Befugnisse der Ermittlungsbehörden zu Information und Geheimhaltung: Über Umfang und Kontrolle daraus resultierender Macht [1 ed.] 9783428482962, 9783428082964

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Befugnisse der Ermittlungsbehörden zu Information und Geheimhaltung: Über Umfang und Kontrolle daraus resultierender Macht [1 ed.]
 9783428482962, 9783428082964

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PETRA VELTEN

Befugnisse der Ermittlungsbehörden zu Information und Geheimhaltung

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Univerliität Hamburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Univerliität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 94

Befugnisse der Ermittlungsbehörden zu Information und Geheimhaltung Über Umfang und Kontrolle daraus resultierender Macht

Von

Petra VeIten

Duncker & Humblot . Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Gerald Grünwald, Bonn

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Velten, Petra: Befugnisse der Ennittlungsbehörden zu Infonnation und Geheimhaltung: über Umfang und Kontrolle daraus resultierender Macht / von Petra Velten. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 94) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08296-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-08296-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort Die Abhandlung ist die leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner Arbeit, die der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Wintersemester 1993/94 als Dissertation vorgelegen hat. Das Manuskript wurde im September 1993 abgeschlossen; bis April 1994 erschienene Rechtsprechung und Literatur wurde soweit wie möglich in den Anmerkungen berücksichtigt. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Gerald Grünwald ganz herzlich rur die geduldige und hilfreiche Betreuung dieser Arbeit und filr die schöne und lehrreiche Zeit am Strafrechtlichen Institut der Universität danken. Besonderer Dank gilt auch Frau Professor Dr. Ursula Nelles rur die Ermutigung während des Promotionsverfahrens. Zu danken habe ich ferner Herrn Professor Dr. Bernhard Schlink rur die Übernahme des Zweitgutachtens sowie Herrn Professor Dr. Eberhard Schmidhäuser und Herrn Professor Dr. FriedrichChristian Schroeder rur die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Strafrechtliche Abhandlungen" . Bonn, den 8. Juli 1994

Petra Velten

Inhaltsverzeichnis Einleitung. ............................................... 15

Te i 1 1 Praxis und Theorie der Rechte zur Verfügung über Informationen nach der herrschenden Auffassung

22

A.

Einige Beispiele aus der Praxis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

I.

Der Fall Schmücker .............. . ...................... 23 1. Der Umgang des LfV mit Schmücker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

2. Die Rolle des V-Mannes Weingraber ....................... 26 3. Die Prozeßsteuerung .................................. 26 4. Die Aufdeckung ..................................... 30 II.

Der Fall Bullerjahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Der Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

2. Auswertung ........................................ 41 III.

Das sogenannte "Celler Loch" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

B.

Die Rechtslage in der bisherigen Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

I.

Der Einsatz verdeckter ErmittIer im Vorverfahren ................. 50 1. Vor der Legalisierung

................................. 50

8

Inhaltsverzeichnis 2. Das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität

11.

........ 51

Informationsbeherrschungsrechte als Rechte zur Beweisfiihrung durch Teilinformationen - Zur Rechtsfigur der Vernehmung der Verhörsperson .... 55

l. Die Auffassung der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Die Zulässigkeit der Sperrerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Folgen der Sperrerklärung. . ........... . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Die Kritik der herrschenden Meinung ....... . ............ . .. 61 a) Reduzierte Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) §§ 54, 96 StPO passen nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 c) Umgehung von Beschuldigtenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 III.

Teilinformation bei der Dokumentation des Ermittlungsverfahrens ...... 67

l. Die Spurenaktenentscheidungen von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Die Kritik der Spurenaktenentscheidung IV.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ....... 74 Te i I 2 Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle staatlicher Rechtsanwendung durch Justizgewährleistung und Justizstandards

76

A.

Verletzung der Rechtsschutzgarantie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

I.

Die hierzu vertretenen Meinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

11.

Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Inhaltsverzeichnis

9

l. Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 84 2. Restitution der Rechtsweggarantie durch Benachrichtigungspflicht . . .. 89 a) Der nach Art. 19 Abs. 4 GG maßgebliche Zeitpunkt der Benachrichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Benachrichtigungspflicht als Zugangsvoraussetzung zum Rechtsweg

91

3. Richtervorbehalt als Rechtsschutz i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG ........ 92 4. Herstellung der Kontrollierbarkeit durch Verbot des Einsatzes verdeckter ErmittIer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5. Rechtfertigung des Eingriffs

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

a) Normimmanente Modifikation der Rechtsweggarantie? ......... 97 b) Einschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht . . . . . . . . .. 98 c) Hilfserwägung: Auflösung der "Werte"-Kollision zugunsten der Steigerung von Sicherheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

III.

Fazit............................................... 108

B.

Das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109

I.

Probleme einer Inhaltsermittlung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109

11.

Kontrolle durch Verfahren als Gewährleistungsinhalt des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 111

l. Die Justizgewährleistung ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 111 2. Die Justizstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 112

III.

Einschränkbarkeit: Antinomien des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . 122

l. Justizgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123

10

Inhaltsverzeichnis 2. lustizstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123 a) Asymmetrie als Folge der Freistellung von Argumentationslasten

126

b) Das allgemeine Interesse an der Nachvollziehbarkeit von Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 128 c) Das allgemeine Interesse am Schutz Unschuldiger durch Verfahren 129 d) Gegenüberstellung der Folgen von Eingriffen in lustizstandards und von Defiziten bei der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . .. 130 IV.

Fazit............................................... 132

C.

Gesetzesbindung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

I.

Die Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG durch die herrschende Meinung .. 134

11.

Gegenauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135

III.

Der eigene Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 1. Die Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG angesichts des staatlichen Entscheidungsmonopols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 2. Die Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG angesichts des staatlichen Gewaltmonopols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

IV.

Staatsgewalt als Entscheidungsmonopol - Zur Notwendigkeit von lustizstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139 1. Entscheidungsmonopol und Schrankenfunktion von Gesetzen ...... 139 2. Die Geschichte der Unterwerfung des Staates unter Gesetze - Die Entwicklung zum Rechtsstaat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 143 a) Die Staatslehre des Absolutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 143 aa) Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Inhaltsverzeichnis bb) Entscheidungseinheit: Nonn und Einzelakt

11 144

b) Der Gesetzesbindungsbegriff der Konstitutionalisten .......... 146 3. Schrankenfunktion von Gesetzen in der modemen Staatslehre . . . . .. 149 a) Die Umgehung des Problems durch die herrschende Auffassung.. 149 aa) Letztentscheidungskompetenz nach herrschender Meinung. .. 149 bb) Die Auffassung von Isensee ....................... 150 b) Lösungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152 aa) earl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152 bb) Engisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153 cc) Wiener Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. Zusammenfassung und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 158 V.

Staatsgewalt als Gewaltmonopol - Zur Notwendigkeit von Justizgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 163 I. Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG im Hinblick auf das Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 163 2. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 166

D.

Subjektstel/ung durch Verfahren und im Verfahren als Ausdruck der Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

I.

Unterschiedliche Konzeptionen von SubjektsteIlung ............... 169 1. Achtung der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Beherrschbarkeit eigenen Tuns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 3. Selbstbehauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 171 4. Negation personaler Unterordnung ........................ 171

12

Inhaltsverzeichnis

11.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............... 172

III.

Wichtige Traditionen des Menschenwürdebegriffs und deren Bedeutung rur die Subjektstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 174

IV.

Die Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 183

V.

Fazit............................................ . .. 188

E.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Te i I 3 Die KontrolldefIZite im einzelnen

193

A.

Die Kontrollierbarkeit des Einsatzes verdeckter Ermittier - Justizgewährleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

I.

Keine Kontrolle ohne Betroffenenöffentlichkeit ................ . . 194 1. Kontrollbedürftigkeit

194

2. Die Kontrollierbarkeit verdeckter Ermittlungstätigkeit ........... 194 3. Fazit ............................................ 198 11.

Die Durchsetzbarkeit des Verbots verdeckter Ermittlungen .......... 199

III.

Zusammenfassung...................................... 200

B.

Grundrechtseingrif.fo durch Informationsbeherrschung im Gerichtsverfahren und ihre Kontrolle - Justizförmigkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . .. 202

Inhaltsverzeichnis I.

13

Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über das Ennittlungsverfahren im allgemeinen - Die Bedeutung der Aktenvollständigkeit ............ 205 1. Der Stand der Ennittlungen als Hintergrund der Beweiswürdigung .. 206 2. Die Aussagekraft der Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211 3. Fazit ............................................ 214 a) Akteninhalt und Kontrolle durch die Hauptverhandlung ........ 215 b) Sanktion ....................................... 217 4. Zusammenfassung ................................... 218

11.

Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über Beweismittel und Beweisergebnisse im besonderen - Die Vernehmung von Verhörspersonen .... 219 1. Die Beweiswürdigung im Falle der Aussage einer Verhörsperson . . .. 221

a) Übereinstimmung mit anderen Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223 b) Gründe und Genese der Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 225 c) Aussagen - Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 226 d) Verhalten des Zeugen in der Aussagesituation .............. 227 e) Die allgemeine Glaubwürdigkeit ........... . ........... 229 t) Konsequenzen.................................... 230

2. Der Beweiswert der Aussage des unmittelbaren Zeugen . . . . . . . . .. 231 3. Die Unterbindung des Einflusses ......................... 233 4. Fazit ............................................ 236 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238 Literaturverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Einleitung Die vorliegende Arbeit hat die Besonderheiten der Macht zum Gegenstand, die den Ermittlungsbehörden durch Befugnisse zur Verfügung über Informationen zuwächst. Hier sollen drei Fallkonstellationen untersucht werden, in denen die Ermittlungsbehörden durch ihre Informationen auf die Entscheidungen Dritter über die Preisgabe von Grundrechten Einfluß nehmen und dabei eine gewisse rechtliche und vor allem faktische Freiheit haben, darüber zu entscheiden, inwiefern sie jene über die eigene Funktion, ihre Tätigkeit und deren Ergebnisse informieren. Das Problem derartiger Rechte zum Umgang mit Informationen besteht nun darin, daß die Rechtmäßigkeit des Informationsverhaltens nur beurteilen kann, wer auch die Informationen kennt, die verschwiegen werden dürfen. Dieses Kontrolldefizit setzt sich fort, wo von der Rechtmäßigkeit des Informationsverhaltens die Rechtmäßigkeit von Grundrechtseingriffen abhängt. Es wird daher nach der Kontrollierbarkeit der Ausübung solcher Befugnisse und als Folge davon der Reichweite der hierdurch begründeten Macht sowie nach der verfassungsrechtlichen Relevanz möglicher Kontrolldefizite zu fragen sein. Konkret wird es um die Befugnisse zu verdecktem Ermitteln gern. § 110a StPO, zur mittelbaren Beweisführung durch sog. Verhörsbeamte unter (bzw. nach) Zurückhaltung all derjenigen Informationen, die Rückschlüsse auf die Identität des unmittelbaren Zeugen zulassen und um das Recht zur Präsentation von Beweismitteln gehen, von denen (nach herrschender Auffassung) offenbleiben darf, welchen Ausschnitt aus den Ermittlungen sie darstellen, weil der Inhalt der Ermittlungsakten hierüber nicht lückenlos Auskunft erteilen muß. Erst die soeben skizzierte Fragestellung konstituiert auch den Gegenstand der Untersuchung: Das Recht, über Informationen zu verfügen, läßt sich - zunächst noch unspezifiziert - als die Befugnis charakterisieren, selbst darüber zu entscheiden, in welchem Umfang man Dritten Informationen erteilt. Aus der Sicht dieser Dritten stellt es sich als fehlender Anspruch auf vollständige und/oder richtige Bekanntgabe von Informationen dar. Hier geht es nun nicht darum, alle denkmöglichen Gründe durchzumustern, die eine rechtliche Zuordnung der Informationen zu der einen oder anderen Seite rechtfertigen - etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ei-

16

Einleitung

nerseits und die Notwendigkeit der Erfililung staatlicher Aufgaben andererseits oder die Aufgaben der Gerichte einerseits und diejenigen der Ennittlungsbehörden andererseits. Es interessiert vielmehr nur die durch solche Rechte selbst erst begründete Beziehung zwischen Ennittlungsbehörden und Grundrechtsinhabern unter dem Aspekt, in welchem Umfang diese Rechte den Ennittlungsbehörden Herrschaft über Grundrechte einräumen. Es geht also um die Wirkung des durch solche Befugnisse ennöglichten Infonnationsverhaltens und um die verfassungsrechtliche Bewertung dieser Wirkung. Den rechtlichen Maßstab erhält man als Antwort auf die Frage, welchen Kontrollen staatliche Macht unterworfen sein sollte. Die Bewertung hängt im Ergebnis davon ab, ob die durch das Recht zur Verfügung über Infonnationen begründete Macht sich derartigen Kontrollen ftlgt. Aus dem hier gewählten Aspekt folgt zum einen, daß nur solche Befugnisse zur Verfügung über Infonnationen untersucht werden, als deren Resultat die Ennittlungsbehörden Macht zum Grundrechtseingriff erhalten. Zum anderen ergibt sich daraus, daß diese Rechte als System betrachtet werden müssen: Es gilt, ihre Wirkung als Ergebnis eines Zusammenspiels der Erteilung und Zurückhaltung von Infonnationen zu ennitteln und zu bewerten - um dann Konsequenzen entweder im Hinblick auf die Befugnis zum Gebrauch der Infonnationen oder im Hinblick auf deren Zurückhaltung zu ziehen. Daß die Befugnis zu verdeckten Ermittlungen die Möglichkeit zum Grundrechtseingriff eröffnet, ist unproblematisch, weil gesetzliche Intention: Verdeckte Ennittler werden, mit falscher Legende ausgestattet, als scheinbare Komplizen in verdächtige Milieus eingeschleust. Ihre eigentliche Funktion bleibt den Personen, mit denen sie Kontakt aufnehmen, unbekannt. Diese Ennittlungsmethoden werden so oder ähnlich schon lange praktiziert, sie sind nun - im Gefolge des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts· - durch das im Juni 1992 verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalitäe gesetzlich zugelassen worden. Demgegenüber muß nach traditionellem Strafprozeßrecht den Zeugen die Funktion des Vernehmenden offenbart werden: sie müssen über ihre Rechte belehrt werden (§§ 161 a Abs. 1, 57 StPO), Wohnungen dürfen

BVerfGE 65, 1 ff. (41 ff.). BGBl., Teil I, 1992, S. 1302 vom 22. Juli 1992; zum ähnlich konzipierten StVÄGEntwurf vgl. die Dokumentation in: StraN 1988, 172. Zuvor bereits wurde in der Folge des ME-PoIG die Tätigkeit verdeckter Ermittler in (fast) allen Landespolizeigesetzen legalisiert. I

2

Einleitung

17

grundsätzlich nur nach richterlicher Anordnung zum Zwecke der Durchsuchung betreten werden (§§ 103, 105 StPO) und auch hier müssen die Betroffenen erfahren, wer ihre Wohnung betritt und zu welchen Zwecken. Obwohl Zeugnispflichten erzwungen werden können, sind die Ermittlungsbehörden filr die Informationsgewinnung auf traditionellem Wege weitgehend auf die Kooperation der Betroffenen angewiesen. Daher versucht man den Zwang durch Täuschung zu ersetzen: Daß die Betroffenen nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben, eröffnet den Zugriff auf (durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte) Informationen, den Zugang zu Wohnungen, usf.. Wie jede andere Eingriffsbefugnis kann auch diese mißbraucht werden, etwa indem verdeckte Ermittlungen auf solche Straftaten erstreckt werden, filr die diese Methode nicht vorgesehen ist oder indem Wohnungen durchsucht werden. Im Unterschied zu anderen Befugnissen setzt die Kontrolle eines solchen Mißbrauchs jedoch voraus, daß der Betroffene das erfährt, was der Ermittier ihm gegenüber geheimhalten darf: daß es Staatsorgane waren, die mit ihm in Kontakt getreten sind. Zwar endet strenggenommen im Moment der Befugnisüberschreitung zugleich das Recht zur Geheimhaltung der Funktion. Falls die Befugnisse aus Rechtsblindheit überschritten werden, wird der Informationspflichtige jedoch naturgemäß keinen Grund zur Information sehen. Ist die Überschreitung bewußt geschehen, so wird er gleichwohl nicht informieren im Gegenteil. Die Rechtstreue im Hinblick auf den Grundrechtseingriff, (d.h. sowohl die richtige Erkenntnis der Rechtslage als auch der Wille zur Einhaltung des Gesetzes) wird zur Bedingung der Möglichkeit ihrer Kontrolle. Die Prämisse von Kontrolle aber ist, daß diese Rechtstreue nicht mit Sicherheit vorausgesetzt werden kann. In der Hauptverhandlung räumen die Rechte zur Verfilgung über Informationen in ihrem Zusammenspiel Macht im Hinblick auf den durch Verurteilung erfolgenden Grundrechtseingriff ein. Dabei greifen die Rechte zur Zurückhaltung von Informationen einerseits und zur Präsentation von Beweismitteln andererseits ineinander. Sie entfalten ihre Wirkung auf dem Hintergrund des vom Strafprozeßrecht vorausgesetzten Systems der Entscheidungsfindung. So erlauben es die §§ 54, 96 i.V.m. §§ 244 Abs. 2, 261 StPO (in der Interpretation der herrschenden Meinung) den Ermittlungsbehörden, die Vernehmung des unmittelbaren Zeugen durch das Referat seiner Aussage vor der Polizei zu ersetzen. Anstelle des verdeckten Ermittiers oder anderer Zeugen, filr die die Aussage vor Gericht nach Einschätzung der Exekutive

2 Volten

18

Einleitung Leibes- oder Lebensgefahren begründen könnte - und deren Anonymität sie daher wahren dürfen - werden die Kriminalbeamten vernommen, die berichten, was der Zeuge ausgesagt hat. Fragen, deren Beantwortung Rückschlüsse auf Quelle und Entstehung der Information zuließe, müssen gern. § 54 StPO nach herrschender Auffassung nicht beantwortet werden. Im Ergebnis steht den Ermittlungsbehörden das Recht zu selektiver Information zu. Die herrschende Auffassung bestreitet die Auswirkung solch lückenhafter Informationen auf die Entscheidung des Gerichts mit dem Argument, der Beweiswert solcher Aussagen bleibe entsprechend ihrem niedrigen Informationswert hinter dem der Aussagen unmittelbarer Zeugen zurück. Falls dies zutrifft und auch angemessene Berücksichtigung in der BeweiswÜfdigung finden kann, begründet das Recht zu selektiver Information keine Einflußmöglichkeit auf die richterliche Entscheidung, die den Strafeingriff legitimiert - also keine Macht zum Grundrechtseingriff. Dies scheint jedoch zweifelhaft, zumal ein knapper Bericht in der Regel weniger Anhaltspunkte zu Zweifeln enthält als die persönlich gefärbten Schilderungen desjenigen, der das, was er erzählt, selbst erlebt haben will: Falsche Vorstellungen beruhen in letzter Instanz stets darauf, daß der Irrende zu wenig weiß. So wundert es auch nicht, daß nur die Ermittlungsbehörden das Recht zur Ersetzung unmittelbarer Zeugen durch Verhörsbeamte haben. Einer Privatperson würde man wohl kaum gestatten, das Zeugnis einer ungenannten Person, die den Angeklagten entlasten könnte, mit dem Argument zu präsentieren, diese Person sei, als Zeuge vernommen, in ihrem Leben bedroht. Wenn sich die These begründen läßt, daß der Einfluß der Ermittlungsbehörden, der sich aus solchen Rechten zu selektiver Information ergibt, durch richterliche Beweiswürdigung nicht neutralisierbar ist, so ist dies gleichbedeutend mit der Aussage, daß den Ermittlungsbehörden unkontrollierbar Macht über die Verurteilung eingeräumt ist. In diesem Fall laufen die Kontrollmechanismen der Hauptverhandlung rechtliches Gehör rur den Angeklagten, Fragerechte und die Möglichkeit zu öffentlicher Kritik - in die Leere. Auch hier zeigt sich, daß Kontrolle die Kenntnis derjenigen Informationen voraussetzt, die zurückgehalten werden dürfen. Einfluß auf die Verurteilung erhalten die Ermittlungsbehörden möglicherweise auch durch das Recht, die Ergebnisse des Ermittlungsfahrens insgesamt nur selektiv zu präsentieren. Für ihr Vorgehen im Ermittlungsver-

Einleitung

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fahren und die dort erzielten Ergebnisse sind Polizei und Staatsanwaltschaft nur eingeschränkt berichts- und rechenschaftspflichtig und dürfen mit Teilinformationen aufwarten: In der Anklage sollen Beweismittel als derjenige Ausschnitt aus den Ermittlungen benannt werden, der sich als relevant (im Sinne der Amtsaufklärungspflicht des Gerichts) erwiesen hat. Der Stand der Ermittlungen, als deren Teil sich die angeruhrten Beweismittel darstellen, muß den übrigen Prozeßbeteiligten nicht vollständig unterbreitet werden: Zwar sind in den Akten im Grundsatz alle Ermittlungsschritte zu dokumentieren, aber wenn gewichtige staatliche Interessen auf dem Spiel stehen, gilt diese Pflicht nach herrschender Auffassung gern. § 96 StPü nicht mehi'. Zudem ist es im Hinblick auf Großverfahren der Staatsanwaltschaft de facto anheimgestellt, was in die Ermittlungsakten aufgenommen wird: Erst, wenn sie beschließt, es handele sich um ein gegen einen bestimmten Täter gerichtetes Vorverfahren, gehören die hierzu unternommenen Ermittlungen in die Akten eines gegen diesen gerichteten Strafverfahrens·. Welche Macht den Ermittlungsbehörden durch das Recht zur Auswahl des rur die Beweiserhebung im Hauptverfahren relevanten Beweismaterials zuwächst, hängt von zwei Faktoren ab: Erstens davon, welche Bedeutung der Art und Weise der Ermittlungen rur den Wert der im Hauptverfahren erhobenen Beweise zukommt, zweitens davon, ob der Inhalt der Akten es dem Gericht erlaubt, sich ein Urteil über die Ermittlungstätigkeit zu bilden. Die Folgen einer solchen selektiven Information haben sich im Verfahren wegen der Ermordung des Ex-Terroristen Schmücker gezeigt. Erst nachdem fehlende Informationen teils durch eigene Ermittlungen der Verteidigung, teils durch Indiskretionen ans Tageslicht kamen, wurde das Ausmaß der Prozeßsteuerung durch die Exekutive deutlich: Gerichte urteilten hier über ein Geschehen, dessen wirkliche Gestalt nur ein hinter den Kulissen (mit Hilfe der Ermittlungsbehörden) steuernder Verfassungsschutz kannte. Sollte sich die These begründen lassen, daß mit dem Recht zur selektiven Information den Ermittlungsbehörden Macht über die Entscheidung zu-

3 BVerfGE 57,249 (284 f1); 63,45 ff.; BVerwG, StrafV 1984,278; 1986,523 ff.; BGHSt 28,313; 29, 313; 31, 149 (155 f.); 32, 115 (126); 33,74; 33, 90; 33, 180; NStZ 1985,468; Geißer, GA 1985, 259; Arloth, Geheimhaltung von V-Personen und Wahrheitsfindung im Strafprozeß, 1987, S. 37 ff.; Herdegen, NStZ 1984, 100; Bruns, Neue Wege zur Lösung des strafprozessualen V-Mann-Problemes, 1982, S. 27; Löwe/Rosenberg/Rieß zu § 199, Rdnr. 13 einerseits und zu § 163 Rdnr. 60 andererseits (neuere Auffassung); zur Praxis s. Anlage D, RiStBV Abschn. 11. 5.6., Abschn. 11. 4.3. 4 Vgl. die sog. "Spurenaktenentscheidung" des BVerfG, in BVErfGE 63, 45 (66 f.); Meyer/Goßner, NStZ 1982, 353 (357).

2"

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Einleitung wächst, dann ist damit zugleich die fehlende Kontrollierbarkeit dieser Macht begründet: Denn daß das Gericht seine Entscheidung auf Infonnationen der Exekutive stützen muß, ohne sie überprüfen zu können, konstituiert deren Macht.

Das Ziel der Untersuchung ist es, festzustellen, ob diese durch Infonnationsbeherrschungsrechte begründete Macht verfassungsrechtlich tragbar ist. Daß sich die durch rechtliche Befugnisse eingeräumte Macht mißbrauchen läßt, ist nichts Ungewöhnliches und stellt die prinzipielle Zulässigkeit von Macht keineswegs in Frage. Damit solche Mißbräuche die Ausnahme bleiben, stellt die Verfassung den Bürgern mit der Rechtsweggarantie und den diese Garantie ausgestaltenden Justizstandards, wie rechtliches Gehör und faires Verfahren, Kontrollmechanismen zur Verfilgung. Sie stehen auch in den eben beschriebenen Fallkonstellationen zur Verfilgung, erfilllen hier jedoch ihre Funktion nicht, weil Infonnationsbeherrschungsrechte die Zurückhaltung derjenigen Infonnationen erlauben, deren Kenntnis Voraussetzung für eine Kontrolle wäre: Art. 19 Abs. 4 GG setzt voraus, daß der Betroffene vom Eingriff erfil.hrt; Justizstandards, wie rechtliches Gehör und faires Verfahren, wirken auf die Entscheidungen innerhalb von Rechtserkenntnisprozessen nur ein, sofern was Entscheidungsgrundlage ist, auch öffentlich verhandelt wird. Es wird daher zu fragen sein, ob auch die Kontrollierbarkeit staatlichen Handeins bzw. das tatsächliche Funktionieren der Kontrollinstitute als Voraussetzung dieser Justizgarantien mitgewährleistet ist. Dies setzt voraus, daß staatliches Handeln für die Betroffenen entweder transparent ist oder transparent gemacht wird (Betroffenenöffentlichkeit). Diese Betroffenenöffentlichkeit muß ihrerseits gesichert sein - es genügt nicht, daß sie rechtlich geboten ist. Allerdings wäre damit noch nicht gesagt, daß dieser Grundsatz der Betroffenenöffentlichkeit keine Einschränkungen erflihrt. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, weIchen Stellenwert die Garantie der Kontrolle staatlicher Tätigkeit innerhalb der Verfassungsordnung einnimmt. Die Kontrollierbarkeit staatlichen Handeins schließt nämlich - wenn man sie in der skizzierten Weise auslegt bestimmte Handlungsfonnen prinzipiell aus und behindert, so jedenfalls die herrschende Meinung, auf diese Weise die Erfilllung staatlicher Aufgaben: Die Einführung verdeckter Ennittlungsmethoden, die Verlängerung der Geheimhaltung ins Hauptverfahren und die Beweisführung durch Verhörspersonen werden in diesem Sinne stets mit der Notwendigkeit der Bekämpfung organisierter Kriminalität legitimiert. Pflichten zur vollständigen Dokumentation des Ennittlungsverfahrens erschweren die Durchführung insbesondere umfangreicherer Strafverfahren. Es wird daher nach dem Verhältnis von Kontrolle als rechts-

Einleitung

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staatlichem Fonnprinzip und der "Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege" ebenfalls als rechtsstaatlichem Prinzip zu fragen sein. Im ersten Teil der Arbeit werden einige Fälle aus der Praxis vorgestellt, die exemplifizieren, welche Macht Infonnationsbeherrschungsrechte de facto einräumen. Im Anschluß daran soll ennittelt werden, welche Freiheit den Ennittlungsbehörden im Umgang mit Infonnationen eingeräumt ist, wenn man der herrschenden Auffassung folgt. Im zweiten Teil wird die Frage beantwortet, in welchem Umfang die Kontrollierbarkeit staatlichen Handeins unter Beteiligung der betroffenen Bürger ein verfassungsrechtliches Desiderat ist. Dabei sollen die Anforderungen an die Kontrolle staatlichen Handeins aus grundrechtlich-rechtsstaatlichen Prinzipien hergeleitet werden. Im dritten Teil der Arbeit soll dargestellt werden, wie weit die Macht reicht, die den Ennittlungsbehörden durch Infonnationsbeherrschungsrechte, d.h. durch die Berechtigung zur Erteilung von Infonnationen einerseits und durch das Recht, sie zurückzuhalten andererseits eingeräumt ist. Diese Macht, die in der Möglichkeit zum Gebrauch der Wissensüberlegenheit liegt, wird sodann an den zuvor gewonnenen Anforderungen an die Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns zu messen sein. Schließlich muß gefragt werden, welches die Konsequenzen sind, die daraus resultieren: ob es im Einzelfall möglich ist, das zwischen Ennittlungsbehörden und Betroffenen bestehende Wissensgefiille aufzuheben oder ob es notwendig ist, dessen Wirksamkeit zu unterbinden. In diese Überlegungen soll darüber hinaus die Tätigkeit solcher Behörden miteinbezogen werden, die im Strafverfahren die Funktion von Ennittlungsbehörden zu übernehmen die Möglichkeit haben, wie dies im Fall Schmücker im Hinblick auf das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin der Fall gewesen ist.

Teil! Praxis und Theorie der Rechte zur Vert"'igung über Informationen nach der herrschenden Auffassung A. Einige Beispiele aus der Praxis Im folgenden werde ich einige Fälle kurz darstellen, die die Gefahren eines Wissensmonopols der Ermittlungsbehörden, d.h. zugleich des Fehlens einer jeden öffentlichen und beteiligten-öffentlichen Kontrolle belegen sollen. Das Problem einer Arbeit, die sich mit Rechten zu (teilweiser) Geheimhaltung staatlicher Tätigkeit befaßt, besteht darin, daß sie auf Anschauungsmaterial nur zurückgreifen kann, wo es gelungen ist, die Geheimhaltung zu durchbrechen. Das birgt eine doppelte Schwierigkeit im Hinblick auf das Erkenntnisziel, die Befugnisse zur Teil- oder Nichtinformation unter rechtsstaatlichen Aspekten prinzipiell in Frage zu stellen. Zum einen erscheint es so, als vermöchten auch Geheimhaltungsbefugnisse öffentliche Kontrolle nicht zu verhindern, da ja die angeführten Fälle publik geworden sind. Zum anderen - dies ergibt sich aus der ersten Annahme scheint es sich um skandalöse Einzelfälle zu handeln. Vereinzelte Skandale sind aber durch rechtsstaatliche Garantien niemals auszuschließen, ihr Vorkommen stellt daher den Charakter einer Tätigkeit als rechtsstaatlich nur im Einzelfall, nicht jedoch prinzipiell in Frage. Dreierlei ist gegen solche Erwägungen vorab einzuwenden: Erstens: die Annahme, es habe sich um Ausnahmefälle gehandelt, beruht darauf, daß man solche Fälle in aller Regel automatisch in das sonst geläufige Schema staatlichen Handeins einordnet, Skandale geheim arbeitender Behörden werden nicht als Ausdruck mangelhafter Qualität im allgemeinen betrachtet, sondern als das, was sie normalerweise, unter den Bedingungen der Publizität, auch wären: Einzelfälle, die im Rechtsstaat vorkommen können, ohne das System als solches zu diskreditieren 1•

1 So erklärt sich der - sich allgemeiner Zustimmung erfreuende - Satz des Bundesverfassungsgerichts, daß Einzelfälle von behördlichem Mißbrauch Rechtsstaatlichkeit nicht in Frage stellen (BVerfDE 30, I ff. (27); 63, 45 ff. (64), daß vielmehr im Rechtsstaat auf die faire Anwendung eines Gesetzes vertraut werden müsse.

I. Der FalI Schmücker

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Dieses Urteil ist naturgemäß nur auf der Basis öffentlicher und beteiligtenöffentlicher Kontrolle berechtigt. Fehlt diese nämlich, so fehlt zugleich die präventive Wirkung, die Skandale zur Ausnahme macht. Dann können letztere ebensogut Indizien für die Regel, wie für die Ausnahme behördlicher Praxis darstellen. So ist auch hinsichtlich der bekanntgewordenen Skandale völlig offen, ob dies die einzigen Aktionen sind, die sich in vergleichbarer Weise abgespielt haben. Eher spricht gegen ihre Singularität, daß sonst angenommen werden müßte, daß alle skandalösen Fälle im nachhinein bekannt werden. Zweitens sollte bei Lektüre der Fälle deutlich werden, daß deren Publizität nicht darauf beruht, daß im Ernstfall Kontrolle doch wirksam wird: Diese Skandale sind nicht aufgrund öffentlicher bzw. beteiligten-öffentlicher Überwachung staatlicher Tätigkeit bekanntgeworden, sondern aufgrund von behördeninternen Indiskretionen, die teils gezielt (so wohl im Falle des Celler Loches), teils versehentlich erfolgten. Auf die durch nichts begründete Annahme, solche Pannen würden sich regelmäßig ereignen, läßt sich das Argument, alle oder doch die meisten Skandale würden publik, nicht stützen. Drittens wäre zu fragen, ob der Rechtsstaat solche Folgen (Opfer), wie sie das heimliche Vorgehen seiner Behörden für die Betroffenen gezeitigt haben (im Falle Schmücker erfolgte die Verfahrenseinstellung, nachdem die Angeklagte Ilse Schwipper neun Jahre U-Haft "verbüßt" hatte, im Falle Bullerjahn nach sechsjähriger Strathaft) dem einzelnen zugunsten der Allgemeinheit zumuten will. Denn soviel läßt sich mit einiger Gewißheit sagen: Hätte in diesen Fällen das Handeln der Amtsträger von vornherein öffentlich gerechtfertigt werden müssen, so wären den Beteiligten diese Opfer in beiden Fällen erspart geblieben.

I. Der Fall Schmücker Die Geschichte des Falles "Schmücker" ist die eines der längsten Strafprozesse, die in der Bundesrepublik Deutschland stattfanden2 • Die Dauer und der spektakuläre Charakter des Verfahrens sind daraufzuTÜckzufUhren, daß sich im Laufe der Zeit die Anhaltspunkte dafür häuften und schließlich zur Gewißheit verdichteten, daß Ermittlungsbehörden und Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Berlin das Hauptverfahren zu einer Art Schauprozeß umfunktioniert hatten: Durch Vorenthaltung von Beweismitteln, durch gezielte, teilweise falsche Informationen, durch nach Strafprozeßrecht verbotene

2

Die Entscheidung ist abgedruckt in: StrafV 1991,371 ff.

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

Einflußnahme auf Zeugen gelang es zunächst, der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild des Tatgeschehens zu präsentieren, das von allen denjenigen Aspekten "gereinigt" war, die Anlaß zum Zweifeln geboten hätten. Die Ermittlungsbehörden hatten anstelle des Gerichts für sich die Kompetenz in Anspruch genommen, darüber zu urteilen, wer für die Tat zu strafen sei. In welchem Umfang sie das Verfahren gesteuert hatten, wurde erst deutlich, nachdem - anderthalb Jahre vor Prozeßende - das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" die ihm zugespielte Rede des damaligen Leiters des LfV, Zachmann, veröffentlichte, in der dieser den Amtsleitern der Verfassungsschutzbehörden der anderen Bundesländer das Vorgehen des LfV Berlin minutiös geschildert hattel . Daraufhin setzte das Berliner Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsausschuß ein, der die Hintergrunde des Prozeßgeschehens aufklären sollte. Nur die wesentlichen Aspekte dieser Verfahrenssteuerung sollen im folgenden dargestellt werden: Der Student Ulrich Schmücker war am 4. Juni 1974 im Berliner Grunewald ermordet worden. Die Tat wurde sechs Mitgliedern einer Wolfsburger Wohngemeinschaft zur Last gelegt. Das Verfahren gegen fünf der sechs Angeklagten dauerte über sechzehn Jahre; dreimal wurden sie verurteilt4 , ebenso oft wurden die Urteile vom Bundesgerichtshof aufgehoben s. Im vierten Durchgang stellte die 18. Strafkammer des Landgerichts Berlin das Verfahren nach einer umfangreichen Beweisaufuahme wegen Rechtsstaatswidrigkeit ein6 • Gegen den sechsten Angeklagten - Jürgen Bodeux -, der in allen drei Prozessen als Hauptbelastungszeuge fungierte, wurde bereits das erste Urteil rechtskräftig. Die Anklage warf den Wohngemeinschaftsmitgliedern vor, Schmücker getötet zu haben, um ihn wegen seiner Kontakte zum Verfassungsschutz als Verräter zu brandmarken und zu bestrafen. Mit dem Vorwurf des Verrates hatte es folgende Bewandtnis: Schmücker war Anfang der siebziger Jahre an Sprengstoffanschlägen der "Bewegung 2. Juni" beteiligt gewesen. Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Gruppe wurde er im Jahre 1972 verhaftet, gestand die Sprengstoffdelikte und wurde 1973 zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Er erhielt zunächst aus gesundheitlichen Gründen Haftverschonung. Das Geständnis hatte er aufgrund massiver Einflußnahme eines Verfassungsschützers namens Grünhagen abgelegt. Schmücker faßte dessen Vorgehen wenig später in 3 Der Spiegel, v. 29.9.1989; vgl. aber auch schon Der Spiegel v. 25. 4.1988 und v. 29.9.1986. 4 Urteil der 7. Strafkammer des LG Berlin vorn 22.6.1976; - 507-95175 -; Urteil der 9. Strafkammer des LG Berlin vorn 27.7.1979, - 509-97177 -; Urteil der 13. Strafkammer des LG Berlin vorn 3.7.1986, - 513-71/80 -. 5 vgl. u.a. BGH, NStZ 1981, 71; StrafV 1989, 187. 6 LG Berlin, StrafV 1991, 371 ff.

I. Der Fall Schmücker

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einem Gedächtnisprotokoll zusammen 7 • Von April 1973 an bemühte er sich, seine Kontakte zur "Szene" wiederaufleben zu lassen und fand so Anschluß an die Wolfsburger Wohngemeinschaft. Dort stand man ihm jedoch höchst kritisch gegenüber, da man ihm nicht glaubte, daß er den Versuchen des Verfassungsschützers, ihn anzuwerben, widerstanden hatte. Daher - so die Anklage - habe man seine Ermordung geplant und durchgefUhrt. Die Anklage stützte sich vor allem auf die Aussage des Wohngemeinschaftsmitgliedes Jürgen Bodeux. Im Verlaufe der vier Hauptverhandlungen stellte sich nicht nur heraus, daß der Verfassungsschutz Schmücker im Vorfeld der Tat ohne sein Wissen als bloßes Mittel benutzt hatte, um Informationen über die Terroristenszene zu erhalten, sondern darüberhinaus, daß später das gesamte Strafverfahren der Steuerung durch das LfV ausgesetzt war. 1. Der Umgang des LfV mit SchmUcker

Im Hinblick auf das spätere Opfer Schmücker wurde offenbar, daß das LfV über seinen V-Mann-Führer Grünhagen bis zur Tat ständigen Kontakt mit jenem gehabt hatte. Obwohl bekannt war, daß Schmücker sich in Lebensgefahr befand, wurde er weder (konkret) gewarnt noch geschützt, sondern als Lockvogel eingesetzt8 • Man hoffte, über ihn mit dem engeren Kreis der "Bewegung 2. Juni" in Verbindung treten zu können. Kenntnis von der Gefahr, die fUr Schmücker bestand, erhielt das LfV über einen weiteren V-Mann namens Volker Weingraber, den es in Berlin eingesetzt hatte. Dieser arbeitete als Kellner in der Gaststätte "Tarantel" und hatte seinerseits Bekanntschaft mit den Wolfsburger Wohngemeinschaftsmitgliedern geschlossen. Er berichtete dem LfV - wenn man Grünhagens Berichten Glauben schenken darf - von deren Plan, Schmücker zu töten. Grünhagen vermerkte in den Akten, man habe darautbin erwogen, zu Schmückers Schutz einen Vollstreckungshaftbefehl, der seit 1974 gegen ihn bestand, vollziehen zu lassen, habe davon jedoch Abstand genommen, weil eine solche Verhaftung den Verdacht der Wolfsburger Gruppe, Schmücker sei Spitzel des LfV, widerlegt haben würde - man wollte diese Gruppe also provozieren, etwas gegen Schmücker zu unternehmen, um ihrer habhaft zu werden. Man hatte sogar einen Tag vor der Tat Jürgen Bodeux und Ilse Schwipper - sie war der "Kopf" der Gruppe - am Tatort observiert. Eine weitere Observation fUr den Tattag selbst war zwar

vgl. dazu Häusler, der unendliche Zeuge, S. 28 f., Dokumentation, S. 373. Urteil der 18. Strafkammer v. 28.1.1991, StrafV 1991, 371 (372 f.), S. 374 linke Spalte. 7

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

schriftlich angeordnet, diese Anordnung soll jedoch mündlich widerrufen worden sein9 • Bekannt wurde darüberhinaus, daß Schmückers Geständnis nach seiner Festnahme im Jahre 1972 teils durch Nötigung, teils durch rechtswidrige Vertraulichkeitszusagen und durch Täuschungen über den Stand der Ermittlungen, sowie durch das Versprechen einer milden Bestrafung herbeigefilhrt worden war lO • 2. Die Rolle des V-Mannes Weingraber

Offen ist weiterhin, welche Rolle der zweite V-Mann des LfV Weingraber im Hinblick auf die Tat selbst gespielt hat: Aus seinem Bericht geht hervor, daß Weingraber während der Tatzeit Mitglieder der Wohngemeinschaft in seiner Wohnung beherbergte, diesen sein Auto filr die Fahrt zum Tatort lieh und in der Nacht nach der Tat die Tatwaffe entgegennahm - die schließlich im Tresor des LfV aufbewahrt wurde, mit Fingerabdrücken des V-Mannes und Grünhagens versehen. Sie stand erst im 4. Schmücker-Verfahren als Beweismittel zur Verfügung. Nach der Ermordung Schmückers wurde Weingraber "abgetarnt", wie es in der Fachsprache heißt. Er erhielt eine neue Legende, eine Zahlung von insgesamt 750.000,00 DM und lebt nun auf einem Weingut in der Toskana. Um ihn zu decken, wurde eine Scheinfahndung gegen ihn in Gang gesetzt. Ob sich sein Anteil an der Tatbegehung darauf beschränkt, daß er den möglichen Tätern Unterkunft gewährte und sein Fahrzeug zur Verfügung stellte sowie die Tatwaffe entgegennahm, ist ungeklärt, ebenso wie die Frage, warum das LfV ihm Zahlungen in der genannten Höhe zukommen ließ. 3. Die Prozeßsteuerung

Das LfV griff in das nun folgende Ermittlungsverfahren stets lenkend ein. Das Ziel des LfV - von Innensenator und Bürgermeister gebilligt - war es, zu verhindern, daß der V-Mann Weingraber enttarnt wurde. Man wollte zudem verhindern, daß er in den Verdacht der Mittäterschaft geriet und auf diese Weise ein Anlaß zu Spekulationen über das Interesse des LfV am Tode Schmückers gegeben wäre. Aus den Berichten Weingrabers schloß man auf die

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ebenda, S. 376. vgl. das Urteil der 18. Strafkammer v. 28.1.1991, StrafV 1991,371 (372 f.).

I. Der Fan Schmücker

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Täterschaft der Wolfsburger Wohngemeinschaft und man bemühte sich, die Ermittlungen dergestalt zu beeinflussen, daß einer der Tatbeteiligten zum Geständnis veraniaßt würde. Diese Einflußnahme wurde von den Ermittlungsbehörden nicht nur hingenommen, sie vertrauten sich vielmehr der "Regie" des LfV an: An den Sitzungen des inneren Kreises der Sonderkommission Schmücker nahm stets Michael Grünhagen teil. Für ihn wurde ein Aktendoppel geftlhrt, in das alle ftlr den Gang der Ermittlungen wichtigen Informationen aufgenommen wurden. Informell gelang es Grünhagen, die Ermittlungsschritte zu beeinflussen: Indem er "Hintergrundinformationen" gab, erleichterte er einerseits die Ermittlungen, andererseits steuerte er sie insofern, als Polizei und Staatsanwaltschaft nur in Richtung auf die Wolfsburger Wohngemeinschaft ermittelten. Zunächst beschlossen die Ermittier, der Mitglieder der Wohngemeinschaft habhaft zu werden, um sie zum Geständnis zu bewegen I I. Dies geschah, indem strafprozessuale Zwangsmittel zu gesetzesfremden Zwecken mißbraucht wurden. Man vernahm zunächst die Angeklagten, obwohl sie bereits Hauptverdächtige waren, als Zeugen. Auf eine im Grunde berechtigte Aussageverweigerung hin nahm man Ilse Schwipper in Beugehaft, um die Gruppe auseinanderzureißen. Schließlich verhaftete man alle Mitglieder der Wohngemeinschaft. Die Haftgrllnde, die mit dem Mordfall Schmücker nichts zu tun hatten, waren konstruiert, die Untersuchungshaft sollte nicht die Durchftlbrung anderer Strafverfahren sichern, sondern die Geständnisbereitschaft herbeiftlhren. Volker Weingraber inszenierte dazu einen Autounfall, in das Unfall auto hatte man Material gelegt, das den Erlaß eines Haftbefehles in ganz anderer Sache gegen Jürgen Bodeux und Ilse Schwipper erlaubte I2 • Gegen zwei weitere Mitglieder der Wohngemeinschaft wurde Haftbefehl wegen des Verdachts erlassen, sie hätten zwei Säcke Kalk (!) gestohlen diese Verfahren wurden später gern. § 154 StPO eingestellt 13 • Im Falle des späteren Hauptbelastungszeugen Bodeux ging dies Konzept auf, er gestand die Tat. Im Laufe des Verfahrens erschien diese seine Aussage in einem anderen Licht als noch im ersten Prozeßdurchgang. Heute muß angenommen werden, daß die Ermittlungsbehörden auch seine Geständnisbereitschaft nicht nur durch

Urteil der 18. Strafkammer v. 28.1.91, Stratv 1991,371 (383). vgl. hierzu Häusler, Der unendliche Zeuge, S. 38 f.; Urteil der 18. Strafkammer v. 28.1.1991, StrafV 1991, 371 (382 f.). 13 vgl. dazu Häusler, Der unendliche Kronzeuge, S. 80 t1; Urteil der 18. Strafkammer v. 28.1.1991, Stratv 1991,371 (383). 11

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

Drohungen herbeigefUhrt, sondern das Geständnis sogar inhaltlich beeinflußt haben l4 . Hatte es zuvor noch geheißen, daß Bodeux aus eigener Initiative nach dem Richter verlangt und unter dem Druck all eine seines Gewissens die Tat gestanden habe, weiß man inzwischen, daß Bodeux mehrfach - bevor es zum richterlich protokollierten Geständnis kam - mit hessischen Kriminalbeamten, einem Mitarbeiter des LtV und mit zwei Staatsanwälten über den Inhalt seines Geständnisses ebenso wie über seine Geständnisbereitschaft verhandelt hatte, und zwar zu einem Zeitpunkt, von dem die Akten ausdrücklich festhalten, Bodeux habe sich geweigert, etwas auszusagen. Inzwischen steht fest, daß man Bodeux zunächst dazu veranlaßte, seinen Anwalt zu wechseln und einem (aus der Sicht des LtV) kooperationsbereiten Anwalt das Mandat zu übertragen 15. Außerdem weiß man, daß Bodeux' Aussagebereitschaft durch die (falsche) Zusicherung von Vertraulichkeit und durch das Versprechen herbeigefUhrt wurde, man werde in seinem Falle Jugendstrafrecht anwenden. (Dies geschah auch: Bodeux wurde zu einer Jugendstrafe von filnf Jahren verurteilt und nach zweieinhalb Jahren begnadigt.) Sehr wahrscheinlich ist darüberhinaus, daß im Zusammenhang mit diesem Geständnis die Beteiligung des Zeugen Bodeux an zwei Raubüberfällen in Köln-Porz vertuscht worden ist. Die 18. Strafkammer hielt es fiir naheliegend, daß Bodeux mit der Drohung, falls er nicht rede, werde in der Kölner Angelegenheit weiter gegen ihn ennittelt, zum Geständnis gedrängt wurde l6 • Obwohl es in diesem Fall konkrete Hinweise auf die Täterschaft Bodeux' gab, ist z.B. niemals ein Vergleich der am Tatort in Köln gefundenen Fingerabdrücke mit denen Bodeux' durchgefilhrt worden - bzw. falls er durchgefUhrt wurde, ist dies nicht aktenkundig geworden. Heute läßt sich das nicht mehr nachholen, weil die Fingerspur regelwidrig vernichtet wurde. Darüberhinaus existieren Anhaltspunkte dafilr, daß Bodeux V-Mann des Bundesamtes filr Verfassungsschutzes gewesen ist: Ein mit dem Raubmord befaßter Ennittlungsbeamter hatte solches in den Akten vennerkt. Insgesamt zeichneten sich die Ennittlungen dadurch aus, daß das LtV die Ennittlungsbehörden von Beginn an davon überzeugte, daß als Täter nur die später Angeklagten in Betracht kämen. Diese Behauptung wurde durch gezielte Infonnationen gestützt, die teilweise auch Eingang in die Ennittlungsakten fanden 17; einige erwiesen sich später als geflilscht:

vgl. dazu das Urteil der 18. Strafkammer v. 28.1.1991, StrafV 1991,371 (384). zitiert nach dem Urteil der 18. Strafkammer v. 28.1.1991, StrafV 1991,371 (384). 16 LG Berlin, StrafV 1991, 371 (390). 17 EljJerding, cilip 28, S. 37. 14

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I. Der Fall Schmücker

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Schmücker soll demnach gegenüber Grünhagen geäußert haben, er filhle sich durch die Wolfsburger bedroht. Tatsächlich hatte er andere Personen genannt, gegen die aber nie ennittelt wurde. Außerdem wurde mitgeteilt, eine Observationsgruppe des LfV habe Schmükker zusammen mit den später Angeklagten in der Gaststätte "Tarantel" beobachtet, was nicht zutraf. Tatsächlich handelte es sich um die Wiedergabe eines Berichtes des V-Manns Volker Weingraber. Er will an diesem Tage ein solches Treffen gesehen haben, was die zur selben Zeit in der Gaststätte anwesenden Observanten jedoch - als man sie später als Zeugen vernehmen durfte gerade nicht bestätigen konnten l8 • Weiter wurden folgende Infonnationen zurückgehalten, obwohl sie fiir die Sachverhaltsennittlung von besonderer Bedeutung waren: Ein Telefonkontakt Schmückers mit dem LfV am Tattage, die "Sicherstellung" der Tatwaffe, die Existenz eines wichtigen Zeugen, nämlich Volker Weingrabers. Von dem Vorhanden sein der beiden letzteren Beweismittel erhielt im Laufe des 3. Schmücker-Verfahrens der Strafkammervorsitzende Kenntnis - ohne diese den übrigen Prozeßbeteiligten weiterzugeben, geschweige denn, Beweis zu erheben. Möglicherweise sind auch Belastungsbeweise künstlich hergestellt worden: Die 18. Strafkammer hielt es filr möglich, daß das LfV die Schreibmaschine Weingrabers, auf der das Bekennerschreiben getippt worden sein soll (in Übereinstimmung mit Bodeux' Geständnis) in einem Fluß versenkt und später dort (als Beleg filr Bodeux' Glaubwürdigkeit) wieder geborgen hatte. Das LfV jedenfalls erklärte, man halte ein solches Vorgehen fiir zulässig l9 • Die Ennittlungen wurden stets entsprechend den Vorgaben des LfV gefiihrt: Da man zu wissen glaubte, wer die Täter waren, ging man nur solchen Spuren nach, die geeignet waren, die venneintlichen Täter zu belasten. Entlastendes Beweismaterial wurde ebenso ignoriert wie Spuren, die auf andere Täter hindeuteten2o • Während des Hauptverfahrens forschte das LfV die Strategie der Verteidiger aus, indem es im Büro eines der Verteidiger einen V-Mann plazierte, der minutiös über geplante Beweisanträge, Einschätzungen von Aussagen u.ä. berichtete. Schließlich bestehen auch noch Anhaltspunkte dafilr, daß die Telefongespräche der Verteidiger abgehört worden sind.

Elfferding, cHip 28, S. 37. Urteil der 18. Strafkammer vom 28.1.1991, StrafV 1991,371 (387). 20 vgl. dazu u.a. Häusler, Der unendliche Kronzeuge, S. 31 ff. 18

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte 4. Die Aufdeckung

Die Aufdeckung der geschilderten Zusammenhänge nahm sechzehn Jahre in Anspruch. Das Landesamt für Verfassungsschutz hatte Sorge, daß die Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge in der Öffentlichkeit zu einem gravierenden Verdacht gegen die Behörde führen könnte: Man selber war nicht sicher, ob Weingraber nicht vielleicht an der Tatausführung beteiligt gewesen sei. Man scheute eine öffentliche Diskussion dieses Inhalts, weil man befürchtete, daß es Mitgliedern der Bewegung "sicherlich nicht allzu schwer gewesen (wäre), der Öffentlichkeit sogar noch das Motiv des Verfassungsschutzes für die Ermordung Schmückers zu liefern21o , dajene im Besitz des von Schmücker geschriebenen Gedächtnisprotokolls waren. Die hierauf und auf die Prozeßsteuerung selbst verweisenden Beweismittel sind anfangs unterdrückt worden, die diesbezüglichen Akten wurden in drei Strafverfahren nahezu vollständig vorenthalten, im vierten Verfahren sind zwar die meisten Akten vorgelegt worden, versehen jedoch mit zahlreichen Schwärzungen und Fehlblättern - überdies nicht paginiert. Die ersten brauchbaren Anhaltspunkte für die Verwicklung des LfV in die Ermittlungen und für deren Manipulation erhielt die Verteidigung im Falle Bodeux. Dessen Rolle als inoffizieller Kronzeuge wurde ruchbar, als Bodeux parallel zum 2. Schmücker-Verfahren - gegen seinen früheren Verteidiger aussagte. Dabei erwähnte er versehentlich, daß er während der Untersuchungshaft von mehreren Kriminalbeamten und dem Berliner Staatsanwalt aufgesucht worden war, und zwar noch bevor er dem Haftrichter, aus eigenem, spontanen Einfluß seine Tatbeteiligung gestanden haben wollte. Daraufhin beantragte die Verteidigung die Beiziehung der Bodeux betreffenden Akten des Landeskriminalamtes Hessen (LKA) (DF 2066), in der man Protokolle der mit den Ermittlern geführten "Gespräche zu finden hoffie - ohne Erfolg. Das LKA teilte mit, diese Akten enthielten lediglich Bodeux' Lichtbilder und einen Personalbogen, weitere geheimgehaltene Akten existierten nicht. Erst als dem Journalisten Stefan Aust per Indiskretion Teile dieser Akten zugespielt wurden, sah sich das LKA gezwungen, deren Existenz einzuräumen, sperrte sie jedoch gern. § 96 StPO. Ein Verwaltungsgerichtsverfahren zur Erzwingung der Herausgabe blieb (in letzter Instanz) erfolglos22 • ft

21 Zachmann, Redemanuskript, S. 11, zitiert nach dem Urteil der 18. Strafkammer vom 28.1.1991, StrafV 1991,376. 22 vgl. dazu die Urteile: VG Wiesbaden, StrafV 1982,230 ff.; BVeIWG, StrafV 1984, 278 ff. und die Darstellung im Urteil des LG Berlin, StrafV 1991, 371 (389).

I. Der Fall Schmücker

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Im 4. Schmücker-Verfahren wurden diese Akten vorgelegt, jedoch ersichtlich unvollständig. Nicht anders verhielt es sich mit den Akten, die das hessische LKA zum Mordfall Schmücker filhrte (DF 1979) und in denen die Verteidiger nunmehr ebenfalls Protokolle der ersten Vernehmungen Bodeux' vermuteten. Um deren Herausgabe wurde ein Verwaltungsrechtsstreit gefilhrt, der im hiesigen Zusammenhang von Interesse ist, weil er ein Spezifikum von Geheimhaltungsbefugnissen belegt: In einem Vergleich vor dem VG Wiesbaden hatte sich das LKA verpflichtet, diese Akte bis auf deren geheimhaltungsbedürftige Bestandteile vorzulegen. Zur Erfiillung des Vergleiches wurden der Verteidigung Papierschnitzel eines Fernschreibens vorgelegt. Nun machten die Verteidiger ein weiteres Fernschreiben ausfindig, das ebenfalls in der Akte enthalten sein mußte, und dessen Zurückhaltung durch Geheimhaltungsbefugnisse offenbar nicht mehr gedeckt war. Dessen Präsentation belegte zwar, daß das LKA seiner Pflicht nicht nachgekommen war, es verhalf den Verteidigern indessen nicht zu einer Vollstreckung bezüglich weiterer Aktenteile. Das VG lehnte die Verhängung eines Zwangsgeldes mit der Begründung ab, eine Überprüfung der Erfilllung des Vergleiches sei nicht möglich ohne Kenntnis vom Inhalt der Akten, andernfalls laufe man Gefahr, zugleich die Vorlage tatsächlich geheimhaltungsbedürftiger Aktenteile zu erzwingen23 • Die erwähnte Aussage Bodeux' filhrte auf die Spur eines weiteren geheimgehaltenen Aktenbestandes: Der - bei den ersten Vernehmungen anwesende Staatsanwalt mußte weitere Akten angelegt haben, in denen Bodeux' Aussagen dokumentiert waren. Dem Beschluß der 9. Strafkammer, die Akten der Staatsanwaltschaft dem Gericht vorzulegen, verweigerte Justizsenator Meyer als Dienstherr die Folge. Als Begründung wurde wiederum angefilhrt, "das Bekanntwerden des Inhalts würde dem Wohl des Landes Berlin Nachteile bereiten" (§ 96 StPO). Das gern. §§ 23, 25 EGGVG angerufene Kammergericht Berlin bestätigte die Rechtmäßigkeit der Geheimhaltungserklärung, das erkennende Gericht sei an die "Sperrerklärung" gebunden. Die restlose Offenbarung dieser "Handakte" erzwang erst der Untersuchungsausschuß. Zunächst gelang es nur, zweier Vermerke über die Aussagen habhaft zu werden24 • Immerhin konnte auf diese Weise festgestellt werden, daß die ersten Geständnisse Bodeux' unter Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden zustandegekommen waren. Im 2. und 3. Schmücker-Verfahren wurde daraus lediglich die Konsequenz gezogen, daß die Genese der ersten richterlichen Aussage Bodeux' nicht ver-

23 24

vgl. hierzu Häusler, Der unendliche Kronzeuge, S. 161 ff. vgl. dazu Häusler, Der unendliche Kronzeuge, S. 42 ff.

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

wertet wurde - um die Verurteilung dann u.a. aufsein ordnungsgemäß vor dem Richter abgelegtes Geständnis zu stützen. Bis zuletzt blieben sieben Seiten der Akte weit~rhin gesperrt. Diese Seiten enthielten tatsächlich lediglich einen sich auf Volker Weingraber beziehenden anonymen Hinweis, dieser sei V-Mann des LfV. Die Staatsanwaltschaft wollte das Gericht davon überzeugen, daß diese sieben Blatt nicht, wie von Verteidigung und Gericht im zweiten Verfahren angenommen, Infonnationen über Jürgen Bodeux enthielten. Man brachte sie einem (rur zuverlässig gehaltenen) Ergänzungsrichter zur Kenntnis - dieser wiederum berichtete dem Vorsitzenden der Strafkammer davon. Letzterer schloß daraus, daß dieser Hinweis als Verschlußsache behandelt wurde, erstens daß Weingraber tatsächlich V-Mann sei, zweitens daß der Verfassungsschutz die Tatwaffe haben müsse. Er enthielt dies Wissen den anderen Prozeßbeteiligten vor - und unternahm auch nichts zur weiteren Aufklärung dieses Sachverhaltes. Die Art und Weise, wie im Falle des Porzer Raubmordes gegen Bodeux ennittelt wurde, konnte in vollem Umfang erst erkannt werden, nachdem die sich mit Bodeux' Beteiligung befassende Spurenakte Nr. 74 der Kriminalpolizei Köln ihrem gesamten Inhalt nach offengelegt wurde. Von der 200 Seiten umfassenden Akte wurden im 2. Schmücker-Verfahren lediglich 48 Seiten vorgelegt, mit der Versicherung, hierbei handele es sich um die gesamte Akte. Die - bis auf die Fingerspuren - vollständige Akte tauchte erst auf, nachdem die Verteidiger im Jahre 1986 ein Ennittlungsverfahren gegen einen mit dem Fall betrauten Kriminalbeamten initiiert hatten und die Akte zu dessen Entlastung benötigt wurde. Erst dadurch wurde nachweisbar, daß Bodeux konkret - und nicht, wie von der Kölner Polizei behauptet, "prophylaktisch" - verdächtigt worden war s. Ob dieser Verdacht verifiziert worden ist (was anband der Fingerabdrücke ohne weiteres möglich gewesen wäre) ist bis heute ungeklärt. Die Art und Weise, wie das LfV mit Schmücker verfahren war, und die Verwicklung des V-Mannes Weingraber konnten erst nachgewiesen werden, als schließlich die Akten des LfV und der Kriminalpolizei Berlin zum Fall Schmücker zur VerfUgung standen. Diese enthielten die Berichte Grünhagens über seine Kontakte zu Schmücker, desgleichen seine Vennerke über Volker Weingrabers Infonnationen. Zuvor hatten die Verteidiger wenig erfolgreich versucht, diesen Themenkomplex durch Vernehmungen u.a. des Präsidenten des LfV, Natusch und seines Mitarbeiters Grünhagen aufzuklären. Natusch sagte überhaupt erst aus, als die Verweigerung seiner Aussagegenehmigung drohte, den Fortgang des Prozes-

2S

vgl. dazu die Darstellung bei Häusler, Der unendliche Kronzeuge, S. 62.

I. Der Fall SchmUcker

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ses zu verhindern: Nachdem die Kammer schon beschlossen hatte, den Ausgang eines auf Erteilung der Aussagegenehmigung gerichteten Verwaltungsstreitverfahrens abzuwarten, erhielt Natusch die Aussagegenehmigung, nahm aber nur zu Einzelfragen Stellung26 • Grünhagen wurde als Zeuge erst freigegeben, nachdem es 1979 gelungen war, seine Legende zu durchbrechen. Er sparte bei seiner Aussage jedoch aus, daß er über die Gefahr informiert war, die Schmücker drohte, auch die Rolle Weingrabers verheimlichte ei7 • Einem Antrag auf Beiziehung der bei weitem aussagekräftigeren Akten des LtV und der Kripo gab die 13. Strafkammer im 3. Schmücker-Verfahren zwar statt, die Vorlage der Akten wurde jedoch gern. § 96 StPO verweigert mit der Begründung, daß diese Akten ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig seien. Das Bundesverwaltungsgericht stellte demgegenüber im Sommer 1986 klar, daß im Falle des § 96 StPO nur konkrete und gegenwärtige Gefahren fUr das Wohl des Bundes oder eines Landes die Ablehnung gerechtfertigt haben würden. Da die Schmücker-Akten einen zurückliegenden Sachverhalt zum Gegenstand hätten, sei dies besonders begründungsbedürftig28 • Bevor die Problematik im 4. Schmücker-Verfahren erneut aktuell werden konnte, wurde im Herbst 1989 dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" die oben erwähnte "Zachmann-Rede" zugespielt. Damit wurde zugleich ein wesentlicher Teil des Akteninhalts - speziell die Rolle Weingrabers - öffentlich bekannt. Weil nunmehr das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Zusammenhänge geweckt war, begann ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses zum Fall Schmücker seine Arbeit. Eine weitere Geheimhaltung aller Akten erschien angesichts der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses kaum mehr aussichtsreich. Die beiden Aktensammlungen wurden aus diesem Grunde nunmehr auch dem Gericht zumindest partiell vorgelegt. Da sie jedoch keine Paginierung enthalten und auch nicht nachvollziehbar geordnet sind, darüberhinaus eine Vielzahl von Schwärzungen und Fehlblättern enthalten, ist (nach den Feststellungen der 18. Strafkammer) eine Kontrolle, ob die Akten nachträglich manipuliert wurden, nicht möglich. Bis heute nicht zugänglich sind die Akten des LtV über den V-Mann Weingraber und über den in die Anwaltskanzlei eines der Verteidiger eingeschleusten V-Mann Christian Hain. Es fehlen daher Informationen ü~er die Entlohnung des V-Mannes (sie soll nach dem Wert der Informationen abgestuft gewesen sein) und darüber, aus welchen Gründen Weingraber ca. dreiviertel Millionen DM erhielt.

26

27 21

vgl. Dokumentationen, StrafV 1982, 180 (195). ebenda, S. 164. BVerwG, StrafV 1986, 523 ff.

3 Velten

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

Die mißbräuchliche Verhängung von Untersuchungshaft, das Zurückhalten des Zeugen Weingraber und der Tatwaffe als Beweismittel wurden erstmals offenbar, als "Der Spiegel" nach dem 3. Schmücker-Urteil das Redemanuskript Zachmanns veröffentlichte. Die Einseitigkeit der Ermittlungen wurde deutlich, als die Existenz eines Hinweisordners bekannt wurde, weil ein im ersten Schmückerverfahren vernommener Ermittlungsbeamter ihn versehentlich erwähnte. Insgesamt filhrte die Verteidigung sechzehn Verwaltungsgerichtsverfahren gegen die Sperrung von Zeugen und Akten - überwiegend mit negativem Erfolg. Das Schmücker-Verfahren belegt erstens, mit welchem Rechtsverständnis der Ermittlungs- und Verfassungsschutzbehörden gerechnet werden muß. Die gutwilligste Deutung dieses Prozeßverhaltens besteht darin, daß die Verfassungsschützer und Ermittlungsbehörden von der Täterschaft der sechs Angeklagten überzeugt waren, verfahrensrechtliche Vorkehrungen als Hindernis für deren Verurteilung und deshalb als unbeachtlich betrachtet haben. Daß das Strafprozeßrecht als geltendes Recht auch und gerade für Ermittlungsbehörden verbindlich ist und daß schon deshalb der offene Rechtsbruch zur Herbeiruhrung eines vermeintlich materiell "gerechten" Urteils keiner Rechtfertigung fähig ist, bedarf kaum einer Erwähnung. In diesem Zusammenhang ist jedoch vor allem die Diskrepanz zwischen dem Sachurteil der Ermittlungsbehörden und dem öffentlich vertretbaren Urteil von Bedeutung: Daß die Ermittlungsbehörden dem Gericht die Urteilskompetenz der Sache nach entzogen und sie sich selbst angemaßt haben, führte zu einer verzerrten Sachdarstellung in der Hauptverhandlung. Die meisten, jedenfalls die wichtigsten Belastungsbeweise waren selbst produziert. Quelle für die Überzeugung des LfV von der Täterschaft (und Legitimation fUr die Schaffung eines Tatbildes) waren im wesentlichen die Berichte Weingrabers, die aber, kritisch betrachtet, durchaus auch die Deutung zulassen, daß Weingraber selbst unmittelbar an der Tatbegehung beteiligt gewesen sein könnte. Wären diese Berichte von vorneherein offen zur Prozeßgrundlage gemacht worden und, hätte man Bodeux nicht das Geständnis abgenötigt, so würde dies fUr eine Verurteilung kaum genügt haben. Das Verfahren zeigt, daß ein Zwang fUr das Gericht, sich mit allen rur und gegen den Tatvorwurf sprechenden Anhaltspunkten auseinanderzusetzen, nicht herstellbar ist, ohne daß das Beweismaterial rur alle Prozeßbeteiligten verftlgbar ist. Fehlt die Beteiligung der Angeklagten, so tritt an Stelle eines öffentlich vertretbaren Urteils eine Verurteilung bloß aufgrund des subjektiv für richtig gehaltenen Ergebnisses (was oft gleichbedeutend ist mit dem gewünschten Resultat).

