Übergangsräume: Deutsche Lazarette im Ersten Weltkrieg [1 ed.] 9783666371004, 9783525371008

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Übergangsräume: Deutsche Lazarette im Ersten Weltkrieg [1 ed.]
 9783666371004, 9783525371008

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Alina Enzensberger

Übergangsräume Deutsche Lazarette im Ersten Weltkrieg

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Christina Morina, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 241

Alina Enzensberger

Übergangsräume Deutsche Lazarette im Ersten Weltkrieg

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Patienten und Krankenschwestern des Saales 30 im Reservelazarett »Gymnasium am Kaiserdom« Speyer, 29.08.1916, in: Historisches Museum der Pfalz – Speyer / Ehrenamtsgruppe HMP Speyer (CC BY-NC-SA), Inventarnr. FU_11, https://rlp.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=7830&cachesLoaded=true. Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-37100-4

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Lazarette als neue Räume an der Heimatfront . . . . . . . . . . . . . . 28 1.1 Das deutsche Heimatlazarettwesen 1914–1918: Organisation, Strukturen, Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Lazarettarten des Deutschen Heeres . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Leitende Akteure und Institutionen des Heimatsanitätswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Akteure vor Ort im Heimatlazarett . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Von der Improvisation zur Institutionalisierung: Die Einrichtung der Heimatlazarette im ersten Kriegsjahr, 1914/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Kriegsvorbereitungen im Militärsanitätswesen . . . . . . . 1.2.2 Mobilmachung: Der Weg ins Chaos . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Eine Werkstatthalle zur Menschenreparatur: Das Reservelazarett Ingolstadt II . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Lazarette überall: Veränderungen des städtischen Raums . . 1.3 Euphorie und Enttäuschung: Das Lazarettwesen und die Zivilbevölkerung, 1914/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Vereinslazarette und die Mobilisierung der Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 »Dilettantenwirtschaft«: Max Weber als Lazarettverwalter in Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 »Gefährliche Besucher«? Das Lazarett als sozialer Anziehungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Lazarette als Räume der Wiederherstellung . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.1 Große Erwartungen: Militärmedizinische Potenziale der Heimatlazarette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Wiederherstellung als Kreislauf: Das Lazarettsystem des Deutschen Heeres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Sicherheit und Modernität: Das Lazarett als geordnete Behandlungsumgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Überwachen und Strafen: Das Lazarett als Disziplinaranstalt und »suggestives Milieu« . . . . . . . . .

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2.1.4 Weiterbildung und Spezialisierung: Das Lazarett als medizinisches Schulungs- und Kompetenzzentrum . . . . 2.2 Je schneller, desto besser: Beschleunigte Wiederherstellung im Lazarett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Behandlung auf Probe und Absenkung der Tauglichkeitsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Behandlung wider Willen? Erzwungene Operationen im Lazarett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 »KV!«: Militärische Tauglichkeitsgrade und ihre symbolische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Proberäume der Arbeitswelt: »Berufsertüchtigung« für Invalide 2.3.1 Die Wiederherstellung des Arbeitswillens . . . . . . . . . . 2.3.2 Musteranstalt: Das Fürsorge-Reserve-Lazarett München, 1916–1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Lazarettbeschäftigung als »Arbeitstherapie« . . . . . . . . . 2.3.4 Musterpatient: Der Fall des August Barta, 1916 . . . . . . . 2.3.5 Der sich selbst wiederherstellende Patient: Das Lazarettwesen als Selbsterhaltungssystem . . . . . . . . 2.3.6 Arbeitsverweigerung und Arbeitszwang . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Lazarette als soldatische Erfahrungsräume . . . . . . . . . . . . . . . 162 3.1 Von der Aufnahme zur Entlassung: Der Weg des Patienten . . . 3.1.1 Vom Soldaten zum Patienten: Prozeduren der Aufnahme . . 3.1.2 Das weiße Bett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Kopftafel, Verbandswechsel, Hausordnung . . . . . . . . . . 3.1.4 »Plötzlich hieß es, ich sei gesund«: Die Entlassung . . . . . 3.2 Bett mit Aussicht: Das Lazarett aus der Liegeperspektive . . . . . 3.2.1 Betten, Lärm, Gestank: Krankenstuben und Lazarettsaal . . 3.2.2 Von Schlachtbänken und Todesräumen: Das imaginierte Lazarett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 »Ich war noch nicht ganz da«: Fieber, Narkose, Morphium 3.2.4 Warten und Langeweile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Lesewut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Schlaflos im Lazarett: Wachliegen und Grübeln . . . . . . . 3.3 Das Lazarett als Ort der Stille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Stille als Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Stillstand und Entschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Stille Heimat, donnernde Front . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Stilles Heldentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Mikrokosmos: Alltag und Gemeinschaft im Heimatlazarett . . . 3.4.1 Medizinischer Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

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3.4.2 Freizeit im Lazarett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Kriegsweihnachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Situative Notgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Lazarettsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Das Lazarett als Kontaktzone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Der Feind im Nebenbett: Kriegsgefangene im Lazarett . . . 3.5.2 Mütter, Schwestern, Geliebte: Kontakt zu Frauen . . . . . . 3.6 Das Lazarett als Sehnsuchtsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Ein kriegsbedingter Sehnsuchtsort . . . . . . . . . . . . . . 3.6.2 An der Front: Das Lazarett als Erlösungsphantasie . . . . . 3.6.3 Im Heimatlazarett: Auszeit vom Krieg . . . . . . . . . . . . 3.6.4 Nach der Entlassung: Sehnsuchtsort ex post . . . . . . . . . 3.6.5 Grenzen der Sehnsucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.6 »Heimatschuss« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Lazarette als umkämpfte Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 4.1 Schaufenster der Militärmedizin: Das Lazarett als Repräsentationsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Heilen, um sterben zu lassen: Öffentliche Kritik am Sanitätswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 »Wir Barbaren!« Das Lazarett als Nachweis deutscher Humanität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Das Lazarett als Schule und Abbild des deutschen »Volkes« 4.1.4 Vom Angehörigenbesuch zum »Hohen Besuch«: Das Lazarett als Wohltätigkeitskulisse . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Lazarett als Bedrohungsraum: Innere und äußere Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Bedrohung I: Zivil geführte Lazarette . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Bedrohung II: Simulation, Aggravation, Selbstverstümmelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Bedrohung III: Schlechte Stimmung . . . . . . . . . . . . . 4.3 Militärische Gegenreaktion: Neue Propaganda- und Kontrollmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Stimmungsstrategie: »Vaterländischer Unterricht« für Lazarettinsassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Überwachungsstrategie: Beobachtungslazarette und Sanitätsinspektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Sanitätsdienst gegen Soldaten: Ein Kampf ohne Sieger . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 7

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 Personen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

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Einleitung Mitte September 1914, der Erste Weltkrieg hatte gerade erst begonnen, erhielten Anna und Hans Waldhausen Post von ihrem Sohn. Der 22-jährige Oberleutnant Hans schrieb ihnen aus einem Straßburger Lazarett: »Liebe Eltern! Heute habe ich Ereignisse zu berichten, über deren Endergebnis ihr, wenn auch nicht hocherfreut, so doch wenigstens äusserst beruhigt sein müsst. Ich liege hier ausserordentlich glücklich verwundet und gut untergebracht im Garnisonlazarett 7 und habe soeben bereits liebenswürdigen Damenbesuch bei mir gehabt in Gestalt der beiden Braubachs Töchter, um das viele Rauhe der letzten Zeiten mal wieder mit etwas ›zartem sich paaren‹ zu lassen, wie der Poet sagt.«1

Hans Waldhausen zeigte sich erleichtert, mit zwei ungefährlichen Verwundungen in ein innerdeutsches Militärkrankenhaus gelangt zu sein. Millionen deutscher Soldaten2 kamen wie er verletzt oder krank in ein Heimatlazarett und verbrachten dort Wochen, Monate oder Jahre zur Genesung. Manche verließen es als Kriegsbeschädigte,3 andere kamen zurück an die Front. Für viele wurde das Lazarett zu einem prägenden Ort ihrer Kriegserfahrung. Eine berühmte künstlerische Verarbeitung der Kriegserfahrung stellt Erich Maria Remarques Kriegsroman »Im Westen nichts Neues« dar.4 In diesem Buch erscheint das Militärkrankenhaus als zentrales Symbol für die Zerstörungsgewalt des Ersten Weltkriegs. Wie ein Mikrokosmos des Grauens repräsentiert es den größeren Makrokosmos des Krieges und seiner Schrecken. Im Lazarett wird dem verwundeten Hauptprotagonisten Paul Bäumer deutlicher als je zuvor bewusst, welches Ausmaß an Leid der Krieg verursacht hat. Die KrankenhausSzene gipfelt im ikonischen Satz: »Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.«5

1 Hans Waldhausen an seine Eltern, 12.09.1914, in: Dreidoppel u. a., S. 48. 2 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet. Damit sollen alle Geschlechter bezeichnet werden. 3 Schätzungen gehen davon aus, dass alleine von den deutschen Soldaten ca. 2,7 Millionen bleibende Kriegsschäden davongetragen haben, vgl. Kienitz, Beschädigte, S. 11. 4 Vgl. Remarque. Remarque verbrachte als Rekrut selbst über ein Jahr in einem Duisburger Lazarett, nachdem ihn Granatsplitter 1917 an der Westfront schwer verwundetet hatten – eine Erfahrung, die er zum Teil in seinem späteren Roman verarbeitete. Die Remarque-Forschung ist sich inzwischen jedoch einig, dass der Roman weder als autobiographisch noch dokumentarisch gelten kann, sondern hauptsächlich ein fiktionales Werk darstellt, vgl. Schneider, »Krieg«, S. 222. Zur zeitgenössischen Kritik am Roman ders., »Realität«; ders., Erich; Schrader. 5 Remarque, S. 180.

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Remarques griffige Darstellung hat sich weitgehend durchgesetzt: »Im Westen nichts Neues« hat nicht nur das populäre Bild des Ersten Weltkriegs und die Erinnerung an ihn maßgeblich geprägt, sondern auch unser heutiges Bild der Lazarette. Wissenschaftlich sind die Militärkrankenhäuser allerdings noch kaum untersucht.6 Einige Studien zum Ersten Weltkrieg berufen sich weiterhin direkt auf Aussagen Remarques und anderer Künstler der Nachkriegszeit,7 wonach die Lazarette blutige »Kerker der Qualen«8 gewesen seien, in denen der Krieg sein wahres Gesicht gezeigt habe.9 Doch wird dieses Urteil, das sich vor allem aus literarischen Texten und künstlerischen Darstellungen speist, der Wahrnehmung der historischen Zeitgenossen gerecht? Remarques berühmtes Romanzitat steht in einem auffälligen Widerspruch zu zahlreichen soldatischen Selbstzeugnissen, etwa dem eingangs zitierten Brief Hans Waldhausens an seine Eltern. Hier erscheinen gerade Heilaufenthalte innerhalb des Reichsgebiets in viel positiverem Licht. Was zeigen uns also die Lazarette? Zeigen sie, »was der Krieg ist«?10 Tatsächlich waren die Militärkrankenhäuser untrennbar mit den Grausamkeiten der Schlachten verbunden. Ihre schiere Existenz verwies bereits auf den Massen­ vernichtungscharakter des Krieges, der nicht zuletzt durch sie mit am Laufen gehalten wurde. Im Lazarett konnte jeder die Opfer des Frontgeschehens besichtigen. Zugleich erschienen gerade die Heimathospitäler vielen Soldaten als »ander[e] Orte«11 des Krieges. Sie fanden dort kurzzeitig wieder Schutz, Fürsorge und ein trockenes Bett. Für Ärzte, Pflegepersonal und Zivilisten tat sich ein großes Tätigkeitsfeld mit persönlichen und beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten auf. Insgesamt prägten die Lazarette nicht nur die Kriegserfahrung fast aller Soldaten sowie das Leben zahlreicher Zivilisten, sondern besaßen auch für die Militärmedizin eine zentrale Bedeutung.

6 Zur hier angesprochenen Lazaretterfahrung aus Patientenperspektive gibt es keine systematischen Studien. Bisher liegt nur erstens ein kommentierter Bildband von Wolfgang Eckart vor, der sich dem Patientenalltag anhand von Lazarettpostkarten als Quellengattung widmet, Eckart, Die Wunden; ebenso ders., Medizin und Krieg, S. 122–135. Zweitens ist die Arbeit von Melanie Ruff zu deutschen und österreichischen Gesichtsverletzten im Ersten Weltkrieg zu nennen. Ein Kapitel thematisiert den Lazarettalltag der Gesichtsbeschädigten, vgl. Ruff, Gesichter, S. 107–207. Die eigentliche Patientenperspektive kommt jedoch nur in wenigen Abschnitten zur Sprache, vgl. ebd., S. 126–129; neu außerdem der kurze collagenartige Beitrag von Moosdiele-Hitzler. 7 Vgl. etwa Daudistel, insbes. S. 72 f.; Klemm; Frank; Weiß; Zickler, insbes. S. 31–58. 8 Remarque, S. 180. 9 So etwa Schubert, S. 462; Whalen, S. 53–57; differenzierter Eckart, Medizin und Krieg, S. 123 f., der zugleich die Erfahrungsdimension des Lazaretts klar hervorhebt, vgl. ebd., S. 122–135. 10 Remarque, S. 180. 11 Vgl. Foucault, S. 321. Michel Foucault skizziert in diesem Essay sein Konzept der »Heterotopien«. Beispiele dafür seien Schiffe, Gefängnisse, Sanatorien, Psychiatrien, Bordelle oder Kolonien.

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Dieses Buch erzählt eine Geschichte der deutschen Heimatlazarette im Ersten Weltkrieg. Ziel ist es, sie als Übergangsräume zwischen militärischer und ziviler Sphäre sichtbar zu machen und ihre Rolle als besondere Arbeits-, Lebens- und Vorstellungswelten im Krieg zu untersuchen. Dabei geht die Analyse folgenden Fragen nach: Welche militärische und gesellschaftliche Funktion und Bedeutung kam den innerdeutschen Lazaretten während des Krieges zu? Auf welche Weise erlebten, imaginierten und nutzten militärische und zivile Akteure diesen Raum? Inwiefern gerieten sie mit ihren widerstreitenden Interessen und Vorstellungen um die Rolle des Heimatlazaretts in Konflikt? Und wie erlebten schließlich die verwundeten und kranken Soldaten das Hospital als Lebenssituation und soziales Umfeld? Der Erste Weltkrieg war der erste industrialisierte Massenkrieg der Geschichte.12 Mehr als neun Millionen Soldaten aller kriegführenden Nationen fielen ihm zum Opfer.13 Gleichzeitig produzierte die moderne Waffentechnik unter den Truppen Millionen Verwundete und Kranke, zumal die hygienischen Bedingungen in den Schützengräben katastrophal waren.14 Doch nicht nur die Waffen waren im Ersten Weltkrieg effektiver und damit zerstörerischer geworden. Auch die Medizin hatte im Modernisierungswettkampf aufgeholt. Im Vergleich zu früheren Kriegen standen ihr nun bessere Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, unter anderem durch Röntgenapparate, neue Impfmöglichkeiten und eine weiterentwickelte Prothesentechnik.15 Das Heeressanitätswesen galt bald als ein kriegsentscheidender Faktor.16 Verletzte und erkrankte Soldaten im Lazarett möglichst rasch »wiederherzustellen«, um sie erneut an der Front oder in der Kriegsindustrie einsetzen zu können, erschien aus militärischer Sicht schon alleine deshalb essentiell, weil die personellen Ressourcen des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten begrenzt und den Gegnern zahlenmäßig unterlegen waren.17 Angesichts dessen wuchs die strategische Bedeutung der Lazarette im Verlauf des Krieges, da von ihnen erhofft wurde, einen großen Teil des dringend benötigten »menschlichen Ersatzes« für die Front zu liefern.

12 Von der inzwischen schier unüberschaubaren allgemeinen Literatur zum Ersten Weltkrieg seien hier nur genannt Leonhard; Münkler, Krieg; Stevenson; Janz; Strachan; Epkenhans, Der Erste; Hirschfeld u. Krumeich, Deutschland. 13 Die Zahlen in der Literatur variieren an diesem Punkt recht stark, vgl. dazu Prost; Overmans. 14 Vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 65–84; Reid, Medicine, S. 42–57; Whalen, S. 49–57. 15 Vgl. Eckart u. Gradmann, Medizin, insbes. S. 210–215; Leonhard, S. 565–568. 16 Vgl. Koetzle, S. 7; allgemein Harrison, The Medicalization of War. 17 Zusätzlich setzten die Kolonialreiche Frankreich und Großbritannien zusammengenommen hunderttausende freiwillige und zwangsrekrutierte Männer aus Afrika und Asien auf den europäischen Kriegsschauplätzen sowie in der heimischen Industrie ein, vgl. Koller, Colonial; ders., Recruitment; allgemeiner Das; Fogarty. Das Deutsche Kaiserreich beschritt diesen Weg nicht. Es setzte seine sogenannten »Schutztruppen« nur in den Kolonien selbst ein, vgl. Morlang; Koller, »Von Wilden«, S. 103–134.

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Als Soldat verletzt zu werden oder zu erkranken war zwischen 1914 und 1918 eine typische Kriegserfahrung. Innerhalb der deutschen Truppen durchlebte sie jeder der 13,2 Millionen Kämpfer durchschnittlich zwei Mal.18 Um diese Männer zu behandeln, sah die deutsche Sanitätstaktik ein klares Konzept vor: Leichtverwundete und -kranke sollten möglichst frontnah therapiert werden, während schwerere Fälle per Zug in die Lazarette des Reichsgebiets zurücktransportiert wurden. So kamen zwischen 1914 und 1918 über vier Millionen Frontsoldaten in die Heimatlazarette.19 Zusätzlich behandelten die Ärzte in den inländischen Hospitälern auch solche Militärangehörige, die im Reichsgebiet selbst erkrankten, beispielsweise während ihres Heimaturlaubs, sowie ausländische Kriegsgefangene. Insgesamt wurden in den Heimatlazaretten zusammengenommen über 7 Millionen »Fälle«20 therapiert und damit mehr als 28 Prozent aller Verwundungen und Erkrankungen von Soldaten während des Krieges.21 Die soldatische Lazaretterfahrung im Heimatgebiet war ein Massenphänomen. Dass angesichts dieser allein schon zahlenmäßigen Bedeutung die Lazaretterfahrung als zentraler Bestandteil soldatischer Kriegserfahrung bislang nicht umfassender untersucht worden ist, ebenso wenig wie das Lazarett selbst als sozialer Raum und militärische Institution im Krieg, ist mehr als erstaunlich.22 Dieser Leerstelle widmet sich das vorliegende Buch. Was ist ein Lazarett? Möchte man mit der Minimaldefinition des Begriffs beginnen, so handelt es sich bei einem Lazarett um ein Militärkrankenhaus mit völkerrechtlichem Schutzstatus.23 In der Regel existiert es nur während eines 18 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 18. 19 Vgl. ebd., S. 20. 20 Wie viele Soldaten einen Heilaufenthalt im Heimatgebiet persönlich erlebten, lässt sich anhand der offiziellen Statistik nicht klar nachvollziehen, da diese nur die Anzahl der »Fälle« erhob. Sicher ist, dass es sich um mehrere Millionen Männer handelte. Der dritte Band des »Sanitätsberichts über das deutsche Heer« bildet hier die statistische Grundlage. Da er jede Verwundung und Erkrankung einzeln zählte, gingen viele Soldaten mehrfach in die Statistik ein, was die Zahlen nach oben hin verzerrte, vgl. Whalen, S. 40; Bergen, Before, S. 107. 21 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 18. 22 Einige Studien behandeln Teilaspekte des hier untersuchten Themas. Jay Winter vergleicht in seinem Aufsatz »Hospitals« die Rolle des Krankenhauses in London, Paris und Berlin während des Krieges, wobei sich der knappe Berliner Teil auf Psychiatrien beschränkt, Winter, Hospitals; zur Verwundetenfürsorge in Freiburg vgl. Chickering, The Great War, S. 331–341; außerdem Eckart, Die Wunden; ders., Medizin und Krieg, S. 122–135; Ruff, Gesichter, S. 107–207; Moosdiele-Hitzler. Für die insgesamt besser untersuchte Medizin­ geschichte Großbritanniens im Ersten Weltkrieg kommen vor allem die Studien von Joanna Bourke, Jeffrey Reznick und Ana Carden-Coyne der hier vorliegenden Fragestellung nahe, vgl. Bourke; Carden-Coyne, The Politics; dies., Men; Reznick. 23 Die völkerrechtliche Grundlage für die Behandlung von Kranken und Verwundeten während des Ersten Weltkriegs bildete die überarbeitete Genfer Konvention vom 06.07.1906, die in großen Teilen auf der ersten Genfer Konvention vom 22.08.1864 beruhte. Darin bezieht sich v. a. das zweite Kapitel mit den Artikeln 6–8 auf den Schutz von Lazaretten. Der Text des Abkommens wurde auf deutsch publiziert im Reichs-Gesetzblatt Nr. 25 vom 08.06.1907.

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Kriegseinsatzes; in diesem Sinne ist es eine kriegsbedingte und temporäre Institution. Dies galt auch für die deutschen Lazarette des Ersten Weltkriegs. Mit Ausnahme der sogenannten Garnisonlazarette, die auch in Friedenszeiten in den Garnisonstädten bestanden,24 rief erst die Mobilmachung im August 1914 die Militärkrankenhäuser ins Leben. In den darauffolgenden Kriegsjahren existierten verschiedene Arten von Lazaretten – darunter Feld- und Etappenlazarette, Schiffslazarette und Lazarettzüge. Dieses Buch konzentriert sich jedoch auf den Typus des »Heimatlazaretts«. Gemeint sind damit alle Militärkrankenhäuser, die sich innerhalb der deutschen Reichsgrenzen befanden und damit unter die Zuständigkeit der inländischen Sanitätsbehörden fielen.25 Nur punktuell wendet sich die Analyse auch dem Feld- und Etappenlazarettwesen als Gegenfolien zu, um die Heimathospitäler deutlicher zu konturieren. Mit dieser Schwerpunktsetzung ist keine Wertung verbunden: Frontlazarette stellen ebenfalls komplexe Untersuchungsgegenstände dar, die eine eigene Studie verdient hätten.26 Doch wer sich für das Lazarett als »Soziotop einer Gesellschaft im Kriege«27 interessiert, muss den Blick auf die Heimatlazarette richten. Hier verbrachten die Soldaten deutlich mehr Zeit als in den Feld- und Etappenlazaretten, konnten von ihren Verwandten besucht werden und erhielten aufwendige Behandlungen. Für die Heimatbevölkerung wiederum wurden die Hospitäler zum sichtbaren Zeichen des Krieges in ihrer zivilen Welt und zu Orten, an denen sie selbst aktiv an den Kriegsanstrengungen teilhaben konnten. Daher lassen sich hier sowohl militärmedizinische Strategien als auch Patientenerfahrungen, Vergemeinschaftungsprozesse und die Rolle von Zivilisten im Sanitätswesen besonders gut nachvollziehen. Alle Heimatlazarette unterstanden dem Oberbefehl des Heeressanitäts­ wesens.28 Ein Teil von ihnen war tatsächlich rein militärisch geführt (Reservelazarette), der andere Teil wurde von Vereinen, Ritterorden oder Privatpersonen betrieben (Vereinslazarette), unterstand aber ebenfalls den Militärbehörden.29

24 Garnisonlazarette wurden auch als »Friedenslazarette« bezeichnet, vgl. D.fr.K., § 130. Sie bestanden in Garnisonstädten, also Städten, deren Truppen-Belegungsstärke permanent mehr als 600 Mann betrug, vgl. F. S. O., § 41; allgemeiner Bohn u. Epkenhans; Beck. Daneben bestanden temporäre »Ortslazarette« für entfernt stattfindende Truppenübungen sowie »Barackenlazarette« auf Artillerie-Schießplätzen, vgl. F. S. O., § 46–47. 25 Die Begriffe »Heimatlazarett«, »Militärkrankenhaus«, »Heimathospital«, »Sanatorium«, »Heileinrichtung« und »Heilanstalt« werden in dieser Studie als Synonyme für innerdeutsche Lazarette verwendet. 26 Verschiedene Arbeiten geben zwar die formale Funktionsweise des Feldsanitätswesens wieder, verfolgen damit aber keine weiterführende Fragestellung, vgl. Nitschke; Hartmann; Joppich, S. 79–95; Kolmsee, S. 153–224; Hospes; außerdem den Ausstellungskatalog von Haggenmüller u. Hartmann. 27 Eckart, Medizin und Krieg, S. 123. 28 Die Marinelazarette unterstanden hingegen dem Marinesanitätswesen, vgl. Weber, Die Organisation. 29 Vgl. Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 46–48.

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Die meisten Hospitäler30 waren während des Krieges in großen öffentlichen Gebäuden untergebracht, die das Militär zu diesem Zweck gepachtet hatte, etwa in Schulen, Brauereien oder Museen. Dadurch prägten die Lazarette nicht nur das Stadtbild aller deutschen Städte, sondern auch zahlreiche Dörfer und Kurorte, so dass sie laut Wolfgang Eckart in den Augen der Zivilbevölkerung bald »die omnipräsente medizinische Institution schlechthin«31 repräsentierten. Dass das Heimatgebiet so stark in die Verwundetenversorgung eingebunden war, stellte historisch ein Novum dar. Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 hatte es zwar ebenfalls Heimathospitäler gegeben, ihre Dichte war jedoch nicht annähernd so hoch gewesen.32 So mussten sich die meisten Lazarettakteure 1914 erst in die neuen medizinischen Übergangsarrangements einfinden und ihre Potenziale und Grenzen schrittweise ausloten. Zugleich entwickelten sich die Militärkrankenhäuser, gerade wegen ihres provisorischen Charakters, zu gesellschaftlichen Projektionsflächen, anhand derer die Zeitgenossen Wünsche und Ängste zum laufenden Krieg diskutierten, sowie zu Orten des Experiments: für neue medizinische Behandlungen, die hier seriell getestet werden konnten,33 für sozialpolitische Korrekturen, Volksbildungskonzepte und Propaganda.34 Was unterschiedliche Akteure also im Heimatlazarett über seine eigentliche Funktion als Krankenhaus hinaus erblickten, war ein sich eröffnender Möglichkeitsraum. Dies galt in besonderem Maße für die Militärmedizin selbst. Die Heimatlazarette regten moderne Machbarkeitsphantasien an, da sie einerseits zu versprechen schienen, das an der Front beschädigte »Menschenmaterial«35 nach Belieben erneuern und die Verwüstungen des Krieges damit gleichsam rückgängig machen zu können. Andererseits boten sie dem Militär direkten Zugriff auf Millionen von Soldaten, die dort immobil lagen und gezielt beeinflusst werden konnten. Während der rund vier Jahre ihres Bestehens entwickelten sich die Heimatlazarette zu professionellen Orten der modernen Medizin, aber auch zu sozialen Mikrokosmen mit lokalen Eigendynamiken und Einbettungen in Strukturen der bürgerlichen Kriegsfürsorge. Sie lassen sich als zentrale Kontaktzonen zwischen Militär und Zivilbevölkerung verstehen, in denen sich militärische, medizinische und persönliche Interessen verschiedener Akteure kreuzten.

30 Der Begriff »Hospital« wird in dieser Arbeit als Synonym für »Lazarett« verwendet. Er bezieht sich nicht auf die historische Bedeutung noch bis ins frühe 19. Jahrhundert als »Asyl«, in dem unheilbar Kranke und Alte dauerhaft Unterkunft und Verpflegung erhielten, vgl. Frevert, Krankheit, S. 74 f. 31 Eckart, Medizin und Krieg, S. 122. 32 Vgl. Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 41 f.; 45 f.; Eckart, Medizin und Krieg, S. 122 f. 33 Vgl. etwa zur Bluttransfusion, die sich im Weltkrieg etablierte, Eckart u. Gradmann, Medizin, S. 211; Schlich. 34 Zur zeitgenössischen Idee des Krieges als medizinischem Experiment vgl. Eckart, »Der größte Versuch«. 35 Zum Begriff des Menschenmaterials im Ersten Weltkrieg vgl. Leonhard, S. 549–551.

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Der thematische Zugang über das Lazarett als Raum im Krieg ermöglicht es, unterschiedliche Phänomene und Diskurse der Kriegszeit zusammenzuführen und neu zu betrachten. Dabei schließt das Buch insbesondere an fünf Forschungsfelder an: Erstens trägt das Buch zur Erforschung soldatischer Kriegserfahrung zwischen 1914 und 1918 bei. Diese Perspektive stand bisher besonders prominent am Tübinger Sonderforschungsbereich »Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit« im Fokus.36 Für die Zeit des Ersten Weltkriegs sind hier etwa Untersuchungen zu Kriegserfahrungen deutscher und britischer Seeoffiziere, britischer Soldaten an der Westfront und zu Männlichkeitsvorstellungen Tübinger und Cambridger Studenten entstanden.37 Als wegweisend für diese methodische Perspektive können zudem Benjamin Ziemanns Buch »Front und Heimat« und die Untersuchungen Klaus Latzels über die Wehrmacht gelten.38 Doch der Lazarettaufenthalt als wichtiger und auch typischer Bestandteil der soldatischen Kriegserfahrung ist in den bisherigen Forschungen kaum berücksichtigt worden.39 Der Grund mag darin zu finden sein, dass sich die Untersuchungen meist auf die »Fronterfahrung« von Soldaten konzentriert haben und damit längere Aufenthalte im Heimatlazarett nicht erfassten. Indem dieses Buch die Lazaretterfahrung von Soldaten innerhalb des Reichsgebiets genauer ausleuchtet und sich dazu auf soldatische Ego-Dokumente stützt, rückt es Krankenhausaufenthalte als zentrale Bestandteile der soldatischen Kriegserfahrung ins Blickfeld und bietet dadurch ein differenziertes und vollständigeres Bild. Zweitens leistet die Untersuchung einen Beitrag zur Geschichte der sogenannten »Heimatfront«. Die Vertreter dieses Forschungsfelds fragen danach, inwiefern sich der Krieg, der sich vermeintlich »vorne« an der Front abspielte, letztlich auf alle Lebensbereiche und damit auch auf die Zivilbevölkerung aus36 Der Sonderforschungsbereich 437 bestand in Tübingen 1999–2008, vgl. insbes. Beyrau u. Schild; Buschmann u. Carl, Erfahrung. Dem im SFB erarbeiteten wissenssoziologischen Erfahrungsbegriff soll auch hier gefolgt werden. »Erfahrung« bezeichnet demnach »die unterschiedlichen Verlaufsformen und Techniken, die der Aneignung und Konstituierung menschlicher Wirklichkeiten zugrunde liegen. […] Sprache, Institutionen und Traditionen liefern die soziokulturell objektivierten Rahmenbedingungen, die der subjektiv erfahrenen Wirklichkeit vorgelagert sind und auf sie zurückwirken. Wirklichkeit erweist sich so als eine soziale Konstruktion, die über Erfahrung reproduziert und modifiziert wird.«, Buschmann u. Carl, Zugänge, S. 18. Zur hier beschriebenen Vorstellung der Wirklichkeit als sozialer Konstruktion vgl. grundlegend Berger u. Luckmann; Luckmann u. Schütz. 37 Vgl. Wolz; Reimann, Semantiken; ders., Der Große Krieg; Levsen. 38 Vgl. Ziemann, B., Front; Latzel, Deutsche Soldaten; ders., Vom Kriegserlebnis; Hirschfeld, G. u. a., Kriegserfahrungen. Unlängst hat Christoph Nübel eine Arbeit zu Raum und Körper im Schützengraben vorgelegt, vgl. Nübel, Durchhalten. 39 Robert Whalen thematisiert in seiner Pionierstudie über Kriegsinvalide zwar die Patientenperspektive, nutzt dazu aber nur einzelne literarische Quellen und Artikel der Zeitung »Vorwärts«, Whalen, S. 53–57. Wolfgang Eckart widmet sich explizit dem »Soziotop der Lazarette«, indem er Lazarettpostkarten als Quellen untersucht, Eckart, Medizin und Krieg, S. 122–135; ders., Die Wunden.

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wirkte. Hierzu liegen inzwischen zahlreiche Untersuchungen vor.40 Der Schwerpunkt richtet sich meist auf Frauen, Arbeiter, Kinder und Jugendliche im Krieg oder etwa auf Ernährungs- und Versorgungsfragen.41 Das Heimatlazarett als Lebens- und Arbeitswelt wird auch hier kaum thematisiert.42 Indem das vorliegende Buch das inländische Hospital als militärisch-zivile Kontaktzone und konkretes Betätigungsfeld für Zivilisten in den Fokus rückt, wird die Geschichte der Heimatfront im Krieg um eine wichtige Dimension erweitert. Auf diese Weise kann auch an die viel diskutierten Fragen zum Verhältnis zwischen Front und Heimat angeschlossen werden.43 Studien der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass die Zeitgenossen Front und Heimat keineswegs als die unversöhnbaren Gegenwelten wahrnahmen, als die sie von der Kriegspropaganda teilweise inszeniert wurden, sondern im Gegenteil große Überschneidungen in der gemeinsamen Erfahrung bestanden.44 Die emotionale wie auch kommunikative Verbindung zwischen diesen Bereichen blieb über den gesamten Krieg hinweg stark. In dieser Untersuchung wird nun mit dem Heimatlazarett ein Raum betrachtet, der im Deutungshorizont der Zeitgenossen weder vollständig im Bereich des Militärischen noch im Bereich des Zivilen angesiedelt war, sondern eine Art Außenposten des Krieges in der Heimat darstellte. Damit kreuzten sich in dieser Übergangszone mehrere Facetten des Front-Heimat-Verhältnisses: Partizipationswünsche der »Daheimgebliebenen« mit den Regelungsbestrebungen der Militärbehörden, das Fürsorgebedürfnis der Patienten mit zeitgenössischen Ideen von vaterländischer Pflicht, Schuld und Heldentum oder militärische mit zivilen Vorstellungen von Krankenhauspflege und Behandlungszielen. Inwiefern, so lässt sich dann fragen, betrachteten die Zeit­genossen das Heimatlazarett als Verbindungskanal zwischen Front und Heimat und welche Konsequenzen ergaben sich aus diesem Bild? Drittens schließt das Buch an Forschungen zur Medizingeschichte des Ersten Weltkriegs an. Dabei ordnet es sich einer Sozial- und Kulturgeschichte der Medizin zu.45 Während die Untersuchung medizinischer Aspekte des Großen 40 Vgl. für Freiburg Chickering, The Great War; Geinitz; für Münster Nübel, Mobilisierung; für Kiel Rackwitz; für Darmstadt Stöcker; europäisch vergleichend Winter u. Robert, Capital Cities, Bd. 1 und 2.  41 Stellvertretend seien hier genannt: zur Heimatfront allgemein Hagemann u. Schüler-Springorum; Davis; Nübel, Sicherheit; zu Versorgungsschwierigkeiten Roehrkohl; zu Frauen Daniel, Der Krieg; zu Kindern und Jugendlichen Audoin-Rouzeau, La guerre des enfants; ders., Die mobilisierten Kinder; Demm. 42 In einigen Arbeiten kommt das Heimatlazarettwesen zwar vor, aber nur als Nebenaspekt. Im Fokus stehen die bürgerliche Kriegsbeschädigtenfürsorge, allgemeine Spendenaktionen für Soldaten und Kriegsversehrte (aber ohne speziellen Bezug zu Lazaretten) und die Sichtbarkeit von Invaliden im Straßenbild, vgl. etwa Flemming u. Ulrich, S. 249–257; Kienitz, Fleischgewordenes. 43 Vgl. etwa Krumeich, Kriegsfront – Heimatfront. 44 Vgl. Ziemann, B., Front; Meteling, Ehre; Lipp, Meinungslenkung; dies., Heimatwahrnehmung; für Österreich-Ungarn Hämmerle, Heimat / Front. 45 Vgl. hierzu die Bestandsaufnahme bei Schmiedebach.

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Krieges – vor allem für den deutschen Fall – zunächst lange Zeit ein Forschungs­ desiderat darstellte, sind gerade in den letzten zehn Jahren zahlreiche Einzelstudien und Sammelbände erschienen.46 Einen weiteren Antriebsmotor für die aktuelle Publikationswelle stellte das 100-jährige Erinnerungsjubiläum an den Großen Krieg in den Jahren 2014 bis 2018 dar.47 Im Bereich der Medizingeschichte dominieren vor allem drei Themen die Forschungsagenda: erstens die psychiatrische Deutung und Behandlung von Kriegsneurosen,48 zweitens die Orthopädie49 als aufstrebende Fachdisziplin und drittens, damit zusammenhängend, der gesellschaftliche Umgang mit massenhafter Invalidität in der Nachkriegszeit.50 Die meisten dieser Untersuchungen stellen Ärzte und ihre Fachpublikationen in den Mittelpunkt.51 So wichtig und erkenntnisreich die genannten medizinhistorischen Forschungen sind, haben sie doch in gewisser Hinsicht ein verzerrtes Bild entstehen lassen. Indem sich ihr Fokus hauptsächlich auf die Kriegspsychiatrie und -orthopädie gerichtet hat, kann in der Gesamtschau der Eindruck erwachsen, dass psychische Erkrankungen und Amputationen die einzigen oder immerhin häufigsten Folgen des Kriegseinsatzes gewesen seien. Das ist aber nicht der Fall. Andere Krankheiten kamen in der Summe weitaus zahlreicher vor.52 In den Heimathospitälern betraf dies vor allem schwere Atemwegs-, Magen-Darm- und Hauterkrankungen,53 in den Frontlazaretten spielte auch die Tuberkulose eine große 46 Vgl. zum langjährigen Forschungsdesiderat Eckart u. Gradmann, Einleitung, S. 1–4; einen guten Forschungsüberblick bieten Hofer u. Prüll, Reassessing; Bergen, Before. 47 Vgl. aus dieser Phase etwa Eckart, Medizin und Krieg; Prüll u. Rauh, Krieg; Crouthamel u. Leese; Reid, Medicine; zur Spanischen Grippe Haller. 48 Vgl. dazu Lerner, Hysterical; Crouthamel, Great War; Köhne, Kriegshysteriker; Becker u. a.; Ulrich, Krieg. 49 Zur deutschen Kriegsorthopädie Perry, Recycling; international vergleichend Anderson; Anderson u. Perry; in geschlechtshistorischer Perspektive Gagen; Bourke; für Großbritannien grundlegend Cooter. 50 Vgl. Whalen; Geyer, Vorbote; zusammenfassend Eckart, »Krüppeltum«; Cohen, The War; Kienitz, Beschädigte; Pironti, Kriegsopfer; zu Veteranen und Kriegserinnerung Ziemann, Veteranen; Löffelbein, Ehrenbürger; ders., Erbe; Bessel, Heimkehr; international vergleichend Gerber. 51 Petra Peckl und Philipp Rauh haben sich hingegen auf Krankenakten als Quellenart konzentriert, vgl. Peckl, Krank; dies., What; Rauh, Behandlung; ders., Therapiemethoden; mit einem Forschungsüberblick auch Prüll u. Rauh, Militär; ebenfalls mit psychiatrischen Krankenakten arbeitet Hermes, Zwischen Front. 52 Allgemein kamen Krankheiten in den Lazaretten doppelt so oft vor wie Verwundungen, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 20. Das genaue Verhältnis schwankte während der Kriegsjahre. Insgesamt waren Krankheiten in den Lazaretten aber durchweg häufiger, im dritten Kriegsjahr fast dreimal so häufig, vgl. Übersicht 13, ebd. Dies lässt sich teilweise damit erklären, dass Kriegsverwundungen durch Artilleriebeschuss vielfach so zerstörerisch waren, dass die getroffenen Frontkämpfer noch auf dem Schlachtfeld starben und gar nicht mehr in die Hände eines Arztes gelangten. 53 Der offizielle Sanitätsbericht fasst diese Krankheitsgruppen unter den Begriffen »Andere Krankheiten der Atmungswerkzeuge« (817.867 Fälle), »Krankheiten des Magens und des

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Rolle.54 Warum sich die Medizingeschichte bisher vorrangig auf psychische Erkrankungen, Amputationen und andere orthopädische Fälle konzentriert hat, lässt sich unterschiedlich erklären. Ein wichtiger Grund ist wohl, dass es sich hier um zwei der eindrucksvollsten Formen der Kriegsbeschädigung handelt. Sowohl die verstörende Erscheinung der zitternden Kriegstraumatisierten, massiv Gesichtsverletzten oder Mehrfachamputierten, als auch ihre Behandlung durch Ärzte haben bereits in zeitgenössischen Fachartikeln viel Aufmerksamkeit erregt. Zudem hatten gerade diese Formen der Kriegsbeschädigung weitreichende Folgen für die Nachkriegszeit bis hin zum Nationalsozialismus.55 Doch im Ersten Weltkrieg selbst hatten es Lazarettärzte insgesamt deutlich mehr mit anderen Krankheitsarten zu tun. Sie spielten in ihrem Deutungshorizont eine mindestens ebenso große Rolle. Einzelne wissenschaftliche Untersuchungen haben sich freilich diesen anderen Krankheitsarten zugewandt, unter anderem den Herz- und Geschlechtsleiden.56 Die Erforschung der Heimatlazarette ermöglicht hingegen eine andere Sichtweise. Sie rückt nicht erneut einzelne Verletzungs- oder Krankheitsarten in den Mittelpunkt, sondern nimmt die Gesamtheit der versehrten Soldaten als Patienten in den Blick. Es geht dabei weniger um die Krankheiten selbst, sondern vielmehr um den Ort der Behandlung und wie dieser Ort mit seinen räumlichinstitutionellen und sozialen Bedingungen die Therapie und Pflege der Insassen prägte. Dabei wird das Lazarett als Ermöglichungsraum und sozialer Mikrokosmos verstanden, der nicht nur von repressiven Behandlungsformen dominiert war, wie es die Medizingeschichte bisher vor allem betont hat, sondern für verschiedene Akteure auch körperliche Sicherheit, Ruhe und neue Handlungsoptionen bot. Viertens knüpft die Studie an Forschungen zu (geschlossenen) Anstalten,57 Sanatorien und Krankenhäusern58 im 19. und 20. Jahrhundert an. Hier existieren unter anderem zahlreiche Untersuchungen zu Psychiatrien, »KrüppelheilDarms« (727.979 Fälle) sowie »Krankheiten der äußeren Bedeckungen« (1.044.366 Fälle) zusammen. Mit diesen Zahlen sind nur diejenigen Fälle genannt, die während des Krieges in Heimatlazaretten behandelt wurden. In den Feldheerlazaretten sind sie jeweils mehr als doppelt so hoch, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, Tafel 17 (im Anhang). 54 In den Frontlazaretten wurden während des Krieges 1.233.142 Tuberkulose-Fälle behandelt. Schusswunden stellten mit 3.341.515 Fällen zwar den größten Einzelposten dar; insgesamt kamen jedoch Krankheiten in den Frontlazaretten viel häufiger vor, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, Tafel 17 (im Anhang). 55 So fielen nach heutigen Erkenntnissen auch rund 5000 psychisch kranke Veteranen des Ersten Weltkriegs den »Euthanasie«-Morden der sogenannten »Aktion T4« zum Opfer, vgl. Rauh, Verdun; zu traumatisierten Veteranen des Ersten Weltkriegs im NS Crouthamel, Hysterische; kriegsübergreifend Rauh u. Prüll, Krank; zur propagandistischen Instrumentalisierung der Kriegsbeschädigten im NS Löffelbein, Ehrenbürger; ders., Erbe. 56 Vgl. zum »Kriegsherz« Rauh, Victory; ders., Behandlung; zu Geschlechtskrankheiten Sauerteig, Krankheit; ders., Medizin. 57 Vgl. dazu etwa die Sammelbände Ammerer u. a.; Finzsch u. Jütte; Bretschneider u. a. 58 Zur Krankenhausgeschichte in Deutschland Labisch u. Spree; Bleker; Stollberg u. a.

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anstalten« und Erziehungsheimen.59 Teilweise kommen diese Publikationen aus der Soziologie, Pädagogik oder Architektur.60 Besonders stark rezipiert wurde Erving Goffmans Untersuchung »Totaler Institutionen« von 1961.61 Goffman definiert solche Einrichtungen als »Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen […], die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen.«62 Viele Aspekte seiner soziologischen Studie lassen sich für die Untersuchung des Lazaretts fruchtbar machen. So weist Goffman etwa auf die soziale Laborfunktion totaler Institutionen hin. Geschlossene Einrichtungen seien »die Treibhäuser, in denen unsere Gesellschaft versucht, den Charakter von Menschen zu verändern. Jede dieser Anstalten ist ein natürliches Experiment, welches beweist, was mit dem Ich des Menschen angestellt werden kann.«63 Doch er und andere Anstaltsforscher konzentrieren sich in der Regel auf entsprechende Einrichtungen in Friedenszeiten. Hier wiederum soll mit dem Heimatlazarett der Sonderfall einer Heilanstalt im Krieg dagegengestellt werden. Anhand dieses Beispiels lässt sich auch der Blick auf Heileinrichtungen in Friedenszeiten schärfen. Fünftens schenken viele Publikationen zur Anstaltsforschung insbesondere dem Alltag der Insassen große Aufmerksamkeit. Er ist auch für diese Untersuchung zentral. Damit kann der vor allem in den 1980/90er Jahren stark diskutierte Forschungsansatz der Alltagsgeschichte für die Militärgeschichte wieder aufgegriffen werden.64 Die Alltagsgeschichte sowie die mit ihr nah verwandte, je nach Auffassung sogar deckungsgleiche Historische Anthropologie65 lenken den Fokus auf menschliche Aneignungsprozesse. Sie schärfen damit den Blick für die Handlungsbedingungen, denen historische Akteure in ihrer jeweiligen Lebenssituation unterworfen sind.66 Auch für die Erforschung des Ersten Weltkriegs sind ihre Potenziale noch nicht ausgeschöpft.67 Indem der »Alltag im Lazarett« in den Fokus rückt, kann unter anderem gezeigt werden, wie sich im Hospital eine fast friedensähnliche Form der Alltäglichkeit im Krieg etablierte. 59 Stellvertretend seien hier nur genannt Brink; Osten, Modellanstalt; Fangerau u. Nolte. Zum Zusammenhang von Raum und Psychiatrie Eschenbruch u. a., darin vor allem Hänel u. Unterkircher, Ankele, Am Ort des Anderen, Wolff; Görgen u. Halling, Verortungen; Hess, Raum. 60 Vgl. etwa die Artikel in Freidson, The Hospital, insbes. Dewar u. Sommer sowie Rosen, außerdem Forty. 61 Vgl. Goffman, insbes. S. 13–123. Vgl. zur Rezeption etwa Watzka; Täubig; Winkle, S. 43–46. 62 Goffman, S. 11. 63 Ebd., S. 23. 64 Aus der großen Anzahl an Publikationen seien hier nur genannt Lüdtke, Rekonstruktion; Berliner Geschichtswerkstatt; Borscheid; Tenfelde, Schwierigkeiten. 65 Vgl. Dülmen. 66 Vgl. dazu etwa Lüdtke, Mikro-Historie, S. 631. 67 Zum Kriegsalltag Knoch, P., Kriegsalltag; Ullrich, V., Kriegsalltag; Ulrich u. Ziemann. Zum Lazarettalltag von Jesuiten im Krieg von 1870/71 existiert ein Aufsatz von Rak.

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Konzeptionell schlägt das Buch vor, das Heimatlazarett als einen »Übergangsraum«68 zu begreifen. Dieser Begriff kombiniert die Ansätze zweier Denkschulen, um die vielfältigen Formen des Kontakts, der Kreuzungen und Wandlungen im Heimatlazarett zu fassen: zum einen die wissenssoziologische Raumtheorie, die im Zuge des »spatial turn«69 in den letzten Jahrzehnten auch in den Geschichtswissenschaften mit Gewinn angewendet wurde,70 zum anderen anthropologische Forschungen zu Übergangsritualen und Liminalität. »Räume« sollen hier mit Martina Löw konstruktivistisch verstanden werden, als »institutionalisierte Figurationen auf symbolischer und – das ist das Besondere – auf materieller Basis, die das soziale Leben formen und die im kulturellen Prozess hervorgebracht werden.«71 Entgegen der alltagssprachlichen Nutzung des Begriffs werden »Räume« somit nicht als statische »Behälter« für Menschen und Objekte konzipiert, sondern als wandelbare Konstrukte, die von Menschen in ihrem Handeln und ihrer symbolisch-materiellen Anordnung immer wieder neu (re-)produziert werden. Das Verständnis des Heimatlazaretts als »Übergangsraum«72 knüpft darüberhinaus an das Konzept der Liminalität im Sinne des Anthropologen Victor Turner an.73 Turner hat sich in seinen Forschungen unter anderem mit Übergangsritualen der Ndembu in Zentralafrika beschäftigt und sich dabei auf die Theorie Arnold van Genneps zu »rites de passage«74 von 1909 gestützt. Van Gennep unterteilte diese Rituale in drei charakteristische Phasen: Trennung, Schwelle und Wiedereingliederung. Turner erweiterte diesen Ansatz und untersuchte die Schwellenphase im Detail. Sie markiert ihm zufolge eine prekäre Zwischenperiode der Liminalität, die Individuen und Kollektive bei lebensweltlichen Statuswechseln durchlaufen, etwa beim Übergang von Kindheit zu Jugend, von Schulzeit zu Beruf oder von ledig zu verheiratet.75 Dieses liminale Zwischenstadium, 68 Mein Dank gebührt Frank Reichherzer, der mich ursprünglich auf diesen Begriff aufmerksam gemacht hat. 69 Zum »spatial turn« vgl. hier nur Bachmann-Medick, S. 284–328; Günzel, Raum, S. 90–99. 70 Vgl. Rau; für die Militärgeschichte Nübel, Raum. 71 Löw, Raum, S. 46; vgl. auch grundlegend: dies., Raumsoziologie, insbes. S. 130–230. 72 Die Geschichtswissenschaft hat bisher mit anderen Begriffen gearbeitet, um verwandte Phänomene liminaler Räume zu beschreiben. Die Konzepte des »Schwellenraums« und »Zwischenraums« sind gerade in den letzten Jahren verschiedentlich aufgegriffen worden, nicht zuletzt in der Medizingeschichte, vgl. hierzu Görgen u. Halling, Raumanalyse; Hess u. Ledebur; Hess u. a.; allgemein Knoch, H.; Zitzlsperger; Ther. Diese Ansätze sind jedoch für die hier untersuchte Fragestellung weniger geeignet. Sie heben einerseits den Aspekt der Grenze stark hervor – also den Moment des Übertritts eines Subjekts von einem Ort in den anderen – andererseits beschreiben sie »Durchgangsstationen«, in denen Personen sich nur kurz aufhalten, etwa das Wartezimmer einer Arztpraxis. Hier jedoch interessiert das Verharren und Heimisch werden von Menschen in einem Transitionsraum. 73 Vgl. insbes. Turner, Das Ritual; ders., Betwixt; ders., From Ritual. 74 Gennep; dazu weiterführend Stagl; Thomassen, Liminality, S. 21–46. 75 Vgl. Turner, Liminal; zum Begriff der Liminalität auch Thomassen, Thinking; Horvath u. a., Breaking.

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die Phase des Nicht-mehr und Noch-nicht, stelle zwar ein Moment der Krise dar, aber auch der Ungebundenheit, in der bestimmte Regeln temporär außer Kraft gesetzt seien. Nach Turner gestalten Gesellschaften und Gruppen diese Übergangskrisen mithilfe eines Übergangsrituals. Die Idee einer des Alltags enthobenen Transitionsphase lässt sich unmittelbar auf das Heimatlazarett des Ersten Weltkriegs übertragen. Dieses zeichnete sich in dreierlei Hinsicht als Übergangsraum aus: Erstens auf temporaler Ebene – in dem Sinne, dass die Lazarette nur für die begrenzte Dauer des Krieges als einer gesellschaftlichen Krisensituation existierten und sich viele ihrer Eigenschaften aus diesem provisorischen und transitorischen Charakter heraus erklären lassen. Zweitens auf individual-psychologischer Ebene, wenn man den Lazarettaufenthalt eines Soldaten als »rite de passage« begreift zwischen Krankheit und Gesundheit, Verwundung und Invalidität, zwischen Soldatentum und ziviler Existenz, zwischen vorangegangenem und kommendem Fronteinsatz. Drittens schließlich auf gesellschaftlicher Ebene, insofern es sich beim Lazarett auch um einen Übergangsraum zwischen militärischer und ziviler Ordnung handelte, die hier in Kontakt kamen und teilweise in Konflikt gerieten. Als Übergangsraum im Krieg war das Heimatlazarett ein umkämpfter Bereich. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen richteten Erwartungen auf ihn und rangen miteinander um Deutungshoheit und Zugangsmöglichkeiten. Um diese komplexen Verbindungen nachzeichnen zu können, konzentriert sich die Untersuchung bewusst nicht auf nur eine Akteursgruppe, sondern folgt einem multiperspektivischen Ansatz. Drei Akteursperspektiven stehen dabei im Zentrum: (1) Die institutionelle Perspektive der deutschen Militärsanitätsbehörden76 und ihre Ausgestaltung und Deutung des Heimatlazarettwesens. Bei diesem Blickwinkel geht es um die staatliche Planungs-, Organisations- und Institutionsebene, kurz um eine »Lazarettgeschichte von oben«. Die Rolle der militärärztlichen Führungselite – für das Heimatgebiet konkret der Medizinal-Abteilungen der vier Kriegsministerien sowie der Sanitätsämter der Stellvertretenden Generalkommandos  – ist in der Medizingeschichte bislang kaum beachtet worden.77 Dabei waren es diese Akteure, welche die großen Linien im Sanitäts­ 76 In dieser Arbeit wird synonym von den »Sanitätsbehörden«, »Militärsanitätsbehörden«, »Medizinalbehörden«, »Militärbehörden«, »Behörden«, der »Heeresverwaltung«, »Medizinalverwaltung« und »Militäradministration« gesprochen. Gemeint ist jeweils das Gleiche: die Gesamtheit der leitenden Organe, die mit dem Heimatsanitätswesen befasst waren. Teilweise ist in der Analyse zudem von der »Militärmedizin« oder den »Militärmedizinern« die Rede. In diesem Fall sollen in einem umfassenderen Sinne alle Militärärzte bezeichnet werden, nicht nur die behördlichen Vertreter, sondern auch die praktizierenden Ärzte vor Ort in den Lazaretten sowie die sie kontrollierenden Inspekteure. 77 Der gleiche Befund gilt für das deutsche Feldsanitätswesen – auch hier fehlen ausführlichere Arbeiten mit klarer Fragestellung. Manche Studien thematisieren Teilbereiche, so etwa ­Joppich, S. 79–95; Kolmsee, S. 153–224; Ring; Eckart, Medizin und Krieg, S. 100–103; auch Bergen, Before, S. 285–331.

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wesen vorgaben. Sie viel deutlicher als bisher zu benennen und ihre Arbeitsweise, Handlungslogik und Ziele zu rekonstruieren, ist ein wichtiges Anliegen dieses Buches. (2) Die individuelle Perspektive des einzelnen Soldaten und seine Krankenhauserfahrung im Heimatgebiet – also eine komplementäre »Lazarettgeschichte von unten«78 auf der Basis von Ego-Dokumenten. In dieser Sichtweise geht es darum, die typischen Alltagserfahrungen von Insassen in diesem temporären Lebensumfeld darzustellen. (3) Die Perspektive der deutschen Zivilbevölkerung, insbesondere aus Sicht von Angehörigen und freiwilligen Helfern. Hier handelt es sich um ein disparates Feld von Akteuren, die sich auf unterschiedliche Weise in die Arbeit der Lazarette einbrachten. Manche verwalteten selbständig Hospitäler, andere traten als Besucher, Künstler oder Spender auf. Die Perspektive dieser Personen steht hier zwar nicht im Mittelpunkt, wird aber immer wieder ergänzend angeführt, da sie eine wichtige Dimension des Lebens an der »Heimatfront« aufzeigt. Mehrere Gründe sprechen dafür, die genannten Behörden und Personen­ gruppen und ihr wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis ins Zentrum der Untersuchung zu rücken: Zunächst sind andere Lazarettakteure bereits vergleichsweise besser erforscht, allen voran die Ärzte.79 Dazu kommen einzelne, eher deskriptiv angelegte Publikationen zum Roten Kreuz80, zu regionalen Frauenvereinen81 sowie zu Krankenschwestern.82 Zwar bestehen auch hinsichtlich dieser Gruppen weiter Forschungsdesiderate, doch bei den hier gewählten Akteuren ist die Lücke am größten. Des Weiteren sprechen konzeptuelle Argumente für die Auswahl: Mit den soldatischen Insassen richtet sich der Blick auf die zwar zahlenmäßig größte, hierarchisch aber schwächste Gruppe im Lazarett – gewissermaßen auf das unterste Glied in der Kette, auf »die Vielen«,83 um mit Alf Lüdtke zu sprechen. Umgekehrt stellen die leitenden Medizinalbehörden die mächtigsten Instanzen im Sanitätswesen dar und repräsentieren damit die Herrschaftsebene. Diese beiden Sichtachsen – die Perspektive der Insassen und der Behörden – stehen im Fokus der Analyse. Damit geht es zugleich um das Verhältnis des einzelnen Soldaten zum Staat und umgekehrt. 78 Zum Konzept einer »Medizingeschichte von unten« gab Roy Porter 1985 den entscheidenden Anstoß, vgl. Porter. In Deutschland wurde eine »Militärgeschichte von unten« vor allem von Wolfram Wette eingefordert, vgl. Wette, Militärgeschichte; ders., Der Krieg. 79 Vgl. Michl; Perry, Recycling. 80 Vgl. Riesenberger, Das deutsche Rote Kreuz; ders., Im Dienst; ders., Zur Professionalisierung. 81 Vgl. Lutzer; Chickering, The Great War, S. 469–489. 82 Eine größere Studie zu deutschen Krankenschwestern existiert bisher nicht. Mit einem ausschließlichen Fokus auf Krankenschwestern in Etappenlazaretten Stölzle; außerdem die älteren Arbeiten von Panke-Kochinke, Unterwegs; dies., Jammer; Schulte, Schwester; Grundweher; Nitschke. Deutlich mehr und systematischere Forschung existiert zu britischen und französischen Krankenschwestern, vgl. Fell u. Hallett; Hallett; Fell; Powell; mit internationalen Beiträgen zur Krankenpflege und Frauen im Krieg Hämmerle u. a. 83 Lüdtke, Einleitung, S. 14.

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Um dem komplexen Untersuchungsgegenstand gerecht zu werden, stützt sich die Analyse auf eine breite und vielfältige Quellenbasis. Die wichtigsten Quellengruppen bilden der interne Schriftverkehr der Medizinalbehörden einerseits sowie Ego-Dokumente soldatischer Patienten andererseits. Was die amtliche Behördenkommunikation betrifft, besteht zunächst eine Überlieferungsproble­matik, mit der auch die meisten anderen Studien zur deutschen Militärgeschichte im Ersten Weltkrieg zu kämpfen haben: Ein Großteil der preußischen Akten fehlt. Die Bestände des früheren Heeresarchivs in Potsdam, das die Dokumentation zur preußischen Armee aufbewahrte, gingen nach einem Luftangriff im April 1945 in Flammen auf.84 Dadurch ist die Überlieferung zur Preußischen Armee weitgehend vernichtet, darunter auch die meisten Akten zum Heeressanitätswesen.85 Die verbliebenen Schriftstücke lassen sich heute im Bundesarchiv Abteilung Militärarchiv (BA-MA) in Freiburg im Breisgau einsehen.86 Ein Ausgleich besteht durch die Überlieferungssituation in bayerischen, württembergischen und sächsischen Archiven, die aufgrund der kommunikativen Vernetzung der Sanitätsbehörden auch die preußische Ebene sichtbar machen.87 Zentral sind somit das Bayerische Hauptstaatsarchiv – Abteilung IV. Kriegsarchiv in München, das Hauptstaatsarchiv Stuttgart, das Sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden88 sowie das Generallandesarchiv Karlsruhe. Hier finden sich als Quellen zum Heimatlazarettwesen die unterschiedlichsten Dokumentenarten, darunter Schriftverkehr zwischen Sanitätsbehörden und Lazaretten, Erlasse, Inspektionsund Stimmungsberichte, Besprechungsprotokolle, Beschwerden von Patienten und Angehörigen, Hausordnungen, Fotos und vieles mehr. Neben der amtlichen Behördenkommunikation stehen als zweite Quellengruppe Ego-Dokumente89 verwundeter und kranker Soldaten im Mittelpunkt der Analyse. Hier bilden in erster Linie autobiographische Zeugnisse im engeren Sinne die Basis, also Tagebücher, Memoiren und thematisch fokussierte 84 Vgl. dazu Schmid. 85 Erhalten sind heute nur Splitter, bestehend aus geretteten Resten, zur Zeit des Luftangriffs bereits ausgelagerten oder verliehenen Einzeldokumenten sowie Doppelstücken amerikanischer Kopien, vgl. Menzel. 86 Vgl. Menzel. Ergänzend lassen sich im BA-MA einige Akten zu Marinelazaretten konsultieren. Grund dafür ist, dass diese Bestände bis 1945 gesondert im Marinearchiv lagen, dessen Akten frühzeitig ausgelagert wurden. 87 Inhaltlich sind somit keine relevanten Abstriche nötig. Die führenden Sanitätsbehörden tauschten sich intensiv aus und die Vorgaben der preußischen Medizinal-Abteilung dienten auch den drei anderen als Leitlinie. 88 Im Dresdner Archiv finden sich allerdings keine Bestände zum Sächsischen Kriegsministerium im Ersten Weltkrieg. Damit fehlen gleichzeitig auch jegliche Akten der entsprechenden sächsischen Medizinal-Abteilung. 89 Angelehnt an die breit gefasste Begriffsdefinition Winfried Schulzes werden als »Ego-­ Dokumente« hier alle Texte verstanden, in denen »Aussagen oder Aussagepartikel vorliegen, die […] über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren.«, Schulze, S. 28.

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Erinnerungsberichte, außerdem Briefe und Postkarten. Zusätzlich erweitern ausgewählte Ego-Dokumente von Krankenschwestern, Sanitätern, Ärzten, Verwaltungsbeamten und Angehörigen die Perspektive. Ein großer Teil der verwendeten Selbstzeugnisse ist unveröffentlicht und stammt aus Archiven oder Privatbesitz; der andere Teil liegt in Form edierter Quellenpublikationen vor.90 In der Ausnahmesituation des Weltkriegs, den bereits die Zeitgenossen als historische Zäsur wahrnahmen, legten mehr Personen als in Friedenszeiten schriftlich Zeugnis über ihre Erlebnisse ab. Im Heer betraf dies nicht nur Offiziere, sondern ebenso Mannschaftssoldaten, die etwa in ihrem bürgerlichen Leben als Bauern oder einfache Angestellte tätig waren. Viele führten während des Krieges eine Form von Tagebuch91, außerdem standen fast alle in reger Postkorrespondenz mit Familie, Freunden oder dem Pfarrer ihrer Gemeinde.92 Kamen sie verwundet oder krank in ein Heimatlazarett, hatten sie auf einmal noch mehr Zeit und Ruhe zum Schreiben – etwa um längere Einträge in einem Tagebuch zu verfassen. Gerade Tagebücher haben sich in der Analyse als besonders fruchtbar erwiesen. Dabei sind mit dem Begriff des »Tagebuchs« unterschiedliche Formate gemeint: Einige Soldaten führten tatsächlich ein klassisches Tagebuch mit (fast) täglichen kurzen Einträgen, andere fassten ihre Tagesnotizen später zu einem rückblickendem Bericht mit unmittelbarem Erzählcharakter zusammen; wieder andere stellten eine Art Kriegsalbum zusammen, in das sie zusätzlich Photographien einklebten. Briefe und Postkarten aus dem Lazarett liefern für die hier untersuchte Fragestellung hingegen weniger Ertrag. In der Regel sind sie sehr kurz gehalten und gehen selten ausführlicher auf Wahrnehmungen des Krankenhauses ein.93 Viele Patienten versuchten darin vor allem, die eigene Versehrung herunterzuspielen, um die Familie oder Partnerin zu beruhigen. Zudem stellte die Lazarettzeit eine Phase dar, in der Angehörige sie vor Ort besuchen konnten. So ersetzte die reale Begegnung am Krankenbett wohl teilweise das Briefeschreiben. Auch einige literarische Quellen aus der Nachkriegszeit, die das Lazarett zum Thema machen, wurden für die Patientenperspektive ausgewertet. Diese Texte 90 Vgl. zu neueren Quelleneditionen dieser Art den Überblick bei Nübel, Neue Forschungen, S. 7–11. In keinem Archiv liegen Ego-Dokumente mit Lazarett-Bezug zentral gebündelt vor. Einige der hier verwendeten Selbstzeugnisse stammen aus dem Freiburger Militärarchiv, weitere finden sich auf der Digital-Archivplattform Europeana1914–1918, andere stammen aus Stadtarchiven sowie der Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte, weitere sind Leihgaben aus Privatbesitz. 91 Vgl. dazu Knoch, P., Erleben, S. 200. 92 Zu Lazarettpostkarten Eckart, Medizin und Krieg, insbes. S. 91 f.; 132–134; ders. Die Wunden. Allgemein hat Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg bereits viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit gefunden, vgl. Ulrich, Augenzeugen, S. 12–34; Knoch, P., Feldpost; Brocks, Der Krieg; dies., Die bunte Welt; Reimann, Die heile Welt; Didczuneit u. a.; Ziemann, Geschlechterbeziehungen; Hämmerle, »…wirf«; zum historischen Begriff »Feldpost« Latzel, Feldpost; zum Ersten Weltkrieg als Kommunikationsereignis Buschmann; Quandt. 93 Dieses Problem benennt auch Eckart, Medizin und Krieg, insbes. S. 91 f. und 132–134.

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werden in der Analyse jedoch nicht als unmittelbare Belege verwendet, sondern ergänzend zu den übrigen nicht-fiktionalen Quellen herangezogen.94 Insgesamt geht es in der Arbeit mit Ego-Dokumenten nicht darum, »die Wahrheit« über »das« Lazaretterlebnis von Soldaten zu destillieren. Vielmehr lässt sich die Analyse von der Frage leiten, wie die Verfasser ihren Heilaufenthalt und die eigene Krankheits- oder Verwundungssituation bewerteten, mit welchen Begriffen und Bildern sie das Krankenhaus beschrieben, welchen Aspekten sie Wichtigkeit beimaßen und wie sie ihre Lazaretterfahrung biographisch einordneten und kommunizierten. Methodisch verortet sich die Untersuchung an der Schnittstelle zwischen einer Erfahrungs- und Kulturgeschichte des Krieges,95 Sozialgeschichte der Medizin, Medical Humanities und Geschichte staatlicher Institutionen. Die Erzählweise strebt nach einer Verbindung von Makro- und Mikroperspektive. Weder limitiert sich der Fokus auf ein bestimmtes Set lokaler Fallbeispiele, noch auf eine Region, sondern es wird vielmehr das deutsche Heimatlazarettwesen als Gesamtsystem betrachtet. Im Rahmen dieser größeren Struktur nimmt die Analyse allerdings verschiedene »Tiefenbohrungen« anhand konkreter Einzel­ beispiele vor, um bestimmte Aspekte näher zu betrachten. Der Kernuntersuchungszeitraum umfasst die Zeit des Krieges selbst, also die Jahre zwischen August 1914 und November 1918. In dieser Phase erfüllten die Heimathospitäler ihre Rolle als Übergangsräume im Krieg. Mit dem Ende der Kampfhandlungen änderte sich schlagartig ihr gesellschaftlicher Stellenwert und es wandelte sich auch die administrative Struktur des Militärsanitätswesens.96 Die meisten Heimatlazarette wurden nach Kriegsende schnell aufgelöst, da das Militär die zwischengenutzten Gebäude zurückgeben musste; nur ein kleiner Teil existierte noch einige Jahre weiter. Daher konzentriert sich die Analyse auf den Kriegszeitraum selbst. Das Buch teilt sich in vier chronologisch-systematische Kapitel auf. Das erste Kapitel behandelt die Anfänge des Lazarettwesens, also die Einrichtung tausender Militärkrankenhäuser im Heimatgebiet 1914/15. Es geht der Frage nach, wie die Lazarette im Heimatgebiet von den Akteuren neu konstituiert werden. Zunächst wird ein Überblick über die Struktur des deutschen Lazarettsystems gegeben. Im Anschluss geht es um die sich schrittweise vollziehende Institu94 In der Regel zeigt allerdings ein direkter Vergleich von Lazarettbeschreibungen in soldatischen Ego-Dokumenten und in der Nachkriegs-Belletristik, dass sich diese beiden Textarten inhaltlich stark ähneln und hauptsächlich stilistisch voneinander abweichen. 95 Vgl. zur Neuen Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs, die sich seit dem Ende der 1980er Jahre in der internationalen Forschung zunehmend durchgesetzt hat Meteling, Neue Kulturgeschichte; Werber u. a. 96 Zur Gliederung des Sanitätsdienstes der Reichswehr ab 1921 vgl. Fischer, Der deutsche Sanitätsdienst, S. 21–29; Garlipp; Neumann, S. 68–75. Das bisherige Sanitäts-Departement des Preußischen Kriegsministeriums unterstand seit Oktober 1919 dem Reichsarbeitsministerium, vgl. Garlipp; zum Reichsarbeitsministerium vgl. aktuell Nützenadel, darin insbes. Schulz.

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tionalisierung und Professionalisierung der Heimathospitäler bis 1915. Zuletzt wird das Engagement der Zivilbevölkerung im Sanitätswesen thematisiert – als Helfer, Lazarettbetreiber, Geldgeber und Besucher – und es werden die Konflikte wie auch Potenziale beleuchtet, die daraus erwuchsen. Das zweite Kapitel betrachtet die Lazarette als Institutionen des Militärs. Die zentrale Frage lautet hier, welche Ziele die Sanitätsbehörden in den Heimathospitälern verfolgten. Es wird gezeigt, dass sie diese Einrichtungen als Räume der »Wiederherstellung« verstanden, die für sie mehrere Funktionen erfüllten – in erster Linie medizinische und militärische, zusätzlich aber auch wirtschaftliche, soziale und disziplinarische. Dabei wird zunächst nachgezeichnet, welche be­ sonderen Qualitäten die Sanitätsoffiziere mit den Heimatlazaretten assoziierten, um die militärische Dienstfähigkeit der Patienten zu restituieren. Anschließend geht es um die Frage, wie dieses System an seine Grenzen kam und weshalb die Behörden zunehmend darauf drängten, Lazarettaufenthalte bestimmter Patienten abzukürzen. Darüber hinaus wird beleuchtet, wie die Wiedereingliederung der Kriegsbeschädigten in den Arbeitsmarkt hier unter geschützten Bedingungen vorbereitet und geprobt wurde. Im dritten Kapitel richtet sich der Blick auf die Insassen und auf das Lazarett als Raum soldatischer Kriegserfahrung. Es gliedert sich in sechs Unterpunkte, die zentrale Aspekte der Lazarett-Erfahrung nachzeichnen. Der erste Abschnitt folgt dem »Weg des Patienten« durch die Welt der Lazarette. Er fragt nach den Übergangsritualen von Aufnahme und Entlassung, die den Statusübergang vom Soldaten zum Lazarettinsassen und wieder zurück gestalteten. Im zweiten Teil geht es um das Lazarett aus Sicht der Bettlägerigen und um Bewältigungsstrategien, die ihnen halfen, mit ihrer immobilen Lage umzugehen. Im dritten Teil wird der zentrale Topos der »Stille« in den Lazarettbeschreibungen in seinen verschiedenen Bedeutungsdimensionen analysiert. Der vierte und fünfte Teil sind komplementär angelegt: Während es zunächst um das Hospital als abgeschlossenem sozialen Mikrokosmos geht und um die Frage, wie die Patienten zusammen mit dem Pflegepersonal darin Alltag, Freizeit, Feiertage und Gemeinschaft gestalteten, wird im Anschluss das Lazarett in seiner Funktion als offene Kontaktzone betrachtet. Im letzten Teil wird die These entfaltet, dass das Heimatlazarett für viele Soldaten zum kriegsbedingten Sehnsuchtsort avancierte. Nach dieser Innenschau wendet sich der Blick im vierten Kapitel erneut den Sanitätsbehörden zu. Hier geht es abschließend um die Frage, wie die Militär­medizin auf diese Entwicklungen reagierte und wie ihre eigene Haltung gegenüber den Lazaretten im Verlauf des Krieges immer ambivalenter wurde. Zunächst wird untersucht, inwiefern die Heeresverwaltung die Hospitäler schon früh gezielt zu repräsentativen Zwecken nutzte, um sich vor dem Ausland und der deutschen Öffentlichkeit vorteilhaft zu inszenieren. Weiter geht es um das parallel dazu wachsende Misstrauen der führenden Militärmediziner gegenüber den Lazaretten und seinen Insassen. Zunehmend stigmatisierten die Behörden­ vertreter das Heimatlazarett als einen Ort der Gefahr für den sozialen Frieden und militärischen Erfolg. Anknüpfend an diesen Bedrohungsdiskurs wird zu26

letzt danach gefragt, welche Gegenmaßnahmen die Verantwortlichen ergriffen. Gelang es ihnen, die gewünschte militärische Vorherrschaft über den Raum des Lazaretts zu behaupten? Und wenn ja, mit welchen Mitteln und zu welchem Preis? Im Fazit wird abschließend diskutiert, inwiefern Heimatlazarette als Übergangsräume zwischen Front und »Heimat«, Krankheit und Gesundheit, militärischer und ziviler Sphäre, exemplarisch für allgemeinere Akteurskonstellationen, Diskurse und Dynamiken des Ersten Weltkriegs stehen können und auf welche Weise sie diese Zeit des gesellschaftlichen Ausnahmezustands und der Transition geprägt haben.

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1. Lazarette als neue Räume an der Heimatfront Als im August 1914 der Erste Weltkrieg begann, brachten schon die ersten Schlachten unzählige Tote und Verwundete in allen kriegführenden Heeren. Der deutsche Sanitätsdienst musste viele der Verletzten überstürzt ins Reichsgebiet zurücktransportieren, weil die Feld- und Etappenlazarette die Masse an Patienten nicht bewältigen konnten.1 Inländische Militärbehörden und zivile Organisationen waren in den ersten Augustwochen dazu angehalten, tausende von Heimatlazaretten aus dem Boden zu stampfen, in denen die Verwundeten und Kranken untergebracht und behandelt werden konnten. Quasi über Nacht mussten zivile Bauten wie Schulhäuser, Brauereien, Tanzsäle, Turnhallen, ­Casinos oder Museen in militärische Heilanstalten verwandelt werden. Doch wie machte man aus einem öffentlichen Gebäude in so kurzer Zeit ein Lazarett, das sowohl militärisch als auch medizinisch anerkannt wurde und seine Funktion tatsächlich erfüllte? Und auf welche Weise reagierte die deutsche Bevölkerung auf die vielen transformierten Räume voller Verwundeter und Kranker in ihren Heimatstädten? Dieses Kapitel rekonstruiert die Anfänge des inländischen Lazarettsystems. Zunächst wird ein Überblick über das deutsche Heimatlazarettwesen im Ersten Weltkrieg und seine Organisationsweise, Strukturen und Akteure gegeben. Im Anschluss werden sowohl die akribische Planung und Vorbereitung der Behörden in der Vorkriegszeit beleuchtet als auch die spätere chaotische Realität und langsame Etablierung der heimatlichen Hospitäler. Gezeigt wird, dass die Geburt des Lazarettsystems bei Kriegsbeginn von problematischen Anfangsschwierigkeiten begleitet war, andererseits bei vielen Menschen aber auch eine Anfangseuphorie auslöste. Zwar gelang es den Militärbehörden zuletzt, ein funktionstüchtiges medizinisches Versorgungsnetz für die nächsten Kriegsjahre aufzubauen. Doch dies glückte nur, weil sie stärker als geplant auf Freiwilligenorganisationen wie das Rote Kreuz zurückgriffen. Aus ihrer Sicht entwickelten viele Lazarette dadurch von Anfang an ein schwer kontrollierbares Eigenleben.

1 Vgl. zusammenfassend Schultzen, Kriegsärztliches, S. 126.

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1.1 Das deutsche Heimatlazarettwesen 1914–1918: Organisation, Strukturen, Akteure Alle deutschen Lazarette waren Institutionen des Heeressanitätswesens.2 Von diesem wurden sie befehligt, verwaltet, genutzt und beaufsichtigt. In seiner Gesamtheit lässt sich das Sanitätswesen während des Ersten Weltkriegs als eine komplexe, hierarchisch strukturierte Organisation beschreiben, die überall dort zum Einsatz kam, wo sich verletzte oder kranke Heeresangehörige befanden. Auf administrativer Ebene war es, wie das Militärwesen insgesamt, in drei große Zonen eingeteilt: 1. Feld (Operationsgebiet), 2. Etappe (Etappengebiet) – gemeint war das rückwärtige Gebiet hinter der unmittelbaren Kampfzone mit Versorgungseinrichtungen  –, und 3. Heimat (Besatzungsgebiet).3 Die Kompetenzen über diese drei Bereiche waren nicht in einer Hand gebündelt, sondern in zwei große Verwaltungsgebiete aufgeteilt: in das Feldsanitätswesen einerseits, das für Feld und Etappe zuständig war, und das Heimatsanitätswesen andererseits.4 Diese Zweiteilung betraf auch die deutschen Lazarette. Je nachdem, ob sie sich geographisch auf dem Kriegsschauplatz bzw. in der Etappe befanden oder aber im Heimatgebiet, gehörten sie entweder dem einen oder dem anderen Verwaltungsbereich an. Obwohl der Fokus hier auf den Heimathospitälern liegt, soll im Folgenden auch das Feldsanitätswesen knapp mitporträtiert werden. Einerseits stellten Feld- und Etappenlazarette in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen eine Art Gegenfolie zu den Heimathospitälern dar, andererseits waren sie organisatorisch wie auch konzeptionell eng mit ihnen verwoben. 1.1.1 Lazarettarten des Deutschen Heeres Welche Lazarettarten existierten während des Ersten Weltkriegs und wie gelangte ein verwundeter oder kranker Soldat dort hin? Es lassen sich fünf Haupttypen unterscheiden. Sie alle führten die Bezeichnung »Lazarett« im Namen, stellten jedoch recht unterschiedliche Krankeneinrichtungen dar.5 Die erste

2 Dies galt ebenso für zivil geführte Vereinslazarette und Privatpflegestätten, die dem Stellvertretenden Korpsarzt unterstanden, vgl. K. S. O., § 305. Die freiwillige Krankenpflege sollte explizit »keinen selbständigen Körper neben der staatlichen bilden«. Ihr könne »eine Mitwirkung nur insoweit eingeräumt werden, als sie dem staatlichen Sanitätsdienst eingefügt und von den Militärbehörden geleitet werden kann; andernfalls würde sie hemmend auf den Sanitätsdienst einwirken.«, D.fr.K., § 7. 3 Vgl. Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 38. 4 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 61. 5 Nicht näher beschrieben werden im Folgenden die sogenannten Truppen- und Hauptverbandsplätze sowie Orts- und Revierkrankenstuben, da diese während des Krieges nicht als »Lazarette« im engeren Sinne definiert waren.

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Kategorie bildeten »Feldlazarette«, die zu den mobilen Feldformationen ge­ hörten.6 Der Begriff Feldlazarett bezeichnete nicht nur das Militärkrankenhaus als tatsächliches Gebäude, sondern auch die entsprechende militärische Einheit, die jeweils einen Chefarzt, ein bis zwei Stabsärzte, weiteres ärztliches Personal, Trainsoldaten, verschiedene Sanitäts- und Packwagen und bis zu 35 Pferde umfasste.7 Feldlazarette mussten im Bewegungskrieg schnell auf- und wieder abgebaut werden können, um ihrem Armeekorps zu folgen. Meist wurden sie behelfsmäßig in Bauernhöfen, Klöstern, Kirchen, Schlössern oder anderen verfügbaren Gebäuden in rückliegenden Dörfern eingerichtet.8 Im Stellungskrieg blieben sie länger an einem Ort bestehen und konnten besser ausgestattet werden.9 Laut Kriegs-Sanitätsordnung mussten Feldhospitäler für rund 200 Patienten ausgerüstet sein; im Kriegsverlauf hatten sie faktisch aber häufig 400 und mehr Verwundete zu versorgen.10 Nach intensiven Kämpfen waren die Feldlazarette meist überbelegt. Die Verwundeten lagen dicht nebeneinander in Scheunen, Ställen oder im Hauptschiff von Kirchen auf dem Boden, teilweise lediglich auf Stroh oder Strohsäcken.11 In solchen Phasen verschlechterten sich die medizinischen und hygienischen Konditionen dramatisch. Es kamen Soldaten mit schwersten Verletzungen vom Schlachtfeld und von den Truppen- und Hauptverbandsplätzen, von denen sich viele in akuter Lebensgefahr befanden.12 Dennoch sah die Sanitätstaktik vor, dass das Feldlazarett die Soldaten nur so lange ärztlich versorgen und unterbringen sollte, bis sie in rückwärtige Lazarette weiterbefördert werden konnten, um Platz für die nächsten Verwundeten zu schaffen. Die Feldärzte waren dazu angehalten, lediglich dringende Operationen und Notamputationen durchführen und alles weitere dem Kriegslazarett in der Etappe zu überlassen.13 Die Feldhospitäler gerieten auch trotz ihres völkerrechtlichen Schutzstatus’ immer wieder unter feindlichen Beschuss.14 Zeitweise mussten täglich Tote beerdigt werden.15 Es verwundert nicht, dass sich das bekannte Bild des Militär­

6 Vgl. Paalzow, Organisation, S. 1249; zu Feldlazaretten allgemein K. S. O., § 164–181; HeeresSanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 106–122. 7 Vgl. dazu ausführlich Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 106–122, hier insbes. S. 106 f. 8 Vgl. ebd., S. 111; Reitz. 9 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 113. 10 Vgl. K. S. O., § 172; Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 11. 11 Vgl. Körte, S. 28–32. 12 Vgl. dazu knapp Kolmsee, S. 179; 187 f.; allgemein zu Truppen- und Hauptverbandsplätzen, ebd., S. 186. 13 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 112. 14 Vgl. allgemein Körte, S. 26 f.; individuelle Schilderung im Tagebuch des Sanitäters Sebastian Heinlein, in: BfZ N: Heinlein; Wolfangel, S. 42; Heider, S. 63. 15 Vgl. »Jetzt gehts in die Männer mordende Schlacht…«. Das Kriegstagebuch von Theodor Zuhöne, 1914–1918, in: BfZ N: Zuhöne, insbes. S. 50.

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krankenhauses als blutige »Metzgerküche«16 aus den Erfahrungen mit genau diesem Typus des improvisierten Feldlazaretts und den ihm vorgelagerten Verbandsplätzen und Sanitätsunterständen speiste. In die zweite Lazarettkategorie gehörten alle Arten von Krankenhäusern mit größerem Abstand zur Front, die beständigeren Charakter hatten  – die sogenannten »Etappenlazarette« und »Kriegslazarette«.17 Als Kriegslazarette wurden ehemalige Feldlazarette bezeichnet, die zu festen Einrichtungen umfunktioniert worden waren. Sie unterschieden sich darüber hinaus jedoch nicht von den übrigen Etappenlazaretten.18 Die Aufgabe solcher Hospitäler im besetzten Gebiet war es einerseits, die Etappentruppen medizinisch zu versorgen, andererseits, Verwundete aufzunehmen, die aus Feldlazaretten abgeschoben worden waren.19 Durch den größeren Abstand zur Front war hier ein geordneterer Krankenhausbetrieb möglich, bei dem auch weibliches Krankenpflegepersonal zum Einsatz kam. Teilweise arbeiteten Krankenschwestern zwar auch in Feldlazaretten mit, dies geschah jedoch selten und war vom Militär offiziell nicht gewünscht.20 Laut Sanitätsbericht entwickelten sich manche Kriegslazarette, vor allem in Frankreich und Belgien, »zu großen Krankenanstalten, die allen neuzeitlichen Anforderungen entsprachen und oft ganze Stadtteile einnahmen oder Barackenstädte bildeten.«21 Der anfängliche Chef des Heimatsanitätswesens, Friedrich Paalzow, erklärte 1914, die Etappenlazarette seien »so schön eingerichtet, wie man es kaum erwarten sollte.«22 Doch damit bildete er nur einen Teil der Realität ab. Ego-Dokumente von Patienten oder Krankenpersonal weisen darauf hin, dass keineswegs alle Etappenlazarette den hier beschworenen »neuzeitlichen Anforderungen« entsprachen. Manche befanden sich in zerschossenen, ungeeigneten Gebäuden, in denen schlechte hygienische Bedingungen und Ungezieferplagen herrschten; häufig war es zu kalt oder zu feucht, die Ernährung war oft nicht ausreichend und es bestand auch hier die Gefahr des gegnerischen Beschusses.23 Um überhaupt für feindliche Flieger als Krankenhäuser erkenn16 Frank, S. 120. 17 Vgl. zu ärztlichen Tätigkeiten in Etappenlazaretten knapp Kolmsee, S. 188 f.; zu Arbeit und Alltag von Krankenschwestern in der Etappe Stölzle. 18 Vgl. Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 12–14. 19 Vgl. K. S. O., § 206; 211. 20 Vgl. Körte, S. 36 f.; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, ­1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 26; zu Krankenschwestern in Etappenlazaretten Stölzle. 21 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 125. 22 Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 16. 23 Vgl. »Jetzt gehts in die Männer mordende Schlacht…«. Das Kriegstagebuch von Theodor Zuhöne, 1914–1918, in: BfZ N: Zuhöne, S. 218; 222; 232; zu Ungeziefer Wolfangel, S. 28 f.; zu baulichen Bedingungen: Margot von Soden, IV. Armee, Kriegslazarett 126, Bericht vom 25.12.1914, in: Freundesgrüße. Rundbriefe des Victoria-Heims-Kassel Nr. 1+2 (1915), S. 13, in: BfZ 1914–1918 Periodica »Freundesgrüsse«; Lorenz Brockötter an seine Familie, 26.10.1915 und 16.11.1915, beide in: Brockötter, S. 186; 191; zur Hygiene Stölzle, S. 57 f.; 60.

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bar zu sein, mussten die Etappenlazarette ihren Standort durch ein mindestens 15m breites Rotkreuz-Symbol kennzeichnen, das optimalerweise aus roten Ziegelsteinen für das Kreuz und weißem Kies für den Hintergrund bestand und auf dem Hof der Lazarettanlage gut sichtbar anzuordnen war.24 Festzuhalten bleibt, dass es weder das typische Feld- noch das typische Etappenlazarett gab. Vielmehr herrschten in diesen ad hoc installierten Heilanstalten unterschiedlich gute Bedingungen, je nachdem, wo sie sich geographisch befanden und ob es sich um eine ruhige oder kampfintensive Phase des Krieges handelte. Die Unterbringungsmöglichkeiten waren etwa an der Westfront tendenziell besser und moderner als an der Ostfront.25 Welches Ärzte- und Pflege­ personal in einer Einrichtung gerade eingesetzt war und ob ihre Anzahl ausreichte, spielte dabei ebenfalls eine Rolle.26 In der Etappe existierten außerdem Kriegsgefangenenlazarette. Sie bilden die dritte Kategorie von Militärkrankenhäusern. Die dort untergebrachten Patienten der gegnerischen Heere sollten möglichst durch ebenfalls kriegsgefangene ausländische Ärzte und Pflegekräfte versorgt werden, jedoch unter deutscher Leitung.27 Entsprechende Kriegsgefangenenlazarette bestanden ebenfalls im Heimatgebiet. Hier wurden gefangene Soldaten allerdings auch in regulären Heimatlazaretten mitbehandelt. Dann lagen sie teilweise Seite an Seite im selben Krankensaal mit den deutschen Mitpatienten. Die vierte Kategorie stellten Militärhospitäler dar, die in Fortbewegungs­ mitteln eingerichtet waren, also Lazarettzüge28 und Lazarettschiffe.29 Auch sie waren medizinisch ausgestattet, hatten Ärzte und Pflegepersonal an Bord und sollten die Verwundeten und Kranken möglichst schonend in die Heimat bringen. Die Soldaten konnten hier in frisch bezogenen Betten liegend transportiert werden und erhielten bei Bedarf direkte medizinische Hilfe. Doch selbst im modernsten Lazarettzug waren die Schwerverwundeten ihren Schmerzen und Ängsten hilflos ausgeliefert.30 Nicht alle Insassen überlebten die Fahrt. ­Hatten die »fahrenden Lazarette«31 keine freien Plätze mehr oder gab es an einem Frontabschnitt keine Schienenwege, beförderten die Krankentransportabtei­lungen die 24 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 128. 25 Vgl. zu den Zuständen an der Ostfront den Brief zweier Diakonissen an ihre Oberin, 14.09.1915, in: Ebert, S. 112–115; Körte, S. 28–32; Paalzow, Sanitätsdienst, S. 1729; Kolmsee, S. 182. 26 Vgl. zum Ärztemangel Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 33; »Jetzt gehts in die Männer mordende Schlacht…«. Das Kriegstagebuch von Theodor Zuhöne, 1914–1918, in: BfZ N: Zuhöne, S. 222 f. 27 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 126. 28 Vgl. zu Lazarettzügen Großheim, Verwundetentransport, insbes. S. 25–36; Heeres-Sanitäts­ inspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 200–241; Schneidt u. Seitzinger. 29 Vgl. Weber, Die Verwundetenfürsorge, S. 23–34. 30 Vgl. Gustav Piedmont an seine Mutter, 08.08.1915, in: Dreidoppel u. a., S. 332; Buchner, S. 30; Frank, S. 139. 31 Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 18.

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Patienten ersatzweise in einem einfachen Krankenzug ohne besondere Ausstattung in die Heimat. Alternativ wurden sogar Güter- oder Viehwagen eingesetzt.32 Kam ein verwundeter oder kranker Soldat schließlich in einem Hospital des Heimatgebiets an und damit in der fünften Kategorie von Lazaretten, so hatte er meist zuvor schon einige der anderen Krankenhausarten durchlaufen. Wie auffallend positiv die Soldaten über nahezu alle heimatlichen Hospitäler in ihren Kriegstagebüchern, Briefen und Erinnerungen berichteten, hängt vermutlich auch mit dieser direkten Vergleichssituation zusammen.33 Zugleich handelte es sich bei den Heimatlazaretten keineswegs um gleichwertige Krankenanstalten, sondern um unterschiedlich organisierte und ausgestattete Einrichtungen. Sie verteilten sich über das gesamte deutsche Reichsgebiet. Es existierten einerseits militärisch verwaltete Hospitäler, zu denen die Reserve- und Festungslazarette gehörten, andererseits zivil betriebene Einrichtungen, worunter die Vereinslazarette, Genesungsheime, Kurbäder und Privatpflegestätten fielen. Wie viele Heimatlazarette während des Weltkriegs insgesamt bestanden, lässt sich anhand der überlieferten Quellen nicht eindeutig beziffern. Schon über die Anzahl der Reservelazarette, die überschaubarer war als die der vielen kleinen Vereinslazarette, konnten die Zeitgenossen keine definitiven Angaben machen.34 Dennoch lässt sich auf Grundlage der offiziellen Sanitätsstatistik ein Schätzwert errechnen. Wenn man die Zahl aller Lazarette im stellvertretenden VII. Armeekorps zum Ausgangspunkt nimmt – die der Sanitätsbericht als Fallbeispiel ausführt und für den Juli 1915 mit insgesamt 664 beziffert35 – und dies auf die übrigen 25 deutschen Armeekorps hochrechnet, kommt man auf rund 16.000 Lazarette im Heimatgebiet. Da aber nicht alle Armeekorps über so viele Lazarette verfügten wie das stark aufgestellte VII. Armeekorps,36 muss von einer geringeren Gesamtzahl ausgegangen werden, die wohl bei einer Größenordnung von ungefähr 10.000 Einrichtungen lag. Manche dieser Kliniken waren kleine Privatpflegestätten mit nur 10 Betten, andere entwickelten sich zu riesigen Lazarettkomplexen mit über 1000 Schlafplätzen und angegliederten Werkstätten.37 32 Vgl. etwa zu katastrophalen Verkehrsverhältnissen an der Ostfront Kimmle, Krankenpflege, S. 46 f.; Paalzow, Sanitätsdienst, S. 1728 f.; zu Krankentransporten in Viehwägen ders., ­Heeres-​Sanitätswesen, S.  19. 33 Vgl. mit einer solchen vergleichenden Beschreibung etwa Diel, S. 90–103; Schlebusch; Gustav Piedmont an seine Mutter, 08.08.1915, in: Dreidoppel u. a., S. 334. 34 Auch im »Sanitätsbericht über das deutsche Heer im Weltkrieg 1914/1918« finden sich hierzu nur ausweichende Aussagen, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 167. 35 Der Sanitätsbericht differenziert hierbei noch weiter und gibt für den Juli 1915 im VII. Armeekorps 300 Reservelazarette, 313 Vereinslazarette und 51 Genesungsheime an, vgl. HeeresSanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 168. Dazu kamen 10 Kriegsgefangenen­lazarette. 36 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 168, mit einer Tabelle zu den Betten­ zahlen. 37 Zusätzlich existierten im Heimatgebiet Marinelazarette, die allerdings unter die Zuständigkeit der Medizinal-Abteilung des Reichsmarineamts fielen und hier nur am Rande berücksichtigt werden, vgl. dazu Marinemedizinalamt des Oberkommandos der Kriegsmarine; Weber, Verwundetenfürsorge, insbes. S. 35 f.

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1.1.2 Leitende Akteure und Institutionen des Heimatsanitätswesens Das deutsche Heimatsanitätswesen beruhte wie das Heeressanitätswesen insgesamt auf einem weit verzweigten Institutionengeflecht. Zahlreiche nationale, regionale und lokale Ämter und Akteure waren in die Organisation der medizinischen Versorgung von verwundeten oder erkrankten Soldaten involviert. Was für Menschen waren es, die in diesen Institutionen an den Schreibtischen saßen und über die Vorgänge in den Lazaretten entschieden? Über die Akteure des Heimatsanitätsdienstes, ihr Selbstverständnis und ihre sozio-kulturelle Zusammensetzung sowie über die Gesamtstruktur des Heeressanitätswesens existieren bis heute keine ausführlichen Forschungsarbeiten. Auch im Rahmen des vorliegenden Buches kann diese Lücke nicht gänzlich geschlossen werden, hierzu wäre eine eigenständige Untersuchung notwendig. Im Folgenden soll dennoch ein erster Blick hinter die Kulissen der Militärmedizinalverwaltung geworfen werden. Zu diesem Zweck werden einerseits drei zentrale Figuren exemplarisch vorgestellt: Otto von Schjerning, Wilhelm Schultzen und Karl von Seydel. Andererseits werden diejenigen Institutionen der Sanitätsverwaltung präsentiert, die für die Organisation der Heimatlazarette verantwortlich waren. Die Reihenfolge der Darstellung orientiert sich, beginnend mit dem höchsten Amt, an der hierarchischen Position dieser Akteure bzw. Institutionen. I. Chef des Feldsanitätswesens: Generalstabsarzt Otto von Schjerning (1853–1921) Der »Chef des Feldsanitätswesens« leitete im Ersten Weltkrieg den Sanitätsdienst für den gesamten Kriegsschauplatz. Er organisierte und koordinierte in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der Feldeisenbahn, der Generalintendantur, dem Militärinspekteur für die Freiwillige Krankenpflege, den Etappenbehörden und den Armeeärzten die medizinische Versorgung des Heeres an der Front und im Etappengebiet.38 Besetzt wurde dieser ranghöchste Posten der deutschen Militärmedizin zwischen 1914 und 1918 von durchgehend derselben Person: Generalstabsarzt Prof. Dr. Otto von Schjerning.39 Zusätzlich existierte die ausgelagerte Position des »Feldsanitätschefs Ost«, der die Leitung des Sanitätsdienstes an der Ostfront selbständig übernahm.40 Otto von Schjerning war direkt vom Kaiser zum »Chef des Feldsanitätswesens« ernannt worden, hielt sich als Organ der Obersten Heeresleitung mit seinen Beratern im Großen Hauptquartier auf und war der unmittelbare Vorgesetzte des Sanitätspersonals im Feld- und Etappengebiet. Basierend auf den Empfehlungen des Wissenschaft38 Vgl. K. S. O., § 1; Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 2; Nitschke, S. 26. 39 Vgl. zur Biographie Joppich, S. 3–22; zeitgenössischer Nachruf mit vielen Detailinformationen bei Schultzen, Otto v. Schjerning; ders., Otto von Schjerning zum Gedächtnis. 40 Dieses Amt besetzte von Kriegsbeginn an Obergeneralarzt Prof. Dr. Berthold von Kern (1848–1940), vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 61; Paalzow, Organisation, S. 1249.

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lichen Senats der Kaiser-Wilhelms-Akademie ordnete er regelmäßig medizinische Maßnahmen für das gesamte Feldheer an, beispielsweise Massenimpfungen gegen Typhus und Cholera sowie die passive Tetanusimmunisierung, und entschied über die Behandlung kriegsspezifischer Krankheitsbilder.41 In Friedenszeiten existierte das höchste Amt des Feldsanitätschefs nicht. Bis zur Mobilmachung 1914 hatten die vier Medizinal-Abteilungen des Preußischen, Bayerischen, Sächsischen und Württembergischen Kriegsministeriums den Heeressanitätsdienst angeleitet. Schon damals hatte Otto von Schjerning, der am 7. Dezember 1905 zum Generalstabsarzt ernannt worden war, die höchste Position im Heeressanitätsdienst besetzt. In diesem Amt entwickelte er sich bald zur zentralen Identifikationsfigur der Militärmedizin.42 Zu von Schjernings Popularität trug sein ungewöhnlich enger Kontakt zu Wilhelm II. bei, was auch die Stellung der preußischen Medizinal-Abteilung weiter aufwertete.43 Am 20. August 1909 erhob der Kaiser ihn in den Adelsstand. Nun konnte sich der gesellschaftliche Aufsteiger Otto Carl Wilhelm Schjerning, dessen Vater von Beruf ursprünglich Schäfer, zuletzt Schäfereidirektor in Eberswalde gewesen war, Otto von Schjerning nennen.44 Einen akademischen Professorentitel führte er bereits seit 1906, als er zum Honorarprofessor für Militärmedizin an der Berliner Universität ernannt worden war.45 Mit seiner Person bestand an der Spitze der preußischen Medizinal-Abteilung eine lange personelle Kontinuität. Die Tatsache, dass von Schjerning zusammengenommen 25 Jahre auf verschiedenen Positionen im Kriegsministerium gearbeitet hatte und daher gut informiert und vernetzt agieren konnte, war, laut Robin Joppich, einer der Gründe, weshalb das preußische Militärsanitätswesen seit dem Krieg von 1870/71 einen enormen Bedeutungszuwachs erlebte.46 Seine dominante Stellung macht von Schjerning auch für die vorliegende Untersuchung zu einer relevanten Figur, gerade für die Zeit unmittelbar vor Kriegsbeginn. Für das Heimatsanitätswesen im Krieg ist er jedoch nicht der wichtigste Akteur, da er als Feldsanitätschef hauptsächlich mit Angelegenheiten der Front und der Etappe befasst war. Allerdings gab er teilweise Anordnungen heraus, die einen universalen Charakter hatten und indirekt oder sogar dezidiert die Heimatlazarette betrafen.

41 Vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 103. 42 Vgl. Joppich, S. 54. 43 Vgl. ebd., S. 58–62. 44 Vgl. ebd., S. 3; 60. 45 Vgl. ebd., S. 124. 46 Vgl. ebd., S. 16.

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II. Leitung des Heimatsanitätswesens: Medizinal-Abteilungen der Kriegsministerien Die höchste Staatsbehörde für das deutsche Heimatsanitätswesen im Ersten Weltkrieg war die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums.47 Bis zum Mai 1917 war sie eine Unterbehörde des sogenannten »Ersatz-, Versorgungs- und Justizdepartements«, einem der fünf großen Arbeitsbereiche ­(»Departements«) des Preußischen Kriegsministeriums.48 Da das Aufgaben­gebiet der Medizinal-Abteilung jedoch im Verlauf des Krieges immer weiter anwuchs, wurde sie am 7. Mai 1917 in ein eigenständiges sechstes Departement umgewandelt, das sogenannte »Sanitäts-Departement«.49 Im Krieg agierte die Medizinal-Abteilung weitgehend autonom, war aber in letzter Instanz an etwaige Weisungen des Kriegsministers gebunden.50 Der preußischen Dienststelle formell gleichgestellt, aber faktisch nachgeordnet, waren drei weitere bundesstaatliche Medizinal-Abteilungen im Bayerischen, Sächsischen und Württembergischen Kriegsministerium. Insgesamt existierten in Deutschland also vier MedizinalAbteilungen, die in ihrem Zuständigkeitsbereich selbständig tätig waren. Warum hatte Deutschland so viele Kriegsministerien und Medizinal-Abtei­ lungen? Aufgrund seiner bundesstaatlichen Verfassung verfügte das Kaiserreich über kein zentralisiertes »Reichskriegsministerium«, sondern behielt auch nach der Reichsgründung vier parallel existierende Kriegsministerien in Berlin, München, Stuttgart und Dresden bei.51 Das Preußische Kriegsministerium übte jedoch als das Ministerium des wichtigsten Heereskontingents und des eindeutig größten Bundesstaats de facto auch eine Reichsfunktion aus.52 Dasselbe Prinzip galt für seine Medizinal-Abteilung. Die Berliner Behörde gab während des Weltkriegs regelmäßig Verfügungen und Anordnungen allgemeiner Natur an die anderen drei Medizinal-Abteilungen heraus, an denen diese sich zu orientieren hatten.53 Der preußischen Medizinal-Abteilung kam somit eine Richtlinienkompetenz zu. 47 Vgl. F. S. O., § 8; K. S. O., § 302. 48 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Geschäftsordnung für das Preußische Kriegsministerium, Berlin 1914, § 1, in: BA-MA PH 2/2080. 49 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 157. In diesem Buch wird der Einfachheit halber dennoch grundsätzlich von der »Medizinal-Abteilung« gesprochen. 50 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Geschäftsordnung für das Preußische Kriegsministerium, Berlin 1914, § 15, in: BA-MA PH 2/2080. Über die Machtposition des Preuß. Kriegsministers vgl. Stein, S. 27–35. 51 Vgl. Stein, S. 28 f.; Chickering, Das deutsche Reich, S. 47. 52 Vgl. Deist, Streitkräfte, S. 872. Weder über das Preuß. Kriegsministerium noch über seine bundesstaatlichen Pendants gibt es bisher umfassende Forschungsarbeiten. Zumindest für die preuß. Behörde könnte dies an Quellenschwierigkeiten liegen; vgl. zur Forschungslücke den Kommentar bei Stein, S. 28. Ein erster Überblick zum Preuß. Kriegsministerium findet sich ebd. S. 27–35; außerdem bei Feldman, Army, S. 41–96; Huber, S. 200–202, Deist, Militär, Staat und Gesellschaft, S. 131–135; zum zeitweisen Kriegsminister Erich von Falkenhayn Afflerbach, Falkenhayn. 53 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 157.

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Alle Medizinal-Abteilungen waren dazu verpflichtet, regelmäßigen Kontakt zum Chef des Feldsanitätswesen Otto von Schjerning aufrechtzuerhalten. Forderungen aus dem Großen Hauptquartier hatten sie zu erfüllen.54 Sie mussten einerseits fortlaufend melden, wie viele freie Plätze in welchen Heimatlazaretten zur Verfügung standen, damit der Feldsanitätschef gezielt den Krankentransport anordnen konnte.55 Andererseits hatten sie ihm sonstige gesundheitlich relevante Vorkommnisse in der Heimat mitzuteilen, etwa das Auftreten von Seuchen.56 So sollte eine starke kommunikative Verbindung zwischen Front, Etappe und Heimat etabliert werden. Ziel war es vor allem, räumliche Bewegungen zwischen den Bereichen regulieren und kontrollieren zu können, etwa beim Rücktransport von Frontsoldaten in Heimatlazarette sowie bei Infektionskrankheiten, die ebenfalls von der Front in die Heimat oder in umgekehrter Richtung »wandern« konnten. Zum Aufgabengebiet jeder Medizinal-Abteilung gehörten drei zentrale Bereiche: erstens die Versorgung des Feld- und des Besatzungsheeres mit geeignetem Sanitätspersonal, Arzneien, Sanitätsgerät, Trinkwasserbereitern und ähnlichem Nachschub; zweitens die Unterbringung und Behandlung von verwundeten und kranken Heeresangehörigen in Heimatlazaretten; und drittens der Gesundheitsdienst an den Kriegsgefangenen. Dazu kamen weitere verwandte Tätigkeitsfelder. So waren die Medizinal-Abteilungen für alle Organisations- und Personalangelegenheiten der Sanitätsoffiziere, also auch aller Lazarettärzte, zuständig; sie waren Ansprechpartner für den stellvertretenden Militärinspekteur der Freiwilligen Krankenpflege; sie kümmerten sich um die Seuchenbekämpfung, Liebesgaben, Angelegenheiten der Militärapotheker und vieles mehr. Nicht zuletzt waren sie auch für Pensions- und Versorgungsansprüche von Kriegs­invaliden zuständig, wofür im neu geschaffenen preußischen Sanitäts-Departement ab 1917 eine eigene Sanitätsfürsorge-Abteilung eingerichtet wurde.57 Ohne das gesamte Aufgabenspektrum dieser leitenden Behörden in umfassender Breite auffächern zu wollen, sei an dieser Stelle nur zusammenfassend bemerkt, dass die vier Medizinal-Abteilungen – und dabei führend die preußische Dienststelle – die übergeordneten Entscheidungen im Heimatsanitätswesen trafen. Die preußische Medizinal-Abteilung betätigte sich darüber hinaus in größeren Abständen als Gastgeberin militärärztlicher Versammlungen in Berlin, bei der sie die Stellvertretenden Korpsärzte, Reserve-Lazarett-Direktoren, Vertreter der anderen Medizinal-Abteilungen und weitere hochrangige Sanitätsoffiziere aus allen deutschen Bundesstaaten zusammenrief. Viele dieser Vernetzungstreffen fanden im Verlauf des Krieges in der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen (K.-W.-A.) statt, die ebenfalls dem Kriegsminis-

54 Vgl. Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 2. 55 Vgl. K. S. O., § 5. 56 Vgl. ebd., § 302. 57 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 157.

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terium unterstand.58 Bei diesen Terminen ging es darum, aktuelle Herausforderungen im Heeressanitätswesen zu besprechen. So sollte ein Erfahrungsaustausch zwischen den führenden Sanitätsoffizieren stattfinden. Im Anschluss an solche Treffen gab die preußische Medizinal-Abteilung teilweise umfangreiche Verfügungen heraus, die dann offiziellen Charakter hatten. Schon in der Vorkriegszeit hatte es gelegentlich entsprechende Sitzungen gegeben, deren Ergebnisse in der hauseigenen Reihe »Veröffentlichungen aus dem Gebiete des MilitärSanitätswesens« publiziert wurden. Hier veröffentlichte die Medizinal-Abteilung seit 1892 regelmäßig wissenschaftlichen Beiträge und Studienergebnisse.59 Während des Krieges versuchte die preußische Medizinal-Abteilung ihren Einfluss nicht nur in Form schriftlicher Verfügungen durchzusetzen, sondern überprüfte auch aktiv deren Einhaltung in den Lazaretten. Mit den ihr unmittelbar unterstellten 14 Kriegssanitätsinspektionen hielt sie ein machtvolles Instrument in der Hand, um sicherzustellen, dass die Ärzte die von ihr angeordneten Maßnahmen in den Hospitälern auch tatsächlich umsetzten. Insgesamt war die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums also zugleich oberste Verwaltungsbehörde des Sanitätsdienstes, Forum für die militärmedizinische Vernetzung, wissenschaftliches Publikationsorgan sowie übergeordnete Kon­ trollinstanz in den Lazaretten. III. Chef der Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums: Generalarzt Wilhelm Schultzen (1863–1931) In den ersten Kriegsmonaten führte Generalarzt Dr. Friedrich Paalzow das Heimatsanitätswesen an, der bereits unter Otto von Schjerning langjähriger Leiter der Medizinal-Abteilung gewesen war.60 Er wurde jedoch ab dem 12. Februar 1915, und damit für den größten Teil des Weltkriegs, durch Generalarzt Dr. ­Wilhelm Schultzen in dieser Position ersetzt.61 Mit ihm kam erneut ein altgedienter Mitarbeiter der Medizinal-Abteilung an die Spitze des Heimatsanitätswesens.62 Der Sohn eines Gymnasiallehrers aus Goslar war zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt.63 Sein beruflicher Weg stellte, ähnlich wie bei Otto von Schjerning, einen sozialen Aufstieg dar. Nachdem er an der Kaiser-Wilhelms-Akademie stu58 Vgl. ebd., S. 158. Die K.-W.-A. war bis zu ihrer Auflösung 1919 die zentrale Ausbildungsstätte für preußische Militärärzte. Heute ist in ihrem ehemaligen Sitz in Berlin das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie untergebracht. Auch zu dieser wichtigen Institution der Militärmedizin gibt es bisher keine aussagekräftigen Studien. Vgl. zur K.-W.-A. bisher nur knapp Kolmsee, S. 132 f.; 138–141 sowie Joppich, S. 6 f.; 17 f. 59 Vgl. Joppich, S. 23 f. 60 Vgl. Joppich, S. 119. 61 Vgl. o.A., Tagesgeschichtliche Notizen (08.02.1915), S. 216. Nach eigener Aussage räumte Paalzow seinen Posten freiwillig, um an der Front aktiv zu werden. Er diente im Anschluss als Armeearzt bei der 1. und 10. Armee sowie beim Generalgouvernement Warschau, vgl. Paalzow, Sanitätsdienst, S. 1728. 62 Vgl. Franz, S. 333. 63 Vgl. Wätzold u. Medizinal-Abteilung, S. 282.

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diert hatte und 1887 dort promoviert wurde, arbeitete er an unterschiedlichen Standorten als Militärarzt. Zunächst war er weiter in Berlin tätig, unter anderem fünf Jahre an der Kaiser-Wilhelms-Akademie sowie in der medizinischen Klinik der Königlichen Charité in Berlin, später als Leiter von Lazaretten und Beobachtungsabteilungen in anderen preußischen Städten. So arbeitete er ein Jahr lang als Chefarzt einer Volksheilstätte vom Roten Kreuz in Grabowsee bei Oranienburg (1896–1897) sowie als Chefarzt des Barackenlazaretts Bremerhaven (1902). Wie sich der Alltag in einem Militärkrankenhaus gestaltete und mit welchen Aufgaben Chefärzte dort konfrontiert waren, hatte er somit aus eigener Anschauung erfahren – damals freilich unter geordneten Friedensbedingungen. Darüber hinaus war Schultzen wissenschaftlich aktiv, publizierte Bücher und Artikel64 und nahm an internationalen Medizinkongressen teil.65 Am 1. Oktober 1902 wurde er als Referent in die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums versetzt. Hier arbeitete er sich in den folgenden elf Jahren bis zum Rang eines Generalarztes hoch. Der Erste Weltkrieg ermöglichte Schultzen den entscheidenden Karriereschritt. Nachdem er die ersten Kriegsmonate als Korpsarzt des Garde-Reserve­ korps in Russland eingesetzt war,66 wurde er im Februar 1915 nach Berlin zurückgerufen, um neuer Leiter der preußischen Medizinal-Abteilung zu werden. Damit avancierte Schultzen für die nächsten Jahre zum höchsten Entscheidungsträger und Richtungsgeber für alle Lazarettangelegenheiten des Heimatgebiets. Als der Krieg endete, bedeutete dies für ihn, anders als für den älteren Otto von Schjerning,67 nicht das Ende seiner Karriere in der Heeresverwaltung. Schultzen beerbte den ausscheidenden Feldsanitätschef und wurde selbst neuer Leiter des Sanitätskorps. Im Zuge der Reichswehr-Gründung erhielt er den Posten des ersten Heeressanitätsinspekteurs und musste in dieser Funktion den Abbau des alten und den Aufbau eines neuen Heeressanitätswesens organisieren.68 Erst 1927 verabschiedete er sich als General der Infanterie aus dem Dienst.69 IV. Chef der Medizinal-Abteilung des Bayerischen Kriegsministeriums: Generalstabsarzt Karl von Seydel (1853–1939) Im Bayerischen Kriegsministerium leitete Generalstabsarzt Prof. Dr. Karl von Seydel die Medizinal-Abteilung. Seine Figur ist für die vorliegende Frage­stellung von größtem Interesse, da aufgrund der besseren Quellenlage besonders viele Fallbeispiele aus Bayern diskutiert werden. Karl von Seydel, der als Sohn eines 64 Vgl. exemplarisch Schultzen, Muskelhernien; ders., Ueber Polymyositis; ders., Vorkommen von Tumor. 65 Vgl. Wätzold u. Medizinal-Abteilung, S. 283. 66 Vgl. Franz, S. 333. 67 Zum Ausscheiden Otto von Schjernings vgl. Joppich, S. 134. 68 Vgl. Franz, S. 333. 69 Vgl. http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0000/adr/getPPN/1335929​ 60/ (letzter Zugriff am: 06.04.2020); Abschiedsbrief Wilhelm Schultzens, Sanitäts-Inspekteur im Reichswehrministerium (Heer), 27.10.27, in: BA-MA RH 12–23/161.

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Landrichters im oberbayerischen Laufen aufwuchs, studierte und promovierte in München, wo er 1886 auch habilitiert wurde.70 Parallel begann seine militärärztliche Laufbahn. 1884 wurde er erstmals in die Medizinal-Abteilung des Bayerischen Kriegsministeriums kommandiert und stieg von nun an kontinuierlich in der militärischen Rangfolge auf. 1904 wurde von Seydel zum Generalarzt ernannt und gleichzeitig als Korpsarzt des I. bayerischen Armeekorps eingesetzt. Schließlich, nach weiteren Aufstiegsschritten in den folgenden Jahren, gipfelte seine Berufsbiographie 1911 in der Ernennung zum Bayerischen Generalstabsarzt und Chef der bayerischen Medizinal-Abteilung. Ähnlich wie sein gleichaltriger preußischer Amtskollege Otto von Schjerning hatte auch Karl (von) Seydel keinen adeligen Familienhintergrund. Doch auch ihm wurde 1912 der persönliche Adel verliehen. Eine weitere Ähnlichkeit zwischen den beiden Preußen Otto von Schjerning und Wilhelm Schultzen sowie ihrem bayerischen Amtskollegen Karl von Seydel ist ihre jeweils rege wissenschaftliche Tätigkeit, insbesondere in den 1880er und 1890er Jahren. Von Seydel, der sich als C ­ hirurg einen Namen gemacht hatte, war hier besonders engagiert. Er war nicht nur seit 1901 Honorarprofessor der Münchener Universität, sondern verfasste auch zahlreiche medizinische Publikationen,71 darunter ein bekanntes Lehrbuch zur Kriegschirurgie, das ins Russische und Japanische übersetzt wurde.72 Nach dem Ende des Weltkriegs legte er, vermutlich altersbedingt, sein Amt nieder und schied ganz aus dem Sanitätsdienst aus.73 Die beiden Chefs der württembergischen und sächsischen Medizinal-Abteilung – auf Stuttgarter Seite Generalarzt Prof. Dr. Edmund Lasser ­(1858–1929), der ebenfalls an der Berliner K.-W.-A. ausgebildet worden war und vor dem Krieg als Korpsarzt des preußischen XV. Armeekorps in Straßburg gedient hatte74 sowie auf Dresdener Seite Generalarzt Prof. Dr. Wilhelm Müller ­(1855–1937), der Humanmedizin studiert hatte und vor wie auch nach dem Weltkrieg als Professor für Chirurgie an der Universität Rostock tätig war75 – sollen hier nicht näher porträtiert werden. Wichtig bleibt festzuhalten, dass auf den höchsten Posten der Sanitätsverwaltung keine medizinfernen Bürokraten saßen, sondern Männer, die viele Jahre lang selbst (militär)ärztlich praktiziert hatten. Alle fünf hatten wissenschaftlich publiziert, bekleideten größtenteils ein Professorenamt an der Universität und stammten bis auf den jüngeren Wilhelm Schultzen aus derselben 70 Alle biographischen Informationen über Karl von Seydel, wenn nicht anders gekennzeichnet, im Folgenden aus: M., Generalstabsarzt Dr. v. Seydel, S. 133. 71 Vgl. exemplarisch Seydel, Fortschritte; ders., Mitteilungen; ders., Antiseptik. 72 Vgl. Seydel, Lehrbuch. 73 Vgl. seine Abschiedsworte an das Sanitätskorps, in: o.A., Tagesgeschichtliche Notizen (15.01.19), S. 87. 74 Zu Lasser existiert eine Personalakte im Hauptstaatsarchiv Stuttgart: HStAS M 430/2 Bü 1217. 75 Müllers Personalakte liegt im Universitätsarchiv Rostock, vgl. Eintrag »Wilhelm Müller« im Catalogus Professorum Rostochiensium, http://purl.uni-rostock.de/cpr/00003311 (letzter Zugriff am 05.02.1918).

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Generation der 1850er Geburtsjahrgänge. Sie befanden sich bei Kriegsbeginn auf der Höhe ihrer militärärztlichen Karrieren. Dennoch schützte ihre große berufliche Expertise das Heeressanitätswesen nicht davor, einigen fatalen Fehlvorstellungen zu erliegen, als es darum ging, den nächsten Krieg vorzubereiten. Im Gegenteil: Dass etwa die Anzahl und Schwere künftiger Schlachtverletzungen von Soldaten dramatisch unterschätzt wurden, dass die Verantwortlichen nicht einmal ahnten, zu welchem Massenphänomen sich psychische Versehrungen entwickeln würden, könnte gerade damit zu tun haben, dass sie sich so sicher wähnten, über eine langjährig gewachsene, leistungsstarke Heeresverwaltung zu verfügen.76 V. Sanitätsämter der Stellvertretenden Generalkommandos Die Sanitätsämter der Stellvertretenden Generalkommandos stellten die zweite Kategorie von Behörden dar, die, zusätzlich zu den vier Medizinal-Abteilungen, für die Organisation der Lazarette maßgeblich zuständig waren und direkt mit den dortigen Chefärzten interagierten.77 Wie sich die genaue Aufgabenverteilung zwischen Sanitätsämtern und Medizinal-Abteilungen während des Krieges gestaltete, ist nicht einfach zu fassen. Keine Verordnung grenzte ihre jeweiligen Aufgabenbereiche mit letzter Eindeutigkeit voneinander ab.78 Insgesamt ergibt sich das Bild, dass die Medizinal-Abteilungen als »Zentralbehörden«79 Verordnungen mit bundesstaatlicher oder nationaler Reichweite erließen, während die Sanitätsämter als »Provinzialbehörden«80 diese konkret in den Lazaretten ihres Korpsbereichs um- und durchsetzten. Häufig initiierten die Sanitätsämter auch eigenständig bestimmte Verwaltungsmaßnahmen. Jedes Sanitätsamt wurde von einem Stellvertretenden Korpsarzt geleitet. Dieser unterstand gleichzeitig dem Stellvertretenden Kommandierenden General und der Medizinal-Abteilung des Kriegsministeriums, deren beider Weisungen er zu befolgen hatte.81 Bemerkenswerterweise scheint diese Zwischenstellung der Korpsärzte während des Krieges zu keinen größeren Loyalitätskonflikten geführt zu haben. Entsprechend ihrer vagen Zuständigkeitsbeschreibung waren die Sanitätsämter für nahezu alle Bereiche des Heimatsanitätswesens mit verantwortlich.82 76 Anzeichen hierfür finden sich etwa in Schjerning, Organisation, S. 230–236. 77 Aus der Fülle der Literatur zur Rolle der Stv. Generalkommandos vgl. nur Huber, S. 200 f.; Chickering, Das Deutsche Reich, S. 44–48; Deist, Militär, Staat und Gesellschaft, S. 132–135; allgemeiner Stein, S. 27–35. 78 In der F. S. O. ist von der »Oberaufsicht« der Sanitätsämter über die Lazarette ihres Korps­ bereichs die Rede (§ 49), während die K. S. O. ergänzend ausführt, dass die Medizinal-Abteilung »das gesamte Sanitätswesen beim Besatzungsheere« leite (§ 302). 79 F. S. O., § 48. 80 Ebd., § 50. 81 Vgl. ebd., § 8. Die K. S. O. macht dazu in § 304 keine abweichenden Angaben für den Kriegszustand. 82 Vgl. F. S. O., § 51: »Das Sanitätsamt (§ 8) ist die vorgesetzte Behörde der Militärlazarethe seines Geschäftsbereichs. Es regelt und beaufsichtigt den Sanitätsdienst in denselben.«

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Dies führte im Verlauf des Krieges zu einer zunehmenden Überlastung dieser Behörden.83 Zum einen waren ihnen die Lazarette des Heimatgebiets unmittelbar unterstellt, darunter auch die Lazarette der Freiwilligen Krankenpflege, also Vereinslazarette, Genesungsheime und Privatpflegestätten. Für ihre Verwaltung waren sie gemäß der Friedens-Sanitäts-Ordnung (F. S. O.) jedoch nicht alleine, sondern zusammen mit den Stellvertretenden Intendanturen84 »gemeinschaftlich verantwortlich.«85 Konkret gestaltete sich diese Kooperation so, dass die Sanitätsämter für alle medizinischen Aspekte zuständig waren, die Stellvertretenden Intendanturen hingegen ökonomisch-administrative Fragen bearbeiteten.86 Während die Sanitätsämter für die ihnen unterstellten Lazarette als vorgesetzte Behörden mit Disziplinarstrafgewalt fungierten, galt dies nicht für die Stellvertretenden Intendanturen. Letztere waren lediglich Aufsichtsbehörden, die die bauliche Unterhaltung und den ökonomischen Dienst regelten und überwachten; die Chefärzte standen ihnen gegenüber jedoch in keinem Unterordnungsverhältnis.87 Dass die Aktivitäten der beiden Stellen unter dem Druck des Krieges nicht immer aufeinander abgestimmt waren, lässt sich angesichts dieser Doppelstruktur schon erahnen. Zum anderen gehörte es zu den Hauptaufgaben der Sanitätsämter, neue Laza­ rette im Heimatgebiet einzurichten, sie mit Heil- und Pflegepersonal zu besetzen, sicherzustellen, dass kranke oder verwundete Soldaten in die für sie geeigneten Hospitäler gelangten, sowie das Musterungsgeschäft zu regeln.88 Auch die Versorgung der Soldaten und späteren Invaliden war zunächst Teil ihres Aufgabenbereichs. Dieses Thema nahm jedoch mit der Dauer der Kampfhandlungen und den massiven körperlichen Beschädigungen der Soldaten einen derartigen Umfang an, dass hier ab 1916 zunächst entsprechende Unterabteilungen (»Versorgungsabteilungen«) gegründet wurden, bevor schließlich ab Juni 1918 eigene Versorgungsämter entstanden, die dem Kriegsministerium direkt unterstellt waren.89 Insgesamt wird deutlich, dass sich viele der beschriebenen Verwaltungsstrukturen erst während des Krieg herausbildeten und immer wieder an aktuelle Bedürfnisse und Umstände angepasst werden mussten.

83 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 165. 84 Intendanturen waren Militärverwaltungsbehörden, die für die materielle Versorgung der Truppe – außer Waffen- und Munitionsversorgung – zuständig waren. Bei der Mobilmachung rückten die Intendanturen aller Generalkommandos mit diesen zusammen ins Feld, an ihre Stelle traten im Heimatgebiet die Stellvertretenden Intendanturen der Stellvertretenden Generalkommandos. 85 F. S. O., § 50. 86 Vgl. dazu ausführlich Waßmund, S. 509; Kurt Hochstuhl, Einleitung. Behördengeschichte, in: HStAS Findbuch zum Bestand 456 F Nr. 113, S. 1. 87 Den Intendanturen waren nur die nicht-medizinischen Lazarettbeamten unterstellt, vgl. Waßmund, S. 509. 88 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 165. 89 Vgl. ebd. Zu den Versorgungsämtern in der Weimarer Republik, Neuner, S. 67–90.

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1.1.3 Akteure vor Ort im Heimatlazarett Was für Personen hielten sich typischerweise in einem Heimatlazarett auf? Die größte Akteursgruppe vor Ort waren die soldatischen Patienten selbst. Sie waren fast durchgehend im Heimathospital anwesend, zumal sie das Lazarettgebäude auch gar nicht ohne Weiteres verlassen durften, da es während der Genesungszeit ihre militärische »Dienststellung«90 war. Im schlimmsten Fall konnte eine »unerlaubte Entfernung«91 außerhalb der offiziellen Ausgehzeiten mit bis zu sechs Monaten Freiheitsentzug bestraft werden.92 Ursprünglich hatten die Militärbehörden vorgesehen, nur Schwerverwundete und Schwerkranke ins Heimatlazarett zu übernehmen, während leichtere Fälle in Frontnähe verbleiben sollten.93 In der Praxis gelangten aber aufgrund des Platzmangels in den Fronthospitälern auch zahlreiche Leichtverwundete und Leichtkranke ins Reichsgebiet sowie »unklare Fälle«, die in den Feldheerlazaretten nicht ausgeheilt waren oder medizinisch nicht gedeutet werden konnten.94 Insgesamt wurden jeden Monat durchschnittlich 86.000 Versehrte in inländische Lazarette überführt. Im Verlauf des Krieges summierte sich ihre Gesamtzahl auf über 4 Millionen. Somit kamen etwa 21 Prozent aller verwundeten und kranken Frontsoldaten in ein Heimatlazarett.95 Zusätzlich therapierten die Ärzte hier auch solche Militär­angehörige, die im Reichsgebiet selbst erkrankt waren, etwa während des Heimaturlaubs. Rechnet man diese Zahlen zusammen, so ergibt sich, dass die inländischen Militärkrankenhäuser über 7 Millionen Fälle behandelten und damit mehr als 28 Prozent aller Verwundungen und Erkrankungen von Soldaten während des Krieges.96 90 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Ernst von Wrisberg, an sämtl. Stv. Generalkommandos u. a., 06.09.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./595. 91 Vgl. Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, § 64. 92 In Lazaretten scheinen aber eher andere Vergehen zur Einsperrung geführt zu haben, vor allem »tätliche Angriffe«, vgl. die Arrestationsliste des Festungslazaretts Königsberg, 1917– 1918; in: BA-MA PH 22-II/730. 93 Vgl. Preuß. Kriegsministerium an die Armee-Oberkommandos 1–10 u. a., 17.02.1915 sowie General-Gouvernement Belgien an sämtl. Truppen u. a., 29.11.1914, beide in: BA-MA RM 120/129; Herhold, S. 2052; Bay. Kriegsministerium an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 04.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739; Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 35. 94 Vgl. Klaussner, S. 2359; Feldsanitätschef an das Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Telegramm, 07.03.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 42; Reservelazarett Baden-Baden an das Sanitätsamt XIV. AK., 21.05.1918, in: GLAKa 456 F 118 Nr. 35; His, Die Front, S. 85. 95 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 20. 96 Vgl. ebd., S. 18. Wie vielen individuellen Soldaten dies entsprach, lässt sich nicht ermitteln. Der Sanitätsbericht verfolgte für seine Kranken-Statistiken nicht den Gesundheitsverlauf einzelner Personen, sondern zählte lediglich die »Fälle«, mit denen es die Lazarette zu tun hatten. So bezeichnete etwa die Gesamtzahl von 19.552.696 statistisch erfassten »Fällen« von Verwundungen und Erkrankungen im Feld nicht die entsprechenden Anzahl Soldaten – über so viele Rekruten verfügte das deutsche Heer gar nicht. Vielmehr gingen die meisten Frontkämpfer mehrfach in die Statistik ein, da sie mehrfach verwundet wurden oder erkrankten.

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Neben den Soldaten gab es weitere Personengruppen, die zwar nicht als Insassen des Lazaretts, aber doch als interne Akteure eingeordnet werden können. Dazu gehörten Ärzte, weibliches und männliches Krankenpflegepersonal, Lazarettpfarrer, nicht-medizinisches Lazarettpersonal, beispielsweise Köchinnen oder Lazarettverwaltungsbeamte, sowie Unteroffiziere, die polizeiliche Aufgaben übernahmen.97 Unter ihnen kam den Ärzten die höchste hierarchische Stellung zu. Von den 24.798 Sanitätsoffizieren, die insgesamt während des Großen Krieges im Feld- und Besatzungsheer dienten, waren 17.476 im Operations- und Etappengebiet eingesetzt, aber nur 7.322 im Heimatgebiet.98 Zählt man jedoch die Ärzte der Freiwilligen Krankenpflege mit hinzu, kommt man auf wesentlich höhere Zahlen; Generalarzt Paalzow spricht von insgesamt 15.829 Lazarettärzten im Heimatgebiet.99 Jedes Reservelazarett war einem Chefarzt unterstellt, oder, wenn für diesen leitenden Posten kein Sanitätsoffizier verfügbar war, einer gemischten Reservelazarettkommission, die aus einem Offizier und einem Zivilarzt bestand.100 Der Chefarzt stand in direktem Kontakt zum Sanitätsamt, dessen Anweisungen er zu befolgen hatte. Nach außen hin trat er als Sprecher oder Repräsentant der ihm unterstellten Lazarette auf, nach innen fungierte er als militärischer Vorgesetzter des gesamten medizinischen, pflegerischen und administrativen Personals und aller dort eingewiesenen Mannschaften.101 Zusätzlich hatte er mehrere Vereinslazarette gesundheitspolizeilich und disziplinarisch zu überwachen, die an sein Reservelazarett angegliedert waren.102 Einzig das hierarchische Verhältnis des Chefarztes zu hospitalisierten Offizieren war in der Friedens-Sanitäts-Ordnung nicht festgelegt – es werde daher, so Waßmund im Handbuch für Militärärzte, »durch gegenseitiges Taktgefühl zu regeln sein.«103 Was für Ärzte arbeiteten unter dem Kommando des Chefarztes? Außer den Sanitätsoffizieren – also Militärärzten, die dem Sanitätsoffizierskorps angehörten und einen Offiziersrang innehatten104 – waren in der Heimat zahlenmäßig noch häufiger vertraglich verpflichtete Zivilärzte, landsturmpflichtige Ärzte, approbierte Unterärzte und sogenannte »Feldhilfsärzte«, also Medizin-Studen-

97 Vgl. zu den Aufgaben der Polizeiunteroffiziere und Lazarettbeamten Waßmund, S. ­540–544. 98 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 33. Dazu kamen 1.359 Marineärzte, von denen 259 im Heimatgebiet eingesetzt waren sowie 135 Ärzte von den Schutztruppen, von denen 2 im Heimatgebiet dienten, vgl. ebd., Übersicht 5, ebenso Übersicht 7 und 8 (alle Zahlen exklusive freiwilliger Krankenpflege). 99 Vgl. Paalzow, Organisation, S. 1250. Woher Paalzow diese Zahl bezieht, gibt er leider nicht an; der Sanitätsbericht nennt keine entsprechende Gesamtsumme aller Ärzte. 100 Später auch lediglich aus einem Zivilarzt und einem oberen Lazarettbeamten oder Beamtenstellvertreter, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 167; F. S. O., § 60. 101 Vgl. F. S. O., § 58; vgl. auch Waßmund, S. 512. 102 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 169. 103 Waßmund, S. 512. 104 Vgl. zum Sanitätsoffizierskorps Kliche, S. 11 f.; Kolmsee, S. 132–134.

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ten, eingesetzt.105 Dies rührte daher, dass das Kriegsministerium bemüht war, felddiensttaugliche Sanitätsoffiziere tatsächlich im Operationsgebiet einzusetzen und sie nicht in der Heimat zu beschäftigen, wo auch ältere und nicht kriegsverwendungsfähige oder nicht kriegserfahrene Ärzte ausreichten.106 Im ersten Kriegsjahr waren außerdem Ärztinnen für Heimatlazarette zugelassen, wenn in einem Korpsbereich nicht genügend männliche Ärzte zur Verfügung standen. Eine seltene Erwähnung einer solchen Lazarettärztin findet sich in einem Inspektionsbericht über das bayerische Vereinslazarett Ruhpolding. Der besichtigende Chefarzt fasste lobend zusammen: »Frau Dr. Barth erfreut sich des vollsten Vertrauens seitens der Bevölkerung und eines starken Zuspruchs. Es wird ihr nicht nur Tüchtigkeit in ärztlicher Hinsicht nachgerühmt, sondern, wie mir der Pfarrer des Ortes versicherte, auch eine ungewöhnliche autoritativ suggestive Wirkung im besten Sinne auf die Bevölkerung. Es liegt das wohl teils in ihrem männlichen Charakter, teils in ihrem medicinischen Werdegang, indem sie eine Schülerin Kräpelins und daher auch in der Psychologie wohl bewandert ist.«107

Die Leistungen der Frau Dr. Barth erklärten sich nach Ansicht des Chefarztes demnach vor allem aus ihrem »männlichen Charakter«, der ihr weib­liches Geschlecht wettmachte. Dem Preußischen Kriegsministerium hingegen war weibliches Ärztepersonal grundsätzlich nicht geheuer. Im Mai 1915 fand seine Medizinal-Abteilung durch eine Umfrage heraus, dass inzwischen bereits 46 Ärztinnen in preußischen Reserve- und Vereinslazaretten arbeiteten. Die Behörde ordnete daraufhin an, die entsprechenden Verträge mit den Ärztinnen »nach Möglichkeit wieder zu lösen.«108 Gegenüber dem Reichstag erklärte der Stellvertretende Kriegsminister, dass genügend männliche Ärzte vorhanden seien109 und »einzelne Unzuträglichkeiten diese Ausschliessung erwünscht erscheinen liessen.«110 Festzuhalten bleibt, dass sich die Heeresverwaltung angesichts des hohen Ärztebedarfs gezwungen sah, nicht nur speziell ausgebildete Militärmediziner in den Lazaretten zuzulassen, sondern auch Medizin-Studenten und eine hohe Anzahl an Zivilärzten, die es weder gewohnt waren, ihre Behandlung nach mi-

105 Der Sanitätsbericht gibt für den Stichtag des 15.07.1916 die Zahl von 3.771 Sanitätsoffizieren in Reservelazaretten an; demgegenüber standen 2097 Zivilärzte, 1659 landsturmpflichtige Ärzte, 66 approbierte Unterärzte und 1010 Feldhilfsärzte. Vereinslazarette waren in dieser Aufzählung nicht einberechnet, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 36, Übersicht 7; zu den Feldhilfsärzten ebd., S. 45f; zu verkürzten Studienzeiten für Medizinstudenten vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 102. 106 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 33. 107 Chefarzt, Inspektionsbericht über das Vereinslazarett Ruhpolding an das Sanitätsamt I. AK., 29.10.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./904. 108 Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 45; vgl. auch Michl, S. 40. 109 Was aber faktisch nicht der Fall war, vgl. Nitschke, S. 59–62, hier S. 60. 110 Medicinisches Correspondenz-Blatt des Württembergischen Ärztlichen Landesvereins Nr. 39, 25.09.1915, S. 385, zit. nach Michl, S. 40; vgl. auch Eckelmann u. Hoesch, S. 153–172.

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litärischen Gesichtspunkten auszurichten, noch militärbürokratische Vorgaben einzuhalten.111 Nicht alle von ihnen waren den neuen Herausforderungen gewachsen.112 Der als fachärztlicher Beirat eingesetzte Prof. Stursberg kommentierte rückblickend: »Die Zahl der aktiven Sanitätsoffiziere war nur gering, sodaß die Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes & die nicht militärisch ausgebildeten ›Würmchendoktoren‹, die auf dem Kragen des feldgrauen Rockes als einziges Abzeichen den Äskulapstab hatten, den größten Teil der ärztlichen Arbeit im Feld & in der Heimat leisten mußten. Dabei war ein Grundfehler, daß bei der Verteilung der Ärzte von dem Grundsatz ›Arzt=Arzt‹ ausgegangen & eine besondere Fachausbildung des einzelnen Arztes nicht berücksichtigt wurde. […] Das hatte Fehlbesetzungen in vielen Stellen, besonders bei den Lazaretten, zur Folge & es konnte vorkommen, daß z. B. ein Augenfacharzt zur Leitung einer inneren Station kommandiert oder daß als Chefärzte von Kriegslazaretten praktische Ärzte kommandiert wurden, die keinerlei Erfahrung im Krankenhausbetrieb hatten […].«113

Dieses Problem galt aber nicht für alle Lazarette. Gerade in den Universitätsstädten waren teilweise berühmte Fachspezialisten als Chefärzte oder fachärztliche Beiräte tätig, so dass in manchen Hospitälern ein hohes professionelles Niveau herrschte.114 Zudem war hier ein intensives wissenschaftliches Arbeiten mit einer ungewöhnlichen Breite an Fällen möglich.115 Verschiedene medizinhistorische Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass die Mehrzahl der Ärzte den Krieg und die damit einhergehenden militärärztlichen Aufgaben und Möglichkeiten insgesamt bejahte.116 Das Gleiche gilt für britische, französische und italienische Mediziner.117 Ihre doppelte Loyalität, die die Lazarettärzte gleichzeitig dem individuellen Patientenwohl wie auch den militärischen Notwendigkeiten verpflichtete,118 nahmen die meisten von ihnen

111 Vgl. hier nur exemplarisch Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 43 f. 112 Vgl. etwa die Berichte des Stabsarzts Fraenkel, 06.06.1915, sowie des fachärztl. Beirats Dr. Stareth, 28.04.1915, beide an das Sanitätsamt XIV. AK, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; ebenso Prof. Stursberg, fachärztl. Beirat beim Stv. VIII. AK., Bemerkungen zu den anliegenden Akten, 16.01.58, in: BA-MA PH 7/6. 113 Prof. Stursberg, fachärztl. Beirat beim Stv. VIII. AK., Bemerkungen zu den anliegenden Akten, 16.01.58, in: BA-MA PH 7/6; ähnlich Lessing, S. 33. 114 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 33; vgl. dazu auch Maurer, S. 395. 115 Vgl. aus der Fülle an zeitgenössischen Fachartikeln aus Heimatlazaretten hier nur Frankenburger; Schleich; zusammenfassend dazu Eckart, »Der größte Versuch«. 116 Vgl. den Überblicksartikel von Eckart u. Gradmann, Medizin, insbes. S. 218; Bergen, Medicine, S. 2. Ärztlicher Pazifismus existierte zwar ebenfalls, jedoch in viel kleinerem Ausmaß, vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 43–63; zum europäischen Pazifismus vor 1914 vgl. Kruse, Internationale. 117 Vgl. etwa für französische und britische Ärzte Bergen, Medicine, S. 1–3; Harrison, Medical War; Whitehead, S. 32–58; Delaporte, Les Médecins. 118 Vgl. zur »dual loyalty« Bergen, Medicine, S. 9 f.

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nicht als problematischen Widerspruch wahr oder formulierten dies zumindest nicht offen.119 Wer außer den Medizinern in engem Kontakt zu den soldatischen Patienten stand, war das Krankenpflegepersonal. Das Militär hatte die Freiwillige Krankenpflege und insbesondere das Rote Kreuz von Anfang an als integralen Bestandteil seiner Kriegsvorbereitungen eingeplant, da es nicht über genügend eigenes Pflegepersonal verfügte.120 Laut Dieter Riesenberger war diese systematische Einbeziehung ein Faktor, der weiter zur Militarisierung der deutschen Gesellschaft vor 1914 beitrug.121 In den Heimatlazaretten waren einerseits Krankenschwestern der Ritterorden (Johanniter, Malteser, St.-Georgs-Orden) sowie der Landesvereine und Landesfrauenvereine vom Roten Kreuz tätig, andererseits Hilfsschwestern und Helferinnen vom Roten Kreuz, von denen sich letztere in ihrer unterschiedlichen langen Ausbildung unterschieden.122 Über die Ritterorden wurden auch evangelische Diakonissen sowie eine noch größere Anzahl katholischer Ordensschwestern im Lazarettdienst tätig.123 Weibliche Krankenschwestern, die durch literarische Zeugnisse und Bilder bald zu ikonischen Figuren des Weltkriegs124 aufstiegen, machten zahlenmäßig zwar tatsächlich den größten Anteil der Pflegekräfte in der Heimat aus, sie arbeiteten allerdings oft mit männlichen Pflegern zusammen. Diese waren entweder von der Heeresverwaltung als Sanitätsmannschaften bzw. Militärkrankenwärter eingesetzt und galten militärrechtlich als Soldaten.125 Oder sie kamen als Zivilisten von Seiten der Freiwilligen Krankenpflege,126 zumal ab dem 5. Dezember 1916 alle nicht wehrfähigen Männer zwischen 17 und 60 Jahren aufgrund des »Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst«127 zur Arbeit in kriegswichtigen Betrieben verpflichtet waren. Zu diesen zählten auch die Heimatlazarette. In der Kriegserinnerung sind diese männlichen Pfleger kaum mehr präsent, da das symbolträchtige Bild der Kriegskrankenschwester alles überwölbt. Vor

119 Zu kritischen Andeutungen in Tagebüchern und Briefen Nitschke, S. 83 f.; Rauh, Behandlung, S. 121–123. 120 Vgl. Nitschke, S. 33; Mönch. 121 Vgl. Riesenberger, Im Dienst, S. 33 f.; zur Militarisierung allgemein Förster; Hagemann; Lepsius. 122 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 330; zur Unterscheidung zwischen der besser ausgebildeten Hilfsschwester und der nur kurz eingelernten und daher weniger angesehenen Helferin Colmers, S. 12–15; Riesenberger, Im Dienst, S. 34–37. 123 Vgl. Stölzle, insbes. S. 38 f. Wolfgang Eckart nennt die Gesamtzahl von 26.000 katholischen Ordensschwestern und 14.000 Diakonissen, diese Angaben beziehen sich ihm zufolge aber nur auf den Kriegsbeginn und dürften später angestiegen sein, außerdem sind sie nicht nach Feld- und Heimatgebiet unterteilt, vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 106. 124 Vgl. etwa Mönch, S. 803. 125 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 55–60. 126 Dazu gehörten etwa die Genossenschafts-Verbände freiwilliger Krankenpfleger und die Samaritervereine vom Roten Kreuz, vgl. Kahl; Kimmle, Krankenpflege, S. 39. 127 Vgl. Mai, Hilfsdienstgesetz, S. 553.

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Ort in den Heimatlazaretten hatten männliche Pfleger aber zeitgenössisch eine wichtige Rolle gespielt.

1.2 Von der Improvisation zur Institutionalisierung: Die Einrichtung der Heimatlazarette im ersten Kriegsjahr, 1914/15 Im Jahr 1901 war die Vorstellung eines großen Kriegseinsatzes für die führenden Köpfe der Militärmedizin noch eine ferne, aufregende Zukunftsidee. In jenem Jahr organisierte das Zentralkomitee für das ärztliche Fortbildungswesen in Preußen eine große Vortragsreihe in Berlin mit dem Titel »Ärztliche Kriegswissenschaft«, bei der sich ranghohe Militärärzte über verschiedene Aspekte des Heeressanitätswesens austauschten. Auch Otto von Schjerning, der spätere Chef des Feldsanitätswesens, hielt hier eine programmatische Rede. Sein Thema war die »Organisation des Sanitätsdienstes im Kriege«.128 Sowohl zu Beginn als auch im Verlauf seines Vortrags wies er immer wieder darauf hin, dass die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Verwundetenversorgung im Krieg die behördliche Verwaltung sei. Ohne gute Administration und Organisation, so von Schjerning, sei der beste Arzt im Feld nichts wert. Nur wenn die Heeres­ verwaltung die richtigen Mittel zur richtigen Zeit bereitstelle, für die Unterkunft und den zügigen Transport der verwundeten Soldaten sorge und das verbrauchte Material zum Verbinden und Heilen schnell ersetze, könne der Arzt überhaupt sein medizinisches Wissen wirksam zur Anwendung bringen. Aber, so beruhigte er seine Zuhörer, für eine adäquate Organisation habe das Heeressanitätswesen bestens vorgesorgt. Die deutsche Sanitätsorganisation sei »das reife Produkt der Erfahrung und des Nachdenkens vieler«129 und agiere »nach den neuesten und erprobten Grundsätzen«130 der medizinischen Wissenschaft: »Zu keiner Zeit, das darf ich wohl dem deutschen Sanitätscorps und der Sanitätsverwaltung zum Ruhme sagen, sind je die Vorbereitungen für die sanitäre Hilfe im Kriege so durchdacht und so vollendet gewesen, wie bei uns in jetziger Zeit, und in keiner Armee wird mehr an der steten Vervollkommnung der sanitären Vorbereitung und der sanitären Hilfe gearbeitet wie in dem deutschen Heere!«131

Aus diesem Grund, so von Schjerning weiter, werde die Sanitätsverwaltung die medizinische Versorgung der Soldaten souverän meistern, sobald der nächste europäische Krieg ausbreche. Er, für seine Person, glaube nicht an die schöne »Legende des ewigen Friedens«. Denn auch wenn es viele hofften, sei doch die Welt noch nicht so fortschrittlich, dass sie auf Kriege insgesamt verzichten 128 Schjerning, Organisation, S. 229 f. 129 Ebd., S. 230. 130 Ebd., S. 236. 131 Ebd., S. 249; vgl. dazu auch ders., Die letzten 25 Jahre.

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könne. Es werde immer eine Ursache geben, »die, solange ein Deutscher lebt, zum Kriege führen muss.«132 Mit solchen Äußerungen bewegte sich der damalige Generalarzt ganz im Einklang mit den auch von anderen professionellen Militärs öffentlich kommunizierten Äußerungen zur Frage eines zukünftigen Krieges.133 Dieser sei – so ein weitverbreitetes Argument – nicht nur wahrscheinlich, sondern als Motor des Fortschritts und probates Mittel gegen die zivilisatorische Verweichlichung vor allem der Männer134 letztlich für das Kaiserreich auch wünschenswert.135 Die Vertreter des Sanitätswesens gingen dabei, ähnlich wie die Heeresführung, von einer kurzen, offensiv geführten Militäroperation aus. In seiner Rede von 1901 hatte Otto von Schjerning bereits warnend darauf hingewiesen, dass in einem etwaigen europäischen Krieg »gewaltig[e] und fast unübersehbar[e] Heeresmassen« aufeinandertreffen würden. Nur eine feste, entschlossene Organisation, die »einfach, klar und streng geregelt«136 sei, könne dieser Flut an Kämpfern und späteren Verwundeten Herr werden. Die eigentliche Hauptrolle komme künftig der Sanitätsverwaltung zu: »In der That, meine Herren, der Kern des Sanitätswesens im Kriege liegt in der Organisation und Administration!«137 1.2.1 Kriegsvorbereitungen im Militärsanitätswesen Wie bereitete sich das Militärsanitätswesen darauf vor, im anvisierten Zukunftskrieg Verwundete und Kranke zu versorgen? Die rechtliche Grundlage für den von Otto von Schjerning geforderten effektiven Verwaltungsapparat waren zwei juristische Regelwerke: Die Kriegs-Sanitätsordnung (K. S. O.) von 1907 für das Feldsanitätswesen und die ältere Friedens-Sanitäts-Ordnung (F. S. O.) von 1891 für das Heimatsanitätswesen. Diese beiden Verordnungen definierten die vorgesehene Struktur des Lazarettsystems in Feld, Etappe und Heimat. Auch während des Weltkriegs blieben sie die zentralen Referenzwerke für alle Fragen des Militärsanitätswesens. Weitere kleinere Vorschriften waren die »Vorschriften über Badekuren und sonstige außergewöhnliche Heilverfahren für Militärpersonen« (K. V.), die »Dienstvorschrift für die freiwillige Krankenpflege« (D.fr.K.) und die »Dienstanweisung für die Delegierten der freiwilligen Krankenpflege« 132 Schjerning, Organisation, S. 249. 133 Dazu allgemein Pöhlmann, Das unentdeckte Land; Löffelbein, Humanität. 134 Vgl. Radkau, Die Männer. 135 Eine solche übersteigerte Hochschätzung des Krieges kann als Gegenreaktion zu der zeitgenössisch ebenfalls verbreiteten Auffassung verstanden werden, dass ein Krieg aufgrund des kulturellen Hochstandes und der ökonomischen Verflechtung sehr unwahrscheinlich sei, vgl. Afflerbach, Der Topos, S. 292–294; allgemeiner zur Vielschichtigkeit der Kriegserwartung(en) vor 1914 Dülffer u. Holl; Dülffer, Kriegserwartung; ders., Die zivile Reichsleitung; Schumann; Förster. 136 Schjerning, Organisation, S. 230. 137 Ebd., S. 229.

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(D.f.d.Deleg.). Um diese verstreuten Verordnungen zusammenzuführen, gaben die beiden Generalärzte Friedrich Paalzow und Albert Villaret 1909 zusätzlich ein umfangreiches Handbuch für Militärärzte heraus.138Auf Grundlage dieser Regelwerke trafen sowohl die Heeresverwaltung als auch die Freiwillige Krankenpflege in den Jahrzehnten vor 1914 zahlreiche Vorkehrungen für einen zukünftigen Krieg.139 Dazu gehörte die Aus- und Fortbildung von Militärärzten, die Modernisierung der Sanitätsausrüstung oder auch die Teilnahme von Sanitätsformationen an Truppenübungen und Kriegsspielen.140 Auch die Organisationen der Freiwilligen Krankenpflege mussten sich vorsorglich um die »Sicherung einer schnellen Kriegsbereitschaft«141 bemühen. Sie sollten die Einrichtung künftiger Vereinslazarette vorbereiten und sich um die Ausbildung von Voll- und Hilfsschwestern kümmern.142 Die wichtigste, jedoch auch schwierigste Aufgabe war es, passende Lazarettstandorte zu finden. Die Kriegs-Sanitätsordnung sah hier verschiedene Möglichkeiten vor. Die Sanitätsverwaltung konnte bei einer Mobilmachung entweder Lazarettbaracken neu bauen lassen143 oder Militärhospitäler in bereits existierenden »geeigneten Gebäuden«144 einrichten. Als entscheidend bei der Standortauswahl galten drei Hauptkriterien: Erstens war es nach den Vorgaben der K. S. O. wichtig, dass die ins Auge gefassten Gebäude ausreichend gelüftet werden konnten, zweitens, dass es in den Zimmern viel Licht bei wenig Feuchtigkeit gab und drittens, dass man bei Bedarf ansteckende Kranke räumlich absondern konnte.145 Als besonders geeignet bezeichnete die K. S. O. daher alle »Bauten, die nur zeitweise benutzt werden«146, etwa Turnhallen, Schlösser oder Fabrikräume. Auch Krankenanstalten, Klöster und Schulen kämen in Frage, sofern sie sich ausreichend lüften ließen. Der Haken bei dieser Art von Gebäuden war, dass die bisherigen Nutzer bei Kriegsbeginn aus ihren Immobilien ganz oder teilweise verdrängt werden mussten, um die Räumlichkeiten für das Militär bereitzustellen – etwa die Schüler aus den Schulgebäuden, die die Sanitätsverwaltung zwischennutzen wollte, oder die Arbeiter aus den ausgewählten Fabrikhallen. Mit den Besitzern mussten daher schon im Frieden Verträge geschlossen werden, die ihnen für den kriegsbedingten Verlust der Räumlichkeiten eine komplette oder teilweise finanzielle Entschädigung oder Pachtgebühren zusicherten. Die Militärverwaltung 138 Paalzow u. Villaret. 139 Vgl. Hamann; Devin. 140 Vgl. Kolmsee, insbes. S. 165–167; Schultzen, Otto von Schjerning, S. 902. 141 D.fr.K., § 11. 142 Vgl. die Berichte der Vereine vom Roten Kreuz in Kimmle, Rote Kreuz; Großheim, Vereinslazarett-Anhalt, insbes. S. 2–5; allgemein Stölzle, S. 48. 143 Vgl. dazu etwa die Verhandlungen und Verträge von 1906 mit Baufirmen in Frankfurt a. M. für künftige Lazarettbaracken im Mobilmachungsfall, in: ISG Frankfurt V48/311. 144 K. S. O., § 308. Zu festen Baracken vgl. K. S. O.Anl., § 454–481. 145 Vgl. K. S. O.Anl., § 37. 146 Ebd., § 38.

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garantierte ihren Vertragspartnern zudem, dass sie für etwaige Schäden am Gebäude aufkommen werde.147 Je nachdem, wie die Verträge ausgehandelt waren, durften die Lazarette vorhandene Möbel und sonstige Einrichtungsgegenstände mitnutzen. Die genannten Vorbereitungsarbeiten der Militärverwaltung sowie der freiwilligen Krankenpflege scheinen zwar gewissenhaft und mit großem Aufwand durchgeführt worden zu sein  – sie waren jedoch, wie sich ab August 1914 herausstellen sollte, nicht weitreichend genug. Zudem hatten sich die zuständigen Stellen kaum untereinander abgestimmt. Obwohl die K. S. O. im internationalen Maßstab als eine der am besten durchdachten modernen Sanitätsordnungen galt148 und zugleich die F. S. O. detaillierte Anweisungen für den Neu- oder Umbau von Garnisonlazaretten lieferte,149 blieben die Vorgaben für Lazarette in zwischengenutzten Gebäuden ungenau. Welche Gebäude im Kriegsfall tatsächlich für Lazarettzwecke »geeignet« waren und an welcher Stelle welche Art von Heilanstalt einzurichten war, hatte keine der Verordnungen eindeutig definiert.150 Die konkrete Auslegung blieb den zuständigen Beamten vor Ort überlassen. So gab es bei der Organisation des Heimatsanitätswesens weder in der Vorkriegszeit noch im Kriegsverlauf ein reichsweit einheitliches Vorgehen. Die spätere Überforderung und Undurchschaubarkeit des Lazarettsystems war somit zu gewissen Teilen schon auf der Planungsebene angelegt. Den Verantwortlichen waren die organisatorischen Mängel offenbar nicht bewusst. Im Gegenteil gaben sie sich selbstbewusst und zuversichtlich. Noch bis kurz vor Kriegsbeginn versicherte die Heeresverwaltung immer wieder, sie sei auf alles Kommende gut vorbereitet.151 Zwar zweifelten schon einzelne Zeitgenossen diese offiziellen Verlautbarungen an und kritisierten die Kriegsvorbereitungen als ungenügend. So monierte etwa der Chirurg Franz Colmers, dass es nach Meinung aller Sachverständigen bei weitem nicht genug ausgebildete Krankenschwestern gebe, die im Kriegsfall einsatzbereit seien.152 Doch diese wenigen besorgten Stimmen blieben ungehört. Kurz vor der Mobilmachung bestanden in allen Städten des Kaiserreichs recht verschiedenartige potenzielle Lazarettstandorte, die im Bedarfsfall zusätzlich zu den Garnisonshospitälern 147 Vgl. zu solchen Anfragen und Verträgen aus der Vorkriegszeit etwa für Frankfurt a. M.: Schreiben des Garnison-Lazaretts Frankfurt am Main-Bockenheim an den Königlichen Kreisarzt, 14.03.09; Sanitätsamt XVIII. AK. an das Bürgerhospital (Dr. Senckenbergische Stiftung), 05.04.11, beide in: ISG Frankfurt V48/311; vgl. außerdem von 1904 die entsprechende Korrespondenz in: ISG Frankfurt Magistrat: Acta Secreta/27. 148 Vgl. Kolmsee, S. 166. 149 Vgl. F. S. O., Beilage 11 »Allgemeine Grundsätze für den Neubau von Garnisonslazarethen«; vgl. mit weiteren Erklärungen Waßmund, insbes. S. 452–512. 150 Vgl. zur Gebäudeauswahl: K. S. O.Anl., § 37–38, weitere Vorgaben zu Lüftungserfordernissen u. a. in § 39–58. 151 Vgl. etwa Körting; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel, Die in der letzten Zeit im Militärsanitätswesen im allgemeinen getroffenen Verbesserungen, 1913–1914, in: BayHStA MKr/18387. 152 Vgl. Colmers, S. 4.

