Die Problematik der objektiven Beweislast im Steuerrecht [1 ed.] 9783428490349, 9783428090341

Der Verfasser hinterfragt kritisch das Institut der objektiven Beweislast im Steuerrecht, mittels derer nach vorherrsche

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Die Problematik der objektiven Beweislast im Steuerrecht [1 ed.]
 9783428490349, 9783428090341

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Schriften zum Steuerrecht

Band 59

Die Problematik der objektiven Beweislast im Steuerrecht Von

Michael Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL SCHMIDT

Die Problematik der objektiven Beweislast im Steuerrecht

Schriften zum Steuerrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Joachim Lang und Prof. Dr. Jens Peter Meincke

Band 59

Die Problematik der objektiven Beweislast im Steuerrecht

Von Michael Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmidt, Michael: Die Problematik der objektiven Beweislast im Steuerrecht / von Michael Schmidt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Steuerrecht; Bd. 59) Zug!.: Würzburg, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09034-9

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gerrnany

© 1998 Duncker &

ISSN 0582-0235 ISBN 3-428-09034-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort Diese Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Sommersemester 1996 als Dissertation vorgelegen. Für die Betreuung der Arbeit und die zahlreichen Anregungen hierzu während meiner Assistentenzeit am Institut für Deutsches und Ausländisches Prozeßrecht danke ich Herrn Universitätsprofessor Dr. Karl-Georg Loritz sehr herzlich. Herrn Universitätsprofessor Dr. Klaus Tiedtke bin ich für die Erstellung des Zweitgutachtens ebenfal1s sehr verbunden. Für die entgegengebrachte Geduld und Unterstützung bei der Erstellung der Dissertation danke ich meiner Familie und al1en Freunden und widme diese Arbeit Barbara, Laura-Ann und Nils Sebastian. Frankfurt am Main, im Januar 1998 Michael Schmidt

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

1. Teil Voraussetzungen und Erforderlichkeit von Beweislastentscheidungen A. Die Non-liquet-Situation: Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Prozeß der Entscheidungsfindung

.....................

I. Der Syllogismus der Gesetzesanwendung ................. 2. Die Wahrfeststellung als Element des Untersatzes ........... 3. Defizite bei. der Formulierung der Rechtsfolgenanordnung . . . . . . a) Der Begriff der Unaufklärbarkeit - Abhängigkeit vom Grad der Überzeugungsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Abgrenzung zwischen Beweiswürdigung und Beweismaß . . bb) Das Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 26 28 29 3I 34

. . . . .

35 37 40 42 54

b) Die Rechtsfolgenanordnungen der Rechtssätze . . . . . . . . . . . .

55

11. Zur Frage der (prozessualen) Rechtsentstehung ...............

57

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung .......................

60

I. Die Unterscheidung nach Untersuchungs- und Verhandlungsgrundsatz

61

II. Die Unterscheidung nach der Sachverhaltsfeststellung in einem Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .

62

III. Durchbrechungen einer generellen Sachentscheidungspt1icht durch steuerverfahrensrechtliche Regelungen .....................

65

(1) (2) (3) (4) (5)

Das Überzeugungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Wahrscheinlichkeitsmodell (Überwiegensprinzip) Das Relativitätsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

Inhaltsverzeichnis

8

1. Der Rechtsfrieden als Argument für eine generelle Sachentscheidungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Möglichkeit und Grenzen einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vorläufigkeit der Festsetzung bei vorübergehenden Aufklärungshindernissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Vorläufigkeit der Festsetzung bei dauernden bzw. endgültigen Aufklärungshindernissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Vorläufigkeit der Festsetzung bei zur Zeit erforderlichem unverhältnismäßigem Ermittlungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Justizgewährungsanspruch und Rechtsverweigerungsverbot ....... 1. Die Auffassung in der Literatur zur Sachentscheidungspflicht der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansätze zur Begründung eines Sachentscheidungszwanges der Finanzverwaltung bei Vorliegen eines non liquet . . . . . . . . . . . . . a) Der Legalitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .......... b) Der Gieiclunäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Schätzungsbefugnis als verallgemeinerungsfahige einfachgesetzliche Entscheidungsanweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Beweislastnormen als selbständige Entscheidungsanweisung e) Handlungspflicht und faktischer Entscheidungszwang ....... V.

Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

66 68

69 70 76 79 88 101 101 105 109 110 122 124

2. Teil Beweislast und Mitwirkungspflichten A. Die objektive Beweislast ... . ... . .. . ........ '. . . . . . . . . . . . . ..

127

I. Ausgangsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

127

11. Präzisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

B. Die subjektive Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

129

I. Ausgangsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

129

11. Die Beweisführungslast in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz ..

131

C. Die Einordnung der steuerlichen Mitwirkungspf1ichten

.............

I. Die Unterscheidung nach der Geltung von Mitwirkungspflichten in Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsprozeß . . . . . . . . . . . . . 11. Arten von Mitwirkungsptlichten im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . ..

134 135 136

Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4.

9

Ennittlungspflichten ................. . ............. Auskunftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Gestattungs- bzw. Duldungspflichten ...... . ....... . ..... Nachweispflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) § 90 Abs. 1 AO ................................ b) § 9a EStG ...................... . ............. c) § 10c Abs. 1, Abs. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d)§159AO ..................................... e) § 160 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) § 4 Abs. 5 Nr. 2, Abs. 7 EStG ...................... g) §§ 7d Abs. 2 Nr. 2, 7h Abs. 2, 7i Abs. 2, 7k Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Zusammenfassung und Ergebnisse .... . . . . . . . . . . . . . . . . ..

136 141 142 143 144 146 161 162 164 168

D. Die faktische Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

179

I. Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

179

11. Ergebnis .........................................

187

172 176

3. Teil Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren A. Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

189

B. Das Wesen der Beweislastnonnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

190

I. Die Vollständigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

190

11. Die Nichtanwendungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

191

III. Die Sondemonnentheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

194

IV. Die Theorie der negativen Grundregel .....................

195

V. Die Gleichstellungstheorie .............................

196

VI. Die Anweisungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

198

c. Die Verteilungskriterien der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

203

I. Ausgangsbefund ....................................

203

11. Die Verteilung der Beweislast nach dem Günstigkeitsprinzip ......

204

III. Weitere Verteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

207

1. Die Verteilung der Beweislast nach der Wahrscheinlichkeit . . . .. 2. Die Beweislastverteilung nach Einflußbereichen (Sphärentheorie) . 3. Die Beweislastverteilung nach wechselnden Kriterien ..... . . ..

207 209 218

10

Inhaltsverzeichnis IV. Die steuerrechtliche Beweislastverteilung ...................

220

1. Ausgangsbefund .................................. 2. Die Normstruktur der Steuergesetze und ihre Folgen für die Übertragbarkeit der Normentheorie auf das Steuerrecht ........... 3. Der Eingriffsgedanke als Ausgangspunkt einer steuerrechtlichen Beweislastverteilung ................................. 4. Ergebnis .......................................

220

D. Die Wirkungsweise der Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

247

1. Die Fiktionstheorie ..................................

247

H. Zur Kritik an der Fiktionswirkung der Beweislastnormen ........

253

221 231 244

4. Teil Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre für das Steuerrecht A. Fiktionswirkung und die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

257

1. Zusammenhang von Schätzung und Beweislastentscheidung . . . . . ..

257

H. Die Zulässigkeit der Grundlagenschätzung ..................

262

1. Die Heranziehung systematischer Gesichtspunkte zur Begründung der Zulässigkeit einer Grundlagenschätzung . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Auslegung nach dem Wortlaut des § 162 AO ........... 3. Weitere Auslegungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Das Vorliegen einer Regelungslücke ....................

263 264 266 278

B. Die Typisierung, der Anscheinsbeweis und die sogenannten tatsächlichen Vermutungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

294

1. Die materielle Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

295

H. Die gesetzlichen Vermutungen ..........................

297

1. Die unwiderlegbaren Tatsachenvermutungen ............... 2. Die widerlegbaren gesetzlichen Vermutungen .......... . ...

297 300

Hr. Der Anscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

302

1. Versuche zur Einordnung des Anscheinsbeweises . . . . . . . . . . ..

a) Zuordnung des Anscheinsbeweises zur Beweislast ......... b) Der Anscheinsbeweis als materiellrechtliche Erscheinung .... c) Der Anscheinsbeweis als Beweismaßreduzierung ..........

303 304 310 311

2. Ergebnis ...... . ................................

314

Inhaltsverzeiclmis IV. Tatsächliche Vermutungen ............................. 1. Einzelfragen der Anwendung tatsächlicher Vermutungen, insbesondere bei subjektiven Merkmalen ....................... 2. Legitimationsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Begrundungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Stellungnahme .................................

11

315 318 325 325 331

Ergebnisse und Ausblick

337

Schaubild

345

Literaturverzeichnis

347

Sachverzeichnis

362

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. Abschn. AcP a.E. AEAO a.F. AK-ZPO Allg.M. amtl. Anh. Anm. AO AöR Art. Aufl. AWD (BB) BayVBI. BB Bd. BewG BFH BFHE BFHINV

BGB BGH BGHSt BGHZ BRAK BRAK-Mitt. BStBI. BT-Drs.

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis am Ende Anwendungserlaß zur Abgabenordnung 1977 alte Fassung Altemativkommentar zur Zivilprozeßordnung allgemeine Meinung amtlich(e) Anhang Anmerkung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Bayerische Verwaltungsblätter Betriebsberater Band Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitteilungen Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache

Abkürzungsverzeichnis BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. DAI DB ders. d.h. dies. Diss. DJT DM DÖV DStJG DStR DStZ DStZ/A DVBJ. d. Verf. ebd. EFG Einf. Einl. ErbStG Erl. ESt EStDV EStR etc. f./ff. FAZ FG FGO FinMin Fn. FörderGG FR

13

Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise Deutsches Anwaltsinstitut Der Betrieb derselbe das heißt dieselbe(n) Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A Deutsches Verwaltungsblatt der/des Verfassers ebenda Entscheidungen der Finanzgerichte Einführung Einleitung Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Erlaß Einkommensteuer Einkommensteuerdurchführungsverordnung Einkommensteuerrichtlinien et cetera folgende/fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Finanzministerium Fußnote Fördergebietsgesetz Finanz-Rundschau

14 GefStoffV GewStG GG GrS GruchBeitr. Halbbd. Hervorh. HFR Hinw. h.M. Hrsg. HS/Halbs. i.d.R. i.d.S. i.e~S.

INF i.S.d. i.S.v. i.Y.m. JA JR Jura JuS JW JZ KiStG km KMR KÖSDI KStG lit. Lit. Losebl. LStDV m.a.W. MDR

MRK

MünchKomm m.w.N. Nachw.

Abkürzungsverzeichnis Gefahrstoffverordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Großer Senat Gruchots Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Halbband Hervorhebung(en) Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Hinweis(e) herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Regel im diesem Sinne im engeren Sinne Die Information über Steuer und Wirtschaft im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau JuristischeAusbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kirchensteuergesetz Kilometer KleinknechtMüller/Reitber ger (Kommentar zur Strafprozeßordnung) Kölner Steuerdialog Körperschaftsteuer gesetz litera Literatur Loseblattsammlung Lohnsteuerdurchführungsverordnung mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Nachweise(n)

Abkürzungsverzeichnis NJW Nr. NStZ Orig.

pe

PKW RAO Rdn. RFH RFHE RG RGSt RGZ Rspr. RStBI. s. S. SGG sog. SPD StAnpG StB Stbg. StbJb. StBp StKRep StPO StuF StuW StVj subj. TB typ. u.a. UStDV UStG usw. VersR VerwArch vgl. Vorbem. VStG

Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Original Personalcomputer Personenkraftwagen Reichsabgabenordnung Randnummer Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtsprechung Reichssteuerblatt siehe Seite(n), Satz oder Siehe Sozialgerichtsgesetz sogenannte(r/n) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Steueranpassungsgesetz Der Steuerberater Die Steuerberatung Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung Steuerkongreßreport Strafprozeßordnung Steuern und Finanzen Steuer und Wirtschaft Steuerliche Vierteljahresschrift subjektive Tatbestand typische und andere oder unter anderem Umsatzsteuerdurchflihrungsverordnung Umsatzsteuergesetz und so weiter Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv vergleiche Vorbemerkung Vermögensteuergesetz

15

16

VVDStRL VwGO VwVfG VwZG wg. WM WPg z.B. ZGR Ziff. ZIP ZPO ZZP z.Zt.

Abkürzungsverzeichnis Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungs~esetz

wegen Wertpapier-Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung zum Beispiel Zeitschrift für Untemehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Zivilprozeß zur Zeit

Im übrigen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Aufl., BerlinlNew York 1993, verwiesen.

Einleitung Die Entscheidungsfindung bei ungewissem Sachverhalt oder, um es anders auszudrücken, auf einer nicht (mehr) verifizierbaren Tatsachenbasis stellt nicht nur im Bereich des Rechts eine große Herausforderung an den Beurteiler dar. Doch während beispielsweise im Wirtschaftslebendie zu treffende Entscheidung vornehmlich wegen ihres Bezuges auf die Zukunft zu genauerer Überlegung Anlaß gibt, sieht sich der Rechtsanwender in einer Vielzahl von Fällen mit der Bewertung von in der Vergangenheit liegenden Vorgängen konfrontiert. Selbstverständlich gibt es auch hier den wichtigen Bereich der Prognoseentscheidungen. 1 Allerdings besteht, und das ist ein wesentlicher Unterschied, die Möglichkeit, Korrekturen an der Entscheidung dann vorzunehmen, wenn sie aufgrund neuer Erkenntnisse und damit der Beseitigung der anfänglichen Ungewißheit notwendig werden, um dem "Recht" zu genügen. Eine solche Anpassungsmöglichkeit ist bei der Beurteilung vergangener Vorgänge nur in stark begrenztem Umfange möglich. 2 Die Unterscheidung zwischen der Beurteilung vergangener und in die Zukunft gerichteter Sachverhalte erscheint aber auch aus einem anderen Grunde bemerkenswert: Während bei der prognostischen Entscheidung regelmäßig die subjektive Überzeugung (i.S.v. Bewertung) und damit die persönliche Verantwortung zum tragenden Element der "Beurteilung" gemacht wird, gilt bei der Entscheidung abgeschlossener Vorgänge der Schwerpunkt der Suche nach einer höheren, objektiven Legitimation. Das mag - im Regelfalle - mit der Endgültig-

1 Hierzu Lorenz, in: Starck/Stem, Landesverfassungsgerichtsbarkeit, Teilband III, S. 193,203 f; Nie1haus, Beweismaß, S. 31; Berg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 77 tr.; Pestalozza, Festschrift Boorberg \erlag, S. 185, 201 f; MünchKomm-ZPO/ Prüfling, § 286 Rdn. 45. 2 Dies ist eine Folge des Gebots der Rechtssicherheit; vgl. z.B. Wiederaufnahmegrunde im Rechtsmittelverfahren, § 134 FGO i.Y.m. §§ 578,580 ZPO; steuerliche Korrekturvorschriften, §§ 172 tr AO; zu Umfang und Zulässigkeit einer "Änderung" nach § 173 Abs. I Nr. 1 AO siehe BFH, BStBl. 11 1995, 192, 193. Zukünftige Entwicklungen können dagegen durch Befristung oder einen Widerrufsvorbehalt einbezogen werden.

2 M. Schmidt

Einleitung

18

keit der bestehenden Ungewißheit zu erklären sein. Der Rechtsanwender jedenfalls wird versuchen, nicht seine subjektive Einschätzung der Beurteilung zugrundezulegen, sondern, weil er sich selbst eben keine Überzeugung von dem zu entscheidenden Sachverhalt schaffen kann, die Rechtfertigung seiner zu treffenden Entscheidung aus einer objektiven Instanz zu beziehen. 3 Diese psychologische Ausgangssituation zu ignorieren muß automatisch zu einer starken Fixierung auf ein gewisses Ergebnis, das diesem Rechtfertigungsanspruch genügt, führen. Wie die Unaufklärbarkeit eines Sachverhaltes bei der Entscheidungsfindung zu überwinden ist, war entsprechend der praktischen Bedeutung dieses Problems vor dem Hintergrund der beschränkten menschlichen Erkenntnisfähigkeit durchaus Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung. 4 Die Antwort auf diese Frage scheint eindeutig auszufallen: durch das Institut der objektiven Beweislast. Sie zähle "zum kaum noch revidierbaren Hausgut der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit"S; allerdings sei "dieser Konsens heute einer großen Unsicherheit gewichen"6. Entgegen dieser klaren Einordnung finden sich aber auch Aussagen, die behaupten, die objektive Beweislast sei eine "terra incognita des Verwaltungsprozesses"7, führe (im Steuerrecht) "ein kümmerliches Dasein" und es offenbare sich daher ein "eher verwirrendes Bild".8 Es besteht augenfäl-

3 Gleicher Auffassung zu diesem Phänomen schon Bömer, Umwelt, 'krfassung, 'krwaltung, S. 117,132; ablehnend NieHJaus, Beweismaß und Beweislast, S. 410. 4 Vgl. nur die grundlegenden Arbeiten über die Beweislast im Zivilprozeß, z.B. J. Kohler, GruchBeitr. 31 (1887), 276, 306; Rosenbelg, Die Beweislast, 1. Aufl 1900 (Diss. Breslau) und 5. (und letzte) Aun. 1965; Leonharri, Oie Beweislast, 2. Aun. 1926; Korsch, Die Anwendung der Beweislastregeln, 1911; Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche 'krrnutungen, 1966; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, 1975; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983.

S So gebietsübergreifend und bezogen auf die aufRosenhelg zurückgehende Norrnentheorie (hierzu noch eingehend unten 3. Teil B. 11; C. 11.) Niemaus, BayVBl. 1978, 745, 752. 6

Prütting,JA 1985, 313,314.

7

J. Wittmann, BayVBl. 1987, 744, 747.

~ Weber-Grellet, StuW 1981,48; Martens, StuW 1981,322. Auch Niemaus, Beweismaß, S. 388 attestiert in der jüngsten tiefergreifenden Untersuchung u.a. dem Steuerrecht, daß bezüglich der Beweislastverteilung "eine Fülle weitgehend ungelöster Fragen" offen sei.

Einleitung

19

lig Einigkeit darüber, daß die Ungewißheit mittels der obj ektiven Beweislast zu überwinden ist; bei der Beantwortung der Frage, wie und warum das zu geschehen habe, bestehen aber weitaus größere Differenzen. Dies gilt in besonders starkem Maße für das Steuerrecht. 9 Während für das Zivilrecht eine intensive dogmatische Grundlagendiskussion stattgefunden hat lO , sich für das Strafrecht die Beweislastproblematik wegen des Grundsatzes "in dubio pro reo" nicht in dieser Schärfe stellt II und Ausnahmen hiervon aus vetfassungsrechtlichen Gründen explizit gesetzlich geregelt werden müssen l2 , ist der Meinungsstand bezüglich der Grundlagen der objektiven Beweislast im öffentlichen Recht durchaus uneinheitlich. 13 Das Steuerrecht wird darüber hinaus im wesentlichen als "Annex" zum öffentlichen Recht behandelt. 14 Dennoch

9 Vgl. schon Tipke, \erwArch 60 (1969), 136, 143: "... mehren sich jetzt auch im Steuerrecht die Stimmen, die das non liquet mit den Regeln der objektiven Beweislast lösen" . 10

Vgl. die in Fn. 4 aufgeführten Abhandlungen.

11 Vgl. KMRIPaulus, § 244 StPO Rdn. 285, 291 m.w.N., der wegen der Geltung des AmtsermittlungsgrundsatzesallerdingsdieExistenzeinermateriell-objektivenBeweislast negiert und "in dubio pro reo" dementsprechend auch nicht als Beweislastregel versteht. Ähnlich RGSt 52, 319 und RG JW 1931, 1578, 1579 (mit Anm. von Beling), die den Grundsatz als Beweisregel ansehen; dagegen E. Schlüchter, Wahrunterstellung und Aufklärungspflicht, S. 20 mit Fn. 90. G. Klein, Die Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast im Steuerrecht und im Strafrecht, S. 23, bezeichnet diesen Grundsatz unter Bezugnahme auf Moser, In dubio pro reo, S. 95, geradezu als "Prototyp" einer "reinen Beweislastnorm" . 12 Kritisch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu der speziellen Problematik der Gewinnaufspürung Hassemer, WM 1994, 1369, der auf den Entwurf der SPD eines zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität hinweist, mit dem dem \ermögensinhaber die Beweislastfür die makelfreie Herkunft des \ermögens auferlegt werden soll; vgl. DAl, BRAK-Mitt. 1994, 92, 95 f m.w.N.

13 Vgl. Michael, Die \erteilung der objektiven Beweislast im \erwaltungsprozeß; Belg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt; Peschau, Die Beweislast im \erwaltungsrecht; Nienwus, Beweismaß und Beweislast; ders. bezeichnet sie noch in BayVBl. 1978, 745, 753 als "unterentwickelt". 14 Vgl. z.B. NienJaus, Beweismaß, S. 5, 387 f., 412-414, mit dem Hinweis, daß dies im übrigen "Aufgabe von Spezialuntersuchungen" sein müsse, vgl. S. 24; bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß er trotz der völlig unterschiedlichen Ausgangssituationen das Sozialrecht (SGG) und das Steuerrecht (AO, FGO) mitbehande1t.

2*

Einleitung

20

liegen auch für das Steuerrecht Untersuchungen vor, die sich speziell mit der objektiven Beweislast befassen. Allerdings ist hierzu zu bemerken, daß diese a priori von der Geltung der doch stark an zivilrechtlichen Kategorien geprägten objektiven Beweislast ausgehen; die Auseinandersetzung scheint sich eher auf das Auffmden geeigneter Verteilungskriterien beschränken zu wollen. 15 Bei den neueren Untersuchungen von He/ 6 und G. Klein 17 überrascht dies weniger, weil sie vergleichend angelegt sind; bei der Untersuchung der "Beweislastprobleme im Steuerrecht" von H. Meyer 18 fällt dagegen auf, daß er die eingangs angesprochene Votprägung bereits am Anfang seiner Untersuchung offenbar werden läßt, wenn er die Überwindung der Ungewißheit durch "richterliche Entscheidungsregeln" präponiert. 19 Das mag auch daran liegen, daß er das Problem der Beweislast als "lange Zeit geklärt" untersteUt2°, obwohl gerade für das Steuerrecht auch die Frage nach den Grundlagen der objektiven Beweislast immer wieder als offen bezeichnet wurde. 21

15 So auch der Befund von Niemaus, Beweismaß, S. 22 f. für die gesamte verwaltungsrechtliche Beweislastlehre; Priitting, Gegenwartsprobleme, S. 1 mit Fn. 4. 16

Beweislast und \errnutungen im deutschen internationalen Steuerrecht, 1992.

17 Die Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast im Steuerrecht und im Strafrecht, 1989. 18

Aus dem Jahre 1988.

19

H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 1.

20 H. Meyer, a.a.O. Nach der ausdrücklichen Anerkennung der objektiven Beweislast in der Steuerrechtsprechung durch BFH BStBl. II 1971,220, 224 (bei den Entscheidungen BFH BStBl. II 1968,611,613; HFR 1964, 332,333; 1964,283,285; BStBl. III 1963, 213, 214; III 1962, 377, 378 wird nicht deutlich, wie weit es sich nur um Abgrenzungsversuche gegenüber der subjektiven Beweislast handelt, da jeweils nur die Feststellungslast der Behörde betont wurde. BFH BStBl. II 1969, 550, 552 zitiert zwar einerseitsRosenbelg, andererseits aber die ältere Rspr., die zunächst im Zusanunenhang mit gesetzlichen Beweislastregelnnur eine Beweisführungslastablehnt) stellen vornehmlich Oswald, DStZ/A 1974, 13, 14 f. 17; Birkenfeld,Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, 1973, S. 5; Zapf, Beweislast und Beweisführungslast im Steuerrecht, 1976, S. 32 ff.; Reichei, StB 1981, 165,166 und Janssen, DStR 1994, 314 den Problemkreis in der Tradition der zivilrechtlichen Beweislastlehre dar, während die Untersuchungen von Herter, DB 1985, 1311 und Ritter, FR 1985, 34, 36 f abweichende Tendenzen offenbaren. 21 Vgl. zu den schon genannten Weber-Grellet, StuW 1981, 48 und Martens, StuW 1981, 322 auch Seeliger, Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdi-

Einleitung

21

Die vorliegende Untersuchung beugt sich dem "Druck" dieser als "herrschend" zu bezeichnenden Faktizität und unterstellt jeweils ihre Berechtigung und Existenz, ohne auf kritische Hinweise zu verzichten. Sie versucht daher, zunächst einen Überblick über die Voraussetzungen der objektiven Beweislast zu geben (1. Teil), um daraufhin eine Auseinandersetzung mit den "Erscheinungsformen" der Beweislast im Steuerrecht und ihrem Verhältnis zu den Mitwirkungspflichten vorzunehmen (2. Teil). Erst daran schließt sich die Darstellung der theoretischen Grundlagen der objektiven Beweislast, ihr Wesen und die problematische Risikoverteilung, ihre Funktion und Wirkungsweise einschließlich der diesbezüglichen "Schwachstellen" an (3. Teil). In einem 4. Teil wird die Geltung der Lehre von der objektiven Beweislast im Steuerrecht auf die Tragfähigkeit der These hin untersucht, daß die Überwindung der Unaufklärbarkeit des steuerlich relevanten Sachverhaltes notwendigerweise durch das Institut der objektiven Beweislast zu erfolgen habe.

gung im Steuerprozeß, 1981, S. 42 f1.; Martin, BB 1986, 1021, 1028; Loritz, DB 1992, 1156, 1158. Kritisch auch Anders, INF 1987, 145, 146; L. Osterloh, JuS 1990, 151; Hildebrandt,StBp 1991, 108, 109. Ebenso erkennt Nierlwus, Beweismaß, S. 5 an, daß "auch im Steuerrecht die Beweislastfrage virulent geworden" ist.

J. Teil

Voraussetzungen und Erforderlichkeit von Beweislastentscheidungen Das Rechtsinstitut der objektiven Beweislast soll die Lücke schließen, die sich wegen "der Unzulänglichkeit unserer Erkenntnismittel" auftut, wenn nicht festgestellt werden kann, was die tatsächlichen Voraussetzungen fur die "Anwendung des objektiven Rechts auf den Einzelfall" sind.) Sie regelt demzufolge die Frage, zu wessen Nachteil eine Entscheidung bei Beweislosigkeit ergehe, wer also das Risiko der N ichterweislichkeit jener tatsächlichen Voraussetzungen zu tragen hat. Die objektive Beweislast stellt das letzte Glied einer Kette dar, an der die Entscheidung eines Rechtsfalles aufgehängt werden könnte. Um die Beweislast untersuchen zu können, muß zunächst erklärt werden, worauf eine Entscheidung und damit auch das letzte Glied der Kette aufbaut. Vor der eigentlichen Beschreibung der objektiven Beweislast im Steuerrecht einschließlich notwendiger Ausgrenzungen sollen ihre allgemeinen und steuerrechtlichen Anwendungsvoraussetzungen dargestellt und im Hinblick auf ihre Bedeutung rur die objektive Beweislast in diesem Rechtsgebiet problematisiert werden.

A. Die Non-Iiquet-Situation: Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts Eine Risikozuweisung mittels der objektiven Beweislast hängt von der NichtfeststeIlbarkeit entscheidungserheblicher Tatsachen ab. Diese Ausgangssituation des unaufklärbaren Sachverhalts ist das Ergebnis eines erfolglosen Ermittlungsvorgangs als Teil der Rechtsanwendung. Zunächst muß daher der Weg der Entscheidungsfindung nachgezeichnet werden.

) Rosenberg, Beweislast, S. I. 2

Dubischar, JuS 1971,385,386. Zu den Begriffsbestimmungen unten 2. Teil A.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

23

I. Der Prozeß der Entscheidungsfindung

Dem Rechtsanwenderstellt sich die Aufgabe, einen Vorgang in der Wirklichkeit rechtlich zu beurteilen, also an vorher aufgestellten Rechtssätzen (Normen) zu messen und zu werten. Die Rechtsanwendung wird durch die Entscheidung abgeschlossen; letztere stellt sich als deren "Schlußpunkt" dar. Demzufolge hat nur der Ausspruch der Rechtsfolge, deren "Bejahung oder Verneinung"3 als Entscheidung punktuellen Charakter. Entscheidungsfindung ist dagegen als Vorgang dynamischer Natur. Sie "setzt gewöhnlich nicht erst bei der rechtlichen Beurteilung des ... fertig vorliegenden, sondern schon bei der Bildung des seiner rechtlichen Beurteilung unterliegenden Sachverhaltes ... ein".4 Der Begriff "Bildung des Sachverhaltes" mag dabei befremden, weil der historische Sachverhalt geschehen ist; er kann nicht erst gebildet werden. Doch gilt es, sich das logische Schema der Gesetzesanwendung vor Augen zu halten.

1. Der Syllogismus der Gesetzesanwendung Ein Rechtssatz (N) ordnet bei Vorliegen eines abstrakt formulierten Tatbestandes (T) die Rechtsfolge (R) an. Diese als "Obersatz" bezeichnete Aussage läßt sich als Formel wie folgt ausdrücken 5 : Wenn T, dann R

[T

~

R]

In Kenntnis dieses Obersatzes muß nun der Rechtsanwender - dies ist keineswegs nur der Richter6 - den "Untersatz" bilden, indem er den konkret zu beurteilenden Lebenssachverhalt (S) unter den Tatbestand (T) des Rechtssatzes (N)

3

Leipold, Beweislastregeln, S. 19.

4

Larenz, Methodenlehre, S. 278 [Hervorh. d. \erf.].

Engisch, Logische Studien, S. 8 fI; Leipold, Beweislastregeln, S. 19; Larenz, Methodenlehre, S. 271. 5

6 AuchNienwus,Beweismaß, S. 120 ff. "verortet" das Beweislastproblem "im System des richterlichen Syllogismus" [Hervorh. d. \erf.] , obwohl es - worauf unten noch einzugehen sein wird - auch für das \erwaltungsverfahren "anerkannt" ist und nach denselben Regeln behoben werden soll.

24

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

subsumiert?, soweit das oder die einzelnen Merkmale (fb f2, ... fn) von S die Voraussetzungen von T erfüllen. Der Untersatz des Syllogismus lautet dann:

Scn,12,

fil)=

T

8

Daraus folgt: für S gilt R

[S => R]

Wenn oben davon die Rede war, daß der Sachverhalt gebildet werden muß, hängt das damit zusammen, daß zur Gewinnung des Untersatzes der Sachverhalt unter den Tatbestand des (einschlägigen) Rechtssatzes subsumiert werden muß; dies können aber nicht die historischen Fakten sein9 , sondern nur eine Aussage über die Fakten als dem historischen Sachverhalt. Das tatsächlich Geschehene muß demzufolge in Form einer Aussage gefaßt sein. Diese Aussage wird aber mit Rücksicht auf die anzuwendende Norm gebildet, sie läßt also das weg, was für den Tatbestand des Rechtssatzes irrelevant ist. Der Schwerpunkt der Rechtsanwendung liegt - das gilt es hervorzuheben - in der Beurteilung als Vorstadium zur Aufstellung der Aussage über das historische Geschehen, daß der historische Sachverhalt die Merkmale des Tatbestandes des Rechtssatzes erfüllt. lo Diesem Kembereich der Gesetzesanwendung gehen "notwendigerweise die Auswahl und Bewertung"ll der einschlägigen Norm und des entscheidungserheblichen Sachverhalts voraus. Dieses logische Schema der Gesetzesanwendung (Obersatz - Subsumtion Untersatz - Rechtsfolgebestimmung) beschreibt den Vorgang der Rechtsfindung allerdings noch nicht erschöpfend. l2 Es geht davon aus, daß der Obersatz an den Anfang gestellt ist; doch muß auch diesem ein Schritt vorausgehen, nämlich

7

M.a.W., (S) als einen Fall von (T) erkennt.

8

(S) ist ein Fall von (T), vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 271 mit Fn. 34.

9

Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 273 f.

10

Larenz, Methodenlehre, S. 274, 283.

Musielak,Grundlagen der Beweislast, S. 2 Fn. 7, wobei sich möglicherweise bei der Bewertung eine Abweichung zu Larenz, a.a.O., ergibt, da dieser gerade die Bewertung (Beurteilung) der historischen Tatsachen als solche, die den Tatbestand des Rechtssatzes erfüllen, als "Schwerpunkt der Gesetzesanwendung im Wege der Subsumtion" ansieht. II

12 Zur Kritik am sog. Subsumtionsmodell vgl. Priitting, Gegenwartsprobleme, S. 116 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 273 f.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

25

die "Behauptung" eines rechtlich relevanten Vorganges. Erst im Hinblick auf diese "Sachverhaltsbehauptung"J3 sucht der Rechtsanwendernach einem möglichen Obersatz, um anhand dessen Tatbestand zu einer relevanten Aussage über den historischen Sachverhalt zu gelangen. "Der (endgültige) Sachverhalt ist somit das Ergebnis einer gedanklichen Verarbeitung, in der die rechtliche Beurteilung bereits vorweggenommen ist."14 Das Wesen der Subsumtion kann daher auch als "Verrechtlichung"15 des historischen Geschehens bezeichnet werden. Diese gegenseitige Bedingung von Sachverhalt und Rechtssatz muß deutlich gemacht werden; wenn nämlich die materielle Norm "Wirkungen" auf die Bildung des Sachverhaltes zeitigt, dieser also nichts "Feststehendes" ist, muß dieses Phänomen auch bei der Frage der objektiven Beweislase 6 mitberücksichtigt werden. Die formelhafte Reduktion des Syllogismus legt dagegen eine "naturwissenschaftlich" anmutende, abgestufte Trennung der Vorgänge bei der Rechtsanwendung nahe, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Die Untersuchung des Beweislastproblems soll daher von Beginn an den gesamten Prozeß der Entscheidungsfindung berücksichtigen und sich nicht auf die - im Ergebnis zutreffende - Aussage beschränken, daß der Richter (Rechtsanwender), der nicht sagen kann, ob der Sachverhalt (Tatsache in der historischen Wirklichkeit) geschehen ist oder nicht geschehen ist (nach Beurteilung der Frage, daß der Sachverhalt ein bzw. alle Merkmal(e) des Tatbestandes des Rechtssatzes erfüllen würde), auch die Rechtsfolge für eingetreten oder nicht eingetreten ansehen

13

Larenz, Methodenlehre, S. 281 nennt dies "Roh-Sachverhalt".

14 Larenz, Methodenlehre, S. 279;'mit "endgültigem Sachverhalt" ist die Aussage über den historischen Sachverhalt gemeint.

15 Der hier gewählte Begriff der "\errechtlichung" könnte allerdings zu Irritationen Anlaß geben. Es soll mit der Formulierung nicht in die Diskussion um die Theorie der Rechtsentstehung eingegriffen werden (hierzu unten A. 11). Insofern soll die Aussage auch auf dem Boden einer Auffassung der Rechtssätze als Geltungsanordnung (vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 256 f., 298) Anwendung finden. Gemeint ist vielmehr die Erscheinung, daß dem historischen Sachverhalt eine rechtlich bedeutsame Fixierung zuteil wird; für die Entscheidung ist dann nicht mehr das tatsächlich Geschehene, sondern die Aussage darüber von Bedeutung. Mit "\t:rrechtlichung" ist dementsprechend nur die Transformation des Geschehenen von der Wirklichkeit auf die Ebene der Rechtsanwendung gemeint, die Herstellung der Subsumtionsfahigkeit des Geschehenen. 16 Dies gilt unabhängig davon, ob sie dem materiellen Rechtssatz entnommen wird oder einer eigenen Beweislastnorm entspringt, hierzu noch unten 3. Teil B.

I. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

26

muß und entsprechend kein zusprechendes oder verweigerndes Urteil fällen kann, sondern nur ein "sowohl als auch".17 Eine derartige "Verortung des Beweislastproblems"18 im Untersatz des Syllogismus der Rechtsfolgenbestimmung l9 lokalisiert zwar den Ausgangspunkt der Beweislastlehre präzise, vernachlässigt in der Darstellung allerdings die Vorstufen, die das Entstehen der Unautklärbarkeit des Sachverhaltes bedingen.

2. Die Wahrfeststellung als Element des Untersatzes Gelöst vom streng logischen Schema der Gesetzesanwendung gestaltet sich die Rechtsanwendung praktisch in folgender Weise: Einer Sachverhaltsbehauptung (dem Roh-Sachverhalt) folgt die Suche des Rechtsanwenders nach einer passenden 20 Nonn 21 (Obersatz), wobei die Wahl des Rechtssatzes sich regelmäßig an der erwarteten Rechtsfolge orientieren wird. 22 Daran schließt sich die "Bildung" des entscheidungserheblichen Sachverhalts an: Dieser wird vom Rechtsanwender ermittelt. 23 Ennittlung bedeutet in einem so verstandenen Sinne dabei gerade nicht nur Wahrfeststellung der vorangestellten Sachverhaltsbehauptung (des Roh-Sachverhalts), sondern zielgerichtet - im Hinblick auf die tatbestandlieh relevanten Merkmale des Rechts-

17

Leipold, Beweislastregeln, S. 22; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 3.

18 Nierhaus, Beweismaß, S. 120. 19

Larenz, Methodenlehre, S. 272.

20

"Einschlägig" wäre zu diesem Zeitpunkt verfrüht und ein zu starker Ausdruck.

21 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 282 in Auseinandersetzung mit der Behauptung Bierlings, Juristische Prinzipienlehre, Bd. IV, S. 47, es handele sich dabei um ein mehr oder weniger methodisches fortgesetztes "Experimentieren". 22 "Bewertung" des Rechtssatzes, vgl. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 2 Fn.7.

23 Zur Bedeutung der Verfahrensmaximen unten B. I., 11. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die rechtsanwendende Finanzbehörde leicht der Versuchung unterliegen kann, den Sachverhalt mit Rücksicht auf ihre (möglicherweise später Bedeutung erlangende) Beweislast zu "bilden"; dieser Gefahr unterliegt der Richter bei der Rechtsanwendung nicht, da er nicht Partei des Verfahrens ist.

A. Unautklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

27

satzes - auch die Feststellung des rechtlich bedeutsamen Geschehens. 24 Zwar lassen sich die Feststellung des historischen Geschehens in der Fassung einer Aussage (über dieses Geschehen) und die Beurteilung, daß dieser Sachverhalt die Merkmale des Tatbestandes der Norm erfüllt, gedanklich trennen25 , sie stehen aber nicht in einer zeitlichen Reihenfolge. 26 Davon läßt sich sehr wohl die Frage abheben, ob dieser Sachverhalt sich tatsächlich zugetragen hat. 27 Während die Bestimmung des Sachverhalts als solchem, der die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes erfüllt, das "Schwergewicht der Gesetzesanwendung im Wege der Subsumtion"28 bildet und damit die "Rechtsfrage" entscheidet, umfaßt die Wahrfeststellungdes Sachverhaltes die "Tatfrage". 29 Bei der Ermittlung des Sachverhaltes muß der Rechtsanwenderdementsprechend zwei völlig unterschiedliche Urteile fällen: die Beurteilung einer Tatsache30 als "wahr" (oder "nicht-wahr"), d.h. als tatsächlich in der Vergangenheit geschehen (oder nicht-geschehen), und die Feststellung, daß diese Tatsache einem Merkmal des Rechtssatzes entspricht. Die vorstehenden Ausführungen versuchen deutlich zu machen, daß diese zwei Urteile praktisch nicht in einer notwendigen Abfolge getroffen werden können: (Rechts-)logisch müßte die Feststellung der Wahrheit (des Vorliegens) einer Tatsache vor ihrer Subsumtion unter ein Tatbestandsmerkmal treten. Praktisch wird aber erst die gedankliche Subsumtion einer (historisch) hypothetischen Tatsache unter die Merkmale des (vor-bestimmten) Rechtssatzes erfolgen, um dann ihre "Verrechtlichung", d.h. ihre Wahrfeststellung auf der

24I.S.V. "\errechtlichung" des historischen Sachverhaltes. 25 Engisch, Logische Studien, S. 19 nimmt hierbei eine Einteilung in drei Elemente des Untersatzes vor; vgl. auch Rosenbelg, Die Beweislast, S. 8. 26

Larenz, Methodenlehre, S. 278 f.

27

Larenz, Methodenlehre, S. 279.

28

Larenz, Methodenlehre, S. 274, 283.

29 Larenz, Methodenlehre, S. 307; zur Bedeutung der Trennung dieser Fragen für eine Beweislastentscheidung vgl. MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 91. JO Zum TatsachenbegritlNiemaus, Beweismaß, S. 28 ff.; Schellhammer,Zivilprozeß, Rdn.342.

28

I. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

Ebene des Rechts, vorzunehmen. Tatsächlich läßt sich damit - durchaus 31 formulieren, daß die "Rechtsfrage" vor der "Tatfrage" geklärt wird. 32

-

Hat der Rechtsanwender sich eine Vorstellung von den zur Erfüllung der Merkmale des Rechtssatzes notwendigen Tatsachen geschaffen, wird er versuchen, diese als Fakten in dem historischen Sachverhalt (in der Form des RohSachverhaltes) wiederzufinden oder darüber hinaus festzustellen. Diese Ermittlung i.e.S. - Beweiserhebung und Beweiswürdigung - schließt mit der Formulierung der Aussage über den historischen Sachverhalt. 33

3. Defizite bei der Formulierung der Rechtsfolgenanordnung Bei der Formulierung der Aussage wird allerdings der Unterschied zwischen historischem Sachverhalt (Wirklichkeit) und der Aussage darüber als Gegenstand der Subsumtion (Ebene des Rechts) deutlich: Während in der historischen Wirklichkeit eine Tatsache nur gewesen oder nicht gewesen sein kann3\ kann die Aussage über das Geschehen eine dritte Kategorie enthalten, nämlich das "vielleicht" (geschehen oder nicht geschehen). Diese Möglichkeit ist problematisch im Hinblick auf eine Rechtsfolgenbestimmung, die Schlußfolgerung des Syllogismus. Wenn die Aussage lautet, daß der Sachverhalt (S) vielleicht wahr und vielleicht nicht wahr ist und damit ein Fall von T (eines Merkmals des Tatbestandes des Rechtssatzes) ist und vielleicht nicht ist, muß auch die Schluß-

31 Eine Einschränkung muß zumindest dann gelten, wenn es sich um dem Rechtsanwender bekannte Tatsachen handelt, die nicht (i.S.d. Beweisrechts) "ermittelt" werden müssen. 32 Diese psychologisch nicht unbedeutsame Situation wird oftmals nicht berücksichtigt, vgl. Rosenbetg, Beweislast, S. 14; Birkenfeld, Beweis und Beweiswürdigung, S. 8; Zapf, Beweislast und Beweisflihrungslast, S. 3. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 116 bezeichnet daher zutreffenderweise den \brgang der Subsumtion als "Trivialität"; kritisch Bernhardt, JR 1966, 322. 33 Der Untersatz des Syllogismus ist dann "nur" die Artikulation von Rechts- und Tatfrage, an die sich die Schlußfolgerung in Form der Sachentscheidung anschließt. 34 Vgl. im Zusammenhang mit den Wahrscheinlichkeitstheorien Musielak,Grundlagen der Beweislast, S. 112 mit Fn. 341.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

29

folgerung ergeben, daß die Rechtsfolge R vielleicht eingreift und vielleicht nicht. 35 Eine solche Anordnung wäre offensichtlich wenig hilfreich; zumindest im gerichtlichen Verfahren erwartet der Rechtsuchende eine Entscheidung über sein Prozeßbegehren. Es stellt sich daher auch die Frage, ob der Erwartung des Rechtsprätendenten eine Verpflichtung des Richters entspricht, den Rechtsstreit in der einen oder anderen Richtung zu entscheiden. 36 Darüber hinaus ist die Möglichkeit einer Non-liquet-Situation nicht auf die Rechtsanwendung in einem gerichtlichen Verfahren beschränkt. Sie kann genausogut in einem vorgeschalteten Verwaltungsverfahren, insbesondere auch im Besteuerungsverfahren durch die Finanzämter, auftreten. Die Finanzbehörde hat die Feststellung eines Steueranspruchs (§ 37 AO) nach dem gleichen logischen Anwendungsprinzip vorzunehmen wie ein Richter in einem Zivilrechtsstreit. 37 Allerdings wird bereits bei dieser Überlegung offenkundig, daß die unbedingte Verpflichtung zur Sachentscheidung - soweit es eine solche gibt - sich auf jeden Fall aus anderen Prinzipien ergeben muß als die Verpflichtung zur Entscheidung eines gerichtlichen Streitverfahrens.

a) Der Begriff der Unaufklärbarkeit - Abhängigkeit vom Grad der Überzeugungsbildung Zunächst hängt die Möglichkeit, eine Aussage über das historische Geschehen in der Form eines "vielleicht geschehen - vielleicht nicht geschehen" zu treffen, von dem Beurteilungsmaßstab ab, den man bei der Formulierung der Aussage über das vergangene Geschehen dem Rechtsanwender auferlegt; da dieser das Geschehen zum einen auf eine andere Ebene transformieren muß (von der

35

Deutlich Leipold, Beweislastregeln, S. 22.

Zu knapp jedenfalls Zapf, Beweislast und Beweisführungslast, S. 3, der dies als selbstverständlichenGrundsatz aus dem Sinn des gerichtlichen ~rfahrens ableitet. 36

37 Vgl. zu diesem vermeintlich notwendigen Gleichklang Tipke, ~rwArch 60, 136; Hey, Beweislast und ~rmutungen, S. 23. H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 26 f., verweist ausdrücklich auf die von Isensee, Die typisierende ~rwa1tung, S. 102, angeführte Parallele zum Strafprozeß, ohne im weiteren ~rlauf der Untersuchung die sich daraus ergebenden beweislastrechtlichen Konsequenzen für das Besteuerungsverfahren zu würdigen.

30

I. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

Wirklichkeit zum Recht) und zum anderen (fast immer) das Vorgefallene nicht selbst wahrgenommen hat, besteht eine gewisse "Distanz" zwischen Wahrheit und Entscheidungs-(Subsumtions-)grundlage. Diese Kluft muß der Rechtsanwender überwinden; die Aussage über den historischen Sachverhalt ist damit auf jeden Fall eine "subjektivierte" Wahrheit. 38 Sie soll sich im Idealfall mit dem objektiven Geschehen39 decken40 , was aber oftmals wegen der begrenzten menschlichen Erkenntnisfähigkeit nicht gelingen wird. Die Aussage über den wirklichen Sachverhalt stellt daher immer nur einen Annäherungswert dar. 41 Je niedriger dieser Wert für die Entscheidungsgrundlage angesetzt wird, je seltener kann eine Non-liquet-Situation entstehen. Die Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts liegt daher vor, wenn sich der Rechtsanwender keine - wie auch immer "bemessene" - Überzeugung vom Vorliegen einer Tatsache verschaffen kann. Der erste Ansatzpunkt für eine Unterbindung der Unaufklärbarkeit ist dementsprechend am erforderlichen Grad der Überzeugungsbildung beim Rechtsanwender auszumachen. 42 Mit einer Absenkung dieses "Wertes" ließe sich die Non-liquet-Situation und die Erforderlichkeit von möglichen Regeln, die auf diesen Fall bezogen sind, verringern43 ; ausschließen ließe sie sich dagegen nicht. Es bliebe nämlich bei jeder Absenkung denkbar, daß zwei (oder auch

38 Ziel des Beweises ist die Überzeugung des Richters (Rechtsanwenders), sog. subjektive Theorie, Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 63 f.; vgl. auch Betg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 73: " ... jeder Beweis ein Wahrscheinlichkeitsurteil ... mit dem Ziel der Überzeugungsbildung"; weiterhin S. 74 ff. 39 Wie es in der Entscheidungsgrundlage ausgebildet ist, also auch in \erfahren mit "formeller" Wahrheit. 40

So auch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 140.

41 Vgl. Prütting,Gegenwartsprobleme, S. 60: "Man kann die Tatsachenfeststellung des Richters auf das Feststellen von nur wahrscheinlichen Sachverhalten beziehen 11 • V gl. aber auch unten 3. Teil C. m. 1. zur Wahrscheinlichkeit als Beweislastverteilungsmaßstab.

42 Martens, StuW 1981,322,326 f; ders., \erwaltungsvorschriften, S. 99; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 291 f.; AK-ZPO/Rüßmann, § 286 ZPO Rdn. 18; Matsch, Gedächtnisschrift Rödig, S. 334,339; Ekeläf, ZZP 75 (1962),289, 298; aus rechtsvergleichender Sicht: Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, Rdn. 357. Niemaus, Beweismaß, S. 41 sieht hierin (zutreffend) 11 einen Generalangriff auf die Beweislast im \erwaltungsrecht schlechthin".

43

Niemaus, Beweismaß, S. 43; Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 28.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

31

mehrere) mögliche Sachverhaltsaltemativen gleich wahrscheinlich sind44 , der Rechtsanwender sich also nicht auf eine festlegen kann. Hierbei zeigt sich die Schwäche jeder Verringerung des Überzeugungsgrades auf Seiten des Rechtsanwenders, weil die Unaufklärbarkeit eines Sachverhaltes nicht ausgeschlossen werden könnte. Auch dieser Fall bedürfte dann eines (wenn auch seltener45 eingreifenden) Überwindungsprinzips. 46 Die Zusammenhänge zwischen dem Grad der Überzeugungsbildung und dem Eintritt einer Non-liquet-Situation sind evident. Da die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes - wie sich noch zeigen wird - Voraussetzungj eglicher Beweislastlehre ist, verwundert es nicht, daß sich viele Abhandlungen über die Beweislast mit diesen Interdependenzen beschäftigen. 47

aa) Abgrenzung zwischen Beweiswürdigung und Beweismaß BeweiswÜfdigung und Beweismaß sind dem Beweisrecht zuzuordnen. 48 Der Vorgang, der sich der Beweiserhebung anschließt und zur richterlichen Überzeugungsbildung führt, wird mit dem Begriff der BeweiswÜfdigung umschrie-

44 50:50 \erhältnis, vgl. statt vieler Niemaus, Beweismaß, s. 41; a.A. Motsch, Gedächtnisschrift Rödig, S. 334, 338, der allerdings - als einziger - von einer zweigliedrigen Entscheidungsanweisung ausgeht.

45 Gegen die Behauptung, daß die verbleibenden Fälle überhaupt keine praktische Relevanz mehr besäßen, Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 69 m.w.N. in Fn. 64.

46 Maassen, Beweismaßprobleme, S. 10 f.; Kegel, Festschrift Kronstein, S. 335 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 69 ff., 73, 93. 47 Rosenbelg, Beweislast, S. 61 ff., 180; sehr knapp Leipold, Beweislastregeln, S. 19; Peschau, Beweislast im \erwaltungsrecht, S. S. 11; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 58 ff.; ausführlich dagegen Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 58 ff.; Belg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 71 fI; Niemaus, Beweismaß, S. 38 ff. Speziell aus dem Steuerrecht: S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 12 ff.; Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 27 fI; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 2 fI.; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 9; Martens, StuW 1981, 322, 335; Seeliger,Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß, S. 40 fI., 123 ff.; Zapf, Beweislast und Beweisführungslast, S. 6 f.; Birken/eld,Beweis und BeweisWÜTdigung, passim; Ohlms, Beweislast und \erantwortung, S. 62 fI.

48

Zur Unterteilung Niemaus, Beweismaß, S. 45.

32

I. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

ben. 49 Die freie richterliche Beweiswürdigung ist in den Prozeßgesetzen ausdrücklich festgehalten. Für den Zivilprozeß bestimmt § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO:

Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Den im Wortlaut hiervon abweichenden, gleichlautenden Formulierungen in § 108 Abs. I S. 1 VwGO und § 96 Abs. 1 S. 1 FGO,

Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, wird nach h.M. kein anderer Inhalt entnommen. 50 Die Beweiswürdigung beschreibt das eigentlich wertende Element der richterlichen Tätigkeit in tatsächlicher Hinsicht. Sie ist daher rein subjektiv ausgestaltet und ermöglicht dem Richter, die Vielzahl der aus einer (ordnungsgemäßen) Beweisaufnahme ermittelten Tatsachen frei, d.h. - von wenigen Ausnahmen abgesehen 51 - nicht gebunden durch feste Beweisregeln 52 , gegeneinander oder zueinander abzuwägen und aus ihnen die Aussage über den historischen, der Entscheidung zugrundezulegenden Sachverhalt zu formulieren (Tatfrage). Die freie Beweiswürdigung ermöglicht dem Richter allerdings nur, von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Beweismittel auszugehen; sie deckt nicht willkürliche Entscheidungen 53 und keine Tatsachenfeststellungen, die gegen die

49 Statt aller MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 ZPO Rdn. 10; Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, S. 277 f; Kopp, § 108 VwGO Rdn. 4; Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. I f

50 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 71 mit Fn. 2; Nierhaus, Beweismaß, S. 50, jeweils m.w.N.; unentschieden L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 227 f 51

Z.B. § 286 Abs. 2 i.Y.m. §§ 415-418, 435, 438 Abs. 2 ZPO; § 98 VwGO, §§ 82,

96 FGO i.Y.m. § 286 ZPO. 52

Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 22 ff.; MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286

Rdn.3. 53 Dies geht bereits aus der Notwendigkeit hervor, die Gründe der Entscheidung im Urteil anzugeben, vgl. Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 12; Rechberger, Festschrift Baumgärte\, S. 471, 475.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

33

Denk- oder Naturgesetze oder die Logik verstoßen. 54 Vor diesem Hintergnmd ist eine Unterscheidung zwischen Gegenstand und Ziel der BeweiswÜfdigung vorzunehmen: Gegenstand der BeweiswÜfdigung sind die durch die Beweiserhebung ermittelten Tatsachen; nur diese sind frei gegeneinander abzuwägen. 55 Da die BeweiswÜfdigung auch in die Verfahrensgnmdsätze des Untersuchungsgnmdsatzes bzw. des Dispositionsgnmdsatzes eingebettetist, bedeutet die Freiheit der Würdigung "nur" eine qualitative, nicht aber eine quantitative Offenheit; der Richter muß allen erforderlichen Tatsachenstoff wÜfdigen, er darf also keine relevanten Sachverhalte ausklammern. Ziel der BeweiswÜfdigung ist die Herbeiführung der Überzeugung des Richters. Mit der Ermöglichung der freien Überzeugungsbildung hat die Gewährleistung der §§ 286 ZPO, 108 VwGO, 96 FGO allerdings auch ihre Grenze erreicht; denn die Freiheit der Beweiswürdigung gewährt nicht die Anlegung bzw. die Wahl eines beliebigen subjektiven Überzeugungsgrades. 56 Dieses Maß richterlicher Überzeugung wird mit dem Begriff Beweismaß (Beweisstärke, Beweisquantum, Beweiskriterium) bezeichnet. Es ist eine objektive (objektivierte) Festlegung, die die (regelmäßige) Intensität der Überzeugung festschreibt, zu der der Richter gelangen muß, um eine Tatsache als "erwiesen" seiner Entscheidung (genauer: der Subsumtion unter die Merkmale des Normtatbestandes) zugnmdelegen zu können. 57 Beweismaß und BeweiswÜfdigung bezeichnen einerseits die objektive - aus dem Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsanwendungsgleichheit sich ergebende - und andererseits die subjektive

54

Zu den möglichen Stufen vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 63 f. m.w.N.

55

Freie "\erhandlungswürdigung", MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 3.

56

Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 107.

57 MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 33 weist zutreffend darauf hin, daß diese objektive Festlegung dem Richter "wegendernotwendigen Subjektivität derrichterlichen Entscheidung einen gewissen unüberprüfbaren innerlichen Spielraum" einräumt. Der Unterschied zur freien Abwägung der Tatsachen - dem" Ob" der Überzeugung gegenüber dem "Wann" - bleibt dennoch festzuhalten; vgl. auch SteiniJonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn.2.

3 M. Schmidt

34

I. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

- die Unabhängigkeit des Richters in sachlich-inhaltlicher Hinsicht gewährende 58 - Komponente des Beweisrechts.

bb) Das Beweismaß

Ausgangspunkt der Bestimmung des Beweismaßes muß zunächst § 286 ZPO (§§ 108 VwG0 59, 96 FGO) sein. Nach dieser Vorschrift ist die Entscheidung zu treffen, welche Tatsache das Gericht (der Rechtsanwender) für wahr erachtet. Die durch die Kategorie Wahrlheit angestrebte Eindeutigkeit wird allerdings durch den Begriff des "Erachtens" abgeschwächt: Wie schon erwähnt, kann eine Tatsache nur wahr oder nicht wahr, d.h. in der historischen Wirklichkeit vorhanden oder nicht vorhanden sein (lOO%-Wert). Die objektive Wahrheit als solche läßt Zwischenwerte nicht zu. Es kann jedoch nicht auf die historische Wahrheit für die Entscheidung ankommen, sondern nur auf die Aussage über "diese" Wahrheit; der Richter muß (s)eine Überzeugung von der Wahrheit feststellen. Demzufolge ist nicht eine objektivierte naturwissenschaftliche Wahrheit ausschlaggebend60 , sondern nur das Für-wahr-Erachten des Rechtsanwenders. Dies bedeutet aber zwangsläufig eine Relativierung des Wahrheitsbegriffs. 61 58 Herzog, in: MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 97 Anm. 9, 33: im Rahmen der selbstverständlich vorhandenen Gesetzesbindung, Art. 20 Abs. 3 00; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 164; vgl. auch Mattem,BB 1971, 1161, 1164 für den "Steuerrichter" .

59 Allgemein zur Beweismaßdiskussion im öffentlichen Recht Niemaus, Beweismaß, S. 38 tf. undpassim;Redecker/vonOertzen,§ 108 VwGORdn. I; Kopp, § 108 VwGO Rdn. 5; ders., § 24 VwVfG Rdn. 22; Ule/Laubinger, \erwaltungsverfahrensrecht, § 27 Rdn. 14; EyermannlFröhler,§ 108 VwGO Rdn. 4; Stelkens/Bonk/Sachs,§ 24 VwVfG Rdn. 12; Knack, § 24 VwVfG Rdn. 5 ("keine volle Gewißheit - wann liegt die schon einmal vor"), § 69 VwVtG Rdn. 3.2 ("frei von \ermutungen und unsicheren Gefühlen"); ohne Stellungnahme Schmitt-Glaeser, \erwaltungsprozeßrecht und KuhlalHüttenbrink, Der \erwaItungsprozeß, E 183 unter Hinw. aufBaumbachILauterbachiAlbers/Hartmann, § 286 ZPO Rdn. 2. 60 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 69 tI; Niemaus, Beweismaß, S. 50; SteiniJonas/ Leipold, § 286 ZPO Rdn. 4.

61 Niemaus, Beweismaß, S. 62; SteiniJonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 2 f; Leipold, Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß, S. 10 f; Walter,Freie Beweiswürdigung, S. 163 f.; Rechbelger, Festschrift Baumgärtel, S. 471, 478 f

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

35

(1) Das Überzeugungsmodell

Jener subj ektivierte Wahrheitsbegriff ist gnmdsätzlich von der Wahrscheinlichkeit zu trennen, wenn auch die Übergänge nicht immer klar bestimmbar sind. 62 So bleibt das Ziel der Beweiswürdigung63 - wie der Wortlaut des § 286 Abs. I S. I ZPO auch eindeutig formuliert - die "Überzeugung des Richters von der Wahrheit" (vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache), nicht jedoch von einer Wahrscheinlichkeit. 64 Da die richterliche Überzeugung aber ganz eindeutig subjektive Elemente65 in die Beweismaßfestlegung miteinbringt, handelt es sich insgesamt um eine "Kombination objektiver und subjektiver Faktoren".66 Eine dermaßen als "persönliche Gewißheit" - wie der BGH in der Anastasia-Entscheidung formuliert 67 - verstandene richterliche Überzeugung von der Wahrheit ist demzufolge nicht mit der objektiven Wahrheit (100%) gleichzusetzen. Das (Abgrenzungs-)Problem wird daran deutlich, daß, wenn man diesen "reinen" Wahrheitsbegriffrelativiert (subjektiviert), man im Verhältnis zur objektiven Wahrheit einen niedrigeren Wert (prozentsatz) erhält, der konsequenterweise als Wahrscheinlichkeitswert bezeichnet werden müßte. 68 Praktisch wird das Problem durch eine Entzerrung (Zweiteilung) der Begrifflichkeiten gelöst: Da § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO (§§ 108 VwGO, 96 FGO) den sogenannten Vollbeweis verlange, verbiete sich - schon vom Wortlaut her ein Abstellen auf eine Wahrscheinlichkeit; es ist daher eine Überzeugung von

62 Vgl. auch die schwer trennbare Zweiteilung bei MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 30; kritisch bezüglich des "mehrdeutigen Wahrscheinlichkeitsbegriffs" auch Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht (14. Aufl. 1986), § 113 II, S. 684. 63

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 63; ders., MünchKomm-ZPO, § 286 Rdn. 28 f.

So aber MichaelHuber, Beweismaß im Zivilprozeß, S. 102 fL Musielak,Grundlagen der Beweislast, S. 109 ff., 119. 64

65 Rein subjektiv versteht Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 113 ff. den Wahrheitsbegriff. 66 SteinlJonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 33; ders., Gegenwartsprobleme, S. 65.

67

BGHZ 53, 245, 256.

68 Vgl. das Beispiel bei Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 73: 75%-99% als "sehr wahrscheinlich", 51%-74% als "wahrscheinlich" etc. und Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, S. 254.

3'

36

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

der Wahrheit69 vonnöten. Wann allerdings diese Überzeugung erreicht ist, ist als weitere Frage davon zu trennen. Hierbei könne keinesfalls eine mathematische, jeden Zweifel ausschließende Gewißheit verlangt werden70 ; ausreichen müsse mindestens ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewißheit.?! Diese Gewißheit der Richters, daß die Tatsache "wahr" ist, wird regelmäßig erreicht sein, wenn für das Vorliegen einer Tatsache ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, daß kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch mehr zweifele 2 und der etwaigen restlichen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. 73 Die richterliche Überzeugung von der Wahrheit liegt nach dieser herrschenden, als Überzeugungsmodell bezeichneten Auffassung (nur) vor, wenn ein sehr hoher Grad von Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. 74 Es handelt sich um die Verortung in einem Grenzbereich, dessen Abstand zur Wahrheit vernachlässigbar ist. 75 Da die tatsächlichen Lebensverhältnisse aber äußerst vielgestaltig und

69 " ... der Tatrichter hat ... die Entscheidung zu treffen, ob er ... sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann", BGHZ 53, 245, 256.

70

Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 4.

71

BGHZ 53, 245, 256.

72

Rosenbelg, Beweislast, S. 181.

73

BGHZ 53,245, 256; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 11 1, S.

659.

74 MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 39; ders., Gegenwartsprobleme, S. 86; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 4 f; ders., Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß, S. 6, 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 11 2, S. 660; BaumbachILauterbach/Albers/Hartmann, § 286 ZPO Rdn. 18; ZöllerlGmger, § 286 ZPO Rdn. 19; Thomas/Putzo, § 286 ZPO Rdn. 2; Gruns/ey, Grundlagen des \erfahrensrechts, S. 450; Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, S. 253 f.; Habscheid, Festschrift Baumgärtel, S. 105, 111; Schwab, Festschrift Fasching, S. 451, 453 jJ., 457 f; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdn. 815. Für den \erwaltungsprozeß: Kopp, § 108 VwGO Rdn. 5; ders., § 24 VwVfG Rdn. 22; Ule/Laubinger, \erwaltungsverfahrensrecht, § 27 Rdn. 14; Nierhaus, Beweismaß, S. 61 tI m.w.N.; Betg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 72. Für den Steuerprozeß: Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 9; List, in: HübschmannJHepp/ Spitaler, § 96 FGO Rdn. 19; Birkenfeld, Beweis und Beweiswürdigung, S. 153; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 2; Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 28 f; Ruppe/, BB 1995, 750. 75 Vgl. die ähnliche Umschreibung bei Ekelöj,ZZP 75 (1962) 289, 292; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 173.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

37

dementsprechend schwer zu erfassen sind, kann das Überzeugungsmodell diese hohen Anforderungen an die persönliche Gewißheit (Erwiesenheit76) nicht in jedem Fall aufrechterhalten. Es statuiert sie demzufolge als Regelbeweismaß, das bereits durch zahlreiche gesetzliche Vorschriften abgeändert wird. 77 Darüber hinaus werden von Rechtsprechung und Literatur weitere Beweismaßänderungen im Wege der Rechtsfortbildung78, insbesondere beim Anscheinsbeweis79 und beim Kausalitätsnachweis80 , vorgenommen.

(2) Das Wahrscheinlichkeitsmodell (Überwiegensprinzip) Die Unsicherheit bei der Feststellung der individuellen (subjektiven) Überzeugung bei gleichgelagerten Fällen und die These, daß in einer Vielzahl von Fällen tatsächlich keine "an Sicherheit grenzende Überzeugung" gewonnen werden kann, ist Ausgangspunkt für die Lehre von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. 8l Die Lehre von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als

76

Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 9.

77 Z.B. §§ 287,294 ZPO; § 252 BGB, vgl. BGHZ 29,393,398; 74,221,224. A.A. Zöller/Greger, § 286 ZPO Rdn. 20 a.E. Kritisch zum Regelbeweismaß Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 1I 2, S. 660. 7S

MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 43.

79 SteinlJonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 89, 91 f.; ders., Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß, S. 11 ff. A.A. MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 44; Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, S. 202. Zu den Typisierungen im \erwaltungsrecht vgl. Niemaus, Beweismaß, S. 79 ff. Zur steuerrechtlichen Typisierungslehre und tatsächlichen \errnutungen unten 4. Teil B. 1., 1I.

so MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 46; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 1I 2, S. 660; Walter,Freie Beweiswürdigung, S. 195 ff. Enger Zöller/ Greger, § 286 ZPO Rdn. 20, der darauf hinweist, daß Beweismaßherabsetzungen sich (nur) aus materiellrechtlichen Besonderheiten ergeben. Sl Bruns, Zivilprozeßrecht, Rdn. 168; Grunsky, Grundlagen des \erfahrensrechts, § 41 III 2 a aa, S. 426, 429; Maassen, Beweismaßprobleme, S. 54 tI; Kegel, Festschrift Kronstein, S. 321,335, 343; Motsch, \Um rechtsgenügenden Beweis, S. 36,86, 91; ders., Gedächtnisschrift Rödig, S. 334, passim; Brüggemeier, De1iktsrecht, S. 118 f; Rechbetger/Simotta, Grundriß, Rdn. 580. Nur bedingt sind hierzu Michael Huber, Beweismaß im Zivilprozeß, S. 121 tr. und Rechbetger, Festschrift Baumgärtel, S. 471, 484, 487 zu rechnen, die als Regelbeweismaß "nur" eine hohe Wahrscheinlichkeit

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

38

Beweismaß82 bezieht sich argumentativ auf ihre Geltung im anglo-amerikanischen83 und skandinavischen Rechtskreis. 84 Allein daraus ist im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 286 Abs. I S. I ZPO für das deutsche Prozeßrecht aber wenig gewonnen. Tatsächlich scheint allerdings ein Gewinn an Rechtssicherheit (Rechtsgleichheit) zu erzielen sein, wenn die durch den Maßstab der persönlichen Überzeugung bewirkte Subjektivität dadurch "abgemildert" wird, daß darauf abgestellt wird, ob insgesamt mehr für als gegen das Vorliegen einer Tatsache spricht. Die "Wahrscheinlichkeit" einheitlicher Entscheidung gleichgelagerterFälle mit der entsprechend erhöhten Rechtssicherheit würde damit steigen. Bruns85 formuliert in diesem Sinne sehr anschaulich: "Eine Überzeugung kann man kaum einer anderen entgegensetzen, die Überzeugungsbildung schwer angreifen. Über den Grad einer Wahrscheinlichkeit aber könnte man sich verständigen - oder mit Gründen streiten." Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, daß sich das Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als Grundlage einer tatsächlichen Feststellung nicht - wie vom Gesetzgeber angenommen - aus der "Natur der Sache" ergebe. 86 Vielmehr sei von einer Gleichgewichtigkeit der Interessen der Parteien auszugehen, was gerade bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten evident sei. Dies bestätige auch die wertende Kostenanalyse "fehlerhaftertatsächlicher Feststellungen und Nichtfeststellungen". Dieser Interessengleichwertigkeit und Kostengleichheit trage (nur) das (bewährte) allgemeine Beweismaß der

verlangen, Gewißheit (an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit) aber als Beweismaßerhöhung und überwiegende Wahrscheinlichkeit als Beweismaßreduzierung ansehen; in der Tendenz ebenso Musielak,Festschrift Kege1 (1977), S. 451,470 f; MusielakiStadler, JuS 1980,427,428 f; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 116, dort allerdings weniger deutlich. 82 Auch Wahrscheinlichkeitsmodell (v gl. Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 30) und Überwiegensprinzip (MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 34) genannt.

83 Ausführlich Maassen, Beweismaßprobleme, S. 39 ff., insbes. 43 ff.; weitere Nachweise bei Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, Rdn. 358 Fn. 1165 und Habscheid, Festschrift Baumgärte1, S. 105, 117 f 84 Ekeläf, ZZP 75 (1962),289; weitere Nachweise bei Bruns, Zivilprozeßrecht, S. 243 Fn. 29, und Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 76 Fn. 97.

85

Zivilprozeßrecht, S. 245.

86

Maassen, Beweismaßprobleme, S. 54.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

39

überwiegenden Wahrscheinlichkeit Rechnung. 87 Letztlich liegt in diesen Überlegungen bereits eine vorweggenommene Kritik an der "Alles-oder-nichtsRegel" von Beweislastentscheidungen. 88 Dennoch ist dieser Ansatz nicht konsequent zu Ende gedacht. Er müßte eigentlich in eine - mit dem geltenden Recht völlig unvereinbare - Aufteilung des gesamten Prozeßergebnisses entsprechend der konkreten Wahrscheinlichkeit zwischen den Parteien führen. 89 Die Auffassung von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Regelbeweismaß konnte - anders als im Zivilprozeßrecht - im Steuerrecht einige Bedeutung beanspruchen. Ohne sich im einzelnen mit den zivilprozessualen Argumenten auseinanderzusetzen, ging die Rechtsprechung über lange Zeit hinweg bei der Urteilsfmdung von dem Sachverhalt aus, für den (nach Ausschöpfung aller zumutbaren Aufklärungsmöglichkeiten) die größte Wahrscheinlichkeit sprach. 90 Auch in der Literatur fand diese Auffassung grundsätzlich Zustimmung, wobei - für das Steuerrecht typisch - insbesondere die durch ein Abstellen auf Wahrscheinlichkeitenin ihrer Bedeutung gehobenen Grundsätze der Verwaltungsvereinfachung (Verfahrensökonomie) und Steuergerechtigkeit betont wurden. 91 Die Rechtsprechung hat jedoch nicht an ihrer Auffassung festgehalten, sondern ist auf das Überzeugungsmodell umgeschwenkt. 92 Der BFH hat sich in Begründung und Terminologie der überwiegenden zivilprozeßrechtlichen Argumentation angeschlossen. 93 Im Hinblick auf die Adaption der zivilprozessualen Dogmatik kann es nicht überraschen, daß diese Hinwendung (fast) zeitgleich mit der ausdrücklichen Anerkennung der Regeln über die (obj ektive)

87

Maassen, a.a.O.

88

Hierzu noch unten 4. Teil A. 1.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 77 unter (5).

Vgl. Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 109; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 79. 89

90RFHE 8, 304,305; BFHHFR 1964,167,168. 91 Spitaler, FR 1963, 134/; Brockmann, Lebenserfahrungssätze, Sachverhaltsvermutungen und Sachverhaltsfiktionen, S. 28 tT., erstellt ein "magisches Dreieck des Steuerrechts" zwischen den Eckpunkten der Steuergerechtigkeit, der \erwaltungsökonomie und dem Steueraufkommen; Martens~JuS 1978,247,249; Herter,DB 1985, 1311, 1315; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 221 tf., 318, 322 tI 92

BFH BStBl. 11 1968, 99, 100.

93 BFH BStBl. III 1967, 350, verlangt für die Annahme eines Ausfuhrnachweises, daß kein "die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch ... zweifelt".

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

40

Beweislast erfolgte. 94 Bereits an dieser Tatsache wird der Zusammenhang bzw. die Wechse1wirklUlgen zwischen Beweismaßfestlegung lUld objektiver Beweislast erkennbar; ob diese Abhängigkeit sich tatsächlich nur auf den Umfang des AnwendlUlgsbereiches von Beweiswiirdigllllg (Beweismaßfestlegllllg) lUld objektiver Beweislast (Non-liquet nach abgeschlossener Beweiswiirdigllllg) auswirkt lUld im übrigen "theoretisch ganz klar auseinanderzuhalten"95 ist, bedarf zumindest im Steuerrecht noch einer eingehenden UntersuchlUlg bzw. differenzierten Betrachtung. 96

(3) Das Relativitätsmodell Sowohl Überzeugllllgs- als auch Wahrscheinlichkeitsmodellgehen von einem festen (Regel-)Beweismaß der Gewißheit bzw. der überwiegenden Wahrscheinlichkeit aus. Einen individuellen, das Beweismaß an den Umständen des konkreten Einzelfalles festmachenden Ansatzpunkt wählt eine weitere AuffasslUlg, die als Relativitätsmodel1 97 bezeichnet werden kann. 98 Auch diese wird von

94 BFH BStBl. 11 1971,220, 224; vgl. vorher bereits BFH BStBl. 11 1969, 550, 552; BFH BStBl. 11 1968, 612, 613; HFR 1964, 332, 333; 1964,283, 285; BStBl. III 1963, 213,214; III 1962,377,378. Allerdings betraf die letzte Entscheidung mit § 17 Abs. 2 HS 2 VwZG eine gesetzliche "Zweifelsregelung", der eine objektive Beweislast der Finanzbehörde zu entnehmen ist (wegen der vorgeschalteten \ermutung und deren Auswirkungen unten 4. Teil B. IY.); die anderen Entscheidungen beziehen sich pauschal auf diese Beweislastregel (jeweils zu Lasten der Finanzbehörde ), obwohl diesem Urteil keine Argumente für eine generelle Geltung ungeschriebenerBeweislastnormenzu entnehmen sind.

95

Priitting, Gegenwartsprobleme, S. 66, stellt nur einen "praktischen Zusammenhang"

fest. 96 Insbesondere erscheint der Satz Priittings,daß es keine" gleitende Skala richterlicher Instrumente zur Ermittlung des Sachverhalts" geben könne, vor dem Hintergrund von § 96 Abs. 1 FGO, der einerseits das Überzeugungsmodell statuiert und im gleichen Zuge § 162 AO für anwendbar erklärt, äußerst problematisch. 97 "Relative Beweismaßtheorie" , vgl. MünchKomm-ZPOIPriitting, § 286 Rdn. 34; "flexible Lösung", Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 31.

98 AK-ZPOIRüßmann, § 286 Rdn. 20; Gattwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, S. 208; RosenberglSchwab/Gattwald, Zivilprozeßrecht, § 115 11 2, S. 660; Ramme, Anscheinsbeweis, S. 86 Ir.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

41

der Überzeugung geleitet, daß ein hohes (strenges) Beweismaß zu einer nicht "gerechtfertigten" großen Zahl von Beweislastentscheidungen führen müsse 99 , während mit einem grundsätzlichen Abstellen auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einerseits dem Wortlaut des § 286 ZPO nicht Genüge getan wird und andererseits das praktisch fast unlösbare Problem besteht, einen zahlenmäßig präzisen, bezifferbaren Wert für die Wahrheit unterschiedlicher Beweismittel anzugeben, um das Überwiegen der einen oder anderen Tatsachenbehauptung festzustellen. Das Relativitätsmodell entscheidet sich für einen Zwischenwert zwischen Gewißheit (bei verbleibender Erkenntnisskepsis) und überwiegender Wahrscheinlichkeit, der in das Ermessen des Richters gestellt wird. Dieser entscheidet nach den jeweiligen Umständen lOad hoc", wobei in die Entscheidung z.B. Erwägungen von Kostenbewertungen von Fehlentscheidungen, besondere Beweisschwierigkeiten, die Mitwirkungspflichten und -bereitschaft der Parteien und sogar aus dem jeweils betroffenen materiellrechtlichen Bereich abgeleitete Zweckerwägungen einfließen können. 100 Letztlich wird hierdurch dem Richter ein "Billigkeitsurteil" ermöglicht, ohne daß ein "Katalog zulässiger Billigkeitsargumente" aufgestellt oder "sonstige methodische Anweisungen" gegeben werden. 101 Gerade hieraus ergeben sich aber schwerwiegende rechtsstaatliehe Bedenken, wenn man die nur eingeschränkte Überprüfbarkeit eines "Ermessensspielraums" berücksichtigt.l02 Dies gilt in stärkerem Maße für das Steuerrecht, wenn man an Art und Umfang der Ermittlungspflicht von Finanzverwaltungund Finanzgerichten die gleichen (identische) Anforderungen stellt. l03 Insgesamt ist hervorzuheben, daß das Relativitätsmodell praktisch von nicht geringer Bedeutung ist. Dabei soll der Behauptung, daß der ihm zugrundeliegende, "als Haltung der §§ 286, 287 ZPO verstandene Satz" die "Praxis der Gerichte treffend" wiedergibt l04 , nicht weiter nachgegangen wer99

AK-ZPOIRüßmann, § 286 Rdn. 18.

100 AK-ZPOIRüßmann, § 286 Rdn. 20. Bereits hier ist darauf hinzuweisen, daß diese Kriterien in vielen Punkten den unterschiedlichen Beweislastverteilungsregeln entsprechen, hierzu unten 3. Teil C. 101

Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung, S. 208.

102 AK-ZPOIRüßmann, § 286 Rdn. 20; dieser ist sich der Schwierigkeiten allerdings bewußt, wenn er "f1ankierende Maßnahmen" postuliert.

103 Vgl. hierzu nur Tipke, \erwArch 60, 136, 146, h.M.; a.A. im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Typisierung Isensee, StuW 1973, 199, 206. 104

AK-ZPOIRüßmann, § 286 Rdn. 20; RosenbergISchwab/Gottwald,Zivilprozeßrecht,

§ 115 II 2 a.E., S. 660.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

42

den. Tatsächlich nähert sich aber das Überzeugungsmodell, wenn es ausreichend "Ausnahmen" in Form von (kumulierbaren) Fallgruppen zur Anpassung im Einzelfall heranzieht, zumindest im Ergebnis dem Relativitätsmodell an. Besonders deutlich wird dies wiederum im Steuerrecht mit seiner hohen Zahl von Mitwirkungspflichten: Wird bezüglich deren Erfüllung ein abgestuftes System von "Sanktionen" installiert, deren Berücksichtigung nicht erst auf der Ebene einer objektiven Beweislast bei einem möglichen non liquet stattfindet, so wird faktisch der Ausgangsthese des Relativitätsmodells gefolgt.lo5

(4) Stellungnahme Die Beweismaßfestlegungist wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen von einer Vielzahl von Faktoren beeinflußt 106 , deren Wertigkeit im einzelnen das Ergebnis der Diskussion bestimmt. In Konsequenz des aus dem Rechtsverweigerungsverbot 107 zunächst sich ergebenden praktischen Entscheidungszwanges folgen zwei entgegengesetzte Ausgangspositionen: Entweder wird ausgehend vom klaren Wortlaut des § 286 Abs. 1 ZPO und entsprechend der Systematik der zahlreichen gesetzlichen Beweismaßabstufun-

105 Ohlms, Beweislast und \erantwortung, S. 71; Martens, StuW 1981, 322,328 J; Martin, BB 1986, 1021, 1024 J. 1028; Niemaus, Beweismaß, S. 372; vgl. auch Baumgärtel, JZ 1986,229, 230 aus zivilrechtlicher Sicht; des weiteren BFH BStEl. 11 1992, 128,131; 1992,55,57 ("Aus einer \erletzung der Mitwirkungspflichtkönnen im Wege der BeweiSWÜfdigung negative Schlüsse gezogen werden"); II 1989,462,464; 11 1986, 318, 319 (Wahrscheinlichkeitsurteilmittels Schätzung); vorn Ansatz her bereits BFH BStEl. 11 1968, 99, 100. Eine Sonderstellung nahmen insoweit TipkeiKruse, § 96 FGO Rdn. 10 [Stand 1988] ein, die eine Reduzierung des Überzeugungsgrades bei der \erletzung von Mitwirkungspflichten nur als Sanktion verstanden wissen wollten, nicht aber als bei der (freien) BeweiSWÜfdigung zu beachtendes Merkmal; anders nunmehr dies., § 96 FGO Rdn. 3 [Stand 1995]. Eine insoweit überraschend desillusionierte Auffassung hinsichtlich der Durchführbarkeit des Überzeugungsmodells tritt aber in der Kommentierung bei § 88 AO Rdn. 10, 11 b zutage, die Tipke/Kruse als \erfechter einer relativen Theorie erscheinen läßt. - Eine einzelfallbezogene, "qualitative" Ausgestaltung des Beweismaßes vertritt L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 325 ff.

106

"Schier unerschöpfliches Thema", Niemaus, Beweismaß, S. 61.

107

Hierzu unten B.

rv.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

43

gen l08 die Gewißheitsthese vertreten, mit der Folge der BegrtindlUlg bzw. einer bedeutenden AufwertlUlg der Beweislastlehre, oder aber es wird bei grundsätzlicher AblehnlUlg eines weiten AnwendlUlgsbereicheseinervenneintlichen Beweislastherrschafe09 lUlter Zuriickdrängllllg des Wortlauts des § 286 ZPO lUld BetonlUlg praktischer Erfordernisse eine überwiegende Wahrscheinlichkeit als EntscheidlUlgsbasis für ausreichend erachtet. Bemerkenswert ist dabei zumindest, daß beide AuffasslUlgen nicht ohne ins Gewicht fallende Ausnahmen bzw. Modifikationen auskommen. I 10 Wenig ergiebig ist auch die UnterscheidlUlg danach, ob durch ein Abstellen auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit oder die Gewißheit lUlter eventuellem Rückgriff auf Beweislastregeln bei Nichterreichen eines hohen Überzeugllllgsgrades die EntscheidlUlg gerechter wird. lll Gerecht ist die EntscheidlUlg nur, wenn sie mit dem materiellen Recht in Einklang steht, die zugrundeliegende Tatsachenbasis(objektiv) wahr ist. Man kann einfach nicht davon ausgehen, daß eine überwiegend wahre Tatsache "wahrer" lUld die EntscheidlUlg daher gerechter ist als eine EntscheidlUlg, die aufgrund anderer "Hilfsregeln" gefällt wird, weil - lUlabhängig von der Frage der B estimmbarkeit konkreter (Gesamt-)W ahrscheinlichkeitswerte lUld der venneintlich daraus folgenden fruchtbaren KommlUlikationsbasis - ein Urteil aufgrund von (anerkannten) Regeln der objektiven Beweislast nicht per se lUlwahrscheinlicher im Sinne von lUlgerechter ist. Um zwischen diesen "Systemen" zu entscheiden, müßte eine UntersuchlUlg angestellt werden, wie hoch die Zahl von EntscheidlUlgen ist, die nach Regeln der obj ektiven Beweislast getroffen wurden lUld die mit der tatsächlichen (objektiven) Wahrheit übereinstimmen. Sollte tatsächlich ein irgendwie bestimmter "Gerechtigkeitswert" ausschlaggebend sein, dürfte ein Regelbeweismaß sich auf keinen Fall mit einer Wahrscheinlichkeit begnügen, die lUlter dem relativen Wert objektiv richtiger BeweislastentscheidlUlgenläge. Für das Zivil(prozeß)recht läßt

108

64 ff. 109

Nachw. bei Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 80 fI, und Niemaus, Beweismaß, S. Rechbelger, Festschrift Baumgärtel, S. 471, 487, 490.

110 Zu der Vielzahl der Ausnahmen bei der Lehre von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 78; zu den gesetzlich nicht normiertenFallgruppenderBeweismaßänderungenMünchKomm-ZPO/Prütting,§ 286Rdn. 43 ff.; letztlich werden diese Modifikationen vermehrt durch die Vielzahl "undurchsichtiger Regeln" über die objektive Beweislast, Martens, JuS 1978, 247, 250.

111

Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 33.

44

I. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

sich das Wahrscheinlichkeits- und das Relativitätsmodellleicht ablehnen; da die Beweislastregeln - wie noch zu zeigen sein wird - überwiegend dem materiellen Recht zugeordnet werden, muß schon definitionsgemäß eine Entscheidung, die nach diesen Regeln getroffen wird, "gerechter" sein. Da die zivilrechtlichen Normen weitgehend unbestrittenermaßen 112 im Hinblick auf die Beweislast formuliert wurden und werden, muß dieses Argument nicht weiter in Frage gestellt werden; die Suche nach der Quote der Übereinstimmung beweislastrechtlicher Entscheidungen mit der objektiven Wahrheit wäre irrelevant, weil die Entscheidung in jedem Falle (auch) "gerecht" (richtig) ist. 1I3 Für das gesamte öffentliche Recht allerdings ist es ebenso unbestritten, daß die materiellrechtlichen Normen (generell) nicht im Hinblick auf die Beweislast formuliert werden 1 14; daraus müssen notwendigerweise Konsequenzen gezogen werden. Diese Tatsache hindert zwar grundsätzlich nicht, Beweislastnormen dem materiellen Recht zuzuordnen. Soweit sie aber ihrem Zweck nach als Ermöglichungsnormen angesehen werden 115, kommt ihnen kein eigener Gerechtigkeitsgehalt zu. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Verteilungsregeln wie Nierhaus unter anderem aus einem verfassungsrechtlichen Gebot der Waffengleichheit abzuleiten versucht. 116 Eine nach den Regeln der objektiven Beweislast getroffene Entscheidung wäre nach dieser Auffassung nicht "gerechter", sondern "fairer".117 Aus alledem folgt letztlich nur, daß Gerechtigkeits-

112 Vgl. nur Rosenbelg, Beweislast, S. 98 ff.; Blomeyer, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. I, Teil 2 A, S. 5 ff.; Schwab, Festschrift Fasching, S. 451, 455; Martens, StuW 1981,322,330; S. Martin, BB 1986, 1021, 1028. Eine materiellrechtliche Einordnung findet sich bereits in RGZ 6, 412, 413; kritisch dazu Buciek, Beweislast und Anscheinsbeweis im internationalen Recht, S. 99, 101 f

113 VOrausgesetzt, die "ungeschriebene" Beweislastverteilung würde korrekt vorgenommen. I.d.S. auch Leipold, Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß, S. 8. 114 Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 38; Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 93 Rdn. 89; Nierhaus, Beweismaß, S. 229; vgl. auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 273 f. 115

Gerade dies ist das Ziel von Nierhaus, Beweismaß, S. 169 ff.

116

Hierzu noch unten 3. Teil C. III. 2.

117 Der Unterschied besteht darin, daß Fairneß kein Gebot materieller Gerechtigkeit, sondern subjektiven Empfindens ist: Die Regeln der Fairneß ergeben sich gerade nicht aus dem materiellen Recht, sondern sind ungeschrieben. Sie ist nicht zu verwechseln mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

45

erwägungen bei der Beweismaßfestlegung gerade im öffentlichen Recht nicht hilfreich sind. Ein gewichtiges Argument, das gegen die Lehre von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unter Rücksichtnahme auf die Besonderheiten des öffentlichen Rechts vorgetragen wird, ist der Hinweis auf die Unvereinbarkeit mit den Grundsätzen der Tatbestandsmäßigkeit und des Vorbehalts des Gesetzes. ll8 Für den gesamten Bereich der Eingriffsverwaltung, insbesondere also auch für das Steuerrecht l19 , gilt, daß in die geschützte Sphäre des Betroffenen nur eingegriffen werden darf, wenn die (zulässigen) Voraussetzungen für die Rechtsbeschränkung festgestellt sind. 120 Diese Folgerung aus Art. 20 Abs. 3 und, für die richterliche Tatsachenfeststellung, Art. 97 Abs. I GG steht einem Abstellen auf eine nur wahrscheinlich vorliegende Tatsachenbasis entgegen. Unter diesem Blickwinkel ist die Behauptung, daß bei einem Wahrscheinlichkeitsurteil "die vom Gesetzgeber zur inhaltlichen Konkretisierung (und Beschränkung) der Steuerpflicht gewählten Tatbestandsmerkmale ihre Funktion" verlören l21 , zutreffend. Es muß allerdings bereits hier darauf hingewiesen werden, daß zumindest für den Bereich des Steuerrechts die Reichweite der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit bei weitem im Zusammenhang nicht durchgehend berücksichtigt wird. Dies wird insbesondere bei Hey, der sich eingehend mit Beweislast und Vermutungen beschäftigt, deutlich: Unter Betonung der Tatbestandsmäßigkeit und des

118 Ninhaus, Beweismaß, S. 62 f.; Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 33, inbes. gegen Brockmann, Lebenserfahrungssätze, Sachverhaltsvermutungen und Sachverhaltsfiktionen, S. 46 ff.; Birken/eid, Beweis und Beweiswürdigung, S. 8; Zapf, Beweislast und Beweisführungslast, S. 25, 60, 68; Weber-Grellet, StuW 1981,48, 53. 119

Vgl. Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 53; Blaurock, JA 1980, 142, 143.

120 "Da ... durch Festsetzung einer Steuerschuld dem Kläger eine Last" auferlegt wird, bedarf "nicht die Rechtswidrigkeit, sondern die Rechtmäßigkeit dieser Belastung des Nachweises (Art. 2 Abs. I GG)": BFH BStBl. II 1971, 112, 113. Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 33, betont hierbei auch § 38 AO. 121 Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 33; ebenso Ninhaus, Beweismaß, S. 62 f., der hier zur Bestätigung seiner Auffassung vornehmlich die steuerrechtliche Literatur zitiert; da er in seiner Beweislastuntersuchung das Steuerrecht ausdIiicklich ausnimmt, fehlt leider eine Betrachtung der Wirkung von Beweislastnormen unter Berücksichtigung des Gebots der Tatbestandsmäßigkeit.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

46

Vorbehalts des Gesetzes verwirft er Wahrscheinlichkeits- und Relativitätsmodell l22 und gelangt dann zu der Aussage, daß Vermutungen nicht zu einer Absenkung des Beweismaßes führen. 123 Insoweit bezieht er sich nicht ganz präzise auf Nierhaus l24 und Prütting 125 , die immerhin zu dem Ergebnis kommen, daß tatsächliche Vermutungen/ast immer l26 zu einer Absenkung des Beweismaßes führten. 127 Dies ist dogmatisch und systematisch insofern konsequent, als Hey Vermutungen als ein Mittel richterlicher Überzeugungsbildung ansieht; er geht davon aus, daß der Richter durch eine (anerkannte) Vermutung "voll" überzeugt wird, er mit anderen Worten persönliche Gewißheit erlangt. An das Vorliegen eines Erfahrungssatzes legt er allerdings nur den Maßstab einer überwiegenden, "mehr als 50%ige[n] Wahrscheinlichkeit" an. 12S Auf diese Weise läßt sich zwar die Gewißheitsthese aufrechterhalten,jedoch nicht überzeugend formulieren, daß die Entscheidung auf einer Tatsachenbasis beruht, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wirklich vorgefallen ist. Ein solches Vorgehen ist vielmehr Beweis dafür, daß die Vermutungen "fast immer eine unzulässige Korrektur des Gesetzes"129 im Wege der Beweismaßsenkung darstellen. Hey korrigiert dies dadurch, daß er Vermutungen nur als Hilfsinstrumente heranziehen will, die "nach im übrigen erwiesenen Umständen nur letzte Zweifel" beseitigen sollen. Zur Beseitigung von WertungswiderspTÜchenmüsse in allen anderen Fällen die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der maßgebliche Maßstab sein. Damit erfaßt er aber all die Vermutungen nicht, die allein, also nicht als Hilfsinstrument, das Vorliegen eines - häufig subjektiven Tatbestandsmerkmals "beweisen" sollen. Da sich die Untersuchung Heys gerade auf das Steuerrecht bezieht, dürfte die Vermutung eigentlich keine praktische

122

Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 33 f.

123

Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 38.

124

NiefflQUS, Beweismaß, S. 13.

125

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 57 f.

126 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 58; als Anscheinsbeweis immer: Rechbetger, Festschrift Baumgärtel, S. 471, 478.

127 Bruns, Zivilprozeßrecht, Rdn. 171c, behandelt sie konsequent auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Überwiegensprinzip. Zur Problematik der \ermutungen ausflihrlich unten 4. Teil B. IV 128

Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 65.

129

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 58.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

47

Bedeutung mehr haben, da ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit in den seltensten Fällen erreicht wird. Vermutungen dienen gerade der schnellen (verfahrensökonomischen) Erfassung komplexer und schwer ermittelbarer (innerer) Sachverhalte und können allein daraus ihre Berechtigung beziehen. Im Bereich des Steuerrechts wäre es absolut lebensfremd, die Vielzahl von tatsächlichen Vermutungen (Typisierungen) am Maßstab der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit messen zu wollen. Do Gerade bei den innere Tatsachen betreffenden Vermutungen, wobei an dieser Stelle nur die Vermutungen zur Gewinnerzielungsabsicht l3l und zum Erwerb in Abbruchabsicht 132 erwähnt werden sollen, läßt sich nicht einmal eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsache feststellen. Dagegen beseitigt auch die Möglichkeit zur (freiwilligen) Entkräftung dieses Anscheinsbeweises133 nicht die von der Gewißheit zu einer Wahrscheinlichkeit reduzierte Überzeugungskraft (Richtigkeit) der Vermutung, sondern ist allein und unbedingt notwendig zur Kompensation der bedenklichen Verkürzung der gesetzlich an sich gebotenen Amtsermittlungspflicht (§ 88 AO) der Verwaltung. Der Große Senat des Bundesfinanzhofes attestiert sich selbst, daß die Tatsachengrundlage der Ver-

DO Sehr eindringlich für das deutsche und österreichischeZivilprozeßrecht im Hinblick auf "Erfahrungssätze" , die den hier \krmutungen genannten Erscheinungen entsprechen, Rechbelger, Festschrift Baumgärtel, S. 471, 476: "Daß aber Schlüsse aus Eifahrungssätzen in aller Regel nur Wahrscheinlichkeitsurteileergeben, win:1 wohl niemand ernsthaft bezweifeln. "Ebenso RechbetgeriSimotta, Grundriß, Rdn. 580; Berg, JuS 1977, 23, 24, bezüglich der dem Anscheins- und Indizienbeweis zugrundeliegenden Erfahrungssätzen: "In jedem Fall verhelfen Eifahrungssätze dazu, partielle Unkenntnis - nicht Zweifel! - des Gerichts über einen relevantenSachvemaltsablaufnach Regeln der Wahrscheinlichkeitzu überbrücken. "Ähnlich deutlich L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 213, 219. Dl Zu den \krmutungen der (fehlenden) Gewinnerzielungsabsicht vgl. BFH BStBl. 11 1991,564; BStBl.1I 1992, 328; BStBl.1I 1993,658; ablehnend hierzu Loritz, in: Loritz/ Wagner, Konzeptionshandbuch der steuerorientierten Kapitalanlage, Bd. 2, S. 122 f. m.w.N.; vgl. zur Bestätigung der fehlenden "Gewißheit" dieser \krmutungen die Ansicht des FG Berlin, EFG 1993,721,722, das es für "ernstlichzweifelhaft"erachtet, "ob ein solcher Anscheinsbeweis ... zutreffe." D2 Zum Erwerb in Abbruchabsicht GrS BFH BStBl. 11 1978, 620; BFH BStBl. 11 1979, 509; BStBl. II 1980, 69; diese Ansicht ist ebenso für die Finanzverwaltung bindend nach Abschn. 33a Abs. 2 S. 4 EStR 1993.

m GrS BFH BStBl. II 1978, 620, 626; Abschn. 33a Abs. 2 S. 5 EStR.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

48

mutung (Beweis des ersten Anscheins) nur "in der Regel" vorliege 134 ; wie soll dann ein Richter oder Finanzbeamter, der der Vermutung gemäß aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. I GG) entscheiden muß, wenn nicht der Steuerpflichtige selbst andere Tatsachen vorträgt, vom Vorliegen der subjektiven Abbruchabsicht zum Zeitpunkt des Erwerbs überzeugt sein, d.h. Gewißheit für den konkret von ihm entschiedenen Fall erlangt haben? Letztlich kann er nur davon "überzeugt" sein, daß ein "Regelfall" gegeben ist. Hierdurch wird zweierlei bewirkt: Zum einen wird das Beweismaß so weit reduziert, wie die Tatsachenbasis wahrscheinlich ist zum anderen wird, wie noch auszuführen ist, durch die Möglichkeit der Widerlegung eine konkret subjektive Beweislast des Steuerpflichtigen statuiert. 135 Der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit der zugrundegelegten Vermutungen wird im Hinblick auf Probleme der Selbstbindung der Verwaltung (Richtlinien), Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. I GG, herangezogen von Finanzverwaltung und -rechtsprechung) und der Wirkung von Vermutungen zugunsten eines Steuerpflichtigen bei dessen eigener Berufung darauf keine besondere Beachtung geschenkt. 136 Das Verlangen, diese Grundsätze zu berücksichtigen, 134

BStBl. II 1978, 620, 626.

Der Entkräftungsbeweis wäre die Umkehrung der aus der Amtsermittlungspflicht resultierenden Beweisführungslast der Finanzbehörde (Pestalozza,Festschrift Boorberg 'krlag, S. 185, 197), wenn auch ebenfalls mit nur reduzierter Überzeugungspjlicht. Mit der objektiven Beweislast hätte all dies zunächst nichts zu tun (unklar BFH BStBl. II 1980, 69, 71: " ... tritt die ursprüngliche [sc. objektive] Beweislastregel wieder in Kraft ... "). Ein Problem ergibt sich erst dann, wenn Beweisführungslast und objektive Beweislast notwendigerweise zusammengehören und nicht auseinanderfallen können. Dann nämlich würde die 'krmutung die Feststellungslast (objektive Beweislast) verschieben bzw. 'umkehren' und damit das materielle Recht ändern. Bemerkenswert ist immerhin, daß hinsichtlich des Zivil(prozeß)rechts für den Anscheinsbeweis diese Wirkung von Gwger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 179 tl., nachgewiesen wird; im Ergebnis ebenso Thümmel/Sparbelg, DB 1995, 1013,1015. Vgl. auch Isensee,StuW 1973, 199, 201; ders., Typisierende 'krwaltung, S. 60: "... gerät der Lebens[sach]verhalt selbst in Bewegung. Er bewegt sich gleichsam auf die Norm zu ... ". 135

136 Die Problematik zeigt sich auch an der Begründung Leipolds, Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß, S. 16 f, der als Rechtfertigung darauf verweist (beschränkt auf den Kausalitätsnachweis! ), daß die materiellrechtlichen Normen (Tatbestandsmerkmale) "prozessual handhabbar bleiben müssen". Inwieweit das für das öffentliche Eingriffsrecht ausreicht, bedarf noch genauerer Betrachtung; keine gewichtigen Bedenken scheinen Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 10, zu tragen.

A. Unautklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

49

müßte wesentlich konsequenter verfolgt werden. Bereits an dieser frühen Stelle bei der Beweismaßfestlegung zeigt sich das generelle Problem der Beweislastdiskussion einschließlich der benachbarten Erscheinungen: Jede noch so klare theoretische, an der Gesetzessystematik ansetzende Trennung fuhrt letztlich zu einer Verschiebung der Fragestellungen auf andere Bereiche 137 und müßte dann dort gelöst werden. \38 Ein psychologisch nicht zu unterschätzendes Argument wird vorgetragen, wenn darauf hingewiesen wird, daß bei einer klaren Trennung von Beweismaß und Beweislast eine Beweislastentscheidung eine "andere Qualität" habe, als eine aufgrund einer Beweismaßreduzierung bis zur gerade noch überwiegenden Wahrscheinlichkeit ergangene; schließlich werde damit zum Ausdruck gebracht, daß hier ein Mittel als ultima ratio gewählt wurde, um den Auftrag, eine

137 Z.B., wie hier, die Frage der Tatbestandsmäßigkeit vom Beweismaß auf den Bereich der tatsächlichen Vermutungen und die Beweislast. Besonders deutlich wird dies bei Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht, Rdn. 370, die formuliert, daß "die Beweislastverteilung das Beweismaß ... von der an sich erforderlichen 'an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit' auf eine einfache Wahrscheinlichkeit" reduziert. Die Funktion von Beweismaßregelungen (Coester-Waltjen setzt diesen Begriff durchaus mit dem hier verwendeten des Regelbeweismaßes gleich) und Beweislastverteilungsregeln sei "die Verkürzung der Wahrheitsermittlung" (ebd., Rdn. 360, 371). Unabhängig von der Vereinbarkeit dieser Ansicht mit der herrschenden Auffassung von der Funktion von Beweismaß und Beweislastverteilung würde dies aus den genannten Gründen einer objektiven Beweislast im gesamten Bereich des öffentlichen Rechts "das Genick brechen". Ebenso würde die zivilprozessuale Auffassung Rechbetgers, Festschrift Baumgärtei, S. 471, 480, bei Übertragung auf das Steuerrecht zu unhaltbaren Ergebnissen führen; wäre die aufgrund von Erfahrungssätzen gewonnene Tatsachenfeststellung nicht durch das Revisionsgericht überprüfbar, würde eine unvertretbare Ausweitung der steuerrechtlichen Tatbestände unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit stattfinden - eine für einen Rechtsstaat unvertretbare Situation. Auch aus diesen Überlegungen müssen sich Vorbehalte gegen die Adaption der zivilprozessualen Dogmatik auf das öffentliche Eingriffsrecht ergeben. 138 Für das Zivil(prozeß)recht stellt sich das Problem in zweifacher Weise nicht. Zum einen gilt im Privatrecht generell nicht das Tatbestandsmäßigkeitsprinzip, zum anderen träte die Frage auch deshalb in den Hintergrund, weil die materiellen Normen mit Rücksicht auf die Beweislast formuliert wurden, vgl. Nierhaus, Beweismaß, S. 8; Schwab, Festschrift Fasching, S. 451, 455; Musielak, ZZP 100 (1987), 385, 401.

4 M. Schmidl

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

50

Sachentscheidung auf jeden Fall zu treffen, zu erfüllen139 So wichtig wie dieses Bewußtsein auf seiten der Parteien 140 erscheinen mag und auch wünschenswert wäre, bleibt dennoch offen, warum diese klare Trennung zumindest im Bereich des Steuerrechts gerade die Notwendigkeit von Beweislastentscheidungen begründen muß; auch andere Mittel, insbesondere die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, könnten diese Aufgabe erfüllen, zumal diese eindeutig im Gesetz, und zwar bei der Vorschrift über die freie Beweiswürdigung im finanzgerichtlichen Verfahren (§ 96 FGO) und damit in einer zur Festlegung des Beweismaßes herangezogenen Norm, erwähnt ist. § 96 Abs. I HS 2 FGO selbst scheint diese Auffassung, die die klare Trennung verlangt, bereits zu konterkarieren. Dieser Argumentation könnte man allenfalls durch die Ablehnung der Zulässigkeit der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen entgehen. Dann müßte man sich allerdings auch für das Steuerrecht erst einmal über die Wirkung von Beweislastnormen im klaren sein und die Parallelität zum Zivilprozeßrecht dogmatisch begründen l41 ; dies ist ausweislich der Aussage Nierhaus H2 noch nicht geschehen. Auch im Hinblick auf die bereits erwähnten tatsächlichen Vermutungen scheint die Begründung verfänglich. Zu einer klaren Trennung ist die faktisch weitreichende Aufrechterhaltung dieses "Instituts" nicht überzeugend: Das muß sich ehrlicherweise aus der mangelnden Konsensfähigkeit über den "Wahrscheinlichkeitswert" dieser Vermutungen ergeben. Letztlich läßt sich das Argument auch im Hinblick auf ein einheitliches Modell bezüglich der verwaltungsrechtlichen und finanzgerichtlichen Entscheidung nicht aufrechterhalten; wenn tatsächlich für viele Entscheidungen ein gleicher Maßstab und eine einheitliche Systematik Anwendung finden soll, müssen sich bereits aus der allgemein postulierten Anwendbarkeit von Vermutungen durch Richtlinien und andere Vereinfachungsmechanismenim Verwaltungsverfahren Widersprüche gegen eine klare Abgrenzbarkeit ergeben. Der

139 Hey, Beweislast und \ennutungen, S. 34; dies würde sich allerdings nicht mit der Auffassung Coester-Waltjens, a.a.O., bezüglich der Funktion der Beweislastverteilungsregeln in Einklang bringen lassen.

140 Und des RichterslRechtsanwenders, der sich immer darauf berufen wird, daß seine Entscheidung auf objektiven (gesetzlichen) Notwendigkeiten, nicht aber (unbedingt) auf seiner persönlichen Überzeugung beruht. 141 Zu welch problematischen Ergebnissen man dabei gelangen kann, zeigt die Auffassung Coester-Waltjens, a.a.O. (hierzu oben Fn. 137). 142

Beweismaß, S. 8.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

51

Begründungsversuch, der sich auf eine unterschiedliche Qualität der Entscheidungen bei Abstellen auf eine (überwiegende) Wahrscheinlichkeit oder nach den Regeln über die objektive Beweislast stützt und letzteren den Vorzug gibt, offenbart seine Schwäche letztlich aus sich selbst heraus. Statt sich auf der Ebene der Beweiswürdigung zu entscheiden, hat dieser Ansatz die Unzulänglichkeit, daß er sich auf die von ihm selbst durch die Anlegung eines hohen Maßstabes provozierte Situation des non liquet beruft und damit auf ein Eingreifen der "Hilfsregeln" der objektiven Beweislast als ultima ratio angewiesen ist. Deswegen erscheint für das Überzeugungsmodell der Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit beseitigt, während er für das Wahrscheinlichkeitsmodell bestehenbleibt; das Qualitätsargument verliert aber dann an Überzeugungskraft, wenn bei Anwendung der "Hilfsregeln" der objektiven Beweislast die Verträglichkeit mit dem Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeitsprinzip nicht nachgewiesen wird. Es bleibt hier zunächst festzuhalten, daß bei der Beweismaßfestlegungfür das öffentliche Recht, insbesondere für das Steuerrecht, der Grundsatz der Gesetzund Tatbestandsmäßigkeit eine zentrale Bedeutung haben muß. Alleine mit ihm läßt sich allerdings die Geltung des Überzeugungsmodells nicht hinreichend begründen, da es selbst mit zahlreichen Ausnahmen die Geltung des Prinzips aufweichen muß. Bedeutsam kann dann aber die noch im einzelnen zu untersuchende Frage sein, ob andere, die Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit überragende Grundsätze dies im Einzelfall rechtfertigen. Eng mit der Frage der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeithängt ein Argument Prüttings 143 zusammen, wenn dieser bei der Beweismaßfrage gegen das Wahrscheinlichkeitsmodell vorbringt, daß die Behauptung unhaltbar sei, "im Zivilrecht würden beide Parteien durch den Prozeßverlust infolge fehlerhafter tatsächlicher Feststellungen gleich schwer belastet". Hierbei werde der zivilprozessuale Grundgedanke l44 des Verbots der Selbsthilfe verkannt, "wodurch zunächst immer der status quo besonderen Schutz erfährt und der jeweilige Angreifer das größere Risiko tragen soll und muß". Hiergegen wendet Rechberger allerdings ein, daß der Schutz des status quo nicht Ursache des Sebsthilfeverbotes sei, sondern umgekehrt dessen Folge. Die Ursache liege "in dem Umstand, daß in zivilisierten Rechtsordnungen Streitigkeiten zwischen Bürgern

14J

Gegenwartsprobleme, S. 78.

144 Habscheid, Festschrift Baumgärtel, S. 105, 118, umschreibt diesen Gedanken sogar als "rechtsstaatlich gebotene Grundregel".

4'

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

52

nicht durch Anwendung privater Gewalt, sondern unter Zuhilfenahme der staatlichen Rechtsschutzeinrichtungen ausgetragen werden".14s Deren Inanspruchnahme bedürfe, wenn es sich nicht ausnahmsweise aus im Gesetz selbst niedergelegten Gerechtigkeitserwägungen ergebe, einer besonderen "inneren Rechtfertigung", die vorliege, wenn detjenige, der den materiellen Anspruch behauptet, seine Grundlagen beweise. Rechbergerbezieht dies nicht nur auf die "primäre Belastung mit der Beweisführung"146, sondern auch auf die Frage der Notwendigkeit der Überzeugung des Richters von der Wahrheit, wobei er allerdings eine "hohe Wahrscheinlichkeit" als ausreichend erachtet. 147 Diese Gedanken kann man dennoch bei der Beweismaßfestlegung für das öffentliche Recht nicht völlig unberücksichtigt lassen. Von Bedeutung ist dabei aber, daß es das Selbsthilfeverbot des "Angreifers" hier in dieser Form nicht gibt. Die (Finanz)Verwaltung kann ihre Ansprüche ohne Zuhilfenahme eines unabhängigen Richters selbst vollstrecken. Dabei muß sie den status quo beachten; ihr Eingriff(srecht) bedarf der inneren Rechtfertigung, die schwerlich dann vorliegen kann, wenn der Anspruch nur "wahrscheinlich" gegeben ist. Gerade eine "zivilisierte Rechtsordnung" dürfte sich damit nicht begnügen. Die öffentlichrechtlichen Normen, die im Sinne Rechbergers Beweismaßerhöhungen begründen (würden)148, beruhen gerade auf der materiellrechtlichen Erwägung, daß in die Rechtssphäre des Bürgers nur eingegriffen werden darf, wenn die Voraussetzungen für den Eingriff jeststehen. 149 Was für das Zivil(prozeß)recht postuliert wird, muß demzufolge in noch größerem Maße für das Steuerrecht als öffentlichrechtlichem Eingriffsrecht gelten. Die Frage der Wahrung des status quo spielt also nicht erst eine Rolle bei der Verteilung der objektiven Beweislase so , sondern bereits bei der Beweismaßfestlegung.lSl "Angreifer"ls2 ist der Fiskus, der in die Rechte der 145

Rechbelger, Festschrift Baumgärtel, S. 471, 489.

146

Gemeint ist wohl (auch) die objektive Beweislast.

147 Rechbelger, Festschrift Baurngärtel, S. 471, 489 f; vgl. auch oben A. I. 3. a) bb) (2) (Fn. 81).

148

Vgl. auch § 38 AO: ... der Tatbestand verwirklicht ist ...

149 Explizit auch Tipke/Kruse,§ 165 AO Rdn. 6; vgl. aber auch dies., § 88 AO Rdn. 10: wäre ideal, ist aber "in einern Massenfall-\erfahren mit verhältnismäßigen Mitteln nicht erreichbar."

150

Hierzu Leipold, Beweislastregeln, S. 48 f. Siehe auch unten 3. Teil C. III. 3.

151

So auch Schwab, Festschrift Fasching, S. 451, 455.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

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betroffenen Bürger eingreifen möchte. Dies kann er nicht bei nur wahrscheinlichem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen, sondern allein dann, wenn der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO).

Dagegen kann der Behauptung, daß es ernstlich nicht zu bestreiten sei, daß die Mehrzahl der Prozesse zu klaren Ergebnissen in der Tatfrage gelange 153 , für das Steuerrecht nicht beigetreten werden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die zahlreichen Verwaltungsvereinfachungen und schon erwähnten Vermutungen, die die Finanzämter im Verwaltungsverfahren anzuwenden haben. Wenn die Finanzverwaltung in der Grundtendenz davon ausgeht, daß ein vollständiger Gesetzesvollzug einerseits nicht möglich, andererseits aber auch nicht angestrebt sei l54 , dann muß dies notwendigerweise auch Auswirkungen auf das Verfahren vor den Finanzgerichten zeitigen. Von einer feststehenden und ausermittelten Tatsachenbasis kann hier - ganz im Gegensatz zum Strafprozeß oder zum Zivilprozeß - in einer Groß zahl der Fälle nicht ausgegangen werdenIss. Neben den Bedenken wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeitsprinzip sprechen auch systematische Gesichtspunkte für das herrschende Überzeugungsmodell 1s6 . So lassen sich mit einem Regelbeweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeitall diejenigen Normen nicht verein-

[52 Betg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 184 Ir., 197 tf.; Börner, Umwelt, \erwaltung, \erfassung, S. 117, 130.

m Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 77. Rechbetger, Festschrift Baumgärtel, S. 471, 490, ist demgegenüber der Autfassung, wenn das Überzeugungsmodell in der Praxis

auch tatsächlich angewandt würde, "müßte wegen der Fülle der dann notwendigen Beweislastentscheidungen die Klagsabweisung der häutigste Fall des Zivilurteils sein" . Bedenken äußert auch Habscheid, Festschrift Baumgärtel, S. 105, 119, der allerdings am Überzeugungsmodell festhält. [54 Weingarten, Finanzverwaltung und Gesetzesvollzug, S. 448; vgl. auch Rittler, DB 1987,2331,2332. ISS Betg, JuS 1977,23,24: "partielle Unkenntnis nach Regeln der Wahrscheinlichkeit überbrücken". Vgl. auch Mußgnug, JuS 1993,48,55; im Zusammenhang mit der typisierenden Betrachtungsweise faßt dieser die Autfassung des BFH in der Aussage zusammen, für jenen gelte "die unwiderlegliche \ermutung, daß der typische Sachverhalt keine atypischen Abweichungen" kenne. [56

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 79 tr.; NienlQus, Beweismaß, S. 64 tr.

54

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

baren, die im einzelnen einen gegenüber der Gewißheit verminderten Grad der Überzeugungsbildung verlangen 157 . Für das Steuerrecht sind u.a. §§ 96 Abs. 2 S. 2, 3, 110 Abs. 2, 161 AO; § 56 Abs. 2 FGO zu nennen, die es ausreichen lassen, wenn der Steuerpflichtige die Tatsachen nur glaubhaft macht; auch die Schätzungsbefugnis nach §§ 96 Abs. 1 FGO, 162 AO reduziert die (richterliche) Überzeugung in weitem Maße. 15s Würde generell ein Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gelten, hätten diese Vorschriften ihre Funktion verloren. Für eine derartige Durchbrechung des im Gesetze angelegten Regel-Ausnahme-Prinzips sind aber keine zwingenden Gründe ersichtlich. Schließlich bringt § 165 AO als speziell an die Finanzbehörden gerichtete Norm unmißverständlich zum Ausdruck, daß im Regelfall die Gewißheit als Entscheidungsmaßstab für die Steuerfestsetzung anzusehen ist. Dem Überzeugungsmodell ist daher der Vorzug zu geben.

(5) Zusammenfassung Im Gang der Entscheidungsfindung nimmt als (eigentlich) logische Prämisse die Feststellung der der Entscheidung zugrundezulegenden Tatsachen eine zentrale Stellung ein. Diese Feststellung ist vom Rechtsanwender im Rahmen der Beweiswürdigung vorzunehmen. Da es sich immer um eine nachträgliche Betrachtung des wirklich Vorgefallenen handelt, der Rechtsanwender sich also ein Bild davon machen muß, kann nicht die Wirklichkeit, sondern nur das subjektive (Ab-)Bild Grundlage der Entscheidung sein. Das Beweismaß regelt die Frage, welcher Grad von Übereinstimmung zwischen der Wirklichkeit (Wahrheit) und dem Abbild als Entscheidungsgrundlage vorliegen muß, wann also der Rechtsanwenderfür sich sagen kann, daß das Behauptete der Wahrheit entspricht (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO). In Betracht kommt hierbei grundsätzlich ein Rahmen, der von der vollen Deckung (100 %) bis zu einer überwiegenden Deckung (51 %) reichen könnte. Eine volle Überdeckung wäre allerdings nur zu erreichen, wenn der Rechtsanwender, der die Entscheidung zu treffen hat und auf dessen (objektivierte) Überzeugung es daher ankommt, die festzustellenden Tatsachen selbst erlebt, sie mit eigener Wahrnehmung unmittelbar

157 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 80 ff. und Niemaus, Beweismaß, S. 66 fT. 158

Hierzu unten 4. Teil A. 11.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

55

erfahren hat. Dies wird nur in den seltensten Fällen vorliegen. Ein "Rest" an Zweifel verbleibt also im Regelfall, so daß eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit letztlich das übermaß bilden muß. Nur in diesem Fall wird - letzte Erkenntnismängel ausgenommen - die materielle Rechtslage mit der Entscheidung des Rechtsanwenders übereinstimmen. Je weiter dagegen die Übereinstimmung reduziert wird, desto größer wird auch der Anwendungsbereich der materiellrechtlichenNormen. Dies verträgt sich nicht mit der Systematik des Gesetzes, das an vielen Stellen im Einzelfall Absenkungen des Grades der notwendigen Übereinstimmung vorgenommen hat; dies wäre sinnlos, wenn von vornherein ein reduziertes Beweismaß Anwendung fände. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß, da in allen Prozeßordnungen ein einheitliches (Regel-)Beweismaß gilt, insbesondere im öffentlichen (Eingriffs-)Recht der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit ein besonderes Gewicht zukommt. Von daher ist der Erscheinung, daß bei Absenkung des Beweismaßes hin zu einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit die materiellrechtlichenNormen eine bedeutende Ausweitung erführen, Beachtung zu schenken. Es muß sich demzufolge verbieten, generell ein reduziertes Beweismaß zur Anwendung gelangen zu lassen. Der Rechtsanwender ist daher von der Wahrheit überzeugt, wenn er persönlich eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen (oder Nichtvorliegen) einer Tatsache erlangt hat. Dieses hohe Beweismaß führt aber dazu, daß der Rechtsanwender öfter diesen Grad an persönlicher Überzeugung nicht erreichen kann; damit sieht er sich vor dem bereits eingangs dargestellten Problem, daß möglicherweise die Tatsache nicht wahr, aber wahrscheinlich, jedenfalls nicht unwahrscheinlich ist. Im gerichtlichen Verfahren könnte er dem geltend gemachten Anspruch weder stattgeben (da die Tatsachenbasis nicht "sicher" ist) noch ihn abweisen, weil ja nicht sicher ist, daß er (bzw. die Tatsache) nicht vorliegt. Das Aufrechterhalten eines hohen Überzeugungsgrades erfordert demzufolge weitere Lösungsmechanismen.

b) Die Rechtsfolgenanordnungen der Rechtssätze Sofern die "theoretische"159 Möglichkeit, die Sachentscheidung offenzuhalten, nicht akzeptabel ist, stellt sich die weitere Frage, wie sie überwunden werden kann.

159

Leipold, Beweislastregeln, S. 33.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

56

Der Rechtssatz (die materielle Norm) ermöglicht die Anordnung der Rechtsfolge nur, wenn der Tatbestand erfüllt ist. Ist das Vorliegen einzelner Merkmale unaufklärbar, ist der Ausspruch der Rechtsfolge aus der Norm "als solcher,,160 nicht möglich. Der Rechtssatz "ermöglicht" seine Nichtanwendung, wenn feststeht, daß sein Tatbestand nicht erfüllt ist. 161 Der materielle Rechtssatz verweigert sich aber l62 , wenn nicht feststeht, ob sein Tatbestand - im Bereich des Tatsächlichen l63 , nicht des Rechtlichen - erfüllt ist oder nicht; die" Anordnung" der Rechtsfolge kann ihm in diesem Fall weder in "positiver" noch in "negativer" Hinsicht entnommen werden. l64 Dies korrespondiert durchaus mit der Wirklichkeit I 65 , da die Tatbestandsmerkmale in tatsächlicher Hinsicht entweder erfüllt waren oder nicht. Das Manko, daß der materiellen Norm in dieser Situation eine Rechtsfolge (noch) nicht entnommen werden kann, könnte nun auf zweierlei Weise überwunden werden. Zum einen könnte durch ein Hinzutreten von Regeln (Normen), die gerade auf diese Non-liquet-Lage zugeschnitten sind, die Anordnung einer Rechtsfolge des bisher unanwendbarenRechtssatzeserfolgen - Beweislastnormen -, oder es könnte - unter Zugrundelegung eines völlig anderen Rechtsverständnisses - die Anordnung der Rechtsfolgen eines Rechtssatzes nicht an das Vorliegen der Tatsachen, sondern deren (prozessuale) Feststellung angeknüpft werden. In letzterem Falle würde die Rechtsfolge nur und erst bei

160 Diese Fonnulierung wird gewählt, weil vorgreiflich auch diejenigen Auffassungen mitberiicksichtigt werden sollen, die Beweislastnonnen aus dem materiellen Rechtssatz ableiten bzw. diesem zuordnen. 161 Leipold, Beweislastregeln, S. 33, bezeichnet dies als Anwendung der Nonn in negativer Hinsicht. 162 A.A. die sog. Nichtanwendungstheorie Rosenbelgs; die Unrichtigkeit dieser Auffassung wurde aber bereits durch Leipold, Beweislastregeln, S. 31 fL nachgewiesen; vgl. auch Wacke, Die Beweislast der Familienunternehmen, S. 1. 163 Hierbei ist die Wahrfeststellung des Sachverhaltes als ein Element bei der Fonnulierung des Untersatzes gemeint, vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 278 und oben A. I. 2. 164

Leipold, Beweislastregeln, S. 33.

161 Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 3.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

57

Beweis (Erwiesenheit) der Tatsachen eintreten; besondere Beweislastnonnen wären überflüssig. '66

11. Zur Frage der (prozessualen) Rechtsentstehung

Es hat sich gezeigt, daß bei der geschilderten Anknüpfung der Rechtsfolgen einer Nonn an den Beweis der zugrundeliegenden Tatsachen die Problematik einer Non-liquet-Situation nicht entstehen kann, weil aus dem "Dreiklang der möglichen Beweisergebnisse: bewiesen - widerlegt - non-liquet" ein "Zweiklang" würde. '67 Eine eingehende Auseinandersetzung mit den Theorien einer prozessualen Rechtsentstehung braucht hier allerdings aus mehreren Gründen nicht vorgenommen zu werden: Zunächst ergibt sich schon aus dem gewählten Aufbau, daß zum Ausgangspunkt dieser Arbeit die von der herrschenden Meinung vertretene Lehre von der objektiven Beweislast gemacht werden soll. Diese verträgt sich nicht mit einer Theorie prozessualer Rechtsentstehung, sondern baut auf einem Verständnis der Rechtssätze als Verhaltensnonnen auf und bringt dadurch "die natürliche und naheliegende Auffassung zur Geltung, die das Recht als Ordnung des menschlichen Zusammenlebens unter der Idee der Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit begreift".'68 Eine kritische Betrachtung dieser herrschenden Meinung und die Bejahung einer Theorie prozessualer Rechtsentstehung würde demzufolge von vornherein die Beweislastlehre in sich zusammenbrechen und die Untersuchung gegenstandslos werden lassen. Wegen der eminent wichtigen Bedeutung der Frage nach der Rechtsentstehung für die Lehre von der (objektiven) Beweislast hat in Zusammenhang mit den Untersuchungen der Beweislast eine hinreichende und fundierte Auseinandersetzung mit den prozeßbezogenen Auffassungen der Rechtssätze stattgefunden, auf die hier verwiesen werden kann. So setzten sich insbesondere Musie/ak I69 , Leipo/dl7O und Nierhaus l71 mit dem Rechts-

166

Nierhaus, Beweismaß, S. 152.