11. Der Fall Bullerjahn

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Zweitens zeigt der Prozeß, daß das Beweis- und Verfahrensrecht der Hauptverhandlung eine Verfahrenssteuerung solange zuläßt, wie Vorgänge aus dem Ermittlungsverfahren (hier Lw.S.) den Prozeßbeteiligten gegenüber geheimgehalten werden dürfen und können, weil eine Verletzung von Offenbarungspflichten keiner Sanktion unterliegt. Dem widerspricht keineswegs, daß im Falle Schmücker trotz dieser Geheimhaltungsrechte letztlich viel von dem zutage getreten ist, was die Ermittlungsbehörden öffentlich nicht glaubten präsentieren zu dürfen. Diese Durchbrechung der Heimlichkeit war nämlich nicht allein das Ergebnis der außergewöhnlich guten "externen" Ermittlungsarbeit der Verteidiger, - wie sie im übrigen in Strafverfahren nicht regelmäßig geleistet werden kann -, sie wäre nicht denkbar gewesen ohne absichtliche wie versehentliehe Indiskretionen aus dem Bereich der Behörden selbst. Erst nachdem dem Journalisten Stefan Aust und später dem Spiegel interne Dokumente zugespielt worden waren und erst nachdem der Belastungszeuge Bodeux versehentlich Fakten preisgab, die offenbarten, daß sein Geständnis so spontan nicht gewesen sein konnte, wurden die Versuche der Prozeßsteuerung erkennbar. Die Bestrafung war zu dieser Zeit faktisch bereits vollzogen: Als filr das Verfahren relevant wurde die Prozeßsteuerung erst nach sechzehn Jahren anerkannt - nachdem die Hauptangeklagte bereits neun Jahre in Haft verbracht hatte und die gesamte Lebensplanung ihrer Mitangeklagten durch den Prozeß nachhaltig beeinträchtigt worden war. Die Aufdeckung der Vorgehensweise von Ermittlungsbehörden kam also zu spät, als daß sie den Angeklagten noch hätte nützen können. Überdies kann nicht angenommen werden, daß in jedem Fall einer solchen Prozeßsteuerung eine Information der Öffentlichkeit durch die Behörden erfolgen wird.

11. Der Fall Bullerjahn 1. Der Fall

Der Hochverratsprozeß gegen den Lagerverwalter Bullerjahn in der Weimarer Republik ist ein Beispiel rur die Schwierigkeiten, die sich bei der Würdigung der Reproduktion von Aussagen geheimgehaltener Zeugen ergeben. Um die Jahreswende 1924/25 hatten in einer Waffenfabrik in Wittenau alliierte Durchsuchungen Waffen- und Waffenhalbfabrikate zutage gefördert, deren Herstellung nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages untersagt war. Schnell festigte sich die Überzeugung, diese Durchsuchungen könnten nur auf Verrat basieren. Schließlich wurde der Oberlagerverwalter des Werkes, Bullerjahn, unter dem Vorwurf des Verrates verhaftet, angeklagt und am

3"

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

11. Dezember 1925 vom Reichsgericht zu fUnfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt2 9 • Die Verurteilung beruhte wesentlich auf der Aussage eines geheimgehaltenen Zeugen vom Hörensageerklärn. Daneben stützte sie sich auf eine Anzahl von Indizien, die jedoch allein kaum ausgereicht haben würden. Wer das Urteil liest, wird erkennen, daß sie ihre belastende Bedeutung allein auf dem Hintergrund ihrer "Bestätigung" durch jene anonymisierte Zeugenaussage erhalten. Hier sollen die wesentlichen Überlegungen wiedergegeben werden, auf die sich die Entscheidung stützte: Das Urteil bejaht zunächst die Ausgangsfrage, ob diese Waffenfunde überhaupt auf einen Verrat zurückzufilhren sind, ohne dies allerdings einer ausdrücklichen Begründung filr bedürftig zu halten. Als nur durch einen Verrat erklärbar wurden vermutlich die Plötzlichkeit und Härte der Kontrollen angesehen. Ausdrücklich fUr einen Verrat fUhrt das Urteil die Tatsache an, daß die Kontrolleure über einen Plan des Werkes verfUgten, daß auf dem Plan die Waffenverstecke bereits vor deren Entdeckung markiert gewesen seien und weiter die Tatsache, daß die alliierten Offiziere - insbesondere der französische Leutnant Jost - sich recht gut in dem Werk zurechtfanden, und viele Verstecke aufspürten. Eine große Rolle hat wohl auch gespielt, daß die Werksangehörigen verbreitet und spontan von einem Verrat überzeugt waren. All diese Tatsachen lassen sich jedoch zwanglos auch ohne Verrat erklären: Die Plötzlichkeit der Kontrollen ging auf die politische Situation zurück. Die Räumung des besetzten Rheinlandes stand an, war aber politisch umstritten. Das Aufdecken illegaler Waffenlager schien ein geeignetes Mittel, sie zu verhindern. Über einen Plan des Werkes und die Kenntnis einiger Waffenlager verfUgten die alliierten Offiziere seit einiger Zeit. Schon im Jahre 1920 hatten nämlich Kontrollen stattgefunden, anläßlich derer das Werk unter Vorlage genauer Pläne (durch die Werks leitung selbst) besichtigt wurde30 • Dies erklärt, ohne daß man auf einen Verrat rekurrieren müßte, warum die Kontrolleure Pläne des Werkes zur Orientierung benutzen konnten. Schließlich waren bei diesen anhänglichen Kontrollen die später im Jahre 1924 beanstandeten Waffenhalbfabrikate im wesentlichen bereits im Werk gelagert und die Verstecke daher der Kommission bekannt. Nur hielt man es zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht filr opportun, sie zu beanstanden. Hinzukommt,

29 Urteil des Reichsgerichts vom 11. Dezember 1925, - II J 49/1925 -. Dieses Urteil ist bislang unveröffentlicht, es wurde dem Strafrechtlichen Institut der Universität Bonn durch das damalige Zentrale Staatsarchiv der DDR in Potsdam zugänglich gemacht. 30 Urteil v. 29.11.1932, S. 25.

11. Der Fall Bulletjahn

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daß die Verstecke "äußerlich auffiillig stigmatisiert "3 I waren. Bei planvoller Durchsuchung des Werkes waren sie auch ohne Verrat durchaus erkennbar. Gegen einen Verrat sprach im übrigen, daß die Kommission etliche, Bullerjahn bekannte Verstecke nicht auffand und teilweise an Stellen suchte, wo nichts aufbewahrt wurde. Als Indizien dafür, daß gerade Bullerjahn die Waffenverstecke verraten hatte, wurden die folgenden - teilweise später falsifizierten - Tatsachen gewertet: Bullerjahn kannte alle Verstecke, die entdeckt wurden. Es fehlt die Erwägung, daß er sie - als Lagerverwalter - aus beruflichen Gründen kennen mußte, und daß er keineswegs der einzige war, der über diese Kenntnis verfUgte. Schließlich wird in der Entscheidung unterschlagen, daß durchaus nicht alle dem Bullerjahn bekannten Waffenverstecke entdeckt wurden. Schließlich nahm man an, Bullerjahn werde durch seine Motive überführt: Er habe Geldmangel, weil er seine Geliebte ernähren müsse; eine Gehaltserhöhung war unmittelbar vor der Durchsuchung abgelehnt worden. Ersteres erwies sich später als falsch. Die Annahme, daß das Liebesverhältnis Geld kostete, schloß das Gericht offenbar allein aus der Tatsache des Liebesverhältnisses selbst32 • Der Verteidiger Schweitzer fUhrt hierzu aus: "Erst in der öffentlichen Urteilsbegründung ist dann das neue Argument in die Debatte geworfen worden, daß Bullerjahn fUr ein junges Mädchen vielleicht Ausgaben gemacht hatte. Hätte ich mit der Möglichkeit einer derartigen BeweisfUhrung rechnen können, so hätte ich jederzeit den Nachweis fUhren können, daß dies eine völlig haltlose Hypothese war. Ich hätte durch Ladung des jungen Mädchens feststellen lassen können, daß es sich um eine Jugendfreundschaft handelte, fUr die er vielleicht mal eine Tasse Kaffee bestellt, aber niemals eine ernsthafte Ausgabe gemacht hat"33. Ebensowenig wurde der Nachweis, daß Bullerjahns Finanzlage entspannt war durch Vorlage seiner Hausbüche~4 zugelassen. Das Zweite ist unvollständig: Die Nachricht von der Ablehnung der Gehaltserhöhung konnte Bullerjahn erst nach der ersten Durcbsuchung erhalten haben.

ebenda, S. 26. vgl. Hüfner, LZ 1929, Sp. 762: Die Vernehmung des Mädchens sei unnötig gewesen, weil Bulletjahn sein Liebesverhältnis mit der "Heidi" zugegeben hatte. 33 Schweitzer, Die Justiz, 1926, 213 (218). 34 ebenda, S. 218. 31

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

Bullerjahn haderte mit dem Vorstand, weil er der Beteiligung an einer Schrottverschiebung verdächtigt worden war. Er habe, so das Reichsgericht, als Rache mit Verrat gedroht. Genau betrachtet, besagte die Zeugenaussage, Bullerjahn habe mit der Offenbarung von Patentverletzungen und Zollvergehen gedroht, daher müsse er auch des Verrats fUr filhig gehalten werden. Nur ein Zeuge wollte bei seiner gerichtlichen Vernehmung von Verratsandrohungen gehört haben. Vor der Polizei hatte er dergleichen indessen noch nicht angegeben, obwohl er gerade danach befragt worden war, was an Bullerjahns Verhalten auf einen Verrat hindeute. Letztendlich besagen weder die Motive noch die Kenntnis Bullerjahns von den Verstecken etwas Negatives. Es handelt sich um notwendige, nicht um hinreichende Bedingungen der Tatbegehung: Ihr Fehlen würde Bullerjahn entlasten, ihr Vorhandensein konnte keineswegs eine entsprechende Verratshandlung belegen. Als auffiUlig wurde weiterhin Bullerjahns Verhalten während der Durchsuchungen betrachtet. Er habe sich den Kontrollen bewußt ferngehalten. Die spätere Untersuchung ergab im Gegenteil, daß es keinen Grund fUr seine Anwesenheit gegeben hätte, es sei denn jenen, daß er sich vielleicht über den Erfolg seines Verrates hätte unterrichten wollen. Zuletzt wurde Bullerjahn zweimal, am 25.12 und am 7.1. in unmittelbarer Nähe der Wohnung des oben genannten Leutnant Jost in Berlin-Charlottenburg angetroffen. Die erste Begegnung erklärte Bullerjahn folgendermaßen: Er habe einen Geschäftsfreund von dem er annahm, er wohne dort, dessen Adresse er aber verwechselt habe, aus beruflichen Gründen konsultieren wollen. Für die zweite Begegnung - in derselben Straße, in der auch Jost wohnte - gab er zunächst, allerdings wenig plausibel, an, er habe Bekannte treffen wollen, sieben Jahre später erst gab er zu, daß er, nachdem der Verratsverdacht ihm gegenüber offensichtlich geworden war, den Leutnant Jost habe um Entlastung bitten wollen. Schließlich hatte ein Zeuge bekundet, er habe lange Zeit vor den Durchsuchungen einen an die französische Abteilung der fUr die Kontrollen zuständigen Interalliierten Militärischen Kontrollkommission (lMKK) gerichteten Brief auf Bullerjahns Schreibtisch liegen sehen. Gegen diesen Zeugen wurde später ein Strafverfahren u.a. wegen Meineides eingeleitet, das zwar nicht zu seiner Verurteilung ft1hrte, aber die Zweifelhaftigkeit seiner belastenden Aussagen dokumentierte. Zu den genannten Indizien heißt es nun im Urteil: ,,Alle im vorstehenden angeft1hrten Tatsachen und angestellten Erwägungen würden unter sich und mit einander zusammengehalten schon ausreichen, um den Schuldbeweis als er-

11. Der Fall BulleJjahn

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bracht ansehen zu können. Es kommt aber noch eine Beweistatsache hinzu, der in Verbindung mit den bereits hervorgehobenen Beweisgründen große Bedeutung beigemessen werden darf. Es ist dies die Aussage der ungenannten Vertrauensperson. Nach der feststehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts verstößt die Vernehmung von Zeugen über die Mitteilung anderer nicht gegen § 250 StPO und gern. § 261 a.a.O. können auch die in der Hauptverhandlung mitgeteilten Ergebnisse der Ermittlungen eines Zeugen als bewiesen erachtet werden. Die ungenannte Vertrauensperson ist nach den eidlichen Bekundungen der Zeugen Krüger und Geier - der bei den Untersuchungsrichter - sowie des Kriminalkommissars Göpner in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit und persönlichen Unbeteiligtheit über jeden Zweifel erhaben und hat folgende Angaben den drei Zeugen gegenüber gemacht: Bullerjahn erschien wenige Tage vor Weihnachten bei der englischen Abteilung der IMKK im Hotel und erklärte, er hätte Angaben über versteckte Waffen usw. bei den Berlin-Karlsruher Industriewerken in Wittenau zu machen, über die er als Oberlagerverwalter Bescheid wisse. Da die englischen Mitglieder der Kommission bereits mit Reisevorbereitungen filr den bevorstehenden Weihnachtsurlaub beschäftigt waren und auch sonst mit der Sache nicht befaßt sein wollten, lehnte man den Bullerjahn kurz ab und verwies ihn an die französische Abteilung der Kommission. Der Angeklagte verhandelte dort mit dem Leutnant Jost und erhielt als Bezahlung rur den Verrat ungeflihr 1200-1400 RM. Als er bemerkt hatte, daß der Verdacht der Täterschaft auf ihn gefallen wäre, schrieb er an die englische Abteilung der IMKK einen Brief, worin er flehentlich bat, ihn nicht zu verraten, da er sonst 15 Jahre Zuchthaus zu gewärtigen habe. Den drei Zeugen, welche den fraglichen Vertrauensmann vernommen haben, ist von ihrer vorgesetzten Dienstbehörde verboten worden, bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung vor dem erkennenden Senat über den Namen und die Persönlichkeit überhaupt nähere Angaben zu machen"35. Dazu, ob die Geheimhaltung der Zeugen zu Recht erfolgte, verhält sich das Urteil nicht. Da die Hauptverhandlung unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden hatte, bestand rur alle Verfahrensbeteiligten ein strafrechtlich sanktioniertes Schweigegebot hinsichtlich der Verhandlung und der schriftlichen Urteilsbegründung. Dies unterband zunächst jede sachlich fundierte Kritik an dem Urteil. Eine öffentliche Debatte wurde schließlich 1926 durch den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Paul Levi eingeleitet, der - unter dem Schutz seiner Immunität - vor dem Reichstag aus den Urteilsgründen zitierte und

35 Urteil vom 11.12.1925, S. 14 f.

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

Kritik an der Verfahrensweise, insbesondere an der Vernehmung der Verhörsbeamten übte36 • Jedoch erst, als es gelang, die Identität des anonymen Zeugen zu ermitteln, trug diese Kritik Früchte37 • Ein Interview des Betreffenden im Berliner Tagesspiegel vom 13.9.1928 führte die Kritiker zum Zeugen hin: Es stellte sich heraus, daß der angeblich Unbeteiligte, an dessen Glaubwürdigkeit keinerlei Zweifel bestehen sollten, der Direktor der betroffenen Wittenauer Werke selbst, Paul v. Gontard gewesen war. Nun wurde auch beweisbar, was die Urteilsgründe zu kaschieren gesucht hatten, daß es sich nämlich um ein doppeltes Zeugnis vom Hörensagen gehandelt hatte: Der Zeuge hatte nicht eigene Wahrnehmungen (als alliierter Offizier etwa) wiedergegeben, sondern er hatte seinerseits fremde Wahrnehmungen referiert. Dies ermöglichte im Jahre 1932 schließlich die Wiederaufnahme des Verfahrens. Nach über siebenjähriger Haft wurde Bullerjahn schließlich im Jahre 1932 freigesprochen 38 • Der Freispruch war vor allem der Tatsache zu verdanken, daß der Aussage v. Gontards jegliche Beweiskraft abgesprochen werden mußte. So heißt es nunmehr im Urteil: "Bei der eingehenden Befragung in der Hauptverhandlung, von wem, wo und wann er die Mitteilungen über den Verrat des Angeklagten bekommen habe, wußte von Gontard immer nur das eine zu antworten: "In 'oder' aus den Kreisen der IMKK". Er konnte aber nichts darüber sagen, wer ihm die Mitteilung gemacht hat, wie die betreffende Person aussah, wie sie hieß, welchen Rang sie hatte, ebensowenig wußte er darüber etwas anzugeben, wo die Mitteilung stattfand, ob im Hotel Bellevue oder in einem Klub oder auf der Straße; auch über die Zeit der Mitteilung konnte er nichts bekunden, ja nicht einmal das wußte er, ob die Mitteilung an einem oder an mehreren Tagen erfolgte. Das alles, obwohl es doch ein besonderes Ereignis war, wenn ihm, dem Generaldirektor eines großen Werkes mitgeteilt wurde, daß sein Oberlagerverwalter das Werk verraten habe. Schon aus diesen Gründen ist die absolut unbestimmte Aussage ungeeignet, die Grundlage für eine ÜberfUhrung des Angeklagten zu bilden". Auch die Gründe für die Geheimhaltung seiner Identität ließen sich nicht mehr aufklären:

E. Schweitzer, Die Justiz, Band 11, 1926, 213 ff. Levi, in Berliner Tageblatt v. 24. November 1928 Nr. 557; zitiert nach Hüfner, LZ 1929, Sp. 745; Mittermaier, Die Justiz, Band V, 1930, 16 ff. (22); ders., Die Justiz, Band VI, 1931, S. 174 ff.; Radbruch, VOIwärts, v. 6. Januar 1931 (Nr. 7). 31 Urteil des Reichsgerichts vom 29. November 1932 - 11 J 59/32 -. 36

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11. Der Fall Bullerjahn

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"Daß Dr. von Gontard vor der Polizei und vor den Untersuchungsrichtern als ungenannte Vertrauensperson vernommen und nicht in die Hauptverhandlung geladen wurde ... ist der Anlaß zu Vorwürfen gegen das erste Urteil gewesen. Dafilr, warum so verfahren wurde, hat der Oberreichsanwalt in der neuen Hauptverhandlung die Erklärung abgegeben, daß die Regierung die Verschweigung des Namens des Dr. von Gontard deshalb veraniaßt hätte, weil außenpolitische Gründe dafUr sprachen; es habe die Feststellung vennieden werden sollen, daß englische Mitglieder der IMKK gegenüber dem Direktor eines großen Werks den Verräter des Werks genannt hätten. Dr. von Gontard bestreitet seinerseits die Verschweigung seines Namen angeregt zu haben und behauptet, die Anregung sei von der Polizei ausgegangen. Der Zeuge Kriminalkommissar Göpner gibt zu, daß der Gedanke, daß der Name verschwiegen werden könne, zuerst von der Polizei geäußert worden ist, bekundet aber gleichwohl mit Entschiedenheit, daß der Zeuge von Gontard seinerseits den Wunsch ausgesprochen habe, seinen Namen zu verschweigen. Daß der Zeuge von Gontard durch gegebene Versprechungen gegenüber den Engländern gebunden gewesen sei und deshalb im Dunkel bleiben wollte, hat er selbst in Abrede gestellt-. Mit der Beweiskraft der Aussage des "Mannes mit der schwarzen Maske- 39 fiel auch die vorgebliche Überzeugungskraft der Indizien: Unter den Augen der Öffentlichkeit und ohne die Möglichkeit, die Haltlosigkeit der Zeugenaussage v. Gontards durch die Aussagen der Verhörsbeamten mit offizieller Autorität zu versehen, mußte das Urteil revidiert werden. Was zuvor noch die Glaubwürdigkeit seiner Aussage gestützt hatte, nämlich deren Übereinstimmung mit allen Indizien und mit den über die Höhe des Verräterlohnes im Werk selbst kursierenden Gerüchten, war nunmehr sehr einfach erklärbar: Von Gontard kannte alle diese Details, die Übereinstimmung seiner Darstellung mit ihnen hatte keinerlei Beweiswert. 2. Auswertung

Wer allein das erste Bullerjahn-Urteil liest, dem mögen abstrakt Zweifel kommen: Unter dem Schutze der Anonymität fälschlich aussagen, man habe erfahren, der Angeklagte habe den Verrat begangen, habe ca. 1.400 RM dafUr erhalten, scheint nicht schwer. Jedoch solche abstrakten Bedenken lassen sich kaum in konkrete Zweifel ummünzen: Was müßte fUr eine falsche Belastung alles zusammenkommen? Wie sollte der anonyme Zeuge so zutreffend erfinden, daß speziell Leutnant Jost filr die Entgegennahme von Verratsanzeigen und in

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Hüfner, JZ 1929, S. 747 ff. (S. 758).

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

der Folge für die Kontrolle des Werkes zuständig war, an welchen Tagen genau der Verrat (passend zu den übrigen Indizien) stattgefunden hatte? Schließlich müßte man unterstellen, daß ein und dieselbe Person zufällig die Tatumstände kannte, und sich obendrein nicht scheute, Bullerjahn zu Unrecht zu belasten. Wenn es sich nur um eine Person gehandelt hätte, die Ressentiments speziell gegen Bullerjahn gehabt hätte, hätte dies den Vernehmungsbeamten in der Voruntersuchung aber nicht genauso auffallen müssen, wie man dies von den Richtern in der Hauptverhandlung annimmt? Müßten also Ressentiments sowohl bei der Vertrauensperson als auch bei den Verhörspersonen zusammentreffen? Nach dem Zeugnis der Verhörspersonen und ohne jede weitere Kenntnis lag vielmehr nahe, daß die Aussagen des Unbekannten in letzter Instanz auf der Wahrnehmung derjenigen beruhte, denen Bullerjahn die Waffen verstecke angeblich verraten hatte. Man mußte spontan annehmen, es handele sich um die Aussage eines Bekannten oder Vertrauten der britischen Offiziere - jedenfalls um eine unbeteiligte Person. Diesen Sachverhalt schien auch der Inhalt der kolportierten Aussage nahezulegen. Woher sonst sollte der Zeuge Detailkenntnisse bezüglich des Verratszeitpunktes, der Person, an die die Verstecke verraten wurden - nämlich letztendlich Leutnant Jost - und der Höhe des Verratslohnes haben, wenn nicht von den am Verrat Beteiligten? Daß diese Erkenntnis z.T. auch von dem vom "Verrat" Betroffenen stammen, z.T. Selbstbestätigung eines Gerüchtes sein konnte -, war nur abstrakt, aber nicht konkret erfaßbar. Noch ferner lag der Gedanke, der Zeuge könne der Leiter der vom Verrat betroffenen Werke selbst sein, seine Angaben könnten die Wiedergabe eines im Werke kursierenden Gerüchtes darstellen. Hätte man hierzu ja nicht nur genug Phantasie haben müssen, um sich - ohne Anhaltspunkte - diese Geschichte vorzustellen, sondern überdies die Unverfrorenheit der Verhörsbeamten einkalkulieren müssen, einen solchen Zeugen als unbeteiligt darzustellen. Daß abstrakt mögliche Bedenken eine konkrete Entsprechung in der Realität hatten und - vor allem - welcher Wirklichkeit sie entsprachen, darauf konnte vor der "Enttarnung" des anonymen Zeugen v. Gontard niemand kommen. Alle vorher denkbaren Einwände mußten - hier zu Unrecht - folgenlos bleiben. Hätte die Verteidigung das, was sich tatsächlich hinter dem Zeugnis der "Vertrauensperson" verbarg, als Hypothese zur Entlastung des Angeklagten vorgetragen, dann hätte dies in der Beweiswürdigung mit der Begründung abgetan werden können, daß nicht jeder weit hergeholten Möglichkeit eines von der Tatbegehung abweichenden Kausalverlaufes nachzugehen sei 40 •

40 vgl. BGHSt 5, 34 (36); RGSt 66, 163; 61, 202 (206); aus der Literatur: Stree, in dubio pro reo, S. 38 und LR-Gollwitzer, § 261, Rdnr. 49.

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Der Fall Bullerjahn bietet so ein gutes Beispiel für die Würdigung der Aussage von Verhörspersonen. Zugleich illustriert er den Unterschied, der zwischen dem einfachen Zeugnis vom Hörensagen und dem Bericht über die Aussage eines anonymen Zeugen besteht. Während die Verhörsbeamten mit ihrem Referat der Aussage v. Gontards Gehör fanden, wurde dessen Hörensagenzeugnis selbst kein Glaube geschenkt, obwohl die Verhörsbeamten substantiell nicht mehr mitzuteilen hatten, als v. Gontard auch. Der unterschiedliche Beweiswert der gleichen Aussage ist darauf zurückzuführen, daß im Falle der Aussage eines Zeugen vom Hörensagen Lücken der Darstellung Zweifel auslösen, während dieselben Lücken im anderen Fall als Folgen der zulässigen Anonymität entweder niemals oder stets Anlaß zum Zweifeln bieten. Im ersteren Fall können sich Zweifel aus den Darlegungen des Zeugen vom Hörensagen, im zweiten Falle dagegen in der Regel nur aus dem Prozedere selbst ergeben. Während dem normalen Zeugen vollständige Rechenschaft abverlangt wird, wird im zweiten Fall der Ermittlungsbeamte als eine Instanz zwischengeschaltet, auf deren Urteil Verlaß ist. Aus diesem Grunde war es der Verteidigung im ersten Verfahren praktisch nicht möglich, den Beweiswert der Aussage der Kriminalbeamten bzw. des Richters zu erschüttern: Die Voreingenommenheit des Zeugen v. Gontard sowie die Art und Umfang der Informationen, die er über den Fall hatte, waren ohne Durchbrechung seiner Anonymität nicht herauszustellen. Das Urteil der Verhörsbeamten, der Zeuge sei in Ansehung seiner Glaubwürdigkeit und persönlichen Unbeteiligtheit über jeden Zweifel erhaben, war wegen der Anonymität des Zeugen keiner weiteren Erläuterung bedürftig und flihig - aus demselben Grunde konnte es nicht falsifiziert werden. Daß von Gontard selbst nicht mehr wußte, woher er seine Informationen bezogen hatte, war ebenso unaufklärbar. Daß die Verhörsbeamten über die Art der Beziehungen der Vertrauensperson zur IMKK nichts sagten, daß sie keine näheren Informationen über die Umstände seiner in der Aussage bekundeten Wahrnehmung gaben, machte ihren Bericht nicht suspekt: Solche Mitteilungen hätten das Inkognito der Vertrauensperson geflihrdet. Nicht einmal die Glaubhaftigkeit der kolportierten Aussage wurde also durch die Lückenhaftigkeit der Geschichte selbst ernsthaft infragegestellt. Wenn bei der Vernehmung von Verhörspersonen Informationen über die Person des anonymen Zeugen und die genauen Umstände von dessen Wahrnehmung fehlen, so sind diese Lücken stets mehrdeutig. Sie können Ausdruck

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allein des Geheimhaltungsinteresses sein, sie können aber auch bedeuten, daß der Zeuge im Hintergrund den Vorfall nicht oder doch nicht so erlebt hat. Ganz anders ist die Situation bei (einfachen) Zeugen vom Hörensagen. Fehlende Informationen, fehlende Antworten auf gestellte Fragen nehmen seiner Darstellung in der Regel die Plausibilität. Im Fall des enttarnten v. Gontard weckte die Unvollständigkeit, das Unvermögen, Genesis und Umstände der Situation berichten bzw. Angaben über die Person des Informanten machen zu können, Zweifel. Man fragte sich (im Unterschied zur Verhörsperson-Aussage), warum der Zeuge darüber nichts zu berichten wußte. Mangelnde Mitteilsamkeit steht in diesen Fällen entweder ftlr fehlendes Wissen (wenig plausibel, wo eine Erinnerung vorhanden sein müßte, und wenig plausibel auch die Selektivität des Erinnerns), oder sie steht ftlr Verschleierung, jedenfalls macht sie die Aussage fragwürdig. Wenn ein Zeuge vom Hörensagen bekundet, sein Informant sei glaubwürdig, über jeden Zweifel erhaben, dann muß nachvollziehbar sein, wie er zu diesem Urteil kommen konnte. Bei demjenigen Zeugen vom Hörensagen, der angeben kann, wer ihn informiert hat, muß dies Urteil zumindest mit der Persönlichkeit und der Interessenslage des Informanten in Einklang stehen. Wenn - wie im Fall Bullerjahn - ein Zeuge vom Hörensagen keine Angaben über die Identität seiner Informanten machen kann, muß er einsehbar machen, entweder, warum er sich an den Informanten nicht mehr erinnert, oder, warum ein ihm Unbekannter die fragliche Geschichte überhaupt erzählt hat. Außerdem muß er begründen können, wie und wodurch er ohne Kenntnis der Person dazu gelangen konnte, ihm Glauben zu schenken. Die gleichen Lücken erzeugen Mißtrauen, das nur durch gesteigerten Begründungsaufwand zu beseitigen ist. Demgegenüber sind Verhörsbeamte dem Zwang, ihr Urteil über die Glaubwürdigkeit der Vertrauensperson nachvollziehbar vorzutragen, durch die Beweismethode enthoben. Wären die Richter im ersten Verfahren der Einschätzung der drei Verhörspersonen nur gefolgt, wenn sie von ihnen hätten erfahren können, auf welche Tatsachen sich ihr Urteil stützte, dann hätten sie auf die Verwertung der Aussage von vorneherein verzichten müssen. Andernfalls blieb ihnen jedoch nichts übrig, als sich dem fremden Urteil anzuvertrauen. Die Aufforderung des Bundesgerichtshofes41 , in solchen Fällen besonders vorsichtig zu würdigen, ist im Falle des Zeugen vom Hörensagen praktizierbar, im Falle der Vernehmung von Verhörspersonen läuft jede Vorsicht leer. Hier kann man mit Unstimmigkeiten und Lücken rigide verfahren, dort kann man dies nicht, ohne zugleich das Beweismittel als solches ftlr unverwertbar zu erklären. Das Zeugnis der Verhörsbeamten erlaubt die Camouflage unmittel-

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BGHSt 17, 383 ff. (385 ff.).

III. Das sogenannte "Celler Loch"

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barer Beweise: Zwar kann theoretisch jeder Zeuge lügen, aber kein Zeuge kann in gleichem Maße wie die Verhörspersonen vorher sicher sein, daß seiner Version geglaubt werden muß, und vor allem, daß sie nicht wiederlegt werden kann, solange nur seine Anonymität gewahrt bleibt.

ID. Das sogenannte "Celler Loch" Der Fall des sog. "Celler Lochs"42 soll belegen, welche Handlungsspielräume da eröffnet werden, wo die öffentliche Kontrolle staatlichen Handeins versagt. Im Juli 1978 sprengten Beamte des Verfassungsschutzes und des Bundesgrenzschutzes ein etwa anderthalb Meter großes Loch in die Mauer der Celler Haftanstalt, in welcher der zu zwölf Jahren Haft verurteilte Terrorist Sigurd Debus einsaß. Die Zeitungen meldeten, der Sprengstoffanschlag habe nach Einschätzung der Kriminalpolizei dazu gedient, Sigurd Debus zu befreien. Nach Aussagen des Anstaltsleiters hat der Personalrat diesen davon in Kenntnis gesetzt, daß ein Beamter bei der DurchfUhrung des Anschlages konkret gefllhrdet worden sei43 . Erst im Jahre 1986 wurden die wahren Urheber dieses Anschlages bekannt. Die Inszenierung des Befreiungsversuches, intern als "Operation Feuerzauber" bezeichnet, sollte zwei V-Leuten des niedersächsischen Verfassungsschutzes zu einer Legende verhelfen, sie sollten Kontakt zu linksextremen Kreisen erhalten (sog. "Operation Emsland"). Parallel dazu bemühte man sich seinerzeit, VLeute in internationale Ausbildungslager rur Terroristen einzuschleusen (sog. "Operation Neuland")44. Das LfV Niedersachsen führte in diesem Zusammenhang drei V-Leute: das ehemalige Mitglied einer internationalen Verbrecherbande Susak, er wurde vom Privatdetektiv Mauss angeworben, sowie Manfred Berger und Klaus Loudil. Susak und Berger arbeiteten außerhalb der Haftanstalt, sie warben in verschiedenen Kreisen (meist vergeblich) um Unterstützung filr die Befreiung von Sigurd Debus. Da Versuche, Gruppen zur Tatbeteiligung zu provozieren, innerhalb Deutschlands im wesentlichen erfolglos blieben, dehnte das LfV

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vgl. zum Ganzen: Ellersiek I Becker, Das Ce\ler Loch.

43 vgl. "Frankfurter Rundschau" und "tageszeitung" vom 13.5.1987; Ellersiek I

Becker, Das Celler Loch, S. 30. 44 vgl. zur Geschichte der drei V-Leute: Ellersiekl Becker, Das Celler Loch, S. 58 ff.; Behnsen I Trittin, cilip 1989, 27 ff.; Aust, Mauss, S. 165 ff.

46

Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

Niedersachsen das Operationsgebiet aus: Manfred Berger wurde nun in Holland tätig, Susak schickte man nach Spanien, später nach Algerien. Nach Darstellung des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht vor dem Niedersächsischen Landtag habe Berger in Holland Kontakt zu Henk Wubben, einer "äußerst konspirativen Schlüsselfigur" des Terrorismus mit Führungsberechtigung für Geldmittel, Waffen und falsche Papiere aufnehmen können45 • Es spricht indessen viel dafür, daß der V-Mann Berger lediglich versucht hat, H. Wubben zu Straftaten zu provozieren. Andere Beweise für Wubbens Zugehörigkeit zur Terrorszene als die aus seiner Jugendzeit datierende Betätigung des Niederländers in einer Unterorganisation der KPDIML und eine vor längerer Zeit in seiner Wohnung stattgefundene Explosion, sowie seinen Einsatz für verbesserte Haftbedingungen von Terroristen, wußte Ministerialpräsident Albrecht für seine These nicht anzuführen. Berger behauptete, Wubben habe sich auf seine Vorschläge, Debus zu befreien eingelassen. Nach Wubbens Darstellung hingegen hat Berger erfolglos versucht, ihn zur Tatbeteiligung zu bewegen. Er habe sich lediglich bereiterklärt, Debus in Holland aufzunehmen, vorausgesetzt, die Befreiungsaktion erfolge gewaltfrei. Nach dem Sprengstoffanschlag weigerte sich Wubben, Berger und den kurz vor der Aktion im Gnadenwege haftentlassenen V-Mann Loudil bei sich aufzunehmen. Der Anschlag selbst wurde so durchgeführt, daß die Spuren auf eine Täterschaft der beiden V-Leute verwiesen. In der Öffentlichkeit wurde behauptet, Loudil sei nach Ablauf eines Hafturlaubes nicht zurückgekehrt. Man konnte, gestützt auf ein angeblich von HJ. Dellwo stammendes Papier, behaupten, die Befreiung von einsitzenden Terroristen sei die augenblickliche Terroristenstrategie. Die Aktion führte zu einer aufwendigen, mehrwöchigen Zielfahndung nach beiden V-Leuten und ihren Hintermännern. Der ehemalige Direktor des LKA Niedersachsen, Burghard, der von dem Hintergrund der Fahndung nichts wußte, klagte später darüber, daß "in einer Zeit, in der unsere Beamte bis an die Grenze ihrer psychischen Leistungsflihigkeit in Anspruch genommen waren, polizeiliche Ressourcen absolut sinnlos, ja blödsinnig vertan und Beamte leichtsinnig in Lebensgefahr gebracht" wurden46 • Ein an der Zielfahndung beteiligter Beamter berichtete überdies, daß die Ermittlungen mit Eingriffen in besonders sensible Grundrechte verbunden gewesen seien: Postbeschlagnahmen, die Einleitung von Telefonüberwachungen, sowie aufwendige Observationen von MEK-Einheiten seien erfolgt47 •

45 Niedersächsischer Landtag, Stenografischer Bericht, Ill. Sitzung vom 25. April 1986. 46 Burghard, in: Deutsche Polizei, Heft 6/1986, S. 5 ff. 47 Wunder, in: Deutsche Polizei, Heft 8/1986, S. 30.

III. Das sogenannte "Celler Loch"

47

Von den mit der Fahndung befaßten lustizbehörden waren lediglich der lustizminister und ein Beamter des Landeskriminalpolizeiamtes informiert, nicht aber der Generalbundesanwalt und der Direktor des niedersächsischen Landeskriminalamtes. Der während der Vorbereitung des Anschlages noch amtierende liberale Innenminister Röttger Groß wurde von der gesamten Planung nicht unterrichtet, der später ins Amt gekommene Egbert Möcklinghofhingegen wußte von der Aktion. Der Presse gab derjenige Beamte des Landeskriminalpolizeiamtes, der die Hintergründe der Aktion kannte, deren Deutung als Anschlag von Terroristen weiter. Die Deutsche Presseagentur meldete daraufhin: "Der Sprengstoffanschlag auf das Celler Geflingnis wurde der Terroristenszene zugeschrieben". Die Polizei fahnde nach dem damaligen Mitgefangenen von Debus, Loudil, der flüchtig sei. "Zur Aufklärung könnte auch ... Manfred Berger, der zum Bekanntenkreis von Debus gehört, beitragen", hieß es weiter48 • Beide V-Leute kamen zunächst in Frankreich, später in Hamburg unter. Nach Darstellung des damaligen Ministerpräsidenten Albrecht soll Loudil in Hamburg einen Mordanschlag verhindert haben. Auch hier ist unsicher, ob nicht die angeblich von dem V-Mann bekämpfte Gefahr durch ihn selbst erst geschaffen wurde. In Hamburg wurde ein Mitglied einer dortigen Wohngemeinschaft auf eine Information von Loudil hin in Loudils Unterkunft verhaftet, in der sich eine Bombe befand. Während das Ltv die Auffassung vertritt, Loudil habe auf diese Weise einen Bombenanschlag verhindern können, behauptet das Wohngemeinschaftsmitglied, Loudil selbst habe diese Bombe gebaut, sich mit ihm in seiner, Loudils Wohnung verabredet, aber statt zu erscheinen, die Polizei informiert. Gegen Debus wurde nach dem Anschlag Isolationshaft angeordnet, er schloß sich später einem Hungerstreik zur Verbesserung seiner Haftbedingungen an, an dessen Folgen er starb49 • Im Rahmen der Operation "Neuland" wurde der dritte V-Mann des Ltv, Susak durch Vermittlung des Privatdetektives Mauss nach Spanien geschickt. Man vermutete damals, die RAF unterhalte ein Ausbildungslager in Algerien. Über den spanischen Geheimdienst sollte Susak Kontakt mit der Befreiungsbewegung MPAIAC der Canarischen Inseln verschafft werden, von der man annahm, sie habe Zugang zu den Ausbildungslagern. Es stellte sich im Verlaufe der Aktion heraus, daß ein solches Lager der RAF in Algerien nicht existierte. Daraufhin wurde die Konzeption geändert: Susak sollte deutsche Sympathisan-

48 49

Zitate sind dem Bericht der "Zeit" vom 12. Juni 1987 entnommen. vgl. FR. vom 14. Mai 1987; sowie Ellersieki Becker, Das Celler Loch, S. 57 f.

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

ten in die Ausbildungslager der MPAIAC locken. Während dieser Tätigkeit erfuhr Susak, daß der spanische Geheimdienst einen Anschlag auf das Leben des Führers der MPAIAC, Cubillo, plante, um zu verhindern, daß dieser vor der Organisation Afrikanischer Staaten auftrat und für die Anerkennung der MPAIAC kämpfte. Obwohl Susak das LfV von dem geplanten Attentat informierte, wurde nichts unternommen. Der Anschlag auf Cubillo wurde durchgeführt, Cubillo überlebte ihn schwerverletzt. Susak wurde später in Algerien verhaftet und gefoltert. Als er daraufhin zugab, V-Mann des LfV zu sein, wurde er freigelassen, die Operation "Neuland" war jedoch gescheitert und mußte aufgegeben werden 50 • Der tatsächliche Sachverhalt wurde im Jahre 1982 durch einen ehemaligen Mitarbeiter des LfV Niedersachsen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe angezeigt, die das Ermittlungsverfahren wegen der Mauersprengung gefilhrt hatte. Die Bundesanwaltschaft gab die Unterlagen der Celler Generalstaatsanwaltschaft weiter, weil der angezeigte Sachverhalt in der neuen Version nicht ihrem Zuständigkeitsbereich unterliel, es handelte sich nicht mehr um den Verdacht einer Straftat nach § 129a StGB 51 • Die Generalstaatsanwaltschaft Celle beschloß, kein Ermittlungsverfahren einzuleiten, da dem den Sachverhalt anzeigenden Beamten vom LfV Niedersachsen die Aussagegenehmigung gern. § 54 StPO verweigert wurde. Als später der Sachverhalt öffentlich wurde, stellte sie die Ermittlungen ein, soweit überhaupt Straftaten in Betracht kämen, seien diese verjährt 52 • Wegen der "Indiskretion" des Beamten im Jahre 1982 befürchtete man, die Öffentlichkeit könne von den Vorgängen erfahren. Erst zu diesem Zeitpunkt benachrichtigte man daher die Parlamentarische Kontrollkommission von den Vorgängen - ohne daß diese es für nötig befunden hätte, sie zum Gegenstand einer öffentlichen Diskussion zu machen. Die Aufdeckung des Sachverhaltes im Jahre 1986 ist ebenfalls einer "Indiskretion" zu verdanken. Von Bedeutung rur die Bewertung des Vorgehens der Verfassungsschützer ist des weiteren, daß der vermeintliche Ausbruchsversuch geeignet war, die niedersächsische Politik gegenüber Terroristen zu legitimieren:

50 zum Ganzen: Ellersiekl Becker, Das Celler Loch, S. 50 ff.; Behsen I Trillin, cilip 1989, S. 27 ff.; Aust, Mauss, S. 182 ff. 51 vgl. den Abdruck des Schreibens des Generalbundesanwalts bei Ellersiekl Becker, Das Celler Loch, S. 105. 52 ebenda, S. 106 f.

III. Das sogenannte "Celler Loch w

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Im Jahre 1978 wurde in der NA Celle ein Hochsicherheitstrakt erbaut. Die scharfen Haftbedingungen erschienen wegen der - im Celler Anschlag scheinbar manifest gewordenen - Gefährlichkeit der einsitzenden Terroristen, ihrer offenbaren Verbindungen nach außen gerechtfertigt.

So schrieb am Tage nach dem Anschlag die "CelIesche Zeitung w: "Konsequenzen zu einer sichereren Unterbringung von Terroristen werden auch in Celle unerläßlich sein.... Rücksichtnahme könnte in diesem Fall verhängnisvoll sein53 • Kurz vor dem Anschlag hatte Ministerpräsident Albrecht in einer Rede vor dem Bundesrat die Sicherungsverwahrung rur terroristische Ersttäter gefordert, mit dem Argument, er könne nachweisen, daß "es Terroristen gibt, die wir freilassen müssen, bei denen wir schon heute wissen, welches die Mordpläne sind, die sie aushecken. Das können wir auf den Heller genau ... schriftlich nachweisen. Wir können Ihnen sogar Namen von Leuten sagen, die ermordet werden sollten. Und Sie geben uns nicht die Möglichkeit, irgendetwas dagegen zu tun wS4 • Der Celler Anschlag hat die behauptete Gefährlichkeit (noch) einsitzender Terroristen eindrucksvoll untermauert55 •

zitiert nach Ellersiecki Hecker, Das Celler Loch, S. 7. zitiert nach Ellersiecki Hecker, Das Celler Loch, S. 8. ss vgl. dazu auch die - nicht weiter belegten - Ausfilhrun~en von Frisch, Deutsche Polizei 1986, S. 7 ff.; wonach Debus einen besonders mißliebIgen Beamten des Justizvollzuges bei seinem Ausbruch habe töten wollen. 53

S4

4 Velten

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

B. Die Rechtslage in der bisherigen Diskussion Im folgenden Abschnitt soll zunächst untersucht werden, in welchem Umfang den Ermittlungsbehörden in den drei hier interessierenden Konstellationen (Befugnis zum verdeckten Ermitteln, Sperrung von Zeugen bei Präsentation von Beweissurrogaten und selektive Information über Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens) Verfügungsrechte über Informationen durch das Gesetz oder nach herrschender Interpretation des Gesetzes eingeräumt sind. Diese Befugnisse erwachsen zum Teil aus Regelungen, die unmittelbar das Informationsverhalten der Ermittlungsbehörden zum Gegenstand haben, zum Teil jedoch aus allgemeinen Verfahrensregelungen. Sie werden hier in ihrem Zusammenwirken dargestellt, soweit dies notwendig ist, um zu ermitteln, mit welchen (Teil-)Informationen die Ermittlungsbehörden operieren dürfen.

I. Der Einsatz verdeckter Ermittier im Vorverfahren Für repressive Polizeitätigkeit ist die Vornahme verdeckter Ermittlungen durch das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität 56 (teilweise) geregelt worden. 1. Vor der Legalisierung

Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes war dessen Zulässigkeit umstritten. Die Meinungen reichten von einer gänzlichen Unzulässigkeit in Ermangelung einer Rechtsgrundlage S7 über deren Zulässigkeit für eine Übergangszeit58 oder

56 BGBl, Teil I, 1992, S. 1302 vom 22. Juli 1992. Bereits vor Inkrafttreten des OrgKG haben die Landesgesetzgeber die polizeilichen Aufgaben um die sog. "vorbeugende Verbrechensbekämpfung" erweitert und Befugnisse zu verdeckter Ermittlungstätigkeit geschaffen, die mit den hier erörterten strafprozessualen Kompetenzen weitgehend übereinstimmen. Damit können verdeckte Ermittier sowohl nach Strafprozeßrecht, d.h. wenn "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" rur eine Straftat der genannten Art gegeben sind, als auch nach Polizeirecht (wobei es sich sachlich ebenfalls um repressive Tätigkeit handelt) tätig werden. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich in der Darstellung auf Aufgaben und Befugnisse der Ermittlungsbehörden nach dem OrgKG. Die nachfolgend dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen geltenjedoch selbstverständlich rur die" vorbeugende Aufklärung von Straftaten" nach den Landespolizeigesetzen. 57 Haas, V-Leute, S. 59 ff.; Lüderssen, Jura 1985, S. 119 ff.; ders., Festschrift rur Peters, S. 349 ff.; Schünemann, StrafV 1985, S. 430. 58 Ragall, JZ 1987, 847 ff. (851); Waller, StrafV 1989, 358 ff. (371).

I. Der Einsatz verdeckter Ennittler im Vorverfahren

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aufgrund von Aufgabennonnen 59 bis hin zur verfassungsunmittelbaren Legitimation60 solcher Ennittlungsmethoden: Die Rechtsprechung, auch des Bundesverfassungsgerichts, erklärte die Tätigkeit sowohl von V-Personen als auch von verdeckten Ennittlem schlicht filr notwendig und rechtmäßig. Besondere Formen der Kriminalität erforderten eben besondere Mittel und Methoden ihrer Bekämpfung61 • 2. Das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität

Dem Mangel an gesetzlicher Ennächtigung hilft - jedenfalls partiell - das Gesetz zur Bekämfpung der organisierten Kriminalität vom Juli 1992 ab, es soll durch das geplante Gesetz zur Änderung des Strafverfahrens62 ergänzt werden 63 • In ftinf neuen Vorschriften, den §§ IIOa-llOe StPO wird der Einsatz verdeckter Ennittler gestattet. a) Bennerkenswert ist zunächst, worüber das Gesetz schweigt: Geregelt wird nur der Dauereinsatz von mit einer Legende ausgestatteten Beamten des Polizeidienstes (§ llOa Abs. 2 StPO). Für nicht regelungsbedürftig, weil de lege lata zulässig, wird die verdeckte Ennittlungsmethode als solche gehalten, d.h. alle sich unterhalb der in § IIOa Abs. 2 StPO benannten Schwelle sich vollziehenden heimlichen Ennittlungen64 • Die Erhebung von Infonnationen ohne Bekanntgabe der Funktion des Ennittlers, unter punktueller Täuschung über die eigene Identität, muß demnach vorläufig65 weiter auf die Aufgabennonn des § 163 Abs. 1 StPO gestützt werden66 •

59 vgl. Rebmann, NJW 1985, S. 1 ff. (2 f.); Krey, Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung des Rauschgifthandels, S. 44. 60 BVerfGE 57,250 (283); BVerfG StrafV 1991,449 f.; BGHSt 32, 115 (120); 33, 22; 33, 91; vgl. aber BVerfG NStZ 1987, 276. 61 BVerfGE 57, 250 (283); BGHSt 32, 115 (120); Rogall, lZ 1987, 847 ff. (851). 62 vgl. die Dokumentation des StVÄGE 1988 in: StrafV 1989, 172. 63 Grund rur diese Doppel-Regelung ist die Tatsache, daß der Entwurf des StVÄG voraussichtlich nicht innerhalb der 12. Legislaturperiode wird verabschiedet werden können. Ob das OrgKG im Hinblick auf verdeckte Ennittlungen einer solchen Ergänzung allerdings noch bedarf, ist fraglich geworden: Während sich der OrgKG-E noch auf den Bereich organisierter' Kriminalität beschrj!nkte, ist im Gesetz dessen Anwendungsbereich nunmehr identisch mit dem des StVAG-E. 64 Zur vergleichbaren Regelung des StVÄG-E und deren gedanklichen Hintergrund vgl. S. 78, 90 der EntwurfsbegrUndung. 65 §§ 161, 163 StPO sollen nach dem StVÄG-E ohne Inhaltsänderung in eine Befugnisnorm umgewandelt werden. Danach sollen "Polizei und Staatsanwaltschaft nunmehr befugt sein, Ennittlungen jeder Art" vorzunehmen. 66 vgl. Rebmann, NJW 1985, S. I ff. (2 f.); Krey, Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung des Rauschgifthandels, S. 44.

4'

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

Die heimliche Methode als solche wird rur nicht regelungsbedürftig gehalten, weil sie längst zum Ermittlungsalltag geworden ist. Die Implikationen der Methode, daß nämlich der Betroffene vom Eingriff in seine Grundrechte nichts erfährt, daß grundlegende Beschuldigtenrechte, wie z.B. der Grundsatz "nemo tenetur" gegenstandslos gemacht werden, sind dem allgemeinen Problembewußtsein kaum noch gegenwärtig. Auch der Einsatz von V-Personen und Informanten soll bereits de lege lata zulässig sein: Dies dürfte auf die Annahme zurückzufilhren sein, in diesen Fällen finde lediglich staatliche Informationserhebung im Wege des Zeugenbeweises statt, der bereits in §§ 50 ff. StPO ausreichend geregelt sei67 • Man muß dieser Auffassung zufolge zwischen der Tätigkeit von V-Personen, Informanten und verdeckten Ermittlern differenzieren. Nur die letztere stelle amtliche Sachverhaltserforschung dar. In den verbleibenden Fällen sei hingegen nur zu fragen, ob diese Zeugen eine Sonderbehandlung insofern erfahren dürften, als sie nicht selbst aussagen müssen, ihre Aussage vielmehr im Hauptverfahren referiert werden könne. Diese Differenzierung zwischen verdeckten Ermittlern und V -Personen überzeugt nicht. Der Zeuge nimmt (im Unterschied zu verdeckten Ermittlern und V-Personen) Sachverhalte nicht filr den Staat wahr. Erst durch seine Vernehmung werden seine Informationen zu staatlichen, erst darin liegt staatliche Informationserhebung. Aus diesem Grunde besteht Regelungsbedarf durchaus auch in diesem Falle fiir die staatliche Informationserhebung, die aber eben erst mit dem Vorgang der Zeugenvernehmung einsetzt und nicht schon mit dessen Wahrnehmungen. Anders bei V-Personen. Sie sind keine Zufallszeugen. In ihrem Fall erfolgt (wie beim Sachverständigen) schon die Wahrnehmung von Tatsachen final im staatlichen Interesse und auf staatlichen Auftrag hin. Was V-Leute zur Kenntnis nehmen, wird zur staatlichen Information. Nicht ihre Tätigkeit im Verhältnis zum Bürger, sondern ihre interne dienstrechtliche Stellung unterscheidet verdeckte Ermittier von Vertrauenspersonen. Für die Frage, ob staatliche Eingriffstätigkeit vorliegt, ist aber allein das Verhältnis zum Bürger maßgeblich, nicht die interne Rechtsstellung des Handelnden68 • Das Schweigen des OrgKG zu diesen Fällen beruht deshalb auf einer unzutreffenden Rechsauffassung - es fehlt an der erforderlichen Rechtsgrundlage.

LR-Rieß, § 163, Rdnr. 56; SK-StPO-Rogall, § 163a, Rdnr. 19. vgl. zum Ganzen: Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 137 ff. (insbes. S. 192 ff.); Gallwas, VVDStRL 29, S. 211 ff. (S. 222 ft). 67

68

I. Der Einsatz verdeckter Ennittler im Vorverfahren

53

b) Verdeckte Ennittler erhalten nach dem OrgKG die folgenden Befugnisse: Sie sollen unter einer auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) im Umfeld des Tatverdächtigen und solcher Personen agieren, die etwas über Täter oder Tat wissen können. Die Legende darf auf falsche Urkunden gestützt werden; die Begehung von Scheinstraftaten sieht dieses Gesetz nicht vor. Darüberhinaus dürfen sie zur Ennittlung technische Geräte, d.h. Abhörgeräte, Aufzeichnungs-, Peil- und Funkgeräte einsetzen sowie Lichtbilder- und Videoaufuahmen herstellen (§ 100c StPO).Zur Beweisgewinnung darf das nichtöffentlich gesprochene Wort bei Straftaten aufgenommen werden, die unter den Katalog des § 100a StPO fallen, Abhörgeräte dürfen nach der bisher in Kraft gesetzten Regelung jedoch nicht in Wohnungen eingesetzt werden. Doch diese Einschränkung ist nach der Intention der Gesetzgeber vorläufig, geplant ist auch die Legalisierung des sog. "großen Lauschangriffs"69. Verdeckte Ennittler sollen darüberhinaus berechtigt sein, Wohnungen zu betreten (§ 1l0c StPO), dies Vorgehen bedürfe - so die wenig überzeugende Begründung zum Entwurf des insoweit gleichlautenden StVÄG - keiner Ermächtigung bzw. Änderung des Art. 13 GG, da es ja durch die Einwilligung des Betroffenen gedeckt sefo. Eine systematische Durchsuchung der Wohnung sei ihnen hingegen aufgrund des § 110c StPO nicht erlaubt; gegen eine Aufzeichnung der gelegentlich des Aufenthalts wahrgenommenen Gegenstände sei jedoch nichts einzuwenden. Täuschungen LS.d. § 136a StPO sollen sie ebenfalls nicht begehen dürfen. c) Wann verdeckte Ennittler eingesetzt werden dürfen, regelt § 110 aStPO. Der "Straftatenkatalog" - (diese Bezeichnung ist angesichts seiner Weite ein Euphemismus) beschränkt sich keineswegs auf organisierte Kriminalität. Vorausgesetzt ist, daß zureichende tatsächliche Anhaltspunkte rur eine Straftat mit erheblicher Bedeutung zunächst auf dem Gebiet des Betäubungsmittelgesetzes oder Waffenverkehrs, der Geld- der Wertzeichenfiilschung oder ein Staats-

69 In einem Beschluß des Bundestages vom 4. Juni 1992 heißt es dazu: "Der Deutsche Bundestag konnte die mit dem Einsatz technischer Mittel in Wohnungen LS. des Art. 13 GG verbundenen schwierigen, rechtlichen, insbesondere auch verfassungsrechtlichen Fragen im Rahmen der Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfes nicht mit der erforderlichen Sorgfalt klären. Der Deutsche Bundestag wird die Beratungen nach der Sommerpause fortftlhren, um die Möglichkeit und Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen einwandfreien und praxisgerechten Regelung des Einsatzes technischer Mittel in Wohnungen zur Aufklärung und Verfolgung der Organisierten Kriminalität zu prüfen", in: BTDrs. 12/2720 Ziff. 4, und Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 95. Sitzung 12/95 vom 4.6.1992, S. 7842. Kritisch dazu Welp, in Hassemer / Starzacher, Organisierte Kriminalität, S. 41 ff. 70 EntwurfsbegrUndung, S. 93; a.A. Frister, StrafV 1993, 151 ff.; Kniesei / Tegtmeyer / Vahle, Handbuch, Rdnm. 511 ff.; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 200.

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

schutzdelikt begangen worden ist. Daruberhinaus eröffnet jede gewerbs- oder gewohnheitsmäßig oder organisiert von einem Bandenmitglied begangene Straftat die Möglichkeit zum Einsatz verdeckter Ennittler. Zur Aufklärung von Verbrechen dürfen letztere tätig werden, wenn Wiederholungsgefahr besteht oder - ohne diese Voraussetzung - wenn das Verbrechen bedeutungsvoll und sonst nicht aufklärbar ist. d) Die Verfahrensherrschaft für den Einsatz hat im wesentlichen die Polizei. Ihr kommt die Initiativbefugnis, auch die operative Leitung zu, die Staatsanwaltschaft muß dem Einsatz spätestens nach drei Tagen zustimmen (§ 110b StPO). Einsätze, die sich gegen einen bestimmten Beschuldigten richten oder im Verlaufe derer der Ennittler einer Wohnung betritt, bedürfen richterlicher Zustimmung. Auch diese muß binnen 3 Tagen vorliegen. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht eine staatsanwaltschaftliche, subsidiär eine polizeiliche Notkompetenz. Das heißt: innerhalb dieser Zeitspanne kann ein solcher Einsatz - wenn weder Staatsanwaltschaft noch Polizei erreichbar sind - allein aufgrund polizeilicher Entscheidung durchgeführt werden. Die Einsätze sind zwar zu befristen, können aber unbegrenzt verlängert werden. e) Gegenüber den Betroffenen kann die Tätigkeit der verdeckten Ennittler solange geheimgehalten werden, bis weder der Ennittler selbst, noch der Erfolg seines vergangenen oder zukünftigen Einsatzes gefährdet ist. Danach soll allerdings eine Benachrichtigungspflicht bestehen für den Fall, daß der Ennittler die Wohnung des Beschuldigten oder Dritter betreten hat (§ llOd Abs. 1 StPO), ebenso, wenn technische Mittel zur Observation oder zum Abhören gern. § 100c Abs. 1 Nr. 1b, Nr. 2 StPO eingesetzt wurden. Im Strafverfahren soll Abschottung des Ennittlers gern. § 96 StPO erfolgen, wobei diese Vorschrift legislatorisch so interpretiert wird, als lasse sie die Geheimhaltung der Identität des Ermittlers in den Fällen zu, in denen er andernfalls Leibes- oder Lebensgefahren ausgesetzt wäre. Diese "Interpretation" erfolgt wohl mit der Intention, die insofern schwankende Rechtsprechung zu binden. Die mit dem Einsatz selbst befaßten Richter und Staatsanwälte können dagegen die Offenbarung seiner Identität verlangen 71. In den Verfahrensakten taucht der Ennittler erst auf, wenn der Betroffene gern. § 110d Abs. 1 StPO benachrichtigt wurde, in den - allgemein unzugänglichen - "Generalakten" der Staatsanwaltschaft werden deren Entscheidungen bezüglich der Ennittler gesammelt - eine Protokollierung des Einsatzes ist gesetzlich nicht vorgesehen. 71 Offenbar hält man - nach amerikanischem Vorbild - insoweit inzwischen sog. "in camera"-Verfahren rur zulässig, die das rechtliche Gehör, das Art. 103 Abs. 1 GG garantiert, suspendieren - weil Entscheidender und von der Entscheidung Betroffene nicht über das gleiche Wissen verftlgen.

11. Infonnationsbeherrschungsrechte

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Mit solchen Regelungen wird die bisherige Praxis weitgehend legalisiert und allen verfassungsrechtlichen Argumenten, es fehle an einer Ermächtigungsgrundlage, der Boden entzogen.

D. Informationsbeherrschungsrechte als Rechte zur Beweisf'dhrung durch Teilinformationen - Zur Rechtsfigur der Vernehmung von Verhörspersonen 1. Die Auffassung der herrschenden Meinung

Das kriminal politische Ziel, dem die Einführung verdeckter Ermittlungsmethoden dienen soll, die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, impliziert bestimmte Methoden der Beweisführung. Die Gefährdung von Zeugen bei Bekanntwerden ihrer Identität, sei es in ihrer künftigen Funktion als Ermittier, sei es an Leib oder Leben, darf aus dieser Sicht nicht zu Beweisverlusten führen. Um dies zu vermeiden, läßt die herrschende Auffassung eine Beweisführung mit einem Torso an Beweismitteln zu: Den Ermittlungsbehörden wird das Recht eingeräumt, Zeugen durch Zurückhaltung von Informationen über ihre Identität vor Gericht und Angeklagtem abzuschirmen. Das Beweisziel wird gleichwohl erreicht, indem nämlich die Aussagen der so vorenthaltenen Zeugen durch die Vernehmung von Verhörspersonen ersetzt werden. Auch deren Informationen dürfen lückenhaft sein: Wann immer sie Auskünfte geben müßten, die Rückschlüsse auf die Identität der Zeugen zulassen, dürfen die Verhörspersonen demzufolge schweigen. Daß das Gericht nach herrschender Auffassung verpflichtet ist, im Falle der Sperrung des unmittelbaren Beweismittels auf die Aussage der Verhörspersonen zurückzugreifen, verleiht den Befugnissen zur Geheimhaltung von Kenntnissen über die Quelle der - dann doch präsentierten - Informationen den Charakter eines Rechtes zur Beweisführung durch Teilinformationen. Die Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang §§ 54, 96 StPO auch im Verhältnis zwischen Ermittlungsbehörden zur Anwendung kommen und die Frage, worin die Folgen solcher Sperrung bestehen, werden von der herrschenden Auffassung getrennt beantwortet. Sie sollen hier gleichwohl als einheitliche Befugnis betrachtet werden. Wenn nämlich später nach der Macht zu fragen sein wird, die den Ermittlungsbehörden durch die Möglichkeit einer Beweisführung mittels Verhörspersonen eingeräumt wird, so hängt diese sowohl davon ab, wann welche Informationen über Beweismittel zurückgehalten werden dürfen, als auch davon, welches die Konsequenzen solcher Geheimhaltung sind. §§ 54, 96 StPO sind also dafür maßgeblich, welche Informationen dem Gericht zur Beweiswürdigung zur Ver-

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

fUgung stehen (bzw. fehlen), und die Möglichkeit zur Beweiswürdigung bestimmt den Umfang der durch diese Rechte zur Zurückhaltung von Informationen in Verbindung mit der Möglichkeit der Präsentation des Beweissurrogates eingeräumten Macht durch Teilinformation. Nach dem gesetzlichen Grundsatz des Stratprozeßrechts stehen Kenntnisse des Ermittlungsverfahrens den Verfahrensbeteiligten zwar spätestens mit dessen Abschluß in vollem Umfang zur Verfilgung: Die zu diesem Zeitpunkt gern. § 147 Abs. 6 StPO uneingeschränkter Akteneinsicht unterliegenden Akten, die mit dem Eröffnungsantrag gern. § 199 Abs. 2 S. 2 StPO dem Gericht vorzulegen sind, sollen alle fUr die Beweiserhebung bedeutsamen Informationen enthalten. Die ermittelnden Beamten stehen als Zeugen zur Verfilgung. Auf gerichtliche Anfragen hin haben die Ermittlungsbehörden gern. §§ 161,202,244 Abs. 2 StPO Auskunft über das Vorverfahren zu erteilen72 • Prinzipiell müßten also Akten und polizeiliche Zeugen vollständig (mindestens) darüber informieren, welche LS.v. § 244 Abs. 2 StPO relevanten Beweismittel den Ermittlungsbehörden bestimmt sind. Die Heimlichkeit der Ermittlungen endet im Prinzip in der Hauptverhandlung. Gleichwohl hält die herrschende Auffassung es fUr zulässig, daß Informanten Vertraulichkeit zugesichert wird und deren Identität Gericht, Angeklagtem und Verteidiger gegenüber geheimgehalten wird, daß V-Personen und verdeckte Ermittier vor Gericht nicht auftreten müssen, obwohl sie es könnten, und daß deren Aussagen von sogenannten Verhörspersonen, beamteten und gewillkürten Zeugen vom Hörensagen berichtet werden, daß die Ermittlungsbeamten über die Identität unmittelbarer Zeugen nicht informieren müssen, daß die Verhörspersonen bei ihrer Aussage alle diejenigen Details aussparen dürfen, die Rückschlüsse auf die Identität der abgeschirmten Zeugen zulassen. Rechtlich begründet wird diese Praxis wie folgt: Die Geheimhaltung wird filr die als Zeugen aussagenden Ermittlungsbeamten auf § 54 StP073 , fUr die Aktenunvollständigkeit auf § 96 StP074 und filr die Verweigerung einer form-

72 BGH NJW 1988, 2187 f. (2188); BVerfGE 57, 250 ff. (282); LR-Rieß, § 161 Rdnr. 8; Taschke,Die Zurückhaltung, S. 65 ff.; Arloth, Geheimhaltung von V-Personen, S.26. 73 herrschende Auffassung, vgl. nur Röhrich, Rechtsprobleme bei der Verwendung von V-Leuten, S. 35 ff.; LR-Dahs, § 54 Rdnr. 11. 74 BGH NJW 1988, 2187 (2188); LR-Schäfer, § 96 Rdnr. 13; LR-Rieß, § 161, Rdnr. 15; OLG Stuttgart, NStZ 1985, 136.

11. Infonnationsbeherrschungsrechte

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losen Auskunft auf eine analoge Anwendung des § 96 StP075 gestützt. Beide Vorschriften sollen spezifisch staatliche Geheimhaltungsbelange schützen. Auf diese Weise wird also auch die Abschirmung von Beweismitteln innerhalb des Strafverfahrens legitimiert. Gemäß § 68 Abs. 3 StPO kann inzwischen ein gefährdeter Zeuge allerdings auch innerhalb der Hauptverhandlung seine Identität verschweigen. In diesem Falle muß er bekanntgeben, in welcher Funktion er seine Wahrnehmungen gemacht hae6 • Die Unterlagen über die Identität des Zeugen sind in diesem Falle erst dann zu den Akten zu nehmen, wenn die Gefährdung entfallen ist. Die Verwendung sachfernerer Beweismittel, die Vernehmung der Verhörsbeamten als Zeugen vom Hörensagen also folge schließlich aus der gerichtlichen Pflicht, den Sachverhalt so gut wie dem Gericht (!) möglich, aufzuklären - aus § 244 Abs. 2 StPO. Da fiir das Gericht - dank exekutivischer Sperrung - der Informant, die VPerson oder der verdeckte Ermittier nicht greifbar ist, muß es sich mit dem nächst-schlechteren Beweismittel behelfen. Im einzelnen sieht die Position der herrschenden Auffassung wie folgt aus:

a) Die Zulässigkeit der Sperrerklärung Zunächst wird angenommen, daß §§ 54, 96 StPO auch im Verhältnis zwischen Ermittlungsbehörden und Gericht Anwendung finden. Sie erlauben demnach die Geheimhaltung von Informationen, die in Vorbereitung auf die Hauptverhandlung gewonnen wurden. Gern. § 54 StPO, der auf §§ 61, 62 BBG und die entsprechenden Vorschriften der Länder verweist, muß dem Amtsträger, der als Zeuge auftritt im Grundsatz eine Aussagegenehmigung erteilt werden. Nur dann, wenn "die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfiillung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde", darf die Aussagegenehmigung verweigert werden. Gern. § 96 StPO dürfen Akten einer Behörde gesperrt werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, das Bekanntwerden des Inhalts werde dem Wohl 75 vgl. BGHSt 30, 34 ff. und BVerfGE 57,250 (282) m.w.N.; LR-Schäfer, § 96 Rdnr. 18 m.w.N.; a.A. Kleinknecht-Meyer, § 96, Rdnr. 13; Herdegen, NStZ 1984, 97 (100); die § 54 anwenden wollen mit der Begrundung, es könne keinen Unterschied machen, ob die Auskunft über behördliche Zeugen oder unmittelbar von der Behörde verlangt werde. 76 es steht indessen zu erwarten, daß sich die Ennittlungsbehörden tUr die nicht zutreffende Angabe dieser Funktion durch verdeckte Ennittler auf § 11 Da Abs. 2 StPO stützen werden. Eine Auffassung, die nicht geteilt werden könnte.