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aktiviert werden konnten. Bis zum August 1914 existierten diese Lazarette aber nur auf dem Reißbrett, in der Form von Verträgen und Materialvorräten in den Sanitätsdepots. Sie hatten sich noch nicht räumlich manifestiert. 1.2.2 Mobilmachung: Der Weg ins Chaos Am 1. August 1914 erteilte der deutsche Kaiser Wilhelm II. den Mobilmachungsbefehl. Er gab damit nicht nur den Startschuss für die Mobilisierung der Streitkräfte, sondern zugleich für die Mobilmachung des Militärsanitätswesens.153 Während sich die mobilen Feldsanitätsformationen sammelten und mit dem Heer ausrückten, stand das Heimatsanitätswesen vor der Aufgabe, tausende von Lazaretten in deutschen Groß-, Klein- und Landstädten schlagartig ins Leben zu rufen. Nun musste sich zeigen, ob die Vorkriegsplanungen der Realität standhielten.154 In ganz Deutschland begannen konzentrierte Lazarett-Aufbauarbeiten für die erwarteten Verwundetentransporte von der Front. Zwei Schritte hatte der Mobilmachungsplan für das Heimatsanitätswesen vorgesehen. Der erste war denkbar einfach: Bisherige Garnisonlazarette verwandelten sich automatisch mit der Mobilisierung in Reservelazarette und waren dann unmittelbar einsatzbereit.155 Im zweiten, schwierigeren Schritt mussten die Verantwortlichen die Gebäude derjenigen Institutionen und Privatpersonen, mit denen sie vor dem Krieg Verträge abgeschlossen hatten, innerhalb weniger Tage zu Militärkrankenhäusern umbauen.156 Die neuen Räumlichkeiten mussten ausgeräumt, gereinigt, desinfiziert, eingerichtet und medizinisch ausgestattet werden. Doch obwohl der Mobilmachungsplan für das Heimatsanitätswesen diese Aufgaben akkurat auflistete, zeigte sich bald, dass er damit nur ansatzweise umriss, was tatsächlich an notwendigen Umbaumaßnahmen auf die Heimatbehörden und Freiwillige Krankenpflege zukam. Hier lag ein deutlicher Unterschied zum Feldsanitätswesen: Während die ersten Mobilmachungsschritte für Frontlazarette und Verbandsplätze durch die Kriegs-Sanitätsordnung relativ klar geregelt waren und auch von Ärzten in Fachzeitschriften dem Publikum immer wieder leidenschaftlich erläutert wurden,157 waren die Vorgaben für das 153 Vgl. zur Mobilmachung allgemein Thoß; Rahne. 154 Vgl. etwa die Mobilmachungs-Anweisung für das Vereinslazarett im Konitzkystift, Bad Nauheim, 08.08.1914, in: StadtABadNau A II 271; entsprechende Anweisungen für Freiburg, in: StadtAFrei C3 775/4. 155 Vgl. K. S. O., § 308. Ein Ausnahme von dieser Regel bildeten Festungslazarette. Sie wurden nicht zu Reservelazaretten umgewandelt, sondern behielten die Bezeichnung Festungslazarett, vgl. K. S. O., § 325; Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 167. 156 Vgl. K. S. O., § 308; für das Lokalbeispiel Mainz vgl. Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, in: ISG Frankfurt S5/91. 157 Vgl. dazu etwa Schwab, der fast ausschließlich das Feldsanitätswesen beschreibt; ähnlich der Informations-Artikel unter der Rubrik »Kleine Mitteilungen«: S., Das deutsche Feldsanitätswesen.

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Heimatgebiet eher allgemein gehalten. Hierzu finden sich auch kaum militärmedizinische Aufsätze. Die Leerstelle war so eklatant, dass sie bereits Zeitgenossen auffiel.158 Es ist zu vermuten, dass es vor Kriegsbeginn weniger erklärungsbedürftig oder spektakulär erschien, wie man mit Kriegsversehrten zu Hause umzugehen hatte, da ja auch im Frieden Garnisonlazarette betrieben wurden. Im Krieg, so führte etwa Generalarzt Schaper auf der bereits zitierten Konferenz von 1901 aus, sei auch das Heimatsanitätswesen nach diesen bekannten und bewährten Grundsätzen strukturiert. Es bedürfe daher »keiner weiteren Angaben«.159 Generalarzt Werner, der auf derselben Konferenz lange über die Unterbringung von Patienten im Feld und in der Etappe gesprochen hatte, widmete dem Heimatsanitätswesen ebenfalls nur wenige Sätze. Ein »wohlgeregeltes Krankenzerstreuungssystem«, so erklärte er, führe die Verwundeten bequem in die Heimat, wo ihnen »schon von den ersten Tagen nach der Mobilmachung an auf Grund planmässiger Friedensvorbereitung in sorgfältig ausgewählten Gebäuden und in neu erbauten Kriegsbaracken Stätten der Behandlung bereit gestellt«160 seien. Doch Werners Visionen eines »wohlgeregelten« Heimatsanitätsdienstes entsprangen eher einer idealen Wunschvorstellung als den tatsächlichen Gegebenheiten als der Krieg begann. Fast alles kam anders als von den Planern erhofft. Die Lazarette wurden im August und September 1914 von der Wucht der Ereignisse regelrecht überrollt, sowohl im Feld als auch in der Heimat.161 An der Front gab es gerade in den ersten drei Kriegsmonaten besonders hohe Verluste. Im Bewegungskrieg der Anfangszeit zeigte sich schnell, welch enorme Verletzungs- und Vernichtungskraft die modernen Waffensysteme besaßen.162 Der September 1914 war in absoluten Zahlen sogar der verlustreichste Monat des gesamten Krieges, der mehr Opfer kostete als die bekannten »Materialschlachten«163 bei Verdun und an der Somme 1916.164 Dabei kam es nicht nur zu einem Massensterben, sondern es erlitten auch zehntausende Männer schwerste Verletzungen und Erkrankungen. Mit diesem Ausmaß an Kriegsbeschädigungen hatte das deutsche Militärsanitätswesen nicht gerechnet.165 Der württembergische Generaloberarzt Hermann Koetzle berichtete rückblickend, die neue Kriegsform habe für die Medizin wie ein böses Erwachen gewirkt:

158 Vgl. etwa das Vorwort des Sammelbands von Adam, Die Behandlung, Bd. 1. 159 Schaper, S. 299; vgl. auch Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 39. 160 Werner, S. 283; ähnlich kurz bereits Schjerning, Organisation, S. 246. 161 Vgl. dazu bisher knapp Ruff, Gesichter, S. 35 f.; Osten, Militärmedizin. 162 Erst der Übergang zum Stellungskrieg nach der Marne-Schlacht reduzierte die Verlustzahlen wieder etwas, vgl. Ziemann, Gewalt, S. 25–27; 45–46; Leonhard, S. 146–183; Epkenhans, Der Erste, S. 50–57; Overmans. 163 Vgl. dazu aktuell Stachelbeck; außerdem Münch. 164 Vgl. Whalen, S. 40 f.; Ziemann, Gewalt, S. 25–27. 165 Vgl. etwa Janssen, Kriegschirurgisches, S. 1509; Lange, F., S. 11 f.; Kolmsee, S. 157–161.

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»Die ersten großen Schlachten des Weltkriegs, welche neben schweren eigenen Verlusten einen ungeahnten Zustrom verwundeter Franzosen brachten, stellte das Sanitätswesen vor ungeheure, vielfach gänzlich neue Aufgaben. […] Vieles mußte überhaupt erst geschaffen und gestaltet werden aus den mit überwältigender Wucht gleich in den ersten Schlachten auf die Ärzte einstürmenden Eindrücken und Erlebnissen.«166

Die extremen Fehlkalkulationen im Sanitätswesen dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Sie entsprachen den ebenfalls inadäquaten militärischen Planungen für alle anderen Bereiche des Heeres. Auch hier hatten sich die Verantwortlichen dramatisch verschätzt.167 An der Front widerlegte der Realitätstest des Krieges bald alle konservativen Vorstellungen vom Vorteil der Offensive über die Defensive, so dass die horrenden Verluste alle Kriegsparteien zu strategischen Neuanpassungen zwangen.168 Dies bedeutete – abgesehen von gelegentlichen Vorstößen und Versuchen, den Bewegungskrieg wiederzubeleben – vor allem den Übergang aller Armeen zum defensiven Stellungskrieg und zum Bau von Schützengräben.169 Dass auch die deutschen Heeresführer zunächst davon überrascht wurden, wie fatal die ersten Offensiven verliefen, schlug sich unmittelbar in der Überforderung des Lazarettwesens nieder, da der Zustrom an Verwundeten von der Kriegführung des Heeres abhing. Schon nach den ersten Kampftagen waren die Feldlazarette überfüllt.170 Zahlreiche Verletzte mussten verfrüht in die Heimat transportiert werden. Da viele deutsche Städte auf diesen Patienten-Ansturm nicht gefasst waren, wurden nach den Feldhospitälern die Heimatlazarette von der schieren Masse an Versehrten überwältigt.171 Die tatsächlichen Zahlen sprengten auch hier alle Vorstellungen, die sich die Planer zu Friedenszeiten gemacht hatten.172 So kam es in den ersten chaotischen Kriegsmonaten im Heimatlazarettwesen zu Fehlentscheidungen und Regulationslücken, die ernste Probleme bei der medizinischen Versorgung nach sich zogen. Linienkommandanturen, Krankentransportabteilungen, Stellvertretende Intendanturen, Stellvertretende Generalkommandos, Sanitätsämter, Chefärzte, die Medizinal-Abteilungen der Kriegsministerien und städtische Behörden waren alle in den komplizierten Prozess 166 Koetzle, S. 20; Schultzen, Kriegsärztliches, S. 126; Payr u. Franz, S. 27 f. 167 Vgl. zu den militärischen Planungen der verschiedenen Kriegsparteien die Aufsatzsammlung von Hamilton; zum Schlieffenplan Ehlert u. a.; zur deutschen Aufrüstung Stein. 168 Vgl. zur Marne-Schlacht in operationsgeschichtlicher Perspektive Herwig. 169 Vgl. Leonhard, S. 149; Epkenhans, Der Erste, S. 50 f.; 83–86. 170 Vgl. Klaussner, S. 2359. 171 Vgl. Stv. Generalkommando Gardekorps an das Stv. Generalkommando I. AK., 05.12.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739; Prof. Stursberg, fachärztl. Beirat beim Stv. VIII. AK., Bemerkungen zu den anliegenden Akten, 16.01.58, in: BA-MA PH 7/6. 172 Vgl. Schultzen, Kriegsärztliches, S. 126; Riedinger, S. 133, Anmerkung 1. Für die freiwillige Krankenpflege: Bayerischer Frauen-Verein vom Roten Kreuz, Bericht über die Tätigkeit während des ersten Kriegsjahres 2. August 1914 bis 31. Juli 1915, ca. 1915, in: BayHStA MKr/10627.

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des Transports, der Verteilung und der Versorgung hunderttausender Patienten involviert. Welche von diesen Stellen für welche Aufgabe jeweils zuständig war, und vor allem, wo die eigenen Kompetenzen endeten, war nicht allen Akteuren von Anfang an klar. Für viele von ihnen waren die Befehlsstrukturen und administrativen Abläufe des Sanitätswesens ungewohnt, zumal sie sich im Spätsommer 1914 unter hohem Zeitdruck in ihre neuen Aufgaben einarbeiten mussten.173 Immer wieder kam es zwischen den Ämtern zu Kompetenzkonflikten und Schuldzuweisungen.174 Von einer »klar und streng geregelt[en]«175 Organisation, wie von Schjerning sie einst gefordert hatte, konnte vielerorts keine Rede sein. Vielmehr lässt sich von einem schrittweisen Lernprozess im Heimatsanitätswesen sprechen. Insgesamt gab es drei Hauptaspekte, die insbesondere in den ersten Kriegsmonaten in den Heimatlazaretten Schwierigkeiten bereiteten: Erstens bestand ein Missverhältnis zwischen der Masse an neueintreffenden Patienten und den verfügbaren Unterbringungsmöglichkeiten. Dies lag nicht nur an den militärischen Fehlkalkulationen vor Kriegsbeginn, sondern auch daran, dass manche der vorgesehenen Vereinslazarette nicht die hygienischen Standards des Militärs erfüllten.176 Aus diesen Gründen gab es viele Lazarettbetten zwar auf dem Papier, faktisch waren sie aber nicht verfügbar. Zweitens war es für die Behördenvertreter mühsam, den Überblick über alle Lazarette in ihrem Verantwortungsbereich zu behalten. Während die ihnen direkt unterstellten Reservelazarette noch recht gut zu überschauen waren, galt dies weniger für die zusätzlichen zivil betriebenen Lazaretteinrichtungen. Wie viele Vereinslazarette, Privatpflegestätten und Genesungsheime es gerade gab und welche Art von Patienten dort lagen, konnten sie nicht jederzeit sicher sagen.177 Dieser fehlende Überblick führte, drittens, bei einigen Lazaretten in den ersten Monaten zu Engpässen in der Ausstattung mit Medikamenten, Geräten und Krankenhausmobiliar. Teil173 Vgl. etwa Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, in: ISG Frankfurt S5/91; Freiherr von Malsen, Bericht »Erfahrung über Mobilmachung«, 07.11.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./111. 174 Vgl. etwa den Streit zwischen Stv. Intendantur II. AK, Linienkommandantur P und Bay. Kriegsministerium über die Patientenverteilung, in: BayHStA MKr/10516; zu Zuständigkeitskonflikten in Freiburg vgl. Geinitz, S. 292. Derartige Koordinationsschwierigkeiten waren kein spezifisches Problem des Sanitätswesens, sondern trafen ebenso für viele andere Verwaltungsbereiche zu, etwa für die Nahrungsmittelrationierung, vgl. Kramer, Blockade; Leonhard, S. 518–520; Roehrkohl; außerdem für die Zensur, vgl. Cornelißen; Deist, Zensur. 175 Schjerning, Organisation, S. 230. 176 Vgl. zu diesem Problem Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 5–7; ähnlich Bayerischer Frauen-Verein vom Roten Kreuz, Bericht über die Tätigkeit während des ersten Kriegsjahres 2. August 1914 bis 31. Juli 1915, ca. 1915, S. 6, in: BayHStA MKr/10627. 177 Vgl. dazu etwa Sanitätsamt I. AK. an die Allgemeine Krankenhaus-Einrichtungs-Gesellschaft m.b.H. Berlin Nr. 24, 16.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./590; Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 20.09.1914, in: BayHStA MKr/10614; Bezirkskommando Kempten an das Stv. Generalkommando I. AK., 20.11.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739.

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weise gab es dort auch zu wenig oder zu unerfahrenes Ärzte- und Pflegepersonal für die Menge und Art der Patienten.178 Welche Probleme folgten daraus für die Verwundeten und Kranken? Dies lässt sich an einem repräsentativen Beispiel aus Baden gut veranschaulichen. Das badische Sanitätsamt XIV. Armeekorps hatte sich zum Ziel gesetzt, seine neuen Heimatlazarette früh auf Mängel hin zu überprüfen, um zur Not rasch eingreifen zu können. Schon im September 1914 beauftragte das Sanitätsamt den Heidelberger Psychiater und Stabsarzt Karl Wilmanns, sämtliche Militärheilanstalten Badens zu besichtigen. Wilmanns sollte Probleme aufdecken und Vorschläge machen, wie sich diese beheben ließen. Nach eigenem Bekunden stellte sich der Stabsarzt dieser Aufgabe »mit Freude und Eifer«,179 musste aber bei den nun folgenden Lazarettinspektionen Erschreckendes feststellen. Zwar fand er die Verhältnisse in den fachärztlich geführten Heileinrichtungen der großen Städte und Universitätskliniken wie erwartet »befriedigend.«180 Doch insgesamt, so Wilmanns, wiesen die badischen Militärheilanstalten gravierende Mängel auf: Soldaten mit schweren Leiden, insbesondere Tuberkulöse, Rheumatiker und Ischias-Patienten, würden in »improvisierten, der erforderlichen Einrichtungen baren Lazaretten, z. T. in überfüllten und hygienisch nicht einwandfreien Spitälern verpflegt, bisweilen in Räumlichkeiten, die den Kranken gleichzeitig als Schlaf-, Tages-, Eß- und Rauchraum dienen.«181 Schwerverwundete seien vielfach zu spät, nicht sachgemäß und ohne orthopädische Methoden behandelt worden. Dadurch könnten diese Patienten ihre Gelenke oft nur noch eingeschränkt gebrauchen und seien in ihrer Bewegungsmöglichkeiten langfristig behindert, was bei richtiger Behandlung hätte vermieden werden können.182 Nach Wilmanns’ Meinung waren diese Fehler kaum erstaunlich. Zuständig für die sachgemäße Verteilung neuer Patienten auf die »sehr verschiedenwertigen«183 Reserve- und Vereinslazarette seien die Chefärzte. Doch diese hätten in den Wirren der Anfangswochen keinerlei Überblick darüber gewonnen, wie die ihnen unterstellten Hospitäler technisch ausgestattet seien und welche Ärzte dort arbeiteten: 178 Vgl. etwa für Trier Zenz, S. 310. 179 Karl Wilmanns an die Medizinische Fakultät Heidelberg, 23.02.1915, in: UniAHeid ­H-III-600/1. Der Original-Bericht Wilmanns’ existiert offenbar nicht mehr. In der entsprechenden Akte im Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAKa 456 F 113 Nr. 88) ist zwar vermerkt, dass Wilmanns zu einer Inspektionsreise beauftragt worden sei, der Bericht selbst fehlt jedoch. Er lässt sich allerdings aus zwei anderen Quellen gut rekonstruieren: Erstens erstellte das Sanitätsamt auf direkter Grundlage des Wilmanns-Berichts am 01.02.1915 eine Verfügung. Zweitens bezog sich Wilmanns in einem Artikel von 1932 immer wieder auf seinen Inspektionsbericht von 1915, vgl. Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 1. Aus diesen beiden Quellen wird im Folgenden zitiert. 180 Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 6. 181 Verfügung des Sanitätsamts XIV. AK., 01.02.1915, in: UniAHeid H-III-600/1. 182 Zu spät erfolgte orthopädische Behandlungen beklagen ebenso Bier, S. 8; Sanitätsamt XIII. AK., 08.02.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 62; Schultzen, Kriegsärztliches, S. 128. 183 Zitate im Folgenden aus: Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 6 f.

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»Den meisten Chefärzten waren […] ihre ärztlichen Hilfskräfte völlig fremd, und manche hatten auch die enge Fühlung mit den Fortschritten der medizinischen Wissenschaft verloren. […] Gewiß, Schwerverwundete und Schwerkranke wurden, soweit möglich, den Kliniken und Krankenanstalten überwiesen; im großen und ganzen aber blieb es dem Zufall überlassen, in welches Lazarett und in wessen ärztliche Obhut der Kriegsverletzte geriet.«

Diese willkürliche Krankenverteilung führte laut Wilmanns immer wieder zu medizinischen Notsituationen. Einmal, im Dezember 1914, habe seine Besichtigungskommission in einem Lazarett in einer Dorfschule mehrere Schwerverwundete entdeckt, die seit ihrem Kampfeinsatz im August die französischen Infanteriegeschosse im Körper getragen und teilweise an hohem septischen Fieber gelitten hätten. Niemand habe sich fachgerecht um sie gekümmert. In anderen Hospitälern hätten die Patienten »bunt durcheinander« gelegen, »schwere neben leichten Verwundeten, mittlerweile Geheilte und Genesene unter offenen Tuberkulösen.« Verantwortlich für diese chaotischen Zustände seien aber nicht alleine die Chefärzte. Auch die zuständige Linienkommandantur184 habe unter dem Druck der hohen Verwundetenzahlen teilweise ziellos die Lazarette belegt, »ohne Rücksicht auf ihre Eigenart und die Leistungsfähigkeit der an ihnen tätigen Ärzte«.185 Insgesamt liefen alle Kritikpunkte Wilmanns auf eine mangelhafte Professionalität und Organisationsfähigkeit des Sanitätswesens hinaus, für die er Mediziner wie auch Verwaltungsbehörden gleichermaßen in die Schuld nahm. Doch es kann vermutet werden, dass es noch mehr Gründe dafür gab, warum Ärzte oder Beamte die Verfügungen der Behörden nicht umsetzten und manche Missstände noch lange nur schwer abzustellen waren.186 Der in den 1930er Jahren veröffentlichte »Sanitätsbericht über das Deutsche Heer« legte sich rückblickend auf die Erklärung fest, dass die so häufig monierten Probleme bei der Krankenverteilung auf die Tatsache zurückzuführen seien, dass in der Anfangszeit des Krieges die entscheidenden Stellen nicht über die notwendigen Informationen verfügten. Einerseits hätten die Linienkommandanturen nur die Anzahl der Verwundeten und Kranken erfahren, aber nicht deren genaues Leiden, und andererseits die Krankentransportabteilungen ebenfalls nur die Anzahl der

184 Linienkommandanturen waren Militär-Eisenbahnbehörden, die für die Regelung von Militärtransporten im Krieg und Frieden zuständig waren; vgl. zu den Liniengebieten bei Kriegsbeginn Reichsarchiv, insbes. S. 7 f. 185 Verfügung des Sanitätsamts, XIV. AK., 01.02.1915, in: UniAHeid H-III-600/1; ähnliche Kritik auch in Bayern: Stv. Korpsarzt II. AK an das Bay. Kriegsministerium, 09.11.1915, in: BayHStA MKr/10518. 186 Vgl. Beobachtungsstation, Reservelazarett Lehrerseminar, an das Sanitätsamt XIV. AK., 06.06.1915 sowie Fachärztl. Beirat Stareth an das Sanitätsamt XIV. AK., 07.07.1915, beide in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtags­sachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 124.

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freien Betten in Reservelazaretten mitgeteilt bekommen, aber nichts über deren Spezialisierung und Ausstattung gewusst. Dies habe zu der als willkürlich kritisierten Krankenverteilung geführt. Erst mit wachsender Kriegserfahrung hätten die Verwaltungsbehörden ein effektiveres Melde- und Belegungssystem entwickelt.187 Viele Quellen vermitteln zudem den Eindruck, dass die neuen Hierarchieverhältnisse und das ungewohnte militärärztliche Regime zwischen Lazarettmedizinern, Sanitätsbehörden und anderen Zwischenakteuren zunächst ausgehandelt und eingeübt werden mussten.188 Die vielfach berichteten Widerstände, behördliche Anordnungen sofort umzusetzen, mögen die Befürchtung mancher Mediziner gespiegelt haben, in ihrer ärztlichen Autonomie eingeschränkt zu werden. Der Kriegsbeginn stellte dabei eine Transitionsphase dar, in der sich die »Militarisierung der Medizin«189 zwar zunehmend durchsetzte, allerdings auch immer wieder an praktische und kulturelle Grenzen stieß. Die Planer reagierten bald auf diese unerwarteten Schwierigkeiten. Sie ergriffen Gegenmaßnahmen auf mehreren Ebenen, wobei ihnen das Problem der zu geringen Bettenkapazitäten offenbar als das dringlichste erschien. Hier hatten sie sich vor dem Krieg besonders deutlich verkalkuliert. Nun vergrößerten sie das Lazarettsystem erheblich. Der Mobilmachungsplan hatte vorgegeben, in den ersten zehn Mobilmachungstagen zunächst 59.984 Lazarettbetten im Heimatgebiet bereitzustellen und sie im Verlauf des ersten Kriegsmonats auf eine Gesamtkapazität von 289.092 aufzustocken. Diese Zielvorgabe wurde im September 1914 laut Sanitätsbericht planmäßig erfüllt.190 Da sie aber bei Weitem nicht ausreichte, musste die Militärverwaltung weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Patienten erschließen.191 Teilweise war es dazu notwendig, zusätzliche Lazarette zu eröffnen, so dass auch ihre Zahl im Heimatgebiet rasch anstieg. In den bereits bestehenden Lazaretten wurden noch mehr Krankenlager aufgestellt, um den vorhandenen Platz vollständig auszunutzen.192 Nun lagen die Patienten teilweise sehr dicht beieinander. Dies war besonders in hallenartigen Lazarettgebäuden der Fall, wo die Krankenbetten in mehreren Reihen direkt neben­ einander aufgestellt oder höchstens durch schmale Nachttische voneinander getrennt waren. An Privatsphäre war für die Soldaten in einer solchen Umgebung 187 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 168; außerdem konkret die Erlasse des Preuß. Kriegsministeriums, Medizinal-Abteilung, 15.12.1915 sowie des Sanitätsamts XIII. AK., 04.04.1916, beide in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 88; 94. 188 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, in: BA-MA PHD 6/197; auch Schjerning, Die Tätigkeit, S. 2. 189 Vgl. Harrison, The Medicalization of War. 190 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 184. 191 Vgl. exemplarisch die Anordnungen des Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK. u. a., 09.09.1914, in: Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 192 Vgl. etwa die Nachtrags-Verträge für Bettenaufstockungen in Freiburg, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 343.

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nicht zu denken.193 Doch die Aufstockungsmaßnahmen machten es möglich, die Bettenkapazität im Heimatgebiet bis Ende 1916 um mehr als das Doppelte gegenüber den Vorkriegsplanungen zu erhöhen.194 In konkreten Zahlen sah die Vergrößerung des Lazarettsystems wie folgt aus: Während es Mitte September 1914 im Heimatgebiet 295.695 Betten gab, wurde diese Zahl bis zum Dezember auf 532.849 ausgeweitet. Erst jetzt konnten die Lazarette die neueintreffenden Patienten angemessen unterbringen. Der Höchstwert war im darauffolgenden Dezember 1915 mit 635.940 Betten erreicht und blieb danach bis Kriegsende konstant hoch (durchschnittlich 590.000 Betten).195 Laut Sanitätsbericht waren von diesen Betten meist drei Viertel von Patienten belegt. Der Rest wurde nach Möglichkeit freigehalten, um bei neuen Verwundetentransporten einen Handlungsspielraum zu haben. Wie gelang es den Verantwortlichen, in kürzester Zeit solche zusätzlichen, nicht geplanten Militärkrankenhäuser bereitzustellen? Ein anschauliches Beispiel stellt die Neueinrichtung des Reservelazaretts Ingolstadt II dar. Hier entwickelte sich nach monatelangen Um- und Aufbauarbeiten aus einer Werkstatt­halle ein Lazarettkomplex. Er bot Platz für bis zu 2455 Soldaten. Ingolstadt II. kann einerseits als repräsentatives Beispiel für die räumlich-soziale Konstruktion der Heimatlazarette gelten, weil sich an ihm der Improvisations- und Übergangscharakter dieser Einrichtungen gut nachvollziehen lässt. Andererseits handelte es sich dabei um einen Sonderfall, denn Ingolstadt II war für ein Lazarett ungewöhnlich groß. Möglicherweise deshalb stellt es eines der wenigen Hospitäler dar, für das sich Quellen aus der Sicht unterschiedlicher Akteure finden lassen – unter anderem eines Patienten, eines Verwalters, des Chefarztes und des Sanitätsamts. So wird erkennbar, wie verschieden sie das Krankenhaus beschrieben, bewerteten und nutzten. 1.2.3 Eine Werkstatthalle zur Menschenreparatur: Das Reservelazarett Ingolstadt II Am 16. Februar 1915 ging in der Medizinal-Abteilung des Bayerischen Kriegsministeriums ein neuer Lazarett-Inspektionsbericht ein. Sein Verfasser, der Münchener Anatom Dr. Ludwig Neumayer, dem das Kriegsministerium zehn 193 Vgl. zur fehlenden Privatsphäre Goltz, S. 35. 194 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 184. 195 Vgl. ebd. Lokale Zahlenbeispiele finden sich etwa für Frankfurt a. M. bei Gustav Kulicke, Betrachtungen über unser Heeres-Sanitätswesen mit Rückschluß über die Verluste des Kriegsheeres im Weltkrieg 1914/1918, 1957, insbes. S. 87, 92, 109, 157, 204, in: ISG Frankfurt S6a/46; für Freiburg Aufstockungs-Verträge in: GLAKa 456 F 113 Nr. 343; vgl. dazu auch Geinitz, S. 284 f.; für Württemberg: Stv. Generalkommando XIII. AK., Denkschrift über die Erfahrungen bei der Mobilmachung im Jahre 1914 und während des Krieges, Juni 1918, in: HStAS M 77/2 Bd. 41; Nutzungsvertrag mit dem Münchener Hauptzollamt, in: BayHStA MKr/10516.

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Tage zuvor eine entsprechende Inspektionsreise aufgetragen hatte, beschrieb darin die hygienischen Verhältnisse, die er im Reservelazarett Ingolstadt II vorgefunden hatte. Das Hospital, so beginnt der Bericht, sei in einem großen Fabrikgebäude mit mehreren zusammenhängenden hohen Hallen untergebracht. Dieser Bau sei ursprünglich als Reparaturwerkstätte der Eisenbahnverwaltung vorgesehen gewesen, werde aber inzwischen als Lazarett genutzt. Besonders fielen die ungewöhnlichen Lichtverhältnisse ins Auge. Ein durch alle Hallen gehendes Ober- und Seitenlicht verleihe dem aus Glas, Eisen und Beton gebauten Fabrikgebäude eine einzigartige Atmosphäre: »Um mit dem Eindruck zu beginnen, welchen der Besucher beim Eintritt durch den Haupteingang empfängt, so ist derselbe im höchsten Grade überraschend. Eine Flut von Licht, dessen Fülle und Stärke jedoch in keiner Weise unangenehm das Auge – auch bei mehrstündigem Aufenthalte – trifft, ruft den Eindruck hervor, als ob man ein Ausstellungsgebäude betreten würde. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch den den Krankenräumen vorgelagerten Konversationsraum, einen für die Unterhaltung und Zerstreuung der Kranken bestimmten, von den übrigen Abteilungen durch nicht bis zur Decke durchgehende Wände abgetrennten Raum, der mit Podium, Liegestühlen etc. ausgestattet ist. Schon beim Eintritt in das Gebäude und in allen seinen Einzelräumen fällt vor allem auch die vorzügliche Luft auf, die nicht die Spur des sonst den Krankensälen so charakteristischen Geruches nach Medikamenten, Speisen und anderen empfinden lässt […].«196

Im Folgenden monierte der Inspektor zwar noch einige Details, doch sein abschließendes Urteil war euphorisch: Die gesamte Einrichtung sei geradezu eine »Musteranstalt der bayerischen Sanitätsmassnahmen«. Das Lob des Lazarettinspektors war nicht selbstverständlich. Seinem positiven Urteil war eine monatelange Phase von Improvisationen und Befehlsmaßnahmen vorausgegangen, an dessen Beginn keineswegs abzusehen war, dass das Eisenbahn-Ausbesserungswerk zu einem bayerischen Musterlazarett avancieren würde. Der Entstehungsprozess von Ingolstadt II hatte im August 1914 begonnen, unmittelbar nach der deutschen Mobilmachung. Das Bayerische Kriegsministerium hatte Ingolstadt im Mobilmachungsplan als regulären Lazarettstandort mit einem Reservehospital vorgesehen.197 Doch nach wenigen Kriegswochen wurde auch hier, wie in fast allen deutschen Städten, klar, dass die militärmedizinischen Planungen der blutigen Kriegsrealität nicht gerecht wurden. Wo sollte man die unzähligen Verwundeten unterbringen und versorgen? In ihrer Not entschieden die Verantwortlichen, die »Neue Hauptwerkstätte« der Königlichen Eisenbahnverwaltung zu einem weiteren Reservelazarett umzugestalten. Dieser 122 m lange Hallenkomplex, direkt neben dem Hauptbahnhof, war von der Bahn

196 L. Neumayer, Militärärztliche Akademie, an das Bayerische Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 16.02.1915, in: BayHStA MKr/10517. 197 Vgl. dazu allgemein Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 167.

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Abb. 1: Leichtverwundetenabteilung im Reservelazarett Ingolstadt II

gerade erst baulich fertiggestellt, aber noch nicht eingerichtet worden. Das Gebäude erschien für eine Zwischennutzung logistisch gut geeignet: Vom Bahnhof aus führten Gleise direkt in das künftige Lazarett hinein, so dass Verwundete aus Lazarettzügen unmittelbar ins Krankenhaus gefahren werden konnten.198 Zudem waren die Hallen so groß, dass eine Belegung mit rund 2000 Patienten hier denkbar war. Es schien also klar: Das Eisenbahn-Ausbesserungswerk würde nicht wie geplant für die Instandsetzung defekter Züge zum Einsatz kommen, sondern für eine dringendere gesellschaftliche Reparatur-Aufgabe: die Wiederherstellung verletzter Frontkämpfer. Der leitende Lazarettverwaltungsbeamte Hennis beschreibt in seinen Erinnerungen, wie sich die Ereignisse in Ingolstadt bald überschlugen. Nachdem die städtischen Zuständigen dem Kriegsministerium offiziell mitgeteilt hatten, dass vor Ort die Möglichkeit bestehe, ein großes Behelfslazarett einzurichten, worauf sie in Ruhe mit der Planung beginnen wollten, erhielt das noch nicht einmal bestehende Krankenhaus sofort den ersten Transport Leichtverwundete zugeteilt. Die Überraschung sei da »natürlich groß« gewesen: »Der Fehler war im Kriegsministerium gemacht worden, wo man die Meldung aus Ingolstadt anscheinend falsch verstanden hatte, aber wir in Ingolstadt hatten uns damit abzufinden, wir mußten das Lazarett sozusagen aus dem Boden stampfen. 198 Vgl. Chefarzt des Reservelazaretts Ingolstadt II an Maximilian Nies, Sektions-Vorsteher im Bay. Kriegsministerium, 20.01.1915, in: BayHStA MKr/10518; solche direkten Gleis-Zufahrten existierten auch in kleineren Lazaretten, vgl. etwa Henkel.

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Unter den Verwaltungsbeamten der Reserve, welche nach Abteilung Betriebswerkstätte abgestellt wurden, befand auch ich mich, und liebend gerne überließ man mir die ›Regie‹.«199

In diesen Vorgängen lassen sich erneut die Kommunikationsmängel bei Kriegsbeginn sowie die mangelnde Erfahrung aller Beteiligten erkennen. Für Hennis etwa stellte es eine völlig unbekannte Aufgabe dar, ein großes Militärkrankenhaus innerhalb weniger Tage in Betrieb zu nehmen – und noch dazu in einer leitenden Position. Angesichts der neuartigen Kriegslage standen aber letztlich alle Verantwortlichen vor einer großen administrativen Herausforderung.200 Dies zeigt das Beispiel Ingolstadt II sehr gut. In den ersten Wochen und Monaten fehlten im neuen Reservelazarett nicht nur Krankenbetten, Möbel und medizinische Ausstattung, sondern auch weitere grundlegende Dinge des alltäglichen Lebens. Der vermeintliche Vorzug des Gebäudes der »Neuen Hauptwerkstätte«, dass es von Zuggleisen durchzogen war, stellte sich nun als ihr Nachteil heraus: Es gab keinen Fußboden. Auch dieser musste in wochenlanger Arbeit erst hergestellt werden, während schon Verwundete von der Front eintrafen. So war Ingolstadt II in dieser Zeit ein Übergangsraum im Übergangszustand. Hennis erinnerte sich noch Jahrzehnte später an den provisorischen Charakter des Reservelazaretts: »Als ich das erste Mal zur Betriebswerkstätte kam, waren gerade die Zimmerleute dabei die Schienen mit den Vertiefungen rechts und links der Fahrbühne mit Bretterbohlen auszulegen, um Fußboden zu schaffen. Vor dem Hause standen zwei Waggons mit Stroh. Ich ließ sofort Strohlager in Reihen rechts und links der Rinne für die Fahrbühne herrichten. […] Wir waren mit den Strohlagern noch nicht fertig und auch die Zimmerleute waren noch mit dem Legen von Bohlen beschäftigt, da traf auch schon der erste Zug mit einer nicht geringen Zahl von Leichtverwundeten ein, welcher vergeblich schon verschiedene Städte besucht hatte, um die Verwundeten unterzubringen, und der dann nach hier gewiesen wurde. Der Chefarzt entschloß sich die Verwundeten, trotz der so primitiven Verhältnisse bei uns, da zu behalten, damit sie endlich ein Dach über dem Kopf hatten, sich hinlegen und ärztliche Betreuung bekommen konnten. Um diese Verwundeten herum bauten wir am Lazarett weiter.«201

Wie erlebten die Patienten im Reservelazarett Ingolstadt II diese Situation? Einer der ersten Verwundeten vor Ort war der Soldat Wilhelm Heider. Der 24-jährige Artillerist war an der Westfront in einem Beobachtungswagen eingesetzt gewesen, bevor eine Verletzung seinen Kriegsdienst bereits am 25. August 1914 abrupt beendete. Die Granatsplitter hatten seinen linken Unterarm und seine

199 H. Hennis, Bericht über das Reservelazarett Ingolstadt II, 1952, in: StadtAIngol A XXII/233. 200 Vgl. dazu auch Georg Becker, Tagebucheinträge vom 05.08.–24.08.1914, in: Exner u. Kapfer, S. 24–76. 201 H. Hennis, Bericht über das Reservelazarett Ingolstadt II, 1952, in: StadtAIngol A XXII/233.

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linke Hand durchschlagen.202 Nun begann für Heider eine lange, gefährliche Reisezeit, wie sie für viele Verwundete typisch war. Nachdem er sich selbst unter großen Schmerzen aus der Schusszone in Sicherheit gebracht hatte, verschlug es ihn zunächst in ein Kriegslazarett in Lunéville. Allerdings fühlte er sich dort kaum sicherer als an der Front, da das Krankenhaus ständig beschossen wurde. Nach einigen Tagen gelang es ihm, einen Platz in einem Zug nach Bayern zu finden. Dieser brachte ihn schließlich mit weiteren Kameraden in das neu eröffnete Reservelazarett Ingolstadt II. Doch was er hier vorfand, war nicht das ruhige, moderne Sanatorium, mit dem er gerechnet hatte, sondern ähnelte mehr dem gerade erst verlassenen Militärkrankenhaus in Lunéville. »[W]irklich ein ›Kriegslazarett‹« sei es, notierte er in seinem Tagebuch, »alles nur notdürftig, feldmäßig eingerichtet.«203 Auch die Franzosen, gegen die er wenige Tage zuvor noch gekämpft hatte, waren wieder da: »Gleich vom Eingangweg [sic] lagen schon ganze Reihen verwundeter Franzosen, weiter hinten die Deutschen; alles, Freund, Feind, Offizier und Mann, lag auf Stroh gebettet, alle hatten das gleiche Lager. Auf der jetzigen St[ation] 8 lagen 43 französische Offiziere, darunter ein General und ein Major, die 2 letztgenannten wurden aber noch am selben Tag ins Hauptlazarett überführt. Da ich auf der Bahnfahrt, trotz der Mattigkeit, wegen großer Schmerzen ganz wenig schlafen konnte, tat mir das schon bereit gerichtete Strohlager sehr gut. […] Nachmittags von 3–4 Uhr bekamen wir Mittagessen; da noch nicht genügend Geschirr da war, wurde [sic], nachdem ein Teil gegessen hatte, die Kasserolen (von französischen Verwundeten so genannt) eingesammelt und an die nächsten verteilt, mit dem Besteck war’s dasselbe.«204

In dieser Beschreibung Heiders zeichnet sich ein egalisierender Effekt der Lazarette ab, der durch die provisorische Situation der Anfangszeit begünstigt wurde. Das Durcheinander des Kriegsbeginns machte ungewöhnliche Lösungen notwendig und führte zu unerwarteten Kooperationen – auch im Kontakt zu Kriegsgefangenen. Kameraden und bisherige »Feinde« lagen in Ingolstadt II unter denselben schlechten Bedingungen dicht nebeneinander, aßen aus denselben Tellern, wurden gleichermaßen medizinisch versorgt und hofften, jeder für sich, auf baldige Genesung. Die mangelnde Ausstattung und ungeregelte Schlafplatzsituation blieben für die Lazarettverwaltung in Ingolstadt noch lange ein Problem. Der Verwaltungsbeamte Hennis beschreibt in seinen Erinnerungen, dass es trotz vieler Bemühungen nicht möglich war, auf Anhieb rund 2000 Betten zu erwerben. Betten waren im Herbst 1914 ausverkauft. In der Not musste der Chefarzt bei einer Zimmereifirma hölzerne Pritschen mit Kopfkeil und Bretterwänden herstellen lassen, die in Kombination mit einem Strohsack zu Bettgestellen wurden. Erneut

202 Vgl. die Erläuterungen des Herausgebers Dieter Storz in: Heider, S. 21. 203 Heider, S. 67. 204 Ebd., S. 70.

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Abb. 2: Deutsche und französ. Patienten (erste Sitzreihe) in Ingolstadt II

kamen dabei die französischen Kriegsgefangenen ins Spiel. Sie hatten die weitere Fertigstellung der Betten zu übernehmen: »Strohsäcke waren genügend vorhanden, und das Stopfen mußten die Franzosen machen, von denen wir eine Anzahl Leichtverwundeter hatten. Ich sprach noch recht geläufig Französisch, so daß ich mir im Handumdrehen ein Arbeitskommando zusammenstellen konnte. Ein ›Sousofficier‹, der im Dienst einen alten Leibriemen zu tragen hatte, als Zeichen seiner Würde und Befehlsgewalt, hatte das Kommando. Es klappte alles tadellos […]. Das Arbeitskommando konnte ich beibehalten bis alle Franzosen aus dem Lazarett in Gefangenenlager kamen.«205

In diesen harmlos klingenden Aussagen beschreibt Hennis einen Fall von Zwangsarbeit durch Kriegsgefangene, wie sie während des Ersten Weltkriegs in fast allen kriegführenden Staaten trotz der Haager Konvention verbreitet war.206 Zugleich stellten derartige Arbeitstätigkeiten aber auch einen weiteren Aspekt dar, bei dem sich die Lazaretterfahrung von kriegsgefangenen und deutschen Insassen ähnelte. Denn die deutschen Soldaten waren seitens der Chefärzte eben-

205 H. Hennis, Bericht über das Reservelazarett Ingolstadt II, 1952, in: StadtAIngol A XXII/233. 206 Vgl. zum Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen im Kaiserreich Hinz, Gefangen, S. 252–315; Oltmer, Unentbehrliche; ders., Arbeitszwang; international vergleichend Jones, Prisoners; allgemein zur Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg Thiel u. Westerhoff.

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falls dazu angehalten, sich an der Ausbesserung und Instandhaltung ihres Lazaretts zu beteiligen. Dies galt als sinnvolle handwerkliche Tagesbeschäftigung. In Ingolstadt ging es im nächsten Schritt des Lazarettaufbaus darum, die riesige Halle der Hauptwerkstätte in verschiedene Abschnitte zu unterteilen, also den Raum zu ordnen. Der Schwerverwundete Wilhelm Heider beobachtete diese langwierigen Arbeitsvorgänge jeden Tag von seinem Strohlager aus und beschrieb sie mit leiser Ironie in seinem Tagebuch: »Viel Arbeit beanspruchten die Massen von Bretterverschalungen, die angelegt werden mußten, um den großen Raum in die verschiedenen Nationen einzuteilen, 10 an der Zahl. Dann die zahlreichen Nebenabteilungen, wie 3 Verbandszimmer, Tageraum, Post, Aufnahme und Feldwebelkanzlei, Röntgenraum, Starrkrampfräume usw. Das war ein Schlagen und Lärmen, von früh 5 Uhr bis abends 7 Uhr, was für Verwundete sehr angenehm war.«207

Mit Einträgen wie diesem dokumentierte Heider die schrittweise Transformation der großen Werkstatthalle zu einem militärischen Krankenhaus, die sich um ihn herum abspielte. Immer deutlicher wurde das Lazarett für ihn als solches erkennbar, als habe es sich aus einer Verkleidung herausgeschält. Endlich, im Oktober 1914, fand es in seinen Augen zu seiner eigentlichen Bestimmung: »Wie man sich von einer Krankheit nur langsam erholt, so erholte sich auch das Lazarett allmählich. Von Tag zu Tag kam mehr Ordnung in dasselbe. Das Wärterpersonal war auch noch nicht eingearbeitet in diesem Geschäfte und mußte sich erst nach und nach einschulen. Im Laufe der Zeit wurde das Stroh hinaus geschafft und verbrannt. An dessen Stelle kamen dann Strohsäcke. Nach und nach wurden Bettstellen herbeigebracht und später Matratzen. Auch die notwendigsten Möbel und Einrichtungsgegenstände wurden aufgebracht. Wenn sie auch nicht nobel, sondern nur einfach waren, aber ihren Dienst versahen sie. Anfangs Oktober wurde für Heizung gesorgt, indem Öfen aufgestellt wurden. Mitte Okt. wurde eine Dampf-Hochdruckheizung in Betrieb gesetzt. So vervollkommte sich das Laz. immer mehr.«208

In Heiders Beschreibung wird das Lazarett, so wie er selbst, zum genesenden Patient. Ihn interessierte, wie sich das neue Hospital »erholte« und schließlich, nach viel Ausbesserungsarbeit (wieder) zu seiner geordneten Form fand. Es lässt sich vermuten, dass Heider die Veränderungen des Lazaretts um ihn herum so genau im Auge behielt, wie er auch seinen eigenen Heilungsverlauf täglich beobachtete. Seinen Genesungsprozess parallelisierte er mit dem Transformationsprozess des Lazaretts. Das neue Hospital scheint im Tagebuch zu einer Projektionsfläche für Heiders eigene Hoffnungen auf Heilung und wiedergefundene physische Ordnung geworden zu sein.209

207 Heider, S. 68. 208 Ebd. 209 Vgl. ähnliche Vorstellungen bei Charlotte Herder, Herder, Eintrag vom 30.08.1914, S. 20.

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Zum Jahresende 1914 hatte sich die Übergangssituation in Ingolstadt II zu einem geordneten Lazarettbetrieb weiterentwickelt. Seit Oktober gab es Waschgelegenheiten und Toiletten, zwei beheizbare Baderäume, eine Kapelle und weitere Einrichtungen, wie etwa eine Poststation.210 Da das Lazarett zu seinen Spitzenzeiten tatsächlich, wie angekündigt, 2000 Verwundete und mehr aufnahm und zahlreiche weitere Menschen dort arbeiteten und teilweise wohnten – darunter Köchinnen, Ärzte, Geistliche, Barmherzige Schwestern,211 Pflegerinnen vom Roten Kreuz, Unteroffiziere und Verwaltungsbeamte – wies es, was die Anzahl der Menschen und die soziale Komplexität betraf, den Charakter einer kleinen Landstadt auf.212 Aus dem Nichts, aus einer eigentlich nicht zum Wohnen vorgesehenen Eisenbahnwerkstätte, war der temporäre Lebensmittelpunkt von rund 3000 Menschen geworden. Das improvisierte Notlager hatte sich erfolgreich institutionalisiert. Ein neuer sozialer Raum war entstanden, in dem für die nächsten Jahre gelebt, gestorben, gelitten, geheilt und gearbeitet werden sollte. 1.2.4 Lazarette überall: Veränderungen des städtischen Raums Zum Jahreswechsel 1914/15 hatten sich, ähnlich wie in Ingolstadt, auch die meisten anderen Heimathospitäler zu funktionierenden, teilweise sogar ausgesprochen modernen Krankenhäusern entwickelt. Viele Zeitgenossen äußerten sich beeindruckt über diese Transformationsprozesse, die sich vor ihren Augen abspielten und den städtischen Raum veränderten.213 Überall auf den Straßen und in den Straßenbahnen sah man nun Verwundete in ihren weiß-blau-gestreiften Lazarettuniformen.214 Wie Sabine Kienitz betont hat, wurde der Anblick ihrer zerstörten Körper bald zur deutlichsten und greifbarsten Manifestation des Schlachtgeschehens in der Heimat.215 Doch auch die Lazarette selbst kündeten davon, dass jetzt Krieg herrschte und militärische Interessen dominierten.216 Die verwandelte städtische Turnhalle war für die Sportler nicht mehr benutzbar, die 210 Vgl. Chefarzt des Reservelazaretts Ingolstadt II an Maximilian Nies, Sektions-Vorsteher im Bay. Kriegsministerium, 20.01.1915, in: BayHStA MKr/10518. 211 Vgl. allgemeiner zur Tätigkeit der Barmherzigen Schwestern im Ersten Weltkrieg Kaup. 212 Mit seinen großen Dimensionen stellte Ingolstadt II einen Spezialfall innerhalb des bayerischen Lazarettsystems dar. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Bettenzahl betrug 1915 in einem Reservelazarett rund 100 Betten, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 167. 213 Vgl. etwa Bier, S. 1; Herder, Einträge vom 10.–30.08.1914, S. 10–22; o.A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tagblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 214 Vgl. zur Krankenkleidung Stv. Intendantur II. AK. an das Kriegsbekleidungsamt II. AK. u. a., 04.07.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 215 Vgl. Kienitz, Beschädigte, insbes. S. 22; vgl. für Freiburg Geinitz, S. 290 f. 216 Vgl. dazu etwa Anna Waldhausen an Max Trimborn, ca. Sept. / Okt. 1914, in: Dreidoppel u. a., S. 67 f.

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Abb. 3: Vereinslazarett III. Schulhaus Mußbach

zum Krankenhaus umgebaute Schule musste ihren Unterricht verlegen oder zusammenstreichen.217 Auf Freiflächen entstanden riesige Baracken-Lazarette.218 Eine Erzieherin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses schilderte, wie schwierig es sich im Spätsommer 1914 gestaltete, Räumlichkeiten für die Einrichtung von Kinderhorten zu finden, die nun ebenfalls dringend benötigt wurden: »Alle Schulen, öffentlichen Gebäude waren sofort für Massenquartiere und Lazarette reserviert worden […]. Einen ganzen Nachmittag liefen wir auf der Suche nach einem Raum herum, um immer wieder die gleiche Antwort zu bekommen: Es ist alles schon für Lazarette angemeldet.«219 Anders als im Frieden hatten jetzt die Raumbedürfnisse von Hospitälern und Kasernen höchste Priorität vor anderen gesellschaftlichen Aufgaben. Die Umwandlung zum Militärkrankenhaus betraf auch Orte der bürgerlichen und akademischen Hochkultur. In Freiburg etwa wurde in der städtischen Konzerthalle ein Massen-Lazarett eingerichtet. Ein Schweizer Regierungsrat, der die Halle zusammen mit einer Reisedelegation besichtigte, resümierte: 217 Vgl. dazu etwa Rechnungsamt an den Freiburger Oberbürgermeister, 16.12.1916, in: StadtAFrei C3 775/4; ähnlich Gemeindevorstand Berlin-Steglitz an das Sanitätsamt Gardekorps, 15.10.1918, in: LABer A Rep. 042–05–03 Nr. 375, fol. 85. 218 Besonders bekannt war etwa das große Barackenlazarett auf dem Tempelhofer Feld in Berlin, vgl. dazu Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 171–173. 219 H. L., In einer süddeutschen Stadt, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 111 (1914), S. 13, in: APFH / Vereinszeitung; ähnlich: Freiburger Stadtrat an das Hochbauamt, 08.10.1914, in: StadtAFrei C3 775/4.

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»Der Eindruck war überwältigend. Der Riesensaal, ringsum mit Galerien versehen, architektonisch prächtig ausgebaut, ist der Ort, wo sich sonst Freiburgs beste Gesellschaft bei festlichen Anlässen zusammenfindet. Welcher Umschwung der Zeiten! Sonst glanzvolle Beleuchtung, feine Toiletten, strahlende Gesichter, Musik und Tanz! Und heute? Im Saal und auf den Galerien Bett an Bett, Hunderte von Opfern des Krieges, matt und müde, manche todeswund. Leises Flüstern geht nur durch den schwach erleuchteten Raum.«220

Ähnlich frappiert zeigte sich eine Studentin über das veränderte Hauptgebäude der Straßburger Universität, in dem sie gerade wie üblich einen Kurs besuchen wollte: »Auf dem Universitätsgebäude weht die weiße Fahne mit dem Roten Kreuz, und auf der Eingangstür steht geschrieben: Festungslazarett XIX. Der Pförtner hat sich in einen Unteroffizier verwandelt, und wo man früher Limonade und Schinkenbrötchen erstand, ist jetzt ein Wachtlokal. Dazu riecht es überall in den Gängen nach Chloroform und Soldaten, und im Lichthof sind die Pulte und Bänke aus den Sälen aufgestapelt. Verwundert und harmlos geht man, wie gewohnt, ins Seminar und findet blau-weiß überzogene Soldatenbetten darin; in der Mitte eine Pflegerin, die gerade Butterbrote austeilt, und die ganze mathematische Weisheit ruht unwichtig und vergraben in den Wandschränken. Das Studentinnenzimmer ist Operationsraum geworden.«221

Die Schilderungen der Studentin machen nicht nur den Verfremdungseffekt deutlich, den die neuen Lazarette bei Außenstehenden auslösen konnten, sondern zeigen zugleich, dass zur Militarisierung eines Ortes mehr gehörte, als nur die Anwesenheit von Soldaten. Der Raumtheoretikerin Martina Löw zufolge müssen neue räumliche (An-)Ordnungen immer erst durch materielle Festschreibungen und immaterielle Verknüpfungen institutionalisiert werden, »entweder durch Zäune, Mauern etc. abgesteckt, durch symbolische Zeichen markiert oder durch Erfahrungswissen vermittelt. Diese zu Institutionen materialisierten räumlichen Arrangements verfestigen sich zu Anordnungsstrukturen der Gesellschaft.«222 Löws theoretische Annahme lässt sich gut auf den Entstehungsprozess der Lazarette übertragen. Auch im Straßburger Fall waren symbolische Markierungen vorgenommen worden. Schon von außen sichtbar war das Universitätsgebäude durch die Rotkreuzflagge und den Schriftzug »Festungslazarett XIX« als Militärkrankenhaus gekennzeichnet. Im Inneren waren die Unterrichtstische und -stühle demonstrativ weggestapelt worden, nun standen dort Krankenbetten, in denen die Patienten lagen. Überall roch es nach

220 o. A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tagblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 221 o. A., Straßburg i. Els. im Winter 1914, in: Die Studentin 4 (1915), S. 3, zit. nach: Maurer, S. 811. 222 Löw, Raum, S. 58.

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Krankenhaus.223 Die neuen Hausherren signalisierten auf diese Weise sowohl an den Außenschwellen als auch innerhalb des Gebäudes, dass es sich hier nicht mehr um eine öffentliche Bildungsanstalt handelte, sondern um einen Ort der Armee. Doch vollkommen eindeutig waren diese Markierungen nicht. Gerade in den äußeren Merkmalen blieb sowohl im Straßburger Festungslazarett, als auch in anderen Hospitälern gut erkennbar, dass hier Übergangs-Arrangements geschaffen worden waren, die irgendwann zu ihrer alten zivilen Bestimmung zurückkehren würden. Einerseits spiegelte die Innenausstattung oft Aspekte der ursprünglichen Gebäudefunktionen wider und verwies auf die frühere Nutzung – wenn etwa im Krankensaal schwere Kronleuchter von der Decke hingen, die an den früheren Festsaal erinnerten, oder wenn in vormaligen Schulen Tafeln an den Wänden verblieben, auf denen die Soldaten mit Kreide schrieben und zeichneten.224 Andererseits manifestierte sich der Übergangscharakter auch in der Namensgebung. Die Militärkrankenhäuser hießen beispielsweise Reservelazarett »Kunstgewerbemuseum«, Reservelazarett »Meierei Bolle« (beide Berlin), Reservelazarett München G »Technische Hochschule«, Vereinslazarett Füssen »Alte Post« oder Vereinslazarett Oberndorf »Waffenfabrik Mauser«.225 Schon auf der Bezeichnungsebene spielte somit die alte Funktion des Gebäudes in die neue mit hinein. Die verschiedenen Relikte aus zivilen Zeiten prägten die Atmosphäre in den neuen Lazaretten. Sie reflektierten auf einer äußerlichen Ebene, dass es sich hier um liminale Räume226 zwischen Schlachtfeld und Heimatwelt handelte. Die Tatsache, dass so viele Zivilisten bald die neuen Lazarette frequentieren sollten, hob ihre militärisch-zivile Zwischenstellung nur umso deutlicher hervor.

1.3 Euphorie und Enttäuschung: Das Lazarettwesen und die Zivilbevölkerung, 1914/15 Nach der chaotischen Anfangsphase existierte im Deutschen Kaiserreich spätestens seit dem Jahresbeginn 1915 ein gut funktionierendes, weitverzweigtes Lazarettsystem. Die insgesamt über 7 Millionen Fälle von Verwundungen und 223 Vgl. ähnliche Beschreibungen bei Herder, Eintrag vom 10.08.–12.09.1914, S. 10–27. 224 Siehe etwa das Photoalbum des Reservelazaretts »Taubstummenanstalt« Euskirchen, in: IGM Bosch V 179; Photo des Hilfslazaretts »Ackermann-Loge« Wittenberg, in: ECKART, Die Wunden, S. 91. 225 Vgl. zu weiteren Namensgebungen nach diesem Muster: Erwin Gutkind, Delegierter des Kaiserlichen Kommissars und Militärinspekteurs der freiwilligen Krankenpflege, LazarettVerzeichnis Groß-Berlin, 1917, in: BA-MA PH 22-I/19 sowie das Verzeichnis der Reservelazarette, Vereinslazarette [usw.] im Bereich des I. Bayerischen Armeekorps, 01.01.1915, in: BayHStA AB/12723. 226 Vgl. zur Liminalität klassisch Turner, Das Ritual; ders., Betwixt; aktueller Thomassen, Liminality.

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Erkrankungen, die hier im Verlauf des Krieges zur Behandlung kommen sollten, konnten darin untergebracht, ernährt, fachgerecht medizinisch betreut und auf ihren späteren Einsatz an der Front oder in einem bürgerlichen Beruf vorbereitet werden. Die dramatischen Versorgungsprobleme, die das Heimatlazarettwesen in den ersten Kriegswochen und -monaten in Atem gehalten hatten, waren weitgehend behoben. Wie war der Heeresverwaltung dieses Kunststück gelungen? 1.3.1 Vereinslazarette und die Mobilisierung der Zivilbevölkerung Es lassen sich drei Hauptstrategien erkennen, die im Wesentlichen zur Ordnung und Institutionalisierung des Lazarettwesens beigetragen hatten. Erstens konzentrierten sich die Sanitätsbehörden darauf, mehr Platz für Lazarette und Patienten zu schaffen. Dies setzten sie durch Neuanmietung von Gebäuden, Erhöhung der Bettenzahlen und ähnliche Maßnahmen um. Die zweite Strategie bestand darin, die von Inspekteuren berichteten Missstände in den Lazaretten abzustellen, also die bestehenden Einrichtungen zu verbessern. Dazu gehörten häufigere Sanitätsinspektionen, eine sinnvollere Belegung der Lazarette gemäß der dort vorhandenen ärztlichen Kapazitäten, teilweise bereits die Einrichtung von Spezialkliniken  – vor allem für Nervenkranke, Rheumatiker und orthopädische Fälle –, die Schließung nicht geeigneter Lazarette227 und eine stärkere Standardisierung von Verwaltungsvorgängen.228 Dadurch, so lobte der Chef des Heimatsanitätswesens Wilhelm Schultzen in einem Artikel von 1916, sei es der Medizinalverwaltung gelungen, »die bestehenden Vorschriften im besten Sinne auszubauen.«229 Mit dieser Formulierung versuchte Schultzen, das eigentliche Planungsversagen der Sanitätsbehörden vor 1914 zu einer besonderen Leistung umzuinterpretieren. Indem er gleichzeitig behauptete, dass sich die Vorkriegsplanungen grundsätzlich »bewährt« hätten, die Administration aber auch in der Lage gewesen sei, flexibel zu reagieren und »in sinngemäßer Weise überall das zu tun, was notwendig war«, konnten er und seine Abteilung in jeder Hinsicht das Gesicht wahren. Was Schultzen nur am Rand erwähnte, allerdings eine fundamentale Bedeutung für die Stabilisierung der Krankenversorgung hatte, war die dritte Strategie der Heeresverwaltung. Sie stellte eine notwendige Ergänzung der ersten – der Vergrößerungsstrategie – dar und bestand darin, die Krankenversorgung verstärkt an zivile Träger zu delegieren und damit auszulagern. Aus rein militäri227 Vgl. etwa die Schließungsaufforderung für das Reservelazarett Schwetzingen: Beobachtungsstation, Reservelazarett Lehrerseminar, an das Sanitätsamt XIV. AK., 06.06.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; Städtisches Hochbauamt Freiburg an die Stadtgemeinde, 13.10.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 228 Vgl. exemplarisch für Baden die Verfügung des Sanitätsamts XIV. AK., 01.02.1915, in: UniAHeid H-III-600/1; zum Krankenmeldesystem Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 168; 185–187. 229 Zitate im Folgenden aus: Schultzen, Kriegsärztliches, S. 126.

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schen Mitteln hätte es die Heeresverwaltung niemals geschafft, die Bettenzahlen in der Kürze der Zeit so erheblich zu erhöhen. Dies gelang nur, indem sie deutlich mehr als geplant auf die Hilfe von zivilen Akteuren zurückgriff, vor allem auf die Vereine vom Rote Kreuz und die Ritterorden, aber auch auf viele Privat­personen, die sich als Spendengeber und Krankenhausstifter engagierten. So stockte nun die freiwillige Krankenpflege ihre bisherigen Lazarett- und Bettenzahlen ebenfalls maßgeblich auf. An den folgenden lokalen Zahlenbeispielen aus Bayern und Berlin wird ersichtlich, welche strukturelle Bedeutung zivil betriebenen Vereinslazaretten für das Sanitätswesen zukam: Im I. bayerischen Armeekorps, in dem auch die Stadt München lag, bestanden im Januar 1915 nach Angaben des Sanitätsamts 27 militärisch geführte Reservelazarette, 418 zivil geführte Vereinslazarette und Privatpflegestätten sowie 11 ebenfalls zivil betriebene Genesungsheime.230 Während die Reservelazarette Platz für maximal 13.717 Patienten boten, stellten die ihnen unterstellten Vereinslazarette, Privatpflegestätten und Genesungsheime insgesamt rund 13.256 Betten zur Verfügung. Die Gesamt-Aufnahmekapazität verteilte sich hier also annähernd gleichmäßig auf die beiden großen LazarettTypen, die militärisch geführten und die zivil betriebenen. In Berlin wiederum standen sogar mehr Unterbringungsplätze in Vereinslazaretten zur Verfügung als in Reservelazaretten. Laut einem Verzeichnis vom Mai 1917 besaß die Hauptstadt 40 Reservelazarette mit insgesamt 13.655 Plätzen; demgegenüber standen 108 Vereinslazarette mit einer Belegungskapazität von 15.343.231 Auch wenn die Größenverhältnisse zwischen zivil und militärisch betriebenen Einrichtungen innerhalb des Reiches regional geschwankt haben232, lässt sich insgesamt feststellen, dass zivil geführte Lazarette bei der Unterbringung und Pflege soldatischer Patienten eine unverzichtbare Rolle spielten.233 Schon vor dem Krieg war klar, daß das Militär in der Krankenversorgung auf die Hilfe ziviler Organisationen angewiesen sein würde. Aber wie notwendig diese Hilfe nun wirklich war, machte erst der Krieg allen Beteiligten deutlich.234 Die Sanitätsbehörden nutzten diese Unterstützungsmöglichkeit in hohem Maße. So gelang es ihnen, das Chaos der ersten Kriegsmonate in geordnete Bahnen 230 Alle Zahlen im Folgenden errechnet aus dem Verzeichnis der Reservelazarette, Vereinslazarette [usw.] im Bereich des I. Bayerischen Armeekorps, 01.01.1915, in: BayHStA AB/12723. 231 Alle Zahlen zu den Bettenkapazitäten und Adressen der Berliner Lazarette aus Erwin Gutkind, Delegierter des Kaiserlichen Kommissars und Militärinspekteurs der freiwilligen Krankenpflege, Lazarett-Verzeichnis Groß-Berlin, 1917, in: BA-MA PH 22-I/19. 232 Weitere Zahlenbeispiele finden sich etwa für den Bereich des XIII. württ. Armeekorps in der Denkschrift des Stv. Generalkommandos XIII. AK., in: HStAS M 77/2 Bd. 41; für das VII. AK. im Oktober 1914 vgl. Bissing u. Stv. Generalkommando VII. AK. 233 Vgl. dazu auch Kimmle, Krankenpflege, S. 43. 234 Vgl. etwa Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte, 05.09.1914; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK. u. a., 09.09.1914; Stv. Intendantur II. AK. an sämtl. Reservelazarette, 13.09.1914, alle in: Stv. GenKdo.II.AK.SanA./39.

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zu lenken; der totale Kollaps des medizinischen Versorgungssystems war abgewendet. Doch indem sie immer größere Teile der Krankenversorgung an die freiwillige Krankenpflege delegierten, wurde das Heimatlazarettwesen immer uneinheitlicher und unübersichtlicher. Zahlreiche militärfremde, oft weibliche Akteure waren nun daran beteiligt. So zahlten die Behörden für die gewünschte Vergrößerung des Versorgungsnetzes aus ihrer Sicht einen hohen Preis – den Preis des teilweisen militärischen Kontrollverlusts. Um diesem Problem entgegenzutreten, belegte das Preußische Kriegsministerium alle Vereinslazarette mit einem strengen Reglement, das die militärische Handlungshoheit dort jederzeit gewährleisten sollte. Schon in der Vorkriegszeit hatten die Planer vielfältige Überwachungsmöglichkeiten ersonnen, um im Kriegsfall korrigierend oder maßregelnd in den zivil geführten Krankenanstalten eingreifen zu können.235 Im Mittelpunkt der Kontrollbemühungen standen fünf zentrale Regelungen. Die erste betraf die Organisationsform: Vereinslazarette waren nicht als selbständige Institutionen konzipiert, sondern stets einem in der Nähe gelegenen Reservelazarett unterstellt. Die Aufsicht führte der dortige Chefarzt.236 Zweitens mussten die Vereinslazarette regelmäßig von erfahrenen Militärmedizinern begutachtet werden – in häufigen Abständen durch den Chefarzt des Reservelazaretts, etwas seltener durch Kriegssanitätsinspekteure, sowie durch fachärztliche Beiräte.237 So hoffte man, etwaige Probleme wenigstens früh zu erkennen. Drittens durften die Vereinslazarette den Zu- und Abgang ihrer Patienten nicht unabhängig vom Reservelazarett regeln. In der Praxis bedeutete dies, dass die Patienten immer vom Reservelazarett überwiesen werden oder nach der Behandlung an dieses entlassen werden mussten; ein Patient durfte also nie direkt aus einem ankommenden Krankentransport an ein Vereinslazarett geschickt werden oder später von dort direkt an die Front entlassen werden. Stets war der Umweg über das Reservelazarett notwendig.238 Faktisch wurden allerdings von dieser Regelung viele Ausnahmen gemacht, weil das zeitaufwendige Hin- und Herschicken von Patienten in Zeiten großer Krankentransporte logistisch nicht durchzuhalten war.239 Viertens sollten bestimmte Arten von Patienten gar nicht erst in Vereinslazarette überwiesen werden. Dies betraf insbesondere Schwerverwundete, Kriegsgefangene, Simulationsverdächtige sowie ansteckende Kranke.240 Außerdem musste es fünftens stets eine militärische Aufsicht vor Ort geben. Einerseits 235 Vgl. dazu die beiden grundlegenden Verfügungen von 1907: Dienstanweisung für die Delegierten der freiwilligen Krankenpflege (D.f.d.Deleg.) sowie Dienstvorschrift für die freiwillige Krankenpflege (D.fr.K.). 236 Vgl. D.f.d.Deleg., § 114; Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 47 f.; ders., Vereinslazarett-Anhalt, § 20.  237 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 162; Schultzen, Kriegsärztliches, S. 128. 238 Vgl. Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 50–52. 239 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 169. 240 Vgl. K. S. O., § 335; K. S. O.Anl., § 138c.

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waren die Chefärzte für die Aufrechterhaltung der »Manneszucht«241 zuständig. Andererseits sollte die Disziplin durch einen zusätzlichen Unteroffizier gewährleistet werden, der ständig im Vereinslazarett anwesend war und dort die polizeiliche Aufsicht führte.242 Darüber hinaus kontrollierten von nicht-militärischer Seite auch die Territorialdelegierten der freiwilligen Krankenpflege die Vereinslazarette.243 Mit diesem Überwachungsapparat hoffte die Heeresverwaltung, die zivil betriebenen Lazarette im Griff zu behalten. Es war allerdings nicht klar, ob die Maßnahmen dazu ausreichen würden, auch alle sonstigen zivilen Lazarett-Tätigkeiten im Auge zu behalten – wenn doch, wie es der Stabsarzt Karl Wilmanns rückblickend beschrieb, von August 1914 an »alle Bevölkerungskreise sich dazu drängten, Opfer für die verwundeten und kranken Kriegsteilnehmer zu bringen.«244 Wie war es bei Kriegsbeginn zu diesem großen Interesse des »Publikums«245 an den Heimatlazaretten gekommen? Zwei Erklärungen erscheinen hier besonders plausibel: Einerseits hatten gleichzeitig mit der militärischen Mobilmachung im August 1914 verschiedene gesellschaftliche »Mobilisierungs­ diskurse«246 im Inland eingesetzt,247 die auch das Heimatsanitätswesen betrafen. Dieses schien sich als eine optimale Mobilisierungsplattform anzubieten, um weite Teile der Bevölkerung in die staatlichen Kriegsanstrengungen einzubinden. Vom August 1914 an riefen Behörden, Vereine und die Organisationen der freiwilligen Krankenpflege Zivilisten überall im Reich dazu auf, sich in den Lazaretten zu engagieren.248 So mahnte etwa der Frankfurter Oberbürgermeister in einem Aufruf, der Krieg verlange »auch von den Zurückbleibenden hingebende Erfüllung ihrer vaterländischen Pflichten.« Jede Hilfe sei jetzt willkommen, sowohl die Überweisung von Liebesgaben als auch die persönliche

241 Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 48. 242 Vgl. D.fr.K., § 125; Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 49. 243 Sie waren von einer Dachorganisation der Freiwilligen Krankenpflege abgesandt, die im Heimatgebiet von einem stellvertretenden Militärinspekteur geleitet wurde, vgl. Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 48. 244 Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 5. 245 Generaloberarzt Boeckler an die Stadtgemeinde Freiburg, 30.08.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 246 Begriff aus Nübel, Mobilisierung, S. 13, der sich auf den kulturwissenschaftlichen Mobilisierungsbegriff bei Baumeister, S. 11–14, bezieht. 247 Vgl. Bessel, Mobilizing; Geyer, Verkehrte Welt, insbes. S. 28–50. 248 Aufgerufen wurde durch Plakate, Zeitungsannoncen, Spendensammlungen oder Aktionstage wie der »Reichswollwoche«, vgl. zur »Reichswollwoche« das Informationsblatt in: ­BA-MA R 67/302; ebenso StadtADr KO IV Nr. 29 und StadtABadNau A II 23/1914–1918 Reichswollwochesammlung; Plakataufrufe des Roten Kreuzes z. B. in: LABer F Rep. ­260-01 Nr. B 0007, Nr. C 0068, Nr. B 0010; weitere Spenden- und Hilfsaufrufe etwa für BerlinSteglitz in: LABer A Rep. 042–05–03 Nr. 266; für München in: StadtAMü Bürgermeister und Rat 346/2; StadtAMü ZS 218/1; für Dresden in: StadtADr 13.17/F 60 Bd. II; für Kiel in: ­BA-MA RM 30/23.

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Beteiligung an der Krankenpflege sowie »an sonstigem freien Liebesdienst.«249 Der Frauenverein Berliner Homöopathisches Krankenhaus rechnete in seinem ersten Bericht vor, dass der Unterhalt seines Vereinslazaretts in Berlin-Lichterfelde jede Stunde 30 Mark koste. Er fragte: »Wollen Sie nicht so freundlich sein, je nach Ihrem Können, bis zum Ende des Krieges jeden Monat die Kosten für einige, oder eine ganze Stunde, oder einen Teil zu übernehmen, vielleicht für ›Nur ein Viertelstündchen?‹«250 Ein ausgefüllter Postscheck sei schon beigelegt. Andererseits fand parallel zu diesen Mobilisierungsaufforderungen von oben zugleich eine weitreichende Selbst-Mobilisierung der Bevölkerung von unten statt. Durch die ungeordneten Zustände im Lazarettwesen bei Kriegsbeginn ergaben sich für Zivilisten gerade hier zahlreiche Lücken, um sich finanziell als Wohltäter, aber auch praktisch mit ihrer Arbeitskraft einzubringen.251 Zu den offiziellen Tätigkeiten gehörte  – neben den beliebten Spendenaktionen  – vor allem die persönliche Mitarbeit bei einer der zugelassenen Organisationen für die freiwillige Krankenpflege. So meldeten sich bei Kriegsbeginn zehntausende Frauen als freiwillige Helferinnen für das Rote Kreuz.252 Viele von ihnen waren sehr jung und mussten zunächst eine pflegerische Minimal-Ausbildung in einem Sanitätskurs erwerben. Oft kamen sie aus wohlhabenden Bevölkerungsschichten.253 Zum offiziellen Bereich gehörten außerdem Privatpersonen, Firmen oder Vereine, die ein neues Lazarett, eine Privatpflegestätte oder einen Lazarettzug zur Verfügung stellten und teilweise aus eigenen Mitteln ausstatteten.254 In allen diesen Fällen waren die zivilen Aktivitäten mit dem zuständigen Sanitätsamt abgestimmt, meist sogar vertraglich geregelt. Darüber hinaus gab es aber auch einen großen Graubereich von inoffiziellem oder semi-offiziellem Engagement. Hierzu gehörte die spontane Mithilfe von Zivilisten beim Aufbau neuer Lazarette, das regelmäßige Besuchen von Patienten, das Mitbringen von »Liebesgaben«255 außerhalb der großen Sammlungen sowie die Aufführung künstlerischer Darbietungen zur Unterhaltung der Soldaten. 249 Oberbürgermeister Voigt, Aufruf, ca. August 1914, in: ISG Frankfurt S/140. 250 Frauenverein »Berliner homöopathisches Krankenhaus« u. a., S. 2. 251 Vgl. dazu exemplarisch Berliner Verein für Volkserziehung (Pestalozzi-Fröbelhaus), Jahresbericht 1914, S. 25 f., in: APFH A-32b. 252 Vgl. Riesenberger, Im Dienst, S. 36; Kellen, S. 58. 253 Franz Colmers erklärte 1913 in einem Vortrag, dass das Rote Kreuz sich bemühe, als Hilfsschwestern die »Reserven aus unseren besten Familien heranzuziehen«, Colmers, S. 12. Regina Schulte hat allerdings bereits 1994 darauf hingewiesen, dass die Forschung über die tatsächliche soziale Stellung der Rotkreuzschwestern keine gesicherten Erkenntnisse habe, vgl. Schulte, Schwester, S. 85. Diese Leerstelle besteht weiterhin. 254 Vgl. zur Lazarettzug-Ausstattung etwa für Frankfurt a. M.: Sitzungsprotokolle des Finanzausschusses, 1915, in: ISG Frankfurt S/140; für Dresden: StadtADr KO IV Nr. 2, 2a, 40; für Berlin: LABer A Rep. 042–05–01 Nr. 226 sowie Schlacht, S. 67 f.; für Jena Hellmann; zu Finanzierungsmodellen zusammenfassend Waßmund, S. 491. 255 Vgl. zur Spendentätigkeit im Weltkrieg allgemein Latzel, Liebesgaben; Hämmerle, »Habt Dank«.

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Wie groß der Anteil dieser inoffiziellen Tätigkeiten von Zivilisten in den Lazaretten war, lässt sich der Natur der Sache nach nicht genau bemessen. Er muss aber erheblich gewesen sein, zumal solche spontanen Aktivitäten gerade für den Kriegsbeginn in zahlreichen Quellen beschrieben werden.256 1.3.2 »Dilettantenwirtschaft«: Max Weber als Lazarettverwalter in Heidelberg Ein anschaulicher Eindruck der Selbstmobilisierungen bei Kriegsbeginn lässt sich gewinnen, wenn man die Tätigkeit des Soziologen Max Weber (1864–1920) als Lazarettverwalter unter diesem Blickwinkel betrachtet. Während Webers wissenschaftliche Abhandlungen, unter anderem zu unterschiedlichen Formen der Bürokratie, Weltberühmtheit erlangt haben, ist öffentlich weniger bekannt, dass Weber sich zwischen August 1914 und September 1915 in einer Heidelberger Reservelazarettkommission selbst als Militärbürokrat betätigt hatte. Wie nahm er, der jahrzehntelang ein ziviles Leben geführt hatte, nun aber in der Rolle des Offiziers mehrere Lazarette zu leiten hatte, das Engagement der lokalen Bevölkerung im Sanitätswesen und seine eigene Position darin wahr? Als der Krieg begann, war Weber 50 Jahre alt und schon damals ein einflussreicher, anerkannter Theoretiker, der das neue Fach der Soziologie mitbegründet hatte.257 Wie die Mehrheit seiner akademischen Kollegen zeigte sich der inaktive Reserveoffizier Weber enthusiastisch über den Ausbruch des Krieges.258 Direkt bei der Mobilmachung meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst,259 wurde allerdings aufgrund seines Alters als frontuntauglich gemustert. Stattdessen setzte ihn das Garnisonkommando als militärisches Mitglied in einer Heidelberger Reservelazarettkommission ein. Eine solche gemischte Kommission wurde ersatzweise zur Leitung eines Reservelazaretts beauftragt, wenn für die Position des Chefarztes kein ausgebildeter Sanitätsoffizier zur Verfügung stand.260 Sie hatte ein militärisches Mitglied, in diesem Fall den Reserveoffizier Max Weber, ein medizinisches Mitglied, also einen Zivilarzt, und in manchen Fällen ein zusätzliches ökonomisches Mitglied, hier einen gewissen Oberinspektor H., des256 Vgl. Frauenverein »Berliner homöopathisches Krankenhaus« u. a.; Schwalbe, S. 1918; Kellen, S. 59; Angebote für Lazarettunterricht in: StadtADr 13.7/13; Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt XIII. AK., 15.07.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 49; Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, insbes. Eintrag vom 15.08.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17; Prof. Bruhn, Chefarzt des Reservelazaretts Düsseldorf, an den Landeshauptmann der Rheinprovinz, 30.12.1914, in: ALVR Bestand Besatzung, Nr. 8575. 257 Vgl. zu Webers Biographie am umfassendsten Kaesler. 258 Vgl. ebd., S. 737–739; zu Webers Schriften im Weltkrieg vgl. Müller u. Sigmund, S. 201–207; Bruhns. Zur wissenschaftlichen Debatte um Stimmungslagen bei Kriegsbeginn Wirsching; Bruendel, 100 Jahre. 259 Weber meldete sich am 02.08.1914 freiwillig als Premierlieutenant der Reserve. Er wurde am 27.01.1915 zum Hauptmann der Landwehr befördert, vgl. Mommsen u. Hübinger, S. 23. 260 Vgl. zu Reservelazarettkommissionen allgemein F. S. O., § 60; siehe auch Kapitel 1.1.

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sen vollständiger Name unbekannt ist.261 Weber war dafür zuständig, in seinem Bezirk neun Lazarette neu einzurichten und insgesamt 42 zu verwalten sowie disziplinarisch zu beaufsichtigen. Neben privaten Briefen sind vier offizielle Dokumente aus dieser Phase von ihm überliefert: zwei kurze Schreiben an das Sanitätsamt, ein Entwurf für eine Verfügung sowie ein mehrseitiger, ausführlicher Bericht über seine gesammelten Erfahrungen im ersten Kriegsjahr, wahrscheinlich erneut an das Sanitätsamt XIV. Armeekorps gerichtet.262 In letzterem längeren Text bestätigt Weber zunächst die auch aus anderen Quellen bekannte Tatsache, dass während der Einrichtung der neuen Lazarette an der Heimatfront eine große organisatorische Unordnung herrschte. Als Notlösung, so Weber, hätten unerfahrene Zivilisten den Aufbau der Militärkrankenhäuser mit übernommen: »Die Einrichtung der Lazarette, die je 3 Kilometer auseinanderlagen, konnte unmöglich anders als mit Zuziehung freiwilliger Kräfte erfolgen, da die [offiziellen] Beamten teils noch nicht da waren, teils erst die Geschäfte kennen lernen mußten. Infolgedessen wurde in jedem Lazarett ein freiwilliger ›Zivilinspektor‹ bestellt. Diese Herren, vorwiegend Professoren, in Gemeinschaft mit dem Unterzeichneten, mit Schulkindern, andern freiwilligen Helfern, dann mit den allmählich eintreffenden Krankenwärtern und Polizeiunteroffizieren, schließlich den Beamten, nahmen die Lieferungen in Empfang und disponierten provisorisch […] über die Aufstellung der Betten und Geräte.«263

Die verantwortlichen Lazarettinspektoren seien erst eingetroffen, als die neuen Militärkrankenhäuser längst in vollem Betrieb gewesen seien. Lange habe es gedauert »bis diese Herren auch nur notdürftig in die Geschäfte eines Lazarettbetriebes wie des hiesigen eingearbeitet waren.«264 Denn auch bei ihnen habe es sich nicht um Berufsmilitärs gehandelt, sondern um Männer, die vor dem Krieg entweder in der städtischen Verwaltung, als Fabrikanten oder in anderen zivilen Berufen tätig gewesen seien, »jedenfalls aber mit Militärverwaltungsgeschäften nicht befaßt.«265

261 Vgl. Max Weber, Abschließender Erfahrungsbericht über die Lazarettverwaltung, ca. Oktober 1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 33. 262 Das genaue Datum des Berichts ist nicht bekannt. Laut editorischem Kommentar der Weber-Gesamtausgabe muss Weber ihn geschrieben haben, nachdem er bereits ein Gesuch auf Entlassung aus dem militärischen Dienst gestellt hatte, vermutlich im Oktober 1915. Der Bericht blieb unvollendet und wurde laut Marianne Weber nie abgeschickt, vgl. Weber, Lebensbild, S. 545. 263 Max Weber, Abschließender Erfahrungsbericht über die Lazarettverwaltung, ca. Oktober 1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 34 f. 264 Ebd., S. 33. 265 Ebd. Zur Frage der fehlenden administrativen Professionalität auch Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 107; 143, in: ISG Frankfurt S5/91; Georg Becker, Tagebucheintrag vom 16.08.1914, in: Exner u. Kapfer, S. 46 f.

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Webers Schilderungen machen vor allem deutlich, dass die Anfänge des Lazarettsystems von einem langwierigen Lern- und Aushandlungsprozess geprägt waren. Die Grenzen zwischen militärischen und zivilen Vertretern, so lässt sein Bericht erkennen, waren fließend. Welche Akteure im Lazarett als legitime Entscheidungsinstanzen galten und welche nicht, wer überhaupt in den Lazaretten mithelfen durfte, war zunächst durch keine Regel klar festgelegt, sondern richtete sich nach den situativen Erfordernissen. Auf welcher Seite sich Weber selbst verortete, bleibt ebenfalls uneindeutig. Obwohl er als militärisches Kommissionsmitglied qua Amt als Repräsentant des Heeres fungierte, assoziierte er sich in seinem Bericht mehr mit den anderen Zivilisten: Er, Weber, sei ein bürokratischer und militärischer »Dilettant«,266 der ohne die geringsten Vorkenntnisse in eine administrative Leitungsposition gelangt sei. Zum Glück habe man die unter ihm herrschende »unoffizielle und unverantwortliche Verwaltung«267 allmählich durch eine geordnete Beamtenverwaltung ersetzt.268 Dies sei jedoch erst im November 1914 der Fall gewesen. Bis dahin habe er zusammen mit den freiwilligen Liebesgabenverwaltungen sein Bestes versucht, um sicherzustellen, dass die Verwundeten in den neu eröffneten Lazaretten untergebracht, verpflegt und behandelt werden konnten. Ob der Soziologe in diesen Zeilen auch ein wenig damit kokettierte, lediglich eine »Dilettantenwirtschaft« angeleitet zu haben, die aber gut funktioniert habe, sei dahingestellt. In jedem Fall betonte er, wie wichtig »unoffizielle«269 Akteure für die Lazarette gewesen seien. Das habe besonders für die sogenannten Liebesgabenverwaltungen gegolten. Webers Aufzählung der zahlreichen Versorgungsaktivitäten dieser freiwilligen Kräfte vermittelt einen Eindruck von der Spannweite der zivilen Unterstützung: »Diese Liebesgabenverwaltungen haben für die Lazarette ganz Unersetzliches geleistet, was durch die offizielle Verwaltung nach der Natur anderer Aufgaben niemals geboten werden konnte. Einerseits rein menschlich, durch persönlichen Zuspruch, Beschaffung von Lektüre, Beschäftigungsgelegenheit, private Berufsvermittlung für die Verwundeten. […] Andererseits an dem Zusammenbringen von Mitteln für Bedürfnisse, welche teils gar nicht, teils nicht in dieser Qualität oder Quantität von der Lazarettverwaltung gedeckt werden konnten. […] Es sind aus diesen Mitteln, welche übrigens durch sehr reichliche, in ihrem Wert ganz unabschätzbare Naturalgaben ergänzt wurden, nicht nur Zigarren, einfache Genußmittel, Spiele, Unterhaltungsmittel, Rohstoffe für Flechtarbeiten, Mittel, die Zimmer durch Dekorationen wohnlicher zu gestalten, Bücher, Kräftigungsmittel aller Art, bessere Weine für Geschwächte beschafft, und die sachlichen Kosten von Unterricht und Vorträgen bezahlt worden, sondern auch z. B. Liegehallen und Liegestühle, Ergänzungen der ärztlichen Instru266 Max Weber, Abschließender Erfahrungsbericht über die Lazarettverwaltung, ca. Oktober 1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 35. 267 Ebd. 268 Man kann in solchen Aussagen auch Bezüge zu Webers Bürokratietheorie erkennen, so jedenfalls die Einordnung des Lazarettberichts in Müller u. Sigmund, S. 202. 269 Max Weber, Abschließender Erfahrungsbericht über die Lazarettverwaltung, ca. Oktober 1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 39.

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mentarien, therapeutische Mittel, nicht etatsmäßige Wäsche und Gebrauchsartikel aller Art, welche zu bewilligen die Kgl. Intendantur nach der üblichen Praxis gar nicht oder nur schwer in der Lage gewesen wäre.«270

Während Weber solche Spendenaktionen ausdrücklich lobte, zumal sich seine eigene Ehefrau zeitweise als Liebesgabenverwalterin engagierte,271 blickte die Heeresverwaltung mit gemischten Gefühlen darauf. In Bayern etwa wies das Kriegsministerium 1915 die Lazarette an, keine Wäsche-Liebesgaben mehr anzunehmen. Es entstehe sonst ein schlechtes öffentliches Bild der Armee, die es doch »als Recht und Pflicht in Anspruch nehmen muß, alle für verwundete und kranke Heeresangehörige in Reservelazaretten als notwendig erachteten Gegenstände der medizin-chirurgischen wie der wirtschaftlichen Ausrüstung aus eigenen Mitteln zu beschaffen.«272 Schon im Detail der Bettwäsche spiegelte sich hier das größere Dilemma der militärisch-zivilen Zusammenarbeit.273 Max Weber, der diese Unterstützungsleistungen weniger problematisch beurteilte, entwickelte offenbar auch selbst einen großen Arbeitseifer und Enthusiasmus im Lazarettdienst – so jedenfalls beschrieb es in der Nachkriegszeit rückblickend seine Ehefrau Marianne. In ihrem Memoirenbuch »Max Weber. Ein Lebensbild«, das 1926 erschien und sowohl auf eigenen Erinnerungen als auch auf Schriftstücken und der Korrespondenz ihres Mannes beruhte, thematisierte sie ausführlich die neuartigen Erfahrungen des Soziologen in der Lazarettverwaltung. Ihr zufolge war die Leitung mehrerer Lazarette für den sonst isoliert arbeitenden Wissenschaftler eine ungewohnte Form der Gemeinschaftsarbeit, anstrengend und aufregend zugleich.274 Zwar mochte es ihn gekränkt haben, dass er, der Erstgeborene, anders als seine vier Brüder nicht am Frontgeschehen teilnehmen durfte,275 sondern in der Heimat verblieb, wo er, wie er im März 1915 an eine Bekannte schrieb, »von 8–8 täglich, auch Sonntags, Lazarette regiere«, was ein »widriges Schicksal«276 sei. Doch solche Klagen im privaten Kreis zeigen nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite gab Weber sich seiner neuen Verwaltungstätigkeit mit großem Engagement hin. An seine Freundin Mina Tobler schrieb er am 14. September 1914: »Der Kopf steckt, wenn ihm 270 Ebd., S. 36 f. Vgl. entsprechende Liebesgabensammlungen in Trier, wo die zentrale Lazarett-Sammelstelle laut Vaterländischem Frauenverein einem regelrechten »Warenlager« ähnelte, zit. nach Zenz, S. 308. 271 Vgl. den Brief Marianne Webers an Helene Weber vom 12.02.1915, zit. nach Krumeich u. Lepsius, S. 51, Fußnote 3. 272 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK. u. a., 17.07.1915, in: BayHStA MKr/10517. 273 Vgl. auch das äquivalente Verbot, Essensspenden von Zivilisten anzunehmen, Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 05.08.1915, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281. 274 Weber, Lebensbild, S. 530. Zur Person Marianne Webers Meurer. 275 Vgl. Kaesler, S. 740 f. 276 Max Weber an Frieda Gross, 14.03.1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 24.

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nicht schöne Träume kommen, gänzlich voll Schwestern, Eßnäpfen, Ärzten, u. dgl. Dienst Tag und Nacht.«277 Marianne Weber zeigt sich in ihrer Darstellung überrascht von der ungewohnten Dynamik und Lebensfreude ihres Mannes in jenem Jahr. Man habe vor einem Wunder gestanden: »Also der Krieg mußte erst kommen, um seine Hemmungen zu überlisten.«278 Tatsächlich hatte sich bei Weber, zumindest äußerlich, eine Wandlung vollzogen: Der Soziologe hatte vor dem Krieg unter starken Erschöpfungszuständen gelitten,279 zeitweise war es ihm kaum noch möglich gewesen, seine akademischen Lehrverpflichtungen zu erfüllen. 1903 war er von seinem Lehramt in Heidelberg zurückgetreten und zum Honorarprofessor ohne Promotionsrecht ernannt worden. Auch danach war sein Leben weiter von Depressionen, Arbeitsunfähigkeit, Aufenthalten in Sanatorien, Ess- und Schlafstörungen sowie hohem Tablettenkonsum geprägt gewesen.280 Psychiater, die er aufsuchte, wie etwa Emil Kraepelin im März 1898,281 klassifizierten seinen Fall als schwere Neurasthenie – damals eine typische Diagnose im »nervösen Zeitalter«282 des Wilhelminismus. Doch Webers Arbeit in der Reservelazarettkommission behinderte all dies nicht. Im Gegenteil: Mit der Tätigkeit in der Lazarettverwaltung, so die Biographen übereinstimmend, erfasste ihn eine neue Tatkraft.283 Nun war er, der Dauerpatient, für die Versorgung hunderter anderer Patienten von der Front mit verantwortlich. »[S]ein Auto durchsaust täglich die Gegend«, so Marianne Weber, »man nennt es ›die gelbe Gefahr‹ und ihn ›den fliegenden Holländer.‹«284 Die ungewohnte Aktivität des Soziologen brachte auch Bewegung in sein akademisches Umfeld. Wie aus Marianne Webers Beschreibungen ersichtlich wird, erblickten viele von Webers Universitätskollegen, die wie er aufgrund ihres Alters oder ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit nicht an die Front gehen konnten,285 in seiner Kommissions-Arbeit eine interessante Option für sich selbst, um aus der Heimat heraus die Kriegsanstrengungen zu unterstützen.286 277 Max Weber an Mina Tobler, 14.09.1914, in: ders., Briefe 1913–1914, S. 795. 278 Weber, Lebensbild, S. 535. 279 Vgl. Kaesler, S. 468–474. 280 Vgl. ebd., S. 742; Radkau, Max Weber, S. 699 f. 281 Vgl. Kaesler, S. 471–479. 282 Zur Neurasthenie generell Radkau, Die wilhelminische Ära; ders., Die Männer; ders., Das Zeitalter. 283 Vgl. neben Dirk Kaesler und Marianne Weber auch Radkau, Max Weber, S. 704 f.; Kaube, S. 350–362. 284 Weber, Lebensbild, S. 531. 285 Vor allem der Psychiater Hans-Walter Gruhle und der Anatom Hermann Braus, vgl. Kaesler, S. 739; zum Heidelberger akademischen Milieu im Weltkrieg Jansen, S. 109–142; Maurer, insbes. S. 387. 286 Ein weiteres Beispiel aus Webers akademischen Umfeld ist der Heidelberger Geschichtsprofessor Karl Hampe, der sich 1914/15 als Hilfskrankenträger engagierte und auch als Sänger in Lazaretten auftrat, vgl. Hampe, Einträge vom 20.03., 23.08., 08.11., 10.11.1914 und 11.03.1915, S. 108; 111; 153; 155; 210.

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Es scheint sogar, als hätten die Kollegen seiner Lazarett-Tätigkeit ein besonderes moralisches Potenzial zugesprochen. Weber fand sich damit in einer attraktiven Rolle wieder. Er hatte in der Heimat kriegsrelevante Aufgaben anzubieten.287 ­Marianne Weber schildert die Reaktionen seines Bekanntenkreises: »Wissenschaftliche Arbeit ist unmöglich, jeder reißt sich darum, an irgendeinem Zipfel mit zugreifen zu dürfen. Weber überträgt [befreundeten Professoren] die Aufsicht bei der Einrichtung der Lazarette. Da dürfen sie nun mit einem eigenen Helferstab sorgen, daß nicht nur die zerfleischten Glieder für neuen Kampf geheilt werden, sondern auch die vom Grauen erstarrten Seelen auftauen in der Liebe der Heimat. Die Helfer sind zugegen, als die ersten Transporte der Leidenden ankommen, man umarmt und küßt sie, zu Tränen bewegt, sie helfen die blutigen Uniformstücke vom Körper schneiden – sie sehen Grauenvolles. […] Jeder noch eben dem Ganzen rücksichtslos preisgegebene Mensch wird hier wieder eingesetzt in sein Recht am Leben. Hier tut die erbarmende Liebe den Bußedienst für die furchtbare Schuld am Einzelnen.«288

In diesen pathetisch-patriotischen Formulierungen Marianne Webers werden zwei Motive erkennbar, die sich auch in vielen anderen Texten von Zivilisten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit wiederfinden lassen: erstens die Idee des Lazaretts als einem individuellen Ermöglichungsraum und zweitens die Vorstellung des Militärkrankenhauses als Ort der nationalen Wiedergutmachung für die Leiden des Krieges. Besonders das zweite Bild vermittelte die Botschaft, dass die zivile Unterstützung der Lazarette keine Frage der persönlichen Neigung oder Barmherzigkeit war, sondern eine moralisch gebotene »Dankesarbeit«,289 nicht zuletzt der Frauen, mit der die »Daheimgebliebenen«290 ihre »Dankesschuld«291 an den Frontsoldaten abtragen konnten. Marianne Weber verwendet an dieser Stelle den religiös gefärbten Begriff des »Bußedienstes«. Sie suggeriert damit, dass ihr Ehemann und seine akademischen Kollegen in den Lazaretten etwas »abgebüßt« hätten – die kollektive »furchtbare Schuld« an den Verwundeten, die ihr Leben für das Vaterland hingegeben hätten, sowie ihre je individuelle 287 Weber selbst bewertete seine Arbeit weniger positiv, etwa gegenüber seiner Bekannten Frieda Gross: »Wie lange ich den Dienst (obwohl er ja leider nur Friedensdienst ist) noch aushalte, weiß ich nicht; auch seelisch ist die Öde sehr schwer erträglich.«, Max Weber an Frieda Gross, 08.05.1915., in: ders., Briefe 1915–1917, S. 46. 288 Weber, Lebensbild, S. 529. Ein Beispiel ist die Vermittlung seiner Bekannten Marie Josephe von Hoesch ins Reservelazarett Landhausstraße. Hier arbeiteten bereits Max Webers Cousine Lilli Hermann und weitere Frauen aus seinem Umfeld, vgl. Max Weber an Friedrich Gundolf, 12.10.1914, in: ders., Briefe 1913–1914, S. 797. 289 Boetticher, S. 78. 290 Kellen, S. 59. 291 B.  Wittenburg, Rundbrief vom 24.01.1915, in: Freundesgrüsse 1/2 (1915), S. 1, in: BfZ ­1914–1918 Periodica »Freundesgrüsse«; zum Lazarett als Ort der Dankesschuld auch: o.A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tagblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4; Robert Flauaus an den Frankfurter Oberbürgermeister, 23.09.1914, in: ISG Frankfurt S/358; Landesrat Dr. Horion, in: Würtz, S. 58.

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Schuld, sich nicht an der tödlichen Front zu befinden, sondern im sicheren Hafen der Heimat. Diese rückblickende Perspektive Marianne Webers aus der Nachkriegszeit war zwar griffig und populär, sie erfasste jedoch nicht die Vielschichtigkeit und Ambivalenz des zivilen Lazarettengagements. Betrachtet man andere Quellen, so zeigt sich, dass Lazarettarbeit ganz unterschiedlich motiviert sein konnte: Für manche Zivilisten ging es tatsächlich darum, sich an der Heimatfront humanitär zu betätigen, andere wollten damit Geld verdienen,292 wieder andere waren von Neugierde angetrieben.293 Christian Geinitz hebt in seiner Fallstudie zu Freiburg im ersten Kriegsjahr die therapeutischen Wirkung der allgemeinen Fürsorgearbeit hervor. Sie habe der Bevölkerung geholfen, »den Krieg durch eine Art von Hyperaktivität zu ›verarbeiten‹.«294 Dazu kam bei den Lazaretten ein wirkungsvoller Schaueffekt. Sie funktionierten wie öffentliche Foren, auf denen die eigene moralische Integrität und Vaterlandstreue sichtbar präsentiert werden konnten. Dies war gerade in den ersten Kriegsmonaten von großer Bedeutung. Die Freiburger Verlegergattin und spätere Lazarettbetreiberin Charlotte Herder beschreibt in ihrem Tagebuch den hohen sozialen Druck, den die Frauen in ihrem bürgerlichen Umfeld diesbezüglich untereinander aufbauten: »Im Anfang des Krieges war die ganze Frauenwelt Freiburgs in fieberhaftester Tätigkeit begriffen – nur ich nicht. Ich stand abseits. Alle Damen, die ich kannte oder nicht kannte, hatten ihr Pöstlein, machten sich nützlich, leisteten etwas  – nur ich nicht. Durch dieses Tal der Demütigung mußte ich täglich gehen, täglich, denn auf die Frage: ›Was tun Sie, Frau Herder?‹ mußte ich ja antworten: ›Ich tue nichts!‹ – Die Hoffnung, mich etwa in meinem eigenen noch sehr zukünftigen Lazarett nützlich machen zu können, hatte ich von vornherein aufgegeben, denn es war ein strenger Erlaß gekommen, wonach sich in den Lazaretten nur solche Damen aufzuhalten hätten, die ein Zeugnis über einen sechswöchigen Lehrkursus aufzuweisen hätten, und ein solches besaß ich ja nicht […]. Als ich vor etwa acht Tagen vor Eröffnung meines Lazaretts mit diesem Gedanken beschäftigt einherging, traf ich Fräulein v. St. auf der Straße, und sie stellte mich mit der üblichen Frage, was ich täte, und als sie die übliche Antwort ›nichts‹ erhielt, konnte sie sich gar nicht beruhigen, etwas müsse ich doch tun, und wenn es nur Schreibarbeit sei, sie könne mir solche verschaffen […]. Und heute? Heute bin ich nicht nur als Krankenpflegerin am Werk, sondern ich fungiere auf den Listen als ›Vorsteherin des Lazaretts Herder‹ und habe selber Posten zu vergeben und nicht zu vergeben.«295 292 Vgl. zu diesem Motiv etwa das Beispiel der Berliner Privatklinik für Sprachgestörte, deren Umwandlung zum Sonderlazarett für ihren Leiter Hermann Gutzmann eine neue Einnahmequelle erschloss: Maurer, S. 394 f.; Sanitätsamt I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 12.07.1918, in: BayHStA MKr/10520. 293 Bereits an Bahnhöfen versammelten sich etliche Menschen, um die Verwundeten zu sehen, was etwa in Freiburg von der Stadtverwaltung als ärgerliche »Gafferei« verboten wurde, vgl. Geinitz, S. 286. 294 Geinitz, S. 301. 295 Herder, Eintrag vom 30.08.1914, S. 21.

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Charlotte Herder zeigt sich in diesen Zeilen erleichtert und stolz, im Lazarett eine gesellschaftlich akzeptierte Aufgabe gefunden zu haben. Der Kriegsbeginn hatte ihr bürgerliches Selbstbild und ihre gesellschaftliche Position bedenklich in Frage gestellt. Doch dann wendete sich das Blatt erneut. Indem Herder nach einigen Wochen ein eigenes Lazarett eröffnete, war es auf einmal sie, die begehrte Stellen zu vergeben hatte – ähnlich wie in Heidelberg Max Weber –, auf denen dann andere Daheimgebliebene ihre »Dankesschuld« abbüßen konnten. Die peinlichen Nachfragen auf der Straße hörten auf.296 Für Herder, wie für viele andere Zivilisten im Reichsgebiet, scheint es bei Kriegsbeginn zu einer regelrechten Obsession geworden zu sein, in den Lazaretten mitzuwirken. Hier lagen die verletzten »Kriegshelden«. Hier konnte man sie sehen, anfassen, mit ihnen sprechen und ihnen Dinge schenken. So entwickelten sich die Heimatlazarette zu Pilgerstätten einer verunsicherten, aufgewühlten Gesellschaft im Krieg. Wurde den Daheimgebliebenen der Zutritt zu diesen Orten jedoch verwehrt oder liefen ihre Hilfsangebote und Sammlungstätigkeiten einmal ins Leere, konnte der Helferimpuls dieser Menschen jäh in Kränkung und Frustration umschlagen. Denn die vielen Vereine, Gemeinden und privaten Stifter erwarteten eine bestimmte Gegenleistung für ihre Aufwendungen: Der Lohn sollte die physische oder wenigstens symbolische Nähe zu den verwundeten Kriegern sein. Max Weber, der in seinem offiziellen Erfahrungsbericht gegenüber den Militärbehörden die Hilfe von Zivilisten hauptsächlich lobend beschrieben hatte, schilderte dazu im privaten Kreis einige problematische, skurrile Begebenheiten. Unter anderem musste er sich als militärisches Mitglied der Reservelazarettkommission mit verärgerten Bürgermeistern auseinandersetzen, die ihrem Ort seinen wohlverdienten Anteil an Kriegsversehrten sichern wollten. Die Unzufriedenheit dieser Amtsträger, dass die Verwundeten von ihrer Gemeinde anscheinend ferngehalten wurden, entlud sich in lauten Forderungen oder Selbstermächtigungsversuchen: »[Aus] dem Amtsbezirk erscheint ein Gemeindevorsteher höchstselbst im Büro mit der Vorstellung, daß man doch endlich das nun schon lange fertige schöne Lazarett bevölkern möge, das Dorf verlange stürmisch seine Verwundeten; dann wird ihm erklärt: leider sei es unmöglich, extra für M. die nötige Anzahl Feldgrauer abschießen zu lassen. Oder es kommt heraus, daß ein anderer Ortsvorstand zur Selbsthilfe gegriffen hat, indem er von dem durchreisenden Lazarettzug nächtlicherweile einige Wagen abkoppelte und seine Beute triumphierend heimbrachte.«297

296 Christian Geinitz weist nach, dass die Freiburger Stadtverwaltung die ehrenamtliche Tätigkeit bürgerlicher Frauen mit gemischten Gefühlen betrachtete, da eine hohe Frauenarbeitslosigkeit herrschte. Daher sollten lieber mittellose Frauen diese Fürsorgetätigkeiten gegen Lohnzahlung ausüben, vgl. Geinitz, S. 260 f. 297 Weber, Lebensbild, S. 531. Auch in seinem Erfahrungsbericht kritisierte der Soziologe dieses »Sensationsbedürfnis« der Bevölkerung. Die Leute versuchten, »den eignen ›PseudoPatriotis­mus‹ auf billige Art zu betätigen.«, Max Weber, Abschließender Erfahrungsbericht über die Lazarettverwaltung, ca. Oktober 1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 45.

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Solche von Weber berichteten Konflikte mit aufgebrachten Bürgern und Bürgermeistern mögen kurios erscheinen, waren aber keine Einzelfälle. Ähnliches geschah in anderen Teilen des Reiches.298 So äußerte sich etwa die Krankenschwester Rosa Bendit in ihrem Tagebuch verärgert und ungeduldig, wenn das Lazarett im badischen Breisach, in dem sie arbeitete, zeitweise nur wenige Verwundete zugeteilt bekam: »Die ganze Sache ist trostlos und der Zustand unerträglich«299 notierte sie. »Soll das alles sein, was wir im Krieg geleistet haben? Es wäre fürchterlich, aber alle Hoffnung will ich noch nicht aufgeben.«300 Auch in Bayern herrschte ähnliche Unzufriedenheit. Hier hatten sich zahlreiche Zivilpersonen und Vereine in den ersten Kriegswochen mit Lazarettangeboten gemeldet, bekamen jedoch lange keine Patienten zugewiesen. Ihre anfängliche Euphorie und ihr »Heißhunger nach Verwundeten«301 wichen der Enttäuschung. Wie der Bayerische Frauen-Verein vom Roten Kreuz in einem Bericht über das erste Kriegsjahr schildert, seien gleich in den ersten Wochen nach der Mobilmachung »in außerordentlichem Umfang und bezeichnend für die große Opferwilligkeit der Bevölkerung«302 die Angebote für Vereinslazarette, Pflegestätten und einzelne Zimmer zur Aufnahme von Verwundeten und Kranken eingetroffen: »Aus allen Teilen des Landes kamen diese Angebote und war es unmöglich, allen Wünschen gerecht zu werden. […] Ein Hauptgrund der späten bzw. anfänglich spärlichen Belegung dieser Lazarette mag auch darin gelegen sein, daß es im militärdienstlichen Interesse erwünscht erschien, mit großer Beschleunigung die Zahl der bisherigen Reservelazarette zu erhöhen. Freilich wurden dadurch manche Stifter und Zweigvereine, denen die Errichtung und Inbetriebsetzung eines Vereinslazarettes schon ganz beträchtliche Kosten verursacht hatte, durch die Verzögerung der Belegung desselben schmerzlich berührt und löste dies Verstimmung aus.«303

In seiner Darstellung zeigte sich der Frauen-Verein verständnisvoll gegenüber den freiwilligen Helfern. Das Militär dürfe ihre berechtigten Klagen nicht ignorieren, da doch gerade eine kollektive »Verstimmung« um jeden Preis vermie298 Vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 10; 11; entsprechende Berichte zur Pfalz in: BayHStA MKr/10516; Verfügung des Sanitätsamts, XIV. AK., 01.02.1915, S. 1, in: UniAHeid H-III-600/1, wonach »an einigen Orten chirurgisch nicht hinreichend ausgebildete Ärzte eigenmächtig Schwer­ verwundete den Zügen entnommen haben.« 299 Rosa Bendit, Tagebucheintrag vom 13.01.1915, in: Rueß u. Stölzle, S. 45. 300 Rosa Bendit, Tagebucheintrag vom 23.01.1915, in: Rueß u. Stölzle, S. 43. 301 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389. 302 Bay. Frauen-Verein vom Roten Kreuz, Bericht über die Tätigkeit während des ersten Kriegsjahres, ca. 1915, S. 7, in: BayHStA MKr/10627; vgl. entsprechende Angebote aus Berlin, in: LABer A. Rep. 042–05–03 Nr. 266. 303 Bay. Frauen-Verein vom Roten Kreuz, Bericht über die Tätigkeit während des ersten Kriegsjahres, ca. 1915, S. 7, in: BayHStA MKr/10627; vgl. ähnlich Kirchner, Ärztliche, S. 26.

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den werden müsse.304 Mit diesem Hinweis auf die irritierbare Volksstimmung knüpfte der Bericht an einen bekannten Topos an, dessen Stellenwert im Verlauf des Krieges immer zentraler werden sollte: an die Idee, dass die zuversichtliche Atmosphäre in der Heimat eine strategische Bedeutung für den erfolgreichen Kriegsverlauf an der Front habe.305 Im Umkehrschluss musste jede »Ver-Stimmung«, jede Unzufriedenheit, eine Bedrohung für den Durchhaltewillen der Bevölkerung und damit für die Siegeschancen darstellen. Die Vereinslazarette waren in dieser Sichtweise ein interessantes Instrument, mit dem das Militär die Bürger mobilisieren, militärisch integrieren und eine »gute Stimmung« aktiv herstellen konnte; sie bargen allerdings auch ein problematisches Enttäuschungspotenzial. Sowohl im Bericht des Frauen-Vereins als auch in den Ausführungen Max Webers wird das empfindliche Abhängigkeitsverhältnis deutlich, in das Militärbehörden und zivile Helfer schon seit den ersten Kriegsmonaten geraten waren. Die Behördenvertreter hätten das heimatliche Lazarettsystem am liebsten weitgehend in eigener Hand behalten, um hier eine möglichst lückenlose militärische Kontrolle abzusichern.306 Doch zugleich wussten sie bereits vor 1914, dass ein solches Vorgehen unrealistisch und die logistische Unterstützung durch zivile Organisationen alternativlos war. Sie brauchten die Zivilisten, obwohl sie ihre Aktivitäten als Einmischung ablehnten. Umgekehrt waren die Freiwilligenorganisationen und privaten Helfer in ihrem Engagement fundamental auf das Militär angewiesen. Die von ihnen initiierten Sammlungstätigkeiten mussten genehmigt, Unterhaltungsabende in Lazaretten erlaubt, die aufwendig eingerichteten Vereinslazarette mit Patienten belegt werden.307 Über all dies entschieden die Chefärzte oder übergeordnete Sanitätsbehörden. Sie legten den Rahmen fest, in dem sich das zivile Engagement bewegen durfte. Auch große Organisationen wie das Rote Kreuz konnten in den Vereinslazaretten nicht völlig frei agieren.308 Max Weber beschreibt in seinem Bericht, wie sich dieses Interdependenzverhältnis zeitweise zu einer regelrechten Rivalität zwischen zivilen und militärischen Akteuren gesteigert habe. Zusammenstöße seien unvermeidlich gewesen: 304 Vgl. zur Sorge um »Mißstimmung« auch Bay. Landeskomitee für freiwillige Krankenpflege im Kriege an das Bay. Kriegsministerium u. a., 03.10.1914, in: BayHStA MKr/10614; Stv. Intendantur II. AK. an den Kreisdelegierten der Pfalz, 23.09.1914, in: BayHStA MKr/10516. 305 Vgl. zur Beeinflussung der Volksstimmung durch Propaganda im Ersten Weltkrieg Lipp, Meinungslenkung; Schmidt, A.; zur Stimmungserfassung Altenhöner, Kommunikation, S. 112–115. 306 Vgl. Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 17, in: HStAD 11348/3001; Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 13–18; Eckart, Medizin und Krieg, S. 107. 307 Vgl. etwa zur Nicht-Genehmigung eines Lazarett-Unterhaltungsabends die Absage des Deutschen Genesungsheims an Clärchen Rudolph, 07.12.1915 sowie die Absage des Lazarett-Inspektor-Stellvertreters vom 04.07.1916, beide in: ISG Frankfurt S4c/608; vgl. auch die Ablehnungen von Sammlungs- und Veranstaltungsangeboten in: GStA I. HA Rep. 191, Nr. 3071, Nr. 3832, Nr. 3889. 308 Vgl. Kellen, S. 58.

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»Es konnte nicht ausbleiben, daß mit der zunehmenden Einschulung der eingezogenen Beamten[,] der zunehmenden Versorgung mit militärischem Personal und dem allmählichen Übergang des Lazarettbetriebs aus dem improvisierenden Übergangszustand der ersten Monate in den normalen Dauerbetrieb, die amtlich geordneten Instanzen, vor allem die Lazarettinspektoren, zunehmend ihre Rechte in Anspruch nahmen und den freiwilligen Helfer und seinen Einfluß als lästige Konkurrenz empfanden. Es hat an Reibungen nicht gefehlt; im ganzen hat jedoch der Takt von beiden Seiten das langsame Zurücktreten der freiwilligen Helfer, aus ihrer anfänglich zuweilen fast den ganzen Betrieb beherrschenden, in diejenige nur aushelfende Tätigkeit, welche die ›Liebesgabenverwaltungen‹ entwickelten, sich glatt vollziehen lassen. Mit zunehmender Monotonie des Betriebs verschwand eine ›unoffizielle‹ Figur nach der andern, bis schließlich der Unterzeichnete, der persönlich so wenig wie irgend möglich zur Wirtschaftlichkeit und Ordnung qualifiziert, in seinem Zivilleben an die Studierstube gefesselt ist, als letzter Rest der anfänglichen fast reinen Dilettantenwirtschaft übrig blieb.«309

Neben diesem von Weber beschriebenen Konkurrenzverhältnis werfen auch die in vielen Quellen erwähnten Klagen der Bevölkerung wegen Nicht-Belegung von Vereinslazaretten310 ein interessantes Licht auf die militärisch-zivile Zusammenarbeit. Sie zeigen einerseits, welch hohe Erwartungen manche Teile der Bevölkerung mit den Vereinslazaretten verbanden – die Menschen forderten ein Recht darauf, als legitimer Bestandteil des medizinischen Versorgungssystems anerkannt und berücksichtigt zu werden. Andererseits lässt sich daraus auch einiges über die ambivalente Handlungslogik der Militärverwaltung ablesen. Diese hatte zwar in der Notsituation des Kriegsbeginns zahlreiche Vereinslazarette und Privatpflegestätten genehmigt, behandelte sie jedoch fortan als Lazarette zweiter Klasse. Dies betraf nicht so sehr die großen, teilweise recht modernen Vereinslazarette in den Städten, sondern vor allem die ländlichen Hospitäler, Privatpflegestätten und Genesungsheime. In den Augen vieler Medizinalbeamter gab es »nachgerade einen Ueberfluss an [solchen] kleinen, meist doch nicht vollwertigen Vereins-Lazaretten.«311 Sie seien schlecht ausgestattet und verfügten nicht über spezialisierte Ärzte, so dass sie für Schwerverwundete

309 Max Weber, Abschließender Erfahrungsbericht über die Lazarettverwaltung, ca. Oktober 1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 38 f. 310 Vgl. Stv. Intendantur II. AK. an den Kreisdelegierten der Pfalz, 23.09.1914, sowie Linienkommandantur P an die Stv. Intendantur II. AK., 30.09.1914, beide in: BayHStA MKr/​ 10516; Kellen, S. 57; Generaloberarzt Boeckler an das Sanitätsamt XIV. AK., 22.10.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 11. 311 Linienkommandantur P an die Stv. Intendantur II. AK., 30.09.1914, in: BayHStA MKr/​ 10516; vgl. ähnlich Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 7; 18.; Bay. Kriegsministerium, Armee-Abteilung, an das Stv. Generalkommando II. AK. u. a., 19.04.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739; Verfügung des Sanitätsamts XIV. AK., 01.02.1915, in: UniAHeid H-III-600/1.

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und -kranke kaum in Frage kämen.312 Zudem führe ihre Abgeschiedenheit dazu, dass sie einerseits für Krankentransporte nur umständlich oder gar nicht zu erreichen seien und andererseits schlechter überwacht werden könnten als die Vereinslazarette in den großen Städten.313 Obwohl diese militärische Kritik während des Krieges nie verstummte, zeigten die konstanten Beschwerden der zivilen Lazarettanbieter langfristig eine Wirkung. Verschiedene Behörden ermahnten die Chefärzte, den Vereinslazaretten »baldigst geeignete Verwundete oder Kranke zuzuweisen und dafür Sorge zu tragen, daß diese Angelegenheit unausgesetzt im Auge behalten wird.«314 Das Thema schaffte es sogar bis in den Bayerischen Landtag. Hier musste sich das Bayerische Kriegsministerium Ende November 1914 mit einer entsprechenden Anfrage der Zentrumsfraktion auseinandersetzen, die ebenfalls wissen wollte, warum man die ländlichen Hospitäler so stiefmütterlich behandelte. Das Ministerium sah sich zu Erklärungen genötigt: Die Belegung der Vereinslazarette sei nun einmal »erschwert« durch das Problem des Krankentransports und der militärischen Überwachung. Doch bald werde sich alles zum Guten wenden. Man habe bereits »durch Weisungen an die einschlägigen Stellen dafür Sorge getragen, daß auch den berechtigten Wünschen kleinerer Lazarette durch Zuweisung geeigneter Verwundeter«315 entsprochen werde. Selbstverständlich bemühe sich das Ministerium um einen »Ausgleich der berechtigten Interessen«.316 1.3.3 »Gefährliche Besucher«? Das Lazarett als sozialer Anziehungspunkt Die militärisch-zivile Zusammenarbeit in den Lazaretten war keine Besonderheit des Sanitätswesens, sondern lässt sich während des Ersten Weltkriegs auch für andere Bereiche aufzeigen – etwa für die Lebensmittelversorgung oder die Produktion kriegswichtiger Rohstoffe.317 In der Forschung ist dieses Phänomen

312 Vgl. zu diesem Aspekt die Verfügung des Sanitätsamts XIV. AK., 01.02.1915, in: UniAHeid H-III-600/1. 313 Vgl. exemplarisch Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK. u. a., 01.10.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739. 314 Sanitätsamt I. AK. an sämtl. Reservelazarette u. a., 02.10.1914, in: BayHStA MKr/10614. 315 Schriftliche Stellungnahme des Bay. Kriegsministeriums an das Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußeren, im Abdruck an weitere Ministerien, 29.11.1914, in: BayHStA MKr/10614; tatsächlich hatte das Kriegsministerium eine solche Weisung erteilt, vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte, 05.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 316 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 10. 317 Zur Rohstoffversorgung und den zivil-militärischen Beziehungen etwa bei der Produktion von Kampfgasen vgl. Szöllösi-Janze, Fritz Haber; dies., Wissensgesellschaft in Deutschland, insbes. 300–303; zur Lebensmittelversorgung Flemming u. Ulrich, S. 100–155; Roehrkohl; Rackwitz, S. 151–170.

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oft mit dem Begriff der »Totalisierung des Krieges«318 beschrieben worden. Das Argument lautete dabei, dass das Militär mit seinen Konzepten und seiner Handlungslogik in nahezu alle Gesellschaftsbereiche eingedrungen sei und sie »militarisiert« oder »bellifiziert« habe.319 Bei den Militärkrankenhäusern handelte es sich in gewisser Hinsicht um den umgekehrten Fall. Hier bewerteten die Militärbehörden die notwendige Kooperation mit Zivilisten – bei aller Befürwortung der freiwilligen Hilfe und ihrer Leistungen – auch als ein Eindringen des Zivilen in einen eigentlich genuin militärischen Bereich. Aus ihrer Sicht drohte die Gefahr einer Entmilitarisierung der Lazarettpatienten, die nach ihrer Entlassung an die Front mühsam re-militarisiert werden mussten. Das daraus folgende Misstrauen des Militärs gegenüber den Vereinslazaretten, die im Verdacht standen, mit ihrer »allzugroßen Nachgiebigkeit«320 die Soldaten zu verweichlichen und ungebührlich lange vom Felddienst fernzuhalten, lässt sich in zahlreichen behördlichen Schreiben nachweisen.321 Je länger der Krieg andauerte und je mehr die Aussichten auf einen glorreichen »Siegfrieden« schwanden, desto deutlicher artikulierten die Militärs ihren Argwohn gegenüber dem zivilen Sektor. So stellte sich bald eine Frage immer drängender in den Vordergrund: Wie viele Zugeständnisse an die Zivilbevölkerung waren notwendig, wenn die Heeresverwaltung die Lazarette zwar als militärische Orte abschirmen wollte, zugleich aber seit dem Kriegsausbruch unzählige Personen in diesen Bereich hineindrängten? Wer durfte die Lazarette zu welchem Zeitpunkt und für welchen Zweck betreten? Wie kontrollierte man die Schwellen? Ein frühes Beispiel für diese Fragen der Raumbeherrschung ist das Warnschreiben Karl von Seydels, des Chefs der Medizinal-Abteilung im Bayerischen Kriegsministerium. Der Generalstabsarzt zeigte sich in seinem Brief vom November 1914 alarmiert darüber, dass sich mehrfach Zivilpersonen unerlaubt Einblicke in die Funktionsweise bestimmter Reservelazarette verschafft hätten. Es habe sich hauptsächlich um Frauen gehandelt. Nach ihrem Besuch hätten diese Personen empört Beschwerde darüber eingereicht, dass die von ihnen besichtigten Lazarette nicht gut genug ausgestattet seien. Als das Kriegsministerium daraufhin eigene Nachforschungen angestellt habe, sei leider zu Tage getreten, »daß diese Klagen mitunter einer gewissen Berechtigung nicht entbehrten.«322 Von Seydel forderte in seinem Brief nun zwei Konsequenzen. Einerseits, so ordnete er 318 Vgl. den Überblick in Segesser; Chickering, »Total War«-Projekt; ders., Der Totale Krieg. 319 Zum Begriff des Bellizismus vgl. Bergien, S. 33–37; Reichherzer, insbes. S. 413–420. 320 Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt XIII. AK., 21.07.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 120. 321 Vgl. für den Kriegsbeginn etwa Stv. Generalkommando II. AK. an sämtl. Reservelazarette u. a., 21.10.1914; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I. II.III. AK. u. a., 19.09.1914, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA/39; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 04.09.1914, in: Stv.GenKdo.I.AK.SanA./537. 322 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK u. a., 01.11.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA/537.

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an, seien die beobachteten Missstände sofort abzustellen, um den zivilen Klagen den Boden zu entziehen. Andererseits, und noch wichtiger, müssten künftig die Lazarettkritikerinnen selbst in die Schranken gewiesen werden. Es handele sich dabei um suspekte, neugierige Persönlichkeiten, denen es nur daran gelegen sei, »nach Mängeln in den Lazaretten zu suchen, zu diesem Zwecke gewohnheitsmäßig als Lazarettbesucher vor[zu]sprechen und meist auch noch einen Kreis von Bekannten zu gleichem Tun auf[zu]fordern.«323 Dabei hätten ihre Beschwerden über Mängel in den Lazaretten doch vor allem deutlich gemacht, dass die dortige Besucherkontrolle nicht richtig funktioniere: »Ich ersuche streng darauf zu achten, daß diese Kontrolle, wenn nötig unter Heranziehung wachhabender Ärzte, künftighin genauestens durchgeführt wird. Besonders ist darauf zu achten, daß von den Besuchern keine anderen als die Krankenräume betreten werden, daß sich nicht zum Schaden für die Kranken zu viele Besucher auf einmal in einer Krankenstube ansammeln, daß sie nicht zu lange bleiben und daß keine Rundgänge durch mehrere Krankenräume gemacht werden.«324

Der Brief aus dem Kriegsministerium kann auf zwei Arten gelesen werden. Einerseits lässt er sich in den Kontext der bei Kriegsbeginn weit verbreiteten Spionenfurcht einordnen – also der Angst, dass sich »gefährliche Besucher«325 an der Heimatfront heimlich Informationen beschafften. Diese schon von Zeitgenossen als »Spionitis« bezeichnete kollektive Panik hatte im Spätsommer und Herbst 1914 in zahlreichen deutschen Städten zu Pöbeleien und gewalttätigen Übergriffen der Bevölkerung gegen fremd oder sonstwie »verdächtig« aus­ sehende Personen geführt.326 Sie könnte auch der atmosphärische Hintergrund für von Seydels Warnung vor den Lazarettkritikerinnen gewesen sein. Tatsächlich kursierte die Spionagefurcht in den ersten beiden Kriegsjahren auch in den Sanitätsbehörden. Die Medizinalbeamten verschickten immer wieder besorgte Schreiben, in denen sie die Chefärzte zu »verschärfter Aufmerksamkeit«327 gegenüber feindlichen Agenten aufforderten und vor unbefugten LazarettBesich­tigungen warnten.328 Andererseits enthält von Seydels Brief aber noch 323 Ebd.; vgl. mit ähnlichen Warnungen bereits den früheren Brief von Seydels an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 19.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 324 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK u. a., 01.11.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA/537. 325 »Gefährliche Besucher«, Münstersche Zeitung Nr. 212, 03.08.1914, zit. nach Nübel, Mobilisierung, S. 80. 326 Vgl. Altenhöner, Spionitis; ders., Kommunikation, insbes. S. 192–196; Flemming u. Ulrich, S. 40–48. 327 Preuß. Kriegsministerium an sämtl. Stv. Generalkommandos u. a., 31.12.1915, in: BA-MA RM 30/31. 328 Vgl. Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarettdirektoren u. a., 18.10.1915, in: BayHStA Stv. GenKdo.I.AK.SanA./596; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 19.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39; Plakat für Lazarette »Soldaten, lasst euch nicht ausfragen«, ca. Juni 1915, in: BayHStA Stv.­GenKdo.I.AK. SanA./593.

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eine andere Botschaft. Die Lazarette im Heimatgebiet, so wird aus ihm deutlich, sollten vor der zivilen Außenwelt so weit wie möglich abgeschirmt werden. Die deutsche Bevölkerung durfte sich darin nicht nach Belieben aufhalten und umschauen. Selbst berechtigte Kritik an der Arbeitsweise oder Ausstattung eines Lazaretts war von militärischer Seite nicht erwünscht. Für die Aufdeckung von Missständen hatte das Bayerische Kriegsministerium seine eigenen Sanitätsinspekteure, die die Lazarette regelmäßig besichtigten. Eine Einmischung unbefugter Zivilpersonen, noch dazu weiblicher, in diese inneren Angelegenheiten sollte frühzeitig unterbunden werden.329 Der Wunsch nach militärischer Abgrenzung erscheint aus Behördensicht zwar plausibel, er war aber kaum umsetzbar. Die Militärkrankenhäuser erfreuten sich von ihrer Eröffnung an größten Interesses bei den »Daheim­gebliebenen«.330 Nachdem die Lazarett-Aufbauarbeiten der ersten Kriegswochen abgeschlossen waren, bei denen bereits viele Zivilisten mitgeholfen hatten, frequentierten auch im Anschluss zahlreiche Menschen als Besucher die Lazarette. Häufig kamen Angehörige der Patienten und Kameraden auf die Stationen, außerdem Menschen aus der Nachbarschaft, Kinder, Mitglieder von Wohltätigkeitsvereinen oder wohlhabende Bürgerinnen und Bürger.331 Sie alle wollten aus unterschiedlichen Gründen die Kriegsversehrten sehen. In Berlin bot der Chefarzt des Reservelazaretts Berlin-Steglitz als Antwort auf dieses »rege Interesse der Einwohnerschaft«332 große Führungen durch das neu eröffnete Hospital an. Die Lazarette der Reichshauptstadt wurden zudem häufig von Schülern und Kindern besucht, die dort Lieder für die Patienten sangen und selbstgebastelte Geschenke überreichten.333 Laut dem Publizisten Tony Kellen, der mit seinem 1915 erschienenen Buch »Die Arbeit der Daheimgebliebenen« explizit die großen Leistungen der Heimatbevölkerung hervorhob, kamen teilweise sogar bekannte Künstler für Aufführungen in die Lazarette.334 In kleineren Ortschaften, so Kellen spöttisch, träten allerdings mitunter auch solche Personen auf, »die sonst weniger Gele329 Vgl. ähnlich Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt XIII. AK., 15.07.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 49; zwei Jahre später erneut Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 19.09.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 330 Kellen, S. 59. 331 Vgl. exemplarisch die Schilderungen des Chefarzts des Reservelazaretts »Hildaschule« Freiburg an den Stadtrat, 30.08.1914, in StadtAFrei C3 775/4; Robert Melzer an Prof. Dr. Koepert, Verein Heimatdank Dresden, ca. 1915, in: StadtADr 13.7/13, fol. 144. 332 Chefarzt des Reservelazaretts Berlin-Steglitz an Bürgermeister Buhrow, 06.01.1915, in: LABer A Rep. 042–05–03 Nr. 375, fol. 11; zu Lazarett-Führungen in Freiburg vgl. o.A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tagblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 333 Vgl. Clara Starke, Besuch von 24 Kindern des Kindergartens Berlin-Tempelhof im Garnisonlazarett, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 113 (1915), S. 33 f.; Margarete Treuge, Schuljugend und Liebesgaben, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 112 (1915), S. 9–14, beide in: APFH / Vereinszeitung. 334 Vgl. dazu etwa auch Flugblatt, Pressestimmen zum »Lazarett-Programm« von Elisabeth Hofmeier-Hoffes, 1916, in: BA-MA MSG 2/6578.

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genheit haben, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, und wenn auch vielleicht die Zuhörer nicht immer das Gebotene würdigen konnten oder der Genuß ziemlich gering war, so war doch an der guten Absicht nicht zu zweifeln.«335 Mit besonders starkem Besucherinteresse konnten Hospitäler auf dem Land rechnen. Eine Rotkreuz-Mitarbeiterin beschreibt in einem Bericht, wie das kleine Lazarett an der Nahe, in dem sie als Helferin tätig war, seit dem Sommer 1914 zum Mittelpunkt des dörflichen Lebens wurde. Täglich seien die Menschen gekommen und hätten mithelfen wollen: »Ja, die Besucher! Fast waren es ihrer zu viele!« Es lässt sich vermuten, dass sich das kleine Lazarett auch deshalb zum Publikumsmagneten entwickelte, weil es für die Landbevölkerung wichtige soziale Funktionen erfüllte. Einerseits war bei den Soldaten immer etwas los, hier gab es etwas zu sehen. Andererseits konnten die Patienten von der Front erzählen, bei ihnen erhielt man Informationen aus erster Hand: »So manches Mütterlein, das sich zu uns auf den Weg gemacht hatte, kam wohl auch in der stillen Hoffnung, durch die Verwundeten etwas von ihren Lieben im Felde zu erfahren. Denn es war noch die erste schwere Zeit, wo Nachrichten von dort so gänzlich ausblieben.«336 Gerade ländliche Lazarette, so wird aus diesem und weiteren Berichten ersichtlich, nahmen schon bald nach ihrer Eröffnung einen Marktplatzcharakter an. Sie erschienen wie ein Bindeglied zur Front und entwickelten sich für Zivilisten zum gefragten Ort. Die öffentliche Aufmerksamkeit für Lazarette nahm nach den ersten Kriegswochen nicht ab, sondern blieb über den gesamten Krieg auf einem hohen Niveau. Mit ihrer zunehmenden Institutionalisierung ab 1915 etablierte sich in den Hospitälern parallel ein konstanter Besucherverkehr. Außerdem festigten sich mit der Fortdauer des Krieges die Strukturen ziviler Hilfsleistungen für das Sanitätswesen, etwa in Form regelmäßiger Sammlungen, Veranstaltungen und Berufsberatungsangebote. Es scheint, dass der Wunsch vieler Daheimgebliebener und die gefühlte Verpflichtung, sich als Teil der neuen Kriegs- und »Volksgemeinschaft«337 zu bewähren, in den Heimatlazaretten stellvertretend realisiert und befriedigt werden konnte. Die Hospitäler fungierten dabei auch als Ventil, durch das vor allem die unterschiedlichen Gefühlslagen des Kriegsbeginns – Angst, Anspannung, Panik, teilweise aber wohl auch Hochstimmung, Gemeinschaftsgefühl338 – in Aktivität übersetzt und kanalisiert werden konnten. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass sich in diesem zivilen Engagement eine eindeutige »Kriegsbegeisterung«339 zeigte – die, wie die Forschung in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder betont hat, im Sinne eines angeblich rauschhaften »Augusterlebnisses« sowieso primär auf urbane Zentren und bür335 Kellen, S. 59. 336 Jugendleiterin A. H., Kriegsfürsorge in einem Dorf an der Nahe, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 112 (1915), S. 29, in: APFH / Vereinszeitung. 337 Vgl. dazu einschlägig Bruendel, Volksgemeinschaft; Verhey, »Geist von 1914«. 338 Vgl. Leonhard, S. 129–134; Epkenhans, Der Erste, S. 134–138. 339 Vgl. Kruse, Kriegsbegeisterung; Ullrich, Kriegsbegeisterung; Verhey, »Geist von 1914«.

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gerliche Milieus beschränkt blieb340 –, übten die neu eingerichteten Lazarette für die Heimatbevölkerung doch zweifelsohne eine große Anziehungskraft aus. Die dort notwendigen Hilfsarbeiten waren eine interessante und zudem leicht zugängliche Option, dem eigenen Verbleib in der Heimat Sinn zu verleihen und ihn immer wieder neu zu legitimieren.

Zwischenfazit Das erste Kriegsjahr war im Heimatlazarettwesen von einem kollektiven Lernund Anpassungsprozess geprägt. Die Militärkrankenhäuser mussten als Räume neu konstituiert und die internen Regeln, Hierarchien und Abläufe zwischen den Akteuren ausgehandelt werden. Nach zahlreichen Planungsmängeln im Vorfeld und einer chaotischen Versorgungssituation im Sommer und Herbst 1914, die aber durch die massive (Selbst-)Mobilisierung der Zivilbevölkerung teilweise aufgefangen wurde, gelang es den Verantwortlichen, die Anfangsschwierig­ keiten in den Lazaretten weitgehend zu überwinden. Die Provisorien institutionalisierten sich. Das Fallbeispiel Max Webers als Lazarettverwalter verdeutlicht, dass sich die Heimathospitäler als Übergangsräume zwischen Front und Heimat bald zu gesellschaftlichen Anziehungspunkten entwickelten. Für viele Zivilisten erschien das Lazarett als Ort der Wiedergutmachung und als persönlicher Ermöglichungsraum. Hier konnten sie sich als aktiver Teil der neuen »Volksgemeinschaft« erleben und präsentieren, so dass die Hospitäler auch als öffent­ liche Foren wirkten. Militärische und zivile Akteure mussten im Lazarettwesen eng miteinander kooperieren, was für beide Seiten ein Novum war. Es brachte vor allem die Sanitätsbehörden in eine für sie unbequeme Position der Abhängigkeit und des teilweisen Kontrollverlusts. Das Lazarettwesen erforderte zwar eine umfassende Mobilisierung der Heimatgesellschaft und kann deshalb als Beispiel für die »Totalisierung« des Ersten Weltkriegs gelten. Zugleich flammten hier umgekehrt auch militärische Sorgen vor einer Demilitarisierung und Verweichlichung bzw. Verweiblichung von Soldaten im Lazarett auf. Darin zeigte sich früh ein Dilemma, das sich im Kriegsverlauf weiter zuspitzen sollte: Die Sanitätsbehörden wollten die Heimatlazarette einerseits vor zivilem Einfluss abschirmen und dort ein militärisches Disziplinarregime etablieren – andererseits waren sie fundamental auf das Geld, Engagement und die Zustimmung der Zivilbevölkerung angewiesen.

340 Vgl. hierzu zusammenfassend Wirsching; Bruendel, 100 Jahre; Lokalstudien bieten etwa Geinitz; Stöcker.

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2. Lazarette als Räume der Wiederherstellung Mit Beginn des Ersten Weltkriegs hatten überall im Kaiserreich kleine und große Lazarette eröffnet. Niemand konnte sich dem Anblick dieser Orte entziehen, überall kündeten die Lazarette vom Krieg und den Verheerungen, die er nach sich zog. Ein Freiburger Pfarrer sprach im Amtsblatt seiner Erzdiözese den verbreiteten Eindruck aus, der Krieg rücke durch die »anschwellende Flut der Verwundeten« immer näher: »Die Grenzen ein Feuergürtel, das Innere ein Lazarett, das wird bald das Bild Deutschlands sein.«1 Der Geistliche skizzierte die Situation vom September 1914 in dramatischen Farben: Ganz Deutschland ein Militärkrankenhaus, außen von Feinden umgeben, an den Rändern bereits brennend, innen verwundet. Doch trotz dieser metaphorischen Zuspitzung war die düstere Beschreibung des Pfarrers nicht aus der Luft gegriffen, sondern eine mediale Reaktion auf die sichtbaren Veränderungen des urbanen Lebens im Herbst 1914. Tatsächlich gab es im Reichsgebiet schon zu diesem Zeitpunkt tausende von Lazaretten und gerade Freiburg galt aufgrund seiner Grenzlage als regelrechte »Lazarettstadt«.2 Was hatte das Militär mit diesen vielen Einrichtungen vor? Ihre Funktion, das war den Verantwortlichen bereits vor dem Krieg klar, würde sich nicht im Heilungsauftrag eines Zivilkrankenhauses erschöpfen. Die Lazarette sollten mehr leisten. Während der Militärsanitätsdienst im Frieden hauptsächlich Soldaten behandelt hatte, die in der Kaserne erkrankt waren, mussten sich die Ärzte im Krieg auf einmal mit einer Vielzahl anderer aggressiver Verletzungsarten und Krankheiten auseinandersetzen: mit schweren Schusswunden, Verbrennungen, Kieferzertrümmerungen, Lungenschädigungen durch Kampfgase, Hauterkrankungen, Erblindungen, Geschlechtskrankheiten, psychischen Störungen und zahlreichen Infektionskrankheiten.3 Viele der Schwerstverwundeten, das sahen die Mediziner schon bei ihrer Einweisung ins Heimathospital, würden nie wieder ins Feld zurückkehren können.4 Vielleicht nicht einmal in ihren ursprünglichen Beruf. Andere Soldaten litten an chronischen oder psychischen Krankheiten, die zwar nicht lebensbedrohlich waren, einen künftigen Kampfeinsatz aber stark erschwerten, wenn nicht unmöglich machten. Leichtverwundete und Leichtkranke hingegen verbrachten oft nur wenige Wochen im 1 o.A., Aus meinem Freiburger Kriegstagebuch, 01.09.1914, in: St. Lioba Blatt, 06.09.1914, zit. nach Geinitz, S. 290. 2 Vgl. zu diesem Begriff Clodius; Geinitz, S. 285–297. 3 Vgl. zu den häufigsten Verwundungs- und Krankheitsarten während des Weltkriegs HeeresSanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, Tafel 17 (im Anhang). 4 Vgl. Kriegsmusterungsanleitung, 02.03.1916, § 27–29, in: BA-MA PHD 6/115.

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Heimat­lazarett und waren in dieser Zeit recht mobil. Was angesichts der hier nur angedeuteten Breite an Fällen das zentrale Aufgabenprofil der Heimatlazarette sein sollte, fasste Otto von Schjerning, der Chef des Feldsanitätswesens, während einer Kriegschirurgen-Konferenz im April 1916 knapp zusammen: »Die Kriegschirurgen bei den Sanitätskompagnien, in den Feld- und Kriegslazaretten entscheiden oft durch ihre Eingriffe und durch die Behandlung über Leben und Tod der Schwerverletzten; in den Heimatlazaretten gilt als vornehmste Aufgabe die Wiederherstellung der Kriegsverwundeten, die Erlangung ihrer Wiederverwendungsfähigkeit und die Erhöhung des Grades ihrer späteren Erwerbsfähigkeit.«5

In dieser Formulierung legte sich der Feldsanitätschef auf drei zentrale Funktionen von Heimathospitälern fest. Auf allen drei Ebenen ging es darum, etwas Verlorengegangenes, Zerstörtes »wiederherzustellen«: Erstens sollte in den Lazaretten laut von Schjerning die »Wiederherstellung der Kriegsverwundeten« gesichert werden, also die gesundheitliche Heilung der Männer. Das war ihre tatsächliche medizinische Funktion. Zweitens und direkt damit zusammenhängend waren die Heimathospitäler dafür zuständig, die Diensttauglichkeit der Soldaten wiederherzustellen. Hiermit war ihre militärische Funktion angesprochen, menschlichen Nachschub für die Front zu reproduzieren. Als dritten Schwerpunkt zählte von Schjerning die »Erhöhung des Grades ihrer späteren Erwerbsfähigkeit« auf. Gemeint war damit der Versuch, die Arbeitsfähigkeit der Patienten so weit wie möglich zu restituieren. Während die ersten beiden Wiederherstellungs-Funktionen auf alle Lazarettarten zutrafen, also auch auf Einrichtungen im Feld und in der Etappe, bildete diese zusätzliche wirtschaftlich-soziale Komponente einen Schwerpunkt der Heimatlazarette. Sie bezog sich hauptsächlich auf jene Soldaten, die aufgrund ihrer schweren Beeinträchtigungen aus dem aktiven Heeresdienst ausscheiden und in ihr bürgerliches Leben zurückfinden mussten.6 Von diesen drei Hauptfunktionen der Heimatlazarette, von den unterschiedlichen Formen der »Wiederherstellung«, die das Militär in ihnen erreichen und durch sie verwirklichen wollte, handelt das folgende Kapitel. Dabei wird gezeigt, dass im Konzept der Wiederherstellung nicht nur die restaurative Idee einer Rückkehr zum körperlichen Ursprungszustand enthalten war, sondern auch ein zukunftsgerichtetes, utopisches Element. Das Lazarett sollte neue Werte schaffen, indem es die Insassen zu Arbeit und Disziplin erzog und auf einen etwaig notwendigen Berufswechsel vorbereitete. So sollten sie (wieder) zu produktiven, zuverlässigen Mitgliedern der Kriegsgesellschaft werden.

5 Goeldel, darin: Einleitende Worte des Feldsanitätschefs v. Schjerning, S. 737. 6 Vgl. dazu auch Koetzle, S. 104; Sanitäts-Departement des Königlich Preussischen Kriegs­ ministeriums, S. 2.

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2.1 Große Erwartungen: Militärmedizinische Potenziale der Heimatlazarette Die Militärmedizin setzte von Kriegsbeginn an hohe Erwartungen in ihre Heimathospitäler. Wie gut und schnell es den Ärzten dort gelang, die Soldaten wieder kampffähig zu machen oder ihnen wenigstens den Weg zurück in eine berufliche Tätigkeit zu ebnen, galt als einer der kriegsentscheidenden Faktoren. In dieser »Medikalisierung des Krieges«7 – die untrennbar mit der »Militarisierung der Medizin« verbunden war – lag ein wichtiger Unterschied zu früheren militärischen Auseinandersetzungen. Im modernen Krieg, so rekapitulierte der Generaloberarzt a. D. Hermann Koetzle 1924, habe sich die medizinische Versorgung zu einem so wichtigen und mächtigen Element entwickelt, »daß ein Heer ohne gut ausgebautes und gut geleitetes Sanitätswesen seinen Auf­gaben ebenso wenig gewachsen ist, wie ohne Verpflegung und Munition«8. Tatsächlich vermochte es der Sanitätsdienst, auf die im Verlauf des Krieges immer drängendere »Ersatzfrage«9 eine (Teil-)Antwort zu geben. Seine Lazarette wiesen rein zahlenmäßig eine beeindruckende Bilanz auf: Rund 91 Prozent aller in Feld-, Etappen- und Heimathospitälern therapierten Soldaten waren nach ihrem Heilaufenthalt wieder in irgendeiner Weise »dienstfähig«10. Diese Zahl bedeutete zwar nicht, dass die derart »Wiederhergestellten« alle erneut Frontdienst leisteten, sie zeigte aber an, dass die Soldaten wieder innerhalb des Militärs (oder im Beruf) eingesetzt werden konnten.11 In diesem Kontext erkannten die Sanitätsbehörden nicht nur in den Feldheerlazaretten, sondern gerade in den Heimathospitälern ein großes Potenzial.12 Welche ihrer Eigenschaften aus Sicht der Militärmedizin als besonders attraktiv und nützlich galten, soll in diesem Kapitel herausgearbeitet werden. Um dies zu verstehen, wird es zunächst um das Wiederherstellungs-Modell des Sanitätsdienstes gehen und um die Rolle, die den Heimatlazaretten in diesem zyklischen Konzept zugesprochen wurde.

7 Harrison, The Medicalization of War. 8 Koetzle, S. 7. 9 Wrisberg, Heer, S. 80. 10 Schjerning, Die Tätigkeit, S. 7. 11 Von den in Heimatlazaretten behandelten Soldaten kamen ca. 78 Prozent als »dienstfähig« wieder an die Front zurück, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 1; zu den verschiedenen Tauglichkeitsgraden und den daraus resultierenden Verwendungsmöglichkeiten vgl. Kriegsmusterungsanleitung, 02.03.1916, § 65–73, in: BA-MA PHD 6/115. 12 Vgl. dazu deutlich das Lob des Feldsanitätschefs Schjerning, Die Tätigkeit, S. 5.

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2.1.1 Wiederherstellung als Kreislauf: Das Lazarettsystem des Deutschen Heeres Die Sanitätsbehörden nahmen die Heimatlazarette weniger als für sich stehende Krankenhäuser wahr, sondern betrachteten sie vielmehr als Teile des größeren militärmedizinischen Versorgungssystems, das sie wie ein Netz zwischen Front und Heimatgebiet aufgespannt hatten. Jedes einzelne Militärkrankenhaus war für sie ein Knotenpunkt innerhalb dieses Netzes. Das erklärte Ziel der Lazarettbehandlung war es, die Patienten darin soweit »wiederherzustellen«, dass sie erneut militärisch oder beruflich einsatzfähig waren. Grundlage dieser Idee war ein zyklisches Wiederherstellungsmodell. Verwundete und kranke Soldaten sollten nach Wunsch der Sanitätsdienstes einen mehrstufigen BehandlungsKreislauf in unterschiedlichen Heileinrichtungen absolvieren. Dabei galt es als Leitprinzip, versehrte Soldaten möglichst frontnah zu behandeln. So sparte man Zeit, Transportkosten und vermied es, dass sich die Soldaten zu sehr aus dem kriegerischen Kontext entfernten. War die vollständige Behandlung eines Mannes in den Feldlazaretten aber nicht möglich, weil die entsprechenden Einrichtungen überfüllt waren oder sein Heilungsprozess länger dauerte, sollte er innerhalb der »lange[n] Kette von Lazaretten«13 immer weiter von der Front wegverlegt werden. Die Ärzte schickten den Soldaten also zur Weiterbehandlung in ein Etappenlazarett oder bis ins Reichsgebiet. Nach der gelungenen »Wiederherstellung« des Patienten unter den erfahrenen Händen der Ärzte, so die idealtypische Vorstellung weiter, sollte der Mann zur Front zurückkehren und kampfbereit seinen Platz in der Truppe einnehmen. War dies aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, schied er als »dienstunfähig« aus dem Heer aus und machte sich in der Kriegswirtschaft nützlich. In beiden Fällen hatte er den Reparatur-Kreislauf erfolgreich abgeschlossen. Die hintereinander gestaffelt eingerichteten Lazarette des Operationsgebiets, der Etappe und der Heimat sollten nach Vorstellung der Militärverwaltung wie ein großes, aber doch einheitliches Wasserstraßen- oder Fließbandsystem14 funktionieren: Es transportierte verwundete und kranke Soldaten nach Deutschland ab und brachte dafür frische Rekruten ins Feld zurück. Tatsächlich verwendeten die Behördenvertreter für diesen Austausch-Vorgang auffallend oft entsprechende Wassermetaphern oder Ausdrücke des Fließens. So hob etwa Generalarzt Paalzow in einem Vortrag die vielen »aus den Feldlazaretten zuströmenden Verwundeten«15 hervor, die dringend in der Etappe versorgt werden müssten. Feldsanitätschef Otto von Schjerning forderte im September 1918 eine

13 His, Die Front, S. 84. 14 Ein »Fliessbandsystem der ständigen Reparierung und Erneuerung« beschreibt auch Perry, Brave, S. 154. 15 Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 12.

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»fliessende Entleerung der belegten Betten«16 in der Heimat, während Stabsarzt Karl Wilmanns darauf insistierte, dass ein ungehinderter »Durchfluß«17 durch die Lazarette gesichert sein müsse, damit diese von neuen Verwundetentransporten nicht »überschwemmt«18 würden. Diese schillernde Metaphorik berührte mehrere semantische Felder zugleich. Sie ließ sich sowohl mit dem modernen Fließbandsystem in Verbindung bringen und damit mit einem rationalisierten Industriebetrieb,19 als auch mit dem organischen Bild von Wasserströmen und Flussverläufen, die weder austrocknen noch überlaufen oder stagnieren durften, sondern stets »im Fluss«20 zu bleiben hatten. Gleichzeitig wies sie auch einen Bezug zu den künstlichen Kanalisationssystemen auf, die im Zuge der Modernisierung der Großstädte Mitte des 19. Jahrhunderts öffentlich breite Resonanz gefunden hatten und Objekte bürgerlichen Stolzes geworden waren.21 Mit dieser mehrdeutigen Bildsprache konnten die Militärmediziner gleichzeitig das moderne, produktive Element des Lazarettwesens betonen wie auch den angeblich natürlichen Kriegs-Zyklus von Verwundung, Abtransport und Wiederherstellung. Die organisch gedachte Kreislaufidee lässt sich nicht nur in den zahlreichen Fluss-Metaphern erkennen, sondern auch in anderen bildhaften Bezügen auf die Natur. So griff etwa der württembergische Generaloberarzt Koetzle auf eine Metaphorik aus der Pflanzenwelt zurück, um zu betonen, wie eng Front und Heimat miteinander verknüpft seien: »Wie das Feldheer in der Heimat wurzelte und von dort seine stete Erneuerung und Erhaltung erfuhr, so liefen beim Sanitätswesen die Fäden zurück nach der Heimat: dort wurde der an der Front Schwerverwundete dem militärischen oder bürgerlichen Leben wiedergegeben.«22 Koetzle sprach in dieser Aussage nicht nur den Aspekt des MenschenAustauschs zwischen Front und Heimat an, der auch in den Fluss-Metaphern zum Ausdruck kam, sondern ebenso die Idee einer untrennbaren Verbindung zwischen diesen beiden Bereichen. Das Heimatgebiet stellte in seiner Vorstel-

16 Geheimer Erlass des Feldsanitätschefs an alle Kriegsministerien, Medizinal-Abteilungen, u. a., 24.09.1918, in: BayHStA MKr/10521. 17 Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 9. 18 Ebd., S. 16; vgl. zur »Überschwemmung« mit Kranken auch Hotz, Aerztliche; Kraepelin, Psychiatrische, S. 172, der von der »Flut von Kriegsneurotikern« spricht, die »einzudämmen« nicht leicht gewesen sei; vgl. auch Sergeant Peter Schneider an das Bay. Kriegsministerium, 24.10.1918, in: BayHStA MKr/2348, der von den »zum Heimatheere zurückflutenden Soldaten« spricht. Der Militärhistoriker Peter Kolmsee übernimmt in seinem Buch diese Quellen-Terminologie des »Zurückflutens«, Kolmsee, S. 177; genauso Ulrich, Augenzeugen, S. 59. 19 Vgl. allgemein zur Geschichte rationalisierte Fließbandproduktion Hachtmann u. Saldern. 20 Schlacht, S. 66. 21 Vgl. dazu Hauser; Brüggemeier. 22 Koetzle, S. 104; vgl. zu den »tausende[n] von Fäden, mit denen Volk und Heer zusammenhängen« bereits Chef des Generalstabes des Feldheeres Paul von Hindenburg an sämtl. Generalkommandos u. a., Gr.H.Qu., 18.09.1916, in: BayHStA MKr/2331.

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lung eine Art Muttererde dar, aus der sich das Feldheer immer wieder speisen und erneuern konnte. Damit knüpfte diese Semantik zugleich an Vorstellungen einer bürgerlichen Geschlechterordnung an, wonach die »weibliche« Heimat dem »männlichen«, kämpfenden Vaterland zu Hause den Rücken freihielt, seine Wunden pflegte und ihn labte.23 Die Lazarette innerhalb des Reichsgebiets lassen sich nur im Kontext dieses zyklisch gedachten Wiederherstellungsmodells begreifen. Zwar wurden sie getrennt von den Feld- und Etappenlazaretten verwaltet und unterschieden sich sowohl qualitativ wie auch atmosphärisch deutlich von ihnen. Organisatorisch gehörten sie jedoch zum selben Gesamtkomplex der militärmedizinischen Heeresversorgung. Diesem Gedanken folgend dürfen die Heimatlazarette nicht als autarke oder gar isolierte Institutionen innerhalb der deutschen Reichsgrenzen missverstanden werden, in denen die Chefärzte jeweils für sich ungebundene Entscheidungen trafen – auch wenn sie dort durchaus ihren eigenen Stil prägen konnten. Vielmehr standen die heimatlichen Hospitäler institutionell wie auch personell in einem kontinuierlichen Austausch – sowohl zu höherrangigen Militär­behörden,24 als auch zu fachärztlichen Beratern, zu anderen Heimatlazaretten sowie zu Fürsorge-Organisationen, wie dem Roten Kreuz. Diese komplexe Abhängigkeits- und Kommunikationsstruktur wird im Folgenden als »Lazarettsystem« bezeichnet. In der Quellensprache ist hier meist von der »Lazarettorganisation«25 bzw. der »Organisation des Sanitätsdienstes«26 die Rede. Diese zeitgenössischen Formulierungen bezogen die beteiligten Ämter und Ministerien gedanklich mit ein und betonten zudem den Aspekt der Organisierbarkeit des Sanitätswesens. In der folgenden Analyse wird der Begriff des »Lazarettsystems« genutzt, um das große Netzwerk, das die verschiedenen Krankenhaus-Einrichtungen gemeinsam bildeten, hervorzuheben sowie auf systembedingte Eigen­ logiken und Hierarchien hinzuweisen.27 Das deutsche Lazarettsystem war weit verzweigt und umfasste Zentren und Peripherien.28 So existierten im Heimatgebiet einige zentrale Knotenpunkte – große, vorbildhafte Reservelazarette, deren Ruf leuchtturmartig ausstrahlte – sowie eher randständige Zonen, die weniger im Fokus der Behörden standen, zeitweise sogar aus ihrem Blickfeld verschwanden. Zu den Vorzeigeeinrich­tungen

23 Vgl. zu entsprechenden geschlechtlichen Zuschreibungen in der Kaiserzeit Confino; Meteling, Ehre, S. 367. 24 Insbesondere zum Sanitätsamt des zuständigen Stellvertretenden Generalkommandos (Provinzialbehörde) sowie zur Medizinal-Abteilung des zuständigen Kriegsministeriums (Zentralbehörde), vgl. dazu Kapitel 1.1. Die Reservelazarette selbst (in Person des Chef­a rztes) galten als Lokalbehörden, vgl. F. S. O., § 54. 25 Vgl. etwa Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 3, 4, 16. 26 Vgl. etwa Schjerning, Organisation, S. 1; Koetzle, S. 104. 27 Dabei soll der Systembegriff nicht in einem engen (etwa Luhmannschen) Sinne verstanden werden. 28 Vgl. zum Zentrum-Peripherie-Gefälle in imperialen Räumen Münkler, Imperien, S. 41–49.