167

Nierhau~,

Beweismaß, S. 151 f.. in Anlehnung an Prütting, Gegenwartsprobleme,

S. 114. 16K

Nierhaus, Beweismaß, S. 156 f.; i.d.S. auch schon Leipold, Beweislastregeln, S. 30.

169

Grundlagen der Beweislast, S. 4-18.

58

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

verständnis Oskar Bülows I72 , Max Ernst Mayers 173 , Hans Kelsens 174 und Julius Binders 175 eingehend auseinander und verwarfen deren theoretische Ansätze. 176 Soweit die genanntenprozeßbezogenenAuffassungen - trotz aller Differenzierungen im einzelnen - in den Rechtssatzen keine primären Verhaltensanweisungen für die Rechtsunterworfenensehen l77 , sondern Entscheidungsanweisungen an den Richter (bzw. die Verwaltung), der (die) das aktuelle (individuelle) Recht "setzt"178, widerspricht dies generell einer Rechtsauffassung, die vom Bestehen einer Rechts- und Pflichtenlage zwischen den Rechtsunterworfenen auch ohne (notwendige) konkretisierende Gerichtsoder Verwaltungsentscheidung ausgeht. 179 Die Rechtsgemeinschaft geht von der Existenz von Verhaltensnormen aus und befolgt diese (im wesentlichen) freiwillig; dabei gehen die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft apriori davon aus, daß ihr Verhalten bereits rechtliche Relevanz hat und nicht erst durch spätere Entscheidung erhält. Die Rückbeziehung der Geltung der (richterlichen) Entscheidung auf den Zeitpunkt des Eintritts bzw. Vorliegens der rechts erheblichen Tatsachen180 wäre dagegen nur

170

Beweislastrege1n, S. 14-30.

171

Beweismaß, S. 144-158.

172

Gesetz und Richteramt.

173

Rechtsnormen und Kulturnormen.

174

Reine Rechtslehre.

175

Rechtsnorm und Rechtspf1icht; Der Adressat der Rechtsnorm und seine \erpflich-

tung.

176 Gegen Leonhani, Die Beweislast, S. 128, schonRosenbelg, Beweislast, S. 84; ausführlich auch Pohle, Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317, 329 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme, s. 113 ff.

177 Vgl. auch Enneccenls-Nippedey, Allgemeiner Teil, 1. Halbbd., § 30 III 1, S. 199; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 11, 19. 178 Z.B. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 240; ME. Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, S. 41. 179 Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 364; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 14; Hill, Das fehlerhafte \erfahren und seine Folgen im \erwaltungsrecht, S. 225; vgl. auch Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdn. 44. 180

Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 245.

A. Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhalts

59

der Versuch, eine prozeßbezogene Auffassung der Rechtsnonnen für die praktische Anwendung zu retten. 181 Doch zeigt sich hierbei eine interessante Erscheinung, die in ganz ähnlicher Fonn bei den "Wirkungen" der objektiven Beweislast (besonders im Steuerrecht) für die Untersuchung Bedeutung verspricht l82 : So weist Leipold183 darauf hin, daß bei "prozessualer" Einordnung der Rechtssätzedie Rechtsunterworfenenihr konkretes Verhalten "allenfalls durch - notwendigerweise äußerst unsichere - Vorausberechnungen eines etwaigen Prozeßergebnisses" bestimmen würden; dies sei "aber nur eine Nebenfolge der Rechtsnonnen als Entscheidungsnonnen" .184 Die Ablehnung einer rein prozessualen Funktion der Rechtssätze ist daher durchgängig l85 ; Nonnen knüpfen die Rechtsfolgeanordnung regelmäßig 186 an das Vorliegen von Tatsachen, nicht an deren Beweis. 187

181

Vgl. die Kritik Leipolds, Beweislastregeln,

182

Ausführlich hierzu unten 2. Teil B., D.

183

Beweislastrege1n, S. 24.

s.

27 f

184 Hierzu ist eine Auseinandersetzung mit der Auffassung Nielhaus : Beweismaß, S. 168 ff., angezeigt, der bei Ablehnung eines prozeßbezogenen \erständnisses der Rechtssätze (a.a.O., S. 151 ff.) für die materiellen Beweislastnormen solche Wirkungen armimmt. Vgl. auch Leipold, Beweislastrege1n, S. 64 m.w.N.

185 A.A. in der neueren Lit. Schwindel, Das non liquet in der Tatfrage, S. 95, 131; Pawlowski, ZZP 80 (1967), 345, 363, 368/; Schellhammer, Arbeitsmethode (4. Aufl 1980), Rdn. 329; anders ders., Zivilprozeß, Rdn. 3. Nachw. zu älteren Auffassungen bei Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 283 Fn. 3; Leipold, Beweislastrege1n, S. 17 Fn. 2, S. 27 Fn. 33. 186 Eine wichtige Ausnahme bilden die \brschriften, die den Nachweis zum Tatbestandsmerkmal erheben, z.B. § 7d Abs. 2 Nr. 2 EStG. 187 H.M., vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 128 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 256 f, 298; Pohle, Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317,330; Rosenbetg, Die Beweislast, S. 82, 100; Leipold, Beweislastrege1n, S. 29 f; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 18 (m.W.N. in Fn. 116); Bruns, Zivilprozeßrecht, Rdn. 5 f, 8, 165; Blomeyer,Zivilprozeßrecht, § 69 11 1, S. 364; ders., \erhandlungen des 46. DIT 1966, Bd. I, Teil 2 A, S. 10; SteinlJonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 54; Kegel, Festschrift Baumgärtel, S. 201; Belg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 72 Fn. 3 a.E.; Nie1lwus, Beweismaß, S. 156 f

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

60

Als letztes Argument muß angeführt werden, daß ein prozessual bezogenes Rechtsverständnis sich für das Steuerrecht nicht mit dem Gesetz vereinbaren läßt. § 38 AO ordnet unmißverständlich an, daß

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Hierdurch wird klargestellt, daß die materielle Rechtsentstehung - der Steueranspruch des Fiskus gegen den Bürger (Steuerpflichtigen) - grundsätzlich 188 nicht von einer konkretisierenden Verwaltungsentscheidung abhängt, sondern nur von der tatsächlichen Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des Rechtssatzes. 189 Die Festsetzung der Steuer durch die Finanzbehörde ist Voraussetzung für die Durchsetzung des Anspruchs und hat (i.d.R.) nur deklaratorischen Charakter190 ; sie läßt den einmal unabänderlich 191 entstandenen Anspruch auf die Steuer als solchen unbeIÜhrt. Demzufolge ist bei der Anwendung der Steuerrechtsnormen das Entstehen einer Non-liquet-Situation grundsätzlich möglich. B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Prinzip der Rechtsanwendung (Subsumtionsmodell) stets das gleiche, also grundsätzlich unabhängig davon ist, "welcher" Rechtsanwenderhandelt. Der Vorgang der Rechtsfindung kann dann

188 Daß die h.M. wegen der Wirkungsweise der Beweislastnonnen hiervon eine weitreichende Ausnahme (zu Durchbrechungen allgemein Fischer, in: HübschmannJ Hepp/Spitaler, § 38 AO Rdn. 6) zulassen muß, wird unten (B. III. 2. b) und 3. Teil D.) darg estellt. 189 Kruse, Steuerrecht I, S. 112; TIpke/Kruse, § 38 AO Rdn. 2, 4; Kühn/Kutter/Hofmann, § 38 AO Anm. 1; Hoffmann, in: Koch/Scholtz, § 38 AO Rdn. 2; Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 38 AO Rdn. 5, 10 f.; Jakob, Abgabenordnung, § 2 Rdn. 6; Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 93; vgl. auch Bühler, Steuerrecht I, S. 212 ff. zu § 81 AO 1919 und § 3 I StAnpG. 190 TIpke/Kruse, § 38 AO Rdn. 4; Fischer, in: Hübschmann/Hcpp/Spitaler, § 38 AO Rdn. 12; BFH BStBl. III 1954,26,27; B\erwG BStBl. 11 1975,317,319.

191

Kruse, Steuerrecht I, S. 121.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

61

ins Stocken geraten, wenn die für die Bildung des Untersatzes festzustellenden Tatsachen nicht mit der erforderlichen "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" nachgewiesen werden können. Die Untersuchung zum Beweismaß hat das Ergebnis gebracht, daß auch unabhängig vom Grad der Überzeugung ein non liquet immer möglich ist, daß also nur eine quantitative Verschiebung möglicher Beweislastentscheidungen bei Absenkung des Beweismaßes erreicht werden kann. Dies muß prinzipiell sowohl für das Zivilrecht wie für das vorliegend interessierende Steuerrecht gelten. Hier stellt sich allerdings zunächst die Frage nach den Auswirkungen der den verschiedenen Rechtsgebieten eigenen Verfahrensgrundsätze.

I. Die Unterscheidung nach Untersuchungsund Verhandlungsgrundsatz

Die Differenzierung danach, ob in dem "Rechtsanwendungsverfahren " der Grundsatz der Amtsermittlung oder aber - wie grundsätzlich im Zivilprozeß der Verhandlungsgrundsatz gilt, könnte auch für das non liquet von Bedeutung sein. Es bedarf im Rahmen dieser Untersuchung keiner eingehenden Darstellung der Auffassungen, die zunächst für Verfahren, in denen die Offizialmaxime Anwendung findet, die Möglichkeit einer Beweislastentscheidung ablehnten. ln Dies ist im Anschluß an "Die Beweislast" von Rosenberg umfangreich geschehen. 19J All diese Auffassungen verkennen, daß das Amtsermittlungsprinzip als solches Erkenntnismängel nicht verhindern kann und müssen sich daher entgegenhalten lassen, daß der Eintritt einer Non-liquet-Situation unabhängig von der Frage ist, wer für die zur Subsumtion des Sachverhaltes unter eine Norm erforderliche Tatsachenaufklärung zuständig ist - die Parteien, die Behörde oder das Gericht. Da das Rechtsanwendungsschema immer dasselbe ist und immer Menschen mit ihren begrenzten Erkenntnismöglichkeiten sich eine Überzeugung vom Vorliegen von (vergangenen) Tatsachen verschaffen müssen,

192 Vgl. z.B. Zitzlaff, StuW 1938, 169, 185; BVerfGE 1,299,316: "Das verfassungsgerichtliche Verfahren kennt keine Regeln über die Beweislast, es wird nach der Offizialmaxime durchgeführt." 193 Ausführlich z.B. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 164; Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 14 mit Fn. 18.

I. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

62

liegt die Möglichkeit der Unaufklärbarkeit in der Natur der Sache. 194 Verfehlt ist es allerdings, daraus bereits das Erfordernis einer wie auch immer be schaffenen Beweislastregelung ableiten zu wollen, wie dies gelegentlich geschieht. 195 Denn nur im Zusammenwirken mit einer unbedingten Verpflichtung zur Sachentscheidung kann man zu einem - wie auch immer gearteten Überwindungsprinzip gelangen, das auch in einer Beweislastentscheidung bestehen könnte. Die Verfahrensgrundsätze haben daher keinen Einfluß auf die (Un-)Aufklärbarkeit des Sachverhaltes.

11. Die Unterscheidung nach der Sachverhaltsfeststellung in einem Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren

Während die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes oder des Amtsermittlungsgrundsatzes fur den Eintritt einer Non-liquet-Situation irrelevant ist, muß untersucht werden, ob zwischen einer Entscheidung in einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren unterschieden werden muß. Dies ist nicht von vornherein selbstverständlich, obwohl auch hier keine relevante Abweichung bei der Anwendung des Subsumtionsmodells festzustellen ist. Insbesondere bei den Ausflihrungen zum Beweismaß wurde keine Unterscheidung danach vorgenommen, ob dies nur flir das gerichtliche Verfahren, dem die Vorschriften der §§ 286 ZPO, 96 FGO, 108 VwGO entnommen wurden, oder auch fur das Verwaltungsverfahren, insbesondere das Besteuerungsverfahren, zu gelten habe. Allein in der Begründung wurde darauf verwiesen, daß sowohl "die Verwaltung" als auch das Gericht an die Gesetze gebunden sind und diese vollziehen müssen. 196 So bestimmt insbesondere § 85 AO, daß die Finanzbehörden die

194 Römer, Umwelt, Verfassung, Verwaltung, S. 117, 123: "Das ignorare ist nicht eine conditio civilis, sondern eine conditio humana." Vgl. auch Leonhard, Die Beweislast, S. 128.

195 Dieser Versuchung verfallen z.B. Nierhaus, Beweismaß, S. 34 f; Schmidt-Aßmann, in: MaunzJDürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Anm. 227 m.w.N.; Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 14. Auch die Begründung vonSöhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 151 erschöpft sich in dem lapidaren Satz, daß einem non liquet in der Tatfrage kein non liquet in der Rechtsfrage folgen dürfe. Die Richtigkeit dieser dem Zivilprozeßrecht entlehnten Feststellung und die daraus folgende Notwendigkeit der Beweislastentscheidung auch im Steuerrecht wird nicht begründet. 196

So die Erklärung des Präsidenten des BFH, Offerhaus, FAZ vom 20.01.1995,

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

63

Steuern nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen haben und § 88 AO, daß der Steuersachverhalt von Amts wegen ermittelt werden muß (Abs. 1), wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind (Abs. 2). Dies unterscheidet sich nicht von der nach § 96 FGO bestehenden Pflicht des Gerichts, nach seiner aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. 197 Denn auch hier gilt der Untersuchungsgrundsatz. Sowenig wie das Gericht einen nur wahrscheinlich zustehenden Anspruch zusprechen kann, sowenig kann die (Finanz-)Verwaltung ihn festsetzen. Diese Tatsache läßt naturgemäß die zivilprozessuale Beweismaß/last-Diskussion unberücksichtigt; hier wird ein Anspruch zunächst nur mit Hilfe des Gerichts durchgesetzt. Im öffentlichen Recht "beschränkt" sich die Funktion der Gerichte weitgehend auf die Kontrolle des VerwaltungshandeIns; sie sind zur Durchsetzung eines (Steuer-)Anspruches nicht erforderlich. Ein Unterschied zwischen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren kann sich nicht beim Grad des Beweismaßes ergeben, sondern allenfalls dort, wo der Richter nach seiner persönlichen Überzeugung (vom Vorliegen der Wahrheit) entscheidet, während der Finanzbeamte "unpersönlich", d.h. sachlich gebunden entscheidet. 198 Es ist aber problematisch, hier der Verwaltung a priori einen größeren Freiraum im Sinne einer reduzierten Wahrscheinlichkeit bei der Ermittlung des Steuersachverhaltes zu gewähren, der dann mit einem strengeren Maßstab durch das Gericht gemessen würde; diese Konsequenz aus den faktischen Erfordernissen einer Verwaltungsvereinfachung und Effizienzsteigerung vertritt ausdrücklich Isensee l99 , was zwangsläufig aber zu einem

S. 19, "es würden nur die bestehendc::n Gesetze angewendet"; zu einem anderen Ergebnis fiir die Finanzverwaltung gelangt die empirische Untersuchung von Weingarten, Finanzverwaltung und Gesetzesvollzug, S. 448; vgl. auch Jenetzky, StuW 1982, 273, 285. 197 I.d.S. Isensee, StuW 1973, 199, 201: "Eine durchgehende Vermutung fiir das Übliche tastet den Grundsatz der freien Beweiswürdigung an, der dem Ermittlungs- und Feststellungsverfahren der Abgabenordnung zugrundeliegt." Ebenso Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 75 f1'., 151; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 208 und S. 222 mit umfangreichen Nachweisen zur h.M. in Fn. 2. Anders, aber mit Einschränkungen Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 272 ff.; im Hinblick auf § 165 AO, dem eindeutig das Gewij3heitserfordernis zu entnehmen ist, ist diese Auffassung fiir das Steuerrecht nicht haltbar. Hierzu unten B. III. 2. 19K

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 210, 314 f.

Isensee, StuW 1973, 199, 205; ders., Typisierende Verwaltung, S. 177 f1'.; auch Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 272 ff., tendiert wohl hierzu, allerdings 199

64

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

Ausufern der Steuerprozesse führen müßte, weil der Bürger, um "Sicherheit" über das Bestehen eines Steueranspruchs in der festgesetzten Höhe zu erlangen, klagen müßte. Probleme der Entscheidungskapazität würden dann aber von den Finanzbehörden auf die Gerichte verschoben. 20o Allein die Trägheit des einzelnen und die Scheu vor einem Gerichtsverfahren auf seiten des Steuerbürgers würden hier einer Prozeßflut entgegenstehen. Darüber hinaus würden über kurz oder lang die Finanzgerichte aus GIiinden des Selbstschutzes den Prüfungsmaßstab herabsetzen, um überhaupt funktionsfähig zu bleiben. Die heute bereits allseits beklagte Überlastung der Finanzverwaltung würde sich unweigerlich auf die (ebenfalls an den Grenzen der Leistungsfähigkeit angelangten201 ) Finanzgerichte ausdehnen und zu Abwehrnlechanismen führen. Da auch den Finanzgerichten keine "besseren" Aufklämngs- bzw. Überzeugungsgewinnungsmittel zur Hand stehen202 , würde letzten Endes nur eine Absenkung des Überzeugungsgrades zu einer Rationalisierung führen. Auch hier würden Effizienz- vor Gerechtigkeitserwägungen gestellt und letztlich mit der "zumindest" gewährleisteten Gleichmäßigkeit der Besteuerung begründet. Auf diese Weise würde die Kontrollaufgabe der Gerichte ausgehöhlt und das Gewaltenteilungsprinzip aufgegeben. Aus rechtspolitischer Sicht ist eine solche Lösung daher unvertretbar. Diese allgemeinen praktischen Überlegungen bergen im Bereich des öffentlichen Rechts für die Beweislastproblematik erheblich mehr Probleme als für die zivilprozessuale Beweislastdiskussion. Dies soll zunächst verdeutlicht werden. Bei der Untersuchung des Subsumtionsmodells hat sich gezeigt, daß sich dem Rechtsanwenderdie Situation stellen kann, daß er zur Formulierung des Untersatzes nicht imstande ist, weil er nicht mit der erforderlichen Sicherheit das (Nicht-)Vorliegen einer entscheidungserheblichen Tatsache feststellen kann. Diese Situation kann unabhängig davon eintreten, ob der Untersuchungsgrundsatz gilt oder die Parteien für die Beschaffung des Tatsachenstoffes zuständig nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern als praktische Konsequenz verwaltungsrechtlicher Abfangtechniken. 200

Rasenack, DB 1974, 937, 940.

201 O./Jnhaus, a.a.O.; s. auch schon Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 298; Rittler, DB 1987, 2331, 2332. Den Gesichtspunkt der Funktionserhaltung betont Z.B. SchmidtAj3mann, in: MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Anm. 221 a.E.

202

So auch Berg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 153 f.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

65

sind; auch sind weder Verwaltungs- noch gerichtliche Verfahren vor dem Problem der Unaufklärbarkeit gefeit. Da es zum Ausspruch einer Rechtsfolge aber auf das tatsächliche Vorliegen, nicht nur auf die Beweisbarkeit der Tatsachen ankommt, ist ein Rechtsfolgenausspruch (noch) nicht möglich. Die den Obersatz bildende Nonn weist den Rechtsanwender nach inzwischen einhelliger Auffassung Z03 nur an, sie bei Vorliegen der erforderlichen Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale der Nonn erfiillen, anzuwenden (die vorgesehene Rechtsfolge auszusprechen) bzw. bei deren Nichtvorliegen sie nicht anzuwenden. Für den Fall der Unaufklärbarkeit trifft die Nonn bewußt keine Anordnungen, weil diese Situation ihr prinzipiell fremd ist; die materiellrechtliche Nonn für sich allein ist also unanwendbar. Der Rechtsanwender müßte den Rechtsfolgenausspruch entweder unterlassen oder aber er müßte unter Zuhilfenahme anderer Mittel die Non-liquet-Situation überwinden, wozu auch die objektive Beweislast zu zählen wäre. Hierbei zeigt sich, daß die "Verpflichtung zur Sachentscheidung" fur die Beweislastfrage essentiell ist. Gäbe es eine solche Entscheidungspflicht nicht, könnten derartige Fälle, weil sie nicht subsumierbar sind, nicht entschieden werden. z04

III. Durchbrechungen einer generellen Sachentscheidungspflicht durch steuerverfahrensrechtliche Regelungen

Auch das in dieser Untersuchung vorrangig interessierende Steuerrecht macht diese Begründungslücke evident. Wenn es zutrifft, daß auch der Finanzbeamte bei Festsetzung der Steuer nur von einem Sachverhalt ausgehen darf, der feststeht und nicht nur wahrscheinlich ise°s, dann ist grundsätzlich das gleiche Beweismaß anzuwenden, das ein Richter in einem (Finanz-)Rechtsstreit anzulegen hätte; daß dies ebenso bezüglich der Beweislastregeln zu gelten hätte, wird

203

Zurückgehend auf Leipold, Beweislastregeln, S. 32 f.

Andere "Arten" der Entscheidungsfindung, wie Zweikampf, Gottesurteil, Los o.ä., sollen hier bewußt ignoriert werden; zur Bedeutung der Nichtanwendungstheorie Rosenbergs unten 3. Teil B. 11. Freilich bedarf es darüber hinaus eines methodischen Hilfsmittels, Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 166. 204

205

S. oben A. I. 3. a) bb) (I), (4).

5 M. Schmidt

66

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

nicht ernsthaft in Frage gestellt. 206 Auch die Verpflichtung der Verwaltung, die bestehenden Gesetze zu vollziehen (Art. 20 Abs. 3 GG), kann im Falle des non liquet wohl nicht zu einer Entscheidungspflicht führen. Wenn nämlich die Rechtsfolgen der Normen regelmäßig an die Feststellung der zugrundeliegenden Tatsachen geknüpft sind, verpflichten sie die vollziehende Gewalt nicht zwingend, die Gesetze auch bei nur wahrscheinlicherTatsachenbasis anzuwenden. Es bleibt daher zunächst offen, wieso der Beamte die Non-liquet-Situation durch eine Entscheidung in der Sache zu überwinden hat.

J. Der Rechtsfrieden als Argumentfür eine

generelle Sachentscheidungspjlicht Zunächst kann hierbei nicht auf die "friedensstiftende Funktion des Rechts" abgestellt werden 207 Der zugrundeliegenden Ausgangsthese wird man für das Steuerrecht schwerlich beitreten können: "Eine solche Nichtentscheidung gestattet unsere Rechtsordnung nicht: Das Recht muß Frieden stiften, unabhängig davon, ob ein Sachverhalt aufgeklärt werden kann oder nicht." Die ganze Ausgangsbasis ist bei einer Übertragung auf das Steuerrecht aber verquer, wenn Bömer einerseits behauptet, daß bei Nichtentscheidung unsere "Rechtsordnung ihren Auftrag verfehlen" würde, "einen Streit nicht nur vorläufig, sondern endgültig beizulegen"208, andererseits aber den selbstverständlichen Grundsatz, daß niemand "Richter in eigener Sache sein" dürfe, betont, weshalb es nicht auf die Ansicht des Antragstellers (allerdings bei der immissionsschutzrechtlichen Erlaubnis) ankommen könne?09 Dieses Argument spricht gerade gegen die

206 Eine Ausnahme bilden Seeliger, Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß, S. 22 f.; Ohlms, Beweislast und \erantwortung, S. 122. 207 So aber Bömer, Umwelt, \erfassung, 'krwaltung, S. 117,121, als Begründung für den Entscheidungszwang der 'krwaltung bei Erlaubniserteilung nach Immissionsschutzrecht. 208

Bömer, a.a.O., S. 121.

209 Bömer, a.a.O., S. 120; zweifelnd Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 30, der zwar hervorhebt, daß "niemand zwei Herren dienen" könne, andererseits aber der Auffassung ist, daß "die Steuerfestsetzung [keine] Entscheidung des Staates in eigener Sache" sei - was aber "einer wohl weitverbreiteten Haltung in der Finanzverwaltung entsprechen" würde, a.a.O., S. 32.

B. Die \eq:>flichtung zur Sachentscheidung

67

Anwendung der objektiven Beweislast im Steuerrecht, wo die Finanzverwaltung "ihren" Anspruch festsetzt und auch durchsetzen kann, also Richter in eigener Sache ist. Auch die Problematisierung mehrpoliger Verwaltungsverhältnisse spielt im Steuerrecht keine Rolle. Bömer verläßt außerdem den verwaltungsverfahrensrechtlichenBereich und nimmt die Darstellung anhand der gerichtlichen Entscheidung vor, weil, so seine wörtliche Aussage, "die Dinge hier einfacher darzustellen sind".210 Einmal mehr zeigt sich, daß der Versuch, aus anderen Rechtsgebieten Anleihen aufzunehmen, auf große Bedenken stoßen muß. 211 Darüber hinaus hat das Zinsbesteuerungsurteil des Bundesverfassungsgerichts212 aufgezeigt, daß der Vollziehbarkeit von Steuergesetzen durch die Verwaltung Grenzen gezogen sind, insbesondere wenn diese nur das tut, was sie unter Berücksichtigung auch ihrer personellen Ausstattung gerade noch kann. Zwar wurde die Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung mit dem durch die verfahrensmäßige Ausgestaltung einhergehenden Verstoß gegen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung begründet. Ein Verstoß dürfte aber auch dann vorlie-

210 Ein Problembewußtsein läßt Bömertrotz tendenziell kritischer Einstellung gegenüber der Beweislast insoweit vermissen; die "Begründung" zur Übertragung der objektiven Beweislast vom gerichtlichen auf das \erwaltungsverfahren erschöpft sich in der Formulierung: "Als erstes fragt sich, ob der Richter, und demgemäß auch der \erwaltungsbeamte ... ", Bömer, a.a.O., S. 120. 211 Auch H. Meyer, Beweislastprobleme, verwickelt sich in Widersprüche: Auf S. 27 hebt er hervor, daß die Finanzverwaltung "die \erantwortung für die Rechtsverwirklichung" trägt und die Steuerfestsetzung einem Richter vergleichbar (in Personalunion) wahrnimmt. Unter Berufung auf BGHSt 24, 326 und OLG Celle, NStZ 1986, 513 sieht er keine Probleme darin, daß der Finanzbeamte keine Rechtsbeugung nach § 336 StGB begehen könne, weil er die Interessen der Finanzverwaltung gegen den Steueq:>flichtigen wahrzunehmen habe (a.a.O., S. 33), was sich mit einer richterlichen Tätigkeit gerade nicht vereinbaren läßt; ein solches System mit der Sicherung des Rechtsfriedens zu begründen, dürfte auf Schwierigkeiten stoßen - zumindest bei Annahme eines Grundsatzes, daß niemand Richter in eigener Sache sein dürfe! Hierzu auch Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 13 Rdn. 82. Die Gleichsetzung der behördlichen Tätigkeit mit der richterlichen Rechtsentscheidung geht zurück auf Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 25: "... unterscheidet sich insoweit materiell in nichts von der Feststellung eines Zivilurteils". Allerdings geht Flume, S. 43 f., davon aus, daß "der Steuerbescheid unter dem Schutz der Stratbestimmung wegen Rechtsbeugung" stehe, die er als Sakrileg bezeichnet. 212 BVerfGE 84, 239, 268 jJ. Zu der Systemdurchbrechung durch die "praktische Seite" der Besteuerung Loritz, DStR 1995, Beihefter zu Heft 8, S. 17.

5'

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

68

gen, wenn die einzelne Steuemonn zur Erreichung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vollziehbar gemacht wird, die Voraussetzungen des Eingriffs, nämlich das Vorliegen von die Besteuerung rechtfertigenden Tatsachen, aber nicht gegeben sind. 213 Eine Entscheidung auf solcher Basis wäre kontraproduktiv, dem Rechtsfrieden abträglich.

2. Möglichkeit und Grenzen einer vorläufigen SteuerJestsetzung nach § 165 AO

Für das geltende Steuerrecht bleibt ferner unberücksichtigt, daß § 165 Abs. 1 S. 1 AO die Möglichkeit eröffnet, bei Unklarheit über die Entstehensvoraussetzungen einer Steuer eine (teilweise) vorläufige Festsetzung oder eine Aussetzung (§ 165 Abs. 1 S. 4 AO) vorzunehmen. Da eine endgültige Festsetzung trotz Ungewij)heit der tatsächlichen Grundlagen einer Steuer 14 allenfalls unter den Voraussetzungen einer Schätzung nach § 162 AO möglich ist, wobei die Zulässigkeit einer Grundlagenschätzung hier ausdrucklich noch offenbleiben soll215, muß sich aus der Kann-Vorschrift im Wege der Ennessensreduzierung fur die Verwaltung ein Aussetzungszwang bzw. die Pflicht, eine vorläufige Steuerfestsetzung vorzunehmen, ergeben. 216 Die Vorschrift ist fur die untersuchte Problematik von erheblicher Bedeutung: Zunächst läßt sich aus ihrem Wortlaut im Umkehrschluß eindeutig die Gewij)heil als fur die Sachentscheidung erforderlicher genereller Überzeugungs grad ableiten: "Soweit ungewiß ist, ob die Voraussetzungen fur die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. ,,217 § 165 Abs. 1 S. 1 AO stützt daher die beim Beweismaß als zutreffend erkannte Theorie des

213

So wohl auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 43 f.

214 Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 3, formulieren ausdrücklich "ungewisse, nicht mit Gewißheit feststehende" Grundlagen. 215

Hierzu ausführlich unten 4. Teil A. 11.

216

Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 6; Martens, StuW 1988, 100, 1/0.

217 Vgl. Begr. zu § 146 RegE, Mittelsteiner/Schaumbwg, AO '77, S. 2\3; BT-Drs. VII 1982, S. 148: "Die vorläufige Steuerfestsetzung ermöglicht es ... , die Steuerfestsetzung wegen nur eines Punktes, hinsichtlich dessen Ungewißheit besteht, offenzuhalten." § 165 AO würde daher eine unmittelbare Konkurrenznorm zu ungeschriebenen Beweislastregeln darstellen; als ultima ratio hätten diese keinen Anwendungsbereich mehr.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

69

Überzeugungsmodells. 218 Darüber hinaus gilt sie für die Steuerfestsetzung durch die Finanzverwaltung, wodurch gleichzeitig ein Argument für die Einheitlichkeit des Beurteilungsmaßstabs im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnen wird. Schließlich scheint sie auch das zwingende Erfordernis der abschließenden Sachentscheidung zur Überwindung eines non liquet zu entkräften, da durch § 165 Abs. 1 AO das sonst grundsätzlich abgelehnte Offenhalten der Sachentscheidung durch Vorläufigkeit oder Aussetzung ermöglicht wird. So erwägt Prütting eine gerichtliche Entscheidung ohne materielle Rechtskraft als möglichen Weg zur Überwindung der Ungewißheit im Tatsächlichen, läßt dies aber letztlich wiederum an Überlegungen zum Rechtsverweigerungsverbot scheitern. 219 Dies trifft für den Zivilprozeß auch zu. Im Bereich des Steuerrechts ist es aber fraglich; denn zumindest partiell ist über § 165 AO eine Entscheidung ohne BestandskraJt (das entspricht der Rechtskraft des Urteils) möglich. 220 Diese Zweifel müßten zunächst ausgeräumt werden.

a) Die Vorläufigkeit der Festsetzung bei vorübergehenden Aufklärungshindernissen Die Vorschrift des § 165 Abs. 1 AO läßt es zunächst als eindeutig erscheinen, daß die Unklarheiten im Tatsächlichen vorübergehender Natur sein müssen, damit eine vorläufige Steuerfestsetzung stattfinden kann bzw. muß. Der Begriff der Vorläufigkeit assoziiert zugleich die Vorstellung einer diesen vorübergehenden Charakter der getroffenen Entscheidung ablösenden Regelung. Diese könnte zwar mit der vorläufigen inhaltsgleich sein, muß es aber nicht und wird es auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, daß bei Beseitigung der Unklarheiten im Tatsächlichen eine der materiellen (Steuer-)Rechtslage entsprechende Entscheidung zu treten hat; die vorläufige Regelung sollte ja gerade einen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen von Finanzverwaltung und Steuerbürger gewähren können, also einen Kompromiß bilden. Die materiell richtige Steuer wird aber gerade kein Kompromiß zwischen Steuergläubi-

m Diese Auffassung stützt auch BFH BStBl. 11 1989, 130: "Daraus folgt, daß eine beim FA in tatsächlicher Hinsicht bestehende subjektive Unsicherheit der Rechtsgrund für die Anordnung der \brläufigkeit als Rechtsfolge sein muß." 219

Prütling, Gegenwartsprobleme, S. 125 f.

22()

Allg.M., vgl. TipkelKruse, § 165 AO Rdn. 10; Martens, DÖV 1987, 992, 997.

70

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

ger und Steuerschuldner sein, da der Steueranspruch (§ 38 AO) und damit der ihm zugrundeliegende Sachverhalt der Disposition der Parteien entzogen ist. 221 Das Erfordernis einernur vorubergehenden Unaufklärbarkeit wird auch durch die gesetzlichen Anwendungsfalle einer Vorläufigkeitsfestsetzung des § 165 Abs. 1 S. 2 Ziffer 1-3 AO bestätigt. Dabei macht insbesondere die Einfügung der Ziffer 3 bei Neufassung von Satz 2 durch das Mißbrauchsbekämpfungsgesetz vom 21.12.1993 222 deutlich, daß die Dauer der zu erwartenden Vorläufigkeit durchaus sehr erheblich sein kann, wenn man die mögliche Verfahrensdauer vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof berucksichtigt.

b) Die Vorläufigkeit der Festsetzung bei dauernden bzw. endgültigen Aufklärungshindernissen Die beschriebene Eindeutigkeit des § 165 Abs. I AO ist jedoch nur eine scheinbare; sie leitet sich nämlich allein aus dem Begriff der Vorläufigkeit ab. Der Ungewißheit als solcher ist das Erfordernis einer vorubergehenden Unaufklärbarkeit nicht zu entnehmen. An einer solchen Auslegung wäre zunächst nichts auszusetzen, wenn man sich den Regelfall vor Augen hält: Steht bei der "Tatsachenermittlung" von vornherein fest, daß die Ungewißheit nicht beseitigt werden kann, wie dies regelmäßig z.B. bei der Abschreibung auf einen niedrigeren Teilwert der Fall sein wird223 , käme eine vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 AO nicht in Betracht. Tipke/Kruse verweisen für diesen Fall auf 221 Ausfluß aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung. Bedenklich BFH BStBl. 11 1991,673; II 1985,354,358: "Solche Einigungen wirken sich zwar auf den Steueranspruch aus. Es handelt sich jedoch nicht um einen \ergleich um das anzuwendende Recht." Mit § 38 AO und Art. 20 Abs. 3 GG ist das nicht in Einklang zu bringen! Ebenso widerspricht diese Auffassung der sonst im Zusammenhang mit dem Rechtsverweigerungsverbot verwendeten These, daß dem non liquet in der Tatfrage kein solches in der Rechtsfrage folgen dürfe - hier beruft man sich auf eine enge \erbindung zwischen beiden Bereichen. Kritisch auch Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 168; Martens, StuW 1986, 97, 99 ff.; Sangmeister,BB 1988,2289,2292.

= BStBl. I 1994,50,85.

222

BGBL I, S. 2310,2345

223

§ 6 Abs. 1 Ziff. 1 S. 2 und 3, Ziff. 2 S. 2 EStG. Hierzu unten 4. Teil B. 111. 1. a)

(Fn. 189).

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

71

eine Entscheidung auf Grundlage einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen oder nach den Regeln der objektiven Beweislast. 224 An dieser Stelle wird der Grund rur die vielzähligen Mißverständnisse bezüglich der Wirkung der Beweislast rur den Grad der Überzeugungsbildung (Beweismaß) sichtbar: Da die Ungewißheit endgültig feststeht und die Schätzung unzweifelhaft den Grad der Überzeugungsbildung weit reduziert, müßte das auch rur "das andere" Instrumentarium zur Überwindung des non liquet - die Beweislastentscheidung gelten. Denn auch bei Berücksichtigung aller Theorien zur Wirkungsweise und Funktion der Beweislast225 kann diese eines nicht: die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes im Tatsächlichen beseitigen! Dieser bleibt auch bei der Beweislastentscheidung ungewiß. Was dabei aber übersehen wird, ist, daß dann nicht aufgrund unaufgeklärter Tatsachen(basis) entschieden wird, sondern aufgrund einer vermeintlich normativen (Beweislast-)Regelung, die die tatsächliche Aufklärungslage gar nicht beTÜcksichtigt. 226 Die Beweislastentscheidung wäre dann keine Entscheidung au/grund reduzierter Überzeugung, sondern etwas anderes. Allerdings findet im Ergebnis eine endgültige Steuerfestsetzung statt, deren tatsächliche Grundlage nicht geklärt ist:

Die Besteuerung findet dennoch statt, auch wenn der Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft. vielleicht (ggf. sogar wahrscheinlich) nicht verwirklicht ist. Diese "Erweiterung" des § 3 Abs. 1 AO würde legitimiert durch (ungeschriebene) Beweislastnormen, deren System im folgenden nur noch zu entwickeln wäre. Bedeutsam ist dabei, daß bei (voraussichtlich) nur vorübergehender Unaufklärbarkeit der tatsächlichen Voraussetzungen der Steuer dezidiert die (zutreffende) Auffassung vertreten wird, daß eine vorläufige Festsetzung der Steuer

224 TIpkelKruse, § 165 AO Rdn. 3: " ... kommt Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in Betracht, evtl. Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast" [Hervorh. d. Verf.]; vgl. auch Jakob, Abgabenordnung, § 6 Rdn. 12.

m Hierzu unten 3. Teil B., C. 226 Obwohl die Unaufklärbarkeit - das non liquet - Tatbestandsvoraussetzung dieser "Norm" ist, vgl. Leipold, Beweislastregeln, S. 59; Nierhaus, Beweismaß, S. 197. Allerdings wird gegebenenfalls die Möglichkeit eventueller Aufklärung zum Inhalt der Beweislastnorm gemacht, insbesondere wenn die Beweisnähe einer Partei zum Verteilungskriterium erhoben wird.

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1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

einen Grundrechtsverstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG bedeuten würde. 227 Hier sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden. Ist nicht feststellbar, ob ein tatsächlicher Vorgang die Voraussetzungen einer Steuerbarkeit erfüllt, darf die Festsetzung nicht vorgenommen werden: Wird eine Sache oder ein Grundstück veräußert und ist (noch) nicht sicher, ob dies als gewerbliche Betätigung oder private Vermögensumschichtung228 zu qualifizieren ist, verbietet sich eine

227 Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 6; KleinJOrlopp, § 165 AO Anm. 4; ausdrucklich offengelassen unter Hinweis auf Tipke/Kruse in BFH BStBl. II 1992, 588, 590; abweichend Baum, in: Koch/Scholtz, § 165 AO Rdn. 9, der allerdings auch Anspruche des Fiskus gegen den Steuerpflichtigen im Regelfall nicht vorläufig festsetzen will, wenn sämtliche Besteuerungsgrundlagen ungewiß sind.

228 Vgl. zu den \braussetzungen einer gewerblichen Betätigung bei \eräußerung privaten Grundvennögens die sog. Drei-Objekte-Rechtsprechung, BFH BStBl. II 1992, 143, 145; BFHINV 1991, 381; BFH BStBI. II 1988, 293 (bei diesen Entscheidungen stellte sich die Frage vorläufiger Festsetzungen nicht, da die \brgänge erst im Rahmen einer späteren Außenprufung bekannt wurden); weiterhin BFH BStBl. II 1980, 106 und 318; 1982, 700, 703; ablehnend Tiedtke, Einkommensteuer- und Bilanzsteuerrecht, S. 142 ff., 146 f.; Loritz, Einkommensteuerrecht, Rdn. 491. - Das Problem ergibt sich meist bei subjektiven Tatbestandsmerkmalen; ob es sich hierbei wirklich um eine vorläufige Unaufklärbarkeithandelt, wie Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 3, annehmen, die durch spätere Gewzßheitbeseitigt werden können muß, darf bezweifelt werden. Die vorläufige Festsetzung wird dazu "mißbraucht", aus künftigen Ereignissen Rückschlüsse auf die Gegenwart zu ennöglichen. Wäre das \brgehen korrekt, würde das bedeuten, daß ein subjektives Tatbestandsmerkmal (fast) immer nur mit unverhältnismäßigem Aufwand sofort festzustellen wäre, was ja nur daran liegt, daß man dem, der es leicht "bestätigen" könnte, nicht glaubt, sondern dessen Willen oder Absicht zu objektivieren versucht: "Die innere Einstellung ... kann wie alle sich in der VOrstellung von Menschen abspielenden VOtgänge nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt wen:1en", BFH BStBl. II 1990, 1057, 1059 m.w.N. Das (imperfekte) Gesetz, das das \brliegen eines solchen Merkmals verlangt, wäre dann nie sofort vollziehbar - und deshalb wohl verfassungswidrig; schließlich gilt auch in diesem Bereich das Prinzip der Abschnittsbesteuerung, die bei Erfordern eines subjektiven Merkmals generell konterkariert würde. Im übrigen fande die Steuerfestsetzung nach Ablauf der vorubergehenden Unaufklärbarkeit (bei der gewerblichen Grundstücksveräußerung z.B. 10 Jahre, vgl. BFH BStBl. II 1992, 135, 137; hienu auch Loritz, in: WagnerILoritz, Konzeptionshandbuch, Bd. 1, Rdn. 700 f., 705) dann, weil es sich um ein steuerbegrundendes Merkmal handelt, über eine tatsächliche \ennutung (bzw. einen Anscheins- oder Indizienbeweis), nicht durch (nachteilige) Beweislastentscheidung statt. Die Entscheidung wird dann aber (immer noch) auf reduzierter Tatsachenbasis getroffen: Gewißheit hätte der Rechtsanwender nicht erlangt - er

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

73

vorläufige Besteuerung; diese ist vorläufig auszusetzen. 229 Ist dagegen nicht gewiß, ob bei Feststehen einer Steuerpflicht dem Grunde nach ein bestimmter Sachverhalt zur Berücksichtigung von z.B. Werbungskosten führen muß, muß die Steuerfestsetzung vorläufig unter voller Berücksichtigung der fraglichen Werbungskosten stattfinden. Nach jener Ansichf 30 verbietet sich auch eine nur teilweise Nichtberücksichtigung der Werbungskosten, da sonst - wenn auch nur vorübergehend - eine Steuerfestsetzung (Belastung) auf nur wahrscheinlicher Tatsachenbasis stattf:inde. Dieser Auffassung zufolge darf kein Steuerrisikann sie auch nicht erwartet haben, als er eine vorläufige Steuerfestsetzung (oder Aussetzung) vorgenommen hat. Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 6, halten ein solches \brgehen zumindest bei der Feststellung der Gewinnerzielungsabsicht allerdings nicht für ermessensfehlerhaft. 229 Vgl. auch BFH BStBl. 11 1995, 57: Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte im Rahmen eines \ergleichs auf die Geltendmachung gewisser (Nachbar-)Rechte verzichtet und ein \brkaufsrecht zu einem festgeschriebenen und wertgesicherten Kaufpreis an ihrem Grundstück eingeräumt; als "Gegenleistung" erhielt die EigentÜffierin einen hohen Geldbetrag, der im Falle der Ausübung des \brkaufsrechts auf den Kaufpreis anzurechnen war. Finanzamt, -gericht und der BFH unterwarfen die Gegenleistung der Besteuerung als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG und nehmen für den \brkaufsfall einen Austausch des Schuldgrundes an, der die Steuerbarkeit rückwirkend entfallen lasse (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO). Diese Ansicht erscheint angreifbar, da der Schuldgrund (Kaufpreis) bereits damals gleichzeitig geschaffen wurde: Schließlich sichert das \brkaufsrecht den schuldrechtlichen Anspruch aufErwerb. Die Anrechnung auf den Kaufpreis läßt deutlich werden, daß das \brkaufsrecht jedenfalls unentgeltlich behandelt werden sollte. Ebenso liegt es nahe, daß das "Entgelt" für den \erzieht auf die Geltendmachung von Rechten in die Bemessung und (wertgesicherte) Festschreibung des Kaufpreises eingeflossen ist. Wahrscheinlichbefürchtete die EigentÜffierin von dem Bau und Betrieb eines Behindertenwohnheirns und Kindergartens auf ihrem Nachbargrundstück negative Wertänderungen für ihr eigenes Grundstück, deren spätere Realisation sie verhindern bzw. absichern wollte, ohne persönliche Einwände gegen den Betrieb zu haben; das würde jedenfalls ihre \ergleichsbereitschaft erklären. Eine Substanzänderung am Grundstück als \ermögenswert durch "immaterielle (ideelle) Einwirkungen" des Kindergartens und Behindertenwohnheims ist daher zumindestnaheliegend. Solange aber nicht eindeutig ist, daß dieser gleichzeitig angelegte Schuldgrund sich nicht verwirklicht, wäre wohl vorläufig auszusetzen: Erst nach Erlöschen des \brkaufsrechts durch \erstreichen der ersten Gelegenheit zur Ausübung läge nämlich Gewißheitüber die \braussetzungen der Entstehung einer Steuer wegen Leistungen i.S.v. § 22 Nr. 3 EStG vor. 230 Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 6 unter Ablehnung des Grundsatzes in dubio pro fisco; Martens, StuW 1988, 100, lIO.

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1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

ko dem Pflichtigen überbürdet werden: Es bleibt auch eine - nach h.M. 231 bestehende - Beweislast des Steuerpflichtigen für steuermindemde Faktoren232 unberücksichtigt. Diese käme der genannten Auffassung zufolge erst bei endgültig feststehender Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes zum Tragen, dann aber in vollem Umfange. Es zeigt sich, daß das Ergebnis ungereimt ist. Während bei vorläufiger Festsetzung zum Zeitpunkt noch zu erwartender Aufklärung die Nichtberücksichtigung der Werbungskosten (oder die Annahme der Gewerblichkeit) einen Grundrechtsverstoß begründen würde, käme ein solcher bei nicht mehr zu erwartender Aufklärung nicht in Betracht: Die objektive Beweislast beseitigt die Festsetzungsskrupel einer auf Verfassungskonformität bedachten Finanzverwaltung, die eine Steuer auf unsicherer Tatsachenbasis nicht vorzunehmen wagte. Dieses Ergebnis stützt die "Alles oder Nichts-These" verschiedener Beweislastgegner. 233 Wenn bei vorübergehenderUnaufklärbarkeit eine vorläufige Steueifestsetzung die Grundrechte des Pflichtigen verletzen würde, hätte das gleiche zu gelten, wenn bei bestehender dauernder Unaufklärbarkeit fälschlicherweise eine "vorläufige" Festsetzung vorgenommen werden sollte, da auch in dieser Konstellation eine (allerdings fehlerhafte) Entscheidung auf ungewisser Tatsachenbasis vorgenommen würde. Fände dagegen im gleichen Fall die Festsetzung wegen Unanwendbarkeitvon § 165 Abs. 1 AO im Wege einer (Grundlagen-) Schätzung statt234 , wäre dennoch die Gefahr eines Grundrechtsverstoßes ebenso latent. 231 Statt aller Söhn, in: HübschrnannIHepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 158: ... Im "Steuerprozeß gilt jedoch nach der sog. negativen Grundregel zumindest grundsätzlich, daß der Steuerpflichtigedie objektive Beweislast für diejenigen Tatsachen trägt, die den Steueranspruch begründen und der Steuerpflichtige mit der objektiven Beweislast flir diejenigen Tatsachen belastet ist, die eine Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung begründen oder den Steueranspruch aufheben oder einschränken". Die Hervorhebung weist auf einen sublimen Fehler (131. Lieferung 10/90) hin: Gemeint ist der Steuergläubiger; zumindest sprachlich wird auf diese Weise nachvollziehbar, wieso aus der "Normbegünstigungstheorie" im Steuerrecht eine "negative Grundregel" wird! - Zur Beweislastverteilung im einzelnen unten 3. Teil C. IV 232 Als solche werden Werbungskosten und Betriebsausgaben angesehen, statt vieler Söhn, in: HübschrnannlHepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 164. Vgl. hierzu unten 2. Teil C. ll. 4. b); 3. Teil C. ll., IV 1.,2. 233 Z.B. Berg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 280; Martens,StuW 1981,322, 332 (Entweder-oder-Entscheidung); dagegen Nierhaus, Beweismaß, S. 60. 234

Wie von Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 3, vorgeschlagen, wobei allerdings zu

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

75

Dies ist wohl angesprochen, wenn gegen die Grundlagenschätzungvorgebracht wird, daß bei ihrer Zulässigkeit ein fiktiver Sachverhalt der Besteuerung zugrundegelegt würde. 235 Bei einer Entscheidung aufgrund der Beweislast wird dies nicht für problematisch erachtet. Dennoch kann darüber nicht leichtfertig hinweggegangen werden, vor allem deshalb, weil einerseits die Wirkungsweise der Beweislast mit einer Fiktion erklärt wird236 und andererseits im Ergebnis nichts daran vorbeiführt, daß eine Steuer festgesetzt wird, deren Tatbestandserfüllung im Tatsächlichen nicht gewiß ist; wird die Wirkungsweise der objektiven Beweislast nur in der Ermöglichung einer Entscheidung gesehen, so führt letzteres, wie die Entscheidung bei reduziertem Beweismaß (auch die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen), zu einer erheblichen Tatbestandsausweitung der materiellrechtlichen Steuernormen. 237

bemerken ist, daß sie eine Schätzung der "reinen Fakten des Sachverhaltes" für unzulässig erachten, vgl. dies., § 162 AO Rdn. 2a; hierzu unten 4. Teil A. II. 135 Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 2a unter Hinweis auf BFH BStBl. II 1979, 345, 347; Birken/eid, Beweis und Beweiswürdigung, S. 124; explizit Weber-GI'Pllet, StuW 1981, 48, 56; kritisch Kottke, INF 1992,462, 465; unklar G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 10.

236 H.M., vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 154, 169 Fn. 22, 171; Leipold, Beweislastregeln, S. 66; Bömer, Umwelt, \erfassung, \erwaltung, S. 117, 124; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 24, 293; ders., ZZP 100 (1987), 385, 397; Peschau, Beweislast im \erwaltungsrecht, S. 12; Weber-GI'Pllet, Beweis- und Argumentationslast, S. 31; ders., StuW 1981,48; Baumgärtel/Uittmann, JA 1979, 113; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 125, 150; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 248 f.; Gottwald, Jura 1980,225,227. Differenziert Betg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 175, der die Funktion der Beweislastregeln darin sieht, die "Ungewißheit im Tatsächlichen in eindeutige Rechtsfolgen zu transformieren" (a.a.O., S. 175 a.E. und JuS 1977, 23, 25). Unklar Niemaus, Beweismaß, S. 191 ff., der die Fiktionswirkung ausdrücklich ablehnt und die Wirkungsweise der Beweislastnormen als "Substitution" bezeichnet, a.a.O., S. 172. A.A. Rosenberg, Die Beweislast, S. 54; ablehnend auch Hey, Beweislast und \ermutungen, S. 22, allerdings mit wenig überzeugenden rechtsterminologischenArgumenten. Vgl. zur Wirkungsweise ausführlich unten 3. Teil D. 237

Hierzu bereits oben A. I. 3. a) bb) (4) (Fn. 135), (5).

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1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

c) Die Vorläufigkeit der Festsetzung bei zur Zeit erforderlichem unverhältnismäßigem Ermittlungsaufwand Die verfassungsrechtlichen Ungereimtheiten bezüglich der Risikotragung bei vorübergehender und endgültiger Unaufklärbarkeit wurden bereits aufgezeigt. Dennoch wäre vom logischen Prinzip her unter Berücksichtigung der bisherigen Unterscheidung auch im Verwaltungsverfahren eine Lücke festzustellen, die durch die objektive Beweislast geschlossen werden könnte. 238 Doch auch dieser verbleibende Anwendungsbereich der objektiven Beweislast im Verwaltungsverfahren, der von der vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO noch offengelassen wird, muß nochmals kritisch hinterfragt werden. Nach den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung versagt eine vorläufige Steuerfestsetzung oder gegebenenfalls eine Aussetzung, wenn feststeht, daß die Unaufklärbarkeit nicht beseitigt werden kann. Einleuchtend ist diese Beschränkung für den Fall, daß von vornherein feststeht (im Sinne von sicher ist), daß niemals eine Aufklärung stattfinden wird. Bedenklich ist ein Versagen einer weiteren, für unbestimmbare Zeit hinausgeschobenen Vorläufigkeit für die Fälle, in denen eine (spätere) Aufklärung zunächst denkbar, mit fortschreitender Zeit aber immer unwahrscheinlicher wird. Hier die dem Steuerpflichtigen aus dargestellten Gründen oftmals vorteilhafte Vorläufigkeitsfestsetzung gegen die überwiegend nachteiligem Beweislastentscheidung auszutauschen, könnte sich angesichts vieler der von der Rechtsprechung einer Vorläufigkeitsfestsetzungfür zugänglich erachteten Fälle verbieten. Danach kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 AO in Betracht, "wenn trotz angemessener Bemühungen des Finanzamtes, den Sachverhalt aufzuklären, eine Unsicherheit in tatsächlicher Hinsicht bleibt, die entweder zur Zeit nicht beseitigt werden kann oder nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten beseitigt werden könnte".240 Kritik muß hierbei die

238 Vgl. auch Be1g, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 132 Fn. 188, der eine \erallgemeinerungsfähigkeit der (auch § 165 AO) zugrundeliegenden Wertungen ablehnt, für ihren direkten Anwendungsbereich aber die \errneidung von Beweislastentscheidungen betont. 239 Die der Finanzverwaltung nachteiligen Beweislastfolgen werden zumeist vorher, d.h. auf der BeweiSWÜfdigungsebene abgewendet. 240 BFH BStBl. II 1990, 1043, 1044; auch BStBl. II 1989, 130; Tipke/K11Ise, § 165 AO Rdn. 3; Kühn/Kutter/Hofmann, § 165 AO Rdn. 3.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

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Aufstellung des inhaltlich nicht fest umrissenen Rechtsbegriffs der unverhältnismäßigen Schwierigkeiten hervorrufen. Hierdurch wird eine doppelte Grenze aufgebaut: Wenn Tatsachen zur Zeit nicht aufgeklärt werden können, ist eine vorläufige Festsetzung angezeigt. Wenn Tatsachen überhaupt nicht aufgeklärt werden können, müssen, wie erwähnt, die Schätzung bzw. eventuell eine Beweislastentscheidung vorgenommen werden. Diese Gestaltungen sind eindeutig. Wie aber ist die Verhältnismäßigkeit der Aufklärung dazwischen einzuordnen? An sich würde es naheliegen, bei Unverhältnismäßigkeit der zu ergreifenden Aufklärungsmaßnahmen für die Verwaltung diesen Fall der absoluten Unaufklärbarkeit gleichzusetzen. Dies wäre insofern konsequent, als sich eine Vorläufigkeitsfestsetzung erst an eine vollständig versuchte Sachverhaltsaufklärunganschließen darf. Die Anwendung von § 165 Abs. 1 AO entbindet nämlich "die Finanzbehörde nicht von der in § 88 AO 1977 begründeten amtlichen Ermittlungspflicht, denn die Vorläufigkeit darf nach der genannten Vorschrift nur insoweit ausgesprochen werden, als ungewiß ist, ob und inwieweit die Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer eingetreten sind".24I Die Ermittlungspflicht des § 88 AO ist aber nach h.M. 242 bereits selbst durch die Zumutbarkeit begrenzt; was unzumutbaren Aufwand erfordert, muß nicht ermittelt werden. 243 Der BFH führt durch seine Interpretation eine weitere Kategorie ein, die sich mit dem Wortlaut des § 165 AO nicht vereinbaren läßt; seines Erachtens wäre eine vorläufige Festsetzung zulässig, wenn "zur Zeit" die Feststellung der Tatsachen (Beseitigung der Ungewißheit) "nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten" möglich ist. Die Aufklärung ist also nicht schlechthin unzumutbar, sondern nur "zur Zeit nicht

241

BFH BStB\. 11 1990, 1043, 1044.

242 Tipke/Krose, § 88 AO Rdn. 6a unter Hinweis auf AEAO zu § 88 AO; Helsper,in: KochiScholtz, § 88 AO Rdn. 6; Ohlms, Beweislast und \erantwortung, S. 36; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 68 f1; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 289; B\erfGE 35, 283, 293 f; BFH BStB\. III 1956, 75, 76; III 1967, 520; BStB\. 11 1968, 145, 148; 11 1970,97. 243 Ob in solchen Fällen potentielle "8teuerreserven" durch Abstellung auf\errnutungen abgeschöpft werden können, ist ein weiteres Problem, was aber weniger bei dem Umfang der Amtserrnittlungspflicht nach § 88 AO, sondern dem richtigen Beweismaß zwischen Opportunitätsprinzip und Gesetzesbindung angesiedelt ist.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

78

zumutbar". Damit wird einerseits die im Steuerrecht ohnehin schon "aufgeschobene" Rechtssicherheif 44 weiter ausgehöhlt, andererseits die Zumutbarkeitsgrenze (noch) weiter herabgesetzt: Der Einführung von Erwägungen der Verwaltungseffizienz werden Tür und Tor geöffnet. Wenn mit Rücksicht auf die seit Jahr(zehnt)en beklagte Überlastung der Finanzverwaltung eine "derzeitige Unverhältnismäßigkeit der Nachforschung" die Vorläufigkeitsfestsetzung tatsächlich rechtfertigen könnte, wäre der Verwaltung durch die Regelung ihrer Arbeitsorganisation die Bestimmung des Ermittlungsumfangs möglich?45 Man muß sich auch fragen, ob durch solches Procedere nicht bewußt die endgültig richtige Festsetzung einer Steuer - auf tatsächlicher, nicht nur wahrscheinlicher Basis - verhindert wird. § 165 Abs. 1 AO geht ja gerade davon aus, daß die Aufklärung der fraglichen Tatsache(n) vorgenommen wird. Dabei dürften Fälle, in denen mit fortschreitendem Zeitablauf die Aufklärungsmöglichkeiten sich verbessern, ausgesprochen selten sein - eher wird im Gegenteil die Sachverhaltsaufklärung immer unwahrscheinlicher. Vielmehr zeigt sich an diesem Vorgehen die erwähnte 246 Tendenz, durch Offenhalten der Entscheidung zukünftige Ereignisse in eine eigentlichjetzt zu fällende Entscheidung einzubeziehen. Der Zeitablauf schafft nur entweder automatisch Fakten, aus denen Rückschlüsse in Form von Indizien gezogen werden, oder aber nichts Neues - damit aber auch keine bessere Aufklärung. 247 Es geht also nicht um Aufklärung des jetzigen Sachverhalts, sondern auch an dieser Stelle darum, "partielle Unkenntnis ... nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit zu überbriicken".248 Bei den Umständen, die nach der Rechtsprechung "zur Zeit nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten" zu ermitteln wären, handelt es sich daher regelmäßig um solche, von denen jetzt bereits feststeht, daß sie mit Gewißheit nicht aufgeklärt werden können. Die sprachliche Fassung täuscht darüber hinweg, daß auch später die Ungewißheit nicht beseitigt wird, sondern

244 In keinem anderen \erfahren ist die Bestandskraft von \erwaltungsakten so vielen Durchbrechungen ausgesetzt, vgl. §§ 164, 165, 172 tT. AO. Eine \brläufigkeitsfestsetzung nach § 165 AO schiebt auch die Festsetzungsverjährung weit bis nach Beseitigung der Ungewißheit hinaus, § 171 Abs. 8 AO.

245 Vgl. hierzu schon Isensee, StuW 1973, 199, 203 f 246 Oben B. III. 2. b) (FN. 228). 247 Nachträglich bekanntgewordene Tatsachen dürfen im Rahmen von § 173 AO berücksichtigt werden.

248

Belg, JuS 1977, 23, 24.

B. Die 'ktpflichtung zur Sachentscheidung

79

ein an Indizien oder Beweisanzeichenfestgemachter Wahrscheinlichkeitsschluß an deren Stelle tritt. Die "Feststellung" der Gewinnerzielungsabsichtmag dafür als Beispiel dienen?49 Die durch § 165 AO für das Verwaltungsverfahren begrundete Durchbrechung des Grundsatzes, daß sich der Rechtsanwender aus Gtiinden der Rechtssicherheit einer endgültigen Entscheidung nicht entziehen darf, wird demzufolge durch die angreifbare, wegen der Auslegung durch den BFH aber praktisch kaum wegzudiskutierende Auffassung sogar noch erweitert. Es besteht daher im Steuerrecht zumindest grundsätzlich eine andere weitreichende Möglichkeit, ohne Zugriff auf die objektive Beweislast ein non liquet im Tatsächlichen zu "überwinden"; soweit keine Entscheidung aufgrund reduzierter Überzeugung vorgenommen wird, schiebt § 165 AO einen Entscheidungszwang zumindest so lange auf, wie die Vorläufigkeit aufrechterhalten werden darf oder aus Vertrauensschutzaspektenaufrechterhalten werden muß.

IV. Justizgewährungsanspruch und Rechtsverweigerungsverbot

Die Sachentscheidungspflicht des Rechtsanwenders wird entweder mit dem Rechtsverweigerungsverbof 50 begrundet und bzw. oder dem Justiz(gewährungs)anspruch25I entnommen und mit ihm in unmittelbaren Zusammenhang gebracht. 252 Beide Institute sind nicht identisch253 ; dennoch wird nicht deutlich zwischen ihnen unterschieden. Das Rechtsverweigerungsverbot verbietet dem Richter, es in einer Rechtsfrage zu einem non liquet kommen zu lassen: 249 BFH BStBl. 11 1990,278, 280; Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 3. 250 Hierzu ausführlich Schumann, ZZP 81 (1968), 79 fT. 251 Zu diesem umfassend: Stümer, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, S. 31 fT. m.w.N.; RosenberglSchwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 13 fT. 252 Papier, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 153 Rdn. 17; Kirchhof, NJW 1986, 2275, 2280; Betg, 'krwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 169 f; Niemaus, Beweismaß, S. 35 f; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 124 f; MünchKomm-ZPOIPrütting, § 286 Rdn. 100; Gottwald, Jura 1980, 225; RosenberglSchwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 669; auch Stümer, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, S. 42 f, wird diese Autfassung zu entnehmen sein, wenn er zum Inhalt der Rechtsschutzgewährleistung anführt, daß der Staat Rechtsschutz gewähren muß, sofern dem Bürger ein Recht zusteht oder er in seinen Rechten verletzt wird; jener könne vom Staat RechtsdU/chsetzung verlangen. 253

Schumann, ZZP 81 (1968),79.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

80

"Es verhindert richterliche Entscheidungen, die die Rechtslage im unklaren lassen und gibt somit der auf Grund anderer Normen bestehenden richterlichen Entscheidungspflicht erst den Inhalt. ,,254 Mit der Ungewißheit im Tatsächlichen hat dies zunächst nichts zu tun; es besteht allenfalls eine mittelbare Verbindung. 255 Dieser Zusammenhang ist angesprochen, wenn die Sachentscheidungspflicht des Rechtsanwenders mit der sehr allgemeinen, wenn auch einprägsamen Formulierung umschrieben wird, daß "dem non liquet in der Tatfrage kein non liquet in der Rechtsfrage folgen dürfe. ,,256 Die Gleichsetzung ist jedoch äußerst bedenklich, da die Rechtslage nicht unklar ist: Das Rechtsverweigerungsverbot dient nach der hier zugrundegelegten Auffassung257 nicht nur zur Begründung des Rechts, sondern auch der Pflicht des Richters, das Recht fortzubilden, Lücken zu füllen. Bezüglich des non liquet im Tatsächlichen ist das Gesetz aber nicht lückenhaft, diesen Bereich will (darf) es gar 254 Schumann, ZZP 81 (1968), 79, 80 [Hervorh. d. \hf]; er weist das Rechtsverweigerungsverbot demzufolge dem Satz "iura novit curia" zu. 155

Zutreffend daher Niemaus, Beweismaß, S. 36 Fn. 61.

256 Pohle, Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317,320; netgen, \hhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. I, Teil 2 B, S. 7; Söhn, in: HübschmannIHepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 151; BFH BStBl. 11 1971,220,224; weitere Nachweise in Fn. 252. 257 Schumann, ZZP 81 (1968), 79, 80, 100 f; ebenso wohl Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, S. 7 f, der ausführt, daß Rechtsverweigerungsverbot und Justizgewährungsanspruch nicht zusammenhängen, sondern das Rechtsverweigerungsverbot "in den Zusammenhang der richterlichen Rechtsfindung" gehöre. Die gesetzliche Ableitung bleibt aber offen: "Der gerichtsverfassungsrechtliche Grundsatz, daß über jedes prozeßordnungsgemäß vorgebrachte Rechtsschutzgesuch auch sachlich entschieden werden muß, folgt aus der Idee der vollkommenen Rechtsordnung und stellt den Richter in Einzelfällen notwendig vor die Aufgabe, die Rechtsordnung zu ergänzen oder zu modifizieren." (a.a. 0., S. 21). Kuchinke fährt dann fort: "... jede Rechtsanwendung setzt einen anzuwendenden Rechtssatz voraus, der inhaltlich hinmichend bestimmt ist. ... Die Legitimation ... der Anpassung derGesetzesodnung an die vollkommene Rechtsordnung gründet sich demnach auf den veifassungsl!chtlichen Auftrag, Recht zu spmchen. Das Rechtsverweigerungsverbot besagt nicht nur, daß der Richter trotz mangelhafter Gesetzesordnung tätig werden muß, sondern daß er in jedem Falle eine sachlich richtige Entscheidung zu fällen hat." [Hervorh. d. \erf]. Damit verschwimmt allerdings die zuvor behauptete Grenze zum (umstrittenen) Rechtsschutzanspruch, wie auch die Entscheidungspflicht sich nach dieser Ansicht im Gegensatz zu Schumann nicht aus "anderen Normen", wie insbesondere dem staatsrechtlichen Justizgewährungsanspruch (a.a.O., S. 80 Fn. 3) ergibt.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

81

nicht erfassen; im Bereich des Steuerrechts ist zu berücksichtigen, daß hier strengere Voraussetzungen wegen des Tatbestandsmäßigkeitsprinzips 2s8 zu gelten haben. Eine generelle, materiell-steuerrechtliche Regelung, die an ein non liquet Rechtsfolgen binden wollte, würde hiergegen verstoßen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den Non-liquet-Bereich nicht übersehen, sondern ihn (zumindest) bei (Grundlagen-)Schätzung und vorläufiger Steuerfestsetzung bedacht. Eine Unvollkommenheit2 s9 der Rechtsordnung liegt somit nicht vor. Dies steht auch nicht mit der Situation - wie sie sich im Zivilrecht stellt -, daß wegen Fehlens einer Sondernorm die Grundnorm der Beweislastverteilung eingreifen müßte, in Widerspruch. An dieser Stelle ist die Frage zu klären, ob überhaupt eine Grundnorm gegeben ist, Beweislastregeln also überhaupt existieren. Der Richter wäre also rechtsschöpferisch tätig, wenn er sich als Gesetzgeber geriert, um den offengelassenen Non-liquet-Bereich zu schließen. Wäre dies rur das Zivilrecht noch zu dulden, erscheint dies rur das öffentlichrechtliche Eingriffsrecht ausgeschlossen. 26o Darüber hinaus ist zu bedenken, daß bei einem non liquef61 der Gesetzgeber in weiten Bereichen durch die Zulassung von Vermutungen und die Schätzung - in welchem Umfang auch immer auf die Beweiswürdigung (das Beweismaß) zurückwirkende Instrumente geschaffen hat, um die Unaufklärbarkeit zu überwinden. Durch die Beweislast wird in den meisten Fällen ein kumulatives Mittel installiert, wodurch, was noch nachzuweisen ist, in vielen Fällen z.B. gegen das "Fairneßgebot" verstoßen wird. 262 Der Satz, daß das "Reich der Beweislast" dort beginnt, wo die Be258

Hierzu unten IV. 2. a.

259

Im Sinne von Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, S. 21.

260 Vgl. BVerfGE 13, 318, 328 zur Frage der Anerkennung der vom BFH aufgestellten Grundsätze über die Anerkennung von Ehegattenarbeitsverhältnissen: "Die Bedeutung derartiger im Wege schöpferischer Interpretation entwickelter Rechtsgrundsätze, unter die der Einzelfall wie unter eine Norm subsumiert wird, geht weit über den einzelnen Rechtsstreit hinaus. ... Doch kann es unter dem Verfassungsprinzip des Rechtsstaats bereits bedenklich sein, wenn der Steuertatbestand vom Richter neu geschaffen oder ausgeweitet wird; denn das Steuerrecht wird von der Idee der 'primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte' getragen und lebt dementsprechend 'aus dem Diktum des Gesetzgebers'." 261

Also bei zunächst ordentlicher, erschöpfender Sachverhaltsermittlung.

262 Vgl. BFH BStBI. II 1995, 95, 97, wo Schätzung und Feststellungslast nebeneinander (nacheinander) ftir anwendbar gehalten werden; gegen eine Wahlmöglichkeit z.B. Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 16 a.E.

6 M. Schmidl

82

1. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

weiswürdigung endee 63 , läßt sich demzufolge im Steuerrecht keinesfalls in dieser Eindeutigkeit aufrechterhalten. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO setzt nämlich ein "ordnungsgemäß ermitteltes" non liquet voraus, um es dann durch Zurückverweisung auf die Beweiswürdigung bei nun reduziertem Überzeugungsmaßstab zu beheben. Die Anwendungsbereiche beider Institute wären demzufolge konzeptionell deckungsgleich!264 Das Problem der Rechtsschöpfung sieht auch Nierhaus 265 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, macht daraus aber eine Tugend und läßt eine Rechtsfortbildung durch Beweislast(verteilung) zu, weil es ja nicht an einer materiellrechtlichen Regelung fehle, sondern ein an sich "sachlich einschlägiger Rechtssatz" infolge eines non liquet im Tatsächlichen nicht angewendet werden könne. Bei einem non liquet ist der Rechtssatz aber gerade nicht einschlägig, sondern es ist fraglich, ob seine Voraussetzungen vorliegen! Unhaltbar sind daher die aus der genannten Auffassung gezogenen Folgerungen: 266 Die "Entscheidung wird in einem weiteren Sinne in 'Anwendung' des Gesetzes getroffen. Die Bindung, die dabei besteht, muß daher als eine gesetzliche betrachtet werden. Sie ist zudem ... verfassungsrechtlich gefordert vom Rechtsstaatsprinzip und dem in ihm eingeschlossenen oder aus ihm ableitbaren Grundsatz der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit der Verwaltung." Das führt im Ergebnis dazu, daß das materielle Gesetz durch den Richter auf die Ungewißheitsf,ille ausgedehnt und nicht eine Lücke im Gesetz geschlossen wird! Im Bereich des öffentlichrechtlichen Eingriffsrechts muß der Gesetzgeber aber die normativen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeeinträchtigung des Bürgers selbst schaffen. Zutreffend dürfte es daher sein, die Entscheidungspflicht aus dem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Anspruch auf effektive Justizgewährung abzuleiten, der allgemein nicht nur für den durch Art. 19 Abs. 4 GG abgesteckten

263

Rosenbelg, Beweislast, S. 62.

264 Hierzu noch unten IV d. (bei Fn. 449). Von dieser Auffassung geht offensichtlich auch BFH BStBI. II 1995, 95, 97 aus, wobei allein ein Vorrang der Schätzung gegenüber der objektiven Beweislast (ultima ratio) erkennbar bleibt. Allerdings ging es in dem entschiedenen Fall um die Feststellung einer (zeitlichen) Quantität, wodurch die systematische Unhaltbarkeit dieser Ansicht m.E. evident wird. 265

Beweismaß, S. 234.

266

Nierhaus, Beweismaß, S. 234.

B. Die \erpflichtWlg zur SachentscheidWlg

83

Bereich des Rechtsschutzes gegen öffentlichrechtlicheMaßnahmen besteht, sondern als generelles Prinzip anzusehen ist. 267 Hinzuweisen ist allerdings darauf, daß mit dem Justizgewährungsanspruch und - mit den genannten Bedenken - dem Rechtsverweigerungsverbot ausdrücklich zunächst nur die richterliche Entscheidungspflicht begrtindet wird. Für das Zivilprozeßrecht ist dies (bei Annahme der bereits dargestellten Prämissen hinsichtlich Regelbeweismaß und Rechtsfolgenanordnungen der Rechtssätze) kaum zweifelhaft und ausreichend. Problematischer ist dies im Bereich des öffentlichen Rechts, wobei auch dort von vornherein kaum ein einheitlichesBegrtindungsschemabei Beriicksichtigungvon Leistungs- und Eingriffsverwaltung zu erwarten sein wird. Während sich die Beweislastfrage weitgehend von ihrer gerichtlichen Verortung gelöst hat und auch im Verwaltungsverfahren virulent werden so1l268, unter rechtspolitischen Aspekten sogar darauf hingewiesen wird, daß die Parteien bereits ihr vOIprozessuales Verhalten mit Rücksicht auf eine mögliche (spätere) Beweislast einrichten269 , nimmt es wunder, daß dann nur der Justizgewährungsanspruch bzw. das Rechtsverweigerungsverbot die Entscheidungspflicht begrtinden soll. 270 Hier wirkt sich in fataler Weise die Tatsache aus, daß die gesamte Beweislastlehre - entgegen manchen anderslautenden Äußerungen27I - anband des

267 Papier, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 153 Rdn. 6 Ir.; Schmidt-Aßmann, in: MaunzfDürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. IV Rdn. 15 Ir. 268 So die FonnuliefWlg von Niemaus, Beweismaß, S. 5, 121 Ir., im Hinblick auf die GeltWlg der Beweislastlehre im Steuenecht. 269 Rosenbetg, Beweislast, S. 64 f.; Leipold, Beweislastregeln, S. 62; Blomeyer, \erhandlWlgen des 46. DJT 1966, Bd. I, Teil 2 A, S. 10; Gottwald, Jura 1980, 225, 229; Musielak, ZZP 100 (1987), 385, 403. Die Berechenbarkeit von BeweislastentscheidWlgen ist ein gewichtiges Argument der h.M. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Einschätzung Bergs, \erwaltungsrechtliche EntscheidWlg, S. 278: "Auch ist dem einzelnen Amtswalter meist die Existenz von Beweislastregeln weder aus dem Gesetz, noch aus \erwaltungsvorschriften, noch aufgfWld seiner Ausbildung bekannt." Ablehnend L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 282, wo allerdings eine mangelnde AbgrenzWlg zwischen MitwirkWlgs-, Nachweis- und \brsorgepflichten auffällt. 270 Niemaus, Beweismaß, wendet dem JustizverweigefWlgsverbotim Stufenautbau des Beweislastproblems nur drei Seiten zu (a.a.ü., S. 35-38). 271 Wenig nachvollziehbar Kottke,INF 1992,462: "Anders als im Zivilprozeß hat sich dagegen im Besteuerungsverfahren und auch im eventuell folgenden Steuerprozeß vor

84

1. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

Zivil(prozeß)rechts entwickelt wurde. Die Beweislastlehre wurde mit dem Urteil des BFH vom 5. November 1970272 aus dem Zivilrecht auf den Steuerprozeß übertragen, was sich zweifels frei bereits aus der Bezugnahme auf Rosenberg ergibt. 273 Dabei fand keine eingehende Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen statt. Der Schwerpunkt lag von Beginn an auf den Kriterien zur Verteilung der Beweislast, und daran hat sich bis heute wenig geändert. Auch die Literatur beschäftigt sich vorrangig mit der Zuweisung des Risikos der Unaufklärbarkeit auf die Parteien. 274 Die Hinwendung zur Beweislast hatte nur die Erkenntnis verursacht, daß auch in Verfahren mit Offizialmaxime ein non liquet aufzutreten vennag und daß die Beweislast nicht den Untersuchungsgrundsatz, sondern die Unaufklärbarkeit im Tatsächlichen zu überwinden helfe. 275 Der Bann schien damit gebrochen 276 : Die Offizialmaxime stand der Anwendung der Beweislast(verteilungs)regeln nicht mehr im Wege, die bereits von Anfang an auch im öffentlichen Recht zu allgemein vertretbaren, d.h. nachvollziehbaren und konsensfahigen Lösungen führten. Insbesondere gegen die Über-

dem Finanzgericht die Regel einer objektiven Beweislast (Feststellungslast) herausgebildet." Schon beim Studium von Nierhaus, Beweismaß, S. 117 ff., 119, auf den Kottke in Fn. 2 verweist, hätte die Unrichtigkeit dieser Behauptung auffallen müssen. Anders noch Reinisch, BB 1963, 1107 in Fn. 9 unter Bezugnahme auf BFH vom 13.04.1951 - IV 342/50. Eindeutig Martens, StuW 1981, 322, 326; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 241 f. 272

BStBl. II 1971,220,224; ohne Begründung BFH BStBI. III 1967,520.

273

BFH BStBl. II 1971,220,224.

274 Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 158 ff.; Helsper, in: Koch/ Scholtz, § 88 AO Rdn. 14; Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 11 b; Kühn/Kutter/Hofmann, § 88 AO Anm. 2; Zapf, Beweislast und Beweisführungslast, S. 56 ff.; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 28 ff.; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 14 ff.; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 109 ff.

m Die Auffassungen von BVerfGE 1,299,316; BFH BStBI. III 1956,68/; III 1956, 75, 76; III 1962, 522,523; HFR 1964, 167, 168 waren somit überholt. 276 Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 87 Rdn. 83: "Mit der Ableugnung des subjektiven Ursprungs (der Beweisführungslast) war der Weg frei für die These, daß im Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz zwar die objektive Beweislast (Feststellungslast) gelte, nicht aber die subjektive Beweisfuhrungslast."

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

85

nahme der Günstigkeitsthese wurden keine Einwände erhoben, da sie sich im Zivilrecht bewährt zu haben schien. 277 Mit zwei für das Zivilrecht nicht problematischen Bereichen fand bis in die jüngste Zeit keine oder eine sehr eingeschränkte Auseinandersetzung statt, was angesichts der auf die zivilrechtlichen Abhandlungen Rosenbergi178 und Leipold~79 folgenden Arbeiten von MusielaJil80, Michaef2 81 , Bert 82 , Peschau 283 , Prüttint84 , Nierhau~85 und L. Osterloh 286 durchaus angezeigt wäre. Es handelt sich um die schon von Pohle 287 sogenannte erste Stufe des Beweislastproblems, die Verpflichtung zur Sachentscheidungund die eigentlich bereits durch die Ergebnisse Leipoldil88 hervorgerufene Problematik der Wirkungsweise und Funktion der Beweislastnormen und ihre Bedeutung für das Steuerreche89 An dieser Stelle muß zunächst die Verpflichtung zur Sachentscheidung begründet werden, weil sie die gesetzliche Anweisung zur Überwindung des non liquet gibt. Es wurde bereits dargestellt, daß die Norm (der Obersatz) dies nicht vermag. Fehlt eine solche Anweisung, kann keine auf Beweislastregeln gestützte Sachentscheidung vorgenommen werden.

277 Vgl. Blomeyer, \erhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. I, Teil 2 A, S. 53; weitere umfangreiche Nachweise bei Niefflaus, Beweismaß, S. 22; L. Osterloh,Gesetzesbindung, S. 269 fT.; Pohle, Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317,323, weist gar auf die Bezeichnung der Grundregel als Weltgewohnheitsrecht hin.

278

Die Beweislast (1965).

279

Beweislastregeln und gesetzliche \ermutungen (1966).

280

Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß (1975).

281

Die \erteilung der objektiven Beweislast im \erwaltungsprozeß (1976).

282

Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt (1980).

283

Die Beweislast im \erwaltungsrecht (1983).

284

Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983).

285

Beweismaß und Beweislast (1989).

286 Gesetzesbindungund Typisierungsspielräumebei der Anwendung der Steuergesetze (1992). 287

Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317, 320.

288

Beweislastregeln, S. 64

289

Hierzu unten 3. Teil D.; 4. Teil A.

tr.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

86

Dies wäre auch die naheliegende Ausgangsbasis, da die "Entscheidungspflicht weder ein Gebot der Logik noch Naturgesetz" ist. 290 Sie folgt für das Zivilrecht aus dem Justizgewährungsanspruch, der notwendigerweise auch dem individuellen Verbot der Selbsthilfe entnommen werden kann: Darf der einzelne seine Ansprüche nicht selbst durchsetzen, sondern muß er dazu die Hilfe der Gerichte in Anspruch nehmen, dann ergibt sich aus der Institutionalisierung des Rechtsprechungsmonopols unter Geltung des Rechtsstaatsprinzips auch die Entscheidungspflicht der Gerichte. 291 Der in Anspruch zu nehmende Rechtsschutz muß daher auch effektiv 292 sein. 293 Für das Zivilrecht ist dementsprechend die Beweislastproblematik auf die richterliche Rechtsanwendung verengt. Für das Verwaltungsrecht läßt sich die Parallelität zum Zivilrecht für die richterliche Entscheidungspflicht scheinbar noch leichter rechtfertigen. Schließlich gebietet Art. 19 Abs. 4 GG gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt einen effektiven (wirksamen) Rechtsschutz. 294 Nach dieser Vorschrift können solche Normen keinen Bestand haben, die dem Richter freistellen, sich dem Urteil in der Streitsache zu entziehen, obwohl keine Sachurteilsvoraussetzungen fehlen und kein Prozeßhindernis besteht. 295 Eine solche isolierte Betrachtung der richterlichen Rechtsanwendung führt zwangsläufig zur Bejahung eines allgemeinen "Rechtsverweigerungsver-

290

Pohle, Festschrift Dölle, Bd. II. S. 317,320.

291 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 124 f; Papier, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 153 Rdn. 8, 17: Der allgemeine Justizgewährungsanspruch ist "gerichtet auf einen Rechtsschutz und eine Streitentscheidung durch eine richterliche Gewalt ... "; aus ilun "folgt für den Richter das \hbot der Rechtsverweigerung" . Vgl. auch Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 13 Rdn. 82; B\hfGE 54, 277, 292. 292 Papier, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 153 Rdn. 16; Kin::hhof, NJW 1986,2275,2280; B\erfGE 53, 115,127 f; E 54, 277, 291. Das bedeutet, daß der Streit einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch den Richter zugänglich ist und daß diese Prüfung mit einer verbindlichen Entscheidung abschließt. 29) Art. 19 Abs. 4 GG spricht dies nur für Akte der öffentlichen Gewalt aus, worunter nach h.M. die Rechtsprechung nicht fallt, vgl. B\erfGE 11, 263, 265; E 15, 275, 280; E 22, 106, 110; E 42, 243, 248; E 58,208,231 f

294 Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. IV Rdn. 4 f; Dürig, VVDStRL 34 (1976),131. 295

Nierhaus, Beweismaß, S. 36 m.w.N. in Fn. 59.

B. Die 'krpflichtung zur Sachentscheidung

87

bots"296 auch im öffentlichen Recht und damit zur Sachentscheidungspflicht des Gerichts. Mit der Statuierung der Entscheidungspflicht wären dann auch die Weichen für eine Beweislastlösung gestellt. Der Vergleich mit dem Zivilrecht scheint keine bedeutsamen Unterschiede aufgedeckt zu haben. Gerade auch vom Ergebnis getragene "Fairneßerwägungen" könnten ein gebietsüberspannendes Beweislastmodell und damit eine einheitliche Entscheidungspflicht, die eigentlich Voraussetzung der Beweislastentscheidung ist, belegen. Dennoch müssen einer derartigen Ableitung schwerwiegende Bedenken entgegengehalten werden. Dies gilt vor allem für den Ansatz, daß bei Bejahung der richterlichen Entscheidungspflicht diese mitsamt der aus ihr sich ergebenden Beweislastlösung auf das Verwaltungsverfahren übertragen wird. Dies wird zum Teil ohne 297 bzw. nur mit sehr knapper Begründung298 vorgenommen. Eine eingehende Auseinandersetzung hiermit fehlt bei der Beweislastdiskussion völlig. 299 Die Möglichkeit der Übertragung einer Sachentscheidungspflichtund in deren Folge einer möglichen Beweislastlösung ist nicht von dem gerichtlichen Verfahren auf das Verwaltungsverfahren (Besteuerungsverfahren) gegeben, sondern allenfalls umgekehrt. Sicherlich müssen die Gerichte den ihnen angetragenen Rechtsstreit entscheiden und können sich diesem verfassungsrechtlichenAuftrag nicht entziehen. Dennoch sind sie nicht Erstentscheidungsinstanz wie die Zivilgerichte, sondern sie üben die Kontrolle über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns aus. Ihre Entscheidung wird demzufolge rechtmäßiges Ver-

296 In der bedenklichen Fassung, daß auch dem non liquet im Tatsächlichen kein non liquet in der Rechtsfrage folgen dürfe. Hierzu schon oben IV 297 Kottke,INF 1992,462 mit Fn. 2 verweist für die behördliche Entscheidungspflicht auf Niemaus, Beweismaß, S. 117 t1"., wo dieser ausdrücklich auf die gerichtliche Entscheidung Bezug nimmt; Börner, Umwelt, 'krfassung, 'krwaltung, S. 117, 120: "... ob der Richter, und demgemäß auch die 'krwaltung ... ". 298 Tipke, 'krwArch 60, 136, 146: Sonst ergeben sich "ungereimte Zustände"; vgl. auch Rönitz, DSUG 3 (1980),297, 304.

299 Dies macht sich insbesondere bei Niemaus, Beweismaß, S. 35 tI, 117 ff., bemerkbar, obwohl derselbe (a.a.O., S. 8) zunächst betont, "daß die 'krwaltungsrechtsnormen nicht primär auf die verwaltungsgerichtliche, sondern die behördliche Konkretisierung angelegt sind". Einen Ansatz liefert Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 25 ff., der die SteueJ.:festsetzungder "\erwaltung" nur formell zuordnet, sie aber als "materielle Rechtsprechung" versteht, hierzu unten IV 2. d. (Fn. 459,461,463).

1. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

88

waltungshandeln stützen, rechtswidrige Maßnahmen dagegen aufheben. Nur wenn die (Finanz-)Verwaltung eine Sachentscheidungspflicht auch bei ungewisser Tatsachenlage trifft, kann auch das Gericht diese Entscheidung nachvollziehen, wobei es selbst zu erneuter Tatsachenermittlung verpflichtet ist. Durfte die Verwaltung aufgrund eines ungewissen Sachverhaltes eine Entscheidung nicht treffen, eine Steuer also beispielsweise nicht bzw. nicht so festsetzen und ergibt die gerichtliche Tatsachenermittlung keine Klärung im Sinne richterlicher Gewißheit, kann auch das Gericht nicht unter Berufung auf seine - aus dem Justizgewährungsanspruch abgeleitete - Sachentscheidungspflicht mit Hilfe der Beweislast eine Entscheidung fällen. Eine Stützung der Verwaltungsentscheidung um jeden Preis kann nicht Aufgabe der Gerichte sein. 30o Zur Begründung einer Beweislastlehre in einem klassischen Eingriffsrecht wie dem SteuerrecheO\ ist demzufolge zunächst eine Sachentscheidungspflicht des Finanzamtes nachzuweisen, bevor auf Wirkungsweise und Funktion von Beweislastnormen eingegangen werden kann. Primärer Rechtsanwender ist nicht der Richter, sondern der die Steuer festsetzende Finanzbeamte; dessen Verpflichtung zur Sachentscheidung im Falle der Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhaltes ist zunächst zu begründen.

J. Die Auffassungen in der Literatur zur Sachentscheidungspflicht der Finanzverwaltung

Söhn 302 beschränkt sich ohne eingehende Ableitung auf den schon erwähnten Grundsatz, daß dem non liquet in der Tatfrage kein solches in der Rechtsfrage folgen dürfe303 , die Finanzbehörden also in jedem Fall auch bei unsicherer Tatsachenlage entscheiden müssen. Zur Begründung bezieht er sich insoweit auf die diesbezüglich nicht weiterführenden Ausführungen von Nierhaus 304 und behauptet, daß auch die Schätzung Beweislastregeln nicht völlig ersetzen könne.

300 Zum Umfang der richterlichen Prüfungskompetenzen Papier, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 153 Rdn. 17.

30\

Blaurock, JA 1980, 142 ff.; Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 125.

302

In: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 151 f.

3113

Söhn, a.a.O., Rdn. 151.

3114

Beweismaß, S. 117 ff.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

89

Kühn/Kutter/Hofmann verzichten völlig auf eine eingehende Auseinandersetzung mit der objektiven Beweislast und deren Herieitung l05 ; sie beschränken sich auf die Feststellung, daß die Feststellungslast trotz des amtlichen Untersuchungsgrundsatzes nicht stets auf der Seite der Finanzbehörde liege. Es fehlt an einer Überleitung der Ergebnisse der strengen Ermittlungspfliche o6 zur Entscheidungspflicht nach Abschluß der Ermittlungen ohne Gewißheit über den rechtserheblichen Sachverhalt. Helspe~o7 geht ebenfalls nicht auf die Grundlagen der Beweislast ein; er setzt sie "auch" im Besteuerungsverfahren voraus. Allerdings sieht er, was unzweifelhaft ist, einen "weitgehend gemeinsamen Anknüpfungspunkt im Verfahren"108 zwischen Schätzung und objektiver Beweislast bei der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts bzw. der Besteuerungsgrundlagen. Von dieser Situation ausgehend findet er zu der beachtenswerten Aussage, daß die Beweislastregeln im Gegensatz zur Schätzung auf die Anwendung des materiellen Rechts verzichten, beide aber unter materiellrechtlichen Richtigkeitsaspekten gleich fragwürdig seien; die Beweislastentscheidung habe allerdings den "Vorzug größerer Vorhersehbarkeit" für sich. Von Bedeutung für die Frage der Sachentscheidungsptlicht könnte dabei die Auffassung sein, daß die Schätzung l09 in jedem Fall ihrer Anwendbarkeit einer Entscheidung nach Regeln über die objektive Beweislast vorgehe. Das hat einschneidende Konsequenzen in den Konstellationen, in denen Beweislastentscheidungen ein "gerechteres", insbesondere berechenbareres Ergebnis zeitigen würden. Der primäre Grund für den Vorrang wird allerdings darin gesehen, daß die Schätzung zu einer Sachverhaltsfeststellung führe, wenn diese dann auch eine solche "minderer Qualität"llo sei. Richtiger dürfte sein, daß die Schätzung eine gesetzliche Anordnung zur Sachverhaltsfeststellurig bei Vorliegen eines non liquet infolge der

305 § 88 AO Anm. 2. Ähnlich viele andere, z.B. Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 11 b; auch die richterliche Entscheidungspjlichtwird von jenen nicht nachgewiesen, vgl. § 96 FGO Rdn. 17; für das Verwaltungsverfahren Knack, § 24 VwVfG Rdn. 4; Kuhla/Hüttenbrink, Der Verwaltungsprozeß, E 173 tT. 306

Kühn/Kutter/Hofmann betonen auch § 85 AO.

307

In: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 13 tT.

)OS

Helsper, a.a.O., Rdn. 16.

)09 Helsper hält eine Grundlagenschätzung in weiten Bereichen für möglich, vgl. a.a.O., Rdn. 17. )10

Helsper, a.a.O., Rdn. 16.

90

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

Gewißheitsthese trifft, also eine Entscheidung nach dem Legalitätsprinzip verlangt. 311 Wacke 312 trennt in seiner Untersuchung zwischen der Beweislast vor der Steuerbehörde und den Steuergerichten. Dennoch geht er nicht auf den Sachentscheidungszwang ein. Dies erklärt sich aus der zum Zeitpunkt der Abhandlung damals noch vorgenommenen Verteilung der Beweislast nach Angreifer- und Verteidigerposition. Die Unterscheidung dient nur dazu, im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß die Beweislast nicht umkehren zu lassen. Wacke plädiert für eine einheitliche objektive Beweislast vor den Steuerbehörden wie Gerichten. Die Betonung der Gleichsetzung ist frappant: Weil der Steuerbescheid der Behörde "seinem Wesen und seiner Funktion nach eine rechtsanwendende, dem richterlichen Urteil innerlich gleichende Entscheidung"313 sein könne, könne auch die Beweislast nur einheitlich sein: "Für das Verfahren, das zu diesem Steuerbescheide führt, kann daher bezüglich der Beweislast nichts anderes gelten als für ein Verfahren, das mit einem amtsrichterlichen Urteil abschließt. 11 Daß die Beweislastfrage im (zivil-)gerichtlichen Verfahren nur durch die unbedingte Verpflichtung zur Sachentscheidung zur Entfaltung kommen kann, wird nicht problematisiert. Ohlm?14 enthält sich einer dezidierten Entscheidung über die Herleitung der Sachentscheidungspflicht im "Steuerverfahren": "Der Grundsatz, daß ein Verfahren auf jeden Fall zu einer Endentscheidung führen muß, gilt wie im Zivilprozeß auch im Steuerprozeß und unter gewissen Einschränkungen im Besteuerungsverfahren. 11315 Dabei wird besonders die bereits erwähnte Überleitung vom Zivilprozeß auf den Steuerprozeß und danach auf das Verwaltungsverfahrendeutlich. Immerhin ist zu bemerken. daß Ohlms herausstellt, daß das Finanzamt im Gegensatz zu den Zivilgerichten "nicht in jedem Fall" eine förmliche Entscheidung auszusprechen habe. Er hebt allein darauf ab, daß die Behörde "intern die gleichen Entschlüsse" zu fassen habe wie das Gericht in Fällen der Beweislast. Dies weist aber nur auf den Prozeß der Rechtsanwendung

311

Hierzu im folgenden unter IY.2.a.

312

Beweislast der Familienunternehmen, S. 1 fI

313 Wacke, a.a.O., S. 3, im Anschluß an Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S.25. 314

Beweislast und \erantwortung, S. 9.

315

Ohlms, Beweislast und \erantwortung, S. 9 f.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

91

hin und begründet nicht methodisch die vorzunehmende abschließende Sachentscheidung. Worauf Ohlms seine Aussage, daß das Finanzamt sich "nicht immer einer förmlichen Entscheidung enthalten kann"316, bezieht und woraus er die entsprechende Entscheidungspflicht ableitet, bleibt unklar. Isensee hält die Regelung der objektiven Beweislast im Steuerrecht für unverzichtbar. 317 Im Zusammenhang mit der der Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes entspringenden Beweisnot stellt er allerdings - vor allem wegen der Schätzung einen wesentlich geringeren möglichen Anwendungsbereich dieses Rechtsinstituts fest, ohne allerdings auf den Überbrtickungszwang der daraus resultierenden Situation einzugehen. Immerhin läßt er sich nicht von vornherein auf den Finanzgerichtsprozeß festlegen, sondern wählt den weiteren Ansatz der Verfahrensordnung; dies bedingt sich auch aus dem Thema der Untersuchung der verwaltungsrechtlichen Typisierung. Aufschlußreich ist auch die ausdrückliche Betonung des Legalitätsprinzips, das er allerdings nur im Zusammenhang mit der Frage der Beweislast(grund)vermutung "in dubio pro fisco" bzw. "in dubio contra fiscum" behandelt; so läßt Isensee die profiskalische Beweislastvermutung daran scheitern, daß sie nicht aus dem Inhalt (Zweck) der Steuergesetze abgeleitet werden kann: "Ob nämlich das Gesetz eingreift, hängt von der Erfüllung seiner tatsächlichen Voraussetzungen ab. Wer die rechtliche Folge schon in die tatsächlichen Voraussetzungenprojiziert, verbiegt damit den Zweck der Norm und verschiebt ihren intendierten Anwendungsbereich. ,,318 Auch als Auslegungsrichtlinie hält er sie für ungeeignet, weil sie letztlich am verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes scheitert: Die Freiheit des Individuums sei grundsätzlich schrankenlos, während der "staatliche Eingriff notwendig begrenzt ist und eines eigenen Ermächtigungstitels bedarf. Wo ein solcher fehlt oder nicht mit Sicherheit angenommen werden kann, gilt die Vermutung für die Freiheit. ,,319 Isensee gelangt damit zu einer Regel contra fiscum, die delUloch keine "Patentlösung" für die Frage der Feststellungslast im Verwaltungsverfahren sein kÖlUle. Sie werde - warum, bleibt offen! - "aufgefachert": Der Staat trage die Beweislast für steuerbegründendeund -erhöhende, der Steuerpflichtige für steuerausschließende, -aufuebende oder steuermindernde Merkmale. Damit ist der Normbegünstigungsthese Rosenbergs Geltung verschafft. Die Unter-

316

Ohlms, Beweislast und \erantwortung, S. 10.

m Die typisierende \erwaltung, S. 120. 318

Isensee, Die typisierende \erwaltung, S. 121.

319

Isensee, a.a.O., S. 121 f.

92

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

suchung weist damit keinen Weg aus der Beweisnot in die Beweislast durch Entscheidungszwang, obwohl Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, Vorbehalt des Gesetzes und Legalitätsprinzip320 hoher Stellenwert eingeräumt wird; lsensee setzt die objektive Beweislast im Finanzverwaltungsverfahren voraus, ohne ihr Anwendungsprinzip zu begründen. Zapf geht - vom Ansatz seiner Untersuchung her verständlich - auf die Sachentscheidungspflicht der Finanzbehörde überhaupt nicht ein. Die gerichtliche Entscheidungspflicht allerdings leitet er aus dem selbstverständlichen Grundsatz ab, daß dem non liquet in der Tatfrage ein solches in der Rechtsfrage nicht folgen darf. 321 Dies ergebe sich aus dem Sinn des gerichtlichen Verfahrens, das seinen Zweck verfehle, wenn es ohne Entscheidung in der Sache ende. Zapf bringt dies in Zusammenhang mit dem Wesen der Beweislast, ohne auf die Art des gerichtlichen Verfahrens abzustellen. Allerdings fuhrt auch er aus, daß jede (materielle) Norm die Beweislast als notwendigen Bestandteil in sich berge: Er meint hierbei allerdings nur das Verteilungsprinzip (GÜnstigkeitsthese). Die Sachentscheidungspflicht wird hieraus nicht abgeleitet. Im Ergebnis wird man Zapf unterstellen können, daß auch er für das gerichtliche Verfahren eine Entscheidungspflicht aus dem Justizgewährungsanspruch ableiten wird. 322 Pestalozza nimmt in einer Abhandlung zum Untersuchungsgrundsatz ausführlich zum unaufklärbaren Sachverhalt Stellung. 323 Zunächst stellt er für das Verwaltungsverfahren das Prinzip der Gesetzmäßigkeit als Ursprung des Untersuchungsgrundsatzes dar. Nach diesem Prinzip soll die Behörde nur solche Sachverhalte unter das Gesetz subsumieren, die wirklich existieren, da "Strenge und Güte des Gesetzes nicht für Phantome, sondern für Realien bemüht" werden. 324 Nur soll die Unaufklärbarkeit als Folge einer Mitwirkungspflichtverletzung dem kooperationsunwilligen Beteiligten "vorgehalten" werden können. Die Spezifizierung dieser "Vorhaltung" bleibt jedoch offen. Da Pestalozza in diesem Zusammenhang nur die Unaufklärbarkeit wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft anspricht, kann sie auch in einer für den Beteiligten nachteiligen Beweiswürdigung bestehen. Die Unaufklärbarkeit kann aber auch ohne

320

lsensee, Die typisierende Verwaltung, S. 184 f.

321

Zapf, Beweislast und Beweisfiihrungslast, S. 3.

322

In diesem Sinne ist "Sinn des gerichtlichen Verfahrens" wohl zu verstehen.

323

Verwaltungsverfahren, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 195 ff.

324

Pestalozza, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 193.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

93

Pflichtverletzung bei Erschöpfung der Autklärungs- bzw. Ermittlungsmöglichkeiten eintreten. In diesem Fall soll "wie der Richter ... auch die Verwaltung ihre Entscheidung nicht verweigern" dürfen. 325 Die Problematik der Entscheidungsanweisung wird durch diese schlichte Behauptung übergangen. Das Mittel zur Überwindung sieht Pestalozza in "Kunstregeln", "von denen der Gesetzgeber zwar nicht redet, aber weiß". Diese sollen "seit jeher geläufig" sein und niemand solle bezweifeln, daß sie fortgelten. J26 Mit diesen Kunstregeln ist die objektive Beweislast angesprochen. Äußerst problematisch sind allerdings die Beschreibungen, mit denen Pestalozza die "seit jeher" geltenden Grundlagen der objektiven Beweislast belegt. Unter Ablehnung einer subjektiven Beweislast des Bürgers (Beteiligten) sieht er im Untersuchungsgrundsatz eine Beweisjührungslast der Behörde. J27 Da aber nach herrschender Auffassung subjektive und objektive Beweislast nicht auseinanderfallen können 328 , wäre damit auch die objektive Beweislast festgelegt, eine Konsequenz, die Pestalozza gerade nicht ziehen will. Offen bleibt daher auch die rechtspolitisch zu verstehende Kritik, eine "materielle Beweislast ohne formelle Beweislast dürfte ein konsequentes Gesetz nicht kennen".329 Mit dieser Einordnung der objektiven Beweislast zwischen Untersuchungsgrundsatz und subjektiver (formeller) Beweislast entfernt sich Pestalozza ebenso wie mit der Auffassung, daß durch eine Beweislastentscheidung "objektiv das Gesetz verletzt wird" und daß sich eine Verfahrensordnung (bzw. -regelung) mit dieser "funfzigprozentigen Chance" einer Rechtsverletzung nicht zufriedengeben dürfe, ganz erheblich von der "seit jeher" geläufigen Auffassung dieser "Kunstregeln". So wenden sich die neueren Auffassungen gerade gegen die Kritik, daß durch eine Beweislastentscheidung das Recht verletzt werde, vielmehr werden diese gerade als gesetzliche Gewährleistungen rechtmäßiger Entscheidung angesehen. 330 Darüber hinaus reduziert Pestalozza die Anwendungsspanne der Non-liquet-Entscheidung auf einen Wahrscheinlichkeitsbereich eines 50:50 Verhältnisses; dies ist unzutreffend, weil es nach der (seit jeher) herrschenden Beweismaßfestiegung tatsächlich viel

325

Pestalozza, a.a.O., S. 195.

326

Pestalozza, a.a.O .. S. 195.

327

Pestalozza, a.a.O., S. 196 und 197.

m S. unten 2. Teil B. I. m.w.N. 329

Pestalozza, a.a.O., S. 198 oben.

330 Dies kann als ein Grundanliegen von Nierhaus, Beweismaß, S. 178 ff., bezeichnet werden.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

94

höher ist. 331 Den Ausführungen Pestalozzas zum Untersuchungsgrundsatz und der damit eng zusammenhängenden Problematik der objektiven Beweislast ist im Ergebnis keine Erklärung der Entscheidungsanweisung an die Behörde zu entnehmen. Die wohl auf Flume zurückgehende Hervorhebung der Parallelität der behördlichen mit der richterlichen Entscheidung332 ist zu allgemein, um das Erklärungsdefizit der Anwendung objektiver Beweislastregeln durch die Verwaltung zu rechtfertigen. Gerade die kritische Auseinandersetzung mit der Rezeption der Beweislastlehre aus dem Zivilrecht hätte es nahegelegt, hier dezidiert in der Begründung anzusetzen. Letztlich bleibt aber auch hier die Frage der Entscheidungsanweisung an die Verwaltung bei einem non liquet unbeantwortet. m MichaeP34 bezieht seine Untersuchungen nur auf den Verwaltungsprozeß. Eine Entscheidungspflicht leitet er - wiederum ausgehend von der zivilprozessualen Betrachtungsweise - aus dem Rechtverweigerungsverbotab, wobei auch er zusätzlich auf Art. 6 Abs. I MRK abstellt. Dabei wird nicht herausgestellt, daß Art. 6 Abs. I MRK für die Entscheidungspflicht in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten nicht einschlägig ist; auch die problematische Gleichsetzung des non liquet bei der Tatsachenermittlung und in der Rechtsfindung wird nicht begründet. Der prozessuale Blickwinkel der Arbeit verstellt die Sicht auf die zentrale Frage, ob für einen Entscheidungszwang des Gerichts nicht auch ein solcher der Exekutive im Fall einer tatsächlichen Unaufklärbarkeit erforderlich ist. Der Ansatz, daß auch die Feststellung des non liquet eine Entscheidung des Gerichtes sein kann, die nur bei Vorliegen von Lücken im Gesetz nicht hin-

331

Vgl. oben A. I. 3. a) bb) (5).

332

Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 25.

m Dennoch verdienen die kritischen Ausführungen Pestalozzas zur objektiven Beweislast Zustimmung. So ist hervorzuheben, daß er die aus dem zivilistischen Anspruchsdenken übernommenen Kunstregeln ftir das vom öffentlichen Interesse beherrschte \erwaltungsverfahren überprüft wissen will. Insbesondere die \erwerfung dieser Kunstregeln, weil der Rechtsstaat es gebiete, "die durch die Beweisnot gelassene Lücke anders zu überbrücken" und der Hinweis auf "\ermutungen oder Fiktionen zugunsten der einen oder anderen Lösung", erscheint erwägenswert. Dagegen ist das Abstellen auf das Herrühren einzelner Umstände aus dem Lebensbereich eines "Antragstellers" im Steuerrecht unbrauchbar. 334

Die \erteilung der objektiven Beweislast im \erwaltungsprozeß, S. 21 fI

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

95

genommen, sondern durch Rechtsfortbildung geschlossen werden muß 335 , wird rur das Verwaltungsrecht nicht nutzbar gemacht.

Berg!36 unterscheidet in seiner Untersuchung nach Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß. Dabei geht er - im wesentlichen in Einklang mit der h.M. - davon aus, daß Beweislastregeln in jedem Verfahren vonnöten sind, in dem eine Tatsachenermittlung erforderlich ist (1.), Entscheidungszwang besteht (2.) und eine Entscheidung in absehbarer Zeit zu fallen hat (3.).337 Für den Verwaltungsprozeß bezieht sich Berg hinsichtlich des Zwanges zur Sachentscheidung auf Schumann 338 , Pohle339 und Dürig!40 und leitet ihn somit aus dem Rechtsverweigerungsverbot ab. 341 Bezüglich der Beweislast im Verwaltungsverfahren und, als deren Voraussetzung, dem Entscheidungszwang läßt sich eine klare Stellungnahme hingegen den Ausruhrungen Bergs nicht entnehmen. Zunächst betont er, daß der Entscheidungszwang durch das Opportunitätsprinzip342, die - im Steuerrecht nicht interessierende - Institutionalisierung des Vergleichsvertrages und durch Verwaltungsvorakte 343 entschärft sei. Dazu gelangt Berg - notwendigerweise -, da er vorn Fehlen eines "gesetzlichen Überzeugungsgebotes" und eines einheitlichen Überzeugungsmaßstabes ausgeht, was rur das Steuerrecht nicht zu überzeugen vermag. Ob seinen Ergebnissen in der praktischen Folge etwas entgegengehalten werden kann, mag dahingestellt bleiben - das Steuer(verwaltungs)verfahren stellt im Grundsatz jedoch auf das Gewißheitserfordernis ab. Weiterhin bemängelt er, daß es "bislang keine überzeugenden und von den Gerichten praktizierten Beweislastregeln im Verwaltungsrecht" gebe. "Die Annahme einer Beweislastsituation" setze "die Ver-

335 Schumann, ZZP 81 (1968), 79 ff. 336

Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 169 ff.

337

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 169.

33K

ZZP 81 (1968), 79 ff.

339

In: Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317, 320.

340

VVDStRL 34 (\ 976), 13 J.

341 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 169 mit Fn. 35; zur Kritik an dieser Ableitung oben IV.

342

Vgl. hierzu auch Knemeyer, VVDStRL 35, 221, 260 f

343 Berg, a.a.O., S. 294 Fn. 36, wozu er an anderer Stelle (S. 278) auch § 165 AO zählt.

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

96

waltung also einer erheblichen Unsicherheit aus. ,,344 Eine eindeutige Ableitung des Sachentscheidungszwangesnimmt Berg daher auch nicht vor. Die Voraussetzungen einer Beweislastlage, "sofern sie im Verwaltungsverfahren jemals erkannt wird"345, bleiben daher offen. Peschau geht überraschenderweisebei seiner Untersuchung der Beweislast im Verwaltungsrecht auf die Sachentscheidungspflicht der Verwaltung ebenfalls nicht ein. Allein für den Verwaltungsprozeß zieht er zur Begründung eines Entscheidungszwanges den Anspruch auf Justizgewährung heran. 346 H. Meyer.l47 läßt nicht klar erkennen, worauf er die notwendige Sachentscheidungspflicht stützen will; so verweist er zunächst darauf, daß sich die Finanzbehörde "ebensowenig wie die Gerichte"348 einer Entscheidung entziehen darf, wodurch er allerdings recht global auf den Justizgewährungsanspruch349 rekurriert, der gerade nicht für die Finanzbehörde herangezogen werden kann. Seine Begründung ist ersichtlich von dem Ziel geleitet, "Kontinuität zwischen den Entscheidungen auf Verwaltungs- und Gerichtsebene zu erzielen"350 und dies durch Beweislastregelungen zu erreichen. Dadurch macht auch H. Meyer das Ergebnis zur Voraussetzung seiner Begründung. Immerhin ist anzumerken, daß er das Problem erkennt, die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung zum Ausgangspunkt der Sachentscheidungspflichtheranzuziehen. In Auseinandersetzung mit Seeliger 51 weist er darauf hin, daß dieser Grundsatz gerade eine endgültige Entscheidung verhindern würde.

344 Berg, \erwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 279. Hinsichtlich des Inhaltes der Beweislastregeln - deren Anwendungsvoraussetzungen bezüglich des Entscheidungszwanges Berg als "entschärft" konstatiert hat, nimmt er keine Unterscheidung zwischen \erwaltungsverfahren und \erwaltungsprozeß vor, weil er sie im materiellen Recht verankert sieht: \erfahrensrecht und \erfahrensart können sie daher nicht berühren.

345

Berg, a.a.O., S. 280.

346

Peschau, Beweislast im \erwaltungsrecht, S. 11.

347

Beweislastprobleme, S. 26 f.

348

H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 26.

349

Beweislastprobleme, S. 1.

350

Beweislastprobleme, S. 27.

m Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß, S. 23. Seeligerlehnt eine Beweislastentscheidung im \erwaltungsverfahren gänzlich ab, weshalb sich für ihn auch der Zwang zur Sachentscheidung nicht ergibt.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

97

Ausgehend von der Behauptung, daß die Beweislast gleichermaßen fiir die Finanzverwaltung und fiir die Gerichte gilt, gelangt G. Klein 352 zu der Erkenntnis, daß (auch) die Finanzverwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist, so daß die Besteuerung vorgenommen werden muß, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Abgestellt wird hierbei auf das Legalitätsprinzip bzw. den Gesetzmäßigkeitsgrundsatz. Daß die "gesetzlichen Voraussetzungen" bei einem non liquet regelmäßig gerade nicht vorliegen, wird dabei übersehen. Auch ist der Ansatz unzutreffend, daß Verwaltung und Gericht bei gleicher Aufgabe auch gleich effektive Mittel zur VerfUgung stehen müßten: Aufgabe der Gerichte ist die Kontrolle des Verwaltungshandeins, nicht Vollzug der Gesetze. Nur bei Vornahme dieser Aufgabe sind die Gerichte an die bestehenden Gesetze gebunden. Es ist ungenau, wenn G. Klein formuliert, daß demzufolge auf der Hand liege, daß die Beweislast jeden - und damit auch die Verwaltung - betrifft, der Rechtsnormen nach Tatsachenfeststellungen anwenden muß. Es geht gerade um die Frage, ob gegebenenfalls der Legalitätsgrundsatz die Verwaltung verpflichtet, Rechtsnormen auch im Falle des non liquet anzuwenden; erst dann kann sich die Frage nach dem Überwindungsprinzip - eventuell der Beweislast - stellen. Auch Hejl53 kommt von der Entscheidungspflicht der Gerichte zu einer ebensolchen der Finanzverwaltung: "Kommt die Finanzbehörde zu der Erkenntnis, daß sie von den tatsächlichen Verhältnissen nicht in dem erforderlichen Maß überzeugt ist, so kann sie sich ebensowenig wie die Gerichte einer Entscheidung enthalten." Er sieht die Entscheidungspflicht allerdings eindeutig im Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verankert; dies wird allerdings nicht näher hergeleitet. So weist er im Zusammenhang mit dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz zugleich auf das Instrument der Beweislast zur Überwindung der Zweifel im Tatsächlichen hin, was dann in das Fazit mündet, daß hinsichtlich "". der Beweislast dieselben Grundsätze wie im Steuerprozeß gelten".354 Er übersieht dabei, daß bezüglich der ungeschriebenen Beweislastnormen aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip eine Sachentscheidungspflicht nicht hergeleitet werden kann. 355

352 Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 16. 353

Beweislast und Vermutungen, S. 23.

354

Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 24.

355

A.A. Nierhaus, Beweismaß, S. 173 ff. und 477; hierzu unten IV. 2. a.

7 M. Schmidl

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

98

L. Osterloh verzichtet ausdrticklich darauf, "noch einmal die Grundfragen der objektiven Beweislast umfassend neu aufzurollen und deren Beantwortung eigenständig zu begrtinden".3s6 Dies ist in mehrfacher Hinsicht unzureichend. Denn sowohl ihre Arbeit zu "Gesetzesbindungund Typisierungsspielräumenbei der Anwendung der Steuergesetze" wie auch Nierhaus 'Habilitationsschrift über "Beweismaß und Beweislast" stellen nicht nur die umfanglichsten, sondern auch die aktuellsten wissenschaftlichenAbhandlungen zu diesem Problembereichdar. Während Tipke/Kruse über die das Gesetzmäßigkeitsprinzip betonende Auffassung Nierhaus B57 das Verdikt mangelnder Praktizierbarkeit verhängen und die "theoretische Rechtfertigung eines noch praktikablen Verfahrens" L. Osterloh bestätigen, übergehen sie, daß ihre (Osterlohs) Ansätze über weite Bereiche mit der "klassischen" Beweislastlehre nicht in Einklang zu bringen sind und daher gerade eigenständiger Begründung bedürften. 3s8 Interessant ist sicherlich der Rosenberg widersprechende Versuch, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Beweislast und Beweismaß aufzuzeigen. Dies wird besonders deutlich bei der These, daß der Beweislast nur die grundsätzliche Verteilung eines Risikos zu entnehmen sei, während das Beweismaß die graduelle Risikoschwelle (im Einzelfall) determiniert. Die Unhaltbarkeit ergibt sich aus der Verabsolutierung der Beweislastlehre. Sie macht sie zum Ausgangspunkt ihrer Argumentation und daher unangreifbar. Dies wird an mehreren Stellen deutlich. So wird im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der Schätzung nach § 162 AO die Behauptung aufgestellt, daß "sicher ... lediglich sein" dürfte, "daß die Schätzung ... als Alternative zur Entscheidung nach Regeln der obj ektiven Beweislast konzipiert" sei. 3s9 Die ausdrtickliehe, erst spät erfolgte Auseinandersetzung mit der objektiven Beweislast im Steuerrecht durch das BFH-Urteil vom 5. November 1970360 und die Kontinuität zwischen § 217 RAO und § 162 AO spricht eindeutig dagegen, wie auch die Tatsache, daß die gesetzlich verankerte Schätzungsmöglichkeit systematisch nicht die ungeschriebenenRegeln der Beweislast ergänzt, sondern allenfalls umgekehrt. Richtigerweise erkennt sie, daß wegen der "potentiellen Inpflichtnahme" die "Frage nach einer Ermächtigungsgrundlage für Risikozuweisungen zu Lasten des Bürgers in Gestalt von Beweismaß-

356

L. Osterloh, Gesetzesbindung,

s.

330.

m Beweisrnaß, S. 61, 64, 115. 358

7ipke/Krnse, § 88 AO Rdn. 10.

359

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 228.

360

BFH BStBl. II 197\, 220, 224.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

99

senkungen oder Beweislastentscheidungen"361 besteht. Die Konsequenz, daß eine strikte Anwendung des Vorbehaltsprinzips im Steuerrecht aber zu verfassungsrechtlich unhaltbaren Folgen führe 362 , ist absurd. Die dann sich ergebende Nichtanwendbarkeit von Eingriffsnormen (steuerschuldbegrtindenden Normen) ist die logische Folge daraus; das Vorbehaltsprinzip wegen der Verstellung der "Möglichkeit einer sach- und gesetzesgerecht differenzierenden Verteilung der objektiven Beweislast"363 aufzuheben, ist untragbar. Unzutreffend ist es ebenfalls, daß die Nichtanwendung steuererhöhender (bzw. die Anwendung steuermindernder) Normen bei Unklarheit von deren tatsächlicher Tatbestandserfüllung "so offensichtlich ungerecht sei, daß sie zu Recht praktisch nirgends vertreten wird"364; wenn auch nicht als Verteilungsregel, so wenden gerade Tipke/Kruse die zugrundeliegende Wertung bei einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 AO aus verfassungsrechtlichen GIiinden durchaus an, da sie in einer Besteuerung auf der Grundlage eines Tatbestandes, der "nur vermutlich oder möglicherweise zutrifft", einen Verstoß gegen Art. 2 GG erblikken. 365 Auch der BFH scheint diesbezüglich gewisse Bedenken zu tragen. 366 Besonders deutlich wird die Verabsolutierung der Beweislastfrage bei der Bejahung der Zulässigkeit der Beweismaßabstufungen (i. S. einer graduellen Risikozuweisung der Beweislast): Wenn die Beweislastbegrtindung durch gesetzesergänzende Rechtsfortbildung zugelassen werde, müsse dies erst recht für die Beweismaßreduzierung (maßvolle Ausgestaltung des zuzuweisenden Beweislastrisikos) gelten. 367 Hier wird gleichzeitig die Abweichung von der gängigen Abgrenzung deutlich. Während gemeinhin die Beweismaßfestlegung der Beweislastfrage vorausgeht, weil sie den Grad der Überzeugungsbildung festlegt, wird sie hier wertungsmäßig nachrangig als Risikozuweisungsregelung verwendet. Diese wenigen Beispiele machen deutlich, daß es äußerst fragwürdig ist, die objektive Beweislast zur Voraussetzung weiterer Untersuchungen zu machen. So wird auch verständlich, daß den Ausführungen L. Osterlohs zur

7*

361

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 266.

362

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 266.

363

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 267.

364

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 269 mit Fn. 110.

365

Tzpke/Kruse, § 165 AO Rdn. 6.

366

BFH BStBl. 11 1992, 588, 590; vgl. auch oben B. III. 2. b) (Fn. 227).

367

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 285.

100

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

Sachentscheidungspflicht nicht viel zu entnehmen ist; zwar werden eine Abgrenzung zum zivilprozessualen Grundverhältnis, das als horizontal symmetrisch definiert wird, vorgenommen und die Rechtsbeziehung zwischen Steuergläubiger und Steuerpflichtigem als vertikal asymmetrisch gekennzeichnet. 368 Die wenig aussagekräftige Konsequenz dieser Feststellung mündet dann in der Erkenntnis, daß die (auch die Beweislast voraussetzende) Risikozuweisung der Unüberwindlichkeit von Sachverhaltszweifeln "in den allgemeinen Legitimationszusammenhang rechtsstaatlichen Gesetzesvollzuges eingebunden" sei, "also unter dem Aspekt rechtsstaatlich legitimierter, insbesondere maßvoll begrenzter Durchsetzung öffentlicher Interessen gegenüber dem Bürger zu rechtfertigen" sei. 369 Obsolet ist es auch, die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des einfachen Gesetzes zu stellen, wenn zwar der Entscheidungszwang der Rechtsanwendungsinstanzen mittels der Beweislastregeln zu einer Ergänzung des materiellen Rechts führe, eine sachlich differenzierte Risikoverteilung der Beweislast (durch materiell verfassungskonforme Beweismaßreduzierung) wegen des Gesetzesvorbehalts aber scheitere. 370 Zunächst wäre im Rahmen der Beweislasttheorie die Sachentscheidungspflicht der Finanzbehörde zu begründen. Wenn eine solche nämlich nicht besteht, fallt die objektive Beweislast in sich zusammen, und dem einfachen Gesetz können auch keine Risikozuweisungen entnommen werden. Es wird deutlich, daß die Theorie L. Osterlohs auf einer nicht weiter vertieften Beweislastlehre autbaut. Ein Weg durch das sich daraus in der Begründung ergebende Nadelöhr wird allerdings nicht gewiesen. Statt dessen wird "statt aller" auf Rosenbert 71 verwiesen, der allerdings zur speziellen Sachentscheidungspflicht der Finanzbehörde gänzlich unergiebig ist: "Die unbestrittene Entscheidungspflicht der Rechtsanwendungsinstanzen auch bei unaufklärbarem Sachverhalt ist zwar der entscheidende Grund dafür, daß es Regeln der Beweislast geben muß, hat aber nichts mit dem Regelungsgegenstand des Vorbehaltsprinzips, also mit der Frage zu tun, ob solche Regelungen dem Parlament vorbehalten sind. ,,372 Die Frage nach der Begründung einer Sachentscheidungspflicht der Finanzbehörde bleibt demzufolge auch bei L. Osterloh offen.

368

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 275.

369

L. Osterloh, a.a.O., S. 276.

370

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 283 ff.

371

Beweislast, S. 1 ff., 24 f

372

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 284 mit Fn. 129.