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten. Es fehlt hier die Befugnis zur Zurückhaltung von Informationen zum Schutz öffentlicher Aufgabenerfilllung. In der Literatur wird § 96 StPO daher teilweise enger interpretiert als § 54 StP077, die Rechtsprechung jedoch wendet beide Vorschriften in gleicher Weise an'8 . Die Berufung auf §§ 54, 96 StPO wird in den folgenden drei Fällen für zulässig gehalten: Die Geheimhaltung der Identität von V-Personen, verdeckten Ermittlern oder sonstigen Zeugen und Informanten soll rechtmäßig sein, wenn deren Aussage andernfalls eine Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen bedeuten würde'9 . Streitig ist auch unter den Vertretern der herrschenden Auffassung die Frage, ob die zukünftige Erfilllung öffentlicher Aufgaben, ob also die Gefahr, daß verdeckte Ermittier und V-Leute "verbrannt" werden oder daß die Arbeitsweise dieser Behörden publik wird, eine Abschottung rechtfertigt. Während das Bundesverfassungsgericht, wohl auch das Bundesverwaltungsgericht, der hessische Verwaltungsgerichtshof und der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofes dies bejahen8o, hat der zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofes entschieden, daß z.B. die Enttarnungsgefahr alleine die Abschirmung eines Zeugen nicht rechtfertige 81 • Diese restriktive Rechtsprechung wird jedoch im Ergebnis dadurch ihrer Relevanz beraubt, daß hiergegen verstoßende Sperrerklärungen ein Beweiserhebungsverbot nur dann auslösen sollen, wenn sie offenkundig rechtsfeh-

77 Karlsruher Kommentar-Herdegen, § 244 Rdnr. 93; Kleinknecht-Meyer, § 96 Rdnr. 12; Geerds, JZ 1984, 46 (48); Hilger, NStZ 1984, 145; Lüderssen, Klug-Festschrift, S. 529; Keller, StrafV 1984, 225; LR-Rieß, § 199, Rdnr. 13; (anders jedoch die Kommentierung zu § 163 StPO, ebenda Rdnr. 60); widersprüchlich OLG Hamburg StrafV 1984, 11: demnach gilt § 96 StPO nicht für das Verlangen auf Aktenherausgabe, wohl aber (analog) für die Sperrung des V-Mannes. Konsequent angewendet hätte dies zur Folge, daß die Identität des V-Mannes über die Akte preisgegeben werden müßte, nicht aber auf ein Auskunftsbegehren hin. 78 so ausdrücklich: BVerwG, StrafV 1986, 523 ff.; Hess. VGH StrafV 1986; außerdem soweit § 96 StPO herangezogen wird, um V-Personen in der Hauptverhandlung abzuschotten vgl. z.B. BGHSt 31,149 (155); BGHSt 32,115 (126), wo §§ 54 und 96 StPO als Einheit zitiert werden. Auch das Bundesverfassungsgericht unterscheidet in der Entscheidung 57, 250, S. 284 ff. nicht zwischen § 54 und § 96 StPO. 79 vgl. nur BVerfGE 57, 249 (284 f.); BGHSt 22, 313; 29, 313; 31, 148 (156); 33,74; 33, 90; 33, 180; BGH NStZ 1985, 468; NStZ 1985, 136; Geißer, GA 1985, 259; Arloth, aaO., S. 37 ff.; Herdegen, NStZ 1984, 100; Bruns, Neue Wege, S. 27. 80 BVErfGE 57,249 (284); BVerwG, StrafV 1984,278 ff.; HessVGH, StrafV 1986, 52 (53); BGH NJW 1985, 1478. BI BGHSt 33, 83 (90 f.); zustimmend Fezer, JZ 1987,496 ff. (498).

11. Informationsbeherrschungsrechte

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lerhaft sind82 • In § I lOb Abs. 3 StPO n.F. wird nunmehr § 96 StPO legislatorisch im ersteren Sinne interpretiert. Nach überwiegender Ansicht legitimiert eine Vertraulichkeitszusage nur in den Fällen die Geheimhaltung, in denen sie von den oben genannten Gründen gedeckt ist83 • Nach einer Mindermeinung jedoch muß einer Vertraulichkeitszusage stets Folge geleistet werden, weil deren Adressat Vertrauensschutz genieße84 • Wenn auch in diesen Fällen die Geheimhaltungsbedürftigkeit prinzipiell zu bejahen sei, so mü~sten dennoch die Schwere der Straftat, die drohenden Nachteile ftI.r den Angeklagten und die der optimalen Aufklärung entgegenstehenden Gründe nochmals gegeneinander abgewogen werden 85 • Die Entscheidung über die Geheimhaltung habe die oberste Dienstbehörde zu fallen. b) Folgen der Sperrerklärung Nach der herrschenden Meinung haben diese Abschottungsbefugnisse zur Konsequenz, daß das Hauptverfahren nunmehr mit einern Torso an Informationen durchgefiihrt wird. Die Sperrerklärung begrenzt ihr zufolge die Sachaufklärungspflicht des Gerichtes: Das unmittelbare Beweismittel ist "unerreichbar" i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 2 StP086 • Gern. § 244 Abs. 2 StPO ist nun die Erhebung des sachfernen Beweismittels, des Beweissurrogates geboten. Umstritten ist mittlerweile, ob nur die rechtmäßige Sperrerklärung solches zur Folge hat oder ob auch bei einer rechtswidrigen Sperrung auf das Beweissurrogat ausgewichen werden muß. Die Literatur nimmt im letzteren Falle teilweise an, daß das rechtswidrige Verhalten der Ermittlungsbehörden durch den Ausfall der Beweissurrogate sanktioniert wird87, teilweise befürwortet sie die Beschlagnahme von Behördenakten88 • Die

vgl. dazu sogleich unter b) und BGHSt 36, 159. BGHSt 31, 290 (294); BGHSt 33, 83 (91). 84 vgl. hierzu Anlage D RiStBV, Abschnitt IV; so früher die Rechtsprechung: RG, GA 1928,345; BGH MDR 1952,659; BGHSt 17,382 ff; aus der Literatur: J. Meyer, ZStW 95 (1983), 842; Rebmann, NJW 85, 5; Geißer, GA 85, 258. 85 BVerfGE 57, 250 (285); BVerwGE 66, 39; BVerwG, StrafV 1986, 523 (525); Taschke, Die behördliche Zurückhaltung, S. 201 ff. 86 RGSt 5, 142; BGHSt 17,382; BGHSt 33,70; BGHSt 33, 83; BVerfGE 57,249 (277 f.); Geppert, Unmittelbarkeit, S. 257 und S. 284; Alsberg-Nüse-Meyer, S. 623 ff. m.w.N. 87 LR-G. Schäfor, § 96, Rdnr. 53; Lüderssen, Festschrift tUr Klug, S. 527 ff., S. 538; Bruns, StrafV 1983, 382 (385); Weider, StrafV 1983, 227. 82 83

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

höchstrichterliche Rechtsprechung nimmt demgegenüber neuerdings an, daß der Einschätzung der Ermittlungsbehörden bei Divergenzen über die Rechtmäßigkeit prinzipiell der Vorrang einzuräumen sei. Ein Beweiserhebungsverbot komme allenfalls (!) dann in Betracht, wenn die Sperrerklärung offensichtlich willkürlich und rechtsfehlerhaft sei 89 . Wann immer das unmittelbare Beweismittel durch die Sperrerklärung als "unerreichbar" i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO angesehen wird, muß also das Gericht auf das nächste erreichbare90 Beweismittel ZUTÜckgreifen91 . Als Surrogate kommen das Zeugnis vom Hörensagen - durch Vernehmung der Verhörsperson - und die Verlesung von polizeilichen bzw. richterlichen Protokollen in Betracht92 93. Die Reproduktion des Zeugenbeweises durch Verlesung polizeilicher Verhörsprotokolle stützt die herrschende Auffassung hier auf § 251 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Ziff. 2 StPO, sie nimmt an, daß der Vernehmung der geheimgehaltenen Person eine durch §§ 54, 96 StPO begründetes, nicht zu beseitigendes Hindernis entgegensteht. Bei der Beweiswürdigung sei dann der geringere Beweiswert des Hörensagen-Beweises bzw. des Protokolles zu berücksichtigen. Die Aussage von Verhörsbeamten dürfe aber nicht generell unter Verweis auf deren Unzuverlässig-

88 KK-Laufhütte, § 96, Rdnr. 2; Schlüchter, Strafprozeßrecht, Rdnr. 306.1; Peters, Strafprozeßrecht, § 48 A III 2 A. 89 BGHSt 36, 159. Seit BGH, StrafV 1992,308 ff. muß aber wohl davon ausgegangen werden, daß im Falle einer offonsichtlich rechtswidrigen Sperrerklärung die die begehrten Informationen enthaltenden Behördenakten beschlagnahmt werden. 90 Nach einer früher verbreiteten Praxis bemühte man sich an erster Stelle, den Zeugen ohne Preisgabe seiner Identität unter optischer und akustischer Abschirmung in der Hauptverhandlung zu vernehmen. An zweiter Stelle vernahm man ihn gern. §§ 223, 224 StPO kommissarisch unter Ausschluß von Verteidiger und Angeklagtem. Diese Praxis unterband eine Entscheidung des Großen Senats in Strafsachen, BGHSt 33, 83 ff. Eine Vernehmung ohne Preisgabe der Identität versage § 68 StPO a.F., eine kommissarische Vernehmung ohne Anwesenheit des Angeklagten verstoße gegen § 244 Abs. 1 StPO. Die Einhaltung dieser Regeln ist in Bezug auf das mittelbare Beweismittel, den Verhörsbeamten hingegen möglich. Nunmehr räumt § 68 StPO n.F. dem Zeugen das Recht ein, seinen Wohnort geheimzuhalten oder Angaben über seine (neue) Identität zu verweigern. 91 RGSt 5, 142; BGHSt 17, 382; BGHSt 33,70; BGHSt 33,83; BVerfGE 57,249 (277 f.); Geppert, Unmittelbarkeit, S. 257, 284. 92 Grünwald, StrafV 1984, 56; Fezer, JZ 1984, 434. 93 §§ 250, 251 StPO stehen nach h. A. der Anwendung des § 244 Abs. 2 StPO nicht entgegen, sie regeln nämlich den Vorrang des Sachbeweises vor dem Urkundsbeweis, nicht aber den Grundsatz der Unmittelbarkeit, RGSt 5, 142; siehe auch RGSt 48, 246; BGHSt 17, 383; Geppert, Unmittelbarkeit, S. 186 ff., 258 ff.; LR-Gollwitzer, § 250 Rdnr. 24 (Fn. 70). Die Gegenauffassung betrachtet § 250 S. 1 StPO als Gebot der Vernehmung des unmittelbaren Zeugen, so z.B. Grünwald, Festschrift für Dünnebier, S. 352, weitere Nachweise dort bei Fn. 20.

11. Infonnationsbeherrschungsrechte

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keit zurückgewiesen werden, jedenfalls nicht bei in der DurchfUhrung von Vernehmungen geschulten Beamten94 . Eine nur auf die Aussage der abgeschirmten Person gestützte Verurteilung komme nicht in Betracht, man müsse in diesem Fall auf zusätzliche Indizien rekurrieren95 . 2. Die Kritik der herrschenden Meinung

Die solches Prozedere ablehnende Mindermeinung kritisiert zunächst, daß die Frage nach der Geheimhaltung der unmittelbaren Beweismittel von der Frage der Heranziehung des Surrogates getrennt wird96, sodann, daß §§ 54, 96 StPO auf Ermittlungsbehörden angewendet werden, obwohl diese Behörden in einem Mandatsverhältnis zum Gericht stünden97 . Schließlich wird die Umgehung der den Angeklagten schützenden Vorschriften durch die Mittelbarkeit der Beweiserhebung gerügt98. a) Reduzierte Fragestellung In der Tat spaltet die herrschende Auffassung die Frage, ob ein Urteil auf einen künstlich erst geschaffenen Torso an Informationen gestützt werden darf - ob also der Staat, als Einheit betrachtet, die Beweissituation zulasten des Angeklagten soll verschlechtern können und diesen gleichwohl verfolgen dürfen in zwei Fragen auf und beantwortet sie darum nicht: in die nach der Rechtmäßigkeit der exekutivischen Geheimhaltung und die nach der Aufklärungspflicht und -möglichkeit des Gerichts. Die Verknüpfung von beidem wird als Rechtsproblem gar nicht behandelt. Die Frage, ob trotz Wahrung staatlicher Geheimhaltungsinteressen dem Strafverfolgungsinteresse des Staates auf Kosten des Angeklagten weiterhin zur Geltung verholfen werden soll, ist weder in §§ 54, 96 StPO, noch in § 244 StPO beantwortet, bzw. geregelt. Es fehlt die Legitimation der Belastung des Angeklagten mit solchen Vorteilen99 .

94 BGHSt 36, 159 (165). 95 BGHSt 17, 386; 29, 109; 33, 178; 36, 159 (165). 96

Grünwald, Festschrift rur Dünnebier, S. 361.

97 vgl. etwa Taschke, Die behördliche Zürückhaltung, S. 161 f. Dies Mandatsverhältnis

gelte allerdings nur rur Infonnationen, die im laufenden Verfahren gewonnen wurden. 98 Grünwald, Festschrift rur Dünnebier, S. 348 ff.; Lüderssen, Festschrift rur Klug, S. 528 ff.; LR-Lüderssen, § 147, Rdnm. 2 ff.; rur die Aktenvorlage ursprünglich auch LR-Rieß, § 199, Rdnr. 13, anders nun bei § 163, Rdnr. 59 ff.; Bruns, Neue Wege, S. 42. 99 Grünwald, Festschrift rur Dünnebier, S. 362.

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

b) §§ 54, 96 StPO passen nicht Zudem ist der Mindermeinung Recht zu geben, wenn sie annimmt, den Ermittlungsbehörden sei die Berufung auf §§ 54, 96 StPO versagt, da sie keine mit der Strafverfolgung kollidierenden Behördenaufgaben wahrzunehmen hätten loo • §§ 54, 96 StPO erhalten, wenn man sie auf Kenntnisse aus dem anhängigen Verfahren anwendet, eine ganz andere Bedeutung, als sie in den Fällen haben, in denen sie "externe" Behörden zur Geheimhaltung berechtigen. Staatsanwaltschaft, repressiv tätige Polizei und Gericht erfüllen ein und dieselbe Aufgabe, nämlich Strafverfolgung. §§ 54,96 StPO haben nun zur Voraussetzung, daß die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung die Erfüllung dieser Strafverfolgungsaufgaben geflthrdet. Die Öffentlichkeit des Verfahrens stellt aber zugleich die Form der Wahrnehmung solcher Aufgaben dar, sie kann dem Strafverfolgungsinteresse also zumindest dort nicht entgegenstehen, wo die Realisierung dieses Interesses innerhalb der Hauptverhandlung zur Debatte steht. Die herrschende Meinung verlängert, wenn sie §§ 54, 96 StPO in diesen Fällen anwendet, die Verfahrensmodi des Ermittlungsverfahrens in das Hauptverfahren hinein. Wenn dagegen z.B. Interessen der Finanzverwaltung mit Interessen der Strafverfolgung kollidieren, so deshalb, weil filr beide eben unterschiedliche Verfahrensmodi gelten: Die Interessen der Finanzverwaltung erfordern entsprechend der gesetzgeberischen Entscheidung weitgehende Geheimhaltung im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Sie würden deshalb durch die strafgerichtliehe Publizität z.T. aufs Spiel gesetzt. Dies verhält sich indessen zwischen den, am dem verschiedenen bestimmten Stadien der Strafverfolgung beteiligten Behörden anders lol • Zwar können die Ermittlungsbehörden im Vorverfahren (in Grenzen) heimlich handeln. Aber die Aufgabe, Straftaten zu verfolgen, realisieren sie so nicht. Diese findet ihren Abschluß im Hauptverfahren. Dort ist die Publizität der Beweisfilhrung, wie sie in Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 68, 222, 246 Abs. 2 StPO geregelt ist, die Form, in der dem Strafverfolgungsinteresse zur Geltung verholfen werden soll. Die Berufung auf §§ 54, 96 StPO enthält nun die Aussage, daß

100 LR-Lüderssen, § 147, Rdnr. 52 ff.; Lüderssen, Festschrift für Klug, S. 52; Taschke, Die behördliche Zurückhaltung, S. 150 ff.; Fezer, Strafprozeßrecht I, 8/22; Keller, StrafV 1984, 521 ff. (525). 101 Jedenfalls insoweit ist Taschke, Die behördliche Zurückhaltung, S. 161 f., Recht zu geben, als es sich um ein Strafverfahren handelt.

11. Infonnationsbeherrschungsrechte

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die Aufgabe der Strafverfolgung - im Unterschied zur Publizität des Hauptverfahrens - nur heimlich wahrgenommen werden könne. Sie enthält somit zugleich eine Absage an die Form, die der Gesetzgeber für ihre Wahrnehmung vorgesehen hat - ist also nichts anderes als eine Suspendierung geltenden Rechts. §§ 54,96 StPO derogieren dann die Regeln über die Art und Weise der Aufgabenerfüllung unter Hinweis auf die Aufgabe selbst. Diese Überlegungen werden bestätigt, wenn man den Versuch unternimmt, die oben dargelegten Fallgruppen den §§ 54, 96 StPO konkret zu subsumieren. Das gilt zunächst für den Schutz von Leib und Leben der Zeugen bzw. der verdeckten Ermittier. Ginge es dabei wirklich um den Schutz der privaten Interessen des Zeugen, bzw. Ermittiers, dann wäre nicht einzusehen, warum dieser Fall gern. §§ 54, 96 StPO unter Zwischen schaltung der Ermittlungsbehörden zu lösen sein sollte. Es leuchtet nicht ein, warum die Gefiihrdung einer Einzelperson zugleich eine Gefahr für das Wohl des Bundes oder eines Landes darstellen oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben infragestellen soll. Allenfalls läßt sich dieser Fall individualrechtlich über § 34 StGB 102 lösen die Pflicht des Zeugen zur Aussage entfällt, ihm steht notfalls ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Er muß dann in der Regel jedoch erscheinen und bleibt nicht anonym, die Kompetenz zur Entscheidung über seine Pflicht zur Aussage läge beim Gericht. Dies hätte allerdings zugleich einen Beweisverlust zur Folge. Wenn demgegenüber die Exekutive den Zeugen sperrt, geht es um den Schutz staatlicher Interessen. Seine Anonymität vor Gericht und Beteiligten ist nicht erforderlich zur Wahrung seiner Sicherheit (hierzu würde ein Zeugnisverweigerungsrecht genügen), sondern um seine Aussage auf anderem Wege ins Verfahren einführen zu können, die Gewährleistung seiner Sicherheit ist diesbezüglich nur Zwischenziel. Das Beweismittel wird also abgeschottet, um das jeweilige Strafverfahren mit einer Verurteilung erfolgreich abschließen zu können, um keinen Beweisverlust zu erleiden. Dies staatliche Interesse an der Abschottung - die Überführung des Täters im Hauptverfahren (durch einen mittelbaren Beweis) - kann jedoch nicht auf §§ 54, 96 StPO gestützt werden: Denn nicht genuin exekutivische Aufgaben der Ermittlungsbehörden gebieten in diesem Falle die Geheimhaltung, sondern Aufgaben des mit der Entscheidung befaßten Gerichts sollen gewährleistet werden. Hierfür stehen §§ 54, 96 StPO jedoch mit Sicherheit nicht zur Verfügung.

102 so auch Taschke, Die behördliche Zurückhaltung, S. 242 ff.; vgl. jedoch RGSt 66, 98; JW 25, 910; BGHSt, 371; Sch / Sch / Lenckner, § 35, Rdnr. 41 allerdings tUr eine falsche Aussage.

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

Ähnlich verhält es sich mit der Enttarnungsgefahr als Geheimhaltungsgrund. Vordergründig kollidiert die von der Durchfilhrung des jeweiligen Strafverfahrens verschiedene Aufgabe der zukünftigen Verbrechensbekämpfung mit der gegenwärtigen Strafverfolgung und rechtfertigt deren Beschneidung. Bei genauer Betrachtung erweist sich diese Gegenüberstellung als falsch, die Konstruktion als petitio principii: Die Sperrung des verdeckten Ermittiers, der V-Person oder des Informanten ist notwendig, damit dieser auch in Zukunft Ermittlungsergebnisse präsentieren kann - was er in aller Regel nur als abgeschirmter Zeuge oder aber als durch den Aktenhinweis "vertraulich wurde bekannt abgeschirmte Quelle kann - die Möglichkeit der Geheimhaltung wird mit einer Form der Ermittlungstätigkeit gerechtfertigt, die ihrerseits voraussetzt, was sie erst begründen soll, das Recht der Ermittlungsbehörden nämlich sich gegenüber den sonstigen Verfahrensbeteiligten auf §§ 54, 96 StPO zu stützen l03 • ft

§ 110b Abs. 3 S. 3 StPO n.F. schreibt nunmehr die Anwendung des § 96 StPO für die Geheimhaltung der Person des verdeckten Ermitt1ers vor. Diese Regelung ist konstitutiv. In den verbleibenden Fällen läßt sich jedoch die Praxis der Geheimhaltung der Beweismittel positivrechtlich nicht begründen. c) Umgehung von Beschuldigtenrechten Schließlich, so die Mindermeinung, verletze die Ersetzung des dem Gericht vorenthaltenen Beweismittels Schutzvorschriften zugunsten des Angeklagten. Die Reproduktion der Aussagen künstlich abgeschirmter Zeugen entspreche der ratio des § 251 Abs. 1 ZijJ. 2 bzw. Abs. 2 StPO nicht, diese Vorschrift passe nur auffaktische Vernehmungshindernisse. Da §§ 250, 251 StPO nicht den Vorrang des Zeugen vor dem Urkundsbeweis, sondern den Grundsatz der Unmittelbarkeit regelten, enthielten sie im Prinzip ein Verbot der Ersetzung der Zeugenaussage durch Zeugnis vom Hörensagen. Ausnahmsweise dürfe das Beweissurrogat verwendet werden, wenn der Zeuge unerreichbar sei. Dies gelte aber nicht für den Fall, daß die Unerreichbarkeit künstlich herbeigefilhrt worden sei. In diesem Falle der künstlichen Unterbindung der Beweisfilhrung sei nämlich die Gefahr filr die Wahrheitsfindung besonders hoch lo4 • Die fehlende Anwe-

103 so auch Lüderssen, Festschrift rur Ulrich Klug, S. 29 ff.; Taschke, Die behördliche Zurückhaltung, S. 150 ff. 104 Grünwald, Festschrift rur Dünnebier, S. 358; Mittermaier, Die Justiz, 1930, 16 ff. (20 f.).

11. Infonnationsbeherrschungsrechte

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senheit des Angeklagten wirke sich auf das Aussageverhalten des Zeugen aus, da er kritischen Fragen durch Verteidiger und Angeklagten nicht ausgesetzt sei und mit der Fallkenntnis des Angeklagten nicht konfrontiert werde. Bei der Vernehmung durch Staatsanwaltschaft und Polizei unterliege der Zeuge zudem keiner sanktionierten Wahrheitspflicht, die Abschirmung bewahre ihn sogar vor Strafverfolgung wegen falscher Anschuldigung. Diese Gefahren einer Vernehmung der Verhörsperson anstelle des verdeckten Ermittiers flInden ihren Ausdruck darin, daß diese Praxis gegen verschiedene Vorschriften zum Schutze des Angeklagten verstießen: So sei Art. 103 Abs. 1 GG, der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör, verletzt, wenn es ihm versagt bleibe, entlastendes Beweismaterial zu präsentieren oder zu belastenden Beweisen kritisch Stellung zu nehmen. Gleiches gelte fUr §§ 250, 257 StPO und Art. 6 Abs. 3 lit d MRK, die die Befragung der Belastungszeugen garantieren. Gegen diese Argumente wendet die herrschende Auffassung zwar ein, daß das Beweismaterial in diesem Falle eben der Zeuge vom Hörensagen, sei; zu dessen Aussage könne Stellung bezogen und er könne befragt werden 105. Dieser Einwand wird jedoch zu Recht zurückgewiesen: Art. 103 Abs. 1 GG wie auch Art. 6 Abs. 3 lit d MRK enthielten das Verbot von Geheimverfahren l06 ; ihre Umgehung in der Weise, daß man die Beweiserhebung ins Vorverfahren verlagert und bloß noch referiert, sei unzulässig. Andernfalls erhalte z.B. Art. 6 Abs. 3 lit d MRK die Fassung: "Soll ein Belastungszeuge der Befragung durch den Angeklagten entzogen werden, so darf dies nicht durch ein Befragungsverbot innerhalb der Hauptverhandlung geschehen, vielmehr muß der Zeuge dann von der Hauptverhandlung überhaupt ferngehalten werden ftl07 . Zudem ermögliche die Sperrung von Zeugen und die Vernehmung von Verhörsbeamten eine Prozeßsteuerung durch die Exekutive, die bedenklich sei, da sie die Unabhängigkeit der Gerichte, die Art. 92 GG gewährleistet, beeinträchtigelOB . Hiergegen wendet die herrschende Auffassung Verschiedenes ein: Zum einen wird auf die Objektivitätsverpflichtung der Staatsanwaltschaft gern. § 160 StPO verwiesen. Diese Behörde verdiene, so das Bundesverfas-

Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 174 f. Arndt, NJW 1963, 433 ff.; von Zezschewitz, NJW 1972, 796 (799). 107 Grünwald, Festschrift rur Dünnebier, S. 359. 101 Arndt, NJW 1962, 1193; Backes, Klug-Festschrift, S. 456 f.; Geppert, Unmittelbarkeit, S. 299 ff. lOS

106

5 Velten

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

sungsgericht, im Staate des Grundgesetzes Vertrauen 109. Zum anderen wird es als Kompensation der Unzuverlässigkeit mittelbarer Beweise angesehen, daß deren geringerer Beweiswert berücksichtigt werden könne. Das Gericht müsse eben besonders vorsichtig würdigen, die Gefahren der Verwertung der Aussage der Verhörspersonen seien schließlich bekannt. Der Beweis durch Vernehmung der Verhörsperson unterscheide sich nämlich im Prinzip hinsichtlich der Schwierigkeiten der Beweiswürdigung nicht von jedem anderen Indizienprozeß, ja genau betrachtet, noch nicht einmal von der Aussage eines unmittelbaren Zeugen, die nicht durch weitere Beweismittel gestützt werde. Zwischen diesen Fällen bestünden lediglich quantitative, nicht aber qualitative Unterschiede, weil in allen Fällen gleichermaßen der Erkenntnis des Beweiswertes der Indizien Grenzen gesetzt seien. Letztlich sei der Richter auf seinen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Aussagenden angewiesen - darum sei auch das Gebot des fairen Verfahrens nicht verletzt. § 261 StPO sei eben der Grund dafUr, daß ein Beweismittel nicht allein wegen seiner Unzuverlässigkeit ausscheide llo • Außerdem beseitige die Notwendigkeit, die Geheimhaltung zu rechtfertigen die Gefahr der Außensteuerung: Weil überprüfbar sei, ob legitime Gründe oder bloße Manipulationsinteressen die Abschirmung trügen, sei ein Mißbrauch der Abschirmungsbefugnisse zur Beeinflussung der Beweiswürdigung regelmäßig nicht möglich 11 I. Diese Argumente vermögen kaum zu überzeugen. Ebensowenig wie die Verpflichtung des Angeklagten, Leib und Leben eines ihn belastenden Zeugen nicht zu verletzen, genügt, um das Recht zur Geheimhaltung der Identität des Zeugen überflüssig zu machen, genügt die Verpflichtung allein der Staatsanwaltschaft, ihre Macht objektiv zu handhaben, um die Einräumung dieser Macht zu rechtfertigen. Der Fall Schmücker sollte diese These ausreichend empirisch widerlegt haben. Daß die Beweiswürdigung der Aussagen von Verhörspersonen qualitativ anderen Regeln folgt als die der Aussage "normaler" Zeugen - daß gerade die These, der Beweiswert solcher Aussagen könne erst dann eingeschätzt werden,

vgl. vor allem BVerfGE 57, 249 (280 f.). BGHSt 33, 83 (89); BVerfGE 57, 249 (277, 292 f.); LR-Gollwitzer, § 250 Rdnr. 24 m.w.N. 111 so Arloth, Geheimhaltung von V-Personen, S. 175 und BGHSt 33,70 (74): keine Fernsteuerung rur den Fall, daß Gefahr rur Leib oder Leben des Zeugen droht. Dahinter steckt der Gedanke, daß die Fernsteuerung nicht der BegrUndungsmöglichkeit, sondern den einzelnen (angegegeben) GrUnden geschuldet ist - wobei man voraussetzt, daß diese Grunde (überprUfbar) vorliegen. 109

110

III. Teilinfonnation

67

wenn man sie vernommen habe, falsch ist, wird unten l12 gezeigt werden. Der Fall Schmücker hat auch die These widerlegt, daß überprüfbar sei, warum ein Beweismittel abgeschottet wurde: Erst nachdem man wußte, was filr Beweise die Behörden zurückgehalten hatten, wurde offenbar, daß Prozeßsteuerung das Motiv dieser Zurückhaltung gewesen war.

ill. Teilinformation bei der Dokumentation

des Ermittlungsverfahrens

Im folgenden geht es um die Frage, in welchem Umfang die Ermittlungsbehörden zur Dokumentation des Vorverfahrens verpflichtet sind.

Gegenstand sind diejenigen Informationsbeherrschungsrechte, die maßgeblich

filr den Einfluß sind, den die Ermittlungsbehörden durch die Präsentation des

Beweismaterials und des Ergebnisses ihrer Ermittlungen auf die Entscheidung ausüben können. Wenn sich die These begründen läßt, daß die Richtigkeit eines Urteils von der Vollständigkeit der Beweisermittlung im Vorverfahren abhängt, dann bestimmen die diesbezüglichen Rechenschaftspflichten, welche Macht den Ermittlungsbehörden im Hinblick auf das Urteil zukommt.

Gern. § 199 Abs. 2 StPO legt die Staatsanwaltschaft mit der Anklageerhebung dem Gericht die Ermittlungsakten vor. Diese Akten werden sowohl zur Grundlage der Eröffnungsentscheidung gern. § 207 StPO als auch zur Grundlage der Entscheidung darüber, welche Beweise in der Hauptverhandlung zu erheben sind. Hier soll daher geschildert werden, was nach geltender Rechtslage zu den Verfahrensakten gehört. Im Wesentlichen werden hierzu zwei verschiedene Auffassungen vertreten. Nach der wohl herrschenden Lehre und Rechtsprechung gilt ein sog. "formeller" Aktenbegritr 13 • Zu den Verfahrensakten gehören zunächst - dies ohne Wertungsmöglichkeit - alle diejenigen Ermittlungsvorgänge, die Tat und Täter betreffen. Sobald das Verfahren sich gegen den Beschuldigten richtet, sind alle Vorgänge ohne Ausnahme in den sein Verfahren betreffenden Akten zu dokumentieren und gern. § 199 Abs. 2 StPO dem Gericht vorzulegen. Vor diesem Zeitpunkt (solange also noch gegen Unbekannt ermittelt wird) angefallene

112 S. u. Teil 3, B. 113BGHSt 30,131 (138 f.); BVerfGE 63, 45 ff.; KK-R. Müller, § 170, Rdnr. 11; KKTreier, § 199, Rdnr. 1; Meyer-Goßner, NStZ 1982, 353 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht,

§ 19 E IV. 5*

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

Akten bezüglich derselben Tat, sogenannte Spurenakten, zählen hierzu nur dann, wenn eine Einzelfallprüfung ergibt, daß sie auch im gegen den Beschuldigten gerichteten Verfahren relevant sind. Diesbezüglich triffi die Staatsanwaltschaft die Vorauswahl. Weitere Akten kann sich das Gericht gern. §§ 244 Abs. 2, 96 StPO vorlegen lassen, wenn Anhaltspunkte ftlr deren Bedeutung gegeben sind. Demgegenüber vertritt ein großer Teil der Literatur l14 einen sog. "materiellen Aktenbegriff. Die Akten sollen das Ermittlungsverfahren, soweit es die Tat betriffi, lückenlos dokumentieren. Zu den Akten gehören demnach alle schriftlich erstellten Unterlagen, die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens angefallen sind, zudem seien die Ermittlungsbehörden verpflichtet, über alle im Verfahren angefallenen Informationen sowie über ihre Ermittlungsschritte Vermerke anzufertigen lls . Die Akten sind nach dieser Konzeption Beweiserhebungsgrundlage und müssen deshalb mehr Informationen enthalten, als nach der herrschenden Auffassung, derzufolge sie nur als Entscheidungsgrundlage taugen müssen 116. ft

Darüberhinaus ist auch in diesem Zusammenhang von Bedeutung, ob und inwiefern die Ermittlungsbehörden gern. § 96 StPO befugt sind, Informationen zurückzuhalten, die in Vorbereitung auf die Hauptverhandlung gewonnen wurden - ob also die Dokumentation lückenhaft sein darf. Dies führt im Rahmen des formellen Aktenbegriffes dazu, daß selbst tat- und täterbezogene Akteninhalte vorenthalten werden dürfen; im Rahmen des materiellen Aktenbegriffs würde sich eine Sperrbefugnis dem weiterreichenden Akteninhalt entsprechend zusätzlich auf geheimhaltungsflihige, lediglich tatbezogene Ermittlungsergebnisse erstrecken. Nach der überwiegenden Auffassung berechtigt § 96 StPO, wie oben dargestellt, auch im Verhältnis zwischen

114 LR-Lüderssen, § 147, Rdnr. 22 ff.; LR-Rieß, § 199, Rdnr. 19 f.; Beulke, Festschrift fiir Dünnebier, S. 285 ff.; Peters, NStZ 1983, 276; Wasserburg, NStZ 1981, 211; Kleinknecht-Meyer, § 147, Rdnr. 18; KK-Laujhütte, § 147, Rdnr. 4; ähnlich Dünnebier, StrafV 1981, 506. l1S LR-Lüderssen § 147, Rdnr. 29. Lüderssen und RieB kennzeichnen ihre Auffassung daneben auch als sog. "fimktione//erl' Aktenbegriff. Damit kennzeichnen sie vor allem die dogmatische Herleitung des Akteninhalts: Dieser müsse aus der Funktion der Vorschriften hergeleitet werden, aus denen sich die Vorlagepflicht ergebe. Für § 199 Abs. 2 S. 2 StPO bedeute dies, daß der Akteninhalt dem Gericht die Kontrolle erlauben müsse, ob die Ermittlungen den zur Eröffitung berechtigenden Tatverdacht begründeten oder ob weitere Ermittlungen notwendig seien. § 147 StPO nehme auf diesen Aktenbegriff Bezug. Hinsichtlich der Art und Weise der Aktenvorlage differenziert RieB: Diese müssen nicht körperlich mit vorgelegt werden. Es genügt, daß ihr Vorhandensein und Gegenstand in den vorgelegten Akten dokumentiert ist. Das Akteneinsichtsrecht des § 147 StPO bezieht sich uneinschränkbar auf die Spurenakten. 116 vgl. zu dieser Differenzierung die Entscheidung RGSt 72, 268 (273 a.E.).

III. Teilinfonnation

69

Staatsanwaltschaft und Polizei einerseits und Gericht andererseits in bestimmten Fällen zur Zurückhaltung von Informationen 117. Nach der Gegenauffassung gelte dies nicht filr im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gewonnene Informationen, da zwischen den Ermittlungsbehörden und dem Gericht ein Mandatsverhältnis bestünde. Danach ist die Zurückhaltung von Informationen der Polizei, die bei der Erfilllung präventiver Aufgaben gewonnen wurde zulässig, solange die Ermittlungsbehörden diese Informationen noch nicht erhalten haben 1l8 • Hinsichtlich der Befugnis der Staatsanwaltschaft, sich in Bezug auf Ermittlungsverfahren, die nicht tatbezogen sind, auf § 96 StPO stützen, nimmt man filr die ermittlungsftlhrende Staatsanwaltschaft eine uneingeschränkte VorIagepflicht an, § 96 StPO gelte im binnenjustiziellen Bereich nicht ll9 , ftlr die Auskunftsverlangen anderer Staatsanwaltschaften hingegen finde diese Vorschrift Anwendung l20 . Allerdings lassen es die Vertreter dieser Auffassung nicht zu, daß den Ermittlungsbehörden einmal zugänglich gemachte Informationen nachträglich gegenüber dem Gericht zurückgehalten werden: Das Wissen der Ermittlungsbehörden ist demnach stets auch zugleich Wissen des Gerichts (und des Angeklagten)121.

1. Die Spurenaktenentscheidungen von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht

Die Rechtsprechung dt1s Bundesgerichtshofes zu dieser Frage wurde im Verfahren wegen der Entfilhrung Oetkers entwickelt 122, auf sie bezieht sich der sog. "Spurenaktenbeschluß" des Bundesverfassungsgerichts 123. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die oben dargestellte Auslegung der §§ 147, 199 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO filr verfassungsgemäß. Der im vorangegangenen Strafverfahren Verurteilte rügte die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehörgem Art. 103 Abs. 1 GG sowie des Rechtes auf ein faires Verfahren. Seine Stellung als Prozeßsubjekt gewähre ihm ein Beweisantragsrecht, um gegebenenfalls entlastendes Beweismaterial präsentieren zu können. Voraus117 Arloth, Geheimhaltung von V-Personen, S. 25; LR-Schäfer, § 96, Rdnr. 56. 118 LR-Lüderssen, § 147, Rdnr. 51; SK-Rudolphi, § 96, Rdnm. 3, 12 ff. 119 LR-Lüderssen, § 147, Rdnr. 59. 120 LR-Rieß, § 169, Rdnr. 11; LR-Lüderssen, § 147, Rdnr. 59. 121 LR-Lüderssen, § 147, Rdnr. 61; enger LR-Rieß, § 199, Rdnr. 14. 122 BGHSt 30, 131 (138 f.). 123 BVerfUE 63, 45 ff.

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Teil 1: Praxis und Theorie der Rechte

setzung dafilr, daß er dieses Recht autonom - als Subjekt - wahrnehmen könne, sei, daß er sich ein eigenes Urteil darüber bilden könne, welche Beweismittel zu seiner Entlastung beitragen könnten. Dazu müsse sich sein Akteneinsichtsrecht auf alle tatbezogenen Akten erstrecken 124. Das Bundesverfassungsgericht verwarf die Verfassungsbeschwerde. Es fragte zunächst danach, ob die Verfassung die Vorlage des gesamten Aktenmaterials als Verfahrensakten gern. §§ 199 Abs. 2, 147 StPO verlange, sodann ob die Auslegung des § 244 Abs. 2 StPO, wonach Spurenakten nur dann als beigezogene Akten vorzulegen seien, wenn bereits substantiierte Sachverhalte vorgetragen worden seien, die durch die Einsicht aufgeklärt werden sollten, verfassungsgemäß ist. Die Interpretation des § 147 StPO, die der Bundesgerichtshof vorgenommen habe, verstoße weder gegen Art. 103 Abs. 1 GG, der dem Angeklagten rechtliches Gehör einräume, noch gegen den - aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten - Grundsatz des fairen Verfahrens. Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht einschlägig, er untersage zwar überlegenes Wissen des Gerichtes, setze dies Wissen aber als vorhanden voraus und behandele nicht die Frage, in welchem Umfang das Gericht sich und anderen von Sachverhalten Kenntnis zu verschaffen habe. Interessant ist in dem hier diskutierten Zusammenhang die Erwägung des Bundesverfassungsgerichtes, ob nicht die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Zusammenstellung des Akteninhalts dem Angeklagten von Nachteil sein kann und aus diesem Grunde gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Anspruch auf rechtliches Gehör angenommen werden müsse. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes ist dies nicht der Fall. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft habe nur vorbereitenden Charakter, zeitige also filr den Angeklagten keine - sich via Gerichtsentscheidung auswirkenden - Nachteile l25 • Im Rahmen der Prüfung des Grundsatzes des fairen Verfahrens stellt das Bundesverfassungsgericht zunächst fest, daß der Beschuldigte das Recht zur Beschaffung von Verteidigungsmöglichkeiten haben müsse. Objektiv bedeutungslose Akten könnten selbstverständlich auch filr den Angeklagten nicht von Interesse sein, aus dem Gebot des fairen Verfahrens sei also kein originärer Anspruch auf Einsicht in diesbezügliche Vorgänge begründbar l26 • Maßgeblich sei daher allein die Frage, wie dafilr Sorge getragen werden könne, daß die materielle Regelung des § 147 StPO tatsächlich vollzogen werde. BVerfGE 63, 45 (53 f.). BVerfGE 63, 45 (59 f.). 126 BVerfGE 63, 45 (63).

124 125

III. Teilinfonnation

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Dies erfolge dadurch, daß die Staatsanwaltschaft - wie der Richter auch - der materiellen Wahrheit verpflichtet, also keine Partei im strengen Sinne sei, und damit von ihrer Rechts- und Pflichtenstellung her als neutrales Organ an sich keines Richtervorbehaltes oder dergleichen bedürfe. Die Möglichkeit, diese Regelung im Einzelfall zu mißbrauchen ändere nichts daran, daß man im Rechtsstaat davon ausgehen müsse, daß die Regelung fair angewendet werde 127 • Im übrigen existiere eine richterliche Kontrolle bezüglich der Aktenvorlage, da das Gericht seinerseits von Amts wegen zur Sachverhaltsermittlung verpflichtet sei. Dem Gericht obliege nämlich gern. §§ 202, 221, 244 11 StPO die eigenständige Prüfung, ob weitere Akten zugezogen werden müßten. Falls begründeter Anlaß zum Zweifel an der Vollständigkeit und Pflichtgemäßheit der Aktenvorlage durch die Staatsanwaltschaft entstünden, könne das Gericht zunächst Auskünfte von der Staatsanwaltschaft verlangen und gegebenenfalls Akten anfordern. Darüberhinaus könne der Beschuldigte selbst auf die Beiziehung von Akten Einfluß nehmen. Ohne Kenntnis von Beweisthema und Beweismittel - die dem Angeklagten vor allem durch Akteneinsicht vermittelt werden kann - habe er die Möglichkeit, einen Beweisermittlungsantrag auf Aktenbeiziehung zu stellen 128 • Einem solchen Beweisermittlungsantrag ist jedoch nur nachzugehen, wenn erkennbar ist, was durch die Akten an Entscheidungsrelevantem bewiesen werden kann. Auch dieses als Ersatz der Aktenkenntnis fungierende Recht setzt also i.d.R. Aktenkenntnis bereits voraus. Daher sieht sich das Bundesverfassungsgerichts genötigt, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob nicht der Grundsatz des fairen Verfahrens es gebietet, für den Antrag auf Beiziehung der Akten auf die Konkretisierung von Beweisthema und Beweismittel zu verzichten. In diesem Falle würden die Akten nicht mehr automatisch (über § 147 StPO), sondern (über einen weit ausgelegten § 244 Abs. 3 StPO) nur auf Antrag, dann aber stets, Verfahrensakten l29 • Auch diese Alternative hat das Bundesverfassungsgericht nicht filr verfassungsrechtlich geboten erklärt. Es werde nichts Unmögliches verlangt, wenn Voraussetzung eines erfolgreichen Antrages sowohl auf Aktenbeiziehung, wie auf Beweiserhebung überhaupt - sei, daß der Antrag erkennbar Relevantes betreffe. Die Alternative hierzu, eine unbegrenzte Aufklärungspflicht, mache jedes Verfahren undurchfilhrbar. Die filr den Antrag (auf Aktenbeiziehung oder Beweiserhebung) erforderlichen Kenntnisse von Beweismittel und Beweisthema könne der Beschuldigte BVerfGE 63, 45 (69). BVerfGE 63, 45 (65 f.). 129 BVerfGE 63, 45 (67 tT.). 127 128

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Teil I: Praxis und Theorie der Rechte

außerhalb und innerhalb der Hauptverhandlung erlangen. Innerhalb der Hauptverhandlung könne er sich durch Zeugenbefragungen, insbesondere durch Befragung von Ennittlungsbeamten Infonnationen beschaffen. DarUberhinaus habe er gegenüber der Staatsanwaltschaft prinzipiell ein Recht zur Einsicht in die Spurenakten. Dies Recht sei jedoch über § 96 StPO hinaus eingeschränkt: Die Akteneinsicht dürfe weder den Untersuchungszweck in dritten Verfahren gefiihrden, noch zur nachhaltigen Bloßstellung Dritter, nicht am Verfahren Beteiligter filhren. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß diese Entscheidung maßgeblich von der Erwägung getragen wird, daß man in aller Regel auf die gewissenhafte Aufgabenerfilllung durch Staatsanwaltschaft und Polizei vertrauen müsse. Ohne diese Vertrauensbasis müßte man nämlich annehmen, daß die Kenntnis aller tatbezogenen Akten zur Kontrolle der Tätigkeit der Ennittlungsbehörden erforderlich ist. Denn Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrecht gewährleisten die Vollständigkeit des Prozeßstoffes nur, soweit die Verfahrensakten, die die Basis der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung darstellen, ihrerseits vollständig sind. Es bleibt die Möglichkeit, ein selbständiges Akteneinsichtsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft geltend zu machen. Doch die vom Bundesverfassungsgericht genannten Ausnahmen lassen hiervon bei genauer Betrachtung kaum etwas übrig: Belange Dritter Z.B. sind in jedem, auch tatbezogenen Ennittlungsverfahren betroffen. Schließlich werden dabei Infonnationen gesammelt, die geeignet sind, einen Tatverdacht gegen bestimmte Personen zu begründen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens wird aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts also letztendlich durch die Objektivitätsverpflichtung der Ennittlungsbehörden gesichert. 2. Die Kritik der Spurenaktenentscheidung

Die Kritiker der Spurenaktenentscheidung verweisen zuvörderst auf die ins Auge springende petitio principii. Es sei widersprüchlich, die Kenntnis des Akteninhalts zur Voraussetzung des Rechts, hiervon Kenntnis zu erlangen, zu machen 13 0. Dies gleiche folgendem Verfahren: "Der Inhalt eines verschlossenen Kastens könnte wahrscheinlich Beweis erbringen. Dann kann das Gericht den Beschluß, den Kasten zu öffnen, nicht von dem Vortrag von Tatsachen abhängig machen, die nur in dem Kasten enthalten sein können"l3I. Es müßten daher Erfahrungstatsachen genügen, um 130 Dünnebier, StrafV 1981,504 (504, 506); Wasserburg, NStZ 1981,211 ff. (212); Beul/re in FS rur Dünnebier, 1982, S. 285 (S. 291). 131 Dünnebier, StrafV 1981, 504 (506).

III. Teilinfonnation

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ein Akteneinsichtsrecht zu begründen. Die Annahme, man könne sich auf anderem Wege Kenntnis vom Akteninhalt verschaffen, sei hingegen weltfremd 132 • Die Kenntnis des Akteninhalts sei auch notwendig, um die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidungsfindung von der Einflußnahme anderer Organe zu gewährleisten \J3. Diese Einwirkung sei trotz der Objektivitätsverpflichtung der Staatsanwaltschaft wegen des notwendigen Subjektivismus der Organwalter unvermeidbar\34. Zudem gehe die Strafprozeßordnung selbst von der Notwendigkeit der Kontrolle der Staatsanwaltschaft aus, deshalb seien die (im Verfahren gegen den Beschuldigten entstandenen) Informationen ohne Rücksicht auf deren Relevanz vorzulegen. Es sei dann willkürlich, bezüglich der vorher gesammelten Informationen die RelevanzpTÜfung der Staatsanwaltschaft anzuvertrauen 135 • Nicht zuletzt ergebe die Abwägung, daß die Interessen dritter Betroffener gegenüber dem Interesse an der Wahrheitsfindung zurückstehen müßten, zumal deren Beeinträchtigung selten zu erwarten sei, weil der Verteidiger als Subjekt des Akteneinsichtsrechts Ld.R. zuverlässig darüber wache, daß Informationen über sie nur bei Fallrelevanz Eingang in das öffentliche Verfahren finden 136. Hierzu sei lediglich angemerkt, daß wer fUr die Verteidiger bestreitet, daß sie ihren Pflichten als "Organ der Rechtspflege")37 nachkommen, fUr die Staatsanwaltschaft schlecht vom Gegenteil ausgehen kann. Der Kritik ist zuzustimmen: Insbesondere, daß die Einhaltung der Objektivitätsverpflichtung durch die Staatsanwaltschaft zur Voraussetzung dafilr wird, daß der Beschuldigte im Strafverfahren eine SubjektsteIlung einnehmen kann, ist zu kritisieren. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert hier widersprüchlich. Das Recht des Angeklagten im Hauptverfahren, seine Rechte selbst wahren, die Basis der Entscheidungsfindung kontrollieren und kommentieren zu

Peters, NStZ 1983, 275 ff. Beu/ke, Festschrift rur Dünnebier, S. 285 (290 f.); Peters, NStZ 1983, S. 275; Dünnebier, StrafV 1981, S. 504 (506). Zur Notwendigkeit wegen möglicher Entscheidungserheblichkeit siehe vor allem Bender / Nack, ZRP 1983, I ff (2 ff.); LR-Rieß, § 199, Rdnr. 19; LR-Lüderssen,§ 147 Rdnr. 47, Rdnr. 49: Hierfilr gelte eine "Parität des Wissens" zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft. 134 Peters, NStZ 1983, 275; Wasserburg, NStZ 1982, 211. 135 Dünnebier, StrafV 1981, 504 (506); Beu/ke, Festschrift rur Dünnebier, S. 285 (S. 291). 136 Wasserburg, NStZ 1981,211 ff. (212); Beulke, Festschrift rur Dünnebier, S. 285 ff. (292). 137 Zweifeln kann man allerdings daran, inwieweit speziell die Stellung als "Organ der Rechtspflege" irgendwelche - nicht normierte - Pflichten begründet, vgl. BVerfGE 34, 293 ff.; BVerfGE 72, 51 ff. (63 ff). 132 133

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Teil : Praxis und Theorie der Rechte

können, kann ja auch nicht unter Berufung auf die Objektivitätsverpflichtung des Gerichts ausgeschlossen werden. Warum aber die Einhaltung der Objektivitätsverpflichtung durch das Gericht eine Flankierung durch rechtliches Gehör bedarf, nicht aber die der Staatsanwaltschaft, dafür ist nichts ersichtlich. Eine Subjektstellung im Verfahren kann nur haben, wer unabhängig davon, ob Staatsorgane ihn pflichtgemäß informieren wollen durch Beweisanträge öffentlich darlegen kann, wie sich die Sach- und Rechtslage in seinem Fall verhält. Der Angeklagte muß selbst beurteilen können, welche entlastenden Beweismittel ihm zur Verfügung stehen.

IV. Zusammenfassung Im vorangegangenen Abschnitt ging es um die Klärung der Reichweite von Informationsbeherrschungsrechten 138 der Ermittlungsbehörden im Falle verdeckter Ermittlungen, bei der Präsentation von Verhörspersonen im Hauptverfahren und im Hinblick auf die Dokumentation der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in den Akten. Durch das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist der Einsatz verdeckter Ermittier legalisiert worden. Damit darf den von den Ermittlungen Betroffenen gegenüber nicht bloß passiv geheimgehalten werden, daß es Staatsorgane sind, denen sie Informationen preisgeben, sie dürfen darüberhinaus aktiv getäuscht werden, indem verdeckte Ermittier unter falscher Identität auftreten. Die Informationserhebung durch V-Leute blieb hingegen ungeregelt, da sie - nach dem Gesetz zugrundeliegender - Rechtsauffassung keine staatliche Tätigkeit und als solche nicht (über die existierenden Vorschriften hinaus) regelungsbedürftig ist. In diesem Fall ist die Verfügungsbefugnis über Informationen dazu bestimmt, Grundrechteingriffe zu ermöglichen. Im Hauptverfahren haben die Ermittlungsbehörden gegenüber Angeklagtem und Gericht nach herrschender Auffassung das Recht, über die Ergebnisse ihrer Ermittlungen selektiv zu informieren. Dabei sind zwei Konstellationen von Interesse für die Frage, inwieweit Staatsanwaltschaft und Polizei Einfluß auf die Verurteilung (und damit Macht zu Grundrechtseingriffen) erhalten. Es handelt sich zum einen um die Einflußnahme durch das Referat von Zeugenaussagen, zum anderen durch bloß partielle Mitteilung der als Grundlage für die Beweiswürdigung bedeutsamen Informationen.

m Welche Macht den Ennittlungsbehörden durch diese Befugnisse ZUWächst, wird unten - Teil 3 - zu klären sein.

IV. Zusammenfassung

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In beiden Fällen ist maßgeblich, wieviel Gericht und Angeklagter über das Vorgehen der Ermittlungsbehörden im Ergebnis erfahren. Dies hängt vom Umfang der Informationspflichten insgesamt, also einerseits davon ab, welche Informationen nicht zur Verfiigung stehen müssen, andererseits davon, welche Ermittlungsergebnisse gleichwohl Eingang in das Hauptverfahren finden dürfen. Im ersten Fall hält man es filr zulässig, wenn die Ermittlungsbehörden die Identität ihrer Informanten, V-Leute und verdeckten Ermittier vor dem Gericht abschirmen und an deren Stelle Verhörsbeamten referieren lassen über das, was jene ausgesagt haben sollen sowie über deren Aussageverhalten. Als Hüter privater Sicherheitsinteressen - in Wirklichkeit, um ohne Beweisverlust zu Aussagen zu gelangen - sind die Ermittlungsbehörden berechtigt, Angaben über Zeugen gern. §§ 54,96 StPO zu verweigern. Im zweiten Fall ist der Umfang der Informationen abhängig vom Inhalt der Akten. Nach herrschender Meinung hat die Staatsanwaltschaft das Recht zu entscheiden, welche im Verfahren gegen Unbekannt gefilhrten Ermittlungen später zu den Verfahrensakten genommen werden. Sie ist verpflichtet, alle diejenigen Ermittlungsergebnisse aufzunehmen, die filr die Entscheidung von Bedeutung sind. Darüberhinaus dürfen die Ermittlungsbehörden nach herrschender Meinung jedoch auch erhebliche Informationen zurückhalten, sofern die Erfilllung ihrer Aufgaben dies unbedingt erfordert. Das Problem solcher Informationsbeherrschungsrechte besteht nun darin, daß ihre Einhaltung im Einzelfall nur kontrollierbar ist, wenn man die zurückgehaltenen Informationen kennt. Überall dort, wo die Rechtmäßigkeitskontrolle von Grundrechtseingriffen zugleich von der Rechtmäßigkeit der Informationspolitik der Ermittlungsbehörden abhängt, setzen sich diese Kontrolldefizite daher fort: Informationsbeherrschungsrechte können zur Folge haben,daß kontrollfreie Macht zu Grundrechtseingriffen eingeräumt wird. Es ist aus diesem Grunde zunächst zu fragen, welches die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Kontrollierbarkeit staatlicher Macht sind. Im Anschluß daran muß untersucht werden, ob die durch Informationsbeherrschungsrechte konstituierte Macht sich den verfassungsrechtlichen Kontrollanforderungen entzieht. Im folgenden soll daher geklärt werden, ob und inwieweit Rechtsstaat Kontrolle als Existenzform von Gesetzlichkeit verlangt. Dabei ist fraglich auch, ob und inwieweit solche Kontrollbefugnisse der Öffentlichkeit der Wahrung wichtiger staatlicher Interessen - etwa der Sicherheit der Bürger - weichen müssen.

Teil 2 Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle staatlicher Rechtsanwendung durch Justizgewährleistung und Justizstandards Das Problem, daß den Staatsorganen zugleich mit der Befugnis zu Grundrechtseingriffen auch die Macht zu befugnisüberschreitender Tätigkeit eingeräumt wird, ist trivial. Die Verfassung reagiert auf dies Problem, indem sie den Betroffenen Kontrollbefugnisse zur Hand gibt. Mit der Rechtsweggarantie und dem allgemeinen Anspruch auf Justizgewährleistung werden die Kontrollinstanzen als gerichtliche zur Verfügung gestellt, mit den Justizstandards wie z.B. rechtlichem Gehör oder dem Anspruch auf ein faires Verfahren werden die Kontrollverfahren als subjektive Kontrolle unter Beteiligung der Betroffenen ausgestaltet. Die durch Informationsbeherrschungsrechte den Ermittlungsbehörden eingeräumte Macht wirft ein weniger triviales Problem auf: Die den Betroffenen zur Verfügung stehenden Kontrollbefugnisse sind nicht in ihrer Funktion in Frage gestellt, sie laufen leer. Im folgenden Abschnitt wird daher vor allem die Frage zu beantworten sein, ob sich die Verfassung mit der Bereitstellung von Kontrollmechanismen begnügt oder ob sie deren Funktionieren, die Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns mit gewährleistet. Zur Beantwortung dieser Frage sollen zum einen die Verfassungs garantien durchgemustert werden, deren Funktionieren in Frage steht, also Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 103 Abs. 1 GG: die allgemeine Justizgewährleistung und die ungeschriebenen Justizstandards. Da zur Beantwortung dieser Frage der Stellenwert von Kontrolle innerhalb der Verfassungsordnung überhaupt genauer bestimmt werden muß, sollen jedoch auch diejenigen Verfassungsregelungen befragt werden, die das Verhältnis zwischen Staatsorganen und Bürgern insgesamt betreffen, d.h. der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere das Prinzip der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handeins und die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde.

Nach der herrschenden Auffassung sind die hier diskutierten Informationsbeherrschungsrechte wesentlich rur das Funktionieren der Strafrechtspflege. Sie kommen dem Sicherheitsinteresse der Bürger zugute. Weil dieser Auffassung

Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

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zufolge die Sicherheit vor dem Staat keinen höheren Stellenwert hat als die Sicherheit durch den Staat vor privater Gewalt, ist die Frage nach der Abwägbarkeit solcher Kontrollbefugnisse zu stellen. Es ist zu prüfen, ob sie die Form staatlichen Handeins sind, die die Wahrnehmung von Aufgaben durch den Staat (wie Strafverfolgung) erst legitimiert, oder ob Form und Inhalt von Staatsaufgaben gegeneinander ausgespielt werden dürfen, oder ob das formelle Rechtsstaatsprinzip (wegen der Doppelfunktion von Verfahren) selbst Antinomien aufweist. Auch dazu bedarf es einer genaueren Analyse des Stellenwerts und der Funktionsweise von Formprinzipien. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, daß es sich bei den außer Funktion gesetzten Kontrollmechanismen ausnahmslos um Kontrollen durch den Betroffenen und unter Beteiligung des Betroffenen handelt. Möglicherweise sind solche subjektiven Kontrollformen durch objektive ersetzbar. Sogenannte "in camera"-Verfahren, innerhalb derer insbesondere das Recht auf Gehör suspendiert ist, würden die Geheimhaltungsinteressen der Exekutive wahren. Aus diesem Grunde ist von besonderem Interesse, welche Bedeutung der Subjektstellung des Betroffenen in und durch Verfahren zukommt. Die durch Informationsbeherrschungsrechte den Ermittlungsbehörden eingeräumte Macht ist in zweifacher Hinsicht grundrechtsrelevant: Einerseits berührt der Ermittlungsvorgang selbst Rechte derjenigen, über die die verdeckten Ermittier Informationen einholen. Andererseits wirkt sich die Ermittlungstätigkeit via Beweiserhebung auf das Ergebnis des Strafverfahrens aus. Die Art und Weise der Beweiserhebung ist deshalb bedeutungsvoll rur den Grundrechtseingriff durch Bestrafung. Im ersten Fall fehlt den Bürgern die (sonst stets gegebene) Möglichkeit, die Beachtung ihrer subjektiven Rechte kontrollieren zu lassen. Die Justizgewährleistung läuft: gegenüber verdeckten Ermittlern leer. Zwar regelt das neue Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, was verdeckte Ermittier im Verhältnis zu Dritten dürfen, was nicht. Wenn jedoch ein Ermittier unter Überschreitung seiner Befugnisse tätig wird, etwa, indem er provoziert, indem er die Wohnung des Betroffenen systematisch durchsucht, so kann dieser Betroffene sein Recht (auf informationelle Selbstbestimmung, Wahrung seiner Privatsphäre oder Unverletzlichkeit seiner Wohnung) nur geltend machen, wenn er weiß und beweisen kann, daß sein Gegenüber ein Ermittlungsbeamter ist. Die Geheimhaltung der Funktion des Ermittiers (auch nach Beendigung seiner Tätigkeit) fUhrt in solchen Fällen dazu, daß der Betroffene mit seinen Rechten "nichts anfangen kann"l. Er ist rur deren Wahrung darauf angewiesen, daß die

1

Dürig, Gutachten, S. 10.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Ermittlungsbehörden sie freiwillig beachten, durchsetzen kann er sie in aller Regel nicht. Diese mangelnde Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte berührt folgende Verfassungsrechtsgrundsätze: Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven Rechtsschutz als Mittel zur Realisierung subjektiver Rechte, (siehe unten, A). Hier wird zu erörtern sein, inwiefern Art. 19 Abs. 4 GG durch faktische Klagehindernisse berührt ist, sodann, ob die Justizgewährleistung unter Berufung auf kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann. Nach herrschender Meinung stellt die Funktionsfllhigkeit der Rechtspflege ein solches Verfassungsrechtsgut dar. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in einer neueren Entscheidung die SchutzwUrdigkeit der Strafrechtspflege davon abhängig gemacht hat, daß diese an rechtsstaatlichen Garantien orientiert istl, kann diese Position noch nicht als gefestigt betrachtet werden4 • Fraglich ist indessen, ob überhaupt von einer Kollision zwischen einem verfassungsrechtlichen Gebot des effektiven Schutzes durch Strafe und Art. 19 Abs. 4 GG die Rede sein kann; darüberhinaus, ob eine die Justizgewährleistung völlig verdrängende Abwägung überzeugt. Schließlich ist zu prüfen, ob den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG durch die Einfilhrung einer Benachrichtigungspflicht gedient wäre. Das Rechtsstaatsprinzip hat die Limitierung und damit zugleich die justizielle Kontrolle staatlicher Gewalt zum Gegenstand. Auch hier ist zu prüfen, inwieweit das Gebot der Justizgewährleistung unter Verweis auf verfassungsrechtlich begründete Schutzpflichten Einschränkungen erfllhrt, (unten, B). Die Bindung aller Staatsgewalt an Recht und Gesetz gern. Art. 20 Abs. 3 GG ist ebenfalls Teil des Rechtsstaatsprinzipes, allerdings ist sie - wegen Art. 79 Abs. 3 GG - uneinschränkbar gewährleistet. Es ist zu fragen, ob Gesetzesbindung LS.v. Art. 20 Abs. 3 GG Justizgewährleistung oder doch eine äquivalente Kontrolle verlangt, (unten, C). Die herrschende Ansicht verneint dies, jedoch ohne sich genauer um eine Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG zu bemühen.

2 ständige Rechtsprechung vgl. nur BVerfGE 19,342 ff. (347); 20, 49 ff. (147); 32, 98 ff. (108); 46, 222 f.; 57, 250 ff.; 77,65 ff. (76); 80, 367 ff. (375 f.); Vogel, NJW 1978,1217 ff. (1218); Zeidler, 53. DJT 1980, I, 23 f.; Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 45 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 57; kritisch: Grünwald, JZ 1976, 763 ff., (772); Hassemer, StrafV 1982, 275 ff. 3 BVerfGE 77, 65 ff. (75). 4 vgl. BVerfGE 80, 367 ff. (375) dort fehlt zumindest der ausdruckliche Hinweis auf diese Eingrenzung wieder.

Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

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Art. 1 Abs. 1 GG verbietet vom Grundsatz her, den einzelnen zur "quantite negligeable zu machen, mit ihm schlicht zu verfahren. Darunter zählt eine beachtliche Auffassung auch das Verbot, jemanden ohne Verfahren und ohne Gehör staatlicher Gewalt auszusetzen. Art. 1 Abs. 1 GG ist, wie das Prinzip der Gesetzesbindung auch, abwägungsfest. Es wird zu diskutieren sein, inwiefern die SubjektsteIlung, verstanden als Klagbarkeit eigener Rechte ein Gebot des Art. 1 Abs. 1 GG ist. Dabei wird vor allem eine Auseinandersetzung mit der These des Bundesverfassungsgerichts erforderlich, daß allein die Behandlung eines Bürgers als Objekt die Menschenwürde nicht tangieren könne, weil dies in einer - mit Zwang bewehrten - Rechtsordnung kein Ausnahmefall seP. Entscheidend sei vielmehr allein, ob die Behandlung durch staatliche Organe aus verächtlichen Motiven erfolge. Hiergegen soll gezeigt werden, daß die SubjektsteIlung von Bürgern gegenüber dem Staat sich aus einem Menschenwürdeverständnis herleiten läßt, das weder auf die Beurteilung der Motive staatlichen Handeins angewiesen ist noch rein induktiv krasse Diskriminierungen oder Mißhandlungen herausgreift, (unten, D). ft

Die Befugnis zu selektiver Information über Ermittlungstätigkeit im Hauptverfahren fUhrt zur Unkontrollierbarkeit auch dieses Rechtserkenntnisprozesses. Das auf die Ergebnisse verdeckter Ermittlungen gestützte Strafurteil stellt sich als im öffentlichen Verfahren nicht ausreichend kontrollierbarer Grundrechtseingriff dar. Dies zum einen, weil die Beweiserhebung partiell aus dem Hauptverfahren hinausverlagert wird. Von der Wirkung her unterscheidet sich das Referat der V-Mann-Aussage durch Verhörspersonen nicht wesentlich von dem Vorgehen eines Richters, der unter Ausschluß der Öffentlichkeit und der Beteiligten Beweise erhebt, um deren Ergebnis in der Hauptverhandlung nur noch vorzutragen. Zum anderen, weil die Kontrolle der Ermittlungstätigkeit durch das Recht der Ermittlungsbehörden, tatbezogene Informationen und Akten zurückzuhalten, unmöglich wird. Dies Kontrolldefizit wirkt sich via Beweiserhebung und Beweiswürdigung maßgeblich auf die Entscheidungsfindung aus. Mit der Möglichkeit der Steuerung des Hauptverfahrens durch die Ermittlungsbehörde schwindet Zugleich die Transparenz des Rechtserkenntnisprozesses im Hauptverfahren, sie ist durch dessen Öffentlichkeit und durch die Beteiligungsrechte nurmehr scheinbar gewahrt.

5

BVerfGE 30, 1 ff. (25 f.).

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Hier geht es um die verfassungsrechtliche Fundierung von Justizstandards . Es soll begründet werden, daß Rechtserkenntnisprozesse so ausgestaltet sein müssen, daß Staatsorgane zur öffentlichen Rechtfertigung ihrer Entscheidungen gegenüber allen erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Gegenargumenten der ihnen Unterworfenen gezwungen sein müssen. Damit verträgt sich das Recht bzw. die Pflicht, heimlich gewonnene Informationen zu übernehmen, ohne daß sie kontrollierbar sind, nicht. Aus dem Rechtsstaatsprinzip werden einige Justizgrundrechte hergeleitet. Der Anspruch auf Gehör vor Gericht ist ebenso rechtsstaatlicher Provenienz wie das Recht auf ein faires Verfahren. Hier soll begründet werden, daß diese Einzelgarantien in ihrer Gesamtheit die oben dargestellte Funktion von Verfahren sichern sollen. lustizrechte sind daher nicht isoliert als Instrumente zur Verfilgung gestellt, sie sollen eine bestimmte Verfahrensweise garantieren, müssen also diesem Zweck entsprechend funktionieren. Sodann wird auch hier zu erörtern sein, ob die im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Antinomien zu einer Relativierung dieses lustizstandards zwingen: Sicherheit vor privater Gewalt ist nach mittlerweile herrschender Auffassung ein rechtsstaatliches Desiderat und ebenso wichtig wie die Sicherheit vor staatlichen Zugriffen. Das Strafverfahren ist demzufolge lustizgewährleistung nicht allein zugunsten des Angeklagten, sondern auch im Verhältnis zu den möglichen Opfern zukünftiger Straftaten. Hier soll vor allem gezeigt werden, daß das Erfordernis der Verallgemeinerungsfilhigkeit von Rechtserkenntnisprozessen keineswegs einzig dem Schutz von Interessen des Angeklagten dient, und überdies das Resultat eines Ausgleichs solcher Antinomien darstellt, (unten, B). Das Prinzip der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG ist auch :ftlr lustizstandards von Bedeutung, (unten, C). Nach einhelliger Auffassung sichert Art. 20 Abs. 3 GG den Bürgern die Begrenzung ihrer Gehorsamspflichten durch materielle Gesetze. Zugleich räumen jedoch Kompetenznormen den Gerichten das Recht ein, letztverbindlich Rechte und Pflichten des Bürgers festzustellen, d.h. die Bürger sind verpflichtet, rechtskräftigen Entscheidungen Folge zu leisten. Die Schrankenfunktion von Gesetzen läßt sich gegenüber zur Rechtserkenntnis befugten Organen nur durch Justizstandards sichern, die mittels Zwang die Entscheidenden im Verhältnis zum Bürger dem Gesetz unterwerfen. Art. 1 Abs. 1 GG sichert nach verbreiteter Auffassung die Subjektstellung der Betroffenen auch innerhalb von Verfahren, (unten, D). Hier soll gezeigt werden, daß die SubjektsteIlung um der Verhinderung persönlicher Unterwerfung willen aus Art. lAbs. 1 GG hergeleitet werden muß. Die Darstellung folgt den jeweils einschlägigen Verfassungsnormen.

.A. Verletzung der Rechtsschutzgarantie?

