Über chinesische Gärten: Landschaft und die Poesie der Komposition 9783035627039, 9783035626964

A classic in German for the first time China has a long history of garden design, resulting in the emergence of a uniq

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Über chinesische Gärten: Landschaft und die Poesie der Komposition
 9783035627039, 9783035626964

Table of contents :
Vorwort
Dankeswort
Inhaltsverzeichnis
Über chinesische Gärten Teil 1
Über chinesische Gärten Teil 2
Über chinesische Gärten Teil 3
Über chinesische Gärten Teil 4
Über chinesische Gärten Teil 5
Nachwort
Glossar

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ÜBER CHINESISCHE GÄRTEN

Über chinesische Gärten Landschaft und die Poesie der Komposition

Chen Congzhou Übersetzt von Qian Chunchun

Birkhäuser Basel

Vorwort Chen Congzhou und Über chinesische Gärten – ein Meisterwerk der chinesischen Gartenforschung Li Xiangning Professor für Architekturtheorie und -kritik Dekan der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Tongji-Universität Der chinesische Garten ist einer der wichtigsten Schätze der traditionellen chinesischen Architektur und Kultur. Er ist sowohl ein materielles Erbe – ein Meisterwerk traditioneller Handwerkskunst – als auch eine ästhetische Projektion, eine direkte Reflexion des Naturverständnisses der traditionellen chinesischen Landschaftsmalerei, sowie eine soziale Landschaft. Die Entstehung der Gärten ist vor allem auf den Wunsch der Literaten und Gelehrten zurückzuführen, nach dem Rückzug aus der Politik in die Natur zurückzukehren und nach deren Vorbild innerhalb der Stadtmauern eine der Literatur entlehnte oder imaginäre Miniaturlandschaft zu erschaffen. Sie sehnen sich nach den Bergen, Wäldern und Quellen, sind aber nicht bereit, die ­Annehmlichkeiten der Stadt dafür zu opfern. Der Garten als Kompromiss ist in der Tat ein Spiegelbild der traditionellen Klasse der chinesischen Literaten und Gelehrten, die sich zwar vom Zentrum der Politik und Macht entfernen, aber nicht tatsächlich in die Berge und Gewässer zurückziehen wollen. Und womöglich ist der Rückzug innerhalb der Stadt ein taktischer, der den Fortschritt zum Ziel hat; vielleicht sind sie noch in der Erwartung, dass sich die politischen Winde drehen und sie in das Zentrum der poli­ tischen Macht zurückkehren könnten. Alte chinesische Gärten basierten häufig auf der Weisheit und dem ­Verständnis der Literaten und Gelehrten für den Reichtum der Begegnungen im Leben, und die Techniken und das handwerkliche Können des Gartenbaus wurden von Handwerksmeistern mündlich an ihre Lehrlinge weitergegeben. Das bedeutende Werk Gartenbaukunst des Landschafts­ architekten Ji Cheng aus der späten Ming-Dynastie fasst die Errungen­ schaften des alten chinesischen Gartenbaus zusammen und erhebt die schöpferische Praxis zur Theorie. Es gilt als das wichtigste kanonische Werk für das Studium der traditionellen chinesischen Gärten. Seit Beginn der Moderne ist Chen Congzhou jedoch die repräsentativste Persönlichkeit in der Erforschung chinesischer Gärten. Chen war ein renommierter Professor an der Fakultät für ­Architektur der Tongji-Universität, der sich auf literarische und historische Studien sowie auf Poesie, Kalligrafie und Malerei spezialisierte. Er begann mit der traditionellen chinesischen Landschaftsmalerei und der Lyrik des 5

c­ hinesischen Altertums und wandte sich danach dem Studium der alten chinesischen Architektur zu, insbesondere den Gärten. Im Jahr 1956 veröffentlichte er seine Monografie Die Gärten in Suzhou, in der er die Ansicht vertrat, dass »die Gärten in Jiangnan die besten der Welt und die Gärten in Suzhou die besten in Jiangnan« seien, was dazu beitrug, die Gärten in ­Su-Zhou als repräsentativ für die chinesische Gartenszene zu etablieren. Die fünf Kapitel von Über chinesische Gärten, die er seit Ende der 1970erJahre nacheinander verfasst hat, haben sowohl unter Fachleuten als auch in der Gesellschaft eine enorme Wirkung entfaltet. Zum einen erörtert er darin ausführlich die Theorie der Landschaftsarchitektur, die Konzeption von Gärten, die dynamische und statische Betrachtung, das Anlegen künstlicher Berge, das Wassermanagement und die gärtnerische Bepflanzung. Zum ­anderen bringt er als Literatur- und Geschichtswissenschaftler sein tiefes Verständnis der chinesischen Kultur voll zur Geltung, indem er die traditionelle chinesische Malerei und Literatur in seine Interpretation der chinesischen Gärten einbezieht und eine kulturelle Betrachtungsweise vorschlägt, um den Wert der Gärten zu erfahren. Er ist der Meinung, dass Gärten nicht nur mit westlichen Architekturkonzepten oder Raumtheorien betrachtet werden können. Der Garten sei im Wesentlichen ein kulturelles Phänomen, ein »Literatengarten«, und man solle erforschen, welches Konzept vom Garten­leben die darin lebenden Literaten durch die Erfahrung der Poesie, der Kalligrafie und der Malerei entwickelten, um zu erfahren, worin der wahre Geist des Gartens liege. Jedoch erforschte Chen den Gartenbereich nicht nur, sondern leitete auch die Restaurierung vieler traditioneller Gärten (etwa des Yu-Gartens in Shanghai) und die Gestaltung zeitgenössischer Gärten (etwa des Nan-­ Gartens in Kunming und des Shuihui-Gartens in Rugao usw.). Außerdem war er als Berater an der Errichtung der Ming-Halle des Metropolitan ­Museum of Art in New York nach dem Vorbild der Spätfrühlingshütte im Garten des Meisters der Netze in Suzhou beteiligt. Diese praktischen Erfah­ rungen und Erlebnisse beim Gartenbau sind in einem ansprechenden Abschnitt in Über chinesische Gärten zusammengefasst. Ieoh Ming Pei ­betrachtet sein Verständnis des chinesischen Gartens als »so tiefgreifend und tiefgründig, dass es für normale Menschen unerreichbar ist«1. Heute sind chinesische Gärten nicht nur ein Überbleibsel der traditionellen chinesischen Kultur, sondern bieten auch unendliche intellektuelle Ressourcen und kulturelle Inspiration für das Schaffen zeitgenössischer chinesischer Architektinnen und Architekten. Der chinesische Architekt und Preisträger des Pritzker-Preises für Architektur Wang Shu vergleicht sich mitunter selbst mit einem Literaten, der Gärten anlegt, und in seinem Werk sind die Spuren chinesischer Landschafts- und Raumgestaltung deutlich zu erkennen. Gleichzeitig haben viele Architekturschulen und -forschende auf der ganzen Welt ihre Aufmerksamkeit auf chinesische Gärten gerichtet. Die Tongji-Universität betreibt seit mehr als zehn Jahren gemeinsam mit 6

der Princeton University Gartenforschung und Designlehre. Ich freue mich sehr, dass die deutsche Ausgabe Über chinesische Gärten nun vorliegt. Sie ist ein Segen für die chinesische Gartenbaugemeinschaft sowie die chinesische und globale Architektur und spiegelt die Tongji-Tradition des humanistischen Austauschs zwischen China und Deutschland wider. Ich hoffe, dass in Zukunft mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland dieses Werk und die darin enthaltene Methodik zum Verständnis chine­ sischer Gärten nutzen werden, um den unerschöpflichen Zauber dieses kulturellen Schatzes zu ergründen.

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Le, Feng (2009): Biografie von Chen Congzhou. Shanghai: Shanghaier Kulturpresse.

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Dankeswort Bei der Planung, der Organisation der Übersetzung und der Koordination der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe Über chinesische Gärten erhielten wir große Unterstützung und Hilfe von verschiedenen Fakultäten und Institutionen der Tongji-Universität, insbesondere von der Fakultät für Architektur und Stadtplanung, der Fakultät für Fremdsprachen, dem Büro für auswärtige Angelegenheiten sowie der Tongji University Press. Es war eine unvergessliche und wertvolle interdisziplinäre und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Besonderer Dank gilt dem Dekan Herrn Prof. Dr. Li Xiangning von der ­Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Tongji-Universität, der sich seit Langem dafür einsetzt, herausragende chinesische Architektinnen und Architekten der internationalen akademischen und künstlerischen Gemeinschaft vorzustellen und die chinesische Architekturkunst und -kultur zu fördern. Er hat bei der Veröffentlichung dieses Buches große Unterstützung und fachliche Beratung geleistet. Unser Dank geht auch an die Dekanin der Fakultät für Fremdsprachen Frau Prof. Dr. Wu Yun. Sie hat die jungen Dozentinnen und Dozenten ermuntert, aktiv an dem Übersetzungsprojekt teilzunehmen, sonst wäre die inter­disziplinäre Zusammenarbeit nicht möglich gewesen. Wir danken auch Herrn Prof. Dr. Chen Yi, dem Direktor des Büros für auswärtige Angelegenheiten, für die Unterstützung der abteilungsübergreifenden Zusam­ menarbeit beim Auslandsaustausch der Tongji-Universität. Der Dank gilt auch Herrn Duan Cunguang, dem Sekretär der Tongji University Press, sowie deren ­Chefredakteurin, Frau Gao Xiaohui, für ihre Beratung und Unterstützung bei der Organisation und Koordination des Projekts. Dank gebührt auch dem Birkhäuser Verlag, unserem Partner bei diesem Projekt, sowie Frau Yuan Jialin von der Tongji University Press für ihre Beiträge zur Planung und Umsetzung. ­Abschließend möchten wir uns bei dem Übersetzerteam bedanken, das von Frau Dr. Qian Chunchun koordiniert wurde, nämlich Frau Gabriele Schneider, Herrn Dr. Chen Fei, Herrn Prof. Zhang Zhenshan, Frau Martina Hasse, Herrn Prof. Dr. Johannes Küchler und Frau Franca Küffer. Ihr leidenschaftliches Engage­ment trägt dazu bei, dass sich die Schönheit chinesischer Gärten in der ganzen Welt verbreitet.

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Inhaltsverzeichnis

Über chinesische Gärten Teil 1 11 Über chinesische Gärten Teil 2 35 Über chinesische Gärten Teil 3 61 Über chinesische Gärten Teil 4 89 Über chinesische Gärten Teil 5 115

Nachwort 139 Glossar 140

Die meisten traditionellen Gärten in China befinden sich hinter ­verschlos­senen Mauern und Türen, da sie so angelegt sind, dass sie auf einer begrenzten ­Fläche einen unbegrenzten Raum schaffen. Daher ist es wichtig, dass ein solcher ­Garten gleichzeitig geräumig ist und den Geist anregt. Bei Blumen und Bäumen liegt die Betonung auf ihrem Wuchs, bei Hügeln und Felsen hingegen wird viel Wert auf die Anordnung der Kuppen und Rinnen gelegt. »Verdichtung« und »Ver­feinerung« sind wesentliche Merkmale des chinesischen Gartens, um das Prinzip »weniger ist mehr« zu verwirklichen. Genau wie bei den paarigen Schrifttafeln, die auf einer Theaterbühne verwendet wurden: »Mit drei oder fünf Schritten durchquert man die Welt; mit sechs oder sieben Männern bezwingt man einen mächtigen Feind.« Dieses Prinzip der darstellenden Kunst gilt auch für die Landschaftsgestaltung. Chen Congzhou

Über chinesische Gärten

Teil 1

G

artengestaltung hat in China eine lange Geschichte, während der sich ein weltweit einzigartiger Stil herausgebildet hat. Seit Jahr­ hunderten haben sich Gelehrte aus verschiedenen Blickwinkeln mit diesem Thema beschäftigt und dazu geäußert. Basierend auf eigenen Beobachtungen und Studien, möchte ich nun unter dem Titel »Über chine­ sische Gärten« meine Gedanken zum Ausdruck bringen. Bevor man einen Garten anlegt, muss man zunächst grundsätzliche Überlegungen darüber anstellen, was für eine Art von Garten man bauen möchte. Denn chinesische Gärten sind in zwei Arten zu unterteilen, die der statischen Gestaltung und die der dynamischen Gestaltung. In Ersteren gibt es viele Plätze, an denen man sich aufhalten und die Gärten auf sich wirken lassen kann. Letztere sind in der Regel mit längeren Spazierwegen ausge­stattet. Kleine Gärten, wie zum Beispiel Hofgärten, sind hauptsächlich zur statischen Betrachtung gedacht, die dynamische spielt eine Nebenrolle. Große Gärten zielen hingegen vor allem auf die dynamische Betrachtung ab, die statische hat nur ergänzenden Charakter. Als Beispiel für die erste Art der Gartengestaltung kann man den Garten des Meisters der Netze1 in Suzhou anführen, während der Garten des bescheidenen Beamten2 in der­ selben Stadt ein Beispiel für letztere ist. Betritt man den Garten des Meisters der Netze, fällt der Blick auf einen Teich, umgeben von Sitzplätzen, die zum Verweilen einladen. Besucherinnen und Besucher können sich über die Balustrade lehnen und die herumschwimmenden Fische im Teich zählen oder sich im Pavillon niederlassen und auf ein Stelldichein mit dem Mond warten. An den Wänden vor der Veranda wiegen sich die Schatten der Blumen, und die Hügel in der Ferne werden von den Fenstern eingerahmt, wie bei einem Gemälde, das man gerne in Ruhe betrachtet. Im Garten des bescheidenen Beamten hingegen führt ein Fußweg um einen Teich herum, und ein überdachter Gang schlängelt sich verlockend durch landschaftliche Attraktionen. Ganz ähnlich ist es wie bei der Anlage des Schmalen Westsees3, die Wang Shizhen wie folgt beschreibt: Mittags passierte das bemalte Boot die Brücke, so schnell vorbei war die Schöne im duftenden Kleid.4

Bevor man einen Garten anlegt, muss man ­zunächst grundsätzliche Überlegungen ­darüber anstellen, was für eine Art von ­Garten man bauen möchte. 13

Garten des Meisters der Netze Foto von Lv Hengzhong

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»Die Hügel und Gewässer sind zwar von ­Menschen geschaffen, aber sie sollen natürlich aussehen. Um eine solche Wirkung zu erzielen, sollte man nicht versuchen, eine ganze Landschaft in den begrenzten Raum eines Gartens zu drängen, sondern nur einen Ausschnitt nachbilden, so wie es auch den Grundsätzen des Zeichnens entspricht (ein fabelhaftes 15

­ eispiel hierfür ist die Art und Weise, wie der B Teich im Garten des Meisters der Netze dem Weißer-Lotus-Teich am Tigerhügel in Suzhou nachempfunden ist).«

Das Geheimnis liegt darin, dass sich mit jedem Schritt die Ansicht verändert, und genau darum geht es bei der dynamischen Betrachtung. Wie beim Schreiben braucht man beim Gartenbau erst ein Konzept, dann entsteht das Werk. Ob man einen Garten zur dynamischen oder statischen Betrachtung anlegt, hängt natürlich von der Beschaffenheit und Größe der Fläche ab. Ein gutes Beispiel für einen vorwiegend »statischen« Garten ist übrigens der Bonsai-Garten5, der zurzeit in Shanghai angelegt wird. Chinesische Gärten mit ihren Gebäuden, ihrer Landschaftsgestaltung und ihrer Fülle an Blumen und Bäumen sind Gesamtkunstwerke voller Poesie. Die Hügel und Gewässer sind zwar von Menschen geschaffen, aber sie sollen natürlich aussehen. Wie erreicht man das, und wie schafft man ein gutes Verhältnis von Hügeln und Wasserflächen? Kurz gesagt sollte man, um eine natürliche Wirkung zu erzeugen, nicht versuchen, eine ganze Landschaft in den begrenzten Raum eines Gartens zu drängen, sondern nur einen Ausschnitt nachbilden, so wie es auch den Grundsätzen des ­Zeichnens entspricht (ein fabelhaftes Beispiel hierfür ist die Art und Weise, wie der Teich im Garten des Meisters der Netze dem Weißer-Lotus-Teich am Tigerhügel6 in Suzhou nachempfunden ist). Berge werden geschätzt, weil sie Teil eines Gebirgszugs sind, und Gewässer, weil sie über Quellen verfügen. Wenn diese Elemente an prominenter Stelle platziert sind, wird der ganze Garten lebendig. Stark von natürlichen Bergen und Flüssen ­inspiriert, habe ich bei der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Hügeln und Wasser­flächen einmal Folgendes gesagt: Erstens, das Wasser sollte den Hügeln ­folgen, sodass die Hügel durch das Wasser belebt werden; ­zweitens, die Bäche sollten um die Hügel mäandern, während die Bergwege auf ­geringer Höhe dem Geländeverlauf folgen. In der späten Ming- und frühen ­Qing-Dynastie plädierte der Steingartenarchitekt Zhang Nanyuan für flache Terrassen, sanfte Hänge, niedrige Hügel und Anhöhen, um den Garten der Natur anzunähern.7 Wenn man dieses Prinzip kennt, wird man sich nicht zu weit von der Natur entfernen und kann faszinierende Szenerien ­erschaffen, in denen Wasser und Felsen gut aufeinander abgestimmt sind. In China dienen Bäume nicht nur dazu, einen Garten zu begrünen, sondern sie sollen der Landschaft auch einen malerischen Reiz verleihen. Ein blühender Baum sollte teilweise wie von einem Fenster eingerahmt werden, damit die Szenerie wie eine meterlange chinesische Schriftrolle mit einem einzelnen Zweig darin aussieht. Die Kombination aus ein paar alten Bäumen, die sich über ein Bambusbüschel am Rand eines Felsens beugen, ist inspiriert von dem Gemälde mit verdorrten Bäumen, Bambus und Felsen8. Der Schwerpunkt liegt auf der Gestalt, nicht auf der Baumart oder -sorte. Wie bei Topfpflanzen und Miniaturlandschaften kann jede Szenerie als Kunstwerk betrachtet werden. Die Ahorn- und Weidenbäume im Garten des bescheidenen Beamten und die alten Zypressen im Garten des ­Meisters der Netze sind herausragende Elemente dieser Gärten. Würden diese ­malerischen alten Bäume entfernt, wäre der Charme des gesamten 16

In China dienen Bäume nicht nur dazu, einen ­Garten zu ­begrünen, ­sondern sie ­sollen der Landschaft auch einen malerischen Reiz ­verleihen. Gartens unwiederbringlich verloren, weil die verschiedenen Baumarten so einzig­artig sind. Früher gab es im Garten des Verweilens9 zahlreiche Tempelkiefern, im Garten der Zufriedenheit10 Kiefern und Winterkirschen, der Canglang-­Pavillon11, ein anderer Garten in Suzhou, war von Bambus geprägt; jeder Garten hatte seinen ganz eigenen Charme. In den letzten Jahren hat man nicht darauf geachtet und verschiedene Pflanzen durcheinander gepflanzt, sodass der unverwechselbare Charakter der Gärten nun sehr viel schwächer ausgeprägt ist. So etwas sollten wir vermeiden. Hierzu eine ­treffende Formulierung von Guo Xi aus der Song-Dynastie: »Bei Hügeln betrachte ich die Bäche als Adern, das Gras als Haare und Nebel und Wolken als Ausdruck ihrer Seele.«12 Was für Gras gilt, gilt erst recht für Bäume. Ich war schon immer der Meinung, dass ein Garten den besonderen Charakter der Region widerspiegeln sollte, dass einheimische Bäume am besten gedei­hen und in wenigen Jahren dicht und üppig im Wuchs stehen. Es handelt sich hier ja nicht um botanische Gärten, bei denen die Vielzahl und Ausgefallenheit der Pflanzen im Vordergrund stehen soll, sondern um Gärten, deren Anblick man genießen möchte. Ein Garten zeichnet sich durch seine Landschaft aus, und die Landschaft variiert von Garten zu Garten. Es ist nicht einfach, dieses Konzept in die Praxis umzusetzen. Aber wenn es gelingt, ist die Arbeit geglückt. Und dies gilt nicht nur für die Wahl der Bäume, sondern auch für die der Blumen. Jeder chinesische Garten hat ­seinen eigenen Stil, der den Unterschied in der Ähnlichkeit und die Ähnlichkeit in der Verschiedenheit sucht. In den traditionellen chinesischen Gärten wurde viel Zeit darauf verwendet, einen Stil zu schaffen, in dem Pavillons, Terrassen, mehrstöckige Gebäude sowie Hügel, Felsen und Teiche im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten unterschiedlich aussehen und immer wieder neu und anders wirken sollen. In China hat sich ein ganz eigenes Kunstverständnis entwickelt: Bei Pflanzen liegt der Schwerpunkt beispielsweise auf ihrem Wuchs, bei Musik auf der Melodie, bei Malerei und Kalligrafie auf dem Stil und der künstlerischen Stimmung. Ohne sorgfältige Arbeit kann man in diesen Bereichen keine Kunstwerke schaffen, an denen man sich nie sattsieht oder hört, die einer strengen Prüfung standhalten und von zeitloser Ästhetik sind. Dies könnte als Anregung für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem landestypischen Stil dienen. 17

Garten des Verweilens Foto von Lv Hengzhong

»In China dienen Bäume nicht nur dazu, einen Garten zu begrünen, sondern sie sollen der Landschaft auch einen malerischen Reiz ­verleihen. Ein blühender Baum sollte teilweise wie von einem Fenster eingerahmt ­werden, damit die Szenerie wie eine meterlange ­chinesische Schriftrolle mit einem ­einzelnen Zweig darin aussieht. Die ­Kombination

aus ein paar alten Bäumen, die sich über ein ­Bambusbüschel am Rand eines Felsens beugen, ist inspiriert von dem Gemälde mit verdorrten Bäumen, Bambus und Felsen. Der Schwerpunkt liegt auf der Gestalt, nicht auf der Baumart oder -sorte. Wie bei Topfpflanzen und ­Miniaturlandschaften kann jede Szene als Kunstwerk betrachtet werden.«

Es macht einen Unterschied, ob man eine Gartenlandschaft von unten oder von oben betrachtet. Bei der Gestaltung sollte man sich dieses Unterschieds bewusst sein, auch bei der Verwendung von mehrstöckigen Gebäuden, schroffen Felsen und gewundenen Bächen. Bei einem kleinen roten Pavillon, jenseits eines roten Brückleins, zirpt so manche Zikade in hohen Weidenbäumen.13 Mittags weckt mich der Pirol, sein Gesang wehmütig wie ein Frühlingstag. Kommt er aus dem Schatten der grünen Weiden, vom Zierapfel-Pavillon oder aus den Astspitzen der blühenden Aprikosen?14 Diese poetischen Zeilen beschreiben nicht nur eine durch Raum und Klang gegliederte Landschaft und das dadurch erzeugte Gefühl, sondern ­führen den Blick auch nach oben zu den hohen Weiden und den Spitzen der Aprikosen­zweige. Wir Gartengestaltende sollten uns an der Sensibilität der Dichter ein Beispiel nehmen. Dazu die folgenden poetischen Zeilen: Ein Hügel mit versteckten, gewundenen Pfaden und hundert Stufen, die man im gemächlichen Tempo hinaufsteigt.15 Sie beschreiben eine Landschaft, auf die man langsam im Vorübergehen hinabblickt. Diese Zeit und Sorgfalt sollte man auch bei der Gestaltung aufwenden und überlegen, wie die Dächer, die Sockel künstlicher Felsen, die Wasserzuflüsse und die Baumwipfel aus verschiedenen Perspektiven wirken. Ein Pavillon auf halber Höhe und Felsen, die ins Wasser ragen, ziehen den Blick sowohl von oben als auch von unten auf sich. Woran liegt es, dass die Sehenswürdigkeiten und die klassischen Gärten in China unzählige Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland anlocken und diese auch nach mehreren Besuchen ihr Interesse nicht verlieren? Zweifellos spielt die Schönheit der Landschaft eine wichtige Rolle, aber ebenso Kultur und Geschichte. Ich habe bereits erwähnt, dass Kulturdenkmäler landschaftlich reizvolle Orte und Gärten bereichern und den Besucherinnen und Besuchern sowohl Anregung als auch Freude sind, sodass aus dem Aufenthalt mehr als ein Ausflug mit Picknick wird. Nur wenn Kulturgüter ein integraler Bestandteil von Landschaftsgärten sind, kann ihre Erhaltung gewährleistet werden, und sie bereichern wiederum die Gärten.

Wir Gartengestaltende ­sollten uns an der Sensibilität der Dichter ein Beispiel nehmen. 20

Die beiden ergänzen sich und bilden eine Einheit. Auf diese Weise können sozialistische chinesische Gärten entstehen, die die klassische und moderne Kultur repräsentieren. Chinesische Gärten zeichnen sich durch ihre subtile Zurückhaltung aus, durch die Art und Weise, in der ein Hügel oder ein Felsen zur Kontemplation anregen kann. Ein aufragender Gipfel ist wie eine abstrakte Skulptur. Beim Gipfel der schönen Frau16 muss man genau hinsehen, um die Ähnlichkeit zu erkennen. Das gilt auch für die Neun-Löwen-Berge17 und für die Mandarinenten-Halle18. Die vorderen und hinteren Balken der Halle sehen zwar unterschiedlich aus, aber es bedarf schon eines Hinweises, damit man das sich liebende Paar auch wahrnimmt. Es gibt jedoch wohlmeinende Menschen, die fürchten, dass die Besucherinnen und Besucher das nicht verstünden. Daher bestücken sie die Teiche mit großen künstlichen Fischen oder stellen Pandas aus Ton vor die Panda-Halle, die wie Reklame wirken. Dies ist das Gegenteil von Zurückhaltung, es zerstört den Charakter chinesischer Gärten und verschandelt die Landschaft. Fische zieren einen Teich, wenn sie mal hier, mal dort auftauchen, und eine Panda-Halle wird noch schöner, wenn sie von Bambus umgeben ist. Die Besucherinnen und ­Besucher haben dann den Eindruck, ein Wunderland zu betreten, ihr Interesse wird geweckt. Früher waren bestimmte Gärten wie die Hanbi-Villa19, der Winterkirschengarten20 und der Garten des Meisters der Netze genau das, was ihre Namen besagten: Sie zeichneten sich jeweils durch Tempelkiefer, Winterkirschen und Wasser aus. Die berühmten Zehn Szenerien des Westsees21 in Hangzhou sind ein noch besseres Beispiel. Die Namensplaketten an den Bauwerken geben Anregungen, wie man die Landschaft genießen kann. So macht man etwa im Pavillon mit Lotus und Wind von allen vier Seiten im Garten des bescheidenen Beamten oft folgende Erfahrungen: Der Ort ver­mittelt eine kontemplative Stimmung; obwohl vielleicht kein Lotuswind weht, fühlt man sich überall von einer sanften Brise umschmeichelt und versinkt in Tagträumereien; zutiefst berührend sind die Schriften und die brillante Kalligrafie, man möchte gar nicht mehr weg. Das Kloster auf dem anderen Gipfel auf dem Jiao-Berg in Zhengjiang, Provinz Zhejiang, war früher das Atelier von Zheng Banqiao22. Es ist ein kleines Haus mit drei Zimmern und einem Innenhof mit Blumen und Bäumen; am Tor steht das folgende Spruchpaar von Zheng Banqiao: Muss ein Raum groß sein, um elegant zu wirken? Es braucht nicht viele Blumen, um von Wohlgeruch umgeben zu sein. Wenn man diese Zeilen liest, vergisst man sofort alle Sorgen und taucht in die angenehme Landschaft ein. Alle Besucherinnen und Besucher äußern sich lobend über die Anlage, sodass ihre Schönheit weit und breit bekannt ist. Noch eine Anmerkung zu den mit Inschriften versehenen waagerechten Schildern: Sie können aus Ziegeln oder aus Stein bestehen; die paarigen 21

senkrechten Schriften können auf Holz- oder Bambustafeln beziehungsweise Stein- oder Marmortafeln eingraviert werden. Manchmal werden auch rechteckige Steinplatten mit kalligrafischen Inschriften verwendet. Diese kalligrafischen Arbeiten sind impliziter und regen mehr zum Nachdenken an als Bilder, deren Verwendung auf diesen Plaketten und den paarigen Schrifttafeln eher bewusst vermieden wird. Aufgezogene Schriftrollen aus Papier werden nur selten verwendet, da die meisten Häuser in den Gärten ständig offen stehen und das Material dies nicht verträgt. Das ­Mate­rial der Plaketten und Schrifttafeln richtet sich nach dem Ort: Ziegel und Stein für die im Freien und Bambus und Holz für die in Innenräumen. Aufgezogene Kalligrafien oder Gemälde hängen in der Regel im Wohnhaus, sie verbessern die Licht- und Akustikverhältnisse, machen den Raum freundlich und ruhig und können ihn entscheidend verändern. Früher wurde das hochwertige Xuan-Papier23 für diese Zwecke hergestellt, und die aufgezogenen Arbeiten wurden in Spezifikationen und Größen angeboten, die an die Maße der Gebäude angepasst waren. In chinesischen Gärten stehen gerade und geschwungene Linien miteinander in Beziehung. Sie sollten flexibel eingesetzt werden, wobei jede Kurve eine gerade Linie enthält und jede Linie natürlich wirken soll. Als eine der grundlegenden Techniken der Malerei gilt, dass ein Künstler oder eine Künstlerin beim Zeichnen eines Baums niemals einen schnurgeraden Strich verwenden würde. Auch geschwungene Brücken, Wege und überdachte Gänge, die von einem Punkt zum anderen führen, dienen natürlich vor allem dazu, von A nach B zu kommen. In einem Garten liegt die Landschaft auf beiden Seiten des Wegs, und wenn man den Weg an manchen Stellen geschwungen anlegt, werden die Besucherinnen und Besucher von allen Seiten in die Landschaft geführt. Das verlängert den Weg und dehnt damit auch das Vergnügen beim Spaziergang aus. Man kann also festhalten, dass geschwungene Linien aus geraden entstehen und, ganz wichtig, sie im richtigen Verhältnis zueinander stehen sollten. Eine Zickzack-Brücke sollte unterhalb der Uferlinie eines Teiches gehalten und so nah wie möglich an die Wasseroberfläche gesetzt werden, um das Gefühl zu vermitteln, man würde auf Wellen wandeln. Und die Anzahl der Biegungen sollte den Umständen entsprechend festgelegt werden. Manche Brücken haben so viele Biegungen, oder sie befinden sich so hoch über der Wasseroberfläche, dass es für die Menschen eine Qual ist, sie zu betreten, wahrscheinlich, weil die genannten Bauregeln nicht angewendet wurden. Die alte Zickzack-Brücke im Yu-Garten24 in Shanghai ist ein solcher Fall. Wenn der Standort feststeht, muss die Aufmerksamkeit vor allem auf das Gelände und die Hauptmerkmale des Gartens gerichtet werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Der Alte Sommerpalast25 in Beijing schmiegt sich an den See und »leiht« dabei die Landschaft vom Xishan-­ Gebirge26. Für mich ist hier die Landschaft an das vorhandene Wasser und die Hügel angepasst, nur so konnte er zum »Garten der Gärten« werden. 22

Der Garten der Ergötzung27 in Wuxi liegt am Fuß des Hui-Bergs, seine Sehenswürdigkeiten sind auf den Berg ausgerichtet, sodass dieser zum Bestandteil des Gartens wird. Wasser ist das Hauptthema im Garten des Meisters der Netze, aber in einem Teil, nämlich der Spätfrühlingshütte, gab es ursprünglich kein Wasser, sodass die Gefahr bestand, dass die Hütte aus dem Konzept herausfiel. Die Gartengestalter stellten sich der Herausforderung, indem sie an der südwestlichen Ecke einen Springbrunnen bohrten, sodass alle Teile des Gartens mit Wasser versorgt wurden. Auf diese Weise lösten sie das Problem, und der Ruf des Gartens des Meisters der Netze war gerettet. Der neu errichtete östliche Teil des Gartens verstößt jedoch gegen das ursprüngliche Konzept. Es gibt wieder kein Wasser, sodass die Planungen in eine Sackgasse geführt haben. Dieses Dilemma ist das Ergebnis ­unzureichender Analyse und Planung zu Beginn des Projekts.