B. Die 'krpflichtung zur Sachentscheidung

101

2. Ansätze zur Begründung eines Sachentscheidungszwanges der Finanzverwaltung bei Vorliegen eines non Iiquet

Einleitend wurde dargestellt, daß die Sachentscheidungspflicht im gerichtlichen Verfahren ausschließlich aus dem Justizgewährungsanspruch, Art. 19 Abs. 4 GG, oder dem Rechtsverweigerungsverbot abgeleitet wird. Diese Begründungen sind für eine originäre Sachentscheidungspflichtder (Finanz)Behörde nicht tragfähig. Diese entscheidet selbständig und ohne Rücksicht auf ein mögliches späteres Rechtsschutzverfahren, das durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet wird. Der Entscheidungszwang der Behörde kann sich demzufolge nur aus einem an sie selbst gerichteten Gebot ergeben.

a) Der Legalitätsgrundsatz Zunächst könnte sich die VeIpflichtung zur Sachentscheidung aus generellen verfassungsrechtlichen Grundsätzen herleiten lassen. Insofern könnte der Legalitätsgrundsatz zur Begründung herangezogen werden, der in §§ 3, 38, 85 AO einen einfachgesetzlichen Ausdruck gefunden hat. Das Legalitätsprinzip als spezielle Ausprägunt 73 der Gesetzesbindung der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG374 dient der Gesetzmäßigkeit (Tatbestandsmäßigkeit) und Gleichmäßigkeit der Besteuerung. 375 Das Opportunitätsprinzip als Durchbrechung des Legalitätsgrundsatzes ist weniger im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung als vielmehr mit Rücksicht auf deren Gleichmäßigkeit relevant. 376 Obwohl das Legalitätsprinzip die Finanzverwaltung zum (gleichmäßigen) Vollzut 77 der bestehenden Gesetze veIpflichtet, ist es für die Sachent-

m 7ipke/Krnse, § 85 AO Rdn. 3 unter b), bezeichnen diesen Grundsatz als Ausfluß der Gesetzesbindung der 'krwaltung. 374

7ipke, Steuerrechtsordnung I, S. 16l.

m B'krfGE 13, 318, 328; BStHl. II 1991,654,665; vgl. auch die Übersicht bei Nierhaus, Beweismaß, S. 136 f. 376 7ipke/Krnse,§ 85 AO Rdn. 4; vgl. aber auch Jenetzky,StuW 1982,273,282: "Der Opportunitätsgrundsatz vergewaltigt den Ermittlungsgrundsatz. "

377 7ipke, Steuerrechtsordnung I, S. 165, nennt dies auch Anwendungsgebot. Unklar H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 39 fI, der dem Tatbestandsmäßigkeitsprinzip ein 'krbot der Steuerfestsetzung entnimmt, wenn "auch nur ein Merkmal fehlt, bzw. nicht

102

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

scheidungspflicht unergiebig: Bei Zugrundelegung der inzwischen gängigen Auffassung, daß die Normen ihre Anwendung nur für den Fall des tatsächlichen Vorliegens ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen regeln bzw. ihre Nichtanwendung im Falle des feststehenden Nichtvorliegens, im übrigen wegen des "dazwischenliegenden" Bereichs tatsächlicher Unklarheit aber schweigen378 , folgt gerade keine Anweisung für den in der materiellrechtlichen Norm nicht "geregelten" Fall eines non liquet, und zwar unabhängig davon, welchen Grad von Überzeugung man beim Rechtsanwenderverlangt. Dem einfachgesetzlichen Auftrag des § 85 AO kann demzufolge kaum entnommen werden, daß die Finanzbehörden "zwingend zur Rechtsanwendung verpflichtet" seien. 379 Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt nur, "daß die Finanzämter verpflichtet sind, die nach dem Gesetz entstandenen Steueransprüche geltend zu machen ... , sobald die gesetzlichen Voraussetzungen dafor vorliegen".380 Die Geltendmachung (und Durchsetzung) entstandener Steueransprüchehängt aber (neben der objektiven Verwirklichung des materiellen Steuertatbestandes) von der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzung des Vorliegens einer bestimmten Überzeugung (Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit) ab. Bei Fehlen einer Überzeugung liegen die gesetzlichen Voraussetzungenjür die Geltendmachung nicht vor, selbst wenn, und dies ist bei einem non liquet nicht einmal sichergestellt, die "Entstehung" des Steueranspruchs tatsächlich gegeben war. Den "bestehenden Gesetzen" als Gegenstand des Vollzugsauftrags gemäß § 85 AO ist daher im Sinne Leipold?81 "bei Zweifeln über die Normvoraussetzungen ... weder in positiver noch in negativer Hinsicht" eine Entscheidungspflicht zu entnehmen, soweit sie nicht ausnahmsweise selbst ihre Anwendung auch im Falle von Sachverhaltszweifelnanordnen. 382

bewiesen ist"; das Tatbestandsmäßigkeitsgebot berücksichtigt er allerdings nur als Beweislastverteilungskriteriurnflir steuererhöhende Umstände. Die Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen rechtfertigt er dagegen mit Art. 3 Abs. 1 00. Konsequenterweisemüßte das Tatbestandsmäßigkeitsprinzipallerdingsbereits die Beweislastentscheidung als solche verbieten. m

Leipold, Beweislastrege1n, S. 33 f., allgemeine Meinung.

379 So aber R. Wittmann, StuW 1987, 35, 43, unter Hinweis auf B\erfGE 25, 216, 228. 380B\erfGE 25, 216, 228 [Hervorh. d. \erf.]. 381 Leipold, Beweislastrege1n, S. 33.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

103

Wenn dem Legalitätsprinzip als spezieller Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips insofern keine generelle Entscheidungsanweisung entnommen werden kann, wäre festzustellen, ob nicht eine andere Ableitung das Erfordernis der Beweislastentscheidung trägt. "Das Rechtsstaatsprinzip enthält eine materielle Komponente. Sie zielt auf die 'Erlangung und Erhaltung materieller Gerechtigkeit im staatlichen und staatlich beeinflußbaren Bereich'. ,,383 Zu diesem vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen Bereich gehört neben dem Zivilprozeß 384 auch das Strafverfahren385 ; nichts anderes kann für das Steuerverfahren gelten. 386 Durch eine diesen Vorgaben entsprechende Verfahrensgestaltung habe nach Ansicht des Gerichts der Rechtsanwender den materiellen Inhalten der Verfassung Geltung zu verschaffen; dazu gehöre auch die Sicherstellung eines "fairen" Verfahrens durch entsprechende Handhabung des Beweisrechts387 einschließlich der Beweislastregeln. 388 Das unbestimmte "Recht auf ein faires Verfahren" bedürfe aber der behutsamen Konkretisierung nach Maßgabe der jeweiligen sachlichen Gegebenheiten. "Erst wenn sich unzweifelhaft ergibt, daß rechtsstaatlichunverzichtbareErfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können aus dem Prinzip selbst konkrete Folgerungen für die Verfahrensgestaltung gezogen werden; diese haben sich tun liehst im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens zu halten".389 Das Bundesverfassungsgericht stellt für das dem Amtsermittlungsgrundsatz unterliegende Verfahren als "zentrales Anliegen ... die Ermittlung des wahren Sachverhalts" heraus. 39o Dies beinhaltet das "Gebot bestmöglicher Sachaufklärung"391 und J82 Z.B. §§ 9a, lOc Abs. I, Abs. 2 EStG; weitere Beispiele unten 2. Teil C. 11.4) (Fn. 92). J8J

59.

B\erfGE 52, 131, 144f unter Hinw. auf MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 20 Rdn.

J84

B\erfGE 52, 131, 145.

J85

B\erfGE 57, 250, 274 ff.; E 70, 297, 308 f

J86 B\erfGE 69, 188, 206 greift insofern die vom BFH (BStBl. 11 1971,220, 224) rezipierte zivilrechtIiche Beweislastverteilung nach der Normbegünstigungstheorie auf. J87 B\erfGE 52,131,145 (Arzthaftung); B\erfGE 57, 250, 274 und E 70, 297,308 f für das Strafprozeßrecht, wobei zusätzlich zum RechtsstaatIichkeitsgebot Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 103 Abs. I GG herangezogen wird. J88

B\erfGE 52, 131, 145 für den Zivilprozeß.

J89

B\erfGE 70, 297, 308 f unter Hinw. auf E 57, 250, 276.

J90

B\erfGE 57, 250, 275.

104

1. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

die Ermittlung nach der "erkenntnismäßig bestmöglichen Sachnähe".392 Das kann die objektive Beweislast im Steuerrecht nicht leisten, da sie sich um eine Sachaufklärung nicht bemüht, sondern eine materielle Risikoentscheidung ohne Rücksicht auf den tatsächlich verwirklichten Lebenssachverhalt fallt. 393 Die Grundstruktur des Steuerverfahrens, dem entgegen der materiellen Risikoentscheidung durch Beweislastnormen die Ermittlung des wahren Sachverhalts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeitl 9\ notfalls auch mit reduziertem Wahrscheinlichkeitsmaßstab im Wege der (Grundlagen-)Schätzung nach § 162 AG eigen ist, kann demzufolge keine Beweislastentscheidung fordern, da sie ihm strukturell fremd ist. J95

391

BVerfGE 70, 297, 309.

392

BVerfGE 57, 250, 277.

393 Anders allein L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 283 ff., die aber entgegen der h.M. zwischen den Bereichen von Beweiswürdigung und Beweislast nicht konsequent trennt. Hierzu ausführlich unten 3. Teil D. und sogleich IV. 2. b). 394 Eine weitere Parallele zwischen Straf- und Besteuerungsverfahren ist, mit gewissen Abstrichen, zu ziehen. Das BVerfG hat hervorgehoben, daß in Art. 2 GG (wobei es in E 70, 297, 308 auf Abs. 2, in der in bezug genommenen Entscheidung E 57, 250, 274 aber auf Abs. I abstellt!) "eine der Wurzeln des Prozeßgrundrechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren" liege und sich daraus "Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung" ergeben müssen. Art. 2 GG setze demzufolge Maßstäbe rur eine "hinreichende tatsächliche Grundlage richterlicher Entscheidungen"; es sei eine "unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens", daß Entscheidungen "eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie" entspreche (BVerfGE 70, 297, 308 [Hervorh. d. Verf.]). Auch wenn die Intensität des Eingriffs bei einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme höher ist als bei Auferlegung einer Geldleistungspflicht, ist nicht zu übersehen, "daß Steuergesetze in die allgemeine Handlungsfreiheit gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen und im beruflichen Bereich (Art. 14 Abs. I, Art. 12 Abs. I GG) eingreifen" (BVerfGE 87, 153, 169). Auch mit Abschwächungen hinsichtlich der Anforderungen an eine hinreichende tatsächliche Grundlage kann daraus gefolgert werden, daß nach der verfassungsrechtlich vorgezeichneten "Grundstruktur" eine Anbindung an das tatsächliche Geschehen gegeben sein muß. 395 Anders der Zivilprozeß, für den das Rechtsverweigerungsverbot die Entscheidungsanweisung rür den Richter enthält und in dem der in § 194 Erster Entwurf BGB enthaltene Grundsatz der Beweislastverteilung fortgilt (hierzu unten 3. Teil C. II.). Schon aus der Tatsache, daß die Regelung der I1!rteilung der objektiven Beweislast im gesamten

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

105

b) Der Gleichmäßigkeitsgrundsatz Dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung396 kann eine Sachentscheidungspflicht ebenfalls nicht entnommen werden. Es besteht zwar eine enge Verbindung zwischen Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeie91, wie § 85 AO unmittelbar zu entnehmen ist, wenn dort die Anweisung getroffen wird, daß die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen sind; dennoch kann mit Rücksicht auf diesen Aspekt der Gleichmäßigkeit nicht ein solches Übergewicht gegeben werden, daß es gerechtfertigt erscheint, feststehende und nur wahrscheinliche Sachverhalte grundsätzlich gleich zu besteuern. Es kann dabei nicht verkannt werden, daß ein solches Wissen auf seiten des Steuerpflichtigen zu einem verstärkten Nachlassen seiner "Sorgfaltspflichten" führen könnte. Doch sind trotz der rechtspolitischen Tragweite dieser Überlegung andere Mechanismen bereits vorhanden, der "Verschleierung" von Steuersachverhalten entgegenzuwirken. Hier wären insbesondere die Möglichkeit der Beweiswürdigung bei Verletzung oder Vernachlässigung der steuerlichen Mitwirkungspflichten zu nennen398 , die - in Grenzen zulässige - Typisierunt 99 und insbesondere die Schätzung. 4oo Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit bezieht sich demzufolge nur auf die Bereiche, die tatsächlich von der Nonnanweisung erfaßt werden, und das ist - regelmäßig - gerade nicht der Non-liquet-Bereich. Feststehendes und Wahrscheinliches sind nonnspezifisch derart ungleich, daß beides ohne Verstoß gegen den Gleichmäßigkeitsgrund-

öffentlichen Recht nach überwiegender Ansicht vom Gesetzgeber regelmäßig nicht mitbedachtwird, spricht gegen ein "strukturellesAngelegtsein" der Beweislastüberhaupt. 396

Art. 3 Abs. 1 00, vgl. Tipke, Steuergerechtigkeit, S. 52.

397

Vgl. auch Krose, Steuerrecht I, § 17 I, S. 319.

398

TipkeiKrose,§ 96 FGO Rdn. 17c.

399 Zur Typisierung durch den GesetzgeberB\erfGE 13,331,341; E 17, 1,23; E 51, 115,122/; E 63, 119,128; E 79,87,100; E 80, 109,118; E 81, 108, 118; E 81,228, 237; E 82, 60, 91 jJ.; E 85, 264, 317; E 87, 153,172. Ausflihrlich Isensee, Die typisierende \erwaltung, S. 125 ff.; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 89 f. und passim; Loritz, NJW 1986, 1, 7; ders., DStR 1995, Beihefter zu Heft 8, S. 1,5. Zur Typisierung unten 4. Teil B. 400 Zu pauschal daher H. Meyer,Beweislastprobleme, S. 43: "Nur so kann der Steuerunehrlichkeit. ein gewisser Riegel vorgeschoben werden". Ausführlich hienu unten 3. Teil C. IV. 3.

106

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

satz401 bzw. das Willkürverbot402 nicht gleichbehandelt werden darf. Eine Überbetonung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstieße daher gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und würde das Gleichgewicht zwischen diesen Prinzipien stören. Dies wird auch deutlich, wenn man sich § 85 S. 2 AO vergegenwärtigt: Danach haben die Finanzbehörden "sicherzustellen, daß Steuern nicht verkürzt" oder "zu Unrecht erhoben ... werden". Diese beiden dem non liquet als Möglichkeiten wesensimmanentePole werden hinsichtlich der gesetzlichen Vollzugsanweisung bedingungslos in ihrer Wertigkeit gleichgestellt. Eine Gleichsetzung von Feststehendem und Wahrscheinlichem würde diese Zielanweisung einseitig zugunsten der zu verhindernden Steuerverkürzungen verschieben. Auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann eine derartige Gewichtung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht entnommen werden. Zwar betont das Gericht die zentrale Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 GG für die Steuerfestsetzung, wenn es ausführt, daß dieser Norm die Verpflichtung entspringe, jeden "nach seiner finanziellen Leistungsfahigkeitgleichmäßig zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben" heranzuziehen und der "steuerliche Eingriff in die ... Rechtssphäre des Einzelnen ... seine Rechtfertigung auch und gerade aus der Gleichheit dieser Lastenzuteilung" gewinne; demzufolge müßten im Steuerrecht "von Verfassungs wegen sowohl die steuerbegründenden Vorschriften als auch die Regelungen ihrer Anwendung dem Prinzip einer möglichst gleichmäßigen Belastung der Steuerpflichtigen besonders sorgfältig Rechnung tragen".403 Das Verfassungsgericht schränkt allerdings die Tragwei-

401 Nach Ansicht des 1. Senats des B\erfG liegt ein \erstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn eine Gruppe von Nonnadressaten im \ergleich zu anderen Nonnadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden kein Unterschied von solcher Art oder solchem Gewicht besteht, daß er die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, vgl. B\erfGE 55, 72, 88; E 58, 369, 373; E 60, 123, 133; E 60, 329, 346; E 62,256, 274; E 64, 229, 239; E 65, 104, 112; E 66, 234, 242; E 67, 231,236; E 68, 287, 301; E 70, 230,239/; E 71,146,154/; E 72,141,150; E 74, 9, 24; E 75, 348, 357; E 81, 1,8; E 81, 108,118; E 81, 156,205; E 81,226,236; E 82, 126, 146; E 85,238,244/ 402 Tzpke, Steuergerechtigkeit, S. 54. Nach Ansicht des 2. Senats des B\erfG liegt ein \erstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn sich ein vernünftiger, auch aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Gnmd für eine gesetzliche Differenzierung oder gleiche Behandlung nicht finden lasse und die Bestimmung daher als willkürlich bezeichnet werden muß, vgl. B\erfGE 1, 14,52/; E 49, 260, 271; E 49, 280,283; E 65, 141,148; E 68, 237, 250; E 71, 39, 53. 403

B\erfG BStBl. 11 1995, 655, 660; B\erfGE 84, 239, 269 fährt sogar fort: "Da-

B. Die \eIpflichtung zur Sachentscheidung

107

te dieses Grundsatzes für die hier interessierende Problematik wiederum ein, wenn es seine Ausführungen dahingehend präzisiert, daß durch das Besteuerungsverfahren sichergestellt werden solle, "daß jede Bemessungsgrundlage möglichst vollständig festgestellt und die Steuer deshalb prinzipiell gleichmäßig erhoben werden kann (vgl. § 85 AO)".404 Damit geht das Bundesverfassungsgericht zutreffenderweise wohl auch davon aus, daß eine materielle Gleichbehandlung grundsätzlich nur bei feststehender Tatsachenbasis möglich ist. Bei einem non liquet kann aber keineswegs von einer möglichst vollständigen Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachenbasis gesprochen werden; eine unmittelbare Heranziehung des Gleichmäßigkeitsprinzips verbietet sich daher eigentlich. Fraglich ist dennoch, ob nicht mittelbar dieser Grundsatz eine Sachentscheidung verlangt. So wird bezüglich der Reichweite der Pflicht zur (vollumf"anglichen) Individualermittlung gegenüber einem vereinfachten (typisierenden) Gesetzesvollzug (Beweismaßproblematik) vorgetragen, daß ein "Mehr" an Gleichbehandlung ein Abweichen vom Regelbeweismaß rechtfertige, weil die (zum Scheitern verurteilte) vollständige Ermittlung und daraus folgende Nichtfestsetzung noch gesetzesferner und damit rechtswidrig sei. 405 Dies ließe sich entsprechend auf die Beweislastproblematik üb ertragen: 406 Eine Entscheidung nach den Regeln einer objektiven Beweislast müßte dann einen gleichmäßigeren Vollzug der materiellen Steuergesetze sicherstellen als die generelle Nichtanwendung der Norm; letzteres wäre damit gerechtigkeitsferner als die Beweislastentscheidungund müßte sich aus Gründen der Besteuerungsgleichheit verbieten. 407 Dies berücksichtigt jedoch nicht, daß sich wegen der

durch unterscheiden sich Gemeinlasten von anderen staatlichen Eingriffen." [Hervorh. d. \erf.] 404

B\erfGE 84,239, 271 [Hervorh. d. \erf.].

405 Amdt, Praktikabilität und Effizienz, S. 81. Vgl. auch Isensee, Die typisierende \erwaltung, S. 166 ff., der darauf hinweist, daß der Gleichheitssatz auch "Systemgerechtigkeit und Konsequenz" erfordere. Letztlich rechtfertigt er damit eine "brauchbare Illegalität", ders., StuW 1973, 199,205/ 406 H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 42: "Die Befolgung der Norm ... wäre dem SteueIpflichtigen nicht mehr zumutbar, wenn nicht die Geweißheit besteht, daß jeder andere die Norm in der gleichen Weise befolgen muß"; angesprochen auch von WeberGrellet, StuW 1981, 48, 53 und G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 21. 407 Wohlgemerkt geht es hierbei nicht um die gerechte Aufteilung des Beweisrisikos zwischen SteueIpflichtigem und eingreifender Finanzbehörde, sondern um die Kon-

108

I. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

Abkoppelung der Beweislastentscheidung von dem tatsächlich vorgefallenen Lebenssachverhalt überhaupt keine Aussage über die reale Verwirklichung des Tatbestandes mehr treffen läßt, sondern die Entscheidung völlig unabhängig davon fällt. 408 Soweit daher keine Wahrscheinlichkeitsurteile hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung getroffen werden409 , ist die Gefahr eines "potentiellen Fehlurteils" so groß wie eine materiell zutreffende Besteuerung. Gleichheit und Ungleichheit bei der Rechtsanwendung mittels einer Beweislastentscheidung halten sich demzufolge logisch die Waage, so daß keinesfalls eine durch die Beweislastnormen vorgegebene Anwendung der Steuergesetze zu einem aufgrund des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes gebotenen "gleicheren" Ergebnis führt wie die (konsequente) Nichtanwendung der Norm. Dadurch wird aber auch deutlich, daß jedes wirklichkeitsorientierte Wahrscheinlichkeitsurteil prinzipiell dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eher gerecht wird als eine Beweislastentscheidung. Die Sicherstellung der Steuererhebung aufgrund nur wahrscheinlich verwirklichter Sachverhalte muß daher in anderer Weise erfolgen. Eine unmittelbare Sachentscheidungspflicht der Verwaltung bei ungewissem Sachverhalt ist aus dem Gleichmäßigkeitsgebot demzufolge nicht abzuleiten. 4IO

sequenzen einer nichtvorgenommenen Festsetzung bei möglicher, aber nicht feststehenderTatbestandsverwirklichung gegenüber der Festsetzung bei "gewisser" Verwirklichung des Tatbestandes durch andere Steuerpflichtige. 408

Ausfiihrlich zu der Wirkungsweise der Beweislastnormen unten 3. Teil D.

409 Anders, allerdings gegen die h.M., L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 283 t1, wenn sie ein abgestuftes Beweismaß als Risikozuweisungsmaßstab für inhaltlich determinierte Beweislastentscheidungen heranzieht. 410 Daran ändert auch die von H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 41 ff., geäußerte Ansicht, daß das aus Art. 3 Abs. I GG abzuleitende Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung als verfassungsrechtliches Beweislastverteilungskriterium einen hohen Stellenwert genieße, nichts: Denn vor einer möglichen Beweislastverteilung muß systematisch zuerst eine Entscheidungsanweisung stehen, die Art. 3 Abs. 1 GG gerade nicht entnommen werden kann.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

109

c) Die Schätzungsbefugnis als verallgemeinerungsfähige einfachgesetzliche Entscheidungsanweisung Sofern sich gezeigt hat, daß die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (Tatbestandsmäßigkeit) und der Besteuerungsgleichheit keine Anweisung zur Festsetzung bei auch unsicherem Vorliegen des steuererheblichen Sachverhalts geben, schließt dies einen Entscheidungszwang aufgrund einfachgesetzlicher Anweisung nicht aus. Hierbei ist insbesondere § 162 AO zu berücksichtigen, der eine generelle Schätzungsermächtigung für den Fall aufstellt, daß "die Besteuerungsgrundlagen" nicht ermittelt oder berechnet werden können. An dieser Stelle ist zunächst keine Untersuchung über den Umfang bzw. die Grenzen der behördlichen (und gerichtlichen) Schätzungsbefugnis vorzunehmen. 411 Vielmehr reicht es aus festzustellen, daß die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eine umfassende, d.h. sämtliche Steuerarten und vielfältige Sachverhaltsgestaltungen erfaßende Anweisung zu einem "erweiterten" Normvollzug enthält. Damit wird durch die Verfahrensnorm der von der materiellen Steuernorm grundsätzlich412 nicht geregelte Bereich erweitert. Nicht der Legalitätsgrundsatz in Verbindung mit der materiellrechtlichen Steuernorm, sondern diese im Zusammenhang mit der Schätzungsanweisung des § 162 Abs. 1 S. 1 AO verpflichten die Behörde zur Sachentscheidungin den einschlägigen Non-liquet-Fällen. § 162 AO nimmt zugleich die schon erwähnte Ausgleichsfunktion zwischen Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung vor. Eine undifferenzierte Gleichsetzung von feststehendem und wahrscheinlichem Sachverhalt wird nicht vorgenommen, vielmehr ermöglicht die Schätzung eine relative, am Grad der verwirklichten Wahrscheinlichkeit orientierte Gleichbehandlung. Dies ist zumindest bei den "quantitativen" Besteuerungsgrundlagen evident. Im Umkehrschluß wird aber darüber hinaus deutlich, daß die Entscheidungsanweisung nur für die einer Schätzung zugänglichen Fälle erfolgen kann. Sollte also ein "nicht schätzbarer" Bereich bei der Sachverhaltsermittlung durch die Finanzbehörden verbleiben, kann ein auch diese Fälle erfassender Entscheidungszwang § 162 AO nicht entnommen werden; eine andere Auffassung wäre im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt413 nicht haltbar. Für die einer Schätzung zugänglichen Fälle

411

Hierzu unten 4. Teil A. 11.

412

Überzeugungsprinzip; vgl. auch oben A. I. 3. b).

413

Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GO; vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 158 ff.;

110

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

ist demzufolge ein Sachentscheidungszwangvorhanden; die Behörde ist daher gehalten, auch den "Wahrscheinlichkeitsbereich" der zutreffenden Steuer zu erschließen. Da jedoch ein genereller Entscheidungszwang § 162 AO nicht zu entnehmen ist, eröffnet die Schätzung der Besteuerungsgrundlagennicht gleichzeitig der objektiven Beweislast einen Anwendungsbereich. Infolgedessen ist jenseits von Schätzung und einzelnen materiellen Steuemormen, die die Unaufklärbarkeit bereits im gesetzlichen Tatbestand enthalten und demzufolge eine Anwendungsanweisung auch im Falle des non liquet begrtinden, nach einer Anweisungsgrundlage zu suchen.

d) Die Beweislastnormen als selbständige Entscheidungsanweisung Fraglich ist, ob die ungeschriebenen Beweislastregeln selbst eine Entscheidungsanweisung tragen. Dabei ist sogleich herauszustellen, daß damit nicht die Frage angesprochen ist, wie eine Entscheidung zu fallen hat, die Aufteilung des Unaufklärbarkeitsrisikos also vorgenommen wird; dies ist allerdings der als Beweislastverteilungregelmäßig im Vordergrund stehende Aspekt der Beweislastnormen, der auch die Rechtsprechung des BFH im wesentlichen beschäftigt.414 Vielmehr geht es hier um die Feststellung, ob neben der Verteilungsanordnung auch die Entscheidungsanweisung selbst der Beweislastnorm entnommen werden kann, also die Frage, ob eine Entscheidung trotz der Unaufklärbarkeit zu fällen ist. Dies widerspricht zunächst dem gängigen und auch dieser Untersuchung zugrundegelegten Verständnis des Prinzips der Rechtsanwendung. Daraus ließ sich nämlich eine Stufenabfolge des Beweislastproblems ableiten, die bei Vorliegen eines non liquet zunächst die Sachentscheidungspflicht als Stufe vor dem AufJarasslPieroth,Art. 20 GG Rdn. 29 ff.; Herzog, in: MaunzfDürig, Gnmdgesetz, Art. 20 Anm. V.C. Rdn. 86; Anm. VI.B. Rdn. 85.

n

n

414Vg\. z.B. BStB\. 1986,289,291 (Gewinnerzie1ungsabsicht); 1988,45,48 (wirtschaftliche Gründe ftir Zwischenmietverhältnisse - Mißbrauchsabsicht wird unterstellt!); n 1978, 338, 339 (Auslandssachverhalte); 11 1983,760, 761; 11 1987,487,489; n 1995, 95,97 (im Ergebnis jeweils Sphärengedanke); 11 1995,460,461 (Kenntnis vom \brliegen einer Wiederverkaufsgarantie ); weitere Nachweise bei TIpke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 18. Mißverständlich ist z.B. die Aussage E. Schneiders, MDR 1969, 4, 9: Die "Entscheidungsanweisungen an den Richter sind die sog. Beweislastnonnen I/;Schneider versteht dies aber nur als "Anweisung ... über den Inhalt des ... zu fällenden Urteils".

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

111

finden und Anwenden von Beweislastnonnen voraussetzte. Hervorzuheben ist, daß nach allgemeiner Auffassung die Sachentscheidungspflicht der Beweislastfrage uneingeschränkt voransteht: Poh/e415 sieht sie, wie auch Prültinl l6 , als erste Stufe des Beweislastproblems an; Nierhaus 417 nimmt nur eine Abänderung insoweit vor, als er den Zustand ungewisser Sachverhaltsannahmen (non Iiquet) als erste, die Sachentscheidungspflicht als zweite Stufe vor dem "Auffinden ... von Beweislastnonnen" einordnet. Letzteres gilt es unbedingt herauszustellen, weil es einen eminent weitreichenden Widerspruch zu Nierhaus' eigener Beweislasttheorie offenbar macht: Wenn - und damit wird zum Ausgangspunkt der Untersuchung zurückgekehrt - die Sachentscheidungspflicht dem Auffinden von Beweislastnonnen vorgeht, können diese selbst kaum Träger der Entscheidungsanweisung zur Rechtsanwendung bei Vorliegen eines non liquet sein. Jedenfalls würde dies bedeuten, daß sie sich letztlich ihren Anwendungsbereich selbst eröffnen: Nicht weil der Rechtsanwender eine Entscheidung zu fällen hat, müßte also die Rechtsfolge ausgesprochen werden, sondern weil es Beweislastnonnen gibt, die verlangen, er solle sie anwenden. Dies ist die tatsächliche Konsequenz aus Nierhaus' Verständnis der "Nonnstruktur" der Beweislastnonn4l8 : Diese soll in dem Tatbestand4\9, also dem Feststehen der Unaufklärbarkeit, und in der (zweifachen) Rechtsfolgenanordnung, eine Sachentscheidung trotz Tatbestandszweifeln (sog. abstrakt-tatbestandIiches Element, Ennächtigungsanordnung)42o nach den der materiellrechtlichen Nonn (mit-)entnommenen Verteilungs- bzw. Risikozuweisungskriterien (sog. konkret-inhaltliches Elementt 21 vorzunehmen, bestehen. Hierbei wird ein "Brückenschlag" über Art. 20 Abs. 3 GG vorgenommen: "Denn ohne einen solchen generellen rechtsstaatlich erforderlichen Ennächtigungstitel (Vorbehalt des Gesetzes, Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit der Verwaltung) darf das 'Risiko am Verfahrensausgang' weder auf die eine noch auf die andere Partei verteilt werden: Infolge der Entscheidungsanweisung der

415 In: Festschrift Dölle, Bd. ll, S. 317, 320. 416 Gegenwartsprobleme, S. 165. 417 Beweismaß, S. 37. m Beweismaß, S. 196 ff.

419 Beweismaß, S. 197. 420

Nierhaus, a.a.O., S. 197 f.

421

Nierhaus, a.a.O., S. 198.

112

I. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

Beweislastnonn wird der Richter in letzter Konsequenz ennächtigt, materielle Rechtsfolgen zu bejahen oder zu verneinen, weshalb die Beweislastentscheidung der Partei, der das Beweisrisiko zufallt, einen materiellrechtlichen Nachteil zufügt. Allerdings erfolgt - wie gezeigt - keine unmittelbare Ennächtigung zur Bejahung oder Verneinung der materiellen Rechtsfolge, sondern es ergeht die doppelte Ennächtigung, trotz des non liquet durch Herstellung der Tatbestandsgebundenheit der Rechtsfolge eine (Beweislast-)Entscheidung zu treffen (abstrakt-tatbestandliches Element) und dabei die Beweislast inhaltlich zu verteilen (konkret-inhaltliches Element)." 422 In dieser Einordnung wird ein zentrales Problem der Lehre über die objektive Beweislast im öffentlichen (Eingriffs-)Recht angesprochen, möglicherweise ohne daß dies bisher zur Kenntnis genommen wurde: Nierhaus versucht hierdurch die Problematik des Sachentscheidungszwanges für das öffentliche Recht aufzulösen, wobei er sich, ohne daß dies herausgestellt wird, auch von der Verengung auf die richterliche Rechtsanwendung löst. Im Gegenteil scheint es so, als ob Nierhaus selbst sich dessen gar nicht bewußt ist. Sowohl an der bereits zitierten Stelle von der Sachentscheidungspflicht als vorgeschaltetem Stufenproblem geht er von Justizgewährungsanspruch bzw. Rechtsverweigerungsverbot als Überbrückungsvoraussetzung aus 423 , wie er auch, trotz Betonung der "Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit der Verwaltung"42\ nach Ableitung eines Ennächtigungstitels als abstrakt-tatbestandlichem Element der Beweislastnonn dieses als Entscheidungsanweisung "an den Richter" qualifiziert. 425 Diese Ungenauigkeit setzt sich fort: Zunächst ist es nicht so sehr entscheidend, ob die Beweislastregel nonnativen Charakter hat, was Prütting für das Zivilrecht durch die Qualifikation als Operationsregel426 ablehnt. Für das öffentliche Recht wäre dies wegen des Gesetzesvorbehaltes bei Eingriffsakten

422 Nierhaus, Beweismaß, S. 198. 423

Nierhaus, Beweismaß, S. 37, differenzierend S. 184.

424 Beweismaß, S. 198; gemeint ist wohl die Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit des Verwaltungshandelns .

425

Nierhaus, Beweismaß, S. 198.

426 Gegenwartsprobleme, S. 167 ff.; vgl. auch Gottwald, Jura 1980, 225, 227. Einen gesetzlichen Charakter der Entscheidungsanweisung bejaht E. Schneider, MDR 1969, 4, 9. Ausführlich unten 3. Teil B. V.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

113

sicherlich zu verlangen. Von Bedeutung ist vielmehr, daß er bei Berufung auf Greger diesen wohl mißversteht. Denn Greger betont zwar, daß es der "Existenz derartiger (Beweislast-)Normen" bedürfe, "weil die materiellrechtlichen Tatbestände an wirkliche, nicht an bewiesene Sachverhalte anknüpfen und es deshalb nicht ohne rechtssatzmäßige Grundlage möglich ist, die Nichterweislichkeit einer Tatsache mit deren erwiesenem Nichtvorliegen gleichzubehandeln".427 Da sich Greger aber u.a. auf Leipold428 und Musielak429 bezieht, wird deutlich, daß er damit gerade nicht von einer normativen Entscheidungsanweisung ausgeht, sondern nur die Verteilungskriterien - von Nierhaus konkret-inhaltliches Element der Beweislastnormen genannt - meint. Die Sachentscheidungspflicht stützen die zur Begründung herangezogenen Autoren gerade auf den Justizgewährungsanspruch bzw. das Rechtsverweigerungsverbot. 430 Unklar ist weiterhin die Formulierung, daß es "zusätzlicher Ermächtigungsnormen bedarf, wie im Falle der Ungewißheit zu entscheiden ist".431 Nach Nierhaus ergibt sich die Frage, wie zu entscheiden ist, gerade aus dem konkretinhaltlichenElement, das auf den Telos des anzuwendenden materiellen Rechtssatzes abstellt: "Gleichermaßenverfassungsrechtlichvorgegeben ist das abstrakttatbestandliehe Rechtsfolgenelementder Beweislastnormen, nämlich die rechtsstaatlichnormativ unverzichtbareErmächtigung und Verpflichtung des Richters zur Rechtsanwendung trotz Zweifels über die Rechtsanwendungsvoraussetzungen. Insoweit findet keine Selbstermächtigung statt. Mit der Beweislastnorm wird mit Rücksicht auf die Tatbestandsgebundenheit der Rechtsfolge nur die rechtssatzmäßige Grundlage dafür geschaffen, daß überhaupt Recht gesprochen werden kann. Wie im Fall des non liquet zu entscheiden, d.h. welche Rechtsfolge auszusprechen ist, ergibt sich aus dem konkret-inhaltlichen Element der Beweislastrechtsfolge in Verbindung mit der materiellen Rechtsfolgeanordnung. ,,432 Das Mißverständnis zwischen Ermächtigung und inhaltlicher Anwei-

427

Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 12.

428

Beweislastregeln, S. 64 f.

429

Grundlagen der Beweislast, S. 19 ff.

Deutlich wird dies bei dem Bezug auf Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 19 mit Fn. 124. 430

431

Niemaus, Beweismaß, S. 221 [Hervorh. d. \erf.].

432

Niemaus, Beweismaß, S. 235 [Hervorh. im Orig.].

M M. Schmidt

114

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

sung tritt ebenfalls bei der Bezugnahme auf Engisch auf. 433 Wenn dieser feststellt, daß "die Beweislast rechtslogisch ... eine Weisung an den Richter, wie er dort zu entscheiden habe, wo er eine rechtlich erhebliche Tatsache weder mit Sicherheit bejahen noch mit Sicherheit verneinen kann", bedeute434 , dann ist damit nicht der "Ermächtigungs charakter der Beweislastnormen"435 angesprochen, sondern nur die inhaltliche Anweisung, wer das Risiko der Unaufklärbarkeit zu tragen habe, mit anderen Worten, "was rechtens sein soll".436 Die Unentschlossenheit Nierhaus 'wird in seinen zusammenfassenden Thesen besonders deutlich. 437 Zunächst fällt auf, daß hier neben dem Vorbehalt des Gesetzes, der "Gesetzmäßigkeitund Tatb estandsmäßigkeit der Verwaltung" (und der Gesetzesgebundenheit des Richters) auch das Rechtsverweigerungsverbot herangezogen wird; ferner sollen diese Grundsätze - jedenfalls legt die Formulierung dies nahe - den Richter438 zur Rechtsanwendung trotz Zweifeln ermächtigen. Wenn diese Grundsätze dies tatsächlich tun, warum sollte es hierzu dann noch einer normativen Ermächtigungsgrundlage (des abstrakt-tatbestandlichen Elements) bedürfen? Es würde ausreichen, wenn die konkret-inhaltliche Risikoverteilung eine normative Absicherung erführe, weil sie zumindest wegen der Belastungswirkung des Eingriffs bei Zuweisung der Beweisgefahr an den Steuerpflichtigen in dessen Rechtssphäre eingreift. Möglich wäre es allerdings auch, Nierhaus in dem Sinne zu verstehen, daß die genannten verfassungsrechtlichen Grundsätze den Richter zur Schaffung der Beweislast(grund)norm ermächtigen bzw. verpflichten, diese also nicht selbst "schaffen" - es bedürfte dann immer noch einer dazwischengeschalteten Rechtsgenerierung durch den Richter439 ; auf ein solches Verständnis deutet die Aussage hin, daß "die von den Beweislastnormenzu bewältigende Normergänzung ... Rechtsfortbildung im

433

Niemaus, a.a.O., S. 173 mit Fn. 293.

434 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 62 mit Fn. 52 [Hervorh. d. \erf.].

43S

Niemaus, Beweismaß, S. 173.

436

Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 175 mit Fn. 2.

437

Niemaus, Beweismaß, S. 477, vgl. auch schon dens., S. 174.

438

Er läßt damit die Anweisung an die \erwaltung offen!

439 An anderer Stelle ordnet er den Beweislastnormen eine "Harmonisierungsfunktion" zwischen den widerstreitenden verfassungsrechtlichen Postulaten der Gesetzmäßigkeit und dem Rechtsverweigerungsverbot zu (a.a.O., S. 184).

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

115

eigentlichen Sinn auch nur im Hinblick auf die Ermittlung des konkret-inhaltlichen Elements der Beweislastrechtsfolge" sei. 440 Dies könnte den Entscheidungszwang der Verwaltung allerdings nur unzureichend erklären. Es würde ein Modell latenter (abstrakt-tatbestandlicher) Beweislastnormen als Entscheidungsanweisungen für eine Vielzahl von entscheidungsrelevanten Tatbestandsmerkmalen gezeichnet. Offen bliebe, ob die Anweisung, das abstrakt-tatbestandliche Element zu "schaffen", nur, was Nierhaus wohl annimmt44 1, an den (zur Rechtsfortbildung) berufenen Richter oder auch an die das Gesetz vollziehende Verwaltung gerichtet wäre. Für die Fallgruppen, in denen eine richterliche Rechtsfortbildung noch nicht vorgenommen wäre, würde sich die vollziehende Verwaltung ihren Vollzugsauftrag gegebenenfalls selbst "erteilen", weil sie den "an sich anwendbaren Rechtssatz" ja nur vollziehen darf, wenn die auszusprechende Rechtsfolge ausreichend tatbestandsgebunden ist. 442 Die Frage einer Selbstermächtigung scheint Nierhaus allerdings als zentrales Problem seiner Beweislasttheorie zu erkennen. Schließlich betont er, daß das abstrakt-tatbestandliche Element "seiner" Beweislastnormen als "rechtsstaatlichnormativ unverzichtbare Ermächtigung und Verpflichtung des Richters" verfassungsrechtlich vorgegeben sei, insoweit also "keine Selbstermächtigung" stattfinde.443 Diese Thesen berücksichtigen zweierlei nicht: Soweit es bei der Frage der objektiven Beweislast im öffentlichen Eingriffsrecht - eine Beschränkung, die Nierhaus so allerdings nicht vomimmt444 - um das Auffinden einer Entscheidungsanweisung an den Richter geht, bedarf es des abstrakt-tatbestandlichen Elements der Beweislastnormen nicht, weil die "vorgegebenen verfassungsrechtlichen Grundsätze", zu denen zusätzlich zu dem im Zivilrecht schon als ausreichend betrachteten Justizgewährungsanspruch und/oder dem Rechtsverweigerungsverbot (Rechtsgewährungsgebot) noch Art. 19 Abs. 4 GG hinzutritt, zur Begründung des Sachentscheidungszwanges des Richters ausreichten. Es wird dabei allerdings auch nicht berücksichtigt, daß das "materielle Steuerrecht"

440

Nierhaus, Beweismaß, S. 234.

441

Beweismaß, S. 235.

442

Nierhaus, Beweismaß, S. 183 fT., 197, 234 f., 476.

443

Nierhaus, Beweismaß, S. 235.

444 Weil er von dem Bemühen geleitet ist, eine einheitliche Beweislastlehre für das gesamte öffentliche Recht, also auch den Bereich der Leistungsverwaltung, zu finden. Den Unterschied zwischen dem Steuerrecht und "anderen staatlichen Eingriffen" hebt auch BVerfDE 84, 239, 269 hervor.

8*

116

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

nicht die Rechtsverhältnisse der Bürger zueinander, sondern das Verhältnis zwischen Staat und steuerpflichtigem Bürger regelt. Sein Vollzugsauftrag ist demzufolge nicht an den Richter, sondern an die Verwaltung gerichtet. Dies ist das "missing link" in der BeweislasttheorieNierhaus'. Auf der einen Seite stellt er insbesondere unter Berufung auf § 38 AO ganz klar heraus, daß "die materiellen Rechtssätze, die durch den 'Filter' des Tatbestandes bestimmten Lebenssachverhalten Rechtsfolgen oder Rechtsfolgemöglichkeiten zuordnen, im Falle der NichtfeststeIlbarkeit von entscheidungserheblichen Fakten keine Antwort über den Eintritt oder das Ausbleiben der Rechtswirkung geben". 445 Diese Aufgabe müssen dann aber die Beweislastnormen übernehmen. Allerdings sind diese, so die Auffassung Nierhaus', "Entscheidungs- oder Anweisungsnormen, deren Adressat zunächst und vor allem der Richter ist"446; die darin enthaltene Einschränkung dient auch nicht einem Offenhalten für ein behördliches Verwaltungsverfahren, sondern wird nur dazu gebraucht, die möglichen mittelbaren Folgewirkungen als Verhaltensanweisung an "die Parteien" einzugrenzen. 447 Eine Entscheidungsanweisung an die vollziehende Finanzbehörde können und sollen wohl auch nach Ansicht Nierhaus' derartig beschaffene Beweislastnormen nicht begründen. Rechtsverweigerungsverbot und Justizgewährungsanspmch sind dort kein taugliches Mittel zur Begründung eines Entscheidungszwanges, wo nicht eine unabhängige Instanz über die Ansprüche zweier (gleichgeordneter) Parteien entscheidet, sondern eine Partei selbst "ihre" Ansprüche gegen die andere Partei durchsetzen soll.448 Hier bedarf es einer Art. 20 Abs. 3 GG genügenden gesetzlichen Anweisung, wann die i.S.v. § 38 AO entstandenen Ansprüche (des Fiskus) durchsetzbar sind. Diese Anweisung ist zunächst im Verfahrensrecht getroffen: Die Finanzbehörde hat die Steuer festzusetzen, wenn sie, so die das Überzeugungsmodell vertretende h.M., der hier gefolgt wird, vom Vorliegen aller die Besteuerung rechtfertigenden Tatbestandsmerkmale mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt ist, also Gewißheit erlangt hat, §§ 85,

445

Niemaus, Beweismaß, S. 131 f.

446

Niemaus, a.a.O., S. 176.

447 I.d.R. wird sich dies nur auf den Steuerpflichtigen beziehen, da die \erwaltung - anders bei zivilrechtlichen Rechtsverhältnissen - z.B. keine Beweisvorsorge zu treffen imstande ist! 448 Kritisch gegenüber einer solchen Betrachtung Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 40. Den Unterschied hebt dagegen B\erfGE 13, 318, 325 besonders hervor.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

117

88, 165 AO. Sollten nach verfahrensmäßig ordentlich abgeschlossenen Ermittlungen Zweifel am Vorliegen eines - auch gemäß § 38 AO tatsächlich verwirklichten - Steuertatbestandesverbleiben, können und müssen diese durch die Schätzung nach § 162 AO überwunden werden. Es ist nicht zu verkennen, daß die Schätzung, die als Rechtsinstitut in dieser Fonn einzigartig in den Verfahrensordnungen ist, den Vollzugsauftrag der Finanzverwaltung wesentlich erweitert. Neben diese verfahrensrechtlichen Vollzugsanordnungen treten die an vielen Stellen dem materiellen Recht selbst zu entnehmenden Beweislastregeln oder gesetzliche Vennutungen, die die Finanzbehörde zum Gesetzesvollzug bei reduzierter Überzeugung von der tatsächlichen Sachverhaltsverwirklichung ennächtigen. Dieses System ist logisch gesehen auch abschließend, insbesondere weil es durch risikoverlagernde Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und, soweit man sie für zulässig erachtet, Typisierungsspielräume der Verwaltung abgerundet wird. Das wird daran deutlich, daß eine obj ektive Beweislast das vorhandene "Vollzugsinstrumentarium" nicht ergänzt, um bestehende bzw. verbleibende Lücken (als ultima ratio) zu schließen. Eine Abgrenzung zur Schätzung hebt dies besonders hen'or: Wenn man nämlich außer acht läßt, daß die Schätzung eine positive gesetzliche Anordnung enthält, ließe sich für diese kein Vorrangverhältnis (Spezialität) begründen. Alle Schätzungsfälle könnten problemlos über die Beweislast gelöst werden449 , die ein völlig anderes materielles Gerechtigkeitsprinzip, das überwiegend dem Sphärengedanken450 verhaftet ist, verwirklicht. Die dem Eingriffshandeln zugrundeliegende Idee ist dagegen die der subjektiven Verantwortung des Eingreifenden, die gegebenenfalls durch Mitwirkungspflichten ergänzt wird. Die objektive Beweislast wäre also ein völlig anderes System, das das bestehende nicht ergänzt, sondern überlagert. Wenn die Beweislastnonnen also tatsächlich einen verfassungsrechtlichableitbaren Vollzugsauftrag als abstrakt-tatbestandliches Element selbst enthalten sollten, wäre die objektive Beweislastnicht als Ergänzung des bestehenden Prinzips zu qualifizieren, sondern umgekehrt wären alle positiv-rechtlichen Regelungen als Ausnahmen dieses (Sphären-)Prinzips anzusehen. 451

449

Was ja im Zivilrecht auch geschieht.

450 Dies soll hier zunächst in einem "weiteren" Sinne verstanden werden, so daß auch eine Beweislastverteilungnach der Günstigkeit der Norm begritllich darunter fällt. 451

So würde z.B. selbst der Untersuchungsgrundsatz eine Durchbrechung dieses

118

I. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

Die Ansicht, daß die ungeschriebenenB eweislastnormen selbst eine Vollzugsanweisung zur Rechtsanwendung bei ungeklärtem Sachverhalt enthalten, ist abzulehnen. Es ist allerdings zutreffend, daß dies für die ausdrücklich gesetzlich geregelten Beweislastnormen, wie z.B. § 9a EStG nicht gilt: Wenn dort die Finanzverwaltung verpflichtet wird, Werbungskosten über gewisse Pauschbeträge hinaus nur dann zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige sie nachweist, enthält die Norm die Anweisung, eine Steuer auch abweichend von § 38 AO festzusetzen. 452 Ein Schluß auf eine ebensolche Anweisung in den Fällen ungeschriebener Beweislastnormen verbietet sich aber. Auch die Auffassung Nierhaus' kann diese Bedenken nicht zerstreuen. Für das konkretinhaltliche Element seiner Beweislastnormen, die die Frage regeln, wie die erforderliche Entscheidung des Richters auszusehen hätte, ließe sich eine zulässige richterliche Rechtsfortbildung als Geltungsgrund anführen, wenn man berücksichtigt, daß die Anweisung "im Zusammenhang" mit den der materiellrechtlichen Norm zugrundeliegenden Wertungen erfolgt, die selbst durch den parlamentarischen Gesetzgeber geschaffen wurden; jene Wertungen würden dann durch die Rechtsfortbildung nur "offengelegt" . Etwas anderes muß aber für das abstrakt-tatbestandlicheElement gelten. Wie die Gegenüberstellung von § 9a EStG und § 38 AO deutlich werden läßt, enthält die Anweisung, die Steuerfestsetzung auch bei Vorliegen eines non liquet453 vorzunehmen, einen partiellen Verstoß gegen § 38 AO. Die Erhebung einer (möglicherweise) höheren Steuer ist aber zulässig, da die Grundlage für den Eingriff durch ein Gesetz im formellen Sinne geschaffen wurde. 454 Für die ungeschriebenen Beweislastnormen fehlt eine derartige Eingriffslegitimation. 455 Da die objektive Prinzips darstellen, soweit er die Behörde zur EnnittIung der dem Steuerpflichtigen günstigen Umstände verpflichtet, § 88 Abs. 2 AO. 452 Dazu, daß die Fonnulierung des § 9a EStG mit der allgemein als zutreffend erachteten Beweislastverteilung nicht kongruent ist, unten 2. Teil C. H. 4. b).

m Eine Behauptung, daß Werbungskosten in gewisser Höhe vorliegen, wird vom Steuerpflichtigen erhoben, aber diese nicht - in der geforderten Fonn bzw. im entsprechenden Umfang - nachgewiesen; dies gilt auch dann, wenn die Werbungskosten sogar "wahrscheinlich" sind! 454

Vgl. auch H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 41 mit Fn. 85.

455 Dies erkennt indirekt auch Niemaus, Beweismaß, S. 131 f., an, wenn er feststellt, daß die materiellen Rechtssätze keine "Antwort" (nichts anderes wäre die Anweisung) über den Eintritt oder das Ausbleiben von Rechtsfolgen geben. Damit schweigt aber sowohl das positive materielle Steuerrecht als auch das Steuerverfahrensrecht.

B. Die \erpflichtung zur Sachentscheidung

119

Beweislast (die ungeschriebenen Beweislastnormen) den Geltungsbereich der materiellen Steuernormen aber erweitern, schaffen sie eine selbständige Eingriffsmöglichkeit; dabei wäre zu berucksichtigen, daß sie einen eigenständigen Ansatz wählen, indem sie nicht gesetzlich vorgezeichnete Überwindungsinstrumente "verlängern", sondern sich z.B. über Günstigkeitsaspekte (Normbegünstigungstheorie) bzw. den Sphärengedanken einen völlig anderen, autonomen Bereich erschließen. Rechtsfortbildung im eigentlichen Sinne läge daher nicht vor456 ; eine planwidrige Lückenhaftigkeit des Steuer(verfahrens)rechts kann demzufolge schwerlich festgestellt werden. Die Beweislastentscheidungwill und kann457 folglich auch nicht eine Lücke des materiellen Steuergesetzes schließen, das insoweit nicht lückenhaft ist; allein aus dem Zweck der Steuerfestsetzung, der Sicherstellung der staatlichen Einnahmeerzielung, leitet sie ihre vermeintliche Berechtigung ab. Denn es geht ihr nicht darum festzustellen, "was Rechtens ist"458, sondern den staatlichen Eingriff im Hinblick auf den Zweck der Steuer zu ermöglichen, wo die materiellen Steuernormen schweigen. Wegen dieser Selbständigkeit der Beweislastentscheidungkann aber mit Rücksicht auf die gegebene Eingriffsintensität nicht auf die richterliche Rechtsfortbildung zUlÜckgegriffen werden, sondern es muß eine dem Prinzip des Gesetzesvorbehalts genügende Ermächtigungsgrundlage verlangt werden. 459

456 Auch Ninhaus, Beweismaß, S. 235, stellt immerhin einen Bruch fest, wenn er attestiert, daß "gesetzesfortbildendesRichterrecht" nur hinsichtlich des konkret-inhaltlichen Elements vorliegt. 457 458

Zur "Tatsachenfeststellung" bei einer Beweislastentscheidung unten 3. Teil D.

Flurne, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 25.

459 So im Ergebnis auch Flurne, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 36: "Ergibt sich für den das Steuerrecht Anwendenden ... nicht zur Gewißheit, daß das Gesetz den Eingrifflegitimiert,so ist der Steuerpflichtige freizustellen" [Hervorh. d. \erf.]; Flume kommt zu diesem Ergebnis allerdings über eine entsprechende Beweislastverteilung, da er die SteueIjestsetzungals "materielle Rechtsprechung" einordnet. Der "\ereinigung von Gläubigerstellung und eigener \bllstreckungsmacht" mißt er insofern kein besonderes Gewicht bei (a.a.O., S. 40), sieht es aber als "bedenklich" an, "die Feststellung dessen, was Rechtens ist, im verwaltungsmäßigen \erfahren zu treffen" und rechtfertigt die "derzeitige Regelung" organisatorisch mit der "Fülle der notwendigen Steuerfestsetzungen" (a.a.O., S. 36). Insofern dürfte dieser Ansatzpunkt unhaltbar sein, vgl. auch B\erfGE 13, 318, 325; die These von der "materiellen Rechtsprechung" findet Zustimmung bei Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 142 f.

120

I. Teil: Voraussetzungen von Beweislastentscheidungen

Diese Betrachtungsweise drängt sich nicht auf, wenn man fcilschlicherweise den Blick auf die richterliche Rechtsanwendung verengt, was mit der Rezeption der zivilrechtlichen Beweislasttheorien zusammenhängt. Besonders deutlich wird dadurch aber ein weiterer Begründungsmangel in der Herleitung der Sachentscheidungspflicht der Finanzverwaltung. Tatsächlich ließe sich mit der dargestellten Begründung460 nur eine Sachentscheidungspflicht des Richters aufrechterhalten. Diese wird dann auf das Verwaltungsverfahren transferiert, "weil, was flir den Richter gilt, nicht anders flir den Verwaltungsbeamten gelten kann."461 Als unhaltbare Konsequenz daraus ergibt sich, daß wegen des notwendigen Rückgriffs auf die richterliche Entscheidungsanweisung der dem Verwaltungsverfahren an sich nicht zugängliche Non-liquet-Bereich 462 originär nur von den Gerichten überwunden werden kann, der Verwaltungsbeamte also mit Rücksicht auf die richterliche Rechtsgewährungspflicht im Verwaltungsverfahren (ungeschriebene) Beweislastnormen anwendet. 463 Das nicht durch die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen überbrückbare non liquet kann nach dieser Theorie nur vom richterlichen Rechtsanwender überwunden werden; der Gesetzesvollzug in diesem Bereich läge daher bei den Gerichten. Dies verstieße

460 Was aber für alle (öffentlichrechtlichen) Beweislastlehren zu gelten hätte, soweit sie keinen eigenen Begründungsansatz für die originäre behördliche Sachentscheidungspflicht zu liefern vennögen. 461 I.d.S. Z.B. Börner, Umwelt, Verfassung, Verwaltung, S. 117, 120; Tipke, Verw Arch 60, 136, 146; Kruse, Steuerrecht I, § 23 III 3 a.E., S. 438; Pestalozza, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 195. All diese Auffassungen führen letztlich zurück zu dem vielzitierten Ansatz Flumes. Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 25, daß die "Feststellung des Steuerbescheides ... sich insoweit materiell in nichts von der Feststellung eines Zivilurteils" unterscheide; die Konsequenzen, die Flurne, a.a.O., S. 34 ff., im Anschluß daran für eine Steuerfestsetzung "bei Zweifelsfragen" zieht, finden allerdings keine Erwähnung: Über die Möglichkeiten der Würdigung von (Mitwirkungs-)pflichtverletzungen und die Schätzung hinaus "gibt es ... keine Steuerfestsetzung, wenn die Verwirklichung des Steuertatbestandes nicht bewiesen ist". 462

Gemeint sind die außerhalb einer Schätzung nach § 162 AO liegenden Fälle.

463 Dies ließe sich anders wohl nur mit der Einordnung erklären. daß die SteuerJestsetzung "materielle Rechtsprechung" sei, vgl. Flurne, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 30 ff. Was sich aber auch dadurch nicht leugnen läßt, ist die Tatsache, daß auf diese Weise über den Justizgewährungsanspruch bzw. das Rechtsverweigerungsverbot Art. 19 Abs. 4 GG vom Staat als Rechtsposition gegenüber dem Bürger in Ansatz gebracht wird.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

121

allerdings eklatant gegen das Gewaltenteilungsprinzip.464 Eine Überwindung des nach den verwaltungsverfahrensrechtlichen Instrumentarien von (zulässiger) Typisierung und Schätzung verbleibenden non liquet wäre nur durch eine an die Finanzverwaltung selbst gerichtete Entscheidungsanweisung möglich, die hinsichtlich der ungeschriebenen Beweislastnormen aber fehlt. Der von den Gerichten abgeleitete nachrangige Entscheidungszwang reicht dafür nicht aus, er geht vielmehr ins Leere: Konnte die Behörde nach vollständiger Ermittlung und Schätzung den Sachverhalt nicht aufklären, muß eine Steuerfestsetzung insoweit unterbleiben. 465 Setzt das Finanzamt die Steuer dennoch fest und legt der Steuerpflichtige dagegen Rechtsmittel ein, hat (nach durchgeführtem Vorverfahren) das Gericht zu versuchen, den Sachverhalt erneut zu ermitteln. Entweder es kann sich danach "Sicherheit" (ggf. Wahrscheinlichkeit, §§ 96 FGO, 162 AO) verschaffen und entscheidet dann in der Sache; ein non liquet läge somit nicht mehr vor. Oder der Sachverhalt bleibt unaufklärbar: Damit stünde fest, daß das Finanzamt diesen Vorgang nicht besteuern darf'66; auch das Gericht muß sich dann eines Gesetzesvollzugs enthalten und die Steuerfestsetzung aufheben oder ändern. Auf diese Entscheidung ist ein Anspruch des

464 Vgl. auch Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 27. 465 Bedenklich bzw. sehr weitreichend ist dies bei wirtschaftspolitischen Lenkungsmaßnahmen, also dort, wo "über" die Steuer eine Leistung/verdeckte Subvention gewährt wird, z.B. Investitionsförderung, § !Oe EStG etc.; vgl. auch unten 3. Teil C. IV: 3. Allerdings ist bereits hier darauf hinzuweisen, daß diesbezüglich nichts anderes gelten kann: Wählt der Gesetzgeber rur solche Leistungen das Steuerrecht, muß er auch dessen Instrumentarium akzeptieren, d.h. im Ergebnis, daß die (niedrigere) Steuerfestsetzung wegen der verdeckten Leistung nicht ihren Eingr!ffi"charakter verliert. Der Gesetzgeber hat allerdings die (einfache) Möglichkeit, Beweislastregeln z.B. durch Nachweispflichten zu begründen. Unterläßt er dies, geht auch die Unaufklärbarkeit von dem Steuerpflichtigen günstigen Umständen zu Lasten des Finanzamtes. Dies wäre auch rechtspolitisch durchaus wünschenswert, da es voraussichtlich zu einer "Entschlackung" des Steuerrechts beitragen könnte, indem schwer vollziehbare Regelungen vermieden würden. Diese Forderung nach einer Vereinfachung des Steuersystems ist ungebrochen aktuell, vgl. Offerhaus, FAZ vom 17.07.1995, S. 9. Kritisch zur systematischen Verortung von Lenkungsnormen im Einkommensteuerrecht Loritz, StuW 1986, 9, 12 ff.. 18 f 466 Bzw. ein dem Steuerpflichtigen günstiges Tatbestandsmerkmal nicht widerlegen kann und es daher berücksichtigen muß, weil eine Steuerentstehung in dieser Höhe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann und der Eingriff in dieser Höhe unterbleiben muß.

122

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

Bürgers nach Art. 19 Abs. 4 GG467 gerichtet; die Feststellung des non liquet führt daher nicht wie im Zivilrecht zu einer Rechtsverweigerung, weil damit gleichzeitig erkannt wird, daß die Verwaltung ihren Anspruch nicht (so) festsetzen (und durchsetzen) durfte.

e) Handlungspflicht und faktischer Entscheidungszwang Von einer Entscheidungsanweisung an die Verwaltung, eine Steuer auch bei Vorliegen eines vom Anweisungsgehalt der materiellen Steuernormen und ihrer verfahrensrechtlichenErgänzung nicht erfaßten non liquet festzusetzen, muß die allgemeine Handlungsanweisung, die steuerlich relevanten Sachverhalte zu ermitteln, strikt getrennt werden. Diese dem Lega/itätsprinzip entspringende Verpflichtung zur gesetzmäßigen (Art. 20 Abs. 3 GG) und gleichmäßigen (Art. 3 Abs. 1 GG) Steuerfestsetzung verlangt eine Verfahrenseröffnung, wenn ausreichende Anhaltspunkte für die Verwirklichung eines Steueranspruchs vorliegen. 468 Aus dieser Handlungspflicht kann aber keine konkrete inhaltliche Entscheidungspflicht abgeleitet werden, nur weil ein eröffnetes Verfahren faktisch eines Abschlusses, der allein durch eine Entscheidung erfolgen kann, bedarf. Sollten sich die Anhaltspunkte, die eine "Verfahrenseröffnung" verlangten, nicht zur Gewißheit über das Vorliegen aller besteuerungsrelevanten Umstände verdichtet haben, muß das Verfahren insoweit "erfolglos" bleiben, d.h. eine Steuerfestsetzung muß ganz oder entsprechend dem ungeklärten Teilaspekt partiell unterbleiben. Reicht die Überzeugung der Finanzbehörde "noch nicht" aus, kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 AO) in Betracht; eine solche unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) kann demgegenüber nicht ergehen, da sie voraussetzt, daß keine konkreten Zweifel auf seiten

467 AlsspezielleAusprägungdesweitergehendenJustizgewährungsanspruche s,vgl.Papier, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 153 Rdn. 6 11.; Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. IV Rdn. 15 fl'. 468 Nach §§ 85, 86 S. 2 AO hat die Finanzbehörde ein \erwaltungsverfahren durchzuflihren, wenn sie von Amts wegen (oder auf Antrag) tätig werden muß; die \erpflichtung zur Durchfllhrung eines \erfahrens ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip, das eine gesetzmäßige und gleichmäßige Steuerfestsetzung bedingt. Das in § 86 S. 1 AO zum Ausdruck kommende Opportunitätsprinip, nach dem die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ob und wann sie ein \erwaltungsverfahren durchführt, hat demgegenüber keine Bedeutung, Tipke/Kruse, § 86 AO Rdn. 1.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

123

des Finanzamts bestehen. 469 Eine Rechtspflicht zur Steuerfestsetzung trotz fehlender Überzeugung kann aus dem Legalitätsprinzip gerade nicht abgeleitet werden. 41O Die Kehrseite der ihm zu entnehmenden Handlungspflicht ist daher nicht die Sachentscheidungspflicht. Selbst wenn man eine Verpflichtung zur "gesetzesanwendenden" Sachentscheidung471 bejaht, kann aus der Pflicht allein noch nicht auf die Zu lässigkeit der Sachentscheidung geschlossen werden: So sei es "logisch unzulässig, von der Verpflichtung zu einer Entscheidung auf die Möglichkeit einer solchen zu schließen".472 Wenn daher tatsächlich einem non liquet in der Tatfrage, also der Unaufklärbarkeit eines Sachverhalts auf der Wirklichkeitsebene, ein solches in der Rechtsfrage folgen würde, kann durchaus ein "Verstoß" gegen das Rechtsverweigerungsverbot hinnehmbar sein. 473

469 Zu Zweck und Anwendungsvoraussetzungen der Festsetzung unter Vbrbehalt der Nachprüfung Baum, in: Koch/Scholtz, § 164 AO Rdn. 2 f., 6 ff.: npke/Kruse, § 164 AO Rdn. 3 ff. 470 Hierzu schon oben IV. 2. a. 471 Handlungs- oder Verfahrenspflicht. 412 So Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 174, zur Frage der Verpflichtung zur Schließung von Rechtslücken: "Vbllends verfehlt ist schließlich die Berufung auf das Rechtsverweigerungsverbot", auch weil dieses nicht apriori und ausnahmslos gelte. Canaris verlangt für die Schließung derartiger Rechtslücken "im allgemeinen ... die autoritative Anordnung des Gesetzgebers" oder eine allgemeine Anerkennung durch die innere Überzeugungskrajt, die z.B. in den Wertungen des Gesetzes, allgemeinen Rechtsprinzipien und der Natur der Sache gefunden werden kann. Zur Lückenschließung mittels der objektiven Beweislast unten 4. Teil A. II. 4.

473 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 177. Er führt dazu aus: "Wo ... unter Gerechtigkeitsaspektenjede beliebige Bestimmung gleichermaßen begründet erscheint", sei eine rechtliche Regelung allerdings dem Gesetzgeber vorbehalten, weil die richterliche Lückenschließung ansonsten willkürlich wäre (a.a.O., S. 175); dies beschränkt Canaris zwar auf Fälle des Fehlens rein technischer Regelungen, doch geht er interessanterweise von einer Nichtigkeit der unvollständigen und daher unanwendbaren Norm aus, wenn es sich um Vbrschriften handele, "die zu hoheitlichen Eingriffen in die private Rechtssphäre ermächtigen"; diese seien "mit dem rechtsstaatlichen \brhersehbarkeits- und Bestimmtheitsgrundsatz" nicht vereinbar (a.a.O., S. 176).

124

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

v.

Ergebnis

Ein non liquet kann unabhängig von den dem Verfahren zugrundeliegenden Verfahrensmaximen eintreten. Die Tatsache, daß der Rechtsanwenderbei Geltung des Untersuchungsgrundsatzes den erforderlichen Tatsachenstoff selbst ermitteln muß und nicht wie unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes von den Parteien vorgetragen erhält, kann keine Auswirkungen auf den Eintritt einer Non-liquet-Situation haben, da die faktische Möglichkeit besteht, daß die ermittelbaren Tatsachen nicht zur Überzeugungsgewinnung ausreichen. Die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes, der für das Steuerermittlungsverfahren durch § 88 AO angeordnet wird, steht damit einer möglichen Beweislastentscheidung nicht entgegen. Ebenso übt die Unterscheidung nach einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren nur geringen Einfluß auf die Ermittelbarkeit eines Sachverhaltes aus; allein durch die Mittel, die dem Gericht oder der Verwaltung zur Verfügung stehen, können eventuelle Unklarheiten eher aufgeklärt werden. Der Verwaltung stehen prinzipiell sogar mehr Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung zur Verfügung als dem Gericht; im übrigen ist sie "sachnäher". Sowohl die Finanzverwaltung als auch die Gerichte sind beim Vorgang der Rechtsanwendung den gleichen materiellrechtlichen Normen unterworfen, deren Vollzugsanweisung sich aber primär an die Verwaltung und nicht wie im Zivilrecht an den Richter wendet. Demzufolge verbietet sich eine Überwälzung einer aus dem Justizgewährungsgebotabgeleiteten, darüber hinaus am Zivilrecht entwickelten richterlichen Entscheidungspflicht. Es mutet zugleich befremdlich an, wenn der Staat sich bei der Feststellung bzw. Festsetzung der ihm zustehenden steuerlichen Ansprüche gegen den Steuerpflichtigen auf ein (subjektives) Recht auf Justizgewährung beruft; das Gebot effektiven Rechtsschutzes paßt von seiner Schutzrichtung auf den Fall der Nichtfeststellbarkeit von Tatsachen bei öffentlich-rechtlichenEingriffsakten nicht in gleicher Weise wie im Zivilrechtsstreit. Auch die aus dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten "Prinzipien" des Gebots eines fairen Verfahrens und der Waffengleichheit474 vermögen eine Sachentscheidungspflicht der Verwaltung nicht überzeugend zu erklären, da sich die Finanzbehörde zur Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen den Steuerpflichtigen nicht daraufberufen kann.

474 Wobei zusätzlich Art. 3 Abs. 1 GG heranzuziehen ist, vgl. JarasslPieroth, Art. 20 GG Rdn. 64 ff., Art. 3 GG Rdn. 44.

B. Die Verpflichtung zur Sachentscheidung

125

Das Rechtsstaats- und Legalitätsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) stützen eine Sachentscheidungspflicht des Rechtsanwenders ebenfalls nicht. Da die materiellen Steuernormen eine Entscheidungsanweisung (Rechtsfolgenanordnung) nur fur den Fall der vollen Überzeugung (Gewißheit) der Finanzbehörde hinsichtlich des Vorliegens und Nichtvorliegens der entscheidungserheblichen Tatsachen enthalten, können ihnen fur den Fall eines non liquet keine Anordnungen entnommen werden; diese müssen sich aus anderen Regelungen ergeben. Das Legalitätsprinzip als spezielle Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips verlangt aber gerade nur eine Entscheidung bei voller Überzeugung, nicht dagegen in Zweifelsfallen, soweit dies vom Gesetzgeber nicht ausnahmsweise in das Entscheidungsprogramm der Steuernorm selbst aufgenommen worden ist. Das Legalitätsprinzip spricht demzufolge eher gegen als fur einen Sachentscheidungszwang in Non-liquet-Fällen. Wenn der Legalitätsgrundsatz eine Steuerfestsetzung nur nach dem tatsächlich geregelten Entscheidungsprogramm der Normen verlangt (Tatbestandsmäßigkeit), muß die Besteuerung insgesamt aber dem Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Rechnung tragen. Doch auch aus Art. 3 Abs. I GG kann kein Schluß auf die unbedingte Verpflichtung der Behörde zur Sachentscheidung durch die objektive Beweislast gezogen werden. Feststehende und unklare Sachverhalte sind derart ungleich, daß eine sachliche Differenzierung geboten ist, zumal durch eine Beweislastentscheidung eine tatsächliche materielle Belastungsgleichheit als Ziel der Rechtsanwendungsgleichheit nicht hergestellt werden kann: Da durch die Beweislastentscheidung eine Sachverhaltsfixierung nicht vorgenommen wird, halten sich materiell zutreffende Entscheidungen und potentielle Fehlurteile systembedingt die Waage; einer im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit des Besteuerungserfolges ausgerichteten Betrachtung kann demzufolge kein "Mehr" an Belastungsgleichheit und damit Besteuerungsgerechtigkeit abgewonnen werden wie einer den Belastungsgesichtspunkt in den Vordergrund stellenden (Nicht-)Berücksichtigung der zweifelhaften Merkmale (SteuerfreisteIlung). Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO kann nicht zur Begründung eines generellen Sachentscheidungszwanges der Finanzbehörde herangezogen werden. Anderenfalls müßte dieser Regelung eine generelle Absenkung des Beweismaßes entnommen werden, was angesichts zahlreicher Beweismaßabstufungen und dem in § 165 AO zum Ausdruck gekommenen Gewißheitserfordernis ungereimt erscheint. Darüber hinaus würde eine derartige Einordnung Beweislastentscheidungen entbehrlich machen, da die Schätzung als gesetzliche Anweisung Vorrang vor einer Beweislastentscheidung genießen muß. Für die Frage nach einer Sachentscheidungspflicht über den von ihr selbst

126

1. Teil: \braussetzungen von Beweislastentscheidungen

erfaßten Bereich hinaus ist die Schätzungsbefugnis des § 162 AO somit gänzlich unergiebig. Den ungeschriebenen Beweislastnormenselbst eine Sachentscheidungspflicht entnehmen zu wollen, muß aus systematischen Gründen abgelehnt werden; anderenfalls würden sich diese Normen selbst ihren Anwendungsbereich eröffnen. Eine derartige Selbstermächtigung scheitert an der fehlenden parlamentarischen Legitimation, auch wenn der Geltungsgrund der Beweislastnormen in einer gesetzesergänzenden (richterrechtlichen) Rechtsfortbildung zu finden ist. Selbst bei Annahme des Vorliegens einer Regelungslücke kann die Rechtsfortbildung keinen Bestand haben, wenn die Beweislastentscheidung nicht die einzig denkbare und somit logisch notwendige Möglichkeit zur Sachentscheidung bei Unaufklärbarkeit des Sachverhalts zur ausreichenden Überzeugung des Rechtsanwenders wäre; sollten aber andere Wege zur Überbrückung bzw. Vermeidung des non liquet beschritten werden können, muß die Entscheidung darüber dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Einer Rechtsfortbildung hat systematisch die gegebenenfalls erweiternde Auslegung gesetzlich vorgezeichneter Konfliktlösungsmechanismen voranzugehen, wobei auch die Funktion und Wirkungsweise der in Betracht zu ziehenden Rechtsinstitute gegeneinander abzuwägen sind. 475 Bereits "die erste Stufe des Beweislastproblems", die unbedingte Anweisung zur Sachentscheidung an die die Steuer festsetzende Finanzbehörde, wirft demzufolge erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit von Beweislastentscheidungen im Besteuerungsverfahren auf.

475

Hierzu im folgenden.

2. Teil

Beweislast und Mitwirkungspflichten A. Die objektive Beweislast I. Ausgangsbestimmung

Mit dem Begriff der objektiven Beweislast oder Feststellungslast l wird die Frage beschrieben, zu wessen Gunsten oder Ungunsten eine Sachentscheidung bei mißlungener Tatsachenfeststellung auszufallen hat. 2 Ausgehend vom Zivilprozeßrecht wird hierbei überwiegend auf die richterliche Rechtsanwendung und damit die ergebnislos gebliebene Beweisaufnahme (als Form gerichtlicher Sachverhaltsermittlung) abgestellt. 3 Dennoch wird die objektive Beweislast grundsätzlich für aUe Verfahren unabhängig von der zugrundeliegenden Verfahrensmaxime für anwendbar gehalten. 4 "Sie regelt nicht den Beweis, sondern die Folgen der Beweislosigkeit entscheidungsrelevanter Tatsachen und gilt

I Ebenso materielle Beweislast, Beweisrisiko, Beweisgefahr oder Feststellungsgefahr genannt, Nachw. bei Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 6.

2 Rosenberg/Schwab/Goftwald, Zivilprozeßrecht, S. 670; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 361; Schlosser, Zivilprozeßrecht I, Rdn. 359; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 II, S. 186; Rosenbetg, Beweislast, S. 24; Leipold, Beweislastregeln, S. 18; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 31 f.; Dubischar, JuS 1971,385,386; Heuer, DStZ/A 1950, 273; ders., DStZ/A 1952, 324; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 18; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 21 f.

3

So z.B. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 669.

4 Z.B. Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 17; RosenbergiSchwab/Goftwald, Zivilprozeßrecht, S. 670; Rosenbetg, Beweislast, S. 24 f.; Leipold, Beweislastregeln, S. 127; Lüke, JZ 1966, 587, 589; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 31 f.; Prüfling, Gegenwartsprobleme, S. 6 f.

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

128

zwangsläufig in allen Verfahren, in denen die Entscheidung von der Feststellung tatsächlicher Voraussetzungen abhängig ist."s

11. Präzisierungen

Wie sich aus der Vielzahl möglicher Begriffsbeschreibungen ersehen läßt, ist der Begriff der objektiven Beweislast nicht unumstritten; die Kritik hieran bezieht sich überwiegend auf die Beziehung als "Last"6, da dieser zu einseitig auf die Bedeutung für die Parteien abstellt. Demgegenüber werden mit der objektiven Beweislast vielmehr nur die Folgen der Beweislosigkeit beschrieben.' Der Begriff der Last erklärt sich zunächst aus dem Versuch, eine Abgrenzung zu einer Handlungspflicht einer Partei herbeizuführen, die von der objektiven Beweislast, genauer von den Beweislastregeln oder -normen, nicht verlangt wird. Eine "Nichterfüllung" der objektiven Beweislast ist nicht sanktioniert; sie erschöpft sich in dem Risiko, daß das Gericht (der Rechtsanwender) nicht vom Vorliegen der Tatsachen in dem erforderlichen Maße überzeugt ist, das nach dem materiellen Recht notwendig ist, einer Partei ein ihr günstiges Prozeßergebnis auszusprechen. 8 Wegen der Vielgestaltigkeit der möglichen Begriffe tritt auch die Unterscheidung zwischen Funktion und Wirkung der (objektiven) Beweislastnormen in den Hintergrund. 9 Die Funktion der Beweislastnormen besteht darin, die Unerweislichkeit von Tatsachen, das non liquet, zu überwinden und eine Sachentscheidung zu ermöglichen. \0 Das hat mit einer (prozessualen) "Last" der Parteien nichts zu tun. Demgegenüber hat die objektive Beweislast die (unmittelbare) Wirkung, den Rechtsnachteil, den die fehlende Erweislichkeit der Tatsache nach sich zieht, einer der Parteien zuzuordnen, führt also zu Prozeßgewinn oder -verlust. Als Folge aus diesem Ergebnis der Zuordnung der objektiven Beweislast auf die eine oder andere Partei ergibt sich aber noch eine wesentliche mittelbare Wirkung, die mit dem Begriff der "Last"

S

Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 153 a.E.

6 Rosenberg, Beweislast, S. 60; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, S. 71 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 25.

, Pohle, Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317, 319; Nierhaus, Beweismaß, S. 241 f. M

Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 49.

9

PrÜfling, Gegenwartsprobleme, S. 16 ff.; Nierhaus, Beweismaß, S. 244.

10

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 16; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 36.

B. Die subjektive Beweislast

129

umschrieben wird: Droht wegen der Nichterweislichkeit einer Partei der Prozeßverlust, wird diese im eigenen Interesse versuchen, die für sie negative Folge durch Maßnahmen zu verhindern, die die Aufklärung des (für sie günstigen) Sachverhaltes bzw. Tatbestandsmerkmals ermöglichen oder erleichtern. Als Reflex aus dem Risiko, das in der Zuordnung der objektiven Beweislast besteht, wird sich daher ein subjektives Tätigwerden ergeben; diese als "faktische Vorwirkungen"" bezeichnete Erscheinung soll in Verfahren mit Verhandlungsmaxime, also dort, wo - wie im Zivilprozeß - die Parteien zur Bestimmung des Streitgegenstandes und der Beibringung der Beweismittel berufen sind, mit der Beweisführungslast l2 identisch sein 13, in Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes ' \ wo allgemein eine subjektive Beweislast abgelehnt wird '5 , dagegen rechtlich bedeutungslos sein - wenngleich rechtspolitisch als Verhaltensanweisung an die Partei(en) natürlich von hoher praktischer Relevanz. 16

B. Die subjektive Beweislast I. Ausgangsbestimmung

Die subjektive (formelle) Beweislast oder Beweisführungslast ist die den Parteien eines (Zivil-)Prozesses obliegende Last, zur Meidung des Prozeßverlustes Tatsachen darzulegen '7 und den Beweis der streitigen Tatsachen zu führen. 'B Die Existenz einer (subjektiven) Beweisführungslast ist unbestritten

11 Treffend auch als "faktische Beweislast" bezeichnet; hierzu Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 24; Nierhaus, Beweismaß, S. 247. 12

Auch subjektive Beweislast, formelle oder prozessuale Beweislast genannt.

13

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 23.

14

Amtsermittlungsgrundsatz, z.B. §§ 88 AO, 76 Abs. I S. I FGO.

Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 16; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 154; RosenbeTg, Beweislast, S. 41 tf.: BFH BStBI. III 1962, 377, 378. 15

16

Hierzu unten D.

17 Sog. Darlegungslast, Zöller/Greger, Vor § 284 ZPO Rdn. 18; Nierhaus, Beweismaß, S. 249 ff.; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 11, S. 186 f.; zur Behauptungslast vgl. auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 177; Herter, DB 1985, 13\1,1312. 1ft

RosenbeTg, Beweislast. S. 18 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht,

9 M. Schmidi

130

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungsptlichten

in Verfahren mit Verhandlungsmaxime, wo unter Geltung des Prinzips formeller Wahrheit den Parteien die Beibringung des Prozeßstoffes obliegt. 19 Wenn das Gericht nicht selbst Nachforschungen anzustellen hat, sondern gemäß § 139 Abs. I ZPO nur Anregungen zur Bezeichnung der Beweismittel geben kann und sein Urteil aus dem Gesamtergebnis der von den Parteien bestimmten (mündlichen) Verhandlung zu fällen hat, vom nicht beweis(ftihrungs)belasteten Gegner angebotene Beweismittel ohne vorgängigen Beweisantrag der anderen Partei dagegen nicht zu erforschen sind 20 , liegt eine "echte" Last vor, die Tätigwerden der beweisbelasteten Partei verlangt, weil sonst notwendigerweise der Prozeßveriust droht. Die subjektive Beweislast fällt grundsätzlich 21 mit der objektiven Beweislast zusammen, was Ursache vieler Ungereimtheiten, insbesondere im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit in Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes ist. 22 Von der subjektiven (abstrakten 23 ) Beweislast ist die subjektive konkrete Beweislast zu trennen, die je nach konkreter Prozeßsituation zwischen den Parteien wechseln kann. 24

S. 670; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 19; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 24;

MünchKornrn-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 93; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 II, S. 186 f.; Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 16; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 153. 19 Leipold, Beweislastregeln, S. 18 Fn. 5, mißt der subjektiven Beweislast nur eine untergeordnete Rolle zu: "Sie dürften praktisch ohne sonderliche Bedeutung sein." Im Hinblick auf Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz dürfte die Einordnung unzutreffend sein.

20 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 670; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 19. 21

Denkbare Ausnahmen sind praktisch ohne jegliche Relevanz, sondern nur kon-

struiert, vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 29; im Ergebnis ebenso Seeliger, Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß, S. 43; Herter, OB 1985; 1311, 13/2. 22

Hierzu sogleich unten 11.

23 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 26 ff.; vgl. auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 39 ff. 24 Hierzu Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 7 ff., 29 f.; MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 98; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, S. 670. Vgl. auch unten D.

B. Die subjektive Beweislast

131

11. Die Beweisflihrungslast in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz

So eindeutig die Existenz der Beweisflihrungslast in Verfahren mit Verhandlungsmaxime anerkannt wird 2S, so uneinheitlich wird deren Bedeutung für den Verwaltungsprozeß (und das Verwaltungsverfahren), in denen grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz Anwendung findet, beurteilt. Zunächst ist festzustellen, daß vor allem von zivilprozessualer Seite die Auffassung vertreten wird, daß es in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz eine subjektive Beweislast nicht geben könne. 26 Diese durchaus als h.M. zu bezeichnende Auffassung findet weithin Zustimmung. 27 Auch für den Bereich des Steuerrechts findet sich die Einordnung in der ständigen Rechtsprechung wieder. 28 Auf der anderen Seite finden sich Auffassungen, die - vor allem in Hinblick auf die "Reflexwirkungen" als Verhaltensanweisung an die Parteien eine klare Unterscheidung in der Begrifflichkeit fehlen lassen und die Wirkung der Beweislosigkeit "im Prozeß mit Untersuchungsmaxime objektive Beweis/ast oder Feststellungslast, im Prozeß mit Verhandlungsmaxime subjektive Beweis/ast" nennen. 29 Eine MittelsteIlung nehmen diejenigen Auffassungen ein, die

25 Zu den oben in Fn. 18 genannten vgl. noch Schlosser.Zivilprozeßrecht I, Rdn. 360; ThomaslPutzo, Vor § 284 ZPO Rdn. 2; Einl. I Rdn. 1 f.; Zöller/Greger, Vor § 284 ZPO Rdn. 18; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 38 m.w.N.; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 III, S. 187; unklar: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Anh § 286 ZPO Rdn. 1. 26 Rosenberg, Beweislast, S. 16, 24; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 30; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 24; MünchKomm-ZPO/Prütting, § 286 Rdn. 94; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 422; Bernhardt, JR 1966, 322, 325; Tietgen, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. I Teil 2 B, S. 7 ff.

27 Nierhaus, Beweismaß, S. 245 ff., 333 [; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 20; Heuer, DStZ/A 1950,273; ders., DStZ/A 1952,324; Berg, VerwaltungsrechtIiche Entscheidung, S. 169; Pestalozza, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 196; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 50 I 2, S. 274; Kopp, § 108 VwGO Rdn. 11; EyermannlFröhler, § 86 VwGO Rdn. 5.

2H RFHE 17, 195, 196; BFH BStBl. III 1956,75, 76; III 1962.377,378; III 1962, 522,523; III 1963,213,214; offengelassen in 11 1971,220, 223f; a.A., aber unklar: BFH BStBl. II 1986, 857 a.E. 29 Blomeyer, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. I. Teil 2 A, S. 4; ders., Zivilprozeßrecht, S. 342. Eine "Ähnlichkeit" betont auch Musielak, Grundlagen der Beweis-

9"

132

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

eine grundsätzliche Geltung der Beweisflihrungslast im Verwaltungsprozeß zwar ablehnen, aber - in unterschiedlichem Umfang - eine abgemilderte 30 bzw. ausnahmsweise 3 ) Geltung der subjektiven Beweislast in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz bejahen. 32 Diese Uneinigkeit ist zwar mit terminologischen Schwierigkeiten zu erklären, ist aber auch in ihrer Bedeutung und praktischen Reichweite nicht zu unterschätzen. Der h.M. 33 ist zuzustimmen, daß es eine Beweisführungslast in dem Sinne, daß bei Nichttätigwerden der beweisbelasteten Partei der Prozeßverlust die logisch notwendige Folge der Unterlassung ist, im Verwaltungsprozeß (Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz) nicht geben kann. Wenn das Gericht (oder die Behörde) aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes zur Erforschung und Beachtung der materiellen Wahrheit verpflichtet ist, hat es (sie) diese seiner (ihrer) Entscheidung auch dann zugrundezulegen, wenn eine beweisbelastete Partei untätig bleibt - im Zivilprozeß muß der Prozeßverlust die notwendige Folge sein, im Verwaltungsprozeß hat das Gericht auch anderweitig erlangte (Er-)Kenntnis zu berücksichtigen und der Entscheidung zugrundezulegen, so daß die Entscheidung auch für die untätig gebliebene Partei ergehen kann. 34 Eine Beweisflihrungslast in diesem Sinne gibt es daher in Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes grundsätzlich tatsächlich nicht. Wenn aber nicht, was insgesamt ja sehr formalistisch anmutet, auf die innere Notwendigkeit des Prozeßverlustes bei Untätigkeit als Wesensmerkmal der subjektiven Beweislast abgestellt wird, sondern auf die sich für die Parteien ergebende Notwendigkeit, aus der prinzipiellen Überbürdung einer objektiven

last, S. 39. Vgl. auch Seeliger, Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß, S. 43: "Das eine kann es nicht ohne das andere geben". Im Ergebnis neuerdings dezidiert S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 163 f. Unklar auch Ruppel, BB 1995, 750, 751. 30

Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 16; Herter, OB 1985, 1311, 1312.

3)

Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156.

32 Vgl. auch Martens, StuW 1981,322,329,3301; Weber-Grellet, StuW 1981,48, 57 I; s. Martin, BB 1986, \021, 1028; R. Wittmann, StuW 1987,35,42; Kruse, Steuerrecht I, § 21 III 3, S. 435 f. Unklar Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 173 mit Fn. 6. 33

Nachw. in Fn. 25 f.

34 Vgl. statt aller: Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 25 und Nierhaus, Beweismaß, S. 245 ff., 251 ff.

B. Die subjektive Beweislast

133

Beweislast das Risiko eines Prozeßverlustes zu verhindern und man diesen "Reflex" als subjektive Beweislast definiert, wird auch der Standpunkt der Gegenansicht verständlich. 35 Von Bedeutung ist hierbei auch die Bestimmung des Umfanges des Untersuchungsgrundsatzes und die Einordnung der steuerlichen Mitwirkungspflichten. 36 Falls man nämlich mit einer (früher) weitverbreiteten Auffassung 3 ? die Untersuchungspflicht (des Gerichts oder der Behörde) dort "enden" läßt, wo die (allgemeine) Mitwirkungspflicht des Beteiligten "beginnt", ist auch in einem solchen Verfahren der Prozeß- bzw. Verfahrensverlust die notwendige Folge aus der Untätigkeit; bei anderweit gerichtsbekannten Tatsachen wäre nicht anders zu entscheiden, weil hier vernünftigerweise eine Mitwirkungspflicht des Beteiligten nicht erst entstehen muß - das Gericht hat diese Tatsachen von vornherein zu berücksichtigen, so daß eine Mitwirkungspflicht verneint werden kann. Die "Beendung" der Untersuchungspflicht durch Parteiverhalten wird heute allerdings überwiegend abgelehne 8 ; nur wenn die Verletzung der Mitwirkung zu unzumutbaren Ermittlungsanstrengungen der Behörde (oder des Gerichts) führt, wird diese(s) von der ErmiUlungspflicht befreit. 39 Anders könnte die weitver-

35 So z.B. S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 163 f; vgl. zu dem jeweiligen Definitionsansatz auch Zöller/Greger, § 284 ZPO Rdn. 18. 36

Im weiteren Sinne, also auch Nachweis- und Glaubhaftmachungspflichten.

Insbesondere BVerwGE 16,241,245; E 26, 30, 31; NJW 1959,2134; NJW 1964, 786,787; BayVBI. 1972,81; vgl. auch BFH BStBI. II 1974, 612,613; DStR 1989,387, 388; BStBI. II 1990, 993, 996; Kühn/Kutter/Hofmann, § 88 AO Anm. 2; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 115, 116 f 37

3K Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 5; Nierhaus, Beweismaß, S. 336 ff., m.w.N.; Jakob, Abgabenordnung, § 6 Rdn. 14; Hartmann/Cortrie, WPg 1981, 165, 167; Eder, DStZ/A 1975, 356, 337. Woring, Stbg. 1992, 215, 217, weist sogar auf die Folgen einer als Amtspflichtverletzung einzustufenden unterlassenen (weiteren) Untersuchung trotz Vernachlässigung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen hin; anders neuerdings S. Jfeber, Mitwirkungspflichten, S. 116 f; auch Kruse, Steuerrecht I, § 17 11 5, S. 330 nimmt eine "Minderung der Ermittlungspflichten" an; in die gleiche Richtung zielt die vage Formulierung einer "Reduzierung" der Ermittlungspflichten, Hi/debrandt, StBp 1991, \08, 110, und "Verkürzung", Ruppel, BB 1995, 750, 751.

39 Hier ist aber darauf hinzuweisen, daß die Unzumutbarkeit gerade wegen Abstellens auch auf die wirtschaftliche Bedeutung eines Sachverhaltes sehr schnell angenommen werden kann, z.B. bei einer "Außenprüfung" zur Feststellung der allein beruflichen Nutzung eines privaten pe im häuslichen Arbeitszimmer etc.; darüber hinaus ist auch

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

134

breitete Einordnung der Mitwirkungsptlichten als (untergeordnete) Hilfs- oder Nebenptlichten 40 zum Amtsermittlungsprinzip nicht überzeugend aufrechterhalten werden. Darüber hinaus ließen sich die allgemeinen (und spezialgesetzlichen) Mitwirkungsptlichten auch als Durchbrechungen des Untersuchungsgrundsatzes verstehen 41 , so daß der Ausgangsbefund, daß es eine subjektive Beweisflihrungslast in Verfahren unter Geltung des Untersuchungs grundsatzes nicht geben kann, zwanglos aufrechterhalten werden könnte.

C. Die Einordnung der steuerlichen Mitwirkungsptlichten Besondere Schwierigkeiten bereitet die Einordnung von Mitwirkungsptlichten in das System von objektiver und subjektiver Beweislast. Diese werden, ohne an dieser Stelle eine Unterteilung derselben vorzunehmen 42 , in partieller Durchbrechung des Untersuchungsgrundsatzes43 als Beweisflihrungslast angesehen 4 \ als im Verwaltungsprozeß die identische subjektive Beweislast ersetzen-

das (fast immer notwendige) Eindringen in die Privatsphäre eine Zumutbarkeitsschranke, die typisch erweise häufig vorliegen wird. Dadurch ist die faktische Gefahr eines Prozeßbzw. Verfahrensverlustes bei Nichttätigwerden tatsächlich sehr hoch. 40 H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 12; Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 1; Nierhaus, Beweismaß, S. 277 tT. Weitere Nachweise in Fn. 46. 41 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 47: "". es gibt in Wahrheit keine Durchbrechung des Untersuchungsgrundsatzes, wonach unter der Geltung der Untersuchungsmaxime keine Behauptungs- und Beweisflihrungslast existieren, sondern durchbrochen ist vielmehr die scheinbar durchgehende Geltung der Untersuchungsmaxime in den ötTentlichrechtlichen Verfahrensgesetzen." Nierhaus, Beweismaß. S. 251, 258 tT., 315.

42 Hierzu Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 248 tT.; Nierhaus, Beweismaß, S. 296; Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 68 tT.; S. Martin, BB 1986, 1021, 1023 f; s. ~ber, Mitwirkungspflichten, S. 24 tT.

43

S. oben B. II.

44 So Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 16; a.A. bei § 88 AO Rdn. I und § 90 AO Rdn. 5 bezüglich der "speziellen" Mitwirkungspflichten! Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156; Martens, StuW 1981, 329 ff.; ders., Verwaltungsvorschriften, S. 74, 77; S. Martin, BB 1986, 1021, 1028; Seeliger, Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß, S. 43.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

135

de Erscheinung45 , als bloße Neben- bzw. Hilfspflicht zur (verwaltungs-)gerichtlichen Nachforschungspflicht46 oder wegen der den Mitwirkungspflichten entspringenden grundsätzlichen Mitverantwortung des Steuerpflichtigen als generelle subjektive Beweislast47 angesehen. Im folgenden soll versucht werden, die Verschränkungen der Mitwirkungspflichten zu den Instituten der subjektiven und objektiven Beweislast offenzulegen und gegeneinander abzugrenzen.

I. Die Unterscheidung nach der Geltung von Mitwirkungspflichten in Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsprozeß

Anders als bei der Frage der Geltung der objektiven Beweislast findet bei den Mitwirkungspflichten eine Unterscheidung zwischen ihrer Anwendbarkeit in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessen statt. 48 Diese Unterscheidung ist bereits dadurch vorgegeben, daß z.B. § 76 FGG nur bestimmte Mitwirkungspflichten im gerichtlichen Verfahren dem Steuerpflichtigen auferlegt; so gelten ausweislich dieser Vorschrift von den verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten und neben der allgemeinen Prozeßförderungspflicht nur §§ 90 Abs. 2,93 Abs. 3 S. 2,97 Abs. 1 und Abs. 3,99, 100 AG sinngemäß. Von der gesetzessystematischen Stellung49 her können z.B. die auf das Besteuerungsverfahren ausgerichteten Pflichten 50 der §§ 140 ff. AG (Buchflihrungspflichten) und §§ 149 ff. AG (Steuererklärungspflichten) für das gerichtliche Verfahren keine Geltung haben. Ebenso ist zu berücksichtigen, daß die im Verwaltungsverfahren mögliche Sanktionsbewehrung der Verletzung von Mit-

45

Maetzel, DÖV 1966, 520, 521; Redecker. N1W 1966. 1777. 1778 f

46 TipkelKruse, § 88 AO Rdn. I. § 90 AO Rdn. 5; Jakob, Abgabenordnung, § 6 Rdn. 13; Nierhaus, Beweismaß. S. 277 tT.; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 12; R. Wiumann, StuW 1987,35,44; HartmanniCortrie, WPg 1981. 165,167; Zapf, Beweislast und Beweisflihrungslast, S. 51; Eder, DStZ/A 1975,356.357; Tietgen, Verhandlungen des 46. DlT 1966, Bd. I Teil 2 B. S. 31 f; unklar Schuhmann. DStZ 1986, 583, 584.

47

S. »eber, Mitwirkungspflichten, S. 163 f

4K Tietgen, Verhandlungen des 46. DlT 1966. Bd. I. Teil 2 B. S. 20 ff; Nierhaus, Beweismaß, S. 323, 329; unklar Rönitz, DStJG 3 (1980), 297. 304. 49

Nierhaus, Beweismaß. S. 323.

50

Zu diesen vorverlagerten Pflichten S. »eber. Mitwirkungsptlichten, S. 30 ff

136

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

wirkungspflichten 51 einer Übernahme in den Verwaltungsprozeß entgegenstehen kann. 52

11. Arten von Mitwirkungspflichten im Steuerrecht

Der Grund flir die Auferlegung von Pflichten auf den an einem finanzbehördlichen bzw. -gerichtlichen Verfahren Beteiligten liegt darin, daß den Beteiligten unterschiedliche Möglichkeiten der Information zur Verfligung stehen. 53 Regelmäßig sind - gerade für Zwecke der Besteuerung - Umstände aus der Lebenssphäre des Bürgers von Bedeutung, weshalb "ihm eine wichtige Rolle bei der Beschaffung von Tatsachenmaterial" zukommt. 54 Ohne daß eine ausführliche Untergliederung der verschiedenen Mitwirkungspflichten vorgenommen werden soll, ist zur Aufzeichnung der widersprüchlichen Einordnung von bestimmten "Pflichten" des Steuerpflichtigen als subjektive Beweislast (Beweisführungslast) oder als andere Erscheinung eine zumindest verallgemeinernde Unterteilung vorzunehmen. 55 Je nach Ziel und Inhalt der Mitwirkungspflichten läßt sich folgende Einteilung vornehmen:

I. Ermittlungspflichten Bei den Ermittlungspflichten soll es sich nach Auffassung von Nierhaus 56 um die "schärfste Form der Mitwirkungspflichten", was die Beteiligung an der

51 Vgl. §§ 328 ff. AO. Zu sanktionslosen Mitwirkungspflichten Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 54; Beltermann, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, Teil E, S. 26, 35.fJ.; zur Verallgemeinerung der Rechtswertungen bei Beweisvereitelung Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 18; Tipke/Kruse, § 96 FOO Rdn. 3. 52

Hierzu Nierhaus, Beweismaß, S. 227 ff.

;) Martens, JuS 1978. 99. lO j; vgl. auch Birk. StVj 1991. 310. 312: "Eine Pflicht zur Amtsermittlung ohne Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Mitwirkung wäre ein stumpfes Schwert." 54

Martens, JuS 1978,99, jOj.

55 Vgl. auch Martens, JuS 1978,99, jOj.fJ.; R. Wittmann, StuW 1987,35,40; Nierhaus, Beweismaß, S. 296 ff. 56

Beweismaß, S. 309.

C. Die Einordnung der Mitwirkungsptlichten

137

Sachverhaltsaufklärung, nicht aber die Intensität der Rechtsbeeinträchtigung angeht, handeln. Die angeführten Beispiele57 wie auch die daraus gezogenen Konsequenzen sind al1erdings für eine Erhel1ung der hier vorliegenden Problematik unergiebig. Aus dem Bereich des Steuerrechts wären als Ermittlungspflichten, die dem Steuerpflichtigen die (alleinige) Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung auferlegen, insbesondere die dem Besteuerungsverfahren vorgelagerten, bereits erwähnten Buchführungspflichten (§§ 140 ff. AO)58 und § 90 Abs. 2 AO, die Mitwirkung bei Auslandssachverhalten, der über § 76 Abs. 1 S. 4 FGO auch für den Finanzgerichtsprozeß gilt, zu nennen. 59 Zweifel10s enthält gerade § 90 Abs. 2 AO eine Beweisbeschaffungspflicht, wenn dem Steuerpflichtigen aufgegeben wird, für das Besteuerungsverfahren und in einem möglichen Finanzgerichtsprozeß den "Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen", wobei er alle bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen hat. Nach einhel1iger Auffassung verpflichtet § 90 Abs. 2 AO neben der Vorlage der entsprechenden Beweismittel auch zur Beweisvorsorge. 6o Trotz dieser weitreichenden Aufklärungspflichten 61 wird § 90 Abs. 2 AO von der h.M. nicht als Beweisführungslast eingeordnet62 , sondern "nur" als gesteigerte Mitwirkungspflicht.

57

Insbesondere § 16 GefStoffV

5K Auch die Aufzeichnungspflichten beim Lohnsteuerabzug, §§ 41 ff. EStG, sind hier zu berücksichtigen.

59

Weber-Grellet, StuW 1981,48,55 mit Fn. 65.

60

Statt aller: Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 6; Jakob, Abgabenordnung, § 6 Rdn. 10.

61 Nach § 90 Abs. 2 AO "haben die Beteiligten den Sachverhalt aufzuklären"; nach Kühn/Kutter/Hofmann, § 90 AO Anm. 2, folgt daraus eine "absolute Darlegungs- und Nachweispflicht" . Diese Aussage deutet auf eine Beweisführungslast hin: Die Beteiligten "haben im Gegensatz zu dem ansonsten gemäß § 88 herrschenden und die Behörde primär belastenden Grundsatz der amtlichen Errnittlungsptlicht die ausschließliche I1?rpflichtung, den betreffenden Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen" [Hervorh. d. Verf.]. Ähnlich weitgehend BMF v. 23.02.1983, BStBI. I 1983,218,232. AA Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO Rdn. 66.

62 Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 6; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156, § 90 AO Rdn. 65 ff.; BFH BStBI. 11 1976, 767, 768; SchwarziDumke, § 90 AO Rdn.9, 18,25. AA Lipps, AWD (BB) 1972, \05, /09; verquer Ruppel, BB 1995,750, 753, der zwar eine Beweisfiihrungslast § 90 Abs. 2 AO entnimmt, gleichzeitig aber die Auffassung vertritt, daß die Beweislast nicht betroffen sei. Nierhaus, Beweismaß, S. 296 ff. geht bezeichnenderweise auf § 90 Abs. 2 AO nicht ein; allein § 90 Abs. I

138

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Ausgehend von der Bezeichnung der Ermittlungspflichten als "schärfster Form" der Mitwirkung und der Ablehnung dieser Pflichten als Beweisflihrungslast müßte sich daher "erst recht" eine Einordnung milderer Mitwirkungspflichten als Regelung der subjektiven Beweislast verbieten. Diese Konsequenz wird allerdings weder von Tipke/Kruse noch von Söhn gezogen. 63 Die Begründung einer Beweisflihrungslast durch § 90 Abs. 2 AO ist richtigerweise aber abzulehnen, wenn man eine solche nur dann annimmt, wenn der Prozeß- (§§ 76 Abs. 1 S. 4 FGO, 90 Abs. 2 AO) bzw. Verfahrensverlust die notwendige Folge des Nichttätigwerdens der Beteiligten wäre. Auf diese formalistische Begründung zieht sich auch Hey64 zurück, wobei ihm allerdings der Fehler unterläuft, daß er das Vorliegen einer Beweisflihrungslast bei Verlangen eines "Nachweises" durch den Steuerpflichtigen als "sprachliche Vereinfachung" ablehnt; daß die Pflicht, den "Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen" (§ 90 Abs. 2 AO), wohl zwangslos eine Nachweispflicht steuerlich bedeutsamer Umstände bei Auslandsberührung begründet, dürfte dagegen kaum zweifelhaft sein; im Gegensatz zu der "sprachlichen Vereinfachung" durch die von der Rechtsprechung gewählten Formulierung müßte eine "echte", d.h. gesetzlich angeordnete Nachweispflicht demzufolge eine Beweisflihrungslast sein. 65 Darüber hinaus ist es unzutreffend, wenn Hey mit Blick auf das Zivilprozeßrecht behauptet, daß "keine andere Partei, geschweige denn das Gericht, zur Einführung des Beweises in den Prozeß verpflichtet ist".66 Dies ist das Gericht im Finanzgerichtsprozeß auch nicht, es ist aber dazu berechtigt. 67

S. 2 AO ordnet er als "besondere Nachweispflicht" ein: allerdings lehnt Nierhaus grundsätzlich die Geltung einer subjektiven Beweislast in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz ab.

63 TIpke/Kruse, § 90 AO Rdn. 6: Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156. 64

Beweislast und Vermutungen, S. 42.

65 Diese ordnet Heyan anderer Stelle allerdings als Regelung der objektiven Beweislast ein (a.a.O., S. 107). 66 Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 42 [Hervorh. d. Verf.]; vgl. auch S. Martin, BB 1986, 1021, 1028.

67 Deutlich Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 58 im Hinblick auf §§ 159, 160 AO. Eine Verpflichtung des Gerichts hängt zunächst von der Erfüllung der Mitwirkungspflichten der Beteiligten ab. Einschränkend auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 177.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

139

Wesentlich ist, daß im Prozeß mit Verhandlungsmaxime das Gericht diese nicht vorgebrachten Beweise gar nicht einführen darf! Der Untersuchungsgrundsatz wird durch § 90 Abs. 2 AO nämlich nicht beseitigt68 , sondern tritt nur hinter die Beweisbeschaffungspflicht der Beteiligten zurück. Von Amts wegen bleiben Finanzbehörde und -gericht verpflichtet, andere, d.h. nicht durch die Beteiligten beschaffte Tatsachen zu berücksichtigen, wenn sie solche erlangt haben oder sie sich mit verhältnismäßigen Mitteln beschaffen können. 69 Trotz der überragenden 70 Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen ist daher die (wohl seltene) Möglichkeit gegeben, daß eine Entscheidung trotz Untätigseins nicht zu seinen Lasten ausfällt. 71 Der sich in der Praxis meist ergebende Nachteil ist demgegenüber auch nicht unmittelbare Folge der Untätigkeit, sondern das Ergebnis freier, zu Lasten des Steuerpflichtigen gereichender Beweiswürdigung durch Behörde oder Gericht: "Da das gesamte Verhalten des Steuerpflichtigen der Beweiswürdigung durch die Finanzbehörde unterliegt, ist bereits das Anbieten eines Beweises einer Beweiswürdigung zugänglich und damit auch schon ein vom Steuerpflichtigen beschaffter Beweis. ,,72 Die Berücksichtigung mangelhafter Mitwirkung auf der Ebene der Beweiswürdigung ist allerdings nicht nur die Folge von Ermittlungspflichtverletzungen, sondern kann auch andere Arten von Mitwirkungspflichten betreffen. Löst man sich von dieser strengen Fixierung auf die Nachteilszufügung als notwendige, quasi "automatische Folge"7) der Untätigkeit eines Beteiligten, gelangt man zwangsläufig zu einer Einordnung der Ermittlungspflichten als Beweisführungslast. Dann soll es kaum nachvollziehbar sein, warum es sich nicht um Beweisführungspflichten handele: "Beweisftihrungspflichten sind aber nichts anderes als die verfahrensrechtliche Ergänzung von Beweisbeschaffungs-

68 So auch BFH BStBI. II 1988. 438, 439; a.A. wohl S. Martin, BB 1986, 1021, 1028, die eine W!rpflichtung der Behörde zu eigenen Ermittlungen verneint. 69

Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 6; R. Wittmann, StuW 1987.35,45.

70 Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 77 (Rdn. 70). 71 Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 42 f. 72 S. »eber, Mitwirkungspflichten. S. 28; ebenso Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 6; BFH BStBl. II 1988, 438, 439. 73

Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 42.

140

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

pflichten und Mitwirkungspflichten."74 Diese Ansicht verkennt die Bedeutung und Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes. Dieser wird, wie dargestellt, im Falle von § 90 Abs. 2 AO nicht partiell durchbrochen 75 , sondern allenfalls "abgemildert"76; damit ist gemeint, daß das Gericht nur eindeutige, sich aufdrängende 77 Autklärungsmöglichkeiten weiterverfolgen muß, nicht aber jedem denkbaren Anhaltspunkt nachzugehen hat. Die genannten Ermiulungspflichten, die ein weitgehendes Handeln des Steuerpflichtigen verlangen, beziehen ihre Berechtigung aus der regelmäßig für die Finanzbehörde vorliegenden Unmöglichkeit, sich die notwendigen Besteuerungstatsachen vom Umfang und der Arbeitsintensität her selbst, d.h. durch eigene Ermittlungen beschaffen zu können. Diese absolut im Vordergrund stehende Überlegung verlangt gerade dann eine Berücksichtigung von Tatsachen, wenn ausnahmsweise Kenntnis vorliegt oder leicht(er für das Finanzamt als durch den Steuerpflichtigen) zu beschaffen ist - nur für diesen Fall hat die Untersuchungsmaxime (als Ermitllungsgrundsatz) praktische Bedeutung. Allerdings hat bereits Prütling78 darauf hingewiesen, daß der Begriff der Beweisführungslast jegliche Kontur verliert, wenn man nicht als Merkmal der Lase 9 den Nachteil als unabwendbare Folge des Untätigseins ansieht. Zuzugeben ist dennoch, daß nur dann eine Aufrechterhaltung dieser formalen terminologischen Unterscheidung gerechtfertigt ist, wenn nicht alle Arten von Mitwirkungspflichten gleichzubehandeln wären: Sollte es auch im Steuerrecht "echte" Beweisführungslasten geben, ist eine Differenzierung aus Gründen der Klarheit geboten.

74 S. Martin, BB 1986, 1021, f028 unter Hinw. auf Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 73, 77; dens., StuW 1981,329 ff.; Seeliger, Beweislast, Beweisverfahren, Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß, S. 43 ff.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 34, 36 ff. 75

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 26 und 47.

76

Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 16.

77

Nierhaus, Beweismaß, S. 336 ff.

78

Gegenwartsprobleme, S. 25.

79 In diesem Sinne verwenden Martens, StuW 1981,322 ff. und S. Martin, BB 1986, 1021, 1028, den Begriff der Beweismhrungspflicht. Differenziert zur Last im Steuerrecht Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 74 ff. (Rdn. 64 [f.).

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

141

2. Auskunftspflichten Nach § 93 Abs. I S. I AO haben die Beteiligten (und andere Personen) die zur Feststellung eines fur die Besteuerung erheblichen Sachverhaltes erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Auch hierbei handelt es sich um eine Pflicht, die im Verwaltungsverfahren zwangsweise durchgesetzt werden kann, §§ 328 ff. AO. Sie gilt auch fur das finanzgerichtliche Verfahren. Zwar verweist § 76 Abs. I S. 4 FGO nur auf § 93 Abs. 3 S. 2 AO, der die Beteiligten dazu anhält, gegebenenfalls ihre Unterlagen (zu deren "Beschaffung" sie U.U. verpflichtet sind 80 ) einzusehen und nötigenfalls Aufzeichnungen daraus zu entnehmen, doch ist § 76 Abs. I S. 3 FGO mit § 93 Abs. I S. I und Abs. 3 S. I AO deckungsgleich, so daß die Auskunftspflichten im Verfahren vor den Finanzämtern und im finanzgerichtlichen Verfahren identisch sind. Ebenfalls besteht eine Überdeckung der genannten Vorschriften mit § 90 Abs. I S. 2 AO: Die Beteiligten haben die erforderlichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben und darüber (weitere) Auskunft zu geben. Die Auskunftspflicht ist daher zwangslos als allgemeine Mitwirkungspflicht (im Gegensatz zu den gesteigerten Mitwirkungspflichten, Z.B. § 90 Abs. 2 AO) einzuordnen. 81 Die Tatsache, daß § 76 Abs. I S. 4 FGO die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 90 Abs. I AO nicht erwähnt, bedeutet daher nicht, daß diese im finanzgerichtlichen Verfahren nicht bestehen würden. Sowohl über die allgemeine Prozeßförderungspflicht, § 76 Abs. I S. 2 FGO, sowie die erwähnte Überdeckung 82 ist in bei den Verfahren eine übereinstimmende Beteiligtenmitwirkung gewährleistet. 83 Allerdings ergeben sich aus diesen Mitwirkungspflichten keinesfalls Beweisfuhrungspflichten oder -lasten; Auskunft und einfache Mitwirkung ergänzen vielmehr nur die Untersuchungspflichten (§§ 88 AO, 96 Abs. I S. 2 FGO). Es handelt sich um Hilfspflichten zum Untersuchungsgrundsatz und kennzeichnen den Beteiligten als "Erforschungsgehilfen" von Gericht oder Behörde. 84

so Siehe oben C. 11. 1. bei Fn. 60. SI

Vgl. auch Nierhaus, Beweismaß, S. 297.

82

Was auch ein Vergleich mit § 26 Abs. I Nr. I, Abs. 2 S. I VwVfG widerspiegelt.

83

A.A., allerdings nicht im Hinblick auf die FGO, Nierhaus, Beweismaß, S. 333.

84

Tipke, StKRep 1967, 39, 48.

142

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

3. Gestattungs- bzw. Duldungspjlichten Eine Steigerung der Auskunftspflichten stellen Gestattungs- oder Duldungspjlichten dar. Sie bedeuten einen vertieften Eingriff in die Rechtssphäre des Beteiligten (bzw. Betroffenen). Duldungspflichten lassen sich nicht aus Ennittlungspflichten, also aus der Verpflichtung eines Beteiligten, selbst "aktiv den Beweis zu führen", ableiten 85 , sondern verlangen eine gesetzliche Ennächtigung. Im Steuerrecht ist sowohl für das behördliche wie gerichtliche Verfahren eine "klassische" Duldungspflicht in §§ 99 AO, 76 Abs. 1 S. 4 FGO nonniert. Danach können Grundstücke sowie Wohn- und Geschäftsräume zum Zwecke der Feststellung von steuerlich relevanten Tatsachen betreten werden, der Betroffene86 ist zur Duldung des Betretens und Untersuchens verpflichtet. Dagegen spielen die u.a. im Sozialrecht bedeutsamen körperlichen Untersuchungen für das Steuerrecht keine Rolle. 87 Eine steuerrechtliche Gestattungsbzw. Duldungspflicht kann sich aber auch aus den durch § 76 Abs. 1 S. 4 FGO aus dem Verwaltungsverfahren übernommenen Pflichten zur Vorlage von Urkunden, insbesondere Büchern, Aufzeichnungen und Geschäftspapieren (§ 97 Abs. 1, Abs. 3 AO) sowie der Vorlage von Wertsachen (§ 100 AO) ergeben, da dies nicht nur eine qualifizierte Auskunft beinhaltet, sondern auch die Verpflichtung mitumfaßt, die genaue Untersuchung einschließlich der Überlassung bzw. Benutzung dieser Gegenstände für weitere Ennittlungen bzw. Sachverständigenbegutachtung zu gestatten. 88 Die Verpflichtung zur Duldung des Eingriffs in die geschäftliche Sphäre bedarf auch hier aus verfassungsrechtlichen Gründen einer gesetzlichen Ennächtigung (Art. 13 GG bei der Wohnung, Art. 12, 2 Abs. 1 GG bei berufsbezogenen Eingriffen). Die Duldung der Maßnahmen kann von der Finanzbehörde erzwungen werden, §§ 328 ff. AO; allerdings ergeben sich aus diesen Pflichten keine Beweisführungslasten. Die Verweigerung der Gestattung kann aber im Wege der Beweiswürdigung vom Finanzamt oder Gericht frei bewertet werden, da es

g5 So Nierhaus, Beweismaß, S. 308 unter Hinw. auf Lecheier, Die Verwaltung, Bd. 15 (1982), S. 503, 508. K6

Vgl. Tipke/Kruse, § 99 AO Rdn. 2.

g7 Vgl. hierzu Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 254 ff.; Nierhaus, Beweismaß, S. 308 f. gg Tipke/Kruse, § 97 AO Rdn. 4, § 100 AO; Helsper, in: Koch/Scholtz, § 97 AO Rdn. 5; unklar Nierhaus, Beweismaß, S. 301 f.

c.

Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

143

sich hierbei um Beweismittel 89 handelt, § 92 S. 2 Nr. 1, 3 AO. Die Nichtbefolgung dieser Pflichten führt demzufolge nicht automatisch zum Verfahrensbzw. Prozeßverlust. 90

4. Nachweispjlichten Die im Zusammenhang mit der objektiven Beweislast bedeutsamste Art der Mitwirkungspflichten sind die Nachweispjlichten. Auch hierbei kann eine weitere Systematisierung versucht werden, je nachdem, ob sich die Pflicht zum Nachweis von bestimmten Tatsachen aus der Verfahrensordnung (§§ 63 Abs. 3, 159, 160 AO, 96 Abs. 1 FGO) oder aus dem materiellen Steuergesetz (insbesondere §§ 9a Abs. I, 10c Abs. I, Abs. 2 EStG)91 ergibt, ob es sich um formbestimmte (§ 4 Abs. 5 Nr. 2, Abs. 7 EStG)92 oder allgemeine Nach-

K9 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 256 f, bezeichnet diese Art der Duldungspflichten als Autklärungshilfen bzw. Beweishilfen, da sie den Untersuchungsgegenstand nicht verschieben. 90 Interessant, aber praktisch wohl ohne große Bedeutung (nach S. I reichen bereits "Bedenken gegen die Richtigkeit"), ist die Auslegung des § 97 Abs. 2 S. 2 AO durch Tipke/Kruse, a.a.O., Rdn. 6: Die Ermessensreduzierung des Finanzamtes (nicht des Gerichts, da § 76 Abs. I S. 4 FGO § 97 Abs. 2 AO ausdrücklich nicht übernimmt!) durch § 97 Abs. 2 S. I AO soll nach dieser Auffassung "bereits" für solche Tatsachen entfallen, für die der Steuerpflichtige die objektive Beweislast hat. Dadurch wird einerseits eine sehr weitreichende Interpretation des Günstigkeitsprinzips (hierzu unten 3. Teil C. 11.) vorgenommen, da faktisch bereits Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten als "Steuervergünstigungen" eingeordnet werden, und andererseits wird der Umfang der zur Mitwirkung verpflichtenden Tatbestände durch die objektive Beweislast vorherbestimmt und erweitert, wenn auch nur über eine Einschränkung des behördlichen Ermessens bei der Wahl der Beweismittel. So läßt sich kaum die Aussage aufrechterhalten, daß "das Reich der Beweislast" erst dort beginnt, wo die Beweiswürdigung endet, handelt es sich bei letzterem doch um eine nicht zu leugnende konkrete Vorwirkung einer objektiven Beweislast.

91 Weitere: § 44a Abs. 4 S. 3; § 44c Abs. I S. 2 EStG; § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG; § 12 Abs. 3 Nr. 4 GewStG. 92 Vgl. auch § 7h Abs. 2 S. I, § 7i Abs. 2 S. I, § 7k Abs. 2 Nr. 5, § lOg Abs. 3 S. I, § 14a Abs. 3 Nr. 2 EStG, § 33b Abs. 7 EStG i.Y.m. § 65 EStDY, § 34c Abs. 7 Nr. 2 EStG i.Y.m. § 68b EStDV; § 7a Abs. 2 Nr. 3 FörderGG; § 8b Abs. 1 S. 2, § 44 Abs. 2, § 46 Abs. I, § 52 Abs. 2 KStG (§ 26 Abs. 4 KStG enthält in Nr. 1-3 allgemeine und

144

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

weispflichten (hervorzuheben ist § 171 AO a.F., evtl. § 90 Abs. 1 AO)93 handelt, ob eine Sanktionsbewehrung besteht und gegebenenfalls weIcher Art diese ist. 94 Auf einen neuerlichen Versuch der Untergliederung kann hier verzichtet werden. Es soll an dieser Stelle nur der Frage nachgegangen werden, ob aus verschiedenen steuerlichen Nachweispflichten eine subjektive Beweislast bzw. Beweisflihrungslast zu entnehmen ist.

a) § 90 Abs. I AO § 90 Abs. 1 AO verpflichtet die Beteiligten zur Mitwirkung an der Sachverhaltsautklärung; diese kommen ihrer Mitwirkung insbesondere dadurch nach, daß sie die zur Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offen legen und ihnen bekannte Beweismittel angeben. 95 Bezüglich dieser allgemeinen Mitwirkungspflicht96 besteht weitgehend Einigkeit, daß es sich hierbei nicht um Beweisflihrungspflichten handelt, sondern um das "Korrelat,,97 des flir die Finanzämter wie die Finanzgerichte geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes. 9s Soweit man zur Qualifikation als Beweisflihrungslast, wie

formbestimmte Nachweispflichten); § 21 Abs. 3 S. I ErbStG; § 11 Abs. 4 VStG; § 51 a Abs. I Nr. I c) BewG; aus dem UStG u.a. § 4a Abs. I Nr. 7, Abs. 2 i.V.m. §§ 24 Abs. 2, 8 ff. UStDY, § 6a Abs. 3 S. 2 UStG i.Y.m. §§ 17a ff. UStDY. § 7 Abs. 4 S. I UStG i.Y.m. §§ 12 f. UStDY, § 8 Abs. 3 S. I i.Y.m. § 18 UStDY. 93 Allgemeine Nachweispflichten, die nicht auf eine bestimmte Form des Nachweises abstellen, sind z.B. § 50 Abs. 3 Nr. I AO; § 2a Abs. 2 S. I, § 7 Abs. I S. 4, § ISa Abs. I S. 3, § 34b Abs. 4 Nr. 2, § 42d Abs. 6 S. 2 EStG; § 9 Abs. 2 S. 2 UStG; § 102 Abs. 2 S. 3 BewG. 94 Näher hierzu Nierhaus, Beweismaß, S. 299 f.; Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 248 ff. 95

Vgl. auch § 76 Abs. I S. 3 FGO.

Unbegreiflicherweise bezeichnet Rönitz, DStJG 3 (1980), 297,309, diese bereits als "intensive Mitwirkungspflicht" - dies erschwert dagegen nur die Abgrenzung zu der "erhöhten" Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO. 96

97

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 304; vgl. auch Wenzig, DStZ 1986, 375, 379.