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gehörte etwa das Reservelazarett Ettlingen, das im Sommer 1915 als »Muster­ lazarett«29 eröffnet worden war, ebenso die Festungslazarette in Straßburg30, das Straßburger orthopädische Lazarett »Stephanienheim«31 oder das Münchener Fürsorge-Reserve-Lazarett.32 Als beeindruckendes österreichisches Vorbild galt das orthopädische Wiener Reservespital XI, geleitet von Hans ­Spitzy.33 Die verschiedenen Militärkrankenhäuser beeinflussten sich gegenseitig und sie reagierten aufeinander. Wenn ein Teil des Systems in eine Schieflage geriet – etwa durch akute Überfüllung, die Schließung einer Einrichtung, Ärztemangel  – wirkte sich dies bald auch auf die anderen Teile aus. Sie mussten dann ausgleichend wirken und etwa Patienten übernehmen.34 Entwickelte sich eines der Zentren besonders weiter – zum Beispiel weil hier neue Prothesentechniken erfolgreich erprobt worden waren oder weil man mit bestimmten Maßnahmen eine Hebung der Disziplin erreicht hatte –, so erfuhren meist auch die anderen Einrichtungen davon und versuchten, diese Methoden in ihrem Kontext zu imitieren.35 Es handelte sich also beim deutschen Lazarettsystem um ein (national zwar umgrenztes, aber dennoch für Ärzte befreundeter Staaten durchlässiges) Netzwerk militärmedizinischer Institutionen und Akteure, in dem in einem ständigen Austauschprozess nicht nur Patienten, Ärzte und Personal verschoben, sondern auch Wissen produziert, kommuniziert und in Frage gestellt wurde – und damit auch um einen Raum des Experiments, des Lernens und des wissenschaftlichen Wettbewerbs.36

29 Wilmanns, Die Badischen Lazarette, S. 20, vgl. auch Bericht der Karlsruher Zeitung Nr. 294, 28.10.1917, in: StadtAFrei C3 776/1; Kraepelin, Lebenserinnerungen, S. 190. 30 Vgl. das Handarbeitsbuch des Lazarettpfarrers Willy Müller, das sich auf die Straßburger Festungslazarette I. und IV. als Vorbildinstitutionen bezieht, Müller, W., insbes. S. 3; H. Hecker, Unterhaltung und Beschäftigung von Kranken in den Lazaretten, in: VereinsZeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 113 (1915), S. 21–27, in: APFH / Vereinszeitung; Freisz u. Naegeli. 31 Vgl. Lange, B.; Kempf u. a. 32 Vgl. Hohmann, S. 106–110. 33 Vgl. ebd., S. 98, der Spitzy und sein Lazarett als visionär bezeichnet; vgl. auch Reservelazarett München B, 08.07.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./525. Spitzy präsentierte sein Konzept 1916 in einem Vortrag in Berlin, vgl. Spitzy; zu Spitzys Klinik-Komplex als »Invalidenstadt« Pawlowsky u. Wendelin, S. 117–123. 34 Vgl. dazu exemplarisch Preuß. Kriegsministerium an das Bay. Kriegsministerium, 17.11.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./575. Auch Marine-Lazarette wurden zur Entlastung der Reservelazarette in Anspruch genommen, vgl. etwa Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts an das Kaiserliche Kommando der Marinestation der Nordsee Wilhelmshaven, 13.11.1914, in: BA-MA RM 120/129. 35 Vgl. dazu etwa Sanitätsamt XIV. AK., 05.07.1918, in: GLAKa 456 F 118 Nr. 35; Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarette u. a., 17.10.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 36 Zur zeitgenössischen ärztlichen Idee des Weltkriegs als eines gigantischem Lebend-Experiments vgl. bereits Eckart, »Der größte Versuch«; ders., Medizin und Krieg, insbes. S. 64 f.

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Obwohl nach Ansicht des Militärs gewichtige Gründe dafür sprachen, Soldaten frontnah zu behandeln, gab es andererseits auch starke Argumente dafür, dass sie innerhalb Deutschlands besonders gut und effektiv therapiert werden konnten. Denn in den Augen der Militärbehörden wie auch der Lazarettärzte vor Ort zeichneten sich die Heimathospitäler durch eine Reihe besonderer Qualitäten oder Potenziale aus, die mit den ungewöhnlichen Bedingungen in diesen Einrichtungen zu tun hatten. Sie hoben die Heimathospitäler positiv von den Feldheerlazaretten oder auch Zivilkrankenhäusern ab und schienen sie besonders dafür zu qualifizieren, den militärischen Wiederherstellungsauftrag zu erfüllen. 2.1.2 Sicherheit und Modernität: Das Lazarett als geordnete Behandlungsumgebung Die erste Eigenschaft der Heimathospitäler, die sie aus Sicht der Militärärzte vorteilhaft von Feldheerlazaretten unterschied, war die große »Sicherheit und Schonung«,37 welche die inländischen Einrichtungen verwundeten und kranken Soldaten gewährten. Die fast friedensmäßige Atmosphäre sorgte dafür, dass auch die Arbeitsbedingungen für Sanitätsoffiziere und Krankenpflegepersonal besser, moderner und geschützter waren. So konnten sie komplizierte Fälle langfristig behandeln und beobachten.38 Viele Soldaten fanden in den Heimat­ hospitälern seit vielen Monaten erstmals wieder Ruhe und Erholung. Gesteigert werden konnte diese Regenerationswirkung noch, wenn sie für einige Wochen auf Kosten der Militärverwaltung in einen Kurort verlegt wurden. Die dort stattfindenden Badekuren und »sonstigen außergewöhnlichen Heilverfahren«39 gehörten, trotz des mondänen Eindrucks, zu den regulären Möglichkeiten der Lazarettbehandlung. Die Sanitätsämter genehmigten Kuraufenthalte von Soldaten auf Antrag des Chefarztes dann, wenn dadurch eine »wesentliche Besserung des vorliegenden Krankheitszustandes«40 zu erwarten war.41 Im Zuge der Mobilmachung waren zusätzlich zu den bereits bestehenden Militärkuranstalten weitere Heilstätten und Privatkuranstalten in das mili­

37 Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1209. 38 Vgl. dazu die Artikel in Adam, Die Behandlung, Bd. 1 und Bd. 2. 39 Preuß. Kriegsministerium, Bestimmungen über Kurgelegenheiten und Kurerleichterungen, 11.01.1915, in: BA-MA PHD 6/114; Bay. Kriegsministerium, Kriegskurbestimmungen, 09.06.1917, § 1, in: BayHStA MKr/10455. Die allgemeine militärrechtliche Grundlage für soldatische Kuraufenthalte, auch während des Weltkriegs, stellten die Kurvorschriften (K. V.) vom 10. Mai 1905 dar. 40 Schultzen, Außergewöhnliche Heilverfahren, S. 557. 41 Vgl. auch Bay. Kriegsministerium, Kriegskurbestimmungen, 09.06.1917, § 8, in: BayHStA MKr/10455.

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tärische Lazarettsystem integriert worden.42 Zusammen mit den Vereinshospitälern sollten sie dazu beitragen, die überfüllten Reservelazarette zu entlasten.43 Das zweite Potenzial, das die Militärärzte den Heimatlazaretten zusprachen, war die Tatsache, dass innerhalb des Kaiserreichs eine modernere und individuellere Behandlung der Patienten möglich war als im besetzten Gebiet.44 Nur die Heimatlazarette – und unter ihnen vor allem die Reservelazarette – besaßen die neuesten Apparate. Insbesondere Röntgengeräte galten im Weltkrieg als unverzichtbar.45 Auch orthopädische Übungsvorrichtungen sowie vollständig ausgerüstete Operationsräume standen hauptsächlich im Reichsgebiet zur Verfügung. So kamen die Reservelazarette häufig als medizinische Verbesserungsanstalten zum Einsatz. Sie sollten etwaige Behandlungsfehler oder Versäumnisse korrigieren, die in der Hektik der überfüllten Verbandsplätze oder Feldlazarette kaum vermeidbar waren. Nach Ansicht des bekannten Orthopäden Fritz Lange ließ sich unter diesen Voraussetzungen »sehr vieles in der Heimat noch gut machen, was an der Front nicht gut zu machen möglich war.«46 Allerdings war die sichere Rekonvaleszenz im Heimatlazarett für die Solda­ten nur zum Preis des gesundheitsgefährdenden Transports von der Front zu haben. Aus Sicht mancher Ärzte führten diese strapaziöse Reise sowie die Tatsache, dass Patienten häufig von einem Lazarett ins nächste verlegt wurden, die Behandlungs-Vorteile des Heimathospitals ad absurdum.47 So betonten etwa Fritz Lange und der Chirurg Albert Krecke in einem Gutachten für das Sanitätsamt I. bayerischen Armeekorps, dass insbesondere für Verwundete mit Oberschenkelschussfrakturen wirkliche Schonung und sofortige fachgerechte Behandlung notwendig seien, um Muskelverkürzungen zu verhindern. Dies solle besser schon in der Nähe der Front geschehen. Ansonsten drohe die Gefahr irreparabler Schäden und Versteifungen. Die beiden Gutachter schilderten, welchen verhängnisvollen Lazarett-Parcours Patienten mit Oberschenkelschussfrakturen oft durchliefen, ohne dabei die richtige Hilfe zu erhalten: »Zunächst Feldlazarett mit Streck- oder Gipsverband. Nach einigen Tagen oder Wochen Transport in ein Reservelazarett. Für diesen Abtransport müssen natürlich die Streckverbände durch Gipsverbände ersetzt werden. Dabei geht oft die erzielte Ausgleichung der Verkürzung verloren. Im Heimatlazarett neuer Verband (Gipsoder Streckverband), dessen Anlegung durch die Eiterung sehr erschwert wird. Bald kommt der Wunsch der heimatlichen Invalidenfürsorge oder des Kranken selbst zur 42 Vgl. etwa zu Bad Nauheim die Dokumente in: StadtABadNau A II 23 sowie StadtABadNau A II 271. Zur Planung eines neuen Militärkurhauses in Wildbad im Schwarzwald vgl. die Unterlagen in: HStAS M 1/8 Bü 207; Koetzle, S. 110. 43 Vgl. Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarette u. a., 28.02.1917, in: BayHStA Stv.­GenKdo.​ I.AK.SanA./176. 44 Vgl. etwa Hotz, Aerztliche, S. 19. 45 Vgl. Hotz, Aerztliche, S. 18; Bier, S. 2. 46 Lange, F., S. 29. 47 Vgl. zu typischen Wundverschlimmerungen infolge eines Krankentransports Bier, S. 3; Czerny, S. 1719.

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Verlegung in seine engere Heimat. Naturgemäß verliert der behandelnde Arzt das Interesse an dem Fall und denkt sich: was noch fehlt, kann in dem Heimat­lazarett erledigt werden. So kommt der Verwundete oft mit einer hochgradigen Verkürzung und erheblichen Knieversteifung im Heimatlazarett an. Der Arzt des Heimatlazaretts sieht mit Bedauern die ungünstige Heilung, fühlt sich oft ausser stande, noch helfend einzugreifen. Bei Platzmangel wird der Verwundete dann bald in ein Vereinslazarett verlegt, wo er oft monatelang, ohne zu einer Besserung zu kommen, sich aufhält.«48

Lange und Krecke skizzierten dieses Worst-Case-Szenario, um darauf hinzuweisen, dass schlechte Heilungsverläufe nicht zwangsläufig mit der Art der Verletzung zusammenhingen, sondern oft hausgemachte Probleme des Lazarettsystems waren.49 Heimatlazarette, die dazu neigten, schwierige Fälle an die nächste Einrichtung weiterzuschieben, kamen letztlich, so der Kern der gutachterlichen Kritik, ihrem militärischen Wiederherstellungsauftrag nicht nach. Denn in Wahrheit seien solche Patienten für die Armee nicht unbedingt verloren. Beispiele aus dem österreichisch-ungarischen Heer hätten gezeigt, welche Erfolge möglich seien, wenn man dazu Sonderlazarette hinter der Front einrichte. Dort könnten die Soldaten fachgerecht behandelt werden, noch bevor man sie in Heimatlazarette verlege. Häufig gelinge es auf diese Weise, scheinbar hoffnungslose Fälle doch wieder garnisons-, in vielen Fällen sogar kriegsverwendungsfähig zu machen. Damit sprachen Lange und Krecke einen heiklen Punkt an: Die Behandlung im Heimatlazarett war nicht für jeden Patienten zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen gut geeignet. Die Frage blieb, ob die direkten Vorzüge des Heimatlazaretts gegenüber dem Feldhospital – die Schonung, die besonderen Behandlungsmöglichkeiten – seine Nachteile überwogen oder nicht. Innerhalb der Ärzteschaft bestand hier Uneinigkeit. Manche Ärzte stellten wie Lange und Krecke vor allem die Probleme des Transports in den Vordergrund, andere, wie etwa Gerhard Hotz, waren weniger skeptisch. Die Gefahren des Krankentransports würden regelmäßig überschätzt, schrieb er in einem Artikel, »sie sind viel geringer als die Nachteile eines Liegenbleibens in überfüllten Feld- und Kriegslazaretten.«50 Auch aus Sicht der Heeresverwaltung zahlte sich der Abtransport in die Heimat trotz allem aus. Denn die dortigen Militärheilanstalten boten nicht nur Ruhe und professionelle Behandlung für die Patienten, sondern noch eine Reihe anders gelagerter Qualitäten.

48 Fachärztl. Beirat für Chirurgie und Orthopädie an das Sanitätsamt I. AK., 15.08.1917, S. 6, in: BayHStA MKr/10519. 49 Vgl. mit ähnlicher Kritik Bier, S. 8. 50 Hotz, Aerztliche, S. 21.

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2.1.3 Überwachen und Strafen: Das Lazarett als Disziplinaranstalt und »suggestives Milieu« Ein großes Potenzial der Heimathospitäler lag für die Militärmedizin darin, dass hier ein strenges Disziplinarregime, notfalls mit Sanktionen, durchgesetzt werden konnte.51 Anders als in einem zivilen Krankenhauskontext waren die Sanitätsoffiziere gleichzeitig behandelnde Ärzte und militärische Vorgesetzte der Lazarettpatienten.52 Ein Mannschaftssoldat hatte kaum legale Möglichkeiten, sich ihren Anweisungen zu entziehen oder etwa das Krankenhaus ohne Genehmigung zu wechseln. Dadurch konnten die Sanitätsoffiziere, nach ihrer eigenen Einschätzung, im Lazarett gezielt auf den Gesundheitszustand der Soldaten einwirken und auch die gesundheitliche »Erziehung des Volkes«53 vorantreiben. Der Festungslazarettarzt Zweig wies in einem Fachartikel auf die positive Tatsache hin, dass etwa im Fall von Geschlechtskrankheiten unter Kriegs­ bedingungen überhaupt eine medizinische Behandlung stattfinde, die im Frieden oft von den Betroffenen aus Scham oder Sorge vor privaten Konsequenzen vermieden werde.54 Während außerdem zivile Geschlechtskranke im Frieden meist ambulant behandelt würden, therapiere man sie beim Militär stationär. Dies habe viele Vorzüge, beispielsweise könnten die Ärzte so kontrollieren, ob Einspritzungen korrekt ausgeführt würden.55 Diese von Zweig genannten Vorzüge galten auch für andere Patientengruppen. Bei Kriegsinvaliden etwa war es im Lazarett möglich, den richtigen Sitz von Prothesen zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen, während man die Betroffenen nach ihrer Entlassung oft nicht mehr zu fassen bekam.56 51 Vgl. exemplarisch zu konkreten Disziplinarverstößen von Lazarettpatienten und den dazugehörige Strafen, unter anderem Arrest, die Dokumente in: HStAD 11348/3299 und HStAD 11348/3300. 52 Diese Regel galt zunächst nicht für die vertraglich verpflichteten landsturmpflichtigen Ärzte sowie Zivilärzte im Lazarett, die gegenüber kranken und verwundeten Unteroffizieren und Mannschaften keine Vorgesetzten waren, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 41; 44. Diese Situation änderte sich am 01.01.1917: Nun erhielten landsturmpflichtige Ärzte »allgemein den militärischen Rang als Sanitätsoffizier« und waren »Unteroffizieren und Mannschaften gegenüber ›Höhere im Dienstrange‹«, ebd., S. 42. Am 03.05.1918 wurde schließlich verfügt, dass die »mit Kriegsstellen beliehenen landsturmpflichtigen Ärzte für die weitere Dauer des Krieges zu Kriegs-Assistenzärzten auf Widerruf« (ebd.) ernannt werden konnten. Jedoch durften sie weiterhin keine Disziplinarstrafgewalt ausüben und unterstanden nicht den Ehrengerichten der Sanitätsoffiziere. 53 Ziemann, H., S. 1168. 54 Vgl. Zweig, Lazarettbehandlung, S. 1453; zur Geschlechtskrankenbehandlung in Krankenhäusern um 1900 vgl. Sauerteig, Krankheit, S. 126–141. 55 Dasselbe Argument zur Geschlechtskranken-Überwachung findet sich auch im Bericht des Arztes Prof. von Notthafft, Reservelazarett München L, an den Chefarzt, 28.09.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; ähnlich auch Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 19.08.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281. 56 Vgl. zu diesem Punkt etwa Blencke, S. 74.

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Insgesamt galt es als zentrale Aufgabe des Heimatlazaretts, die militärische Disziplin seiner Insassen aufrechtzuerhalten – und das sowohl bei denjenigen Soldaten, die ins Zivilleben entlassen wurden, als auch bei den Männern, die wieder an die Front zurückkehrten. Gerade bei Letzteren erschien es besonders wichtig, dass sie im Krankenhaus nicht geistig demobilisiert wurden. Vielmehr sollten sie ihre Arbeits- und Dienstfreudigkeit wiedergewinnen. Dies war auch einer der Gründe, weshalb es die Militärbehörden nur selten und ungern zuließen, Soldaten von ihren Angehörigen oder in sonstigen Privatpflegestätten versorgen zu lassen. Die private Pflege kam zwar vor, da auch sie dabei half, die Reservelazarette zu entlasten, war aber aufgrund der »Unmöglichkeit einer hinreichenden dienstlichen und militärärztlichen Überwachung«57 offiziell unerwünscht.58 Am ehesten wurde die Privatpflege bei Schwerstverwundeten und Offizieren zugelassen.59 Doch selbst Offiziere sollten sich nach Anweisung des Preußischen Kriegsministeriums »möglichst einer Lazarettbehandlung unterziehen«.60 Erfahrungsgemäß kürze dies die Behandlungsdauer auch bei ihnen deutlich ab. Militärische Disziplin war im Heimatlazarett nicht automatisch gegeben, sondern musste von den Verantwortlichen immer wieder aktiv durchgesetzt werden. Bald entwickelte sich die Frage, wie sich diese Aufgabe am besten umsetzen ließ, zu einem zentralen Thema behördlicher Vorschriften und Debatten.61 Der Nervenarzt Willy Hellpach schaltete sich 1915 mit einem ausführlichen Artikel in der Zeitschrift »Medizinische Klinik« in die Diskussionen mit ein. Sein Text »Lazarettdisziplin als Heilfaktor« lieferte eine besonders kompromisslose Auslegung der Frage, wie schonend oder streng man mit den Insassen von Lazaretten umgehen sollte. Hellpach argumentierte, dass die Aufrechterhaltung der Krankenhausdisziplin nicht nur militärisch wünschenswert, sondern auch für den medizinischen Genesungserfolg unabdingbar sei. Zwar würde man es »jedem Schwerverwundeten gönnen, wenn er sich sagen dürfte, daß er nun genug für sein Vaterland geleistet habe. Aber die Wirklichkeit ist hart und läßt die-

57 Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK. u. a., 15.09.1914; vgl. dazu auch Bay. Staatsministerium des Innern an die Distriktsverwaltungsbehörden u. a., 26.09.1914, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739. 58 Vgl. etwa Frickhinger, S. 967. 59 Bei Leichtverwundeten war sie aus disziplinarischen Gründen zu vermeiden, vgl. Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK. u. a., 01.10.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./537. Zum Wunsch nach Privatpflege vgl. etwa die Erinnerungen des verwundeten Offiziers Hans Henning von Pentz, Meine Erinnerungen an den Feldzug 1914 von der Mobilmachung ab, ca. 1919, in: BA-MA N 128/3. 60 Vgl. Preuß. Kriegsministerium an das Württ. Kriegsministerium u. a., 26.04.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 3. 61 Vgl. exemplarisch Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 10.11.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./196; Garnisonsarzt, 04.11.1916, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./56.

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sem Gedankengange keinen Raum.«62 Daher gehöre zum Lazarett unabdingbar die Disziplin. Der Patient könne fordern, im Militärkrankenhaus alles vorzufinden, »was zu seiner Genesung nötig und dienlich sei: gute Einrichtungen, Ärzte, Pflege.« Doch mehr Wohlbehagen könne, ja dürfe das Hospital nicht leisten: »Jeder Schritt darüber hinaus birgt die Gefahr, daß das Lazarettleben, besonders für die schon Genesenden, zu schön werde. Und das darf es nicht. Verbreiten wir zuviel Behagen, zuviel Molligkeit, zuviel Gemütlichkeit, zuviel Abwechslung im ­Lazarett, so wird aus der Heilanstalt schließlich ein Klub- oder Vereinshaus, in dessen Atmo­sphäre sich der letzte Zweck der Behandlung, die Herstellung der Kriegsbrauchbarkeit, verflüchtigt. Es ist schon wahr, der Soldat muß das Gefühl haben, daß es im Grunde genommen nirgends so schön sei wie im Felde, trotz aller Gefahr und Strapazen, und nirgends so wenig schön wie im Lazarett, trotz aller Sicherheit und Schonung.«

Hellpach sprach seine Überlegungen zur erwünschten Disziplinarwirkung des Lazaretts in diesem Artikel in ungewöhnlicher Offenheit aus. Ähnliche Gedanken finden sich jedoch – wenn auch weniger explizit formuliert – in vielen militärärztlichen Aussagen der Zeit.63 Das Lazarett, so der Tenor, dürfe bei allen Vorteilen, die es biete, nicht zu einem Magneten werden, der die Soldaten mit seinem Sicherheitsversprechen aktiv anziehe. Es müsse vielmehr ein Ort sein, der vor allem den Genesungs- und Kampfeswillen der Männer wecke und den sie ansonsten schnell verlassen wollten; wie ein »stiller Durchgangspunkt«64 zwischen bisherigem und zukünftigem Kriegseinsatz. Willy Hellpach hatte sich in seinem Artikel pauschal auf Lazarettinsassen bezogen, arbeitete aber selbst als Nervenarzt. Möglicherweise waren seine Empfehlungen in Wahrheit vor allem an Kriegsneurotiker und angebliche »Drückeberger« gerichtet. Bei Nervenlazaretten forderten zahlreiche Ärzte die Aufrechterhaltung der Disziplin besonders nachdrücklich ein. Der Psychiater Robert Hoffmann lobte in einem Artikel von 1920 die Tatsache, dass sich die Therapie der Kriegshysteriker durch den autoritären Befehlston im Verlauf des Weltkriegs immer mehr einer militärischen Erziehung angenähert habe. Wie bereits Hellpach argumentierte auch er, dass die Disziplin in den Nervenlazaretten der »wirksamste Hauptfaktor«65 für die Heilung gewesen sei: »Einen vorbeugenden Einfluß hatte es auch über die Grenzen des Lazarettbereichs hinaus, wenn die Behandlung gefürchtet wurde. Die ›Angst vor dem Nervenlazarett‹ wirkte ganz allgemein der Entwicklung hysterischer Tendenzen entgegen. Innerhalb 62 Zitate im Folgenden aus: Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1208 f. 63 Vgl. hier nur Singer, S. 85–87; Wagner, S. 549. 64 Ratzel, S. 196. Der Geograph Friedrich Ratzel beschreibt im zitierten Text Stimmungen und Eindrücke aus den Lazaretten des deutsch-französischen Krieges 1870/71, die in vielem den späteren Beschreibungen von Militärkrankenhäusern des Ersten Weltkriegs erstaunlich ähneln. 65 Zitate im Folgenden aus: Hoffmann, Über die Behandlung, S. 328.

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des Lazaretts stellte die ›Milieuwirkung‹ einen wichtigen Behandlungsfaktor dar; nicht selten führte sie, noch ehe besondere Behandlungsmaßnahmen getroffen waren, zur ›Spontanheilung‹.«

Hoffmann sprach hier gleichzeitig zwei Aspekte an. Zum einen seien Nervenlazarette dadurch erfolgreich gewesen, dass man die Kriegsneurotiker dort strenger als in nicht-spezialisierten Einrichtungen behandelt habe. Zum anderen hätten diese Hospitäler im Lauf der Zeit eine furchteinflößende Reputation gewonnen. So habe die »Angst vor dem Nervenlazarett« viele unnötige Heilaufenthalte verhindert. Die Behandlung der Kriegsneurotiker ist in der wissenschaftlichen Literatur weitaus intensiver erforscht worden als andere militärmedizinische Aspekte des Ersten Weltkriegs.66 Paul Lerner hat für den deutschen Fall herausgearbeitet, dass die meisten Psychiater Kriegsneurosen als Störungen des gesunden Willens auffassten.67 Ohne den Willensbegriff jemals exakt zu definieren, seien die führenden Fachvertreter der Idee gefolgt, dass sich die individuelle Willensstärke eines Soldaten darin zeige, dass er sich dem kollektiven Willen der nationalen Gemeinschaft unterordne – und damit auch eine Bereitschaft zum Kampf und Tod für das Vaterland demonstriere. Habe der Mann hingegen hysterische Symp­ tome entwickelt, so hätten sie dies als Zeichen einer minderwertigen nervösen Konstitution interpretiert. Das Auftreten einer Kriegsneurose erklärten die im Fachdiskurs dominanten Psychiater oft als Zusammentreffen von äußerem Anlass (belastende Kriegssituation, lockende Rentenaussicht) und inneren Faktoren (fehlende Vaterlandsliebe, keine Disziplin, zu wenig Willensstärke). Durch diese »Medikalisierung des Willens«68 hätten sie Werte wie Nationalgefühl, Disziplin und Kriegsbegeisterung als gesund bewerten und andere Willens­haltungen pathologisieren können. Dies habe zugleich der Professionalisierung des Faches gedient, da die Psychiatrie auf diese Weise als besonders kriegstüchtig und nützlich erschienen sei.69 Doch das massenhafte Auftreten von Kriegsneurosen hatte die Militärführung wie auch die fachlich zuständigen Psychiater vor allem vor größte Probleme und Rätsel gestellt. Nachdem es den Ärzten zunächst nur schwer gelungen war, langfristige Behandlungserfolge zu erzielen, schienen Elektroschocktherapien die rettende Lösung zu sein. Prominentester Vertreter dieser Behandlungsform war der Stabsarzt Fritz Kaufmann (1875–1941), der im Reservelazarett Ludwigshafen praktizierte. Er galt als erster Lazarettarzt, dem bei hartnäckigen HysterieFällen endlich Behandlungsdurchbrüche gelungen waren.70 Verschiedene andere 66 Vgl. aus der Fülle an Beiträgen die einschlägigen Sammelbände von Hofer u. Prüll, War; Lerner u. Micale; Quinkert u. a.; international vergleichend Reid, War Psychiatry. 67 Vgl. Lerner, Sieg, insbes. S. 91–97. 68 Ebd., S. 100. 69 Vgl. ebd., S. 99 f.; Eckart, Medizin und Krieg, S. 154. 70 Vgl. Quensel, S. 82.

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Psychiater übernahmen bald die von ihm empfohlene schmerzhafte Elektro­ schock-Behandlung mit Sinusströmen zur Heilung psychogener Bewegungsstörungen, wandelten sie zum Teil aber ab.71 Ziel war es, den Neurotiker durch die »Anwendung kräftiger Wechselströme unter Zuhilfenahme von reichlicher Wortsuggestion« in nur einer Sitzung zu heilen. Der behandelnde Arzt sollte den Patienten, laut Kaufmann, überrumpeln, indem er ihm harsche militärische Anweisungen erteilte, »unter Benutzung des gegebenen Subordinationsverhältnisses«,72 das in den Lazaretten zwischen Sanitätsoffizieren und Mannschaftssoldaten ja tatsächlich bestand.73 In einem aktuellen Aufsatz weist Petra Peckl allerdings darauf hin, dass eine Diskrepanz zwischen solchen in Zeitschriften prominent angepriesenen, drastischen Behandlungsmethoden und den tatsächlich umgesetzten Therapieformen bestanden habe. Die genaue Auswertung von Krankenakten zeige, dass die Psychiater im Lazarettalltag nur selten auf die neuartige Elektroschock-Behandlung zurückgegriffen hätten, sondern häufiger auf konventionelle Methoden. Meist hätten sie den Soldaten Bettruhe, Erholung und kräftigendes Essen verordnet.74 Nur im Lichte der Fachzeitschriften erschienen Peckl zufolge die Verfechter der aktiven Behandlung dominant, ganz besonders die Vertreter der »KaufmannKur«.75 Und noch ein Faktor trug dazu bei, dass sich diese Methode nicht flächendeckend durchsetzte. Trotz ihrer angeblichen Behandlungserfolge geriet sie bald unter öffentlichen Druck, nachdem bekannt geworden war, dass einzelne Patienten an der elektrischen Behandlung gestorben waren.76 Auch im Reichstag wurde das Thema kontrovers diskutiert.77 Am 27. März 1918 untersagte das Bayerische Kriegsministerium (unter dessen Zuständigkeit auch Kaufmanns Lazarett in Ludwigshafen fiel) die Verwendung des sinusoidalen Wechselstroms

71 So beispielsweise der Garnisons- und Oberstabsarzt Rieder, vgl. Garnisonsarzt, 04.11.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./56; ebenso der Neurologe Max Nonne, der motorische Neurosen zuvor mit Hypnosetechniken angegangen war. Nonnes Hypnosebehandlung ist in der Forschung bereits verschiedentlich untersucht worden, vgl. etwa Köhne, Screening, S. 60 f.; Lerner, Hysterical, S. 86–102; Ulrich, Krieg, S. 11–14. 72 Kaufmann, S. 803. 73 Vgl. dazu den Bericht des Garnisonsarzts Rieder, 04.11.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK. SanA./56. 74 Peckl, Krank, insbes. S. 87 f.; zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Philipp Rauh für die Innere Medizin, dabei konkret für die Behandlung von Erschöpfungszuständen, vgl. Rauh, Behandlung, insbes. S. 123–125. 75 Eine solche Analyse des ärztlichen Kriegsneurotikerdiskurses ausschließlich anhand von Fachzeitschriften findet sich etwa bei Michl, S. 181–266. 76 Kaufmann selbst nennt vier Todesfälle, von denen ihm berichtet worden sei. Jedes Mal hätten die Ärzte die eigentlich gute Methode falsch angewandt und grobe »Kunstfehler« gemacht, vgl. Fritz Kaufmann an den Chefarzt des Reservelazaretts Ludwigshafen, 31.10.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./56; zu den Todesfällen auch [Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung?], Abschrift zu Nr. 8781/4.17 M. A., ca. April 1917, in: BA-MA PH 7/6. 77 Vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 152.

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zur Behandlung von Kriegsneurotikern und damit die »Kaufmann-Kur«.78 Der schwächere faradische Strom war hingegen weiterhin erlaubt.79 Fritz Kaufmann selbst ging zur Hypnose als alternativer Suggestions-Methode über.80 Weiterhin konnte er dabei vom Umgebungseffekt des Militärkrankenhauses profitieren. Denn aus Sicht führender Psychiater war die »Angst vor den Nervenlazarett«81 zwar ein hilfreicher Faktor, aber nicht entscheidend. Viel wichtiger für den Behandlungserfolg, darin stimmten auch Ärzte anderer Fachdisziplinen zu, sei die konstruktive Genesungsatmosphäre im Heimatlazarett. Was war damit gemeint? Zum einen ging es dabei um die Idee, dass Kriegsinvalide im Heimathospital wieder Mut fassen würden, wenn sie beispielsweise sahen, wie geschickt andere Patienten, die bereits mehr Erfahrung hatten, mit ihren neuen Prothesen das Leben meisterten.82 Zum anderen, so erklärte der Ärztliche Verein in Frankfurt am Main, könne die »Wirkung dieses suggestiven Milieus«83 auch auf Patienten mit hysterischen Symptomen positiven Einfluss ausüben. Bei ihnen rege es ebenfalls den Gesundungswillen an, wenn sie im Lazarett bereits geheilte Mitpatienten erblickten und von den Heilungserfolgen des behandelnden Arztes hörten. Um diesen Effekt weiter zu verstärken war aus Sicht vieler Psychiater sogar gezielte Reklame für einzelne Militärkrankenhäuser »nicht zu verwerfen«,84 wenn dadurch das suggestive Moment erhöht werde. Das Sanatorium wirkte in dieser Sichtweise wie eine Pilgerstätte für verwundete und kranke Soldaten.85 Fasst man diese ärztlichen Aussagen zusammen, so bezog das Heimatlazarett seine erfolgreiche Wirkung gleichzeitig aus seinem straffen Disziplinarregime und aus der Nähe von Patienten in unterschiedlichen Genesungsstadien zueinander. Optimalerweise inspirierten sie sich gegenseitig beim Gesundwerden und Üben und stärkten damit den vielbeschworenen »Willen« zu Arbeit und Heilung. In der Nachkriegszeit bemerkte der Psychiater Friedrich Quensel, dass die Lazarettumgebung ein ausgesprochen effektives und »bequemes Werkzeug

78 Vgl. Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 27.03.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. Zur Begründung des Verbots, sinusoidalen Wechselstroms weiter anzuwenden, führte das Kriegsministerium die »vorgekommenen plötzlichen Todesfälle« an. 79 Vgl. Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 27.03.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 80 So berichtet jedenfalls Quensel, S. 82. Auch andere Psychiater bevorzugten bald die Hypnose, vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 153. 81 Hoffmann, Über die Behandlung, S. 328. 82 Vgl. etwa Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 43; ähnlich Nieny, S. 327 f. 83 Aerztlicher Verein Frankfurt am Main, S. 528; vgl. zur »Lazarettatmosphäre« auch Schultze, S. 1352. 84 Aerztlicher Verein Frankfurt am Main, S. 528; ähnlich Hirschfeld, R., S. 825. 85 Paul Lerner hat solche psychiatrischen Positionen als Wunderheilungstheorien bezeichnet: In den Nervenlazaretten habe sich eine Art »Lourdes-Effekt« gezeigt, vgl. Lerner, Hysterical, S. 142.

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zur Therapie selbst«86 gewesen sei. Er bedauere es, dass die Revolution dieses Instrument wieder »zerbrochen [und] dem Arzt die wirksamste Waffe aus der Hand geschlagen«87 habe, mit der er die Heilung des Patienten militärisch hätte erzwingen können. 2.1.4 Weiterbildung und Spezialisierung: Das Lazarett als medizinisches Schulungs- und Kompetenzzentrum Viele Ärzte nutzten ihre Tätigkeit im Lazarett, um bestimmte Behandlungs­ methoden populär zu machen und andere Ärzte darin anzulernen.88 Die Tatsache, dass so viele junge, ungeübte Mediziner sowie ältere Zivilärzte im Verlauf des Weltkriegs für das Militär arbeiteten, unter ihnen auch Medizinstudenten, die ihre Approbation in der Notsituation des Krieges im Schnellverfahren erhalten hatten,89 machte eine nachträgliche Weiterbildung dieser Personen umso notwendiger. Neben anderen Foren der medizinischen Fortbildung während des Krieges90 avancierten damit vor allem die Heimatlazarette zu ärztlichen Schulungszentren.91 Viele Mediziner priesen in Zeitschriftenartikeln die gute interne Zusammenarbeit mit ihren Lazarettkollegen, die spannende neue Forschungsergebnisse hervorbringe.92 Man helfe sich gegenseitig und komme dabei auf die besten Ideen. Diese angeblich so erfolgreiche Teamarbeit in wechselnden Konstellationen entsprach genau der offiziellen Linie der Militärbehörden. Sie wollten  – neben den Feldheerlazaretten  – auch das heimatliche Militärkrankenhaus als Ort der Wissenschaft und der fachlich-schulischen Weiterbildung etablieren.93 Dabei beschränkte sich die Fortbildungsfunktion nicht auf die Ärzte allein. Zahlreiche Heimathospitäler boten, gerade zu Beginn des Krieges, auch Schnellkurse für freiwilliges Pflegepersonal aus der Zivilbevölkerung an.94 Außerdem kümmerten sie sich intensiv um die Allgemeinbildung, berufliche Weiterbildung oder gar Umschulung ihrer soldatischen Patienten, wovon in den nächsten Kapiteln noch genauer die Rede sein wird.

86 Quensel, S. 87 f. Vgl. ähnlich Singer, S. 85 f. 87 Quensel, S. 87 f. 88 Vgl. etwa die Beschreibungen bei Hohmann, S. 110; ebenso Garnisonsarzt, 04.11.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./56. 89 Vgl. dazu ausführlicher Eckart, Medizin und Krieg, S. 102. 90 Ein Beispiel stellten regelmäßige Vortragsabende zur militärärztlichen Fortbildung in Berlin dar, vgl. Adam, Kriegsärztliche; ders., Dienstbeschädigung; ders., Die Behandlung. 91 Vgl. exemplarisch zu militärärztlichen Kursen in der Anstalt für Massage und Krankengymnastik des Reservelazaretts I. Dresden den Bericht vom 01.10.1915, in: HStAD 11348/3312, fol. 28–32. 92 Vgl. etwa Schede; Ziemann, H., S. 1167; Schjerning, Die Tätigkeit, S. 5. 93 Vgl. exemplarisch Schultzen, Kriegsärztliches, S. 128. 94 Vgl. dazu etwa Hotz, Aerztliche, S. 18.

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Ein direkt damit zusammenhängender, oft gelobter Vorzug der Heimat­ lazarette war ihre zunehmende fachliche Spezialisierung. Während die meisten Heimathospitäler in den ersten Kriegsmonaten noch alle Arten von Patienten betreut hatten,95 strukturierten die Militärbehörden seit etwa 1915 die Patientenverteilung um. Sie begannen nun, in den Groß- und Universitätsstädten medizinische Kompetenzzentren zu bilden und vielen Reservelazaretten bestimmte fachliche Ausrichtungen mit den entsprechenden ärztlichen Experten zuzuteilen. Bald existierten spezialisierte Geschlechtskrankenlazarette, orthopädische Lazarette, Nierenlazarette und so weiter. Ein gutes Beispiel zur Verdeutlichung dieser fachlichen Ausdifferenzierung sind die Hospitäler der Stadt München. Hier waren alle Reservelazarette alphabetisch durchnummeriert: Während sich »München A« auf Innere Medizin konzentrierte sowie Augen- und Ohrenkranke betreute, etablierte sich »München B« als chirurgisches Hospital. »München C« war ein Magenlazarett für Magen-, Darm- und Zuckerkranke, »München D« ein weiteres chirurgisches Hospital und so fort.96 Auch Vereinslazarette konnten einen medizinischen Schwerpunkt haben, wenn sie in Fachstationen öffentlicher Krankenhäuser oder spezialisierten Privatkliniken eingerichtet waren.97 Mit der neuen Kompetenzbündelung im Lazarettwesen zeigten sich die meisten Militärärzte hoch zufrieden. Sie versprachen sich davon bessere Behandlungsergebnisse und schnellere Erfolge.98 Für die Verwundeten und Kranken bedeutete die Verlegung in ein Speziallazarett konkret, dass ihre Mitpatienten dort ähnliche Leiden hatten wie sie selbst. Dies hatte offenbar zwei Folgeeffekte: Erstens konnten die Ärzte auf diese Weise an einem breiten Spektrum sich gleichender Fälle Behandlungsmethoden erproben und Forschung betreiben.99 Es verwundert daher nicht, dass die Leiter neuer Spezialabteilungen oder -lazarette immer betonten, wie außerordentlich nutzbringend ihre neue Institution sei.100 Sie hatten sich geradezu optimale Bedingungen für wissenschaftliches Arbeiten geschaffen. Zweitens trugen die Zusammenlegungen dazu bei, dass sich unter den Patienten dieser Sonderlazarette ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl etablierte. Auf Anweisung des Bayerischen Kriegsministeriums sollten etwa 95 Vgl. Koetzle, S. 108. 96 Vgl. die Akten zu einzelnen Münchener Reservelazaretten im Bestand: BayHStA Stv.­ GenKdo.​I.AK.SanA., insbes. die Aktennummern 475–507. 97 Vgl. etwa für München das Vereinslazarett Augenheilanstalt sowie die Psychiatrische Klinik, die beide dem Reservelazarett München B zugeordnet waren, in: Verzeichnis der Reservelazarette, Vereinslazarette [usw.] im Bereich des I. Bayerischen Armeekorps, 01.01.1915, in: BayHStA AB/12723. 98 Vgl. Sanitätsamt I. AK. an den Münchener Reserve-Lazarett-Direktor u. a., 19.11.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./575; Fürsorge-Reserve-Lazarett München, 23.11.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 99 Vgl. Sanitäts-Departement des Königlich Preussischen Kriegsministeriums, darin: Oberstabsarzt Martineck, Korreferat, S. 46; Schramm; Schede; Silberstein. 100 Vgl. exemplarisch hier nur Oberstabsarzt Crämer, Halbjahrsrapport über das Reservelazarett C, Station A, 1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./497; Wagner, S. 549.

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einseitig Armamputierte in einem Speziallazarett zusammen­gefasst werden. So könnten die Betroffenen »durch gegenseitiges Unterrichten und Absehen einzelner Kunstgriffe, durch methodischen Unterricht seitens eines erfahrenen Lehrers und durch die immer reicher werdende Erfahrung des behandelnden Arztes in sehr viel kürzerer Zeit zu sehr viel größeren Ergebnissen kommen«.101 Diese behördliche Wunsch-Idee eines Synergieeffekts der Sonderkliniken scheint in manchen Fällen tatsächlich funktioniert zu haben. So schilderte die Berliner Handarbeits-Lehrerin Margot Grupe, wie sich die Amputierten während des Knüpf- und Strickunterrichts, den sie im Lazarett anbot, gegenseitig unterstützten und ergänzten: »Die Kameraden verstehen es auch vorzüglich, die Neulinge anzulernen, Einarmigen oder sonst Verstümmelten praktische Erleichterungen einzurichten und auszuprobieren. Die beste Lösung fand ich bei zwei Einarmigen, die immer zusammen einen Gegenstand machten, der eine links-, der andere rechtshändig.«102

Betrachtet man die verschiedenen Potenziale der heimatlichen (Reserve-)Lazarette in der Gesamtschau, so lässt sich feststellen, dass sowohl die Medizinalbehörden, als auch – und das noch weitaus stärker – die praktizierenden Ärzte vor Ort die Heimathospitäler als ausgesprochen vorteilhafte Behandlungsumgebung bewerteten. Einerseits ging es dabei um medizinische Qualitäten in der Behandlung der Soldaten, die hier im Vergleich zum Frontlazarett als professioneller, individueller und geordneter galten; andererseits waren Aspekte der militärischen Kontrolle und Disziplinierung wichtig. Nicht zuletzt scheinen viele Lazarettärzte ihr neues Arbeitsumfeld auch als interessante wissenschaftliche Spielwiese entdeckt zu haben, um dort zu forschen, zu lernen und beruflich aufzusteigen.

2.2 Je schneller, desto besser: Beschleunigte Wiederherstellung im Lazarett Die zentrale Aufgabe der Heimatlazarette lag aus Sicht des Militärs in der Wiederherstellung bestimmter verlorener Güter und Werte: des gesunden Soldatenkörpers, des künftigen Arbeiterkörpers, der Kampffreudigkeit, des Arbeitswillens, der guten Stimmung und der Disziplin. Passend zu diesem speziellen Aufgabenprofil fällt auf, dass die Militärärzte und Behördenvertreter selten da101 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 09.02.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; vgl. dazu auch Sitzungsbericht der Zentralwerkstätten für Kriegsverletzte XII. AK., 25.01.1917, in: HStAD 11348/3342. In Dresden leitete etwa der einarmige Sägewerksbesitzer Robert Melzer die Einarmigen-Schule des Dresdener Heimatdank an, vgl. Vertrag vom 23.03.1915, fol. 148; Robert Melzer, »Man kann einarmich aber doch ein ganzer Mann sein!«, ca. März 1916, beide in: StadtADr 13.7/13. 102 Grupe, S. 12.

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von sprachen, dass sie die Soldaten in den Lazaretten »heilten«. Stattdessen war fast immer davon die Rede, dass dort ihre Kriegsverwendungs- oder Erwerbsfähigkeit »wiederhergestellt«103 werden sollte. Mag der begriffliche Unterschied zwischen »heilen« und »wiederherstellen« auch marginal erscheinen, so enthält er doch bereits die semantische Differenz, die das Berufsverständnis von Zivil- und Militärmedizin voneinander unterschied. Während der Zivilarzt ganz dem Patientenwohl verpflichtet sein sollte, befand sich der Militärarzt in einer Zwischenstellung der »doppelten Loyalität«.104 Ausdrücklich betonte die preußische Medizinal-Abteilung immer wieder, die Lazarettärzte seien »nicht nur dem einzelnen Kranken gegenüber verantwortlich, sondern auch der Allgemeinheit gegenüber.«105 Sie sollten sich keinesfalls »nur die rein klinische Heilung, sondern die schleunigste und bestmögliche Wiederherstellung der militärisch oder kriegswirtschaftlich ausnutzbaren Arbeitskraft des Erkrankten zum Ziele«106 setzen. Wie sich bereits in diesen Anweisungen erkennen lässt, musste die Lazarettbehandlung aus Sicht der Heeresverwaltung vor allem dazu dienen, den Insassen eine möglichst effektive und zügige Behandlung zukommen zu lassen, um damit einerseits die Truppenstärke an der Front und andererseits den Personalbedarf in der heimischen Industrie und Landwirtschaft zu decken. Zivilmedizinische Vorstellungen von »Heilung« standen dabei höchstens im Hintergrund. Der Straßburger Stabsarzt Prof. Blind erklärte dazu 1915 in der »Deutschen Medizinischen Wochenschrift«: »Im Anschluß […] möchte ich die Frage prüfen, bis wann Kriegsbeschädigte in Behandlung verbleiben dürfen und sollen. Laien wird die Antwort sehr einfach scheinen, die Frage sogar seltsam klingen. Sie werden meist ohne weitere Ueberlegung antworten: ›Bis zur Heilung.‹ Rein ärztlich stellt sich die Aufgabe schon etwas schwieriger, umschließt sie doch die weitere Frage: ›Was ist unter dem Begriffe Heilung zu verstehen?‹ In diesen Tagen aber, wo trotz riesenhafter Anstrengungen und glanzvoller Leistungen aller Zweige der Kriegschirurgie die Sorge um das weitere Los und um die wirtschaftliche Zukunft der Kriegsbeschädigten in den Vordergrund des Interesses rückt und in der späteren Fürsorge für die Opfer des Krieges eine schwerwiegende soziale Aufgabe erkannt wurde – in diesen Tagen ist die Frage nach der zulässigen und erstrebenswerten Dauer des Heilverfahrens zum großen Teile aus dem Rahmen der Heilkunde herausgetreten und auf volkswirtschaftliches Gebiet übergegangen.«107 103 Vgl. exemplarisch Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg, S. 461. 104 Vgl. zu doppelten Loyalität Bergen, Medicine, S. 9 f.; ders., For Soldier. 105 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 11, in: BA-MA PHD 6/197; Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 04.11.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 106 Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, § 53, in: BA-MA PHD 6/206. 107 Blind, Bis wann, S. 953.

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Blind gab hier den Standpunkt der Heeresverwaltung in seinen Worten wieder: Die Heimatlazarette mussten sich in ihrer Arbeitsweise vor allem an den ökonomischen und militärischen Interessen des Kaiserreichs orientieren. »Nicht anatomisch zu heilen«, so schrieb Blind in einem anderen Artikel von 1915, »sondern volkswirtschaftlich zu retten – Menschen und einzelne Gliedmassen –, darum handelt es sich im Interesse einer zukunftsfrohen und arbeitskräftigen Nation.«108 2.2.1 Behandlung auf Probe und Absenkung der Tauglichkeitsanforderungen Wie umfassend sollte der Soldat im Heimatlazarett »wiederhergestellt« werden? Wie viel Gesundheit war gut genug? Analysiert man die sanitätsbehördlichen Anweisungen unter dieser Fragestellung, so zeigt sich, dass es darauf keine pauschale, eindeutige Antwort gab. Denn einerseits folgte die Heeresverwaltung hier mehreren Teil-Strategien, andererseits scheint sie ihr Vorgehen ab 1916/17 grundsätzlich verschärft zu haben. Zunächst zu den unterschiedlichen Stra­ tegien: Die Frage, wie lange sich ein Soldat im Lazarett aufhalten sollte, hing mit der Krankheit oder Verwundung zusammen, die er ins Hospital mitbrachte.109 Noch entscheidender war allerdings, wie seine militärärztliche Prognose lautete. Grundsätzlich unterschieden die Behörden zwischen vier Gruppen von Patienten, womit auch eine hierarchische Wertung verbunden war: erstens den­jenigen, die voraussichtlich erneut in der Truppe eingesetzt werden konnten – das waren die vielversprechendsten Fälle. Zweitens denjenigen, die künftig in einem bürgerlichen Beruf weiterarbeiten würden. Auch sie, die »dringend benötigten Arbeitskräfte […] in der Industrie und in der Landwirtschaft«,110 galten für den Staat als wertvoll, selbst wenn sie nur noch eingeschränkt arbeiten konnten. Drittens kümmerte sich das Lazarett um die Gruppe der Schwerstverwundeten, die so dramatische Kriegsbeschädigungen erlitten hatten, etwa Rückenmarks- oder Hirnverletzungen mit Lähmungsfolgen, dass sie selbst nach jahrelanger Behandlung arbeitsunfähig und hilfsbedürftig waren. Dies führe häufig, so die kühle Bilanz des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, »zu einem dauernden hoffnungslosen Siechtum«. Zwar gestanden die Ärzte solchen Patienten »aus menschlichen Erwägungen«111 oft einen längeren Lazarettaufenthalt zu; 108 Blind, Verbindung, S. 938. 109 Vgl. dazu Oberstabsarzt Crämer, Halbjahrsrapport über das Reservelazarett C, Station A, 1916, S. 6, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./497. 110 Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarette u. a., 20.03.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./176. 111 Fürsorge-Reserve-Lazarett München an das Sanitätsamt I. AK., 30.01.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281.

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doch ihr weiteres Schicksal nach der Entlassung war ungewiss. Die vierte Patienten-Kategorie umfasste problematische Sonderfälle, etwa bestimmte chronisch Kranke oder Männer mit hysterischen Symptomen.112 Ihr Lazarettaufenthalt sollte so kurz wie möglich sein; am besten sollten sie aus dem Militär insgesamt entfernt werden. In den Augen vieler Sanitätsoffiziere waren Soldaten mit bestimmten wiederkehrenden oder hartnäckigen Krankheiten – etwa Rheumatiker, Nierenkranke, Geschlechtskranke, Herzkranke oder Neurotiker – militärisch hoffnungslose Fälle.113 Sie galten als willensschwache, wehleidige Persönlichkeiten, die der Armee mehr schadeten als nützten.114 Da oft nicht von vorneherein klar war, in welche Kategorie ein neuer Patient fiel, wurde er im Lazarett zunächst gewissermaßen auf Probe behandelt. Es sollte sich zeigen, wie weitreichend die Ärzte seine Dienstfähigkeit »in absehbarer Zeit«115 wiederherstellen konnten. Welcher Zeitraum als »absehbar« und angemessen galt, war jedoch nicht klar festgelegt – die offiziellen Vorgaben schwankten regional zwischen zwei und sechs Monaten.116 Das Militär, so könnte man zusammenfassen, strebte nicht die unbedingte »Ausheilung« einer Krankheit oder Verwundung der Soldaten in den Lazaretten selbst an,117 sondern zielte auf eine Art »Anheilen« oder »Probeheilen«. Das Idealergebnis war dabei die Entlassung des Patienten als »kriegsverwendungsfähig« (k.v.) ins Feld. War dieses Resultat jedoch nicht möglich oder nahm es ungebührlich viel Zeit und Geld in Anspruch, konzentrierten sich die Ärzte auf die nächstniedrigeren realistischen

112 Vgl. zu chronisch Tripperkranken: Sanitätsamt I. AK. an die diensttuenden Ärzte der Ersatztruppenteile u. a., 24.11.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; vgl. auch den Überblick zu chronisch Magen-, Nieren- und Nervenkranken, in: Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg, S. 461. 113 Vgl. zusammenfassend Müller, F.; zu »unheilbaren« Neurotikern Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Württ. Kriegsministerium, 29.01.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 41. 114 Vgl. etwa zu chronisch Magenkranken Oberstabsarzt Crämer, Halbjahrsrapport über das Reservelazarett C, Station A, 1916, S. 7, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./497; zu Rheumatikern Wagner, S. 549; ebenso Blind, Kriegsbeobachtungen, S. 881; zu Herzkranken auch Rauh, Behandlung, S. 107 f. 115 Fürsorge-Reserve-Lazarett München an das Sanitätsamt I. AK., 30.01.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281. 116 Vgl. Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppen­ teilen, 28.07.1916, S. 6, in: BA-MA PHD 6/197. Das Bay. Kriegsministerium wiederum ließ sich 1917 alle Verwundeten melden, die mehr als 3 Monate im Lazarett lagen, vgl. Bay. Kriegs­ministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 13.03.1917, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. In Württemberg unterschieden die Verantwortlichen zwischen maximal 3 Monaten für innerlich Kranke und 6 Monaten für äußerlich Kranke, vgl. Stv. Generalkommando XIII. AK., 31.05.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 213. 117 Vgl. dazu Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg, S. 461.

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Optionen: die Wiederherstellung der Garnisondienst- oder Arbeitsfähigkeit des Soldaten für das Militär beziehungsweise einen bürgerlichen Beruf.118 Wenn bei einem Patienten die Entlassung als »k.v.« noch erreichbar schien, durfte sein Lazarettaufenthalt länger dauern und aufwendige Therapieformen beinhalten.119 Auch wenn für einen Patienten die erfolgreiche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt abzusehen war, forderte das Preußische Kriegsministerium, ihn »nicht eher aus dem Dienste zu entlassen, als bis der höchstmögliche Grad der Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit des beschädigten Gliedes oder der Leistungsfähigkeit des Erkrankten erreicht ist.«120 In dieser Anweisung spielten vor allem finanzielle Überlegungen eine Rolle: Je umfassender es gelang, die Erwerbsfähigkeit eines Patienten zu restituieren, desto wahrscheinlicher war es, dass er seinen Lebensunterhalt durch Arbeit selbst bestreiten konnte. So musste ihm der Staat weniger Invalidenrente zahlen. Zog sich die Genesung eines Insassen jedoch sehr lange hin, so dass »auch nach längerer Behandlung ein wesentlicher Heilerfolg nicht zu erwarten«121 war, sollte das Lazarett seine Entlassung »so bald als möglich in die Wege leiten«,122 damit dem Militär keine weiteren Kosten entstanden. In diesem Fall sollten bei Bedarf bürgerliche Stellen die weitere Fürsorge übernehmen.123 Alternativ betreute das Reservelazarett den bisherigen Lazarettinsassen ambulant weiter. Dies war eine Kompromissvariante, die sich bei bestimmten Verwundungs- und Krankheitsarten anbot. Aus Sicht der Heeresverwaltung sprach vieles für diese Zwischenform: Der ambulant behandelte Mann wohnte nicht mehr im Lazarett, sondern privat, er verursachte dem Staat also keine Unterbringungs- und Verpflegungskosten mehr und beanspruchte auch keinen Platz. Dennoch musste er sich regelmäßig einem Sanitätsoffizier im Hospital vorstellen, so dass ein gewisses Maß an Kontrolle erhalten blieb.124 In diesen Fällen übernahm das Reservelazarett also eine ähnliche Funktion wie sie die städtischen Polikliniken der Vorkriegszeit ausgefüllt hatten.125 Zusammen-

118 Vgl. zu den Grundvoraussetzungen für diese beiden Tauglichkeitsstufen: Kriegsmusterungsanleitung, 02.03.1916, § 68–71, in: BA-MA PHD 6/115. 119 Vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: B ­ ayHStA MKr/18389, fol. 123; Sanitäts-Departement des Königlich Preussischen Kriegsministeriums, darin: Oberstabsarzt Martineck, Korreferat, S. 35. 120 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312. 121 Ebd. 122 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 13.03.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 123 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/3312. 124 Vgl. Generalarzt Kimmel an das Sanitätsamt II. AK., 21.12.1916, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./176; Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 18 f., in: HStAD 11348/3001. 125 Vgl. zur Funktion der Poliklinik als »Schwellenraum der urbanen Moderne« am Beispiel der Charité um 1900 Hess u. Ledebur, insbes. S. 19 f.

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gefasst gab es soldatische Patienten, bei denen sich ein ausgedehnter Lazarett­ aufenthalt im Heimatgebiet ökonomisch oder militärisch angeblich rentierte und auch zugestanden wurde, sowie andere, bei denen dies aus Sicht der Behörden sinnlos oder sogar schädlich war. Nun zum zeitlichen Wandel dieses grundsätzlichen Konzepts: Während längere Lazarettzeiten bei Kriegsbeginn noch kaum problematisiert wurden,126 änderte sich die Position der Heeresverwaltung bald radikal. Spätestens ab Ende 1915 entwickelte sich die Länge der Lazarettzeit immer mehr zu einer Kernfrage, die die Militärbehörden geradezu obsessiv verfolgten. In dem Maße, in dem sich die militärische und wirtschaftliche Situation für das Kaiserreich zuspitzte, verschärfte sich auch der behördliche Umgang mit den Lazarettinsassen. Besonders die potenziell kriegsverwendungsfähigen Leute gerieten dabei ins Visier der Medizinalverwaltung. So befahl etwa das Bayerische Kriegsministerium im Mai 1917, dass die Soldaten schneller entlassen werden müssten und dass, »nunmehr jedem nicht durchaus gerechtfertigten Lazarettaufenthalt ein Ende gemacht und künftig kein Mann mehr länger als unbedingt nötig in den Lazaretten zurückgehalten wird.«127 Die vom Bayerischen Kriegsministerium geforderte Beschleunigung der Lazarettbehandlung und der Entlassungsprozedur wurde auch von anderen Dienststellen in zahlreichen Schreiben wiederholt. Warum die Militärbehörden das Beschleunigungsthema so insistent immer wieder anmahnten, lässt sich unterschiedlich erklären.128 Eine Hauptursache war sicherlich die wirtschaftliche Not des Kaiserreichs aufgrund der feindlichen Blockade und des eigenen Missmanagements an der Heimatfront.129 Dabei wirkte sich die Güterverknappung auch indirekt auf gesellschaftliche Bereiche wie die Medizin und damit auf die Heimathospitäler aus.130 Spätestens seit 1916 machte sich der Ressourcenmangel in den Lazaretten vielerorts bemerkbar: Teilweise fehlten bestimmte Nahrungsmittel,131 Verbandsmaterialien, Medikamente, Ärzte oder schlicht

126 Im Handbuch für Militärärzte hieß es zwar bereits 1909: »Die Lazarettbehandlung soll nur so lange ausgedehnt werden, wie der Krankheitszustand es unbedingt erfordert.«, Waßmund, S. 535. Jedoch stellt das Handbuch diesen Aspekt nicht in den Vordergrund und nennt auch keine Zeitfristen. 127 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 15.05.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 128 Vgl. zu diesen Motiven und allgemeiner zum Beschleunigungsparadigma der deutschen Militärmedizin im Ersten Weltkrieg Enzensberger, No time; allgemeiner zum »Beschleunigungsprinzip« im 19. und 20. Jahrhundert Borscheid, Tempo-Virus; aus soziologischer Perspektive Rosa, Beschleunigung; ders., Beschleunigung und Entfremdung. 129 Vgl. zur Blockade Kramer, Blockade; Leonhard, S. 518–520; Feldman, Army, insbes. S. ­97–145. 130 Vgl. dazu knapp Perry, Brave, S. 153 f.; dies. Recycling, S. 180 f.; Rauh, Behandlung, S. 101 f. 131 Vgl. etwa die Beschwerde eines Patienten aus dem Reservelazarett München C, ca. 20.08.1916, sowie die dazugehörige Stellungnahme des Chefarztes, 23.08.1916, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./497.

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Geld für Anschaffungen.132 Umso mehr forderten die Behörden eine »fliessende Entleerung der belegten Betten«.133 Einen mindestens ebenso wichtigen Grund für den Beschleunigungswunsch stellte die Tatsache dar, dass der Krieg in seiner modernen, industrialisierten Form Millionen von Opfern auf allen Seiten forderte  – Tote ebenso wie Verletzte, Kranke und psychisch Gebrochene. Die deutschen Streitkräfte, die zusammen mit ihren Verbündeten den Ententemächten zahlenmäßig von Anfang an unterlegen waren, konnten diese empfindlichen Einbußen in ihren Reihen auf Dauer kaum verkraften.134 Die Dritte Oberste Heeresleitung (OHL) setzte in dieser Situation ab dem September 1916 darauf, im Rahmen des sogenannten »Hindenburg-Programms« die Rüstungsproduktion massiv zu steigern und alle wirtschaftlichen Ressourcen für die Kriegsanstrengungen heranzuziehen. Die Menschenverluste an der Front sollten nun durch mehr und durchschlagkräftigere Maschinen kompensiert werden.135 Doch aus Sicht der Militär­ führung boten zusätzlich auch die Lazarette eine vielversprechende Lösung an: Die knapp gewordene »Ressource Mensch«136 schien im Militärkran­kenhaus potenziell erneuerbar zu sein. Hier ließen sich die verwundeten und kranken Soldaten soweit »wiederherstellen«, dass sie im Anschluss frisch an der Front oder in der Industrie eingesetzt werden konnten. Die medizinische Ver­ sorgung im Lazarett stellte somit einen wichtigen Baustein innerhalb des größeren Wirtschafts- und Rüstungsprogramms dar. Doch dieses Modell funktionierte nur, wenn die Soldaten möglichst rasch aus dem Hospital entlassen wurden. Nicht zuletzt spielten für die Verschärfung der behördlichen Lazarett-Strategie auch soziale Faktoren eine Rolle. Zunehmend betrachtete die Heeres­ verwaltung ausgedehnte Lazarettaufenthalte als psychologisches und gesamtgesellschaftliches Problem, da sich die Insassen zu lange außerhalb eines strikt militärischen Kontextes befanden.137 Ab spätestens 1916 erklärte es das Preußische Kriegsministerium daher zum Leitgrundsatz, der »beschleunigten Heraus-

132 Vgl. etwa zum Gummi-Mangel (etwa für Operationshandschuhe) Runderlass des Preuß. Kriegsministeriums, 14.03.1915, zit. nach: Flemming u. a., S. 136; zu anderen Güterverknappungen den Überblick bei Leonhard, insbes. S. 517–521. 133 Geheimer Erlass des Feldsanitätschefs an alle Kriegsministerien, Medizinal-Abteilungen, u. a., 24.09.1918, in: BayHStA MKr/10521. 134 Vgl. etwa Preuß. Kriegsministerium, von Wandel, an das Württ. Kriegsministerium, Geheim!, 13.11.1914, in: HStAS M 1/8 Bü 7; zu den wirtschaftlich-militärischen Kräfteverhältnissen zwischen den Kriegsparteien allgemein Ullmann, Kriegswirtschaft, insbes. S. 220 f.; Stevenson, S. 44–73. 135 Vgl. Leonhard, S. 514–524, insbes. S. 514 f.; Geyer, Hindenburg-Programm; Kruse, Organisation; Feldman, Army, S. 149–196; Ullmann, Organization. 136 Daniel, Frauen, S. 120. 137 Vgl. dazu exemplarisch Beobachtungsstation, Reservelazarett Lehrerseminar, an das Sanitätsamt XIV. AK., 06.06.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88.

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ziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten«138 die höchste Aufmerksamkeit zu widmen.139 Mit den skizzierten Beschleunigungsforderungen ging eine weitere Tendenz der Behörden einher: Sie drängten zunehmend auf eine »Herabminderung der Anforderungen«140 bei der militärischen Tauglichkeitsprüfung, auch bei Lazarettinsassen.141 An die Gesundheit des Ersatzes dürften angesichts der Kriegslage keine übertriebenen medizinischen Anforderungen mehr gestellt werden.142 Franz Gustav von Wandel, der stellvertretende Kriegsminister, erklärte im September 1915: »Wenn im Frieden bei Beurteilung der Tauglichkeit der Militärpflichtigen besonders hohe Anforderungen gestellt werden, so hat dies seinen Grund darin, daß in Rücksicht auf die durch die Friedenspräsenzstärke beschränkte Stellenzahl nur die körperlich Geeignetsten aus dem großen zur Verfügung stehenden Menschenmaterial eingestellt werden können. Wollte man diesen Maßstab im gegenwärtigen Kriege anlegen, so würde es unmöglich gewesen sein, den bisher gestellten, auf mehrere Millionen zu beziffernden Ersatz aufzubringen. Die Deckung des künftigen Ersatzbedarfs wäre in Frage gestellt.«143

Knapp ein halbes Jahr später, im Januar 1916, insistierte auch der Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn in einem geheimen Erlass, dass gerade bei Offizieren jeder als kriegsverwendungsfähig bezeichnet werden müsse, »der auch bei noch nicht vollkommen wiederhergestellter Dienstfähigkeit für irgend eine Stelle im Feld verwendbar ist, die andernfalls mit Offizieren der fechtenden Truppen besetzt werden muß.« Im Zweifel könne man die Männer auch versuchsweise als k.v. an die Front schicken. Insgesamt habe die Erfahrung deutlich gezeigt, »daß es bei sicherer Erkennung des Krankheitszustandes nicht erforderlich ist, allzu

138 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 11, in: BA-MA PHD 6/197. 139 Zentral war die dazu ebenfalls vom Preuß. Kriegsministerium herausgegebene Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, in: BA-MA PHD 6/206, vgl. ausführlich Enzensberger, No time, S. 25–27. 140 Quensel, S. 81. 141 Vgl. Württ. Kriegsministerium, Abteilung IIb., Ersatzangelegenheiten, 1918, in: HStAS M 77/2, Nr. 4, fol. 13 f.; Stv. Generalkommando XIII. AK., 23.01.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 16. Diese Schreiben weisen auf den entsprechenden Erlass des Preußischen Kriegsministeriums vom 26.02.1915 Nr. 3020/1. 15 C. 1 hin, mit dem dieses neue, niedriger angesetzte Maßstäbe für die Kriegsverwendungsfähigkeit befohlen hatte. 142 Vgl. etwa Reservelazarett Rastatt an das Sanitätsamt XIV. AK., 16.08.1916, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 82; Crämer, Magenkrankheiten; rückblickend His, Allgemeine Einwirkungen, S. 19. 143 Preuß. Kriegsministerium an Stv. Generalkommandos u. a., 04.09.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 17; vgl. auch Kriegsmusterungsanleitung, 02.03.1916, § 65, in: BA-MA PHD 6/115.

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ängstlich in der frühzeitigen Wiederverwendung im Felde zu sein. Vielfach muß die Heranziehung zum Dienst sowohl im Standort wie im Felde geradezu als genesungsfördernd angesehen werden.«144 Auch in diesem Drängeln des Kriegsministers lässt sich die Idee des »Anheilens« im Lazarett erkennen. Der Hauptfokus dieser Einrichtungen sollte darauf gerichtet sein, den körperlichen Zustand des Soldaten »bis zur Dienstfähigkeit wieder herzustellen«.145 Das implizierte allerdings weder, dass der Mann einen Anspruch darauf hatte, das Militärkrankenhaus so gesund zu verlassen, wie er der Armee ursprünglich beigetreten war, noch, dass die Ärzte um jeden Preis die Wiederherstellung des höchstmöglichen Dienstfähigkeitsgrads anzustreben hatten. In erster Linie ging es darum, den Soldaten überhaupt wieder »verwendungsfähig«, also für das Heer verfügbar zu machen – zur Not in einer anderen, einfacheren Position als vor seiner Erkrankung oder Verwundung.146 2.2.2 Behandlung wider Willen? Erzwungene Operationen im Lazarett Immer wieder kamen im Lazarett Fälle vor, bei denen nach Ansicht des behandelnden Arztes nur eine bestimmte Operation die militärische Dienstfähigkeit des Patienten wiederherstellen konnte. Grundsätzlich waren Soldaten dazu verpflichtet, alle Behandlungen zu akzeptieren, die zu diesem Zweck notwendig waren, solange es sich dabei nicht um »erhebliche« Eingriffe handelte.147 Manche Lazarettpatienten weigerten sich aber, bestimmte operative Eingriffe an ihrem Körper durchführen zu lassen148  – sei es aus tatsächlicher Ablehnung, weil es bereits die zehnte Nachoperation war149, sei es aus Angst oder als Akt des Widerstands, um einem erneuten Militäreinsatz zu entgehen. Dies stellte viele Lazarettärzte vor ein Problem: Durften sie die Operation gegen den Willen des

144 Adolf Wild von Hohenborn an sämtl. Stv. Generalkommandos u. a., 17.01.1916, in: BA-MA RM 120/129. 145 Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarette u. a., 20.03.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./176. 146 Vgl. dazu Bay. Kriegsminister an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK. u. a., 03.03.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; Schultzen, Organisation, S. 246. 147 Vgl. dazu ausführlich mit Einzelfällen und Urteilen Joachim. Die Regel galt nicht erst seit Kriegsausbruch, sondern bereits vor 1914, vgl. Waßmund, S. 522. Auch damals war festgelegt, dass Soldaten nur »erhebliche« körperliche Eingriffe ablehnen durften. Ob die Regel auch für Offiziere galt, lässt sich aus den Verordnungen nicht sicher erkennen, muss aber bezweifelt werden, da selbst der Chefarzt ihnen gegenüber nicht direkt weisungsbefugt war, vgl. ebd., S. 512. 148 Vgl. Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarette u. a., 08.05.1915, in: BayHStA Stv.­GenKdo.​ I.AK.SanA./196; auch die Aussagen in: Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 11.07.1918, in: BayHStA MKr/18389. 149 Vgl. zu diesem Motiv: Hamb. Lzt., »Die Ablehnung von Operationen«, in: Zeitschrift der Kriegs-Beschädigten-Fürsorge in Ostpreußen (o. D.), S. 127–128, in: HStAD 11348/2733.

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Patienten dennoch durchführen? Mussten sie es aus militärrechtlichen Gründen sogar tun? Oder setzten sie sich damit der »Gefahr einer Anklage wegen Körperverletzung«150 aus? Über diese Fragen herrschte bei vielen Ärzten große Unsicherheit.151 Tatsächlich handelte es sich um eine rechtliche Grauzone. Wie das Bayerische Kriegsministerium auf Anfrage in einem Erlass von 1915 erklärte, galt als allgemeine Regel, dass ein Eingriff ohne Einwilligung des Soldaten nur dann zulässig war, »a) wenn die Operation zur Erzielung oder Beschleunigung des Heilerfolges objektiv betrachtet, erforderlich ist, und b) wenn die Operation keine erhebliche im Sinne des § 77,3 der F. S. O. ist, und zwar keine erhebliche unter Berücksichtigung des einzelnen in Frage stehenden Falles. Verweigert der Soldat trotz des Gegebenseins dieser Voraussetzung die Zulassung der Operation, so kann die Beugung seines Willens durch Einsatz der militärischen Befehlsgewalt versucht werden. Bleibt der Befehl, die Operation zu dulden, wirkungslos, so verfällt der Soldat den Strafbestimmungen über Ungehorsam (§§ 92 ff. M.St.G. B.).«152

Betrachtet man den Wortlaut dieser streng klingenden Bestimmung genauer, so wird ersichtlich, dass sie alles andere als eindeutig war. Vielmehr gestand der Erlass den Ärzten einen großen Ermessensspielraum zu, der ihre Verunsicherung nicht auflöste, sondern wohl eher weiter befeuerte. Denn was als »erhebliche«153 Operation gelten konnte und was nicht, ob ein Eingriff tatsächlich »objektiv […] erforderlich« war oder nicht, legte der Erlass nicht fest. Indirekt erklärte er diese Frage somit zu einer Sache der ärztlichen Auslegung und des Einzelfalls. Dass diese uneindeutige Regel für die Mediziner alles andere als befriedigend sein musste, realisierte offenbar auch das Bayerische Kriegsministerium. Doch leider, so führte es aus, könne es keine präzise Definition dessen liefern, was unter einer »erheblichen Operation« pauschal zu verstehen sei:

150 Fritz Kaufmann an den Chefarzt des Reservelazaretts Ludwigshafen, 31.10.1916, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./56. Kaufmann, der Erfinder der Starkstromtherapie bei Kriegsneurotikern, zeigte sich in diesem Brief vom Oktober 1916 bemerkenswerterweise selbst verunsichert darüber, ob er seine Therapieform wie bisher anwenden dürfe. Die Antwort des Chefarztes ist nicht überliefert. 151 Diese Unklarheit beschreibt etwa in seinen Kriegserinnerungen Hans Wildermuth, Im Oberelsaß, ca. 1935, S. 9, in: BA-MA N 278/4; vgl. dazu auch zusammenfassend Joachim. 152 Bay. Kriegsministerium, 25.11.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./107. Der zitierte § 77, Nr. 3 der Friedens-Sanitäts-Ordnung (F. S. O.) besagte: »Vor jeder erheblichen chirurgischen Operation muß sich der ordinierende Sanitätsoffizier der Einwilligung des Kranken versichern und, wenn nicht Gefahr im Verzuge ist, dem Chefarzt von der Zeit der Ausführung der Operation Meldung machen.« Vgl. dazu auch Kaestner, S. 123 f., der darauf hinweist, dass die Kriegs-Sanitätsordnung (K. S. O.) einen solchen Passus nicht enthalte. Für die Heimatlazarette war allerdings die F. S. O. maßgebend. 153 Zitate im Folgenden aus: Bay. Kriegsministerium, 25.11.1915, in: BayHStA Stv.­GenKdo.I.AK. SanA./107.

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»Es gehört eben mit zu den Aufgaben der militärärztlichen Tätigkeit, durch entsprechendes Verhalten den Kranken gegenüber jenes Maß von Zutrauen zu dem ärztlichen Vorgehen zu gewinnen, das eine Aenderung des § 77,3 der F. S. O. unnötig erscheinen läßt. Jeden Falles ist von der öffentlichen Erörterung der vorliegenden Frage in Zeitschriften usw. unter den gegenwärtigen Verhältnissen am besten abzusehen.«

Dieser letzte Satz gibt einen Hinweis darauf, dass nicht nur die praktizierende Ärzteschaft, sondern auch die Heeresverwaltung selbst die Frage der erzwungenen Operationen als eine heikle und unübersichtliche Rechtsproblematik wahrnahm, die man vor der Öffentlichkeit besser verbarg. Im Zweifelsfall gaben die Militärbehörden – anders als man es angesichts des beschriebenen Beschleunigungsdrucks vermuten würde – häufig den sich weigernden Lazarettpatienten juristisch recht.154 Ein anschauliches Beispiel stellt der Fall des Infanteristen Julius Riedmeier dar: Anfang 1917 hatte das Bayerische Kriegsministerium die Anfrage eines Lazarettarztes erhalten, wie damit umzugehen sei, dass einer seiner Patienten eine angeblich dringend notwendige Operation am Kopf nicht akzeptieren wolle. Durfte er sie per Befehl erzwingen? Das Bayerische Kriegsministerium wies den Wunsch des Lazarettarztes ab. Es argumentierte dabei wie folgt: »Im vorliegenden Fall des Inf. Julius Riedmeier handelt es sich um die Entfernung einer angeblichen Balggeschwulst am Hinterkopf. Die Geschwulst hindert den Riedmeier, einen Helm zu tragen, macht ihn daher für Infanterie nicht kriegsverwendungsfähig, dagegen ist Riedmeier für Kolonnen und Trains kriegsverwendungsfähig. […] Die durch [das Wehrgesetz vom 9. November 1867] bestimmte Dienstpflicht schließt die Verpflichtung in sich, ein brauchbares Mitglied des Heeres zu sein, und enthält damit auch die Verpflichtung des Soldaten, die zur Wiederherstellung der Dienstbrauchbarkeit erforderlichen ärztlichen Maßnahmen in bestimmten Umfange zu dulden. Eine weitergehende Verpflichtung kann aus der Wehrpflicht nicht gefolgert werden. Denn der Soldat, der infolge seiner körperlichem Beschaffenheit nur in einer Waffengattung zu dienen imstande ist, für welche ein geringerer Grad von Tauglichkeit erforderlich ist, erfüllt seine Pflicht, ein brauchbares Mitglied des Heeres zu sein, wenn er in dieser Waffengattung seiner Dienstpflicht genügt. Er kann deshalb nicht gezwungen werden, Eingriffe in seine körperliche Integrität zu dulden, durch welche seine Tauglichkeit nur erhöht und seine Einstellung in eine bestimmte Waffengattung erzielt werden soll. Mit dieser Auffassung steht auch die Rechtsprechung des Reichsmilitärgerichts in Einklang.«155

Der Fall des Riedmeier ist nicht nur deshalb interessant, weil er die Frage der Zwangsoperationen juristisch auffächert, sondern auch, weil er einen Eindruck 154 Vgl. Joachim, S. 224–228. Das Bay. Kriegsministerium stimmte auch der Ablehnung von Scheininjektionen zu, vgl. Garnisonsarzt, 04.11.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK. SanA./56. 155 Bay. Kriegsminister an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK. u. a., 03.03.1917, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. Unterstreichungen im Original.

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davon vermittelt, ob und wenn ja wie viel persönliche Entscheidungsgewalt über ihren Körper Soldaten im Lazarett zukam. War das Lazarett ein Ort der Nötigung und der absoluten ärztlichen Befehlsgewalt, an dem »der einzelne keine Verfügung über sich«156 hatte, wie es der Psychiater Willy Hellpach formuliert hatte und wie es auch die brutalen Elektroschock-Behandlungen bei Kriegsneurotikern zu suggerieren scheinen? Oder verhielt es sich im Gegenteil so, dass die Soldaten hier im Vergleich zum Frontleben mehr darüber bestimmen konnten, was mit ihrem Körper geschah? Ganz eindeutig lässt sich diese Frage nicht beantworten. Dennoch zeigen Beispiele wie die des Julius Riedmeier, dass es sich für Lazarettpatienten durchaus lohnte, sich gegen ungewünschte Eingriffe zu wehren.157 Oft konnten sie sich damit letztlich durchsetzen. Selbst die Arrest­strafe, die ihnen drohte, wenn sie eine angeblich »unerhebliche Operation« ablehnten, war aus Sicht mancher Soldaten das kleinere Übel im Vergleich zu den Schmerzen, die ihrem Körper durch den Eingriff selbst drohten sowie zur Gefahr, die ihr späterer Fronteinsatz verhieß. Auch bei Julius Riedmeier verwundert es nicht, dass er seine Balggeschwulst am Kopf lieber behalten wollte. So konnte er nicht mehr wie zuvor in der Infanterie eingesetzt werden, sondern nur noch im Transportwesen (Train), wo seine Überlebenschancen deutlich höher waren.158 In diesem Sinne lässt sich das Lazarett tatsächlich als ein Ort betrachten, der den Soldaten (juristisch) mehr Selbstbestimmungsrechte über ihren Körper zugestand als es an der Front der Fall war. Zugleich befanden sie sich dort aber nur deshalb, weil sie verwundet oder krank waren, also körperliche Autonomie eingebüßt hatten. In dieser Gleichzeitigkeit von Autonomiegewinn und -verlust liegt eine der großen Paradoxien des Heimatlazaretts. Warum, so könnte man nun fragen, versteifte sich das Militär überhaupt so sehr darauf, Lazarettpatienten um jeden Preis – auch gegen ihren Willen – wieder dienstfähig zu machen? Konnten die Kriegsministerien nicht genug gesunde, zuverlässige Männer neu ausheben? Zur Beantwortung dieser Fragen hilft ein Blick auf die Statistik des offiziellen Sanitätsberichts. Tatsächlich war die Entlassungsbilanz der Militärkrankenhäuser zwischen 1914 und 1918 erstaunlich erfolgreich. Sie musste den Behörden geradezu vielversprechend erscheinen. So wurden im Kriegsjahresdurchschnitt rund 75 Prozent der Behandelten bereits bei der Truppe und in den Feld- und Etappenlazaretten wieder »dienst­ fähig«, ohne erst in die Heimat zurückgebracht zu werden.159 Das entsprach etwa 3 von 4 Lazarettpatienten. In diese Gruppe gehörten freilich auch leichtere, vorübergehende Leiden, wie grippale Infekte oder kurzzeitige Magen-Darm156 Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1208. 157 Damit muss die Aussage Wolfgang Eckarts und Christoph Gradmanns teilweise korrigiert werden, wonach Soldaten Therapien nicht hätten widersprechen können, vgl. Eckart u. Gradmann, Medizin, S. 210. 158 Vgl. dazu etwa Ziemann, B., Gewalt, S. 34. 159 Diese Zahl schwankte laut Sanitätsbericht von 65 % wieder Dienstfähigen im ersten Kriegsjahr bis hin zu über 79 % in den beiden letzten Kriegsjahren, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 1.

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Beschwerden. Nur rund 21 Prozent aller Verwundeten und Kranken wurden nach Deutschland zurückbefördert. Von diesen kamen ebenfalls etwa 78 Prozent als dienstfähig wieder an die Front zurück.160 Die Heimatlazarette hatten also nahezu die gleiche Wiederherstellungs-Bilanz wie die Feldheerlazarette. Auch aus einer anderen Warte betrachtet, kam den Heimathospitälern eine zentrale Rolle zu. So wurde im Verlauf des Krieges der gesamte »durch Waffeneinwirkung und Krankheit bedingte Ausfall des Feldheeres an Soldaten«161 (= 6.346.041 Fälle) etwa zur Hälfte durch die Rückkehr von in der Heimat wiederhergestellten Soldaten ersetzt (= 3.231.370). Der Rest der Lücken wurde aus Neueingestellten aufgefüllt, wodurch sich das Feldheer vergrößerte. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass es sich für das Militär rein rechnerisch tatsächlich lohnte, verletzte oder erkrankte Soldaten zur Not auch längerfristig, kosten­ intensiv oder gegen ihren Willen an der Heimatfront zu behandeln.162 Zudem galten Lazarettpatienten – trotz ihrer akuten körperlichen Einschränkung – als besonders nützlicher Ersatz für die Truppe. Anders als bei neuen Rekruten handelte es sich hier immerhin um »die alten kampferprobten […] Offiziere und Mannschaften«,163 wie etwa Erich Ludendorff in einem Schreiben an das Preußische Kriegsministerium 1916 darlegte. Es schien daher besonders sinnvoll zu sein, auf die bewährten Leute in den Lazaretten zu setzen oder bereits entlassene Soldaten erneut zu mustern und einzuziehen, als ständig unerfahrene Rekruten neu auszuheben, die zum Teil noch ausgebildet werden mussten – was aber zusätzlich dennoch geschah.164 In diesem Sinne galten diejenigen Lazarettpatienten, die gute Heilungschancen hatten, als militärisch besonders wertvolle Ressource.165 2.2.3 »KV!«: Militärische Tauglichkeitsgrade und ihre symbolische Dimension Jede erfolgreiche Wiederherstellung im Lazarett endete mit der Entlassung. Der Patient trat aus dem Übergangsraum des Militärkrankenhauses hinaus und wieder ein in die Welt des Militärs – oder er kehrte, wenn er aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr dienstfähig war, zurück in die zivile Sphäre. 160 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 1. 161 Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 2. 162 Hochzufrieden über die »sehr anerkennenswerten Erfolge« der Heimatlazarette äußerte sich zum Beispiel in einem Schreiben das Bay. Kriegsministerium an die Sanitätsämter I. II.III. AK., 04.02.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; vgl. zusammenfassend Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 2. 163 Erich Ludendorff an das Preuß. Kriegsministerium, 01.03.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 9, fol. 40. 164 Vgl. dazu auch Preuß. Kriegsministerium an sämtl. Stv. Generalkommandos u. a., 27.10.1914, in: HStAS M 77/2 Nr. 9, fol. 11.  165 Vgl. hier nur Schlacht, S. 66.

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Bevor dies geschah, musste er einen Prozess durchlaufen, der als Schwellen­ritual bezeichnet werden kann. Er strukturierte seinen Übergang vom Lazarett in die Außenwelt und zeichnete seinen künftigen Weg vor. Im Zentrum des Übergangsrituals stand die Abschlussuntersuchung, auf deren Basis das militärärztliche Zeugnis ausgestellt wurde. Vor jedem Entlassungsvorgang musste also entweder ein interner Lazarettarzt oder, seltener, eine externe Dienststelle, wie etwa eine Untersuchungskommission, ein militärmedizinisches Urteil darüber fällen, wo und in welcher Position der Soldat in Zukunft zu verwenden war.166 Dabei wurde ihm eine der vier Tauglichkeitsstufen zugewiesen. Sie lauteten, analog zu den Musterungsgraden bei der Einstellung ins Heer, k. v. (kriegsverwendungsfähig), g. v. (garnisonverwendungsfähig), a. v. (arbeitsverwendungs­fähig) und kr.u. / d.u. (kriegsunbrauchbar / dienstunbrauchbar),167 jeweils mit dem Orts-­ Zusatz Feld, Etappe oder Heimat (teilweise noch mit dem zeitlichen Zusatz »dauernd« oder »zeitig«).168 Dieses vierteilige Kategorisierungsschema war im Ersten Weltkrieg neu. Es war spezifischer konzipiert als die ältere Unterteilung der Rekruten in felddienstfähig/-unfähig sowie garnisondienstfähig / -unfähig,169 nach der Militärmediziner bisher ihre Gutachten ausgerichtet hatten.170 Doch nicht alle Ärzte kamen mit der Neuregelung der Tauglichkeitsstufen zurecht. Zahlreiche Klagen erreichten die Heeresverwaltung: Viele Mediziner seien sich nicht mehr sicher, ob sie die Soldaten richtig beurteilten, zumal der neue Erlass eine besonders große Konfusion »bei den zu den Musterungen herangezogenen, mit den Friedensbestimmungen vielfach nicht vertrauten Zivilärzten«171 ausgelöst habe. Diese kollektive Verwirrung – die an die Verunsicherung vieler Ärzte in der Frage der erzwungenen Behandlungen erinnert – nötigte die Militärbehörden dazu, die veränderte Einteilung der Tauglichkeitsstufen in ihren Schreiben immer wieder neu zu erklären und zu rechtfertigen. Generalarzt Carl Großheim etwa bemühte sich in einem Fortbildungsvortrag, den Musterungsvorgang für Zivilärzte einfach und verständlich darzulegen. Er hob hervor, dass sich die Mediziner dabei stets »an eine ganz bestimmte Reihenfolge« zu halten hätten. Besonders wichtig sei es, das abschließende Urteil »in bestimmter Weise mit lauter Stimme unter Heranziehung des entsprechenden Paragraphen der Heerordnung und der Buchstaben und Nummern ihrer An166 Vgl. dazu ausführlich Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, insbes. § 18d; § 54–55, in: BA-MA PHD 6/206. 167 Der Begriff »kriegsunbrauchbar« galt als Kriegsbezeichnung, der Begriff »dienstunbrauchbar« stammte noch aus der Friedenszeit, vgl. Kriegsmusterungsanleitung, 02.03.1916, § 66, in: BA-MA PHD 6/115. Beide wurden synonym verwendet; vgl. zu den Tauglichkeitsstufen auch Perry, Recycling, S. 87 f. und 204. 168 Zu den Definitionen der Tauglichkeitsstufen vgl. Martineck. 169 Vgl. Kriegsmusterungsanleitung, 02.03.1916, § 66, in: BA-MA PHD 6/115. 170 Vgl. Sanitäts-Departement des Königlich Preussischen Kriegsministeriums, darin: Oberstabsarzt Martineck, Korreferat, S. 33. 171 Preuß. Kriegsministerium an Stv. Generalkommandos u. a., 04.09.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 17.

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lagen«172 abzugeben. Wie aus Großheims Ausführungen deutlich wird, sollten die Ärzte die Tauglichkeitsgrade nicht etwa nur bestimmen und sachlich mitteilen, sondern die Kommunikation sollte einen eindrucksvollen performativen Akt darstellen. Dies verstärkte den ritualisierten Charakter der Zeugnisausstellung vor der Entlassung aus dem Lazarett. Zugleich wird am Beispiel seines Vortrags erneut erkennbar, wie viele Arbeitsvorgänge im Heimatlazarettwesen nicht fest etabliert waren, sondern erst entwickelt und eingeübt werden mussten. Die im Sanitätswesen aktive Ärzteschaft war kein einheitlicher Block, in dem alle Mitglieder reibungslos kooperierten. Vielmehr trafen hier verschiedene Arbeitskulturen, Ordnungsvorstellungen und Vorerfahrungen aufeinander. Angesichts dessen mussten die führenden Sanitätsoffiziere ihre nicht (oder nicht ausreichend) militärisch geschulten Ärztekollegen immer wieder neu auf die im Krieg geltenden Prinzipien einschwören. Dies galt nicht zuletzt für den sensiblen Bereich der Musterung. Mit dem Fortschreiten des Krieges erreichten die vier neuen Tauglichkeits­ stufen k. v., g. v., a. v. und kr.u / d.u. eine große öffentliche Bekanntheit. Für die meisten Soldaten und ihre Angehörigen entwickelten sich diese eigentlich technischen Bezeichnungen zu wirkmächtigen symbolischen Chiffren. Auf den ersten Blick mochten sie nur eine Möglichkeit der Quantifizierung darstellen, mit der die Ärzte benannten, wie erfolgreich ihnen die Wiederherstellung eines Soldaten im Lazarett gelungen war und was als nächstes mit dem Patienten geschehen sollte. Darüber hinaus beeinflussten die Tauglichkeitsgrade aber auch, auf welche Weise Kategorien wie Gesundheit, Krankheit und »soziale Nützlichkeit« gesellschaftlich wahrgenommen wurden. Besonders der höchste Tauglichkeitsgrad k. v. entwickelte bald ein semantisches Eigenleben. Je nach Kontext konnte k. v. einerseits die erfolgreiche Genesung bezeichnen und damit die Gelegenheit, weiter am Großen Krieg teilzunehmen – ein Lazarett konnte sich etwa mit einer hohen Quote von k. v.-Abgängen als besonders effektiv und kriegstüchtig schmücken, ebenso ein konkreter Arzt, der viele seiner Patienten wieder »k. v. gemacht« hatte.173 Allerdings wich die gesellschaftliche Deutung dieser Tauglichkeitsstufe teilweise scharf von der militärischen Interpretation ab. In den Augen vieler Soldaten und ihrer Angehörigen kam die Musterung als k. v. einem potenziellen Todesurteil gleich. Es bedeutete, dass sie die Sicherheitszone des Lazaretts verlassen und sich an der Front erneut in höchste Lebensgefahr begeben mussten. Ein besonders eindrückliches Beispiel für den Bekanntheitsgrad, den der Tauglichkeitsgrad k.v. öffentlich und in künstlerischen Darstellungen erreichte, ist die bekannte Lithographie von George Grosz »Die Gesundbeter«. Anhand einer Analyse dieses Bildes lassen sich viele der zeitgenössischen Assoziationsebenen gleichzeitig erfassen. Der deutsche Maler und Satiriker George Grosz

172 Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 44. 173 Vgl. exemplarisch Tabora.

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Abb. 4: George Grosz, Die Gesundbeter

(1893–1959) fertigte »Die Gesundbeter« vermutlich im Jahr 1918 an.174 Die Lithographie wurde unter unterschiedlichen Titeln publiziert: zunächst im April 1919 in der vom Malik-Verlag herausgegebenen Zeitschrift »Die Pleite« mit der Überschrift »Den Ärzten von Stuttgart, Greifswald, Erfurt und Leipzig ge­w idmet«,175 1920 erneut als Teil der vom selben Verlag gedruckten Sammelmappe »Gott mit uns«, dieses Mal unter dem finalen Titel »Die Gesundbeter«. Sie zeigt eine Begutachtungsszene. Ein dicker, glatzköpfiger Militärarzt ist dabei, einen hochgewachsenen Soldaten auf seine Tauglichkeit hin zu untersuchen. Die beiden Männer stehen in der Mitte eines Raumes, um sie herum sitzen an länglichen Tischen verschiedene Bürokraten und Militärs, einige von ihnen Zigarre rauchend. Der Arzt in der Mitte des Bildes horcht den Bauch des Patienten ab 174 Vgl. Dückers, S. 193. 175 Grosz, Den Ärzten.

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und verkündet (in einer Sprechblase) sein Urteil: »KV«. Doch etwas an der Szene ist merkwürdig und falsch. Der Soldat ist nicht so gesund, wie sein Tauglichkeitsgrad vermuten lässt. Im Gegenteil: Er ist nur noch ein Gerippe. Eigentlich ist er gar nicht mehr am Leben. Zwar kann er noch stehen und trägt eine Brille, doch ansonsten ist von ihm nur das Skelett übrig, an dem modernde Hautfetzen hängen. Dennoch schreibt einer der Bürokraten am Tisch das medizinische Urteil beflissen mit. Ein Offizier mit Pickelhaube ist neben der Tür postiert, auf der »Eingang« geschrieben steht. Doch einen »Ausgang« sieht man nirgends. In diese Situation, so scheint Grosz sagen zu wollen, kommt man nur hinein, aber nicht wieder hinaus. Es gibt kein Entrinnen vor der Gesundbeter-Kommission: Die Tür führt den neuen KV-Mann direkt zurück in den Krieg. Die eindrückliche Lithographie lässt sich auf unterschiedliche Weise weiter deuten. Zum einen übte Grosz darin ganz offensichtlich Kritik an einer immer radikaler werdenden Praxis der Nachmusterung, auch in den Lazaretten und unter eindeutig Dienstunfähigen.176 Am liebsten, so Grosz’ vernichtendes Urteil, hätte das Militär sogar Tote oder Fast-Tote wieder zur Front eingezogen. Zu dieser Interpretation passt der Titel der Lithographie »Die Gesundbeter«. Dieser Begriff war um 1918 ein Synonym für Kurpfuscher,177 gegen die von Seiten der Ärzteschaft schon seit Ende des 19. Jahrhunderts ein erbitterter Kampf geführt wurde.178 Der Künstler vertauschte in seiner Lithographie die üblichen Vorwurfsrollen: Statt dass wie sonst (Militär-)Ärzte darüber urteilten, welche Personen »richtige« Medizin betrieben und welche nur so taten, übernahm nun Grosz die Aufgabe des Richters und gab den Betrugsvorwurf direkt an die Militärärzte und Medizinalbeamten zurück. Mit seinem Bildtitel prangerte er sie als die eigentlichen Kurpfuscher an, die den Soldaten zuerst (durch den Kriegseinsatz) zum Gerippe gemacht hätten und ihn dann auch noch für einwandfrei »k. v.« erklärten. Eine weitere Bedeutungsebene des Titels »Gesundbeter« erschließt sich, wenn man den Begriff wortwörtlich auffasst: Statt die Soldaten im Lazarett gesund zu machen, werden sie vom Arzt nur in einem symbolischen Sprechakt gesund gebetet. Niemand aus der Musterungskommission in Grosz’ Bild schaut das Soldatenskelett direkt an, selbst der untersuchende Arzt hält die Augen geschlossen, 176 Eine solche Nachmusterung hatte auch Grosz selbst erlebt, der sich 1914 als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte und 1915 zunächst als dienstuntauglich entlassen wurde. Bereits 1917 wurde er jedoch erneut eingezogen, nur um kurz darauf in ein Nervenlazarett zu kommen und dort zum zweiten Mal als dienstunbrauchbar entlassen zu werden, vgl. Schneede, S. 23–29. 177 Vgl. zu diesem Begriffsverständnis etwa o.A., Tagesgeschichtliche Notizen (22.11.1915), S. 1631 f. 178 Vgl. zum jahrzehntelangen Kampf der »Schulmedizin« gegen die »Kurpfuscherei«, der in der Forschung als Professionalisierungsprozess eingeordnet wird, Jütte, Geschichte der alternativen Medizin, S. 32–41; Merta, S. 71–81; Spree. Auch die Medizinalbehörden beschäftigten sich immer wieder mit der Kurpfuscher-Problematik, vgl. dazu etwa für 1916–18 die Schriftwechsel in: HStAD 11348/2717 sowie HStAD 11348/2718.

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horcht an den freiliegenden Gedärmen und ruft »KV«. Keiner möchte sehen, dass der Rekrut bereits tot ist. Zwar kann die Kommission diesen Soldaten nicht mehr zum Leben erwecken, doch sie kann ihn gesundsprechen, so wie der Papst einen Toten heiligsprechen kann. Kraft des medizinischen Urteils gilt der Soldat in Grosz’ Bild als kriegsverwendungsfähig – ob nun lebendig oder tot – und muss seinen Körper erneut der Kriegsmaschinerie zur Verfügung stellen. An dieser Stelle fügt sich eine dritte Interpretationsmöglichkeit der Litho­ graphie an: Das Soldatengerippe kann auch als Verweis auf das künftige Schicksal des Lazarettpatienten auf dem Schlachtfeld gelesen werden. Wer von den Ärzten für k. v. befunden wurde, so könnte man Grosz’ Bildaussage ebenfalls auffassen, war bereits »so gut wie tot«. In dieser Deutungsvariante kommt die bereits erwähnte Vorstellung von k. v. als potenziellem Todesurteil zum Ausdruck. Die militärärztliche Musterung glich dann einem modernen Menschenopfer. Dazu passt die Bildunterschrift, die Grosz seiner Lithographie bei ihrer ersten Publikation 1919 anfügte: »Den Ärzten von Stuttgart, Greifswald, Erfurt und Leipzig gewidmet. 4 1/2 Jahre haben sie dem Tod seine Beute gesichert, jetzt, als die Menschen das Leben erhalten sollten, haben sie gestreikt. Sie haben sich nicht geändert. Sie sind sich gleich geblieben. Sie passen in die ›deutsche Revolution‹.«179

George Grosz ist nicht der einzige Künstler, der das KV-Sprechen zum Thema gemacht hat. Interessanterweise besteht eine frappierende Parallelität zwischen seiner Lithographie und der provokanten Ballade Bertolt Brechts »Die Legende vom toten Soldaten«,180 die 1922 erstmals veröffentlicht wurde und ihn mit ihrer großen politischen Brisanz berühmt machen sollte.181 Ob Brecht möglicherweise von Grosz’ Darstellung der »Gesundbeter« inspiriert war, als er seine »Legende« (vermutlich ebenfalls 1918) verfasste, ist in der Forschung nicht abschließend geklärt.182 Die Ähnlichkeit von Motiv und Aussage ist in jedem Fall auffällig. In Brechts Ballade geht es um einen Soldaten, der gegen Ende des Krieges auf dem Schlachtfeld den »Heldentod« stirbt, kurz darauf jedoch von einer ärztlichen Untersuchungskommission wieder ausgegraben wird, um doch noch einmal an der Front eingesetzt zu werden. In den folgenden Zeilen der Ballade greift Brecht das Motiv des Gesundbetens und des soldatischen Wiedergängers183 auf: 179 Grosz, zit. nach Dückers, S. 193. 180 Brecht, S. 112–115. Brecht war 1918 im Rahmen des Hilfsdienstgesetzes eingezogen und als Militärkrankenwärter in der Geschlechtskrankenabteilung des Reservelazaretts Augsburg verwendet worden, vgl. Knopf, S. 41 f. 181 Vgl. Knopf, S. 45 f. 182 Karl Riha etwa lässt die Frage bewusst offen, vgl. Riha, S. 193 f. Jan Knopf hingegen verneint einen direkten Zusammenhang, vgl. Knopf, S. 170. Alexander Dückers wiederum beruft sich auf entsprechende mündliche Äußerungen Brechts, die dieser gegenüber dem Gründer des Malik-Verlags Wieland Herzfelde in den 1950er Jahren gemacht haben soll, wonach sein Gedicht von Grosz angeregt worden sei, vgl. Dückers, S. 193. 183 Zum Motiv des Wiedergängers bzw. Untoten bei Brecht vgl. Bartl, S. 90–94.

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»Es zog die ärztliche Kommission Zum Gottesacker hinaus Und grub mit geweihtem Spaten den Gefallnen Soldaten aus. Der Doktor besah den Soldaten genau Oder was von ihm noch da war Und der Doktor fand, der Soldat war k.v. Und er drückte sich vor der Gefahr.«184

Die Art und Weise, mit der Grosz und Brecht das Kürzel k. v. in ihren Werken ohne weitere Erklärung verwendeten, liefert einen Hinweis darauf, dass es während des Ersten Weltkriegs wie auch in den Jahren danach ein öffentliches Bewusstsein dafür gab, was dieser Tauglichkeitsgrad bedeutete  – sowohl im militärischen als auch in einem erweiterten gesellschaftspolitischen Sinn. Beide Künstler hatten mit »k. v.« ein wirkmächtiges Symbol gefunden, um ihre Kritik am Krieg und an der kalten Arroganz, Brutalität und Weltfremdheit der Militärbürokratie zu artikulieren. Eine weitere Titelvariante der Groszschen Lithographie lautete in einem Abdruck aus dem Jahr 1921 »Die Gesundbeter oder die K. V.-Maschinen«.185 Mit dieser alternativen Formulierung brachte Grosz pointiert zum Ausdruck, was aus militärischer Sicht die Aufgabe der Musterungskommissionen war: am laufenden Band  – gleichsam maschinell  – möglichst viele K. V.-Männer zu produzieren. Im Begriff der Maschine, den Grosz für diese Titelvariante wählte, kommt eine Industrie-Metaphorik zum Tragen, die sich auch in anderen Sprachbildern der Zeit wiederfinden lässt, etwa in der Bezeichnung des deutschen Soldaten als »Fabrikarbeiters des Todes«186. Die maschinistische Sichtweise auf den Krieg war nicht nur bei Kritikern, sondern auch im Militär selbst ver­breitet187 und damit nicht zuletzt bei den Akteuren des deutschen Sanitätsdienstes. Das heimatliche Lazarettsystem galt ihnen als riesige Reparaturwerkstätte für beschädigtes »Menschenmaterial«.188 Nicht nur die Musterungskommissionen sollten wie »K. V.-Maschinen« arbeiten, sondern ebenso die Lazarette selbst. Der Chef des Heimatsanitätswesens, Wilhelm Schultzen, fasste diese Sichtweise während eines Fortbildungsvortrags vom März 1916 pointiert zusammen: »Die Musterung soll uns den kämpfenden Soldaten liefern.« Zugleich verschwieg er aber auch die Probleme nicht, die mit dieser Aufgabe unweigerlich zusammenhingen: 184 Brecht, S. 112 f.; vgl. dazu auch Brechts kurzen Kommentar ebd., S. 322. 185 Grosz, Die Gesundbeter. 186 Tucholsky, S. 218. Vgl. dazu ausführlicher Borscheid, Tempo-Virus, insbes. S. 250 f. 187 Vgl. zur industriellen Semantik den Ausstellungskatalog von Spilker u. Ulrich, darin vor allem die Beiträge von Flemming; Latzel, Die Soldaten; Ziemann, B., »Macht der Maschine«. Ernst Weiß, der im Ersten Weltkrieg als Feldarzt tätig gewesen war, beschreibt in seinem Roman »Der Augenzeuge« auch die Frontärzte als »geübte Fabrikarbeiter«, Weiß, S. 90. 188 Zum Begriff des Menschenmaterials im Ersten Weltkrieg Leonhard, S. 549–551; Krumeich, »Der Mensch«.

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»Der kämpfende Soldat ist das Wichtigste für den Krieg und für den Sieg, und deshalb ist es unbedingt notwendig, daß die Musterung mit allem Ernst, mit aller Gründlichkeit, Nachdrücklichkeit und Sachkunde durchgeführt wird. Das bietet eine ganz besondere Schwierigkeit deswegen, weil die eingeübten und besonders darin ausgebildeten Sanitätsoffiziere meistens im Felde stehen, die Herren, die hier in der Heimat den Dienst tun, zum größten Teil kaum jemals Gelegenheit gehabt haben, sich mit der Musterung zu beschäftigen, und diese, wie alles andere natürlich auch gelernt werden muß, Übung macht auch hier den Meister. Da auf diesem Gebiet eine ganze Reihe von Klagen gekommen sind, sowohl von den Angehörigen der Gemusterten als auch von den Truppen, daß Minderwertige ausgehoben waren, und schließlich auch von den Lazaretten, die sie nachher bekamen, haben wir versuchen müssen, auch auf diesem Gebiet hervorgetretene Fehler abzustellen.«189

Mit dieser Aussage gab der Chef der preußischen Medizinal-Abteilung den Kritikern des Musterungsgeschäfts und der verfrühten Lazarettentlassungen indirekt recht. Dass zum Teil auch ungeeignete Männer ausgehoben wurden, stritt Schultzen nicht ab. Er bagatellisierte das Problem aber zu einer Anfangsschwierigkeit, die nun so gut wie überwunden sei. Dabei zeigt ein Blick in die internen Quellen, dass die öffentlichen Klagen durchaus berechtigt waren. Auch im Kriegsverlauf kamen offenbar immer wieder Lazarettpatienten nach ihrer Entlassung zurück zur Truppe, die dem Felddienst gesundheitlich nicht gewachsen waren. So heißt es in einem Mahnschreiben der preußischen Medizinal-Abteilung vom Januar 1917: »In auffallender Weise mehren sich die Klagen über Einstellung kranker Leute in den Heeresdienst, namentlich auf Grund der von den Bezirkskommandos außerhalb der großen Kriegsmusterungsgeschäfte getroffenen Entscheidungen. Es werden Leute eingezogen mit unverändert fortbestehenden körperlichen Fehlern, wegen deren sie ausdrücklich als dauernd kriegsunbrauchbar entlassen worden sind. Nahezu Taube, fast Erblindete, die geführt werden mußten, und deren Zustand in der Gemeinde bekannt war, Geisteskranke, die in einer Irrenanstalt waren, Epileptiker, Leute mit verkrüppelten oder in ihrer Gebrauchsfähigkeit stark herabgesetzten Gliedmaßen, Leute mit eiternden Fisteln, Tuberkulöse fortgeschrittenen Stadiums, und auch sonst Leute, denen auf den ersten Blick völlige Kriegsunbrauchbarkeit angesehen werden konnte, gelangten zur Einstellung.«190

Obwohl die Medizinal-Abteilung das ungeheure Ausmaß der aus dem Ruder gelaufene Musterungs- und Entlassungspraxis in diesem Schreiben kritisierte, hatte sie die von ihr beklagten Missstände in Wahrheit selbst provoziert. Durch ihr Insistieren auf eine beschleunigte Lazarettbehandlung und auf die Herabsetzung der medizinischen Anforderungen hatte sie erst den Rahmen geschaffen, in dem es manchen Militärärzten offenbar dringlicher erschien, der Truppe das 189 Schultzen, Kriegsärztliches, S. 128. 190 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 11.01.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 67.

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geforderte »Menschenmaterial« zu liefern, als die Rekonvaleszenten aufmerksam und vorurteilsfrei zu begutachten.191 Es wird deutlich, dass George Grosz’ und Bertolt Brechts künstlerische Anklagen der Wiederherstellungsprozeduren einen wunden Punkt getroffen hatten. Obwohl ihre Darstellungen satirisch überzeichnet waren, kamen sie der realen Entlassungspraxis vieler Lazarette und dem Problem der Nachmusterungen in der zweiten Kriegshälfte bedenklich nahe.

2.3 Proberäume der Arbeitswelt: »Berufsertüchtigung« für Invalide Die zweite große Wiederherstellungsaufgabe der Heimatlazarette war es, die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit192 derjenigen Soldaten zu restituieren, die so gravierende Verletzungen oder Erkrankungen davongetragen hatten, dass eine Rückkehr zur Truppe nicht mehr in Frage kam. Diese Männer, so das Ziel, sollten künftig nicht als hilflose Rentenempfänger der Sozialkasse zur Last fallen, sondern ihren Lebensunterhalt auch als Invalide selbst bestreiten.193 »Selbstverdientes Brot schmeckt besser als Rentenbrot.«,194 verkündete Generaloberarzt Brettner in der Zeitschrift für Krüppelfürsorge. Alle entsprechenden Maßnahmen des Militärs zur Wiedereingliederung der Invaliden liefen darauf hinaus, sie durch geeignete Prothesen, Heilbehandlungen, praktische Übungen und Weiterbildungsangebote schon im Lazarett so gut auf den späteren Berufseinstieg 191 Vgl. dazu etwa Oberstabsarzt Crämer, Halbjahrsrapport über das Reservelazarett C, Station A, 1916, S. 6, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./497. 192 Die Militärmedizin differenzierte zwischen diesen beiden Begriffen: Unter der »Erwerbsfähigkeit« sei noch umfassender die tatsächlich »wirtschaftlich ausnutzbare Arbeitsfähigkeit auf dem gesamten wirtschaftlichen Arbeitsmarkt« zu verstehen, Martineck, S. 602. Dennoch wurden »Arbeitsfähigkeit« und »Erwerbsfähigkeit« im amtlichen Schriftverkehr meist synonym verwendet. 193 Zur deutschen Kriegsbeschädigtenfürsorge im Ersten Weltkrieg existieren inzwischen verschiedene Forschungsarbeiten. Keine legt jedoch einen Schwerpunkt auf die Lazarettaufenthalte selbst und daher auch nicht auf die entsprechenden Aktivitäten der Militärverwaltung. Pierluigi Pironti etwa, der die deutsche mit der italienischen Invalidenfürsorge vergleicht, hat für seine Studie keine Archivakten der Heeresverwaltung konsultiert und kommt dadurch zu der Fehleinschätzung, die Militäradministration habe sich für die berufliche Wiedereingliederung der Kriegsbeschädigten kaum interessiert, Pironti, Kriegsopfer, insbes. S. 108. Sabine Kienitz thematisiert in ihrem hervorragenden Buch zwar zahlreiche relevante Aspekte, wie Prothesennutzung, konzentriert sich aber vor allem auf die damit verbundenen Diskurse um Männlichkeit und Körperbilder sowie mediale Repräsentationen, vgl. Kienitz, Beschädigte, insbes. S. 209–237; weitere Arbeiten im Themenfeld sind Whalen; Löffelbein, Krüppeltum, sowie Cohen, The War; international vergleichend Gerber; für Österreich-Ungarn Pawlowsky u. Wendelin. Doch auch in diesen Arbeiten spielen das Lazarett oder Maßnahmen der Heeresverwaltung höchstens eine untergeordnete Rolle, zumal sie sich auf die Nachkriegszeit konzentrieren. 194 Brettner, S. 185; eine Variante dieses Satzes findet sich im Schlusswort von Würtz, S. 140.

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vorzubereiten, dass dieser möglichst reibungslos gelang.195 Auch in dieser Hinsicht stellten die Heimathospitäler Räume des Übergangs zwischen militärischem und zivilem Leben dar. Der Anspruch, selbst schwer Kriegsbeschädigte wieder in den freien Arbeitsmarkt zu integrieren, entwickelte sich erst im Verlauf des Weltkriegs. Vor 1914 war von den sogenannten Friedensinvaliden nicht erwartet worden, dass sie wieder voll erwerbstätig würden.196 Schon allein die in der Vorkriegszeit erhältlichen Prothesen waren dazu kaum geeignet. Das sollte sich nach 1914 ändern.197 Die unerwartet hohe Zahl an Schwerbeschädigten198 machte es aus Sicht der Militärmedizin zu einer moralisch wie auch wirtschaftlich dringenden Notwendigkeit, sie in das Berufsleben zurückzuführen. Es hatte ein Mentalitätswandel stattgefunden. Er lässt sich zum einen mit der militärisch zugespitzten Kriegssituation erklären,199 zum anderen war er das Ergebnis gezielter AufklärungsKampagnen führender Orthopäden, Chirurgen und Ingenieure.200 Ein wichtiger Impulsgeber dieses Prozesses war der Orthopäde Konrad Biesalski (1868–1930). Er, der die bekannte Berliner »Krüppelheilanstalt« ­Oskar-​ Helene-Heim201 leitete und sich während des gesamten Krieges durch Vortragsreisen und Publikationen prominent für die Kriegsbeschädigtenfürsorge engagierte,202 wurde nicht müde, seinen berühmten Leitsatz zu betonen, dass es 195 Vgl. etwa Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/​ 3312; zu Heilbehandlungen etwa den Bericht über Massage und Krankengymnastik im Reservelazarett I. Dresden und im Kadettenkorps, 01.10.1915, in: HStAD 11348/3312, fol. 28–32. 196 Vgl. dazu Perry, Recycling, insbes. S. 55; 86 f. 197 Zur Entwicklung der Prothesentechnik während des Ersten Weltkriegs Perry, Brave, S. 149–152; Kienitz, Beschädigte, S. 165–194; zum Siemens-Schuckert-Arbeitsarm Bihr. 198 Schätzungen gehen von insgesamt ca. 2,7 Millionen Kriegsversehrten in Deutschland aus, vgl. Kienitz, Beschädigte, S. 16. Darunter waren schwere und leichtere Fälle, nur eine Minderheit trug Prothesen. Der Sanitätsbericht gibt etwa für den Zeitraum August 1914 bis Juli 1918 eine Gesamtzahl von 89.760 Soldaten an, die als »verstümmelt« galten, da sie Gliedmaßen (oder deren Funktionsfähigkeit) verloren oder andere schwere Gesundheitsstörungen erlitten hatten, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, Übersicht 22, S. 29. 199 Vgl. exemplarisch Sanitätsamt XIV. Armeekorps, Richtlinien für die Beschäftigung von Lazarettinsassen, 02.03.1917, in: StadtAFrei C3 355/8. 200 Vgl. dazu Kienitz, Beschädigte, insbes. S. 153–160; 172–174. 201 Das 1905 als Verein gegründete, 1914 eröffnete Oskar-Helene-Heim war bereits vor dem Krieg eine wichtige »Krüppelheilanstalt« der Hauptstadt. Während des Ersten Weltkriegs wurde es als orthopädisch ausgerichtetes Vereinslazarett in das militärische Lazarettsystem integriert, vgl. Erwin Gutkind, Delegierter des Kaiserlichen Kommissars und Militärinspekteurs der freiwilligen Krankenpflege, Lazarett-Verzeichnis Groß-Berlin, 1917, in: BA-MA PH 22-I/19. In Philipp Ostens Buch zum Oskar-Helene-Heim finden sich zur Kriegszeit leider nur knappe Hinweise, wahrscheinlich aufgrund von Quellenmangel, Osten, Modellanstalt, S. 319–322. 202 Vgl. zusammenfassend Eckart, Medizin und Krieg, S. 304–306; zu Biesalski allgemein auch Perry, Recycling, insbes. S. 130–133; zur Biographie Osten, Modellanstalt, insbes. S. 24–48.

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kein Krüppeltum gebe, wenn der eiserne Wille bestehe, es zu überwinden203 – eine griffige Formel, die auch andere Ärzte und Medizinalbeamte wie eine Machbarkeits-Losung immer wieder zitierten.204 Auch die Medizinal-Abtei­ lung des Preußischen Kriegsministeriums zeigte sich von Biesalskis Konzept überzeugt. Sie fügte ihrem ersten großen Erlass zur Kriegsbeschädigtenfürsorge vom 4. März 1915 seine bekannte Druckschrift »Kriegskrüppelfürsorge« bei und sandte sie an alle preußischen Sanitätsämter.205 Auf diese Weise verbreiteten sich die Ideen und Forderungen des Berliner Orthopäden rasch in den Medizinalbehörden. Biesalski erklärte die Fürsorge für Kriegsinvalide zu einer wirksamen Waffe gegen den Feind  – und zu einer lohnenswerten Zukunftsinvestition für das Deutsche Kaiserreich: »Unser Volk muß gerüstet sein, diese wirtschaftlichen und ethischen Kriegsschäden restlos zu verdauen und zu beseitigen, und wenn uns das gelingt, so werden wir nach dem Frieden neben dem Siege unserer Waffen und dem wirtschaftlichen Sieg noch diesen letzten sozialen und Kultursieg erringen, mit dem wir restlos den Krieg überwunden haben werden, und zwar im Gegensatz zu allen unseren Feinden, die prozentual eine viel größere Zahl von Verstümmelten und Kriegsbeschädigten haben, die mangels jeglicher Voraussetzungen gar nicht daran denken können, die ungeheure Aufgabe der Kriegsbeschädigten-Fürsorge überhaupt in Angriff zu nehmen und darum mit den Opfern des Krieges noch zu einer Zeit belastet sein werden, wo wir längst darüber hinaus sind und ungehemmt einer neuen Zukunft entgegenstreben.«206

Der Ort, an dem dieser von Biesalski erhoffte »Kultursieg« erkämpft werden sollte, war im ersten Schritt das Heimatlazarett. Seit 1915 gehörte dort eine effektive Berufsvorbereitung für dienstunfähige Patienten zum Kern des militärischen Wiederherstellungskonzepts dazu.207 Zivile und militärische Akteure

203 Vgl. Biesalski, Wer ist der Führer; dazu konkret Thomann, »Es gibt«; Osten, Modellanstalt, S. 304 f. 204 Vgl. Blind, Verbindung, S. 937 f.; Alsberg, S. 163 f.; Stoehr, Das Arbeitsgebiet der Ausschüsse. (Richtlinien für die praktische Arbeit.), in: Ausschuß für Kriegsbeschädigten-Fürsorge im Regierungsbezirk Cassel (Hg.), Die Fürsorge für Kriegsbeschädigte, o. O., ca. 1915, S. 17, in: ISG Frankfurt S/352, Bd. 1. 205 Vgl. Schroeder, Die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten, in: Ausschuß für Kriegsbeschädigten-Fürsorge im Regierungsbezirk Cassel (Hg.), Die Fürsorge für Kriegsbeschädigte, o. O., ca. 1915, S. 8 f., in: ISG Frankfurt S/352, Bd. 1. 206 Biesalski, Stellung, S. 48; ähnlich auch Felix Krais, in: Würtz, S. 61. Laut Philipp Osten brachte die von Biesalski gegründete »Zeitschrift für Krüppelfürsorge« immer wieder Artikel über die angebliche Rückständigkeit der alliierten Verwundetenpflege, vgl. Osten, Modellanstalt, S. 310. Biesalskis Aussagen waren allerdings reine Kriegspropaganda. In Wahrheit existierten nach dem Krieg gerade in den Siegerstaaten weitreichende Fürsorgeprogramme, vgl. dazu Little; Pironti, Post-war Welfare; Geyer, Vorbote. 207 Vgl. dazu bereits den frühen Erlass des Preuß. Kriegsministeriums vom 11.03.1915, zit. nach Geh. Regierungsrat Schroeder, Die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten, in: Ausschuß für

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sollten dabei miteinander kooperieren.208 Im Idealfall, so der Straßburger Stabsarzt Blind, setze die soziale Fürsorge auf diese Weise schon während des Heilaufenthalts selbst ein und nicht erst dann, »wenn der Erblindete, der Einarmige, der bedauernswerte ›Krüppel‹ aus ärztlicher Behandlung entlassen und in den Kampf ums Dasein gestossen wird.«209 Vielmehr müsse die Fürsorge »für jeden einzelnen Verletzten schon zu der Zeit [beginnen], wo er noch in chirurgischer Behandlung steht und wo seine Wunden noch bluten, sie beginnt im Lazarett, nicht auf der Strasse oder im Krüppelheim.«210 So kam dem Heimathospital während des Krieges eine doppelte Aufgabe zu: die Verletzten und Kranken medizinisch zu heilen, aber auch, wie der Medizinalrat Karl Frickhinger hervorhob, »eine soziale Heilung der Kriegsschäden zu erzielen.«211 Aus Sicht der Sanitätsbehörden bot das Heimatlazarett dazu besonders günstige Voraussetzungen. Hier stand der Kriegsbeschädigte noch unter militärmedizinischer Überwachung  – die gewünschte Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt konnte von den Sanitätsoffizieren kontrolliert, gefördert, angepasst und forciert werden, während die Männer nach ihrer Entlassung kaum noch zu erreichen waren.212 Das Heimatlazarett fungierte in diesem Sinne als Proberaum für die Arbeitswelt: Unter geschützten Bedingungen sollten die Invaliden hier durch spezielle Behandlungen und Übungsarbeiten »entkrüppelt«213 und wieder zu selbständigen, »neuertüchtigten Lebenskämpfern«214 werden. Die meisten der dabei verwendeten Therapiekonzepte stammten ursprünglich aus dem Bereich der sogenannten zivilen »Krüppelfürsorge« und waren in als fortschrittlich geltenden »Krüppelheilanstalten«, wie dem von Biesalski geleiteten Oskar-Helene-Heim, schon vor 1914 entwickelt worden.215

Kriegsbeschädigten-Fürsorge im Regierungsbezirk Cassel (Hg.), Die Fürsorge für Kriegsbeschädigte, o. O., ca. 1915, S. 9 f., in: ISG Frankfurt S/352, Bd. 1. 208 Vgl. die Erlasse des Preußischen Kriegsministeriums vom 04.03.1915 und 11.03.1915, beide zit. nach Geh. Regierungsrat Schroeder, Die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten, in: Ausschuß für Kriegsbeschädigten-Fürsorge im Regierungsbezirk Cassel (Hg.), Die Fürsorge für Kriegsbeschädigte, o. O., ca. 1915, S. 9, in: ISG Frankfurt S/352, Bd. 1; Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312. 209 Blind, Verbindung, S. 938; vgl. auch Admiral Stephan, in: Würtz, S. 46. 210 Blind, Verbindung, S. 938. 211 Frickhinger, S. 967. Der Chef der preußischen Medizinal-Abteilung betonte die notwendige »wirtschaftliche Gesundung« der Invaliden, Wilhelm Schultzen (Preuß. Kriegsministerium), in: Würtz, S. 72. 212 Vgl. dazu Preuß. Kriegsministerium, Kriegsamt, 27.12.1916, in: HStAD 11348/3312, fol. 69. 213 Vgl. dazu Biesalski, Kriegskrüppelfürsorge; zu diesem Begriff auch Bihr. 214 Würtz, Vorwort zur dritten Auflage, in: Würtz, S. 6. 215 Vgl. dazu Osten, Modellanstalt, S. 50–52; 130–143; Kienitz, Beschädigte, insbes. S. 158 f.

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2.3.1 Die Wiederherstellung des Arbeitswillens Eine der wichtigsten Vorgaben der Militärmedizin war es, dass sich die Lazarettinsassen sinnvoll beschäftigten, damit sie während ihrer Genesungszeit nicht »in erschlaffende Untätigkeit, in lähmende Energielosigkeit«216 versanken. Dies galt als die größte Gefahr des Lazarettaufenthalts: Ein monatelanges Nichtstun aufgrund von Krankheit könne bei den Soldaten Melancholie, Unlust und grüblerische Sorgen hervorrufen.217 Der Medizinalrat Karl Frickhinger skizzierte in einem Zeitschriftenartikel das Worst-Case-Szenario, das müßig gehenden Patienten drohe: »Der Kranke wird der Arbeit entwöhnt, seine Gedanken beschäftigten sich viel zu sehr mit seinem körperlichen Befinden und seinem leiblichen Wohl. Dadurch konzentriert sich der ganze Bewusstseinsinhalt mehr und mehr in egozentrischem Sinne auf das liebe Ich. Wenn dann der Kranke noch unter den Händen eines weniger erfahrenen Pflegepersonals verweichlicht und verzärtelt wird, dann machen wir auch im Lazarett die gleichen Erfahrungen, denen wir so häufig in der häuslichen Pflege begegnen. Es wird bei psychisch nicht völlig Intakten langsam der Boden für eine Psychoneurose vorbereitet. Durch Autosuggestion setzen sich die mannigfachsten Krankheitssymptome fest, der Arbeitswille wird gelähmt. Alle diesen schädlichen Einflüsse endogener und ektogener Art vermehren sich, wenn eine Rente winkt.«218

Gerade der von Frickhinger letztgenannte Aspekt, das Erlahmen des Arbeitswillens, musste aus Sicht der Militärmedizin verhindert werden. Die Soldaten sollten in den Lazaretten nicht nur ihre körperliche Leistungsfähigkeit, sondern auch ihre Schaffensfreude wiedergewinnen sowie die Zuversicht, »die Arbeit auch mit Schmerzen, auch mit schwer überwindlicher Mühe und mit unverkennbarer Beschränkung wieder aufzunehmen.«219 Nach Vorstellung vieler Militärärzte wie auch ziviler Fürsorge-Experten gelang dies am besten, indem die Kriegsbeschädigten durch kleine Beschäftigungsarbeiten, körperliche Übungen und theoretische Kurse Stück für Stück ihr früheres Selbstbewusstsein sowie den »energischen Willen zur Arbeit«220 zurückgewannen.221 Denn Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit, so etwa Willy Hellpach, seien im Grunde das Gleiche.222 Der skizzierte ärztliche Diskurs um den Arbeitswillen kam nicht aus dem Nichts. Er knüpfte an frühere Debatten um Rentensucht und Unfallneurosen

216 Blind, Verbindung, S. 938. 217 Vgl. dazu ausführlich Enzensberger, »Nicht nur Menschen«. 218 Frickhinger, S. 967; ähnlich auch Tabora, S. 609. 219 Blind, Verbindung, S. 938. 220 Ebd. 221 Vgl. etwa Bangert, insbes. S. 28; Müller, W., S. 6; Nieny, S. 327 f.; Wiest, Lazarettarbeiten, S. 115 f.; zur Forderung nach einem »eisernen Willen« der Schwerverwundeten Löffelbein, Krüppelnot, S. 58 f. 222 Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1208; vgl. zur Willenskraft Würtz, insbes. S. 45–78.

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aus der Friedenszeit an.223 Bis kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs hatten sich vor allem Psychiater und Neurologen intensiv darüber auseinandergesetzt, inwieweit bei Arbeitsunfällen in Fabrikbetrieben die in Aussicht stehende Rente im Rahmen der Sozialversicherung ursächlich sei für die Verschlimmerung der Symptome und für starke »Begehrungsvorstellungen«224 der Unfallverletzten, die dann erst zur vermeintlichen Arbeitsunfähigkeit führten. Auf dieses bekannte Argument wollte offenbar auch der Medizinalrat Frickhinger hinaus, als er davon sprach, dass die negativen Effekte der Untätigkeit im Lazarett verstärkt würden, »wenn eine Rente winkt«.225 Der Lazarettaufenthalt trug aus militärärztlicher Sicht beide Möglichkeiten in sich: Er konnte einerseits eine latente Rentensucht verstärken beziehungsweise neu auslösen – eine Vorstellung, die in psychiatrischen Kreisen unter dem Begriff der »Lazarettpsychose«226 oder »Lazaretthysterie«227 kursierte. Er konnte aber auch andererseits von den Ärzten so gestaltet werden, dass es gerade nicht zu diesen aus der Vorkriegszeit bekannten Phänomenen kam. Als bestes Mittel dazu galt die Beschäftigung und Berufsertüchtigung der Patienten unter ärztlicher Aufsicht. Derartige Einflussmöglichkeiten wie im Heimatlazarett waren in Friedenszeiten bei Unfallverletzten und anderen Zivilkranken niemals denkbar gewesen. Das Militärkrankenhaus schien für die »Erziehung der Männer zur Arbeit«228 Chancen zu bergen, die sich noch in der Nachkriegszeit auszahlen würden.229 So machte die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums die Beschäftigungsfrage schon früh zu einem zentralen Thema. Bereits in einem Erlass vom Mai 1915 forderte sie die Chefärzte dazu auf, »die Lazarettinsassen vor einem oft monatelangen Nichtstun zu bewahren, ganz abgesehen davon, dass in vielen Fällen eine zweckentsprechende Arbeit nur geeignet ist, das Heilverfahren zu unterstützen«.230 Dabei hatte die Medizinal-Abteilung auch sozialdisziplinierende Aspekte im Blick. Die Beschäftigung der Patienten, so Generalarzt Wilhelm Schultzen, sei auch deshalb unabdingbar, um »das völlig untätige Herumliegen in den Lazaretten von Leuten, die bereits zu gewissen Arbeiten fähig sind, vor allem aber das leider vielfach beobachtete stundenlange Herumlungern auf den Strassen« abzustellen. Stattdessen, so Schultzen, sollten sich

223 Vgl. dazu die Zusammenfassung bei Eghigian, S. 103–108. 224 Quensel, S. 78. 225 Vgl. ähnlich etwa Biesalski, Kriegskrüppelfürsorge, S. 17 f.; allgemeiner Perry, Recycling, S. 122–125. 226 Bonne, S. 1192. Eine andere zeitgenössische Begriffs-Variante war »Lazaretthypochondrie«. 227 Karl Bonhoeffer, Gutachten zum Schneider M., Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Nervenklinik Bestand; Akten betr. Gutachtertätigkeit, Nr. 23, zit. nach Lerner, Sieg, S. 102. 228 Beckmann, S. 1005. 229 Vgl. dazu Blind, Verbindung, S. 938. 230 Zitate im Folgenden aus: Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312.

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die Männer in den Lazaretten sinnvoll beschäftigen, am besten handwerklichkörperlich, um sich auf ihre Rückkehr ins Zivilleben vorzubereiten und nicht auf falsche Gedanken zu kommen. Selbst bei Patienten, die wieder felddienstfähig würden, sei »eine zweckentsprechende Betätigung während des Lazarettaufenthaltes durchaus geboten«. Die dabei gesammelten Erfahrungen könnten sich bei der Rückkehr zur Truppe »nur als nützlich erweisen«. Obwohl das Preußische Kriegsministerium eine geeignete Beschäftigung und Berufsvorbereitung nachdrücklich einforderte, fielen die entsprechenden Aktivitäten je nach Lazarett und der dort vorhandenen Raum- und Personalkapazität unterschiedlich intensiv und strukturiert aus. Viele Einrichtungen gingen eher improvisiert vor, indem sich die dortigen Insassen etwa gegenseitig kleine Handarbeiten zeigten oder diese von den Krankenschwestern erlernten.231 Einige Patienten vertrieben sich weiter mit denjenigen kreativen Tätigkeiten die Zeit, mit denen sie sich bereits an der Front in ruhigen Phasen beschäftigt hatten. Schnitzen etwa war sehr beliebt.232 Viele halfen auch dabei, das Lazarettgebäude in Schuss zu halten, führten notwendige Reparaturen durch und packten bei »häuslichen Diensten«233 mit an. Die Medizinalbehörden ermahnten die Lazarette zudem immer wieder, militärische Turn- und Exerzierübungen mit den Patienten durchzuführen. Dies hebe nicht nur das Selbstvertrauen der Patienten, sondern trage auch dazu bei, die Disziplin aufrechtzuerhalten.234 In vielen Lazaretten kamen regelmäßig Vertreter des Roten Kreuzes oder anderer nicht-staatlicher Organisationen zu Besuch, um sogenannte Handfertigkeitskurse oder körperliche Übungen für die Verwundeten anzuleiten sowie Berufsberatung anzubieten.235 Teilweise wurden Gartenheime oder ähnliche städtische Aufenthaltsräume für Soldaten eröffnet, in denen sie sich stundenweise beschäftigen und kleine Speisen und Getränke erwerben konnten.236

231 Vgl. dazu etwa die Kriegssanitätsberichte württembergischer Vereinslazarette, 1914–1916, in: HStAS M 1/8 Bü 91 und Bü 93; Müller, W., insbes. S. 8; 107. 232 Vgl. etwa den Patientenbericht von Heider, S. 103; Vereinslazarett Gesellschaftshaus Schweinfurt an das Sanitätsamt II. AK., 14.12.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./​53. 233 Vereinslazaretts Gesellschaftshaus Schweinfurt an das Sanitätsamt II. AK., 14.12.1915; Vereinslazarett Schloss Maienberg an den Stv. Korpsarzt II. AK., 22.12.1915, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53. 234 Vgl. etwa Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312; Sanitätsamt I. AK. an Reservelazarette u. a., 09.10.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 235 Vgl. etwa Cölner Oberbürgermeister an die Stadtkanzlei Frankfurt a. M., 30.03.1915, in: ISG Frankfurt S/352, Bd. 1; Müller, W.; für Beispiele aus dem Düsseldorfer Kieferlazarett vgl. Ruff, Gesichter, S. 150–154. 236 Vgl. etwa zur Eröffnung eines Gartenheims in der Münchner Marsstraße: Sanitätsamt I. AK., 03.06.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281; für Greifswald Goltz, S. 56; zu einem Kriegernachmittagsheim in Heidelberg den Artikel der Breisgauer Zeitung, 16.04.1915, in: StadtAFrei C3 776/1.

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Erneut tat sich ein riesiges Feld für das zivile Engagement auf:237 Universitäts­ dozenten, Geistliche, Verwaltungsbeamte und ältere Offiziere hielten für die Patienten Vorträge »vornehmlich geschichtlichen, sozialen oder nationalökonomischen Inhalts«, welche die Kranken teilweise vom Bett aus anhören konnten. So sprach etwa im Sommer 1916 in Berlin Professor Spatz über »England und Deutschland auf Grund der Belgischen Aktenstücke«, Professor Schönichen über »Das Leben der Schmetterlinge«, Generalleutnant Imhoff Pascha über »Die Türkei im Weltkrieg« und Arbeitssekretär Wissell über »Reichsgesetze und Kriegsbeschädigtenfürsorge«.238 Darüber hinaus existierten bald in vielen größeren Städten sogenannte Invaliden- oder Verwundetenschulen, an deren Unterrichtsstunden die Lazarettpatienten tagsüber teilnehmen konnten.239 Auch zahlreiche städtische Gewerbeschulen boten den Kriegsbeschädigten Berufsfortbildungskurse an.240 In Würzburg waren etwa die sogenannten »Förder­kurse« in der Maxschule stark besucht, in denen die Soldaten in den »Allgemeinen Kursen« unter anderem Buchführung, Rechnen und Gesetzeskunde lernten, in den »Fachkursen« hingegen speziellere Fähigkeiten wie Werkzeichnen, Konstruktionslehre oder Vervielfältigungsverfahren.241 Am professionellsten aufgestellt waren diejenigen Lazarette, die über eigene Werkstätten mit Fachlehrern für ihre Patienten verfügten.242 Alternativ richte237 Vgl. dazu etwa die Rede des Landeshauptmanns Hammerschmidt in Münster, »Richtlinien zu einer organisierten Fürsorge für Kriegsverletzte«, 19.12.1914, in: ISG Frankfurt S/352 Bd. 1. Große zivile Fürsorgeorganisationen waren beispielsweise der Heimatdank Sachsen sowie sein Pendant in Baden, vgl. zum Sächsischen Heimatdank Frie, S. 567 f.; Perry, Recycling, S. 140–142; zu beiden Cohen, The War, S. 66–70. 238 o.A., Kriegsvorträge in den Lazaretten, in: Vom Krieg zur Friedensarbeit. Zeitschrift für die Brandenburgische Kriegsbeschädigtenfürsorge 4 (1916), S. 50, in: BayHStA Stv.​GenKdo. II.AK.SanA./56. 239 Vgl. exemplarisch zum Unterrichtsangebot für Invalide in Würzburg: Reservelazarett Würzburg an das Sanitätsamt II. AK., 12.12.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53; zu den Kursen im Reservelazarett München B vgl. Stv. Generalkommando I. AK. an die Kommandantur München u. a., 31.10.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./596; zur Verwundetenschule Stuttgart vgl. Kriegssanitätsbericht des Reservelazaretts I. Stuttgart, Zweiglazarett Medico-mechanisches Institut, ca. 1918, in: HStAS M 1/8 Bü 93. 240 Vgl. etwa die landwirtschaftliche Bürobeamtenschule zu Königsberg, die eine Ausbildung als Gutssekretär und Rechnungsführer anbot, in: Vom Krieg zur Friedensarbeit. Zeitschrift für die Brandenburgische Kriegsbeschädigtenfürsorge 4 (1916), S. 50, in: BayHStA Stv. GenKdo.II.AK.SanA./56; vgl. für Baden den ausführlichen Überblick von Schumacher, Die Einrichtungen zur Schulung der Kriegsbeschädigten in Baden, März 1916 sowie die Artikel des Sonderhefts »Fürsorge für die Kriegsbeschädigten im Gewerbe«, Badische Gewerbe u. Handwerker-Zeitung 50 (1917), beide in: StadtAFrei C3 776/1. 241 Vgl. zu dieser Aufstellung Reservelazarett Würzburg an das Sanitätsamt II. AK., 12.12.1915; allgemein zu den Fortbildungskursen Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 26.10.1915, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53. 242 Vgl. Müller, W., S. 103; Dr. Fritz Ehrenfreund, Bericht über die im Reservelazarett Dresden I. befindlichen Werkstätten, 01.10.1915, in: HStAD 11348/3312, fol. 17–24; A. Wöhler, Das Schullazarett in Braunschweig, 1916, in: Zinecker, S. 190; für Bochum und Bielefeld knapp Löffelbein, Krüppelnot, S. 61 f.

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ten die Verantwortlichen in manchen Städten einen großen allgemeinen Arbeitsstandort für mehrere Lazarette ein, so etwa in Dresden die »Zentralwerkstätten«.243 In einigen Städten hatten sich Lazarette und lokale Arbeitgeber sogar so gut koordiniert, dass die Patienten stundenweise in einem Betrieb mitarbeiten konnten.244 Das Spektrum an Ausbildungsangeboten und Arbeitsmöglichkeiten war also breit und innerhalb des Kaiserreichs uneinheitlich geregelt.245 Der wichtigste Unterschied zwischen den Maßnahmen war, ob in den Lazaretten selbst eine Berufsvorbereitung stattfand oder ob dort nur kleinere Beschäftigungs- und Unterhaltungsarbeiten durchgeführt wurden, während das eigentliche Berufstraining an eine externe zivile Einrichtung ausgelagert war. Auch die Frage, wer die organisatorische Hauptverantwortung für die Wiedereingliederung der Invaliden in die Arbeitswelt trug, war innerhalb Deutschlands verschiedenartig gelöst. Teilweise übernahmen die Militärbehörden selbst diese Aufgabe, andernorts die Regierungen, Kommunalverbände, das Rote Kreuz oder private Vereine.246 Wenig überraschend war es aus Sicht der Militärmedizin jedoch am besten, »wenn die Organisation in den Händen staatlicher Behörden liegt, da die Mittel und die Autorität ganz andere sind als bei anderen Organisationen.«247 Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass der Lazarettbeschäftigung von Seiten der Militärmedizin drei grundlegende Funktionen zugesprochen wurden: erstens eine medizinische, zweitens eine moralische und drittens eine wirtschaftliche. Die medizinische Funktion bestand in der Mobilisierung des Soldatenkörpers, auf moralischer Ebene versprach die Lazarettbeschäftigung Ablenkung und das Gefühl der Selbstwirksamkeit während ihr wirtschaftlicher Wert darin bestand, die Berufschancen der Kriegsbeschädigten zu erhöhen. Damit sollte sie aus Sicht der Militärmedizin dazu beitragen, Rentenneurosen, Arbeitsscheu und millionenfache Rentenzahlungen zu verhindern, in Summen, wie Konrad Biesalski eindringlich warnte, »die niemand auch nur annähernd anzugeben vermag, die aber jedenfalls riesenhaft sind.«248 Hier verbanden sich also Diskurse aus der Vorkriegszeit um Unfallneurosen, Willensstärke und eine geeignete Krüppelfürsorge zu einem neuen optimistischen 243 Vgl. dazu die Sitzungsberichte der Kommission für die Leitung der Zentralwerkstätten, 1916–1917, in: HStAD 11348/3342; zu den Zentralwerkstätten siehe außerdem die Akten HStAD 11348/3341–3351. 244 Vgl. exemplarisch Beckmann, S. 1006 f.; Sanitätsamt XIV. Armeekorps, Richtlinien für die Beschäftigung der Lazarettinsassen außerhalb der Lazarette, 1916, in: StadtAFrei C3 776/1. 245 Vgl. dazu auch Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 2, S. 87. 246 Einen Überblick über die bundesstaatlichen Organisationsformen bietet Pironti, Kriegsopfer, S. 121–130; speziell für Sachsen und Preußen bereits Frie, insbes. S. 567–570. 247 Vgl. den Überblick bei Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 2, S. 87. 248 Biesalski, Stellung, S. 47; ebenso Geh. Regierungsrat Schroeder, Die Fürsorge für die Kriegsbeschädigten, in: Ausschuß für Kriegsbeschädigten-Fürsorge im Regierungsbezirk Cassel (Hg.), Die Fürsorge für Kriegsbeschädigte, o. O., ca. 1915, S. 8, in: ISG Frankfurt S/352, Bd. 1.

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Kriegs-Paradigma. Dieses besagte, dass beide klassische Risiken bei Invaliden – Arbeitsunwilligkeit und Arbeitsunfähigkeit  – durch eine begleitete Lazarettbeschäftigung, Nachbehandlung und Berufsausbildung aktiv minimiert oder sogar beseitigt werden könnten. 2.3.2 Musteranstalt: Das Fürsorge-Reserve-Lazarett München, 1916–1918 Ein anschauliches Beispiel für eine Einrichtung, in der sich der Staat für alle Aspekte der Berufsvorbereitung verantwortlich erklärte, stellt das FürsorgeReserve-Lazarett München dar. Dieses 1916 neu eröffnete Hospital sollte als Spezialheilstätte die oberbayerischen Kriegsinvaliden erfolgreich ins Arbeits­ leben zurückführen. Schon bald galt der 1000 Betten umfassende Krankenhauskomplex als »Musteranstalt […], die gewiss berufen ist, nach dem Kriege eine besondere Rolle zu spielen, nicht nur in finanzieller und nationalökonomischer, sondern auch in sozialer und politischer Beziehung.«249 Tatsächlich kam das Fürsorge-Reserve-Lazarett mit seinen vielfältigen Einrichtungen und Angeboten dem behördlichen Wiederherstellungs-Ideal recht nahe. Die neue Spezialheilstätte hatte ihre Ursprünge in der Fürsorge-Abteilung des Reservelazaretts München B. Diese orthopädisch-chirurgische Abteilung war in den ersten beiden Kriegsjahren so stark expandiert, dass die dort tätigen Ärzte zunehmend darauf drängten, als eigenständiges Reservelazarett agieren zu dürfen. In diesem Sinne kann die Neueröffnung des Fürsorge-Reserve-Lazaretts auch als Beispiel für den konstanten Wandel im Lazarettsystem verstanden werden, zumal mit fortschreitendem Kriegsverlauf immer mehr Schwerverwundete betreut werden mussten.250 Auch in anderen Städten richteten die Militärbehörden große orthopädische Sonderlazarette ein, etwa die bekannten Anstalten in Ettlingen, Nürnberg oder Singen.251 Als Standort für das neue Münchner Sonderhospital fasste die Heeresverwaltung das Marsfeld in der Maxvorstadt ins Auge, auf dem sich bereits das Reservelazarett München B befand. Zum Chefarzt wurde prominent Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern ernannt.252 Dieser war schon vor dem Krieg als Chirurg

249 Reservelazarett München B, 08.07.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./525; vgl. etwa auch den Antrag des Akademischem Hilfsbunds, Ortsausschuß München, an das Bay. Kriegsministerium, 01.12.1917, in: BayHStA MKr/10520. 250 Vgl. Schlee, S. 105 f.; ebenso Bericht über die Abteilungen für Massage und Krankengymnastik im Reservelazarett I. Dresden und im Kadettenkorps, 20.01.1915, in: HStAD 11348/3312, fol. 25–27. 251 Zu Nürnberg Silberstein; Silberstein u. Maier-Bode; zu Ettlingen Wilmanns, Die Badischen Lazarette, S. 20 f.; Bericht der Karlsruher Zeitung Nr. 294, 28.10.1917, in: StadtAFrei C3 776/1; zu Singen Brunn; Karpa, S. 96–104. 252 Vgl. Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.­GenKdo.I.AK. SanA./336.

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und Gynäkologe tätig gewesen.253 Nun stellte sich den Behörden die nächste, symbolisch weitaus bedeutsamere Frage: Wie sollten sie das neue Militärkrankenhaus nennen? Der Name musste zwar kenntlich machen, dass sich dahinter eine Einrichtung speziell für Invalide verbarg, durfte aber nicht negativ klingen, nicht das niederschmetternde Bild eines »Siechenhauses«254 für hoffnungslose Fälle heraufbeschwören  – eine schwierige Gratwanderung. Im Sommer 1916 stellte das Sanitätsamt I. Armeekorps eine Liste mit Namensideen zusammen. Unter anderem waren dort als Vorschläge vermerkt »Reservelazarett für Kriegsbeschädigte«, »Schullazarett für Kriegsbeschädigte« sowie die edler klingende Variante »Lazarett Prinz Ludwig Ferdinand«. Auch Stabsarzt Scholl aus dem Reservelazarett München B brachte in einem Brief an das Sanitätsamt I. bayeri­ schen Armeekorps eine erste Idee ins Spiel: »Der Name ›Invalidenlazarett‹ dürfte die beste Bezeichnung für solche Speziallazarette sein, da er allein den Kernpunkt trifft und alle Sparten der Kriegsinvaliden­ fürsorge erfasst. Dieser Name kann gewiss nicht abschreckend auf die Kriegsinvaliden selbst wirken, da dieser Begriff schon seit Jahrzehnten in der staatlichen Arbeiterversicherung, Abteilung Invalidenversicherung, geläufig ist und die Invaliden selbst wissen, dass sie dort nicht dauernd als Invalide untergebracht bleiben, sondern dass dort ihrer Invalidität entgegengewirkt wird durch spezifische ärztliche Behandlung, Berufsausbildung und Arbeitsvermittlung.«255

Doch der Chef des Sanitätsamts, Dr. Philipp Hofbauer, zeigte sich von dieser Erklärung nicht überzeugt. Mit einem Stift strich er im Brief des Stabsarztes den Satz »da er allein den Kernpunkt trifft« an und setzte ein großes Fragezeichen daneben. Darüber notierte er: »Das Wesentliche der Sache ist die ›Fürsorge‹, daher Fürsorge-Abteilung, oder Fürsorge-Lazarett«.256 Ausgehend von diesem Kommentar Hofbauers muss schließlich die Entscheidung für den endgültigen Namen gefallen sein: Fürsorge-Reserve-Lazarett München. Zwar war er umständlich und passte nicht in das sonst übliche alphabetische Benennungsschema der Residenzstadt. Doch immerhin erfüllte er die Maßgabe, die Kriegsinvaliden nicht schon auf der Namensebene zu demoralisieren, sondern das aktive »Fürsorge«-Element hervorzuheben. Der hier skizzierte Vorgang zeigt insbesondere, dass sich die Sanitätsbehörden im Heimatlazarettwesen um eine sorgfältig betriebene Außendarstellung bemühten, nicht zuletzt durch eine bewusste Namenspolitik. Diese Strategie lässt sich etwa auch in der behördlichen Anweisung erkennen, den lange geläufi­ 253 Vgl. März, S. 221 f. 254 Fürsorge-Reserve-Lazarett an das Sanitätsamt I. AK., 30.01.1918, in: BayHStA Stv.­GenKdo.​ I.AK.SanA./177. 255 Stabsarzt Scholl an das Sanitätsamt I. AK., ca. 1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./334. 256 Philipp Hofbauer, Handschriftlicher Kommentar im Bericht des Stabsarztes Scholl an das Sanitätsamt I. AK., ca. 1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./334.

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gen Begriff des »Krüppels« fortan zu vermeiden und stattdessen von »Kriegsinvaliden«, »Kriegsversehrten« oder »Kriegsbeschädigten« zu sprechen.257 Auch hier war es die Idee, den negativen Beigeschmack eines Wortes durch einen neuen, noch unschuldigen Ausdruck zu neutralisieren. So sollten die Assoziationen von Hilflosigkeit, Minderwertigkeit und mangelhafter Männlichkeit zurücktreten zugunsten des würdevolleren Bildes eines »beschädigten Kriegshelden«.258 Nachdem die Namensfrage geklärt war, nahm das Fürsorge-Reserve-Lazarett im November 1916 seine Arbeit auf. Was erwartete die Patienten dort? Einen guten, wenngleich auf positive Außenwirkung bedachten Einblick in den Anstaltsalltag liefert ein Tätigkeitsbericht, den das Lazarett für die große Kriegsfürsorgeausstellung des Dresdener Hygienemuseums im Jahr 1917 verfasste. In seinem Ausstellungstext, der sich an die breitere Öffentlichkeit richtete, benannte der ärztliche Verfasser die vier zentralen Funktionen der Kriegsinvalidenfürsorge: erstens die ärztliche Behandlung, zweitens die Berufsberatung, drittens die Berufsausbildung und viertens die Arbeitsvermittlung. Alle vier Bereiche stünden auf dem Münchner Marsfeld räumlich gebündelt zur Verfügung, griffen eng ineinander und verstärkten sich gegenseitig.259 Im Folgenden skizzierte der Autor die konkrete räumliche Aufteilung des Fürsorge-Reserve-Lazaretts: In Haus 1 war laut Bericht eine Operationsstation eingerichtet, die besonders auf Nachoperationen, wie etwa Re-Amputationen, spezialisiert war.260 Haus 2 beherbergte alle Beinamputierten. Sie erhielten eine umfassende Stumpfbehandlung und konnten, sobald sie dazu in der Lage waren, die »Gehschule« besuchen.261 Dort ging es zunächst darum, zu lernen, mit einer Beinprothese auf einer geraden Linie zu gehen. War dieser erste Schritt geschafft, sollte der Patient seine Gehfortschritte auf einer Hindernisbahn testen und an Ballspielen im Freien teilnehmen: »Wir haben zum Beispiel sehr geschickte Fussballspieler unter den Unterschenkelamputierten, während sich die Oberschenkelamputierten mit

257 Vgl. Thomann, Der »Krüppel«; Eckart, Invalidität, S. 584. Freilich blieb er weiterhin medial präsent, etwa im Titel der »Zeitschrift für Krüppelfürsorge«. Ein weiteres Beispiel ist die Anweisung des Preuß. Kriegsministeriums, in militärärztlichen Zeugnissen den Begriff »arbeitsverwendungsunfähig« (a.v.u.) nicht mehr zu verwenden, sondern durch »kriegsunbrauchbar« (kr.u.) zu ersetzen: »Die Bezeichnung a.v.u. erweckt bei manchen Entlassenen die irrtümliche Auffassung, daß sie überhaupt zu keinerlei Arbeit mehr für fähig erachtet wären; die Folge ist: Beanspruchung der Vollrente, Scheu vor Ausnutzung ihrer Arbeitskraft.«, Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, § 19, in: BA-MA PHD 6/206. 258 Vgl. dazu Kienitz, Beschädigte. 259 Vgl. Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.​ I.AK.SanA./336. 260 Vgl. dazu auch Fürsorge-Reserve-Lazarett, 23.11.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./176. 261 Vgl. allgemeiner zu Stumpfbehandlung und »Gehschulen« Kienitz, Schöner, S. 243–246.

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Prellball und Festungsball unterhalten.«262 An diese Spiele, so der Verfasser, schlössen sich weitere Turnübungen an, die ebenfalls »die Aufmerksamkeit des Invaliden von der verletzten Stelle ablenken, so dass dadurch die für die Heilung so hinderlichen Hemmungen in Wegfall kommen.«263 In Haus 3 waren die einarmigen Patienten zusammengefasst. Auch für sie gab es verschiedene Übungs-Angebote, unter anderem eine kleine medico-­ mechanische Einrichtung, einen Versuchsgarten, in dem die Einarmigen leichte landwirtschaftliche Arbeiten durchführen konnten, eine Kegelbahn sowie eine spezielle Einarmwerkstätte. Im selben Gebäude waren zudem die Fußkranken untergebracht, unter ihnen besonders viele mit Plattfuß-Schmerzen264, andere mit Schussverletzungen, Quetschungen, Frakturen oder Lähmungen. Die FußAbteilung stand in engem Kontakt zur Schuhmacherwerkstätte, die für die Insassen orthopädische Schuhe mit Einlagen herstellte. Besonders lobte der Bericht die beiden Invalidenschulen, die sich direkt neben dem Lazarett befanden. Sie böten jeweils eigene Werkstätten für eine Vielzahl relevanter Berufe: für Schneider, Schuhmacher, Schlosser, Schreiner, Mechaniker und Feinmechaniker, Maschinenbauer, Gürtler, Spengler, Buchbinder, Schriftsetzer sowie Buchdrucker. Hier könnten sich die Patienten entweder darauf vorbereiten, ihren alten Beruf mit Prothesen auszuüben oder sich, was seltener vorkomme, in einem neuen Beruf ausbilden lassen. Neben diesen praktischen Komponenten böten die Invalidenschulen auch theoretische Kurse an. Dazu gehörten etwa Bürgerkunde, Sprachlehre, Stenographie, Schreibmaschinen-Unterricht, Zeichnen, Physik, Elektrizitätslehre und Handelskurse, »so dass das Ganze den Charakter einer Volkshochschule erhält.«265 Auch in dieser Aufzählung lässt sich der militärärztliche Weiterbildungs­ gedanke erkennen – das Konzept des Lazaretts als Schule fürs Leben. So befand etwa der Freiburger Stabsarzt Lewy, dass das Auffüllen von Bildungslücken in Elementar- oder Handelsfächern während der Lazarettzeit nicht als simples Mittel gegen Langeweile unterschätzt werden dürfe, sondern zur »ernsten Hebung des Persönlichkeitswertes«266 beitrage. Auch Stabsarzt Scholl hatte dazu bereits in der Münchener Medizinischen Wochenschrift kommentiert:

262 Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./336; vgl. zur Hindernisbahn im Berliner Reservelazarett »Landwehroffizierkasino« Kienitz, Schöner, S. 248 f. 263 Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./336. 264 Zu Plattfuß-Problemen in der Armee allgemein Momburg, S. 727–735. 265 Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./336. 266 Lewy, Ein- und Umschulung, Berufswahl, Arbeitsvermittlung, Rentenpsychose, in: Caritas­verband für die Erzdiözese Freiburg, Leitsätze zum Lehrgang über Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge vom 9. bis 12. Mai 1916, S. 14, in: StadtAFrei C3 776/1.