In einem kleinen Garten fühlt man sich nicht beengt, wenn es interessante Dinge zum Anschauen gibt. Ideale Gärten sind wie gut geschriebene Vierzeiler oder kurze lyrische Prosa. Sie sind nach dem Prinzip angelegt, dass weniger manchmal mehr ist, und rufen so ein Gefühl der Unendlichkeit hervor, vergleichbar einem gezupften Ton, der zwischen den Balken widerhallt (großflächige Gärten haben zwangsläufig gewisse Nachteile, so, wie lange Lieder und langsame Melodien schwer in einem Atemzug zu singen sind). Was ich über »Gärten außerhalb von Gärten« und »Landschaften außerhalb von Landschaften« gesagt habe, ist eine Erklärung ebendieses Konzepts. Wenn man eine Landschaft außerhalb eines Gartens zur Verfügung hat, »bedient« man sich ihrer, man leiht sie aus. Die Landschaft außerhalb der Landschaft ist abhängig vom Faktor Zeit. Die Schatten von Blumen, Bäumen und Wolken, Spiegelungen auf dem Wasser, das Rauschen des Winds, das Plätschern des Wassers, das Zwitschern der Vögel, der Duft der Blumen … All diese nicht greifbaren Elemente vermischen sich mit den greifbaren zu einer Symphonie, die von poetischer Schönheit und malerischem Reiz geprägt ist (siehe meinen Artikel »Geliehene Landschaften in der Architektur«28). Es ist schwierig, einen riesigen Garten kompakt und einen kleinen Garten großzügig erscheinen zu lassen. Was wirklich zählt, ist, dass die Besucherinnen und Besucher sich nicht an der Größe eines Gartens stören. Durch eine kompakte Anordnung wird man sich in einem sehr großen Garten nicht verloren und überfordert fühlen. In einem kleinen Garten 23

fühlt man sich nicht beengt, wenn es interessante Dinge zum Anschauen gibt. Daher können Gartenlandschaften, die sowohl aus einer Position der »Ruhe« als auch aus einer der »Bewegung« Wirkung entfalten, den Eindruck erwecken, dass sich die Fläche zusammenzieht oder ausdehnt. Um es mit den Worten klassischer chinesischer Maler auszudrücken, ist es wichtig, »kühn genug zu sein, den Pinsel aufs Papier zu setzen, und umsichtig genug, ihn zum Ende zu führen«. Und ein Kalligraf würde sagen: »Einige Stellen sollten so großzügig sein, dass ein Pferd hindurchgaloppieren kann, und ­andere Stellen so eng, dass nicht einmal eine Nadel dazwischen passt.« So gibt es im Neuen Sommerpalast29 in Beijing den nebelverhangenen, weiten Kunming-See und den Garten der Harmonie und des Vergnügens, der tief in den Hügeln liegt, und nun wird uns klar, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Bei der Gartengestaltung gibt es Regeln, aber keine Dogmen. Wichtig ist die kreative Anwendung der Regeln. Ji Cheng schrieb vom »Verschmelzen mit der vorhandenen Landschaft« und vom »Entlehnen bei der vorhandenen Landschaft«; dies sind Regeln, aber er stellt in seinem Werk Gartenbaukunst keine festen Formeln auf. Es geht eher darum, bei großen Gärten anders vorzugehen als bei kleinen, Gärten zur statischen Betrachtung von denen zur dynamischen zu unterscheiden und ländliche Gärten nicht mit städtischen gleichzusetzen – nur dann wird man ein stimmiges Ergebnis haben und aus jedem Garten das Beste machen. Chinesische Gemälde mit Orchideen oder Bambus mögen recht ­einfach erscheinen, aber alle Kunstschaffenden haben ihren eigenen Stil. Der Grund, warum sich eine Theaterbesucherin oder ein Theaterbesucher eine klassische Oper immer wieder ansieht, liegt darin, dass jeder Darsteller und jede Darstellerin sie anders spielt, also an der Originalität. Das Gleiche gilt für die Landschaftsgestaltung. Eine Schülerin oder ein Schüler würde sich ja auch nicht nur an einem klassischen Modell orientieren und sich beim Malen ausschließlich an das Malereihandbuch des Senfkorngartens30 halten oder Texte nur in der Form des traditionellen »achtgliedrigen Aufsatzes«31 schreiben. Der Garten des Meisters der Netze in Suzhou ist ein perfektes Beispiel für kleine Gärten, und für ihn gilt: Klein, aber exquisit, und weni­ ger ist manchmal mehr. Sein Grundprinzip ist recht einfach und beruht auf dem Kontrast und dem Wechselspiel von künstlichen Felsformationen und Gebäuden. (Eigentlich trifft dies für alle Gärten in Suzhou zu. Der neue östliche Teil des Gartens des Meisters der Netze widerspricht diesem Prinzip und ist daher künstlerisch nicht gelungen.) Keine Steinboote, keine großen ­Brücken oder Hügel, die richtige Anzahl von Gebäuden und alles in ­kleinem Maßstab – das ist die Richtschnur für einen kleinen Garten. Im Löwenwald-Garten32 wurde ein viel zu großes Boot hinzugefügt, die Proportion zwischen Boot und Wasser stimmt nicht, »angemessen« ist dies nicht. Es gibt ein Gedicht von Wang Chuntian33 über die Instandsetzung des ­Literarischen Gartens34. Es lautet: 24

Ich ersetzte die blumige Hecke und reparierte die Steingeländer, es ist schwieriger, einen Garten zu verändern als ein Gedicht. Wenn ich doch nur jedes Wort auf den Punkt bringen und einen Pavillon oder eine Terrasse bauen könnte, die zwar winzig sind, aber gut aussehen. Wie prägnant und zum Nachdenken anregend sind diese Zeilen selbst für Gartengestalterinnen und Gartengestalter von heute. Die Größenverhältnisse in einem Garten sind relativ. Ohne »groß« gibt es kein »klein«, und umgekehrt ist dies auch so der Fall. Je mehr der Raum unterteilt ist, desto größer und wandelbarer wirkt der Garten, sodass auf einem begrenzten Grundstück unendlich viel Platz geschaffen werden und ein großer Garten eine Reihe kleinerer Gärten enthalten kann. Die drei Teiche, die den Mond widerspiegeln im Westsee in Hangzhou sind ein treffendes Beispiel dafür, wie ein großer See kleinere Seen beherbergen kann. Es lassen sich noch mehr Beispiele anführen, denn dieser Grundsatz ist zu einer entscheidenden Regel für die Gartengestaltung geworden. Meisterwerke wie der Loquat-Hof und der Frühlingshof mit Zieräpfeln im Garten des bescheidenen Beamten und der Garten der Harmonie und des Vergnügens im Neuen Sommerpalast haben alle ein sehr hohes künstlerisches Niveau. Wenn man beim Betreten eines Gartens von seiner schieren Größe abgeschreckt wird und er nur öd und platt wirkt, oder wenn die Besucherinnen und Besucher aufgeben, bevor sie jedes Eckchen inspiziert haben, ist der Garten eindeutig misslungen. Bei einer besonderen, abwechslungsreichen und schönen Landschaft werden sich die Besucherinnen und Besucher nicht damit zufriedengeben, einmal dort gewesen zu sein, sondern sie werden zurückkehren. Viele landschaftlich reizvolle Gebiete werden leider in der Hoffnung ausgebaut, dass sie hinterher groß genug für Tages- oder Halbtagestouren sind, sodass man bei einem einzigen Besuch alles sehen kann und nicht wiederkommen muss. Zu diesem Zweck werden in berühmten alten Gärten Mauern eingerissen, dann sind die Gärten groß, aber öd. Genau das ist am Westsee in Hangzhou mit den Parkteilen Herbstmond über dem ruhigen See und der Xiling-Siegelgesellschaft geschehen. Das neue siebenstöckige XilingHotel überragt den nahe gelegenen malerischen Geling-Berg um die Hälfte. Im Gegensatz dazu verdankt der Schmale Westsee von Yangzhou seine Schönheit teilweise seiner »Schmalheit«, aber auch der weitsichtigen Entscheidung der örtlichen Planer, hohe Gebäude an seinen Ufern zu verbieten. Dieses landschaftlich reizvolle Gebiet bestand ursprünglich aus einer Reihe privater Gärten. Jeder Garten liegt am Wasser, befindet sich aber in einem separaten Innenhof. (Es gibt zwei Arten von Ansammlungen privater Gärten; bei der einen liegen alle Gärten am Wasser, bei der anderen sind alle Gärten nur durch Gehwege verbunden.) Die Häuser, Terrassen und die roten Aprikosenbäume, die über die Mauern ragen, spiegeln sich im See und bieten damit ein göttliches Bild nach dem anderen. Obwohl das ganze Ensemble schmal ist, hat man nicht das Gefühl beengter Verhältnisse, 25

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

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Duft der Blumen … All diese nicht greifbaren »Wenn man eine Landschaft außerhalb eines Elemente vermischen sich mit den greifbaren Gartens zur Verfügung hat, ›bedient‹ man zu einer Symphonie.« sich ihrer, man leiht sie aus. Die Landschaft außerhalb der Landschaft ist abhängig vom Faktor Zeit. Die Schatten von Blumen, Bäumen und Wolken, Spiegelungen auf dem Wasser, das Rauschen des Winds, das Plätschern des Wassers, das Zwitschern der Vögel, der 27

es strahlt Ruhe und Eleganz aus. Ein Schönheitsfehler in einer ansonsten ­perfekten Anlage ist jedoch, dass das Ensemble nicht kompakt genug ist. Es bräuchte ein paar mehr markante Gebäude und eine bessere Gliederung. Auf jeden Fall aber sollte der Charakter des Schmalen Westsees bei künf­ tigen Sanierungsmaßnahmen erhalten bleiben. Der Garten des bescheidenen Beamten hat durch die Angliederung des östlichen Teils an Größe ge­ wonnen, aber durch den neuen Anbau wirkt der ursprüngliche Grundriss des Gartens etwas beengt, während der große östliche Teil wegen seines Mangels an landschaftlichen Attraktionen praktisch auf einen Durchgang zum eigentlichen Garten reduziert ist. In der Tat war die Zusammenlegung für keinen der beiden Teile von Vorteil – es wäre schön gewesen, wenn sie getrennt geblieben wären. Chinesische Holzbauten hatten ursprünglich konstruktionsbedingt eine bestimmte Form und Größe und einen ganz eigenen Charakter. Jedes dieser Bauwerke, sei es ein Palast, eine Halle oder ein Pavillon, musste ­bestimmten Maßen und Proportionen entsprechen, über die man sich nicht hinwegsetzen konnte. Diese Regeln sind einzuhalten, auch wenn die Bauwerke nur vergrößert oder verkleinert werden. Andernfalls kommt einem bei ihrem Anblick das Sprichwort in den Sinn: »Gut gemeint, aber schlecht gemacht.« Wenn es an Grundfläche mangelt, kann dies durch die Zusammenstellung mehrerer Gebäude behoben werden. Die islamische Moschee zum Beispiel gewinnt genügend Raum durch eine durchgehende Konstruk­tion oder durch die Umfassung mit Kolonnaden. Im östlichen Teil des Gartens des bescheidenen Beamten wurde ein Pavillon vergrößert, der nun aber weder wie ein typisches Aussichtshäuschen noch wie ein Pavillon aussieht. Es ist ein unschöner Anblick, über den sich viele Besucherinnen und Besucher beschweren. Die Fünf-Pavillons-Brücke und die Weiße Pagode des Schmalen Westsees sind jeweils Nachbildungen der Großen Brücke, des Fünf-Drachen-Pavillons und der Weißen Pagode im Beihai-Park35 in Beijing. Die Fünf-Pavillons-Brücke wurde aus Platzmangel so gebaut, man setzte die fünf Pavillons auf eine einzige Brücke, und auch die Weiße Pagode musste aus Platzgründen kleiner als das Original ausfallen. Aber sie korrespondiert perfekt mit der Wasserfläche und hebt den Charakter des Schmalen Westsees deutlich hervor. Die gesamte Anlage ist so gut durchdacht, dass man ohne genaues Hinsehen nicht erkennen kann, dass die gesamte Szenerie nur eine Miniaturausgabe des Beihai-Parks ist. Niemand sieht den Fuß der fernen Berge, die Wurzeln der fernen Bäume und die Rümpfe der fernen Schiffe (nur die Segel sollten sichtbar sein) – das ist ein Grundsatz in der Malerei und auch in der Gartengestaltung. Jede Szenerie in einem Garten sollte wie ein einzigartiges Gemälde mit reichhaltiger Tiefe und vielschichtiger Abstufung in Licht und Farbe wirken. Ich lehne mich an eine Brüstung und schaue auf das plätschernde Wasser, die Hügel dahinter betrachtend, fürchte ich die Mauern um mich herum.36 28

Ein Gartenarchitekt, der die Bedeutung dieser Zeilen von Lu You versteht, weiß, was in einem Garten versteckt, abgeschirmt, offen gelassen oder ­voneinander getrennt werden soll. Die Idee dahinter ist, dass nicht die gesamte Aussicht auf einmal sichtbar sein soll, sondern nur Ausschnitte, sodass es Bilder über Bilder zu geben und sich die näher gelegene Szenerie kilometerweit zu erstrecken scheint – eine solche Aussicht wird man nie wieder vergessen. Konkret bedeutet dies: Ein Pavillon sollte etwas unterhalb von einem Berggipfel gebaut und ein Baum nicht direkt auf den Gipfel gepflanzt werden; bei einem Berg sollte entweder der Fuß oder die Spitze zu sehen sein, aber nicht beides gleichzeitig; genau wie bei großen Bäumen, man sollte entweder die Wipfel oder die Wurzeln sehen können. Die Anwendung dieser Regeln erfordert jedoch eine Menge Arbeit, die bis ins kleinste Detail geht. Scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten wie ein falscher Baumschnitt oder eine weggeräumte Steinplatte können den Gesamteindruck beeinträchtigen, ein Ast zu viel oder zu wenig kann die Schönheit eines ganzen Gartens zerstören. Im Garten des bescheidenen Beamten wurde hinter der Magnolienhalle ein alter toter Baum durch einen neuen ersetzt, wodurch der klassische Charme des Orts verloren ging. Das gleiche Missgeschick passierte auch vor dem Schluchtenhaus im Garten des Verweilens. Daraus habe ich gelernt, dass Gartenpflege genauso schwierig ist wie ­Gartengestaltung. Um ein guter Gartendirektor oder eine gute Garten­ direktorin zu sein, muss man mit der Geschichte eines Gartens vertraut sein, aber noch wichtiger ist, dass man alle seine künstlerischen Merkmale kennt, so wie man in der Krankenpflege die Patientinnen und Patienten gut genug kennen muss, um sie vorbildlich pflegen zu können. Vor allem wichtige historische und kulturelle Stätten, die unter staatlichem Schutz stehen, dürfen nicht vorschnell restauriert werden. Reparaturen sollten unter vollständiger Berücksichtigung der ursprünglichen Form und des Stils erfolgen, ungenehmigte Änderungen ganz unterbleiben. Andernfalls verletzt man nicht nur die »Persönlichkeit« eines solchen Gartens oder

Je mehr der Raum unterteilt ist, desto größer und wandelbarer wirkt der Garten, sodass auf einem ­begrenzten Grundstück unendlich viel Platz ­geschaffen werden und ein großer Garten eine Reihe kleinerer Gärten enthalten kann. 29

Kulturdenkmals, sondern verstößt auch gegen die einschlägigen staatlichen Rechts­vorschriften. Vorstädtische Gärten sollten voll ländlichen Charmes sein, während innenstädtische Gärten grüne Oasen in der Stadt darstellen. Der ländliche Charme entsteht aus der Verbundenheit mit der Natur, während das Streben nach einer städtischen Oase auch mit unkonventionellen Mitteln erreicht werden kann. Der Li-Garten37 in Wuxi ist ein Beispiel für Vulgarität, es fehlt ihm an jeglicher idyllischen Schönheit, während der Garten des Meisters der Netze mustergültig für eine grüne Oase in der Stadt ist. Ersterer ist groß, wird aber selten bejubelt, Letzterer ist klein, aber wird mit Lob überhäuft. Dies beweist, dass ein Garten eher wegen seiner Qualität als wegen seiner Größe geschätzt wird. Qualität ist das, was künstlerische Exzellenz ausmacht. Qualität wird nicht nur durch einen unverwechselbaren Stil erreicht, auch Details bei der Gestaltung von Gebäuden oder der Ausstattung, wie zum Beispiel bei den Gartenbänken, machen einen großen Unterschied. Dies sollte in Übereinstimmung mit den örtlichen Gegebenheiten ­erfolgen. Offene Gebäude setzen auf schön gestaltete Linien und Konturen und ­benötigen keine hängenden Verzierungen, die leicht beschädigt werden können; Möbel wie Hocker und Tische aus Stein oder Ziegeln sollten vor allem klassisch schlicht sein. Säle, Hallen, Veranden und Räume mit Türen oder Fenstern sind kunstvoll zu gestalten. Die Möbel fertigt man am besten aus Mahagoni, rotem Sandelholz, Phoebe oder Palisander an. Für den Sommer sind Stühle mit Rattan-Sitzfläche geeignet, im Winter braucht man noch Polster und geschmackvolle Hussen. Zu Prachtbauten passen Möbel aus Mahagoni oder rotem Sandelholz mit feinen Schnitzereien, zu schlichteren Gebäuden solche aus Phoebe oder Palisander mit einfachen Schnitzereien. Die Bedeutung der Möbel liegt auf der Hand, denn sie werden gemeinhin als die »inneren Organe« eines Hauses bezeichnet. Eine Gartenanlage steht und fällt mit dem Mobiliar, Räume mit unzulänglichen Möbeln wirken wie ein von jeglicher Bildung unbeleckter Mensch. Bei der ursprünglichen Möbelgestaltung im Garten des Meisters der Netze wurde viel Zeit und Energie aufgewendet, das Ergebnis ist sehr ästhetisch und ein Bestandteil chinesischer Gartenbaukunst, von der sich die Besucherinnen und Besucher vor Ort ein umfassendes Bild machen können. In früheren Zeiten war das abendliche Aufhängen der Gartenlaternen ein besonderes Ereignis, die schöne Literatur beschreibt es häufig. Die wertvollen Laternen hingen nicht immer da, sie wurden am Ende des Abends wieder abgehängt und verstaut. Als Bestandteil eines Gartens fertigte man auch die Laternen, wie die bereits erwähnten Namensplaketten und die paarigen Schrifttafeln, nach bestimmten Vorgaben; erhältlich waren sie in verschiedenen Formen und Größen. Heute werden einige Gärten für nächtliche Besuche elektrisch beleuchtet, was aber dem Stil des Gartens schaden kann. Ein Beispiel dafür ist die Höhle der Einsiedelei von Shan Juan38 in ­Yixing mit ihrem Kaleidoskop bunter Glühbirnen, die den Ort 30

in eine b ­ izarre Welt verwandeln. Der Ort wirkt eher wie ein belebtes Restaurant als wie eine Höhle, man möchte sich hier eigentlich bei der Natur ent­schuldigen. Auch im Löwenwald-Garten in Suzhou sind die Dachfirste der Pavillons an allen Enden mit auffälligen Lampen behängt. Ob alte Bauwerke, traditionelle Gärten oder landschaftlich schöne Orte, wir sollten sie alle mit Diskretion behandeln und ihnen nur möglichst wenige Elemente aufzwingen, die die Harmonie stören. Meiner Meinung nach sollten Lampen für Beleuchtungszwecke nicht sichtbar sein und dekorative Lampen so angebracht werden, dass sie mit den Gebäuden und der Umgebung harmonieren. Welcher Platz sich für eine Lampe eignet, hängt auch davon ab, ob sie für ein offenes oder geschlossenes Gebäude vorgesehen ist. Kostbare ­Deckenlampen sollten nicht in offenen Korridoren angebracht werden, wo sie dem Wind ausgesetzt sind und wie Turmglocken hin- und herschwingen. Man muss sich schon überlegen, wo man so zerbrechliche Dinge ­aufhängt. Vorsicht ist auch bei Stromleitungen und -masten geboten, die nicht nur das Gartenbild stören und die Sicht versperren, sondern auch ein großes Ärgernis für Fotografinnen und Fotografen darstellen. Das oben Gesagte mag zu trivial, konventionell oder langatmig sein. Auch gehe ich davon aus, dass es keinen großen Einfluss auf das große Ganze haben wird, aber ich finde es wichtig, sich mit dem Vorhandenen auseinanderzusetzen, über Verbesserungen nachzudenken und die Kultur lebendig zu halten. Daher würde ich mich freuen, wenn meine Worte ein wenig zum Nachdenken anregen.

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Anm. d. Übers.: Der Garten des Meisters der Netze (网师园, Wˇangshī Yuán) in Suzhou zählt zu den berühmten südchinesischen Privatgärten. Er wurde um 1440 errichtet, steht seit 1982 auf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China und ist einer der klassischen Gärten von Suzhou, die im Jahr 1997 als Stätte Klassische Gärten von Suzhou in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes eingetragen wurden. Anm. d. Übers.: Der Garten des bescheidenen Beamten (拙政园, Zhuōzhèng Yuán) ist einer der klassischen Gärten in Suzhou. Er wurde in der Ming-Dynastie angelegt und seitdem von verschiedenen Eigentümern immer wieder verändert. Bereits im Jahr 1961 wurde der Garten zum Denkmal der Volksrepublik China erklärt, und er zählt auch zu den klassischen Gärten, die seit 1997 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes eingetragen sind. Anm. d. Übers.: Der Schmale Westsee (瘦西湖, Shòu Xī Hú) ist ein Nationalpark in der Stadt Yangzhou in der Provinz Jiangsu. Der darin gelegene See ist lang und schmal, was ihm seinen Namen gab. Anm. d. Übers.: Zitiert werden hier die Schlusszeilen des klassischen Quatrains des Frühlingsausflugs (冶春绝句, Yěchūn juéjù) von Wang Shizhen (王士祯, Wáng Shìzhēn, 1634–1711), einem herausragenden Dichter der frühen QingZeit. Anm. d. Übers.: Der Bonsai-Garten (盆景园, Pénjˇıng Yuán) ist heutzutage ein Teil des Botanischen Gartens in Shanghai.

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Anm. d. Übers.: Der Tigerhügel (虎丘, Hŭqiū) ist ein Berg in Suzhou und auch ein beliebtes Touristenziel. Der Hügel trägt seinen Namen, weil er aussehen soll wie ein lauernder Tiger. Der Weißer-Lotus-Teich (白莲池, Báilián Chí) ist eine Sehenswürdigkeit am Tigerhügel. Anm. d. Übers.: Es handelt sich hier um ein indirektes Zitat aus der Biografie von Zhang Nanyuan (张南垣传, Zhāng Nányuán zhuàn). Zhang Nanyuan (张南垣, Zhāng Nányuán, 1587–1673), auch Zhang Lian (张涟, Zhāng Lián), war ein Landschaftsgärtner aus der Ming- und Qing-Zeit, der sich auch mit den Theorien der Landschaftsgestaltung auskannte. Anm. d. Übers.: Gemälde mit verdorrten Bäumen, Bambus und Felsen (枯木竹石图, Kūmù zhú shí tú) ist ein Landschaftsgemälde von Su Shi (苏轼, Sū Shì, 1037–1101), einem Dichter, Maler, Kalligrafen und Politiker aus der Nördlichen Song-Dynastie. Er ist bekannter unter seinem Pseudonym bzw. Ehrennamen Su Dongpo (苏东坡, Sū Dōngpō). Anm. d. Übers.: Der Garten des Verweilens (留园, Liú Yuán) ist einer der vier klassischen Privatgärten in Suzhou, die im Jahr 1997 in die Liste des UNESCOWeltkulturerbes eingetragen wurden. Er wurde 1593 angelegt und 1961 zum Nationalen Kulturdenkmal erhoben. Anm. d. Übers.: Der Garten der Zufriedenheit (怡园, Yí Yuán) ist ein klassischer chinesischer Garten in Suzhou. Er wurde in der späten Qing-Dynastie Ende des 19. Jahrhunderts angelegt und ist der jüngste Garten in Suzhou. Anm. d. Übers.: Der Canglang-Pavillon (沧浪亭, Cāng Làng Tíng) ist einer der Klassischen Gärten von Suzhou, die gemeinsam als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt sind. Er wurde 1044 errichtet und ist der älteste der UNESCO-­ Gärten in Suzhou. Anm. d. Übers.: Es handelt sich hier um ein Zitat aus dem Buch Die hehren und erhabenen Botschaften von Wäldern und Bächen (林泉高致集, Lín quán gāozhì jí), in dem Aussagen von Guo Xi (郭熙, Guō Xī, ca. 1000 – ca. 1080), einem Landschaftsmaler und Theoretiker der Malerei aus der Song-Dynastie, über das Malen gesammelt wurden. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Buch Gartenbaukunst (园冶, Yuányě) von Ji Cheng (计成, Jì Chéng, 1582–1642), einem Gartengestalter und -bauer aus der Ming-Dynastie, der zahlreiche Gärten in der Region Jiangnan angelegt hat. Sein Buch Gartenbaukunst ist das erste Handbuch der Welt, das der Landschaftsgestaltung, dem Gartenbau und der Architektur gewidmet ist. Die von ihm aufgestellten Grundsätze und Regeln werden von Gärtnerinnen und Gärtnern in ganz China befolgt und haben einen erheblichen Einfluss auf die Gartengestaltung in anderen Ländern. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Ci-Gedicht Blick einer schönen Frau (眼儿媚, Yˇanér mèi) von Zhu Shuzhen (朱淑真, Zhū Shūzhēn, ca. 1135– 1180), einer chinesischen Dichterin, die während der Song-Dynastie lebte. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Gedicht Früh aufstehen (早起, Zˇao Qˇı) von Du Fu (杜甫, Dù Fˇu, 712–770), einem der wichtigsten Dichter der chinesischen Tang-Dynastie. Traditionell wurde Du Fu auch als Heiliger der Dichtkunst (诗圣, shīshèng) bezeichnet. Anm. d. Übers.: Der Gipfel der schönen Frau (美人峰, Měirén Fēng) befindet sich im Landschaftsgebiet vom Gipfel der schönen Frau in Yinjiang, Provinz Guizhou. Anm. d. Übers.: Die Neun-Löwen-Berge (九狮山, Jiˇu Shī Shān) befinden sich in Luzhou, Provinz Sichuan. Anm. d. Übers.: Die Mandarinenten-Halle (鸳鸯厅, Yuānyāng Tīng) ist ein ­übliches Bauwerk in klassischen chinesischen Gärten in Suzhou. Anm. d. Übers.: Die Hanbi-Villa (寒碧山庄, Hánbì Shānzhuāng) ist der heutige Garten des Verweilens. Anm. d. Übers.: Der Winterkirschengarten (梅园, Méi Yuán) ist ein botanischer Garten in Wuxi, Provinz Jiangsu. Anm. d. Übers.: Zehn Szenerien des Westsees (西湖十景, Xī Hú Shī Jˇıng) sind zehn malerische Orte und Szenerien am Westsee in Hangzhou, Provinz ­Zhejiang.

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Anm. d. Übers.: Zheng Banqiao (郑板桥, Zhèng Bˇanqiáo, 1693–1765), auch Zhengxie (郑燮, Zhèng Xiè), war Dichter, Kalligraf und Maler. Zusammen mit Wang Shishen (1686–1759), Huang Shen (1687–1768), Li Shan (1686?–1756), Jin Nong (1687–1764), Luo Pin (1733–1799), Gao Xiang (1688–1753) und Li Fangying (1696–1755) war er einer der »acht Exzentriker von Yangzhou« (扬州八怪, Yángzhōu bāguài) in der Mitte der Qing-Zeit. Anm. d. Übers.: Das Xuan-Papier (宣纸, Xuān zhˇı) stammt aus Xuancheng, Provinz Anhui, und wird überwiegend für die Kalligrafie und Tuschmalerei verwendet, da seine Saugfähigkeit alle Details der Pinselführung zeigen kann. Es wird auch als »König aller Papiere« bezeichnet. Anm. d. Übers.: Der Yu-Garten (豫园, Yù Yuán) in Shanghai wurde 1559 als Privatgarten erbaut, 1961 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und steht seit 1982 auf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China in Shanghai. Anm. d. Übers.: Als Alter Sommerpalast (圆明园, Yuánmíngyuán) wird ein ab 1709 ausgebautes Gebiet dreier Gärten in Beijing bezeichnet. Der Komplex mit seinen zahlreichen Gebäuden war ab etwa 1725 die wichtigste Residenz der Kaiser der Qing-Dynastie, von der aus sie über Jahrzehnte die Staatsgeschäfte führten. Er wurde im Zweiten Opiumkrieg (1860–1862) durch französische und britische Truppen zerstört. Im Alten Sommerpalast befinden sich heute die Ruinen des großen Palastes und ein großer Garten mit Seen, Bäumen und Pfaden. Anm. d. Übers.: Das Xishan-Gebirge (西山, Xīshān) ist ein Gebirge im Westen von Beijing. Anm. d. Übers.: Der Garten der Ergötzung (寄畅园, Jìchàng Yuán) ist einer der berühmtesten Privatgärten Südchinas und wurde ungefähr in den Jahren 1506–1521 in der Zeit der Ming-Dynastie als Wohnsitz einer Familie angelegt. Der Garten steht seit 1988 auf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China. Anm. d. Übers.: Chen, Congzhou (1958): Geliehene Landschaften in der Architektur, in: Zeitschrift der Tongji-Universität, 1985 (1). Anm. d. Übers.: Der Neue Sommerpalast (颐和园, Yíhéyuán) hat eine mehr als 800-jährige Geschichte als kaiserlicher Garten, der in den 1150er-Jahren ­angelegt wurde. Der Garten im Vorort diente den Kaisern als Rückzugsort, ein Ort des Friedens auf dem Land, von dem aus die Hauptstadt immer noch gut erreichbar war. Der Neue Sommerpalast in seiner heutigen Form stammt aus der Qing-Zeit (1644–1911) und wurde 1924 öffentlich zugänglich gemacht. Anm. d. Übers.: Das Malereihandbuch des Senfkorngartens (芥子园画传, Jièzˇı yuán huàzhuàn) ist ein historisches chinesisches Musterbuch über die Kunst der chinesischen Tuschemalerei. Das zuerst 1679 erschienene, von Wang Gai (?–?) und Li Liufang (1575–1629) kompilierte Werk wurde vielfach neu auf­gelegt und später von zwei auf fünf Bände erweitert. Neben den bereits genannten Personen arbeiteten später auch andere Maler an dem Werk mit. Das Werk gilt bis heute bei Kunstschaffenden und Studierenden als unentbehrliches Grundlagenwerk. Anm. d. Übers.: Der »achtgliedrige Aufsatz« (八股文, Bāgˇuwén), ein stark ritualisierter und reglementierter Essay, war unter der Ming- und der Qing-Dynastie bis 1902 einer der grundlegenden Bestandteile der Beamtenprüfung im chinesischen Kaiserreich. Anm. d. Übers.: Der Löwenwald-Garten (狮子林, Shīzi Lín) gehört zu den vier berühmtesten Privatgärten in Suzhou. Er wurde um 1342 errichtet, ist einer der fünf Gärten, die im Jahr 2000 als Erweiterung des Kulturerbes Klassische Gärten von Suzhou in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes eingetragen wurden, und steht seit 2006 unter Denkmalschutz in der Volksrepublik China. Anm. d. Übers.: Wang Chuntian (汪春田, Wāng Chūntián, 1763–1822) war ein Kalligraf, Maler und Landschaftsgärtner aus der Mitte der Qing-Zeit. Anm. d. Übers.: Der Literarische Garten (文园, Wén Yuán) befindet sich in Rudong, Provinz Jiangsu. Er wurde im Jahr 1735 erbaut und ist ein typischer Garten im Hui-Stil.

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Anm. d. Übers.: Der Beihai-Park (北海公园, Běihˇai Gōngyuán) wurde im 11. Jahrhundert während der Song-, Liao- und Jin-Dynastie erbaut und ist der älteste erhaltene Königsgarten der Welt. Anm. d. Übers.: Die Zeile entstammt dem Gedicht Pavillon der weißen Wolken im Yamen von Badong (巴东令廨白云亭, Bādōng lìngxiè báiyún tíng) von Lu You (陆游, Lù Yóu, 1125–1210), der ein großer Historiker, Prosaschriftsteller und Dichter aus der Südlichen Song-Dynastie war und für seine zehntausend ­Gedichte und zahlreichen Prosastücke bekannt ist. Anm. d. Übers.: Der Li-Garten (蠡园, Lˇı Yuán) ist ein chinesischer Garten am Ufer des Li-Sees. Er ist nach Fan Li (范蠡, Fàn Lˇı, 536–448 v. Chr.) benannt, einem hohen Minister des Staates Yue (越国, Yuèguó) während der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen in der Geschichte des alten China. Anm. d. Übers.: Die Höhle der Einsiedelei von Shan Juan (善卷洞, Shàn Juˇan Dòng) befindet sich in Yixing, Provinz Jiangsu, und ist die wichtigste touristische Höhlenattraktion in China. Shan Juan (善卷, Shàn Juˇan), eine der wichtigsten kulturellen Persönlichkeiten des alten Chinas, der Lehrer von zwei legendären chinesischen Herrschern, Kaiser Yao (尧, Yáo, 2353–2234 v. Chr.) und Kaiser Shun (舜, Shùn, ?–2240 v. Chr.), soll hier gewohnt haben, deswegen bekam die Höhle diesen Namen.

Über chinesische Gärten

Teil 2

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in anderer Begriff für die Gestaltung eines Gartens ist »Gartenstrukturierung«, wobei die Betonung auf »Strukturierung« liegt. Dieser Begriff beinhaltet mehr, als man denkt. Bei der Gartenstrukturierung geht es keineswegs nur darum, Hallen und Pavillons zu ­errichten und Bäume und Blumen zu pflanzen. Sie erfordert scharfsinniges Denken und ästhetische Feinheit. In den beiden Zyklen Zehn Gedichte über einen Ausflug zum Bergwald von General He als Begleiter von Herrn Zheng ­Guangwen und Fünf Gedichte über die Rückkehr zu Herrn Hes Garten schilderte Du Fu seine Reiseeindrücke. Er sah Landschaften im Garten, Menschen in der Landschaft, zu einem Ganzen verschmolzene Menschen und Landschaften und sich durch die Anwesenheit von Menschen verändernde Landschaften. Seine Verse sind eng mit der Gartenstrukturierung verbunden. Einige seiner Zeilen beschreiben die Landschaften im Garten: Der berühmte Garten liegt am grünen Wasser, wilde Bambusse spalten den blauen Himmel. Die Bambusse biegen sich, der Wind reißt die Triebe ab, von Regentropfen genährt, sind die Pflaumen rot geworden. Manche porträtieren die Menschen in der Landschaft: Das Interesse des Meisters ist geweckt, und das Gelände wird nicht mehr ­gepflegt, lässig setzte ich mich hin und fand mich umgeben von Beeren und Moos. Ich beugte mich vor, um meinen Pinsel in den Tintenstein auf der Balustrade zu tauchen, ich setzte mich und legte die Gedichte auf die Blätter des Parasolbaums vor mir. Die magischen Prinzipien der Gartenstrukturierung kann man nur durch eine solche künstlerische Sensibilität verstehen. Die Natur bietet uns mannigfaltige Erscheinungen wie Wetter, Pflanzen, Jahres- und Tageszeiten. Wenn Gartengestalterinnen und Gartengestalter sich dieser Dinge geschickt bedienen, können sie die Ästhetik klassischer Gärten voll zur Geltung bringen. Im Garten des Meisters der Netze in ­Suzhou befindet sich ein Pavillon namens Der Mond ist aufgegangen, der Wind kommt. Er liegt an einem Teich und ist nach Westen ausgerichtet. Der Pavillon mit seinen weiß getünchten, paraventartigen Wänden verkörpert die Schönheit der Landschaft. Wind und Mond stehen dem Gartengestalter, der Gartengestalterin also zur Verfügung. Im Fall der Drei Teiche, die den Mond widerspiegeln am Westsee in Hangzhou sind die Teiche das i-Tüpfel­ chen, ohne sie würde man hier nicht von der Schönheit der Landschaft 37

sprechen. Genau das ist damit gemeint, wenn wir der Landschaft den ­letzten Schliff geben. Der hier benutzte Ausdruck »der letzte Schliff« bezieht sich auf eine populäre chinesische Legende. Ein Künstler malte Drachen auf eine Tempelwand und ließ ihre Augen leer. Als er anfing, Pupillen in die Augen zu malen, um »dem Bild des Drachens den letzten Schliff« zu geben, geschah etwas Wunderbares – die Drachen durchbrachen die Wand und stiegen direkt in die Wolken auf. Daher sagt man, dass sich mit dem letzten Schliff der Drache in die Wolken erhebt. Eine Gartengestalterin oder ein Gartengestalter tut das Gleiche wie eine Künstlerin oder ein Künstler. Manchmal ist eine Landschaft offensichtlich bezaubernd, aber es fehlt ein beschreibendes Wort. Erst durch eine Inschrift enthüllt sich die Pracht der Landschaft. Hierzu ein Zitat aus Der Traum der Roten Kammer1. In Kapitel 17, »Literarisches Talent wird durch das Verfassen von Inschriften getestet«, steht Folgendes über die poetischen Zeilen, die auf den Tafeln im Garten der Großen Aussicht2 eingraviert werden sollen: All diese Landschaften und Pavillons – selbst die Felsen, Bäume und Blumen – wirken irgendwie unvollständig ohne den Hauch von Poesie, den nur das ­geschriebene Wort einer Szenerie verleihen kann. Es ist zu erkennen, dass die Inschriften die Funktion haben, »der Landschaft den letzten Schliff zu geben«. Bevor man eine Inschrift für eine Landschaft verfasst, ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen und sorgfältig zu ergründen, was das Besondere an ihr ist. Dies wird als »die Suche nach der Landschaft« bezeichnet. Jiang Taoshu3 aus der Qing-Dynastie schrieb: Ich bin ein Narr, wenn ich mich auf die Suche nach Poesie mache, wenn die Poesie mich findet, ist es schwer, sie abzuweisen. Nun hat mich die Poesie wieder einmal aufgesucht, während ich allein Hügel und Flüsschen betrachte.4 Nur wenn man bei der »Suche nach der Landschaft« ein solches Niveau ­erreicht, wird man eine inspirierende Inschrift hervorbringen. Im Altertum begann die Gartengestaltung in China in der Regel mit den Gebäuden. Bei der Anlage eines Privatgartens wurde normalerweise eine aufwendig verzierte Halle gebaut, bevor man sich mit den Bäumen und Felsen befasste. Sehr oft riss man gerade erst angelegte Elemente wieder ab und verwendete viel Mühe darauf, die zerstörten Teile zur weiteren Verbesserung wiederaufzubauen. Der ganze Vorgang wurde mehrmals wiederholt, bis alle Anforderungen erfüllt waren. Shen Yuanlu5 schrieb in seinem Werk Aufzeichnungen über den Alten Bambusgarten: An Größe überstrahlt nichts im Garten die Halle, an Aussehen übertrifft kein Teil des Gartens den Hügel. 38