9K Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 3 m.w.N.; Söhn, in: Hübschmannl Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. ISS; a.A. S. Martin, BB 1986. 1021, 1027 f; Martens. StuW 1981,322,330;

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

145

dargestellt, auf die Notwendigkeit einer automatischen Nachteilszufügung bei Verletzung der Mitwirkungspflicht abstellt, ist diese Auffassung zutreffend, da der Amtsermittlungsgrundsatz zumindest rechtlich nicht aufgehoben wird. Eine Erwähnung von § 90 Abs. I AO im Rahmen der Nachweispflichten ist dennoch angezeigt, weil durch diese Vorschrift § 171 AO a.F. abgelöst wurde, der in Abs. I S. I eine Nachweispflicht ausdrücklich statuierte. Trotz dieser ausdrücklichen Anordnung sollte auch nach § 171 AO a.F. dem Steuerpflichtigen keine subjektive Beweislast auferlegt worden sein 99 , da die Nachweispflicht nur auf Verlangen der Finanzbehörden zu erfüllen war. IOO Die Ablehnung der Begründung einer Beweisführungslast durch § 90 Abs. I AO ist auch deshalb zutreffend, weil durch diese Vorschrift den Beteiligten eindeutig keine Beweisvorsorgepflicht auferlegt wird, sondern diese nur gehalten sind, tatsächlich vorhandene Beweismittel (wahrheitsgemäß) vorzulegen. Gerade in der Vorsorgepflicht unterscheiden sich § 90 Abs. I und § 90 Abs. 2 AO; § 90 Abs. I dient seinem Zweck nach einer effizienten und schnellen Sachaufklärung, um der Finanzverwaltung die für sie umständliche Tatbestandsermittlung zu vereinfachen. § 90 Abs. 1 AO ist daher in doppeltem Sinne "sanktionslos" . Zum einen führt ein Verstoß eines Beteiligten nicht zur positiven Annahme des ihn belastenden Umstandes, auch wenn aus seinem Verhalten im Rahmen der Beweiswürdigung entsprechende Schlüsse gezogen werden können lol oder wenn die Möglichkeit der Schätzung eröffnet wird, § 162 Abs. 2 AO. Andererseits ist § 90 Abs. I AO gegenstandslos, wenn überhaupt keine Beweismittel bezüglich eines Umstandes vorliegen. Als Regelung einer Beweisführungslast käme es aber auf die Durchführbarkeit der Beweisführung überhaupt nicht an, die Entscheidung müßte unabhängig von der subjektiven und objektiven Möglichkeit der Beweis-

ders., Verwaltungsvorschriften. S. 73 f.; SeeliRer. Beweislast. Beweisverfahren. Beweisarten und Beweiswürdigung im Steuerprozeß. S. 43 ff. 99 Vgl. Wacke, Die Beweislast der Familienuntemehmen. S. 10; Tietgen, Verhandlungen des 46. DJT 1966. Bd. I, Teil 2 B, S. 31 f.; Tipke/Kruse, § 171 AO a.F. Rdn. 2; Heuer, DStZ/A 1950,273,275.

100 Soweit Tipke/Kruse,a.a.O .. auf die Erzwingbarkeit abstellten. geht die Argumentation wohl fehl. Entscheidend dürfte sein. daß auch § 171 AO a.F. den Untersuchungsgrundsatz nicht beseitigte. 101 Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 5; Zwangsmaßnahmen wegen Verstoßes gegen diese Mitwirkungspflicht sind nach h.M. wegen mangelnder Bestimmtheit der Norm unzulässig, vgl. Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO Rdn. 61 m.w.N.

\0 M. Schmidt

146

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

führung ergehen. Eine solche Konsequenz will § 90 Abs. 1 AO gerade nicht ziehen.

b) § 9a EStG

§ 9a EStG weist die Finanzverwaltung an, für Werbungskosten bestimmte Pauschbeträge abzuziehen, "wenn nicht höhere Werbungskosten nachgewiesen werden". Die Vorschrift ist trotz ihrer offenbar eindeutigen Festlegung äußerst problematisch. Nach Auffassung von Rönitz l02 "ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber in § 9a Satz 1 EStG unabsichtlich eine systemwidrige Beweisführungslast statuiert hat und daß diese Regelung im Wege einer teleologisch begründeten Korrektur des Gesetzes sinn- und zweckvoll dahin zu berichtigen ist, daß der Steuerpflichtige in verstärkter Weise an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken hat". Der Versuch terminologischer Verschleierung und Gleichmacherei wird hierbei - neben der noch darzustellenden Verquerung der Beweislastproblematik - auf die Spitze getrieben. In einem äußerst knappen Rahmen werden die völlig unterschiedlichen Vorschriften des § 90 Abs. 1 AO (intensive Mitwirkungspflicht I03 ), § 90 Abs. 2 AO (erhöhte Mitwirkungspflicht l04 ) und § 9a EStG (verstärkte Mitwirkungspflicht l05 ) angeführt, ohne sie aber zueinander in Beziehung zu setzen und verbleibende Unterschiede, falls solche überhaupt noch vorhanden sind, herauszustellen. Demgegenüber wird der pauschale Hinweis vorgebracht, daß der Bundesfinanzhof "im übrigen schon seit

102

DStJG 3 (1980), 297, 302.

103

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 309.

104

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 299.

10;

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 302; § 10c Abs. 1 und Abs. 2 EStG werden nicht

behandelt, was von der Thematik der Abhandlung her verständlich ist, allerdings in der Abgrenzung zu § 9a EStG erhebliche Probleme aufwerfen dürfte, vgl. einerseits Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156 (kein Eingehen auf § 9a EStG) und

dens., in: Kirchhof/Söhn, § 10 EStG Rdn. A 110-112, 116 f.. 119 f., wo er den Begriff der Beweisflihrungslast nicht gebraucht, sondern die (Fort-)Geltung des Untersuchungsgrundsatzes und die objektive Beweislast betont (Rdn. A 110 f.); andererseits Tipke/ Lang, Steuerrecht, § 22 Rdn. 222, S. 734 mit Fn. 50, wo § 10c Abs. I, Abs. 2 EStG als Beweisflihrungslast bezeichnet werden, § 9a EStG aber nicht erwähnt ist.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

147

jeher"106 in der Weise verfahren würde, im Rahmen der die Pauschbeträge übersteigenden Werbungskosten "mit den allgemeinen Grundsätzen der Feststellungslast" zu "arbeiten".lo7 Für darauf aufbauende Kommentierungen hat dies die Folge, daß aus § 9a EStG eine "verfahrensrechtliche Beweislastregel für Werbungskosten" wird. 108 Auch Autoren, die zumindest in engen Ausnahmefällen eine Beweisflihrungslast bejahen, meiden angesichts dieser starken Standortbestimmung eine Auseinandersetzung mit dieser Vorschrift. 109 Dennoch kann diese Einordnung weder im Ergebnis noch in der Begründung überzeugen. Aus der Feststellung, daß die Verwaltungspraxis, die nach Auffassung von Rönitz llo § 9a EStG "sehr praktikabel" handhabt, wenn sie in gewissen Fällen für einen Nachweis die Glaubhaftmachung ausreichen läßt, sich aber nicht im Rahmen des möglichen Wortsinns des § 9a EStG bewege, weil es bei dem Erfordernis des Nachweises eines "gültigen Beweises, einer Bestätigung," bedürfe, eine "noch so große Wahrscheinlichkeit" aber nicht ausreiche, kann die Ablehnung einer Beweisflihrungslast nicht abgeleitet werden. Zunächst verbietet sich sicherlich ein Rückschluß aus der tatsächlichen Handhabung auf den möglichen Inhalt und Anweisungsgehalt einer Norm. Darüber hinaus vermischt diese Auffassung Probleme des gültigen Beweismaßes (der Frage des Grades der Überzeugungsbildung) mit dem Ziel der Beweiswürdigung. 111 Der Beweis der Wahrheit kann, zumindest in typischen Fallgruppen bzw. Ausnahmefällen,

106

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 302.

107

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 302.

lOH Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20: v. Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn, § 9a EStG Rdn. B 50; Blümich/Thürmer, § 9a EStG Rdn. 6; vgl. auch Woring, in: Linmann/BitziHellwig, § 9a EStG Rdn. 4: "... keine belastende Sondervorschrift, sondern allgemeine Grundsätze der Feststellungslast ... " unter Hinw. auf Rönitz, a.a.O. 109 So Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rdn. 222, S. 734 mit Fn. 50, die zwar § 10c Abs. 1, Abs. 2 EStG als Beweisfuhrungslast ansehen, aber den gleichlautenden § 9a EStG überhaupt nicht erwähnen; ebenso Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. lla; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156. 110

DStJG 3 (1980), 297,301.

111 Hierzu oben 1. Teil A. I. 3. a) aa); dabei ist darauf hinzuweisen, daß Rönitz, DStJG 3 (1980), 297,301, Fn. 14, sich auf Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 117 ff., stützt, der den Wahrheitsbegriff im Gegensatz zur h.M. rein subjektiv versteht, was konsequenterweise zu Mißverständnissen führen muß.

10'

148

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

auch dann als erbracht anzusehen sein, wenn ein subjektiv minderer Überzeugungsgrad (gewisse Wahrscheinlichkeit) verlangt wird. 112 Zuzugeben ist allerdings, daß von einigen Autoren l13 beim Nachweiserfordernis eine Erhöhung, bei Glaubhaftmachung dagegen eine Verminderung des Regelbeweismaßes angenommen wird l14 ; dem widerspräche es, die Glaubhaftmachung einzelner "Aufwendungen durch Einzelaufstellung im Rahmen des Nachweiserfordernisses ausreichen zu lassen".115 Viel eher ließe sich dagegen das Nachweiserfordernis als formbestimmte Beweisanforderung verstehen. Völlig ausgeschlossen ist ein derartiges Verständnis allerdings nicht, insbesondere wenn man aus Gründen der praktikablen Handhabung und Durchführung der Besteuerung unter Berücksichtigung des Gleichmäßigkeitsgebotes Beweismaßreduzierungen im Einzelfall für zulässig erachtet. Überzeugen kann auch nicht das Argument, daß die Aufrechterhaltung des (vom Gesetzeswortlaut vorgeschriebenen) Nachweisverlangens zu einer sachlich nicht gerechtfertigten SchlechtersteIlung des Beziehers nichtselbständiger Einkünfte gegenüber denjenigen von Gewinneinkünften führe. 116 Rönitz selbst weist darauf hin, daß letztere mit einer Überprüfung ihrer Angaben im Rahmen einer Außenprüfung rechnen müssen.1\7 Darüber hinaus wird nicht bewertet, daß die Bezieher von Gewinneinkünften in sehr viel höherem Maße zur Mitwirkung verpflichtet sind, da ihnen entgegen der nach h.M. der Behörde obliegenden Feststellungslast (objektive Beweislast) über die §§ 140 ff. AO sogar Ermittlungspflichten auferlegt werden; in diesem Zusammenhang ist auch § 158

112 So hat z.B. Prinz, in: Hemnann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rdn. 54, der sich (bei § 9a EStG Rdn. 20) ausdrücklich auf Rönitz, a.a.O., bezieht, keine Bedenken, eine über § 9a EStG hinausgehende allgemeine Nachweispflicht ftir Werbungskosten (ähnlich § 171 AO a.F.) zu befürworten und andererseits wegen der ökonomischen Bewältigung des steuerlichen Massenverfahrens eine Glaubhaftmachung ausreichen zu lassen.

113 I.d.S. Rechberger, Festschrift Baumgärtel, S. 471 ff.; Michael Huber, Beweismaß im Zivilprozeß, S. 121 ff. 114

Ausführlich hierzu oben I. Teil A. I. 3. a) bb) (2), Fn. 81.

115 So allerdings Gericke,in: Hartmann/BöttcherlNissen/Bordewin, § 9a EStG Rdn. 11, wenn er die Glaubhaftmachung als Nachweismöglichkeit ansieht. 116

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 301.

117 Diese wird gerade aus Gründen der Gleichmäßigkeit regelmäßig durchzuftihren sein; insofern findet nur ein verfahrensmäßiger Ausgleich zwischen den widerstreitenden Polen der Gleichmäßigkeit und Effizienz/Praktikabilität der Steuererhebung statt.

c. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

149

AO zu berücksichtigen, der eine gesetzliche Vermutung sachlicher Richtigkeit der ordnungsgemäßen Buchführung aufstellt, die selbst wiederum eine Aufzeichnung der Betriebsausgaben bedingt. "8 An die Stelle der Nachweispflicht tritt gegenüber § 9a EStG für die zur Buchführung verpflichteten Gewinneinkünftebezieher auch die Autbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 4, 5 AO. '19 Wegen Bedeutung und Umfang der einzelnen Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben ist eine sachlich unterschiedliche Behandlung jedenfalls zu rechtfertigen. Über eine Vorbehaltsfestsetzung nach § 164 AO wird, zumindest in komplexeren Fällen, auch praktisch eine weitgehende Gleichbehandlung erzielt, wenn das strenge Nachweiserfordemis bezüglich der Werbungskosten durch eine vereinfachte kursorische Prüfung abgemildert wird. '20 Im übrigen trifft die Nachweisverpflichtung (des § 9a Nr. 1 EStG) den zahlenmäßig weitaus geringeren Teil der Nichtselbständigen: Zunächst wäre nämlich die überwiegend für zulässig erachtete Schlechterstellung der (nichtselbständigen) Steuerpflichtigen, die überhaupt Werbungskosten über einen Betrag von 2.000 DM hinaus geltend machen (können)121, gegenüber denjenigen, denen die Pauschbeträge des § 9a Nr. 1 EStG zugutekommen, zu berücksichtigen. 122

m So auch BFH BStBl. II 1986, 488, 489: "... an die Stelle des Belegs, den der bilanzierende Kaufmann schon nach allgemeinen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zum Nachweis seiner Aufwendungen zu erstellen hat" [Hervorh. d. Yerf.]. 119 Vgl. zu Einzelheiten Lammerding, DB 1979,2452 ff.; zu Aufzeichnungspflichten von sog. 4-III-Rechnem auch Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn, § 4 EStG Rdn. D 54; SchmidtiHeinicke, § 4 EStG Rdn. 375; Offirhaus, BB 1977, 1493,1495; Niemann, StuF 1963, 197, 198.

120 Vgl. Regierungsbegründung in BT-Drs. YI/1982 zu § 145, S. 148: "... ohne besondere Prüfung ... " 121 Dies sollen nach Angaben der Bundesregierung nur ca. 25% der Nichtselbständigen sein, vgl. BT-Drs. 11/2157, S. 143. 122 Kritisch Rasenack, BB 1988, 1859, 1860 f; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 9 Rdn. 284, S. 289. Für zulässig erachtet Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 2 m.w.N., die Arbeitnehmerpauschale.

150

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Die Ablehnung einer Beweisführungslast bei § 9a EStG läßt sich ebenfalls nicht mit der Zubilligung eines Wahlrechts l23 des Steuerpflichtigen bezüglich der Anwendung der Pauschbeträge vereinbaren. 124 Die Annahme eines Wahlrechts ist allerdings problematisch, wenn man mit der wohl überwiegenden Meinung davon ausgeht, daß § 9a EStG den Untersuchungsgrundsatz nach § 88 AO nicht außer Kraft setzt. 125 Amtsennittlungsprinzip und Wahlrecht scheinen sich auszuschließen. Wenn ein Steuerpflichtiger in seiner Steuererklärung nur die Berücksichtigung der Pauschbeträge beantragt, indem er Z.B. in den amtlichen Fonnularen keine Angaben einträgt, der Sachbearbeiter des Finanzamtes aber aus den Angaben über Wohnort und Arbeitsstelle 126 die Entfernung errechnen kann (und muß, § 88 Abs. 2 AO) und aus derselben Erklärung bzw. aus einer vorhergehenden Steuerfestsetzung (-veranlagung) weiß, daß der Steuerpflichtige mit dem eigenen PKW I27 zum Arbeitsplatz fährt, stellt sich die Frage, ob bei der Steuerfestsetzung die Berücksichtigung höherer Werbungskosten als der Pauschbeträge stattfinden muß, weil bereits bei Zugrundelegung der Höchstbeträge aus § 9 Abs. I S. 3 Nr. 4 a EStG

123 Gericke, in: Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, § 9a EStG Rdn. 16; v. Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn, § 9a EStG Rdn. B 52 f.; ebenso wohl SchmidtiDrenseck, § 9a EStG Rdn. I. 124 Statt eines Wahlrechts hält Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20 a.E., nur einen "eingeschränkten steuerpolitischen Gestaltungsbereich" des Steuerpflichtigen für eröffnet. Dies ist insofern abzulehnen, als hierbei mit der mangelnden Aufklärbarkeit höherer, d.h. die Pauschbeträge übersteigender Werbungskosten durch die Finanzbehörde (§ 88 AO) spekuliertwird. Die dann verbleibende Pflicht zum Ansatz der Pauschalen ist, in diesem Falle jedenfalls, kein steuerpolitischer Gestaltungsspielraum wenn § 88 AO bestehenbliebe, ist der Steuerpflichtige zur Mitwirkung gegen seinen Willen verpflichtet, § 90 Abs. I AO. Die Mitwirkung könnte erzwungen werden, §§ 328 tf. AO. Überspitzt ließe sich daraus ableiten, daß dann jeder Verstoß gegen die (zumindest) nach § 90 Abs. I AO bestehende Pflicht, einen Sachverhalt vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen, ein beschränkter "steuerpolitischer Gestaltungsbereich" wäre. Mit gleicher Tendenz, aber vorsichtiger insofern Söhn, in: Kirchhof/Söhn, § \0 EStG Rdn. A 120. 125 Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20; v. Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn, § 9a EStG Rdn. A 77; Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 301. 126

Z.B. aus den Angaben in der Lohnsteuerkarte.

127

Gleiches gilt z.B. bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

151

der Betrag von 2.000 DM überschritten würde. 128 Nach § 88 Abs. 2 AO wäre der Finanzbeamte dazu sicherlich verpflichtet, weil auch bei Nichtmitwirkung des Steuerpflichtigen die erforderlichen Angaben ohne großen, geschweige denn unzumutbaren Aufwand zu ermitteln wären. Dies würde aber dem Zweck l29 des § 9a EStG zuwiderlaufen. Insoweit ist auch der Umfang des Untersuchungsgrundsatzes im Zusammenhang mit der gesetzlichen Pauschalierungsregel zu berücksichtigen. Da dieser von der Aufklärungsbedürftigkeit der zu ermittelnden Tatsachen abhängig ist und diese bei gesetzlich fingierten Umständen fehlt lJO , ist das Amtsermittlungsprinzip außer Kraft gesetzt, so daß eine weitere "Ermittlung definitionsgemäß ausscheidet."IJI Zwar könnte gedanklich der Untersuchungsgrundsatz "wiedereinsetzen", sofern die von § 9a EStG vorgesehenen Pauschbeträge überschritten würden, doch ließe sich eine derartige Handhabung mit der gesetzlichen Intention der Norm nicht in Einklang bringen, da bereits zu der Frage der Wiedereinsetzung der Untersuchungspflicht Ermittlungen angestellt werden müßten, die aus Praktikabilitätsgründen gerade unterbleiben sollen.\32 Demzufolge bleibt kein Raum für eine Fortgeltung des Untersuchungsgrundsatzes. Dieser lebt auch nicht deshalb wieder auf, weil die Finanzbehörde bzw. das Finanzgericht die behaupteten und vorgetragenen Nachweise (Beweise) prüfen muß, d.h. festzustellen hat, ob sie zur Überzeugungsbildung ausreichen (wahr sind). Diese Kontrolle hat nichts mit dem Untersuchungsgrundsatz zu tun. Eine teleologische Reduktion \33 muß dazu fuhren, einen Ausgleich zwischen der unbestrittenen Pflichtensteigerung IJ4 des § 9a EStG auf seiten des Steuerpflichtigen und dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 88 (Abs. 2) AO zu fin-

12X Dies wäre z.Zt. bereits bei einer Entfernung von nur 13 km zwischen Wohnung und Arbeitsstelle der Fall: 0,70 DM x 220 Arbeitstage x 13 km = 2.002 DM. 129 BFH BStBl. 111 1959, 220; SchmidtlDrenseck, § 9a EStG Rdn. L Gericke, in: Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, § 9a EStG Rdn. 10. \30

R. Wittmann, StuW 1987, 35, 38.

131 Explizit im Hinblick auf Pauschbeträge Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 22a. 132

Vgl. hierzu auch unten bei Fn. 155.

Vgl. Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20, wobei anzumerken ist, daß es keiner teleologischen Reduktion bedarf, um die Grundsätze von objektiver Beweislast und Mitwirkungspflicht für anwendbar zu halten; Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 302. 133

134

Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 302.

152

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

den. Dieser kann sinnvollerweise nur darin bestehen, daß die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen auf das wahrscheinliche Vorliegen höherer Werbungskosten konkret hinzuweisen hat; eine Festsetzung gegen dessen Willen dürfte demgegenüber ausscheiden. Daß der Kern der Problematik zur Ablehnung einer Beweisflihrungslast nicht getroffen wird, zeigt die mißverständliche Formulierung, daß § 9a S. 1 EStG im Ergebnis "entgegen seinem Wortlaut nicht zu einer Verschärfung von Nachweispflichten für den Steuerpflichtigen im Werbungskostenbereich" führe. 135 Bezüglich der Werbungskosten hat der Steuerpflichtige nämlich über den allgemeinen Bereich der Mitwirkung von § 90 Abs. I AO hinaus überhaupt keine Nachweispflichten. § 9a EStG verschärft keine Nachweispflicht, sondern begründet eine solche. Fiele auch diese Begründung einer Nachweispflicht weg, so wäre § 9a EStG bezüglich der objektiven Beweislast beinahe bedeutungslos, nämlich nur eine Beschreibung einer Rechtslage, die der Gesetzgeber grundsätzlich außer acht gelassen hat. 136 Die teleologische Korrektur versucht demnach, § 9a EStG als einen solchen Fall darzustellen, in dem der Gesetzgeber in Ab-

135 So Prinz, in: Hemnann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20 [Hervorh. d. Verf.]. Die Konstruktion einer allgemeinen Nachweispflicht muß allerdings abgelehnt werden; a.A. Prinz, a.a.O., § 9 EStG Rdn. 54, hierzu sogleich bei Fn. 149. Unklar auch Schmidtl Heinicke, § 4 EStG Rdn. 550. wo er in § 4 Abs. 5 Nr. 2 S. 2 EStG einen "allgemeinen Nachweisgrundsatz für Betriebsausgaben" wiederholt sieht, bei Rdn. 374 aber eine "allgemeine Aufzeichnungspflicht" für Betriebsausgaben dem Gesetz nicht zu entnehmen vermag. Die Betonung der Mitwirkungspflicht aus § 90 Abs. 1 AO (Rdn. 375) im Zusammenhang mit der Feststellungslast (Rdn. 31) macht m.E. deutlich. daß aus beidem eine "Beweisführungslast auf Abruf' konstruiert werden soll. Ebenso unzutreffend Schnepper, DB 1981. 287. der aus der objektiven Beweislast eine Verpflichtung zur Aufzeichnung und Aufbewahrung ableiten möchte; er übersieht dabei, daß ohne gesetzliche Legitimation der Bereich einer Last verlassen wird und dies weit über die nach § 90 Abs. 1 AO bestehende Mitwirkungspflicht hinausreicht. Zu § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG vgl. unten C. 11. 4. f). Ausdrücklich gegen eine "generelle Pflicht, ... Betriebsausgaben aufzuzeichnen", Weber-Grellet, in: Kirchhof/Söhn, § 4 EStG Rdn. D 51 f.; diese ergebe sich auch nicht aus § 90 Abs. 1 AO (a.a.O., Rdn. D 55), liege wegen der Feststellungslast des Steuerpflichtigen aber in dessen Interesse: Damit sind aber nur die Vorwirkungen der objektiven Beweislast beschrieben. 136 BFH BStBI. " 1971.220.224; Bettermann. Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, E 26, 38; Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 93 Rdn. 89; ders .. StuW 1981, 322. 330; S. Martin, BB 1986, 1021, J028; Nierhaus. Beweismaß. S. 229; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 273 f.; Tipke/Kruse. § 96 FGO Rdn. 17b.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

153

weichung von der Regel eine bewußte (objektive) Beweislastregelung getroffen habe. Bedenklich ist dabei, daß er mit der Statuierung als "Nachweispflicht" eine Formulierung gewählt hat, die unbestreitbar ein subjektives Tätigwerden suggeriert, das der objektiven Beweislast grundsätzlich fremd ist. Darüber hinaus beschreibt § 9a EStG keine unklare Beweislastsituation, sondern geradezu den klassischen Grundfall der objektiven Beweislast im Steuerrecht, tUr die nach einhelliger Ansicht gerade der Steuerpflichtige die Risikozuweisung innehat. Diese Auslegung des § 9a EStG würde dem Gesetzgeber, der hier eine bewußte Beweislastregelung getroffen haben soll, völlige Unkenntnis der Beweislastgrundsätze unterstellen! 137 Was dem Steuerpflichtigen bezüglich der Werbungskosten obliegt, ist nach h.M. die objektive Beweislast, der bei Geltung des Verhandlungsgrundsatzes die BeweistUhrungslast entspringt 138, von der dagegen bei Geltung des Untersuchungsgrundsatzes nur faktische Vorwirkungen ausgehen. 139 Das durch eine fragwürdige teleologische Reduktion gewonnene Ergebnis, daß die Grundsätze der objektiven Beweislast unberührt bleiben 140, läßt deutlich erkennen, daß die objektive Beweislast mit der Beweisftihrungslast (subjektive Beweislast) vermischt wird. Durch die undurchsichtige Gemengelage von intensivierten, gesteigerten, erhöhten und verstärkten Mitwirkungspflichten wird nur die im Ergebnis gewollte Risikoüberwälzung des Nachweises von Werbungskosten auf den Steuerpflichtigen verschleiert. Die Formulierung "Verschärfung von Nachweispflichten" läßt vermuten, daß bereits die hervorgehobene Feststellungslast (objektive Beweislast) mit Nachweispflicht gleichgesetzt wird, weil nicht der Risikozuweisung als solcher, sondern dem faktischen Zwang der (gesteigerten) Vorwirkungen das wesentliche Gewicht und die überwiegende Bedeutung zugemessen wird. 141 Damit entfernt sich diese Auffassung, auch wenn sie die automatische NachteilszutUgung als Merkmal der Last betont, erheblich von ihrem Ausgangspunkt.

137 Der Ansicht, daß der Gesetzgeber diese "Kunstregeln" kennt, auch wenn er sie nicht erwähnt, ist zumindest Pestalozza, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, J95. 13M Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 23, 29: " ... fallen subjektive und objektive Beweislast notwendigerweise zusammen" [Hervorh. d. Verf.]. 139

Nierhaus, Beweismaß. S. 247; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 39.

140

Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20.

141

Vgl. hierzu auch unten D.

154

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Mitwirkungspflichten und die der objektiven Beweislast entspringenden faktischen Vorwirkungen überschneiden sich; so weit diese Überdeckung reicht, könnte die Mitwirkungspflicht bei Betonung der Wirkungen auch im Bereich des Untersuchungsgrundsatzes mit der Beweisführungslast gleichgesetzt werden. Eine generelle Gleichsetzung wird sich aber insoweit verbieten, als die Mitwirkungspflichten auch dort weiterbestehen, wo die objektive Beweislast einer anderen Partei (der Finanzbehörde) zufällt und daher die Vorwirkungen für die Gegenseite entfallen. Gäbe man daher die Unterscheidung auf, würden objektive und subjektive Beweislast auseinanderfallen, was wenig sinnvoll erscheint. Dagegen können und sollten spezielle Mitwirkungspflichten, die - wie beispielsweise diejenigen aus § 9a EStG - den Bereich der objektiven Beweislast (des Steuerpflichtigen) nicht "verlassen" können l42 , als Beweisftihrungslast aufgefaßt werden. Dies verlangt auch von der h.M., die die automatische Nachteilszuftigung als Merkmal der "Last" aufrechterhalten will, keine systematische Inkonsequenz, wenn man dies auf die Fälle beschränkt, wo das Amtsermittlungsprinzip l43 deshalb keine Rolle (mehr) spielt, weil nach der Intention der einzelnen Norm eine Verfahrens- und Ermittlungsvereinfachung bzw. -beschleunigung bezweckt wird. Dies wird besonders in Pauschalierungsanordnungen und formbestimmten Nachweispflichten deutlich gemacht. 144 Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß die bisherige Einordnung der ftir die Problematik der objektiven Beweislast im (Einkommen)Steuerrecht zentralen Vorschrift des § 9a EStG (und insoweit auch von § lOc Abs. 1 und Abs. 2 EStG) unbefriedigend ist. Die sich der Ansicht Rönitztl45 anschließende überwiegende Meinung reduziert § 9a EStG zur Bedeutungslosigkeit, auch

142 Dies unterscheidet die Mitwirkungspflicht (Nachweiserfordernis) des § 9a EStG wesentlich von den allgemeinen Mitwirkungs-(Nachweis-)pflichten des § 171 AO a.F. bzw. § 90 Abs. 1 AO. 143 Das ist insofern klarer als die Bezeichnung "Untersuchungsgrundsatz", der das Augenmerk zu stark auf die Kontrolle von bereits Vorgetragenem lenkt. 144 So z.B. § 9a, § IOc Abs. 1 und Abs. 2 EStG, § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG; insbesondere gilt dies für (formbestimmte) Pflichten, die sich im Zusammenhang mit einem Wahlrecht ergeben (ebenso antragsbedingte Nachweispflichten), vgl. § 7 Abs. 1 S. 4, § 7h Abs. 2 S. 1, § 7i Abs. 2 S. I; § 7k Abs. 2 Nr. 5, § lOg Abs. 3 S. 1 EStG. Ein Fall der Kombination gesetzlicher Vermutungen mit Nachweispflichten stellen auch § 2 Abs. 2 Nr. I und 2 AStG dar. 145

DStJG 3 (1980), 297 ff.. 301 f

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

155

wenn sie hierbei die Geltung der Grundsätze der Feststellungslast herausstellt. Dabei wird übersehen, daß sich die überwiegend für zutreffend erachtete Zuordnung der objektiven Beweislast für Werbungskosten nach dem dem Zivilrecht entlehnten Günstigkeitsprinzip und Wortlaut wie Interpretation des § 9a EStG nicht harmonisch in Einklang bringen lassen. Da nach dem Günstigkeitsprinzip der Steuerpflichtige apriori die Feststellungslast trägt, eine besondere Beweisführungslast durch das Nachweiserfordernis aber nach der zitierten Ansicht nicht begründet werden soll, wäre der der Pauschalierungsanordnung folgende Halbsatz überflüssig. Dagegen läßt sich vorbringen, daß bei der Verteilung der Beweislast im (Einkommen)Steuerrecht systematisch zuerst von den dem Gesetz selbst zu entnehmenden Zuordnungsgedanken ausgegangen werden müßte, bevor eine der zivilrechtlichen Anspruchskonstruktion entnommene Grundwertung auf das Steuerrecht übertragen wird. Seinem Wortlaut nach spricht § 9a EStG aber gegen die "klassische" Beweislastverteilung, wenn er anordnet, daß bei der Ermittlung der Einkünfte bestimmte Pauschbeträge zu berücksichtigen sind, wenn nicht der Steuerpflichtige höhere Werbungskosten nachweist. Durch die Nachweispflicht wird systematisch eindeutig eine Umkehrung der vorher angeordneten Berücksichtigungspflicht vorgenommen. Betrachtet man demnach § 9a EStG isoliert von anders gewonnenen Wertungen 146, läßt sich ihm eine Beweislastverteilung entnehmen, die von dem Grundsatz auszugehen scheint, daß der Finanzbehörde die objektive Beweislast für Werbungskosten obliegt, aus Vereinfachungsgründen aber eine generelle Pauschalierung l47 gestattet, um bei die Pauschbeträge übersteigenden Werbungskosten eine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen vorzunehmen. 148 Die Auffassungen, die § 9a EStG auf eine einfache Mitwirkungspflicht unter AufrechterhaItung der Grundsätze der Feststellungslast reduzieren, müßten sich mit diesem offensichtlichen wörtlichen Anweisungsgehalt der Vorschrift auseinandersetzen, was, soweit ersichtlich, nicht geschehen ist. Einen völlig anderen Ansatz wählt allerdings Prinz 149, der, wohl in Anlehnung an § 171 AO a.F., eine generelle Nachweispflicht für Werbungskosten als allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz dem Wortlaut des § 9a S. 1 EStG

146 Immerhin ist § 9a EStG bezüglich der Werbungskosten wohl als lex specialis anzusehen.

147

Auch mit Rücksicht auf § 88 Abs. 2 AO.

14K

Gleiches hätte flir § IOc Abs. 1 und Abs. 2 EStG zu gelten.

149

In: Hernnann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rdn. 54.

156

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

entnehmen will l50 und die Pauschalen lediglich als Einschränkung der Nachweisverptlichtung ansieht. Dies ist jedoch verfehlt und kaum nachvollziehbar. Der Wortlaut des § 9a EStG spricht m.E. dagegen: Bei Vorliegen einer generellen Nachweispflicht müßte diese systematisch der Pauschalierung vorangestellt werden. 151 Darüber hinaus steht eine solche Auslegung in Widerspruch zu § 90 Abs. 1 AO, der eine Nachweispflicht ausdrücklich nicht erwähnt, sondern im Gegensatz zu § 171 AO a.F. und in Abgrenzung zu § 90 Abs. 2 AO sich auf eine einfache Mitwirkung beschränkt. 152 Diese hier vorgenommene, von der herrschenden Beweislastlehre erheblich abweichende Interpretation von § 9a EStG (und § 10c Abs. 1 und Abs. 2 EStG) hätte hinsichtlich der Werbungskosten (und Sonderausgaben) nur bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und sonstigen Leistungen i.S.v. § 22 Nr. 2-4 EStG, da dort keine Pauschbeträge flir Werbungskosten vorgesehen sind, Bedeutung. 153 Eine widerspruchsfreie Interpretation von § 9a EStG müßte demzufolge entgegen der von Ränitz vertretenen Auffassung einen über die Geltung der "hergebrachten" Grundsätze der Feststellungslast hinausgehenden sachlichen Gehalt des Nachweiserfordernisses auffinden. Dies ist am eingängigsten mit der Annahme einer Beweisführungslast (subjektiven Beweislast) zu erklären, zumal für § 10c Abs. 1 und Abs. 2 EStG diese Auffassung vertreten wird. 154 Es ist auch kein Grund ersichtlich, angesichts der klaren Anordnung,

150

Dagegen auch Rönitz, DStJG 3 (1980), 297,302.

Die Fonnulierung hätte z.B. zu lauten: "Der Steuerpflichtige hat geltend gemachte Werbungskosten (auf Verlangen) nachzuweisen; der Nachweis soll (hat zu) unterbleiben, wenn folgende, bei der Ennittlung der Einkünfte zu berücksichtigende Pauschbeträge nicht überschritten werden ... " oder "... aus Vereinfachungsgründen sind bei der Ennittlung der Einkünfte folgende Pauschbeträge unterschreitende Werbungskosten nicht nachzuweisen ... " Seltsamerweise weist Prinz bei § 9a EStG auf dieses Verständnis des Wortlautes selbst hin (a.a.O., § 9a EStG Rdn. 20). 151

152

Deutlich Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 98 (Rdn. 95) mit Fn. 327.

Sehr viel weitreichender wäre diese Ansicht aber für Betriebsausgaben, für die das EStG keine Regelung vorsieht und für die in Konsequenz aus vorstehender Argumentation auch die Behörde die objektive Beweislast trüge; wegen der gesetzlichen Aufzeichnungspflichten i.Y.m. der Angabeverpflichtung nach § 90 Abs. I AO werden sich aber weitgehend dieselben Ergebnisse gewinnen lassen. 153

154 Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. Ila; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rdn. 222, S. 734 mit Fn. 50; a.A. Nalde, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rdn. 12 f.; ebenso wohl Söhn, in: Kirchhof/Söhn, § 10 EStG Rdn. A 11 0 ff.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

157

daß Pauschbeträge zu berücksichtigen sind, den Untersuchungsgrundsatz (§ 88 AG) über Gebühr aufrechterhalten zu müssen. 155 Tatsächlich trifft dieser auf eine begriffsimmanente Schranke, wenn die tatsächliche Aufklärungsbedürftigkeit eines Sachverhaltes durch eine gesetzlich fingierte oder vermutete Tatsache offensichtlich limitiert wird. ls6 Dies ist gerade bei Pauschbeträgen der Fall. IS7 Es ist schließlich zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber mit der Normierung des Ansatzes von Pauschbeträgen in einem relevanten Bereich einen Ausgleich zwischen den aus dem steuerlichen Massenverfahren für die festsetzende Behörde sich ergebenden Ermittlungszwängen l58 und den Grundsätzen einer gleichmäßigen und damit gerechten Steuererhebung treffen wollte. Die Pauschbeträge lS9 sollen darüber hinaus so bemessen sein, daß sie in der

ISS Eine Begründung für die Aufrechterhaltung des Amtsennittlungsgrundsatzes gibt auch Rönitz. DStJG 3 (1980). 297, 30/, nicht. Der Hinweis auf v. Wallis/List, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rdn. 40 [Stand: 1972], ist insofern nichtssagend. als er nicht in Zusammenhang mit § 9a EStG steht, sondern diese sich mit § 76 FGO auseinandersetzen; der hierdurch zu den allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. I AO und dem Verhältnis zu § 88 AO geschlagene Bogen ist für die § 9a EStG zu entnehmende Nachweispflicht unbrauchbar, insbesondere da die generelle Nachweispflicht aus § 171 AO a.F. nicht in die AO 1977 rezipiert wurde, die Nachweispflicht in § 9a EStG aber bis zuletzt trotz grundlegender struktureller Umarbeitung des Werbungskostenpauschbetrages (durch das Steuerrefonngesetz 1990) aufrechterhalten wurde. Die Verpflichtung, Pauschbeträge anzusetzen, verträgt sich daher nicht mit der weiteren Aufrechterhaltung des Untersuchungsgrundsatzes. Undeutlich ist die Aussage, daß die Bestimmung keine "belastende Sondervorschrift" sei, die "dem Steuerpflichtigen die Beweislast aufbürdet" (Woring, in: Littmann/BitziHellwig, § 9a EStG Rdn. 4). Gemeint ist hier wohl eine Beweisführungslast, was sich daraus ergibt, daß die Grundsätze der Feststellungslast aufrechterhalten bleiben sollen; als Regelung der objektiven Beweislast erlegt § 9a EStG dem Steuerpflichtigen selbstverständlich die (objektive) Beweislast auf. IS6

R. Wittmann, StuW 1987,35,37 f

lS7 Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 22a; vgl. auch oben bei Fn. 131.

15S Die Vereinfachung der Besteuerung wurde als Hauptzweckder Regelung deklariert, vgl. BT-Drs. 11/2157, S. 143; 11/2226; 11/2299, S. 2. IS9 Prinz, in: Hernnann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 3, ordnet sie als gesetzliche unwiderlegliche Vennutung ein; dies ist insofern mißverständlich, als die Pauschbeträge nur das tatsächliche Vorliegen von Werbungskosten in einer bestimmten Mindesthöhe unwiderleglich vennuten.

158

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungsptlichten

überwiegenden Zahl der Fälle die tatsächlich anfallenden Werbungskosten abdecken. 160 Gerade weil die Ennittlungspjlicht der Finanzbehörden aber "das notwendige verfahrensrechtliche Korrelat zu der unter dem Diktum des Legalitätsprinzips stehenden Rechtsanwendung" ist l61 , muß sie nicht über den von der materiellrechtIichen Nonn (§ 9a EStG) für erforderlich gehaltenen Ennittlungsaufivand hinausgehen. Demzufolge ist bei gesetzlichen Pauschalierungen nicht das Legalitätsprinzip (als "Motor" des Amtsennittlungsgrundsatzes), sondern allenfalls der Gleichmäßigkeitsgrundsatz betroffen. 162 Es läßt sich also nur schwer begründen, daß das Legalitätsprinzip die amtswegige Berücksichtigung höherer, d.h. die vorgesehenen Pauschalen übersteigender Werbungskosten erzwingt. Ein solches Verständnis würde dem gesetzgeberischen Willen zuwiderlaufen. Sowohl der § 9a EStG zugrundeliegenden Intention der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens l63 als auch der bei der objektiven Beweislast geltenden Wertung, daß es angemessen sei, daß der Steuerpflichtige ihm günstige Umstände darzutun hat, andernfalls er das Risiko der Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen im Falle eines non liquet gewärtig sein müsse, ist Genüge getan, wenn sich die Untersuchungspflicht der Finanzbehörde auf den Hinweis "reduziert", daß gegebenenfalls höhere Werbungskosten anzusetzen sind, wenn ein entsprechender Antrag gestellt und gegebenenfalls weitere bzw. konkretere Nachweise vorgelegt werden. 164 Mit einer derartigen Interpretation ließe sich auch die Einordnung der Pauschbeträge als Wahlrechte l65 vereinba-

160 Die Bundesregierung geht davon aus, daß ca. 75% der Fälle zutreffend erfaßt werden, BT-Drs. 1112157, S. 143; Finanzausschuß, BT-Drs. 11/2536, S. 50; vgl. auch Rasenack, BB 1988, 1859, 186(). 161 R. Wittmann, StuW 1987,35,43 m.w.N.; Pestalozza, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 192 f

162 Tipke/Lang, Steuerrecht, § 9 Rdn. 283 f., S. 289 f.: anders bei berufsgruppenbezogenen Pauschalierungen durch VerwaItungsvorschriften. 163

BT-Drs. 1112157, S. 143; Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 3,

21. 164 Das Gesetz sieht dies in § 89 AO ausdrücklich vor; diese Hinweisptlicht entspräche daher inhaltlich auch der im Verfahren unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes vorgesehenen richterlichen Hinweisptlicht nach § 139 ZPO. 165

v. Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn, § 9a EStG Rdn. B 52; Gericke, in: Hartmannl

BöttcherlNissen/Bordewin, § 9a EStG Rdn. 10.

c.

Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

159

ren und sie vermeidet die bedenkliche, weil pflichtwidriges Verhalten voraussetzende oder tolerierende Begründung eines "rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes" .166 Eine Nichterfüllung der Nachweisverpflichtung bezüglich der die gesetzlich vorgesehenen Pauschbeträge übersteigenden Werbungskosten nach Hinweis auf eine mögliche Berücksichtigung hätte daher automatisch deren Nichtberücksichtigung zur Folge, weshalb eine Einordnung der Nachweispflicht aus § 9a EStG als Beweisführungslast zutreffend erscheint. Dagegen spricht nicht, daß ein "Nachweis" gegebenenfalls durch Schätzung nach § 162 AO erfolgt, weil diese eine Mitwirkung des Steuerpflichtigen verlangt. 167 Voraussetzung dafür ist, daß der Steuerpflichtige der Finanzbehörde die Grundlagen, auf die eine Schätzung aufzubauen hat, nachweist, also den Beweis für die Veranlassung der Schätzung führt. Neben den genannten Gesichtspunkten ist auch kein weiterer Grund ersichtlich, aus der ausdrücklichen Anweisung des "Nachweises" eine schlichte "Anregung" zu machen. 168 Diese Anregung zur Mitwirkung geht bereits von der objektiven Beweislast als deren Vorwirkung aus, die sich auch nicht "verstärken" läßt. Wenn § 9a EStG aber eine Verfahrensvereinfachung bezweckt, ist es sinnlos, auf einem Niveau stehenzubleiben, das bereits ohne diese Vorschrift erreicht wäre - die Richtigkeit der Verteilung der objektiven Beweislast unterstellt. Da die Finanzbehörde im Regelfall keine tatsächlichen Möglichkeiten besitzt, Werbungskosten des Steuerpflichtigen nachzuvollziehen 169, begegnet es keinen Bedenken, dem Steuerpflichtigen gleich die Beweisjührungslast für die Werbungskosten aufzuerlegen. Sieht man von dem Günstigkeitsprinzip als Beweislastverteilungsregel ab, weil es die rein rechnerische Zusammensetzung

166 Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20; hierzu bereits oben Fn. 124.

167

Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156 a.E.

168 Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 30/; v. Wa/lis/List, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rdn. 40 [Stand: 1972].

169 Der obengenannte Fall stellt insofern eine Ausnahme dar, die nicht gegen die hier angesprochene Regel spricht, als die tatsächlich angefallenen höheren Werbungskosten sich hierbei aus der Festsetzung der Vorjahre ersehen ließen; außerdem blieb die Möglichkeit bestehen, daß der Steuerpflichtige als Mitfahrer zur Arbeitsstelle gelangte, also ohne eigene Aufwendungen für die Fahrt aufzubringen; diese Gestaltung kann die Finanzbehörde ohne Hinweis des Steuerpflichtigen nicht erkennen.

160

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

des (einkommen)steuerlichen Anspruchs (Einkünfte als Differenz zwischen Einnahmen und Werbungskosten) der zivilrecht lichen Anspruchskonstruktion gleichsetzt 170, müßte bereits aus Gründen der Beweisnähe (Sphärengedanke) regelmäßig dem Steuerpflichtigen eine objektive Beweislast für Werbungskosten (und Sonderausgaben) auferlegt werden. 17l Da bei der Feststellung der Werbungskosten der Untersuchungsgrundsatz faktisch bedeutungs-, weil wirkungslos ist und daher der anzustrebenden materiellen Steuerrichtigkeit als einem Rechtfertigungselement nicht zur effektiven Durchsetzung verhelfen kann, ist seine Aufrechterhaltung nur durch eine formalistische Begründung zu retten; der materiellen Steuerrichtigkeit wird dementsprechend auch bei einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast keine Bedeutung zugemessen. 172 Darüber hinaus bliebe völlig unberücksichtigt, daß die Verpflichtung zur Festsetzung der Pauschalen, auf die der Steuerpflichtige nach h.M. nicht verzichten kann 173, bereits selbst eine Einschränkung von der strengen materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzung beinhaltet. Der Ansatz der Werbungskostenpauschalen berücksichtigt der Höhe nach die in den weit überwiegenden Fällen anfallenden tatsächlichen Werbungskosten und räumt dem Steuerpflichtigen einen Rechtsanspruch auf den Ansatz dieser Beträge ein. 174 Die Verpflichtung zum Nachweis höherer Werbungskosten korreliert durchaus mit dieser Begünstigung, sie kann nicht ohne weiteres isoliert betrachtet werden. Es läßt sich also vertreten, daß das Nachweiserfordemis eine Verschärfung der regelmäßigen Anfor-

170 Kritisch u.a. auch Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 52; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 273 ff. 171 Bedenken gegen dieses wenig aussagekräftige Argument äußert auch Martens, Verwaltungsvorschriften, Rdn. 76 f. Er weist auch auf den Widerspruch einer "Verantwortung ohne eigentliche Verpflichtung" hin.

I72 Dies steht nicht in Widerspruch zur Auffassung von Nierhaus, Beweismaß, S. 177 ff., der eine Beweislastentscheidung als materiell richtige Entscheidung ansieht; auch wenn die Entscheidung in diesem Falle materiell gerechtfertigt (legitimiert) ist, findet eine richtige Steuerfestsetzung nur bei zufälliger Überdeckung mit der nach den Vorschriften des EStG geschuldeten Steuer statt. Das wäre der Fall, wenn der Steuerpflichtige unrichtige Angaben macht (z.B. Behauptungen bezüglich Werbungskosten aufstellt), also "lügt". Dann "trifft" die Nichtberücksichtigung die nach dem Einkommensteuergesetz geschuldete, richtige Steuer - durch die objektive Beweislast wird damit aber die grundsätzliche Unrichtigkeit der Angaben zum Regelfall gemacht! 173

SchmidtlDrenseck, § 9a EStG Rdn 1.

174

Gericke, in: Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, § 9a EStG Rdn. 11.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

161

derungen (allgemeine Mitwirkungspflichten) darstellt und zur Beweisführungslast als verfahrensrechtlichem Element zum Zwecke der Vereinfachung einer effizienten, praktikablen 175 Handhabung des Besteuerungsverfahrens wird.

c) § IOc Abs. I, Abs. 2 EStG Mit der Einordnung der Nachweisverpflichtung aus § 9a EStG als Beweisführungslast ist auch eine entsprechende Qualifikation der Nachweispflichten aus § IOc Abs. I und Abs. 2 EStG betreffend Sonderausgaben, soweit diese den in Abs. I vorgesehenen Pauschbetrag und die in Abs. 2 geregelte Vorsorgepauschale überschreiten, getroffen. Die Intention der Norm besteht hier ebenfalls in einer Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens für den Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung. 176 Es besteht daher kein Grund, auch § 10 Abs. I und Abs. 2 EStG auf eine (überflüssige) Regelung einer objektiven Beweislast beschränken zu müssen. 177 Die bereits oben erwähnten Widersprüche liegen auch bei der Sonderausgabenpauschalierung vor. Besonders auffallig tritt dies bei Söhn 178 zutage; denn einerseits betont er die amtswegige Berücksichtigung von Sonderausgaben unter ausdrücklicher Hervorhebung des Untersuchungsgrundsatzes und verweist auf seine Kommentierung von § 88 AO, wobei er allerdings übersieht, daß er dort zu dem Ergebnis kommt, daß bei gesetzlich vermuteten und fingierten Umständen, zu denen er explizit Pauschbeträge zählt, Ermittlungen definitionsgemäß ausscheiden. 179 Die Nachweispflichten der § IOc Abs. I und Abs. 2 EStG erachtet Tipke als Regelung der subjektiven Beweislast. 180 Soll das gesetzlich intendierte Ziel der Vereinfachungsregel erreicht und effektiv (gleichmäßig) gehandhabt werden, ist dies widerspruchsfrei nur bei einer Einordnung als Beweisführungslast möglich.

175

Hierauf legt Prinz, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 9a EStG Rdn. 20, besonderen

Wert. 176

Clausen, in: Herrmann/Heuer/Raupach, §

\OC

EStG Rdn. 4.

177

So Stephan, in: Littmann/BitziHellwig, §

\OC

EStG Anm. 3.

178

In: Kirchhof/Söhn, § \0 EStG Rdn. A 110 f.

179

Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 22a.

180

TIpke, Steuerrechtsordnung III, S. 1194 mit Fn. 23; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22

Rdn. 222, S. 734 mit Fn. 50; TIpkeiKruse, § 88 AO Rdn. 11 a; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 34. 11 M. Schmidl

162

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungsptlichten

d) § 159 AO § 159 AO verpflichtet denjenigen, der behauptet, daß er Rechte, die auf seinen Namen lauten, oder Sachen, die er besitzt, nur als Treuhänder, Vertreter eines anderen oder Pfandgläubiger innehabe oder besitze, nachzuweisen habe, wem die Rechte oder Sachen gehören; anderenfalls seien sie ihm regelmäßig zuzurechnen. Die überwiegende Meinung sieht hierin die Statuierung einer BeweisfUhrungslast. 181 Dies ist um so beachtlicher, als § 159 AO in zweierlei Hinsicht Ausnahmen von dem Prinzip macht, daß eine BeweisfUhrungslast als automatische Folge die Nichtanwendung der fraglichen Umstände und damit einen Verfahrensverlust nach sich ziehen soll. Zunächst fUhrt der Nichtnachweis nur "regelmäßig" zur Nichtanerkennung. Die sachliche Rechtfertigung dafür liegt unbestrittenermaßen in der Möglichkeit der Parteien, durch Zuordnung zum Treuhänder oder Treugeber eine steuerlich günstigere Gestaltung vornehmen zu können. Die Möglichkeit eines Entscheidungsermessens auf seiten der Behörde läßt jedoch die automatische NachteilszufUgung als Merkmal der Last im Regelfall entfallen und widerspricht demzufolge der im übrigen vertretenen Unterscheidung. Darüber hinaus besteht die Nachweispflicht nur auf Verlangen des Finanzamtes, wodurch eine weitere Abschwächung des Beweisführungserfordernisses vorgenommen wird. 182 Die Abgrenzung zum Untersuchungsgrundsatz erschwert dagegen die Einordnung als BeweisfUhrungslast nicht, da dieser durch § 159 Satz 2 AO aufgehoben ist, wenn er bestimmt, daß das Recht der Finanzbehörde, den Sachverhalt zu ermitteln, unberührt bleibt. Dies unterscheidet den

181 Tipke/Kruse, § 159 AO Rdn. I, § 88 AO Rdn. 11 a; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 88 AO Rdn. 156; Kühn/Kutter/Hofmann, § 159 AO Anm. 2 (wobei anzumerken ist, daß dem Hinweis auf § 90 Abs. I AO und die objektive Beweislast nicht zu folgen ist; die Mitwirkungspflicht besteht nach herrschender Ansicht auch für solche Umstände, für die die andere Partei die objektive Beweislast innehat); R. Wittmann,

StuW 1987,35,42; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 111 f.; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast. S. 34, 39; BFH BStBl. II 1975, 25, 26 f; ohne Stellungnahme bleiben Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rdn. 222, S. 734, und Baum, in: Koch/Scholtz, § 159 AO; als typische (objektive) Beweislastzuweisung mit entsprechender steuerlicher Risikoverteilung sieht Nierhaus, Beweismaß, S. 375, § 159 AO an. 182 Damit ist dieses Nachweisverlangen aber ausgestaltet wie das von § 171 AO a.F., bei dem die Annahme einer Beweisführungslast überwiegend abgelehnt wurde.

c.

Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

163

Ermittlungsvorgang im Falle des § 159 AO von einem Verfahren unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes. Dort darf das Gericht oder die Gegenpartei einen Beweis ohne den Willen des Beweisflihrungsbelasteten nicht in das Verfahren einbringen.

§ 159 AO enthält insofern eine Besonderheit, als er neben einer Beweisfuhrungslast des Treuhänders ein Beweisflihrungsrecht der Behörde stellt. Damit wird letztlich aus sachlichen Gesichtspunkten die Zuweisung der Beweisflihrungslast dem Ermessen der Finanzbehörde anheimgestellt. Nicht zu folgen ist dagegen der Auffassung Nierhaus: der eine "Präponderanz des Untersuchungsgrundsatzes" aus verfassungsrechtlichen Gründen feststellt '8J ; § 159 Satz 2 AO hebt den Untersuchungsgrundsatz, verstanden als Ermittlungspflicht der Behörde, eindeutig auf. Ein Nachweisverlangen bei bereits bestehender Kenntnis der Tatsachen (der Rechtszuständigkeit) durch die Finanzverwaltung wäre ermessensfehlerhaft. Auch hierbei ist der Untersuchungsgrundsatz bedeutungslos, weil bereits bekannte Fakten nicht (mehr) ermittelt werden müssen. Gelangen die Tatsachen erst nach Nachweisverlangen, aber vor erfolgtem Nachweis durch den Treuhänder zur Kenntnis der Finanzbehörde, so darf sie diese nicht übergehen, falls der Nachweis durch den Treuhänder nicht gelingt. Dies ist jedoch im Gegensatz zur Auffassung Nierhaus 'keine Frage der "Präponderanz des Untersuchungsgrundsatzes" 184, sondern unmittelbarer Ausfluß der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG). Hierbei wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Finanzbehörde auf der einen Seite "Partei", aber andererseits auch staatliches Organ ist und hoheitlich tätig wird. Die h.M. gelangt zu Recht zur Annahme einer Beweisfuhrungslast, weil der Untersuchungsgrundsatz durch § 159 Satz 2 AO aufgehoben ist. 185 Die Abschwächung durch das Aufstellen einer Regelvermutung trägt allein der Tatsache Rechnung, daß den Beteiligten weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten zur Hand stehen, fur sie günstige Gestaltungen durch Bestimmung der Rechtszuordnung vorzunehmen. § 159 Satz 1 HS 2 AO erlaubt insofern eine flexible Handhabung zur Sicherstellung materiell richtiger Entscheidungen in zweifelhaften Fällen. Nierhaus gelangt

IKJ

Nierhaus, Beweismaß, S. 375.

IK4

Nierhaus, Beweismaß, S. 375.

IK5 Insoweit spricht vieles dafür, mit Pesta/ozza, in: Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 196, die Ermittlungspflicht als generelle Beweisführungslast der Verwaltung anzusehen; dies hätte jedoch weitreichende Auswirkungen tUr die herrschenden Beweislastlehren.

11'

164

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungsptlichten

daher auch nicht zu einer anderen Sachentscheidung als bei Annahme einer Beweisflihrungslast. 186

e) § 160 AO Eine "Benennungspflicht" hinsichtlich des Empfängers von Betriebsausgaben, Werbungskosten und anderen Ausgaben l87 legt § 160 AO dem Steuerpflichtigen auf. Sollte dieser einem Nachweisverlangen l88 nicht nachkommen, tritt regelmäßig die Folge der Nichtanerkennung ein. Auch § 160 AO wird hinsichtlich der Einordnung als Regelung einer Beweisflihrungslast uneinheitlich beurteilt, was mit zwei problematischen Bereichen zusammenhängt. Einerseits räumt die Vorschrift wie auch § 159 AO der Behörde (und über § 76 Abs. 1 S. 4 FGO dem Gericht) ein Entschließungs- und Entscheidungsermessen ein. Die Benennungspflicht besteht zunächst nur "bei Verlangen" der Finanzbehörde l89 ; noch weitreichender ist die Anordnung, daß die Rechtsfolge der Nichtanerkennung nur im Regelfall eintreten soll. Dies stellt wie bei § 159 AO die Begründung einer Beweisflihrungslast vor Probleme, wenn diese nur dann vorliegen soll, wenn die Nichtanerkennung der fraglichen Umstände automatische Folge des Nichtnachweises ist. 190 Immerhin kann diese Ansicht

186 Dies ist von vornherein selbstverständlich, wenn man ein Auseinanderfallen von subjektiver und objektiver Beweislast für ausgeschlossen hält. IM7

Schulden und andere Lasten.

IBM

Streitig, aber hier ohne Belang ist die Frage, ob dieses Verlangen einen Verwal-

tungsakt darstellt (so TipkelKruse, § 160 AO Rdn. 7; Kühn/Kutter/Hofmann, § 160 AO Anm. 11; SchwarzlFrotscher, § 160 AO Rdn. 17,22; FG Düsseldorf EFG 1978, 108; FG Hamburg EFG 1979, 66; FG München EFG 1984, 433. 434) oder "nur" eine mit der Steuerfestsetzung durch Einspruch anzugreifende vorbereitende Handlung (so SchwarzlDumke, § 90 AO Rdn. 17; Baum, in: Koch/Scholtz. § 160 AO Rdn. 14; Jüptner, FR 1985, 12, Fn. 2; Günther, OB 1989, 1373. 1374; wohl auch Bublitz, BB 1987, 167, 169 mit Fn. 19a; Hessisches FG EFG 1984, 4 f.; BFH BStBI. II 1986, 537. 538; II 1987,481,482; II 1988,927). 189

Hierzu ausführlich TipkelKruse, § 160 AO Rdn. 8 ff.

190

Dieses Argument tritt aber auch bei TipkelKruse, § 160 AO Rdn. 7, in den Hinter-

grund, wenn diese ausführen, daß die "Verweigerung oder Nichterfüllung unmittelbar die Rechtsfolge der Nichtberücksichtigung der Last oder Ausgabe auslöst".

C. Die Einordnung der Mitwirkungsptlichten

165

insoweit aufrechterhalten werden, als eine Durchbrechung der unmittelbaren Nichtanerkennung als Werbungskosten, Betriebsausgaben oder ähnlichen Ausgaben bei unterlassener oder fehlerhafter Benennung allein durch den Zweck des § 160 AO, der einzig in der Vermeidung von Steuerausfällen bestehen solll91, nicht aber darin, dem Staat zusätzliche Einnahmen zu verschaffen 192, gerechtfertigt ist. Auf der anderen Seite setzt § 160 AO voraus, daß überhaupt Werbungskosten oder Betriebsausgaben vorliegen, insofern also gar keine Non-liquet-Situation mehr besteht. In der Praxis kann zwar bei des unmittelbar miteinander verbunden sein, da das Vorliegen von Werbungskosten oder Betriebsausgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (erst) feststehen wird, wenn der Empfänger der Leistungen nachgewiesen ist, es muß aber nicht so sein. 193 Es würde sich also die Situation stellen, daß ohne non liquet eine Beweisfiihrungslast relevant sein könnte. 194 Dies ist aber nur ein Scheinproblem, denn tatsächlich wird über § 160 AO (auf Verlangen) das weitere Tatbestandsmerkmal der Empfängerbezeichnung dem Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenbegriff "angehängt", um zur Abzugsfähigkeit (im konkreten Fall) zu gelangen. Bezüglich dieses letzten Merkmals bestehen aber bis zur Überzeugung der Behörde (und des Gerichts, § 76 Abs. I S. 4 FGO) von der Person des Leistungsempfängers oder des Nichtvorliegens eines Steuerausfalls Zweifel. Im Gegensatz zur Ansicht Söhns kann sich also sehr wohl noch "die Beweislastfrage" stellen. 195 Sehr viel diffiziler ist die Frage, die sich stellt, wenn man § 160 AO nur als Regelung der objektiven Beweislast ansieht, was gelegentlich, allerdings ohne eingehende Begründung, vorgetragen wird. 196 Da § 160 AO durch die Benen-

191 Hierzu Jüptner, FR 1985, 12, 14; BFH BStBI. II 1983,654,655. 192 BFH BStBI. II 1983, 654, 655. 19) Insbesondere bei den als Paradefall des § 160 AO angesehenen Schmiergeldzahlungen ist das evident. 194 Dies begründet wohl die Zweifel Söhns, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156. 195 Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156, wobei unklar ist, wieso er die präferierte subjektive Beweisflihrungslast mit der Beweislastfrage, einem Terminus, der auf die objektive Beweislast abzielt, in Verbindung bringt. 196 Vgl. die sehr allgemeinen Hinweise bei JÜptner. FR 1985, 12 (Fn. I); Bublitz, BB 1987, 167, 168: "Der erste Blick deutet auf eine Beweislastregelung hin, ... die den

166

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

nungspflicht ein besteuerungsrelevantes Merkmal aufstellt, ohne es unmittelbar dem Betriebsausgaben- bzw. Werbungskosten begriff anzuhängen, ist eine gewisse Zäsur zwischen Gläubiger- bzw. Zahlungsempfangerbenennung und Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenbegriff nicht zu verkennen. Hat § 160 AO den Zweck, Steuerausfalle wegen Nichterfassung der Einnahmen beim Empfänger zu verhindern, handelt es sich insoweit gar nicht um den Nachweis eines steuermindernden Merkmals auf seiten des Steuerpflichtigen, sondern eines steuererhöhenden Merkmals, für das regelmäßig die Finanzbehörde die objektive Beweislast trägt. Die Nichtberücksichtigung der Ausgaben des Steuerpflichtigen ist nämlich nur eine durch das Korrespondenzverhältnis l97 von Ausgaben auf der einen und Einnahmen auf der anderen Seite ermöglichten Verrechnungsgelegenheit. Bei solcher Betrachtungsweise wird deutlich, daß der Steuerpflichtige die Beweislast der Behörde aus einem anderen Besteuerungsverfahren trüge. Die Einordnung der Benennungspflicht des § 160 AO als Regelung einer Feststellungslast widerspräche der grundsätzlichen Funktion der objektiven Beweislast, die NichtfeststeIlbarkeit von Tatsachen in einem Rechtsanwendungsverfahren zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens zu überbrücken; eine solche Argumentation trüge daher nicht dem Umstand Rechnung, daß § 160 AO im Wege einer "Gefiihrdungshaftung" dem Steuerpflichtigen "eine fremde Schuld" zurechnen soll.198 Die Annahme einer Beweisfiihrungslast begegnet dagegen diesen Bedenken nicht, da mit ihrer Hilfe offen rechtspolitische Ziele und Funktionen verbunden werden können. Sie erfährt insofern keinen unsystematischen Funktionswandel, weil sie unbestreitbar eine unmittelbare Verhaltensanweisung an die Parteien beinhaltet. 199 Daß in ihrer Folge der Steuerpflichtige auch die objektive Beweislast hinsichtlich der FeststeIlbarkeit

Finanzbehörden das Besteuerungsverfahren - unter Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes - erleichtert." ... "folgt, daß § 160 AO nicht lediglich den Charakter einer Beweislastregel, sondern materiell-rechtliche, insbesondere ertragsteuerliche Bedeutung hat"; Günther, OB 1989, 1373, 1374, der auf die Feststellungslastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen bei Tatsachen aus seiner "Verantwortungssphäre" hinweist (und insoweit fehlerhaft auf ein Urteil des BFH [BStBI. 11 1969, 550, 553] Bezug nimmt, der zu einer nachteiligen Beweiswürdigung wegen Mitwirkungspflichtverletzung gelangt). Ablehnend hinsichtlich einer Einordnung als Regelung der objektiven Beweislast H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 124 f. 197

Kruse, Steuerrecht I, § 17 11 3, S. 328.

19S

Vgl. TipkeiKruse, § 160 AO Rdn. 7.

199

Vgl. hierzu auch unten O.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

167

des Zahlungsempfangers trägt, ist "nur" eine logische Folge der Auferlegung der subjektiven Beweislast. Auch die Aussetzung des Untersuchungsgrundsatzes bei der Erforschung des Leistungsempfängers spricht für eine Einordnung als Beweisführungslast. Wenn die Behörde nach dem Empfanger nicht forschen muß 200 , können die Bedenken, die die h.M. hinsichtlich einer Beweisführungslast in Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes haeo " nicht durchschlagen. Die Benennungspflicht von Gläubigem und Zahlungsemptangem ist daher als BeweisfUhrungslast einzuordnen. 202

200

Tipke/Kruse, § 160 AO Rdn. 14.

201

Vgl. oben B. 11.

202 So ausdrücklich Weber-Grellet, StuW 1981,48,58; Ruppe, in: Herrrnann/Heuer/ Raupach, Einf. EStG Rdn. 672; trotz seiner Bedenken auch Söhn, in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 88 AO Rdn. 156. Vgl. auch schon Niemann, StuF 1963. 197,198 zu § 205a AO a.F.; eine Beweisfuhrungslast werden auch all diejenigen annehmen, die bereits Mitwirkungspflichten als subjektive Beweislast einordnen, z.B. Martens. Verwaltungsvorschriften, S. 73, 77; ders., StuW 1981, 322, 329. 330 f; S. Martin, BB 1986, 1021, 1028; ohne Stellungnahme: Tipke/Kruse, § 160 AO, § 88 AO Rdn. lIa; Kühn/Kutter/ Hofmann, § 160 AO; Baum, in: Koch/Scholtz, § 160 AO; unklar Kruse, Steuerrecht I, § 17 11 3, S. 328: "abgeschwächte Form der Beweislast" (aus dem Zusammenhang kann allerdings geschlossen werden. daß wohl Beweisführungslast gemeint ist). A.A. H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 113, 116, 118, der aufgrund einer einheitlichen Betrachtung § 160 AO nicht als "subjektive Beweislastregel für das \brliegen von Betriebsausgaben" ansieht. Dies ist insofern richtig, als das Vorliegen dieser Ausgaben zunächst feststehen muß und hierbei der Untersuchungsgrundsatz gelten kann (bei Werbungskosten läßt sich wegen § 9a EStG die Auffassung Meyers so allerdings nicht aufrechterhalten). Um die Anerkennung als Betriebsausgaben geht es bei § 160 AO aber auch nicht (mehr), sondern um deren Abzugsfähigkeit, die erst dann gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige den (richtigen) Empfänger benennt. Daß danach der Untersuchungsgrundsatz wieder auflebt, ist zumindest zweifelhaft; in diesem Fall muß der Empfänger nicht mehr ermittelt, sondern allenfalls die Wahrheit der Angaben überprüft werden (so bezeichnet z.B. Schönke/Kuchinke. Zivilprozeßrecht, S. 259, eindeutig die Benennung der zum Nachweis der Behauptung erforderlichen Beweismittel als formelle Beweislast). Ermittlung würde demgegenüber bedeuten. daß die Finanzbehörde bei Falschbenennung den richtigen Empfänger festzustellen hätte; gerade dies ist von § 160 AO nicht gewollt.

168

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

t) § 4 Abs. 5 Nr. 2, Abs. 7 EStG Eine besonders detaillierte Nachweispflicht enthält § 4 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 7 EStG hinsichtlich Betriebsausgaben für Bewirtungsaufwendungen. Es handelt sich hierbei um eine formbestimmte Nachweis- und Aufzeichnungspflicht; neben den Angaben von Ort, Tag, Teilnehmer und Anlaß der Bewirtung sowie Höhe der Aufwendungen ist bei Bewirtungen in einer Gaststätte nach R 21 Abs.7 S. 13 EStR 1993 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 2 S. 3 HS 2 EStG die maschinell erstellte und registrierte Rechnung beizujügen. 203 Genügt der vom Steuerpflichtigen zu erbringende Nachweis diesen (strengen) Anforderungen nicht, sind die geltend gemachten Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Dies gilt sogar dann, wenn "der Steuerpflichtige ihre Höhe und betriebliche Veranlassung nachweist oder glaubhaft macht".204 Damit ist die Nichtanerkennung die notwendige automatische Folge der Nichterfüllung der Nachweispflicht durch den Steuerpflichtigen. Das Amtsermittlungsprinzip (§ 88 [Abs. 2] AO) ist vom Gesetz selbst ausgesetzt. 20S Die überWiegende Meinung sieht daher zu Recht in § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG die Statuierung einer Beweisführungslast. 206 Im Gegensatz zu den nicht formbestimmten Nachweispflichten (§§ 9a, 10c Abs. 1, Abs. 2 EStG) "verändern" formbestimmte Nachweispflichten allerdings "den Ermittlungsgegenstand".207 Durch das Formerfordernis wird regelmäßig der materiellrechtliche Anwendungsbereich einer Norm ver-

203 Diese Regelung gilt ab 01.01.1995; vgl. auch BMF vom 21.11.1994, BStBI. I 1994, 855. Die Angaben von Ort und Tag erübrigen sich bei Beifügung jener Gaststättenrechnung, da sie darauf enthalten sein müssen. 204 R 21 Abs. 7 S. 8 EStR 1993 unter Hinw. auf BFH BStBl. 11 1986, 488; vgl. auch BT-Drs. 7/2180, S. 16: Glaubhaftmachung reicht nicht aus; BFH BStBl. 11 1988, 655, 657: "Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dürfen die Bewirtungskosten nicht abgezogen werden."

20S Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 11a. 206

Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 11 a; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rdn. 222, S. 734

mit Fn. 50; Tipke, Steuerrechtsordnung 111, S. 1194 mit Fn. 23; Söhn, in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 156; Weber-Grellet, StuW 1981,48,57 f; Kruse, Steuerrecht I, § 17 11 3, S. 327; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 34; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 282; vgl. auch den Wortlaut in R 21 Abs. 5 S. 1: "Der Nachweis ... ist ... zu führen"; ebenso BFH BStBI. 11 1986, 488, 489: "der vom Steuerpflichtigen zu führende Nachweis". 207

Vgl. Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 250 ff.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

169

kleinert. § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG verlangt in diesem Sinne ein weiteres Tatbestandsmerkmal, nämlich das des maschinell erstellten und registrierten Rechnungsnachweises. Es handelt sich daher nicht nur um eine verfahrensmäßige Regelung, sondern um eine materiellrechtliche Tatbestandsvoraussetzung. 208 Die Pflicht aus § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG hat im Gegensatz zu allgemeinen Nachweispflichten demzufolge nicht nur mittelbare, sondern unmittelbare Auswirkungen auf das materielle Recht. Allerdings vertritt Berg die These, daß es nicht so sei, "daß mittels gesetzlicher Nachweispflichten partiell die Verhandlungsmaxime vorgeschrieben würde, daß die Behörde also rechtlich gehindert wäre, von sich aus Tatsachen in das Verfahren einzuführen. Vielmehr hat der Gesetzgeber allein den Gegenstand der Ermittlungen verändert, ohne auch nur in einem Punkt auf die Untersuchungsmaxime zu verzichten; allerdings bleibt zuweilen kaum noch etwas zu ermitteln übrig".209 Er wendet sich damit ausdrücklich gegen eine Beweisführungslase lO , wobei er die Wirkung einer solchen Nachweispflicht aber gerade mit der Folge belegt, daß ihre "Nicht-Leistung also automatisch zu einem negativen Abschluß des (gesamten) Verfahrens" führe. 211 Überträgt man diese Argumentation auf § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG, müßte ein - wenn auch geringer Gegenstand des Untersuchungsgrundsatzes festgestellt werden können. Bei einer solch strengen formbestimmten Pflicht wie dem Nachweis von Bewirtungsaufwendungen wäre dies die maschinell erstellte Rechnung selbst, da andere Nachweisformen nicht zulässig sind. 212 Der Finanzbehörde aber eine Amtsermittlungspflicht hinsichtlich dieser Rechnung auferlegen zu wollen, wäre ab-

20K Blümich/Wacker, § 4 EStG Rdn. 269; Bordewin, in: HartmannlNissenlBöttcher/ Bordewin, §§ 4-5 EStG Rdn. 217/27; Wolff-Diepenbrock, in: LittmannlBitzlHellwig, §§ 4,5 EStG Rdn. 1689 und SchmidtlHeinicke, § 4 EStG Rdn. 554 treffen in Übereinstimmung mit dem BFH BStBI. II 1986,488,489; II 1990,903; II 1991, 174, 175, eine Festlegung insoweit, als sie das Nachweiserfordernis als materielle Tatbestandsvoraussetzung ansehen. Zu einer Einordnung als Beweisflihrungslast beziehen sie nicht ausdrücklich Stellung. Bei einer materiellen Tatbestandsvoraussetzung wird die Rechtsentstehung aber nicht an das Vorliegen der Tatsachen, sondern deren Beweisbarkeit geknüpft, vgl. oben 1. Teil A. 11.; zur Vollständigkeitstheorie unten 3. Teil B. I. 209

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 251.

210

Vgl. Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 251 in Fn. 19.

211

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 250 [Hervorh. d. Verf.].

212

S. oben bei Fn. 203 f.

170

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

surd. 213 Der Untersuchungsgrundsatz wird durch die Nachweispflicht des § 4 Abs. 5 Nr. 2 und Abs. 7 S. 2 EStG beseitigt. Damit ist der Weg zu einer Beweisflihrungslast aber eröffnet. 214 Abzulehnen ist auch die Auffassung Wolff-Diepenbrocks 215 , der scheinbar § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG als Regelung einer objektiven Beweislast des Steuerpflichtigen verstehen will. 216 Er zieht sich in der Folge allerdings auf die Feststellung zurück, daß der Nachweis durch Aufzeichnung materielle Tatbestandsvoraussetzung sei. Ungenau ist es weiterhin, wenn er behauptet, daß "sich der Nachweis der betrieblichen Veranlassung nicht auf die Einhaltung der Formerfordernisse" beschränke. Ihr Einhaltung schließe es "weder aus, daß es sich im Einzelfall um Lebenshaltungskosten handelt, noch daß die Verwaltung oder das Gericht in Zweifelsfällen die betriebliche Veranlassung" prüfe.

213 Das Ergebnis wäre, daß ein Steuerpflichtiger, der die unsubstantiierte Behauptung aufstellt, er habe im Gasthof "Zum Bären" 200,- DM für die Bewirtung von (bestimmten, näher bezeichneten) Geschäftsfreunden anläßlich eines Geschäftsessens ausgegeben, das Finanzamt veranlassen könnte, dort Nachforschungen anzustellen und sich vom Wirt, falls er den Vorgang nachvollziehen kann, eine entsprechende Rechnung erstellen zu lassen. Eine Versagung dieser Anstrengung wegen Unzumutbarkeit dürfte ausscheiden, da es sich beim Wirt (und den betreffenden Geschäftsfreunden) um Betroffene handelt, die einfach und damit zumutbar zu einer Stellungnahme herangezogen werden könnten. Eine solche Verfahrensweise zur Erlangung der Rechnung wäre allerdings nicht im Sinne des Gesetzes. Die (zeitnahe, vgl. R 22 Abs. 1 S. 3 EStR 1993) Aufzeichnung der Aufwendungen nach § 4 Abs. 7 EStG müßte darüber hinaus sichergestellt sein. 214 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 252, kommt im Ergebnis zur gleichen Folge, wenn er ausführt: "Die behördliche Ermittlungstätigkeit wird auf einen eng begrenzten Gegenstand angesetzt. Dieser Gegenstand ist das Verhalten, die 'Darstellung' des Bürgers im Verwaltungsverfahren. Das Risiko der Unaufklärbarkeit wird damit dem einzelnen überbürdet, jedoch nicht deshalb, weil die Behörde vom Untersuchungsgrundsatz abweichen durfte, sondern allein wegen der gesetzlichen Einschränkung des Ermittlungsgegenstandes. Das Verhalten des Bürgers im Verfahren erlangt den gleichen Stellenwert wie eine Verfügung über den Gegenstand des Verfahrens im Rahmen des Dispositionsgrundsatzes. " 215

In: Littmann/BitziHellwig, §§ 4,5 EStG Rdn. 1689.

216 Jedenfalls leitet er (a.a.O.) seine Ausführungen mit Hinweis auf die Feststellungslast des Steuerpflichtigen hinsichtlich Höhe und betrieblicher Veranlassung einer Aufwendung ein.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

171

Zunächst setzt die Anerkennung der Bewirtungskosten voraus, daß es sich nicht um Kosten der privaten Lebensführung i.S.v. § 12 Abs. 1 EStG handelt 217 ; dies ist keine Besonderheit der Nachweispflicht aus § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG, sondern allgemeines Merkmal des Betriebsausgabenbegriffs. Das Formerfordemis (der maschinellen und registrierten Rechnungserstellung) sagt darüber hinaus inhaltlich nichts zur betrieblichen Veranlassung aus; das kann allenfalls die "nur" schriftlich festzuhaltende Angabe des Bewirtungsanlasses. Gerade dieser soll vom Finanzamt aber nicht ermittelt, sondern allenfalls überprüft werden. Dann ist die Prüfung der betrieblichen Veranlassung aber nur eine Frage der Überzeugungsgewinnung und nicht der Sachverhaltsermittlung; anderenfalls müßte die Finanzbehörde, falls sie Zweifel an der betrieblichen Veranlassung des Bewirtungsanlasses hat, weitere (zumutbare) Ermittlungen anstellen. Es ist daher nicht der Auffassung zuzustimmen, daß für die Feststellung der betrieblichen Veranlassung die allgemeinen Grundsätze (der Feststellungslast) gelten sollen. 218 Sonst wäre nämlich das Erfordernis eines schriftlichen Nachweises insbesondere von Anlaß und Teilnehmern obsolet, da der Steuerpflichtige diese Angaben (in einer schriftlichen Steuererklärung) ohnehin vollständig und wahrheitsgemäß zu machen hätte, § 90 Abs. 1 AO; der Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG würde kaum Genüge getan, wenn sie allein die Funktion hätte, den "Betriebsausgabenabzug für Bewirtungen aus geschäftlichem Anlaß" einzuschränken. 219 Ihre Funktion, dem Mißbrauch durch Verlagerung von Kosten privater Lebensführung in die betriebliche Sphäre vorzubeugen, kann die Norm effektiv nur erfüllen, wenn der Steuerpflichtige zu aktiver Tätigkeit angehalten wird, die den Untersuchungsgrundsatz beseitigt. Da Betriebsausgaben "ein Faktor des zu ermittelnden Gewinns"22o sind (Gewinn und Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten bilden die für eine Anspruchsbejahung zu ermittelnden Einkünfte), müßte sich der Untersuchungsgrundsatz auf diese erstrecken. Die durch form bestimmten Nachweis zu belegenden Bewirtungskosten sollen aber gerade nicht ermittelt, sondern (vom Steuerpflichtigen) nachgewiesen werden.

217 Vgl. SchmidtiHeinicke, § 4 EStG Rdn. 620: Die Prüfung nach § 12 Nr. I EStG "ist vorrangig" . 21K SO aber SchmidtiHeinicke, § 4 EStG Rdn. 546; wohl ebenso Woljf-Diepenbrock, in: LittmannlBitziHellwig, §§ 4,5 EStG Rdn. 1689. 219

So allerdings SchmidtiHeinicke, § 4 EStG Rdn. 546.

220 Woljf-Diepenbrock, in: Littmann/BitziHellwig, §§ 4,5 EStG Rdn. 1650.

172

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Auch Ränit:l21 nimmt zur Frage der Begründung einer Beweisführungslast durch § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG nur ausweichend Stellung, wenn er durch die formbestimmte Nachweispflicht den Grundsatz der freien Beweiswürdigung eingeschränkt sieht, so daß "eine weitere Ermittlung des Sachverhaltes zwecklos" erscheine. Ebenso mache die (materiellrechtlich wirkende) Aufzeichnungspflicht des § 4 Abs. 7 EStG 222 weitere Ermittlungen überflüssig. Fraglich ist bereits, ob überhaupt eine Ermittlungspflicht hinsichtlich Bewirtungskosten bzw. deren formgebundenen Rechnungsausweises besteht. Dies ist eindeutig zu verneinen; gerade wenn man die Norm als Beweiswürdigungsregel ansehen will, setzt dies voraus, daß zunächst ein Beweis(mittel) vorgetragen wird. Durch § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG wird dies aber zur Aufgabe des Steuerpflichtigen und nicht der Behörde gemacht. Beweiswürdigung ist die Prüfung eines erhobenen Beweises und nicht Ermittlung der Tatsachen; sie schließt sich einer Sachverhaltsaufklärung an. Gegen eine Beweisführungslast können die Argumente Ränitz' daher nicht ins Feld geführt werden. 223 Mit der überwiegenden Meinung ist daher auch bei § 4 Abs. 5 Nr. 2 und Abs. 7 S. 2 EStG die Begründung einer Beweisfuhrungslast (subjektive Beweislast) anzunehmen.

g) §§ 7d Abs. 2 Nr. 2, 7h Abs. 2, 7i Abs. 2, 7k Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 EStG Im Gegensatz zu § 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG handelt es sich bei den Nachweispflichten aus §§ 7d Abs. 2 Nr. 2, 7h Abs. 2, 7i Abs. 2, 7k Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 EStG um solche, bei denen der Nachweis nicht durch ein (auch) vom Steuerpflichtigen selbst anzufertigendes Beweismittel, sondern durch eine behördliche Bescheinigung zu fuhren ist. Die Vorschriften verfolgen Lenkungszwecke und begünstigen den Steuerpflichtigen durch höhere AfA-Beträge bei Wirtschaftsgütern, die dem Umweltschutz dienen, Gebäuden in Sanierungsgebieten bzw. städtebaulichen Entwicklungsbereichen, Baudenkmalen und Wohnungen mit Sozialbindung. Die Nachweispflichten sind deshalb besonders hervorzuheben, weil sie sich in mehrfacher Hinsicht von den bisher untersuchten Pflichten unterscheiden.

221

DStJG 3 (1980), 297, 300.

222

\brmals Abs. 6.

223

DStJG 3 (1980), 297, 300.

C. Die Einordnung der Mitwirkungsptlichten

173

Sie dienen dazu, dem Steuerpflichtigen Anreize fur geförderte Maßnahmen zu geben; der Steuerpflichtige muß die erhöhte Abschreibung nicht in Anspruch nehmen, sondern kann ihre Anwendung "wählen". Aus diesem Grunde gibt es nicht eine "richtige" Steuer, sondern die Alternative zwischen dem normalen und dem durch die begünstigten Abschreibungssätze errechneten Steuerbetrag. Die Ablehnung einer Begünstigung fuhrt demzufolge nicht zu einer unrichtigen (dem Legalitätsprinzip widersprechenden) Steuerfestsetzung, sondern nur zur Festsetzung unter Berücksichtigung der "normalen" Steuer. Der Untersuchungsgrundsatz als Ausfluß des Legalitätsprinzips ist nicht erforderlich, weil das Steuergesetz dem Steuerpflichtigen die Nachweislast für das Vorliegen der Begünstigung auferlegt. Das Legalitätsprinzip erschöpft sich darin, daß dem Steuerpflichtigen bei Nachweis der begünstigenden Voraussetzungen die höheren Abschreibungssätze zugebilligt werden. 224 Ermitteln muß die Finanzbehörde diese Voraussetzungen nicht, sie darf es nicht einmal. 225 Bei Wahlrechten ist dem Steuerpflichtigen offensichtlich die Dispositionsbefugnis bezüglich einer bestimmten steuerlichen Behandlung eingeräumt; das Wahlrecht wird entweder durch Antrag226 oder handelsbilanziellen Ansatz ausgeübt, §§ 254, 279 Abs. 2 HGB. 227 Damit bleibt kein Raum für den Untersuchungsgrundsatz des § 88 AO. Zu Mißverständnissen kann die Feststellung fuhren, daß die Bindungswirkungen der durch die zuständigen Behörden erteilten Bescheinigungen 228 nur beschränkt sei. So erstrecke sie sich Z.B. nicht auf die "Qualifikation als Wirtschaftsgut des Anlagevermögens", es verbleibe insoweit "bei der Ermittlungsund Beurteilungskompetenz seitens der Finanzverwaltung".229 Ebenso habe

224 Dieser hat al1erdings einen Rechtsanspruch auf Ertei1ung der Bescheinigung gegen die zuständige Landesbehörde, vgl. Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 124.

m Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 124; Stuhrmann, in: Hartmannl BöttcherlNissen/Bordewin, § 7i EStG Rdn. 20; Stephan, in: Littmann/BitzlHel1wig, § 7h EStG Rdn. 6 f.; SchmidtiDrenseck, § 7d EStG Rdn. 9; R 83a Abs. 4 S. 2; R 83b Abs. 2 S. 2 EStR 1993. 226

Ge1tendmachung in der Steuererklärung, auch bei Vorauszahlung.

227

Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 121.

m Diese sind wiederum materielle Tatbestandsvoraussetzungen, vgl. Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 124. 129

Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 124.

174

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

diese weiterhin zu prüfen, ob die vorgelegte Bescheinigung von der zuständigen Behörde ausgestellt wurde und wer die geltend gemachten Aufwendungen getragen habe. 230 Allerdings handelt es sich hierbei nicht um Ermittlungspflichten der Behörde, sondern nur um die Vornahme einer rechtlichen Würdigung ("Feststellung" der sachlich und örtlich zuständigen Behörde; Qualifikation als Wirtschaftsgut des Anlagevermögens), bei der keine Tatsachen ermittelt werden müssen 23 I, da der Sachverhalt vom Antragsteller vorgetragen wird. Die rechtliche Schlußfolgerung aus vorgetragenen Beweisen muß auch in einem Verfahren unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes vom Rechtsanwender/Richter vorgenommen werden. Die Feststellung und Prüfung der Herstellungskosten bei §§ 7h und 7i EStG und die Frage, ob der Steuerpflichtige diese getragen habe, ist keine Besonderheit der Feststellung erhöhter Absetzungen nach diesen Normen, sondern muß in gleicher Weise wie bei der "normalen" Absetzung nach § 7 Abs. 4 bzw. Abs. 5 EStG erfolgen und ist mit dieser identisch. Problematisch kann dagegen sein, wieviel der Kosten auf die geförderten Maßnahmen fallen; an die diesbezüglichen Feststellungen der bescheinigenden Behörde sind die Finanzbehörden allerdings gebunden. 232 Soweit also hier der Untersuchungsgrundsatz aufrechterhalten werden soll, kann dies keine Auswirkungen auf die Qualifikation der Nachweispflichten der §§ 7h, 7i EStG haben. Wie die anderen behandelten Vorschriften führen auch die erhöhten Absetzungen nach §§ 7d Abs. 2 Nr. 2, 7h Abs. 2, 7i Abs. 2, 7k Abs. 2 Nr. 5 i. V .m. Abs. 3 EStG zu einer Begünstigung des Steuerpflichtigen. Es erscheint fast unvermeidlich, daß nicht auch darauf hingewiesen wird, daß der Steuerpflichtige die objektive Beweislast (Feststellungslast) für "sämtliche Voraussetzungen des § 7d" innehat. 233 Dieser Aussage kann nur unter Vorbehalt zugestimmt werden. Die im Ergebnis stattfindende Risikozuweisung auf den Steuerpflichtigen ist nämlich zunächst die Folge der subjektiven Beweislast für

230 Stuhrmann, in: Hartmann/BöttcherlNissen/Bordewin, § 7i EStG Rdn. 21; Stephan, in: LittmannlBitzJHellwig, § 7h EStG Rdn. 7; vgl. auch R 83a Abs. 5 Nr. 1; R 83b Abs. 3 Nr. 1 EStR 1993. 231 Insoweit unklar die Formulierung Lambrechts, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 124. 232

Vgl. R 83a Abs. 4 S. 1 Nr. 3; R 83b Abs. 2 S. 1 Nr. 4 EStR 1993.

233 Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 125. Für die anderen \brschriften muß konsequenterweise Gleiches gelten; vgl. auch die Nachweisptlicht hinsichtlich der Bescheinigung der Kapitalsammelstellen nach § 7a Abs. 2 Nr. 3 FörderGG.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

175

die Voraussetzungen, die durch die Bescheinigung nachzuweisen sind; soweit darüber hinaus Feststellungen zu treffen sind, müssen diese auch gesondert untersucht werden. Für bilanzierende Steuerpflichtige ergibt sich eine weitere "Nachweis(barmachungs)pflicht" flirdie Herstellungskosten bzw. Anschaffungskosten aus der Verpflichtung zur Wahrung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchflihrung i.V.m. § 147 AO und der Richtigkeitsvennutung des § 158 AO. 234 Schwerlich läßt sich dagegen die Auffassung vertreten, der Steuerpflichtige habe auch die objektive Beweislast fur die sachliche und örtliche Zuständigkeit der bescheinigenden Behörde inne; ein non liquet ist diesbezüglich undenkbar. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß das Gesetz in den genannten Fällen den Steuerpflichtigen anweist, den Nachweis durch eine Bescheinigung der zuständigen Behörde zu erbringen, obwohl es sich um rechtlich klar umrissene Tatsachenfeststellungen handelt (z.8. städtebaulicher Entwicklungsbereich und Sanierungsgebiet, Baudenkmal, Wirtschaftsgüter zur Verhinderung von Verunreinigungen von Gewässern oder Luft etc.), die von den Finanzbehörden ohne großen Aufwand im Wege des Auskunftsersuchens (§§ 93 ff., 105 AO) oder der Amtshilfe (§§ lIl ff. AO) durch die Fachbehörden "ennittelt" werden könnten. 235 Daran zeigt sich, daß gerade bei fonnbestimmten Nachweispflichten, die eine Bescheinigung einer anderen Behörde zum Gegenstand haben, das Gesetz eine strenge Beweisfuhrungslast (subjektive Beweislast) aufstellt, deren Nichterflillung zur Versagung der in den Fällen der §§ 7d Abs. 2 Nr. 2, 7h Abs. 2, 7i Abs. 2, 7k Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 EStG beantragten Vergünstigungen fuhren muß. Ob die Ausflihrungen Nierhaus' zu den materiellrechtlichen Nachweispflichten diese Problematik vollständig miterfassen, erscheint fraglich. 236 Es läßt sich nur schwer behaupten, daß es zu einer "Verschiebung" des Ennittlungsgegenstandes kommt, da die Finanzbehörden den (fonngerechten) Nachweis nicht "zu ennitteln" haben. Schließlich bleiben aber auch die niedergelegten sachlichen Feststellungen von Bedeutung, wie das "Remonstrationsrecht" des Finanzamtes237 zeigt.

234

S. oben C. 11. 4. b) bei Fn. 118.

235 Zur Bedeutung der Amtshilfe bei der Sachverhaltsermittlung vgl. Tipke/Kruse, § 111 AO Rdn. I. 236

Nierhaus, Beweismaß, S. 159.

237 Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn, § 7d EStG Rdn. A 124 a.E.; Stuhrmann, in: Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, § 7i EStG Rdn. 20 a.E.; R 83a Abs. 4 S. 4 EStR 1993.

176

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

5. Zusammenfassung und Ergebnisse Die Untersuchung ausgewählter steuerlicher Mitwirkungspflichten hat gezeigt, daß es nicht möglich ist, diese einheitlich zu beurteilen oder hinsichtlich ihrer Beurteilung für die Beweislast zusammenzufassen. Bei Aufrechterhaltung der dem Zivilprozeß entlehnten Prämisse, daß eine Beweisführungslast nur dann vorliegt, wenn die Untätigkeit einer Partei bzw. eines Beteiligten automatisch zum Verfahrensverlust führen muß, kann keinesfalls eine Qualifikation von Mitwirkungspflichten als generelle subjektive Beweislast (Beweisführungslast) vorgenommen werden. So hat sich gezeigt, daß die inhaltlich weitreichende Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO, die den Steuerpflichtigen zur Sachverhaltsermittlung durch Beweismittelvorsorge und -beschaffung unmittelbar verpflichtet, (nur) deshalb keine Beweisführungslast darstellt, weil eine anderweitige Kenntniserlangung durch die Finanzbehörde dennoch berücksichtigt werden muß. Das ergibt sich aus der Funktion der Vorschrift, die aus tatsächlichen Gründen (Territorialitätshoheit) bestehenden Ennittlungshindernisse der Behörden (und Gerichte) zu überbrücken. Sie stellt daher eine Verlängerung des Untersuchungsgrundsatzes dar, so daß die Annahme einer Beweisführungslast ausscheidet. Dagegen stellen die Nonnen, die - vorwiegend aus Praktikabilitätsgründen - den Untersuchungsgrundsatz aufheben, eindeutig eine Beweisführungslast her, auch wenn die einzelnen Mitwirkungshandlungen inhaltlich weniger weitreichend sind. In diesem Sinne sind insbesondere die im Zusammenhang mit Pauschalierungsanordnungen stehenden Nachweispflichten der §§ 9a, lOc Abs. I und Abs. 2 EStG, 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 2 ErbStG Beweisführungslasten des Steuerpflichtigen, deren Nichtbefolgung automatisch zur Versagung der Anerkennung der betroffenen Aufwendungen führt. Sonderfonnen stellen diejenigen Nonnen dar, die, wie §§ 159, 160 AO, der Finanzbehörde das Recht zugestehen, die Mitwirkung durch Nachweis (i.S.v. Beweisführung und nicht nur durch Angabe vorhandener Beweismittel wie bei § 90 Abs. 1 AO) zu verlangen. Diese Pflichten konstituieren demnach eine Beweisführungslast, weil bei ihrer Aktualisierung (durch Verlangen der Behörde) die Nichtanerkennung der nachzuweisenden Tatsachen automatische Folge des Nichtgelingens sein muß. Da bei anderweitiger Kenntniserlangung das Aufrechterhalten des Nachweisverlangens fehlerhaft wäre, entfällt die Beweisflihrungspflicht (rückwirkend), so daß eine potentiell mögliche andere Entscheidung in der Sache nicht "trotz" mißlungener Beweisführung des Steuerpflichtigen erfolgt.

C. Die Einordnung der Mitwirkungspflichten

177

Es hat sich aber auch gezeigt, daß es zu problematischen Ergebnissen führt, wenn man generel1 die Mitwirkungspflichten als Beweisflihrungslasten oder als eine der subjektiven Beweislast (Beweisflihrungslast) im Verwaltungsrecht ähnliche und diese ersetzende Erscheinung ansähe. Durch die unmittelbare Verbindung von Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten, was besonders deutlich wird, wenn man die Mitwirkungspflichten als Hilfs-, Neben- oder Unterstützungspflichten zum Untersuchungsgrundsatz ansieht, liegen sie "strukturel1" auf einer Ebene, weswegen auch die Einordnung als Beweisflihrungslast immer auf die komplementäre Erscheinung durchschlagen muß. Die Trennung, die von der völ1ig überwiegenden Meinung im Zivil-, Verwaltungs- und auch im speziel1en im Steuerrecht zwischen objektiver Beweislast und Untersuchungsgrundsatz vorgenommen wird, könnte sich nicht aufrechterhalten lassen. Die zunächst vorgenommene Prämisse ist, daß Untersuchungsgrundsatz und objektive Beweislast nichts miteinander zu tun haben. Sind aber Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten auf der gleichen Ebene in Form von Hilfs- oder Nebenpflichten angesiedelt, muß diese Trennung zwangsläufig auch auf die Mitwirkungspflichten durchschlagen. Somit "darf' aus den Mitwirkungspflichten gar keine subjektive Beweislast abgeleitet werden, da nach überwiegender Ansicht zwischen dieser (subjektiven Beweislast) und der objektiven Beweislast ein unmittelbarer Zusammenhang in dem Sinne gegeben ist, daß aus der objektiven Beweislast die subjektive Beweislast ableitbar ist. 238 Umgekehrt ist daher, wenn eine subjektive Beweislastentscheidung getroffen ist, auch immer eine Determinierung der objektiven Beweislast gegeben. Wären daher Mitwirkungspflichten eine Regelung der subjektiven Beweislast, wäre im Umfang dieser Mitwirkungspflichten auch eine Festlegung der objektiven Beweislast vorgenommen. Das führt aber zu dem Schluß, daß die Mitwirkungspflichten dann nur eine Verschiebung der objektiven Beweislast von der Behörde auf den Steuerpflichtigen für den Bereich der Mitwirkungspflichten hervor-

m V gl. hierzu L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 282, die allerdings ungenau die subjektive Beweislast pauschal als \brwirkung der objektiven Beweislast bezeichnet und sogar (!) eine mittelbare verhaltenssteuemde Funktion der Beweislastnormen leugnet; inkonsequent ist es dann jedoch, letzteren "faktisch ... nicht unerhebliche Bedeutung als Anreiz zur Pflichterftillung" zuzuschreiben. Ebenso ist der Hinweis verfehlt, das "legitime Rechtsschutzinteresse" des Steuerpflichtigen auf "Kenntnis von Art und Umfang seiner Mitwirkungspflichten" zu beschränken: Da sich diese aus den Umständen des konkreten Einzelfalles ergeben, sind sie nicht vorhersehbar. Diese Auffassung Osterlohs ist unhaltbar. 12 M. Schmidt

178

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

rufen. Dies wiederum würde den Weg zu dem Grundsatz zurückweisen, daß Untersuchungsgrundsatz und objektive Beweislast sich gerade nicht trennen lassen, sondern daß der Untersuchungsgrundsatz die objektive Beweislast als Grundregel der Behörde zuweist. Die Mitwirkungspflichten wären demzufolge Umkehrungen bzw. Beweislast(sonder)normen. 239 Führte man diesen Gedanken konsequent zu Ende, so müßte sich aus dieser Ansicht eine weitreichende Konsequenz ergeben. Bestünden für den Steuerpflichtigen in einem konkreten Fall keine Mitwirkungspflichten, weil sie den fraglichen Bereich nicht abdeckten 240 , oder er die ihm zumutbaren Mitwirkungshandlungen vorgenommen hatte, diese aber nicht zur Aufklärung des Sachverhaltes ausreichten, könnte er insoweit auch keine subjektive und damit notwendigerweise objektive Beweislast "mehr" haben. Objektive und subjektive Beweislast würden demzufolge auf die Verwaltung zurückfallen, ein Ergebnis, das die h.M. für untragbar hält. 241 Die Gleichsetzung des Untersuchungsgrundsatzes mit einer Beweisführungslast der Behörde ist also äußerst bedenklich. 242 Wegen der unterschiedlichen Auswirkungen der Erfüllung der Mitwirkungspflichten 243 auf die zu treffende Entscheidung der Finanzbehörde erscheint es sinnvoll, auch für das Steuerrecht die terminologische Differenzierung zwischen Beweisführungslast und Mitwirkungspflicht aufrechtzuerhalten. Wenn allerdings der Untersuchungsgrundsatz das Verfahren vor Finanzbehörde und -gericht nicht durchgängig durchzieht, wird die Bedeutung der Beweisführungslast mit der Umschreibung, daß der Untersuchungsgrundsatz partiell durchbrochen sei, nur unzureichend getroffen. Wesentliche Bereiche werden bereits davon erfaßt (Werbungskosten und Sonderausgabenabzug; Aufzeichnungspflichten durch ordnungsgemäße Buchführung; Benennungspflichten von Gläubigem und Zahlungsempfangern). Sie werden erweitert und überlagert durch diejenigen

m Hierzu unten 3. Teil B. 111. 240 Als Beispiel kann § 90 Abs. I AO angeführt werden. Hat der Steuerpflichtige keine Unterlagen über den fraglichen Sachverhalt, kann und muß er sie auch nicht vorlegen. Er erfüllt seine Mitwirkungspflicht, wenn er den Sachverhalt als solchen "behauptet". Damit erfüllt er seine Mitwirkung bzw. wenn es um die \brlage von nicht existenten Unterlagen geht, besteht überhaupt keine Mitwirkungspflicht. 241 A.A. Z.B. Rupp, AöR 85 (1969), 301. 319: Michael, Die Verteilung der objektiven Beweislast, S. 215. 242

So aber Pestalozza, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 197.

243

Abseits der Beweiswürdigung.

D. Die faktische Beweislast

179

"Pflichten", die sich aus den faktischen Vorwirkungen einer objektiven Beweislast ergeben sollen. Dieser Erscheinung soll im folgenden nachgegangen werden.

D. Die faktische Beweislast Die Vorwirkungen einer objektiven Beweislast wurden bereits vielfach angesprochen. Ihre Existenz ist unumstritten; dennoch bleiben die sie betreffenden Ausfiihrungen recht allgemein. 244 Unproblematisch gestaltet sich ihre Ableitung aus der objektiven Beweislast245 , während ihre Beziehung zur subjektiven Beweislast (Beweisfiihrungslast) vornehmlich im Hinblick auf den Lastenbegriff und die Verfahrensmaximen diskutiert wird. 246 Von Bedeutung erscheint darüber hinaus aber auch ein mögliches Zusammenwirken von Mitwirkungspflichten und faktischen Vorwirkungen, da die bisherige Untersuchung gezeigt hat, daß objektive und subjektive Beweislast und Mitwirkungspflichten unterschiedliche, sich allenfalls teilweise überdeckende Erscheinungen sind.

I. Ableitung

Mit objektiver Beweislast oder Feststellungslast wurde die Risikozuweisung einer ablehnenden Entscheidung bei Unaufklärbarkeit des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes auf eine der an einem Verfahren beteiligten Parteien bezeichnet. 247 Es wurde bereits hervorgehoben, daß mit dieser Definition nur eine Folgenbeschreibung vorgenommen wird, da die zentrale Bedeutung von Beweislastnormen in der Funktion zu sehen ist, ein non liquet zu überbrücken. Diese Normen richten sich dementsprechend an den Richter (Rechtsanwender), der angewiesen wird, eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung zu fällen.

244 Am ausführlichsten Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 24 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 33 tT.

24; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 33; Nierhaus, Beweismaß, S. 247. Vgl. auch schon Leonhard, Die Beweislast, S. 132. 246 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 25; vgl. auch Rosenberg, Beweislast, S. 54 ff.; Nierhaus, Beweismaß, S. 247. 247

12'

S. oben A. I.

180

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Die darin liegende Zuordnung der "Feststellungslast" ist daher nur eine mittelbare Folgewirkung der Beweislastnormen. Für die Parteien aktualisiert sich die Risikozuordnung erst durch Eintritt der Unaufklärbarkeit. Da es sich bei den Beweislastnormen wie bei allen Normen um abstrakt generelle Regelungen handelt, besteht eine latente Risikozuweisung für die Erweisbarkeit von einer Partei - z.B. nach der Normbegünstigungstheorie - günstigen Sachverhaltsmerkmalen. Treffend beschreibt Musielak diese Erscheinung wie folgt: "Die nachteiligen Folgen einer Beweislastentscheidung treten tatsächlich erst ein, wenn die Entscheidung erlassen worden ist; doch wirken sie als potentielle Gefahr schon früher und beeinflussen das gesamte Verfahren von seinem Beginn an. Gewöhnlich wird jedoch nicht zwischen diesen Vor-Wirkungen der Feststellungs/ast und den Nachteilen unterschieden, die bei Anwendung von Beweislastnormen eintreten. Man spricht, bezogen auf einen Zeitpunkt, in dem noch völlig offen ist, ob es zu einer Beweislastentscheidung kommen wird, von der Feststellungslast und der feststellungsbelasteten Partei, ohne hinzuzufügen, daß es sich dabei um eine in die Gegenwart projizierte Entwicklung handelt, deren Eintritt von bestimmten noch nicht feststehenden Voraussetzungen, nämlich der Anwendung von Beweislastnormen im Falle einer mangelnden Sachaufklärung, abhängt."248 Die Reflexwirkung 249 begründet sich in der selbstverständlichen Folge, daß jedermann versuchen wird, einen negativen Verfahrensausgang durch "Aufhellung des streitigen Tatbestandes"250 abzuwenden; insofern handelt es sich um eine "Pflicht gegen sich selbst"251 bzw. um eine Mitwirkung im "eigenen Interesse der Parteien".2S2 Gegen eine Einbeziehung dieser Reflexwirkungen auf das Verhalten der Parteien in den Normbereich der Beweislastnormen wendet sich mit guten Gründen Nierhaus. 253 Wenn die Beweislastnormen nämlich außer dem richterbezogenen Anweisungscharakter auch konkrete Verhaltensanweisungen 254 an

24M

Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 34 f.

249

Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 36.

250

Rosenberg, Beweislast, S. 26.

251

Rosenberg, Beweislast, S. 55.

252

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 25.

253

Beweismaß, S. 172.

254

Vgl. z.B. Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, S. 260: "Die Beweislastregeln sind

D. Die faktische Beweislast

181

die Parteien richten (sog. Verhaltensnormen), "so müßte letzten Endes auch der weitere Schritt getan werden, in den Beweislastregeln auch Verhaltensnormen fUr die Parteien zu sehen, die nicht nur ihre Beweistätigkeit beeinflussen, sondern folgerichtig den Normadressaten die Pflicht zu einem bestimmten prozessualen Verhalten auferlegen".255 Dies würde aber zwangsweise auf die Konstituierung einer BeweisfUhrungslast hinauslaufen, die zum einen der objektiven Beweislast nicht zu entnehmen sein soll und zum anderen in Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes zu Widersprüchen fUhren müßte. Trotz dieser schwerwiegenden dogmatischen Bedenken ist festzustellen, daß die Vorwirkungen der objektiven Beweislast praktisch im Vordergrund stehen und regelmäßig dazu "mißbraucht" werden, den Parteien eine Handlungspflicht und damit eine BeweisfUhrungslast aufzubürden. 256 Mit der Einrichtung der Beweislastnormen wurde zunächst die Möglichkeit eröffnet, mit der Besteuerung in Bereiche vorzudringen, die sich einer Ermittlung bisher verschlossen hielten. 2S7 Mit der Möglichkeit, eine Norm auch dann anzuwenden, wenn ihre tatbestandlichen Voraussetzungen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststanden oder fehlten, wurde der stumpfen Waffe nicht

zwar im wesentlichen Beurteilungsnormen für das Gericht, hinsichtlich der formellen Beweislast indessen auch Verhaltensnormen für die Parteien." 255

Nierhaus, Beweismaß, S. 172.

256 So auch die Feststellung von Nierhaus, Beweismaß, S. 172 m.w.N. aus der Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 93, im Zusammenhang mit der Widerlegung von tatsächlichen Vermutungen; im Ergebnis Westerfe/haus, OB 1986, 713, 718. Vgl. auch das "klassische" Vorgehen des BFH in BStBl. II 1995, 462 f.: Zunächst wird festgestellt: "Die Feststellungslast für das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht trägt der Steuerpflichtige"; darauffolgt die (z.B. vom FG Berlin, EFG 1993, 72 L 722 angezweifelte) Behauptung: "Nach den Senatsentscheidungen ... stellen ein ... dem Anleger erteiltes Rückkaufangebot oder eine Verkaufsgarantie ... ein Indiz gegen das Vorliegen einer Einkünfteerzielungsabsicht dar ... ". Schließlich sei es "dann Sache des Immobilienerwerbers, darzulegen und ggf. zu beweisen, daß er entgegen diesem ... Anzeichen ... Einkünfte erzielen wollte". Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 10 tf., 55, 57, hat zutreffend auf die Erscheinung der subjektiv konkreten Beweislast hingewiesen: Im Falle des Anscheinsbeweises oder der tatsächlichen Vermutungen wird eine konkrete, d.h. situationsabhängige Beweisführungslast der durch den Anscheinsbeweis oder die Vermutung belasteten Partei "begründet".

m Insbesondere bei subjektiven Tatbestandsmerkmalen, die sonst nur durch weitgehende oder unwiderlegbare Vermutungenffypisierungen handhab bar waren.

182

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

erzwingbarer Mitwirkungspflichten z.B. nach § 90 Abs. I A0 258 durch die Vorwirkungen einer objektiven Beweislast eine Spitze aufgesetzt, die die "differenzierten Vorschriften" der Mitwirkungspflichten, die den "Eigengesetzlichkeiten des Steuerverfahrens" besser Rechnung tragen sollen 2S9 , aussticht. Denn die Vorwirkungen einer Beweislast, die sich im notwendigen Verfahrensverlust im Falle eines non Iiquet aktualisieren, reichen damit in Umfang und Wirkung über die Folgen der Verletzung von allgemeinen Mitwirkungspflichten hinaus. Das bewußte Inkaufnehmen dieses in seinen rechtspolitischen Wirkungen nicht zu unterschätzenden Verfahrens wird deutlich, wenn behauptet wird, daß "hinsichtlich der übrigen [scil.: dem Steuerpflichtigen nicht bereits günstigen] Tatsachen" es "Aufgabe der Rechtswissenschaft" (!) sei, "durch eine sachgerechte Bestimmung der Feststellungslast darauf hinzuwirken, daß ggf. auch der Steuerpflichtige sich nach Kräften um die Aufklärung bemüht, um so die gesetzmäßige Besteuerung sicherzustellen".26o Diese Aussage überspielt zum einen, daß nach zweifelnder, im Ergebnis aber wohl einhelliger Ansiche 61 auch die Beweislastentscheidung trotz Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes eine Form "gesetzmäßiger" Besteuerung darstellen soll; darüber hinaus kann es nicht einleuchten, warum die "differenzierten Vorschriften" betreffend die Mitwirkungspflichten zunächst eine subjektive Beweislast im Steuerprozeß (und insgesamt in Verfahren, die dem Untersuchungsgrundsatz unterstellt sind) überflüssig machen sollen, um dann doch wieder eines Instituts zur Sicherstellung gesetzmäßiger Besteuerung zu bedürfen, das der subjektiven Beweislast (im Falle des non liquet) vollständig identisch ist. Es soll jedoch nicht der Eindruck erweckt werden, daß Existenz oder Wirkungen der beschriebenen Reflexe objektiver Beweislast in Frage gestellt sein sollen. Die Kritik wendet sich vielmehr gegen das Vorgehen, die Folgen der Beweislastnormen eher in den Vordergrund zu stellen als deren eigentliche Funktion. Eine solche Handlungsweise unterstützt die Schaffung schwer vollziehbarer Regelungen, deren Vollzugsprobleme der Verwaltungspraxis und Rechtswissenschaft überantwortet werden, statt eindeutige Nachweispflichten

2SK

Dieser ist enger gefaßt als z.B. die \brläuferregelung des § 171 AO a.F..

259 Ohlms, Beweislast und Verantwortung, S. 28; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 21 mit Fn. 18. 260

Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 21.

261 Deutlich Nierhaus, Beweismaß, S. 177 ff. m.w.N.

D. Die faktische Beweislast

183

(Beweisfuhrungslasten)262 für solche Tatbestandsmerkmale bzw. Sachverhaltselemente zu schaffen, deren Ermittlung vorhersehbar schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein muß. 26J Die Vorwirkungen einer objektiven Beweislast, die griffig als faktische Beweislast bezeichnet werden 26 \ sind trotz entsprechender Einwirkung auf die Parteien nach dem hier gewählten Verständnis nicht mit der subjektiven Beweislast gleichzusetzen 265 , da als notwendige Folge des Untätigseins ein Verfahrensverlust nicht eintreten muß. Dies gilt auch dann, wenn man sie als Ergänzung zu den steuerlichen Mitwirkungspflichten ganzheitlich betrachtet. 266 Die Risikozuweisung fur den Fall des non liquet ist nur eine potentielle und hängt von der prinzipiellen Möglichkeit der vollständigen Sachverhaltsaufklärung, wozu gegebenenfalls auch ein Abstellen auf tatsächliche Vermutungen oder eine Typisierung fuhren kann, ab. Diese Einschränkung findet keine Anwendung auf die subjektive Beweislast, insbesondere als enger verstandene Beweisfuhrungslast. 267

262

Z.B. auch als materielle Tatbestandsvoraussetzungen.

263 Als Beispiel könnte § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (BGBI. I 1995, 1250) gelten: Wie kann (und soll) das Finanzamt den Umfang der Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers von mindestens 50% der für die Berufstätigkeit aufgewendeten Arbeitszeit ermitteln können? Das muß im Hinblick auf die zur Verfügung stehende Verwaltungskapazität, auf die Zumutbarkeit der Überwachung (Art. 12, \3 GG) und insgesamt die Gleichmäßigkeit der Behandlung aller Steuerpflichtigen von vornherein unmöglich erscheinen. Die Regelung wird demzufolge ständig Gegenstand von Schätzung oder Beweislastentscheidungen sein. Dann wäre es aber von Anfang an effizienter, einen Freibetrag in entsprechender Höhe (2.400 DM) gegen Nachweis oder Glaubhaftmachung der entsprechenden Nutzung zu gewähren. Zur Problematik der Tei/wertbestimmung eines Wirtschaftsguts vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 5 IV 4, S. 175 ff.; Euler, DSUG 7 (1984), 155, 162 jJ. 264 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 24, und Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 39, führen diese Bezeichnung auf Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. 1 (1883), S. 365, zurück. 265 Prüfling, Gegenwartsprobleme, S. 25; a.A. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 39, der dies wegen der Ähnlichkeit als "Geschmacksfrage" für möglich hält.

266

In diesem Sinne wohl Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 21.

267 Hierzu Musielak, Grundlagen der Beweislast. S. 39.

184

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Die Ähnlichkeit wird aber besonders deutlich bei Betrachtung der "positiven" Folgen der faktischen Beweislast: Läßt sich der Steuerpflichtige von der Gefahr eines potentiellen non liquet zur Beweisvorsorge leiten, indem er steuerrelevante Sachverhalte nachweisbar manifestiert268 , dann ist er auch nach § 90 Abs. I AO zur Vorlage und Angabe dieser Nachweise verpflichtet, die Finanzbehörde zu eigenen Ermittlungen aber nicht veranlaßt; das Verhalten des Steuerpflichtigen entspricht dann im Ergebnis und Procedere der Erfüllung einer Beweisführungslast. Dagegen ist nun prinzipiell nichts einzuwenden. Fraglich ist in diesem Falle nur, ob faktische Vorwirkungen und Mitwirkungspflichten in einem solchermaßen zum Regelfall gemachten Verfahren als Neben- oder Hilfspflichten zum Untersuchungsgrundsatz angesehen werden können. 269 Vielmehr scheint die Bedeutung des Untersuchungsgrundsatzes, der ja ein zentrales Element des Steuerverfahrens darstellen soll, in den Hintergrund zu treten und auf extreme Ausnahmesituationen beschränkt. Wollte man dies als tatsächliche Regelung beibehalten, so wäre es bereits aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit angezeigt, eine Beweisführungslast des Steuerpflichtigen aufzustellen und nach dem Muster von §§ 159 Abs. 1 S. 2, 160 Abs. I S. 2 AO der Finanzbehörde das Recht, den Sachverhalt abweichend davon durch eigene Ermittlungen zu erforschen, einzuräumen. Die Erscheinung der faktischen Beweislast ist aber keine solche, die alleine der objektiven Beweislast zugeschrieben werden kann. Sie geht demzufolge über deren Bereich hinaus und weist nur einige Anknüpfungspunkte bzw. Überschneidungen mit dieser auf. Die Normwirkungen sind nämlich einzig in dem Umstand einer für den Betroffenen negativen Folge begründet, dem potentiellen Verfahrensverlust. Dieser ist, wie bereits festgestellt wurde, nicht nur bei einer Entscheidung nach Beweislastregeln im Falle eines non liquet möglich, sondern ebenfalls bei Nichterfüllung von allgemeinen oder besonderen Mitwirkungspflichten, wie auch bei dem "Gebrauch"270 von Indizien oder Vermutungen. Wenn im Wege der für den Steuerpflichtigen nachteiligen Beweiswürdigung ein Verfahrens- oder Prozeßverlust die Folge ist, gehen auch hiervon Vorwirkungen aus, die den Steuerpflichtigen veranlassen werden, eine Beweisvorsorge für ihm günstige oder von Bedeutung erscheinende Tatbestandsmerkmale zu treffen. Er

26K In der Form von Belegsammeln, Zeugenerfassung, Erstellen von Tagesberichten o.ä.

269 Vgl. hierzu oben C. 270

J.Vrwirkungen einer Selbstbindung der Verwaltung mittels Richtlinien.

D. Die faktische Beweislast

185

wird demzufolge versuchen, den Beweis für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des betreffenden Merkmals zuführen. Dies gilt natürlich "erst recht", wenn die Finanzverwaltung für steuerbegründende oder steuermindemde Tatbestandsmerkmale auch nur regelmäßig eine widerlegliche Vermutung, die Typisierung oder einen Anscheins- oder Indizienbeweis heranziehen wird. 271 Hierfür kann wiederum das Beispiel der Gewinn- bzw. Einkünfteerzielungsabsicht herangezogen werden. 272 Diese ist normalerweise ein steuerbegründendes Merkmal 273 , für das nach der Normbegünstigungstheorie regelmäßig das Finanzamt die objektive Beweislast innehätte; da es bei Bauherren und Erwerbermodellen aber um die dem Steuerpflichtigen günstige Anerkennung negativer Einkünfte geht, wird dem Anleger die Beweislast aufgebürdet. 274 Die Feststellungslast spielt aber eigentlich gar nicht die entscheidende Rolle; denn selbst wenn man diese beim Finanzamt "beließe", wird dieses auf das Indir 75 des Vorliegens eines Rückkaufangebots bzw. einer Wiederverkaufsgarantie abstellen. 276 Ermittlung277 und Beweiswürdigung sind damit für die Finanzbehörde (und das

271 Diesen Zusammenhang verkennt L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 292 f., wenn sie § 158 AO eine "Vermutung" oder einen "Beweis des ersten Anscheins" entnimmt und als "Beweislastregel" interpretiert; richtiger wäre eine Einordnung als Beweiswürdigungsregel, von der eine konkrete (gegenteilige) Beweispflicht ausgeht, soweit die Vermutung des § 158 AO reicht.

272

Vgl. unten 4. Teil B. IV. I.

273 So auch Anders, INF 1987, 145, 146; a.A. mit der Begründung, daß der Steuerpflichtige "ausgleichsfähige Verluste" und damit für ihn günstige Tatsachen geltend macht, BFH BStBl. 11 1987, 668, 669; 11 1987, 774. 776; BFHlNV 1988, 292, 294; BFH/NV 1994,301,302. Hierbei wird völlig das Problem übergangen, daß die Gewinnerzielungsabsicht immer steuerbegründendes Merkmal ist, was sich allein wegen der rechnerischen Zusammensetzung des Steueranspruchs in einem konkreten Besteuerungszeitraum zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt; wenn man die Gesamtperiode betrachtet, während der eine gewerbliche steuerpflichtige Tätigkeit unternommen wird, kann das Argument des BFH keineswegs überzeugen. Es ist ein Beleg dessen, daß im Steuerrecht kein materielles. sondern ein rein rechnerisches Günstigkeitsprinzip angewendet wird. 274

BFH BStBl. II 1995. 462.

275

BFH BStBl. 11 1995. 462.

276 Vgl. z.B. FinMin Thüringen. Erl. vom 18.03.1993, DStR 1993, 725; FinMin Mecklenburg-Vorpommern. Erl. vom 18.03.1993, DB 1993, 1326.

277

Das Finanzamt hat allerdings das Angebot bzw. die Garantie "zu ermitteln"; dies

186

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Finanzgericht) zunächst abgeschlossen, die Nichtanerkennung der Werbungskostenüberschüsse die zwangsläufige Folge. Nur wenn der Steuerpflichtige das Indiz (die Vermutung etc.) entkräften kann 278 , wird ihm der Weg für die Berücksichtigung der Verluste eröffnet sein. Das entspricht aber inhaltlich einer (erschwerten) Beweisführung und dies, obwohl er weder eine subjektive noch objektive Beweislast zu tragen hätte; auch § 90 Abs. I AO würde nicht einschlägig sein, denn wie sollte er durch eine Mitwirkungshandlung seine Einkünfteerzielungsabsicht offenbaren? Hier wird allerdings die von Prütting subjektiv konkrete Beweisftihrungslast genannte Erscheinung relevant. 279 Das Beispiel macht zweierlei deutlich: Zum einen sind die Vorwirkungen, die den Steuerpflichtigen zu einer Beweisvorsorge oder Beweisführung veranlassen können, keine typische Erscheinung der objektiven Beweislast, wenn sie dieser auch immanent sind. Zum anderen stellt sich die später eingehend zu erörternde Frage, ob in derartigen Fällen durch das Abstellen auf die objektive Beweislast überhaupt noch eine faire Handhabung des Beweisrechts gewährleistet ist. 2sO Bei Prüfung subjektiver Tatbestandsmerkmale, die vom Finanzamt oder Gericht nur anhand äußerer (unsicherer) Umstände "ermittelt" werden können 2sl , stellt die Zuweisung der Feststellungslases2 und der Gebrauch von Indizien oder des Anscheinsbeweises eine Technik mit "Netz und doppeltem Boden" dar: Wenn der (nicht ermittelte) Anscheins- bzw. Indizienbeweis widerlegr SJ wird, verfangt sich der Steuerpflichtige in der objektiven Beweislast, wobei die Finanzbehörde oder das Gericht den Bereich des non liquet durch die Anforderungen an seine (nicht revisible) Überzeugung bestimmt; es ermittelt selbst

ergab sich aber im Fall von BFH BStB\. 11 1995, 462 aus dem notariellen Kaufvertrag, den die Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. I AO vorzulegen haben. 278 Was ihm voraussichtlich nur gelingen wird, wenn er den Abschluß eines langfristigen, über die "Laufzeit" des Angebots oder der Garantie hinausgehenden und vor Angebotsabgabe bzw. Garantieerklärung abgeschlossenen Mietvertrags möglichst mit "fremden" Dritten nachweist. 279

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 7 ff., 29 f.

280

Grundlegend BVerfGE 52, 131, 145.

281

Vg\. BFH BStB\. 11 1990, 1057, 1059.

282 Bereits dies ist problematisch, da Gewinnerzielungsabsicht eigentlich ein steuerbegründendes Merkmal ist. 283

Im Sinne einer subjektiv konkreten Beweisflihrungslast.