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»Der Unterricht in den Elementarfächern ist sehr wichtig. Ihn sollten möglichst viele Invalide besuchen, um sie geistig zu ertüchtigen, damit sie später dem Konkurrenzkampf, in den sie ja doch wieder hineingezogen werden, gewachsen sind. Mehr zu wissen, als nötig ist, schadet nie. Der Invalide wird leichter eine Stelle finden, wenn er nachweisen kann, dass er die und die Kurse besucht hat.«267

Zu diesem Argument gab es aber auch gegenläufige Stimmen. So forderte das Preußische Kriegsministerium, ebenfalls im Jahr 1916, dem theoretischen Unterricht für Lazarettpatienten keinen zu großen Raum zu gewähren, da dadurch »vielfach nur das Bestreben nach Erlangung eines bequemeren Postens erwirkt und die Rückkehr in den früheren gewerblichen Beruf erschwert wird.«268 Vor allem müsse die Tendenz zur Landflucht aufgehalten werden. Garten- und Werkstättenarbeit seien daher dem theoretischen Unterricht im Allgemeinen vorzuziehen. Zurück zum Münchener Fürsorge-Reserve-Lazarett: Die Berufsberatungsstelle der Regierung von Oberbayern befand sich ebenfalls im Gebäude der Invalidenschule auf dem Marsfeld. Außer dem leitenden Arzt und dem Leiter der Fachschule waren verschiedene Berufssachverständige dort tätig. Die Berufsberatungsstelle stellte einen Knotenpunkt dar, da sie nicht nur die Insassen des Fürsorge-Reserve-Lazaretts betreute, sondern auch die Patienten anderer Münchner Lazarette.269 Dabei folgte die Beratung der allgemeinen Leitlinie der Militärbehörden: Jeder Invalide sollte, wenn möglich, seinen alten Beruf beibehalten oder »wenigstens einem dem früheren Berufe verwandten zugeführt«270 werden. Konnte ein Kriegsbeschädigter seine alte Tätigkeit jedoch nicht mehr ausüben – was er aber, so Stabsarzt Scholl, nicht allein bestimme, sondern nur gemeinsam mit der Berufsberatung –, sei es am besten, ihn zur Wahl eines neuen Berufs in verschiedene Werkstätten zu schicken, also »nach seinen Neigungen wählen zu lassen.«271 Im Mittelpunkt stehe dabei die Freiwilligkeit. Doch damit sei das Fürsorge-Programm noch nicht beendet: »Den Abschluss bildet erst die Arbeitsvermittlung. Wenn die Arbeitsvermittlung fehlt, ist es, wie wenn bei einem interessanten Roman der Schluss fehlt. Man möchte wissen, wie es ausgeht, ob sie sich kriegen oder nicht – d. h. ob der ausgebildete Invalide nun auch eine Stelle erhält.«272 267 Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 45; ähnlich auch Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 26.10.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53. 268 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/3312, fol. 7. 269 Zur Berufsberatung für orthopädische Kriegsbeschädigte vgl. ausführlich Perry, Recycling, S. 100–109; Pironti, Kriegsopfer, S. 144 f. 270 Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 44; vgl. zur Position der Militärverwaltung: Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/​ 3312, fol. 7. 271 Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 44. 272 Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 2, S. 83.

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Diese Aufgabe erledigte nicht das Fürsorge-Reserve-Lazarett selbst, sondern eine Arbeitsnachweisstelle für Kriegsbeschädigte beim städtischen Arbeitsamt.273 Dorthin schickten die Berufsberater ihr abschließendes Gutachten. Am wichtigsten sei dabei, so der bereits zitierte Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts in düsterer Vorahnung, »die Vermittlung der Invaliden noch während des Krieges, solange noch das Mitleid und das Interesse für die Invaliden vorhanden sind, zu bewerkstelligen.«274 Nach dem Krieg könne es dafür zu spät sein. 2.3.3 Lazarettbeschäftigung als »Arbeitstherapie« So geordnet und aufeinander abgestimmt wie seit Ende 1916 im Fürsorge-Reserve-Lazarett München ging es nicht in allen Hospitälern zu – das ahnten auch die Sanitätsbehörden. Schon früh argwöhnten sie, dass das Beschäftigungsangebot und die Arbeitsvermittlung nicht überall nach ihren Vorstellungen gestaltet waren. Um sich einen Überblick zu verschaffen und notfalls einzugreifen, forderten sie dazu wiederholt detaillierte Berichte an, gerade von den kleineren Lazaretten.275 Auch das Sanitätsamt II. bayerischen Armeekorps versuchte 1915, durch eine Umfrage unter den Chefärzten herauszufinden, auf welche Weise die Soldaten in den zugeordneten Vereinslazaretten tatsächlich ihre Tage verbrachten. Doch die Antworten, die es darauf erhielt, dürften das Sanitätsamt kaum zufriedengestellt haben. Von der geforderten wirksamen Berufsvorbereitung konnte in vielen der befragten Einrichtungen keine Rede sein. So berichtete etwa das Vereinslazarett Dettelbach: »Der größte Teil der Verwundeten und Kranken sind Ortsansäßige [sic] und benutzen die Ausgangszeit zur Verrichtung von kleinen häuslichen Arbeiten und haben dann die übrige Zeit im Lazarett zur Ruhe und Erholung nötig, eifrig darauf bedacht ihren Kräftezustand baldigst zu heben. Ein nicht geringer Teil – teils Asthmaleidende teils Lungenkranke – sind zur jetzigen Jahreszeit fast immer ans Bett gebunden und können nur wenig auf sein, auch weniger ausgehen. Ihnen stehen sehr viele Bücher und Spiele zur Verfügung und werden erstere auch fleißig gelesen. […] Einige beschäftigen sich mit kleinen Arbeiten: Ausbesserung von Gartengeräten, Korbflechten, Zeichnen & Malen. Auch dem Gesang wird fleißig gehuldigt. Es fehlt im hiesigen Lazarett in keiner Weise an Beschäftigung und Kurzweil.«276

Auch im Vereinslazarett Winnweiler hatten sich die Verantwortlichen lediglich darauf konzentriert, den Patienten die Langeweile zu vertreiben: 273 Vgl. zur Arbeitsvermittlung auch Lange, B., S. 23 f.; Biesalski, Stellung, S. 49. 274 Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./336. 275 Vgl. etwa Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, S. 6, in: HStAD 11348/3312. 276 Vereinslazarett Dettelbach a. M. an die Lazarettkommission Kitzingen, 02.12.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53.

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»Die Genesenden des Vereinslazaretts wurden im abgelaufenen Monat mit dem Einbringen von Pilzen, dem Sammeln von Buchteln und Eicheln beschäftigt. Zur Unterhaltung stehen den Verwundeten und Kranken die Vereinsbücherei, ferner ver­ schiedene Unterhaltungs- und Gesellschaftsspiele zur Verfügung, von denen auch ausgiebig Gebrauch gemacht wird.«277

Eine solche ungeregelte Beschäftigungssituation war nicht im Sinne der Militärverwaltung. Sie hatte wenig mit ihren Vorstellungen einer sinnvollen, produktiven Betätigung zu tun, wie sie etwa im Fürsorge-Reserve-Lazarett verwirklicht war.278 Die Medizinal-Abteilung des Sächsischen Kriegsministeriums, die offenbar ähnlich enttäuschende Berichte von ihren Vereinslazaretten erhalten hatte, kritisierte in einem Erlass vom Februar 1916: »Es ist hier bekannt geworden, dass die Beschäftigung der in Vereinslazaretten und Genesungsheimen untergebrachten Kriegsteilnehmer nicht den erlassenen Bestimmungen entsprechend in durchaus zweckmässiger Weise erfolgt. Die Kriegsbeschädigten werden zum Teil wohl beschäftigt, jedoch ganz nach ihrem freien Willen und nicht unter dem wichtigen Gesichtspunkte ärztlich verordneter und überwachter ernster Berufs- und Arbeitsschulung, sondern mehr in Form der Unterhaltung und eher als Spielerei geltenden Beschäftigung mit feinen Rohrflechtereien, Kleb-, Schnitzund Laubsägearbeiten.«279

Solche künstlerischen Aktivitäten, so das Sächsische Kriegsministerium, gingen völlig in die falsche Richtung. Vielmehr müssten mit allen Mitteln »die hohen Ziele der Berufsertüchtigung«280 verfolgt werden. Dies könne nur durch die möglichst frühzeitige Wiedergewöhnung an echte körperliche Arbeit erreicht werden. Damit hatte die Dresdener Medizinal-Abteilung einen zentralen Punkt angesprochen: Aus Sicht der Heeresverwaltung und vieler Militärärzte war die Lazarettbeschäftigung nicht nur ein Zeitvertreib, sondern unterstützte maßgeblich die Heilung. Daher sollten sich möglichst alle Patienten dieser »Arbeitstherapie«281 unterziehen, sogar Leichtverletzte und Leichtkranke, die wieder in den 277 Vereinslazarett Winnweiler an den Stv. Korpsarzt II. AK., 16.10.1916, in: BayHStA Stv. GenKdo.II.AK.SanA./53. Weitere ähnliche Berichte von Vereinslazaretten finden sich ebd. 278 Vgl. Sanitätsamt XIV. Armeekorps, Richtlinien für die Beschäftigung der Lazarettinsassen außerhalb der Lazarette, 1916, in: StadtAFrei C3 776/1. 279 Sächs. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 24.02.1916, in: HStAD 11348/3312; vgl. zu dieser Kritik auch Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 46, in: HStAD 11348/3001. 280 Sächs. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 24.02.1916, in: HStAD 11348/3312; vgl. dazu auch o.A., Leitsätze für die Wiederertüchtigung, S. 1347. 281 Vgl. etwa Jolly; Spitzy. Zur zeitgenössischen Idee der Arbeitstherapie existieren bereits Forschungsarbeiten, die sich allerdings nicht auf die Rolle des Lazaretts, sondern allgemein auf Behandlungskonzepte und Sozialpolitik für Kriegsinvaliden und Neurotiker konzentrieren, vgl. Peckl, Krank, insbes. S. 37–39; Rauh u. Prüll, Krank, insbes. S. 12–14; Perry, Recycling, insbes. S. 94–98. Mit Fokus auf den Begründer der modernen Arbeitstherapie Hermann Simon Beddies, »Aktivere Krankenbehandlung«; Grütters.

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militärischen Dienst zurückkehrten.282 Auffallend ist, dass die Sanitätsbehörden in diesem Punkt ähnlich argumentierten wie in der Frage der frühzeitigen Entlassung Genesener ins Feld sowie der Aufrechterhaltung der Lazarettdisziplin. Auch diese beiden Aspekte priesen sie immer wieder als besonders »genesungsfördernd«283 an. Es lässt sich somit eine Art Erfolgsrezept der Heeresverwaltung für einen gelungenen Lazarettaufenthalt herauslesen, das sich offenbar aus den folgenden vier »Heilfaktoren«284 zusammensetzte: erstens der richtigen Mischung aus Ruhe und Anregung, zweitens der straffen Disziplin, drittens der möglichst starken Abkürzung des Heilaufenthalts und viertens – direkt damit zusammenhängend – der frühzeitigen Wiederaufnahme einer Arbeitstätigkeit oder des Militärdienstes selbst. Die letzten drei »Heilfaktoren« lagen jedoch nicht so sehr im Interesse der Patienten. Sie bedienten vor allem die Bedürfnisse des Heeres und der Kriegsindustrie. 2.3.4 Musterpatient: Der Fall des August Barta, 1916 Wie sollte die »Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit« von Kriegsbeschädigten gemäß dieser Erfolgsstrategie idealerweise ablaufen? Das Fallbeispiel des Lazarettpatienten August Barta gibt davon einen plastischen Eindruck. Der junge Soldat, der an der Ostfront schwer verletzt und in ein Brandenburger Lazarett gebracht worden war, verfasste über seine dortigen Arbeitserfahrungen einen ausführlichen Bericht. Er nahm damit an einem Preisausschreiben der Invalidenzeitung »Vom Krieg zur Friedensarbeit. Zeitschrift für die Brandenburgische Kriegsbeschädigtenfürsorge« von 1916 teil, bei dem alle Einsender die folgende – wenig originelle – Preisfrage beantworten mussten: »Welche Förderung verdanke ich während meiner Lazarettzeit dem Unterricht, den Vorträgen und dem mir gebotenen Lesestoff?«285 Barta schrieb einen durch und durch lobenden Text und gewann damit den zweiten Platz. Sein Bericht liest sich wie die Musteranleitung für eine gelungene Wiedereingliederung von Invaliden in die Berufswelt. »Als Musiker«, so begann er, »wurde ich im Februar vorigen Jahres zum Kriegsdienste eingezogen und erhielt meine Verwundung, einen Unterarmschuß.«286 Von einer Zukunft im Musikbereich, so Barta, habe er dadurch 282 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312. 283 Vgl. exemplarisch Medizinische Gesellschaft zu Magdeburg, S. 461. 284 Müller, W., S. 6; vgl. auch Sophie von Boetticher, in: Würtz, S. 50. 285 Preisausschreiben (2. Preisarbeit), in: Vom Krieg zur Friedensarbeit. Zeitschrift für die Brandenburgische Kriegsbeschädigtenfürsorge 4 (1916), S. 62, in: BayHStA Stv.GenKdo. II.AK.SanA./56. 286 Zitate im Folgenden aus: August Barta, Welche Förderung verdanke ich während meiner Lazarettzeit dem Unterricht, den Vorträgen und dem mir gebotenen Lesestoff, in: Vom Krieg zur Friedensarbeit. Zeitschrift für die Brandenburgische Kriegsbeschädigtenfürsorge 4 (1916), S. 62, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./56.

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traurig Abschied nehmen müssen, »traurig um so mehr, als ich durch Kriegstrauung eine Familie gegründet hatte. Es war nun meine Pflicht, mich für einen anderen Beruf vorzubereiten.« Im Lazarett Görden bei Brandenburg an der Havel habe er bald neue Zuversicht gefasst: »Meine Kameraden erzählten mir schon am ersten Tage von den vielen segensreichen Einrichtungen des Lazaretts, und gespannt und hoffend sah ich der hier eingeführten Berufsberatung entgegen. […] Nie werde ich die Viertelstunde vergessen, in welcher ich meinem Herzen Luft machen konnte. Die Herren Berufsberater gaben mir bereitwilligst über jeden Beruf und dessen Aussichten für mich Auskunft und erwogen alle meine Wünsche und Zukunftspläne. Mit bewundernswerter Geduld sprachen sie mir Mut zu und erweckten so in mir, ich muß es offen gestehen, wieder die Lebenslust. Das Ergebnis dieser Beratung war: vorläufig während der Vormittage Beschäftigung in der Korbmacherei; nachmittags Turnen und orthopädische Behandlung.«

Barta begann mit den empfohlenen Übungen. Doch dann mischten sich die beruflichen Karten für ihn noch einmal neu. Denn eines Abends, so berichtete er, habe er im Schreibzimmer des Lazaretts einen älteren Mitpatienten beobachtet, einen einfachen Handwerker, der dort für einen Meisterkurs Schönschrift geübt habe: »Ein Mann und zugleich ein Schüler. Hoffnungsfroh erzählte er mir von seinen Plänen. Welch’ großes Vorbild war dieser Mann aber für mich! Er belebte in mir nicht nur neue Hoffnungen, sondern er spornte mich durch seinen Fleiß zur größeren Tätigkeit an. Am folgenden Morgen meldete ich mich beim Herrn Chefarzt mit der Bitte, mich an einem der Kurse beteiligen zu dürfen. Ich mußte zum zweiten Male zur Berufsberatung und entschloß mich, diesmal den Beruf eines Beamten zu erwählen. Zu diesem Zweck nahm ich an dem Beamtenkursus teil. Hocherfreut schrieb ich damals an meine junge sorgende Frau: ›Jetzt habe ich um unsere Zukunft keine Bange mehr; der Arzt hat mir hier den Weg gewiesen.‹«

Schließlich erhielt Barta tatsächlich einen Ausbildungsplatz in der Brandenburger Kommunalverwaltung. Seine berufliche Wiedereingliederung war abgeschlossen. Der Lazarettaufenthalt hatte aus dem ehemaligen Musiker einen Beamten gemacht. In Bartas Bericht finden sich keinerlei kritische Töne – kein Wort der Enttäuschung oder Verbitterung über den unfreiwilligen Berufswechsel. Vielleicht war es für ihn tatsächlich so reibungslos verlaufen, wie er es beschrieb; vermutlich wollte er aber vor allem mit einem positiven Text das Preisausschreiben gewinnen. Nicht auszuschließen ist zudem, dass die Redaktion der Invalidenzeitschrift seinen Originaltext an heiklen Stellen gekürzt oder modifiziert hatte. In seiner abschließend publizierten Form entsprach Bartas Bericht jedenfalls genau den Modellphantasien der Medizinalbehörden. Alle Aspekte, die ihrer Ansicht nach eine erfolgreiche Berufsvorbereitung im Lazarett garantierten, kamen darin vor: der unbedingte Wille des Kranken, wieder in das Arbeitsleben zurückzufinden, 147

die externe Motivation durch das Vorbild erfahrener Mitpatienten287, die Teilnahme zunächst am militärischen Turnen sowie später an einem unmittelbar berufsvorbereitenden Kurs und schließlich das Wiedererwecken der Zuversicht durch die Arbeit selbst. Individuelle Erfolgsgeschichten wie diese schienen zu bestätigen, dass die bisherige Strategie der Heeresverwaltung aufging. Das Lazarett, so die Botschaft des Textes, hatte mit seiner breiten Angebotspalette und der sich gegenseitig unterstützenden Patientengemeinschaft dazu beigetragen, dass ein Schwerverwundeter wie Barta wieder selbst für sich und seine Familie sorgen konnte. Es lässt sich vermuten, dass es der Redaktion der Fürsorge-Zeitschrift schon aus volkserzieherischen Gründen ratsam erschienen sein musste, Bartas Vorbild-Bericht einen Preis zu verleihen und seinen Text im Anschluss prominent in der Zeitschrift zu publizieren. Immer wieder finden sich in den Quellen Beispiele für solche Vorzeige-Invalide, die in Artikeln selbst zu Wort kamen oder – deutlich häufiger – photographisch oder filmisch bei Alltagstätigkeiten abgebildet wurden.288 Wie Sabine Kienitz herausgearbeitet hat, zeigten allerdings viele dieser medialen Darstellungen in Wahrheit keine Kriegsinvaliden, sondern zivile Unfallopfer, die bereits seit Jahren Übung mit ihren Prothesen hatten. Daher zogen die Vorzeige-Invaliden auch öffentliche Kritik auf sich. Ihnen oder denjenigen Plattformen, die sie präsentierten, wurde vorgeworfen, mit ihren unrealistischen Leistungen die erst seit kurzem Kriegsbeschädigten vor den Kopf zu stoßen. Diese würden so zu Invaliden zweiter Klasse degradiert.289 Umso wertvoller musste im Lichte dessen Bartas Bericht für die Kriegsfürsorge-Zeitschrift erscheinen: als das authentische Zeugnis eines (angeblich) echten Kriegsinvaliden, der mit seinem Beispiel bewies, dass »der berühmte Wille, der das Krüppeltum überwinden soll«,290 kombiniert mit den Berufsvorbereitungsmaßnahmen des Lazaretts, sich auszahlten und zum Erfolg führten. 2.3.5 Der sich selbst wiederherstellende Patient: Das Lazarettwesen als Selbsterhaltungssystem Eine wichtige Dimension bei der Berufsertüchtigung war die Forderung der Militärmediziner, dass sich die Soldaten nicht nur passiv von den Ärzten reparieren lassen, sondern aktiv die Wiederherstellung in die eigene Hand nehmen sollten. Der bereits erwähnte Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München liefert auch für diesen Aspekt ein Beispiel. Die orthopädische Werkstätte des 287 Vgl. dazu Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312; Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 43; Nieny, S. 327 f. 288 Ein prominentes Beispiel sind die Vorzeige-Geschichten von 19 Kriegsinvaliden in: Würtz, S. 79–137. 289 Vgl. Kienitz, Beschädigte, insbes. S. 192–208. 290 Alsberg, 163.

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Lazarett-Komplexes, in der ca. 60 Arbeiter angestellt waren, fertigte Prothesen, Behelfsapparate, Radialisschienen und andere orthopädische Produkte für das I. bayerische Armeekorps an. Auch neuartige Prothesenkonstruktionen wurden hier getestet.291 Der Clou war jedoch, dass Kriegsamputierte in der Werkstätte angelernt wurden, ihre eigenen (oder fremde)  Prothesen zu reparieren.292 So waren sie nicht abhängig von Berufsbandagisten, sondern konnten Mängel an ihren Kunstgliedern eigenständig beheben.293 Auch in anderen Quellen finden sich Hinweise auf solche Einrichtungen, in denen sich die Kriegsbeschädigten gleichsam selbst wiederherstellten.294 Aus einer Kasseler Werkstätte berichtete etwa der Oberstabsarzt Adolf Alsberg, dass die Amputierten hier in der Anfangszeit monatelang auf ihre Ersatzglieder hätten warten müssen, da es in der Region nicht genügend Orthopädie­mechaniker gegeben habe: »Da begannen wir denn frisch mit der Ausbildung von entsprechenden Lazarettinsassen, die in ihrem bürgerlichen Beruf mit Stahl- und Lederarbeiten irgendwelcher Art zu tun hatten, oder auch mit solchen Kriegsbeschädigten, die auf diesen Beruf umlernen wollten.«295 So sei es gelungen, den Invaliden gleichzeitig Arbeit und ein gutes Kunstglied zu verschaffen. Das Straßburger orthopädische Lazarett »Stephanienheim« berichtete von einem ähnlichen Modell. Hier fertigten zahlreiche Kriegsbeschädigte Prothesen selbst an, während andere in der angeschlossenen Schlosser-Werkstätte die passenden Scharniere herstellten.296 Dieses hohe Maß an Selbstgenügsamkeit erwartete das Militär nicht nur von den Kriegsverwundeten, sondern auch von den Lazaretten selbst. Immer wieder wurden die Einrichtungen dazu ermahnt, sich so weit wie möglich selbst zu versorgen, indem sie etwa im Garten Gemüse anbauten und Viehzucht betrieben.297 Karl Wilmanns zufolge ging es der Heeresverwaltung dabei nicht 291 Vgl. Hohmann, S. 106 f.; Lange u. a.; zur Entwicklung neuer Prothesen allgemeiner Perry, Brave, S. 150–152. 292 Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./336; vgl. zu dieser Idee bereits in der Fürsorge-Abteilung von München B Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 43; ders., Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 2, S. 84. 293 Heather Perry weist darauf hin, dass das Militär nur ein erstes Set an Prothesen bezahlte (einen Arbeitsarm und einen Schmuckarm), aber keine nachträglichen Reparaturen, vgl. Perry, Recycling, S. 95. 294 Vgl. etwa Blencke, S. 61 f.; Müller, W., S. 105; Ph. Schäfer, in: Würtz, S. 111 f.; für Spitzys Reservespital in Wien Pawlowsky u. Wendelin, S. 122. Ein immer wieder angeführtes historisch-mythisches Vorbild war der Kunstarm des Götz von Berlichingen im 16. Jahrhundert, den er angeblich selbst geschmiedet hatte, vgl. dazu Perry, Recycling, S. 47; Kienitz, Beschädigte, S. 54–57. 295 Alsberg, S. 152. 296 Vgl. Lange, B., S. 21 f. 297 Vgl. etwa Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312; Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 26.04.1916, in: HStAD 11348/3312, fol. 33 f.; Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abtei­

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vorrangig darum, Geld zu sparen, »sondern Erzeugnisse [zu] schaffen, um die Bewirtschaftung der Lazarette nach Möglichkeit von der bürgerlichen Bevölkerung unabhängiger zu gestalten.« In manchen Hospitälern hätten sich auf diese Weise »mustergültige landwirtschaftliche Betriebe«298 entwickelt. Doch ob die Heeresverwaltung mit ihren Aufrufen zur Selbstversorgung tatsächlich keine Einsparpläne verfolgte, wie Wilmanns rückblickend behauptete, muss in Frage gestellt werden. Die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums wies im März 1917 explizit darauf hin, dass »bei der jetzigen schwierigen Wirtschaftslage der größte Wert auf die Eigenproduktion insbesondere auch seitens der Lazarette gelegt werden muß, zumal die landwirtschaftlichen und gärtnerischen Arbeiten gleichzeitig in hervorragendem Maße heilkräftigend auf die damit beschäftigten Patienten wirken.«299 Das Konzept der Wiederherstellung im Lazarett beinhaltete also auch das Prinzip der »Selbsterhaltung«300 und der Wiederherstellung aus eigenen Mitteln. Die militärmedizinische Versorgung sollte wie ein autopoietisches System301 funktionieren, das aus mehreren, aufeinander aufbauenden SelbsterhaltungsStufen bestand: Auf einer individuellen Ebene sollte sich der Patient selbst wiederherstellen (oder zumindest dazu beitragen), auf einer institutionellen Ebene sollten sich die Lazarette selbst versorgen und auf einer nationalen Makro-Ebene sollten sich Heer und Marine immer wieder aus der Heimat mit Menschen- und Sachressourcen erneuern. Auch für die allgemeine deutsche Volkswirtschaft galt dieses Ideal: Angesichts der feindlichen Blockade sollte das Kaiserreich klug haushalten, um sich gleichsam nur aus sich selbst heraus am Leben zu erhalten. Der Krankenhaus-Aufenthalt von Soldaten musste unter diesen Umständen ebenfalls effizient, ja am besten gewinnbringend »ausgenützt«302 werden: Schon hier, in den Proberäumen der Arbeitswelt, sollte die Berufsausbildung ergänzt und der Berufseinstieg vorbereitet werden, damit der Übergang in die Arbeitswelt reibungslos gelang. Auf diese Weise, so das behördliche Kalkül, würden

lung, 23.11.1916, in: StadtABadNau A II 258/Krieg 1914 Verwendung des städtischen Krankenhauses als Lazarett; Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 02.03.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 41. 298 Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 40. Konkret nennt er hier die Lazarette in Ettlingen und Dürrheim. 299 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 27.03.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo. II.AK.SanA./39. 300 Diesen Begriff verwendet etwa Dr. Fritz Ehrenfreund, Bericht über die im Reservelazarett Dresden I. befindlichen Werkstätten, 01.10.1915, in: HStAD 11348/3312, fol. 24. 301 Hier ließe sich auch an Niklas Luhmanns Konzept der Autopoiesis denken, wonach jedes System die Elemente produziert, »aus denen es besteht, mit Hilfe der Elemente, aus denen es besteht«, Luhmann, S. 369. Allerdings passt sein theoretischer Ansatz nicht in jeder Hinsicht zu den hier beschriebenen Vorgängen, zumal sich Soldaten und Lazarette nicht nur aus sich selbst heraus schöpfen konnten und sollten; zu modernen Kriegen insgesamt als autopoietischen Systemen Matuszek. 302 Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 42.

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auch niedrigere Rentenzahlungen fällig.303 Wenn die Soldaten und Lazarette dabei möglichst selbstgenügsam und selbsterhaltend vorgingen, konnten umso mehr Ressourcen gespart werden.304 Der »zur Selbsthilfe geführte Kriegs­ krüppel« würde sich gemäß der Vision der Zeitschrift für Krüppelfürsorge zum strahlenden Männlichkeits-Vorbild für die Gesamtgesellschaft entwickeln und so »alle Flaumacher des Lebenskampfes«305 widerlegen. Doch trotz aller Vorbereitung galt der Moment, in dem der Invalide aus dem Schonraum des Lazaretts hinaustrat und in das Zivilleben zurückkehrte, als hochgradig störanfällig. Konrad Biesalski mahnte während des ersten Kriegsjahrs in einem Vortrag: »Die schlimmste Gefahr, welche dem Verwundeten droht, ist jene Zeit, in welcher er den Abschluß seines Invalidisierungsverfahrens abwartet und zu diesem Zwecke wochen-, ja monatelang in die Heimat beurlaubt wird. Dort umfängt ihn dann die menschlich begreifliche und sehr ehrenwerte doch ganz falsche Liebe seiner Angehörigen, die Verhätschelung seiner Mitbürger auf der Dorfgasse und in der Kneipe, und schon nach kurzer Zeit ist ihm die Heimat das Kapua geworden, in dem alles verloren ging, was bisher an ihm gearbeitet wurde. […] Es ist nicht nötig, daß der Mann für diese Zeit in die Heimat beurlaubt wird. Die Ärzte müssen dafür Sorge tragen, daß der Mann direkt aus dem Lazarett in die Arbeitsstelle kommt, nur dann wird es möglich sein, alle die Werte zu erhalten, die in mühsamer Arbeit vorher geschaffen sind.«306

Biesalski machte in dieser Aussage erneut auf die besondere Funktion des Lazaretts aufmerksam: Nur hier konnten die Patienten militärisch abgeschirmt und angeleitet werden, nur dieses Bollwerk schützte die Soldaten vor dem schädlichen Einfluss ihres Heimatortes. Ähnliche Überlegungen schlugen sich bald auch in den Vorgaben der Medizinalbehörden nieder. Aus ihrer Sicht war der zivile Einfluss auf die Arbeitsfreude der Patienten allerdings nicht nur ein Problem der Entlassungssituation  – er musste vielmehr schon im Lazarett selbst zurückgedrängt werden.307 Zunehmend bestanden die Behörden nicht mehr nur darauf, dass die Beschäftigung der Patienten auf »zweckentsprechende«308 Tätigkeiten ausgerichtet sein sollte, sondern gingen ab Ende Dezember 1916, aufgrund des neu erlassenen Hilfsdienstgesetzes, noch einen Schritt weiter: Die Lazarettarbeit sollte künftig

303 Vgl. dazu allgemeiner Whalen, S. 114. 304 Vgl. dazu Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 26.04.1916, in: HStAD 11348/​ 3312, fol. 33 f. 305 Willy Schlüter (Schriftleiter der Zeitschrift für Krüppelfürsorge), in: Würtz, S. 69. 306 Biesalski, Stellung, S. 50 f. 307 Vgl. dazu exemplarisch Tabora, S. 609 f. 308 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312.

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kriegswirtschaftlich »wertvoller« sein als zuvor.309 So verfügte etwa im März 1917 das Sanitätsamt XIV. Armeekorps: »An verschiedenen Lazaretten wird zeitraubender Unterricht in Schönschreiben, Kurzschreiben, Maschinenschrift, in der Buchführung und fremden Sprachen erteilt, der für gewisse Beteiligte wertvolle Anregungen bieten mag, für die Mehrzahl der Schüler jedoch kaum einen wesentlichen praktischen Nutzen mit sich bringt. Auch in den nach ärztlichen Gesichtspunkten geleiteten Lazarettschulen werden Verwundete zu Beschäftigungen angehalten, die zweckmäßig durch kriegswirtschaftlich wert­ vollere ersetzt werden könnten, ohne daß dadurch der Heilerfolg in Frage gestellt oder auch nur verzögert würde. […] Kurse in Elementarfächern […] usw. müssen aufhören zugunsten der Arbeit in der Landwirtschaft, den Munitionsfabriken und sonstigen Einrichtungen für Heereslieferungen.«310

In diesem Befehl, Lazarettpatienten vor allem für kriegsrelevante Tätigkeiten zu verwenden, drückte sich weit mehr aus als nur die Vorgaben des HindenburgProgramms.311 Es lässt sich darin ebenso der behördliche Versuch erkennen, die Lazarette zu re-militarisieren, nachdem dort die militärische Vorherrschaft durch den Einfluss ziviler Gruppen zunehmend gefährdet erschien.312 Das Preußische Kriegsministerium hatte bereits im Mai 1915 deswegen Warnungen ausgegeben: Vielfach seien die »an sich gewiss dankenswerten Bestrebungen weiterer Kreise, unseren Verwundeten durch Veranstaltung von unterhaltenden Aufführungen der verschiedensten Art, durch Spendung von Freikarten zu Theater- usw. Aufführungen eine Abwechslung während ihres Lazarettaufenthalts zu bereiten« deutlich zu weit gegangen. Sie hätten sich »als wenig günstig für den Willen der Leute«313 erwiesen, wieder gesund zu werden und eine zügige Entlassung eher erschwert. Das Ministerium werde diese Aktivitäten zwar nicht ganz verbieten können, empfehle aber eine »erhebliche Einschränkung«.314 Auch beim Thema Berufsberatung setzte nun ein Umdenken ein. Während die Heeresverwaltung bisher darauf gedrängt hatte, dienstunfähige Patienten »wenn irgend möglich, in ihrem früheren Berufe«315 unterzubringen, gab das

309 Vgl. Generalarzt Kimmel an das Sanitätsamt II. AK., 21.12.1916, in: BayHStA Stv.Gen​ Kdo.I.AK.SanA./176. 310 Sanitätsamt XIV. Armeekorps, Richtlinien für die Beschäftigung von Lazarettinsassen, 02.03.1917, in: StadtAFrei C3 355/8. 311 Dazu zusammenfassend Geyer, Hindenburg-Programm; Mai, Hilfsdienstgesetz. 312 Vgl. Generalarzt Kimmel an das Sanitätsamt II. AK., 21.12.1916, in: BayHStA Stv.Gen​ Kdo.I.AK.SanA./176. 313 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312; ähnlich: Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/3312. 314 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312. 315 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/3312.

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neu installierte Kriegsamt im Dezember 1916 einen anderen Kurs vor. Der bisherige Grundsatz, jeden Kriegsbeschädigten seiner alten Stelle zuzuführen, müsse nun wesentlich modifiziert werden; manche nicht kriegsrelevanten Erwerbszweige, wie die Luxus- oder Textilindustrie, lägen inzwischen brach. Durch Berufsberatung und Arbeitsvermittlung sei »dahin zu wirken, dass sich der Kriegsbeschädigte bei seiner Heeresentlassung einem kriegswirtschaftlich wertvollen Berufe zuwendet.«316 Die totale Mobilisierung sollte damit auch vor den Kriegsversehrten keinen Halt machen. Das Tor zu dieser menschlichen Ressource waren die Lazarette. Hier konnten die Invaliden – zumindest der Theorie nach – durch Umlernprogramme und passende Übungen wieder für die Kriegswirtschaft verfügbar gemacht werden. 2.3.6 Arbeitsverweigerung und Arbeitszwang Doch was geschah, wenn sich Lazarettinsassen dagegen wehrten, einer Beschäftigung nachzugehen oder sich umschulen zu lassen? Da sowohl viele Ärzte in ihren Publikationen als auch die Behörden im internen Schriftwechsel das Phänomen des »renitenten Patienten« regelmäßig thematisierten, scheint hier tatsächlich ein Problem gelegen zu haben.317 Für viele Soldaten, gerade aus einfachen Verhältnissen, war eine Weiterbildungsmaßnahme oder ein Berufswechsel offenbar weder naheliegend noch erstrebenswert. Der Marine-Stabsarzt Nieny wies auf diese Mentalitätsfrage im Marine-Lazarett Hamburg hin: »Nun darf man freilich nicht vergessen, dass das Umlernen und Neulernen für einen ungelernten Arbeiter speziell in vorgerücktem Alter etwas ganz Gewaltiges bedeutet. Neben Seeleuten und Heizern bieten große Schwierigkeiten die zahlreichen Hafenund Werftarbeiter; sie waren bei schwerster Arbeit gewohnt, verhältnismäßig viel zu verdienen; sie können sich gar nicht vorstellen, daß sie irgendwo anders arbeiten und verdienen könnten, wie in ihrem geliebten Hafen; der einzige Posten, den sie alle ausnahmslos erstreben, ist der eines Aufsehers.«318

Der schwerverwundete Landarbeiter Franz-Xaver Buchner, der im Reserve­ lazarett München L lag, hatte wiederum grundsätzlichere Zweifel, ob er jemals wieder würde arbeiten können. »In welchem zusammengeflickten Zustand ich nach Hause komme und was es nachher wird mit mir«, notierte er in seinem 316 Preuß. Kriegsministerium, Kriegsamt, 27.12.1916, in: HStAD 11348/3312, fol. 69. 317 Vgl. Generalarzt Kimmel an das Sanitätsamt II. AK., 21.12.1916, in: BayHStA Stv.Gen​ Kdo.I.AK.SanA./176; Sächs. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos XIII. und XIX. AK., 08.01.1916, in: HStAD 11348/3312, fol. 12, das den »von allen Seiten betonte[n] Widerstand der Kriegsbeschädigten gegen berufliche Beschäftigung« problematisiert; Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 47, in: HStAD 11348/3001; Horion, S. 167; auch Whalen, S. 114. 318 Nieny, S. 330.

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Tagebuch, »darüber steht ein großes Dunkel«. Angesichts seiner Schmerzen konnte sich der Bauerssohn weder vorstellen, wieder auf dem elterlichen Hof mitzuarbeiten, noch sah er für sich eine andere berufliche Zukunft: »Mit Entsetzen denke ich zurück an meine Leidenszeit, es sind nun schon 1 ½ Jahre verflossen und noch sehe ich keinen richtigen Ausgang des ganzen Prozesses. Wenn ich mein Bein ansehe, so dünkt es mir als ob ich niemals mehr damit gehen könnte. Am Knie ist das Bein durch die dauernde Eiterung aus dem Gelenk herausgetreten und es bildet nach aussen ein richtiges Dreieck. Auch Zehen und Fußgelenk sind ebenfalls, wie Knie und Hüfte unbeweglich. Arzt und Schwestern trösten mich immerfort aber ich habe es längst aufgegeben, daran zu glauben.«319

Von einer Arbeitstätigkeit oder Berufsberatung im Lazarett berichten Buchners detaillierte Aufzeichnungen an keiner Stelle. Ob er sich womöglich aktiv dagegen wehrte, lässt sich aus seinem Tagebuch nicht ableiten – er scheint jedenfalls an keiner der vom Bayerischen Kriegsministerium empfohlenen Lazarettbeschäftigungen (außer Lesen) teilgenommen zu haben. Aus Sicht der Behörden gehörte auch ein Mann wie er, mit seinen starken Schmerzen und seinen Sorgen, in die Kategorie des arbeitsscheuen, melancholischen Patienten. Die Verantwortlichen führten unterschiedliche Gründe ins Feld, warum sich so viele Soldaten den militärärztlichen Arbeitsappellen entzogen. Neben mangelndem Selbstvertrauen und allgemeiner Willensschwäche der Verwundeten wurde häufig ihr Gefühl benannt, sich nun, nach der erlittenen Verletzung, eine Pause gönnen und versorgen lassen zu dürfen.320 Das allerdings sei eine un­ patriotische und daher falsche Haltung. In einer Kommissionssitzung der Dresdener »Zentralwerkstätten« für Kriegsbeschädigte äußerte ein Anwesender den Verdacht, dass die Patienten deshalb nur widerwillig zum Arbeiten in die Zentral­ werkstätten kämen, weil sie das schlechte Beispiel ihrer Kameraden vor Augen hätten. Ein Teil der Mannschaften sitze im Lazarett und spiele Skat, während andere Kameraden arbeiten müssten. Das verführe und wirke »ungünstig«321 auf die Soldaten. Neben diesen Gründen thematisierten die Ärzte auch die Sorge der Patienten, die Rente gekürzt zu bekommen, wenn sie während der Lazarettzeit oder nach der Entlassung erfolgreich in einem Betrieb bzw. einer Werkstätte mitarbeiteten oder einen Fortbildungskurs besuchten.322 Dieser Gedankengang wurde als spezielle Variante der allgemeinen Rentensucht gedeutet.323 Durch

319 Buchner, S. 57 f. 320 Vgl. dazu Whalen, S. 112. 321 Kommission für die Dresdener Zentralwerkstätten, Protokoll vom 14.03.1917, in: HStAD 11348/3342. 322 Vgl. etwa Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 42; Schmitz, S. 518; Horion, insbes. S. 167. 323 Vgl. etwa Sanitätsamt XIV. AK., Richtlinien für die Beschäftigung von Lazarettinsassen, 02.03.1917, in: StadtAFrei C3 355/8; Artikel der Badischen Presse, 24.09.1915, in: S­ tadtAFrei C3 776/1.

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entschlossene Aufklärung sollte die – in Wahrheit nicht ganz unberechtigte324 – Sorge der Patienten hinsichtlich der Rente überwunden werden.325 Darüber hinaus sah das Militär zwei Möglichkeiten vor, um kooperationsunwillige oder verzagte Personen doch noch zu einer Beschäftigung zu bringen. Es war eine Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik: Erstens konnte den Patienten die Arbeit als Teil der Heilbehandlung dienstlich befohlen werden – allerdings nur, wenn die Beschäftigung innerhalb des Lazaretts stattfand.326 Andererseits konnten die Lazarette den Attraktivitätswert der Arbeit steigern, indem sie den Patienten eine Lohnzahlung in Aussicht stellten.327 So erzielten die Soldaten bereits während ihrer Genesungszeit kleine Einnahmen. Eine Lohnarbeit war aber meistens nur außerhalb der Lazarette in einer Werkstatt oder einem Betrieb möglich. Hier wiederum war die militärische Kontrolle kaum gewährleistet.328 Dennoch galt eine solche auswärtige Tätigkeit als geschickter Weg, die Kriegsbeschädigten zur Arbeit zu motivieren. Denn obwohl die Lazarettbeschäftigung theoretisch durch die Sanitäts­ offiziere erzwungen werden konnte, war dies aus Sicht der Heeresverwaltung nicht wünschenswert. Das Problem sei dabei, so die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums, »dass Zwang zur Arbeit, sobald sie über eine rein unterhaltende Beschäftigung hinausgeht, leicht geeignet ist, die Leute misstrauisch zu machen und ihnen die Lust daran zu nehmen.«329 Dann aber sei das Gegenteil dessen erreicht, was der Arzt beabsichtigt habe. Die Patienten müssten von selbst wieder »Lust und Freude« auch an »mehr nützlichen und schwereren Arbeiten« finden. Besonders hilfreich sei es daher, wenn »geeignete Verwundete und Kranke selbst für die Sache gewonnen werden und an der Durchführung der Beschäftigungen mitarbeiten – das dadurch gegebene Beispiel pflegt auch für die übrigen Genesenden anspornend zu wirken und ist geeignet, ärztlicherseits für zweckmässig und erforderlich gehaltene Arbeit als eine freiwillige, ohne Befehl und Zwang ausgeführt erscheinen zu lassen.«

Die hier angedeutete Vorgehensweise bot aus Sicht der Medizinal-Abteilung das Beste aus beiden Welten: Die Lazarettarbeit wirkte zwar für die Soldaten wie 324 Vgl. Whalen, S. 114. 325 Vgl. etwa das vom Roten Kreuz Frankfurt a. M. in Zusammenarbeit mit dem Preuß. Kriegsministerium 1918 erstellte »Merkbüchlein fürs Lazarett«, in dem häufige Fragen von Soldaten, etwa zur Rente, abgehandelt wurden, Druckfahnen in: BA R 67/322; weitere Schreiben dazu in: BA R 67/1301 sowie BA R 67/1346. 326 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/3312; Sanitätsamt XIV. Armeekorps, Richtlinien für die Beschäftigung der Lazarettinsassen außerhalb der Lazarette, 1916, in: StadtAFrei C3 776/1. 327 Vgl. dazu Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 26.04.1916, in: HStAD 11348/​ 3312, fol. 33 f.; für das Beispiel des Düsseldorfer Kieferlazaretts Ruff, Gesichter, S. 160–162. 328 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.01.1916, in: HStAD 11348/3312; dazu auch Whalen, S. 114. 329 Zitate im Folgenden aus: Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an alle Sanitätsämter u. a., 05.05.1915, in: HStAD 11348/3312.

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eine frei gewählte Tätigkeit, war aber in Wahrheit durch bestimme vertrauenswürdige Patienten, die als Agenten des Chefarztes fungierten, gezielt in Gang gesetzt worden. Die Möglichkeit des verdeckten oder offenen Zwangs entdeckten in der Folgezeit noch viele Militärärzte als besonderen Vorteil der Lazarette bei der Berufsvorbereitung. So erklärte etwa der Stabsarzt Scholl: »Bei den Erörterungen über die Kriegsinvalidenfürsorge trat immer mehr die Ueberzeugung in den Vordergrund, dass die Kriegsinvaliden noch während ihres Soldatenstandes, d. h. so lange sie noch in den Lazaretten sind, eine praktische Ausbildung erfahren sollen, denn sobald die Invaliden aus dem Heere entlassen sind, verlangen sie in die Heimat und werden von den schönsten Einrichtungen, die man ihnen später zur Verfügung stellt, keinen Gebrauch machen. […] Bei vielen Kranken wird es wohl eines gewissen äusseren Druckes bedürfen, um sie zu einer Beschäftigung anzuhalten. Dieser militärische ›Druck‹ ist ausserordentlich heilsam, da er im Interesse der Sache und der Invaliden selbst gelegen ist. Die kleine Nachhilfe durch Gewährung und Entzug von Ausgang und Urlaub und ähnlicher Vergünstigungen genügt meist.«330

Einige seltenere Stimmen in der Kriegsbeschädigtenfürsorge stellten den Sinn der Lazarettarbeit insgesamt in Frage.331 Der Ingenieur Hermann Beckmann kritisierte, dass das Krankenhaus lediglich ein Schonraum sei, in dem den Soldaten Selbständigkeit und gute Berufsaussichten von wohlmeinenden, aber realitätsfernen Pflegekräften vorgegaukelt würden.332 Auf dem freien Arbeitsmarkt hätten sie nach der Entlassung keine Chance, da sie nur mit Unterstützung arbeiten könnten und gegen gesunde Mitbewerber zurückstünden.333 Wenn überhaupt müsse Arbeit gegen Lohn im Betrieb gemacht werden.334 Damit sprach der Ingenieur die zweite eingangs erwähnte Möglichkeit an, widerwillige Lazarettpatienten zu mehr Aktivität zu motivieren: eine frühzeitige stundenweise Mitarbeit im Industriebetrieb. Tatsächlich wurde ein solches Vorgehen unter anderem 1917 in Köln versucht. Wie das Sanitätsamt I. bayerischen Armeekorps berichtete, hätten in Köln die »herkömmlichen Beschäftigungsund Unterhaltungsspiele verschiedenster Art«335 nicht mehr ausgereicht, um auf die Patienten einen »dauernden Anreiz« auszuüben. Die Arbeits- und Be330 Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 42; dasselbe Argument führte Scholl auch gegenüber dem Sanitätsamt an, ca. 1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./334. 331 Vgl. etwa Bangert, S. 28. Zur Kritik, dass durch Lazarettbeschäftigung eine Verweiblichung der Patienten drohe, wenn sie von Krankenschwestern oder anderen Frauen angeleitet werde, vgl. Kienitz, Beschädigte, S. 268. 332 Zu falschen Hoffnungen für die Invaliden auch Blencke, S. 62 f. 333 Beckmann, S. 1002 f. Beckmanns Ansichten wurden bald auch vom Preuß. Kriegsministerium unterstützt und seine Schriften zur Kenntnisnahme empfohlen, vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 13.05.1916, in: HStAD 11348/3312, fol. 44. 334 Vgl. dazu auch o.A., Leitsätze für die Wiederertüchtigung, S. 1347; ähnlich Brettner. 335 Zitate im Folgenden aus: Sanitätsamt I. AK. an alle Reservelazarette u. a., 17.10.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. Das Sanitätsamt hatte seine Informationen offenbar vom Preuß. Kriegsministerium erhalten, das die Schilderungen über die Maßnahmen in Köln als »beachtenswert« in allen Korpsbereichen kursieren ließ, vgl. Preuß. Kriegs-

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schäftigungsfrage, habe sich in dieser Situation nur durch »regelmäßige Arbeit gegen Verdienst« klären lassen. Schon nach wenigen Wochen sei der Kölner Versuch erfolgreich gewesen. »Das beschäftigungslose Dasein, welches nur grübelnde Gedanken hervorrief, war ausgeschaltet und die Arbeit, nach diesen Gesichtspunkten gestaltet, wirkte produktiv. Der arbeitsfähige Lazarettinsasse ging nicht mehr müßig.« Das Münchner Sanitätsamt zeigte sich überzeugt: Dieselbe Strategie müsse auch für Bayern übernommen werden.336 Doch das Kölner Konzept funktionierte nicht überall. Teilweise scheiterte es an den Betrieben selbst. Viele Unternehmen wollten keine Lazarettinsassen einstellen, die aus gesundheitlichen Gründen nur stundenweise zum Arbeiten kamen – sie suchten Vollzeitkräfte.337 Zudem hatte auch die Heeresverwaltung teilweise Bedenken gegenüber der Lazarettarbeit. Sie befürchtete, dass es bei einer zu ausgefeilten Beschäftigungsstrategie dazu kommen könne, dass Patienten länger im Lazarett verblieben als notwendig.338 Das aber, so die preußische Medizinal-Abteilung im großen Beschleunigungserlass von 1916, müsse verhindert werden: »Kein Mann darf der Arbeitsbehandlung zuliebe auch nur einen Tag länger als unbedingt nötig im Lazarett belassen werden.«339 Der Sanitätsverwaltung war vermutlich bewusst, dass sie die Lazarettärzte mit Anweisungen wie dieser in ein Dilemma stürzte: Welches Ziel hatte nun Priorität? Sollten die Ärzte versuchen, die höchste Stufe der Arbeitsfähigkeit für ihre Patienten zu erzielen oder sollten sie lieber auf deren möglichst frühzeitige Entlassung aus dem Lazarett hinarbeiten? Der Beschleunigungserlass blieb hier, trotz seiner markigen Formulierungen, eher vage. Er überließ die Entscheidung »der Umsicht und des Interesses des Arztes, in jedem Einzelfall unter Prüfung und Abwägung aller in Betracht kommenden Verhältnisse den richtigen Mittelweg«340 zu finden. Ausschlaggebend sei, dass es kriegswichtigen Betrieben ermöglicht werden müsse, dienstunfähige Genesene aus den Lazaretten einzustellen und dafür »k.v. Leute aus ihren Betrieben für den Heeresdienst freizumachen«.341 Es sollte also ein umfassender Personalaustausch zwischen Heimathospital, Wirtschaft und Heer stattfinden. Diesem sollte die Lazarettarbeit nicht im Wege stehen: ministerium, Medizinal-Abteilung, 13.05.1916; vgl. auch »Bericht über Einrichtung des Verwundeten-Arbeitsnachweises«, 1915, beide in: HStAD 11348/3312, fol. 44–46. 336 In Berlin wiederum arbeiteten seit 1916 bis zu 20 kriegsblinde Lazarettinsassen in den Siemens-Schuckert-Werken und stellten dort Munition her, vgl. Perry, Recycling, S. 170 f. 337 Vgl. zu diesem Problem Stv. Generalkommando XII. AK., Dienststelle für Pflegestätten, an die Feldzeugmeisterei-Industrie-Abteilung, 08.06.1916, in: HStAD 11348/3312, fol. 37. 338 Vgl. Bay. Kriegsministerium an die Stv. Intendantur II. AK. u. a., 02.08.1915, in: BayHStA MKr/10517; Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 04.10.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41. 339 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 12, in: BArch PHD 6/197. 340 Ebd., S. 14. 341 Ebd., S. 13.

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»Wenn ein Mann, der dauernd oder auf lange Zeit hinaus keinen nutzbringenden Militärdienst leisten kann, einen gewissen wirtschaftlich verwertbaren Grad von Berufsfähigkeit wieder erlangt hat und nachweist, daß er in seiner alten oder in einer anderen kriegswirtschaftlich wichtigen Arbeitsstelle verwendet werden kann, so darf er nicht [im Lazarett] zurückgehalten werden, es sei denn, daß durch weitere Behandlung eine wesentliche, wirtschaftlich ins Gewicht fallende Besserung der Arbeits­f ähigkeit in kurzer Zeit erzielbar ist, so zwar, daß ein vorzeitiger Abbruch der Behandlung kriegswirtschaftlich von Nachteil wäre. […] Es ist nicht Aufgabe der Lazarette, Kriegsbeschädigte lediglich deshalb zurückzuhalten, damit sie ihren früheren Beruf wieder beherrschen lernen oder sich in einem neuen Beruf ausbilden, vielmehr hat jeder Lazarettaufenthalt zur Voraussetzung, daß noch eine erfolgversprechende Lazarettbehandlung  – auch i. S. von Arbeitstherapie, Anpassung, Gewöhnung und dergl. – erforderlich ist.«342

Am wichtigsten, so der Erlass der Medizinal-Abteilung abschließend, sei es, dass Genesende nicht zu »Gäste[n] im Lazarett«343 würden, die dort wie in einer Pension wohnten und äßen, während sie tagsüber in Werkstätten oder Betrieben arbeiteten, dafür aber aus dem Militärmedizinalfonds finanziert würden. Mit diesen Anweisungen versuchte die Medizinal-Abteilung also – schon allein aus Geldgründen – zwischen soldatischen Patienten und zivilen Arbeitern klar zu trennen. Da diese Status-Unterscheidung aber nicht so eindeutig zu treffen war, wie im Verordnungstext suggeriert, zumal die Medizinal-Abteilung den Arbeitseinsatz von Lazarettinsassen selbst immer wieder forderte, blieb diese Frage weiter ein Konfliktherd. Der Übergangscharakter des Heimathospitals als ein Ort, der gleichsam zwischen militärischer und ziviler Welt angesiedelt war, wird hier besonders deutlich. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Heimatlazarette als »Proberäume der Arbeitswelt« konzipiert waren, in denen die Erwerbsfähigkeit dienstunfähiger Soldaten mit allen Mitteln wiederhergestellt werden sollte. Aufgrund ihrer besonderen institutionellen Bedingungen hatten sie für die Berufsertüchtigung aus Sicht der Behörden bestimmte Vor- und Nachteile. Der Hauptvorteil war, dass berufsvorbereitende Maßnahmen innerhalb des Lazaretts – anders als im Zivilleben – ärztlich angeordnet werden konnten. So wiesen die Sanitätsoffiziere die Patienten etwa an, an Turnübungen teilzunehmen oder die Beweglichkeit versteifter Glieder an Apparaten zu verbessern. Alles fand langsam, medizinisch kontrolliert und unter geschützten Bedingungen statt. Genau das war jedoch auch der Nachteil der Beschäftigung im Lazarett: Sie wirkte auf manche Patienten offenbar absurd und sinnlos, wie eine weitere Zumutung von staatlicher Seite, nachdem sie bereits ihren Körper für diesen Staat hatten opfern müssen. Dazu kam, dass es für die Kriegsbeschädigten trotz aller engagierten Initiativen der Lazarette und sonstiger Fürsorgestellen nicht immer einfach war, nach der

342 Ebd., S. 13 f. Alle Hervorhebungen i. O. 343 Ebd., S. 14.

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Entlassung tatsächlich eine (volle) Stelle zu erhalten.344 In anderen Worten: Die Militärmediziner konnten in den Lazaretten zwar die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einfordern und notfalls per Befehl forcieren – einen sicheren Arbeitsplatz konnten den Versehrten jedoch weder sie, noch die zivilen FürsorgeOrganisationen garantieren.345 Erst nach Kriegsende nahm der Staat die Zukunft der Kriegsinvaliden gesetzlich in die Hand. Erstens sicherte er ihnen, vor allem durch das neue Reichsversorgungsgesetz vom 12. Mai 1920, eine Rentenversorgung unabhängig von ihrem militärischen Rang zu, die sich nach dem Grad der verminderten Erwerbsfähigkeit richtete.346 Die Höhe der Rentenzahlungen war allerdings so niedrig, dass sie – ohne weitere Nebeneinkünfte – höchstens das äußerste Existenzminimum abdeckte; zugleich fiel sie aber bedeutend umfassender aus als etwa in Großbritannien oder Frankreich.347 Die deutsche Militärversorgung war bewusst so knapp bemessen, um für die Beschädigten einen Anreiz zu setzen, wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen – das »sozialtherapeutische«348 Arbeits-Paradigma der Kriegszeit galt weiterhin. Zweitens wurde ein im internationalen Vergleich einzigartiges Reglement geschaffen, um die berufliche Wiedereingliederung der Invaliden zu unterstützen, insbesondere durch das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 6. April 1920. Dieses sah eine Quotenregelung vor, wonach in Unternehmen und staatlichen Behörden mit mehr als 25 Mitarbeitern je 2 Prozent der Stellen an Invaliden mit einer Einschränkung von über 50 % zu vergeben waren. Tatsächlich scheinen diese Maßnahmen zu einer verhältnismäßig geringen Zahl von Arbeitslosen unter Kriegsinvaliden in der Weimarer Republik geführt zu haben.349 344 Vgl. Whalen, S. 113 f. Simon Bihr hat herausgearbeitet, welche Gründe zeitgenössische Akteure für die teilweise schwierige Wiedereingliederung Armamputierter in den Arbeitsmarkt nannten: Erstens sei die Kriegsinvalidenfürsorge so zersplittert, dass die verschiedenen militärischen und zivilen Stellen nicht effektiv miteinander kommunizierten; zweitens seien gute Prothesen teuer; drittens hätten sich diejenigen Kriegsbeschädigten, die doch eingestellt worden seien, oft nicht gut in die Betriebe integriert, vgl. Bihr, S. 133–136. ­Heather Perry weist nach, dass Invalide bis 1917 in verschiedenen Betrieben eingestellt wurden, etwa bei der AEG, der Deutschen Telefonwerke GmbH und in den Siemens-Schuckert-Werken, vgl. Perry, Recycling, S. 168; 174. Ob die Männer nach dem Krieg ihre Stellen jedoch halten konnten, ist nicht bekannt. 345 Vgl. dazu explizit: Sonnenburg, i. A. des Bay. Kriegsministeriums, Armee-Abteilung, an Chefredakteur Schied, Münchener Zeitung, 28.03.1918, in: BayHStA MKr/2340. 346 Vgl. Whalen, S. 131–139. 347 Vgl. zusammenfassend Eckart, Invalidität, insbes. S. 585 f.; allgemein Geyer, Vorbote. 348 Geyer, Vorbote, S. 245–249, hier: S. 248; auch Cohen, Will, S. 301 f. 349 Vgl. Cohen, Will, insbes. S. 304–308. Cohens Zahlen sind allerdings zum Teil verwirrend, da sie keine eindeutigen Aussagen zulassen, ob die wirtschaftliche Integration tatsächlich so umfassend und erfolgreich war oder ob dies nur auf dem Papier so aussah. Darauf weist bereits Michael Geyer hin, Geyer, Vorbote, S. 246. Verena Pawlowsky und Harald Wendelin zeigen für Österreich auf, wie schwierig sich die Arbeitsvermittlung für Kriegsinvalide in der Praxis gestaltete, vgl. Pawlowsky u. Wendelin, S. 161–171. Um tatsächlich belastbare Ergebnisse für den deutschen Fall zu haben, wären weitere Untersuchungen wünschenswert.

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Laut Cohen kehrte etwa ein Viertel von ihnen auch tatsächlich, wie während des Krieges propagiert, zu ihrem alten Arbeitsgeber zurück (jedoch nicht immer auf dieselbe Arbeitsstelle), vor allem wenn es sich um körperlich weniger anspruchsvolle Tätigkeiten gehandelt hatte.350 Zugleich blieben die Kriegsinvaliden aber nach 1918 eine sozial isolierte Randgruppe. Viele von ihnen beklagten eine fehlende gesellschaftliche Anerkennung für die von ihnen gebrachten Opfer. Sie organisierten sich, teilweise schon während des Krieges, in Kriegsbeschädigtenverbänden und protestierten öffentlich dagegen, dass ihnen der versprochene »Dank des Vaterlandes« versagt blieb.351 Die Lazarettzeit, so könnte man resümieren, hatte die Invaliden tatsächlich auf die spätere Situation vorbereitet, wieder erwerbstätig sein zu müssen, um überhaupt ein ausreichendes Einkommen zu haben. Doch die Missachtung durch Staat und Gesellschaft zu ertragen, die viele von ihnen nach 1918 empfanden, hatten ihnen auch die Heimatlazarette nicht erleichtern können. Ihre berufliche Reintegration mochte hier befördert worden sein – aber ihre kulturelle Wiedereingliederung hatten die Hospitäler nicht auf den Weg bringen können.

Zwischenfazit Die Sanitätsverwaltung arbeitete in den Heimatlazaretten darauf hin, ein militärmedizinisches Wiederherstellungs-Programm zu verwirklichen. Der Logik des Krieges folgend sollten die verwundeten und kranken Soldaten hier nicht vollumfänglich »geheilt«, sondern vielmehr ihre militärische Dienstfähigkeit oder zivile Erwerbsfähigkeit »ausreichend« wiederhergestellt werden. Für diese Aufgabe qualifizierten sich die Heimatlazarette aus mehreren Gründen: Erstens schätzten die Militärärzte sie als modernes Behandlungsumfeld, in dem neben der Wiederherstellung »menschlicher Ressourcen« für die Front auch medizinische Wissenschaft und Fortbildung praktiziert werden konnten; zweitens erschienen sie als effektive (Re-)Disziplinierungs-Anstalten; drittens sollte im kontrollierten Schonraum des Heimatlazaretts der Übergang Kriegsbeschädigter ins Arbeitsleben geprobt werden. Zum restaurativen Konzept der »Wiederherstellung« gehörte somit auch die Idee der Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie der Wieder- oder Neuerweckung bestimmter Tugenden wie Willensstärke und Arbeitsdisziplin. Dabei galt die sinnvolle Lazarettbeschäftigung als entscheidender »Heilfaktor«. Insgesamt wurde das heimatliche Militärkrankenhaus auf diese Weise zugleich als Schulungszentrum, Experimentierfeld und Disziplinaranstalt genutzt.

350 Vgl. Cohen, Will, S. 307. 351 Vgl. Löffelbein, Erbe; ders., Ehrenbürger, S. 35–64; Eckart, Medizin und Krieg, S. 306–316; auch Bessel, Heimkehr, der versucht, den »fehlenden Dank« als Mythos zu dekonstruieren.

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Im Verlauf des Krieges sah sich die Heeresverwaltung veranlasst, ihr Wiederherstellungs-Modell anzupassen. Als Reaktion auf die sich zuspitzende Ressourcenknappheit und auch aus Sorge vor einer Entwöhnung der Patienten vom Front- und Arbeitsleben forderte sie seit 1916 zunehmend, die Entlassung von Patienten zu beschleunigen. Parallel setzte das Militär seine Tauglichkeits-Anforderungen herab. Teilweise kamen dadurch Soldaten zurück an die Front, die dazu körperlich nicht in der Lage waren. So zog das Sanitätswesen starke öffentliche Kritik auf sich. Auch innerhalb der heterogenen Ärzteschaft bestanden zahlreiche Unsicherheiten, wie mit der Beschleunigungsmaxime umgegangen werden sollte, gerade an heiklen Punkten wie Zwangsoperationen. Im Kern ging es dabei um die Frage, welches Recht im Heimatlazarett höhere Priorität hatte – das zivilmedizinische Recht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit oder das militärische Recht, die wehrpflichtige Bevölkerung im Krieg einzusetzen. Da die Heeresverwaltung sich in den entsprechenden Verordnungen nicht mit letzter Eindeutigkeit festlegte, sondern die Verantwortung vielfach auf den behandelnden Arzt verschob, entstanden hier zahlreiche Grauzonen. Das Heimatlazarett erweist sich so als kein durchgängig verregelter, militärisch kontrollierter Raum, sondern als ein Bereich der teilweisen militärisch-zivilen Aushandlung und des Experiments, der im Verlauf des Krieges mehrfach neu ausgerichtet wurde.

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3. Lazarette als soldatische Erfahrungsräume In diesem Kapitel wird eine alternative Geschichte des Lazaretts »von unten«1 erzählt. Ist der verwundete oder kranke Soldat in der bisherigen Forschung und auch in den vorangegangenen Abschnitten dieses Buches vor allem als Objekt der Militärmedizin und als Empfänger bürgerlicher Hilfs- und Schulungsangebote in Erscheinung getreten, soll nun in umgekehrter Blickrichtung der Lazarett­insasse als historisches Subjekt mit eigenen Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten in den Blick genommen werden. Der temporäre Heilaufenthalt stellte einen zentralen Teil der soldatischen Kriegserfahrung dar. Auf Basis verschiedener Ego-Dokumente unterschiedlicher Genres  – darunter soldatische Tagebücher aus der Kriegszeit, nachträgliche Lazarettberichte, Briefe, Memoiren sowie einzelne (teilweise autobiographische) Romane – wird das Heimat­ hospital im Folgenden als Ort und Lebenssituation aus der Patientenperspektive betrachtet. Es wäre verkürzt, verallgemeinernd von »den« Lazarettpatienten und »der« typischen Lazaretterfahrung zu sprechen. Tatsächlich unterschieden sich die einzelnen Fallgeschichten erheblich. Bei den Patienten reichte das Spektrum der Einweisungsgründe von Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose und Herzinsuffizienz über Cholera, Typhus, Schussverletzungen, Gasvergiftungen, Kieferzertrümmerungen, Erblindungen bis hin zu psychischen Erkrankungen mit Stimmverlust, Lähmungserscheinungen und unkontrolliertem Zittern.2 Aufgrund dieser Varianz mussten manche Soldaten nur für wenige Wochen ins Heimatlazarett, andere durchlebten dort Monate oder Jahre. Sie waren meist nicht durchgehend in derselben Institution untergebracht, sondern wanderten vom Reservelazarett ins Vereinslazarett, von dort ins Genesungsheim, dann teilweise zur Nachoperation wieder ins Reservelazarett und so weiter. Einige von ihnen wurden ab einem bestimmten Zeitpunkt ambulant behandelt. Diese Männer gehörten zwar ebenfalls zur Gruppe der Patienten, sie waren aber keine Insassen, sondern lebten zu Hause oder in einer Privatpflegestätte.3 1 Als »Geschichte von unten« wird eine bestimmte Form der friedenspädagogisch motivierten Alltagsgeschichte des Krieges verstanden, die in Deutschland vor allem seit den 1980er Jahren betrieben wurde, vgl. grundlegend Wette, Der Krieg; Knoch, P., Kriegsalltag. Sie ist inzwischen in einer methodisch reflektierten, allgemeinen Erfahrungsgeschichte des Krieges aufgegangen, vgl. zusammenfassend etwa Buschmann u. Carl, Erfahrung; Schild u. Schindling. Das vorliegende Buch folgt letzterem Ansatz. 2 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, Tafel 17 (im Anhang); Schjerning, Die Tätigkeit. 3 Vgl. zur Organisation der ambulanten Behandlung exemplarisch den Schriftwechsel: Stv. Intendantur XII. AK. an das Reservelazarett Dresden I, 22.01.1915; Reservelazarett ­Dresden I

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Zusätzlich zum breiten Patientenspektrum unterschieden sich auch die Lazarette untereinander. Zwischen einem straff geführten Reservelazarett in einer städtischen Fabrikhalle mit militärischem Drill und täglichen Turnübungen und einem kleinen Vereinslazarett auf dem Land oder in einer eleganten Privat­k linik bestanden atmosphärisch wenig Gemeinsamkeiten. Manche Einrichtungen befanden sich in Klöstern und wurden von religiösen Orden betrieben, die viel Wert auf regelmäßiges Beten und Gottesdienste für die Patienten legten.4 Andere waren in Gebäuden untergebracht, die nur teilweise als Lazarett und ansonsten weiter in ihrer Ursprungsfunktion genutzt wurden, wie es etwa in einigen Munitionsfabriken, Museen oder Zollämtern der Fall war, in denen der Krankenhausbetrieb parallel mitlief.5 Wie lässt sich angesichts dieser Unterschiede von soldatischer Lazaretterfahrung in einem allgemeineren Sinne sprechen? Trotz der benannten großen Bandbreite an Fällen und Institutionen fällt auf, dass sich in den Ego-Dokumenten der Patienten bestimmte Muster und sich ähnelnde Lazarettbeschreibungen finden. Diesen Haupttendenzen soll im Folgenden nachgespürt werden. So können die eigentlich recht disparaten Selbstzeugnisse, die der vorliegenden Analyse zugrunde liegen, sinnvoll vergleichend befragt werden und auch die Vielfalt der Lazarettwahrnehmungen reflektieren. Der Orientierungspunkt ist dabei stets die Wahrnehmung des Lazaretts selbst – als Lebenssituation, als räumliches wie auch soziales Umfeld und als Teil der Kriegserfahrung. Wie beschrieben und bewerteten die Soldaten das Heimathospital und ihr Leben darin? Wie gestalteten sie dort ihren Alltag? Welche Vorstellungen verbanden die Verwundeten und Kranken mit dem Lazarett? Diesen Fragen soll anhand fünf thematischer Schneisen nachgegangen werden. Erstens werden Prozeduren der Aufnahme und der Entlassung thematisiert; zweitens geht es um das Lazarett aus Sicht der bettlägerigen Insassen; drittens rückt der Topos des Krankenhauses als Ort der Stille in den Fokus; viertens wird nach Alltags- und Gemeinschaftserfahrungen der Patienten gefragt; fünftens die Funktion des Lazaretts als Kontaktzone analysiert und schließlich sechstens die zentrale These vom Heimathospital als Sehnsuchtsort im Krieg entfaltet.

an die Stv. Intendantur, 26.01.1915; Stv. Generalkommando XII. AK., Dienststelle für Pflegestätten, 29.01.1915, alle in: HStAD 11348/3327. 4 Vgl. dazu etwa die Schilderungen bei Klemperer, S. 442 f.; Kähler, Einträge vom 06.08.1916 und 31.12.1917, Transkript S. 5 und S. 25 f.; Heider, S. 71–73. 5 Darüber berichtete etwa Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 84, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin.

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3.1 Von der Aufnahme zur Entlassung: Der Weg des Patienten Auf seinem Weg durch das Lazarettsystem durchlief der Patient unterschiedliche Welten: Aus der bedrohlichen Sphäre von Front oder Etappe gelangte er in die ruhige Heimat, wo er meist mehrere Lazarette kennenlernte, bevor er – im besten Fall genesen – den Krankenhaus-Kosmos wieder verließ und an die Front oder in sein Zivilleben zurückkehrte. Im liminalen Raum des Lazaretts vollzog der Soldat-Patient den Übergang zwischen Krankheit und Gesundheit, Soldatentum und ziviler Existenz, Pflegebedürftigkeit und neuerlangter Selbständigkeit. Meist ging diese Statusveränderung nicht spurlos an ihm vorüber. Der Pädagoge Johannes Tews kommentierte dazu 1916: »Das Krankenbett ist ja im guten wie im bösen Sinne oft eine Zeit der geistigen und sittlichen Wandlung. Mancher ist ein anderer geworden, wenn er dem Krankenhause den Rücken kehrt.«6 Doch wie verlief der Weg des Soldaten-Patienten durch die Welt der Hospitäler genau? Die Aufnahme- und Entlassungsprozeduren ähnelten sich bei den meisten Patienten. Sie können als »rites de passage«7, als Schwellenrituale, verstanden werden, die Anfang und Ende des Lazarettaufenthalts markierten.8 Was hier zu geschehen hatte, war durch militärmedizinische Verordnungen geregelt und vorstrukturiert, so dass bei diesen Vorgängen von einer gewissen Standardisierung innerhalb des Reiches gesprochen werden kann. Brennglasartig lassen die beiden Schwellenrituale erkennen, was das Spezifische des Heimatlazaretts ausmachte und auf welche Weise die innere Welt des Krankenhauses von der städtischen Außenwelt (symbolisch) abgegrenzt wurde.9 3.1.1 Vom Soldaten zum Patienten: Prozeduren der Aufnahme Aus Sicht mancher Soldaten begann ihre Lazarettzeit nicht erst mit der Einweisung in das Krankenhausgebäude selbst, sondern bereits mit der Ankunft ihres Lazarettzugs am Bahnhof.10 Diesen Eindruck vermittelte etwa der Infanterist Franz-Xaver Buchner, der 1915 nach einem Hüftdurchschuss per Lazarettzug Tews, S. 178. Vgl. dazu grundlegend Gennep; Turner, Liminal; Stagl; Bell; Belliger u. Krieger. Vgl. zu Schwellenritualen hier Geisthövel u. Knoch, S. 361. Vgl. zu den Aufnahme- und Verlegungsregularien der Berliner Charité im 19. Jahrhundert, die durch »besondere Selektionskriterien und Verlegungsprozeduren« ebenfalls die Grenzen zwischen innen und außen markieren sollten Hess, Raum, insbes. S. 318; Hess u. Ledebur, S. 23 f. 10 Vgl. etwa Röhr, S. 183; Ernst Jünger an seine Eltern, 29.04.1915, in: Jünger, Feldpostbriefe, S. 46; Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 170, in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M.; Schäfer, Stilles Heldentum, S. 9. 6 7 8 9

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nach München gelangte. Er beschrieb die stürmischen Reaktionen der Bevölkerung am Hauptbahnhof der Isarmetropole: »Mit unbeschreiblicher Liebe und Begeisterung wurden wir hier empfangen, das gute Münchner Herz öffnete sich für uns arme Verwundeten, ja wir wurden mit Liebesgaben überschüttet, ein großer Berg von Blumen türmte sich auf meiner Tragbahre hoch. Sonderbar kam ich mir vor als ich nach kurzer Zeit in einen Sanitätswagen geschoben wurde, das düstere Licht im Wagen und die Blumen um mich, das alles sah so sehr einem Begräbnis ähnlich, mir wurde fast gruselig zu Mute.«11

Trotz seiner Irritation setzte bei Buchner offenbar gerade aufgrund dieser Begrüßungszeremonie das Gefühl ein, nun tatsächlich in der lange ersehnten »Heimat« angekommen zu sein. Ähnlich euphorische Szenen an den Bahn­steigen schilderte der Militärpfarrer Daniel Schäfer. Stets seien die Tragbahren der Kriegsverwundeten am Bonner Hauptbahnhof mit Blumen geschmückt gewesen, »der Kamerad aber weiß nicht, was eigentlich mit ihm geschieht.«12 Die gerade noch erlebte Welt der Front sei so furchterregend gewesen, »noch hämmern die Nerven, die schrecklichen Bilder wollen nicht weichen.« Doch dann sei er im Lazarett angekommen: »Ein lichter, freundlicher Saal mit sauberen Betten oder ein stilles Zimmer nimmt ihn auf. Endlich Ruhe, endlich daheim! Kein Schuß mehr, keine Angst, kein mühsamer Transport mehr, aber Linderung, neuer Verband, ärztliche Hilfe, erquickende Nahrung: er atmet auf.« Anders als es Schäfer in seinem Buch beschreibt, führte der Weg des Kranken indes selten so direkt vom Lazarettzug ins saubere Bett. Zunächst hatte der Neuankömmling weitere Schritte zu absolvieren, bevor seine Aufnahme ins Krankenhaus vollzogen war. Im Zentrum standen verschiedene Reinigungsprozeduren: Der Patient musste vollständig entkleidet, am ganzen Körper gewaschen, seine Kleidung desinfiziert und in eigens eingerichteten Entlausungsanstalten13 von Läusen befreit werden.14 Teilweise geschah dies ebenfalls bereits am Bahnhof bzw. am Grenzübergang zum Reichsgebiet in einer der ärztlich überwachten »Sanierungsanstalten«.15 Viele Soldaten scheinen diese Säuberungsprozesse als

11 Buchner, S. 32 f. 12 Zitate im Folgenden aus: Schäfer, Stilles Heldentum, S. 9. 13 Auch hinter der Front und in der Etappe waren zahlreiche Entlausungsvorrichtungen im Einsatz. Vgl. allgemein zum Kampf gegen Läuse an der Ostfront und die damit verbundenen nationalen Stereotype und antisemitischen Vorurteile gegen angeblich »verlauste« osteuropäische Juden Eckart, Medizin und Krieg, S. 90–98; konkret zum Entlausungsverfahren mit Blausäuregas: Preuß. Hauptsanitätsdepot Berlin, Heeresarzneiheft, 1918, S. 144 f., in: BA-MA PHD 20/3. 14 Vgl. Freisz u. Naegeli, S. 373; Czerny, S. 1719; vgl. dazu aus der Patientenperspektive Buchner, S. 33; Kähler, Eintrag vom 28.07.1917, Transkript S. 19; Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 03.06.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17. 15 Vgl. dazu ausführlich Hetsch; Schultzen, Kriegsärztliches, S. 129; Schjerning, Die Tätigkeit, S. 3. Zu Badestuben in den Lazaretten selbst vgl. Waßmund, S. 467 f.

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positiven Auftakt ihrer Lazarettzeit erlebt zu haben.16 Gustav Piedmont etwa schrieb 1915 an seine Mutter: »Die erste und langersehnte Wohltat war in ­Tilsit die Entlausung. Ich kann Dir nicht beschreiben, wie es mir zu Mute war, als ich nach einem Bade in frischer Wäsche und einem neuen Lazarettanzug stack [sic].«17 Ein ähnliches Wohlgefühl schilderte Josef Kaiser: »Den Schützengrabendreck hatten wir noch in Zentimeter-Dicke an unserem Anzug hängen. Vor lauter Nässe konnte ich die Stiefel nicht ausziehen. Dieselben sind mir von den Füßen geschnitten worden. Als wir dann ausgezogen, gebadet und reine Wäsche angezogen hatten, waren wir überglücklich. Wir dachten, den Himmel auf Erden zu haben. Danach ging es zum Essen. Es war mir etwas ganz Neues, einmal wieder von einem Teller zu essen.«18

Die Bedeutung der hier beschriebenen Reinigungserlebnisse, die bei den Betroffenen offenbar das Gefühl einer Rückkehr zum zivilisierten Leben auslösten, lässt sich auf zwei Arten lesen. Zunächst hatten die Waschvorgänge aus Sicht der Militärmedizin eine konkrete praktische Funktion, indem sie alle neu eintreffenden Patienten auf dasselbe kontrollierte Hygiene-Niveau brachten. Wie eine medizinischen Barriere sollten sie dazu beitragen, Kriegsseuchen und Krankheitsüberträger, wie etwa Läuse,19 vom Reichsgebiet fernzuhalten, was auch erfolgreich gelang.20 Darüber hinaus lässt sich in den Reinigungsprozeduren aber auch eine rituelle Dimension erkennen: Der Soldat wusch damit die letzten Spuren des Frontlebens von seinem Körper ab und legte mit der grauen Felduniform ein typisches Merkmal seines Kombattanten-Status beiseite. Ebenso musste er seine Waffen sowie größere Geldbeträge und Wertgegenstände bis zur Entlassung abgeben.21 Indem er fortan die längsgestreifte blau-weiße Lazarettkleidung trug,22 16 Vgl. exemplarisch Richert, S. 184 f.; His, Die Front, S. 38. Kritisch wird der Badevorgang allerdings in der Novelle »Die Pfeiferstube« beschrieben. Hier erscheint das Gewaschenwerden durch zwei Krankenschwestern als schambesetzter Vorgang für den Protagonisten Benjamin, der sich dadurch zum Kind degradiert fühlt, vgl. Alverdes, S. 35–37. 17 Gustav Piedmont an seine Mutter, 08.08.1915, in: Dreidoppel u. a., S. 333; ähnlich auch Zoeller, S. 177 f.; Röhr, S. 183 f. 18 Josef Kaiser, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), Transkript S. 9, in: Eigenbesitz d. Vf. 19 Die Medizin identifizierte Läuse erst im Verlauf des Krieges als einzigen Fleckfieber-Überträger und führte in der Folge einen systematischen Läusevernichtungskampf, vgl. Eckart, Medizin und Krieg, S. 178–181. 20 Vgl. etwa Eckart, Medizin und Krieg, S. 173–175. Zur Übertragung von Infektionskrankheiten zwischen Lazarettpatienten und Zivilbevölkerung in Freiburg Chickering, The Great War, S. 343. 21 Vgl. F. S. O., § 68; Waßmund, S. 533; zur Waffenabgabe: Stv. Generalkommando I. AK. an die Linienkommandantur K I. u. a., 08.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739. 22 Vgl. zur Farbe der Lazarettkleidung Stv. Intendantur II. AK. an das Kriegsbekleidungsamt II. AK. u. a., 04.07.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39; in Großbritannien wiederum war die einfarbig blaue Lazarettkleidung unter dem Namen »convalescent blue« bekannt, vgl. Winter, Hospitals, S. 355.

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gab er sich als Kranker zu erkennen. So vollzog er auf symbolischer Ebene den Statusübergang vom Frontkämpfer zum Lazarettinsassen.23 Die Uniformität der Patienten durch die einheitliche Lazarettkleidung grenzte sie als eigene soziale Gruppe nach außen ab. Zugleich nivellierte sie nach innen die Unterschiede zwischen den Individuen.24 Charlotte Herder, die Betreiberin des »Herder-Lazaretts« in Freiburg, die dort auch ärztlich assistierte, schilderte in ihrem Tagebuch, wie schwer es ihr beim täglichen Fiebermessen gefallen sei, die Patienten auseinanderzuhalten: »In ihren blau- und weiß-gestreiften Kitteln sehen sich nämlich die Lazarettinsassen alle untereinander so ähnlich, daß ich nicht jeden kennen kann und nie weiß, wen ich schon gemessen habe und wen noch nicht. […] Ich habe die heftigsten Anstrengungen gemacht, sie zu unterscheiden, und habe schließlich angefangen, ihnen besondere Namen zu geben, je nach dem Eindruck, den sie auf mich gemacht haben. Da ist der ›Professor Sonntag‹, ›der graue Riese‹, ›der wilde Tamerlan‹, ›der deutsche Michel‹, ›der angenehme Häßliche‹, ›der Verhutzelte‹, ›der Verschrumpfelte‹, ›das Greisengesicht‹ usw. usw. Das half etwas, aber sechzig solcher Leute zu charakterisieren, von denen etwa die Hälfte junge deutsche Michel und die andere Hälfte verhutzelte Landsturmmänner sind, die einer aussehen wie der andere – das ist eben doch nicht leicht.«25

3.1.2 Das weiße Bett Frisch gewaschen und eingekleidet, bekam der Patient als nächstes ein eigenes Bett zugeteilt. Dieses befand sich, je nach Gebäudetyp, entweder zwischen vielen anderen in einem großen Krankensaal oder aber in einer kleineren Krankenstube mit bis zu 6 Betten. Größere Krankensäle sollten nach den Vorkriegsbestimmungen eine Bettenanzahl von 14–18 Betten nicht überschreiten,26 faktisch wurden aber während des Krieges weitaus geräumigere Lazarettsäle eingerichtet, teilweise mit über tausend Bettstellen. Offiziere konnten bei der Unterbringung mit einer privilegierten Behandlung rechnen. Sie bekamen, wenn die räumlichen Bedingungen des Lazaretts es erlaubten, eine Schlafstätte in einem der kleineren Krankenzimmer zugewiesen, konnten Verlegungswünsche äußern oder waren von vorneherein in einem luxuriöseren Offizierslazarett untergebracht. Ihre Krankenstuben sollten laut den Vorkriegsbestimmungen besonders ruhig gelegen sein und über gemusterte 23 Vgl. zur soldatischen Wahrnehmung dieses Statuswechsels auf literarischer Ebene Grimm, S. 211; zu rituellen Passageprozessen in der neurologischen Poliklinik der Charité Hess u. Ledebur, insbes. S. 51; zu Aufnahmeprozeduren allgemeiner Goffman, S. 27–29. 24 Allerdings trugen Offiziere im Lazarett offenbar doch häufig ihre Uniform, vgl. dazu Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 133, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. Darin fand die Egalisierung ihre Grenze. 25 Herder, Eintrag vom 06.12.1917, S. 174. 26 Vgl. zur Zimmer- und Saalgröße laut Vorkriegsbestimmungen Waßmund, S. 468.

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Abb. 5: Krankensaal in einem Heilbronner Lazarett

Gardinen und Jalousien an den Fenstern verfügen.27 Doch bei Platzmangel, der in den Heimatlazaretten bei verstärktem Krankenzugang häufig auftrat, konnte diese hierarchische Trennung nicht immer durchgehalten werden. Dann lagen die Offiziere doch (zeitweise) mit den Mannschaften zusammen. Alle Patientenunterkünfte sollten den Bestimmungen zufolge einen »möglichst hellen und freundlichen Eindruck machen«.28 Dazu könnten »kleine ­Tische auch mit Blumenschmuck, wenn dafür keine besonderen Kosten erwachsen, aufgestellt und die Wände mit einzelnen passenden Bildern oder Sprüchen geschmückt werden.«29 Die Lazarettbetreiber bemühten sich, diesen Vorgaben gerecht zu werden. Ein Beispiel für einen erbauenden Wandspruch findet sich etwa auf einer Lazarettpostkarte. Sie zeigt einen Krankensaal, auf dessen Wand in verschnörkelter Zierschrift zu lesen ist: »Ein feste Burg ist unser Gott.«30 Insgesamt war es das Ziel des militärmedizinischen Einrichtungskonzepts, ein Gefühl gemütlicher »Wohnlichkeit«31 zu vermitteln. Das gelang offenbar in vielen Fällen auch. Besonders der Anblick des frisch bezogenen Bettes, das in der Krankenstube für den Neuankömmling bereit stand, und später das Gefühl, in sauberen, trockenen Laken zu liegen, scheint 27 Vgl. ebd., S. 469. 28 Ebd., S. 468. 29 Ebd., S. 469. 30 Photopostkarte: Krankensaal im Reservelazarett Königl. Technische Hochschule Charlottenburg, 04.02.1915, in: MedHistMHamb Sammlung Eckart. 31 Waßmund, S. 469.

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die Verwundeten tief beeindruckt zu haben.32 In fast allen Ego-Dokumenten, in denen überhaupt Lazarettaufenthalte beschrieben sind, wird auch der Anblick des »schneeig weißen Bett[es]«33 angesprochen.34 Darin manifestierte sich für die Soldaten offenbar besonders eklatant der Gegensatz zu den Lebensbedingungen an der Front oder im Feldlazarett. Der Musketier Hans Kähler notierte in seinem Tagebuch, er traue sich »des Abends kaum in das blühend weiße Bett« hinein, »der Unterschied zwischen dem Maschendraht und Pritsche ist doch zu groß.«35 Auch der Soldat Walter Rolvien zeigte sich in seinen Aufzeichnungen über die neue Schlafstätte bewegt: »Ein Bett. Ein frischüberzogenes Bett. Seit ich das Elternhaus verliess, habe ich in keinem geschlafen, seit Anfang August 14. Was in den Gräben in Winternächten immer wieder Gegenstand des Wunsches war, ist nun Wirklichkeit und Erfüllung.«36 Insgesamt stellt das Bild des »weißen Bettes« einen zentralen Topos der soldatischen Lazaretterzählungen dar. Es symbolisierte für die Verwundeten und Kranken die sichere Geborgenheit, Wärme und Ruhe, die die heimatlichen Hospitäler ausstrahlten, und vermittelte die Erlaubnis, nun schlafen zu dürfen. Zugleich transportierte das Bild des gemachten Bettes den Eindruck des Umsorgtseins durch eine weibliche (Mutter-)Figur, denn es ließ sich vermuten, dass eine Frau die Laken gewaschen und gestärkt hatte. In einem übergeordneten Sinn repräsentierte somit das »weiße Bett« die wiedergefundene »Heimat«. Diese wiederum stand semantisch häufig mit Weiblichkeit, Reinheit und Unschuld in Verbindung.37 Der Soldat, der sich an der Front mit Blut »beschmutzt« hatte, so ließe sich diese Bildsprache weiterführen, kehrte hier für eine gewisse Zeit scheinbar in einen Zustand der Reinheit, des Vorkriegs und des »weißen«, unschuldigen Kind-Seins zurück. Dabei war das Bett nicht in jedem Fall so »peinlich sauber«,38 wie die Soldaten es auf den ersten Blick vermuteten oder in ihrer Erinnerung kommunizierten. So monierte etwa ein Inspektionsbericht von Ende 1916 über das bayerische Vereinslazarett Wilhelmsbad, dass die Bettwäsche dort, wie die Insassen geklagt

32 Vgl. zu diesem Eindruck Dorsch, Stilles Heldentum, S. 21 f. 33 Diel, S. 100. 34 Vgl. unter anderem Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 18.06.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17; Kähler, Eintrag vom 17.10.1917, Transkript S. 23; Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 1, in: BA-MA MSG 2/2200 b; Josef Kaiser, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), Transkript S. 9, in: Eigenbesitz d. Vf.; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 134, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Hans Wildermuth, Ausmarsch, ca. 1934, S. 32, in: BA-MA N 278/2; Richert, S. 185. Auch in literarischen Verarbeitungen spielt der Topos des »weißen Bettes« eine Rolle, vgl. etwa Remarque, S. 168; Renn, S. 195. 35 Kähler, Eintrag vom 29.07.1917, Transkript S. 19. 36 Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 76 f., in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 37 Vgl. dazu etwa Daniel, Frauen, S. 121; Davis. 38 Richert, S. 185.

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hätten, nur alle 4–5 Wochen gewechselt werde.39 Ob dieses Problem aufgrund von Sparzwängen ab der Mitte des Krieges häufiger auftrat, lässt sich nicht klar belegen. Das Beispiel illustriert aber noch etwas anderes: Es weist darauf hin, dass sich viele Patienten – nachdem ihre anfängliche Begeisterung über ein trockenes Bett etwas abgeklungen war – rasch wieder an die Bequemlichkeiten des nicht-kriegerischen Alltags gewöhnten. Sie begannen nun, Hygiene-Mängel, wie selten gewechselte Bettwäsche, zu beanstanden, die sie bei ihrer Ankunft im Lazarett noch kaum bemerkt hatten. Ihre Maßstäbe verschoben sich allmählich wieder hin zu Friedensgewohnheiten, sobald Front, Etappe oder Kaserne als rauhere Gegenfolien gedanklich zu verblassen begannen. 3.1.3 Kopftafel, Verbandswechsel, Hausordnung Zurück zur Ankunft des neuen Patienten im Krankenzimmer: Wie ging es für ihn hier weiter? Nachdem der Mann sein Bett belegt hatte, kam meist direkt der Schrift- und Rechnungsführer des Lazaretts zu ihm, in der Regel ein Unteroffizier, der die Personalien abfragte.40 Die wichtigsten dieser Angaben wurden mit Kreide auf der sogenannte Kopftafel vermerkt – einem schwarzen Täfelchen, das am Kopfende jeder Schlafstätte an einer langen »Kopftafelstange«41 befestigt war.42 Darauf standen Name, Dienstgrad und Truppenteil des Soldaten, das Datum seines Zugangs sowie seine Krankheits- oder Verwundungsart. Weiter sollten die vorgesehene Verköstigung und die Konfession des Patienten notiert werden, dazu die aktuellen Ergebnisse der Temperatur- und Pulsmessungen.43 Schriftlich und für alle Augen sichtbar fand so über das Medium der Tafel eine militärische Identifikation und medizinische Klassifikation des Soldaten statt. Für die Ärzte oder durchreisende Lazarettinspekteure war die Kopftafel ein Instrument, um sich schnell ein Bild zu machen, mit welcher Krankengeschichte sie es zu tun hatten;44 dem Pflegepersonal wiederum fiel es damit leichter, sich die Namen der Patienten einzuprägen.45 Doch auch alle anderen Vorbeigehenden sowie die Mitpatienten sahen die Kopftafel und zogen daraus ihre Schlüsse.46 Die gesundheitliche Situation der 39 Reservelazarett München K an das Sanitätsamt I. AK., 06.11.1916, in: BayHStA Stv.­Gen​ Kdo.I.AK.SanA./904. 40 Vgl. etwa Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 5, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 41 Vgl. Waßmund, S. 492. 42 Zur medizinischen Funktion der Kopftafel im 19. Jahrhundert Hess, Formalisierte, S. 324. 43 Vgl. dazu Waßmund, S. 492; Stölzle, S. 76. 44 Vgl. dazu etwa Bonne, S. 1191. 45 Vgl. Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 80, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Waßmund, S. 521. 46 Vgl. dazu etwa die Beschreibungen im Roman von Grimm, S. 124; Alverdes, S. 61; kritisch außerdem Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 40, in: ISG Frankfurt S5/91.

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Soldaten blieb im Lazarett keine Privatsache, sondern war militärmedizinisch definiert und visuell ausgestellt. In manchen Fällen kündete die Tafel von einem bevorstehenden Todeskampf. Der Lazarettpfarrer Daniel Schäfer berichtete in seinem Buch »Stilles Heldentum«: »Oft war das monatelange Krankenbett nur ein langsames, langes Sterben. Ich denke an die Rückenmarkverletzten, die als Hünengestalten und Bilder der Kraft eingeliefert wurden, es ging einem doch jedesmal ein Schauer durch die Seele, wenn man auf der Tafel über ihrem Bette las: ›Rückenmarksverletzung.‹ Das war mit anderen Worten ›Langsames Sterben.‹«47

Mit solchen codierten Informationen war die Kopftafel auch für Militärpfarrer wie Schäfer eine Orientierungsmarke. So konnten sie ihre Ansprachen am Bett entsprechend ausrichten.48 Der Patient Walter Rolvien erinnerte sich, dass die Tatsache, dass »wir alle unser sogenanntes Bekenntnis hinter uns auf der Tafel stehen [hatten]«,49 dem katholischen Feldgeistlichen, der morgens auf die Station kam, dabei half, »gleich zu jedem den rechten Ton und die besondere Einstellung«50 zu finden. War der Soldat verwundet, wurde außerdem nach der Lazarettaufnahme sein Verband gewechselt.51 Anders als das Waschen war dies war für viele Soldaten eine beunruhigende Situation.52 Häufig löste das Entfernen des alten Verbands starke Schmerzen aus und die oft eiternde Wunde war freigelegt und deutlich zu erkennen. Hatte der Patient zuvor gehofft, mit einem leichten Streifschuss davongekommen zu sein, wurde er nun eines Besseren belehrt.53 Nachdem der neue Patient somit entlaust, gebadet, eingekleidet, klassifiziert und frisch verbunden war, begann für ihn die eigentliche Lazarettzeit. Über sie lassen sich schwerer allgemeine Aussagen treffen. Wie ein Soldat seine Hospitalisierung erlebte und welchen Behandlungen er sich zu unterziehen hatte, hing von zahlreichen Faktoren ab – von seinem speziellen Leiden, den medizinischen Möglichkeiten der jeweiligen Anstalt, dem Arbeitsstil und Können der Mediziner, der Kriegslage sowie den Anordnungen der Militärbehörden. Auf der anderen Seite war der konkrete Tagesablauf auf den Stationen oft ähnlich und ritualisiert, wie es auch in zivilen Krankenhäusern und anderen vergleichbaren Anstalten bis heute der Fall ist. Es gab feste Schlaf- und Weckzeiten, Zeiten für 47 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 87. 48 Vgl. dazu auch Dorsch, Stilles Heldentum, S. 58. 49 Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 80, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 50 Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 80, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 51 Vgl. dazu etwa Röhr, S. 184. 52 Vgl. Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 42, in: BA-MA MSG 2/2200 b; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 133, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Schlebusch. 53 Vgl. exemplarisch Hans Henning von Pentz, Meine Erinnerungen an den Feldzug 1914 von der Mobilmachung ab, ca. 1919, S. 66, in: BA-MA N 128/3; zum Verbandswechsel auch Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 42, in: BA-MA MSG 2/2200 b.

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das Fieber- und Pulsmessen, für Mahlzeiten, Untersuchungen und Behandlungen sowie für den Ausgang in die Stadt. Viele dieser Zeiteinteilungen waren in der Hausordnung des jeweiligen Lazaretts festgelegt,54 in allgemeiner Form auch bereits in der Friedens-­Sanitäts-​ Ordnung.55 Diese Bestimmungen regelten nicht nur zeitliche Aspekte des Tagesablaufs, wie Besuchs- und Ausgehzeiten, sondern auch räumliche und disziplinarische Fragen. So gab etwa die Hausordnung des Reservelazaretts München J explizit vor, dass sich jeder Lazarettinsasse nur in seinem Krankensaal aufhalten und dabei »nur die ihm angewiesene Lagerstelle benützen« dürfe. Zudem sei es verboten, angekleidet auf dem Bett zu liegen oder ohne Erlaubnis in andere Krankensäle zu gehen, »jedenfalls darf sich der Patient nur in der Station aufhalten, der er zugeteilt ist.«56 Auch im Fürsorge-Reserve-Lazarett München galten strenge Vorgaben darüber, in welchen Teilen des Krankenhauses sich die Insassen bewegen durften: »Das Verweilen in den Betriebsräumen, in den Wohnungen des Pflegepersonals«57 war dort untersagt, ebenso wie »unnötiges Umherstehen auf den Gängen.« Von den Kranken werde »ruhiges gesittetes und gegenseitig entgegenkommendes Benehmen, sowie Rücksicht auf das Leiden der Mitpatienten erwartet. Unanständiges Verhalten, lärmende Unterhaltungen, Zank und Streit können nicht geduldet werden.« Verließen sie das Bett, so hätten sie stets »gehörig bekleidet« zu sein. Über solche Bestimmungen, in welchen Teilen des Lazaretts sich die Patienten in welcher Aufmachung aufhalten durften, versuchten die Ärzte nicht nur, hygienische Standards zu erfüllen, sondern auch, eine bestimmte Anstaltsdisziplin zu etablieren. Damit stärkten sie ihre eigene Position – denn sie selbst durften jeden Teil des Lazaretts betreten. Der Zugang zu bestimmten Raumbereichen stellte ein Privileg dar, über das sich ärztliche Autoritätsansprüche ausdrücken und hierarchische Abstufungen sichtbar machen ließen. Der Weg des Patienten durch das Lazarett, so könnte man zusammenfassen, führte ihn zwar durch die Welt der Militärkrankenhäuser, erlaubte ihm aber nicht, alle Bereiche dieser Heilanstalten zu betreten. Innerhalb des Hospitals galten Zutrittsverbote und Disziplinarregeln, an die er sich halten musste – wenn sie auch insgesamt deutlich liberaler sein mochten, als er es von der Front oder aus der Kaserne gewohnt war. Beim selbständigen Ausgang in die Stadt hingegen, wo jegliche Kontrolle durch Ärzte und Polizeiunteroffiziere entfiel, eröffneten sich für die Genesenden größere persönliche Freiheiten.

54 Beispiele für konkrete Lazarett-Hausordnungen finden sich etwa in: BayHStA Stv.Gen​ Kdo.I.AK.SanA./633; vgl. zur Lazarett-Hausordnung auch Lessing, S. 379. 55 Vgl. Verhaltungsbefehle für die Kranken in den Militärlazarethen, in: F. S. O., Beilage 32. 56 Hausordnung des Reservelazaretts München J, ca. 1919, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./633. 57 Zitate im Folgenden aus: Hausordnung des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, ca. 1919, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./633.

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3.1.4 »Plötzlich hieß es, ich sei gesund«:58 Die Entlassung Das komplementäre Schwellenritual zur Aufnahme bildete die Entlassung des Patienten aus dem Lazarett. Sie erfolgte, sobald er geheilt war oder jedenfalls für geheilt erklärt wurde. Dabei absolvierte der Insasse auch hier eine mehr oder weniger festgelegte Abfolge von Schritten. Unter anderem gehörte dazu die Nachmusterung und militärmedizinische Zeugnisausstellung. Dabei legten die Ärzte fest, mit welchem militärischen Status der Patient das Lazarett verließ und wohin er sich nun zu begeben hatte. Des Weiteren musste er seine Krankenkleidung abgeben und erhielt dafür eine Uniform sowie seine persönlichen Gegenstände zurück. Zudem stellte das Lazarett ihm bei Bedarf einen Militärfahrschein aus, zahlte vorschussweise Truppenlöhnung und Marschkosten.59 Derart ausgestattet hatte sich der Genesene zu seinem Ersatztruppenteil zu begeben, wo die weiteren Schritte veranlasst wurden.60 Auf diese Weise verwandelte sich der Mann Stück für Stück vom Lazarettinsassen wieder zum Soldaten oder Zivilisten und verließ den liminalen Raum des Krankenhauses. Der Statusübergang war abgeschlossen. Eine Ausnahme von dieser Regel bildeten Patienten, die im Hospital verstarben. Dies kam allerdings innerhalb des Heimatgebiets selten vor, da die meisten Schwerstverletzten bereits vorher – auf dem Schlachtfeld selbst, in einem frontnahen Lazarett oder während des Transports – ihren Verletzungen erlagen. Wer es tatsächlich bis ins Heimatgebiet geschafft hatte, überlebte meist, wenn auch teilweise körperlich schwer eingeschränkt. Laut Sanitätsbericht wurden innerhalb der ersten vier Kriegsjahre, also von Anfang August 1914 bis Ende Juli 1918, 9.097.437 Fälle in der Heimat behandelt. Bis zum Kriegsende kam allerdings noch eine unbekannt hohe Zahl an weiteren Verwundeten und Kranken hinzu, da die letzten verlustreichen Kriegsmonate in diesen Berechnungen nicht enthalten waren. Von diesen über 9 Millionen in Heimatlazaretten behandelten Fällen starben (bis zum Juli 1918) 114.489 Soldaten, was einem Anteil von 1,3 Prozent entsprach. Somit kann die Chance, den Lazarettaufenthalt im Reichsgebiet zu überleben, als hoch bezeichnet werden.61 Sobald der zuständige Arzt einen Patienten zur Entlassung vorsah, musste der Soldat sich diesem Votum fügen, auch wenn er den Zeitpunkt selbst als verfrüht empfand, wie es immer wieder vorkam.62 So klagte etwa der beinverwundete 58 Grosz, Ein kleines Ja, S. 110. 59 Vgl. Waßmund, S. 536. 60 Vgl. zu dieser Regel Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK. u. a., 10.11.1914, S. 7, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./196; Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 171. 61 Vgl. zu diesen Zahlen Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 100, Tafel 67. 62 Vgl. Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 232, in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M.; Kähler, Einträge vom 20.02.1918 und 12.04.1918, Transkript S. 27 und S. 29; Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.09.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17.

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Feldwebel Drewes, dass er nicht gesund sei, obwohl man ihn aus dem Militärkrankenhaus entlassen habe, »denn ich hinke immer noch und bin zur Zeit noch nicht brauchbar […]. Ich soll leichten Garnisonsdienst machen und kann nichts, schier nichts, denn ich kann doch nicht gehen.«63 Der Musketier Dabrowitz wiederum beschwerte sich in einem Brief an die Angermünder Krankenschwester Frieda Eickmann, dass sich sein Leben durch die Entlassung aus dem Vereinslazarett sehr zum Negativen verändert habe: »Mittwoch vormittags noch in Angermünde, abends schon in Kolberg. Dieser plötzliche Umschwung! Dort das gemütliche, freundliche Leben, hier der rauhe, militärische Drill. Sofort mußte ich Dienst mitmachen, um so mehr, als mich am nächsten Tage der Arzt […] für felddienstfähig erklärte.«64 Einen Monat später teilte Dabrowitz der Krankenschwester in einem weiteren Brief jedoch mit, dass er zu seinem Glück aus dem Soldatenstand entlassen worden sei. Für andere Patienten verzögerte sich die Entlassung auf unbestimmte Zeit, ohne dass sie den Grund dafür erfuhren. Diese Situation des ungewissen Wartens war für viele schwer zu ertragen. Die Art der Entlassung gab ihren künftigen Aufenthaltsort sowie ihre berufliche und finanzielle Zukunft vor. Kamen sie zurück an die Front, wo sie, wie es ein Soldat in einem Brief lakonisch formulierte, »in jeder Minute auf den Sensenmann gefaßt sein«65 mussten? Oder wurden sie in einer ruhigeren Etappenstellung eingesetzt, vielleicht sogar zurück in den Beruf entlassen? Wie viel Rente gestand der begutachtende Arzt ihnen gegebenenfalls zu? Begleitet von diesen und ähnlichen Fragen stellte die Entlassung das emotional oft bewegende Ende eines jeden Lazarettaufenthalts dar.66

3.2 Bett mit Aussicht: Das Lazarett aus der Liegeperspektive Mitte Juni 1918 erreichte der in Frankreich verwundete Adolf Dünnebacke nach einer rund 40-stündigen Bahnfahrt das Reservelazarett Stade bei Hannover. In seinem ersten Tagebucheintrag vor Ort skizzierte der junge Mann die neue Lage: »Liegen in hellen, luftigen Lazarettbaracken inmitten eines kleinen, parkartigen Gartens. Bequeme weiße Betten. Gute Verpflegung. Durch Verordnung des

63 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 10 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b. 64 Musketier Dabrowitz an Frieda Eickmann, 12.11.1916, in: Ehemaliges ZMSBw-Hausarchiv Briefesammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919. 65 Telegramm eines ehemaligen Lazarettpatienten an Frieda Eickmann, Westfront, 03.10.1916, in: Ehemaliges ZMSBw-Hausarchiv Briefesammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919. 66 Vgl. etwa Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 38 f., in: ISG Frankfurt S5/91; Klemperer, S. 460.

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Arztes ans Bett gebannt, beschäftige ich mich mit Essen, Trinken, Schlafen und Lesen.«67 Ähnlich wie Dünnebacke waren zahlreiche Lazarettpatienten lange Zeit ans Bett gefesselt. Der Hintergrund dafür war, dass die Heeresverwaltung eine Strategie verfolgte, nach der vor allem Schwerverletzte und -kranke in die Heimatlazarette abzutransportieren waren.68 Obwohl im Verlauf des Krieges faktisch auch viele leichte Fälle hierher gelangten, hatten zahlreiche Insassen der Heimathospitäler in der Tat mit ernsten Leiden zu kämpfen und waren – zumindest in der Anfangsphase ihres Lazarettaufenthalts – bettlägerig.69 Ihre Bedürfnisse und Fragen kreisten in dieser Situation um ihren alltäglichen, unmittelbaren Lebensradius: Wie kam man mit den Personen im Nachbarbett zurecht?70 Welche Krankenschwestern und Wärter hatten in der Stube Dienst? War das Essen gut?71 3.2.1 Betten, Lärm, Gestank: Krankenstuben und Lazarettsaal In vielen schriftlichen Zeugnissen von Lazarettpatienten spielt das Bett eine zentrale Rolle. Zur häufig aus Eisen gefertigten Schlafstätte gehörte in der Regel ein kleiner Nachttisch, teilweise auch ein Stuhl.72 Von diesem neuen MikroLebensmittelpunkt aus versuchten die Soldaten, ihren Alltag zu gestalten und sich, trotz der beengten Verhältnisse, ein Mindestmaß an personaler Sphäre zu organisieren.73 Das Bett selbst nahmen die Patienten offenbar unterschiedlich wahr. Als besonders behaglich beschrieben sie das Liegen darin meist dann, wenn sie keine starken Schmerzen verspürten.74 »Wie wohl fühlte ich mich bald in dem schneeig weißen Bett«, notierte etwa Josef Diel. Und Hans Kähler hielt fest, er fühle sich in seinem neuen Bett »sauwohl«.75 Dass die Soldaten im Heimatlazarett kaum noch mit Ungeziefer oder Ratten in Berührung kamen, die sie in ihren Unterständen und den Feldhospitälern oft geplagt hatten, verstärkte den positiven Eindruck.76 Generalmajor Ernst von Chrismar schrieb seiner Ehefrau aus einem Königsberger Lazarett, keine Fronterfahrung habe ihn so 67 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 18.06.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17. 68 Vgl. hier nur Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 35. 69 Vgl. exemplarisch Hans Waldhausen an seine Eltern, 12.09.1914, in: Dreidoppel u. a., S. 49. 70 Vgl. exemplarisch Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 35, in: ISG Frankfurt S5/91. 71 Vgl. zu Essensbeschreibungen zahlreiche Einträge in Kähler; Heider, insbes. S. 87; Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 34, in: ISG Frankfurt S5/91. 72 Vgl. dazu Waßmund, S. 492 f.; auch Richert, S. 185. 73 Vgl. dazu etwa Heider, S. 98–100; Müller, W., S. 19; 64 f. 74 Vgl. Heider, S. 98; Heydt, S. 293 f. 75 Kähler, Eintrag vom 17.10.1917, Transkript S. 23. 76 Allerdings gab es auch in den Heimatlazaretten gelegentlich Ungezieferplagen, vgl. etwa die entsprechenden Beschwerden von Krankenschwestern: Bay. Kriegsministerium, Medi-

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zermürbt, wie »der Ekel vor den ungezählten Wanzen und vor den Läusen; und da das nun weggefallen ist, bin ich wieder der Alte und schlafe wie ein Sack.«77 Andere Patienten sahen das Bett weniger positiv. Obwohl es weiß und sauber war, konnte es ihre Schmerzen nicht lindern, sondern verursachte eher zusätzliche Qualen. Viele Verwundete mussten wochenlang in einer bestimmten Position liegen, bis ihre Verletzungen auf der anderen Körperseite genügend ausgeheilt waren.78 So entwickelten manche von ihnen hartnäckige Wundliegegeschwüre.79 Franz-Xaver Buchner etwa erinnerte sich, wie ihm in dieser Situation selbst regelmäßiges Umbetten nicht mehr half: »Am Gesäß habe ich mich bereits durchgelegen, kein Wunder ich kann mich ja nicht bewegen und bin bei allen meinen Verrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen […]. Ärzte und Schwestern bemühen sich aufopfernd um mich aber alles ist beinahe zwecklos.«80 Die Wahrnehmung völliger Handlungsunfähigkeit, die Buchner hier in Worte fasste, teilten auch andere Schwerverwundete.81 Schon an der Front waren sie einer Extrembelastung ausgesetzt gewesen und hatten das Gefühl des ohnmächtigen Preisgegebenseins erfahren.82 Diese Empfindungen konnten sich im Lazarett unter dem Eindruck der Schmerzen und des langen Liegens weiter verschärfen. Der Militärpfarrer Paul Dorsch berichtete von einem Kriegs­ verletzten, der ihm gesagt habe, dass man sich drei Wochen Bettruhe gerade noch gefallen lassen könne: »Aber so lange, wie er habe liegen müssen, – da bekomme man Respekt vor dem Bett.«83 Die zunächst so verlockend erscheinende Schlafstätte, so lässt sich hier erkennen, wurde nach langer Bettlägerigkeit deutlich negativer konnotiert. Dazu kam, dass die bettlägerigen Insassen keine Möglichkeit hatten, sich zurückziehen. Weder den Mitpatienten in ihrem Schlafsaal, noch den Ärzten, Schwestern oder etwaigen Besuchern konnten sie aus dem Weg gehen.84 Alle Sinnes­eindrücke des sie umgebenden Zimmers, alle Geräusche und Ausdünstun­

zinal-Abteilung, 22.09.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39; mit Hinweisen zur Bekämpfung: Hecker, S. 730 f. 77 Ernst von Chrismar, Meine Erlebnisse im Weltkriege, Teil 2, nach Kriegsbriefen und Erinnerung für meine Frau, Kinder und Enkel zusammengestellt, o. D., S. 168, in: BA-MA MSG 2/10812. 78 Vgl. dazu etwa Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 36, in: ISG Frankfurt S5/91. 79 Vgl. zum Wundliegen Schlebusch; Dorsch, Stilles Heldentum, S. 80; 69–72. 80 Buchner, S. 46. 81 Vgl. etwa Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 12–14, in: BA-MA MSG 2/2200 b; Ernst Jünger an seine Eltern, 10.09.1918, in: Jünger, Feldpostbriefe, S. 124 f.; Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 18.06.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17. 82 Vgl. Bröckling, S. 205 f.; vgl. dazu auch allgemein Knoch, P., Kriegsalltag. 83 Dorsch, Stilles Heldentum, S. 48. 84 Vgl. zur fehlenden Privatsphäre anschaulich Goltz, S. 35; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 83, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin.

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Abb. 6: Schwerverwundeter Patient mit Streckvorrichtung am Bein

gen wirkten ungefiltert auf sie ein.85 Die dadurch entstehende Zwangslage taucht in verschiedenen soldatischen Zeugnissen als Thema auf. Teilweise beschreiben die Verfasser sie als einen der belastenden Aspekte ihres Krankenhausaufenthalts, immer wieder erwähnen sie aber auch amüsante Anekdoten, die sich aus diesen Immobilitätsbedingungen ergaben.86 Somit lassen sich die Selbstzeugnisse in diesem Kontext auch aus der Perspektive einer »Geschichte der Sinne« befragen.87 Wie roch es in einem Heimatlazarett? Dazu äußerte sich etwa der bettlägerige Franz-Xaver Buchner. »Widerlich und betäubend«88 fand er den allgegenwärtigen Gestank des Äthers und anderer Medikamente, ganz besonders im Verbandsraum. Dort sei ein »moderisch [sic] an Fäulnis grenzender Geruch« von den Wunden und alten Verbänden der Verletzten ausgegangen, so dass er sich jedes Mal von Neuem frage, »wie es die Ärzte nur aushalten können ohne

85 Vgl. zur Atmosphäre eines Lazarettsaals das Gedicht im Tagebuch von Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 06.06.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17; ein thematisch verwandtes Gedicht findet sich in der Lazarettzeitung »Der Kamerad«: A. Frings, Im Lazarett, in: Der Kamerad 7+8 (1918), in: BA-MA PHD 20/6. 86 Vgl. dazu etwa ausführlich Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, in: BA-MA MSG 2/2200 b, insbes. S. 41 und 61 f.; Alverdes, S. 14 f.; Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 3, in: BA-MA N 278/3; Schäfer, Stilles Heldentum, S. 5. 87 Vgl. zu diesem Ansatz exemplarisch Müller, J.; Corbin; Jütte, Geschichte der Sinne; auch Dörfler u. a. 88 Zitate im Folgenden aus: Buchner, S. 33 f.

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selbst betäubt und schwindelig zu werden.« Auch im Krankenzimmer sei es kaum besser gewesen: »Mir ging es anfangs mit dieser Krankenhausluft sehr schlecht, besonders wenn ich Äther in der Nähe roch mußte ich mich jedesmal beinahe übergeben.« Ernst von Chrismar berichtete in Briefen ebenfalls über ungewohnte Gerüche.89 Er werde im Hospital »gründlich in die Mache genommen, mit Bewegungen an den verschiedensten Apparaten, Heissluft, Massage, Elektricität, was zusammen etwa 1 1/2 Stunden dauert«. Danach komme er sich stets vor »wie eine Mottenkiste, weil man den Kampfergeruch nicht mehr aus der Nase bekommt.«90 Auch die spezifische Geräuschkulisse des Heimatlazaretts war für die Bettlägerigen ein wichtiges Thema. Walter Rolvien erinnerte sich, wie eines Tages ein neuer Patient in seinen Krankensaal gebracht worden sei, der die sozialen Normen des Militärhospitals, vor allem die gebotene Rücksichtnahme auf die Mitpatienten, noch nicht verinnerlicht hatte. Ganz in Gips sei der Neuankömmling eingebunden gewesen und habe zunächst lange Zeit narkotisiert und reglos in seinem Bett gelegen: »Dann erwacht er und ruft von nun an ohne Aufhören in Abständen mit quäkender, weinerlicher Stimme: ›Schwester!‹ Die Pflegenden wissen nicht mehr, was sie machen sollen. Er hat immer neue Wünsche, die sie in den meisten Fällen nicht erfüllen können. Sie sind auch wohl mehr der Ausfluss einer unglücklichen Lage. Auf uns alle legt sich dieses monotone Rufen. Es geht bis zum Abend. Da beugt sich Wendel [ein Mitpatient] weit aus dem Bette, langt mit der rechten vom Boden einen Pantoffel, droht damit durch den Saal und meint: ›Wenn de nu nich bald die Fresse hältst, kriegst de meine Socken an de Dätz.‹ ›Ich könnte mich krümmen vor Pein.‹ ›Meinste, wir hätten keine Schmerzen. Du machst uns alle verrückt.‹ Aber o Wunder. Es hilft. Der Arme schweigt.«91

Der charakteristischste Sound dieses Lazaretts war für Rolvien jedoch das Geräusch der vielen Skat- und Schafkopfspieler. Der Aufenthaltsraum, in dem die Insassen sich stundenlang die Zeit vertrieben hätten, habe mitten zwischen den verschiedenen Abteilungen gelegen und sei von allen Seiten zugänglich gewesen: »Tisch an Tisch ist mit Kartenspielern besetzt. Wenn man sich abends früh hinlegt, hört man das metallene Hopsen der Pfennighaufen, weil sie fluchend mit ihren Trumpfen dazwischen donnern. Wie ständiger Hammerschlag kommt’s aus dem Auf89 Zu unangenehmen Gerüchen im Lazarett vgl. auch o. A., Straßburg i. Els. im Winter 1914, in: Die Studentin 4 (1915), S. 3, zit. nach: Maurer, S. 811; Klemm, S. 123; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 85, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; aus ärztlicher Perspektive Freisz u. Naegeli, S. 375. 90 Ernst von Chrismar, Meine Erlebnisse im Weltkriege, Teil 2, nach Kriegsbriefen und Erinnerung für meine Frau, Kinder und Enkel zusammengestellt, o. D., S. 166, in: BA-MA MSG 2/10812. 91 Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 80 f., in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; zu einem ständig weinenden Verwundeten, der den Mitpatienten damit auf die Nerven ging Dorsch, Stilles Heldentum, S. 14–17.

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Abb. 7: Skatspielende Lazarettpatienten

enthaltsraum. Ein Klavier steht in der Ecke. Holprige Walzen nehmen ihren Anfang, um in einem Gewirr von Tönen zu ersterben. Manchmal aber haut ein Zünftiger einen runter, aber die […] herzlose Flut der Töne ist schwer zu ertragen.«92

Auch in Erich Maria Remarques Roman »Im Westen nichts Neues« spielt der unausweichliche Lazarett-Lärm eine Rolle. Hier sind es der Protagonist Paul Bäumer und seine ebenfalls schwerverwundeten Zimmernachbarn, die sich über das morgendliche Beten der Ordensschwestern in den Gängen des Lazaretts beschweren, das sie am Weiterschlafen hindert. Keiner der Zimmerinsassen kann aufstehen und die Tür der Krankenstube schließen, welche die Schwestern bewusst offen gelassen haben; alle sechs sind bettlägerig. Sie protestieren daraufhin lautstark. »Es wird doch auch für sie mitgebetet«, erklären die Nonnen ihnen erstaunt, beten sei wichtiger als schlafen. Paul Bäumer gelingt es im Roman schließlich doch, die unerwünschte Morgenandacht zu beenden, indem er aus seinem Bett zielsicher eine Flasche in den Gang wirft, die dort zerschellt. Die Schwestern schimpfen empört, hören aber tatsächlich auf zu beten: »›Tür zu!‹, schreien wir. Sie verziehen sich. Die Kleine von vorhin ist die Letzte. ›Heiden‹, zwitschert sie, macht aber doch die Tür zu. Wir haben gesiegt.«93 Diese literarische Verarbeitung des Lazarettlebens war also durchaus anschlussfähig an die individuellen Erfahrungen der Kriegsteilnehmer. 92 Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 84, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; zu Geräuschen und Musik im Tagraum des Vereinslazaretts »Diakonissenanstalt« Hall vgl. auch Krause, »Vereins-Lazarett«, S. 448. 93 Remarque, S. 173.

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Die auffällige Betonung der äußeren Bedingungen des Krankenzimmers in den Quellen macht deutlich, welche Relevanz diesen Aspekten aus Sicht der Bettlägerigen zukam. Die Welt der schwerverwundeten Soldaten, die gerade noch selbständig im fernen Ausland gekämpft hatten, war durch ihre Verletzung schlagartig zusammengeschrumpft auf den engsten Raum des Lazarettbettes und seine Umgebung. Im ereignisarmen Krankenhausalltag dieser Männer, der nur von gelegentlichen Operationen oder Besuchen unterbrochen wurde, gewannen auf diese Weise die unmittelbaren Zimmereindrücke eine große Bedeutung. 3.2.2 Von Schlachtbänken und Todesräumen: Das imaginierte Lazarett Noch in einer weiteren Szene aus »Im Westen nichts Neues« greift Remarque die Problematik der kollektiven Bettlägerigkeit auf. Hier geht es darum, dass Paul Bäumer und die übrigen Zimmernachbarn hilflos dabei zusehen müssen, wie es ihrem Kameraden Frank Wächter immer schlechter geht, ohne ihn unterstützen zu können. In der Nacht hat Wächter den Eindruck, seine Armwunde blute stärker und er bittet die anderen um Hilfe. Doch die Nachtschwester reagiert nicht auf ihr Klingeln. Keiner der Männer kann aufstehen und sie holen oder wenigstens das Licht anmachen. Wächters Zustand verschlechtert sich in den darauffolgenden Tagen immer weiter. Zuletzt wird er in das berüchtigte »Sterbezimmer«94 gebracht, aus dem er nie wieder zurückkehrt. Die skizzierte Romanszene greift eine interessante Facette der Lazarettwahrnehmung aus der Bettperspektive auf: Da viele Soldaten einerseits nicht aufstehen konnten und andererseits auch sonst nicht alle Bereiche des Lazaretts betreten durften, entwickelten sich zahlreiche Gerüchte, wie wohl der Rest des Hospitals aussehen mochte, welche traurigen Soldatenschicksale dort versteckt waren und was in den unbekannten Zimmern auf die Patienten wartete.95 In dieser Gerüchtewelt gab es positiv konnotierte Bereiche, wie den Garten oder die Terrasse, aber auch angstbesetzte Orte, wie das bei Remarque erwähnte »Sterbezimmer«, über das die Insassen schaudernd Mutmaßungen anstellten.96 Auch der Bonner Lazarettpfarrer Daniel Schäfer beschreibt eine solche gefürchtete Zone, aus der kaum ein Patient jemals lebend zurückkehrte: die Wasserstation. Gemeint war damit ein Bereich des Krankenhauses, in dem Schwerverwundete mit Dekubitus tagelang in Wasserbädern lagen, um den Druck vom Körper zu nehmen. Für viele Schwerverletzte war diese isolierte Situation quälend;97 94 Ebd., S. 176. 95 Vgl. etwa Buchner, S. 29; 39; Alverdes, S. 70 f. 96 Der Autor schreibt in seinem Roman, dass keiner der Lazarettinsassen das berüchtigte »Totenzimmer« bisher von innen kennt, da niemand, der dorthin gebracht worden ist, es je lebend wieder verlassen hat – bis Zimmerkamerad Peter diese Regel eines Tages widerlegt, indem er, der Totgesagte, tatsächlich aus dem »Sterbezimmer« zurückkehrt, Remarque, S. 176–179. 97 Vgl. dazu ausführlich Buchner, S. 48; auch Dorsch, Stilles Heldentum, S. 66–72.

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­ anche überlebten die Prozedur nicht. Umso größer, so Schäfer, sei die Freude m jedes Mal, »wenn einer die Wasserprobe gleichsam überstanden hatte und wieder in ein trockenes Bett gelegt werden konnte.«98 Auch in der Autobiographie Victor Klemperers, der während seiner Militär­ zeit mehrere Monate wegen Erschöpfung in verschiedenen Lazaretten verbrachte, findet sich ein anschauliches Beispiel für einen solchen imaginierten Todesbereich. Klemperer schildert die folgende Situation, die sich kurz nach seiner Lazarettaufnahme 1916 abgespielt habe: »Ich lag im Mittelpart eines großen, vielfenstrigen, durch Glaswände dreigeteilten Raumes für Kranke (nicht für Verwundete). Die Abteilung zu meiner Linken gehörte den ›Leichten‹, die rechts den ›Schweren‹. Mir schräg gegenüber bekam ein Schniggel einen Erstickungsanfall und gebärdete sich wie ein Tobsüchtiger. Er sprang brüllend aus dem Bett, drei Wärter stürzten auf ihn zu, zwei hielten ihn an den Armen, der dritte setzte den Sauerstoffapparat an. Sobald der arme Teufel wieder lag und nur noch wimmerte, wurde er auf seiner Matratze durch die Glastür zu den ›Schweren‹ getragen. ›Den sehn wir nimmer wieder‹, sagte mein Bettnachbar, ›doppelseitige Lungenentzündung – und wenn sie ihn schon dahinein bringen … Beim Stabsarzt heißt das ›der stillere Raum‹, bei uns die ›Totenkammer‹, denn von dort gibt es einen Fahrstuhl zum Leichenkeller.‹«99

Bei Klemperer erscheint die räumliche Aufteilung des Lazaretts wie eine Prognose für das künftige Schicksal der dort hospitalisierten Männer. Wer nach rechts in die »Totenkammer« kam, kehrte nicht wieder zurück; die Verlegung dorthin war selbst das Todesurteil. Wer aber nach links zu den »Leichten« gelangte, konnte neue Hoffnung schöpfen. Klemperer befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im zukunftsoffenen Mittelpart zwischen den beiden Stationen. Die räumliche Ordnung des Lazaretts erschien ihm und seinen Mitpatienten nicht nur wie eine organisatorisch bedingte Belegungslösung, sondern symbolisierte in ihren Augen entweder günstige Genesungschancen oder den baldigen Tod im »stilleren Raum«. Dorthin wollten die Soldaten um keinen Preis gebracht werden.100 Auf diese Weise ergänzten die Bettlägerigen in ihrer Vorstellungswelt diejenigen Bereiche des Lazaretts, die sie selbst physisch nicht betreten konnten mit Imaginationen. Aus Gerüchten, Teil-Informationen von mobileren Patienten und ihrer Phantasie setzten sie sich ein räumliches Gesamtbild des Lazaretts zusammen, das sowohl beängstigende wie auch verheißungsvolle Elemente enthielt.

98 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 52. 99 Klemperer, S. 437. 100 Vgl. dazu äquivalent auch Remarque, S. 176.

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3.2.3 »Ich war noch nicht ganz da«: Fieber, Narkose, Morphium Immer wieder beschrieben bettlägerige Soldaten eine beinahe surreale Atmosphäre, die sie im Heimatlazarett umgeben habe. Das ganze Krankenhaus sei von einer »tiefen träumenden Stille«101 geprägt gewesen. An sich selbst beobachteten manche Patienten tranceähnliche Geisteszustände.102 Was hatte es mit diesen Wahrnehmungen auf sich? Warum wurde das Lazarett – vor allem von Neu­ ankömmlingen – als eine Art Traumwelt beschrieben?103 Eine wichtige Erklärung für dieses Phänomen lässt sich auf körperlicher Ebene finden. Viele Soldaten hatten sowohl bei ihrer Ankunft im Lazarett als auch nach Operationen hohes Fieber und waren völlig entkräftet. Sie erlebten große Abschnitte ihres Heilaufenthalts unter diesen speziellen Konditionen. Dazu kam der Effekt der Schmerz- und Betäubungsmittel, ganz besonders des unter Soldaten beliebten Morphiums. Franz-Xaver Buchner erinnerte sich nach eigenen Angaben genau an seine erste Morphiumdosis im Heimatlazarett. Gegen 21 Uhr abends sei die Nachtschwester gekommen und habe ihm und seinem Bettnachbarn »ohne viel Worte« eine Spritze gegeben und angenehmen Schlaf gewünscht. So sei es auch gekommen: »Diese Morphiumspritze begann nach wenigen Augenblicken zu wirken, schwer wurden meine Augenlider, ein sonderbar angenehmes Gefühl ging durch den ganzen Körper, ja ich konnte mich sogar bald ohne viel Schmerzen auf die Seite drehen und so wurde meine erste Nacht im Lazarett eine sehr gute, begleitet mit wunderbaren Träumen.«104 Auch Ernst Penzoldt beschreibt in seinem teilweise autobiographischen105 Weltkriegsroman »Kleiner Erdenwurm« eine entsprechende Abendszene im Lazarettsaal. Das Schmerzmittel erscheint im Buch nicht nur als Einschlafhilfe für die Insassen, sondern als potente Droge: »Man muß bedenken, daß ich geraume Zeit unter starker Morphiumwirkung stand, daß ich, wie meine Leidensgenossen, allabendlich in den zärtlichsten Tönen um eine 101 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 20.06.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17; auch Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 82, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 227–232, in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M.. 102 Vgl. Heider, S. 95; Penzoldt, S. 155; auch Alverdes, S. 80. 103 Vgl. etwa Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 134, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Klemperer, S. 454; Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 20.06.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17. 104 Buchner, S. 35; ähnlich Heider, S. 89. 105 Der spätere Schriftsteller Ernst Penzoldt (1892–1955) war im Ersten Weltkrieg durchgehend in verschiedenen Lazaretten, vor allem in der Etappe an der Westfront, als Sanitäter eingesetzt, ab 1915 als Sanitätsunteroffizier. Eigene Erfahrungen als Patient im Heimathospital sammelte er vom Mai bis September 1918 im Reservelazarett Erlangen, wohin er mit einem Nierenleiden eingeliefert wurde, vgl. Klein, S. 67–89, hier S. 87 f. Eine Rezension von 1934 ordnete »Kleiner Erdenwurm« daher als »autobiographische Jugendgeschichte« ein, vgl. Klein, S. 311.

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›Ganze‹ bettelte, wenn die Schwester mit der Rekordspritze von Bett zu Bett ging. Immer hub dann das gleiche Winseln und Schmeicheln an, und daß wir gestern wieder viel zu wenig bekommen hätten. Wenn die Schwester an meinem runzligen Kinderärmchen eine Stelle suchte, wo noch kein Einstich war, sie mit einem alkoholgetränkten Wattebausch scheuerte, mit zwei Fingern zierlich die magere Haut anhob und fix zustach, paßte ich sehr genau auf, daß sie mich nicht betrog.«106

Tatsächlich erzeugte das Morphium unter Lazarettpatienten starke Abhängigkeiten. Das Militärkrankenhaus lässt sich daher auch als ein Ort der Sucht und des Rausches charakterisieren, zumal übermäßiger Alkoholkonsum dort ebenfalls verbreitet war.107 Dokumente der Heeresverwaltung bestätigen, dass die literarische Darstellung hier an reale Erfahrungen anknüpfte. Das Sanitäts-Departement des Preußischen Kriegsministeriums schickte im Juni 1917 ein entsprechendes Warnschreiben an alle Kriegs-Sanitäts-Inspekteure und Sanitätsämter und legte diesem Brief das ärztliche Gutachten eines gewissen Dr. Weiler bei. Darin ging es um die »Behandlung der Morphiumsüchtigen und der Alkoholkranken«108 in Lazaretten. Dem Gutachter Dr. Weiler zufolge war die Lage klar: »Bei Morphiumsüchtigen handelt es sich fast durchwegs um von Haus aus willensschwache, psychopathische Menschen, die durch Schuld der Aerzte, (kritiklose Anwendung von Morphium und Ueberlassung der Darreichung dieses Mittels an die Kranken durch nichtärztliches Pflegepersonal oder gar Ueberlassung der Spritze und des Mittels an die Kranken selbst) sich an den Morphiumgenuss gewöhnten.«

Morphinisten, so Weiler weiter, seien daher »als psychisch Kranke zu betrachten« und mit einer Entziehungskur zu therapieren. Noch wichtiger seien jedoch vorbeugende Maßnahmen, damit eine Morphiumsucht im Lazarett gar nicht erst entstehe. Zunächst müssten dazu die Ärzte über die Gefahren des Morphiums aufgeklärt werden; weiter seien diese verantwortlich zu machen für »Morphiummissbrauch, der durch das ihnen untergeordnete Pflegepersonal verursacht wird«; schließlich müsse unmissverständlich klargestellt werden, »dass dem Morphium als Schlafmittel bei Schlafstörungen, die nicht durch erhebliche Schmerzen infolge körperlichen Leidens bedingt sind, jeder Wert abzusprechen ist.« Doch alle diese Vorbeugemaßnahmen waren in den Lazaretten, von denen die soldatischen Selbstzeugnisse berichten, offensichtlich nicht ein106 Penzoldt, S. 155. 107 Vgl. dazu etwa Preuß. Kriegsministerium, Sanitäts-Departement, an sämtl. Kriegs-­ Sanitäts-Inspekteure u. a., 18.06.1917; Bericht des ordinierenden Arztes Prof. von Notthafft, Reservelazarett München L, an den Chefarzt, 28.09.1915, beide in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./176; Bonne, S. 1192. 108 Zitate im Folgenden aus: Bericht des Ordinierenden Dr. Weiler, Beilage zum Brief des Preuß. Kriegsministeriums, Sanitäts-Departement, an sämtl. Kriegs-Sanitäts-Inspekteure u. a., 18.06.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176.

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gehalten worden. So konnte die »Nachtschwester«109 mit ihrer Morphiumspritze für manche Patienten zu einer Erlösungsfigur werden, die sie wenigstens für einige Stunden von ihren Schmerzen befreite. Trotz aller Alarmbereitschaft, welche die Behörden angesichts der Sucht­ problematik demonstrierten110, gestaltete es sich für sie insgesamt schwierig, die Morphiumabhängigkeiten in den Griff zu bekommen.111 Diese Entwicklung erschien ihnen umso tragischer, als es sich dabei um ein selbstverursachtes Problem des Sanitätswesens handelte, eine Art Lazarett-Effekt. Aus Patientensicht hingegen war gerade der Zugang zum Morphium einer der positivsten Aspekte der Krankenhauspflege, da es die ständigen Schmerzen für eine gewisse Zeit verschwinden lassen oder zumindest abmildern konnte. Insgesamt lässt sich festhalten, dass zahlreiche Soldaten – einerseits aufgrund des Morphiums, andererseits aber auch infolge der Narkose bei Operationen und des häufig auftretenden Fiebers – während eines Teils ihres Lazarettaufenthalts nicht bei klarem Bewusstsein waren.112 Auch das mag erklären, warum sie das Militärkrankenhaus so oft als Traumwelt beschrieben.113 3.2.4 Warten und Langeweile Noch mehr als das Morphium empfanden viele Soldaten die Gelegenheit zu Erholung und geistigem Innehalten als besonders positiven Aspekt des Lazarettaufenthalts. Die Kehrseite dieser Ruhe war indes eine quälende Langeweile. Schon während des Fronteinsatzes hatten die Soldaten zwischen den Kampfphasen Zeiten des Nichtstuns erlebt, in denen eine trügerische Ruhe eingekehrt war.114 Doch dort hatte stets der nächste Angriff, die nächste Verteidigung gedroht. Im Lazarett warteten die Soldaten nur auf ihren eigenen Heilungsprozess. Sie warteten darauf, dass ihr Zustand sich besserte, darauf, dass Besuch kam, der Arzt sie untersuchte, die ihnen angekündigte Operation durchgeführt wurde

109 Buchner, S. 35. 110 Vgl. Preuß. Minister des Innern an die Herren Regierungspräsidenten und den Herrn Polizeipräsidenten, 15.11.1916; Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Württ. Kriegsministerium u. a., 16.01.1917, beide in: HStAS M 77/2 Nr. 41; Sanitätsamt I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 11.07.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 111 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Sanitäts-Departement, an sämtl. Sanitätsämter, 25.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 112 Vgl. zur Verwirrtheit nach der Narkose Heider, S. 95; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 135 f., in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin: zum Fieber Clara Leidholdt, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, Eintrag vom 09.09.1917, in: Privatbesitz Georg Jacobi, Dresden. 113 Vgl. dazu die literarische Darstellung bei Penzoldt, S. 155. 114 Vgl. zu Ruhepausen und ruhigen Frontabschnitten Ziemann, B., Front, S. 77–99; Leonhard, S. 329–332.

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und dass überhaupt der Krieg endete. Das Verharren in dieser Wartestellung prägte maßgeblich ihr Lebensgefühl im Lazarett.115 Der Straßburger Militärpfarrer Willy Müller berichtete, ein Patient habe ihm einmal beim Krankenbesuch den ironischen Satz gesagt: »Nicht nur Menschen, sondern auch viel Zeit muß gegenwärtig totgeschlagen werden«.116 Diesen Sinnspruch hätten vermutlich viele bettlägerige Soldaten unterschrieben.117 Von den Tagesaktivitäten und Unterrichtskursen, die im Hospital angeboten wurden, konnten sie kaum profitieren. Derartige Programme eigneten sich hauptsächlich für Rekonvaleszente, die bereits umherlaufen konnten. Bettlägerige waren darauf angewiesen, dass ihnen jemand eine Ablenkung und Beschäftigung ermöglichte – ihnen etwa Briefpapier, Bastelmaterialien oder Spielkarten brachte oder sich mit ihnen unterhielt. Der schwerverwundete Feldwebel Drewes, der in einem Lazarett in Godesberg lag, beklagte sich in seinen Notizen mehrfach über die »gräßliche Langeweile«,118 die er während seiner Hospitalisierung empfunden habe: »Man lag und hatte so ziemlich alles getan, was man sich vorgenommen hatte: Briefe geschrieben oder einige Erinnerungen aufgezeichnet, die Post hatte nichts gebracht, die Zeitungen wußten wieder einmal so gut wie nichts, und überm Bücherlesen mochte man nicht mehr sein. […] Dann wartete man auf die Essenszeit, nicht weil man gar so hungrig war, sondern weil sie eine kleine Abwechslung bot; aber das Essen war bald getan, und das Geschirr war fortgetragen und dann – es ist wirklich wahr! – lag man und wartete, daß vielleicht die Schwester kommen sollte; und die kam endlich und war auch bald wieder fort, und dann lag man und wartete so gegen den Abend hin auf den singenden Ruf der Zeitungsjungen: Extrablatt! Großer Sieg usw.; und man wußte ganz genau, daß darauf nichts zu geben sei; denn der Bengel verkündete einen großen Sieg, selbst wenn es sich vielleicht nur um 100 gefangene Franzosen handelte.«119

Das Warten, wie Drewes es hier beschrieb, verdammte die Patienten zu einem nervtötenden Nichtstun. Sie waren in dieser Zeit auf ihren beschädigten, schmerzenden Körper zurückgeworfen und in hohem Maße vom Können und 115 Vgl. dazu etwa die Beschreibungen bei Josef Kaiser, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), Transkript S. 9, in: Eigenbesitz d. Vf.; Ernst Jünger an seine Eltern, 10.09.1918, in: Jünger, Feldpostbriefe, S. 124 f.; Ernst von Chrismar, Meine Erlebnisse im Weltkriege, Teil 2, nach Kriegsbriefen und Erinnerung für meine Frau, Kinder und Enkel zusammengestellt, o. D., S. 167, in: BA-MA MSG 2/10812; Heydt, S. 295. Zum Lazarett als »Wartesaal des Lebens« Eckart, Die Wunden, S. 154. 116 Müller, W., S. 6. 117 Vgl. dazu exemplarisch Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 87, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin: »Dieser regelmässige Trott, eigentlich der stumpfe, festgefügte Ablauf von Essen und Schlafen ruiniert mich.« 118 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 68, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 119 Ebd., S. 60–62.

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Wohlwollen der Ärzte und des Pflegepersonals abhängig. Der Soziologe Erving Goffman stellt in seiner Studie zu totalen Institutionen diesen Aspekt besonders heraus. Ihm zufolge werde »die Handlungsökonomie eines Menschen am nachhaltigsten zerstört, wenn er verpflichtet ist, bei geringfügigen Handlungen, die er draußen ohne weiteres von sich aus verrichten kann, […] um Erlaubnis oder um Material zu bitten.« Dadurch gerate der Insasse in eine »unterwürfige, demütige und für einen Erwachsenen ›unnatürliche‹ Rolle«120. All dies traf auch auf die schwerverwundeten und -kranken Soldaten zu. Doch zugleich entband sie die Bettlägerigkeit von den Pflichten und Verantwortlichkeiten, die während des Militäreinsatzes oder im Beruf auf ihren Schultern lasteten. Das konnte für manche eine Erleichterung bedeuten. Adolf Dünnebacke etwa scheint gerade die vielen Stunden im Bett voller »Ruhe und Frieden« genossen zu haben. Schwärmerisch beschreibt er in seinem Tagebuch diese Zeit, »wo ich mich um nichts zu kümmern brauche, wo ich den Kaffee ans Bett gebracht bekomme«.121 Was konnten Bettlägerige tun, um die Wartephase zu überbrücken? Es blieben ihnen mehrere Handlungsoptionen. Der Offizier Hans Kondruß und seine drei Zimmernachbarn etwa vertrieben sich die Zeit meist »mit Schach usw. – ab und zu auch allerlei Späßen, mit denen wir uns untereinander neckten oder auch die so hilfsbereiten Schwestern.«122 Andere Patienten musizierten oder sangen gemeinsam.123 Wilhelm Heider berichtete, dass er im aufrechten Liegen Stenographie gelernt habe. So sei ihm »die Zeit nie langweilig im Bette«124 geworden. Er habe immer eine Beschäftigung gehabt. Einzig die Hitze unter der Decke sei damals schlimm gewesen – »was ich da weggeschwitzt habe, ist nicht zu sagen.«125 Auch zum Schreiben ergab sich während der Krankenhauszeit plötzlich ausgiebige Gelegenheit. Viele Patienten hielten nun engeren Briefkontakt zur Familie.126 Zugleich passierte im Lazarett aber weniger Berichtenswertes. Der Leichtkranke Hans Kähler stellte in seinem Tagebuch fest: »Wenn man am meisten Zeit hat, ist die Lust zum Schreiben am geringsten. Viele besonders tiefe Empfindungen sind hier nicht auf mich eingedrungen.« Er habe er sich als Lösung gegen die Langeweile »schon ein oder besser gesagt einige Mädels angeschafft.«127 120 Goffman, S. 49. 121 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 08.06.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17. 122 Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 179, in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M.; zum Schachspiel auch Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 23 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b. 123 Vgl. zu musikalischen Aktivitäten im Lazarett Dorsch, Lazarettbilder, S. 26–33. 124 Heider, S. 99 f. 125 Ebd., S. 100. 126 Vgl. etwa Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 21, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 127 Kähler, Eintrag vom 15.01.1918, Transkript S. 26.

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3.2.5 Lesewut Adolf Dünnebacke hatte einen anderen Ausweg aus der Eintönigkeit des Patien­ tenalltags gefunden: »Ich lese, lese, lese.«128 Ähnlich wie er hielten es zahlreiche Bettlägerige.129 Entsprechend stieg der Bedarf an geeignetem Lesestoff. Viele Heimatlazarette begannen, eigene Büchereien aufzubauen.130 Sie erhielten Bücher aus Privatschenkungen und von wohltätigen Vereinen oder kauften aus Spendengeldern neue Exemplare.131 Auch während der sogenannten »Reichsbuchwoche«, die im Frühjahr 1916 als nationale Sammlungsaktion stattfand, kamen rund 1 Million Buchspenden für Soldaten im Feld sowie für Lazarett­ büchereien zusammen.132 Darüber hinaus waren zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften in den Lazaretten zugänglich.133 Doch die Lesewut der Lazarettinsassen war nicht nur eine private, frei gewählte Entscheidung, die sich aus der Bettlägerigkeit gleichsam logisch ergab. Wie auch in vielen anderen Bereichen wurde ebenso die Lektüretätigkeit von militärärztlicher sowie ziviler Seite aktiv eingefordert und befördert. In ­Bayern befahl die Medizinal-Abteilung des dortigen Kriegsministerium schon im Oktober 1915, den Genesenden die rege Nutzung der Lazarettbüchereien anzuempfehlen.134 Wenn die Bettlägerigen schon nicht körperlich arbeiten könnten, so die Idee, solle wenigstens über das Lesen eine geistige Tätigkeit der Kranken angeregt werden. Die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums drang 1916 darauf, die Leseaktivität von Lazarettpatienten gezielt zu lenken. Zwar seien die vielen Bücherspenden aus der Bevölkerung, die aktuell eingingen, durchaus ehrenwert, allerdings fänden sich unter ihnen »trotz vorheriger Sichtung durch die sammelnden Stellen noch ungeeignete Bücher und Zeitschriften.«135 Eine strenge Vorauswahl sei daher notwendig. Mit diesen Warnungen knüpfte das Kriegsministeriums an volkserzieherische Debatten aus der Vorkriegs­zeit um Schmutz- und Schundliteratur an, die in der Situation des 128 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 23.06.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17. 129 Vgl. dazu etwa Klemperer, S. 458; 447; vgl. zur Lesefreude der Lazarettpatienten auch die verschiedenen Tätigkeitsberichte bayerischer Lazarette, 1915, in: BayHStA Stv.GenKdo. II.AK.SanA./53; zum Lesen als Dialogpraxis von Psychiatrie-Patientinnen und -patienten Anfang des 20. Jahrhunderts Ankele, Im Dialog. 130 Vgl. Goltz, S. 49–51; für jedes Garnisonlazarett war bereits in der Vorkriegszeit eine sogenannte »Unterhaltungsbibliothek« vorgesehen, vgl. Waßmund, S. 507. 131 Vgl. Tews, S. 175. 132 Vgl. dazu den Aufruf des Zentral-Komitees der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz im Anschluss an die »Reichsbuchwoche«, 1916, in: StadtAFrei C3 775/6. 133 Vgl. dazu etwa Scholl, Praktische Kriegsinvalidenfürsorge, Teil 1, S. 45; Tätigkeitsberichte bayerischer Lazarette, 1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53. 134 Vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 26.10.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53. 135 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an sämtl. Sanitätsämter, 20.12.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53.

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Krieges neue Brisanz gewannen.136 Aus Sicht der Militärbehörden sollten die Soldaten zwar viel lesen, aber nicht das Falsche. Bedenkliche Schriften, die als irreführend, »grob sensationell«137 oder in anderer Hinsicht »verderblich« galten, weil sie »die Eindrücke der großen Zeit zu unwahren, unedlen Erregungen der Masseninstinkte«138 umformten, sollten keinesfalls in ihre Hände gelangen.139 Sie bedrohten aus Behördensicht unmittelbar die militärische Disziplin. Um die Auswahl der Literatur zu steuern, kümmerte sich oft der Seelsorger des Lazaretts darum, den Insassen passende Bücher aus der Bibliothek vor­ zuschlagen.140 Laut Eduard von der Goltz, der ein entsprechendes Handbuch für Lazarettpfarrer verfasst hatte, sollten die Kirchenmänner dafür sorgen, »mit Literaturkenntnis und Geschmack die geistige Diät der […] Soldaten etwas zu kontrollieren und zu regulieren.« Mit einer gezielten Bücherverteilung an die Patienten »erwirbt man sich nicht nur viel Dank, man bereichert auch das geistige Leben der Lazarettinsassen und macht ihnen das oft sehr eintönige und leere Leben erträglicher. Der indirekte Einfluß, den man dadurch ausübt, ist groß.«141 Auch das Zentral-Komitee der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz nahm sich dieser Aufgabe an. In Flugblättern und Aushängen rief es die Bevölkerung immer wieder dazu auf, Bücher zu spenden, allerdings – wie von der Heeresverwaltung gefordert – nur angemessene Literatur. Als geeignet galten erstens »[u]nter­haltende Bücher«, zweitens »Gedichte und Dramen«, drittens »[v]olkstümlich belehrende Schriften« sowie viertens »[r]eligiöse Schriften, die für einen Krieger passen«. Ungeeignet seien dagegen politische oder religiöse Pamphlete, »schlüpfrige und unsittliche Schriften, auch sogenannte Schundliteratur wie die bekannten Zehnpfennighefte und schlechte Detektivromane«.142

136 Vgl. zur Bekämpfung der Schundliteratur im Kaiserreich und Ersten Weltkrieg einschlägig Maase, Die Kinder; ders., Militäreinsatz. 137 Beschluss der Königlichen Polizeidirektion Dresden an das Stv. Generalkommando XII. AK., 03.12.1914; ähnlich Stv. Generalkommando VII. AK. an das Oberkommando in den Marken u. a., 20.04.1915, beide in: HStAD 11348/2712. 138 Bericht über die Öffentliche Versammlung der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schund­ literatur in Berlin, Abschrift an das Stv. Generalkommando XII. AK., 30.03.1916, in: HStAD 11348/2712. 139 Vgl. Sitzungsbericht über die Versammlung der Vertrauensoffiziere des Stv. Generalkommandos XII. AK. in Dresden-Neustadt, 28.07.1917, darin: Ansprache des Hauptmann Thierig, in: BayHStA MKr/2334. 140 Vgl. exemplarisch Dorsch, Stilles Heldentum, insbes. S. 9 f. 141 Goltz, S. 54. 142 Aufruf des Zentral-Komitees der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz, 1916, in: StadtAFrei C3 775/6.

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3.2.6 Schlaflos im Lazarett: Wachliegen und Grübeln Das Lesen, Schreiben, Reden und Skatspielen half den Bettlägerigen nur tagsüber gegen die Langeweile und die damit zuweilen einhergehende »große Lazarettnot«.143 Schwieriger waren für viele die Nachtstunden. Sobald die Lichter gelöscht waren und die Nachtruhe eingehalten werden musste, gab es keine Möglichkeit zur Zerstreuung mehr. Der Patient war mit seinen Gedanken und Sorgen alleine. Nun öffnete sich ein Raum für Erinnerungen an die vergangenen Kriegserlebnisse und Sorgen um die Zukunft.144 Dabei verstärkte das tagsüber »oft sehr eintönige und leere Leben«145 der Patienten offenbar ihre nächtliche Unruhe. Ausführlich berichtete etwa der Schwerverwundete Drewes über sein Wachliegen. »Gedanken kamen und gingen«, schrieb er, »und man kam ins Grübeln und das Herz war voll Sehnsucht.«146 Viele Wochen lang hätten es ihm die Ärzte verboten, aus seinem Bett aufzustehen, da seine Schussverletzung am Unterschenkel noch nicht verheilt sei. In dieser Zeit habe er Nacht für Nacht schlaflos in seiner Lazarettstube zugebracht und in einem fortwährenden inneren Dialog über den Krieg, den Frieden und seine persönlichen Lebens­umstände nachgedacht: »Nun ging es im Osten doch flott vorwärts. Ob der Russe nicht bald mürbe war? Ach, das hatte man schon oft gehofft und es war dann immer nicht so gewesen. Es muß aber doch einmal ein Ende nehmen; es ist doch ein Anfang da gewesen! […] Wie hat doch der Krieg mit harter Faust in die Geschicke der einzelnen Menschen hineingegriffen! Man ist so gewaltsam herumgewirbelt worden, daß man sich kaum selbst mehr kennt. Sag mal, kannst du dir das vorstellen, daß der, der vor einem Jahre noch in Hademarschen ein Lehrer war und der da meinte, nun sei er mit dem Militär fertig, derselbe ist, der reichlich ein halbes Jahr im Felde gelegen hat und nun hier in diesem Zimmer als Verwundeter liegt? Man könnte fast dazu kommen, mit einem Male wild emporzufahren und mit weit aufgerissenen Augen um sich zu starren und zu sagen: Ich, ich, ich? Wie komme ich bloß hierher?«147

So sei es ihm des Nachts oft durch den Sinn gegangen. »Und man sah nach der Uhr. Da war die Zeit erst um einige 5 Minuten weitergeschlichen.«148 Dann sei er schließlich doch unbemerkt eingeschlafen, »und am hellen Morgen schämte man sich fast dessen, was man sich in den Abend- und Nachtstunden zusammengegrübelt hatte.«149 143 Grupe, S. 1. 144 Vgl. etwa Lorenz Brockötter an die Familie, 17.10.1915, in: Brockötter, S. 182; Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 14 f., in: BA-MA N 278/3. 145 Goltz, S. 54. 146 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 68 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b. 147 Ebd., S. 70. 148 Ebd., S. 73. 149 Ebd., S. 74.

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Ähnlich beschrieb auch Victor Klemperer sein Wachliegen im Krankenhausbett als ein ständiges Wechselbad der Gefühle. Über die Rettung ins sichere Lazarett habe er immer wieder »ein unlösliches Gemisch aus Freude und Bitterkeit«150 empfunden: »Und was war denn so Erfreuliches an meinem privaten Schicksal? Ganz erfolglos war ich geblieben, zu keinem Ordensbändchen, nicht einmal zu den Gefreitenknöpfen hatte ich es gebracht und nicht einmal zu einem dekorativen Heimatschuß. Nur krank und unbrauchbar kam ich zurück. Wiederum: Ich kam doch zurück, wie aus dem Grabe erstanden und mit unverstümmelten Gliedern. Und ich durfte mir mit gutem Gewissen sagen, daß ich meine Pflicht getan hatte. Nur noch kurze Zeit, dann war die grausame Trennung zu Ende, meine Frau würde zu mir eilen, sobald sie erfuhr, wohin man mich gebracht hatte. Es war ein so ungeheures, noch vor wenigen Tagen für unmöglich gehaltenes Glück, daß ich mich manche Minute vor Seligkeit nicht zu fassen wußte. Dann stieg die Bitterkeit wieder auf, dann warf ich mir diese Bitterkeit als ein Nachlassen meiner Liebe, als einen Treuebruch vor, dann fürchtete ich mich vor dem Wiedersehen – in meiner inneren Zerschlagenheit würde ich ein unleidlicher Quälgeist sein –, dann lachte ich mich aus und jubelte wieder in mich hinein, und so ging das immerfort auf und nieder.«151

Erst als Klemperer später in ein schön gelegenes Genesungsheim überwiesen wurde, das noch weiter weg von allem Frontgeschehen lag, und wo ihn seine Frau für viele Wochen besuchen kommen konnte, traten die Bitterkeit und sein nächtliches Grübeln in den Hintergrund. Nun endlich hätten die »glücklichen Stunden bei weitem die düstern überwogen.«152 Am vielfach beschriebenen Phänomen des nächtlichen Wachliegens wird erneut die Dimension des Heimatlazaretts als Übergangsraum erkennbar: Der Soldat war zwar körperlich der Front entkommen, bewegte sich aber geistig und emotional oft weiterhin in diesem Feld.153 »Ach, traurige und wirre Träume erschrecken die ganze Nacht hindurch meine Fantasie«, notierte der Infanterist Gregor Wörsching in seinem Tagebuch, »Gefechte und stumme Nahkämpfe, die gefährlichsten Momente erscheinen vor meinem Geiste, Blut und blanke Waffen, Notgeschrei und Hilferufe – all das schwirrt wie ein aufgeregtes Meer durch meinen Geist.« Wann, so fragte sich Wörsching, würde wieder eine Nacht kommen, »in der all die Kriegsbilder verschwunden sind, in der ich von heimatlicher Schönheit und Treue, nicht vom Kampf in fernen und unwegsamen Wäldern, sondern von der Pracht des deutschen Waldes träumen darf?«154 Auch wenn sie sich schon lange nicht mehr am Ort des Kriegsgeschehens befanden, so wird aus 150 Klemperer, S. 440. 151 Ebd. 152 Ebd., S. 454. 153 Vgl. Dorsch, Stilles Heldentum, insbes. S. 73–75; Wurster, Kapitel »Schlaflos«; Schleich, S. 19. 154 Gregor Wörsching, Kriegstagebuch, Eintrag vom 27.03.1916, in: Wörsching, S. 141.