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

»Ein anderer Begriff für die Gestaltung eines Gartens ist ­›Gartenstrukturierung‹, wobei die Betonung auf ›Strukturierung‹ liegt. Dieser Begriff beinhaltet mehr, als man denkt. Bei der Gartenstrukturierung geht es keineswegs nur darum, Hallen und Pavillons zu errichten und Bäume und Blumen zu pflanzen. Sie erfordert scharfsinniges Denken und ästhetische Feinheit.«

In einem klassischen Garten stehen die Gebäude an erster Stelle, während Bäume und Felsen nur der Zierde dienen und von untergeordneter Bedeutung sind. Heutzutage ist das anders. Bevor man die Hauptgebäude errichtet, werden Teiche ausgehoben und Wege gepflastert. Auf diese Weise hat man bereits riesige Summen ausgegeben, bevor der Garten auch nur annähernd fertig ist, und die Besucherinnen und Besucher finden kein trockenes Rastplätzchen. Durch die falsche Prioritätensetzung entstehen »unbehauste Gärten«. Einige Gärten, landschaftlich reizvolle Orte und Stätten von historischem Interesse, werden wie Baumschulen behandelt, in denen alte Bäume gefällt und neue gepflanzt werden, unter dem unsinnigen Vorwand, dass sich »ein Garten finanziell tragen muss«. Die »Suche nach der Landschaft« und die »Besucherführung zu einer schönen Landschaft« sind für die Gestaltung eines chinesischen Gartens von wesentlicher Bedeutung. Was ist mit der »Besucherführung zu einer schönen Landschaft« gemeint? Es geht darum, der Landschaft den letzten Schliff zu verleihen, sodass sie für die Besucherinnen und Besucher anleitend und verlockend wirkt. Der Südhügel am Westsee in Hangzhou hat seinen verführerischen Reiz verloren, seit die Pagode am Donnergipfel eingestürzt ist. Eine Landschaft wird erst dann einladend, wenn sie mit Gefühlen aufgeladen ist, und Gefühle haben ihren Ursprung im Menschen. So wie es in diesem Ci-Gedicht6 steht: Empfindungsfähig ist Gras, das Aroma verströmt, doch sprachlos ist die untergehende Sonne; Wildgänse fliegen über den Südlichen Fluss, während eine Dame sich über das Geländer im Westen lehnt.7 In der Tat, wo kein Geländer ist, lehnt sich keine Dame an; wo keine Dame ist, gibt es kein Gefühl; und wo kein Gefühl ist, gibt es keine Landschaft. Das »Geländer im Westen« ist für die in diesem Ci-Gedicht dargestellte Landschaft von entscheidender Bedeutung. Wie wichtig Gebäude für einen Garten oder eine malerische Landschaft sind, liegt auf der Hand. Frühere Gartengestalter legten großen Wert darauf, eine Garten­ landschaft nach einem bestimmten Konzept anzulegen. Nur wenn das ­Konzept zur örtlichen Umgebung passte, entstand ein Garten mit ganz ­eigenem Charakter. In der Schlucht der vollkommenen Erleuchtung am Westsee führte ein Pfad bis tief in die Berge hinein. Er war gesäumt von süß duftendem Osmanthus, der außergewöhnlich lange blühte, da er von plätschernden Bächen und feuchter Bergluft genährt wurde; zudem hielt sich der Duft in der von hohen Bergen umschlossenen Schlucht. Im Herbst strömten die Besucherinnen und Besucher in Scharen herbei, um die ­duftenden Blüten zu genießen und sich für eine Weile vom Anblick der malerischen Schlucht verzaubern zu lassen. Die Landschaft war so schön, dass man nur ungern wieder ging. Jetzt ist sie verschandelt, weil es dort 40

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

»Zier-Gitterfenster spielen eine offensichtliche Rolle beim ›Preisgeben der Landschaft‹ und bei der ›Besucherführung zu einer schönen Landschaft‹. In einem großen Garten kann die Landschaft preisgegeben werden, in kleinen Gärten kann man nur den Blick auf die verführerische Landschaft lenken.«

offenbar eine Straße gibt, von der Staubwolken aufwirbeln, wenn Autos über die breite Fläche rasen. Nun noch ein paar Worte zu Pflanzen in kleinen Gärten: Pflanzen mit duftenden Blüten sollten ummauert sein. Japanische Faserbananen, deren riesige Blätter eine reizvolle Begrünung bieten, aber leicht im Wind brechen, pflanzt man am besten am Fuß einer Mauer oder in einer Hausecke. ­Päonien mit ihren duftenden Blüten lieben Sonne, sie sollten an der Südseite der Haupthalle eines Gartens stehen. Diese Beispiele zeigen, dass einige Pflanzen einen geschützten Standort brauchen, während andere auch in exponierten Lagen gedeihen. Ziertopflandschaften (Bonsai) haben den Vorteil, dass man in ihnen das Große im Kleinen sieht. Das Geniale an diesen Miniaturlandschaften wird in folgenden Zeilen deutlich: Ein Topf erwacht zum Leben, wenn ein Zwergbaum in ihm wächst, ein Sockel grünt mit Hügeln, die in seine Grasnarbe gepackt sind.8 Ziertopflandschaften sollten eigentlich winzig klein sein, aber leider werden sie heutzutage immer größer und erwecken den Eindruck eines Elefanten im Kanarienvogelkäfig. Nur drei Dinge sind unverzichtbar für Miniaturlandschaften: Pflanzen, ein Topf und ein Sockel. Eine solche Landschaft ist für die statische Betrachtung gemacht, sie sollte in Stille und Ruhe bewundert werden können. Die meisten traditionellen Gärten in China befinden sich hinter verschlossenen Mauern und Türen, da sie so angelegt sind, dass sie auf einer begrenzten Fläche einen unbegrenzten Raum schaffen. Daher ist es wichtig, dass ein solcher Garten gleichzeitig geräumig aussieht und den Geist a­ nregt. Bei Blumen und Bäumen liegt die Betonung auf ihrem Wuchs, bei Hügeln und Felsen hingegen wird viel Wert auf die Anordnung der Kuppen und Rinnen gelegt. »Verdichtung« und »Verfeinerung« sind wesentliche Merkmale des chinesischen Gartens, um das Prinzip »weniger ist mehr« zu verwirklichen. Genau wie bei den paarigen Schrifttafeln, die auf einer Theaterbühne verwendet wurden: Mit drei oder fünf Schritten durchquert man die Welt, mit sechs oder sieben Männern bezwingt man einen mächtigen Feind. Dieses Prinzip der darstellenden Kunst gilt auch für die Landschafts­ gestaltung. Tempelkiefern dominieren chinesische Gärten mit ihren ­anmutigen Formen und knorrigen Stämmen. Schon in jungen Jahren wirken sie wie alte Bäume. Weiden wurden schon in den klassischen Versen ­besungen, auch sie sind eine Zierde im Garten, und zwar so sehr, dass sich einige ­Gärten aufgrund ihres großen Weidenbestands einen Namen gemacht 42

Die meisten traditionellen ­Gärten in China befinden sich hinter ­verschlossenen Mauern und Türen, da sie so angelegt sind, dass sie auf einer begrenzten Fläche einen ­unbegrenzten Raum schaffen.

haben. Weiden eignen sich jedoch nicht für die kleinen Gärten in der ­Region Jiangnan9, da sie in Dreier- oder Fünferreihen an einem Teich oder Bachlauf stehen sollten und viel Platz benötigen, und weil ihr Laub so dicht ist, dass man kaum durchschauen kann. In Nordchina erstreckt sich ein Garten in der Regel über eine große Fläche, die hohen Weiden reichen bis in die Wolken, während ihre langen Zweige, anmutig und ­geschmeidig, zärtlich einen Teich umschmeicheln und dem Garten so einen ganz besonderen Charme verleihen. Daher ist es notwendig, nicht in allen Fällen Einheitlichkeit zu erzwingen und von Fall zu Fall zu differenzieren. Ein Grund, aus dem Weiden nicht in südlichen Gärten gepflanzt werden, soll darin liegen, dass das frühe Absterben der Weide ein schlechtes Omen sei. Wenn dem so wäre, dürfte es im Garten des bescheidenen ­Beamten in Suzhou die Landschaft des Wandelwegs im Weidenschatten nicht geben. Die Bäume, die in einer landschaftlich reizvollen Gegend wachsen, sind häufig typisch für die jeweilige Region. Nehmen Sie zum Beispiel Kiefern. Es gibt unter anderem die Tianmu-Bergkiefer, die Huang-Bergkiefer und die Tai-Bergkiefer, und alle haben sich so gut an die örtlichen Gegeben­heiten angepasst, dass sie zu natürlichen Wahrzeichen ihrer jeweiligen ­Berg­gebiete wurden. Heute gibt es jedoch viele »moderne« Garten­ expertinnen und Gartenexperten, die sich große Mühe geben, unsere Heimat zu verschönern, indem sie »Ausländisches für China nutzbar machen«. Als Beispiel fällt mir die Himalaya-Zeder ein, die von manchen als Allheilmittel angesehen wird, so wie wenn man Penicillin für das einzige Medikament halten und für allerlei Krankheiten verwenden würde. Infolgedessen sind solche Zedern in praktisch jedem Garten des Landes allgegenwärtig. Die folgenden Zeilen beschreiben Szenerien, die heute für immer verschwunden sind: »Krähen können in den Weiden am Weißen Tor (Nanjing) nisten.«10 »Der von grünen Weiden überwucherte Stadtwall ist das Kennzeichen der berühmten Stadt Yangzhou.«11 Die Weidenbäume sind jetzt so alt, dass keine Weidenkätzchen mehr herumfliegen, aber die Himalaya-Zedern sind in fast jedem Garten zu finden. Nachdem sich der 43

Garten des Verweilens Foto von Lv Hengzhong

»Man kann einen Garten auch mit eher ­farblosen Elementen bunt gestalten. Die G ­ ärten in Nordchina mit ihren grünen ­Kiefern und zinnoberroten Korridoren, die sich von den weißen Wolken am blauen Himmel abheben, zeichnen sich durch starke Farb­kontraste aus. In den Gärten in Jiangnan stehen an ­Flüsschen kleine Pavillons mit weiß ­gestrichenen

­ änden, die alle möglichen Variationen aufW weisen. Weiß ist keine Farbe, aber Farben gehen daraus hervor. Das Wasser im Teich ist farblos, aber es ist am reichsten an Farben. Deshalb sollte man Farben nicht im Farbigen, sondern im Farblosen suchen.«

Felsen haben keine regelmäßige Form, aber es gibt dennoch Regeln, die bei der Gestaltung von künstlichen Bergen zu beachten sind.

Berg Tai Shan der Welt so lange mit seinen Tai-Bergkiefern präsentiert hat, muss er nun Himalaya-Zedern an seinem berühmten Tempel erdulden. Selbst ein so ehrwürdiges chinesisches Bauwerk wird mit einem »fremden Mantel« geschmückt! So etwas kann ich nur als vollkommen unangemessen bezeichnen. Der Stil von Pavillons, Terrassen, mehrstöckigen Gebäuden und ­Belvederes sowie Hügeln, Felsen und Teichen in den Gärten variiert je nach Region, die Unterschiede sind beträchtlich. In den Gärten in der Region Lingnan12 waren die mehrstöckigen Gebäude früher von Gartenmauern umschlossen, und die Besucherinnen und Besucher fanden im Schatten der hoch aufragenden Bäume und an den tiefen Teichen ein erfrischend kühles Plätzchen. Die kühle Brise, die durch die Hallen am Wasser wehte, vertrieb die schwüle Sommerhitze augenblicklich. Ab und zu fiel der Schatten von Bambus auf die von Orchideenduft umschmeichelten Besucherinnen und Besucher. Die Gärten Lingnans mit ihren bezaubernden Kulissen standen den Gärten anderer Orte in nichts nach. Man kann einen Garten auch mit eher farblosen Elementen bunt gestalten. Die Gärten in Nordchina mit ihren grünen Kiefern und zinnoberroten Korridoren, die sich von den weißen Wolken am blauen Himmel abheben, zeichnen sich durch starke Farbkontraste aus. In den Gärten in Jiangnan stehen an Flüsschen kleine Pavillons mit weiß gestrichenen Wänden, die alle möglichen Variationen aufweisen. Weiß ist keine Farbe, aber Farben gehen daraus hervor. Das Wasser im Teich ist farblos, aber es ist am reichsten an Farben. Deshalb sollte man Farben nicht im Farbigen, sondern im Farblosen suchen. Dementsprechend ist in einem chinesischen Garten die Landschaft dort zu suchen, wo keine Landschaft ist, die Bewegung aus der Stille und nicht aus der Bewegung heraus zu finden. Ein Teich ist wie ein großer Spiegel im Garten, eine Landschaft in der Landschaft, die nur dort zu finden ist, wo keine Landschaft erwartet wird. In einem kleinen Garten sollten mehr Laubbäume gepflanzt werden, wobei auf die Abstände zu achten ist, damit ein offener und großzügiger Eindruck entsteht. In einem großen Garten setzt man genügend immergrüne Pflanzen dazwischen, damit er nicht zu karg wirkt. Das Prinzip beinhaltet, dass Überfüllung durch Sparsamkeit und Leere durch Konzentration kompensiert wird. Der Wechsel der Jahreszeiten lässt sich an den Laubbäu­ 46

men ablesen, und die immergrünen Bäume halten einen Ort auch nach Wintereinbruch grün. Im Norden des Landes kommt der Winter früher, deswegen werden dort mehr Kiefern und Zypressen gepflanzt. Felsen haben keine regelmäßige Form, aber es gibt dennoch Regeln, die bei der Gestaltung von künstlichen Bergen zu beachten sind. Diese Regeln beziehen sich auf den Kontext, die Dynamik und den gesamten Aufbau des Steingartens und entsprechen den Grundsätzen der Malerei. Aber: Jede Poesie stirbt, wenn ihr Stereotypen aufgezwungen werden; Lyrik wird hinfällig, wenn sie nach festen melodischen Mustern vertont wird. In allen Gattungen der Lyrik – seien es Gedichte im klassischen Stil der Han-Zeit (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) und Wei-Zeit (220–265), oder sei es kurze Lyrik aus der Nördlichen Song-Dynastie (960–1127) – sind die besten Stücke nie aus stereotypen Klangmustern und Reimschemata entstanden. Die Poesie und Lyrik, die von pedantischen Gelehrten verfasst wird, ist bar jeglicher Inspiration, ganz zu schweigen von ästhetischem Charme. Das Gleiche gilt für die Gartengestaltung. Durch einen künstlichen Berg aus Felsen bringt man Unebenheit in eine ebene Fläche und Rundung in die geraden Linien. Man muss das ­Gesamtbild im Auge behalten, während man sich um das kleinste Detail kümmert. Mit Gelblichen Sandsteinen13 ist es leicht, die Basis für einen künstlichen Berg zu legen, aber eine gelungene Spitze zu bauen ist mit diesen Steinen schwierig. Bei künstlichen Bergen aus Taihu-Steinen14 ist es ­gerade andersherum. Künstliche Berge aus Gelblichen Sandsteinen sind kraftvoll und einfach, bei ihnen muss man darauf achten, einen anmutigen und durchlässigen Eindruck zu schaffen, während die Berge aus Taihu-­ Steinen grazil und durchlässig scheinen, aber daneben auch einen kraft­ vollen, einfachen Eindruck vermitteln sollen. Kurz gesagt, der erste Typus wirkt etwas starr, der zweite neigt dazu, zu fragil zu wirken. Steine unterscheiden sich in Form, Qualität, Maserung und Textur voneinander und können daher nicht mit demselben Maßstab gemessen werden. Hier kommt das Kardinalgesetz der Dialektik zum Tragen. Es ist selten und daher lobens­wert, wenn künstliche Berge aus Gelblichen Sandsteinen lebendig und kurvenreich aussehen und solche aus Taihu-Steinen auf ungekünstelte Weise anmutig und in vielerlei Hinsicht faszinierend wirken. Es ist schwer, Steine aufzutürmen und einen kräftigen, zerklüfteten Berg zu errichten, noch schwerer, einen Gipfel von überzeugender Einfachheit zu schaffen, aber am schwierigsten ist es, schroffe Klippen zu formen. In den Skizzen des Malers und Dichters Yun Lin15 erregt ein scheinbar ­beiläufiger, müheloser Pinselstrich oft die größte Aufmerksamkeit. Eine solche »Beiläufigkeit« kann jedoch nur mit großer Mühe, sorgfältiger Überlegung und vollständiger Beherrschung des gesamten Bilds erreicht werden. Nur so kann der Meister seinen geschickten Pinselstrich setzen, sodass die bloße Hinzufügung von, sagen wir, drei Haaren auf der Wange eine menschliche Figur im Bild lebendig wirken lässt.16 Ebenso verdient das kleinste 47

Garten des Verweilens Foto von Lv Hengzhong

»Felsen haben keine regelmäßige Form, aber es gibt dennoch Regeln, die bei der Gestaltung von künstlichen Bergen zu beachten sind. Diese Regeln beziehen sich auf den Kontext, die Dynamik und den gesamten Aufbau des Steingartens und entsprechen den Grundsätzen der Malerei. Aber: Jede Poesie stirbt, wenn ihr Stereotypen aufgezwungen werden; Lyrik wird

hinfällig, wenn sie nach festen melodischen Mustern vertont wird. In allen Gattungen der Lyrik – seien es Gedichte im klassischen Stil der Han-Zeit (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) und Wei-Zeit (220–265), oder sei es kurze Lyrik aus der Nördlichen Song-Dynastie (960–1127) – sind die besten Stücke nie aus stereotypen Klangmustern und Reimschemata entstanden.«

Detail in einem Garten oft die größte Aufmerksamkeit, sei es ein einzelner Felsblock, der aus einer Wasserfläche herausragt, ein Steinhang, eine Steintreppe oder ein Trittstein. Die während der Ming-Zeit (1368–1644) errichteten künstlichen Berge zeichnen sich durch ihr natürliches, aber gleichzeitig massives und gewichtiges Aussehen aus, das stets zur ­Kontemplation anregt. Die ­Erbauer der künstlichen Berge während der Regierungszeit der Kaiser Tongzhi und Guangxu (1861–1908) der Qing-­Dynastie setzten ihre Hoffnungen auf Erfolg durch Raffinesse, aber ihre Werke sahen letztendlich zu gekünstelt und fragil aus. Im Grunde gibt es kein Felsenwerk, das die Natur übertrifft, ohne auf Einfachheit zurückzugreifen. Die Schönheit der Gelblichen Sandsteine liegt in der Schlichtheit, die sich der Natur anpasst. Jedes gute Werk von künstlerischem Wert entsteht aus seinen inhärenten ­Qualitäten. Die aus der Ming-Zeit stammenden künstlichen Berge könnten nicht einfacher aufgebaut sein. Sie bestehen aus nichts anderem als Treppen, ­flachen Terrassen, Hauptgipfeln, Höhlen und Schluchten. Doch es gibt tausend Variationen. Ihr Geheimnis liegt im guten Verhältnis von Offenheit und ­Geschlossenheit. Wie kann man das beschreiben? Um offen zu sein, muss ein Berg durch Täler oder Senken zugänglich wirken, der große künstliche Berg des Yu-Gartens in Shanghai ist ein gutes Beispiel dafür. Um geschlossen zu sein, sollte er einen vorspringenden Hauptgipfel haben, und seine Hänge müssen auffällig abgestuft sein. Um Offenheit zu erlangen, ordnet man seine Ausläufer und Felsen verstreut an. Offenheit kann auch mit den Ausläufern und Felsen eines künstlichen Bergs auf trockenem ­Untergrund erreicht werden oder, im Fall eines künstlichen Bergs, durch eine Wasserfläche mit Felsen, die vom Berg ins Wasser reichen. Die bildende Kunst verschiedener Zeiten prägte auch den Stil der künstlichen Berge – der Einfluss der prägnanten Landschaftsmalerei der Ming-Zeit und des überladenen Stils der Qing-Zeit ist in den künstlichen Bergen der jeweiligen Epoche deutlich zu spüren. Der Ming-zeitliche Gelehrte Zhang Dai17 schrieb über die drei spitzen Felsen in Wangs Garten18 in Yizheng in seinem Werk Verträumte Erinnerungen von Tao’an: Ich fand einen verlassenen weißen Stein im Garten, der um die drei Meter hoch und ungefähr sechs Meter breit war. Er sah töricht aus. Ja, ­»töricht« ist genau das richtige Wort. Ich stieß auch auf einen fünfund­zwanzig Meter ­breiten, fünfzehn Meter hohen schwarzen Stein, der mager aussah. »Mager« ist genau das richtige Wort dafür. Zhang Dai benutzte die Worte »töricht« und »mager«, um die Felsen zu beschreiben, weil er ihnen Gefühle übergestülpt hatte. Der Dichter Gong Zizhen19 aus der Qing-Zeit beschreibt Menschen oft als »auf liebenswerte Weise hässlich«, eine Beschreibung, die sich auch für Steine eignet. Der 50

»Gelbe Wachsstein«, der seit Kurzem in den Gärten von Guangzhou zu ­finden ist, sieht ziemlich frech aus. Das Wort »frech« ist meiner Meinung nach eine wunderbare Ergänzung zu den beiden von Zhang Dai verwen­ deten Begriffen »töricht« und »mager«. Ein künstlicher Berg kann so gestaltet werden, dass er in einem ­trockenen Garten Wasserflächen ersetzt, wie zum Beispiel der hintere Teil des Gartens der rosigen Herbstwolken in Jiading, Shanghai, und der künstliche Berg im Garten Halber-Mond-Halle in Yangzhou. Man kann den ­Eindruck vermitteln, dass es in einem Garten ohne Teiche Wasserflächen gibt, indem hügelige und flache Landschaften in Kontrast gesetzt werden. Es ist jedoch absurd zu behaupten, dass ein künstlicher Berg in einer ­Wasserfläche auf die gleiche Weise gebaut werden kann wie ein Berg auf ­trockenem Untergrund oder umgekehrt, denn beide erfordern bei der Legung des Sockels eine unterschiedliche Vorgehensweise. Steinpfade, ­Felsblöcke und Stege, die zu einem Berg in einer Wasserfläche gehören, können nicht bei einem Berg auf trockenem Untergrund verwendet werden; die Steine, die am Fuß eines Bergs auf trockenem Untergrund verstreut sind, wären völlig fehl am Platz, wenn sie bei einem Berg in einer Wasserfläche verwendet würden. Es ist sogar noch offensichtlicher, dass Gelbliche Sandsteine nicht so aufgehäuft werden können wie Taihu-Steine, und das Gleiche gilt auch umgekehrt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Erfolg garantiert ist, wenn wir die natürliche Landschaft beobachten, die Prinzipien der traditionellen chinesischen Malerei zurate ziehen, von Mutter Natur, der Schöpferin, lernen, unser Denken und Temperament kultivieren und durch Analogie lernen. Manchmal sind kleinere Gärten Teil eines großen Gartens, oder ein großer See bietet kleineren Seen einen Rahmen. Ein beispielhaftes Meisterwerk für das Letztere sind die Drei Teiche, die den Mond widerspiegeln am Westsee in Hangzhou. Der Ming-zeitliche Dichter Zhong Bojing20 schrieb in seinen Aufzeichnungen über die Winterkirschenvilla: Ein Garten im Wasser, überall ist Wasser. Höhe wird durch eine Terrasse erzeugt, Tiefe durch eine Halle, Leichtigkeit vermittelt ein Pavillon, und Schwung bringt ein überdachter, gewundener Weg; durch einen Fährübergang entsteht eine Horizontale, durch einen Steingarten eine Vertikale; Fauna und Flora sind durch Vögel und Blumen vertreten, und auch die Besucher sind ein integraler Bestandteil des Gartens. All das gehört zum Garten. Braucht man da noch einen eigenen Garten? Man befindet sich in einem Garten, aber ist sich dessen gar nicht bewusst. Nun, wenn ein Garten aus mehreren Gärten besteht, merkt man, dass man sich in einem Garten befindet. So geht es den meisten Menschen auf der Welt. Diese philosophischen Theorien und Prinzipien können für die Garten­ gestaltung herangezogen werden. 51

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

»Dort erscheint das Wasser in einem Moment und verschwindet im nächsten, es existiert innerhalb und außerhalb des Gartens; wenn es fließt, steigt und fällt es mal, mal dreht es sich. Um das Wasser in den Dienst der Menschen zu stellen, wird es von Pavillons, Aussichtstürmen und Korridoren flankiert, denn nur solche Gebäude können den Raum zwischen Wasser

und Land umgestalten. Daher das ­chinesische Sprichwort: ›Ein Garten muss geteilt werden, ein Gewässer muss gebogen werden.‹ Von allen heute noch existierenden überdachten Ufer­promenaden ist die im westlichen Teil des Gartens des bescheidenen Beamten die ­berühmteste.«

Wenn Landschaften innerhalb und außerhalb eines Gartens auf angenehme Weise kontrastieren und sich ergänzen, beweist dies die geschickte Standortbeherrschung eines Meisters seines Metiers. Das Folgende stammt ebenfalls aus Zhongs Aufzeichnungen über die Winterkirschenvilla: Aus dem San Wu21 werden riesige Mengen Wasser entnommen, das erst in Fuli22 frei fließen kann. Wenige Schritte von der Villa entfernt ist kein Wasser zu sehen, aber im Inneren der Villa ist es vorhanden. Durch einen unterirdischen Kanal wird Wasser aus dem Fluss in den Garten geleitet. Ich öffne die Tür, und ein gerader Weg führt mich an der Wolfsbeerenund-Chrysanthemen-­Kammer vorbei. […] Wenn man ins Obergeschoss steigt, sieht man nicht nur Wasser. Doch unter dem Pavillon, entlang des gewun­denen Wandelgangs, unter der Brücke, am Fuß der stehenden oder liegenden Felsen und im kühlen Schatten der herabhängenden Weiden und hohen Bambusse fließt das Wasser überall. […] Als ich meinen Blick von dem ­mehrstöckigen Gebäude in die Ferne schweifen lasse, bietet sich mir ein ­bezauberndes Bild – das Wasser ist vom Wandelgang umschlossen und von der Mauer eingefasst. Es sieht so aus, als ob sich dort ein mehrstöckiges ­Gebäude erheben würde. Hoch und aufrecht wachsen die Bäume und ­Pflanzen außerhalb der Mauer, und das fließende Wasser ist so grün, dass die Kleider der Besucher scheinbar seine Farbe annehmen. Es scheint, als könnte man das Wasser mit den Händen schöpfen, doch es ist unerreichbar. […] Dann komme ich durch die Kleine Steingrotte und raste im Pavillon der ­verlockenden ­Behaglichkeit. Am Rand des Wassers nagen die moosbewach­ senen Steine an den Wellen. Hier befindet sich der sogenannte Jincong-Strand. Ich mache mich dann auf den Weg zum Langen Wandelgang, der entlang eines Bachs verläuft. Auf beiden Seiten des Bachs wachsen Bambusse. Hier teilt sich das Wasser die Brise mit dem ­Bambus, und die beiden konkurrieren um das Sonnenlicht, während das Gluckern des Flusses und das Rascheln der Blätter im Tageslicht in Szene gesetzt werden. Die Besucher sind so begeistert von der Landschaft, dass sie schnell zum nächsten Aussichtspunkt mit einem noch besseren Blick wollen. Zu diesem Zweck ist ein Korridor angelegt worden. Der erwähnte Garten basiert auf dem Wasser. Dort erscheint das Wasser in einem Moment und verschwindet im nächsten, es existiert innerhalb und außerhalb des Gartens; wenn es fließt, steigt und fällt es mal, mal dreht es sich. Um das Wasser in den Dienst der Menschen zu stellen, wird es von Pavillons, Aussichtstürmen und Korridoren flankiert, denn nur solche ­Gebäude können den Raum zwischen Wasser und Land umgestalten. Daher das chinesische Sprichwort: »Ein Garten muss geteilt werden, ein Gewässer muss gebogen werden.« Von allen heute noch existierenden überdachten Uferpromenaden ist die im westlichen Teil des Gartens des bescheidenen Beamten die berühmteste, und die in der Winterkirschenvilla scheint eine 54

Nachbildung davon zu sein. Es ist naheliegend, dass alle Gärten im Wu-­ Gebiet denselben Ursprung haben. Der Architekt Tong Jun23 bemerkte einmal, dass im Garten des bescheidenen Beamten »die moosbedeckten Parkanlagen, die natürlichen Hügel und Teiche sowie die Häuser mit ihren verblassten Farben den Besuchern großen Komfort bieten und Freude bereiten«.24 In den leicht verfallenen Gärten sind noch die Hügel und Schluchten erhalten, die die alte Stimmung der Gärten besser widerspiegeln als die schnörkeligen Verzierungen. Im Gegensatz dazu ist die Landschaft des fabelhaften Gartens des Verweilens von Suzhou heute so fragmentarisch geworden, als ob man ein Nationalheiligtum25 gesprengt hätte. Dies zeigt, dass Schäden, auch wenn sie noch so gering sind, den Untergang eines landschaftlichen Wunders bedeuten können. In einigen bekannten Gärten ist heute alles in Ordnung, solange keine Renovierung stattfindet, aber sobald die Renovierung in Gang kommt, wird oft übertrieben. Im Garten des bescheidenen Beamten waren die Teichböschungen früher durch ein Mosaik aus Erde und Felsen bekleidet, doch heute ist dort kein Stückchen Erde mehr zu finden, sodass der Teich aussieht wie ein weit aufgerissener Mund voller glänzender Goldzähne. Auch in der Schlucht der acht Klänge im Garten der Ergötzung in Wuxi ging man ohne Umsicht vor, der Garten geriet aus der Balance und verlor sofort seinen früheren Glanz. Wir sollten bei alldem vorsichtig sein, nicht wahr? Der Landschaft muss mit einer groben Skizze Kontur verliehen werden, damit sie deutlich hervortritt. Vor Kurzem wurde ich nach Changzhou in der Provinz Jiangsu eingeladen, um über die Gestaltung eines sogenannten »Gartens des Rote-Winterkirschen-Belvederes« zu diskutieren. Ich war der Meinung, dass die Winterkirschen natürlich ein markantes Stilelement in einem Garten sein müssten, der nach ihnen benannt werden sollte. Aber zu meinem Entsetzen war der Garten gespickt mit Winterkirschen. Anstelle von »Garten des Rote-Winterkirschen-Belvederes« wäre der Name »Winterkirschen-Baumschule« treffender. Darüber hinaus kann niemand einen solchen Ort über Nacht in einen Garten verwandeln. Ich erinnere mich, dass ich während der Diskussion vorschlug, einen Korridor quer durch den Garten anzulegen, mit Winterkirschen, die auf beiden Seiten locker verteilt sind. Auf diese Weise könnten die Bäume ihre unregelmäßigen Schatten auf die Szenerie werfen, während der zarte Duft der Kirschblüten die umherschlendernden Besucherinnen und Besucher beflügeln würde. Die Anwesenheit der roten Winterkirschen wäre leicht zu spüren, auch wenn der Name gar nirgends auftauchte. Der Korridor würde auch genau die »grobe Skizzierung« schaffen, die dem Garten Kontur verleiht: Wo immer sich die Besucherinnen und Besucher dann auch befinden, überall entsteht ein anderes Bild. So könnte »weniger mehr sein«, und »aus dem Kleinen wäre das Große erkennbar«. Es ist schwieriger, einen Garten geräumig aussehen zu lassen, indem man seine Landschaften gut verteilt, als einen dicht bepflanzten Garten 55

anzulegen. Ebenso ist es leichter, einen verschnörkelten, auffälligen Garten anzulegen, als einfach und geschmackvoll zu bleiben – die Landschaften sollten gut verstreut sein, damit ein Garten seine Geräumigkeit nicht verliert, und er muss einfach und geschmackvoll gehalten werden, damit er nicht armselig oder schäbig aussieht. Der Grund, aus dem der mittlere Teil des Gartens des bescheidenen Beamten seit der Ming-Zeit bis heute in der gesamten Region Jiangnan berühmt ist, liegt genau darin, dass er seine ­Einfachheit und seinen guten Geschmack durch gut verstreute Landschaften bewahrt hat. Leider scheint eine solche Argumentation den heutigen ­Landschaftsgärtnerinnen und -gärtnern fremd zu sein. Unsere Vorfahren legten großen Wert darauf, einem neu angelegten Garten einen Namen zu geben, aber diese Namen waren ausnahmslos gut durchdacht und hatten tiefere Bedeutungen. Yang Zhaolu26, der Besitzer des Annähernden Gartens in Changzhou, schrieb: Nach krankheitsbedingter Rückkehr in meine Heimatstadt kaufte ich sechs bis sieben Hektar Brachland hinter der Sutra-Anmerkungshalle. Nach fünf Jahren mühsamer Arbeit habe ich etwas geschaffen, das annähernd einem Garten gleicht. Deshalb nenne ich ihn »Annähernder Garten«.27 Aus dieser Schilderung der Namensfindung für einen Garten erfahren wir, dass der Name ein Produkt der Bescheidenheit und Selbstbeherrschung eines Menschen war. Ich erinnere mich, dass ich vorletztes Jahr in der ­Provinz Anhui im Regen-und-See-Park in Ma’anshan einen grob gestalteten Pavillon sah. Auf Wunsch meines Gastgebers überlegte ich mir einen Namen für den Pavillon und nannte ihn »Vorläufiger Pavillon«, ein Name, der für sich selbst spricht, den jeder versteht und der im Gegensatz zu so großen Namen wie »Garten der Großen Aussicht« und »Halle mit zehn­ tausend Weiden« steht. Die Gärten von Suzhou haben das Bühnenbild und die Ausstattung klassischer Opern erheblich beeinflusst. Natürliche Kulissen können nicht mit Bühnenobjekten gleichgesetzt werden, aber es ist durchaus nicht ungewöhnlich, auf ein Gartengebäude zu stoßen, das ein Bühnenbild imitiert. Einige sehen aus wie die kunstvoll gefertigten Papiermodelle, die im Tempel des Stadtgottes in Shanghai verkauft werden, und andere sehen aus wie Faksimiles alter Gemälde, deren Produzenten zu töricht sind, um zu merken, dass sie nur einen billigen Abklatsch geschaffen haben. Zier-Gitterfenster spielen eine offensichtliche Rolle beim »Preisgeben der Landschaft« und bei der »Besucherführung zu einer schönen Landschaft«. In einem großen Garten kann die Landschaft preisgegeben werden, in kleinen Gärten kann man nur den Blick auf die verführerische Landschaft lenken. Der Frühlingshof mit Zieräpfeln im Garten des bescheidenen Beamten ist eigentlich ein Innenhof, dessen Zier-Gitterfenster den Blick auf den großen Garten jenseits seiner Mauern freigeben. Der Garten der 56

Zufriedenheit von Suzhou ist klein, aber die großen Gitterfenster, die das Eingangstor flankieren, sind eine Katastrophe, da sie nicht nur viel zu groß geraten sind, sondern auch die gesamte Aussicht des Gartens nach außen freigeben, sodass der Garten keine nennenswerte Schönheit hat. Das neu errichtete Eingangstor des Gartens des bescheidenen Beamten ist ein weiteres heikles Bauwerk, denn sein klösterliches Design könnte Besucherinnen und Besucher dazu verleiten, den Garten mit einem Tempel zu verwechseln. Eine weitere Tendenz, die den Grundsätzen der Gartengestaltung zuwiderläuft, ist die Errichtung eines großen Gebäudes, das die danebenliegenden landschaftlich reizvollen oder historisch interessanten Orte in den Schatten stellt. Man kann die vielen derartigen Beispiele gar nicht alle aufzählen. Da Bescheidenheit in diesem Land eine gefeierte Tugend ist, wird ein neues Bauwerk, das einen traditionellen Garten ergänzt und nicht erschlägt, überall Anklang finden. Nachdem ich Teiche und Gebäude gesehen hatte, die mutwillig verändert wurden, und kulturelles Erbe, das der Zerstörung anheimgefallen ist, standen mir die Tränen in den Augen, als ich den Turm bestieg. Diese Zeilen stammen aus meinem Gedicht, das ich Liang Sicheng28 und Liu Dunzhen29 gewidmet und zu ihrem Gedenken verfasst habe. Ich schrieb sie tief bewegt vor einigen Jahren, nachdem ich bei einem meiner Besuche in Yangzhou die Schäden an einigen Gärten gesehen hatte. Auch heute, wo ich meinen Aufsatz »Über chinesische Gärten, Teil 2« beende, bin ich innerlich bewegt, jedoch in einer anderen Stimmung.