D. Die faktische Beweislast

187

(§ 88 AO) nur bis zum niedrigeren konkreten Überzeugungsgrad (Wahrscheinlichkeitsgrad) der Vermutung 284 , während ein non liquet bereits dann gegeben ist, wenn das Vorbringen des Steuerpflichtigen die Behörde bzw. das Gericht nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt. Denn der Anscheinsbeweis muß zwar nur erschüttert werden, doch ist in der Folge der Ansicht des Bundesfinanzhofes die Wiedereinsetzung des Untersuchungsgrundsatzes gegenstandslos, weil alle relevanten äußeren Umstände zur Begründung eines Indizienschlusses herangezogen werden müssen, die tatsächlich relevante subjektive Einstellung des Steuerpflichtigen aber überhaupt nicht ermittelt werden kann. 285

11. Ergebnis

Die Vorwirkungen der objektiven Beweislast sind als deren Reflex oder als faktische Beweislast nicht mit dieser identisch. Sie beschreiben vielmehr die allgemeine Erscheinung, daß dort, wo einem Verfahrensbeteiligten ein Nachteil droht, er diesen - unabhängig von anderweit in seiner oder anderer Person bestehenden Pflichten oder Lasten - durch eigenes Handeln zu vermeiden sucht. Ihrem Inhalt nach können die Vorwirkungen als Pflichten gegen sich selbst und demzufolge mit einer eventuellen Beweisführungslast oder Mitwirkungspflicht identisch sein. Doch auch mit diesen besteht nur eine Überdeckung, keine generelle Identität. Von der subjektiven Beweislast unterscheiden sie sich in der Zwangsläufigkeit der Nachteilszufügung bei Nichterfüllung jener Pflichten. 286

2H4

Vgl. hierzu bereits oben I. Teil B. III. 2. c) a.E.

2H5 Bei Betrachtung dieses Procedere wird deutlich, daß das gegen eine Grundlagenschätzung vorgebrachte Argument, eine Besteuerung aufgrund nur wahrscheinlicher, d.h. unsicherer Basis sei unzulässig, an der praktischen Handhabung der objektiven Beweislast völlig vorbeigeht. 2K6 Da die Beweisftihrungslast aber selbst einen Nachteil bei Untätigsein "androht", entfaltet auch sie jene Vorwirkungen. Dies gilt erst recht bei Betrachtung der herrschenden Einordnung, daß die Beweisftihrungslast (subjektive Beweislast) aus der objektiven Beweislast abzuleiten ist. Eine gesetzliche Regelung, die eindeutig eine Beweisflihrungslast begründet, enthält insoweit immer eine Regelung auch der objektiven Beweislast. Diese steht sogar im \brdergrund, obwohl sie sich in der Praxis nie auswirken wird; denn eine gleichzeitige Anwendung von objektiver und subjektiver Beweislast muß zumindest im Bereich des öffentlichen Rechts ausscheiden. Dennoch erscheint

188

2. Teil: Beweislast und Mitwirkungspflichten

Am weitreichendsten dürfte die Übereinstimmung mit den Mitwirkungspflichten sein. Doch gehen die Vorwirkungen über einzelne Mitwirkungspflichten hinaus, insbesondere wo diese aus rechtlichen Gründen (z.B. Zumutbarkeit wegen übermäßigen Eindringens in die Privatsphäre) nicht mehr bestehen bzw. ihre Erfüllung von den Finanzbehörden nicht verlangt werden kann. 287 Gerade in diesen Konstellationen erlangen sie ihre volle faktische Bedeutung, was andererseits bei ihrer bewußten Inkaufnahme zu rechtlich fragwürdigen Konsequenzen fuhrt, denn tatsächlich wird der Steuerpflichtige zu "unzumutbaren" Ermittlungsanstrengungen gezwungen, will er die Nachteilszufugung abwenden. 288 Eine besonders starke Form "faktischer" Wirkungen stellt die bereits erwähnte subjektiv konkrete Beweislast (Gegenbeweislast) dar. Diese Wirkungen "fließen" zwar nicht gleichsam aus der objektiven Beweislast, doch sind die Übergänge wegen der Vorverlagerung auf den Vorgang der SachverhaltsfeststeUung zwischen diesen faktischen Erscheinungen fließend. Die "Technik" der Vermengung von objektiver Beweislast (Feststellungslast) und Vermutungen (Anscheins-, Indizienbeweis, Typisierungen) läßt nicht erkennen, ob der Zwang zum Tätigwerden zur Vermeidung des drohenden Verfahrensverlustes VorWirkung einer objektiven Beweislast oder Nach-Wirkung einer zunächst vorläufigen Überzeugungsgewinnung ist. 289

eine Differenzierung zwischen subjektiver Beweislast und den Yorwirkungen wenig sinnvoll, da die subjektive im Gegensatz zur objektiven Beweislast von vornherein folgenorientiert ist, sich m.a. W. an die Parteien selbst wendet. Vgl. hierzu bereits oben C. H. 4. e) bei Fn. 199. m Wegen der Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen von Mitwirkungspflichten im Ergebnis ebenso Nierhaus, Beweismaß, S. 349. m Dies übergeht z.B. Birk, StVj 1991, 310, 313, wenn er trotz Erftillung der von ihm schon sehr weit verstandenen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen auf eine Beweislastentscheidung zu dessen Lasten verweist.

m Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 7 ff., 29 f; kritisch auch Martens, StuW 1982,

87.

3. Teil

Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren A. Vorbemerkung

Es wurde bereits an mehreren Stellen die gerade im Steuerrecht häufig anzutreffende Formulierung, "es gelten die allgemeinen Grundsätze der Feststellungslast", erwähnt. I Eine solche Formulierung legt nahe, daß es eine einheitliche und allgemein anerkannte Theorie der objektiven Beweislast gibt. Ein solches Urteil wäre jedoch völlig unzutreffend, denn weder bei der Frage, wie die objektive Beweislast zwischen den Parteien verteilt ist2, noch bei der Frage des Wesens der Beweislastnormen herrscht Einigkeit. Dabei sind gerade von den Untersuchungen zum Wesen der Beweislastnormen Aufschlüsse für die Problematik der Beweislast gerade im Steuerrecht zu erwarten, die weitreichende Auswirkungen haben können.) Erst daran anschließen kann sich die Frage nach den Verteilungskriterien, da sie die Existenz von Beweislastnormen selbstverständlich voraussetzt und an deren methodisches Vorgehen anknüpfen wird. 4 Dabei scheint sich die Diskussion um die Beweislast vornehmlich auf den Bereich der Verteilung der Beweislast zwischen den Parteien zu konzentrieren 5 , während die Auseinandersetzung mit den dogmatischen Grundlagen

lOben 2. Teil C. II. 4. b) (bei Fn. 107, 140, 145, 148, 153), C.I1. 4. f) (bei Fn. 218). Allein Prütting, Gegenwartsprobleme, §§ 15-20, S. 179 ff., zählt an "modemen" Verteilungsprinzipien ftir die Beweislast ftinf große Gruppen auf, die jeweils weiter unterteilt werden. Zu den Beweislastverteilungskriterien vgl. auch Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 17 ff.; Schwab, Festschrift Bruns, S. 505, 509 ff. 2

) Vgl. z.B. zur Frage der Entscheidungsanweisung an den Rechtsanwender bereits oben I. Teil B. IV. 4 Allerdings wird es sich auch als möglich erweisen, die Verteilungsregeln selbst als Beweislastnormen anzusehen und den methodischen Vorgang der Überwindung des non liquet aus deren Regelungsbereich zu separieren.

; Nierhaus, Beweismaß, S. 7 f, 16 f, 166 ff., 353 f

190

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

nur von einem Teil der Autoren vorgenommen wird. Diese Beweislasttheorien sollen im folgenden dargestellt werden.

B. Das Wesen der Beweislastnormen I. Die Vollständigkeitstheorie

Die Vollständigkeitstheorie6 geht von einem prozessualen Verständnis der Rechtsnormen aus. Bereits an anderer Stelle? wurde darauf hingewiesen, daß dann, wenn man die Rechtsentstehung an das Vorliegen einer konkretisierenden (richterlichen) Entscheidung bindet, ein non liquet eigentlich nicht entstehen kann. Wenn die Rechtswirkung erst eintritt, wenn der Rechtsanwender (Richter) vom Vorliegen eines Sachverhaltes, der den Tatbestand einer Norm erfüllt, überzeugt ist, kann es zu einer Non-liquet-Situation nicht kommen. Es gibt dann nur die Bereiche "bewiesen - nicht bewiesen (widerlegt)".8 Die Vollständigkeitstheorie stellt damit eigentlich gar keine Beweislasttheorie dar, da sie bereits die Voraussetzung einer Beweislastentscheidung, nämlich das Vorliegen eines non liquet, im Ergebnis nicht entstehen läßt. Die konsequente Folge dieser Auffassung ist, daß der Anspruchsteller "sämtliche Voraussetzungen der Entstehung" eines Anspruchs nachweisen muß und "sich diese Regeln auf alle Erfordernisse" erstrecken. 9 Die Ablehnung der Vollständigkeits- bzw. Erwiesenheitstheorie folgt nunmehr aus der Erkenntnis, daß das Recht zu seiner Entstehung keines konkretisierenden Aktes seitens des Richters bedarf. Die Rechtsnormen entfalten ihre Wirkung unmittelbar. Als geradezu "klassisches" Beispiel für die Richtigkeit dieser unmittelbaren Rechtswirkung kann § 38 AO herangezogen werden, nach dem der Steueranspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Steuergesetz die Rechtsfolgen knüpft. lo Hier6 Leonhard, Die Beweislast, S. 122 ff. (Erwiesenheitstheorie, vgl. S. 127 f.); Schwindel, Das non liquet in der Tatfrage, S. 95, 131. ?

Vgl. oben 1. Teil A. 11.

K

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 114, 146 f.

9 Leonhard, Die Beweislast, S. 124. Diese Vollständigkeitslehre wird nach Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 254, heute nicht mehr vertreten.

10 Vgl. auch schon oben I. Teil B. III. 2. b). Die Rechtsentstehung in der Non-liquetSituation ist allerdings an eine konkretisierende Verwaltungsentscheidung geknüpft und widerspricht daher § 38 AO.

B. Das Wesen der Beweislastnormen

191

bei wird deutlich, daß es keines konkretisierenden Rechtsaktes der Finanzbehörde bedarf, um einen Steueranspruch des Fiskus gegen den steuerpflichtigen Bürger zu begründen. Die Ablehnung der Vollständigkeitstheorie ist daher durchgängig 11, wenngleich auch ihr Wertungen zugrunde liegen, die von nicht unerheblicher Bedeutung für die Frage einer objektiven Beweislast sind. 12

11. Die Nichtanwendungstheorie

Die Nichtanwendungstheorie oder, unter ihrem bekannteren Namen, Normentheorie bzw. Normbegünstigungstheorie muß als Ursprung aller modemen Beweislasttheorien angesehen werden. Sie geht in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung auf Rosenberg zurück. 13 Hinsichtlich der theoretischen Grundlegung soll dem Begriff Nichtanwendungstheorie gefolgt werden, da er präziser als die Bezeichnungen Normentheorie bzw. Normbegünstigungstheorie auf den methodischen Vorgang der Rechtsanwendung bei Beweislosigkeit hinweist. Während nämlich die Bezeichnung als Normentheorie oder Normbegünstigungstheorie ihren Bezug in der Verteilung der Beweislast auf die Parteien sucht, legt der BegriffNichtanwendungstheorie den methodischen Kern frei, der in der Nichtanwendung der materiellen Norm bei Vorliegen eines non liquet besteht. 14 Die Nichtanwendungstheorie geht in Übereinstimmung mit der h.M. davon aus, daß die Rechtsnormen ihre Wirksamkeit unabhängig von der Beweisbarkeit ihrer Tatbestandsmerkmale entfalten. Sie trennt demzufolge zwischen der Wirklichkeit, in der es nur die Möglichkeit der Existenz oder Nichtexistenz von Tatsachen gibt, und der Rechtsanwendung, die nach Tatsachenfeststellung zu dem Schluß führen kann, daß weder das Vorliegen noch das Nichtvorliegen eines die Tatbestandsmerkmale der Norm ausfüllenden Lebenssachverhaltes Ergebnis der Ermittlungen ist. Sie geht daher von der Prämisse eines möglichen Beweisergebnisses mit einem Spektrum von "bewiesen - non liquet - widerlegt" aus. Daraus wird der Schluß gezogen, daß die Anwendung einer Norm nur möglich

11 Vgl. Nierhaus, Beweismaß, S. 146, 151 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 146 ff. m.w.N. 12

Hierzu unten C. IV. 4.

13

Rosenberg, Beweislast, S. 12.

14

So auch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 114; Nierhaus, Beweismaß, S. 127 ff.

192

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

sei bei Überzeugung vom Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale, wohingegen eine Normanwendung unterbleiben muß, wenn ihre Voraussetzungen widerlegt sind oder unklar bleiben. Das Methodenproblem der Rechtsanwendung bei ungewissem Sachverhalt erschöpft sich nach der Auffassung Rosenbergs in der Nichtanwendung der Norm. 15 Unklar bleibt dabei, worin die Beweislastnormen bestehen, von deren Existenz Rosenberg offensichtlich ausgeht. '6 Die Verteilung der Beweislast entnimmt Rosenberg der Klassifizierung aller Normen bzw. Normbestandteile in rechtsbegründende sowie rechtsvernichtende, rechtshemmende und rechtshindernde Merkmale. Während die rechtsbegründenden Merkmale immer dem Anspruchsteller günstig seien, begünstigen auf der anderen Seite die rechtsvernichtenden, -hemmenden und -hindernden Merkmale den Anspruchsgegner. 17 Kann also die Existenz oder Nichtexistenz eines Merkmals nicht geklärt werden, muß die Anwendung dieser Norm bzw. dieses Normbestandteiles unterbleiben. Daraus ergibt sich wie von selbst die Verteilung des Risikos unter den Parteien. Die Kritik gegen diese Auffassung richtet sich auf zwei Punkte: Die Nichtanwendung einer Norm im Falle des non liquet führe zu einer Verkürzung des Dreiklangs von "bewiesen - non liquet - widerlegt" zurück zu einem Zweiklang in "bewiesen - nicht bewiesen".'8 Rosenberg verkenne, daß die Gleichsetzung von non liquet und widerlegt und die daraus folgende Nichtanwendung der Norm nicht die logische Folge aus der Nichterweislichkeit von Tatsachen ist. '9 Eine klare Anweisung enthalten die materiellrechtlichen Normen nämlich nur für den Fall des Vorliegens der Merkmale sowie ihres Nichtvorliegens. Der Non-liquet-Bereich wird von der materiellrechtlichen Norm zunächst gar nicht erfaßt. Daher kann - das ist heute unbestritten - sowohl ihre Anwendung wie auch ihre Nichtanwendung logisch möglich bleiben. Rosenberg bleibe eine Begründung dafür schuldig, warum der Bereich der Nichterweislichkeit von ihm mit der Widerlegung der tatbestand lichen Voraussetzungen der Norm gleichgesetzt wird. Demzufolge wird der Vorwurf erhoben, es fehle eine Begründung, aus der sich ergebe, aufgrund wel-

15

Rosenberg, Beweislast, S. 5, 12, 98 ff.

16

Beweislast, S. 5, 8, 12, 14, 77, 80 und passim.

17

Zu Einzelheiten unten C. 11.

IR

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 148 ff.; Nierhaus, Beweismaß, S. 129 ff.

19 Leipold, Beweislastregeln, S. 32 f.; ders., Beweismaß und Beweislast im Zivilprozeß, S. 17 f.; Nierhaus, Beweismaß, S. 130.

B. Das Wesen der Beweislastnormen

193

eher Ennächtigung der Richter eine Nonn nicht anwenden sol1.20 Wenn die Beweislast die Folge der Nichtanwendbarkeit einer Nonn sei, könne die Beweislastnonn nicht im gleichen Zuge Ursache für die Nichtanwendung des materiellen Rechtssatzes sein. 21 Schwab versucht diese Lücke durch eine methodische Hilfsregel zu schließen, die die Gleichsetzung des Bereichs von "non Iiquet" mit "widerlegt" bewirkt. Das methodische Hilfsmittel sei in einer ungeschriebenen Norm, die allein die Rechtsanwendung bei Nichterweislichkeit der Tatsachen betreffe, oder in § 286 ZPO zu erblicken. 22 Dieses methodische Hilfsmittel wäre damit die eigentliche Beweislastnonn, die nach Auffassung Schwabs in jedem Fall zur Nichtanwendung der materiellen Nonn führt. 2J Damit ist allerdings nur der erste Kritikpunkt gegen die Lehre Rosenbergs überwunden. Weiteren Einwänden ist diese Lehre im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden und rechtshindemden Merkmalen ausgesetzt. Im Anschluß an die Untersuchungen von Leipolcf4 ist heute allgemein anerkannt, daß ein Unterschied dieser Nonngruppen in materiellrechtlicher Hinsicht nicht besteht, es sich vielmehr nur um eine sprachlich differierende Ausfonnung eines Merkmals in positiver oder negativer Hinsicht handele. In dieser Hinsicht gilt die Auffassung Rosenbergs heute als allgemein widerlegt. 25 Die mangelnde Unterscheidbarkeit rechtsbegründender und rechtshindemder Merkmale in materiellrechtlicher Hinsicht führt aber in der Folge auch zu Unzulänglichkeiten bei der Fortschreibung der Nichtanwendungstheorie durch Schwab. Erschöpft sich nämlich die Beweislastnonn in der methodischen Anweisung, den Bereich des non liquet der Nichterweislichkeit von Tatsachen gleichzustellen, kann die Beweislastverteilung bei Vorliegen eines rechtshindemden Merkmals nicht mehr die notwendige Folge der Nichtanwendung einer Nonn sein, wenn eine materielle Gleichwertigkeit von rechts begründenden und

2U

Leipold, Beweislastregeln, S. 31 f.; Nierhaus. Beweismaß, S. 129.

21 Schwab, Festschrift Bruns, S. 505, 506; Nierhaus, a.a.O. 22 Schwab, Festschrift Bruns, S. 505. 506, 5/9. Zur Ungeeignetheit des § 286 ZPO als Ableitungsvorschrift zutreffend Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 150. B Unklar ist, ob Schwab nicht auch die rechtsbegründenden, -vernichtenden, -hemmenden sowie -hindernden Merkmale als Beweislastnormen qualifiziert. Seine Ausflihrungen (Festschrift Bruns, S. 505,507 f) in Auseinandersetzung mit Leipoldkännten dies andeuten.

24

Leipold, Beweislastregeln, S. 38 ff.; Gottwald, Jura 1980, 225, 230.

25

Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 162 m.w.N.

13 M. Schmidl

194

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

rechtsvernichtenden Merkmalen besteht. In diesem Falle müßte es eine zweite "Art" von Beweislastnormen geben, die die Beweislast auch inhaltlich zwischen den Parteien verteilt. Dies erscheint widersprüchlich. 26 So hätte die eine Art der Beweislastnormen nur methodische Wirkung, während zusätzlich Beweislastnormen existierten, die auch eine inhaltliche Entscheidungsanweisung tragen.

III. Die Sondernormentheorie

Die "Ungereimtheiten" der Nichtanwendungstheorie Rosenbergs versucht die sog. Sondernormentheorie Leipolds zu überwinden. Jenem kommt der Verdienst zu, zunächst klar herausgearbeitet zu haben, daß die materielle Norm im Falle eines non liquet "versagt". Kann der Richter aber eine Entscheidung bei Unaufklärbarkeit nicht verweigern, so müssen besondere Normen hinzutreten, die ihm eine Entscheidung ermöglichen. Nach Ansicht Leipolds sind dies die' Beweislastnormen. Leipold dreht damit "das Verhältnis von Grund und Folge" herum. 27 Die Beweislastnormen treten zu der materiellrechtlichen Norm hinzu und enthalten auf der Tatbestandsebene das non liquet und auf der Rechtsfolgenseite die Fiktion des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens des fraglichen Tatbestandsmerkmals. Dadurch ist für den Richter die Subsumtionsfahigkeit unter die materiellrechtliche Norm durch das Hinzutreten dieser Beweislastsondernorm hergestellt. 28 Im Gegensatz zur Auffassung Schwabs hat die Beweislastnorm aber eine doppelte Funktion: Sie enthält nämlich den methodischen Weg zur Überwindung des non liquet, wie sie gleichzeitig auch inhaltlich die Beweislast verteilt. Auch gegen diese Auffassung der Beweislastnorm als Sondernorm werden Bedenken vorgetragen. 29 So trenne diese Auffassung nicht deutlich zwischen dem rein methodischen Problem der Rechtsanwendung im Falle der Nichterweislichkeit entscheidungsrelevanter Tatsachen und dem materiellrechtlichen Problem der Verteilung der Beweislast zwischen den Parteien. Auch werde hier ein Widerspruch zu ausdrücklichen Beweislastnormen offenbar, die, wie beispielsweise § 282 BGB, nur die Beweislast inhaltlich

26

Ausführlich Prüfling, Gegenwartsprobleme, S. 163.

27

Schwab, Festschrift Bruns, S. 505, 507.

2K

Zur Fiktion Leipo/d, Beweislastregeln, S. 65.

29

So insbesondere Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 154 ff.

B. Das Wesen der Beweislastnormen

195

verteilen, aber zu dem methodischen Vorgehen keine Regelungen enthalten. 30 Dadurch werden wiederum zwei "Arten" von Beweislastnormen geschaffen, nämlich solche mit und ohne methodischen Anweisungsgehalt. Allerdings hat Nierhaus 31 darauf hingewiesen, daß dies nur ein Scheinproblem sei, denn schließlich könne man ebenso § 282 BGB den methodischen Lösungsansatz als mitgeregelte Prämisse entnehmen. Der Haupteinwand gegen die Sondernormentheorie Leipolds 32 betrifft jedoch die Abkoppelung der Beweislastnormen vom materiellen Recht. 33 Diese sollen als Beweislastsondernormen der materiellrechtlichen Norm hinzugefiigt werden. 34 Im Gegensatz zur Auffassung Rosenbergs und Schwabs, die nur eine Grundregel der Beweislast erkennen, würde hier eine Vielzahl zusätzlicher. nicht kodifizierter Normen existieren, deren Änderung (z.B. durch Beweislastumkehr) das materielle Recht unberührt ließe. Diese Abkoppelung wird als bedenklich angesehen, weil sie zu einer - in der Praxis bereits wahrnehmbaren - leichtfertigen Handhabung der Beweislast fiihre. 35

IV. Die Theorie der negativen Grundregel

Die Lösung der Beweislastnormen vom materiellen Recht versucht die Theorie der negativen Grundregel Musielaks 36 zu verhindern. Er nimmt dazu eine Trennung zwischen dem methodischen Weg der Überwindung des non liquet und der inhaltlichen Verteilung der Beweislast vor. Nur diese methodische Überwindung des non liquet ist Gegenstand der Regelung der Beweislastnormen. Diese Regeln fingieren das Nichtvorliegen des streitigen Tatbestandsmerkmals als Grundregel, so daß "ein Rechtssatz nicht als erfüllt gilt, wenn

30

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 155.

31

Beweismaß, S. 183.

32 Der sich im übrigen Berg, Reinecke und Wahrendorf in ihrem Ausgangspunkt anschließen.

33

Schwab, Festschrift Bruns, S. 505, 507; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 156.

34

Leipold, Beweislastregeln, S. 22.

35

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 156 f.

36

Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 354 ff.

13*

196

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

seine tatsächlichen Voraussetzungen nicht festgestellt werden können".37 Die Verteilung der Beweislast ist nur ein Reflex aus dieser Grundregel. Jene ergibt sich wiederum aus der Einteilung in rechtsbegründende und rechtshindernde, rechtshemmende und rechtsvernichtende Normen. Da aber auch Musielak einen materiellrechtlichen Unterschied zwischen rechtsbegründenden und rechtshindernden Normen nicht anerkennt, kann das materielle Recht im Falle rechtshindernder Normen keinen unmittelbaren Aufschluß auf die Entscheidung geben. Es bedarf daher zusätzlicher Normen. Diese fingieren als Sonderregeln in Ausnahme von der Grundregel das positive Vorliegen der Tatbestandsmerkmale. Dies hat der Lehre von der Theorie der negativen Grundregel die Kritik eingetragen, daß sie nicht "zwischen der Tatsache, daß durch Beweislastnormen irgendetwas fingiert wird, und der Frage, wie diese Fiktion aussieht, insbesondere ob sie ein Merkmal als bestehend oder nicht bestehend fingiert", trennt. 38 Dadurch würden faktisch wiederum zwei Arten von Beweislastregeln geschaffen, wobei der Widerspruch zu den gesetzlich ausdrücklich geregelten Beweislastregelungen bestehenbleibt. Schließlich sei es nicht richtig, daß man Beweislastregeln als inhaltsleer bezeichnet und die eigentlich für die Parteien im Vordergrund stehende und das Wesen der Beweislastentscheidung ausmachende Element der Risikozuweisung zum bloßen Reflex aus der Rechtsanwendung degradiert werde. Eine solche Theorie stelle Grund und Folge auf den Kop[.>9

V. Die Gleichstellungstheorie

Aufbauend auf der Erkenntnis, daß das materielle Recht zu seiner Anwendbarkeit im Falle eines non liquet schweigt sowie der fehlenden Unterscheidbarkeit rechtsbegründender und rechtshindernder Merkmale, versucht Prütting, die Lehre von der objektiven Beweislast "vom Kopf auf die Füße" zu stellen. 40 Er läßt sich dabei von den gesetzlich normierten Beweislastvorschriften, wie beispielsweise § 282 BGB, leiten. Diesem sei, so Prütting, allein die Verteilung der Beweislast auf die Parteien zu entnehmen, während ihm ein Hinweis auf die methodische Überwindung des non liquet gänzlich fehle. Jene Norm setze eine

37 Musielak, Grundlagen der Beweislast. S. 293. JX

Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 116.

39

Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 160 f.

40

Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 171.

B. Das Wesen der Beweislastnormen

197

methodische Regel vielmehr voraus. Diese "Struktur" müßten auch die ungeschriebenen Beweislastnormen aufweisen, damit sichergestellt sei, daß nicht zwei verschiedene "Arten" von Beweislastnormen existierten. Das Bemühen Prüttings ist daher geleitet von dem Versuch, eine Gleichstellung zwischen den gesetzlich ausdrücklich geregelten Beweislastnormen und den ungeschriebenen Beweislastnormen herzustellen. Deswegen soll seine Theorie hier als "Gleichstellungstheorie" beschrieben werden. Als weitere Ziele seiner Beweislastlehre müssen der Versuch, eine Loslösung der Beweislastnorm vom materiellen Recht zu verhindern und die Vermeidung einer Ausweitung des Normbestandes durch unzählige ungeschriebene Beweislastnormen herausgestellt werden. Zu diesem Zwecke trennt er die methodische Frage der Rechtsanwendung bei Unaufklärbarkeit des entscheidungserheblichen Sachverhaltes ganz strikt von der Frage der inhaltlichen Verteilung der Beweislast auf die Parteien. Zunächst kommt er zu dem Ergebnis, daß es wegen einer aus der Verfassung abgeleiteten Anweisung zur Rechtsanwendung im Falle des non liquet aufgrund des Rechtsverweigerungsverbotes bzw. des Justizgewährungsgebotes und der gesetzmäßig, d.h. durch Anknüpfung an das materielle Gesetz gewährleisteten Verteilung der Beweislast nicht unbedingt einer normativen Begründung zur methodischen Überwindung des non liquet bedürfe. Der Vorgang der Rechtsanwendung erfolgt nach seiner Ansicht in Fortfuhrung der Gedanken Schwabs41 aufgrund einer Operationsregel, die ihrerseits ihre sachliche Begründung im Rechtsverweigerungsverbot und Justizgewährungsanspruch hat42 und die ihrem Wesen nach in einer Fiktion besteht. Sie beschränkt sich also darauf, das Nichtfeststehen eines aufklärungsbedürftigen Umstandes mit dem Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Merkmals gleichzusetzen. Er begründet dies damit, daß die Beweislastnormen damit auf das zurückgeführt werden, was allen Normen gemein sei, nämlich die Regelung von Rechten, Pflichten und sonstigen Verhältnissen von Personen und Sachen, "nicht aber Fragen der Logik und der Methodenlehre" .43 Den nicht-normativen Charakter dieser Operationsregel sieht er aber nicht als das eigentlich Wesentliche dieser Regel an. So weist er selbst darauf hin, daß es möglich sei, sie als "normativen Rechtsanwendungsbefehl" anzusehen. 44 Durch dieses Vorgehen erreicht Prütting, daß der Vorgang der

41

Siehe oben B. 11 (Fn. 22).

42

Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 171.

43

Prütting, a.a.O.

44

Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 171 mit Fn. 27.

198

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Rechtsanwendung völlig abgekoppelt von den Beweislastnormen erscheint. Diese können sich auf ihren "wahren Inhalt"45 konzentrieren, nämlich darauf, weIche Entscheidung der Richter gegenüber den Parteien zu treffen hat. Als Inhalt dieser Beweislastnorm ergebe sich daher die Regel: "Ist dem Richter irgendein Tatbestandsmerkmal unklar geblieben, so trägt den Nachteil (also die Beweislast) dafür der Anspruchsteller bzw. (je nach dem konkreten Verteilungsmerkmal) dessen Gegner."46 Durch diese Regelung sieht er auch eine Gleichstellung mit den gesetzlich ausdrücklich bestimmten Beweislastnormen, wie insbesondere § 282 BGB als gewährleistet an. Diese Auslegung der Beweislastnormen hat für ihn den Vorteil, daß sie sich mit jeder nur denkbaren "Verteilungsmethode" kombinieren lassen. So kann diese Beweislasttheorie ohne Reibungen mit der Normbegünstigungstheorie Rosenbergs wie auch mit den Verteilungskriterien der Sondemormentheorie bzw. der Theorie der negativen Grundregel und weiteren Wertungsgesichtspunkten, wie z.B. nach Gefahrenbereichen, in Einklang gebracht werden. Dadurch ist auf jeden Fall eine unmittelbare Anknüpfung an die materiellrechtliche Norm gewährleistet. Die Beweislastnorm selbst ist unvollständig. Sie enthält nur die Verteilung des Risikos, nicht aber den Rechtsfolgenausspruch. Nur zusammen mit der materiellen Norm sei dieser möglich. Prütting bezeichnet daher die Beweislastnormen als Hilfs- bzw. Ergänzungsnormen. 47

VI. Die Anweisungstheorie

Die bisher behandelten Beweislasttheorien sind sämtlich zivilrechtlicher Provenienz. Wenn auf die herrschende Beweislastlehre verwiesen ist, waren daher grundsätzlich die zitierten Auffassungen über die methodische Wirkungsweise der Beweislastnormen zugrundezulegen und dies, obwohl sie in ihren Einzelheiten durchaus unterschiedlich sind. Als Gemeinsamkeit läßt sich jedoch hervorheben, daß die Wirkung der methodischen Rechtsanwendung in einer Fiktion gesehen wird. Mit diesem Problem setzt sich beispielsweise auch der BFH in seiner grundlegenden Entscheidung zur Beweislast aus dem Jahre 1970

45

Prüfting, Gegenwartsprobleme, S. 171.

46

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 172.

47

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 173.

B. Das Wesen der Beweislastnormen

199

nicht auseinander. 48 Gerade in diesem Punkt müssen sich jedoch fur das öffentliche Recht, insbesondere auch fur das Steuerrecht, Bedenken ergeben. Einen eigenständigen Ansatz einer Beweislastlehre flir das gesamte öffentliche Recht versucht, aufbauend auf den Erkenntnissen der bisher genannten zivilrechtlichen Auffassungen, Nierhaus. Zunächst wählt er in Übereinstimmung mit den neueren zivilrechtlichen Beweislastlehren als Ausgangspunkt, daß die materiellrechtliche Norm keine Anweisung zu ihrer Anwendung im Falle eines non liquet enthält. Da es auch im Bereich des öffentlichen Rechts wegen des Justizgewährungsanspruches bzw. des Rechtsverweigerungsverbots49 zu einer Sachentscheidung kommen müsse, seien besondere Normen, nämlich die Beweislastnormen, erforderlich. Sie sollen dem materiellen Recht zum Durchbruch verhelfen. Erst "sie machen das materielle Recht entscheidungsfähig."50 Auch Nierhaus betont, daß es hierzu eines methodischen Weges bedarf. Wegen des im Bereich des öffentlichen Rechts geltenden Grundsatzes der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit des Verwaltungshandelns könne dieser methodische Weg allerdings nur mit Hilfe einer Norm beschritten werden. Damit ist zwangsläufig die Einbeziehung der Rechtsanwendungsmethode in den Bereich der Beweislastnormen vorgegeben. Die Trennung in die nicht normative Operationsregel und die die Verteilung beinhaltende eigentliche Beweislastnorm im Sinne Prü(tings 51 kann von Nierhaus daher nicht aufrechterhalten werden. Hierzu setzt er sich zunächst mit der bei der Gleichstellungstheorie Prüttings im Vordergrund stehenden Behauptung, daß die gesetzlichen Beweislastnormen das methodische

4K BFH BStBI. II 1971. 220, 224. wo das Gericht lediglich auf die Normentheorie Rosenbergs verweist. Sollten hieraus Rückschlüsse zu ziehen sein. daß auch der BFH (ursprünglich) von der strikten Nichtanwendung der Norm bei NichtfeststeIlbarkeit des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes ausging? Ließe sich nämlich nachweisen, daß z.B. Werbungskosten und Betriebsausgaben anspruchshinderndenMerkmale sind (Wie lassen sich systemkonform "negative Einkünfte" oder "vorgezogene" Werbungskosten erklären? Hier scheint die Argumentation von Wahrendorf. Prinzipien der Beweislast. S. 54, daß nur die Gesamtheit der materiellen Normen Auskunft über die "Günstigkeit" geben könne. zutreffend; das Steuerrecht ist aber staatliches Eingriffsrecht. vgl. unten C. IV. 2.), wäre die (teilweise) Nichtfestsetzung der Steuer eine einleuchtende und zwangsläufige Folge!

49 Zu den unkritischen Äußerungen Nierhaus 'hierzu vgl. bereits oben I.Teil B. IV. 2. d).

;0

Nierhaus. Beweismaß. S. 170.

51

Vgl. oben B. V.

200

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Instrument zur Überwindung des non liquet nicht enthielten, auseinander. Er weist das Argument Prüttings als Scheinargument zurück, indem er darauf hinweist, daß es möglich sei, die Entscheidung als den speziellen Beweislastregeln vorausgedachte Prämisse anzusehen.'2 Hieraus folge also nicht notwendig ein Zwang zur Trennung zwischen dem Prinzip der Rechtsanwendung und der Verteilung der Beweislast auf die Parteien. Zwar trennt auch Nierhaus strikt diese beiden Bereiche, faßt sie aber dennoch als Inhalt der besonderen Beweislastnormen in diesen zusammen. Zunächst ist jedoch hervorzuheben, daß auch er von einer Dreiteilung des Beweislastproblems ausgeht. Die erste Stufe sieht er in Übereinstimmung mit Prütting'J in der Anweisung an den Rechtsanwender (wobei er sich nur auf den Richter bezieht), eine materielle Entscheidung auch bei Vorliegen eines non liquet zu treffen. 54 Die zweite Stufe des Beweislastproblems bildet die Frage der methodischen Überwindung des non liquet. Erst auf der dritten Stufe ist die Verteilung des Risikos auf die Parteien angesiedelt. Ausgehend von dieser Einteilung gibt Nierhaus den Beweislastnormen folgende "Struktur": Auf der Tatbestandsseite findet sich als Voraussetzung das prozessuale non liquet. Dies sei die "Unklarheit über das Vorliegen von Tatsachen, die unter ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal einer bestimmten Norm, die nicht Beweislastnorm ist, subsumierbar sind".'s Die von Prüfling intendierte strikte Trennung zwischen methodischer Rechtsanwendung und inhaltlicher Verteilung der Beweislast nimmt Nierhaus auf der Rechtsfolgenseite der Beweislastnormen vor. Er unterteilt diese in ein abstrakt-tatbestandliches sowie ein konkret-inhaltliches Element. Letzteres regele die Verteilung der Beweislast zwischen den Parteien. Es beinhalte die Anweisung, "eine zweifelhaft gebliebene Tatsache in positiver oder negativer Hinsicht" einem Urteil zugrundezulegen. 56 Insofern scheint eine gewisse Übereinstimmung zwischen der Auffassung Nierhaus' und der negativen Grundregel bzw. den Sonderregeln im Sinne der Theorie Musielaks zu bestehen.'7 Das konkret-inhaltliche Element

;2

Nierhaus, Beweismaß, S. 183.

;) Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 165. ;4 Hierzu auch Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 169; Pohle, Festschrift Dölle. Bd. 11, S. 317, 320.

;; Nierhaus. Beweismaß. S. 197 unter Hinw. auf Reinecke, Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht, S. 24. 56

Nierhaus, Beweismaß, S. 199.

;7

Allerdings verbindet Musielakdie Regeln unmittelhar mit der (methodisch wirken-

B. Das Wesen der Beweislastnormen

201

richte sich jedoch stark am materiellen Recht aus, da die Rechtsfolgen "nur im Zusammenhang mit dem materiellen Recht zustandekommen".s8 Den wesentlichen Kern der Beweislastnormen in der Theorie Nierhaus 'bildet das abstrakttatbestandliehe Element seiner Beweislastnormen, denn dieses enthält nach seiner Ansicht die "Ermächtigung zur Rechtsanwendung trotz Zweifeln über die Rechtsanwendungsvoraussetzungen".59 Hierbei verfällt er allerdings der Versuchung, nunmehr die Grenzen zwischen der ersten und der zweiten Stufe der Beweislastproblematik zu verwischen. oo Das abstrakt-tatbestand liehe Element enthält nämlich nicht nur die "normativ gedachte Operationsregel" Prüttings OI , sondern geht weit darüber hinaus: "Infolge der Entscheidungsanweisung der Beweislastnorm wird der Richter in letzter Konsequenz ermächtigt, materielle Rechtsfolgen zu bejahen oder zu verneinen, weshalb die Beweislastentscheidung der Partei, der das Beweisrisiko zufällt, einen materiell-rechtlichen Nachteil zu fugt " .02 Diese in systematischer Hinsicht problematische Ausweitung des Inhalts der Beweislastnormen auf ihre Anwendungsvoraussetzung wird auch an anderer Stelle deutlich. So fuhrt er aus: "Obwohl Prütting mehrfach zutreffend von der 'Legitimation' zur Entscheidung beim non liquet spricht, verkennt er dabei den besonderen normativen Ermächtigungscharakter der Beweislastregeln, der oben näher umschrieben worden ist. Ohne die von den Beweislastnormen gelieferte Rechtsgrundlage könnte der Richter überhaupt nicht entscheiden, und zwar weder zugunsten noch zu Lasten der einen oder anderen Partei (im Sinne der konkret-inhaltlichen Beweislastverteilung), weil ihm dies angesichts der Tatsachenlücke oder -ungewißheit das rechtsstaatliche Prinzip der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit verbietet. Ohne das normative Ermächtigungselement kann nicht erklärt werden, daß Beweislasturteile auf besonderen, rur den Fall des non liquet geschaffenen Normen beruhen, die die Rechtmäßigkeit und

den) Fiktion, während die Verteilung auf die Parteien nur ein Reflex sein soll: diesen Reflex macht Nierhaus (auch) zum Gegenstand des konkret-inhaltlichen Elements. 5K

Nierhaus, Beweismaß, S. 199.

59

Nierhaus, Beweismaß, S. 197.

(,0

Zu der Stufeneinteilung vgl. oben I. Teil B. IV. 2. d) und soeben bei Fn. 53.

61 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 171 mit Fn. 27, mißt, wie erwähnt, der Frage, ob die Operationsregel normativen Charakter hat oder nicht, nicht das entscheidende Gewicht zu. 62 Nierhaus, Beweismaß, S. 198 [Hervorh. d. Verf.l: daher die hier gewählte Bezeichnung "Anweisungstheorie".

202

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Gerechtigkeit der Entscheidung speziell für diese an sich unlösbare Situation begründen".63 Hierbei bezieht sich Nierhaus eindeutig auf die Entscheidung des Richters, der ohne diese Anweisung gar nicht entscheiden dürfte. Dadurch vermengt er aber die erste und zweite Stufe des Beweislastproblems. Er macht daher, wie bereits mehrfach erwähnt 64 , die Voraussetzungen zum Inhalt der Beweislastnormen. Deutlich wird dies in der Bezugnahme auf Prütting. Tatsächlich spricht dieser von einer "Legitimation" im Zusammenhang mit seiner von ihm entwickelten Operationsregel. Dies stellt er jedoch eindeutig in den Zusammenhang mit der ersten Stufe des Beweislastproblems, also mit der Herleitung des Entscheidungszwanges des Richters aufgrund des Rechtsverweigerungsverbotes. 65 Die Einbeziehung dieser ersten Stufe der Beweislastproblematik rechtfertigt Nierhaus äußerst knapp. Er ist der Auffassung, daß das verfassungsrechtlich verankerte Justizverweigerungsverbot 66 den "normativen Charakter des formalen Elements der Beweislastrechtsfolge" keineswegs überflüssig mache. Er sieht den Richter bei seiner Entscheidung im Spannungsfeld zwischen Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeitsprinzip auf der einen Seite und dem Entscheidungszwang aus dem "Justizverweigerungsverbot" auf der anderen Seite gefangen. Den Ausweg aus diesem Dilemma eröffnen ihm die Beweislastnormen, "indem sie die Rechtsdurchsetzung im Falle des non Iiquet gewährleisten. Wo keine ausdrücklichen Beweislastregeln existieren, greifen richterrechtliche Beweislastregeln ein".67 Gerade deswegen berücksichtigt er jedoch die Entscheidungsanweisung doppelt. Ohne den dem Justizgewährungsanspruch bzw. Rechtsverweigerungsverbot zu entnehmenden Zwang käme es zu einer Kollision mit dem Gebot der Gesetz- und Tatbestandsmäßigkeit überhaupt nicht. Den Umfang der an den Richter bzw. Rechtsanwender gerichteten Anweisung schränkt er dann jedoch wieder dadurch ein, daß er die Anweisung nicht als Ermächtigung zur unmittelbaren Bejahung oder Verneinung der materiellen Rechtsfolge auffaßt, sondern eine doppelte Ermächtigung für gegeben hält, im Rahmen der Herstellung der Tatbestandsgebundenheit der Rechtsfolge eine

63

Nierhaus, Beweismaß, S. 183.

M

Oben 1. Teil B. IV. 2. d).

65 Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 170. § 13 11 2 b; Nierhaus, Beweismaß, S. 183 Fn. 344, zitiert insoweit fehlerhaft § 13 11 3 b. 66

Auf das Rechtsverweigerungsverbot geht er nicht ein.

67 Nierhaus, Beweismaß, S. 184.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

203

Beweislastentscheidung als abstrakt-tatbestandlichem Element zu treffen und die Beweislast gemäß dem konkret-inhaltlichen Element zu verteilen. Die Einschränkung ist für Nierhaus erforderlich, um eine Verselbständigung der Beweislastnormen, wie sie sich bei der Sondernormentheorie Leipo/ds vollzieht, zu vermeiden und eine enge Anbindung an das materielle Recht zu gewährleisten. Dazu kupiert er die Beweislastnormen hinsichtlich ihrer Rechtsfolgenanordnung. So komme jene "nur im Zusammenhang mit dem materiellen Recht" zustande. 68 Nierhaus umgeht damit den Vorwurf, der die Theorie der negativen Grundregel traf'9, daß diese die Verteilung der Beweislast nur zum Reflex aus der Anwendung oder Nichtanwendung einer Norm mache, durch Einbeziehung des konkret-inhaltlichen Elements in den Normbereich. Damit durchbricht er jedoch die Stringenz der eigenen Argumentation: Da er dieses Element "mit Blick auf die Parteien"70 formuliert, gelingt es auch Nierhaus entgegen seiner Überzeugung nicht, die Beweislastnorm ohne die "Einbeziehung der Parteien in den Normbereich" zu erklären. 7\ Die Trennung zwischen abstrakt-tatbestandlichem und konkret-inhaltlichem Element, die zwar der Klarheit und der "Abschichtung" des Methodenproblems zugutekomme 2, hat im Ergebnis nur formalen Charakter.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast I. Ausgangsbefund

Bereits bei genauerer Prüfung der Beweislasttheorien hat sich eIDe Vielschichtigkeit offenbart, deren Problematik durch oberflächliche Hinweise auf die allgemeinen Grundsätze der FeststellungslaseJ in keiner Weise erfaßt wird. Der Mangel an dogmatischer Durchdringung der Beweislastfragen wird aber

~K

Nierhaus, Beweismaß, S. 200.

69

S. oben B. IV.

70 Nierhaus, Beweismaß, S. 199. 7\

Nierhaus, Beweismaß, S. 172.

n Wobei Nierhaus, Beweismaß, S. 191 f., den funktionalen Ansatz einer Fiktion ausdrücklich ablehnt. 73

S. oben A. (Fn. I).

204

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

auch bei der Frage offenbar, nach welchen Kriterien die Beweislast auf die Parteien verteilt werden muß. 74 Eine "einfache" (und ausnahmslose) Beantwortung der Frage ist bei genauerem Hinsehen nicht möglich. Für die vorliegende Untersuchung könnte wegen des gewählten Ansatzes eine Prüfung auf die steuerlich relevanten Verteilungsansätze beschränkt bleiben. Allerdings ist es wegen der an vielen Stellen bereits erwähnten Ableitung der Beweislastfragen aus der zivilrechtlichen Beweislastlehre erforderlich. zumindest in einer verallgemeinernden Zusammenstellung mögliche Verteilungsprinzipien gebietsübergreifend darzustellen. Erst im Anschluß daran soll die Tragfähigkeit spezieller steuerrechtlicher Lösungsansätze einer Prüfung unterzogen werden.

11. Die Verteilung der Beweislast nach dem Günstigkeitsprinzip

Der Ausgangspunkt der Beweislastverteilungskriterien ist die Normbegünstigungsthese Rosenbergs. Auf ihn geht die Grundregel der Beweislastverteilung, die nicht nur ftir den Zivilprozeß zahlreiche Anhänger gefunden haeS, zurück. "Diejenige Partei, deren Prozeßbegehr ohne die Anwendung eines bestimmten Rechtssatzes keinen Erfolg haben kann, trägt die Behauptungs- und Beweislast daftir, daß die Merkmale des Rechtssatzes im tatsächlichen Geschehen verwirklicht sind.,,76 Er bringt diese Regel auf den kurzen Nenner, daß jede Partei die "Voraussetzungen der ihr günstigen Norm" zu beweisen habe. 77 Durch die Verteilung der Anspruchsmerkmale in rechtsbegründende sowie rechtsvernichtende, rechtshemmende und rechtsverhindernde gelangt Rosenberg zu dem Schluß, daß der Anspruchsteller die rechtsbegründenden, der Anspruchsgegner die übrigen Merkmale zu beweisen habe. 78 Auch wenn Rosenberg in dem Ausgangspunkt, daß die Nichtanwendung der Norm die logische Folge aus der

74 G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 17. 7; Vgl. allein für das Steuerrecht BFH BStBI. II 1971,220,224; TipkelKruse, § 88 AO Rdn. II b; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 157; Tipke, StKRep 1967, 39, 42 jJ.; Helsper, in: Koch/Scholtz. § 88 AO Rdn. 14; Kühn/Kutter/Hofmann, § 88 AO Anm. 2; Weber-Grellet. StuW 198 L 48. 5 L G. Klein. Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast. S. 21. 76

Rosenberg, Beweislast, S. 98.

77

Rosenberg, Beweislast, S. 98 f.

7K

Für das Steuerrecht vgl. Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 158.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

205

Nichterweislichkeit der Tatsachen sei, nicht gefolgt werden konnte 79 , so wirkt sich dieser Vorwurf grundsätzlich nicht auf das Verteilungsprinzip nach der materiellrechtlich vorgegebenen Normgünstigkeit aus. 80 Problematisch gestaltet sich allein die materiellrechtliche Determinierung der rechtshindernden Merkmale; auf deren materielle Gleichwertigkeit mit den rechtsbegründenden Merkmalen wurde bereits hingewiesen. 81 Diese Erkenntnis muß als inzwischen unstreitig bezeichnet werden. 82 Wenn aber eine materiellrechtliche Unterscheidbarkeit zwischen rechts begründenden und rechtshindernden Merkmalen fehlt, können zur Vornahme einer Verteilung nur formale Aspekte herangezogen werden, wie insbesondere der Wortlaut der Normen. Demzufolge werden rechtshindernde Normen überwiegend als solche eingeordnet, bei denen der Gesetzgeber durch Wahl der Formulierung eine Abweichung von der Grundregel der Beweislastverteilung zu erkennen gegeben hat. 83 Im Ergebnis klammert die überwiegende Meinung hinsichtlich der Beweislastverteilung die rechtshindernden Merkmale aus der Normentheorie Rosenbergs aus und "modifiziert"84 jene insoweit. Sie gelangt so ausdrücklich oder stillschweigend 85 zu einer Verteilungsregel, die bereits § 193 Erster Entwurf BGB enthielt: "Wer einen Anspruch geltend macht, hat die zur Begründung desselben erforderlichen Thatsachen zu beweisen. Wer die Aufhebung eines Anspruches oder die Hemmung der Wirksamkeit desselben geltend macht, hat die Thatsachen zu beweisen, welche zur Begründung der Aufhebung oder Hemmung erforderlich sind."86

79

S. oben B. 11. (bei Fn. 19).

KU

SO auch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 266.

KI

S. oben B. 11. (bei Fn. 24) .

• 2 Statt vieler: Pohle, Festschrift Dölle, Bd. 11, S. 317, 331; Leipold, Beweislastregeln, S. 38 ff.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 294 ff.; Grunsky, Grundlagen des

Verfahrensrechts, S. 427; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 267; RosenbergiSchwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 117 11 2, S. 671 f K3 Leipold, Beweislastregeln, S. 42 f.: Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 299 f, 303 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 267 ff.: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 117 11 2. S. 672. K4

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 352 .

•5

Leipold, Beweislastregeln, S. 46.

K~ Entwurf, S. 45; Mugdan, Materialien I, S. CVIII; vgl. auch § 194 Erster Entwurf

206

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Diese Vorschrift, die nicht in das BGB übernommen wurde, entfaltet daher als "selbstverständliches" Verteilungsprinzip weiterhin Wirkung. 87 So wird darauf verwiesen, daß alle "großen Arbeiten" an dieser Beweislastverteilung festhalten. 88 Gemeint sind damit allerdings ausschließlich zivilrechtliche Untersuchungen. 89 Bemerkenswert ist, daß auch Nierhaus sich in der umfassendsten Untersuchung zur Beweislast im öffentlichen Recht zur Brauchbarkeit der Normentheorie als Systemtheorie bekennt90 und diese Verteilungsregel dementsprechend mit dem Sphärengedanken ergänzt. 91 Für das Steuerrecht ist hervorzuheben, daß er zu dem Ergebnis gelangt, daß sich die Normentheorie mit ihren "sachspezifisch abgewandelten bzw. angepaßten Grundregeln" bewährt habe, wobei er sich ausdrücklich auf die Entsprechung von rechtshindernden mit steuermindernden Merkmalen beruft. 92 Der modifizierten Normentheorie wird der Vorzug vor allen anderen Verteilungskriterien gegeben, weil sie mit der Unterteilung in günstige und ungünstige Umstände den "breitesten" Anwendungsbereich zur Verfügung stellt93 , der im problematischen Einzelfall nach

BGB: "Wer die rechtliche Wirkung eines Thatbestandes wegen besonderer, die regelmäßige Wirksamkeitausschließender Thatsachen verneint, hat diese besonderen Thatsachen zu beweisen." . 87 Motive I, S. 382: " ... anerkannte Sätze". Vgl. aber auch Protokolle I, S. 259: "Für die Regelung der Beweislast seien logische Gründe sowie Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsrücksichten maßgebend ... ".

88

G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 17.

Leipold, Beweislastregeln, S. 46; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 293, 355 ff.; Schwab, Festschrift Bruns, S. 50S, 508; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 267 f., 279 f. Da Zumutbarkeit und Zweckmäßigkeit sich offensichtlich nur schwer mit dem Bestimmtheitsgrundsatz, der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit von Beweislastentscheidungen vereinbaren lassen, muß einer Übertragung dieser "anerkannten Sätze" auf das öffentliche Eingriffsrecht mit Vorsicht begegnet werden. 89

90

Nierhaus, Beweismaß, S. 414.

91

Nierhaus, Beweismaß, S. 446.

92

Nierhaus, Beweismaß, S. 414, 483.

93 Dies wird deutlich bei Nierhaus, der letztlich die "eindimensionale Günstigkeit" der Nonnentheorie in Fällen "mehrdimensionaler Freiheitsprobleme" (Beweismaß, S. 408) kapitulieren sieht, in klassischen Zweipersonenverhältnissen (Steuerrecht) dann aber für ausreichend erachtet (Beweismaß, S. 414), zumal hier, worauf noch einzugehen ist, die Ansätze der Sphärentheorie versagen müssen. Auch paßt der Grundgedanke des § 194

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

207

Sonderregeln modifiziert werden kann. Dabei wird oftmals nicht klar, ob nur ein "vorrangiges" anderes Verteilungskriterium94 gewählt wird oder die Grundregel "umgekehrt" ist; im Ergebnis werden sich keine Unterschiede ergeben.

III. Weitere Verteilungskriterien

1. Die Verteilung der Beweis/ast nach der Wahrscheinlichkeit Eine weitere Möglichkeit zur Verteilung der Beweislast besteht in der Heranziehung von Wahrscheinlichkeitserwägungen. 9s So versucht Reinecke, die Unterteilung in rechtsbegründende und rechtsvemichtende, -hemmende und -hindernde Merkmale durch abstrakte Wahrscheinlichkeitserwägungen zu ersetzen.96 Er zieht zur Rechtfertigung ein Regel-Ausnahme-Schema heran, da er davon ausgeht, daß der Gesetzgeber das Normale zum Regelfall machen will und durch sprachliche Formulierung zum Ausdruck bringe, was er als Ausnahme, d.h. als in der Wirklichkeit seltener vorkommend, ansieht. Eine derartige Beweislastverteilung nach abstrakter statistischer Häufigkeit wird allerdings abgelehnt, weil sie im konkreten Einzelfall keine Erkenntnisse ermögliche97 ; so spreche bei Zweifeln über das Zustandekommen eines Vertrages zwischen zwei Parteien keine statistische Wahrscheinlichkeit rur das Vorliegen oder Nichtvorliegen im konkreten Fal1. 98 Auf die konkrete Wahrscheinlichkeit der jeweiligen Tatsachenbehauptung will Kegef 9 abstellen. In diese Richtung tendieren auch Stellungnahmen, die demjenigen die Beweislast auferlegen wol-

Erster Entwurf BGB nicht rür das Steuerrecht, da Werbungskosten oder Betriebsausgaben keine "besonderen, die regelmäßige Wirksamkeit ausschließenden Tatsachen" darstellen, weil der Anspruch (zunächst) auf die Einkünfte, nicht aber die (Betriebs-)Einnahmen gerichtet ist. 94

Z.B. die Beweisnähe im Rahmen des Sphärengedankens.

9S Reinecke, Beweislastverteilung im bürgerlichen Recht, S. 40 ff.; vgl. auch Wahrendorf, Prinzipien der Beweislast, S. 59 ff. 96

Reinecke, Beweislastverteilung im bürgerlichen Recht, S. 42 ff.

97

Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 48 f.

9M

SO auch schon Leipold, Beweislast und Vermutungen, S. 48.

99 Festgabe Kronstein, S. 321 ff., 335: "00. die überwiegende Wahrscheinlichkeit ist das Beste. was wir haben können" [Hervorh. im Orig.].

208

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

len, der eine außergewöhnliche oder vom üblichen abweichende Gestaltung behauptet. lOo Hierbei wird jedoch die Grenze zur Beweiswürdigung überschritten. lol Zum einen verbietet sich eine Beweislastverteilung nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten bereits dann, wenn man die überwiegende Wahrscheinlichkeit als Beweismaß aufrechterhalten will. I02 Denn dann darf über die Beweislastverteilung kein Wahrscheinlichkeitsurteil wiedereingeführt werden. 103 Darüber hinaus kann eine Beweislastverteilung nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten nicht die den Beweislastregeln zuerkannte Funktion erfüllen, dem Richter (Rechtsanwender) die Entscheidung des Falles, dem ein nicht aufklärbarer Sachverhalt zugrundeliegt, anhand abstrakter Regeln zu ermöglichen. Sie würde den Rechtsanwender wieder in die Lage zurückversetzen, in der er sich bereits im Stadium der Beweiswürdigung befunden hat, als er das Für und Wider der untersuchten Tatsachen bewertete und zu dem Ergebnis gelangte, daß keine der Möglichkeiten zu einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (Überzeugungsgewißheit) führte. Eine derartige Beweislastverteilung hätte nur die Funktion, eine abgestufte Wahrheitsfindung mit jeweils vermindertem Überzeugungsgrad zu ermöglichen. Hielte man trotz der vorgebrachten Bedenken gegen die mangelnde Vorhersehbarkeit (der konkreten Beweislastsituation im Prozeß) und Vorausberechenbarkeit eines potentiellen Verfahrensergebnisses 104 an einer so beschaffenen Beweislastverteilung fest, wäre materiellen Verteilungsprinzipien demnach der Weg verstellt. Da keine "Notwendigkeit'''os besteht, eine derartige Konkurrenz zwischen Beweislastregeln und Wahrscheinlichkeitserwägungen zu begründen, weil man diese Gesichtspunkte im Rahmen der Beweiswürdigung gegebenenfalls mitberücksichtigen kann, ohne materielle gesetzliche Risikoverteilungsvorgaben zu überspielen, ist eine Beweislastverteilung nach Wahrscheinlichkeitsaspekten mit der h.M. abzulehnen. I06

100 Vgl. BFH BStBI. II 1980,402,404; s. auch BStBI. II 1991,342,344; hierbei wird deutlich, daß die Grenzen zur Typisierung durchaus fließend sind. 101

Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 50.

102

S. oben 1. Teil A. I. 3. a. bb) (I), (4).

103

Nierhaus, Beweismaß, S. 417, bezeichnet dies treffend als "Etikettenschwindel".

\04

Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 49 f.

10; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 291. hält eine solche Vorgehensweise rur "keineswegs zwingend geboten". 106

Schwab, Festschrift Bruns, S. 505, 513; Nierhaus, Beweismaß, S. 417 f.; Peschau,

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

209

2. Die Beweislastverteilung nach Einflußbereichen (Sphärentheorie) Als anderes Verteilungskriterium der Beweislast ist vor allem die Sphärentheorie von Bedeutung. Im Gegensatz zur Normentheorie kann mit dieser Bezeichnung aber nur ein Hinweis auf unterschiedliche, in einer größeren Gruppe zusammengefaßte Ansichten verbunden werden, die sich letztlich auf das gemeinsame Merkmal des Einflußbereiches des mit der Beweislast Beschwerten bezieht. Die Gefahrenbereichs- oder Einflußbereichslehre ist entstanden im Zusammenhang mit der Problematik des Verschuldensnachweises bei der positiven Forderungsverletzung (pFV, pVV); so hat das Reichsgericht die Anwendbarkeit von § 282 BGB offengelassen \07 und darauf abgestellt, daß die Schadensursache "aus einem Gefahrenkreise hervorgegangen ist, für den im Zweifel der Beklagte verantwortlich ist" .108 Insbesondere die Modifizierungen der Beweislastverteilung (mittels Anscheinsbeweises) in Arzthaftungsprozessen l09 und zur Produkthaftung llO stellen darauf ab, daß es dem behandelnden Arzt bzw. dem Hersteller zuzumuten sei, (zumindest bei groben Pflichtverletzungen) nachzuweisen, daß sie kein Verschulden für Umstände trifft, die in ihrer Sphäre eingetreten sind. 111 Aufbauend auf die dieser Problematik zugrundeliegenden

Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 50; Leipold, Beweislastregeln, S. 48; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 212; Gottwald, Jura 1980,225,227, 231. \07 Dessen analoge Anwendbarkeit entspricht allerdings der h.M. in der Literatur, vgl. MünchKomm/Emmerich, Vor § 275 BGB Rdn. 343 m.w.N.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 220. lOS RGZ 148, 148,150; weitere Nachw. bei MünchKommlEmmerich, Vor § 275 BGB Rdn. 344 f. 109 MünchKommlMertens, § 823 BGB Rdn. 358 ff., 413 ff.; MünchKommlEmmerich, Vor § 275 BGB Rdn. 362 ff.; vgl. auch BVerfGE 52, 131 ff.

1\0

StaudingerlSchäfer, § 831 BGB Rdn. 170 ff.; BGHZ 51, 91, 104.

111 Nach Ansicht des BGH führt eine Beweislastverteilung nach Risiko- und Verantwortungsbereichen bei ungeklärter Schadensursache im Mietrecht (§ 548 BGB) "zu angemessenen Ergebnissen", BGH JZ 1995, 310 f. mit zust. Anm. Baumgärtei. Die Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen erscheint hier als "Unterfall" einer Verteilung nach Angemessenheit und Zumutbarkeit, was - zumindest bei Übertragung auf das Steuerrecht - die Gefahr mangelnder Tatbestandsbestimmtheit heraufbeschwört. Zumutbarkeitserwägungen liegen auch BFH BStBl. 11 1987, 679, 680, zugrunde, wenn

14 M. Schmidt

210

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Ansätze entwickelt Prälss l12 eine Beweislastverteilungsregel tur das gesamte Vertrags- und Deliktsrecht. Schließlich scheint auch § 11 Nr. 15a AGBG von einer Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen auszugehen, wenn er die Auferlegung einer Beweislast tur Umstände, die in dem Verantwortungsbereich des Verwenders liegen, auf den Vertragspartner für unwirksam erklärt. An der Gefahrenbereichslehre ist erhebliche Kritik geübt worden, die im wesentlichen an der fehlenden Begriffsschärfe des Gefahren- bzw. Einflußbereichs ansetzt und darauf hinweist, daß die Gefahrenbereichslehre selbst keine allgemeine Geltung über den Bereich des Haftungsrechts hinaus beansprucht, vielmehr eine andere "Grundregel" nach der Art der Normentheorie voraussetzt. ll3 Aus den genannten Gründen wäre daher tur das Steuerrecht die Gefahrenbereichslehre ohne praktische Relevanz" 4 , wenn nicht Nierhaus die Sphärentheorie "mit ihren zahlreichen Elementen (Beweisnähe, Beweisnot, Gefahren-, Verantwortungs-, Vertugungs- und Einsichtsbereichen)""5 zu einer "sachangemessenen Beweislastverteilung" auf eine Stufe mit der Normentheorie gehoben hätte. Ähnlich dieser schreibt er der Sphärentheorie eine systematisie-

das Gericht im Hinblick auf die Beweislast des Steuerpflichtigen in der Frage der Zugehörigkeit eines Wirtschaftsguts zum Betriebsvennögen darauf abstellt, daß eine Entnahmehandlung "ein Tätigwerden des Steuerpflichtigen, das allein in seiner Sphäre liegt und dessen Nachweis ihm bei der Beachtung der erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres möglich ist, während das FA auf die Entnahmehandlung keinen Einfluß hat und deshalb auch keine Maßnahmen zur Sicherung des Nachweises ergreifen kann", darstelle [Hervorh. d. Verf.]; würde letzteres ausreichen, ließe sich hiennit grundsätzlich eine Beweislast des Steuerpflichtigen begründen. 112 Beweiserleichterungen im Schadenersatzprozeß. S. 65 ff.; ders .. VersR 1964,901 ff.; ders., ZZP 82 (1969), 468, 471 jJ.

113

Ausführlich hierzu Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 217 ff., 227.

114 Von Ausnahmefällen abgesehen, in denen der Gesetzgeber die in der Einflußmöglichkeit verkörperbare Beweislastverteilung ausdrücklich regelt, z.B. §§ 159, 160 AO (allerdings als Beweisjührungslasten). V gl. aber auch z.B. BFH BStBI. II 1995, 95, 97, wo das Gericht dem Steuerpflichtigen die Feststellungslast auferlegt, "wenn die aufzuklärenden Tatsachen allein aus seiner Verantwortungssphäre" herrühren (ebenso BFH BStBl. II 1983, 760, 761; 11 1987,487,489; FG Münster, EFG 1986,211); da dies aber auch von nicht durch den Steuerpflichtigen beeinflußbaren Umständen abhängen kann, kann diese Auffassung nicht überzeugen, zumal eine derartige Beweislastverteilung den Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit ad absurdum fUhren würde. 115

Nierhaus, Beweismaß, S. 484; vgl. auch Ruppel, BB 1995. 750, 753.

c. Die Verteilungskriterien der Beweislast

211

rende Funktion bezüglich der Beweislastverteilung zu, die in einer zusätzlichen Rechtfertigung materiellrechtlich determinierter Beweislastentscheidungen bestehen sol1. 116 Nierhaus zufolge sei die Beweislast "nicht nur materiell-rechtlich durch die jeweiligen Sachnormen mit ihrem verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rechtsgüter- und Interessengeflecht determiniert, sondern auch durch die verfassungsrechtlichen Gebote effektiven Rechtsschutzes, fairer Handhabung der Beweislastverteilung und Gewährleistung der Waffengleichheit unter den Parteien. In diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen" spiegele "sich der sachliche Gehalt der Sphärentheorie wider". 117 Gegen diese Begründung muß eingewendet werden, daß die genannten Ansätze eine generelle Verteilungsregel nicht tragen können; so ist zumindest fur den Bereich klassischer Eingriffsverwaltung (Steuerrecht) nicht nachvollziehbar, wie Art. 19 Abs. 4 GG als Gebot effektiven Rechtsschutzes konkrete Anhaltspunkte zur Verteilung der Beweislast auf denjenigen, in dessen Rechtssphäre eingegriffen werden soll (Steuerpflichtiger), dienen kann. 118 Nierhaus selbst stellt daher für das Steuerrecht allein auf die Normentheorie ab, wenn er feststellt, daß "die Rechtsprechung ... mit sachspezifisch ... angepaßten Grundregeln der Normentheorie zurechtkommt".119 Soweit er weiterhin auf eine faire Handhabung der Beweislastverteilung und die Gewährleistung der Waffengleichheit zur Begründung des Sphärengedankens rekurriert, kann auch dies nicht überzeugen. So hat das Bundesverfassungsgeriche 20 die faire Verteilung der Beweislast zwischen den Parteien eines Zivilrechtsstreits ausdrücklich hervorgehoben. Sicherlich dürfte für das öffentliche Recht nichts anderes gelten. Für den Bereich des Eingriffsrechts bleibt es jedoch zu beachten, daß in Verbindung mit

116

Nierhaus, Beweismaß, S. 484.

117

Beweismaß, S. 484.

IIK Kritisch zu Art. 19 Abs. 4 GG als geeignetem Kriterium zur Beweislastverteilung auch Schmidt-Aßmann, in: MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. IV Rdn. 227; Pese hau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 95 f. 119

Nierhaus, Beweismaß, S. 414.

120 BVerfGE 52, I31, 145 (Arzthaftung); vgl. auch BVerfGE 9, 124,130; E 26,66, 71 f; E 35, 348, 355; E 38,105, 1Jl; E 40,95,99; E 46, 202, 210; E 46, 325, 334f; E 49, 220, 225; E 51, 150, 156; E 54, 117, 124 f; E 55, 72, 93 f; E 57, 250, 274 ff.; E 59,128,164; E 64,135, 145ff.; E 69,126, 139f; E 75,183, 190f; E 88,118,123 ff.; E 89, 120, 129.

14*

212

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

dem Untersuchungsgrundsatz zu fragen ist, welche tatsächliche Beweislast der eingreifenden Behörde überhaupt anheim fällt, um dann festzustellen, inwieweit für gewisse "Bereiche" eine Beweislastverteilung zu Lasten des betroffenen Bürgers gerechtfertigt ist. Untersucht man unter diesem Blickwinkel das Steuerrecht, so müssen sich doch erhebliche Bedenken aufdrängen, ob eine Beweislastverteilung rur die steuermindemden und -aufhebenden Umstände zu Lasten des Steuerpflichtigen unter dem Gesichtspunkt einer fairen Handhabung überhaupt Bestand haben kann. Dies wäre nur der Fall, wenn in einem ausgewogenen, d.h. angemessenen Verhältnis auch die Gegenpartei, die Finanzbehörde, ein praktisch relevantes Beweisrisiko trägt. Zumindest im Bereich des Einkommensteuerrechts muß das stark angezweifelt werden. So hat zwar nach allgemeiner Auffassung das Finanzamt die objektive Beweislast darur inne, daß steuerbegründende und -erhöhende Umstände tatsächlich gegeben sind. Praktisch spielt das aber eine sehr untergeordnete Rolle, denn bezüglich der Gewinneinkunftsarten obliegt dem Steuerpflichtigen über die Buchführungspflichten eine Beweisruhrungslast, bei deren Verletzung der Gewinn über § 162 AO geschätzt werden kann. 121 Hier hat zwar die Finanzbehörde die Beweislast rur die Schätzungsgrundlagen inne, doch ist das Risiko nicht äquivalent, insbesondere wenn man von der Zulässigkeit eines Risikozuschlages ausgeht. 122 Bei den Überschußeinkunftsarten spielen naturgemäß die nichtselbständigen Einkünfte nach § 19 EStG eine herausragende Rolle. Wegen des Lohnsteuerabzuges nach §§ 38 ff. EStG hat das Finanzamt aber kein echtes Ermittlungsrisiko. Durch die verfahrenstechnische Inanspruchnahme des Arbeitgebers wird die Gefahr einer potentiellen Beweislastentscheidung erheblich minimiert. 123 Dieser Möglich-

121 Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 5; vgl. auch dies., a.a.O., Rdn. 1: "Nach der allgemeinen Regel müßten in Fällen der Unaufklärbarkeit ... die Regeln der objektiven Beweislasteingreifen, und zwar häufig zu Lasten der Finanzbehörde. Das Eingreifen der allgemeinen Beweislastregeln wendet § 162 indessen insoweit ab, ... " 122 H.M., Z.B. BFH BStBI. II 1993,259,260; vgl. auch Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 6 (Unsicherheitszuschlag); Klein/Orlopp, § 162 AO Anm. 1; Baum, in: Koch/Scholtz, § 162 AO Rdn. 4 (Sicherheitszuschlag). 123 Vgl. Jakob, Einkommensteuer, § 3 Rdn. 36. Darüber hinaus wird nach der Rechtsprechung des BFH (BStBl. II 1990, 993 ff.) dem Arbeitgeber sogar die objektive Beweislast rür steuerbegründendeMerkmale auferlegt, so bezüglich der "Mitgliedschaft in einer steuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaft" als "unabdingbare Tatbestandsvoraussetzung" bei der Lohnsteuerpauschalierung nach § 40a EStG (a.a.O., S. 995); die Herabsetzung des pauschalen Kirchensteuersatzes (Nettopauschsteuersatz)

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

213

keit der Finanzbehörde stehen keine entsprechenden Risikoverlagerungsmechanismen des Steuerpflichtigen gegenüber. Soweit man auf eine faire Handhabung einer Beweislastverteilung absteHt, müssen daher auch die tatsächlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Aufgrund des Sphärengedankens wird der Steuerpflichtige ganz erheblich zur Mitwirkung herangezogen. Ob es dann ein Gebot der Fairneß ist, ihn zusätzlich mit dem Aufklärungsrisiko ihm günstiger Maßnahmen zu belasten, erscheint bei nüchterner Betrachtung eine abzulehnende Wertungsentscheidung. Dem Gebot der Fairneß ist daher fur das hier zu untersuchende Steuerrecht keine besondere Aussagekraft zu entnehmen. An dieser SteHe muß nochmals daraufhingewiesen werden, daß im Steuerverfahren dem Finanzamt und dem Finanzgericht (§ 96 Abs. 1 FGO) die Möglichkeit der Schätzung und (in Grenzen) der Typisierung eröffnet ist - eine Möglichkeit, die in anderen Verfahrensarten so nicht existiert. Die Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen wirkt aber neben der gesetzlich vorgesehenen Schätzungsmöglichkeit als zusätzliche Erschwerung. Unter Fairneßgesichtsbehalte ihren Sinn, da sie der Tatsache Rechnung trage, "daß aus Gründen der objektiven Beweislast zahlreiche Arbeitnehmer als Kirchenmitglieder behandelt werden, die es tatsächlich nicht sind" (BFH, a.a.O., S. 997; vgl. auch die Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 30.11.1989, BStBl. I 1990, 773, 774). Diese Entscheidung ist beweis(last)rechtlich eklatant unhaltbar, da die objektive Beweislast beim Finanzamt bzw. der steuererhebungsberechtigten Religionsgemeinschaft als Begünstigte verbleiben muß, zumal eine materiellrechtlich begründete Wertung für die Abweichung von der Normbegünstigungstheorie völlig fehlt. Wenn tatsächlich eine Mitwirkungs- bzw. Nachweisverpflichtung des Arbeitgebers besteht (was vor der Änderung des § 4 Abs. 2 NT. 8 LStDV weder aus dieser Regelung noch aus § 40a EStG ableitbar war, da § 11 Abs. 2 und 3 KiStG Hamburg keine selbständigen Pflichten begründet, sondern nur auf die zitierten Vorschriften bezüglich des Lohnsteuer- und nicht des Lohnkirchensteuerabzugs verweist), müßte eine Pflichtverletzung zunächst im Rahmen der Beweiswürdigung bewertet werden. Im übrigen erscheint der vom BFH entschiedene Fall einer (Grundlagen-)Schätzung zugänglich, die sich (auch) an der Verteilung der konfessionsangehörigen steuerpflichtigen zu nichtkirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmern im Raum Hamburg (KiStG Hamburg) orientieren kann (vgl. auch BFH BStBI. II 1986, 42, 43 f; II 1990, 993, 998); all diese Erwägungen hätten einer Beweislastentscheidung vorangestellt werden müssen. Die rechtlichen Bedenken, die gegen die vom BFH gegebene Begründung sprechen, sind durch die Konstituierung einer eine Beweisfiihrungslast begründenden Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht in § 4 Abs. 2 NT. 8 S. 5 LStDV (technisch) ausgeräumt; problematisch ist allein die Legitimation wegen der materiellrechtlichen Wirkungen der Nachweispflichten (Wesentlichkeitstheorie, Art. 2 Abs. 1 GG und Beweislastumkehr bei Abweichung von der Normgünstigkeitsthese).

214

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

punkten scheint daher eine gegenteilige Beweislast der Finanzbehörde eher vorgegeben. Schließlich muß die Auffassung Nierhaus' befremden, daß ein Prinzip der Waffengleichheit den Sphärengedanken begründen könne. So ist schon die Frage einer Ebenbürtigkeit der Stellung eines Bürgers gegenüber der Verwaltung äußerst fragwürdig. 124 Der Versuch, die Beweislastverteilung nach dem Sphärengedanken mit dem Hinweis abzusichern, daß nicht zu verkennen sei, "daß gerade auch bei Prozessen mit hohen rechtlichem Schwierigkeitsgrad je nach der wirtschaftlichen und juristischen Potenz des Prozeßbeteiligten und seiner anwalt lichen Vertretung, z.B. durch einen Hochschullehrer oder 'Fachanwalt ... ', ein Ungleichgewicht zu Lasten des Staates entstehen" könne l2S , muß unbedingt zurückgewiesen werden. Ein solches Vorgehen führt zu einer "Beweislastverteilung nach höherer intellektueller Kompetenz", einem Prinzip, dem sich ein selbstbewußtes (Finanz-)Gericht wohl schwerlich anschließen kann. Nierhaus unterstellt hierbei, wenn auch nicht bewußt und für den Regelfall, daß eine Beweislastverteilung zu Lasten des Bürgers aus Fairneßerwägungen geboten sei, um eine mindere juristische l26 "Kompetenz" auf seiten des Gerichts auszugleichen. Das "größere Sachwissen"127 mit der "Sanktion" des Beweislastrisikos zu belegen, ist unhaltbar, auch wenn die zugrundeliegende Argumentation nur hilfsweise zur Begründung des Sphärengedankens herangezogen wird. Letztlich geht es bei der Problematik der Beweislastentscheidung um die Sicherstellung der materiell richtigen Entscheidung, so daß gegebenenfalls höhere Kompetenz nicht mit einer Risikoüberwälzung geahndet werden darf. 128 Schließlich bleibt zu berücksichtigen, daß die Waffengleichheit im Steuerrecht bereits wegen der Möglichkeiten der Außenprüfung und Steuerfahndung bei weitem nicht das Gewicht haben kann wie in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts. Die Möglichkeiten der Finanzbehörde und des Steuerpflichtigen divergieren hier weit.

124 Diesen Ansatz zieht allerdings Nierhaus, Beweismaß, S. 454, heran. 12S

Nierhaus, Beweismaß, S. 455.

126

Dabei geht es bei der Beweislast eigentlich um Tatsachenunsicherheiten.

127

Nierhaus, Beweismaß, S. 455.

I2K Bezogen auf das Steuerrecht erschiene eine Beweislastverteilung unter Zugrundelegung dieser Sphärentheorie als Kapitulation vor der Schwierigkeit und Undurchsichtigkeit der Materie seitens der zur Steuerfestsetzung berufenen Finanzbehärden.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

215

Einwände gegen die Sphärentheorie nach dem Verständnis Nierhaus 'müssen sich schließlich auch daraus ergeben, daß er zur Rechtfertigung des Sphärengedankens als übergreifendes, allgemeines Rechtsprinzip auf die Mitwirkungs- und Nachweispflichten abstellt. '29 Er sieht in diesen Vorschriften "eine positivrechtliche Ausprägung der Sphärentheorie", die er als Verteilungskriterium in Zusammenhang mit der Beweislast stellt. Zwar behauptet er keine strikte Trennung zwischen den Bereichen der Mitwirkungspflichten und der objektiven Beweislast; vielmehr kommt er zu dem Ergebnis, daß die Mitwirkungspflichten "zu einem größeren Teil"'30 beweislastverteilenden Charakter haben. Im Ergebnis gelangt er aber zu einer nicht überzeugenden Vermengung der Bereiche der Mitwirkungspflichten und der objektiven Beweislast. So konnte im Rahmen dieser Untersuchung aufgedeckt werden, daß die steuerrechtlichen Nachweisvorschriften überwiegend als Beweisjührungslast zu qualifizieren sind. 131 Da die genannten Beweisführungslasten im Steuerrecht aber Ausnahmecharakter haben, eignen sie sich nicht für eine generelle Übertragung der ihnen zugrundeliegenden Wertungen. Bei einer Beweisführungslast tritt die objektive Beweislast in den Hintergrund. '32 Sollten daher die Wertungen, die den Nachweispflichten entnommen werden, als allgemeiner Wertungsgesichtspunkt im Rahmen der Sphärentheorie auch auf die objektive Beweislast als deren Verteilungskriterium übertragen werden, führt dies zu einer dogmatisch schwer aufrechtzuerhaltenden Systemwidrigkeit. Diejenigen steuerrechtIichen Mitwirkungspflichten, denen keine subjektive Beweislast entnommen wurde, eignen sich auch nicht für eine Verallgemeinerung im Rahmen der Sphärentheorie. So weit die Mitwirkungspflicht reicht, kann ein eventueller Verstoß gegen sie im Rahmen der Beweiswürdigung gewertet werden. '33 Dort wo die Mitwirkungspflicht nicht besteht, weil der "Verantwortungsbereich" des Steuerpflichtigen überschritten wird, kann

129 Beweismaß, S. 438 f. 130 Nierhaus, Beweismaß, S. 484. 131

Vgl. oben 2. Teil C. 11. 4 .. 5.

132 Dies steht nicht dazu in Widerspruch, daß sich die subjektive Beweislast aus der objektiven Beweislast ableitet. Für Verfahren unter Geltung der Verhandlungsmaxime ergeben sich daraus keine größeren Probleme. Anders ist dies bei Geltung des Untersuchungsgrundsatzes, da der objektiven Beweislast hier das höhere Gewicht zukommt. Ist der Untersuchungsgrundsatz aber wegen Vorliegens einer Beweisflihrungslast oder -pflicht durchbrochen, spielt die objektive Beweislast nur eine untergeordnete Rolle. 133 Tipke/Kruse, § 90 AO Rdn. 5, § 88 AO Rdn. 9.

216

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

aus der generellen Einsetzung von Mitwirkungspflichten auch kein Indiz für eine allgemeine Geltung eines Sphärenprinzips entnommen werden. Die Berücksichtigung der Verantwortungssphäre des Steuerptlichtigen als Kriterium bei der Beweislastverteilung würde zu einer Doppelberücksichtigung führen. Da die Mitwirkungsptlichten nur so umfänglich wie der Verantwortungsbereich sind und dieser Bereich bei der Beweiswürdigung berücksichtigt wird, kann aus den Mitwirkungsptlichten kein Indiz für eine Gefahrenbereichslehre bei der Beweislast gewonnen werden, weil hier die Mitwirkungsptlichten als Rechtfertigungskriterium versagen. Denn zur Beweislastentscheidung kann es nur kommen, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht erfüllt und trotzdem der Sachverhalt nicht zur Überzeugung des Gerichts aufgeklärt werden kann. Darüber hinaus dürften die Mitwirkungsptlichten keine Wirkung mehr entfalten. Eine andere Auffassung ließe sich nur dann vertreten, wenn man die allgemeine Mitwirkungspflicht aus § 90 Abs. 1 AO für nicht "sanktionsbewehrt" hält, eine Berücksichtigung der Mitwirkungsptlichtverletzung im Rahmen der Beweiswürdigung daher ausschließt. 134 Dann wäre es allerdings geboten, die Verletzung der Mitwirkungsptlicht im Rahmen einer Beweislastentscheidung "zu ahnden". Eine Abkoppelung findet allerdings auch hier nicht statt, denn wenn man dem Steuerpflichtigen für die Tatsachen, die in seinem "Mitwirkungsbereich" lagen, die objektive Beweislast auferlegt, kann man dies nur als "Sanktion" verstehen. Die logische Trennung zwischen den Bereichen der Beweiswürdigung und der Beweislastentscheidung wäre demzufolge eine nicht erhebliche Grenze, zum al man das Argument für die Sphärentheorie aus den Mitwirkungsptlichten ableitet. Die Unterscheidung danach, daß die ablehnende Entscheidung bei Verletzung von Mitwirkungsptlichten einmal auf einer nachteiligen Beweiswürdigung beruht, nach der anderen Ansicht aber eine Folge einer Beweislastentscheidung wäre, hätte rein formalen Charakter. Da aber nicht alte Mitwirkungspflichten in ihrer beweis(last)rechtlichen Relevanz gleich zu beurteilen sind, was insbesondere deutlich wird, wenn man Nachweispflichten als besondere Form steuerrechtlicher Mitwirkungsptlichten einordnet, würden bei Berücksichtigung des Sphärengedankens im Rahmen einer Beweislastentscheidung die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitwirkungsptlichten, die auch nach Auffassung von Nierhaus erheblich sind 135, überspielt. Auch aus diesem Grunde kann der 134 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 54; Bettermann, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, E 26, 35 f, 43 f Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 9 und § 90 AO Rdn. 5, können so wohl nicht zu verstehen sein.

135

Beweismaß, S. 348 ff

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

217

Sphärentheorie zumindest für das Steuerrecht als generellem oder zumindest weitreichendem Verteilungsprinzip einer objektiven Beweislast nicht gefolgt werden. ~usammenfassend läßt sich sagen, daß eine Beweislastverteilung nach Einflußbereichen als alleiniges Verteilungskriterium nicht überzeugen kann. Insbesondere im Bereich des Steuerrechts ist sie praktisch ohne jeden Gehalt. Soweit es um die Entstehung von Steueransprüchen geht und nicht um die Frage, wie sich dieser Anspruch weiterhin entwickelt hat 136 , ist der Sphärengedanke kein geeignetes Abgrenzungskriterium, weil es keine Sphäre des Finanzamtes bei der Frage der Steuerentstehung gibt. In jeder nur denkbaren Beziehung ist der Steuerpflichtige an steuerrelevanten Merkmalen - seien diese steuerbegründender oder auch steuermindemder Art - sachlich und räumlich "näher" als die Finanzbehörde. 137 Die Einflußbereiche lassen daher gar keinen Rückschluß auf eine faire Verteilung der Beweislast zu. Denn konsequent würde eine solche Theorie dazu führen, dem Steuerpflichtigen die Beweislast für alle Merkmale aufzuerlegen, da dem Finanzamt eine Einflußmöglichkeit hierauf prinzipiell verwehrt ist. Damit ist die Sphärentheorie im Steuerrecht aber wertlos. Unberührt von diesem Ergebnis bleibt aber die ausdrückliche Begründung einzelner Beweisführungslasten des Steuerpflichtigen, wenn das Gesetz (zwangsläufig) Tatbestandsmerkmale "gebrauchen" muß, deren Ermittlung der Finanzbehörde unmöglich ist. Sinnvoll kann diese Regelung nur sein, wenn das Gesetz gleichzeitig mit diesem Tatbestandsmerkmal eine Nachweispflicht (Beweisführungslast) oder gesetzliche widerlegbare Vermutung aufstellt IJ8 und damit den Sphärengedanken für den Fall eines non liquet "verkörpert".

136

Gemeint sind hierbei Fragen von Stundung, Erlaß etc.

137 So auch Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 57 Rdn. 44. Allerdings begründet BFH BStBI. II 1987, 487, 489 die fehlende Ermittlungspflicht der Behörde bzw. des Gerichts und die Verantwortung des Steuerpflichtigen trotz Vorliegens eines Auslandssachverhaltes (§ 90 Abs. 2 AO) allein mit der Tatsache, daß die aufzuklärenden Tatsachen "allein in seiner Verantwortungssphäre" liegen; diese Sachlage ist aber (fast) immer einschlägig. 13K

Hierzu bereits oben 2. Teil C. 11. 4. d), e); unten 4. Teil B. 11.

218

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

3. Die Beweislastverteilung nach wechselnden Kriterien Die dargestellten Theorien versuchen, eine Beweislastverteilung mit einem überwiegend einheitlichen, allgemein gültigen Begründungsschema zu untermauern. Es hat sich jedoch gezeigt, daß auch diese Theorien nicht ohne Durchbrechungen im Einzelfall zurechtkommen. In Konsequenz daraus findet sich eine Vielzahl von Versuchen, die, je nach Ausgangspunkt, die Beweislastverteilung auf unterschiedliche Kriterien stützen. Nur der Vollständigkeit halber sollen diese Verteilungskriterien erwähnt werden, wobei herauszustellen ist, daß sich die einzelnen Ansichten stark unterscheiden. Zunächst ist der Versuch unternommen worden, die Beweislast nach der Klageart oder der beteiligten Stellung im Prozeß zu bestimmen. 139 Eine derartige Beweislastverteilung, die nicht an das materielle Recht, sondern an die Stellung des Beteiligten in einem konkreten Verfahren anknüpft, wird allerdings allgemein abgelehnt l40 , weil sie im Ergebnis dazu führen kann, daß die Beweislast für das gleiche Merkmal, je nach der konkreten Verfahrenssituation, unterschiedlich zu verteilen wäre. 141 Auch eine Beweislastverteilung nach freiem richterlichem Ermessen l42 erfüllt nicht die Voraussetzungen an eine abstrakt generelle Regelung; vielmehr würde bei einer derartigen Beweislastverteilung nur die Grenze zur Beweiswürdigung vollständig beseitigt, wenn die Risikoverteilung nach Gesichtspunkten der Billigkeit im konkreten Einzelfall erfolgt. Eine Beweislastverteilung nach freiem richterlichem Ermessen ist zwar auf ein einheitliches Prinzip zurückzuführen, die Verteilung in den zu entscheidenden Fällen würde jedoch nach unterschiedlichen subjektiven Kriterien (des Richters) gefällt. 143 Eine Beweislastverteilung nach einer Vielzahl von Kriterien nehmen schließlich die Auffassungen vor, die die Verteilung nach der "ratio" des

139

Vgl. hierzu BVerwGE 3, 245 f.; Bettermann. DVBl. 1957. 84 f.

140 Tietgen, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. I, Teil 2 B, S. 42 ff.; fUr das Steuerrecht "bereits" von BFH BStBl. II 1971, 220, 224 abgelehnt. 141 Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 19 mit umfangreichen Nachw. in Fn. 14; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 250 f.; Nierhaus, Beweismaß, S. 416.

142 Gautschi, Beweislast und Beweiswürdigung bei freiem richterlichem Ermessen, S. 10 ff., 18 ff. 143 Ablehnend daher Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 184 ff.; kritisch zur Verallgemeinerungsfahigkeit von Zumutbarkeits- und Billigkeitserwägungen bei der Beweislastverteilung auch Nierhaus. Beweismaß, S. 428 ff.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

219

materiellen Rechts befürworten. 144 Diese Auffassungen stellen zwar eine enge Verbindung der Beweislastverteilungsregeln mit dem materiellen Recht her, führen aber zu Abstrichen hinsichtlich der Vorhersehbarkeit von Beweislastentscheidungen, wenn sie zur Verteilung auf den durch Auslegung festzustellenden Gesetzeszweck der materiellrechtlichen Norm abstellen: "Im Grundsatz sind demnach die Erwägungen zur Beweislastverteilung genauso vielfältig wie die Ziele und Wertungen der verschiedenen Normen."145 Dem Vorteil einer engen Anbindung an das materielle Gesetz steht hier die Gefahr mangelnder Vorhersehbarkeit gegenüber, da die materiellen Normen unterschiedliche, teilweise konträre Regelungszwecke verfolgen können. So ist es z.B. möglich, daß bei der Aufdeckung der Wertungsschichten einer Norm wörtliche Auslegung und teleologische Auslegung zu unterschiedlichen Ergebnissen flihren. 146 Eine Entscheidung zwischen verschiedenen Wertungsgesichtspunkten kann dann nur durch Einbeziehung der Belastungswirkungen einer Beweislastentscheidung gewonnen werden. Demzufolge muß "die Folgenorientierung und -abwägung gegebenenfalls auch die Wahl unter verschiedenen Begründungsgesichtspunkten leiten" .147 Eine Folgenorientierung ist aber gerade im Bereich des Steuerrechts äußerst problematisch, da der einzelne im Verhältnis zum Staat immer stärker belastet sein wird. 148 Jede Beweislastverteilung, die sich von vornherein auf eine Vielzahl von möglichen Verteilungskriterien stützt, ohne sich auf eine generelle Grundregel zu beziehen, begegnet daher großen Bedenken und kann nur mit subjektivierten Gerechtigkeitsempfindungen aufrechterhalten werden.

144 Z.B. Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 243: "In dubio pro ratione legis." 145 Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht. S. 154. Bedenklich hinsichtlich der Vorhersehbarkeit auch die differenzierende Beweislastverteilung L. Osterlohs, Gesetzesbindung, S. 282; hierzu unten IV. 3. a.E.

146 Vgl. Reinhardt, NJW 1994, 94; so auch schon Tipke, StKRep 1967, 39, 58. 147

Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 155.

148 H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 37; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 19.

220

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren IV. Die steuerrechtliche Beweislastverteilung

1. Ausgangsbefund Dem Steuerrecht ist keine positivrechtliche Regelung einer allgemeinen Beweislastverteilung zu entnehmen. Im Gegensatz zum Zivilrecht, wo die überwiegende Meinung l49 von der "Weitergeltung" des § 193 Erster Entwurf BGB ausgeht und dem Gesetzgeber als Grundregel bei jeglicher Gesetzgebungstätigkeit unterstellt wird, ist davon auszugehen, daß der Steuergesetzgeber die Beweislast nicht mitbedenkt. 150 Für die Beweislastverteilung muß demzufolge "auf allgemeine Wertgrundsätze" zurückgegriffen werden, "die dem jeweiligen Rechtsgebiet sein Gepräge geben. Eine Übertragung aus anderen Gebieten, insbesondere aus dem Zivilrecht, ist damit ausgeschlossen".151 Allerdings hat der Bundesfinanzhof zur Beweislastverteilung im Steuerrecht eindeutig Stellung bezogen. In seinem Grundsatzurteil zur objektiven Beweislast im Steuerrecht fUhrt er aus, daß die Frage, wen die Feststellungslast treffe, sich nur von Fall zu Fall unter Würdigung der einschlägigen Rechtsnorm und ihrer Zweckbestimmung beantworten lasse. 152 Dies legt zunächst eine Verteilung nach einer Vielzahl von Kriterien nahe. Das entspricht jedoch nicht der Meinung des Bundesfinanzhofes. 153 Vielmehr geht dieser von einer Beweislastverteilung im Sinne der Normentheorie Rosenbergs aus. Bemerkenswert ist hierbei, daß der BFH nicht die Rosenberg'sche Kurzformel verwendet, daß jeder die Beweislast fUr die Voraussetzung der ihm günstigen Norm trage, sondern daß das Gericht die Unterscheidung zwischen "positiven und negativen Normvoraussetzungen,,154 betont. In diesem Sinne fUhrt es aus, daß der Anspruchsteller

149 Vgl. oben C. 11. 150 Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 158; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 281: "Die Zurückhaltung ... speziell auch des Steuergesetzgebers zu Fragen der objektiven Beweislast ist die das einfache Recht traditionell und gegenwärtig prägende Regel" [Hervorh. d. Verf.].

151 G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 18; ebenso WeberGreIlet, StuW 1981, 48, 52: "Jeder Normenkomplex ... beansprucht die ihm eigene Beweislastlehre. " 152 BFH BStBI. 11 1971, 220, 224. 153 A.A. im Ergebnis L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 281. 154

Rosenberg, Beweislast, S. 27.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

221

erst zu seinem Ziel gelange, "wenn die positiven Voraussetzungen eines Rechts feststehen und solange die negativen Voraussetzungen dem Gericht nur zweifelhaft sind, der Gegner hingegen schon bei bloßen Zweifeln an dem Vorliegen der positiven Voraussetzungen, aber nur bei Gewißheit über die Existenz der negativen Voraussetzungen".155 Diese Regel hält der BFH auch im Verwaltungsprozeß für anwendbar. Allerdings soll es hier "schwieriger sein, zwischen positiven und negativen Normvoraussetzungen zu unterscheiden".

2. Die Normstruktur der Steuergesetze und ihre Folgen für die Übertragbarkeit der Normentheorie auf das Steuerrecht Der Bundesfinanzhof unternimmt dadurch aber eine Uminterpretierung der Günstigkeitsthese Rosenbergs, der dem materiellen Recht eine Differenzierung in rechtsbegründende sowie rechtsvernichtende, rechtshindernde und rechtshemmende Merkmale entnommen hat. Die Verkürzung durch den Bundesfinanzhof auf positive und negative Normvoraussetzungen überspielt eine Untersuchung der jeweiligen Anspruchsstruktur. Während sich nämlich der Steuer(zahlungs)anspruch rein rechnerisch zusammensetzt, sind die zivilrechtlichen Ansprüche zu differenziert, um sie auf einen solch einfachen Nenner bringen zu können. Im übrigen weist Rosenberg darauf hin, daß das objektive Recht einen Tatumstand zu positiven oder sein Gegenteil zu negativen Voraussetzungen eines Rechts machen kann. So unzweifelhaft, wie beispielsweise Werbungskosten als steuermindernde Faktoren und demzufolge als negative Normvoraussetzungen angesehen werden, ist die Einteilung aber nicht. Wenn § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG die den Besteuerungsgegenstand ausmachenden Einkünfte als Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten definiert, werden lediglich die "Normvoraussetzungen" Werbungskosten und Einnahmen in Beziehung zueinander gesetzt. Eine andere, "positive" Formulierung des Merkmals "Werbungskosten" ist überhaupt nicht vorstellbar. Dies liegt wohl daran, daß es sich bei den Werbungskosten um einen Abzugsbetrag im Rahmen einer Rechenoperation 156 handelt, für den es keine positive Entsprechung gibt. Dies hätte zwangs-

155 BFH BStBl. 11 1971, 220, 224, unter Bezugnahme auf Rosenberg, Beweislast, S.27. 156 So auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 274: "Keine (beweis-)rechtlich relevante Wertung, sondern lediglich ein denknotwendiges formales Schema, mit dessen Hilfe es möglich ist, im Wege der Addition positiver und negativer Berechnungsfaktoren den

222

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

läufig zur Folge, daß die Einnahmen zu "negativen" Anspruchsvoraussetzungen gemacht werden müßten. 157 Immerhin ist es aufflillig, daß § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG von dem Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten spricht, nicht aber von einer Differenz zwischen Einnahmen und Werbungskosten oder gar dem nach Abzug der Werbungskosten verbleibenden Rest an Einnahmen. Die Diskussion um die Übertragbarkeit der Normbegünstigungstheorie auf das Steuerrecht kann keinesfalls als abgeschlossen bezeichnet werden. So weist L. Osterloh darauf hin, daß steuermindernde Merkmale "sich regelmäßig schon sprachlich kaum als rechtshindernd formulieren lassen und vom Gesetz auch nicht so formuliert sind"158. Sie wählt das Beispiel des Betriebsausgabenbegriffs und weist darauf hin, daß der Einkommensbesteuerung "nicht etwa 'Betriebseinnahmen, es sei denn, daß diese durch Betriebsausgaben gemindert sind'" unterliegen, sondern daß der Gewinn "von vornherein als ein durch Bestandsvergleich oder Überschußrechnung zu ermittelnder Unterschiedsbetrag definiert" sei 159. Daher erscheint die häufig vorgenommene Übertragung des Günstigkeitsprinzips auf die steuerrechtliche Ausgangssituation l60 insgesamt angreifbar, wenn sie sich dort in der Form wiederfindet, daß der Steuergläubiger die Beweis last für alle steuerbegründenden und steuererhöhenden Merkmale tragen solle, während der Steuerpflichtige die Beweislast für steueraufhebende und

Betrag zu ermitteln, der nach den gesetzlichen Wertungen als gerechte sowie wirtschaftsund sozialpolitisch sinnvolle Steuerlast festzusetzen und zu erheben ist." 157 Wenn man dagegen im Rahmen eines zivilrechtlichen vertraglichen Anspruches den negativen Tatumstand "Minderjährigkeit" positiv als "Volljährigkeit" (um)formuliert, hat dies keine Auswirkungen auf die anderen Anspruchsvoraussetzungen. Werbungskosten und Einnahmen sind aber voneinander in ihrer Einordnung als positive oder negative Voraussetzungen des Einkommensteueranspruches (Einkünfte) abhängig. 158 Gesetzesbindung, S. 272. 159

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 272.

160 BFH BStBI. 11 1971, 220, 224; Lüke, JZ 1966,587,591; Zapf, Beweislast und Beweisfiihrungslast, S. 69 f1; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 29 f., 49; Birk, StVj 1991, 310,312; insbes. auch Nierhaus, Beweismaß, S. 412 ff., der ohne eingehende Untersuchung zu dem Schluß kommt, daß die Normentheorie im Steuerrecht durchwegs zu zutreffenden Ergebnissen gelangt. Kritisch, aber im Ergebnis auch der Normentheorie folgend G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 2 I; Horn, OB 1980, 1043, 1047.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

223

steuerbefreiende Merkmale sowie für diejenigen trägt, die den Steueranspruch einschränken oder mindern. 161 Dies stimmt nicht mit den Aussagen der Normentheorie überein. Ein "Gleichklang" dürfte nur bezüglich der (steuer)anspruchsbegründenden und der anspruchsvernichtenden bzw. anspruchshemmenden Merkmale bestehen. Dabei gilt es, sich noch einmal zu vergegenwärtigen: Die anspruchshindernden Merkmale nach der Normentheorie Rosenbergs sind mit den anspruchsbegründenden materiellrechtlich gleichwertig. Ein Unterschied inhaltlicher Art läßt sich hierbei nicht feststellen. 162 Daher wird die Normentheorie nur noch in der Form der modifizierten Normentheorie vertreten, die als Ausgangspunkt § 193 des Ersten Entwurfes zum Bürgerlichen Gesetzbuch ansieht. Dieser unterscheidet nur zwischen rechts begründenden und rechtsvernichtenden bzw. -hemmenden Merkmalen und verteilt die Beweislast entsprechend auf die Parteien. Dahinter steckt die Überlegung, daß der Anspruchsteller das vollständige Entstehen eines Anspruchs nachweisen muß, während der Anspruchsgegner zeitlich nachgeschaltete Elemente, also solche Umstände, die einen einmal entstandenen Anspruch wieder vernichten oder seine Durchsetzung hemmen, beweisen soll.163 Nach der modifizierten Normentheorie wird rechtshindernden Merkmalen nur das formale Element entnommen, daß sie die regelmäßige Beweislastverteilung nach der Grundregel umkehren sollen. Es muß sich daher bei der Übertragung auf das Steuerrecht die Frage stellen, weIchen Merkmalen steuerbefreiende und steuereinschränkende Umstände zuzuordnen sind. Bei einer konsequenten Übertragung müßte z.B. die Steuerstundung als rechtshemmendes Merkmal dem Steuerpflichtigen übertragen werden. Gleiches gilt rur den Erlaß als steuerauthebendem Umstand. Äußerst problematisch dürfte die Einordnung einer Steuerbefreiung sein. Zwar ist sie unzweifelhaft dem Steuerpflichtigen "günstig", doch bewirkt sie wohl, daß ein Steueranspruch überhaupt nicht entsteht. Sie ist damit ein klassisches rechtshinderndes Merkmal. 164 Soweit anerkannt ist, daß der Gesetzgeber bei öffent-

161 Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 158, wobei es sich um ein Versehen handeln dürfte, wenn dort ausgeführt ist, daß der Steuerpflichtige auch die steuerbegründenden und erhöhenden Merkmale zu verantworten habe. 162 H.M., vgl. oben C. 11. (Fn. 81 f). 163 Ausführlich hierzu Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 267 f 164 Als Einordnungsfrage drängt sich gleich das Problem der Tarifbegünstigung für außerordentliche Einkünfte nach § 34 EStG auf Ist diese als Steuerbefreiung einzuord-

224

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

lichrechtlichen und insbesondere auch bei Steuernonnen die Beweislast regelmäßig nicht mitbedacht hat l65 , ließe sich aus dem Wortlaut wohl kein fonnales Argument für eine Beweislast des Steuerpflichtigen ableiten. Nur über eine teleologische Auslegung wird man dazu kommen. In der (nachträglichen) Anordnung von Steuerbefreiungen wird ein Rege\-Ausnahme-Prinzip erkennbar. Es ist vom Grundsatz der Steuerpflichtigkeit auszugehen, während aus den verschiedensten Gründen gewisse Bereiche von einer Besteuerung (Steuerpflicht) ausgenommen werden. Überhaupt nicht in dieses "Koordinatensystem" läßt sich beispielsweise die Freistellung des Existenzminimums bei der Einkommensteuer einordnen; ein Regel-Ausnahme-Prinzip versagt hierbei. Auch die Qualifikation einer Tätigkeit als freiberufliche paßt nicht in dieses "System": Bekanntlich hat der Bundesfinanzhof dem Steuerpflichtigen die Beweislast für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit auferlegt, indem er die Gewerblichkeit zum Grundfall und die selbständige Tätigkeit zur "Qualifikation" gemacht hat. 166 Mit der Nonnbegünstigungsthese läßt sich dies wohl kaum aufrechterhalten. Völlig unvereinbar ist aber die Gleichsetzung der steuere inschränkenden Merkmale mit den anspruchshindernden Merkmalen der (Rosenberg'schen) Nonnentheorie. Steuereinschränkende Merkmale sind nach der überwiegenden Meinung insbesondere Werbungskosten und Betriebsausgaben. Für das Einkommensteuerrecht dürfte das der zentrale Bereich sein. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Problematik durch die Nachweispflichten von wichtigen Werbungskosten durch § 9a EStG "entschärft" ist. So bedarf es zunächst der sprachlichen KlarsteIlung, daß Werbungskosten den Steueranspruch nicht einschränken. Im Einkommensteuerrecht bezieht sich der Steueranspruch auf die erzielten Einkünfte. Die Werbungskosten schränken aber nicht die Einkünfte ein, sondern sind zunächst nur ein Abzugsposten gegenüber den Einnahmen. Dies ist ein oftmals vernachlässigtes Problem. Rein tatsächlich findet eine Handhabung statt, die davon auszugehen scheint, daß der staatliche Steuer-

nen oder schränkt sie einen bereits entstandenen Steueranspruch ein, mindert ihn oder hebt ihn auf? 165 Vgl. Bettermann, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, E 26, 38; Martens, Verwaltungsvorschriften, S. 93 Rdn. 89; ders., Stu W 1981, 322, 330; S. Martin, BB 1986, 1021, 1028; Nierhaus, Beweismaß, S. 229; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 273 f.; Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 17b; BFH BStBl. II 1971,220,224. 166 BFHINV 1993,238,239; BFH BStBI. II 1990,73, 74; II 1981, 118, 120. Zur Beweislast bei einer Um qualifizierung nach § 8a Abs. I KStG Knobbe-Keuk, DB 1993, 60,61.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

225

anspruch mit den Einnahmen gleichgesetzt werden könne. 167 Nur unter dieser Prämisse wäre es logisch, Werbungskosten und Betriebsausgaben als steuereinschränkende Umstände anzusehen. Richtiger wäre bezüglich dieser "Tatbestandsgruppe" die Bezeichnung als rechtshindernde Merkmale. Ihr Vorliegen führt nämlich dazu, daß ein Steueranspruch dem Staat gar nicht erst erwachsen kann. Tatsächlich ist es doch so, daß die Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben im wesentlichen der Einnahmeerzielung vorangehen. Sie liegen häufig bereits vor, bevor ein "Zufluß" von Einnahmen stattfindet. Regelmäßig existiert daher kein Steueranspruch, der durch Werbungskosten nachträglich gemindert oder eingeschränkt wird, sondern der Steueranspruch kann nur in der Höhe entstehen, in der den Einnahmen keine Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben gegenüberstehen. Den Werbungskosten kommt daher wie den Einnahmen nur die Bedeutung eines Postens innerhalb einer Rechenoperation zu. Man wird kaum die Auffassung vertreten können, daß die Werbungskosten als rechtshindernde Merkmale hinsichtlich des Steueranspruchs vom Wortlaut oder der Systematik als Ausnahmen von einer Grundregel formuliert sein sollen. Denn weder eine am Wortlaut orientierte l68 noch eine systematische Auslegung kann ein formales Argument zur Verteilung der Beweislast offen legen. M.E. lassen sich auch teleologische Aspekte nicht zur Begründung heranziehen, dem Steuerpflichtigen die Beweislast bezüglich der Werbungskosten aufzuerlegen. 169 An ergänzenden materiellen Gesichtspunkten, die die Beweislast in Ausnahme von der Normentheorie verteilen, drängt sich der Gedanke des Gefahrenbereichs oder, allgemeiner gesprochen, der Sphärengedanke auf. Er bildet eine Ausnahme von der Normentheorie insofern, als bezüglich der rechtshindemden Merkmale der Normentheorie selbst keine Anweisungen entnommen werden können. Aber auch ein Sphärengedanke mit der Zielrichtung, daß dem Steuerpflichtigen der Nachweis von Werbungskosten obliegt, die er zur Erzielung seiner Einnahmen aufgewendet hat, wird grundsätzlich bei der Betrachtung des Steueranspruchs in Höhe der Einkünfte auszuscheiden haben. Denn der Steuerpflichtige ist genauso weit oder fern von den Werbungskosten wie von den Einnahmen; die Nähe des Steuerpflichtigen zu den Werbungskosten muß

167

So offensichtlich Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 53.

16K

Kritisch zur Satzbau lehre Nierhaus. Beweismaß. S. 483.

169 So spricht der Ausnahmecharakter von § 9a EStG eindeutig dagegen, vgl. oben 2. Teil C. II. 4. b).

15 M. Schmidl

226

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

demzufolge als Abgrenzungskriterium ausscheiden. 170 Ein Sphären gedanke würde mit Rücksicht auf den Steueranspruch also grundsätzlich die Beweislast dem Steuerpflichtigen auferlegen - eine Folge, die die h.M. wegen des rechtsbegründenden Charakters der Einnahmen unter dem Eindruck des Vorbehalts des Gesetzes und der Tatbestandsmäßigkeit l71 so nicht aufrechterhalten würde. Es wurde an vielen Stellen schon darauf hingewiesen, daß der Sphärengedanke fur das Steuerrecht insgesamt unbrauchbar ist, da es kaum materielle Steuermerkmale geben wird, zu denen das Finanzamt "näher" als der Steuerpflichtige steht. Dies wird beschränkt sein auf Umstände wie den Zugang von Erklärungen, insbesondere hinsichtlich steuerlich relevanter Fristen und ähnlichem. Auch ein Abstellen auf ein Regel-Ausnahme-Prinzip wird nur schwerlich die Beweislast des Steuerpflichtigen fur Werbungskosten und Betriebsausgaben rechtfertigen können. So läßt sich keine auch nur annähernd von einer Lebenserfahrung gedeckte "Regel" aufstellen, daß Einnahmen keine Werbungskosten gegenüberstehen. Das Gegenteil wird die Regel sein. Auch ein Abstellen auf Wahrscheinlichkeitskriterien wird nicht rur die Zuweisung der objektiven Beweislast sprechen. 172 Im Ergebnis gelangt der Bundesfinanzhof zu einer Verteilung der Beweislast, nach der die Behörde als Steuergläubiger die Feststellungslast fur die Tatsachen trägt, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können, der in Anspruch genommene Steuerpflichtige hingegen rur Tatsachen, die Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen begründen oder den Steueranspruch aufheben oder einschränken. 17 ) Mit einer derartigen Übertragung der Normen170 Allerdings bedient sich der BFH durchaus dieses "Notankers", selbst in Fällen, in denen (eigentlich) steuerbegründende Merkmale betroffen sind, vgl. BStBl. II 1995,95, 97: Bei der Aufteilung von Einnahmen, die zum Teil im Inland, zum Teil im Ausland erzielt wurden (und wegen eines DBA insoweit nicht besteuert werden durften), handelt es sich bei der Feststellung des inländischen Anteils zumindest ebenso um einen steuerbegründenden Umstand - die Ansicht des BFH führt sonst, soweit die Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO nicht verletzt wurde (wobei diese Vorschrift für den inländischen Anteil wiederum nicht anwendbar sein dürfte), um eine "Aushöhlung" des DBA. Problematisch ist daher auch die Ansicht von Helsper, in: Koch/Scholtz. § 88 AO Rdn. 20 a.E. unter Hinw. auf BFH BStBI. II 1989, 462, 464. 171

Hierzu auch H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 40 f.

172 Dazu, daß eine Beweislastverteilung nach der Wahrscheinlichkeit insgesamt wohl unzulässig ist, bereits oben C. 111. I.

m BFH BStBI. II 1971, 220, 224. Hingewiesen sei auf die sprachlich zweifelhafte

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

227

theorie auf das Steuerrecht erschöpft sich für den Bundesfinanzhof die Begründung einer Beweislastverteilung. Wie bereits mehrfach erwähnt' 74, geht der BFH überhaupt nicht auf die Anwendungsvoraussetzungen einer Beweislastentscheidung, namentlich auf die unbedingte Verpflichtung zur Sachentscheidung ein. Darüber hinaus bleibt auch die dogmatische Absicherung der Beweislastverteilung einiges schuldig. Die fragwürdige Einteilung in positive und negative Normvoraussetzungen im Anschluß an Rosenberg ist nämlich nicht das einzige Problem der Frage der Beweislastverteilung im Steuerrecht. Die Rosenberg'sche Beweislastlehre wurde nur im Zusammenhang mit dem Zivilrecht entwickelt, wobei Überlegungen zu der Bedeutung der Grundrechte im Verhältnis Bürger Staat ausgeklammert sind. Dennoch wird die vom Bundesfinanzhof angenommene Beweislastverteilungsregel allgemein akzeptiert. 175 Bedenken, die gegen die Übertragung der am Zivilrecht entwickelten Normbegünstigungstheorie auf das Steuerrecht vorgetragen werden, werden zum Teil dadurch ausgeräumt, daß darauf verwiesen wird, daß der steuerrechtliche Anspruch sich in nichts von dem Anspruch zwischen zwei Parteien eines Zivilrechtsstreites unterscheide. 176 Das typische Subordinationsverhältnis des Steuerrechts wird dadurch faktisch geleugnet, wie auch die Tatsache, daß eine "Partei" ihren (vermeintlichen) Anspruch selbst vollziehen kann; das Finanzamt ist nicht unabhängiger Richter, sondern solcher in eigener Sache. 177

Bezeichnung der "steuereinschränkenden" Tatsachen; so schränken auch (niedrigere) Einnahmen die Einkünfte (Steueranspruch) ein. Letztere sind immer durch die Einnahmen beschränkt. 174

BFH BStBI. II 1971,220,224; s. schon oben I. Teil B. IV. 2. d) (bei Fn. 414).

175 So finden sich beispielsweise in den AusfLihrungen Söhns (in: Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 88 AO Rdn. 157 ff.) keine weiteren Ansätze, die das Begründungsdefizit des BFH in seiner Grundlagenentscheidung BStBl. II 1971, 220, 224, ausgleichen könnten. 176 So aber H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 32, der verkennt, daß wesentliche Beweislastprobleme mit der Entstehung des Anspruchs zusammenhängen; die aus der Tatbestandsverwirklichung i.S.v. § 38 AO "resultierende Steuerschuld" wirft nur Fragen ihres Fortbestandes auf, Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 30 ff., 40 f. Gegen eine Vergleichbarkeit explizit Fe/ix, DB 1993, Heft 1 (Gastkommentar), S. I; Mathias Huber, Die Folgen rechtswidriger Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, S. 26. 177 Diesen Aspekt betont auch Börner, Umwelt, Verfassung, Verwaltung, S. 117, /20; A. Mielke, StuW 1994, 232, 234 hebt diese Interessenlage bereits im Hinblick auf den Gesetzgeber hervor.

15'

228

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Die Konsequenz daraus muß sein, daß die Rechtsanwendung durch den Finanzbeamten nicht mit der in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit gleichgesetzt werden kann. 178 H. Meyer umgeht die zunächst aus der Tatbestandsmäßigkeit entwickelte Beweislastverteilung zu Lasten des Steuergläubigers 179 bezüglich steuermindernder Umstände durch ein Abstellen auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Auch zieht er hierbei das vielfach bemühte l80 Argument heran, daß ohne eine Risikozuweisung auf den Steuerpflichtigen dieser das Vorliegen steuermindernder Tatsachen nur behaupten brauchte, ohne fur deren Wahrheitsgehalt eintreten zu müssen 181. In diesem Zusammenhang stellt er auf die Verpflichtung zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung ab: "Die Befolgung der Norm, also die Anerkennung und Zahlung der Steuer, wäre dem Steuerpflichtigen nicht mehr zumutbar, wenn nicht die Gewißheit besteht, daß jeder andere die Norm in der gleichen Weise befolgen muß.,,182 Jedoch verschiebt H. Meyer hierbei die Problematik. Das Gleichmäßigkeitsgebot richtet sich nämlich nur an den Staat, der auch dann, wenn die Beweislast bei ihm als Steuergläubiger verbliebe, die Steuern gleichmäßig festsetzte. Die Verwerfungen, die diese Ansicht befurchtet, fUhren nicht zu einer willkürlichen Rechtsanwendung durch den Fiskus, sondern sind eben durch das Verhalten anderer Bürger begründet. Denn der Staat müßte bei der Steuerfestsetzung die Behauptungen jedes Steuerpflichtigen in gleicher Weise überprüfen und, falls er keine Gewißheit erlangen kann, berücksichtigen. Das Finanzamt behandelt dabei die Steuerpflichtigen aber nicht (willkürlich) unterschiedlich. Auch die Steuernorm selbst fUhrt nicht dazu, daß Steuerpflichtige ungleich behandelt werden. Die

l7R So aber H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 32 f, wenn er darauf hinweist, daß der Finanzbeamte keine Rechtsbeugung begehen kann, weil er im Auftrag einer Partei die Interessen des Fiskus gegen den Steuerpflichtigen wahrzunehmen hat. Der Unterschied ist eklatant: Der Rechtsanwender ist nicht nur Partei des zwischen den Beteiligten bestehenden Verfahrens, sondern er kann seinen Anspruch selbst durchsetzen. Die Argumentation Meyers kann daher sowohl zu einer Ablehnung der Notwendigkeit der objektiven Beweislast wie auch einer Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen im (Finanz-)Verwaltungsverfahren angeführt werden. Anders auch Flume. Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 41 f

179 Vgl. hierzu auch Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 137 f. IKO

Eingehend hierzu unten IV. 3.

IKI

H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 42.

IK2

H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 42.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

229

Pflicht des Finanzamtes, den behaupteten Sachverhalt zu ermitteln und gegebenenfalls andere Instrumente zur Steuerfestsetzung heranzuziehen, wie das Instrument der Schätzung oder der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt, würden ja nicht berührt. Eine Intensivierung anderer "Ermittlungsmechanismen" bei Wegfall der objektiven Beweislast ist eine selbstverständlich zu erwartende Folge. 183 Doch ist es verfehlt zu behaupten, daß im Falle einer Beweislastverteilung zu Lasten des Steuergläubigers "der Willkür Tür und Tor geöffnet" sei. 184 Denn bei der Steuerfestsetzung bleibt das Finanzamt verpflichtet, die übrigen Instrumente willkürfrei anzuwenden. Möglicherweise käme es zu Steuerausflillen, weil in bestimmten Konstellationen die Berücksichtigung von den Steuerpflichtigen "günstigen" Umständen das Ergebnis einer den Steuergläubiger treffenden Beweislastverteilung wäre. Diese Begünstigung würde aber bei ordnungsgemäßer Rechtsanwendung alle Steuerpflichtigen in gleicher Weise treffen. Es tritt hier keine andere Wirkung ein, als wenn mittels rechtlich bedenklicher Verwaltungsanweisungen Typisierungen für gewisse steuerrelevante Umstände vorgenommen werden, die wegen der eintretenden (Selbst-)Bindungswirkung zu materiellrechtlich ungerechtfertigten Begünstigungen führen. Allgemein wird der Verstoß gegen den Gleichheitssatz und das Tatbestandsmäßigkeits- bzw. Legalitätsprinzip mit dem Argument der Verfahrensökonomie begründet. 185 Wenn diese als Rechtfertigungsargument ausreicht, stellt sich die Frage, ob das verfassungsrechtliche Gebot der Wahrung der Rechts- und Freiheitssphäre (allgemeine Handlungsfreiheit, Eigentum) des Bürgers die potentiel-

183 So wurde diese Funktion vor dem Abstellen auf die objektive Beweislast durch die Typisierungausgeflillt, vgl. z.B. Fe/ix, in: Studi in onore di Achille Donato Giannini, S. 551,564. 184

H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 42.

185 BVerfGE 13,331,341; E 17, 1,23; E 63,119,128; E 79, 87,100; E 80,109, 118/; E 87, 153,172. Vgl. auch Loritz, NJW 1986, I, 7; sehr weitgehend AEAO zu § 88 Ziff. I: "Die Finanzämter dürfen auch berücksichtigen, in welchem Maße sie durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet werden, sofern sie bei vorhandenen tatsächlichen oder rechtlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entsprechen und zu seinem Nachteil entscheiden. In Fällen erschwerter Sachverhaltsennittlung dient es unter bestimmten Voraussetzungen der Effektivität der Besteuerung und allgemein dem Rechtsfrieden, wenn sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können." Hierdurch werden sowohl Legalitäts-, Tatbestandsmäßigkeits- sowie Gleichmäßigkeitsprinzip durchbrochen.

230

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

le Inkaufnahme der zu erwartenden Steuerausfälle nicht rechtfertigen kann. Sollte es tatsächlich einzelnen Steuerpflichtigen in außergewöhnlicher Größenordnung ermöglicht werden, Ungleichheiten gegenüber anderen Steuerpflichtigen zu erzielen, wäre dies auch bei Unanwendbarkeit der objektiven Beweislast im Steuerrecht nicht die Konsequenz aus dem streng gesetzmäßigen Verhalten der Finanzbehörden, sondern der Ausgestaltung des materiellen Rechts, das aufgrund seiner Formulierung selbst die faktische Ungleichbehandlung in sich trägt. Würde dieses Manko durch eine Beweislastverteilung ohne ausdrückliche Anordnung durch Nachweispflichten etc. ausgeglichen, dient die objektive Beweislast nur der Vollziehbarkeitmachung unvollkommener Rechtsnormen. Die "Willkür" tatsächlicher Belastungsungleichheiten wäre demzufolge nicht die Konsequenz aus der Beweislastverteilung zu Lasten des Steuergläubigers, sondern aus der Unvollkommenheit der materiellrechtlichen Norm. 186 Eine Belastungsungleichheit, die eine entsprechende Gesetzesanwendung als Willkür erscheinen ließe, dürfte dabei aber der absolute Ausnahmefall bleiben. Denn außer der Fehlerhaftigkeit, daß die Rechtsanwendung unter umfassender Berücksichtigung des Prinzips des Vorbehalts des Gesetzes l87 bzw. des weiterreichenden Prinzips der Tatbestandsmäßigkeit l88 nicht all die Fälle erfaßt, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft (§ 3 Abs. I AO), müßte der imperfekten Regelung zusätzlich ein Mechanismus inhärent sein, der automatisch zu einer ungleichen Behandlung von Steuerpflichtigen fuhrt. Solches wird aber auch von der erwähnten Ansicht nicht behauptet. Die Gefahr der Ungleichbehandlung, die diese Auffassung sieht, folgt nicht aus der Gesetzesanwendung durch die Finanzverwaltung, sondern durch ein eigenverantwortliches und vorwerfbares Verhalten der Steuerpflichtigen. Dieses ist bei der Beurteilung der Norm nur dann relevant, wenn es durch die "Fassung" der Gesetzesregelung unmittelbar herausgefordert wird. Die Schwelle hierzu ist aber nicht allzu niedrig anzusetzen. 189 So geht auch der

186 Auch Börner, Umwelt, Verfassung, Verwaltung, S. 117, 124, verlangt von dem Gesetzgeber, daß dieser die Rechtsnormen möglichst einfach fasse; explizit Tipke, StKRep 1967,39,61; Martens, StuW 1981,322,329; tendenziell auch schon Fe/ix, in: Studi in onore di Achille Donato Giannini, S. 551, 561. 187

Vgl. oben I. Teil B. IV. 2. a).

188

Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 155.

189 Im übrigen darf natürlich nicht verschwiegen werden, daß ein Anreiz zum Mißbrauch primär von der Höhe des Steuersatzes ausgeht. So kann keinesfalls behauptet

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

231

Anwendungserlaß zur AO von der grundsätzlichen Steuerehrlichkeit der Bürger und davon aus, daß dessen Angaben Glauben zu schenken sei: "Für den Regelfall kann davon ausgegangen werden, daß die Angaben des Steuerptlichtigen in der Steuererklärung richtig und vollständig sind" (AEAO zu § 88 Ziff. 2).190 Eine Mißbrauchsmöglichkeit fUhrt aber nicht apriori zu einem Verstoß gegen das Gleichmäßigkeitsgebot.