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Aussagen wie diesen deutlich, blieb offenbar eine Art »innere Front« für viele Lazarettinsassen quälend präsent. Auch in dieser Hinsicht zeigte sich das Lazarett als liminaler Raum zwischen Krieg und Zivilleben, zwischen Todesgefahr und innerem wie äußerem Frieden.

3.3 Das Lazarett als Ort der Stille Die innere Unruhe vieler Patienten während der Nacht steht in einem auffälligen komplementären Verhältnis zur ebenfalls von zahlreichen Zeitgenossen geschilderten äußeren »Stille des Lazaretts«155 bei Tag. Neben dem Bild des »weißen Bettes« lässt sich somit die »Stille« als ein weiterer Kern-Topos der soldatischen Ego-Dokumente festhalten. Dieser Befund mag zunächst überraschen: War nicht in vielen Zeitzeugnissen gerade die Rede davon gewesen, dass »die Schmerzensrufe, die so oft durchs Haus gellten«156 nicht zu überhören gewesen seien? Doch scheint es bei der vielzitierten Stille offensichtlich um etwas anderes gegangen zu sein: nicht so sehr um eine akustische Ruhe in den Krankenzimmern (obwohl auch das damit gemeint sein konnte), sondern vor allem um eine Stille im metaphorischen Sinn. Es ist bemerkenswert, wie oft die Patienten und andere Zeitgenossen auf den Begriff der »Stille« zurückgriffen, um das Lazarett zu beschreiben – das Wort ist in den Quellen allgegenwärtig. Dabei lassen sich vier Bedeutungsebenen analytisch unterscheiden: erstens fasste der Begriff die langersehnte Erholung und Sicherheit im Lazarett semantisch zusammen; zweitens rekurrierte er auf die Idee eines zeitlichen oder räumlichen Stillstands; drittens stellte die Stille ein Gegenkonzept zur lauten Front dar und betonte damit den Gegensatz zwischen dem angeblich ruhigen »Drinnen« der Heimat sowie dem donnernden »Draußen« der Kriegsfront; viertens schließlich stand der stille Modus des Lazaretts für eine bestimmte bescheiden-tapfere Geisteshaltung, die während des Krieges von der deutschen Zivilbevölkerung, insbesondere aber von den deutschen Frauen sowie von Lazarettpatienten verlangt wurde. Damit fasste der Begriff der »Stille« die Vorstellungen vieler Akteure von den Eigenschaften und der Rolle des Heimathospitals zu einem komplexen Bild zusammen. Die vier Verständnisweisen werden im Folgenden genauer betrachtet. 3.3.1 Stille als Sicherheit In der ersten Bedeutungsdimension steht die sichere Ruhe des Krankenhauses im Vordergrund. Der Soldat Hans Wildermuth schilderte in seinen Erinnerungen, dass er schon bald nach seiner Verlegung ins Stuttgarter Genesungsheim 155 Vgl. hier nur exemplarisch Röhr, S. 197. 156 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 5.

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»Ottilienhaus« im Jahr 1915 zur beruhigenden Gewissheit gelangt sei, eine Form von Alltag wiedergefunden zu haben: »Still und friedlich ging das Leben im Hause seinen Gang«,157 notierte er. Es sei herrlich gewesen, dort ein eigenes Zimmer für sich zu haben, »herrlich, das Frühstück lecker, auf einem Brett serviert von einer sauberen Wärterin ans Bett gestellt zu bekommen; die ganze Zeit war ein wunderbares Erholen und Ausruhen.«158 Der angenehm »stille« Verlauf des Lazarettlebens, ohne Aufregungen oder wilde Erlebnisse, steht bei ihm für die zeitweise Rückkehr zu fast friedensmäßigen Verhältnissen. Auch der Patient Hans Kondruß resümierte, gerade die »wundervolle Ruhe und Stille«159 des Krankenhauses habe »uns allen sehr, sehr gut«160 getan. Für manche Soldaten scheint die (akustische) Ruhe auch deshalb erwähnenswert gewesen zu sein, weil sich darin für sie das sichere Geborgensein in der Heimat besonders deutlich ausdrückte. Diesen Zusammenhang stellte etwa der Verwundete Drewes her, um den Moment zu beschreiben, in dem er sein Krankenzimmer im Godesberger Lazarett bezog: »Da war kein Geschützfeuer. Da brauchten wir uns nicht zur Nachtwache im Schützengraben zu rüsten, da brauchten wir nicht ans Essenholen zu denken! Es war so still, und es war so friedlich! Wenn wir hinaus horchten, hörten wir im Sanatoriumsgarten die Amsel singen, die Soldaten schwatzten mit den Zimmermädchen und zankten sich beim Skatspiel und sangen schwermütige Soldatenlieder: ›Und sie stürzt sich voll Verzweiflung in die Flu – u – uut.‹«161

3.3.2 Stillstand und Entschleunigung Die zweite Bedeutungsebene der Stille berührt eine temporale Dimension. Vor der Gegenfolie der Fronterfahrung stellte das Lazarett für viele Soldaten einen Ort der Entschleunigung dar. Die Zeit und das Leben schienen hier buchstäblich stillzustehen.162 Adolf Dünnebacke beschreibt diesen Eindruck anschaulich in seinem Kriegstagebuch: »Die Mittagsschwüle hat alles Leben eingeschläfert. Tiefe träumende Stille herrscht. Das Rollen eines Eisenbahnzugs erwacht in der Ferne, schwillt allmählich an und wird zum Brausen, wird schwächer, leiser, und erstirbt in dem großen Schweigen, 157 Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 14, in: BA-MA N 278/3. 158 Ebd., S. 12. 159 Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 229, in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M.; ähnlich ebd., S. 231. 160 Ebd., S. 229. 161 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 4, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 162 Vgl. etwa zu diesem Aspekt der »stillen Wochen und Monate« im Lazarett Tews, S. 178.

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das wieder die Erde deckt wie ein uferloses Meer. Dies sind Tage des Vergessens und Erinnerns. Vergessen ist die trübe Gegenwart mit ihrem lauten Kriegsgeschrei, ihrem Elend und ihrer Not und ferne Kindertage leuchten auf wie Lichtlein dem Wanderer in der Nacht der Vergangenheit.«163

Für Dünnebacke stellte die von ihm geschilderte »träumende Stille« des Lazaretts mit ihrer Ereignislosigkeit ein herausragendes Element des Krankenhausalltags dar – es seien, so schreibt er, »Tage voll heimlichen Klingens und Singens«164 gewesen, die ihn an Weihnachts- und Märchenabende erinnert hätten. So betrachtet erscheint der Lazarettaufenthalt als eine Zeit der inneren Einkehr. Der Soldat wurde darin selbst »ganz still« und widmete sich der Introspektion.165 Umso mehr entpuppte sich die Hospitalisierung nun als Übergangssituation. Erst nach der Entlassung schien das eigentliche Leben für die Soldaten weiterzugehen, während die Lazarettzeit eine Pause166 darstellte. Dieser Eindruck einer Pausenzeit wird besonders in einem Brief des Patienten Lorenz Brockötter an seine Verwandten in Greven deutlich. Während seines Fronteinsatzes hatte den jungen Familienvater die Nachricht erreicht, dass seine Ehefrau Clara nach längerer Krankheit verstorben war. Inzwischen, so schrieb er, überlege er zwar, ob er sich nach Greven verlegen lassen solle: »Ich glaube wohl, dass es bei der Überbelegung des hiesigen Lazaretts mir nur eines Wortes bedürfe, um nach einem Lazarett in der Heimat verschickt zu werden.« Doch er habe große Bedenken dabei: »Wenn ich in Münster oder Greven liege, es besuchen mich Verwandte, Bekannte, meine Kinder, dann werde ich den Verlust meiner lieben Clara erst recht spüren. Hier werde ich wenigstens nicht so viel daran erinnert.«167 Der Lazarettaufenthalt wirkte in seinem Fall wie eine Pufferzone. Er zögerte die Konfrontation mit seinem zivilen Leben und dem Verlust der Ehefrau etwas hinaus. Diese aufschiebende Facette der Stille nahmen die Patienten aber unterschiedlich wahr. Manche beschrieben die Entschleunigungserfahrung tatsächlich als beruhigend, für andere wohnte ihr etwas Unangenehmes inne. Denn sie führte direkt zur gefürchteten Langeweile und damit zu Ängsten, Orientierungslosigkeit und einem Gefühl der Stagnation.168 Auch das nächtliche Grübeln gehört in diesen Zusammenhang. So beschrieben die Insassen den Eindruck des Stillstands entweder als Chance, um innerlich zur Ruhe zu kommen und das eigene Leben zu ordnen, oder aber als ein jähes, bedrohliches Zurückgeworfensein auf sich selbst. 163 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 20.06.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17. 164 Ebd. 165 Vgl. dazu etwa Griebel, S. 65. 166 So etwa Gregor Wörsching, Kriegstagebuch, Eintrag vom 20.03.1916, in: Wörsching, S. 140. 167 Lorenz Brockötter an die Familie, 17.10.1915, in: Brockötter, S. 182. 168 Vgl. etwa Röhr, S. 197; Goltz, S. 11.

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3.3.3 Stille Heimat, donnernde Front Die »Stille« des Lazaretts mag für die Patienten auch deshalb erwähnenswert gewesen sein, weil sie vor der Gegenfolie der gewaltsamen Ereignisse in den Kriegsgebieten besonders auffällig zur Geltung kam. Tatsächlich stand die Stille im zeitgenössischen Diskurs in einer besonderen semantischen Verbindung mit der Heimatfront – mit dem geschützten und weiblich konnotierten »­Drinnen«. Diesem stand das unruhige und schreckliche, doch zugleich aufregendere »Draußen« der Kriegsfront gegenüber, das als Bereich der Männer galt.169 So rekurrierte etwa der Patient Franz-Xaver Buchner in seinem Tagebuch auf den Erfahrungsgegensatz zwischen Heimat / drinnen und Front / draußen, um das Weihnachtsfest in seinem Münchener Lazarett zu beschreiben: »Und so ging nun auch das 2. Kriegsweihnachten dahin, für uns daheim wohl still, im Schützengraben aber müßte gar mancher auch in dieser heiligen Stunde sein Leben lassen.«170 Die verbreitete Darstellung eines stillen Drinnen, das von einem tosenden Draußen des Krieges umgeben sei, lässt an das Bild eines Wirbelsturms denken, der in seiner wilden Zerstörungskraft alles mit sich reißt, in seinem Auge aber ganz ruhig ist. Mit einer solchen Bildsprache beschrieben manche Akteure das Heimatlazarett. Es erschien ihnen deswegen so bemerkenswert still, friedlich und sicher, weil außerhalb seiner Mauern, vor allem aber außerhalb des Deutschen Kaiserreichs, der Krieg deutlich zu spüren war, während er im geschützten Inneren lange Zeit wenig von sich zeigte.171 In den Beschreibungen des Patienten Walter Rolvien kommt diese spezielle Qualität des Lazaretts gut zum Ausdruck. Er stellte sich darin rhetorisch die Frage, ob er das Recht habe, im Militärkrankenhaus zu liegen, derweil seine Kameraden an der Front weiter ihr Leben riskierten: »Mit Unruhe denke ich an die Brüder meiner Kompagnie. Sie schreiben mir. Feuertätigkeit gering. Aber der Graben sackt ein. Und sie waten bis an die Knie im zähen Schlamm des fruchtbaren Artois.« Doch obwohl ihm das Bild der gepeinigten Kameraden so präsent war, konnte sich offenbar auch der sich ansonsten pflichtbewusst gebende Rolvien dem heimlichen Lustgefühl nicht entziehen, im Heimathospital sicher geborgen zu sein, während draußen die Gefahr tobte: »Aber so egoistisch bin ich doch. Wenn sich der Sturm über die Hochebene gegen die grossen Fenster des Lazarettsaales stemmt, wenn die Regengüsse gegen das Glas 169 Dieser Gegensatz der Erfahrungen ist auch in der Forschung bereits häufig thematisiert worden, vgl. etwa Krumeich, Kriegsfront – Heimatfront; Daniel, Frauen, insbes. S. 116 f.; zur geschlechtlichen Codierung von Front und Heimat ausführlich Reimann, Der Große Krieg. 170 Buchner, S. 56. Über das »stille Weihnachten« in der Heimat auch Clara Leidholdt, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, Einträge vom 25.12.1916 und 13.01.1918, in: Privatbesitz Georg Jacobi, Dresden. 171 Vgl. dazu etwa Schleich, S. 19; o.A., Aus meinem Freiburger Kriegstagebuch, 01.09.1914, in: St. Lioba Blatt, 06.09.1914, zit. nach Geinitz, S. 290.

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klatschen und in Strömen niederfliessen, dann kuschle ich mich tief unter die Decke. Auskosten, geniessen, wer weiss, wie lange noch.«172

Auch im Kriegstagebuch der Lazarett-Betreiberin Charlotte Herder findet sich das Sturm-Motiv. Am 15. April 1917 erlebte die Verlegergattin tagsüber den Beschuss Freiburgs durch feindliche Flieger. Als einziger sicherer Ort erschien ihr in dieser Lage das Herder-Lazarett. Wenigstens dieses völkerrechtlich geschützte Gebäude, so kalkulierte sie, würden die Flieger doch verschonen. Sie entschloss sich, an jenem Abend nicht bei sich zu Hause zu übernachten, sondern zusammen mit ihrer Tochter Elisabeth das »Refugium im Roten Hause«173 aufzusuchen: »Spät abends eilte ich mit einem Körbchen, worin sich unser Abendessen befand, der neuen Heimat zu. Eigentlich war es unnötige Vorsicht, denn ein brausender Föhn hatte sich erhoben, der in den kahlen Bäumen ächzte und binnen kurzem ganze Scharen von Wolken herauftreiben mußte, aber ich blieb doch dabei. […] Wir aßen unten im Schwestern-Empfangszimmer zu Nacht und gingen dann noch ins Lazarett hinauf, das mit seinen bunt verschleierten Lampen jetzt immer in ein geheimnisvolles Dämmerlicht getaucht ist und den Eindruck macht, als würde dort beständig Venezia­ nische Nacht gefeiert. Trotzdem es schon neun Uhr war, wurde noch lustig Klavier und Mandoline gespielt, und niemand dachte ans Schlafengehen. Zum ersten Male bezog ich also das Refugium. […] Wir drehten alles Licht an, zogen die leinenen Vorhänge zu, legten uns zu Bett und nahmen ein Buch zur Hand. Wir waren zu aufgeregt zum Schlafen, und das Gefühl, den schrecklichen, gefahrvollen Tag heil überstanden zu haben und für diese Nacht in Sicherheit zu sein, war zu berauschend. Übrigens blieb draußen alles ruhig, nur der Föhn heulte ums Haus und schlug den Regen klatschend gegen die Fenster.«174

In Beschreibungen wie diesen, die das lustvolle Gefühl der Sicherheit in den »stillen Sälen der Lazarette«175 schildern,176 geht es letztlich erneut um den Gegensatz zwischen heimatlichem Drinnen und kriegerischem Draußen: An der Front, so erinnerte sich der Patient Hans Wildermuth, »lag man, durstig und müde in Rübenäckern und Ackerrainen und lauschte ängstlich gespannt auf die furchtbare Musik des Todes, der irgendwoher, aus dem Unsichtbaren 172 Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 87, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 173 Herder, Eintrag vom 15.04.1917, S. 148. 174 Ebd.; vgl. mit der gleichen Sturm-Metaphorik den Artikel »Ein französisches Schloss als Erholungsheim«, in: Heft »Mitteilungen aus dem besetzten Gebiet des Westens«, hg. von der Feldpressestelle beim Generalstab des Feldheeres, H.-Qu. Mézières-Charleville Nr. 23, 01.12.1917, in: BayHStA MKr/2337; außerdem Erich Maria Remarques Essay »Der junge Lehrer. Plauderei eines Kriegslehrers« von 1919, damals noch unter seinem bürgerlichen Namen Erich Remark publiziert. Hier heißt es über das Lazarett: »Der Winternachtssturm sauste um das Haus der Schmerzen und riß an Läden und Fenstern.«, Remark, S. 16. 175 Kimmle, Krankenpflege, S. 40. 176 Vgl. dazu etwa auch Kähler, Einträge vom 24.10.1917 und 26.10.1917, Transkript S. 23, der dies bereits im Kriegslazarett in Gent so empfindet: »Es ist doch angenehm hier im schönen Bett zu liegen. […] Seit vorgestern ist wieder Trommelfeuer zu hören. Es sollen wieder einige Großkampftage gewesen sein.«

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heraus mit unserem bis’chen Leben spielte.«177 Im Lazarett hingegen war die Gefahr plötzlich gebannt. Es stand damit als Ort symbolisch für die menschliche Grenzerfahrung, in letzter Sekunde dem Tod entronnen zu sein – verwundet, aber doch lebendig. Die meteorologische Metaphorik des Sturms erschien den Zeitgenossen offenbar besonders passend, um die Erfahrungsdifferenz zwischen Front und Heimat(-lazarett) zum Ausdruck zu bringen, zumal das Bild harter Wetterlagen ein schicksalhaftes Element enthielt, dem der Einzelne ausgeliefert war. Ernst Jüngers Erfolgsbuch »In Stahlgewittern«178 konnte mit seinem Titel an diese Erfahrungsdimension unmittelbar anknüpfen. 3.3.4 Stilles Heldentum Front und Lazarett wurden von den Zeitgenossen nicht immer als Gegensätze gedacht. Gerade hinsichtlich der »Stille« zogen manche auch unerwartete Verbindungen zwischen Feld- und Krankenhauserfahrung. So thematisierte etwa das Soldatenlied »Als ich in Frankreich Posten stand« die Stille als Phänomen gleich zweimal – zunächst in der zweiten, dann erneut in der dritten Strophe: Als ich in Frankreich Posten stand / Meine Augen oft zur Heimat wand Und dacht’ ans teure Vaterhaus / Wie mag es dort wohl sehen aus. So stand ich manche liebe Nacht / In Frankreich auf der stillen Wacht Da fiel ein Schuss, ich sank dahin / Und schwer und dunkel ward mein Sinn. Man trug ins Lazarett mich fort / Und pflegte mein am stillen Ort Und meine Wunden mir verband / Mit treuer Hand im Heimatland.179

Im Lied erscheint sowohl das Lazarett als »stiller Ort« als auch der einsame Wachposten in Frankreich. Das Militärkrankenhaus und die Nachtwache werden dadurch als strukturell ähnliche Orte oder Lebenssituationen präsentiert, zumal es sich in beiden Fällen um ein langes Warten oder Wachen des einzelnen Soldaten handelte. Passend zu dieser Parallelisierung im Lied, stößt man außerdem in anderen Quellen auf den Ausdruck »stille Helden«180, der sowohl Lazarettpatienten als auch (seltener) Schützengrabenkämpfer der Westfront oder Frauen bezeichnen konnte.181 Das von der genannten Personengruppe er177 Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 14 f., in: BA-MA N 278/3. 178 Jünger, In Stahlgewittern. 179 Das Lied endet in der nächsten Strophe euphorisch: »Gottlob, geheilt ist meine Wund / Und laut erschallt die Friedenskund / Der deutsche Krieger heimwärts zieht / Wo er die Seinen wiedersieht.«, o.A., Als ich in Frankreich Posten stand, o. D., https://www.volksliederarchiv. de/als-ich-in-frankreich-posten-stand/ (zuletzt konsultiert am 29.06.2020). Kursive Hervorhebungen d. Vf. 180 Vgl. insbes. Schäfer, Stilles Heldentum; Dorsch, Stilles Heldentum. 181 Über Frauen im Krieg und an der Heimatfront liegen bereits eine Reihe von Studien vor, vgl. für Deutschland Daniel, Arbeiterfrauen; Kundrus; Schulte, Die verkehrte Welt; Davis; international vergleichend Grayzel.

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wartete klaglose Erdulden und Ausharren in einer ungewissen Warteposition sicherte ihnen eine besondere Form heroischer Legitimation. Silke Fehlemann hat gezeigt, dass von Kriegerwitwen und anderen weiblichen Angehörigen, die Söhne, Brüder oder sonstige Verwandte an der Front verloren hatten, eine »stille Trauer«182 erwartet wurde. Sie sollten nicht laut klagen und damit die Stimmung im Land verschlechtern, sondern sich im tapferen ­Erdulden des Verlusts üben. Nur eine verinnerlichte Trauer galt als angemessen. Von den Vätern der getöteten Soldaten verlangte die Gesellschaft ein solches Verhalten nicht – es wurde mit ihnen gar nicht erst in Verbindung gebracht. Die Trauerarbeit galt als weibliche, vor allem mütterliche Aufgabe.183 Waren Frauen im Lazarett pflegerisch tätig, sollten sie sich auch dort in »stiller Sorge«184 den Verwundeten widmen. Keinesfalls durften sie angesichts der lebensgefährlichen Verletzungen die Fassung verlieren oder übertriebenes Mitleid zeigen. Insgesamt verlangte die Kriegspropaganda von den deutschen Frauen und anderen »Daheimgebliebenen«185 ein »stilles Heldentum«186 der Opferbereitschaft und Entsagung. Erreichte nun ein Soldat krank oder verletzt ein Militärkrankenhaus des Reichsgebiets, galt diese gesellschaftliche Forderung plötzlich auch für ihn. Auch er hatte jetzt die besondere moralische Pflicht der Heimatfront zu erfüllen. So wurde das »stille Heldentum« der Lazarettpatienten bald zu einem geflügelten Wort.187 Der Militärpfarrer Daniel Schäfer betitelte ein ganzes Buch über die Welt der Bonner Hospitäler, in denen er arbeitete, mit diesem Ausdruck.188 Die Schrift erwies sich als großer Erfolg und erschien in drei Auflagen, zunächst 1917, dann 1918 und schließlich erneut 1928, zunächst jedoch mit dem neutraleren Titel »Lazarett-Bilder«.189 Indem der Militärgeistliche in seinem Buch an das »stille Heldentum im Krankenzimmer der Lazarette, an das große stille Dulden 182 Vgl. zu dieser Forderung an Soldatenehefrauen und -mütter Fehlemann, »Stille Trauer«. Im Nationalsozialismus firmierte diese weibliche Verhaltensanforderung unter dem Begriff der »stolzen Trauer«, vgl. Behrenbeck, S. 507–519, insbes. S. 516; differenzierend hierzu auch Schilling, S. 270. 183 Vgl. dazu ausführlich Fehlemann, »Stille Trauer«; dies., Die »Daheimgebliebenen«. 184 Diese Formulierung findet sich etwa in der Abschiedsansprache des Chefarztes im Reservelazarett Ingolstadt II, 26.06.1918, in: BSMüA 5.6/5, Nr. 3. 185 Kellen. 186 Vgl. dazu etwa Döring; Gellert. 187 Vgl. o. A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tagblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 188 Schäfer, Stilles Heldentum. Weitere Beispiele mit ähnlichem Ansatz, Inhalt und Titel wie Schäfers Buch sind Dorsch, Stilles Heldentum; ders., Lazarettbilder, insbes. das Kapitel »Stille Dulder«; Wurster. 189 In der ersten Auflage hieß das Buch noch »Bilder aus der Lazarett-Seelsorge«, in der zweiten nur noch »Lazarett-Bilder«, vgl. Schäfer, Lazarett-Bilder, S. 4. Erst in der NachkriegsAuflage wurde der Titel »Stilles Heldentum« verwandt. Diese Titelanpassungen könnten einen Hinweis darauf liefern, dass in der Nachkriegszeit weiterhin oder erneut der Bedarf bestand, die eigene Lazaretttätigkeit in einen Diskurs der Heroisierung einzuordnen und der Kriegstätigkeit der »Frontkämpfer« anzunähern.

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der Krieger, an die ertragende Qual und Pein auf verborgenem Kampfplatze des Leides« erinnerte, versuchte er nach eigenen Angaben, auch das Gedenken an »Kriegsverstümmelte, Kriegsinvalide, Blinde, Amputierte, Männer ohne Beine, ohne Arme, Lungenkranke«190 aufrechtzuerhalten und sie als alternative Heldenfiguren zu etablieren.191 Denn ebenso wie das Heimatlazarett einen Raum der Transition darstellte, waren auch die darin hospitalisierten Männer liminale Figuren, deren weitere Zukunft und Nützlichkeit für die nationale Kriegsanstrengung in der Schwebe lag. Ganz besonders galt dies für Invalide. Da sie weder als »gefallene Kriegshelden« ehrfurchtsvoll idolisiert werden, noch sich als »stählerne Kriegshelden« weiter aktiv am Kampfgeschehen beteiligen konnten, war ihre gesellschaftliche Rolle uneindeutig geworden. Auch ihre Männlichkeit schien zur Disposition zu stehen.192 In diesem Kontext kann das Konzept des »stillen Heldentums im Lazarett« als ein Sinnstiftungsangebot verstanden werden: Auch wenn die Patienten nicht mehr an der Front aktiv waren, konnten sie dennoch (erneut oder erstmals) im Krankenhaus ihre heroische Vaterlandspflicht unter Beweis stellen, indem sie sich hier vorbildhaft als »Held[en] im Dulden und Stillesein«193 bewährten. Erbauungsschriften wie jene von Schäfer stellten dabei Versuche einer Re-Heroisierung und Re-Maskulinisierung von Lazarettpatienten dar. Zugleich verbarg sich in solchen Deutungsangeboten auch eine gesellschaftliche Forderung an jeden Verwundeten: Klage nicht, sei nicht weich und wehmütig! Steh deinen Mann, auch ohne Arme und Beine – ertrage tapfer und still dein Leid! Dies knüpfte an den medizinisch-gesellschaftlichen Willensdiskurs an, der in einem starken, ungebrochenen Willen die Lösung für fast alle Probleme der Invalidität sah. In manchen Fällen mochte dieser strenge Anspruch auf die Patienten tatsächlich aktivierend gewirkt haben, wie eine Art Durchhalteparole zur Selbstdisziplinierung. Ihre täglichen Bemühungen, den Erwartungen gerecht zu werden und ein solcher »stiller Held« zu sein, gab den Soldaten während der Tage im Bett ein konkretes Ziel vor. Möglicherweise half dies einigen Männern tatsächlich dabei, ihre Schmerzen besser auszuhalten und die Zuversicht nicht zu verlieren. Es eröffnete auch einen individuellen Handlungsspielraum. So hebt etwa die Historikerin Ana Carden-Coyne in ihrer Untersuchung britischer Lazarette das Bestreben der Patienten hervor, ihre Leiden nicht offen zu artikulieren, sondern höchstens schriftlich in Tagebüchern zum Ausdruck zu bringen. Der Einzelne habe sein Schweigen über den Schmerz als Schutzschild nutzen können, »to heal himself and recompose his masculine subjectivity through silence«.194 190 Schäfer, Lazarett-Bilder, S. 6. 191 Zu Heldenvorstellungen im Ersten Weltkrieg Schilling, S. 252–286; Kienitz, Beschädigte, S. 79–109. 192 Vgl. dazu ausführlich Kienitz, Beschädigte, S. 238–285; Löffelbein, Krüppelnot; zum Versuch einer Re-Maskulinisierung gesichtsverletzter Soldaten Ruff, Düsseldorfer; zu französischen Gesichtsverletzten Delaporte, Les gueules cassées; außerdem Monestier; Marjorie. 193 Wurster, Kapitel »Ich muß!«. 194 Carden-Coyne, Men, S. 63 f.

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Zurück zu Daniel Schäfer und seiner Erbauungsschrift: In den Beschreibungen des Militärseelsorgers findet sich ein weiteres auffälliges Detail. Er würdigte nicht nur die Lazarettpatienten als »stille Helden«, sondern führte zugleich das Lazarett als eine zweite, »stille« Front ein, die der Kriegsfront an Aufopferung, Leid und Tapferkeit in nichts nachstehe. Im Gegenteil: Hier befinde sich in Wahrheit ein weiterer, »verborgener Kampfplatz«.195 Schäfer spricht die Leser im Eingangskapitel direkt an, indem er sie auf eine literarische Tour durch die Heimatlazarette, diese »Welt von Leid und Weh«196 einlädt: »Ich weiß nicht, ob du die Häuser ›nur von außen‹ kennst, von denen ein rotes Kreuz im weißen Felde dich so oft grüßte… In diesem Büchlein möchte ich dich an die Hand nehmen und durch die Stätten und Säle führen, wo unsere Brüder im Verborgenen für dich und mich im Schmerzenstiegel leiden und gelitten haben. […] Wie gerne hätte ich oft die ›Strategen vom Biertische‹, die ›Modepuppen‹ und ›Kinoläufer‹, die ›Theateragitatoren‹ und ›Kriegsmießmacher‹ und was sonst noch zu diesem Volke gehört, in unsere Lazarette hineingeschoben, um ihnen an den Leiden unserer Helden, an Folgen und Wunden des Krieges den Ernst der Zeit zu predigen und ihr würdeloses Benehmen zu strafen! […] Und was da drinnen in den ›Häusern mit der roten Flagge‹, auf diesem ›verborgenen Kampflatze‹, geleistet wird an Riesenarbeit, an Dienst der Liebe und an aufopfernder Hingabe zum Wohle jedes einzelnen unserer Kameraden, das kann nur der wissen, der hineingeschaut und mitgedient hat.«197

Mit diesen eindringlichen Worten wertete Schäfer auch seine eigene Tätigkeit sowie die der Ärzte und aller sonstigen Lazarett-Mitarbeiter moralisch auf. An diesem Ort werde nicht weniger gekämpft als draußen im Feld. Vielmehr herrsche im Lazarett den ganzen Tag »ein reger Verkehr, wie im Hauptquartier der Schlachtleitung.«198 Die »Stille«, so könnte man die Aussagen Schäfers zu Ende führen, war der Kampfmodus des Heimathospitals. Sie stellte die wichtigste Strategie an der Lazarett-Front dar, sowohl für die Soldaten selbst als auch für die Ärzte und das Pflegepersonal.199 Im Lazarett hatte sich jeder Beteiligte »still« zu verhalten – während es im Feld darum ging, Feinde zu töten und die Nerven nicht zu verlieren. Die proklamierte Stille des Heimatlazaretts erweist sich somit nicht in erster Linie als Tatsachenbeschreibung, sondern als eine Stilisierung oder Wunschvorstellung, ähnlich wie die zeitgenössische Idee des »Burgfriedens«,200 also des

195 Schäfer, Lazarett-Bilder, S. 6. 196 Ebd., S. 8. 197 Ebd., S. 7 f. 198 Ebd., S. 9. 199 Der Berliner Universitätsprofessor Wilhelm His sprach in diesem Kontext von der »Front der Ärzte«, His, Die Front; zur »stillen Sorge« der Ärzte: Abschiedsansprache des Chefarztes im Reservelazarett Ingolstadt II, 26.06.1918, in: BSMüA 5.6/5, Nr. 3; zum »stillen Kampfe« des Pflegepersonals Kimmle, Krankenpflege, S. 41. 200 Vgl. zusammenfassend Krumeich, Burgfrieden.

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gesellschaftlichen Zusammenhalts über Schichten und Parteizugehörigkeiten hinweg im Angesicht der Kriegssituation. Dabei zementierte das Bild der »Stille« einerseits den Unterschied zwischen »drinnen« und »draußen«, behauptete also eine fundamentale Verschiedenheit zwischen Front- und Heimaterfahrung. Andererseits konnte über den Umweg der Stille auch ein Mitkämpfertum von Deutschland aus reklamiert werden. In dieser Lesart betonte die Stille eher die Kontinuität zwischen Lazaretterfahrung und Kriegseinsatz.201 Auffällig ist, dass der Begriff nicht nur auf der Ebene der Propaganda artikuliert wurde, sondern sich auch vielfach in den Selbstzeugnissen von Lazarettpatienten wiederfindet. Die Stille scheint somit als Idee bedeutungsoffen genug gewesen zu sein, um auf vielen Ebenen kommunikativ anschlussfähig zu wirken. Unterschiedliche Akteure konnten sich das Konzept des »Stillen Heldentums« aneignen und damit ihren Opfersinn und Durchhaltewillen geltend machen. So diente das Bild des »stillen Lazaretts« verschiedenen Legitimationsbedürfnissen der Kriegsgesellschaft.

3.4 Mikrokosmos: Alltag und Gemeinschaft im Heimatlazarett Ging es bisher vor allem um den einzelnen Patienten und seine individuelle Lazaretterfahrung aus dem Bett heraus, soll nun der Blick auf die Ebene der Krankenhausgemeinschaft und den Alltag im Lazarett gerichtet werden.202 ­Jedes Heimathospital stellte für sich gesehen einen sozialen Mikrokosmos dar. Obgleich der soziale Raum203 des Lazaretts nicht hermetisch abgeschlossen war, war er doch nach außen abgegrenzt und von bestimmten Regeln, Ritualen und Alltagsstrukturen durchzogen. Zahlreiche Akteure unterschiedlichster soziokultureller Herkunft lebten oder arbeiteten hier.204 Wie nahmen die Patienten diese besondere Welt und die täglichen Abläufe darin wahr? Welche Aspekte des Lazarettalltags werden in den Ego-Dokumenten und anderen Quellen besonders häufig oder ausführlich thematisiert? Die Soldaten tendierten in ihren Tagebüchern und Erinnerungen dazu, hauptsächlich außergewöhnliche Ereignisse festzuhalten und Routinehandlungen höchstens dann zu erwähnen, wenn sie diese erstmals erlebten  – oder auch,

201 Ernst von Wrisberg, der Chef des Allgemeinen Kriegsdepartements im Preuß. Kriegsministerium beschrieb in seinen Memoiren sogar die Tätigkeit der Militärverwaltung als eine Arbeit »in der Stille«, Wrisberg, Heer, S. 7. 202 Zum Kriegsalltag als Forschungsfeld vgl. Knoch, P., Kriegsalltag, insbes. S. 222 f.; aktueller Proctor. 203 Zu theoretischen Konzepten des »Sozialen Raums« vgl. den Überblick bei Dünne. 204 Vgl. etwa zur Personalstruktur des Bremer Reservelazaretts St. Jürgen-Asyl Hermes, Krankheit, S. 106–113.

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wenn eine Störung des gewohnten Ablaufs auftrat.205 Dennoch lassen sich daraus »typische« Alltagserfahrungen der Patienten im deutschen Heimatlazarett rekonstruieren. Manche Tagesabläufe waren standardisiert und betrafen fast alle stationären Patienten, so dass sie sich thematisch in zahlreichen Ego-Doku­ menten wiederfinden. Dazu gehören das Fieber- und Pulsmessen, Gottesdienste oder bestimmte festliche Anlässe. Zudem ähnelten sich die heimatlichen Militärkrankenhäuser in einigen strukturellen Merkmalen: Viele, meist sehr junge, verletzte und kranke Männer lagen hier auf engem Raum für längere Zeit beisammen. Ebenfalls oft junge Frauen und Pfleger betreuten sie. Es gab für die Soldaten kaum feste Pflichten, aber eine durchgetaktete, gleichförmige Tagesstruktur. Zusätzlich legten die Bestimmungen der Militärbehörden sowie die davon abgeleiteten Hausordnungen einige Untersuchungsmethoden und Regeln für alle Lazarette ihres Zuständigkeitsbereichs verbindlich fest, so dass sich auch dadurch ähnliche Lebensbedingungen ergaben.206 Im Kontext der Alltagsschilderungen werden in nahezu allen Selbstzeugnissen Prozesse der Vergemeinschaftung beschrieben. Vielerorts entstand offenbar ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine Art »Korpsgeist des Lazaretts«,207 der sich auf die Stubengenossen, auf Gleichverwundete oder tatsächlich auf das Militärkrankenhaus als Gesamteinheit beziehen konnte. Von diesen beiden Aspekten – Lazarettalltag und Vergemeinschaftung – wird im Folgenden die Rede sein. Es wird gezeigt, dass die teilstandardisierten Abläufe für die Soldaten den Eindruck einer wiedergefundenen Alltäglichkeit208 im Krieg vermittelten, wodurch das Heimathospital als Aufenthaltsort an Beliebtheit gewann. Die Lazarettgemeinschaft ließ sich zudem von den Akteuren auf attraktive Weise mit den Idealen soldatischer Kameradschaft und Solidarität verknüpfen.

205 Vgl. etwa den Erinnerungsbericht Wilhelm Heiders, der eine Quarantäne-Sperre seines Ingolstädter Lazaretts beschreibt. Die vertraute Alltagsstruktur sei damit empfindlich gestört worden: »Man kannte keinen Unterschied mehr zwischen Werktag und Feiertag, denn es war kein Gottesdienst mehr im Tageraum.«, Heider, S. 85. 206 Die sogenannten »Verhaltungsbefehle für die Kranken in den Militärlazarethen« aus der Friedens-Sanitäts-Ordnung (F. S. O.) von 1891, Beilage 32 stellten die Grundlage aller Hausordnungen für Heimatlazarette dar, vgl. dazu das Schreiben des Reichsarbeitsministers an alle Sanitätsämter, 09.12.1919, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./633. Beispiele für konkrete Lazarett-Hausordnungen, allerdings vor allem von 1919, finden sich in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./633 sowie BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./674. 207 Der Begriff »Korpsgeist« findet sich in einer Lazarettszene bei Zweig, A., Erziehung, S. 406 f. 208 Laut Peter Knoch entwickelten viele Frontsoldaten zwar auch im Schützengraben ein Gefühl von Alltäglichkeit: Sie fanden einen »Alltag im Krieg« und richteten sich darin so gut sie konnten mental ein. Die ständige Präsenz des Todes führte aber dazu, dass dies ein »Alltag ohne Sicherheit und Ruhe, ohne emotionale Gelassenheit, ohne Geborgenheit und stabile Weltdeutung« war, Knoch, P., Kriegsalltag, S. 223.

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3.4.1 Medizinischer Alltag Das Leben im Militärkrankenhaus war von medizinischen Routinen geprägt, die dem eintönigen Tagesablauf Struktur verliehen und für die Insassen Erwartungssicherheit und damit eine vertrauensstiftende Ordnung herstellten.209 Erstens fanden täglich Untersuchungen und Therapien statt. Darüber wird auch in den Ego-Dokumenten vielfach berichtet. Ernst von Chrismar etwa schrieb aus einem Königsberger Lazarett an seine Frau: »Der Vormittag geht hier fast durch die Behandlung drauf; Turnen an Apparaten mit Pausen von je 10 Minuten, 20 Minuten Heissluftbad, gründliche Massage, Elektrisieren (was der Genüsse höchster nicht ist!). Dann mit Appetit Mittag und nach dem Mittagsschlaf Spaziergang.«210 Zweitens besuchten viele Soldaten Lazarettkurse zur geforderten »Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit«, arbeiteten in Werkstätten oder mussten an militärischen Turnübungen teilnehmen.211 Diese wichtigen Aspekte des Lazarettlebens fanden einen erstaunlich geringen Niederschlag in den Selbstzeugnissen. Kaum ein Verfasser beschrieb im Tagebuch oder rückblickend entsprechende Tätigkeiten, etwa den Besuch eines Buchhaltungs-­Kurses, die Arbeit in einer Korbflechterei oder das militärische Exerzieren.212 Ob dies daran lag, dass die betreffenden Insassen tatsächlich nicht in dieser Form arbeiteten oder turnten, obwohl dies von der Militärverwaltung so eindringlich gefordert wurde, oder ob sie es umgekehrt so regelmäßig taten, dass es nicht mehr mitteilenswert war, lässt sich nicht abschließend klären. Der Patient Hans Kähler äußerte sich zwar als einer der wenigen dazu, lehnte die ärztlich empfohlene Dauerbeschäftigung jedoch ab. Er habe inzwischen zu gar nichts mehr Lust, notierte er im Februar 1918 in seinem Tagebuch: »Mag nicht schreiben, lernen, lesen oder mich sonst vervollkommnen. Manchmal setze ich mich über das Englischbuch, dann wieder ärgere ich mich, daß die Pensionärinnen das Examen alle bestanden haben und ich immer dümmer werde. Das ist, glaube ich, was mich wurmt, die vollständige Verlotterung und das Stumpfsinnig­ 209 Vgl. zu diesen wiederkehrenden medizinischen Abläufen etwa das von mehreren Lazarettpatienten verfasste Gedicht über ihre Krankenschwester: o.A., »Unsere Wilhelmine«, in: Der Kamerad 9 (1918), in: BA-MA PHD 20/6; auch Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 11 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b. 210 Ernst von Chrismar, Meine Erlebnisse im Weltkriege, Teil 2, nach Kriegsbriefen und Erinnerung für meine Frau, Kinder und Enkel zusammengestellt, o. D., S. 167, in: BA-MA MSG 2/10812. 211 Zu den regelmäßig abgehaltenen Turnübungen vgl. etwa Vereinslazarett Gesellschaftshaus Schweinfurt an das Sanitätsamt II. AK., 14.12.1915; Vereinslazarett Schloss Maienberg an den Stv. Korpsarzt II. AK., 22.12.1915, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53. 212 Eine Ausnahme stellt der Musketier Josef Kaiser dar, der von seiner Tätigkeit als Schneider in der Lazarett-Handwerksstube berichtet, Josef Kaiser, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), Transkript S. 9, in: Eigenbesitz d. Vf.; ebenso ­Peter Schlebusch, der den Besuch kaufmännischer Kurse erwähnt, vgl. Schlebusch; Victor Klemperer nennt einen täglichen Morgenmarsch, Klemperer, S. 456.

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werden bei dem endlosen Soldatenspielen. Möchte immer ganz gern tüchtig für meinen Beruf lernen, aber ich kann mich nicht lange ernstlich so beschäftigen.«213

Der zentrale Orientierungspunkt innerhalb des medizinischen Alltags war für viele Patienten die »große Visite«214 am Vormittag. Um sie geht es in den soldatischen Tagebüchern und Erinnerungen immer wieder. Der Chefarzt kam, meist in Begleitung weiterer Ärzte, und besuchte alle Insassen.215 Neuankömmlinge trafen ihn bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal und konnten nun endlich erfahren, wie es um ihre Genesungschancen stand. Gemäß dem Wunsch der Heeresverwaltung sollte sich bei diesen Begegnungen ein tiefes Vertrauen zwischen Lazarettarzt und Soldat entwickeln. Das Sanitätsamt I. bayerischen Armeekorps etwa gab vor, dass sich die Mediziner während der Visite respektvoll des Patienten annehmen sowie durch »überzeugendes und beruhigendes Zureden«216 etwaige Ängste zerstreuen sollten. Es sei »nicht angebracht, im Verkehr mit den Kranken das Vorgesetztenverhältnis mehr als dies zu einem geordneten Dienstbetrieb nötig ist, zu betonen.« Vielmehr solle der Kontakt »auf dem Vertrauen zum Können und fürsorglichen Wohlwollen des Arztes gegründet sein.« Unbedingt müssten die Sanitätsoffiziere vermeiden, durch ein unfreundliches, kaltherziges Auftreten das »Ansehen der Heeressanitätsverwaltung zu schädigen.«217 Doch dieses allgemeine Konzept ging in der Realität des Krankenhausalltags nicht immer auf. Manche Patienten gewannen nicht den Eindruck, sich vorbehaltlos auf das angeblich umfassende »Wissen und die Fürsorge«218 des Arztes verlassen zu können, zumal sie immer wieder erlebten, wie die Mediziner an die Grenzen ihres Könnens stießen.219 Franz-Xaver Buchner etwa, dessen Beinwunde nicht aufhörte zu eitern, bemerkte, dass auch die zuständigen Ärzte ratlos gewesen seien, »wie man das viele Eiter wegbringen könnte, so ordnete der Chefarzt heute bei der Visite an, daß ich tagsüber ins Wasser gelegt werden soll. Da schwimmt es schon fort wird sich mancher dabei gedacht haben.«220 Doch einige Wochen später sei der Chefarzt ins Feld abkommandiert worden und ein 213 Kähler, Eintrag vom 20.02.1918, Transkript S. 28. 214 Vgl. etwa Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 2, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 215 Offizielle militärmedizinische Vorgaben zu diesem »Hauptkrankenbesuch« in Garnisonlazaretten finden sich bei Waßmund, S. 521 f. 216 Zitate im Folgenden aus: Stv. Korpsarzt I. AK. an die Chefärzte u. a., 30.03.1918, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 217 Bay. Kriegsministerium an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 19.08.1915, in: BayHStA Stv. GenKdo.I.AK.SanA./196. 218 Stv. Korpsarzt I. AK. an die Chefärzte u. a., 30.03.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./176. 219 Vgl. vor allem Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 12–20, in: BA-MA MSG 2/2200 b; Schlebusch; Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, in: ISG Frankfurt S5/91. 220 Buchner, S. 47.

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neuer Chefarzt sei gekommen. Dieser habe das Behandlungsschema völlig verändert. Sofort müsse eine Operation durchgeführt werden, habe er angeordnet, »er will am Knie dem Eiter einmal richtig Luft machen, wie er sagte. Vom Wasserliegen will er nämlich nichts wissen. So war ich denn am nächsten Tag wieder einmal operiert und machte Narkose-Nachwehen mit einem saueren [sic] Schädel mit, gleichsam als wenn ich von einem tüchtigen Rausch erwachte.«221 An Fällen wie diesem wird deutlich, dass die Patienten die Lazarettärzte zum Teil als unsouverän und widersprüchlich erlebten. Ständig wechselte außerdem das Personal, da die bisherigen Sanitätsoffiziere zur Front eingezogen wurden und neue Zuständige an ihre Stelle traten. Aber nicht nur das machte die Visiten für die Lazarettinsassen oft enttäuschend und irritierend. Dazu kam, dass viele von ihnen die fachlichen Aus­ drücke der Ärzte nicht verstanden. In Walter Rolviens Beschreibungen etwa lässt sich gut erkennen, wie sehr ihn der formalisierte Ablauf der »großen Visite« und das Auftreten der Mediziner gleichzeitig beeindruckten und beunruhigten: »Es geht schon auf den Vormittag, als ich erwache. 3 Schwestern und der junge Sanitäter sind in Aufregung und erwarten die Ärzte. […] Jetzt geht die Tür, die leitende Schwester […] empfängt 2 Männer in weißen Kitteln. Sie spricht mit ihnen, dann kommen sie ernst und sachlich auf mein Bett zu. Der kleine Oberstabsarzt mit dem stark durchgeistigten faltigen Gesicht ist der erste. Ihm folgt ein grosser Oberarzt, ein schöner Mensch, dem die hohen Schäfte der Stiefel unter dem Kittel etwas wie Schneid geben. Man fragt mich behutsam nach Art und Entstehung der Verwundung. Dabei wird die Decke zurückgeschlagen, und Schwestern und Ärzte richten mich auf. Ich habe es schon beim Erwachen gemerkt, dass es breit unter mir bis ins Gesäss hinein von Nässe klatscht; Blut und Wundabsonderung. […] Nun erst werde ich richtig untersucht, dabei entwirft der Oberarzt das Krankenblatt. Der alte Herr sagt wenig. Dass ich den rechten Arm nicht bewegen kann, stimmt ihn bedenklich. Aber auch er spricht nur von einer Fleischwunde, bei der man Geduld haben müsse. Der Schweiss tritt mir vor die Stirn. Als sie mich stark verbunden zurücklegen, bin ich der Ohnmacht nahe. Doch bleibe ich wach und höre den Oberstabsarzt im Weggehen zu seinen Kollegen sagen: ›Eventuell die Wunde zusammenziehen.‹«222

Auch Franz-Xaver Buchner beschreibt seine erste Visite als ein undurchsichtiges Medizin-Spektakel.223 Er habe lediglich begriffen, dass sein Fall, »nach dem lateinischen Geschwätz der Ärzte zu schließen […], das ich so furchtbar gern in diesem Moment verstehen hätte mögen«224 schwerwiegender war, als bisher 221 Ebd., S. 48 f. 222 Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 78, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 223 Ein ähnlicher Eindruck entsteht auch aus den ausführlichen Schilderungen der »Großen Visite« bei Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 39–41, in: ISG Frankfurt S5/91. 224 Buchner, S. 34. Auch der Soldat Hans Kähler stellte fest, man müsse erst selbst »ein halber Arzt werden«, um die Erklärungen der Sanitätsoffiziere zu verstehen, Kähler, Eintrag vom 24.10.1917, Transkript S. 23.

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gehofft. Zuletzt habe der Chefarzt ihm gesagt, »daß eine Operation unvermeidlich sei und gleich morgen vormittags vorgenommen werde, ich brauche ja keine Angst haben usw. und dann ist er mit seinen Ärzten gegangen und womöglich mußte er zu den nächsten Patienten das Gleiche sagen.«225 Wie aus solchen Schilderungen ersichtlich wird, stiftete die Visite zwar eine stabile Tagesstruktur, konnte die Insassen jedoch alarmiert zurücklassen. Da sie oft nicht erfuhren oder einordnen konnten, was als nächstes mit ihrem Körper geschehen würde, warteten viele täglich bange darauf, was die Ärzte als nächstes mit ihnen vorhatten. Dass sie sich über ihren Gesundheitszustand so im Unklaren wähnten, hatte zudem noch einen weiteren Hintergrund: Die Lazarettärzte waren von kriegsministerieller Seite explizit dazu angewiesen, den Patienten ihre Diagnose nicht mitzuteilen.226 Auch ihre eigenen Röntgenbilder durften die Soldaten nicht sehen. So sollte verhindert werden, dass sie sich beunruhigten und womöglich Angstzustände oder »Rentenneurosen« entwickelten.227 Den tatsächlichen Befund geheimzuhalten, sei aber für den Arzt selbst nicht ganz einfach, kommentierte der Oberstabsarzt Bonne, »da unsere Lazarettinsassen nach verhältnismässig kurzer Zeit beginnen, auf Ausdrücke wie ›T. B.‹ oder ›positiver Befund‹ zu achten. Man drücke sich daher am Krankenbett so allgemein und trostreich wie möglich aus.«228 Insgesamt manifestierte sich im Ritual der Visite deutlich das große Macht-, Status- und Wissensgefälle zwischen Ärzten und hospitalisierten Mannschaftssoldaten. Bei Lazarettinsassen im Offiziersrang gestaltete sich der Umgang mitunter anders, so dass über die Qualität des Arzt-Patient-Verhältnisses im Heimathospital keine pauschalisierenden Aussagen getroffen werden können. In bestimmten Konstellationen kehrte sich die Hierarchie fast um oder ging in ein freundschaftliches Verhältnis über.229 So berichtete etwa der Romanist Victor Klemperer von einem jugendlichen Assistenzarzt, Dr. Eidenbühler, der sich von ihm im Lazarett literarische Ermutigung erhofft habe: »Er saß oft und lange an meinem Bett und vertraute mir gleich an, daß seine eigentliche Liebe der Literatur gelte und daß er es nur nicht gewagt habe, sich auf sein schriftstellerisches Talent zu stützen. Ich sagte ihm: ›Auch Schnitzler ist Arzt und hat sehr lange praktiziert, und ich halte ihn für einen der besten, wenn nicht für den

225 Buchner, S. 37. 226 Vgl. Sanitätsamt I. AK. an alle Reservelazarette u. a., 12.02.1916, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./432; Bonne, S. 1192. Bonne verweist hier konkret auf einen (wahrscheinlich preußischen) kriegsministeriellen Erlass vom 26.10.1915, wonach den Patienten ihre Diagnose nicht mitzuteilen sei. 227 Vgl. dazu exemplarisch die Aussagen im Inspektionsbericht des fachärztl. Beirats Stareth, 28.04.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88. 228 Bonne, S. 1192. 229 Vgl. zu einem derart entstandenen Freundschaftsverhältnis zwischen Lazarettarzt und Insasse exemplarisch Arnold Bergmann an Geheimrat Dr. Kohler, Freiburg i. Br., 03.05.36, in: StAFrei T1/45.

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allerbesten unter den heutigen Autoren.‹ – ›Für mich ist er der zweitbeste‹, antwortete Eidenbühler, ›der erste ist Thomas Mann… Sie kennen die ›Buddenbrooks‹ noch nicht?‹ Und am nächsten Morgen brachte er mir den Band.«230

So führte Klemperer von seinem Krankenbett aus literarische Gespräche mit dem jungen Assistenzarzt, bei denen er es war, der auf diesem Gebiet über den entscheidenden Wissensvorsprung verfügte. Den Chefarzt wiederum erlebte Klemperer während der Visite als zackig und unpersönlich. Er sei Psychiater der Universität Würzburg und täglich »nur eine flüchtige Erscheinung: stattlich im weißen Mantel schritt er mittags von Bett zu Bett, schenkte ein durchbohrendes Lächeln, verabreichte einen kräftigen Händedruck und verschwand.«231 Weitaus beängstigender als die Visite waren für die Insassen bevorstehende Operationen. Sie erschütterten immer wieder das Sicherheitsgefühl im Hospital. Dennoch gehörten auch sie in gewisser Hinsicht zum Lazarettalltag. Viele Patienten blieben monatelang »Stammgäste des Operationszimmers«.232 In den Ego-Dokumenten finden sich zu diesem Thema ausführliche Beschreibungen, mehr als über jeden anderen medizinischen Aspekt.233 Demnach war es die größte Befürchtung der Verwundeten, Gliedmaßen durch Amputation zu verlieren.234 Da sie oft nicht darüber aufgeklärt wurden, was mit ihnen während und nach einer bevorstehenden Operation geschehen würde,235 fürchteten sie, beim Aufwachen eine böse Überraschung zu erleben. Diese Sorge schilderte etwa der hüftverletzte Franz-Xaver Buchner. Als er nach seiner großen Operation in seinem Zimmer wieder aufgewacht sei, habe sich sein erster Blick auf das Bein gerichtet »und immer wieder fragte ich die Schwester, die bei mir Wache hielt, ob ich das Bein noch dran habe. Erst als die Schwester die Bettdecke hochhebte [sic] und ich so meine Zehen sehen konnte, war ich zufrieden.«236 Ähnliches beschäftigte Wilhelm Heider. Als er von seiner ersten Operation im Lazarett erwacht sei, habe er zunächst nur ein Brennen im Fuß gespürt. Der Arm habe sich hingegen tot angefühlt, »sodaß ich gleich anfangs glaubte, der Arm sei weg.«237 Die geschilderte Amputationsangst macht erneut das Gefühl eines Ausgeliefertseins deutlich, das für viele Soldaten bereits an der Front bestanden hatte, sich aber nun für die Schwerverwundeten im Lazarett fortzusetzen schien. 230 Klemperer, S. 439. 231 Ebd., S. 438. 232 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 49. 233 Vgl. etwa Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 135 f., in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Diel, S. 101; Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 9 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b. 234 Vgl. zur Amputationsangst auch Kienitz, Beschädigte, S. 190; dies., Fleischgewordenes, S. 231. 235 Vgl. exemplarisch Heider, S. 88 f. 236 Buchner, S. 42. 237 Heider, S. 95.

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Insgesamt prägten und strukturierten die medizinischen Routinen maßgeblich den Tagesablauf der Patienten. Sie trugen damit zum Eindruck eines geordneten Lazarettalltags bei und suggerierten eine wiedergefundene, friedensähnliche Normalität. Zugleich wurde für manche Insassen in diesen Momenten sichtbar, in welcher hilflosen Lage und Abhängigkeit sie sich befanden. So schafften die Arzt-Patient-Begegnungen, wie die große Visite, aber auch der schmerzhafte Verbandswechsel und Operationen, zwar eine klare Tagesstruktur und Erwartungssicherheit. Doch die Tatsache, dass die Ärzte häufig wechselten, immer wieder neue Behandlungsformen testeten und systematisch Informationen zum Gesundheitszustand der Soldaten zurückhielten, konnte die Patienten auch verunsichern und demoralisieren. 3.4.2 Freizeit im Lazarett Der ambivalente Charakter, der manchen medizinischen Situationen aus Sicht der Patienten innewohnte, traf nicht auf die vielen Freizeiterlebnisse zu, die den Lazarettalltag ebenfalls maßgeblich prägten.238 Sie werden in den Ego-Dokumenten ausnahmslos positiv beschrieben. Dies mochte nicht zuletzt daran liegen, dass in solchen Momenten die relative Autonomie und Freiheit der leichter Versehrten oder Genesenden trotz des militärischen Umfelds erfahrbar wurde. Wie verbrachten die Kranken ihre freie Zeit genau? Welche Formen der Geselligkeit gab es? Blieben die Patienten auf das Lazarett beschränkt oder konnten sie umfassender am städtischen Leben teilnehmen? Diesen Fragen wird im Folgenden anhand eines aufschlussreichen Quellenbeispiels nachgegangen  – dem Lazarettbericht des Feldwebels Drewes.239 Der Familienvater aus Holstein war im Krieg am Bein verwundet worden, kurierte seine Verletzung jedoch in einem Spezialhospital für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten im rheinländischen Godesberg240 aus. Während seiner Genesungszeit hatte er auf Anregung des Lazarettpfarrers bereits seine zurückliegenden Fronterfahrungen schriftlich festgehalten: »Später habe ich zu meiner Emma gesagt: ›Wenn ich einmal Zeit habe, will ich auch noch einige Erinnerungen an meine Lazaretterlebnisse niederschreiben.‹«241 Dieses Vorhaben holte er im Herbst 1915, kurz nach seiner Entlassung aus dem Godesberger Hospital 238 Vgl. zur Freizeitgestaltung im Militärkrankenhaus, auf der Basis von Lazarettpostkarten als Quellenmaterial, Eckart, Die Wunden, S. 154–192. 239 Drewes’ Vorname ist nicht überliefert. Im Freiburger Militärarchiv ist sein Lazarettbericht ohne Verfasserangabe unter dem Titel »Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen eines namentlich unbekannten Soldaten von der Westfront 1914/15« archiviert. Allerdings lassen sich der Nachname und sonstige der hier genannten biographischen Angaben bei der Lektüre des Tagebuchs in Erfahrung bringen. 240 Seit 1925 heißt der Ort offiziell »Bad Godesberg« und ist seit 1969 ein Stadtteil von Bonn. 241 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 38, in: BA-MA MSG 2/2200 b.

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nach. Es handelt sich bei seinen Aufzeichnungen also um zeitnah verfasste Memoiren für den Privatgebrauch. Während ein Lazarettaufenthalt in den meisten soldatischen Ego-Dokumenten – die sich in der Regel der Kriegserfahrung in ihrer Gesamtheit widmen – erzählerisch nur eine Episode darstellt, überschrieb Drewes seine Krankenhausmemoiren explizit mit dem Titel »Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett«. Tatsächlich geht es in diesem Text ausschließlich um den mehrmonatigen Heilaufenthalt. Dabei hält der Feldwebel viele positive Eindrücke fest, notiert aber auch Kritik und persönlichen Kummer. Auf manche Aspekte, die andere Soldaten nur kurz erwähnen, geht Drewes in großer Genauigkeit ein. In der Menge der Selbstzeugnisse stellt sein Bericht daher eine besonders wertvolle Quelle dar. Wie Drewes bei seiner geplanten Lazarettbiographie genau vorgehen sollte, war ihm zunächst wohl selbst nicht ganz klar: »Ich bin in Godesberg bis zum 18. August gewesen, und dann war ich im Vereinslazarett des Roten Kreuzes in Heide bis zum 21. September, und zwischendurch bin ich auch anderswo gewesen, und alles dieses will ich doch erzählen. Wie mache ich das denn nun? Ein Verwundeter erzählt in erster Linie von seiner Verwundung und davon, wie aus dem Verwundeten ein Genesender geworden ist, und das will ich auch tun. Dann kommt noch viel Beiwerk.«242

Mit dem hier angekündigten »Beiwerk« bezog sich Drewes vermutlich auf die vielen kleinen Personenbeschreibungen, mit denen er sein Lazarettportrait einleitete. In kurzen Strichen skizzierte der Autor darin diejenigen Menschen, die seinen Krankenhausalltag am meisten geprägt hatten  – angefangen mit dem aus seiner Sicht selbstherrlichen ärztlichen Leiter Dr. Richard Schorlemmer, der Gerüchten zufolge »ein gar zehnfacher Millionär«243 war, weiter mit Schwester Krohne, die stets »so freundlich uns zunicken und mit lachenden Augen uns grüßen«244 konnte sowie Schwester Käte, die »etwas Schweres in ihren Bewegungen, zugleich etwas Kraftvolles, Ruhiges, Sicheres, Vornehmes«245 hatte, und schließlich den Wärtern, die sich nur »im Lazarett ›herumdrückten‹«,246 denn man habe »nie merken können, daß sie mit großem Eifer ihrer Ämter walteten.«247 Der tägliche Kontakt zu diesen und weiteren »Typen« des Lazaretts scheint für Drewes das Charakteristische des Ortes gewesen zu sein. Viele Momente seines Tages waren mit diesen Personen und ihrer beruflichen Aufgabe verknüpft. Sie behandelten ihn, halfen ihm auf, freuten oder ärgerten ihn und lenkten ihn von seiner nur langsam heilenden Beinverwundung ab. 242 Ebd., S. 11. 243 Ebd., S. 18. 244 Ebd., S. 2. 245 Ebd., S. 3. 246 Ebd., S. 5. 247 Ebd., S. 5.

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Im Alltag beobachtete Drewes auch neugierig seine Mitpatienten. Mit dem Bettnachbarn Homann hatte sich schnell eine Freundschaft ergeben. Anders lag die Sache mit den übrigen Insassen, die deutlich jünger waren. Obwohl Drewes ihre Gemeinschaftsaktivitäten mehr aus der Distanz betrachtete, scheint er sich in ihrer jugendlichen Gegenwart angeregt und durchaus wohl gefühlt zu haben: »Da saßen sie im Garten und spielten Skat und wurden eifrig beim Spiel und redeten laut gegeneinander, daß man zuweilen schier glauben konnte, es wäre da eine Dorfkneipe. Sie lagen in ihren Stühlen und unterhielten sich und ulkten sich an […] und warfen sich mit Kies und begossen sich mit Wasser und lachten überlaut und waren bei den Kirschen und konnten zuweilen abends, wenn es nach einem heißen Tage unten am Rhein so schön war, nicht wieder nach Hause finden, und die Lemberg-Feier hatten sie bis in die Nacht mitgemacht und hatten die Tür verschlossen gefunden und waren durch ein Fenster gestiegen. Aber da erschien am nächsten Mittag der Sanitätsfeldwebel und sie durften in den nächsten 8 Tagen überhaupt nicht ausgehen.«248

Drewes’ Darstellung der Lazarettpatienten als ungestüme, aber im Grunde harmlose Lausbuben findet sich auch in anderen Quellen – sowohl als Fremdals auch als Selbstbeschreibung.249 »Von Verdrossenheit ist hier keine Spur«, erklärte etwa ein Kriegsamputierter dem Pfarrer seiner Heimatgemeinde in einem Brief. »Im Gegenteil, Sie glauben gar nicht, welcher Frohsinn hier vorherrscht. Es ist ja auch begreiflich, wenn 300–340 junge Leute beieinander sind. Es empfindet hier eigentlich keiner die Schwere seiner Verletzung und die Weitergestaltung seines ferneren Lebens.«250 Drewes selbst ging mit seiner Verwundung weniger optimistisch um. Immer wieder schildert er seine Verzweiflung über den langsamen Heilungsprozess und die andauernden Schwierigkeiten, wieder selbständig zu laufen. Jedes Mal, wenn er versucht habe, im »Lazarettanzuge und den Lazarettschuhen langsam und vorsichtig die Treppe herunter und langsam und vorsichtig im Garten auf und ab«251 zu gehen, sei es eine »gar mühselige Sache, und der Fuß schwoll an und war im Gelenk ziemlich steif.«252 Doch auch er stellte fest, dass ihm der tägliche Trubel im Lazarett dabei geholfen habe, den Mut nicht ganz zu verlieren. An manchen Abenden sei es in den Krankenzimmern bei Musik und Gesang hoch hergegangen: 248 Ebd., S. 47 f. 249 Vgl. etwa Feldwebel Ruwe, Musterstube 22, in: Der Kamerad 7+8 (1918); Musketier H. T., Gedicht »Stube 28«, in: Der Kamerad 6 (1918), beide in: BA-MA PHD 20/6; o. A., Meine »Stube I« im Januar 1915, in: Im Vereinslazarett 215 »Feuerwache«, Gedichtbuch zusammengestellt von Dr. Wertmann, Lazarettarzt, Frankfurt a. M., o. D., in: ISG Frankfurt S5/343; Herder, Eintrag vom 21.12.1914, S. 43; Schäfer, Stilles Heldentum, S. 51 f. 250 Brief eines Amputierten an seinen Heimatpfarrer, o. D., zit. nach Dorsch, Stilles Heldentum, S. 20. 251 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 5, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 252 Ebd.

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»Dann […] hatte der eine eine Mundharmonika oder der andere eine Geige, und einmal waren da sogar zwei Geigen, und man spielte alte und neue Soldatenlieder richtig und verkehrt; dazu wurde gesungen, und der ulkige Godesberger mit dem Granatsplitter im rechten Oberschenkel war der Kapellmeister. […] Die Zilli sang italienisch und jodelte, und es war ein Heidenspaß.«253

Neben diesen Gemeinschaftsaktionen im Lazarett selbst kam Drewes auch auf Gruppenerlebnisse außerhalb der Krankenhausmauern zu sprechen. Besonders gut gefiel ihm eine kostenlose Fahrt mit einem Rheindampfer. Wer sie organisiert hatte – möglicherweise das Rote Kreuz oder ein anderer wohltätiger Verein – geht aus seinen Erklärungen nicht hervor. Es muss aber ein solcher externer Akteur gewesen sein, denn an dem Ausflug nahmen laut Drewes verschiedenste Lazarettpatienten aus Godesberg teil: »Alle, die konnten, kamen mit. […] Die marschieren konnten, gingen in Reihe und Glied über den glatten Asphalt die Rheinallee hinunter und sangen ein hübsches Soldatenlied und sangen es nett, und zu beiden Seiten kamen andere an Krücken und Stöcken auf dem Bürgersteige langsam hinterher. […] Schwester Krohne ging mit. Als alle an Bord waren, fuhr der Dampfer ab, und am Ufer wehten die weißen Tücher. […] Der Geheime Medizinalrat, unser Chefarzt, der mir bald nach meiner Ankunft im Sanatorium das Eiserne Kreuz überreicht hatte, hielt am Deutschen Eck eine Ansprache und schloß mit einem Kaiserhoch. Wir tranken in Boppard Kaffee und aßen Torten und Kuchen und fuhren dann wieder heim. Wir wurden auf dem Rheindampfer reichlich bewirtet, tranken eine Bowle und sangen und kamen in der Abenddämmerung wieder heim; vom Ufer her grüßten und winkten die Leute, und bengalische Lichter flammten auf. Die Musik setzte sich an die Spitze, und wir marschierten wieder in unsere Lazarette.«254

Kostenlose Ausflüge, wie die hier beschriebene Dampferfahrt, waren keine Seltenheit. Sie wurden für die deutschen Heimatlazarette immer wieder von engagierten Zivilpersonen oder Vereinen organisiert.255 Auch der Patient Adolf Dünnebacke dokumentierte in seinem Tagebuch gemeinsame Unternehmungen der Verwundetengemeinschaft. Für ihn war ebenfalls eine Schiffsfahrt (in diesem Fall nach Hamburg) der Höhepunkt. In der Hansestadt habe es Kaffee und Kuchen in Fülle gegeben und nach einem zusätzlichen Fischessen sei man zurückgefahren und wieder im Hafen von Stade eingelaufen. Dort habe gefühlt »die ganze Stadt« gestanden um die Verwundeten in Empfang zu nehmen: »An

253 Ebd., S. 48 f. 254 Ebd., S. 51–53. 255 Vgl. etwa Wilhelm Günther an Frieda Eickmann, 24.07.1916, in: ZMSBw-Hausarchiv Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919; Otto Bachof, Tagebuch, Einträge vom September 1914, in: BfZ N: Bachof; vgl. für Stuttgart die Abrechnungen des Ausflugs-Vereins für Verwundete der Stuttgarter Lazarette, in: HStAS M 324.

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jedem Arm ein Mädel, geht es unter Lachen und Singen wieder zum Lazarett. Dies war ein Tag, der einen mal alle Schmerzen und Sorgen vergessen ließ.«256 Es verwundert nicht, dass touristische Ausflüge wie diese bei den Patienten hoch im Kurs standen. Sie halfen ihnen dabei, aus ihrer eigentlich eintönigen Lazarett-Routine auszubrechen und sich wieder als mobil und aktiv zu erleben. Während der gemeinsamen Unternehmungen trafen die Soldaten alte und neue Gesichter, lernten die Umgebung ihres Krankenhauses besser kennen und wurden ausgiebig bewirtet, was gerade in Zeiten der Lebensmittelknappheit als besonderer Luxus empfunden wurde. Das große Interesse, das die Ausflügler bei der Zivilbevölkerung auslösten, die, wie sich an Dünnebackes Aussagen zeigt, sogar noch im Juli 1918 geduldig am Hafen auf die Lazarettpatienten wartete, hob sie zudem als eine besondere, ehrenwerte Gruppe hervor. Nicht zuletzt hatten Ausflüge den Effekt, die Bewohner und Angestellten des Lazaretts enger zusammenzuschweißen. Dieser Vergemeinschaftungsprozess wurde durch zahlreiche Veranstaltungen innerhalb des Lazaretts weiter verstärkt. Dafür liefert erneut Drewes’ Tagebuchbericht ein gutes Beispiel. Die Ärzte seines Sanatoriums, so schreibt er, hätten an einem Abend einen kleinen Empfang für das Lazarett organisiert. Es habe für alle Bier und belegte Brote im Vestibül gegeben. Zunächst sei alles geordnet, aber auch etwas steif verlaufen. Die »Herren Ärzte«257 seien »mit ihren Damen zugegen« gewesen und ein »wohl geschultes Quartett trug Lieder vor […]. Zigarren wurden herumgereicht, und es war ganz nett.« Alle hätten auf Dr. Schorlemmer und seine Gemahlin angestoßen, danach hätten sich die Ärzte mit ihren Ehefrauen zurückgezogen »und nun sollte die Geschichte denn ja wohl zu Ende sein. Aber es kam anders.« Plötzlich sei Flaschenbier zu haben gewesen und weitere Zigarren seien aufgetaucht. Damit habe sich der gesetzte Butterbrot-Empfang bald zu einer Tanzfeier ausgeweitet, in die das ganze Lazarettpersonal mit eingebunden worden sei: »Der fidele Badenser mit der immer noch offenen Wunde am Arm zog seine Mundharmonika hervor und spielte einige Lieder und spielte plötzlich einen Tanz. Da rollte man die Läufer und Teppiche zusammen und stellte Tische und Stühle an die Seite, und ich weiß nicht, wer der erste war und wen er sich holte; ein Paar wirbelte durchs Vestibül. Dann waren es schon zwei Paare, und dann war es ein ausgelassenes Durcheinander. Schwester Krohne und Schwester Käte, die Teppichklopferin, und Lina und Auguste und wie sie alle hießen ließen sich herumschwenken, und der Badenser war immer mitten dazwischen, tanzte und musizierte, hielt mit dem einen Arm sein Mädchen, und mit der anderen Hand führte er die Mundharmonika. Fräulein Henn kam und wollte ein Ende machen. Da stand schon der Sanitäter-Feldwebel vor ihr und nötigte sie zum Tanz, und sie drehten sich ernst und würdevoll im Kreise der tollen Tänzer. 256 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 05.07.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17. 257 Zitate im Folgenden aus: Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 49–51, in: BA-MA MSG 2/2200 b.

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In den Ecken saßen die, die nicht mitmachen konnten und sahen zu, und der junge Mediziner aus Owschlag in Schleswig sagte: ›Ich tanze auch gern‹; und ich sagte: ›Dann tun Sie es nur‹; und er meinte: ›Nein, ich bin bange, es geht nicht mit meinem Arm.‹ Es fehlte ihm ja die rechte Hand; und als ein Vizefeldwebel herzutrat und uns begrüßte und uns die Hand gab, vergaß er sich und zog mit einem kurzen Ruck den Armstumpf aus der Rocktasche und faßte sich schnell und reichte die Linke. Dann war es auch bald zu Ende.«

In dieser Anekdote kommen verschiedene interessante Aspekte zur Sprache: Die sich entwickelnde Intimität zwischen Patienten und weiblichem Pflegepersonal; die Schamgefühle mancher Verwundeter, sich mit ihrem verstümmelten Körper in einer männlich konnotierten (Tänzer-)Rolle zu zeigen; auch die Eigendynamik, die in den Lazaretten spontan und gleichsam unmilitärisch entstehen konnte. Insgesamt zeigt die Themenwahl in Drewes’ Lazarettmemoiren deutlich, wie wichtig die sozialen Kontakte im Krankenhaus für ihn waren – sowohl bei den beschriebenen Ausflügen und Feiern als auch später beim Besuch seiner Frau Emma und seines kleinen Sohnes Hans. Die menschlichen Begegnungen machten es ihm leichter, über die »Stunden der Langeweile und der Sehnsucht nach den Lieben daheim«258 hinwegzukommen. So war die Lazarettsituation für den verwundeten Feldwebel letztlich auch eine Phase neuer Bekanntschaften und der persönlichen Horizonterweiterung. Hier, so schrieb Drewes, habe er den »Vater Rhein«259, den er vorher aus eigener Anschauung nicht gekannt habe, schätzen und lieben gelernt. Und auch Gemeinschaftserlebnisse wie das spontane Tanzvergnügen mit den Krankenschwestern sowie »das Beisammensein mit Kameraden, die dasselbe erlebt haben und in gleicher Weise leiden«,260 trugen wohl in seinen Augen dazu bei, dass er sich – trotz der schlecht heilenden Beinwunde – immer wieder selbst sagte: »Ich habe es hier doch so gut, es hätte mir viel schlimmer ergehen können. Emma und Hans werden dich besuchen, und dann wirst du auch die Heimat wiedersehen. Was weiter wird, weiß ich nicht; da mag Gott sorgen.«261 Viele von Drewes’ Aussagen über das Heimatlazarett finden sich ähnlich auch in anderen soldatischen Selbstzeugnissen. Es wird deutlich, wie sehr die von ihm geschilderten Wahrnehmungen von Muße und Langeweile, Nähe und geselligem Beisammensein zu einem speziellen Konglomerat wurden, das die Lazarettsituation gleichzeitig ermüdend und anziehend machte. Untypisch ist an Drewes’ Erlebnissen, dass er offenbar keine eigenständigen Stadtbesuche unternahm, sondern immer nur am Rhein spazierte, um sein Gehen zu trainieren. Andere Patienten berichten in ihren Ego-Dokumenten hingegen davon, dass sie sich regelmäßig in der Stadt bewegten, wenn sich ihre Heileinrichtung nicht

258 Ebd., S. 41. 259 Ebd., S. 53. 260 Ebd., S. 47. 261 Ebd., S. 73 f.

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gerade in einer ländlichen Umgebung befand.262 Oft gingen sie gemeinsam ins Wirtshaus;263 manche Patienten nutzten ihre Ausgangszeit aber auch für kulturelle Unternehmungen.264 In Würzburg etwa standen den Lazarettinsassen im Jahr 1915 speziell organisierte Führungen im Residenzschloss, im Luitpold- und in weiteren Museen sowie im Dom zur Verfügung.265 Auch in Berlin nahmen sich zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen der »geistigen Versorgung« hospitalisierter Soldaten an. So konnten Verwundete hier 1916 ebenfalls an verschiedenen Führungen teilnehmen: durch das Reichstagsgebäude, den Botanischen Garten, einzelne Abteilungen des Zeughauses sowie durch Alt-Berlin, »mit Erläuterung des ältesten Stadtteils und seiner Bauten, anschließend daran Orgelvortrag in der Nikolaikirche.«266 Der Patient Hans Kähler versuchte, so viele solcher Unterhaltungsangebote zu nutzen, wie er konnte. Freitag sei er im Zirkus und im Volkstheater gewesen, schrieb er in sein Tagebuch: »Wie schade, daß ich nur das wenigste verstanden habe, aber gespielt wurde es großartig.«267 Am Sonntag habe er dann mit einem Kameraden das Kino besucht und heute wolle er noch ins Kabarett: »Na, Abwechslung habe ich genug, mehr als die Kasse erlaubt.« Ein solcher Lebenswandel, wie Kähler ihn beschreibt, wurde dadurch begünstigt und gefördert, dass zahlreiche Kulturinstitutionen Freikarten für Lazarettpatienten spendeten.268 Sie versuchten auf diese Weise, die immer wieder proklamierte »Dankesschuld«269 gegenüber den Kriegsversehrten abzugelten. Besuchten die Verwundeten dann ihre Veranstaltungen, konnte sich das Haus mit ihnen schmücken.

262 Vgl. exemplarisch Ernst von Chrismar, Meine Erlebnisse im Weltkriege, Teil 2, nach Kriegsbriefen und Erinnerung für meine Frau, Kinder und Enkel zusammengestellt, o. D., S. 168, in: BA-MA MSG 2/10812. 263 Vgl. zu Wirtshausbesuchen Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 12, in: BA-MA N 278/3; auf literarischer Ebene dazu Grimm, insbes. S. 127–130. 264 Vgl. etwa Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 25.08.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17. 265 Vgl. Reservelazarett Würzburg an das Sanitätsamt II. AK., 12.12.1915, in: BayHStA Stv. GenKdo.II.AK.SanA./53. 266 o. A., Kriegsvorträge in den Lazaretten, in: Vom Krieg zur Friedensarbeit. Zeitschrift für die Brandenburgische Kriegsbeschädigtenfürsorge 4 (1916), S. 51, in: BayHStA Stv.GenKdo. II.AK.SanA./56. 267 Zitate im Folgenden aus: Kähler, Eintrag vom 20.11.1917, Transkript S. 24. 268 Vgl. etwa die zahlreichen Angebote für Freikarten und Freifahrtscheine für Lazarett­ insassen in: BA-MA RM 30/23; Schauspielhaus Frankfurt a. M. an den Oberbürgermeister, 13.08.1914, in: ISG Frankfurt S/385; Geschäftsstelle für freiwillige Krankenpflege im Kriege an die Administration der Dr. Senckenbergischen Stiftung, 27.08.1914, in: ISGF V48/311; Max Weber, Abschließender Erfahrungsbericht über die Lazarettverwaltung, ca. Oktober 1915, in: ders., Briefe 1915–1917, S. 34; verschiedene Dokumente in: StadtABadNau A II 23/1914–1918 Vergünstigungen für Kriegsteilnehmer. 269 B.  Wittenburg, Rundbrief vom 24.01.1915, in: Freundesgrüsse 1/2 (1915), S. 1, in: BfZ ­1914–1918 Periodica »Freundesgrüsse«; vgl. zur Idee der »Dankesschuld« ausführlicher Kapitel 1.3.

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Diese großzügige Liebesgabentätigkeit stieß bei vielen Soldaten auf positive Resonanz. »Wir lebten als Verwundete weiterhin glänzend«, kommentierte der in Stuttgart hospitalisierte Hans Wildermuth die Schenkungen, »freie Fahrt auf der Strassenbahn, freie Zirkus- und Theatervorstellungen und abends kamen alle möglichen Leute und Gesellschaften, um uns vorzuspielen und vorzumusizieren. Wandervögel mit Volkstänzen, gute Künstler und auch Dilettanten, die sich selbst die grösste Freude durch ihr Spiel machten.«270 So konnten von diesem Tauschgeschäft offenbar alle Seiten profitieren: Unterhaltung und Freikarten für die Lazarettpatienten gegen moralische Entlastung und Ehre für die Heimatbevölkerung. 3.4.3 Kriegsweihnachten Der gewohnte Lazarettalltag wurde immer wieder von religiösen, nationalen oder lokalen Feiertagen unterbrochen.271 Nun zeigte sich das Militärkrankenhaus von seiner besten Seite: Es gab Geschenke, besonders gutes oder selten verfügbares Essen, die Soldaten durften länger aufbleiben und auch abends länger ausgehen.272 Von den verschiedenen Feiertagen kam dem Weihnachtsfest eine besonders hohe symbolische Bedeutung zu. Es war wohl derjenige Feiertag, der in den deutschen Lazaretten am aufwendigsten vorbereitet und begangen wurde.273 Spätestens jetzt war die friedensmäßige Lebensnormalität, die in den Heimatlazaretten behauptet und zelebriert wurde, deutlich spürbar.274 Zugleich konnten dabei aber auch die Risse und Leerstellen in der mühsam aufrechterhaltenen Ordnung an der Heimatfront nicht verborgen bleiben. Der Schwerverwundete Wilhelm Heider erlebte den 24. Dezember 1914 im Reservelazarett Ingolstadt II. Dort, so hielt er später in seinen Aufzeichnungen fest, »feierten wir Weihnachten im Lazarett, so traurig dies Wort auch klingen mag, mit aller Freude und Fröhlichkeit, und dieser Tag wird uns unvergeßlich sein.«275 Um 19 Uhr habe die Zeremonie begonnen. »Im Festsaale war alles aufs Schönste geschmückt, die Lichter angesteckt […]; die Musik spielte und aller Augen waren auf die Pracht des Saales gerichtet. Es war wirklich prachtvoll, die große Anzahl von gleichen Geschenken in schöner Ordnung zu schauen.« Als 270 Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 13, in: BA-MA N 278/3. 271 Vgl. etwa die zahlreichen Feiertage im Vereinslazarett »Diakonissenanstalt« Hall: Blätter aus dem Diakonissenhaus 1–9 (1915), zit. nach Krause, »Vereins-Lazarett«, S. 446 f. 272 Vgl. exemplarisch Kähler, Einträge vom 14.02.1918 und 02.04.1918, Transkript S. 27; 29. 273 Vgl. den Schriftverkehr über die verschiedenen Weihnachtsfeiern in Münchener Lazaretten, in: StadtAMü Bürgermeister und Rat 346/2; außerdem Sonderheft der Freiburger Lazarettzeitung »Der Kamerad«: Weihnachten 1917, Kriegslazarett 40a, in: BA-MA PHD 20/4; auch Goltz, S. 60. 274 Vgl. dazu etwa Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 17, in: BA-MA N 278/3. 275 Zitate im Folgenden aus: Heider, S. 81–83.

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die Musik abgeklungen sei, habe der Chefarzt eine »schöne, mit kräftigen, begeisternden Worten gezierte Rede eingeleitet, die mit einem dreifachen ›Hurra‹ auf [den] Kaiser und sein siegreiches Heer« geendet habe: »Alsdann mußten wir einzeln, der Reihe nach, durch den Festraum gehen und jeder bekam, gegen vorher ausgehändigte Quittungen, ein Paket mit außer süßen Waren allerlei nützlichen Gegenständen wie Messer, Spiegel, Hosenträger u.s.w. […] Jeder konnte hinlänglich zufrieden sein; denn wenn man bedenkt, bis so viele Tausende, ja Millionen von Geschenken, die das ›Rote Kreuz‹ in diesen Tagen an allen Orten Deutschlands und auch über die Grenze zur Verteilung brachte, aufgebracht und verteilt sind, das verlangt alles Geld […]. Obwohl die Gaben verhältnismäßig genügend waren, waren doch viele [Patienten] darunter, die darüber murrten und schimpften. Andere wieder gaben laut: ›Es wäre besser gewesen, wenn man das Geld zu anderen Zwecken verwendet hätte.‹ Aber ich glaube, daß diese die ersten gewesen wären, die sich darüber aufgehalten hätten, wenn gar nichts getan worden wäre. Nun ja, jedem kann man’s halt nicht recht machen.«

Interessanterweise erwähnt Heider hier nicht nur seine eigenen positiven Eindrücke des vaterländisch-kaisertreuen Festablaufs, sondern ebenso die Unzu­ friedenheit mancher Mitpatienten. Auch an anderen Stellen seines Berichts kam er auf deren skeptische Haltung zu sprechen. Möglicherweise war es ihm daran gelegen, jenen Insassentyp als aufrührerischen »Miesmacher«276 zu kennzeichnen, um sich demgegenüber selbst als genügsamer, zuversichtlicher Patriot abzuheben. Damit hätte er genau der Idee des »stillen Helden« entsprochen, die von Verwundeten wie ihm gesellschaftlich erwartet wurde. Der bettlägerige Franz-Xaver Buchner erinnerte sich ebenfalls, mit wie viel Engagement die Angestellten seines Münchener Lazaretts die Weihnachtsvorbereitungen betrieben. Er selbst und seine vier schwerverwundeten Bettnachbarn hätten zwar an der allgemeinen Lazarettfeier nicht teilnehmen können, aber in ihrem Zimmer einen eigenen Christbaum erhalten. »Glücklich waren wir über die vielen Sachen die jeder von uns bekommen hat, der Chefarzt überreichte uns die Gaben persönlich worüber wir sehr gerührt waren, wir wurden wirklich wieder zu Kindern und konnten für Augenblicke unser Leid ganz vergessen.«277 In manchen Kliniken wurde dafür gesorgt, dass auch immobile Patienten an der allgemeinen Weihnachtsfeier teilnehmen konnten, indem die Wärter sie mitsamt ihren Betten in den Saal schoben, in dem die Feier stattfand.278 So wurde ihr räumliches Festgelegtsein auf das Krankenzimmer für einen Abend aufgehoben. Doch das Weihnachtsfest hinterließ bei manchen Soldaten gemischte Gefühle. Denn nun wurde besonders deutlich, wo sie sich gerade befanden, näm276 Vgl. zu »schwachmütiger Miesmacherei« in der Heimat etwa Kraepelin, Psychiatrische, S. 173; alternativ war von »Flaumachern« die Rede, vgl. etwa Wrisberg, Der Weg, S. 38; 90. 277 Buchner, S. 56. 278 Vgl. Goltz, S. 23.

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lich am richtigen und falschen Ort zugleich: glücklicherweise nicht mehr im Schützengraben, sondern in der sicheren Heimat – leider noch immer im Krankenhaus und nicht gesund im Kreis der Familie. Dazu kam, dass die meisten Soldaten davon ausgegangen waren, dass der Krieg an Weihnachten 1914 schon wieder vorbei sein würde.279 Jedes neue Kriegsweihnachtsfest erinnerte sie daran, dass diese Erwartung eine Illusion gewesen war. Weihnachten fungierte somit als Wegmarke, an der die Patienten ablesen konnten, wie lange der Krieg bereits andauerte und wie lange auch ihre eigene Genesung sich hinzog.280 So nahm es etwa Wilhelm Heider im Dezember 1915 wahr, als er bereits seit eineinhalb Jahren in Ingolstadt II. weilte. »Zwei Weihnachten im Lazarett!«, schrieb er ungläubig in sein Tagebuch. »[W]enn mir bei meiner Aufnahme ins Lazarett jemand gesagt hätte, daß ich zwei Weihnachten hier feiern sollte, den hätte ich ausgelacht. Aber dennoch es war so.«281 Ab dem Winter 1916 waren die Folgen der Versorgungskrise im Kaiserreich immer deutlicher zu spüren – und damit auch in den Heimatlazaretten. FranzXaver Buchner fiel in diesem Jahr auf, wie viel spärlicher der Weihnachtstisch im Hospital gedeckt war, obwohl das Fest wie gewohnt »sehr feierlich abgehalten« worden sei. Doch »die Bescherung war nicht mehr so reich wie bei dem letzten Weihnachten. Wir Kriegsopfer konnten das wohl verstehen, machte sich doch schon allmählich eine geringe Lebensmittelknappheit bemerkbar, ja wir merkten es bereits in unserer Küche.«282 Auch außerhalb der Krankenhäuser nahmen viele Deutsche die Folgen des sogenannten Hungerwinters gerade während der Weihnachtstage schmerzlich wahr – so etwa Clara Leidholdt, die Ehefrau eines Gymnasiallehrers aus dem sächsischen Greiz. In ihrem Tagebuch hielt sie im Dezember 1916 fest: »1. Feiertag. 25. Dezember 1916 […] Weihnachten ist diesmal sehr, sehr still. Voriges Jahr war es noch freudiger, da waren auch unsere Lieben da. […] Einen Tannenbaum haben wir natürlich diesmal erst recht nicht. Viele Leute haben keinen. Es giebt [sic] keine Lichter und für die Kinder können die Leute nichts leckeres anhängen, denn es giebt [sic] nichts, weder Zuckergebäck, noch Schokolade, noch Pfefferkuchen. Was man sich selber bäckt muß man von seiner Brot u. Zuckerkarte absparen. Oder man hat einen guten Freund an irgend einer Quelle, der einen mit etwas versorgt.«283

Anhand solcher Tagebuchnotizen lässt sich eine Parallelität des Mangels zwischen Lazarett und Privathaushalten erkennen. Nicht nur im Krankenhaus erschien Weihnachten anders und unvollständig, weil die Patienten nicht zu Hause 279 Vgl. dazu etwa Ziemann, B., Front, S. 48 f.; 167 f. 280 Vgl. exemplarisch Buchner, S. 60. 281 Heider, S. 103. 282 Buchner, S. 60. 283 Clara Leidholdt, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, Eintrag vom 25.12.1916, in: Privatbesitz Georg Jacobi, Dresden; vgl. mit ähnlichen Klagen hinsichtlich des Osterfests 1916 das gemeinsame Tagebuch der Schwestern Josephine und Clara Bohn, Eintrag vom 23.04.1916, in: Deutsches Tagebucharchiv, S. 72.

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feiern konnten, sondern auch in den Familien selbst war das Kriegsweihnachtsfest entstellt und mangelhaft.284 Clara Leidholdt rekapitulierte am 30. Dezember 1914: »Es fehlte erstens der Baum und dann […] mußten wir immer an Arnold denken, der ja in weiter Ferne, auf den Schlachtfeldern Nordbelgiens weilt, wie mag es ihm heute gehen? Man wundert sich immer nur, daß man nicht noch trauriger ist.«285 So scheint Weihnachten an der Heimatfront ein kritischer Moment gewesen zu sein. Zu diesem eigentlich frohen, familiären Anlass traten die gefühlte Endlosigkeit des Krieges und die Entbehrungen, die er der Bevölkerung abverlangte, besonders deutlich zu Tage.286 Diese gedrückte Stimmung durfte sich aus Sicht der freiwilligen Krankenpflege keinesfalls auf die Hospitäler übertragen. Weihnachten musste für die »stillen Helden« würdig und feierlich sein.287 Dafür hatten die zahlreichen aufwendig vorbereiteten Festakte und Liebesgaben zu sorgen, die jegliche Missstim­ mung überdecken sollten. »Ja, es war immer schön, ergreifend schön, das Friedensfest für unsere Krieger!«,288 bemerkte der Bonner Lazarettpfarrer Daniel Schäfer. »Schon früh fing das Feiern an; es gibt Soldaten, die vier- oder fünfmal mitgefeiert haben in einer Woche.« Schließlich habe »jedes einzelne von den vielen, vielen Lazaretten seine eigene Feier« veranstaltet, an denen alle Patienten der Stadt hätten teilnehmen können. »Und wenn draußen der Krieg in mancher Stunde zur Hölle wurde – hier war’s ein Stück Himmel, was sie erlebten im Weihnachtsglanze. Und es lag etwas darin, wenn sie hernach sagten, so ganz leise: ›Es war schön!‹.« Auch wenn diese Beschreibungen des Seelsorgers aus einer nicht unbeteiligten Position heraus verfasst waren, trafen sie wohl doch einen wichtigen Punkt: Weihnachten im Heimatlazarett konnte für die Soldaten  – vor dem Hintergrund der vorangegangenen Fronterfahrung, die als Erinnerung über allem schwebte – unter Umständen positiver und friedlicher erlebt werden als tatsächlich »zu Hause« in manchen Familien. Das Lazarettpersonal sorgte zusammen mit dem Roten Kreuz, städtischen Behörden und wohltätigen Vereinen dafür, dass an Heiligabend die vertraute Festtradition hochgehalten wurde, es Vieles zum Auspacken, Singen, Essen und Trinken gab – damit der eigentliche Mangel möglichst wenig sichtbar wurde. Dass viele Lazarettinsassen Weihnachten tatsächlich als besonders »schön«289 beschrieben und sie sich auch bei anderen

284 Zur »düstere[n] Stimmung« des ersten Kriegsweihnachtsfests in Berlin vgl. Daniel, Frauen, S. 122. 285 Clara Leidholdt, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, Eintrag vom 30.12.1914, in: Privatbesitz Georg Jacobi, Dresden. 286 Vgl. etwa Hans Stenger an seine Mutter, 25.12.1917, in: Deutsches Tagebucharchiv, S. 87 f.; Flemming u. Ulrich, S. 205. 287 Vgl. etwa Geschäftsstelle für freiwillige Krankenpflege im Kriege, 25.11.1915, in: ISG Frankfurt V48/311. 288 Zitate im Folgenden aus: Schäfer, Stilles Heldentum, S. 66 f. 289 Buchner, S. 56.

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Veranstaltungen und Feierlichkeiten »köstlich«290 amüsierten, waren also nicht nur zufällig entstandene, spontane Reaktionen, sondern das Ergebnis eines sorgfältig kuratierten Eventmanagements im Lazarettwesen, das Pflegepersonal und Freiwilligenorganisationen gleichermaßen betrieben.291 Die Idee dahinter war, in den Heimathospitälern eine gute, zuversichtliche Stimmung herzustellen und aufrechtzuerhalten – ein Ziel, das auch die Militärbehörden unterstützten und mit eigenen Mitteln verfolgten. Als Konsequenz entwickelte sich in den Lazaretten eine vielfältige Feier- und Veranstaltungskultur, die den militärischen Charakter der Institution weiter verschleierte und herausforderte. 3.4.4 Situative Notgemeinschaften Gemeinsam begangene Feiertage, spontane »bunte Abende« mit Musik und Gesang und das gemeinsam geteilte Leid waren wichtige Faktoren für das Entstehen eines Solidaritätsgefühls im Lazarett, von dem in den Quellen immer wieder die Rede ist.292 Da die Soldaten oft für lange Zeiträume in ein und derselben Einrichtung hospitalisiert waren und dort in einer ähnlichen Lebenssituation ihrer Genesung entgegensahen, entwickelten sich vielerorts temporäre »Lazarett­ gemeinschaften«. Dabei handelt es sich nicht um einen Quellenbegriff, sondern er wird im Folgenden aus analytischen Gründen verwendet. In Zeitdokumenten finden sich eher Umschreibungen, die das entstehende Gruppengefühl im Lazarett charakterisieren. Manche Soldaten sagten etwa »wir hier«, wenn sie von ihrer Stube sprachen, oder »bei uns daheim«,293 wenn sie das gesamte Hospital meinten; andere schrieben von »diesem Kreise«294 Verwundeter, der im Lazarettsaal stets zusammengehalten habe. Der Militärpfarrer Eduard Goltz sprach von der »Hausgemeinschaft«,295 sein Amtskollege Daniel Schäfer wiederum vom Lazarett als einer intimen »kleine[n] Welt für sich«.296 Die genannten Vergemeinschaftungsprozesse konnten sich auf unterschiedlichen Ebenen abspielen. Zunächst finden sich in manchen Quellen Beschreibungen des Gesamtlazaretts als einer großen Solidar-, Kampf- und Schicksalsge290 Kähler, Eintrag vom 20.02.1918, Transkript S. 28. 291 Vgl. etwa zu den aufwendig abgestimmten Vorbereitungen für die Lazarett-Weihnachtsfeiern in München Stadtmagistrat München an das Kollegium der Herren Gemeindebevollmächtigten u. a., 04.12.1914, 12.11.1915 und 14.12.1915; Stadtmagistrat München, Beschluss vom 24.10.1916; Vereinigung für Liebestätigkeit in den Lazaretten an das Hohe Direktorium A, 22.10.1919, alle in: StadtAMü Bürgermeister und Rat 346/2. 292 Vgl. etwa Kähler, Eintrag vom 20.02.1918, Transkript S. 28; Emil Kraemer, Zimmer 27, in: Der Kamerad 10 (1918), in: BA-MA PHD 20/6; Dorsch, Stilles Heldentum, S. 20. 293 Buchner, S. 56 294 Brief eines Fußamputierten an seinen Heimatgeistlichen, zit. nach Dorsch, Stilles Heldentum, S. 20. 295 Goltz, S. 44. 296 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 6.

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meinschaft. Dieses Bild lässt sich weniger in den soldatischen Ego-Dokumenten selbst nachweisen, sondern stärker in Aussagen von Ärzten, Krankenschwestern oder anderem Lazarettpersonal, für die das Militärkrankenhaus der Arbeitsplatz war.297 Es drückte sich besonders in den Jahresfeiern aus, die manche Militärkrankenhäuser anlässlich ihres Bestehens begingen.298 Durch sie wurde die Lazarettgemeinschaft symbolisch bekräftigt. Der Patient Wilhelm Heider berichtete vom einjährigen Jubiläum des Reservelazaretts Ingolstadt II, das am 29. August 1915 stattgefunden habe. Fast genau so lang sei auch er bereits als Patient vor Ort: »Nur wenigen von den 2.200 Verwundeten, die im Aug. 1914 hier Aufnahme fanden, war es gegönnt, doch vielmehr waren gezwungen, die Jahresfeier hier zu begehen. Nur drei, ein Kleeblatt, blieb dem Lazarett treu, nämlich Schmidt Jos. aus Schongau, Felden Gust aus Hungen (Hessen) und meine Wenigkeit. Uns war nun eine kleine Jubilarfeier zugedacht. Schon am Sonntag 29.VIII. wurden wir drei zu einem kleinen Fest, das im engen Kreise der Schwestern, Ärzte und Unteroffiziere gefeiert wurde […] als Ehrenmitglieder eingeladen. […] Mittags bekamen wir drei je eine gefüllte Taube und Kuchen. Am Montag bedachte uns nun Frau Schneider mit einem sehr schön gedeckten Tischchen, auf dem 3 Flaschen Wein, 3 Platten mit Schinken, 3 Platten mit Kuchen und Äpfel, 3 Paket Zigarren je 20 Stück und 3 Blumenvasen sich befanden. […] Zu dieser kleinen Ehrung mußten wir uns an den Tisch setzen. Nun trug uns das 7 jährige Töchterlein (Ina Wolf) des Herrn Stabsarzt Dr. Wolf ein reizendes, rührendes Gedicht […] vor und überreichte jedem einen schönen Blumenstrauß. Dann gratulierten uns die Anwesenden. Hernach ließen wir uns die Sachen gut schmecken.«299

Hält man sich vor Augen, wie vehement die Sanitätsbehörden von 1915 an auf die rasche Entlassung von Patienten drängten, sind solche Phänomene, wie Wilhelm Heider sie hier beschreibt, höchst erstaunlich. Allein die Existenz langjähriger »Lazarettältester«300 wie ihm musste ein Dorn in den Augen der Heeresverwaltung sein. Doch viele Hospitäler ließen sich davon nicht beirren, weiter Jahresfeiern abzuhalten und Lazarettälteste auszuzeichnen. Diese Rituale trugen – wie auch Weihnachtsfeiern und andere Festanlässe – dazu bei, die Funktionalität und Normalität der ursprünglich oft überstürzt eingerichteten Militärkrankenhäuser zu demonstrieren. Während sie 1914 noch weitgehend provisorisch agiert hatten, etablierten und professionalisierten sich die Heimatlazarette im Kriegsverlauf immer mehr. Diese rasante Entwicklung zelebrierten Ärzte und Personal in den Jahresfeiern. 297 Vgl. Herder, insbes. Einträge vom 02.09.1914 und 10.12.1916, S. 22; 133; Abschiedsansprache des Chefarztes im Reservelazarett Ingolstadt II, 26.06.1918, in: BSMüA 5.6/5, Nr. 3; Schnitzer, S. 39–43. 298 Vgl. zu solchen Lazarettjubiläen exemplarisch Herder, Eintrag vom 28.08.1917, S. 167. 299 Heider, S. 87 f. 300 Auch der hier mehrfach zitierte Franz-Xaver Buchner war mit seinem über zwei Jahre dauernden Heilaufenthalt ein solcher »Lazarettältester«, vgl. dazu Buchner, S. 52.

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Auch für die Soldaten repräsentierte das Heimathospital eine zumindest zeitweise zurückgewonnene Ordnung in Zeiten des Krieges. In ihrer Wahrnehmung scheint jedoch weniger die »Lazarettgemeinschaft« als Ganze bedeutsam gewesen zu sein, sondern eher kleinere Subsysteme innerhalb der Krankenhauswelt – möglicherweise deshalb, weil sie räumlich weniger mobil waren als das medizinische Personal und sich somit stärker auf ihre unmittelbare Umgebung fokussierten. Die entscheidende Vergemeinschaftungsebene war für sie die eigene Abteilung oder Station; dazu kam der große Lazarettsaal, wenn sie in einem solchen lagen, oder alternativ die kleine Krankenstube. Besonders dieses intime Zimmer, in dem die Patienten meist zu viert oder sechst eng zusammenlebten, spielt in den Selbstzeugnissen eine prominente Rolle.301 Vielfach finden sich Beschreibungen der hier ad hoc entstehenden »Stubengemeinschaften«.302 Franz-Xaver Buchner etwa erwähnte die für ihn tröstliche Heiterkeit »meiner lieben Zimmergenossen, die es am Humor nicht fehlen ließen.«303 Es sei ein permanentes Gespräch im Gang gewesen. Zwar hätten Einzelne »wohl manchmal die Nase wegen der gemischten Zimmerluft«304 gerümpft, hätten sich aber davon »in ihrer launigen Unterhaltung keineswegs irre machen«305 lassen. Hans Wildermuth schilderte Ähnliches über seine Krankenstube in Stuttgart: »Mit den drei Zimmerkameraden kam ich sehr gut aus: ein hessischer Kellner, Nipoth, ein bayerischer Bauer, Pölloth, und ein Stuttgarter Schriftsteller, von dem ich freilich weder vorher noch nachher eine Zeile gelesen habe, bildeten mit mir die Belegschaft und besonders Nipoth war, seinem Beruf gemäss, trotz seines Kopfschusses, witzig und voller lächerlicher Geschichten. Pölloth neben mir hatte viel Schmerzen in seinem zerschossenen Bein, oft hörte ich ihn Nachts im Halbschlaf stöhnen.«306

Um die besondere Kommunikationskultur in den Krankenzimmern geht es auch in Paul Alverdes Novelle von 1929 »Die Pfeiferstube«.307 Hier entwickelt sich die Stubengemeinschaft zu einer brüderlichen Männerliebe weiter. Alverdes’ autobiographisch inspiriertes Buch handelt von drei – später vier – Kehlkopfverwundeten und ihrem Leben im Lazarett, auf der sogenannten »Pfeiferstube«. Das Zimmer trägt diesen speziellen Namen, weil die drei Insassen aufgrund ihrer Kriegsverletzung kaum noch sprechen können und wegen eines ihnen eingesetzten Metallröhrchens hauptsächlich Pfeiftöne hervorbringen. So kann fast niemand außerhalb des Zimmers sie verstehen. Innerhalb der »Pfeiferstube«

301 Vgl. Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 79, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; auch den Roman von Zweig, A., Erziehung, insbes. S. 421 f. 302 Mit verschiedenen Postkartenabbildungen der »mikrosozialen Gemeinschaft von Soldaten in einer Lazarettstube« Eckart, Die Wunden, hier S. 73. 303 Buchner, S. 37. 304 Ebd., S. 44. 305 Ebd. 306 Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 3, in: BA-MA N 278/3. 307 Vgl. mit einer kurzen Analyse Vollmer, S. 170 f.

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können die Protagonisten jedoch wunderbar miteinander kommunizieren, so dass sie nachts mit ihren pfeifenden Lauten »von Bett zu Bett lange Dreigespräche führten.« Niemals reden sie dabei von der Zukunft »und auch nur selten von einer Vergangenheit vor dem Kriege. Aber von ihrem letzten Tag im Feld und von den genauen Umständen ihrer Verwundung eindringlichen und feurigen Bericht zu geben oder anzuhören, wurden sie sobald nicht müde.«308 In diesen Zeilen weist Alverdes auf eine weitere Dimension der Vergemeinschaftung im Mikrokosmos des Krankenzimmers hin: die Solidarität unter Gleichverwundeten. Auf diese besondere Form der Leidensgenossenschaft läuft seine Novelle letztlich hinaus. Die drei »Pfeifer« sind mit ihrer schweren Kehlkopfverletzung so geschlagen und isoliert, dass sie dies umso mehr aneinander bindet. Der Autor, der diese Kriegsversehrung selbst erlitten hatte und nur mühsam zu einem heiseren Sprechen zurückfand, zeichnet in seinem Roman das Bild einer verschworenen Dreierclique. Die Leidensgenossenschaft steht auch in vielen soldatischen Selbstzeugnissen an prominenter Stelle. Für Frank-Xaver Buchner etwa, der mit drei weiteren beinverletzten Männern auf einem Zimmer lag, war sie zentral. Er habe in den gleichverwundeten Bettnachbarn moralischen Beistand gefunden: »Wir Vier natürlich auf Zimmer 42«,309 notierte er, »wir wechseln gegenseitig ab beim Operieren.«310 Die in Romanen und Selbstzeugnissen beschriebenen Formen der Vergemeinschaftung basierten nicht nur auf ähnlichen Krankheits- und Verletzungserfahrungen, sondern auch auf einer erzwungenen räumlichen Nähe, die sich aufgrund der Immobilität vieler Patienten ergab. Die Stubengemeinschaften stellten keine selbstgewählten Freundesgruppen im zivilen Sinne dar, sondern lassen sich vielmehr als »situative Notgemeinschaften«311 einordnen. Dass sich daraus längerfristige Freundschaften entwickelten, war freilich nicht ausgeschlossen. Insgesamt lassen die soldatischen Schilderungen der Stubengemeinschaft aber vor allem an die Idee der Kameradschaft312 denken, wie sie aus dem Frontalltag bekannt war. Auch hier hatte die Soldaten eine »Zwangsgemeinschaft«313 mit den übrigen Kämpfern verbunden – allerdings mit dem Unterschied, dass die Soldaten im Feld, anders als im Krankenhaus, ungleich stärker aufeinander angewiesen waren. So schilderten viele Schützengrabenkämpfer in Tagebüchern und Feldpostbriefen auch, welche Konflikte und gegenseitige Schikanen sich aus dieser beengten Situation des Ausgeliefertseins ergaben.314 Im Lazarett änderten sich die Abhängigkeitsverhältnisse. Nun waren die Soldaten nicht mehr auf die Kooperation mit Kameraden und Vorgesetzten angewiesen, sondern auf die 308 Alverdes, S. 16. 309 Buchner, S. 52. 310 Ebd., S. 55. 311 Begriff entlehnt aus Geisthövel u. Knoch, S. 363. 312 Vgl. zur vielschichtigen Idee der Kameradschaft Kühne, Kameradschaft. 313 Kühne, »Das Beste«, S. 516. 314 Vgl. dazu Knoch, P., Kriegsalltag, S. 228 f.; Ziemann, B., Front, insbes. S. 234–237.

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Hilfe von Ärzten und Pflegepersonal. Das Verhältnis zu den anwesenden Mitpatienten konnte sich auf diese Weise entspannter gestalten. Die Schattenseiten der Frontkameradschaft fielen weitgehend weg, die positiven Aspekte blieben.315 Auch manche Ärzte erkannten die besondere Dynamik der Stubengemeinschaft. Der Psychiater Willy Hellpach etwa wies darauf hin, dass sich im Heimatlazarett oft solche »Kleingemeinschaften«316 ausbildeten, »Freundschaften, Verkehrsgruppen, innerhalb deren ebenso günstige wie ungünstige Einflüsse wirksam sein können. Solche Sozialorganismen heißt es unauffällig beobachten und danach ihnen mehr oder weniger Spielraum verstatten.« Im Notfall habe der Chefarzt rücksichtslos durchzugreifen, »sei es durch Warnungen, durch Stubenwechsel, schlimmstenfalls durch Entfernung eines räudigen Bockes.« Für Mediziner wie Hellpach stellten die Stubengemeinschaften ambivalente Konstrukte dar: Sie stärkten zwar das seelische Gleichgewicht der Patienten und damit den Genesungsprozess, konnten aber stimmungsmäßig kippen und sich politisieren. Die heikle Frage lautete: Ab wann drohte die Leidensgenossenschaft zu einer unkontrollierbaren Kraft zu werden, die den Heilungswillen und die Kriegslust schließlich untergrub? Wie viel Vergemeinschaftung durfte oder musste man im Lazarett tolerieren? In diesen Überlegungen spiegelte sich bereits das größere Dilemma der Militärmedizin im Umgang mit seinen Heilanstalten und den darin lebenden Soldaten. 3.4.5 Lazarettsprache Ein interessantes Phänomen, das mit der Vergemeinschaftung in einer wechselseitigen Beziehung stand, war die Entwicklung einer Lazarettsprache. Es handelte sich dabei um einen Krankenhausjargon mit lokalen Varianten, welcher der Schützengrabensprache ähnelte, die ebenfalls eigene Wortschöpfungen, Witze und Schmähbegriffe kannte.317 Karl Bergmann zufolge, der 1916 das volkskundliche Buch »Wie der Feldgraue spricht« publizierte, war die Lazarettsprache ein Subtyp der allgemeinen Soldatensprache, die jedoch mit besonders »prachtvollen und urwüchsigen Wendungen«318 aufwarten konnte. Zum Lazarettjargon gehörten einerseits bereits erwähnte Begriffe, die sich auf den medizinischchirurgischen Bereich bezogen, etwa »Schlachtbank«319 für Operations­tisch,

315 Laut Thomas Kühne war die zufällig zusammengesetzte Stubengemeinschaft in der Kaserne für die Soldaten der entscheidende Ausgangspunkt, um das Männlichkeitsideal der Kameradschaft zu verinnerlichen. Sie stelle somit eine Art Urform der Kameradschaft dar, vgl. Kühne, »Das Beste«, S. 514. 316 Zitate im Folgenden aus: Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1209. 317 Vgl. dazu etwa Bergmann; Meier; für Frankreich mit größerer Systematik Sainéan; Déchelette; zur Soldatensprache zusammenfassend Reimann, Soldatenjargon. 318 Bergmann, S. 21. 319 Vgl. etwa bei Buchner, S. 29.

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»Metzgerküche«320 für Operationssaal oder »Knochenbrecher«321 für Arzt. Solche Metaphern drückten zunächst das teilweise blutige Geschäft der Militär­ mediziner aus, rekurrierten dabei aber auch auf das Bild des »Abschlachtens« von Menschen – nicht nur auf dem »Schlachtfeld« selbst, sondern auch nachträglich im Lazarett. Damit vermittelten sie den professionellen, seriellen Charakter des Operierens und Zuschneidens, wie er auch für Schlächtereien typisch ist. Indem sich Insassen und andere Angestellte des Lazaretts dieser Begriffe aktiv bedienten oder sie als Zuspitzungen passiv kannten, teilten sie einen gemeinsamen Interpretationsrahmen. Sie konnten die lazarettspezifische Umgangssprache nutzen, um damit zu signalisieren, dass sie sich in dieser Welt auskannten und zu ihr gehörten; sie eigneten sie sich sprachlich an. Gleichzeitig erlaubte es der Lazarettjargon auch, eine ironisch-kritische Distanz zur eigenen Hospitalisierung einzunehmen.322 Auch Erving Goffman hat in seiner Untersuchung »totaler Institutionen« auf entsprechende Phänomene hingewiesen. In geschlossenen Einrichtungen sei meist ein »Anstaltsjargon« festzustellen, »in dem die Insassen die für ihre eigene Welt bedeutsamen Ereignisse beschreiben. Das Personal – besonders die niedrigeren Ränge – kennt diese Sprache ebenfalls und gebraucht sie im Gespräch mit den Insassen, greift jedoch im Umgang mit Vorgesetzten und Außenstehenden stärker auf die Normsprache zurück.«323 Den Verwundeten und Kranken der deutschen Heimatlazarette war ihr besonderes Sprechen wohl teilweise bewusst. In der Lazarettzeitung »Bacillus Verus« etwa, die im Seuchenlazarett Logelbach herausgegeben wurde, beschäftigten sich verschiedene Artikel und Zeichnungen explizit mit dem Thema.324 Der »Bacillus Verus« stellt eine besonders interessante und seltene Quellenart dar, da es sich hier um eine von den Insassen selbst verfasste Lazarettzeitung handelte. Andere Journale dieser Art waren von der zivilen Kriegsfürsorge verfasst, als Informations- und Berufsvermittlungsblatt konzipiert und von eher pädagogischem Charakter.325 Die Schriftleitung des »Bacillus Verus« hingegen forderte die Patienten gleich im ersten Editorial zur tatkräftigen Mitarbeit auf. Dabei hob sie hervor, dass »besonders […] natürlich solche Artikel, welche sich in ihrer Ausführung dem Lazarettleben anpassen«326 erwünscht seien. Immer wieder kamen von den Beiträgern nun Hinweise auf die Lazarettsprache. Oft

320 Frank, S. 114; alternativ sprach man von der »Metzgerei«, Schäfer, Stilles Heldentum, S. 48. 321 Bergmann, S. 21. 322 Vgl. dazu auch Meier, S. 8. 323 Goffman, S. 58. 324 Vgl. etwa o.A., Chronik des Seuchen-Lazaretts; Rösslar; Heins. 325 Beispiele dafür sind etwa die Lazarett-Zeitungen aus Frankfurt a. M. und Hamburg, Ausschuß für Volksvorlesungen; Hamburgischer Landesausschuß für Kriegsbeschä­digte. In fast allen deutschen Regionen wurden während des Krieges derartige Lazarett-Zeitungen herausgegeben, von denen heute einzelne digitalisiert sind. Die übrigen finden sich in Staats- und Landesbibliotheken sowie Archiven. 326 o. A., Editorial.

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lag deren Komik darin, dass militärische Begriffe für nicht-militärische Objekte oder Situationen verwendet wurden, wenn etwa Linsen oder Erbsen »Schrapnells«327 genannt wurden.328 Ein längerer Artikel des Beiträgers Adolf Löhr329 zum Thema »Die Soldatensprache im Lazarett« geht auf diese Praxis detaillierter ein. »Wie im Schützengraben so sind auch in den Lazaretten mit der Zeit eine ganze Reihe neuer Ausdrücke von den Insassen geprägt worden«,330 heißt es hier einleitend. Bezeichnungen, »wie sie in der Front üblich sind« würden inzwischen »auf Vorkommnisse im Lazarett angewandt.« Morgens, wenn der Sanitätsgefreite oder die Schwester mit den Thermometern kämen, müssten »die unterschiedlichen Höhen von 3600 bis 4150 im Sturm genommen werden.« Später rüste sich alles zur Visite: »Ein Posten wird ausgestellt, der die Ankunft des Arztes melden muss. Kommt der Stationsvorsteher oder der Schreiber vorher durch den Saal, so heisst es: Der Feind schickt eine Patrouille vor. Ist der Arzt in Sicht, so ist der Feind im Anmarsch. […] Ist die Visite vorüber, so ist wiederum ein Angriff abgeschlagen.«

So gehe es immer weiter: Wenn neue Zugänge eingeliefert würden, spreche man davon, dass »Verstärkung« komme, »verlegt man Kranke von einer Station auf die andere, so findet eine Truppenverschiebung statt.« Nach dem Abendessen schließlich gebrauche so mancher Kranke »den Minenwerfer, oder den Nachtstuhl, die Bettlägerigen auch wohl die Kompottschüssel oder die Ente, womit Steckbecken und Urinflasche gemeint sind.« Und habe einmal einer »besonders gut verdaut«, so mache er »letzten Endes sogar noch einen Gasangriff.«331 Löhrs Artikel vermittelt einen Eindruck davon, welche Art von Soldatenwitzen – so oder so ähnlich – in den Heimatlazaretten kursierten, zumindest in den Krankenhäusern Freiburgs, wo dieser Text entstanden war und gelesen wurde. Mit einer solchen Sprechweise stellten die Insassen auf sprachlicher Ebene eine Kontinuität zum Kriegerleben vor der Krankheit oder Verwundung her.332 Da327 Vgl. dazu J., Karikatur. Ein Schrapnell bezeichnete eine mit Metallkugeln gefüllte Artilleriegranate, die kurz vor dem Ziel explodierte. 328 Vgl. dazu bereits Meier, S. 6. 329 Adolf Löhr (1889–1982) war ein häufiger Beiträger des »Bacillus Verus«, in späteren Ausgaben zeitweise der Schriftleiter. Ob er selbst Patient in Logelbach war, lässt sich nicht rekonstruieren. Nach dem Krieg arbeitete Löhr als Schriftsteller und Buchhändler in Wuppertal. Er schrieb u. a. Kinder- und Jugendbücher sowie Werke in Bergischer Mundart; sein Interesse galt also auch später lokalen Sprachbesonderheiten. 330 Zitate im Folgenden aus: Löhr, Die Soldatensprache. 331 Laut Karl Bergmann wurde der Begriff »Gasbombenangriff« oder auch »Stinkangriff« ebenso für die Narkose im Operationssaal verwendet, vgl. Bergmann, S. 22. 332 Weitere Beispiele für diese Praxis finden sich etwa im Roman von Alverdes, S. 77. Hier wird unter anderem eine grün angestrichene Lazarettstube auf der Geschlechtskrankenabteilung als »Jagdzimmer« bezeichnet. Franz-Xaver Buchner wiederum formuliert in seinem Lazarettbericht zur Frage der Genesungsdauer, dass er und seine schwerverwundeten Zimmergenossen »wohl länger noch die Stellung [halten]« müssten, Buchner, S. 52.

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rin drückte sich erneut der militärisch-zivile Übergangscharakter des Lazaretts aus – wobei Wortspiele, wie sie der Artikel wiedergab, vor allem die Parallelen zwischen Krankenhaus- und Fronterfahrung betonten. Der Lazarettjargon konnte sich aber auch von der Schützengrabenthematik lösen und andere Bereiche umfassen. So verwendeten die Patienten etwa bestimmte Spitznamen für die Personen, mit denen sie täglich zu tun hatten, oder benannten Zimmer und Objekte auf eigenwillige Art um, so dass nur noch Lazarettinterne und sonstige Eingeweihte die Anspielungen verstanden.333 George Grosz etwa berichtet in seiner Autobiographie über einen Sanitätsgefreiten, den alle nur den »teilweisen Maxe«334 genannt hätten, da er die Angewohnheit gehabt habe, in jedem Satz mehrmals das Wort »teilweise« unterzubringen. Um ihn aufzuziehen, hätten die Patienten nun selbst an den unpassendsten Stellen »teilweise« gesagt; der Sanitätsgefreite selbst habe den Witz jedoch nie verstanden.335 Hans Wildermuth wiederum gab einige der Scherzsprüche über das Rote Kreuz wieder, die in seinem Stuttgarter Genesungsheim im Umlauf waren: »Der Oberste des Roten Kreuzes für Württemberg, der Territorialdelegierte (›Total­ degenerierte‹) war der Präsident der Feuerversicherung, Geyer, zum Unterschied Feuer­geyer genannt, alter Krieger von 1870 […]. Er liess es nicht an Selbstbewusstsein und Aplomb des Auftretens fehlen. So ward […] geraunt: ›Haben Sie gehört, der Kaiser ist grössenwahnsinnig geworden, wirklich und wahrhaftig geisteskrank!‹ ›Aber wieso denn?‹ ›Sicher, er hält sich für den Geyer.‹«336

Durch das geteilte Witzerepertoire und die gemeinsame Umgangssprache verstärkte sich das Bild des Lazaretts als Mikrokosmos, in dem nicht nur besondere Regeln galten, sondern auch auf eine besondere Art gesprochen wurde. Gerade die längerfristig hospitalisierten Soldaten begannen, sich in dieser Welt mental und physisch immer mehr einzurichten. Auch wenn die Lazarette vom Militärsanitätsdienst ursprünglich nur als Durchgangsstationen konzipiert worden waren, bildete sich hier ein eigener Sozialraum, in dem viele Soldaten zeitweise heimisch wurden. 333 Ein Beispiel hierfür sind die Briefe ehemaliger Lazarettpatienten an die Krankenschwester Frieda Eickmann. Darin wird nicht nur sie selbst mit zahlreichen Spitznamen angesprochen (etwa »Gretel«, »Mötzchen«, »Tante«), sondern auch die anderen Krankenschwestern, deren eigentliche Vornamen somit heute nicht mehr rekonstruierbar sind, Briefe in: ZMSBw-Hausarchiv Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919; weitere Lazarett-Spitznamen in Alverdes, S. 32 f.; 70; 77; auch Karl Bergmann erwähnt zahlreiche Begriffe, etwa »Schleichpatrouillen« für die Krankenschwestern, die »auf leisen Sohlen durch die Säle schreiten« oder »­U-Boot« für die Bettpfanne. Das Pflegepersonal habe neu ankommende Patienten »mit aller Zähigkeit an diese Ausdrücke gewöhnt«, Bergmann, S. 21 f. 334 Grosz, Ein kleines Ja, S. 112. 335 Zum »Brauch im Lazarett«, sich gegenseitig zu necken, vgl. auch den Roman von Alverdes, S. 51. 336 Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 10, in: BA-MA N 278/3.

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3.5 Das Lazarett als Kontaktzone Das Heimatlazarett war – je nach Blickwinkel – auf paradoxe Weise ein offener und ein geschlossener Raum zugleich. Obwohl es sich einerseits als abgeriegelter Mikrokosmos mit eigenen Regeln, Sprechweisen und Ritualen präsentierte, erwies es sich in anderer Hinsicht als eine nach außen hin sowie sozial durchlässige »Kontaktzone«.337 Dieser Begriff bezeichnet nach der Literaturwissenschaftlerin Mary Louise Pratt bestimmte Sozialräume, in denen »disparate cultures meet, clash and grapple with each other, often in highly asymmetrical relations of domination and subordination«.338 Ihr Verständnis von »Kontaktzonen« lässt sich mit Gewinn auf die Heimatlazarette des Ersten Weltkriegs übertragen. Die sich hier ergebenden Berührungspunkte zwischen Einzelakteuren und Gruppen bestanden auf mehreren Ebenen: Es handelte sich beim Heimathospital sowohl um eine Kontaktzone zwischen Militär und Zivilgesellschaft, Männern und Frauen, Bayern und Preußen, Katholiken und Protestanten, als auch zwischen den Generationen und zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Das Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen Gruppen empfanden bereits die Zeitgenossen als ungewöhnlich.339 Der Lazarettpfarrer Eduard von der Goltz hob als eine Haupteigenschaft des Heimathospitals hervor, dass hier »oft genug wohlhabende Kaufleute aus Cöln und Elberfeld, Berliner Bankbeamte, pommersche Bauern, schwäbische Kleinstädter und ostpreußische Gutstagelöhner nebeneinander liegen.«340 Diese Menschen, die in ihrem Zivilleben andersartige Lebensstile pflegten und selten miteinander in Berührung kamen, mussten im Lazarett auf engstem Raum zusammenleben. Durch ihre ähnliche Krankheit oder Kriegsverletzung teilten sie nun unfreiwillig eine Gemeinsamkeit. Die Tatsache, dass auch viele externe Besucher die Lazarette frequentierten, verstärkte umso mehr ihre Eigenschaft als Kontaktzonen. Hier vernetzten sich Fachärzte untereinander, junge Krankenschwestern und Pflegerinnen bauten sich fernab des Elternhauses ein neues Lebens- und Arbeitsumfeld auf, kirchliche Lazarettbetreiber nahmen Fühlung zu den Patienten sowie zur Heeresverwaltung auf, Schulkinder lernten bei Gesangsauftritten die Militärkrankenhäuser von innen kennen, Angehörige besuchten die Patienten und gewannen einen Eindruck von der Tätigkeit des Sanitätsdienstes  – die Reihe ließe sich weiter fortsetzen. Sogar zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen entstanden nun Kontaktmöglichkeiten. In der Konsequenz gewannen die Akteure im Lazarett neue Erfahrungen, konnten sich aber auch in neuartige Konflikte und Missver337 Dieser Begriff ist vor allem aus Forschungen zu »interkulturellen Kontaktzonen« bekannt, etwa dem Mittelmeer, vgl. Klein u. Mackenthun, insbes. S. 2 f.; allgemeiner Bachmann-Medick, S. 306 f.; Pratt. 338 Pratt, S. 4. 339 Vgl. exemplarisch Tews, S. 176. 340 Goltz, S. 6.

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ständnisse verstricken. So klagte etwa das Sanitätsamt Ostsee im Oktober 1914, dass die freiwilligen Lazarettpfleger bislang nur schlecht miteinander kooperiert hätten. Nicht nur seien viele von ihnen »ganz unerfahren in der eigentlichen Krankenpflege«. Noch problematischer sei »das gegenseitige Nicht-Verstehen der aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen stammenden Pfleger, das vielfach zu Unzuträglichkeiten führte«.341 Im Folgenden wird die These des Lazaretts als Kontaktzone anhand zweier thematischer Schneisen genauer ausgeführt. Der Schwerpunkt liegt dabei erneut auf der Patientenperspektive. Erstens geht es um die Frage, inwiefern sich Kontakte zwischen deutschen Lazarettinsassen und kriegsgefangenen Mitpatienten ergaben. Zweitens wird untersucht, inwieweit der Krankenhausaufenthalt die Möglichkeiten und Formen des Kontakts zu Frauen prägte. Anhand dieser beiden Themenkomplexe zeigt sich auch, in welchem Maße das Lazarett als Institution der Heeresverwaltung mit einem widersprüchlichen Auftrag konfrontiert war: Einerseits sollte es sich militärisch abgrenzen, andererseits musste es gesellschaftlich nahbar bleiben, Angehörigen den Kontakt zu Patienten ermöglichen und die Gesamtbevölkerung mobilisieren. Dass das Heimathospital im Laufe des Krieges tatsächlich zu einer dynamischen Kontaktzone wurde, stand daher in einem spannungsreichen Gegensatz zu seiner militärischen Wiederherstellungsfunktion. 3.5.1 Der Feind im Nebenbett: Kriegsgefangene im Lazarett Das deutsche Heeressanitätswesen behandelte nicht nur die eigenen Militärangehörigen, sondern ebenso ausländische Kriegsgefangene.342 Damit folgte es den Vorgaben der Genfer Konvention.343 »Allen Angehörigen des feindlichen Heeres, die, verwundet oder krank, in Kriegsgefangenschaft geraten, oder die als Kriegsgefangene erkranken«, so hieß es demzufolge in der Kriegs-Sanitätsordnung (K. S. O.) von 1907, »wird freie militärärztliche Behandlung und Versorgung mit Verband- und Arzneimitteln, nötigenfalls Aufnahme in die Lazarette und Militärkuranstalten gewährt.«344 Obwohl es laut K. S. O. untersagt war, Kriegsgefangene in den weniger streng überwachten Vereinslazaretten und 341 Kriegstagebuch des Sanitätsamts Ostsee, Eintrag vom 06.10.1914, in: BA-MA RM 30/59. 342 Zu kriegsgefangenen Soldaten im deutschen Lazarett gibt es bisher keine Forschungs­ literatur. Relativ gut erforscht ist jedoch allgemein das Thema Kriegsgefangenschaft und Gefangenenlager im Ersten Weltkrieg, vgl. den Überblick bei Oltmer, Einführung; ders., Kriegsgefangene; Jones, Prisoners; dies., Violence; Kramer, Prisoners; Hinz, Gefangen; mit Fokus auf das Rote Kreuz dies., Humanität; im Epochenvergleich Pathé u. Théofilakis; Scheipers; zu Lagerzeitungen Pöppinghege. 343 Vgl. Genfer Abkommen vom 6. Juli 1906. Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken bei den im Felde stehenden Heeren, abgedruckt in: K. S. O., Anhang, S. 151–162. 344 K. S. O., § 335.

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Privatpflegestätten unterzubringen, weichten die Verantwortlichen dieses Prinzip während des Krieges auf, wenn bei Lebensgefahr schnell gehandelt werden musste.345 Ausländische Gefangene hatten also ein Anrecht auf Lazarettbehandlung bei schwerwiegenden Verwundungen oder Erkrankungen. Allerdings griff auch bei ihnen spätestens seit 1916 die militärmedizinische Beschleunigungsmaxime: Sie sollten im Lazarett nur so lange medizinisch versorgt werden, bis »sie nicht mehr Gegenstand der Lazarettbehandlung sein müssen bzw. sobald sie einen gewissen Grad von Arbeitsfähigkeit erreicht haben.«346 Das Stellvertretende Generalkommando I. bayerischen Armeekorps führte dazu weiter aus, dass Kriegs­gefangene aus »Gründen der Sicherung, sowie zur Abwehr der Spionage und Sabotage« grundsätzlich »möglichst frühzeitig den Lagern wieder zuzuführen«347 seien. Im Gefangenenlager sollten sie gegebenenfalls fertig ausheilen, dabei aber bereits zu Arbeitstätigkeiten herangezogen werden.348 Die Schwerverwundeten unter ihnen kamen für den Gefangenenaustausch in Betracht. Entsprechende Austauschaktionen fanden meist über die neutrale Schweiz statt.349 Laut Preußischem Kriegsministerium durften dabei nur solche Gefangene ihrem Land zurückgegeben werden, bei denen aufgrund der Schwere ihrer Verletzungen sowohl ausgeschlossen war, dass sie erneut die Kriegsverwendungsfähigkeit erlangen würden, als auch, dass sie in anderer Form wieder militärisch tätig werden konnten, etwa als Ausbilder oder in der Verwaltung.350 Im Ergebnis lagen in den Reservelazaretten (sowie in seltenen Fällen in den Vereinslazaretten) immer wieder verwundete und kranke Kriegsgefangene, insbesondere Franzosen, Russen und Briten. Wie sie dort unterzubringen waren, hatten die Militärbehörden nicht einheitlich geregelt – in manchen Lazaretten lagen die Gefangenen in abgetrennten, eigens bewachten Bereichen, in anderen Anstalten tatsächlich Bett an Bett mit den deutschen Soldaten.351 In letzterem Fall ergaben sich beinahe zwangsläufig Kontaktmomente und Gesprächsanlässe. 345 Vgl. etwa für Bayern: Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I. II.III. AK. u. a., Mai / Juni 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 346 Stv. Generalkommando I. AK. an das Sanitätsamt I. AK. u. a., 25.04.1917, in: BayHStA Stv. GenKdo.I.AK./739. 347 Ebd. 348 Vgl. zur Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen in Deutschland Oltmer, Arbeitszwang; ders., Unentbehrliche; Hinz, Gefangen, S. 246–318. 349 Vgl. dazu auch Moser. 350 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an sämtl. Stv. Generalkommandos, 23.04.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281. Ob hier eine Tätigkeit in der Militärverwaltung gemeint ist oder eine allgemeine Verwaltungstätigkeit, geht aus dem Dokument nicht klar hervor. 351 Wilhelm Heider etwa berichtete von abgetrennten Bereichen für verschiedene Nationen in seinem Ingolstädter Lazarett, vgl. Heider, S. 68; ebenso Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, in: ISG Frankfurt S5/91. Im Freiburger Herder-Lazarett wiederum lagen die Kriegsgefangenen im allgemeinen Lazarettsaal, vgl. Herder, z. B. Eintrag vom 12.09.1914, S. 27.

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Auch Kriegsgefangene wurden auf diese Weise zu einem Teil der temporären Erfahrungsgemeinschaft im Militärkrankenhaus. Allerdings galten für sie Sonderregelungen und -verbote. In Bayern etwa waren den Kriegsgefangenen zwar Spaziergänge außerhalb des Kranken­hauses erlaubt, allerdings weder in Wohnvierteln noch in der Nähe von Bahnanlagen.352 Auch innerhalb der Lazarette erwarteten die Behörden, dass eine möglichst große Distanz zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen gewahrt blieb. Besonders sollte sich das Pflegepersonal des »ausserdienstlichen Verkehrs mit Kriegsgefangenen«353 enthalten. Dies entsprach den allgemeinen militärrechtlichen Vorgaben für das Reichsgebiet: Der unerlaubte Kontakt zwischen einheimischer Bevölkerung und gefangenen »Feinden« galt als Strafdelikt nach § 9b des Preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand von 1851 und wurde von den Behörden teilweise mit mehrmonatigen Gefängnisstrafen geahndet.354 Passend dazu betonte das badische Sanitätsamt XIV. Armeekorps in einem Erlass, dass Gespräche zwischen Lazarettpersonal und Gefangenen nur gestattet seien, »soweit sie sich unmittelbar auf den Pflege- und Wartedienst beziehen. Jede zum Dienst nicht unbedingt erforderliche Unterhaltung ist untersagt.« Kriegsgefangene Offiziere, so hieß es hier weiter, dürften zwar Besuch empfangen, allerdings nur nach eingehender Prüfung durch den Chefarzt. An der Krankenkleidung der Gefangenen mussten »auf Brust und Rücken grössere Abzeichen«355 angebracht werden, um sie erkennbar zu machen. Sie sollten nicht in der Masse der übrigen blau-weiß-gestreift gekleideten Patienten verschwinden, sondern identifizierbar bleiben. Wie gestaltete sich nun der Kontakt zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen im Lazarettalltag? Aus dem Kriegstagebuch Charlotte Herders lässt sich ein erster Eindruck entnehmen, wie die Patienten ihres Freiburger Hospitals auf die Ankunft mehrerer kriegsgefangener Franzosen im September 1914 reagierten. Die Verlegergattin registrierte, wie reserviert die deutschen Patienten zunächst gewesen seien. Sie hätten sich erst an die besondere Situation gewöhnen müssen: »Gestern morgen […] kam ein Sanitätssoldat und fragte an, ob wir zwei Franzosen aufnehmen könnten – der Professor und ich folgten ihm schleunigst in den Saal nebenan, wo sie mit Bedeckung warteten, und ließen sie herein; der eine wurde auf der Bahre getragen, der andere lief in seinen roten Hosen und dem blauen Mantel hinterdrein. Als sie in den Saal traten, erhob sich aus allen Betten ein Naturlaut der Überraschung, den ich nicht wiederzugeben vermag, es war ein einziges O – o – o – oh, halb drohend, halb belustigt, ich weiß selbst nicht wie, alle Köpfe fuhren in die Höh, 352 Vgl. Stv. Generalkommando I. AK. an das Sanitätsamt I. AK. u. a., 30.11.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739. Das Stv. Generalkommando berief sich dabei auf einen Erlass vom 03.08.1916, Nr. 81581. 353 Sanitätsamt XIV. AK. an sämtl. Reservelazarette u. a., 20.08.1917, in: GLAKa 456 F 118 Nr. 35. 354 Vgl. Hinz, Gefangen, S. 191–201. 355 Sanitätsamt XIV. AK. an sämtl. Reservelazarette u. a., 20.08.1917, in: GLAKa 456 F 118 Nr. 35.

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und alle Augen starrten auf die ›Feinde‹. Da trat der Professor vor und rief mit seiner klingenden Stimme durch den Saal: ›Meine Herren, das sind Verwundete, keine Feinde mehr, ich bitte also, sich danach zu richten‹ – worauf eine Stille folgte. Ich wies den beiden ihre Lagerstätten an und sagte dem nächsten Nachbarn, einem Bayern, er möchte gute Nachbarschaft halten, worauf der brummend erwiderte, er habe schon mehr Rothosen gesehen, die Decke über die Ohren zog und einen tiefen Schlaf markierte. Mir war es eigen, ganz unaussprechlich eigen, jemand von den gefürchteten Feinden unter meinem Dach zu haben. Als ich vor einigen Tagen den ersten gefangenen Franzosen auf der Straße sah – es war ein baumlanger, wild und grimmig aussehender Mensch, der Mund und Nase verbunden hatte –, da erbebten mir die Knie, es ist eben doch ein Schreckensbegriff: ›Der Feind!‹ Für unsere zwei Verwundeten fühle ich aber nur Mitleid, sie sehen so krank und traurig aus.«356

Einen Monat später waren die Franzosen für Herder schon keine Sensation mehr. Während einer kirchlichen Andacht in der Lazarettkapelle, so schilderte sie, hätten auch zwei der Kriegsgefangenen mitgebetet. »Wunderbar ergreifend« sei es gewesen »als sie an derselben Bank mit den unsern niederknieten – unsere Feinde und doch unsere Brüder.«357 In den Augen der Verlegergattin verband nicht nur der gemeinsam verbrachte Heilaufenthalt, sondern auch der geteilte Glaube deutsche und französische Patienten miteinander. Einen weiteren Monat später kommentierte Herder in ihrem Tagebuch die zunehmende Lockerheit im Umgang zwischen deutschen und kriegsgefangenen Insassen: »Gestern haben wir einem Verwundeten eine Kugel aus dem Arm geschnitten; als er wieder im Bett lag, brachte man ihm die Kugel, worauf allsogleich die neugierigen Nachbarn um sein Bett zusammenströmten, unter andern auch der eine Franzose. ›Ja‹, sagte der glückliche Besitzer der Kugel halb lachend, halb grimmig zu ihm, ›schau sie dir nur an, du verdammter Gauner!‹ Der gute Franzose, der kein Wort verstand, nickte eifrig und beifällig, worauf die ganze Bande in ein stürmisches Gelächter ausbrach, aber da zeigte der Franzmann, daß er Spaß verstand, er deutete achselzuckend auf seine verschiedenen Wunden und entfernte sich lachend. Ich muß sagen, daß unsere Franzosen sehr anständige, nette Leute sind von einem guten Benehmen. Im Anfang sprachen sie nie miteinander, trotzdem sie alle drei Bett an Bett lagen, um nicht vor den andern etwas Unverständliches zu reden, erst seit sie auf sind, unterhalten sie sich leise und unauffällig. Sie sind natürlich sehr zufrieden und dankbar und wünschen nur, sie könnten so lange bei uns bleiben, bis ›Guillaume‹ Frieden macht. Daß Frankreich unterliegt, scheint ihnen ausgemacht.«358

In diesen mitfühlenden Worten Herders scheinen einige Ambivalenzen durch. Die Franzosen gaben sich in ihren Augen zwar als »anständige, nette Leute« zu erkennen, waren aber in ihrem jetzigen Zustand, als Kranke, auch nicht mehr bedrohlich. Sie so zu sehen, so abhängig von deutscher Hilfe, diente auch 356 Herder, Eintrag vom 12.09.1914, S. 27; ähnlich Elisabeth Schwarz, Tagebucheintrag vom 02.10.1914, in: Exner u. Kapfer, S. 162. 357 Herder, Eintrag vom 04.10.1914, S. 31. 358 Herder, Eintrag vom 10.11.1914, S. 39.

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der eigenen Selbstvergewisserung und Informationsgewinnung: Der angsteinflößende »Feind« war, aus der Nähe betrachtet, eigentlich schwach und verschreckt; er glaubte selbst nicht mehr an den eigenen Sieg. Aribert Reimann hat Ähnliches für den später kitschig überhöhten Weihnachtsfrieden von 1914 herausgearbeitet. Auch hier sei es beiden Parteien vor allem darum gegangen, den Gegner von Nahem zu sehen. Man habe sich bei dieser Begegnung zwar freundlich verhalten, sich aber auch der eigenen Stärke versichern wollen.359 Auch in anderen Ego-Dokumenten von Pflegekräften lässt sich diese einer­ seits wohlwollende, andererseits paternalistische Haltung erkennen. Die junge Krankenschwester Anni Aschoff, die im Freiburger Reservelazarett »Realgymnasium« tätig war, widmete den französischen Kriegsgefangenen in ihrem Tagebuch ein eigenes Kapitel. Sie beschreibt, ähnlich wie Charlotte Herder, eine anfängliche Irritation beim Eintreffen der Gefangenen – allerdings in diesem Fall mehr auf Seiten der Franzosen. Diese hätten es nicht glauben können, »daß ihnen kein Leid geschehe. In Todes-Angst lagen sie in ihren Betten, bei jedem Eintretenden zusammen fahrend.«360 Sie hätten auch in den ersten Tagen fast nichts gegessen. »Da redeten die Ärzte einmal ordentlich auf sie ein. So würden sie nie wieder gesund sie sollten doch ruhig sein es geschähe ihnen ja nichts. Wir sein [sic] doch keine Barbaren. ›Oh Non‹. Aber die Angst saß zu tief.« Auch die Krankenschwestern seien bei der Ankunft der Gefangenen zunächst unglücklich gewesen, »was sollen wir mit Franzosen wir verstehen sie ja nicht. Aber dann siegte das Mitleid über die patriotischen Gefühle denn arg verschossen waren die meisten, und gar so blaß und kümmerlich lagen sie da.« Ähnlich sei es den Besuchern aus der Freiburger Nachbarschaft des Lazaretts gegangen, die ebenfalls Mitleid mit den blassen Jungen bekommen und ihnen häufig Äpfel und Birnen zugesteckt hätten. Langsam seien die Franzosen schließlich zugäng­ licher geworden: »Und plötzlich eines Nachmittags wurde ich von unseren Soldaten mit der Neuigkeit begrüßt: ›Sie haben gelacht, die Franzosen, ganz laut, und Dame spielen können sie auch.‹ Nun war die Freundschaft geschlossen. ›Die können auch nichts für den Krieg die haben für ihr Vaterland gekämpft wie wir‹, meinten die Deutschen. Und die Franz. wunderten sich alle Tage mehr, daß die Bayern keine Babaren [sic] waren und nun gar ›les Prussiens‹ die aller schlimmsten.«

Die engagierte Pflege der Franzosen durch Anni Aschoff und ihren Vater ­Ludwig Aschoff, dem Chefarzt des Lazaretts, blieb einigen Gefangenen offenbar noch Jahrzehnte nach Kriegsende in Erinnerung. Im Jahr 1961 machte Jean Brousse aus dem ostfranzösischen Annecy, der Sohn eines der früheren kriegsgefangenen Patienten, die Familie Aschoff in Freiburg ausfindig, um ihnen auf

359 Vgl. Reimann, Der Große Krieg, S. 185–189. 360 Zitate im Folgenden aus: Anni Horch-Aschoff, Kriegstagebuch 1914–1918, Reserve-Lazarett Realgymnasium, Teil 1: 1914–1915, S. 40–43, in: StadtAFrei B1/378.

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Wunsch seines Vaters für die »damalige Versorgung zu danken.«361 In diesem Fall wirkten die im Lazarett entstandenen Beziehungen noch lange nach. An eine enge, fast freundschaftliche Verbindung zu einzelnen kriegsgefangenen Patienten erinnerte sich auch Gustav Kulicke. Der Sanitätssergeant war während des Krieges unter anderem im Reservelazarett II. Frankfurt am Main als Stationsaufseher eingesetzt. Hier lagen zeitweise auch britische Offiziere. Unter ihnen, so Kulicke, habe sich zum einen Oberstleutnant Earl befunden, »ein großer stattlicher Herr [mit] Vollbart«362, zum anderen Major Birley, »eine feinsinnige ausgeglichene Natur«. Besonders Birley habe immer wieder den persönlichen Kontakt zu ihm gesucht: »Anhand eines Unterrichtsbuches hatte er die deutsche Sprache soweit gelernt, um sich einigermaßen verständigen zu können. Er hatte einen klaren und offenen Blick, man hätte ihn, seinem Wesen nach, eher für einen Gelehrten, als für einen Soldaten gehalten. […] Er schenkte mir zur Erinnerung einige Abbildungen von den verwundeten kriegsgefangenen Offizieren im Reservelazarett II, er wollte auch gerne zum Andenken ein Bild von mir haben, doch ich mußte seine Bitte ablehnen, da eventuell später im Gefangenenlager der Verdacht an [sic] Spionage auftauchen könnte.«

Als diese Vorsichtsmaßnahme nach Kriegsende nicht mehr notwendig gewesen sei, so Kulicke weiter, habe er mehrfach versucht, Birleys englische Adresse herauszufinden und Kontakt aufzunehmen. Er folgte also einem ähnlichen Impuls wie 40 Jahre später Jean Brousse, nur in umgekehrter Kontaktrichtung und mit weniger Erfolg: Er musste erfahren, dass der Major bereits 1922 verstorben war. Aus Berichten wie diesen wird deutlich, dass der Kontakt zu Kriegsgefangenen im Lazarett in manchen Fällen weitaus persönlicher werden konnte, als von offizieller Seite vorgesehen. Nicht nur für Stationsaufseher wie Kulicke, sondern auch für Lazarettseelsorger war der Umgang mit den Kriegsgefangenen ein heikles Thema. Wie eng durfte das Verhältnis sein? Welche Form des Kontakts war militärrechtlich unbedenklich, aber zugleich christlich zugewandt? Der evangelische Pfarrer Eduard von der Goltz erklärte in seinem Handbuch für Militärgeistliche, dass alle ausländischen Patienten grundsätzlich eine »freundliche Behandlung«363 erfahren müssten. Der einzelne Gefangene sei ja nicht »unser ›Feind‹ und hat dasselbe menschliche Empfinden wie die armen Deutschen, die sich in Feindeshand befinden.« Doch dürfe man es mit der Freundlichkeit nicht übertreiben. Eine »Verwöhnung der Gefangenen« widerspreche dem nationalen Empfinden »und die Sucht des Deutschen, sich beim Ausländer beliebt zu machen«, müsse jetzt schweigen. Diese Forderungen ähnelten der allgemeineren Kritik der Kriegspropaganda während der Nahrungsmittelknappheit, wonach die zu gutmütigen 361 Notiz im Photoalbum von Frau Horch, geb. Aschoff, 1914–1918, in: StadtAFrei M 7090/18. 362 Zitate im Folgende aus: Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, in: ISG Frankfurt S5/91. 363 Zitate im Folgende aus: Goltz, S. 71 f.

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Deutschen ausländische Zwangsarbeiter mit üppigem Essen und anderen ExtraZuwendungen »verhätschelten«.364 Auffallend ist, dass mehr Quellen existieren, in denen Pflegekräfte und andere nicht-soldatische Lazarett-Akteure von den Kriegsgefangenen berichten, als Selbstzeugnisse von Patienten, in denen das Thema angesprochen wird. Es lässt sich vermuten, dass sich Pflegende, Geistliche und Ärzte aufgrund ihrer Berufsrolle stärker mit den Kriegsgefangenen auseinandersetzen mussten als die verwundeten und kranken Insassen. Tatsächlich stellt der Kontakt zu ausländischen Mitpatienten kein Hauptthema der soldatischen Selbstzeugnisse dar, weder in den zeitnah geschriebenen Tagebüchern und Berichten, noch in Memoiren. Womit diese seltene Erwähnung zu tun hat – ob die Verfasser der hier untersuchten Texte zufällig keinen Bezug zu Kriegsgefangenen hatten, weil diese in ihrem Lazarett gesondert untergebracht waren, oder ob etwa sprachlich-kulturelle Barrieren oder doch Animositäten den »Feinden« gegenüber im Weg standen – lässt sich nicht klären. Ein interessantes Beispiel für die Patientenperspektive auf Kriegsgefangene findet sich aber in den Memoiren Victor Klemperers. Er erwähnt darin einerseits »Kamerad Ruski«,365 einen beliebten russischen Gefangenen, der im Paderborner Lazarett zusammen mit den Deutschen untergebracht gewesen sei. Dieser Mann habe »wesentlichen Anteil an der guten Stimmung des Saals« gehabt: »[E]in rundlicher Bauernjunge, immer kindlich vergnügt, immer dienstwillig, immer zutunlich den Kranken, den Wärtern, den Ärzten gegenüber, immer redelustig in seinem gebrochenen Deutsch, immer voller Komik von der man nie wußte, wieweit sie auf Naivität, wieweit auf Schläue beruhte. ›Deutsche Soldat in Lille tags essen, sich drücken, nachts Maruschka…, ich in Deutschland seit Tannenberg. Besser als tott, Maruschka fehlt, aber Essen serr gutt….‹ Er konnte immer essen, er wurde mit jedem Rest fertig, den ein andrer stehenließ, und er rühmte jeden Bissen: ›Deutsches Essen serr gutt! […] Mir selber erwies er einen besonderen Dienst; ich ließ ihn heimlich die viele Milch trinken, die ich durchaus schlucken sollte und für die ich geringste Sympathie hegte.«

Andererseits kam Klemperer auf britische und französische Kriegsgefangene zu sprechen. Im »kameradschaftlichen Umgang«366 mit ihnen habe man Lieder ausgetauscht, »›Puppchen, du bist mein Augenstern‹ gegen ›Sous les ponts de Paris‹ und ›It’s a long way to Tipperary‹. Auch die Marseillaise wurde gespielt und gesungen, freilich leise, denn sie war verboten.«367 Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Lazarett als Lebensumfeld und geteilter Erfahrungsraum Kontakte zu den Kriegsgefangenen ermöglichte oder sogar begünstigte. Es war einer der wenigen Orte, an dem sich eine ungezwungene 364 Vgl. Hinz, Gefangen, insbes. S. 191. 365 Zitate im Folgenden aus: Klemperer, S. 438. 366 Ebd., S. 449. 367 Ebd.

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und vor allem ungefährliche Begegnung zwischen Soldaten der gegnerischen Heere überhaupt ergeben konnte.368 Zugleich blieben parallel zu diesen Annäherungen bisherige Stereotype bestehen. Russische Soldaten etwa wurden, wie bei Klemperer, als kindlich-naiv beschrieben, als »einfälti[g]«369 und unzivilisiert.370 Theodor Lessing, der während des Krieges als Arzt tätig war, kommentierte in einem Essay, die Russen-Abteilung seines Lazaretts sei geradezu »unheimlich«.371 Die russischen Gefangenen seien viel weniger widerstandsfähig als andere Insassen, in ihren Stuben gehe »der Tod um«. Stets kämen sie »verhungert, verlaust und verwildert« im Krankenhaus an. »Sie hatten Augen duldender, irrsinniger Hunde. Und ihre Wunden: Schuss-, Stich-, Hiebwunden, Zersplitterungen, Zertrümmerungen, Quetschungen, Zerrungen, Entzündungen, Verwachsungen, Vereiterungen; – kein Chirurg konnte genau sagen, wie all diese Jammerbilder zustande kamen.« Einzelne Ärzte gingen noch einen Schritt weiter als Lessing. Der Marinearzt Dr. Theopold etwa weigerte sich, russische Kranke überhaupt zu behandeln. Diese seien »voll von Ungeziefer«. Er wolle sich nicht anstecken und lehne daher den »unsauberen und in jeder Weise unerfreulichen und undankbaren Dienst«372 bei ihnen ab. Mit solchen Aussagen kommentierten die beiden Mediziner scheinbar nur die tatsächlich oft verheerende gesundheitliche Situation russischer Kriegsgefangener; zugleich bedienten sie aber gängige Vorurteile gegenüber den angeblich von Haus aus schmutzigen Osteuropäern, besonders aber der jüdischen Bevölkerung in Polen und Russland. Damit wurden auch ihre Stimmen zu einem Teil des »sozial-rassistischen […] antisemitischen Seuchendiskurses«373 der Kriegszeit, der in den deutschen Entlausungskampagnen zur Fleckfieberbekämpfung 1916–1918 in den besetzten östlichen Gebieten besonders deutlich zum Vorschein kam.374

368 Die Begegnungen zwischen gegnerischen Soldaten waren nicht auf Heimatlazarette beschränkt, sondern fanden ebenso in Feldheerlazaretten statt; vgl. zum Kontakt zwischen deutschen und französischen Soldaten und Krankenschwestern im Etappenlazarett das Tagebuch von Marie Kettler, Einträge vom 21.09., 16.10., 13.11., 04.12.1914, in: Deutsches Tagebucharchiv, S. 77–80. Als weiterer Berührungspunkt wäre an kurzfristige Verbrüderungsaktionen im Feld zu denken, wie sie vor allem für die Westfront untersucht worden sind, vgl. Ziemann, B., Front, S. 102–106; Eksteins, S. 161–179; Reimann, Der Große Krieg, S. 185–189. 369 Goltz, S. 71. 370 Vgl. zur stereotypen Beschreibung russischer und anderer osteuropäischer Kriegsgefangener als rückständig und kulturell unterlegen Hinz, »Barbaren«, S. 356 f. 371 Zitate im Folgenden aus: Lessing, S. 20. 372 Marine Ober-Assistenzarzt d. Res. Dr. Theopold an das IX. Marine-Luftschiff Detachement Libau, 02.11.1915, in: BA-MA RM 30/30. 373 Eckart, Medizin und Krieg, S. 194. 374 Vgl. ebd., S. 178–195; zu den Entlausungskampagnen auch Reimann, Der Große Krieg, S. 210–222; zum Zusammenhang von Läusekrieg und Antisemitismus Weindling, First World War; ders., Epidemics.

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Britische und französische Kriegsgefangene wurden im Lazarett hingegen positiver betrachtet, insbesondere wenn es sich um Offiziere handelte.375 Dies korrespondierte mit der tendenziell wohlwollenden Darstellung dieser Kriegsgefangenen in der deutschen Publizistik, etwa in Karikaturen oder Zeitschriftenartikeln. England und Frankreich galten, bei aller Kriegsfeindschaft, als »kulturell gleichwertig[e]«376 Nationen. In der bereits besprochenen Novelle »Die Pfeiferstube« von Paul Alverdes findet sich sogar das euphorische Bild einer transnationalen Kameradschaft zwischen Deutschen und Briten. Die drei deutschen Zimmergenossen integrieren hier im Verlauf der Erzählung den kriegsgefangenen Engländer Harry Flint, der mit derselben Kehlkopfverwundung in die »Pfeiferstube« verlegt wird, nach kurzem Zögern vollständig in ihre Stubengemeinschaft. Von nun an sprechen die vier Männer stets in einem »Gemisch aus Deutsch und Englisch [miteinander], das sie inzwischen zur allgemeinen Pfeifersprache erhoben hatten.«377 Harry wird von den anderen »in die Bräuche und Satzungen des Lazaretts und der Pfeiferstube im besonderen eingeweiht.« Der Engländer lernt schnell und »bald hatte sich der stumme und in sich gekehrte Fremde in einen immer heiteren, immer gesprächigen Freund verwandelt. Die Pfeifer gewannen ihn lieb.« In Alverdes’ biographisch inspirierter Novelle obsiegt die gemeinsame Leidens- und Zimmergenossenschaft über die nationale Kriegsgegnerschaft. Der Lazarettaufenthalt hat die Prioritäten und Zugehörigkeiten der Soldaten verschoben. Auch wenn es sich bei den Erlebnissen der »Pfeiferstube« um eine literarische Zuspitzung handelt, die in der LazarettRealität selten so vorgekommen sein dürfte, macht Alverdes’ Roman doch deutlich, welcher Perspektivwechsel durch die gemeinsame Krankenhauserfahrung für die Patienten theoretisch möglich war. Das Lazarett brachte zwar körperliches Leiden, aber auch Gemeinschaftserlebnisse und neue Verbindungen mit sich, sogar zu einstigen »Feinden«. Insgesamt erwies es sich als eine unerwartete interkulturelle Kontaktzone an der Heimatfront. 3.5.2 Mütter, Schwestern, Geliebte: Kontakt zu Frauen Neue Verbindungen entstanden im Lazarett auch durch den vergleichsweise engen Kontakt der Soldaten zu Frauen. Zwar ergaben sich Berührungsmomente bereits punktuell in der Etappe378 und in Feld- und Kriegslazaretten,379 doch die Front als solche erschien den Zeitgenossen als eindeutig männlich gepräg375 Zum Wandel des deutschen Englandfeindbildes seit dem 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, in das sich neben Hass immer auch Bewunderung dieses »stammverwandten Volkes« mischte, vgl. Jahr, »Krämervolk«, insbes. S. 140 f.; Epkenhans, Aspekte. 376 Hinz, »Barbaren«, S. 353, mit weiteren Quellenbeispielen. 377 Zitate im Folgenden aus: Alverdes, S. 64 f. 378 Vgl. etwa zu Etappenbordellen Ziemann, B., Front, S. 244 f. 379 Auch in Etappenlazaretten waren häufig Frauen als Pflegekräfte eingesetzt, in selteneren Fällen bereits in den Feldlazaretten, vgl. dazu Stölzle, insbes. S. 53; Körte, S. 36 f.