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Anm. d. Übers.: Der Traum der Roten Kammer (红楼梦, Hóng Lóu Mèng) ist einer der berühmtesten klassischen Romane der chinesischen Literatur aus dem Kaiserreich China. Er gehört zu den vier klassischen Romanen Chinas. Anm. d. Übers.: Der Garten der Großen Aussicht (大观园, Dàguān Yuán) ist ein fiktiver Garten in dem Roman Der Traum der Roten Kammer, der Große Garten des Herrenhauses Jia. Anm. d. Übers.: Jiang Shi (江湜, Jiāng Shí, 1818–1866) wurde auch Jiang Taoshu (江弢叔, Jiāng Tāoshū) genannt, er war ein Beamter und Dichter der späten Qing-Dynastie, der vor allem für seine Verwendung einer einfacheren Sprache bekannt war. Anm. d. Übers.: Das ist das Gedicht Nr. 1 aus 20 Quatrains für die viertägige Reise durch die Berge von Changzhou nach Kaihua und zurück nach Jiangshan (由常山至开化折回江山凡山行四日共录绝句二十首其一, Yóu Chángshān zhì Kāihuà zhéhuí Jiāngshān fán shānxíng sì rì gònglù juéjù èrshí shˇou qíyī) von Jiang Taoshu. Anm. d. Übers.: Shen Yuanlu (沈元禄, Shěn Yuánlù, 18. Jahrhundert) war ein Gartengestalter aus der Qing-Dynastie. In seinem Werk Aufzeichnungen über den Alten Bambusgarten (古猗园记, Gˇuyī Yuán jì) schrieb er viel über diese Anlage, früher auch nur Bambusgarten (猗园, Yī Yuán) genannt, einen klassischen chinesischen Garten im Jiading-Bezirk von Shanghai.

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Anm. d. Übers.: Ci (词, cí) ist eine chinesische Lyrik-Gattung, die sich in der Liang-Dynastie auf der Grundlage des Shi Jing (das Buch der Lieder) und des Yuefu (Lied-Gedichte der chinesischen Literatur) entwickelte. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Ci-Gedicht Verliebter Mensch (风流子, Fēngliúzˇı) von Zhang Lei (张耒, Zhāng Lěi, 1054–1114). Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Gedicht Blumenmarkt (花市, Huā shì) von Zheng Xiaoxu (郑孝胥, Zhèng Xiàoxū, 1860–1938). Dieser war ein chinesisch-mandschurischer Politiker, Diplomat und Kalligraf. Anm. d. Übers.: Jiangnan (江南, Jiāngnán) bezeichnet allgemein das landschaftlich fruchtbare Gebiet südlich des Unterlaufs des Changjiang-Flusses. Anm. d. Übers.: Die Zeile entstammt dem Drei-Belvedere-Gedicht (三阁词, Sān gé cí) von Yang Shen (杨慎, Yáng Shèn, 1488–1559), einem Dichter aus der Ming-Dynastie. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Gedicht Flüsschen zum Gewebewaschen (浣溪紗, Huàn xī shā) von Wang Shizhen. Anm. d. Übers.: Lingnan (岭南, Lˇıngnán) ist die Bezeichnung für eine Region südlich von Chinas »Fünf Gebirgszügen«. Das Gebiet erstreckt sich über die heutigen Provinzen Guangdong, Guangxi, Hunan und Jiangxi. Anm. d. Übers.: Gelbliche Sandsteine (黄石, Huángshí) sind harte, unregel­ mäßig vielflächige Gesteine, die zur Gestaltung von künstlichen Bergen im chinesischen Garten verwendet werden. Anm. d. Übers.: Taihu-Steine (太湖石, Tàihúshí) sind bizarr geformte Felsen, die einzeln oder in Anhäufungen chinesische Gärten zieren. Anm. d. Übers.: Yun Lin (云林, Yún Lín) ist der Künstlername von Ni Zan (倪瓒, Ní Zàn, 1301–1374). Er war ein chinesischer Literatenmaler aus Wuxi, Provinz Jiangsu, aus der Yuan-Dynastie. Anm. d. Übers.: Als der legendäre Figurenmaler Gu Kaizhi (顾恺之, Gù Kˇaizhī, ca. 344–406) der Östlichen Jin-Dynastie (317–420) ein Porträt von Pei Kai (裴楷, Péi Kˇai, 237–291), einem prominenten Beamten der Westlichen Jin-­ Dynastie (266–316), anfertigte, fügte er drei Haare auf Peis Wange hinzu. Auf die Frage nach dem Grund antwortete Gu, dass die zusätzlichen Haare genau die Fähigkeiten des Mannes verkörperten und das Bild so viel besser sei als ohne die drei Haare. Anm. d. Übers.: Zhang Dai (张岱, Zhāng Daì, 1597 – ca. 1684) wurde auch Tao’an (陶庵, Táo’ān) genannt, er war ein chinesischer Essayist und Historiker aus der Ming-Dynastie. Verträumte Erinnerungen von Tao’an (陶庵梦忆, Táo’ān Mèngyì) ist ein bekanntes Werk von ihm. Anm. d. Übers.: Wangs Garten (汪园, Wāng Yuán) in Yizheng, Provinz Jiangsu, wurde von Ji Cheng im Jahr 1631 errichtet und hatte im Lauf der Geschichte verschiedene Namen; Wang war der Familienname des damaligen Besitzers des Gartens. Anm. d. Übers.: Gong Zizhen (龚自珍, Gōng Zìzhēn, 1792–1841) aus Hangzhou, Provinz Zhejiang, war ein Denker, Dichter und Reformer der Qing-Zeit. Anm. d. Übers.: Zhong Bojing (钟伯敬, Zhōng Bójìng, 1574–1624), auch Zhong Xing (钟惺, Zhōng Xīng), war ein Prosaschriftsteller der späten Ming-Zeit. Er besuchte die Winterkirschenvilla als Freund ihres ersten Besitzers Xu Zichang (许自昌, Xˇu Zìchāng, 1578–1623) im Jahr 1619 und schrieb die Aufzeichnungen über die Winterkirschenvilla (梅花墅记, Méihuāshù jì) drei Jahre später. Anm. d. Übers.: San Wu (三吴, Sān Wú), auch das Wu-Gebiet genannt, umfasst den Kreis Wu, Wu Xing und Hui Ji. Es ist der Name einer Region am Unterlauf des Jangtse-Flusses. Anm. d. Übers.: Fu Li (甫里, Fŭ Lĭ) ist die heutige Gemeinde Luzhi (甪直, Lùzhí) im Kreis Wu in der Provinz Jiangsu. Anm. d. Übers.: Tong Jun (童寯, Tóng Jùn, 1900–1983) war ein Architekt und Dozent für Architektur. Als versierter Forscher der zeitgenössischen Architektur trug er viel zur Entwicklung der chinesischen Architektur bei. Anm. d. Übers.: Das Zitat entstammt dem Buch Aufzeichnungen der JiangnanGärten (江南园林志, Jiāngnán Yuánlín zhì) von Tong Jun. Es ist ein spezialisier-

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tes Werk über die klassischen Gärten Chinas um Suzhou, Hangzhou, Shanghai und Nanjing. Anm. d. Übers.: Das chinesische Original verweist hier auf den Sieben-SchätzeTurm (七宝楼台, Qī Băo Lóutái), einen göttlichen Ort. Anm. d. Übers.: Yang Zhaolu (杨兆鲁, Yáng Zhàolˇu, 17. Jahrhundert) war ein Beamter aus der späten Ming- und frühen Qing-Dynastie. Er war der Besitzer des Annähernden Gartens. Anm. d. Übers.: Die Zitate entstammen dem Buch Sammlung zum Suichu-Haus (遂初堂文集, Suìchūtáng wénjí) von Yang Zhaolu. Anm. d. Übers.: Liang Sicheng (梁思成, Liáng Sīchéng, 1901–1972) war Architekt und Architekturpädagoge, einer der Initiatoren der »Gesellschaft für das Studium der chinesischen Architektur«, die einen wesentlichen Beitrag zum Studium der alten chinesischen Architektur leistet. Anm. d. Übers.: Liu Dunzhen (刘敦桢, Liú Dūnzhēn, 1897–1968), Architekt und Architekturpädagoge, auch Mitglied der Gesellschaft für das Studium der chinesischen Architektur. Als Gründer des ersten von Chinesinnen und Chinesen betriebenen Architekturbüros ist Liu vor allem für seine Architekturausbildung und seine Studien zur Architekturgeschichte, insbesondere zur Geschichte der traditionellen chinesischen Architektur, bekannt. Er war auch an Forschungen über traditionelle chinesische Wohnhäuser und Gärten beteiligt.

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Über chinesische Gärten

Teil 3

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achdem ich die ersten beiden Aufsätze über chinesische Gärten ­geschrieben hatte, ergriff mich die Leidenschaft erneut, und so nahm ich das Thema wieder auf und fing mit diesem dritten Teil an. Ich setzte mich vor das sonnige Fenster meines Arbeitszimmers, breitete das Papier aus und begann, meine Gedanken niederzuschreiben, in der Hoffnung, das Interesse meiner Leserinnen und Leser zu wecken und ihre kritische Rückmeldung zu erhalten. Ich nenne diesen Text »Über chinesische Gärten, Teil 3«. Tao Yuanming1 schrieb in seiner Aufzeichnung vom Pfirsichblütenquell: Es gibt keine anderen Baumarten [als Pfirsichbäume], frisch und lieblich sind aromatische Gräser und Blumen. Diese wunderschöne Beschreibung liefert auch ein hervorragendes ­Kriterium dafür, wie Pflanzen an einem landschaftlich reizvollen Ort anzubauen sind. Seiner Aufzeichnung ist noch eine andere bekannte Zeile zu entnehmen: Während ich Chrysanthemen am östlichen Zaun pflücke, fällt mein Blick nachdenklich auf die südlichen Berge. Die beiden Zeilen gehören zu den Meisterwerken der chinesischen Dichtkunst. Die erste Zeile weist darauf hin, dass Pfirsichbäume in Hainen gepflanzt und aus der Ferne betrachtet werden sollten, damit ihre dichten Blütentrauben, die sich zierlich gegen das Grün abheben, das Auge spontan mit der so geschaffenen Aussicht umfangen. Die letzte Zeile deutet auf das »Entlehnen« der Landschaft hin. Obwohl sie nichts über die Gartengestaltung aussagt, ergibt sich das Prinzip dafür von selbst. Das Betrachten von Bergen ist wie das Blättern in einem Gemälde­ album, das eine Ansicht nach der anderen ins Blickfeld rückt; eine ­Bergtour ist wie das Entfalten einer langen Handrolle, die die Kontinuität einer land­ schaftlichen Szenerie zeigt. Den Berg von einer ruhigen Stelle aus zu betrach­ ten hat einen anderen ästhetischen Reiz, als ihn zu besteigen, wobei das »Ich« des Betrachters immer im Bild zu sehen ist, wie in den folgenden Zeilen: Ich genieße den Anblick der schönen grünen Hügel, die grünen Hügel sollten das Gleiche über meine Anwesenheit empfinden.2 Woher kommt eine solche Wirkung? Aus dem poetischen Kolophon eines Gemäldes oder einer Inschrift, die einer Landschaft gewidmet ist. Ein ­Gemälde ohne Kolophon ist unfertig; eine Landschaft ohne Namensplaketten oder paarige Schrifttafeln wirkt verwirrend. Literatur und Kunst sind in der Tat untrennbar. Im Poem von der Heimkehr3 werden Bewegungen und Laute jenseits einer Szenerie geschildert: 63

Lustlos zögern die Wolken, sich aus den fernen Hügeln zu erheben, müde vom Weiterfliegen wissen die Vögel, dass es Zeit ist, zurückzukehren. Hier liegt der Reiz nicht nur in der Landschaft selbst, sondern auch in den begleitenden Lauten und Bewegungen. Einmal machte ich einen Ausflug zum Schmalen Westsee in Yangzhou. Nachdem ich mein kleines Boot verlassen hatte, besuchte ich den Mondpavillon4 auf dem Kleinen goldenen Hügel5, wo ich spazieren ging, um die Schönheit des Mondes zu genießen, und gelegentlich anhielt, um mich auszuruhen und eine Szenerie aus der Nähe zu betrachten. Rings um mich herum verströmten die Orchideen einen süßen Duft, die Bambusbäume spielten mit ihren wechselnden Schatten, die Vögel zwitscherten, und die Ruder des kleinen Bootes plätscherten leise im Fluss. In der Abenddämmerung warf die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen schräg auf das Gitterfenster. Duft, Schatten, Licht und Geräusche verschmolzen zu einem harmonischen Ganzen. In der Stille lag Bewegung, und in der Bewegung fand sich Stille. Bei dieser Art der Gartengestaltung wurde das dialektische Prinzip auf die Spitze getrieben. In der Gartengestaltung werden Landschaften absichtlich geschaffen oder entstehen unabsichtlich. Dies gilt insbesondere für private Gärten, in denen sich Gestaltende angesichts des Platzmangels hilflos fühlen. Doch oft schafft hier ein verzweifelter Schachzug Abhilfe, und der ganze Garten ist gerettet. An der Ecke der Kleinen Hütte am Blumenkai6 im Garten des Verweilens wird ein langer, schmaler Weg durch ein Ziegeltor unterteilt, um den Besucherinnen und Besuchern zu zeigen, wie dieser ansonsten winzige Hof weiter und weiter in die Tiefe reichen kann. Die Gegenwart steht nicht für die Vergangenheit und das Ausländische nicht für das Chinesische. Gegenwart und Vergangenheit haben jeweils ihre eigene Ordnung, ebenso wie Chinas Ordnung sich von der Ordnung anderer Nationen unterscheidet. Deshalb ist es niemandem erlaubt, einen Geist aus der Leiche eines anderen auferstehen zu lassen. Ebenso absurd ist es, einem alten Architekten die eigene Sichtweise überzustülpen, ohne seine Philosophie und die Funktionen der von ihm entworfenen Gebäude zu kennen. Nehmen wir zum Beispiel die Abkürzung entlang der östlichen Mauer im Garten des Meisters der Netze in Suzhou. Dieser Durchgang diente demselben Zweck wie der »Ausweichgang«7 in einem Herrenhaus und steht in auffälligem Kontrast zu einem Wandelgang, der sich gegenüber einen Berg hinaufzieht. Es heißt doch: »Keine Straße ist bequemer als eine Abkürzung, aber nur ein Rundweg kann dem Besucher ein wunderbares Erlebnis bescheren.«8 Was ich damit sagen will, ist, dass man, um überzeugende Kommentare zu einem Garten abzugeben, seine Geschichte erforschen und sich vor allem mit dem Lebensstil seiner Zeit vertraut machen muss. Jeder Garten gibt einen bestimmten Weg der Betrachtung vor. Das ist wie bei einem Schriftstück, das einen Anfang, eine Entwicklung, einen Übergang und einen Schluss haben muss, oder man kann es auch mit einem 64

Die Gestaltung eines Gartens ist wie das Verfassen eines Aufsatzes, der eine Vielzahl von Variationen zulässt.

Rollbild vergleichen, das einen Bildtitel auf der rechten Seite, das eigentliche Gemälde in der Mitte und auf der linken Seite einen Rand für Kolophone haben muss. Dies sind alles unentbehrliche Bestandteile eines Ganzen, deren Reihenfolge nicht einfach auf den Kopf gestellt werden kann. Heute jedoch hat der Garten des bescheidenen Beamten in Suzhou seinen Eingang an ein östliches Seitentor verlegt, und der Garten des Meisters der Netze wird von der Hintertür seines nördlichen Teils aus betreten – beide Anordnungen widersprechen dem gesunden Menschenverstand und erinnern an die Spaß verderbenden Dinge, die in Yishans Aufzeichnungen über verschiedene Dinge9 aufgeführt sind: Spaziergänger in einem Kiefernwald verscheuchen; beim Betrachten von ­Blumen Tränen vergießen; eine Matte auf Moosen und Flechten auslegen; sich auf dem Ast eines blühenden Baumes sonnen; schweres Gepäck auf einem Frühlingsausflug tragen; ein Pferd an einen Stalagmiten binden; eine Fackel unter dem Mond halten; ein mehrstöckiges Haus hinter einem Berg bauen; Gemüse in einem Obstgarten anbauen; und Geflügel unter einem Blumen­ spalier ­züchten. Nun möchte ich dieser langen Liste noch einen weiteren Punkt hinzufügen, nämlich »die Hintertür öffnen, um Touristen hereinzulassen«. Ich würde gerne wissen, was unsere Gartengestalterinnen und Gartengestalter davon halten werden. In Suzhou spricht man von den »Vier berühmten Gärten der Song-, Yuan-, Ming- und Qing-Dynastie«. Sowohl der Garten des Verweilens als auch der Garten des bescheidenen Beamten wurde in der Ming-Dynastie erbaut und in der Qing-Dynastie erneuert. Wozu dient diese Unterteilung in verschiedene Dynastien? Meiner Meinung nach wären sie nicht die »­Großen Vier« von Suzhou, wenn sie nicht unterschiedliche ­Persönlichkeiten hätten: Der Garten des Meisters der Netze ist für die statische Betrachtung gedacht, der Garten des bescheidenen Beamten für die dynamische Betrachtung, während der Canglang-Pavillon für sein altertümliches Aussehen und der Garten des Verweilens für seine prachtvolle Dekoration bekannt ist. Auf diese Weise können die Besucherinnen und Besucher leicht erkennen, wofür die »Großen Vier« wirklich stehen. 65

Garten des Verweilens Foto von Lv Hengzhong

»Die Gestaltung eines Gartens ist wie das Verfassen eines Aufsatzes, der eine Vielzahl von Variationen zulässt. Wie kann man einen sinnvollen Aufsatz schreiben, wenn man nur damit beschäftigt ist, schöne Worte zu finden und kunstvolle Sätze aneinanderzureihen, ohne eine Vorstellung von Konzeption und Stil des gesamten Werks zu haben? Ein Aufsatz

wird für seinen Stil geschätzt. Stile können als männlich und kräftig oder weiblich und sanft klassifiziert werden. Was für das Schreiben von Aufsätzen gilt, gilt auch für die Gestaltung von Gärten.«

Die Gestaltung eines Gartens ist wie das Verfassen eines Aufsatzes, der eine Vielzahl von Variationen zulässt. Wie kann man einen sinnvollen Aufsatz schreiben, wenn man nur damit beschäftigt ist, schöne Worte zu finden und kunstvolle Sätze aneinanderzureihen, ohne eine Vorstellung von Konzeption und Stil des gesamten Werks zu haben? Ein Aufsatz wird für seinen Stil geschätzt. Stile können als männlich und kräftig oder weiblich und sanft klassifiziert werden. Was für das Schreiben von Aufsätzen gilt, gilt auch für die Gestaltung von Gärten. Verstreutes und Separates ergeben niemals ein kohärentes Stück Literatur. Man schafft mit einem einzelnen Pavillon oder einer Veranda kein Meisterwerk, obwohl die Leute heutzutage gerne von solchen Gärten sprechen. Denn solche Kleinstarbeiten können kaum die Essenz der chinesischen Kultur widerspiegeln, geschweige denn eine Atmosphäre in einem Garten erschaffen. Im Süden werden Gebäude meist durch die offene Hütte, im Norden durch die geschlossene repräsentiert, wobei Erstere aus Vogelnestern und Letztere aus Tierhöhlen hervorgegangen ist. Deshalb werden im Süden offene Strukturen mit üppigen Bäumen und schlankem Bambus ergänzt, eine Kombination, die genau die Keimzelle der chinesischen Gärten war: Geräumigkeit und Luftigkeit sind für Gärten ebenso wichtig wie für Gebäude. Daher schneiden die Gärten im Norden im Vergleich zu denen in Süd- und Zentralchina schlecht ab. Gute Gebäude zeichnen sich durch ihre Fenster und Türen aus. Und geschlossene Strukturen, in welcher Form auch immer, verhindern die Belüftung und versperren die Sicht. In Räumen, in denen Menschen leben, sollte darüber hinaus ein Hauch von Intimität geschaffen werden, wie es in den folgenden poetischen Zeilen treffend beschrieben wird: Die Vögel sind froh, einen Unterschlupf gefunden zu haben, und auch ich liebe meine Hütte.10 Ein kleiner Garten eignet sich gut für die statische Betrachtung, so wie ein kleines Zimmer mit ein paar berühmten Gemälden gut für die Kontempla­ tion ist. Ein groß angelegter Garten hingegen ist ideal für die dynamische Betrachtung, wie eine Kunstausstellung mit einer großen Sammlung von Werken. Dies ist der Grund, warum Gärten des ersten Typs zurückhaltend sein sollten, um die Menschen zum Nachdenken anzuregen, während der zweite Typ besondere Anziehungspunkte aufweisen sollte, um die Besucherinnen und Besucher nicht zu langweilen. Gärten haben in den verschiedenen Epochen unterschiedliche Funktionen erfüllt. Veränderungen in der Funktion haben ihrerseits zu Veränderungen in der Landschaftsgestaltung und Benennung von Gärten geführt. Daher die beiden Begriffe »kleiner öffentlicher Garten« und »großer öffentlicher Garten« (öffentlich im Gegensatz zu privat) – eine Unterteilung, die in der Zeit vor der Befreiung [vor 1949]11 durchaus akzeptabel war, heute aber vielleicht noch einmal 68

überdacht werden sollte. Ich habe einmal die allgemeine Verwendung des Wortes »öffentlich (gōng)« infrage gestellt und erfahre nun, dass in Nantong der ehemalige öffentliche Wolfshügel-Garten12 in Garten des Nördlichen Vorgebirges umbenannt wurde, dass der ehemalige öffentliche Oststadt-Garten13 in Suzhou nun Ostgarten heißt und dass der öffentliche Bianjing-Garten14 in Kaifeng nun Bian-Garten heißt – es scheint, dass die drei Städte in dieser Hinsicht nationale Vorreiter sind. Was die verschiedenen Gartenkategorien wie Stadtgärten, Vorstadtgärten, Flachlandgärten und Vorgebirgsgärten anbelangt, unterscheiden sie sich in Bezug auf die Umgebung und die Topografie voneinander, sie sollten daher nicht identisch gestaltet werden. Das Problem bei der Restaurierung von Gärten, die von unseren Vorfahren einstmals angelegt wurden, besteht darin, dass wir in den meisten Fällen nicht genau wissen, wie sie ursprünglich konzipiert waren. Ich würde vorschlagen, zwischen »Restaurierung« und »Umgestaltung« zu unterscheiden. Wenn es sich um einen berühmten Garten handelt, ist ein gründliches Studium der entsprechenden Literatur und Kunstwerke unerlässlich, um das alte Aussehen wiederherzustellen. Ansonsten wäre der Garten nicht mehr derselbe, wenn die Architektinnen und Architekten darauf bestünden, die Dinge auf ihre eigene Weise zu machen. Die Restaurierung eines Gartens ist vergleichbar mit der eines alten Gemäldes: Wo bestimmte Pinselstriche fehlen, sollten die Handwerkerinnen und Handwerker ihr Bestes tun, um sie zu identifizieren, und dann die gleichen Pigmente wie der ursprüngliche Maler verwenden und dessen Techniken nachahmen, damit das Gemälde als Ganzes makellos aussieht. Wenn jemand bei der Restaurierung eines Steingartens aus der Ming-Zeit [1368–1644] die Überlappungstechniken von Ge Yuliang15 anwendet oder bei der Arbeit an einem Landschafts­gemälde von Shi Tao16 die charakteristischen Pinselstriche der »Vier Wangs«17 einsetzt, wird das Ergebnis ein völlig anderes Kunstwerk sein. Hätte man nicht ein schlechtes Gewissen, wenn man die Kunstwerke seiner Vorfahren auf diese Weise ruinieren würde? Handelt es sich hingegen nur um einen gewöhnlichen Garten, der völlig verwahrlost ist, in dem aber noch Reste von Steingärten und Teichen vorhanden sind, ist es vielleicht keine schlechte Idee, wenn man versucht, das zu nutzen, was erhalten geblieben ist, und den Garten nach eigenem Geschmack neu gestaltet. Dies kann jedoch als »Umgestaltung« bezeichnet werden.

Ein brillantes Kunstwerk neigt dazu, farbenfroh zu wirken, ohne vulgär zu sein, und kann in seiner Schlichtheit geschmackvoll werden. 69

Garten des Verweilens Foto von Lv Hengzhong

»Es ist schwierig, einen prächtigen Garten ­einfach und schmucklos zu gestalten, und es ist auch nicht leicht, einen ruhigen und ­eleganten Garten beeindruckend reich und bunt zu ­machen. Einfachheit bewahrt einen Garten vor Vulgarität, und Tiefe macht den Mangel an Reizen wett. Ein paar einfache Pinselstriche können bedeutungsvoll sein, und eine bloße

Skizze kann heroischen Schwung versprühen. Wie Yan Shu es ausdrückt: ›Das Mondlicht durchflutet einen Garten voller Birnenblüten, eine Brise weht über einen Teich inmitten von Weidenkätzchen.‹ Ein brillantes Kunstwerk neigt dazu, farbenfroh zu wirken, ohne vulgär zu sein, und kann in seiner Schlichtheit ­geschmackvoll werden.«

Das Aufkommen von Topfpflanzen und Miniaturlandschaften in unserem Land war eng mit der Architektur verbunden. In der Antike fehlte es den Wohnanlagen an Platz und Sonne, denn sie setzten sich meist aus Innen- und Vorhöfen zusammen, die von einer Mauer oder einer Galerie umgeben waren. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Region Jiangnan, die während der späten Frühlings- und Herbstperiode [770–476 v. Chr.] zum Lehnsgut von Wu gehörte, hatten die Angewohnheit, kleine Steine und Pflanzen zu Miniaturlandschaften zu arrangieren, um ihre Wohnungen zu schmücken. Damit die Topfpflanzen oder Miniaturlandschaften Freude bereiteten, mussten die ausgewählten Arten in der Lage sein, von der Sonne und der Wärme zu leben, die in solchen Behausungen nur für kurze Zeit vorhanden waren. Die Philosophie hinter den Topfpflanzen wird am besten im folgenden Gedicht von Su Shi dargestellt: Hinter einem winzigen Fenster nieselt es unaufhörlich, doch noch schöner sind die abgeschiedenen Landschaften dahinter. Obwohl der leere Hof Sonnenschein vermissen lässt, sehen seine Gräser und Bäume immer noch glänzend aus.18 Alle schönen Dinge sind wohl aus den alltäglichen Bedürfnissen des Lebens geboren, denn wenn man in eine Sackgasse gerät, denkt man daran, seinen Weg zu ändern, und nur durch eine solche Änderung kann man den Ausweg finden. Das ist es, was mit dem »Überleben der bestangepassten Individuen« gemeint ist. Heute jedoch werden in großen und weitläufigen Gärten oft Hunderte von Topfpflanzen ausgestellt oder drei Meter hohe Bäume in riesige Töpfe gepflanzt – ihre Größe ist durch nichts gerechtfertigt. Durch die übermäßige Verdunstung bei starkem Wind und sengender Sonne haben diese Miniaturlandschaften, die unter Missachtung der Grundsätze für die Topfbepflanzung entstanden sind, kaum eine Überlebenschance. Es ist schwierig, einen prächtigen Garten einfach und schmucklos zu gestalten, und es ist auch nicht leicht, einen ruhigen und eleganten Garten beeindruckend reich und bunt zu machen. Einfachheit bewahrt einen Garten vor Vulgarität, und Tiefe macht den Mangel an Reizen wett. Ein paar einfache Pinselstriche können bedeutungsvoll sein, und eine bloße Skizze kann heroischen Schwung versprühen. Wie Yan Shu es ausdrückt:

Das Gartenhandwerk ist eng mit anderen Kunstzweigen verbunden. 72

Das Mondlicht durchflutet einen Garten voller Birnenblüten, eine Brise weht über einen Teich inmitten von Weidenkätzchen.19 Ein brillantes Kunstwerk neigt dazu, farbenfroh zu wirken, ohne vulgär zu sein, und kann in seiner Schlichtheit geschmackvoll werden. Ein königlicher Garten ist wahrscheinlich übermäßig aufwendig gestaltet, während ein privater Garten aufgrund der begrenzten Mittel seiner Besitzerin oder seines Besitzers eher bescheiden und genügsam gestaltet ist. Um nicht zu weit zu gehen oder zu kurz zu kommen, sollte man sich in der Mitte dieser beiden Extreme bewegen. Wenn man sich von dem trennt, was man liebt, muss man den Schmerz ertragen, und um das Fehlende zu ersetzen, darf man nicht knausern. In der Malerei zählt jeder Pinselstrich, sodass man darüber nachdenken sollte, bevor man den Pinsel aufs Papier setzt. Nur so kann ein Gemälde einer jungen Dame frei von prätentiöser Weiblichkeit sein; nur so kann ein buddhistisches oder daoistisches Gemälde Kälte und Trostlosigkeit ablegen. Dennoch gibt es heute nur wenige gute Beispiele. Kraft sollte durch Anmut gemildert werden, während Anmut kraftvoll aussehen sollte. Ein Schauspieler darf nicht demütig und pedantisch wirken, wenn er die Rolle eines unerfahrenen jungen Gelehrten spielt, und er muss aufrecht und großmütig wirken, wenn er die Rolle eines Generals oder eines Marschalls spielt, aber in beiden Fällen ist Exzellenz schwer zu erreichen. Das Gartenhandwerk ist eng mit anderen Kunstzweigen verbunden. Deshalb behaupte ich, dass die Gärten der Ming-Dynastie trotz ihrer Unterschiede in der Form aus denselben Ideen und Gefühlen entstanden sind wie die Literatur, die Kunst und das Theater ihrer Zeit. Nur wer Gärten schätzt, kann Gärten gestalten; nur wer hohe Ziele hat, kann Fähigkeiten entwickeln, um diese zu erreichen. Ein Mann, der die Geschmacksrichtungen nicht unterscheiden kann, kann niemals ein Kochbuch schreiben. Ebenso sollten diejenigen, die für die Anlage von Gärten zuständig sind, den Feldarbeiterinnen und Feldarbeitern in Sachen Bildung und Kultur überlegen sein. Ji Cheng zitiert einmal in seinem Buch: »Dreißig Prozent des Erfolgs eines angelegten Gartens sind dem Bauarbeiter zuzuschreiben, siebzig Prozent dem Gestalter.«20 Dieses alte Sprichwort soll ­keineswegs die Mitarbeitenden herabsetzen, sondern lediglich die ­Bedeutung der Gartengestaltenden unterstreichen. Diejenigen, die heute dieses Sprichwort vorschieben, um Ji Cheng unter Beschuss zu nehmen, haben nicht ein Jota von seinem Handwerk der Gärten verstanden. Der akademischen Diskussion einen politischen Stempel aufzudrücken – dieser Trend darf nicht von Dauer sein! Um die Beziehung zwischen dem, was real ist, und dem, was surreal ist, zu verstehen, braucht man eine angemessene dialektische Perspektive. Im Garten der Großen Aussicht, der in Der Traum der Roten Kammer dargestellt wird, erscheint die Realität fiktional und die Fiktion real, und es gibt Dinge, die der Autor mit eigenen Augen sieht, und Dinge, die er erfindet. 73

Das ist der Grund, warum der Roman die Leserinnen und Leser fasziniert. Genauso ist ein künstlicher Berg fantastisch, wenn er echt aussieht, aber ein echter Berg wirkt seltsam, wenn er künstlich aussieht. Eine echte Person kann wie eine Wachsfigur aussehen, und eine Wachsfigur kann echt aussehen, und darin liegt der Trick. Der Schlüssel zur Landschaftsgärtnerei besteht darin, ihre Quintessenz zu begreifen. Aber es ist wirklich enttäuschend, dass nicht wenige Menschen ein Leben lang dieses Handwerk ausgeübt und es doch nie verstanden haben. Gärten anzulegen ist in der Tat eine Herausforderung. Einen künstlichen Berggipfel in einem Garten zu ­errichten bedeutet, das Echte im Künstlichen zu bewahren. Gartenlandschaften einzuschätzen und zu würdigen heißt, sich in die betrachteten Objekte einzufühlen und sie dann zu personifizieren. Die Konzeption, die Wang Guowei21 in seinen Poetischen Bemerkungen über die menschliche Welt als Sinngehalt bezeichnet, ist für die Literatur und die Kunst ebenso entscheidend wie für die Landschaftsgestaltung. Dieser Begriff kann je nach Genre unterschiedlich interpretiert und ausgedrückt werden, sodass es einen poetischen Sinngehalt in der Poesie (Shi-­Dichtung), einen lyrischen Sinngehalt in der Lyrik (Ci-Dichtung) und einen musika­ lischen Sinngehalt in der Musik (Qu-Dichtung zu vorgegebenen Melodien) gibt. Der poetische Sinngehalt ist den folgenden Zeilen in Chang Jians ­Inschrift für die hintere Meditationskammer des Tempels des gespaltenen ­Berges zu erkennen: Ein Weg führt in ein stilles Reich aus Zweigen und Blüten, in dessen Nische eine Meditationskammer verborgen ist.22 Der lyrische Sinngehalt ist in folgenden Zeilen ersichtlich: Vom Traum erwacht, fand ich den hohen Turm verschlossen vor, wieder nüchtern, sah ich die Vorhänge tiefer hängen.23 Und der musikalische Sinngehalt ist in folgenden Zeilen zu finden: Trockene Weinreben, Krähen nisten in einem alten Baum bei ­Sonnenuntergang, eine kleine Brücke über ein Flüsschen, das an einer Hütte vorbeifließt.24 Der Sinngehalt ändert sich mit der Umgebung, und das gilt auch für die Landschaftsgestaltung. Das poetische Gefühl und die malerische Vorstellungskraft eines Gartens finden ihren Ausdruck in konkreten Szenerien und Sehenswürdigkeiten; dies lässt sich unter dem Begriff »Sinngehalt« zusammenfassen. Je mehr enthüllt wird, desto kleiner wird die vorgestellte Welt, je mehr verdeckt wird, desto größer wird sie. 74