3. Der Eingriffsgedanke als Ausgangspunkt einer steuerrechtlichen Beweislastverteilung Einen Ansatz fUr eine Beweislastverteilung in einer "Beziehungssphäre, auf die die von der Tradition geprägte Anschauung des Eingriffs in Freiheit und Eigentum zutrifft", hat Rupp gewiesen. 191 So stellt er fUr den verwaltungsgerichtlichen Anfechtungs- und Verptlichtungsprozeß heraus, daß die Beweislastverteilung sich in einem Kraftfeld befinde, "das Rechte und Ptlichten in einem ganz anderen Ordnungssystem erscheinen läßt, als dies Z.B. im Zivilrecht der Fall ist".192 Dementsprechend sei bei einem Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Sphäre des Bürgers die "Präponderanz der Freiheit des Individu-

werden, daß das System der Ausgestaltung der (Einkommen-)Steuernormen bei maßvoller Ausgestaltung der Steuersätze zum Mißbrauch herausfordert(e). Erst die Begehrlichkeiten des Staates führen zu verstärktem Abwehrverhaltenmit möglicherweise relevanten Verschiebungen im Hinblick auf die Besteuerungsgleichheit. Daher stellt es eine starke Sichtverengung dar, wenn man allein den Steuerpflichtigen Steuerunehrlichkeit unterstellt, ohne darauf hinzuweisen, daß auch der Staat sich in einem "Grenzbereich" bewegt, wenn er z.B. auf Einkommen in einem Umfange zugreift, der die Tätigkeit des Steuerpflichtigen zu einer überwiegend fremdnützigen macht. Vgl. hierzu Kirchhof,Verhandlungen des 57. DJT 1988, Bd. L F 16, 19 f.. 82 f.; Friauf, DStJG 12 (1989), 3, 9; Loritz, BB 1993, 225. 228 ff.; ders.. DStR 1995, Beihefter zu Heft 8, S. 6. Auch das BVerfG trägt neuerdings bei Überschreiten einer Belastungsgrenze von 50% und Mehrfachbesteuerung desselben Steuergegenstandes Bedenken hinsichtlich der konfiskatorischen Wirkung der Steuern, BVerfG BStBI. 11 1995,655.661; vgl. auch das abweichende Votum des Richters Bäckenfärde. BStBI. 11 1995. 665. 668.

190 Vgl. auch BFH BStBI. 11 1969.474; 11 1979.57. 191

Rupp, AöR 85 (1960),301. 319.

192

Rupp, AöR 85 (1960). 301. 319: vgl. auch Gallwas. BayVBI. 1966.310.311.

232

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

ums" zu beachten. 193 Diese Freiheit könne nur eingeschränkt werden, wenn eine "rechtsbeständige Gesetzesgrundlage" vorhanden sei. In der Folge kommt er zu einer Regel, die der Grundregel Rosenbergs entspricht, daß eine Rechtsfolgenanordnung unterbleiben muß, wenn die Voraussetzungen einer Norm weder in positiver noch in negativer Hinsicht sicher sind. Nach Ansicht Rupps muß dieser aus der Verfassung abgeleitete materiellrechtliche Grundsatz "im Verfahrensrecht sein notwendiges Korrelat finden: Nur wenn auch die den Eingriff begründenden Voraussetzungen bewiesen sind, kann der eingreifende Verwaltungsakt vor dem Richter bestehen".194 Für den klassischen Eingriffsfall im Steuerrecht müßte demzufolge eine Beweislastverteilung "contra fiscum" stattfinden. Rupp macht dann allerdings eine Ausnahme für den der Leistungsverwaltung zuzuordnenden Bereich. Hier sei der Staat gewährend tätig, so daß die traditionell geprägte Anschauung des Eingriffs in Freiheit und Eigentum nicht zutreffe. Soweit der Bürger hier als "Verlangender"195 dem Staat gegenüberstehe, müsse ihn das Risiko des Nachweises einer seinen Anspruch tragenden Rechtsgrundlage treffen. Da Rupp insoweit nicht speziell auf das Steuerrecht abstellt, ergeben sich für ihn auch keine Abgrenzungsschwierigkeiten. Den entsprechenden Schritt unternimmt G. Klein l96 , indem er bei steuermindernden (-einschränkenden) Umständen eine Unterteilung danach vornimmt, ob es sich um reine Fiskalzwecknormen oder solche mit Lenkungscharakter (Sozialzwecknormen) handelt. Während er letztere als verdeckte Subvention den offenen Subventionen gleichstellt und damit die Regelung über die gewährende Verwaltung für sie reklamiert, trennt er davon die Fiskalzwecknormen, die die steuerliche Leistungsfähigkeit des Bürgers zu berücksichtigen trachten. Als einen Eingriff in die grundrechtlieh geschützte Freiheitssphäre des Bürgers sieht auch Weber-Grelle! die Abgabenerhebung an. Ein solcher Eingriff sei nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzipes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die den Eingriff in die Rechts- und Freiheitssphäre legitimiert, zulässig. Für das Steuerrecht hat dieser Gedanke eine ausdrückliche

193 Rupp, AöR 85 (1960),301, 3/9 unter Hinw. auf Dürig, in: MaunzlDürig, Grundgesetz, Art. 2 Abs. I Rdn. 72: "Präponderanz der Freiheit". 194 Rupp, AöR 85 (1960), 30 I, 3/9 : im Ergebnis auch Papier. Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 208 f 19;

Rupp, AöR 85 (1960). 301, 32().

196

Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 20.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

233

Ausprägung in § 38 AO gefunden. Als Folge daraus ergebe sich, daß ein belastender Steuereingriff nicht aufgrund einer Tatsachengrundlage vorgenommen werden darf, die unsicher ist. Der Vorbehalt des Gesetzes verlange daher notwendigerweise, "daß diesem Tatbestand im konkreten Fall ein tatsächlich existierender Sachverhalt zugrundeliegt".197 Als unmittelbare Konsequenz aus dieser Auffassung ergebe sich dann eine Beweislastverteilung zu Lasten des Finanzamtes für steuerbegründende und -erhöhende Merkmale, da bezüglich dieser Merkmale ein Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers gegeben ist. Für steuerhindernde, -vernichtende und -hemmende Besteuerungsmerkmale trage allerdings der Steuerpflichtige die Beweislast. Weber-Grellet nimmt dabei keine Unterscheidung nach Fiskal- und Sozialzwecknormen vor. Entscheidendes Kriterium ist für ihn vielmehr das Merkmal des Eingriffs. Die Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen ergibt sich daraus, daß Weber-Grellet die entlastenden Merkmale l98 als Erweiterung der Freiheitssphäre des Bürgers ansieht. Für diese könne daher der Vorbehalt des Gesetzes nicht gelten. 199 Diese Ansicht ist bedenklich, weil sie den einheitlichen Steueranspruch in zwei unterschiedliche Kategorien aufteilt. Zwar entspricht die Beweislastverteilung bezüglich der steuerbegründenden und -erhöhenden Merkmale zu Lasten der Finanzbehörde völlig einhelliger Meinung. Doch ist damit noch nicht der Steueranspruch verwirklicht. Dies ist aber die Konsequenz aus der Auffassung Weber-Grellets, wenn er steuermindernde Merkmale, wie insbesondere Werbungskosten oder Betriebsausgaben, als solche Tatumstände anerkennt, die die Rechtssphäre des Bürgers erweitern. Er macht sie im Ergebnis zu "Zahlungsansprüchen" gegenüber dem Finanzamt, die dann im Wege einer "Aufrechnung" ausgeglichen würden. Eine solche Auffassung tut dem Begriff des Steueranspruchs Gewalt an. So könnenz.B. Werbungskosten nicht isoliert betrachtet werden; als solche erweitern sie keine Rechtssphäre des Bürgers, die zunächst durch das Vorliegen von Einnahmen eingeschränkt wurde. Die Einschränkung der Rechtssphäre erfolgt durch den Steueranspruch, der bei dem gewählten Beispiel (zunächst) auf die Einkünfte gerichtet ist (Nettoprinzip, § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG).2oo Mit dem im (Einkommen-)Steuerrecht geltenden Leistungsfähig-

197

Weber-Grellet. StuW 1981, 48, 52.

19K

Günstige Merkmale i.S.d. Normentheorie.

199

Weber-Grellet. StuW 1981. 48, 53.

200

"Der zuverlässigste Indikator steuerlicher Leistungsfähigkeit ist die Höhe der Netto-

234

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

keitsprinzip201 ließe es sich schwerlich vereinbaren, einen überproportionalen Eingriff zunächst durchzufUhren, um dann durch eine staatliche Gewährung eine vorher vorgenommene Rechtsbeeinträchtigung auszugleichen bzw. diese Rechtssphäre auf das verfassungsrechtlich verlangte Niveau (Leistungsfahigkeit) zu "erweitern". Als technisches Prinzip wäre dies zwar denkbar, die rechtliche Einordnung ist dagegen abzulehnen. Zutreffend ist jedoch die Berücksichtigung der verfassungsrechtl ichen Vorgaben, insbesondere des Gesetzesvorbehaltes. Die Beweislastverteilung zu Lasten der Finanzbehörde fUr steuerbegründende und -erhöhende Merkmale ist dadurch zwingend verfassungsrechtlich determiniert. Problematisch ist nur, ob sich für die "negativen Normvoraussetzungen", also die steuermindernden Merkmale, eine andere Regel ergeben muß. Auch Weber-Grelle! scheint von seiner Begründung nicht in letzter Konsequenz überzeugt zu sein. So rechtfertigt er diese Regel "positiv" mit der Überlegung, "daß anderenfalls der, der eine Veränderung zu seinen Gunsten erstrebt, diese nur zu behaupten brauchte, ohne für den Wahrheitsgehalt seiner Behauptungen eintreten zu müssen. Eine solche Regel provoziert die unberechtigte Geltendmachung begünstigender Umstände und gefahrdet damit Rechtsfrieden und Rechtssicherheit".202 Mit dieser Begründung stimmt auch G. Klein der Beweislastverteilung der h.M. im Steuerrecht, die die Normentheorie Rosenbergs auf das Steuerrecht projiziert, zu. Das Szenario, das G. Klein dabei aber anfUhrt, ist wohl überzogen. Es ist kaum vorstellbar, daß "angesichts der Neigung des Steuerzahlers, möglichst wenig Steuern zu zahlen", die Ablehnung einer Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen "zu einer solchen Verringerung der Einnahmen des Staates fUhren" würde, "daß dieser zur ErfUlEinkünfte", Loritz, StuW 1986,9, 18; Tiedtke, Einkommensteuer- und Bilanzsteuerrecht,

S. 41.

201 Vgl. hierzu Tipke, Steuerrechtsordnung I, S. 478 ff.; ders., StuW 1994,58,61 f; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rdn. 81 ff., S. 77 ff.; Loritz, Einkommensteuerrecht, Rdn. 192 ff.; ders., StuW 1986,9, 15 jJ.; Birk, Das Leistungsfahigkeitsprinzip als Maßstab der Steuemormen, passim; Tiedtke, Einkommensteuer- und Bilanzsteuerrecht, S. 40 ff.; U. Schneider,1Z 1987, 696, 701; R. Wittmann. StuW 1993, 35. 36 f; Kaiser, FR 1993, 557,561 jJ. Das BVerfG räumt der Besteuerung nach der Leistungsfahigkeit in st. Rspr. Verfassungsrang ein, vgl. BVerfGE 6, 55. 67; E 9,237,243; E 13,290.297; E 14, 34, 41; E 27,58.64; E 29, 402, 412; E 32, 333, 339; E 36.66, 72; E 43, 108, 120; E 47. 1,29; E 61, 319, 343f; E 66, 214, 223; E 68, 287, 310; E 74.182. 199f; E 82. 60. 86; für das Erbschaftssteuerrecht BVerfG BStBI. II 1995, 671. 673 f 202

Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 53.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

235

lung seiner Aufgaben nicht mehr in der Lage wäre".zO) Es ist überraschend, daß ein solcher Extremfall vor der Implementation der Beweislast im Steuerrecht durch den Bundesfinanzhof im Jahre 1970z04 nicht eingetreten ist, obwohl die objektive Beweislast bis dahin in der finanzverwaltungsrechtlichen Praxis keine (herausragende) Rolle spielen konnte. Dies legt es nahe, daß genügend Ausweichmechanismen z05 durch das Steuerrecht vorgegeben sind, einem existenzbedrohenden Steuerausfall vorzubeugen - und dies sogar dann, wenn man in die Betrachtung miteinbezieht, daß § 171 AO a.F., der eine allgemeine Nachweispflicht auf Verlangen der Finanzbehörde begründete, in dieser Form nicht in die AO 1977 übernommen wurde. Ebenso ist der Hinweis verfehlt, daß die "ohnehin überlastete Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit ... unter der Belastung, die die zu erwartende Vermehrung der Geltendmachung steuermindernder Umstände mit sich brächte, zusammenbrechen" würde. z06 Die Überlastung der Finanzverwaltung kann kein sachliches Argument sein, eine vom materiellen Recht nicht vorgesehene oder gebotene Be-

ZO) G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 21. Bedenklich insofern auch Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 10: Die AusfUhrungen können mißgedeutet werden, wenn angefUhrt wird, daß die Einhaltung eines (streng) gesetzmäßigen Verfahrens wegen dessen Unpraktikabilität zu Finanz- und Staatsnotstand fUhren würde und daher abzulehnen sei. Richtig ist allerdings, daß die angeftihrten Einschränkungen des Regelbeweismaßes Berücksichtigung finden müssen; nach hier (und gegen Nierhaus) vertretener Ansicht gehen sie einer Beweislastentscheidung in jedem Fall vor.

204 BFH BStBI. II 1971, 220, 224. Den älteren Beweislastentscheidungen in BStBI. II 1969,550,552; II 1968,612,613; HFR 1964,332,333; 1964,283,285; BStBI. III 1963,213,214; III 1962,377,378, kann kein besonderes Gewicht beigemessen werden, da sie sämtlich der Behörde die Feststellungslast zugeordnet haben; sie lassen sogar vermuten, daß sie wegen einer Verbindung mit dem Amtsermittlungsprinzip von einer überwiegenden Beweislastverteilung zu Lasten des Steuergläubigers ausgehen. 20S SO weist Felix, in: Studi in onore di Achille Donato Giannini, S. 551, 564, darauf hin, daß bei Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes nach Erflillung der Mitwirkungspflicht(en) "der Rest der Unklarheit ... nach typisierender Betrachtung" zu ermitteln sei; vgl. aber auch dens., in: Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, S. 124, 128, wo Felix einer Auslegung von Rechtsfragen nach dem Grundsatz "in dubio contra fiscum" als Schluß aus einer floskelhaft anmutenden positivistischen Argumentation - "Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung läßt es ... nicht zu, daß begriffliche Dunkelfelder sich zu Lasten des Staatsbürgers auswirken" - kritisch begegnet. 206

G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 21.

236

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

weislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen vorzunehmen. Der Gesetzgeber hat es in der Hand, jene "Überlastung" abzubauen oder zu verhindern. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Steuerpflichtigen vermehrt steuermindernde Umstände geltend machen sollten, da die wesentlichen und einnahmeträchtigen Bereiche steuermindernder Umstände durch Nachweisvorschriften erfaßt sind. 207 Auch ist bei der derzeitigen hohen Steuerbelastung davon auszugehen, daß schon jetzt der Steuerpflichtige alles unternehmen wird, um seine Steuerlast zu senken. Da eine Beweislastverteilung, die nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen wirkt, dessen Mitwirkungspflichten und die Möglichkeiten der Finanzbehörde, in zweifelhaften, nicht aufklärbaren Fällen das Instrument der Schätzung zu Hilfe zu nehmen, unberührt läßt, wären existentielle Auswirkungen auf das Steueraufkommen überhaupt nicht zu erwarten. 20S Die Anwendung der Normentheorie auf das Steuerrecht mit ihrer Unterscheidung in steuererhöhende und steuermindernde Merkmale findet auch Kritik bei Ritter, der die Aufteilung eines einheitlichen Sachverhaltes in die Untersachverhalte Einnahmen und Ausgaben mit jeweils unterschiedlichen Beweislastrechtsfolgen als "artifiziell" bezeichnet. 209 Demzufolge hält er eine generelle Beweislastverteilung zu Lasten des Steuergläubigers für möglich, wenn er den "angeblichen Grundsatz, daß die Beweislast für Betriebsausgaben stets beim Steuerpflichtigen liege", nicht bestätigt sieht. 2IO Zu einer identischen Beweislastverteilung gelangt Michaefl \ wenn er zu dem Ergebnis kommt, daß die Beweislastverteilung nach dem Grundsatz "in dubio pro libertate" verfassungsrechtlich determiniert sei und die Beweislastregeln der Normentheorie "über-

207

S. oben 2. Teil C. 11. 4.

208 Eine allgemeine Nachweispflicht für dem Steuerpflichtigen günstige Umstände könnte Bedenken in dieser Hinsicht vollständig zerstreuen. Auch im Hinblick auf die Besteuerungsgleichheit wäre eine Nachweispflicht erwägenswert, selbst wenn durch sie das allgemeine Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 GG berührt würde; auf der anderen Seite müßte die Finanzbehörde dann die Nachweise aber auch vollständig prüfen und nicht allein aus der Nachweistätigkeit (Belegsammeln) auf das Vorliegen der Umstände schließen; hinsichtlich der unzureichenden Kontrolltätigkeit ebenso Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. 10. Zum Spannungsverhältnis zwischen Gesetzmäßigkeit und Akzeptanz auch Heinicke, Festschrift L. Schmidt, S. 751, 752 f 209

Ritter, DStJG 8 (1985),91,95.

210

Ritter, DStJG 8 (1985),91,96.

211

Verteilung der objektiven Beweislast, S. 215.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

237

lagert". Auch geht er von einem Gesamtverständnis 212 aus, in dem Sinne, daß alle Eingriffsvoraussetzungen in positiver wie negativer Hinsicht von dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes erfaßt werden. Er nimmt eine sehr starke Sichtfixierung auf den belasteten Bürger vor, was sich aus der Heranziehung der allgemeinen Handlungsfreiheit als Rechtfertigungselement ergibt. Demzufolge habe der eingreifende Staat auch das Nichtvorhandensein der einer günstigen Ausnahmeregelung zugrundeliegenden Tatsache nachzuweisen. 2lJ In gleicher Weise betont Papier die Rechts- und Freiheitssphäre des Bürgers und lehnt einen Eingriff bei Zweifeln am Vorliegen der tatbestand lichen Voraussetzungen der Steuernormen ab; einen derartigen "Beweislastgrundsatz des öffentlichen Eingriffsrechts" sieht er als "verfassungsrechtlich abgesichert" an. 214 Soweit es hierbei um den Nachweis reiner Fiskalzwecknormen geht, kann gegen diese Ansichten nicht mehr vorgebracht werden, daß eine derartige Beweislastverteilung wegen des Gesichtspunktes der Beweisnähe, aus Gründen der Waffengleichheit und der fairen Handhabung des Verfahrens untragbar sei. 215 Ebenfalls hat sich das Argument, daß eine derartige Beweislastverteilung zu Lasten des Steuergläubigers zu untragbaren Ergebnissen führt, als

212 Vgl. auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 272: Entscheidend sei. daß "für solche [seil.: steuennindemden] Tatbestände in jedem Fall das gleiche gilt wie für steuerbegründende Merkmale: Sie gehören zu den konstitutiven Voraussetzungen des steuerschuldrechtlichen Anspruchs". Sie nimmt allerdings in der Folge eine differenzierte Beweislastverteilung anhand gesetzesergänzender Abwägungen zur Zurechenbarkeit von Beweisrisiken vor (a.a.O .• S. 273 ff). 213 Im Ergebnis ebenso Mauern. DStZ/A 1958,265,267; gegen einen profiskalisehen Grundansatz wenden sich auch Tipke, StKRep 1967, 39 ff und Eckhardt, BB 1968, 1209, 1211; lsensee, Die typisierende Verwaltung, S. 121 f Unklar Heuer, DStZ/A 1952,324 und DStZ/A 1950,273,274: "Praktisch trifft ihn [seil.: den Steuerpflichtigen] also die Beweislast dafür, daß die Steuerpflicht sich gemindert hat oder erloschen ist." Dies liege in der "Natur der Dinge". Dabei ist aber nicht ganz klar. ob Heuer diesen "Gegenbeweis des Steuerpflichtigen" als objektive Beweislast ansieht oder nur eine Folge der faktischen Beweislast beschreibt: "Trägt der Steuerpflichtige selbst keine Gegentatsachen vor, so kann die Steuerbehörde von der Ennittlung derartiger Tatsachen je nach Lage des Falles im allgemeinen absehen." In dieser Lage muß der Steuerpflichtige die Sachverhaltswürdigung der Finanzbehörde "umkehren". 214

Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 208 f

215

Vgl. oben C. III. 2.

238

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

weitreichende Spekulation auf nicht empirischer Basis herausgestellt. 216 Einen sehr gewichtigen Einwand gegen "die Fatalität des Eingriffsdenkens" hat allerdings Berg vorgetragen 217 , wenn er den Bürger als Vertreter des Individualinteresses als "eine gefährlich unrealistische Konstruktion" bezeichnet. Tatsächlich mutet die Suche nach geeigneten Beweislastverteilungskriterien im öffentlichen Recht bei einer Prämisse, die strikt in den Kategorien "Bürger - Staat" denkt, als starke Verkürzung auf wenige Problemfelder an. Aus hiesiger Sicht ist dies aber nur ein weiteres Argument für die Untauglichkeit des Versuches, rur das gesamte öffentliche Recht eine einheitliche Theorie der Beweislast und Beweislastverteilung aufzufinden. Sicherlich wird Berg zuzustimmen sein, daß eine Beweislastverteilung nach dem Grundsatz "in dubio pro libertate" für die von ihm als Beispiele gewählten Nachbarklagen oder Konkurrentenklagen, bei immissionsschutzrechtlichen Streitigkeiten sowie mehrpoligen Verwaltungsverhältnissen wenig aussagekräftig sind. 218 Als einheitliches Prinzip rur das gesamte öffentliche Recht muß eine derartige Beweislastverteilung demzufolge auf Bedenken stoßen. Andererseits geht aber Berg wie auch Nierhaus und Peschau 2l9 als Grundansatz von der Mitberücksichtigung mehrdimensionaler (mehrpoliger) Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürgern aus. 220 Das hat zur Folge, daß sie selbst den Ansatz rur die Unbrauchbarkeit ihrer Lösung hinsichtlich der Problematik einer Beweislastverteilung im Steuerrecht geben. Wenn nämlich der Grundsatz "in dubio pro libertate" bzw. bei einer steuerrechtlichen Ausformung "in dubio contra fiscum"221 evident unbrauchbar rur eine Beweislastverteilung in mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnissen ist, ist umgekehrt auch eine anhand der dort vorliegenden Gegebenheiten entwickelte Be-

216 Gerade deswegen haftet der Beweislastverteilung, die G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 16 ff., nach sorgfaltiger Analyse der eine Beweislastverteilung im Steuerrecht tragenden Gesichtspunkte vorgenommen hat, ein resignativer Charakter an. 217 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 240 ff. 218 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 193. Nierhaus, Beweismaß, S. 407 f., 483; Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 31, 38 f., 139 ff., 153 f. 219

220 Deutlich Nierhaus, Beweismaß, S. 411 f.: "Rückfall in die Eindimensionalität ... oder in das überwundene 'Schranken- und Eingriffsdenken"'. 221 lsensee, Die typisierende Verwaltung, S. 122.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

239

weislastverteilungsregel "evident unbrauchbar"222 für eine Verwaltungsrechtsbeziehung, die immer nur zweipolig ausgestaltet ist wie das Steuerrecht. 223 Dennoch soll ein Ansatzpunkt auch im Hinblick auf das Steuerrecht vertieft werden, den Berg anschneidet. So weist er darauf hin, daß Freiheitsbeschränkurigen oftmals nur Nebenfolgen aus der Anwendung von Verwaltungsrechtssätzen seien, die der Gesetzgeber wegen des Schutzes höherrangiger Rechtsgüter in Kauf genommen habe. 224 Im Steuerrecht könnte diese Überlegung im Hinblick auf die Unterscheidung nach Fiskalzwecknormen und Sozialzwecknormen Bedeutung erlangen. Allerdings ist der Ansatz von Berg hier differenzierter, da er die klassische Eingriffsverwaltung in seiner Betrachtung nicht in den Vordergrund stellt, sondern vielmehr durch Betonung des Wertes höherrangiger Rechtsgüter die leistungsverwaitende Tätigkeit des Staates betont. Das wird evident, wenn man sich das Beispiel des Immissionsschutzrechtes vor Augen hält. Hier ist es absolut zutreffend, daß eingreifende Maßnahmen, wie beispielsweise die Genehmigungsbedürftigkeit des Betriebs emitierender Anlagen, ganz hinter den Regelungszweck des Gesetzes, das dem Schutz von Individual- und Gemeinschaftsinteressen dient (§ I BImschG), zurücktritt. Es ist unbestreitbar, daß hierdurch ein Ausgleich zwischen Interessen des Antragstellers, der sich auf die freiheitsorientierten Grundrechte (Art. 2 Abs. I, 12 Abs. I GG) berufen kann, und den berechtigten Anliegen der Allgemeinheit, die sich aus der schutzgewährenden Funktion des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) herleiten lassen, bezweckt wird. Hervorzuheben bleibt jedoch, daß in diesen Fällen der Anspruch auf grundrechtliche Schutzgewährleistung im Vordergrund steht und zur Durchsetzung dieses Zieles freiheits beschränkende Regelungen getroffen werden. Es handelt sich hierbei also um eine "Mischform", soweit der Staat seiner Garantiefunktion mit Mitteln der Eingriffsverwaltung nachkommt. Für das Steuerrecht sind diese Gedanken aber nur sehr begrenzt aussagekräftig; sie könnten Bedeutung z.B. im Rahmen einer vom

222

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 240.

m Deutlich insoweit auch G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 19. Eine Berücksichtigung von Interessen anderer Steuerpflichtiger kann nur über das Gleichbehandlungsgebot erfolgen und ist immer relativ; auch kann die Anwendung ungeschriebener Beweislastnormen eine materielle Ungleichbehandlung nicht verhindern, wie sie die Gleichbehandlung nicht geWährleisten kann. 224

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 192.

240

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Sozialstaatsprinzip verlangten Umverteilung225 erlangen. Das Verhältnis von Regel und Ausnahme ist im Steuerrecht überwiegend umgekehrt. Im Vordergrund steht hier der fiskalische Zweck der Steuern: Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein. 226 Die verschobene Gewichtung wird bei Betrachtung von § 3 Abs. I S. I HS 2 AO deutlich. Wenn die Einnahmeerzielung Nebenzweck der Steuer sein kann, bedeutet dies im Umkehrschluß aber auch, daß sie mindestens Nebenzweck einer Steuererhebung sein muß. Einnahmeerzielung des Staates bedeutet aber zwangsläufig Eingriff in die Rechtssphäre des betroffenen Steuerbürgers. Im Verhältnis zu den bei Berg im Vordergrund stehenden Erwägungen wird dabei ein zumindest gradueller Unterschied deutlich, der sich aus dem Verhältnis von Nebenjolge 227 und Nebenzwec.f 28 ergibt. Die sich daraus ergebende Schlußfolgerung muß lauten: Steuerrecht ist immer Eingriffsrecht. Ausgehend von dieser absoluten Prämisse kann auch eine Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen in den Fällen "gewährender Finanzverwaltung" nicht unwidersprochen bleiben. Es wurde bereits an anderer Stelle229 darauf verwiesen, daß der Gesetzgeber es in der Hand hat, wo er Subventionen, wenn er solche für notwendig erachtet, regelt. Wählt er hierzu den Weg über das Steuerrecht, entscheidet er sich damit gleichzeitig für dessen Instrumentarium. Die Anforderung, daß die Einnahmeerzielung zumindest ein Nebenzweck der Gesamtregelung bleiben muß, kann er damit nicht aus den Angeln heben. Die Steuererhebung behält ihren Eingriffscharakter. Auch die gewährende Tätigkeit (Leistungsverwaltung) muß sich diesen Regeln fügen; der Eingriffscharakter der Steuer wird dadurch nicht zu einer Nebenfolge, sondern muß Zweck der Regelung bleiben. Insofern ist auch eine notwendige Risikoverlagerung der Unaufklärbarkeit entscheidungserheblicher Umstände auf den Steuerpflichtigen nicht

225

Hierzu Birk, Das Leistungsfahigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, S. 123

ff., 140; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rdn. 97, S. 84; § 8 Rdn. 8, S. 180; vgl. auch dies., Steuerrecht (13. Auf!. 1991), S. 55, 170 ff. 226

§ 3 Abs. I S. I AO; vgl. auch Häde, JA 1994, 1,5.

227

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 192.

m § 3 Abs. I S. I 2. Halbs. AO. 229

S. oben I. Teil B. IV. 2. d) (Fn. 465).

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

241

zwangsläufig. Ausgangspunkt muß auch hier die Bewahrung der Rechts- und Freiheitssphäre des Bürgers sein. Beispiele aus dem Einkommensteuerrecht zeigen, daß auch der Gesetzgeber durchaus von einem solchen Ausgangspunkt auszugehen scheint. So läßt sich Z.B. bei den behandelten Vorschriften der §§ 7d, 7h, 7i und 7k EStG die ausdrücklich angeordnete Nachweisverpflichtung des die erhöhten Absetzungen für Wirtschaftsgüter, die dem Umweltschutz dienen, für Gebäude in Entwicklungsgebieten und Sanierungsbereichen, denkmalgeschützte Gebäude und Sozialwohnungen beanspruchenden Steuerpflichtigen erklären. 230 Hierbei sei hervorgehoben, daß eine sachliche Berechtigung einer Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen bei gewährenden Maßnahmen des Staates nicht in Frage gestellt wird. Bezweifelt wird nur, daß die sachliche Berechtigung all eine ausreicht, um eine derartige Beweislastverteilung generell zu begründen. Zu berücksichtigen wäre sicherlich auch, daß jede verfahrensrechtliche "Erschwerung" einer Subventionsgewährung durch Nachweispflichten oder eine objektive Beweislast zwar einem Rechtsrnißbrauch vorbeugen kann, auf der anderen Seite aber geeignet ist, die Erreichung des Förderungszwecks nachteilig zu beeinflussen. 231 Die Verwaltungsvereinfachung und Flexibilität, die der Gesetzgeber dadurch erhält, daß er Leistungen über das Steuerrecht gewährt (verdeckte Subventionen), "bezahlt" er mit der Verpflichtung zum Gebrauch des jeweiligen Instrumentariums. Wenn er das Steuerrecht wählt, muß er auch dessen Verfahrensregeln akzeptieren. 2J2 Diesen Ansatz müssen auch die Ansichten mitberücksichtigen, die eine Beweislastverteilung "pro fisco" in Fällen gewährender Verwaltung beflirworten. 233

230

Vgl. auch §§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 5, 6b Abs. 9, lOg Abs. 3 EStG.

23\ Vgl. Loritz, in: Wagner/Loritz, Konzeptionshandbuch, Bd. I, Rdn. 1058 ff., 1066 ff. zum FörderGG; K.-R. Wagner, DStZ 1992, 295, 3()() zur Mehrwertsteueroption bei Zwischenvennietung. Zu berücksichtigen ist auch die eingeschränkte Rücknahme- bzw. Widerrufsmöglichkeit bei offener Subventionsgewährung gegenüber der "verfahrensmäßig" einfachen (rückwirkenden) steuerlichen Nichtanerkennung. 232 Dies kann natürlich nur den Grundansatz beschreiben. Selbstverständlich ist es dem Gesetzgeber unbenommen, das Verfahren generell und besonders in dem zu regelnden Einzelfall nach sachlichen Gesichtspunkten zu modifizieren. Andererseits wäre es "unfair", müßten sich die anderen Beteiligten ohne ausdrücklichen Hinweis geänderten Regeln unterwerfen. Zur Steuersubvention und ihrer Berechtigung Rasenack, Der Staat, Bd. 20 (1981), 1 ff. (insbes. 9 fJ.); kritisch zu Steuervergünstigungen als rechtspolitisches Mittel Rodi, StuW 1994,204 ff., 223. 233

J6

Rupp, AöR 85 (1960),301, 319 f; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen

M. Schmidl

242

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Dem Vorbehalt des Gesetzes kann L. Osterloh234 kein Nichtanwendungsgebot bei unaufklärbarem Sachverhalt entnehmen. Anders als die Ansichten, die die Normbegünstigungstheorie auch im Steuerrecht für anwendbar halten, sich aber mit Problemen des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Tatbestandsmäßigkeit (§ 3 Abs. I AO) nicht auseinandersetzen, greift L. Osterloh diesen Gesichtspunkt auf, lehnt ihn aber im Ergebnis ab. Als "zentrales Argument" erachtet sie die Erwägung, "daß ein generelles verfassungsrechtliches Nichtanwendungsgebot einerseits (de lege lata) materiell verfassungskonforme, nämlich sachgerecht differenzierende Regeln der Verteilung des Beweisrisikos weitgehend verhindern würde und daß andererseits die Zurückhaltung des Gesetzgebers im Bereich beweisrechtlicher Risikoverteilung mit verfassungsgerichtlich zu kontrollierenden Anforderungen des Vorbehaltsprinzips vereinbar ist".235 Dabei ist allerdings hervorzuheben, daß L. Osterloh sich gegen die ganz herrschend vorgenommene Trennung der Bereiche Beweiswürdigung und Beweislast wendet. Ziel ihrer Untersuchung ist es, der Verwaltung Typisierungsspielräume zu eröffnen. Sie fügt in ein bestehendes Modell ungeschriebener Beweislastregeln zwischen die Fragen des "Ob" einer Beweislastentscheidung und des "Wie" der dann vorzunehmenden Beweislastverteilung eine Kategorie ein, die herkömmlicherweise der Beweiswürdigung vorbehalten ist, nämlich die Beweismaßreduzierung. Das Beweismaß fungiert dabei als konkreter Risikozuweisungsmaßstab fur die Beweislastentscheidung im konkreten Einzelfall. L. Osterloh lehnt hierzu zunächst die Normbegünstigungstheorie als fur das Steuerrecht untaugliches Verteilungsprinzip ab. 236 Die Beweislastverteilung erfolgt nach ihrer Ansicht nach differenzierten Einzelregeln nach Maßgabe der materiellrechtlichen Normen. Eine Systematisierung in einzelne Fallgruppen wird dabei nicht dezidiert vorgenommen. Größere Bedeutung mißt sie den Fällen bei, in denen der Bundesfinanzhof gegen den von ihm angenommenen Grundansatz der Normentheorie dem Steuerpflichtigen auch die Beweislast für steuerbegründende Merkmale auferlegt werden. Die Zu lässigkeit eines solchen Vorgehens versucht sie zu belegen, um dann im Umkehrschluß eine Rechtfertigung für die von ihr ins Auge gefaßte differenzierte Risikozuweisung

Beweislast, S. 20; Weber-Grellet. StuW 1981. 48. 52 f. mit der erwähnten Einschränkung, daß "gewährend" nicht mit "günstig" gleichzusetzen ist. 234

Gesetzesbindung, S. 283 f.

235

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 284.

236

Vgl. schon oben IV. 2.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

243

mittels Beweismaßabsenkungen zu rechtfertigen: "Wenn es zulässig ist, im Wege gesetzesergänzender Rechtsfortbildung steuerschuldbegründende Tatbestände mit der Konsequenz einer Zuweisung der objektiven Beweislast zum Steuerpflichtigen 'abzuschichten', dann kann es unter dem Aspekt des Vorbehaltsprinzips auch keine grundsätzlichen Bedenken dagegen geben, das mildere Mittel einer Beweismaßsenkung zugunsten des Steuerpflichtigen einzusetzen, soweit die Zuweisung des mit Beweismaßsenkungen verbundenen Unsicherheitsrisikos zum Steuerpflichtigen materiell verfassungskonform begründet werden kann."m Die Gefahr, die sich aus einem solchen Vorgehen ergibt, ist evident. Die nach allgemeiner Ansicht noch weitgehend ungeklärten Fragen 238 bezüglich der objektiven Beweislast im Steuerrecht einschließlich ihrer Verteilungskriterien werden verabsolutiert und als Ausgangspunkt zur Begründung weiterer Typisierungsspielräume herangezogen. Durch die Aufgabe einer scharfen Trennung zwischen Beweiswürdigung und Beweislast versucht sie im Bereich schwer aufklärbarer bzw. unaufklärbarer Umstände die weitgehende Auflösung des Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. 239 Da sie zur Herleitung ihrer Ansicht die gesetzlich nicht geregelten und in ihrer Ausgestaltung auch durch die Rechtsprechung äußerst "unsicheren" Beweislastnormen benötigt, haftet auch ihrer Theorie diese "Vagheit" an. 240

237

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 285.

m Weber-Grellet. StuW 1981, 48; Martens, StuW 1981, 322; J. Wittmann, BayVBI. 1987, 744, 747; Nierhaus, Beweismaß, S. 16 f., 388. 239

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 286.

240 L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 282. hält eine "erhöhte gesetzgeberische Aktivität in manchen Fällen politisch wünschenswert", meint aber, daß eine generelle gesetzliche Regelung der Beweislastfragen zu "problematischen und schwer überschaubaren Konsequenzen" führen würde. Wenig überzeugend scheint in diesem Zusammenhang das Argument, daß eine generelle gesetzliche Beweislastregelung "den legitimen Spielraum des Gesetzgebers bei der Abwägung zwischen Vor- und Nachteilen einer Positivierung beweisrechtlicher Risikoverteilung insbesondere unter den Aspekten der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit unzulässig verkürzen" würde. Denn durch eine positivrechtliche Regelung der objektiven Beweislast wird der Spielraum des Gesetzgebers, in einzelnen Fällen aus sachlich berechtigten Gründen eine Abweichung von einer von ihm für angemessen erachteten generellen Risikoverteilung vorzunehmen, in keiner Weise eingeschränkt; eingeschränkt wären allein die Möglichkeiten von Finanzverwaltung und -rechtsprechung, von einer positiven gesetzlichen Regelung nach Gutdünken

16'

244

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

4. Ergebnis

Die Beweislastverteilung im Steuerrecht nach der modifizierten (steuerrechtlichen) Normbegünstigungstheorie kann nicht überzeugen. Durch die Adaption der zivilrechtlichen Einteilung in unterschiedliche Normmerkmale wird keine Rücksicht auf die spezifischen verfassungsrechtlichen Vorgaben genommen. So ist die Berücksichtigung des Tatbestandsmäßigkeitsprinzips zwingende Voraussetzung jeder Beweislastverteilung im Steuerrecht. Dies aber nur auf die steuerbegründenden Merkmale zu beschränken, muß Widerspruch hervorrufen. Der den staatlichen Steuereingriff ausmachende Anspruch ist in seiner Struktur grundsätzlich nicht mit einem zivilrechtlichen Anspruch vergleichbar. Die zivilrechtlichen Ansprüche, die ja nicht nur als Zahlungsansprüche Bedeutung haben, lassen sich nicht wie die steuerrechtlichen Ansprüche in Einzelposten einer Gesamtrechnung aufteilen. Eine Übereinstimmung besteht nur, soweit es um Fragen geht, die mit einem feststehenden (Steuer-)Anspruch zusammenhängen, die mit anderen Worten also die Fortentwicklung des (Steuer-)Anspruchs betreffen. Für derartige Merkmale ließe sich eine Beweislast(verteilungs)theorie auch für das Steuerrecht begründen. Wenn nämlich der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach zunächst feststeht, könnte als Entscheidungsanweisung für die Finanzverwaltung das Legalitätsprinzip und der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung herangezogen werden. Die Bedenken, die gegen die unbedingte Entscheidungsanweisung bei der Frage des Entstehens des Anspruchs in einer bestimmten Höhe vorgebracht wurden241 , greifen hier nicht ein. Hinsichtlich der Verteilungskriterien läßt sich tatsächlich vertreten, daß im Falle eines einmal entstandenen und nur in seinem Fortbestand fraglichen Steueranspruches eine Gleichordnung zwischen der Finanzbehörde und dem Bürger, ähnlich den Parteien eines Zivilrechtsstreites, besteht. Dennoch bleibt zu berücksichtigen, daß ein wesentlicher Unterschied darin besteht, daß der Rechtsanwender (die Finanzbehörde) auch über den Fortbestand eines ihr zustehenden Anspruches entscheidet. Eine besondere Sensibilität ist daher grundsätzlich angezeigt. Wenn aber der steuerrechtliche Anspruch mit dem zivilrechtlichen nicht gleichgesetzt werden kann, weil die Anspruchsmerkmale des Steueranspruches zu vielfältig sind und das Tatbestandsmäßigkeitsprinzip Ausnahmen bzw. "Beweislastumkehrungen" zu treffen. Zum Gewinn an Rechtsklarheit und -sicherheit durch ausdrückliche Beweislastnormen und Pauschalierungen Drenseck, OB 1987,2483,2487; Kottke, OStR 1992, 129, 132.

241 Vgl. oben 1. Teil B. IV.

C. Die Verteilungskriterien der Beweislast

245

erfordert, daß alle Voraussetzungen des steuerrechtlichen Anspruchs i.S.v. § 38 AO vorliegen, muß von einer Grundverteilung zu Lasten der Finanzbehörde ausgegangen werden. 242 Unabhängig von dem Grundansatz zur Beweislastverteilung im Steuerrecht werden aber so viele Modifikationen hinsichtlich der steuermindemden, bzw. in anderer Terminologie der dem Steuerpflichtigen günstigen Umstände vorgenommen, daß generell Zweifel an der Berechtigung der Beweislastverteilung aufkommen müssen, wenn diese (auch) dazu dienen soll, die trotz non liquet erforderliche Entscheidung für "die Parteien" berechenbar zu machen. Bemerkenswert ist hierbei, daß allgemein der Schluß gezogen wird, daß die Entscheidungen völlig unabhängig von den jeweiligen Ansätzen im Ergebnis überwiegend als zutreffend und gerecht bezeichnet werden. Dann muß sich aber die Frage stellen, ob überhaupt die Beweislastentscheidung erforderlich ist oder ob nicht durch andere Mechanismen dieses zusätzliche Instrument entbehrlich wird. Dies drängt sich um so mehr auf, wenn man sich noch einmal die Wirkungsweise der Beweislastnormen vor Augen hält und sie mit denen der Schätzung vergleicht. Ebenso auffallig ist es, daß hinsichtlich anderer, die Beweislast grundsätzlich verdrängender Ausweichmechanismen, die bereits auf der Ebene der Beweiswürdigung ansetzen, wie insbesondere die Typisierung oder der Anscheinsbeweis, mit denselben Rechtsprinzipien argumentiert wird, die für die Verteilung der Beweislast herangezogen werden. 24J Die Einordnung der ob-

242 Hierbei zeigt sich eine Übereinstimmung mit § 88 AO. der der Finanzbehörde die Ermittlungspflicht sowohl für die steuerbegründenden wie auch die dem Steuerpflichtigen günstigen Umstände auferlegt. Auch wenn in der vorliegenden Untersuchung in Übereinstimmung mit der allgemeinen Auffassung festgestellt wurde, daß der Untersuchungsgrundsatz die Beweislastlehre grundsätzlich unberührt läßt. scheint hierbei dennoch eine verallgemeinerungsfahige Verantwortungs- und Risikozuordnung vorgenommen worden zu sein, wenn man in der Betonung der Berücksichtigung von dem Steuerpflichtigen günstigen Umständen (§ 88 Abs. 2 AO) nicht nur eine überflüssige Regelung erblicken will. Da der Untersuchungsgrundsatz das Auffinden der materiellen Wahrheit bezweckt, dies im Gegensatz zum Prinzip der formellen Wahrheit im Zivilprozeß und unter Berücksichtigung des im öffentlichen Recht geltenden Legalitätsprinzips sein primärer, wenn nicht sogar einziger Zweck ist, umfaßt der Untersuchungsgrundsatz von vornherein alle Umstände und nicht nur die dem Staat günstigen. Gegen ein profiskalisches Vorverständnis auch Felix, KÖSDI 1993, 9489, 9490. 243 Erwähnt seien sowohl Wahrscheinlichkeitserwägungen, wie auch die Beweisnähe, die als Kriterium zur Rechtfertigung eines Anscheinsbeweises herangezogen wird, wenn

246

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

jektiven Beweislast als ultima rati0 244 zwingt dazu, sich zu überlegen, ob eine Beweislastsituation dann überhaupt entstehen kann. Als ultima ratio dürfte die Beweislast nicht angewendet werden, wenn dieselben sachlichen Kriterien rur eine "Beweiswürdigungsentscheidung" herangezogen werden können. Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast ließe sich in diesen Fällen nur damit erklären, daß eine solche Entscheidung "bequemer" ist, weil sie im Gegensatz zu Entscheidungen nach Maßgabe von (zulässigen) Typisierungen oder dem Beweis des ersten Anscheins generell keine Ermittlungstätigkeit in tatsächlicher Hinsicht erfordert. 24S "Ermittelt" werden muß dann nur die Wertungsschicht des materiellen Gesetzes, die die Beweislastentscheidung tragen soll; dies stellt allerdings ein Rechtsproblem und kein Problem der Unaufklärbarkeit im Tatsächlichen dar. Der Vorwurf von Martens, daß es "auf Juristen, insbesondere auf Richter, großen Eindruck" zu machen scheine, die "Tatfrage mit Rechtsnormen" lösen zu können, erscheint trotz aller Kritik berechtigt. 246 Die Flucht in die Beweislast stellt dann tatsächlichen einen "besonders eleganten Ausweg" dar, mit dem der "schwarze Peter"247 an den die Beweislast tragenden Steuerpflichtigen weitergereicht wird.

der Finanzbehörde die Ennittlung von Umständen wesentlich erschwert oder gar unmöglich ist; z.B. BFH BStBl. II 1989, 462, 464; eine Beweislastverteilung nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten nimmt BFH BStBI. II 1968, 612, 613, vor. 244 BFH BStBI. II 1989,462,463; Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 244; Prütling, Gegenwartsprobleme, S. 153; Nierhaus, Beweismaß, S. 16; Stümer, ZZP 98 (1985), 237, 255. 245 Vgl. auch E. Schlüchter, Wahrunterstellung und Autklärungspflicht, S. 19 im Hinblick auf den Strafprozeß : Der Rechtsanwender darf "sich einer möglichen Sachaufklärung durch die Flucht ... nicht entziehen". 246 Martens, StuW 1981, 322, 326 mit Fn. 54. Diese Beurteilung scheinen z.B. die Ausflihrungen von Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 54, zu den Möglichkeiten der objektiven Beweislast zu belegen. Vgl. auch Bömer, Umwelt, Verfassung, Verwaltung, S. 117, 132, der Kritik an der Nonnentheorie als Beweislastverteilungsprinzip übt, wenn er ihr den Vorzug zuschreibt, "dem Rechtsanwender sowohl das Nachdenken als auch scheinbar die Verantwortung zu ersparen: Er beruft sich einfach auf die Theorie und schiebt damit ihr die Verantwortung flir das Ergebnis zu". 247

Rödig, Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, S. 152.

D. Die Wirkungsweise der Beweislastnonnen

247

D. Die Wirkungsweise der Beweislastnormen I. Die Fiktionstheorie

Die Beweislastnonnen sollen es dem Rechtsanwender ennöglichen, eine Sachentscheidung zu treffen, obwohl tatbestandliehe Voraussetzungen der anzuwendenden materiellrechtlichen Nonn nicht in einer Weise ennittelt werden konnten, die ausreicht, um beim Rechtsanwender zu einer Überzeugungsbildung zu führen, damit er bei seiner Entscheidung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen der fraglichen Merkmale ausgehen kann. Die Funktion der Beweislastregeln ist es also, die "Ungewißheit im Tatsächlichen in eindeutige Rechtsfolgen zu transfonnieren".248 Soweit sich Untersuchungen zur objektiven Beweislast mit dieser Problematik der Funktion und "Arbeitsweise" der Beweislastnonnen beschäftigen, gehen sie ganz überwiegend von einer Fiktionswirkung der Beweislastnonnen aus. Allerdings wendet sich Rosenberg ausdrücklich dagegen, daß die Wirkung der Beweislast in einer Fiktion bestehe. 249 Vielmehr beschränke sich ihre Wirkung darin, daß das Gericht die nicht bewiesene Tatsache seinem Urteil nicht zugrundelegen darf, ohne daß damit gesagt werde, daß die fragliche Tatsache auch in der Wirklichkeit nicht bestehe. Diese Auffassung ist insofern konsequent, als Rosenberg die grundsätzliche Nichtanwendung der Nonn zur Voraussetzung seiner BeweislastIehre macht. Gegen diese Lehre ist zu Recht der Einwand erhoben worden, daß die materiellrechtliche Nonn, da sie als solche den Fall des non liquet nicht erfaßt, weder in positiver noch in negativer Hinsicht eine Aussage zu der zu treffenden Sachentscheidung macht. Mit der Widerlegung der Nichtanwendungstheorie entfällt auch deren Begründungsansatz. Da der materiellrechtlichen Nonn als solcher zumindest im Zivilprozeß die Entscheidungsanweisung nicht entnommen werden kann, sondern es dazu eines Abstellens auf das Rechtsverweigerungs- bzw. Justizgewährungsgebot bedarf, müssen die Beweislastnonnen, von deren Existenz ja auch Rosenberg ausgeht250 , es ennöglichen, daß der Richter die Sachentscheidung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Tatsache stützen kann, da sonst diese Entscheidung materiellrechtlich nicht abgesichert ist. Dies läßt sich nur durch eine Gleichsetzung erklären.

24R

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 175 a.E.; ders., JuS 1977, 23, 25.

249

Rosenberg, Beweislast, S. 54.

250

Beweislast, S. 5, 8, 12, 14, 77, 80 und passim.

248

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Die Fiktionswirkung der Beweislastnonn ist im Anschluß an die BeweislastIehre Rosenbergs fast einhellig angenommen worden. Die einzelnen Ansichten weichen voneinander jedoch insoweit ab, als die Wirkung der Beweislastregeln entweder mit einer Fiktion des der Entscheidung zugrundezulegenden Sachverhaltes erklärt wird oder daß die Beweislastnonn nur die Annahme des Tatbestandsmerkmals ennögliche. 251 So geht Leipold davon aus, daß bei prozessualer Unklarheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Tatbestandsmerkmals so zu entscheiden sei, als ob dieses Tatbestandsmerkmal gegeben oder nicht gegeben wäre. 252 Der Bewertung dieser Frage mißt Leipold jedoch keine grundlegende Bedeutung zu, sondern bezeichnet es als eine Fonnulierungsfrage, ob man die Wirkung damit beschreibt, daß das Tatbestandsmerkmal als festgestellt gelte oder ob man die zugrundeliegenden Tatsachen so behandele. 253 Er hebt all eine hervor, daß diese Gleichsetzung keine materiellrechtliche Bedeutung habe, sondern die Beweislastregel nur zu einer Gleichbewertung der prozessualen Ergebnisse für die gerichtliche Entscheidung führe. Die Fiktion des Tatbestandsmerkmals nimmt auch Prütting an. Im Gegensatz zu Leipold mißt er allerdings dieser Frage Bedeutung bei, wenn er darauf hinweist, daß nur die Annahme des offengebliebenen Tatbestandsmerkmals dazu führe, daß ein Widerspruch bei mehrfach relevanten Tatsachen unterbunden werde, weil allein das Tatbestandsmerkmal, nicht aber die Lebenstatsache fingiert werde. 254 Diese Ansicht setzt aber voraus, daß die Anwendung der Beweislastnonnen zu einer Tatsachenfeststellung mit beweisschaffender Wirkung führen würde. 2ss Der Auffassung, daß infolge der Anwendung der Beweislastnonn das betreffende Tatbestandsmerkmal fingiert werde, folgt für das Steuerrecht Hey.2S6 Er

251 Unklar Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. I (, der zwar auf die Anordnung des (Nicht-)Vorliegens des Tatbestandsmerkmals abstellt, zur Begründung sich aber sowohl auf Musielak als auch Leipold bezieht, die jeweils entgegengesetzte Ansichten vertreten.

252

Leipold, Beweislastregeln, S. 65.

m

Leipold, Beweislastregeln, S. 66.

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 154, 169 Fn. 22, 171; allerdings nimmt nach seiner Ansicht die nichtnormative Operationsregel diese Fiktion vor, während sich die Beweislastnorm auf die Risikozuweisung (Beweislastverteilung) beschränkt. Zur Gleichstellungstheorie ausführlich oben B. V. 254

255

Zur Ablehnung dieses Ansatzes Nierhaus, Beweismaß, S. 190 f.

256

Beweislast und Vermutungen, S. 22.

D. Die Wirkungsweise der Beweislastnormen

249

wendet sich zwar gegen den Gebrauch des Terminus "Fiktion", weil diese nur dann vorliegen soll, wenn feststeht, daß die Realität anders sei. 257 Bei der Beweislastentscheidung werden aber nicht zwei notwendig unterschiedliche Umstände in ihrer rechtlichen Bewertung gleichgestellt, weil, und insofern klingen Wahrscheinlichkeitserwägungen mit an, es möglich sei, daß Beweislastentscheidung und Wirklichkeit sich decken. 258 Hey mißt dieser Bezeichnung aber keine ausschlaggebende Bedeutung zu, da er davon ausgeht, daß aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung diese Ungenauigkeit hingenommen werden könne. Wichtig sei es nur, sich zu vergegenwärtigen, daß die Beweislastregel bestimme, "ob das betreffende Tatbestandsmerkmal als verwirklicht oder nicht verwirklicht anzusehen" sei. 259 Die Diskussion, die über die Beschreibung der Wirkung der Beweislastnormen als Fiktion entbrannt ist, ist ein beredtes Beispiel für die grundsätzlichen Vorbehalte, mit denen dieser Begriff gerade aus öffentlichrechtlicher Sicht behaftet ist. 260 Die Einordnung Heys ist von einer gewissen Inkonsequenz gekennzeichnet. Während er die Wirkung der Beweislastnormen auf der rechtlichen Ebene, nämlich durch Annahme oder Nichtannahme des fraglichen Tatbestandsmerkmals, ansetzen läßt, lehnt er bei der damit zusammenhängenden Frage der methodischen Bezeichnung dieses Vorgehens die Fiktion mit einer Begründung ab, die auf der tatsächlichen Ebene ansetzt. Es ist zwar zutreffend, daß durch eine Beweislastentscheidung eine

257 Diese Begründung wird auch von Nierhaus, Beweismaß, S. 191 f., vorgetragen. Die Ansicht Heys mutet sehr formalistisch an und ist wenig überzeugend. So hat bereits Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 154, sachliche Argumente daflir dargetan, daß die Annahme einer Fiktion die "korrekte Bezeichnung" flir die Rechtsfolge der Beweislastnorm darstelle. Mit dieser Ansicht Prüttings, die im Ausgangspunkt und in den Ergebnissen mit seiner eigenen Ansicht übereinstimmt, setzt sich Hey überhaupt nicht auseinander.

m Die "Chance", daß diese Überdeckung erreicht wird, dürfte sogar eines der unterschwellig wichtigsten Argumente flir die Zulässigkeit von Beweislastentscheidungen darstellen. 259

Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 22.

So ist es überraschend, daß die zivilrechtliche Diskussion um die objektive Beweislast sich viel intensiver mit der Frage beschäftigt, ob die Beweislastnormen, was ihrer Rechtsnatur als "Rechtsregeln" eher entsprechen würde, auf der rechtlichen Ebene ansetzen (Fiktion des Tatbestandsmerkmals)oder auf der Wirklichkeitsebene (Fiktion des Sachverhaltes), während insbesondere Berg, Nierhaus und mit den genannten Einschränkungen auch Hey die formale Bezeichnung als Fiktion kritisieren. 260

250

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

Übereinstimmung zwischen angenommenem und wirklich vorgefallenem Ereignis erfolgen kann 261 ; doch ist es nicht konsequent, auf diese Wirkung abzustellen, wenn die Wirkung der Beweislastnorm auf der rechtlichen Ebene durch Annahme oder Nichtannahme des fraglichen Tatbestandsmerkmals erfolgen soll, denn auf der rechtlichen Ebene macht es durchaus einen Unterschied, ob ein Sachverhalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit oder ob Unaufklärbarkeit dieses Sachverhaltes vorliegt. Bei Vergegenwärtigung dieser Situation kann eine Qualifikation als Fiktion zwangs los erfolgen?62 Auch wenn Hey der Diskussion um die Bezeichnung nur marginale Bedeutung zumißt, ist seine Ansicht als inkonsequent und formalistisch zurückzuweisen. Dennoch gewinnt die Problematik der Funktionsweise der objektiven Beweislast für das Steuerrecht eine ganz erhebliche Bedeutung, allerdings "weniger aus sich selbst heraus", als vielmehr durch einen Vergleich mit anderen Rechtsinstituten. 263 Den Beweislastregeln wird im Gegensatz dazu überwiegend die Wirkung zugesprochen, daß sie die für die Entscheidung relevanten Tatsachen bzw. den Sachverhalt fingieren. So betont insbesondere Musielak, daß die Beweislastnormen "zur Erfüllung der ihnen gestellten Aufgabe nur ein Beweisergebnis zu fingieren" haben, da sie bei komplexeren Tatbestandsmerkmalen dem Richter die Subsumtion nicht abnehmen sollen. 264 Demzufolge fingiere die Beweislast die Tatsachen "maßgerecht" auf das Tatbestandsmerkmal hin. 265 Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Steuerrechts scheint diese Ansicht die Wirkungsweise der Beweislastregein widerspruchsfreier erklären zu können. Ausgehend von der strengen Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, die in § 38 AO einen einfachgesetzlichen Ausdruck gefunden hat, gilt es, sich die unterschiedlichen Auswirkungen beider Ansichten vor Augen zu halten. So führen die Beweislastregeln dazu,

261 Wenn z.B. die behaupteten, aber nicht nachgewiesenen und in der Wirklichkeit auch gar nicht vorliegenden Werbungskosten nicht berücksichtigt werden, weil eine Tatsache, die dem Steuerpflichtigen günstig und/oder aus dessen Sphäre herrührt, nicht aufgeklärt werden konnte und daher bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt wurde. 262 In diesem Sinne wohl auch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 154. 263 Hierzu unten im 4. Teil. 264 Musielak, ZZP 100 (1987),385,397. 265

Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 24, 293.

D. Die Wirkungsweise der Beweislastnonnen

251

daß bei "Annahme" eines Tatbestandsmerkmals die Norm auf den tatsächlichen Sachverhalt hin "erweitert" würde. Verkürzt ließe sich diese Wirkung so beschreiben, daß die Norm dem Sachverhalt angepaßt wird. Dahingegen "ändert" die Fiktion des fraglichen Merkmals den Sachverhalt, wenn auch nur mit Wirkung für die (prozessuale) Rechtsanwendung 266 mit Blick auf die materiellrechtliche Norm. Dies wird nachvollziehbar, wenn man sich die Auswirkungen der jeweiligen Entscheidung im Hinblick auf § 38 AO verdeutlicht. Dieser ordnet an, daß die Steuer entsteht, wenn der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Stimmt das Ergebnis einer Beweislastentscheidung durch Annahme oder Nichtannahme der Tatsache bzw. des Tatbestandsmerkmals mit der Wirklichkeit überein, so lassen sich daraus keine Argumente gewinnen. Entspricht jedoch die Wirklichkeit nicht dem Ergebnis, das bei einer Entscheidung nach der objektiven Beweislast festgestellt würde, müssen die Lösungen unterschiedlich erklärt werden. So führt die Fiktion des Lebenssachverhaltes dazu, daß, wenn auch "nur" durch die Anwendung der Beweislastnorm, der Tatbestand erfüllt wird, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Der materiellrechtliche Tatbestand ist dabei immer unverändert geblieben. Bei der Fiktion des Tatbestandsmerkmales, dessen Voraussetzungen in der Wirklichkeit nicht aufgeklärt werden konnten, verändert sich die Rechtsgrundlage. 267 Die Tatbestandsmerkmale sind nicht mehr bestimmt, sondern werden im Falle des non liquet der materiellrechtlichen Norm "entzogen". Es wird zwar betont, daß der Rechtsanwender angewiesen werde, das Tatbestandsmerkmal als vorliegend (bzw. nicht vorliegend) seiner Entscheidung zugrundezulegen; damit wird jedoch faktisch die Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals für den konkret zu entscheidenden Fall aufgehoben, denn dieses Vorgehen ist völlig identisch mit der Ausklammerung des betreffenden Tatbestandsmerkmals aus der Norm für den konkreten Fall. Da die Norm auf den Lebenssachverhalt hin zugeschnitten wird, was nur dadurch geschehen kann, daß man das Merkmal aus der Norm streicht, wird die Norm als solche unbestimmt. Die Beweislastnorm relativiert dann den Tatbestand der materiellrechtlichen Norm. Weil der tatsächliche Lebenssachverhalt unangetastet bleibt, gelangt man zur Subsumtionsfahigkeit nur, wenn man die Norm verändert. Zur Begründung, daß es sich bei der Rechtsanwendung im Falle eines non liquet

266

Leipold, Beweislastregeln, S. 66.

267 Vgl. auch Nierhaus, Beweismaß, S. 190; unditTerenziert insoweit TipkelKruse, § 4 AO Rdn. 75, 108.

252

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

immer noch um die Anwendung der gleichen Norm handele, muß der Vollständigkeitsanspruch der Tatbestandsmerkmale dieser Norm aufgehoben werden. Sie gelten nur "potentiell", weil es im Falle eines non liquet auf ihre Anwendung, nämlich die Subsumtion des Sachverhaltes unter dieses Tatbestandsmerkmal, nicht mehr ankommt. Es stellt für eine rechtliche Bewertung keinen Unterschied dar, ob man das Tatbestandsmerkmal "hinzudenkt" oder von vornherein der Norm entzieht. Für den tatsächlichen Lebenssachverhalt, in dem das fragliche Merkmal nicht vorhanden ise 68 , wird eine neue Norm, die das Merkmal nicht (mehr) enthält, geschaffen. Wie "vage" eine Norm dabei werden kann, zeigt sich, wenn mehrere Tatbestandsmerkmale unautklärbar bleiben sollten: Die Norm würde praktisch "skelettiert", sie wäre ohne eigene Substanz. 269 Es muß aber hervorgehoben werden, daß beide Ansichten im Ergebnis nicht zu grundsätzlich unterschiedlichen Lösungen gelangen, wobei sie Ansätze wählen, die zumindest ein Unbehagen hinsichtlich ihrer methodischen Wirkung hervorrufen müssen. Denn sowohl die Veränderung des tatsächlichen Lebenssachverhalts auf die feststehende Norm hin (Sachverhaltsannahme) wie auch die Offenheit der Norm bezüglich eines unveränderlichen Lebenssachverhaltes (Annahme des Tatbestandsmerkmales) sind problematisch. Mit Rücksicht auf den Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) ist es jedoch überzeugender, von der Fiktion des Sachverhalts(stücks) auszugehen, da die materiellrechtliche Steuernorm hier keinen Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis ausgesetzt ist, während sich die Relativierung der Wirklichkeitsebene als zwangsläufige Folge der Notwendigkeit der Übertragung des historischen Geschehens von der tatsächlichen auf die rechtliche Ebene erklären läßt. 270 Bereits für eine

268

So daß es zu einem aktuellen Fehlurteil käme.

269 Dies ist etwas anderes als die Reduzierung der Fiktionswirkung "auf das 'juristische Skelett' eines tatsächlichen Vorgangs, der auf das in Frage stehende Tatbestandsmerkmal ausgerichtet ist", vgl. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 24. Gegen den weitreichenden Umfang einer derartigen Sachverhaltsannahme, die die Subsumtion zwar nicht ersetzt, aber "so 'maßgerecht' den Sachverhalt auf das Tatbestandsmerkmal" zuschneidet, daß sich der Schluß "von selbst" ergebe, wendet sich Nierhaus, Beweismaß, S. 194 ff. 270 Ähnlich Nierhaus, Beweismaß, S. 190: "Die Feststellung der Wahrheit bzw. Unwahrheit ist dazu nicht erforderlich, wie im Prozeß im übrigen auch die 'tatsächliche' Wahrheit oder Falschheit prinzipiell nur als Idealziel angesteuert wird."

D. Die Wirkungsweise der Beweislastnormen

253

Entscheidung unter Zugrundelegung einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (Regelbeweismaß) ist dieser Vorgang angelegt. 271 Die Ansicht, daß die Beweislastnormen die für eine Normanwendung erforderlichen Tatsachenstücke fingieren, findet überwiegend Zustimmung. 272 Auch für das Steuerrecht wird ausdrücklich die Auffassung vertreten, daß die Beweislastnormen den Steuersachverhalt fingieren. 273 Auffassungen, die sich gegen die Fiktionswirkung der Beweislastnormen wenden, sind dagegen vereinzelt geblieben.

11. Zur Kritik an der Fiktionswirkung der Beweislastnormen

Gegen einen Fiktionscharakter wendet sich Berg mit dem Argument, daß sich das Gericht bei einer Beweislastentscheidung keine Vorstellung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der fraglichen Tatsachen schaffe und die Entscheidung derartige Tatsachen daher auch nicht feststellen kann. 274 Er weist demgegenüber aber auf die Funktion der Beweislastregeln hin, die darin bestehe, die "Ungewißheit im Tatsächlichen in eindeutige Rechtsfolgen zu transformieren".275 Da die materiellrechtliche Norm aber nur bei Vorliegen der Tatsachen anzuwenden, bei (festgestelltem) Nichtvorliegen dagegen nicht anzuwenden ist, muß bei einem non liquet über die Beweislastregeln irgendeine Gleichsetzung mit dem (Nicht-)Vorliegen der Tatsachen stattfinden. Im Ergebnis wird nämlich

271

Vgl. hierzu oben I. Teil A. I. 2., 3. a).

212 So Gottwald, Jura 1980, 225, 227: "Der Richter entscheidet also so, als ob er Tatsachen festgestellt hätte, ... "; BaumgärtellWittmann, JA 1979, 113; Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 1 \3 Rdn. 149. Für das öffentliche Recht vgl. Bömer, Umwelt, Verfassung, Verwaltung, S. 117, 124; Weber-Grellet, Beweis- und Argumentationslast, S. 31; Peschau, Beweislast im Verwaltungsrecht, S. 12.

m L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 248 f.; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 125, 150; TipkelKruse, § 88 AO Rn. Ilb; Weber-Grellet, StuW 1981,48; a.A. Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 22; ohne Erklärung Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 151 ff., der zur theoretischen Ableitung der objektiven Beweislast auf Nierhaus verweist (a.a.O., § 88 AO Rdn. 151 mit Fn. 250). 274

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 175.

275

Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 175 a.E.; ders., JuS 1977, 23, 25.

254

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

der ungeklärte Sachverhalt wie ein eindeutiger behandelt. 276 Man wird daher annehmen können, daß Berg im Ergebnis wohl zu einer Unterstellung der problematischen Tatbestandsmerkmale tendiert. Die Betonung, daß eine Beweislastentscheidung nicht "wahr" sei, sondern im Regelfall zum dauernden Ausschluß der Wahrheitsfeststellung führe, deutet in diese Richtung. Ob die Beschreibung der Funktionsweise als Transformation der Ungewißheit hin zur Rechtsfolgenklarheit ein Mehr an Begriffsschärfe gewährt, mag dahingestellt bleiben. 277 Gegen die Fiktionswirkung von Beweislastnormen wendet sich auch Nierhaus278 , der Funktion und Wirkungsweise der Beweislastnormen als Ermöglichungsnormen verstanden wissen will. 279 Dieser Begriff umschreibt aber nur das Ziel bzw. Ergebnis der Beweislastnormen, nicht aber den methodischen Weg der Überbrückung. Nierhaus räumt jedoch in Auseinandersetzung mit Musielak ein, daß die Beweislast dem Richter nicht die Subsumtion abnehmen kann, sondern "nur über das non liquet der ungeklärt gebliebenen Tatsache hinweghilft, nicht aber zur Annahme aller Voraussetzungen des u.U. sehr komplexen Tatbestandsmerkmals führt". Wie die Norm dem Richter das ermöglicht, beschreibt Nierhaus als "Substitution".28o Jedenfalls "hat der Richter danach davon auszugehen, daß diese Tatsache vorliegt oder nicht vorliegt".281 Es bleibt auch hier letztlich bei einer Gleichsetzung. Dieser Begründungsversuch ist ersichtlich von dem Bemühen geleitet, sich von dem bereits beschriebenen 282 Phänomen zu distanzieren, die Beweislastentscheidung als eine Ent-

276 So scheint die Ansicht Bergs die oben kritisierte Auffassung zu belegen, daß bei Annahme einer Fiktion des Tatbestandsmerkmals selbiges für die Rechtsanwendung gar keine Rolle mehr spielt.

271 Der Begriff Transformation kann dagegen bei der Rechtsanwendung den Wechsel von der Wirklichkeitsebene auf die Ebene des Rechts anschaulich machen.

m Beweismaß, S. 191 ff. 279

Nierhaus, Beweismaß, S. 194.

2KO Nierhaus, Beweismaß, S. 172: "Die Wirkung der Beweislastnorm für die geltend gemachte Rechtsfolge folgt nicht aus der einschlägigen Beweislastregel selbst, sondern nur in Verbindung mit dem Rechtssatz, zu dessen Tatbestand das durch die Beweislast substituierte Merkmal gehört."

281 Nierhaus, Beweismaß, S. 196, ebenso S. 144: "... muß der Tatbestand ... gewiß gemacht werden". 2K2

Oben I. Teil B. III. 2. b).

D. Die Wirkungsweise der Beweislastnormen

255

scheidung au/grund reduzierter Überzeugung anzusehen. Was dadurch in den Hintergrund tritt bzw. geleugnet wird, ist, daß im Ergebnis eine endgültige Steuerfestsetzung stattfindet, deren tatsächliche Grundlage nicht geklärt ist. Da Nierhaus aber die Tatbestandsgebundenheit der Rechtsfolgenanordnung betont, diese Anordnung aber den Beweislastnormen selbst nicht entnehmen will, muß er im Gegensatz zu Berg auf der Ebene der Lebenswirklichkeit ansetzen. So gelangt er zu dem Ergebnis, daß die Beweislastregel das fehlende Merkmal des abstrakt generellen Tatbestandes der materiellrechtlichen Norm "substituiert". Er vermeidet es, dies als eine Änderung des Lebenssachverhaltes auf die Norm hin zu bezeichnen. 283 Daß sich Nierhaus hierbei aber erheblich von der überwiegend vertretenen Ansicht, daß die Beweislastnormen zu einer Fiktion des Sachverhaltsmerkmals fuhren, löst, kann nur schwerlich behauptet werden. So ist dem Wechsel der Begriftlichkeiten von der Fiktion (Unterstellung eines als [möglicherweise] ungleich erkannten) hin zu einer Substitution (Ersetzung eines durch ein anderes) oder Transformation (Umwandlung eines in ein anderes) keine weiterfuhrende KlarsteIlung zu entnehmen. Eine Substitution des fehlenden Merkmals durch Beweislastnormen kann zwar die Tatbestandsgebundenheit der Rechtsfolgenanordnung erklären, überwindet auf der anderen Seite aber nur eine Begründungslücke, die sich daraus ergibt, daß der Gebrauch der Rechtsfigur einer Fiktion sich verbieten soll, weil eine Fiktion ausschließlich dann vorliege, wenn die Ungleichheit der gleichzusetzenden Merkmale feststeht. 284 Die Ablehnung der Fiktionswirkung bei der Beweislastentscheidung muß jedoch z.B. auf die Schätzung ebenfalls durchschlagen. Denn auch bei einer Schätzung (der Besteuerungsgrundlagen) oder der (formellen) Typisierung würde die Übereinstimmung zwischen der angenommenen Entscheidungsgrundlage Und der Lebenswirklichkeit nicht ausgeschlossen. 285 Es läßt sich ebenso zwanglos behaupten, daß die Schätzung Ungewißheiten im Tatsächlichen (Wahrscheinlichkeiten) in eindeutige Rechtsfolgen transformiere. Während sich bei einer Schätzung das Gericht allerdings eine,

m S. hierzu oben D. I. Ausftihrlich zu den Sachverhaltsfiktionen im Steuerrecht Brockmann, Lebenserfahrungssätze, Sachverhaltsvermutungen und Sachverhaltsfiktionen, S. 32 ff. Vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 264. 2H4

2H5 Brockmann, Lebenserfahrungssätze, Sachverhaltsvermutungen und Sachverhaltsfiktionen, S. 40; Reichel, BB 1982, 1981, 1982; ungenau Wennrich, Die typisierende Betrachtungsweise, S. 74. Vgl. auch unten 4. Teil A. 11. 3.

256

3. Teil: Theoretische Grundlagen der Beweislastlehren

wenn auch geminderte Überzeugung verschaffen muß, ist nicht einmal dies bei einer "Transformation" mittels Beweislastregeln durch das Gericht vonnöten. 286 Daraus kann nur der Schluß gezogen werden, daß das Gericht bzw. generell der Rechtsanwender dann keine Entscheidung nach der objektiven Beweislast treffen darf, wenn und soweit die Schätzung möglich ist. Bedeutung hat diese Erwägung flir die Frage der Zulässigkeit der Grundlagenschätzung. So verliert das Argument, daß bei einer Grundlagenschätzungfiktive Sachverhalte einer Besteuerung zugeführt werden, jegliche Aussagekraft. Im Ergebnis kann also weder eine "Transformationswirkung" noch eine "Substitutionswirkung" der Beweislastnormen in dem Maße überzeugen, daß der herrschenden Fiktionstheorie eine Absage erteilt werden müßte.

286 Isensee,Die typisierende Verwaltung, S. 116; zum Verhältnis von Sachverhalt und Entscheidungsgrundlage auch Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 179.

4. Teil

Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre für das Steuerrecht A. Fiktionswirkung und die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO I. Zusammenhang von Schätzung und Beweislastentscheidung

Nachdem die objektive Beweislast in ihren Voraussetzungen, ihrer Ausgestaltung und ihren Auswirkungen beschrieben wurde, kann nun untersucht werden, ob und wie sie sich in das System des Steuerrechts eingliedern läßt. Dies ist erforderlich, da sich die objektive Beweislast im Steuerrecht nicht von selbst ergibt, sondern vom Gesetzgeber in keiner Weise mitbedacht wurde. Dies gilt nicht filr diejenigen Normen, die unzweifelhaft als Regelungen der (objektiven) Beweislast in Einzelfällen ausdrücklich erlassen wurden; doch sind diese Normen, die ein Aufklärungsrisiko zuweisen, "autark". Gerade wegen ihrer Sonderstellung muß bei einer Verallgemeinerung Vorsicht walten. Die Mitberücksichtigung der Situation eines non liquet bedeutet eben nicht, daß der Gesetzgeber ein System ungeschriebener Beweislastnormen beachtet oder gar voraussetzt - das Gegenteil ist der Fall. Dennoch wird versucht, aus den gesetzlich ausdrücklich normierten Regelungen, die einen Beweislastcharakter haben können, ein allgemeines System der objektiven Beweislast abzuleiten. Soweit in der vorliegenden Untersuchung daher von der objektiven Beweislast die Rede ist, ist damit zugleich ein System ungeschriebener Beweislastnormen angesprochen. Die objektive Beweislast als solche muß sich aber in das Steuerrecht einschließlich seiner verfahrensrechtlichen Ausgestaltung einpassen und die dort vorgesehenen Regelungen beachten.! Die objektive Beweislast ist daher sub-

! So ausdrücklich BVerfGE 70,297, 308! unter Hinw. aufE 57,250,276. Die Frage nach einer zu schließenden Gesetzeslücke stellt auch S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 128, allerdings beschränkt auf die Notwendigkeit und Rechtfertigung einer Beweislastumverteilung.

17 M. Schmidt

258

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

sidiär; sie hat alle gesetzlich vorgesehenen Regelungsmechanismen zu berücksichtigen. Die objektive Beweislast kann daher immer nur ultima ratio sein? Eine "Konkurrenz" zu anderen Rechtsinstituten kann daher grundsätzlich nicht gegeben sein.) Von diesem Ansatzpunkt aus ist es nicht möglich, daß die objektive Beweislast andere, insbesondere gesetzlich vorgesehene Rechtsinstitute verdrängen kann oder auch nur neben diese tritt. So wurde bereits darauf hingewiesen\ daß eine Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast dann nicht erfolgen darf, wenn die Finanzbehörde als Rechtsanwender zwar keine Gewißheit über die Entstehung der Voraussetzungen einer Steuer erlangen kann, eine spätere Aufklärung des Sachverhalts aber nicht ausgeschlossen erscheint. In diesem Falle muß eine vorläufige Steuerfestsetzung bzw. Aussetzung nach § 165 AO vorgenommen werden. Die Einräumung eines Entscheidungsermessens durch § 165 AO kann nicht dazu herangezogen werden, die Zulässigkeit einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast zu begründen. Soweit eine Schätzung möglich ist, wäre ein Ausweichen auf diese dann zu gestatten, wenn eine Abwägung zwischen der Eingriffsintensität (bei belastender Schätzung), dem Interesse des Steuerpflichtigen an einer sofortigen Entscheidung und den Interessen der Verwaltungsvereinfachung, einer Mittel-Zweck-Relation, dem Gewißheitsgrad und unter Berücksichtigung des Legalitäts- bzw. Gleichmäßigkeitsprinzips ein Abwarten auf eine spätere Sachaufklärungsmöglichkeit verbieten kann. Eine den Steuerpflichtigen belastende Beweislastentscheidung wird sich schon aus verfassungsrechtlichen Gründen verbieten, weil bereits die vorläufige Steuerfestsetzung (statt einer

2 H.M., vgl. Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 244; Prütting. Gegenwartsprobleme, S. 153; Nierhaus, Beweismaß, S. 16; Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 59; Tipke/Kruse,§ 88 AO Rdn. Ilb; BFH BStBI. 11 1989,462,463; 11 1991,939,941; flir das Zivilrecht Stürner, ZZP 98 (1985), 237. 255; RechbergeriSimotta, Grundriß. Rdn. 584.

) Gleicher Ansicht Helsper. in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 16; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 152. Unzutreffend daher BFH BStBI. 11 1995. 95. 97, wenn dort hinsichtlich einer schätzbaren Größe (es ging um die Frage. in welchem Umfang der Steuerpflichtige seine Tätigkeit im Inland bzw. im Ausland erbracht hatte, wobei feststand, daß sowohl hier wie dort eine Betätigung unternommen wurde) neben bzw. nach der Schätzung gemäß § 162 AO eine Entscheidung nach Maßgabe der objektiven Beweislast flir möglich gehalten wird. 4

V gl. oben I. Teil B. 111. 2. a).

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

259

Aussetzung) unzulässig wäre. s Bei einer Beweislastentscheidung zugunsten des Steuerpflichtigen stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit; das gleiche Ergebnis kann auch durch eine Schätzung erreicht werden. Hierbei ist aber unbedingt der Legalitätsgrundsatz einschlägig, der die Finanzbehörden verpflichtet, bestehende Ansprüche durchzusetzen: Nur wenn die Vorläufigkeit erhebliche Zeit aufrechterhalten werden müßte, die zu erwartende Steuer(mehr)einnahme dazu aber außer Verhältnis stünde, kann von der Schätzung Gebrauch gemacht werden. Eine dringende Notwendigkeit hierzu, die eine Beweislastentscheidung erforderlich macht, weil eine echte Regelungslücke vorläge, kann dagegen nur schwerlich behauptet werden. Selbst bei Versagen einer Schätzung fuhrt die Vorläufigkeitsfestsetzung nach § 165 AG dann nicht zu untragbaren Erschwernissen. 6 Besondere Bedeutung fur die Frage der objektiven Beweislast im Steuerrecht kommt dem Institut der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, § 162 AG, zu. Nach dieser Vorschrift hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen, soweit diese nicht ermittelt oder berechnet werden können, zu schätzen. Dabei muß sie alle Umstände berücksichtigen, die fur die Schätzung von Bedeutung sind. § 162 Abs. 2 AG fuhrt Regelbeispiele fur die Notwendigkeit einer Schätzung an. So hat diese insbesondere dann zu erfolgen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag, weitere Auskunft verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AG verletzt sowie Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu fuhren hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchflihrung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht "mit der Beweiskraft" des § 158 AG zugrundegelegt werden können. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen legitimiert unzweifelhaft eine Absenkung des Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (Gewißheit, vgl. § 165 AG) fur den Fall, daß die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können.

; Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 6. Hierzu oben I. Teil B. 1lI. 2. b). 6 Für die fehlende Notwendigkeit einer Beweislastentscheidung in derartigen Konstellationen kann auch auf AEAO zu § 88 Ziff. I hingewiesen werden. wenn nach dort vertretener Ansicht auf eine "arbeitsintensive" Steuerfestsetzung, gegen die der Steuerpflichtige trotz allem voraussichtlich Rechtsmittel einlegen wird. mit Rücksicht auf die zu erwartenden Verfahrenskosten verzichtet werden darf.

17*

260

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

§ 162 AO ist keine Abweichung vom Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu entnehmen. Die Schätzung setzt vielmehr voraus, daß zunächst eine vollständige Sachverhaltsaufklärung mit dem Ziel der Gewißheitserlangung versucht wurde; dazu müssen alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Erst bei Fehlschlagen einer solchen Überzeugungsgewinnung kann auf die Schätzung zurückgegriffen werden. Durchbrechungen dieses Prinzips sind aber nicht zu leugnen. Insbesondere dann, wenn die Finanzverwaltung tatsächliche Vermutungen oder Pauschalen (Richtsätze) zur Besteuerung heranzieht, wird dies damit begründet, daß ihr vom Gesetz die Möglichkeit zur Abweichung vom Regelbeweismaß mittels der Schätzung im Einzelfall erlaubt sei. Es handelt sich quasi um eine Kettenreaktion. Bei besonders häufig anzutreffenden Konstellationen wird unter Heranziehung der Grundsätze der Verwaltungsvereinfachung, Besteuerungsgleichheit und Rechtssicherheit eine Vermutung (Anscheinsbeweis) aufgestellt, die dann bei der Sachverhaltsermittlung zugrundegelegt wird, ohne daß versucht wird, die Einzelheiten des Falles zu ermitteln. Einem solchen Anscheinsbeweis oder einer Typisierung liegt daher unausgesprochen die Auffassung zugrunde, daß sich Ermittlungen verbieten, weil entsprechendes Vorgehen unverhältnismäßig oder unzumutbar ist bzw. eine Ermittlung von vornherein keine Aussicht auf Erfolg, d.h. auf Erlangung einer Überzeugung mit an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit, hat. 7 Dies ist, wie bereits mehrfach erwähnt, regelmäßig bei subjektiven Tatbestandsmerkmalen der Fall. Die Prüfung des Sachverhaltes ist hier mit dem Ergebnis der Unaufklärbarkeit gewissermaßen hypothetisch vorweggenommen, so daß die Befugnis zur Schätzung eröffnet ist, weil sich die Besteuerungsgrundlagen gar nicht ermitteln lassen. Dann aber wäre die Möglichkeit der Schätzung eröffnet, die dazu führt, daß von einem nur wahrscheinlichen Sachverhalt ausgegangen werden kann. Derartige Durchbrechungen des Vorrangs tatsächlicher Ermittlungen sind zwar zahlreich, können aber das Erfordernis des Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auch für das Steuerrecht nicht beseitigen. Der Zusammenhang zwischen der Schätzung und der objektiven Beweislast ist damit vorgegeben. Je größer der Bereich ist, den die Schätzung bei Vorliegen einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht zu erlangenden Überzeugung abdecken kann, je geringer ist der Anwendungsbereich für eine Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast. Dabei muß noch

7

Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 2.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

261

einmal hervorgehoben werden, daß § 162 AO von einem Schätzungszwang ausgeht. Zwar ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß eine Entscheidung aufgrund einer Überzeugungsbildung durch Bewertung der Erfüllung oder Nichterfüllung von steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten im Rahmen "einfacher" Beweiswürdigung getroffen wird, wie die Aufzählung der Regelbeispiele in § 162 Abs. 2 AO zeigt. Fraglich ist aber, ob es überhaupt eine Schätzungsgrenze gibt. Eine solche könnte sich einmal aus dem Umfang der einer Schätzung zugänglichen Sachverhalte ergeben, wie auch nicht ausgeschlossen ist, daß die objektive Beweislast den Umfang der Schätzungsbefugnis einschränkt. Letzteres würde allerdings voraussetzen, daß es ein "Beweislastsystem" gibt, das überhaupt in den Bereich der Beweiswürdigung einwirken kann, da die objektive Beweislast an sich der Beweiswürdigung nachgeschaltet ist. 8 Schätzung bedeutet allerdings nicht, daß ein beliebiges oder willkürliches Ergebnis durch die Finanzbehörde zugrundegelegt werden darC Vielmehr erfordert auch die Schätzung eine Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen. Da diese selbst aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, beinhaltet die Schätzung, daß mit Hilfe eines Wahrscheinlichkeitsschlusses deren Vorliegen "ermittelt" wird, was dadurch geschieht, daß aufgrund feststehender Fakten ein indirekter Schluß auf die Besteuerungsgrundlage gezogen wird. 1O Bei der Schätzung verschiebt sich daher das Beweisthema. Aus einer Vielzahl einzelner Tatsachen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ermittelt werden, wird ein Schluß auf das offene Sachverhaltsmerkmal gezogen. Diese Tatsachen, die den Schluß erlauben, können allerdings eine unterschiedliche "Entfernung" zu dem eigentlich problematischen Merkmal aufweisen. Je weiter sie von dem fraglichen Merkmal entfernt sind, je geringer wird die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens oder Nichtvorliegens des Merkmals sein. Das ändert aber nichts daran, daß die Schätzungsgrundlagen gewöhnlich ermittelt werden müssen. Bei dieser Ermitt-

K Rosenbetg, Beweislast, S. 62: "Da, wo das Reich der freien Beweiswürdigung aufhört, beginnt die Herrschaft der Beweislast" . Eine starke Verabsolutierung der objektiven Beweislast wird von L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 230 ff., vorgenommen; wenn sie aber die Schätzung durch die Beweislast begrenzen will, verstößt sie gegen diese strikte Trennung der Bereiche. Ebenso bedenklich Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 56. 9 \0

Martens, StuW 1981,322,327 f; S. Martin, BB 1986, 1021, 1029. TipkelKruse, § 162 AO Rdn. 2; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 132.

262

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

lung kann der Steuerpflichtige von der Finanzbehörde erneut zur Mitwirkung herangezogen werden. Dieser Umstand wird oftmals nicht berücksichtigt. I I Nicht zuletzt dadurch erweist sich die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen als sehr differenziertes Instrumentarium, das aufgrund seines Verfahrensablaufes die Erreichung materiellrechtlich richtiger Ergebnisse weitaus eher ermöglichen kann als die grobschlächtige Alternativität der Beweislastentscheidung. Bei dieser lassen sich Differenzierungen nur durch eine Beweislastumverteilung vornehmen, die zwangsläufig einen Verlust an Vorhersehbarkeit des Entscheidungsergebnisses und damit an Rechtsunsicherheit bedeutet.

11. Die Zu lässigkeit der Grundlagenschätzung

Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen kann die objektive Beweislast nur dann nachhaltig beeinflussen, wenn als Besteuerungsgrundlagen auch die "reinen Fakten des Sachverhalts"12 erfaßt werden. Diese Frage ist äußerst umstritten. I3 Hervorzuheben ist hierbei, daß sich die Argumente hinsichtlich der Problematik der Grundlagenschätzung auf formale Kriterien beziehen und aus diesen heraus keine weitere Klärung der Fragen zu erwarten ist. Auf der anderen Seite bedeutet die Ablehnung einer Schätzung dem Grunde nach und die Beschränkung auf Quantitäten ein ausdrückliches Eintreten für eine Stärkung der objektiven Beweislast. I4 Dabei fehlt allerdings eine Überprüfung der

11

Deutlich dagegen S. Weber, Mitwirkungspflichten. S. 134.

12 Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 2a. 13 So geht Nierhaus. Beweismaß (1988/89), S. 78, davon aus, daß eine noch h.M. die Schätzung des Grundsachverhaltes für zulässig erachtet; dagegen sieht Hey, Beweislast und Vermutungen (1992), S. 51, eine bereits wohl h.M., die die Schätzung der reinen Fakten des Sachverhaltes für unzulässig hält. Dies ist insofern bemerkenswert, da Hey sich auf dieselben Auffassungen bezieht. auf die sich bereits Nierhaus gestützt hat. Auch der Rspr. des BFH ist diesbezüglich keine Änderung zu entnehmen, vielmehr hat er die Fragen "offengelassen", vgl. BStBI. 11 1989, 462, 464 und 11 1992, 128, 131; nicht eindeutig auch BFH BStBl. 11 1985, 354, 358 und 11 1982, 409, 411. 14 Eine Grundlagenschätzung lehnen ab Hartung, StuW 1956,879,884; ders.; NJW 1959, 1900, 1901; Birken/eid, Beweis und Beweiswürdigung, S. 123 ff.; Bettermann, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, E 26, 29 f; Tipke, VerwArch 60 (1969), 136, 141; ders., StuW 1979, 193, 206; Zapf, Beweislast und Beweisführungslast, S. 35 f., 54 f.; Rönitz, DStJG 3 (1980), 297, 304; Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 55 fJ.; Hart-

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

263

Stichhaltigkeit der Argumente, die zu einer Ablehnung der Schätzung dem Grunde nach herangezogen wurden, im Hinblick auf die dann zu fallende Beweislastentscheidung. 15 Wenn diese mit der Beweislastentscheidung kongruent sind, können sie die Ablehnung der Schätzung dem Grunde nach nicht begründen. 16

1. Die Heranziehung systematischer Gesichtspunkte zur Begründung der Zulässigkeit einer Grundlagenschätzung Bei der Bestimmung des Umfanges der Schätzungsbefugnis könnte zunächst von § 199 Abs. 1 AO auszugehen sein, der eine Legaldefinition der Besteuerungsgrundlagen enthält. Danach sind Besteuerungsgrundlagen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind. Da § 199 Abs. I AO eindeutig die tatsächlichen Verhältnisse erwähnt, gehört also auch der Lebenssachverhalt zu den Besteuerungsgrundlagen. Allerdings findet sich die Legaldefinition der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Außenprüfung. mann/Cortrie, WPg 1981, 165,170; M. Marx, Notwendigkeit und Tragweite der Untersuchungsmaxime, S. 170; Schick, Der Begriff der Besteuerungsgrundlage, S. 54 ff.; Reichei, Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, S. \0; Schuhmann, DStZ 1986, 161, 163; R. Wittmann, StuW 1987,35,42; Nierhaus, Beweismaß, S. 77 f.; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 7 L G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. \0 f.; Jakob, Abgabenordnung, § 6 Rdn. 18; Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 49 ff., 53; H.-W Bayer, Grundbegriffe des Steuerrechts, S. 139 Rdn. 296; Tipke/ Kruse, § 162 AO Rdn. 2a; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 81; SchwarziDumke, § 88 AO Rdn. 28; auch SchwarziFrotscher, § 162 AO Rdn. 3, der allerdings BFH BStBl. 11 1989, 462 ff. vorwirft, Schätzung und Beweiswürdigung zu vennischen, selbst aber die Beweislast der Würdigung des Sachverhaltes zuordnet. 15

Im Ansatz allerdings Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 16.

16 Eine Grundlagenschätzung halten für zulässig: Begründung Reg.-Entwurfzu § 143 AO 1977, BT-Drs. VII1982, S. 147; Kruse, Steuerrecht I, § 1711 4 (S. 328 f.) i.Y.m. § 14 I 3 (S. 267); Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 17; Kühn/Kutter/Hofmann, § 162 AO Anm. 2; Klein/Orlopp, § 162 AO Anm. I; Dubischar, JuS 1971,385,386/; Hartz, OB 1976, 1736 ff.; Martens, StuW 1981,322,327; S. Martin, BB 1986, 1021, 1030; S. ~ber, Mitwirkungspflichten, S. 135, 137 ff.; s. auch Zitzlaff, StuW 1938, 169, 185; tendenziell Ohlms, Beweislast und Verantwortung, S. 52 f.; Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 209 mit Fn. 38; Ruppel, BB 1995, 750.

264

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Daraus wird nun wiederum abgeleitet, daß entweder die Legaldefinition an systematisch unzutreffender Stelle geregelt sei 17 oder daß die Legaldefinition der Besteuerungsgrundlagen fur § 162 AO nicht heranzuziehen sei, weil es sich insofern um eine auf die Außen prüfung beschränkte Sonderregelung handele l8 ; hätte der Gesetzgeber eine Grundlagenschätzung fur zulässig erachtet, die außer Quantitäten auch tatsächliche Umstände erfassen würde, hätte er entsprechend der Regelung in § 88 AO den Begriff "Sachverhalt" gewählt. Dagegen muß nun allerdings eingewendet werden, daß nach dem Willen des Gesetzgebers selbst durch § 162 AO eine Schätzung dem Grunde und der Höhe nach für zulässig zu erachten wäre. Dies läßt sich eindeutig der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 143 EAO entnehmen. 19 Jedoch soll der Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung der Normen dann wiederum unbeachtlich sein, wenn er im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden habe. 20 Damit stellt sich das Problem, ob die Erfassung des Grundsachverhaltes von der Bedeutung des Wortes "schätzen" erfaßt wird.

2. Die Auslegung nach dem Wortlaut des § 162 AO Nach § 162 Abs. I S. I AO sind Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie nicht ermittelt oder berechnet werden können. Auf den ersten Blick erscheint es daher unproblematisch, daß alles, was hinsichtlich eines Steueranspruches Bedeutung hat, im Wege der Schätzung ermittelt werden kann.

17 Kruse, Steuerrecht I, § 17 11 4 (S. 329) LY.m. § 14 1 3 (S. 267): Besteuerungsgrundlagen sind Tatsachen, die den Lebenssachverhalt bilden. IM

Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 2a; Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 55.

19BT-Drs. VI/1982, S. 147. 20 Larenz, Methodenlehre, S. 320 ff. Bezogen auf die Grundlagenschätzung nimmt z.B. H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 8, dies an; vgl. auch Grägler, OB 1993, 1849, 1850. Auf den Meinungsstreit zwischen den Vertretern einer subjektiven (z.B. MünchKomm/Säcker, BGB Einl. Rdn. 65, 81 ff. m.w.N.) und objektiven Theorie (insbes. BVerfGE 1,299,312; E 11, 126, 129; BFH BStBI. 11 1976, 105, 107; 11 1990,411, 413) braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden (vgl. statt dessen Larenz, a.a.O., S. 316 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 428 tf.), denn bei Verfolgung der Ansätze der subjektiven Theorie erübrigt sich wegen der eindeutigen Auffassung in der Regierungsbegründung die Diskussion um die Zu lässigkeit der Grundlagenschätzung, so daß nur die auch vom BFH verfolgte objektive Theorie zur Problematisierung Anlaß gibt.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

265

Allerdings wird dagegen vorgebracht, daß einer Schätzung nur Quantitäten zugänglich sind. 21 Diese Ansicht setzt an der Bedeutung des Wortes "schätzen" an. Dies ist insofern richtig, als erkannter Sinn und Zweck einer Nonn grund· sätzlich von ihrem Wortlaut erfaßt sein muß. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, daß sich die Gesetze nicht nur an Sprachwissenschaftler, sondern an den gewöhnlichen Steuerpflichtigen wenden. 22 Dabei kann "schätzen" sicherlich wägen, messen, berechnen bedeuten, wie es aber auch nicht von der Hand zu weisen ist, daß es mit glauben und vermuten synonym ist. 23 Gerade wenn man sich die Fälle, die allgemein einer Schätzung flir zugänglich erachtet werden, genauer ansieht, zeigt es sich, daß eine Auslegung nach dem Wortlaut und dem Sinn des Wortes "schätzen" kaum überzeugende Argumente liefern kann. Wenn im Anschluß an die Auffassung des Bundesfinanzhofes 24 eine Aufteilung von beruflich und privat veranlaßten Telefonkosten im Wege der Schätzung flir zulässig erachtet wird oder durch die Schätzung der Umfang der beruflich gefahrenen KilometerS "festgestellt" werden kann, so erscheint es zumindest fraglich, ob die jeweilige Größe eher durch wägen, messen und berechnen ennittelt wird oder ob nicht vielmehr das Vorliegen eines entsprechenden beruflichen Umfanges vermutet wird. Auch ist bereits darauf hingewiesen worden, daß bei der Schätzung der beruflich veranlaßten Telefonkosten bzw. Nutzung eines PKW mit der "Quantität" auch das Vorliegen eines Telefongesprächs bzw. einer Fahrt mitangenommen wird. 2b Mit einer Auslegung nach dem Wortlaut können demzufolge nicht die erheblichen Gesichtspunkte überspielt werden, die flir eine Zu lässigkeit der Grundlagenschätzung sprechen.

21

Z.B. Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 56; H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 7.

22 So beispielsweise Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 56 mit Fn. 70, der zur Auslegung von § 162 AO Grimms Wörterbuch (8. Bd., 1893) heranzieht! 23 So Schick, Der Begriff der Besteuerungsgrundlage, S. 56; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 139 f. 24

BFH BStB\. 11 1979, 149, /50; vg\. auch GrS BFH BStB\. 11 1971, 17, /9; BFH

BStB\. 11 1981, 131, /33 (wobei unklar bleibt, wieso dem Steuerpflichtigen im Schätzungsverfahren die objektive Beweislast obliegt); 11 1986, 200, 206. 25

BFH BStB\. 111 1954.358,359; GrS BFH BStB\. 11 1971, 17,2/. Vg\. auch BFHE

26

Deutlich S. Martin, BB 1986, 1021, /029; Kottke, DStR 1992, 129, /30 f

108, 103, /05 f (Einnahmen einer Prostituierten); BFH BStB\. II 1986, 894, 895 (Kontokorrentzinsen ).

266

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Eine Untersuchung der Vorschrift des § 162 AO hat bisher weder im Hinblick auf ihre systematische Stellung, auf ihren Wortlaut oder unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens überzeugende Ergebnisse geliefert. Allerdings kann aus dem Wortlaut des § 162 Abs. I S. 1 AO ein Argument gewonnen werden, das gegen die Erforderlichkeit der objektiven Beweislast ins Feld geführt werden könnte. So muß eine Schätzung erfolgen, "soweit die Finanzbehörde ... nicht ermitteln oder berechnen" kann. Dies legt nahe, daß der Bereich der Schätzung auf jeden Fall auch nicht ermittelbare "Besteuerungsgrundlagen" erfaßt. Dieser Bereich ist zumindest sehr weit gezogen, insbesondere wenn man mitberücksichtigt, daß die Schätzung auch eine Ermittlungstätigkeit im Hinblick auf Hilfstatsachen verlangt. Aus dieser weiten Fassung des § 162 AO ließe sich ableiten, daß eine Regelung der objektiven Beweislast im Steuerrecht überflüssig ist, da die Schätzung genau den Bereich der nicht (mehr) ermittelbaren Tatsachen betrifft. Der Frage, was alles unter Besteuerungsgrundlagen zu verstehen ist, kommt daher eine ganz erhebliche Bedeutung zu.

3. Weitere Auslegungskriterien Die Auffassung, daß nur quantifizierbare Größen geschätzt werden können, nicht aber die reinen Fakten des Sachverhalts27 , kann nicht überzeugen. Sicherlich gibt es Umstände, bei denen es schwerfällt, ihr Vorliegen oder Nichtvorliegen anzunehmen. Da aber die Schätzung beinhaltet, aus Hilfstatsachen einen Schluß auf das fragliche Merkmal zu ziehen, wobei im Gegensatz zu einem Indizienbeweis nicht die volle Überzeugung des Rechtsanwenders erforderlich ist, sondern ein nach den Umständen des Einzelfalles gemindertes Beweismaß bis zum Grade einer sehr geringen Wahrscheinlichkeies ausreicht, können, um ein viel verwendetes Beispiel aufzugreifen, auch Tatsachen, wie die Haltereigenschaft einer Person im Hinblick auf die Hundesteuer 9 , geschätzt werden. Je nach den Umständen des Einzelfalles bedeutet es durchaus keine Willkür, wenn das Finanzamt daraus, daß der Steuerpflichtige einen Hund zu einer

27

Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 2a; Tipke, VerwArch 60 (1969), 136, 142.

2K

Tipke, VerwArch 60 (1969), 136, 140; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 132.

Martens, StuW 1981, 322, 328; TipkeiKruse, § 162 AO Rdn. 2a; Tipke, VerwArch 60 (1969), 136, 141 (Hundealter). 29

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

267

tierärztlichen Untersuchung gebracht hat, jener durch ihn oder seine Familienmitglieder regelmäßig geflittert wird oder er dem Tier in seinem Garten eine, wenn auch nur provisorische Hundehütte gebaut hat, der Schluß gezogen wird, daß der Steuerpflichtige Hundehalter ist. Die Tatbestandsmerkmale, die eine Hundehaltereigenschaft ausmachen, mögen zur Überzeugung der Behörde nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Die Festsetzung der Hundesteuer kann aber trotz geminderter Überzeugung im Wege der Schätzung erfolgen. Fraglich ist allerdings, ob eine Schätzung auch dann zulässig ist, wenn Hilfstatsachen überhaupt nicht herangezogen werden können. Dabei ist jedoch von vornherein der Fall auszuklammern, daß auch die Ennittlung von Hilfstatsachen ergebnislos blieb, weil der Steuerpflichtige seine durch das Schätzungsverfahren hervorgerufenen Mitwirkungspflichten nicht erfüllt. Denn auch in diesem Falle wäre eine Entscheidung durch Beweiswürdigung möglich. Es blieben also nur die Fälle zu berücksichtigen, in denen auch ohne Mitwirkungspflichtverletzung überhaupt keine Anhaltspunkte ennittelt werden können, aus denen sich ein Schluß auf das zu berücksichtigende Sachverhaltselement ziehen läßt. Derartige Fälle dürften tatsächlich äußerst selten vorliegen. Das schließt jedoch nicht aus, daß zumindest dann, soweit man eine Verpflichtung des Rechtsanwenders zur Sachentscheidung bejaht, eine Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast getroffen werden müßte. Auch wird das Argument vorgetragen, daß im Wege der Schätzung zumindest irgendetwas ennittelt werden können muß. 30 Sollte die Schätzung in diesem Sinne versagen, habe eine Beweislastentscheidung stattzufinden. Wenn also eine Ermittlung von Umständen nicht möglich wäre, müßten diese mittels einer Beweislastentscheidung fingiert werden. Dies ist das Ergebnis, wenn man mit der wohl h.M. die Wirkung der objektiven Beweislast in der Fiktion des Sachverhaltsmerkmales sieht. Diese schlichte Konsequenz aus der Anwendung der Regeln der objektiven Beweislast wird vollständig übergangen. 31 Die objektive Beweislast vollzieht eine völlige Abkoppelung von den Ennittlungsergebnissen. Eine Beweislastentscheidung hat demzufolge jegliche Beziehung zur Realität verloren. Ihre Verteilung erfolgt nach Kriterien, die mit der Wirklichkeit des Sachverhaltes nichts zu tun haben. Aus der Not der Unaufklärbarkeit der Tatsa-

30 Zapf, Beweislast und Beweisftihrungslast, S. 35 f., 54 f.; HartmanniCortrie, WPg 1981, 165, 170. 31

Anders allein Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 16.

268

4. Teil: Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre

chen wird insofern eine Tugend gemacht und durch Abstellen auf im Einzelfall sachliche Kriterien eine "gerechte" Entscheidung begründet. J2 Die logischstringente Abkoppelung der Beweislastentscheidung von der Ermittlung des Sachverhalts ist jedoch nicht konsequent. Dies wird insbesondere dort deutlich, wo die sachlichen Kriterien, die zur Begründung der Beweislastentscheidung herangezogen werden, bei einer Ermittlung im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt werden könnten. Offensichtlich ist das bei einer Beweislastentscheidung, die auf ein Regel-Ausnahme-Prinzip zurUckgeführt wird. Einem solchen Prinzip liegen denknotwendig Wahrscheinlichkeitserwägungen zugrunde. Wenn daher die freiberufliche Tätigkeit als Qualifikation zur gewerblichen Tätigkeit angesehen wird J3 , kann die Zuweisung der objektiven Beweislast an den Steuerpflichtigen nicht mit der Normbegünstigungstheorie begründet werden, sondern nur mit einem Prinzip von Regel und Ausnahme. Der Hinweis darauf, daß für Unterstellungen in dem Besteuerungsverfahren kein Raum sei, da die Leistungspflicht gemäß § 38 AO an verwirklichte und nicht an unterstellte Tatbestände anknüpft, kann demzufolge die Zulässigkeit einer Grundlagenschätzung nicht ernsthaft erschüttern. Es wurde bereits dargestellt, daß § 38 AO in dem Augenblick leerläuft, in dem eine vollständige Aufklärung des Sachverhaltes zur Überzeugung des Rechtsanwenders nicht mehr möglich ist. Der Steueranspruch des Fiskus gegen den Steuerpflichtigen bleibt zwar von der Beweisbarkeit grundsätzlich unberührt. Doch muß ein solcher Anspruch auch durchgesetzt werden. Dies kann nur dann geschehen, wenn einer Entscheidung ein Tatbestand zugrundegelegt wird, auf dem die Entscheidung aufbaut. Dazu ist eine Transformation von der Wirklichkeitsebene auf die Ebene des Rechts erforderlich. Durch diese Relativierung ist bereits eine, wenn auch nur ganz geringe Lücke im Hinblick auf die tatsächliche Durchsetzung wirklich entstandener Steueransprliche vorgezeichnet. 34 Diese LUcke wird für den Fall, daß keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit als Überzeugungsmaßstab gewonnen wird, vergrößert, wenn eine Entscheidung trotz Unaufklärbarkeit mit Hilfe anderer Rechtsinstitute vorgenommen wird. Denn auch eine Entscheidung anhand der objektiven Beweislast erfolgt nicht

32 Weber-Grellet, Stuw 1981, 48, 56: G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 10 f. 33

Vgl. BFH/NV 1993, 238, 239 unter Hinw. auf BFH BStBl. " 1990, 73, 74.

34

Vgl. oben I. Teil A. I. 3. a): 3. Teil D. I.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

269

auf der Grundlage eines tatsächlich verwirklichten Tatbestandes, sondern, bei Zugrundelegung der herrschenden Fiktionstheorie, aufgrund eines Sachverhaltes, der dem tatsächlich verwirklichten "gleichgesetzt" wird. Dasselbe geschieht bei einer Sachverhaltsannahme im Wege einer Grundlagenschätzung. Daß die Wirkung beider Rechtsinstitute vollständig identisch ist, wird besonders dann deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß bei der Grundlagenschätzung der Sachverhalt unterstellt wird, dessen Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Sachverhalt am größten (wahrscheinlichsten) ist. Bei einer Beweislastentscheidung wird ebenfalls das fehlende Merkmal je nach Risikozuweisung als vorliegend oder nicht vorliegend zugrundegelegt; wenn die Beweislastverteilung zwischen den Parteien über ein Regel-Ausnahme-Prinzip erfolgt, darf sich die Entscheidung nicht von der mittels einer Grundlagenschätzung gewonnenen unterscheiden. Der Unterschied besteht allein darin, daß bei einer Grundlagenschätzung eine konkrete individuelle Wahrscheinlichkeit, bezogen auf den einzelnen Sachverhalt, berücksichtigt wird, während bei einer Beweislastentscheidung ein genereller abstrakter Wahrscheinlichkeitsmaßstab die Verteilung und damit das Ergebnis auch fur den konkreten Einzelfall determiniert. Eine größere Einzelfallgerechtigkeit ist daher auf jeden Fall mit einer Schätzung gewährleistet. Das Argument, daß bei der Grundlagenschätzung die Besteuerung nach Maßgabe "unterstellter Tatbestände" gegen § 38 AO verstößt, kann demzufolge als undifferenziertes Schlagwort abgetan werden. 35 Die rechtlich eigentlich entscheidende Frage muß sein, wie weit die Abweichung des tatsächlichen von dem zur Entscheidungsgrundlage gemachten Sachverhaltes sein darf. Ein solcher Maßstab kann nur § 162 AO selbst zu entnehmen sein. Hierdurch mögen sich die Bedenken erklären, weil die Schätzung ein Beweismaß geringer Wahrscheinlichkeit ausreichen läßt; die Grenze soll erst dann erreicht sein, wenn das Ergebnis nicht mehr möglich erscheint. 36

35 BFH BStBI. JI 1979, 345; Tipke, VerwArch 60 (1969), 136, 143; Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 56; Nierhaus, Beweismaß, S. 77 f. Anders liegt der Fall bei der Festsetzung der (hypothetischen) Kostenmiete im Rahmen der Nutzungswertbesteuerung: Der Ansatz von Einnahmen, die auch "hypothetisch" niemals erzielt werden könnten, verbietet sich, weil dadurch ein fiktiver Sachverhalt besteuert würde, den der Steuerpflichtige nie verwirklicht hat, vgl. Tiedtke, JZ 1995, 275, 280 mit Fn. 35 (zu BFH, Urt. v. 22.10.1993, IX R 62/92, NJW 1995, 216 und IX R 33/91, DStZ 1994, 540 sowie IX R 35/92, DB 1994, 1165). 36 BFH DStR 1989,493 ff.; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 149; Martens, StuW 1981, 323, 327 mit Fn. 67. Unklar Ruppe/, BB 1995, 750, 751.

270

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Gegen eine Schätzung des Grundsachverhalts wird vorgebracht, daß Tatsachen in der Wahrscheinlichkeit nur in der Alternative vorhanden sind, daß sie entweder vorliegen oder nicht vorliegen. Etwas "Ungefahres" gebe es in dieser Beziehung nicht. 37 Dieses Argument kann nicht überzeugen. Zum einen greift auch hier der Hinweis darauf, daß bei Annahme von Quantitäten in der überwiegenden Zahl der Fälle auch der zugrundeliegende Sachverhalt geschätzt wird. 38 Würde man die Schätzung nach dieser strengen Auffassung begrenzen, müßten beispielsweise Betriebsausgaben oder Werbungskosten nicht nur generell feststehen, sondern auch im ganz konkreten Einzelfall. Es würde dann sozusagen nur die Länge eines Telefongesprächs oder die Entfernung einer beruflich veranlaßten Fahrt schätzbar sein. Darüber hinaus wird aber verkannt, daß die Schätzung nicht einen ungefahren Sachverhalt besteuert, sondern im Wege der Schätzung der Sachverhalt gewiß gemacht wird. 39 Die Schätzung führt doch nur dazu, daß der Rechtsanwender einen niedrigeren Überzeugungsgrad hinsichtlich der fraglichen Tatsache anwendet, bei der von ihm zu treffenden Entscheidung die Tatsache dann aber als vorliegend zugrundelegt. Was sich allein verschoben hat, ist die Chance, daß sich der rechtliche Tatbestand, der der Entscheidung unterlegt werden muß, mit einer größeren Wahrscheinlichkeit nicht mit dem Sachverhalt identisch ist, der in der Wirklichkeit vorfiel. Beim Beweismaß der Gewißheit (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) ist diese Lücke zwischen Lebenssachverhalt und rechtlichem Sachverhalt (Entscheidungssachverhalt) geringer. Sie ist aber apriori im Vorgang der Rechtsanwendung vorgezeichnet. 40 Somit ist jede Entscheidung bezüglich eines Sachverhaltsmerkmals mit den Worten Tipkes "ungefahr". Tipke unterscheidet hier offensichtlich nicht zwischen der Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit bzw. Sicherheit ein Vorgang in der Lebenswirklichkeit tatsächlich vorgefallen

37 Tipke, VerwArch 60 (1969), 136, 142; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 11. 3K Z.B. das einzelne beruflich geführte Telefongespräch oder die einzelne beruflich veranlaßte Fahrt mit dem PKW. Dem ist auch nicht mit dem Hinweis beizukommen, daß das Telefongespräch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit oder durch freie Beweiswürdigung vorher feststehen müsse und nur die Dauer geschätzt werde, i.d.S. Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 52 f. '39 Daß die Beweislastentscheidung diese Funktion habe, vertritt Nierhaus, Beweismaß, S. 144.

40

S. hierzu bereits oben I. Teil A. I. 2., 3. a); 3. Teil D. I.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

271

ist und der Tatsache, daß auch ein im Schätzungswege erlangtes Ergebnis der Entscheidung als vorliegend oder nicht vorliegend zugrundegelegt wird. Bei der Schätzung des Grundsachverhaltes wird bei korrekter Anwendung der Schätzungsbefugnis des § 162 AO das Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auch nicht aufgehoben. 41 Wie auch die objektive Beweislast ist die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ein gegenüber der Überzeugungsgewinnung mit dem Grade der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ein subsidiäres Rechtsinstitut. Die Verpflichtung, den Sachverhalt zur vollen Überzeugung des Rechtsanwenders aufzuklären, beseitigt sie nicht. Sie setzt eine vollständige Sachverhaltsermittlung voraus. Erst bei dessen Fehlschlagen kann sie Platz greifen. Daß eine bedenkliche Vorverlagerung möglich ist, wurde bereits dargestellt42 ; ein solches Vorgehen ist aber in eng begrenzten Ausnahmefällen und für typische Sachverhalte aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Effizienz des Besteuerungsverfahrens sowie in eingeschränkter Weise mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu rechtfertigen. 43 Eine generelle Abweichung vom Regelbeweismaß kann allerdings hierdurch nicht gerechtfertigt werden. Die dargestellten Argumente, daß bei der Grundlagenschätzung ein ungefahrer Sachverhalt besteuert würde oder daß das Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit aus den Angeln gehoben würde, bezieht weiterhin die Auswirkung einer Beweislastentscheidung auf den Sachverhalt nicht mit ein. So hilft die Beweislastentscheidung zwar, die Sachverhaltslücke zu überbrücken, klärt aber den Sachverhalt nicht auf. Auch sie führt nur dazu, im Ergebnis ein Sachverhaltsmerkmal als vorliegend oder nichtvorliegend der Entscheidung zugrundezulegen. Allerdings wird die Überzeugung als subjektive Verantwortlichkeit durch objektiv scheinbar vorgegebene Kriterien ersetzt. 44 Doch besteht eine exakte Überdeckung mit dem Ergebnis einer Grundlagenschätzung: Denn auch die Schätzung eines Sachverhaltes dem Grunde nach führt nur dazu, ihn der Entscheidung zugrundezulegen oder nicht zugrundezulegen. Bei der Schätzung von Quantitäten kann eine bestehende Unsicherheit zwar dadurch "überspielt" werden, daß je nach der Wahrscheinlichkeit ein höherer oder niedrigerer Ansatz gewählt wird. Solches scheidet bei

41 So aber G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 11, unter Berufung auf Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 79 tf. 42

V gl. oben A. I.

43

Tipke/Kruse, § 162 AO Rdn. 2.

44

I.d.S. wohl auch Martens, Stu W 1981, 322, 326 mit Fn. 54.

272

4. Teil: Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre

der Schätzung des Grundsachverhaltes sicherlich aus. Aber gerade deshalb fUhrt diese dazu, daß nur eine eindeutige Aussage der zu treffenden Sachentscheidung zugrundegelegt wird. Eine Schätzung der Hundehaltereigenschaft fUhrt dazu, den Steuerpflichtigen entweder als Hundehalter zu qualifizieren oder die Haltereigenschaft abzulehnen; den behaupteten 45 Zwischen bereich gibt es tatsächlich nicht. Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen wird zumindest fUr den Fall zugelassen, daß die Schätzung wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten erfolgen muß. § 162 Abs. 2 AO fuhrt als Regelbeispiel fUr die Schätzungsbefugnis die Verletzung der Mitwirkungspflicht aus § 90 Abs. 2 AO an. Als Sanktionsmöglichkeit wird daher eine sog. belastende Unterstellung46 fUr zulässig erachtet. Die Wirkungsweise einer solchen Unterstellung ist vielfältig. Mit der Schätzung hat sie insofern gemein, daß der dem Gedanken der Beweisvereitelung zugrundeliegende Gesichtspunkt, daß derjenige, der Mitwirkungspflichten verletzt, etwas zu verbergen habe und aus seinem vorwerfbaren Verhalten ihm keine Vorteile erwachsen sollen, herangezogen wird, um als "wahrscheinliches" Ergebnis einer Ermittlung, die sich auf das Verhalten des Steuerpflichtigen bezieht, das Nichtvorliegen des fraglichen Umstandes zu schätzen bzw. zu vermuten (Rechtsgedanke des § 444 ZPO). Gleichzeitig wird damit eine Umkehr der Beweislast bewirkt. Der Steuerpflichtige muß, um ein fur ihn ungünstiges Ergebnis zu verhindern, selbst Tatsachen vortragen, die seine Verletzungshandlung "kompensieren" können. Je nach dem Ansatzpunkt kann man diese sich fur den Steuerpflichtigen ergebende Notwendigkeit als erneute Mitwirkungspflicht beschreiben, wie auch als "faktische" Beweis(fUhrungs)last. 47 Eine solche Vorgehensweise fuhrt zu einem sowohl sehr praktischen und effektiven wie auch gerechten Ergebnis. Der Steuerpflichtige hat es in der Hand, durch sein Mittun fur ihn günstige Rechtsfolgen herbeizufUhren, wie auch der Makel einer Entscheidung auf nur wahrscheinlicher Grundlage beseitigt wird bzw. damit gerechtfertigt scheint, daß der Steuerpflichtige wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten an der ihn belastenden Entscheidung "ja

45 Tipke, VerwArch 60 (1969), 135,142 und G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S.II. 46

Riewald, in: Becker/Riewald/Koch, § 217 RAO Anm. 2; im Ergebnis auch Ohlms,

Beweislast und Verantwortung, S. 51 ff.; S. Weber, Mitwirkungspflichten, S. 134 ff.;

Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 20. 41

Hierzu bereits oben 2. Teil D.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

273

selber schuld" sei. Darüber hinaus wird der Nachteil auch nicht festgeschrieben, sondern der Steuerpflichtige hat die Möglichkeit, ihn durch eigenes positives Tun doch noch abzuwenden. Dennoch kann diese Auffassung nicht überzeugen. Zum einen kann sie die Zu lässigkeit einer Grundlagenschätzung nur für den Bereich der Verletzung von Mitwirkungspflichten überhaupt erklären. Die Fassung von § 162 AO beschränkt aber die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht nur auf Verletzung von Pflichten, sondern völlig unabhängig von dem Verhalten des Steuerpflichtigen. Voraussetzung ist nur, daß die Grundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können. Aus welchem Grunde diese Unmöglichkeit eintritt, spielt fur die Anwendung von § 162 AO keine Rolle. Auch eine belastende Unterstellung kann die Zu lässigkeit einer Grundlagenschätzung daher nur fur einen Teilbereich erklären. Andererseits bedarf eine Entscheidung bei Verletzung von Mitwirkungspflichten nicht der Schätzung, soweit Tatsachen unaufgeklärt bleiben. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung läßt es zu, das Verhalten des Steuerpflichtigen mitzubewerten (§ 92 AO). Schätzung und Beweiswürdigung bezeichnen nicht unterschiedliche Bereiche; die Schätzung betrifft nur ein bestimmtes Vorgehen im Rahmen einer "zweiten" Beweiswürdigung, nachdem eine solche zunächst nicht zu vollständiger Überzeugung (Gewißheit) gefuhrt hat. Sie setzt das Vorliegen eines non liquet voraus, so daß das "Reich der Beweiswürdigung"48 durchschritten wäre, kehrt ihm aber nicht den Rücken, sondern sucht es noch einmal auf. Eine belastende Unterstellung fuhrt schließlich dazu, daß Mitwirkungspflichten unsubstantiiert angewendet bzw. angenommen werden können. Die Unterstellungswirkung tritt unabhängig vom Grad der Verletzung oder der Intensität der Mitwirkungspflicht ein. Es reicht zur Vornahme einer belastenden Unterstellung aus, eine Mitwirkungspflicht zu bejahen, weil der Rechtsanwender hier keiner Begründungsnotwendigkeit unterworfen ist. Da die Mitwirkungspflichten aber nicht dezidiert oder enumerativ aufgezählt sind, sondern sich aus dem jeweiligen konkreten Einzelfall ergeben können, liegt die Gefahr nahe, völlig vage allgemeine Mitwirkungspflichten zu begründen. Mitwirkungspflichten müssen aber fur den Steuerpflichtigen von vornherein erkennbar sein. Da sich die Nichtaufklärbarkeit eines Sachverhalts oftmals erst bei der rückwirkenden Betrachtung eines möglicherweise komplexen Lebensvorganges herausstellt, spielt fur die Definition der Mitwirkungspflichten deren Erkennbarkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle.

4K

Rosenberg, Beweislast, S. 62.

IR M. Schmidl

274

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Die Parallele zwischen der Grundlagenschätzung und der Beweislastverteilung wird aber nur bei einer Beweislastverteilung nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten deutlich. Die Finanzverwaltung und Rechtsprechung geht nach einem Wahrscheinlichkeitsprinzip bei der Beweislastverteilung auch dann vor, wenn sie zwar nicht die Feststellungslast unmittelbar auf ein Regel-AusnahmePrinzip stützt, aber, wie vielfach unausgesprochen, ein anderes Beweislastverteilungsprinzip in den Vordergrund stellt. Hier kann wieder das bereits erwähnte Beispiel der Feststellung der Gewinnerzielungsabsicht herangezogen werden. 49 Zunächst wird die Feststellungslast für das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen von Bauherrenmodellen dem Steuerpflichtigen auferlegt. Eine Beweislastverteilung zu seinen Lasten wird, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch über die angeführte Verweisungskette 50 , auf das Normbegünstigungsprinzip gestützt. Dennoch spielt diese Beweislastverteilung im Ergebnis überhaupt keine Rolle. Durch das Abstellen auf die Vermutung, daß bei Vorliegen einer Rückkauf- bzw. Wiederverkaufsgarantie zunächst ein Beweis des ersten Anscheins (bzw. Indizienbeweis) bemüht wird, wird aus der objektiven Beweislast eine faktische bzw. konkret subjektive Beweislast. 51 Da dem Steuerpflichtigen im Regelfall die Widerlegung dieses Anscheinsbeweises nicht möglich sein wird, findet eine Steuerfestsetzung statt, die allein auf eine Vermutungsbasis gestützt iSt. 52 Bei einem solchen Vorgehen wird eine "Sicherheit" vorgespielt, die in Wahrheit nicht vorhanden ist. Insbesondere in Konstellationen, in denen der (vermeintlich) Steuerpflichtige bei Abschluß der Verträge keine Wahl hatte, die Garantie nicht in Anspruch zu nehmen, kann aus dem objektiven Vorliegen einer Rückkaufs- bzw. Wiederverkaufsgarantie auf seinen subjektiven Willen (Gewinnerzielungsabsicht) kein Rückschluß vorgenommen werden. Aber auch in den Fällen, in denen eine Abwahlmöglichkeit besteht, spricht die Inanspruchnahme einer Garantie nicht zwingend für das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht. Denn bereits dann, wenn der Steuerpflichtige diese nur in Anspruch genommen hat, um ein absehbares Risiko auszuschließen, muß dieses Indiz versagen. Kein realistisch kalkulierender Mensch wird bei Vor-

49

Zuletzt BFH BStBI. 11 1995,460 und 461,462.

so

BFHINV 1994,301,302; BFHINV 1988,292,294; BStBl. 11 1986,289,291.

