweck des Darlehens ergeben, wie etwa bei Darlehen zur Existenzsicherung“; Staudinger/Mülbert, § 488, Rn. 351; OLG Hamm WM 1985, 1411. 126

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mutmaßlichen Willen der Parteien anknüpft und daher dort kein Kündigungsrecht begründen kann, wo die Parteien bei Vertragsschluss eine Weiterbindung ausdrücklich wollten. Auch ewige Verträge sind danach möglich, lediglich klarstellungsbedürftig: Die ergänzende Annahme eines Kündigungsrechtes wird durch jede hinreichend eindeutige Formulierung ausgeschlossen. So dürfte beispielsweise die Auflistung besonderer Kündigungsgründe mit dem folgenden Zusatz aus in einem vom OLG Hamm zu entscheidenden Fall für einen endgültigen Ausschluss jeglicher ordentlicher Kündigungsrechte sprechen: „Alle Möglichkeiten der Vertragsbeendigung sind hiermit klar umrissen; auf eine Kündigung […] wird beiderseits bewußt verzichtet.“127

So sehr sich Auslegungsansätze eignen, eine Vielzahl von Bindungsproblemen in der Praxis zu lösen, bleiben sie theoretisch unbefriedigend. Sie stellen langfristige Bindung unter die erhöhte Voraussetzung einer „doppelten Kündigungsausschlussklausel“, eine grundsätzliche Beendigungsfreiheit aus objektiven Interessen gewährleisten sie nicht. II. Zwingende allgemeine Bindungsgrenze, § 138 I BGB bzw. § 314 I S. 1 BGB In der Praxis kommt es auf allgemeine Bindungsgrenzen nicht nur wegen der kündigungsfreundlichen Auslegung, sondern auch deswegen meist nicht an, weil langfristige Bindungen häufig in AGB vereinbart werden und dort bereits im Vorfeld übermäßiger Bindungen die Rechtsprechungskontrolle des wechselseitigen Interessenausgleichs nach §§ 307 ff. BGB eingreift. In anderen Konstellationen wird aufgrund veränderter Umstände bereits über § 313 III S. 2 BGB ein Kündigungsrecht bestehen. Es mag auch eine Grenze geben, ab der der Bindende nach § 242 BGB verpflichtet sein könnte, ein Ablösungsangebot anzunehmen, das sein Bindungsinteresse bei weitem übersteigt. Wie mit der reinen, auf die Spitze getriebenen Frage theoretisch höchstzulässiger Bindungszeiten umzugehen ist, vermag nach dem Gesagten jedoch nur eine allgemeine, auf Generalklauseln gestützte, zwingende und im Übrigen voraussetzungslose Bindungsgrenze zu beantworten. Eine derartige Bindungsgrenze entnimmt die Rechtsprechung bisher § 138 I BGB.

127

Diese Formulierung lag OLG Hamm NJW-RR 1992, 270 zugrunde.

B. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen

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1. Kritik der dogmatischen Anknüpfung einer allgemeinen Bindungsgrenze an § 138 BGB a) Verortung im Privatrecht Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Bindungsgrenzen zur Wahrung objektiver Freiheiten dem BGB zu entnehmen sein sollten und nicht – ähnlich dem Kartellrecht – öffentlich-rechtlich zu konstruieren sind. Es ist zwar vornehmlich das Instrumentarium des öffentlichen Rechts, das sich zum Schutz von Strukturen auf der Makroebene vor dezentraler Infragestellung eignet. Im Kartellrecht sind Verbote Produkt einer Prüfung der Marktgegebenheiten insgesamt128. Objektive Gesamtwirkungen werden im rechtsgeschäftsbezogenen deutschen Privatrecht hingegen grundsätzlich nicht erhoben. Denn privatrechtliche Regeln gelten grundsätzlich strikt, d.h. ausnahmslos und unabhängig von überindividuellen Rahmenumständen, die das Öffentliche Recht unter anderem auch über seine Ermessensoffenheit integriert. Das Privatrecht hingegen gewährt oder untersagt vertragliche Gestaltungen nicht dynamisch nach gesellschaftlichen Verhältnissen. Es organisiert dezentral und ist damit, was die Makroebene anbelangt, strukturblind. Der Gesetzgeber hat die speziellen gesetzlichen Bindungsgrenzen dennoch nahezu ausnahmslos privatrechtlich ausgestaltet129. So werden die objektiv geltenden Freiheiten privatrechtlich nicht nur gewährt, sondern auch gewahrt. Dem ist zuzustimmen. Denn die Wirksamkeit der grundlegenden privatrechtlichen Freiheiten hängt von vornherein von der Sachwalterschaft der Privatrechtssubjekte ab. Die in zwingenden Bindungsgrenzen liegende Beschränkung der Privatautonomie wird zudem minimiert, wenn die einzelnen privatrechtlichen Verträge durchgehend so auszugestalten sind, dass sie auch in ihrem Zusammenwirken die Wirksamkeit der grundlegenden privatrechtlichen Freiheiten nicht beseitigen. Schließlich ist die Bindungsproblematik auch spezifische Konsequenz privatrechtlicher Regelungssystematik; Zweck der Bindungsgrenzen ist, Privatrecht auf Privatrecht zu beschränken. Es ist nur naheliegend, grundlegende privatrechtliche Freiheiten auch im privatrechtlichen Regelungskontext zu ermitteln. Mit der Entscheidung für eine Regelung im Privatrecht einher geht jedoch die Konsequenz, dass die allgemeine Bindungsgrenze in ihren Voraussetzungen alle Verträge gleichmäßig begrenzt, unabhängig von sonstigen Verhältnissen des Gebundenen oder wechselhaften Marktgegebenheiten, die auf die Wirksamkeit der geschützten privatrechtlichen Freiheit Einfluss nehmen mögen.

128

Calliess/Ruffert/Weiß, Art. 101 AEUV (ex-Art. 81 EGV), Rn. 85 ff.; 90 ff.; Art. 102, Rn. 6, 10 ff. 129 Mit der bereits angesprochenen kartellrechtlichen Ausnahme.

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

b) Anknüpfung an § 314 BGB statt § 138 BGB aa) Sittenwidrigkeit überlanger Bindung, § 138 I BGB „Nach der Rechtsprechung des BGH hat § 138 I BGB auch die Funktion, den wesentlichen Grundsätzen und grundlegenden Maßstäben der Rechtsordnung gegenüber einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit Achtung zu verschaffen.“130 Aus diesem Ansatz heraus gelten überlange Bindungen nach der Rechtsprechung als sittenwidrig und bildet § 138 I BGB den dogmatischen Anknüpfungspunkt für die allgemeine, zwingende Begrenzung überlanger Bindung. Die Anknüpfung der Begrenzungsprüfung an den Unwirksamkeitsgrund der Sittenwidrigkeit hat im Vergleich zu einer Anknüpfung beispielsweise an das außerordentliche Kündigungsrecht des § 314 I BGB zunächst einiges für sich. Wenn die allgemeine Bindungsgrenze nach dem Gesagten objektive Freiheiten und damit solche der Allgemeinheit schützt, ist § 138 BGB als Vorschrift zum Schutz gesellschaftlicher „Sitten“ und Werte die nächstliegende Wahl. § 138 I BGB ist die Vorschrift, die dem Schutz der Gesamtordnung vor der Infragestellung durch Einzelrechtsgeschäfte dient131; unter anderem auch dem Schutz der Werteordnung des Grundgesetzes132. § 314 I BGB ist demgegenüber eine Vorschrift, die an individuelle Zumutbarkeit anknüpft. Zudem ist ihr Anwendungsbereich auf Bindungen in der Gestaltung von Dauerschuldverhältnissen beschränkt und sie stellt – zumindest ihrem Wortlaut nach – ausschließlich auf die zukünftige Bindung ab. Dies ließe sich bei unbefangener Anwendung so verstehen, dass ein überlang bindender Vertrag zu Beginn der Bindungszeit eher kündbar wäre als später, weil das zu diesem Zeitpunkt besonders lange Abwarten der ausstehenden Bindung eher unzumutbar ist als bei einer späteren Kündigung. Es dürfte jedoch Übereinstimmung dahingehend bestehen, dass eine die Privatautonomie der Parteien schonende Bindungsgrenze erst nach und nicht ausschließlich vor Ablauf einer angemessen Bindungszeit eingreifen sollte. Im Ergebnis vermag die Anknüpfung der allgemeinen Bindungsbegrenzung an § 138 I BGB trotzdem nicht zu überzeugen, da die Vorschrift aus mehreren Gründen nicht passt. So ist dem objektiven Interesse an Bindungsbegrenzung genügt, wenn der Gebundene individuell die Möglichkeit erhält, über die Fortdauer des Vertrages zu entscheiden. Es fordert somit nicht die Nichtigkeit langfristiger Vertragsbindung, sondern allein ein Kündigungsrecht133. Da das zugrunde liegende objektive Interesse die weitergehende Rechtsfolge der Nichtigkeit nicht gebietet, liegt in der stattdessen von § 138 I

130

BGHZ 106, 336, 338; BGH NJW 1989, 1477. BeckOK-BGB/Wendtland, § 138, Rn. 2, 1. 132 Vgl. BGHZ 106, 336, 338; BGH NJW 1986 2944. 133 Wiedemann/Schulz, ZIP 1999, 1, 7 f.; so auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 509. 131

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BGB angeordneten Unwirksamkeit eine ungerechtfertigte Einschränkung des ursprünglichen privatautonom geäußerten Willens der Parteien. Die Nichtigkeitsfolge des § 138 I BGB gilt insbesondere unabhängig davon, ob der überlang Gebundene diese Rechtsfolge wünscht. Hat er nach wie vor ein Interesse an der Fortdauer des Vertrages, kann die Nichtigkeitsfolge sich gegen ihn richten134. Es ist aber kein Grund ersichtlich, aus dem der übermäßig Bindende sich gegen den Willen des Begünstigten auf die Nichtigkeitsfolge berufen dürfen sollte. Trotz der Herleitung aus dem Schutz objektiver Freiheiten schützen die allgemeine Bindungsgrenzen den Willen des Gebundenen und begünstigt ihn in diesem Sinn. Es mag ein objektives Interesse an der Begrenzung besonders langdauernder vertraglicher Bindung bestehen, das unabhängig vom beim Vertragsschluss geäußerten subjektiven Willen der Vertragsparteien ist. Es besteht jedoch nicht unabhängig vom späteren Willen des Gebundenen, weil es sich gegen dessen spätere Unfreiheit richtet. Die Beseitigung von Bindung (der späteren Unfreiheit) liegt in der Wiederherstellung von Wahlfreiheit. Das objektive Interesse richtet sich also nicht auf Fortdauer oder Beendigung des Vertrags, sondern auf Wiederherstellung der Entscheidungsfreiheit des Gebundenen.