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ter Bereich. Das Heimathospital hingegen war tendenziell weiblich konnotiert. Diese Zuschreibung speiste sich vor allem aus der Tatsache, dass Krankenschwestern und anderes weibliches Personal im Lazarettalltag sichtbar präsent waren und ihre Aktivitäten zum Heilungserfolg entscheidend beitrugen.380 Doch auch auf einer abstrakteren Ebene wurde das Lazarett als femininer Ort imaginiert. Dabei spielten verschiedene Aspekte zusammen: Erstens wurde die »Heimat« selbst, in deren Sphäre sich die Lazarette befanden, als Zone der Frauen wahrgenommen, zumal sie durch die Einziehung von Millionen von Männern zum Kriegsdienst tatsächlich zunehmend verweiblichte.381 Zweitens war die Krankenpflege als Tätigkeit feminin konnotiert, obwohl sie faktisch auch von Männern ausgeübt wurde.382 Drittens schließlich verstärkten die Aktivitäten zahlreicher bürgerlicher Spendengeberinnen und Helferinnen das Bild des Lazaretts als weiblich geprägtem Ort. Diese Vorstellung stand quer zur Idee des Heimathospitals als Domäne der Militärmedizin, der Erziehung zur Arbeit und der Remobilisierung Genesener für den nächsten Fronteinsatz. So spiegelten sich im Aufeinandertreffen männlicher und weiblicher Akteure im Lazarett zivil- und militärmedizinische Konzepte von Pflege und Fürsorge. Außerdem kann das Heimathospital in einem allgemeineren Sinn als Kontaktzone zwischen Männern und Frauen verstanden werden, in der Geschlechterrollen und -verhältnisse angesichts von Invalidität und Krankheit neu ausgehandelt werden mussten.383 In einem Gedicht des Patienten Hans Wildermuth wird die Idee des Heimathospitals als Ort des Mütterlich-Weiblichen greifbar, in dessen Inneren eine Art (soziale) Wiedergeburt des Kriegsversehrten möglich war. Nachdem sich Wildermuth im Stuttgarter Ottilienhaus während der Wintermonate 1914/15 von seiner Verwundung erholt hatte und die Entlassung bevorstand, schrieb er ins Stammbuch des kleinen Lazaretts ein Abschiedsgedicht zum Dank: »Acht Tage in glühendem Sonnenbrand, Acht Tage auf Frankreichs Strassen, Acht Tage durchs brennende feindliche Land, Acht Tage vorwärts unverwandt, Kaum Rast auf nachtkaltem Rasen 380 Zu britischen, französischen, US-amerikanischen und australischen Krankenschwestern im Ersten Weltkrieg existiert eine breite Forschung, vgl. etwa Fell u. Hallett; Hallett; Fell; Powell; mit internationalen Beiträgen zur Krankenpflege und Frauen im Krieg Hämmerle u. a. Für den deutschen Fall bestehen weiter Forschungslücken. Mit einem ausschließlichen Fokus auf Etappenlazarette Stölzle; außerdem die älteren Arbeiten von Panke-Kochinke, Unterwegs; dies., Jammer; Schulte, Schwester; Grundweher. 381 Vgl. dazu Daniel, Frauen, S. 121; zum weiblich konnotierten Begriff der »Heimatfront« auch Davis. 382 Vgl. zum männlichen Sanitätsunterpersonal (Sanitätsmannschaften und Militärkrankenwärtern), die selbst zum Soldatenstand gehörten, Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitäts­ bericht, Bd. 1, S. 55–60. 383 Vgl. zur Neuordnung der Geschlechterverhältnisse aufgrund von Invalidität Kienitz, Beschädigte, S. 238–253; allgemeiner zu Geschlechterverhältnissen im Ersten Weltkrieg Bussemer; Hämmerle, Heimat / Front.

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Acht Tage wie wütender Traum und Trug Wild haben die Schlachten gewettert Acht Tage ein Marsch wie ein einziger Flug, Acht Tag’ ein berauschender Siegeszug – und am neunten die Glieder zerschmettert.« »Und die Wunden aus staubheisser Sommeschlacht Hat gestillt der heimische Winter: So still ist die endlose Nebelnacht Und so friedlich der Wälder weiss schimmernde Pracht, Ja, die Heimat heilt ihre Kinder.«384

In diesem Gedicht erscheint die gesamte Heimat wie eine liebende Mutter, die die Wunden ihrer Söhne (Kinder) stillt. Damit wird zugleich das Lazarett mit der Heimat gleichgesetzt und als weiblicher Ort eingeführt. Diese Parallelisierung von Heimat, Mutter und Krankenpflege findet sich auch in einem anderen Patientengedicht eines namentlich nicht näher bekannten Unteroffiziers mit den Initialen »W. G.«. Anders als im Falle Wildermuths waren die Verse dieses Lazarettinsassen gezielt für eine Veröffentlichung geschrieben. Sie erschienen in der Freiburger Lazarettzeitung »Der Kamerad« von 1918.385 Ähnlich wie der »Bacillus Verus« aus dem Seuchenlazaretten Logelbach publizierte auch dieses Krankenhausjournal hauptsächlich Beiträge von Lazarettinsassen, darunter das Gedicht des »W. G.«. Thematisch dreht sich dieses um die »Kriegsschwester« und ihre verschiedenen Rollen im Lazarett. Neben der mütterliche Ebene deutet der Verfasser hier noch eine romantisch-partnerschaftliche Zusatzfunktion der Krankenschwester an: »Wie eine Mutter beugte sie, sich über jenes Bettes Rand, wo fiebernd – mit zerschossenem Knie auf schlichtem Täflein war benannt: ›… Scharfschütze, Alter: 17 Jahr’ Freiwilliger im Alpenkorps.‹ Wie strich sie ihm das blonde Haar und sprach ihm Trostesworte vor! Und wo ein stiller Landwehrmann mit ernstem Blick um Hilfe bat, trat freundlich sie zum Bett heran, wie wohl daheim sein Weib es tat. 384 Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 23 f., in: BA-MA N 278/3. Ein ähnlich angelegtes Abschiedsgedicht für das Vereinslazarett »Diakonissenanstalt« Hall findet sich in: Diak-Archiv (DA) 117/66, zit. nach Krause, »Vereins-Lazarett«, S. 443. 385 »Der Kamerad« war die Lazarettzeitschrift des Freiburger Reservelazaretts »Lessingschule«. Sie erschien nur 1918 in 14 Ausgaben. Die knappen schwarz-weiß gedruckten Hefte enthalten neben Texten, Gedichten und Ratespielen auch humoristische Zeichnungen. »Der Kamerad« findet sich archiviert in: BA-MA PHD 20/6.

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Und war am Abend dann einmal verklungen ihr so leichter Schritt war’s uns, als nahm sie aus dem Saal den letzten Rest von Heimat mit.«386

Die Krankenschwester erscheint in diesem Gedicht in drei Rollen. Sie verkörpert mit ihrer Person nicht nur eine überpersönliche Heimat-Idee,387 sondern fungiert auch für die jüngeren Patienten als Mutter-, für die älteren als Ehefrauen-Ersatz. In der Vorstellungswelt der Zeitgenossen nahm die Figur der Kriegskrankenschwester eine prominente Stellung ein. Nicht nur in patriotischen Kriegspublikationen und der späteren Erinnerungsliteratur, sondern auch in soldatischen Ego-Dokumenten spielte sie eine wichtige Rolle.388 Über die Beschreibung ihrer »lachenden Augen«389 und des persönlichen Engagements, mit dem sie die Soldaten »hilfsbereit und liebenswürdig«390 pflegte, konnten die Patienten die beruhigenden Seiten des Lazarettaufenthalts in Worte fassen. Wilhelm Heider etwa lobte in seinem Erinnerungsbericht sowohl die Arbeit der Barmherzigen Schwestern, die unermüdlich »hilfreich und tröstend tätig«391 gewesen seien, als auch die Tätigkeit der 32 freiwilligen Rotkreuz-Schwestern. Diese hätten besonders »viel zu schaffen« gehabt, »denn weit über die Hälfte der Patienten waren ganz auf die Hilfe und Pflege der Schwestern angewiesen.« Und das nicht nur körperlich: Viele seiner Mitkameraden seien von den Rotkreuz-Damen »in trüben, schweren, schmerzenreichen Stunden aufgemuntert und aufgeheitert [worden] durch ihr fröhliches Benehmen.« Der Patient Josef Diel wiederum erinnerte sich besonders an eine Krankenschwester Löhrer im Frankfurter Lazarett »Zum Heiligen Geist«. Diese elegante Professorengattin sei unter den Insassen besonders beliebt gewesen: »Ihr war gar nichts zuviel und oft bereitete sie uns kleine und große Überraschungen. Sie verstand die Soldaten und öfter setzte sie sich wohl auch über die Hausordnung hinweg. Sie konnte sich das eben leisten, niemand wagte ihr als einer der angesehenen Damen der Gesellschaft entgegenzutreten, zumal, was dabei ja immer eine Rolle spielte, es auch noch eine schöne Frau war, obwohl sie schon Großmutter war. Die meisten ihrer Pfleglinge wären für sie wohl durchs Feuer gegangen.«392

386 Unteroffizier W. G., Gedicht »Die Kriegsschwester No. 33/34«, in: Der Kamerad 3 (1918), in: BA-MA PHD 20/6. 387 Vgl. dazu bereits knapp Nitschke, S. 90. 388 Vgl. exemplarisch Schlebusch; Klemperer, S. 443 f.; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 78, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 389 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 2, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 390 Buchner, S. 36. 391 Zitate im Folgenden aus: Heider, S. 74. 392 Diel, S. 101 f.

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Auch in Diels Memoiren lässt sich die der Krankenschwester zugewiesene Doppelrolle als mütterliche Versorgerin und begehrenswerte Frau erkennen. Genau diese Position machte offenbar ihren Reiz aus, auch für literarische Zwecke. Die treusorgende Krankenschwester war nicht nur eine erlebte Realität der Lazarettpatienten, sondern mehr noch eine Sehnsuchts-Figur. Sie wurde sowohl während des Krieges selbst, als auch später in der Nachkriegszeit mythisch verklärt.393 Nach Klaus Theweleit firmierte die »weiße Krankenschwester« in der Freikorpsliteratur der Nachkriegszeit als das unbetretene Gebiet, ein »unbeschriebenes, nicht zu beschreibendes Blatt – Territorium für Männerphantasien.«394 Dabei war ihr öffentliches Bild nicht frei von Widersprüchen. Die Darstellung vor allem der Rotkreuz-Schwester changierte zwischen der Sakralisierung als Madonnenfigur, die aufopfernd und rein den deutschen Kämpfern zur Seite stand395 sowie einem sexualisierten Gegenentwurf, wonach sie bloß brave Krankenschwester »spiele«, während sie in Wahrheit auf der Suche nach Abenteuern, Ehekandidaten und Selbstbestätigung sei.396 »Überhaupt bekommt man den Eindruck, daß die Pflegerin entweder ein Engel oder eine Dirne sein müsse«397, hieß es dazu 1929 in der von Magnus Hirschfeld und anderen liberalen Ärzten herausgegebenen »Sittengeschichte des Ersten Weltkriegs«.398 In ihrer Mehrheit jedoch präsentierten Darstellungen aus der Kriegszeit, wie etwa Plakate zum Spendenaufruf, die Rotkreuz-Schwestern in ihrer entsexualisierten Rolle als Versorgerinnen.399 Indem sie weitgehend auf diese MutterPosition festgelegt wurden, rückten die Soldaten-Patienten folgerichtig in die Rolle von Söhnen beziehungsweise Kindern. Die Ärzte wiederum wurden vielfach als Vater-Figuren beschrieben.400 So setzte sich im Lazarett eine imaginative Kernfamilie mit Stellvertreter-Rollen zusammen.401 Die eigentlichen Herkunftsfamilien der Soldaten, die sie oft monatelang nicht sehen konnten und von 393 Vgl. zur Figur der Krankenschwester in der Erinnerungsliteratur Vollhardt. 394 Theweleit, S. 142. 395 Vgl. Kienitz, Beschädigte, S. 249 f.; Daniel, Frauen, S. 121. Zu Krankenschwestern und Kriegsversehrten in der Wirtschaftswerbung vgl. Rudolph, S. 271–277. 396 Vgl. Schönberger, S. 113 f.; zur »eigenartigen präerotischen Spannung« von Krankenschwester-Darstellungen auf Lazarettpostkarten auch Eckart, Die Wunden, S. 41. 397 Hirschfeld, M. u. Gaspar, S. 161 f. 398 Regina Schulte zufolge verdichtete sich das ambivalente Bild der Frau »als Beschützende und als Bedrohliche […] in der Phantasie von der Krankenschwester als Engel und Todesengel. Sie verkörpert die mütterliche und die kastrierende Seite der Frau, der der verletzte Krieger ausgeliefert scheint.«, Schulte, Die verkehrte Welt, S. 22; zur entsexualisierten »weißen« und bedrohlich-erotischen »roten Schwester« Theweleit, S. 87–92; 98–107. 399 Vgl. etwa Rotes Kreuz Aachen, Spendenaufruf »Das Rote Kreuz von Aachen«, 27.01.1915, in: Stadtarchiv Aachen, Sammlung Erster Weltkrieg. 400 Vgl. etwa in Alverdes, S. 41 f. 401 Vgl. zu dieser Charakteristik von Krankenhäusern allgemeiner Freidson, Preface, S. 7: »Because ailing people live in it, the hospital will always have some attributes of the h ­ otel or dormitory: some of its pesonnel will play domestic roles and others will supervise them.«

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denen vielleicht nicht mehr alle Mitglieder am Leben waren, wurden auf diese Weise temporär substituiert. Regina Schulte, die in den 1990er Jahren Krankenschwestern-Berichte aus Feld- und Kriegslazaretten aus frauenhistorischer Perspektive untersucht hat, hebt hervor, dass Krankenschwestern in Fronthospitälern eine »familiale Innenwelt« inszeniert hätten, mithin »jene[n] Intimraum der bürgerlichen Familie […], in dessen Zentrum Mütter und Söhne stehen.«402 Doch mit dieser ausschließlichen Konzentration auf frontnahe Hospitäler und die Sichtweise der Krankenschwestern bleibt die Vorstellung des Lazaretts als Haus / Heim mit familienähnlichen Rollenzuweisungen unvollständig. Tatsächlich lässt sich dieselbe Eltern-Kind-Semantik auch für den Bereich der Heimatlazarette und aus Sicht anderer Krankenhaus-Akteure wiederfinden, beispielsweise der männlichen Militärgeistlichen.403 Vor allem die Infantilisierung der Lazarettinsassen, die mit der Vorstellung des Lazarettpersonals als Ersatz-Familie einherging, lässt sich von verschiedener Seite feststellen. Die Verwundeten seien wie »große Kinder«404, heißt es immer wieder in den Quellen. Sie müssten nachträglich erzogen werden. Manche Patienten übernahmen dieses Bild auch für sich selbst.405 Der Schwerverwundete Franz-Xaver Buchner etwa befand, er sei im Krankenbett »hilfloser als ein kleines Wickelkind«.406 Gespannt höre er bei den täglichen Visiten des Chefarztes wie »ein Kind zum Vater […] auf jedes seiner Worte, wie er mir die Schwere meiner Verwundung so schonend wie möglich beibrachte.«407 Die verbreitete Idee der Lazarettzeit als »zweite[r] Kindheit«408 erschien offenbar auch ihm schlüssig. Ebenso wie Buchner waren viele Schwerverwundete sehr jung und infolge ihrer Verletzung plötzlich unselbständig geworden. Nun mussten manche von ihnen grundlegende Fähigkeiten wie Sprechen, Schreiben oder Gehen mühsam wieder erlernen.409 Doch ähnlich wie Kinder waren sie auch weitgehend frei von beruflichen Verpflichtungen. Zugleich enthielt der vor allem von ziviler Seite geführte Infantilisierungsdiskurs eine soziale Sprengkraft. Denn die Idee des Soldaten als Kind und der Krankenschwester als omnipräsenter Mutter stand in unvereinbarem Gegensatz zur Vorstellung des Militärs als einer Zone männ402 Schulte, Die verkehrte Welt, S. 110. 403 Vgl. etwa die Erzählung »Schwester Angelika«, in: Die Frau im Volksverein für das katholische Deutschland 5 (1917), S. 15 f., in: BayHStA MKr/2331; Schäfer, Stilles Heldentum, S. 41 f.; Alverdes, S. 35–37; allgemeiner Zweig, A., Erziehung, S. 406 f. 404 Vgl. Schleich, S. 14 f.; Herder, Eintrag vom 21.12.1914, S. 43; Grupe, S. 13; H. Kirschner, Das Kaiser-Wilhelm-Kinderheim in der Kriegszeit!, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-FröbelHauses 111 (1914), S. 26–29, in: APFH / Vereinszeitung; entsprechende Formulierungen von Etappenschwestern finden sich bei Stölzle, S. 104. 405 Vgl. Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 79 f., in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Richert, S. 187. 406 Buchner, S. 46. 407 Ebd., S. 36. 408 Penzoldt, S. 155. 409 Vgl. Röhr, S. 188 f.; Heider, S. 101 f.; Buchner, S. 61 f.

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licher Autorität und Tätigkeit.410 Umso stärker mehrten sich daher im Verlauf des Krieges die Stimmen, die vor einer Verweiblichung und Verweichlichung der Soldaten im Heimatlazarett warnten.411 Entscheidend ist, dass die Figur der Krankenschwester nicht isoliert betrachtet werden darf, da sich die Darstellungen und Rollenzuschreibungen von Patienten, Ärzten und Schwestern wechselseitig beeinflussten. Wenn die Krankenschwester als Mutter-Madonna beschrieben wurde, korrespondierte dies mit dem Bild der Lazarettpatienten als (geopferte) Söhne des Vaterlandes und des Arztes bzw. der Heeresverwaltung als »starke[m] Vater«.412 So verhandelten die Zeitgenossen anhand des Heimatlazaretts nicht nur die Rolle der Frau in der deutschen Gesellschaft und die des Mannes, sondern noch übergreifender die Idee der Familie. Dabei mischten sich christlich-religiöse Ideen von Opfer, Leid und Erlösung mit bürgerlichen Familienvorstellungen. Die hierarchisch strukturierte Verbindung zwischen dem Lazarettarzt als strengem, aber klugem Patriarchen, der Krankenschwester als liebevoll versorgender Mutter und den soldatischen Insassen als unschuldiger Kinderschar schien die ideale deutsche Familie widerzuspiegeln  – eine Art »Volksfamilie«, die im Lazarett einträchtig und zugleich produktiv zusammenlebte. Auch zeitgenössisch als »deutsch« konnotierte Tugenden wie Disziplin, Gehorsam und Gefühlstiefe konnten über das Bild der Lazarett-Familie reklamiert und aktualisiert werden. Zugleich verwies sie auf das zeitgenössische Ideal der »Volksgemeinschaft«.413 Hinter diesem Begriff verbarg sich die politische Wunschvorstellung, dass sich die heterogene deutsche Klassengesellschaft durch das nationale Erweckungserlebnis der Augusttage 1914 zur homogenen Volksgemeinschaft zusammengeschlossen habe. Das Volk bilde eine organische Einheit, in der Solidarität und Harmonie herrschten.414 In diesem Sinne ließ sich das Heimatlazarett als ein Ort inszenieren, an dem diese gesellschaftliche Utopie bereits verwirklicht war. Krankenschwestern waren indes nicht die einzigen weiblichen Akteure im Heimathospital – und für manche Patienten wohl auch nicht die wichtigsten. Ein Blick in die Ego-Dokumente zeigt auf, dass einige Soldaten eher den Kontakt zu anderen weiblichen Angestellten suchten.415 So erwähnt etwa der Feldwebel Drewes in seinen Aufzeichnungen die regelmäßigen Unterhaltungen mit der Teppichstopferin des Lazaretts, einem »klugen und liebenswürdigen jungen 410 Vgl. Horne, Masculinities, insbes. S. 31. 411 Vgl. hier nur Beckmann, S. 1006; Zwiesele, S. 3. Allgemeiner dazu Kienitz, Beschädigte, insbes. S. 268. 412 Der Chirurg Carl Ludwig Schleich etwa betonte, dass den Patienten »die Heeresverwaltung wie ein starker Vater ist […]. Und wie leicht sind die Herzen dieser großen Kinder zu gewinnen, wie rührend diese Zeilen des Dankes später aus dem Feld, aus der Heimat.«, Schleich, S. 14 f. 413 Vgl. Bruendel, Volksgemeinschaft; Verhey, »Geist von 1914«. 414 Vgl. Verhey, Mythos, S. 85 f.; Bruendel, Die Geburt, S. 9–13. 415 Vgl. exemplarisch Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 136, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin.

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Mädchen«,416 weiter die Besuche der Hausdame Fräulein Henn auf seiner Krankenstube, die ein großes »Herz für die Verwundeten«417 habe, sowie die Unterhaltungen mit dem schlesischen Stubenmädchen Emilie. Diese mache ihm »in liebenswürdiger Weise die Wäsche und stellte mir Blumen auf den Tisch«.418 Manchmal bringe sie sogar »Pudding und andere angenehme Sachen, über die man sich freut, weil sie gut schmecken und weil man davon die Freundlichkeit anderer Menschen erkennt.«419 Solche Freundschaftsbeziehungen, wie Drewes sie hier beschreibt, blendete die zeitgenössische Publizistik und Bildpropaganda mit ihrer Fixierung auf die Figur der Krankenschwester aus. Möglicherweise lag ein Grund für diese Leerstelle darin, dass es sich bei den Reinigungs- und Hilfsarbeitskräften meist um Angehörige niedrigerer gesellschaftlicher Schichten handelte. Drewes deutet auch Liebesbeziehungen zwischen weiblichem Personal und Soldaten an, ohne allerdings näher ins Detail zu gehen.420 Inwieweit es im Lazarett häufiger zu entsprechenden Liebes- und Sexualkontakten kam (auch etwa zwischen weiblichem Personal und Ärzten oder Sanitätsunteroffizieren) oder ob es sich dabei eher um ein Randphänomen handelte, das aber die literarische Phantasie stark beflügelte,421 lässt sich schwer ermessen.422 Die Tatsache, dass Rotkreuz-Schwestern im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit unverheiratet sein mussten423 und katholische Ordensschwestern sowie evangelische Diakonissen im Lazarettdienst ebenfalls formal als Partnerkandidatinnen ausschieden, mag sexuelle Kontakte zwischen Männern und Frauen im Heimathospital erschwert haben, schloss sie aber nicht definitiv aus. Von den Diakonissen des Haller424 416 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 35, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 417 Ebd., S. 27. 418 Ebd., S. 34. 419 Ebd., S. 27. 420 Vgl. ebd., S. 43. Der Verfasser erwähnt zudem die Liebschaft eines Lazarettinsassen mit einer Zivilpatientin, vgl. ebd., S. 57–59. Weitere Andeutung über die Liebesbeziehung zwischen einer Krankenschwester und einem Patienten in: Wilhelm Günther an Frieda Eickmann, 24.07.1916, in: ZMSBw-Hausarchiv Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919. 421 Für Literatur und Film stellen Liebesbeziehungen zwischen Krankenschwestern und Lazarettpatienten oder Ärzten offenbar vielfach ein reizvolles Thema dar, vgl. Hemingway; Zweig, A., Erziehung; Rudloff; Pasternak. 422 Vgl. zum konkreten Fall einer Haller Diakonisse, die Affären mit Sanitätsunteroffizieren unterhielt Krause, Wenn man, S. 468–475; zu drei Münchner Helferinnen, »die mit Kranken und Wärtern ungeziemend verkehrten« Chefarzt des Reservelazaretts München  C an den Reservelazarettdirektor, 02.09.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./497; Hinweise zu Liebesverhältnissen zwischen Krankenschwestern und Soldaten auch in: Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389. 423 Vgl. Nitschke, S. 86. 424 Gemeint ist die heutige Stadt Schwäbisch Hall, die zwischen 1802 und 1934 offiziell nur »Hall« hieß.

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Mutterhauses etwa traten im Verlauf des Krieges zehn wieder aus der Ordensgemeinschaft aus, um einen Soldaten zu heiraten, den sie im Lazarett kennengelernt hatten. Darunter war auch die Diakonisse Magdalena Müller, die sich im Reservelazarett II. Ludwigsburg in den Sanitätssoldaten Robert Scholl verliebt hatte.425 Die beiden heirateten und bekamen sechs Kinder, darunter Hans und Sophie Scholl, die späteren Mitglieder der Widerstandsgruppe »Die Weiße Rose«. Für Liebesbeziehungen außerhalb des Heimatlazaretts bestanden weniger Hindernisse. Hierfür finden sich auch in den Quellen mehr konkrete Hin­ weise.426 Der Heilaufenthalt bot mit seinen langen Mußestunden und seiner relativen Handlungs- und Bewegungsfreiheit für manche Genesende sogar recht günstige Bedingungen, um neue Frauenbekanntschaften zu schließen. Ein anschauliches Beispiel für diese Gelegenheitsstruktur findet sich im Tagebuch des Patienten Adolf Dünnebacke. Zunächst notierte er im August 1918, dass er sich seit dem Beginn seiner Lazarettzeit völlig von der Außenwelt abgekapselt habe. Vom Krieg bekomme er nichts mehr mit, Zeitungen lese er nicht mehr. Doch »trotz meiner klösterlichen Abgeschiedenheit konnte ich nicht verhindern, daß ich mich verliebte. Wo sind meine guten Vorsätze?«427 Dünnebacke ging zunächst nicht weiter ins Detail, aus seinen Aussagen erschließt sich aber, dass er während seiner Ausgangszeit, beim Tanzen, eine Hamburgerin kennengelernt hatte. Eine Woche später hielt er fest: »Gestern hat sie mich schon zum 2ten Male besucht […] und wir haben einige glückliche Stunden zusammen verlebt.«428 Der Kontakt zwischen den beiden intensivierte sich immer weiter. Dünnebacke besuchte seine neue Freundin mehrfach in der Hansestadt. Doch zugleich scheint er sich über seine Lazarett-Liebelei Sorgen gemacht zu haben: »[M]ein Verhältnis zu Schön-Friedel ist, ungeachtet meines festen Vorsatzes, während des Krieges keinen ernsthaften Verkehr anzuknüpfen tiefer und inniger geworden. Wenn ich wieder eine Enttäuschung erlebe, wird sie sehr schmerzhaft sein.«429 Nun versuchte er, sich mit anderen Bekanntschaften abzulenken: »Hatte am Nachmittag am Bahnhof, dem sonntäglichen Treffpunkt der Stader Jugend, ein paar oberflächlich bekannte hübsche junge Mädel getroffen, und bin mit ihnen hinaus gewandert, in die Heide […]. Auf dem Rücken oder Bauch, wie es gerade passt, liegen wir in der Sonnenpracht und brüten lauter Dummheiten aus.«430

425 Vgl. Krause, Wenn man, S. 467. 426 Vgl. insbesondere Kähler, Einträge vom 15.01.1918, 20.02.1918, 02.04.1918; Transkript S. 26–28. Auf literarischer Ebene erhält dieses Thema in Grimms Roman »Schlump« großen Raum, vgl. Grimm, S. 129–131. 427 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 01.08.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17. 428 Ebd., Eintrag vom 08.08.1918. 429 Ebd., Eintrag vom 25.08.1918. 430 Ebd., Eintrag vom 08.09.1918.

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Der Kontakt zu Schön-Friedel, wie er sie im Tagebuch nannte, scheint sich aber ebenfalls fortgesetzt zu haben. Als Dünnebacke mitgeteilt wurde, dass er aus dem Lazarett entlassen werden sollte, fuhr er ein letztes Mal nach Hamburg, »um Abschied von meinem Schatz zu nehmen und habe dabei ihre Eltern kennengelernt. Die Mutter ist eine freundliche liebenswürdige Frau, der man gut sein muß. Der Vater beobachtet mich scharf.«431 Der Lazarettaufenthalt begünstigte jedoch nicht nur neue Liebesbekanntschaften, sondern ermöglichte es auch, die eigene Ehefrau, Verlobte oder Freundin vorzeitig wiederzusehen. Die Partnerin konnte, wenn sie genug Zeit und Geld zur Verfügung hatte, für ausgedehnte Zeiträume zum Krankenbesuch anreisen.432 Auf diese Weise gelang es manchen Paaren, weitaus länger miteinander Zeit zu verbringen, als es bei einem regulären Heimaturlaub der Fall gewesen wäre. Der Krankenhausbesuch lässt sich sogar als umgekehrter Heimaturlaub deuten: Statt dass der Soldat seine Familie besuchte, kam diese zu ihm ins Lazarett. Für den Feldwebel Drewes etwa war es »das Beste […], was mir in Godesberg wiederfahren ist: wieder mit Frau und Kind zusammen.«433 Während des zweiwöchigen Krankenbesuchs hätten sie zu dritt zahlreiche Spaziergänge und Ausfahrten unternommen, er habe seiner Frau und seinem Sohn aber auch die neuen Bekannten im Lazarett vorgestellt: »Der Junge war bald bekannt im ganzen Sanatorium. Fräulein Jacobi und Schwester Krohne und der Mediziner mit dem einen Auge und viele andere sprachen mit ihm und fragen ihn, wie er hieße, und er sagte: ›Hans D-hewes‹, und sie fragten ihn, wo er wohne und wie alt er sei.«434 So wurde das Lazarett auch für Kinder wie Hans Drewes ein Begriff.435 Indem sie entweder den Vater im Lazarett besuchten oder entsprechende Bildpostkarten zu Gesicht bekamen, über Verwandte in Lazarettbehandlung hörten oder Krankentransporte in ihrer Heimatstadt beobachteten, erhielt das Militärkrankenhaus einen Platz in der kindlichen Vorstellungswelt. Die Zivilistin Agnes Renz schrieb ihrem Bruder und dessen Frau in einem Brief, dass ihr kleiner Sohn entsprechende neue Spielgewohnheiten entwickelt habe: »›Königles‹ hat ja Hans immer besonders gerne gespielt. Wie ich vor einigen Tagen von der Kirche heimkam, hatte er sich einen Thron gebaut aus 2 Stühlen u. 1 Tuch darüber. Da drunter saß der König. Daneben war das Schloß zu sehen als Lazarett einge431 Ebd., Eintrag vom 10.09.1918. 432 Vgl. dazu etwa Klemperer, insbes. S. 455–459; Prof. Arnold Bergmann an Geheimrat Dr. Kohler, 03.05.36, Freiburg i. Br., in: StAFrei T1/45; zu diesem Thema auch Remarque, S. 181–183. 433 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 41, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 434 Ebd., S. 93. 435 Vgl. zu Kindern im Lazarett auch H. Kirschner, Das Kaiser-Wilhelm-Kinderheim in der Kriegszeit!, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 111 (1914), S. 26–29 sowie Clara Starke, Besuch von 24 Kindern des Kindergartens Berlin-Tempelhof im Garnisonlazarett, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 113 (1915), S. 33 f., beide in: APFH / Vereinszeitung.

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richtet, in 2 Stockwerken, aus Bauglötzchen [sic] gebaut, lagen Verwundete auf ihren Betten, einer neben dem andern. Ein besonders beliebtes Spiel ist, daß Hans u. Siegfried S­ anitäther sind u. auf einer Tragbahre ›Wundete hola mit em Rota Deuz‹, wie Siegfried sagt. Sie haben ja keine Ahnung was für ein schreckliches Spiel das eigentlich ist.«436

So wurden im Rahmen der weiblichen Besuchs- und Arbeitsaktivitäten in den Hospitälern vielfach Kinder mit der Lazarettwelt vertraut und eigneten sie sich auf ihre Weise an. Das Lazarett bot aber nicht nur eine Gelegenheit zur Familienzusammenführung, sondern konnte auch zum symbolträchtigen Ort für Verlobungen oder Kriegstrauungen werden.437 In diesem Fall diente seine Eigenschaft als Kontaktzone dazu, Fakten zu schaffen und Verhältnisse zu klären. Im Heimatlazarett war der Soldat gut erreichbar und präsent – wer wusste schon, wann und ob sich die Paare nach einem etwaigen nächsten Fronteinsatz wiedersehen würden? Die Hausfrau Clara Leidholdt notierte in ihrem Tagebuch im Juli 1917, dass ihr schwerverwundeter Bruder Fritz, der mit großen Schmerzen in einem Heidelberger Lazarett liege, durch die Aussicht auf eine Hochzeit mit seinem früheren Schwarm neuen Lebensmut geschöpft habe: »Elli war mit ihrer Mutter in Heidelberg, wo sie sich mit Fritz öffentlich verlobte. Wir hatten große Freude darüber. Schon daß dadurch Fritz nun an eine schöne Zukunft denken kann […]. Elli ist ein liebes Mädel, sie wird dem Fritz eine gute Frau.«438 Auch hier wurden also im geschützten Raum des Lazaretts bereits die Weichen für die Zeit nach der Entlassung gestellt. Insgesamt ist festzuhalten, dass das Verständnis des Heimathospitals als Kontaktzone zwischen männlichen und weiblichen Akteuren oder auch als Bereich des Weiblichen nicht einseitig auf die ikonische Figur der Krankenschwester verengt werden darf. Vielmehr müssen die unterschiedlichen Aspekte dieses Themas in den Blick genommen werden. Zentral ist, dass die lange physische Anwesenheit der Soldaten im Heimatlazarett vielfältige Formen des Kontakts zu Frauen ermöglichte: zu Besucherinnen, wie der eigenen Mutter, Schwester oder Ehefrau, zu weiblichen Angestellten oder auch zu »reiche[n] Damen und Fräuleins aus der Stadt«,439 die mit Liebesgaben ins Lazarett kamen. In dieser Kontaktfülle ähnelte die Situation durchaus dem Leben eines Zivilisten, allerdings mit dem Unterschied, dass den Soldaten in ihrer Patientenrolle mehr freie Zeit zur Verfügung stand. Auch dadurch verstärkte sich das Bild des Lazaretts als einer Zwischenwelt, außerhalb des gewohnten Lebens als Krieger oder Privatperson. In der Wahrnehmung der Zeitgenossen vermengten sich Vorstellungen von weiblicher »Heimat«, vertrautem »Heim«, Geborgenheit, Versorgtwerden 436 Agnes Renz an ihren Bruder Karl und dessen Frau in Münster, 28.12.1914, in: Ebert, S. 55. 437 Zu Kriegstrauungen im Lazarett vgl. Goltz, S. 44. 438 Clara Leidholdt, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, Eintrag vom 06.07.1917, in: Privatbesitz Georg Jacobi, Dresden. 439 Richert, S. 189.

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und Begehren zu einem besonderen Gesamtbild, das auf das Lazarett als Ort projiziert wurde. Es schien alle diese Vorstellungen und Wünsche zu verkörpern und den Soldaten – wenigstens vorübergehend und ersatzweise – zur Verfügung zu stellen.

3.6 Das Lazarett als Sehnsuchtsort Während die Heimatlazarette in manchen Nachkriegspublikationen als triste Orte der Verzweiflung erscheinen, in denen die Schwerverwundeten und Amputierten (erstmals) erkennen, welche Konsequenzen ihre Verletzungen nach sich ziehen werden,440 ist dies nicht das vorherrschende Bild, das sich aus den soldatischen Selbstzeugnissen ergibt. Im Gegenteil ist der Ton der meisten Lazarettbeschreibungen zuversichtlich und humorvoll, in manchen Fällen auch ernst und sachlich, aber kaum verbittert oder verärgert über die Umstände der Hospitalisierung. Dieser positive Duktus der Ego-Dokumente mag sich zu einem gewissen Teil damit erklären, dass die Patienten nicht alles aussprechen konnten oder wollten, was sie empfanden; dass es etwa in Briefen Grenzen des Sagbaren und Erträglichen gab oder sich die Soldaten in ihren Tagebüchern mit »Galgenhumor und Selbstironie«441 selbst Mut zusprechen wollten statt eine kritische oder pessimistische Position einzunehmen. Es mag damit zu tun haben, dass sich die Verfasser von Memoiren vor etwaigen Lesern als besonders stark und unbekümmert präsentieren wollten oder dass ihnen die Lazaretterfahrung in der Rückschau nicht mehr so schlimm erschien wie im Erleben selbst. Zudem stammen die hier untersuchten Selbstzeugnisse nicht von den dramatischsten Fällen der (Mehrfach-)Amputierten, Rückenmarks- und Gesichtsverletzten oder Kriegsblinden, die prozentual gesehen aber eine Minderheit der Lazarettinsassen im Heimatgebiet darstellten, für die sich vermutlich tatsächlich wenig Positives mit dem Hospital verband.442 Auch in manchen der hier analysierten Ego-Dokumenten berichten die Patienten detailreich über ihre »nicht enden 440 Vgl. hier beispielhaft Remarque, S. 180; Graf; Frank, S. 133–150; Weiß, insbes. S. 90; mit Verweis auf zahlreiche entsprechende Darstellungen in Literatur und Malerei Schubert, S. 459–471. 441 Hans Stenger an seine Eltern, 24.08.1917, in: Deutsches Tagebucharchiv, S. 84. 442 Die Zahl der Amputierten lässt sich schwer beziffern. Nach Angaben des Statistischen Reichsamts und der Sanitätsbehörden waren rund 70.000 Soldaten davon betroffen, vgl. Kienitz, Beschädigte, S. 156. Die meisten Patienten im Heimathospital litten an Krankheiten, vor allem der Atemwege, des Magen-Darm-Trakts, der Haut, der Muskeln und der Nerven, oder an Verwundungen, die keine Amputation nach sich zogen, vgl. mit genaueren Zahlen Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, Tafel 17 (im Anhang); für bayerische Lazarette vgl. Bayerisches Statistisches Landesamt, S. 396 f. Insgesamt kamen Krankheiten in den Lazaretten etwa doppelt so oft vor wie Verwundungen, im dritten Kriegsjahr sogar dreimal so häufig, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 20, insbes. Übersicht 13. 

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wollenden Schmerzen«,443 über Fieberdelirien, den »Schauder vor der Zukunft«444 oder unangenehme Begegnungen mit Ärzten. Doch auch eingedenk all dieser Einschränkungen bleibt es frappierend, wie wohlwollend, teilweise geradezu euphorisch, die Soldaten insgesamt vom Heimathospital als Ort und Lebenssituation sprachen. Sie befanden sich hier in einem Übergangsraum: Im geschützten Inneren des Krankenhauses waren sie sowohl vor dem drohenden Tod auf dem Schlachtfeld sicher als auch vor der Konfrontation mit dem zivilen Leben als Kriegsbeschädigter oder psychisch gebrochener Mensch, das im Anschluss auf einige wartete.445 Mit zunehmender Dauer und Aussichtslosigkeit der Kampfhandlungen, so wird im Folgenden argumentiert, wurde das Heimatlazarett für viele Soldaten immer mehr zum Sehnsuchtsort – eine erstaunliche Entwicklung, die vor dem Krieg niemand vorausgesehen hatte und die der Heeresverwaltung schon bald Probleme bereiten sollte. 3.6.1 Ein kriegsbedingter Sehnsuchtsort Was ist ein Sehnsuchtsort? In Karin Wemhöners literaturwissenschaftlicher Arbeit zu Sehnsuchtsorten in der Reiseliteratur des 20. Jahrhunderts findet sich eine nützliche Definition und Analyse des Begriffs. Da sich auch die Soldaten des Ersten Weltkriegs in gewisser Hinsicht als Reisende verstehen lassen,446 gibt es zu der von ihr untersuchten Reiseliteratur interessante Parallelen. Wemhöner schlägt eine Typologie der Sehnsuchtsorte in sechs Kategorien vor: natürliche Rückzugsräume, kulturelle Rückzugsräume, neue Horizonte, Heimat, spirituelle Sehnsuchtsorte und kognitive Sehnsuchtsorte. In allen Fällen handele es sich dabei um die »Sehnsucht nach einem anderen Ort, verbunden mit der Hoffnung auf ein besseres Leben.«447 Die Unzufriedenheit mit der eigenen Situation sei stets der Auslöser für die aufkeimende Sehnsucht. Für die hier untersuchte Thematik sind besonders die von Wemhöner als »Rückzugsräume« und »Heimat« charakterisierten Typen relevant. Bei den Rückzugsräumen handelt es sich ihr zufolge um »Städte, Landschaften oder Länder (Nationen), die dem Reisenden in den meisten Fällen nur vorübergehend Entlastung vom Alltagsleben bieten oder zumindest keine erkennbaren Zukunftspläne enthalten. Diese Räume geben ihm die Möglichkeit, Bedürfnisse zu befriedigen und Gefühle auszuleben, für die in seinem sonstigen Leben kein Raum bleibt.« Beispiele für diesen Typus seien etwa Naturräume wie das Meer oder die Berge. Mit der Sehnsucht nach diesen Zielen müsse nicht zwangsläu443 Buchner, S. 46. 444 Klemperer, S. 450. 445 Vgl. dazu etwa Dorsch, Stilles Heldentum, S. 20. 446 Zum »touristischen Aspekt« des Kriegserlebnisses vgl. Ziemann, B., Front, S. 48 f.; 236 f.; Latzel, Tourismus. 447 Wemhöner, S. 15; vgl. auch Bösmann, S. 131.

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fig eine Kritik an den eigenen Lebensumständen verbunden sein, diese sei aber denkbar. Die rückzugsmotivierten Sehnsuchtsorte übernähmen dabei eine Ventilfunktion: Sie ermöglichten es dem Reisenden, »sein seelisches Gleichgewicht zu erhalten bzw. wieder zu erlangen. Sie sind außerdem Voraussetzung für eine weitere Existenz in der unzureichenden Alltagswelt.«448 Typisch für Rückzugsorte sei zudem ein verändertes Zeitgefühl: Die Zeit scheine still zu stehen, was als wohltuend und beruhigend wahrgenommen werde.449 Beim anderen hier relevanten Typus, der Sehnsucht nach der Heimat, geht es nach Wemhöner um den Wunsch, »Geborgenheit in einer heilen Vergangenheit« zu finden. Dahinter stehe die Hoffnung, »durch ein Aufsuchen der räumlichen Heimat diesen Zustand wieder zu erreichen. Dabei tritt diese Sehnsucht häufig erst auf, wenn eine große räumliche Entfernung zur Heimat vorliegt oder diese nur schwer erreichbar ist.«450 Oft werde der Rückkehrende aber beim realen Erleben der alten Heimat enttäuscht: Sie habe sich in der Zeit seiner Abwesenheit verändert und erscheine nun nicht mehr vertraut, sondern so fremd wie die Fremde, aus der der Heimatsuchende gekommen war. Auf den ersten Blick mag der Begriff »Sehnsuchtsort« im Kontext der Heimatlazarette unpassend erscheinen. Wie konnte ein Militärkrankenhaus, in dem körperliche Schmerzen, Verlusterfahrungen und Hilfsbedürftigkeit gerade für die Schwerverwundeten allgegenwärtig waren, Sehnsüchte wecken oder gar stillen? Doch tatsächlich scheint das Heimatlazarett in vielen Fällen eine solche Funktion erfüllt zu haben. Es passt auch in verschiedener Hinsicht auf die von Wemhöner erarbeitete Definition: Das Lazarett stellte für viele Frontsoldaten deshalb einen Sehnsuchtsort dar, weil es auf paradoxe Weise die »Hoffnung auf ein besseres Leben«451 verhieß. Es war als Ort einerseits vergangenheitsbezogen, da es die verloren geglaubte Heimat repräsentierte, bot aber andererseits auch eine Zukunftsperspektive, nämlich das temporäre oder endgültige Ende des Fronteinsatzes. Dabei ging es tatsächlich um die körperliche Anwesenheit des Soldaten vor Ort im Krankenhaus, denn diese garantierte für eine gewisse Zeit den Schutz vor dem Tod an der Front. Das Lazarett war zwar kein klassischer Sehnsuchtsort, wie etwa bestimmte Urlaubsländer oder Naturräume, wurde aber dennoch als attraktive Option wahrgenommen, da es einen Ausweg aus der Realität des Grabenkrieges, der Kälte, der Nässe und der Ungeziefer bot.452 Diese »episodische Entlastung«453 durch den Lazarettaufenthalt funktionierte sogar unabhängig davon, wie gut die Einrichtung im einzelnen organisiert war. 448 Wemhöner, S. 19. 449 Vgl. dazu auch Henning, S. 110; Luttringer, S. 12. 450 Wemhöner, S. 28. 451 Ebd., S. 15. 452 Vgl. etwa Kähler, Eintrag vom 17.10.1917, Transkript S. 23; Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 231 f., in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M.; Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 4, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 453 Wemhöner, S. 18.

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Insgesamt lässt sich das Heimathospital somit als ein kriegsbedingter Sehnsuchtsort charakterisieren. Das Heimathospital scheint von den Frontkämpfern zu verschiedenen Zeitpunkten als Sehnsuchtsort romantisiert worden zu sein: erstens im Vorhinein als Imagination, also entweder noch bevor der Soldat überhaupt verwundet worden war beziehungsweise kurz danach, während seines Aufenthalts im Feld- oder Etappenlazarett; zweitens während des Genesungsaufenthalts selbst; drittens in der nostalgischen Erinnerung nach der Entlassung. Die meisten Soldaten erlitten während des Krieges mehrfach Verwundungen oder machten verschiedene Krankheitsphasen durch, so dass viele von ihnen unterschiedliche Lazarettaufenthalte erlebten.454 Der Offizier Hans Kondruß etwa wurde zunächst im September 1914 an der Westfront am linken Unterschenkel verwundet und ins Etappenlazarett Chauny gebracht, von dort aus in ein Düsseldorfer Lazarett und im Anschluss in eine Revierkrankenstube in Torgau; eineinhalb Jahre später wurde er an der Ostfront am linken Oberarm getroffen und gelangte dieses Mal in ein streng geführtes Lazarett im ostpreußischen Osterode, das in einer Schule untergebracht war; zuletzt wurde er im Februar 1917 ein drittes Mal verletzt, als bei Artillerieangriffen an der Westfront sein Trommelfell platzte. Es folgte ein einmonatiger Aufenthalt in einem eleganten Offizierserholungsheim an der belgisch-französischen Grenze, das in einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert mit dem bezeichnenden Namen »Château Bonsecours« eingerichtet war.455 Eine derart vielseitige Lazaretterfahrung war im Ersten Weltkrieg typisch.456 Die Feldsoldaten wussten daher oft bereits, was im Falle einer Verwundung oder Erkrankung im Hospital auf sie wartete und erzählten auch ihren Kameraden davon. Somit speiste sich das Bild des Militärkrankenhauses zunehmend aus diesen vielfachen Erfahrungen sowie den Berichten anderer. Bei manchen Soldaten mochte sich daraus unbewusst oder bewusst der Wunsch entwickelt haben, (erneut) in den Genuss dieser Schutzzeit zu kommen.

454 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 18. 455 Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 169 f.; 178 f.; 227–232, in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M.. Beim »Château Bonsecours« handelt es sich wohl um das heutige »Château de l’Hermitage« in Condé-sur-l’Escaut. 456 Aus dem Sanitätsbericht lassen sich dazu jedoch nur Durchschnittswerte ableiten. Hier heißt es: »Von allen Kriegsteilnehmern von 13,12 Millionen […] war durchschnittlich jeder zweimal in ärztlicher Behandlung und zwar kamen auf 100 Kriegsteilnehmer 164 Erkrankungen und 43 Verwundungen«, Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 18. In Band 2 wird ausgeführt dass »viele Soldaten im Lauf des Jahres sich mehrfach krank meldeten oder wiederholt verwundet wurden«. So komme es statistisch zu Verwundeten-/Krankenzahlen von weit über 100 Prozent der Heeres-Iststärke, vgl. Heeres-Sanitäts­inspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 1.

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3.6.2 An der Front: Das Lazarett als Erlösungsphantasie Ein Lazarettaufenthalt war nicht die einzige Möglichkeit, dem Schützengraben oder anderen Gefechtssituationen kurzzeitig zu entgehen. Schon während des Fronteinsatzes selbst gab es für die Soldaten immer wieder Ruhepausen und Freizeitmomente. Für die bayerische Armee hat dies etwa Benjamin Ziemann nachgewiesen. Vor allem an der Westfront wechselten sich Perioden größter Anstrengung und Gefährdung mit Momenten relativer Entspannung ab. Im Stellungskrieg verbrachten die Mannschaften in der Regel fünf bis sieben Tage in vorderster Linie im Graben, teilweise waren es auch bis zu zehn Tage. Im Anschluss folgte ein Bereitschaftsdienst von ebenfalls etwa einer Woche in einem nicht weit hinter der ersten Linie befindlichen Graben oder in einem provisorischen Quartier. Zuletzt waren drei bis fünf Tage im wenige Kilometer hinter der Front gelegenen Ruhequartier vorgesehen, bevor wieder der nächste Einsatz im Schützengraben anstand.457 Dieser Wechsel gewährte eine Minimalform von Verhaltens- und Erwartungssicherheit. Auch in den Schützengräben selbst wurde nicht durchgehend gekämpft. Im Gegenteil wechselten sich auch hier kurze, tödliche Kampfphasen mit langer Reglosigkeit und belauerndem Warten ab. So wurde die widersprüchliche Mischung aus Todesangst und Langeweile, aus verdichteter Gefahr und völliger Stagnation zum typischen Lebensgefühl der Frontsoldaten.458 Kamen sie aus dem vordersten Graben ins Ruhequartier, konnten die Soldaten ausschlafen, sich waschen und Spaziergänge unternehmen. Doch die Auszeit war verhältnismäßig kurz und wurde je nach Gefechtslage nicht zuverlässig gewährt. In der Endphase des Krieges kamen viele Einheiten wochenlang nicht mehr in die Ruhestellung, was unter den Soldaten zu psychischen und physischen Erschöpfungszuständen führte. Zudem wurden die Tage im Ruhequartier oft von Befehlen zum Exerzieren und häufigen Appellen unterbrochen, was vielen Mannschaften die Erholung verdarb.459 Ebenso blieben die drohende Todesgefahr und andere zermürbende Nebenerscheinungen des Krieges, wie Ungeziefer oder Nässe, allgegenwärtig. So konnte das Lazarett, im direkten Vergleich, zum begehrten Aufenthaltsort avancieren.460 Die Soldaten nutzten auch andere Wege, um dem Kriegsgeschehen zeitweise auszuweichen. Laut Christoph Jahr taten sich für sie vielfach »Hohlräume und Nischen des Systems«461 auf, in denen »kleine Fluchten«462 aus dem Soldaten457 Vgl. Ziemann, B., Front, S. 77 f. 458 Vgl. Leonhard, S. 329–332. Manche Divisionen waren wiederum in ruhigen Frontabschnitten eingesetzt, etwa ab der zweiten Kriegshälfte an der Ostfront, wo sie weniger gefährdet waren, vgl. Ziemann, B., Front, S. 97–99. 459 Vgl. Ziemann, B., Front, S. 78–91. 460 Vgl. dazu exemplarisch Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 76, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 461 Jahr, Gewöhnliche, S. 333. 462 Ebd.

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alltag gelingen konnten: etwa kurz- oder langfristiges Untertauchen in den besetzten Gebieten, Flucht aus der Etappe mit gestohlenen oder schwarz erworbenen Blanko-Urlaubsscheinen oder angebliches Verlorengehen und Meldung bei immer neuen Einheiten als »Versprengter«.463 Der Militärführung sei es in der Unübersichtlichkeit der Front- und Etappenstellungen nicht immer gelungen, eine lückenlose Kontrolle der Soldaten zu sichern. Doch während die Soldaten bei diesen Desertionstaktiken immer befürchten mussten, entdeckt zu werden, erschien der Lazarettaufenthalt als eine legitime, potenziell sogar ehrenwerte Form, den Fronteinsatz zu unterbrechen oder ganz zu beenden. In den bekannten Kriegserinnerungen des elsässischen Landwirts Dominik Richert464 wird die Bedeutung des Hospitals als soldatische Erlösungsphantasie deutlich greifbar. Als er bei Kämpfen an der Ostfront am Arm verwundet worden sei, habe er sofort größte Erleichterung verspürt, schreibt er: »Am Ellenbogen fühlte ich ein heftiges Brennen. Mein erster Gedanke war: Gott sei Dank! Jetzt komm’ ich ins Lazarett! Ich ließ mich zu Boden fallen, um den Russen kein Ziel mehr zu bieten, stülpte den Ärmel auf und erlebte eine große Enttäuschung. Ich hatte nur einen Streifschuß […]«465

Tatsächlich habe ihm der Bataillonsarzt später seine Sorgen bestätigt: »Ja, Junge, das langt nicht fürs Lazarett!« Doch wenige Tage später hätten sich seine ständigen Durchfälle verschlimmert. Nun habe ihn der Bataillonsarzt endlich »für krank befunden: Magen- und Darmkatarrh. Herrgott, wie glücklich ich war! Das kann ich niemandem beschreiben! Nun wußte ich, daß ich von der Front weg in ein Lazarett kommen würde.« Der Infanterist Richert stand dem Krieg von Anfang an skeptisch gegenüber und desertierte sogar im Juli 1918.466 Doch seine Lazarettsehnsucht war nicht ungewöhnlich. Ebenso wie er warteten den Erinnerungen Arnold Heydts zufolge hunderte Verwundete und Kranke »mit Zittern und Zagen« darauf, welchen »Urteilsspruch«467 der Arzt über ihr weiteres Schicksal fällen würde. Würde er sie nur im Feldlazarett behalten und bald wieder zur Truppe entlassen? Oder würden sie »den vielbegehrten, rotgerandeten Papierstreifen ins Knopfloch«468 gehängt bekommen, der den Abtransport in ein Heimathospital signalisierte? Manche Soldaten stellten in dieser Wartesituation komplizierte taktische Überlegungen an, etwa der an der Ostfront erkrankte Fritz Schade. Aus dem Feldlazarett 140 in Gleboczek schrieb der Familienvater an seine Frau, er denke jede Nacht darüber nach, »wie ich’s mache, daß ich Euch, und wenn nur auf 463 Vgl. ebd., S. 110–121. 464 Eine Einordnung der Quelle bietet Wette, Die unheroischen Kriegserinnerungen, insbes. S. 128 f. 465 Zitate im Folgenden aus: Richert, S. 178 f. 466 Vgl. Wette, Die unheroischen Kriegserinnerungen, S. 134 f. 467 Heydt, S. 292. 468 Ebd., S. 290.

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einige Tage, einmal wiedersehn kann.« Folgende Szenarien seien aus seiner Sicht möglich: »Man kann von hier aus entweder direkt zu seinem Truppenteil oder wenn einen der Stabsarzt noch nicht für vollständig genesen ansieht, mit einem Lazarettzug fortkommen, der einen entweder in einem Kriegslazarett, z. B. Stettin oder unter Umständen (das ist nun Zufall u. Glücksumstand) in einem Heimatlazarett zur völligen Genesung abladen kann. Letztere (Kr.Laz. u. Heim.Laz.) haben nun allein die Berechtigung, die Kranken zum Ersatztruppenteil (Riesa) zu schicken, oder ihnen wenigstens einen Erholungsurlaub zu verschaffen, können sie natürlich aber auch ohne Urlaub zur Truppe zurücksenden. (Das ist nun eben wieder Glückssache). Ich wünschte, ich käme nicht zu meinem Truppenteil zurück, sondern nach Riesa zu meinem Ersatztruppenteil (eigentlich ist dieser Spandau, aber ich sage das nicht); da wüßte ich, daß ich dann sicher eine Weile in der Heimat wäre u. Euch oft sehen könnte. […] Wird es mir nun gelingen, mit einem Lazarettzug […] nach einem Heimatlazarett zu kommen. Das ist die große Frage! Die Ärzte verfahren da zu oft sehr willkürlich; oft wird ein älterer Mann als völlig geheilt gleich wieder zur Truppe geschickt u. ein junger Bengel, der etwas gefährlich tun kann, kommt in ein Kr. od. Heim.-Lazarett als noch der Genesung bedürftig; den Fall haben wir hier wiederholt gehabt. Drum kann man sich in dieser Beziehung vorher gar keinen Plan machen. Der Stabsarzt läßt in dieser Beziehung auch nicht groß mit sich reden, denn wenn er jedes Einzelnen Wunsch anhören wollte, könnte er schwer jedem gerecht werden.«469

Es ist bemerkenswert, wie freimütig Fritz Schade hier seine Heimkehrüberlegungen formulierte und die Zensur anscheinend nicht fürchtete. Deutlich wird aus seinen Zeilen, dass er die Frage der Rückverlegung nach Deutschland als eine Art Glücksspiel empfand. Ob er das richtige Los ziehen und tatsächlich in einen Lazarettzug kommen würde, schien in der Hand der Ärzte oder des Schicksals zu liegen, jedenfalls vollkommen außerhalb seiner Macht. Schließlich, so schrieb er eine Woche später, könne »man sich nun nicht beliebig kränker machen […], als man ist, (schon der [sic] Fieberthermometer weist ja aus)«.470 Der sehnsüchtige Blick von Feldsoldaten wie Fritz Schade richtete sich vor allem auf die Militärkrankenhäuser des Heimatgebiets, ganz besonders natürlich auf jene in der Nähe des eigenen Herkunftsorts, und weniger auf frontnahe Lazarette.471 Letztere waren zum Teil sogar negativ konnotiert – zu schlecht waren hier häufig die medizinischen und hygienischen Bedingungen, zu sichtbar der Todeskampf der schwerverwundeten Mitpatienten. Auch über diese Aspekte hinaus boten Feld- und Etappenlazarette den Soldaten nicht dieselben Vorteile wie eine Einrichtung innerhalb der Reichsgrenzen: Der Mann befand sich hier immer noch im Ausland, konnte von Angehörigen nicht besucht werden und 469 Fritz Schade an seine Ehefrau, Feldlazarett 140, Gleboczek, Pommern, 05.11.1917, in: ­BA-MA MSG 2/2324. 470 Fritz Schade an seine Ehefrau, Feldlazarett 140, Gleboczek, Pommern, 12.11.1917, in: ­BA-MA MSG 2/2324. 471 Vgl. etwa Ernst Jünger an seine Eltern, Hal, 10.09.1918, in: Jünger, Feldpostbriefe, S. 124 f.

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musste unter teilweise gefährlichen äußeren Bedingungen mit seinem körperlichen Zustand zurechtkommen. Außerdem durfte er dort nicht lange bleiben, sondern wurde bald weiter zurücktransportiert oder entlassen, so dass sich keine Gewöhnung an den Ort einstellen konnte. Dennoch konnte sogar der Aufenthalt im Feldlazarett für manche Soldaten zur sehnsüchtig herbeigewünschten Erholungszeit werden. Arnold Heydt zufolge gab es unter seinen Kameraden viele, die lediglich beabsichtigten, »einige Tage von der Front weg zu sein und eventuell im Feldlazarett eine neue Uniform zu erhalten.«472 Zu diesem Zweck hätten sich die Männer kleinere Selbstverletzungen zugefügt, um in den kalkulierten Genuss der Ruhetage und sauberen Einkleidung zu kommen. Danach seien sie klaglos bereit gewesen, an der Front weiterzukämpfen. Auch ein Aufenthalt im teilweise besser eingerichteten Etappenlazarett, mit größerer Entfernung zum unmittelbaren Kampfgebiet, erfüllte für manche Soldaten diese Entlastungsfunktion. Lorenz Brockötter etwa erlebte die umfunktionierte Turnhalle im nordfranzösischen Fretin, in der er als Verwundeter untergekommen war, zwar als zugig und vollkommen überfüllt – in diesem Lazarett sei es »gewiss nicht gemütlich«,473 es handele sich eigentlich um ein Gebäude, »wo ein Gesunder nur krank werden kann.«474 Aber es sei doch »besser wie in den dreckigen Schützengräben.«475 Auch Victor Klemperer, der einige Zeit im nahegelegenen Wavrin hospitalisiert war, stellte fest, dass meist »eine starke Vergnüglichkeit«476 unter den Lazarettinsassen geherrscht habe, »natürlich unterbrochen von gelegentlichem Stöhnen oder Fluchen«. Alle hätten sich hier »wie im Paradiese« gefühlt: »Sie kamen aus Dreck und Strapazen und Feuer, sie lagen geborgen im Trocknen, in guten Betten, sie konnten sich ausruhen, sie wurden bedient, sie wurden sehr gut beköstigt; gegen Schmerzen und Schlaflosigkeit gab es Spritzen oder etwas zu schlucken, und wenn sie sich frisch fühlten, konnten sie miteinander plaudern; es bestand auch die hohe Wahrscheinlichkeit eines Heimaturlaubs – Herrlichkeit über Herrlichkeit!«

Aus den zitierten Aussagen wird deutlich, dass manche Soldaten bereits das Feld- oder Etappenlazarett als vergleichsweise erstrebenswerten, wohltuenden Ort erlebten.477 Doch auch hier war es nicht zuletzt die Aussicht darauf, möglicherweise bald in die »Heimat« zurückzufahren, die das besondere Maß an 472 Heydt, S. 292. 473 Lorenz Brockötter an die Familie, 19.11.1915, in: Brockötter, S. 192. 474 Lorenz Brockötter an die Familie, 16.11.1915, in: Brockötter, S. 191. 475 Lorenz Brockötter an die Familie, 19.11.1915, in: Brockötter, S. 192. 476 Zitate im Folgenden aus: Klemperer, S. 437. 477 Vgl. Hans Kondruß, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach a. M. 1960, S. 231 f., in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt  a. M.; Otto Borggräfe, Mein Tagebuch, Eintrag vom 26.08.1918, Transkript S. 158, in: BfZ N: Borggräfe; Karl Finke, Kriegstagebuch 1915–1918, Einträge von Juni-Juli 1916, Transkript S. 19, in: BfZ N: Finke; Marie Kettler, Tagebucheintrag vom 23.11.1914, in: Exner u. Kapfer, S. 282 f.

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»Herrlichkeit«478 begründete.479 Denn unabhängig vom erhofften Wiederse­hen mit Verwandten und Freunden wünschten sich viele Soldaten, wenigstens kurzzeitig wieder in Deutschland zu sein.480 Dieses Bedürfnis lässt sich wohl mit dem alltagssprachlichen Begriff des »Heimwehs« am besten fassen. Es war der Wunsch, sich wieder in der vertrauten Umgebung, in einer vertrauten Ordnung ohne akute Lebensgefahr aufhalten zu dürfen.481 Der Lazarettaufenthalt bot dafür einen legitimen Anlass – eine andere Möglichkeit war der Heimaturlaub. Der Heimaturlaub war für die Frontsoldaten ebenfalls hochattraktiv, jedoch in gewisser Hinsicht weniger berechenbar. Ob und wann ihnen eine solche Auszeit gewährt wurde, hing stark vom Wohlwollen der Vorgesetzten sowie von der Kriegslage ab. Im Feldheer regelten grundsätzlich die Vorgaben der OHL die Urlaubsgewährung. Einzelne Armeen und Divisionen konnten diese Anordnungen allerdings weiter einschränken, was vor allem in der letzten Kriegsphase auch geschah. Seit dem Frühjahr 1915 wurden regelmäßig zwischen drei bis sieben Prozent der Mannschaften gleichzeitig beurlaubt, wobei als Richtwert galt, jedem Soldaten mindestens einmal im Jahr einen Heimaturlaub zu gestatten.482 Doch dazu kam es nicht immer. Zum einen wurden vor und während größerer Offensiven Urlaubssperren erlassen. Zum anderen waren die Urlaubszeiten unter den Soldaten ungleichmäßig verteilt: Landwirten etwa wurde aus kriegswirtschaftlichen Gründen öfter die Heimkehr auf ihren Hof gestattet als anderen Militärangehörigen. Dies führte unter den übrigen Frontkämpfern zu wachsendem Neid und Verbitterung. Manche waren nach zwei Jahren Felddienst noch immer nicht beurlaubt worden und mussten mitansehen, wie ihre Kameraden vom Land mehrfach zur Ernte nach Hause fuhren. Wenn ihnen doch ein Heimaturlaub gewährt wurde, überschritten viele Soldaten daraufhin ihre Urlaubszeit, was militärgerichtliche Konsequenzen nach sich zog.483 Der enorme Vorteil eines Heimaturlaubs gegenüber dem Krankenhausaufenthalt war, dass er keine Verwundung oder Erkrankung voraussetzte. Daher war auch der Heimaturlaub eine soldatische Sehnsucht und spielte als Thema in Feldpostbriefen eine entsprechend zentrale Rolle.484 Doch er war ein kurzes und seltenes Vergnügen, an das sich absehbar der nächste Fronteinsatz anschloss. Ein

478 Klemperer, S. 437. 479 Vgl. dazu ähnlich auch Röhr, S. 179 f.; Franz Murr an seine Eltern, Kriegslazarett 58 A Hermannstadt, 03.11.1916, in: Murr, S. 138. 480 Vgl. etwa Josef Kaiser, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), Transkript S. 13, in: Eigenbesitz d. Vf.; Röhr, S. 180; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 82, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Gregor Wörsching, Kriegstagebuch, Eintrag vom 29.07.1918, in: Wörsching, S. 269. 481 Vgl. zum Heimweh bayerischer Soldaten Ziemann, B., Front, S. 237–243; allgemeiner zur Heimatnostalgie von Frontsoldaten Buschmann, insbes. S. 219. 482 Vgl. Ziemann, B., Front, S. 84 f. 483 Vgl. ebd., S. 87–89. 484 Vgl. ebd., S. 84.

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Lazarettaufenthalt hingegen dauerte oft bedeutend länger und endete in vielen Fällen mit einem anschließenden Erholungsurlaub.485 3.6.3 Im Heimatlazarett: Auszeit vom Krieg Sobald die Soldaten per Lazarettzug in einer Heileinrichtung des Reichsgebiets angekommen waren, verwandelte sich die sehnsüchtige Vorstellung des Heimathospitals, die manche bis dahin gehegt hatten, in eine lebensweltliche Realität. Bereits die Aussicht darauf, dass im heimatlichen Krankenhaus »alle Genüsse«486 auf sie warteten, stimmte die Verwundeten und Kranken während ihres Transports im Zug erwartungsfroh.487 Das reale Lazarettleben an der Heimatfront scheint die meisten danach nicht in ihren Erwartungen enttäuscht oder demoralisiert zu haben, sondern läutete für sie eher eine geschütztere Phase ihres Kriegerlebens ein.488 Oft überwog im Krankenbett die Erleichterung: Man hatte die Verwundung oder Krankheit und eine etwaige Notoperation überlebt, den langen Transport überstanden, war im frischgemachten Bett angekommen und nun vor allem »froh, nicht wieder in den Schlamassel zu müssen.«489 Auch die relative Handlungs- und Bewegungsfreiheit, die der Lazarettaufenthalt vor allem den leichteren Fällen und Rekonvaleszenten ermöglichte, trugen zu seiner Beliebtheit bei. Dieses Freiheitsgefühl wurde dadurch noch verstärkt, dass Leichtverwundete bzw. Genesende aus logistischen Gründen bald in Vereinslazarette oder Privatpflegestätten abgeschoben wurden, um in den Reservelazaretten Platz für schwerere Fälle zu schaffen. Dort, in den zivil betriebenen Hospitälern, wurden die Soldaten wenig kontrolliert. Viele dieser Anstalten waren eher klein und dadurch intimer als die Reservelazarette. Ärzte, Pflegekräfte und Wirtschaftspersonal wurden von der freiwilligen Krankenpflege gestellt,490

485 Vgl. zur Hoffnung auf Urlaub etwa Franz Murr an seine Eltern, Hilfslazarett »Turnhalle« Philippsburg, 28.05.1916 und 09.06.1916, beide in: Murr, S. 116 und S. 122; Fritz Schade an seine Ehefrau, Feldlazarett 140, Gleboczek, Pommern, 05.11.1917, in: BA-MA MSG 2/2324. Vgl. dazu auch Preuß. Kriegsministerium an das Bay. Kriegsministerium u. a., 07.11.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./575. Das Preuß. Kriegsministerium verwies hier auf einen Erlass vom 20.05.1917 Nr. 363.3.1917 A 2, wonach im Anschluss an einen Lazarettaufenthalt vor der Entsendung ins Feld ein Heimaturlaub zu genehmigen sei. 486 Hans Wildermuth, Ausmarsch, ca. 1934, S. 32, in: BA-MA N 278/2. 487 Vgl. zur gehobenen Stimmung im Lazarettzug bei der Durchfahrt durch das Kaiserreich: Hans Wulf, Kriegstagebuch, Eintrag vom 18.02.1915, in: Wulf, S. 72; Heydt, S. 292; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 82, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin; Josef Kaiser, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), Transkript S. 8, in: Eigenbesitz d. Vf.. 488 Vgl. etwa Schlebusch; Hauptmann Bodem an Edeltraut Trimborn, Saargemünd, 28.8.1914, in: Dreidoppel u. a., S. 47; Richert, S. 187; Griebel, S. 65. 489 Kähler, Eintrag vom 17.10.1917, Transkript S. 23; ähnlich Schäfer, Stilles Heldentum, S. 77. 490 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 169.

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militärische Formen aus diesem Grund weniger betont. Der wegen Erschöpfung hospitalisierte Victor Klemperer etwa kommt in seiner Autobiographie begeistert auf seinen 3-monatigen Kuraufenthalt im Lazarett Driburg bei Paderborn zu sprechen, bei dem ihn seine Frau während der gesamten Zeit besuchen konnte. Das Ehepaar verbrachte die Tage ungestört mit gemeinsamen Ausflügen und ausgiebiger Lektüre. Der militärische Drill, der, wie Klemperer schreibt, in Driburg sowieso gering gewesen sei, habe in seinem Fall fast keine Rolle gespielt: »Für mich blieb von alledem nur der Frühmarsch zum Brunnen. Danach war ich bis zur Schlafenszeit um neun Uhr frei […].«491 Dabei kam dem Romanisten nach eigenen Angaben zugute, dass sein Bruder Georg ein bekannter Berliner Medizinprofessor war, wodurch er selbst beim Driburger Chefarzt als Ehrenpatient behandelt worden sei. Klemperer konnte sein unverhofftes Glück kaum fassen: »Ich nahm mir nicht nur jeden Tag vor, das Idyll dieses Intermezzos als ein Schicksalsgeschenk auszukosten; ich genoß es wirklich Tag für Tag.«492 In solchen Momenten konnte der Krieg sehr weit weg erscheinen.493 Auch die Einschätzungen des Patienten Drewes sind in diesem Zusammenhang aufschlussreich. Der verwundete Feldwebel äußerte sich in seinem Lazarettbericht – anders als viele – nicht durchgehend wohlwollend über sein Godesberger Sanatorium. Ungewöhnlich deutlich scheint ihm die Doppelgesichtigkeit des Lazaretts und die dahinterstehende instrumentelle Logik der Militärverwaltung bewusst gewesen zu sein. Besonders mit den Ärzten seines Hospitals ging Drewes hart ins Gericht. Er klagte, dass er von ihnen »weniger wie ein denkendes und beobachtendes Geschöpf behandelt« worden sei, »sondern eher als ein Stück Kriegsmaterial, das schadhaft geworden ist und nun wieder ausgebessert werden soll.«494 Und dennoch fasste auch der kritische Drewes das grundlegende Lebensgefühl unter den Lazarettpatienten wie folgt zusammen: »Der eine hatte es hier und der andere hatte es da, bei dem einen war es mehr und bei dem anderen weniger schlimm, und immer wieder war es anders, aber zu leiden hatte sie alle. Doch der Feldsoldat denkt: Du hast nun zunächst deine Schuldigkeit getan; und das vom rein menschlichen Standpunkt doch wohl zu verstehende Gefühl kommt über ihn: Du bist nun zwischen all dem Graus und Todesjammer heraus. Dazu kommt die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen lieber Menschen und der Heimat, und gute und liebevolle Pflege und Behandlung und die Freundlichkeit der Menschen, die um ihn sind […] tun auch ihren Teil. So kommt es, daß der Ver-

491 Klemperer, S. 456. 492 Ebd., S. 454. Auch der Patient Hans Wildermuth spricht von einem »Idyll, in das mich ein guter Stern geführt hat«, als er seine Lazarettzeit im Karmeliterkloster Marienthal beschreibt, Hans Wildermuth, Ausmarsch, ca. 1934, S. 35, in: BA-MA N 278/2. 493 Vgl. dazu auch Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 4, in: ­BA-MA MSG 2/2200 b; Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 12.08.1918, in: LABer E Rep. 200–47, Nr. 17. 494 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 19 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b; ähnlich kritisch Diel, S. 95.

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wundete, wenn das Schlimmste überstanden ist, bald guter Dinge wird, und dieser so bitterernste Ausdruck in Augen und Mienen verliert sich etwas, und er kann wieder lachen und froh sein.«495

In diesem Zitat nennt Drewes die meisten Aspekte, die auch für andere Soldaten das Heimatlazarett sowohl in der Imagination als auch im konkreten Erleben so begehrenswert machten: die äußere Sicherheit, die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Familie und Freunden nach langer Trennung und die Zuwendung durch freundliches Pflegepersonal und Besucher. Diese Punkte lassen sich als eine Art »sekundärer Krankheitsgewinn« fassen. Dazu kamen die in den meisten Fällen reichhaltige Verköstigung, die nur in der Zeit der Lebensmittelknappheit in den städtischen Einrichtungen spürbar einbrach,496 genug Schlaf sowie die vielen Unterhaltungs- und Bildungsangebote. Auch die Gewissheit, den Kampf bereits hinter sich gebracht und durch die zwar schwerwiegende, aber doch nicht tödliche Verwundung oder Krankheit ein schicksalhaftes »Glück im Unglück«497 erlebt zu haben, prägte bei vielen den dankbaren Blick.498 Doch wichtig war offenbar auch, was Drewes hier als ein reines patriotisches Gewissen beschreibt: Man hatte seine »Schuldigkeit«499 gegenüber dem eigenen Land abgegolten und durfte sich deshalb ohne moralische Bedenken erholen. Auch der Patient Hans Wildermuth betont in seinen Erinnerungen diesen Punkt: Verwundetsein im Lazarett, so zitiert er den Arzt Willibald Scholz, sei wie ein »ehrenvolles Drückebergertum«. Wenn die Wunde nicht (mehr) gefährlich sei, werde man erfüllt »von dem Gefühl des eigenen Heldentums, der Leistung, der wohlgetanen Pflicht. Der Krieg geht einen jetzt nichts mehr an, man tat, was man konnte, jetzt sollen die andern es machen; man selbst hat Anspruch auf Achtung, auf Ehrerbietung, auf Rücksichtnahme, man ist ein ›Held‹.«500

495 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 46 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b. 496 Vgl. dazu exemplarisch Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 02.03.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 164; aus Soldatenperspektive etwa für ein Vereinslazarett in Neustettin Diel, S. 95 f. 497 Hans Kannen an Lorenz Brockötter, 22.10.1915, in: Brockötter, S. 185. 498 Vgl. etwa Ernst Jünger an seine Eltern, Heidelberg, 29.04.1915, in: Jünger, Feldpostbriefe, S. 46; Richert, S. 191 f.; Franz Murr an seine Eltern, Hilfslazarett »Turnhalle« Philippsburg, 28.05.1916, in: Murr, S. 116. 499 Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 46, in: BA-MA MSG 2/2200 b. 500 Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 2, in: BA-MA N 278/3.

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3.6.4 Nach der Entlassung: Sehnsuchtsort ex post Zahlreiche Patienten hofften, möglichst spät aus dem Lazarett entlassen zu werden. Denn was im Anschluss auf sie wartete, war in vielen Fällen unerfreulich: Wurden sie als »dienstunfähig« entlassen, mussten sie versuchen, als Kriegsbeschädigte auf ihre alte Arbeitsstelle zurückzukehren oder eine neue zu finden. Das gelang aber nicht immer. Wurden sie als »dienstfähig« entlassen, was tatsächlich bei der großen Mehrheit der Fall war,501 stand der nächste Kriegseinsatz an. Viele Soldaten, die sich im Lazarett in einer trügerischen Sicherheit gewogen hatten, verloren nun doch an der Front ihr Leben. Andere Genesene erhielten eine ungefährlichere Stellung als zuvor, zum Beispiel in einer Schreibstube, wenn die Lazarettärzte sie nur als arbeits- oder garnisonverwendungsfähig einstuften. Die Erholungszeit war für sie alle jedenfalls vorbei. Manchen Patienten fiel das Loslassen des inzwischen liebgewonnenen Hospitals und seiner Umgebung schwer.502 »Gestern erhielt ich die Schreckensnachricht, daß ich heute entlassen werden soll«, notierte etwa Adolf Dünnebacke im September 1918 in seinem Kriegstagebuch. »Nach einem schmerzlichen Abschied von Freunden und Freundinnen fuhr ich heute mittag ab von dem schönen Stade, wo ich so manche gute Stunde verlebt habe. Ob ichs wohl noch mal wiedersehe?«503 Eine Woche später, im heimatlichen Dortmund, habe er immer noch an seine Lazarettzeit gedacht: »Da bin ich wieder daheim und – langweile mich nach Herzenslust. Sitze stundenlang in den Anlagen, sonne mich und denke der schönen Tage, die ich an der Wasserkante verlebte.«504 Auch andere entlassene Patienten erinnerten sich nostalgisch an ihre Genesungszeit.505 Besonders deutlich kommt diese Verklärung in einigen Soldatenbriefen von 1916 zum Ausdruck, welche die Verfasser jeweils kurz nach ihrer Entlassung aus dem Vereinslazarett Angermünde an ihre dortige Lieblingskrankenschwester Frieda Margarethe Eickmann schickten.506 Wilhelm Günther versicherte der Schwester, er werde seine »Lazarettzeit auch nie vergessen, glaube Sie mir liebe Gretel, ich habe mich oft nach einer Wiederholung solchen Lebens gesehnt. Aber leider bleibt ja immer nur eine Erinnerung.«507 Auch der 501 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 1.; dies., Sanitätsbericht, Bd. 3, S. 101, Tafel 68. 502 Vgl. etwa Kähler, insbes. Einträge vom 20.02., 12.04. und 15.05.1918, Transkript S. 27–30; Josef Kaiser, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), Transkript S. 13, in: Eigenbesitz d. Vf.; Heider, S. 106 f. 503 Adolf Dünnebacke, Kriegstagebuch, Eintrag vom 10.09.1918, in: LABer E Rep. 200-47, Nr. 17. 504 Ebd., Eintrag vom 17.09.1918. 505 Vgl. etwa Richert, S. 190. 506 Vgl. etwa Unteroffizier Schrade an Frieda Eickmann, 14.10.1916, in: ZMSBw-Hausarchiv Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919. 507 Wilhelm Günther an Frieda Eickmann, Berlin, 24.07.1916, in: ZMSBw-Hausarchiv Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919.

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Gefreite Gustav Becker gestand ihr, er müsse oft an die »schönen Stunden« denken, »die ich im Vereinslazarett verlebt habe, ein besseres Leben werde ich wohl nicht wieder bekommen.«508 Ein dritter, offenbar als »kriegsverwendungsfähig« entlassener Patient, der sich selbst der Krankenschwester gegenüber als »Bubi« bezeichnete, berichtete ihr, dass er sich noch immer nicht habe einfinden können »in das Garnisonsleben, das paßt dem Bubi nicht so recht.« Immer müsse er an Angermünde zurückdenken »und alle die schönen Stunden tauchten wieder vor mir auf und mir wurde wieder ganz anders zu Mute aber nur nicht besser. In nächster Zeit wenns gut geht werde ich wohl wieder ins Feld ziehen vielleicht gibt es dann einen kleinen Heimat-Schuß daß Bubi wieder nach dort kommt.«509 Frieda Margarethe Eickmann erhielt während der Kriegszeit viele zugewandte Briefe früherer Patienten, aber in diesen dreien wird der Wunsch nach einer Rückkehr ins Lazarett besonders explizit artikuliert. Es ist kein Zufall, dass die Verfasser sie zwischen Juli und Oktober 1916 schrieben, als die Materialschlachten in Verdun und an der Somme tausende Leben kosteten.510 In dieser Lage musste das Vereinshospital in der Uckermark umso mehr als idyllischer Rückzugsraum erscheinen. Wilhelm Günther und Gustav Becker schrieben der Schwester indes aus Deutschland – sie waren den Briefen zufolge so nachhaltig verwundet worden, dass eine Rückkehr an die Front (anders als bei dem entlassenen »Bubi«) nicht in Frage kam. Dennoch träumten auch sie sich offenbar gerne nach Angermünde zurück. 3.6.5 Grenzen der Sehnsucht Wenn ein Sehnsuchtsort ein Ort ist, den man sehnsüchtig anstrebt, aber eigentlich nie erreichen kann, weil er immer entweder in der Zukunft, in der Vergangenheit oder überhaupt im imaginären oder transzendenten Bereich liegt,511 wie konnte dann das Lazarett im Erleben selbst ein Sehnsuchtsort sein? Nach Karin Wemhöner können auch real erlebte Orte als Sehnsuchtsorte aufrechterhalten werden. Der Betrachter entwerfe dann mit seiner subjektiven Wahrnehmung eines realen Ortes einen imaginären Raum, der die Wirklichkeit zum Sehnsuchtsort um­ forme.512 Wie die Aussagen soldatischer Patienten zeigen, betrachteten viele von ihnen das Heimathospital tatsächlich als das heimelige Refugium, das sie sich

508 Gustav Becker an Frieda Eickmann, Magdeburg, 10.07.1916, in: ZMSBw-Hausarchiv Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919. 509 J. Sander an Frieda Eickmann, Allenstein, 13.08.1916, in: ZMSBw-Hausarchiv Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919. 510 Vgl. dazu perspektivenreich Stachelbeck. 511 Vgl. Gebhard, insbes. S. 162–181. 512 Vgl. Wemhöner, S. 15; auch Bösmann, S. 131.

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zuvor ausgemalt hatten. Mit seinem im Krieg merkwürdig irreal anmutenden Angebot von Schutz, Geborgenheit und moderner medizinischer Behandlung sowie seiner Lage innerhalb der Reichsgrenzen schien es die »Heimat« ideal zu verkörpern, zu deren Verteidigung man in den Krieg gezogen zu sein glaubte.513 Der Lazarettaufenthalt figurierte dabei als eine Art Substitut für die Rückkehr an den eigenen Wohnort und ins vertraute Zivilleben. Doch natürlich konnte das Sanatorium das reale Leben nicht wirklich ersetzen. Es war ein Vorgeschmack auf die Zeit nach dem Krieg und ermöglichte eine kurze »Atempause«.514 Zugleich verlangte es den Patienten große körper­liche Leidensfähigkeit ab und eröffnete unklare Zukunftsaussichten. Zwar waren viele Verwundete und Kranke beim Abtransport von der Front froh endlich in »die Heimat« zu kommen, gelangten aber per Lazarettzug häufig in eine Stadt, die sie nicht kannten und die teilweise so weit weg von ihrem eigentlichen Wohnort lag, dass ihre Verwandten sie nicht besuchen konnten.515 So blieb die Sehnsucht bei manchen Insassen weiter bestehen, obwohl sie im Lazarett medizinisch und menschlich gut behandelt wurden. Auch darüber hinaus war das Heimatlazarett nicht für jeden Soldaten zu jeder Zeit ein Sehnsuchtsort. In bestimmten Konstellationen konnte es für sie anders konnotiert sein und so sollen hier auch Gegenstimmen zur Sprache kommen. Vier Dinge waren es vor allem, die einige Soldaten am Lazarett kritisierten: Erstens machten manche von ihnen schlechte Erfahrungen in konkreten Heileinrichtungen. Walter Rolvien etwa erinnerte sich, dass er sich im Lazarett seines Heimatorts »wie eingekerkert«516 gefühlt habe. Das Leben dort »unter dem Szepter einer greisen und herrschsüchtigen Schwester« sei ihm zunehmend »sinnlos« erschienen. Er habe sich stark danach gesehnt, wieder gesund und draußen zu sein. Andere Soldaten bemängelten schlechtes oder ungenügendes Essen517 oder litten unter dem Verhalten bestimmter Ärzte.518 Zweitens finden sich Einzelstimmen, die den Lazarettaufenthalt als eine unwillkommene Unterbrechung des Fronterlebnisses beschreiben. Dies lässt sich vor allem für

513 Vgl. dazu etwa Krumeich, Burgfrieden, S. 4; Ziemann, B., Front, insbes. S. 265. 514 Begriff aus Grosz, Ein kleines Ja, S. 104. George Grosz bezieht dieses Gefühl der »Atempause« auf die Jahre 1916–17, in denen er kurzzeitig aus dem Militärdienst in die Heimat entlassen wurde. 515 Vgl. zu entsprechenden Überlegungen: Max Waldhausen an die Familie, 18.06.1916, in: Dreidoppel u. a., S. 427; Clara Leidholdt, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, Eintrag vom 06.07.1917, in: Privatbesitz Georg Jacobi, Dresden. 516 Zitate im Folgenden aus: Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 87, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 517 Vgl. Diel, S. 95–99; Grosz, Ein kleines Ja, S. 111; Clara Leidholdt, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, Eintrag vom 06.07.1917, in: Privatbesitz Georg Jacobi, Dresden. 518 Vgl. Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 39; 41, in: ISG Frankfurt S5/91; Diel, S. 95 f.; 100 f.; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 83, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin.

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das erste Kriegsjahr nachweisen.519 Erich Soltau etwa hielt im Dezember 1914 fest, er habe sich im Lazarett geradezu »entwurzelt« gefühlt: »Wer von Euch hat einen Verwundeten gesprochen, der nicht Sehnsucht nach den Kameraden im Feld gehabt hätte? So rasch wie möglich will jeder wieder zur Front; das gemeinsame Ertragen so vieler Entbehrungen und Gefahren schweisst mächtig zusammen.«520 In Tagebucheinträgen aus späteren Kriegsphasen oder in Memoiren sind entsprechende Sichtweisen kaum noch zu finden.521 Drittens präsentierte sich die Lazarettsituation für diejenigen Soldaten ambivalent, die an der Front erkrankt waren und folglich nicht mit einer sichtbaren Verwundung aufwarten konnten. In ihrem Fall geriet die erhoffte gesellschaftliche und militärische Anerkennung als Kriegsheld ins Wanken. Am problematischsten war dies für jene Männer, die psychisch oder venerisch erkrankt waren; beide Krankheitsarten waren schambesetzt, Geschlechtskrankheiten galten als »unwürdig«.522 Es war also für die subjektive Lazarettwahrnehmung nicht gleichgültig, aus welchem Grund ein Soldat ins Heimathospital gelangte. War eine unklare oder negativ konnotierte Krankheit die Ursache, drohte entweder das eigene Gewissen oder die versagte gesellschaftliche Achtung den Heilaufenthalt zu delegitimieren.523 So schrieb etwa Ernst von Chrismar in einem Brief: »Wenn man nicht verwundet ist, kommt man sich vor als ob man gar keine Daseinsberechtigung in der Heimat hat, so lange draussen noch Krieg ist, und verkriecht sich am liebsten in der Tiefe eines Lazaretts.«524 Er selbst habe sich dabei oft »bodenlos überflüssig«525 gefühlt. Der Orthopäde Konrad Biesalski regte an, bei solchen Patienten von »vor dem Feind Erkrankten« zu sprechen – ein neuartiger Ausdruck, den Professor Gußmann aus Zehlendorf vorgeschlagen habe. Die Formulierung sei überaus klug gewählt. Denn die »›Erkrankung vor dem Feinde‹ gilt […] erstaunlicherweise für weniger ehrenvoll als die ›Verwundung vor dem Feinde‹, obwohl ein Mann, der einen schweren Herzfehler oder Gelenkrheumatismus oder einen bösen Nervenchok davonträgt, den er

519 Vgl. etwa Hauptmann Bodem an Edeltraut Trimborn, Saargemünd, 28.08.1914, in: Dreidoppel u. a., S. 47; Anna Waldhausen an Max Trimborn, September 1914, in: Dreidoppel u. a., S. 67; Hilde Grapow, Tagebucheintrag vom 28.09.1914, in: Exner u. Kapfer, S. 155 f. 520 Erich Soltau, Eindrücke in den Kriegsmonaten 1914, S. 52 f., in: BA-MA N 369/1. 521 Vgl. dazu auch Rosa Bendit, Tagebucheintrag vom 14.08.1915, in: Rueß u. Stölzle, S. 53. 522 Bay. Kriegsministerium, Anleitung für die Belehrung über die Gefahren der geschlecht­ lichen Erkrankungen, 19.08.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281; vgl. dazu auch Kriegstagebuch des Sanitätsamts Ostsee, Eintrag vom 23.09.1914, in: BA-MA RM 30/59. Zu Geschlechtskrankheiten im Ersten Weltkrieg allgemeiner Sauerteig, Medizin; ders., Krankheit, insbes. S. 298–330; 348–353. 523 Vgl. dazu etwa Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 14, in: BA-MA N 278/3; Wurster, Bd. 1, Nr. 2; Klemperer, S. 421. 524 Ernst von Chrismar, Meine Erlebnisse im Weltkriege, Teil 2, nach Kriegsbriefen und Erinnerung für meine Frau, Kinder und Enkel zusammengestellt, o. D., S. 166, in: BA-MA MSG 2/10812. 525 Ebd., S. 169.

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nie wieder verliert, viel schlechter daran sein kann als jemand, der einen Weichteilschuß hat.«526 Doch der von Biesalski favorisierte neue Ausdruck setzte sich nicht durch. Das innerdeutsche Militärkrankenhaus, so lässt sich bis hierhin zusammenfassen, konnte zwar sowohl für Verwundete als auch für Kranke zum Sehnsuchtsort aufsteigen  – allerdings stand nur bei den sichtbar Kriegsverletzten außer Zweifel, dass sie sich berechtigterweise im Reichsgebiet aufhielten. Immerhin hatten sie eine »rechtschaffene Wunde«527 vorzuweisen. Dagegen war das soziale Ansehen der Kranken uneindeutiger und ihr Aufenthalt im Heimathospital stärker rechtfertigungsbedürftig. Dieser Umstand konnte die Entspannung im Lazarett beeinträchtigen und Schuldgefühle provozieren. Viertens schließlich war der körperliche Zustand mancher Patienten so ernst, dass sie das Heimatlazarett nicht als Erleichterung und Erlösung erleben konnten  – zumindest nicht zu Beginn ihres Aufenthalts. Der hüftverletzte FranzXaver Buchner etwa idealisierte zeitweise eher seinen Fronteinsatz. Dies sei die Zeit der Gesundheit gewesen, als er noch laufen konnte, schreibt er in seinem Lazarettbericht: »Mit Wehmut denke ich zurück […] an meine guten Beine und Füße und das alles sollte nicht mehr kommen, ich sollte nie mehr richtig gehen können?«528 Trotz solcher verzweifelter Fragen entsteht aus Selbstzeugnissen wie dem seinen nicht der Eindruck, dass die Versehrten ihre schwierige Lage der Institution Lazarett anlasteten.529 Außerdem konnten manche der Schwerverletzten dem Krankenhausaufenthalt nach einiger Zeit doch noch viel abgewinnen, wenn ihr Heilungsprozess erfolgreich in Gang gekommen war.530 Insgesamt zeigen sich hinsichtlich der Schwerverwundeten und Amputierten aber tatsächlich Beispiele, bei denen das Lazarett nicht den Status eines Sehnsuchtsorts einnimmt. Daher kann die These vom Heimatlazarett als Sehnsuchtsort im Krieg nicht pauschal für alle Soldaten formuliert werden. Dennoch überwiegt in den Ego-Dokumenten eindeutig das idealisierte Bild des Lazaretts, das sehnsüchtig beschworen wird – sowohl an der Front, als auch vor Ort im Reichsgebiet und in der Erinnerung. Argumentiert werden soll hier also nicht, dass das Lazarett für jeden Soldaten zu jeder Zeit ein lebenswerter Ort an sich war, sondern dass die Alternative – der fortdauernde Kriegseinsatz – für viele so furchterregend und so schwer zu ertragen war, dass das Lazarett im Vergleich und als legitimer Schutz vor dieser Alternative eine enorme Attraktivität erlangen konnte. In dieser Hinsicht war das Lazarett ein Sehnsuchtsort ex negativo. Dazu kam eine komplexe Mischung aus anderen lebensweltlichen Faktoren, wie die Nähe zum Heimatort und die zugewandte Pflege, die zum positiven Bild des Krankenhauses beitrugen. Sie begründeten den anziehenden Charakter des Ortes nicht alleine, vermochten ihn aber weiter zu verstärken. 526 Biesalski, Die ethische, S. 238. 527 Wurster, Bd. 1, Nr. 2. 528 Buchner, S. 49. 529 Vgl. dazu konkret Buchner, S. 46. 530 Vgl. exemplarisch Schlebusch.

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3.6.6 »Heimatschuss« Das Heimatlazarett war ein Ort voller Paradoxien: Der Soldat wurde hier von den Ärzten aufwendig wiederhergestellt, aber nur, um ihn, wie Victor Klemperer es formulierte, kurz darauf »wieder auszunutzen. Wenn Leute nach dreimaliger Verwundung und Heilung beim vierten Vornesein fallen, so hat das deutsche Lazarett aus einem Menschen vier Schlachtochsen gemacht. Was hat das mit Humanität zu schaffen?«531 Auf der anderen Seite versorgte die Heeresverwaltung die Soldaten im Lazarett tatsächlich sehr gut; sie waren hier in Sicherheit und konnten sich teilweise vor den zahlreichen Liebesgaben, Freikarten und Unterhaltungsangeboten kaum retten. Allerdings war ihr Aufenthalt im Heimatgebiet in der Regel daran geknüpft, dass es ihnen physisch oder psychisch wirklich schlecht ging – schlecht genug, dass ihr Zustand den Rücktransport nach Deutschland rechtfertigte. Kurz: Der Sicherheitsgewinn im Lazarett war echt, aber er hatte seinen Preis. Es steht außer Zweifel, dass die allergrößte Mehrzahl der Kriegsversehrungen und Krankheiten von den Soldaten weder selbst gewählt noch selbst verursacht war, sondern gegen ihren Willen entstand. Allerdings verbarg sich in der weitverbreiteten Sehnsucht nach dem erlösenden Lazarettaufenthalt zumindest die Vorstellung eines aktiven Zutuns. Die Soldaten malten sich aus, was ihnen an der Front bei Angriffen zustoßen konnte und hofften, im Ernstfall glimpflich davonzukommen.532 Laut Schäfer hatten die meisten schon bei ihrer Einberufung »stille Wünsche im Blicke auf eine mögliche Verwundung. Der sogenannte ›Heimatschuß‹ war der beliebteste, ich meine die Verwundung, die einige Wochen Ausspannung im Heimatlazarett gewährte, um dann natürlich wieder mitzumachen. ›Nur nicht das und das oder so und so verwundet‹, hörte man oft.«533 Begehrenswert sei nach seiner Erfahrung der Verlust eines Auges: »Einäugige Krieger waren nach der Heilung meist vergnügt und dankbar, mit ihrem Heimatschuß sehr zufrieden, wenn sich sonst nichts mehr einstellte an Kopfbeschwerden.«534 In der von Schäfer erwähnten Figur des Heimatschusses (an anderer Stelle ist synonym auch vom Urlaubs-, Deutschland-, Salon- oder Kavalierschuss die Rede535) vereinigten sich verschiedene Motive zu einer konkreten Idee: die Heimatsehnsucht, die Lazarettsehnsucht und der Wunsch nach einer nicht allzu verheerenden Verletzung. Im Verlauf des Krieges entwickelte sich der Begriff des »Heimatschusses« zu einem bekannten Schlagwort mit verschiedenen Im531 Klemperer, S. 440. 532 Vgl. etwa Klemperer, S. 378 f.; Robert Pöhland an seine Frau, 01.09.1916, zit. in: Knoch, P., Kriegsalltag, S. 234; Walter Rolvien, Erinnerungen, ca. 1943, S. 57, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin. 533 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 46; vgl. dazu auch Buchner, S. 44. 534 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 29; ähnlich Lorenz Brockötter an die Familie, 11.10.15, in: Brockötter, S. 178. 535 Vgl. Bergmann, S. 19.

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plikationen.536 Er existierte auch in anderen europäischen Armeen: In Großbritannien war der Wunsch nach einer »blighty wound« (oder kurz: »blighty«) verbreitet, in Frankreich nach einer »bonne blessure«.537 Zwei Bedeutungsebenen waren dabei zentral: Einmal die bereits angeführte Idee einer Verletzung, die den Soldaten geradewegs zurück in die Heimat »schoss«, ohne ihn zu töten oder langfristig zu beschädigen – in anderen Worten das Konzept der perfekten Kriegsverletzung, die passiv erlitten wurde, wenn das Schicksal es gut mit einem meinte. Das aktive Verständnis war dagegen der Heimatschuss, den sich ein Soldat heimlich selbst zufügte. So hatte er unter Kontrolle, wie schwer die Verletzung ausfiel und welcher Körperteil geopfert wurde. In diesem Fall lässt sich der »Heimatschuss« als eine Form verdeckter, temporärer Desertion verstehen.538 Wie oft es zu solchen Formen der Selbstverstümmelung kam, lässt sich nicht abschließend klären.539 Tatsächlich ist aber nicht nur von Seiten der Militärmedizin, sondern auch in soldatischen Selbstzeugnissen immer wieder von diesem Phänomen die Rede, so dass doch eine relevante Größenordnung vermutet werden muss.540 Bemerkenswert ist, dass sich in den Ego-Dokumenten keine Aussagen finden lassen, wonach sich die Verfasser selbst einen solchen Heimatschuss beigebracht hätten, sondern stets nur amüsierte Berichte über andere gewitzte Kameraden, denen es gelungen sei, sich auf diese Weise einen Platz im Lazarett zu sichern. Einige Varianten des klassischen Heimatschusses kamen ohne eigentliche Schuss-Ursache zustande. Denn auch etwa Durchfallerkrankungen oder psychische Zusammenbrüche brachten Soldaten mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Heimatlazarett. Dennoch fällt auf, dass ein entsprechend positiv besetzter Begriff für diese anderen Arten von Gesundheitseinschränkungen – etwa »Heimatkrankheit« oder »Heimatneurose« – nicht existierte. Darin zeigt sich erneut die moralische Überlegenheit der vom Feind zugefügten Kriegsverwundung gegenüber der Kriegserkrankung, die gesellschaftlich weniger anerkannt und teilweise stigmatisiert war. Nichtsdestotrotz versuchten manche Soldaten offenbar auch ohne entsprechende Begrifflichkeit und ohne Ehrgewinn, einen Lazarettaufenthalt auf diese alternative Weise entweder zu initiieren oder in die 536 Vgl. zum »Heimatschuss« knapp Ziemann, B., Front, S. 200 f.; Whalen, S. 111 f. 537 Vgl. Reid, Medicine, S. 145–147; Watson, Self-Deception, S. 264 f.; Trogh, About Blighties. 538 Zu anderen Formen verdeckter Desertion im Ersten Weltkrieg vgl. vor allem Deist, Verdeckter Militärstreik, insbes. S. 156–158; Jahr, Gewöhnliche, insbes. S. 110–121. 539 Benjamin Ziemann verweist für den bayerischen Fall auf Nachkriegs-Aussagen des Münchner Kriegsarchivs, das 1928 die Strafprozesslisten des bay. Kontingents ausgewertet hatte. Dem Archiv zufolge trat Selbstverstümmelung als Delikt »verhältnismäßig oft« auf. Laut Ziemann wurde jedoch nur ein Bruchteil der wegen Selbstverstümmelung überführten Soldaten tatsächlich strafrechtlich verurteilt (1.236 Fälle). Man müsse daher von einem weitaus häufigeren Gesamt-Vorkommen ausgehen, vgl. Ziemann, B., Front, S. 202 f. 540 Vgl. etwa Heydt, S. 291–295; Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, in: ISG Frankfurt S5/91; Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 55, in: BA-MA MSG 2/2200 b; Klemperer, S. 454–457; 629 f.; Griebel, S. 68.

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Länge zu ziehen. Sie infizierten sich zu diesem Zweck mit Erregern,541 simulierten ein Leiden oder verschlimmerten vorhandene Krankheiten oder Wunden. Darüber berichtet etwa der Soldat Arnold Heydt. Als er im Sommer 1918 mit einigen Kameraden verwundet in ein Münchener Reservelazarett gekommen sei, habe dort jeder versucht, den Heilaufenthalt möglichst zu verlängern. Nur nicht noch einmal raus, hätten sie sich gedacht, jetzt, »wo’s offensichtlich zu Ende geht«542 mit dem Krieg. Das beste Mittel dagegen sei die »Selbstbehandlung der Wunden« gewesen: »Kurz nach neun Uhr abends, wenn der diensthabende Sanitätssergeant seine letzte Saalrunde absolviert hatte und das Licht bis auf eine düster brennende Nachtlampe verlöschte, dann flog eine Decke nach der andern zurück. In gespenstigem Halbdunkel erfolgten geheimnisvolle Manipulationen an den sorgsam aufgebundenen Verwundungen – der Kampf gegen die Kunst des Arztes begann. Roßhaar aus den Betten der Anstalt oder auch Kupfermünzen wurden kunstgerecht auf die mehr oder weniger gut heilenden Wunden appliziert und die Verbände alsdann mit verblüffender Fertigkeit erneuert. Morgens, kurz vor dem Wecken, wenn die patroullierende ›Nachtschwester‹ nicht mehr zu fürchten war, gab der Ersterwachende ›stillen Alarm‹. Im Nu waren die Verbände wieder herunter, Haare und Kupfer wurden sorglich entfernt und fünf Minuten später hätte man getrost zum Verbinden gehen können. Das unmittelbare Resultat dieser eigenartigen Wundbehandlung waren natürlich starke Eiterungen und Entzündungen, die ein Abheilen unmöglich machten. Und das war eben der ›Zweck der Uebung‹. Es galt Tage, Wochen, Monate vielleicht zu gewinnen. Daß man dabei eine Infektion mit all ihren Folgen riskierte, war nebensächlich.«

Victor Klemperer, der zur selben Zeit aufgrund eines Einziehungsbefehls ebenfalls befürchtete, wieder an die Front zu kommen und den Einsatz dieses Mal nicht zu überleben, gibt ein Gespräch wieder, das er im Anschluss an die Schreckensnachricht mit seinem Bekannten Scherner geführt habe. »›Erkranke doch‹«, habe dieser ganz harmlos zu ihm gesagt, »›deine Flechte läßt sich bequem verschlimmern und für drei Monate ausreichend machen.‹« Tatsächlich hatte Klemperer zu dieser Zeit zum dritten Mal die Bartflechte, die gerade in seinem Umfeld grassierte. »Ich machte wohl ein angewidertes Gesicht. ›Du kannst am 28. Juli auch durch Herzschwäche am Hinausgehen verhindert sein‹, schlug Scherner weiter vor. Er war verwundert, als ich jedes Erkranken ablehnte. Das sei doch ein so übliches Mittel. Und welchen Zweck habe es, sein Leben für eine sinnlos gewordene Sache aufs Spiel zu setzen? Je früher Deutschland aufhöre, um so besser für alle Teile.«543

Schon während seines Fronteinsatzes 1915/16 hatte Klemperer nach eigenen Angaben die allgegenwärtige »Sehnsucht nach dem Heimatschuß«544 unter 541 Dazu His, Die Front, S. 133 f.; Lessing, S. 381. 542 Alle Zitate im Folgenden aus: Heydt, S. 294–296. 543 Klemperer, S. 629. 544 Ebd., S. 452; vgl. dazu auch Kruse, Krieg, S. 539.

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seinen Kameraden frappiert. Dabei erschien ihm ihr ständiges »Phantasieren vom Heimatschuß«545 insgesamt eher wie »bloßes Gerede«,546 ohne dass seines Wissens jemals einer tatsächlich nachgeholfen habe. Sie hätten alle nur von entsprechenden Selbstverstümmelungs-Fällen gehört. Angesichts dieser Schilderungen werden zwei Dinge deutlich: zum einen die Ventilfunktion, die das Sprechen oder Nachdenken über den Heimatschuss für die Frontsoldaten offenbar hatte – er erscheint als kollektive Erlösungsphantasie, die manchem wohl dabei half, die Zeit im Schützengraben besser zu ertragen. Zum anderen wird die Dimension des Heimatschusses als Mythos erkennbar. Um ihn rankten sich zahlreiche Gerüchte und Hoffnungen. Doch während er für manche Soldaten eine Phantasie blieb, ein »bloßes Gerede«, erkannten andere Kämpfer Selbstverstümmelung, »Selbstbehand­lung«547 oder Simulation für sich als reale Handlungsoptionen. Im Phänomen des Heimatschusses als Wunsch und Wirklichkeit enthüllte sich, in welchem Maße Soldaten dazu bereit waren, massive Körperverletzungen mit teilweise langfristigen Schäden auf sich zu nehmen, nur um in ein Militärhospital zu gelangen. In diesen Haltungen drückte sich nicht nur die Attraktivität des Sehnsuchtsorts Lazarett aus, sondern mehr noch die Verzweiflung vieler Kämpfer »über all den Jammer und das Elend«548 an der Front, dieser »Schlachtbank für ganz Europa«.549 Nicht zuletzt lässt sich in der Idee des Heimatschusses auch der Wunsch der Soldaten erkennen, wieder Herr über den eigenen Körper und das eigene Schicksal zu sein, selbst wenn dies nur über den Umweg der Krankheit oder Verletzung zu erreichen war. In dieser Hinsicht lässt er sich als eine Form der Selbstermächtigung verstehen.

Zwischenfazit Das Heimatlazarett erfüllte nicht nur eine militärmedizinische Wiederherstellungsfunktion, sondern prägte auch millionenfach die Kriegserfahrung von Soldaten. Dieses Kapitel hat sich den Perspektiven von Lazarettinsassen auf der Basis von Ego-Dokumenten gewidmet. Dabei wurde gezeigt, dass der Krankenhausaufenthalt von Soldaten zwar individuell unterschiedlich verlief, aber doch von strukturellen Gemeinsamkeiten geprägt war. Im liminalen Raum des Heimathospitals vollzogen die Insassen den Übergang zwischen Krankheit und Gesundheit, Soldatentum und ziviler Existenz oder vergangenem und bevorstehendem Fronteinsatz. Zentrale Topoi der soldatischen Lazarettbeschreibungen sind 545 Klemperer, S. 378. 546 Ebd., S. 387. 547 Heydt, S. 295. 548 Franz Trimborn an seine Schwester Sanna, Im Felde, 26.10.1917, in: Dreidoppel u. a., S. 541. 549 Franz Trimborn an seine Eltern, Verdun, Juni 1916, in: Dreidoppel u. a., S. 434.

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Reinheit (wie sie etwa im Bild des »weißen Bettes« zur Geltung kommt), Stille und Mütterlichkeit / Weiblichkeit. Damit wird das Heimathospital als Gegenort zur Front konzipiert, die demgegenüber als schmutziges, männlich geprägtes, gefährliches »Draußen« figurierte. Das Lazarett erscheint in den Ego-Dokumenten als intimer Mikrokosmos, in dem die Soldaten eine neue Alltäglichkeit und Erwartungssicherheit erlebten. In diesem Sinne stand es für eine zeitweise Rückkehr zur zivilen Friedensexistenz, für die wiedergefundene »Heimat«. Auf den engen Krankenstuben und auch im Kontakt mit dem Pflegepersonal bildeten sich »situative Notgemeinschaften« aus, die in manchen Aspekten der Frontkameradschaft ähnelten. Insgesamt lässt sich die soldatische Lazaretterfahrung jedoch weder als einfache Fortführung der Front- noch der zivilen Heimat­ erfahrung beschreiben oder auf eine Addition dieser Bereiche reduzieren. Es entstand vielmehr ein eigener Sozialraum mit lazarettspezifischen Sprechweisen und Regeln. Schwer- und Leichtverwundete oder -kranke erlebten das Lazarett unterschiedlich: Für die schweren Fälle war der Heilaufenthalt vor allem vom Warten auf Genesung, von zeitlichem Stillstand, Langeweile, Schmerzen, Infantilisierung und Zukunftsängsten geprägt; der Raum des Lazaretts war für sie klein und auf ihr Bett beschränkt. Leichtere Fälle und Rekonvaleszente erlebten hingegen eine im Vergleich zum Frontkämpfertum gewachsene Autonomie. Sie konnten ihre Freizeit gestalten, in die Stadt gehen und Ausflüge unternehmen. Gleichermaßen erlebten schwere und leichte Fälle die Eigenschaft des Heimatlazaretts als »Kontaktzone«. Das Hospital ermöglichte und begünstigte menschliche Verbindungen – gerade zu Angehörigen, mit denen sonst, während des Kriegseinsatzes der Soldaten, oft monate- oder jahrelang kein Kontakt möglich war –, zementierte aber auch alte Vorurteile und Rollenbilder. Insgesamt avancierte das Heimatlazarett in der Wahrnehmung vieler Soldaten zu einem »Sehnsuchtsort im Krieg«. Mit zunehmender Aussichtslosigkeit der Kampfhandlungen wünschten sich immer mehr Kämpfer in diese sichere Schutzzone. Damit entwickelte sich die Existenz der vielen Lazarette zu einem »Pull-Faktor« an der Heimatfront. Einige Soldaten beließen es nicht bei der Wunschvorstellung, sondern griffen zu Formen von Selbstverstümmelung oder Simulation, um einen Lazarettaufenthalt zu erreichen oder zu verlängern. Es wird deutlich, dass das Militär seine Hospitäler zwar als Wiederherstellungs-Maschinen für Front und Industrie konzipiert hatte und auch selbst so nutzte, sie in der Wahrnehmung vieler Soldaten aber zugleich attraktive Nischen darstellten, um dem als hochgefährlich und dabei weitgehend unberechenbar erlebten Fronteinsatz zu entkommen.

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4. Lazarette als umkämpfte Räume Mit zunehmender Fortdauer des Krieges sahen sich die Militärbehörden veranlasst, ihr bisheriges Lazarettkonzept zu überdenken. Dass sich immer mehr Soldaten in den Heimathospitälern sammelten, war den Behörden ein Dorn im Auge und bereitete logistische Probleme. Doch die Medizinalverwaltung stand hier vor einem Dilemma. Sie konnte auf die Anziehungskraft der Heimatlazarette nicht allein kompromisslos reagieren, da sie zugleich anstrebte, sich hier von ihrer besten Seite zu zeigen. Der Krieg bot eine Gelegenheit, nicht nur den Soldaten, sondern auch der Zivilbevölkerung sowie anderen staatlichen und militärischen Instanzen zu beweisen, wie unabdingbar der Sanitätsdienst für den Kriegserfolg war. Die Heimatlazarette stellten die Präsentationsorte dieses neuen Selbstbewusstseins dar. Wie Schaufenster der Militärmedizin sollten sie einen kuratierten Einblick in die Tätigkeiten der Sanitätsoffiziere, der Lazarettverwaltung und des Pflegepersonals bieten. Diese Form der Öffnung, Verschönerung und Popularisierung der Lazarette stand jedoch in scharfem Kontrast zur grundsätzlichen Haltung der Sanitätsbehörden, die eigenen Anlagen vor fremden Augen zu schützen. Denn je zugänglicher die Heimatlazarette gestaltet wurden, desto unkontrollierbarer und unberechenbarer erschienen sie auch. Zunehmend betrachteten die Behörden die innerdeutschen Hospitäler als Einfallstore für innere und äußere Bedrohungen. Um welche Gefahrenszenarien es dabei ging und mit welchen Gegenmaßnahmen die Verantwortlichen auf die wahrgenommenen Bedrohungen reagierten, wird im Folgenden untersucht. Dabei zeigt sich, dass sich die Heeresverwaltung in einen Zielkonflikt zwischen dem Wunsch nach Vertrauensbildung unter Soldaten und Öffentlichkeit einerseits und dem Bedürfnis nach totaler Kontrolle andererseits verstrickte. Dieser Zielkonflikt hatte mit der wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung der Militärmedizin zu tun, aber auch mit der beruflichen Zwischenstellung der Sanitätsoffiziere zwischen militärischer und (zivil-)medizinischer Sphäre. Insgesamt geht es in diesem Kapitel um die militärische Wahrnehmung des Lazaretts als Kampfzone. Erstens im Sinne eines dort stattfindenden Kampfes des Sanitätsdienstes um die Körper und Herzen der Soldaten sowie um den eigenen guten Ruf; zweitens im Sinne eines Feldzuges gegen innere und äußere Bedrohungen des Lazaretts; und drittens im Sinne eines inneren Konflikts zwischen den sich widersprechenden Ansprüchen des Sanitätsdienstes an sich selbst.

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4.1 Schaufenster der Militärmedizin: Das Lazarett als Repräsentationsraum Dass das Lazarett für zahlreiche Frontsoldaten zu einem Sehnsuchtsort avancieren konnte, war nicht nur eine Entwicklung, die das Sanitätswesen überraschte und seinen Intentionen zuwiderlief  – es hatte diesen Prozess im Verlauf des Krieges auch selbst befördert. Obwohl Behörden und Militärärzte es nicht zulassen konnten, dass die Heimathospitäler manchen Soldaten derart attraktiv erschienen, dass sie gar nicht mehr für eine Kriegsverwendung »wiederhergestellt« werden wollten, hatten sie andererseits ein eigenes Interesse daran, dass diese Einrichtungen »Behaglichkeit«1 ausstrahlten, modern ausgestattet waren und die Insassen zufriedenstellten.2 Immer wieder proklamierte die Heeresverwaltung offensiv ihren Anspruch, verwundete und kranke Soldaten hier »der idealsten ärztlichen Hilfe zuzuführen«.3 Jeder Kämpfer müsse spüren, dass er sich »in Bezug auf Unterkunft, Verpflegung und ärztliche Fürsorge in den besten Händen befindet, denen er sich voll anvertrauen darf.«4 Im Falle einer Verwundung oder Erkrankung, so etwa der Generaloberarzt a. D. Hermann Koetzle, werde er »von sachkundiger, sorgender Hand aufgenommen und verpflegt«.5 Koetzles Formulierung fasste die beiden Qualitäten zusammen, die das Heeressanitätswesen für seine eigene Arbeit reklamierte: dass es die Verletzten erstens »sachkundig«, also mit professioneller Expertise behandele und dass es sich zweitens »sorgend«, wie ein guter Kamerad, um sie kümmere.6 Der frühere Generaloberarzt hob in seiner Schrift von 1924 hervor, wie wichtig dieser moralische Rückhalt für die Frontsoldaten im Krieg gewesen sei. Immer wieder hätten sie ihm berichtet, »welche Beruhigung ihnen das Bewußtsein gewährte, den Truppenarzt bei allen Unternehmungen unmittelbar hinter sich zu haben, der sie im Falle der Verwundung mit den wackeren Krankenträgern aus dem Feuerbereich in Sicherheit brachte.« Ihm sei klar geworden, »daß sie im Truppenarzt 1 Waßmund, S. 469; vgl. dazu auch Aufzeichnung über die Besprechung mit den Leitern des Vaterländischen Unterrichts an der Ostfront, Warschau, den 03. und 04.07.1918, hier: Ausführungen des Hauptmann v. Dewitz-Krebs, in: BayHStA MKr/2346. 2 Vgl. Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 45; vgl. etwa auch Sanitätsamt I. AK., 28.08.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739. 3 Großheim, Kriegssanitätsdienst, S. 45. 4 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel, Die in der letzten Zeit im Militärsanitätswesen im allgemeinen getroffenen Verbesserungen, 1913–1914, in: BayHStA MKr/18387; vgl. dazu etwa auch Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 05.08.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281; Blau u. Lehr, S. 1–3; 30–34; 53. 5 Koetzle, S. 7. 6 Vgl. dazu Blind, Bis wann, S. 953; Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung u. a., 18.04.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 125.

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ihren Kameraden sahen. Und Kameradschaft richtig verstanden heißt: für den andern alles tun.«7 Ob ein solches kameradschaftliches Vertrauen zum Sanitätsdienst während des Weltkriegs tatsächlich in der Form bestand, wie Koetzle hier behauptete, oder ob dies eher eine Wunschvorstellung der Heeresverwaltung war, sei dahingestellt. Entscheidend ist, dass die Behörden emsig darauf hinarbeiteten, ein solches Vertrauensverhältnis zur Militärmedizin zu etablieren und nach außen zu kommunizieren. In diesem Konzept erfüllten die Heimatlazarette – neben ihrem eigentlichen Wiederherstellungsauftrag  – für das Militär eine moralisch-repräsentative Zusatzfunktion. Sie sollten die leuchtenden Schaufenster der Militärmedizin sein. Ziel war es, dort sowohl den Soldaten und ihren Angehörigen als auch der deutschen Zivilbevölkerung und sogar internationalen Beobachtern einen vorteilhaften Einblick in die Aktivitäten des Sanitätsdienstes zu bieten. Konkret sollten die Heimatlazarette zum einen demonstrieren, dass sich die Militärmedizin wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit befand.8 Zum anderen sollten sie dazu beitragen, dem Militär insgesamt ein fürsorglicheres Antlitz zu verleihen. Besonders diese zweite, legitimatorische Funktion der Lazarette war den Behördenvertretern wichtig. Sie scheint als Idee bereits vor dem Krieg im 1909 publizierten Handbuch für Militärärzte auf, das ebenfalls die »aus warmem Herzen fließend[e] Humanität«9 der deutschen Lazarette und den »Geist der Menschenfreundlichkeit und innerlichen Anteilnahme«10 ihrer Ärzte beschworen hatte. Das Militär, so die Botschaft, zeige im Hospital seine gütige, unterstützende Seite. Als größte Prestigeobjekte galten bei dieser Image-Arbeit die Reservelazarette. Sie repräsentierten am überzeugendsten die behauptete Modernität und Leistungsfähigkeit der deutschen Militärmedizin. Nach Otto von Schjerning musste es das Ziel des Sanitätsdienstes sein, Soldaten und Zivilisten im Inund Ausland »nur Worte innigen Dankes und höchster Anerkennung für die Leistungsfähigkeit und Aufopferung der Aerzte […] auf die Lippen [zu] zwingen!«11 Schließlich sei inzwischen »amtlich festgestellt«, dass »in den Feld- und Kriegslazaretten 86,6 Proz., in den Lazaretten in Deutschland 90,1 Proz. aller endgültig aus der Lazarettbehandlung Ausgeschiedenen wieder dienstfähig geworden und nur 1,5 Proz. der in die Heimatlazarette aufgenommenen Verwundeten und Kranken gestorben sind.« Dies seien ohne Zweifel »Ergebnisse der Behandlung, die die Bewunderung der ärztlichen Leistungen erregen müssen«. Immer wieder insistierten der Feldsanitätschef und andere hohe Vertreter der Medizinalverwaltung auf solchen Erfolgszahlen. Ein Grund für diese Vehemenz 7 Koetzle, S. 21. 8 Vgl. exemplarisch Reicher, darin: Grußworte Otto von Schjernings, S. 777. 9 Waßmund, S. 451. 10 Ebd., S. 523. 11 Zitate im Folgenden aus: Goeldel, darin: Einleitende Worte des Feldsanitätschefs v. Schjerning, S. 737.

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mag gewesen sein, dass die Militärmedizin während des Krieges teilweise heftiger öffentlicher Kritik ausgesetzt war. Die Vorwürfe kamen von verschiedenen Seiten und berührten drei Ebenen: Erstens klagten einzelne Soldaten und ihre Angehörigen über konkrete medizinische Behandlungsfehler oder prangerten soziale Härten bei der Entlassung an.12 Zweitens sahen sich die Lazarettärzte einer allgemeineren pazifistischen Kriegskritik ausgesetzt. Drittens schließlich waren die gesamten deutschen Streitkräfte seit 1914 von internationaler Seite mit dem Vorwurf der Barbarei konfrontiert. Auf welche Weise sich der Sanitätsdienst gegen diese Angriffe zu verteidigen versuchte, soll im Folgenden genauer betrachtet werden. 4.1.1 Heilen, um sterben zu lassen: Öffentliche Kritik am Sanitätswesen So sehr sich große Teile der deutschen Bevölkerung für die Lazarette ihres Wohnorts interessierten und darum wetteiferten, sie auf materieller Ebene oder durch persönliches Engagement zu unterstützen,13 so aufmerksam beobachteten sie auch, was sich im Inneren der Krankenhäuser abspielte. Immer wieder beschwerten sich Zivilisten bei der Heeresverwaltung über Missstände oder trugen ihre Kritik in die breitere Öffentlichkeit.14 Einige dieser Fälle machten Furore und wurden im Parlament diskutiert.15 Generalarzt Friedrich Paalzow äußerte sich zu solchen Formen ziviler Kontrolle im Winter 1914 – sichtlich ungehalten – während eines Eröffnungsvortrags zur großen Kriegsfürsorge-Ausstellung im Reichstag. Die Heeresführung an der Front, so setzte er an, werde zu Recht in der Heimat wenig angezweifelt, man feiere glücklich ihre Erfolge. Eine solche vertrauensvolle Zustimmung werde jedoch der Militärmedizin nicht uneingeschränkt entgegengebracht:

12 Vgl. dazu etwa Schlacht, S. 72; Lange, F., S. 10 f.; Auszug aus der Verfügung des Kriegsministeriums, Sanitäts-Departement, vom 30.08.1918, in: BA-MA PH 7/6; verschiedene Entgegnungen des Bay. Kriegsministeriums auf zivile Beschwerden finden sich in: BayHStA MKr/18389. Paul Lerner analysiert mehrere Anklagen psychiatrischer Patienten gegen ihre Ärzte, vgl. Lerner, Hysterical, S. 200–208. 13 Vgl. zu diesem »Interesse an den Kriegsbeschädigten« in »allen Volksschichten« exemplarisch Nachrichten der Aufklärungsstelle bei der Presseabteilung des Stv. Generalkommandos XVIII. AK., Nr. 10, Vertraulich, 22.03.1918, in: BayHStA MKr/2340. 14 Vgl. für Bayern etwa Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I. II.III. AK u. a., 01.11.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA/537; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 22.09.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 15 Vgl. insbesondere Reichstagsprotokolle, 19. Sitzung, 26.08.1915, Abgeordneter Stücklen, S. 355; Reichstagsprotokolle, 31. Sitzung, 17.01.1916, Abgeordneter Schöpflin, S. 681 f.; Reichstagsprotokolle, 172. Sitzung, 11.06.1918, Abgeordneter Dr. Wirth, S. 5390–5392, alle digitalisiert und online verfügbar: https://www.reichstagsprotokolle.de/index.html (letzter Zugriff am 29.06.2020).

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»Diese hat etwas, ich möchte sagen, Persönliches und Familiäres, der heimgekehrte Verwundete berichtet über seine Erlebnisse, die Krankenschwester draußen schreibt gern ihre Eindrücke nach Hause, schließlich tut es auch dieser oder jener Arzt. Die Lazarett- und die Krankenzüge mit ihren Verwundeten werden unterwegs auf den Bahnhöfen und dann bei der Ankunft […] erwartet, und nicht wenige sind bereit, nun mit ihrem Urteil über das Sanitätswesen hervorzutreten. Das ist freilich nicht verwunderlich, vielmehr etwas aus der Friedenszeit Übernommenes, Ererbtes. Spricht ein Richter, spricht ein Geistlicher, spricht ein Lehrer, so sagt der Nichtfachmann, ich verstehe nichts davon, es wird wohl so sein müssen. Anders beim Arzt: ich glaube, kein Beruf setzt seine Mitglieder mehr der Kritik aus als der ärztliche Stand. […] Warum im Einzelfalle nicht dieses oder jenes Behandlungsverfahren bei einem Erwachsenen vorgenommen wurde, ›versteht die Familie nicht‹! So geht es auch mit der Verwundetenfürsorge: im großen bei der Organisation wie im kleinen bei der Fürsorge für den Einzelnen. Dabei wissen die meisten, die mit Besserungsvorschlägen auch in edelster Absicht kommen, von der Organisation unseres Feldsanitätswesens herzlich wenig.«16

Paalzow versuchte in seinem Appell, die Kritik der Lazarettbesucher als uninformierte Einmischung zu disqualifizieren. Die zivilen Besserwisser überblickten die aufwendige Gesamtorganisation des deutschen Lazarettwesens nicht, seien aber umso schneller mit einer Meinung bei der Hand. Er hoffe, dass die Berliner Kriegsfürsorge-Ausstellung dazu beitragen könne, Missverständnisse aufzuklären und die Gemüter zu beschwichtigen. Auch sein bayerischer Kollege Generalstabsarzt Karl von Seydel musste gegenüber zahlreichen zivilen Vorwürfen Stellung beziehen, die im Bayerischen Landtag gegen das Sanitätswesen vorgetragen wurden. Viele dieser Klagen bezogen sich auf »Mängel im Betrieb und in der Ausstattung einzelner Reservelazarette«,17 andere auf zu strenge Ausgangsregelungen für die Patienten oder eine übermäßige Belegung einzelner Lazarette. Von Seydel wehrte alle Anschuldigungen wortreich ab. Einerseits betonte auch er, wie Paalzow in Berlin, die besondere Fachkenntnis der Sanitätsbehörden: In der »nicht immer sachlichen, wenn auch menschlich begreiflichen Kritik besuchender Angehöriger«18 spiegele sich das fehlende Wissen über die Sanitätsorganisation. Andererseits verteidigte er die Leistung der Militärkrankenhäuser, indem er auf die besonderen Umstände des Krieges verwies. Niemand dürfe vergessen, »daß die in Bayern in über 100 Gebäuden untergebrachten 65 Reservelazarette improvisierte Einrichtungen darstellen und zumeist in kürzester Zeit in Schulhäusern und Kasernen bereitgestellt werden mußten.«19 Wenn man diese Anstalten beurteile, 16 Paalzow, Heeres-Sanitätswesen, S. 1. 17 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 124; ebenso Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von ­Seydel, Verhandlungen mit dem Bay. Landtag, 22.07.1918, in: BayHStA MKr/18385. Hier ging es unter anderem um den Vorwurf, dass Ärzte gegenüber Neurotikern kalt und mitleidslos seien. 18 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 212. 19 Zitate im Folgenden aus: ebd., fol. 124.

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dürften »billigerweise wohl nicht die Anforderungen gestellt werden, die unter Friedensverhältnissen […] geltend zu machen sind.« Im Anschluss beeilte aber auch er sich, zu versichern, »daß trotz alledem unsere Lazarette ihre Aufgaben vorzüglich erfüllen.« In Auseinandersetzungen wie diesen zeigt sich, wie stark offenbar die Maßstäbe voneinander abwichen, nach denen Sanitätsoffiziere und Zivilisten die Lazarettversorgung beurteilten. Der Krieg stellte für das Kaiserreich und sein Militär eine dramatische Ausnahmesituation dar – doch die Reserve- und Vereinshospitäler befanden sich in der vergleichsweise ruhigen Heimat. Hier war es manchen Lazarettbesuchern nur schwer zu vermitteln, warum mit ihren verletzten oder kranken Angehörigen so streng verfahren wurde, sie improvisiert in Schulgebäuden untergebracht waren und nicht zu Hause gepflegt werden durften.20 Die oft beschriebene Militarisierung und Mobilisierung21 der deutschen Heimatgesellschaft stieß also an manchen Stellen auch auf Unverständnis und Widerstände. Dabei stellten die von Karl von Seydel wie von anderen führenden Militärärzten beklagte »dilettantenhafte Vielgeschäftigkeit«22 der zivilen Lazarettbesucher und ihr angeblich »laienhaftes Besserwissenwollen«23 nur eine Facette der Kritik am Lazarettwesen dar und nicht einmal die heikelste. Sie ließ sich leicht als unprofessioneller Einwurf entwerten und abweisen. Grundsätzlicher war eine andere Kritik. Pazifistische Stimmen, darunter auch einfache Soldaten, warfen den Militärbehörden vor, in den Lazaretten Fürsorglichkeit vorzutäuschen, die Patienten dort in Wahrheit jedoch nur zu behandeln, um sie »wieder als Kanonenfutter«24 zu gebrauchen. Gerade diejenigen Soldaten, die in den Lazaretten erfolgreich wieder »k.v.« wurden, gerieten in die paradoxe Situation, dass ihr gerade erst gerettetes Leben kurz darauf erneut an der Front der Todesgefahr ausgesetzt wurde. Die Militärärzte, so ließe sich diese Kritik auf eine Formel bringen, heilten die Soldaten nur, um sie sterben zu lassen. Im Lichte dessen konnte die Lazarettbehandlung als eine Pervertierung des hippokratischen Eides gelesen werden, ja sogar als Verrat am Patienten.25 So sehr das Sanitätskorps von militärischer Seite dafür gelobt wurde, den Kampf des Vaterlandes an der medizinischen Front mit auszutragen,26 so klar war auch im negativen Sinne, dass die Ärzte – gewissermaßen hinter den Kulissen – ihren Anteil an der Fortführung des Massentötens leisteten. Die Lazarettmaschinerie hielt die Kriegs20 Vgl. dazu auch Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1209. 21 Vgl. etwa Nübel, Mobilisierung, insbes. S. 11–13. 22 Schlacht, S. 72; ähnlich Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 19.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 23 Schlacht, S. 72. 24 Graf, S. 197. 25 Das »Dilemma der Heilberufe« problematisiert auch der Band von Bleker u. Eckelmann. 26 Vgl. exemplarisch das Lob des Chefs des Feldsanitätswesens Otto von Schjerning in: Goeldel, darin: Einleitende Worte des Feldsanitätschefs v. Schjerning, S. 737; His, Die Front, insbes. Geleitwort.

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maschinerie in Gang. Diese Kritik war während des Krieges latent vorhanden und lässt sich auch in einzelnen soldatischen Ego-Dokumenten nachweisen,27 konnte aber kaum öffentlich artikuliert werden. Dies änderte sich erst in der Nachkriegszeit, als insbesondere Künstler und Schriftsteller in ihren Werken das Vorgehen der Militärmedizin offen anprangerten. Ein prominentes Beispiel stellt die autobiographische Fiktion »Wir sind Gefangene« von Oskar Maria Graf aus dem Jahr 1927 dar; andere Beispiele sind Werke von George Grosz, Bertolt Brecht oder Carl Zuckmayer.28 Doch bereits während des Krieges zeigte sich immer wieder, dass Teile der Bevölkerung und der Soldaten dem Militärsanitätsdienst misstrauten.29 Ein Beispiel für diesen Argwohn stellte die öffentliche Kritik an bestimmten berüchtigten Nervenhospitälern dar, in denen besonders »energische Behandler«30 ihre Patienten mit Starkstromstößen und anderen Methoden traktierten. Sie wurden als »Quällazarette«31 oder auch als »Rentenquetschen«32 bezeichnet. Der zweite Ausdruck transportierte die Kritik, dass es das Hauptziel dieser psychiatrischen Lazarette sei, ihre Patienten mit einer möglichst geringen Rente zu entlassen, um einen abschreckenden Effekt auf potentielle Simulanten zu erzielen und dem Staat Kosten zu sparen. Das öffentliche Misstrauen gegenüber dem Sanitätsdienst zeigte sich aber auch anhand der Gerüchte über Geheimlazarette, die im Jahr 1917 vor allem in Bayern im Umlauf waren.33 Demnach hielten die Militärbehörden in geheimen Krankenhäusern »schwer verstümmelte Soldaten ihren Angehörigen verborgen«,34 die »erst nach dem Kriege [wieder] zum Vorschein kommen«35 würden. So wollten sie angeblich verhindern, dass angesichts des Schicksals der deformierten Männer gesellschaftliche Unruhe entstehe. Im September 1917 warnte die Medizinal-Abteilung des Bayerischen Kriegsministeriums erstmals intern vor diesen Falschinformationen. Sie stammten »zweifellos aus unsauberer Quelle«.36 Auch das Stellvertretende General27 Vgl. insbesondere Drewes, Erinnerungen an meine Erlebnisse im Lazarett, 1915, S. 19 f., in: BA-MA MSG 2/2200 b; Lorenz Brockötter an die Familie, 26.10.1915 und 04.11.1915, in: Brockötter, S. 186 und 189. 28 Vgl. zu Grosz und Brecht Kapitel 2.2.; Zuckmayer, insbes. S. 254; auch Klemperer, S. 440. 29 Dies mag auch aus traditionellen Vorbehalten gegenüber öffentlichen Krankenhäusern gespeist worden sein. In Teilen der Bevölkerung hielt sich das Bild überfüllter »Siechenhäuser«, wie sie bis Anfang des 19. Jahrhunderts existiert hatten, vgl. Gottstein, S. 2 f. 30 Quensel, S. 86. 31 Zu diesen Vorwürfen äußert sich etwa der Psychiater Hellpach, Wirken, S. 69; 71. 32 Quensel, S. 86. 33 Vgl. zu den Gerüchten um Geheimlazarette Ulrich, »…als wenn«, S. 125 f.; Ruff, Gesichter, S. 101–104; vgl. allgemein zur Rolle von Gerüchten in der deutschen Kriegsgesellschaft ­Daniel, Informelle; Reimann, Gerücht. 34 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 20.07.1917, in: BayHStA MKr/13815. 35 Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 19. Merkblatt für den vaterländischen Unterricht und die Aufklärung in der Heimat, Dresden, 15.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 36 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 20.07.1917, in: BayHStA MKr/13815.

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kommando in Dresden zeigte sich von den Gerüchten irritiert. Es bedürfe eigentlich keines besonderen Hinweises, »daß dieser Gedanke völlig sinnlos ist. Alle diese Verwundeten stehen in unbeschränktem Briefwechsel mit ihren Angehörigen. Die Art der Verstümmelung ist diesen wie auch den Ortsbehörden genau bekannt.«37 Doch im darauffolgenden Jahr war die Existenz angeblicher Geheimlazarette weiterhin ein brisantes Thema. Die bayerische Medizinal-Abteilung sah sich genötigt, vor dem Landtag zu den Verdächtigungen auszusagen. Generalstabsarzt Karl von Seydel wies die vielfachen Anschuldigungen als irrationale Reaktionen verunsicherter Angehöriger zurück: »In einem Falle waren diese Gerüchte durch Briefe eines jungen Mädchens veranlaßt, das der Meinung war, daß ihr als ›vermißt‹ gemeldeter Bruder noch am Leben sei. Mit den Briefen wollte sie bezwecken, daß sich eine höhere Stelle mit der Sache beschäftige; sie hoffte auf diese Weise über den Verbleib ihres Bruders näheres zu erfahren. Die Angelegenheit wird nächstens ein gerichtliches Nachspiel haben, weil die Heeresverwaltung ein Interesse daran hat, daß die Haltlosigkeit derartiger Gerüchte, die geeignet sind, die Stimmung in der Heimat und das Vertrauen zur Heeresverwaltung zu erschüttern, in voller Öffentlichkeit nachgewiesen wird.«38

An den Aussagen von Seydels lässt sich gut erkennen, wie empfindlich diese »Fake News« über Geheimlazarette die Militärbehörden trafen. Im Kern ging es um die Frage, welcher Akteur die Deutungshoheit über den Raum des Lazaretts behaupten konnte. Das Militär wollte seine Vormachtstellung unbedingt verteidigen. Notfalls sollte das anvisierte »Vertrauen zur Heeresverwaltung« durch einen gerichtlichen Nachweis erzwungen werden. 4.1.2 »Wir Barbaren!« Das Lazarett als Nachweis deutscher Humanität Mit Rechtfertigungsreden wie der Karl von Seydels versuchten die Vertreter der Medizinalbehörden, dem Misstrauen und der Kritik am Sanitätswesen aktiv entgegenzutreten. Nicht zuletzt verband sich damit die Hoffnung, auch die international beschädigte Reputation des Kaiserreichs wiederherzustellen. Denn von den ersten Wochen des Krieges an standen die deutschen Streitkräfte unter einem hohen moralischen Rechtfertigungsdruck. Spätestens seit deutsche Soldaten bei der Invasion Belgiens und Frankreichs 1914 rund 6400 Zivilisten, teilweise in regelrechten Massenexekutionen, ermordet hatten, weil sie sich von

37 Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 19. Merkblatt für den vaterländischen Unterricht und die Aufklärung in der Heimat, Dresden, 15.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 38 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 255.

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Freischärlern umzingelt glaubten,39 und zusätzlich, in einem Akt von »Kulturgreuel«,40 die Bibliothek von Löwen sowie die Kathedrale von Reims zerstört hatten, sah sich Deutschland dem Vorwurf der Barbarei ausgesetzt.41 Diese Kritik war historisch nicht neu, flackerte aber nun mit aktualisierter Brisanz auf. Besonders die britische und französische Kriegspropaganda befeuerte das Bild des deutschen Hunnen, der mordend durch Europa ziehe und eine Spur der Verwüstung hinterlasse.42 Mit großem Aufwand, aber insgesamt wenig erfolgreich, versuchte die deutsche Gegenpropaganda, diesen Vorwurf zu entkräften.43 Vor allem lag es ihr daran, das Kaiserreich vor den Neutralen vorteilhaft zu präsentieren, um sie auf ihre Seite zu ziehen und damit zugleich die eigene Kriegs­ gesellschaft moralisch zu festigen.44 Ein Baustein innerhalb der deutschen Gegenpropaganda, der bisher wissenschaftlich nicht untersucht wurde, ist die Inszenierung der Heimatlazarette als Orte der deutschen Humanität. Vor allem die Militärmedizin selbst versuchte, diese Anstalten als Beweis dafür ins Feld zu führen, dass die Deutschen ein menschenliebendes Kulturvolk seien, das seine philantropische Gesinnung nicht nur gegenüber den eigenen Kriegsversehrten zeige, sondern auch in der Pflege verwundeter Kriegsgefangener.45 Der Chirurg Carl Ludwig Schleich rief in einem Zeitungsartikel von 1916 die Leser dazu auf, einfach »ein[en] Gang durch eines unserer Heimatlazarette«46 zu unternehmen – dann werde sich jeder davon überzeugen, dass die Deutschen »durchaus an der Spitze aller zivilisierten Nationen«47 stünden. Ein Volk, das sich so um seine Verwundeten bemühe, 39 Vgl. dazu die klassische Studie von Horne u. Kramer. Ob die deutschen Begründungen einen realen Gehalt hatten oder weitgehend einer paranoiden Vorstellung entsprangen, wird in der Forschung inzwischen wieder hitzig debattiert, zumal mit den kontrovers bewerteten Studien von Gunter Spraul (2016) sowie Ulrich Keller (2017) einige neue Quellenbestände stärker in den Vordergrund gerückt worden sind, vgl. Scianna; zu diesen Diskussionen zusammenfassend Pöhlmann, Habent. 40 Kramer, Kriegsgreuel, S. 647; ders., Atrocities. 41 Vgl. Horne u. Kramer, insbes. S. 217–225. 42 Vgl. Wichmann, insbes. S. 181–188; Welch, Images of the Hun; Jeismann, S. 205f; Ridel; Monger. 43 Vgl. dazu etwa Hinz, »Barbaren«, insbes. S. 350; Horne, Barbaren, S. 370; allgemeiner zur deutschen Propaganda Welch, Germany; Bremm; Deist, Zensur. 44 Vgl. Bruendel, Othering; Jeismann, insbes. S. 199; Bremm, S. 8. 45 Vgl. exemplarisch Goeldel, darin: Einleitende Worte des Feldsanitätschefs v. Schjerning, S. 737; o.A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tagblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. Auch die Behandlung der gegnerischen Soldaten in den deutschen Kriegsgefangenenlagern wurde in Publizistik und staatlicher Propaganda als Anti-Barbarei-Beweis angeführt, vgl. Hinz, »Barbaren«, insbes. S. 346–351. 46 Schleich, S. 1. Die in diesem Aufsatzband abgedruckten Texte erschienen 1916 als Serienaufsätze in der Berliner Zeitung »B. Z. am Mittag«, waren also für eine breitere Öffentlichkeit geschrieben. 47 Schleich, S. 1. Trotz der zeitgenössischen Gegenüberstellung von deutscher »Kultur« und französischer bzw. britischer »civilisation« wollte Schleich hier offenbar sogar noch die westliche Zivilisiertheit für Deutschland und seine Ärzte reklamieren.

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könne niemand »ohne gewollte Verdrehung des Offenbaren«48 als barbarisch bezeichnen.49 Daher dürfe man »wohl allen Nörglern an deutscher Kultur stolz zurufen: Seht euch unsere Lazarette an, und ihr werdet anderer Meinung werden!«50 Eine ähnliche Botschaft vermittelten auch Postkartenmotive. Eine Feldpostkarte zeigte etwa deutsche Krankenschwestern und Militärkrankenwärter, wie sie gerade französische Verwundete medizinisch versorgten. Da­ rüber stand in roten Lettern: »›Wir Barbaren!‹ Gefangene Franzosen werden vom Roten Kreuz verbunden«.51 Die Darstellung des deutschen Heimatlazaretts als einer »edlen Blüte humanitärer Bestrebungen«52 erfüllte eine moralische Entlastungsfunktion. Mit diesem Bild konnten die alliierten Kriegsgräuel-Vorwürfe gekontert werden, auch wenn Gegner und neutrale Staaten hiervon vermutlich nicht überzeugt wurden. Als bedeutsamer kann die legitimatorische Funktion der Heimat­ hospitäler als Selbstrechtfertigung nach innen eingeschätzt werden. Die Militärmedizin konnte sich an diesen Orten vergewissern, dass Ärzte und Pflegepersonal das patriotisch und ethisch Richtige taten.53 Die ständigen Beteuerungen von Sanitätsoffizieren, wie fortschrittlich die moderne Medizin sei, die inzwischen »wahrhaft verblüffende Erfolge«54 erziele, dienten genau diesem Zweck. Denn das Faszinierendste an den Lazaretten war für Mediziner ihr Potenzial, schwer verwundete Soldaten »wiederherzustellen« als sei nichts geschehen, sie zu »entkrüppeln«55, ja zu »ent-wunden«. Damit bedienten die Hospitäler eine militärmedizinische Utopievorstellung. Sie schienen wie Jungbrunnen zu funktionieren: Der Soldat kam verwundet und erschöpft ins Lazarett hinein und verließ es nach einiger Zeit erfrischt und kriegsverwendungsfähig. Mit »lachender Erinnerung an sein herrliches Erholungsheim« zog er »gesund an Leib und ­Seele«56 wieder in den Kampf. Die Waffen der deutschen Medizin hatten über die Waffen des Feindes triumphiert. In solchen idealisierten Darstellungen gingen wissenschaftlicher und humanitärer Fortschritt Hand in Hand. Die Lazarette waren zudem als Orte der Wiedergutmachung gedacht. Nachdem die Soldaten an der Front schlimmsten Angriffen ausgesetzt gewesen wa48 Schleich, S. 2. 49 Vgl. mit der gleichen Argumentation auch Anni Horch-Aschoff, Kriegstagebuch 1914–1918, Reserve-Lazarett Realgymnasium, Teil 1: 1914–1915, S. 41, in: StadtAFrei B1/378. 50 Schleich, S. 7. 51 Postkarte, o. O., o. D., abgedruckt in: Zinecker, S. 39. Äquivalentes Beispiel in Krause, Einfach, S. 517 f. 52 Blind, Verbindung, S. 938. 53 Vgl. etwa die Abschiedsansprache des Chefarztes im Reservelazarett Ingolstadt II, 26.06.1918, in: BSMüA 5.6/5, Nr. 3. 54 Frickhinger, S. 967; ähnlich Blind, Bis wann, S. 953; ders., Verbindung, S. 937. 55 Vgl. Bihr; allgemeiner zum Begriff Osten, Modellanstalt, insbes. S. 225. 56 Artikel »Ein französisches Schloss als Erholungsheim«, in: Heft »Mitteilungen aus dem besetzten Gebiet des Westens«, herausgegeben unter Mitwirkung der Etappen-Inspektion von der Feldpressestelle beim Generalstab des Feldheeres, H.-Qu. Mézières-Charleville Nr. 23, 01.12.1917, in: BayHStA MKr/2337.

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ren, so die Argumentation der Militärmediziner, sollten sie im Heimatlazarett im Gegenzug die bestmögliche Behandlung erhalten. Die Pflicht, das Vaterland notfalls unter Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen, schloss das Recht ein, im Krankheits- oder Verwundungsfall schnelle medizinische Hilfe zu erhalten. Dabei sollten stets die modernsten Therapien zur Anwendung kommen, denn für die verwundeten Kriegshelden, so hieß es immer wieder, sei »das Beste gerade gut genug.«57 Der Straßburger Stabsarzt Blind machte darauf aufmerksam, dass es auch »eine grosse innere Beruhigung für unser Volk« sei, »zu wissen, dass in den schweren Zeiten eiserner Kriegsjahre die Heilkunde auf der Höhe ihrer Aufgabe steht.«58 Solche Aussagen von Militärärzten dienten nicht zuletzt dazu, das Vertrauen der deutschen Heimatgesellschaft zu gewinnen.59 Damit hofften die Verantwortlichen, zu verhindern, dass Angehörige von Lazarettinsassen panisch reagierten, wenn sie von der schweren Verletzung ihres Sohnes, Bruders oder Ehemanns erfuhren, oder dass sie womöglich auf die Idee kamen, nach Mängeln in der medizinischen Versorgung zu suchen. Das Loblied auf die Lazarette hatte also auch die Funktion, den Blick von den Grausamkeiten fortzulenken, denen die Soldaten an der Front ausgesetzt waren und sie durch eine besondere Fürsorgeleistung an der Heimatfront zu kompensieren. Der Staat, so die implizite Botschaft, nahm nicht nur Leben – er schenkte auch neue Gesundheit. Zugleich schien die Idee einer zusätzlichen Wiederherstellungs- und Wiedergutmachungs-Chance im Lazarett auf: Hier ging es nicht nur in militärmedizinischer Hinsicht darum, Zerstörungen zu reparieren, sondern es sollte auch auf moralischer Ebene eine Form gesamtgesellschaftlicher Heilung gelingen. 4.1.3 Das Lazarett als Schule und Abbild des deutschen »Volkes« Auch andere staatliche und nicht-staatliche Akteure stimmten in diese LazarettLobeshymne mit ein. Auf die Botschaft, dass das Sanitätswesen und seine Heimathospitäler strahlende Leuchttürme der deutschen Humanität seien, konnten sich ganz unterschiedliche Vertreter der Gesellschaft einigen. Besonders deutlich wird diese Haltung in einem Sammelband von Hans Würtz, dem Verwaltungsdirektor der Berliner »Krüppelheilanstalt« Oskar-Helene-Heim.60 Seine während des Krieges mehrfach aufgelegte Publikation »Der Wille siegt!« präsentierte erfolgreiche »Lebensschicksale« wiederertüchtigter Kriegsinvalider, zusammen mit kurzen Statements führender Politiker, Schriftsteller und anderer Vertreter des Bürgertums. Die meisten Beiträge liefen auf die Aussage hinaus, dass die 57 Schmidt, H., S. 1 f.; ähnlich Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an V[erwaltungsabteilung?]., 14.11.1917, in: BayHStA MKr/10519; Reicher, darin: Grußworte Otto von Schjernings, S. 777. 58 Blind, Verbindung, S. 937; dazu auch Kienitz, Fleischgewordenes, S. 217 f.; 233. 59 Vor allem sollte Erwartungssicherheit hergestellt werden, vgl. zum Begriff Baberowski, S. 8–19; Rojek, S. 5. 60 Vgl. zu Würtz’ Person und seiner Krüppelpädagogik Sloterdijk, S. 69–99, insbes. S. 81–92.

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Kriegsbeschädigtenfürsorge, wie sie in den Heimatlazaretten beginne und sich zivil fortsetze, ein »Triumph der Nächstenliebe«61 sei. Paul von Breitenbach, der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten, stellte etwa fest: »Je höher die Kulturstufe eines Volkes ist, desto eifriger und liebevoller nimmt es sich seiner Kriegsbeschädigten an.«62 Ludwig Fahrenkrog, ein Professor der Kunstgewerbeschule Barmen, ging in seinem Beitrag noch weiter: Ihm zufolge erschöpfte sich die »kulturelle Tragweite« der Kriegsbeschädigtenfürsorge nicht in der Hilfe für andere, sondern sie steigerte auch die »sittlich aufbauenden Fähigkeiten der Fürsorgenden selber«.63 Den gleichen Gedanken bekräftigte Ludwig Gurlitt, ein reformpädagogisch orientierter Gymnasiallehrer in Steglitz: »Diene den Kriegsbeschädigten, und du dienst deinem Volke, dienst deinen Kindern, dienst dir selbst«, schrieb er, »denn das wissen wir jetzt und wollen es nicht wieder vergessen: unser Volk ist ein Leib und eine Seele und leidet im Ganzen, wenn seine Teile leiden.«64 Insgesamt kennzeichneten fast alle Autoren die Lazarettfürsorge als eine besondere Kulturleistung des deutschen Volkes. Das Heimathospital erschien dann wie eine »große Schule, oft größer als die Kriegsschule da draußen.«65 Es wirke nicht nur auf die Soldaten »erzieherisch«,66 sondern trage auch zur »sittlichen Erhöhung«67 der dort engagierten wohltätigen Stifter, bürgerlichen Damen, Krankenpflegerinnen oder Schulkinder bei. Hinter solchen Aussagen stand die Idee, dass das Heimatlazarett einen sozial integrativen, disziplinierenden Effekt zeitige – und das praktischerweise nicht nur auf die dort lebenden Insassen, sondern ebenso auf die Menschen, die sich um sie kümmerten. Es fungierte nach innen und außen als eine »Schule der Nation«.68 Und noch eine weitere Vorstellung war in den Aussagen von der pädagogisch wertvollen »Kulturarbeit im Lazarett«69 enthalten: die Idee, dass sich in den Heimatlazaretten das deutsche Volk auf kleinstem Raum abbilde. Besonders deutlich kommt diese Sichtweise in einem Artikel Margot Grupes zum Tragen. Die Handarbeitslehrerin, die im Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus Seminare für Erzieherinnen leitete, war während des Krieges als Hilfsschwester des Roten 61 Wirkl. Geh. Rat Dr. Wilhelm Erner, in: Würtz, S. 54. Vgl. hier auch weitere Artikel, insbes. Foerster (S. 55). 62 Paul Justin von Breitenbach, in: Würtz, S. 50 f. 63 Ludwig Fahrenkrog, in: Würtz, S. 54. 64 Ludwig Gurlitt, in: Würtz, S. 57. 65 Schäfer, Stilles Heldentum, S. 49; ähnlich auch Ziemann, H., S. 1167; Blind, Bis wann, S. 953. 66 Ludwig Gurlitt, in: Würtz, S. 57; vgl. ähnlich Leitsätze für die Behandlung von Verwundeten und Kranken. Aufgestellt bei der Besprechung der fachärztl. Beiräte des XIII. (Königl. Württ.) Armeekorps aufgrund ihrer Erfahrungen im Heimatgebiet, Stuttgart 1917, S. 24, in: HStAS M 77/2 Nr. 53, fol. 47. 67 Ludwig Gurlitt, in: Würtz, S. 57. 68 Besser untersucht ist in der Forschung der Topos des Militärs als »Schule« der (männlichen) Nation, vgl. Frevert, Gesellschaft, S. 13; dies., Das Militär; Schmitt, Armee, S. 70–75. 69 Baum u. a.

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Kreuzes im Lazarettdienst tätig.70 In ihrem 1916 publizierten Buch »Kultur in den Kriegslazaretten« versuchte sie, die volkserzieherische Mission, die das Pestalozzi-Fröbel-Haus normalerweise bei Müttern und Kindern verfolgte, auf die Militärkrankenhäuser zu übertragen: »Daß ein Mann 10 bis 12 Monate im Lazarett lebt, ist keine Seltenheit«, schrieb sie. »Was bringt er aus der Zeit mit nach Hause, das ein Gewinn wäre, das er an seine Familie weitergeben könnte […]?«71 Am besten sei es, wenn die Soldaten durch Handarbeitskurse einen geschmacksbildenden »Nachholungsunterricht«72 erhielten. In den Lazaretten liege eine enorme Bildungschance für diese Männer: »Nie wieder werden wir eine so große Zahl unsres Volkes beisammen haben, intelligent, empfänglich für alles, was ihnen dargebracht wird; gezwungen zu körperlicher Ruhe, daher mit der nötigen Muße aufzunehmen, was ihnen in ihrem sonstigen Arbeitsleben fern bleibt.«73 Daher lohne es sich, in die Kulturarbeit für Verwundete zu investieren. Sie werde letztlich allen Deutschen zugutekommen, denn »was wir für sie tun, tun wir dem ganzen Volk.«74 Die Insassen der Heimathospitäler werden in Aussagen wie diesen als Abbild der deutschen Gesamtbevölkerung präsentiert. Ihre Bedürfnisse, Fähigkeiten und Wünsche galten als Indiz dafür, was auch die allgemeine Gesellschaft leistete, dachte und fühlte. Damit erschienen die Lazarette als Fenster zur Volksseele.75 Verschiedene Akteure aus dem Bereich der Pädagogik, der Medizin oder der Kirche erblickten in ihm die Möglichkeit, das deutsche »Volk« – das dort vermeintlich in Gestalt der Verwundeten und Kranken wehrlos und ohne rechte Beschäftigung lag – zu erforschen und zu beeinflussen.76 Somit waren die Heimathospitäler im zeitgenössischen Diskurs auf verschiedenen Ebenen mit der Idee des »Volkes«77 verknüpft: Sie repräsentierten erstens selbst das Volk, da ihre Insassen sich aus »Männern aller Stände und Bildungsschichten«78 zusammensetzten und somit einen Querschnitt durch den männlichen Teil der Bevölkerung bildeten. Sie boten zweitens Gelegenheiten, zahlreiche Menschen an der Heimatfront in die »Kulturarbeit« im Lazarett einzubinden und auf diese Weise volkserzieherisch zu formen. Und sie boten drit70 Vgl. zu Grupe: H., Unser Einführungskursus für die Beschäftigung der Verwundeten in den Lazaretten, in: Vereins-Zeitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses 113 (1915), S. 28–31, in: APFH / Vereinszeitung. 71 Grupe, S. 3. 72 Ebd., S. 13. 73 Ebd., S. 3. 74 Ebd., S. 14. 75 Vgl. dazu etwa Schleich, S. 3; Brief Max Webers aus seiner Zeit als Lazarettverwalter an seine Mutter Helene Weber, 13.04.1915, in: Weber, Briefe 1915–1917, S. 38. 76 Vgl. dazu auch Goltz, S. 2; Johannes Ficker, Bericht über die Tätigkeit der Kriegsstelle der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg I. (1914/15), Straßburg 1915, S. 22, zit. nach Maurer, S. 712. 77 Vgl. zur Entwicklung der Idee des »Volkes« im späten Kaiserreich und Ersten Weltkrieg Retterath, S. 33–132. 78 Goltz, S. 2.