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A. Verletzung der Rechtsschutzgarantie? Gern. Art. 19 Abs. 4 GG steht demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Art. 19 Abs. 4 GG geht es um den Schutz subjektiver Rechte der Bürger, sie sollen dem Bürger Subjektstellung einräumen, die Selbstherrlichkeit der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger soll effektiv unterbunden werden6 • Darilberhinaus sichert die gerichtliche Kontrolle die Rechtsanwendungsgleichheit. Diesem Schutzzweck wird Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht, wenn Grundrechtseingriffe heimlich vollzogen werden: Wer nicht weiß, daß in seiner Wohnung das von ihm in privater Mitteilungsabsicht gesprochene, nicht-öffentliche Wort den Ermittlungsbehörden zur Kenntnis gebracht wird, wird keinen Anlaß zu gerichtlicher Kontrolle sehen. Ist er ein mißtrauischer Mensch, sieht er ihn doch, so werden die Gerichte von ihm Substantiierung verlangen: Daß ein in unbekannter Weise vollzogener Eingriff, der möglicherweise stattgefunden hat, eine Verletzung der Rechte eines Klägers aus Art. 13 und Art. 2 Abs. 1 GG war, muß (und kann) kein Gericht entscheiden7 • Begehrt der Kläger, um eine Klage präzisieren zu können, Auskunft über Eingriffe, so fehlt gegenüber den Ermittlungsbehörden regelmäßig ein Auskunftsanspruch (vgl. § 19 Abs. 4 BDSG). Selbst wenn er allerdings einen Anspruch auf vollständige Auskunft hätte, ließe sich kaum nachprüfen, ob ihm vollständig und richtig Auskunft erteilt wurde - denn, um dies erzwingen zu können, müßte der Auskunftsbegehrende beweisen können, daß (und inwiefern) die Auskunft unvollständig war. Dies wiederum ist ohne Auskunft regelmäßig unmöglichB• Daß die Schutifunktion des Art. 19 Abs. 4 GG leerläuft, bedeutet noch nicht ohne weiteres, daß die Rechtsschutzgarantie auch verletzt ist. Dazu muß zunächst geklärt werden, ob der Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG auch tangiert ist und gegebenenfalls, ob nicht dieser Eingriff gerechtfertigt ist. 6 BVerfGE 10,264 (267); 16,289 (292); 35,263 (274); 51,268 (284); Evers, Gutachten, S. 66; MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnm. 1, 13; Dürig, Gesammelte Schriften, S. 137; Lerche, ZZP 78 (1965), 1 ff. (16). 7 ebenso Evers, Gutachten, S. 80. 8 vgl. hierzu: Rottmann, AöR (1963), 241; Trittin, Geheime Nachrichtendienste und Verfassungsschutz, S. 153; Ame/ung / Schall, JuS 75, 570; Lisken, DRiZ 1987, 185 (188); Dagtog/u, JZ 1969, 320; Dürig, Gutachten, S. 22; Lorenz, Rechtsweggarantie, S. 269; Pipkorn, DÖV 1970,176; Evers,ZRP 1980, 113; ders. Gutachten, S. 79, Privatsphäre, S. 270; Rupp, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, S. 50 ff.; Schwan in Kamlah, BDSG, § 13 Rdnr. 31; Dammann, in Simitis: BDSG, § 13, Rdnr. 50; VG Köln, DVBI. 1980, 383 (384); Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 368 und JZ 1982, 855 (858); Kniese/ / Tegtmeyer / Vah/e, Handbuch, Rdnm. 505 ff.; Weß/au, Vorfeldermittlungen, S. 206; Salzwede/, GS rur Hans Peters, S. 756 ff. (779,787); H.P. Schneider, NJW 1978, 1601 ff.; Weß/au, Vorfeldermittlungen, S. 206; Amelung / Schall, JuS 1975, 569 f.; Lammer, Verdeckte Ermittlungen, S. 145.

6 Velten

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

I. Die hierzu vertretenen Meinungen Soweit das Problem der faktischen Beeinträchtigung von Rechtsschutzmöglichkeiten durch heimliche, exekutivische Tätigkeit überhaupt Gegenstand der Diskussion ist, werden in der Regel schlicht Ergebnisse vorgetragen, ohne daß man sich um deren dogmatische Begründung bemüht. Nach einer verbreiteten Auffassung gebiete Art. 19 Abs. 4 GG, z.B. in bezug auf Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz, daß der Bürger entweder dann, wenn kein Geheimhaltungsbedürfnis mehr bestehe9 , oder sogar ausnahmslos nach Ablauf einer gewissen "SperrfristftlO einen Anspruch auf Auskunft darüber erhalten müsse, ob er Gegenstand oder Mittel staatlicher Informationserhebung geworden sei, d.h. ob in sein Grundrecht auf Datenschutz eingegriffen sei. Die erste Variante wird in der Weise begründet, daß man den Anspruch auf Mitteilung als (unabdingbare) Voraussetzung rur die Wahrnehmung der Rechtsschutzgarantie, also rur deren Effektivität betrachtet I I • Zum Teil heißt es, die Heimlichkeit stelle eine "Erschwemis ft des gern. Art. 19 Abs. 4 GG eröffneten Zugangs zum Rechtsweg dar l2 • Heimlichkeit erscheint so als Ausnahme von der auf öffentliches Staatshandeln angelegten Rechtsweggarantie, die Ennächtigung zu verdeckter Staatstätigkeit als Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG\3. Zwar sei dieser Eingriff wegen der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Staatsgeheimnisses (was den Verfassungsschutz betrifft) oder um der Funktionsflihigkeit der Strafrechtspflege willen (was die Polizei angeht) grundsätzlich zulässig. Verhältnismäßig sei er jedoch nur, solange ein Geheimhaltungsbedürf-

9 Evers, ZRP 1980, II 0 (1l3); Lorenz, Die Rechtsschutzgarantie des Bürgers, S. 264; Dürig, Gutachten, S. 17; Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 145; HP. Schneider, NJW 1978, 1601 ff. 10 Grünwald, in: Infonnationsgesellschaft oder ÜbelWachungsstaat, Band I, S. 233 f., S. 289 f; ähnlich BVerfGE 65, 1 ff. (70 f.). II ebenda, S. 289 f 12 Evers,ZRP 1980, 110 (113); Lorenz, Die Rechtsschutzgarantie des Bürgers, S. 264. \3 Weßlau, Vorfeldennittlungen, S. 206; Lorenz, Die Rechtsschutzgarantie des Bürgers, S. 264. Es erscheint eher zweifelhaft, ob man Evers dahingehend verstehen kann, daß er Erschwernis und Eingriff gleichsinnig velWendet. Dies deshalb, weil Evers diesen Eingriff dann über die verfassungs immanenten Schranken des Art. 19 IV GG rechtfertigen müßte. Dies lehnt er an anderer Stelle ausdrücklich ab. Dort begründet er, daß der rechtliche Ausschluß des Rechtsweges auch schadet, sogar mit dem Argument, trotz der Heimlichkeit könne man faktisch noch Rechtsschutz erlangen: Die Rechtsgarantie sei durch die Heimlichkeit nicht sinnlos geworden.

I. Die hierzu vertretenen Meinungen

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nis noch anzuerkennen sei. Falle diese fort, dann (aber auch nur dann), bestehe eine Benachrichtigungspflicht l4 . Die zweite Variante, wonach der aus Art. 19 Abs. 4 GG resultierende Auskunftsanspruch niemals dauerhaft ausgeschlossen werden darf, wird demgegenüber darauf gestützt, daß der Art. 19 Abs. 4 GG (abgesehen von dem in Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG geregelten Fall) im Hinblick auf Geheimhaltungsinteressen nicht eingeschränkt werden dürfels. Ähnlich hat auch das Bundesverfassungsgericht im Abhörurteil l6 eine solche Benachrichtigungspflicht angenommen - allerdings stand hier nicht die Zulässigkeit (faktisch) heimlicher Tätigkeit nach einfachem Gesetz zur Debatte, sondern der Ausschluß der Benachrichtigung durch verfassungsänderndes Gesetz zur Debatte. Darüberhinaus leitete das Verfassungsgericht dies Erfordernis - soweit ersichtlich - aus dem Verbot unverhältnismäßiger Beschränkung des materiellen Grundrechts (des Art. 10 GG) durch den Verfassungsgeber her. Im Volkszählungsurteil hat es dann aus Art. 19 Abs. 4 GG unmittelbar eine Pflicht zur Protokollierung von Datenverarbeitungsvorgängen, ebenso einen Auskunftsanspruch abgeleitet. Dort heißt es wörtlich: "Würde das Volkszählungsgesetz '83 verhindern (!), daß der Bürger Kenntnis davon erlangen könnte, wer wo über welche seiner ... Daten in welcher Weise und zu welchem Zweck verfilgt, so wäre sein Rechtsschutz verfassungsrechtlich unzureichend"l7. Losgelöst von dem speziellen Problem der Geheimhaltung von Informationen verlangt das Bundesverfassungsgericht auch in anderen Fällen ft1r das (der Rechtskontrolle vorangehende) Verwaltungsverfahren, daß dieses nicht so angelegt sein dürfe, daß es den Rechtsschutz vereitele oder unzumutbar erschwereIs. Wann dies der Fall ist, wird davon abhängig gemacht, welche kollidierenden Interessen (nicht notwendig mit Verfassungsrang) diese Erschwernis verlangen.

14 Evers, ZRP 1980, llO (ll3); H.P. Schneider, NJW 1978, 1601 ff.; Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 145; offengelassen bei Dürig, Gutachten, S. 21; allerdings erscheint bei ihm stets der "Zweck der Maßnahme" selbst - also der Untersuchungserfolg, nicht ein weitergehendes Geheimhaltungsinteresse als Grenzfall der noch als möglich denkbaren Legitimation rur den zeitweiligen Ausschluß der Benachrichtigung. IS Grünwald, in: Infonnationsgesellschaft oder Überwachungsstaat, S. 289 f. 16 BVerfGE 30, I (21 ff.); eigenartig an dieser "verfassungskonfonnen" Auslegung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG ist, daß sich das Bundesverfassungsgericht nicht dazu verhält, welcher Rechtssatz denn diese Auslegung überhaupt fordert. Es müßte konsequenterweise annehmen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei im Unterschied zu Art. 19 Abs. 4 GG in Art. 79 Abs. 3 GG garantiert - sonst ergibt diese Prüfung keinen Sinn. 17 BVerfGE 65, I ff. (70 f.). 18 BVerfGE 61, 110; E 22, 81.



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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Eine andere Auffassung, die sich allerdings ebenfalls nicht speziell mit dem Problem des dem Betroffenen unbekannt bleibenden Eingriffs befaßt, sondern die Monopolisierung der rur die Rechtsverfolgung erforderlichen Informationen durch eine Behörde zum Gegenstand hat, diskutiert das Problem unter des Topos staatlicher Hilfe zur Grundrechtsausübung. Sie fragt, ob der Bürger einen Anspruch auf diejenigen Informationen habe, die zur Rechtswahrnehmung unerläßlich seien l9 • Auch diese Autoren leiten aus Art. 19 Abs. 4 GG einen prinzipiellen Anspruch auf Kenntnisnahme ab, der jedoch Einschränkungen zum Schutz höherrangiger Rechtsgüter erfahre. Der Rang der Informationspflicht wird dabei in der Tendenz eben deswegen nicht besonders hoch eingeschätzt, weil es sich um eine staatliche Leistung handele.

11. Eigene Auffassung Nach der hier vertretenen Auffassung stellt die Ermächtigung zu heimlichem Vorgehen einen Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG dar,den eine Benachrichtigungspflicht jedenfalls dann nicht zu heilen vermag, wenn deren Befolgung nicht kontrollierbar ist. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt die Betroffenenöffentlichkeit staatlicher Eingriffstätigkeit. Darunter verstehe ich, daß die Betroffenen von Eingriffen entweder im vorhinein oder zumindest nachträglich erfahren. Dem ist nicht schon damit Genüge getan, daß die Transparenz staatlichen Handeins rechtlich geboten ist, sie muß erzwingbar sei. Die Beeinträchtigung der Rechtsschutzgarantie durch mangelnde Betroffenenöffentlichkeit kann durch kollidierendes Verfassungsrecht nicht legitimiert werden. 1. Eingriff in den Schutzbereich

Zunächst ist zu klären, ob die faktische Behinderung des Zugangs zum Rechtsweg durch die Heimlichkeit der Ermittlungstätigkeit einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG darstellt. Die Alternative besteht darin,

19 Pipkorn, DÖV 1970, 171 ff. (175 f.); MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 256; vgl. auch ebenda, Rdnr. 68: dort heißt es, administrative Formenwahl sei unter Rechtsschutzgesichtspunleten erst zu beanstanden, wo sie entweder aus sachlich nicht mehr vertretbaren Gesichtspunkten erfolge oder den Zugang zum Rechtsweg in unzumutbarer Weise begrenze; BK-Schenke, Art. 19 Ahs. 4, Rdnr. 428f.; Perschei, JuS 1966, 234; Wittling, Die Publikation der Rechtsnormen, S. 293 ff.

11. Eigene Auffassung

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unterlassene Infonnation über grundrechtseingreifendes Handeln als (unterlassene) Hilfe zur Grundrechtsausübung zu bewerten, hinsichtlich derer dem Gesetzgeber allgemein ein größeres Maß an Gestaltungsfreiheit zugebilligt wird20 • Art. 19 Abs. 4 GG enthält drei Gewährleistungsschichten: Zunächst räumt Art. 19 Abs. 4 GG eine rechtliche Kompetenz ein, die Kompetenz nämlich, mit einem Kontrollersuchen die gerichtliche Tätigkeit in Gang zu setzen und eine sachlich-rechtliche Kontrolle herbeizuführen21 • Sodann das Recht, ungehindert alle Handlungen vornehmen zu dürfen, die sich als Gebrauchmachen von dieser Kompetenz darstellen, d.h. Klageschriften zu übennitteIn und Zugang zum Gericht und den Verhandlungen zu erhalten. Schließlich gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG nach herrschender Auffassung auch die Bedingungen des Gebrauchmachens von der rechtlichen Kompetenz, z.B. durch faktisches Bereitstellen von Institutionen, die über "ausreichende" Entscheidungskapazitäten verfUgen, durch Gewährung von Prozeßkostenhilfe u.ä.. Diese Gewährleistungsebene ist auch im vorliegenden Fall sedes materiae: Die Ennächtigung zu heimlichem Handeln stellt sich als Beeinträchtigung der Bedingungen zum Gebrauch der Rechtsschutzkompetenz dar. Daß der Schutzbereich der Rechtsschutzgarantie sich im Grundsatz auf alle Garantieebenen erstreckt, ist - dies zeigen die Fälle, in denen Rechtsprechung und Literatur Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG herleiten22 - unstreitig. Doch innerhalb des Schutzbereiches wird unterschieden zwischen Regelungen, Maßnahmen und unterlassenen Leistungen, denen Eingriffscharakter zukommt und solchen, hinsichtlich derer dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum eingeräumt ist. Ob die Behinderung des Zugangs zum Rechtsweg durch die Heimlichkeit von Ennittlungsmaßnahmen sich als Eingriff darstellt oder ob

20 vgl. dazu die Übersicht bei Müller I Pieroth I Frohmann, Leistungsrechte im Normbereich einer Freiheitsgarantie, S. 51 ff. 21 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 436 spricht von einem "RechtaufKompetenz ft • Dies ist 1m Hinblick auf Art. 19 IV GG nur z.T. richtig: Art. 19 IV GG gewährt bei Fehlen von Rechtsschutzmöglichkeiten eine originäre Kompetenz. 22 zur Kompetenzebene, vgl. BVerfGE 57,9 (21); 54,277 (292 f.); 60,253 (266 ff.); 64, 261 (779); sowie MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnm. 230 ff.; Bettermann, AÖR 96 (1971),528 (552); Pierothl Schlink, Rdnm. 1106 ff. zu den Bedingungen des Gebrauchrnachens, BVerfGE 37, 150 ff. (153); 69, 220 ff. (227); MDHSchmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnm. 242 ff., 250 ff., 262 ff. m.w.N.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

sie bloß fakultative Hilfe zur Grundrechtsausübung ist, soll im folgenden bestimmt werden. Diese Differenzierung vorzunehmen, ist im Falle des Art. 19 Abs. 4 GG nicht einfach, da die Rechtsschutzgarantie ein Grundrecht des status positivus23 ist. Das bedeutet, daß - wie gezeigt - das Grundrecht auf staatliche Leistungen (z.B. die Einräumung der genannten rechtlichen Kompetenz, die Gewährung von Prozeßkostenhilfe etc.) gerichtet ist. Es sind dies Leistungen, die allesamt der Erreichung des Zieles - lückenlose Kontrolle aller möglichen Rechtsverletzungen - zugutekommen. Gleichwohl sind, dies soll hier nicht in Frage gestellt werden, nicht alle zur Erreichung des Zieles geeigneten und im jeweiligen Einzelfall sogar notwendigen staatlichen Maßnahmen auch generell zwingend geboten 24 • Fraglich ist, welche Leistungen zum verfassungsrechtlich gebotenen Mindestbestand zu rechnen ist, mit der Folge, daß ihr Fehlen als Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG zu werten ist. Es muß sich dabei um Leistungen handeln, die nach einem generalisierten Maßstab unbedingt erforderlich sind, um lückenlosen Rechtsschutz zu gewährleisten, und die von den Rechtsschutzsuchenden nicht selbst erbracht werden können. Auf der Kompetenzebene gehören dazu - hierüber ist man sich einig25 alle diejenigen rechtlichen Institute und Kompetenzen, ohne die das Grundrecht nicht ausgeübt werden kann. Der Zugang zu den Gerichten gegen jeden möglicherweise rechtsverletzenden Akt staatlicher Gewalt muß lückenlos eröffnet sein, unzulässig wäre demnach eine Klagezulassungsbefugnis der Exekutive. Es müssen geeignete Klagearten zur Verfllgung stehen, Verfahrensvoraussetzungen wie Form und Frist müssen prinzipiell von jedem erfllllt werden können, das Verfahren muß eine umfassende sachliche und rechtliche Kontrolle ermöglichen und Rechtsschutz- und Entscheidungsformen garantieren, die dem Kontrollzweck nach Inhalt, Entscheidungszeitraum und -umfang Genüge tun26 • Gestaltungsspielräume hat der Gesetzgeber nur, wo mehrere geeignete Verfahrensgestaltungen denkbar sind. Eine solche rechtliche Kompetenz, die die Kontrolle der Tätigkeit verdeckter Ermittier gestattet, existiert. So steht dem von deren Informationseingriffen

23 statt aller: MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 7; nach Haeberle, Grundrechte im Leistungsstaat, S. 81 handelt es sich um ein Grundrecht des status activus, der Teilhabe des Bürgers am Staat. Im hier diskutierten Zusammenhang ergibt sich daraus jedoch nichts anderes. 24 vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 420. 2S siehe oben die Nachweise in Fußnote 108. 26 vgl. dazu: v. Münch-Krebs, Art. 19 Rdnr. 64; BK-Schenke, Art. 19, Rdnm. 80 ff.; MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19, 229 ff.; Papier, HbdStRs, Band VI, Rdnm. 3, 16 m.w.N.

11. Eigene Auffassung

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Betroffenen Rechtsschutz gern. § 304 StPO gegen die richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung des Einsatzes und gern. § 23 EGGVG gegen die Art und Weise des Einsatzes ZU27. Der Zugang zum Rechtsweg scheitert hier de facto, weil die Bedingungen zum Gebrauch dieser durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützten Kompetenz nicht vorliegen. Von diesen Bedingungen zum Gebrauchmachen der rechtlichen Kompetenz gehören jene zum verfassungsrechtlichen Mindestbestand, deren Fehlen sich einerseits auf den Gebrauch der als verfassungsrechtliches Minimum eingeräumten rechtlichen Kontrollkompetenz auswirkt. Dies ist hier der Fall. Es muß darüberhinaus - wie bei der Auslegung auf Kompetenzebene auch - gefragt werden, welche faktischen Bedingungen regelmäßig und nicht nur in Einzelfiillen notwendige Voraussetzung rur den Grundrechtsgebrauch sind28 und vor allem von den Bürgern nicht selbst gewährleistet werden können. Die Heimlichkeit staatlichen Handeins ist nicht schon deshalb als Eingriff zu bewerten, weil sie einen einfachgesetzlichen "Normalzustand" zurücknimmt. Sie hat nur dann Eingriffscharakter, wenn dieser "Normalzustand" zugleich verfassungsrechtlich der Normalfall ist, also eine Bedingung, die Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, z.B. weil jeder Rechtsschutz notwendig daran anknüpft29 • So ist nicht bestritten, daß die fehlende Bereitstellung von Gerichtsgebäuden, Richtern, sonstigem Personal und Sachmitteln einen Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG darstellt. Daß dennoch das Ausmaß dieser Bereitstellung verfassungsrechtlich nicht exakt bestimmbar und in gewissem Umfang auch mit der ErfUllung anderer, verfassungsrechtlich gebotener Aufgaben abgestimmt werden muß, beruht darauf, daß z.B. im Hinblick auf die Zeitdauer eines Verfahrens (auf die sich der Umfang

27 vgl. zum Ganzen Rieß / Thym, GA 1981, 189 ff.; BGHSt 28, 206 ff.; BVerfGE 49, 329 (340 ff.); für durch Staatsanwaltschaft und Polizei im Wege der Eilkompetenz angeordnete Maßnahmen wird der Rechtsschutz nach überwiegender Auffassung auf § 98 Abs. 2 S. 1 bzw. S. 2"stPO analog gestützt (BGH, NJW 1978, 1013) - dies gilt auch für die nachträgliche Uberprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen, wenn sie sich erledigt haben. Nur eingeschränkt zulässig ist nach herrschender Auffassung indessen die nachträglil!.he Feststellung, ob die richterliche Anordnung rechtmäßig war. Wegen prozessualer Uberholung soll die Beschwerde unzulässig sein, sofern die Beschwer fortgefallen ist (vgl. nur BVerfGE 49, 329 (340 ff.). Dogmatisch wird dies damit begründet, daß gegen richterliche Entscheidungen kein Rechtsschutz gegeben sei, und zwar auch dann nicht, wenn die richterliche Entscheidung ohne rechtliches Gehör erging. Selbst die Nachholung des rechtlichen Gehörs gern. § 33 a StPO ist dieser Auffassung zufolge an das Fortbestehen der Beschwer gebunden. Diese Kritik ist in der Litemtur - zu Recht - überwiegend auf Kritik gestoßen (vgl. die Darstellung des Streitstandes mit eigener Stellungnahme, sogleich, unter 3) a». 28 daß die Verdichtung zum Anspruch aus einem Leistungsrecht dies vomussetzt, dazu vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 420. 29 allgemein zur Problematik einer solchen Bestimmung des Schutzbereiches bei Grundrechten des status positivus, Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 395 ff., 420 ff.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen KontroJle

von Sach- und Personalmitteln auswirkt) die Wirksamkeit des Rechtsschutzes graduierbar iseo• Die Betroffenenöffentlichkeit staatlichen Handeins ist eine solche notwendige Voraussetzung rur den Gebrauch der Rechtsschutzkompetenz, sie ist darUberhinaus nicht graduierbar. Ihr Fehlen wirkt sich dahingehend aus, daß Rechtsschutz nur noch ganz ausnahmsweise möglich ist. Das wird zum Teil mit der Begründung verneint, ft1r den Rechtsschutzsuchenden bestünde die Chance, daß er durch Indiskretionen von rechtswidrigen Eingriffen erfahre und dann vor Gericht gehen könne31 • Eine solche Argumentation würde auch dann nicht überzeugen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit rur derartige Indiskretionen bestünde. Daß die Betroffenenöffentlichkeit normativ notwendige Voraussetzung ft1r den Grundrechtsgebrauch 32 ist, zeigt sich, wenn man überlegt, welchen Sinn eine Rechtsschutzkompetenz annimmt, deren Wahrnehmung von solchen Indiskretionen abhängt. Sie räumt - auf faktischer Ebene - nicht mehr Macht ein als - auf juristischer Ebene - eine Klagebefugnis, die von exekutivischer Zulassung abhängt. Die so reduzierte rechtliche Kompetenz würde Art. 19 Abs. 4 GG auch in seinem Minimalgehalt nicht genügen, nichts anderes gilt, wenn Rechtsschutz faktisch die Bedeutung einer solchen Rumpfkompetenz erhält. Die Betroffenenöffentlichkeit als Bedingung des Gebrauchmachens vom Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG können die Bürger nicht selbst gewährleisten. Die Form staatlichen Handeins entzieht sich ihrem Einfluß, sie können sich die zur Klage erforderliche Kenntnis vom staatlichen Eingriff auch nicht selbst verschaffen. Faktisch und auch normativ gehört daher die Betroffenenöffentlichkeit zum Normalbild33 , das Art. 19 Abs. 4 GG voraussetzen muß, wenn er nicht funktionslos werden soll und ist als derart notwendige Bedingung der Beschreitung des Rechtsweges auch garantiert. Die Gestattung heimlichen Eingreifens stellt MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 262. Evers, Gutachten, S. 68; ders. ZRP 1980, 110 ff. (113). 32 vg l. hierzu Evers,ZRP 1980, 110 (113); ders. Gutachten, S. 73; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 206; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 362 ff. (368); ähnlich - zumindest rur regelnde Staatstätigkeit: MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 250. 33 in dieser AJlgemeinheit ist dies h.M., vgl. nur Dürig, Gutachten, S. 17; Evers, ZRP 1980, 110 (113); ders. Gutachten, S. 73 m.w.N:; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 362 ff.; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 206; Lammer, Verdeckte Ermittlungen, S. 142 ff.; Sehlink, Die Amtshilfe, S. 277 - diese Autoren gehen von Betroffenenöffentlichkeit als dem verfassungsrechtlichen Normalbild aus, halten deren Einschränkung indessen regelmäßig rur zulässig. Zur Einschränkbarkeit siehe die Ausführungen sogleich (unter 2.); ähnlich, zumindest für regelnde Staatstätigkeit, MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 250. 30

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11. Eigene Auffassung

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sich als gravierende Abweichung von dieser verfassungsrechtlich garantierten Normalsituation dar, und hat aus diesem Grunde Eingriffscharakte~4. Sie ist nicht nur (im Prinzip fakultative) Hilfe zur Grundrechtsausübung. Fraglich ist im folgenden zunächst, ob die Konsequenz dieses Ergebnisses die Unzulässigkeit verdeckter Ermittlungen schlechthin oder die EinfUhrung einer Benachrichtigungspflicht ist. 2. Restitution der Rechtsweggarantie durch Benachrichtigungspßicht?

Das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität enthält keine generelle Pflicht zur nachträglichen Benachrichtigung der von den Nachforschungen der verdeckten Ermittier Betroffenen. Gleichwohl ist zu überlegen, ob die EinfUhrung einer solchen Benachrichtigungspflicht dem OrgKG das Verdikt der Verfassungswidrigkeit ersparen könnte. Dabei sind zwei Probleme zu erörtern, nämlich erstens, bis zu welchem Zeitpunkt eine solche Information - die, wenn sie erfolgt, den Zugang zum Rechtsweg eröffnet - noch effektiven Rechtsschutz erlaubt. und zweitens, ob und unter welchen Bedingungen nachträgliche Informationspflichten der Exekutive dem aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleiteten Prinzip der Betroffenenöffentlichkeit genügen. a) Der nach Art. 19 Abs. 4 GG maßgebliche Zeitpunkt der Benachrichtigung Vom Grundsatz her ist es der Zweck der Rechtsschutzgarantie, zu verhindern, daß Rechte des Bürgers verletzt werden. In der Regel heißt daher effektiver Rechtsschutz zugleich präventiver Rechtsschut;Z!5, der z.B. dadurch gewährleistet wird, daß Anfechtungsklagen aufschiebende Wirkung haben36 • Ist präven-

so auch Lorenz, Die Rechtsschutzgarantie, S. 264. MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4; Rdnm. 273, 278; Bettermann, AöR 96 (1971), 528 ff. (558 f.); BK-Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 390; kritisch: Lorenz, Der Rechtsschutz, S. 138 tl. 36 Zur aufschiebenden Wirkung als Regelinstrument BVerfGE 35,263 (274); 35,382 (401); a.A. Bettermann, AöR 96 (1971), 528 fI. (554); MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 274: Wartepflicht der Behörde bis zur Gerichtsentscheidung. 34

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

tive Rechtskontrolle nicht möglich, so wird es - unter der Voraussetzung, daß keine irreparablen oder nicht kompensierbaren Schäden eintreten - für zulässig erachtet, die Bürger auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes zu verweisen, dem dann jedoch der einstweilige Rechtsschutz zur Seite zu treten hae 7 • Nur in Ausnahmefällen, d.h. bei unaufschiebbaren Eilmaßnahmen zur Abwendung unmittelbar drohender Gefahren wird der nur nachträgliche Rechtsschutz für rechtmäßig gehalten38 und in aller Regel materiell-rechtlich durch Entschädigungsansprüche flankiert 39 • Schon dies läßt es als zweifelhaft erscheinen, ob ermittlungspolizeiliche Standardmaßnahmen zulässig sind, bei denen der nur nachträgliche Rechtsschutz die Regel darstellt, zumal dann, wenn jegliche materiell-rechtliche Sanktionierung des Rechtsverstosses fehlt. In diesen Fällen reduziert sich nämlich die Bedeutung des Rechtsschutzes tendenziell von der Wahrung der subjektiven Rechte auf eine objektive Rechtskontrolle. Allerdings entfaltet auch diese präventive Wirkung im Hinblick auf den Schutz der Rechtsgüter der einzelnen. Dies und die ihm verbleibende Genugtuungsfunktion lassen einen nur nachträglichen Rechtsschutz aus wichtigen Gründen als zulässig erscheinen. Jedoch verbietet Art. 19 Abs. 4 GG in solchen Fällen, die Zulässigkeit nachträglicher Rechtskontrolle erledigter Maßnahmen an qualifizierte Klagevoraussetzungen wie Wiederholungsgefahr oder (besonderes) Rehabilitationsinteresse zu binden40 • Ein gegenüber den normalen Anforderungen qualifiziertes Rechtsschutzbedürfuis für erledigte Staatstätigkeit setzt voraus, daß vor der Erledigung der Maßnahme Rechtschutz möglich war. Zudem darf die Entscheidung nicht dadurch wertlos werden, daß zwischen dem Eingriff und Kontrolle kein zeitlicher Zusammenhang mehr besteht. Wenn also die Information erst erfolgt, nachdem der verdeckte Ermittier - vielleicht nach Jahren - nicht mehr eingesetzt wird, ist jede Rechtskontrolle sinnlos geworden.

37 BVerfGE 35,263 (274 f.); 37, 150 (153); 38,52 (57 f.); 51,268 (284 f.); 65, 1(20 f.); MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 273. 38 MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 274. 39 Zum Zusammenhang von Rechtsschutz und Staatshaftung vgl. MDH-SchmidtAßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 284. 40 ähnIlch, jedoch teilweise nicht ganz so "großzügig ft : LR-Schäfer, § 98, Rdnm. 70 f.; Amelung, NJW 1979, 1691; Rieß / Thym, GA 1981, 198 ff.; dafiir daß diese Klage-

voraussetzungen im Regelfall des erledigten Staatshandelns - also in Fällen, in denen vorherige Anfechtung zulässig gewesen wäre - unbedenklich sind: MDH-SchmidtAßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 245; BK-Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rdnm. 139 ff.; Lorenz, Die Rechtsschutzgarantie, S. 272 f.

11. Eigene Auffassung

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b) Benachrichtigungspflicht als Zugangsvoraussetzung zum Rechtsweg Art. 19 Abs. 4 GG ist mit der Statuierung einer bloßen Informationspjlicht nicht gedient. Betroffenenöffentlichkeit setzt voraus, daß staatliche Eingriffe filr die Betroffenen entweder transparent sind oder transparent gemacht werden. Diese Transparenz muß erzwingbar sein. Zwar genügen auch nachträgliche Offenbarungspflichten unter dieser Voraussetzung dem Grundsatz der Betroffenenöffentlichkeit, denn wann der Betroffene Kenntnis erhalten muß, ist eine Frage der Rechtzeitigkeit des Rechtsschutzes. Entscheidend ist aber, welche Bedingungen erfilllt sein müssen, damit der Betroffene die Rechtmäßigkeit des Eingriffs auch dann überprüfen lassen kann, wenn die Staatsorgane sich einer solchen Kontrolle entziehen wollen. Die Statuierung von Rechtspflichten vermag dies nicht zu verhindern41 • Unterbleibt die Mitteilung, eine Überwachung gern. § II0a StPO habe stattgefunden, ist auch der Zugang zum Rechtsweg abgeschnitten. Nicht anders als bei einer rechtlichen Befugnis der Exekutive über die Zulässigkeit von Rechtsschutzbegehren zu entscheiden, hängt die Klagemöglichkeit - hier indessen faktisch - von deren Willen ab, sich kontrollieren zu lassen42 • Zwar gibt es auch sonst Verwaltungsverfahren, bei denen die Bürger, um klagen zu können, auf die pflichtgemäße Bekanntgabe behördlicher Entscheidungen angewiesen sind. Einen Verwaltungsakt kann man erst anfechten, wenn er mitgeteilt wurde. In allen diesen Fällen ist die Einhaltung der Bekanntgabepflicht jedoch nicht nur Voraussetzung, um Rechtsschutz zu erlangen; ohne sie erreicht die Behörde schwerlich das mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes verfolgte Ziel, denn befolgen kann man nur Befehle, die man kennt. Weitgehend gesichert werden könnte Transparenz in den hier untersuchten Fällen, sofern die Offenbarung von Eingriffen Bedingung für die Nutzbarkeit der dadurch gewonnenen Kenntnisse wäre. Der Eingriff wäre dann ohne Einhaltung der Offenbarungspflicht sinnlos. Der Nutzen der Tätigkeit verdeckter Ermittier liegt in folgendem: Ihre Kenntnisse dienen der Strafverfolgung entweder als Hintergrundinformationen zur Erlangung "gerichtsverwertbarer Beweise oder indem sie (ohne Preisgabe der Quelle) durch Verhörspersonen ins Verfahren eingefilhrt werden. Wollte man die Benutzung dieser Kenntnisse an die Offenbarung der Eingriffe, ft

Weßlau, Vorfeldennittlungen, S. 206. Das Argument von Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 145 grundsätzlich sei selbstverständlich (?!) zu unterstellen, daß staatliche Behörden rechtmäßig handeln, läßt Art. 19 Abs. 4 GG als Ganzes als überflüssig erscheinen, ist also offensichtlich nicht die Position des Grundgesetzes. 41

42

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denen sie zu verdanken sind, knüpfen, so müßte der Einsatz verdeckter ErmittIer stets in den Akten dokumentiert werden. Informationen, deren Quelle nicht preisgegeben wird, dürften keinen Eingang in das Strafverfahren finden. Ein Verstoß gegen diese Offenbarungspflichten müßte zur Bedingung der Durchfilhrung des Verfahrens erhoben werden. Damit verlöre jedoch speziell das Institut des verdeckten Ermittiers seine Funktion: Nach dem Willen des Gesetzgebers ist dessen Einsatz auf Dauer angelegt (§ 1l0a StPO), die Offenbarung seiner Funktion innerhalb eines jeden Strafverfahrens, dessen Durchfilhrung seinen Erkenntnissen zu verdanken ist, verträgt sich damit nicht. Nichts anderes gilt filr den Einsatz von V-Personen. In diesen beiden Fällen ist daher die Statuierung von Benachrichtigungspflichten nicht geeignet, den Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG zu heilen, den die Ermächtigung zu heimlichem Handeln bedeutet. Es bleibt bei der Feststellung, daß Art. 19 Abs. 4 GG verletzt ist. 3. Richtervorbehalt als Rechtsschutz i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG

In der Regel unterstellt das OrgKG in § 110b StPO Einsätze verdeckter Ermittier, die sich gegen einen bestimmten Beschuldigten richten, dem Richtervorbehalt. Ein solcher Richtervorbehalt genügt aus verschiedenen Gründen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht. a)

Zunächst handelt es sich um eine Rechtskontrolle, die sich in der Regel "in cameraft - ohne Beteiligung des Betroffenen vollzieht43 • Es handelt sich dabei also um richterliche Entscheidungen, die dem Grundsatz des Art. 103 Abs. 1 GG nicht unterworfen sind.

43 Ein Beispiel aus der Praxis der Verfasserin als Strafverteidigerin soll die mangelnde Qualität derartiger Richtervorbehalte illustrieren: In einem Strafverfahren wegen Verstoß~s gegen das BtMG (AG Krefeld 3 Ds 15 Js 2204/92) beantragte der OKD Viersen die Uberwachung eines Fernmeldeanschlusses. Außer der Mitteilung "Im Rahmen eines laufenden Strafverfahrens gegen ... wurde bekannt, daß folgende Personen arbeitsteilig BtM in nicht geringen Mengen aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland einfUhren und hier an dritte Personen weiterveräußern ft, sowie der bloßen Mitteilung, die Beschuldigten hätten Haschisch im Werte von 4.000,00 DM eingefUhrt, der Inhaber des Anschlusses solle die Aufgabe des Schmuggels übernehmen, enthielten weder der Antrag selbst noch auch die Ermittlungsakten bis zu diesem Zeitpunkt Informationen über Herkunft, Zuverlässigkeit usf. dieser Kenntnisse. Gleichwohl erging allein daraufhin die Anordnung der Telefonüberwachung (AG Krefeld 3 Gs 252/92). Es steht zu befUrchten, daß eine solche Praxis nicht die Ausnahme darstellt.

11. Eigene Auffassung

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Zwar garantiert Art. 19 Abs. 4 GG nicht selbst das rechtliche Gehör44 , es wird jedoch nicht bezweifelt, daß Justizgewährleistung nur das ist, was diesen Anforderungen genügt45. Schlichte RichtervorbehaIte stehen außerhalb des Systems des gerichtlichen Rechtsschutzes: Man stelle sich nur vor, das Rechtsschutzsystem, das die Verwaltungsgerichtsordnungen des Bundes und der Länder errichtet haben, würde generell durch ein System der Richtervorbehalte (ohne rechtliches Gehör) von Verwaltungsentscheidungen abgelöst. Über das Ergebnis - Verletzung auch des Art. 19 Abs. 4 GG - zu diskutieren, ist müßig46 . b)

Oarüberhinaus ist die Kontrollwirkung von Richtervorbehalten begrenzt: Sie bezieht sich nur auf die Feststellung des Vorliegens der Eingriffsvoraussetzungen. Die Art und Weise des Eingriffs überprüfen auch diese Richter nicht - mangels Kenntnis und weil sie in der Regel vorab entscheiden.

c)

Außerdem bleiben bei einer solchen Entscheidungskompetenz alle unter Berufung auf die Eilkompetenz vorgenommenen Eingriffe außer Betracht.

44 BVerfGE 64, 135 (143 f.); MDH-Dürig, Art. 103 Abs. 1, Rdnrn. 28 ff.; Lerche, ZZP 78 (1968), 1 (15 ff); BK-Rüping, Art. 103 Abs. 1, Rdnr. 70; MDH-SchmidtAßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnrn. 18 f.; Kopp, AöR 106 (1981), 604 ff. (620 ff). 45 MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. IV, Rdnrn. 18 ff.: "Grundelemente, die rur jeden Rechtsschutz selbstverständlich sindft ; Dürig, Gutachten, S. 17 ff; so heißt es bei v. Münch-Krebs, Art. 19, Rdnr. 62: "Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes erfordert Mindeststandards in organisatorischer und verfassungsmäßiger Hinsicht. Z.T. sind diese Standards (Art. 92, 103 I) unabhängig vom Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 verfassungsrechtlich geboten und damit nicht Teil seines Gewährleistungsinhalts ft. Diese Eingrenzung besagt jedoch nur, daß Art. 103 I GG als lex specialis notwendig mit Art. 19 Abs. 4 GG verknüpft ist - und auf diese Weise der Rechtsschutzgarantie ihr Gepräge verleiht. 46 Die herrschende Auffassung ist allerdings widerspIilchlich, was die Behandlung der Richtervorbehalte angeht, wenn sie sie argumentiert. Art. 19 Abs. 4 GG gewähre auch dort keinen Rechtsschutz gegen richterliche Entscheidungen, wo diese ohne Anhörung des Betroffenen ergangen sind (BVerfGE 49,329 ff. (340 ff); vgl. dazu auch MDHSchmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. IV, Rdnr. 101). Das hat der Sache nach nämlich zur Folge, daß durch Vorschaltung eines Richters staatliche Tätigkeit durchgängig rechtsschutzlos gestellt werden könnte. Diese Konsequenz wird allerdings von den Vertretern dieser Auffassung nicht gesehen und also auch nicht diskutiert. Sie beschränken ihr Augenmerk auf die Frage, ob richterliche Tätigkeit Gegenstand von Rechtsschutz werden kann und beantworten - die an anderer Stelle, wie gezeigt, verneinte Frage -, ob demzufolge Rechtsschutz durch an Verfahensstandards gebundene richterliche Entscheidung durch "in cameraft-Verfahren ersetzt werden könnte, in diesem Kontext nicht. Insofern steht diese Auffassung dem hier erzielten Ergebnis auch nicht entgegen. Kritisch demgegenüber zu Recht: Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, S. 53 ff.; Lorenz, Die Rechtsschutzgarantie, S. 241 ff; v. Münch-Krebs, Art. 19, Rdnr. 57; Rieß / Thym, GA 1981, 189 ff (195 ff).

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle 4. Herstellung der Kontrollierbarkeit durch Verbot des Einsatzes verdeckter Ermittier?

Die Konsequenz der bisherigen Ausfilhrungen ist es, daß die Ennächtigung zum Einsatz verdeckter Ennittler Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die Rechtsschutzgarantie läuft leer, weil der auf Rechtsschutz Angewiesene auf die Infonnationen der Ennittlungsbehörden angewiesen ist, um sie wahrzunehmen. Es erscheint indessen als zweifelhaft, ob mit dem Wegfall der Befugnis zu heimlicher Tätigkeit aus der Sicht des Rechtsschutzsuchenden überhaupt etwas gewonnen wäre: Denn heimlich tätig werden können Ennittler auch ohne diese Befugnis. Das Fehlen einer Ennächtigung macht jedoch den systematischen Gebrauch solcher Methoden weitgehend unmöglich: Es fehlt an Haushaltsmitteln, die zum Aufbau einer überzeugenden Legende und zum Einsatz von außerhalb der polizeilichen Organisation tätigen, (d.h. mit polizeilichen Standardaufgaben nicht befaßten) verdeckten Ennittlern notwendig wären. Darüberhinaus muß jedoch den aus solcher Tätigkeit gewonnenen Infonnationen die Wirksamkeit versagt werden. Welches die diesbezüglichen Konsequenzen im einzelnen sind, wird unten (Teil 3, A.) dargestellt werden. 5. Rechtfertigung des Eingriffs

Fraglich ist nunmehr, ob dieser Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG gerechtfertigt werden kann, obwohl der Rechtsschutz vorbehaltlos garantiert ist. Es ist umstritten, in welchem Umfang vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte beschränkt werden können. Davon, daß dies prinzipiell möglich ist, geht indessen die herrschende Auffassung aus. Zur Verdeutlichung des eigenen Vorgehens sind einige methodische Vorbemerkungen angebracht: Das Problem der Einschränkung von vorbehaltlos gewährten Grundrechten besteht darin, daß sie nicht zur Mißachtung von Verfassungsentscheidungen, d.h. zugleich: zur Anmaßung der verfassungsgebenden bzw. -ändernden Kompetenz durch den einfachen Gesetzgeber werden darf. Aus diesem Grunde bedarf eine jede Einschränkung einer Legitimation, die sich auf die Verfassung selbst stützt. Hierzu kommen nach traditioneller Auffassung prinzipiell zwei Wege in Betracht: Entweder man interpretiert vorbehaltlose Grundrechte bereits dem Inhalt nach restriktiv - nämlich so, daß sie bereits unter dem Vorbehalt des neminem laedere gewährt sind, also keine Freiheit zur Verletzung anderer eingeräumt ist.

11. Eigene Auffassung

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Oder man rechtfertigt die Einschränkung über kollidierendes Verfassungsrecht, sei dies die Unvereinbarkeit einer Freiheitsbetätigung mit einer anderen, oder seien dies Verfassungsgüter, die im Interesse der Allgemeinheit bestehen. In diesem Falle ließe sich die Entscheidung des Verfassungsgebers, ein Grundrecht vorbehaltlos zu gewähren, nur auf Kosten einer anderen Entscheidung des Verfassungsgebers realisieren. Dies zwingt, die gleichermaßen durch die Verfassung geschützten Interessen gegeneinander abzuwägen. Eine solche Abwägung47 stellt dann keine Kompetenzanmaßung dar. Es wird sich in der Anwendung zeigen, daß dies Rechtfertigungsmuster dort problematisch ist, wo vorbehaltlose Grundrechte solchen gegenübergestellt werden, die keine unbedingte Handlungs- oder Unterlassungspflicht begründen: Eine Kollision setzt nach herkömmlicher Dogmatik voraus, daß zwei unbedingt geltende Pflichten Gegensätzliches fordern. Im Falle von Grundrechten, die unter einfachem Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind, besteht eine solche Kollision begründende Pflicht i.d.R. nur, wenn andernfalls deren jeweiliger Wesensgehalt verletzt wäre. Die herrschende Auffassung fragt jedoch der Sache nach nicht nach der Kollision von Handlungsge- und verboten, sondern nach einer Kollision der diesen Geboten zugrundeliegenden Werte48 • Damit hat sie sich - wie zu zeigen sein wird - bereits die Kompetenz angemaßt, die Anwendungsbedingungen dieser Verfassungsnormen nicht zu respektieren. Dies Vorgehen ist daher nicht ohne Kritik geblieben49 • In neuerer Zeit ist versucht worden, diese Praxis aus dem Charakter der Normen, d.h. als durch die Verfassung notwendig vorgegeben, zu legitimieren50 • Diese Auslegungspraxis wäre dann kein Kompetenzproblem mehr. Alexy stellt die These auf, es gebe Normen, die absolut gälten und solche die lediglich prinzipiellen Charakter hätten. Letztere gälten nur als Ziele, d.h. nicht verbindlich. Der Grund dafUr sei, daß sie nicht anders angewendet werden könnten,

kritisch hierzu mit Recht: Habermas, Faktizität und Geltung, S. 255. vgl. nur BVerfGE 28,243 ff. (261); 30, 173 ff. (193). 49 Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, Festschrift für C. Schmitt; Böckenförde,Grundrechte als Grundsatznormen, S. 194; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 219 ff.; Grimm, JuS 1980, 704 ff.; U. K. Preuß, Die Internalisierung des Subjekts, S. 261 ff., den allerdings eher die Wirkungen und die strukturelle Bedeutung solcher Interpretation interessieren; Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, passim; Denninger, JZ 1975, 545 ff. so Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 87 ff., 273 ff. Alexy versteht seine Theorie selbst zwar nicht ganz in diesem Sinne: Er unterscheidet zwischen einem Verständnis von Grundrechten als Werte einerseits und als Optimierungsgebote andererseits (S. 71). Allerdings liefert er gleichwohl - auch nach eigenem Selbstverständnis - eine dogmatische Rechtfertigung des praktischen Vorgehens der herrschenden Auffassung. Dazu, daß sein Verständnis von Grundrechten als Optimierungsgebote sich rechtlich nicht von deren Bedeutung als Werte unterscheidet, vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 255. 47 48

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denn als Nonnen, die unter dem Vorbehalt stünden, daß sie in der Anwendungssituation gegebenenfalls zurückzutreten hätten. Dies gelte jedoch nicht für alle Nonnen. Es gebe daneben auch (Verfassungs-)nonnen, deren Nonncharakter sie als absolut verbindlich ausweisesI. Hiergegen ist zu Recht eingewandt worden, daß diese Theorie auf der Grundlage zweier inkompatibler Geltungsbegriffe arbeite, denn die Forderung, eine Nonn relativ zu den tatsächlichen und nonnativen Möglichkeiten einer Situation anzuwenden, könne an jede Norm gerichtet werdens2 • Da sich vom Nonncharakter (d.h. hier: vom Geltungsgrad her) keine Notwendigkeit dafür ergibt, Verfassungsnonnen als bloß in geringerem Maße gültige Optimierungsgebote (Werte)S3 zu behandeln, werde ich im folgenden das Problem der Einschränkung von vorbehaltlosen Grundrechten als ein Kompetenzproblem abhandeln. Das bedeutet der Sache nach, daß ich davon ausgehe, daß die Überlegungen, die zur Fonnulierung der Anwendungsbedingungen von Verfassungsnonnenfilhrt haben - und damit die Anwendungsbedingungen selbst - verbindlich sind. Zunächst gilt es daher zu fragen, ob Art. 19 Abs. 4 GG in seinem Anspruch vorbehaltloser Geltung angesichts grundlegender Änderung seiner Anwendungsbedingungen relativiert werden muß: Steht seiner einschränkungslosen Anwendung entgegen, daß die Kontrollierbarkeit staatlichen Handeins abweichend von der Regel hier zum Ausschluß von Handlungsbefugnissen filhrt? (unten, a). Wenn sich herausstellt, daß dies nicht der Fall ist, ist zu prüfen, ob die Einschränkung der Rechtsweggarantie wegen kollidierenden Verfassungsrechts geboten ist. Dabei ergibt sich aus dem oben Dargestellten, daß die vom Verfassungsgeber festgelegten Anwendungsbedingungen in die Prüfung einer Kollision mit einbezogen werden müssen. Konkret: Es ist nicht zu fragen, ob einander (der Nonnanwendung vorgelagerte) heterogene Ziele entgegenstehen, son-

SI als Beispiel nennt Alexy Art. 103 Abs. 2 GG; diese Differenzierung ist aus seiner Sicht zwingend notwendig, weil er ansonsten nicht erklären kann, warum unterverfassungsrechtliche Normen absolut gelten können. Auf eine Ausfiihrung, worin - abgesehen von den Folgen ftlr die Interpretation - diese Unterscheidung normtheoretisch beruhen soll, wartet man indessen vergebens. 52 eingehend dazu: K. Günther, Der Sinn ftlr Angemessenheit, S. 272 ff. Danach können Normen niemals im sog. "BegIilndungsdiskursft kollidieren (was Alexy voraussetzt), sondern nur im "Anwendungsdiskursft • Daher lautet die richtige Fragestellung stets, welches die Anwendungsbedingungen sind (aus Kompetenzperspektive: waren), die zur Begründung der Norm ftlhrten. Regeln und Prinzipien (in der Terminologie von Dworkin) unterscheiden sich deshalb dadurch, daß erstere ftlr spezielle Anwendungssituationen, letztere nur ft1r sehr allgemein gehaltene gelten - nicht durch den Grad ihrer Verbindlichkeit. 53 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. lehnt zwar diese Gleichsetzung ab, der Sache nach beruht seine Interpretation von Grundrechten als Optimierungsgebote aber auf einer Klassifizierung von Grundrechten als minder gültige Werte.

11. Eigene Auffassung

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dem, ob die aus der Nonnanwendung resultierenden Pflichten kollidieren. Dann erst steht fest, daß der Verfassungsgeber den zur Debatte stehenden Anwendungsfall nicht geregelt hat, (unten, b). a) Nonnimmanente Modifikation der Rechtsweggarantie? Eine Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG ließe sich nach der hier vertretenen Konzeption rechtfertigen, ohne daß sich dies als Anmaßung verfassungsgebender Kompetenz darstellte, wenn die Änderung der Anwendungsbedingungen der Rechtsweggarantie eine Modifikation seiner Reichweite rechtfertigten würde. Zu prüfen ist also zunächst, ob Art. 19 Abs. 4 GG, so wie er hier angewendet wurde, eine gegenüber seiner klassischen Anwendung gewandelte Bedeutung erhält. Sodann ist zu fragen, ob dies seine Modifikation legitimiert. Das ist nur dann der Fall, wenn diese Modifikation nicht ihrerseits den Sinn der Rechtsweggarantie in Frage stellt. aa) Einen Bedeutungswandel könnte Art. 19 Abs. 4 GG durch seine Anwendung deshalb erfahren haben, weil die Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz sich hier als Hindernis ftlr die Erfllllung staatlicher Aufgaben darstellt. Dies deshalb, weil üblicherweise die Kontrolle staatlichen HandeIns dessen Wirksamkeit zwar zeitlichen Einschränkungen unterwirft, aber nicht zur Unmöglichkeit der Wahrnehmung von Staatsaufgaben durch den Ausschluß bestimmter Befugnisse fllhrt. Die Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG im System der Staatsaufgaben hat sich durch die hier vorgenommene Auslegung im Vergleich zu den traditionellen Anwendungsfällen der Rechtschutzgarantie grundlegend geändert. bb) Dieser Bedeutungswandel rechtfertigt eine immanente Einschränkung seiner Reichweite jedoch nur dann, wenn die Rechtsweggarantie durch diese Modifikation nicht ihrerseits einen grundlegenden Bedeutungswandel erfährt. Dann nämlich läßt sich eine solche Einschränkung ohne Anmaßung verfassungsgebender Kompetenz nur halten, wenn sie wegen der Kollision mit anderen Verfassungsnonnen geboten ist. Dies ist hier der Fall: Art. 19 Abs. 4 GG gewährt seinem Anspruch nach lückenlosen Rechtsschutz gegen jede Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte s4 • Wenn, wie hier - und

S4

So dezidiert Klein, VVDStRL 9 (1949),67 ff. (77 f.) daraus folgert Klein auch, daß

7 Velten

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sei dies auch durch faktische Eingriffe - bestimmte staatliche Tätigkeitsfelder von der Kontrolle ausgenommen werden, so ist damit die Geltung des Prinzips des lückenlosen Rechtsschutzes selbst in Frage gestellt. Als "fonnelles Hauptgrundrecht"ss der Verfassung errichtet Art. 19 Abs. 4 GG im Unterschied zu anderen Grundrechten nicht eine Schranke rur staatliches Handeln, deren Bedeutung (per se) relativ ist zum Gewicht der beschränkten Tätigkeit. Die Rechtsschutzgarantie beinhaltet vielmehr eine Aussage über die Fonn, der Staatstätigkeit im Verhältnis zum Bürger unterworfen ist. Jede "Beschränkung" von Rechtsschutzmöglichkeiten ändert den Sinn der gesamten Regel: Von der Garantie lückenlosen Rechtsschutzes reduziert sie sich auf die fallweise bestehende Chance gerichtlicher Kontrolle. Die schutzlose Herrschaft ist nicht generell aufgehoben, die Herstellung von Rechtsanwendungsgleichheit steht völlig infrage. Grundsätzlich ist eine solche Außerkraftsetzung oder Inhaltsänderung von Verfassungsnonnen Sache des verfassungsändernden Gesetzgebers. Eine Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG läßt sich demzufolge nur unter Berufung auf kollidierendes Verfassungsrecht rechtfertigen. b) Einschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht? Die Notwendigkeit einer Einschränkung und zugleich ihre Rechtfertigung muß sich demnach aus der Kollision mit anderen Verfassungsrechtsnonnen ergeben. Die Einheit der Verfassung gebietet es, eine Kollision zweier Verfassungsnonnen im Wege der praktischen Konkordanz zu lösens6 . Nach einer Mindenneinung rechtfertigen nur die Inhalte des Grundgesetzes, "die das Grundgesetz selbst dem Alltag des Verfassungs lebens gern. Art. 79 Abs. 3 GG entzogen hat", gesetzgeberische Eingriffe in solche Grundrechtes7 . Darunter fällt die Effizienzsteigerung der Strafverfolgungstätigkeit nicht. Art. 19 Abs. 4 GG ist demzufolge nicht um der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege willen einschränkbar. Art. 19 Abs. 4 GG in seinem (von ihm nicht näher bestimmten) Kembereich unverbrüchlich, d.h. gern. Art. 79 Abs. 3 GG uneinschränkbar, gewährleistet ist. ss Klein, ebenda, S. 86 ff. Darunter versteht Klein ein Pendant zum materiellen Hauptgrundrecht zu Art. I Abs. I GG. Damit ist zugleich gesagt, daß Art. 19 Abs. 4 GG denselben Stellenwert hat wie die Menschenwürdegarantie (sub specie Art. 79 Abs. 3 GG). S6 BVerfGE 28, 243 (261); 30, 173 (193 ff.); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnm. 72, 317 ff.; v. Münch, Vorbem. 1-19, Rdnr. 56 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 151 ff.; ausführlich: Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, passim. S7 Pieroth / Schlink, Rdnm. 377 ff.

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Nach der herrschenden Auffassung legitimiert jedes Verfassungsrechtsgut die Einschränkung. Bei genauerer Analyse zeigt sich, daß im vorliegenden Fall weder eine echte Kollision vorliegt, noch auch, daß - unterstellt sie läge vor ihre Auflösung durch Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG gerechtfertigt werden könnte - so daß es auf die höchst umstrittene Frage, ob die Einschränkbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG an Art. 79 Abs. 3 GG scheitert, nicht ankommt58 • Immanente Schranken ergeben sich nach herrschender Meinung aus Kollisionen der Grundrechtsbetätigung mit Grundrechten anderer oder aus sonstigen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern 59 • aa) Eine Kollision mit Grundrechten anderer kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden. Sie setzt voraus, daß die Ausübung (hier:) des Rechts aus Art. 19 Abs. 4 GG die grundrechtlich geschützte Sphäre anderer tangiert. Davon kann jedoch nicht die Rede sein. bb) Schließlich ist als Rechtsgut mit Verfassungsrang die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege60 in Betracht zu ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat sie aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet, und zunächst ohne jede Beschränkung als schützenswertes Verfassungsprinzip postuliert61 ; später hat es allerdings seine Auffassung dahingehend präzisiert, daß nunmehr nur noch die "Erfordernisse einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Strafrechtspflege ft62 diese als ein verfassungsrechtlich geschütztes Interesse qualifizieren. Demzufolge legitimiert die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege keine Suspendierung rechtsstaatlicher Garantien, weil deren Formprinzipien die Strafverfolgungstätigkeit selbst erst legitimieren. cc) Möglicherweise läßt sich jedoch eine Kollision mit anderen Verfassungswerten aus einer grundrechtlichen Schutzpj1icht des Gesetzgebers herleiten, wie sie vom Bundesverfassungsgericht im Abtreibungsurteil63 entwickelt wurde. Die Herleitung solcher Schutzpflichten war ursprünglich sehr umstritten64 , vgl. dazu Schlink, Der Staat 1973, S. 92 ff. mit Darstellung des Meinungsstandes. BVerfGE 28, 243 (261); 30, 173 (193 ff.); 32,98 (108); 33, 23 (29); 41, 29 (50); 44,37 (50); 49,24 (56); v. Münch, Vorbem. Art. 1-19, Rdnr. 46 f.; Bethge, Zur Problematik von Grundrechtskollisionen, S. 20 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 108 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnm. 72, 371 ff. 60 vgl. BVerfGE 19, 342 (347); 20, 45 (49); 33, 367 (383); 34, 238 (248 f.); 38, 312 58

59

(321); 77, 65 (76); 80, 367 (375). 61 vgl. dazu die Kritik von Grünwald, JZ 1976, 767 ff. (772); Hassemer,StraN 1982, 275 ff. undjüngstens Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 86,288 ff. (340 ff., 346 f.). 62 BVerfGE 77, 65 ff. (75); diese Einschränkung fehlt indessen wieder in: E 80, 367 ff. (375). 63 BVerfGE 39, I ff. (41 ff.); später aufgegriffen durch E 46, 160 (164 ff.); E 49, 89 (140); E 53, 30 (57); E 56, 54 (73). 64 vgl. BVerfGE 39, I ff. (69 ff.) abw. Meinung. 7'

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mittlerweile ist sie jedoch allgemein anerkannt6s • Begründet wird die Existenz solcher Schutzpflichten, die strenggenommen entweder eine Drittwirkung von Grundrechten66 oder eine Art GarantensteIlung des Staates rur private Rechtsverletzungen67 voraussetzt, im wesentlichen staatsrechtlich: Der "Verzichtft der Bürger auf Selbsthilferechte verlange kompensatorisch nach staatlichem Schutz68 • Diese Schutzpflichten sind - zumindest nach der Auffassung von Isensee - auf derselben Ebene angesiedelt wie die Abwehrrechte auch, sie sind beide Teil des status libertatis69 • Demzufolge ist auch deren jeweilige verfahrensmäßige Durchsetzung (hier: durch Rechtsschutz einerseits und durch das Strafverfahren andererseits) prinzipiell gleichrangig, unterschiedliche Bedeutung kann der Durchsetzbarkeit von Schutzpflichten einerseits und von Abwehrrechten andererseits demzufolge nur zuwachsen, weil die jeweils betroffenen Rechtsgüter selbst unterschiedlichen Rang haben. So geht es im Falle der Justizgewährleistung gegenüber Eingriffen verdeckter Ermittier um das informationelle Selbstbestimmungsrecht und den Schutz der Wohnung, im Falle der Effektivität der Strafrechtspflege z.B. um Leib, Leben, Freiheit, Vermögen u.ä. 70 • Die Problematik eines solchen Ansatzes liegt auf der Hand: Fast alle Staatsaufgaben werden auf diese Weise nicht mehr als Aufgaben betrachtet, die der Gestaltung des demokratischen Gesetzgebers unterliegen, sondern als solche, deren Erftlllung ihm von Verfassungs wegen vorgegeben sind71 • Um solchen Einwänden vorzubeugen, wird daher in aller Regel betont, daß die Art und Weise ihrer Erftlllung72 , der Ausgleich mit anderen Aufgaben73 , die Ein-

65 Pieroth / Schlink, Rdnm. 103 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff. (414 f.); lsensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 27 ff.; ders. HBdStRs, Band V, § 111, Rdnm. 83 ff.; a.A. Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 50. 66 kritisch dazu und zu der in diese Richtung deutenden Annahme des Bundesverfassungsgerichts, die Schutzpflichten resultierten aus der objektiv-rechtlichen Kompetenz der Grundrechte, Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 412 ff. 67 in diese Richtung lsensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 30 ff., 56 ff.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff.; kritisch zu diesem Ansatz: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415 ff.; Pietzcker, JZ 1985, 209 ff. (210, 216). 68 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 56 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 414 ff. 69 lsensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 33; kritisch dazu: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415 ff. (417 f.). 70 vgl. dazu Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 46 m.w.N. 71 vgl. dazu Isensee, HBdStRs, Band V, Rdnr. 134; kritisch dazu: Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 219 ff. 72 lsensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 38 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 421. 73 BVerfGE 39, 1 (42 ff.); 46, 160 (164); 49,24 (53 ff.); lsensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 41 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 425.

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schätzung der Notwendigkeit der staatlichen Regulation74 in weitem Umfange dem Gesetzgeber freigestellt ist. Nur in seltenen Fällen verdichten sich derartige Schutzpflichten allerdings zur Pflicht, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen 75 • Nach neuerer Auffassung markiert das sog. "UntermaßverbotW insofern jedoch eine Untergrenze. Es sei dann unterschritten, wenn ein angemessener Schutz, der als solcher auch wirksam werde, nicht mehr gewährleistet sei 76 • dd) Eine solche Verpflichtung des Gesetzgebers zur Einftlhrung verdeckter Ermittlungen folgt aus den Grundrechten nicht. Die Strafverfolgung dient dem Schutz verschiedener Grundrechte; im Falle organisierter Kriminalität bestehen Gefahren rur Eigentum, Gesundheit (Drogendelikte) und (in geringerem Ausmaß) Leben. Der Tatbestand der Grundrechtsgeflihrdung aktualisiert der herrschenden Meinung zufolge zwar die Staatsaufgabe des Schutzes, überläßt jedoch die Wahl der Mittel grundsätzlich dem Gesetzgeber.77 Nur in seltenen Fällen verdichtet sich die Staatsaufgabe Grundrechtssicherung zu einer Handlungspflichfs . Eine Pflicht des Gesetzgebers, operative Methoden der Verbrechensbekämpfung einzuftlhren, ist deshalb nicht schon dann begründet, wenn es möglich erscheint, daß auf diesem Wege die Aufklärung von Straftaten erleichtert wird. Es kommt nicht darauf an, welches der in der politischen Auseinandersetzung vorgetragenen Konzepte mehr Plausibilität rur sich beanspruchen kann. Vielmehr setzt eine Pflicht zur Ergreifung bestimmter Schutzvorkehrungen voraus, daß alle im politischen Raum diskutierten Handlungsalternativen (einschließlich der bis zum Inkraftreten des OrgKG geltenden Rechtslage) verfassungswidrig sind, weil sie dem Mindeststandard an Grundrechtsschutz nicht genügen. Der Entscheidungsfreiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers wird zudem dadurch Rechnung getragen, daß ihm eine Entscheidungsprärogative79 zugebilligt

74 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 40 f.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 423; v. Münch, Vorbem. vor Art. 19, Rdnr. 66; Ossenbühl, Festgabe BVerfG, S. 458. 7S vgl. dazu BVerfGE 39, 1 (36 fI, 42 fI). 76 Isensee, HBdStRs, Bd. V. § 111, Rdnm. 165 f.; BVerfG, Urteil v. 28. Mai 1993; 2 BvF 2/90 - 2 BvF 4/92; 2 BVF 5/92; S. 73. Könnte man das Bundesverfassungsgericht im ersten Urteil zu § 218 noch so verstehen, solange der Schutz noch lückenhaft sei, also im Ergebnis versagen könne, alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen werden müßten (BVerfGE 30, 1 ft), so wird nunmehr die Schutzpflicht relativiert. 77 vgl. dazu Isensee, HBdStRs, Band V, § 111, Rdm. 88 m.w.N. 78 ebenda, Rdm. 90. 79 vgl. dazu BVerfGE 77, 170 (214) und BVerfG, KritV 1993, Sonderheft 1, S. 48 f: "Ein Einschätzungs-, Wertungs-. und Gestaltungsspielraum kommt dem Gesetzgeber auch dann zu, wenn er - wie hier - verpflichtet ist, wirksame und ausreichende Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen ft.

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wird: Unsicherheiten bezüglich der Eignung und Erforderlichkeit verschiedener Konzeptionen zum Grundrechtsschutz streiten zugunsten der Freiheit des Gesetzgebers und schließen eine Verpflichtung prinzipiell aus.