Das Ergebnis ließe sich zwar korrigieren. So könnte es im Fall einseitig überlanger Bindung unter Umständen treuwidrig vom bindenden Teil sein, sich gegenüber dem Gebundenen auf die Nichtigkeit der Bindung zu berufen135 oder die Nichtigkeitsfolge könnte von einer Geltendmachung durch den Begünstigten abhängig sein136. Entgegen der ausdrücklichen Rechtsfolgenanordnung in § 138 I BGB wäre dies jedoch nicht mehr Modifikation der Nichtigkeitsfolge zu nennen, sondern als Begrenzung der Bindungs- statt der Wirkungsdauer des entsprechenden Rechtsverhältnisses dogmatischer Umbau der Nichtigkeitsfolge in ein außerordentliches Kündigungsrecht137. Eine weitere Unstimmigkeit der Nichtigkeitsfolge offenbart sich in der Entscheidung der Sittenwidrigkeitsrechtsprechung zur Vornahme einer geltungserhaltenden Reduktion138 (soweit die Bindungsbestimmungen nicht

134

Kritisch auch Wiedemann/Schulz, ZIP 1999, 1, 7. So etwa BGH WM 1957, 1158; 1972, 488. Dies widerspricht allgemeinen Regeln, weil auf diese Weise „einem für die Rechtsordnung unerträglichen Rechtsgeschäft über den Umweg des § 242 doch Geltung verschafft [wird]“, MünchKomm-BGB/Armbrüster, § 138, Rn. 155; BGH NJW 1981, 1439, 1440. Diese Lösung erwähnen auch Wiedemann/ Schulz, ZIP 1999, 1, 7. 136 In diese Richtung Jickeli, Langfristiger Vertrag, S. 167; und Bydlinski, Vertragsbindung, S. 32. 137 So auch Jickeli, Langfristiger Vertrag, S. 167, der bei Bindungsgrenzen zum Schutz eines Vertragspartners eine Kündigung ohnehin für die „beste Lösung“ hält, S. 145. Casper bezeichnet die aus § 138 BGB im Fall überlanger Bindung abzuleitende Rechtsfolge ebenfalls als „außerordentliches Kündigungsrecht“, MünchKomm-BGB/Casper, § 675h, Rn. 8. 138 BGH NJW 1991, 699, 700; NJW 1979, 1605, 1606. 135

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zugleich gegen AGB-Vorschriften verstoßen139). Ein Geschäft mit sittenwidriger Bindungsbestimmung140 wäre an sich im Ganzen nichtig, weil die Bindungsdauer Teil einer einheitlichen Regelung ohne neutralen, abtrennbaren Teil ist141, etwa entsprechend einem überhöhten Entgelt142. Stattdessen wird das Geschäft als Ganzes von der Rechtsprechung aufrechterhalten143. Diese Aufrechterhaltung erfolgt in Ermangelung dispositiven Gesetzesrechts als „quantitative Teilnichtigkeit“144, also einschließlich der auf ein zulässiges Maß beschränkten Bindungsdauerbestimmung. Diese Beschränkung erfolgt zudem nicht auf das sich im mittleren Bereich des Angemessenen bewegende Maß, sondern auf die höchstzulässige Bindungsdauer, sodass die Nichtigkeitsanordnung des § 138 I BGB mangels Anreizen keine Lenkungswirkung zu angemessenen Bindungszeiten entfaltet. Für eine das Sittenwidrigkeitsverdikt im Tatbestand tragende Vorschrift ist eine derart zurückgenommene Rechtsfolge kaum zu begründen. bb) Überlange Bindung als zur Kündigung berechtigender, wichtiger Grund i.S.d. § 314 I 1, 2 BGB Begrenzungswertungen sollten statt über § 138 I BGB vornehmlich im Rahmen der Prüfung von Kündigungsrechten aus wichtigem Grund berücksichtigt werden. Sämtliche Dauerschuldverhältnisse sind aus wichtigem Grund kündbar, in Ermangelung speziellerer Bestimmungen jedenfalls nach § 314 I BGB. Die Berücksichtigung von Bindungswertungen bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs eröffnete den Weg zu einer der Bindungsproblematik angemessenen Rechtsfolge145: Ist nach einer bestimmten Bindungsdauer weitere Bindung nicht mehr zumutbar, genießt der Gebundene ein im Grundsatz einseitiges Kündigungsrecht146. Bereits in der Einleitung wurde des Weiteren angesprochen, dass der wichtige Grund nach § 314 I 1 S. 2 BGB als Unzumutbarkeit der Bindung bis zum Zeitpunkt einer anderweitigen Beendigung oder anderweitiger Beendbarkeit 139 Vgl. § 306 II BGB; BGHZ 143, 103; BGH NJW 2011, 597; Erman/Palm, § 138, Rn. 97: „[D]as Ergebnis ist unbefriedigend und sollte überdacht werden“. 140 Dies bezieht sich nicht allein auf Bierlieferungsverträge, sondern auf alle wegen überlanger Bindung sittenwidrige Dauerschuldverhältnisse, BeckOK-BGB/Wendtland, § 138, Rn. 32 ff. 141 BGHZ 44, 158, 162. 142 Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 19. 143 Die geltungserhaltende Reduktion hat der BGH in BGH NJW 1952, 344 erstmals erwogen und in BGH WM 1972, 1224 erstmals durchgeführt; s.a. BGH WM 1973, 357; 1974, 1042; ZIP 1984, 335; WM 1985, 608; BeckOK-BGB/Wendtland, § 138, Rn. 32. Der Lösungsansatz geht u.a. auf Nipperdey zurück, JW 1927, 120. 144 Vgl. BGH NJW 2009, 1135. 145 Vgl. Bydlinski, Vertragsbindung, S. 16 ff. 146 So auch Wiedemann/Schulz, ZIP 1999, 1, 7.

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des Vertrags definiert ist und somit in umgekehrter Relation zur Dauer der Restbindungszeit steht147. Somit sinken die Anforderungen an den wichtigen Grund im Falle überlanger Verträge auf ein Minimum148. Ein Kündigungsrecht, das im Hinblick auf die Belastung durch weitere Bindung im Übrigen grundlos ist, ist danach eine folgerichtige Fortentwicklung des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund. Die dogmatische Anknüpfung einer allgemeinen Bindungsgrenze an § 314 I BGB ist auch insoweit folgerichtig, als sie den allgemeinen Fall der vertragsspezifischen Bindungsgrenzen darstellt, die ihrerseits außerordentliche Kündigungsrechte vorsehen. § 314 I BGB ist seinerseits der allgemeine Fall der besonderen außerordentlichen Kündigungsrechte. Dass die Rechtsprechung nicht von vornherein § 314 I BGB, sondern zunächst § 138 I BGB als Ausgangspunkt der allgemeinen Bindungsbegrenzung gewählt hat, ist historisch zu erklären. Das Ursprungs-BGB sah kein allgemeines außerordentliches Kündigungsrecht vor und die Rechtsprechung zu Bierlieferungsverträgen entwickelte sich bereits sehr früh149, als das allgemeine außerordentliche Kündigungsrecht in Rechtsprechung noch nicht anerkannt war150. Erst mit der Schuldrechtsmodernisierung hat sich die Gelegenheit geboten, die verfehlte Anknüpfung an § 138 BGB zu korrigieren. cc) Außerordentliches Kündigungsrecht nach § 314 I BGB erst nach Ablauf angemessener Bindungszeit Auch der Wortlaut des § 314 I BGB verursacht für die dogmatische Konstruktion einer den speziellen Bindungsgrenzen entsprechenden allgemeinen Bindungsgrenze – lösbare – Schwierigkeiten. So soll nach § 314 I 2 BGB Voraussetzung für ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund sein, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zumutbar ist. Dies führt zu dem angesprochenen Ergebnis, dass der Gebundene ggf. bereits unmittelbar nach Beginn der Bindungszeit kündigen kann, weil ihm die zukünftige Bindungszeit insgesamt nicht zumutbar ist. Diese Überlegung scheint jedoch zu einem 147 Der Maßstab der Wichtigkeit steht jedoch in umgekehrter Relation zur Restbindungszeit, je länger die Rechtsbeziehung den Parteien noch zugemutet würde, desto geringere Belastungen bilden einen außerordentlichen Kündigungsgrund (§ 314 I 1 S. 2 BGB). Auch hier zeigt sich, wie wenig das Gesetz auf überlange Beziehungen angelegt ist. Führt man den Gedanken fort und lässt die Mindestvertragslaufzeit gegen Ewigkeit konvergieren, wird kaum eine Belastung den Parteien auf diese Zeit zumutbar sein. Mit der Verlängerung der Mindestvertragslaufzeit läuft die Voraussetzung dafür, überhaupt jemals kündigen zu können, gegen Null, also ordentliche Kündbarkeit. Ewigkeitsbindung scheidet danach aus. 148 Vgl. Horn, Gutachten, S. 564; Bydlinski, Vertragsbindung, S. 14. 149 Vgl. RG, JW 1906, 454. 150 Vgl. die Entwicklung in RGZ 105, 167; 140, 264.

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paradoxen Ergebnis zu führen. Denn je früher der Gebundene zu kündigen sucht, desto länger dauert die Restbindungszeit und umso geringer die Anforderungen an einen wichtigen Grund. Dies widerspricht erstens der Wertung der speziellen Bindungsgrenzen, erst nach Ablauf angemessener Bindungszeiten ein außerordentliches Kündigungsrecht zu gewähren. Zweitens führt es zu dem widersinnigen Ergebnis, dass eine Vertragspartei, die sich einer längeren Bindung unterwirft als eine andere, ggf. früher kündigen kann – nämlich sofort. Dabei müsste „es die Stabilität eines Rechtsverhältnisses erhöhen […], wenn die Parteien es ‚für ständig‘ bestellen“151. Das außerordentliche Kündigungsrecht einer allgemeinen Bindungsgrenze müsste stattdessen danach fragen, ob eine weitere individuelle Bindung bis zur vereinbarten Beendbarkeit in Anbetracht des Schutzes grundlegender privatrechtlicher Freiheit nicht mehr tolerabel ist. Es soll nun untersucht werden, wie sich eine derartige Fragestellung mit dem Wortlaut des § 314 I BGB vereinbaren lässt. (1) Auslauffristen als Ergänzung zum wichtigen Grund i.S.d. § 314 I 2 BGB Die kündigungsfördernde und damit „ambivalente Wirkung der extremen Vertragsbindung“152 ließe sich zunächst dadurch auflösen, dass spätere außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Ein wichtiger Kündigungsgrund bestünde demnach derzeit nicht, wenn die Bindung an den Vertrag wenigstens noch bis zum Zeitpunkt einer außerordentlichen Kündigung in der Zukunft zumutbar wäre. Einen in diese Richtung gehenden Lösungsansatz im geltenden Recht bilden auch die Auslauffristen im Fall einer außerordentlichen Kündigung wie etwa die sozialen Auslauffristen im Arbeitsrecht, die für eine vergleichbare Problemlage entwickelt wurden153. Während eine Erleichterung der außerordentlichen Kündbarkeit aufgrund individualvertraglich verlängerter Kündigungsfristen oder der längeren Befristung eines Arbeitsverhältnisses unter Umständen interessengerecht ist154, verkehrt sie im Falle der Unkündbarkeit aufgrund gesetzlicher oder tarifvertraglicher Schutznormen den Sinn der jeweiligen Regelung155. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung hat deswegen das Institut der außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist entwickelt156: Einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer kann aus wichtigem Grund au151

Mayrhofer, NotZ 1975, 86, 91. Bydlinski, Vertragsbindung, S. 18. 153 BAGE 94, 228; BAG NJOZ 2008, 5173; NZR-RR 2015, 16. 154 BAG NZA 2002, 963; jedenfalls soweit dies mit der individualvertraglichen Regelung zu vereinbaren ist, vgl. Reuter, Kündigung, S. 361, 376. 155 BAG NJOZ 2002, 508. 156 BAG NZA 2008, 777; NZR-RR 2009, 393. 152