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tens der Heeresverwaltung die Möglichkeit, das Volksvertrauen zu gewinnen und seine Kriegsbereitschaft immer wieder zu aktualisieren. In diesem Sinne trugen die Heimatlazarette aus Sicht der Behörden auch dazu bei, die wahre deutsche »Volksgemeinschaft«79 zu etablieren  – klassenübergreifend und frei von sozialen Konflikten. 4.1.4 Vom Angehörigenbesuch zum »Hohen Besuch«: Das Lazarett als Wohltätigkeitskulisse Um ihre Humanitätsbehauptung durchsetzen zu können, brauchte die Heeresverwaltung in den Lazaretten ein entsprechendes Publikum. Wenn niemand, außer den Kranken selbst, von der aufwendigen und kostspieligen Fürsorge­ leistung erfuhr, weil die Lazarette zu stark abgeschottet waren, verloren sie ihren gesellschaftlichen Mobilisierungseffekt. Fatalerweise widersprach diese Notwendigkeit zur Öffnung aber dem anderen Bedürfnis der Heeresverwaltung, die Lazarette vor ziviler Beobachtung und Einmischung zu schützen.80 Mit Beginn des Weltkrieges hatte sich die gesellschaftliche Bedeutung der Militärkrankenhäuser radikal verändert. Es existierten nun zahlreiche Einrichtungen dieser Art und nahezu jede Familie kannte einen Soldaten, der sich gerade in Lazarettbehandlung befand. Tausende von Besuchern frequentierten seitdem die Lazarette. Der Heeresverwaltung war bewusst, dass sich diese Aktivitäten weder ganz verbieten noch vollständig kontrollieren ließen. Sie mussten mit den »nicht zu verhindernden Besuche[n]«81 von Angehörigen und anderen Zivilisten konstruktiv umgehen. Umso wichtiger war für sie die Frage, welches Bild des Sanitätsdienstes die zivilen Besucher aus den Heilanstalten mitnahmen. Im besten Fall gingen sie mit dem Eindruck nach Hause, dass die Militärmedizin keine Kosten und Mühen scheute, um die Soldaten wieder zu gesunden, selbständigen Menschen zu machen. So kam das große Besucherinteresse an den Lazaretten der Heeresverwaltung in gewisser Weise auch entgegen. Mehr als die aufwendigen, aber seltenen Kriegsfürsorgeausstellungen, die zwischen 1914 und 1918 durch die deutschen Städte tourten,82 waren die Heimatlazarette die 79 Vgl. zur Idee der Volksgemeinschaft Verhey, »Geist von 1914«; Bruendel, Volksgemeinschaft. 80 Vgl. etwa Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 19.09.1914; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 19.09.1917, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK u. a., 01.11.1914, in: BayHStA MKr/10516; Schultzen, Organisation, S. 249. 81 M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel], an A. [Armee-Abteilung], ca. März / April 1918, in: BayHStA MKr/2341. 82 Verschiedene Broschüren und Berichte von Lazaretten für eine Kriegsfürsorgeausstellung in München finden sich etwa in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./336; zur Planung einer Prothesen-Sonderausstellung: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./595; zur Berliner Kriegsfürsorgeausstellung 1914: Kirchner, Auswärtige; zur Kriegsfürsorgeausstellung im Dresdener Hygienemuseum verschiedene Materialien in: StadtADr 13.7/16.

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zentralen Orte, an denen die humanitären Gesten des Militärs in Szene gesetzt werden konnten. So war es auch kein Zufall, dass sie oft in besonders imposanten Gebäuden eingerichtet waren: auf dem Land oft in Schlössern, mondänen Luftkursanatorien und berühmten Klöstern, in den Städten in riesigen Tanzsälen, Museen, prächtigen Universitätsgebäuden, oder einem der »modernen ›Schulpaläste‹«,83 wie sich ein Schweizer Beobachter ausdrückte. Damit rückten die Lazarette mitten in die Herzen der deutschen Dörfer und Städte und so auch ins Bewusstsein ihrer Bewohner. Die Militärmedizin, die im Ersten Weltkrieg einen enormen Bedeutungszuwachs erfuhr,84 erhielt auf diese Weise auch mehr öffentliche Aufmerksamkeit als je zuvor. Neben Angehörigen der Patienten sowie Schaulustigen und freiwilligen Helfern aus der lokalen Umgebung, die spontan und aus eigenem Antrieb in die Militärkrankenhäuser kamen, luden die Verantwortlichen auch aktiv Besucher in die Lazarette ein. Regelmäßig fanden dazu öffentliche Abendveranstaltungen und Führungen statt.85 Der Generaloberarzt Hans Brettner berichtete etwa von einem Informationsvortrag für Ehefrauen von Kriegsbeschädigten im Berliner Barackenlazarett auf dem Tempelhofer Feld. Zeitgleich sei im Lazarett eine öffentliche Verkaufsausstellung organisiert worden. Sie habe Objekte präsentiert, die von den soldatischen Insassen im Rahmen ihrer Arbeitstherapie angefertigt worden seien. So hätten die Gattinnen sehen können, dass »die Fürsorge sich nicht nur auf die körperliche Genesung erstreckt, sondern auch auf die geistige Pflege.«86 Mit Konzerten oder Theateraufführungen konnten die Hospitäler die Stadtbevölkerung ebenfalls in ihre Räumlichkeiten locken. Charlotte Herder berichtete in ihrem Tagebuch über zahlreiche Unterhaltungsabende in ihrem Freiburger Herder-Lazarett.87 Oft sei zu diesen Gelegenheiten eine »große geladene Gesellschaft«88 aus der Stadt zusammengekommen. Dann sei es im Krankenhaus »festlich und großartig«89 zugegangen. Im Juni 1917 richtete die LazarettBetreiberin einen besonders extravaganten Gala-Musikabend aus. Wie immer sei »ein Publikum aus Freunden und Bekanntenkreisen erschienen, und zwar ein sehr dankbares Publikum. Das Orchester tobte, der Chor sang herrliche Lieder, Herr Ganther entfesselte Lachsalven mit seinen entzückenden Gedichten«.90 83 o.A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tageblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 84 Vgl. zum Bedeutungsaufstieg der Ärzte Eckart, Medizin und Krieg, S. 20; 100–103; für den Anfang dieses Professionalisierungsprozesses im 19. Jahrhundert grundlegend Huerkamp. 85 Vgl. exemplarisch Chefarzt des Reservelazaretts Berlin-Steglitz an den Herrn Bürgermeister Buhrow, 06.01.1915, in: LABer A Rep. 042–05–03 Nr. 375, fol. 11. 86 Brettner, S. 183; vgl. zu weiteren Lazarett-Verkaufsausstellungen Bangert, S. 26; Müller, W., S. 106; Trojan. 87 Vgl. etwa Herder, Eintrag vom 28.03.1915, S. 62. 88 Herder, Eintrag vom 26.09.1914, S. 31. 89 Ebd. 90 Herder, Eintrag vom 08.06.1917, S. 160.

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Später seien Rezensionen in der Zeitung erschienen. Bei einer anderen Veranstaltung mit Patienten-Theaterstücken auf der Bühne habe der Chefarzt in seiner anschließenden Lobrede launig gesagt, »daß das Lazarett Herder eigentlich seinen Beruf verfehlt habe und künftig als ›Kabarett Herder‹ auf den Plan treten müsse.«91 Zu Gelegenheiten wie diesen verwandelten sich die Heimatlazarette in öffentliche Bühnen. Sie zeigten der Zivilbevölkerung und den Angehörigen, was die Soldaten trotz ihrer Verwundung noch oder wieder zu leisten fähig waren – und was Heeresverwaltung und freiwillige Krankenpflege ihnen an Amüsement und Unterstützung boten.92 Diese bewusste (Selbst-)Inszenierung der Militärkrankenhäuser hatte auch eine internationale Dimension. Immer wieder gestatteten die Lazarettverantwortlichen ausländischen Besuchern aus verbündeten oder neutralen Staaten, ihre Einrichtungen zu besichtigen.93 In Bayern besuchten etwa im Jahr 1918 Sanitätsoffiziere aus dem Osmanischen Reich ein Münchener Lungenhospital, Militärärzte aus Spanien verschiedene orthopädischen Lazarette der Isarstadt, der norwegische Arzt Dr. Sigurt Dahlström die Nervenlazarette von München, Augsburg und Ludwigshafen und eine österreichische Kommission die Reservelazarette Eglfing und Haar.94 Auch das öffentlichkeitsaffine Herder-Lazarett in Freiburg erhielt im November 1914 ausländischen Besuch, als sich der Luzerner Regierungsrat Walther das Krankenhaus im Verlagsgebäude zeigen ließ. Der Schweizer inspizierte im Rahmen einer Recherchereise mehrere Freiburger Lazarette. Später schrieb er darüber einen Bericht in der Luzerner Tageszeitung »Vaterland«, der im Freiburger Tageblatt wiedergegeben wurde. Über das ­Herder-Lazarett zeigte er sich begeistert: »Was heutzutage an Fürsorge für die Arbeiterhygiene und an sozialer Wohlfahrts­ einrichtung überhaupt möglich ist, liegt im Geschäfte Herder vor. Man kann sich denken, wie praktisch sich das alles bei der Lazaretteinrichtung verwerten ließ. […] Frau Kommerzienrat Herder, welche das Lazarett mit Hilfe von katholischen Ordensschwestern leitet, übernahm in liebenswürdiger Weise die Führung. Die überaus sympathische, feingebildete und distinguierte Dame zeigte offensichtlich Freude über den Besuch aus dem von ihr wohlbekannten und geschätzten Luzern.«95 91 Herder, Eintrag vom 13.01.1915, S. 54. 92 Vgl. dazu Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht. Ausgabe für die Heimat Nr. 13, 04.04.1918, in: BayHStA MKr/2341; Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK., 1918, S. 24, in: HStAD 11348/3001. 93 Eine Schweizer Delegation besichtigte etwa Lazarette in Straßburg, Freiburg, Wiesbaden und Frankfurt, vgl. Kocher; zu Lazarettbesuchen des US-Botschafters James W. Gerard vgl. Oberleutnant d. R. Fritz Schmidt an den Kommandeur der Pioniere Hauptmann Wuerkert, 09.02.1918, in: BayHStA MKr/2341. 94 Bereits in den Kriegsjahren zuvor waren Militärärzte und Kommissionen aus der Schweiz, den Niederlanden und Schweden in die bay. Lazarette gekommen, vgl. die Dokumente in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./88. 95 o.A., Die Freiburger Kriegslazarette I., in: Freiburger Tageblatt, 20.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. Das Freiburger Tageblatt zitiert hier lange Auszüge des ursprünglichen Artikels im Luzerner »Vaterland«.

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Nachdem der Schweizer Regierungsrat noch ein weiteres Freiburger Lazarett, das bisherige Exerzierhaus, das gerade neu für Verwundete hergerichtet wurde, besichtigt hatte, zeigte er sich vollends überzeugt von der Humanitätsleistung der gesamten badischen Stadt: »Mit einer gewissen Rührung betrachtete man all das, was menschliche Liebe den Helden des Vaterlandes zu bieten sucht. In dem Raume sind 150 Betten aufgestellt. […] Bei jedem Bett steht ein Nachttischchen mit Nachtgeschirr, Waschschüssel und Seifengeschirr, in der einen Schublade Eßbesteck und Serviette, in der andern Kämme usw. Unter dem Nachttischchen liegen ein Paar warme Zimmerpantoffeln und wollene Socken parat. Das ist offensichtlich der Höhepunkt wahrhaft humanen Mitgefühls. Der verwundete Soldat, der in seine Heimat zurückkommt, soll sehen, wie dankbar Vaterland und Volk ihm dafür sind, daß er sein Leben und seine Gesundheit für beide in die Schanze schlägt.«96

Die moralische Grundbotschaft der Militärkrankenhäuser hatte ihre Wirkung auf die auswärtigen Besucher erzielt: Das Bild des deutschen Lazaretts als Ort der Nächstenliebe wurde erfolgreich an die Schweizer Leserschaft kommu­ niziert. Und nicht nur Amtsvertreter wie der Luzerner Regierungsrat, sondern auch Ärzte aus verbündeten oder neutralen Staaten ließen sich von der Humanitätsbehauptung der deutschen Militärmedizin einnehmen.97 In einzelnen Fällen durften Fachvertreter sogar für längere Zeit in grenznahen Lazaretten mitarbeiten, sie zeitweise auch leiten. Entsprechende Vorgänge sind aus Straßburg, Freiburg und München bekannt.98 So erkundigte sich im August 1918 der türkische Arzt Dschewdet Bey, ob er in der psychologischen Klinik des Reservelazaretts München K mitarbeiten dürfe. Die bayerische Medizinal-Abteilung stimmte dieser Anfrage zu: Es liege »im deutschen Interesse«, schrieb sie vertraulich an das zuständige Sanitätsamt, »für den Dr Dschewdet Bey, der bisher nur französische Schule genoß, die Tätigkeit an deutschen Anstalten so eindrucksvoll und fruchtbringend wie möglich zu gestalten.«99 Erneut diente das Reservelazarett hier als Schaufenster der deutschen Militärmedizin, um ihren guten Ruf auch ins neutrale und verbündete Ausland hinauszutragen. Eine zusätzliche Besucherkategorie im Lazarett stellte der »Hohe Besuch« dar. Damit waren Personen des öffentlichen Lebens, vor allem Repräsentanten

96 o.A., Die Freiburger Kriegslazarette II., in: Freiburger Tageblatt, 21.11.1914, in: StadtAFrei C3 775/4. 97 Vgl. etwa Kocher, S. 450. 98 In Freiburg leitete der Schweizer Professor Gerhard Hotz bis mindestens April 1915 das als Lazarett eingerichtete Diakonissenhaus, vgl. dazu Hotz, Aerztliche; ders., Weitere; Kocher, S. 450. In Straßburg arbeiteten die Schweizer Ärzte Dr. Freisz und Dr. Naegeli im Festungslazarett 28, vgl. Freisz u. Naegeli. 99 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt I. AK., 13.08.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./88.

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von Kirche und Staat gemeint, die sich – häufig in Begleitung der Presse100 – bei den Verwundeten zeigten.101 Der Patient Wilhelm Heider berichtete in seinen Aufzeichnungen, dass sein Reservelazarett Ingolstadt II ständig Prominenz empfangen habe: »[S]o stattete uns am 17. Sept. 14 Seine [sic] Kgl. Hoheit Prinzessin Therese, Gemahlin des Prinzen Arnulf von Bayern, einen Besuch ab und beschenkte uns [mit] Schokolade, Blumen und Ansichtskarten. Am 17. November besuchte uns der Hochwürdigste Herr Bischof von Eichstätt, Dr. Leo Ritter von Mergel. Dann war Mitte Januar der spanische Gesandte vom Deutschen Hof zu Berlin hier und besichtigte das Lazarett. Sehr oft waren hohe Offiziere und fremde Ärzte hier.«102

Warum kamen so viele dieser »hohen Persönlichkeiten«103 in die Lazarette? Hier spielten mehrere Faktoren zusammen: Erstens lag es im Interesse der Heeresverwaltung, dass sich auch solche hochrangigen Besucher vor Ort von den Leistungen des Sanitätsdienstes überzeugten. Sie würden später als Multiplikatoren einen größeren Personenkreis mit dieser Botschaft erreichen. Zweitens veredelten die »hohen Persönlichkeiten« mit ihrer Anwesenheit vor Ort die gesellschaftliche Bedeutung des Lazaretts. Dies war besonders dann der Fall, wenn sich adelige Damen als Krankenschwestern betätigten. Drittens profitierten umgekehrt die Adeligen von der humanitären Aura des Ortes, indem sie sich vor dieser Kulisse als patriotische Wohltäterinnen und Wohltäter inszenieren konnten. Dieser wechselseitige Legitimierungsvorgang lässt sich an der bayerischen Wittelsbacher-Königsfamilie gut nachzeichnen. Sie engagierte sich auf mehreren Ebenen in der Verwundetenfürsorge. Zum einen stellten die Wittelsbacher der Militärverwaltung rund ein Dutzend ihrer Schlösser als Lazarette zur Verfügung.104 Zum anderen besuchten sie fast täglich eines der vielen Hospitäler Bayerns. Einige der weiblichen Familienmitglieder arbeiteten in der Krankenpflege mit, während Prinz Ludwig Ferdinand das Münchener Fürsorge-ReserveLazarett als Chefarzt leitete.105 Die Lazarettbesuche der Königsfamilie verliefen 100 So berichtete etwa die Illustrierte Kriegs-Zeitung vom Besuch der Kaiserin im Vereinslazarettzug »Kaiserin«, in: Illustrierte Kriegs-Zeitung. Das Weltbild 20 (1914), S. 2 sowie vom Besuch des Kardinals v. Hartmann in einem Kriegslazarett, in: Illustrierte Kriegs-Zeitung. Das Weltbild 111 (1916), S. 5, beide in: IGM Bosch. 101 Vgl. zu Besuchen der Kaiserin Augusta Viktoria im Reservelazarett Cassel [Kassel] 1916 und 1917 den Bericht der Rotkreuz-Schwester Gretel Fennel, 28.02.1918; zu weiteren Lazarettbesuchen der Kaiserin das Schreiben des Königlichen Hausbibliothekars Krieger an den Reservelazarettdirektor Generaloberarzt Loewe, 06.02.1918, beide in: BA-MA MSG 2/4694; zur Besichtigung eines Lazarettschiffs durch »Frau Prinzessin Heinrich«: Kriegstagebuch des Sanitätsamts Ostsee, Eintrag vom 23.09.1914, in: BA-MA RM 30/59. 102 Heider, S. 85. 103 Ebd. 104 Vgl. März, S. 217. 105 Vgl. Bericht des Fürsorge-Reserve-Lazaretts München, 1917, in: BayHStA Stv.­GenKdo.I.AK. SanA./336.

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Abb. 8: Kronprinzessin Cecilie und ihre Söhne besuchen Verwundete

offenbar fast immer gleich: Die Wittelsbacher erkundigten sich zunächst am Krankenbett nach dem Befinden der Patienten, fragten nach Dienstgrad und Grund der Verwundung und überreichten schließlich Liebesgaben – eine Postkarte mit dem Bild des Königs, dazu Zigaretten oder Zigarren. Im August 1915 berichtete Königin Marie Therese ihrem Sohn Rupprecht in einem Brief von ihrem Besuchspensum: »Während Papa im Westen war, besuchte ich Lazarette in Würzburg und Aschaffenburg und sah auch dort viel Elend. In Bamberg und Bayreuth, Prien, Aschau, Hohenheim, Traunstein war ich auch, jetzt kommt Ingolstadt und Ansbach. Zu Reichenhall, Lindau, Regensburg bin ich auch gebeten, doch alles kann man nicht machen.«106

Diese Termine, so schrieb Marie Therese in einem anderen Brief an ihren Mann, empfinde sie als »hochanstrengend«.107 Zugleich überstiegen die Empfänge vor Ort ihre Erwartungen; sie seien, so die Königin, »wirklich rührend«.108 Tatsächlich bereiteten sich die Lazarette auf »Hohe Besuche« wie den ihren akribisch vor. Der Einblick in den Krankenhausalltag sollte zwar authentisch erscheinen, war aber sorgfältig kuratiert.109 Als etwa der bayerische König Lud106 Königin Marie Therese an Kronprinz Rupprecht, 26.08.1915, in: BayHStA GHA NL Kronprinz Rupprecht, zit. nach März, S. 219. 107 Königin Marie Therese an König Ludwig III., 13.10.1915, in: BayHStA GHA NL Ludwig III./47, zit. nach März, S. 218. 108 Ebd., S. 219. 109 Vgl. etwa den Brief des Krankenpflegers Ottmar Wolfangel an seine Eltern, 11.06.1915, in: Wolfangel, S. 34.

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wig III. im September 1914 das Reservelazarett München A zum zweiten Mal besichtigen wollte, gab die Medizinal-Abteilung dem Krankenhaus am Vortag genaue Anweisungen, wie das Treffen zu verlaufen habe. Insbesondere erwartete die Behörde, »daß in sämtlichen Sälen musterhafte Ordnung und Reinlichkeit herrscht und daß die Stuben gut gelüftet sind. Der Wäsche der Verwundeten ist besonderes Augenmerk zuzuwenden. Die Wärter haben tadellos gekleidet zu sein und sind mit weissen Schürzen zu versehen.«110 Das Lazarett sollte sich als hygienisch einwandfreie Heilanstalt präsentieren; selbst die Wärter hatten schmuck und sauber auszusehen. Trotz der orchestrierten Vorbereitungen kam es bei den »Allerhöchsten Besuchen«111 mitunter zu grotesken Szenen. Der Mediävist Karl Hampe, der sich im ersten Kriegsjahr in Heidelberg als Hilfskrankenträger betätigte, notierte in seinem Tagebuch: »Bei der Besichtigung der Lazarette durch Großherzogin Hilda neulich hat sie an alle die stereotype Frage gerichtet: ›Wo sind Sie verwundet?‹ (sie ist ja so äußerst schwerfällig). Sie wollte dabei Schlacht und Ort wissen. Ein biedrer Landwehrmann soll aber geantwortet haben: ›Am Aarsch, Königliche Hoheit!‹. ›So? Wo ist denn das?‹ Offensichtlich hielt sie es für einen Berg oder dergleichen.«112

In diesem Fall war es der Großherzogin nicht gelungen, den Auftritt im Lazarett zu ihren Gunsten zu nutzen. Das schematisch Wiederkehrende ihrer Fragen wurde durch den »biedren Landwehrmann« ironisch gebrochen und damit bloßgestellt. Insgesamt vermitteln die Quellen den Eindruck, dass in den Heimatlazaretten ein ständiges Kommen und Gehen war.113 Neben den vielen Adeligen kamen zahlreiche Vertreter der Heeresverwaltung und des Roten Kreuzes, dazu Angehörige, neugierige Bürger, Kinder, Professoren, Künstler. Die Sanitätsbehörden fanden zu diesem starken Publikumsverkehr keine abschließende Haltung. Sollten sie ihn einschränken? Oder schafften sie damit mehr Konflikte, als durch die Lazarettbesuche selbst ausgelöst wurden? Formal gesehen forderten die vielen Gäste gleich zwei der zentralen Besuchsverbote heraus, die in der Friedens-Sanitäts-Ordnung (F. S. O.) von 1891 festgelegt waren. Hier hieß es noch streng, dass Besuche den Lazarettbetrieb insgesamt störten und daher »angemessen zu beschränken«114 seien. Zwei Besuchstage pro Woche reichten aus. »Wenn bei besonderen Krankheitsfällen von den Angehörigen ein häufigerer Besuch oder zu anderer Tageszeit gewünscht wird, so unterliegt dieser Wunsch der 110 Telefonische Weisung der Medizinal-Abteilung vom 23.09.1914, in: BayHStA Stv.­GenKdo.​ I.AK.SanA./590. 111 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 02.04.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39. 112 Hampe, Eintrag vom 24.09.1914, S. 129. 113 Vgl. etwa Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 3, in: BA-MA N 278/3; Ernst Wirtz, Tagebuch, 1916/17, in: BfZ N: Wirtz. 114 Zitate im Folgenden aus: F. S. O., § 122.

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Entscheidung des Chefarztes […].« Wie so oft, war auch diese Bestimmung bei genauerer Betrachtung nicht rigide definiert, sondern gewährte den Chefärzten großen Ermessensspielraum. Dasselbe galt für das Mitbringen von Speisen und Getränken in die Krankenstuben. Dies war laut F. S. O. eigentlich »unzulässig«. Ausnahmen könne der Chefarzt dennoch »in außergewöhnlichen Fällen in Übereinstimmung mit dem ordinierenden Sanitätsoffizier« genehmigen. Von diesen Ausnahmen machten die Chefärzte im Kriegsverlauf permanent Gebrauch. In der Praxis handhabten sie sowohl die Besuchszeiten als auch das Mitbringen oder postalische Versenden von Essen und Getränken viel liberaler, als es die F. S. O. vorgab. Denn anders als in Friedenszeiten, als dieses Regelwerk erlassen worden war, stellten die Lazarette im Krieg Massenerscheinungen dar, von denen sich die Bevölkerung nicht ohne Weiteres fernhalten ließ. Auch die dort liegenden Soldaten mussten bei Laune gehalten werden. So betrachtet erscheinen die Fragen von Besuchszeiten, Essensmitnahme und ähnlichem keineswegs als nebensächliche Details der Hausordnung. Sie offenbarten vielmehr erneut den zentralen Zielkonflikt der Militärmedizin: Welche Rolle sollten die Heimathospitäler während des Krieges spielen? Handelte es sich um abgeschirmte militärische »Reparaturwerkstätten«, in denen die Ärzte schadhaftes »Menschenmaterial« zügig wiederherstellten? Oder waren es öffentliche Orte der Humanität, die bewiesen, auf welcher »Kulturhöhe« das gesamte deutsche Volk und mit ihm sein Sanitätsdienst stand, der sich mit so viel »fürsorgliche[m] Wohlwollen«115 für die Lazarettinsassen engagierte? Zwischen diesen Polen bewegte sich der militärmedizinische Diskurs. So lässt sich das Heimathospital als eine Arena begreifen, in der die Konflikte zwischen den widersprüchlichen Erwartungen an den Sanitätsdienst ausgetragen wurden – dem Bedürfnis nach öffentlicher Legitimation einerseits und dem mindestens so starken Wunsch nach militärischer Kontrolle andererseits.

4.2 Das Lazarett als Bedrohungsraum: Innere und äußere Gefahren In den Augen der Sanitätsbehörden und vieler Militärärzte handelte es sich bei den Heimatlazaretten um ambivalente Einrichtungen. Ihr großes militärischwirtschaftliches Potenzial schien fragil und von verschiedenen Seiten bedroht zu sein. Parallel zur intensiven öffentlichen Vertrauensarbeit,116 bei der Sanitätsbehörden und andere Lazarettakteure die Heimathospitäler als strahlende Leuchttürme der Menschlichkeit und Modernität inszenierten, entwickelte sich intern, wie eine Schattenseite, ein militärärztlicher Misstrauensdiskurs. In ihm

115 Stv. Korpsarzt I. AK. an die Chefärzte u. a., 30.03.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./176. 116 Zum Begriff der Vertrauensarbeit vgl. Schmidt, A., S. 249.

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ging es zum einen um die Gefahren, denen die Lazarette durch militärfremde Akteure ausgesetzt waren, zum anderen um die Risiken, die möglicherweise im Hospital selbst verborgen lagen. Vor allem die Tatsache, dass es sich bei den Krankenhäusern um Kontaktzonen zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung handelte, ließ sie aus Sicht des Militärs als potenzielle Gefahr für die innere Ordnung erscheinen.117 Schrittweise rückten im Verlauf des Krieges drei zentrale Bedrohungsfelder ins Visier der Heeresverwaltung: erstens schwer kontrollierbare Vereinslazarette, zweitens Täuschungsversuche von Soldaten hinsichtlich ihrer »Kriegstauglichkeit« und drittens Stimmungsverschlechterungen. Aus Sicht der Militärbehörden waren es vor allem diese drei Aspekte, welche die Funktionalität und Vertrauenswürdigkeit des Heimatlazarettwesens in Frage stellten. Anhand des daran entwickelten Bedrohungsdiskurses lässt sich erkennen, dass die Position der Heimathospitäler als Räume zwischen militärischer und ziviler Sphäre für die Zeitgenossen im gesamten Krieg uneindeutig blieb und permanent neu ausgehandelt werden musste. Aus demselben Grund konnten sie für unterschiedliche Legitimierungsversuche und Schuldzuweisungen vereinnahmt werden. Somit tauschten sich die Zeitgenossen in der Diskussion, welche »Gefahrenzone« das Heimatlazarett darstelle, über die Position der Militärmedizin im Krieg, das Verhältnis zwischen Militär und Zivilgesellschaft sowie zwischen Individuum und nationalem Kollektiv aus. Die Analyse der drei Bedrohungsfelder zeigt, wie im zunehmend eskalierenden innerbehördlichen Misstrauensdiskurs ab dem Frühjahr 1918 eine lazarettspezifische Frühform der Dolchstoßlegende aufkam. Die Heimatlazarette wurden dabei als Unruheherde charakterisiert, von denen aus sich Unzufriedenheit und revolutionäres Gedankengut wie Krankheitserreger unter den Insassen, in die Zivilbevölkerung hinein und bis an die Front verbreiteten. 4.2.1 Bedrohung I: Zivil geführte Lazarette Die erste Bedrohung für das militärmedizinische Versorgungssystem ging aus Sicht der Sanitätsbehörden von den vielen Vereinslazaretten aus, die sie im ersten Kriegsjahr zugelassen hatten.118 Diese zivil geführten Heilanstalten waren ihnen schon nach wenigen Wochen suspekt erschienen.119 Als eines der Hauptübel 117 Vgl. dazu Altenhöner, Kommunikation, S. 108, der betont, dass die Militärbehörden allgemein Kontakte zwischen Zivilbehörden und Soldaten mit Argwohn betrachteten und möglichst einzuschränken versuchten. 118 Im Folgenden wird pauschal von »Vereinslazaretten« gesprochen, die Sanitätsbehörden bezogen in ihre Kritik aber auch die ebenfalls zivil geführten kleinen »Genesungsheime« und »Privatpflegestätten« mit ein. 119 Vgl. exemplarisch Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I. II.III. AK. u. a., 04.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739.

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galt die Tatsache, dass Zivilärzte der freiwilligen Krankenpflege sie leiteten120 und keine ausgebildeten Sanitätsoffiziere, wie es bei den hochgelobten Reservelazaretten der Fall war. Obwohl die Chefärzte der Reservelazarette eigens dafür zuständig waren, die militärische Ordnung auch in den ihnen zugeteilten Vereinslazaretten abzusichern, trug dieses Arrangement nicht dazu bei, das Misstrauen der Behördenvertreter zu mindern. In ihren Augen waren und blieben die Vereinshospitäler bis zum Kriegsende disziplingefährdende und medizinisch kontraproduktive Räume.121 Am stärksten waren die Vorbehalte gegen kleine ländliche Sanatorien. Diese peripher gelegenen Einrichtungen schienen besonders schwer kontrollierbar zu sein, zumal die Chefärzte der Reservelazarette und andere Sanitätsinspekteure sie nur mühsam erreichen konnten und im Ergebnis seltener besuchten.122 So teilte sich das heimatliche Lazarettsystem in den Augen der Heeresverwaltung in unterschiedlich vertrauenswürdige Subräume auf. Dies schlug sich fühlbar in den Patientenzahlen der jeweiligen Krankenhausarten nieder: Während kleinere Vereinslazarette ab der Mitte des Krieges oft unterbelegt waren und einige Einrichtungen aus diesem Grund geschlossen wurden,123 hatten die militärisch geführten Reservelazarette phasenweise mit Überbelegung zu kämpfen. Dann waren sie gezwungen, Genesende doch verstärkt in Vereinslazarette abzuschieben. Am liebsten hätten die Behördenvertreter alle verwundeten und kranken Soldaten in Reservehospitälern behandelt124 – dies war aber aus logistischen und finanziellen Gründen nicht möglich. Vereinslazarette und andere von der freiwilligen Krankenpflege betriebene Hospitäler mussten zur Entlastung mitgenutzt werden.125 Das Bayerische Kriegsministerium erklärte dazu, dass zwar die Probleme, die gerade durch die Kooperation mit kleinen, ländlichen Hospitälern entstünden, keineswegs »verkannt« würden; sie müssten aber »angesichts des dringenden Bedürfnisses, zur Deckung des Bedarfs an Lagerstätten auch das 120 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 43 f.; 169. 121 Vgl. etwa Fachärztl. Beirat Stareth an das Sanitätsamt XIV. AK., 07.07.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; Oberstabsarzt Friedrich Lacher, Untersuchungskommission für Vereins­ lazarette, an das Sanitätsamt I. AK., 26.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./432; His, Die Front, S. 84 f. 122 So beklagte sich etwa Prof. Stursberg über die langen, beschwerlichen Bahnfahrten, um alle vorgesehenen Lazarette zu besuchen, vgl. Bericht des fachärztl. Beirats Prof. Stursberg an das Sanitätsamt VIII. AK., 30.09.1917, in: BA-MA PH 7/6; ähnlich Oberstabsarzt Friedrich Lacher, Untersuchungskommission für Vereinslazarette, an das Sanitätsamt I. AK., 26.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./432. 123 Vgl. etwa Generaloberarzt Boeckler an das Sanitätsamt XIV. Armeekorps, 22.10.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; Sanitätsamt I. Armeekorps an Frhr. v. Cramer-Klett, 24.03.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./504. 124 Vgl. exemplarisch Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1­ 914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 38 f. 125 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Sanitätsdepartement, an das Bay. Kriegsministerium u. a., 17.11.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./575; Sanitätsamt XIII. AK. an die Reservelazarettdirektoren u. a., 13.10.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 138.

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Land heranzuziehen, überwunden werden«.126 Damit dies gelinge, dürften die dortigen Kranken niemals »aus den Augen verloren werden.«127 Mahnende Befehle wie diese aus dem ersten Kriegsjahr trugen nicht dazu bei, das Vertrauensverhältnis zu den Vereinslazaretten zu stärken. Im Gegenteil: Sie vermittelten das Bild, dass es sich bei den Vereinslazaretten um unberechenbare Suborganisationen handelte, die sich nur dann leidlich einhegen ließen, wenn man sie intensiv überwachte. So wuchs das Misstrauen in den darauffolgenden Kriegsjahren weiter an.128 In zahlreichen Schreiben wiesen Behördenvertreter, Lazarettinspekteure und andere Militärärzte immer wieder auf die vielen Pro­ bleme hin, die von den zivil geführten Heileinrichtungen angeblich ausgingen.129 Besonders drastische Worte fand das Sanitätsamt XII. Armeekorps. In einem Bericht vom Frühsommer 1918 klagte die Dresdener Behörde die Vereinshospitäler scharf an. Durch sie sei das heimatliche Lazarettwesen gleich »in der ersten Zeit des Krieges […] in bedenkliche Bahnen geraten«.130 Während sich die großen Vereinshospitäler »noch relativ gut bewährt« hätten, auch wenn der Dienstbetrieb in ihnen »nie ein so glatter und einfacher gewesen ist, wie in den Reserve-Lazaretten«, sei dies in den »zahllosen weitverstreuten kleinen Vereinslazaretten und Genesungsheimen« nicht der Fall: »Hier wurden die Lazarettkranken nach allen Richtungen verwöhnt, von jeder nützlichen Betätigung, die nach Arbeit aussah, ferngehalten und zum Schaden der Schlagfertigkeit des Heeres der militärischen Manneszucht entfremdet. Wenn im Laufe des Krieges Unzufriedenheit, Verdrossenheit und Unbotmässigkeit, vor allem beim Besatzungsheere dauernd zugenommen haben, so tragen die kleinen Vereinslazarette und Genesungsheime als Stätten des Müssigganges und lauer Disziplin einen grossen Teil der Schuld.«

In dieser Generalabrechnung kombinierte das Sanitätsamt verschiedene Vorwürfe gegen Vereinslazarette und freiwillige Helfer zu einer komplexen Bedro126 Bay. Kriegsministerium an das Stv. Generalkommando II. AK. u. a., 19.04.1915, in: B ­ ayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739. 127 Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 01.10.1914, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK./739. 128 Vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: B ­ ayHStA MKr/18389, fol. 38; Stv. Generalkommando XIII. AK., Denkschrift über die Erfahrungen bei der Mobilmachung im Jahre 1914 und während des Krieges, Juni 1918, in: HStAS M 77/2 Bd. 41, fol. 15. 129 Vgl. etwa Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt XIII. AK., 20.12.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 95; Württ. Kriegsministerium, 22.06.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 46; Reservelazarett Lindau i.B. an das Sanitätsamt I. AK., 04.04.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./158; Bay. Kriegsministerium, MedizinalAbteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 15.05.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 130 Zitate im Folgenden aus: Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 17 f., in: HStAD 11348/3001.

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hungskulisse. Es berührte dabei fast alle stereotypen Kritikpunkte, mit denen auch andere Behörden und Sanitätsoffiziere die zivil betriebenen Hospitäler anprangerten. Zuletzt gipfelte die Kritik in der Beschuldigung, die Vereinslazarette hätten die Kriegsmüdigkeit im »Besatzungsheer« verschlimmert, also in dem Teil des Heeres, der sich innerhalb der Reichsgrenzen befand. Statt die Schlagkraft des Militärs zu stärken, hätten die Vereinshospitäler sie geschwächt.131 Wie war es nach Ansicht der Behörden zu dieser fatalen Entwicklung gekommen? Das Hauptrisiko der Vereinslazarette lag für sie darin, dass die Verwundeten und Kranken dort »verweichlicht und verzärtelt«132 wurden. Immer wieder hieß es unisono: Wenn das »Mitleid und Verhätscheln« der Soldaten »von seiten hochgestellter, das Lazarett protegierender Damen und von seiten der Pflegerinnen«133 zu weit gehe, lasse nicht nur die Disziplin, sondern auch die Kampfund Arbeitsfreudigkeit der Insassen nach.134 In solchen Warnungen drückte sich die Sorge vor einer schleichenden inneren Demobilisierung der soldatischen Patienten im Heimatlazarett aus. Besonders detailreich beschreibt diesen Eindruck der Oberstabsarzt Bonne in einem Artikel von 1916. Bei seinen Inspektionsreisen im Inland, so Bonne, falle ihm immer wieder auf, wie un­militärisch es in manchen ländlichen Vereinslazaretten zugehe. Hier machten alle Insassen insgesamt den Eindruck »wie Mitglieder irgend eines vergnügten Klubs oder wie Mitglieder irgend eines flotten Vorstadttheaters oder andere wiederum wie die wohlsituierten Insassen irgend eines Modesanatoriums. Charakteristisch für alle diese letzteren Gruppen war der einzige Umstand, dass, obwohl die Leute alle stramm standen, wenn ich ins Zimmer trat, doch der Eindruck des Kriegers mehr oder minder völlig verloren gegangen war. Man hatte den Eindruck, sie lebten ihre Tage wie auf der ›Insel der Seligen‹ dahin und hatten mehr oder minder vergessen, dass sie Soldaten waren und dass der Weltkrieg tobte.«135

Als weiterer Unruhefaktor galten die zivilen Veranstaltungsprogramme, die in vielen Heimathospitälern in großer Zahl stattfanden. Immer wieder versuchten die Sanitätsbehörden, ihren Umfang einzuschränken.136 Besonders groß war ihr Misstrauen dagegen wohl auch deshalb, weil es hauptsächlich Frauen waren, die 131 Ähnlich auch [Sanitätsamt XIV. AK?] an das Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 22.11.1916, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88. 132 Frickhinger, S. 967; ähnlich Ruttmann, S. 461. 133 Wagner, S. 549. 134 Vgl. [Sanitätsamt XIV. AK.?] an das Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 22.11.1916, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88, darin zitiert: Bericht des fachärztl. Beirats für innere Medizin Stabsarzt Dr. Assmann; Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1208; Weber, Kriegsneurosen, S. 1234. 135 Bonne, S. 1191; ähnlich Reservelazarett Lindau i. B. an das Sanitätsamt I. AK., 04.04.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./158; Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1208 f.; Tabora, S. 609. 136 Vgl. nur exemplarisch Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 05.05.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./281.

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sich in der Lazarettfürsorge engagierten und auch das Unterhaltungsprogramm gestalteten. Susanne Michl hat darauf hingewiesen, wie eng die Warnungen vor einer Verweichlichung der Kriegsteilnehmer durch weibliche Pflegekräfte und Angehörige mit dem in medizinischen Fachzeitschriften geführten Diskurs um Kriegshysterien verknüpft war.137 Der Ort der psychischen Erkrankung habe sich in den Diskussionen immer mehr vom »Krieg als Gefahrenzone«138 entfernt. Das eigentliche Risiko hätten die Militärärzte vielmehr in der Heimat verortet – nicht zuletzt beim Kontakt der Patienten zu Frauen, mit ihrem schädlichen Mitleid.139 Neben der Demobilisierung schien den Soldaten im Vereinslazarett also auch eine Demaskulinisierung zu drohen. Tatsächlich musste der Sanitätsdienst in seiner Arbeit und Außendarstellung hier eine schwierige Gratwanderung vollziehen: Einerseits sollten die Heimatlazarette als fürsorgliche Seite des Militärs wahrgenommen werden und damit Vertrauen in das Heer und seine Institutionen stiften. Andererseits war es das Ziel, die Soldaten hier in einem militärischen Kontext zu halten. Damit hatten die Lazarette ähnlich widersprüchliche Anforderungen zu bedienen, wie auch das Heer insgesamt: Sie mussten die doppelte Notwendigkeit von harter Disziplin und liebevoll-unterstützender Kameradschaft miteinander vereinen. Laut Thomas Kühne hatte die Idee der Kameradschaft in beiden Weltkriegen die Funktion, dem Drill des Militärs eine weiche Seite entgegenzusetzen, um das Kämpfen erträglicher zu gestalten. Sie sollte »den Soldaten ›ein Gefühl der Sicherheit und damit der Heimat‹, ein ›Gefühl der Geborgenheit‹« verschaffen: »Das alles sollte sich aus der kollektiven Internalisierung des Prinzips der gegenseitigen Hilfeleistung ergeben und in die Gewißheit münden, von den Kameraden nie im Stich gelassen zu werden.«140 Die gleiche Funktion erfüllten in einem erweiterten Sinne auch die Heimatlazarette. Doch gerade bei den Vereinslazaretten bestand die Gefahr, dass sie den Patienten eine zu fürsorgliche, weiche und feminisierte Umgebung boten. Indem Ärzte und Sanitätsbehörden vor diesen Entwicklungen warnten, wehrten sie sich implizit auch gegen eine Neujustierung der Geschlechterverhältnisse im Krieg. Deutlich lässt sich in ihren Mahnreden ein Unbehagen vor dem Weiblichen erkennen.141 Obwohl die Lazarettpflege auf die Mithilfe von Frauen fundamental angewiesen war, sollte in den Krankenhäusern dennoch keine »feminine« Art der Fürsorge dominieren, die aus Sicht der Sanitätsoffiziere von Mitleid, Verwöhnung und Verführung (etwa zum Nichtstun) geprägt war, sondern eine militärisch-»maskuline« Variante. Das Lazarett sollte ein Ort der Kameradschaft zwischen Soldaten und Sanitätsdienst sein, dessen FürsorgePraktiken sich durch hohe wissenschaftliche Standards, Modernität in Aus137 Michl, insbes. S. 206 f. 138 Ebd., S. 208. 139 Vgl. Lerner, Hysterical, S. 147 f. 140 Kühne, »Das Beste«, S. 509. 141 Zur antifeministischen Stigmatisierung der Heimatfront vgl. Meteling, Ehre, S. 366–370; Planert, S. 177–233.

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stattung und Behandlung und einen besonderen ärztlichen Ton auszeichneten, »in welchem sich Humor, kameradschaftliche Wärme, väterliche Fürsorge und militärische Strammheit verband«.142 Doch obwohl die Militärärzte in diesem Kontext immer wieder markig und mit einer geradezu phallischen Semantik die »Erschlaffung«143 sowie das »Sichgehenlassen«144 von Lazarettinsassen anprangerten und von ihnen mehr »Strammheit«145 und Durchhaltevermögen146 forderten, konnten sie doch eine gewisse Verunsicherung nicht kaschieren. Gerade bei den Vereinshospitälern war zunehmend deutlich geworden, dass sie nicht so reibungslos als »Re-Maskulinisierungsfabriken«147 funktionierten, wie es der Heeresverwaltung vorgeschwebt war.148 Stattdessen schien die Gefahr zu drohen, dass sie ihre kriegsversehrten Insassen sogar weiter entmännlichten, wenn nicht entschlossen genug eingegriffen wurde. Bei aller Wucht dieser Kritik darf nicht aus den Augen verloren werden, dass sich die Vorwürfe gegenüber Vereinslazaretten nicht ausschließlich auf die negativen Effekte weiblicher Pflege richteten. Vielmehr wurden die dort eingesetzten Ärzte ebenso heftig beschuldigt, sich nicht vaterlandstreu genug zu verhalten.149 Besonders deutlich lässt sich dies in den beiden kriegsministeriellen Beschleunigungs-Erlassen von 1916 und 1917 erkennen.150 Obwohl sich diese Verordnungen nicht explizit auf zivil geführte Heilanstalten bezogen, sondern auf das gesamte Lazarettwesen, wurden die Ärzte der Vereinslazarette in ihnen als besonders unzuverlässig hervorgehoben. Was warf die Heeresverwaltung ihnen konkret vor? Die Kritik bewegte sich auf drei Ebenen: Erstens, so hieß es, seien viele Lazarettärzte überarbeitet, da sie zusätzlich ihre zivilen Patienten weiter versorgen müssten.151 So bleibe ihnen 142 Bonne, S. 1192; vgl. auch Koetzle, S. 21. 143 Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht Nr. 28, 28.08.1918, darin: Lazarettberatung und Verwundeten-Unterricht, in: BayHStA MKr/2345. 144 Ebd. 145 Bonne, S. 1192. 146 Vgl. zum »Durchhalten« als einer zentralen »Sprach- und Deutungsnorm« des bürgerlichen Habitus’ im Ersten Weltkrieg Reimann, Der große Krieg, S. 68; Lipp, Meinungslenkung, S. 148–172; zu Deutschland und Frankreich als »Durchhaltegesellschaften« Bremm, S. 137 f.; zum Begriff allgemeiner Bauerkämper u. Julien. 147 Ruff, Gesichter, S. 172; vgl. auch dies., Düsseldorfer Lazarett. 148 Vgl. Kienitz, Fleischgewordenes, S. 231. 149 Vgl. etwa Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt XIII. AK., 21.07.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 120; Stv. Korpsarzt I. AK. an das Bay. Kriegs­ ministerium, Medizinal-Abteilung, 20.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 150 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, in: BA-MA PHD 6/197; Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, in: ­BA-MA PHD 6/206. 151 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 10, in: BA-MA PHD 6/197;

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für den militärärztlichen Dienst zu wenig Zeit. Gerade die wichtige Ausstellung militärischer Abschlusszeugnisse schöben sie häufig auf oder reichten sie an andere weiter.152 Zweitens, und fast noch schlimmer, galten manche Lazarettärzte als befangen. Dies war dem Erlass von 1916 zufolge besonders dann der Fall, wenn versehrte Soldaten in Vereinslazarette ihres Heimatorts gelangten.153 Der lokale Arzt kenne die Männer oft von Kindesbeinen an, ebenso ihre Familien, und könne nicht mehr neutral agieren.154 Es entstehe ein »ungünstiger Einfluß der Angehörigen« sowohl auf ihn als auch »auf die Kranken im Sinne einer Verzögerung der Wiederherstellung; auch hier Züchtung von Neurosen.«155 In diesem letzten Teilsatz sprach die preußische Medizinal-Abteilung ihre Hauptkritik an den Vereinslazaretten unverhohlen aus: Hier »züchte« sich das Militär unter seinem eigenen Dach Lazaretthysterien heran. Es handele sich um eine selbsterzeugte Ausartung des Sanitätswesens, die durch den »Hospitalismus«156 hervorgerufen werde, also durch die schädlichen Effekte eines zu langen Lazarettaufenthalts.157 Anstatt dass die Ärzte diese Entwicklung unterbanden und die Patienten schnellstmöglich aus dem Krankenhaus entließen, verschlimmerten einige Mediziner deren »Lazarettsucht«158 durch ihr störrisches Verhalten. Im Ergebnis verwandelten sich solche Soldaten unter ihren Händen »auf dem Irrwege durch die Lazarette von Leicht- zu Schwerkranken«.159 Drittens beschuldigten die Behörden manche Ärzte, persönliche Interessen zu verfolgen, statt den nationalen Kriegserfordernissen zu dienen.160 Im schlimmsdazu auch Inspektionsbericht des fachärztl. Beirats Stareth, 28.04.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; ebenso His, Die Front, S. 83. 152 Vgl. zu dieser Kritik noch im Jahr 1918: Stv. Korpsarzt I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 20.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 153 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 10, in: BA-MA PHD 6/197. 154 Mit dieser Kritik bereits Verfügung des Sanitätsamts, XIV. AK., 01.02.1915, in: UniAHeid H-III-600/1; ebenso Württ. Kriegsministerium, 22.06.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 46. 155 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 10, in: BA-MA PHD 6/197. 156 Beobachtungsstation, Reservelazarett Lehrerseminar, an das Sanitätsamt XIV. AK., 06.06.​ 1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88. 157 Vgl. Sanitätsamt I. AK. an die diensttuenden Ärzte der Ersatztruppenteile u. a., 24.11.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; Frickhinger, S. 967; Wagner, S. 549 f. 158 Bonne, S. 1192. 159 Beobachtungsstation, Reservelazarett Lehrerseminar, an das Sanitätsamt XIV. AK., 06.06.1915, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88. Vgl. zu störrischen Ärzten: Oberstabsarzt Friedrich Lacher, Untersuchungskommission für Vereinslazarette, an das Sanitätsamt I. AK., 26.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./432; zur »Lazaretthysterie« auch Lerner, Hysterical, S. 238 f. 160 Vgl. etwa Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 40 f., in: HStAD 11348/3001; Inspekteur der X. Kriegs-Sanitäts-Inspektion an das Sanitätsamt XIV. AK., 20.12.1917, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 87.

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ten Fall hielten sie aus diesem Grund Patienten länger im Lazarett fest als es medizinisch notwendig sei. Dies, so die preußische Medizinal-Abteilung, geschehe teilweise aus »Rücksichten auf das Lazarett selbst, dessen Betrieb – bei kleineren Vereinslazaretten – von der Belegung mit Kranken abhängt.«161 Dann seien die Ärzte weniger an der raschen Wiederherstellung des Soldaten interessiert, als an der »Lebensfähigkeit des Lazaretts«162 selbst; es gehe ihnen nur um eigene Geld- und Statusvorteile. In anderen Fällen, so warnte das Bayerische Kriegs­ ministerium 1916, behielten Universitätsmediziner Soldaten mit ungewöhn­ lichen Krankheitsverläufen oder Verletzungsarten aus »wissenschaftlichen Rücksichten« zu lange auf ihrer Abteilung. Dass es sich dabei um interessante Fälle handele, dürfe aber für den Zeitpunkt der Entlassung »niemals«163 das leitende Kriterium sein. Die vielfachen Anschuldigungen gegen Vereinslazarette und die hier tätigen Ärzte und Pflegerinnen lassen sich unterschiedlich interpretieren. Auf der einen Seite waren die Atmosphäre, der Alltag und die Anforderungen in diesen Krankenhäusern vermutlich tatsächlich weniger militärisch geprägt als in den großen Reservelazaretten. Wie konnte es auch anders sein? Es gab oft kein geschultes Personal vor Ort, das etwa die geforderten Exerzier- oder Salutierübungen hätte anleiten können, und die Ärzte standen tatsächlich unter großem Zeitdruck. Viele von ihnen konnten oder wollten sich nicht ausführlich mit den militärischen Dienstvorschriften beschäftigen,164 zumal sich diese im Verlauf des Krieges mehrfach änderten. Zahlreiche Zivilärzte lehnten die von ihnen geforderten Begutachtungs- und Dokumentationspflichten als »bürokratische Schreiberei«165 ab. Doch lückenlose Krankenblätter, Patientenlisten und Abschlusszeugnisse waren die administrative Grundlage, um Lazarettinsassen entlassen und gegebenenfalls Rentenansprüche prüfen zu können. So prallten zivil- und militärmedizinische Vorstellungen von Arbeitsmoral, Berufsethos und Prioritäten in den Vereinslazaretten besonders hart aufeinander. Aus Sicht der Behörden mussten nicht nur die »verzärtelten« Patienten, sondern auch die dort tätigen Ärzte überwacht und (re-)militarisiert werden.166 Zudem ließen sich die Vereinslazarette gut als Sündenböcke vorführen. Eine zentrale Argumentationslinie der Heeresverwaltung lautete, dass unter ziviler Regie die Kontrolle über die Lazarettinsassen verloren gehe, während es in den 161 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 10, in: BA-MA PHD 6/197. 162 Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, S. 34, in: BA-MA PHD 6/206. 163 Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 04.11.1916, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 164 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 09.10.1916; Sanitätsamt XIII. AK., 19.10.1916, beide in: HStAS M 77/2 Nr. 53, fol. 30. 165 Schultzen, Kriegsärztliches, S. 129. 166 Vgl. zu diesen Bemühungen ausführlich Enzensberger, No time, insbes. S. 22–27.

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militärisch geführten Reservelazaretten hervorragend laufe.167 So konnten die Sanitätsbehörden Disziplinverstöße und zu späte Entlassungen einseitig den zivil geführten Einrichtungen anlasten, ohne eigene Missstände zugeben oder nach anderen Ursachen suchen zu müssen. Die Militärmedizin habe alles richtig gemacht, hieß es immer wieder, ihre redlichen Bemühungen seien aber im Sumpf der Vereinslazarette geschwächt und untergraben worden. Auch die Kritik an den nach zivilen Prinzipien agierenden Ärzten und Pflegerinnen, die sich »in die militärdienstl. Auffassungen […] erst einleben«168 müssten, lässt sich als eine solche Schuldverschiebung deuten. Nicht zuletzt mischten sich im militärärztlichen Misstrauensdiskurs, der ab dem Herbst 1915 immer mehr an Fahrt aufnahm, Vorwürfe gegen Vereins­ hospitäler mit einem Generalverdacht gegenüber der »Heimat« allgemein. Sie schien als Sphäre des Weiblichen, der irrationalen Masse, der »Flaumacherei«169 und der »Verhetzung«170 eine verwundbare Schwachstelle des Kaiserreichs darzustellen.171 Hier vermutete die Militärführung vor allem seit der zweiten Kriegshälfte heimtückische innere Feinde,172 die der Kampfkraft des Heeres mindestens so sehr zusetzten, wie der äußere Feind an den Kriegsfronten. Zunehmend assoziierten die Sanitätsbehörden alle negativen Aspekte der »Heimat« auch mit den dort befindlichen Lazaretten – als färbten ihre Eigenschaften auf die Krankenhäuser ab. Diese Betrachtungsweise funktionierte ebenso umgekehrt: Wegen der Existenz der vielen Heileinrichtungen galt das Inland als Bereich der Hysteriker, der körperlich Minderwertigen und der Drückebergerei.173 Für die Heeresverwaltung stellten somit letztlich alle Heimatlazarette eine potenzielle Gefahr für die innere Ordnung dar.174

167 Vgl. mit einer solchen Bewertung etwa anschaulich Reservelazarett Lindau i. B. an das Sanitätsamt I. AK., 04.04.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./158; Stv. Korpsarzt I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 20.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 168 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Landtagssachen, 1914–1918, in: BayHStA MKr/18389, fol. 26; ähnlich auch Inspekteur der X. Kriegs-Sanitäts-Inspektion an das Sanitätsamt XIV. AK., 20.12.1917, in: GLAKa 456 F 113 Nr. 87. 169 Merkblatt »Heimatheer Deutscher Frauen«, in: GStA Rep. 77 Tit. 949, Nr. 20s, Bd. 2, fol. ­75–76, zit. nach Altenhöner, Kommunikation, S. 321; Flemming u. Ulrich, S. 61. 170 Neter, S. 10. 171 Vgl. Geyer, Verkehrte Welt, S. 48. Zur Heimat als »Schwachstelle« der Kriegsgesellschaft auch Lipp, Meinungslenkung, insbes. S. 238. 172 Vgl. Bruendel, Volksgemeinschaft, S. 191–202. 173 Vgl. dazu etwa explizit Kraepelin, Psychiatrische, S. 173. 174 Vgl. etwa Stv. Generalkommando II. AK. an sämtl. Reservelazarette u. a., 21.10.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39; Stv. Generalkommando I. Armeekorps an das Bay. Kriegsministerium, 12.02.1918, darin: Besprechungen mit den Vertrauensmännern, in: BayHStA MKr/2340; His, Die Front, S. 86.

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4.2.2 Bedrohung II: Simulation, Aggravation, Selbstverstümmelung Spätestens seit dem zweiten Kriegsjahr rückte ein weiteres Gefahrenfeld in den Vordergrund: Die Behörden verdächtigen nun zahlreiche Lazarettinsassen, ihre Leiden zu simulieren, zu aggravieren oder selbst erzeugt zu haben.175 Dieses Thema ist bisher aus der Perspektive der Soldaten betrachtet worden176  – im Folgenden geht es hingegen um die militärmedizinische Sicht. Für die Sanitätsoffiziere stellten Simulation, Aggravation und Selbstzufügung von Krankheiten und Wunden den zweiten großen Bedrohungskomplex dar, der von den Heimatlazaretten nicht nur auszugehen, sondern sogar begünstigt zu werden schien. Während die offensichtlich Schwerverwundeten von jeglicher TäuschungsUnterstellung ausgenommen waren, ordneten die Ärzte zahlreiche Erkrankungen und körperliche Funktionsstörungen von Soldaten als hysterisch bedingt, vorgetäuscht oder übertrieben ein. In der bisherigen Forschung ist diese Frage vor allem im Kontext des Kriegsneurosendiskurses besprochen worden.177 Zwei Aspekte wurden dabei jedoch zu wenig beachtet: Erstens spielten die Heimatlazarette als Orte, auf die sich das Begehren richtete, in den militärärztlichen Debatten um Rentenhysterie eine prominente Rolle. Zweitens gerieten nicht nur Neurosen, sondern noch viele weitere Krankheiten und Verletzungsarten unter den Verdacht der Simulation, Übertreibung oder Selbstverstümmelung.178 Als hochgradig suspekt galten den Militärärzten Rheumabeschwerden, Nieren-, Blasen-, Herz-, Magen- und psychische Krankheiten, Rückenprobleme wie Ischias und Lumbago sowie Geschlechtskrankheiten.179 Diese Leiden kamen während des Krieges sehr häufig vor.180 Sie gingen für die Betroffenen vielfach mit großen Schmerzen einher, waren aber nicht mit bloßem Auge sichtbar und im Beschwerdebild diffus. Nach Ansicht der Militärärzte war es für Soldaten daher besonders leicht, sie vorzutäuschen. Diese Einschätzung rückte alle Patienten mit den genannten Krankheiten oder psychischen Leiden in ein zweifelhaftes Licht. Mit solchen unklaren Beschwerden und »allen möglichen anderen 175 Vgl. etwa Voss. 176 Vgl. Kapitel 3.6. 177 Zum Simulationsverdacht bei Kriegsneurotikern vgl. exemplarisch Lerner, Hysterical, S. 137–139. 178 Vgl. zu Selbstverstümmelungspraktiken unter Frontsoldaten Ziemann, B., Front, S. ­200–205; ders., Verweigerungsformen; Lipp, Meinungslenkung, S. 142 f. 179 Vgl. zu Magen- und Darmkranken: Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.08.1916 [offenbar weiter überarbeitet von der Württ. Medizinal-Abteilung], in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 110; zu Rheumatikern etwa: Sanitätsamt VIII. AK. an Stabsarzt Prof. Stursberg, 07.03.1918, in: BA-MA PH 7/6; Wagner, S. 549; zu Herzkranken Rauh, Behandlung, S. 107 f.; zu Ischias: Leitsätze für die Behandlung von Verwundeten und Kranken. Aufgestellt bei der Besprechung der fachärztl. Beiräte des XIII. (Königl. Württ.) Armeekorps aufgrund ihrer Erfahrungen im Heimatgebiet, Stuttgart 1917, S. 27, in: HStAS M 77/2 Nr. 53, fol. 47. 180 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 3, Tafel 17 (im Anhang).

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›Schmerzen‹ […] auf psychogener Grundlage«,181 so ein verbreiteter Vorwurf, »verschlupfen«182 sich diejenigen Soldaten in die Heimatlazarette, die sich vom Front- und Truppendienst drücken wollten. Ihr Ziel sei es, möglichst viel Zeit im Heimathospital zu »verbummeln«,183 da sie darauf spekulierten, von einer langwierigen Untersuchung zur nächsten geschickt zu werden, bis ihre Diagnose geklärt sei. Für die Militärbehörden stellten bewusste Simulation, Aggravation und Selbstverstümmelung – Praktiken, welche die Ärzte nicht immer scharf von­ einander trennen konnten oder wollten184 – Formen von Dienstverweigerung dar. Die Heimatlazarette boten solchen verdeckten Desertionsarten Anlass, Unterstützung und Raum. Typisch sei etwa, so das Württembergische Kriegsministerium, dass sich Soldaten auf Heimaturlaub plötzlich krankmeldeten. Dann stellten sie sich mit angeblichen Beschwerden in einem nahegelegenen Vereinslazarett vor, wo sie nun »Wochen lang gehalten«185 würden.186 Meist finde »hierbei eine sehr milde Beurteilung seitens der Vereinslazarettärzte« statt, wobei »den Wünschen der Leute und ihrer Angehörigen in zu weitgehender Weise Rechnung getragen«187 werde. In solchen Fällen bestand aus Sicht der Behörden eine unheilvolle Komplizenschaft zwischen kriegsunwilligen oder hysterischen Soldaten und zu »milden« Vereinslazarettärzten.188 Doch auch in Reservelazaretten vermuteten die Behörden Übertreiber und Selbstbeschädiger.189 Was unterschied diese Gruppe von den Hysterikern? Während Psychiater mit Blick auf die Kriegsneurotiker oft argumentierten, dass diese Personen wegen ihrer minderwertigen psychischen Konstitution dem Kriegsdienst nicht gewachsen seien und deshalb in die sicheren Heimathospitäler zu entfliehen versuchten190 – was bereits problematisch genug erschien –, ließen sie diese Entschuldigung für Soldaten, die bewusst täuschten, nicht gelten. Diese 181 Reservelazarett Landsberg an das Sanitätsamt I. AK., 14.05.1918, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./115. 182 Bay. Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 23 an die bay. 17. Reserve-Infanterie-Brigade, 11.10.17, in: BayHStA MKr/2338. 183 Bericht des fachärztl. Beirats Prof. Dr. F. v. Müller an das Sanitätsamt I. AK., 22.04.1917, in: BayHStA MKr/10519. 184 Vgl. dazu auch Lerner, Hysterical, S. 138 f. 185 Württ. Kriegsministerium, 22.06.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 46. 186 Vgl. ähnlich die Berichte des fachärztl. Beirats Prof. Stursberg an das Sanitätsamt VIII. AK. vom 19.01.1916 und 31.01.1918, in: BA-MA PH 7/6; ebenso Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an sämtl. Preuß. Sanitätsämter u. a., 14.02.1917, in: BayHStA Stv. GenKdo.I.AK.SanA./176; Stv. Korpsarzt I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 20.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 187 Württ. Kriegsministerium, 22.06.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 46. 188 Vgl. dazu auch Bericht des fachärztl. Beirats Prof. Stursberg an das Sanitätsamt VIII. AK., 12.07.1918, in: BA-MA PH 7/6. 189 Vgl. etwa Sanitätsamt III. AK. an den Garnisonsarzt Grafenwöhr, Bericht des Kriegssanitätsinspekteurs 2, 05.12.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./306. 190 Vgl. Peckl, Krank, S. 43; Rauh u. Prüll, Krank, S. 12; Michl, S. 232–238.

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»schlimmen Elemente«191 seien für das Militär eine reine Störquelle, sowohl für die Kampfkraft des Heeres als auch für die Lazarette. Allerdings erschienen die Grenzen zwischen diesen Patientenkategorien fließend. Wie verbreitet bewusste Täuschungsversuche zwischen 1914 und 1918 tatsächlich waren, lässt sich kaum ermessen.192 Weder wurden alle Täuschungsfälle aufgedeckt noch gerichtlich verurteilt. Verschiedene Hindernisse standen hier im Weg: Manche Rekruten stellten sich bei der Selbstverletzung so geschickt an, dass ihre Methode niemandem auffiel; anderen war etwa der »klassische« selbst zugefügte Schuss durch die linke Hand nur schwer nachzuweisen – bei Be­fragungen konnten sie immer argumentieren, sie seien vom Feind getroffen worden oder hätten beim Gewehrreinigen aus Versehen den Auslöser betätigt.193 Wieder andere Soldaten verletzten sich technisch gesehen tatsächlich nicht selbst, sondern nahmen dafür fremde Unterstützung in Anspruch: So wies die Medizinal-Abteilung des Bayerischen Kriegsministeriums auf »Selbstverstümmelung durch Ueberfahrenlassen eines Fußes, durch Hieb-und Schnittverletzungen usw.« hin. In diesen Fällen habe der Soldat eine dritte Person im Heimaturlaub um Hilfe gebeten und behaupte später im Lazarett, dass dessen »Fahrlässigkeit«194 für die Wunde verantwortlich sei. Die Frage, wie häufig solche Täuschungsfälle tatsächlich vorkamen, war für das gefühlte Gefahrenpotenzial aber nicht das entscheidende Kriterium. Denn unabhängig vom realen Gehalt lässt sich feststellen, dass Simulanten, Selbstverstümmler und andere »wenig kriegswillige Personen«195 im Schriftverkehr der Medizinalbehörden omnipräsente Bedrohungsfiguren darstellten.196 Dabei mischten sich Vorwürfe gegen diese Patientengruppe mit dem allgemeinen Misstrauen gegenüber Heimatlazaretten: Nicht nur böten die Hospitäler Drückebergern einen geeigneten Zufluchtsort, sie dienten auch als dynamische Umschlagplätze, auf denen Wissen und Werkzeuge zur Täuschung und Selbstbeschädigung zirkulierten.197 Diese Perspektive des Heimathospitals als Be191 Reservelazarett München A an das Sanitätsamt I. AK., 19.05.1917, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./177. 192 Vgl. dazu die Angaben bei Ziemann, B., Front, S. 202 f., der auf die Auswertungen der Strafprozesslisten der bay. Armee verweist, die das Münchener Kriegsarchiv 1928 vorgenommen hatte, wonach speziell Selbstverstümmelungen verhältnismäßig häufig auftraten. Genau aufgeschlüsselte Zahlen liefern ihre Auswertungen jedoch nicht. Zu den anderen deutschen Kontingenten fehlen entsprechende Angaben ganz. 193 Vgl. Ziemann, B., Front, S. 203; ders., Fahnenflucht, S. 118 f. 194 Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt II. AK. u. a., 02.03.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./192. 195 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an sämtl. Preuß. Sanitätsämter und sämtl. Medizinal-Abteilungen, 14.02.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 196 Paul Lerners Aussage, wonach »neither military nor medical authorities devoted significant amounts of attention to the simulation issue during the war« muss daher widersprochen werden, Lerner, Hysterical, S. 139. 197 Daneben hatten die Behörden auch Zugabteile als Schwarzmärkte im Verdacht, da hier nach verschiedenen Berichten »Mittel zur Erzeugung von Beingeschwüren an Soldaten

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trugsmarkt wird in einem Bericht des Reservelazaretts München A gut erkennbar. Der leitende Arzt der dortigen Station C I. für Geschlechtskrankheiten, Prof. von Notthafft, schildert darin eine Serie von Tripper-Simulationen, die er in letzter Zeit aufgedeckt habe. Jedes Mal sei es dabei um eine schwer zu erkennende Mischform zwischen Simulation und Selbstbeschädigung gegangen.198 Im ersten Schritt hätten die Soldaten eine akute Gonorrhoe nur vorgespielt: »Zu diesem Zwecke dienen Einspritzungen mit irgendwelchen scharfen Flüssigkeiten (Höllenstein, Protargol, Senf u. a.). Es entsteht sofort ein dicker, rahmiger Eiter, der für ein ungeübtes Auge Tripper vortäuscht. […] An sich wäre diese Simulierung eines Trippers durch Erzeugung eines Harnröhrenkatarrhs nicht so bedeutungsvoll. […] Es besteht jedoch die wesentliche Gefahr, dass diese Simulation Gelegenheit zur Selbstverstümmelung gibt. Hat es nämlich so ein Simulant erreicht, dass er auf eine Tripperstation eingewiesen worden ist, so verschafft er sich von seinem tripperkranken Nebenmann Trippereiter, den er sich einstreicht, und hat zwei Tage später einen wirklichen Tripper, der ihn auf Wochen hinaus ans Lazarett bindet. Ich habe solche Fälle nach Dutzenden gesehen […]. Besonders gern tuen [sic] solches frühere Tripperkranke des Lazarettes. Diese haben eben im Lazarett Kenntnis erhalten, wie man es ›machen‹ muss. […] Die Stationen haben keine Möglichkeit, diesen Selbstverstümmelungen vorzubeugen. Sie können sie im Einzelfalle nicht einmal so nachweisen, dass eine Meldung zur Bestrafung des Selbstverstümmlers möglich ist.«199

Mit dieser Pattsituation wollte von Notthafft sich nicht zufrieden geben. Dem Wissens- und Substanz-Austausch, den der Arzt zwischen den Lazarettinsassen beobachtet hatte, versuchte er mit seinem Bericht entgegenzutreten. Damit folgte er einer verbreiteten militärmedizinischen Vorbeugestrategie. Indem sich Lazarettärzte, Sanitätsinspekteure und Behörden gegenseitig über den aktuellen Stand »bemerkenswerter Fälle von Selbstbeschädigung und Krankheitsvortäuschung«200 auf dem Laufenden hielten und auf diese Weise eine kollektive Wissensbasis schafften, versuchten sie, besser und früher über Techniken der Selbstbeschädigung informiert zu sein, als der einzelne Soldat, der mit diesem Gedanken spielte.201 So warnte etwa das Nürnberger Sanitätsamt III. Armeeverkauft« würden, Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 29.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 198 Zu ähnlichen Fällen vgl. Heilbronn, Selbstverstümmelung, S. 1583; Ulrich, Augenzeugen, S. 221. 199 Reservelazarett München A, Station C I., Prof. von Notthafft, an den Herrn leitenden Arzt, 16.05.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./177. 200 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Bay. Kriegsministerium, 04.10.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./192. 201 Die vier Medizinal-Abteilungen und andere hohe Militärdienststellen schickten immer wieder entsprechende Warnschreiben an alle zuständigen Behörden und Lazarette, in denen sie etwa über gehäufte Selbstverstümmelungsfälle in bestimmten Regionen informierten, vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an sämtl. Preuß. Sanitätsämter u. a., 14.02.1917; Bay. Kriegsministerium an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 29.05.1918, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; Sanitätsamt III. AK. an die Reservelazarettdirektoren u. a., 10.01.1918; Chef des Feldsanitätswesens an die Medi-

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korps 1917 vor auffälligen Selbstverbrühungen unter neuen Lazarettpatienten,202 der Feldsanitätschef berichtete 1918 von Selbstbeschädigungen durch Essigsäure sowie »durch Einspritzung von Petroleum unter die Haut«,203 während das Sanitäts-Departement des Preußischen Kriegsministeriums auf gehäufte Vergiftungserscheinungen aufmerksam machte.204 Insgesamt zeigt sich, dass die aus dem Reservelazarett München A beschriebenen Selbstinfektionen mit Gonorrhoe kein Einzelphänomen darstellten, sondern sich in eine lange Kette anderer Selbstverstümmelungsfälle einreihten. Und nicht nur das machte die Behörden zunehmend unruhig: Besonders frappierend war aus ihrer Sicht die Erkenntnis, dass frustrierte Soldaten seit 1917 offenbar vor nichts mehr zurückschreckten, um in ein sicheres Heimatlazarett zu gelangen, nicht einmal davor, eine sozial geächtete Krankheit wie Tripper aktiv herbeizuführen.205 Normalerweise, so der Oberarzt Heilbronn, tendierten venerisch erkrankte Soldaten eher dazu, ihr Leiden zu verheimlichen, aus »Furcht vor Strafe« und weil sie »Scham vor den Angehörigen in der Heimat«206 empfänden. Doch auf der Geschlechtskrankenstation von München A waren die Gonorrhoe-Simulanten über alle entsprechenden Bedenken hinweggegangen, um einen Lazarettaufenthalt zu erzwingen.207 In dieser Hinsicht erschienen Selbstbeschädigungen und ähnliche Körpertechniken auch als Seismograph, über den die Ärzte ein Bild vom stimmungsmäßigen Zustand in der Truppe gewinnen konnten.208 Und ihre Häufigkeit verhieß nichts Gutes. Dazu kam, dass die verdeckte Desertion im Heimatlazarett in der Regel subtiler verlief, als bei den Tripper-Fällen aus München A. Am häufigsten waren nach Ansicht der Militärärzte Formen, bei denen die Soldaten sich immer wieder mit kleinen, womöglich sogar echten, aber schwer zu beurteilenden Beschwerden beim Sanitätsdienst meldeten. Einen typischen Fall schilderte der fachärztliche zinal-Abteilung des Bay. Kriegsministeriums u. a., Auszug aus dem Bericht der Krankensammelstelle 257, 01.10.1918, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./192; Kriegssanitätsinspekteur [Lasser] an das Sanitätsamt XIII. AK., 19.11.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 218; Sanitätsamt XIV. AK. an sämtl. Reservelazarettdirektoren und Reservelazarette, 02.09.1918., in: GLAKa 456 F 118 Nr. 35. 202 Vgl. Sanitätsamt III. AK. an die Reservelazarettdirektoren u. a., 10.01.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./192. 203 Chef des Feldsanitätswesens an die Medizinal-Abteilung des Bay. Kriegsministeriums u. a., Auszug aus dem Bericht der Krankensammelstelle 257, 01.10.1918, in: BayHStA Stv. GenKdo.I.AK.SanA./192. 204 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Sanitäts-Departement, an sämtl. Preuß. Sanitätsämter u. a., 04.10.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./192. 205 Vgl. dazu auch rückblickend His, Die Front, S. 133 f. 206 Heilbronn, Kasuistischer, S. 1447. Dies habe mitunter bis zum Selbstmord geführt, vgl. etwa die Angaben des Bay. Kriegsministeriums zum Suizids des Soldaten Georg Häring in: BayHStA MKr/18385; einen ähnlichen Fall schilderte das Kriegsbekleidungsamt XIX. AK., 19.05.1915, in: HStAD 11352/1289, fol. 312. 207 Vgl. dazu auch Zweig, Lazarettbehandlung, S. 1453. 208 Vgl. dazu auch Lipp, Meinungslenkung, S. 140.

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Beirat Prof. Stursberg in einem Inspektionsbericht vom Juli 1917. Bei seinen Lazarettbesichtigungen zwischen Koblenz, Bonn und Euskirchen hätten ihm die Ärzte wiederholt vom Phänomen berichtet, dass sich Feldsoldaten mit »Resten einer alten Erkrankung«209 bei den Truppenmedizinern vorstellten. Sie gäben diese übrig gebliebenen Beschwerden als neues Problem aus und stifteten damit große Verwirrung. Manche ehemalige Tuberkulosekranke hätten zum Beispiel weiterhin eine harmlose Schallabschwächung über einer Lungenspitze, nachdem sie als geheilt aus dem Lazarett entlassen worden seien. Solche Personen meldeten sich »erfahrungsgemäß nach Eintreffen bei der Truppe oft sogleich […] wieder mit Klagen über Husten usw. krank«. Dies war laut Stursberg besonders dann der Fall, »wenn in ihrer Vorgeschichte die ›Lungenheilstätte‹ bereits eine Rolle spielt«, sie also positive Erinnerungen an einen Lazarettaufenthalt hatten. Der Truppenarzt gerate nun in eine schwierige Lage: Er finde bei der Untersuchung tatsächlich eine deutliche Veränderung über der Lungenspitze und müsse entscheiden, ob es sich um einen abgeheilten oder aktiven Krankheitsvorgang handele. In vielen Fällen schicke er den unklaren Fall zur Sicherheit zurück ins Heimatlazarett. Dort werde der Soldat »wieder beobachtet, wieder dienstfähig entlassen, meldet sich nach den guten Erfahrungen, die er gemacht hat, wieder krank usw. Durch dieses Hin- & Herwandern wird eine nicht ganz unbeträchtliche Zahl von Mannschaften immer wieder dem Dienst entzogen […] & es wäre dringend erwünscht, wenn hier eingegriffen werden könnte.«

Das von Stursberg beklagte Phänomen beschrieben auch zahlreiche andere Militärärzte.210 Es firmierte unter dem Begriff »Lazarettwanderer« und bezeichnete Soldaten, die entweder seitens der Ärzte von einer Einrichtungen zur anderen weitergereicht wurden oder sich aus eigenem Antrieb immer wieder mit unklaren Beschwerden in verschiedenen Hospitälern vorstellten. Aus Sicht der Heeresverwaltung waren solche Entwicklungen fatal – Oberstabsarzt Crämer bezeichnete sie als den größten »Krebsschaden in den Lazaretten«.211 Nach Angaben des Sanitätsamts I. bayerischen Armeekorps seien in einigen Fällen »der209 Zitate im Folgenden aus: Anlage zum Bericht des fachärztl. Beirats Prof. Stursberg an das Sanitätsamt VIII. AK., 31.07.1917, in: BA-MA PHD 7/6. 210 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.08.1916 [offenbar weiter überarbeitet von der Württ. Medizinal-Abteilung], in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 110; Chajes, Reservelazarett III. Frankfurt / O., Erfahrungen mit Blasenkranken, 1917, in: BayHStA Stv. GenKdo.I.AK.SanA./176; Fachärztl. Beirat Stareth an das Sanitätsamt XIV. AK., 07.07.1915; [Sanitätsamt XIV. AK?] an das Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 22.11.1916, beide in: GLAKa 456 F 113 Nr. 88; Leitsätze für die Behandlung von Verwundeten und Kranken. Aufgestellt bei der Besprechung der fachärztl. Beiräte des XIII. (Königl. Württ.) Armeekorps aufgrund ihrer Erfahrungen im Heimatgebiet, Stuttgart 1917, S. 16, in: HStAS M 77/2 Nr. 53, fol. 47; Janssen, Die Begutachtung, S. 97; Naturhistorisch-medizinischer Verein zu Heidelberg. 211 Oberstabsarzt Crämer, Halbjahresrapport über das Reservelazarett C, Station A, 1916, S. 5 f., in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./497.

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artige Lazarettwanderungen durch 4, 5 und 6 Lazarette«212 vorgekommen. So verschwende man wertvolle Ressourcen und die ohnehin stark belasteten Hospitäler füllten sich immer weiter. Die Warnungen der Militärärzte vor Lazarettwanderern sind aus verschiedenen Gründen interessant. Hier kreuzten sich mehrere Bedrohungsachsen in der Figur des wandernden Patienten: erstens die geradezu paranoide Sorge der Medizinalbehörden vor Simulationen und Übertreibungen; zweitens das Pro­blem der vielen Kranken mit unklaren, möglicherweise hysterischen Symptomen, die von unerfahrenen Lazarettärzten nicht richtig eingeordnet und behandelt werden konnten; drittens die Tatsache, dass es vielen solcher Personen gelang, »bis zur Dauer eines Jahres und darüber«213 im Lazarettsystem abzutauchen; viertens der sich darin zeigende eigene Kontrollverlust; und fünftens die empfundene Demütigung, dass die Lazarettwanderer die Dreistigkeit besaßen, sich im Herzen des militärmedizinischen Institutionengefüges, unter den Augen von Sanitätsoffizieren, ihrer Dienstpflicht zu entziehen. Diese letzte Grundsatzkritik betraf alle Soldaten, die der Simulation, Aggravation oder Selbstverstümmelung verdächtigt oder überführt wurden. Sie begingen aus Sicht des Militärs genau dort eine Art »Fahnenflucht ins Innere«, wo sich die Ärzte redlich darum bemühten, die Kampf- oder Arbeitsfähigkeit versehrter Soldaten wiederherzustellen. Damit kehrten sie die eigentliche Funktion der Lazarette um. Häufig kreisten die militärärztlichen Debatten auch um den Vorwurf, dass Simulanten, Selbstverstümmler und Neurotiker versuchten, spätere Sozialleistungen zu erschleichen. Das Schreckgespenst des »Rentenbegehrens« war immer mit im Raum. Doch der Missbrauch des Lazaretts selbst, als individueller Schutz- und Desertionsort im Krieg, unabhängig von der späteren Rente, war in dieser Kritik ein ebenso wichtiges Moment. Zunehmend wurden die Heimatlazarette als Sammelbecken für Drückeberger und Unruhestifter gedeutet, die den Siegeswillen sowohl im Heer als auch in der Bevölkerung bedenklich gefährdeten.214 4.2.3 Bedrohung III: Schlechte Stimmung Die dritte große Bedrohung, welche die Medizinalbehörden im Heimathospital verorteten, lag im Phänomen der »schlechten Stimmung«.215 Wie historische Forschungsarbeiten zu Propaganda und Zensur bereits für andere Gesellschaftsbereiche gezeigt haben, setzte es sich die Militärführung im Ersten Weltkrieg erst212 Sanitätsamt I. AK. an die diensttuenden Ärzte der Ersatztruppenteile u. a., 24.11.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 213 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.08.1916 [offenbar weiter überarbeitet von der Württ. Medizinal-Abteilung], in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 110. 214 Vgl. etwa Sanitätsamt I. AK., 14.10.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 215 Bay. Kriegsministerium, von Hellingrath, an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 16.07.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115.

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mals zum zentralen Ziel, eine durchgehend »gute Stimmung« bei den Truppen wie auch in der Heimatbevölkerung zu erzeugen.216 Denn Stimmung galt den militärischen Verantwortlichen inzwischen als »wesentliches militärisches Kriegsmittel«.217 Entsprechend sei eine »schwächliche Stimmung« ohne Siegeszuversicht und Opferbereitschaft ein »schlechter Faktor für den Ausgang des Krieges.«218 Zahlreiche zivile und militärische Stellen bemühten sich ab der zweiten Kriegshälfte darum, die Gemütslage der Bevölkerung zu erfassen und zu lenken.219 Von militärischer Seite hatten seit dem 21. März 1916 die Stellvertretenden Generalkommandos über die Volksstimmung zu berichten.220 Parallel wurde die Moral der Truppen in regelmäßigen Abständen erfasst. Ausgewählte »Vertrauensleute« sollten dazu entsprechende Berichte liefern.221 Dies konnten beispielsweise Lehrer, Priester, Beamte, pensionierte Offiziere oder andere Personen mit öffentlicher Reichweite sein, die aus beruflichen Gründen Erfahrung damit hatten, zu Menschen Kontakt aufzunehmen und vor größeren Gruppen zu sprechen. Ungefähr seit dem Jahresbeginn 1917 richtete sich der Fokus dieser militärischen Stimmungsüberwachung auch auf die Heimatlazarette und damit auf die Gemütslage der dort befindlichen Verwundeten und Kranken.222 Dieser Aspekt ist in der bisherigen Forschung fast völlig ignoriert worden, obwohl gerade die Lazarette aus Sicht der Militärbehörden wichtige kommunikative Knotenpunkte darstellten, an denen sie die allgemeine Stimmung beobachten und lenken konnten.223 Die bayerische Medizinal-Abteilung hob im April 1918 in einem vertraulichen Schreiben hervor, dass es sich an diesem Ort aufgrund des ungewöhnlich

216 Zur Zensur Altenhöner, Kommunikation, insbes. S. 53–88. 217 Alle Zitate im Folgenden aus: Stv. Generalkommando I. AK. an das Sanitätsamt I. AK. u. a., 05.09.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115. 218 Ähnlich bereits Bay. Kriegsministerium an die höheren Kommandeure des bay. Kontingents, 01.02.1916, zit. nach Deist, Militär und Innenpolitik, Bd. 1, S. 300; Chef des Generalstabes des Feldheeres Paul von Hindenburg an sämtl. Generalkommandos u. a., Gr.H.Qu., 18.09.1916, in: BayHStA MKr/2331; vgl. zur Bevölkerungsstimmung als Kriegsressource auch Ziemann, B., Front, insbes. S. 121. 219 Vgl. Altenhöner, Kommunikation, insbes. S. 112–116. 220 Vgl. Deist, Militär und Innenpolitik, Bd. 1, S. 378, Fußnote 1; Ulrich, Augenzeugen, S. 91; Stöber, S. 45 f.; zu den bekannten Stimmungsberichten des Berliner Polizeipräsidenten vgl. Altenhöner, Kommunikation, S. 113 f. 221 Vgl. Lipp, Meinungslenkung, insbes. S. 77 f.; 87–89. 222 Wann die Stimmungsüberwachung der Heimatlazarette genau einsetzte, lässt sich nicht sicher feststellen. Ab Herbst 1917 sind Berichte vorhanden, die explizit die Stimmung in den Heimatlazaretten thematisieren. Von da an spielte dieser Faktor für die Militärbehörden bis zum Ende des Krieges durchgehend eine zentrale Rolle. 223 Einzelne Studien erwähnen diesen Aspekt, gehen aber nicht weiter darauf ein, vgl. Mai, »Aufklärung«, S. 217; Fußnoten bei Ziemann, B., Front, S. 130–138; Lipp, Meinungslenkung S. 176.

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»engen Verkehrs«224 zwischen Militär- und Zivilpersonen besonders lohne, zu verfolgen, welche Gesprächsthemen, Meinungen und Gerüchte unter den Patienten und Besuchern kursierten. So könne man gleichzeitig einen Eindruck von der Stimmungslage im Feldheer und in der Heimat gewinnen und im Anschluss auf beide Bereiche Einfluss nehmen. Was war mit guter oder schlechter »Stimmung« in solchen Aussagen genau gemeint? Der Begriff hatte im Ersten Weltkrieg keine feste Bedeutung. Gerade im Kontext des Militärkrankenhauses wurde er unterschiedlich verwendet. Vier Bedeutungsebenen waren im Wortgebrauch der Lazarettakteure dominant: Erstens korrespondierte »schlechte Stimmung« mit denjenigen negativen Tendenzen, die dem zu langen Lazarettaufenthalt zugeschrieben wurden.225 Sie entsprach damit der verhängnisvollen Gefühlsmischung aus Melancholie, Langeweile und »Müßiggang«226, die viele Militärärzte mit Blick auf Langzeitinsassen beklagten. Umgekehrt erschien eine zu ausgelassene, feucht-fröhliche Stimmung auf den Krankenstuben ebenfalls problematisch. »Schlechte Stimmung« bedeutete in dieser Hinsicht also eine Form des individuellen Sich-Ausklinkens aus dem geforderten militärischen oder beruflichen Kollektivzusammenhang – ein inneres Aussteigertum aus der Kriegsgesellschaft im Lazarett. Konkret drückte sich die schlechte Stimmung dann im mangelnden Willen des Soldaten aus, schnell gesund zu werden. In dieser Hinsicht waren der militärische Stimmungsund der psychiatrische Willensdiskurs aufs Engste miteinander verknüpft. Auf der zweiten Bedeutungsebene bezog sich der Stimmungsbegriff auf Fragen wirtschaftlicher Zuversicht. Ähnlich wie im Sprachgebrauch heutiger Ökonomen, wenn etwa von einer guten oder schlechten Stimmung an der Börse die Rede ist, ging es in diesem Kontext um die Anzahl an Kriegsanleihen, die die Lazarettinsassen zeichneten.227 War die Zahl gering, galt dies als Hinweis darauf, dass die Siegeszuversicht und Opferbereitschaft der Patienten schwanden.228 So berichtete etwa im Februar 1918 ein Vertrauensmann aus dem Reservelazarett 224 M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung], Karl von Seydel, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 27.04.1918, in: BayHStA MKr/2341. 225 Vgl. etwa Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarette u. a., 20.03.1917, in: BayHStA Stv. GenKdo.I.AK.SanA./176; ähnlich Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 26.10.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./53. 226 Sanitätsamt I. AK. an die Reservelazarette u. a., 17.10.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./176. 227 Vgl. Obmann des Stv. Generalkommandos III. AK. an das Stv. Generalkommando III. AK., 04.10.1917, in: BayHStA MKr/2336; Reservelazarett München D an das Sanitätsamt I. AK., 15.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115; Reservelazarett IV. »Loschwitzberg« an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 13.03.1918, in: HStAD 11348/3497, fol. 453. 228 Vgl. etwa Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 08.10.1917, in: BayHStA MKr/2336; zu den Versuchen, im Rahmen der Kriegspropaganda die Idee einer »finanziellen Wehrpflicht« in der Zivilbevölkerung zu verankern vgl. Nübel, Mobilisierung, S. 104 f.; zu Kriegsfinanzierung und Kriegsanleihen Feldman, Disorder, S. 25–51; Schmidt, A., S. 87–91; Bruendel, Vor-Bilder.

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Zittau, dass unter den Insassen »grosse Zeichnungsmüdigkeit«229 herrsche. Die Kranken begründeten ihre ablehnende Haltung damit, dass doch die »›Grossen, die Heereslieferanten, die Kriegswucherer« die Anleihen zeichnen sollten, »nicht die Soldaten, welche sich für die Gesellschaft die Knochen zerschiessen lassen mussten und von ihrer geringen Löhnung noch den Familien-Angehörigen geben müssen.« Unter diesen Patienten eine üppige Summe zusammenzubekommen, resümierte der Vertrauensmann, werde voraussichtlich »sehr schwer«. Wie erfolgreich die Kriegsanleihewerbung in den Hospitälern verlief, erschien den Verantwortlichen somit nicht nur als eine wirtschaftlich bedeutsame Frage, sondern auch als »Gradmesser«230 für den Gemütshaushalt der Insassen. Drittens war mit »schlechter Stimmung« eine negative Haltung gegenüber dem Militär, dem Kaiserreich und seinen Institutionen gemeint. Dazu gehörten pazifistische und sozialistische Positionen, aber auch Sympathien mit Streik­initiativen.231 Diese Begriffsverwendung spielte im Schriftverkehr der Medizinalbehörden ab Ende 1917 eine wahrnehmbare Rolle. So heißt es etwa in einem Bericht des Sanitätsamts I. bayerischen Armeekorps vom Dezember 1917, dass die Stimmung in den Lazaretten des Bezirks Passau derzeit »eine außergewöhnliche, schlechte, ja staatsgefährliche«232 sei. Der örtliche Vertrauensmann habe mitgeteilt, dass in den Lazaretten der Gemeinden Bayrbach, Birnbaum und Griesbach »bei Eintreffen der letzten Siegesnachrichten aus der italienischen Front keine Siegesfreude anzutreffen gewesen« sei. Im Gegenteil hätten »fast alle maßgebenden Personen […] diesen neuen Sieg als weitere Trauernachricht für das Volk, als ein weiterer Schwindel […] bezeichnet.« Hier hatte die »schlechte Stimmung« also eine potenziell revolutionäre Konnotation. Die Angst vor politischen Aufständen, die in den Heimathospitälern ihren Ausgang nahmen, lässt sich in solchen Mitteilungen deutlich erkennen.233 Bis zum Kriegsende klangen diese Befürchtungen nicht ab, obwohl es faktisch nie zu nennenswerten Lazarettunruhen kam.234 Doch bereits die sichtliche »Unlust der

229 Zitate im Folgenden aus: Vertrauensmann Engelhard an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, u. a., Bericht über vaterländischen Unterricht im Reservelazarett Zittau vom 15.01.–15.02.1918, 15.02.1918, in: HStAD 11348/3497, fol. 370. 230 Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 09.05.1918, in: BayHStA MKr/2343. 231 Vgl. etwa Bay. Kriegsminister Philipp von Hellingrath an die Stv. Generalkommandos I. II.III. AK. u. a., 16.07.1918, in: BayHStA MKr/2343. 232 Zitate im Folgenden aus: Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 08.12.1917, in: BayHStA MKr/2339. 233 Vgl. etwa auch Reservelazarett II. Bautzen an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, Bericht, 13.03.1918, in: HStAD 11348/3497, fol. 478; Oberleutnant d. R. Fritz Schmidt an den Kommandeur der Pioniere Hauptmann Wuerkert, 09.02.1918; A 2a [Bay. Kriegsministeriums, Armee-Abteilung, Referat 2a] an A 1a und M [MedizinalAbteilung], ca. 25.03.1918, beide in: BayHStA MKr/2341. 234 Vgl. dazu explizit Stv. Korpsarzt I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 20.05.1918, in: BayHStA MKr/2342.

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Leute an die Front zu gehen«,235 die vielen Insassen nach ihren zurückliegenden Erlebnissen anzumerken war, galt den Zuständigen als ein Zustand, der für die Nation politisch heikel werden konnte. Viertens schließlich war mit »schlechter Stimmung« ein allgemeiner Er­ regungszustand unter Patienten, Lazarettpersonal und Besuchern gemeint, in dem sich Gerüchte ungehindert ausbreiten konnten.236 Auf diese Weise, so die Vorstellung, sickerten sie vom Lazarett aus in alle Gesellschaftsbereiche hinein. Dieses Bild des Heimathospitals als Gerüchtequelle trieb nicht nur die Medizinalbehörden um, sondern beschäftigte auch andere militärische Stellen. Selbst der Kriegsminister Hermann von Stein machte sich diese Deutung zu eigen. In einem Erlass vom August 1918 warnte er, dass »übertriebene Gerüchte von ungünstigen Ereignissen« die Kampfmoral in Heer und Heimat nachhaltig beschädigt hätten. Die Urheber seien »vielfach Urlauber vom Feldheere, Ver­w undete und Kranke, die in die Heimatlazarette überführt worden sind. Selbst Offiziere halten sich nicht frei davon.«237 Zwar lastete die Heeresverwaltung die von ihr beklagten Zersetzungserscheinungen nicht ausschließlich den Lazaretten an, sondern auch anderen Orten und Akteuren. In den Heimatlazaretten erschien das Risiko aber besonders hoch.238 Dies begründeten die Behördenvertreter damit, dass sich die verwundeten und kranken Soldaten »viel mehr als andere den äußeren Einflüssen zugänglich«239 zeigten, weil sie beschäftigungslos und geschwächt »in den Lazaretten herumliegen«.240 Damit stellten sie für »berufsmäßige Flau- und Miesmacher«241 eine leichte Beute dar. Umgekehrt könnten sie aber auch selbst negativ auf Mitpatienten und Besucher einwirken und diese stimmungsmäßig herunterziehen. Damit sind die vier wichtigsten Bedeutungsdimensionen der »Stimmung im Heimatlazarett« umrissen. Der Begriff war offenbar so anschlussfähig, dass

235 Obmann beim Stv. Generalkommando. II. AK. r. d. Rh. Leutnant d. L. Memminger an das Bay. Kriegsministerium, 04.07.1918, in: BayHStA MKr/2344. 236 Vgl. zu diesem Begriffsverständnis etwa Stv. Generalkommando XII. AK., AufklärungsAbteilung, 13. Merkblatt für den vaterländischen Unterricht und die Aufklärung in der Heimat, 15.02.1918; Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 08.12.1917, beide in: BayHStA MKr/2339. 237 Preuß. Kriegsminister Hermann von Stein an das Bay. Kriegsministerium u. a., 31.08.1918, in: BayHStA MKr/2345. 238 Vgl. Aufzeichnungen aus der Pressebesprechung im Reichstag, Nr. 366, 11.04.1918, in: BayHStA MKr/14025; Protokoll der Obmännersitzung vom 05.07.1918 an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung u. a., in: BayHStA MKr/2343. 239 Aufzeichnung über die Besprechungen mit den Leitern des vaterländischen Unterrichts in Charleville, Warschau und Sofia, hier: Ausführungen des Rittmeisters Streck, 24.08.1918, in: BayHStA MKr/2346. 240 Stv. Generalkommando I. Armeekorps an das Bay. Kriegsministerium, 12.02.1918, darin: Besprechungen mit den Vertrauensmännern, in: BayHStA MKr/2340. 241 Aufzeichnungen aus der Pressebesprechung im Reichstag, Nr. 366, 11.04.1918, in: BayHStA MKr/14025.

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alle Überwachungsinstanzen sich auf ihn berufen konnten – zugleich blieb er vage genug, um unterschiedliche militärische und politische Vorstellungen damit gleichzeitig zu bedienen. Das Stimmungskonzept erwies sich somit als eine potente narrative Klammer, mittels derer Vertrauensleute, Ärzte und Militärbehörden Bezüge zwischen zunächst unverbundenen Phänomenen herstellen konnten. So führte etwa ein direkter Argumentationsstrang vom zu langen Lazarettaufenthalt hin zur Langeweile, Friedenssehnsucht, Nörgelei und schließlich zur politischen Unruhestiftung. Ein anderes Narrativ verknüpfte die Anwesenheit vieler Neurotiker in den Heimathospitälern mit Alkoholismus, verschiedenen Formen des »passiven Widerstands«242 gegenüber Ärzten und schließlich Rentenforderungen an den Staat. Das Stimmungskonzept bot eine einfache Erklärung dafür, warum diese unerwünschten Phänomene überhaupt auftraten und stellte eine Kausalverbindung zwischen ihnen her. Zwei Grundfragen beschäftigten die Medizinalbehörden seit 1916 immer wieder. Erstens: Wie war die Stimmung in den Heimatlazaretten? War sie zuversichtlich oder gab sie Anlass zur Beunruhigung? Und zweitens: Woher kam die schlechte Stimmung, wenn eine solche berichtet wurde? Wo lag ihr Ursprung, wo musste man sie bekämpfen? Während alle Akteure innerhalb der Heeresverwaltung darin übereinstimmten, dass sich an diesen Fragen alles entschied, waren sie sich über die Antworten keineswegs einig. Hier konkurrierten unterschiedliche Sichtweisen. Zunächst zur ersten Frage: Wie war die Stimmung tatsächlich in den Lazaretten? Es ist bemerkenswert, dass sich für wissenschaftliche Leser von heute, selbst bei eingehender Beschäftigung mit den zeitgenössischen Stimmungsberichten,243 diesbezüglich kein klares Bild ergibt. Weder auf eine eindeutig gute Stimmung (im Sinne der Heeresverwaltung), noch auf eine Verschlechterung im Verlauf des Krieges lassen die Berichte ohne Weiteres schließen. Tendenziell vermerkten sie ab dem Frühjahr 1918 öfter Unzufriedenheit unter den Lazarettinsassen – aber auch das nicht durchgehend. Am typischsten ist eine Formulierung, die sich etwa im Schreiben des Münchner Stellvertretenden Generalkommandos an das Bayerische Kriegsministerium vom 9. Mai 1918 findet. »Die Stimmung ist allgemein zuversichtlich und gehoben«, heißt es hier zunächst. Und weiter: »Wenn von einzelnen Lazaretten über die gedrückte Stimmung der Kranken berichtet wird, so ist dies daraus zu erklären, daß die Lazarettinsassen unmittelbar aus den schweren Kämpfen im Westen kommen und durch die ungeheuren Anforderungen der Offensive körperlich und seelisch verbraucht sind. Auch sind eine grosse Anzahl

242 Müller, F., S. 500; ähnlich Reservelazarett Landsberg an das Sanitätsamt I. AK., 14.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115. 243 Insbesondere sind Lazarett-Stimmungsberichte aus den drei bayerischen Armeekorps überliefert, aber teilweise auch aus dem XII. und XIX. Armeekorps in Sachsen sowie dem XIV. Armeekorps in Baden.

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der Lazarettkranken Kriegsneurotiker. Auch die Meldung, daß die älteren Landsturm-Jahrgänge kriegsmüde seien und sich nach Weib und Kind und Friedensberuf sehnen, überrascht nicht. Aber gerade solchen begreiflichen Stimmungen gegenüber konnte der Vertrauensmann durch den vollen Einsatz seiner Persönlichkeit und das lebendige überzeugende Wort erreichen, daß die Mannschaften über ihren persönlichen Nöten und Sorgen die höhere Pflicht des Durchhaltens zur Verteidigung des Vaterlandes erkannten.«244

Das Stellvertretende Generalkommando präsentierte dem Kriegsministerium hier eine Erklärung, die sich als Sandwich-Argumentation bezeichnen lässt: Zwischen die beiden positiven Nachrichten der erstens allgemein »gehobenen« Stimmung in den Heimathospitälern und des zweitens »vollen Einsatzes« des Vertrauensmanns positionierte es die negative Meldung über gedrückte Stimmung in »einzelnen Lazaretten«. So pufferte es ihren bedrohlichen Gehalt ab und wendete ihn scheinbar ins Gute.245 Nach dieser Framing-Strategie gingen auch die meisten anderen Dienststellen seit 1916 vor.246 Während Sanitätsbehörden, Militärärzte und Vertrauensleute einerseits immer wieder warnten, dass die Heimathospitäler ein »Hauptherd der Unzufriedenheit […], der Nörgelsucht, des Raisonnierens und der ungünstigen Beeinflussung«247 seien und jeglicher Stimmungsverschlechterung vor Ort daher »die eingehendste Beachtung«248 geschenkt werden müsse, verkündeten einzelne Chefärzte oder Vertrauensmänner immer wieder stolz, dass in ihren Einrichtungen die Moral bestens sei.249 Je nachdem konnte ein Berichterstatter also entweder seine Wachsamkeit demonstrieren, indem er die schlechte Stimmung in den Lazaretten hervorkehrte, oder umgekehrt durch das Betonen der angeb244 Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 09.05.1918, in: BayHStA MKr/2343. 245 Ähnlich etwa auch Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 10.06.1918, in: BayHStA MKr/2344; Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegs­ ministerium, 10.03.1918, in: BayHStA MKr/2342. 246 Vgl. etwa Stv. Korpsarzt III. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 18.05.1918, in: BayHStA MKr/2342; Reservelazarett München B an den Stv. Korpsarzt I. AK., 16.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115. Zum positiven Framing als Rechtfertigungsstrategie von Sicherheitsbehörden vgl. am Beispiel der MfS-Bezirksverwaltung Rostock Stolle; mit weiteren Beispielen Münkel u. Bispinck, S. 17. 247 Bay. Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 23 an die Bay. Reserve-Infanterie-Brigade, 11.10.1917, in: BayHStA MKr/2338. 248 M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung], Karl von Seydel, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 27.04.1918, in: BayHStA MKr/2341; ähnlich auch Bay. Kriegsministerium, von Hellingrath, an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 16.07.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115. 249 Vgl. etwa Chefarzt des Reservelazaretts Dillingen an den Stv. Korpsarzt I. AK., 15.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115; Reservelazarett München B an den Stv. Korpsarzt I. AK., 16.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115; Reservelazarett I. Dresden an das Stv. Generalkommando XII. AK., Bericht über den Vaterländischen Unterricht, 22.02.1918, in: HStAD 11348/3497, fol. 375.

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lich guten Stimmung beweisen, dass er seinen Verantwortungsbereich sicher im Griff hatte. So wurde nie ganz klar – vermutlich auch nicht den Medizinal­ behörden – wie es um die Moral der Lazarettinsassen tatsächlich bestellt war. Die Frage wurde nur formelhaft und ritualisiert umkreist. Denn auf eine objektive Antwort kam es gar nicht an: Der behördliche Stimmungsdiskurs diente eher dem Zweck, eigene Einflussmöglichkeiten zu behaupten, sich der gegenseitigen Loyalität zu versichern und in einer Illusion von Kontrolle zu wiegen. Zugleich suggerierten die Praxis der regelmäßigen Stimmungserfassung sowie das Format der Berichte, dass hier ein Problemfeld existierte, welches höchste Aufmerksamkeit erforderte.250 Die zweite Grundfrage, mit der sich die Medizinalbehörden geradezu obsessiv beschäftigten, bezog sich auf die Quelle der schlechten Stimmung. Wo lauerten die »Flaumacher«?251 Waren sie in den Lazaretten selbst zu suchen, befanden sich unter den Patienten die schlimmsten Verräter? Oder trugen Provokateure die schlechte Stimmung von außen in die Krankenhäuser hinein? Das kommunikative Netzwerk aus Militärbehörden, Ärzten, Sanitätsinspekteuren und Vertrauensleuten, die sich über diese Fragen austauschten, fand hier zu keinem gemeinsamen Ergebnis. Einerseits hatte jeder Stimmungsberichterstatter seine eigene Theorie, wer oder was für die schlechte Stimmung in den Lazaretten verantwortlich war, andererseits wandelte sich der Fokus dieser Suchbewegung auch mit dem Fortschreiten des Krieges. Dabei wiesen die Schuldzuweisungen deutliche Parallelen zu denjenigen Feindbildkonjunkturen auf, die bereits aus Forschungen zum »inneren Feind« bekannt sind.252 Die behördeninternen Diskussionen über den Ursprung der schlechten Stimmung im Lazarett lassen sich anhand eines Schriftwechsels vom März und April 1918 aus dem Bayerischen Kriegsministerium exemplarisch nachvollziehen. Dieser setzte als Reaktion auf den Stimmungsbericht eines Oberleutnant Schmidt vom Februar 1918 ein. Schmidt hatte in seinem Bericht die Behauptung aufgestellt, dass »in der Heimat eine vaterlandsfeindliche Organisation am Werke ist, welche ihre Propaganda bes. in die Heimatlazarette unter irgendwelchen falschen Decknamen getragen hat.«253 Weiter hatte er bemängelt, dass überproportional viele Juden als Ärzte in den Lazaretten arbeiteten. Dahinter verbarg sich aus seiner Sicht eine vom Ausland gesteuerte jüdische Verschwörung.254 250 Vgl. zum »Negativ-Filter« der Stimmungsberichte, deren Verfasser ihre Aufmerksamkeit unverhältnismäßig stark auf Missstimmungen richten mussten, Höffler, S. 69 f. 251 Stv. Korpsarzt III. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 18.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 252 Vgl. etwa Bruendel, Volksgemeinschaft, S. 191–202; Lipp, Meinungslenkung, S. 232–238. 253 Oberleutnant d. R. Fritz Schmidt an den Kommandeur der Pioniere Hauptmann Wuerkert, 09.02.1918, in: BayHStA MKr/2341. Außerdem warnte Schmidt vor US-Spionage in den deutschen Heimatlazaretten. 254 Um diese Verschwörungstheorie zu unterfüttern, führte Oberleutnant Schmidt eine Broschüre von Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) von 1917 an, einem in Großbritannien geborenen deutschsprachigen Schriftsteller, der für seine rassenantisemitischen, pan-

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Das Bayerische Kriegsministerium hatte diesen Bericht erhalten und musste nun eine Haltung dazu finden: Braute sich in den Heimatlazaretten tatsächlich eine revolutionäre, »jüdisch gesteuerte« Verschwörung zusammen? Darüber diskutierten mehrere Dienststellen, die sich gegenseitig nur mit Kürzeln ansprachen: »A 1a.«, »A 2a.« und »M.«. Dies stand vermutlich für die Armee-Abteilung, Referate 1a und 2a, sowie die Medizinal-Abteilung, hier konkret ihren Chef, Generalstabsarzt Karl von Seydel.255 Ihr Schriftwechsel wird im Folgenden genauer analysiert. Zeitlich fällt er in die Phase der positiv beginnenden, letztlich aber erfolglosen Frühjahrsoffensiven an der Westfront.256 Dass es den Deutschen dabei nicht gelungen war, den erhofften Befreiungsschlag durchzuführen, sondern die Offensiven im Gegenteil zu besonders hohen Verlusten geführt hatten, ließ die Fronttruppen enttäuscht, erschöpft und verbittert zurück.257 Nun kochten die bereits seit Herbst 1917 immer lauter werdenden Klagen über Missstände im Heer mit neuer Intensität hoch.258 Schleichend begannen sich die deutschen Armeen in den Folgemonaten teilweise aufzulösen. Diese von Wilhelm Deist als »verdeckter Militärstreik«259 gekennzeichneten Formen der Dienstverweigerung im Westen steigerten sich zunehmend zu einem Massenphänomen und bereiteten die spätere Revolution vom November 1918 mit vor.260 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen muss der im folgenden analysierte Vorgang im Bayerischen Kriegsministerium gelesen werden. Das erste Schreiben ging im März 1918 vertraulich von A 1a. an A 2a.: Die Truppenführung, so warnte A 1a. seine Nachbar-Abteilung, klage ständig darüber, wie schlecht die Stimmung unter den geheilten Lazarettpatienten sei, die zur Front zurückkehrten. Ebenso lasse die Disziplin der Genesenen stark zu wünschen übrig. Daran erkenne man deutlich, in welchem Ausmaß die Heimatgermanischen Werke bekannt war. Er gilt in der Forschung als ideologischer Wegbereiter und Stichwortgeber des Nationalsozialismus, vgl. Lobenstein-Reichmann; zu Chamberlain im Ersten Weltkrieg Fritz, insbes. S. 202–212; zu Warnungen vor einer »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung« seit 1918 allgemein Lipp, Meinungslenkung, S. 233 f. 255 Die Armee-Abteilung war eine Unterabteilung des Bay. Kriegsministeriums. Ihr Referat 1a. (hier: A 1a.) war zuständig für den Generalstabsdienst. Konkret bearbeitete es alle »auf die Organisation, Formation, Erhaltung des Heeres in der Kriegsstärke und Abrüstung bezügl. Fragen«, vgl. dazu Geschäftseinteilung des Bay. Kriegsministeriums, 15.05.1917, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./254. Das Referat 2 (hier: A 2a.) war zuständig für »Allgemeine Dienstangelegenheiten, Angelegenheiten der Infanterie, Jäger und M. G. Truppen«. 256 Zentral für den hier besprochenen Zeitraum sind die ersten beiden Frühjahrsoffensiven des Jahres 1918: Das »Unternehmen Michael« vom 21.03.–05.04.1918 an der Somme sowie die »Operation Georgette« (oder »Vierte Flandernschlacht«) vom 09.–29.04.1918 an der Lys, vgl. Kitchen; Zabecki, S. 113–205. 257 Vgl. Deist, Zusammenbruch, S. 223. 258 Vgl. ebd., S. 225. 259 Deist, Verdeckter Militärstreik. 260 Vgl. Deist, Zusammenbruch, S. 230; vgl. zu den Auflösungserscheinungen auch Ziemann,  B., Gewalt, S. 120–153; Watson, Enduring, S. 184–231; Lipp, Meinungslenkung, insbes. S. 146.

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lazarette inzwischen »Brutstätten für üble Stimmungsmache«261 geworden seien. Diese dramatischen Aussagen griff A 2a. in seinem Antwortschreiben direkt auf: »A 1a. ist vollkommen darin beizupflichten, daß die Lazarette Brutstätten für üble Stimmungsmache sind.«262 Grund dafür sei zum einen die Tatsache, dass die Verwundeten und Kranken in den Heimathospitälern »den Einflüssen u. Einflüsterungen ihrer Verwandtschaft u. Bekanntschaft […] besonders ausgesetzt« seien. Die Patienten teilten sich das Gehörte später gegenseitig mit und so »unterliegen auch manche sonst gesinnungstüchtige Leute der Verhetzung.« Zum anderen seien viele der dort tätigen Ärzte noch nie an der Front gewesen. Daher würden weder sie die Mannschaften mit dem nötigen Verständnis behandeln, noch die Kranken sie umgekehrt respektieren. »Daß unter diesen Ärzten verhältnismäßig viele mosaischen Glaubens sich befinden, läßt sich wohl nicht bestreiten.« Die Abteilung bitte M. darum, »sich zu dieser Frage zu äußern.« In diesen beiden Schreiben klingen bereits zwei Themen an, die aus Sicht der Heeresverwaltung in der Stimmungsfrage zentral waren. Beide Referate der Armee-Abteilung  – also einer Unterbehörde des Kriegsministeriums, die selbst nicht zum Medizinalbereich gehörte  – bezeichneten die Heimatlazarette übereinstimmend als »Brutstätten übelster Stimmungsmache«. Damit verorteten sie die Gefahrenquelle klar in der Sphäre des Heimatsanitätswesens: Die schlechte Stimmung, die teilweise an der Front beklagt werde, habe nichts mit der Situation im Feld zu tun, sondern komme eigentlich von hinten, aus den Krankenhäusern. Zudem nutzten beide Referenten den Begriff der »Brut­ stätte«.263 Er transportierte das Bild, dass in den Lazaretten über längere Zeit etwas ausgebrütet werde, etwa üble Pläne oder, um in der Metapher zu bleiben, ein fremdes Ei. Zusätzlich knüpfte er an medizinisch-hygienische Begrifflichkeiten an: Das Krankenhaus erschien in diesem Sinne als Brutstätte für schädliche Keime, etwa den »Unzufriedenheitsbazillus«,264 die in diesem Biotop den richtigen Nährboden fanden, um zu wachsen und zu wuchern. Auf diese Weise präsentierten die Referenten der Armee-Abteilung das Problem der »schlechten Stimmung«, ähnlich wie viele Ärzte, als eine Art Infektionskrankheit, die sich vom Krankheitsherd Lazarett aus verbreitete.265 Damit verschoben sie die 261 A 1a. [Bay. Kriegsministerium, Armee-Abteilung, Referat 1a] an A 2a, ca. 01.03.1918, in: BayHStA MKr/2341. 262 Zitate im Folgenden aus: A 2a [Bay. Kriegsministerium, Armee-Abteilung, Referat 2a] an A 1a und M [Medizinal-Abteilung], ca. Mitte März 1918, in: BayHStA MKr/2341. 263 Auch andere Militärärzte verwendeten diesen Ausdruck, so etwa rückblickend Wilhelm His, demzufolge die Vereinslazarette »Brutstätten für Drückeberger« gewesen seien, His, Die Front, S. 84. Das sächsische Sanitätsamt XII. AK. betonte wiederum, wie wichtig es sei, die Patienten »aus dem stumpfen Hinbrüten in den Lazaretten und Genesungsheimen herauszureissen«, Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 45, in: HStAD 11348/3001. 264 Horion, S. 167. 265 Vgl. mit diesem epidemischen Erklärungsansatz auch Reservelazarett München G an das Sanitätsamt I. AK., 14.05.1918; Reservelazarett München B an den Stv. Korpsarzt I. AK., 16.05.1918, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115.

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sinkende Truppenmoral in den Bereich des Medizinischen, Pathologischen und in das Seuchengebiet Heimat. Das zweite in den beiden Schreiben angedeutete Thema war das Misstrauen gegenüber jüdischen Ärzten, die sich angeblich in der Heimat herumdrückten. Diese Aussage muss vor dem Hintergrund antisemitischer Vorwürfe der Kriegszeit gelesen werden, wonach wehrpflichtige Juden zahlreich versuchten, sich dem Frontdienst zu entziehen und mit sicheren Posten in der Heimat oder Etappe unterzukommen. Die vielfachen Denunziationen völkischer Organisationen und höherer Offizierskreise führten dazu, dass das Preußische Kriegsministerium am 11. Oktober 1916 die sogenannte »Judenzählung« im Heer anordnete, um die Vorwürfe zu überprüfen.266 Da es die Ergebnisse aber nie offiziell publik machte,267 konnte das Feindbild des »jüdischen Drückebergers« das Kriegsende unbeschadet überdauern. Im Schriftwechsel der bayerischen Armee-Abteilung findet sich nun eine frühe medizinische Auslegungsvariante dieses Schuldnarrativs. Zusammen mit der anderen These, dass die schlechte Stimmung aus der Heimat (vor allem aus den Lazaretten) komme, legten Positionen wie diese das argumentative Fundament für die späteren Varianten der Dolchstoßlegende.268 Karl von Seydel, der Chef der bayerischen Medizinal-Abteilung, der von A 2a. um eine Stellungnahme gebeten worden war, reagierte auf das ihm präsentierte Erklärungsmodell abwehrend und geradezu gekränkt. Warum machte man seiner Abteilung solche Vorwürfe? Schließlich stimme es nicht, so der bayerische Generalstabsarzt in seinem Antwortbrief, dass in den Heimatlazaretten hauptsächlich jüdische Mediziner eingesetzt seien. Ebenso sei es falsch, »daß in manchen Lazaretten eine große Anzahl von Ärzten ist, die nie an der Front war, und daher bei den vom Felde kommenden Leuten wenig Achtung genießen.«269 Inzwischen sei fast jeder Arzt irgendwann an der Front gewesen, einschließlich der jüdischen Vertreter. Doch nach dieser Verteidigungsrede legte von Seydel seine eigenen antijüdischen Vorbehalte offen: Auch ihm erscheine »die Judenfrage bei den Sanitätsoffizieren eingehender Beachtung wert«, schrieb er. Er habe bereits kurz nach der Mobilmachung »vertraulich an die stellv. Korpsärzte die Weisung ergehen lassen, die jüdischen Ärzte nicht in Vertrauensstellungen (Untersuchungen bei den Bezirkskommandos) zu verwenden.« Es sei in der Tat ein Problem, dass sich von Jahr zu Jahr immer mehr Juden ins Medizinstudium »hineindrängten«: 266 Vgl. überblicksartig Sieg; Ullrich, »Nun sind wir gezeichnet«. 267 Die Ergebnisse brachten eine klare Entlastung, da der Anteil der jüd. Kriegsteilnehmer bezogen auf die jüd. Bevölkerung etwa dem Anteil der Kriegsteilnehmer der nichtjüd. Gesamtbevölkerung entsprach, vgl. Sieg. 268 Vgl. zur Grundsteinlegung der späteren Dolchstoßtheorie im letzten Kriegsjahr Lipp, Meinungslenkung, S. 297–306; Bruendel, Volksgemeinschaft, S. 191–193; Meteling, Ehre, S. 366–369; allgemein zum »Dolchstoß« Hiller v. Gaertringen; Barth; Krumeich, Die Dolchstoß-Legende. 269 Zitate im Folgenden aus: M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von ­Seydel], an A. [Armee-Abteilung], 05.04.1918, in: BayHStA MKr/2341.

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»[E]s muß daher unbedingt – was sich natürlich nicht durch Erlasse, sondern nur auf anderem Wege erreichen läßt  – nach der Demobilmachung dafür gesorgt werden, daß das Hineindrängen der Juden unter die Sanitätsoffiziere der Reserve keinen zu großen Umfang annimmt. Wenn A in dieser Beziehung M unterstützen würde, so wäre dies nur zu begrüßen.«

Diese raunenden Äußerungen des bayerischen Generalstabsarztes, wonach der militärärztliche Berufsstand von Juden schleichend unterwandert werde, lassen erkennen, dass der militärtypische Antisemitismus auch vor dem Sanitätswesen keinen Halt machte. Allerdings äußerten die Behördenvertreter entsprechende Aussagen nur vertraulich, im internen Schriftwechsel. In offiziellen Erlassen oder Fachartikeln finden sie sich an keiner Stelle, wie auch von Seydel in seinem Brief selbst andeutet. Trotz seiner antisemitischen Einstellung betrachtete der bayerische Generalstabsarzt jüdische Ärzte nicht als Verursacher schlechter Stimmung im Lazarett.270 Auch die Insassen wollte er nicht als Störelemente verstanden wissen – ihre teilweise Niedergeschlagenheit sei »menschlich begreiflich«271 und nur vorübergehend. Die Schuldigen dürften nicht innerhalb der Hospitäler gesucht werden. Es sei genau andersherum: »Die schlechte Stimmung wird von außen, in der Hauptsache durch die nicht zu verhindernden Besuche in die Lazarette hineingetragen und findet dort bei den Leuten in Anbetracht der gegenwärtigen Ernährungsverhältnisse den günstigsten Boden; ähnliche Beobachtungen sind bereits im Frieden gemacht worden.«272

Mit dieser Diagnose wusste der bayerische Generalstabsarzt viele Militärärzte hinter sich: Der Einfluss der »Zivilbevölkerung, insbesondere der nahen Angehörigen«,273 die zahlreiche Gerüchte und Unwahrheiten in den Kranken­stuben verbreiteten, bedrohte auch nach Ansicht vieler andere Sanitätsoffiziere die Zuversicht und den Heilungswillen der Patienten.274 Mütter, Schwestern und Ver-

270 Anne Lipp betont, dass die Militäreliten auch jüdische Soldaten nicht als Hauptgefahr für das »Durchhalten« identifizierten; erst nach Ende des Krieges lancierten sie diese Deutung, Lipp, Meinungslenkung, S. 234. 271 M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel], an A. [Armee-Abteilung], 05.04.1918, in: BayHStA MKr/2341. 272 M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel], an A. [Armee-­ Abteilung], ca. Ende März / A nfang April 1918, in: BayHStA MKr/2341. Hier handelt es sich um einen ersten kurzen Brief von Seydels an die Armeeabteilung, auf den dann kurze Zeit später der ausführlichere Brief vom 05.04.1918 folgte. 273 Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 18, in: HStAD 11348/3001. 274 Vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 19.09.1914, in: BayHStA Stv.GenKdo.II.AK.SanA./39; Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 10, in: BA-MA PHD 6/197; Württ. Kriegsministerium, 22.06.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 46. Psychiater warnten bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts,

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lobte müssten sich beim Krankenbesuch zusammenreißen, hieß es immer wieder, um den Soldaten ihr Los nicht noch schwerer zu machen.275 Der bayerische Generalstabsarzt beabsichtigte mit seiner Antwort offenbar vor allem, zu beweisen, dass es in seinem Verantwortungsbereich – unter den Sanitätsoffizieren und den Patienten – keine Vaterlandsverräter gab, auch nicht unter den Juden. Die Lazarette seien moralisch intakt und militärisch funktional. Eine Gefahr komme, wenn überhaupt, von außen. Von Oberleutnant Schmidts Theorie einer vaterlandsfeindlichen Organisation, die in den Heimatlazaretten ihr Unwesen treibe, zeigte sich von Seydel allerdings nicht überzeugt. Für eine solche Behauptung lägen »zurzeit nicht die geringsten Anhaltspunkte vor.«276 »Ich glaube«, schloss von Seydel seinen Brief, »seit Beginn meiner Tätigkeit als Generalstabsarzt stets bewiesen zu haben, daß ich begründeten Beschwerden nachging und Verstöße gegen jede Art des Lazarettbetriebes rücksichtslos abstellte. Ich möchte daher zu bedenken geben, ob diese Grund­ lagen […] wirklich hinreichend sein können, um […] so schwere Vorwürfe gegen eine Einrichtung und einen Stand zu erheben, der in diesem Feldzuge anerkanntermaßen seine Pflicht in vollstem Maße erfüllt hat.«

Der schlaglichtartige Einblick in die Debatten innerhalb des Bayerischen Kriegsministeriums macht vor allem eines deutlich: Spätestens seit dem Frühjahr 1918 verhandelten die Militärbehörden anhand der »schlechten Stimmung im Heimatlazarett« die sich ankündigende deutsche Niederlage. Früh versuchten sie abzustecken, wer dafür jetzt und in Zukunft verantwortlich gemacht werden konnte. Dabei ging es implizit auch um die Frage, ob sich das Militär im Krieg uneingeschränkt auf seinen Sanitätsdienst verlassen konnte: Waren Lazarettärzte und Medizinalbehörden tatsächlich durchsetzungsfähig genug, um die Disziplin und Stimmung der Soldaten in ihren Einrichtungen aufrechtzuerhalten? Oder mussten sie daran scheitern, weil sie keine vollwertigen Militärakteure waren, sondern janusköpfig – halb Offizier, halb Arzt? Somit wurde in den Stimmungsdiskussionen die neue Rolle der Militärmedizin im modernen Massenkrieg mitverhandelt. Sie hatte eine ungleich höhere Bedeutung als in früheren dass Angehörige den Gesundungsprozess bei Insassen ziviler Irrenanstalten verzögerten, vgl. Mählmann u. Borck, S. 232 f.; 240 f.; Hess u. Ledebur, S. 29. 275 Vgl. bezügl. Kriegsneurotikern Lerner, Hysterical, S. 147 f. Diese Kritik war eine Variante der behördlichen Warnungen vor »Jammerbriefen« aus der Heimat ins Feld, vgl. Lipp, Meinungslenkung, S. 282–286. 276 Zitate im Folgenden aus: M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel], an A. [Armee-Abteilung], 05.04.1918, in: BayHStA MKr/2341. Drei Wochen später revidierte von Seydel allerdings diese Position. In einem neuen Erlass warnte nun auch er davor, »daß landesfeindliche Organisationen in den Heimatlazaretten einen geeigneten Boden zu finden glauben, von dem aus sie Unzufriedenheit und Mißmut im deutschen Heimatgebiet zu verbreiten hoffen«, M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung], Karl von Seydel, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 27.04.1918, in: BayHStA MKr/2341. Was den Ausschlag zu dieser Neubewertung gegeben hat, lässt sich nicht rekonstruieren.

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bewaffneten Konflikten erlangt277, die mit mehr Verantwortung einherging, aber auch mehr Angriffsfläche bot. Nach außen wehrten sich die führenden Militärmediziner vehement gegen alle militärischen Delegitimierungsversuche; nach innen aber prangerten sie selbst das unpatriotische Verhalten mancher Ärzte oder Patienten aufs Schärfste an. Die Diskussionen um die Ursache der schlechten Stimmung, die sich im Kleinen im Schriftwechsel innerhalb des Bayerischen Kriegsministeriums zeigen, fanden im Großen auch darüber hinaus zwischen Akteuren der Heeresverwaltung und Lazarettärzten statt. Auch hier standen sich zwei Erklärungsmodelle, ein internes und ein externes, gegenüber. Die Vertreter des externen Ansatzes, die also die Stimmungsgefahr von außen in die Lazarette eindringen sahen, stellten – neben den Besuchern – vor allem Urlauber278 und frisch Verwundete und Erkrankte unter Agitationsverdacht. Diese Deutung verbreitete im März 1918 Kriegsminister Hermann von Stein. Mit ihren »Erzählungen und Schilderungen von der Front« schädigten solche Soldaten »den Geist in der Heimat«.279 Die Vertreter des internen Erklärungsmodells argumentierten genau umgekehrt: Die Hauptquelle des Übels, so etwa der Chef des Nürnberger Sanitätsamts III. Armeekorps, sei nicht an der Front zu suchen, da die Stimmung bei den von dort kommenden Kranken »durchgehend eine sehr gute«280 sei. Der Gefahrenherd befinde sich innerhalb der Heimatlazarette.281 Als besonders destabilisierender Faktor galt hier der Kontakt der frisch Verwundeten zu den Garnisonkranken sowie zu erregten Kriegsneurotikern und »einzelne[n] Schwätzer[n]«282 auf den Krankenstuben.283 Manche Stimmen identifizierten sogar das Pflegepersonal als Unruhequelle. Sein Einfluss auf die Kranken, so etwa der sächsische Vertrauensmann Engelhard, sei »von nicht zu unterschätzender Bedeutung.« Infolge des alltäglichen Kontakts zum Patienten wirke das Personal emotional »weit intensiver 277 Vgl. etwa Kienitz, Fleischgewordenes, S. 223 f. 278 Urlauber galten schon seit Ende 1915 als prekäre Gruppe, die in den Familien und Wirtshäusern dazu neigten, sich negativ über ihre Fronterfahrungen zu äußern, vgl. Ziemann, B., Front, S. 123–125; Höffler, S. 70 f. 279 Preuß. Kriegsminister Hermann von Stein an das Bay. Kriegsministerium u. a., 30.08.1918, in: BayHStA MKr/2345; vgl. ähnlich Sanitätsamt I. AK., 28.08.1918, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK./739. 280 Stv. Korpsarzt III. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 18.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 281 Vgl. Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 12.02.1918, darin: Besprechungen mit den Vertrauensmännern, in: BayHStA MKr/2340; Reservelazarett München G an das Sanitätsamt I. AK., 14.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115; Hellpach, Lazarettdisziplin, S. 1209. 282 Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 10.06.1918, in: BayHStA MKr/2344. 283 Vgl. Stv. Korpsarzt III. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 18.05.1918, in: BayHStA MKr/2342; Wagner; Reservelazarett Landsberg an das Sanitätsamt I. AK., 14.05.1918; Reservelazarett Benediktbeuern an das Sanitätsamt I. AK., 15.05.1918, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115.

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auf denselben als irgend eine andere Person und reisst mit einem Male alles das nieder, was mühsam aufgebaut ist.«284 Wenn beispielsweise die Krankenwärter unzufrieden seien, weil sie zu niedrige Essensrationen bekämen, könnten sie ihre Pfleglinge mühelos gegen die Lazarettleitung aufstacheln. So schoben Behördenvertreter und Vertrauensleute den schwarzen Peter der Stimmungsverschlechterung von einer Verdachtsgruppe zur nächsten.285 Dass sie sich bis zuletzt nicht einigen konnten, woher die sinkende Moral kam, ist nicht überraschend. Denn sie diskutierten erstens über einen Missstand, den es offiziell gar nicht geben durfte oder höchstens vereinzelt – die Stimmung unter den Patienten war ja, so versicherten sich alle Dienststellen gegenseitig, »allgemein zuversichtlich und gehoben«286 –, der sich zweitens begrifflich nicht klar fassen ließ und dessen tiefere Ursachen, drittens, zu einem großen Teil tabuisiert waren. So war etwa der Eindruck vieler Soldaten spätestens seit der MichaelOffensive im März 1918, dass der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte und sie selbst im Lazarett nur behandelt wurden, um bald erneut sinnlos an der Front verheizt zu werden,287 als berechtigter Grund für wachsende Unzufriedenheit nicht kommunizierbar. Insgesamt ging es in den Stimmungsdebatten immer auch um den Stellenwert des Heimathospitals im militärischen Gefüge. Je nach Sichtweise changierte seine Position zwischen erfolgreicher Wiederherstellungsanstalt und sozialem Unruheherd hin und her. In dieser widersprüchlichen Gemengelage setzte sich innerhalb des Sanitätsdienstes die folgende Sprechweise durch, die fast alle seine Vertreter übernahmen: Ein Lazarettaufenthalt sei zwar nützlich und militärisch gewinnbringend – er dürfe aber nicht zu lange dauern. Sonst kippe der positive Effekt der Behandlung ins Gegenteil, zumal die Heimat zunehmend Einfluss auf die Insassen gewinne. Da ebenso Sachgründe gegen ausgedehnte Krankenhauszeiten sprachen – hohe Kosten, Bettenknappheit, fehlender Ersatz an der Front – fand sich hier ein gemeinsamer Nenner aller Dienststellen. So setzte sich die Konsensstrategie der »beschleunigten Herausziehung«288 von Soldaten aus den Lazaretten durch. Wie eine Universalwaffe versprach sie, viele Missstände auf einmal zu lösen, sogar das heikle Stimmungsproblem, denn sie war so einfach wie radikal: Wenn sich die Soldaten nicht mehr im Heimathospital befan284 Vertrauensmann Engelhard beim Reservelazarett Zittau, 15.02.1918, in: HStAD 11348/3360, fol. 333; ebenso bereits Vertrauensmann Engelhard beim Reservelazarett Zittau, 15.11.1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 93 f. 285 Ähnliche Schuldverschiebungsprozesse fanden auch zwischen Heimatbehörden und Frontkommandeuren statt, vgl. Ziemann, B., Front, S. 121 f.; dazu auch Lipp, Meinungslenkung, S. 313. 286 Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 09.05.1918, in: BayHStA MKr/2343. 287 Vgl. dazu Deist, Zusammenbruch, insbes. S. 223; Höffler, S. 74. 288 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, in: BA-MA PHD 6/197.

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den, konnte sich auch ihre Stimmung dort nicht verschlechtern. Sie waren aus der Risikozone heraus, in der sie labil »herumlagen«, und kehrten idealerweise in einen streng militärischen oder betrieblichen Arbeitskontext zurück. In anderen Worten: Je weniger Zeit ein Soldat im Lazarett verbrachte, desto geringer wirkten sich aus Sicht der Behörden auch die möglichen Gefahren dieser Übergangszone auf ihn aus, in der sich frustrierte Frontsoldaten, eine jammernde Heimatgesellschaft, zahlreiche Kriegsneurotiker und viel zu viele Frauen zu einer explosiven Mischung verdichteten. Mit einer solchen Argumentation hatte der Sanitätsdienst das Stimmungsproblem externalisiert: Das Militärkrankenhaus als Institution konnte weiter als positiver Erfolgsort aufrechterhalten werden, während sein räumliches Umfeld, die Heimat und seine Bevölkerung, als die eigentliche Gefahrenquelle markiert war.

4.3 Militärische Gegenreaktion: Neue Propaganda- und Kontrollmaßnahmen Um die vieldiskutierten »Gefahren der Heimatlazarette«289 abzuwehren, ergriffen die Sanitätsbehörden schon bald Gegenmaßnahmen. Mehrere Strategien waren dabei leitend, von denen eine, die beschleunigte Entlassung von Patienten, bereits beschrieben worden ist. Darüber hinaus ruhte ihr Vorgehen auf zwei Säulen, die auch in einem übergeordneten Sinn für das behördliche Handeln im Ersten Weltkrieg bestimmend waren: auf Überwachung und Propaganda. Einerseits versuchte also die Heeresverwaltung seit 1915, die Heimathospitäler noch schärfer zu kontrollieren und bei Bedarf maßregelnd einzugreifen. Andererseits bemühte sie sich ab dem Sommer 1917 zusätzlich darum, durch gezielte stimmungshebende Aktivitäten eine innere Mobilisierung von Insassen und Personal zu erreichen. So kombinierte sie Maßnahmen zur äußeren Disziplinierung der Lazarettakteure mit Anreizen zur Selbstdisziplinierung.290 Im Folgenden werden drei zentrale Gegenmaßnahmen genauer untersucht: erstens der sogenannte »Vaterländische Unterricht«, zweitens die Einrichtung von »Beobachtungslazaretten« und drittens die Einführung neuer Kontrollinstanzen. Indem die Heeresverwaltung auf diese Weise in das bisherige Organisationsschema eingriff, versuchte sie, den Bedrohungsraum Lazarett zu entschärfen und die eigene militärische Vorrangstellung vor Ort sichtbar zu behaupten. In diesem Sinne lässt sich bei den hier analysierten Vorgängen von Hegemonialkämpfen um den Raum des Krankenhauses sprechen.

289 His, Die Front, S. 86. 290 Vgl. zur militärischen Disziplinierung grundlegend Bröckling.

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4.3.1 Stimmungsstrategie: »Vaterländischer Unterricht« für Lazarettinsassen Ähnlich wie im Heer fanden die militärischen Verantwortlichen in den Heimatlazaretten nur wenige Antworten auf die von ihnen diagnostizierten Stimmungsverschlechterungen unter den Soldaten.291 In der Hauptsache versuchten sie, die Moral auf den Krankenstationen durch sogenannte »Aufklärungsarbeit« sowie ein flankierendes Unterhaltungsprogramm zu verbessern. Vor allem der »Vaterländische Unterricht«, den die Dritte Oberste Heeresleitung im Juli 1917 für das Heer angeordnet hatte und der ebenso auf die Zivilbevölkerung ausgedehnt wurde, spielte dabei eine zentrale Rolle.292 Beim Feldheer umfassten die unter dem Sammelbegriff »Vaterländischer Unterricht« bezeichneten Propaganda-Aktivitäten unter anderem belehrende Vorträge, Kino- und Theatervorführungen, Predigten von Militärgeistlichen sowie das Verteilen von Broschüren und Plakaten.293 Doch diese Maßnahmen stießen bei den Soldaten auf wenig Gegenliebe. Laut Benjamin Ziemann lag die größte Schwierigkeit darin, dass sich die Truppen für die rhetorisch oft schwachen Vorträge der Unterrichtsoffiziere nicht interessierten. Manche Soldaten schliefen während der Präsentationen ein oder erschienen erst gar nicht, wenn die Veranstaltungen außerhalb ihrer Dienstzeit stattfanden. Insgesamt, so Ziemanns Fazit, sei der Vaterländische Unterricht im Heer weitgehend gescheitert.294 In Anbetracht dieser Widerstände an der Front und in der Etappe rückten die Heimatlazarette als interessante alternative Wirkungsstätten ins Blickfeld der Behörden. In ihrer Eigenschaft als militärisch-zivile Übergangsräume boten sie verschiedene Möglichkeiten, wenigstens auf die dort befindlichen Soldaten Einfluss zu nehmen. Ähnlich wie im Feldheer – allerdings dezentraler organisiert als dort  – führten bestimmte Mittelspersonen, die sogenannten »Vertrauensleute«295 (auch »Vertrauensmänner« oder »Obmänner« genannt), den Vaterländischen Unterricht in den Militärkrankenhäusern durch.296 Wie viele Vertrauensleute pro Korpsbezirk tätig waren und welche Art von Aufklärungsarbeit sie in den Heimatlazaretten genau durchführten, war zwar zu keinem Zeitpunkt 291 Vgl. für die Heeresaufklärung Deist, Zusammenbruch, S. 218. 292 Zur Aufklärungstätigkeit innerhalb des Kaiserreichs Mai, »Aufklärung«; Stegmann; Schmidt, A., S. 77–79; 170–172. Über den Vaterländischen Unterricht in der Armee Lipp, Meinungslenkung, S. 62–89; zur Einführung im Inland Altenhöner, Kommunikation, S. 58 f.; 92f; Pöhlmann, Vaterländischer Unterricht. 293 Vgl. Ziemann, B., Front, S. 129; Lipp, Meinungslenkung, S. 74–87. 294 Vgl. Ziemann, B., Front, S. 129–137, hier insbes. S. 129 f. 295 Zu Vertrauensleuten im Ersten Weltkrieg Schmidt, A., S. 204 f.; Altenhöner, Kommunikation, S. 92 f.; zum Vertrauensmännersystem in Industrieunternehmen des 19. Jahrhunderts Frevert, Vertrauen, S. 46–48. 296 Im Heer waren hierfür die »Aufklärungsoffiziere« zuständig, vgl. Lipp, Meinungslenkung, S. 70.

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des Krieges einheitlich geregelt.297 Doch als gemeinsame Aufgabe verband alle Vertrauensmänner, dass sie die Stimmung diskret beobachten, dokumentieren und verbessern sollten. Als besonders geeignet für diese Aufgabe galten Sanitätsoffiziere,298 vor allem Chefärzte, sowie Beamte im Offiziersrang; neben ihnen waren aber auch Geistliche, Krankenwärter, Krankenschwestern oder sogar zuverlässig erscheinende Lazarettinsassen als Hilfsvertrauensleute im Einsatz.299 Als effektivste Methode, um an die Soldaten heranzukommen, galten persönliche Unterhaltungen am Krankenbett »von Mann zu Mann«.300 Dabei falle den Lazarettinsassen die Propaganda-Absicht in der Regel kaum oder gar nicht auf.301 Besonders gut sei der Arzt für diese Art der Ansprache geeignet. Es empfehle sich, dass er bei seinem täglichen Krankenbesuch nicht nur medizinische Fragen thematisiere, sondern auch »auf berufliche und häusliche Angelegenheiten der Leute eingeht, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Unterhaltung mit den Einzelnen ist möglichst so laut zu führen, daß sie auch den in der Nähe liegenden andern Kranken zugute kommt.«302 Selbst vor Schwerverletzten sollte die Stimmungsarbeit nicht halt machen. Im Gegenteil: Dass die Heimatlazarette auch einen direkten Zugriff auf diese Personengruppe boten, erschien als ihr besonderer Vorzug. Bettlägerige Patienten konnten zwar an keinen Aufklärungsveranstaltungen teilnehmen,303 doch den direkten Ansprachen in ihrem Krankensaal mussten sie notgedrungen zuhören. Vor diesem Hintergrund legten die Militärbehörden großen Wert auf Propagandaplakate304 in den Krankenzimmern oder an allen »Stellen des Lazaretts 297 Vgl. dazu Protokoll der Obmännersitzung vom 05.07.1918 an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung u. a., in: BayHStA MKr/2343. 298 Vgl. etwa Kriegspresseamt an sämtl. Stv. Generalkommandos, 29.08.1917, in: HStAD 11348/3387, fol. 2. 299 Zu Ärzten als besonders geeigneten Vertrauensleuten: Kriegspresseamt an sämtl. Stv. Generalkommandos, 29.08.1917, darin: Prof. Zimmermann an Feldmarschall von Hindenburg, in: BayHStA MKr/2334; zu Lazarettpatienten als Vertrauensleuten: Mitteilungen des Bay. Kriegsministeriums für Truppenaufklärung, Nr. 2, 01.10.1917, in: BayHStA MKr/2335; zu Krankenschwestern: Bay. Kriegsministerium, von Hellingrath, an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 16.07.1918, darin: Zusatz des Stv. Generalkommandos I. AK., 28.07.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115. 300 Obmann beim Stv. Generalkommando. II. AK. r. d. Rh. Leutnant d. L. Memminger an das Bay. Kriegsministerium, 04.07.1918, in: BayHStA MKr/2344. 301 Vgl. auch Versammlung der Unterrichtsoffiziere und Helfer für den vaterländischen Unterricht im Bezirk des Stv. Generalkommandos VI. AK., 01.07.1918, in: BayHStA MKr/2344; Protokoll der Obmännersitzung vom 05.07.1918 an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung u. a., in: BayHStA MKr/2343. 302 Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht Nr. 28, 28.08.1918, darin: Lazarettberatung und Verwundeten-Unterricht, in: BayHStA MKr/2345; vgl. auch Sanitätsamt XIII. AK., 16.10.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 53, fol. 34. 303 Vgl. Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht. Ausgabe für die Heimat Nr. 13, 04.04.1918, in: BayHStA MKr/2341. 304 Vgl. allgemein zur deutschen Bildpropaganda im Ersten Weltkrieg Brocks, »Unser Schild«; Verhey, »Helft«.

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[…], wo Mannschaften warten müssen, damit die Drucke von möglichst vielen derselben beachtet werden.«305 Wer lange im Bett lag und sich langweilte, so die Idee, dessen Blick würde unweigerlich immer wieder über die Plakate im Zimmer schweifen bis sich ihre Botschaft irgendwann in den Köpfen festsetzte. Die meisten Abbildungen kamen vom Kriegspresseamt, andere von örtlichen Kunstdruckverlagen. Ein bekanntes Beispiel stellt der Druck »Durchhalten!« des Simplicissimus dar, andere trugen etwa die Titel »Englands Absicht« oder »An Euch«.306 Damit das Interesse der Kranken an der Zimmerdekoration nicht »abstumpft und erlahmt«,307 sollten die Chefärzte die Plakate regelmäßig austauschen. Darüber hinaus hielten die Vertrauensleute vor allem Vorträge und Lichtbildvorführungen in den Lazaretten ab.308 Die Themen ähnelten jenen des Vaterländischen Unterrichts im Feldheer und bedienten ein breites Spektrum: Einerseits ging es um militärstrategische oder tagespolitische Fragen, andererseits sprachen die Vertrauensleute über touristische, historische oder volkswirtschaftliche Aspekte.309 Dass das Militär auch in den Heimatlazaretten seit 1917 intensiv Propaganda betrieb, hat die Forschung bisher vernachlässigt.310 Dabei versprach sich die Heeresverwaltung gerade von der hier stattfindenden Stimmungsarbeit große Erfolge.311 Das lag an der speziellen Lebenssituation der Lazarettinsassen: Zwar galten die Verwundeten und Kranken negativ betrachtet als ein Problempublikum, das sich immer wieder als besonders anfällig für schlechte Stimmung und »Verhetzung«312 gezeigt hatte. Diese Manipulierbarkeit implizierte im Umkehr-

305 Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, an alle Chefärzte, 04.09.1917, in: HStAD 11348/3388; vgl. dazu auch Vertrauensmann Schmidt an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 18.12.1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 216. 306 Vgl. Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht. Ausgabe für die Heimat Nr. 13, 04.04.1918, in: BayHStA MKr/2341; Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, an den Verlag des »Simplicissimus« München, 31.08.1917; Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 05.11.1917, beide in: HStAD 11348/3388, fol. 19 und fol. 204. 307 Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 05.11.1917, in: HStAD 11348/​ 3388, fol. 204. 308 Vgl. etwa Vereinslazarett Heidenau an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 05.10.1917; Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, an Oberstleutnant z.D. von Tschammer-Osten, 05.11.1917, beide in: HStAD 11348/3360, fol. 163 und fol. 217. 309 Vgl. etwa die Vorträge im Reservelazarett Freiberg, Aufklärungs-Abteilung, an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, Bericht, 13.10.1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 11; Reservelazarett Löbau an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungsabteilung, 09.03.1918, in: HStAD 11348/3361, fol. 5 f. 310 So etwa im einschlägigen Aufsatz von Mai, »Aufklärung«, insbes. S. 217. 311 Vgl. etwa Oberleutnant d. L. Luitpold Weegmann an das Stv. Generalkommando II. AK., 03.03.1918, in: BayHStA MKr/2342. 312 Bay. Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 23 an die Bay. Reserve-Infanterie-Brigade, 11.10.1917, in: BayHStA MKr/2338.

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schluss jedoch zugleich, dass die Patienten »hervorragend empfänglich«313 für jede Art von gezielter »Belehrung und Beeinflussung«314 waren, also auch für vaterländisch-militärische Propaganda – mehr als gesunde Soldaten, aber auch mehr als die deutsche Zivilbevölkerung, an die die Heeresverwaltung nicht ohne Weiteres herankam. Aus diesem Grund betrachtete das Militär seine Heimatlazarette bald als vielversprechende Tätigkeitsfelder für die Propagandaarbeit. Dabei spielte auch der transitorische Charakter des Lazarettaufenthalts eine Rolle: Alle Möglichkeiten zur Stimmungslenkung, so der Vertrauensmann Luitpold Weegmann, müssten noch während der Krankenhauszeit ausgeschöpft werden. Denn im Anschluss kämen viele Insassen »zur Entlassung und werden damit dem militärischen Aufklärungsdienst entrückt.«315 Damit kam Weegmann auf die bekannte Argumentation zurück, welche die Verantwortlichen auch hinsichtlich der Berufsausbildung im Lazarett immer wieder vortrugen: Im abgeschlossenen Raum des Heimathospitals könne in vielerlei Hinsicht noch Einfluss auf die Soldaten genommen werden – notfalls indem man den entsprechenden Unterricht per Befehl anordnete. Und diese Gelegenheit, so betonten zahlreiche Vertreter der Heeresverwaltung, dürfe nicht ungenutzt verstreichen. Das Lazarett solle im Idealfall »nicht nur Gesundheit  – den Status quo ante  – wiederhergestellt, sondern Neues geschaffen, Eroberung gemacht haben im Geiste des V[aterländischen]. U[nterrichts]. zum Wohle des Vaterlandes.«316 In Aussagen wie dieser, mit ihrer kriegerisch-industriellen Semantik, erhielt das Militärkrankenhaus eine gesellschaftlich aktive Rolle, die weit über die Aufgaben einer ärztlichen Reparaturwerkstatt hinausging: Es sollte eine zukunftsgerichtete Produktionsstätte sein, in der der Sanitätsdienst nicht nur alte Wunden heilte, sondern auch neue Werte schuf und auf seelischen Eroberungsfeldzug ging. Daneben spielte noch eine weitere Überlegung der Militärbehörden eine Rolle: Ihre Propaganda-Bemühungen richteten sich auch deshalb so energisch auf die Heimatlazarette, weil sie darauf spekulierten, dass eine »gute Stimmung« unter den Verwundeten und Kranken weitere Kreise ziehen würde. Aus ihrer Sicht waren Volk und Heer durch »tausende von Fäden«317 miteinander 313 Aufzeichnung über die Besprechung mit den Leitern des Vaterländischen Unterrichts an der Ostfront, Warschau, den 03. und 04.07.1918, hier: Ausführungen des Hauptmann v. Dewitz-Krebs, in: BayHStA MKr/2346. 314 Aufzeichnung über die Besprechungen mit den Leitern des vaterländischen Unterrichts in Charleville, Warschau und Sofia, hier: Ausführungen des Oberstleutnants Nicolai, 24.08.1918, in: BayHStA MKr/2346. 315 Oberleutnant d. L. Luitpold Weegmann an das Stv. Generalkommando II. AK., 03.03.1918, in: BayHStA MKr/2342. 316 Aufzeichnung über die Besprechung mit den Leitern des Vaterländischen Unterrichts an der Ostfront, Warschau, den 03. und 04.07.1918, hier: Ausführungen des Hauptmann v. Dewitz-Krebs, in: BayHStA MKr/2346. 317 Chef des Generalstabes des Feldheeres Paul von Hindenburg an sämtl. Generalkommandos u. a., Gr.H.Qu., 18.09.1916, in: BayHStA MKr/2331.

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verbunden und beeinflussten sich in direkter »Wechselwirkung«.318 In dieser Konstellation erschienen die Lazarettinsassen als nützliche Multiplikatoren: Da sie zu zahlreichen Personen engen Kontakt hatten – zu ihren besuchenden Angehörigen, den vielen Lazarett-Wohltätern und Schaulustigen aus der Stadt, und später, nach der Entlassung, zu ihren Kameraden an der Front oder den Kollegen im Beruf – hoffte das Militär, dass sie als Botschafter des Durchhaltens fungieren würden. Daher musste die Krankenhauszeit, in der sie noch »bedürftig und zugänglich«319 waren, propagandistisch geschickt genutzt werden. So versuchte die Militärführung, in den Lazaretten stimmungsmäßig das wettzumachen, was den Aufklärungsoffizieren an der Front nicht gelang. In der Praxis erwies sich allerdings bald, dass der Vaterländische Unterricht auch in den Heimathospitälern nicht so erfolgreich verlief, wie die Verantwortlichen erwartet hatten. Oft zeigten sich die verwundeten und kranken Soldaten ähnlich desinteressiert oder misstrauisch gegenüber den bis zum Überdruss gehörten Formeln von der »notwendigen Anspannung aller Kräfte«320 und vom immer noch greifbaren »Siegfrieden« wie bereits die Frontkämpfer.321 Daher ersannen die Vertrauensleute zusätzliche Methoden, um den Vaterländischen Unterricht im Lazarett aufzuwerten. Die Hauptidee war stets, zunächst herauszufinden, was den Patienten aktuell auf dem Herzen lag. Indem man ihre privaten Sorgen ernst nehme, so hieß es, gewinne man ihr Vertrauen und die Laune steige. Im zweiten Schritt müsse dieser positive Impuls zur Siegeszuversicht weitergeformt und jeder Argwohn gegen Militär oder Staat zerstreut werden.322 Eine konkrete Möglichkeit dazu stellten offene Sprechstunden der Obmänner dar. Hier konnten die Patienten ihre Alltags- und Zukunftsfragen vertraulich stellen.323 Da vielen von ihnen völlig unklar war, wie es für sie nach der Laza318 Chef des Generalstab des Feldheeres an das Bay. Kriegsministerium, 28.10.1918, in: B ­ ayHStA MKr/2347. 319 Aufzeichnung über die Besprechungen mit den Leitern des vaterländischen Unterrichts in Charleville, Warschau und Sofia, hier: Ausführungen des Oberstleutnants Nicolai, 24.08.1918, in: BayHStA MKr/2346. 320 Reservelazarett Landsberg an das Sanitätsamt I. AK., 14.05.1918, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./115. 321 Vgl. Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht Nr. 28, 28.08.1918, darin: Lazarettberatung und Verwundeten-Unterricht, in: BayHStA MKr/2345; Sitzungsbericht über die Versammlung der Vertrauensoffiziere des Stv. Generalkommandos XII. AK. in DresdenNeustadt, 28.07.1917, darin: Ansprache des Hauptmann Thierig, in: BayHStA MKr/2334. 322 Vgl. etwa Reservelazarett München B an den Stv. Korpsarzt I. AK., 16.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115; Versammlung der Unterrichtsoffiziere und Helfer für den vaterländischen Unterricht im Bezirk des Stv. Generalkommandos VI. AK., 01.07.1918, in: BayHStA MKr/2344; Stv. Generalkommando I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, 09.05.1918, in: BayHStA MKr/2343; Stv. Korpsarzt III. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 18.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 323 Vgl. etwa Vertrauensmann Schmidt an das Stv. Generalkommando XII. AK., AufklärungsAbteilung, 18.12.1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 216; Stv. Korpsarzt III. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 18.05.1918, in: BayHStA MKr/2342.

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rettbehandlung weitergehen würde, überrascht es nicht, dass das Angebot der offenen Sprechstunde beliebt war. So berichtete etwa ein Vertrauensmann aus Zittau, dass seine tägliche Lazarett-Sprechstunde völlig überlaufen sei. Er habe dabei erfahren, dass es oft wirtschaftliche Sorgen seien, »welche Unzufriedenheit hervorrufen, die sich dann von Bett zu Bett im ganzen Saal fortpflanzt.«324 Das Reservelazarett München D wiederum stellte fest, dass gutes Essen und ansprechende Unterhaltungsangebote die Stimmung der Kranken am meisten verbesserten: »Was sich hinsichtlich der Stimmungsmache einst schon im alten Rom bewaehrte, ›panes et circenses‹, spielt auch heutzutage eine nicht zu unterschätzende Rolle besonders im Lazarettbetriebe.«325 Ähnlich zeigten sich die meisten Vertrauensleute davon überzeugt, dass die »seelische Beeinflussung«326 der Patienten besonders dann gelinge, wenn vaterländische Vorträge in ein unterhaltendes Rahmenprogramm eingebettet seien327 – deutlich mehr jedenfalls, »als wenn die Leute die Absicht deutlich herausfühlen, dass in bestimmter Richtung auf sie eingewirkt werden soll«.328 Auch Freizeitprivilegien, wie verlängerte Ausgehzeiten am Abend, galten als geeignet, die Stimmung der Patienten zu heben.329 Spätestens hier wird erkennbar, dass sich die Maßnahmen zur Stimmungshebung mit anderen Methoden überschnitten, die Ärzte und Pflegepersonal bereits früher im Lazarett praktiziert hatten. Schon seit dem Jahreswechsel 1914/1915 waren sie seitens der Medizinalbehörden immer wieder aufgefordert worden, die Zuversicht und Arbeitsfreude ihrer Patienten zu reaktivieren. Solche Anweisungen standen damals allerdings nicht im Kontext einer bewussten »Stimmungshebung«; vielmehr war es den Militärbehörden zunächst nur darum gegangen, Langeweile und Melancholie unter den Patienten zu vertreiben und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Umso fließender und vertrauter gestaltete sich für die Lazarett-Verantwortlichen aber dadurch der Übergang zum Vaterlän­ dischen Unterricht mit seiner dezidierten Propaganda-Zielsetzung. Während die Patienten bisher hauptsächlich Unterrichtsangebote zur Weiterbildung erhalten hatten, kamen ab 1917 verstärkt patriotische Themen hinzu. Auch Unter324 Vertrauensmann Engelhard beim Reservelazarett Zittau, 15.11.1917, in: HStAD 11348/3497, fol.  93 f. 325 Reservelazarett München D an das Sanitätsamt I. AK., 15.05.1918, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./115. 326 Mitteilungen für den vaterländischen Unterricht Nr. 28, 28.08.1918, darin: Lazarettberatung und Verwundeten-Unterricht, in: BayHStA MKr/2345. 327 Vgl. Vertrauensmann Kämpfer, Vereinslazarett Kuranstalt Gottleuba, an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 14.12.1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 165; Stv. Korpsarzt III. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 18.05.1918, in: BayHStA MKr/2342. 328 Militärischer Rechnungsführer, Vereinslazarett Hohwald, an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, ca. Dezember 1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 226. 329 Vgl. Vertrauensmann Engelhard beim Reservelazarett Zittau, 15.11.1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 93 f.; Vertrauensmann Schmidt an das Stv. Generalkommando XII. AK., Aufklärungs-Abteilung, 18.12.1917, in: HStAD 11348/3497, fol. 216.