Das Wasser sollte entlang des Bodens zugeführt werden, Kiefern sollten nie in Reihen gepflanzt werden. Überall stehen Pavillons und Terrassen am Rande des Wassers, die Häuser sind zahlreich, versperren aber nie den Blick auf die Hügel. Die wenigen Gebäude und Terrassen sind eine unerschöpfliche Quelle der Freude, ein einziger Bach fließt und verliert sich in einem Labyrinth. Diese Zitate wurden von unseren Vorfahren geschrieben, als sie ein ­bestimmtes Gemälde betrachteten oder schätzten, aber alle in ihnen ent­ haltenen Sinngehalte sind auch mit der Gartengestaltung vereinbar. Wenn ein Garten so aussieht, wie es eines dieser Zitate beschreibt, dann spricht das für die Ausstrahlung, die die Gestaltenden für ihn vorgesehen haben. Bei der Gartengestaltung können Hügel und Gewässer weder getrennt noch auf herkömmliche Weise betrachtet werden, da sie sich gegenseitig ergänzen und viele Variationen eingehen können. Ein Berg ohne Quelle kann so aussehen, als hätte er eine, und ein felsenloses Gewässer kann Felsen enthalten. Durch das natürliche Gefälle erscheint es, als wäre beides – Berge und Wasser – vorhanden. Genau das ist der Fall bei den Aussichten vor dem Gen’an-Salon in Gu Wenbins25 Anwesen in der Eisenflaschengasse in Suzhou. Künstliche Berge in den Gärten von Jiangnan werden oft mit einer weiß getünchten Wand akzentuiert, die als »Skizzenblock« dient, auf dem eine kompakte Ansammlung von steilen künstlichen Bergen »skizziert« wird. Ohne eine solche Mauer sähe ein künstlicher Berg aus wie eine Ansammlung von Steinen. Deshalb sind gut strukturierte künstliche Berge in großen Gärten heutzutage eine Seltenheit. Berg und Wasser, die in einen Garten integriert werden, sind wie Knochen und Fleisch eines Lebewesens oder Pinsel und Tinte für ein chinesisches Gemälde. Nur mit »Knochen« und »Fleisch«, mit Pinsel und Tinte kann ein Gemälde oder ein künstlicher Berg zum Leben erweckt werden, weshalb die Gemälde des Meisters Shi Tao über die Jahrhunderte hinweg unvergleichlich geblieben sind. Zheng Xie, der von Shi Tao lernte, war ein professioneller Kalligraf, dessen Gemälde keine dauerhafte Anziehungskraft ausüben, weil sie mit ihrer betonten Pinselführung und den beim Farbauftrag vernachlässigten Nuancen viel

Gartenlandschaften einzuschätzen und zu würdigen heißt, sich in die ­betrachteten Objekte einzufühlen und sie dann zu personifizieren. 75

Canglang-Pavillon Foto von Lv Hengzhong

»Kiefern sollten in ausreichenden Abständen gepflanzt werden; ihre anmutigen Formen kommen nur zur Geltung, wenn sie weniger Äste und Blätter haben. Nur wenn ein Baum sowohl robust als auch anmutig ist, kann er einen beeindrucken. Eine solche Einheit von Gegensätzen bringt immer gute Effekte. Die Stämme aufkeimender Weiden müssen

alt ­aussehen, und Bambushaine müssen ihre ­Spitzen mit zarten Blättern zeigen.«

»Knochen«, aber wenig »Fleisch« haben, so wie ein Garten, der von einem Ingenieur angelegt wurde. In einer landschaftlich reizvollen Anlage oder einem Garten sollten die Gebäude unter Berücksichtigung des Geländes oder der Topografie positioniert werden, doch sollte das Hauptgebäude stets rechtwinklig in eine Richtung ausgerichtet sein. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, werden aber von vielen unaufmerksamen Gelehrten nicht beachtet. Die Tempel auf dem Jin-Berg, dem Jiao-Berg und dem Beigu-Berg südlich des Jangtse in Zhenjiang unterscheiden sich in Aufbau und Stil. Der Jin-Berg ist von Tempelbauten umgeben, die durch ein dreidimensionales Straßensystem auf- und abwärts miteinander verbunden sind; in der Senke des Jiao-Bergs verstecken sich die Tempelgebäude, Höfe schaffen Trennungen; und der Beigu-Berg südlich des Jangtse wird von einem Tempel gekrönt, der seine Umgebung überragt. Alle drei Berge erheben sich über denselben Fluss, den Jangtse, aber sie bezaubern auf ganz unterschiedliche Weise. Die landschaftliche Schönheit des Jin-Bergs genießt man am besten aus der Entfernung; die des Jiao-Bergs, wenn man den Blick parallel zum Boden hält; und die des Beigu-Bergs südlich des Changjiang-Flusses, wenn man von seinem Gipfel herunterschaut. Bei allen Anlagen hat man besonders viel Wert auf eine gute Aussicht gelegt, indem man die Gebäude unter großer Mühe in der Umgebung verankerte, bis Perfektion erreicht war. Die Schönheit jeder einzelnen Anlage liegt in der Art, sie zu betrachten. Ein Berg muss nicht hoch sein, um erhaben zu wirken; es kommt auf seine Lage an. Ein Gewässer muss nicht tief sein; was zählt, sind seine Windungen und Kurven. Die Schönheit eines hoch aufragenden Berges liegt in den Szenerien und Sehenswürdigkeiten, die tief in ihm stecken. Der Yu-Berg in Changshu, der Hui-Berg in Wuxi, der Shangfang-Berg in Suzhou und die Berge am südlichen Stadtrand von Zhenjiang sind deshalb so beliebt bei den Touristinnen und Touristen in der Region Jiangnan, weil sie mit diesen Eigenschaften reichlich ausgestattet sind. Der Tai-Berg steht an der Spitze der Fünf Heiligen Berge26, weil er sowohl für seine Gipfel als auch für sein Wasser gepriesen wird. Niemand kann sagen, dass das Huangshan-Gebirge27 nicht schön ist, aber alles in allem gibt es dort keine nennenswerten Wasserfälle. Wenn sich dieser Mangel nicht durch das Vorhandensein von ständig schwebenden Nebeln und Wolken ausgleichen würde, hätte es nicht den Ruhm erlangt, den es heute genießen. Die Wege in landschaftlich reizvollen Gebieten sollten eher im Zickzack als gerade verlaufen, und es sollten mehr schmale Pfade als Hauptwege vorhanden sein, damit sich die Landschaften hinter verschiedenen Winkeln und Ecken auf bezaubernde Weise verbergen können. Denn so werden sich die Besucherinnen und Besucher in alle Richtungen verstreuen, um sich zu vergnügen. Alle können sich ein Lieblingsplätzchen suchen, an dem sie verweilen, dem Plätschern der Quellen lauschen, sich auf den Felsen ausruhen oder in eine kontemplative Stimmung verfallen und ihren poetischen 78

Bevor man Straßen in berühmten ­Gebirgen baut, ist absolute ­Vorsicht geboten, denn deren legendäre Landschaft kann für immer ­verschwinden [...].

Impulsen freien Lauf lassen können. Wie das Sprichwort sagt: »Bergsteiger fürchten Berge, denen es an Tiefe fehlt; Waldliebhaber fürchten Wälder, denen es an Dichte mangelt.« In der Antike wurden Steintreppen gebaut, um Bergsteigern die Möglichkeit zu geben, ab und zu eine Pause einzulegen und sich umzuschauen, was dem Körperbau des Homo erectus entspricht. Heute sind jedoch viele Bergtreppen in Abhänge umgewandelt worden, die die Wandernden gefährden und gegen die Gesetze des Bergsteigens verstoßen. Noch schlimmer ist, dass einige Bergpfade in öffentliche Straßen umgewandelt worden sind. Das zerstört die natürlichen Schluchten und Gipfel und hüllt die Berge in erstickenden Verkehrsstaub, während die Straßen mit Touristinnen und Touristen überfüllt sind, die, anstatt sich an den Sehenswürdigkeiten zu erfreuen, gezwungen sind, sich gegen die Autos auf der Straße durchzusetzen. Wie kann man unter solchen Umständen die Freuden der Bergwanderung genießen? Früher war die Höhle des Nebels und der Dämmerung am Westsee nur über schmale Pfade zu erreichen, heute kann man mit dem Auto quasi ­direkt »den Gipfel erreichen«. Ein sonst so vergnüglicher Ausflug in die Berge reduziert sich so auf eine Fahrt, die über Flachland zu führen scheint, zum aus der Ferne eingeflogenen Gipfel des Lingyin-Tempels – man mag die Bequemlichkeit der Straße loben, aber wo bleiben der fabelhafte Morgennebel und das Glühen des Sonnenuntergangs, die zum Vergnügen dazugehören? Ich erfuhr, dass für alle Berge rund um den Westsee Buslinien eingerichtet werden, um denjenigen entgegenzukommen, die alles an einem Tag sehen wollen. Ich persönlich bezweifle die Sinnhaftigkeit eines solchen Plans, denn wenn er erst einmal in die Tat umgesetzt ist, wäre der Westsee in der Tat dramatisch »geschrumpft«. Ein solcher Vorschlag widerspricht dem Grundsatz, dass an landschaftlich reizvollen Orten die Wander­routen verlängert werden sollten. Offensichtlich ist der Plan nicht vernünftig. Besich­ tigungen haben einen anderen Zweck als eiliges Durchmarschieren. Ausflüge brauchen Zeit, während »Strecke machen« die Schnelligkeit betont, aber heute scheinen diese beiden Dinge auf den Kopf gestellt worden zu sein. Eine Straße, die sich spiralförmig einen allein stehenden Berg hinauf­ windet, erschwert den Blick auf die schönen Landschaften in den Tiefen des Berges; wie eine giftige Schlange, die sich um den Hals eines Menschen 79

windet, zerstückelt sie auch den Berg und beraubt ihn seines üppigen Grüns und seiner dramatischen Höhe. Die Vor- und Nachteile dieser Methode zeigen sich an den Straßen, die bereits auf dem Jadekaiserberg am Westsee und auf dem Trommelberg von Fuzhou gebaut wurden, aber im letzteren Fall sind glücklicherweise mehrere Schichten von Berghängen vorhanden, die die Hässlichkeit der Straße verbergen. Bevor man Straßen in berühmten ­Gebirgen baut, ist absolute Vorsicht geboten, denn deren legendäre Landschaft kann für immer verschwinden, sobald mit dem Abriss begonnen wird, auch wenn erst zukünftige Generationen beurteilen können, ob das, was unsere Gartengestaltenden angerichtet haben, gut oder schlecht war. Es ist unbedingt erforderlich, die alten Wege, die in die Berge führen, zu ­erhalten, zumindest für diejenigen, die sich in aller Ruhe auf den Weg ­machen wollen. Quellen sind die Augen eines Berges, aber die schlechte Nachricht ist, dass diese »Augen« in einer Reihe von berühmten landschaftlichen ­Gebieten irreparabel beschädigt sind. Die Sprudelnde Quelle in Jinan, ­Provinz ­Shandong, hat ihr musikalisches Glucksen verloren, und die Neun-­ Bäche-Rinne in den Bergen westlich des Westsees trocknet aus. ­Solche ­Ereignisse sind auf keinen Fall als Nichtigkeiten zu betrachten. Die Zer­ störung natürlicher Adern bei der Urbarmachung von Bergen und das ­Graben von Brunnen zur Wasserentnahme – Bauprojekte, die im Widerspruch zu den Landschaftsplänen stehen – können diesen Gebieten nur die Seele rauben. Geschossige Gebäude, insbesondere solche in Gärten, sollten geräumig und luftig sein, damit man eine gute Aussicht nach allen Seiten genießen kann. So wie es in dem Gedicht heißt: Morgens fliegen gemalte Strahlen über das Südufer in den Stratus, in der Dämmerung entfaltet sich ein perlenartiger Schleier Regentropfen von westlichen Gipfeln.28 Kiefern sollten in ausreichenden Abständen gepflanzt werden; ihre anmutigen Formen kommen nur zur Geltung, wenn sie weniger Äste und Blätter haben. Nur wenn ein Baum sowohl robust als auch anmutig ist, kann er einen beeindrucken. Eine solche Einheit von Gegensätzen bringt immer gute Effekte. Die Stämme aufkeimender Weiden müssen alt aussehen, und Bambushaine müssen ihre Spitzen mit zarten Blättern zeigen. Doch sind heute alle Trauerweiden entlang des Bai-Damms im Westsee durch junge Schösslinge ersetzt worden, von denen kein einziger alter Stamm mehr ­vorhanden ist. Daher sieht der Damm nicht mehr so aus, wie er einmal war. Wie kann man nur den Slogan »Totale Beseitigung des vorhandenen Personals«, der einst von der »Viererbande«29 verwendet wurde, auf die Gartenpflege übertragen? An landschaftlich reizvollen Orten gibt es oft zahlreiche Tee­häuser, und dort sind in der Regel auch viele Waschräume zu finden. Das 80

Canglang-Pavillon Foto von Lv Hengzhong

»Das poetische Gefühl und die malerische Vorstellungskraft eines Gartens finden ihren Ausdruck in konkreten Szenerien und Sehens­ würdigkeiten; dies lässt sich unter dem Begriff ›Sinngehalt‹ zusammenfassen. Je mehr enthüllt wird, desto kleiner wird die ­vorgestellte Welt, je mehr verdeckt wird, desto größer wird sie.«

­ orhandensein der Letzteren hat viele Probleme verursacht, für die es V keine einfache Lösung gibt. Ich persönlich bin der Meinung, dass es besser wäre, die Waschräume an einem versteckten oder überdachten Ort aufzustellen. ­Allerdings sind heute alle Waschräume mit vergitterten Fenstern ausgestattet und sehen aus wie »Kunstwerke im Garten«. Aus Spaß habe ich die folgenden Verse geschrieben: »Ich beklage mich über das Unrecht, das man einem Gitterfenster antut, dass so ein zierliches Ding in eine stinkende ­Latrine gesteckt wird!« (Ich war natürlich schuld daran, weil ich im Jahr 1953 das Buch Über das Gitterfenster veröffentlicht habe.) Eine der Funktionen dieser Art von Fenstergestaltung ist es, den Blick auf das zu lenken, was im Inneren zu sehen ist. Aber was kann ein Gitter in einem Waschraum offenbaren? Ich erinnere mich an einen neu gebauten Waschraum, dessen Wände mit vergitterten Fenstern versehen waren. Ein Stein auf der linken Seite trug die Inschrift »Duftender Frühling«, und die Inschrift auf dem Stein auf der rechten Seite lautete »Fliegende Drachen und tanzende ­Phönixe«. Bei diesem Anblick konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Ich bin der Meinung, dass es an einem landschaftlich reizvollen Ort, der sich über ein großes Gebiet erstreckt, Teehäuser oder Teestände geben muss, an denen die Touristinnen und Touristen ihren Durst löschen können. Aber an Orten wie der Xiling-Siegelgesellschaft am Westsee in Hangzhou oder dem Garten des Meisters der Netze in Suzhou scheint es überhaupt keinen Bedarf für ein Teehaus zu geben, da dies nur kostbaren Platz beanspruchen würde. Die meisten Teehäuser, die in großen, landschaftlich reizvollen Anlagen gebaut wurden, sehen wie ein Hotel oder Restaurant aus. Aber selten sieht man ein angemessenes unter ihnen. Das Problem besteht darin, dass das Primäre mit dem Sekundären verwechselt und das Nebensächliche für das Wesentliche gehalten wird. An diesen landschaftlich reizvollen Orten scheint heute ein Trend zur Kommerzialisierung im Gange zu sein, als ob die Touristinnen und Touristen hauptsächlich zum Einkaufen gekommen wären. So wird ein verehrter buddhistischer Tempel zum Schauplatz einer Tempelmesse, und wo ein berühmter Garten ist, ist auch ein Markt. In der Tat: »Jetzt, wo der Ostzaun ein Jahrmarkt geworden ist, ist er nicht eine Schande für gelbe Chrysanthemen?«30 Dieser Logik folgend, könnte man sich fragen, ob die Gartenkammer nicht in Handelskammer umbenannt werden sollte. Es handelt sich in der Tat um einen typischen Fall von Pflichtverletzung seitens unserer Gartenverwaltung, da sie »sich um andere als die eigenen Angelegenheiten kümmert«. Bei den Erbauern künstlicher Berge im Zentrum der Provinz Zhejiang überwog die Technik die Kunstfertigkeit. Ihre Stärke lag im Bau von Grotten, sodass die von ihnen errichteten Berge oft isoliert stehen. Repräsentativ für diesen Stil waren die künstlichen Berge in der Yuan-Bao-Straße in der Hu-Siedlung, in der Xueguan-Gasse in der Wu-Siedlung und im ­Belvedere der Literarischen Wellen auf dem Einsamen Hügel31 in Hangzhou. Die Steingärten an diesen Orten wurden durch Gewässer in der Nähe mehr 82

oder ­weniger attraktiv gestaltet. In den letzten Jahren ist eine neue Art von künstlichen Bergen entstanden, die auf ebenem Boden errichtet wurden, mit einer Grotte im Inneren und einer Terrasse auf dem Gipfel. Sie sind die gröbsten aller künstlichen Berge und wurden von Handwerkern aus ­Dongyang in der Provinz Zhejiang erfunden, die keineswegs Experten auf diesem Gebiet waren, sondern Maurer oder, wie die Leute in Hangzhou sagten, »Kanalisationsbauer«, die Laien mit ihren Fälschungen täuschen wollten. In den Jahren der Republik32 wurden die Grotten durch kleine Hügel mit einer Blumendecke ersetzt, unter dem Vorwand, dass Höhlen in den meisten Fällen ein schlechtes Omen seien. Früher gliederten sich die Handwerker für künstliche Berge geografisch in die Schulen von Suzhou, Nanjing, Yangzhou, Jinhua und Shanghai, wobei die Shanghaier Schule eine Mischung aus den Schulen von Nanjing und Suzhou war. Nach der Zeit der Südlichen Song-Dynastie kamen die bekanntesten Experten für künstliche Berge aus Wuxing, wo sie lokal als »Bergschmiede« bekannt waren, und aus Suzhou, wo sie als »Blumengärtner« bezeichnet wurden. In Zentral-Zhejiang nannte man sie »Berghandwerker«, in Yangzhou »Steinmetze« und in Shanghai, der ehemaligen Präfektur Songjiang, »Bergmeister«. Zhang Lian33 und sein Sohn Zhang Ran aus Yunjian (Songjiang), die als »Steinmetze Zhang und Sohn« bekannt waren, waren bei den Reichen und Mächtigen wegen ihres unübertroffenen Fachwissens so beliebt, dass sie schließlich nach Beijing berufen wurden. Ihr Geschäft gaben sie an Fami­lienmitglieder weiter, die unter dem Namen »Bergbau-Zhangs« bekannt sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die im Einzugsgebiet des Tai-Sees34 errichteten künstlichen Berge eine Schule für sich darstellen. Diejenigen in Nanjing und Yangzhou wurden zur »Nord-Jiangsu-Schule«, und ihre Pendants im östlichen ­Zhejiang gehörten zu einer anderen Schule. Natürlich waren die Steinmetze nicht alle gleich kompetent und handwerklich begabt. Die weniger Geübten kannten nicht mehr als Gestein und die Fertigkeiten des Zusammensetzens an sich, und es lag ihnen fern, geeignete Gesteine zu untersuchen und auszuwählen, ganz zu schweigen von Gesteinsstrukturen und Adern. Es ging ihnen darum, »eine Grotte in fünf Tagen und einen künst­ lichen Berg in zehn Tagen fertigzustellen«. Sie betrieben ihr Geschäft wie ein Kinderspiel, das heißt, sie kopierten und verkleinerten echte Berge, ohne zu begreifen, dass der Bau eines guten künstlichen Berges eine Kunst ist. Um festzustellen, ob es sich bei einem künstlichen Berg um ein ­Original oder eine Restaurierung handelt, sollten der Fuß des Berges und der Boden seiner Grotte genau untersucht werden, weil der untere Teil weniger anfällig für die Abnutzung durch die Zeit und daher leicht von den restaurierten Teilen zu unterscheiden ist. Genaue Untersuchungen des ­Mörtels, der Fugen, Steinadern und -texturen liefern immer Hinweise, denn die Fugen zwischen den Steinen können alt oder neu sein, die Kleber oder Mörtel, mit denen die Steine zusammengefügt wurden, haben unter­ schied­liche Rezepturen, und die Patina auf den Steinen sowie die Spuren 83

Wenn man einen Garten ­restauriert, muss man eine Überraschung schaffen.

von Äxten und Meißeln sind leicht zu erkennen. Beim Ausbau des ­Gartens des Verweilens in Suzhou während der Herrschaft von Kaiser Jiaqing (1796–1820) aus der Qing-Dynastie ließ der damalige Besitzer Liu Shu35 Taihu-Steine auf einem gelben Steingarten anbringen, und der Unterschied ist immer noch für alle sichtbar. Alte künstliche Berge wurden meist durch das Zusammensetzen vieler Bergfelsen in kompakten Kombinationen errichtet, und an den Verbindungsstellen wurden reichlich Keile und Mörtel verwendet, um das Ganze im Gleichgewicht zu halten. Sobald Felsen versetzt oder abgerissen würden, wäre es schwierig, das alte Aussehen eines solchen künstlichen Berges zu erhalten. Ein gut gebauter künstlicher Berg muss durch eine ausgeklügelte Felsbearbeitung natürlich aussehen; seine Linien sollten wie taktvolle Pinselstriche in einem Gemälde angeordnet sein, und der Raum sollte geschickt »zusammengezogen« werden, indem man die einzelnen Teile und die gesamte Szenerie voll berücksichtigt – nur durch wiederholtes Abwägen all dieser Faktoren kann ein zufriedenstellendes Werk zustande kommen. Heutzutage wird der Yu-Garten in Shanghai in den höchsten Tönen gelobt, aber das in der Ming-Dynastie bekannte Herrenhaus von Pan wird kaum erwähnt. Es befand sich nur wenige Gehminuten vom Yu-Garten entfernt, in der übernächsten Gasse östlich des Gartens, wo sich heute die Straßen An Ren und Wu Tong befinden, die früher An Ren Li genannt wurden. Wie Ye Mengzhu36 in seinem Werk Aufzeichnungen über das Leben in der Welt schrieb: Dies ist das größte Anwesen in Shanghai. Mit seinem Eingangstor, das sich zu einer gravierten Sichtschutzwand hin öffnet, wirkt es hoch und majestätisch. Mit einer Reihe von Gebäuden, die durch einen zweistöckigen überdachten Gang miteinander verbunden sind, ist es fast vergleichbar mit einem zinnoberroten Herrenhaus eines Prinzen. Das hintere Gebäude ist ganz aus NanmuBaum gebaut, und alle oberen Stockwerke sind mit Ziegeln gepflastert, sodass sie sich wie ebener Boden anfühlen. Die Strukturen sind vergoldet oder rot und weiß gestrichen und sehr kunstvoll geschnitzt. Dieser phänomenale Komplex zeugt von der beeindruckenden Größe des Yu-Gartens in seiner Blütezeit. Schade, dass davon heute nichts mehr übrig ist. Yun Shouping37, ein berühmter Maler der frühen Qing-Dynastie, schrieb im 12. Band seiner Sammlung von dem Haus des Duftes von Ou: 84

Im August des Jahres Renxu [1682] wurde ich als Gast im Garten des beschei­denen Beamten in Wumen in Suzhou untergebracht. Es war Herbst, und es regnete unaufhörlich über einem großen Waldgebiet, was alles so ­erfrischend und erhebend machte. Eine Zeit lang saß ich allein auf der Südlichen Veranda und blickte über das Wasser hinweg auf den hohen und ­steilen Felsen auf dem Quer verlaufenden Bergrücken, von dem aus man den ­klaren und leuchtenden Teich darunter sehen konnte. An einem Pfad, der sich den Berg hinaufschlängelte, entdeckte ich einen Hain aus Gelehrtenbäumen, Tamarisken, ­Weiden, Wacholder und Zypressen, deren verschlungene Äste und Zweige in den Himmel ragten. An den Ufern des Teiches waren HibiskusBäume ­gepflanzt, die karminrote Blüten und smaragdgrüne Blätter trugen. Wenn man auf den Teich hinunterschaute, sah man kristallklares Wasser mit Fischen, die so gemächlich schwammen, dass sie zum Greifen nah waren. Bei diesem Anblick kam man in Versuchung, sich den Freuden des Fischfangs ­hinzugeben. Ich verließ die Südliche Veranda, schlenderte am Pavillon des hellen Schnees vorbei und ging über die Rote Brücke nach Norden auf den Steinpfad am Quer verlaufenden Bergrücken. Am Fuße des Hügels befand sich ein Damm, der zu einem mit Bäumen bewachsenen Teich führte. Über dem Teich befand sich das Aussichtshäuschen des reinen Glanzes, das den überdachten Gängen auf der anderen Seite gegenüberstand. Hier bot sich der schönste Anblick des Gartens. Das Jahr Renxu war das 21. Jahr der Herrschaft des Kaisers Kangxi der Qing-Dynastie (1682); der Maler (1633–1690) war zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt. Anhand seines detaillierten Berichts können wir einige Ver­ mutungen anstellen. Die Südliche Veranda dürfte die heutige Angelehnte Jadeveranda sein. Der Pavillon des hellen Schnees scheint der heutige ­Pavillon mit Lotus und Wind von allen vier Seiten zu sein, und die Rote Brücke sollte die Zickzack-Brücke sein. Nach seiner Lage zu urteilen, müsste das Aussichtshäuschen des reinen Glanzes der Turm mit Bergblick sein. Yun Shoupings Beschreibung des überdachten Weges auf der anderen Seite des Teiches deckt sich im Wesentlichen mit der Ansicht des heutigen Wandelweges im Weidenschatten. Yun Shouping schrieb tatsächlich über das, was er persönlich in diesem berühmten Garten aus der Sicht eines Malers gesehen hatte. Wenn diejenigen, die sich mit der Restaurierung von Gärten befassen, ein vollständiges Verständnis der ursprünglichen künstlerischen Konzeption haben, sind sie als äußerst kompetent anzusehen. Aber »wie viele Menschen können dieses Lied wirklich verstehen?«38, was können wir dagegen tun? Es ist schwierig, einen Garten zu erhalten, und noch schwieriger, ihn zu restaurieren. Wenn man einen Garten restauriert, muss man eine Über­raschung schaffen. Zum Abschluss dieses Teils möchte ich noch einmal auf die Bedeutung der gartenhistorischen Forschung hinweisen. Vor vielen Jahren schrieb mir Ye Gongchuo39 ein Spruchpaar, in dem es heißt: 85

Berühmte Gärten von Luoyang, gemalte Vergnügungsboote von Yangzhou; alte Geschichten aus Wulin40, Aufzeichnungen über die kaiserliche Hauptstadt. Darin listete er die Titel von vier Büchern über Gärten und historisch interessante Orte auf, um mich zu ermahnen. Wenn ich mir dieses Spruchpaar heute noch einmal ansehe, habe ich das Gefühl, dass es vielleicht keine Zeitverschwendung war, diese Dinge in meinem Aufsatz niederzuschreiben.

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Anm. d. Übers.: Tao Yuanming (陶渊明, Táo Yuānmíng, ca. 365–427) oder Tao Qian (陶潜, Táo Qián), auch als Meister von den fünf Weiden (五柳先生, Wˇu liˇu xiānsheng) bekannt, war ein berühmter chinesischer Dichter während der Östlichen Jin-Dynastie. Die Aufzeichnung vom Pfirsichblütenquell (桃花源记, Táohuāyuán jì) ist eines von Taos berühmtesten Werken über die zufällige Entdeckung einer ätherischen Utopie, in der die Menschen ein ideales Leben in Harmonie mit der Natur führen und jahrhundertelang nichts von der Außenwelt mitbekommen. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Ci-Gedicht Glückwunsch an den Bräutigam – ich bin so alt geworden (贺新郎 · 甚矣吾衰矣, Hè xīnláng · shényˇı wú shuāi yˇı) von Xin Qiji (辛弃疾, Xīn Qìjí, 1140–1207), einem Beamten, General und Literaten der Südlichen Song-Dynastie. Anm. d. Übers.: Poem von der Heimkehr (归去来兮辞, Guīqùláixī cí) ist ebenfalls ein literarisches Werk von Tao Yuanming, das auch das Thema des Rückzugs von der Welt behandelt. Anm. d. Übers.: 月观, Yuèguān, ist eine andere Bezeichnung für den Mond­ pavillon (月榭, Yuèxiè). Anm. d. Übers.: Der Kleine goldene Hügel (小金山, Xiˇaojīn Shān) im Schmalen Westsee in Yangzhou wurde während der Qianlong-Periode (1736–1796) der Qing-Dynastie künstlich errichtet und war auf allen Seiten von Wasser umgeben. Er wurde in der Xianfeng-Periode (1851–1861) durch ein Feuer zerstört und in der Guangxu-Periode (1875–1908) restauriert und steht heute unter dem Schutz der Kulturdenkmäler von Yangzhou. Anm. d. Übers.: Die Kleine Hütte am Blumenkai (华步小筑, Huábù Xiˇao Zhù) ist eine Szenerie im Garten des Verweilens. Anm. d. Übers.: Der Ausweichgang (避弄, bìlòng) ist der Weg neben dem Haupthaus, den die weiblichen Bediensteten gehen, um Begegnungen mit den männlichen Gästen und dem Hausherrn zu vermeiden. Anm. d. Übers.: Die Zeile entstammt dem Buch Gelegentliche Aufzeichnungen aus Mußestunden (闲情偶寄, Xiánqíng oˇ ujì) von dem Theaterautor und -kritiker sowie Gartengestalter Li Yu (李渔, Lˇı Yú, 1611–1680). In dem Buch werden verschiedene Themen behandelt, beispielsweise Ci-Dichtungen (词, cí), Qu-­ Dichtungen (曲, qŭ), Theater, Haus und Hof, Getränke und Speisen, Architektur, Gartenbau, Gesundheit usw. Anm. d. Übers.: Yishans Aufzeichnungen über verschiedene Dinge (义山杂纂, Yìshān zázhuàn) wurden von Li Shangyin (李商隐, Lˇı Shāngyˇın, 义山, Yìshān ist sein Großjährigkeitsname, 813–858), einem Dichter aus der Tang-Dynastie, verfasst. Darin äußert Li Gedanken zu verschiedenen gesellschaftlichen, natürlichen und menschlichen Phänomenen. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Lesen von Klassikern der Berge und Meere (读山海经, Dú shānhˇai jīng) von Tao Yuanming. Dies ist das erste einer Gruppe von dreizehn Gedichten, die Tao Yuanming während seines zurückgezogenen Lebens schrieb. Das Gedicht scheint ein beiläufiger Bericht über

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das Leben zu sein, aber in Wirklichkeit hat es eine tiefe Bedeutung. Es ist eine Hymne an das Leben, die den gesamten Kosmos umspannt. Anm. d. Übers.: 1949 erlangte die Kommunistische Partei unter Führung von Mao Zedong (毛泽东, Máo Zédōng, 1893–1976) den Sieg über die bürgerlichnationalistischen Kräfte der Guomindang, die sich nach Taiwan zurückzogen. Die Volksrepublik China wurde ausgerufen. Anm. d. Übers.: Der öffentliche Wolfshügel-Garten (狼山公园, Lángshān Gongyuan) in Nantong, Provinz Jiangsu, wurde 1956 gebaut und später in Garten des Nördlichen Vorgebirges (北麓园, Běilù Yuán) umbenannt. Anm. d. Übers.: Der öffentliche Oststadt-Garten (城东公园, Chéngdōng Gōngyuán) in Suzhou, Provinz Jiangsu, wurde Anfang 1979 gebaut und später in Ostgarten (东园, Dōng Yuán) umbenannt. Anm. d. Übers.: Der öffentliche Bianjing-Garten (汴京公园, Biànjīng Gōngyuán) in Kaifeng, Provinz Henan, wurde 1962 gebaut und später in Bian-Garten (汴园, Biàn Yuán) umbenannt. Anm. d. Übers.: Ge Yuliang (戈裕良, Gē Yùliáng, 1764–1830) stammte aus Changzhou, Provinz Jiangsu. Er war ein berühmter Maler und Gartengestalter der Qing-Dynastie, dessen Kunst der Landschaftsgestaltung nicht nur kreativ war, sondern auch eine herrliche Atmosphäre schuf. Anm. d. Übers.: Shi Tao (石涛, Shí Tāo, Geburtsname 朱若极, Zhū Rùojí, 1642– 1708) war ein Maler der Qing-Dynastie. Seine Werke sind durch eine nasse Maltechnik und kräftige, eindrucksvolle Pinselstriche geprägt, weiter durch die Verwendung subjektiver Perspektiven sowie den bewussten Einsatz negativer oder weißer Flächen, um den Eindruck von Entfernung zu erzeugen. Anm. d. Übers.: Die »Vier Wangs« sind die vier berühmten Maler aus der frühen Qing-Dynastie: Wang Shimin (王时敏, Wáng Shímˇın, 1592–1680), Wang Jian (王鉴, Wáng Jiàn, 1598–1677), Wang Yuanqi (王袁祁, Wáng Yuánqˇı, 1642–1715) und Wang Hui (王翚, Wáng Huī, 1632–1717). Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Gedicht Meditative Worte für Tempelbesuche am Drachenbootfest (端午遍游诸寺得禅字, Duānwˇu biànyóu zhūsì dé chánzì) von Su Shi. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Gedicht Das Hindeutende (寓意, Yùyì) von Yan Shu (晏殊, Yàn Shū, 991–1055), einem Kalligrafen, Dichter und Politiker der Song-Dynastie. Es ist ein Liebesgedicht über die Sehnsucht nach einer Trennung. Anm. d. Übers.: Dies entstammt ebenfalls dem Buch Gartenbaukunst von Ji Cheng. Anm. d. Übers.: Wang Guowei (王国维, Wáng Guówéi, 1877–1927) war ein ­chinesischer Historiker und Dichter. Als vielseitiger Gelehrter leistete er wichtige Beiträge zum Studium der alten Geschichte, der Epigrafik, der Philologie, der volkstümlichen Literatur und der Literaturtheorie. Das Werk Poetische Bemerkungen über die menschliche Welt (人间词话, Rénjiān cíhuà) verfasste er 1910. Es ist ein wichtiges literaturkritisches Werk. Anm. d. Übers.: Diese Zeilen entstammen der Inschrift für die hintere Meditationskammer des Tempels des gespaltenen Berges (题破山寺后禅院, Tí pòshāngsì hòu chányuàn) von Chang Jian (常建, Cháng Jiàn, Anfang des 8. Jahrhunderts), einem Dichter aus der Tang-Dynastie. Anm. d. Übers.: Diese Zeilen entstammen dem Ci-Gedicht Narzisse am Flussufer (临江仙, Lín jiāng xiān) von Yan Jidao (晏几道, Yàn Jˇıdào, 1030–1106), einem Lyriker aus der Nördlichen Song-Dynastie, dem siebten Sohn von Yan Shu. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Ci-Gedicht Herbstliche Träumerei (秋思, Qiū sī) von Ma Zhiyuan (马致远, Mˇa Zhìyuˇan, um 1250–1324), einem chinesischen Dichter und berühmten Dramatiker. Anm. d. Übers.: Gu Wenbin (顾文彬, Gù Wénbīn, 1811–1889) war Kalligraf und Sammler von alten Büchern, Gemälden, Bronzen und Steintafeln und Besitzer des Gartens der Zufriedenheit. Anm. d. Übers.: Die Fünf Heiligen Berge (五岳, Wŭyuè) sind der Tai-Berg (泰山, Tài Shān), Großer Östlicher Gipfel (东岳, Dōng Yuè) in Tai’an in der

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­Provinz Shandong, der Heng-Berg (衡山, Héng Shān), Großer Südlicher Gipfel (南岳, Nán Yuè) in Hengyang in der Provinz Hunan, der Song-Berg (嵩山, Sōng Shān), Großer Mittlerer Gipfel (中岳, Zhōng Yuè) in Dengfeng in der Provinz Henan, der Hua-Berg (华山, Huá Shān), Großer Westlicher Gipfel (西岳, Xī Yuè) in Huayin in der Provinz Shaanxi und der Heng-Berg (恒山, Héng Shān), Großer Nördlicher Gipfel (北岳, Běi Yuè) in Hunyuan in der Provinz Shanxi. Anm. d. Übers.: Das Huangshan-Gebirge (黄山, Huáng Shān) ist ein Gebirge im Verwaltungsgebiet der bezirksfreien Stadt Huangshan in der Provinz Anhui in Südchina. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Vorwort zum Tengwang-Pavillon (滕王阁序, Téngwánggé xù) von Wang Bo (王勃, Wáng Bó, 649–676), einem Literaten aus der Tang-Dynastie. Anm. d. Übers.: Die sogenannte »Viererbande« (四人幫, Sìrénbāng) war eine Gruppe von Führungskräften aus dem linken Flügel der Kommunistischen Partei Chinas. Sie übte in den 1970er-Jahren großen Einfluss aus, insbesondere bei der Kulturrevolution, bei der das »vorhandene Personal« auf allen gesellschaftlichen Ebenen ausgetauscht werden sollte. Nach Mao Zedongs Tod wurden der »Viererbande« zahlreiche Grausamkeiten angelastet, die im Zuge der Kulturrevolution verübt wurden. Anm. d. Übers.: Das Zitat entstammt dem Buch Seltsame Geschichten aus einem Gelehrtenzimmer (聊斋志异, Liáozhāi zhìyì) von Pu Songling (蒲松龄, Pú Sōnglíng, 1640–1715), einem Schriftsteller aus Zichuan, heute Zibo, Provinz Shandong. Anm. d. Übers.: Der Einsame Hügel (孤山, Gūshān) ist eine natürliche Insel im Westsee in Hangzhou, Provinz Zhejiang. Anm. d. Übers.: Gemeint hier ist die Republik China (中华民国, Zhōnghuá Mínguó), die im Jahr 1912 auf dem chinesischen Festland von der Guomindang ausgerufen wurde und mit der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 endete. Anm. d. Übers.: Zhang Lian (张涟, Zhāng Lián, 1587 – ca. 1671) war ein chinesischer Gartenkünstler der späten Ming- und frühen Qing-Dynastie. Sein Sohn Zhang Ran (张然, Zhāng Rán, 17. Jahrhundert) war ebenfalls ein berühmter Gartenkünstler. Anm. d. Übers.: Das Einzugsgebiet des Tai-Sees (太湖流域, Tàihú Liúyù) erstreckt sich über eine Fläche von 36 900 Quadratkilometern und umfasst einen Großteil der südlichen Provinz Jiangsu, Huzhou und Teile von Jiaxing und Hangzhou in der Provinz Zhejiang sowie den größten Teil von Shanghai. Anm. d. Übers.: Liu Shu (刘恕, Liú Shù, ?–?) war ein berühmter Kalligraf und Büchersammler aus der Qing-Zeit. Anm. d. Übers.: Ye Mengzhu (叶梦珠, Yè Mèngzhū, ?–?) stammte aus dem Landkreis Songjiang, wurde während der Ming-Zeit im Alter von zwölf Jahren in einer Privatschule in Shanghai ausgebildet und war ein aktiver Schriftsteller, der noch während der mittleren Kangxi-Herrschaft lebte. In seinem Werk Aufzeichnungen über das Leben in der Welt (阅世编, Yuèshì biān) schrieb er alles auf, was er erlebt hatte. Anm. d. Übers.: Yun Shouping (恽寿平, Yùn Shòupíng, 1633–1690), auch bekannt als Nantian (南田, Nántián), war ein chinesischer Kalligraf und Maler. Er war ein bedeutender Künstler der frühen chinesischen Qing-Dynastie. ­Zusammen mit den »Vier Wangs« und Wu Li (吴厉, Wú Lì) wurde er als einer der »Sechs Meister« der Qing-Zeit angesehen. In seinem Werk Sammlung von dem Haus des Duftes von Ou (瓯香馆集, Ōuxiāngguˇan jí) findet sich eine ­Sammlung seiner Gedichte und Schriften. Anm. d. Übers.: Die Zeile entstammt dem Ci-Gedicht Beilegung des Sturms (定风波, Dìng fēngbō) von Zhou Bangyan (周邦彥, Zhōu Bāngyàn, 1056–1121), einem herausragenden Dichter von Liedern aus der Nördlichen Song-Dynastie, zu denen er auch selbst Melodien schrieb. Anm. d. Übers.: Ye Gongchuo (叶恭绰, Yè Gōngchuò, 1881–1968) war ein Kalligraf, Maler und Sammler aus Guangdong. Anm. d. Übers.: Wulin (武林, Wˇulín) ist das heutige Hangzhou.