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ßerordentlich gekündigt werden, aber nur so, als bestünde der Kündigungsschutz nicht – also unter Einhaltung der Kündigungsfrist, die bei ordentlicher Kündbarkeit einzuhalten gewesen wäre157. Nach diesem Modell setzt der wichtige Grund die Kündbarkeit jeweils um regelmäßig nur eine Stufe herab: Grundsätzlich unkündbare Arbeitnehmer können wegen des wichtigen Grundes mit Frist gekündigt werden, grundsätzlich fristgerecht kündbare Arbeitnehmer fristlos. Derartigen Überlegungen hat der BGH für das Zivilrecht jedoch eine endgültige Absage erteilt158: „Zeitlicher Bezugspunkt für [die] Zumutbarkeitsprüfung ist aus Gründen der Rechtssicherheit allein der Zeitpunkt, zu dem der Vertrag ausläuft oder durch ordentliche Kündigung beendet werden kann.“159 Damit kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nicht vorläufig ausgeschlossen sein, weil auch eine spätere Kündigung (als vor der Beendbarkeit liegender Bezugspunkt) die Unzumutbarkeit noch beseitigte. Ist nicht die gesamte konventionelle Bindungszeit zumutbar, besteht damit nach der eindeutigen Rechtsfolge der gesetzlichen Bestimmungen160 unmittelbar ein Kündigungsrecht. Nach dem BGH ist es den Gerichten zudem verwehrt, eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffristen für die Dauer noch zumutbarer Bindungszeiträume zu versehen161. Ist eine Unzumutbarkeit bejaht, gilt die Rechtsfolge außerordentlicher Kündbarkeit in voller Härte. Der Kündigende kann als Minus zwar statt einer fristlosen Kündigung eine solche mit Auslauffrist aussprechen. Hierzu ist der Kündigende jedoch nicht angehalten, er ist in seiner Entscheidung vollständig frei162. 157 ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB, Rn. 52: „Ist die außerordentl. Kündigung des ordentl. unkündbaren AN zulässig, muss die ges. oder tarifl. Kündigungsfrist als Auslauffrist eingehalten werden, die gelten würde, wenn die ordentl. Kündigung nicht ausgeschlossen wäre (BAG 28. 3. 1985 AP BGB, § 626 Nr. 86).“; vgl. Rn. 50 f., 89; Leupold/Glossner/ Hegewald, Teil 7, Rn. 132; BAG NZA 1999, 818 ff.; NJW 1985, 2606 ff.; MünchKomm-BGB/Henssler § 626, Rn. 337. 158 BGH NJW 1999, 946. 159 Ebd. 160 Z.B. §§ 543, 626, 314 I BGB, § 89a HGB. 161 BGH NJW 1999, 946: „Angesichts der klaren gesetzlichen Regelung ist es […] den Gerichten verwehrt, eine außerordentliche Kündigung gleichsam nachträglich mit einer Auslauffrist zu versehen und dadurch die Beendigung des Vertragsverhältnisses auf einen Zeitpunkt hinauszuschieben, der ‚als nach Lage der Sache dem Kündigenden zumutbar erscheint‘.“ A.A. das Berufungsgericht unter Berufung auf Schröder, Handelsvertreter, § 89a Rn. 7a. 162 BGH NJW 1999, 946; ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB, Rn. 188; vgl. BeckRAHb/ Michels, § 8 Kündigungsschutzprozess, Rn. 143; MünchKomm-BGB/Gaier, § 314, Rn. 22: „Der Kündigende ist [...] nicht gehindert, dieses Recht nur eingeschränkt geltend zu machen und dem Kündigungsgegner durch eine unzweifelhaft bestimmte Erklärung mit dem Ausspruch der Kündigung aus wichtigem Grund eine Auslauffrist einzuräumen und dadurch die Kündigungsfolge der Vertragsbeendigung auf einen künftigen Zeitpunkt hinauszuschieben.“

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Nachvollziehbar wird diese Rechtsprechung des BGH aus der gesetzlichen Anlage des Rechts zu außerordentlichen Kündigungen. § 314 I 1, 2, III BGB ist nicht auf Übermaßkonstellationen ausgerichtet, das Leitbild des § 314 BGB sind Anlasskonstellationen. Deutlich wird dies an § 314 III BGB, der anordnet, dass „der Berechtigte [...] nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen [kann], nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat“. Anlasskonstellationen sind solche, in denen entgegen ursprünglicher Erwartung nachträglich eine Belastung eintritt, die vom Eintrittszeitpunkt an wirkt. Sie unterscheiden sich damit wesentlich von einer von Anfang an überlangen, jedoch in ihrer vorläufigen Wirkung unproblematischen Bindung. Eine vorsätzliche Straftat gegenüber einem Vertragspartner, ein Tätigwerden für Konkurrenzunternehmen oder eine unberechtigte Kündigung sind Anlässe, die mit dem Belastungszeitpunkt jede weitere Zusammenarbeit unzumutbar machen können. In solchen Fällen mögen Auslauffristen eine Zumutung bilden. Bei der sukzessiven Belastungssteigerung überlanger Bindung gilt das nicht. (2) § 314 I 1 BGB als isolierter gesetzlicher Ansatzpunkt ohne Rückgriff auf § 314 I 2 BGB Die Systematik des § 314 BGB erlaubt eine Auslegung, nach der § 314 I 1 BGB ohne Korrektur seines Wortlauts nicht nur Anlasskonstellationen, sondern auch Übermaßkonstellationen erfasst, und die Voraussetzungen des § 314 I S. 2 BGB nicht zu prüfen sind. Denn § 314 I 1 S. 2 BGB definiert nur einen wichtigen Grund, der im Fall individueller Unzumutbarkeit die Anwendung des § 314 I 1 S. 1 BGB rechtfertigt: „Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn …“. Diese Definition eines wichtigen Grundes i.S.d. § 314 I 1 S. 1 BGB ist nicht notwendig abschließend. § 314 I 1 S. 1 BGB erlaubt nach seinem möglichen Wortlaut die außerordentliche Kündigung somit nicht nur bei Vorliegen dieses beispielhaft definierten wichtigen Grundes, sondern im Fall jedes wichtigen Grundes für die Kündigung des Dauerschuldverhältnisses. Er unterscheidet sich damit etwa von der Bestimmung § 626 I BGB, welche die Kündigung des Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund nur dann gestattet, wenn ein Fall individueller Unzumutbarkeit aus bestimmtem Anlass vorliegt; nämlich „Tatsachen [...], auf Grund derer dem Kündigenden […] die Fortsetzung des Dienstverhältnisses […] nicht zugemutet werden kann“. Besteht der Grund einer außerordentlichen Kündigung in der überlangen Bindung des Dienstberechtigten, ist § 626 I BGB demnach nicht anwendbar. Eben aus diesem Grund sieht das Dienstvertragsrecht für überlange Bindungen das zusätzliche außerordentliche Kündigungsrecht nach § 624 S. 1 BGB vor. Dass diese Differenzierung der Konzeption des Gesetzes entspricht, zeigt sich auch an § 490 BGB. Diese Bestimmung belässt es in Absatz 3 bei der Anwendung des § 314 I BGB, definiert jedoch in den Absätzen 1 und 2 wei-

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tere wichtige Gründe, die neben einem solchen aus § 314 I 1 S. 2 BGB die außerordentliche Kündigung rechtfertigen163. Es handelt sich hierbei um Kündigungsrechte, die § 314 I S. 1, 2 BGB nicht konkretisieren, sondern erweitern164. Der Rechtsanwender ist nicht frei, neben dem wichtigen Grund nach § 314 I 1 S. 2 BGB beliebige weitere wichtige Gründe für die Anwendung des § 314 I 1 S. 1 BGB anzuerkennen. Wo aber wie im Fall der Bindungsgrenzen entsprechende allgemeine Wertungen bestehen, die nach den Wertungen der Gesamtheit spezieller Bestimmungen ebenfalls Gründe für außerordentliche Kündigungsrechte bilden, darf angenommen werden, dass § 314 I 1 S. 1 BGB auch solche wichtigen Gründe umfasst. Ein derartiges weiteres, undefiniertes außerordentliches Kündigungsrecht dürfte dann – im Unterschied zum definierten Kündigungsrecht nach § 314 I S. 2 BGB und entsprechend den speziellen Bindungsgrenzen, denen es seine methodische Zulässigkeit verdankt – auf die Hinnehmbarkeit weiterer Bindung abstellen und somit erst nach Ablauf einer angemessenen Bindungszeit entstehen. Auch auf ein derartiges Kündigungsrecht wäre die Frist des § 314 III BGB zwar systematisch anwendbar. In der Sache hätte sie jedoch keine Folgen, weil vor Entstehung des Kündigungsrechts auch die Frist nicht zu laufen beginnen kann und ab dem Zeitpunkt der Zumutbarkeit weiterer Bindung im Hinblick auf die immer weiter zunehmende Bindungsdauer bis zur vereinbarten Beendbarkeit permanent neue außerordentliche Kündigungsrechte entstehen.

dd) Sonstige Anknüpfungspunkte Neben den genannten dogmatischen Anknüpfungspunkten bietet sich eine Reihe weiterer an, denen die Lösung über § 314 I 1 S. 1 BGB bei näherer Betrachtung jedoch vorzuziehen ist. Naheliegend wäre zunächst auch, die Lösung der Bindungsproblematik gänzlich in den Grundsätzen der gestörten Geschäftsgrundlage zu suchen, § 313 BGB165 – auch § 313 III S. 2 BGB sieht im Fall fehlender Anpassungsmöglichkeiten für Dauerschuldverhältnisse ein 163

Vgl. auch § 22 II Nr. 2 BBiG, der neben § 626 I BGB ein außerordentliches Kündigungsrecht des Auszubildenden vorsieht, der seinen Beruf aufgeben möchte. 164 Die Rechtsprechung, auf der § 490 II BGB beruht, konnte ursprünglich nicht auf das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund gestützt werden, weil „auf Grund der dem Darlehensvertrag immanenten ‚typusspezifischen‘ Risikoverteilung […] das Risiko der weiteren Verwendbarkeit des Darlehens allein in den Risikobereich des Darlehensnehmers [fällt]“, MünchKomm-BGB/Berger, § 490, Rn. 23. Auch die in § 490 II S. 1 BGB erfassten Fälle sind regelmäßig Anlasskonstellationen, aber er illustriert, dass neben § 314 I 2 BGB überhaupt weitere wichtige Kündigungsgründe denkbar sind. Anders als die in § 490 II BGB geregelten Fälle widersprechen Fälle überlanger Bindung zudem nicht der „typusspezifischen Risikoverteilung“, erfodern also keine eigene Bestimmungen, sondern können unmittelbar auf § 314 I S. 1 BGB gestützt werden. 165 Vgl. BGH MDR 79, 49 (Wasserlieferung).