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haltungsangebote im Lazarett hatte es bereits seit den ersten Kriegsmonaten gegeben. Von einem Bruch kann daher nicht die Rede sein. Der Unterschied zu früher lag auf einer anderen Ebene: Während die beschriebenen Maßnahmen vor dem Sommer 1917 in den Lazaretten dezentral und unterschiedlich intensiv betrieben worden waren, mischten sich die Stellvertretenden Generalkommandos jetzt stärker ein.330 Sie benannten die Stimmungshebung explizit als Ziel, wiesen den Lazaretten konkrete Vertrauensleute zu und fragten die Lage vor Ort immer wieder ab. Es kann also vom Versuch gesprochen werden, die Stimmungsmaßnahmen zu zentralisieren und zu standardisieren. 4.3.2 Überwachungsstrategie: Beobachtungslazarette und Sanitätsinspektionen Parallel zur Propagandaarbeit verstärkten die Militärbehörden seit 1915 ihre Kontrollen in den Lazaretten. Ziel der neuen Maßnahmen war es einerseits, Disziplinprobleme, Täuschungsversuche und andere Missstände abzustellen, andererseits, verschleppte Entlassungen voranzutreiben und den Behandlungsprozess effektiver zu gestalten. Aus Sicht der Heeresverwaltung nutzten auch die vielseitigsten Stimmungsprogramme nichts, wenn die Soldaten weiterhin zu lange in den Hospitälern verblieben.331 Insgesamt ging es den Behörden darum, die verschiedenen Bedrohungen, die sie in der Übergangszone Heimatlazarett lokalisiert hatten, frühzeitig zu identifizieren und abzuwehren. Zu diesem Zweck führten sie ein ganzes Bündel an Überwachungsinstrumenten ein. Die beiden wichtigsten stellten Beobachtungslazarette und Sanitätsinspektionen dar.332 Sie waren die entscheidenden Mittel, um nicht nur sichtbare Beschleunigungserfolge vorzuweisen, sondern auch die anschwellende Masse an Kriegsneurotikern,

330 Vgl. etwa Bay. Kriegsministerium, von Hellingrath, an die Stv. Generalkommandos I.II.III. AK., 16.07.1918, darin: Zusatz des Stv. Generalkommandos I. AK., 28.07.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115. 331 Vgl. etwa Stv. Korpsarzt I. AK. an das Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Streng vertraulich!, 20.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./115. 332 Zu den sonstigen Kontrollmaßnahmen, die hier nicht genauer analysiert werden, gehörten u. a. Anweisungen aus den beiden kriegsministeriellen Beschleunigungserlassen von 1916 und 1917, die Bürokratie abbauen und schnellere Entlassungsentscheidungen ermöglichen sollten, sowie die Einrichtung von »Krankenverteilungs-« und »Sammelstellen«, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 166. In Baden richteten die Behörden ab 1916 eigene Neurotikerlazarette ein, um andere Hospitäler von dieser als ordnungs­ gefährdend geltenden Patientengruppe zu entlasten, vgl. Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 30 f. In Württemberg forderte das Sanitätsamt regelmäßig die Hauptkrankenbücher von Vereinslazaretten an, um verdächtige Fälle gezielt militärärztlich untersuchen zu können, Stv. Generalkommando XIII. AK., Denkschrift über die Erfahrungen bei der Mobilmachung im Jahre 1914 und während des Krieges, Juni 1918, in: HStAS M 77/2 Bd. 41, fol. 15. 

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inneren Kranken und vermuteten »Drückebergern« in den Heimatlazaretten diagnostisch klarer zu erfassen – und so besser zu kontrollieren. I. Beobachtungslazarette Beobachtungsanstalten waren keine neue Erfindung der Kriegszeit, sondern existierten in der deutschen Zivilmedizin bereits seit der Jahrhundertwende – allerdings weder flächendeckend noch mit einem so breiten Aufgabenprofil wie zwischen 1915 und 1918. Bekannt waren sie aus dem Bereich der zivilen und forensischen Psychiatrie333 sowie aus der Infektiologie, vor allem aus der Tuberkulosebekämpfung.334 Schon in der Vorkriegszeit sollten Beobachtungsstationen den Ärzten eine Möglichkeit verschaffen, Patienten längere Zeit zu observieren, um zu einer sicheren Diagnose zu gelangen. Gerade bei Tuberkulosefällen sollten sie auch prognostizieren helfen, ob eine Heilstättenbehandlung bei den entsprechenden Patienten überhaupt sinnvoll war. Es handelte sich also um eine Form der »Vorbeobachtung«,335 die den Zugang zum Sanatorium regelte. Auch im preußischen Heeressanitätswesen hatte es bereits vor 1914 Beobachtungsanstalten gegeben.336 Wenn Epidemien wie Cholera, Pocken oder Flecktyphus unter den Soldaten ausbrachen, waren die Garnisonlazarette dazu angehalten, zusätzliche Hilfslazarette mit Beobachtungsstationen einzurichten, um die Seuchen unter Kontrolle zu bekommen.337 Hier hatten sie also eine medizinisch begründete Isolierfunktion, die bei Bedarf temporär zum Einsatz kam. Im Ersten Weltkrieg änderten sich sowohl die Bedeutung als auch der Aufgabenumfang der Beobachtungsstationen. Sukzessive identifizierten immer mehr Medizinalbehörden diese Einrichtungen als aussichtsreiche Hilfsmittel, um rascher zu militärärztlichen Entscheidungen zu gelangen. In einer zunehmend unübersichtlichen Kriegssituation, die das Sanitätswesen mit immer neuen Verletzungs- und Krankheitsarten, Selbstbeschädigungen und psychischen Leiden konfrontierte, versprachen Beobachtungslazarette, Eindeutigkeit herzustellen und Beschleunigungsziele zu erreichen. Während das deutsche Heimatsanitätswesen in den ersten vier Kriegsmonaten noch weitgehend ohne spezialisierte Sonderlazarette und damit auch ohne Beobachtungsanstalten gearbeitet hatte, änderte sich dies erstmals im Dezember 1914. Das Sanitätsamt des badischen XIV. Armeekorps richtete in diesem Monat ein Beobachtungslazarett in Heidelberg ein, zwei weitere Beobachtungsabteilungen folgten im Januar 1915. Bis zum März 1917 hatte das Sanitätsamt bereits sieben Beobachtungsanstalten in Baden eröffnet: jeweils eine in Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe, Baden-Baden, Baden-Weiler, Freiburg und Konstanz.338 333 Vgl. etwa Dahl u. Frese, S. 101 f.; Beddies, Universitätspsychiatrie, S. 55 f. 334 Vgl. Teleky, insbes. S. 223–227. 335 Vgl. ebd., S. 225. 336 Vgl. etwa Medizinal-Abteilung des Königlich Preussischen Kriegsministeriums, S. 83. 337 Vgl. Waßmund, S. 548. 338 Vgl. Wilmanns, Die Beobachtungsabteilungen, S. 401.

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Konzipiert waren sie als »diagnostische Institute für diejenigen Kranken, deren Beurteilung oder Behandlung Schwierigkeiten bot.«339 In der Praxis bedeutete dies, dass die zuständigen Ärzte die Patienten in den Beobachtungslazaretten dezidiert nicht behandeln, sondern nur kurz, aber intensiv observieren sollten, um in maximal drei Wochen zu einem abschließenden militärmedizinischen Urteil zu gelangen.340 Beobachtungslazarette mussten zu diesem Zweck mit den damals modernsten diagnostischen Apparaten ausgestattet sein, insbesondere mit Laboratorien und Röntgenapparaten. Im Idealfall sollten sie 150 Betten umfassen.341 Zwischen Januar 1915 und März 1916 schleusten die badischen Beobachtungslazarette auf diese Weise rund 22.000 Mannschaftssoldaten durch ihr System.342 Dieses Schnellverfahren erregte reichsweit Aufsehen: Schon bald galt Baden in der Frage der Beobachtungsstationen als Vorbild,343 dessen Konzept von anderen Armeekorps nach und nach übernommen wurde.344 In Württemberg existierten im September 1916 insgesamt 14 Beobachtungsstationen, neun für Lungen- und fünf für innere Krankheiten.345 In den preußischen Armeekorps bestanden entsprechende Einrichtungen spätestens seit dem Frühsommer 1916.346 Nachzügler waren die bayerischen Armeekorps: Erst im Anschluss an eine große militärärztliche Besprechung in der Berliner Kaiser-Wilhelms-Akademie am 18. Dezember 1916, an der zahlreiche Vertreter der Medizinalbehörden, Sanitätsoffiziere und Universitätsprofessoren teilnahmen, um sich unter anderem gegenseitig über die Erfolge der Beobachtungslazarette zu unterrichten,347 entschloss sich auch die Medizinal-Abteilung des Bayerischen Kriegs­ 339 Sanitätsamt XIV. AK., S. 990. 340 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, § 9, in: BA-MA PHD 6/206; Leitsätze für die Behandlung von Verwundeten und Kranken. Aufgestellt bei der Besprechung der fachärztl. Beiräte des XIII. (Königl. Württ.) Armeekorps aufgrund ihrer Erfahrungen im Heimatgebiet, Stuttgart 1917, S. 8 f., in: HStAS M 77/2 Nr. 53, fol. 47. 341 Vgl. Wilmanns, Die Beobachtungsabteilungen, S. 402. Faktisch schwankte die Bettenzahl zwischen 75–220. 342 Vgl. Sanitätsamt XIV. AK., S. 990. 343 Vgl. dazu knapp Peckl, Krank, S. 41; Kraepelin, Lebenserinnerungen, S. 190. 344 Lediglich für Sachsen lassen sich Beobachtungslazarette nicht in den Quellen nachweisen, was aber angesichts der lückenhaften Überlieferung keine abschließende Aussage in dieser Frage zulässt. 345 Vgl. Stv. Generalkommando XIII. AK., Übersicht über Speziallazarette im XIII. württ. AK, 18.09.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 101; vgl. auch Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.08.1916 [offenbar weiter überarbeitet von der Württ. Medizinal-Abteilung], in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 110; zu den psychiatrischen Beobachtungsstationen in Württemberg Lerner, Hysterical, S. 135 f. 346 Der Sanitätsbericht bleibt hier vage, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 166. 347 Vgl. Generalarzt Kimmel an das Sanitätsamt II. AK., 21.12.1916, in: BayHStA Stv.­GenKdo.​ I.AK.SanA./176.

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ministeriums, sie im Frühjahr 1917 einzuführen.348 Insgesamt ist die Entwicklung der Beobachtungslazarette einerseits ein anschauliches Beispiel dafür, wie dezentral das Heimatsanitätswesen im Vergleich dazu in den ersten Kriegsjahren funktioniert hatte, andererseits für den zunehmend intensivierten Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Sanitätsoffizieren und Medizinal­ behörden aus allen Teilen des Reiches.349 Beobachtungsanstalten stellten einen neuen Typus von Spezialhospitälern dar. Die Sanitätsämter richteten einige von ihnen als eigenständige Krankenhäuser ein (Beobachtungslazarette), andere als Unterabteilungen von Reserve­ lazaretten (Beobachtungsabteilungen)350 – meist ist in den Quellen aber pau­ schalisierend von »Beobachtungslazaretten« die Rede. Ausschließlich Fachärzte für innere Medizin, Chirurgie oder Psychiatrie, die mit den militärischen Dienstvorschriften sicher umgehen konnten, waren hier als Gutachter eingesetzt. Laut dem fachärztlichen Beirat Karl Wilmanns351 sollten Beobachtungsanstalten vorzugsweise die folgenden vier Patientenkategorien aufnehmen: »1. Alle Kranken mit unklaren oder schwer zu beurteilenden inneren Leiden, sowie solche, die zu ihrer Erkennung der Anwendung besonderer Hilfsmittel bedürfen […]. 2. Alle Kranken, bei denen die Entscheidung der Frage nach Dienstfähigkeit, Dienstbeschädigung, Erwerbsfähigkeit auf Schwierigkeiten stösst. 3. Alle Kranken, bei denen ein Missverhältnis besteht zwischen subjektiven Beschwerden und objektivem Befund, d. h. also, alle der Uebertreibung und Vortäuschung Verdächtigen. 4. Alle Lungentuberkulösen und der Lungentuberkulose Verdächtigen.«352

Wie diese Aufzählung bereits erahnen lässt, waren Beobachtungslazarette strukturell darauf ausgelegt, Täuschungsversuche von Soldaten aufzudecken und deren Rentenbegehren abzuweisen. Der Generalverdacht gegen innere und psychisch Kranke sowie gegen zu milde Ärzte stellte einen zentralen Bestandteil ihres Konzepts dar.353 348 Vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 20.02.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; Stv. Generalkommando I. AK. an das Sanitätsamt I. AK. u. a., 25.04.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./507. 349 Andere Beispiele für den Wissensaustausch innerhalb der Ärzteschaft und Bundesstaaten finden sich bei Lerner, Hysterical, S. 150–155; zur dezentralen Invalidenfürsorge Pironti, Kriegsopfer, S. 119–130. 350 Vgl. dazu etwa Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 20.02.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 351 Wilmanns hatte die Einrichtung von Beobachtungslazaretten in Baden maßgeblich vorangetrieben. 352 Wilmanns, Die Beobachtungsabteilungen, S. 401 f. 353 Vgl. dazu etwa Generalarzt Kimmel an das Sanitätsamt II. AK., 21.12.1916, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; Leitsätze für die Behandlung von Verwundeten und Kranken. Aufgestellt bei der Besprechung der fachärztl. Beiräte des XIII. (Königl. Württ.) Armeekorps aufgrund ihrer Erfahrungen im Heimatgebiet, Stuttgart 1917, S. 26, in: HStAS M 77/2 Nr. 53, fol. 47.

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Dies lässt sich am Beispiel der Beobachtungsabteilung für Blasenkranke im Reservelazarett III. Frankfurt (Oder) gut nachvollziehen: Blasen- und Harnwegserkrankungen von Soldaten hatten im Verlauf des Ersten Weltkriegs so stark zugenommen, dass sie das Sanitätswesen vor immer größere Schwierigkeiten stellten.354 Vor 1914 hatte niemand ein solches Massenphänomen erwartet. Im Frieden, so betonten Fachärzte immer wieder, sei das Bettnässen bei erwachsenen Männern höchst selten. Jetzt trete es angeblich ständig auf.355 Handelte es sich bei allen diesen Fällen um Simulationen? Der Leiter der 1916 in Frankfurt (Oder) eingerichteten Beobachtungsabteilung, Dr. Chajes, war von dieser Theorie überzeugt. In einem Bericht schilderte er, dass sein übliches Klientel, die »zahlreichen Kranken, welche über Blasenschwäche, Einnässen, Bettnässen, häufigen Harndrang und ähnliche Beschwerden klagen«356, bis 1916 eine »ständige Krux der Truppenärzte und bisher auch der meisten Lazarettabteilungen« gebildet hätten. Das habe sich jedoch grundlegend geändert, seit er die neue Beobachtungsabteilung in Betrieb genommen habe. Nun sei das Problem unter Kontrolle. Bei Bettnässern gehe er dort inzwischen folgendermaßen vor: »Die Patienten werden in einer Absonderungsbaracke untergebracht und Tag und Nacht bewacht. Jede Flüssigkeitszufuhr, jedes Harnlassen wird genau nach Zeit und Menge registriert. Es wird dabei besonders darauf geachtet, daß die Patienten, wie das wiederholt beobachtet ist, nicht heimlich Wasser trinken (auch das Waschwasser dient bisweilen hierzu!) oder dem Urin Substanzen beimengen (Hinzutun von Himbeersyrup ist z. B. zum Zweck des Vortäuschens von Blutharn beobachtet worden).«

Mit dieser Dauerbeobachtung habe er herausgefunden, so Chajes weiter, dass nur zwei der von ihm in letzter Zeit untersuchten Lazarettpatienten unter tatsächlichen Blasenkrankheiten gelitten hätten. Alle anderen seien schnell wieder »k.v.« geworden oder er habe sie – allerdings wegen anderer Mängel, nicht wegen der vorgeschützten Blasenprobleme – als garnison- oder arbeitsverwendungsfähig entlassen können. In jedem Fall sei ihre Lazarettzeit erheblich abgekürzt worden. Zwei Schlussfolgerungen zog Chajes aus diesen Erfahrungen: Zum einen seien die »meisten sogenannten Blasenkranken« Personen, »welche ihr Leiden vortäuschen oder zum mindesten aggravieren«; zum anderen könne nur auf Beobachtungsabteilungen »eine angemessene Beurteilung wirklich vorgenommen werden«. Beobachtungslazarette stellten demzufolge eine direkte Antwort auf die verschiedenen Bedrohungen dar, die aus Sicht der Heeresverwaltung von den 354 Vgl. Müller, F.; Sanitätsamt I. AK. an die Chefärzte u. a., 10.10.1916, in: BayHStA Stv.­ GenKdo.I.AK.SanA./176; Reservelazarett München G an das Sanitätsamt I. AK., 28.10.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./177. 355 Vgl. exemplarisch Dr. Schlagintweit, Reservelazarett München G, Urologische Station, Erfahrungen mit Bettnässern und ähnlichen nervösen Blasenkranken auf der urologischen Station vom 01.04.1916 bis 15.05.1917, 23.05.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 356 Zitate im Folgenden aus: Dr. Chajes, Reservelazarett III. Frankfurt / O., Erfahrungen mit Blasenkranken, 1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176.

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Heimathospitälern ausgingen.357 Ihre Funktion war vor allem die eines Korrektivs. Da die Soldaten in den Beobachtungslazaretten oder -abteilungen nicht behandelt werden mussten, konnte sich der Fokus hier vollständig auf die Überwachung richten. Sie erlaubten eine stärkere Isolierung bestimmter Kranker und waren darauf ausgelegt, schnelle, klare Entscheidungen zu produzieren. Auf diese Weise, so die Idee, sollten Beobachtungslazarette die übrigen Militärkrankenhäuser entlasten358 und der vielbeklagten »Verschleppung«359 unklarer Fälle entgegenarbeiten. Damit repräsentierten sie in den Augen vieler Militärärzte eine ideale Form des Militärkrankenhauses: Hier ließ sich eine fast vollständige Kontrolle der Soldaten realisieren, während alle bekannten Nachteile der Lazarettbehandlung wegfielen.360 Der zivile Faktor war gebannt – hier ging es nur noch um die Interessen des Heeressanitätswesens, vor allem um »die Entscheidung militärärztlicher Fragen nach Dienstbeschädigung, Dienstfähigkeit und dergl.«361 Indem sie die Beobachtungslazarette ins Leben riefen, konnten die Militärbehörden in ihrem Kampf gegen zivile Krankenhaus-Akteure, Simulanten und Selbstbeschädiger offenbar einige Erfolge für sich verbuchen. Die neuen Einrichtungen hätten sich »ganz außerordentlich bewährt«,362 hieß es von militärärztlicher Seite immer wieder. Tatsächlich erfüllten die Beobachtungsanstalten alle Ansprüche an Schnelligkeit, Genauigkeit, »wissenschaftliche[r] Höhe«363 und militärischer Festigkeit, die der Sanitätsdienst an sich stellte.364 Wenigstens hier gelang es lokal und punktuell, diese Standards einzulösen. Aber es handelte sich bei den Beobachtungslazaretten auch nicht mehr um Krankenhäuser im eigentlichen Sinn, sondern um Überwachungs- und Musterungsanstalten. Ihr wichtigster Auftrag war es, die militärische Kontrolle über das Heimatsanitätswesen zurückzugewinnen.

357 Vgl. dazu Janssen, Die Begutachtung, S. 98; Verfügung des Sanitätsamts, XIV. AK., 01.02.1915, in: UniAHeid H-III-600/1; Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 15.08.1916 [offenbar weiter überarbeitet von der Württ. Medizinal-Abteilung], in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 110; Wilmanns, Die Beobachtungsabteilungen, S. 402 f. 358 Vgl. Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 20.02.1917, in: BayHStA MKr/10519. 359 Wilmanns, Die Beobachtungsabteilungen, S. 403. 360 Vgl. dazu etwa Prof. Theodor Cohn an das Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung 12.04.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176. 361 Karl Wilmanns an die Medizinische Fakultät Heidelberg, 23.02.1915, in: UniAHeid ­H-III-600/1. 362 Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 11; für weitere positive Urteile vgl. etwa Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an die Sanitätsämter I.II.III. AK., 20.02.1917, in: ­BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; Janssen, Die Begutachtung, S. 98. 363 Wilmanns, Die badischen Lazarette, S. 12. 364 Vgl. dazu etwa die Aussagen in Sanitätsamt I. AK. an Reservelazarettdirektoren u. a., 29.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./507.

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II. Reservelazarettdirektoren und Fachärztliche Beiräte Das zweite zentrale Kontrollinstrument der Heeresverwaltung waren verstärkte Sanitätsinspektionen in den Hospitälern. Während Beobachtungslazarette als Orte besonders günstige institutionelle und räumliche Bedingungen boten, um die »Wiederherstellung« der Soldaten besser überwachen zu können, waren es im Fall der Inspektionen bestimmte Akteure der Heeresverwaltung, die in den Heimatlazaretten korrigierend und disziplinierend eingriffen. Grundsätzlich stellten regelmäßige Besichtigungen der Militärkrankenhäuser durch Vertreter der Sanitätsverwaltung kein Novum dar. Schon in der Vorkriegszeit hatte einmal im Jahr der zuständige Korpsarzt und alle vier Jahre der Sanitätsinspekteur die Garnisonlazarette überprüft. Sie sollten bei ihren Besuchen darauf achten, ob die Gebäude in gutem Zustand waren, die Kranken angemessen versorgt wurden und sich der Wirtschaftsbetrieb gut entwickelte. Manchmal besichtigten noch weitere Personen die Militärkrankenhäuser: Der Korpsintendant, die Garnisonältesten sowie Brigade- und Divisionskommandeure konnten, wenn sie sich aus dienstlichen Gründen ohnehin in der Garnison aufhielten, das Lazarett ebenfalls besuchen.365 Externe Inspektionen fanden also bereits vor August 1914 statt, aber nur selten und vereinzelt. Den Alltag der Insassen und Sanitätsoffiziere tangierten sie kaum. Gleich zu Kriegsbeginn veränderte die Heeresverwaltung ihr Kontrollformat. Neben die Chefärzte, denen weiterhin die unmittelbare ärztliche und militä­ rische Leitung über die Reservelazarette sowie die angegliederten Vereinslazarette zukam, traten vom August 1914 an zwei neue Akteursgruppen: Reservelazarettdirektoren und fachärztliche Beiräte. Reservelazarettdirektoren waren Generaloberärzte, Oberstabsärzte oder vertraglich verpflichtete Ärzte, die in Städten mit mehreren Reservelazaretten als Oberaufsicht eingesetzt waren. Ihre Aufgabe war es, die ihnen zugeteilten Reservehospitäler »oft zu besichtigen und Mißstände, die sich nicht an Ort und Stelle beseitigen ließen, dem Sanitätsamt zu melden.«366 Reservelazarettdirektoren stellten damit eine erste Kontrollinstanz oberhalb der Chefärzte-Ebene dar. Sie sollten jene unterstützen und darüber hinaus als Zwischenglied agieren, das die verschiedenen Reservelazarette, das Sanitätsamt und die Stellvertretende Intendantur kommunikativ miteinander verband. Während sich die Reservelazarettdirektoren bei ihren monatlichen Besichtigungen auf militärärztliche und gesundheitspolizeiliche Aspekte konzentrierten,367 lag der Schwerpunkt der sogenannten »fachärztlichen Beiräte« darauf, medizinische Expertise beizusteuern.368 Dies erschien deshalb notwendig, da 365 Vgl. Waßmund, S. 512. 366 Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 166. 367 Vgl. Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 25.06.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 87. 368 Vgl. etwa Blencke, S. 20f; 36 f.; His, Die Front, S. 82. Die Heeresverwaltung nahm die Hilfe der fachärztl. Beiräte für alle Sondergebiete der Medizin in Anspruch: zunächst für Chirurgie, Orthopädie, Augenheilkunde, Nervenkrankheiten, Hygiene und pathologische

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die Heimatlazarette personell unterschiedlich gut aufgestellt waren: In vielen Anstalten mussten junge unerfahrene oder sehr alte Ärzte die unterschiedlichsten Verletzungs- und Erkrankungsarten auf ihren Stationen behandeln, von denen noch dazu nicht alle in ihr Fachgebiet fielen.369 In dieser Lage sollten die fachärztlichen Beiräte eingreifen und mit ihrem Sach- und Erfahrungswissen eine flächendeckende Qualitätssicherung gewährleisten. Nur anerkannte Vertreter eines medizinischen Fachgebiets kamen für diese Posten in Frage. Oft handelte es sich um die Leiter großer Krankenhäuser oder um Universitäts­ professoren, mit denen die Sanitätsämter schon in der Friedenszeit entsprechende Verträge abgeschlossen hatten. Die Rolle der fachärztlichen Beiräte war eine rein beratende: Sie sollten die ihnen zugeteilten Lazarette, Genesungsheime und Privatpflegestätten regel­mäßig besuchen, die dortigen Heilverfahren überprüfen und »ihren fachärztlichen Rat auch ohne Aufforderung des betreffenden Arztes«370 abgeben. Zusätzlich erwarteten die Behörden von ihnen, die Frage von Kriegsdienstfähigkeit oder Unbrauchbarkeit der Soldaten zu beurteilen. Im Anschluss hatten sie dem Sanitätsamt Bericht zu erstatten, damit jenes weitere Maßnahmen ergreifen konnte.371 Sie selbst hatten hingegen keine militärische Befehlsgewalt. Diese Konstellation verrät vor allem eines: Die Medizinalbehörden wollten zwar auf das Fachwissen der Universitätsprofessoren nicht verzichten, sie wohl auch bewusst in die eigene Organisation einbinden – höhere Vollmachten wollten sie ihnen aber nicht zugestehen. Das abschließende Urteil sollte stets ein Militärmediziner treffen.372 Denn auch die fachärztlichen Beiräte fielen als zivilmedizinisch ausgebildete Ärzte tendenziell unter den Verdacht, nicht eindeutig genug für vaterländische Interessen einzustehen, sondern ihre eigene Agenda zu verfolgen. So mahnte etwa die preußische Medizinal-Abteilung wiederholt, dass die Beiräte dazu verpflichtet seien, sich bei den Inspektionen »alle in ihr Fach schlagenden Krankheitsfälle und nicht nur die interessanten Fälle anzusehen.«373

Anatomie, später auch für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Zahnmedizin und Röntgenwesen, vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 166. 369 Vgl. Hans Wildermuth, Verwundet zu Haus, ca. 1934/35, S. 2, in: BA-MA N 278/3; Prof. Stursberg, fachärztl. Beirat beim Stv. VIII. AK., Bemerkungen zu den anliegenden Akten, 16.01.58, in: BA-MA PH 7/6. 370 Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 25.06.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 87. 371 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 166. 372 Vgl. dazu auch Stv. Generalkommando XIII. AK., Denkschrift über die Erfahrungen bei der Mobilmachung im Jahre 1914 und während des Krieges, Juni 1918, in: HStAS M 77/2 Bd. 41, fol. 5. 373 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 4, in: BA-MA PHD 6/197; dieselbe Mahnung ein dreiviertel Jahr später erneut in: Preuß. Kriegsministerium, EntlassungsBeschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, § 6, in: BA-MA PHD 6/206.

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Mit der Einsetzung der fachärztlichen Beiräte, Reservelazarettdirektoren und Chefärzte hatten die Sanitätsbehörden bei Kriegsbeginn ein erstes loses Netz an Kontrollinstanzen eingeführt. Doch nach einem halben Jahr erschien ihnen diese Sicherheitsstruktur offenbar nicht mehr ausreichend. Aufgrund ihres wachsenden Misstrauens gegenüber Heimatlazaretten, Ärzten und kranken Soldaten sowie des zunehmenden Drucks, der allgemein auf der Militärführung lastete, die Lücken bei den Fronttruppen durch geeigneten Ersatz schnellstmöglich aufzufüllen, wünschten sich die Medizinalbehörden mehr Einblick in die Vorgänge in den Heimathospitälern und auch mehr Optionen, bei Bedarf Patienten direkt herauszuziehen. Die Wiederherstellungsbilanz der Lazarette sollte nicht dem Zufall überlassen bleiben – und schon gar nicht allein den Kräften vor Ort.374 III. Kriegssanitätsinspekteure Um den Druck auf die Militärkrankenhäuser zu erhöhen, schlug die Heeres­ verwaltung seit 1915 eine Zusatzstrategie ein, die sich mit dem Ausdruck »Mehr ist mehr« beschreiben lässt: Sie intensivierte im Verlauf des Krieges nicht nur die Häufigkeit der Lazarettbesichtigungen, sondern steigerte auch die Anzahl und Kompetenzen der Inspekteure. Dazu führte sie weitere externe Kontrollinstanzen ein.375 Der erste dieser neugeschaffenen Posten war der des »Kriegssanitätsinspekteurs«. Die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums setzte im Februar 1915 zunächst sieben solcher Dienststellen ein; einige Monate später erhöhte sie ihre Anzahl bereits auf zehn, im Verlauf des Krieges auf 14.376 Im gleichen Zeitraum setzte auch die bayerische Medizinal-Abteilung einen eigenen Kriegssanitätsinspekteur für seine drei Armeekorps ein.377 Mit diesen neuen Figuren tauchten machtvolle Vertreter der Kriegsministerien in den Heimatlazaretten auf. Hierarchisch waren sie den Stellvertretenden Korpsärzten378 gleichgestellt, unterstanden aber nicht wie jene auch dem Stellvertretenden Generalkommando, sondern ausschließlich der Medizinal-Abteilung des jeweiligen Kriegsministeriums.379 Ihre Aufgabe war »die möglichst häufige Besichtigung sämtlicher Heileinrichtungen des Heeres-Sanitätsdienstes (Reserve-, Vereinslazarette, Genesungsheime usw.), die Sorge für die richtige Ausnutzung 374 Vgl. dazu exemplarisch Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 25, in: HStAD 11348/3001. 375 Vgl. zur verstärkten Heranziehung externer Gutachter auch Enzensberger, No time, S. 25. 376 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 162. 377 Vgl. Bay. Kriegsministerium, 23.04.1915; Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 03.05.1915, beide in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./306. Erst Ende Juni 1918 setzte das Bay. Kriegsministerium eine zweite Kriegssanitätsinspektion mit Sitz in Würzburg ein, vgl. Bay. Kriegsministerium, 24.06.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./306. Das württembergische XII. AK. hatte ebenfalls einen Kriegssanitätsinspekteur, für das sächsische XII. und XIX. AK. ist ein solcher nicht sicher belegt, aber wahrscheinlich. 378 Die Stv. Korpsärzte waren die Leiter der Sanitätsämter. 379 Vgl. Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 1, S. 157; 162.

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der bereitgestellten Vorkehrungen für Sonderbehandlung und der sonstigen Kurangelegenheiten sowie namentlich die Einwirkung auf die rechtzeitige Wiederheranziehung der Genesenen zum Dienst.«380 Wie diese Bestimmungen des Bayerischen Kriegsministeriums erkennen lassen, überschnitt sich der Aufgabenbereich der neuen Inspekteure mit dem der bisherigen Reservelazarettdirektoren und der fachärztlichen Beiräte. Sie ersetzten jene aber nicht, sondern waren zusätzlich zu ihnen aufgestellt worden. Im Ergebnis kamen seit dem zweiten Kriegsjahr mehr und mehr Inspekteure in die innerdeutschen Lazarette. Generalarzt Wilhelm Schultzen, der Leiter des Heimatsanitätswesens, zeigte sich mit dem neuen Arrangement sichtlich zufrieden. In einem Vortrag, den er im November 1915 vor einer Versammlung von Militärärzten in Berlin hielt, erläuterte er, dass er persönlich den Anstoß zur Einrichtung der Kriegs­ sanitätsinspektionen gegeben habe. Sie hätten bereits »in besonders hohem Maße befruchtend«381 in den Hospitälern gewirkt und dabei geholfen, »die in diesen Dingen weniger geübten Kollegen anzuleiten.« Daneben habe die preußische Medizinal-Abteilung auch die Zahl der fachärztlichen Beiräte »immer mehr vermehrt und die Herren immer mehr durch die Lazarette geschickt, um auf allen Gebieten dafür zu sorgen, daß nichts Wesentliches versäumt werde.« Insgesamt hätten sich alle diese neuen Maßnahmen »sehr bewährt […], sie sind auch von einem großen Teil der Ärzte gut aufgenommen worden. Leider haben aber auch einige diese Einrichtung mehr als eine Überwachung, als ein Hineinreden von Besserwissenwollenden aufgefaßt und sich ablehnend oder passiv gegen diese Dinge verhalten. Ich glaube, ich brauche nicht besonders zu erwähnen, daß das durchaus zu mißbilligen ist […].«

Doch im Grunde konnte es kaum überraschen, dass sich manche Lazarettärzte dagegen auflehnten, immer mehr Aufpasser um sich zu haben. Anders als es Schultzen in seinem Vortrag suggerierte, handelte es sich nicht um ein Missverständnis, wenn sie sich von den Inspekteuren beobachtet und bevormundet fühlten. Im Gegenteil hatten die Lazarettärzte erkannt, dass die sich häufenden Inspektionen ein Kontrollinstrument des Kriegsministeriums darstellten, das ihre Handlungsfreiheit beschnitt. Während die fachärztlichen Beiräte ihnen auf medizinischer Ebene in ihr Behandlungsschema hineinredeten,382 waren die Kriegssanitätsinspekteure mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, um etwa bestimmte Patienten zu verlegen oder sie als »kriegsverwendungsfähig« zu entlassen. Bei anhaltenden Missständen konnten sie dem Sanitätsamt sogar nahelegen, bestimmte Lazarette ganz zu schließen.383 Somit sollten die 380 Bay. Kriegsministerium, 23.04.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./306. 381 Zitate im Folgenden aus: Schultzen, Kriegsärztliches, S. 128. 382 Vgl. Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 25.06.1915, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 87. 383 Vgl. dazu etwa Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, § 8 und § 67, in: BA-MA PHD 6/206.

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Kriegssanitätsinspekteure den bedroht-bedrohlichen Raum des Lazaretts auf zwei Ebenen angehen: Sie sollten erstens zu lange Heilaufenthalte unterbinden und zweitens die Interessen des Kriegsministeriums gegen unkooperative Mediziner durchsetzen. Ihre Anwesenheit im Lazarett entmachtete faktisch die lokalen Stationsärzte und auch den Chefarzt; jener verlor temporär die Hoheit über sein Hospital.384 Daher kann auch hier vom kriegsministeriellen Versuch gesprochen werden, das ursprünglich vor allem auf der Korpsebene organisierte Lazarettsystem zu zentralisieren und stärker zu durchleuchten. IV. Militärärztliche Untersuchungskommissionen Der Nachteil der hochgelobten Kriegssanitätsinspekteure war, dass es von diesen Stellen reichsweit nur wenige gab. Die fachärztlichen Beiräte wiederum hatten keine militärische Befehlsgewalt. Doch die Heeresverwaltung fand eine Lösung, mit der sie die Vorzüge beider Dienststellen zu einem geeinten Ins­ trument zusammenführen konnte: militärärztliche Untersuchungskommissionen.385 Hierbei handelte es sich um Sachverständigengremien, die zunächst aus zwei,386 später teilweise aus mehr Medizinern bestanden: einerseits erfahrenen Sanitätsoffizieren, andererseits fachärztlichen Beiräten, die sich in Fragen der militärärztlichen Beurteilung gut auskannten. Gemeinsam zogen sie durch die Lazarette, Privatpflegestätten und Genesenden-Kompagnien. Auch sie sollten erneut alle Kranken untersuchen, unter ihnen die entlassungsfähigen Personen identifizieren und bei Bedarf »Verlegungen und dergleichen«387 anordnen. Wie viele von diesen Kommissionen in der ersten Kriegshälfte in den Lazaretten unterwegs waren, lässt sich nicht rekonstruieren – klar ist aber, dass das Preußische Kriegsministerium gerade ihre Tätigkeit als ein besonders »bewährte[s] Hilfsmittel«388 gegen Drückeberger und zögerliche Ärzte einschätzte. So baute es diesen Kontrollzweig weiter aus. Vom Jahresende 1916 an erlangten die militärärztlichen Kommissionen schließlich eine zentrale Bedeutung: Am 13. Dezember hatte der Preußische Kriegsminister angeordnet, sogenannte 384 Aus Trotz oder Mitleid gingen manche Lazarettärzte offenbar sogar so weit, bestimmte Patienten vor den Inspekteuren zu verstecken, wenn diese zur Besichtigung kamen, vgl. Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt XIII. AK., 02.12.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 145. 385 Damit griffen die Behörden eine ältere Maßnahme aus der Preußischen Armee des 19. Jahrhunderts wieder auf, in der zwischen 1829 bis 1839 entsprechende »Superrevisionskommissionen« zur Nachmusterung und Überprüfung unklarer Fälle eingesetzt worden waren, vgl. Schmitt, S. 204 f. 386 Vgl. Stv. Generalkommando I. AK., Militärärztliche Untersuchung der genesenden und genesenen Offiziere und Mannschaften, 10.02.1915, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./432. 387 Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Gesichtspunkte zur Frage der beschleunigten Herausziehung militärisch oder in der Kriegswirtschaft verwendbarer Mannschaften aus den Lazaretten und Truppenteilen, 28.07.1916, S. 4, in: BA-MA PHD 6/197. 388 Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, § 7, in: BA-MA PHD 6/206.

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»Generalmusterungskommissionen« einzurichten, von denen die »Lazarettmusterungskommissionen« eine Unterkategorie bildeten.389 Sie hatten in einer Großaktion das gesamte Besatzungsheer nachzumustern – darunter Offiziere, Beamte, Burschen, Hilfsschreiber, Mannschaften im Grenz- und Bahnschutz, in Musikabteilungen und viele weitere Personengruppen.390 Dieser Kriegsministerialerlass muss einerseits in direktem Zusammenhang mit dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst391 gesehen werden, das nur eine Woche vorher erlassen worden war. Andererseits bestätigte der Erlass die bereits seit 1915 vorherrschende Beschleunigungsmaxime im Sanitätswesen. Die Lazarettmusterungskommissionen sollten alle Verwundeten und Kranken überprüfen, die sich entweder bereits länger als zwei Monate im Heimathospital befanden oder aber »durch wiederholte Lazarettaufnahme eine länger als 2 Monate dauernde Gesamtbehandlung desselben Leidens erfahren haben«.392 Im Fokus dieser Inspektionen stand also die Problemgruppe der »verschleppten Fälle«. Sie waren den Militärbehörden schon lange ein Dorn im Auge. Bisherige Fehldiagnosen, so die Hoffnung, sollten unter den Augen mehrerer Sachverständiger endlich richtiggestellt werden.393 Doch damit nicht genug: Im April 1917 wies das Preußische Kriegsministerium die Sanitätsämter an, zusätzlich ständige »Korpsuntersuchungskommissionen« für jeden Korpsbereich einzurichten.394 Erneut handelte es sich um kombinierte Gremien aus Sanitätsoffizieren und Fachärzten, die als Spezialeinheiten durch die Lazarette tourten, um auch noch den letzten entlassungsfähigen Patienten ausfindig zu machen. Der Unterschied zu den oben beschriebenen »Lazarettmusterungskommissionen« war minimal – er lag lediglich darin, dass es sich hier um ein ständiges Gremium handelte, wohingegen die Lazarett­ musterungskommissionen punktuell, zu den großen, aber selten stattfindenden Generalmusterungen, zusammentraten.395 Offenbar wollte das Kriegsminis389 Erneut handelte es sich hier um spezialisierte Ärztegremien, die aus einem Sanitätsoffizier (am besten mit Felderfahrung), einem fachärztlichen Beirat und teilweise aus weiteren beratende Medizinern des Feldheeres bestanden. Bei Bedarf konnten noch weitere Sanitätsoffiziere oder Fachärzte die Kommission ergänzen. 390 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Hermann von Stein, 13.12.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 49. 391 Vgl. zusammenfassend Mai, Hilfsdienstgesetz. 392 Preuß. Kriegsministerium, Hermann von Stein, 13.12.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 49. Ausgenommen von dieser Regel waren nur bettlägerige Schwerkranke. Vgl. zu Lazarettmusterungskommissionen knapp Rauh, Behandlung, S. 115 f. mit dem konkreten Beispiel eines herzkranken Patienten. 393 Vgl. Sanitäts-Departement des Königlich Preussischen Kriegsministeriums, darin: Oberstabsarzt Martineck, Korreferat, S. 48. 394 Vgl. Preuß. Kriegsministerium, Entlassungs-Beschleunigungs-Anweisung (Eba.), 12.04.1917, § 7, in: BA-MA PHD 6/206. 395 Vgl. zu den Generalmusterungen Preuß. Kriegsministerium, Generalmusterungen, 26.09.1917; Stv. Generalkommando XIII. AK., Erfahrungen bei der Generalmusterung, 28.02.1918, beide in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 76 und fol. 80.

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terium auf diese Weise die Generalmusterungen verstetigen und immer mehr Druck auf die Lazarette ausüben. »Die Ersatzfrage wurde mit der Dauer des Krieges immer brennender«, fasste Ernst von Wrisberg, der damalige Leiter des Allgemeinen Kriegsdepartements im Preußischen Kriegsministerium, im Rückblick zusammen. Sie habe einen Umfang angenommen, den man »nicht vorhergesehen hatte und auch nicht vorhersehen konnte, denn Menschen waren das einzige ›Kriegsmittel‹, für das in kurzer Zeit Ersatz zu schaffen unmöglich war.«396 4.3.3 Sanitätsdienst gegen Soldaten: Ein Kampf ohne Sieger Die vielen Neu- und Doppelschöpfungen von Kontrollinstanzen führten trotz allem nicht zum militärisch gewünschten Ergebnis. Vielmehr zeigte sich in ihnen die wachsende Verzweiflung der Sanitätsbehörden. Obwohl sie ein immer engmaschigeres Überwachungssystem im Lazarettwesen etabliert und bereits 1915 die körperlichen Mindeststandards für den Kriegsdienst abgesenkt hatten, gelang es ihnen nicht, langfristig so viele dienstfähige Soldaten aus den Heimathospitälern herauszufischen,397 wie sie es für militärisch notwendig hielten. Ebenso scheiterten sie an ihrem Anspruch, Lazarettaufenthalte deutlich abzukürzen und kriegsunbrauchbare Patienten schnell zurück auf den Arbeitsmarkt zu führen. Zwar zeitigten ihre verschiedenen Kontrollbemühungen seit 1916/17 durchaus beachtliche Entlassungserfolge398 – sie schufen aber auch neue Probleme. Ein erster negativer Effekt war, dass sich die vielen Inspekteure gegenseitig in die Quere kamen. Ihre Untersuchungstermine waren teilweise kurz hintereinander angesetzt oder kollidierten mit den Lazarettbesichtigungen der Chefärzte.399 Diese Koordinierungsprobleme verbitterten nicht nur die Kontrolleure selbst, sondern führten auch dazu, dass sich die Insassen mancher Heimatlazarette fast wöchentlich Gutachtern präsentieren mussten.400 Dadurch gerieten 396 Wrisberg, Heer, S. 80. 397 Zeitgenössisch war hier vom sogenannten »Auskämmen« der Lazarette und des Besatzungsheeres die Rede, vgl. Wrisberg, Heer, S. 91; 97; Hellpach, Wirken, S. 62; Klemperer, S. 627 f. 398 Der fachärztliche Beirat Wilhelm His, der 1917 in einer Lazarettmusterungskommission im XVII. AK. tätig war, berichtete, dass die Hälfte der damals gemeldeten Fälle die Kommission gar nicht abgewartet, sondern sich freiwillig gesund gemeldet habe. Von den untersuchten 1791 Patienten seien 549 zur Front, 220 zur Garnison entlassen worden; nur 818 hätten sich als weiter behandlungsbedürftig erwiesen, His, Die Front, S. 134. 399 Vgl. zu diesen Problemen Oberstabsarzt Friedrich Lacher, Untersuchungskommission für Vereinslazarette, an das Sanitätsamt I. AK., 26.05.1918, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK. SanA./432; Schultzen, Organisation, S. 249. 400 Vgl. M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, Karl von Seydel], an A. [ArmeeAbteilung], 05.04.1918, in: BayHStA MKr/2341; Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 755.

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die Musterungskommissionen, zweitens, unter den Soldaten stark in Verruf. Für viele stellten gerade sie das Schreckenssymbol für die Gnadenlosigkeit und Willkür der Militärmedizin dar. Dieser Eindruck lässt sich in den Beschreibungen des Patienten Arnold Heydt gut erkennen: »Mitte August erhielt das Lazarett unverhofft hohen Besuch; der Herr Generalarzt aus München hatte sich in Begleitung zweier anderer Herren persönlich zur Inspektion herbemüht. Chef- und Oberarzt wurden eiligst herbeigeholt: die sogenannte ›Gesundbeterkommission‹ trat unverzüglich zusammen. Alle Verwundeten mußten vor ihr erscheinen, und als nach einer Stunde aufreibender Tätigkeit die hohen Tiere das Haus verließen, war über die Hälfte der Lazarettinsassen plötzlich ›garnisonsdienstfähig‹ geworden […].«401

Heydt traf hier einen wunden Punkt. Tatsächlich kam es seit 1916 vielfach vor, dass Patienten nach Inspektionen verfrüht aus dem Lazarett entlassen und an die Front geschickt wurden. Dort konnten sie den körperlichen Anforderungen allerdings nicht standhalten, wie intern sogar die Heeresverwaltung zugab.402 Dies verschaffte der negativen Reputation der Musterungskommissionen weiter Auftrieb und warf ein schlechtes Licht auf das gesamte Militärsanitätswesen.403 Insgesamt zeigt sich, dass die Sanitätsbehörden zwar zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um mehr Ordnung in die Lazarette hineinzubekommen und den Entlassungsdruck zu steigern, was zu einem gewissen Grad auch gelang. Doch zugleich blieben die Heimathospitäler für sie undurchsichtige Zonen, die sich als überraschend beschleunigungs-, beeinflussungs- und kontrollresistent erwiesen. Dies betraf auch die drei großen Bedrohungsachsen: unzuverlässige Vereinslazarette, Täuschungsversuche der Soldaten und schlechte Stimmung. Gegen diese Missstände kam die Heeresverwaltung – nach ihrer eigenen Einschätzung – bis zuletzt nicht effektiv an. Erstens blieben zivil betriebene Lazarette in ihren Augen bis zum Kriegsende eine der größten Schwachstellen des militärischen Krankenversorgungssystems. Nach Ansicht des Sanitätsamts XII. Armeekorps gelang es trotz aller Bemühungen nie, sie unter Kontrolle zu bringen. Insbesondere die kleinen, ländlichen Vereinslazarette seien »eine Quelle ständiger Sorge und in der Gesamtorganisation des heimatlichen Sanitätswesens ein bedenklicher Bestandteil«404 geblieben: »Das Sanitätsamt hat sie zwar beständig mit allen verfügbaren Mitteln bekämpft und dabei auch einen gewissen Erfolg gehabt. Das Endziel aber, die völlige Beseitigung 401 Heydt, S. 297. Benjamin Ziemann erwähnt den damals unter Soldaten kursierenden Spottreim »Stille Nacht, stille Nacht, Alles wird k.v. gemacht«, Ziemann, B., Front, S. 177. 402 Vgl. hier nur Preuß. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, 11.01.1917, in: HStAS M 77/2 Nr. 48, fol. 67. 403 Vgl. dazu Bay. Kriegsministerium, von Hellingrath, an F. Auer, Privatsekretär, Mitglied der Kammer der Abgeordneten, September 1917, in: BayHStA MKr/18385; auch Gustav Kulicke, Meine Kriegserlebnisse 1914–18, 1935, S. 153, in: ISG Frankfurt S5/91. 404 Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 18, in: HStAD 11348/3001.

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der Unzuträglichkeiten ist nicht erreicht worden. Sie lässt sich auch nicht erreichen, weil die kleinen Vereinslazarette und Genesungsheime nicht völlig beseitigt werden können. Dieses allein unbedingt wirksame Mittel lässt sich nicht anwenden, da die jetzt dringend benötigten Betten und Geräte, die Wäsche usw., wenn sie auf diese Weise verloren gingen, unter den heutigen Verhältnissen nicht zu ersetzen wären.«405

Vereinslazarette, so das Fazit des sächsischen Sanitätsamts, stellten zwar kritische Sicherheitslücken im militärärztlichen Versorgungssystem dar. Doch gegen sie könne die Heeresverwaltung letztlich nichts ausrichten – die finanzielle und logistische Abhängigkeit sei zu groß. Man müsse sie als notwendiges Übel tolerieren und mit ihnen leben. Ähnlich mühsam gestaltete sich zweitens der militärärztliche Kampf gegen hartnäckige Simulanten, Übertreiber, Selbstbeschädiger und »Lazarettwanderer«.406 Auch gegen diese Phänomene konnten die Militärärzte trotz aller Nachuntersuchungen und Beobachtungsaktionen insgesamt wenig ausrichten. Gelang es ihnen tatsächlich einmal, einen Täuschungsversuch aufzudecken, konnten sie den betreffenden Soldaten zwar militärrechtlich belangen. Doch selbst damit, so klagten viele Sanitätsoffiziere, spielten sie dem Dienstverweigerer noch in die Hände. Die Medizinal-Abteilung des Preußischen Kriegsministeriums stellte im Februar 1917 nüchtern fest: »Ob die Selbstverstümmler, falls ihr Verbrechen nachgewiesen ist, dem Kriegsgericht zu übergeben sind, mag anheimgestellt sein. Da ihr Bestreben dahin geht, sich dem Felddienste zu entziehen, ist ihnen eine monatelang dauernde Untersuchungshaft und Haftstrafe nur erwünscht. Besser ist, die Wunde zur Heilung zu bringen, den Kranken auf den Kopf zuzusagen, daß man ihre Schliche kennt, und ihnen im Falle Wiederaufbrechens mit Anzeige beim Kriegsgericht zu drohen, im Übrigen sie sobald als möglich ihrem Truppenteile, unter Mitteilung an den Truppenarzt, zu überweisen.«407

Wenn der Militärarrest in solchen Fällen als abschreckendes Mittel wegfiel, so die Kalkulation der Medizinal-Abteilung, musste der Kriegsdienst selbst als Strafe dienen.408 Zwar widersprach diese Praxis allen offiziellen Verlautbarun405 Ebd., S. 19 f. 406 Vgl. etwa Lewandowsky, Was kann in der Behandlung, Schluss, S. 1028. 407 [Preuß.] Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an sämtl. Preuß. Sanitätsämter und sämtl. Medizinal-Abteilungen, 14.02.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./176; ähnlich 1919 in einem Artikel rückblickend Kraepelin, Psychiatrische, S. 173. 408 Vgl. dazu auch Heeres-Sanitätsinspektion, Sanitätsbericht, Bd. 2, S. 758. Hier heißt es über gesunde Soldaten, die im Sommer 1918 versucht hatten, unauffällig mit Lazarettzügen nach Deutschland zu gelangen: »Der Feldsanitätschef hatte bereits […] mit dem Kriegsministerium verhandelt, um die in der Heimat aufgegriffenen ›Einzelreisenden‹, sobald es deren Zustand gestattete, zu bestimmten Lazaretten des Kriegsschauplatzes […] zurückzubefördern, damit sie von dort sofort zur Front kommen sollten und ihrem somit erstrebten Aufenthalt im Heimatlazarett und beim Ersatztruppenteil entgingen.«; vgl. auch Erlass des Preuß. Kriegsministeriums Nr. 2058 II 17 S 2, 18.12.1917, zit. in: Stv. Generalkommando XIII. AK., Denkschrift über die Erfahrungen bei der Mobilmachung im Jahre 1914 und

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gen, wonach der Felddienst eine Heldenehre aus Treue zum Vaterland sei und dezidiert keine Strafe. Doch gegen widerständige Personen half aus Sicht der Medizinal-Abteilung nur dieses letzte Mittel. Dabei bot selbst die Zwangsversetzung zur Truppe keine Garantie dafür, dass der Soldat nach seinem missglückten Desertionsversuch wieder zur Vernunft kam. »Noch in der Stunde der Entlassung kommen sie mit alten oder neuen Klagen«, warnte der Straßburger Chefarzt Demeter von Tabora vor solchen Problemkandidaten, »und wenn man sie trotzdem ziehen lässt, so geschieht es mit dem unbehaglichen Bewusstsein, dass sie in kurzer Frist doch wieder in einem anderen Lazarett landen werden.«409 Häufig beschrieben die Militärärzte ihre Auseinandersetzungen mit den Dienstverweigerern mit Begriffen, die an das Bild eines Ringkampfs zwischen Heeresverwaltung und kriegsunwilligen oder hysterischen Soldaten denken lassen.410 Doch es handelte sich dabei um einen Kampf ohne Sieger. Ein Front­ soldat, der aus Angst um sein Leben, aus moralischen Gründen oder aus schierer Erschöpfung nicht mehr »durchhalten« wollte und sich – bewusst oder unbewusst – für die verdeckte »Flucht ins Lazarett« entschied, musste dort enorme Strapazen auf sich nehmen: Er wurde von verschiedenen Ärzten untersucht, befragt, beobachtet, nachgemustert und propagandistisch beschallt. Dazu kam die gesellschaftliche Ächtung als Drückeberger. Wenn er aber fähig war, diese Schwierigkeiten durchzustehen, saß er letzten Endes am längeren Hebel. Gegen einen entschlossenen Kriegsverweigerer, der über den Weg des Lazaretts hartnäckig und geschickt versuchte, der Front zu entgehen, konnte die Heeresverwaltung insgesamt wenig tun.411 Auch was die Kriegsneurotiker betraf, vertraten viele Psychiater eine entsprechende Position. Solche Leute, so etwa der Neurologe Max Lewandowsky, »sind eben von vorneherein stärker als die Wehrpflicht.« Es sei nicht sinnvoll, sie immer weiter »durch die Lazarette zu schleppen«.412 Besser entlasse man sie mit einer geringen Rente, so dass sie sich wenigstens in ihrem bürgerlichen Beruf nützlich machen könnten. Insgesamt gewannen Militärärzte und Behörden über die Kriegsjahre zunehmend den Eindruck, dass sie gegenüber findigen Verweigerern die »Waffen strecke[n]«413 mussten. Doch auch die betreffenden Soldaten konnten sich kaum als Sieger fühlen. Sie hatten bis zur Entlassung zum Teil erhebliche körperliche Schäden und ärztliche während des Krieges, Juni 1918, in: HStAS M 77/2 Bd. 41, fol. 14. Ähnlich sollten laut Befehl der OHL vom 03.09.1918 Urlauber, die durch Unzuverlässigkeiten aufgefallen waren, zur Strafe frühzeitig an die Front zurückgeschickt werden, vgl. Ziemann, B., Front, S. 123. 409 Tabora, S. 609; vgl. ähnlich Crämer, S. 1118 f. 410 Vgl. zur Ringkampfmetapher auch explizit Carl Zuckmayer in seiner Autobiographie, Zuckmayer, S. 245. 411 Vgl. exemplarisch Reservelazarett München A, Station C I., Prof. von Notthafft, an den Herrn leitenden Arzt, 16.05.1917, in: BayHStA Stv.GenKdo.I.AK.SanA./177. Zum selben Dilemma bei Deserteuren im Heer Jahr, Gewöhnliche, S. 177–200; Ziemann, B., Front, S. 115 f. 412 Lewandowsky, Was kann in der Behandlung, Teil 1, S. 990; vgl. dazu auch Gaupp. 413 Gaupp, S. 362, hier mit Bezug auf Neurotiker.

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Schikanen ertragen müssen. Lediglich ihr existenzielles Ziel hatten sie erreicht – sie mussten nicht zurück an die Front und hatten so ihr Überleben vorerst gesichert. Dass die Militärärzte sich einer auffälligen Kampfmetaphorik bedienten, wenn sie diese Vorgänge beschrieben, hatte noch einen weiteren Hintergrund. Auf diese Weise konnten sie ihre Kontrollbemühungen in den Heimatlazaretten als Feldzug gegen einen Feind im eigenen Lager inszenieren.414 Indem sie das gesamte Heimatsanitätswesen zu einer zweiten »inneren« Front erklärten, konnten sie sich umso überzeugender als kriegsrelevante Akteure empfehlen, die hier für den deutschen Sieg eintraten.415 Sie kämpften dabei nicht nur gegen Drückeberger, widerständige Ärzte,416 Revolutionäre und Pazifisten, sondern auch gegen die Feinde im Kopf jedes Patienten – Langeweile und Krankheitswahn erschienen hier als die gefährlichsten Gegner. Noch bedrohlicher war nur schlechte Stimmung, die dritte große Gefahr aus den Heimatlazaretten. Doch auch gegen sie kamen die Militärbehörden wie beschrieben kaum wirksam an. Somit gelang ihnen in allen großen Bedrohungsfeldern lediglich eine Art Schadensbegrenzung. Die flächendeckende Total-Kontrolle, die ihnen vorschwebte, konnten sie niemals realisieren, ebenso wenig wie ein ungestört fließendes System der Verteilung, Verlegung und Entlassung von Soldaten. Sie scheiterten an verschiedenen Faktoren: am Eigensinn der Heimatlazarette und des dortigen Personals; an den vielen involvierten Zivilisten; an der Stimmungsverschlechterung durch die Kriegsentwicklung selbst, die sie nicht direkt beeinflussen, sondern nur schönreden oder vertuschen konnten; am zunehmenden Ärztemangel; an den enormen Verwundeten- und Krankenzahlen; und an der schieren Größe des Lazarettsystems selbst – auch in geographischer Hinsicht – mit seinen zahlreichen Unterabteilungen und Nebenarmen, die einen Überblick unmöglich machten. Nicht zuletzt stand auch die Tatsache, dass die Heimatlazarette für Frontsoldaten als Schutzzonen immer anziehender wurden, den behördlichen Bemühungen diametral entgegen. Diese Sogwirkung ließ sich durch keine ihrer Maßnahmen wirklich entkräften.

414 Vgl. etwa Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 25, in: HStAD 11348/3001. 415 Vgl. dazu exemplarisch M. [Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung], Karl von Seydel, an die Stv. Korpsärzte I.II.III. AK. u. a., 27.04.1918, in: BayHStA MKr 2341. 416 Vgl. Tätigkeitsbericht des Sanitätsamts XII. AK, 1918, S. 51, in: HStAD 11348/3001; Württ. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an das Sanitätsamt XIII. AK., 02.12.1916, in: HStAS M 77/2 Nr. 41, fol. 145; Oberst von Kiesenwetter an das Stv. Generalkommando XII. AK., 06.07.1917, in: HStAD 11348/2120.

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Zwischenfazit Das Heimatlazarett entwickelte sich im Verlauf des Krieges zum umkämpften Raum zwischen zivilen und militärischen Interessen, zwischen Potenzial und Bedrohung. Dies lag nicht zuletzt in einem Zielkonflikt der Sanitätsverwaltung begründet. Sie musste eine Balance finden zwischen den beiden sich widersprechenden Ansprüchen nach öffentlicher Repräsentation in den Hospitälern einerseits und militärischer Kontrolle und Effektivität andererseits. Schon seit dem ersten Kriegsjahr begann die Militärmedizin, die Heimatlazarette als öffentlichkeitswirksame »Schaufenster« zu inszenieren, um hier die Humanität und wissenschaftlichen Innovationskraft ihrer Disziplin nachzuweisen. Damit sollten zugleich internationale Barbarei-Vorwürfe gegen das Deutsche Heer entkräftet werden, indem die Heimatlazarette die fürsorglich-warmherzige Seite des Militärs betonten. Dieses sorge hier sowohl für die eigenen Verwundeten und Kranken als auch für kriegsgefangene Patienten mit modernsten Mitteln. Auch zivile Lazarettakteure griffen diese moralische Aussage auf. Ihnen zufolge bewies das Heimatlazarett nicht nur die »Kulturhöhe« Deutschlands, sondern wirkte – so die Hoffnung – auch erzieherisch auf alle Helfer und Besucher, so dass es wie eine »Schule der Nation« das sittliche Niveau der Gesamtbevölkerung steigerte. Damit diente es sowohl der Selbstvergewisserung des Militärs und seines Sanitätsdienstes, als auch der Vertreter der bürgerlichen Kriegsbeschädigtenfürsorge. Während den Heimatlazaretten also ein großes Potenzial zugesprochen wurde, öffentliches Vertrauen zum Sanitätsdienst zu generieren, vertrauten die Militärbehörden diesen Anstalten immer weniger. In ihrem internen Misstrauensdiskurs standen drei Hauptgefahren im Vordergrund: erstens schwer kontrollierbare Vereinslazarette, zweitens Täuschungsversuche von Soldaten durch verschiedene Formen von Simulation, Aggravation und Selbstverstümmelung sowie drittens Stimmungsverschlechterungen. Konkret wurde den Vereinslazaretten vorgeworfen, die Soldaten zu verweichlichen und zu spät zu entlassen. Vielen Soldaten wurde unterstellt, das Lazarett aus individualistischen Gründen für eigene Vorteile zu missbrauchen, um der Front zu entgehen und sich Rente zu erschleichen – was sich in der Bedrohungsfigur des vagabundierenden »Lazarettwanderers« in Extremform manifestierte. Was die »schlechte Stimmung« betraf, erschien das Heimatlazarett aus militärischer Sicht sowohl als Einfallstor als auch als »Brutstätte«. Innerbehördlich konkurrierten verschiedene Sichtweisen, welche die Quelle der Bedrohung entweder außerhalb des Lazaretts verorteten, bei den »jammernden« Angehörigen, verwöhnenden Pflegerinnen und revolutionären Provokateuren, die hier bei den psychisch geschwächten Patienten auf eine leichte Beute stießen, oder innerhalb des Hospitals, das selbst »Lazaretthysterien«, eine gegenseitige Aufstachelung der Patienten und »Grübeleien« provoziere. Bei dieser Suche nach Schuldigen, in denen sich ein fundamentales Misstrauen gegenüber der als weiblich-schwächlich kon343

notierten Heimat ausdrückte, formierten sich bereits alle Elemente der späteren Dolchstoßlegende in einer medikalisierten, lazarettspezifischen Variante. Die Sanitätsbehörden begegneten den von ihnen wahrgenommenen Bedrohungen mit einer Kombination aus Propaganda und verschärften Kontrollmaßnahmen, um die militärische Oberherrschaft über den Raum des Lazaretts zurückzuerobern. So sollte das als undurchsichtig wahrgenommene Lazarettsystem zentralisiert und durchleuchtet werden, um aller entlassungsfähigen Patienten habhaft zu werden. Doch der Heeresverwaltung glückte mit diesen Maßnahmen aus ihrer Sicht nur eine Schadensbegrenzung, während die Bedrohungen zum Kriegsende hin immer mehr zu wachsen schienen. Das behördliche Misstrauen wurde durch die Propaganda- und Überwachungstätigkeit sogar noch gesteigert, so dass immer mehr Propaganda und Überwachung notwendig schien – bis die Revolution dieser Eskalationsspirale ein jähes Ende setzte.

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Fazit Dieses Buch hat die deutschen Heimatlazarette im Ersten Weltkrieg aus unterschiedlichen Akteursperspektiven in den Blick genommen. Ziel war es, zu verstehen, welche militärischen und gesellschaftlichen Funktionen dieser Raum zwischen 1914 und 1918 erfüllte, und wie Sanitätsoffiziere, soldatische Insassen, zivile Mitarbeiter, Helfer und Besucher ihn im Verlauf des Krieges wahrnahmen, imaginierten und nutzten. In der Untersuchung des innerdeutschen Militärkrankenhauses ermöglichte es das analytische Konzept des »Übergangsraums«, sowohl Erkenntnisse über die Lebenswelt der »Heimatfront« zu gewinnen, als auch über soldatische Kriegserfahrungen im Allgemeinen, das militärisch-zivile Verhältnis und die sich wandelnde Rolle der deutschen Militärmedizin. Mit Beginn des Großen Krieges entstanden auch die Heimatlazarette, die schon ab den ersten Augusttagen 1914 zehntausende verwundete und kranke Soldaten aufnahmen. Die Raumkonstitution vollzog sich dabei trotz aufwendiger Vorkriegsplanungen zunächst unter chaotischen Bedingungen, da die Verantwortlichen die medizinischen Folgen des Krieges allein in quantitativer Hinsicht massiv unterschätzt hatten. Erst im Zuge eines längeren Lern- und Anpassungsprozesses gelang es, die Anzahl der Militärkrankenhäuser zu steigern, mehr Personal einzustellen und die anfänglichen Provisorien zu institutionalisieren. Dazu musste die Heeresverwaltung aus der Not heraus stärker als geplant auf die Unterstützung des Roten Kreuzes und anderer ziviler Kräfte zurückgreifen. Sie wurden dadurch weitreichender ins Heimatlazarettwesen eingebunden als jemals zuvor. In den Städten und auf dem Land avancierten die Hospitäler zu sozialen Anziehungspunkten. Gerade bei Kriegsbeginn – aber in abgeschwächter Form auch in den Folgejahren  – zeigten große Teile der Bevölkerung ein euphorisch-obsessives Interesse an den Lazaretten. Hier wurde der ferne Krieg in Gestalt der Verwundeten und Kranken für sie sicht- und erfahrbar. Die Hospitäler erschienen als »Fenster« zur Front. Darüber hinaus machten sie der Bevölkerung ein attraktives Partizipations- und Sinnstiftungsangebot: Wer sich an diesen Orten der »Wiedergutmachung« engagierte, so die Vorstellung, nahm sichtbar an der nationalen Kriegsanstrengung teil, war den versehrten »Kriegshelden« nahe, bewährte sich als Mitglied der postulierten deutschen »Volksgemeinschaft« und legitimierte zugleich seinen Verbleib im sicheren Reichsgebiet. Die Sanitätsbehörden betrachteten die regen Besuchs- und Hilfsaktivitäten in ihren Heilanstalten mit gemischten Gefühlen. Zwar waren sie fundamental von der logistischen Unterstützung der zivilen Kräfte abhängig und befürworteten den Mobilisierungseffekt der Lazarette. Doch gleichzeitig schienen die zivilen Akteure einer straffen militärischen Krankenhausorganisation auch im Weg zu stehen. Während die Behörden daher versuchten, möglichst nur die Geld-, Sach345

und Personal-Ressourcen der Freiwilligenverbände und anderer ziviler Helfer zu übernehmen, ohne ihnen im Gegenzug größere Zugangs- und Gestaltungsfreiheiten in den Lazaretten zuzugestehen, forderten letztere für ihr Engagement mehr Anerkennung und Einfluss. So gerieten militärische und zivile Lazarettakteure früh in ein wechselseitiges Abhängigkeits- und Konkurrenzverhältnis. Einigkeit herrschte in dem übergeordneten Ziel, die Heimathospitäler als Räume der »Wiederherstellung« auszugestalten: Ihre Hauptfunktion bestand darin, die militärische Dienst- oder zivile Erwerbsfähigkeit versehrter Soldaten zu restituieren. Mit diesem Aufgabenprofil präsentierte die Medizinalverwaltung ihre Lazarette als kriegsentscheidende Institutionen, in denen mit den »Waffen« der modernen Medizin und dem Prinzip der Selbsterhaltung gegen die zahlenmäßig überlegenen Kriegsgegner angearbeitet wurde. Ab der zweiten Kriegshälfte und in Reaktion auf die sich verschärfende Lage an den Kriegsfronten setzten die Medizinalbehörden auf die Strategie der »beschleunigten Entlassung« von Patienten. Damit zielten sie einerseits darauf, Kosten und Zeit zu sparen, andererseits wollte sie verhindern, dass sich Soldaten im Heimathospital innerlich vom Krieg entfernten. Doch während der Sanitätsdienst in öffentlichen Vorträgen und Artikeln siegesbewusst die wachsende Effizienz seines Wiederherstellungsprogramms hervorkehrte, mussten seine Vertreter seit 1915/16 zu immer drastischeren Mitteln greifen, um die angepriesenen Entlassungs- und Musterungsquoten zu erreichen: Sie senkten erstens die militärischen Tauglichkeitsanforderungen herab, forderten zweitens die Ärzte dazu auf, Patienten probeweise verfrüht an die Front oder ins Berufsleben zu entlassen, was als »genesungsfördernd« propagiert wurde, und befürworteten drittens aggressive Therapieformen, wie die Starkstrombehandlung bei Neurotikern, um Problempatienten schneller loszuwerden. Tatsächlich ließen sich Behandlung und Entlassung weitreichend beschleunigen und rationalisieren – doch die körperliche und psychische Heilung der Versehrten benötigte weiterhin ihre Zeit. Ab 1916 mehrten sich militärintern und öffentlich die Beschwerden darüber, dass Lazarettpatienten zurück an die Front kamen, die dazu physisch (noch) nicht in der Lage seien. Diese Kritik am Beschleunigungsparadigma illustriert auch, dass der Sanitätsdienst, der im Verlauf des Krieges enorm an gesellschaftlicher und militärischer Bedeutung gewonnen hatte, nun mehr denn je unter öffentlicher Beobachtung und damit unter verstärktem Rechtfertigungsdruck stand. Gerade das Heimatlazarett mit seinem regen Besucherverkehr erwies sich als ein Ort, an dem ein neues Ausmaß an ziviler Kontrolle der Militärmedizin stattfand. Ihre Aktivitäten waren mehr als in den Jahrzehnten zuvor für große Teile der Zivilbevölkerung sichtbar und beurteilbar. Dabei ging es auch um die Frage, wie gut es dem Sanitätsdienst gelang, für die Invaliden zu sorgen. Hier konnte die vorliegende Studie zeigen, dass die Militärmedizin die Heimatlazarette im Verlauf des Krieges gezielt als Zentren der Berufsvorbereitung und Weiterbildung nach dem Konzept der »Arbeitstherapie« aufbaute, die den Übergang Kriegsbeschädigter ins Arbeitsleben gestalten sollten. Ziel war es, sie in ihren ursprünglichen Beruf zurückzuführen oder notfalls 346

für einen neuen, kriegsrelevanten Beruf auszubilden. Die dazu im Zusammenspiel mit bürgerlichen Fürsorgestellen angebotenen Unterrichtskurse und orthopädischen Übungen sollten nach Ansicht der Sanitätsbehörden noch während der Lazarettzeit stattfinden, da die Insassen hier unter direkter militärischer Befehlsgewalt standen, während sie dem staatlichen Zugriff nach der Entlassung entglitten. Darin zeigte sich ein neuer Anspruch der Militärmedizin, bestimmte gesellschaftliche Herausforderungen im überschaubaren, hierarchisch strukturierten Raum des Hospitals selbst anzugehen und die Soldaten bei dieser Gelegenheit auch staatsbürgerlich zu erziehen. Das Lazarett sollte als Proberaum der Arbeitswelt fungieren – und in einem übergeordneten Sinne als eine Schule des Lebens und der Nation. Doch während der Sanitätsdienst den Invaliden versprach (und zugleich von ihnen einforderte), nach der Entlassung wieder voll erwerbstätig zu werden, konnte er ihnen in den Lazaretten nur Berufstraining, -beratung und -vermittlung anbieten, aber keinen Arbeitsplatz garantieren. Viele Kriegsversehrte verließen das Krankenhaus in eine ungewisse Zukunft. Im Lazarett selbst hatten sie sich in einer Übergangssituation zwischen früherem Soldatentum und künftiger Existenz befunden  – in einem liminalen Zustand des »nicht mehr« und »noch nicht«. Für die dort monate- oder jahrelang liegenden verwundeten und kranken Soldaten wurde das Heimathospital zu einem prägenden Erfahrungsraum im Krieg. Trotz der körperlichen Leiden und Einschränkungen, die mit dem Heilaufenthalt fast immer verbunden waren, bedeutete die Ankunft im Krankenhaus für die meisten Neuankömmlinge eine Erleichterung. Angesichts des Massensterbens an der Front hatten viele Soldaten den Eindruck, mit ihrer Hospitalisierung ein schicksalhaftes »Glück im Unglück« erlebt zu haben. Im Lazarett waren sie nicht mehr aktive Kämpfer, sondern beschrieben den Heilaufenthalt in ihrer körperlichen Hilflosigkeit, doch auch ohne Verantwortung und Pflichten, als »zweite Kindheit«. Das Hospital erscheint in den Selbstzeugnissen als eine Gegenwelt zur Front, die aber auch nicht mit der »Heimat« im Sinne des eigenen »Zuhauses« identisch war, sondern einen Übergangsraum oder dritten Ort zwischen diesen Polen darstellte, der Elemente beider Welten enthielt. Wie Soldaten das Lazarett individuell erlebten, hing vor allem von ihrem körperlichen Zustand ab: Während Schwerverwundete und -kranke, die das Lazarett zunächst nur aus der Bettperspektive kennenlernten, vielfach gegen Schmerzen, Zukunftssorgen, Ungewissheit über ihren körperlichen Zustand und Langeweile kämpften, entdeckten leichtere Fälle und Genesende eine im Vergleich zur Frontsituation teilweise größere Handlungsfreiheit. Beim eigenständigen Ausgang in die Stadt und bei Ausflügen in die nähere Umgebung genossen sie ein Ausmaß an Freizeit, das viele Soldaten aus dem bäuerlichen oder Arbeitermilieu weder aus ihrem soldatischen noch aus ihrem zivilen Leben gewohnt waren. Das Heimathospital präsentierte sich ihnen einerseits als offene Kontaktzone, in der die Patienten neue (Frauen-)Bekanntschaften schließen und sich auch gefahrlos mit kriegsgefangenen Mitpatienten austauschen konnten. Andererseits nahmen sie es als Mikrokosmos wahr, mit spezifischem Verhaltenskodex, internen 347

Sprechweisen und Vergemeinschaftungsformen. Vielfach wird das Heimatlazarett in den untersuchten Ego-Dokumenten zudem »weiblich« konnotiert. Dies bezog sich nicht nur auf das weibliche Pflegepersonal, sondern implizierte auch Vorstellungen einer wiedergefundenen Heimat, Geborgenheit und Fürsorge. Im strukturierten Krankenhausalltag, der durch medizinische Routinen, festliche Veranstaltungen und das lange Warten auf Heilung geprägt war, erfuhren die Insassen eine fast friedensähnliche Normalität. Die soldatischen Erfahrungsberichte begründen eine der Thesen dieses ­Buches, dass das Heimatlazarett für viele Soldaten einen kriegsbedingten Sehnsuchtsort darstellte. Jener bezog seine Attraktivität vor allem aus dem direkten Vergleich zum tödlichen Schützengraben und zu den überfüllten Feldheerlazaretten sowie aus seiner Lage innerhalb des Reichsgebiets. Zwar war der körperliche Preis für einen Lazarettaufenthalt oft hoch, doch der »sekundäre Krankheitsgewinn« aus Sicht vieler Soldaten ebenfalls. Das Heimathospital bot – mehr noch als der unregelmäßig zugestandene Heimaturlaub – eine legitime, potenziell sogar ehrenhafte Gelegenheit, der Frontsituation zeitweise zu entgehen und Familienangehörige, Freundinnen und Freunde wiederzusehen. Manche Soldaten ergriffen bewusst oder unbewusst Maßnahmen, um (wieder) an diesen sicheren Zufluchtsort zu gelangen oder länger dort zu bleiben. Sie infizierten sich mit Erregern, fügten sich selbst Verletzungen zu oder versuchten, ihren bereits bestehenden Lazarettaufenthalt in die Länge zu ziehen. Das Heimathospital bot diesen Formen verdeckter Desertion Anlass und eine geeignete Infrastruktur. Die Analyse hat des Weiteren gezeigt, dass die Militärmedizin selbst eine ambivalente Haltung zu ihren innerdeutschen Heileinrichtungen einnahm. Obwohl sie die Lazarette vor dem Krieg minutiös geplant hatte, wurde auch ihren Vertretern erst im Verlauf des Krieges klar, welche Chancen und Gefahren diese Anstalten für das Militär bereithielten. Zunächst versuchte der Sanitätsdienst von den ersten Kriegsmonaten an, die Heimathospitäler als publikumswirksame Repräsentationsräume einzusetzen. Hier sollte der gute Ruf der Militärmedizin und des deutschen Militärs insgesamt »wiederhergestellt« werden, da das Heer seit den Massakern in Belgien und Frankreich 1914 international mit dem Vorwurf der Barbarei konfrontiert war. Das Heimatlazarett hatte hier eine moralische Entlastungsfunktion zu erfüllen. Es sollte die Verluste und Kriegsverbrechen an der Front durch eine besondere Fürsorgeleistung in der Heimat kompensieren und so die deutsche Humanität und »Kulturhöhe« nachweisen. Durch die Hospitäler konnte sich die Medizinalverwaltung nicht nur vor der deutschen Öffentlichkeit, sondern auch vor internationalen Beobachtern als philantropisch eingestellte Institution inszenieren und die soziale Seite des Militärs betonen. Doch die Sanitätsbehörden gerieten dabei in einen Zielkonflikt zwischen dem Anspruch nach erfolgreicher Außendarstellung sowie vorbildhafter Versorgung der Soldaten einerseits und dem entgegenstehenden Bedürfnis nach möglichst großer Abschottung und Rationalisierung der Lazarette andererseits. Während sie sich darum bemühten, das Vertrauen der Soldaten und der Zivilbevölkerung 348

zu gewinnen, trauten sie selbst dem heimatlichen Lazarettwesen immer weniger. Konkret betrachteten die Sanitätsbehörden erstens zivil betriebene Vereins­ hospitäler, zweitens Simulation und Selbstverstümmelung von Soldaten und drittens »schlechte Stimmung« als die größten Gefahren des Lazarettwesens. Diese drei Faktoren konnten ihrer Ansicht nach sogar einen günstigen Kriegsausgang verhindern. Je mehr sich an der Front eine aussichtslose Situation abzeichnete und je höher sich die menschlichen Verluste summierten, desto mehr begann behördenintern bereits die Suche nach Schuldigen, die das Militär zunehmend in der »Heimat« und damit außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs ver­ortete. Hier stand das Heimatlazarett einerseits als militärisch-zivile Kontaktzone unter erhöhtem Verdacht, ein Einfallstor für schlechte Stimmung, Disziplinlosigkeiten und revolutionäre Umtriebe zu sein. Andererseits erschien auch seine innere Eigendynamik durch die langen Heilaufenthalte der Soldaten gefährlich, die zu ortsspezifischen Phänomenen wie der melancholischen »Lazarettnot« oder der hysterischen »Lazarettsucht« führten und die Bedrohungsfigur des »Lazarettwanderers« hervorbrachten. Dieser versuche als individualistischer Aussteigertypus, sein persönliches Leben zu retten und stelle die Einheit von Armee und »Volksgemeinschaft« in Frage. Um jegliche Schuld für diese Phänomene von sich fernzuhalten, schoben die Sanitätsbehörden alle Verantwortung einseitig auf zivil geführte Vereinslazarette und zivile Lazarettakteure sowie auf Besucher und »schlechte Elemente« unter den Patienten. Indem sie diese Pro­ blembereiche isolierten, konnten sie die strikt militärisch geführten Reservelazarette in ihrer institutionellen Selbsterzählung weiter als Erfolgsorte propagieren und sich als zuverlässig-wachsame Militärakteure empfehlen. Auf diesem Weg übernahmen die Lazarette erneut eine moralische Entlastungs- und Selbstvergewisserungsfunktion, nun jedoch unter negativem Vorzeichen. Im internen Misstrauensdiskurs der Heeresverwaltung lassen sich vor allem seit dem Frühjahr 1918 zahlreiche Elemente ausmachen, die auch für die späteren Varianten der »Dolchstoßlegende« kennzeichnend waren. Die Behördenvertreter kombinierten antisemitische Verschwörungstheorien mit ihrer Sorge vor weiblicher Dominanz in den Heimatlazaretten, dem Missbrauch der dortigen Sozialleistungen, der zunehmenden Anzahl an Neurotikern und revolutionären Bestrebungen zu einer komplexen Bedrohungslage. Damit können bisherige Forschungsergebnisse zur Kriegspsychiatrie bestätigt und erweitert werden, die auf eine »neuropsychiatrische Variante der Dolchstoßlegende«1 in der Nachkriegszeit aufmerksam gemacht haben. Demnach vertraten führende Psychiater nach 1918 die Ansicht, dass die Revolution durch die psychisch »Minderwertigen«2 in der Heimat ausgelöst worden sei. Hier konnte die vorliegende Analyse darüber hinaus zeigen, dass sich diese Vorwürfe während der Kriegszeit nicht auf Neurotiker und andere als »willensschwach« stigmatisierte Personen beschränkten, sondern sich auch auf weitere Patientengruppen bezogen – etwa 1 Ulrich, Krieg, S. 255; Geyer, Verkehrte Welt, insbes. S. 98–104. 2 Kraepelin, Psychiatrische, S. 173.

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mit inneren Krankheiten – sowie auf das Heimatlazarett als ungünstiges Milieu. Mit einer infektiologischen Bildsprache beschrieben Behördenvertreter das Militärhospital bereits im Frühjahr 1918 intern als »Brutstätte für üble Stimmungsmache« und damit als sozialen Infektionsherd für eine potenzielle Revolution. So etablierten sie eine lazarettspezifische Frühform der »Dolchstoßlegende«. Um den Bedrohungsraum Heimatlazarett zu entschärfen, griff die Sanitätsverwaltung zu einer Kombination aus Propagandamaßnahmen und intensivierten Kontrollen. Wie bereits im Heer beobachteten Vertrauensleute von 1917 an auch in den Heimathospitälern die allgemeine Stimmung und führten neben »Vaterländischem Unterricht« auch subtilere Formen der Aufklärungsarbeit durch. Während Forschungsarbeiten zur Kriegspropaganda die Heimatlazarette bisher kaum beachtet haben, konnte hier gezeigt werden, dass die Militärbehörden die innerdeutschen Hospitäler als besonders geeignete Orte für Propagandaaktivitäten einschätzten und zu diesem Zweck nutzten. Die dort liegenden Soldaten erschienen als repräsentativer Querschnitt des deutschen »Volkes«, sie standen in engem Austausch mit ihren Angehörigen und anderen Zivilisten und galten angesichts ihrer seelischen und körperlichen Schwächung als hochgradig »beeinflussbar«  – sowohl für positiv-patriotische als auch für aufrührerische politische Botschaften. Daneben führten die Sanitätsbehörden neue und mehr Kontrollmechanismen ein. Entscheidend waren dabei Beobachtungslazarette, zusätzliche Kriegssanitätsinspektionen und militärärztliche Untersuchungskommissionen. Gerade Letztere sollten in immer neuen »Auskämmungs«-Aktionen alle arbeits- oder frontdienstfähigen Patienten identifizieren und ihre Entlassung auf den Weg bringen. In dieser eskalierenden Überwachungs- und Begutachtungsstrategie zeigte sich nicht nur der reale Beschleunigungsdruck durch die sich verschärfende Kriegslage, sondern auch ein behördlicher Generalverdacht gegen Heimatlazarette, die dort tätigen zivilen oder zivil geprägten Ärzte und hospitalisierten Soldaten. Die Medizinal-Abteilungen der Kriegsministerien versuchten, das eigentlich dezentral organisierte Lazarettwesen durch ihre Maßnahmen immer mehr zu zentralisieren, um die Kontrolle über diesen Raum zurückzugewinnen. Doch trotz ihres engmaschigen Überwachungsapparats gelang es den Sanitätsbehörden nach eigener Ansicht bis zum Kriegsende nicht, die Risikozone Heimatlazarett vollständig zu beherrschen. Auch das verdeckte und offene Ringen zwischen Militärärzten und »dienstscheuen« Soldaten um die möglichst lange körperliche Anwesenheit im Hospital setzte sich bis zum Kriegsende fort. Die Lazarette blieben umkämpfte Räume. Insgesamt erscheint das heimatliche Militärkrankenhaus des Ersten Weltkriegs als eine Welt voller Widersprüche, die bereits in seiner Funktion angelegt waren. Denn versteht man das Heimatlazarettwesen als Übergangsraum zwischen militärischer und ziviler Sphäre, so zeigt sich, wie hier Vorstellungen und Ansprüche unterschiedlicher Institutionen und Akteure aufeinandertrafen. Ein zentraler Widerspruch spiegelte sich bereits im paradoxen Berufs­auftrag der Militärmedizin: Das Lazarett sollte eine straffe Disziplinaranstalt sein, aber gleichzeitig fürsorgliche Humanität repräsentieren. Die Ärzte sollten für die 350

Gesundheit der Insassen mit modernsten Mitteln alles tun, aber nur, um sie möglichst schnell wieder an der Front dem Tod auszusetzen. Für die hospitalisierten Verwundeten und Kranken erwies sich das Heimatlazarett in anderer Hinsicht ebenfalls als ein widersprüchlicher Ort. Sie mussten hier zwar damit umgehen, physische Autonomie und Integrität (temporär oder langfristig) eingebüßt zu haben, gewannen vor Ort aber auch neue Freiheiten, Ressourcen und Rechte hinzu. Mit diesem Befund kann die medizinhistorische Forschung zum Ersten Weltkrieg um eine erfahrungsgeschichtliche Perspektive ergänzt werden. Da sich bisherige Studien vor allem auf die oft brutale Behandlung der Kriegsneurotiker und das Schicksal der Invaliden konzentriert haben, bewerteten sie das Lazarett entsprechend als eine entmündigende, autoritäre Umgebung, in welcher der »Soldat das grundlegendste aller Patientenrechte, das der Einwilligungsfähigkeit in eine therapeutische Maßnahme«3 verlor. Die vorliegende Analyse hat hingegen deutlich gemacht, dass diese Ergebnisse stärker zu kontextualisieren sind. Einerseits konnten Lazarettinsassen »erhebliche« ärztliche Eingriffe, wie bestimmte Operationen, doch ablehnen; andererseits hatte der Soldat, verglichen mit der zuvor erlebten Frontsituation, im Lazarett in mancher Hinsicht mehr Verfügungsgewalt über seinen Körper, mehr Handlungsfreiheit und mehr Möglichkeiten, sich Anordnungen zu entziehen, als im Feld. Deshalb erlebten viele Patienten gerade das Heimatlazarett als einen Ort relativer Autonomie, Ruhe und Erwartungssicherheit. In symbolischer Hinsicht lässt sich das Heimatlazarett ebenfalls als Übergangsraum verstehen, spiegelte es doch die gesellschaftliche Transition des Deutschen Reiches zwischen vertrauter Vorkriegswelt und ungewisser Zukunft wider. Es erwies sich einerseits als ein rückwärtsbezogener Raum, der für viele Akteure die Suche nach der »heilen Vergangenheit« und »verlorenen Heimat« verkörperte. Hier ließ sich die Gesellschafts- und Familienordnung der Friedenszeit lokal reinszenieren, um Sicherheit in Krisenzeiten zu gewinnen. Gleichzeitig konnten die Akteure aus dieser wohlbekannten Ordnung heraus am Ort des Lazaretts auch Neues ausprobieren. Neben die restaurative »Wiederherstellung« des Soldaten trat als Funktion zunehmend seine explorative, zukunftsgerichtete »Verbesserung«. Hier sollten die Lazarettinsassen und mit ihnen das gesamte Volk erzogen und geformt werden, damit sie es später als willensstärkere, arbeitsfreudigere und zuversichtlichere Bürger verließen. Darin zeigte sich die Verbindung zwischen dem »modernen«, kapitalistisch-produktiven Element der Heimatlazarette und ihrer identitätsstiftenden, nationalen Seite. Sie erschienen als Jungbrunnen des Feldheeres, aber auch des deutschen Selbstund Außenbilds. Anders gewendet repräsentierten die innerdeutschen Militärkrankenhäuser fundamental »Modernität« im Sinne einer technisch modernen, geradezu utopischen Medizin, die von sich behauptete, selbst schwerste Wunden heilen und Invalide wundersam »entkrüppeln« zu können – und zugleich die vertraute »Heimat«. 3 Eckart, Medizin und Krieg, S. 14.

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Das innerdeutsche Lazarett erschien vielen Akteuren als individueller, beruflicher oder nationaler Möglichkeitsraum. Den Militärärzten bot es die Gelegenheit, ihre medizinischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, die eigene Karriere voranzutreiben und als Berufsgruppe Relevanz zu gewinnen. Den Frontsoldaten versprach das Lazarett in vielen Fällen persönliche Sicherheit und mehr Kontakt zur Familie. Für Zivilisten, und dabei vor allem für bürgerliche Frauen, eröffnete es neuartige Partizipations- und Selbstverwirklichungsmöglichkeiten, um etwa als Krankenschwester, Lazarettbetreiberin oder Handarbeitslehrerin tätig zu werden. Für die Militärbehörden selbst spielte daneben noch etwas anderes eine Rolle: Das Heimatlazarett wurde von ihnen auch deshalb so vehement als professionell und leistungsstark anpriesen, weil sich in Gestalt der dort liegenden Verwundeten die eigentliche militärische »Verwundbarkeit« Deutschlands deutlich zeigte. Die Krankenhäuser machten die enormen menschlichen und materiellen Opfer sichtbar, die Soldaten und Bevölkerung für den Krieg bereits gebracht hatten und weiter bringen mussten. Dieser Zusammenhang sollte durch die Machbarkeitsversprechen der Militärärzte verschleiert und ins Positive gewendet werden. Auch das Beschwören eines gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts, der sich in den Lazaretten manifestiere, diente diesem Zweck. Damit verhandelten die Zeitgenossen anhand des Heimatlazaretts mora­ lische Fragen von Pflicht und Schuld im Krieg. Das Militärkrankenhaus wurde als moralischer Raum konzipiert und die in ihm tätigen Personen reklamierten für sich, moralische Akteure zu sein. Hier konnten  – und mussten  – die Daheimgebliebenen ihre »Dankesschuld« gegenüber den Kriegsverletzten abgelten, hier versuchte der Sanitätsdienst, seine Humanität zu beweisen und die Kriegs­moral hochzuhalten und hier präsentierte sich auch das Kaiserreich insgesamt als moralisch integer, solidarisch und opferbereit. Gleichzeitig wurde anhand des Heimatlazaretts auch der Kriegsbeitrag der »Heimat« insgesamt ausgelotet. Aus Sicht des Sanitätsdienstes erschien sie janusköpfig, ähnlich wie das Heimathospital selbst: Die »Heimat« leistete demzufolge in den Lazaretten zwar helfend, fürsorgend und erduldend einen wichtigen Beitrag zum Kampf der Frontsoldaten, stellte sich aber zunehmend auch als unzuverlässig, verführbar und verräterisch heraus. Mit solchen geschlechtlich codierten Vorstellungen einer weiblich-schwächlichen Heimat, welche die versehrten Frontkämpfer zwar pflegte, aber dabei auch einlullte, entmännlichte und aufhetzte, wurden Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit im Krieg festgeschrieben. Der Sanitätsdienst musste hier selbst eine schwierige Gratwanderung vollziehen: Gerade seine eigene helfende, »weibliche« Seite transportierte am überzeugendsten die Humanitätsbehauptung, auf die er so großen Wert legte – und zugleich erschien die Fürsorglichkeit der Lazarette als ihre größte militärische Schwachstelle. Die Untersuchung liefert Anknüpfungspunkte und macht auf Desiderate und Anschlussfragen in unterschiedlichen historiographischen Forschungsfeldern aufmerksam. Für die allgemeine Erfahrungsgeschichte des Krieges erscheint es angebracht, die Lazaretterfahrung als typischen Bestandteil der soldatischen Kriegserfahrung künftig stärker einzubeziehen. Hier könnten weitere 352

Forschungsarbeiten klären, wie ein Lazarettaufenthalt das Kriegserlebnis von Soldaten nach der Entlassung prägte und inwieweit er ihre »Durchhaltebereitschaft« und Wahrnehmung des Krieges veränderte. Auch die Forschung zur »Heimatfront« kann von einer Berücksichtigung des Lazaretts profitieren. Als militärisch-ziviler Übergangsraum stellt es ein Beispiel für einen Bereich dar, bei dem sich nicht nur die bekannte These einer umfassenden »Militarisierung« der Gesellschaft im Verlauf des Ersten Weltkriegs bestätigen lässt, sondern ebenso die komplementäre These einer teilweisen zivilen Durchdringung und Entprofessionalisierung einer militärischen Institution. Das Verständnis des deutschen Lazaretts als Übergangsraum ermöglicht hier also eine Thesenbildung in zwei Richtungen – hinsichtlich einer weiteren Militarisierung der Heimatgesellschaft und der Medizin, aber auch einer konflikthaften »Zivilisierung des Militärischen«. Für die Medizingeschichte hat die Arbeit gezeigt, dass es sich weiterhin lohnt, sie mit Ansätzen aus der Kultur-, Militär-, Raum- und Erfahrungsgeschichte zusammenzuführen. Die Analyse von Ego-Dokumenten ließe sich etwa mit Gewinn auf weitere Lazarettakteure ausdehnen, etwa auf Ärzte, Krankschwestern, Helferinnen und männliche Pfleger. Ergeben sich dann andere Bilder des Heimatlazaretts? Zudem stellen sich Fragen nach den Folgen der Lazarettjahre für die ärztliche Zivilpraxis. Inwiefern veränderte die militärmedizinische Arbeitsund Begutachtungspraxis, welche die Ärzte zwischen 1914 und 1918 einübten, ihre Arbeit in der Friedenszeit? Veränderten sich Abläufe in Zivilkrankenhäusern, etwa im Sinne einer stärkeren Rationalisierung? Setzte sich das »Beschleunigungsparadigma« angesichts zahlreicher medizinischer Folgeerscheinungen des Krieges und der wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik weiter fort? Anschließend an die vorliegende Untersuchung des deutschen Heimatlazaretts ergeben sich zudem verschiedene Vergleichsmöglichkeiten. Anbieten würde sich sowohl ein übergreifender Vergleich von Heimatlazaretten mit Feldund Etappenhospitälern als auch ein inter- oder transnationaler Vergleich des Lazaretts als Raum im Krieg. Weiter ließe sich nach Kontinuitäten im Sanitätswesen zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg fragen. Welche »Lehren« zog die deutsche Militärmedizin aus ihren Erfahrungen im Großen Krieg? Organisierte sie das Lazarettwesen gezielt anders? Diese Fragen sind bisher vor allem für die Psychiatrie untersucht worden,4 sollten aber auch allgemeiner gestellt werden. Raumhistorisch orientierte Studien könnten aus dem Konzept des Übergangsraums Gewinn ziehen, wie es hier am Beispiel des deutschen Heimatlazarettwesens im Ersten Weltkrieg ausgeführt worden ist. Überall dort, wo sich verschiedene gesellschaftliche Sphären überschneiden und dies auch räumlich manifest wird, lohnt es sich, nach Übergängen und ihren Momenten der Transformation zu fahnden. Das Konzept ist flexibel genug, um nicht von vorneherein

4 Vgl. Rauh u. Prüll, Krank; Blaßneck; zur Heeressanitätsinspektion im Zweiten Weltkrieg Neumann.

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rigide Prämissen festzulegen, sondern die Vielgestaltigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit vergangener Ereignisse sichtbar werden zu lassen. Das Heimatlazarett war eine zeitlich begrenzte Übergangsinstitution. Mit dem Ende des Krieges im November 1918 und den Umwälzungen durch die Revolution verlor es rasch seine bisherige militärische und gesellschaftliche Bedeutung. Nun forderten die zivilen Gebäudebesitzer energisch ihre Räumlichkeiten zurück.5 Sie hatten deren dauerhafte Okkupation im Verlauf des Krieges teilweise nur zähneknirschend hingenommen. Viele Schulen konnten etwa während der Kriegsjahre aufgrund des Raummangels kaum noch ihren Unterricht weiterführen, worüber sich Schulleiter, Lehrer und Eltern massiv beschwerten.6 Während der Verwundetenversorgung zwischen 1914 und 1918 höchste Priorität eingeräumt worden war, galt nun die umgekehrte Losung: Die Lazarette mussten Schulen und anderen Institutionen weichen. Stück für Stück wurden sie in den Folgejahren aufgelöst, Patienten und Personal entlassen.7 In der deutschen Öffentlichkeit gerieten die Lazarette in Vergessenheit. Übrig blieben die Kriegsbeschädigungen an den Körpern der vormaligen Patienten, mit deren Folgen sie noch lange zu kämpfen hatten. Langfristig sollte sich die Kriegsbeschädigtenfrage zu einem der drängendsten sozialpolitischen Probleme und zu einer Hypothek für die Weimarer Republik entwickeln. Auch die Konflikte und Vergiftungen der Kriegszeit zwischen militärischen und zivilen Akteuren lösten sich mit dem Verschwinden der Lazarette nicht in Luft auf, sondern wurden zu schwerwiegenden Belastungen für die junge Demokratie. Für viele Soldaten blieb die Erinnerung an ihre Lazaretterfahrung noch Jahrzehnte später präsent. Der ehemalige Lazarettpatient Erich Maria Remarque hat den Militärhospitälern in seinem Weltkriegsroman »Im Westen nichts Neues« auf literarischer Ebene ein Denkmal gesetzt. Mit seinem ikonischen Satz »Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist«8 hat er eindringlich auf die Bedeutung des Militärkrankenhauses für Soldaten und Kriegsgesellschaft hingewiesen. Die widersprüchliche Vielfalt dieses Übergangsraums erstmals auf breiter Quellenbasis zu rekonstruieren und damit die Kenntnis über den Ersten Weltkrieg an zentraler Stelle zu ergänzen, war vorrangiges Ziel dieses Buches.

5 Vgl. etwa Wilhelmsstift Tübingen, Theologieseminar, an das Württ. Kriegsministerium, 18.11.1918, in: HStAS M 1/8 Bü 72. 6 Vgl. exemplarisch Bay. Kriegsministerium, Medizinal-Abteilung, an V[erwaltungsabteilung?]., 14.11.1917, in: BayHStA MKr/10519 sowie die Beschwerden von Schulvertretern in: BayHStA MKr/10517. 7 Vgl. dazu etwa die Dokumente in: BA R 1601/4211 und BA R 3901/7606. Teilweise übernahmen die Entente-Mächte bisherige deutsche Lazarette und nutzten sie für eigene Zwecke. 8 Remarque, S. 180.

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Dank Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im ­August 2019 am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigt habe. Zahlreiche Menschen und Institutionen haben mich bei seiner Entstehung unterstützt und inspiriert. Mein erster Dank gebührt Gabriele Metzler. Als Erstbetreuerin hat sie die Arbeit von der Ursprungsidee an motivierend und kompetent begleitet, langjährig gefördert und mit intellektuellen Impulsen bereichert. Zweitens danke ich herzlich Alexander Nützenadel. Als Zweitbetreuer stand er mir nicht nur mit wertvollem Rat verlässlich zur Seite, sondern hat auch die Publikation des Buches in der Reihe »Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft« maßgeblich unterstützt. Anja Laukötter gilt mein Dank für die Übernahme des Drittgutachtens und ihre wichtigen Hinweise. Verschiedene Institutionen haben mir Stipendien für meine Forschung gewährt und damit Archivaufenthalte und lange Schreibphasen ermöglicht. Der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH) danke ich für ein Promotionsstipendium im Rahmen des Deutsch-Französischen Doktorandenkollegs »Unterschiede denken II / Construire les différences II«, das mir auch wichtige Kontakte zur französischen Forschung eröffnet hat. Für weitere Stipendien bin ich dem Centre Marc Bloch sowie dem Centre de Recherche de l’Historial de la Grande Guerre und der Gerda Henkel Stiftung zu Dank verpflichtet. Ebenso danke ich dem BAAINBw für die Auszeichnung der Arbeit mit dem dritten Platz des Förderpreises für Militärgeschichte und Militärtechnikgeschichte. Ein Buch, das die Patientenperspektive auf Heimatlazarette mituntersuchen möchte, ist auf eine große Anzahl soldatischer Selbstzeugnisse angewiesen. Die Suche danach war oft schwierig. Viele Menschen haben mich in meinen Recherchen unterstützt und auf spannende Quellen aufmerksam gemacht. Großer Dank gebührt hier Wolfgang Eckart, Volker Hess, Robert Jütte, Raphaël Georges, Sandra Grether und Astrid Stölzle. Darüber hinaus gilt mein Dank Paul Kraatz, Wolfgang Mondorf und Georg Jacobi, die mir die Aufzeichnungen ihrer Groß- oder Urgroßeltern anvertraut haben. An der HU Berlin war die Einbindung in das Forschungskolloquium des Lehrstuhls für Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen von Gabriele Metzler für mich ein Glücksfall. Hier gingen wissenschaftliche Inspiration und freundschaftlicher Austausch nahtlos ineinander über. Besonderer Dank gilt Frank Reichherzer, Jan Hansen und Julia Eichenberg. Sehr profitiert hat dieses Buch zudem von den anregenden Diskussionen im Forschungskolloquium zur Neueren Geschichte an der FU Berlin. Ich danke herzlich Oliver Janz für die Möglichkeit, meine Forschungsergebnisse vorzustellen und für den wissenschaftlichen Austausch zu allen Fragen der Weltkriegsforschung. Wert355

volle Anregungen konnte ich auch bei weiteren Präsentationen meiner Arbeit an der University of Oxford, EHESS Paris, dem ZMSBw Potsdam, Historial de la Grande Guerre Péronne und Forschungsverbund LARHRA-CRISES Montpellier III. mitnehmen. In der Bibliothek des Berliner Ibero-Amerikanischen Instituts eröffneten sich in der Schreibphase nicht nur ideale Bedingungen für konzentriertes Arbeiten, sondern auch weitere Kontakte und Freundschaften. Besonders danke ich Antonio Carbone für seine Hilfsbereitschaft und unsere vielen guten Gespräche. Außerdem seien genannt Claudio Altenhain, Martin Biersack, Jan Brunner, Marta Lupica Spagnolo, Cecilia Maas, Sol Pérez Corti, Lucio Piccoli, Luciano Tepper, Jan Ullrich, Laura Wollenweber und Rocío Zamora Sauma – muchísimas gracias! Für die anregende Arbeitsatmosphäre und Unterstützung während der Publikationsphase gebührt mein Dank Arndt Brendecke sowie den Kolleginnen und Kollegen im SFB 1369 »Vigilanzkulturen« an der LMU München. Ein besonderer Dank gilt Sebastian Rojek für seinen klaren Blick, sein Wissen und seine stete Diskussions- und Lesebereitschaft. Weiter danke ich für inspirierenden Austausch und Unterstützung herzlich Sabine Hansmann, Katharina Schembs und Andreas Spreier, außerdem Nicolas Beaupré, Sebastian Bischoff, Pauline Breton-Chauvet, Adil Dalbai, Clara Frysztacka, Gundula Gahlen, Heika Gröning, Mark Jones, Christoph Kreutzmüller, Patrick Kroker, Roxanna Noll, Christoph Nübel, Heather Perry, Jan-Philipp Pomplun, Katharina Rall, Silke Reinhardt, Tinka Schubert, Amélie Schützsack, Christoph Streb und Konrad Sziedat. Meinem Partner Yannik Porsché danke ich für seine klugen und kritischen Gedanken, seine enorme Hilfe bei diesem Buch und für alles andere. Zuletzt möchte ich meiner Schwester und meinen Eltern von Herzen danken. Ohne die Begeisterung meiner Eltern für den Arztberuf wäre ich wohl nie auf das Lazarett-Thema gestoßen. Beide haben mich bei der Arbeit an diesem Buch auf vielen Ebenen entscheidend unterstützt. Ihnen ist es gewidmet. München, im Juni 2020

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Abkürzungen ALVR APFH BA BA-MA BayHStA BfZ BSMüA D.f.d.Deleg.

Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (Pulheim) Archiv des Pestalozzi-Fröbel-Hauses (Berlin) Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Bundesarchiv Abteilung Militärarchiv (Freiburg i. Br.) Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV Kriegsarchiv (München) Bibliothek für Zeitgeschichte (Stuttgart) Archiv der Barmherzigen Schwestern München Dienstanweisung für die Delegierten der freiwilligen Krankenpflege, Berlin 1907. D.fr.K. Dienstvorschrift für die freiwillige Krankenpflege, Berlin 1907. DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift F. S. O. Friedens-Sanitäts-Ordnung, Berlin 1891. GStA Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin) GLAKa Generallandesarchiv Karlsruhe HStAD Hauptstaatsarchiv Dresden HStAS Hauptstaatsarchiv Stuttgart IGM Bosch Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung (Stuttgart) ISG Frankfurt Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M. K. S. O. Kriegs-Sanitätsordnung, Berlin 1907. K. S. O.Anl. Anlagen zur Kriegs-Sanitätsordnung, Berlin 1907. K. V. Vorschriften über Badekuren und sonstige außergewöhnliche Heilverfahren für Militärpersonen (Kurvorschriften), Berlin 1905. LABer Landesarchiv Berlin MMW Münchener Medizinische Wochenschrift StadtAAa Stadtarchiv Aachen StadtABadNau Stadtarchiv Bad Nauheim StadtADr Stadtarchiv Dresden StadtAFrei Stadtarchiv Freiburg StadtAIngol Stadtarchiv Ingolstadt StadtAMü Stadtarchiv München StAFrei Staatsarchiv Freiburg Stv. Stellvertretender / Stellvertretendes UniAHeid Universitätsarchiv Heidelberg ZMSBw-Hausarchiv Ehemaliges Hausarchiv des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Potsdam)

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Quellen- und Literaturverzeichnis

a) Archivquellen ALVR – Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (Pulheim) Bestand Besatzung: Nr. 8575 APFH – Archiv des Pestalozzi-Fröbel-Hauses (Berlin) A-32b Vereinszeitung BA – Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R 67: Nr. 302, 322, 1301, 1346 R 1601: Nr. 4211 R 3901: Nr. 7606 BA-MA – Bundesarchiv Abteilung Militärarchiv (Freiburg i. Br.) MSG 2: Nr. 2200 b, 2324, 2849, 4694, 6578, 10812 N 128: Nr. 3 N 278: Nr. 2, 3, 4 N 369: Nr. 1 PH 2: Nr. 2080 PH 7: Nr. 6 PH 22-I: Nr. 19 PH 22-II: Nr. 730 PHD 6: Nr. 114, 115, 197, 206 PHD 20: Nr. 3, 4, 5, 6 RH 12–23: Nr. 161 RM 30: Nr. 23, 30, 31, 59 RM 120: Nr. 129 BayHStA – Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abteilung IV. Kriegsarchiv (München) AB: Nr. 12723 Kriegsbriefe: Nr. 327 MKr: Nr. 2330, 2331, 2334, 2335, 2336, 2337, 2338, 2339, 2340, 2341, 2342, 2343, 2344, 2345, 2346, 2347, 2348, 10455, 10516, 10517, 10518, 10519, 10520, 10521, 10614, 10627, 13815, 14025, 18385, 18387, 18389 Stv.GenKdo.I.AK.: Nr. 111, 739 Stv.GenKdo.I.AK.SanA.: Nr. 88, 107, 115, 158, 176, 177, 192, 196, 254, 281, 306, 334, 336, 432, 497, 504, 507, 525, 537, 575, 590, 593, 595, 596, 633, 674, 904 Stv.GenKdo.II.AK.SanA.: Nr. 39, 53, 56 BfZ – Bibliothek für Zeitgeschichte (Stuttgart) N: Borggräfe, Bachof, Finke, Heinlein, Wirtz, Zuhöne Periodica »Freundesgrüsse«

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BSMüA – Archiv der Barmherzigen Schwestern München 5.6: Nr. 5 GStA – Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin) I. HA Rep. 191: Nr. 3071, 3832, 3889 GLAKa – Generallandesarchiv Karlsruhe 456 F 113: Nr. 82, 87, 88, 343 456 F 118: Nr. 35 HStAD – Hauptstaatsarchiv Dresden 11348: Nr. 2120, 2712, 2717, 2718, 2733, 3001, 3299, 3300, 3312, 3327, 3342, 3360, 3361, 3387, 3388, 3497 11352: Nr. 1289 HStAS – Hauptstaatsarchiv Stuttgart M 1/8: Nr. 7, 72, 91, 93, 207 M 77/2: Nr. 3, 4, 9, 41, 48, 53 M 324 M 430: Nr. 2 IGM Bosch – Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung (Stuttgart) V 179 ISG Frankfurt – Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M. Magistrat: Acta Secreta: Nr. 27 S: Nr. 76, 140, 352, 358 S4c: Nr. 608 S5: Nr. 91, 343 S6a: Nr. 46 V48: Nr. 311 LABer – Landesarchiv Berlin A Rep. 042–05–03: Nr. 266, 375 E Rep. 200–47: Nr. 17 F Rep. 260–01: B 0007, B 0010, C 0068 MedHistMHamb – Medizinhistorisches Museum Hamburg Sammlung Eckart StadtAAa – Stadtarchiv Aachen Sammlung Erster Weltkrieg StadtABadNau – Stadtarchiv Bad Nauheim A II 23: 1914–1918 Reichswollwochesammlung, 1914–1918 Vergünstigungen für Kriegsteilnehmer A II 258: Krieg 1914 Verwendung des städtischen Krankenhauses als Lazarett A II 271: Das Konitzkystift als Vereinslazarett StadtADr – Stadtarchiv Dresden 13.17: F 60 Bd. II 13.7: Nr. 13, 16 KO IV: Nr. 2, 2a, 29, 40

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StadtAFrei – Stadtarchiv Freiburg i.B. B1: Nr. 378 C3 355: Nr. 8 C3 775: Nr. 4, 6 C3 776: Nr. 1 M 7090: Nr. 18 StadtAIngol – Stadtarchiv Ingolstadt A XXII: Nr. 233 StadtAMü – Stadtarchiv München Bürgermeister und Rat 346: Nr. 2 ZS 218: Nr. 1 StAFrei – Staatsarchiv Freiburg T1: Nr. 45 UniAHeid – Universitätsarchiv Heidelberg H-III-600: Nr. 1 ZMSBw-Hausarchiv – Ehemaliges Hausarchiv des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Potsdam) Briefsammlung der Krankenschwester Frieda Margarethe Eickmann vom Vereinslazarett Angermünde, 1915–1919

b) Quellen in Privatbesitz Kaiser, Josef, Mein Soldatenleben seit dem 17. November 1916 (bis November 1918), 2 Notizhefte, in: Privatbesitz der Verfasserin. Kondruß, Hans, Geschichte und Geschichten im Lebensstrome unserer Familie, Manuskript Offenbach am Main 1960, in: Privatbesitz Dr. Wolfgang Mondorf, Frankfurt a. M. Leidholdt, Clara, Tagebuch für alltägliche Ereignisse, 1909–1932, in: Privatbesitz Georg J­ acobi, Dresden. Rolvien, Walter, Erinnerungen, ca. 1943, in: Privatbesitz Paul Kraatz, Berlin.

c) Online zugängliche Quellen (letzter Zugriff am 28.06.20) Buchner, Franz-Xaver, Erinnerungen, 1894–1917, https://www.europeana.eu/portal/de/record/​ 2020601/https___1914_1918_europeana_eu_con​t ributions_419.html?q=Buchner+erinner ungen#dcId=1582740211322&p=1. Kähler, Hans Julius, Kriegstagebuch, 1916–1918, https://www.europeana.eu/portal/de/record/​ 2020601/https___1914_1918_europeana_eu_con​t ributions_1864.html?q=K%C3  %A4hler #dcId=1582740211322&p=1. o. A., Als ich in Frankreich Posten stand (Lied), o. D., https://www.volksliederarchiv.de/ als-​ich-in-frankreich-posten-stand/. Reichstagsprotokolle, 1867–1942, https://www.reichstagsprotokolle.de/index.html.

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Röhr, Hans-Joachim, Kriegstagebuch, Bd. 3, 1918–1919, https://www.europeana.eu/portal/en/ record/2020601/https___1914_1918_europeana_eu_contributions_15873.html?q=r%C3 % B6hr#dcId=1582740211322&p=1. Schlebusch, Peter, Lebenslauf und Lebenserinnerungen. Anhang der Ratheimer Chronik, Ratheim 1968, http://www.pfarre-ratheim.de/geschichte/schlebusch5.htm.

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Bildnachweis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3:

Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6:

Abb. 7: Abb. 8:

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Leichtverwundetenabteilung im Reservelazarett Ingolstadt II., Photographie, ca. 1915, in: BayHStA MKr/10517. Sonntagspredigt im Reservelazarett Ingolstadt II., im Vordergrund französische Offiziere, Photographie, ca. 1915, in: BayHStA MKr/10517. Vereinslazarett III. Schulhaus Mußbach, Neustadt a. d. W., Photographie, 1914– 1918, in: Historisches Museum der Pfalz – Speyer / Ehrenamtsgruppe HMP Speyer (CC BY-NC-SA), Inventarnr. HM_0_09216_066, https://rlp.museum-digital.de/ index.php?t=objekt&oges=6695&cachesLoaded=true (letzter Zugriff: 28.06.2020). George Grosz, Die Gesundbeter, Lithographie, ca. 1918, in: Museum of Modern Art (MoMA), Dept. of Drawings and Prints, Inventarnr. 234.1947. Krankensaal in einem Heilbronner Lazarett, Photopostkarte, ca. 1917, in: Medizinhistorisches Museum Hamburg, Sammlung Eckart. Lazarettpatient mit Streckvorrichtung am Bein im Reservelazarett »Gymnasium am Kaiserdom« Speyer, Oktober 1917, in: Historisches Museum der Pfalz – Speyer / Ehren­a mtsgruppe HMP Speyer (CC BY-NC-SA), Inventarnr. FU_13, https:// rlp.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=7833&cachesLoaded=true (letzter Zugriff: 28.06.2020). Skatspielende Patienten in einem Leipziger Lazarett, Photopostkarte, 31.05.17, in: Medizinhistorisches Museum Hamburg, Sammlung Eckart. Kronprinzessin Cecilie zu Mecklenburg und ihre Söhne Wilhelm, Louis Ferdinand und Hubertus besuchen Verwundete, Photopostkarte, o. O., 1914–1918, in: Medizinhistorisches Museum Hamburg, Sammlung Eckart.

Personen-, Orts- und Sachregister Abhängigkeit (-sverhältnis)  22, 84 f., 97, 207, 221 f., 340, 345 f. Adelige (s. a. Wohltätigkeit)  40, 284–287 Alltag  10 (Anm. 6), 19, 21 f., 141, 162 (Anm. 1), 169 f., 175–180, 187, 192 f., 202– 225, 236, 247, 267, 286, 332, 348 Ärzte  10, 17 f., 21 (Anm. 76), 22, 24, 44–47, 32, 34, 37 f., 54–57, 85–88, 92–95, 98, 100–105, 108–111, 119 f., 123–129, 153 f., 157, 161, 170–172, 186, 199, 203–207, 211, 222, 226, 233 f., 239–242, 252, 255 f., 260, 271–273, 277–278, 282 (Anm. 84), 284 f., 294–299, 304, 309, 313–317, 328–337, 342, 350, 353 – Ärztinnen 45 – Chefarzt  30, 41 f., 44, 56 f., 64, 72–75, 84, 86, 88, 97 (Anm. 24), 99, 118 (Anm. 147), 139, 156, 203–206, 210, 215, 222, 231, 285, 288, 290, 310, 321 f., 332–336 – Militärärzte  21 (Anm. 76), 26, 34–42, 44–46, 48, 58, 72, 96, 99 f., 109–112, 120, 123–129, 145, 148, 156, 159 f., 269–274, 277 f., 283, 288 f., 291–298, 304, 313–317, 331–342, 350–352 – Zivilärzte  44–46, 75, 102 (Anm. 52), 108, 111, 161, 123 f., 290, 295–297, 333 Alkohol (-ismus)  183, 309 Alverdes, Paul  220 f., 224 (Anm. 332), 235 Ambivalenz  26, 81, 85, 207, 222, 230, 239 (Anm. 398), 288, 348 Ambulante Behandlung  102, 114, 162 Amputation (-sangst)  17 f., 30, 110, 141 f., 149, 159 (Anm. 344), 198, 206, 246, 262 Angehörige (-nbesuch, s. a. Familie)  13, 22– 24, 89, 103, 124, 129, 193, 197, 226 f., 244, 252, 254, 267, 260, 271–275, 278, 281–283, 287, 293–295, 299, 302, 307, 313, 315 f. (Anm. 274), 343, 348, 350 Angermünde  174, 225 (Anm. 333), 258 f. Anstalt (-sforschung, Krüppelheil-)  13 (Anm. 25), 18 f., 60, 69, 99 f., 102–108, 129, 131–133, 139–144, 160, 171 f., 223, 276, 278, 284, 318, 327–333, 350

Antisemitismus  165 (Anm. 13), 234, 311, 313–316, 349 Arbeit  11, 19, 64, 74, 78–82, 89–93, 103, 110–114, 124, 128, 130–161, 187, 197, 199, 200–202, 219, 223, 226, 228, 236, 238, 242, 245, 258, 279 f., 282 f., 291 f., 296, 304, 319, 325, 330, 338, 347, 350 f. – »Arbeitstherapie« 144–146, 158, 282, 346 – Arbeitsverweigerung / -zwang  153–160 – »Arbeitswille« 107, 110, 134–139, 145, 147 f., 198, 278, 351 – Lazarettwerkstatt  33, 137 f., 142–144, 148–150, 154 f., 158, 202 – Wiedereingliederung  26, 114, 130–133, 138, 146 f., 159 f. Arbeitsverwendungsfähig / -keit (»a.v.«)  123, 141 (Anm. 257), 330 Attraktivität  80, 94, 155, 201, 248, 254, 257, 262 f., 267- 269, 298, 345, 348 Aufnahme  26, 65, 163–167, 171, 173, 181, 216, 227, 337 »Augusterlebnis« (s. a. Kriegsbegeisterung) 90 Autonomie  58, 121, 133, 156, 172, 180, 207, 209, 240, 267, 351 Bahnhof  60 f., 81 (Anm. 293), 164 f., 243, 272 Barbarei  231, 271, 275–278, 343 Bauern  /  Bäuerliche Lebenswelt  24, 156, 226, 233, 347, 254 Bedrohung (s. a. Gefahren)  26, 31, 84, 87 f., 100 f., 104, 121, 124, 128, 134, 151, 183, 191, 194, 250, 254, 268, 273, 288–319, 326, 330, 339, 342–344, 348–350 Behandlung (-sdauer, s. a. Therapie)  11 f., 14, 17 f., 35, 37, 45, 53, 56, 70, 95, 99–115, 118–122, 129 f., 133, 139–141, 147, 155– 160, 171, 183, 202–207, 227 f., 234, 260, 270–273, 278, 294, 318, 325–328, 331–335, 337, 346, 351 Belgien  31, 217, 275, 348 Berlin  12 (Anm. 22), 36–40, 48, 69, 71, 74, 81 (Anm. 292), 83 (Anm. 302), 89, 108 (Anm. 90), 110, 131 f., 137, 157 (Anm. 336), 164 (Anm. 9), 213, 217

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(Anm. 284), 226, 244 (Anm. 435), 256, 272, 278 f., 282, 285, 328, 335 Besatzungsheer  37, 41 (Anm. 41), 44, 292, 337 Biesalski, Konrad  131–133, 138, 151, 261 f. Berufsberatung / -vermittlung  77, 90, 136, 141, 143 f., 147, 152–154, 223 Beschleunigung (-serlass, -sparadigma)  83, 110–130, 161, 228, 294, 318 f., 326–328, 337, 339, 346, 350 Beschwerden  23, 83, 85–88, 115 (Anm. 131), 123, 129, 174 f., 271–273, 312, 316, 346, 354 (Anm. 6) Besucher (-verkehr, s. a. Publikum)  22, 26, 86–91, 176, 226, 231, 245, 257, 272 f., 281– 288, 306, 308, 317, 346, 349 Bett (-lägerigkeit)  10, 24, 26, 32 f., 55, 58 f., 62–65, 66 (Anm. 212), 68, 70 f., 76, 78, 96, 137, 144, 164 f.,167–172, 174–191, 198, 200, 206, 209, 215, 221, 227–231, 237, 240, 253, 255, 265, 267, 321 f., 325, 340, 347 Bettnässer 330 Blockade  115 f., 150 f. Brecht, Bertolt  127 f., 130, 274 Briefe (s. a. Feldpost)  10, 24, 33, 76, 162, 174, 178, 185 f., 193, 209, 221, 225 (Anm. 333), 246, 254, 258 f., 261, 275, 277, 286 Bürokratie  46, 75, 77 (Anm. 268), 128, 326 (Anm. 332) »Burgfrieden« 199 f.

Ego-Dokumente (s. a. Selbstzeugnisse)  10, 15, 22, 23–25, 162 f., 191, 200–202, 206, 208, 212, 219 f., 231, 233, 238, 241, 246, 262, 264, 274, 353 Entlassung  72, 102 f., 113–116, 123 f., 129 f., 133, 146, 151–159, 164, 173 f., 193, 245, 249, 258 f., 271, 274, 296 f., 303, 326, 335–344, 353 f. Entlastung  98 (Anm. 34), 100, 103, 214, 247 f., 253, 277, 290, 331, 348 f. Enttäuschung  83 f., 255 Erfahrung  9 f., 12, 15, 22, 25 f., 48, 58, 62, 64, 78, 162–267, 345, 352 f. – Fronterfahrung  15, 192, 217, 225, 250– 255 – Kriegserfahrung  9 f., 12, 15, 26, 162 f., 208, 266, 345, 352 f. – Patientenerfahrung  13, 22, 162–267 Erinnerung (-sbericht, -sjubiläum, Kriegs-)  10, 17, 24, 33, 47, 63, 78, 169, 185, 189, 200 f., 203, 208, 217, 231 f., 238, 249, 251, 258 f., 262, 303, 354 Ersatz  11, 36, 94, 117, 122, 238, 240, 246, 318, 334, 338 Erwartung (-ssicherheit)  21, 48 f., 52, 82, 85, 94–110, 131, 149, 172, 197, 207, 215 f., 229, 250, 255, 267, 286–288, 324, 330, 351 Etappe  28–35, 37, 44, 49, 93–97, 121, 123, 164, 170, 174, 235, 249, 251–253, 314, 320, 353

Chaotischer Kriegsbeginn  28, 52–58, 69, 71 Chirurgie  40, 93, 100 f., 131, 139, 329

Fachärztlicher Beirat  46, 72, 97, 302 f., 329, 332–336 Familie (-nersatz, Lazarett-, s. a. Angehörige)  24, 148, 186, 216 f., 239–241, 244 f., 257, 272, 280 f., 295, 348, 351 f. Feier (-kultur, -tage)  195, 211 f., 214–219 Feind (-bild)  63, 88, 92, 132, 199, 224, 227– 235, 261, 264, 277, 297, 311–314, 342 Feldpost (s. a. Briefe)  10, 24, 33, 76, 162, 174, 178, 185 f., 193, 209, 221, 225 (Anm. 333), 246, 254, 258 f., 261, 275, 277, 286 Feldsanitätschef  34 f., 37, 39, 48, 93, 95, 270, 302, 340 (Anm. 408) Feldsanitätswesen  13 (Anm. 26), 21 (Anm. 77), 29–35, 37, 49, 52, 93 Fieber (-messen)  57, 167, 172, 182–184, 201, 247, 252 Frankfurt am Main  59 (Anm. 195), 73, 223 (Anm. 325), 232, 238 Frankfurt (Oder)  330

Desertion  251, 264, 299–304, 341, 348 Diakonissen  47, 242 f. Dienstunfähigkeit (»d.u.« / »kr.u.«)  95, 123– 126, 129, 132, 141, 152 f., 157 f., 258, 338 Dilemma (s. a. Zielkonflikt)  78, 91, 157, 222, 268, 288, 273 (Anm. 25), 341 (Anm. 411), 343, 348 Disziplin (-aranstalt, -ierung)  42, 44, 73, 91, 93, 98, 102–108, 110, 135 f., 160, 172, 188, 241, 279, 290–297, 312, 316, 319, 326, 332, 343, 349 f. Dolchstoßlegende  289, 314, 344, 349 f. Dresden  36, 40, 138, 141, 145, 275, 291 »Drückeberger« 128, 233, 257, 297, 299, 300, 304, 313 (Anm. 263), 314, 327, 336, 341 Durchhalten  84, 198, 200, 294, 310, 315 (Anm. 270), 322, 324, 341, 353

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Frankreich  11 (Anm. 17), 31, 159, 196, 235 f., 264, 275 f., 348 Frauen (s. a. Weiblichkeit)  31, 44 f., 47, 72, 74, 80–82, 87–89, 169, 196 f., 212, 235– 246, 282, 292 f., 319, 352 – Ehefrau  78, 193, 197, 244 f., 282 – Mutter / Mütterlichkeit  97, 169, 197, 236–241, 267 Freiburg im Breisgau  23, 67 f., 81 f., 92, 142, 167, 195, 224, 229 f., 231 f., 237 f., 283 f., 327 Freiwillige Krankenpflege (s. a. Rotes Kreuz)  22 f., 34, 37, 42, 44, 47, 49 f., 52, 71–77, 83–97, 108, 217 f., 227, 238, 255, 283, 290 f., 345 f. Freizeit  207–214, 250, 267, 325, 347 – Ausflüge  210–212, 256, 267, 347 – Ausgang  144, 156, 172, 213, 243, 272 – Lazarettbeschäftigung  65, 134–139, 144–146, 151–158, 185 f., 202 Frieden (-ssehnsucht, Sieg-)  13, 19, 24, 35, 48–50, 53 f., 67, 87, 92, 99, 102, 117, 131 f., 135, 170, 189, 191 f., 199 f., 214, 230 f., 267, 272 f., 288, 309 f., 324, 330, 353 Friedens-Sanitätsordnung (F. S. O.)  42, 44, 49, 51, 119 (Anm. 152), 172, 201 (Anm. 206), 287 Front  14–17, 34 f., 53 f., 84, 90–96, 191–196, 235 f., 248–255 – Bedingungen  31 f., 53 f., 100 f., 63, 250– 255, 121 f., 169 f., 172, 175 f., 184, 200, 206, 277 f. – Fronteinsatz  11, 21, 70, 72, 87, 94, 103, 116 f., 124, 164 f., 174, 193 f., 236, 245, 258, 262 f., 265, 273, 308, 312–314, 339–343 – Frontsoldaten  12, 43, 61 f., 80, 90 f., 166 f., 200 f., 221 f., 248–254, 266–269, 312 f., 319, 324 – Schützengraben  11, 54, 194, 196, 201 (Anm. 208), 216, 221 f., 225, 248, 250, 253, 266, 348 Fürsorge (Kriegsinvaliden-, Kriegsbeschädigten-)  14, 97, 114, 130–160, 203, 223, 236, 271 f., 278 f., 281–285, 293 f., 347 f., 352 Fürsorge-Reserve-Lazarett München  98, 112, 139–145, 148 f., 172, 285 Gefahr (-enzone, s. a. Bedrohung)  26, 31, 84, 87 f., 100 f., 104, 121, 124, 128, 134, 151, 183, 191, 194, 250, 254, 268, 273, 288–319, 326, 330, 339, 342–344, 348–350

Gemeinschaft (Erfahrungs-, Lazarett-, Not-)  78, 90 f., 105, 109 f., 148, 200 f., 209–214, 218–225, 229, 235, 241 Gennep, Arnold van  20 Gerüchte  180 f., 208, 266, 274 f., 306, 308, 315 Geschlechterverhältnisse  97, 236 (Anm. 383), 293 Gesundheit  21, 93, 102, 105–107, 110, 112, 117 f., 121 f., 124–129, 152, 164, 170, 173 f., 205–207, 278, 323, 351 Godesberg (Bad Godesberg)  185, 192, 207 f., 210 Goffman, Erving  19, 186, 223 Graf, Oskar Maria  274 Grosz, George  124–130, 225, 274 Hamburg  153, 210, 243 f. Hausordnung  23, 172, 201, 238, 288 Heer  24, 28–37, 44, 48 f., 52–54, 93–99, 116– 118, 122 f., 146, 150, 157, 227, 254, 271 f., 291–293, 297, 304–308, 312, 314, 320–322 Heeresverwaltung (s. a. Sanitätsbehörden) ​ 21 (Anm. 76), 34–42 Heidelberg  56, 75–81, 245, 287, 327 Heilung  65, 92 f., 95, 101, 107 f., 111–113, 133, 142, 145, 184, 209, 222, 278, 346, 348 Heimat – Bevölkerung (s. a. Zivilbevölkerung) ​ 14 f., 22, 28, 45, 69–91, 108, 150, 161, 187, 191, 211, 214, 217, 226 f., 229, 268, 270 f., 274, 279–283, 288 f., 304 f., 315–320, 323, 346, 348 – Heimatfront  15, 43–91, 115, 194–200, 214–218, 267, 278, 280, 345, 353 – Heimatgebiet  12–14, 21 f., 29, 43–91, 95–97, 115, 173, 246 – Vorstellungen  11, 80, 95, 97, 191, 199 f., 235 f., 245 f., 279 f., 289–293, 297–304, 308 f., 319, 343 f., 348 f., 351–353 »Heimatschuss« 190, 263–266 Heimaturlaub  43, 151, 156, 244, 252–255, 299 f., 308, 317, 341 (Anm. 408), 348 Heimatsanitätswesen (s. a. Sanitätsdienst) ​ 29–48, 48–59, 94–99, 269–275, 313, 329, 338–343 Held (-entum, Kriegs-)  16, 82, 127, 141, 196– 200, 215, 217, 257, 261, 278, 341, 345 Helfer  22, 47, 74, 76, 80–86, 90 f., 162, 236, 242, 291 f., 345 Hellpach, Willy  103 f., 121, 134 f., 222

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Herder, Charlotte  81 f., 167, 195, 229 f., 230 f., 282 f. Hilfsdienstgesetz  47, 151, 337 Hindenburg-Programm  116, 152 Humanität  263, 270, 275–278, 281–284, 288, 343, 348, 350–352 Improvisation  48–66, 85, 136, 272 f. Infantilisierung  215, 237, 239 f., 267, 347 Ingolstadt  59–66, 214–216, 219, 285 f. Insasse (s. Patient)  43, 146–153, 162–266, 338–343 Inspektion (s. a. Kriegssanitätsinspektion) ​ 34, 38 f., 56, 59 f., 70–72, 76, 169 f., 290 f., 301–303, 311, 332–339 Institution / Institutionalisierung  12, 14, 18 f., 21, 25 f., 29, 34, 38, 52, 66, 68, 70–72, 90, 97 f., 109, 150, 158, 186, 218, 223, 227, 304, 307, 332, 345–350, 353 f. Invalide / Invalidität  17, 21, 107, 114, 130– 160, 198, 236, 278, 329, 351 – Invalidenschule (s. a. Schule)  110 (Anm. 101), 137, 141, 142 f., 152 – Vorzeige-Invalide 148 Jünger, Ernst  196 Kaiser-Wilhelms-Akademie  35, 37–40, 328 Kaiserreich (Deutsches)  11 (Anm. 17), 49, 51, 69, 92, 100, 112, 115, 132, 138, 150, 194, 216, 273, 275 f., 297, 307, 352 Kameradschaft  201, 221 f., 233, 235, 267, 269 f., 293 f. Kampf (-bereitschaft, -zone)  11, 95, 104 f., 110, 122, 126, 133, 143, 151, 171, 197–199, 218 f., 257, 265, 268, 273, 292 f., 304, 308, 331, 338–342 Kaufmann, Fritz  105–107, 119 (Anm. 150) Kinder  76, 89, 169, 215, 226, 237, 239–241, 244 f., 280, 287, 347 Klemperer, Victor  181, 190, 205 f., 233 f., 253 f., 256, 263, 265 f. Körper  66, 93, 110, 118, 120–122, 127, 134, 158, 161, 166, 182 f., 185 f., 190, 205, 248, 253, 260, 262, 264, 266, 268, 302, 347 f., 351, 354 Kommission (Musterungs-, Untersuchungs-) ​ 44, 57, 75, 79, 82, 123, 126–128, 283, 336–339, 350 Konkurrenz  85, 143, 346

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Kontaktzone  14, 16, 226–246, 267, 289, 347, 349 Kontrolle (-verlust, s. a. Überwachung)  37, 42, 44, 72 f., 84, 86–88, 102–108, 114, 133, 161, 227, 268, 271, 281, 288–291, 296, 305 f., 311, 326–338, 342–346, 350 Kopftafel  170 f. Kraepelin, Emil  45, 79 Krankenschwester (Hilfs-)  22, 24, 31, 47, 51, 136, 212, 225 f., 231, 234–243 Kranke (Leicht-, Schwer-)  12, 43, 57, 70, 92, 102, 109, 113, 116, 129, 134, 144 f., 162, 181–183, 186, 198, 230 f., 261 f., 295, 298 f., 301–303, 308, 337 Krankheit  17 f., 92, 112–114, 122, 124, 134, 162, 164, 221, 226, 236, 246 (Anm. 442), 249, 255, 257, 261–266, 178, 298, 301–303, 313, 327 f., 342, 350 – Geschlechtskrankheiten  92, 102, 109, 113, 162, 224 (Anm. 332), 261, 298, 301 f. – Magen-Darm-Erkrankungen  17, 109, 121, 207, 246 (Anm. 442), 251, 298 – Rheuma  70, 261 f., 298 – Tuberkulose  17, 56 f., 129, 162, 303, 327, 329 Kreislauf (-idee, -modell)  95–99 Kriegsbegeisterung (s. a. »Augusterlebnis«) ​ 90, 105 Kriegsbeschädigtenfürsorge (s. a. Fürsorge) ​ 14, 97, 114, 130–160, 203, 223, 236, 271 f., 278 f., 281–285, 293 f., 347 f., 352 Kriegsende  25, 159, 231 f., 314, 344, 350, 354 Kriegserfahrung (s. a. Erfahrung)  9 f., 12, 15, 26, 162 f., 208, 266, 345, 352 f. Kriegsfürsorgeausstellung  141, 271 f., 281 f. Kriegsgefangene  32 f., 37, 63 f., 227–235, 276, 343, 347 Kriegsindustrie  11, 96, 111 f., 116, 128, 146, 153, 156, 267, 323 Kriegsminister  308, 317 Kriegsministerium – Bayerisches  35 f., 39–41, 59, 78, 86–89, 106 f., 109 f., 115 f., 119 f., 154, 187, 205, 274 f., 290 f., 300, 311–317, 334–336 – Preußisches  35 f., 38 f., 42, 45, 60, 116– 118, 121 f., 132–136, 143, 150–152, 155, 183, 187, 205, 228, 294–298, 302, 308, 334–336, 338 – Sächsisches  35 f., 145 f., 205 – Württembergisches  35 f., 205

Kriegsneurosen / K riegsneurotiker (s. a. Neurotiker)  17, 104–108, 113, 119 (Anm. 150), 121, 134 f., 138, 205, 293, 295, 297–299, 304, 309 f., 316 f., 319, 326 f., 341, 343, 349, 351 Kriegssanitätsinspektion (s. a. Inspektion)  38, 334–336 Kriegs-Sanitäts-Ordnung (K. S. O.)  49–52, 227 Kriegsverlauf  30, 51, 84, 91, 129, 139, 210, 268, 288 Kriegsverwendungsfähigkeit (»k.v.«)  111, 113–115, 117, 120, 122–130, 157, 228, 259, 269, 273, 277, 330, 335, 339 (Anm. 401) Kriegsvorbereitungen  21, 49–54, 59–61, 70, 72 Kritik (s. a. Pazifismus) – am Lazarettwesen  86–89, 101, 161, 271– 275, 292–295, 346 – am Militär  46 (Anm. 46), 126–128, 161, 271–275, 307, 342, 346 – an Frauen  87 f., 156 (Anm. 331), 292 f., 297, 319 Kur (-heilanstalt)  99 f., 256 Läuse / Entlausung  165 f., 176, 234 Langeweile  142, 144, 184–186, 189, 193, 212, 250, 267, 309, 325, 242 Lazarett – Beobachtungslazarett 327–331 – Etappenlazarett / K riegslazarett  13, 28 f., 31 f., 95, 97, 121, 249, 252 f. – Feldlazarett  29–31, 54, 95, 100, 169, 251–153 – Garnisonlazarett  13, 51–53, 327, 332 – »Geheimlazarett« 274 f. – Ländliches Lazarett  57, 82, 85 f., 90, 213, 290, 292, 339 – Lazarettzug  13, 32 f., 61, 74, 82, 164 f., 252, 255, 260, 340 (Anm. 408) – Musterlazarett  60, 97 f., 139–144 – Reservelazarett  33, 44, 52, 71 f., 75, 78 f., 83, 97 f., 100, 109, 114, 139 f., 162 f., 228 f., 255 f., 290–292, 296 f., 299 f. – Spezial- / Sonderlazarett  101, 109 f., 139–144, 327 – Vereinslazarett  13, 33, 42, 50, 55 f., 70– 75, 83–87, 101, 144 f., 162 f., 227 f., 258 f., 289–304, 339 f., 343, 349 Lazarettbeschäftigung (s. a. Freizeit)  65, 134–139, 144–146, 151–158, 185 f., 202

Lazaretteinrichtung / -aufbau  29–34, 48–69, 139–144, 327–331 Lazarettkleidung  166 f., 173, 229, 253 Lazarettpfarrer  165, 171 f., 176, 185, 188, 197 f., 207, 217 f., 226, 232, 240, 320 Lazarettsprache 222–225 Lazarettsystem  28, 49, 51, 58 f., 69 f., 84, 95– 100, 128, 139, 164, 290, 304, 336, 342, 344 »Lazarettwanderer« 303 f., 343, 349 Lazarettzeitung  223–225, 237 f. Lebensmittel  86, 136, 211, 216, 257, 288 Legitimation / -ität  77, 85, 90 f., 196 f., 200, 251, 254, 261 f., 270, 277, 285 f., 288 f., 317, 345 Leidensgenossenschaft  182, 201, 221 f. Lesen  44, 154, 175, 185, 187 f., 202, 224 – »Schundliteratur« 187 f. Lessing, Theodor  234 Lewandowsky, Max  341 Liebesbeziehungen  186, 242–244 Liebesgaben (s. a. Spenden)  37, 73 f., 77 f., 85, 214, 217, 245, 263, 286 Liminalität  20 f., 347 Literatur (Antikriegs-, Weltkriegs-)  9 f., 24 f., 47, 162, 169 (Anm. 34), 179 f., 182 f., 187 f., 205 f., 221, 238 f., 235, 242 (Anm. 421), 247 f., 354 Löw, Martina  20, 68 Ludwig Ferdinand von Bayern  139 f., 285 Machbarkeit (-sphantasien, -sversprechen)  14, 132, 352 Männlichkeit (-svorstellungen)  45, 97, 141, 151, 198, 212, 235 f., 245, 267, 279 f., 293 f., 352 f. Mangel (Ärzte-, Material-, Platz-)  43, 57, 62 f., 98, 101, 115 f., 131 f., 141, 149, 168, 216 f., 272, 278, 342, 354 Marine (-lazarett, -behörden)  13 (Anm. 28), 23 (Anm. 86), 33 (Anm. 37), 44 (Anm. 98), 98 (Anm. 34), 150, 153, 234, 277 Medikalisierung  94, 105, 314, 344 Medizinal-Abteilung – bayerische  35 f., 39–42, 59, 87–89, 187, 274 f., 284, 287, 300, 305 f., 311–316, 328 f., 333–336 – preußische  35–39, 111, 129 f., 135 f., 150 f., 155–158, 187, 295 f., 333–336, 340 f. – sächsische  23 (Anm. 88), 35 f., 40, 145 f. – württembergische  35 f., 40, 299, 334 (Anm. 377)

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Medizingeschichte  16–18, 20–22, 46, 351–353 Melancholie  134, 154, 306, 325, 349 »Menschenmaterial« 117, 128 f., 288 Militärgeschichte  19 f., 22 f. Militärmedizin (s. a. Sanitätswesen)  28–59, 92–161, 268–345 Militarisierung (De-, Re-)  47, 58, 68, 87, 91, 94, 152, 273, 296, 353 Missstände  54–59, 297, 312, 318, 326, 332, 335, 339 Misstrauen  87, 274 f., 288–292, 297, 300, 314, 324, 334, 343 f., 349 Mitleid  144, 197, 230 f., 272, 292 f., 336 (Anm. 384) Mobilisierung (De-)  52 f., 70–75, 84, 91, 103, 153, 227, 236, 273, 281, 292 f., 319, 345 Mobilmachung  35, 42 (Anm. 84), 50–53, 58, 60, 99, 315 Modernität  11, 13, 32, 63, 66, 85, 96, 99–101, 160, 260, 269 f., 277 f., 288, 293, 316, 328, 343, 346, 351 Moral  80 f., 131, 138, 140, 197, 199, 207, 214, 221, 255, 257, 264, 275–278, 284, 296, 305, 308, 310 f., 314–320, 341, 343, 349, 352 Morphium (-abhängigkeit)  182–184 München  40, 59, 69, 71, 109, 139–144, 148 f., 153, 165, 172, 194, 215, 265, 283–285, 287, 301 f., 325, 339 Muße / Müßiggang  134, 157, 212, 243, 280, 291, 306 Musterung (Nach-, s. a. Kommission)  42, 94 (Anm. 11), 122–130, 173, 331, 336–339, 346 Narkose  182–184, 204, 224 Neurosen / Neurotiker (s. a. Kriegsneuro­ tiker)  17, 104–108, 113, 119 (Anm. 150), 121, 134 f., 138, 205, 293, 295, 297–299, 304, 309 f., 316 f., 319, 326 f., 341, 343, 349, 351 Oberste Heeresleitung (OHL)  34, 116, 320 Obmänner (s. a. Vertrauensleute)  305, ­309–311, 318, 320–326 Öffentlichkeit  26, 49, 78, 81, 90 f., 106, 120, 124, 128 f., 141, 148, 160 f., 239, 268, 271– 276, 282–284, 288, 305, 346, 348, 354 Offiziere  24, 44 f., 63, 75 f., 102 f., 106, 117 f., 137, 167 f., 205 f., 229, 232, 235, 249, 285, 305, 308, 314, 316, 321, 337

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Operation (Zwangs-)  30, 68, 100, 118–122, 141, 162, 182, 184, 204–207, 221–224, 255, 351 Opfer (-bereitschaft, Kriegs-)  10 f., 53, 68, 73 f., 83, 111, 116, 127, 132, 158, 197, 199 f., 239, 241, 264, 270, 305 f., 352 Ordnung  21, 68, 76, 97, 124, 181, 202, 214, 220, 254, 287, 289 f., 297, 339, 351 Orthopädie  17 f., 56, 98, 100 f., 109, 131 f., 139, 142 f., 148 f. Oskar-Helene-Heim  131, 133, 278 Paradoxie (s. a. Widersprüchlichkeit)  47, 121, 204, 226 f., 239, 248, 250, 263, 268, 273, 281, 288, 293, 318, 350 f., 354 Partizipation  13, 16, 207, 345, 352 Patient (-enperspektive, -enerfahrung, -enwohl)  43, 46, 111, 146–153, 162–266, 338–343 Pazifismus (s. a. Kritik)  46 (Anm. 46), 271, 273, 307, 342 Penzoldt, Ernst  182 f. Pflegepersonal  10, 22, 42, 44, 47 f., 51, 108, 134, 170, 172, 183, 186, 199, 212, 218 f., 229, 234–243, 257, 267, 317, 348 Planung (-sebene, -sversagen)  21, 49–54, 59–61, 70, 72 Postkarten (s. Feldpost)  10 (Anm. 6), 15 (Anm. 39), 24, 168, 221, 244, 254, 277 Potenzial  14, 26, 80, 84, 94–110, 277, 288, 300, 343 Privatpflegestätte  29 (Anm. 2), 33, 42, 71, 74, 85, 103, 162, 227 f., 255, 289 (Anm. 118) Produktivität  93, 96, 150, 157, 241, 323, 351 Professionalisierung / -ität  14, 26, 46, 57, 105, 110, 126 (Anm. 178), 137, 219, 223, 269, 273, 352 f. Professoren  79 f., 261, 279, 287, 328, 333 Propaganda  197, 200, 232, 242, 276 f., 304 f., 311, 319–326, 344 Prothese  11, 98, 102, 107, 130 f., 141 f., 148 f. Psychiatrie (Kriegs-)  17–19, 104–107, 121, 135, 222, 274, 299, 306, 327, 329, 341, 349 f., 353 Publikum (-sverkehr, s. a. Besucher)  52, 73, 281 f. 287, 348 Raum – Liminaler Raum (s. a. Übergangsraum)  69, 164, 173, 191, 266

– Mikrokosmos  9, 200–226, 267 – Möglichkeitsraum / Ermöglichungsraum  14, 18, 80, 91, 352 – Provisorischer Raum  14, 21, 62 f., 76, 91, 219, 345 – Raumtheorie  20, 68 – Städtischer Raum  14, 66–69, 114, 136 f., 164, 207 Reichstag  45, 271, 308 Remarque, Erich Maria  9 f., 179 f., 195 (Anm. 174), 354 Rente (-nbegehren, -nhysterie, -nneurose)  105, 114, 130, 134 f., 138, 151, 154 f., 159 f., 205, 296, 304, 309, 329, 341, 343 Repräsentation 269–288 Reservelazarettdirektor  332, 334 Revolution (-äre Umtriebe)  108, 127, 289, 307, 312, 342, 343 f., 349 f., 354 Richert, Dominik  251 Risiko (-zone)  292 f., 308, 319, 350 Ritterorden  13, 47, 71 Rotes Kreuz (s. a. Freiwillige Krankenpflege)  22, 28, 21, 39, 47, 68, 71, 74, 83 f., 90, 97, 136, 138, 188, 208, 210, 215, 217, 225, 238 f., 242, 277 f., 345 Sanitätsamt  41 f., 44, 56, 74, 140, 152, 284, 291 f. Sanitätsbehörden (s. a. Heeresverwaltung)  21 (Anm. 76), 34–42 Sanitätsdienst / Sanitätswesen (s. a. Heimatsanitätswesen)  29–48, 48–59, 94–99, 269–275, 313, 329, 338–343 Sanitätsoffizier  37, 44–46, 75, 106, 114, 124, 129, 273, 277, 290, 314–316, 328 f., 336 f. Sanitätstaktik  12, 30, 175 Schjerning, Otto von  34 f., 37 f., 48–50, 93–95, 270 Schlaf (-losigkeit)  63, 169, 171, 175 f., 179, 182 f., 189–191, 195, 220, 250, 253, 256 f. Schmerzen  32, 63, 121, 154, 171, 175 f., 182– 185, 198 f., 220, 247 f., 267, 298 f. Schuld (-zuweisungen, Dankes-)  16, 55, 80–82, 169, 213, 256 f., 262, 289–297, 311, 314–218, 343, 349, 352 Schule  14, 67, 69, 278–281, 347, 354 – Invaliden- / Verwundetenschule (s. a. Invalide)  110 (Anm. 101), 137, 141, 142 f., 152 – Schulungszentrum (s. a. Weiterbildung)  108–110, 160

Schultzen, Wilhelm  38 f., 70, 128 f., 135 f., 335 Schweiz  67 f., 228, 283 f. Schwellenritual (s. a. Übergangsritual)  20 f., 123 f., 164–167, 173 f. Sehnsuchtsort  246–267, 269 Selbsterhaltung  148–153, 346 Selbstvergewisserung  231, 277, 343 Selbstverstümmelung  264, 265–267, 298– 304 Selbstzeugnisse (s. a. Ego-Dokumente)  10, 15, 22, 23–25, 162 f., 191, 200–202, 206, 208, 212, 219 f., 231, 233, 238, 241, 246, 262, 264, 274, 353 Seydel, Karl von  39–41, 87–89, 272–275, 312–316 Sicherheit  99–101, 104, 124, 191 f., 195 f., 206 f., 257 f., 263, 267, 293, 334, 340, 351 f. Simulation  72, 264–267, 298–304, 330, 343 Sinne (Geschichte der, -seindrücke)  176– 180 Soldaten (-tum)  9–15, 18, 21–26, 30, 43–47, 56, 90–95, 99–103, 116, 118–124, 130 f., 150–155, 160–166, 173 f., 192 f., 196–207, 221–225, 239–246, 249–255, 260–266, 269 f., 289–295, 317–324, 338–342 Spenden (-geber, s. a. Liebesgaben)  37, 71, 73 f., 77 f., 85, 187 f., 213 f. 217, 236, 239, 245, 286 Spezialisierung  58, 70, 85, 101, 105, 108–110, 139–141, 327–329 Spionage (-furcht, -itis)  88, 228, 232, 311 (Anm. 253) Stein, Hermann von  308, 317 Stellvertretendes Generalkommando  41 f., 310, 334 Sterben (s. a. Überleben)  17 (Anm. 52), 32, 53, 171, 173, 106 (Anm. 76), 124, 127, 180 f., 196, 247 f., 252, 271–273, 347 »Stille« (s. a. Held) 191–200, 215, 267 Stimmung (-shebung, -süberwachung)  304– 326 – Gute / Schlechte Stimmung  83 f., 217 f., 222, 275, 304–319 – Stimmungsbericht 309–311 Strafe  43, 102 (Anm. 51), 119, 121, 264 (Anm. 539), 300–302, 340 f. Straßburg  40, 68 f., 98, 111, 133, 149, 185, 284, 341

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Stube (-ngemeinschaft)  167 f., 175–180, 209 (Anm. 249), 218–222, 235, 306, 315, 317 Stuttgart  23 f., 36, 40, 125, 127, 191 f., 214, 220, 225, 236 Täuschung  298–301, 326, 329–331, 339 f. Tagebuch  23 f., 33, 162, 174, 198, 200–203, 207 f., 210, 221, 233, 246 f., 261 Tauglichkeit (-sanforderungen, -sgrad)  45, 93 f., 112–118, 120, 122–130, 161, 289 Therapie (s. a. Behandlung)  11 f., 14, 17 f., 35, 37, 45, 53, 56, 70, 95, 99–115, 118–122, 129 f., 133, 139–141, 147, 155–160, 171, 183, 202–207, 227 f., 234, 260, 270–273, 278, 294, 318, 325–328, 331–335, 337, 346, 351 Transition / t ransitorisch  20 f., 27, 58, 198, 323, 351 Transport (Kranken-)  12, 28, 32 f., 37, ­54–59, 72, 80, 86, 95 f., 100 f., 165, 173, 175, 244, 251, 255 Totalisierung  87, 91, 153, 268, 342 Turner, Victor  20 f. Turnübungen  36, 142, 147 f., 158, 163, 202 Übergangsraum (s. a. Raum)  11, 14–16, 20 f., 25, 59, 62, 69, 91, 122, 131, 158, 190 f., 193, 247, 266, 319 f., 326, 345, 347, 350, 353 f. Übergangsritual (s. a. Schwellenritual)  20 f., 123 f., 164–167, 173 f. Überleben (s. a. Sterben)  32, 121, 173, 181, 255, 342 Überwachung (s. a. Kontrolle)  37, 42, 44, 72 f., 84, 86–88, 102–108, 114, 133, 161, 227, 268, 271, 281, 288–291, 296, 305 f., 311, 326–338, 342–346, 350 Universität (-sklinik)  35, 40, 46, 56, 68, 79 f., 109, 137, 206, 282, 296, 328, 333 Unruhe (-herd)  189, 191, 194, 274, 289, 292, 304, 307, 309, 317 f. Untersuchung (medizin.)  123, 125 f., 171 f., 201 f., 299, 336–338, 340 f. Utopie  93, 241, 277, 351 »Vaterländischer Unterricht« 320–326 Verband (-swechsel)  171, 177, 207 Verletzung (Kriegs-, s. a. Verwundung)  9, 11 f., 17 f., 28–34, 43, 53, 62–66, 82–86,

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92 f., 101, 209, 112–114, 121 f., 130, 162, 171, 176, 180, 226–228, 246 (Anm. 442), 249, 257, 261–263, 266, 283, 296 Verschwörungstheorie  311 f., 316, 349 Vertrauen  45, 156, 202 f., 268–275, 278, 281, 288–293, 321, 324 f. Vertrauensleute / -männer (s. a. Obmänner) ​ 305, 309–311, 318, 320–326 Verweiblichung / Verweichlichung  49, 134, 91, 156, 236, 241, 292 f., 343 Verwundete (Leicht-, Schwer-)  32, 43, ­61–64, 72, 139, 174–191, 206, 228, 240, 255, 262, 267, 298, 347 Verwundung (Kriegs-, s. a. Verletzung)  9, 11 f., 17 f., 28–34, 43, 53, 62–66, 82–86, 92 f., 101, 209, 112–114, 121 f., 130, 162, 171, 176, 180, 226–228, 246 (Anm. 442), 249, 257, 261–263, 266, 283, 296 Völkerrecht  12, 30, 195, 227 Volkserziehung (s. a. Schule)  102, 104, 135, 236, 278–281 »Volksgemeinschaft« 90 f., 105, 241, 281, 349 Vorkriegszeit  48–53, 59, 70, 72, 114, 131, 135, 138, 167 f., 169, 187, 327, 332, 351 Visite  203–207, 224, 240 Waffe  11, 53, 69, 108, 120, 132, 166, 277, 318, 341, 346 Warten / Wartezeit  184–186, 197, 205, 211, 250 f., 267, 322, 348 Weber, Marianne  78–81 Weber, Max  75–86 Wehrpflicht  120, 161, 306 (Anm. 228), 314, 341 Weiblichkeit (s. a. Frauen)  45, 72, 89, 96 f., 169, 194, 197, 136 f., 241, 245 f., 267, 293 f., 297, 343, 348 f., 352 Weihnachten  193 f., 214–219, 231 Weiterbildung (s. a. Schule)  108–110, ­135–139, 142, 153, 325, 346 Widersprüchlichkeit (s. a. Paradoxie)  47, 121, 204, 226 f., 239, 248, 250, 263, 268, 273, 281, 288, 293, 318, 350 f., 354 Wiedergutmachung  80, 91, 227, 278, 345 Wiederherstellung  26, 92–99, 101, 110–118, 122, 124, 130–139, 146, 148–153, 158–160, 202, 227, 267, 278, 318, 323, 332–334, 348 Wiederverwendung  93, 118 Wilmanns, Karl  56 f., 73, 96, 149 f., 329

Wille (-nsdiskurs, s. a. Arbeit)  104–107, 113, 118–122, 132, 134–139, 147 f., 152, 154, 183, 198, 222, 278, 304, 306, 315 Wissenschaft  34, 38–40, 46, 48, 98, 108– 110, 160, 270, 293, 296, 331, 343 Wittelsbacher 285–287 Wohltätigkeit (s. a. Adelige)  89, 187, 210, 213, 217, 279, 281–288 Wrisberg, Ernst von  200 (Anm. 201), 338 Würzburg  137, 206, 213, 286, 334 (Anm. 377)

Zentralisierung  325 f., 336, 344, 350 Zielkonflikt (s. a. Dilemma)  78, 91, 157, 222, 268, 288, 273 (Anm. 25), 341 (Anm. 411), 343, 348 Zivilbevölkerung (s. a. Heimatbevölkerung)  14 f., 22, 28, 45, 69–91, 108, 150, 161, 187, 191, 211, 214, 217, 226 f., 229, 268, 270 f., 274, 279–283, 288 f., 304 f., 315–320, 323, 346, 348 Zwischennutzung  25, 50 f., 61, 66–69, 354

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