Über chinesische Gärten

Teil 4

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ährend meiner einjährigen Wanderschaft habe ich eine ganze Reihe landschaftlich reizvoller Orte aufgesucht. Und meine ­Gefühle änderten sich im Verlauf der Reise mit den unter­schiedlichen Sehenswürdigkeiten. Inzwischen haben sich bei mir einige Gedanken herauskristallisiert, die ich hier darlegen möchte. Ich hoffe, dass meine Leserinnen und Leser daraus den für sie bestmöglichen Nutzen ziehen. Meine Ansichten mögen pedantisch klingen und sind daher für die praktische Arbeit im Gartenbau vielleicht nicht sehr hilfreich. Ich hoffe aber, dass sie eine Diskussion anregen. Als Fortsetzung der drei vorangegangenen Teile trägt der vorliegende den Titel »Über chinesische Gärten, Teil 4«. Beim Entwurf eines Gartens sollten die Planerinnen und Planer von ihrer eigenen Idee ausgehen und die Gestaltung des Gartens so detailliert wie möglich ausarbeiten, ohne auch nur im Geringsten von ihrer ursprünglichen Vorstellung abzuweichen. Wenn sie Erfolg haben, werden sie geehrt, wenn sie versagen, werden sie verachtet. Auf jeden Fall aber wird ein ­Garten, der keine Spuren der Persönlichkeit der Gestaltenden trägt, ohne Leben sein. Flüsse und Seen dienen der Belebung eines trockenen Geländes. Daher sollte man in einem wasserarmen Gebiet dem Erhalt des Wassers große Aufmerksamkeit widmen; und in Regionen, in denen Wasser mehr als reichlich vorhanden ist, ist die Entwässerung ein Muss. Flüsse und Seen prägen oft das Landschaftsbild und können zur Verbesserung der Umwelt und des Klimas genutzt werden. In Regionen, die von Wasserläufen durchzogen sind, kann man in Teichen und Bächen Lotus und Wasserkastanien anbauen, Bambuswehre können zum Krabbenfang aufgestellt werden und Fischerdörfer von der Süßwasserfischerei profitieren. All dies trägt zu einem höheren Einkommen der Menschen bei, ohne die Anbauflächen zu verringern. Darüber hinaus haucht ein schöner Anblick der gesamten Region Leben ein. Wang Shizhen schrieb einst das folgende Gedicht: Wie ein Band schlängelt sich der Fluss sanft durch die nahe gelegenen Felder, die von Weidenpfaden durchzogen sind, am Fluss liegt ein Fischerdorf, dessen Teiche mit Wasserkastanien bewachsen sind; die Aussicht ist noch bezaubernder, wenn die Sonne langsam untergeht und die Abendbrise nachlässt, purpurfarben spiegeln sich die Bäume auf dem Wasser, und die Fischer bieten ihre Ware an.1 Eine solche Szenerie von natürlicher Schönheit ist sehr reizvoll. In den alten Städten säumten Trauerweiden die Straßen. Birkenblättrige Birnen standen in dichtem Bewuchs entlang der Flussufer. Die hohen und niedrigen Zinnen der Stadt waren schon über den Feldern aus der Ferne zu 91

sehen. So betrachtet, schienen architektonisches Wunderwerk und natürliche Landschaft in göttlicher Harmonie zu verschmelzen, wie in einem anderen Gedicht von Wang Shizhen beschrieben: »Ein Weidengebüsch, das ist die Stadtmauer von Yangzhou.«2 Leider hat man die prächtigen alten Stadtmauern abgerissen, und der Anblick ist für immer verloren. Das Erscheinungsbild einer Stadt wird in erster Linie durch ihre topografischen Merkmale geprägt, wobei die Pflanzenwelt ein wesentlicher Bestandteil der Landschaft ist. Chengdu wird die Stadt des Hibiskus und Fuzhou die Stadt der Banyans genannt, weil beide Städte die Besuchenden mit ihrer jewei­ ligen Flora beeindrucken. In Bezug auf die Malerei sagte Yun Shouping: Dunkles Blau und Grün sind schwierige Farben, es ist leicht, sie dickflüssig aufzutragen, aber schwierig, sie verdünnt zu verwenden. Und mit verdünnten, blassen Farbtönen eine Tiefe und Substanz herauszuarbeiten ist noch ­schwieriger.3 Der Gartenbau folgt denselben Grundsätzen, prinzipiell das Leere in das Substanzielle und das Substanzielle in das Leere zu bringen; Leichtigkeit zu erreichen, ohne kümmerlich zu wirken, und Stattlichkeit zu erreichen, ohne schwer zu wirken. Wenn diese Prinzipien befolgt werden, bleibt der natürliche Charme erhalten. Heutzutage begehen Menschen, die Gärten in landschaftlich reizvollen Gegenden anlegen, oft die Torheit, echte Hügel zu verunstalten und wahllos künstliche Steingärten zu errichten. Sie zerstören klare Bäche und machen Platz für künstliche Springbrunnen. Sie verwerfen das, was natürlich ist, und bevorzugen das Künstliche. Sie manipulieren Quellen und Felsen nach Belieben, als ob ein Garten ohne Springbrunnen niemals Anerkennung finden könnte. In einem Bericht über den Korkbaumberg-Garten auf dem Berg des schlafenden Drachen im Kreis Tongcheng in der Provinz Anhui bemerkte Qian Chengzhi4: Die Leute in Wu5 bauen besonders gern Steingärten und rühmen sich dafür. Sie tun die Gärten und Pavillons in meinem Heimatort lachend als zu schäbig ab. Ich aber sage: Warum sollten wir eine Vorliebe für von Menschenhand geschaffene Anlagen entwickeln, wo es in meiner Heimat doch all die vom Himmel geschaffenen Hügel, Bäche und Seen gibt? Unser Ziel ist es, die Natur zu erhalten. Deshalb sind unsere Gärten und Pavillons einfach und schlicht. Ist das nicht viel besser?6 Und über den Korkbaumberg-Garten schrieb er: Die verschiedenen Teile sind gut arrangiert und am richtigen Platz, alle haben ihren eigenen Charme. Der Reiz ergibt sich aus der Natürlichkeit der Hügel und Bäche.7 92

Das Erscheinungsbild einer Stadt wird in ­erster Linie durch ihre topografischen ­Merkmale geprägt, wobei die Pflanzenwelt ein wesentlicher Bestandteil der Landschaft ist.

Das Bemerkenswerte an seinen Ausführungen ist der Begriff der »Natürlichkeit«, sie ist die Seele der Schönheit. Die Schönheit der Berge und Wälder liegt in ihrer Natürlichkeit, daher gilt es das zu erhalten, was wirklich und ursprünglich ist. Gebäude unterscheiden sich von Gärten dadurch, dass Erstere dazu dienen, die Landschaft reliefartig hervorzuheben. Es ist ein ähnlicher Unterschied wie der zwischen einem Brokatstoff und seinem Muster. Das Muster verschönert den Brokat, aber es sollte niemals den Brokat selbst in den Schatten stellen. Gästehäuser sollen den Reisenden einen Platz für eine erholsame Rast bieten. Daher sollten sie in einer abgelegenen und ruhigen Umgebung liegen, in der sich die Touristinnen und Touristen beim Umherwandern an den Sehenswürdigkeiten erfreuen können. Die Innen- und Außenbereiche eines Gästehauses sollten so gestaltet sein, dass sie ineinander übergehen und eine stilistische Harmonie entsteht. So kann der Gast beim Frühstück die Morgensonne genießen und sein Haupt im Abendlicht auf das Kissen betten, er wird in jedem Fall die Weite der Natur auch in seinem kleinen Raum spüren. Aber dann gibt es auch riesige Gästehäuser auf Berggipfeln, umtost vom durchdringenden Lärm der Schnellstraßen, die sich um sie herumschlängeln, sodass selbst die Vögel Reißaus nehmen. Beim Blick ins Tal sieht man Menschen in Erbsengröße und Häuser, die wie winzige Fleckchen aussehen. Wenn man auf so einem Giganten steht und auf etwas Kleines schaut, wird alles zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Durch städtische Gebäude die Wildnis ihres Charmes zu berauben und die Landschaft zu ruinieren ist für Touristinnen und Touristen schlichtweg demoralisierend. Inzwischen gehört es in den Touristengebieten zum Alltag, dass Hügel eingeebnet und Schluchten mit hohen Gebäuden zubetoniert werden. Mit Bedauern habe ich auch von der Absicht gehört, die Häuser der Bergbewohnerinnen und -bewohner zu beseitigen. Was für eine bedauerliche Kurzsichtigkeit, nicht zu erkennen, dass die verstreuten Häuschen in Wirklichkeit zur Landschaft gehören, das ist ja auch auf vielen klassischen chinesischen Gemälden zu sehen. Als ich in der Schweiz zu Gast war, besuchte ich einige Wohnhäuser in den Bergen bei Genf. Sie waren so sauber und aufgeräumt, dass sie den Besucherinnen und Besuchern in guter Erinnerung bleiben werden. Ich bin der Meinung, dass Gebäude in landschaftlich reizvollen Gegenden besser 93

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

»In Bezug auf die Malerei sagte Yun ­Shouping: ›Dunkles Blau und Grün sind schwierige ­Farben, es ist leicht, sie dickflüssig aufzutragen, aber schwierig, sie verdünnt zu verwenden. Und mit verdünnten, blassen Farbtönen eine Tiefe und Substanz herauszuarbeiten ist noch schwieriger.‹ Der Gartenbau folgt ­denselben Grundsätzen, prinzipiell das Leere in das

S­ ubstanzielle und das Substanzielle in das Leere zu bringen; Leichtigkeit zu erreichen, ohne kümmerlich zu wirken, und Stattlichkeit zu erreichen, ohne schwer zu wirken. Wenn diese Prinzipien befolgt werden, bleibt der natürliche Charme erhalten.«

so platziert werden sollten, dass sie nicht sofort ins Blickfeld geraten, man sollte sie eher verstreut als dicht an dicht und eher niedrig als hoch bauen, und es wäre schön, wenn sie die Hänge zierten, anstatt als architektonische Monstrosität aufzufallen. Die Gebäude sollten in ihrem Stil abwechslungsreich und von reizvoller Schlichtheit sein. Ihr Standort muss geschickt gewählt werden, sodass sie sich in die Umgebung einfügen. Gästehäuser darf man gern wie gewöhnliche Wohnhäuser gestalten, mit verwinkelten Gängen und kleinen Höfen, die von reichlich Laub beschattet und von geweißelten Mauern umgeben sind. Der Aufenthalt in einem solchen Haus ist sehr angenehm, ein Gast kann sich hier allein zurückziehen, er kann auch Freundinnen und Freunde beherbergen und hier sowohl die Annehmlichkeiten eines städtischen Wohnsitzes als auch die Schönheit der Wildnis genießen. In seinem Werk Verträumte Erinnerungen von Tao’an schrieb Zhang Dai aus der späten Ming-Dynastie, was er im Garten von Fan Changbai8 (GaoyiGarten auf dem Tianping-Hügel in Suzhou in der Provinz Jiangsu) sah: Ein langer, mit Weiden- und Pfirsichbäumen gesäumter Damm umgibt den See, über den eine Zickzack-Brücke zum Garten führt. Wenn man durch den niedrigen Torbogen in den Garten geht, sieht man einen langen Korridor sowie einige Mauern, die die Szenerie dahinter abschirmen. Der lange Korridor führt zum Fuße eines Hügels, an den sich bemalte Häuser und Lauben mit verhangenen Fenstern schmiegen. Diese Gebäude sind so abgeschieden, dass sie einem ein Gefühl von Privatsphäre vermitteln. Ein anderer Schriftsteller, Mao Qiling9, schrieb in seinen Schriften von Frauen über das tägliche Leben in kaiserlichen Gemächern einige biografische Skizzen über eine kaiserliche Konkubine aus Yangzhou, die vom Ming-­ Kaiser Chongzhen sehr begünstigt wurde: [Sie] war der erhabenen Wohnräume, die der Kaiserin und den kaiserlichen Konkubinen hinter schweren Türgittern und großen Fenstern vorbehalten waren, so überdrüssig, dass sie sich in einem Nebengebäude einrichtete. Dieses war mit niedrigen Schwellen und geschwungenen Balustraden versehen, mit breiten vergitterten Fenstern abgeschirmt und mit einem Sammelsurium von aus Yangzhou beschafften Utensilien, Betten und Matten ausgestattet. Diese beiden Zitate mögen als Beweis dafür dienen, dass meine Bemerkungen über den Bau von Gästehäusern an landschaftlich reizvollen Orten nicht abwegig sind. Es liegt auf der Hand, dass sowohl Gärten als auch Gebäude räumlich tiefer wirken, wenn man sie unterteilt; ansonsten wirken sie eher flach. Zur Raumaufteilung kann alles Mögliche verwendet werden: Steingärten, Gänge, Brücken, Mauern, Paravents, Vorhänge, Trennwände, Bücher­regale oder antike Regale. In früheren Zeiten wurden manche Schlafzimmer 96

mit Baldachinen, Bettvorhängen und Musselin-Vorhängen ausgestattet, die denselben Zweck erfüllten. Ebenso werden in japanischen Häusern kleine Schlafzimmer mit Matratzen auf dem Boden durch Paravents oder Papiertrennwände unterteilt. Heute sind die Gästehäuser und Restaurants am Westsee meist so imposant wie Paläste. Das Louwailou-Restaurant auf dem Einsamen Hügel, ein neuerer Bau, übertrifft sogar die Wolkenhalle im Sommerpalast an Größe. Man könnte das Restaurant auch in »Halle der höchsten Harmonie« umbenennen, der Name würde seine Größe besser zum Ausdruck bringen. Aber selbst die Halle der höchsten Harmonie in der Verbotenen Stadt in Beijing hat Paravents und Säulen als Raumteiler, ­während die großen Restaurants von heute eher an riesige Sporthallen ­erinnern. Oft werden an landschaftlich reizvollen Orten Hügel aufgerissen und zerlegt, um Platz für einen Festsaal zu schaffen, als ob dort eine Kaserne gebaut würde. Mit Landschaftspflege hat das nichts zu tun. Was für eine Verschwendung von Geld und Arbeitskraft! In den alten Gärten errichtete man links und rechts kleine Hallen, eine große Halle gab es nie. Jetzt haben wir riesige Gästehäuser, große Bankettsäle, überdimensionale Fresken, ­gigantische Vasen und ausgedehnte Miniaturlandschaften in Ziertöpfen. Es scheint, als ob alles, was groß ist, gut wäre. Welch ein Trugschluss! Es ist nun mehr als ein Jahr her, dass ich das letzte Mal in Suzhou war. Und ich träume immer noch von seinen berühmten Gärten und historischen Stätten. Kürzlich erhielt ich einen Brief von einem Freund, Herrn Wang Xiye10. In dem Schreiben heißt es: Auf den Ruinen des Ostberg-Tempels, der im Osten am Fuß des Tigerhügels liegt, wird ein Bonsai-Garten angelegt, dessen Ausmaße unbeschreiblich sind. Der Ostberg-Tempel dient der Erinnerung an Wang Xun11. Nur weil er von kleiner Statur war und als Erster Sekretär eines Vizepremierministers diente, bekam er von späteren Generationen den Spitznamen »Kleiner Sekretär«, und dementsprechend wurde der Tempel auch »Tempel des kleinen Sekretärs« genannt. Wang Wan12 aus der Qing-Dynastie schrieb zum Andenken an ihn folgenden Vers: »[Sein] Haus war im Garten der langen Insel an einem smaragdfarbenen Fluss, er selbst hielt sich im Tempel des kleinen Sekretärs am grünen Hügel auf.« Ein anderer Dichter, Chen Pengnian13, erinnerte in

Es liegt auf der Hand, dass sowohl Gärten als auch Gebäude räumlich ­tiefer wirken, wenn man sie unterteilt; ansonsten wirken sie eher flach. 97

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

»Die Schönheit der Berge und Wälder liegt in ihrer Natürlichkeit, daher gilt es das zu ­erhalten, was wirklich und ursprünglich ist. Gebäude unterscheiden sich von ­Gärten ­dadurch, dass Erstere dazu dienen, die Landschaft reliefartig hervorzuheben. Es ist ein ähnlicher Unterschied wie der zwischen einem Brokatstoff und seinem Muster. Das Muster

verschönert den Brokat, aber es sollte niemals den Brokat selbst in den Schatten stellen.«

einem Gedicht an ihn: »Wieder streicht die Frühlingsbrise über die Steine von Daosheng14, und der Tempel des kleinen Sekretärs wird von der Abendröte gefärbt.« Diese Zeilen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, weil sie nicht nur die tiefen Gefühle der Dichter für die Verstorbenen zum Ausdruck bringen, sondern auch wie ein Landschaftsgemälde so viel Schönheit einfangen. Heute wird an der Stelle dieses Tempels ein riesiger Steingarten mit Gelblichen Sandsteinen errichtet. Das fügt dem natürlichen Charme der ganzen Anlage großen Schaden zu. Obwohl es sich nur um einen Hügel handelt, kann der Tigerhügel in Sachen Schönheit mit weltberühmten Bergen konkurrieren. Da er halb hinter einem Tempel verborgen ist, wirkt der kleine Hügel recht imposant, und der Schwertteich, so flach er auch ist, wirkt recht tief, da an einer Seite eine hohe Klippe steil aufragt. Die unzähligen Spruchpaare und Gedichte, die Berühmtheiten zum Lob des Tigerhügels verfasst haben, haben ihm noch zusätzliche Bedeutung verliehen. Heute wird jedoch vor der Anhöhe ein Steingarten aufgeschüttet. Das ist schlicht und einfach fehl am Platz, mir scheint, der übergescheite Planer macht sich hier zum Narren. Wenn Sie sähen, was hier passiert, würden Sie sicher vor lauter Enttäuschung die Hände ringen. Ich sehe das genauso wie Herr Wang. Ich fürchte, dass der Projektleiter versäumt hat, die notwendigen Unterlagen zu konsultieren, und er zudem keine Ahnung von der Geschichte dieser historischen Anlage hatte. Und was noch schlimmer ist, er war höchstwahrscheinlich von der Idee besessen, dass alles, was groß ist, gut sei. Die Gesamtgestaltung eines landschaftlich reizvollen Ortes sollte so erfolgen, dass sowohl ein angenehmes Mikroklima als auch ein attraktives Landschaftsbild entsteht. Oftmals werden jedoch schöne Landschaften auf Kosten des lokalen Klimas geschaffen. Als ich im Juli letzten Jahres den Westsee besuchte, wurde ich von den Landschaftsgärtnerinnen und Landschaftsgärtnern eingeladen, die Goldene Sandbucht15 zu besichtigen. Ich ging in der Abenddämmerung zur Bucht, als die anhaltende Hitze des ­Frühsommers noch etwas drückend war, wanderte in den nahe gelegenen Wald und war erstaunt, dass hier von der schwülen Sommerhitze nichts mehr zu spüren war. Stattdessen wehte eine kühle Brise über einen murmelnden Bach und anmutige Bambushaine. Ich fühlte mich wie im Märchenland. Auf der anderen Seite des Westsees, gegenüber der Bucht, schaute ich auf den südlichen Hügel. Er war teilweise in Nebelschleier gehüllt, durch die Schwaden sah ich sein Grün mit dunkleren Farbtupfern. Der ganze ­Anblick wirkte wie ein Bild, das mit Tusche und Wasser und leichten Pinselstrichen gemalt worden war. Da hatte ich das Gefühl, dass im Vergleich zu diesem Bild »die wunderbar warme Brise des Südwinds lächerlich war und mich der Anblick der schönen Xishi16, tanzend im regenbogenfarbigen ­Gewand, nicht halb so sehr bezaubern könnte«17. Obwohl ich selbst an einem See aufgewachsen bin, habe ich noch nie ein so reines Ver­gnügen 100

genossen. Das eigentliche Ziel bei der Planung und Gestaltung dieses male­rischen Ortes musste darin bestehen, dieses kühle Fleckchen von der Hitze, die außerhalb der Bucht herrscht, unberührt zu halten. Wäre diese erfrischende Kühle erst einmal gestört, würde auch eine Vielzahl von Lauben und ­Pavillons nichts daran ändern, dass man hier gegen die obersten Prinzipien des Gartenbaus verstoßen hätte. Die Goldene Sandbucht ist ein Garten mit viel Wasser. Seine Gebäude und Brücken sollten direkt am Wasser stehen, damit sie sich auf der ruhigen Wasseroberfläche spiegeln. Welch ein Vergnügen, sich von der kühlen, sanften Brise streicheln zu lassen, die von den schlanken Pflanzen im üppigen Bambushain ausgeht, und sich vom Duft berauschen zu lassen, der über die Lotusteiche weht, umgeben von sich wiegenden Wolken aus Blattgrün inmitten der Schönheit der Natur. »Es ist schwierig, Hügel und Flussufer mit strohgedeckten Pavillons und kleinen Lauben zu schmücken, nur ein begnadeter Designer ist einer solchen Aufgabe gewachsen.«18 Wenn man aber geschickt hier und da ein Sommer­ häuschen oder Bambusbänkchen hinstellt, wird dies die schlichte Schönheit des Westsees noch verstärken. Ich wünsche mir aufrichtig, dass diese Sommerfrische gut gepflegt wird, damit ich im Alter von Zeit zu Zeit auf einen Stock gestützt zurückkehren kann, um Muße und Ruhe zu finden. Die Stadt Tongli im Kreis Wujiang ist ein herausragendes Beispiel für die idyllische Schönheit der wasserreichen Landschaft in der Region ­Jiangnan. Sie ist von Flüssen umgeben, und die Häuser stehen einander gegenüber, alle liegen am Wasser. Alles in der Stadt, seien es Straßen, Märkte oder Gärten, wird durch das Wasser geformt. Ren Lansheng19 und seine Familie beschritten neue Wege in der Gartengestaltung, ihr Garten der tiefen Besinnung übertraf jeden anderen in der Gegend, es ist ein wirklich einzigartiger Wassergarten. Alle künstlichen Berge, Pavillons, Säle, Korridore und Veranden sind dicht über der Wasseroberfläche gebaut, sodass der gesamte Garten auf dem Wasser zu schweben scheint. Es entsteht ein ganz anderer Eindruck als im Garten des Meisters der Netze in Suzhou. Der Garten der tiefen Besinnung liegt inmitten von Gewässern, während der Garten des Meisters der Netze an ein Gewässer grenzt. Mit »an ein Gewässer grenzen« meine ich, dass die Gebäude und künstlichen Berge das Wasser aus einiger Entfernung überragen, obwohl sie am Wasser errichtet wurden. Daher unter­scheiden sich ein Garten am Wasser und ein Garten inmitten von Wasser stilistisch stark voneinander. Obwohl beide Gärten die Wasserlandschaft gut nutzen, hat jeder seinen eigenen Stil, der auf eine ausgeklügelte Planung seitens des Gestalters zurückzuführen ist. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig Planung und Gestaltung sind. Meiner Meinung nach sollten die Gebäude in großen Gärten direkt am Wasser errichtet werden, während die Gebäude in kleinen Gärten so zu bauen sind, dass sie sich an das Wasser anschmiegen. In beiden Fällen ist die Höhe der Uferlinie der Schlüssel. In chinesischen Gärten findet sich am häufigsten stehendes Wasser. Deshalb nannte Xu ­Zhousheng20 die Bibliothek, die er in Hangzhou errichten ließ, 101

Garten des Meisters der Netze Foto von Lv Hengzhong

»Es liegt auf der Hand, dass sowohl Gärten als auch Gebäude räumlich tiefer wirken, wenn man sie unterteilt; ansonsten wirken sie eher flach. Zur Raumaufteilung kann alles ­Mögliche verwendet werden: Steingärten, Gänge, ­Brücken, Mauern, Paravents, Vorhänge, ­Trennwände, Bücherregale oder antike Regale.«

Wir dürfen keine hohen ­Gebäude oder Fabriken am Fuß von Bergen bauen, weil sie deren Ausläufer ­abschneiden könnten.

Haus der Besinnung auf stillen Wassern21, ein Name, der aus der chinesischen Philosophie stammt und die dialektische Sichtweise des »Innehaltens, um die Bewegung zu begreifen« zum Ausdruck bringt. Wasser passt sich der Uferlinie an, durch Dämme kann man es unterteilen. Blumen kann man da hinpflanzen, wo Schmetterlinge herumflattern sollen, Felsen dort aufstellen, wo sie dann von feinem Dunst umhüllt werden. Wenn man also die vorhandenen Gegebenheiten klug nutzt, entsteht etwas, das von großem ästhetischem Reiz sein kann. Eine geschickte Gestaltung kann die Schönheit von Hügeln und Gewässern erheblich steigern. In kleinen und mittelgroßen Städten, in denen sich Hügel, Flüsse oder Seen nutzen lassen, wird eine sorgfältige Gestaltung alle von der Natur gegebenen Elemente in Wunder der Schönheit verwandeln. Die Perlenquelle22 in Jinan in der Provinz Shandong ist landesweit berühmt für ihr sprudelndes, kristallklares Wasser. Eines Tages besuchte ich die Quelle in der Morgendämmerung, als der ganze Ort in zartes Licht getaucht war. Die frische Morgenluft war einfach überwältigend. Ich habe mich in der freundlichen, ruhigen Atmosphäre sehr entspannt und lebendig gefühlt. Aber leider war der Ort, als ich ihn später wieder besuchte, nicht wiederzuerkennen. Die riesigen, aus Gelblichen Sandsteinen aufgetürmten künstlichen Berge wirkten bedrohlich, die hoch aufragenden Gebäude rund um die Quelle einfach nur bedrückend. Du Fu schrieb in seinem Gedicht Der Blick auf den Berg Tai: »Ich bin entschlossen, den Gipfel zu erreichen, von dem aus alle umliegenden Berge wie Zwerge aussehen.« Wie verblüffend, dass diese Zeilen an der Perlenquelle ihren Niederschlag gefunden haben! Die Hügel sehen aus wie Zwerge, auf deren Gipfeln sich riesige ­Gebäude erheben. Über die kleinen Bäche spannen sich überdimensionierte Brücken. Die Autos, die auf der Schnellstraße am Hang entlangfahren, ­wirbeln Staubwolken auf. Diese groteske Planung, bei der klotzige Bauwerke auf begrenztem Raum platziert werden, entspricht weder traditionellen noch modernen Theorien; sie ist weder chinesisch noch westlich, sondern einfach vollkommen unangebracht. Können wir es uns leisten, bei der ­Gestaltung von Gärten so skrupellos vorzugehen? Ganz anders als die Perlenquelle ist der Zehn-Notiztäfelchen-Garten23 in der Stadt Weifang, Provinz Shandong. Der Garten heißt so, weil er ziem104

lich klein ist. In diesem Garten gibt es einen Teich, gesäumt von hügligen Uferwegen mit gewundenen Korridoren, die auf den Wellen zu schweben scheinen. Die sorgfältig geplante Szenerie verleiht dem Ort eine besondere Anmut. Inspiriert von seiner Eleganz, habe ich folgende Zeilen geschrieben: Obwohl ich alt bin, zieht es mich unwiderstehlich zu Flüssen und Seen, beim Anblick schöner Gärten und Landschaften geht mir das Herz auf. So klein die Lauben und Pavillons des Zehn-Notiztäfelchen-Gartens auch sein mögen, die Gefühle, die sie in mir wecken, sind überwältigend, ich verweile zwischen den Felsen und Steinen am Wasser, und mein Herz ist von zärtlicher Zuneigung erfüllt. Von allen kleinen Gärten in Nordchina ist der Zehn-Notiztäfelchen-Garten der einzige, der die Schönheit des Wassers und der Felsen so reichhaltig nutzt. Der Weg, der zum Gipfel des Tai-Bergs führt, weist achtzehn Kehren auf, von denen jede landschaftlich ganz besonders ist. Auf dem Weg nach oben können die Besucherinnen und Besucher nach Herzenslust einen ­Anblick von erlesener Schönheit nach dem anderen genießen. Wenn sie vom Südlichen Himmelstor hinunterblicken, werden sie von dem majestätischen Anblick begeistert sein, der sich ihnen bietet: Zu ihren Füßen liegt eine Reihe von grünen Bergen, die sich grenzenlos in alle Richtungen er­ strecken. Seit dem Altertum sind unzählige Könige und Kaiser auf den Gipfel gestiegen, um sich vor Himmel und Erde zu verneigen. Wenn die kaiserlichen Fahnen auf dem Gipfel flatterten, schienen alle umliegenden Berge zu salutieren. Mit einer Seilbahn geht der Auf- und Abstieg freilich zügig vonstatten. Aber Zeit und Muße für die Sehenswürdigkeiten hat man so nicht, wenn man als Frachtgut von einem Ort zum nächsten transportiert wird. Ich vermute, dass Besucherinnen und Besucher bei einer Fahrt mit diesen Schandflecken in der Natur nie verstehen werden, was es eigentlich bedeutet, die »achtzehn Haarnadelkurven« zu bezwingen, um dem Gipfel des Jadekaisers zu huldigen. Wenn man auf dem Tai-Gipfel steht, hat man das aufregende Gefühl, dass einem die Welt zu Füßen liegt. Als ich einmal über den Unterschied zwischen dem Reisen als Fortbewegung und dem R ­ eisen als Genuss sprach, habe ich festgestellt, dass es bei Ersterem um Tempo geht, während Letzteres mit Hast und Eile nicht vereinbar ist. Wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, werden wir den berühmten Bergen nicht gerecht. Ich sage nicht, dass man Seilbahnen abschaffen sollte. Was ich damit sagen will, ist, dass Seilbahnen zwar das Reisen erleichtern, aber das Vergnügen daran nicht unbedingt erhöhen. Wir dürfen keine hohen Gebäude oder Fabriken am Fuß von Bergen bauen, weil sie deren Ausläufer abschneiden könnten. Doch zu meinem großen Bedauern stößt man fast überall auf solch sinnlose Projekte. K ­ ürzlich besuchte ich den Schwalbenfelsen24 und den Abendlichttempel25 in Nanjing. 105

Garten des Verweilens Foto von Lv Hengzhong

»Gärten sollte man eher pflegen und erhalten als erneuern. Bei Bäumen muss man dem Schnitt der alten Bäume mehr ­Aufmerksamkeit schenken als dem Pflanzen von neuen. Ein Garten mit alten Hügeln und frischem ­Wasser, in dem die Vögel singen und die Pflanzen ­gedeihen, ist zu jeder Jahreszeit schön.«