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Kündigungsrecht vor. Bezüglich des realen Elements i. S. d. § 313 I BGB ließe sich bei besonders langfristigen Bindungen auch eine relative Herabsetzung der Voraussetzungen begründen. Denkbar wäre zunächst die Anwendung eines Abstraktionsgedankens: Je weiter in die Zukunft hinein durch gegenwärtige Verpflichtungserklärung Bindungen übernommen werden, desto abstrakter ist die Vorstellung über den Bindungsinhalt, desto unerwarteter jede faktische Abweichung von der abstrakten Bindungsidee. Durch eine solche Blankettverpflichtung auf die Zukunft wird eine Vielzahl von Fallkonstellationen mitautorisiert, die bei einzelner Auflistung zurückgewiesen worden wären. Wie die ergänzende Vertragsauslegung konstruiert § 313 BGB sein Kündigungsrecht jedoch allein aus der Fortschreibung des ursprünglichen Verpflichtungswillens. Die Kündbarkeit von Bindungen, die derart lang sind, objektive Interessen zu beeinflussen, ist jedoch keine Frage der Vertragsformulierung. Auch Bydlinski, der die „Pattstellung“ aus der ambivalenten Wirkung extremer Vertragsbindung durch Abstellen auf die Vorhersehbarkeit der die Bindung beeinflussenden Umstände lösen möchte166, beschränkt diese Lösung auf die individuelle Seite der Bindungsproblematik. Für die Wahrung objektiv geschützter Werte eigne die Lösung sich nicht, hier sei nach eigenen Maßstäben zu entscheiden: „Für einige Vertragsgestaltungen werden der objektiven Normenordnung über das Gesagte hinaus Bewertungen zu entnehmen sein, die ihre Haltung zu den von den Kontrahenten verwendeten Vertragsarten und damit zu der von ihnen versuchten ‚Dauerstabilität‘ [kennzeichnet] und die daher für die Beurteilung der strengeren oder milderen Anforderungen an den wichtigen Auflösungsgrund ebenfalls nutzbar gemacht werden können.“167

Der BGH hat die Lösung der Bindungsproblematik bei Darlehensverträgen ursprünglich als auf § 242 BGB gestützten Anspruch eines Vertragsteils gegen den anderen auf Zustimmung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags konstruiert168. Im Ergebnis handelt es sich hierbei um ein auf dogmatischen Umwegen konstruiertes Kündigungsrecht ohne Gestaltungswirkung. Der Gesetzgeber hat sich bei der Kodifikation dieser Rechtsprechung jedoch stattdessen für eine Ausgestaltung als Kündigungsrecht entschieden (§ 490 II BGB), sodass die Figur des Aufhebungsanspruchs sich weder praktisch noch nach dem gesetzgeberischen Willen als dogmatische Anknüpfung einer Begrenzungsprüfung anbietet. Da gelegentlich verwandte Konstruktionen über §§ 157, 242 BGB169 oder §§ 242, 315 S. 3 BGB170 ohne Nachwir166

Bydlinski, Vertragsbindung, S. 15. Ebd., S. 16 (Herv. im Original). 168 BGHZ 136, 161. 169 Vgl. Künstler, BLV, 90; RGZ 152, 251; ähnlich auch BGH NJW 1985, 2585, 2586 f.; NJW-RR 1990, 1075; OLG Celle Nds Rpfl 1990, 10; OLG Hamm NJW-RR 1992, 270. 167

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kung geblieben sind, kann auf ihre Heranziehung ebenfalls verzichtet werden, solange § 314 I 1 S. 1 BGB einen hinreichenden Anknüpfungspunkt bildet. c) Ergebnis Neben ergänzender Vertragsauslegung bietet vornehmlich ein undefiniertes außerordentliches Kündigungsrecht i.S.d. § 314 I 1 S. 1 BGB i.V.m. den allgemeinen Begrenzungswertungen einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die Prüfung, inwieweit Bindungen als überlang zu begrenzen sind. Wo eine Vertragsgestaltung eine derartige Freiheitsaufhebung zum Gegenstand hat, dass die Nichtigkeitsfolge des § 138 I BGB angemessen erscheint, oder wo eine Zwangslage nach § 138 II BGB ausgenutzt wird, bleiben diese Vorschriften neben § 314 I 1 S. 1 BGB i.V.m. den allgemeinen Begrenzungswertungen anwendbar. Individuelle Unzumutbarkeit nach § 314 I 1, 2 BGB und Störungen der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, die eine über die ursprünglich absehbare Bindungsdauer des Vertrages hinausgehende Belastung verlangen, lösen unverändert die entsprechenden Rechtsfolgen dieser Vorschriften aus. Diese wahren die individuellen Interessen des Gebundenen regelmäßig ausreichend. Die Berücksichtigung der allgemeinen Bindungswertungen über das undefinierte außerordentliche Kündigungsrecht beschränkt sich auf Fälle, in denen mehr als die individuellen Interessen des Gebundenen in Frage stehen. Voraussetzung dieses Kündigungsrechts ist hierbei allgemein, dass die weitere Bindung eines Vertragspartners bis zur vereinbarten Beendbarkeit im Hinblick auf grundlegende privatrechtliche Freiheit nicht mehr tolerabel ist. 2. Allgemeine Kriterien für die Begrenzung von Bindung „Bei der Konkretisierung des durch § 138 Abs. 1 BGB [Anm. d. Verf.: oder § 314 I 1 BGB i.V.m. den allgemeinen Begrenzungswertungen] geforderten Prozesses der Interessenabwägung ist eine präzise Herausarbeitung der in die Abwägung einzubeziehenden Faktoren erforderlich. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die zivilrechtlichen Generalklauseln zum Einfallstor für diffuse und gefühlsbeladene Billigkeits- oder Gerechtigkeitserwägungen werden, die die Vertragsfreiheit innerlich aushöhlen und die durch die Vertragsfreiheit den Vertragsparteien überantwortete Zuständigkeit zur Herbeiführung eines angemessenen Interessenausgleichs systemwidrig auf den Richter verlagern.“171

In Oetkers Forderung nach Dogmatisierung tritt das Dilemma gesetzlich nicht ausformulierter Bindungsgrenzen zutage. Wo die zeitliche Grenze zulässiger Bindung im Einzelfall liegt und worauf es hierbei ankommt, ist im Grundsatz 170

Vgl. Köndgen, ZIP 1997, 1645, 1645; MünchKomm-BGB/Berger, § 490, Rn. 40; Paulusch, GaststättenR, S. 5: „Nur ganz selten hat die Rspr. die Inhaltskontrolle von BLVAGB auf andere Vorschriften, etwa den ‚Schutzgedanken‘ des 315 gestützt, zB. BGHZ 38, 183“. 171 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 507.

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von der Art der jeweiligen Verpflichtung, der durch sie beeinträchtigten Freiheiten und von der vertraglichen Beziehung im Übrigen abhängig. Das Bindungsrecht bisher nicht entschiedener Fallgruppen kann daher am besten durch richterliche Rechtsfortbildung an Einzelfällen konkretisiert und fortentwickelt werden. Allgemeine Aussagen lassen sich jedoch über den Maßstab und die Grundsätze ihrer Prüfung treffen. Wenn man sich den Schlussfolgerungen der Untersuchung der einzelnen Bindungsgrenzen in dieser Arbeit anschließen kann, bilden die allgemeine und die besonderen gesetzlichen Bindungsgrenzen Ausdruck derselben Wertung eines Schutzes objektiver Freiheiten. Aus diesem Schutzgedanken lassen sich Maßgaben der Bindungsbegrenzung deduzieren. Danach muss die Bindung zunächst individuell eine grundlegende privatrechtliche Freiheit beschränken, die der Gesetzgeber in ihrer objektiven Wirksamkeit schützt (a). Die Bindung muss zudem diese objektive Wirksamkeit der privatrechtlichen Freiheit betreffen, wozu es sich nicht um eine Bindung im Einzelfall handeln darf, sondern der Bindung soziale Relevanz – und damit das Potenzial einer objektiven Dimension – zukommen muss. Da die Bindungsgrenzen aufgrund ihrer dogmatischen Anknüpfung rechtsgeschäftsbezogen sind, lässt sich die soziale Relevanz der Bindung nur vorrangig aus der mit ihr einhergehenden erheblichen individuellen Belastung rückschließen (b). Die konkret vereinbarte Bindung muss die Wirksamkeit der objektiven geschützten Freiheit schließlich aufgrund ihrer Zeitdauer gefährden (c). a) Beschränkung einer grundlegenden privatrechtlichen Freiheit Damit eine Bindungsbegrenzung in Betracht kommt, müssen zunächst grundlegende privatrechtliche Freiheiten betroffen sein. Denn durch die privatautonome, insbesondere auch nicht durch kündigungsfreundliche Auslegung reduzierbare Vereinbarung langfristiger Bindung durch die Parteien werden die individuell resultierenden Belastungen gerechtfertigt. Grundlegend sind jene Freiheiten, die der Gesetzesgeber in Privatrechtsinstituten mit der zusätzlichen Maßgabe objektiver Wirksamkeit gesetzt hat. Anhaltspunkte dafür, welche Freiheiten für die Privatrechtsordnung wesentlich sind, lassen sich auch aus den Gewährleistungen der Grundrechte gewinnen, die ihrerseits eine elementare privatrechtliche Teilhabe durch grundlegende privatrechtliche Freiheiten verbürgen.

Im Gesetz „normativ greifbar gemacht“172 sind insbesondere jene objektiven Freiheiten, welche der Gesetzgeber durch Folgerung spezieller Bindungsgrenzen als Kündigungsmaßgabe offenbart hat. Zu nennen sind die Wahrung der persönlichen Freiheit vor Tätigkeitspflichten, der Eigentumsfreiheit und der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit einschließlich der Finanzierungsautonomie. Der Wettbewerb hingegen wird nicht durch zivilrechtliche Bindungs172

Bydlinski, Vertragsbindung, S. 16.

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grenzen geschützt, diese Aufgabe ist spezialgesetzlichen Regelungen übertragen173. b) Soziale Relevanz der Bindung Eine außerordentliche Kündigung nach § 314 I 1 S. 1 BGB i.V.m. den allgemeinen Begrenzungswertungen beruht nicht auf einer erheblichen Beeinträchtigung subjektiver Interessen, sondern auf einer Beeinträchtigung objektiv geltender Freiheiten. Trotzdem kommt es auf Art und Maß der Bindung des Einzelnen an. Denn nicht jede Bindung, die objektive Freiheiten betrifft, gefährdet sie auch. Der einzelnen Bindung muss hierzu eine soziale Relevanz zukommen. Diese hängt davon ab, wie erheblich die einzelne Bindung den Verpflichteten belastet und wie stark die einzelne Bindung die Wahrscheinlichkeit weiterer, gleichartiger Bindungen erhöht. aa) Erhebliche individuelle Belastung Im Grundsatz besitzen Bindungen nur dann Relevanz für objektive Freiheiten, wenn auch eine erhebliche individuelle Belastung vorliegt, die nur im Hinblick auf die ursprüngliche rechtsgeschäftliche Bejahung dieser Belastung zumutbar ist. Es ist die Institutionalisierung einer individuellen Abhängigkeit in gesellschaftlichem Kontext, die unter Umständen durch Kündigungsrechte zu unterbinden ist. Eine Bindung, die eine Freiheit nicht subjektiv erheblich beeinträchtigt, wird danach auch im Zusammenspiel mit gleichartigen Bindungen anderer Verpflichteter nur in Ausnahmefällen hinreichende Relevanz entfalten, um die objektive Wirksamkeit der Freiheit zu gefährden. Umgekehrt besitzen individuell erheblich belastende Bindungen in der Regel auch soziale Relevanz. Das OLG Hamm hat eine Bindungsbegrenzung im Fall eines zur Aufstellung einer Reklametafel vermieteten Gründstücksstreifens mit folgender Begründung verweigert: „Vorliegend aber belastet die lange Laufzeit den Verpächter nicht sonderlich; sie ärgert ihn.“174. Der BGH berücksichtigte entsprechend in DÜRA Vollsalz175, dass es sich bei dem fraglichen Salzvertrag lediglich um einen unter vielen im Vertragsportfolio der Gebundenen handelte. Solange die Bindung ein derart geringes individuelles Belastungspotenzial besitzt, reicht ein betriebswirtschaftlicher Umgang mit einem derartigen Vertrag aus, ein Eingriff in die Privatautonomie ist in einen derartigen Fall nicht erforderlich.

Ausgehend von dieser Überlegung ist die Erheblichkeit der Belastung des Gebundenen dahingehend zu bestimmen, dass die Bindung Abhängigkeit in einem solchen Maß erzeugt, dass sie geeignet ist, seine Verhältnisse hinsicht173 Vgl. auch die Entscheidung BGH NJW-RR 2012, 626 (Mastkükenbrüterei), die hinsichtlich dieses Gesichtspunkts Zurückhaltung übt. 174 OLG Hamm NJW-RR 1992, 270, 271. 175 BGH NJW 1995, 2350.