Hier wirkt sich dieser Ennessensspielraum im Ergebnis allerdings zulasten des Gesetzgebers aus: Zur Einschränkung der vorbehaltlos gewährten Rechtsschutzgarantie ist der Gesetzgeber eben nur befugt, wenn ihm die Verfassung keine Handlungsalternativen zugesteht. Zur Verletzung des Untennaßverbotes müssen zwei Bedingungen kumrnulativ erfüllt sein, mit der Folge, daß eine Pflicht zur Ergreifung bestimmter Maßnahmen verneint werden muß, wenn auch nur eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist. Erstens müßte feststehen, daß der bisherige Rechtszustand nicht lediglich ein politisch bedauerliches Defizit an Strafrechtsschutz darstellt, sondern ein verfassungswidriges. Zweitens müßte man - frei von prognostischen Unsicherheiten - feststellen können, daß die Maßnahmen, zu denen der Gesetzgeber verpflichtet sein soll, geeignet sind, dies Defizit (nachhaltig) zu beheben. Zudem dürfen keine weniger einschneidenden Schutzkonzepte in Betracht kommen, die den grundrechtlichen Schutzpflichten Genüge tun, was jedoch der Fall ist, wenn sie nicht offensichtlich ungeeignet und unzulänglich sind80 • Beide Feststellungen sind nicht möglich: Für die Frage nach dem Ausmaß des zu gewährleistenden Schutzes sei darauf hingewiesen, daß hier dasselbe Maß anzulegen ist wie in anderen Fällen des Rechtsgüterschutzes auch. So gab und gibt es seit jeher zahlreiche Beispiele eines mindestens ebenso gravierenden Versagens der Strafverfolgung auch außerhalb des Bereiches organisierter Kriminalität, die jedoch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Instrumentariums aufkommen lassen. So ist zum Beispiel Gewalt innerhalb der Familie vielfach trotz Pönalisierung der Strafverfolgung entzogen81 • Auch aus anderen gesellschaftlichen Bereichen lassen sich Fälle anftlhren, in denen der Schutz höchst bedeutender Rechtsgüter sich noch verbessern ließe, die Verkehrspolitik ist nur ein Beispiel82 •

Isensee, HBdStRs, Band V, § 111, Rdnr. 162. vgl. dazu Honig, Verhäuslichte Gewalt, S. 56 ff.; Wahl, Studien über Gewalt in Familien, passim; Kürzinger, Stichwort: Gewaltkriminalität, S. 174. Zu vergleichbaren Vollzugsdefiziten im Bereich der klassischen Wirtschaftskriminalität, deren Schadensvolumen auf zwischen 20 Mrd. - 55 Mrd. DM geschätzt wird (zum Vergleich: Der durch Diebstähle verursachte Schaden wurde im Jahre 1990 mit 3,5 Mrd. DM angegeben), vgl. Heinz, Stichwort: Wirtschaftskriminalität, S. 593. 12 vgl. dazu auch Isensee, HBdStRs, Band V, Rdnr. 108 m.w.N. 10 SI

11. Eigene Auffassung

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Diese Argumentation soll nicht dahin fUhren, daß zum Beispiel das Abhören und Überwachen von Familien, eine die Sicherheit auf den Straßen garantierende Verkehrspolitik als Verfassungsgebote postuliert werden, sie soll vielmehr aufzeigen, daß nicht jeder (politisch bedauernswerte) Mangel an individueller Sicherheit das Untermaßverbot verletzt. Es ist anerkannt, daß absolute Sicherheit nicht geschuldet ist. Ein "Restrisiko' muß hingenommen werden. 8l Das Untermaßverbot muß außerdem als ein fIlr alle Rechtsgutsträger gleicher, nur nach der Bedeutung der Rechtsgüter abgestufter Mindeststandard gelten. Dem genügt nicht, daß man konstatiert, ein Schutz sei unvollkommen, man muß ihn vielmehr als gesellschaftlich unterdurchschnittlichen Schutz identifizieren. Dies zum einen deshalb, weil das Untermaßverbot nicht lediglich Schutz realisiert, sondern zugleich zum Eingriff berechtigt. Ohne seine Koppelung an einen gesellschaftlichen Durchschnitt würde es die Auferlegung von Sonderopfern zugunsten der Allgemeinheit legitimieren. Zum anderen fungiert das Untermaßverbot - im Unterschied zu seinem Pendant, dem Übermaßverbot - als Verteilungsprinzip fIlr "Ressourcen", die dem RechtsgOterschutz zugute kommen 84 • Es hätte sonst - ein allgemeines Untermaß an Schutz vorausgesetzt - den Anspruch auf faktische Privilegierung zum Inhalt85 • Gemessen an dem Schutzstandard, den die Rechtsordnung sonst individuellen Rechtsgütern zukommen läßt, kann ein solches Untermaß im Hinblick auf die Bekämpfung organisierter Kriminalität nicht festgestellt werden. Schon aus diesem Grunde fehlt es an einer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Einführung verdeckter Ermittlungen. Darüberhinaus bestehen ernstzunehmende Zweifel an der Eignung und Erforderlichkeit des Einsatzes verdeckter Ermittier zu einer nachhaltigen Verbesserung des Rechtsgüterschutzes. Im Falle organisierter Kriminalität ist zUnächst einmal die Reichweite des dem OrgKG zugrundeliegenden Schutzkonzeptes von Bedeutung: Auch von den Verfechtern operativer Ermittlungsmethoden wird Isensee, HBdStRs, Band V, § 111, Rdnr. 106, 108. vgl. dazu Isensee, HBdStRs, Band V, § 111, Rdnr. 144. Danach unterscheiden sich die Schutzpflichten von den sozialen Rechten dadurch, daß erstere nicht zuteilen, sondern wahren. Dieser Einwand betrifft jedoch nur die nonnative Bedeutung, nicht die tatsächliche Funktion des Instituts - die auf dessen Anwendung zurückschlägt. In diesem Sinne verlangt auch Isensee, daß die begrenzten Handlungskapazitäten berücksichtigt werden. 85 Dies auch deshalb, weil individuelle Verfassungsklagen der jeweils Benachteiligten wegen der fehlenden unmittelbaren Betroffenheit der Einzelpersonen zumindest im strafrechtlichen Bereich scheitern würden. B3

84

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nicht vertreten, daß durch sie das Problem organisierter Kriminalität auch nur annähernd bewältigt werden könne. Im Gegenteil, die Erfahrungen anderer Länder, die längst über ein weiterreichendes Instrumentarium verftlgen, zeigen, daß dort ein dem hiesigen vergleichbarer Anstieg organisierter Krimialität zu verzeichnen ist 86. Streitig ist aus diesem Grunde auch nur die Eignung solcher Methoden zur Verbesserung der Verbrechensaufklärung im Einzelfall. Ist der Gewinn, der sich durch eine Maßnahme erzielen läßt, derart ungewiß, kann von einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Ergreifung dieser Maßnahme aber nicht die Rede sein. Angesichts dessen wäre es verfassungsrechtlich kaum zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber sich rur Schutzkonzepte entscheiden würde, die den Ursachen fUr das Entstehen eines bedeutenden Teils der organisierten Kriminalität, nämlich der Prohibition81 von Drogen und ProstitutionBB, durch eine sozial kontrollierte Freigabe beider in diesen (sowohl vom Individualrechtsgüterschutz als auch von den Gewinnen her besonders gravierenden) Bereichen entgegenwirken sollen und in anderen Bereichen (organisierter Autodiebstahl) auf verstärkte Schutzvorkehrungen (nicht notwendig politischer Natur) setzen. Damit soll nicht gesagt werden, daß solche Maßnahmen nun ihrerseits geeignet sind, das Problem organisierter Kriminalität endgültig zu lösen, sondern nur, daß diese Handlungsalternativen im Vergleich zu der ebenfalls begrenzten Reichweite des dem OrgKG zugrundeliegenden Schutzkonzeptes nicht als offensichtlich ungeeignet und unzulässig angesehen werden können. Die Entscheidung darüber, welches dieser Schutzkonzepte zu wählen ist, unterflUlt daher der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative. Darüber hinaus setzte eine Kollision der vorbehaltlos garantierten Rechtsweggarantie mit der unter Gesetzesvorbehalt gewährten Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 bzw. 14 GG voraus, daß das Untermaßverbot in einem den Wesensgehalt dieser Grundrechte tangierenden Ausmaß verletzt wäre. Davon kann nach dem zuvor Dargestellten nicht die Rede sein89 •

16 vgl. dazu die Ausfilhrungen von Fera, Organisierte Kriminalität in Europa, S. 67 ff. und von Greene, ebenda, S. 123, sowie die entsprechende Frage von Rupprecht, ebenda, S. 142. 17 Zur historischen Entwicklung der organisierten Kriminalität aus der Prohibition von Alkohol, vgl. Kerner, Stichwort: Organisierte Kriminalität, S. 378 Zur Entkriminalisierung des Umgangs mit Betäubungsmitteln als ein Weg, dem organisierten Verbrechen ein Feld von Gewinnmöglichkeiten zu nehmen vgl. Hassemer, KritV 1993, S. 198 ff. 11 Unter Freigabe der Prostitution verstehe ich vor allen Dingen deren zivil- und sozialrechtliche Anerkennung sowie die Streichung des § 180 a Abs. I StOB. 19 Nach den sog. absoluten Wesensgehaltstheorien setzt dies voraus, daß die Grundrechtsausübung - filr den einzelnen oder gesellschaftlich betrachtet - grundlegend

11. Eigene Auffassung

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Damit fehlt es an einer Verletzung der Schutzpflichten des Gesetzgebers und zugleich an einer die Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG legitimierenden Kollision von Verfassungsnormen: Art. 19 Abs. 4 GG verbietet grundsätzlich die Einführung heimlicher Ermittlungsmethoden, die Schutzpflichten des Gesetzgebers, etwa aus Art. 2 Abs. 2, 14 GG gebieten jedoch nicht das Gegenteil. Die herrschende Meinung bestimmt vielfach anders, wann eine - die Beschränkung eines vorbehaltlosen Grundrechts legitimierende - Kollision vorliegt. Sie fragt nicht, ob die Verletzung einer grundrechtlichen Schutzpflicht der Verletzung einer Pflicht zum Unterlassen des Eingriffs gegenübersteht. Sie leitet vielmehr aus den Schutzbereichen der Grundrechte Verfassungswerte her, die dann miteinander kollidieren90 : Aus dem Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG läßt sich das prinzipielle Verbot herleiten, verdeckt zu ermitteln, aus dem Schutzbereich der Art. 2 Abs. 2, 14 GG das prinzipielle Gebot, effektiv, d.h. (nach h.M.) auch: verdeckt zu ermitteln. Aus dieser Sicht wäre eine Kollision zu bejahen, wenn der Verfassungswert lückenloser Rechtsschutz mit dem Verfassungswert effektiver Grundrechtsschutz nicht in Einklang zu bringen ist. Die Art und Weise, wie die h.M. eine Grundrechtskollision bestimmt, setzt also voraus, daß nicht die aus der Anwendung der Verfassungsnorm als Gesamtheit resultierenden Pflichten das Verhältnis der Grundrechte zueinander regeln, sondern allein die Schutzbereiche. Art. 2 Abs. 2 GG erhält dadurch ein höheres Gewicht als er hätte, wenn man die Gesamtregelung anwendete. Umgekehrt wird Art. 19 Abs. 4 GG durch die Gegenüberstellung als eine Norm behandelt, die ebenso offen zu sein scheint, wie der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 GG. Das bedeutet, daß man Grundrechte so interpretiert, daß von vorneherein gleichermaßen zu weit gefaßte Optimierungsgebote miteinander kollidieren, deren Begrenzung dann zwangsläufig nur durch situative Gewichtung der Prinzipien (die dann identisch sind mit dem auf ihre Schutzbereiche reduzierten Grundrecht) geleistet werden kann91 •

gefiihrdet ist. Hier kommt sinngemäß nur die Beeinträchtigung in ihrer gesellschaftlichen Dimension in Betracht. Von einer solch weitgehenden Beeinträchtigung grundrechtlicher Bewegungsfreiheit kann - nach dem oben Dargestellten - jedoch nicht die Rede sein. Auch die sog. relativen Wesensgehaltstheorien führen hier zu keinem anderen Ergebnis. Sie fragen nach der Zumutbarkeit der Grundrechtsgefährdung in Relation zu der Wahrung anderer (durch die Schutzmaßnahmen tangierter) Rechtsgüter. Da die Schutzmaßnahmen rechtsstaatlich wesentliche Grundrechte beeinträchtigen - und zwar nicht nur marginal - kann auch davon nicht die Rede sein. 90 vgl. dazu z.B. BVerfGE 28, 243 ff. (261); 30, 173 ff.(193): "nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung"; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 471, m.w.N .. 91 vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff., der auf diese Weise die Gedankenschritte, die dem Vorgehen der herrschenden Meinung zugrundeliegen, aufschlüsselt.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Der Sachgehalt dieser Lehre besteht darin, Grundrechte, ohne dies nonnativ rechtfertigen zu können, als bloße Optimierungsgebote, als Werte92 zu verstehen. Vorbehaltlose Grundrechte werden dann so gelesen, als seien sie von vorneherein mit einer Schrankenklausel zugunsten anderer Verfassungswerte versehen. Ihr (nur prinzipiell)93 vorgetragener Geltungsanspruch reicht stets weiter als das, was sie - im Kontext anderer Werte - am Ende gewähren. Diese Prämisse macht die Argumentation zirkelschlüssig: Ausgangspunkt war die These, daß erst der Tatbestand einer Grundrechtskollision es rechtfertigt, daß auch vorbehaltlose Grundrechte abwägbar sind. Die Offenheit des vorbehaltlosen Grundrechts, also, daß dessen Regelungsanspruch - gemessen an der Einheit der Verfassung - "zu weit" geht, und daher insoweit nicht abwägungsfest ist, soll durch die Kollision unter Beweis gestellt werden. Zugleich hat jedoch eine Kollision, definiert durch bloßes Widerstreiten der Schutzbereiche - wie gezeigt - schon zur Prämisse, daß heide Prinzipien (sowohl Art. 2 Abs. 2 GG als auch Art. 19 Abs. 4 GG) "zu weit" gefaßt sind. Beim unter Vorbehalt gestellten Grundrecht trifft dies zu: Sein Schutzbereich ist nicht identisch mit dem Freiheitsbereich (bzw. hier: mit der Schutzpflicht), der (bzw. die) - gemessen an seiner Schrankenklausel - im Endeffekt besteht. Beim vorbehaltlosen Grundrecht sollte die Feststellung einer Kollision diese Annahme erst beweisen. Tatsächlich setzt jedoch umgekehrt die Kollision (im Verständnis der herrschenden Meinung) die Offenheit des Art. 19 Abs. 4 GG bereits voraus. Die Theorie der immanenten Schranken fUhrt hier also - wenn man ihren Anspruch ernst nimmt - zu dem Ergebnis, daß in Ennangelung einer Kollision Art. 19 Abs. 4 GG nicht eingeschränkt werden darf. c) Hilfserwägung: Auflösung der "WerteR-Kollision zugunsten der Steigerung von Sicherheit? Selbst wenn man jedoch einmal unterstellte, eine Kollision zwischen der Rechtsweggarantie und den Schutzpflichten des Gesetzgebers durch Strafverfolgung ließe sich begründen, so spräche alles dafUr, diese - nicht im Wege der Soweit Alexy jedoch seine Theorie rur alternativlos, d.h. als durch den Re~elungs­ charakter der Grundrechte im Kontext der Verfassung vorgegeben hält, kann dIes nicht geteilt werden: Immerhin enthalten die Grundrechte auch Regelungen über die Bedingungen (Mittel, Zweck usf) ihrer Einschränkung und im Schutzbereich Regelungen über die Bedingungen ihrer Anwendung: Erst nach der Exegese der gesamten Grundrechtsnorm kann gesagt werden, inwiefern sich die Schutzbereichsbestimmung als Optimierungsgebot dargestellt hat - es stehen einander aber nicht von vorne herein bloße Optimierungsgebote gegenüber. 92 gegen diese Gleichsetzung Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. 93 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 87 ff., 273 ff.

11. Eigene Auffassung

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"praktischen Konkordanz·, also des Ausgleichs beider "Verfassungswerte·, auflösbare - Kollision zugunsten der Rechtsweggarantie zu entscheiden. Dies ist zum einen deshalb, weil die Effektivität der Strafverfolgung ohnehin nur relative Sicherheit zu gewährleisten vennag: Hier geht es von vorneherein nur um das Ausmaß an Sicherheit. Ob dies durch die EinfUhrung verdeckter Ermittlungen überhaupt qualitativ gesteigert werden kann, ist angesichts der Erfahrungen anderer Länder mit solchen Ennittlungsmethoden höchst zweifelhaft94 • Dies umsomehr, als das Instrument verdeckter Ennittlungen janusköpfig ist. Die Legende verdeckter Ennittler, ihre Freistellung von Verfolgungszwang gestattet das Doppelspiel9s • Verdeckte Tätigkeit eignet sich eben sowohl zur Aufklärung wie zur Abschinnung und Unterstützung von Straftaten. Zum anderen aber deshalb, weil das ihr gegenüberstehende Rechtsgut - die lückenlose Garantie des Rechtsschutzes mit jeder Modifikation, wie dargestellt, ihre für die Rechtsstaatlichkeit grundlegende Bedeutung einbüßt. Hinzukommt jedoch ein weiterer Gesichtspunkt: Die Bedeutung der Rechtsweggarantie erschöpft sich nicht in ihrem subjektiv-rechtlichen Charakter, d.h. in der Wahrung des je bedrohten einzelnen Grundrechts (bzw. subjektiv öffentlichen Rechts). Die Rechtsweggarantie hat auch eine objektiv-rechtliche Bedeutung96 • Sie wirkt sich so aus, daß das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern generell der (tatsächlichen) Herrschaft der Gesetze unterworfen wird. Schränkt man Art. 19 Abs. 4 GG ein, werden ganze Sektoren staatlicher Tätigkeit dieser faktischen Herrschaft der Gesetze entzogen, was nichts anderes bedeutet als die partielle Preisgabe des Rechtsstaates. Den fonnellen Rechtsstaat als ein jegliche Staatsgewalt verfassendes Prinzip aufzuheben, wäre der einfache Gesetzgeber auch dann nicht befugt, wenn dadurch die Rechtsgeltung der Strafgesetze unter den Bürgern rur eben diese Bereiche wiederhergestellt werden könnte. Die Fonnprinzipien des Rechtsstaates sind daher der Erfüllung materieller Staatsaufgaben vorgeordnet. Genau dies ist gemeint, wenn betont wird, der materielle Rechtsstaat sei auf relative97 Si94 vgl. die Ergebnisse der Fachtagung Organisierte Kriminalität in Europa, im gleichnamigen Protokollband, S. 67 ff., S. 123; a.A., jedoch ohne nähere Begründung: Lammer, Verdeckte Ermittlungen, S. 38. 9S vgl. dazu z.B. die Berichte über den UCA Hans-Georg Haupt des Bundeskriminalamtes in: FR vom 14.10.1982; Der Spiegel vom 26.9.1983; Stern vom 20.02.1982; allgemein zu dem Problem: Sie/aff, Kriminalistik 1983, 417 f[; Kerner, Stichwort: Organisierte Kriminalität, S. 379 f 96 vgl. dazu auch MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. IV, Rdnrn. 10 ff.; MD-Herzog, Art. 20, Abschnitt V, Rdnr. 59; Papier, HBdStRs, Band VI, § 153, Rdnrn. 7 ff. 97 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 41; ders., HBdStRs, Band 5, Rdnr. 150.

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cherheit angelegt. Wenn darUberhinaus jedoch niemand vertritt, daß das Instrumentarium verdeckter Ermittlungen geeignet ist, dieses Ziel (der Herstellung der Rechtsgeltung unter den Bürgern) tatsächlich zu erreichen, vielmehr organisierte Kriminalität als Bedrohung individueller Sicherheit trotz dessen weiterbestehen wird, so ist eine partielle Suspendierung des Rechtsstaates schlechterdings ausgeschlossen. Auch auf der Basis der herrschenden Auffassung läßt sich deshalb eine teilweise Aufhebung der Rechtsweggarantie nicht begründen.

m. Fazit Die Ermächtigung zu heimlichem Ermitteln verletzt die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. ÜberprUtbar sind nur solche Grundrechtseingriffe durch verdeckte Ermittier, die den Betroffenen zufällig oder durch freiwillige Mitteilung bekannt werden. Die Betroffenenöffentlichkeit staatlichen Handeins gehört zu den faktischen Bedingungen des Grundrechtsgebrauches, die Art. 19 Abs. 4 GG zwingend garantiert. Ähnlich wie die Existenz von Gerichtsgebäuden und Personal setzt Art. 19 Abs. 4 GG die Betroffenenöffentlichkeit notwendig voraus. Wäre der Betroffene auf (pflichtgemäße) Benachrichtigung durch die Exekutive angewiesen, dann erhielte die Rechtsschutzgarantie fUr ihn den Charakter eines Rechtsschutzes vorbehaltlich der positiven Zulassungsentscheidung der Behörden. Dieser Eingriff in Art. 19 Abs. GG läßt sich nicht unter Berufung auf kollidierendes Verfassungsrecht legitimieren. Zum einen fehlt es an einer Kollision: Die Einfilhrung verdeckter Ermittlungen ist nicht verfassungsrechtlich zwingend geboten. Zum anderen wäre nicht eine Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG zu rechtfertigen, sondern seine Außerkraftsetzung als Gebot des lückenlosen Rechtsschutzes. Schließlich ist nicht begründbar, daß der Einsatz verdeckter Ermittier geeignet ist zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. Der Eingriff läßt sich weder durch Einfilhrung einer Benachrichtigungspflicht noch durch Richtervorbehalt "heilen": Die Benachrichtigungspflicht würde nicht die - dem Regelungsanliegen des Art. 19 Abs. 4 GG diametral zuwiderlaufende - Abhängigkeit der Bürger von der Rechtstreue der Exekutive beseitigen. Der Richtervorbehalt ersetzt, soweit er "in camera", also frei von jeglicher Beteiligung der Betroffenen stattfindet, nicht den klassischen Rechtsschutz.

I. Probleme einer InhaltsermittIung

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B. Das Rechtsstaatsprinzip Im folgenden wird zu prüfen sein, ob und mit welchem Umfang Justizgewährleistung und JustiZ'itandards rechtsstaatlich geboten sind. Erstens ist zu fragen, ob das Rechtsstaatsprinzip die Überprütbarkeit staatlicher Eingriffstätigkeit durch ein gerichtliches oder doch gerichtsähnliches Verfahren garantiert. Zweitens gilt es, den Stellenwert von "Rechtsschutz im Verfahren" zu klären, d.h. die Frage, inwieweit innerhalb gerichtlicher Verfahren - hier speziell des Strafverfahrens - der Entscheidungsprozeß selbst der Kontrolle durch die Beteiligten unterworfen sein muß. Schließlich wird zu fragen sein, ob das Rechtsstaatsprinzip Antinomien enthält, die - dann auf gleicher Ebene - die Beschränkung von Justizgewährleistung und Verfahrenspositionen rechtfertigen. So wird als Ausprägung des materiellen Rechtsstaatsprinzips sowohl die Sicherung der Bürger vor dem Staat, als auch die Sicherheit durch den Staat angesehen. Dieser Doppelaspekt des materiellen Rechtsstaatsprinzips kommt möglicherweise auch in je unterschiedlichen Anforderungen an Verfahren zum Ausdruck, sedes materiae wäre dann das formelle Rechtsstaatsprinzip.

I. Probleme einer Inhaltsermittlung Der Verfassungstext selbst schweigt über das Verhältnis von Rechtsstaat und Kontrolle, eine Textanalyse hilft daher kaum weiter: Im Wortlaut des Grundgesetzes findet sich lediglich in Art. 28 Abs. 2 GG, der die Homogenität der Verfassung des Bundes mit den Länderverfassungen vorschreibt, eine Klassifizierung der grundgesetzlichen Ordnung als demokratischer Rechtsstaat. Diese Erwähnung ist wenig aussagekräftig, zwar setzt sie voraus, daß das Grundgesetz einen Rechtsstaat gewährleistet, fraglich ist aber schon, ob Rechtsstaat nicht nur der Inbegriff bestimmter, konkreter Regelungen, (wie z.B. Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG usf.)98 ist, oder ob darüberhinaus das Prinzip einen eigenen Inhalt hat, der maßgeblich dafUr ist, ob und wie die genannten Institutionen funktionieren99, oder ob Rechtsstaatlichkeit sogar als eine eigenständige, aber unge-

98 Daß sich darin Rechtsstaatlichkeit erschöpfe, ist die These von Kunig. Das Rechtsstaatsprinzip passim, Grundsatz: S. 89 ff., Ergebnis: S. 457 ff.; ebenso Stein, Alternativkommentar zum GG, Art. 20; v. Münch-Schnapp, Art. 20, Rdnr. 21. 99 Vgl. Konrad Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 183; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 189; Stern, Staatsrecht, 2. Aufl. I. Band, § 20 11 3.

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schriebene Garantie bestimmter Rechtsprinzipien oder Regelungen angesehen werden muß IOO • Darüber, ob und in welchem Umfang Kontrolle Inhalt einer solchen Rechtsprinzipes ist, besagt der Wortlaut der Verfassung mithin nichts. Auch eine genetische Auslegung fUhrt im Falle des Rechtsstaatsprinzips zumindest unmittelbar nicht weiter, zumal sich die Verfassungsgeber zwar darüber einig waren, daß sie eine rechtsstaatliche Verfassung begründen wollten, sich aber kaum damit auseinandergesetzt haben, worin konkret deren Rechtsstaatlichkeit bestehen sollte lol • Anhaltspunkte filr eine Auslegung bietet jedoch die Begriffsgeschichte. Mit der Forderung nach Errichtung eines Rechtsstaats sind stets bestimmte, konkrete Rechtsinstitute verknüpft worden. Seine Positivierung war dabei mehr als nur eine Rezeption alter Traditionen in dem Sinne, daß man hinter der Verwirklichung rechtsstaatlicher Postulate durch vorangegangene Konstitutionen nicht zurückbleiben wollte. Vielmehr sollte ein Rechtszustand erst geschaffen werden, der über das hinausgehen sollte, was zuvor schon geltendes Recht gewesen war102 • Aus diesem Grunde ist es gerechtfertigt, an die im Schrifttum mit dem Begriff Rechtsstaat historisch gemeinten Forderungen anzuknüpfen, auch dort, wo sie sich z.B. in der Weimarer Reichsverfassung noch nicht in vollem Umfang hatten durchsetzen können. Dabei ist der Rückgriff auf Einzelgewährleistungen der Verfassung, wie Kunig ihn vorschlägt, zwar oft aufschlußreich, jedoch nicht hinreichend, um das diesen einzelnen Vorschriften zugrundeliegende funktionale System zu verstehen, also das Gesamtbild zu ermitteln, das sie erst ergeben sollen l03 •

100 MD-Herzog, Art. 20 Abschnitt 11, VII, Rdnrn. 3 ff.; Doehring, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, D I-IX; Weber-Fas, Das Grundgesetz, S. 70 ff.; MaunzZippelius, Staatsrecht, 2. Abschnitt, I. Hauptteil; Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, S. 54; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 32 (Fn. 75); Schmidt-Aßmann, HBdStRs, Band I, § 24, Rdnr. 9. 101 einzige Bemerkungen dazu: die Gleichsetzung von Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Rechtsstaatsprinzip und Rechtsschutz (Abschnitt Rechtspflege), vgl. v. Doemming / Füßlein / Matz, JöR (NF) 1 (1951), S. 200, S. 250 ff.; die Enumeration von Teilgewährleistungen im Herrenchiemseer Entwurf, (Art. 29): Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Beachtung der Grundrechte, gerichtlicher Schutz gegen Mißbrauch der Staatsgewalt und Unabhängigkeit der Gerichte, sowie die Bemerkung des Abgeordneten Laforet dazu, man wolle die Länder an bestimmte Grundbegriffe unseres Rechtsstaats binden v. Doemming / Füßlein / Matz, JöR (NF) 1 (1951), S. 246), zum Ganzen vgl. Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, S. 56 ff., 175 ff. 102 vgl. dazu Evers, Gutachten, S. 50 ff., sowie die Darstellung bei Schmidt- Aßmann, HBdStRs, Band I, § 24, Rdnrn. 10 ff. 103 vgl. dazu Thoma, JöR 1910, 196 ff. (205); Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 71 ff.; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip,

11. Kontrolle durch Verfahren

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11. Kontrolle durch Verfahren als Gewährleistungsinhalt des Rechtsstaatsprinzips 1. Die Justizgewiihrleistung

Die Pflicht zur Justizgewährleistung wird über den Schutz subjektiv öffentlicher Rechte durch Art. 19 Abs. 4 GG hinaus allgemein dem Rechtsstaatsprinzip zugeordnetl°4 • Justizgewährleistung sei die Kompensation des Rechtsstaates ftlr den Verzicht auf Selbsthilfe. Nicht zufiillig stehe der "Übergang" privater Selbstschutzbefugnisse auf den Staat und deren Umwandlung in gerichtsförmige Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht nur am Anfang der Entwicklung zur Staatlichkeit, sondern weise schon erste Elemente von Rechtsstaatlichkeit

auP os .

Diese Entwicklung findet ihre Fortführung in den ersten Texten zum Rechtsstaat. So heißt es in der berühmten Definition von Stahls: "Der Staat soll Rechtsstaat sein. Das ist die Losung und ist in Wahrheit der Entwicklungstrieb der neueren Zeit. Er soll die Bahnen und Grenzen seiner Wirksamkeit wie die freie Sphäre seiner Bürger in der Weise des Rechts genau bestimmen und unverbrüchlich sichern" 106. Historisch mußte sich - im Verhältnis zum Staat - die Forderung nach gerichtlicher Kontrolle gegenüber der Verweisung auf den Beschwerdegang an die höheren Verwaltungsbehörden erst durchsetzen l07 : Rudolf v. Gneist forderte unabhängige Verwaltungsgerichte nach der Art englischer Selbstverwaltungseinrichtungen l08 , Otto Bähr l09 betonte stärker die Notwendigkeit rechtlicher Kontrolle; für Richard Thoma llo war die Verknüpfung von Rechtsstaat und Gerichtskontrolle schon selbstverständlich.

S. 321; MD-Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdnrn. 7, 11,27; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 36; Schmidt-Aßmann, HBDStRs, Band I, § 24, Rdnrn. 70 ff. 104 BVerfGE 54, 277 (292); Thoma, JöR 1910, 196 ff.; Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 71 ff (76 f.; 81 f.); E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat, S. 589 ff.; Schmidt-Aßmann, HBdStRs, Band I, § 24, Rdnrn. 18,71 ff.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, passim; Evers, Gutachten, S. 50; MDH-SchmidtAßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 30; Klein, VVDStRL 9 (1949), 67 ff. (77 f.). 105 Schmidt-Aßmann, HBdStRs, Band I, § 24 Rdnrn. 11, 70; Hasso Hofmann, JuS 1984, 9 ff.; Lorenz, Die Rechtsschutzgarantie, S. 12 ff. 106 v. Stahl, Rechts- und Staatslehre, Band 11, S. 137 f. 107 Löning, Gerichte und VerwaItungsbehörden in Brandenburg-Preußen, VerwA 1894, 217 ff.; 437 ff.; VerwA 1895,94 ff.; 510 ff. 108 v. Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, passim und S. 192. 109 Bähr, Der Rechtsstaat. Eine publizistische Skizze, S. 269 ff. 110 Thoma, JöR 1910, 196 ff. (200 ff.).

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

So war es nur konsequent, daß in den Beratungen des Parlamentarischen Rates betont wurde, daß man das, was unter Rechtsstaat zu verstehen sei, in dem Abschnitt über die Rechtspflege demonstriert habe lll • Daher kann an der Zuordnung sowohl der allgemeinen Justizgewährleistung als auch der speziellen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zum Rechtsstaatsprinzip kein Zweifel bestehen. Daß Justizgewährleistung auch das Funktionieren des Rechtsschutzes impliziert, wurde bereits oben nachgewiesen. An dieser Stelle sei nochmals betont, daß außerdem dieser Entstehungszusammenhang daraufhin weist, daß Justizgewährleistung die Kontrollierbarkeit staatlichen HandeIns umfaßt. Die Diskussion über die Notwendigkeit des Rechtsstaates war in der Hauptsache von der Sorge um die Bändigung des Leviathans Staat geprägt, die Rechtsschutzgarantie sollte die staatliche Macht effektiv beschneiden 112 , und zwar, indem den Bürgern gewissermaßen eine Gegenrnacht eingeräumt wurde: Das Neue an dieser Sicht bestand daher darin, Rechte nicht lediglich als Reflexe staatlicher Macht zu betrachten, sondern als Macht, die dem Bürger eingeräumt war. Mittel zu diesem Zweck sind Kontrollinstanzen nur, sofern sich Staatsgewalt ihnen nicht durch die Wahl der Handlungsformen entziehen kann. Gerichtliche Kontrolle wurde dementsprechend als Instrument verstanden, das seine Wirkung "im Medium Öffentlichkeit" entfalten sollte I 13 • Ein Mangel an Publizität steht seiner so verstandenen Wirksamkeit entgegen.

2. Die Justizstandards Nicht so umstandslos läßt sich die Frage beantworten, ob und vor allem in welchem Umfang die Sicherung von Kontrolle innerhalb solcher Rechtsschutzverfahren rechtsstaatlich geboten ist. Anerkannt ist, daß bestimmte Rechtsschutzstandards - die richterliche Unabhängigkeit, der gesetzliche Richter, das rechtliche Gehör sowie der Grundsatz des fairen Verfahrens, das nemo tenetur Prinzip im Strafverfahrensrecht, die Unschuldsvermutung - in ihrer Gesamtheit den justizstaatlichen Charakter des Rechtsstaats ausmachen l14 •

111 so der Abgeordnete Heuss im Parlamentarischen Rat, Grundsatzausschuß, 11. Sitzung vom 14.10.1948, Protokolle, S. 34. 112 Sellmann, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, S. 25 ff. 1\3 Schlink, Der Staat 1973, S. 83 ff. (104 f.). 114 MD-Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdnm. 7, 27, 40; Arndt, NJW 1960, 1192; kritisch jedoch ders., Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 122 ff.; Bähr, Rechtsstaat und Strafgesetzbarkeit, S. 567; rur Art. 103 Abs. 1 GG: vgl. Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 78; MDH-Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdnr. 27; Bachof, VVDStRL 12,37 ff. (39); Pierothl Schlink, Band I, § 24, Rdnr. 70;

11. Kontrolle durch Verfahren

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Daß auch der historische Verfassungsgeber nicht davon ausging, man schaffe mit der Positivierung einzelner Verfahrensgarantien zugleich eine abschließende Regelung, daß man vielmehr von einer von ihrer ausdrücklichen Regelung unabhängigen Geltung rechtsstaatlicher Verfahrensprinzipien ausging, darauf verweist die Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. I GG. Um der Erfahrungen des Dritten Reiches willen sollte die eigentlich filr selbstverständlich erachtete Geltung dieses Grundsatzes nochmals Ausdruck finden 115. Fraglich ist jedoch, ob sich dieser Rechtsschutz im Verfahren zu einem Verfahrensstandard verdichten läßt, der dem ihm Unterworfenen die umfassende Kontrollierbarkeit der Rechtsanwendung garantiert. Die einzelnen Justi7Standards prägen - speziell bezogen auf das Strafverfahren - als funktionale Einheit das Bild eines spezifisch rechtsstaatlichen Strafverfahrens, das als Gegenbild zu seinem historischen Vorläufer, dem Inquisitionsprozeß begriffen werden muß. Die Justi7Standards beziehen ihren Regelungssinn aus dein, was sie überwinden sollten. Der Inquisitionsprozeß entwickelte sich mit dem Übergang vom privaten zum staatlichen Strafrecht. Zunächst verdrängte die Einftlhrung "qualifizierter Verfahren verbindlicher, öffentlicher Streitentscheidung"116 mehr und mehr die Befugnis zu privater Selbsthilfe - Fehde und Rache. Strafrecht wurde zunächst noch als Parteiverfahren mit Kläger und Beklagtem betrieben. Beiden kamen die gleichen Rechte zu, beiden wurde Mißtrauen entgegengebracht. Das Verfahren war im wesentlichen kontradiktorisch ausgestaltet, der Richter war Schiedsrichter 117 • Das Beweisrecht war ein streng formales; zulässig waren nur der Parteieid und das Gottesurteil (durch Zweikampf), später kam der Zeugenbeweis durch sogenannte "Eideshelfer" hinzu. Dieses Prozedere war ungeeignet zur Bekämpfung der durch die Umstrukturierung der Gesellschaft anwachsenden, teilweise aus dem Fehderecht resultierenden Kriminalität. Daher bürgerten sich seit dem 13. Jahrhundert Verfahren mit Offizial- und Instruk-

BK-Rüping, Art. 103 Abs. I Rdnm. I ff.; rur das Prinzip der Verfahrensfairneß: BVerfGE 26, 60 (71); 38, 105 (111); 63,45 (60); Rogall, SK-StPO, Rdnr. 101 vor § 133; Rüping, JZ 1983,663 ff. (665); LR-Schäfer, Ein!. Kap. 6, Rdnr. 17; zum nemotenetur-Prinzip: vg!. Bähr, Rechtsstaat und Strafgerichtsbarkeit, S. 567; ansonsten wird dieser Grundsatz eher dem Art. 1 Abs. I GG zugeschlagen, vg!. Lammer, Verdeckte Ermittlungen, S. 156 ff.; zur Unschuldsvermutung: LR-Schäfer, Ein!. Kap. 6, Rdnr. 9; Pierothl Schlink, Rdnr. 414; zurückhaltend allgemein: BVerfGE 57,250 (275 f.). l\S vg!. dazu die Darstellung bei v. Doemming I Füßlein / Matz, in: JöR (NF) I, S. 171; ebenso Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 96 f. 116 Schmidt-Aßmann, HBdStRs, Band I, § 24, Rdnr. 70. l17 vg!. dazu im einzelnen Eh. Schmidt, Geschichte der Strafrechtspflege, §§ 64 ff.; Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 49 ff. 8 Ve1tcn

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

tionsmaxime ein. Von den fonnalen Beweismethoden wurde zunehmend abgesehen zugunsten des Beweises durch Zeugen oder Geständnis (durch Folter)1I8. Der endgültigen Etablierung des staatlichen Strafinonopols in den Landfrieden des 15. Jahrhunderts folgte sehr bald der durch die constitutio criminalis Bambergensis und Carolina aus Italien rezipierte Inquisitionsprozeß. Dessen Gestalt hat sich von der Rezeption über das gemeine Recht und den aufgeklärten Absolutismus bis zu seiner Auflösung durch das moderne Strafverfahren vielfach gewandelt ll9 • Einige durchweg prägende Strukturelemente sind im hiesigen Zusammenhang von Bedeutung: Das fonnale Beweisverfahren des altdeutschen Rechtsganges wurde zugunsten gesetzlicher Beweisregeln preisgegeben. Die Verurteilung l20 setzte nunmehr den Beweis durch mindestens zwei Tatzeugen oder durch Geständnis voraus der Beweis durch Indizien kam nicht in Betracht. Daher wurde das Geständnis zur "regina probationum" und zwar das durch Folter erpreßte Geständnis. Die Folter war zulässig, wenn Indizien ftlr die Tatbegehung sprachen. Damit verlagerte sich der Verfahrensschwerpunkt in das geheime und schriftliche Vorverfahren, dessen Hauptaufgaben die Gewinnung von - die Folter gestattenden Indizien und die Herbeiftlhrung des Geständnisses waren. Den Abschluß des Inquisitionsverfahrens stellte - nach den Regeln der Carolina - der öffentliche, sog. "endliche Rechtstag" dar, der jedoch nur noch den Charakter eines Zeremoniells trug, in dem der Reproduktion des Geständnisses durch die Inquisitoren gegenüber der Aussage des die Tat womöglich später öffentlich abstreitenden Verfahrensopfers die entscheidende Beweiskraft zukam 121. Diese Beweisregel und die im Geheimverfahren zuvor geschaffenen Fakten entwerteten den nachfolgenden öffentlichen Rechtstag zur feierlichen, zum bloßen Ritus erstarrten, Präsentation des Ergebnisses. Zwar kannte auch der Inquisitionsprozeß die Berechtigung der Verteidigung. In der Theorie waren die Mitteilung der AnschuldigungsgrUnde, der Namen und Aussagen von Belastungszeugen, sogar die Befragung von Entlastungszeugen l22

118 vgl. zu dieser Entwicklung Robert v. Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, S. 20 ff.; Eb. Schmidt, Geschichte der Strafrechtspflege, §§ 41 ff. 119 vgl. dazu ausfilhrlich Eb. Schmidt, Geschichte der Strafrechtspflege, §§ 70-260; Robert v. Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, S. 29 ff. 120 Später galt diese Beschränkung nur fiIr die sog. poena ordinaria Daneben exsistierten poena extraordinaria (Verdachtsstrafe ) und das Institut der Instanzentbindung; hierzu vgl. Robert v. Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, S. 37. 121 Eb. Schmidt, Geschichte der Strafrechtspflege, §§ 104 ff.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 26 ff.; Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren, §§ 15 f.; Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 59. Dem Widerruf des Geständnisses wurde kraft Gesetzes die Wirkung abgesprochen, vgl. z.B. Art. 107 d. Bambergensis. 122 Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 51 ff.

11. Kontrolle durch Verfahren

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vorgesehen. Der Struktur des Inquisitionsprozesses war es jedoch geschuldet, daß diese Verteidigung zur bloß theoretischen Möglichkeit verkam: Die Wahrnehmung des Interesses an der Entlastung der Angeklagten war allein dem Inquisitor anvertraut. Der Inquisitor galt als neutrale Instanz, der ein Amt innehatte und es verantwortlich ausübte. Ein förmliches Recht, die Verteidigung eigenständig wahrzunehmen, wäre ihm gegenüber nicht nur überflüssig gewesen, es hätte ein Mißtrauen zum Ausdruck gebracht, das seine Stellung grundsätzlich in Frage gestellt hätte. Als Grundsätze einer materiellen Verteidigung hatten diese Regelungen daher nur die Funktion, dem Inquisitor zur Erkenntnis einer gerechten Entscheidung zu verhelfen 123. Das Verteidigungsvorbringen diente ausschließlich als Erkenntnisquelle. Kraft der Fürsorgepflicht und materiellen Verantwortung des Inquisitors kam diesem die Kompetenz zu, die mit dem Verteidigungsvorbringen verfolgten Anliegen vorab auf ihre materielle Berechtigung hin zu überprüfen. Die Erkenntnis, daß auch Schuldige Verteidigungsstrategien verfolgen, filhrte alsbald dazu, daß keiner Verteidigung mehr Gehör geschenkt wurde. Aus dem Gehör der Angeklagten wurde ihr Verhör. Weitgehend gewann man die Erkenntnisse durch bloße Würdigung des Belastungsmaterials. Wenn schon aufgrund dessen die Angeklagten als gefährlich erschienen, so durfte ihnen nicht einmal offenbart werden, worauf sich diese Überzeugung stützte. So heißt es zum Beispiel im Hexenhammer, der die Praxis der Inquisition zur Zeit der Hexenverfolgung im ausgehenden 16. Jahrhundert wiederspiegelt: "Wir verbieten jedoch die Namenbenennung gegenüber Anklägern oder Zeugen, die in einer Ketzereisache auftreten oder aussagen, wegen der Macht der Personen, gegen welche die Untersuchung gefUhrt wird .... Der umsichtige Richter sei auch bezüglich der Macht der Personen bedacht, daß sie dreifach ist, nämlich die Macht der Abstammung und Familie, die Macht des Geldes und die Macht der Bosheit, die mehr zu fUrchten ist, als die anderen beiden, weil daraus den Zeugen schwere Gefahren drohen könnten, wenn denen, gegen die sie ausgesagt haben, deren Namen bekannt gemacht würden. Es ist größere Gefahr vorhanden, die Namen der Zeugen einem armen Angezeigten bekannt zu machen, der

123 Der Hexenhammer, der die Praxis der Inquisition bis zur Rezeption wiederspiegelt, sieht vor, daß dem Inquisiten ein Advokat bestellt wird, dessen Pflicht jedoch in folgendem besteht: "Wenn er gesehen hat, daß (die Sache) eine gerechte ist, dann übernehme er sie, wenn er sie aber als ungerecht (erkennt), weise er sie von sich (Sprenger/lnstitoris, Der Hexenhammer, Teil 3, S. 66). Wenn der. Advokat "Begünstigung" des Inquisiten betreibt, d.h. Beweise erhebt, die nach der Uberzeugung des Inquisitors materiell falsch sind, droht auch ihm Bestrafung: Sprenger/lnstitoris, Der Hexenhammer, Teil 3, S. 67; vgl. dazu die Kritik von Spees, Cautio Criminalis, S. 59 ff. An dem Fehlen jeglicher Verteidigung durch den Inquisiten selbst ändert sich jedoch auch durch die Rezeption nichts.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Komplizen im Bösen hat, Rebellen und Totschläger, die nichts zu verlieren haben, denn ihre Person, als einem Vornehmen und Reichen, der an zeitlichen Gütern Überfluß hat ft • Weiter heißt es dort: "Übrigens schreiben wir im allen vor, daß sowohl die Bischöfe als auch die Inquisitoren die reine und vorsichtige Obacht haben, daß sie nicht, die Namen der Ankläger oder Zeugen unterdrükkend, sagen, es bestehe Gefahr, wo Sicherheit ist, und nicht behaupten, bei ihrer Gefiihrdung sei Sicherheit, wo eine solche Gefahr drohte; wobei sie ihre Gewissen belastenftl24 • Die Frage, wie gleichwohl die Verteidigung der Angeklagten gesichert werden könne, wird folgendermaßen beantwortet: "In dem Fall, da keine anderen Angeber vorhanden sind, noch auch öffentliche Bescholtenheit gegen die Angezeigte wirkt, dann tritt man nicht ihrer Aussage allein bei, sondern weist sie zurück ftl25 • Auch die constitutio criminalis Carolina gab dem Richter Vorsichtsmaßregeln an die Hand. Sie enthielt die Verpflichtung des Richters, Entlastungsbeweise zu erheben (Art. 47 CCC). Sie gebot die Überprüfung des in der Folter abgelegten Geständnisses. Der Verdächtige sollte nach Tatumständen befragt und diese sollten überprüft werden (Art. 48 CCC). Aber diese Schranken erwiesen sich als weitgehend wirkungslos gegenüber polizeistaatlichen Interessen, weil ihre Einhaltung ausschließlich Angelegenheit der Richter war126 • In der Zeit des aufgeklärten Absolutismus ersetzten dann selbstständige sogenannte "Lüge- und Ungehorsamsstrafen ft gegen den leugnenden oder schweigenden Angeklagten den Zwang der Folter, noch immer war das Verfahren heimlich und schriftlich 127 • Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden als Reaktion auf den als unmenschlich empfundenen Inquisitionsprozeß, dem die Aufklärung den Schein der metaphysischen Rechtfertigung 128 endgültig genommen hatte, Forderungen nach einem rechtsstaatlichen Strafverfahren laut und vor allem wirksam. Die nahezu unbegrenzte Macht, die dem Richter im Inquisitionsprozeß unter Berufung auf seine Fürsorgepflichtund durch das Verständnis seiner Position als neutrales Amt zugewachsen war, war zu nachhaltig mißbraucht worden, als daß man darin noch die Gewähr fUr eine materiell zutreffende Entscheidung hätte

124 Sprenger/lnsliloris, Hexenhammer, Teil 3, S. 62 f.; dies Verfahren hält auch noch von Spee, Cautio Criminalis, S. 66 rur zulässig. 125 ebenda, S. 70. 126 vgl. dazu Eb. Schmidt, Geschichte der Strafrechtspflege, §§ 201 ff. 127 Eb. Schmidt, Geschichte der Strafrechtspflege, §§ 70 ff., §§ 104 ff.; v. Hippel, Strafprozeßrecht, S. 22 ff.; vgl. dazu Peters, Strafprozeßrecht, 1. Aufl., S. 54 ff.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 49; so auch noch: Mittermaier, Handbuch, Band 2, S. 166 ff., S. 208 f. (1812:) 128 vgl. dazu bereits von Spee, Cautio Criminalis, S. 27 ff., S. 126 ff.

11. Kontrolle durch Verfahren

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erblicken können. Als unabdingbare Voraussetzung ftlr ein rechtsstaatliches Verfahren wurde nunmehr angesehen, daß die Verteidigung in die Hände dessen gelegt wurde, der an ihr zugleich ein Interesse hatte. Das Urteil sollte seine Legitimation daraus beziehen, daß es angesichts dieser Verteidigung begrUndet werden konnte. Man forderte daher den Anklageprozeß, dessen wesentliche Bedeutung darin bestand, Anklage und Verteidung als Parteien mit gleichen Rechten auszustatten: in rigoroser Abkehr von jedem paternalistischen Verfahrensverständnis sollte der Strafprozeß wieder kontradiktorischen Charakter erhalten 129 • Dazu mußte die Verteidigung als formelle Befugnis eingerichtet werden, rur deren Wirksamkeit folgende Bedingungen als notwendig erachtet wurden, die auch heute noch prägend rur die "Justizförmigkeit" von Verfahren sind: Man beanstandete die rechtlose Stellung des Beschuldigten und forderte für ihn eine SubjektsteIlung im Verfahren. Diese implizierte zum einen das Verbot, den Beschuldigten als Beweismittel gegen sich selbst zu "verwenden", zum anderen eine Machtstellung innerhalb des Verfahrens. Sich verantworten könne nur, wer die Freiheit und Möglichkeit habe, seine Sicht der Dinge darzustellen\3O. Darüberhinaus kämpfte man rur die Unabhängigkeit der Richter, die öffentliche und vor allem auch mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, die freie Beweiswürdigung, das Akkusationsprinzip\31 und den Grundsatz der Unmittelbarkeit 132 •

Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 67. so schon 1812: Mittermaier, Handbuch, Band 2, S. 230; ähnlich: H. A. Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 55, S. 118. Erst die Unmittelbarkeit der yerhandli:!ng verhilft dabei dem rechtlichen Gehör zu seiner Wirksamkeit: Feuerbach, Uber die Offentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Band I, S. 296; zum Vorstehenden vgl. Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 52 ff. 131 Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren, Band I, S. 421 ff.; H. A. Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 54 ff., S. 63; zum Ganzen vgl. Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 52 ff.; Bähr, Rechtsstaat und Strafgerichtsbarkeit, S.567. 132 Feuerbach, Über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Band I, passim; Welcker, Staats lexikon, Art.: Strafrechtspflege; Schulz / Welcker, Geheime Inquisition, passim; Mittermaier, Die ~ffentliche mündliche Strafrechtspflege, S. 58; ders., Die Mündlichkeit, S. 58; Bender, Uber das mündliche und öffentliche Verfahren, S. 82 f.; Gast, Die Notwendigkeit des öffentlichen und mündlichen Gerichtsverfahrens, S. 26 ff.; Savigny, Die Prinzipienfrage, S. 28; Zentner, Das Geschworenengericht, S. 473 f.; Aretin/v. Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchi!!, Band 2, S. 238. Selbst ein Monarchist wie Hegel schloß sich den Forderungen nach Offentlichkeit der Rechtspflege an (Grundlinien der Philosopie des Rechts, § 224) allerdings mit dem ihm eigenen Begriff repräsentativer Öffentlichkeit, deren Funktion er in der Unterrich~ng des Volkes über das Recht erblickte; vgl. dazu auch Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 195 ff., S. 198, der dieszutreffend als "Prinzip der Integration von oben" kennzeichnet. Bezüglich der Öffentlichkeit war indessen streitig, ob man sie z.B. in Staatsschutzange1egenheiten sollte ausschließen können. Hierfür votierte z.B. Savigny; 129

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Diesem Forderungskatalog entspricht im wesentlichen der Kanon der Teil des Rechtsstaatsprinzipes allgemein anerkannten Verfahrensgarantien: Das Prinzip der Öffentlichkeit von Strafverfahren sichert dem Angeklagten, daß die Rechtsfindung "vor Zeugen" stattfindet 133 • Das Grundrecht auf rechtliches Gehör, Art. lO3 Abs. 1 GG, räumt ihm den Einfluß auf die Willensbildung des Gerichts ein 134: Für den Angeklagten muß die Möglichkeit zur Kenntnisnahme aller dem Gericht zugänglichen Entscheidungsgrundlagen bestehen. Er muß das Recht haben, sich hierzu zu äußern und seine Äußerung muß vom Gericht beachtet werden. Daraus folgt das Verbot der Verwertung von Tatsachen, zu denen der Betroffene nicht gehört wurde. Es folgt daraus auch das Verbot von Beweisregeln, die per definitionem Argumenten die Geltung aberkennen. DarUberhinaus ist die SubjektsteIlung des Angeklagten als Verfahrensposition gesichert: Der Angeklagte muß, dies wird aus dem Gebot des fairen Verfahrens hergeleitet, Einfluß sowohl auf den Gang als auch auf das Ergebnis des Verfahrens nehmen können 13S • Dazu zählen Akteneinsichtsrecht 136, Beweisantragsrecht137, das Recht auf Verteidigung l38 und im Hauptverfahren Waffengleichheit im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft139 •

dagegen sprachen sich Mittermaier. Die MUndlichkeit, S. 354; H A. Zachariä, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, S. 326; und Jagemann, Die Offentlichkeit des Strafverfahrens;.. S. 61 ff. In die Verfassung der Paulskirche (die freilich Programm blieb), wurde die uffentlichkeit der Rechtspflege gegen anders laute~~e Anträge ohne Beschränkungen aufgenommen (vg\. hierzu Alber, Die Geschichte der Offentlichkeit, S. 144 ff. Die Forderungen nach Mündlichkeit waren der Sache nach auf Einfllhrung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit gerichtet: Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 66 f.; LR-Schäfer, Ein\. Kap. 13, Rdnr. 103 m.w.N.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 45 A. 133 vg\. dazu Feuerbach, Über die Öffentlichkeit und MUndlichkeit der Rechtspflege, Band 1, S. 159 ff.; LR-Schäfer, Ein\. Kap. 13, Rdnr. 103. 134 hierzu und zum folgenden vg\. BVerfGE 9, 95; 63, 45 ff. (59 ff.), dort weitere Rechtsprechungsnachweise; Nehm, Die Verwirklichung der Grundrechte, S. 184 f.; Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Bedeutung im Strafverfahren, passim und S. 152 ff.; BK-Rüping, Art. 103 Abs. 1, Rdnm. 23 ff.; Wassermann, AKGG, Art. 103, Rdnm. 24 ff.; Pieroth / Schlink, Rdnm. 1182 ff. m vg\. BVerfGE 63, 45 ff. (60 ff.); 65, 170 ff. (175). 136 BVerfGE 62, 338 ff.; als Konkretisierung des Rechts auf Gehör: Schäfer, NStZ 1984, 204; Taschke, Die behördliche Zurückhaltung von Beweismitteln, S. 214; als Ausfluß des fair trial-Prinzips: Wasserburg, NStZ 1981, 211; LR-Lüderssen, § 147 Rdnr. 4; Taschke, aaO., S. 216. 137 BVerfGE 50, 32 (35); 57, 250 (277); 60, 305 (310). 138 BVerfGE 63, 45 ff. (62 ff.). 139 BVerfGE 38, 105 (111); Rogall, SK-StPO, Rdnm. 106 ff. vor § 133; Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht, S. 137.

11. Kontrolle durch Verfahren

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Schließlich ist die Position des Angeklagten noch durch das - ebenfalls rechtsstaatlich fundierte 140 - "nemo teneturft-Prinzip abgesichert, das den Angeklagten nicht nur aus objektiven Gründen der Wahrheitsfindung davor bewahrt, zur Selbstbelastung gezwungen zu werden l41 . Auch dieses Prinzip sichert seine Stellung als den anderen Verfahrensbeteiligten prinzipiell gleichgestelltes Subjekt des Prozesses. Die Zusammenschau dieser Einzelgewährleistungen, zu der ihre Entstehungsgeschichte veraniaßt, ergibt das Bild des rechtsstaatlichen Strafverfahrens: Das Ergebnis des Strafverfahrens ist gerechtfertigt, weil das Verfahren dazu zwingtl42, es angesichts der Argumente des Angeklagten zu begründen 143. Der Ausgang des Strafverfahrens darf nicht allein von der Rechtstreue des Gerichts und von dessen richtiger Rechtserkenntnis abhängen. Dieses Gesamtbild des rechtsstaatlichen Strafverfahrens weist den einzelnen Garantien ihre Funktion zu: Die Öffentlichkeit von Verfahren vermag die Berücksichtigung von Gründen zu erzwingen, die vorgebracht wurden. Sie setzt deren Vortrag jedoch voraus. Soll Begründung vollständige Rechtfertigung heißen und nicht bloß scheinbare Begründung, wie sie auch bei sogenannten Schauprozessen erfolgt, so muß es dem Angeklagten möglich sein, alle gegen eine Entscheidung sprechenden Gründe vorzutragen. Gemeint sind Gründe, die gegen die Rechtsauslegung und -anwendung sprechen ebenso wie Gründe, die für die Sachverhaltsfeststellung von Bedeutung sind. Die Möglichkeit, diese Argumente vorzubringen, ist dem Angeklagten durch seine SubjektsteIlung gesichert - durch den Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf ein faires Verfahren. Im Hinblick auf die beiden ersten Gründe genügt rechtliches Gehör im Sinne eines Vortragsrechts. Gegen die Sachverhaltsfeststellung kann sowohl durch Gegenbeweis als auch durch abstrakte Einwände gegen die Beweiskraft angegangen werden. Die Möglichkeit zum Gegenbeweis setzt Beweisantragsrechte und das Recht bzw. die Möglichkeit voraus, die Kenntnisse zur Wahrnehmung des Beweisantrages 140 BVerfGE 38, 105 (113): LR-Schäfer, Ein!. Kap. 14, Rdnr. 29; zur Entwicklung des Prinzipes vg!. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 67 ff. 141 LR-Schäfer, Ein!. Kap. 14, Rdnr. 29; Hassemer, FS rur Maihofer, S. 183 ff. (203); Grünwald, StVraf 1987, 471 ff. (475); Pierothl Schlink, Rdnr. 414; Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 156 ff. 142 darunter ist allerdings nicht unwiderstehlicher Zwang zu verstehen. Genauer dazu: unten C. III., 5). 143 Daß die Beteiligung des Betroffenen die Chance rur eine Berücksichtigung seiner Interessen erhöht, ist auch die These von Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 95 ff., 115 ff. Ihm zufolge legitimiert solches Prozedere jedoch nur in dem Sinn, daß es seinen Protest absorbiert (ebenda, S. 11 ff.), indem es ihn auf die im Verfahren zulässigen Argumente zurückstutzt.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

zu erhalten, (d.h. Akteneinsichtsrechte und Aktenfilhrungspflichten). Diese Rechte sind vom Grundsatz her dem Prinzip desfairen Verfahrens zuzuordnen. Inwieweit dazu Informationspflichten der Ermittlungsbehörden erforderlich sind, die über diese Kenntnisse verfUgen, hängt von zweierlei ab: Erstens davon, ob sich die Betroffenen die notwendigen Kenntnisse selbst verschaffen können, zweitens davon, inwieweit konkrete Gegenbeweise durch abstrakte Argumentationen zur Beweiskraft ersetzt werden können. Letzteres setzt voraus, daß abstrakten Einwänden Geltungskraft zukommen kann. Daran fehlt es, wenn solche Einwände kraft einer Beweisregel keine Berücksichtigung finden dürfen, oder aber dann, wenn sie die Durchftihrbarkeit von Strafverfahren überhaupt in Frage stellen: Auch abstrakte Einwände gegen die Beweiskraft müssen auf den zu entscheidenden Einzelfall zu beziehen sein. Welche Rechte dem Angeklagten im einzelnen zustehen, damit er sein Recht auf rechtliches Gehör wahrnehmen kann, hängt demnach von der zunächst prinzipiellen Relevanz der fraglichen Informationen ftir die Entscheidung und von den Bedingungen und Möglichkeiten der Beweiswürdigung ab. In den hier diskutierten Fällen kommt es daher darauf an, welchen Einfluß das Vorverfahren auf das Urteil hat. Darüberhinaus gilt auch hier, daß der Angeklagte ftir die Wahrung seiner Interessen nicht auf die Rechtstreue bzw. Objektivität der Staatsorgane verwiesen werden darf. Nun hat jedoch das Bundesverfassungsgericht sowohl die Reproduktion der Ermittlungsergebnisse verdeckt arbeitender Beamter als auch die Kontrollierbarkeit des Ermittlungsverfahrens an eben diesen Prinzipien gemessen und ftir damit vereinbar befunden. Dieses Ergebnis wird vor allem dadurch erzielt, daß das Bundesverfassungsgericht die Geltung der Justizstandards ohne weiteres auf das Hauptverfahren beschränkt. Rechtliches Gehör und Fragerechte (Art. 6 III d MRK) sollen sich nur auf Beweiserhebung und Entscheidungsfindung im Hauptverfahren beziehen l44 • Das Akteneinsichtsrecht stellt lediglich sicher, daß der Angeklagte kein dem Richter unterlegenes Wissen hat, nicht jedoch, daß er den Gang der Ermittlungen nachvollziehen kann.

144 BVerfGE 63, 45 ff. (59 ff.); BVerfGE 57, 249 ff. (274 ff.); Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit, S. 236 ff.; Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Bedeutung im Strafverfahren, S. 174 ff.; Taschke, Die behördliche Zurückhaltung von Beweismitteln, S. 310 f.

11. Kontrolle durch Verfahren

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In heiden Fällen ist die - nicht weiter hinterfragte - Basis der Überlegungen, daß das Ennittlungsverfahren wegen seiner nur vorbereitenden Funktion rur sich genommen keine Belastung fiir den Angeklagten darstellt l4s . Diese restriktive Auslegung der JustiZ'ltandards hat also nichts damit zu tun, daß deren Sinn anwendungsunabhängig anders bestimmt wird, als hier entwikkelt. Sie resultiert vielmehr aus einer bestimmten Auffassung von der Funktionsweise des Strafprozesses als Anwendungsfall der Justizgrundrechte: Daß dem Ennittlungsverfahren lediglich vorbereitende Bedeutung zukomme, und seine Ergebnisse nur vennittelt durch Beweiserhebung und Beweiswürdigung zum Tragen kämen, legitimiert die dargestellte Auslegung. Daran zu zweifeln, daß die Bedeutung von Verfassungs grundsätzen bei ihrer Konkretisierung zu Verhaltensanforderungen im Einzelfall vom Regelungsgeenstand abhängtl46, gibt diese Rechtsprechung also keinen Anlaß. Ob die Prämisse des Bundesverfassungsgerichts zutriffi, wird unten (Teil 3) zu erörtern sein. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Ausgestaltung des Strafprozesses sub specie Rechtsstaatsprinzip einem bestimmten JustiZ'ltandard zu genügen hat. Das Verfahren muß dem einzelnen die Macht einräumen, zu erzwingen, daß die Entscheidung gegenüber seinen relevanten Gegenargumenten vollständig begründet wird. Dazu tragen im einzelnen die folgenden Justizstandards bei: Die Öffentlichkeit des Verfahrens dient der Erzeugung der Zwangswirkung. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs eröffnet das Recht zum Vortrag aller entscheidungserheblichen Gegenargumente und schließt daher Entscheidungs- und Beweisregeln aus, die zur Übernahme der Sachverhaltsdarstellung anderer Organe verpflichten l47 . Das Prinzip des fairen Verfahrens gebietet die Gewährleistung der Voraussetzungen zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs: BVerfGE 63, 45 ff. (59). so rur die Bedeutung des Justizstandards in anderem Zusammenhang (notwendige Verteidigung) auch explizit das Bundesverfassungsgericht: E 65, 170 ff (176). 147 Da das Recht auf rechtliches Gehör im Hauptverfahren (!) i.V.m. der Öffentlichkeit des Verfahrens zur Folge hat, daß nur sachliche Gründe das Urteil tragen, resultiert aus ihm prima vista nicht die Pflicht, diese Gründe bekannt zu geben. Das rechtliche Gehör macht die Verpflichtung zur Bekanntgabe also überflüssig, indem seine Existenz zwingt, die Entscheidung an den bekanntgebenen Gründen zu messen (dies gilt mithin nicht fiir nicht-öffentliche Verfahren, die Bekanntgabe der die Entscheidung tragenden Gründe ist dort Voraussetzung des rechtlichen Gehörs). Diese Zwangswirkung fehlt bei Beweisregeln: Indem sie es erlauben, die Entscheidung (offen) auf nicht mehr nachvollziehbare Gründe zu stützen, suspendieren sie zugleich das Recht auf Gehör. Soweit sich solche "Beweisregeln als Entscheidungsstrukturen nicht verhindem lassen, ist die Erstreckung des rechtlichen Gehörs auf das Verfahren geboten, in dem diese Gründe festgestellt werden. Es erhält hier die Form eines Bekanntgabeanspruches, (siehe dazu: unten, Teil 3, 11.). 145

146

ft

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Wo die Gegenargumente im Wege des Gegenbeweises veranschaulicht werden müssen, um wirksam zu sein, ist dem Angeklagten unabdingbar ein Beweisftlhrungsrecht einzuräumen l48 • Wo die Wahrnehmung dieses Beweisftlhrungsrechtes die Kenntnis von den Ergebnissen des Vorverfahrens voraussetzt, sind die Ermittlungsbehörden zu deren Bekanntgabe verpflichtet. Die SubjektsteIlung des Angeklagten erfordert zugleich, ihn so zu stellen, daß er rur die Wahrnehmung dieser Rechte nicht auf die Fürsorge des Gerichts oder der Ermittlungsbehörden angewiesen ist, sondern dazu selbst fähig ist, sie verlangt u.a. die Waffengleichheit im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft. Ob die JustiZ'ltandards gewährleistet sind, hängt daher davon ab, ob sie die beschriebenen Funktionen erfilllen. Steht damit fest, mit welchem Inhalt JustiZ'ltandards gewährleistet sind, ist nunmehr zu erörtern, ob und inwieweit solche Standards Einschränkungen unterliegen.

m. Einschränkbarkeit: Antinomien des Rechtsstaatsprinzips Die Einschränkbarkeit von Justizgewährleistung und Justizstandards wird vielfach aus Verfassungsgeboten hergeleitet, die ihrerseits eine rechtsstaatliche Wurzel haben sollen: Die "Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege" wird von einer verbreiteten Auffassung als ein Teilaspekt der Rechtsstaatlichkeit angesehen l49 • Die Pflicht zur Gewährleistung von Sicherheit und Freiheit der Bürger, die dem materiellen Rechtsstaatsprinzip entnommen wird, gebiete nicht nur den Schutz vor unrechtmäßigen Übergriffen staatlicher Organe durch Verfahren, sondern gleichermaßen den Schutz vor privater Gewalt nötigenfalls durch Strafe und also auch durch Strafverfahren. Hier kollidieren nicht etwa Aspekte des formellen mit solchen des materiellen Rechtsstaatsprinzips: Das materielle Rechtsstaatsprinzip gibt nur Auskunft über den Inhalt sowohl von staatlichen Schutzpflichten als auch von Abwehrrechten gegen den Staat I so. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um die Sicherung dieser materiellen Rechtspositionen durch Verfahren. Die Verfahren sind

148 Das bedeutet zugleich, daß dies verfassungsrechtlich unbedingt (!) gewährleistete Beweisfilhrungsrecht nicht ebenso weit reicht, wie das Beweisantra~srecht des § 244 Abs. 3 StPO. Es greift jedenfalls dort ein, wo man den Angeklagten mcht auf Einwände gegen die Beweiskraft verweisen kann. Diese Bestimmung der Reichweite läßt also Platz filr Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechte im Strafverfahren. 149 BVerfGE 19,342 (347); 20,45 (49); 33,367 (383); 34, 238 (248 f.); 38,312 (32); 77, 65 (76) dort allerdings 'mit der Einschränkung auf die Erfordernisse einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Strafrechtspflege; 80,367 (375); Vogel, NJW 1978, 1217 ff. (1218); Zeidler, 53. DJT. 1980, I, S. 23 f. ISO Zur Gegenüberstellung vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 32, Fn. 75.

III. Einschränkbarkeit: Antinomien des Rechtsstaatsprinzips

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die Fonn zur Realisierung staatlicher Aufgaben und sie haben Doppelcharakter, weil sie gegenläufige materielle Positionen zu realisieren haben. Daß die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege mit den Verfahrensgarantien in Konflikt geraten kann, die dem Schutz des der Rechtsanwendung Unterworfenen dienen, wird also mit der Janusköpfigkeit 151 fonnaler Garantien selbst begründet. Auch die auf den Schutz durch Strafe angewiesenen Bürger seien im weiteren Sinne dem Verfahren unterworfen, insofern nämlich, als ihnen selbst die Durchsetzung ihrer Rechte via Selbsthilfe versagt sej152. 1. Justizgewährleistung

Für die Einschränkbarkeit des Anspruchs auf Justizgewährleistung kann auf die AusfUhrungen zu Art. 19 Abs. 4 GG verwiesen werden. Die Suspendierung der Justizgewährleistung als Gebot eines lückenlosen Rechtsschutzes läßt sich durch das Erfordernis der nahezu unbegrenzt möglichen Effektivitätssteigerung nicht legitimieren. 2. Justizstandards

Bisher nicht geklärt ist, ob die Justizfi>nnigkeit innerhalb von Verfahren unter Berufung auf die Notwendigkeit einer Effektivitätssteigerung der Strafverfolgung zurückgenommen werden kann. Nach dem oben geschilderten Ansatz ist es die Aufgabe des Strafverfahrens (wie im übrigen der meisten Rechtserkenntnisverfahren auch) beiden Aufgaben, der Sicherheit von staatlichen Zugriffen, wie auch der Sicherheit von privater Gewalt zu dienen. Strafrechtspflege ist demzufolge Justizgewährleistung nicht nur zugunsten des Angeklagten, sondern auch zugunsten (zukünftiger) Opfer. Rechtsanwendung bedeutet dann aus der Sicht des Angeklagten das Interesse an der Verhinderung von unrechtmäßiger Strafe, aus der Sicht der potentiellen Opfer von Straftaten möglichst Bestrafung aller Täter. Die reine Verwirklichung des einen Interesses schließt die Verwirklichung des anderen Interesses aus: Will man verhindern, daß Unschuldige bestraft werden, muß man letzten Endes auf das Instrument staatlicher Strafe verzichten. Will man erreichen, daß (auch)

151 Schmidt-Aßmann, HBdStRS, Band I, § 24, Rdnm. 91 ff.; Jarass I Pieroth, Art. 20, Rdnr. 21; Achterberg, Der Staat, 8 (1969), S. 158 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 278 ff.; Hesse, Grundzüge, Rdnm. 349 f.; ders., Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 83 f. 152 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 56 ff.; Vogel, NJW 1978, 1217 ff. (1218).