An diesen beiden Orten deutet nichts auf eine schöne Anlage hin, bis die Besucherinnen und Besucher direkt davorstehen. Nirgends öffnet sich einem das Panorama, ein Gefühl, wie einer Oper ohne Ouvertüre beizuwohnen, in der der Protagonist die ganze Zeit mutterseelenallein auf der Bühne steht. Beim Schwalbenfelsen hat man zum Beispiel nur auf der dem Changjiang-Fluss zugewandten Seite noch etwas von seinem ehemaligen Charme bewahrt. Alle anderen Seiten sind in schwarze Rauchschwaden gehüllt, die sich so ungestüm wie der reißende Changjiang fortbewegen. Auf dem Schwalbenfelsen sitzend, fiel mir nur noch ein spöttischer Reim ein: »Schwalbe, oh Schwalbe, warum fliegst du nicht weg? Wenn du weiter hier hockst, wirst du sterben vor Schreck.« Ich würde einen weiteren Besuch an diesem altehrwürdigen Ort leider nicht mehr ertragen. Am Fuß von Bergen und Hügeln sollte man keine hohen Gebäude oder Fabriken errichten, aber niedrige Strukturen sind unverzichtbar. Wenn man einige flache Gebäude dazwischensetzt, behält die Landschaft ein gewisses Maß an Tiefe und Ruhe. So kann man einen Berg in die Ferne rücken, indem man seine Basis verdeckt. In den letzten Jahren hat sich der Widerspruch zwischen der Er­haltung landschaftlich reizvoller Gebiete und der Entwicklung von Industrie und Bergbau immer mehr verschärft. Nicht selten geht man dabei vor wie jemand, der die Henne tötet, um an die Eier zu kommen. So wird beispielsweise der Mufu-Berg in Nanjing für den Abbau von Mineralien erschlossen. Und der Qixia-Berg wird wegen seines Silbervorkommens abgetragen. Ein solches Vorgehen ist nicht anders, als wenn man eine Fabrik, die keinen Rauch ausstößt, durch eine Fabrik mit qualmenden Schloten ersetzt. Oder wenn man endliche Ressourcen durch die Zerstörung unerschöpflicher ­Ressourcen ausbeutet: Am Ende ist beides weg. Wir sollten die Dinge aus einer langfristigen Perspektive betrachten und Gewinn und Verlust vorsichtig abwägen. Ich hoffe aufrichtig, dass die Machthaber dieses Problem nicht auf die leichte Schulter nehmen. Bei historischen Stätten sollte man sich auf das konzentrieren, was historisch ist, und alles, was nicht dazu passt, muss ausgeschlossen werden. Die Fernsehtürme am Nordberg26 in Hangzhou und am Trommelturm von Nanjing 27 sind schockierende Beispiele dafür, wie man es nicht machen darf. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch klarstellen, dass an landschaftlich reizvollen Orten die Landschaft Vorrang haben sollte, während an Orten von historischem Interesse das Historische im Fokus stehen muss. Nichts anderes darf Vorrang haben. Andernfalls wird die landschaftliche Schönheit unseres Landes zerstört und unser reiches Kulturerbe mit Füßen getreten. Als Gouverneur der Präfektur Hangzhou veranlasste Bai Juyi28 aus der Tang-Dynastie die Ausbaggerung des Westsees und den Bau des ­Bai-Damms. Er hatte dabei nie vor, auch landwirtschaftliche Anbauflächen zu gewinnen. Su Shi aus der Song-Dynastie leitete ähnliche Projekte ein. Ruan Yuan29 aus der Qing-Dynastie setzte die Arbeit seiner weisen Vor108

Gärten unterscheiden sich ­aufgrund ihrer jeweiligen Standorte und ­klimatischen Bedingungen.

gänger fort. Sie werden seit Hunderten von Jahren geachtet, und noch heute stehen die Tempel zu Ehren von Bai Juyi und Su Shi auf dem Einsamen Hügel im Norden des Westsees. Yu Dafu30 drückte das mit den Worten aus: »Der von Weiden gesäumte Damm heißt immer noch Su.« Für das Gedeihen einer Stadt muss man sich ihre Vorteile zunutze machen. Der Westsee ist die Lebensader von Hangzhou, sein Ruin würde den Niedergang der Stadt bedeuten. Gerade wegen des Westsees hat die Regierung klugerweise beschlossen, Hangzhou zu einem Touristenzentrum auszubauen. Bei der Stadtplanung muss man jeden einzelnen Aussichtspunkt unter Berücksichtigung des Gesamtbilds im Auge behalten. Wir müssen dafür sorgen, dass Berge und Flüsse einen herrlichen Kontrast bilden und sich gegenseitig in Szene setzen. Man könnte zum Beispiel die Hügel am Qiantang-Fluss noch einmal attraktiver machen, denn die hügelige Landschaft am Fluss mit den in den Tälern gelegenen Seen ist sicherlich die schönste in der Umgebung von Hangzhou. Bei der Auswahl von Bäumen für historische Stätten müssen wir das Wort »antik« im Hinterkopf behalten. Der Torbogen zum Qingliang-Berg31 in Nanjing trägt eine horizontale Tafel mit der Aufschrift »Relikte der sechs Dynastien«32. Doch hinter dem Torbogen stehen Himalaya-Zedern entlang des Wegs. Waren die auch schon im 6. Jahrhundert hier? Es ist lächerlich, chinesische historische Stätten mit modernen oder westlichen Ornamenten zu schmücken. Bei der Restaurierung historischer Stätten geht es nicht nur darum, alte Gebäude instand zu setzen. Auch die Umgebung, die Atmosphäre und die Ausstattung sollten berücksichtigt werden, damit sie mit den Aussagen in den historischen Dokumenten übereinstimmen. Wenn man die Geschichte nicht berücksichtigt, wären solche Orte allenfalls von landschaftlichem Interesse. Die Weiden in Taicheng33 widerstehen dem Wandel der Zeiten; wie einst stehen sie an ihrem langen, langen Damm in einen grünen Nebelschleier gehüllt.34 Versteht jemand die Bedeutung dieser Zeilen? Die Menschen von heute zwingen der Vergangenheit sehr oft ihre Vorlieben und Abneigungen auf. Vor einiger Zeit wurde die Residenz von Pu Songling35 reichlich 109

­ mdekoriert. Wäre der alte Gelehrte noch am Leben, würde er in diesem u Herrenhaus sein schlichtes Arbeitszimmer bestimmt nicht wiedererkennen. Glücklicherweise haben sich einige Leute an die verdienstvolle Aufgabe ­gemacht, das alte Aussehen wiederherzustellen. Gärten sollte man eher pflegen und erhalten als erneuern. Bei Bäumen muss man dem Schnitt der alten Bäume mehr Aufmerksamkeit schenken als dem Pflanzen von neuen. Ein Garten mit alten Hügeln und frischem Wasser, in dem die Vögel singen und die Pflanzen gedeihen, ist zu jeder Jahreszeit schön. Läden und Marktstände passen meiner Meinung nach nicht in einen Garten. Wenn unbedingt nötig, sollte man darauf achten, dass sie das Landschaftsbild nicht beeinträchtigen. Beim Gartenbau muss neben der Funktion auch die Form berücksichtigt werden. In früheren ­Zeiten bestimmten die Funktion und die tatsächlichen Bedürfnisse den Bau jedes einzelnen Pavillons, jedes Hauses, das man ans Ufer baute, und jeder einzelnen Biegung eines Korridors. Ein jegliches Zuviel und jeglicher Prunk sollten vermieden werden. Es ist dasselbe wie beim Schreiben von Prosa und Poesie, wo Redundanz ein Makel ist. Alle diese Dinge haben eines ­gemeinsam: Ein Mangel an sorgfältiger Planung rächt sich beim Gartenbau genauso wie beim Schreiben, denn Gärten wie auch Schriften vermitteln Ideen. Das ist einer der Gründe, warum ich behaupte, dass es genauso schwierig ist, einen kleinen Garten anzulegen, wie ein vierzeiliges Gedicht zu schreiben. In seinem Werk Die Aufteilung des Gartens des Glücks schrieb Wang Shimin36: Es geschah, dass Zhang Nanyuan aus Yunjian37 eintraf, dessen Kunstfertigkeit so gut ist wie die Natur. Er tat sein Bestes, um mich zu überreden, einen Garten anzulegen. […] Also wurden Teiche gegraben, Bäume gepflanzt und ein Steingarten angelegt. Das Projekt begann im Jahr 1620 und dauerte ­mehrere Jahre, in denen der Garten viermal umgebaut wurde. Im Garten führen heute gewundene Steintreppen zum oberen Teil des Steingartens. Große Teiche bieten mit ihrem ruhigen Wasser und den sie umgebenden üppigen Bambushainen einen schönen Anblick. Der gesamte Garten wirkt wie ein einheitliches Ganzes, als wäre er ein Werk des Himmels. Seine kühlen ­Galerien und Veranden mit tiefen Nischen sind angemessen angeordnet. Bäume und Blumen vor den Fenstern heben sich wohltuend ab. Mit all den schönen ­Hainen, Teichen, Galerien und Häusern am Wasser ist der Garten ein ­Wunder an Schönheit. Trotz Zhang Nanyuans hervorragender Kunstfertigkeit wurde der ­Garten viermal umgebaut, um Perfektion zu erreichen. Dies ist ein weiterer B ­ eweis dafür, dass der Gartenbau mit großer Sorgfalt durchgeführt werden muss. Oft sind Umgestaltungen notwendig, bevor das Werk vollkommen ist. Daher sollten Planerinnen und Planer in der Anfangsphase Raum für zukünftige Verbesserungen lassen. Wenn man sich mit einem Garten 110

­ eschäftigt, sollte man in erster Linie seine Quintessenz und Atmosphäre b ergründen und dann versuchen, ihn zeitlich einzuordnen. Im Grunde geht man vor wie beim Schätzen einer Antiquität. Aber natürlich sollten alle Gärten irgendwann einmal überarbeitet werden. Bei einer tatsächlichen ­Renovierung verschafft man sich zunächst einen Überblick über die Anlage und den Zustand und beschäftigt sich dann mit den einzelnen Teilen. Sich nur aufgrund einzelner Teilbereiche ein Urteil zu bilden, ohne das Ganze im Blick zu haben, ist ebenso falsch, wie wenn man sich in Nebensächlich­keiten verzettelt, ohne die eigentliche Qualität des Gartens erkannt zu haben. Mit so einem Ansatz kommt man nicht zu einem fundierten Urteil. Beeindruckende Berge und Flüsse, historische Stätten und ­berühmte Gärten wirken durch ihre Ausstrahlung, ihre Energie oder auch Quint­ es­senz (气, qì). Dies ist der Grund für den weltweiten Ruhm der Fünf ­Heiligen Berge. Wenn bei der Landschaftsplanung an besonderen Orten nicht ­berücksichtigt wird, wie wichtig diese Energie ist, endet das Projekt mit Sicherheit in Geschmacklosigkeit, letztendlich schmälert man so die ­natürliche Erhabenheit und Schönheit. Ich habe mehrere Höhlen in den Provinzen Jiangsu und Zhejiang besucht. In diesen Höhlen hat man die von Natur aus wunderbar grotesken Felsen in geschmacklose und sogar ekelerregende Formen verwandelt. Ich habe mich darüber oft so geärgert, dass ich anfing zu schreien: »Gebt mir die Natur zurück!« Dies ist leider nur ein Beispiel für einen Eingriff in die Natur, vielleicht ist hier ja noch etwas zu retten. Wenn man aber eines Tages damit beginnen würde, große Villen und Fernsehtürme zu errichten, Autobahnen zu bauen und Seilbahnen zu konstruieren, wäre das eine Katastrophe, denn solche Bauwerke zerstören die Energie des Ortes. Hier ist dringend äußerste Vorsicht geboten, jede Unachtsamkeit kann zu einem nicht wiedergutzumachenden Verbrechen führen. Gärten unterscheiden sich aufgrund ihrer jeweiligen Standorte und klimatischen Bedingungen. Jeder Garten ist besonders, was sowohl an den Bedingungen des Standorts als auch seinen charakteristischen Merkmalen liegt. Selbst Gärten in ein und derselben Region sollten sich in ihrem Stil unterscheiden. So gibt es Stadtgärten, Vorstadtgärten, Gärten in der Ebene oder Gärten in Hanglage, man darf nicht versuchen, alle Gärten gleich ­aussehen zu lassen. Die lokale Kunst und Kultur, die Sitten und Gebräuche der Menschen, die Flora und die geografischen Gegebenheiten – all das kann den Gärten Vielfalt verleihen. Es ist die Aufgabe der Gestaltenden, all diese Faktoren optimal zu nutzen. Aus diesem Grund sollte ein Gartengestalter oder eine Gartengestalterin sowohl einfallsreich als auch sachkundig sein. Über die Malerei sagte Yun Shouping: »Charme resultiert aus Natürlichkeit und Anmut, das Interessante hingegen aus wunderbaren Variationen.«38 Dies lässt sich auch auf die Anlage von Gärten und die Gestaltung 111

von Aussichtspunkten übertragen. Heutzutage neigt man dazu, zu viele Sehenswürdigkeiten in einem Garten unterzubringen. Diese Praxis führt zwangsläufig zum Verlust des natürlichen Charmes, eine aufgeblasene Gartenanlage beeinträchtigt die Faszination. Der Charme mag aus Büchern stammen, aber der Glanz kann nur durch die unverwechselbare Persönlichkeit eines Gartens wahrgenommen werden. So weit meine bescheidenen Anmerkungen zu den Orten, die ich während meines einjährigen Streifzugs besucht habe.

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Anm. d. Übers.: Das ist das Gedicht Ein Quatrain für Zhenzhou (真州绝句, Zhēnzhōu juéjù) von Wang Shizhen. Anm. d. Übers.: Diese Zeile entstammt dem Ci-Gedicht Huanxisha – Rote Brücke (浣溪沙·红桥, Huànxīshā·Hóngqiáo) von Wang Shizhen. Anm. d. Übers.: Diese Zitate entstammen dem Buch Anmerkungen zu Gemälden vom Haus des Duftes von Ou (瓯香馆画跋, Ōuxiāngguăn huà bá) von Yun Shouping. Anm. d. Übers.: Qian Chengzhi (钱澄之, Qián Chéngzhī, 1612–1693) war ein patriotischer Kämpfer der späten Ming-Zeit und ein herausragender Literat, der die chinesische Poesie maßgeblich beeinflusst hat. Anm. d. Übers.: Wu (吴, Wú), Region in der heutigen Provinz Jiangsu. Anm. d. Übers.: Die Zitate entstammen dem Bericht über den KorkbaumbergGarten (黄檗山居记, Huángbò shānju jì) von Qian Chengzhi. Anm. d. Übers.: Ebd. Anm. d. Übers.: Fan Yunlin (范允临, Fàn Yˇunlín, 1558–1641) wurde auch Fan Changbai (范长白, Fàn Chángbái) genannt, er war ein Kalligraf und Maler der Ming-Zeit und der Schwiegersohn von Xu Taishi (徐泰时, Xú Tàishí, 1540– 1598), dem ersten Besitzer des Gartens des Verweilens in Suzhou. Anm. d. Übers.: Mao Qiling (毛奇龄, Máo Qílˇıng, 1623–1716), auch Mao Dake (毛大可, Máo Dàkě) oder Xihe (西河, Xīhé) genannt, war ein chinesischer Gelehrter und Philologe der frühen Qing-Dynastie. 1679 nahm er an einer besonderen Ehrenprüfung teil, die der Kaiser Kangxi abhielt, um Gelehrte zu gewinnen, die sich noch nicht zur neuen Dynastie bekannt hatten, und bestand diese. Daraufhin wurde er mit der Zusammenstellung der offiziellen Geschichte der Ming-Dynastie beauftragt. Als Universalgelehrter verfasste Mao Werke über die konfuzianischen Klassiker und andere Themen wie Phonetik, Musik, Geschichte oder Geografie. Nach Maos Tod wurden seine Schriften in den Gesammelten Werken von Xihe (西河合集, Xīhé héjí) veröffentlicht. Schriften von Frauen über das tägliche Leben in kaiserlichen Gemächern (彤史拾遗记, Tóng shˇı shíyí jì) ist eines seiner Werke. Anm. d. Übers.: Wang Xiye (王西野, Wáng Xīyě, 1914–1997) war lange Zeit im Bildungsbereich tätig und hat als Professor an der Tongji-Universität gearbeitet. Später ließ er sich in Suzhou nieder und leistete einen großen Beitrag zur Restaurierung und Aufwertung der Gärten und Sehenswürdigkeiten von Suzhou. Anm. d. Übers.: Wang Xun (王珣, Wáng Xún, 349–400) war ein chinesischer Kalligraf aus der Jin-Dynastie. Anm. d. Übers.: Wang Wan (汪琬, Wāng Wˇan, 1624–1691) war ein Gelehrter und Prosaschriftsteller der frühen Qing-Zeit. Er stammte aus Suzhou und ­erwähnt in diesem Gedicht zwei Orte von historischem Interesse, den Garten der langen Insel (长洲苑, Chángzhōu Yuàn) und den Tempel des kleinen Sekretärs (短簿祠, Duˇanbù Cí).

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Anm. d. Übers.: Chen Pengnian (陈鹏年, Chén Péngnián, 1663–1723) war ein Gelehrter und Beamter aus Xiangtan in Hunan. Er absolvierte die höchsten kaiserlichen Prüfungen, hatte eine Reihe von Regierungsämtern inne und starb während seiner Amtszeit als Wasserstraßenbeauftragter. Anm. d. Übers.: Daosheng (道生, Dàoshēng) war ein gelehrter buddhistischer Mönch aus der Liang-Dynastie. Er predigte auf dem Tigerhügel zu Steinen, von denen gesagt wurde, dass sie verständnisvoll nickten. Die Steine wurden daher Daoshengs Steine genannt. Anm. d. Übers.: Die Goldene Sandbucht (金沙港, Jīnshā Gˇang) befindet sich am Westsee in Hangzhou in der Provinz Zhejiang. Anm. d. Übers.: Xishi (西施, Xīshī) ist eine der »Vier Schönheiten« des antiken Chinas. Sie soll in der Frühlings- und Herbstzeit in Zhuji, der Hauptstadt des antiken Staates Yue, gelebt haben. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Gedicht Lotus in der Brise an ­gekrümmtem Hof –Das Gedicht Nr. 7 aus Zehn Gedichten an den Westsee (西湖十咏其七·曲院风荷, Xīhú shíyˇong qíqī · Qūyuàn Fēnghé) von Yin Tinggao (尹廷高, Yˇın Tínggāo, 1254–1312), einem Dichter aus der Yuan-Dynastie. Anm. d. Übers.: Die Zeilen entstammen dem Gedicht Ein Besuch bei Yu-Garten (游愚园, Yóu Yúyuán) von Yu Dafu (郁达夫, Yù Dáfū, 1896–1945), einem Schriftsteller aus Fuyang, Provinz Zhejiang. Der Yu-Garten (愚园, Yúyuán) ist hier eine Gartenanlage in Nanjing, Provinz Jiangsu. Anm. d. Übers.: Ren Lansheng (任兰生, Rén Lánshēng, 1837–1888) war ein hoher Beamter aus Tongli. Er baute den Garten der tiefen Besinnung (退思园, Tuìsī Yuán) als private Residenz. Die Anlage weist den typischen Stil der Gartenbaukunst Südchinas auf und wurde im Jahr 2000 Teil der seriellen UNESCO-Weltkulturerbestätte Klassische Gärten von Suzhou. Seit 2001 steht der Garten auf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China. Anm. d. Übers.: Xu Zhousheng (许周生, Xˇu Zhōushēng, 1768–1819) war ein leidenschaftlicher Büchersammler aus der Qing-Dynastie, der in der Astronomie, Kalenderberechnung und Arithmetik bewandert war. Anm. d. Übers.: Haus der Besinnung auf stillen Wassern (鉴止水斋, Jiàn Zhˇıshuˇı Zhāi) ist der Name der Bibliothek des Büchersammlers Xu Zhousheng in Deqing, Provinz Zhejiang. Anm. d. Übers.: Die Perlenquelle (珍珠泉, Zhēnzhū Quán) ist die drittberühmteste Quelle in Jinan, Provinz Shandong, und befindet sich im Zentrum der Altstadt von Lixia. Anm. d. Übers.: Der Zehn-Notiztäfelchen-Garten (十笏园, Shí Hù Yuán) ist ein nordchinesischer Garten, der auch als Garten der Familie Ding (丁家花园, Dīngjiā Huāyuán) bekannt ist. Er befindet sich in der Stadt Weifang in der Provinz Shandong und wurde 1885 im elften Jahr der Qing-Dynastie auf einer Fläche von 2 000 Quadratmetern angelegt. Anm. d. Übers.: Der Schwalbenfelsen (燕子矶, Yànzi Jī) ist ein kleines, landschaftlich reizvolles Gebiet im nordwestlichen Teil von Nanjing in der Provinz Jiangsu. Der 36 Meter hohe Schwalbenfelsen im Changjiang-Fluss hat die Form einer fliegenden Schwalbe und ist einer der drei berühmten Felsen in Nanjing. Anm. d. Übers.: Der Abendlichttempel (栖霞寺, Qīxiá Sì) ist ein buddhistischer Tempel auf dem Qixia-Berg im Vorort Qixia in Nanjing, Provinz Jiangsu. Er ist eines der wichtigsten buddhistischen Klöster in Nanjing. Anm. d. Übers.: Der Nordberg (北高峰, Běigāofēng) ist ein Berg im Nordwesten des Westsees in Hangzhou, Provinz Zhejiang; mit 314 Metern Höhe ist er einer der höchsten Gipfel in Hangzhou. Anm. d. Übers.: Der Trommelturm von Nanjing (南京鼓楼, Nánjīng Gˇulóu) auf dem Gulou-Berg im Gulou-Bezirk im Stadtzentrum von Nanjing wurde erstmals im 15. Jahr der Herrschaft des Ming-zeitlichen Kaisers Hongwu errichtet. Anm. d. Übers.: Bai Juyi (白居易, Bái Jūyì, 772–846) war ein chinesischer Dichter der Tang-Dynastie. Er war Sohn einer armen, aber gebildeten Familie. Schon im jungen Alter schrieb er erste Gedichte. Im Jahr 800 wurde er in der Kaiserlichen Palastbibliothek Lektor. Ab 822 diente er als Präfekt in Hangzhou und ab 825 in gleicher Funktion in Suzhou.

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Anm. d. Übers.: Ruan Yuan (阮元, Ruˇan Yuán, 1764–1849) war ein chinesischer Mathematikhistoriker, Mathematiker und hoher Staatsbeamter (Gouverneur mehrerer Provinzen). Anm. d. Übers.: Yu Dafu (郁达夫, Yù Dáfū, 1896–1945) war ein chinesischer Schriftsteller aus Fuyang, Provinz Zhejiang. Anm. d. Übers: Der Qingliang-Berg (清凉山, Qīngliáng Shān) ist ein ovaler Hügel im Westen von Nanjing. Der Hügel ist über 100 Meter hoch und hat einschließlich des dazugehörigen Parks einen Umfang von etwa vier Kilometern. Anm. d. Übers.: Bei den sechs Dynastien handelt es sich um das Königreich Wu (222–280), die Östliche Jin-Dynastie (317–420), die Song-Dynastie (420–479), die Qi-Dynastie (479–502), die Liang-Dynastie (502–557) und die Chen-Dynastie (557–589). Alle diese Dynastien hatten ihre Hauptstadt in Nanjing. Anm. d. Übers.: Taicheng (台城, Táichéng), auch bekannt als Yuancheng (苑城, Yuànchéng) oder Jiankang-Palast (建康宫, Jiànkāng Gōng), liegt südlich des Jiming-Berges im heutigen Nanjing und war während der Zeit der Drei Reiche und auch von der Östlichen Jin-Dynastie bis zum Ende der Südlichen Dynastie Sitz des kaiserlichen Hofes. Es steht für die zentralistische Macht und ausschweifende Lebensführung des Kaiserhofes. Anm. d. Übers.: Die zwei Zeilen sind aus dem Gedicht Taicheng (台城, ­Táichéng) von Wei Zhuang (韦庄, Wěi Zhuāng, 836–910), einem Dichter der späten Tang-Zeit. Anm. d. Übers.: Pu Songling (蒲松龄, Pú Sōnglíng, 1640–1715) war ein Schriftsteller aus Zichuan, heute Zibo, Provinz Shandong. Anm. d. Übers.: Wang Shimin (王时敏, Wáng Shímˇın, 1592–1680) war ein Landschaftsmaler der späten Ming- und frühen Qing-Dynastie. Anm. d. Übers.: Yunjian (云间, Yúnjiān), Ortsname des heutigen Bezirks ­Songjiang in Shanghai. Anm. d. Übers.: Das Zitat entstammt dem Buch Anmerkungen zu Gemälden vom Haus des Duftes von Ou (瓯香馆画跋, Ōuxiāngguăn huà bá) von Yun ­Shouping.

Über chinesische Gärten

Teil 5

I

ch möchte an dieser Stelle die Idee der dynamischen und statischen Garten­betrachtung weiter ausführen, die ich im ersten Teil dieses ­Buches zwar ausführlich, aber noch nicht ausreichend behandelt habe. Bewegung und Ruhe stehen in Relation zueinander: Es gibt keine Bewegung ohne Ruhe und umgekehrt. Das Gleiche gilt für die Gartenbetrachtung, bei der die Ruhe in der Bewegung enthalten ist und die Bewegung aus der Ruhe hervorgeht. Aus dem Zusammenspiel der beiden kann eine unendliche Vielfalt an verführerischen Ansichten und fesselnden Szenerien entstehen. Alles lässt sich auf einen Nenner bringen: Wer die Gesetze der Veränderung begreift, versteht die Sprache der Natur. Für Besuche­rinnen und Besucher, die in einem Pavillon sitzen, sind die vorbeiziehenden ­Wolken und das fließende Wasser, die fliegenden Vögel und die fallenden Blütenblätter allesamt Dinge in Bewegung; für Menschen in einem Segelboot oder Fußgängerinnen und Fußgänger hingegen sind die Hügel, Felsen, Bäume und Wälder allesamt Dinge im Stillstand. Ein Fisch, der in einem ruhigen Gewässer schwimmt, ist ein Beispiel für das Zusammenspiel von Bewegung und Ruhe, aus dem sich auf natürliche Weise Schönheit ergibt. So entstehen großartige Gartenszenen oft aus dem Wechselspiel von Bewegung und Stillstand. »Von einem festen Standpunkt aus betrachtet, kann man die ganze Schönheit der Natur erkennen, und die Schönheit der wechselnden Jahreszeiten ändert sich wie die Stimmung der Menschen.«1 Dies gilt bestimmt für den Wandel aller Dinge. Ein Garten ohne Wasser, Wolken, Schatten, Geräusche, Morgendämmerung und Sonnenuntergang ist ein Garten ohne wirkliche Schönheit. Denn diese eher immateriellen Gaben lassen die Schönheit eines Gartens erst richtig zur Geltung kommen. Bewegung gibt es auch in der Ruhe. Wenn man in Ruhe einen Steingarten betrachtet, hat man die Illusion der Bewegung, die rauen, zerklüf­ teten Felsen fügen sich zu einer höchst dynamischen Formation zusammen. Eine fein gekräuselte Wasseroberfläche strahlt trotzdem Ruhe aus. Genauso kann ein Gemälde oberflächlich zwar ruhig, aber dennoch lebendig wirken. Eine ruhende Sache ist ohne Dynamik, wenn sie ohne Leben ist. Der Schlüssel zur Gartengestaltung liegt also in der Beziehung zwischen einem dynamischen und einem statischen Blick auf den Garten. Wenn man dies verstanden hat, beginnt man, das Prinzip der Landschaftsbetrachtung zu beherrschen. Das Physische eines Objekts ist real, während Farbe eine Illusion ist. Für die wahre Schönheit eines Gartens spielt das Reale eine entscheidende Rolle. Dies gilt auch für gute architektonische Entwürfe, die durch die ­Konzentration auf das Reale an Vitalität gewinnen und diese verlieren, wenn die Illusion überwiegt. Mit dem Verlust des Realen wird ein Garten zu einer Theaterkulisse. Mit dem Verlust der Textur werden Kalligrafie und Zeichnungen zu reinen Drucksachen reduziert. Ebenso dienen kitschig bemalte Säulen und geschnitzte Balken nur dazu, das Auge zu blenden, während die Schlichtheit von strohgedeckten, mit Bambus umzäunten ­Häusern 117

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

»Das Gleiche gilt für die Gartenbetrachtung, bei der die Ruhe in der Bewegung enthalten ist und die Bewegung aus der Ruhe hervorgeht. Aus dem Zusammenspiel der beiden kann eine unendliche Vielfalt an verführerischen ­Ansichten und fesselnden Szenerien entstehen. Alles lässt sich auf einen Nenner bringen: Wer die Gesetze der Veränderung begreift, versteht die Sprache der Natur. Für Besucherinnen und

Besucher, die in einem Pavillon sitzen, sind die vorbeiziehenden Wolken und das fließende Wasser, die fliegenden Vögel und die fallenden Blütenblätter allesamt Dinge in Bewegung; für Menschen in einem Segelboot oder Fußgängerinnen und Fußgänger hingegen sind die Hügel, Felsen, Bäume und Wälder allesamt Dinge im Stillstand.«

Es lohnt sich immer, ­verlassene ­Gärten zu ­besuchen, genauso, wie Fragmente alter Texte zu lesen.

die Fantasie beflügeln kann. In Der Traum der Roten Kammer gibt es ein Kapitel mit dem Titel »Literarisches Talent wird durch das Verfassen von Inschriften getestet«, in dem Cao Xueqin2 die Nachbildung einer ländlichen Idylle, das Daoxiang-Dorf3, kommentiert. Sein Protagonist Bao Yu sagt: Dieser Bauernhof hier ist offensichtlich nicht echt und fehl am Platz, denn es gibt kein Dorf in der Nachbarschaft, keine Stadtmauer in der Nähe, der Berg dahinter ist nicht Teil einer Gebirgskette, und der Bach dort entspringt keiner Quelle. Nirgends ragt die Pagode eines verborgenen Tempels heraus, nirgends sieht man eine Brücke, über die man zum nächsten Markt gelangen könnte. Der Hof steht hier verloren herum und ist kein besonders schöner Anblick. Das Landhäuschen, das wir vorhin sahen, war von Natürlichkeit geprägt, die Bambusse und Bäche dort wirkten nicht künstlich, obwohl auch sie von Menschenhand angelegt wurden. Was die Alten ein »natürliches Bild« nannten, bedeutet eben, dass man nicht auf einem ungeeigneten Standort beharren oder Hügel bauen sollte, wo keine Hügel hingehören, denn wie geschickt man es auch anstellt, das Ergebnis wird zwangsläufig irritieren. Mit »nicht echt« und »fehl am Platz« bezeichnet der Autor das Künstliche, Falsche, mit der Treue zur Natur und zur natürlichen Schönheit die Wirklichkeit und das Echte. Obwohl es sich nur um einen Absatz aus einem Roman handelt, ist er so wegweisend und überzeugend wie eine wissenschaftliche Abhandlung über Gartenbau. Guo Xi sagte einmal: »Wasser wird erst manifest durch die Steine, die es umgeben«, und »erhält seinen Reiz durch die Umrahmung mit Hügeln«.4 Seit der Antike haben wir die Hügel und Gewässer der Natur nachgeahmt, und noch nie ist jemand auf die Idee gekommen, Wasser und Hügel nicht zusammenzudenken. Das obige Zitat von Guo Xi bringt stillschweigend seine Einsicht in die Regeln der Landschaftsgestaltung zum Ausdruck; ­Regeln, die denjenigen, die sich an sie halten, auf die eine oder andere Weise zugutekommen könnten. Auf den ersten Blick scheinen Wasser und Stein ein Gegensatzpaar zu sein, aber im Grunde kann Wasser seine Gestalt nur verändern, wenn es mit Steinen in Berührung kommt. Ohne Stein erscheint Wasser formlos, und deshalb müssen Steine aus dem flachen Wasser herausragen und in tiefem Wasser wie eine Inselkette gruppiert werden. Im Park der sieben Sternenfelsen5 in Zhaoqing in der Provinz Guangdong sind die 120

Felsen spektakulär und die Gewässer bezaubernd. Die Steine schimmern im plätschernden Wasser, die Höhlen strahlen mystische Ruhe aus, und die Bäche schlängeln sich dahin – all das ist auf die stetige Veränderung des Wassers zurückzuführen, ohne die sich die Steine der Aufmerksamkeit entziehen würden und der Ausblick auf das Ufer uninteressant wäre. Wasser und Stein gehören zusammen, alles andere verletzt das Gesetz der Natur und verschleiert die Wirklichkeit. Da die gegenseitige Abhängigkeit von Hügeln und Gewässern charakteristisch für einen Garten ist, ist es von besonderer Bedeutung, dass man Teiche aushebt und Wasser zuführt. Im Süden der Provinz Jiangsu sind Gartenteiche geschwungen, was ihnen einen Hauch von Weiblichkeit verleiht. In der Region Ningbo-Shaoxing in der Provinz Zhejiang hingegen sind die Gartenteiche meist quadratisch mit geometrischen Mustern aus geraden Linien. Wasser an sich ist formlos; es nimmt nur dann eine Form an, wenn es von Ufern umgeben ist. Daher sind Wasserzuläufe, Dämme und Ufer das wichtigste Mittel, um einer Wasserfläche eine Form zu geben, ob diese nun aus geraden Linien oder aus Schlangenlinien besteht. Ob stille Gewässer oder reißende Flüsse – Wasser wird durch Dämme und Ufer bestimmt. Zarte Felsen verleihen den Gewässern auf wundersame Weise eine weibliche Note, während schroffe Felsen eine männliche Kraft ausstrahlen. Einfache, unbearbeitete Felsen beeindrucken durch ihre massigen Formen. Groteske, hoch aufragende Gipfel bestechen durch ihre Vielgestaltigkeit. Aber richtig hässliche Felsen übertreffen alle anderen durch ihre einzigartige Form und Individualität. Das ist wahrscheinlich das, was wir mit der Schönheit im Hässlichen meinen. So wie ein Stein Kraft, Sanftheit, Schönheit oder ­Hässlichkeit verkörpern kann, so zeichnet sich auch Wasser durch unbändige Kraft oder sanfte Süße aus. Aber der Charakter des Wassers hängt immer vom Stein ab. Es lohnt sich immer, verlassene Gärten zu besuchen, genauso, wie Fragmente alter Texte zu lesen. Wie wir alle wissen, sind Brokat und Jade auch noch kostbar, wenn sie alt und brüchig sind, man bewahrt sie auf und kann sich nur schwer von ihnen trennen. In einem Gedicht von Gong Zizhen heißt es: Unerreichte Ziele beunruhigen das Gemüt, alle Dinge sind gut, die unvollständig sind; Gedichte beim Sonnenuntergang vor glühenden Bergen, es wäre für einen unmöglich, ohne Gefühle in der Welt zu sein.6 Die Botschaft dieses Gedichtes sollte bei der Gartengestaltung beachtet werden. »Der Frühling sieht das Antlitz des Berges, der Sommer die Energie des Berges, der Herbst die Stimmung des Berges und der Winter das Wesen des Berges.« »Der Berg erscheint flach in der Nacht, nah an einem schönen 121

Garten des Verweilens Foto von Lv Hengzhong

»Guo Xi sagte einmal: ›Wasser wird erst ­manifest durch die Steine, die es umgeben‹, und ›erhält seinen Reiz durch die ­Um­rahmung mit Hügeln‹. Seit der Antike haben wir die Hügel und Gewässer der Natur nachgeahmt, und noch nie ist jemand auf die Idee ­gekommen, Wasser und Hügel nicht zusammenzu­denken. Das obige Zitat von

Guo Xi bringt still­schweigend seine Einsicht in die Regeln der Landschaftsgestaltung zum ­Ausdruck; Regeln, die denjenigen, die sich an sie halten, auf die eine oder andere Weise ­zugutekommen ­könnten.«

Tag und hoch in der Morgendämmerung.« All diese Beobachtungen der Alten sind nichts anderes als Ermahnungen, der Landschaft eine menschliche Note zu geben, um die Veränderungen der Natur im Laufe der Jahres­ zeiten sichtbar zu machen. Landschaftsgestaltung ist in der Tat harte Arbeit, aber eine Landschaft wirklich zu sehen und zu spüren ist auch nicht leicht. »Stumm stehen die Blumen vor den bangen Fragen des Unglücklichen« – ein Hinweis auf die unerwiderte Liebe. »Unendliches Bedauern in der Frühlingsbrise« – ein Hinweis auf die Melancholie. Die Besichtigung von schönen Landschaften erfordert also Gefühle, die geschult werden müssen. Die Liebe zu Bergen und Flüssen, die Zuneigung zu Quellen und Felsen und die Tiefe der Empfindungen hängen von den kulturellen Voraussetzungen ab, die man mitbringt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal ­betonen, dass es ohne Sinn für Ästhetik keine Freude an einem Garten geben kann und dass es ohne Freude nicht sinnvoll ist, einen Garten ­anzulegen. Die Gartengestaltung ist sowohl eine umfassende Wissenschaft als auch eine Kunst, in der eine Menge Philosophie steckt und unendliche Vielfalt möglich ist. Genauer gesagt, geht es darum, abstrakte poetische Gefühle in konkrete Gewässer, Steingärten, Pavillons und Balkone zu verwandeln. Licht und Schatten, Wind und Regen sind Faktoren, die für einen kaleidoskopischen Wechsel bei der Ansicht eines Gartens sorgen, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen geografischen Gegebenheiten, Sitten und Gewohnheiten. Außerdem hat ein Garten für verschiedene Gartenbesuche­ rinnen und -besucher unterschiedliche Funktionen, und mit diesen sollte man sich ernsthaft und auf dem Boden der Tatsachen auseinandersetzen. Daraus folgt, dass eine gute Gartengestaltung die Funktion eines Gartens niemals außer Acht lassen darf. Eine Beschäftigung mit antiken Gärten ohne profunde Kenntnisse der sozialen Bedingungen der Zeit, in der sie angelegt wurden, und faule Kompromisse um des lieben Friedens willen sind Herangehensweisen, die unweigerlich zu absurden Schlussfolgerungen führen. Es ist daher von größter Bedeutung, dass die moderne Garten­gestaltung sich nicht stur an die der alten Gärten hält. Reiche Lebens­erfahrung und breit gefächertes Wissen sind eine große Hilfe, um nicht blind den alten Pfaden zu folgen. Eine schöne Szenerie kann von verschiedenen Malerinnen und Malern auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Techniken dargestellt oder von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus diversen Blickwinkeln beschrieben werden. Jede Schauspielerin und jeder Schauspieler spricht so, wie es ihr oder ihm am besten passt, und jede Schule hält an ihrem eigenen Stil fest. Ebenso kann ein Garten auf unterschiedliche Art und Weise gestaltet werden, und die Besonderheiten eines jeden Gartens können nur durch gründliche Beobachtung und ein originelles Konzept zum Ausdruck gebracht werden. Die leuchtend blaugrünen Landschaftsmalereien der Song-Dynastie, bei denen ein zinnoberroter Untergrund mit Blau und 124

Die Gartengestaltung ist sowohl eine umfassende Wissenschaft als auch eine Kunst, in der eine Menge Philosophie steckt.