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lich persönlicher Freiheit, Eigentum oder wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit zu dominieren. Für Bindungen an eine Arbeitsstelle, an eine Wohnung, einen Pachtbetrieb oder einen Finanzierungsgeber trifft dies regelmäßig bei jeder überlangen Bindung zu. Bewirkt die einzelne Vertragsbindung hingegen nur eine geringe subjektive Beeinträchtigung, kann allenfalls eine besondere Multiplikationsgefahr befürchten lassen, dass ein ganzes Bündel von Einzelverträgen die subjektive Freiheit des Einzelnen erheblich beeinträchtigt (hierzu sogleich, 2. Keine Ausnahmekonstellation). Ist auch dies nicht der Fall, ist eine Begrenzung der geringfügigen Bindungen ebenso wenig zu rechtfertigen wie ein Eingriff in die privatautonome Gestaltung punktueller Austauschverträge. bb) Keine Ausnahmekonstellation Die Bindungsgrenzen des BGB entstanden, wenn überlange Bindungen gesellschaftlich relevant wurden und Gesetzgeber oder Rechtsprechung hierauf reagierten. Wenn Bindungsgrenzen dem Schutz objektiver Freiheiten dienen, ist diese Rücksichtnahme auf die Relevanz einer Bindung sinnvoll, weil nur gesellschaftlich relevante Bindungen das Risiko mit sich bringen, die objektive Wirksamkeit grundlegender privatrechtlicher Freiheiten zu beeinträchtigen. Ein – im Hinblick auf die rechtsgeschäftsbezogene Anknüpfung der Bindungsgrenze – geeignetes dogmatisches Kriterium für die gesellschaftliche Relevanz ist die Frage, wie stark die einzelne Bindung die Wahrscheinlichkeit weiterer, gleichartiger Bindungen erhöht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der zugrunde liegende Vertragstyp typischerweise in wirtschaftlichen, sozialen oder verhandlungsökonomischen Ungleichgewichtslagen abgeschlossen wird oder weil mit der vereinbarten Bindung eine Regelung für eine Art von Vertragsbeziehung getroffen wird, in der sich die Bindungsfrage typischerweise stellt. Im Zweifel wird davon auszugehen sein, dass jede Bindung von erheblichem individuellem Umfang die Wahrscheinlichkeit weiterer gleichartiger Bindungen erhöht, so dass diesem Kriterium keine wesentliche eigenständige Bedeutung zukommen dürfte. Ausnahmsweise kann ein Regelung eine derartige Objektivierungstendenz aufweisen, dass das Erfordernis erheblicher individueller Belastung demgegenüber fast vollständig zurücktritt, beispielsweise im Fall von Bindungsklauseln in AGB. Durch diese werden begrenzte Rechtsfragen mit großer potenzieller Breitenwirkung geregelt, sodass die vorgegebenen Bindungsdauern nicht als einzelne Vertragsregelungen in einer größeren Zahl unterschiedlicher Vertragsgestaltungen im Wirtschaftsleben aufgehen, sondern das Potenzial besitzen, die Detailfrage als Quasistandard zu entscheiden. Im Fall des § 309 Nr. 9 BGB – und auch bei möglichen Bindungsgrenzen nach § 307 I S. 1 BGB – kommt es deswegen nicht auf das Vorliegen einer erheblichen subjektiven Belastung an. Die Bindung wurde nicht für die konkreten Zwecke des Vertrags ausgehandelt, sondern abstrakt gesetzt. Der Verwender hat seinem Vertragspartner durch den einzelnen Vertrag zwar nicht erheblich belastet, ihn trifft aber gleichwohl die Verantwortung für eine aus dem Vertrag resultierende Gefahr für die

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Vertragsfreiheit in dem betroffenen Teilrechtsbereich, weil er sich zur Verwendung von AGB mit ihrem normativen Potenzial entschieden hat, statt sich auf individualrechtliche Vereinbarungen zu beschränken. AGB bieten den Vorteil objektiver Einsetzbarkeit, aber auch deren Risiken.

Im Rahmen der Prüfung der sozialen Relevanz von Bindungen müssen zudem gesetzliche Wertungen berücksichtigt werden, denen zufolge von selbst individuell erheblich belastenden Wirkungen keine Gefahren für die grundlegenden gesellschaftlichen Freiheiten zu erwarten sind bzw. denen zufolge ein öffentliches Interesse an Bindungen besteht. Die Entscheidung Wärmeversorgungsvertrag, in der eine zeitlich unbegrenzte Bindung zugelassen wurde, basierte etwa auf der beispielsweise auch in den Regelungen zum Anschlusszwang (etwa § 9 S. 1 Var. 4 GO NRW) zum Ausdruck kommenden Annahme besonderer Vorteile dieser Art der Wärmeerzeugung176. Die systemwidrige Nichtbegrenzung unbegrenzter Erbauflagen lässt sich damit erklären, dass das Gesetz davon ausgeht, dass Erbauflagen die Eigentumsordnung aufgrund ihrer geringen gesellschaftlichen Relevanz nicht gefährden, sondern sich sozial allenfalls positiv auswirken. Auch Erbbaurechte hielt der Gesetzgeber für von so geringer praktischer Relevanz, dass er sie – in teleologischer Spannung zur Wertung des § 544 BGB – um der „Bauplatzverwertung“ willen zugelassen und nicht begrenzt hat177. Bei der Annahme derartiger Wertungen ist jedoch Zurückhaltung angebracht, um das Risiko gering zu halten, eine Dogmatik zeitlich unbegrenzter Bindungen auf zeitlich bedingte Einschätzungen zu gründen. Sie muss daher regelmäßig ausdrücklichen gesetzlichen Ausnahmeregelungen vorbehalten bleiben. c) Überlänge der Bindung im Hinblick auf die gefährdete objektive Freiheit Ob die konkret in Frage stehende Bindung schließlich geeignet ist, die objektive Wirksamkeit der betroffenen Freiheit zu gefährden, hängt von der Gesamtheit der Umstände des jeweiligen Einzelfalls ab. Das Potenzial, eine Freiheit in ihrer objektiven Wirksamkeit zu beeinträchtigen, besitzen nur solche Belastungen, die nicht punktuell oder vorübergehend eintreten, sondern die Freiheitsbeschränkung institutionalisieren. Kürzere Bindungen vermögen keine Bindungsgrenze zu rechtfertigen, weil auch die Dominanz derartiger Vertragsbeziehungen die objektive Wirksamkeit der betroffenen Freiheit nicht gefährdet. Ab welcher Bindungsdauer die besonders langdauernde Bindung eines Einzelnen im Hinblick auf die ihm hierdurch umfassend verwehrte Ausübung einer grundlegenden privatrechtlichen Freiheit übermäßig zu werden droht, richtet sich nach Art und Umfang von Bindung und Freiheit. Die speziellen gesetzlichen Bindungsgrenzen differenzieren hierbei nach Vertragstypen. 176 177

S. nunmehr § 32 I S. 1 AVBFernwärmeV. Johow, Vorentwurf II, S. 1090.

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

Diese Pauschalierung bietet den Vorteil, auf eine ausgebildete Abgrenzungsdogmatik zurückzugreifen, schafft mit Anwendungsüberhängen und -defiziten jedoch zusätzliche Schwierigkeiten178. Wo die Rechtsprechung in Rechtsfortbildung Bindungsgrenzen geschaffen hat, hat sie nicht nach den Vorgaben der Vertragstypik, sondern nach den betroffenen Interessen in den unterschiedlichen Lebensbereichen differenziert. Bessere Orientierung für die Abgrenzung unterschiedlicher Maßstäbe bei der Bemessung unbedenklicher Bindungszeiträume bieten die zu schützenden Freiheiten, in welcher Vertragsform sie auch beeinträchtigt werden mögen. Jenseits bewusster gesetzgeberischer Pauschalierungen besitzt die Verwendung bestimmter Vertragstypen allenfalls indizielle Bedeutung. Mangels direkter Verallgemeinerbarkeit der speziellen gesetzlichen Bindungsgrenzen179 lassen sich abstrakt keine fixen, absoluten Bindungsgrenzen bezeichnen. Möglich ist nur die Angabe bestimmter Richtwerte unter Einzelfallvorbehalt, für die die besonderen Bindungsgrenzen Anhaltspunkte liefern. Danach verträgt die persönliche Freiheit eine das gesamte Berufsleben bestimmende Bindung von fünf Jahren, bevor die Abhängigkeit vom Gebundenen an ihre Stelle zu treten droht. Die Eigentumsfreiheit erlaubt grundsätzlich für 30 Jahre oder die Dauer einer Generation eine umfassende schuld-, sachen- oder erbrechtliche Verdrängung des Eigentümers aus seiner Herrschaftsposition. Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit ist hingegen – je nach Art der Beeinträchtigung – mit Bindungen zwischen zehn und zwanzig Jahren vereinbar, bevor die neuen Weichenstellungen von demjenigen zu treffen sind, der auch ihr Risiko trägt. Weitere Faktoren zur Dauerbestimmung lassen sich der an § 138 I BGB ausgebildeten umfangreichen richterlichen Rechtsfortbildung zu typenunabhängigen Bindungsgrenzen entnehmen180. Folgt man der hier vorgeschlagenen Herleitung, ist Orientierungspunkt der Zulassungsprüfung jedoch das Maß der mit der Verpflichtung einhergehenden Freiheitsbeeinträchtigung. In der bisherigen Dogmatik wird daneben gemeinhin der versprochenen Gegen-

178

Insb. oben, Kap. 3, A.IV. Nachträglicher Einwand: Zu weiter Anwendungsbereich der Tätigkeitsbindungsgrenze (zu § 624 S. 1 BGB); vgl. auch Lorenz, Schutz vor unerwünschtem Vertrag, S. 515: „Eine Typisierung nach dem Vertragsgegenstand sieht sich zwangsläufig dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt, weil sie einerseits nie sämtliche, gleichermaßen riskante oder gar existenzgefährdende Rechtsgeschäfte einschließen kann, andererseits aber die Schutzbedürftigkeit im Einzelfall nicht berücksichtigt.“ 179 Vgl. Kap. 4, A.II. Keine Verallgemeinerbarkeit spezieller Bindungsgrenzen durch Gesamtanalogie. 180 Vgl. insb die unter Kap. 3, H.II. Entwicklung der BGH Rechtsprechung zu langdauernder Bindung dargestellten Urteile.