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

jeder Schuldige der Strafe zugefilhrt wird, so darf es im Prinzip keine Regeln geben, die dem Schutz des Angeklagten dienen. So gesehen scheint der Ausgleich beider Interessen schlicht durch ein mehr oder weniger an Verfahrensgarantien erfolgen zu müssen, der Grad der Sicherung hinge dann schlicht vom Gewicht der Interessen ab. Die Aufgabe bestünde dann lediglich darin, Gründe filr die Bedeutung der jeweils tangierten Interessen zu finden. In diesem Zusammenhang wäre vor allem von Bedeutung, daß einander hier nicht - anders als bei der Frage, die sub specie materielles Rechtsstaatsprinzip zu beantworten ist - die Interessen von (wie auch immer definierten) Störern und Nicht-Störem, sprich: Opfern, gegenüberstehen, sondern daß es um die Verhinderung von Opfern zugunsten der Allgemeinheit einerseits und Schutz der Allgemeinheit andererseits geht. Es handelt sich also nicht um denselben Konflikt, den man bei der Kollision von Freiheitsansprüchen im Rahmen des materiellen Rechtsstaatsprinzips zu lösen hat. Strafverfahrensregeln sind nicht gegenüber "Störern" (i.w.S.), sondern gegenüber den möglichen Opfern eines Strafverfahrens zu legitimieren.

Aber der Schein, daß es lediglich um die Bestimmung des Gewichts zweier kollidierender Interessen l53 geht, trügt. Die Beantwortung der Frage, ob 1ustizstandards eingeschränkt werden können, hängt nicht davon ab, ob und inwieweit das Interesse an Freiheit vor ungerechtfertigter Strafe (in der gängigen Tenninologie: an Gerechtigkeit) dem Interesse an Rechtsgüterschutz durch Strafe (an Rechtssicherheit oder Sicherheit) weichen muß 154 • Ein Blick auf das Prozedere, zu den 1ustizstandards zwingen ISS, zeigt, daß diesbezüglich keine Kollision zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und dem Interesse der dem Verfahren Unterworfenen besteht: Der Zweck der 1ustizstandards ist es, eine Rechtfertigungslast rur Strafurteile zu begründen. Die Suspendierung von 1ustizstandards um ihres Zweckes willen ließe sich nur rechtfertigen, wenn auch die Verhängung von nicht (aus dem Gesetz) begrUndungsflihiger Strafen legitim wäre. Dem steht das materielle Strafrecht entgegen. Die Mittel, durch die dieser Zweck erreicht werden soll, schießen in einigen Fällen über das Ziel hinaus. So kann durch lange Prozeßdauer oder durch den Zwang, behördliches Wissen rur die Öffentlichkeit nachvollziehbar darzulegen, eine Verurteilung u.U. auch in solchen Fällen

so aber Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 43. zu derartigen pauschalierenden Entgegensetzungen, Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 125 ff. ISS Mit Zwang ist hier nicht unwiderstehlicher Zwang gemeint. 153

154 kritisch

III. Einschränkbarkeit: Antinomien des Rechtsstaatsprinzips

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nicht durchsetzbar sein, in denen staatliche Erkenntnisse diese gleichwohl rechtfertigen würden. Nur in diesen Fällen kann eine Kollision ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Doch gegen die Annahme einer Kollision spricht zweierlei: Erstens zwingen die Justizstandards nicht nur zur Begründung der Entscheidung im Verhältnis zum (und also: zugunsten des) Beschuldigten, sondern auch im Verhältnis zur Allgemeinheit. Sie garantieren daher Rechtsdurchsetzung nicht nur für den Beschuldigten, sie sind vielmehr Garantien für die Rechtsgeltung zwischen Staatsorganen und Bürgern überhaupt. Das durch Justizstandards etablierte Prinzip der Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen verhindert auch, daß Strafverfolgung zulasten bestimmter Opfer ohne weiteres vernachlässigt werden kann. Zweitens gleichen Justizstandards, soweit sie staatlichen Erkenntnissen, die nicht nachvollziehbar dargelegt werden können, die Geltung versagen, nur die einseitige Unterwerfung des Beschuldigten unter dies Prinzip aus: Der Beschuldigte ist ohnehin darauf angewiesen, daß er dem Gericht sein Wissen um seine Unschuld glaubhaft, d.h. nachvollziehbar darlegen kann sonst gäbe es keine Strafjustiz. Die Suspendierung von Justizstandards hat zur Folge, daß nur der Beschuldigte dieser Argumentationslast unterliegt. Justizstandards verhindern also im Verhältnis zwischen Bürger und Staat, daß Staatsorgane einseitige Herrschaft über Rechtsanwendung innehaben. Insofern dienen sie der Gegenseitigkeit der Rechtsbindung zwischen Staat und Bürger. Sie erfilllen diese Funktion, indem sie die (öffentliche) Nachvollziehbarkeit staatlicher Rechtsanwendung garantieren. Daraus folgt, daß sie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten nicht nur im Verhältnis zwischen (hier:) Angeklagtem und Staat, sondern auch im Verhältnis zwischen Allgemeinheit und Staat sichern. Sie versagen Erkenntnissen, die nicht allgemein nachvollziehbar sind, die Geltung. Diese Beschränkung ist jedoch zweiseitig. Sie betrim den Angeklagten im Strafverfahren ohnehin und ist daher kein Privileg des Angeklagten. Justizstandards stellen erst gleiche Bedingungen für die Verwirklichung beider Interessen im Strafverfahren her. Diese Funktion der Justizstandards läßt es als ausgeschlossen erscheinen, daß die Antinomien des formellen Rechtsstaatsprinzips eine Suspendierung oder Einschränkung solcher Formprinzipien erlauben oder gar gebieten. Dies soll im folgenden nochmals im Detail dargestellt werden.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

a) Asymmetrie als Folge der Freistellung von Argumentationslasten Die Justizfönnigkeit von Verfahren verhindert einseitige Unterwerfung, indem sie die Entscheidungsmacht staatlicher Organe durch den Zwang zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen inhaltlich bindet. Justizstandards kompensieren daher eine schon vom Ausgangspunkt, nämlich von der Entscheidungskompetenz her, bestehende Asymmetrie. Ihre Funktion ist es also, diese Übennacht auszugleichen. Ohne sie bestünde qua Entscheidungskompetenz die Möglichkeit, mit dem Angeklagten nach Belieben zu verfahren. Dies zeigt sich, wenn man die Mittel betrachtet, durch die Justizstandards einseitige Unterwerfung verhindern: Sie bewirken, sofern sie zwingen - wie oben dargelegt - in ihrem Zusammenspiel, daß die GrUnde, die eine Entscheidung tragen, rechtlich und tatsächlich nachvollziehbar sind. Dies durch sie zulasten der Staatsorgane begrUndete Prinzip der Nachvollziehbarkeit ist zunächst einmal ein neutrales Prinzip, insoweit es nämlich Verurteilungen verhindert, die sich sachlich und rechtlich gegenüber den Einwänden des Angeklagten nicht begründen lassen. Zwar ist es durchaus denkbar, daß solche "Gegenmacht" im Einzelfall das Gewicht einseitig zugunsten eines Interesses verschiebt. Das ist zum Beispiel immer dann der Fall, wenn staatliches Wissen zwar vorhanden ist, aber nicht nachvollziehbar dargelegt werden kann. Dies kann allerdings zulasten des Angeklagten ebenso geschehen. Das Prinzip der Nachvollziehbarkeit stellt nämlich nicht allein eine Gegenmacht des Angeklagten, vielmehr sind ihm Staatsgewalt und Angeklagter unterworfen. Es beschränkt daher die Realisierung beider Interessen gleichennaßen - und ist auch dort, wo es über das Ziel hinausschießt, neutral: Daß Entscheidungen im Strafverfahren aufgrund des in öffentlicher Hauptverhandlung angesichts aller Gegenargumente erwiesenen Sachverhaltes zu fällen sind, schließt es aus, das Urteil auf individuell bleibendes, nicht offen beweisbares, aber vorhandenes Wissen von Staatsorganen zu stützen. Wahrheit, die sich nicht zeigen und begründen läßt, bleibt wirkungslos. Diese Beschränkung auf nachvollziehbare Erkenntnisse besteht, weil andernfalls die bloße Behauptung eines Wissens Strafgewalt begründen könnte. Nichts anderes gilt jedoch ftlr den Angeklagten. Auch ihm hilft die bloße Behauptung, er wisse, daß er unschuldig sei, nicht weiter. Auch seinem individuell bleibenden Wissen ist die Geltung versagt: Denn selbst fehlerfreie Beweiswürdigung vennag nicht jede Verurteilung eines Unschuldigen zu verhindern. So kann es sein, daß es dem Angeklagten nicht gelingt, gegen eine scheinbar erdrückende Beweislage seine Unschuld nachvollziehbar zu zeigen. Das Recht zur Entscheidung impliziert das Recht, die "bloße" Behauptung des

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Angeklagten von seiner Unschuld zu mißachten, andernfalls dürften nur Geständige verurteilt werden. Wenn man also den durch Verfahrensrechte begründeten Zwang zur Verallgemeinerung von Wissen einseitig zulasten des Angeklagten aufuebt, dann gründet sich die Strafgewalt auf das Recht staatlicher Organe zur Behauptung von Erkenntnissen, die Behauptung des Gegenteils durch den Angeklagten jedoch schließt Strafgewalt nicht aus. Daß durch die Institutionalisierung von Begründungszwängen die "materielle Wahrheit" auf der Strecke bleiben kann, obwohl einzelne sie kennen, ist der Preis, den man für Rechtserkenntnisprozesse zu zahlen hat - verzichtet man beiderseits auf Begründungszwänge, dann gibt es keine Rechtserkenntnisverfahren mehr, verzichtet man einseitig auf sie, so räumt man demjenigen, den man vom Zwang freistellt, die Herrschaft über das Ergebnis ein. Daraus ergibt sich folgendes: Einschränkungen der Justizilirmigkeit von Verfahren sind nur zulässig, soweit sie sich als bloße Modifikation des Prinzips der Nachvollziehbarkeit darstellen, nicht aber, sofern sie dies Prinzip suspendieren. Als bloße Modifikation wäre es zum Beispiel anzusehen, wenn die Gewährung vorherigen rechtlichen Gehörs im Falle von höchst eiligen Maßnahmen zugunsten der Durchführbarkeit der Maßnahme durch nachträgliche Anhörung ersetzt wird. In solchen Situationen würde das Recht auf vorheriges Gehör, wenngleich es nur Ausgleichsfunktion hat, zur Unmöglichkeit der Aufgabenerfüllung 156 führen - aus Gründen, die mit der Notwendigkeit der Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen selbst nichts zu tun haben. Die Berechtigung der in Frage stehenden Eilmaßnahmen läßt sich nämlich durchaus nachvollziehbar begründen - es fehlt nur an der Zeit fürs Verfahren, nicht an der Begründbarkeit. Die Lösung solcher Fälle muß deshalb auch nicht in der Abwägung von Staatsaufgabe und dem Prinzip der Rechtfertigung von Entscheidungen gesucht werden. Hier bietet sich in der Regel die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs an, die Staatsaufgabe muß nicht im Wege einseitiger Unterwerfung erfüllt werden. In solchen Fällen läßt sich diese Modifikation von Verfahrensrechten in der Tat per Abwägung rechtfertigen, weil deren Funktion erhalten bleibt 157 •

vgl. dazu MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnm. 273 ff. AA Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 127 ff.: fiir ihn ist rechtliches Gehör zeitlich auf die konkrete Entscheidung bezogen. Die Legitimation zu dessen Einschränkung gewinnt er daher aus dem vorverfassungsrechtlichen Gesamtbild (S. 129). Die hier vertretene Auffassung ergibt sich aus der Einbettung des rechtlichen Gehörs in den Anspruch auf Justizgewährleistung. Er ist integraler Bestandteil von justiziellen Kontrollverfahren, die - wie oben dargestellt - auch nachträglich stattfinden dürfen. Richtervorbehalte sind, soweit in ihnen das rechtliche Gehör nicht verwirklicht wird, eben keine justiziellen Kontrollverfahren. 156 157

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Anders in Fällen, in denen die,Funktion der Justizstandards angetastet wird. Dürfen z.B. um der Effektivität der Strafverfolgung willen bestimmte Beweisergebnisse der Ennittlungsbehörden verwertet werden, ohne daß sich das rechtliche Gehör des Angeklagten darauf erstreckt, etwa, weil andernfalls Zeugen gefiihrdet oder Ennittlungstaktiken bekannt würden, dann bedeutet dies eine Ennächtigung zur Aufhebung des Prinzips der Nachvollziehbarkeit in bestimmten - von den Ennittlungsbehörden zu definierenden - Fällen. Um in Einzelfiillen bessere Strafverfolgungsergebnisse zu erzielen, werden die Beschränkungen staatlicher Strafverfolgungsmacht filr alle Fälle suspendiert. Der Machtausgleich, den sie ja erst herbeifilhren, wird rückgängig gemacht. Die Macht zur einseitigen Unterwerfung der vom Verfahren Betroffenen wird wiederhergestellt. Was von den Befilrwortern solcher Beschränkungen als Ausgleich zweier kollidierender Verfassungsgüter etikettiert wird, stellt sich tatsächlich als ein Verzicht auf die Wahrung eines der beiden Verfassungsgüter - nämlich das der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens - dar. Eine Beschneidung von Justizstandards, deren Folge ist, daß das Prinzip der Nachvollziehbarkeit einseitig zulasten des Angeklagten gilt, kann sich mithin nicht darauf berufen, sie löse die Antinomie zweier im Rahmen der Justizgewährleistung zu verwirklichender Interessen auf, weil sich dieses Prinzip bereits als die Auflösung dieser Antinomie darstellt. b) Das allgemeine Interesse an der Nachvollziehbarkeit von Rechtsanwendung Eine Kollision des Interesses der Allgemeinheit an effektiver Strafverfolgung mit dem Interesse des Angeklagten, bezogen auf die Verallgemeinerungsfiihigkeit der Rechtsanwendung, scheidet darüberhinaus deswegen aus, weil dieses Prinzip zugleich die Gegenseitigkeit im Verhältnis zwischen Staat und Allgemeinheit sichert. Nachvollziehbarkeit ist eine Bedingung filr die Effektivität der Strafrechtspflege. Ob Schutzpflichten wirklich durchgesetzt werden, läßt sich nur beurteilen, wenn die in ihrer Erfilllung ergehenden Entscheidungen im Verfahren gerechtfertigt werden müssen. Nachvollziehbarkeit als Mittel der Effizienzkontrolle kann nur filr verzichtbar halten, wer davon ausgeht, daß Staatsorgane der Aufgabe der Strafverfolgung stets aus eigenem Antrieb im gebotenen Umfang und in je gleichem Maße lS8 nachkommen.

151 Die Bedeutung des "gleichen Maßes" betonen, v. Gneist, Der, Rechtsstaat, S. 83 und Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 81.

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Tatsächlich existiert in vielen Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung ein berechtigtes Interesse der Opfer und der Allgemeinheit an der Kontrolle der Effizienz von Strafverfolgung. So wird von der Möglichkeit der Akteneinsicht gem. § 406 e StPO, der Strafanzeige gem. § 158 StPO und der Beschwerde gem. § 172 Abs. I StPO und der Nebenklage gem. § 395 StPO - jenseits der Problematik der Bekämpfung organisierter Kriminalität - häufig Gebrauch gemacht l59 , was in vielen Fällen nicht ohne Einfluß auf die Strafverfolgungspraxis geblieben ist l60 • All diese Kontrollbefugnisse haben zur Voraussetzung, daß in einem kontradiktorischen, öffentlichen Verfahren die Entscheidung, die Entscheidungsgrundlage und die Maßstäbe der Entscheidung transparent werden müssen l61 • Mit bloß intern bleibendem Wissen läßt sich die Nichtverurteilung ebenso unüberprüfbar "legitimieren" wie die Verurteilung. Die Einschränkung von lustizstandards beeinträchtigt mithin die Effektivität der Strafverfolgung, statt sie zu ilirdern. c) Das allgemeine Interesse am Schutz Unschuldiger durch Verfahren Darüberhinaus ist der Schutz vor Fehlverurteilungen nicht lediglich ein besonderes Interesse der jeweils Angeklagten, das dem allgemeinen Interesse an effektiver Strafverfolgung gegenübersteht, es ist vielmehr selbst ein allgemeines Interesse l62 : Das materielle Strafrecht definiert und begrenzt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung. Auch wenn die Bestrafung Unschuldiger möglicherweise generalpräventiv wirksam istI 63 , also dem Schutz vor Straftaten

vgl. dazu Heinz, Art: Anzeigeverhalten, S. 29 ff. Für die Strafverfolgung im Bereich der §§ 177, 178 StGB, vgl. Fehrmann / Junker / Warnkes, Schriftenreihe des BKA, passim. Als Beispiel ftlr öffentliche Wirksamkeit in Fällen der gegen Ausländer gerichteten Kriminalität, vgl. Der Spiegel vom 07. Juni 1993; TAZ vom 02. Juni 1993; Kölner Stadtanzeiger vom 02. Juni 1993; desgleichen TAZ vom 23.08. 1993 und vom 24.08. 159

160

1993.

Für die Strafverfolgung im Bereich der Umweltkriminalität, vgl. Kegler / Legge, Umweltschutz durch Strafjecht, passim. 161 Dieser öffentlichen Kontrolle effizienter Strafverfolgung sind insbesondere durch die Einschränkungen des Legalitätsprinzips in §§ 153 ff. StPO - die zugleich das "pleabargaining" ins Strafverfahrensrecht eingeftlhrt hat - Grenzen gesetzt worden. 162 Grünwald, JZ 1976, 767 ff. (772); Hassemer, StrafV 1982,275 ff. (278); Riehle, KJ 1980,316 ff. (320); Lammer, Verdeckte Ermittlungen, S. 45 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § I B 11. 163 vgl. dazu Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldschuldsvermutung, 2. Kap. I. 2., die dort angestellten Überlegungen sind zwar bezogen auf den Satz "nulla poena sine culpa", sie lassen sich jedoch auf schlichte Fehlverurteilungen 9 Velten

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zugute kommt, begründet diese Wirksamkeit kein schützenswertes Interesse. Daß die Nicht-Bestrafung Unschuldiger im allgemeinen Interesse liegt, wird außerdem deutlich, wenn man die Perspektive des jeweiligen Strafprozesses, in dem die Rolle des Angeklagten bereits vergeben ist, verläßt: Jeder kann einem Strafverfahren ausgesetzt sein. Das Strafverfahren tangiert daher - ex ante betrachtet - unterschiedliche Interessen desselben Subjekts. Einerseits das Interesse, vor privaten Übergriffen geschützt zu sein, andererseits das Interesse, diesen Schutz nicht durch Unterwerfung unter unkontrollierbare staatliche Befugnisse erkaufen zu müssen. Die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege setzt daher voraus, daß das Strafverfahrensrecht die Position des einzelnen im Vergleich zu einem (hypothetischen) bellum omnium contra omnes verbessert wird und sich nicht als Tausch willkürlicher Privatgewalt gegen ebenso willkürliche Staatsgewalt darstellt. Der Schutz, den der Zwang zur nachvollziehbaren Begründung von Rechtsanwendung bietet, ist daher Bedingung der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege aus der Sicht der Allgemeinheit. d) Gegenüberstellung der Folgen von Eingriffen in Justizstandards und von Defiziten bei der Strafverfolgung Lediglich hilfsweise sei dargestellt, daß auch ein Blick auf die verschiedenen Folgen einer "Einschränkungft von Verfahrenspositionen einerseits und von Effektivitätsmängeln der Strafverfolgung andererseits den Zugriff auf Justizstandards zur Effizienzsteigerung desavouiert. Wenn man das Prinzip der Nachvollziehbarkeit von Rechtserkenntnisprozessen außer Kraft setzt, dann hebt man die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten im Verhältnis zwischen Bürger und Staat auf. Daß heißt zugleich: man gibt die Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens preis, denn die Einräumung der Macht zu einseitiger Unterwerfung des Bürgers unter staatliche Strafgewalt modifiziert nicht lediglich rechtsstaatliche Erfordernisse, sondern sie hebt sie im Ergebnis auf. Einbußen oder Defizite in der Effektivität der Strafverfolgung fUhren demgegenüber nicht zur Suspendierung der Gegenseitigkeit von Pflichten und Rechten zwischen den Bürgern. Das Strafrecht erzwingt die Gegenseitigkeit der "Friedenspflicht" von Bürgern untereinander, also die Einhaltung der Strafgesetze, mittelbar - durch General- und Spezialprävention. Demgegenüber wird die

ohne weiteres erstrecken. Ähnliche Erwägungen hinsichtlich des Inquisitionsverfahrens finden sich bei Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 51.

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Gegenseitigkeit im BUrger-Staat-Verhältnis (d.h. die Unterwerfung beider unter das Gesetz) durch Verfahrensnormen unmittelbar erzwungen. Damit ist folgendes gemeint: Innerhalb von Rechtserkenntnisverfahren können Rechtsbrüche nur verhindert werden, indem sie aufgedeckt werden. Der Zwang zur Einhaltung von Gesetzen muß sich also unmittelbar im Verfahren auswirken. Dagegen wirkt sich der Zwang, der von einzelnen Strafverfahren auf die Gesetzestreue anderer Personen ausgeht, nur vermittelt, d.h. über die Quantität der Strafverfahren insgesamt aus. Die Nichtaufdeckung begangener Straftaten hat daher nicht automatisch zur Folge, daß Rechtsverletzungen Dritter nicht verhindert werden können. Dies führt dazu, daß Defizite bei der Strafverfolgung zulasten der Allgemeinheit nur bei erheblicher Kummulation zur Geltung kommen, während sich Einschränkungen justizieller Garantien in jedem Einzelfall auswirken: Die generalund spezialpräventive Wirkung des Strafrechts ist eine quantitative, aus der Mittelbarkeit dieser Wirkung ergibt sich zugleich ihre Graduierbarkeit. Die Gegenseitigkeit bürgerlicher Friedenspflichten wird durch die Nichtverfolgung einzelner Straftaten nicht suspendiert, je nach ihrem Umfang kann das Risiko, das Straftäter eingehen, gemindert, der ,,Anreiz" zu Straftaten erhöht werden. Prekär wird die Situation nur, wenn einzelne Gruppen vor der Strafverfolgung sicher sind l64 • Rechtsdurchsetzung unter Bürgern durch Strafe ist also (schon wegen der Art und Weise der Durchsetzung) Staatsaufgabe nur im Sinne eines Optimierungsgebotes. Dies stellt sich im Falle der Rechtsdurchsetzung mittels Verfahrensrechten anders dar. Jede "Nivellierung" des Rechtfertigungszwanges suspendiert die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten. Wenn die Öffentlichkeit von Verfahren eingeschränkt wird, fehlt es anjeglichem Rechtfertigungszwang angesichts eines kritischen Publikums, weil der Betroffene keine Zeugen ftlr eine mögliche öffentliche Kritik des Verfahrens hat. Wenn das rechtliche Gehör eingeschränkt oder gegenstandslos gemacht wird oder wenn Beweisregeln eingeführt werden, fehlt der Begrllndungszwang gegenüber den Argumenten des Betroffenen. Beschränkungen des Beweisantragsrechts ftlhren im Hinblick auf entscheidungserhebliche Tatsachen in aller Regel ebenfalls zum Fehlen der Begründungslast, jedenfalls soweit sie nicht im Wege der BeweiswUrdigung aufgefangen werden können.

164 Komplizierter ist schon die Beantwortung der Frage im Falle negativer Spezialprävention: Gesellschaftlich sichert Strafe hier mehr oder minder, aber das indiViduelle Opfer ist dem Zugriff des Täters entweder ausgesetzt oder eben nicht. Hier zwingt indessen bereits das materielle Straf- und Verfassungsrecht zu einer Suspendierung des Schutzes, weil Freiheitsansprüche der Straftäter kollidieren.

9*

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Auch wenn diese Rechtfertigungslast nur gegenüber einzelnen Argumenten fehlt, berührt dies die gesamte Entscheidung, weil jede nicht rechtfertigungsbedürftige Prämisse der Entscheidung diese trägt. Derartige Einschränkungen müssen sich zwar nicht in jedem Einzelfall auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken, den Zwang der Strafverfolgungsbehörden zur vollständigen Legitimation ihrer Entscheidungen suspendieren sie jedoch in jedem Einzelfall. Darüberhinaus läßt sich die Einschränkung von Verfahrensstandards ebensowenig wie die der Justizgewährleistung als solcher mit dem Argument rechtfertigen, sie komme nur ausnahmsweise, nur in wenigen Verfahren zum Tragen. Justizstandards sind (wie auch die Justizgewährleistung) schon aus Gründen der Rechtsanwendungsgleichheit lückenlos gewährleistet. Ihre Beschränkung läßt sich wegen der Allgemeinheit des Verfahrensrechts auch nicht auf wenige Sachbereiche begrenzen. Mit der Justizfönnigkeit von Verfahren wird daher ein das fonnelle Rechtsstaatsprinzip ganz wesentlich ausmachender Grundsatz völlig aufgehoben.

IV. Fazit 1. Aus dem fonnellen Rechtsstaatsprinzip lassen sich Anforderungen an die Justizfönnigkeit des Strafverfahrensrechts herleiten. Rechtliches Gehör, das Gebot eines fairen Verfahrens, die Öffentlichkeit von Strafverfahren und das nemo-tenetur-Prinzip dienen dem Zweck, die Rechtsanwendung einem Rechtfertigungszwang gegenüber dem Betroffenen zu unterwerfen. Eine Auslegung dieser Verfahrensgarantien hat sich daher einerseits an diesem Zweck andererseits an der Funktionsweise des Strafverfahrens zu orientieren. 2. Die Einschränkung dieser Verfahrenspositionen läßt sich nicht unter Berufung darauf rechtfertigen, daß das fonnelle Rechtsstaatsprinzip Antinomien birgt. Auch wenn es zutrifft, daß Strafverfahren sowohl den ihnen Unterworfenen Sicherheit vor dem Staat gewähren als auch dem Schutz vor privater Gewalt dienen sollen, so kollidieren diese verschiedenen Verfahrenszwecke jedenfalls nicht in bezug auf die Justizfönnigkeit des Verfahrens miteinander: Der Zweck, dem Justizstandards dienen, kommt als Hindernis fUr Strafverfolgungstätigkeit, d.h. zugleich als Legitimation ihrer Einschränkung, von vornherein nicht in Betracht: Daß der Schutz vor privater Gewalt als Anwendung der Strafgesetze zu rechtfertigen sein muß, ist wegen Art. 20 Abs. 3 GG selbstverständlich.

IV. Fazit

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Als Grund rur die Notwendigkeit ihrer Einschränkung kommt aber auch nicht die Erwägung in Betracht, daß das Mittel, wodurch lustizstandards diesem Zweck dienen - der Zwang nämlich, Urteile nachvollziehbar zu begründen - Verurteilungen auch dort unmöglich macht, wo staatliche Erkenntnisse zwar vorhanden sind, aber nicht nachvollziehbar dargelegt werden können. Dies zum einen deshalb, weil die Nachvollziehbarkeit der Rechtsanwendung auch im allgemeinen Interesse liegt. Indem sie öffentliche Kontrolle der Strafverfolgungstätigkeit ermöglicht, dient sie auch der Effizienz. Zum anderen deshalb, weil lustizstandards nur die Gleichheit der Erkenntnisbedingungen rur beide Seiten herstellen. Sie schreiben einen Verfahrensmodus vor, der zulasten des Angeklagten ohnehin gilt. DarUberhinaus wirkt sich eine Einschränkung von Verfahrensstandards so aus, daß der Rechtfertigungszwang von Entscheidungen rur keine Entscheidung mehr besteht. Strafverfolgungstätigkeit wäre schlechthin der Kontrolle entzogen. Demgegenüber ist die Effektivität der Strafverfolgung ein Rechtsgut, das mehr oder minder erftlllt sein kann, ohne daß dadurch zugleich die prinzipielle Wirksamkeit des Schutzes durch Strafrecht berührt würde. Das Interesse an der Nachvollziehbarkeit der Rechtsanwendung ist außerdem auch deshalb ein Allgemeininteresse, weil jeder in die Rolle des Angeklagten geraten kann. Fehlt der Schutz vor Übergriffen durch Strafverfolgungsorgane, so erweist sich die Unterwerfung der Bürger unter staatliche Strafgewalt als Tausch der Unterwerfung unter unberechenbare, willkürliche Privatgewalt gegen eine eben solche Staatsgewalt.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

c. Gesetzesbindung und Kontrolle Im folgenden soll der Nachweis erbracht werden, daß Kontrolle staatlicher Tätigkeit nicht Inhalt einzelner Verfassungsgarantien unter anderen ist, sondern das zentrale Fonnprinzip des Rechtsstaats. Es ist integraler Bestandteil des Prinzipes der Gesetzesbindung, das Art. 79 Abs. 3 GG der Kompetenz sogar des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen hat.

Wo Gesetze dem Zugriff des Staates auf Grundrechte Schranken ziehen, ertilllen sie diese Schrankenfunktion nur als durchsetzbare, sanktionierte Gesetze: Allein, daß sie erlassen wurden und vorhanden sind, genügt dem nicht. Die Kontrollierbarkeit staatlicher Tätigkeit ist unabdingbar (Art. 79 Abs. 3 GG) die Fonn, in der allein die Ertilllung staatlicher Aufgaben zulässig ist. Sie legitimiert als solche staatliche Aufgabenertilllung erst, kann daher auch nicht gegen die Notwendigkeit ihrer Erfilllung ausgespielt werden. Diese Auffassung von Gesetzesbindung widerspricht allerdings der herrschenden Meinung.

I. Die Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG durch die herrschende Meinung Die überwiegende Auffassung versteht unter Gesetzesbindung i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG zu allererst die rechtliche Verpflichtung von Exekutive und Judikative. Fehlende Nonndurchsetzung berührt Art. 20 Abs. 3 GG nicht. Demgemäß meint Rechtsstaat in erster Linie - und nur insofern uneinschränkbar - die Limitierung staatlicher Gewalt durch den Erlaß von Gesetzen. Kontrolle tritt nur ergänzend, d.h. gewährleistet durch andere Garantien, hinzu. Das Gebot lückenloser Kontrolle hat aus dieser Sicht deshalb keinen allzu hohen Stellenwert, weil das zentrale legitimatorische Prinzip des Rechtsstaates, die Gesetzesbindung, als Garantie bürgerlicher Freiheit durch rechtliche Bindung verstanden wird l6s • 165 MD-Herzog, Art. 20, Abschnitt VI, Rdnm. 35 ff., Abschnitt VII, Rdnm. 12,26; zur rechtsstaatlichen Bedeutung der Legalität, allerdings in kritischer Sicht des fonnalen Legalismus: Stern, Staatsrecht, § 20 III 1 m.w.N.; Hesse, Festschrift rur Smend, S. 74; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 113 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 165; Laufs, Festschrift rur Thieme, S. 76; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 317 ff., S. 338 und S. 341 f.; Isensee, HBdStRs, § 13, Rdnr. 126; Zur Geschichte vgl. E. W. Böckenförde, Festschrift rur Amdt, S. 54 ff.; Scheuner, Entwicklung des Rechtsstaats, S. 231 ff.; We/cker,Recht, Staat und Strafe, S. 25 ff., 101; vgl. aber Bähr, Der Rechtsstaat, S. 192 wonach Gesetzesbindung sanktioniert sein müsse; Thoma, JöR 1910, S. 196 ff., in diesem Sinne ist wohl auch Meyn, Kontrolle, S. 327, S. 341 zu verstehen.

11. Gegenauffassungen

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In diesem Sinne heißt es in der Abhörentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 166: "Die vollziehende Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden. Dies gilt selbstverständlich mit derselben Strenge auch filr die mit dem Verfassungsschutz betrauten Behörden, daran ändert sich nichts, wenn der Betroffene von den Überwachungsmaßnahmen nichts erflUut und zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahmen ein Gericht nicht anrufen kann. Dann kann aber eine Regelung, die den Rechtsweg ersetzt nicht den rechtsstaatlichen Grundsatz, daß alle Verwaltung an Gesetz und Recht gebunden ist, berühren".

11. Gegenauffassungen Nach anderer Auffassung impliziert Gesetzesbindung im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG die Kontrolle zumindest exekutivischen Handelns l67 • Zum Teil wird hierbei Kontrolle im Sinne subjektiver Rechtskontrolle, verbunden mit den traditionellen Justizstandards, verstanden 168. Bisweilen wird filr entbehrlich gehalten, daß öffentlich verhandelnde Gerichte Kontrollorgane sind l69 • Allerdings müsse die jeweilige Kontrollform - z.B. durch parlamentarische Gremien - der richterlichen funktional äquivalent sein: Die entscheidenden Organe müßten unabhängig sein, Beteiligungsrechte seien ebenso vorausgesetzt wie das Recht, das Verfahren in Gang zu setzen. Nur so sei gesichert, daß Kontrolle ubiquitär, d.h. unberechenbar, weil jederzeit möglich sei. Die Öffentlichkeit der Kontrollverfahren erscheint wegen der Zusammensetzung des Gremiums durch die Öffentlichkeit (i.S.v. Publikum) als entbehrlich. Eine engere Auffassung läßt indessen objektive Kontrollformen genügen 170, kommt also gänzlich ohne SubjektsteIlung des dem Verfahren Unterworfenen aus. Diese Verknüpfung von Gesetzesbindung mit Kontrolle wird unterschiedlich begründet.

Dort geht es zwar primär um die Frage einer Kontrolle durch die Legislative aber auch der Gerichtsschutz wird hier m.E. als Ergänzung der Gesetzesbindung bestimmt. 166 BVerfGE 30, 1 (19 ff.); ähnlich die Argumentation bei Deutsch, Die heimliche Erhebung, S. 14. 167 vgl. v. Münch-Schnapp, Art. 20, Rdnr. 24; Evers, Gutachten, S. 59; Erichsen, VerwArch 62, 219 ff.; Kirchhof, HBdStRs, Band I, § 19, Rdnr. 73; Schlink, Der Staat, 1973, S. 83 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 110 ff.; Bettermann, Grundrechte, Band III, S. 811; historisch: Bähr, Der Rechtsstaat, S. 192. 168 v. Münch-Schnapp, Art. 20, Rdnr. 24; Evers, Gutachten, S. 59; Bähr, Der Rechtsstaat, S. 192. 169 Schlink, Der Staat, 1973, S. 83 ff, (93 ff.). 170 Kirchhof, HBdStRs, Band I, § 19, Rdnr. 73.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundbigen der öffentlichen Kontrolle

Ein Teil der Autoren verweist darauf, daß andernfalls Gesetzesbindung nur auf dem Papier bestünde l71 • Schlink begründet seine Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG durch eine historische Analyse des Begriffs "Gesetzesbindungft • Stets, schon zur Zeit des Absolutismus, sei das Gesetz als faktisches Mittel der Steuerung begriffen worden, später habe das preußische Oberverwaltungsgericht aus der Verknüpfung von Bindung und Kontrolle seine Entscheidungskompetenz hergeleitet, nur zeitweilig habe man - um des Kampfes um die Herrschaft über die Gesetzgebung willen - diese Verknüpfung aus den Augen verloren. In der so entwickelten Bedeutung sei der Begriff schließlich auch vom Verfassungsgeber rezipiert worden. Inhaltlich sei zu berücksichtigen, daß - gerade am Anfang der Entwicklung - Kontrolle nicht identisch gewesen sei mit justizieller Kontrolle. Zwar müßten die Kontrollorgane unter Rückgriff auf den Beginn dieser Entwicklung bestimmt werden, den Maßstab ftlr die Funktionsbedingungen ihrer Kontrolle habe man indessen der später vorherrschenden Vorstellung von justizieller Kontrolle zu entnehmen 172 •

m. Der eigene Ansatz Im folgenden soll begründet werden, daß Art. 20 Abs. 3 GG der Bedeutung, die ihm nach einhelliger Auffassung zukommt, angesichts seines Regelungsgegenstandes nur gerecht wird, wenn man ihn (auch) als Gewährleistung faktischer Bindung versteht. Art. 20 Abs. 3 GG setzt ein Rechts- und Ptlichtverhältnis zwischen Staat und Bürgern im Sinne gegenseitig zwingender Normen voraus. Nach nie in Frage gestellter Auffassung hat das Prinzip der Gesetzesbindung die Bedeutung, die Unterwerfung der Bürger (nur) unter die - verfassungsgemäß zustandegekommenen - Gesetze zu legitimieren l73 • Dabei ist im hier interessierenden Zusammenhang entscheidend, daß das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Exekutive und Judikative eine Garantiefunktion im Außenverhältnis zwischen Staat und Bürger zu erfUllen hat. Die Bindung der Staatsorgane an das Gesetz mediatisiert auf diese Weise die Unterwerfung der Bürger: Sie stellt sich nicht als Unterwerfung unter die persönliche

171 172

v. Münch-Schnapp, Art. 20, Rdnr. 24. Schlink, Der Staat, 1973, S. 83 ff. (93 ff.).

173 Isensee, HBdStRs, Band I, § 13, Rdnr. 92; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, S. 5 ff., 85, 127 ff.; E. W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 74; Krüger, VVDStRL 15 (1957), S. 121; Starck, HBdStRs, Band 11, § 29; Rdnm. 2, 8; Karpen, Der Rechtsstaat des Grundgesetzes, S. 21; ähnlich Wittling, Die Publikation, S. 132.

III. Der eigene Ansatz

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Herrschaft von Organwaltern, sondern als Unterwerfung unter das - von den Staatsorganen nur angewendete - Gesetz dar. Die Staatsgewalt (mit Ausnahme der Legislative) steht im Verhältnis zu den Bürgern unter dem Gesetz - ebenso wie umgekehrt die Bürger auch 174. Die Gesetzesbindung legitimiert auf diese Weise sowohl staatliche Entscheidungstätigkeit (d.h. das staatliche Entscheidungsmonopol) als auch das staatliche Gewaltmonopol. Ob Gesetzesbindung in der Lesart der h.M. diese Legitimationsfunktion erftlllt, ist im Hinblick auf beide Aspekte problematisch, weil der gesetzesgebundene Staat durch diese beiden Funktionen die Rechtsordnung zugleich selbst garantiert. 1. Die Bedeutung des Art 20 Abs. 3 GG angesichts

des staatlichen Entscheidungsmonopols

Die Bedeutung der Gesetzesbindung rur das Verhältnis zwischen befehlendem Staat und diesen Befehlen verpflichteten Bürger hat Welcker folgendermaßen präzisiert: "Feste Gesetze sind in einem Rechtsstaat wesentlich, denn die Bürger wollen durch das auf Einübung beruhende Recht, nicht durch individuelles Urteil geleitet und gerichtet werden"l7S. Dies entspricht dem oben dargelegten Sinn von Gesetzesbindung: Nimmt man die Legitimationsfunktion 176 des Art. 20 Abs. 3 GG im Hinblick auf die Bürger ernst, so setzt diese voraus, daß Gesetze nicht lediglich das Innenverhältnis zwischen Staatsorgan und Gesetzgeber regeln. Sie sind vielmehr Rechtsgrund staatlichen Handeins und daher auch Schranke im Außenrechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger. Inhalt des Gesetzmäßigkeitsprinzips ist es demzufolge, daß die Bürger Gehorsam nur dem gesetzmäßigen Einzelakt schulden 177. Die Beschränkung der Gehorsamspflicht auf gesetzmäßige Einzelakte (im landläufigen Verständnis)178 ist indessen prekär: Die Rechtsordnung enthält 174 diesen Gedanken hebt insbesondere Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 75 f. hervor. Vgl. dazu aus historischer Perspektive, v. Gneist, Der Rechtsstaat, S. 83. 175 Welcker, Die letzten Grunde von Recht, Staat und Strafe, S. 101. 176 die selbstverständlich ihrerseits von den demokratischen Legitimation der Gesetze lebt; vgl. dazu vor allem Meyn, Kontrolle, S. 434. 177 vgl. dazu Thoma, in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Band I, S. 29; Isensee, HBdStRs, Band I, § 13, Rdm. 92. 178 gemeint sind Einzelakte, die dem Regelungsanspruch materieller Gesetze genügen. Man kann auch "lediglich" kompetenzgerecht erlassene Einzelakte als rechtmäßig bezeichnen, weil Kompetenznormen zu deren Erlaß gegenüber dem Bürger berechtigen.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

nicht nur Regelungen darüber, was Staatsorgane (im Verhältnis zu Bürgern) inhaltlich dürfen und was nicht, sie regelt vielmehr zugleich ihre eigene Anwendung - sie bezieht sich also auf sich selbst: Kompetenznormen erteilen Staatsorganen die Befugnis zu verbindlicher Entscheidung über Rechte und Pflichten der Bürger. Es wird zu fragen sein, welches die Bedingungen sind, unter denen Gesetze - trotz staatlicher Entscheidungskompetenz - die Rechte und Pflichten der Bürger im Außenrechtsverhältnis vorab festlegen. 2. Die Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG angesichts des staatlichen Gewaltmonopols

Die faktische Staatsgewalt ausübenden Staatsorgane garantieren die Rechtsordnung nicht nur, indem sie über deren Inhalt verbindlich entscheiden, sondern indem sie Normen unmittelbar per Zwang durchsetzen oder mittelbar dazu beitragen. Sie garantieren die faktische Wirksamkeit der Rechtsordnung. Diese Garantiefunktion bedeutet, daß die Rechtsordnung Staatsgewalt nicht lediglich zum Regelungsgegenstand hat, sondern zugleich durch sie institutionalisiert wird 179. Recht und Staatsgewalt bedingen sich gegenseitig. Diese Wechselwirkung von faktischer Macht, Zwangsgewalt und Recht ist von Bedeutung fUr die Frage, in welchem Sinne Gesetzesbindung Staatsgewalt legitimiert. Wenn Gesetzesbindung lediglich das Kriterium fUr die Unterscheidung zwischen "legitimer" und "illegitimer" Staatsgewalt in dem Sinne liefert, daß nur gesetzmäßige Staatsgewalt zugleich legitim ist, dann wird Art. 20 Abs. 3 GG eindimensional unter dem Aspekt interpretiert, daß sie Staatsgewalt zum Regelungsgegenstand hat. So als bloßer Maßstab interpretiert, verfehlt sie die konstitutive Funktion staatlicher Gewalt für eine wirksame Rechtsordnung. Man kann Art. 20 Abs. 3 GG als Legitimationsprinzip indessen auch anspruchsvoller verstehen: Staatsgewalt ist im Verhältnis zu den Bürgern legitim, weil und nicht erst, wenn sie ans Gesetz gebunden ist. Legitimation meint dann die Rechtfertigung staatlicher Macht und Zwangsgewalt durch ihre (wirksame) rechtliche Ordnung. Gegenstand der Legitimation ist dann nicht allein die jeweils gesetzeskonform ausgeübte Staatstätigkeit, sondern die Institutionalisierung staatlicher Gewalt als Mittel zur (wirksamen) Garantie der Rechtsordnung.

179 Thoma, JöR 1910, S. 196 ff.; Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 75, Habermas, Faktizität und Geltung, S. 79 ff.

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IV. Staatsgewalt als Entscheidungsmonopol

Dieser Legitimationsbegriff wird allein der Garantiefunktion, die monopolisierte Staatsgewalt filr das Gesetz zu erfUllen hat, gerecht: Die faktische Garantie von Normen durch Staatsgewalt macht Normen erst zur Rechtsordnung - die Bedingung ihrer Qualifikation als Rechts- (nicht als Gewalt-)ordnung ist mithin die tatsächliche Unterwerfung des Garanten unter das Gesetz: Die konstitutive Bedeutung der Macht zur gewaltsamen Durchsetzung von Normen gilt nicht nur einseitig im Verhältnis zwischen Staat und Bürger, sondern wechselseitig. Daß diesem umfassenden Legitimationsanspruch des Art. 20 Abs. 3 GG der bloße Erlaß von verpflichtenden Gesetzen ohne deren Kontrolle nicht genügt, soll unten (V.), dargelegt werden.

IV. Staatsgewalt als Entscheidungsmonopol - Zur Notwendigkeit von Justizstandards 1. Entscheidungsmonopol und Schrankenfunktion von Gesetzen

Die Bürger sind nicht allein dem Gewaltmonopol, sondern auch staatlichem Entscheidungsmonopol unterworfen l80 • Soweit staatliche Gewalt Ausübung des Entscheidungsmonopols ist, begründet sie Gehorsamspjlichten der Bürger. Rechts- und bestandskräftige Entscheidungen begründen Handlungs- und Duldungspflichten, sie dürfen vollzogen werden. Dies Entscheidungsmonopol bedarf der Legitimation durch Gesetzesbindung und es ist zu fragen, welches die Bedingungen seiner Legitimation sind. Bei diesen Bedingungen kann es sich stets nur um Anforderungen an das jeweilige Erkenntnisverfahren handeln. Die Zulässigkeit des Informationsverhaltens der Ermittlungsbehörden hängt davon ab, welches gern. Art. 20 Abs. 3 GG die Bedingungen der Legitimation (sprich: der Zulässigkeit) von Erkenntnisverfahren sind, konkret: davon, welche Verfahrenspositionen den Betroffenen im Hinblick auf die Kontrolle des Erkenntnisprozesses von Verfassungs wegen zustehen. Die Bedeutung des Entscheidungsmonopoles besteht zunächst also darin, daß die Bürger staatlicher Gewalt nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich untergeordnet sind. Diese Unterordnung bedeutet aber zugleich, und darin besteht die Problematik staatlicher Rechtserkenntniskompetenz, daß die "Gehorsamspflicht der Bürger unter Umständen weitergeht als sie nach dem Inhalt genereller Normen ft

110

Isensee, HbdStRs, Band 1., § 13 Rdnr. 92.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

gehen soll: Auch, wenn bestands- oder rechtskräftige Entscheidungen auf fehlerhafter Rechts- oder Tatsachenerkenntnis beruhen, müssen die Bürger ihnen Folge leisten. Der Vollzug solcher Entscheidungen ist nicht Gewalt, wie etwa der "Befehl des Straßenräubers·, sondern Rechtsvollzug - ennächtigt durch inhaltslose Kompetenznonnen l81 • Die Rechts- und PflichtensteIlung der Bür181 Wenn z.B. eine rechtswidrige, aber rechtskräftige Strafe vollstreckt wird, ist dies keine Freiheitsberaubung. Die Vollstreckung dar/vielmehr stattfinden: So bestimmen es die allgemeinen Normen, die die Vollstreckung regeln und daher ist auch der rechtskräftig Verurteilte rechtlich verpflichtet, die Strafe hinzunehmen. Es ist nämlich unstr~itig, daß die jedes Notwehrrecht ausschließende Duldungspflicht nicht durch ihre Ubereinstimmung mit dem materiellen Strafrecht begründet und begrenzt wird, sondern nur durch das kompetenzgerecht erlassene, rechtskräftige Urteil. Daher verweigert auch die herrschende Meinung dem rechtswidrig, aber rechtskräftig Verurteilten den Widerstand gegen die Vollstreckung (so die h.M.: Sch / Sch / Lenckner, § 34 Rdnr. 11; OLG Kiel SJZ 1947, Sp. 323 (329); Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 281 ff.; Schumann, Fehlurteil .und Rechtskraft, S. 290; K. Peters, Strafprozeß, § 54 11 1 b) L; Roxin, Strafverfahrensrecht, S. 339; Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, passim, insbes. S. 296; Isensee, HBdStRs, § 13, Rdnrn. 65,92; Sch / Sch / Eser, § 120, Rdnr. 16: Schon die formelle Ordnungsmäßigkeit der Gewahrsamsbegrilndung solle die Berufung auf § 32 StGB ausschließen; enger: Beling, Grenzlinien zwischen Recht und Unrecht, S. 32 ff.; Sax, ZZP 67, 30 ff (36 ff.); Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil I, Rdnr. 285 f.; die im Ergebnis vielfach zwar von der Rechtswidrigkeit der Vollstreckung ausgehen, jedoch dagegen keine oder nur eine, keine Individualrechtsgüter betreffende Notwehr zulassen. Vom Grade der Rechtsverletzung will Spendet, LK § 32, Rdnrn. 108 ff. die (Notwehr ausschließende) Pflicht zur Duldung von Vollstreckungen aufgrund rechtswidrig ergangener Urteile abhängig machen). Selbst wenn man dem unrechtmäßig, rechtskräftig Verurteilten ein Notwehrrecht zubilligte, unterläge seine Strafbarkeit indessen widerum der Beurteilung durch die Strafgerichte! Würde das materielle Recht die Strafvollstrekkung verbieten, so müßte im Ergebnis das diesem Gesetz widersprechende Urteil nichtig sein, der von der (unrechtmäßigen) Vollstreckung Betroffene dürfte nicht verpflichtet sein, diese hinzunehmen. Was der eine hinnehmen muß, das dar/der andere ihm antun (a.A. Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Rdnr. 286). Die mittlerweile herrschende Auffassung zur Lehre der Rechtskraft versucht das Problem in der Weise zu lösen, daß sie unterscheidet zwischen den Pflichten, die das Urteil begrilndet und den Pflichten, die sich aus den generellen Normen rur den Bürger ergeben: Das Primärrecht bleibe durch die (prozeßrechtliche) Pflicht, den rechtswidrigen Vollzug zu dulden und nicht mehr neu zu klagen, unberilhrt. Dies soll sich aus der inhaltlichen Diffe~nz beider Pflichten ergeben. Die Leistungspflicht, also die primäre Pflicht, sei Z.B. auf Ubereignung des geschuldeten Gegenstandes gerichtet, die durch das Urteil begrilndete Pflicht dagegen auf Duldung der Zwangsvollstreckung. Widersprechen können sich wegen dieser inhaltlichen Differenz diese Pflichten nie; die materielle Rechtslage wird so durch die Pflicht zur Duldung der Vollstreckung nicht in Frage gestellt. Abgesehen davon, daß sich eine solche Differenz im zuvor erörterten Fall der Bestrafung des rechtskräfti~ Verurteilten nicht ausmachen läßt, ist diese h.M. inkonsequent in ihrer Betrachtungsweise: Sie reduziert die Bedeutung der Rechtskraft auf ihre handfesten Rechtsfolgen, obwohl ja im Urteil eine echte Leistungspflicht tenoriert ist. Dies Ergebnis ist einer Betrachtungsweise geschuldet, die rur die Rechtsordnung im übrigen abgelehnt wird. Nimmt man die Rechtsordnung im übrigen genausowenig beim Wort, sondern interpretiert z.B. Leistungsrechte als Möglichkeit, die Leistung zu erzwingen, löst also die im materiellen Recht ausgesprochenen Pflichten in ihre handfesten Rechtsfolgen auf, so regeln nämlich materiellrechtliche Leistungspflichten und rechtskräftige Leistungstitel dasselbe. Das Primärrecht (der Leistungsanspruch) reduziert sich dann auf die Möglichkeit, ein Gericht anzurufen und die Vollstreckung, bzw. Erzwingung des Rechts zu bewirken. Bei konsequenter Betrach-

IV. Staatsgewalt als Entscheidungsmonopol

141

ger ist im Ergebnis durch inhaltliche - fonnelle und materielle - Regelungen nicht 182 vorherbestimmt. De jure 183 läßt sich nicht vorhersagen, wo die Grenzen staatlicher Befugnisse verlaufen. Dank der Kompetenzregelungen stellen inhaltliche Gesetze jedenfalls in dem Sinne keine Schranken fUr den berechtigten Zugriff des Staates auf die Sphäre der Bürger dar, daß sich Rechte und Pflichten der Bürger nur im vom Gesetz bestimmten Umfang begrUnden lassen:

tungsweise würde also deutlich, daß die rechtskräftige Entscheidung genau dieselben Rechte und Pflichten begründet, wie das materielle Recht auch. Eine über den Regelungsgehalt der Entscheidung hinausgehende Rechtslage existiert nicht, wenn man die Rechtsordnung einheitlich unter dem Aspekt der von ihr angeordneten Rechtsfolgen betrachtet. Jeder Einwand gegen die Verpflichtungskraft des Urteils erweist sich zugleich als Einwand gegen die Verpflichtungskraft der generellen Inhaltsnorm. Nichts anderes ergibt sich bei umgekehrter, aber ebenfalls konsequenter (einheitlicher) Sichtweise: Nimmt man den Geltungsanspruch des materiellen Rechts, ein Recht einzuräumen oder zu verweigern ernst, muß man gleichermaßen den (schließlich ermächtigten) GeItungsanspruch des Urteils ernst nehmen. Dann begründet das Urteil eine Leistungspflicht, die im materiellen Recht nicht vorgesehen war. Die Bedeutung der Rechtskraft besteht also darin, daß sie die Rechtsfolgen bzw. -wirkungen des primären Rechts erzeugt, ohne allerdings an dessen Voraussetzungen gebunden zu sein. Die Befugnis zu rechtskräftiger Entscheidung ist mithin die gesetzliche Ermächtigung in einem bestimmten Fall das jeweilige primäre Recht selbst zu erzeugen ( - nicht zu derogieren, wie die frühere Ansicht annahm). Auch aus dieser Sicht bestimmt nicht das materielle Recht die zwischen zwei Subjekten gültige Rechtslage. 182 Es ist auch nicht so, daß die generellen Inhaltsnormen in denjenigen Fällen, in denen rechtmäßig entschieden wird, daß Ergebnis bestimmt haben: Daß im Ergebnis nur ausnahmsweise Pflichten des Bürgers unter Verstoß gegen das materielle Gesetz festgelegt werden, ist der drohenden Sanktionierung des Gesetzes (i.w.S.), nicht dem Gesetzesinhalt geschuldet. Die rechtmäßige Entscheidung bestimmt die Pflichten des Bürgers dann zwar im Einklang mit dem materiellen Gesetzen. Aber diese Pflichten gelten nicht deshalb speziell mit diesem gesetzeskonformen Inhalt, weil das Urteil (um verbindlich zu sein) mit dem Gesetz übereinstimmen muß, sondem sie gelten, weil der Richter das Gesetz befolgen will mit diesem Inhalt. Rechtliche Verbindlichkeit der Inhaltsnorm setzt voraus, daß die Norm condicio per quam - Grund und Grenze - des Eingriffs ist, nicht bloß - psychisch vermittelte - condicio sine qua non. Somit ergeben sich Rechte und Pflichten im Bürger-Staat-Verhältnis auch dann nicht aus dem Gesetz, wenn ge setzeskonform entschieden wurde. Denn: wäre der Richter nicht aufgrund "psychischen Zwangs· der Norm gefolgt, die (rechtswidrige) Pflichtbestimmung wäre wirksam gewesen. Schließlich läßt sich auch nicht argumentieren, die Rechtslage ergebe sich solange aus dem Gesetz, bis eine rechtskräftige Entscheidung erfolge. Eine solche Annahme setzte voraus, daß die Geltung schrankenziehender Normen durch den Erlaß eines Urteils auflösend bedingt ist. Allerdings kann dann vor Verfahrensende niemals gesagt werden, ob diese Bedingung eintreffen wird oder nicht. Oe jure - und das allein ist maßgeblich kann jedes exekutivische Handeln Gegenstand richterlicher Entscheidung werden. Die generellen Normen sagen nichts darüber aus, filr welche ex ante bestimmbaren Fälle sie im Ergebnis gelten werden und filr welche nicht. Wo Normen Schranken staatlichen Handeins bestimmen sollen, müssen sie Rechte und Pflichten des Bürgers aber vor jedem Verfahren regeln: Sofern eine zeitlich begrenzte Rechtsgeltung nicht - vorhersagbar - die Pflichten des Bürgers festlegt, genügt sie diesem Anspruch nicht. 183 zum Unterschied von faktischer und normativer Schrankenfunktion vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 215 ff.; Jörn Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit, S. 156 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 178; Hoerster, JuS 1987, 181 ff.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Rechtliches (!) Können der Staatsorgane ist durch das, was sie rechtlich dürfen nicht begrenzt.

Gleichwohl läßt sich durch Gesetze dirigieren, unter welchen Voraussetzungen Bürgern Rechtspflichten auferlegt werden. Die Ausübung von Entscheidungskompetenzen ist durch zahlreiche prozedurale Vorkehrungen - durch die Anfechtbarkeit von Entscheidungen, durch die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen, durch die Garantie des rechtlichen Gehörs, durch Beweisantragsrechte - zur Orientierung an materiell-rechtlichen Regelungen gehalten. Kurz: Das formelle Recht verhilft dem materiellen Recht zur Wirksamkeit. Diese Vollzugsgarantien limitieren (und legitimieren dadurch) das Entscheidungsmonopol des Staates, indem sie - die rechtlich im Verhältnis zum Bürger nicht begrenzte Entscheidungskompetenz der (faktischen) Bindung an die Gesetze unterwerfen und auf diese Weise der rechtlichen Unterordnung der Bürgerfaktisch Grenzen setzen. Damit erhält der Satz, die Gehorsamspflicht des Bürgers sei die Pflicht, dem gesetzmäßigen Einzelakt Folge zu leisten 184 , Sinn. Die Frage, wie staatlichem Handeln trotz seiner Befugnis zur Rechtserkenntnis durch Gesetze Schranken gezogen werden können, ist mittlerweile aus der Diskussion (nahezu) verschwunden. Dieser Mangel an Problembewußtsein beruht darauf, daß Gesetzesbindung heute im Wesentlichen schlicht praktiziert wird. Doch die - insbesondere in der Staatslehre des Konstitutionalismus geftlhrten Diskussionen um die Konstruktion des an seine eigenen Gesetze gebundenen und dennoch entscheidungsbefugten Staates geben Aufschluß über den (filr die Frage, worin Rechtsstaatlichkeit besteht, grundlegenden) Konflikt zwischen Unterordnung des Staates unter das Gesetz einerseits und seiner Rechtsfrieden stiftenden Funktion andererseits. Sie zeigen auch, warum unter Rechtsstaat historisch stets der Rechtswege-Staat verstanden worden ist 185 • Zunächst sollen daher in aller Kürze einige wesentliche - heute noch relevante - Gedankengänge dieser Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Letztentscheidungskompetenz und Gesetzesunterworfenheit nachgezeichnet werden (2. und 3.). Schließlich wird dargelegt, zu welchen Konsequenzen die oben dargelegten Erkenntnisse fUhren (4.).

Isensee, HBdStRs, § 13, Rdnr. 92. Bähr, der Rechtsstaat, S. 192; v. Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte, S. 269 ff. mit der Einschränkung, daß er eine Verwaltungsjurisdiktion einfUhren wollte, Thoma, JöR 1910, 196 fI. Später pointiert bei Jahrreiß, Verhandlungen des 37. DJT's, S. 34; F. Klein, VVDStRL 9 (1949), S. 78. 184

185 vgl.

IV. Staatsgewalt als Entscheidungsmonopol

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2. Die Geschichte der Unterwerfung des Staates unter Gesetze - Die Entwicklung zum Rechtsstaat

Die Staatstheoretiker des Absolutismus vertraten mehrheitlich die These, ein Gewalt- bzw. Entscheidungsmonopol des Staates schließe die gleichzeitige Unterwerfung des Staates unter Gesetz oder Naturrecht aus. Diese These ist mit dem Erstarken rechtsstaatlicher Tendenzen in Frage gestellt worden. a) Die Staatslehre des Absolutismus Die prominenten Vertreter der absolutistischen Lehre hielten Souveränität und rechtliche Bindung filr unvereinbar: Jede Verpflichtung des Staates auf Recht oder Gesetz - auch auf sein eigenes Gesetz - beseitige die Stellung des Staates als Träger und Garant der Rechtsordnung. Nur als solcher könne er den "status civilis" herstellen l86 . Souveränität sei unteilbare, nicht weiter abgeleitete Staatsgewalt. Als ,jus ad omnes" schließe sie Rechtspositionen anderer prinzipiell aus 187. Diese These von der Unteilbarkeit der Staatsgewalt wurde in zwei Richtungen konkretisiert. Sowohl die Gewaltenteilung, d.h. die faktische Begrenzung von Staatsgewalt (aa), als auch die rechtliche Begrenzung des Staates durch seine Unterordnung unter Gesetze (bb) hielt man für ausgeschlossen. aa) Gewaltenteilung Soweit behauptet wurde, die faktische Bindung des Staates an Gesetze sei ein Ding der Unmöglichkeit 188 , ist diese Auffassung schlicht durch ihre Realisierung widerlegtl89 und ihres ausschließlich apologetischen Charakters überBodin, Six livres de la republique, 1. I. ch. VIII; Hobbes, Leviathan, cp. 17 tr. vgl. hierzu auch Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunfllhigkeit, S. 23 ff. 188 Hobbes, de cive XII 5; ders. Leviathan, cp. 17, 19; ähnlich Bodin, Six livres de la republique, 1. I. ch., S. 212; vgl. hierzu auch die Kritik von Gierke, Genossenschaftsrecht, Band 4, S. 418 ff., sowie Hofmann, Die Entstehung des modemen souveränen Staates, S. 15 ff. 189 Auch theoretisch läßt sich zeigen, warum die Auffassung, ein gewaltenteiliger Staat bedeute Aufgabe der Staatlichkeit, nicht zutrifft. Souveränität, unteilbare Staatsgewalt, wurde nicht ideell - als geistige Einheit -, sondern materiell gedacht: Der materielle Träger der Souveränität mußte eine Einheit sein. So wurde Staatsgewalt personifiziert: Ihr Träger konnte nur eine Person, bestenfalls eine kollektive Person mit einem realeinheitlichen Willen sein. Diese Hypostasierung des Souveräns wurde bildhaft begründet: Man müsse sich den Staat wie eine monströse Person vorstellen. Sie habe eine Seele die einen Willen trage - und Glieder, die ihr gehorchten. Dem fiktiven, einheitlichen 186

187

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

führt. Gewaltenteilung, so nahm man an, widerspreche der Einheit, Unteilbarkeit - sprich: der Absolutheit - staatlicher Gewalt. Eine von verschiedenen Personen und Gewalten getragene Entscheidungseinheit kann indes - ohne daß man die Prämisse, der Staat garantiere den "status civilis ft gegen den "bellum omnium contra omnes ft aufgeben müßte - Träger und Garant der Rechtsordnung sein. bb) Entscheidungseinheit: Norm und Einzelakt Wirkliche Probleme bereitet demgegenüber die Beantwortung der Frage, ob der Staat als Entscheidungseinheit Rechten des Bürgers unterworfen sein kann, ohne seiner Funktion als Träger und Garant der Rechtsordnung verlustig zu gehen. Diese Frage wurde von der absolutistischen Staatslehre desgleichen verneint: Unterschiedliche Autoritäten nebeneinander, nämlich zum einen das Gesetz, zum anderen der Staat bzw. seine Organe, bezüglich eines Entscheidungsgegenstandes seien ausgeschlossen. Gäbe es eine solche Konstellation, seien Staat und Gesetz beide keine Autoritäten mehr. Der Staat als Träger der Rechtsordnung müsse daher einzige Autorität sein. Dies wurde folgendermaßen begründet: Der Staat garantiere den status civilis, er habe die Gewalt und die Kompetenz, einen jeden Streit zu entscheiden, monopolisiert. Ein Streitfall müsse einheitlich entschieden werden, d.h. es. dürfe keine einander widersprechenden Entscheidungen bezüglich dieses Falles geben, andernfalls existierten (bildlich gesprochen) zwei Herren, denen gefolgt werden müsse. Es gehe daher nicht an, daß zugleich die staatliche Einzelfallentschei-

Willen der Person müsse ein einheitlicher Staatswille entsprechen. Diese Inkarnation des Gewaltrnonopols schließt Gewaltenteilung aus. Der Rechtsweg gegen Akte dieses Souveräns war ausgeschlossen, weil sie einer anderen Person, dem Richter, Entscheidungsbefugnisse einräumt - sie teilt damit Souveränität auf Diese Auffassung leidet darunter, daß sie (ohne daß dies notwendig wäre) schon existierende Einheit als Voraussetzung filr Staatlichkeit behauptet. Dann können Träger der Souveränität allerdings nur solche Rechtssubjekte sein, die schon von ihrer rechtlichen Verfassung individuell oder kollektiv eine Einheit sind. Tatsächlich ist Staatlichkeit nicht ausgeschlossen, wenn u.U. auch uneinheitlich agierende SubjektejUreine Einheit, den Staat, handeln. Schließlich kommt es - auch nach absolutistischen Prämissen - nicht auf die inhaltliche Stimmigkeit, die Widerspruchslosigkeit verschiedener Entscheidungen, sondern vor allem darauf an, daß feststeht, welcher dieser Entscheidungen jeweils Folge zu leisten ist. Judikative und Exekutive können so als Teile eines ideell verstandenen Souverän begriffen werden. StaatIichkeit kann daher Einheit stiften, indem die Zurechnung einer Handlung zum Staat das Gemeinsame verschiedener Entscheidungen herstellt. Dann begründet Souveränität nicht, daß die entscheidenden Personen einen einhaltlichen physischen Willen haben, sondern, daß sie als Staatsorgane tätig sind.

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dung und die gesetzliche Regelung eines Streitfalles Gültigkeit beanspruchten. In diesem Falle könne der Staat nicht mehr den status civilis garantieren. Seiner Entscheidung könne stets entgegengehalten werden, sie verstoße gegen das Gesetz. Bezüglich der Frage, wem von beiden Herren (dem Gesetz oder dem Staat) zu folgen sei, gäbe es dann keine Streitentscheidungskompetenz, sondern Streit. Dies sei im Ergebnis nicht anders, wenn das Recht dem Souverän vorausgesetzt sei, also im Falle der "Rechtssouveränität": Es gebe dann zwar einen Herren (nämlich das Gesetz), aber der entscheide nichts. Weil kein Richter zur Entscheidung des Streitfalles existiere, laufe "alles wieder auf das Schwert hinaus und jedermann erhält wieder das Recht, sich durch eigene Kraft zu schützen". Denn wenn das Recht "entscheidet", kann jeder fUr sich reklamieren, im Recht zu sein. Der Staat garantiert dann keine Ordnung LS.d. status civilis mehr. Souveränität impliziert demgegenüber die Streitentscheidungskompetenz filr jeden Fall: Nicht das Gesetz, sondern der Souverän muß entscheiden dürfen, was sein soW 90 . Die Definitionskompetenz über das, was Recht ist, ist also einerseits Bedingung dafUr, daß überhaupt ein Staat existiert. Andererseits schließt jede Definitionskompetenz ihre Beschränkung durch das Recht aus. Das Verhältnis von Macht und Recht wurde im Absolutismus gelöst, nicht indem das Gesetz der Macht vorausgesetzt wurde, auch nicht indem Macht Recht brechen durfte: "The king can do no wrong"191, bedeutete, daß der Souverän stets im Recht war\92 - Macht und Recht wurden identifiziert l93 .