51

Vgl. oben 2. Teil D.

52 Im Falle der Gewinnerzielungsabsicht bedeutet dies, daß die geltend gemachten negativen Einkünfte nicht berücksichtigt werden, weil bezüglich der Vermietungstätigkeit insofern (noch) keine steuerpflichtige Tätigkeit gegeben ist.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

275

nahme einer Betätigung potentielle Verluste 5) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen können. 54 Es muß ausreichen, wenn die Gewinnerzielungsabsicht von Anfang an mitvorliegt. Jeder rational denkende Steuerpflichtige wird erkennbare Risiken abzusichern versuchen. Die Gewinnerzielungsabsicht, d.h. der Wille, aus dem Geschäft "unter dem Strich" einen Vorteil zu ziehen, wird hiervon in keiner Weise beeinträchtigt. Somit zeigt sich, daß auch bei der Feststellung des subjektiven Merkmals des Vorliegens einer Gewinnerzielungsabsicht im Ergebnis nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil vorgenommen wird. Der Hinweis auf die Feststellungslast des Steuerpflichtigen ist daher nur der Versuch, von dieser "fiktiven" Besteuerung (bzw. steuerlichen Nichtanerkennung) abzulenken. Das entscheidende Argument, das für die Zulassung einer Grundlagenschätzung spricht, kann allerdings einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes entnommen werden 55 , was auf den ersten Blick insofern verwunderlich erscheint, als dieses Urteil herangezogen wird, um die ablehnende Haltung des Bundesfinanzhofs hinsichtlich der Zu lässigkeit einer Schätzung dem Grunde nach zu belegen. 56 Der Bundesfinanzhof ging zunächst in Fortsetzung der Auffassung des Reichsgerichts von der Zu lässigkeit der Schätzung auch der reinen Fakten eines Sachverhaltes aus. 57 In der Entscheidung vom 19.10.1978 ging es wegen Ungewißheit über die Person eines Leistenden um dessen Unternehmer-

53 Z.B. durch eine strukturell bedingte Absenkung (staatliche Subventionen) eines kalkulatorisch berucksichtigten Mietniveaus; ebenso bei Errichtung einer umstrittenen emittierenden Anlage (Müllverbrennungsanlage ) etc.

54 So wird der Freiberufler, beispielsweise ein Arzt oder Rechtsanwalt. der eine Tätigkeit aufnimmt und eine Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt, dabei von der Erwägung geleitet sein, daß er einer nachhaltigen Tätigkeit im Falle einer Krankheit oder eines Unfalles nicht mehr nachkommen kann. Sollte sich tatsächlich zu einem Zeitpunkt, in dem sich seine Anfangsinvestitionen (Arztpraxis) noch nicht amortisiert haben, ein derartiger Unglücksfall ereignen. wird die Finanzverwaltung selbst im Falle der Inanspruchnahme des Versicherungsschutzes das Fehlen der anfänglichen Gewinnerzielungsabsicht nicht annehmen können.

55

BFH BStBI. II 1979. 345 ff.

5"

Weber-Grellet, StuW 198 L 48, 56.

57 RFHE 8, 304. J()5 (vgl. zur ähnlichen Tendenz bei der Einnahmeschätzung einer Prostituierten BFHE 108. 103. 1()5 f); RFHE 10.263; RFH RStBI. 1928. 186; RStBl. 1937, 1088; BFH HFR 1964. 167. 168.

18*

276

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

eigenschaft zur Bejahung der Zulässigkeit eines Vorsteueranspruches des Steuerpflichtigen. Diesbezüglich führte der Bundesfinanzhof aus, daß die "(unbekannte) Person des Leistenden und seine Untemehmereigenschaft ... nicht Gegenstand einer solchen Schätzung sein" könne, "denn hiermit würde in Wirklichkeit ein Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals als vorliegend fingiert. In Fällen dieser Art kann ... nur eine Anwendung der Regeln über die objektive Beweislast in Betracht kommen".58 Auf dieser Basis fällt die Widerlegung der Ansicht, daß eine Grundlagenschätzung durch § 162 AO nicht ermöglicht werde, leicht. Wenn der Bundesfinanzhof sich mit der Theorie der objektiven Beweislast eingehend auseinandergesetzt hätte, wäre ihm aufgefallen, daß die Wirkung der Beweislastnorm in einer Fiktion des fehlenden Sachverhaltsmerkmals besteht. Auch bei der Beweislastentscheidung würde, gleichgültig, ob sie zu Lasten des Steuerpflichtigen oder zu Lasten der Finanzbehörde ausfällt, ein "fiktiver" Sachverhalt der Besteuerung zugrundegelegt. 59 Fällt die Beweislastverteilung zu Lasten des Steuerpflichtigen aus, würden, genau wie bei einer Schätzung, "die Eingriffsvoraussetzungen reduziert".60 Für eine Beweislastentscheidung zu Lasten des Steuerpflichtigen reicht aus, daß der Sachverhalt nicht vollständig, d.h. zur vollen Überzeugung der Finanzbehörde oder des Gerichts, erfolgen konnte. Zwar wurde der Sachverhalt mittels der Beweislast gewiß gemacht, doch geschieht dies im Schätzungswege aufgrund eines Wahrscheinlichkeitsurteils in gleicher Weise. Die Übereinstimmung zwischen tatsächlich vorgefallenem Sachverhalt und dem Tatbestand als Entscheidungsgrundlage wird von Zufälligkeiten abhängen. Während bei der Schätzung aber eine Anbindung an den Lebenssachverhalt noch gegeben ist, tritt an deren Stelle bei der Beweislastentscheidung die Beliebigkeit des Verteilungskriteriums. 61 Ein

50

BStBI. 11 1979, 345, 347.

59 "Jede Beweislastentscheidung ... ist eben keine Nicht-Entscheidung, sondern ein auf fiktiver Tatsachenfeststellung beruhendes, zu Lasten der feststellungsbelasteten Partei ergehendes ... Sachurteil, daß der geltendgemachte Anspruch besteht oder nicht besteht", Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 113 Rdn. 149 a.E. [Hervorh. im Orig.].

60 Weber-Grellet, StuW 1981,48,56. 61 Deutlich BFH BStBI. 11 1995, 95, 97: "Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung trifft ... die Feststellungslast ... den Steuerpflichtigen insbesondere dann, wenn die aufzuklärenden Tatsachen allein in seiner Verantwortungssphäre liegen." Hier wird in keiner Weise deutlich, ob die Risikozuweisung wegen des Günstigkeitsprinzips (steuerbefreiende Tatsachen) erfolgt, wodurch sich andere Rechtfertigungskriterien doch erübrigen würden, weil die betreffenden Umstände aus seiner Sphäre herrührten (all-

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

277

"partielles" Außerkraftsetzen der Beweislastregeln 62 kann dabei durchaus in Kauf genommen werden, da diese eine "Erfindung" sind, die der gesetzlichen Regelung auf jeden Fall nachrangig wären. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht seine zunächst geäußerte Auffassung, daß es eine objektive Beweislast in Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes nicht geben könne63 , aufgegeben hat 6 \ macht es immer noch deutlich, daß sich Beweislastregeln in das System des jeweiligen Verfahrens einpassen müssen. Hier werden sie aber als Argument gegen ausdrücklich normierte Steuerverfahrensgrundsätze ins Feld gefiihrt, wobei sie den Willen des Gesetzgebers, daß der Rechtsanwender wegen der Notwendigkeit einer Überzeugungserlangung subjektiv verantwortlich fiir seine Entscheidung bleiben müsse, konterkariert. Es muß auch berücksichtigt werden, daß selbst bei emer Schätzung des Grundsachverhaltes der Grad der Übereinstimmung vom konkreten Einzelfall, d.h. den tatsächlichen Möglichkeiten der Finanzbehörde, den Sachverhalt annähernd aufzuklären, abhängt. Bei der Beweislastentscheidung ist eine derartige individuelle Übereinstimmung nicht zu erreichen. Dies wird besonders deutlich, wenn man das Problem der Feststellung der Unternehmereigenschaft für die Anerkennung des Vorsteuerabzugs betrachtet. Sollte diese Eigenschaft nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (Gewißheit) zur Überzeugung der Finanzbehörde feststehen, läge auch nach Ansicht des Bundesfinanzhofes und der ihm insoweit folgenden Auffassung der Literatur ein non

gemeiner Sphärengedanke) oder weil sie so in seiner Sphäre lagen. daß überhaupt kein anderer (Dritter!) diese Umstände wahrnehmen konnte. Letzteres müßte man dem BFH wegen des Gebrauchs des Wortes "allein" wohl unterstellen. Diese Beweislastverteilung beschränkt sich dann aber nicht auf steuerbefreiende oder -mindernde Tatbestandsmerkmale, sondern müßte immer gelten; das erscheint aber als offensichtlich zu weitgehend, weswegen der BFH dort (innere Tatsachen liegen immer "allein" in der Sphäre des Steuerpflichtigen) auf "das nach außen Erkennbare". also auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil, abstellt und damit ein (Nicht-)Vorliegen des Tatbestandsmerkmals fingiert. Extrem auch FG Münster, EFG 1986. 211. das eine Beweislastumkehr mit dem Sphärengedanken rechtfertigt und zusätzlich noch die Beweisvorsorgeptlicht aus § 90 Abs. 2 AO heranzieht: Die Begründung ist derart konstruiert. daß eine Schätzung des Grundsachverhaltes (Zinseinkünfte) anhand der Umstände in jeder Hinsicht überzeugender ist. 62

Weber-Grellet, StuW 1981. 48. 56.

63

BVerfGE 1, 299, 3/6 flir das Verfahren vor dem BVerfG.

64

So z.B. BVerfGE 69, 188, 206 flir das Steuerverwaltungsverfahren.

278

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

liquet vor6S ; eine Schätzung der Besteuerungsgrundlage "Unternehmereigenschaft" müßte ausscheiden. Hat aber die Ermittlung des Sachverhaltes Argumente daflir gebracht, daß die Leistung mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit von einem Unternehmer erbracht wurde, bleibt flir diese konkrete Entscheidung keine Möglichkeit der Berücksichtigung. Da die objektive Beweislast flir die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers beim Steuerpflichtigen läge, weil der Vorsteuerabzug einen ihm günstigen Umstand darstellt, müßte ihm dieser versagt werden und dies, obwohl die dann gefällte Entscheidung nach Ansicht der Finanzverwaltung den wirklichen Lebenssachverhalt weniger wahrscheinlich träfe als die Anerkennung der Unternehmereigenschaft und damit die Zulässigkeit des Vorsteuerabzugs. Die Besteuerung erfolgte in einem solchen Falle aufgrund einer wesentlich unsichereren Basis als bei Durchführung einer Grundlagenschätzung. Das Argument, daß bei einer Schätzung die Eingriffsvoraussetzungen reduziert würden, kann daher im Hinblick auf eine Beweislastentscheidung in keiner Weise überzeugen; diese Voraussetzungen sind vielmehr erheblich strenger als bei der Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast, die zudem den fragwürdigen "Vorteil" hat, der Behörde oder dem Gericht weitere Ermittlungsarbeit zu ersparen.

4. Das Vorliegen einer Rege/ungs/ücke Nach der Darstellung der Auslegungskriterien zur Bestimmung des Schätzungsumfanges und den Abgrenzungen der Auswirkungen von Schätzung und Beweislastentscheidung ist nochmals ein Eingehen auf die methodische Absicherung der Beweislastentscheidung gegenüber der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen erforderlich. Für die vorliegende Arbeit rechtfertigt sich die systematisch hintangestellte Prüfung der Notwendigkeit einer Beweislastentscheidung durch die "faktische Kraft" der überwiegend angenommenen Zulässigkeit einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast. So stellt sich die Frage, ob das Gesetz eine Regelungslücke enthält, die im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung durch das Institut der objektiven Beweislast geschlossen werden darf. 66 Die Problematik wird evident, wenn

~5 BFH BStBI. II 1979,345.347; Weber-Grellet. StuW 1981,48.56; Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 52. 66

Ein anderes Verständnis läßt sich nur gewinnen, wenn die objektive Beweislast als

A Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

279

man die Diskussion um die Zulässigkeit der Grundlagenschätzung in ihren methodischen Auswirkungen betrachtet und den Blick nicht allein auf die sich jeweils ergebende Anwendungsbreite von Schätzung oder Beweislast verengt. Vor die Rechtsfortbildung muß systematisch zunächst die Auslegung des Gesetzes treten. 67 Die Rechtsfortbildung setzt das Bestehen einer (pIanwidrigen) Regelungslücke 68 voraus. 69 Daher ist zunächst zu fragen, ob das Steuer(verfahrens)recht die Non-liquet-Situation übersehen und daher nicht geregelt hat oder ob es zumindest eine unvollständige Regelung enthält; äußerst bedenklich wäre dagegen ein Vorgehen, daß eine gesetzliche Regelung, die die Nichterweislichkeit von Tatsachen (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) betrifft, zunächst restriktiv ausgelegeO wird, um die sodann aufgetretene Lücke

allgemeines, generelles und unabhängig von der Schätzungsmöglichkeit und -befugnis existierendes, gewohnheits1f!chtliches Rechtsinstitut aufgefaßt wird; insofern ließe sich behaupten, daß keine Lücke vorliege, sondern zwischen objektiver Beweislast und Grundlagenschätzung ein Spezialitätsverhältnis bestehe, so daß bei Einschränkung des Schätzungsrahmens nur das allgemeine Institut der gewohnheitsrechtlich bestehenden objektiven Beweislast zur Anwendung gelange. Bei Vorliegen von Gewohnheitsrecht beste.he aber keine Gesetzes- bzw. Regelungslücke, vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 29 f Gegen ein solches Verständnis spricht, daß die Schätzung nicht in einem Spezialitätsverhältnis zur objektiven Beweislast steht. sondern auf einer ganz anderen Ebene ansetzt (Beweiswürdigung/Überzeugungsbildung) und sich daraus die Subsidiarität der objektiven Beweislast erklärt: dagegen spricht auch. daß die objektive Beweislast im Gegensatz zur Schätzung vom Gesetzgeber regelmäßig nicht mitbedacht wird (Bettermann. Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, E 26. 38; Musielak, ZZP 100 (1987), 387. 40/: Martens. StuW 198 L 322, 330: Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 17b; BFH BStBI. II 1971,220.224; 11 1979,482,487) und den Schätzungsrahmen somit nicht beeinflussen darf und daß die objektive Beweislast bei gesetzlicher Regelung der Schätzungsbefugnis zunächst abgelehnt wurde und auch jetzt zu uneinheitlich beurteilt wird, so daß von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung nicht ausgegangen werden kann (ausdrücklich bzgl. ihrer Ausgestaltung und dem Geltungsgrund im öffentlichen Recht sogar Nierhaus. Beweismaß. S. 227 f.. 230 ff). 67 Larenz, Methodenlehre. S. 312 ff.. 366 ff.. 426. Auch Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 92, weisen eine "Auslegung gegen den Wortlaut" der (abändernden) Rechtsfortbildung zu. 6K Bzw. einer Rechtslücke. da ein Rechtsinstitut fehlt. vgl. Larenz. Methodenlehre. S. 375 f

69

Larenz, Methodenlehre. S. 370 ff.; Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 113.

70

Hierzu Larenz, Methodenlehre. S. 40 I f AA. Tipke/Kruse. § 4 AO Rdn. 111, 133,

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

280

mittels gesetzesergänzender Rechtsfortbildung 71 durch die objektive Beweislast zu schließen. In diesem Fall würde - unabhängig von der Frage, ob es nicht auch unausftillbare Rechtsverweigerungslücken geben kann 72 - die Lücke erst geschaffen. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, daß die Rechtsfortbildung wegen der Bedeutung des Vorrangs des primären Gesetzes an besondere Voraussetzungen gebunden ist 73 , zum anderen, daß die entstehende Lücke im vorliegenden Falle gerade nicht durch eine Analogie 74 geschlossen wird. Zunächst ist festzuhalten, daß das Steuerverfahrensrecht auch außerhalb materiellrechtlicher Teilregelungen, die die Möglichkeit der Unaufklärbarkeit im Einzelfall in Betracht ziehen, die fehlende Gewißheit berücksichtigt hat. So wurde oben nachgewiesen, daß in Form der vorläufigen Steuerfestsetzung eine Regelung existiert, die eine Sachentscheidung trotz fehlender Gewißheit in einem weiten Bereich ermöglicht. 7 ) Auch durch die Schätzung findet die fehlende tatsächliche Ermiulungs- und Berechnungsmöglichkeit von Besteuerungsgrundlagen eine normative Erfassung. Bereits hierdurch unterscheidet sich das Steuerrecht von anderen Rechtsgebieten. Während das Zivilrecht in § 193 Erster Entwurf BGB und § 282 BGB die Beweis/ast mitbedachte, erkennt das

die die "einengende Auslegung" bereits dem Bereich der Rechtsfortbildung zuordnen; dem dürfte allerdings nur dann zuzustimmen sein, wenn ein entgegenstehender (subjektiver) Wille des Gesetzgebers definitiv vorliegt. Die Ansicht von Tipke/Kruse "kaschiert" entgegen eigener Einschätzung einen potentiellen Wertungswiderspruch zwischen Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist unbrauchbar bei unbestimmten konkretisierungsbedürftigen Rechtsbegriffen. Vgl. auch BFH BStBI. II 1992, 167, 172. 71

Nierhaus, Beweismaß, S. 235; kritisch zu solchem Vorgehen Tipke/Kruse, § 4 AO

Rdn. 119, 131 f. 72 Bejahend Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 172 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 40 I f. 7)

Larenz, Methodenlehre, S. 323.

Die Analogie "sprengt" insofern die Grenzen eines zu engen Wortlauts; deutlich Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 133. Die Zulässigkeit einer steuerverschärfenden Analogie braucht hier nicht weiter problematisiert zu werden (hierzu Weber-Grellet, StuW 1993, 195, /97); entscheidend ist herauszustellen, daß durch die Rechtsfortbildung in diesem Fall bewußt von den gesetzlich vorgegebenen Kriterien (Wahrscheinlichkeitsurteil und Anbindung an den wirklichen Sachverhalt. kein Eingriff bei vorläufiger Unaufklärbarkeit) abgewichen werden soll. 74

7;

Vgl. oben I. Teil B. 111. 2.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

281

Steuerrecht generell die Non-liquet-Situation. Eine planwidrige Unvollständigkeit der verfahrensrechtlichen Regelungen läßt sich demzufolge nur dann feststellen, wenn der mögliche Wortsinn 76 des § 162 AO einer Auslegung entgegensteht. Wie bereits oben dargestellt wurde 77 , stehen sich die Auffassungen über die Grenzen des möglichen Wortsinns des Begriffs "Schätzen" i.S.v. § 162 AO nahezu unversöhnlich gegenüber. Daher soll an dieser Stelle auch kein neuerlicher Versuch unternommen werden, mittels der wörtlichen Auslegung das Problem des Umfangs der Grundlagenschätzung zu lösen; neue Impulse für die Lösung des Problems sind daraus nicht zu erwarten. Allerdings sei den Ansichten, die eine Grundlagenschätzung wegen Überschreitens der Grenzen des möglichen78 Wortsinns ablehnen, ein weithin unberücksichtigtes Argument entgegengehalten: Sowohl der AO-Gesetzgeber in jüngerer Zeie9 wie auch der Reichsfinanzhof in dauernder Rechtsprechung SO legten der Schätzungsbefugnis eine weite Wortlautinterpretation zugrunde; allein diese Tatsache schließt zwar eine eventuelle Fehlerhaftigkeit dieser Ansicht nicht aus. Dennoch ist wohl nicht zu leugnen, daß es sich bei bei den "Institutionen" um gesellschaftlich relevante Größen handelt, aus deren Auffassung von den Möglichkeiten der Interpretation des Schätzungsbegriffs ein sehr starkes Argument flir den möglichen Rahmen des zumindest interpretationsfähigen, d.h. aber auch offenen Begriffs "Schätzen" gewonnen werden muß. SI

76

H.M., vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 320 f., 354; Canaris, Die Feststellung von

Lücken im Gesetz, S. 22 f; für das Steuerrecht Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 111 m.w.N. 77

Oben A. 11. 2.

7K

Vgl. auch Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 22: Soweit sich die

Entscheidung "noch irgendwie mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbaren läßt, reicht auch die Autorität des vom Gesetzgeber Angeordneten"; noch weiter BFH BStBl. 11 1980, 119, 120, wodurch aber der "Rahmen" der Andeutungstheorie verlassen wird. Kritisch hinsichtlich der Vernachlässigung der Teleologie bei positivistisch-Iegalistischer Grundhaltung des BFH Lang, StuW 1992, 14,22. 79

Vgl. BT-Drs. VI11982, S. 147.

KO

RFHE 8, 304, 305; RFH RStBI. 1928, 186; 1937, 1088.

KI

Auch wenn dem Grimm'schen Wörterbuch daher eine andere Ansicht entnommen

werden kann (Weber-Grellet, StuW 1981, 48, 56 mit Fn. 70), steht dies allein der Interpretationsfahigkeit des Schätzungsbegriffs nicht entgegen. Das sehr viel "präzisere" Argument Schicks (Der Begriff der Besteuerungsgrundlage, S. 56), daß die mögliche weite Bedeutung des Begriffs "Schätzen" i.S.v. "glauben, vermuten, meinen" allein i.Y.m. " ... schätzen, daß ... " verwendet wird, § 162 AO aber gerade nicht in diesem

282

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Wenn der Grundlagenschätzung aber durch die restriktive Auslegung des Wortlauts ihre Grenzen aufgezeigt worden sind, so ist damit hinsichtlich der Frage der objektiven Beweislast keineswegs durch Nachweis einer "Regelungslücke" Genüge getan. Im Gegenteil setzen nun erst die systematischen Probleme ein. Die Lücke, die durch die Ablehnung der Grundlagenschätzung aufgerissen wird, kann nämlich nur durch eine methodisch korrekte und zulässige Rechtsfortbildung geschlossen werden. Für das Steuerrecht müßte zusätzlich die Besonderheit berücksichtigt werden, daß "im Wege der Rechtsfortbildung ... über den möglichen Wortsinn des Gesetzes hinaus keine neuen Steuertatbestände geschaffen werden" dürfen. 82 Da der objektiven Beweislast aber zumindest mittelbar materiellrechtliche Wirkung zukommt83 , weil das materielle Steuergesetz gerade keine Anweisung fur seine Anwendung im Falle eines non liquet enthält, müßte sich nach dieser wohl überwiegenden Meinung eine Schließung der durch die Ablehnung der Grundlagenschätzung entstandenen Lücke mittels Rechtsfortbildung verbieten. Eine Entscheidung dieser Frage kann aber dahin-

Sinne formuliert ist. kann. wie schon beschrieben, nicht vollständig überzeugen: So wird gemäß der h.M. nicht nur die Höhe bzw. Dauer von beruflich veranlaßten Telefongesprächen, sondern auch deren \brliegen geschätzt es wird geschätzt (vermutet), daß der Steuerpflichtige Telefonkosten in der und der Höhe aufgewendet hat, BFH BStBI. II 1979, 149, 150; 11 1981, 131, 133; II 1986, 200. 206. Auch hat der BFH keine Bedenken, die Höhe der Einnahmen einer Prostituierten zu schätzen, BFHE 108, 103, 105/; eine "Berechenbarkeit" deren Einnahmen setzt aber zweifelsohne das Feststehen des (jeweiligen) Grundsachverhaltes voraus. von dessen genauer Kenntnis durch die Finanzbehörde kaum ausgegangen werden kann. Allein problematisch ist in Wahrheit die Frage. wie groß oder weit die Schätzungsgrundlage überhaupt sein muß, um vernünftigerweise darauf einen "überzeugenden" Wahrscheinlichkeitsschluß aufbauen zu können (Tipke/Kruse. § 162 AO Rdn. 2), wieviele Gespräche oder "Dienstleistungen" also dem Grunde nach feststehen müssen, um die Höhe aller beruflich bedingten Telefonaufwendungen bzw. Einnahmen schätzen zu können. Dies ist aber ein "Schätzungsinnenproblem" und kann daher nicht gegen die Zulässigkeit der Grundlagenschätzung als solcher angefiihrt werden. K2 H.M., vgl. Tipke/Kruse. § 4 AO Rdn. 121 mit umfangreichen Nachw.; Klein/ Orlopp, § 4 AO Anm. 8; Papier. Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte. S. 171 ff.; BVerfGE 13,318,328; E 26,327,335/; BFH BStBI. 11 1969.550,552; II 1970,747, 749. K3

Nierhaus, Beweismaß, S. 220; vgl. auch Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 17c a.E.

Bedenklich daher auch Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 98. wenn man die "Ermöglichung" einer Gerichtsentscheidung nicht rein instrumental versteht.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

283

stehen, wenn auch bei Annahme grundsätzlicher Zulässigkeit der Rechtsfortbildung über den Wortlaut des Gesetzes hinaus diese die Lückenschließung durch die Anwendung der Regeln der objektiven Beweislast nicht trägt. 84 Deshalb sind zunächst die Möglichkeiten gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung zu prüfen. Wenn auch die Auslegung die nächste und eigentliche Aufgabe der Gerichte ist85 , so ist anerkannt, daß die Rechtsfortbildung die Fortsetzung der Auslegung darstellt und ebenfalls in der Kompetenz einer verantwortungsbewußten Rechtsprechung liegt. 86 Es wird hierbei betont, daß die Übergänge zwischen (erweiternder) Auslegung und Rechtsfortbildung durchaus fließend sein können. 87 Als Mittel der Rechtsfortbildung kommen dabei die Analogie, die Entscheidung aufgrund eines im Wege der Verallgemeinerung einer Regel gefundenen Prinzips (Gesamtanalogie), die teleologische Reduktion und Extension in Betracht. 88 Im Falle der durch eine restriktive Auslegung der Schätzungsbefugnis entstandenen Lücke und ihrer Schließung durch die Regeln der objektiven Beweislast scheidet zunächst die teleologische Reduktion und Extension aus, da diese das Vorliegen einer verdeckten Lücke89 überbrücken sollen. Solche Lücken liegen allerdings nur dann vor, wenn der Wortlaut einer Nonn

84 Zu betonen ist, daß eine analoge Anwendung von Verfahrensvorschriften (des Steuerrechts) für möglich gehalten wird (Tipke/Kruse. § 4 AO Rdn. 121 a.E.), einer Ausdehnung der Schätzungsbefugnis des § 162 AO auf den Grundsachverhalt das Verbot daher nicht entgegengehalten werden kann. Die Beweislastnormen werden dagegen überwiegend dem materiellen Recht zugeordnet, was unter Zugrundelegung der angeführten Ansicht gegen eine Ausdehnung oder Verallgemeinerung im Wege der Analogie spricht. 85

Larenz, Methodenlehre, S. 366.

86

Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 120 m.w.N.: Meincke, StuW 1992, 186; BVerfGE 69,

188,203; E 49, 304, 318; E 34, 269, 287 f

87 Esser, Grundsatz und Norm, S. 255; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 146; Kirchhof, NJW 1986, 2275; Larenz, Methodenlehre, S. 367; vgl. auch Tipkel Kruse, § 4 AO Rdn. 72,111,112; Crezelius, StuW 1981, 117,121,125.

xx Zu Einzelheiten Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff., 397 ff.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 89 ff.; TipkeiKruse, § 4 AO Rdn. 123 ff.; letztem sind hinsichtlich der teleologischen Reduktion und Restriktion, die sie insoweit der "abändernden Rechtsfortbildung" zuordnen, anderer Ansicht, was allerdings wenig überzeugt (a.a.O., Rdn. 117, 133). 89

Larenz, Methodenlehre, S. 391 ff.

284

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

zunächst eine abschließende Regelung beansprucht, die Anwendung der Nonn aber über das Ziel der gesetzlichen Regelung hinausschießt, so daß eine Einschränkung geboten erscheint. Gleiches gilt fur die teleologische Extension; entscheidend ist, daß hierbei vom Wortlaut der Regelung her eine Lücke zunächst nicht feststellbar ist. Gegen die Zulässigkeit der Grundlagenschätzung wurde aber eine Einschränkung des Wortlauts als Argument angeführt, so daß gerade keine verdeckte, sondern eine offene Regelungslücke in Fällen nicht quantifizierbarer Besteuerungsgrundlagen gegeben ist. Als Mittel der Lückenausfüllung bietet sich daher allein die Analogie an. Hierbei kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Rechtsfortbildung (im Verwaltungsrecht) nur zulässig ist, "wenn festgestellt werden kann, welche Regelung der Gesetzgeber getroffen haben würde, wenn er den zu regelnden Sachverhalt selbst nonniert haben würde".90 Gleichzeitig verdeutlicht dies einen weiteren Aspekt der Problematik: Während die Zulässigkeit der Grundlagenschätzung aus systematischen Gründen 91 oder wegen der Grenzen des möglichen Wortsinns 92 abgelehnt wird, ist dies allein auf die Ebene der Auslegung beschränkt. 93 Die Konsequenz dieser Auffassung fur die Beweislast wird dagegen nicht gezogen. 94 Die Schließung der entstehenden Lücke durch gesetzesimmanente Rechtsfortbildung nach Maßgabe dessen, was der Gesetzgeber selbst geregelt hätte, wäre ihm dieser

90 Mathias Huber, Die Folgen rechtswidriger Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, S. 26 unter Hinw. auf BVerwGE 11, 263, 264; E 45, 85, 90; Larenz, Methodenlehre, S. 375: Das Fehlen einer bestimmten, nach dem Regelungsplan oder dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes zu erwartenden Regel. Vgl. auch Klein/Orlopp, § 4 AO Anm. 8; RFHE 22,23,25/; E 27, 67,70/; E 28, 49, 51; E 29,297,299; BFH BStBI. III 1961, 346,347; III 1961,433,434; III 1962,78, 79; III 1964,546,547; III 1966,222; II 1972,866,867; II 1977,24,25; II 1984,315,316; II 1984,463,464/; auch in den eine objektive Tendenz aufweisenden Urteilen BStBI. II 1973, 782, 784; II 1980, 190, 192, will der Bundesfinanzhof den "sonst erkennbaren Willen" berücksichtigen. 91

TipkelKruse, § 162 AO Rdn. 2a.

92 Schick, Der Begriff der Besteuerungsgrundlage, S. 56 ff.; H.-W Bayer, Liebhaberei im Steuerrecht, S. 153; ders., Grundbegriffe des Steuerrechts, S. 139 Rdn. 296; Birkenfold, Beweis und Beweiswürdigung, S. 124.

93 Zur Unzulässigkeit einer hier nicht einschlägigen "ausdehnenden Auslegung", die in Wahrheit materielle Rechtsfortbildung darstellt, vgl. TipkelKruse, § 4 AO Rdn. 111. 94

Deutlich Schick, Der Begriff der Besteuerungsgrundlage, S. 58 ff.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

285

Bereich bewußt gewesen oder hätte er die Wortlautgrenze bemerkt, müßte durch eine Analogie zu § 162 AO erfolgen. Notwendigkeit und Zulässigkeit der Rechtsfortbildung zur Abwendung einer Rechtsverweigerung95 vorausgesetzt, müßte bereits die Einzelanalogie in Nachzeichnung des gesetzgeberischen Planes zur Annahme der Grundlagenschätzung fUhren, da den Gesetzesmotiven 96 die gewollte Zulässigkeit der Grundlagenschätzung eindeutig zu entnehmen ist und die Materialien sich allein wegen der Wortlautgrenze nicht durchzusetzen vermögen. Gerade die prinzipielle Gleichheit97 von Auslegung und gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung erfordert (zunächst) eine strikte Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens, wollen die Gerichte sich nicht a priori dem Vorwurf aussetzen, über ihre "eigentliche Aufgabe" der Auslegung hinaus in den Bereich der Gesetzgebung als komplementärer Gewalt einzubrechen. Sicherlich muß die Ansicht des Gesetzgebers nicht als absolute Grenze angesehen werden, da gewichtige verfassungsrechtliche oder andere rechtsstaatliehe Gesichtspunkte im Einzelfall auch gegen eine Rechtsfortbildung nach dem vom Gesetzgeber allgemein vorgezeichneten Weg sprechen können. Praktikabilitätsaspekte und Effizenzgesichtspunkte allein dürften dafür aber nicht ausreichen 98 , da dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht ein weiter Entscheidungsspielraum zusteht. 99 So können die vermeintliche Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Beweislastentscheidung (wenn die Beweislast nicht im Einzel-

95

Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 59, 144 ff.

96BT-Drs. VII1982, S. 147. 97 Larenz, Methodenlehre, S. 367 Fn. I unter Hinw. auf Esser, Grundsatz und Norm, S.255.

98 So weisen auch Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 80b, darauf hin, daß der Praktikabilität nur eine Hilfsfunktion bei der Ermi~lung des normativen Gesetzessinnes bzw. des mutmaßlichen Willens des Gesetzgebers zukommen kann. 99 Vgl. für den Entscheidungsspielraum hinsichtlich Steuergegenstand und Steuersatz jüngst BVerfG, BStBI. II 1995, 655, 660; vgl. auch BVerfGE 6, 55, 81; E 13, 181, 202f; E 19,119,125; E 21,12, 26f; E 26, 302, 310; E 31, 8, 25f; E 31,119,130; E 49, 343, 360 f; E 50, 57, 77; E 87, 153, 170. Eine weitgehende Gestaltungsfreiheit räumt das BVerfG dem Gesetzgeber allgemein ein in E 9, 201, 206; E 11, \05, 123; E 12,341,348; E 14,221,238; E 15, 167,201; E 21,6,9; E 21,73,84; E 32, 157, 167 f; E 45, 376, 387; E 48, 281, 288; E 49,192,208; E 50,177,191; E 52, 277, 281; E 71, 364, 384. Die Zurückhaltung des BVerfG wird auch deutlich in E I, 14,32: Das Gericht habe "nur die Rechtmäßigkeit einer Norm, nicht auch ihre Zweckmäßigkeit nachzuprüfen" .

286

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

fall "ausnahmsweise" aus wiederum höherwertigen Gesichtspunkten umgekehrt wird) und das ihrer Verteilung überwiegend zuerkannte Gerechtigkeits- und Billigkeitsprinzip als Ausdruck der fundierten allgemeinen Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft und als dem Maßstab der praktischen Vernunft entsprechend qualifiziert werden loo ; die Zuordnung dieser Kategorien zum Recht in ihrer Verbindung mit dem (geschriebenen) Gesetz fUhren zwar zu einer grundsätzlichen Bindung des Richters (Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit allerdings der geäußerte Wille des Gesetzgebers selbst nicht gegen Gesetz und Recht verstößt, kann es dem Gericht nicht erlaubt sein, Rechtsfortbildung gegen den gesetzgeberischen Willen vorzunehmen. In diesem Zusammenhang darf jedenfalls das (widerlegte IOI ) Argument des Bundesfinanzhofes, die Grundlagenschätzung fUhre zu einer Besteuerung fiktiver Sachverhalte, nicht verfangen, da auch und gerade die Beweislastentscheidung zu einer Abkoppelung des Lebenssachverhaltes von dem Entscheidungstatbestand fUhrt und damit systemimmanent fiktive Sachverhalte besteuert (Fiktionstheorie).102 Geradezu umgekehrt lassen Analogie und Gesamtanalogie im Hinblick auf das Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, das (abgestufte) Wahrscheinlichkeitsurteil in den unbestrittenen Fällen, in denen die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können, eine zulässige Typisierung l03 und auch der Gebrauch von Anscheins- und Indizienbeweisen nur den Schluß zu, daß eine Anbindung des Entscheidungstatbestandes an den Lebenssachverhalt dem Grundprinzip des Steuer(ermittlungs)verfahrens entspricht. Die ausdrücklichen Beweislastnormen im Steuerrecht haben dagegen Ausnahmecharakter und sind überwiegend mit einer Aussetzung oder doch

100

BVerfGE 34, 269, 287 unter Hinw. auf BVerfGE 9, 338, 349.

101

Oben A. 11. 3.

102 Vgl. BFH BStBI. 11 1979, 345, 347; auch Nierhaus, Beweismaß, S. 178, spricht deutlich an, daß die Beweislastnormen "als ergänzender Rechtssatz den Richter im Wege bestimmter Sachverhaltsannahmen" ermächtigen, bestimmte Rechtsfolgen auszusprechen.

103

Hierzu unten B. III., IV. Vgl. auch Rittler, DB 1987, 2331 unter Hinw. auf

BVerfGE 35, 283, 293; Weber-Grellet, StuW 1981,48, 58f; Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 136; eine weitreichende Typisierung durch den Gesetzgeber wird vom BVerfG in st. Rspr. zugelassen: Für das Steuerrecht vgl. BVerfGE 13,331,341; E 21,12,27; E 26, 172, 185 f; E 31, 8, 16. 26; E 31, 119, 131; E 63, 312, 326; E 82, 60, 95 ff.; E 87, 153, 172. Allgemein bei der "Ordnung von Massenerscheinungen": BVerfGE 17, 1,23; E 63, 119,128; E 79, 87,100; E 80,109,118; E 82,126,151 f; E 85,191,211; E 85, 264,

317.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

287

erheblichen Modifikation des Untersuchungsgrundsatzes verbunden. lo4 Vor allem letzteres steht der Verallgemeinerung zu einem generellen, gegebenenfalls sogar neben der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen 105 bestehenden Prinzip entgegen. Im Rahmen der Rechtsfortbildung kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Steuergesetzgeber bei der Abfassung der materiellen Steuernormen die objektive Beweislast nach allgemeiner Ansiche o6 nicht mitbedacht hat und sich ein aus ihnen ableitbares verallgemeinerungsfähiges Prinzip somit nicht gewinnen läßt. Darüber hinaus muß hier der Umstand Eingang finden, daß wegen der Andersartigkeit der Prozeßrechtsverhältnisse Regelungen der ZPO (bzw. § 193 Erster Entwurf BGB) zur Rechtsfortbildung im Besteuerungsverfahren nicht herangezogen werden können und die Analogie zur objektiven Beweislast im Zivil(prozeß)recht sich somit verbietet. lo7

104 Hierzu ausführlich oben 2. Teil C. 11. V gl. auch Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 17, die explizit davon ausgehen, daß Steuerverfahrens- und Prozeßrecht den Beweisnotstand zu verhindern suchen. Eine Fortschreibung des gesetzesimmanenten Systems (vgl. dies., § 4 AO Rdn. 113) müßte daher zunächst an den vorgegebenen Regelungen ansetzen. 105

Insoweit unklar Tipke/Kruse, § 165 AO Rdn. 3; BFH BStBI. 11 1995, 95, 97.

106 Vgl. Bettermann, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, E 26, 38; Musielak, ZZP \00 (1987), 385, 401; Martens, StuW 1981, 322, 330; Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 17b; auch BFH BStBI. 11 1979, 482, 487, betont, daß "eine gesetzlich festgelegte Regelung der sogenannten Feststellungslast" für den Steuerprozeß fehle; a.A. Ui?berGrellet, StuW 1981,48,57; hinsichtlich des allgemeinen Verwaltungsverfahrens offensichtlich Pestalozza, Festschrift Boorberg Verlag, S. 185, 195.

107 Mathias Huber, Die Folgen rechtswidriger Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, S. 26 f., unter ausdrücklicher Betonung des fehlenden Über-/Unterordnungsverhältnisses: Die verfahrensübergreifende Analogie sei nur zulässig, wenn keine wesentliche Regelung zu ergänzen sei, der Kernbereich der Gesetzgebung also nicht angetastet werde. Da hier ein Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers ohne Anbindung an den tatsächlichen Lebenssachverhalt im Raume steht, werden materielle Eingriffstatbestände durch die objektive Beweislast erst geschaffen, was deutlich daran zu erkennen ist, daß das materielle Gesetz gerade keine Anweisung für seine Anwendung oder Nichtanwendung (Rechtsfolgenanordnung) im Falle des non liquet enthält (Nierhaus, Beweismaß, S. 220: besondere Beweislastnormen sind "der Grund für die Nichtanwendung einer Norm"). Mit dem Hinweis darauf, daß die Beweislastnormen die Tatbestandsgebundenheit der Rechtsfolge ermöglichen sollen, ist es dagegen nicht getan (so Nierhaus, Beweismaß, S. 163 f., 198). Diese Entscheidung ist dem Gesetzgeber vorbehalten. Zur Betonung der Tatbestandsmäßigkeit des Steueranspruchs im Hinblick auf Auslegung und Rechtsfortbildung Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 111.

288

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung läßt sich die durch die restriktive Auslegung des § 162 AO entstandene Lücke demzufolge nicht überzeugend schließen. Fraglich bleibt somit, ob die Rechtsfrage der Sachentscheidung bei Vorliegen eines non liquet in der Tatfrage mittels einer gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung geschlossen werden kann. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, "daß die Frage weder im Wege einfacher Gesetzesauslegung noch einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung in einer Weise gelöst werden kann, die den Mindestanforderungen genügt, die sich aus einem unabweisbaren Bedürfnis des Rechtsverkehrs, der Forderung nach Praktikabilität der Rechtsnormen, der Natur der Sache und den der gesamten Rechtsordnung zu Grunde liegenden rechtsethischen Prinzipien ergeben. Die Unmöglichkeit einer diesen Anforderungen gerecht werdenden Lösung im Wege gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung muß außer Zweifel stehen."108 Daher ist die Frage, ob nicht durch eine weite Auslegung des Begriffes "Schätzen" eine gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung "umgangen" werden muß, einer erneuten wertungsmäßigen Betrachtung zu unterziehen. Zuzugeben ist zwar, daß die restriktiven Ansichten konsequenterweise mit der Ablehnung der Grundlagenschätzung diese Hürde überwunden haben; anderenfalls wäre ihr Auslegungsergebnis unrichtig. Dennoch geht es hier nicht "nur" um das richtige Auslegungsergebnis, sondern dieses muß vielmehr hinsichtlich seiner Bedeutung für die über die Konzeption des Gesetzes hinausgehende Unbeachtlicherklärung des gesetzgeberischen Willens zusätzliche Rechtfertigungselemente tragen. Daher gebietet sich aus Gründen des Respekts vor der primären Zuständigkeit des Gesetzgebers eine Besinnung auf die Stringenz des Ergebnisses der wörtlichen Auslegung. Eine ähnliche Kontrollfunktion hinsichtlich der richterlichen Zurückhaltung betreffend die Korrektur des gesetzgeberischen Willens kommt der teleologischen Betrachtung des Gesetzesplanes im Rahmen gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung zu. Eine gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung kann somit nicht allein von einem praktikablen, gerechten und allgemein Zustimmung erfahrenden Ergebnis getragen werden, sondern muß gegenüber der Nicht_ 109 oder Andersregelung" O ein "unabweisbares Bedürfnis des Rechtsver-

108

Larenz, Methodenlehre, S. 426.

109 Regelungs- bzw. Rechtslücke. 110

Grundlagenschätzung als Wahrscheinlichkeitsurteil.

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

289

kehrs .. 111 befriedigen. Eine Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweis last kann dies gegenüber der Grundlagenschätzung nicht: Ein unabweisbares Bedürfnis nach der generellen Möglichkeit der Beweislastentscheidung besteht nicht. So hat sich zum einen gezeigt, daß durch andere verfahrensrechtliche Instrumente, wie der Schätzung, allgemeinen und speziellen Mitwirkungspflichten 112, der vorläufigen Steuerfestsetzung und ebenso der noch zu betrachtenden Typisierungen 1\3, in der steuerlichen Verfahrensordnung der denkbare Anwendungsbereich der objektiven Beweislast gegenüber dem Zivilprozeßrecht bereits verschoben bzw. in einen Randbereich 1l4 zurückgedrängt wird. Das Beispiel des Strafrechts, das als Eingriffsrecht eine prinzipielle Strukturgleichheit mit dem Steuerrecht aufweist, zeigt, daß ein Rechtsgebiet auch völlig ohne das konstruktive Hilfsmittel der objektiven Beweislast auskommen kann. 11 5 Ist die Beweislastentscheidung aber auf einen Randbereich beschränkt (z.B. auf nicht quantifizierbare Besteuerungsgrundlagen) und bildet sie in diesem Bereich nur eine ultima ratio l16 , müssen Zweifel an der

111

Larenz, Methodenlehre, S. 426; kritisch Meincke, StuW 1992, 186.

112 Zutreffend daher z.B. BFH BStBI. 11 1989, 462 f.; allerdings betraf dieser Fall steuererhöhende Umstände, so daß die Ablehnung einer Beweislastentscheidung durch Finanzverwaltung (und -gericht) vorgezeichnet war. 113

S. unten B. III., IV:

Martens, StuW 1981, 322, 327 fEin "\brrangverhäJtnis" bejahen Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. llb; Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 16. 114

115 Auf den Meinungsstreit, ob es eine objektive Beweislast im Strafprozeß überhaupt gebe (dagegen KMRlPaulus, § 244 StPO Rdn. 285, 291) und der Grundsatz in dubio pro reo nur eine gesetzliche Beweiswürdigungsregel darstellt oder aber dieser Grundsatz der geradezu klassische Fall einer objektiven Beweislastregel sei (so Maser, In dubio pro reo, S. 95; G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 23), braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden. Denn auch bei Anerkennung eines eigenen Non-liquet-Bereichs zwischen "bewiesen" und "widerlegt" findet eine vorweggenommene verfassungsrechtlich determinierte Gleichstellung (Beweislastverteilung) mit dem Bereich "widerlegt" statt. Eine Beweislastentscheidungdes Rechtsanwenders (Richters) ist daher nicht erforderlich. Mit der Feststellung des Überzeugungsgrades (Regelbeweismaß) ist der Rechtsfolgenausspruch in jedem Fall (dem Grunde nach) vorgegeben.

116 Webe,..Grellet, StuW 1981,48,59; Tipke/Kruse, § 88 AO Rdn. llb; BFH BStBI. 11 1989,462,463; 11 1991,939,941; Berg, VerwaJtungsrechtliche Entscheidung, S. 244; Prütting, Gegenwartsprobleme. S. 153; Nierhaus, Beweismaß, S. 16; vgl. auch Stürner, ZZP 98 (1985),237,255.

19 M. Schmidl

290

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Unabweisbarkeit der Erfassung dieser Fallkonstellation bestehen. Das bereits angeführte Argument, daß anderenfalls das gesamte staatliche Einnahmesystem und die finanzielle Sicherstellung der Staatsausgaben in Frage gestellt werde 1l7 , zeigt, daß gar nicht die Erfassung der verbleibenden Restfälle im Vordergrund steht, sondern der von der Beweislast ausgehende faktische Zwang zur Beweisvorsorge: Grund für die Bejahung der objektiven Beweislast ist das befürchtete steuerliche Verweigerungsverhalten der Bürger und der daraus folgende, erst zukünftig eintretende Einnahmeverlust. "8 Dieses behauptete unrechtmäßige Verhalten kann aber nicht allein unabweisbar durch die objektive Beweislast verhindert werden. Hier bedarf es zunächst Differenzierungen nach den einzelnen Steuerarten und ihren Besonderheiten. So wurde Z.B. für das Einkommensteuerrecht aufgezeigt, daß wegen der vielgestaltigen Nachweispflichten (Beweisführungslast) im wesentlichen die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und die sonstigen Einkünfte "gefährdet" sind. Um das tatsächliche Potential einschätzen zu können, müßten darüber hinaus die Reserven, die insbesondere die Mitwirkungspflichten und die Möglichkeit zur Typisierung bieten, erschlossen werden. "9 Nach alledem erscheint der Bereich möglicher

117 G. Klein, Auswirkungen der unterschiedlichen Beweislast, S. 21: vgl. hierzu bereits oben 3. Teil C. IV 3. (bei Fn. 203).

IIK Dieser Argumentation zufolge könnte die objektive Beweislast der Ersatz für die aus § 171 RAO nicht in die AO übernommene allgemeine Nachweispflicht angesehen werden. Besonders deutlich wird dieser "Lenkungszweck" der objektiven Beweislast und ihrer Verteilung, wenn dieser eine Präventivfunktion beigemessen wird; so in Auseinandersetzung mit der Lehre von der ökonomischen Analyse des Rechts für die Deliktshaftung Th. Möllers. Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Gesundheitsrecht. S. 120 ff. Ein solcher Zweck läßt sich allerdings nicht mit der Funktion der Beweislast. die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes für die Rechtsanwendung zu überbrücken, vereinbaren und verkennt deren dogmatische Grundlagen. 119 Auch bei der Frage der Unternehmereigenschaft zu Zwecken des Vorsteuerabzugs, läßt man mit dem BFH (BStBI. 11 1979. 345) die "Schätzung" dieser Eigenschaft nicht zu, kann die Nichtanerkennung auf § 160 AO (§ 205a AO a.F.) gestützt werden; vgl. allgemein hierzu Tipke/Kruse. § 160 AO Rdn. 6. Gerade auf dieses Abgrenzungsproblem geht der BFH nicht ein. Wenn feststeht, "daß der in der Rechnung Ausgewiesene nicht der wirkliche Lieferer ist" (BFH. BStBl. 11 1979. 345. 347). greift § 160 AO (§ 205a AO a.F.) Platz. Es ist daher rechtstehlerhatl. wenn das Gericht darauf verweist. daß "bei dieser Sachlage" der "Kläger die Folgen aus der ihm obliegenden Beweislast zu tragen" habe. Die Folge der Nichtanerkennung ergibt sich aus der rechts- und ermessensfehlerfreien Anwendung von § 160 AO. die auch die im Urteil behandelten Härteregelungen

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

291

Beweislastentscheidungen tatsächlich doch geringer, als oftmals angeführt wird. Ein unabweisbares Bedürfnis, das im übrigen nicht für den allgemeinen Rechtsverkehr, sondern (allein) auf seiten der Finanzverwaltung bestünde, liegt demzufolge nicht vor. Eine Legitimation zur gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung kann auch dann gegeben sein, wenn die "Natur der Sache" eine Regelung erfordert. So liegt zwar die Möglichkeit des Eintritts einer Non-liquet-Situation in der Natur der Sache, da jede menschliche Sachverhaltsfeststellung in der allgemeinen Erkenntnisfähigkeit ihre Grenzen findet; doch läßt sich daraus nicht "begriffsnotwendig" die Notwendigkeit einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast als einzige "Lösung unter Ausschluß anderer Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern".12o Das Spektrum der Möglichkeiten, die Situation zu vermeiden (Beweismaßsenkung) oder z.B. durch steuerliche Nichterfassung zu lösen (Eingriffsgedanke/Leistungsfahigkeitsprinzip), ist zu breit, um daraus einen natürlichen Schluß zu ziehen. Ebenso können der Gesamtrechtsordnung zugrundeliegende rechtsethische Prinzipien l21 schwerlich zur Rechtfertigung der gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung herangezogen werden. Zwar kann der ursprünglich in § 193 Erster Entwurf BGB verkörperte Grundsatz, daß jeder das Risiko der Beweisbarkeit der Voraussetzungen der ihm günstigen Norm (im Zweifel) zu tragen habe, als an der Gerechtigkeit ausgerichtetes Prinzip bei Vorliegen eines Gleichordnungsverhältnisses angeführt werden, doch steht dem entgegen, daß der Staat in Rechte des Bürgers nur bei Vorliegen einer rechtssatzmäßigen Grundlage und deren tatsächlicher Erfüllung (§ 38 AO) eingreifen 122 darf, sollen die Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat nicht ihre Funktion verlieren; der Bürger braucht seinen materiellen Freiheitsraum demzufolge grundsätzlich nicht zu verteidigen. 123 Darüber hinaus ist der Steuereingriff nur dem Staat günstig. 124 Vermitberücksichtigt. Zum Differenzierungspotential der Rechtsnormen Isensee, Stu W 1973, 199, 200; Crezelius, Steuerliche Rechtsanwendung, S. 214. 120

Vgl. BVerfGE 11,89,99; E 12,205,251; E 22,180,217.

121 Larenz, Methodenlehre, S. 421,426; BVerfGE 34, 269, 287, spricht von "fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft". 122 Steuergesetze bilden "einen besonders empfindlichen Eingriff in die Vermögensund Rechtssphäre der Steuerpflichtigen", BVerfGE 21, 12.27. 123 Vgl. bezüglich der Grenzen flir Hoheitsakte, die belastend in verfassungsmäßig verbürgte Rechtspositionen eingreifen, BVerfGE 63, 343, 356 f; E 43, 242, 286; E 30, 392,402 f; Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 214. 19'

292

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

deckte Subventionen und die "Gegenleistung" der Teilhabe an sozialstaatlichen Gewährleistungen können (begrifflich 125) den Eingriffsvorbehalt nicht ausschließen. 126 So bleibt schließlich noch die Frage zu beantworten, ob die Forderung nach der Praktikabilität der Rechtsnonnen die Schließung der durch Ablehnung der Grundlagenschätzung entstandenen Lücke mittels gesetzesüberschreitender Rechtsfortbildung zu tragen vennag. 127 In diesem Zusammenhang dürften starke Argumente für eine Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast sprechen. Durch Abkoppelung der Sachverhaltsfeststellungen von der tatbestandlichen Entscheidungsgrundlage stünde der Verwaltungsökonomie mit der objektiven Beweislast das generell effektivste Mittel zur Verfügung. Allein konkrete Nachweispflichten, insbesondere in einer Ausgestaltung als Beweisführungslast 128 , oder gesetzliche bzw. sehr starke tatsächliche Vennutungen können einen gleichartigen oder ähnlichen Praktikabilitätsanspruch erheben. Jeder andere Weg zur Sachentscheidung, der wie Z.B. der Indizienbeweis und vor allem auch die Schätzung Ermittlungen notwendig macht, erfordert dagegen höheren Verwaltungsaufwand. Allerdings hängt die Praktikabilität von Rechtsnonnen in erster Linie von ihrer inhaltlichen und verfahrenstechnischen Ausgestaltung ab. Der Vollziehbannachung von Rechtsnonnen durch die Rechtsprechung müssen Grenzen gezogen werden, die die Verantwortlichkeit für die konkrete Belastungsentscheidung beim Gesetzgeber belassen. Der Entscheidungsraum, der den Gerichten dabei originär zusteht, liegt im Bereich der Auslegung. 129 Soweit diese wie auch die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung dazu

124

Zur relativen Günstigkeit als Faktor einer Rechenoperation bereits oben 3. Teil C.

IV: 2. 125

Vgl. § 3 Abs. I S. I AO.

Anders Weber-Grellet, StuW 1981,48,53; vgl. auch dens., StuW 1993, 195 ff., der dort das Spannungsverhältnis zwischen horizontaler und vertikaler Steuergerechtigkeit als Doppelnatur des Steuerrechts hervorhebt. 126

127 Insofern ist bemerkenswert, daß dies der einzige Fall ist, den Larenz, Methodenlehre, S. 4 I3 ff., 426 f., nicht exemplarisch belegt bzw. ausgeführt hat. Kritisch Tipke/ Kruse, § 4 AO Rdn. 80b, die der Praktikabilität nur eine Hilfsfunktion zuweisen. 12K Allerdings regelt diese systembedingt die objektive Beweislast mit, vgl. oben 2. Teil D. I. 129

Dies korrespondiert mit den Entscheidungsmöglichkeiten des Gesetzgebers hinsicht-

A. Fiktionswirkung und Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

293

nicht ausreicht, kann das Praktikabilitätsargument die Gerichte nur dann zur Rechtsfortbildung berechtigen, wenn grundsätzliche Rechtspositionen in Frage stehen; die Sicherstellung ausreichender und vorgegebener Einnahmeerzielung kann dies nicht bewirken. In diesem Falle ließen sich die Gerichte instrumentalisieren. Ihr Bemühen sollte dagegen darauf gerichtet sein, strukturell unvollziehbare materielle Steuernormen l3 O, deren Anwendung nach Maßgabe des Überzeugungsprinzips von vornherein "hoffnungslos" erscheint, nicht durch Anwendung grundsätzl ich verfahrensfremder Prinzipien (Beweislastentscheidung unter Abkoppelung der Entscheidungsgrundlage vorn Lebenssachverhalt) zu stützen. Allein die Finanzrechtsprechung besitzt die Möglichkeit, der beklagten zunehmenden Verkomplizierung des materiellen Steuerrechts vorzubeugen. Wenn der Gesetzgeber, dem die weitgehende Freiheit bei der Findung und Ausgestaltung von Steuertatbeständen in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zuerkannt wird 131, diese Kompetenz in der Weise nutzt, daß die von ihm gesetzten Normen nur den Charakter von Zielvorgaben oder Rahmenvorschriften tragen, dürfen die Gerichte einen so weit gefaßten Konkretisierungsauftrag nicht annehmen; denn ohne einen besonderen Hinweis steht die Erfassung steuerlicher Sachverhalte in verfahrensrechtlicher Hinsicht grundsätzlich unter der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes. Die Sicherstellung der staatlichen Finanzausstattung ist Aufgabe der Finanzverwaltung, nicht der Gerichte. 132 Eine Rechtsfortbildung gegen das Gesetz ist daher gerade im Bereich grundrechtsrelevanter Eingriffsverwaltung nicht tragbar. Aus methodischen Gründen ist daher eine Schließung der Lücke, die durch eine restriktive Auslegung des Schätzungsbegriffs entstehen würde, unter Zuhilfenahme der Regeln der objektiven Beweislast abzulehnen.

lich einer engen oder weiten Umschreibung von Tatbestandsmerkmalen, BVerfGE 21, 73, 79. A.A. offenbar Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 114, ohne allerdings die konkreten Grenzen aufzuzeigen. Im übrigen übergehen sie den primären, an die Verwaltung gerichteten \bllzugsauftrag der Steuergesetze; ein solches \brgehen würde zu problematischem normkonkretisierendem Richterrecht fUhren. 130 Auf das Beispiel des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (BGBl. I 1995, 1250) wurde bereits hingewiesen, vgl. oben 2. Teil D. I. (Fn. 263). 131 Vgl. BVerfG BStBl. 11 1995, 655, 660 (Gründe C.II.l.d); BVerfGE 26, I, 8; weitere Nachw. oben in Fn. 99. 132 Daher betont Wank, ZGR 1988,314,322/; ders., Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 197 ff., 207 ff., zusätzlich den Gesichtspunkt der Gewaltenteilung, des Rechtsstaatlichkeits- und Demokratieprinzips als Maßstab der Rechtsfortbildung.

294

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

B. Die Typisierung, der Anscheinsbeweis und die sogenannten tatsächlichen Vermutungen Eine weitere Erscheinung, die in ihren Auswirkungen und ihrem Zusammenhang mit der objektiven Beweislast einer Betrachtung bedarf, stellen die Typisierungen dar. Dabei soll sogleich herausgestellt werden, daß mit "Typisierung" ein Oberbegriff gewählt wird, der vielfältige, teils völlig unterschiedliche Rechtsinstitute erfassen soll, die in ihren Gemeinsamkeiten, insbesondere in ihren Beziehungen auf den tatsächlichen und rechtlichen Sachverhalt von der objektiven Beweislast abgegrenzt werden müssen. Nach diesem Ansatzpunkt unterfallen der Typisierung die sog. materielle Typisierung (typisierende Betrachtungsweise), die gesetz Iichen (Tatsachen- und Rechts-)Vermutungen, der Anscheinsbeweis l33 sowie die formelle Typisierung einschließlich der tatsächlichen Vermutungen 134. Nur mittelbar wird von dem so verstandenen Begriff der Typisierung das Recht des Steuergesetzgebers erfaßt, Sachverhalte in einer generalisierenden Weise zu Zwecken der Besteuerung zusammenzufassen und demzufolge in gewissen Grenzen vorhandene Ungleichheiten aus Gründen der Einfachheit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung einheitlich zu behandeln 135 ; insoweit erscheint lediglich von Bedeutung, inwieweit der Gesetzgeber seine Typisierungsspielräume der Finanzverwaltung weiterzuvermitteln vermag. 136 Die Untersuchung in diesem Teil soll jedoch nicht der eingehenden Auseinandersetzung mit den einzelnen Rechtsinstituten dienen 137, sondern vielmehr Gemeinsamkeiten herausstellen und gegenüber der Beweislast abgrenzen, um

133

Beweis des ersten Anscheins, Prima-jacie-Beweis.

134 In diesem Kontext ist der Indizienbeweis (Anzeichenbeweis) von Bedeutung. Zum Begriff der formellen Typisierung als speziellem steuerlichen Terminus der tatsächlichen Vermutung H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 67.

135 Tipke/Kruse, § 3 AO Rdn. 34; Kruse, Steuerrecht I, § 2 III 2 c, S. 49; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 61 m.w.N. zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. 136 Hierzu umfassend L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 93 tf., 139 tf.; Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 135 f. Allgemein Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 124 Rdn. 293 ff., 297. 137 Dies muß insofern Spezialuntersuchungen vorbehalten bleiben; vgl. z.B. Prütting, Gegenwartsprobleme; Isensee, Die typisierende Verwaltung; Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit; Arndt, Praktikabilität und Effizienz; L. Osterloh, Gesetzesbindung und Typisierungsspielräume.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

295

Rückschlüsse auf einen eigenständigen, die Beweislast verdrängenden Anwendungsbereich zu gewinnen.

I. Die materielle Typisierung

Das (Einkommen-)Steuerrecht als Massenfallrecht ist im Gegensatz zu anderen dem Untersuchungsgrundsatz unterliegenden Verfahren einem erheblichen Praktikabilitätszwang ausgesetzt, wobei wegen seines Eingriffscharakters 138 dem Verfassungsgrundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung als einem Extrem und der individuellen Leistungsfähigkeit auf der anderen Seite besonderes Gewicht zukommt. Das Ziel, die steuerrelevanten Vorgänge in ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Gehalt zu erfassen (wirtschaftliche Betrachtungsweise) flihrte zu der Tendenz 139 , den Lebenssachverhalt nur bis zu einem gewissen Grade zu ermitteln und ihn sodann in seiner typischen Erscheinungsform als vorliegend der Besteuerung zugrundezulegen. 14o Da nur der typische Sachverhalt zur Besteuerung herangezogen, der individuell bzw. konkret vorgefallene Geschehensablauf dagegen nicht berücksichtigt wurde, führte diese Form der Typisierung nicht zur Besteuerung des wirklichen, sondern eines fiktiven Sachverhaltes. 141 Als Beispiel dieser materiellen, einen Gegenbeweis nicht zulassenden Typisierungslehre kann die Rechtsprechung zu den Ehegattenarbeitsverhältnissen 142

IlK

BVerfGE 13.318.325.

m Zusammenfassend BFH BStBl. III 1957. 2. 3; vgl. auch L. Osterloh. Gesetzesbindung. S. 51 ff. 140 Vgl. RFHE 20, 317, 319; RFH RStBl. 1929.448: RStBl. 1930,265; RFHE 27, 22, 24: vgl. auch BFH BStBI. III 1957.2. 4: Die typische Betrachtungsweise ist ein Prinzip zur Würdigung tatsächlicher I1!rhältnisse im Einzelfall nach Maßgabe der allgemeinen Lebenserfahrung. 141 TipkelKruse. § 4 Rdn. 135: Crezelius. Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 215; ders.. StuW 1981. 117. 121: Papier. Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte. S. 202 ff.• 206; Wennrich. Die typisierende Betrachtungsweise. S. 74; Brockhoff, StbJb 1963/64, 317,337; Fe/ix. FR 1957.313: "Die Steuer [wird] oft nicht auf Grund des faktischen Sachverhalts. sondern einer theoretischen Lebenslage festgesetzt".

142 Ausführlich lsensee. Die typisierende Verwaltung. S. 40 ff.; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 66 ff., 393 ff

296

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

angeführt werden. Diese wurden nicht anerkannt, weil sie nach "Auffassung der Allgemeinheit als typische Gestaltung" nicht anzusehen waren l43 , sondern die Mitarbeit regelmäßig ohne entsprechende Gegenleistung im Rahmen der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft erbracht wurde. 144 Einer materiellen Typisierung hinsichtlich der Ehegattenarbeitsverhältnisse begegnete der Bundesfinanzhof aber im Hinblick auf Art. 3 Abs. I GG zunehmend kritisch. So wies er zunächst darauf hin, daß die typische Betrachtungsweise nicht dazu fuhren dürfe, "über offensichtliche Besonderheiten des Einzelfalls hinwegzugehen und ungleiche Fälle gleichzubehandeln".14s Für die Ehegattenarbeitsverhältnisse vollzog das Gericht aber zunächst noch keine Abkehr, indem es betonte, daß "auf die Typisierung in bestimmten Grenzen nicht verzichtet werden [könne], wenn man nicht die Gleichmäßigkeit und leichte Durchfuhrbarkeit der Besteuerung gefahrden" wolle; deswegen dürfe auch bei der Würdigung von Beziehungen zwischen nahen Angehörigen auf eine Typisierung nicht verzichtet werden: "Der Verzicht auf die typische Betrachtungsweise würde in den hier erwähnten und ähnlichen Fällen zu der Gefahr ungleichmäßiger Behandlung wirtschaftlich gleichgelagerter Fälle und damit zu einer Gefährdung eines Hauptgrundsatzes der modemen Besteuerungspraxis, der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, führen".146 Der endgültige Bruch mit der materiellen Typisierung hinsichtlich der Ehegattenarbeitsverhältnisse erfolgte dann unter stillschweigendem Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Typisierung nicht dazu führen dürfe, "über die Besonderheiten des Einzelfalles hinwegzugehen", daß "also auch die Umstände des einzelnen Falles zu berücksichtigen" seien. Soweit daher tatsächlich ein Arbeitsverhältnis bestehe und auch ernsthaft durchgefuhrt werde, sei dies steuerlich anzuerkennen. 147 Eine Bestätigung dieser Rechtsprechung wurde durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommen, das die Nichtanerkennung von Ehegattenarbeitsverhältnissen als Verstoß gegen Art. 6 Abs. I GG wertete. 148 Dem Hinweis auf den "Hauptgrundsatz der modemen Besteuerungspraxis, der Gleichmäßigkeit der Besteuerung", hielt das Bundesver-

143 RFHE 27, 22, 24. 144 RFH RStBl. 1930, 67 L 672 f; BFH BStBI. III 1956, 233, 234; zusammenfassend zu dieser Rspr. BFH BStBl. III 1958, 27. 30 f 145 BFH BStBl. III 1957, 2. 4; III 1957. 286. 14" BFH BStBI. III 1957. 2. 4. 147 BFH BStBI. III 1958. 27. 33. 14. BVerfGE 13, 290 tl, betr. die materielle Typisierung durch § 8 Abs. 5 GewStG.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

297

fassungsgericht entgegen, daß der Vorrang verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen es verbiete, Zweckmäßigkeitserwägungen unter Verletzung solcher Wertungen voranzustellen. 149 Die materielle Typisierung entspricht in ihrer Wirkungsweise den unwiderleglichen gesetzlichen Tatsachenvermutungen 150, wobei ihnen im Gegensatz zu diesen die Legitimationsbasis fehlt; die Zulässigkeit materieller Typisierung ist daher generell abzulehnen. 151

11. Die gesetzlichen Vermutungen

Einen Zusammenhang mit der Beweislastlehre weisen die gesetzlichen widerlegbaren und unwiderlegbaren Vermutungen auf, ohne dabei allerdings besondere Probleme aufzuwerfen. Herkömmlicherweise wird zwischen den gesetzlichen Rechts- 152 und Tatsachenvermutungen unterschieden, wobei für die vorliegende Problematik vor allem die Tatsachenvermutungen l53 von Bedeutung sind.

1. Die unwiderlegbaren Tatsachenvermutungen Soweit das Gesetz bei Vorliegen gewisser tatsächlicher Umstände den Rechtsanwender anweist, vom Vorliegen eines bestimmten Tatbestandsmerkmals

149

BVerfGE 13, 290, 317 unter Hinw. auf E 6, 55, 83.

ISO

Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 49.

ISI Allgemeine Meinung, Tipke/Kruse, § 4 Rdn. 134; Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 15; Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung, S. 217, nimmt einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG an. Eine unwiderlegliche Ikrmutung hinsichtlich der steuerlichen Nichtanerkennung von schenkweise begründeten Darlehensforderungen wird durch das Schreiben des BMF vom 1.12.1992 (IV B 2-S 2144 76/92) Rdn. 9, BB 1993, 279, 280, angeordnet. IS2 Z.B. § 1006 BGB, vgl. Staudinger/Gursky, § 1006 BGB Rdn. I; §§ 891, 1362, 2365 BGB, Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 VI, S. 190. 153 Zu § 1566 BGB MünchKomm/Wolf, § 1566 BGB Rdn. 31, 71 m.w.N.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 49; vgl. für das Zivilrecht weiterhin §§ 363, 685 11, 1117 111, 1253 11, 2009, 2270 11 BGB.

298

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

auszugehen, verschiebt sich der Gegenstand der Tatsachenermittlung von dem Tatbestandsmerkmal auf die zur Vermutungsbasis erhobenen Umstände, die meist einfacher zu ermitteln sind als das fragliche Merkmal selbst. Für die Vermutung ist nicht erforderlich, daß der Schluß von der Vermutungsbasis auf das Merkmal selbst von einer bestimmten Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit ist. Die unwiderlegbaren Tatsachenvermutungen stellen sich somit als ein Mittel dar, einerseits eine sehr bestimmte Tatbestandsumschreibung zu wählen und über die Vermutung anderere, gegebenenfalls wirtschaftlich gleichzustellende Sachverhalte diesem Tatbestand in der Rechtsfolge zuzuordnen. Wegen der Unwiderlegbarkeit wirkt die gesetzliche Vermutung als Fiktion, da es insoweit nicht auf die tatsächliche Erfüllung bestimmter Tatbestände, sondern auf die Feststellung des Vorliegens der Vermutungsbasis zur Rechtsfolgenanordnung ankommt. Die Zu lässigkeit dieser Fiktion ergibt sich aus der allgemeinen Regelungskompetenz des Gesetzgebers l54 , wobei sich die Grenzen der Gleichsetzung insbesondere aus der Teleologie der Normen bzw. den ihnen immanenten Sachgesetzlichkeiten ergeben werden. Mit der objektiven Beweislast verbindet die unwiderlegliche Tatsachenvermutung die Fiktion oder Gleichstellung des wirklich Vorgefallenen mit einem der Entscheidung zugrundezulegenden (hypothetischen) Sachverhalt. Im Gegensatz zur echten Fiktion schließt die unwiderlegbare Tatsachenvermutung wie auch die objektive Beweislast nicht aus, daß sich wirklicher und vermuteter Sachverhalt decken. ISS Diese "Nähe" von Fiktion, unwiderlegbarer Vermutung und objektiver Beweislast muß aber zumindest Konsequenzen für die dogmatische Begründung der objektiven Beweislast nach sich ziehen und berücksichtigt werden. Von erheblicher Bedeutung, gerade wegen der Übertragung der Beweislastlehre vom Zivilrecht auf das Steuerrecht, wobei die Grundlagen wie die Folgen ebenso mitübernommen werden müssen, ist die Tatsache, daß das Steuerrecht öffentlichrechtliches Eingriffsrecht darstellt. Wenn aber Fiktion und

154 Für das Steuerrecht sind hierbei die weiten Gestaltungsspielräume bei der Auswahl und Ausgestaltung von Steuertatbeständen zu berücksichtigen, hierzu schon oben A. H. 4. mit Nachw. in Fn. 99. Zur "Zu lässigkeit" einer unwiderlegbaren Vermutung durch § 23 Abs. I EStG vgl. BVerfGE 26,302,313 f; zur unwiderlegbaren Vermutung des § 119 Nr. 1-6 FGO TipkelKruse, § 119 FGO Rdn. 2, 8; BFH BStBI. H 1994, 187, 188. Eine gesetzliche Fiktion enthalten § 11 Abs. 1 S. 2 und § 3 Nr. 65 S. 4 EStG (Absehn. 66 Abs. 2 LStR 1996).

ISS Ob das "die Regel" sei, wie Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 50, annimmt, mag dahingestellt bleiben.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

299

unwiderlegbare Vennutungen "in Wahrheit ein materiellrechtlicher Rechtssatz"l56 sind, ist die Frage zu stellen, ob das nicht auch für die objektive Beweislast(nonn) gelten muß. Deren Wirkung läßt sich nur mit einer Fiktion oder gleichzubehandelnden "Gleichstellung"157 erklären; sie stimmt daher mit diesen beiden Rechtsinstituten überein. Ohne Bedeutung ist dabei, daß die unwiderlegbare Vennutung und (echte) Fiktion keine "Beweis- oder Beweislastwirkung"IS8 aufweisen. 159 Während unwiderlegbare Vennutungen und gesetzliche Fiktionen "immer" eingreifen, gelten die Regeln der objektiven Beweislast nur im Falle eines non liquet; kommt es jedoch zu dieser Situation und wird nach der objektiven Beweislast entschieden, dürften sich keine Unterschiede auftun. Daher wäre auch die objektive Beweislast(nonn) ein (latenter) materieller Rechtssatz: Sie bildet bei Anwendung dieser Ableitung auch im öffentlichen Recht, insbesondere Steuerrecht, eine eigene, vom ParlamentsvorbehaIt nicht gedeckte materielle Eingriffsgrundlage. Hierdurch wird wiederum deutlich, daß die Beweislast(entscheidung) die materiellen Nonnen des Steuerrechts ergänzt, ohne daß ihr eine gesetzgeberische Entscheidung zugrundeliegt. 160

ISb

Prütling, Gegenwartsprobleme, S. 49.

157 S. oben 3. Teil D. 11. 15K Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 49. 159 Diese Formulierung Prüttings ist insoweit unklar, als er selbst die Wirkung der objektiven Beweislast bzw. der nichtnormativen Operationsregel mit einer Fiktion erklärt (Gegenwartsprobleme, S. 169 fo. Dies steht in Widerspruch zu den Ausführungen zu den gesetzlichen Vermutungen und Fiktionen, denen er im Gegensatz zur Operationsregel die Qualität als materieller Rechtssatz zuerkennt. Auch lehnt er es ab, die Wirkung der Beweislastnorm als Vermutung zu bezeichnen (a.a.O., S. 154), obwohl er beiden Instituten als Wirkung die Fiktion zuerkennt; auf S. 169 formuliert Prütting dagegen, daß die gesetzlichen Tatsachenvermutungen "der Sache nach ebenfalls Beweislastnormen" seien und es offenläßt, ob mit dieser Verweisung nur die widerlegbaren oder auch die unwiderlegbaren Tatsachenvermutungen angesprochen sind. S. auch Hartung, NJW 1959, 1900,1902.

IbO Dies wird dadurch überspielt, daß ihre inhaltliche Verteilung nach Maßgabe der materiellen (Steuer-)Norm erfolgen soll; das materielle Steuerrecht wird nicht geändert, aber zumindest erweitert. L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 323, weist insoweit auf die "verfassungsrechtlich legitime Offenheit" dessteuerrechtlichen Beweisrechtshin; bedenklich hinsichtlich der "Wesentlichkeitstheorie" erscheint dennoch, daß "die Regeln der objektiven Beweislast" vom Gesetzgeber beim Normenerlaß nicht berücksichtigt werden, vgl. auch H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 83 ff.

300

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

2. Die widerlegbaren gesetzlichen Vermutungen Gesetzliche Vermutungen, die gemäß § 155 AO i.V.m. § 292 ZPO regelmäßig widerlegbar sind, können, da sie eine inhaltliche Verteilung des Aufklärungsrisikos tragen, den Beweislastregeln insofern gleichgestellt werden. 161 Allerdings handelt es sich bei diesen Vermutungen um besondere gesetzliche Regeln, die die durch ein non liquet eintretende Ungewißheit "abfangen" und "in präzise Rechtsfolgen" Uberleiten. 162 Die gesetzlichen widerlegbaren Vermutungen, wie z.B. § 158 AO, gehen aber über eine reine Risikoverteilung hinaus: Sie begründen gleichzeitig eine BeweisfUhrungslast desjenigen, gegen den die Vermutung wirkt. 163 Dabei muß klargestellt werden, daß diese Wirkung erst eintritt, wenn die jeweilige Vermutungsbasis festgestellt ist. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten die "normalen Beweislastregeln". In Verfahren unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes muß je nach Art der Vermutung zunächst versucht werden, den Sachverhalt zur Überzeugung des Rechtsanwenders (Behörde oder Gericht) zu ermitteln. 164 Erst wenn dies nicht gelingt, kann die Vermutung wirken. Im Ergebnis wird oftmals durch die gesetzliche Vermutung faktisch das Beweismaß gesenkt, da der Gesetzgeber der Vermutung "häufig ein Wahrscheinlichkeitsurteil zugrunde legt, das oft die allgemeine Lebenserfahrung widerspiegelt" .165 Die Begründung einer Beweisftihrungslast wird dann beson-

161 Belg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 84, 88; für eine Einordnung als Beweislastnormen Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 48, Fn. 3 m.w.N.; unklar Tipke/ Kruse, § 96 FGO Rdn. 19. 162 Belg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 85, der auch darauf hinweist, daß die gesetzlichen Vermutungen die Rechtsfolgen modifizieren können, was der Beweislastentscheidung versagt ist.

163 Nach überwiegender Ansicht ist zur Entkräftung dieser Vermutung eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, Birkenfold, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 92; Tipke/Kruse, § 158 AO Rdn. 2, § 96 FGO Rdn. 7; BFH/ NV 1986, 719; 1991,724,725; BFH BStBI. II 1992,55,56. A.A. Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 59 f., der einfache Wahrscheinlichkeit ausreichen lassen will, weil sonst eine Beweislastumkehr vollzogen würde; dabei übersieht er, daß es sich "nur" um die faktische Beweislast handelt; immerhin hat der Steuerpflichtige durch eine ordnungsgemäße Buchführung (Beweisführungslast) den Sachverhalt schon "ermittelt". 164 Vgl. das Beispiel des § 79 Abs. 1 BEG bei Belg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 81.

165

Belg, a.a.O., S. 83; Leipold, Beweislastregeln, S. 85 f.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

301

ders deutlich, wenn aus verfahrensökonomischen Gründen 166 von vornherein eine Ermittlung nicht versucht wird, weil die Vermutungsbasis offensichtlich gegeben ist. In diesem Fall wäre der Verfahrensverlust die automatische Folge der Untätigkeit dessen, zu dessen Lasten die Vermutung greift. Bei einer derartigen Handhabung verwischen die Grenzen zwischen BeweisfUhrungslast und faktischer Beweislast, da die der Vermutung zugrundeliegende Tatsachenoder Rechtslage zur konkreten Ausgangssituation des Verfahrens gemacht wird; es fehlt somit an einem "Hin- und Herpendeln"167 der konkreten BeweisfUhrungslast (faktischen Beweislast). Im Hinblick auf das Beweismaß ist die Aussage, daß die widerlegbare gesetzliche Vermutung das Beweismaß senke, insoweit zu relativieren, als bei Anwendung der Vermutung die vermutete Tatsache nicht als festgestellt, sondern nur als vorliegend anzusehen ist; festgestellt ist allein die Vermutungsbasis. Die gesetzliche Vermutung fUhrt demzufolge nicht zur Tatsachenfeststellung, sondern weist den Rechtsanwender an, von der Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals auszugehen. 168 Im Gegensatz zu den ungeschriebenen Regeln der objektiven Beweislast ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich, da hierbei die Modifikation des materiellen (Steuer)Rechtssatzes vom Gesetzgeber angeordnet wird. 169 Für die widerlegbaren gesetzlichen Vermutungen kann daher festgehalten werden, daß sie zumindest im Regelfall einer Lebenserfahrung folgen und eine Überdeckung von vorgefallenem Lebenssachverhalt und Entscheidungstatbestand ermöglichen; dies erreichen sie dadurch, daß die Norm sich auf den Lebenssachverhalt zubewegt, was aber wegen der Legitimation durch eine gesetzgeberische Entscheidung keinen Bedenken hinsichtlich der Normbestimmtheit unterliegt.

166 Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 83, mit dem kritischen Hinweis, ein solches \brgehen zum "Prinzip" zu erheben. 161

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 7 ff., 29.

16K Leipold, Beweislastregeln, S. 86; Weber-Grellet, StuW 1981,48,59. 169 lsensee, Die typisierende Verwaltung, S. 135 f. Zu den Bedenken hinsichtlich der Beschneidung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale mittels deren Fiktion ausflihrlich oben 3. Teil D. I.

302

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

III. Der Anscheinsbeweis

Eine große Nähe zu den widerlegbaren gesetzlichen Vermutungen weist der Anscheinsbeweis auf. Bei ihm handelt es sich um "den konsequenten Einsatz von Sätzen der allgemeinen Lebenserfahrung" .170 Im Gegensatz zur gesetzlichen Vermutung l71 wird der Anscheinsbeweis aber nicht bei Vorliegen eines non liquet, sondern bereits im Rahmen der freien Beweiswürdigung angewendet 172 , wobei er nach Ansicht des Bundesfinanzhofes allerdings keine reine Beweiswürdigungsregel darstellen soll.173 Er ist rechtssatzmäßig nicht festgelegt, weshalb der Rechtsanwender zu der Heranziehung des Prima-facie-Beweises im Einzelfall nicht gezwungen werden kann 174; eine Sachverhaltsermittlung ohne Gebrauch des Anscheinsbeweises ist daher so lange nicht angreifbar, wie ihr Ergebnis nicht gegen Naturgesetze ("zwingende" Erfahrungssätze) oder die Gesetze der Logik verstößt. 175 Rein tatsächlich wird aber der Rechtsan-

170 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 III I, S. 661; von "Erfahrungsgrundsätzen" sprechen Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4a; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 95.

171

Deren korrekte Anwendung insoweit unterstellt wird, vgl. oben B. 11. 2.

172 Ausführlich Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 94 ff., lll; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 III I, S. 661; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 99; für das Steuerrecht Birkenfold, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 64; vgl. auch schon Flume, JZ 1953, 22, 24 mit Fn. 8. Anders Hey. Beweislast und Vermutungen, S. 70 mit Hinw. auf Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 106 f.; die Verweisung ist aber mißverständlich, da Berg "nur" darauf hinweist, daß der "richtige Einsatz des Anscheinsbeweises ... keine Einschränkung des Ermittlungsumfanges" mit sich bringe. Von einer vollen Ermittlung des Sachverhaltes geht auch Berg nicht aus: Bei Existenz eines Erfahrungssatzes verlangt er lediglich die weitere Untersuchung von "Anhaltspunkte[n] für eine konkrete Erklärung" eines abweichenden Geschehensablaufs, der bis dahin nur ausschnittsweise ("Stichprobe") ermittelt wurde.

173

BFH BStBI. 11 1989, 534, 535.

174

Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 99.

175 Allerdings erachtet der BFH es auch als fehlerhaft, wenn von einer sich aufdrängenden Lebenserfahrung kein Gebrauch gemacht wird, selbst wenn der Steuerpflichtige Mitwirkungspflichten oder Beweisvorsorgepflichten verletzt hat. Seiner Ansicht nach sei es "verlletbar, bei fehlender Lehrmittelfreiheit nach der Lebenserfahrung davon auszugehen", daß Eltern Ausbildungskosten für ihre Kinder entstehen; dafür solle der Beweis des ersten Anscheins sprechen, vgl. BStBl. 11 1988, 438, 439 [Hervorh. d. Verf.]. In der

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

303

wender aus verfahrensökonomischen Gründen bei Vorliegen eines "anerkannten" Erfahrungssatzes schnell zur Heranziehung eines Anscheinsbeweises neigen 176 , wenn ihm die Überzeugungsbildung auf diesem Wege erleichtert wird. Dies wird natürlich noch verstärkt, wenn allgemeine Erfahrungs(grund)sätze des Steuerrechts in Verwaltungsvorschriften (Richtlinien) eine Erfassung finden, da in diesem Fall der Finanzbeamte an die Beachtung dieser "Lebenserfahrung" gebunden ist. 177

1. Versuche zur Einordnung des Anscheinsbeweises Die Probleme von Beweislast und Anscheinsbeweis sind somit bereits angerissen; führt nämlich die Anwendung eines Anscheinsbeweises im Rahmen der Beweiswürdigung tatsächlich zur Gewinnung einer Überzeugung, hat er zunächst keine Bedeutung fur die objektive Beweislast, da letztere das Vorliegen eines durch Überzeugungserlangung ausgeschlossenen non Iiquet voraussetzt. Damit wäre aber nur eine Trennung der Bereiche von objektiver Beweislast und Anscheinsbeweis vorgenommen, nicht ausgeschlossen sind dagegen Folge- oder Vorwirkungen der Institute zueinander. Zu beantworten ist auch die Frage, welcher Grad von Überzeugung durch die Anwendung eines Satzes der allgemeinen Lebenserfahrung zu gewinnen ist, wenn wesensgleiche Ereignisse 178, die typischen Geschehensabläufen 179 zugrundeliegen, ohne Ermittlung des konkreten Geschehensablaufes zur Grundlage der Entscheidung gemacht werden. Bereits die Tatsache, daß der Bundesfinanzhof sich deutlich von der Festlegung distanziert hat, daß der Anscheinsbeweis nur "bei gleichsam mecha-

Sache kann dem nicht widersprochen werden, doch auf eine nur "vertretbare" Schlußfolgerung dürfte ein Prima-facie-Beweis nicht gestützt werden; im Ergebnis handelt es sich hierbei um nichts anderes als eine (wohlwollende, zugunsten der steuerpflichtigen Eltern ergehende) Schätzung des Grundsachverhaltes. 176

Kritisch Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 115 III I, S. 661 m.w.N.

Vgl. zur Anwendung von Richtlinien als Beweis des ersten Anscheins durch das Finanzgericht BFH BStBl. 11 1980, 561, 564 f 177

17K

BFH BStBI. 11 1989, 534, 535.

179 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Anhang § 286 ZPO Rdn. 16; Stein/Jonas/ Leipold. § 286 ZPO Rdn. 99; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 V, S. 189.

304

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

nisch abrollenden, vom menschlichen Willen unabhängigen Geschehnissen,,18o in Betracht komme l81 , zeigt die Absicht, auch innere Tatsachen wie subjektive Tatbestandselemente einem Prima-facie-Beweis zugänglich machen zu können. Dies erscheint ohne eine Absenkung des Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (Vollbeweis) unmöglich; die Berücksichtigung subjektiver Elemente erfordert grundsätzlich eine konkrete Einzelfallbewertung, die nicht auf typische (innere) Verhaltensweisen anderer gegründet werden kann. Durch die Heranziehung äußerer, objektiver Umstände kann dann generell nur ein Wahrscheinlichkeitsschluß gebildet werden, der bewußt die Individualität leugnet. 182

a) Zuordnung des Anscheinsbeweises zur Beweislast Eine Einordnung des Anscheinsbeweises als besonders ausgeprägte Erscheinungsform der objektiven Beweislast ist nicht möglich. 183 Der Anscheinsbeweis wird vom Rechtsanwender im Rahmen der Ermittlung des Sachverhaltes eingesetzt und führt zu dessen (vorläufiger) Feststellung, wobei offen bleiben

IHO BGH LM Nr. II zu § 286 (C) ZPO; NJW 1961. 777, 779; TipkelKruse, § 96 FGO Rdn. 4a; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 99; vgl. auch Birken/eid, Beweis und Beweiswürdigung, S. 75, 88, 93; kritisch Waller, ZZP 90 (1977),270, 278jJ IHI

BFH BStBI. 11 1989, 534, 536.

lH2 Zu den hiermit verbundenen Problemen oben I. Teil B. III. 2. b) (Fn. 228) und unten IV. I. Vgl. auch Birkenfeld, Beweis und Beweiswürdigung, S. 88, 90, der das Abstellen auf äußere Umstände zutreffenderweise als Indizienbeweis einordnet, davon aber die tatsächlichen Vermutungen unterscheidet (a.a.O., S. \03), was im Ergebnis nicht überzeugt; für den Nachweis "hypothetischen menschlichen Verhaltens" hält er einen Anscheinsbeweis geeignet. Dennoch wird bei subjektiven Merkmalen nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil gefällt, da sich die individuellen Umstände so nicht ermitteln lassen, vgl. Waller, ZZP 90 (1977), 270, 277; die Abgrenzungsprobleme veranschaulicht L. OSlerloh, Gesetzesbindung, S. 327 f. IS3 Anders Michael, Die Verteilung der objektiven Beweislast, S. 140, 142 f.; Diederichsen, VersR 1966, 211, 214 f. 222; ders., ZZP 81 (1968), 45, 64. 68 f; vgl. auch Ekelöf, ZZP 75 (1962), 289, 3()(), der allerdings von einem anderen "Beweislastverständnis" ausgeht (s. oben I. Teil A. I. 3. a) bb) (2); immerhin erwägt er, ob der Primafacie-Beweis nicht auch als "verantwortungsbegründendes Rechtsfaktum", mithin als materiellrechtliche Erscheinung, anzusehen sei.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

305

kann, welcher Grad von Überzeugung sich aus seiner Anwendung generell oder im Einzelfall gewinnen läßt. Damit schließt seine Anwendung den Eintritt einer Non-liquet-Situation zumindest zunächst l84 so lange aus, bis seine Stringenz durch Feststellung anderer Tatsachen erschüttert wird. Ihm kommt nicht die Funktion zu, eine Beweislastentscheidung zu verhindern, sondern einen eine gewisse Typizität aufweisenden Sachverhalt festzustellen. 18s Somit ist unzweifelhaft, daß die Voraussetzungen einer Beweislastentscheidung bei Anwendung eines Anscheinsbeweises nicht vorliegen l86 , er damit auch nicht der Beweislast zugeordnet werden kann. 187 Gegen eine Zuordnung zum Bereich der Beweislast wird auch vorgebracht 188, daß eine Gleichartigkeit nicht aufrechterhalten werden kann, weil nach einhelliger Ansicht zur Entkräftung eines Anscheinsbeweises nur ein Gegenbeweis 189, nicht aber der Gegenteilsbeweis erforderlich sei. 19o Ist die-

184

Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 89.

AA. Diederichsen, ZZP 81 (1968), 46, 64, der damit wiederum einen materiellrechtlichen Anknüpfungspunkt verbindet. 185

IK6 Dies gilt auch entgegen der Ansicht von Diederichsen,ZZP 81 (1968), 46, 63, daß auf die Feststellung einer Non-liquet-Situation oftmals "mit einem Prima-facie-Beweis" geantwortet werde. Es wird dabei übersehen, daß mit dem Fehlschlagen eines (unmittelbaren) Beweises die Überzeugungs bildung nicht abgeschlossen sein muß; auch der Anzeichensbeweis setzt insofern ein non Iiquet durch einen direkten Beweis "voraus". Vgl. hierzu auch unten IV 2. IK7 Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4a; Wennrich, Die typisierende 8etrachtungsweise, S. 39; so auch schon RGZ 134, 237, 241. IKK

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 96, 98.

IK9 Der durch den Anschein erbrachte Beweis muß nur erschüttert, nicht aber widerlegt werden; diese theoretisch klare Unterscheidung ist praktisch aber nicht kontrollierbar , weil sie an die subjektive Überzeugung des Rechtsanwenders anknüpft, vgl. z.B. BFH BStBI. 11 1991,343,344, hinsichtlich der Teilwertverrnutung (die wie ein Anscheinsbeweis gehandhabt wird), daß der Teilwert einer Beteiligung den Anschaffungskosten entspreche (Ableitung aus § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 und 2 EStG). Nach Ansicht des BFH könne nämlich "nur im Einzelfall entschieden werden, welche Anforderungen an die Widerlegung einer Vennutung zu stellen sind." Überraschend an dieser Entscheidung ist sodann, daß das Gericht zwar betont, daß einerseits der Teilwert ein objektiver 1fert sei, der sich nach den Wiederbeschaffungskosten (am Bilanzstichtag) richtet und andererseits auch die "Erfahrung des Wirtschaftslebens" heranzieht, "daß ein Kaufmann fur den Erwerb einer Beteiligung keinen höheren Preis zu zahlen bereit" sei. "als diese ihm wert

20 M. Schmidl

306

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

ses Argument für das Zivilrecht folgerichtig, muß im Bereich des Steuerrechts jedoch berücksichtigt werden, daß Anscheinsbeweis und Schätzung, insbesondere die Schätzung dem Grunde nach, weitreichende Übereinstimmungen aufweisen: Wenn im Steuerverfahrensrecht für die Anwendung des Anscheinsbeweises eine rechtfertigende Interessenlage, die in einer typischen Beweisnotsituation des Beweisbelasteten bestehen soll, gefordert wird l9 \ werden

ist", die Vennutung aber dennoch nicht als widerlegt ansieht, obwohl der Wert der einzelnen Aktie gegenüber dem Erwerbszeitpunkt von 963 DM zum Bilanzstichtag auf einen Börsenkurswert von 800 DM gefallen war. Kein wirtschaftlich denkender, vernünftiger Kaufmann wird aber in einer solchen Konstellation, auch unter Berücksichtigung eines Paketzuschlages, den ursprünglichen Anschaffungspreis fur diese Beteiligung aufwenden; auch fUhrt die Anwendung dieser Vennutung zu einem wirtschaftlich unsinnigen Ergebnis: Der Ansatz der ursprünglichen Anschaffungskosten hat zur Folge, daß bei sinkendem Börsenkurswert ein steigender "Paketwert" fingiert wird. Das Gericht übersieht nämlich, daß auch die Bemessung des Paketzuschlages sich nicht an einem objektiven Beteiligungswert orientiert, sondern von der Verhandlungsstärke des Veräußerers abhängt, die von dem Börsenwert der Aktien zumindest mitbeeinflußt wird. Läßt sich - und das hätte das Ziel der Ermittlungen von Finanzamt und -gericht sein müssen - der aktuelle und hypothetische Wert eines Paketzuschlages daher nicht ermitteln, müßte der konkrete Teilwert je nach theoretischem Ansatz durch Schätzung oder nach Beweislastgrundsätzen festgestellt werden. Das Vorgehen des Bundesfinanzhofes (ebenso BFH BStBI. 11 1994,514.5/5) beschneidet das dem Steuerpflichtigen gesetzlich eingeräumte Recht zum Ansatz eines (nach den Grundsätzen der kaufmännischen Vorsicht gebotenen) niedrigeren Teilwertes. was gegebenenfalls auch bei einer Beweislastenscheidung in die Rechtsgüterabwägung eingestellt werden müßte. Zur Kritik am Teilwertbegriffvgl. Dora/t, DStJG 7 (1984), 141 ff.; Eu/er. DStJG 7 (1984), 155, /6/ ff.; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 51V 4. S. 175 ff. 19()

H.M., vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Anhang § 286 ZPO Rdn. 19;

Rosenberg/Schwab/Gottwald. Zivilprozeßrecht. § 115 III 4, S. 664; Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4e a.E.; H. Meyer, Beweislastprob\eme. S. 92. nimmt nochmals eine Unterscheidung bei Anscheinsbeweis und Typisierung vor; BFH 11 1991, 342, 344; 11 1993, 84, 86 f; dem Wortlaut nach auch BFH BStBL 11 1989, 274 m.w.N.: Wenn nach Ansicht des Gerichts allerdings eine (Teilwert-)Vennutung nur durch den Nachweis einer anfänglichen Fehlmaßnahme entkräftet werden kann, liegt wegen der daran gestellten Anforderungen wohl ein Gegenteilsbeweis vor. 191 So ausdrücklich ohne weitere Ableitung Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4c. Damit wird inzident zu erkennen gegeben. daß der Anscheinsbeweis ein subsidiäres Feststellungsmittel sei; wenn mit seiner Hilfe aber nur Lebensgrundsätze verwertet werden, die zur vollen Überzeugung des Rechtsanwenders fUhren (müssen), ist diese Voraussetzung

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

307

regelmäßig auch die Möglichkeit und die Voraussetzungen der Schätzung nach § 162 AO eröffnet sein; letztere wird Feststellungen nach typisierenden Gesichtspunkten treffen. Im Steuerrecht kann demzufolge zur Rechtfertigung der Anwendung eines Anscheinsbeweises auch die Schätzungs befugnis herangezogen werden. 192 Um das Schätzungsergebnis zu erschüttern, müssen allerdings Tatsachen vorgetragen werden, die im Ergebnis zu einer höheren Wahrscheinlichkeit eines abweichenden "Geschehensablaufs" fUhren. Dann entsprechen sich aber Gegenbeweis (Erschütterung des Anscheinsbeweises) und Gegenteilsbeweis. Diese Konsequenz übersieht Hey.193 Er geht bei Anwendung eines Primafacie-Beweises zunächst von einer gemäß dem Untersuchungsgrundsatz versuchten Ermittlung des Sachverhaltes aus; sollte eine volle Überzeugung nicht erreicht werden, hält Hey die Heranziehung der "Lebenserfahrung" fur zulässig (damit wäre aber auch die Schätzungsbefugnis eröffnet). Wenn fur den Anscheinsbeweis insoweit das gleiche wie rur "einfache" Vermutungen gälte,194 letztere aber (erst) bei einer Lebenswahrscheinlichkeit von mindestens 50% eingreifen können und dürfen 195, kann eine "Erschütterung" der Vermutung (bzw. des Anscheinsbeweises) nur bei gleich hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Die (unverhältnismäßigen) Ernlittlungsschwierigkeiten rechtfertigen doch gerade das (vorläufige) Wahrscheinlichkeitsurteil; der atypische Sachverhalt könnte dann nur der Besteuerung zugrundegelegt werden, wenn er wahrscheinlicher ist als der typische. Dies ist bei Verlangen einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit mathematisch nicht möglich; um die Vermutung oder den Anschein zu erschüttern, müßte das Gegenteil bewiesen werden. Ein Zurückkehren zur Untersuchung mit dem Ziel voller Überzeugung wäre widersinnig, da deren Fehlschlagen bereits zur Voraussetzung der Anwendung des

nicht überzeugend. Vielmehr klingt hierbei an, daß der Anscheinsbeweis zumindest faktisch doch zu einer Beweismaßreduzierung führt, die durch die Beweisnotsituation gerechtfertigt wird. 192 Zur Darstellung vgl. das Schema im Anhang. Im Ergebnis ebenso Redeckerlvon Dertzen, § 108 VwGO Rdn. I, die ein Regelbeweimaß mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit ansetzen, allerdings mit geringeren Anforderungen in besonderen lerfahrenslagen, wie z.B. bei Beweisnot.

20'

193

Beweislast und Vennutungen, S. 61 ff., 69 ff.

194

Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 72, 68.

195

Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 65.

308

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Anscheinsbeweises gemacht wurde: Es käme anderenfalls unmittelbar zur Schätzung, die dann wieder das "wahrscheinlichere" Ergebnis der zur Vermutungbasis erhobenen Lebenserfahrung zugrundelegen würde, oder - je nach Ansatzpunkt - zu einer Beweislastentscheidung! 196 Im letzten Falle hätten es dann sowohl die Finanzbehörde als auch der Steuerpflichtige in der Hand, die Entscheidung durch ihr prozessuales Verhalten zu beeinflussen, ein Ergebnis, das mit dem Prinzip der materiellen Wahrheit beim Untersuchungsgrundsatz, dem Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit und dem Gebot der fairen Handhabung des Beweisrechts nicht in Einklang zu bringen sein wird. Kehrt im Zivilrecht der Anscheinsbeweis daher nicht die objektive, sondern nur die faktische Beweislase 97 um, wäre dieses Ergebnis für den Bereich des Steuerrechts nicht ebenso eindeutig. 198 Besonders evident wird das in den Fällen, in denen, wie bei inneren Tatsachen, wegen der Unmöglichkeit der Ermitt-

196 Soweit die Beweislast bei der Finanzbehörde läge, wäre damit der Weg zu einer effizienten Sachverhaltsermittlung durch Anwendung eines Anscheinsbeweises verstellt; das hat nicht zu unterschätzende Bedeutung, wenn der Anscheinsbeweis gerade der Vermeidung "unbilliger Beweislastentscheidungen" dienen soll, Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4b; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 327. 197

"Konkrete Beweisführungslast", vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 98.

19S A.A. BFH BStBI. II 1974, 70, 71, wobei das Gericht allerdings noch von der Möglichkeit des Nachweisesdes Zugangs eines Verwaltungsaktes durch Anscheinsbeweis ausging. Daß die Nachweispflicht (Beweisführungslast) bei der massenhaften, typischerweise gleich ablaufenden Versendung von Steuerverwaltungsakten durch die Anwendung eines Anscheinsbeweises leerliefe, wird keiner Bewertung unterzogen: Die Verfahrensausgangssituation wiese doch rein tatsächlich die Nachweispflicht bezüglich des Zugangs dem Adressaten zu, da er ohne Tätigwerden in jedem Fall eine ablehnende Entscheidung erführe. Hinsichtlich der tatsächlichen (widerlegbaren) Vermutung gleichgerichteter wirtschaftlicher Interessen von Ehegatten im Rahmen der Betriebsaufspaltung geht auch das Bundesverfassungsgerichtvon einer (verfassungswidrigen) Umkehr der Beweislast aus, vgl. BVerfGE 69, 188, 206. H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 92, hält die Widerlegungsvoraussetzungen bei der "Typisierung bzw. tatsächlichen Vermutung" faktisch für die "Einführung einer subjektiven Beweislast" (des Steuerpflichtigen); gleiches muß erst recht gelten, wenn man - wie H. Meyer - die \braussetzungen an eine Erschütterung beim Anscheinsbeweis höher ansetzt. Vgl. zur Einordnung und Widerlegung der Vermutung der Wiederholungsgefahr im Wettbewerbsprozeß Kemper, Beweisprobleme im Wettbewerbsrecht, S. 125 ff.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

309

lung der Tatsachen durch die Finanzbehörde von vornherein auf "die Lebenserfahrung" zurückgegriffen wird. 199 Die Reduzierung des Beweismaßes müßte dann auch zu einer Umkehr der objektiven Beweislast führen. Es macht keinen Unterschied, wenn die Ausgangslage des Verfahrens so beschaffen ist, daß der Rechtsanwender entweder noch keine Vorstellung vom zu beurteilenden Geschehensablauf hat oder wegen der Existenz eines Lebenserfahrungssatzes, der ihm gegebenenfalls durch Richtlinien "vorgeschrieben" ist, in einer typischen Situation eine antangliche, zur Sachentscheidung bereits ausreichende "Überzeugung" anzunehmen hat. Für den "faktisch" oder "objektiv" Beweisbelasteten stellen sich dann dieselben Verhaltensanforderungen. 2oo Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Bundesverfassungsgerichts, daß die eheliche Verbindung sich bei der widerlegbaren Vermutung gleichgerichteter wirtschaftlicher Interessen, die ebenso wie der Anscheinsbeweis auf die Lebenserfahrung gestützt wird, im Zusammenhang mit einer Betriebsaufspaltung als steuerbegründender Tatbestand auswirke, konsequent. 201 Die Parallelität von Schätzung und Anscheinsbeweis zeigt aber auch, daß sich durch die Anwendung des Prima-facie-Beweises nicht nur die Beweislastent-

199 Zur Bedeutungslosigkeit weiterer Sachaufklärung bei unwiderlegbarerscheinenden Sachverhaltsbehauptungen als "l'art pour l'art" E. Schlüchter, Wahrunterstellung und Aufklärungsptlicht, S. 22. 200 Die "faktische" Beweislast stellt dann eine Beweisflihrungslast dar, welche wiederum nicht von einer objektiven Beweislast zu unterscheiden wäre, vgl. oben 2. Teil 0.; dies verkennt auch Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1163, wenn sie bei Anwendung von Vermutungen oder des Anscheinsbeweises von einer Beweiserleichterung des "Verletzten" ausgeht. Hat der Rechtsanwender im steuerlichen Massenverfahren einen "typischerweise gleichablaufenden Sachverhalt" zu beurteilen, wobei von dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und der Zumutbarkeit bzw. Vertretbarkeit des Ermittlungsaufwandes zusätzlich noch ein faktischer oder auch rechtlicher Typisierungszwang ausgeht, setzt der am Verfahrensbeginn stehende Rückzug auf einen Anscheinsbeweis (Lebenserfahrungsgrundsatz) den Untersuchungsgrundsatz außer Kraft und kehrt damit auch eine objektive Beweislast um; vgl. auch Hol/atz, DStR 1994, 817, 818. In Verkennung dieser Zusammenhänge und der damit bewirkten Beweislastverschiebung instruktiv BFH BStBl. 11 1993,84,86 f: Die Feststellungslast flir einen Gestaltungsmißbrauch hat entegen der Annahme des Gerichts ausnahmslos die Finanzbehörde zu tragen. Zur grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit und der Beweislast der Steuerbehörde bereits BFH BStBl. III 1956, 179; III 1959, 197, 199. 201

BVerfGE 69, 188, 2()6.

310

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

scheidung umgehen läßt, sondern daß der Weg hierzu durch ein Wahrscheinlichkeitsurteil und daher die bereits beschriebene202 Anbindung an den konkreten Lebenssachverhalt geschieht.

b) Der Anscheinsbeweis als materiellrechtliche Erscheinung Soweit der Versuch unternommen wird, den Anscheinsbeweis allgemein als materiellrechtliche Erscheinung zu erklären zo3 , kann dem für das öffentliche Recht und insbesondere für das Steuerrecht als staatlichem Eingriffsrecht nicht gefolgt werden. Der Einwand, daß eine prozessuale Natur des Anscheinsbeweises der Tatsache entgegenstehe, daß das Beweisrecht "lediglich das Bindeglied zwischen materiellem Recht und gerichtlicher Entscheidung darstellt"Z04 und deshalb nicht nachvollziehbar sei, daß nach materiellem Recht eine Rechtsfolge nicht eintrete, weil die Erfüllung des Tatbestandes nicht "sicher" sei, im Verfahren gleichwohl aber der Rechtsfolgenausspruch erfolge, weil eine "Lebenserfahrung" für die Tatbestandsverwirklichung spreche, kann nicht verfangen, weil auch die Schätzung nach § 162 AO als verfahrensrechtliche Norm materiellrechtliche Auswirkungen haben kann. Die "Relativität", die das Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit im Steuerverfahrensrecht erfahrt, kann diese Folge erklären. Auch stößt die Konsequenz, daß der Anscheinsbeweis eine richterrechtliche Abänderung des materiellen Rechts nach sich zöge, im Steuerrecht noch stärker als im Zivilrecht auf Bedenken zos , da hier der Eingriffsvorbehalt zu beachten wäre. Allerdings scheint die Formulierung des Bundesfinanzhofes, die Grundsätze des Anscheinsbeweises enthielten ':materiellrechtliche Zurechnungsregeln", er sei daher "keine reine Beweiswürdigungsregel", mit ihm werde daher "nicht lediglich eine - nicht revisible - Tatsachenfeststellung getroffen, sondern eine juristische Wertung vorgenommen", auf ein materiellrechtliches Verständnis des Prima-facie-Beweises hinzudeuten. zo6

202

Vgl. oben A. 11. 3.

203

Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 179 ff.

204

Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 179.

20; Ablehnend daher auch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 99 f., der weiterhin darauf verweist, daß die Nähe des Anscheinsbeweises zum Indizienbeweis, der eindeutig dem Prozeßrecht zuzuordnen ist, sich anderenfalls nicht widerspruchsfrei erklären ließe. 206

BFH BStBI. 11 1989, 534, 535 [Hervorh. d. Verf.]. Der BFH beruft sich dabei

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

311

Die mangelnde Präzision der Aussage läßt sich aber damit erklären, daß es dem Bundesfinanzhof im Ergebnis zutreffend darum ging, durch Anwendung eines Anscheinsbeweises nicht "das von der Behörde als Absender zu beweisende gesetzliche Erfordernis des Zugangs" (§ 122 Abs. 2 AO) eines Verwaltungsaktes praktisch zu entwerten. 207 Das Gericht zielte somit weniger auf eine generelle materiellrechtliche Einordnung des Anscheinsbeweises, als vielmehr auf die durch eine Berufung auf eine noch so hohe Lebenserfahrung bewirkte materiellrechtliche Veränderung des § 122 Abs. 2 AO, dessen Wertung einer Anwendung des Anscheinsbeweises zuwiderläuft. Dazu bedurfte der Anscheinsbeweis nach Ansicht des Bundesfinanzhofes der "Qualität von von durch das Revisionsgericht nachprüfbaren Rechtsnormen''.208 Da aber der Bundesfinanzhof gleichzeitig das Erfordernis der vollen Überzeugung des Gerichts bei Heranziehung eines Anscheinsbeweises betone o9 , spricht dies gegen eine Zuordnung dieses Rechtsinstituts zum materiellen Recht; der oben angefUhrte Widerspruch zwischen diesem und der Rechtsentscheidung kann nach diesem Verständnis nicht entstehen.

c) Der Anscheinsbeweis als Beweismaßreduzierung Ein Anscheinsbeweis kann angewendet werden, wenn feststeht, daß es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen solchermaßen typischen handelt,

allerdings auf Diederichsen. VersR 1966. 211, 2/9, der den Anscheinsbeweis der Beweislast zuordnet, vgl. dens., ZZP 81 (1968), 46,69, was sich mit der herrschenden Beweislastlehre gerade nicht vereinbaren läßt. 207 BFH BStBl. 11 1989, 534, 536; II 1995,41, 42. Vgl. zu der Parallelproblematik des Zugangs einer Willenserklärung nach § 130 BGB BGHZ 24, 308 tf.; hierzu ausführlich Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 103 ff.; vgl. auch Diederichsen, VersR 1966, 211, 22/; Waller, ZZP 90 (1977), 270,279; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 129; Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 200; TipkelKruse, § 96 FGO Rdn. 4b. 20M BFH BStBl. II 1989, 534, 535. Dies ist nicht zwingend, da durch die Anwendung des Anscheinsbeweises die materiellrechtliche Wertung des § 122 Abs. 2 AO verkannt wird, wie der BFH im Ergebnis auch betont (a.a.O., 534, 536). Darüber hinaus ist es mißverständlich, wenn das Gericht "eindeutig ... die Beweislast" der Behörde zuweist; aus § 122 Abs. 2 AO ergibt sich deren Nachweispflichtund damit eine Beweisführungslast (subjektive Beweislast)!

209 BFH BStBI. II 1989, 534, 536.

312

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

daß allein aus dieser generellen Übereinstimmung des konkreten Sachverhaltes mit einem aus der Lebenserfahrung bestätigten gleichförmigen Vorgang ein Schluß auf die Verwirklichung des anzuwendenden Tatbestandes zulässig ist. Die Typizität der Geschehensabläufe rechtfertigt es, auf die Ermittlung der historischen Einzelumstände zu verzichten und sich mit einem "irgendwieBeweis"210 zu begnügen, weil jede denkbare Sachverhaltsalternative zur Verwirklichung des Tatbestandes fUhrt. Soweit hierdurch atypische Geschehensabläufe von vornherein aus der Tatsachenwürdigung eliminiert werden, erscheint es naheliegend, daß auch dem "Ergebnis" dieser "Würdigung" ein reduzierter Grad von Wahrscheinlichkeit zugrundeliegt. 211 Demzufolge wird der Anscheinsbeweis teilweise als eine Gestaltung des zulässigerweise verminderten Regelbeweismaßes angesehen. 212 Andererseits steht die "Ausblendung" atypischer Sachverhaltsvarianten 213 nicht notwendig der Erlangung voller Überzeugung durch den Rechtsanwender entgegen, wie sie vom Bundesfinanzhof zumindest vordergründig gefordert wird 214 ; soweit nämlich die Berücksichtigung außergewöhnlicher Geschehensabläufe aufgrund einer im materiellen Recht begründeten typischen Beweisnoe 15 unterbleiben darf bzw.

210

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 95, 110.

211 Für die tatsächlichen Vermutungen, die sich ebenfalls auf eine "Lebenserfahrung" stützen, im Ergebnis ebenso L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 328 f. mit Fn. 219 a.E.; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 62, der die Vermutungen (S. 37, 61) und den Prima-facie-Beweis (S. 69) systematisch aber dem Bereich der Beweiswürdigung zuordnet.

212 So Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 120 ff.; Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 156 f., 183 f.: Maassen, Beweismaßprobleme, S. 64 ff., der allerdings generell dem Wahrscheinlichkeitsmodell folgt, vgl. oben \. Teil A. I. 3. a) bb) (2) m.w.N. 213 Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4b. 214 BFH BStBI. II 1989,534,536; vgl. auch BStBI. 11 1974,70,7/: "... auf Grund der Lebenserfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit". 215 Im Hinblick auf das Zivilrecht weisen Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4b, entlarvend darauf hin, daß der Herabstufung des Beweismaßes die Funktion zukomme, unbillige Beweislastentscheidungenzu vermeiden; da sich diese nach h.M. aber aus materiellen Gerechtigkeitsgesichtspunkten ableiten lassen, findet insoweit eine doppelte Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung statt. Vgl. auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 327. Kritisch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 58; Nierhaus, Beweismaß, S. 13.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

313

muß, liegt beim Rechtsanwender eine subjektiv volle Überzeugung vor2l6 , denn allein die nicht vorzunehmende Einbeziehung objektiv möglicher, anderweitiger Sachverhaltsalternativen rechtfertigt die Annahme geringerer individueller Wahrscheinlichkeit. Das Problem ist daher nicht auf der Ebene der Überzeugung des Rechtsanwenders von der Verwirklichung des Lebenssachverhaltes anzusiedeln, sondern vielmehr bei der Frage, ob er von dem angewendeten Lebenserfahrungssatz selbst überzeugt ist. Das Problem liegt hierbei nicht anders als bei einer gewöhnlichen Ermittlung des Sachverhalts. Bei der Annahme der ermittelten Einzelfakten greift der Rechtsanwender auf seine Lebenserfahrung zurück, wenn er die Beweiskraft z.B. einer Urkunde bewertet und weitere Ermittlungen bezüglich der zu beweisenden Tatsache einstellt, weil er nunmehr von der Erwiesenheit der Tatsache ausgeht. Er wird sich von der Erkenntnis leiten lassen, daß im Regelfall das, was zwei Parteien in einer Urkunde niederlegen, von ihnen auch gewollt ist (allgemeiner Lebenserfahrungssatz217 ) und dies auch im konkreten Einzelfall so ist. Die Möglichkeit eines inneren Vorbehalts oder von Scheinerklärungen ist jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Ernsthafte Zweifel an seiner vollen Überzeugung wird dennoch niemand hegen. Werden an die dem Anscheinsbeweis zugrundeliegenden Lebenserfahrungs(grund)sätze Anforderungen gestellt, die Zweifeln Schweigen gebieten, ohne sie völlig auszuschließen, stellt er ein "neutrales Hilfsmittel der Entscheidungsfindung" dar und ist in keinem Fall selbst "normativer Entschei-

216 So wohl Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 69 ff., wenn er rur einen Anscheinsbeweis eine "stärkere Vennutungswirkung" verlangt (S. 69), dennoch eine individuelle Sachverhaltsennittlung voraussetzt (S. 70) und gleichzeitig den einfachen Gegenbeweis zur Entkräftung des Anscheins rur ausreichend erachtet (S. 72). Wenn aber der Erfahrungssatz so stark ist, daß ernstliche Zweifel ausgeschlossen erscheinen (S. 70: "gänzlich unwahrscheinlich") und eine volle Überzeugung des Rechtsanwenders auch der streitigen Tatsache im Einzelfall vorliegt (S. 72), bleibt kein Raum rur eine Erschütterung des Anscheinsbeweises dadurch, daß die "ernstliche Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs dargetan wird". \blle Überzeugung des Rechtsanwenders und Gegenbeweis lassen sich nur dann sinnvoll vereinbaren, wenn die Vennutungswirkung des ersten Anscheins eingeschränkt ist und die Möglichkeit atypischer Abläufe in erheblichem Umfang ausklammert. Die Tatsache, daß ein einfacher Gegenbeweis zur Erschütterung ausreichend ist, bedingt auf irgendeiner Ebene Abstriche an der Überzeugung. 217 Zur Beurteilung des Beweiswertes aus der Lebenserfahrung als \brgang freier Beweiswürdigung vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 112 IV 1, S. 643, § 115 I, S. 657.

314

4. Teil: Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre

dungsmaßstab".218 Dies ist auch dann der Fall, wenn an die Vennutungsbasis eines Anscheinsbeweises deshalb niedrigere Anforderungen gestellt werden (können), weil das Beweismaß aus materiellrechtlichen Erwägungen reduziert iSt. 219 Bei der Beurteilung subjektiver Tatbestandsmerkmale liegt dies nahe; da aber gerade die Feststellung subjektiver Merkmale die individuelle Beurteilung des konkreten Sachverhaltes fordert, sollte trotz der notwendigen Annahme einer materiell vorgegebenen Beweismaßreduzierung dennoch nicht mit einem Anscheinsbeweis argumentiert werden; dessen Orientierung an typischen Geschehensabläufen ist mit den von der Individualität geprägten inneren Einstellungen oder Beweggründen einer Person nicht in Einklang zu bringen. 220 Von einer tatsächlichen Bestandsaufnahme her kann sich daher leicht der Eindruck aufdrängen, daß der Anscheinsbeweis an sich als Beweismaßreduzierung anzusehen ist; in Konsequenz daraus muß verlangt werden, an die Annahme des Vorliegens eines Anscheinsbeweises hohe Anforderungen zu stellen 221 und seine sachliche Berechtigung nachvollziehbar offenzulegen.

2. Ergebnis Der Anscheinsbeweis hat beweisrechtlich eigenständige Bedeutung. Er erlaubt dem Rechtsanwender, bei Feststellung einer Überdeckung eines teilweise bereits ennittelten konkreten Sachverhaltes mit einem aus der Lebenserfahrung bestätigten gleichfönnigen Vorgang ein Urteil bezüglich der Verwirklichung des Tatbestandes zu ziehen. Die Typizität der Geschehensabläufe rechtfertigt es, auf die Ennittlung atypischer Alternativen zu verzichten und sich mit einem "irgendwie-Beweis" zu begnügen, weil jede denkbare Sachverhaltsalternative zur

218

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 219.

219 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. \09, 1\ 1; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 218 f. 220 Ausführlich zu den inneren Tatsachen unten IV. A.A. Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1165, deren Auffassung allerdings nicht mit dem herrschenden Überzeugungsmodell zu vereinbaren ist; vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, § 24 VwVfG Rdn. 9: Es gibt "keinen

Erfahrungssatz über menschliches Verhalten, wenngleich die Behörde von typischen Lebenssachverhalten ausgehen kann." 221 Insofern tragen Formulierungen, die Zweifel des Gerichts (Rechtsanwenders) nahelegen, nicht zur Rechtsklarheit bei, vgl. BFH BStBI. 11 1988, 438, 439: "Doch hält es der Senat für vertretbar ... "

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

315

Verwirklichung des Tatbestandes führt. Aus diesem Grunde und nur unter diesen Voraussetzungen kann durch einen Anscheinsbeweis eine Entscheidung aufgrund einer Überzeugung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gefällt werden. Der Anscheinsbeweis ist dem Bereich der freien Beweiswürdigung zuzuordnen.

IV. Tatsächliche Vermutungen

Besondere Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Einordnung und Bedeutung bereiten die von der Rechtsprechung herangezogenen "tatsächlichen Vermutungen".222 Der Bundesfinanzhof erachtet es für zulässig, eine Feststellung nicht nur mit Hilfe eines unmittelbaren, sondern auch eines mittelbaren Beweises zu fuhren; so könne aus erwiesenen tatbestands fremden Tatsachen "Z.B. auf Grund besonderer Sachkunde oder der Lebenserfahrung" auf die Existenz der beweisbedürftigen Tatsachen geschlossen werden. 223 Unter tatsächlichen Vermutungen in diesem Sinne werden Erfahrungssätze verstanden, die typische Geschehensabläufe betreffen und sich auf das Bestehen von tatsächlichen Verhältnissen beziehen.224 Doch betrifft diese Beschreibung nur "einfache" Erfahrungssätze: Soweit nämlich als Erfahrungssatz nur der Oberbegriff für Erfahrungsgesetze, Erfahrungsgrunruätze und einfache Erfahrungssätze verstanden wird 225 , betreffen die tatsächlichen Vermutungen nur die Kategorie einfacher Erfahrungssätze. Erfahrungsgesetze, Erfahrungsgrundsätze und einfache Erfahrungssätze unterscheiden sich allgemein in ihrer

222 Nach Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 50, sei "bis heute weder klar, in welchem Umfang ihre Heranziehung zulässig ist, noch welche Rechtsnatur sie haben". Kritisch auch Nierhaus, Beweismaß, S. 12 f.; Rosenberg, Beweislast, S. 199, 210 ff.; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 86. Zur Identität der Begriffe "tatsächliche Vermutung" und "formelle Typisierung" H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 66 f. m.w.N. 223 BFH BStBl. II 1969, 550, 552; in unmittelbarem Anschluß daran betont das Gericht, daß Feststellungen "auch mit Hilfe des Anscheinsbeweises" möglich seien. 224 Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 37; Weber-Grellet, StuW 1981,48,59 j, der allerdings keine Unterscheidung zum Beweis des ersten Anscheins vornimmt. 225

Birkenfold, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 60; Tipke/Kruse, § 96

FGO Rdn. 2e; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 106.