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leistung eine maßgebliche oder sogar die vorrangige Rolle in der Beurteilung höchstzulässiger Bindungszeiten zugeschrieben181. Die direkte Bedeutung, die der Höhe der Gegenleistung für die Dauer der höchstzulässigen Bindung derzeit zugeschrieben wird, ist abzulehnen. Denn sofern man akzeptiert, dass das BGB schlechte Geschäfte bis an die Grenze des Wuchers toleriert, gelten auch für die Zulässigkeit langfristiger Bindungen insoweit keine Besonderheiten. Krasse Missverhältnisse zwischen Leistung und Gegenleistung, wie sie bei jedem Geschäft vorliegen können, mögen bei langfristigen Geschäften besonders naheliegen. Wenn aber bei einem punktuellen Austauschgeschäft entsprechenden Äquivalenzverhältnisses keine Nichtigkeit nach § 138 Absatz 1 oder 2 BGB angenommen würde, kann auch für die Frage der Zulässigkeit langfristiger Bindungen der Frage der Höhe der Gegenleistung keine direkte Bedeutung zukommen182. Die Berücksichtigung, ob eine Amortisation der Gegenleistung möglich war, ist erkennbar von dem Bestreben getragen, durch die Unzulässigkeit langfristiger Bindungen nicht als Nebenwirkung volkswirtschaftlich sinnvolle Finanzierungsgeschäfte größerer Investitionen zu verhindern183. Aber soweit die mit einer langfristigen Bindung einhergehende Abhängigkeit freiheitlich tolerabel ist, besteht dazu ohnehin kein Anlass184, auch nicht, wenn die Konditionen im Marktvergleich ungünstig sein sollten. Fesselt eine Bindung den Verpflichteten jedoch so langfristig und umfangreich, dass eine grundlegende privatrechtliche Freiheit entkernt zu werden droht und ihm faktisch nunmehr verwehrt ist, kann die Begrenzung der Bindung nicht davon abhängen, wie hoch ein hierbei erzielter Gewinn oder Verlust ausfallen mag – gerade auch im Vergleich zu Dritten, denen ein identischer Bindungsumfang im Hinblick auf die zwischen ihnen vereinbarte Gegenleistung verwehrt bliebe. Die Kon181

BGH NJW-RR 2012, 249; NJW 2000, 1110, 1112; BGHZ 143, 104; Palandt/ Grüneberg, § 309, Rn. 96. 182 S.o., Kap. 3, G.I.3. Vertragsgerechtigkeit. 183 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2012, 626 (Mastkükenbrüterei) am Maßstab des § 307 I S. 1 BGB. 184 Missverständlich ist daher die Formulierung des BGH, der die zehnjährige Bindung an einen Fernwärmeliefervertrag an Kunden mit eigener Heizung für unzulässig hielt, weil „[d]as eine lange Vertragsbindung rechtfertigende berechtigte Interesse des Energieversorgers/-dienstleisters, die von ihm zur Versorgung aufgebrachten hohen Investitionskosten über die Vertragslaufzeit hinweg amortisieren zu können, […] in diesen Fällen nicht [bestehe]“, BGH NJW-RR 2012, 249, 324. Da nach ständiger Rechtsprechung des BGH keine Höchstgrenzen für zeitliche Bindungen gelten, bedarf es keines „eine lange Vertragsbindung rechtfertigende[n] berechtigte[n] Interesse[s]“ (vgl. auch Horn, Gutachten, S. 565). Hintergrund der Formulierung dürfte sein, dass mit der Fernwärmeversorgung ein Rechtfertigungsgrund besonders langfristiger Bindungen einschlägig ist, der auch ansonsten bei einer Prüfung im Einzelfall unzulässige Bindungen erlaubt, aber eben auch die Vornahme entsprechender Investitionen verlangt. Ohne entsprechende Investitionen hat die Prüfung damit ebenso zu erfolgen wie bei allen anderen langfristigen Bindungen.

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4. Kapitel: Allgemeine Bindungsgrenzen

trolle der Höhe der Gegenleistung ist einer weiteren, eigenständigen Wirksamkeitsprüfung des Geschäfts und seines Äquivalenzverhältnisses beispielsweise am Maßstab des Wucherparagraphen vorzubehalten. Die Höhe der Gegenleistung ist allenfalls indirekt zu berücksichtigen, soweit etwa mit einer hohen Gegenleistung mittelbar eine nachhaltige Minderung der Freiheitsbeeinträchtigung auf der Verpflichtungsseite einhergeht. In der Regel ist dies jedoch nicht der Fall, weil die Gegenleistung beispielsweise punktuell erbracht wird. Auch soweit das Geschäft so günstig ist, dass dies zum Zeitpunkt der Entscheidung ohne weiteres eine Vertragsübernahme durch Dritte ermöglichte, mag dies eine individuelle Freiheitsbeeinträchtigung ausschließen und mittelbar auch die objektive Freiheitsbeeinträchtigung relativieren. Maßgeblich bliebe insoweit aber auch hier das Maß der Freiheitsbeeinträchtigung auf der Verpflichtungsseite, auf das der Umfang der versprochenen Gegenleistung insoweit lediglich indirekt zurückwirkt. Zu berücksichtigen ist der Umfang einer etwaigen Gegenleistung weiterhin auch, wenn Bindungsklauseln in AGB am Maßstab des § 307 I S. 1 BGB darauf überprüft werden, ob der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen185. Denn hier ist die Ausgleichbarkeit von Regelungsnachteilen bereits Definitionsmerkmal.

Im Übrigen ist – ob man den Umfang der Gegenleistung berücksichtigt oder nicht – die höchstzulässige Bindungszeit in Relation zu der betroffenen objektiven Freiheit zu entwickeln, weil die objektive Wirksamkeit jeder dieser Freiheiten unterschiedliche Voraussetzungen hat. Hinsichtlich der einzelnen Gesichtspunkte zur Beantwortung der Frage, ab welcher Bindungszeit eine entsprechende Verdauerung anzunehmen ist, ist somit auf den Besonderen Teil dieser Untersuchung zu verweisen; mit der Maßgabe, dass es der jeweils betroffene Schutz einer grundlegenden privatrechtlichen Freiheit ist, der die Abwägung dieser Faktoren bestimmt.

185

BGH NJW 2010, 57; vgl. etwa BGH NJW 2009, 912 einerseits, NJW 2006, 1056 andererseits.

5. Kapitel

Zusammenfassung der Ergebnisse Im deutschen Zivilrecht darf sich prinzipiell jeder zeitlich unbegrenzt binden, solange er hierbei die allgemeinen Grundsätze der Privatrechtsordnung beachtet. Einzelne grundlegende Freiheiten des Privatrechts wie die Eigentumsfreiheit, die Berufsfreiheit und die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit werden jedoch durch besondere Bindungsgrenzen geschützt, weil sie durch die weite Verbreitung überlanger Bindungen beeinträchtigt werden können. Diese Bindungsgrenzen gewähren der gebundenen Seite nach Ablauf bestimmter Bindungszeiten ein grundloses außerordentliches Kündigungsrecht. In zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen sind derartige Bindungsgrenzen für die Vereinbarung langfristiger Bindungen in bestimmten Vertragstypen vorgesehen. Daneben ordnet § 314 I BGB nach der hier vertretenen Auffassung allgemein ein Kündigungsrecht an, wenn die besonders langdauernde Bindung eines Einzelnen im Hinblick auf die ihm hierdurch umfassend verwehrte Ausübung einer grundlegenden privatrechtlichen Freiheit übermäßig wird.

A. Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen durch objektive Freiheiten A. Nicht-paternalistische Begründung von Bindungsgrenzen

Die Aufnahme von Bindungsgrenzen und der traditionelle Respekt des BGB für die Privatautonomie sind kein Widerspruch. Bindungsgrenzen sind keine Relikte paternalistischen Denkens, sondern Ausdruck eines seine eigenen Voraussetzungen wahrenden privatrechtlichen Liberalismus. Die Freiheit des Einzelnen ist auf bestimmte Rahmenumstände angewiesen; beispielsweise auf freies Eigentum, rechtlich statt herrschaftlich geprägte Arbeitsverhältnisse und Selbstverantwortung für das eigene Gewerbe. Das Privatrecht enthält zahlreiche Institute, von denen einzelne als objektive Freiheiten die institutionellen Voraussetzungen subjektiver Freiheitsausübung schützen. Diese privatrechtlichen Grundfreiheiten dürfen nur bis zu einem gewissen Grad durch private Vereinbarungen langfristiger Bindungen ausgehöhlt werden, weil andernfalls insgesamt eine unfreiheitliche Ordnung an ihre Stelle tritt. Mit den besonderen Bindungsgrenzen ist dem BGB ein Schutz dieser objektiven Freiheiten immanent.

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5. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

B. Einzelne Bindungsgrenzen und ihre Erklärung durch objektive Freiheiten B. Erklärung der Bindungsgrenzen

Die speziellen gesetzlichen Bindungsgrenzen dienen keinem einzelnen Zweck, es spielen unterschiedliche Zwecke eine Rolle bei Wirkung und Erklärung einzelner Bindungsgrenzen. Auf den Übermaßgedanken lassen sich Bindungsgrenzen schon deswegen nicht gründen, weil Äquivalenzgesichtspunkte nie zu fixen Höchstgrenzen führen. Aus volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wie der Sicherung von Faktorallokation und Leistungsanreizen ließen sich zwar Höchstgrenzen herleiten, diese Fragen werden jedoch bereits durch das Kartellrecht effektiver und passgenauer geschützt als ein unflexibles System vertragstypendifferenzierender Bindungsgrenzen es vermöchte. Auf konzeptuelle Gründe wie das Wesen des Dauerschuldverhältnisses als Verpflichtung auf Zeit oder die Abgrenzung schuldrechtlicher und sachenrechtlicher Rechtsgeschäfte lässt sich eine allgemeine Bindungsbegrenzung nicht stützen, weil Gegenbeispiele langfristig zulässiger Bindung existieren1. Aus dem gleichen Grund bleibt die Tatsache folgenlos, dass die Bindungsdauer den menschlichen Prognosehorizont übersteigt, denn was bei der Vereinbarung von Erbbaurechten auf 90 Jahre, dem Abschluss eines Bierlieferungsvertrags auf bis zu 20 Jahre oder der Verfügung einer Vorerbschaft für dreißig Jahre zulässig ist, kann keinem allgemeinen Prinzip des Privatrechts widersprechen. Selbst die klassische Anknüpfung von Beschränkungen der Privatautonomie an die Unterlegenheit eines Vertragspartners reicht nicht aus, Bindungsgrenzen als Gesamtphänomen zu erklären. Macht- oder Informationsgefälle in der Verhandlungssituation, sozialpolitische Intervention zur Verbesserung der wirtschaftlichen Position sozial Schwacher, der Schutz vor Abhängigkeit – während derartige Erklärungen für eine Bindungsgrenze wie § 624 S. 1 BGB und vielleicht auch § 489 BGB Erklärungshilfen bieten, werden sich die Bindungsgrenze zugunsten – auch – des Vermieters in § 544 BGB oder andere beidseitige Bindungsgrenzen nicht auf die typische Unterlegenheit eines Vertragsteils zurückführen lassen. Auch aus den beiden großen Konfliktfeldern von Bindung lassen sich keine allen Einzelfällen adäquate, allgemeingültige Aussagen deduzieren: Als allgemeine Erklärungen von Bindungsgrenzen tragen weder Freiheit noch Markt. Die gefundenen Zwecke sind kleinteiliger und spezifischer, auf den Regelungskontext des begrenzten Vertragstyps bezogen. Die Begrenzung der Bindungszeit in Dienstverträgen auf 5 Jahre durch §§ 624 S. 1 BGB, 15 IV S. 1 TzBfG dient dem Schutz der Beschäftigten in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, ihrer auch europarechtlich verbürgten Freizügigkeit und ihrer Freiheit zum Wechsel des Berufs. Geschützt wird jedoch 1

Vgl. BGHZ 64, 288 (Wärmeversorgungsvertrag); BGH NJW 1995, 2350 (Düra Vollsalz).