Hobbes, Leviathan, ch. 17 ff. vgl. zur Geschichte dieses Satzes, Kohl, Die Lehre von der Unrechtsunflihigkeit, S. 39 ff. 192 Der gemäßigte Staat hat auf dies unbegrenzbare Recht zur Macht, auf sein ,jus ad omnes" nicht verzichtet, er hat es nur bisher nicht ausgeübt. Die Sphäre des Bürgers ist dann nur der Bereich, in den bisher (aus freien Stücken) nicht eingegriffen wurde - ein Rechtsreflex, kein Recht und das heißt: keine (rechtliche) Sicherheit, der Bürgersphäre. 193 Es muß allerdings angemerkt werden, daß die Unrechtsunflihigkeit des Staates im Absolutismus - speziell bei Hobbes - noch eine weitere Begrilndung hatte: Dem Souverän war ja im Staatsvertrag alle Autorität der Einzelnen übertragen worden. Hätte man angenommen, der Souverän könne dem Einzelnen Unrecht (Gewalt) antun, dann wäre das, als ob sich der Betroffene selbst Unrecht zuftlge (volenti non fit inuria). Aber dies war nur die Rechtfertigung ftlr die Rechtlosigkeit (Hobbes, Leviathan, ch. 139) des einzelnen durch die vollständige Rechtsübertragung. Notwendig war diese Rechtsübertragung zur Gewährleistung des status civilis. 190

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b) Der Gesetzesbindungsbegriff der Konstitutionalisten Die Staatslehren des Konstitutionalismus l94 mußten im Anschluß daran begründen, wie der Staat zugleich Garant der Rechtsordnung - mit Definitionskompetenz über das, was rechtens ist - und an diese Rechtsordnung gebunden sein konnte. Nach der sich in dieser Zeit durchsetzenden bürgerlichen Staatsauffassung legitimierte schließlich allein die Gesetzlichkeit staatlicher Tätigkeit als Begrenzung der "voluntasft , der Willkür, durch die "ratioft , die Ausübung von Staatsgewalt. Die Stellung des Bürgers sollte mehr als der bloße Reflex l95 unbegrenzten (aber vielleicht nicht ausgeübten) staatlichen Rechts sein; der Bürger verfügte - so wollte es die Staatslehre dieser Zeit - gegenüber dem Staat über eine Rechtsposition: ,,Alles Recht wird zu solchem nur dadurch, daß es nicht nur den Untertan, sondern auch die Staatsgewalt bindet ftl96 • Die Bindung des Staates im Verhältnis zum Bürger wurde zunächst als naturrechtliche, dem Staat vorgegebene, diskutiert 197 • Mit der Durchsetzung des konstitutionellen Staates verlagerte sich die Fragestellung, sie wurde positivistisch: Das Interesse galt nunmehr der Bindung des Staates an das von ihm selbst gesetzte Recht. Nur die letztere Problemstellung interessiert hier. Vor allem Georg Jellinek hat es unternommen, die Beschränkung des Staates durch seine Gesetze zu begründen und sich dabei auch mit den oben dargestellten Einwänden der absolutistischen Vorstellung von Souveränität auseinandergesetzt l98 • Er mußte dazu die These widerlegen, daß Entscheidungskompetenz und Bindung an ein Gesetz einander ausschließen: Es mußte geklärt werden, "ob die das Recht verbürgende Organisation unter oder über dem Rechte stehtftl99 • Jellinek verstand Gesetzesbindung als Selbstbindung des Staates an das von ihm gesetzte Recht in Analogie zu Kants Lehre der Moral als autonomer Bindung des Individuums an seinen eigenen Willen2°O. 194 nicht abgehandelt werden hier die Vorstellungen, die annahmen, die Bürger hätten dem Staat nur beschränkt Rechte übertragen, d.h. Spinoza, Pufendorf, ehr. Wolff, J. Locke u.a. 195 Jellinek, System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 86 ff.; ders. Staatslehre, S.419. 196 Je//inek, Staatslehre, S. 478. 197 Vgl. Feuerbach, Anti-Hobbes oder die Grenzen der höchsten Gewalt, S. 182 ff., sowie Rotteck, Lehrbuch des Vernunftsrechts, S. lll. 198 Jellinek, Staatslehre, S. 478 unten; ders. System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 9, S. 194 ff. 199 Jellinek, Staatslehre, S. 476. 200 ebenda, S. 367 ff., 476 ff.; ders., System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 32, 67, 195.

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Damit schien vorderhand ein Problem der Souveränitätslehren bewältigt: keine fremde Autorität, sondern die eigene - das Gesetz als Wille des Staates selbst - sollte den Staat binden, es herrscht also nur eine Autorität. Der Staat hat, so gesehen, trotz der Bindung an das Gesetz ungeteilte Herrschaft, ist also souverän. Die Absolutisten hatten allerdings, worin Unteilbarkeit der souveränen Staatsgewalt bestehen sollte, wesentlich konkreter bestimmt. Es mußte eine einheitliche Definitionskompetenz bestehen, d.h. hinsichtlich eines Falles durfte nUr ein Wille, eine Entscheidung maßgeblich sein. Zwei einander widersprechende Befehle konnten nicht gleichzeitig gültig sein. Ein auf einen Fall bezogener Befehl war also entweder Recht, er galt, oder Gewalt, Privatsache, d.h. er galt nicht ein Drittes existierte daneben nicht. Man nahm an, daß nur entweder das Gesetz oder die Einzelakte der Staatsorgane Geltung beanspruchen konnten: Herrscht das Gesetz, dann sind alle dagegen verstoßenden Organhandlungen Gewalt, sie erzeugen keine Pflicht. Nur im Falle solcher Rechtssouveränität gilt der Staatswille so, wie er im Gesetz verkörpert ist. Nimmt man an, daß jeder Akt eines Staatsorgans (bis zu seiner Kassation durch ein weiteres Staatsorgan) dem Bereich des Rechtes zugeordnet ist, also Pflichten erzeugt, dann gilt der im Gesetz verkörperte, inhaltliche Wille nicht. Nach Jellineks Konstruktion beanspruchen demgegenüber zwei unterschiedliche Willen, wenn auch eines Subjektes zugleich Geltung: Das Gesetz als staatlicher Wille ebenso, wie die Entscheidung als staatlicher Wille. Selbstbindung impliziert dementsprechend auch, daß der Staat mit sich selbst in Konflikt geraten kann, daß er eine Entscheidung zugleich "will" und nicht "will". So verhält es sich ja auch bei Kant, dessen Konstruktion Jellinek aufgreift: Dort ist der Wille des empirischen Menschen, des homo phaenomenon von dem Willen des vor aller Erfahrung gedachten Menschen, des homo noumenon verschieden und deshalb kann die Notwendigkeit begründet werden, den Menschen an seinen eigenen Willen zu binden20I • Mag man dies auch als autonome Bindung bezeichnen, so spaltet diese Konstruktion doch das entscheidende Subjekt auf und erhebt eine Instanz zur maßgeblichen. Da zwei einander widersprechende Urteile nicht nebeneinander in gleicher Weise gelten können, ist zu fragen, welcher - der des Gesetzes oder der des Staatsorganes - aus der Sicht der Konstitutionalisten maßgeblich war. Außer

201 vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 267 ff.; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 83 ff.

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Kelsen 202 schien niemandem die Vorstellung einer Herrschaft des Rechts diskutabel. Die rechtswidrige Organhandlung sollte nicht dem Befehl des Straßenräubers gleichstehen, seine Verpflichtungskraft nicht in Frage gestellt werden. Den Bürgern sollte kein eigenes Urteil über sein Recht zustehen203 • Die Gesetze galten nach dieser Ansicht fllr das staatsorganschaftliehe Handeln mithin nicht in der Weise, daß die Folge ihrer Verletzung die Nichtigkeit, Nicht-Wirksamkeit organschaftlichen Handeins war. Gesetze galten vielmehr in der Weise, daß ihre Verletzung Unrecht darstellte204 • Diese Kategorie Unrecht sollte ein Drittes neben der oben dargestellten Differenz zwischen Recht und Befehl des Straßenräubers, also der Gewalt darstellen. Ein Mittelding zwischen einer Verpflichtung des Bürgers und fehlender Pflicht gibt es jedoch nichfos . "Unrecht" ist verpflichtend, ist also innerhalb des Gegensatzpaares Recht - Nichtrecht, ein Unterfall des Rechts, des berechtigten Zugriffs auf die Sphäre des Bürgers. Im Verhältnis von Recht zu Unrecht zieht Recht nicht die Grenze zur Gewalt, die dem Bürger angetan wird. Es kennzeichnet vielmehr den Bereich, in dem auf Eingriffe des Staates in die Bürgersphäre im Rechtswege die Kassation der dem Eingriff anordnenden Entscheidung, Staatshaftung und Entschädigung206 folgen können. Die beiden Willen des Staates, der im Gesetz geronnene und der in der individuellen Entscheidung aktualisierte können folglich nur deshalb nebeneinander in Geltung sein, weil sie je unterschiedlich gelten: Die individuelle Entscheidung klärt verbindlich, wann und ob der Bürger verpflichtet ist, auch wenn sie dem Gesetz widerspricht. Der Gesetzeswille gilt nunmehr, indem die ihn verletzende Einzelentscheidung sanktioniert ist. Daß sie Unrecht ist, bedeutet, daß die Chance besteht, daß sie kassiert oder zum Grund einer Schadensersatz - oder Entschädigungsleistung gemacht wird, - sofern Staatsorgane so judizieren. Die Anerkennung des "Staatsunrechts" war also ein Eckpunkt in der Entwicklung hin zum Rechtsstaat, aber nicht, weil nunmehr der Staat rechtlich, sondern weil er faktisch seinen Gesetzen unterworfen war - Gesetze wurden zu leges perfectae207 •

202 203

Über Staatsunrecht, passim.

Jellinekredet daher von einem ,,AnsprucH' auf Anerkennung des status negativus,

vgl. System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 105, S. 241 f. 204 Jellinek, System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 242. 205 siehe unten, S. 147. 206 siehe aber die Deutung, die Jellinek seinem Begriff von Unrecht selbst gibt: System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 241 ff.; die Verknüpfung von Duldungspflicht und Haftung wird ~~sonders deutlich bei Meyer-Anschülz,Deutsches Staatsrecht, S. 610; wie hier Kelsen, Uber Staatsunrecht, S. 16 f., S. 102 ff. 207 vgl. demgegenüber die Vertreter der sog. Mandatstheorie: Bluntschli, Gutachten

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3. Schrankenfunktion von Gesetzen in der modernen Staatslehre

In der modemen Staatslehre findet man keine Auseinandersetzung mehr mit der prinzipiellen Frage, auf welche Weise der Staat als Garant der Rechtsordnung zugleich dieser Ordnung untergeordnet sein könnte2oB • Das ist darauf zurückzufUhren, daß als unproblematisch angesehen wird, daß die Gesetze staatliches Handeln im Verhältnis zum Bürger limitieren209 • Die Norm schreibe vor, wie zu handeln sei. Darin erschöpft sich Gesetzesbindung. Insbesondere die Sanktionierung einer Norm ist danach keine Geltungsvoraussetzung. Positivistische Lehren nehmen zwar an, daß die Normordnung insgesamt sanktioniert sein müsse. Diese Annahme erstreckt sich jedoch nie auf einzelne Vorschriften2lO • Daß die Rechtserkenntniskompetenz, die das sekundäre Recht enthält, es dem Staat gestattet, Rechte und Pflichten des Bürgers unabhängig von den Vorschriften des materiellen Rechts verbindlich festzulegen, fUhrt die herrschende Auffassung nicht zur Frage, worin denn die (die Unterwerfung der Bürger unter solche Kompetenz legitimierende) Schrankenfunktion von Gesetzen bestehen soll. a) Die Umgehung des Problems durch die herrschende Auffassung aa) Letztentscheidungskompetenz nach herrschender Meinung Das beruht zum Teil darauf, daß das Problem hinweggedeutet wird: Die herrschende Auffassung versteht im Prinzip unter Gesetzesbindung211 kategorische Bindung. Das heißt, demnach verträgt das gesetzliche Ge- oder

zum 6. DJT, passim; von Mohl, System der Präventivjustiz oder Rechtspolizei, S. 555 f; von Stein, Lehre von der vollziehenden Gewalt, S. 369. 208 Vgl. allerdings die Auffassung von Ridder, Festschrift rur P. Schneider, S. 353 ff. (364): Dort wird das Verhältnis von Rechtsstaat als Staat, in dem das Recht der es auslegenden und anwendenden Justiz untergeordnet ist, kritisiert. Julius von Stahl als Vertreter des deutschen Rechtsstaatsbegriffes wird als Protagonist eines Kampfes gegen die Herrschaft des (vom Volke herrührenden) Gesetzes verstanden, weil er den Staat souverän dem Recht verordnet. 209 Gusy, JuS 1983, 191; Herzog, VVDStRL 24, S. 183 ff.; ders., Art. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung; BK-Wernicke, Art. 20 Rdnr. 3. 210 vgl. nur Hoerster, JuS 1987, 181 ff. 211 soweit das Gesetz inhaltlich reicht, vgl. MDH-Herzog, Art. 20, 11. Abschnitt, VI., Rdnrn. 41 f.

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Verbot keine Relativierung: Das Verbot, Unschuldige zu bestrafen, gilt rur Staatsorgane nicht mehr oder weniger, sondern es gilt fi1r alle strikt und ausnahmslos2l2 • Gleichwohl versucht man die staatliche Kompetenz zur Letztentscheidung als Graduierung der strikten Gesetzesbindung zu begreifen. So, wenn Herzog213 einerseits unter Gesetzesbindung den Vorrang des Gesetzes vor dem Einzelakt versteht, andererseits die Frage nach der Bedeutung der Macht des Richters, rechtskräftig zu entscheiden, mit der Feststellung beantwortet, die richterliche Gesetzesbindung sei "schwächerft (als die der Exekutive)214. Schwächer und stärker kann das Gesetz dem Einzelakt in seinem klassischen Verständnis nicht vorgehen, schwächer bzw. stärker kann nur faktischer Zwang zur Gesetzeskonformität sein. In der Vermengung dieser bei den Rechtsgeltungsbegriffe215 erinnert diese Auffassung an eine Passage des Schriftstellers RodaRoda, wonach im Lande X die Tötung eines Normalbürgers bei runf Jahren Haft, die eines Ministers hingegen bei lebenslanger Haft untersagt sei - den König allerdings dürfe man überhaupt nicht töten. Durch solche Ineinssetzung von normativer und faktischer Gesetzesgeltung wird deshalb die Frage danach, worin angesichts der Befugnis zur rechtskräftigen, rechtswidrigen Entscheidung die Schrankenfunktion von Gesetzen besteht, nicht gelöst, sondern umgangen. bb) Die Auffassung von Isensee Zum Teil wird das Problem thematisiert, aber gleichwohl nicht gelöst. Isensee z.B. deutet die Entscheidungskompetenz des Staates als Rechtsmacht, nicht als bloße Macht, dennoch scheint er die Beschränkung der Gehorsamspflicht der Bürger aufgrunddessen nicht in Frage stellen zu wollen, im Gegenteil2l6 • In Anlehnung an Hobbes versteht er als Essenz des status civilis die vollständige Unterordnung des Einzelnen unter den Staat. Das bedeutet, daß dem Staat gegenüber eine - apriorische - Gehorsamspflicht besteht, deren Inhalt er wie folgt beschreibt: Es sei dies die Pflicht, dem verfassungsgemäßen Gesetz

212 vgl. hierzu Jörn Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit, S. 156 f.; Welzel, Die Frage der Rechtsgeltung, S. 16. 213 MDH-Herzog, Art. 20, 11. Abschnitt, VI., Rdnr. 35, Rdnr. 3. 214 ebenda, Rdnr. 38. 215 vgl. auch E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 679 ff.; Jezler, Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, passim; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 317; Imboden, Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung, S. 87; Evers, Gutachten, S. 62. 216 Isensee, HBdStR, § 13, Rdnm. 65 ff.

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und dem gesetzmäßigen Einzelakt Folge zu leisten,,217. Aber Gesetzmäßigkeit bedeutet auch hier nicht Übereinstimmung mit inhaltlichem Recht, sondern Übereinstimmung mit kompetenzgerechter Feststellung, ob staatliches Handeln rechtmäßig ist. "Auch in diesem (rechtsstaatlichen, P.V.) System" kommt "einer Instanz das Recht des letzten Wortes zu, mit dem der Streit beendet wird und die Pflicht zum Rechtsgehorsam einsetzt"218. Offenbar geht also diese Konzeption davon aus, daß die Gehorsamspflicht des Bürgers weitergeht als die den Staat (und mithin die GehorsamspflichtY19 legitimierende Beschränkung, d.h. danach darf der Staat vom Bürger mehr verlangen, als er (an sich) darf20 , weil er ans Recht gebunden ise 21 . Die Diskrepanz, die in dieser Aussage offenkundig dann besteht, wenn man einen einheitlichen Rechtsbindungsbegriff zugrundelegt, wird beim ersten Lesen nicht deutlich, vielleicht weil man unreflektiert Bindung in beiden Fällen unterschiedlich versteht: Die Rechtspflicht, rechtskräftigen Entscheidungen ohne Ansehung ihrer Rechtmäßigkeit Folge zu leisten, ist legitim nur unter der Voraussetzung, daß in aller Regel die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen auf anderem Wege, nämlich faktisch, gewährleistet ist. Die Auffassung ist also widerspruchsfrei, sobald man rechtliche Bindung als faktische Bindung versteht. Ohne die KlarsteIlung, worin wirklich die Beschränkung der Unterwerfung des Einzelnen besteht, nämlich in dessen Chance, sein Recht auch zu erhalten, sind solche Äußerungen Ausdruck einer bloß apologetischen Haltung zu einem Begriff der Gesetzesbindung222 , der dann mehr verheißt, als er wirklich bedeutet.

Isensee, HBdStRs § 13, Rdnr. 92. Isensee, HBdStRs § 13, Rdnr. 65; vgl. auch ebenda, Rdnr. 69. 219 ebenda, § 13, Rdnr. 126: " ... der Verfassungsstaat ist über den Vorrang und den 217 218

Vorbehalt nach den Maßstäben und in den Formen des Rechts auszuüben .... In dem Maße, in dem der Staat sich dem Recht unterwirft, gewinnt er Legitimation durch das Recht"; vgl. auch § 13, Rdnr. 64 a.E. 220 ebenda, § 13, Rdnr. 78: Das Gewaltverbot rur Private ist umfassend, die Gewaltbefugnisse, die der Staat sich vorbehält, sind dagegen begrenzt. 221 ebenda, S. 127 a.E. Man kann hier zwar, wie oben dargelegt, unter Bindung noch eine - sich im Verhältnis Bürger-Staat nicht niederschlagende - rechtliche Verpflichtung des Staatsorganes verstehen. Es ist allerdings dann nicht einzusehen, inwiefern diese Rechtspflicht solche Gehorsamspjlichtensoll rechtfertigen können, da sie eben diese Gehorsamspflichten rechtlich nicht beschränkt. 222 Isensee löst diesen Widerspruch nicht explizit so auf, er verweist allerdings stellenweise auf die Bedeutung faktischer Bindung: "Der Justizgewährleistungsanspruch (!) ist der rechtsstaatliche Ausgleich rur das Verbot, Richter in eigener Sache zu sein" (§ 13, Rdnr. 82; ders., Grundrecht auf Sicherheit, S. 36) und: "zwischen dem Ideal der Herrschaft der Gesetze und der realen Verwiesenheit auf Interpretation und Vollzug vermittelt das staatlich organisierte Amt", doch die Nicht-Realisierung dieser Bindung ist ihm nur notwendiges Verfehlen eines Ideals (Rdnr. 131).

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b) Lösungsversuche Einige Autoren haben schließlich die Diskrepanz zwischen Schrankenfunktion von Gesetzen und Kompetenzordnung erörtert - in der Regel mit dem Ergebnis, daß die Limitierbarkeit staatlichen Handeins durch Gesetze bestritten wird. aa) earl Schmitt Die Unvereinbarkeit von Gesetzesherrschaft und Letztentscheidungskompetenz hat earl Schmitt offengelegf23: Die herrschafts- (sprich: macht)lose Herrschaft "des Rechts" existiere nicht, sie sei Ideologie, jede Kompetenzwahrnehmung zerstöre (das sie bindende) Recht: "Daß es die zuständige Stelle war, die eine Entscheidung fällt, macht die Entscheidung relativ, U.U. auch absolut, unabhängig von der Richtigkeit ihres Inhalts und schneidet die weitere Diskussion darüber, ob noch Zweifel (an ihrer Rechtmäßigkeit P.V.) bestehen könnten, ab"224. Nun würde die bloße Nichtbefolgung einer Norm durch den Entscheidenden nicht mehr bedeuten, als daß Sein und Sollen auseinanderfallen können, ftlr earl Schmitt derogiert die Entscheidung jedoch die generellen Normen, weil sie mehr als bloße Macht ist, weil sie Recht schafft: "auctoritas facit legern "m . Dazu muß er allerdings erklären, was dieser Entscheidung Rechtscharakter verleiht; denn deren Herleitung aus Gesetzen kann es nicht sein. Er kommt also an dieser Stelle auf die alte Rousseau' sche Frage danach zurück, was den Unterschied zwischen dem Befehl eines Straßenräubers und dem staatlichen, auctoritas beanspruchenden Befehl ausmacht. Dieser Unterschied zwischen Rechtscharakter tragenden, also verbindlichen Befehlen einerseits und dem Befehl des Straßenräubers andererseits besteht nach Schmitt nun darin, daß erstere auf eine Einheit rllckfilhrbar sind, letzterer dagegen nicht mehr ist als der subjektive Sinn des eben gesprochenen Satzes, also das mit (mehr oder weniger Gewalt) unterstrichene Unternehmen, jemand anderes zu bestimmten Handlungen oder Duldungen zu bewegen. Diese, die Norm vom Befehl des Straßenräubers unterscheidende Einheit kann nun nicht in der Rückfilhrbarkeit auf irgendeine höherrangige Norm liegen. Eine solche Norm ließe nämlich die Unterscheidung zwischen Befehlen des Straßenräubers und Befehlen, die verbindlich sind, nicht zu: Eine rein geistige Ordnung (wie earl Schmitt, Politische Theologie, S. 25 ff. ebenda, S. 42. 225 ebenda, S. 44, S. 20. 223

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sie Carl Schrnitt der Wiener Schule vorwirft) könnte keinen Rechtsfrieden stiften, sie würde keinen Streit entscheiden, sie könnte nicht herrschen. Hieraus folge, daß das einheitsstiftende Moment identisch sein müsse mit der Definitionskompetenz über das, was Recht ist: Es sei in der Person (oder einem soziologisch-psychologischen Machtkomplex) verkörpert, die (bzw. der) die Rechtsordnung garantiert. Erst die Kenntnis der die Ordnung garantierenden Person ermögliche die Identifikation eines Befehles als Norm: "Es wird nicht mit Hilfe einer Norm zugerechnet, sondern umgekehrt; erst von einem Zurechnungspunkt aus bestimmt sich, was eine Norm ... ise26 • Die personale Macht - das Sein - erzeugt das Sollen. Weil also die Definition dessen, was rechtens ist, Essentialie einer Rechtsordnung ist, reduziert sich die Rechtsordnung auf eine Kompetenzordnung, (innerhalb derer souverän ist, wer über die Frage entscheidet, ob Normen gelten). Carl Schrnitt wollte mit seiner Argumentation belegen, daß eine Unterordnung von Herrschaft unter Gesetze prinzipiell ausgeschlossen ist. Die Frage, ob Entscheidungskompetenzen so organisierbar sind, daß der Garant der Rechtsordnung zugleich von ihr beherrscht wird, hat er jedoch nicht gestellt. bb) Engisch Engisch hat die Unvereinbarkeit von Kompetenzordnung und inhaltlich schrankenziehender Rechtsordnung in seiner im Jahre 1935 erschienenen Schrift "Die Einheit der Rechtsordnung" thematisiere 27 • Er nimmt an, daß ein Rechtssystem eine in sich geschlossene Einheit darstellen müsse228 • Dies ist eine Voraussetzung229 von der in der Tat die meisten Rechtstheoretiker (explizit) und alle Rechtspraktiker (implizit) ausgehen. Würde sie nicht gemacht, dann wäre eine Norm nie mehr als der subjektive Sinn des jeweils erzeugenden Aktes, ein über den Akt selbst hinausgehender Sinn - d.h. Geltung - würde der Norm nicht zukommen230 • Diese einheitsstiftende Zusammenhang kann nun in Unterschiedlichem gesehen werden: ebenda, S. 43. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, passim. 228 Vgl. ebenda S. 1-6. 229 Engisch differenziert zwischen Einheit als Axiom (also als Voraussetzung) und Einheit als Postulat juristischer Arbeit (S. 69). 230 Das Zurechnen zu einer (personalen oder normativen) Einheit ist ja letztlich der Kern der Unterscheidung zwischen Befehl des Straßenräubers und Befehlen des Staates, vgl. P. Kirchhof, Widerspruchslosigkeit als Geltungsgrund, S. 8; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 204 ff.; Isensee, HBDStRs § 13, Rdnrn. 65 ff.. Diese Einheit ist sozusagen Kants' Einheit der Apperzeption bezogen auf Sollenssätze. 226 227

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Es liegt zunächst nahe, diese Einheit in einer inhaltlichen Zusammengehörigkeit und Stimmigkeit aller Normen zu suchen. Der Zusammenhang besteht dann darin, daß höherrangige Normen die Erzeugung niederrangiger inhaltlich vorausbestimmen, er wird von Engisch in Anlehnung an die Wiener Schule Erzeugungszusammenhant 31 genannt. Engisch stellt diesem Erzeugungszusammenhang einen Geltungszusammenhang gegenüber. Während ersterer den Determinations- und Motivationszusammenhang der Rechtserzeugung kennzeichnet, entspricht letzterer dem Stufenbau der Rechtsordnung. Er besteht darin und ist gewahrt, wenn Rechtsnormen niedrigerer Ordnung nur von Gnaden höherrangiger Rechtssätze gültig sein können. Das Problem gültiger rechtswidriger Entscheidungen besteht nun darin, daß trotz der Verletzung des Erzeugungszusammenhangs der Geltungszusammenhang gewahrt bleibt: "Die Gültigkeitsvoraussetzungen für die Normen niedriger Ordnung sind ... weniger umfassend festgesetzt, als sie es sein könnten". Sie fallen insbesondere nicht zusammen mit "denjenigen (inhaltlichen) Voraussetzungen unter denen die Normen niedriger Ordnung allein ergehen sollten"2J2. Das Problem ist also, daß Verstöße gegen rechtsinhaltliche Vorschriften keine ungültigen Einzelakte zur Folge haben2JJ • Diese Erkenntnis filhrt bei Engisch zur Ablehnung des Stufenbaus der Rechtsordnung als einheitsstiftendem Element. Die Reduzierung der Einheit der Rechtsordnung auf eine bloße Kompetenzordnung, den Geltungszusammenhang, hält er für unzureichend, so werde allen an der Rechtsfindung Beteiligten der unverziehtbare Orientierungsstern des "an sich" geraubf34 • Engisch ersetzt schließlich die Einheit der Rechtsordnung (zeitbedingt) durch etwas Drittes, sie liege in der - durch die Rechtsordnung begründeten - Identität des Volkes, in dem Willen der von dieser Rechtsordnung konstituierten Gemeinschaft235 • Die (innere) Einheit - d.h. die Einheit zwischen einzelnen gleichzeitig gültigen Vorschriften - werde erst dadurch hergestellt, daß die Rechtsordnung (vom Interpreten) als Emanation einheitlichen Volkswillens begriffen und gehandhabt werde236 •

Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 11. ebenda, S. 15. 233 ebenda, S. 16. 234 ebenda, S. 18. 235 ebenda, S. 25. 236 ebenda, S. 94.

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cc) Wiener Schule Beschränkung von Staatsgewalt durch Gesetze scheint kein Problem zu sein, wo Staat eine andere Bezeichnung fllr Rechtsordnung ist, wie dies für die Wiener Schule gilt. Doch welche Bedeutung Inhaltsnormen innerhalb dieser Rechtsordnung neben Kompetenznormen - zukommt, dies erschien den Vertretern der Wiener Schule durchweg als Problem. Die Position von. Kelsen und Merkl hierzu ergibt sich aus der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung, die Merkl in seiner Schrift "Über die Rechtskraft", basierend auf Kelsens Werk "Reine Rechtslehre", entwickelt hat. Ausgangspunkt jener Lehre ist die Annahme, daß Geltungsgrund einer Norm immer nur eine andere (höherrangige) Norm sein könne, nie ein Faktum237 • Diese Einsicht entspringt der Kant'schen Trennung von Sein und Sollen, wonach ein Sein niemals ein Sollen begründen kann. Dies bedeutet konkret, daß nach dieser Auffassung jeder individuelle Staatsakt (der, weil er Verpflichtungskraft entfaltet, eine Norm ist) auf eine generelle Norm rückführbar sein muß. (Geltungsgrund der Verfassung und der einfachgesetzlichen Normen ist die sogenannte "Grundnorm", d.h. die Annahme, dies Normsystem gelte - eine Art transzendentallogischer Voraussetzung, ähnlich Kant's "Ding an sich"238.) Triffi diese Vorstellung vom Stufenbau der Rechtsordnung zu, so bedeutet, daß eine individuelle Norm - als letztes Glied in der Kette - gültig ist, zugleich, daß eine generelle Norm sie ermächtigt. Der Inhalt genereller Normen läßt sich daher erschließen, wenn man weiß, welchen Inhalt gültige Einzelfallregelungen haben, weil erstere die Gültigkeitsvoraussetzungen für letztere enthalten. Kelsen hatte demgemäß in seiner ersten Stellungnahme zur Fehlerlehre in seinem Beitrag über die Unrechtsunfiihigkeit des Staates begründet, daß Folge eines Rechtsverstoßes stets die Nichtigkeit des betreffenden Staatsaktes sei: eben seine Nicht-Geltung. Der Akt sei dann bloßes, unbeachtliches Faktum239 • Weil Kelsen damals selbstverständlich von der Geltung

Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 4 f. ebenda, S. 204 tf., allerdings betont Kelsen im Unterschied zu Kant stark den hypothetischen Charakter dieser Voraussetzung. Es heißt bei ihm nicht, man setze etwas (notwendig) voraus, sondern er schreibt sinngemäß stets: Wenn man Verpflichtungskraft voraussetzt, dann setzt man zugleich die Grundnorm voraus. Demzufolge versteht Kelsen diese Voraussetzung m.E. nicht i.S. eines synthetischen Urteils apriori - weshalb ich hier von einer Art transzendental-logischer Voraussetzung spreche. 239 Kelsen, Über Staatsunrecht, S. 47 ff. -, vgl. dort aber auch schon die Ausfilhrungen über die Fälle, in denen ausnahmsweise ein Rechtsverstoß keine Folgen zeitigt, S. 59 tf.: 237

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materiellen, überhaupt inhaltlichen generellen Rechts ausging, nahm er an, daß Verstöße gegen materielles (bzw. inhaltliches) Recht regelmäßig Nichtigkeit zur Folge hätten. Sobald Kelsen die Existenz von Kompetenznormen in seine Betrachtungen einbezog, kam er - mehr als obiter dictum - zu dem Ergebnis, in einer Rechtsordnung könne es keine Nichtigkeit geben. In der zweiten Auflage der Reinen Rechtslehre heißt es, daß der Regreß zu einem höheren Organ ein Ende haben müsse. "Es muß höchste Organe geben, über deren Zuständigkeit (gemeint ist auch inhaltliche Kompetenz, P.V.) nicht mehr durch höhere Organe entschieden werden kann. Sie erweisen sich als höchste Organe dadurch, daß die von ihnen gesetzten Normen im Großen und Ganzen wirksam sind. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich auch, daß es innerhalb der Rechtsordnung so etwas wie Nichtigkeit nicht geben kann"240. Aus dieser Erkenntnis hätte er nun - getreu seiner Prämisse folgern müssen, daß es keine inhaltlichen Gültigkeitsvoraussetzungen gibt, da andernfalls deren Verletzung zur Nichtigkeit des betreffenden Einzelakts hätte filhren müssen. Diese Konsequenz hat Kelsen jedoch nicht gezogen: Er erörtert diese Fragestellung im Zusammenhang mit der Rechtskraft von Entscheidungen. Die generelle Norm, die zum Setzen "rechtswidriger" Staatsakte ermächtigt, laute folgendermaßen: Das letztinstanzliehe Gericht sei befugt, "entweder eine individuelle Rechtsnorm, deren Inhalt durch die generelle ... Norm vorausbestimmt ist, oder eine individuelle Rechtsnorm zu erzeugen, deren Inhalt nicht so vorausbestimmt ist, sondern durch das letztinstanzliehe Gericht selbst zu bestimmen ist"241. Daraus zieht er zunächst die Konsequenz, daß die Möglichkeit der Vorherbestimmung individueller Normen "erheblich eingeschränkt" seF42. Später, in seiner ,,Allgemeinen Theorie der Normen" äußert er sich ausfilhrlicher zu demselben Problem: "Man könnte ... argumentieren" heißt es dort, "daß das Prinzip der Rechtskraft... zu einem Ergebnis fUhrt, das auf dasselbe hinausläuft, wie eine positiv-rechtliche Ermächtigung des Richters, konkrete Fälle nach seinem Ermessen ... zu entscheiden. Doch besteht hier der Unterschied, daß wenn (!) generelle Rechtsnormen gelten, deren Sinn (treffender wäre

dann könne die verletzte Vorschrift nicht zu jenen gerechnet werden, die den Staatsakt nonnieren. 240 ebenda, S. 280; vgl. zu diesem Problem auch ehr. Böclumförde, Die sogenannte Nichtigkeit, S. 23 u. passim; G. Wink/er, Die absolute Nichtigkeit, S. 29, S. 33; v. Hippel, Untersuchungen, S. 94 ff., Nichtigkeit läßt ein Widerstandsrecht aufleben. 241 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 273. 242 ebenda, S. 274.

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Zweck, P.V.) ist, daß sie von den Gerichten angewendet werden sollen, die Gerichte diese Rechtsnormen in der Regel tatsächlich (1) anwenden, und daß richterliche Entscheidungen, die diesen generellen Nonnen nicht entsprechen, nur ausnahmsweise in Geltung treten. Das Prinzip der Rechtskraft... ist tatsächlich keine Aufhebung, sondern eine Einschränkung des Prinzipes der materiellen Rechtmäßigkeit der richterlichen Entscheidungen"243. Materielles Recht gilt also nicht in der Weise, daß ihm widersprechende individuelle Nonnen ungültig sind. Vielmehr gilt es, indem es als Nonn begriffen und tatsächlich angewendet wird. Der Grund seiner Geltung ist seine Akzeptanz als Nonn, nicht seine Verbindlichkeit. Der Einzelakt gilt speziell mit dem vom Gesetz vorgeschriebenen Inhalt, weil der Richter sich an den Inhalt gebunden filhlte, nicht weil er daran gebunden war. Denn würde das Gros aller Richter - in Ennangelung psychischen Zwanges - rechtswidrig entscheiden, so wäre eben das Gros aller gültigen Einzelakte ,,rechtswidrig". Kelsen rettet also das Prinzip materieller Rechtmäßigkeit, indem er seinen Methodenmonismus preisgibt: Wenn eine Nonn gilt, dürfte ihre Realisierung nicht davon abhängen, daß sie empirisch-psychologisch zwingt, sondern ihre Realisierung müßte dadurch erfolgen, daß es nicht in der Rechtsrnacht von Staatsorganen liegt, Bürger gegen das Gesetz zu verpflichten. Andernfalls sorgt anstelle der Verbindlichkeit die Wirksamkeit der materiellen Nonnen dafilr, daß in der Regel keine Verstöße stattfinden. Auf diese Weise läßt sich nicht begründen, daß Inhaltsnonnen staatlicher Rechtserkenntnis de jure Schranken ziehen - was jedoch Kelsens Anspruch ist. Zu einem anderen - dem von mir hier vertretenen - Ergebnis kommt Merkl in seinem Werk "Die Lehre von der Rechtskraft", in dem er die Theorie vom Stufenbau der Rechtsordnung erst entwickelt. Basierend auf Kelsens Lehre von der Unrechtsunflihigkeit des Staates argumentiert er wie folgt: Inhaltliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, die - wie das Institut der Rechtskraft zeigt - nicht zugleich Gültigkeitsvoraussetzungen darstellen, sind, weil nicht zwingend, auch keine verbindlichen Anforderungen, sie haben vielmehr den Status von "Wünschen bezüglich der Entstehung des Aktes"244. Merkl schließt: "Es ist unter den Voraussetzun-

243 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 200; zum einschlägigen Problem siehe bereits die Erörterungen zum Verhältnis von individuellen zu generellen Normen, ebenda, S. 179 ff. 244 Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, S. 296.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

gen, daß die Erfüllung der ganzen Summe der rechtlichen Anforderungen das rechtliche Ideal darstellt - das Beste, wenn es dem Organ gar nicht zu Bewußtsein kommt, daß das Recht von diesen Anforderungen auch nur das Geringste preisgibt, und daß es - das Organ - folglich auch anders könnte ft245 • 4. Zusammenfassung und Konsequenzen

Sinn und Zweck des Art. 20 Abs. 3 GG ist es demnach sicherzustellen, daß die Bürger zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassen nur in den Grenzen materieller Gesetze verpflichtet sind - und also: verpflichtet werden können. Dafilr genügt es nicht, wenn Staatsorgane Bürger nicht über das Gesetz hinaus verpflichten dürfen, dies gleichwohl rechtlich können246 • Weil solch rechtliches Können nicht einfach ein Faktum ist, sondern Rechtswirkungen dergestalt entfaltet, daß selbst rechtswidrige Amtshandlungen Pflichten der BOrger erzeugen, verlangt Art. 20 Abs. 3 GG auch die Limitierung rechtlichen Könnens der Staatsorgane. Dazu bedarf es verfahrensrechtlicher Vorkehrungen, die die Macht zur Rechtserkenntnis begrenzen. Die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen darf weder von der Integrität der Rechtsanwender noch auch von deren rechtsstaatlicher Sensibilität und richtigem Gesetzesverständnis abhängen247 • Wie gezeigt, ließe sich dies Ziel (theoretisch) dadurch erreichen, daß die Rechtmäßigkeit staatlicher Rechtserkenntnis Voraussetzung filr die Wirksamkeit pflichtenbegrilndender staatlicher Entscheidungen darstellte. Da Gesetze jedoch Herrschafts- bzw. Ordnungsmittel, nicht rein geistig wirksame Konstrukte sind, impliziert Art. 20 Abs. 3 GG eine Kompetenzordnung, d.h. zugleich: die staatliche Kompetenz zu verbindlicher Festlegung von Rechten und Pflichten im Einzelfall. Die normative Limitierung rechtlichen Könnens dergestalt, daß rechtswidrige Staatsakte stets nichtig sind, also keine Pflichten erzeugen, kann aus diesem Grunde nicht Inhalt der Gesetzesbindung sein. Art. 20 Abs. 3 GG gebietet daher, die Vorschriften, die beanspruchen, die Rechtserkenntniskompetenz zu binden, mit faktischer Wirksamkeit auszustatten, so daß rechtliches Können und Dürfen zusammengefilhrt werden.

ebenda, S. 296 f. Zu dieser Unterscheidung vgl. die Auseinandersetzung Kelsens mit v. Gierke in seinem Beitrag: Über Staatsunrecht, S. 34 ff. 241 so (allerdings in erster Linie als rechtspolitische Forderung) auch Grünwald, Zur Bewertung des Strafverfahrensänderungsgesetzes, S. 11 mit e~drucksvollen Beispielen dazu, daß geflihrlich insbesondere auch deljenige ist, der im Ubereifer das Recht gröblich mißversteht, nicht weniger geflihrlich als deljenige, der es mißachtet. 245

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IV. Staatsgewalt als Entscheidungsmonopol

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Allerdings unterscheidet sich diese faktische Verbindlichkeit materiellen Rechts für die Rechtserkenntniskompetenz von seiner normativen Verbindlichkeit im Sinne einer Wirksamkeitsbedingung dadurch, daß erstere rechtliches Können nur im Durchschnitt limitiert: Normen können zwar mit Zwang bewehrt werden, dies ist jedoch niemals unwiderstehlicher Zwang. Anstelle einer Gewißheit über die Reichweite von Bürgerpflichten tritt die Wahrscheinlichkeit, daß sich diese Pflichten im Rahmen der Gesetze halten werden. Diese muß allerdings in jedem Fall bestehen. Daraufhin mag man geneigt sein, faktische Verbindlichkeit nur als stets noch optimierbares Ziel zu betrachten, dessen Erfüllung mehr oder weniger rigoros gefordert werden könne. Allerdings lassen sich Bedingungen angeben, deren Gewährleistung condicio sine qua non für die Bewehrung von Normen durch Zwang sind. Es sind dies Bedingungen, ohne die Rechtserkenntnisverfahren frei von dem Zwang stattfinden können, der die durchschnittliche Wirksamkeit von Normen erst zur Folge hat. Diese Bedingungen garantiert Art. 20 Abs.3 GG. Sie sollen nun im einzelnen entwickelt werden. (1) Zuallererst gehört hierher, daß den Entscheidungsträgern keine Verfügungsmacht über die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidungen eingeräumt ist. Diese müssen kontrollierbar sein. Voraussetzung dafilr ist, daß die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung (zunächst:) filr den Kontrolleur offenbar wird. Andernfalls kann sich der Kontrollierte der Kontrolle entziehen. Dies bedeutet zum einen, daß die Rechtsanwendung im engeren Sinne, d.h. die Frage, ob der festgestellte Sachverhalt die die Entscheidung tragende Gesetzesanwendung rechtfertigt, filr den Kontrolleur transparent sein muß. Zum anderen muß auch die Sachverhaltsfeststellung selbst, d.h. sowohl der Vorgang der Überzeugungsbildung als auch dessen Grundlage auf seine Richtigkeit hin überprüfbar sein. Letzteres setzt voraus, daß der Kontrolleur auch die Transparenz der Sachverhaltsfeststellung erzwingen kann, soweit sich deren Fehlerhaftigkeit auf die Entscheidung auswirken kann. (2) Der Kontrolleur muß weisungsunabhängig sein. (3) Schließlich darf es - aus der Sicht des Kontrollierten - niemals sicher sein, daß das Gesetz nicht als Maßstab seiner Entscheidung filr den Kontrolleur fungiert. Hierzu genügt es nicht, daß überhaupt ein weiteres Organ mit der Kontrolle befaßt wird. Welchen Kontrollmaßstab ein solches Organ anwendet, darüber verschafft die Kontrollpraxis nach einer bestimmten Zeit Gewißheit. Wenn das Kontrollorgan seinerseits frei ist von dem Druck,

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

seine Entscheidungen aus dem Gesetz zu legitimieren, so hat es die Macht anstelle des Gesetzes seinem Maßstab zur Wirksamkeit zu verhelfen. Die Integrität des Kontrolleurs wUrde so zur Bedingung der Wirksamkeit der Kontrolle als Rechtskontrolle. Kontrollverfahren existieren ja durchaus auch in totalitären Systemen. Sie verhindern dort indessen nicht nur nicht, daß die geschriebene Rechtsordnung oft mehr verheißt als die Praxis dann einlöst, sondern sie haben vielfach die Funktion, eine das geschriebene Recht im Sinne des Systems anwendende Praxis sicherzustellen. Diese Erkenntnis fiUut nun nicht zu der Notwendigkeit eines infiniten Regresses von "Kontrollinstanzen", wie zahlreiche Protagonisten einer unauflösbaren Kollision zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeif48 glauben machen wollen. Im Gegenteil: Gerade weil ein solcher "unendlicher Zwang der Zwänge" keineswegs geeignet ist, Gesetzen unabhängig von der Integrität des Kontrolleurs zum Maßstab von Kontrolle zu verhelfen249, verbleibt als einziges Mittel die öffentliche Kritik - dies nicht deshalb, weil jeder Kritiker per se integer oder ein besserer Jurist wäre: Es ist vielmehr notwendig, die Definitionsmacht über das, was Gesetze (auch im Einzelfall) vorschreiben, gegenüber Argumenten offen zu halten. Damit ist nicht etwa gesagt, daß die staatliche Kompetenz, im Einzelfall verbindlich zu entscheiden, aufgegeben werden muß, sondern nur, daß ihre Wahrnehmung injedem Falle zum Gegenstand öffentlicher Kritik muß werden können. Nur die Möglichkeit einer solchen Diskussion vermag zu verhindern, daß die Auslegung, die Gesetze durch Kontrollinstanzen erfahren (unabhängig davon, ob sie begründet ist), gleichsam Gesetzeskraft erhält. Sie darf weder jedem Begründungszwang enthoben noch schlechthin irreversibel sein. Von der beliebig verlängerbaren Reihe von Kontrollinstanzen unterscheidet öffentliche Kritik, daß die Öffentlichkeit das gesamte Spektrum der in einer Gesellschaft vertretenen Auffassungen enthält. Daß diese Auffassungen auch artikuliert werden, daß also Entscheidungen, deren Rechtswidrigkeit aufgedeckt wurde, auf öffentliche Wahrnehmung und Kritik - sei es des Publikums, sei es der Presse oder der Fachliteratur stoßen, kann wiederum nicht apriori ausgeschlossen werden. Gegenüber solchen Auffassungen zählt dann die Kraft der auf das Gesetz gestützten Argumen-

241 vgl. nur MD-Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdnr. 61 m.w.N.; kritisch dieser Argumentation gegenüber wie hier: v. Münch-Krebs, Art. 19, Rdnr. 64; zur Analyse der Rechtsprechung, vgl. Schlink, Die Abwägung, S. 125 ff. 249 dazu: BK-Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 1097; Papier, HBdStRs, Band VI, Rdnr.37.

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te. Daß sie geäußert werden können, kann den Rechtsanwender nötigen - um der Venneidung von SelbstwidersprUchen willen - seine Entscheidung als Gesetzesanwendung zu legitimieren. Wer öffentlich mit dem Anspruch auftritt, Gesetze anzuwenden, der wird sich schwer tun, vor eben diesem Kreise mehr oder minder offensichtlich zum Ausdruck zu bringen, daß ihm die Rechtmäßigkeit seiner Entscheidungen gleichgültig sei. Daraus folgt zunächst, daß Rechtserkenntnisverfahren öffentlich zu sein haben. Die Verfahrensöffentlichkeit erftUlt dabei die doppelte Funktion dem Betroffenen Zeugen des Entscheidungsprozesses25o und ein kritisches Kontrollorgan zur Verfügung zu stellen. Es folgt daraus weiter, daß die oben fonnulierten Bedingungen der Kontrollierbarkeit auch gegenüber der Öffentlichkeit bestehen müssen. Dazu bedarf es einer Instanz, die besorgt, daß eine rechtswidrige Praxis gegebenenfalls innerhalb des Verfahrens offenbar wird - oder positiv fonnuliert: die die Macht hat, die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen zu erzwingen. Da "die Öffentlichkeit" selbst als Agent im Verfahren nicht in Betracht kommt, muß diese Macht demjenigen eingeräumt sein, der ein ,,natürliches· Interesse an der Aufdeckung von Rechtsfehlern hat - also dem von der Entscheidung Betroffenen. Aus diesem Grunde kommen Kontrollverfahren nicht ohne SubjektsteIlung des Betroffenen i.w.S., nicht ohne rechtliches Gehör, Beweisantrags- und Fragerechte aus. Der Prozeß darf nicht zu einem Schauprozeß denaturieren können (vgl. dazu oben, B. 11. 2.). Die Verletzung der diese SubjektsteIlung i.w.S. begründenden Verfahrensrechte muß im Rahmen eines Kontrollverfahrens selbständig geltend gemacht werden können - sie müssen durchsetzbar seiffsl 252.

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dazu, daß die Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren vor allem die Funktion hat,

Zeugen des Verfahrens zu stellen: Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und

Mündlichkeit, Band I, S. 159 ff. 251 Die oben dargestellten Funktionen müssen Rechtserkenntnisverfahren notwendig erftlllen, wenn sie dem ihm Unterworfenen ein Mittel an die Hand geben wollen, die Beachtung des materiellen Rechts zu erzwingen. Soweit daraus Konsequenzen in Bezug auf klassische Justizstandards (rechtliches Gehörs, Beweisantragsrechte etc.) als Mittel zur Erfilllung dieser Funktionen gezogen wurden, kann nicht apriori ausgeschlossen werden, daß es sich nicht um einzigen Mittel handelt, eine Rechtfertigungslast staatlicher Organe zu begründen - obwohl viel dafUr spricht Die oben entwickelten Verfahrensregeln knüpfen jedoch an das verfassungsgesetzlich geregelte System von Verfahrensrechten an. Dieser Kontext legitimiert eine Eingrenzung auf diese bestimmten Mittel. Er begrenzt jedoch zugleich die Aussagekraft der oben im Detail entwickelten Konsequenzen: Die genannten Verfahrenspositionen können nicht ersatzlos gestrichen werden, ohne daß Art. 20 Abs. 3 GG verletzt wäre. Nur soweit sie durch Verfahrensprinzipien ersetzt werden, die dieselbe Funktion erftlllen, also eine Rechtfertigungslast begründen, ist Art. 2Q. Abs. 3 GG Genüge getan. Daß objektive Kontrollformen keine solchen funktionalen Aquivalente darstellen, wurde oben bereits nachgewiesen. 11 Velten

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Schließlich muß eine staatsfreie Presse existieren und die Freiheit der Meinungsäußerung gewährleistet sein. Erst die Möglichkeit, Kritik auch öffentlich zu artikulieren und zum allgemeinen Diskussionsgegenstand zu machen, zwingt Staatsgewalt zur Rechtfertigung ihres Handeins und macht Kontrolle möglich. Eine nicht unwesentliche Bedeutung rur die Wirksamkeit öffentlicher Kontrolle kommt außerdem der Fachpresse zu. Sie zwingt zu Rechtsauslegungen, die die öffentliche Diskussion zumindest argumentativ berücksichtigen2SJ • Wenn die genannten Bedingungen erfüllt sind, hängt die Wirksamkeit von Gesetzen innerhalb von (bzw. fUr) Rechtserkenntnisverfahren davon ab, wieviel Aufwand der Betroffene zur Offenlegung der Bedingungen rechtmäßigen Entscheidens betreibt und welche Qualität seine Argumente aufweisen2s4 , sowie davon, in welchem Umfang sich die Entscheidungsträger durch die nicht auszuschließende Möglichkeit von Kritik und Kontrolle nötigen lassen. Solche durch die allgemeine Öffentlichkeit, wie durch die Fachöffentlichkeit begründete Rechenschaftsptlicht schränkt die Möglichkeiten zu offenem Rechtsbruch erheblich ein. Wie weit in verschleierter Form Rechtsbrüche begangen werden können, hängt dann vor allem von der Genauigkeit der anzuwendenden Gesetze ab. Staatliche Rechtserkenntnis ist nur dann den Gesetzen unterworfen, wenn deren Einhaltung einem, den genannten Anforderungen genügenden Verfahren unterliegt.

252 Die Notwendigkeit, Verfahrensrechte durchsetzbar zu gestalten, erkennt auch das Bundesverfassungsgericht an, obwohl es sonst eine zweite Instanz als weder gern. Art. 19 Abs. 4 GG, noch als durch das Rechtsstaatsprinzip geboten erachtet; vgl. BVerfGE 42, 243 ff. (248). 25J Ein gutes Beispiel hierfiir liefert die Rechtferti~ung bestimmter, gesetzlich bislang nicht geregelter Ermittlungseingriffe, z.B. das heimliche Betreten von Wohnungen, Lauschangriffe etc. Die Exekutive versuchte lan~e, solches Vorgehen auf § 34 StGB zu stützen, was die "Fachwelt" nahezu einhellig (und zu Recht) rur unvertretbar hielt. Ausdruck der ~acht solcher Fachkritik, zu~leich aber eines kurios inadäquaten Umgangs damit ist eine Außerung des Sachverständigen Ermittlungsbeamten Wöbking zu dieser Frage in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des deutschen Bundesta~es. Er hält genau umschriebene Ermächtigungsgrundlagen rur "Feuerproben" zu gefährlich, weil sie von der Gegenseite zur Entlarvung des Probanden benutzt werden könnten, und argumentiert: "Deswegen wäre es mir eigentlich am liebsten, wenn wir uns mit den Herren Professoren und der Rechtsprechung in Deutschland darauf verständigen (!) könnten, den § 34 als das Instrumentarium zu bestimmen, das hier analog zur Anwendung kommen soll" (protokolle des Rechtsausschusses, 12. Leg.periode 31/106). Diese Äußerung illustriert einerseits, daß man an einer einhelligen Kritik der Fachwelt kaum vorbeikommt und andererseits zugleich das doch reichlich instrumentelle Rechtsverständnis, das in der Exekutive nicht selten anzutreffen ist. 254 kritisch zu den Möglichkeiten einer gleichwertigen Beteiligung der in verschiedenen Rollen an solchen "Diskursen" Teilnehmenden: Luhmann, Diskussion als System, in: Systemtheoretische Argumentationen, S. 332.

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v. Staatsgewalt als Gewaltmonopol

- Zur Notwendigkeit von Justizgewährleistung

Die vorstehenden Überlegungen haben ergeben, daß innerhalb von Rechtserkenntnisprozessen Verfahrensgarantien Bedingung dafUr sind, daß die den Bürgern durch verbindliche Entscheidung auferlegten Pflichten sich im Rahmen der materiellen Gesetze halten. Angesichts der Rechtserkenntnisprozesse setzt Gesetzesbindung i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG innerhalb derselben daher Verfahrenspositionen der Betroffenen voraus. 1. Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG im Hinblick auf das Gewaltmonopol

Offen ist bislang jedoch die Frage, ob Art. 20 Abs. 3 GG auch die Justizgewährleistung als solche beinhaltet. Wie bereits angedeutet, hängt die Entscheidung dieser Frage davon ab, welchen Anspruch Art. 20 Abs. 3 GG vorträgt: Interpretiert man Gesetzesbindung i.S.v. Art. 20 Abs. 3 GG dahingehend, daß allein die normative Verpflichtungskraft der Gesetze, d.h. die Unzulässigkeit "dispensatorischer Akte"2ss durch Exekutive und Legislative gemeint ist, dann haben Gesetze ausschließlich die Funktion, legitime, weil legale Staatstätigkeit von illegitimer, weil illegaler zu unterscheiden. Art. 20 Abs. 3 GG legitimiert in diesem Falle nicht die Institutionalisierung von (monopolisierter) Staatsgewalt als solcher. Interpretiert man Gesetzesbindung LS.v. Art. 20 Abs. 3 GG hingegen als Bindung an wirksame Gesetze, also als die verfassungskräftige Verbürgung von Kontrollmechanismen, dann hat Art. 20 Abs. 3 GG legitimatorischen Charakter: Der die Rechtsordnung konstituierenden Staatsgewalt kommt über die Verwirklichung der Rechtsbindung im Verhältnis zwischen Bürgern und Staat die Funktion eines Garanten der Rechtsordnung zu. Sie ist dann wegen dieser Funktion prinzipiell legitim. Einzelne Rechtsverstöße stellen dann diese generelle Rechtfertigung nicht infrage. Diese Legitimation staatlicher Gewalt geht über die Legitimation hinaus, die staatlichem Handeln wegen (und rur den Fall) seiner Gesetzmäßigkeit - also qua Gesetz - schon zukommt2s6 . In der Literatur wird in diesem Sinne der legitimatorische Charakter der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG vielfach betont, teilweise, ohne daß

m Jellinek, Staatslehre, S. 614.

256 die Folge solcher Legitimation ist nicht etwa die Rückkehr zu der "Vermutung rur die Rechtmäßigkeit " (Otto Mayer) staatlichen HandeIns vor deren justizieller Kontrollle sondern lediglich, daß die Verweisung auf den Rechtsweg private Selbsthilfe beschränkt.

11*

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jedoch daraus die entsprechenden Konsequenzen gezogen WÜTden2S7 • Die Auslegung dieser Vorschrift belegt, daß das zuletzt entwickelte Verständnis das zutreffende ist. Der Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG ist wenig aufschlußreich, die Formulierung "die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind ans Gesetz gebunden läßt beide Deutungen zu. R

Die historische Auslegung ergibt, daß unter Gesetzesbindung überwiegend die Verknüpfung von Gesetz und Kontrollmechanismen verstanden wurde. In diesem Sinne wurde, wie dargestellt, die Lehre vom Staatsunrecht, die die Sanktionierung staatlicher Rechtsverletzungen zum Inhalt hat, stets als aus der Gesetzesbindung resultierende Forderung begriffen. Auch die Forderung nach justizieller Kontrolle staatlicher Tätigkeit wurde aus dem Prinzip der Gesetzesbindung hergeleitet, eben weil man darunter die Wirksamkeit der Herrschaft des Rechts verstand258 • So ist, wie Schlink259 gezeigt hat, der Begriff Gesetzesbindung auch in der Rechtsprechung stets im Zusammenhang mit deren Kontrollierbarkeit gesehen worden: Das preußische Oberwaltungsgericht hat seine Entscheidungskompetenz aus dem Prinzip der Gesetzesbindung hergeleitet - was einen Begriff von Gesetzesbindung voraussetzt, der justizielle Kontrolle impliziert. Der parlamentarische Rat hat sich mit diesem Problem - jedenfalls im Rahmen des Art. 20 Abs. 3 GG - nicht befaßt. Art. 20 Abs. 3 GG wurde völlig undiskutiert in die Zentralbestimmung des Art. 20 GG aufgenommen260 • Daß die Möglichkeit, Rechtsverletzungen geltend zu machen, auch nach der Auffassung des Verfassungsgebers konstitutiv ist rur Gesetzesbindung innerhalb einer durch Staatsgewalt wirkmächtigen Ordnung, davon zeugen jedoch die Debatten um die - das gleiche Problem bergende - Vorschrift des Art. 1 Abs. 3 GG261 • Mit der Formulierung, daß die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und

257 Für den legitimatorischen Charakter: Isensee, HBdStRs, Band I, § 13, Rdnr. 92; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers, S. 5 ff.; Hesse, Der Rechtsstaat im Verfassungssystem des Grundgesetzes, S. 21; Starck, HBdStRs, Band 11, § 29, Rdnm. 2, 8; E. W Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 74. 251 Mittermaier, AcP 21 (1838), 254 ff.; Bähr, Der Rechtsstaat, S. 269 ff.; Stahl, Rechts- und Staatslehre, Band 11, S. 137 f; Jellinek, System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 242. 259 Der Staat 1973, 85 ff. (98 ff.). 260 vgl. die Darstellung bei v. Doemming / Füßlein / Matz, JöR (NF) 1, 195 ff. 261 vgl. rur die Auslegung des Art. 1 Abs. 3 GG im hier vertretenen Sinne: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 462 f

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Rechtsprechung binden, wollte man zum Ausdruck bringen, daß diese Grundrechte ,,nicht bloß Deklamationen, Deklarationen und Direktionen sind... , sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht, aufgrund dessen jeder einzelne Deutsche, jeder Bewohner unseres Landes vor den Gerichten soll Klage erheben können"262. Dies legt es nahe, daß die annähernd gleich formulierte Bindung an das einfache Gesetz ebenso verstanden wurde. Schließlich zwingt auch die systematische Auslegung dazu, Art. 20 Abs. 3 GG als Verfassungsnorm mit dem Anspruch der Legitimation staatlicher Gewalt zu begreifen. Art. 79 Abs. 3 GG zeigt, welchen Stellenwert die in Art. 20 GG wiedergelegten Grundsätze haben. Sie werden als die fllr die Ordnung des Grundgesetzes konstitutiven Prinzipien begriffen. Dies spricht dafllr, daß man in ihnen Grundsätze festgelegt haben wollte, die unverzichtbar fUr die Legitimität der gesamten staatlichen Ordnung sind. Legt man Art. 20 Abs. 3 GG in traditionellen Sinne aus, fehlt jedoch der legitimatorische Bezug auf die staatliche Ordnung als solche: Gesetzlichkeit als bloßes Legitimitätskriterium ist - im Unterschied zu den anderen Prinzipien des Art. 20 Abs. 3 GG, dem Demokratieprinzip, der Gewaltenteilung - kein Prinzip, das diese Ordnung in dem Sinne konstituiert, daß es ihr " Wert" verleiht, weil es sie nur selbst bewerten hilff63 . Während z.B. das Demokratieprinzip Staatsgewalt durch das Verfahren ihrer Genese rechtfertigt, vermag Gesetzesbindung - im traditionellen Sinne verstanden dies nicht: Nur, wenn Staatsorgane sich an die Gesetze halten, ist Staatsgewalt gerechtfertigt. Diese Interpretation des Art. 20 Abs. 3 GG fUgt sich also weder in die Systematik des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG selbst, noch in deren Bewertung durch Art. 79 Abs. 3 GG ein. Hinzukommt, daß Art. 20 Abs. 4 GG, das Widerstandsrecht gegen Angriffe in die - durch Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG definierte - Ordnung nur verständlich wird, wenn man das reale Funktionieren dieser Gruildsätze darunter versteht: Dies nicht nur deshalb, weil das Widerstandsrecht sachlich voraussetzt, daß diese Grundsätze die gesamte Ordnung legitimieren. Vor allem ergibt sich dies daraus, daß eine "Beseitigung dieser Ordnung" sub specie Art. 20 Abs. 3 GG ausgeschlossen wäre. Beseitigung

262 Carlo Schmid, JöR (NF) 1, 43; allgemein: v. Doemming I Füßlein I Matz, JöR (NF) 1, 48 t1

263 damit ist nicht gesagt, daß an dieser Stelle zu dem oben zurückgewiesenen Verständnis der Verfassung als Wertordnung zurückgekehrt wird. Deren Kennzeichen besteht darin, daß Grundrechte als "bloße" Optimierungsgebote verstanden werden, also keinenRegelungscharakter aufweisen. Hier hingegen geht es darum zu ermitteln, welche Regelung Art. 20 Abs. 3 GG triiR.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

der Gesetzesbindung kann überhaupt nur als Außerkraftsetzen der ihr dienenden Institutionen oder als Propagierung der Gesetzlosigkeit verstanden werden. Rechtlich läßt sich Gesetzesbindung nämlich nicht beseitigen: Auf einfachgesetzlicher oder gar exekutivischer Ebene wegen des Vorrangs der Verfassung bzw. des Gesetzes nicht, auf verfassungsrechtlicher Ebene wegen Art. 79 Abs. 3 GG nicht. Dies alles spricht daftlr, Art. 20 Abs. 3 GG ebenso wie alle anderen Prinzipien dieses Artikels als Garantie des realen Funktionsmodus zu interpretieren. 1. Konsequenzen

Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob die Wirksamkeit von Gesetzen als Schranken staatlicher Macht notwendig eine qualifizierte Justizgewährleistung meint, für die dann die gesamten lustizstandards gelten. Das hängt - wie oben im Zusammenhang mit lustizstandards bereits erörtert - im wesentlichen davon ab, ob andere wirksame Kontrollmechanismen in Betracht kommen. Deren Wirksamkeit setzt auch hier voraus, daß sie die Bürger zu Inhabern von Rechten machen. Die Wahrung ihrer Rechte darf nicht von der Rechtstreue der Organwalter abhängen; dies ist die Prämisse jeder Notwendigkeit von Bindung durch Kontrolle. Fraglich ist hier insbesondere, ob als Kontrollformen objektive, nicht öffentliche Kontrollen durch ein parlamentarisches Gremium oder durch Richter in Betracht zu ziehen sind. Selbst wenn man die Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an objektive Kontrollen gestellt hat, genügen ließe, läßt sich eine solche objektive Kontrolle verdeckten staatlichen Handeins nicht gewährleisten. Demnach müssen auch objektive Kontrollen laufend stattfmden264• Die durch "Vorprüfung" des Betroffenen legitimierte, bloße Stichprobenkontrolle genügt bei Ersetzung durch objektiven "Rechtsschutz" also nicht. Eine laufende richterliche oder parlamentarische Kontrolle des Einsatzes verdeckter Ermittier läßt sich allerdings nicht durchftlhren. Sie würde voraussetzen, daß solche Gremien nicht lediglich darüber entscheiden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Einsatzes vorliegen, sondern sie hätten vor allem auch die Anwendung der Ermittlungsmethoden laufend zu überprüfen. Das läßt sich schlechterdings nicht realisieren. Selbst wenn man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes folgte, stellte sich daher die Ermächtigung zur Vornahme verdeckter Ermittlungen als

264

BVerfGE 30, I ff. (23 fI).

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eine Ennächtigung zu unkontrollierbarer Tätigkeit dar. Sie unterwirft die Bürger der Willkür der Ennittler und ist bereits deshalb nichtig. Aber es läßt sich auch hier zeigen, daß objektive Kontrollen, selbst wenn sie sich durchfiihren ließen, die Abhängigkeit der Bürger von der Rechtstreue der Staatsorgane nicht beseitigen würden. Das Gegenteil würde nämlich voraussetzen, daß sich die Entscheidungen des - anstelle der subjektiven Rechtskontrolle tretenden, nicht öffentlich verhandelnden - parlamentarischen oder richterlichen Kontrollgremiums von denen der Exekutive zugunsten der Betroffenen unterscheiden. Eine solche qualitative Differenzierung könnte erstens darauf gestützt werden, daß das Kontrollgremium als zweites Organ - nicht in eigener Sache - entscheidet und zweitens darauf, daß insbesondere parlamentarischen Gremien, etwa wegen ihrer Zusammensetzung, ein höheres Maß an Bürgernähe zuzutrauen wäre, zumal es um den Vollzug der von diesem Gremium selbst getroffenen Entscheidungen gehf 6s • Eine subjektive Rechtskontrolle, die sich vor den Augen der Öffentlichkeit vollzieht, verhindert die Willkür des Entscheidenden, indem sie ihn nötigt, sich mit den rechtlichen und tatsächlichen Argumenten des Betroffenen auseinanderzusetzen und seine Entscheidung angesichts der vorgebrachten Argumente öffentlich zu rechtfertigen. Demgegenüber hängt die Wirksamkeit einer objektiven Kontrolle davon ab, daß der Kontrolleur andere Interessen mit der Entscheidung verfolgt als der Kontrollierte und daß sich die Interessen des betroffenen einzelnen als geeignetes Mittel erweisen, das Interesse des Kontrolleurs durchzusetzen - und zwar in jedem Einzelfall. Schon die Divergenz der Interessen von Parlamentariern und (parlamentarisch in gewissen Umfang gesteuerter) Exekutive ist zweifelhaft. Sie besteht am wahrscheinlichsten zwischen partiellen Ressort- und allgemeinen staatspolitischen Interessen. Wenn solche Interessen auseinanderfallen, ist in der Tat gesichert, daß sich das Kontrollorgan dann auch der Interessen einzelner annimmt. Dies ergibt aber noch keine Kontrollgarantie für jeden Fall der Rechtsverletzung. Auch die Tatsache, daß ein Organ entscheidet, das dadurch nicht selbst exekutivische Aufgaben erftlllt, hilft nur weiter, wenn dies Organ die eigene politische Bewertung des Falles freiwillig der gesetzlichen Bewertung unterordnet.

265 Dies ist jedoch aus historischer Sicht der Gedanke, der der Besetzung der richterlicher Entscheidungskörper mit Menschen "aus dem Volk" zugrunde\ag, sowohl im Strafrecht beim Kampf um die Geschworenengerichte (dazu Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 54) als auch bei v. Gneists Forderung von Verwaltungsgerichten als Selbstverwaltungskörperschaften (v. Gneist, Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht, § 130, § 170 f.); darauf stützt sich auch Schlink, Der Staat 1973, 85 ff. (105 f.).

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Die Überlegung, ein parlamentarisches Kontrollgremium sei der Exekutive qua Zusammensetzung an Rechtstreue überlegen, ist nicht schlüssig. Sie könnte zum einen darauf basieren, daß parlamentarische Entscheidungen eher dem allgemeinen Interesse entgegenkommen. Diese (an sich zutreffende) Annahme ist jedoch vor allem durch das parlamentarische Entscheidungsverfahren begründet: Die öffentliche Diskussion, die Parlamentsbeschlüssen vorangeht, verbürgt eine gewisse Verallgemeinerungsfähigkeit. Sie fehlt bei Gremien, die nicht öffentlich entscheiden. Damit verliert zugleich das Argument, einem solchen Gremium gehe es um den Vollzug eigener, in den Gesetzen verkörperten Entscheidungen, an Bedeutung. Was man öffentlich noch glaubt vertreten zu können, muß nicht mit dem zusammenfallen, was man politisch rur richtig hält. Die SubjektsteIlung des Betroffenen erweist sich aus dieser Sicht als notwendige Voraussetzung von Kontrolle. Nicht zwingend ist hingegen, daß die Kontrolle speziell der Judikative anvertraut ist. Sofern jedoch Justizgewährleistung als Synonym filr Entscheidung durch ein öffentlich tagendes, unabhängiges Gremium verstanden wird, das justizfbrmig, d.h. unter Beteiligung und auf Initiative des Betroffenen verfährt, verlangt Art. 20 Abs. 3 GG Justizgewährleistung. Zugleich ist diese Garantie gern. Art. 79 Abs. 3 GG der Abwägung entzogen.

I. Unterschiedliche Konzeptionen von SubjektsteIlung

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D. SubjektsteIlung durch Verfahren und im Verfahren als Ausdruck der Menschenwürde Das Recht und die Möglichkeit, "seine" Sache vor einem öffentlich verhandelnden Gericht selbst zu vertreten, also Justizgewährleistung ebenso wie SubjektsteIlung innerhalb von Verfahren, findet nach einer verbreiteten Auffassung seine Grundlage in der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG266 • Bevor dazu Stellung genommen werden kann, ob eine solche SubjektsteIlung in Art. 1 Abs. 1 GG.zu verorten ist, muß zunächst einmal herausgearbeitet werden, was sie sichern soll und was ihre Grundgedanken sind.