316

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

Beweiskraft: 226 Erfahrungsgesetze führen grundsätzlich zu einer vollen Überzeugung des Rechtsanwenders, da vernünftige Zweifel gegen ihre Richtigkeit nahezu ausgeschlossen erscheinen 227 ; nach menschlichem Ermessen ist eine diese Lebensgesetze nicht berücksichtigende Entscheidung nicht haltbar. Erfahrungsgrundsätze sollen dagegen in Fällen typischer Geschehensabläufe greifen, die sich regelmäßig in gleichartiger Weise ereignen und aus deren üblichem Verlauf daher "ohne weiteres" auf das (Nicht-)Vorliegen eines bestimmten Umstandes im Einzelfall geschlossen werden kann; sie beinhalten ein so hohes Maß an Wahrscheinlichkeit 228 , daß eine gegenteilige Annahme zwar denkbar erscheinen kann, aber als unwahrscheinlich zurücktritt. 229 Eine wissenschaftliche Richtigkeitsgewähr ist für sie dennoch nicht zu verlangen. 230 Ein Erfahrungsgrundsatz ermöglicht insoweit eine Entscheidung durch mittelbaren Beweis mit einem Überzeugungsgrad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Mit Lebenserfahrungsgrundsätzen ist demzufolge ein Anscheinsbeweis zu führen. Tatsächliche Vermutungen auf derartige Erfahrungsgrundsätze zu stützen, macht daher keinen Sinn, will man die verschiedenen Institute sachlich und terminologisch auseinanderhalten.23I Aus dieser Unterscheidung ergibt

226 Ausftihrlich hierzu Birken/eid, Beweis und BeweiswUrdigung im Steuerrecht, S. 60 ff. 227 Es handelt sich hierbei um (natur-)wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, deren Durchbrechung nach menschlichem Ermessen nicht möglich erscheint, TIpke/Kruse,§ 96 FGD Rdn. 2c, 2e; Birken/eid, Beweis und BeweiswUrdigung im Steuerrecht, S. 61 f.; für das Steuerrecht erwähnt derselbe beispielshalber die "Einsicht". daß Grund und Boden nicht abnutzbar und deshalb nicht abschreibungsfähig sei. Vgl. auch Prütling, Gegenwartsprobleme, S. 103, 106, der das instruktive Beispiel des Fingerabdrucks als Identifikationsmittel als Beispiel ftir ein "Lebensgesetz" anführt.

m TIpke/Kruse, § 96 FGD Rdn. 4b; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 106: höchste Wahrscheinlichkeit. 229

Birken/eid, Beweis und BeweiswOrdigung im Steuerrecht, S. 63.

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 106. Ihr Geltungsgrad sollte daher vemonftigen Zweifeln Einhalt gebieten, ohne sie völlig auszuschließen. vgl. BGHZ 53, 245, 256; damit ist wiederum gleichzeitig das Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit umschrieben. 230

231 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 57 f., 107 f.; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 69 f. Weitergehend L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 82, wenn sie Anscheinsbeweis und "formelle Typisierung", der sie auch die tatsächlichen Vermutungen zuordnet, in Grund und Ziel unterschiedlich einordnet; dies liegt aber in dem der herrschenden

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

317

sich ein logisches Stufenverhältnis nach der Beweisstärke der jeweiligen Erfahrungssätze. 232 Die tatsächlichen Vennutungen beziehen sich demnach nur auf "einfache" Erfahrungssätze. Es handelt sich bei ihnen um Indizien 233 , die rur sich allein dem Rechtsanwender eigentlich noch keine ausreichende Überzeugung vom Vorliegen der festzustellenden Tatsache vennitteln können. 234 Sie ist "ein Prinzip der zur Würdigung tatsächlicher Verhältnisse im Einzelfall nach Maßgabe der allgemeinen Lebenserfahrung".235 Nur wenn der "Intensitätsgrad der Vennutungswirkung"236 so hoch ist, daß die einzelne Vennutung rur sich genommen eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erreicht, kann mit der einzelnen Vennutung eine Überzeugungsgewinnung rur den zu beurteilenden Einzelfall begründet werden; dann allerdings sollte man nicht von tatsächlichen Vennutungen sprechen, sondern von der Existenz eines Anscheinsbeweises ausgehen. 237

Auffassung widersprechenden Versuch des Nachweises eines generell differenzierten Beweismaßes begrundet. 232 Dies wird besonders deutlich bei Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 69 f. ("gemeinsame Wurzel"); Prütting, Gegenwartsprobleme, S. \06 ff.; Birkenfold, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 102; im Ansatz schon Flume, JZ 1953,22,24 mit Fn. 8; Hartz, DB 1957,828,829; a.A. H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 68 f., 92, der aber die tatsächliche Vermutung letztlich als Teil einer Indizienkette ansieht und sie damit doch wieder wie den Anscheinsbeweis zum "Hilfsmittel richterlicher Überzeugung" macht; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 82; es muß aber bezweifelt werden, daß bei der Berufung auf Anscheinsbeweise oder Vermutungen auf die von ihr herausgearbeitete Differenzierung Rücksicht genommen wird, vgl. z.B. BFH BStBl. II 1989,534, 536. 233 Beweisanzeichen, vgl. BFH BStBI. II 1970, 509, 510. 234

Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 108.

235 BFH BStBI. III 1957, 2, 4, zur typisierenden Betrachtungsweise; damit ist eine eindeutige Zuordnung zur Beweiswürdigung getroffen. 236 Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 61. 237 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 58 m.w.N.

318

4. Teil: Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre

1. Einzeljragen der Anwendung tatsächlicher Vermutungen, insbesondere bei subjektiven Merkmalen Die Voraussetzungen einer tatsächlichen Vennutung als Anzeichensbeweis beinhalten den vollen Beweis der Vennutungsbasis, also der unmittelbaren Tatsachen, auf die die Vennutung aufbaut sowie den daran anknüpfenden Schluß, daß das Vorliegen der tatbestandserheblichen Umstände ernstlich nicht anders möglich sei. 238 Darin liegt aber das Problem der tatsächlichen Vennutungen begründet: Kaum eine der von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung herangezogenen tatsächlichen Vennutungen reicht flir sich allein genommen aus, um darauf die volle Überzeugung des Rechtsanwenders zu gründen; der Forderung, daß diese Beweisanzeichen nur im Zusammenwirken mit anderen Umständen den Schluß auf die Existenz der tatbestandserheblichen Tatsachen zuzulassen vennögen, wird selten Genüge getan. Als Beispiel muß hierfür die "Ennittlung" subjektiver Tatbestandsmerkmale angeflihrt werden: Da nach Ansicht des Bundesfinanzhofes auf das Vorliegen subjektiver Absichten nur durch den mittelbaren Beweis aus objektiven, äußerlich wahrnehmbaren Umständen geschlossen werden kann 239 , werden tatsächliche Vennutungen oder sogar ein Anscheinsbeweis 240 bemüht. Dabei wird nicht einmal, im Gegensatz zu anderen Fällen241 , zwischen diesen beiden Instituten unterschieden. So spricht nach mehrfach bestätigter Ansicht des Bundesfinanzhofes242 das Vorliegen einer Rückkauf- oder Wiederverkaufs garantie, die auf Verlangen des

m Birken/eid, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 101 f.

239BFH BStBI. 11 1978,620,625/; 11 1990,1057,1059; kritisch Loritz, in: Loritzl Wagner, Konzeptionshandbuch, Bd. 2, Rdn. 278.

240 BFH BStBI. II 1989, 534,536, läßt ausdrücklich offen, ob der "engen, letztlich nur dem Nachweis der Kausalität oder des Verschuldens dienenden Definition" des Anscheinsbeweises, der "nur solche, vom menschlichen Willen" unabhängige Geschehensabläufe erfasse, gefolgt werden könne. A.A. ausdrücklich Birkenfold, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 84 ff., 86; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 70; Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4a. 241 Vgl. die strikte Trennung zwischen (unzulässigem) Anscheinsbeweis und Indizienbeweis bei der Feststellung des Zugangs eines Verwaltungsaktes gern. § 122 Abs. 2 AO durch BFH BStBI. II 1989,534,536/; 11 1995,41,42. 242 BFH BStBI. 11 1995, 116,117 (Indizwirkung); BFHE 175,541,544 (Anzeichen,

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

319

Steuerpflichtigen abgegeben wurde 243 , im Rahmen von Bauherrenmodellen 244 rur das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs der Immobilie. Kumulativ wirken hierbei allein der Umstand, daß ein Rückkaufangebot oder eine Wiederverkaufsgarantie objektiv vorliegen muß 245 sowie die Tatsache, daß die jeweilige Rechtsposition auf Verlangen oder im Interesse des Investors eingeräumt wurde, zusammen. Daß das Rückkaufangebot oder die Wiederverkaufsgarantie nur relevant sind, wenn sie rur einen Zeitraum gelten, in dem sich die Investition noch nicht amortisiert hat, kann kaum als weiterer Umstand beschrieben werden, sondern konkretisiert nur die Art der erforderlichen Garantie bzw. des Angebotes. Das Anzeichen 246 , das sich aus dem alleinigen Vorliegen dieser bei den objektiv nachzuweisenden 247 Umstände ergibt, kann schwerlich den Schluß zulassen, daß das Vorliegen des tatbestandserheblichen Merkmals der Gewinnerzielungsabsicht bei Erwerb der Immobilie "ernstlich nicht anders möglich" ist. 248 Das Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht wird nicht dadurch berührt, daß andere, ungünstige Entwick-

Indizwirkung); BFH BStBI. II 1995,778, 779 (Vennutung); II 1995,460,461 (Anzeichen); II 1995, 462 f (lndizwirkung, Anzeichen; Beweis des ersten Anscheins, Anscheins beweis ). 243 Anderenfalls greift die "Indizwirkung", wenn "nach den gesamten Umständen davon auszugehen ist, daß das Angebot oder die Garantie für die Investitionsentscheidung des Anlegers bedeutsam" waren, BFH BStBl. II, 1995, 462; II 1995, 116, 117. 244 Zur Bedeutung dieser Rechtsprechung für Mietkaufmodelle (BFH BStBI. II 1993, 658, 659: Anscheinsbeweis) und andere Beteiligungskonzeptionen Loritz, in: Loritzl Wagner, Konzeptionshandbuch, Bd. 2, Rdn. 280 ff. m.w.N. 245 Nach FinMin Mecklenburg-Vorpommern, Erl. vom 10.05.1993 -IV 31O-S 2253a11/92-, DB 1993, 1326, reicht for einen Beweis des ersten Anscheins allein die Existenz einer solchen Garantie aus; ablehnend Loritz, in: LoritzlWagner, Konzeptionshandbuch, Bd. 2, Rdn. 287. 246 BFH BStBl. II 1995, 116, 117. Anders FinMin Meck1enburg-Vorpommern, DB 1993, 1326, das aus der bloßen Existenz der Garantie einen Anscheinsbeweis herleitet. 247 Wobei der Steuerpflichtige bis zum "Gegenbeweis" bzw. "im Zweifel" die objektive Beweislast für das \brliegen der Gewinnerzielungsabsicht tragen soll, vgl. BFH BStBI. II 1987, 774, 776; BFHINV 1994,301,302; BFH BStBI. II 1995, 116, 117; anders Anders, 1NF 1987, 145,146 unter Hinw. auf BFH BStBI. II 1986,289 ff. 248 Im Erwerbszeitpunkt wird bei kleineren, insbesondere Wohnzwecken dienenden Immobilien selten bereits ein (langfristiger) Mietvertrag vorliegen, der die Vennutung entkräften könnte.

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4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

lungen einbeziehende Maßnahmen durch den Steuerpflichtigen vorbeugend ergriffen werden 249 ; wenn ihm dies tatsächlich möglich war, wäre jedes andere Verhalten wirtschaftlich unvernünftig einzustufen. 250 Erst recht genügen die objektivermittelbaren Umstände nicht den Anforderungen an einen Anscheinsbeweis, von dem der Bundesfinanzhof bei Vorliegen einer Rückkauf- oder Wiederverkaufsgarantie letztlich auszugehen scheint. 251 Vom Vorliegen eines Erfahrungsgrundsatzes kann in diesem Falle "ernstlich" nicht ausgegangen werden. 252 Hinsichtlich der Abbruchkosten eines Gebäudes stellt sich das Problem, ob diese sofort abzugsfähigen Aufwand darstellen oder den Herstellungskosten eines neu zu errichtenden Gebäudes (Wirtschaftsgutes) zuzurechnen sind, mit der Folge, daß sie zeitanteilig abgeschrieben werden müssen; weiterhin können sie den Anschaffungskosten von Grund und Boden zugeschlagen werden, so daß sie nicht abschreibungsfahig sind. Hat der Steuerpflichtige das Grundstück mit dem abzureißenden Gebäude zuvor erworben, hängt nach Ansicht des Bundes-

249 Auch wenn es in der Natur des Indizienbeweises liegt, aus tatbestandsfremden Tatsachen oder Erfahrungen auf das (Nicht-)Vorliegen der beweis bedürftigen steuererheblichen Umstände einen Schluß zu ziehen (Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 70), besteht vorliegend für einen Erfahrungssatz hinsichtlich des Zeitpunktes des \brliegens der Gewinnerzielungsabsicht kein ausreichender Zusammenhang. 250 Unverständlich ist es ebenfalls, daß das Gericht dem Umstand, daß von der Wiederverkaufsgarantie letztlich kein Gebrauch gemacht wurde, "keine ausschlaggebende Bedeutung" beigemessen hat, BFH BStB\. II 1995, 462, 463; denn sowohl der Anscheinsbeweis als auch eine tatsächliche Vermutung, die sich allein auf die Verkaufszusage beziehen, werden durch diese Tatsache eindeutig erschüttert: Der Bedeutung der objektiven Umstände für den Schluß auf die subjektive Absicht ist (nachträglich) der Boden entzogen; könnte nur eine Vorläufigkeitsfestsetzung nach § 165 AO. Der BFH verkennt, daß sich die von ihm (zu Unrecht) angenommene Nachweisptlicht nicht auf den Zeitpunkt zum Entschluß der Nichtinanspruchnahme der Verkaufszusage beziehen kann, sondern allenfalls die vermeintliche objektive Beweislast hinsichtlich des \brliegens der Gewinnerzielungsabsicht betrifft - der Anscheinsbeweis bzw. die tatsächliche Vermutung war bereits objektiv entkräftet. Vgl zur Entkräftung der Vermutung auch Loritz, in: LoritzlWagner, Konzeptionshandbuch, Bd. 2, Rdn. 291, 296.

251

BFH BStB\. II 1995, 462, 463.

252 Ebenso Loritz, in: LoritzlWagner, Konzeptionshandbuch, Bd. 2, Rdn. 278 ("naturgemäß beträchtliche Unsicherheiten"), Rdn. 293 ("ausgesprochen unsicher").

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

321

finanzhofes 253 und der Finanzverwaltung254 die Zuordnung davon ab, ob das Gebäude mit oder ohne Abbruchabsicht erworben wurde. Fehlt die Abbruchabsicht bei Erwerb des Grundstückes einschließlich des Gebäudes, darf der Steuerpflichtige die Abbruchkosten des alten Gebäudes als sofort abzugsfähigen Aufwand berücksichtigen (R 33a Abs. 2 S. I Nr. 2 i.V.m. S. 2 EStR 1993). Liegt sie dagegen vor und steht der Abbruch mit der Herstellung eines neuen Wirtschaftsgutes in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang, können die angefallenen Kosten nur zeitanteilig als Herstellungskosten abgeschrieben werden (R 33a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 i.V.m. S. 3 lit. a EStR 1993). Die für den Steuerpflichtigen wesentliche Zuordnung der Kosten hängt somit nur von seiner inneren Willensrichtung ab; da dieses subjektive Tatbestandsmerkmal 255 nicht ermittelbar ist, sondern auf das Vorliegen der Absicht nur mittelbar anhand äußerer Merkmale geschlossen werden kann, scheut sich der Bundesfinanzhof und in seiner Folge die Finanzverwaltung nicht, die Lebenserfahrung 256 zu Rate zu ziehen: "Wird mit dem Abbruch eines Gebäudes innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb begonnen, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß der Erwerber das Gebäude in der Absicht erworben hat, es abzureißen."m Die Vermutungsbasis ist damit schon eröffnet, wenn festgestellt wird, daß zwischen Abschluß des obligatorischen Rechtsgeschäfts 258 und dem Beginn der Abbrucharbeiten eine Zeitspanne von drei Jahren liegt; weitere Indizien müssen nicht gegeben sein. Somit erscheint es bei Anlegung des geforderten Maßstabes bereits fraglich, ob allein der Ablauf der Dreijahresfrist eine ausreichende tatsächliche Vermutung begründen könnte. Offen bleibt dagegen, wie der Bundesfinanzhof ein so hohes Maß an Wahrscheinlichkeit annehmen kann, daß eine gegenteilige Annahme zwar denkbar erscheinen könnte, aber als unwahrscheinlich zurücktreten muß. Bei inneren Umständen, die nicht den Verhaltensreaktionen auf äußere Umstände ohne bewußte Willenssteuerung

253

GrS BFH BStBI. 11 1978. 620. 624. 625 f: BFH BStBI. 11 1980. 69, 71.

254

R 33a Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 und 3. S. 2 EStR 1993.

m Zur objektiven Beweislast hinsichtlich der Abbruchabsicht BFH BStBl. 11 1980,69, 71 (Finanzamt); Weber-Grellet. StuW 1981. 48, 50 f. 54 (Steuerpflichtiger). 256 Ein besondere Sachkunde wird bei solchen allgemeinen und persönlichen Umständen nicht oder nur sehr selten herangezogen werden können. 257

GrS BFH BStBI. 11 1978, 620, 626 [Hervorh. d. Verf.]; R 33a Abs. 2 S. 4 EStR

1993. 25M

BFH BStBl. 11 1979, 509, 510; R 33a Abs. 2 S. 7 EStR 1993.

21 M. Schmidl

322

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

(Reflexe) zugeordnet werden können, kann ohne Annahme von Willkür kein nach der Lebenserfahrung typischer Geschehensablauf 59 "konstruiert" werden; ein solcher Umstand ereignet sich nicht regelmäßig in gleichartiger Weise, so daß aus dessen üblichem Verlauf "ohne weiteres" auf das Vorliegen eines bestimmten Umstandes im Einzelfall geschlossen werden könnte. 26o Die Annahme eines Anscheinsbeweises beim Erwerb in Abbruchabsicht ist insofern verfeh lt. 26 1 Die Bedenken, die sich wegen fehlender empirischer Basis gegen seine Annahme ergeben, sind allerdings nicht dadurch zerstreut, daß statt dessen "nur" eine "tatsächliche Vermutung" angenommen wird 262 : Denn fur eine tatsächliche Vermutung soll es gerade nicht ausreichen, daß nur ein einziges Indiz - wie der Zeitablauf - flir oder gegen die zu beweisende Tatsache spriche63 , wenn dieses nicht eine solche Beweisstärke hat, daß ohnehin ein anderer Verlauf "ernstlich" nicht möglich ist. Auch als tatsächliche Vermutung unterläge die Dreijahresfrist beim Erwerb in Abbruchabsicht gewissen Begründungsschwierigkeiten . Damit soll aber nur zum Ausdruck gebracht werden, daß nach den herkömmlichen Kriterien zu Anscheinsbeweis und tatsächlichen Vermutungen subjektive Tatumstände nicht mit der geforderten hohen bzw. höchsten Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit nachvollziehbar gemacht werden können. Eine empirische Absicherung 264 derartiger Unterstellungen ist praktisch wenig erfolgversprechend

m BFH BStBI. 11 1969, 550, 552. 260 Ablehnend Birken/eid, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 86; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 70. Interessanterweise ordnet Kemper, Beweisprobleme im Wettbewerbsrecht, S. 127 ff., die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr des Wettbewerbsverstoßes als gewohnheitslCchtlich abgesicherte Regel einer objektiven Beweislast ein. 261

So auch Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4d.

262 Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4d fUhren aus, daß der Abbruch eines Gebäudes innerhalb von drei Jahren nach Erwerb die Abbruchabsicht bei Erwerb "indiziere", in Wahrheit also ein Anzeichensbeweis vorliege. 263 Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 108; unklar Birkenfeld, Beweis und Beweiswürdigung im Steuerrecht, S. 104, wonach Erfahrungssatz und Anzeichen als tatsächliche Vermutung den (widerlegbaren) Beweis erbringen sollen; fraglich ist, ob Birkenfeld "widerlegbarer Beweis" mit "vollem Beweis" gleichsetzt. 264 Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 66 unter Hinw. auf Tipke/Kruse, § 81 FGO Rdn.2.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

323

und der Finanzverwaltung im steuerlichen Massenverfahren im Einzelfall unzumutbar. 265 Es liegt daher nahe, sie als "Vorurteil" abzuqualifizieren 266 ; über ihre Richtigkeit ist dadurch dennoch kein Urteil getroffen. Bei der Beurteilung subjektiver Umstände anderer Personen kann nur ein Vorurteil gefällt werden. Dies ändert sich auch nicht bei einer Objektivierung dieses Urteils durch Abstellen auf äußerlich wahrnehmbare Tatsachen. Denn es handelt sich um die Entscheidung des Rechtsanwenders, wie er selbst oder ein Dritter, dessen Sachkunde sich der Rechtsanwender bedient, in einer der zu beurteilenden vergleichbaren Situation "gehandelt"267 hätte und welche der die innere Willensbildung beeinflussenden Kriterien sich seiner Auffassung nach in äußerlich wahrnehmbaren Faktoren manifestieren. Ohne Rückgriff auf die Frage, wie man selbst gehandelt hätte, läßt sich ein begründbares Urteil über die Willensrichtung eines anderen überhaupt nicht treffen. 268 Daß es sich bei einem so verstandenen Messen am eigenen Verhalten um ein klassisches "Vorurteil" handelt, läßt sich schwerlich von der Hand weisen. Tatsächlich verbleibt bei einem derartigen Beurteilungsvorgang aber ein Ungewißheitsrest, da immer eine andere subjektive Entscheidung ernstlich denkbar bleibt: Denn daß der andere, dessen subjektive Einstellung zu ermitteln ist, notwendig auch vernünftig, wirtschaftlich, emotionslos, analytisch etc. handelt, ist eine Prämisse, die gerade in einem Massenfallverfahren zugrundegelegt werden muß, mit der Wirklichkeit aber nicht übereinzustimmen braucht, weil gegenläufiges Verhalten einer

265 Fraglich erscheint dagegen, ob vor einer Verbindlichmachung durch Verwaltungsvorschriften (wie beispielsweise in R 33a Abs. 2 S. 4 EStR 1993) flir zukünftige Veranlagungsfalle nicht eine empirische Erhebung verlangt werden könnte; da auch der BFH vor "Begründung" einer tatsächlichen Vennutung oder eines Anscheinsbeweises hierzu keine gutachterliehe Stellungnahme (besondere Sachkunde) eingeholt haben wird, sondern von der subjektiven Lebenserfahrung ausgegangen ist, erscheint zur Verfestigung einer solchen Regel eine eingehende Untersuchung angezeigt. Die Finanzverwaltung besäße dazu auch ausreichendes Tatsachenmaterial. 266 Zu dieser Problematik Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4e; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 66 m.w.N.; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 106, 109, wobei dessen Ansicht, daß \brurteile einen Wahrscheinlichkeitsschluß nicht zulassen, im Hinblick auf objektivierte innere Tatumstände nicht überzeugen kann. 267

Umfaßt ist auch eine innere Entscheidung oder Empfindung.

26K Dies gilt natürlich nur flir die Situation. in der diese Willensrichtung nicht durch (glaubwürdigen) Zeugenbeweis oder Urkundsbeweis erbracht zu werden vennag, was allerdings der unproblematische Ausnahmefall sein dürfte.

21'

324

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

objektivierten "Lebenserfahrung" nicht zugänglich ist. Somit ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zur vollen Überzeugung, auch nur eine große Wahrscheinlichkeie69 , nicht zu gewinnen. Bei der Feststellung "innerer Tatsachen" ist daher bereits materiellrechtlich eine Absenkung des Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vorgegeben. 270 Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß bei inneren Tatsachen die Führung eines Anscheinsbeweises nur dann zugelassen werden kann, wenn von dem Erfordernis eines gleichsam mechanisch abrollenden, vom menschlichen Willen unabhängigen Geschehnisses 271 Abstand genommen und eine materiellrechtlich gerechtfertigte Absenkung des Regelbeweismaßes bejaht wird; dadurch würde aber die terminologische Klarheit des Begriffs "Anscheinsbeweis" aufgehoben. Zutreffender wäre daher eine Einordnung als tatsächliche Vermutung im Rahmen der mittelbaren Beweisführung, die sich auf unterschiedlich starke Indizien stützt und grundsätzlich272 eine Absenkung des Beweismaßes

269

BFH BStBl. II 1989, 534, 536.

270 Vgl. Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 108 f., II L der diese materiellrechtliche Wertung im Zivilrecht bei der Frage des Nachweises der Kausalität überzeugend nachweist; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 92, 95. Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4e, halten eine "verfahrensrechtliche Orientierung am Normalfall" als tatsächliche Vermutung bzw. formelle Typisierung für unzulässig, weil "anstelle ordnungsgemäßer Aufklärung ... vordergründig nur das gelten" soll. "was eigener, subjektiver Lebenserfahrung und/oder wirklicher oder vermeintlicher Normalität" entspräche: "Auf solche Art läßt sich der Sachverhalt nicht mit der erforderlichen Sicherheit ... erweisen." Allerdings soll nach der "gebotenen offenen Erörterung der materiellrechtlichen Wertungsfrage" eine Beweismaßreduzierung im Einzelfall gerechtfertigt sein; bei "inneren Tatsachen" sei dies aber generell der Fall, Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 13. 271 BGH LM Nr. 11 zu § 286 (C) ZPO; NJW 1961,777, 779; Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4a; Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 77; Stein/Jonas/Leipold, § 286 ZPO Rdn. 99; vgl. auch Birkenfeld, Beweis und Beweiswürdigung, S. 75,88,93.

Kritisch BFH BStBl. II 1989, 534, 536. 272 Im Ergebnis nun wohl ebenso Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 13, wenn sie auf den sachtypischen Beweisnotstand bei inneren Tatsachen rekurrieren. Birkenfeld, Beweis und Beweiswürdigung, S. 90, und Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 71, wenden sich ebenfalls gegen eine Einordnung als Anscheinsbeweis, ordnen diese Fälle aber dem

Anzeichensbeweiszu, der "auf einer Analyse der Einzelumstände des konkret in Frage stehenden Falles" beruhen soll. Da zumindest Hey dies auf alle inneren Tatsachen bezieht, stellt sich die Frage nach der Abgrenzung von einer tatsächlichen Vermutung

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

325

beinhaltet. Daß damit "der prozessuale Effekt des Anscheinsbeweises - erleichterte Beweisflihrung mit der Folge einer erhöhten Darlegungslast des Beweisgegners ... _,,273 erreicht wird, steht außer Streit. 274

2. Legitimationsfragen Völlig unklar ist die Legitimationsbasis flir die tatsächlichen Vermutungen. Der Anscheinsbeweis bezieht seine Legitimation daraus, daß die "Überzeugungswirkung" der ihm zugrundeliegenden Lebenserfahrung so groß ist, daß bereits die Feststellung der Vermutungsbasis einen Grad von Sicherheit bewirkt, der der Annahme eines atypischen Geschehensablaufs "Schweigen gebieet".275 Soweit allerdings bei einem Anscheinsbeweis Beweismaßreduzierungen vorgenommen werden, muß ein zusätzlicher Legitimationsgrund hinzutreten, der nur "von der jeweils anzuwendenden materiellrechtlichen Norm her zu entwikkeIn" sein kann. 276 Diese Ableitung trifft aber nicht in gleicher Weise auf einfache Lebenserfahrungssätze in der Form tatsächlicher Vermutungen zu.

a) Begründungsansätze Der Bundesfinanzhof betont zunächst, daß eine Feststellung nicht nur mit Hilfe eines unmittelbaren, sondern auch eines mittelbaren Beweises geftihrt zumindest in den Fällen, in denen flir eine entsprechende Vennutung nur auf einzelne äußere Merkmale abgestellt wird, z.B. das Vorliegen einer Wiederverkaufs- oder Rückkaufgarantie bei Bauherren- oder Mietkaufmodellen. 273

Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4e.

214

I.d.S. auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 220 m.w.N.

275 So die Fonnulierung in BGHZ 53, 245, 256, zum Überzeugungsgrad beim Regelbeweismaß; L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 81. Selbstverständlich muß der Rechtsanwender atypische Gegebenheiten berücksichtigen, wenn sie ersichtlich sind; wenn er aber nach ihnen forschen müßte (Untersuchungsgrundsatz), verlöre der Anscheinsbeweis jegliche Bedeutung. Sofern den Ausflihrungen Bergs, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 106 f., Gegenteiliges zu entnehmen ist, kann dem nicht gefolgt werden. Die Feststellung der "Erfahrungsbasis" eines Anscheinsbeweises beschränkt daher den Untersuchungsgrundsatz.

276

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 219.

326

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

werden könne, aus erwiesenen Tatsachen also "z.B. auf Grund besonderer Sachkunde oder der Lebenserfahrung" auf die Existenz der beweisbedürftigen Tatsachen geschlossen werden dürfe. 277 Rechtsvermutungen, tatsächliche Vermutungen und ein allgemeiner Erfahrungssatz werden dabei oftmals in einen Zusammenhang gestellt. 278 Das Gericht hält eine Typisierung "in bestimmten Grenzen" für unverzichtbar, wenn nicht die Gleichmäßigkeit und leichte Durchführbarkeit der Besteuerung gefährdet werden solle; zur Begründung dieser (formellen) Typisierung und der tatsächlichen Vermutungen, soweit diese auch vom Bundesfinanzhof dazugerechnet werden, wird demzufolge der "Hauptgrundsatz der modemen Besteuerungspraxis", die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, die aus Art. 3 Abs. I GG abzuleiten ist, herangezogen. 279 Diese Auffassung kann aber nur dann unwidersprochen bleiben, wenn der so "ermittelte" Sachverhalt "ohne weiteren Nachweis die volle Überzeugung des Gerichts" herbeizuführen vermag. 280 Anderenfalls läge eine besonders zu begründende Ausnahme vom Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vor. 281 Deshalb vertreten Tipke/Kruse die Auffassung, daß die "verfahrensrechtliche Orientierung am Normalfall" als "formelle Typisierung" unzulässig sei, da sich

277 BFH BStBI. II 1969, 550, 552. Angesprochen ist damit die Unterscheidung in eine "besondere" und "allgemeine" Lebenserfahrung, vgl. auch Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 2e; Brockmann, Lebenserfahrungssätze, Sachverhaltsvermutungen und Sachverhaltsfiktionen im Steuerrecht, S. 22 ff; Hainmü/ler, Anscheinsbeweis, S. 26 ff.; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 63 f.

278 Vgl. z.B. BFH BStBI. II 1980, 402, 403, unter Hinw. auf §§ 685 Abs. 2, 1620 BGB, aber ohne auf den Gesetzeszweck und die Legitimation für die geregelten Konstellationen einzugehen. 279 BFH BStBI. II1 1957, 2, 4; die "leichte Durchführbarkeit des Besteuerungsverfahrens" wird danach nur als faktische, nicht aber materielle als '.braussetzung einer Typisierung angesehen. Vgl. auch Seeger, BB 1984,51,52/; v. Bornhaupt, BB 1986, 447; kritisch und im Ergebnis ohne Begründung Brockhoff, StbJb 1963/64, 317, 324 ff.; Crezelius, StuW 1981, 117, /2/, /25.

2KO BFH BStBI. 11 1989, 534, 536, für den Anscheinsbeweis; GrS BFH BStBI. 11 1978, 620, 626, läßt für den Anscheinsbeweis hinsichtlich der Abbruchabsicht ausreichen, daß "in der Regel" der Steuerpflichtige andere Zwecke als eine Nutzung des Gebäudes beabsichtigte; hierzu sogleich. 2KI

SO auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 220.

8. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

327

so die "erforderliche Sicherheit" nicht gewinnen lasse. 282 Ebenso könne es nicht angehen, aus Gründen der Verfahrensökonomie 283 nur der Verwaltung Typisierungsspielräume und damit die Möglichkeit der Verwendung tatsächlicher Vermutungen auf der Basis der Lebenserfahrung zu eröffnen, nicht aber den Finanzgerichten. 284

Loritz vermag im Zusammenhang mit der Regelung der Gewinnerzielungsabsicht in § 15 Abs. 2 EStG keine Rechtsgrundlage für die Aufstellung von "Vermutungen, , Anscheinsbeweisgrundsätze[n)' und Umkehrungen der Feststellungslast" durch den Bundesfinanzhof erkennen. 285 Er weist darauf hin, daß dort, wo der Gesetzgeber "in Kenntnis der Situation"286 keine Regelung erlassen hat, Art. 20 Abs. 3 GG einer Rechtsfortbildung entgegenstehe. 287 Die

2K2 Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4e. Allerdings sehen dieselben den Anscheinsbeweis beim Erwerb in Abbruchabsicht als zulässigen Indizienbeweis an, § 96 FGO Rdn. 4d: zum erforderlichen Beweismaß beziehen sie hierbei nicht Stellung. Vgl. auch Söhn, in: HübschmannlHepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 77 a.E.: "Die Verwendung undifferenzierter oder von \brurteilen geprägter Erfahrungssätze ist apriori unzulässig." Grundsätzlich auch Ruppe, in: HermannlHeuer/Raupach, Einf. ESt Rdn. 677, der aber die widerlegbare Beweisvermutung für zulässig erachtet, wenn die allgemeinen Grenzen des Prima-facieBeweises eingehalten sind; diese Beschränkung ist unklar: Soweit sich tatsächliche Vermutungen dann auf innere und somit nicht "gleichsam mechanisch abrollende" \brgänge beziehen, blieben sie unzulässig.

misensee, StuW 1973, 199, 203, bezeichnet die "Effizienz der Aufgabenerflillung" und die "Ökonomie der Mittel" als "richtungsweisende Rechtsprinzipien". Arndt, Praktikabilität und Effizienz, S. 58 ff., 81, versucht die Typisierung durch Verwaltungsvorschriften damit zu rechtfertigen, daß sie immerhin ein "Mehr" an Gleichbehandlung geWährleisten als eine aus diesem Grunde rechtswidrige strikte Individualermittlung. Tendenziell ebenso Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 68, der eine Einschränkung für die Fälle macht, in denen der Gesetzgeber in zurechenbarer Weise untätig geblieben ist. 2K4lsensee, Die typisierende Verwaltung, S. 177 tf.: ders., StuW 1973, 199, 205. Dagegen schon oben I. Teil B. 11.; Tipke/Kruse, § 4 AO Rdn. 135b weisen auf einen Verstoß gegen § 88 AO und Art. 3 Abs. I GG hin: Hey, Beweislast und Vermutungen, S.62. m OB 1992, 1156, 1/58 jJ. 2K6 Speziell bei Änderung der Regelung in § 15 Abs. 2 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1984, BStBI. I 1984, 14, 17. 2K7

Loritz, OB 1992. 1156, 1158; hinsichtlich der Konstituierung von Erklärungs- und

328

4. Teil: Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre

Vielzahl der Vermutungen diene allein dem Zweck, das materielle Recht "im Gewande des Verfahrensrechts" zu Lasten des Steuerpflichtigen zu verändern; der Rechtsprechung fehle hierzu prinzipiell die Legitimation. 288 Eine eingehende Auseinandersetzung mit der (richterlichen) Typisierung, die als spezieller steuerrechtlicher Begriff für die "tatsächliche Vermutung" aufgefaßt wird, nimmt H. Meyer vor. 289 Ohne unmittelbar auf deren Berechtigung einzugehen, versucht er eine systematische Einordnung; dabei lehnt er die Zuordnung zur objektiven Beweislast ebenso ab wie eine Gleichstellung mit den gesetzlichen Vermutungen. 290 H. Meyer gelangt zu dem Ergebnis, daß die Typisierung nur im Rahmen der Überzeugungsbildung, also der Beweiswürdigung, "ihren Platz beanspruchen" kann und sieht sie nur "als einzelnes Indiz in der gesamten Indizienkette bei der Feststellung des wahren Sachverhaltes".291 Mit dieser "Einordnung" hat er sich aber erheblich von seinem Ausgangspunkt entfernt, daß die Typisierung (tatsächliche Vermutung) im Gegensatz zum

Mitwirkungsptlichten, wobei auch die Umkehrung der Feststellungslast bzw. bei Vermutungen der Gegen(teils)beweis einzubeziehen ist, weist Loritz zusätzlich zu der Betroffenheit von Art. 14 GG auf Art. 2 Abs. I GG hin, da hierdurch in die Freiheit des Steuerpflichtigen eingegriffen werde: "In diesen verfassungsrechtlich hochsensiblen Bereichen ist es ... grundsätzlich Aufgabe der Finanzbehörden, ... den Nachweis zu erbringen, daß ein bestimmter Steuertatbestand erfüllt ist". 2KK Loritz, OB 1992, 1156. 1158. mit ausführlichen Nachw. zu Teilwertvermutungen und dem Anscheinsbeweis bei Mietkaufmodellen in Fn. 17 f. Zu den nicht zu leugnenden materiellrechtlichen Wirkungen Stall, AcP 176 (1976), 145, 148/; Stürner, ZZP 98 (1985),237,238; Jauernig,Zivilprozeßrecht, § 50 VII, S. 190. Nach Thümmel/SparbeJg, OB 1995, \0 13, 1015, führen Beweislastumkehr und prima-facie-Beweis (bei der GmbH-rechtlichen Organ haftung) im Ergebnis zu einer Garantiehaftung, also zu einer Änderung der materiellrechtlichen Haftungsnormen.

2K9

Beweislastprobleme, S. 66 ff.

290 Diese "Nähe" ist auch in der Rspr. des BFH anzutreffen, vgl. BStBl. 11 1980, 402, 403: "Wenn auch keine Rechtsvermutung besteht, ... so besteht doch ... eine tatsächliche Vermutung für ... " H. Meyerbetreibt hierzu eine eingehende Auseinandersetzung mit der Legitimation der Typisierung als Richterrecht (Beweislastprobleme, S. 77 ff.) bzw. aufgrund einer Normsetzungskompetenz der Verwaltung (S. 83 ff.) sowie einer Analogie (S. 88 f.). 291 Beweislastprobleme, S. 91. Wenig nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen dann eine einzelne tatsächliche Vermutung (Indiz) Amtsermittlungsgrundsatz und korrespondierende Mitwirkungspflichten steigern können soll.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

329

Anscheinsbeweis nicht lediglich "Hilfsmittel"292, sondern "Surrogat" der richterlichen Überzeugung sei. 293 Als einzelnes Indiz bei der Beweiswürdigung bedarf die Typisierung zwar keiner besonderen Legitimation; die von der Rechtsprechung angewendeten tatsächlichen Vermutungen erfaßt er mit einer derartigen Beschreibung allerdings nicht. 294 Im Ergebnis bleibt die Legitimation zur Verwendung tatsächlicher Vermutungen völlig offen 295 ; das Fazit, daß (den Gerichten) "trotz allen Bedenken ... der Weg zur tatsächlichen Vermutung" nicht "generell verbaut werden" dürfe, bestätigt dies. 296 Widersprüchliche Ausführungen finden sich hingegen bei H eYl.97, wenn einerseits betont wird, daß (tatsächliche) Vermutungen dem Rechtsanwender das "erforderliche Maß an Überzeugung" zu vermitteln vermögen und "nicht zu einer Absenkung des Beweismaßes" führten 298 , andererseits aber hervorgehoben wird, "daß Vermutungen immer nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den Geschehensablauf erlauben".299 Der Zusammenhang mit der Gesetzmäßigkeit ist offensichtlich, doch rechtfertigt er gerade nicht ein Abweichen vom Regelbeweismaß, auch wenn die anzuwendenden Vermutungen eine "hinreichend fundierte Grundlage,,300 besitzen: Der Gesetzmäßigkeitsgrundsatz kann nur der Prüfungsmaßstab, nicht aber Legitimationsbasis tatsächlicher Vermutungen sein. 301

292

So auch Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 77.

293

H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 68.

294 Dies läßt sich auch kaum mit seiner (zutreffenden) Einschätzung vereinbaren, daß die Rspr. mit den Vennutungen im Endeffekt eine subjektive Beweislast (Beweisführungsptlicht) eingeführt hat. 295 Zumal H. Meyer,Beweislastprobleme, S. 95, ausdrücklich Praktikabilitätsar gumente und den Gleichbehandlungsgrundsatz als Rechtfertigungselemente nicht gelten läßt. 296 H. Meyer, Beweislastprobleme, S. 96; ohne gen aue Verortung auch Rasenack, OB 1974,937,939 f

297

Beweislast und Vennutungen, S. 37 f., 62.

29K

Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 38.

299 Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 62; ebenso Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 96 ff., 98, /05. Unklar Nierhaus, Beweismaß, S. 13.

300

Hey, Beweislast und Vennutungen, S. 63.

301

Deutlich Loritz, OB 1992, 1156, JJ 58.

330

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

L. Osterloh sieht die beweisrechtliche Legitimation tatsächlicher Vermutungen 302 zunächst als "sehr zweifelhaft" an. 303 Den Ansatzpunkt fur eine zulässige "normative Orientierung" einer formellen Typisierung, zu der sie die tatsächlichen Vermutungen rechnet, glaubt sie im Beweismaß zu finden; daran macht sie eine als rechtliche Wertung offen zu begründende Entscheidung darüber fest, ob eine bestimmte Wahrscheinlichkeitsaussage ausreicht, um einen Sachverhalt als hinreichend bewiesen anzusehen. 304 Sie löst sich für das Steuerrecht von der Fixierung auf ein Regelbeweismaß, und versucht statt dessen das Beweismaß "qualitativ" auszugestalten. JOS Die differenzierende Betrachtung des Beweismaßes gründet sie darauf, daß "die auf massenhafte Sachverhaltsfeststellungen in massenhaften Verwaltungsverfahren angelegte und angewiesene Realisierung der materiellen Besteuerungsnormen" es erforderlich machten, "die jeweils maßgeblichen beweisrechtlichen Anforderungen auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten eines rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens abzustimmen". Nach ihrer Ansicht bilden Gleichheitssatz und Übermaßverbot gleichermaßen die "zentralen Abwägungsmaßstäbe" für eine "gerechte Ausgestaltung des Beweismaßes".J06

)02 Diese grenzt L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 82, streng vom Anscheinsbeweis ab und weicht damit von der allgemeinen Auffassung ab, daß beide eine "gemeinsame Wurzel" (Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 69) haben.

)03 Gesetzesbindung, S. 86. 304 L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 219 f.; ähnlich Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 4e unter Hinw. auf Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 211 ff.. 232 ff. )OS

L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 325 ff.

)06 L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 322 f. Einen Hinweis verdient, daß sie "die verfassungsrechtlich legitime Offenheit des geltenden Beweisrechts" als Grund dafiir ansieht, daß "den Rechtsanwendungsinstanzen in einem allerdings erstaunlichen Ausmaß materiell höchst bedeutsame RechtsetzungsauJgaben zugewiesen" seien (a.a.O., S. 323 [Hervorh. d. Verf.]); zur Gewährleistung einer an den Maximen eines fairen und zumutbaren Besteuerungsverfahrens ausgerichteten beweisrechtlichen Risikoverteilung könnten daher differenzierende Beweismaßbestimmungen nutzbar gemacht werden. Interessanterweise versucht Nierhaus, Beweismaß, S. 449 ff., bei Aufrechterhaltung des Überzeugungsmodells den Grundsatz des fairen Verfahrens für die Beweislastverteilung nutzbar zu machen. Vgl. auch das von Brockmann, Lebenserfahrungssätze, Sachverhaltsvermutungen und Sachverhaltsfiktionen im Steuerrecht, S. 30 f., als Beziehungsgeflecht entwickelte "magische Dreieck" aus Steuergerechtigkeit, Verwaltungsökonomie und Steueraufkommen.

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen

331

b) Stellungnahme Zutreffend dürfte der Ausgangspunkt sein, daß vor Abstellen auf eine einfache Lebenserfahrung zunächst der konkrete Sachverhalt vom Finanzamt (oder -gericht) zu ermitteln versucht werden muß; dies verlangen bereits § 88 AO J07 und "das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung"J08 (Art. 20 Abs. 3 GG). Trifft dies dabei auf einen Umstand, dem ein verallgemeinerungsfähiger typischer Geschehensablauf zugrundeliegt, bestimmt dessen Typizität den weiteren Untersuchungsverlauf: Je atypischer ein von dem Erfahrungssatz verlaufendes Geschehen ist, je stärker wird der Untersuchungsgrundsatz verschoben; dagegen kann ein dem § 88 Abs. 2 AO innewohnendes Typisierungsverboe 09 nicht angeführt werden, weil sich der Umfang der Amtsermittlungspflicht ebenfalls nach den konkreten Umständen des Einzelfalles richtet, § 88 Abs. 1 S. 3 AO. JIO Diese notwendige Einschränkung des Untersuchungsgrundsatzes ist die Folge des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit (Übermaßverbot) und des Prinzips der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, Art. 3 Abs. 1 GG. J11 Liegt daher für den untersuchten Einzelfall ein überzeugender Erfahrungssatz hinsichtlich eines verallgemeinerungsfähigen typischen Geschehensablaufs vor, der konkret entscheidungsrelevant erscheint, leitet die Lebenserfahrung die Richtung und die Intensität der Ermittlungen hin zum Allgemeinen. Dadurch geraten auch die Verantwortungsbereiche bezüglich der Sachaufklärung in Bewegung: Für atypische Abläufe besteht nunmehr keine generelle weitere Ermittlungsptlicht der Finanzbehörde. Die Mitwirkungsptlich-

J()7 V gl. Berg, Verwaltungsrechtliche Entscheidung, S. 105 f.. der hier auch eine Abgrenzung zur Anwendung des Anscheinsbeweises vornimmt; TipkelKruse, § 4 AO Rdn. 135b; Loritz, OB 1992, 1156, 1158; Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 61 f. JOK

Hey, Beweislast und Vermutungen, S. 63 [Hervorh. d. Verf.].

J()9 Darauf weist L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 83 f., hin, da nach dieser \brschrift alle "für den Einzelfall" bedeutsamen Umstände ermittelt werden müssen. JIO Auch ohne das \brliegen eines typischen Geschehensablaufes, der einen Lebenserfahrungssatz rechtfertigt, ist die Finanzbehörde nicht verpflichtet, allen denkbaren Umständen nachzugehen, allg. Meinung, vgl. Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 4.

J 11

V gl. auch TipkelKruse, § 162 AO Rdn. I: zu diesem Zusammenhang bei der Typi-

sierung auch Isensee, StuW 1973, 199, 201; zweifelnd L. Osterloh, S. 84, die aber letztlich auch diese Prinzipien flir eine generelle Beweismaßreduzierung im Steuerverfahrensrecht heranzieht, vgl. dies., Gesetzesbindung, S. 322 f.

332

4. Teil: Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre

ten des Steuerpflichtigen werden dadurch aber nicht gesteigert312 ; dennoch vermag es der Steuerpflichtige durch seine Mitwirkung, die Zumutbarkeitsgrenze für weitere Ermittlungen durch die Finanzbehörde hinauszuschieben und die Untersuchung somit auch auf sehr atypische Geschehensabläufe zu erstrekken. Reicht das Ergebnis der zumutbaren Ermittlungen nicht zu einer Entscheidung aufgrund einer Überzeugung der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit im konkreten Einzelfall aus, besteht eine spezifische Beweisnotsituation, weil das "Sollen" (an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit) und das "Können" (Wahrscheinlichkeitsgrad nach Maßgabe des typischen Verlaufs) nicht übereinstimmen, weitere Untersuchungen aber rechtlich nicht erforderlich sind. Nach Maßgabe eines Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit313 ist in dieser Situation ein non liquet gegeben; damit lägen die Voraussetzungen einer Schätzung nach § 162 AO oder einer Beweislastentscheidung vor. 314 Daß es dennoch zu einer Entscheidung kommen darf, die die atypischen Merkmale des Sachverhalts entsprechend der der jeweiligen tatsächlichen Vermutung immanenten Wahrscheinlichkeit ignoriert, kann die der Schätzungsbefugnis des § 162 AO zu entnehmende allgemeine Wertung der Anwendung eines reduzierten Beweismaßes bei mangelnder (rechtlicher) Ermittelbarkeit der Besteuerungsgrundlagen rechtfertigen. 315

312 Zu der verfassungsrechtlichen Anbindung Loritz, DB 1992, 1156, 1158. A.A. z.B. Helsper, in: Koch/Scholtz, § 88 AO Rdn. 15; bei Unerweislichkeit des atypischen Ablaufs läge dann allerdings eine Mitwirkungspflichtverletzung vor, die selbständig gewürdigt werden könnte und eine Entscheidung unter Außerachtlassung des individuellen Sachverhaltes rechtfertigen könnte. Vgl. auch BFH BStBI. 11 1992, 128, 131: "Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten rührt insofern nicht nur zu einer Begrenzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht ... , sondern auch zu einer Minderung des ... vorgesehenen Beweismaßes. Der Grad der grundsätzlich erforderlichen Gewißheit (Überzeugung) reduziert sich in der Weise, daß der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf." Insofern bedürfe es "keiner Anwendung der Regeln über die Verteilung der Feststellungslast (Beweislast)". 313

TipkeiKruse, § 96 FGO Rdn. 9.

314

Hierauf weist auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 317, hin.

315 Martens, StuW 1981, 320, 328; S. Martin, BB 1986. \021, 1029 f Grundsätzlich hierzu auch lsensee, Die typisierende Verwaltung, S. 116 ff.. der aber auf die Gefahr einer Typisierung als unbegrenzter Schätzung hinweist; ebenso L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 85. Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 78, betont, daß

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

333

Die zivilrechtliche Situation ist insofern anders, als bei mangelnder Überzeugung unmittelbar auf die den materiellen Rechtsnormen (regelmäßig) immanenten Wertungen der objektiven Beweislast zurückgegriffen werden könnte; diese enthalten nämlich nur eine Risikozuweisung an die Parteien, die nicht den Gesichtspunkt der Gleichmäßigkeit dieser Entscheidung im Verhältnis zu Dritten berücksichtigt. Da die objektive Beweislast bei Erlaß der Steuerrechtsnormen regelmäßig nicht mitberücksichtigt wird3\6, kann die über die Anwendungsgleichheit mittelbar erzielte Gleichbehandlung unaufklärbarer Sachverhalte nicht eine anzustrebende materielle Belastungsgleichheie 17 herstellen. 318 Die in dieser "Beweisnotsituation,,319 bestehende Verpflichtung zur Berücksichtigung einer allgemeinen, die konkreten Einzelumstände nicht einbeziehenden Lebenserfahrung stellt dagegen eine Brücke zur Überwindung

auch die Schätzung der materiellen Wahrheitsfindung diene, eine Absenkung des Regelbeweismaßes mittels § 162 AO lehnt er jedoch ab. 316 Allg. Ansicht, vgl. TipkeiKruse. § 96 FGO Rdn. 17b: BFH BStBI. 11 1979,482, 487; Bettermann, Verhandlungen des 46. DJT 1966, Bd. 11, E 26, 38. 317 Ungeschriebene Beweislastnonnen brächten insoweit die intendierte materielle Belastungsgleichheit ins Wanken, da diese nur dann gewährleistet ist, wenn die tatbestandlichen \braussetzungen der Steuemonn jeststehen; dies tun sie auch dann, wenn das Beweismaß zulässigerweise reduziert ist (§ 162 AO enthält eine gesetzliche Legitimation zur Festsetzung in ennittlungsbedingten Zweifelsfällen!). Die Beweislastentscheidung trifft aber gerade keine Feststellung hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen der Nonn. Nach Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 62, handelt es sich bei der Beweislastnonn um "einen Rechtssatz, nach dem sich, einerlei ob der Entscheidungsinhalt objektiv das Richtige trifft oder nicht, wenigstens die Rechtmäßigkeit des richterlichen Verhaltens als solchem bestimmt". Daß bei einer Übertragung dieser zivilrechtlieh ausgerichteten Beschreibung auf das Steuerrecht die materielle Belastungsgleichheit der "Rechtfertigung" richterlichen bzw. verwaltungsmäßigen Verhaltens geopfert würde, ist evident. Zur Gesetzesanwendungsgleichheit auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 324; Kirchhof, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 125 Rdn. 63.

31K Dies verkennt L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 234, wenn sie darauf hinweist, daß eine Schätzung die "generell vorgegebene Verteilung der materiellen Beweislast" ändere. Die Steuergesetze enthalten gerade keine materiell vorgegebene Risikozuweisung. Im übrigen würden alle gesetzlichen Regelungen, insbesondere auch §§ 88, 162 AO, der Risikoverteilung durch die objektive Beweislast vorgehen und deren Wertungen überlagern. 319

Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 13.

334

4. Teil: Die Tragfahigkeit der Beweislastlehre

eines "zunächst" eingetretenen non liquet im Hinblick auf das Regelbeweismaß dar. 320 Die Übereinstimmung der Berücksichtigung der Lebenserfahrung mittels tatsächlicher Vermutungen und der (Grundlagen-)Schätzung sind demzufolge evident: Beide setzen den Versuch der Sachverhaltsermittlung mit dem Ziel der Feststellung am Maßstab des Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit und dem Ergebnis eines non liquet voraus 321 ; beide Institute verweisen trotz eines non liquet auf die Beweiswürdigung zurück, indem sie eine Feststellung mit vermindertem Überzeugungsgrad erlauben. 322 Eine Beweislastentscheidung wird nicht erforderlich. Eine unbedingt notwendige Einschränkung flir die Heranziehung tatsächlicher Vermutungen ist jedoch zu verlangen: "Das Scheitern der Sachverhaltsermitt-

320

Der Schätzungs befugnis wohnt demzufolge eine materiellrechtliche Komponente

inne. 321 Ein non Iiquet wird im Regelfall nicht vorliegen, wenn die Sachverhaltsaufklärung wegen einer Mitwirkungspflichtverletzung scheitert; diese ist selbständig zu würdigen (entsprechende Anwendung des allgemeinen Rechtsgedankens aus § 444 ZPO, vgl. Tipke/Kruse, § 96FGO Rdn. 2a, 3, 11 f.) und wird zur Überzeugung des Rechtsanwenders vom \brliegen oder Nichtvorliegen der Tatsache führen; anderenfalls tritt ein non Iiquet zwar ein, doch wird die Überzeugung des Rechtsanwenders vom Gegenteil dann so hoch sein, daß für das Nichtvorliegen bzw. \brliegen der Tatsache (entgegen der Wertung des § 444 ZPO) eine Vermutung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit spricht. Gegen eine grundsätzliche Beweismaßreduzierung bei Mitwirkungspflichtverletzungen Söhn, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rdn. 80; Nierhaus, Beweismaß, S. 70 f., 115 gegen BFH BStBI. II 1989,462,464; II 1992,55,56; II 1992, 128,131.

m Wegen dieser Gemeinsamkeiten kann die unterschiedliche Behandlung der Sachverhaltsfeststellung aufgrund reduzierten Beweismaßes beim Beweisverderber und der Schätzung bei Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 3 a.E. (unter Hinw. auf BFH BStBl. II 1989, 462, 464, wo das Gericht die Argumentation über § 162 AO sogar voranstellt), nicht überzeugen. Wenn diese auch im Finanzverwaltungsverfahren auf den "allgemeinen Rechtsgedanken" aus § 444 ZPO abstellen, liegt dieser auch § 162 Abs. 2 AO zugrunde, der aber nur ein Regelbeispiel erfaßt. Hinter der Vermutung bezüglich des Beweisverderbers steht letztlich nur eine Lebenserfahrung, mithin ein Wahrscheinlichkeitsurteil: Dieses ist aber auch bei nicht quantifizierbaren Besteuerungsgrundlagen möglich. Das Ergebnis ist widersinnig: Nicht quantifizierbare Besteuerungsgrundlagen dürfen zwar nicht geschätzt werden, aber Gegenstand einer tatsächlichen Vermutung sein, wenn sie einen typischen, der Lebenserfahrung entsprechenden Umstand betreffen! Vgl. z.B. BFH BStBI. II 1988, 438, 439 (hierzu oben B. III. [Fn. 175]).

B. Typisierung, Anscheinsbeweis und tatsächliche Vennutungen

335

Jung darf... nicht zum Regelfall der Gesetzesanwendung werden. " 323 Dem ist Genüge getan, wenn die Berufung auf eine tatsächliche Vennutung ähnlich wie beim Anscheinsbeweis auf ausgewählte typische Fallgestaltungen mit hohem Typizitätsgrad324 oder strukturell bedingter Beweisnoe z5 beschränkt ist. Dieser Begründungsansatz versucht, unter Aufrechterhaltung des Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit die im steuerlichen Massenverfahren unumgänglichen zahlreichen Beweismaßabstufungen bei wiederkehrenden typischen Sachverhaltskonstellationen zu erklären und in Einklang zu bringen. In den Ergebnissen besteht ohnehin weitgehende Einigkeie z6 ; für die vorliegende Untersuchung ist jedoch hervorzuheben, daß in keinem Fall versucht wird, statt einer tatsächlichen Vennutung und der damit verbundenen Beweismaßreduzierung (direke Z7 ) auf die objektive Beweislast abzustellen. 328 Im Gegenteil wird eine "qualitative Ausgestaltung des Beweismaßes" zur Korrektur "ungerechter Beweislastentscheidungen" herangezogen, obwohl diese nach herrschender Ansicht eine materielle Ausgestaltung gerade des Ungewißheitsrisikos beinhalten. 329 Dadurch wird wiederum deutlich, daß

323 So L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 324, mit Bedenken im Hinblick auf die Legitimation zur Absenkung des Beweismaßes der vollen Überzeugung durch Beweislastentscheidung und Schätzung; kritisch auch Isensee, Die typisierende Verwaltung, S. 118 f. 324 Einer unbegrenzten Ausweitung tatsächlicher Vennutungen durch Anforderungen der Verwaltungskapazität unter dem Gesichtspunkt von Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit wäre durch das Verlangen eines jeweils hohen Wahrscheinlichkeitsgrades und geringer Anforderungen an den ErSchütterungsbeweis entgegengewirkt. 325

Hierzu ist insbesondere die Ennittlung "innerer Tatsachen" zu zählen.

326 Dies ist auch durch die "faktische Kraft" der Anwendung tatsächlicher Vennutungen und des Anscheinsbeweises in der Rspr. des BFH vorgegeben, die diese nicht eingehend begründet; so trotz der Kritik an der "verfahrensrechtlichen Orientierung am Nonnalfall" nunmehr auch Tipke/Kruse, § 96 FGO Rdn. 13, hinsichtlich "innerer" Tatsachen.

327 Indirekt geschieht dies aber über die Widerlegung der tatsächlichen Vennutungen, vgl. z.B. BFH BStBI. II 1993, 84, 86 f

m So zunächst auch L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 324. 329 L. Osterloh, Gesetzesbindung, S. 327; die von ihr vorgenommene "notwendige Verabschiedung des herrschenden Regelbeweismaßes der höchsten Wahrscheinlichkeit" (a.a.O., S. 308) muß daher zu einer Verdrängung der objektiven Beweislast(entschei-

336

4. Teil: Die Tragfähigkeit der Beweislastlehre

der Anbindung des Entscheidungstatbestandes an einen immerhin wahrscheinlich zutreffenden Lebenssachverhalt der Vorrang vor einer den wirklich vorgefallenen Sachverhalt vollständig ausklammernden und deshalb abzulehnenden Beweislastentscheidung eingeräumt wird.

dung) führen, obwohl diese zur Begründung der Beweismaßreduzierung mit herangezogen wird (a.a.O., S. 264 fL 283 ff.); in systematischer Hinsicht kann das nur befremden.

Ergebnisse und Ausblick Die Untersuchung hat gezeigt, daß die objektive Beweislast im Steuerrecht weitaus mehr Probleme aufwirft, als der oftmals pauschal gebrauchte Hinweis auf die hergebrachten Grundsätze der Beweislast nahelegt. Eine Auseinandersetzung mit diesen Grundsätzen, die aus dem Zivilrecht übernommen werden, findet nur selten vertieft statt. Jeder Beweislastentscheidung ist im Rahmen der Rechtsanwendung die unbedingte Verpflichtung zur Sachentscheidung vorgelagert. Ohne diese Verpflichtung, eine Entscheidung auch in dem Fall zu treffen, daß die Überzeugung des Rechtsanwenders nicht das mit der h.M. zu bejahende Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erreicht, kann eine den Steuerpflichtigen belastende Beweislastentscheidung nicht gefallt werden. Während sich für das Zivilrecht die Entscheidungspflicht des Rechtsanwenders (Richters) aus dem Justizgewährungsgebot und der Institutionalisierung der Gerichte unter dem Verbot der Selbsthilfe durch die Parteien ergibt, kann weder das Justizgewährungsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG noch das oftmals mitherangezogene Rechtsverweigerungsverbot die Entscheidungspflicht der "ihre" Ansprüche selbst durchsetzenden Finanzbehörde begründen. Auch bei einem materiellen Verständnis der Rechtsentstehung, das von einer Geltungsanordnung der Rechtsnonnen bereits bei tatsächlicher Verwirklichung (§ 38 AO) des (Steuer-)Tatbestandes ohne konkretisierende Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung ausgeht, richtet sich die "Vollzugsanweisung" der materiellen Steuernonnen primär an die Finanzverwaltung, nicht aber an den Richter. Eine Übertragung einer an den Richter gerichteten Entscheidungspflicht (Rechtsverweigerungsverbot) verbietet sich, weil Aufgabe der Finanzgerichte nur die Kontrolle rechtmäßigen Verwaltungshandelns ist. Für das öffentliche Eingriffsrecht bedarf die Anweisung zur Vornahme einer Beweislastentscheidung daher einer eigenständigen Begründung. Das aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns abgeleitete Legalitätsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) vennag diese Lücke nicht zu schließen: Da die materiellen Steuernonnen eine Entscheidungsanweisung regelmäßig nur für den Fall der Gewißheit über das Vorliegen bzw. Nichtvor-

22 M. Schmidl

338

Ergebnisse und Ausblick

liegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen beinhalten, tragen sie gerade dem dazwischenliegenden Bereich des non liquet nicht Rechnung. Dieses Begründungsdefizit versucht die Heranziehung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. I GG) auszugleichen. Doch dieser für die zivilrechtliche Beweislastproblematik praktisch bedeutungslose Grundsatz, der nicht nur als Entscheidungsanweisung, sondern auch im Rahmen der Beweislastverteilung herangezogen wird, macht die fehlende Reflexion über die dogmatischen Grundlagen jeder Beweislastentscheidung im Steuerrecht deutlich. Da die Beweislastentscheidung keine Feststellung hinsichtlich der tatsächlichen Tatbestandsverwirklichung trifft, kann fur sie auch keine materielle Richtigkeitsgewähr übernommen werden. Theoretisch halten sich materiell richtige und falsche Entscheidungen die Waage. Da das Gleichbehandlungsgebot aber eine materielle Gleichbehandlung bezweckt, führt es als Entscheidungsanweisung im Falle eines non liquet systembedingt zu einer vollständigen Gleichbehandlung materiell völlig unterschiedlicher Sachverhalte. Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerrecht kann daher eine Entscheidungspflicht im Falle eines unaufklärbaren Sachverhalts nicht abgeleitet werden. Als einfachgesetzliche Entscheidungsanweisung für endgültig nicht aufklärbare Sachverhalte bieten sich die Schätzungsbefugnis nach § 162 AO oder selbständige Beweislastnormen an. Die Schätzungsbefugnis, die der Finanzbehörde die Pflicht (Legalitätsprinzip) zur Sachentscheidung bei nicht ermittelbaren Besteuerungsgrundlagen auferlegt, kann eine Beweislastentscheidung nicht rechtfertigen, weil eine Schätzung als Entscheidung mit reduziertem Überzeugungsgrad eine Beweislastsituation nicht mehr entstehen läßt und demzufolge über ihren eigenen Anwendungsbereich hinaus keine Geltung zu beanspruchen vermag. Eine Entscheidungsanweisung für den Fall eines non liquet tragen allerdings solche Normen in sich, die in Abweichung vom Regelfall die Möglichkeit mangelnder Aufklärbarkeit ausdrücklich mitberücksichtigen und eine Regelung fur diese Situation vornehmen; ungeschriebene Beweislastnormen als generelles ergänzendes Rechtsprinzip vermögen dagegen die Entscheidungspflicht nicht zu tragen, da sie sich anderenfalls ihren eigenen Anwendungsbereich selbst eröffnen. Dies verstieße gegen das Vorbehaltsprinzip, nach dem der parlamentarische Gesetzgeber wesentliche Belastungsentscheidungen selbst vorzunehmen hat. Die herrschende Ansicht hinsichtlich der Geltung der "Beweislastregeln" im Steuerrecht kann demzufolge bereits die erste Stufe des Beweislastproblems, die Verpflichtung zur Sachentscheidung, nicht überzeugend erklären.

Ergebnisse und Ausblick

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Eine Einordnung der steuerlichen Mitwirkungspflichten hat ergeben, daß deren generelle Gleichsetzung mit einer objektiven oder subjektiven Beweislast nicht möglich ist, sondern nur von Fall zu Fall vorgenommen werden kann. Von besonderer Bedeutung erwies sich die Bestimmung des jeweiligen Umfangs des Untersuchungsgrundsatzes, § 88 AO. Hält man an der "automatischen Nachteilszufügung" als Merkmal des Lastenbegriffes einer subjektiven Beweislast fest, können gerade die weitreichenden Beweisbeschaffungs- und -vorsorgepflichten des § 90 Abs. 2 AO nicht als Beweisführungslast des Steuerpflichtigen eingeordnet werden, da die Finanzbehörde unabhängig von der Erfüllung der Pflicht durch den Steuerpflichtigen zu zumutbaren Ermittlungen verpflichtet bleibt und der Verfahrensverlust somit zwar die regelmäßige, keinesfalls aber die notwendige Folge der Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten ist. Andererseits ist der Untersuchungsgrundsatz durch Normen, die eine Verfahrensvereinfachung bezwecken, ausgesetzt; seine Aufrechterhaltung bei den Nachweispflichten der §§ 9a, lOc Abs. 1, Abs. 2 EStG, §§ 159, 160 AO widerspricht der gesetzlichen Intention. Die vorgenannten Vorschriften begründen daher eine Beweisführungslast, deren Nichterfüllung zur steuerlichen Nichtanerkennung der Ausgaben ("Verfahrensverlust") führt. Weiterhin sind Normen anzutreffen, die ihre Nachweisbarkeit als materielle Tatbestandsvoraussetzung in sich tragen; diese Vorschriften knüpfen die Rechtsentstehung an die verfahrensbezogene Nachweisbarkeit und stellen insofern eine Ausnahme dar. All diesen Normen ist gemein, daß es sich bei ihnen um Regelungen einer subjektiven Beweislast handelt, nicht aber um ausdrücklich gesetzlich normierte Fälle der objektiven Beweislast. Mit letzterer verbindet sie die auch der subjektiven Beweislast immanente Risikozuweisung. Eine Gleichsetzung zwischen objektiver Beweislast und Mitwirkungspflichten verbietet sich aber auch, weil der Umfang beider Rechtsinstitute nicht kongruent ist. Die steuerlichen Mitwirkungspflichten bestehen unabhängig von der Frage, wem die objektive Beweislast bezüglich eines fraglichen Merkmals zugeordnet ist, also z.B. auch hinsichtlich steuerbegründender Umstände. Andererseits sind die Mitwirkungspflichten grundsätzlich durch die Zumutbarkeit begrenzt, eine Schranke, die für die objektive Beweislast von der herrschenden Ansicht nicht verlangt wird. Sieht man dagegen Mitwirkungspflichten als Regelungen der objektiven Beweislast an, käme es zu einer nicht hinnehmbaren Entwertung der Zumutbarkeit als Pflichtenbegrenzung. Bei Erfüllung der steuerlichen Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen darf es demzufolge nicht zu einer Beweislastentscheidung kommen; doch auch bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten bedarf es keiner Beweislastentscheidung, da eine konkrete Pflichtverletzung im Rahmen der Beweiswürdigung einer selbständigen Bewertung unterzogen werden kann. 22"

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Ergebnisse und Ausblick

Die Untersuchung über das Wesen der Beweislastnormen hat ergeben, daß deren Grundlagen keineswegs einheitlich beurteilt werden können, so daß von einem gesicherten, allgemein Zustimmung erfahrenden Meinungsstand ausgegangen werden könnte. Insbesondere die Verteilungskriterien, d.h. die materiellen Prinzipien der Risikozuweisung zwischen den "Parteien", können für das Steuerrecht nicht überzeugen. Die aus dem Zivilrecht rezipierte Günstigkeitsthese, wonach jede Partei die Beweislast für ihr günstige Merkmale tragen soll, befriedigt nicht, da z.B. der Steueranspruch im Einkommensteuerrecht sich zunächst auf die Einkünfte bezieht und nur rein rechnerisch aus (Betriebs-)Einnahmen und Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten zusammensetzt. Der allein durch die Normgünstigkeitsthese gewährleisteten Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit von Beweislastentscheidungen wird im Ergebnis auch kein großes Gewicht beigemessen, weil diese Risikoverteilung in zahlreichen Einzelfallen nach Gesichtspunkten der Zumutbarkeit, eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses, der Beweisnähe und Einflußsphäre modifziert wird. Dabei zeigte sich besonders der Sphärengedanke als eklatant untaugliches Verteilungskriterium im Steuerrecht: Bei der Anspruchsentstehung liegt die Vielzahl denkbarer steuerrelevanter Umstände allein in der Sphäre des Steuerpflichtigen, so daß ein bedeutsamer Verantwortungsbereich der Finanzbehörde nicht verbleibt. Gerade die Beweislastverteilung für steuerbegründende Merkmale läßt sich mit dem Sphärengedanken nicht in Einklang bringen. Beweisnähe und Sphärengedanke dienen nur der Abweichung von der Günstigkeitstheorie, die wiederum aus den materiellen Wertentscheidungen der Steuernormen gewonnen wurde. Insofern findet eine (weitere) Korrektur angeblich gesetzlich vorgezeichneter Risikozuweisungen statt. Aber auch eine Beweislastverteilung nach einem Regel-AusnahmePrinzip bzw. nach Wahrscheinlichkeitserwägungen verbietet sich, da diese richtigerweise beim Beweismaß festzumachen wären. Es ist widersinnig, zunächst ein Regelbeweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit aufzustellen, um dann die in größerem Umfang erforderlichen Risikoentscheidungen bei einer Non-liquet-Situation nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten zu treffen. Für das Steuerrecht als öffentlichrechtliches Eingriffsrecht konnte allein eine am Tatbestandsmäßigkeitsprinzip orientierte Beweislastverteilung überzeugen, die im Grundsatz von einer Beweislast der Finanzbehörde ausgeht; nur so kann § 38 AO Geltung verschafft werden. Es ist nicht zu übersehen, daß bei einer Beweislastentscheidung die Anspruchsentstehung an eine rechtsbegründende Behörden- oder Gerichtsentscheidung gebunden ist.

Ergebnisse und Ausblick

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Von erheblicher Bedeutung für die vorliegende Untersuchung erwies sich die Betrachtung der Wirkungsweise der Beweislastnormen, die regelmäßig im Steuerrecht keiner vertieften Bewertung unterzogen wird. Die h.M. geht einhellig von einer Fiktionswirkung der Beweislastnormen aus. Allein in der Frage, ob durch die Beweislastnorm das unklare Tatbestandsmerkmal oder das fehlende Sachverhaltsstück "ersetzt" werde, gehen die Ansichten auseinander. Für einen Ansatz auf der Ebene der Lebenswirklichkeit durch Fiktion des Sachverhaltsstückes sprechen die besseren Argumente, da anderenfalls die materiellrechtliche Norm unbestimmt wird und sich sozusagen auf den Lebenssachverhalt hinbewegt. Bei Fiktion des Lebenssachverhaltes bleibt die materiellrechtliche Norm dagegen unverändert und bestimmt, während sich das tatsächliche Geschehen auf die Norm hin ausrichtet. Letzteres ist aber bereits im Vorgang der Rechtsanwendung vorgezeichnet, da immer eine Transformation von der Ebene der Lebenswirklichkeit auf die Ebene des Rechts vorgenommen werden muß, die eine gewisse Relativierung bedingt. Die Beweislastentscheidung sucht allerdings keine Anbindung an die Lebenswirklichkeit im Falle eines non liquet, sondern ignoriert diese konsequent. Auch bei Annahme der Fiktion des fehlenden Sachverhaltsstücks wird der tatsächlich vorgefallene Lebenssachverhalt nicht mit dem fingierten in irgendeine Beziehung gesetzt. Darin unterscheidet sich die Beweislast von den Rechtsinstituten, die (im Falle eines non liquet) wie die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen oder tatsächliche Vermutungen auf die Beweiswürdigung "zurückweisen". Bei Betrachtung dieser Wirkungsweise der Beweislastnormen stellte sich die Frage nach der Erforderlichkeit von Beweislastentscheidungen im Hinblick auf die Verpflichtung der Finanzbehörden zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO bei deren fehlender Ermittelbarkeit. Soweit gegen die Zu lässigkeit der Grundlagenschätzung vorgebracht wird, daß bei ihrer Zulassung ein "fiktiver Sachverhalt" der Besteuerung zugrundegelegt wird, kann dieses Argument gegenüber der Fiktionswirkung der Beweislastnormen nicht mehr verfangen. Während bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eine Anbindung an den tatsächlich vorgefallenenen Sachverhalt nach Wahrscheinlichkeitserwägungen gesucht wird, unterbleibt dies vollständig bei der Beweislastentscheidung. Im Gegenteil führt eine Steuerfestsetzung aufgrund einer Beweislastentscheidung bei hoher, aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer materiell unrichtigen Besteuerung; daher sind für derartige Fälle nicht quantifizierbarer Besteuerungsgrundlagen, in denen die Beweislastentscheidung mit größter Wahrscheinlichkeit zu einer unzutreffenden Besteuerung führen würde, systemwidrige Korrekturen erforderlich, die überwiegend

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Ergebnisse und Ausblick

durch Abstellen auf einen Anscheinsbeweis oder eine tatsächliche Vermutung vorgenommen werden. Die Zulässigkeit der Grundlagenschätzung, verstanden als eine Sachverhaltsfeststellung mit reduziertem Überzeugungsgrad anhand von Indizien und der Lebenserfahrung, läßt keinen Bedarf nach einer Beweislastentscheidung aufkommen, die die Lücke zwischen wirklich vorgefallenem Lebenssachverhalt und dem Tatbestand als Entscheidungsgrundlage ebenfalls nicht zu schließen vermag. Während die Schätzung aber Ermittlungen der Finanzbehörde bedingt, hat die Beweislastentscheidung den unter rechtsstaatlichen Aspekten fragwürdigen Vorteil, daß dem Rechtsanwender die Verantwortung für die konkrete Belastungsentscheidung scheinbar abgenommen wird und einem objektiv materiellrechtlich vorgegebenen Rechtsprinzip zugeschrieben wird. Darüber hinaus erspart sich der Rechtsanwender jeglichen Ermittlungsaufwand; das führt dazu, daß die objektive Beweislast im Ergebnis wie eine Beweisführungslast gehandhabt wird: Nicht die materielle Risikozuweisung steht im Mittelpunkt der Beweislastnormen, sondern die von ihr ausgehenden Vorwirkungen als konkrete Verhaltensanweisungen an den Steuerpflichtigen. Wegen der Vorwirkungen, die von einer potentiell nachteiligen Entscheidung ausgehen, ist bei einer Schätzungslösung die Sicherstellung der Mitwirkung durch den Steuerpflichtigen in gleicher Weise gewährleistet wie bei Zulassung von Beweislastentscheidungen. Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutungen (formelle Typisierung) sind nicht als Beweislasterscheinungen anzusehen. Beide sind der Beweiswürdigung zuzuordnen und werden überwiegend durch den Grad der ihnen zugrundliegenden Erfahrungsstärke unterschieden. So ist ein Anscheinsbeweis nur bei Vorliegen eines Lebenserfahrungsgrundsatzes anzunehmen, während für eine tatsächliche Vermutung ein einfacher Lebenserfahrungssatz ausreicht. Während für das Zivilrecht einem Anscheinsbeweis nur gleichsam mechanisch abrollende, vom menschlichen Willen unabhängige Vorgänge zugängig sein sollen, tendiert für das Steuerrecht die Rechtsprechung dahin, auch innere Vorgänge oder Absichten einem Anscheinsbeweis zugänglich zu machen; dies ist abzulehnen, da die Aufrechterhaltung eines Regelbeweismaßes der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anderenfalls nicht gewährleistet wird; aus der Intensität seiner Überzeugungskraft bezieht der Anscheinsbeweis seine Legitimation. Darüber hinaus wäre eine Grenzziehung zu den problematischen tatsächlichen Vermutungen, bei denen es sich um einen besonderen Indizienbeweis in Fällen typischerweise gleichablaufender Sachverhaltskonstellationen handelt, nicht mehr möglich.

Ergebnisse und Ausblick

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Anscheinsbeweis und tatsächliche Vermutung räumen dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit ein, die durch sie herbeigeftihrte "vorläufige" - zur Überzeugungsgewinnung allerdings ausreichende - Sachverhaltsfeststellung durch Führung eines Gegenbeweises, mithin durch eigenes Handeln zu entkräften. Demzufolge gehen von diesen Instituten Vorwirkungen aus, die sie mit der objektiven Beweislast verbindet. Da allerdings der Verfahrensverlust die automatische Folge des Nichtgelingens des Gegenbeweises ist, wird durch Verwendung von Anscheinsbeweis und tatsächlicher Vermutung eine (konkrete) Beweisftihrungslast begründet. Die Rechtsprechung und Finanzverwaltung verwendet Anscheinsbeweise und tatsächliche Vermutungen demzufolge häufig bei steuerbegründenden und schwer nachweisbaren (inneren) Merkmalen, wodurch faktisch eine "Beweislastumkehr" bewirkt wird, ohne daß dafur materiellrechtliche Gründe, die die Abweichung von der vermeintlich gesetzlich vorgesehenen Risikoverteilung rechtfertigen müßten, angeflihrt werden müssen. Die Anwendung tatsächlicher Vermutungen rechtfertigt sich aus der Schätzungsbefugnis bei nicht oder nur unter unzumutbaren Erschwernissen ermittelbaren Sachverhalten. In typischen Fallkonstellationen, die wie innere Tatsachen eine Ermittlung durch die Finanzbehörde nahezu völlig ausschließen und im Hinblick auf ihr Auftreten in einer Vielzahl von Fällen einer "gewissen" Verallgemeinerung zugänglich erscheinen, ist tatsächlichen Vermutungen im Hinblick auf die durch sie bewirkte Rechtssicherheit und Berechenbarkeit der Ergebnisse der Vorzug vor einer Beweislastlösung zu geben, zumal durch sie eine von der Verfahrensordnung vorgegebene Anbindung an den wirklich vorgefallenen Lebenssachverhalt gewährleistet wird. Doch gilt, wenn der Gesetzgeber es nicht ausnahmsweise anders geregelt hat, auch in Fällen schwer oder mit "Gewißheit" gar nicht ermittelbarer Sachverhalte grundsätzlich vollumfänglich der Untersuchungsgrundsatz. Die Gefahr dessen Aushöhlung durch die Anwendung eines fragwürdigen Anscheinsbeweises oder einer tatsächlichen Vermutung ist demzufolge zwangsläufig vorgezeichnet. Finanzverwaltung und Gerichten ist daher Zurückhaltung bei der Vollziehbarkeitsmachung unzulänglicher und sich in Kompliziertheit verlierender Steuernormen abzuverlangen. In deutlich stärkerem Maße wird aber durch die Möglichkeit, eine Beweislastentscheidung zu treffen, der Schaffung und Beibehaltung komplizierter Steuernormen Vorschub geleistet, obwohl ftir das Steuerrecht eine generelle objektive Beweislast weder im materiellen Recht noch im Verfahrensrecht vorgezeichnet ist. Irgendeine sachlich nachvollziehbare Begründung wird sich letztlich immer finden lassen, das Risiko der Unaufklärbarkeit eines Umstandes dem Steuerpflichtigen aufzubürden, selbst wenn dies dem Untersuchungsgrundsatz Hohn

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Ergebnisse und Ausblick

spricht. Dem in der heutigen Rechtspraxis anzutreffenden Nebeneinander von Anscheinsbeweis bzw. tatsächlicher Vermutung, Schätzung und Beweislastentscheidung könnte so der Eindruck der Beliebigkeit in der Wahl der Mittel zur bedingungslosen Sicherstellung jedweder Besteuerung genommen werden und die subjektive Verantwortung des Rechtsanwenders bei einer Steuerfestsetzung in zweifelsbedingten Fällen hervorheben.

Entscheidung (Überzeugung)

j

gelungen

Entscheidung (wg . BeweisIUhrungslast)

j

nicht gelungen

/\

(subj . Beweislast)

N achweispf1icht

- - erfiillt

Festsetzung (günstiger TB)

\

---Aussetzung (ungünstiger TB)

.-----

i.d.R. "Abweisung" durch negativen Schluß ( § 444 ZPO ;; Vermutung; oder Überzeugung;; Schätzung

1

nicht erfüllt

1

allgemeine Mitwirkung

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Regelfall

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Ausnahme:

Ausnahme : direkte Überzeugung

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Sachverzeichnis Abbruchabsicht 321 - Erwerb in 47f. Abbruchkosten 320 Abgabenerhebung 232 Abschreibung 173, 320 Absenkung - des Beweismaßes 324 Absicherung - empirische 322 Abstrakt-tatbestandliches Element 112 Abwahlmöglichkeit 274 Abwehrmechanismen 64, 245 Afa-Beträge 172 Aktie 306 Alles-oder-Nichts-Regel 39 Amtsermittlung 134, I 44f., 150f., 154. 158, 168, 331 Amtsermittlungsgrundsatz 62 Amtsermittlungspflicht 47 Amtsermittlungsprinzip 134, 150f., 154, 168 Amtshilfe 175 Analogie 280. 283ff. Angreifer 52 Annäherungswert 30 Annex 19 Anschaffungskosten 175, 320 Anscheinsbeweis 37, 47, I 85ff., 209,245, 260, 274, 286, 294ff., 302ff., 320, 322ff., 335, 342ff. - Einordnung 303f., 311 - Erschütterung 307 - freiwillige Entkräftung 47 - Zuordnung zur Beweislast 304ff.

Anspruchskonstruktion - zivilrechtliche 155 Anweisungstheorie 198ff. Anwendungsgleichheit 333 Anwendungsprinzip - logisches 29 Anwendungsvoraussetzungen - steuerrechtliche 22 Anzeichen 319 Arbeitsorganisation 78 Arbeitsverhältnis 296 Arbeitsweise 247 Arzthaftung 209 Aufklärung - Verhältnismäßigkeit 77 Aufklärungsbedürftigkeit - tatsächliche 157 Aufklärungshindemisse - dauernde 70f. - endgültige 70f. Aufklärungshindemisse - vorübergehende 69f., 74 Aufklärungsmaßnahmen 77 Aufklärungsmöglichkeiten 78 - Erschöpfung 92 Aufklärungspflichten 137 Aufklärungsrisiko 213, 257, 300 Aufrechnung 233 Aufzeichnungen 141f., 149, 168, 170, 172, 178, 259 Auskunftsersuchen 175 Auskunftspflichten 141 ff., 168, 172, 178 Auslandsberührung 138 Auslandssachverhalte 137, 176

Sachverzeichnis Auslegung 79, 153, 156, 198, 219, 224f., 264ff., 278f., 281 ff. - erweiternde 283 - restriktive 282 Auslegungskriterien 266ff. Außen prüfung 214, 263 Äußerliche Merkmale 72 Aussetzung - des Verfahrens 68 Aussetzungszwang 68 Ausweichmechanismen 235 Baudenkmale 172, 175, 241 Bauherrenmodell 185, 274, 319 Begründungslücke 255 Belastungsgleichheit - materielle 333 Belastungsungleichheit 230 Belastungswirkung - des Eingriffs 114 Benennungspflicht 164, 166f., 178 Bescheinigungen l72ff. Besteuerungsgleichheit 260 Besteuerungsgrundlagen - Berechnungsmöglichkeit 280 - Legaldefinition 263f. - quantifizierbare 284, 289, 341 - Schätzung der 50, 71, 75, 82, 109f., 120, 125, 259, 262, 268, 271 ff.; 278, 341 Besteuerungspraxis - moderne 296 Besteuerungsverfahren - effiziente Handhabung 161 - Vereinfachung 158 BeteiligtensteIlung 218 Betriebliche Sphäre 171 Betriebsaufspaltung 309 Betriebsausgaben 149, I 64ff., 222, 224ff., 233, 236, 270, 340 Beurteilungskompetenz 173 Beurteilungsmaßstab 29

363

- Einheitlichkeit 69 Beweis - des ersten Anscheins 48,246,274,321 Beweisantrag 130 Beweisaufnahme 32 Beweisbelasteter - faktisch 309 Beweisbeschaffungspflicht 137, 139, 339 - verfahrensrechtliche Ergänzung 139 Beweisergebnis 191, 250 Beweiserhebung 28 Beweisführung - Belastung mit der 52 Beweisführungslast 93, 129, 131 ff., I 37ff., 142, I 44ff., 161ff., 176ff., 212, 215, 217, 290, 292, 300f., 339, 342 - faktische 272 Beweisführungsrecht 163 Beweisgefahr 114 Beweiskraft 259 Beweiskriterium 33 Beweislast - faktische 179ff., 187, 272, 274, 301, 308 - Funktionsweise 250 - für steuerrnindernde Faktoren 74 - konkret subjektive 48 - kumulatives Mittel 81 - objektive s. Objektive Beweis/ast - Reich der 81 - subjektive 48, 93, I 29ff., I 44ff., 153f., 172, 175ff., 182f., 215, 274 - subjektiv konkrete 130 - Verteilung 52, 84, 90, 99, 112 - Verteilungskriterien 189, 198, 203ff., 207ff., 215, 217ff., 238, 243f., 276, 340 Beweislastdiskussion 87 Beweislastentscheidungen - Erforderlichkeit 22ff. - gößere Vorhersehbarkeit 89 Beweislastgrundverrnutung 91 Beweislastlehre

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Sachverzeichnis

- Tragfähigkeit 257ff - Übertragung aus dem Zivilrecht 84 - Verabsolutierung 98 Beweislastlehren - theoretische Grundlagen I 89ff. Beweislastmodell - gebietsüberspannendes 87 Beweislastnormen - Abkoppelung vom materiellen Recht 195 - Arbeitsweise 247 - Arten der 195 - Funktion 128 - Struktur 197, 200 - ungeschriebene 71, 97, 118, 193, 187, 242, 257, 30 I, 338 - Verselbständigung 203 - Wesen 189 - Wirkungsweise 247ff. Beweislastproblem - erste Stufe 85 - Verortung 26 Beweislastsituation 95 Beweislastsondemormen 178, 194f Beweislastsystem 261 Beweislasttheorien - Rezeption 120 Beweislastumkehr 155, 178, 195, 223, 272, 309, 327, 343 Beweislastumverteilung 262 Beweislastvermutung - profiskalische 91 Beweislastverteilung 81 f, 84, I 10, 155, 159, 193, 201, 204ff., 269, 274, 276, 340 - contra fiscum 232, 238 - dogmatische Absicherung 227 - Eingriffsgedanke 23 I ff. - nach Wahrscheinlichkeit 207f. - nach der Klageart 218 - sachangemessene 21 0 - steuerrechtliche 220ff.

- wechselnde Kriterien 218 Beweislosigkeit 22 - Folgen 128 Beweismaßabsenkung 243 Beweismaßabstufungen 42 Beweismaßerhöhung 38. 52 Beweismaßfestlegung 40 Beweismaßreduzierung 99, 311 - Gleichmäßigkeitsgebot 148 Beweismaßregelungen 49 Beweismaßsenkung 46, 55, 61, 64, 99, 125, 243, 289 Beweismittel - Gleichwertigkeit 32 Beweismittelvorsorge 176 Beweisnähe 210 Beweisnot 210, 306, 312, 332f., 335 Beweisnotsituation 333 Beweisquantum 33 Beweisrecht 31, 34, 103 - faire Handhabung 186, 237, 308 Beweisregeln 32 Beweisrisiko - der Finanzbehörde 212 Beweisstärke 33 Beweisthema 261 Beweisvorsorge 137, 145, 184, 186, 290 Beweisvorsorge - faktischer Zwang zur 290 Beweisvorsorgepflicht 145, 339 Beweiswürdigung 28, 31 ff., 40, 50f., 54, 8If., 92, 105, 139, 142, 145, 147, 172, 184f, 208, 215f., 218, 242f., 245f, 261, 267, 273, 302f., 310, 315, 328f., 334, 340ff. - freie 50 - Überschreitung 208 Beweiswürdigungsentscheidung 246 Beweiswürdigungsregel 172, 302, 3 I 0 Bewirtungsanlaß 171 Bewirtungsaufwendungen 168 Bewirtungskosten 171 f

Sachverzeichnis Billigkeit 218 Billigkeitsurteil 41 Börsenkurswert 306 Buchführung - ordnungsgemäße 149, 175, 178, 259 Buchführungspflichten 135,149,212,259 Darlegungslast 325 Deliktsrecht 210 Denk- und Naturgesetze 33 Disposition - der Parteien 70 Dispositionsbefugnis 173 Dispositionsgrundsatz 33 Dogmatik - Adaption der zivilrechtlichen 39 Doppelberücksichtigung 216 Drei-Objekte-Rechtsprechung 72 Dreiklang - der Beweisergebnisse 57 Duldungspflichten 142f. Ebenbürtigkeit 214 Ebene - der Beweiswürdigung 51, 139, 245 - der Lebenswirklichkeit 255, 341 - der Auslegung 284 - des Rechts 28f., 249f., 268. 341 Effizienzgesichtspunkte 285 Effizienzsteigerung 63 Ehegattenarbeitsverhältnisse 295 Einflußbereiche 217 - Beweislastverteilung 209ff. Eingriffsdenken - Fatalität 238 Eingriffsintensität 258 Eingriffslegitimation 118 Eingriffsnormen 99 Eingriffsrecht 211, 240. 289, 298. 310. 337, 340 - öffentlichrechtliches 81, 298 Eingriffsverwaltung 83, 211, 239, 293

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- grundrechtsrelevante 293 - klassische 211, 239, 293 Eingriffsvoraussetzungen 276, 278 Eingriffsvorbehalt 292, 310 Einkünfteerzielungsabsicht 185 Einnahmeerzielung 225, 240, 293 - staatliche 119 Einnahmesystem - staatliches 290 Einsichtsbereiche 210 Einzelanalogie 285 Element - abstrakt-tatbestandliches 200f., 203 - konkret-inhaltliches 200f., 203 Empirische Basis 322 Endentscheidung 90 Entkräftungsbeweis 48 Entscheidung - willkürliche 32 Entscheidungsanweisung 58, 93f., 103, 109ff., 115f., 120ff., 125, 194, 201 ff., 244. 247, 337f. Entscheidungsermessen 162, 164, 258 Entscheidungsfindung - Prozeß der 25 - Weg der 22f. Entscheidungskapazität 64 Entscheidungsnorm 59 Entscheidungspflicht 65f., 82, 85, 87, 89, 91f., 94,97, 102, 122 Entscheidungspflicht 338 - der Rechtsanwendungsinstanzen 100 - einheitliche 87 - gerichtliche 92 - richterliche 80, 83, 86f., 124, 337 Entscheidungsprogramm - der Normen 125 Entscheidungssachverhalt 270 Entscheidungszwang 79. 94 - faktischer 122 Entstehensvoraussetzungen - der Steuer 68

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Entwicklungsbereich - städtebaulicher 172, 175 Erfahrungsgesetze 315f. Erfahrungsgrundsätze 303, 315, 320 Erfahrungssatz 46, 302f., 315ff., 325f., 331 Erfahrungsstärke 342 Erforschungsgehilfe 141 Ergänzungsnormen 198 Erkenntnisfähigkeit - menschliche 18, 30 Erkenntnismöglichkeiten - begrenzte 61 Erkenntnisskepsis 41 Erklärungsdefizit 94 Erlaß 223 Ermächtigungselement - normatives 201 Ermächtigungsnormen 113 Ermächtigungstitel 91 Ermessen 163 - freies richterliches 218 - menschliches 316 Ermessensreduzierung 68 Ermessensspielraum 41 Ermittlung - Unmöglichkeit 217 Ermittlungsanstrengung - unzumutbare 133 Ermittlungsaufwand 145, 151, 158, 175, 342 - unverhältnismäßiger 76 Ermittlungsergebnisse - Abkoppelung der 267f. Ermittlungsgegenstand 168, Ermittlungshindernisse 176 Ermittlungsmechanismen 229 Ermittlungspflicht 77, 136ff. - verfahrensrechtliches Korrelat 158 Ermittlungspflichtverletzung 139 Ermittlungsschwierigkeiten 307 Ermittlungsumfang 78

Ermöglichungsnormen 44, 254 Erwerbermodell 185 Erwiesenheit 3 13 Erwiesenheitstheorie 190 Existenzminimum 224 Extension 283 Fachanwalt 214 Fachbehörde 175 Faimeßerwägungen 87 - faires Verfahren 103, 237 Faimeßgebot 81 Fakten - historische 24 Faktische Vorwirkungen - s. Vorwirkungen, faktische Faktische Beweislast 179ff., 187, 272, 274,301,308 - s. auch Beweislast, faktische Faktische Kraft 278 Fehlentscheidungen - Kostenbewertungen 41 Festsetzung - vorläufige 68, 74, 122 Festsetzungsskrupel 74 Feststellungslast 48, 89, 127, 131, 147f., 153, 155f., 166, 171, 174, 179f., 182, 185ff., 203, 220, 226, 274f., 327 Fiktion 75, 194, 196ff., 247ff., 267,276, 298f., 341 Fiktionscharakter 253 Fiktionstheorie 247ff., 256, 269, 286 Fiktionswirkung 247f., 253f., 341 - Kritik 253ff. - und Schätzung 257ff. Finanzausstattung - staatliche 293 Finanzverwaltung - gewährende 240 - überlastete 235 Fingerabdruck 316 Fiskalzwecknormen 232

Sachverzeichnis Fiskus - als A.ngreifer 52 Folgenorientierung 219 Folgewirkung 303 - mittelbare 180 ForderungsverIetzung - positive 209 Freiberufliche Tätigkeit 224, 268 Freiheit - des Individuums 91 Freiheitsraum - materieller 291 Freiheitssphäre 229, 232f., 237, 239, 241 Funktionswandel 166 Gebot der Logik 86 Gefährdungshaftung 166 Gefahrenbereich 198, 210, 225 Gefahrenbereichslehre 210, 216 Gefahrenkreise 209 Gegenbeweis 295, 305, 307, 343 Gegenbeweislast 188 Gegenteilsbeweis 305, 307 Geltungsanordnung 25 GeItungsgrund - richterliche Rechtsfortbildung 118 Gerechtigkeitsempfindung 219 Gerechtigkeitswert 43 Gerichtsentscheidung - konkretisierende 58 Gesamtanalogie 283, 286 Gesamtergebn is - des Verfahrens 63 Gesamtrechtsordnung 291 Geschäftspapiere 142 Geschäftsräume 142 Geschehen - rechtlich bedeutsames 27 Gesetzes- und Parlaments vorbehalt 82 Gesetzesanwendung - Kernbereich 24 Gesetzesbindung

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- der Verwaltung 10 I Gesetzesmotive 285 Gesetzesvorbehalt 100, 109, 112, 119,234 Gesetzmäßigkeit der Besteuerung 96, 101, 331 Gesetzmäßigkeitsgrundsatz 97, 329 Gestaltungsspielraum - rechtspolitischer 159 Gestattungspflichten 142f. Gewährleistungen - sozialstaatliche 292 Gewaltenteilungsprinzip 64 Gewerbliche Tätigkeit 268 Gewerblichkeit 224 Gewinneinkunftsarten 212 Gewinnerzielungsabsicht 47, 79, 185, 274f., 319, 327 Gewißheit - mathematische 36 - persönliche 35f. Gewißheitsgrad 258 Gewißheitsthese 43 Glaubhaftmachungspflicht 133 Gleichbewertung 248 Gleichheitssatz 330 Gleichmäßigkeit - der Besteuerung 48, 244, 338 Gleichmäßigkeitsgebot 228 Gleichmäßigkeitsgrundsatz 105ff. Gleichsetzung 80, 247, 253 Gleichstellung I 97ff., 298f., 328 Gleichstellungstheorie I 96ff. Grund und Boden 320 Grundlagendiskussion 19 Grundlagenschätzung 68, 74f., 81, 104f., 256, 262ff., 341 f. Grundnorm - der Beweislastverteilung 81 Grundrechte 227, 239, 291 - des Steuerpflichtigen 74 - freiheitsorientierte 239 Grundrechtsverstoß 72, 74

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Grundregel 195f. Grundsachverhalt 264, 27off., 277 Grundstücke 142, 32Of. Grundverteilung 245 Günstigkeitsaspekte 119 Günstigkeitsprinzip 155, 159, 204ff., 221 f. Günstigkeitstheorie 340 Günstigkeitsthese 85, 340 Handlungsanweisung 122 Handlungsfreiheit - allgemeine 229, 237 Handlungspflicht 128, 181 Hersteller 209 Herstellungskosten 174, 320f. Hilfsinstrument 46 Hilfsnormen 198 Hilfspflichten 134f., 141, 177, 184 Hilfsregeln 43, 51 Hilfstatsachen 266f. Hochschullehrer 214 Höchstbeträge 150 Hundesteuer 266 Illegalität - brauchbare 107 Immissionsschutzrecht 239 in dubio contra fiscum 91, 238 in dubio pro fisco 91 in dubio pro libertate 236, 238 in dubio pro reo 19 Individualermittlung 107 Indiz 185f., 216, 274, 322, 328f. Indizien 78f., 184, 186, 317, 321, 324, 342 Indizienbeweis I 85f., 188,266,274,286, 292,342 Indizienkette 328 Indizienschluß 187 Innere Rechtfertigung 52 Innere Einstellung 72 Intellektuelle Kompetenz 214

Interessen - gegenläufige 69 Interessengeflecht 211 Justizgewährung - Anspruch auf 96 - effektive 82 Justizgewährungsanspruch 79, 83, 86, 88, 92,96,101, 112f., 115f., 197,199,202 Justizgewährungsgebot 124, 197,247,337 Kapitalsammelstellen 174 Kategorien - zivilrechtliche 20 Kausalitätsnachweis 37 Komplementäre Gewalt 285 Konfliktlösungsmechanismen 126 Konkret-inhaltliches Element 112 Konkurrentenklagen 238 Kontrolle - des Verwaltungshandelns 63 Kontrollfunktion 288 Koordinatensystem 224 Korrespondenzverhältnis 166 Kostenanalyse - wertende 38 Kunstregeln 93 Lastenbegriff 179 Lebenserfahrung 226, 301, 303, 307ff., 3I3ff., 321f., 325ff., 331, 333f., 342 - allgemeine 300, 302f., 317 - einfache 331 - objektivierte 324 Lebenserfahrungsgrundsatz 313, 316, 342 Lebenserfahrungssatz 309, 313, 325, 342 Lebensgesetz 316 Lebenshaltungskosten 170 Lebenssachverhalt - Fiktion 251 ff. Lebenssphäre 136 Lebenstatsache 248

Sachverzeichnis Lebenswirklichkeit 255, 210, 341 Legalitätsprinzip 90f, 91, 101, 103, 109, 122f., 125, 158, 113, 229, 244, 258, 331f. Legaltitätsgrundsatz 91, 101, 125, 259 Legitimation - objektive 11 Leistungsempfanger 165, 161, 218 Leistungsfahigkeitsprinzip 233f., 291 Leistungsverwaltung 83, 240 Lenkungscharakter 232 Lenkungsnormen 121 Lenkungszweck 112 Logik 33, 191, 302 Lücke - verdeckte 283 f Lückenhaftigkeit - plan widrige 119 Massenfallrecht 295 Massenfallverfahren 323 Massenverfahren 151, 323, 335 Maßgabe der Gesetze 63 Merkmale - besteuerungsrelevante 166 - entlastende 233 - rechtsbegTÜndende 192f, 196, 204f, 201, 221, 223, 226 - rechtshemmende 192, 196, 204, 201, 221, 223, 233 - rechtshindemde 192f, 196, 204ff., 201, 221ff., 233 - rechtsvemichtende 192, 194, 196, 204, 201,221,223,233 Methodenlehre 191 Methodische Hilfsregel 193 Methodischer Kern 191 Mißbrauchsbekämpfungsgesetz 10 Mißbrauchsmöglichkeit 231 Missing link 116 Mitwirkungspflicht - allgemeine 133ff., 141, 144, 141, 161, 24 M. Schmidt

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182, 184, 216, 213, 289 Mitwirkungspflichten 41 f, 105, 111, 121ff., 215f, 236, 259, 262, 261, 212f., 289, 331, 339 - beweislastverteilender Charakter 215 - gesteigerte 131, 141, 153, 332 - Sanktionen 42 - Sanktionsbewehrung 135, 144 - steuerliche 134ff. - Verletzung 133, 135, 145, 182, 216, 261, 213f, 291, 332f - Verschränkungen 135ff. MRK 94 Nachbarklagen 238 Nachforschungspflicht 135 Nachteilszufligung 139, 145, 153f, 162, 181f, 339, 342 Nachweispflichten 143ff. - formbestimmte 143, 154, 168f, 111 f, 115 Nachweisverlangen 148 Nadelöhr 100 Natur der Sache 62 Naturgesetz 86, 302 Nebenfolge 240 Nebenpflichten 134f., 111, 184 Nebenzweck 240 Negative Grundregel - Theorie der 195f. Nichtanwendungsgebot 242 Nichtanwendungstheorie 191 ff. Nichterweislichkeit 22 non liquet 22, 40, 42, 51, 51, 61 f, 66, 69ff., 19ff., 84f, 81f, 90, 92, 94, 91, 10 1f, 106f., llOff., 118, 121 ff., 125f, 158, 165, 115, 119, 182ff., 190ff., 211, 245, 241, 251ff., 213, 218, 282, 288, 299f, 302f, 332, 334, 338 - im Tatsächlichen 82 - in der Tatfrage 123 - Tatsachenermittlung 94

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non-liquet-Bereich 81, \05, 120 non-liquet-Entscheidung 93 non-liquet-Fälle \09, 125 non-liquet-Lage 56 non-liquet-Situation 29ff., 57, 60ff., 65f., 124 Norm - materielle 25 Normative Orientierung 330 Normbegünstigungsthese 91 Normbegünstigungstheorie 119, 191,274, 340 Normbestand - Ausweitung 197 Normbestandteile 192 Normbestimmtheit 30 I Normentheorie 191 - modifizierte 206, 223, 244 Normgruppen 193 Normmerkmale 244 Normstruktur 221 ff. Obersatz 24, 26, 65 Objektive Instanz 18 Objektive Beweislast 127ff., 337ff. - Anscheinsbeweis 303 - Belastungsgleichheit 333 - Beweisführungslast 342 - Beweiswürdigung 61 - Eingliederung 257ff. - Feststellungslast 148, 153, 174 - Fiktion 298 - Finanzbehörde 185,212 - Grundlagen 20 - Hilfsregeln 51 - Kritik 128 - materielle Eingriffsgrundlage 299 - Mitwirkungspflichten 154, 216 - Nichterfüllung 128 - Rechtsfortbildung 280 - Rechtsmißbrauch 241 - Schätzung 262

- Überbürdung 132 - ultima ratio 258 - Untersuchungsgrundsatz 177f., 277 - Verteilung 189 - Werbungskosten 153, 155, 160 - Zumutbarkeit 339 Offenheit - qualitative 33 - quantitative 33 Offizialmaxime 84 Operationsregel 197, 199, 20 I f. Opportunitätsprinzip 95, 101 Ordnungssystem 23 I Paketwert 306 Paketzuschlag 306 Parlamentarische Legitimation 126 Parlamentsvorbehalt 82, 100, 299 Parteiverhalten 133, 180 Pauschalen 156, 158, 260 Pauschalierungsregel 151 Pauschbeträge 146, 149ff., 155ff. Persönliche Überzeugung 55 Pfandgläubiger 162 Pflichtensteigerung 151 Pflichtverletzung 340 PKW-Nutzung 265 Praktikabilität 151, 176, 285, 288, 292f., 295 Praktikabilitätsargument 293 Praktikabilitätsaspekte 285 Praktikabilitätszwang 295 Präponderanz 163, 23 I Prima-facie-Beweis 302, 304, 307, 309f. Prinzipien - rechtsethische 288 Private Lebensführung 171 Privatsphäre 134, 188 Produkthaftung 209 Prognoseentscheidungen 17 Prostituierte 282 Prozeßbegehren 29

Sachverzeichnis Prozeßbezogene Auffassung 59 Prozeßförderungspflicht 13 5, 141 Prozessuale Unklarheit 248 Prozeßverlust 129ff., 143, 184 Prüfung - kursorische 149 Prüfungsmaßstab 64, 329 Qualifikation - selbständige Tätigkeit als 224 Quantitäten 262, 264ff., 270f. Rahmenvorschriften 293 Rechenoperation 221 Rechnung 168f., 171 Rechnungsnachweis 169 Rechtfertigungsanspruch 18 Rechtfertigungselemente 288 Rechts- und Pflichten lage 58 Rechtsanwender 23 Rechtsanwendung - methodischer Vorgang 191 - willkürliche 228 Rechtsanwendungsbefehl - normativer 197 Rechtsanwendungsgleichheit 33 Rechtsanwendungsmethode 199 Rechtsanwendungsschema 61 Rechtsanwendungsverfahren 61 Rechtsanwendungsvoraussetzungen 113 Rechtsbeeinträchtigung - Intensität 13 7 Rechtsbeschränkung - Voraussetzungen 45 Rechtsentstehung - materielles Verständnis 337 - prozessuale 57 Rechtsfolgebestimmung 24 Rechtsfolgenanordnung 55, 83, 203, 232, 255,298 Rechtsfolgenausspruch 198 Rechtsfolgenklarheit 254 24·

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Rechtsfolgenseite 200 Rechtsfortbildung 37, 82, 94, 99, 114f., 118f., 126, 243, 278ff., 282ff., 291 ff., 327 Rechtsfortbildung - gesetzesergänzende 243 - gesetzesimmanente 283, 288 - Pflicht des Richters 80 Rechtsfrage 27 Rechtsfrage 27f., 62, 70, 79f., 87f., 92, 123 Rechtsfrieden 66ff., 234 Rechtsgenerierung 114 Rechtsgeschäft - obligatorisches 321 Rechtsgewährungsgehot 115 Rechtsgleichheit 38 Rechtskreis - anglo-amerikanischer 38 - skandinavischer 38 Rechtsmißbrauch 241 Rechtsmittel 121 Rechtsnachteil 128 Rechtsnormen - prozessuales Verständnis 190 - unvollkommene 230 Rechtsprätendent 29 Rechtspraxis 343 Rechtsprechungsmonopol - Institutionalisierung 86 Rechtsschöpfung 82 Rechtsschutz - effektiver 86, 211 Rechtssicherheit 33, 38, 78f., 184, 234, 260,343 Rechtssphäre 142, 211, 233f., 240 Rechtsstaatsprinzip 103 Rechtsvermutungen 326, 297 Rechtsverweigerung 122, 285 Rechtsverweigerungsverbot 42, 69, 79f., 83, 86f., 95,101. 112ff., 123,197,199, 202, 247, 337

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Sachverzeichnis

Rechtsverweigerungsverbot 69 Rechtsverweigerungslücken 280 Reflex 129, 131, 133, 182, 187, 196, 203, 322,338 Reflexwirkung 180 Regel-Ausnahme-Prinzip 54, 224, 226, 268f., 274 Regel-Ausnahme-Schema 207 Regel-Ausnahme-Verhältnis 340 Regelbeweismaß 37, 39, 43, 53, 83, 107, 148, 243, 253, 259f., 271, 286, 304, 308, 310, 312, 324, 326, 329f., 332, 334f., 337, 340, 342 Regelungen - schwer vollziehbare 121 Regelungskompetenz 298 Regelungslücke 278ff. - offene 284 Relativitätsmodell 40fL 44, 46 Remonstrationsrecht 175 Richtigkeitsgewähr 316 Richtigkeitsvennutung 175 Richtsätze 260 Risikoschwelle 98 Risikotragung 76 Risikoüberwälzung 214 Risikoverlagerungsmechanismen 213 Risikoverteilungsvorgaben - gesetzliche 208 Risikozuschlag 212 Risikozuweisung 22, 153, 174, 179L 183, 196, 22~ 242, 269, 333, 339f., 342 - latente 180 Risikozuweisungsmaßstab 242 Roh-Sachverhalt 26, 28 Rückkaufangebot 185, 274, 319f. Sachschätzungsbefugnis 109 Sachaufklärung - effiziente 145 Sachentscheidung - Offenhaltung der 55

- Verpflichtung zur 60, 65 Sachentscheidungspflicht 65f., 79f., 87ff., 92, 96f., 100ff., 105, 108, IlOff., 120, I 23ff. - originäre 10 I Sachentscheidungszwang 101 Sachkunde 3 15 Sachverhalt - Bildung des 23 - fiktiver 75, 256, 286 - historischer 24f., 28 - schwer ennittelbarer 47 Sachverhaltsaltemativen 313 Sachverhaltsannahme 252 Sachverhaltsaufklärung 137, 144, 172, 183, 260 Sachverhaltsbehauptung 25 Sachverhaltsbildung 25f. Sachverhaltsennittlung 127, 171, 176, 260, 271, 302, 334 - gerichtliche 127 Sachverhaltslücke 271 Sachverhaltsstück 252, 341 Sachverhaltszweifel 102 Sachverständigenbegutachtung 142 Sachwissen - größeres 214 Sanierungsgebiet 172 Schätzung 50, 68, 71, 77, 88f., 91, 98, 105, 109f., 117, 121, 125, 145, 159, 212L 229, 236, 245, 255f., 257ff., 306fL 332, 334, 338, 341 ff. - Anwendungsbereich 279 - Regelbeispiele 259 Schätzungsbefugnis 54, 109, 126, 261, 263, 271 f., 281, 283, 307, 332, 338, 343 Schätzungsinnenproblem 282 Schätzungszwang 261 Scheinerklärungen 313 Schutzgewährleistung 239 Selbständige Tätigkeit 224

Sachverzeichnis Selbstbindung der Verwaltung 48 Selbstermächtigung 113, 115, 126 Selbsthilfeverbot 52 Sonderausgaben 156, 160f., 178 Sonderausgabenpauschalierung 161 Sondernorm 81 Sondernormentheorie 194 f. Sonderregel 196 Sozialrecht 142 Sozialwohnungen 242 Sozialzwecknormen 232f., 239 Spezialität 11 7 Sphärengedanke 117, 119, 160, 206, 211, 213ff., 225[" 340 Sphärentheorie 209ff. Sprachwissenschaftler 265 Staatsausgaben - Sicherstellung 290 Steueranspruch - rechnerische Zusammensetzung 221 Steuerausfälle 165f., 229f., 234 Steuerbefreiung 223 Steuererklärungspflicht 135 Steuerfahndung 214 Steuerfestsetzung - Rechtspflicht 123 - vorläufige 68ff., 258f. Steuergerechtigkeit 39 Steuerliche Leistungsfähigkeit 232' Steuermindernde Faktoren 74 Steuerprozesse - Ausufern der 64 Steuerrichtigkeit - materielle 160 Steuerstundung 223 Steuerverfahrensgrundsätze 277 Strafverfahren 103 Strukturgleichheit - prinzipielle 289 Stufenabfolge 110 Stufenverhältnis - logisches 317

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Subjektive Beweislast I 29ff. - s. auch Beweislast, subjektive - Zusammenfallen mit objektiver Beweislast 130 Subordinationsverhältnis 227 Substitution 254ff. Subsumtion 24, 28 Subsumtionsfähigkeit 194, 251 Subsumtionsmodell 60, 64 Subvention - verdeckte 232, 241, 291 f. - offene 232 Subventionsgewährung 241 Surrogat 329 Syllogismus 23 - Reduktion des 25 Systemtheorie 206 Tatbestandselemente - subjektive 304 Tatbestandsgebundenheit 202, 255 Tatbestandsmäßigkeit 45, 48, 51, 53, 55, 81f., 92,101,109, 111f., 114,125,201, 242 Tatbestandsmerkmale 129, 165, 169, I 83ff., 217, 248ff., 267, 276, 297f., 301,314,341 - Fiktion 251 ff. - subjektive 72, 186, 260, 314, 318, 321 Tatbestandsseite 200 Tatbestandsvoraussetzung - materiellrechtliche 169f. Tatfrage 27f., 32, 53, 80, 88, 92, 123 Tatsachen - entscheidungserhebliche 22 - gerichtsbekannte 133 - hypothetische 27 Tatsachenbasis 55 - feststehende 107 - wahrscheinliche 66, 73 Tatsachenermittlung - gerichtliche 88

374

Sachverzeichnis

- in jedem Verfahren 95 Tatsachenlage - unsichere 88 Tatsachenlücke 201 Tatsachenstück 253 Tatsachenvermutungen 297f. Tatsächliche Vermutungen 294ff., 315ff. - Typisierungen 47 Teilwertbegriff 306 Telefonkosten 265, 270 Teleologie 298 Teleologische Reduktion 151 ff., 283f., 288 Teleologische Auslegung 219, 224 Territorialitätshoheit 176 Träger der Entscheidungsanweisungen 111 Transformation 247, 253ff., 268, 341 Treuhänder 162f. Typisierung 91, 183, 185, 188, 213, 229, 245, 255, 260, 286, 289f., 194ff., 326, 328f. Typisierung - formelle 326, 330, 342 - materielle 294ff. Typisierungsspielräume 242f., 294, 327 Typisierungsverbot 331 Typizität 305, 331 - der Geschehensabläufe 312, 314 Typizitätsgrad 335 Überlastung - der Finanzverwaltung 78 Übermaßverbot 330 Überschußrechnung 222 Überwiegensprinzip 37ff. Überwindungs instrumentarium 119 Überwindungs prinzip 31, 62, 97 Überzeugung 165, 186, 192, 216, 255f., 260, 267f., 271, 277, 300, 303, 309, 313, 315, 332, 337 - an Sicherheit grenzende 37 - ausreichende 309, 317

-

erforderliches Maß an 329 individuelle 37 Intensität der 33, 342 mangelnde 333 persönliche 38 reduzierte 79, 255 richterliche 35f., 46, 329 subjektive 17 volle 266, 271, 276, 307, 311ff., 316, 318, 324, 326 - vollständige 273 Überzeugungsbildung 147, 151, 247, 261, 303, 328 - Absenkung des Grades der 30 - freie 32 - richterliche 31 Überzeugungsgewinnung 171, 188, 260, 271,317,343 Überzeugungsgewinnungsmittel 64 Überzeugungsgewißheit 208 Überzeugungsgrad 148, 187, 208, 270, 305, 316, 334, 338, 342 - Absenkung des 64 - genereller 68 Überzeugungsmaßstab 268 Überzeugungsmodell 35ff., 39, 42, 51, 53f., 69, 116 Überzeugungsptlicht 48 Überzeugungsprinzip 293 Überzeugungswirkung 325 ultima ratio 49, 51, 246, 258, 289 Umverteilung 240 Umweltschutz 172, 241 Unabhängiger Richter 52 Unabhängigkeit - des Richters 34 Unabweisbares Bedürfnis 288 Unaufklärbarkeit 22ff., 62, 65, 71, 76f., 81, 88f., 91f., 11Of., 114, 123, 126, I 79f., 182, 194, 197, 240, 246, 250, 260, 267f., 280, 343 - Begriff 29ff.

Sachverzeichnis - dauernde 74 - feststehende 74 - Risikozuweisung 84 - tatsächliche 94 - vorübergehende 70f., 74, 76 Unbeachtlicherklärung 288 Ungefähres 270 Ungeschriebene Beweislastnormen - Sachenentscheidungspflicht 126 Ungewißheit 68ff., 77f., 80, 113 - anfängliche 17 Ungewißheitsfälle 82 Ungewißheitsrest 323 Unternehmereigenschaft 277f. Untersatz 23. 60 Unterstellung - belastende 272f. Unterstellungen 268 Unterstellungswirkung 273 Unterstützungspflichten 177 Untersuchungsgrundsatz 93. 124. 129ff., 139ff., 150f., 153f., 157, 160ff., 212, 277.287,293.295,300,307,331,339, 343 - Durchbrechung 134 - Modifikation 287 Untersuchungsmaxime 131, 140, 169 Untersuchungspflicht - Beendung 133 Unvollkommenheit der Rechtsordnung 81 Unvollständigkeit - plan widrige 281 Urkunde 313 Verantwortung - persönliche 17 Verantwortungsbereiche 210 Verbot der Selbsthilfe 51, 86 Verfahrensdauer 70 Verfahrensgrundsätze 62 Verfahrensmäßige Ausgestaltung 67 Verfahrensmaxime 179

375

Verfahrensökonomie 39, 47, 229. 301, 303, 327 Verfahrensverlust 133[" 138, 162. 176. 182ff., 188. 30 I. 339, 343 Verfassungskonformität 74 Verftigungsbereiche 210 Vergleichs vertrag - Institutionalisierung 95 Verhalten - vorprozessuales 83 Verhaltensanforderungen 309 Verhaltensanweisung 129, 131, 166, 180, 342 - an die Parteien 116 - primäre 58 Verhaltensnormen 57f. Verhaltensreaktionen 321 Verhandlungsgrundsatz 62, 153, 163, 174 Verhandlungsmaxime 129,131,139.169 Verkomplizierung - des Steuerrechts 293 Verluste 186.275 Vermietung und Verpachtung 156, 290 Vermögens umschichtung - private 72 Vermutung 45ff., 53,81,91,184. 186ff., 260, 274, 298. 30Of., 317, 328f. - einfache 307 - Erschütterung der 307 - gesetzliche 117, 149. 294, 297f., 300f., 328 - Legitimationsfragen 325ff. - Regel- 163 - Richtigkeits- 175 - tatsächliche 47ff., 183,260,292, 294ff., 315ff., 321 f., 325ff.. 334f., 341 ff. - unwiderlegbare 297, 299 - Wahrscheinlichkeitswert 50 - widerlegbare 217, 300ff., 309 - widerlegliche 185 Vermutungsbasis 274, 298, 300f., 308, 314.318,321,325

376

Sachverzeichnis

Vermutungswirkung 317 Vernunft - praktische 286 Verortung - gerichtliche 83 Verrechnungsgelegenheit 166 Verrechtlichung 25 Verteilung eines Risikos 98, 100 Verteilungsanordnung 110 Verteilungskriterien 111, 113, 189, 198, 203ff., 207ff., 215, 217ff., 238, 243f., 276, 340 - geeignete 20 Verteilungskriterium - Beliebigkeit 276 Verteilungsmethode 198 Verteilungsprinzip 92, 204 Verteilungsregel 44, 99 Vertragsverletzung - positive 209 Vertrauensschutzaspekte 79 Verwaltungsakt 3 11 Verwaltungsentscheidung - konkretisierende 58, 60, 337 Verwaltungsökonomie 292 Verwaltungsrechtsbeziehung - zweipolige 239 Verwaltungsvereinfachung 39, 53, 63, 241, 260 Verwaltungsverfahren - vorgeschaltetes 29 Verwaltungsverhältnisse - mehrpolige 67, 238 Verwaltungsvorakte 95 Verweigerungsverhalten 290 Verweisungskette 274 Vollständigkeitstheorie 190f. Vollziehbarkeitsmachung 230, 292 Vollzugsanweisung 106, 118, 124, 337 Vollzugsauftrag 102, 116 Vollzugsinstrumentarium 117 Vollzugsprobleme 182

Vorbehalt - der Nachprüfung 122 - des Gesetzes 45, 91 f., 111, 114, 226, 230, 232f., 242, 252 Vorbehaltsprinzip 99f. Vorhersehbarkeit 208, 219, 262, 285, 340 Vorläufigkeitsfestsetzung 76 Vorrangverhältnis 117 Vorsorgepauschale 160 Vorsteueranspruch 276 Vorurteil 323 Vorverlagerung 271 Vorwertbares Verhalten 272 Vorwirkungen 303 - faktische 129, 153f., 179, 183f., 187 Waffengleichheit 44, 124,211,237 Wahlrechte 150, 158, 173 Wahrheit - materielle 132, 308 - naturwissenschaftliche 34 - objektive 34 - subjektivierte 30 Wahrheitsbegriff - Relativierung 34 Wahrheitsfeststellung 254 Wahrscheinlichkeit - an Sicherheit grenzende 38, 46f., 55, 61, 104, 116, 165, 181, 187,208,243, 247,250,253, 259ff., 267f., 27Of., 275, 277, 279, 286, 304, 308, 310, 315ff., 324, 326, 332, 334f., 337, 340ff. - hohe 52, 307 - reduzierte 63 - überwiegende 37, 40, 43, 208 Wahrscheinlichkeitskriterien 226 Wahrscheinlichkeitswert 35, 43, 50 Wahrscheinlichkeitsmodell 37ff., 51 Wahrscheinlichkeitsschluß 79 Wahrscheinlichkeitsurteil 208, 275f., 286, 300, 307, 310, 329 - wirklichkeitsorientiertes 108

Sachverzeichnis Wechselwirkungen 40 Werbungskosten I 46ff., 171, 178. 186, 221 f., 224ff., 233. 270, 340 Werbungskostenpauschale 160 Werbungskosten überschüsse 186 wertendes Element 32 Wertsachen - Vorlage von 142 Wertungsentscheidung 213 Wertungsschicht 246 Wesentlichkeitstheorie 299 Wiedereinsetzung 187 Wiederverkaufsgarantie 185, 274, 319f. Willkürverbot 106 Wirklichkeit 54, 191,207,247,249,251, 267, 270, 323 - Vorgang in der 23 Wirklichkeitsebene 123, 252, 268 Wirkungen - faktische 188 Wirkungsweise 247 Wirtschaftsgemeinschaft 296 Wirtschaftsgut I 72 ff. , 241, 320f.

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Wohnung 142 Wortlautauslegung 264 Wortsinn 281 Würdigung - rechtliche I 74

Zahlungsansprüche 233 Zahlungsempfanger 167, 278 Zeitablauf 78 Zielvorgaben 293 Zinsbesteuerungsurteil 67 Zivilrecht 51, 61, 81, 84ff., 94, 112, 115, 122,124,155,220,227,231,280,298, 306,308,310,337,340,342 - Adaption 244 - Parallelität zum 86 Zugang 232, 311 Zumutbarkeitsgrenze 78 Zuständigkeit - örtliche 175 - sachliche 175 Zwischen werte 34