B. Erklärung der Bindungsgrenzen

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nicht die persönliche Freiheit des einzelnen Beschäftigten, geschützt wird das Interesse aller Beschäftigten an der selbstverantwortlichen Wahrung ihrer persönlichen Freiheit. Denn während sich für den Einzelnen in seiner konkreten Situation Vor- und Nachteile langfristiger beidseitiger Kündigungsausschlüsse die Waage halten werden, sichert die Gesamtheit derartiger Verträge den Arbeitskräftebedarf der Beschäftigungsgeber zuverlässig ab und verstärkt deren Marktmacht. Die Tätigkeitsbindungsgrenze sorgt demgegenüber insgesamt für ein Mehr an Wettbewerb um Arbeitskräfte, das einer Verkrustung der Marktverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirkt und verhindert, dass insbesondere die ohnehin schwächere Verhandlungsposition von Berufseinsteigern zu einer fortschreitenden Aushöhlung der Berufsfreiheit – und mit ihr verbundener Freiheiten – führt. Die miet- und pachtrechtliche Bindungsgrenze nach §§ 544, 581 II, 594b BGB setzt der Privatautonomie der Vertragsparteien derartig großzügige Grenzen, dass es ihr nicht um deren Schutz gehen kann. Wenn das BGB anordnet, dass individualvertragliche Bindungen erst in dreißig Jahren bzw. nach Versterben einer Vertragspartei zu enden haben, kommt es durch diese langfristige Zulassung von Bindungen den Gestaltungsbedürfnissen der Parteien weit entgegen. Indem das Gesetz nach Ablauf dieser Frist Kündigungsrechte gewährt, stellt es nach dem für die Vertragspartner individuell relevanten Bindungszeitraum die grundsätzliche gesetzgeberische Sachenrechtsordnung wieder her. Denn nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Nutzung von Sachen im Prinzip ihren Eigentümern zustehen, auch wenn diese sie langfristig anderen überlassen dürfen. Durch diese Grundsatzentscheidung erhält das Gesetz eine eigenständige Bedeutung des Eigentumsrechts, die es zu einer grundlegenden Freiheit des Privatrechts macht. Eine privatautonome Umgestaltung der Sachenrechtsordnung, die zunehmend unterschiedlich gestaltete obligatorische Nutzungsrechte ohne die besondere Qualität des Eigentums an dessen Stelle setzt, schließt es durch die Bindungsgrenze aus und schützt damit die Eigentumsfreiheit vor faktischer Überlagerung. Wie die Sachbindungsgrenzen bezwecken auch die erbrechtlichen Bindungsgrenzen den Schutz einer gesellschaftlichen Ordnung, in der Sachen den Rechtssubjekten im Grundsatz als Eigentum zugeordnet sind. Die unbegrenzte Zulassung erbrechtlicher Bindungen gefährdete die Zuordnungsgewissheit, die einen der Vorteile der Eigentumsordnung bildet. Durch die sachund erbrechtlichen Bindungsgrenzen wird gewährleistet, dass nicht nur die gegenwärtige, sondern jede Eigentümergeneration das größtmögliche Maß an Willensverwirklichung in Bezug auf Sachherrschaft und Testierfreiheit erhält. Die darlehensrechtliche Bindungsgrenze des § 490 II BGB schützt die Gebundenen – anders als andere Bindungsgrenzen – nicht vor den wirtschaftlichen Folgen des Vertragsschlusses, weil § 490 II S. 3 BGB sie zur Leistung einer Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet. Ziel der Bindungsgrenze ist

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5. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

es, den Gebundenen die Neuordnung ihrer Finanzierungsverhältnisse zu ermöglichen und ihre wirtschaftliche Handlungsfreiheit zu wahren. Der Grund dafür, dass Mindestvertragslaufzeiten in AGB stärker begrenzt werden als individualvertragliche Mindestvertragslaufzeiten, liegt darin, dass die Formulierung als AGB der einzelnen Vereinbarung von Mindestvertragslaufzeiten das Potenzial einer abstrakt-generellen Regelung bestimmter Geschäfte verschafft. Durch die Inhaltskontrolle wahrt der Gesetzgeber die Wirksamkeit der von ihm objektiv gewährten Freiheiten und geschützten Werte vor entgegenstehenden strukturellen Festschreibungen. Die Bierlieferungsrechtsprechung wie auch die allgemeine richterrechtliche Begrenzung von Bindungen am Maßstab des § 138 I BGB schützt die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der Gebundenen. Hierdurch wird gewährleistet, die Zuweisung von Risiko und Entscheidungskompetenz nicht auseinanderfallen zu lassen, sondern in einer Person zu vereinigen. Bei aller Unterschiedlichkeit liegen den speziellen gesetzlichen Bindungsgrenzen jedoch auch gemeinsame Wertungsentscheidungen zu Grunde. So dienen sie durchgehend dem Erhalt grundlegender privater Freiheiten statt den konkreten Interessen des einzelnen Gebundenen. Beispielsweise erlaubt § 544 BGB lebenslange Bindung von Mieter oder Vermieter, was sich mit deren individuellen Schutz nicht vereinbaren ließe. Auch lässt etwa die Begrenzung von Nacherbschaften einen endgültigen Zufall ebenso an den Vorwie an den Nacherben zu, sodass beide im Ergebnis benachteiligt werden können und somit keiner von beiden individuell geschützt sein kann. Diese notwendige Betroffenheit objektiver Freiheiten bedeutet auch, dass andere Bindungsprobleme als Konsequenzen der Privatautonomie hinzunehmen sind und für sich keine Bindungsbegrenzung auszulösen vermögen..

C. Die Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen durch „mittelbare Allgemeinwirkung“ C. Verallgemeinerung der Bindungsgrenzen

Es ist nicht möglich, aus den besonderen gesetzlichen Bindungsgrenzen eine Gesamtanalogie zu ziehen und Bindung in allen Dauerschuldverhältnissen zu begrenzen. Denn die besonderen Bindungsgrenzen beruhen zwar auf gemeinsamen Wertungen und Gedanken, die einzelnen rechtssätzlichen Regelungen sind jedoch zu unterschiedlich dafür, eine einzelne rechtssätzliche Regelung im Wege der Gesamtanalogie zu verallgemeinern. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die je nach Vertragstyp stark variierenden zulässigen Höchstbindungszeiten. Hieraus resultiert ein methodisches Problem, weil die Gesamtanalogie nicht darauf angelegt ist, einerseits eine planwidrige Regelungslücke aufzuzeigen und andererseits diese Planwidrigkeit ergebnislos hinzunehmen. Die Lösung liegt darin, die den besonderen Bindungsgrenzen gemeinsamen Wer-

D. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen

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tungen und Regelungsgedanken im Wege der Vertrags- und Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Da die Wertungen des Zivilrechts bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln jedoch ebenso zu berücksichtigen sind, wie dies für verfassungsrechtliche Wertungen anerkannt ist, bilden diese ein Einfallstor zur Berücksichtigung allgemeiner Wertungen des Privatrechts, denen keine ebenso allgemeine rechtssätzliche Regelung entspricht. Es ist dementsprechend zulässig und geboten, langfristige Bindung auch außerhalb des Anwendungsbereichs der besonderen Bindungsgrenzen daraufhin zu überprüfen, ob sie im Hinblick auf Dauer und Erheblichkeit zu begrenzen sind. Auf diese Weise entfalten die den Bindungsgrenzen zugrunde liegenden gemeinsamen Wertungen eine „mittelbare Allgemeinwirkung“.

D. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen D. Konstruktion allgemeiner Bindungsgrenzen

In einer Linie mit der tendenziell kündigungsfreundlichen Rechtsprechung wird in der Regel bereits die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zum Ergebnis führen, dass überlange Bindungen von den Parteien nicht gewollt waren. Wo die Parteien in Verfolgung bestimmter Zwecke trotzdem die ordentliche Kündbarkeit eines Vertrags ausgeschlossen haben, kann eine teleologische Beschränkung des Kündigungsausschlusses auf die zur Zweckerreichung notwendige Dauer angezeigt sein. Wo die Parteien sich hingegen bewusst für überlange Bindungen entschieden haben, ist für eine derartige Auslegung kein Platz. Trotzdem kann die Bindung nach Ablauf angemessener Bindungszeiten unter Umständen zu begrenzen sein, auch wenn die Voraussetzungen der vertragsspezifischen, besonderen gesetzlichen Kündigungsrechte nicht eingreifen. Die Rechtsprechung will Bindung in diesen Fällen ebenfalls nach allgemeinen Wertungen begrenzen. Der von ihr gewählte dogmatische Anknüpfungspunkt der Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB ist jedoch ungünstig, weil die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge einer sofortigen, möglicherweise beide Seiten treffenden Nichtigkeit nicht interessengerecht ist und sich zudem von den Rechtsfolgen der besonderen gesetzlichen Bindungsgrenzen fundamental unterscheidet. Überzeugender ist es, im Fall überlanger Bindung einen ungeschriebenen wichtigen Grund im Sinne des § 314 I S. 1 BGB anzunehmen, der i.V.m. den allgemeinen Begrenzungswertungen den Gebundenen – entsprechend den vertragsspezifischen Bindungsgrenzen – mit dem Ablauf einer angemessenen Bindungszeit zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Voraussetzung dieses Kündigungsrechts aus einem ungeschriebenen wichtigen Grund im Sinne des § 314 I S. 1 BGB ist – in Abweichung von dem in § 314 I S. 2 BGB definierten wichtigen Grund –, dass die weitere Bindung eines Vertragspartners bis zur vereinbarten Beendbarkeit des Vertrags im Hinblick auf grundlegende privatrechtliche Freiheit nicht mehr tolerabel ist.

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5. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Bindung muss danach grundlegende Freiheiten der Privatrechtsordnung beschränken, die gegenüber langfristigen Bindungen anfällig sind und vom Gesetzgeber um ihrer faktischen, gesellschaftlichen Wirksamkeit willen beispielsweise durch besondere Bindungsgrenzen geschützt werden. Die Eigentumsfreiheit ist in diesem Sinne im besonderem Maße darauf angewiesen, dass die subjektiven Rechte des Eigentümers nicht durch ein Geflecht von Bindungen und Nutzungsrechten anderer überlagert werden, mit denen Generationen von Inhabern die Sache belastet haben. Die Berufsfreiheit ist eine Freiheit, die in besonderem Maße von der Abschlussbereitschaft anderer abhängt. Unternehmerische Freiheit ist in besonderem Maße auf die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit Selbstständiger angewiesen, die eigenständig über geschäftliche Weichenstellungen entscheidet. Um außerordentlich nach § 314 I S. 1 BGB kündigen zu dürfen, muss der Betroffene durch die vereinbarte Bindung in der Ausübung der jeweiligen Freiheit zudem so erheblich beeinträchtigt sein, dass seine Bindung für ihn an die Stelle der ihm grundsätzlich gewährten privatrechtlichen Freiheit tritt. Eine derartige Bindung ist nur für einen solchen Zeitraum zulässig, dass die privatrechtliche Freiheit nicht in Gefahr gerät, in ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit verdrängt zu werden, falls die Wahrscheinlichkeit weiterer, gleichartiger Bindungen besteht. Im Rahmen der rechtsgeschäftsbezogenen privatrechtlichen Prüfung sind derartige Zeiträume nur schwer zu bestimmen, den besonderen gesetzlichen Bindungsgrenzen lassen sich jedoch Richtwerte entnehmen. Danach verträgt die persönliche Freiheit eine das gesamte Berufsleben bestimmende Bindung von fünf Jahren, bevor die Abhängigkeit vom Gebundenen an ihre Stelle zu treten droht. Die Eigentumsfreiheit erlaubt grundsätzlich für 30 Jahre oder die Dauer einer Generation eine umfassende schuld-, sachen- oder erbrechtliche Verdrängung des Eigentümers aus seiner Herrschaftsposition. Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit ist hingegen mit Bindungen zwischen zehn und zwanzig Jahren vereinbar. Obwohl die jeweilige Bindungsdauer von den Umständen des Einzelfalls abhängt, kommt es auf die Höhe einer möglicherweise für die Bindung gewährten Gegenleistung – anders als im Rahmen der Vertragsauslegung – grundsätzlich nicht an. Denn Grund des außerordentlichen Kündigungsrechts ist nicht, dass der Gebundene ein wirtschaftlich möglicherweise ungünstiges Geschäft eingegangen ist, sondern dass seine Bindung aufgrund ihrer Dauer die Grundentscheidung des deutschen Privatrechts für eine fortwährend durch freie Entscheidungen konstituierte Ordnung der Beziehung zwischen Einzelnen in Frage stellt.