Grün ­überzogen wird, fand ich früher immer irritierend. Doch als ich eines Sommers im Song-Gebirge in der Zentralebene war, habe ich zu meinem ­Erstaunen festgestellt, dass der Oberboden tatsächlich rot ist und von ­dunkelgrünem Gras und Hainen bedeckt wird, dazwischen in leuchtenden Farben erstrahlende Häuser und Pavillons – ein Farbschema, das mich an die Landschaften von General Li7, sowohl des Seniors als auch des Juniors, erinnert. Die Aura der Berge und Flüsse der Zentralebene wird durch die schweren, satten Farbtöne, die leuchtende Intensität und blendende Hellig­ keit deutlich hervorgehoben. Dagegen sind die hellgrün-blauen Landschaftsbilder aus der Region südlich des Changjiang-Flusses oft in einem braunen und grasgrünen Grundton gehalten, über den eine dünne Schicht von mineralischem Grün und Azurit aufgetragen wurde. Die grob skizzierten Häuser sind in einem hellen Braunton gehalten, die ganze Landschaft hat einen frischen und schlichten Charme, der die Gärten in Jiangnan inspirierte. Das Konzept steht an erster Stelle, dann wird alles harmonisch aufeinander abgestimmt – nach dieser Methode ist man in der Kunst schon immer vorgegangen. Ich habe schon oft gesagt, dass sich die Architektur und die Gärten von Suzhou durch einen Stil der sanften Harmonie auszeichnen, während die Gärten von Yangzhou vor allem durch Kraft und Eleganz gekennzeichnet sind, genau wie die Gedichte von Jiang Kui8 aus der Song-Dynastie, der »mit einer kräftigen Feder zarte Gefühle darstellte«. So unterschiedlich ihr Stil auch sein mag, sie alle zielen darauf ab, die Wahrheit zu bewahren und den Menschen angenehme Gartenlandschaften zu präsentieren. Wenn der allgemeine Stil festgelegt ist, kann man sich mit den Details und Besonderheiten befassen, wie mit dem richtigen Standort von Pavillons und Häusern, der Gestaltung von künstlichen Bergen und dem Verlauf von Bächen. Alles sollte bis ins Detail geplant werden, erst dann kann man die Vorteile des ­Geländes voll ausschöpfen. Und dann erfolgt eine Anpassung, das sogenannte Entlehnen der Landschaft, sodass sich alles zu einem harmonischen Gesamtbild zusammenfügt. Nichts sollte ohne sorgfältige Planung geschehen, das gilt auch für die Auswahl von Felsen und Blumen sowie für die Entscheidung für eine eher dynamische oder eher statische Schwerpunktsetzung. Deshalb müssen Gartengestalterinnen und Gartengestalter in Ruhe 125

an die Sache herangehen und den Überblick behalten. Nur so können sie ihren Garten sinnvoll anlegen. Ein Garten, der sich durch eine natürliche Dynamik auszeichnen soll, muss in seinem Konzept und seiner Gestaltung in sich stimmig sein. Als ich in den Bergen der Provinz Fujian unterwegs war, stellte ich fest, dass die Gipfel kahl waren, es gab kaum Bäume, und die wenigen alten Bäume hatten verschlungene Wurzeln und knorrige Stämme. Überall waren Felsvorsprünge zu sehen, und das gebirgige Terrain war deutlich sichtbar. Mir fielen sofort bestimmte Schulen der Landschaftsmalerei und die Vertreter der besonders für die Darstellung von Felsen geeigneten »­Cun-­Technik«9 ein, bei der man mit sehr trockener Tusche malt. Wir können immer eine Maltechnik anhand einer realen Szenerie erkennen oder eine solche Szenerie mit einer bestimmten Maltechnik in Verbindung bringen. Die stürmischen Flüsse und Monolithen, die in den reißenden Stromschnellen von Fujian schimmern, sind ideale Vorbilder für die Gestaltung künstlicher Berge. Auch die Steilhänge von Huizhou im Süden der Provinz Anhui und von Fangyan im Osten der Provinz Zhejiang finden ihren Ausdruck in der »Cun-Technik« der klassischen Malerei. Die Landschaften dieser Orte, die sich durch eine ausgeprägte Vielfalt an topografischen Strukturen auszeichnen, ziehen die Betrachterinnen und Betrachter immer wieder in ihren Bann und bieten eine Fülle von Szenerien, die man aus der Bewegung oder aus der Ruhe heraus ansehen kann. Unsere Vorfahren liebten es, Felsen zu betrachten und vor Felswänden zu meditieren, denn diese Erfahrung ermöglichte es ihnen, über Philosophie und die Werte nachzudenken, die in ihnen stecken. Das Schwierigste beim Verfassen eines Gedichts zu einer stilisierten Melodie, eines »Ci-Gedichts«, ist, dass man beim Übergang zwischen den Strophen am Anfang und Ende Wörter und Bedeutungen finden muss, die gleichzeitig verbindend und trennend sind. Das Gleiche gilt für die Landschaftsgestaltung. Ein tadelloser Übergang zwischen den einzelnen Details trägt dazu bei, dass selbst in einem tausend Hektar großen Garten eine ununterbrochene Dynamik entsteht und auf Dauer die gewünschte Wirkung erzielt wird. Die allgegenwärtigen Übergänge lassen sanft fließende Ströme in gewundenen Bahnen, einen künstlichen Berg über einem anderen, ein Gebäude vor einem anderen oder Bäume und Blumen, die sich gegen­seitig ergänzen, niemals isoliert wirken; der Raum zwischen ihnen hebt und senkt sich in einem stetigen wellenförmigen Auf und Ab, und es bleibt genügend Raum zum Atmen. Aber solche Übergänge sollten durch geeignete Elemente erfolgen, wie etwa einen überdachten Weg zwischen Gebäuden oder eine Brücke zwischen den verschiedenen Abschnitten eines flie­ßenden Baches. Ohne fein austarierte Übergänge kann ein Farbschema nicht reibungslos von schillernder Brillanz zu einfachen und subtilen Farbtönen übergehen. Die in der Malerei verwendeten »Ausbesserungspinselstriche« eignen sich auch für die Übergänge in einem Landschaftsgarten, damit die 126

Garten des Meisters der Netze Foto von Lv Hengzhong

»Das Physische eines Objekts ist real, während Farbe eine Illusion ist. Für die wahre Schönheit eines Gartens spielt das Reale eine entscheidende Rolle. Dies gilt auch für gute architektonische Entwürfe, die durch die Konzentration auf das Reale an Vitalität gewinnen und diese verlieren, wenn die Illusion überwiegt.«

Dynamik erhalten bleibt und den Betrachterinnen und Betrachtern der räumliche und geistige Schwung vermittelt werden kann. Auch die Beziehung zwischen dem Immateriellen und dem Materiellen erfordert fließende Übergänge, damit die Szenerien unerschöpflich und ihre Anziehungskraft ungebrochen sein können. Um aus dem Materiellen das Immaterielle zu gewinnen und mit einem Lied oder einem instrumentalen Stück eine anhaltende Wirkung zu erzielen, kann das Nebensächliche wichtiger werden als das Hauptsächliche, und eine Nebenfigur kann manchmal den Hauptdarsteller übertreffen. Der Grund, warum »ein Fluss jenseits von Himmel und Erde fließen und die Farbe eines Berges zwischen Nichtexistenz und Existenz schwanken kann«10, liegt darin, dass immaterielle Dinge manchmal erreichen, was materielle Dinge nicht erreichen können. In einer Stadt braucht man unbedingt Gärten, sie sind für das Wohl­ befinden ihrer Bewohnerinnen und Bewohner nicht hoch genug zu schätzen. Ein Garten ist der Ort, an dem die Techniken des »Entlehnens« und des »Trennens« der Landschaft am besten zum Einsatz kommen können. Das Entlehnen der Landschaft innerhalb einer Stadt ist keineswegs unerhört. Die drei Seen in Beijing zum Beispiel leihen sich Elemente des Kaiserpalastes, sie nutzen seine hohen Mauern und Türme, seine schönen Pavillons und imposanten Paläste auf ästhetische Art und Weise. Wie Li Gefei11 in seiner Geschichte der berühmten Gärten in Luoyang sagt: Wenn man dort nach Norden blickt, sieht man die Hallen und Türme der Palastanlagen der Sui- und Tang-Zeit mit Tausenden von Türen und zehnmal so vielen Fenstern; erhaben und prachtvoll erstreckt sich die Anlage über zehn Li12. Zuo Taichong13 brauchte zehn Jahre größter Anstrengung, um dieses Wunder zu beschreiben, dabei kann man es in einem Augenblick erkennen. Eher ungewöhnlich ist es jedoch, wenn im Hintergrund von Gärten Schornsteine und Fabrikgebäude erscheinen. Leider ist dieser groteske Anblick keine Seltenheit: Sowohl der Garten des bescheidenen Beamten als auch der Garten des liebenden Paares14 in Suzhou befinden sich heute in diesem beklagenswerten Zustand. Aber es gibt auch hervorragende Beispiele für das Entlehnen der Landschaften, die außerhalb der Stadt liegen, oder auch von abgelegenen Tempeln und Pagoden. So viel zum »Entlehnen«, nun kommen wir zum »Trennen«: Beim Bau von Stadtgärten sollten Gestalterinnen und Gestalter auf das »Trennen« zurückgreifen, um das Vulgäre und Hässliche fernzuhalten. Integrieren und Trennen bedingen und ergänzen sich gegenseitig. Ohne das Vulgäre herauszuhalten, wäre es schwierig, das Elegante einzuführen, und ohne das Hässliche auszublenden, würde das Schöne nicht sichtbar. In den von Menschen geschaffenen Landschaften wird manchmal nur eine Sichtachse angelegt, manchmal aber auch mehrere. Es kommt auf die richtige Auswahl an. Bei der Cuixiu-Halle des Yu-Gartens in Shanghai handelt es sich um ein 128

Garten des bescheidenen Beamten Foto von Lv Hengzhong

»Wasser an sich ist formlos; es nimmt nur dann eine Form an, wenn es von Ufern umgeben ist. Daher sind Wasserzuläufe, Dämme und Ufer das wichtigste Mittel, um einer Wasserfläche eine Form zu geben, ob diese nun aus geraden Linien oder aus Schlangenlinien besteht. Ob stille Gewässer oder reißende Flüsse – Wasser wird durch Dämme und Ufer ­bestimmt. Zarte Felsen verleihen den Gewässern auf wundersame Weise eine weibliche Note, während schroffe Felsen eine männliche Kraft ausstrahlen.«

Gebäude am hinteren Ende des Geländes, mit einer Marktstraße auf der Rückseite und einem riesigen Steingarten auf der Vorderseite. Wenn man sich in der Halle aufhält, die sich an den Fuß der Nordseite des Felsenhügels schmiegt, kann man sich überhaupt nicht vorstellen, dass man sich eigentlich in einem lauten Stadtviertel befindet. Tatsächlich trennt hier nur eine Mauer die himmlische Anlage vom profanen Trubel – ein hervorragendes Beispiel für das »Trennen«, das bei der Landschaftsgestaltung sehr wirkungsvoll ist. Wie bei einer Komposition in der Musik braucht auch ein guter Garten eine Ouvertüre, um die Betrachterinnen und Betrachter allmählich zum Hauptthema zu führen. Die Methode der Übergänge, die ich in diesem Teil bereits erwähnt habe, sollte in vollem Umfang genutzt werden. In den Stadtgärten in Jiangnan gibt es nur selten eine solche »Ouvertüre«. Es gibt heute jedoch Leute, die einen direkten Ansatz zu bevorzugen scheinen, damit ein Garten auch auf jeden Fall und auf Teufel komm raus wahrgenommen wird. Beim Garten der Zufriedenheit in Suzhou, der kürzlich ein neues Tor bekam, wurde genau dieser Fehler begangen. Aber im Garten Canglang-Pavillon, der nur zur Hälfte für die Öffentlichkeit zugänglich ist, wurde die Kernlandschaft durch einen Bach vom Eingang getrennt; über diesen Bach flanieren die Besucherinnen und Besucher; dies ist sozusagen die »Ouvertüre«, bevor man dann Schritt für Schritt zum eigentlichen Höhepunkt der Anlage geführt wird – ein echter Erfolg. Der Renovierung eines alten Gartens sollten ein Studium seiner Geschichte, eine eingehende Untersuchung seines Zustands und die sorgfältige Datierung der Gebäude und Steingärten und ihrer besonderen Merkmale vorausgehen. Ist dies erfolgt, kann ein entsprechender Plan ausgearbeitet werden. Das Anbringen und Restaurieren von alten Gemälden beispielsweise, was manchmal schwieriger ist, als ein neues Gemälde zu malen, erfordert lange und sorgfältige Überlegungen, jeder Pinselstrich ist sorgfältig abzuwägen, bevor er ausgeführt wird. Bei der Renovierung von Gärten beginnt man mit den Gebäuden, wobei die Holzarbeiten am Anfang stehen, gefolgt von den Putzarbeiten. Holzarbeiten sollten vor der Ausbesserung von Teichen, Steinhügeln und der Errichtung von Gipfeln erfolgen. In den Pausen zwischen den oben genannten Arbeiten können zusätzliche Bäume und Blumen gepflanzt werden. Zuletzt kommen die Pflaster- und Mauerarbeiten. Erst mit dem Abschluss der Malerarbeiten und dem Anbringen der Namensplaketten kann die Renovierung als beendet betrachtet werden, natürlich abgesehen von der Einrichtung, die möglicherweise noch erneuert werden muss. Bei der Gestaltung von Gärten können wir uns an alte Traditionen halten und von ausländischen Entwürfen lernen. Beides sollte selbstverständlich sein: die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden und die Vergangenheit in den Dienst der Gegenwart zu stellen. Nicht wünschenswert ist es hingegen, wahllos von anderen Arbeiten zu kopieren und einen Plan aus fremden Entwürfen zusammenzuschustern, ohne die jeweiligen 130

Bedingungen und verschiedenen Stile gründlich zu studieren. Gute Garten­ gestalterinnen und Gartengestalter müssen sich mit der Kunst und der Entwicklung des Gartenbaus in Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen und die der Gartenbaukunst zugrunde liegenden ästhetischen Ideen sowie die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie sich entwickelt hat, studieren. Es wird erwartet, dass jede unserer Gestaltungsideen auf einen Präzedenzfall zurückgreifen kann und dass wir jede Leistung unserer Vorgänger, ob aus China oder aus dem Ausland, aus der Vergangenheit oder der Gegenwart, als Referenz zur Hand haben. Wang Yuanqi15 sagte: Es ist besser, ein Gemälde zu betrachten, als es zu kopieren. Ein authentisches Gemälde sollte im Kontext seiner Geschichte studiert werden, um zu sehen, wie es konzipiert wurde, ob es der richtigen Tradition folgte, und um von seiner Komposition, seinen Pinselstrichen und seiner Tuschearbeit zu lernen, denn es muss immer etwas geben, von dem ich lernen kann. Und mit der Zeit wird sich meine Art zu malen automatisch an die des Meisters angleichen.16 Diese fleißige Art des Lernens ist sehr empfehlenswert. Vor der Meiji-­ Reformation lernten die Japanerinnen und Japaner vor allem von China, und danach orientierten sie sich an Europa, später an den Vereinigten Staaten. In der Architektur und der Gartengestaltung haben sie jedoch stets den japanischen Nationalstil, sozusagen einen »japanischen Geschmack«, beibehalten. Dies verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Historische Studien genießen in Japan höchste Priorität, wie die erstaunlich große Sammlung chinesischer Bücher in den dortigen Bibliotheken beweist. So ist zum Beispiel Ji Chengs Gartenbaukunst eine Kopie des in Japan erhaltenen Originals, das bei uns verschollen war. Auch die japanischen Sammlungen von europäischem und amerikanischem Material sind riesig. Japanische Gelehrte der älteren Generation wie Itō Chūta, Tokiwa Daijō und Sekino Tadashi17 gehörten zu den herausragenden Wissenschaftlern, die sich ­ausgiebig mit der chinesischen Architektur beschäftigt haben. Ihre Werke über dieses Fachgebiet, die Ausdruck ihrer harten Arbeit und ihrer bodenständigen Herangehensweise sind, spielen in der akademischen Welt auch

Wie bei einer Komposition in der Musik braucht auch ein guter ­Garten eine ­Ouvertüre, um die ­Betrachterinnen und ­Betrachter ­allmählich zum ­Hauptthema zu ­führen. 131

Garten des Meisters der Netze Foto von Lv Hengzhong

»Auch die Beziehung zwischen dem Imma­ teriellen und dem Materiellen erfordert fließende Übergänge, damit die Szenerien ­unerschöpflich und ihre Anziehungskraft ­ungebrochen sein können. Um aus dem ­Materiellen das Immaterielle zu gewinnen und mit einem Lied oder einem instrumentalen Stück eine anhaltende Wirkung zu erzielen, kann das Nebensächliche wichtiger werden als

das Hauptsächliche, und eine Nebenfigur kann manchmal den Hauptdarsteller über­treffen. Der Grund, warum ›ein Fluss jenseits von Himmel und Erde fließen und die Farbe eines Berges zwischen Nichtexistenz und Existenz schwanken kann‹, liegt darin, dass immaterielle Dinge manchmal erreichen, was materielle Dinge nicht erreichen können.«

heute noch eine wichtige Rolle. Sie sammelten viele Daten, sowohl Primärals auch Sekundärmaterialien, und destillierten aus dieser Fülle an Informationen das Wesentliche heraus. In der Tat: »Von fremden Hügeln geliehene Steine sind ideal, um die eigene Jade zu bearbeiten.« Da in der Landschaftsgärtnerei oft das »Entlehnen der Landschaften« betont wird, stellt sich die Frage, ob es in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen dem Gartenbau und dem Erwerb von Wissen gibt. Bei der Gartengestaltung müssen wir uns sowohl mit dem Materiellen als auch mit dem Immateriellen auseinandersetzen, und das Gleiche gilt auch für Studien wie diese. Bislang habe ich fünf aufeinanderfolgende ­Kapitel über chinesische Gärten geschrieben. Es sind viele Seiten geworden, denen ich jetzt erst einmal nichts hinzuzufügen habe. Mein halbes Leben lang bin ich herumgereist, habe alle berühmten Gärten Chinas besucht und schließlich dieses Buch verfasst, das zu einem großen Teil auf meinen ­persönlichen Erfahrungen beruht. In der Hoffnung auf wertvolle Kommentare von Fachleuten auf diesem Gebiet wage ich es nun, meine Gedanken zu veröffentlichen. So alt ich auch bin, meine Liebe zum Garten ist groß wie eh und je. Daher verspreche ich Ihnen: Sollten mir neue Ideen kommen, werde ich sie mit Ihnen teilen und erneut zur Feder greifen.

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Anm. d. Übers: Aus dem Gedicht Ein Herbsttag (秋日偶成, Qiūrì ŏuchéng) von Cheng Hao (程顥, Chéng Hào, 1032–1085), einem chinesischen Philosophen und Politiker aus Luoyang, Provinz Henan. Anm. d. Übers.: Cao Xueqin (曹雪芹, Cáo Xuěqín, zwischen 1715 und 1724– 1763) war ein Schriftsteller aus Jiangning, heute Nanjing, Provinz Jiangsu, und Autor des Romans Der Traum der roten Kammer. Anm. d. Übers.: Das Daoxiang-Dorf (稻香村, Dàoxiāng Cūn) ist ein Teil einer großen Parkanlage im Roman Der Traum der roten Kammer. Anm. d. Übers.: Die beiden Zitate entstammen dem Buch Die hehren und erhabenen Botschaften von Wäldern und Bächen (林泉高致集, Lín quán gāozhì jí) von Guo Xi. Anm. d. Übers.: Der Park der sieben Sternenfelsen (七星岩公园, Qīxīng Yán Gōngyuán) befindet sich in Zhaoqing, Provinz Guangdong. Der Park wurde so genannt, weil seine sieben Felsenhügel wie die sieben Sterne des Großen Wagens aussehen. Anm. d. Übers.: Gedicht Nr. 272 aus den Verschiedenen Gedichten aus einem Jihai-Jahr (己亥杂诗, Jˇıhài záshī) des Dichters Gong Zizhen aus der Qing-Zeit. Anm. d. Übers.: Li Sixun (李思训, Lˇı Sīxùn, 651–716) war ein Landschaftsmaler der mittleren Tang-Zeit, der als Vater der Nördlichen Schule der chinesischen Malerei bezeichnet wurde. Sein Sohn Li Zhaodao (李昭道, Lˇı Zhāodào, 7. Jahrhundert) war ein weiterer berühmter Landschaftsmaler. Vater und Sohn werden im Volksmund General Li Senior und Junior genannt. Anm. d. Übers.: Jiang Kui (姜夔, Jiāng Kuí, 1154–1221), auch als Weißer-SteinDaoist (白石道人, Báishí dàorén) bekannt, war ein Künstler aus der Südlichen Song-Dynastie. Sein Interesse galt der Poesie, Prosa, Kalligrafie und Musik. Anm. d. Übers.: Die Cun-Technik (皴法, Cūnfă) ist eine Technik der chinesischen Malerei, bei der meistens helle und trockene Tusche verwendet wird, um

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die Adern und Texturen sowie das Licht und die Dunkelheit der Felsen und Bäume herauszuarbeiten. Anm. d. Übers.: Aus dem Gedicht Blick auf den Han-Fluss (汉江临眺, Hànjiāng Líntiào) von Wang Wei (王维, Wáng Wéi, 701–761), einem Dichter, Maler, Musiker und Staatsmann der Tang-Dynastie. Anm. d. Übers.: Li Gefei (李格非, Lˇı Géfēi, ca. 1045 – ca. 1105) war ein Literat aus der Nördlichen Song-Dynastie und Vater der berühmten Ci-Meisterin Li Qingzhao (李清照, Lˇı Qīngzhào, 1084–1155). Anm. d. Übers.: Li (里, lˇı) ist eine chinesische Längeneinheit und entspricht 500 Metern. Anm. d. Übers.: Zuo Taichong (左太冲, Zuˇo Tàichōng, 250–305), auch Zuo Si (左思, Zuˇo Sī) genannt, war ein bedeutender Prosadichter der Westlichen JinDynastie (265–316). ˇ Yuán) befindet sich Anm. d. Übers.: Der Garten des liebenden Paares (耦园, Ou in Suzhou, Provinz Jiangsu, und ist ein berühmter klassischer chinesischer Garten. Er ist zusammen mit anderen klassischen Gärten von Suzhou als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt. Anm. d. Übers.: Wang Yuanqi (王原祁, Wáng Yuánqí, 1642–1715) war ein Landschaftsmaler der frühen Qing-Zeit und Enkel des Malers Wang Shimin (王时敏, Wáng Shímˇın, 1592–1680). Anm. d. Übers.: Die Zitate entstammen dem Buch Notizen am Regenfenster (雨窗漫笔, Yŭchuāng mànbĭ) von Wang Yuanqi. Anm. d. Übers.: Itō Chūta (1867–1954), ein japanischer Architekt, Architekturhistoriker und kritiker, ist als der führende Architekt und Architekturtheoretiker des kaiserlichen Japans des frühen 20. Jahrhunderts anerkannt. Tokiwa Daijō (1870–1945), ein japanischer Forscher buddhistischen Glaubens, widmete einen Großteil seines Lebens dem Studium des chinesischen ­Buddhismus. Er besuchte China zwischen 1920 und seinem Tod fünf Mal. Sekino ­Tadashi (1868–1935), ein japanischer Architekturhistoriker, Kunsthistoriker und Archäologie, war einer der einflussreichsten Köpfe bei der Klassifizierung der chinesischen Architektur und des Kulturerbes Chinas.

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Über chinesische Gärten

Anhang

Nachwort* Von 1978 bis 1982 habe ich nacheinander fünf Artikel über chinesische Gärten verfasst. Diese Artikel sind in der Zeitschrift der Tongji-Universität erschienen, und zwar in verschiedenen Ausgaben. Das machte die Beschäftigung mit den Artikeln etwas umständlich. Außerdem waren die Ausgaben mit diesen Artikeln nach und nach vergriffen, und dennoch kamen immer wieder Leute und fragten nach ihnen. So kam die Redaktion der Zeitschrift zu dem Entschluss, eine Sammlung der Artikel herauszugeben, die in begrenztem Umfang vor allem innerhalb der Universität verbreitet werden sollte, um den Bedürfnissen der Lehr- und Forschungsarbeit gerecht zu werden. Seit ihrer Veröffentlichung sind nun einige Jahre vergangen, und es scheint, dass das Ansehen der Sammlung mit den Jahren gewachsen ist, was die steigende Nachfrage aus verschiedenen Berufsgruppen belegt. Um die Leserinnen und Leser innerhalb und außerhalb Chinas zufriedenzustellen, erscheint das Buch in einer zweisprachigen Ausgabe, die aus den Originalartikeln und ihrer englischen Fassung besteht. Außerdem wird der Text im Buch nun von 32 Bildern begleitet, die den Gartenbau im alten China illus­ trieren. Die englische Übersetzung der fünf Artikel in der Sammlung wurde in der Reihenfolge ihres Erscheinens von Herrn Mao Xingyi, Frau Wu Yiyun, Herrn Sun Li, Herrn Chen Xiongshang und Frau Xu Zengtong angefertigt, mit redaktioneller Beratung durch Herrn Kong Fanren und Herrn Ma Wenyu. Die chinesische Kalligrafie stammt von Herrn Jiang Qiting, und Herr Yu Zhenfei hat freundlicherweise dem Buch einen Titel gegeben. Die schöne Handschrift der beiden hat zweifellos wesentlich zur Attraktivität des Buches beigetragen. Wenn ich jetzt auf mein bescheidenes Werk zurückblicke, stellt sich in mir dasselbe Gefühl ein, das den Dichter Du Fu zu den folgenden Zeilen inspirierte: »Wenn sich die Lust verlagert, feg sie nicht weg, lass uns auf grünem Moose sitzen, wenn uns danach ist.« Da ich diese Aufsätze hauptsächlich aus einem spontanen Impuls heraus geschrieben habe und sie ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, bringen sie nur meine ganz persönlichen Gedanken und Empfindungen zum Ausdruck; für Kritik und Anregungen von allen Seiten bin ich dankbar. Chen Congzhou in meinem Arbeitszimmer im Frühjahr 1984

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Anm. d. Übers.: Das Nachwort entstammt dem Buch Über chinesische Gärten (说园, Shuō Yuán), auf dem die vorliegende Übersetzung ins Deutsche basiert. Das Buch ist 2020 bei Tongji University Press in einer zweisprachigen Ausgabe auf Chinesisch und Englisch erschienen.

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Glossar 园林与景点 园林与景点

Gärten und Sehenswürdigkeiten

八音涧 白堤 白莲池 白塔

die Schlucht der acht Klänge der Bai-Damm im Westsee der Weißer-Lotus-Teich am Tigerhögel die Weiße Pagode im Beihai-Park / am Schmalen See der Nordberg am Westsee der Beihai-Park das Kloster auf dem anderen Gipfel der Canglang-Pavillon der Garten der langen Insel der Tempel des Stadtgottes die Spätfrühlingshütte der Tempel des kleinen Sekretärs die Halber-Mond-Halle der Einsame Hügel der Alte Bambusgarten der Frühlingshof mit Zierapfel die Hanbi-Villa der Pavillon mit Lotus und Wind von allen vier Seiten der Heng-Berg in Hengyang, ­Provinz Hunan der Heng-Berg in Hunyuan, ­Provinz Shanxi der Tigerhügel der Berg bzw. das Gebirge Hua Shan das Huangshan-Gebirge der Garten der Ergötzung der Turm mit Bergblick das Haus der Besinnung auf stillen ­Wassern die Goldene Sandbucht der Annähernde Garten die Neun-Löwen-Berge der Kunming-See die Pagode am Donnergipfel der Li-Garten der Wandelweg im Weidenschatten der Garten des Verweilens die Schlucht der vollkommenen ­Erleuchtung der Gipfel der schönen Frau der Winterkirschengarten der Mufu-Berg der Trommelturm in Nanjing der Südhügel am Westsee die Südliche Veranda der Garten des liebenden Paares der Bonsai-Garten der Loquat-Hof der Herbstmond über dem ruhigen See

北高峰 北海公园 别峰庵 沧浪亭 长洲苑 城隍庙 殿春簃 短簿祠 二分明月楼 孤山 古猗园 海棠春坞 寒碧山庄 荷风四面亭 衡山 恒山 虎丘 华山 黄山 寄畅园 见山楼 鉴止水斋 金沙港 近园 九狮山 昆明湖 雷峰塔 蠡园 柳荫路曲 留园 满觉陇 美人峰 梅园 幕府山 南京鼓楼 南山 南轩 耦园 盆景园 枇杷园 平湖秋月

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die Wolfsbeeren-und-ChrysanthemenKammer 栖霞山 der Qixia-Berg 栖霞寺 der Abendlichttempel 清凉山 der Qingliang-Berg in Nanjing 秋霞圃 der Garten der rosigen Herbstwolken 曲谿楼 das Schluchtenhaus 三潭印月 Drei Teiche, die den Mond widerspiegeln 善卷洞 die Höhle der Einsiedelei von Shan Juan 十笏园 der Zehn-Notiztäfelchen-Garten 狮子林 der Löwenwald-Garten 瘦西湖 der Schmale Westsee 嵩山 der Song-Berg 泰山 der Tai-Berg 退思园 der Garten der tiefen Besinnung 万柳堂 die Halle mit zehntausend Weiden 网师园 der Garten des Meisters der Netze 汪园 Wangs Garten 文园 der Literarische Garten 五龙亭 der Fünf-Drachen-Pavillon 五亭桥 die Fünf-Pavillons-Brücke 五岳 Fünf Heilige Berge 西湖 der Westsee 西湖十景 Zehn Szenerien des Westsees 西泠印社 die Xiling-Siegelgesellschaft 西山 das Xishan-Gebirge in Beijing 小金山 der Kleine goldene Hügel 小酉洞 die Kleine Steingrotte 谐趣园 der Garten der Harmonie und des ­Vergnügens 修廊 der Lange Wandelgang 烟霞洞 die Höhle des Nebels und der Dämmerung 艳雪亭 der Pavillon des hellen Schnee 燕子矶 die Schwalbenfelsen 颐和园 der Neue Sommerpalast 倚玉轩 die Angelehnte Jadeveranda 怡园 der Garten der Zufriedenheit 雨湖公园 der Regen-und-See-Park 玉兰堂 die Magnolienhalle 豫园 der Yu-Garten in Shanghai 愚园 der Yu-Garten in Nanjing, Provinz Jiangsu 圆明园 der Alte Sommerpalast 鸳鸯厅 die Mandarinenten-Halle “月到风来” 亭 der Pavillon »Der Mond ist aufgegangen und der Wind kommt« 湛华楼 das Aussichtshäuschen des reinen Glanzes 招爽亭 der Pavillon der verlockenden Behaglichkeit 珍珠泉 die Perlenquelle 拙政园 der Garten des bescheidenen Beamten 杞菊斋

园林建筑术语 Terminologie der Gartenarchitektur 园林建筑术语 匾额 点景 动观 对联 俯观 阁 勾连搭 旱船 槛 借景 静观 联屏 廊 廊庑

die Namensplakette der Landschaft den letzten Schliff geben die dynamische Betrachtung das Spruchpaar die Betrachtung von oben nach unten das Belvedere eine durchgehende Konstruktion das Steinboot die Balustrade das Entlehnen der Landschaft die statische Betrachtung die paarigen senkrechten Schrifttafeln der überdachte Gang / Wandelgang die Kolonnade

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楼 漏窗 曲桥 水口 台 亭 庭院 泄景 轩 寻景 引景 仰观 月榭/月观

das mehrstöckige Gebäude / der Turm das Zier-Gitterfenster die Zickzack-Brücke die Wasserzuflüsse die Terrasse der Pavillon der Hofgarten/Hausgarten das Preisgeben der Landschaft die Veranda die Suche nach der Landschaft die Besucherführung zu einer schönen Landschaft die Betrachtung von unten nach oben der Mondpavillon

Chen Congzhou Mit einem Vorwort von Li Xiangning Übersetzt von Qian Chunchun Tongji University, Shanghai, China Das Buch wird gefördert von der National Social Science Foundation of China im ­Rahmen des Großprojekts zur Kunst, »Forschungen zur Theorie und Praxis der chinesischen ­Baukunst (1949–2019)« (Projektnummer: 20ZD11). Konzept: Gao Xiaohui, Tongji University Press Comissioning Editor: Yuan Jialin, Tongji University Press Acquisitions Editor: David Marold, Birkhäuser Verlag, A-Wien Content & Production Editor: Katharina Holas, Birkhäuser Verlag, A-Wien Übersetzung: Qian Chunchun, Tongji University Lektorat/Korrektorat: Julia Veihelmann, D-Berlin; mit Dai Ruyue, Tongji University Press Layout, Covergestaltung und Satz: Ekke Wolf, A-Wien; auf Basis eines Entwurfs von Zhang Wei, Tongji University Press Litho: Pixelstorm Litho & Digital Imaging, A-Wien Druck: Holzhausen, die Buchmarke der Gerin Druck GmbH, A-Wolkersdorf Papier: Munken Polar 120 g/m2 und 300 g/m2, Munken Polar Rough 120 g/m2 Schrift: Minion, Morison Display Library of Congress Control Number: 2022949302 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen ­Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­ins­besondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von ­Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der ­Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung ­dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der ­gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden ­Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-0356-2696-4 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2703-9 © 2023 Tongji University Press, Shanghai, China & Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44, 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 9 8 7 6 5 4 3 2 1

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