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Literaturverzeichnis

Register

Ablösemarkt 71 Accumulations Act 1800 13 Allgemeine Geschäftsbedingungen 3, 10, 22, 49, 82, 83, 95, 96, 97, 177 ff., 206, 253, 271, 294, 298, 308, 309, 312, 316 Allokation 15, 61, 65, 131, 133 Anwendungsüberhang 79, 82, 83, 84, 89, 105 Arbeitsvertrag 61, 65, 72, 300 Auslauffristen 300, 301, 302 Ausschließlichkeitsbindung 179, 197 ff., 223, 227, 234, 235 Automatenaufstellverträge 3, 234 Bain, Joe Staten 66 Bauernbefreiung 99, 122, 123, 124, 125, 128, 132 Berufsfreiheit 50, 51, 74, 75, 78, 79, 222, 223, 313, 315, 318 Betätigungsfreiheit 93, 172, 219, 241 Bierlieferungsverträge 169, 195 ff., 238, 242, 259, 316 Bindungsgrenzen 3, 5 ff., 90 f., 97, 100 f., 126, 150 ff., 177, 179 ff., 191 ff., 214, 225 f., 229, 236 f., 247 f., 248, 253 ff., 259, 261 ff., 294 ff. – dogmatische Konstruktion 299 Bündeltheorie 68, 215 Bundesverfassungsgericht 22, 24, 74, 117, 118, 119, 160, 161 Bürgerliche Gesetzbuch 3 Canaris, Claus-Wilhelm 265, 267, 282, 283, 285 checkerboard statutes 266, 267 Code civil 91

Darlehensvertrag 3, 163, 170, 174, 177, 193, 304, 315 Dauerbindung 16, 203, 240, 257 Dauerschuldverhältnisse 10 f., 16, 87, 169, 179, 193, 207, 213, 243, 245, 269, 272 ff., 278 f., 286, 298, 303 Davis, Bette 63 Dienstvertrag 9, 60, 76, 78, 80, 82, 87, 91, 93, 267, 314 dominium utile 98, 108 Dresdner Entwurf 98 Dworkin, Ronald 266 Dworkin, Gerald 21, 55 Ebenbürtigkeitsklauseln 160 Eigentum 4, 8, 53, 97 ff., 106 ff., 130, 136, 141, 144, 145, 146, 147 f., 152, 157, 163, 308, 313, 315 – geteiltes 108, 112, 113, 116 Eigentümerschutz 151 Enderlein, Wolfgang 25, 27, 28 Erbauflagen 154 ff., 309 Erbbaurecht 106, 115 f., 126, 135 Erbleihe 98 Erbmiete 97, 98, 102, 106, 125, 131, 157 Erbmieter 98, 122 Erbpacht 98, 99, 106, 111, 115, 116, 122 ff., 143, 146 Erbpächter 98, 122 Ergänzende Vertragsauslegung 289, 304 essential facilities doctrine 67 Faktorallokation 65, 270, 314 Faktorzusammenfassungen 248 Familienfideikommisse 12, 146, 148 Fernunterricht 82 Finanzierungsautonomie 176, 233, 271, 306

340 Folgerichtigkeit 265 ff., 281, 283 f. Freiheit 1 f., 14 ff., 36 f., 41 ff., 51 ff., 71 ff., 125, 145 ff., 151, 161 f., 174 f., 198, 201, 204, 209, 219, 221, 223, 226, 237, 239, 242, 254 ff., 261 f., 271 f., 277 ff., 290, 295, 300, 305 ff. Freiheitsbilanz 27, 28 Freiwilligkeit 16, 22, 24, 197, 198 Fungibilität 65, 80 Gastwirte 196, 199 ff., 217 ff., 231, 234 Gersch, Hans-Georg 151, 274, 279, 290 Gesamtanalogie 12, 19, 265 ff., 310, 316 Geschäftsgrundlage 7, 16, 38, 168, 199, 243, 259, 261, 292, 303, 305, 325, 331 Gesellschaft 50, 75, 84, 91, 93, 96, 162, 179, 191, 232, 239, 278 Gesellschaftervertrag 90 Großfeld, Bernhard 151, 274, 279, 290 Grunddienstbarkeiten 136, 151 Grundrechte 74, 121, 162, 222, 285, 306, 320, 329, 331 – Eigentumsfreiheit 45, 51, 55 f., 99, 116 ff., 145 ff., 157, 159, 306, 310, 313, 315, 318 – Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit 172 Grundschuld 134, 139, 140 Handelsvertretervertrag 87 Hare, Richard Mervyn 30, 33, 34, 35 Herrschaft der toten Hand 12 Höchstgrenzen 16, 270, 274, 314 Höchstpersönlichkeitserfordernis 81 Humboldt, Wilhelm von 16, 18, 23 Hypothek 139 Identität 31, 32, 35, 282 Informationsgefälle in Verhandlungssituationen 270, 314 Inhaltskontrolle 183 ff., 190, 316 Institutsgarantie 117, 119, 121 integrity 266 f. Investitionsförderung 217 f.

Register Jhering, Rudolf von 16, 17, 18, 37, 41, 42, 43, 44, 54, 145 Johow, Reinhold 108, 113, 114, 129, 136, 145 Kartellrecht 4, 67, 69, 215, 263, 270, 295, 314 Klauselkontrolle 177, 179, 184, 186 Kohler, Josef 30, 289 Kübel, Franz Philipp von 98 Kündigung 3 ff., 23, 26, 47, 55, 61 ff., 63, 64, 74, 77, 82, 85, 86, 90, 94 f., 100, 112, 132, 135, 139, 140, 146, 163, 165, 168, 173, 175 f., 180, 191 f., 199 ff., 239 ff., 251 ff., 275 ff., 307, 317, 320, 322 f., 329, 332, 334 f. – außerordentliche 168, 260, 299, 305 – Kündigungsfreiheit 14, 27, 50, 62, 63, 65, 77, 220, 221, 280 – Kündigungsfristen 65, 164, 167, 172, 260, 299, 301 – Kündigungsrecht 7, 9, 11, 23, 38, 60, 65, 82, 84, 87, 92 ff., 100, 106, 139 f., 163, 166 ff., 204, 220 ff., 226, 233, 246, 254, 258 ff., 275, 289, 291 ff., 313 – Kündigungsverzichte 3, 96 Kurlbaum, Karl 80 Larenz, Karl 268, 285 Leihe 148, 149 Liberalismus 313 Makroebene siehe Objektive Dimension von Bindung Marktverhältnisse 78, 170, 263, 315 Marktwirtschaft 15, 127 Marktzutrittsschranken 66, 70, 216, 262 Mietvertrag 9, 101 Mietverträge 94, 97, 173 f., 201 Mill, John Stuart 16, 17, 18, 39, 40, 52 Missbrauch von Marktmacht 67, 262 Mittelbare Allgemeinwirkung 19, 265, 286 ff., 316 f. Mobilitätsinteresse 95 Motivationsgefälle 182 f., 185 Motive 7, 80, 103, 131, 200

Register Nacherbfall 150, 152 Nacherbfolge 9, 152 Nießbrauchsrecht 137, 152 Obereigentümer 98, 107 Objektive Dimension von Bindung 4, 19, 45 ff., 119, 128, 157, 162, 249, 263, 265, 278, 295, 297, 306, 308 f., 316 Oetker, Hartmut 14, 25, 26, 274, 280, 287, 305 Pachtverträge 94, 278 Parfit, Derek 30 ff. Paternalismus 21 f., 40 Paternalismusverbot 27 Personengesellschaften 90, 93 Pfandrecht 138 Planck, Gottlieb 73 Privatautonomie 1, 2, 4, 7, 13 ff., 29 f., 46, 60, 73, 78, 81, 88, 148, 166, 169, 174, 189, 201 ff., 227, 229, 245, 248, 270, 277 f., 285, 288, 290, 295 f., 307, 313 ff. Reallast 140 f., 146 Rechtssicherheit 36, 151, 153 f., 183, 206, 301 Reichsoberhandelsgericht 72 Rentenschuld 9, 105, 140 Sachbindungsgrenze 96, 140, 150 Savigny, Friedrich Carl von 16, 17, 18 Schmidt, Eike 279 Schutz des Gesindes 73 Selbst 10, 23, 30 ff., 52, 96, 125, 206, 213, 220, 229, 258, 266, 270, 273, 283, 314 Selbstbestimmung 2, 14, 23, 25, 26, 46, 51, 174, 176, 202, 206, 271 Selbstständigkeit 200, 219, 220, 222 ff. Sittenwidrigkeit 7, 19, 196 f., 209, 212, 213, 216, 218, 224, 226, 238, 247, 286, 296, 317 Sonderkündigungsrecht 65, 95, 199 Soziale Relevanz von Bindung 306 f. Stiftungen 151, 155 Subordination 60 ff.

341 Tankstellenstationärvertrag 84 f. Tätigkeitsbindungen 65, 75, 89, 91 ff. Tätigkeitsbindungsgrenze 61 ff., 70, 72, 74, 77 f., 89, 221, 278, 315 Teileigentum 112, 115, 118, 120, 124 Testamentsvollstreckung 153, 155 Thellusson, Peter13 Thibaut, Anton Friedrich Justus 108 Tuhr, Andreas von 279 Unkündbarkeit 14, 24, 38, 61, 77, 102, 111, 116, 119, 120, 150, 238, 262, 301 Untereigentum 98 Unterlegenheit eines Vertragsteils – siehe Informationsgefälle in Verhandlungssituationen Verantwortung 68, 147, 200, 224, 226, 233, 308 Verbraucher 82, 164, 171, 180, 182, 184, 185 Verfügungsverbote 135, 142, 151 Verhandlungsungleichgewichte 56, 81 Vermögen, unverdientes 101 Versicherungsverträge 177, 191, 193, 195, 278 Vertragsanpassung 167, 209 Vertragsfreiheit 2, 4, 8, 15, 18, 25 f., 29, 42, 45, 50, 53 ff., 84, 133, 144, 189, 192, 222, 237, 254, 259, 263 f., 296, 305, 309 Vertragsgerechtigkeit 187, 207 Vertragsgestaltung 6, 39, 88, 104, 184, 197, 199, 210, 233, 291, 305, 312 Vertragstreue 2, 26, 181, 280 Verwahrung 8, 148, 149 Verwirkungsklauseln 160, 162, 163 Volkswirtschaft 62, 65, 71, 98, 99, 125, 138, 213, 216, 218, 231, 249, 264, 270, 311, 314 Volkswirtschaftliche Verfügbarkeit 130, 152 Vorkaufsrecht 98 Wärmeversorgungsvertrag 238 ff., 260, 309 Warner Bros. Studios Incorporated v. Nelson 63

342 Wasserlieferungsvertrag 238 ff. Wegfall der Geschäftsgrundlage 257, 261 Weimarer Reichsverfassung 12, 148 Weller, Marc-Philippe 279 Werkverträge 11 Wettbewerb 16, 52, 66 ff., 126, 210, 214, 216, 228, 262 ff., 306, 315 – Wettbewerbsschutz 61, 66, 70, 72, 212 ff.

Register – Wettbewerbsverbote 89 Wirtschaftliche Beweglichkeit 229 Wirtschaftliche Bewegungsfreiheit 6, 9, 51, 143, 175 ff., 197 f., 202, 208 f., 219 ff., 239 f., 255, 257, 260, 271, 273, 278, 306, 313, 316, 318 Wirtschaftliche Handlungsfreiheit 172, 219