I. Unterschiedliche Konzeptionen von SubjektsteIlung Im Kontext des Art. 1 Abs. 1 GG kommen vier unterschiedliche Begründungen in Betracht: 1. Achtung der Person

Zunächst kann man die SubjektsteIlung als Ausdruck der Achtung einer Person durch die Staatsorgane deuten267 • Die Anerkennung der Würde einer Person gebietet zugleich die Achtung ihrer Argumentationsfähigkeit, also auch ihrer Argumente. Läßt man eine Person nicht "zu Wort kommen", räumt man ihr keine SubjektsteIlung ein, so verbirgt sich dahinter prima facie eine "verächtliche Behandlung". Das Recht, ein Verfahren mit umfassendem rechtlichem Gehör zu erhalten, dient dann nicht mittelbar dem Schutz der Menschenwürde, sondern es resultiert unmittelbar aus ihr. Die SubjektsteIlung hat aus dieser Sicht einen Eigenwert. Auch die Öffentlichkeit des Verfahrens läßt sich auf diese Weise begründen: Bestrafung bedeu-

266 BVerfGE 65, 1 ff. (44, 46, 49);63, 332 (337 f.); 9, 89 (95); 38, 105 (114); BKSchenke, Art. 19 Abs. 4, Rdnm. 74 ff.; Dürig, Gutachten, S. 10 ff.; Pieroth / Schlink, Rdnr. 409; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), 1177 ff. (1195); Haeberle,lZ 1971, 145 ff. (151); ders., Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30, 80 ff.; Badura,lZ 1964, 337 (342); Haeberle, HBdStRs, Band I, § 20, Rdnm. 52, 76; Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 66; MDH-Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rdnm. 34, 36; Rupp, NIW 1971,275 ff.; Ossenbühl, NVwZ 1982, 467; Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 133 ff.; Sax, in Bettermann / Neumann / Nipperdey, Die Grundrechte, 111/2, S. 909 ff. (966 ff.); Schorn, Der Schutz der Menschenwürde, passim; Maihofer, Menschenwürde im Rechts-

staat, S. 33. 267 BVerfGE 30, 1 ff (27); Benda, HBdVerfRs, S. 114 f.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

tet stets, daß der Straftäter vor der Öffentlichkeit zur Verantwortung gezogen wird268 , daher muß er auch öffentlich zu Wort kommen können. Eine solche Begründung der SubjektsteIlung macht diese jedoch relativierbar: Sofern Einschränkungen nicht von der Erwägung getragen sind, man messe den Argumenten einer Person deshalb keine Bedeutung bei, weil man den Wert der Argumente bestimmter Personen bestreitet, sondern auf anderen GrUnden beruhen - wie hier der Wirksamkeit von Strafverfolgung -, tangieren sie Art. 1 Abs. 1 GG nicht. Dies deshalb, weil SubjektsteIlung nicht als Organisationsregel für staatliches Handeln, sondern als Ausdruck einer von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Haltung gegenüber Menschen betrachtet wird. 1. Beherrschbarkeit eigenen Tuns

Sodann kann man die SubjektsteIlung als Ausfluß der Autonomie insofern ansehen, als filr den einzelnen - im Verhältnis zum Staat - sein Tun beherrschbar sein muß, dergestalt, daß der einzelne die Kontrolle über seine Kontakte zum Staat hat269 • Diese Stellung soll den Bürger zum Subjekt seiner Rechte nicht in dem Sinne machen, daß er seine Rechte im Verhältnis zum Staat innehat, also durchsetzen kann, sondern in dem Sinne, daß er von ihnen als Agent Gebrauch machen, daß er sie als bewußt anerkannte Rechte bzw. Freiheiten final handhaben kann. Geschützt ist hier seine Autonomie im Sinne einer Steuerungsflihigkeit eigenen Verhaltens. Vorausgesetzt sind Freiheiten, die als Negation der Verpflichtung zur Sozialität (im Hinblick auf den Staat) nur wahrgenommen werden können, wenn erkennbar ist, welche Sozialkontakte (wieder bezogen auf den Staat) man pflegt und welche Konsequenzen aus diesen Kontakten resultieren. Eine solche Sichtweise erfaßt nicht Einwirkungschancen im Verfahren insofern ist sie sub specie SubjektsteIlung, wie sie traditionell verstanden wird, fragmentarisch. Allerdings ist es ihr zufolge ausgeschlossen, mit Betroffenen zu verfahren, ohne daß ihnen dies zu Bewußtsein oder Kontrolle gelangt. Heimliches Verfahren wäre hier problematisch, weil sich scheinbar private Lebensäußerungen objektiv als Information staatlicher Organe darstellen. Auf diese Weise ließe sich das Gebot der Betroffenen-Öffentlichkeit begründen. Auch hier hat die SubjektsteIlung einen Eigenwert - sie dient nicht mittelbar der Sicherung einer Freiheitssphäre oder anderer Rechte, sondern sie ist Selbstzweck,

268 sonst ließen sich generalpräventive Strafzwecke nicht erreichen. Urteilstenor und grunde sind daher stets öffentlich. 269 in diese Richtung Podlech, AK-GG, Art. I Abs. I, Rdnr. 39; Lammer, Verdeckte Ennittlungen, S. 87.

I. Unterschiedliche Konzeptionen von SubjektsteIlung

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weil Merkmal einer - strategisch gedachten - Autonomie. Aus ihr resultiert im Unterschied zur zuerst dargestellten Konzeption eine Organisationsregel rur staatliche Tätigkeit. 3. Selbstbehauptung

Darüberhinaus kann sich die Notwendigkeit der SubjektsteIlung aus einem Recht zur Selbstbehauptung ergeben270 • Sie ist dann Mittel zur Sicherung eigener Rechte. SubjektsteIlung ist aus dieser Sicht Bedingung der Möglichkeit von Autonomie, nicht selbst Wahrnehmung von Autonomie. Indem der Betroffene die Staatsorgane zwingen kann, ihre Rechtsanwendung öffentlich zu rechtfertigen, wahrt er seine eigene Rechtsposition und sichert filr sich Rechtsanwendungsgleichheit. Wenn nicht die Rechtsanwendungsgleichheit als gleiche Achtung aller Rechtsunterworfenen von Art. 1 Abs. 1 GG gefordert ist, dann ist der Menschenwürdegehalt der so begründeten SubjektsteIlung allerdings akzessorisch zur Bedeutung der Rechte, um deren Sicherung es geht. Maßgeblich ist aus dieser Perspektive darüberhinaus, ob die SubjektsteIlung erforderlich ist zur Wahrung der betroffenen Rechte. Dies setzt voraus, daß Staatsorgane nicht aus sich heraus die Menschenwürde von Betroffenen achten, oder daß allein gewaltenteilige Organisation - ohne SubjektsteIlung der Bürger - nicht hinreicht, um die Achtung der Menschenwürde zu erzwingen. 4. Negation personaler Unterordnung

Schließlich läßt sich die SubjektsteIlung in und durch Verfahren auch so begründen, daß durch sie die Gleichwertigkeit von Bürgern und Staatsorganen bzw. Organwaltern erst hergestellt wird. Gleichwertigkeit meint hier nicht die Aufhebung der formalen Unterordnung unter staatliche Entscheidungskompetenzen. Sie meint vielmehr, daß anstelle einer personalen Unterordnung unter die zur Rechtsanwendung befugten Staatsorgane, also an die Stelle voluntaristischer Macht die Unterordnung beider unter die Gesetze tritt. Auch in diesem Falle hat die SubjektsteIlung einen Eigenwert, der in der Zuerkennung gleicher1J - nur

270 BVerfGE 56,49; Hassemer, FS für Maihofer, S. 203; Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Bedeutung im Strafverfahren, S. 133 f., der allerdings dieses Recht zur Selbstbehauptung mit der Personenwürde, verstanden als Achtung des Menschen als selbstverantwortliche Persönlichkeit (i.S.d. unter I) abgehandelten Anspruchs), verknüpft. 271 Die Betonung des Gleichheitsgedankens findet sich bei Dürig, AöR 81, 117 ff. (123); Benda, Gefährdungen der Menschenwürde, S. 13; Behrendt, Menschenwürde als

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

durch das Gesetz limitierter - Autonomie, d.h. in der Negation der Unterwerfung unter fremde Willkür besteht. Daraus würde sich die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern umfassend herleiten lassen. Im Unterschied zur ersten Deutung der SubjektsteIlung hängt hier die Frage, ob deren Einschränkungen die Menschenwürde tangieren, nicht vorn Motiv der Einschränkung ab. Da erst die SubjektsteIlung die Gleichheit von Rechtsanwendern und Bürgern vor dem Gesetz begründet, fUhrt ihr Fehlen stets zu einer personalen Unterordnung. Auch von der Begründung der SubjektsteIlung aus dem Gedanken der Selbstbehauptung unterscheidet sich diese Konzeption erheblich: Die Macht, die den einzelnen hier durch Verfahren zuwächst, ist nicht akzessorisch zum Menschenwürdegehalt der Rechte, um deren Wahrung es geht. Im folgenden werde ich untersuchen, inwieweit sich die dargestellten Begründungen der SubjektsteIlung in den jeweils vertretenen Menschenwürdekonzeptionen wiederfinden und ihren Niederschlag in Art. I Abs. I GG gefunden haben.

ll. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedentlich zu der Notwendigkeit einer SubjektsteIlung in und durch Verfahren Stellung genommen. In Entscheidungen, die vor dem sog. ,,Abhörurteil" ergangen waren, wurde die Möglichkeit der Einflußnahme durch von staatlichen Verfahren Betroffene, insbesondere durch rechtliches Gehör als Erfordernis der Menschenwürdegarantie anerkannt272 • In der Abhörentscheidung273 selbst heißt es dazu, die SubjektsteIlung des Betroffenen sei zwar gern. Art. 1 Abs. I GG vorn Grundsatz her geboten, es komme indes auf den Zweck dieser Suspendierung an. Sofern es zum Schutze der freiheitlich, demokratischen Ordnung geboten sei, erfahre dieser Grundsatz Einschränkungen. Allerdings verbiete es Art. lAbs. 1 GG, den Bürger der Willkür von Behörden auszusetzen, diesem Verbot sei indessen durch die Gewährleistung einer objektiven Rechtskontrolle Genüge getan.

Problem der sozialen Wirklichkeit, S. 18; Nipperdey, in: Bettermann / Neumann / Nipperdey, Die Grundrecht, 11/2, S. 12; Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. I, Rdnr. 29; Pieroth I Schlink, Rdnr. 407, aber auch in BVerfGE 5, 85 ff. (205). 272 BVerfGE 7, 275 (279); 9, 89 ff. (95); 26, 66 ff. (71). 273 BVerfGE 30,1 ff. (27 f).

11. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Offenbar versteht das Gericht die Subjektstellung des Betroffenen in den ersten Begründungsschritt ausschließlich im Sinne der zuerst dargestellten Konzeption, als Anerkennung der Eigenständigkeit der Person durch Achtung ihrer Argumente. Anklänge an die vierte Lesart finden sich dann in dem Verbot, den Betroffenen der Willkür der Staatsorgane auszusetzen. Doch identifiziert das Bundesverfassungsgericht Unterwerfung unter Willkür hier nicht mit dem Fehlen einer Rechtfertigungslast (aus dem Gesetz) gegenüber Argumenten des Betroffenen, sondern gegenüber anderen staatlichen Instanzen. Es kommt ihm also nur auf die Negation personaler Unterordnung speziell im Verhältnis zum in eigener Sache entscheidenden bzw. handelnden Organ, nicht auf die Herstellung von Gegenseitigkeit zwischen Staatsorganen und Bürgern an. Begründet wird diese Auffassung im wesentlichen negativ: Maßstab fUr die Verletzung der Menschenwürde könne nicht sein, ob der Betroffene zum Objekt staatlichen Handeins werde. Darunter versteht das Bundesverfassungsgericht eine Unterordnung des Betroffenen, die seinem Willen und seinen Interessen zuwiderläuft - also im Grunde jede Unterordnung. Aus der Sozialbindung des einzelnen resultiere vielmehr, daß Bürger sich regelmäßig entgegen ihren Interessen fügen mUßten. Entscheidend sei daher, ob sich eine solche Unterordnung als Mißachtung ihrer Würde darstelle, also ob die Behandlung durch Staatsorgane verächtlich sej274. Diese Argumentation bezeichnet ein spezifisches Problem der Bestimmung des Menschenwürdebegriffs. Fast alle Konzepte zu Art. 1 Abs. 1 GG basieren insofern auf der Objektformel, als sie Menschenwürde mit der Autonomie einer Person verknüpfen und Autonomie als Freiheit verstanden wird, dem eigenen Willen Folge zu leisten - nicht fremder Willkür(herrschaft) unterworfen zu sein27S • Aber eine schrankenlose Autonomie taugt nicht als Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG: Ihr gegenüber erscheint jede Beschränkung durch äußere Zwänge oder durch Belange anderer als Heteronomie276 . Will man die Verknüpfung von Menschenwürde und Autonomie gleichwohl nicht aufgeben, sondern bestimmen, wann Beschränkungen dieser Autonomie in menschenwürdeverletzende Tatbestände umschlagen, bieten sich zwei Wege an: Man fragt nach

274 BVerfGE 30, 1 ff. (26).

K. Stern, Festschrift rur Scupin, S. 632; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 323; siehe auch die Zusammenstellung bei Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 176 ff. 276 BVerfGE 30, 1 ff. (26 f.); Benda, HBdVertRs, S. 107 ff.; vgl. dazu die Kritik bei Haeberle, JZ 1971, 145 ff. (151); Rupp, NJW 1971,275 ff.; Minderheitsvotum, BVerfGE 30, 1 ff. (33 ff.; 41). Zweifel an der Stringenz solcher Kritik mit guten Gründen bei Denninger, Staatsrecht, Band I, S. 22 ff.; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 140. m Dürig, AöR 81, S. 177 ff. (125);

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Teil 2: VerfassungsrechtIiche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

dem Gehalt der Autonomie, also danach, wozu sie dient oder worin sie besteht. Daraus lassen sich Grenzen der Autonomie selbst ableiten, z.B., daß die Freiheit zur Unterwerfung anderer nicht geschützt sei. Oder man orientiert sich am Grund für Autonomie, der vielfach in der prinzipiell gleichen Gültigkeit eines jeden Willens gesehen wird. Dann läßt sich bestimmen, welche Schranken für den autonomen Willen mit dieser Begründung noch vereinbar sind277 •

111. Wichtige Traditionen des Menschenwürdebegriffs und deren Bedeutung rür die SubjektsteIlung Eine der wenigen Menschenwürdekonzeptionen, in denen beide Aspekte (nämlich die Frage nach der Begründung von Autonomie und die Frage, wozu sie dient) systematisch zusammengeführt werden, ist diejenige Kants. Da ihr auch heute noch erhebliche Bedeutung für die Auslegung des Art. 1 Abs. I GG beigemessen wird278 , soll sie im folgenden kurz dargestellt werden. In Kants Begriffsbestimmung sind Gleichheit und Freiheit Grund der Autonomie, sie schreiben zugleich deren Inhalt fest. Begründung und Inhalt der Autonomie erläutern sich gegenseitig. Kant zufolge ist Autonomie nicht Freiheit empirischen Wollens, weil dieses empirische Wollen kausal erklärbar ist2 79 • Autonomie ist vielmehr die Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung, sie setzt Freiheit2 80 voraus281 , die als Fähigkeit des homo nournenon postuliert282 wird

277 Die Gefahr einer solchen Verknüpfung des Menschenwürdebegriffes mit der Frage, wozu Menschenwürde eingeräumt wird, besteht darin, daß man geneigt ist, zu fragen, ob der durch Art. 1 GG Geschützte den Schutz auch wert ist. Diese Gefahr wird allenthalben gesehen (vgl. nur Benda, Gefährdungen der Menschenwürde, S. 15 f.; und die überzeugende Kritik bei U. K. Preuß, Die Internalisierung des Subjekts, S. 262 ff.). Diese Gefahr wird auch hier beachtet, schlägt allerdings im Ergebnis nicht durch, wenn man der formalen Auffassung von Autonomie und Grund der Autonomie folgt. Für eine solche material-wertgebundene Konzeption dagegen z.B. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 150. 278 Starck, JZ 1981, 457 ff. (460 f.); Verdross, EuGRZ 1977, 207 ff.; Maihofer, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 20 ff., 64,47 f.; Zippelius, in: Evangelisches Staatslexikon I, Sp. 2131; Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ff. (127) greift nur insoweit auf Kant zurück, als er dessen Objektformel verwendet, tatsächlich vertritt er eine materiale Wertethik. 279 gemeint ist ein bedingtes, gleichwohl nicht notwendiges Wollen: Metaphysik der Sitten, S. 112 ff.; auch: Kritik der reinen Vernunft, S. 489 ff. zur Alternativität von causa efticiens und causa finalis. 280 nicht als Freiheitssphäre, sondern als causa finalis gemeint; Metaphysik der Sitten, S. 89 (103 ff.); Kritik der reinen Vernunft, S. 488. 281 zugleich ist Autonomie Freiheit, insofern der vernünftige Wille anstelle des Naturgesetzes, der causa efficiens, Gesetz wird, (S. 109). Auf dieser Tautologie basiert die Kritik Kant'scher Metaphysik der Sitten, vgl. hierzu Denninger, Staatsrecht, Band 1,

III. Wichtige Traditionen des Menschenwürdebegriffs

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und als praktische Unflihigkeit, anders als unter der Idee der Freiheit zu handeln, real ist283 • Die Idee der Würde eines jeden vernünftigen Wesens ist es, daß es keinem Gesetze gehorcht als dem, das es sich zugleich selbst gibt284 • Aus dieser Gleichheit der Autonomie bzw. Würde aller Menschen ergibt sich auch der Inhalt der Selbstgesetzgebung: "Handele nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde ft285 • Daraus läßt sich nun ableiten, wann man den einzelnen als Subjekt - nicht als Objekt behandelt: Dies ist immer dann der Fall, wenn man ihn Regeln unterwirft, denen er, würde er autonom handeln, ohnehin Folge leisten müßte. Die Achtung des anderen, des alter ego 286 ergibt sich hierbei aus der Allgemeinheit der Maxime (die keineswegs mit der semantischen Abstraktheit der Regeln identifiziert werden darf), die ja die Perspektive des anderen, d.h. dessen Anspruch auf Selbstgesetzgebung, miteinbezieht. Man erkennt unschwer, daß hier das Demokratieprinzip Pate gestanden hat287 • Demnach scheint sich die Bedeutung der Menschenwürde als Eingriffsschranke im Verhältnis zwischen Bürger und Staat in dem Gebot der Verallgemeinerungsflihigkeit von Gesetzen zu erschöpfen. Eine solche Deutung Kant'scher Theorie greift jedoch zu kurz. Sie mißachtet, daß mit dieser Regel lediglich ein Moralprinzip formuliert ist, das nur der Anleitung privaten Handeins dient, aber keine Instanz kennt, die tUr andere verbindlich entscheidet - also die Selbstgesetzgebung ersetzt und monopolisiert. Einer solchen Instanz gegenüber gewinnt Autonomie - als Recht interpretiert eine weitergehende Bedeutung, es muß dem einzelnen das Recht zu Selbstgesetzgebung belassen werden. Entgegen einer verbreiteten Kantinterpretation288 läßt sich daher Autonomie nicht allein durch Ausgrenzung einer Sphäre

S. 25 mit seiner berechtigten Kritik der Objektformel und die radikalen Konsequenzen bei Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 186. 282 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 106 ff., vgl. auch S. 109. 283 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 105. 284 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 87. 285 ebenda, S. 68. 286 ebenda, S. \05, dieser Gedanke wird aufgegriffen von Haeberle, HBdStRs, Band, I, § 20, Rdnrn. 54 f.; ähnlich v. Vitzthum, JZ 1985, 201 ff. (205). 287 vgl. hierzu die Kritik von Habermas, Faktizität und Geltung, S. 123, wonach sich bei Kant Demokratie- und Moralprinzip gegenseitig erläutern. 288 vgl. dazu exemplarisch v. Kielmannsegg, Volkssouveränität, S. 260 ff.; zutreffend hingegen von Isensee, JZ 1981, 1 ff. (5 f.) als Form (nicht Inhalt) der Beherrschung gedeutet; vgl. aber auch seine Deutung des Kant'sehen Freiheitsprinzipes allein im Sinne eines Staatsabwehr-Gedankens in: Grundrecht auf Sicherheit, S. 10 f.; in den Konsequenzen demgegenüber weitergehend I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

der Willkürfreiheit gewährleisten, in der nach Belieben gehandelt werden kann. Dies zum einen deshalb, weil Freiheit, die die Menschenwürde verwirklicht, keine vergegenständlichte Sphäre braucht, weil sie voraussetzungsgemäß mit der Ausübung der Autonomie durch andere nicht kollidieren kann. Die Kehrseite dieser Bestimmung von Autonomie ist es, daß ihr als Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung nicht dadurch Genüge getan ist, daß man anstelle des autonomen Subjekts diesen Regeln vorgibt, sondern erst dadurch, daß man ihm die Freiheit hierzu einräumt - die sich definitionsgemäß nicht auf bestimmte Sphären beschränken läßt. Den entgegengesetzten Interpretationen scheint der Satz Kants Recht zu geben, wonach Gesetze genügen, die "die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz als vereinigt"289 erscheinen lassen. Solche Interpretationen mißachten jedoch, daß Kant hier einen Perspektivenwechsel vorgenommen hat, der seinerseits nicht voraussetzungslos ist: Wenn nunmehr von Willkür und nicht von Autonomie die Rede ist, so deshalb, weil es sich um ein Rechtssystem handelt, das zwar von der Fähigkeit der Beteiligten zur Selbstgesetzgebung ausgeht, aber damit zu rechnen hat, daß dieser Fähigkeit empirisch nicht notwendig Folge geleistet wird. Nur, weil die Pflicht nach eigenen, allgemeinen Maximen zu handeln, nicht notwendig auch befolgt wird, ist Zwang legitim. Erst, daß dies so ist, macht den Staat notwendig, der sich jedoch nun seinerseits vor dem Prinzip der Autonomie zu rechtfertigen haf 90 : Das Prinzip der Selbstgesetzgebung verlagert sich auf den Staat, es geht aber nicht unter. Es nimmt die Form der Unterwerfung unter Gesetze an, denen der Unterworfene zugestimmt hat291 . Diese Unterwerfung muß fUr alle gleichermaßen bestehen, damit nicht einzelne lediglich gehorchen, andere aber befehlen dürfen292 . Diese Geltungsgegenseitigkeif93 (die sich ausdrücklich auf das Verhältnis Befehlsempfllnger zu Befehlsunterworfenem bezieht), wird durch das Prinzip

Theorie des bürgerlichen Rechtsstaates, S. 16 f. Danach verweist die Kant'sche politische Theorie in letzter Konsequenz auch auf eine Regierungsform. 289 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 336. 290 ebenda, S. 345,429,432; ähnlich die Interpretation bei I. Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaates, S. 16 f. 291 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432. 292 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 25 (Anmerkung); es genügt jedoch dann nicht mehr das Wollen aller einzelnen, erforderlich ist das Wollen aller zusammen (S. 54), sonst ist das Ergebnis eben Partikularität, nicht vereinigter Wille. 293 Zum Verhältnis von Universalisierung (Allseitigkeitsprinzip) und Gegenseitigkeitsprinzip (goldene Regel): Maihofer, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 20 ff.. Im Ergebnis soll das Prinzip der Gegenseitigkeit dasjenige der Allseitigkeit hervorbringen und sichern.

III. Wichtige Traditionen des Menschenwürdebegriffs

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der Publizität konkretisiert: Die Frage, wie trotz des Egoismus der "Privatgesinnungen" Autonomie zur Geltung kommf94, stellt sich demzufolge nicht nur filr die einzelnen Bürger als Adressaten der Gesetze. Wenn Selbstgesetzgebung und dieser entsprechendes, pflichtgemäßes Handeln - also Achtung der Autonomie anderer - vom Bürger nicht ohne Zwang erwartet werden kann, dann ebensowenig vom Staat und seinen Organen29S • Damit sich Autonomie in den Formen der Willkürfreiheit (filr ein "Volk von Teufeln") verwirklicht, ist wechselseitiger Zwang aller erforderlich296 , - das gilt voraussetzungsgemäß nicht nur filr die Normadressaten (i.e.S.), sondern auch filr Normgeber und Normanwender. Die" Chance der Gegenbearbeitung, die die Publizität allen staatlichen Handelns erfordert, erzeugt diese Wechselseitigkeit des Zwanges. Sie erweist sich zugleich als Bedingung filr Autonomie und als deren Verwirklichung, indem sie einerseits alle Beteiligten zur Orientierung auf die Verallgemeinerungsfähigkeit zwingt, andererseits die Möglichkeit zur (freiwilligen) Selbstgesetzgebung eröffnet. So ist nach dieser Konzeption Menschenwürde untrennbar verknüpft mit dem Recht und der Möglichkeit, sich staatlicher Gewalt gegenüber Gehör vor der Öffentlichkeit zu verschaffen - was die Öffentlichkeit (i.S.v. Publizität) aller Akte der Staatsgewalt voraussetzt. Diese ist ebenso unbabdingbar filr die Möglichkeit der Autonomie wie jenes. Im Kant' schen Autonomiekonzept finden sich drei der oben dargestellten Begründungen der SubjektsteIlung wieder: Die Einräumung von Gehör ist Ausdruck der (freiwilligen) Achtung der Autonomiefähigkeit des Gegenüber, genügt ihr jedoch keinesfalls. Das Recht zur Gegenbearbeitung dient der Sicherung der eigenen Autonomie vor anderen, zu der die Gleichheit vor dem Gesetz gehört, damit nie-

294 dazu, daß dieszüglich in Kants politischer Philosophie zwei Versionen auszumachen seien, eine wonach die Publizität die Herrschaft der Gesetze naturwUchsig herstellt und eine andere, derzufolge die Publizität auch die Verallgemeinerungsfilhigkeit der Gesetze, d.h. die Moralität derselben herzustellen hat: Habermas, Stnlkturwandel der Öffentlichkeit, S. 192 f. 29S Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432; daß Kant im folgenden formuliert: der Herrscher habe im Staat gegenüber dem Untertan lauter Rechte und keine Zwangspflichten (S. 438), steht dieser Interpretation nicht entgegen: Hier ist der Ausschluß des Widerstandsrechts gemeint, d.h. nichts anderes als das (hier genauso vorausgesetzte) Verständnis von Staat als Gewalt- und Entscheidungsmonopol. Dies steht einem Zwang durch subjektive, durchsetzbare Rechte nicht entgegen; im Gegenteil: es wird durch deren Existenz erst legitimiert - vgl. die Formulierungen, S. 429, 432. Es geht demzufolge um den Widerstand gegen gleichwohl noch mögliches staatliches Unrecht. 296 Kant, Zum ewigen Frieden, S. 47 ff.; vgl. dazu die Kritik von K. Günther, Rechtshistorisches Journal, 1991, 233 ff. und von Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 185 ff., die den liberalen Optimismus, wonach aus der Konkurrenz der Privatgesinnungen ein universelles Gesetz soll resultieren können, nicht teilen.

12 Ve1ten

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mand nur befehlen, die anderen nur gehorchen müssen. SubjektsteIlung dient dabei der Selbstbehauptung, der Erzwingung von Selbstgesetzgebung. Zugleich ist die SubjektsteIlung die Form, in der die eigene Autonomie ausgeübt wird. Sie ist Ausdruck der Gleichheit aller autonomen Subjekte. Zweifelhaft ist indessen, inwieweit sich die Beherrschbarkeit eigenen Tuns gegenüber den Staat auf Kant'sche Füße stellen läßt: Sie ist strategischer Natur und setzt voraus, daß die Handlungsfähigkeit von Subjekten im Verhältnis zum Staat in Frage gestellt wird, wenn dem Staat der "gläserne Mensch" gegenübersteht. Dies hat gedanklich zur Prämisse, daß jeder etwas zu verbergen hat. Die von Kant geforderte Publizität gilt jedoch allseitig. Auch dem Bürger ist es verwehrt, sich gegenüber dem Staat nicht authentisch darzustellen. Im Anschluß an Kant wurde der Begriff der Autonomie vielfach seines moralischen Gehalts entleerf97 . Aus der Freiheit zur Selbstbestimmung wurde Freiheit zur Befriedigung individueller Interessen und Bedürfnisse. Nunmehr erscheint der unpolitische und egoistische, von allen sozialen Bedingungen als unabhängig gedachte Mensch als der natürliche, wahre Mensch. Dieser tritt als Subjekt individueller Rechte dem abstrakten, politischen Menschen, dem Aktivbürger, gegenübe~98. Der andere ist aus der Sicht des natürlichen Menschen nicht mehr "alter ego", sondern Gegenüber, in dessen Rechten die eigene Autonomie ihre Schranken findet. Das allgemeine Gesetz vereinigtnicht mehr die Willkür des einen mit der des anderen, sie grenzt sie als zwei Sphären gegeneinander ab - "Die Grenze, in welcher sich jeder dem anderen unschädlich bewegen kann, ist durch das Gesetz bestimmt, wie die Grenze zweier Felder durch den Zaunpfahl bestimmt ist"299. Das egoistische Individuum, dem der andere vor allem als Objekt der Durchsetzung eigener Interessen erscheint, kann filr sich kaum reklamieren, in seiner Autonomie verletzt zu sein, wenn es selbst als Objekt behandelt wird. Von dem Würdebegriff selbst bleibt in diesem Falle (nur) die materielle Basis der Autonomie, nämlich die Wahrung von Integrität und Identität, allerdings auch die prinzipielle Gleichberechtigung individuellen Wollens, also die Negation von Rangunterschieden, schließlich die Achtung zumindest des forum internum, da

297 vgl. zum folgenden: J. Schmidt, ARSP 1971,383 ff.; Coing, Das subjektive Recht, S. 22 ff., 39 ff.; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 112 ff.; Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, passim; Starck, JZ 1981, 547 ff. (461). 291 vgl. hierzu auch die Kritik von Denninger, Staatsrecht, Band 1, S. 29. 299 Marx, Zur Judenftage, MEW 1, 347 ff. (364).

III. Wichtige Traditionen des Menschenwürdebegriffs

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in diesem Bereich Kollisionen mit dem (gleichberechtigten) Willen anderer ausgeschlossen sind. Dartlberhinaus ergeben sich Grenzen der Beschränkung von Autonomie fUr eine solche Konzeption aus einer historischen Betrachtungsweise: Es muß entschieden werden, in welchen konkreten Fällen Eingriffe in die Autonomie des einzelnen als so gravierend angesehen wurden und werden, daß sie auch dann nicht mehr zumutbar sind, wenn triffiige Gründe fUr sie sprechen. Hier dUrften aus heutiger Sicht vor allem die Erfahrungen mit der NS-Herrschaft von Bedeutung sein. Aus historischer Sicht ist maßgeblich, daß die Proklamation der Menschenwürde vor allem die Stoßrichtung hatte, sich von den spezifischen Fesseln des Feudalismus zu befreien3°O, der den Menschen je nach ihrem Rang einen unterschiedlichen Achtungsanspruch zuerkannte. Insofern beinhaltet die MenschenwÜfdegarantie nicht nur eine Absage an Sklaverei und Leibeigenschaft, sondern an alle Herrschaftsansprüche, die auf einem vorausgesetzten Status des Privilegierten basieren und nicht vor dem gleichwertigen Willen aller gerechtfertigt sind. Bezieht man eine solche Konzeption auf die oben entwikkelten Begriffe von SubjektsteIlung, so ergibt sich folgendes: Die als Selbstbestimmung des egoistischen Individuums gedachte Autonomie hat die Fähigkeit zu strategischen Handeln, die Erhaltung der Möglichkeit zu instrumentieller Vernunft zur Grundlage. Nicht die Unterwerfung des Willens unter Zwang ist ihr per se problematisch, sondern die Beherrschbarkeit eigenen Handeins, die Verftlgbarkeit über sich selbst. Dartlberhinaus ist nach dieser Auffassung die Gleichwertigkeit eines jeden Subjekts von maßgeblicher Bedeutung - dementsprechend auch die Unterbindung persönlicher Herrschaftsbefugnisse. Ob man aus der Absage an die Unterwerfung unter fremden Willen das Gebot einer SubjektsteIlung ableiten kann, hängt davon ab, ob sich diese Prämisse angesichts der unzweifelhaft zulässigen Unterordnung des einzelnen unter den Willen der Mehrheit aufrechterhalten läßt - dies wird unten zu untersuchen sein. Auch die Notwendigkeit einer SubjektsteIlung aus dem Gedanken der Selbstbehauptung, zum Schutz der eigenen Autonomie findet hier ihre Grundlage unter der Voraussetzung, daß sie dafUr erforderlich ist. Neben diesen formal~n bzw. realistischen Autonomiebegriffen sind stets auch solche naturrechtlichen301 Vorstellungen wirksam gewesen, die material bestim-

300

ebenda, S. 367 ff.; dazu auch U. K. Preuß, Die Internalisierung des Subjekts,

301

dem Naturrecht wird hier also das sogenannte rationale Naturrecht ausgegliedert.

S.38. 12'

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

men, was unter Menschenwürde zu verstehen isfo2 • Dabei können einige der früher gültigen Naturrechtskonzeptionen, insbesondere diejenigen der Scholastik, die an Aristoteles' Nikomachische Ethik anknüpfen, als mit den Vorstellungen, auf denen Art. 1 Abs. 1 GG beruht, unvereinbar zurückgewiesen werden. Es sind dies Vorstellungen, denen zufolge die sogenannte "austeilende Gerechtigkeit" auf der Zuteilung von Rechten, Privilegien und sozialen Vorstellungen entsprechend der vorausgesetzten je unterschiedlichen natürlichen Würde der Personen zu erfolgen hafo3 • Art. 1 Abs. I GG knüpft an diesem Punkt eher an die neuzeitlichen Traditionen des rationalen Naturrechts an und wird daher allgemein als Absage an derartige Vorstellungen begriffen304 • Hier soll vielmehr zusammenfassend von solchen Theorien die Rede sein, die auf modemen materialen Wertethiken beruhen. Sie bemühen sich um eine inhaltliche Bestimmung sowohl des "Wertes" Menschenwürde als auch dessen, wozu Menschenwürde Selbstbestimmung einräumt. Ersteres wird vielfach mit der Formel beschrieben, jedem Menschen komme gleichermaßen ein (im voraus definierter) "Eigenwert" zu, er "habe" Würde, die mißachtet werde, wenn man ihn wie ein Tier behandele, ihn erniedrige, brandmarke, foltere 30S • Menschenwürde bezeichnet so gesehen eine Tabugrenze des Umgangs mit Personen306 • Dabei wächst dem Begriff der Menschenwürde teilweise wieder zu, was ihm seit der Stoa abhanden gekommen

302 hier sind vor allem die auf den Vorstellungen von Scheler, Der Formalismus in der Ethik; Nicolai Hartmann, Ethik, aber auch Jaspers und N. Hartmann zurückgehenden Konzeptionen gemeint: z.B. Wetzei, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 236 ff.; Maihofor, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 26: Maihofer wendet sich zwar gegen die Annahme einer objektiven Wertordnung LS. eines Reiches der Werte, er erhält den Wert der Menschenwürde als etwas Seiendes und Materiales aus der Werterfahrung. Dürig, JR 1952, 259 ff. (261); Nipperdey, in: Bettermann / Neumann / Nipperdey, Die Grundrechte, III/2, S. 8f.: gemeint sind auch spezifisch christliche Wertethiken, daftlr: Wertenbruch, Grundgesetz und Menschenwürde, passim u. S. 173 ff.; vgl. dazu Starclc, JZ 1981,457 ff. (459 f.); Verdroß, EuGRZ 1977,207 f.; Benda, HBdVertRs, S. 107 ff. 303 vgl. dazu Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 38 ff.; Podlech, AK-GG, Art. 1, Rdnr. 2. 304 ich beziehe mich hier auf die Naturrechtsvorstellungen z.B. eines Thomas v. Aquin (summa theologicae 11 2, qu. 61). Wenn BK-Zippelius (Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 6) diese Auffassungen durchaus als Grundlage heranzieht, so beruht dies m.E. darauf, daß er keine Unterscheidung zwischen Thomas' relativem und absolutem Naturrecht macht In diesem Sinne äußerte sich im parlamentarischen Rat auch der Abgeordnete Th. Heuss; vgl. dazu das Zitat bei Olto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, S. 61. 30S z.B. Nipperdey, in: Bettermann / Neumann / Nipperdey, Die Grundrechte, 11112, S. 2; Benda, HBdVertRs, S. 108, 113; BK-Zippelius, Art. 1 Abs. I, Rdnr. 6; Peter Schneider, In dubio pro libertate, S. 90 ff.; a.A. Maihofor, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 13 ff. 306 v. Münch-Kunig, Art 1 Abs. 1, Rdnr. 24.

III. Wichtige Traditionen des Menschenwürdebegriffs

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war: Als Erniedrigung wird auch das Leben in unwürdigen sozialen Zuständen begriffen. Eudämonie wird wieder zum Bestandteil menschlicher Würde307 . Zu dieser im Grunde Genseits der genannten Konkretisierungen) inhalts-

lee~08 bleibenden Bestimmung von Menschenwürde als etwas gegenständlich

oder intersubjektiv Gegebenes hinaus tritt auch hier die Vorstellung, Würde sei die Fähigkeit zur Selbstverwirklichung309, d.h. des Lebens nach einer bestimmten, jedoch werthaft vorgegebenen Ethik. Solcher Selbstverwirklichung fehlt der universalistische Anspruch, wie ihn Kant mit Autonomie verknüpfte, es handelt sich um eine sich in der Stille, bestensfalls in der privaten Kommunikation mit anderen vollziehende ethische Freiheit. Sie ist von Genese und also Gegenstand her auf den Privatbereich beschränkt. Weil sie Freiheit zu privater Gestaltung ist, genügt solcher Würde im Prinzip der Schutz individueller Innerlichkeit, die Freiheit zu privater Kommunikation 310 . Hier weist auch die Vorstellung gleicher Würde311 nicht über die private Enge hinaus. Wenn Würde derart vergegenständlicht wird, beschränkt sich auch der Anspruch gleicher Achtung auf von der Motivation oder von der Art und Weise der Behandlung her besonders krasse Diskriminierungen, zum Beispiel das Anknüpfen an rassische Merkmale. Aus den genannten Konkretisierungen, die nach solchen Auffassungen mit Sicherheit MenschenWÜfdeverletzungen darstellen, läßt sich eine SubjektsteIlung durch und im Verfahren daher allenfalls mittelbar herleiten; nämlich aus dem Gedanken der Selbstbehauptung, die akzessorisch zu den Rechtsverletzungen ist. Wie weit dieser Ansatz trägt, wird unten zu erörtern sein. 307 vgl. BVerfGE 40, 121 ff. (133); anders noch E 1,97 ff. (104); Benda, HBdVertRs, S. 115; Maihofor, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 39; Dürig, AöR 81, 177 ff. (131); a.A. Wertenbruch, Grundgesetz und Menchenwürde, S. 173 ff. Zur Naturrechtslehre des Thomas v. Aquin, vgl. auch Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 57 ff. 308 ein eindrucksvolles Beispiel rur eine Inhaltsbestimmung liefert zwar die Entwicklung des MenschenwUrdegehalts bei: Maihofor, Menschenwürde im Rechtsstaat, passim. Sein Rekurs auf die "Erfahrung· dessen, was Würde ist bleibt jedoch anflillig gegen andersartige Erfahrungen. 309 anders als Selbstbestimmung meint Selbstverwirklichung die Fähigkeit, nach einer vorgefundenen Ethik zu leben, diese also "aufzufinden·. Demgegenüber bezeichnet Selbstbestimmung die (zunächst monologisch verstandene) Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung, vgl. hierzu Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 239; Starck, JZ 1981, 457 ff. (463).

310 vgl. hierzu die Kritik von Denninger, Staatsrecht, Band 1, S. 12 ff.; anders die folgenden Vertreter materialer Wertethik: Dürig, AöR 81, 117 ff. (127 f., 144 f.); Maihofor, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 13 ff., 56 ff. Sie verstehen Personalität als gemeinschaftsorientierte (aber auch gemeinschafts-gebundene) Entfaltungsmöglichkeit mit Folgen rur die Stellung des einzelnen innerhalb des Staates. 3ll Benda, HBdVertRs, S. 114.

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Bezüglich der drei anderen Begrtlndungen fllr eine SubjektsteIlung kann aus dieser Auffassung jenseits dessen, was die Vertreter dieser Auffassung als von Art. 1 Abs. 1 GG erfaßt behaupten, nichts hergeleitet werden weil sie sich der Systematisierung entzieht. In aller Regel wird der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zumindest fllr Strafverfahren dazu gezählt3\2. Da dieser Grundsatz jedoch seinerseits nicht weiter abgeleitet wird, läßt sich diesen Äußerungen auch nichts über seinen Umfang und seine Reichweite entnehmen.

In neuerer Zeit ist Luhmann3J3 von der Deutung der Menschenwürde als

Wert bzw. als jedermann in gleicher Weise zukommender Fähigkeit abgerückt. Nach seiner Konzeption ist Menschenwürde das Ergebnis einer Leistung der Selbstbestimmung LS.v. Identitätsbildung. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet dann die Bedingungen fllr solche Identitätsbildung314 • Unter Identitätsbildung wird dabei die Möglichkeit eines Menschen verstanden, seine Persönlichkeit und Geschichte in sozialer Kommunikation so darzustellen, daß er selbst damit übereinstimmt. Folgt man dieser Meinung, so stellt sich die SubjektsteIlung von Bürgern - gedeutet als Beherrschbarkeit ihrer Freiheitsäußerungen - als Bedingung der Möglichkeit zur Identitätsbildung dar, sie ist dann durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützt3lS • Zu den Bedingungen der Entwicklung von Identität gehört im Grundsatz außerdem die Berechenbarkeit staatlichen Handelns3l6 • Die Vertreter dieser Auffassung zählen daher auch das rechtliche Gehör im Strafverfahren, die Gewährleistung von Verfahren überhaupt, das Gebot des fairen Verfahrens und das ,,nemo-tenetur"-Prinzip zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Garantien, weil sie die Berechenbarkeit staatlichen Handeins fllr den Gewaltunterworfenen sichern3l7 • SubjektsteIlung ist hier Mittel zur Wahrung der eigenen Rechtsposition im Sinne der dritten Variante.

312 Dürig, AöR 81, 117 ff. (127 ff., 144); Maihofer, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 33; Benda, Gefährdungen der Menschenwürde, S. 16 ff. 313 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 53 ff., an ihn knüpfen Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnm. 17 ff. und zum Teil auch Pieroth / Sehlink, Rdnm. 401 ff. an. 314 als Kritik ist anzumerken, daß man auch in diesem Falle nicht auskommt ohne die Antwort auf die Frage, ob die Fähigkeit zur Identitätsbildung bei jedem gleichermaßen existiert. Ist dies nicht der Fall, gelten rur jeden unterschiedliche Bedingungen zur Identitätsbildung - die dann gern. Art. 1 Abs. 1 GG positiv zu gewährleisten wären. 315 Pieroth / Schlinle, Rdnr. 408; so auch Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 39. 316 Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 39 a.E. und 40 ff.; ebenso Pieroth / Sehlink, Rdnr. 409. 317 Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 42; Pieroth / Sehlinie, Rdnr. 409.

IV. Die Auslegung des Art. 1 Abs. I GG

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IV. Die Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG Art. 1 Abs. 1 GG muß zwar auf dem Hintergrund dieser Traditionen ausgelegt werden. Es gibt aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß eine bestimmte Tradition rezipiert worden ist318, vielmehr sollte ein die jeweiligen Überlieferungen übergreifender Grundkonsens über den Umgang mit Menschen zum Ausdruck gebracht werden319 • Gleichwohl können die dargestellten Konzeptionen von Menschenwürde hilfreich bei der Antwort auf die Frage sein, wie die Anliegen, die der Verfassungsgeber mit der Verpflichtung aller staatlichen Gewalt auf die Menschenwürde verfolgte, zu konkretisieren sind. Sie stellen sich nämlich als Rückgriff auf bestimmte Elemente dieser Theorien dacl 20 • Zusammenfassend können dabei zwei große Linien unterschieden werden, die sich allerdings teilweise überschneiden: Nach der einen enthält die Menschenwürde, entweder allein aus dem Gedanken der Gleichberechtigung eines jeden Menschen oder aber aus dessen Verknüpfung mit der Idee und Fähigkeit zu vernünftiger Selbstgesetzgebung heraus, Aussagen über die Stellung der Bürger innerhalb der staatlichen Organisation. Autonomie verlangt Mitgestaltung und setzt Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraus. Nach der anderen garantiert die Menschenwürde in erster Linie einen Bereich privater Integrität und Identität, sie gestattet Selbstverwirklichung, daneben verbietet die gravierende Diskriminierung und Mißachtung von Menschen. Ihr Thema ist vor allem die Stellung des Bürgers als Gegenüber staatlicher Gewalt. Bevor untersucht wird, welche dieser beiden Linien dem Anliegen des Art. 1 Abs. 1 GG am nächsten kommt, ist zu fragen, ob sie überhaupt als schlüssige Interpretationen der Verpflichtung auf die Menschenwürde in Betracht kommen. Die erste Konzeption hat sich gegen zwei Einwände zu behaupten: Die Subjektstellung des einzelnen wird aus dem Prinzip der Selbstgesetzgebung oder aus der Negation der Unterwerfung unter fremde Willkür hergeleitet. Nun hebt jedoch auch die Mitwirkung an Gesetzgebung und Rechtsanwendung - d.h. die Subjektstellung - die Unterwerfung unter fremden Willen nicht auf. Es muß

311 Im Gegenteil, vgl. die Darstellung von v. Doemming / Füßlein/ Matz, in: JöR (NF) 1951,58 f.; so auch BK-Zippelius, Art. 1, Rdnr. 7; Badura, JZ 1964, 337 ff. (340); a.A. Benda, HBdVertRs, S. 113. 319 BK-Zippelius, Art. 1, Rdnr. 7; Pieroth/ Sehlink, Rdnr. 402; Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvennutung, 5. Kap. III. 2. a). 320 so auch Haeberle, HBdStRs, Band I, § 20, Rdnr. 33.

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daher zunächst (mit dem Bundesverfassungsgericht) gefragt werden, warum speziell die Unterwerfung unter den Willen der Rechtsanwender ein MenschenwUrdeproblem darstellen sollJ2\, wenn auch die Herrschaft der Gesetze Unterwerfung unter fremden Willen ist. Sollte sich letztere im Unterschied zur Herrschaft der Gesetzesanwender nicht als Unterordnung unter Willkür darstellen, so wäre weiter zu fragen, mit welcher Berechtigung dann gegen eine - voraussetzungsgemäß nicht willkürliche - gesetzgeberische Entscheidung Art. 1 Abs. I GG zum Ansatz gebracht wird. Zunächst ist als Antwort auf die erste Frage der Gewinn zu präzisieren, der durch Einräumung einer SubjektsteIlung erzielt wird. Ausgehend von Kant kann der Unterschied zwischen der Unterordnung unter fremde Willkür und unter autonome Gesetzgebung nicht in der Brechung des empirischen Willens einerseits und der Übereinstimmung mit ihm andererseits gesehen werden. Wenn überhaupt, so muß der Unterschied darin liegen, daß unter der Bedingung einer SubjektsteIlung die Unterordnung im Grundsatz von der Zustimmung des Betroffenen getragen sein müßte, weil Gesetze dann einen verallgemeinerungsfllhigen Willen zum Ausdruck bringen. Die Annahme, demokratische Entscheidungen würden Autonomie im Sinne einer Verallgemeinerungsfllhigkeit von Herrschaft sichern, ist eine Idealisierung. Gleichwohl erzwingt das demokratische Verfahren, die öffentliche politische Auseinandersetzung im Vorfeld der Entscheidungen, eine gewisse Verallgemeinerung, die bei jeglicher Rechtfertigungslast entzogener Herrschaft fehlt. Rekurriert man eher auf individualistische Autonomiekonzepte, so wird man die Differenz zwischen Unterwerfung unter demokratisch legitimierte Herrschaft einerseits und personale andererseits zum einen darin sehen, daß im ersten Fall jedem Subjekt gleichberechtigte Mitwirkungschancen eingeräumt werden, während im zweiten Falle ein Subjekt qua Funktion herrscht. Zum anderen räumt die SubjektsteIlung eine gewisse Macht ein, Kompromisse (und deren Einhaltung) zu erzwingen. Der Unterschied zwischen der durch SubjektsteIlung geprägten und rechtfertigungsfreien Herrschaft besteht demnach nicht darin, daß sich jene als "autonome Herrschaft", diese als heteronome darstellt, sondern im Grad der Heteronomie. Dann ist es auch konsequent, in der Unterwerfung unter die Willkür speziell der Gesetzesanwender ein Menschenwürdeproblem zu sehen. Sie erlaubt nämlich rechtfertigungsfreie, personale Herrschaft, die ungleich viel mehr an Heteronomie bedeutet als die "Herrschaft der Gesetze".

321 in diese Richtung zielt auch die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in BVerfUE 30, 1 ff. (27); Benda, HBdVerfRs, S. 115; allgemeiner: Denninger, Staatsrecht, Band 1, S. 23.

IV. Die Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG

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Daraus ergibt sich zudem die Antwort auf die Frage, warum bzw. inwiefern solchermaßen legitime Herrschaft (des Gesetzgebers) gleichwohl der Bindung an die Menschenwürde bedarf. Die Verhinderung krasser Verletzungen der Menschenwürde gelingt in aller Regel bereits durch Wahrnehmung der Subjektstellung (der insofern auch eine dienende Funktion zukommt). Deren Vorkommen würde in der Tat die These dementieren, daß die Subjektstellung der einzelnen in gewissem Grade verallgemeinerungsflihige Entscheidungen erzwingt. Daß sie subtilere Beeinträchtigungen - insbesondere, wo es um die Pflicht zum Schutz der formalen Position des einzelnen geht - nicht zu verhindern mag, steht dieser These jedoch nicht entgegen. An die zweite Konzeption ist die Frage zu richten, ob ein Menschenwürdeverständnis, das dem einzelnen rechtlichen Schutz nur vor krassen Mißachtungen, erniedrigender Behandlung und Zugriffen auf seine Intimsphäre angedeihen läßt, überhaupt mit der Perspektive des dem Staat gegenüberstehenden Individuums auskommt oder ob sie nicht notwendig auch Aussagen über die Stellung des einzelnen in der staatlichen Organisation verlangt.

Die Frage stellt sich, weil die Notwendigkeit der Verpflichtung aller Staatsgewalt auf die Menschenwürde zur Prämisse hat, daß man staatlicher Gewalt nicht zutraut, daß sie von sich aus oder weil dies (natur)rechtlich geboten ist, unterläßt, die Menschenwürde der ihr Untergebenen anzutasten. Die Positivierung des Art. 1 Abs. 1 GG wiederholt, wenn man der Tradition materialer Wertethiken folgt, nur evidentes, ohnehin geltendes Naturrecht - sie regelt also inhaltlich nichts 322 • Diese "Wiederholung ist deshalb nur sinnvoll, wenn sie mit der Intention erfolgt, Staatsgewalt dem mit der Positivierung verbundenen Zwang der Rechtsordnung auszusetzen, weil die durch Naturrecht ohnehin schon begründende Pflicht offenbar rur ungenügend gehalten wird323 • ft

Wenn die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde also auch verhindern soll, daß Verletzungen derselben tatsächlich stattfinden, müssen die organisatorischen Bedingungen des Schutzes mit gewährleistet sein. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts genügt dem jedoch eine objektive Rechtskontrolle. Daß diese Auffassung dann nicht zuhalten ist, wenn man von der Prämisse 322 vgl. auch Benda, HBdVerfRs, S. 113. Hier unterscheidet sich Art. 1 Abs. 1 GG in der Lesart der vorgenannten Konzeption von allen anderen Grundrechten: Während diese durchaus die Funktion haben, ein Rechtsverhllitnis konstitutiv zu regeln, indem ihre Positivierung Inhalt und Schranken erst bestimmt, wiederholt Art. 1 Abs. 1 GG inhaltlich nur das, was das Naturrecht vorgibt 323 so auch MD-Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdnr. 14, Fußnote 2; Nipperdey, in: Bettermann I Neumann I Nipperdey, Die Grundrechte, III12, S. 7 f.; Dürig, JR 1952,259 fI. (260).

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ausgeht (die aus der Positivierung des Art. 1 Abs. 1 GG resultiert), daß die freiwillige Respektierung der Menschenwürde im Verhältnis zwischen Staat und Bürger nicht vorausgesetzt werden kann, wurde oben324 bereits nachgewiesen. Die SubjektsteIlung des Betroffenen ist vielmehr auch aus dieser Sicht notwendiges Mittel zum Schutz vor Menschenwürdeverletzungen. Allerdings reduziert sich damit der Bereich, in dem Verfahren und Verfahrensrechte erforderlich sind, auf diejenigen Tätigkeiten der Exekutive, die Art. 1 Abs. 1 GG, d.h. zumindest den Menschenwürdegehalt anderer Grundrechte berühren können32S • Wo hingegen ein Eingriff zwar rechtswidrig ist, aber vor Art. 1 Abs. 1 GG Bestand hätte, wirkt sich der Entzug der SubjektsteIlung nicht als Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG aus. Wann Menschenwürdeverletzungen zu beftlrchten sind, ist rein tatsächlich festzustellen: Es ist nicht zu fragen, ob das Gesetz sie zuläßt, sondern ob sie - ohne Verfahrensvorkehrungen - durch die vom Gesetz vorgesehene Betätigung drohen. Dort, wo Staatsorgane heimlich handeln, sind in aller Regel die besonders krassen Menschenwürdeverletzungen ausgeschlossen, weil diese sich nicht der Wahrnehmung der von ihnen Betroffenen entziehen. Bedeutung kann diese akzessorische SubjektsteIlung des Betroffenen daher vor allem erlangen, wo es um seine SubjektsteIlung innerhalb von Strafverfahren geht: Diese dienen der Rechtserkenntnis im Hinblick auf schwere Rechtsfolgen, nämlich Strafsanktionen, deren willkürlicher, d.h. nicht an die Schuld gebundener Vollzug nach allgemeiner Auffassung ein Menschenwürdeproblem darstellf 26 • Sie müssen daher unter Bedingungen erfolgen, die dem einzelnen die Wahrung seiner Rechte erlauben. Zwischen den beiden Auffassungen von Menschenwürde ergibt sich mithin, wenn man sie konsequent zu Ende denkt, eine erhebliche Differenz. Während der einen - mit einem weiten Begriff des Schutzes vor Willkür- bzw. der

324 Teil 2, D., III, S und IV., 2; vgl. dazu auch Denninger, Staatsrecht, Band I, S. 24; Peter Schneider, Recht und Macht, S. 228. m in diesem Sinne ist wohl auch MDH-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 30 zu verstehen. Aus dieser Sicht ist daher die Konzeption von Klein, VVDStRL 9 (1949), 67 fI (86 fI) von besonderem Interesse - und konsequent -, der Art. 1 Abs. 1 GG als materiellem Hauptgrundrecht, Art. 19 Abs. 4 GG als gleichwertiges formelles Hauptgrundrecht gegenüberstellt, das dann als "Krönung des Rechtsstaates· (S. 123) verstanden wird. 326 Was rur die Legitimation der den Strafeingriff zulassenden Gesetze gilt, muß auch rur die Legitimation der Entscheidung selbst gelten. Zum Grundsatz nulla poena sine culpa, vgl.: BVerfGE 45, 187 (259 f.); Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 241; Armin Kaufmann, Die Aufgaben des Strafrechts; Stratenwerth, Strafrecht Allg. Teil, S. 24; Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 39 f.; Frister, Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung, 2. Kap. III 2., der jedoch nicht an den Gedanken der Schwere oder Art der Strafsanktion anknüpft, sondern an das allgemeine Prinzip, daß Grundrechtseingriffe ab einer gewissen Opfergrenze nur durch Zurechnungsgedanken legitimiert werden können.

IV. Die Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG

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Rechtsanwendungsgleichheit - die SubjektsteIlung ein uneinschränkbarer Grundsatz ist, läßt sich aus der anderen lediglich fUr bestimmte Fälle eine SubjektsteIlung begründen. Es ist daher zu klären, welcher der beiden Konzeptionen als Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG der Vorzug zu geben ist. Anhaltspunkte fUr eine Interpretation ergibt hier vor allem die Entstehungsgeschichte. Art. 1 Abs. 1 GG ist als Antwort auf die konkreten Erfahrungen des Nationalsozialismus zu verstehen327 • Damit ist nun nicht gesagt, daß sich dessen Normgehalt auf das Verbot ähnlicher MenschenWÜfdeverletzungen beschränkt, wie sie im Dritten Reich stattfanden. Vielmehr wollte man weitaus grundlegender - in Abkehr von der Ideologie, wonach der einzelne im Verhältnis zur Gemeinschaft (und dem diese verkörpernden Staat) nichts isf 28 - das Verhältnis des einzelnen zum Staat regeln und sichern, indem man das Individuum zum Mittelpunkt machte: Im Herrenchiemseer Entwurf hieß es daher noch ausdrücklich, daß der Staat um des einzelnen willen dasein solle. Diese Formulierung wurde zwar nicht übernommen, jedoch nicht aus inhaltlichen GrOnden329• Sie gilt nach allgemeiner Auffassung als Ausdruck der Regelungsintention. Art. 1 Abs. 1 GG ist daher als Staatskonstitutionsprinzip zu verstehen, indem es den einzelnen zum Zweck der Gemeinschaft erhebf 30 • Die Ausübung von Staatsgewalt muß ihm gegenüber und aus seinem Interesse gerechtfertigt sein, daß sie dem Gesamtinteresse dient, genügt nicht. Dieser umfassende Anspruch wurde als Bedingung fUr die Verhinderung krasser MenschenWÜfdeverletzungen angesehen. Daher lassen sich Aussagen über den Konstitutionsmodus auch aus Art. 1 Abs. 1 GG ableiten331 : Die Orientierung auf den einzelnen ließe sich nur um den Preis der Suspendierung des Demokratieprinzipes als alle Staatsgewalt

327 allg. Meinung; vgl. v. Doemming / Füßlein / Matz, JöR (NF) 1 (1951), 48 ff.; Denninger, Staatsrecht, Band I, S. 24; MDH-Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 46; v. Münch, Art. 1, Rdnr. 2; v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 1; Pieroth / Schlink, Rdnr. 406; Benda, HBdVerfs, S. 113; Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 9; Dürig, JR 1952, 259; Haeberle, HBdStRs, Band I, § 20, Rdnr. 36. m vgl. dazu: Henkel, DJZ 1939, 530 (535 ff.). 329 vgl. Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, S. 59 und 62: die Nicht-Ubemahme beruhte auf sprachlichen Problemen und mangelnde Judizierbarkeit. 330 vgl. BVerfGE 6, 32 (36); Benda, HBdVerfRs, S. 108; Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 12; Maihofer, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 10; v. Münch-Kunig, Art. 1 Abs. 1, Rdnm. 1 f.; Dürig, AöR 81, 117 ff. (120), der allerdings Art. 1 Abs. 1 GG nicht als subjektives Recht versteht, so daß man auf den Menschenwürdegehalt der anderen Grundrechte rekurrieren muß. Diese Diskussion ist jedoch ausgestanden. 331 Haeberle, HBdStRs, § 20, Rdnm. 61 ff. 73; Maihofor, Menschenwürde im Rechtsstaat, S. 56; Behrendt, Menschenwürde als Problem der sozialen Wirklichkeit, S. 55.

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materiell leitender Gesichtspunkt verstehen. Es behält seinen umfassenden Sinn jedoch - ohne mit anderen Verfassungsnormen in Konflikt zu geraten -, wenn man Menschenwürde im Sinne des rationalen Naturrechts als Gebot einer Subjektstellung und als Absage an die Unterordnung unter fremde Willkür begreift. Würde man Art. 1 Abs. 1 GG hingegen lediglich als Verbot krasser Diskriminierungen oder Mißhandlungen und als Ausgrenzung einer Sphäre privater Verantwortung und Selbstverwirklichung verstehen, so bliebe diese Auslegung hinter dem viel weiter reichenden Regelungsanspruch zurück. Daher ist eine Interpretation des Art. 1 Abs. 1 GG im Sinne eines status activus bzw. status positivus processualis (Haeberle) mittlerweile weit verbreitet332 • Im KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird aus dem durch Art. 1 Abs. 1 GG geprägten Menschenbild dementsprechend ausdrücklich eine Absage an die (artikulationslose) Unterordnung unter fremden, wenn auch nicht notwendig unterdrUkkerischen Willen abgeleitet: Wegen der individuellen Autonomie genüge es nicht, "wenn eine Obrigkeit sich bemüht, noch so gut für das Wohl von Untertanen zu sorgen ft , vielmehr fordere dies Menschenbild maximale Partizipationsmöglichkeiten333 • Diese Gedanken treffen nicht nur auf das Demokratieprinzip zu, aus ihnen folgt auch, daß der einzelne in Form prozessualer Befugnisse Herr seiner Rechte sein muß - andernfalls muß er darauf vertrauen, daß sich die Obrigkeit seiner Anliegen annimmt. Aus diesem Grunde ist einer Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG zuzustimmen, die Menschenwürde im Sinne der Kant'schen oder der individualistischen, jedenfalls aber formalen Tradition interpretiert.

V. Fazit Art. 1 Abs. 1 GG verbietet es, Menschen der personalen Herrschaft anderer zu subsumieren. Vielmehr ist Herrschaft stets auch den von ihr Betroffenen

332 BVerfGE 5, 85 (204); vgl. auch E 49, 89 ff. (132) im Unterschied zu E 27, 1 ff. (6); BK-Zippelius, Art. 1 Abs. 1 und 2, Rdnr. 9; Benda, HBdVertRs, S. 114; Denninger, Staatsrecht, Band I, S. 28 f; Häberle, HBdStRs, § 20, Rdnm. 61 ff., 73; Behrendt, Die Menschenwürde als Problem der sozialen Wirklichkeit, S. 57 ff. ohne genauere Fundierung: Schom, Der Schutz der Menchenwürde im Strafverfahren, S. 29, 35 f., 54,66 ff.; Sax, in: Bettermann I Neumann I Nipperdey, Die Grundrechte, 111/2, S. 966 ff. zur Unverträglichkeit der Maximen des Inquisitionsprozesses mit der Menschenwürde, S. 971 zu den einzelnen Konsequenzen ftIr den Strafprozeß (rechtliches Gehör, Anklageund Belehrungsprinzip, Verteidigungsprinzip); ebenso Badura, JZ 1964, 337 ff. (342); allgemein zur Menschenwürde: Habermas, Legitimationsprobleme, S. 196. m BVerfGE 5, 85 (204). Die später verwendete Argumentationsfigur des Bundesverfassungsgerichts, im Rechtsstaat müsse man darauf vertrauen, daß Gesetze fair angewendet werden, erweckt den Verdacht, als seien die zitierten Sätze Maßstab lediglich ftIr das Staatsverständnis anderer.

Zusammenfassung

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gegenüber rechtfertigungspflichtig. Ihnen muß eine SubjektsteIlung eingeräumt werden. Für den rechtsanwendenden Staat bedeutet dies, daß die Rechtsanwendung einer Kontrolle unterworfen sein muß, die sich als Mittel in der Hand der von der Entscheidung betroffenen Bürger darstellt, die Rechtskonfonnität der Entscheidung zu erzwingen. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet nicht lediglich die verächtliche Behandlung durch Staatsorgane. Sie gebietet darum auch nicht bloß, aus Achtung vor seiner Personalität seine Argumente anzuhören mit der Folge, daß die anders motivierte Verweigerung von Gehör kein Menschenwürdeproblem ergäbe. Auch die Auffassung, eine SubjektsteIlung müsse dem von Verfahren Betroffenen, um der Verhinderung von Menschenverletzungen willen eingeräumt werden, aber auch nur zu diesem Zweck, greift zu kurz. Art. 1 Abs. 1 GG hat viel umfassender die Stellung des einzelnen innerhalb des Staates zum Thema, indem er seine Autonomie zum Ausgangspunkt und Zentrum der Ausübung von Staatsgewalt macht, und sie nicht in ein Reservat privater Verantwortung und Selbstverwirklichung verbannt. Dazu gehört auch, daß mit Menschen, wie sich Dürig ausgedrückt hat, nicht schlicht "verfahrenft wird334 • Soll der einzelne nicht der Rechtstreue einer Obrigkeit anvertraut sein, so muß fllr ihn die Möglichkeit bestehen, jede ihn betreffende Rechtsanwendung vor einem öffentlich tagenden Gremium kontrollieren zu lassen. Diesem gegenüber muß er instand gesetzt werden mit allen rechtlich und tatsächlich erheblichen Argumenten Gehör zu finden, so daß eine Rechtfertigungslast ihm gegenüber besteht.

E. Zusammenfassung Im vorangangenen Abschnitt ging es um die Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Macht im Verhältnis zu den Bürgern. Die Verfassung gewährleistet solche Grenzen, indem sie die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns gerichtlicher Kontrolle unterwirft. Damit verträgt sich eine Machtstellung nicht, die es den Staatsorganen erlaubt, sich solchen Kontrollverfahren prinzipiell zu entziehen oder diese Kontrollverfahren dadurch zu beherrschen, daß sie innerhalb des Verfahrens wirksamen Kontrollmechanismen unterläuft. Infonnationsbeherrungsrechte der Ennittlungsbehörden sind unter heiden Aspekten problematisch:

334

Gutachten, S. 10.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Die Befugnis zu verdecktem Ermitteln impliziert das Recht, Informationen auf Dauer geheimzuhalten, auf die derjenige angewiesen ist, der die Rechtmäßigkeit des Einsatzes verdeckter Ermittier kontrollieren lassen will. Dies war der Anlaß zu fragen, ob und in welchem Umfang Justizgewährleistung auch die Kontrollierbarkeit staatlichen Handeins garantiert. Innerhalb von Strafverfahren sind die Ermittlungsbehörden befugt, zu entscheiden, in welchem Umfang sie über die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens informieren. Sowohl im Falle des Referats von Ermittlungsergebnissen durch Verhörspersonen als auch im Falle der Präsentation eines Ausschnittes aus den Ermittlungen als Grundlage fl1r die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung beeinflussen die (Teil-)Informationen, die gegeben werden, die Entscheidung. Ob dadurch die Grenzen zulässiger Macht überschritten sind, indem Kontrollverfahren entwertet werden, hängt zum einen davon ab, in weIcher Weise diese Teilinformationen die Entscheidung beeinflussen, zum anderen aber auch davon, welche Anforderungen die Verfassung an die Funktionsweise von Kontrollverfahren stellt. Diese Anforderungen, die sogenannten Justizstandards, waren daher zu präzisieren. Es war daher nach dem verfassungsrechtlichen Inhalt und Stellenwert von Justizgewährleistung einerseits und Justizstandards andererseits zu fragen. Insbesondere war zu klären, ob diese Rechte einer Abwägung zugunsten anderer Verfassungsrechtsgüter zugänglich sind.

Justizgewährleistung sichern Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip, aber auch Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 1 GG: Der Staat als Garant des Rechts muß seinerseits dem Recht unterworfen sein, und zwar durch faktisch wirksame Kontrollmechanismen. Andernfalls wären die Bürger auf die Rechtstreue der Rechtsanwender angewiesen, sie wären personaler Willkür unterworfen. Der Anspruch auf Justizgewährleistung setzt die KontroIIierbarkeit staatlicher Macht voraus. Diese ist ohne Betroffenenöffentlichkeit im oben dargelegten Sinne nicht denkbar. Nach herrschender Meinung ist der Schutz vor rechtswidrigen, staatlichen Eingriffen jedoch nicht Essenz von Rechtsstaat, sondern nur eine staatliche Schutzpflicht unter vielen. Die Gewährleistung von Bürgerrechten im Verhältnis zum Staat ist aus dieser Perspektive nicht wichtiger als die Gewährleistung von Bürgerrechten gegenüber privaten Verletzungen. Kriminalitätsbekämpfung kann Kontrolldefizite auf diese Weise rechtfertigen. Gegen diese Auffassung wurde gezeigt, daß eine Abwägung in diesem Falle die Justizgewährleistung, wie sie Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip

Zusammenfassung

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einräumen, nicht etwa graduiert, sondern fUr bestimmte Eingriffe völlig suspendiert. Die Garantie eines lückenlosen Rechtsschutzes wird durch den einfachen Gesetzgeber aufgehoben, was bleibt, ist fragmentarischer Rechtsschutz. Eine solche Inhaltsänderung steht, wenn überhaupt, nur dem verfassungsändernden Gesetzgeber zu. Dem steht das per se graduierbare - und überdies im Hinblick auf Eignung und Erforderlichkeit der Mittel zweifelhafte - Interesse an einer Effektivierung der Strafrechtspflege gegenüber. Dies vermag die Änderung des Inhalts einer Verfassungsnorm nicht zu legitimieren. Gegen die Auffassung, wonach die Schrankenziehung durch Gesetze - sozusagen als die essentielle rechtsstaatliche Garantie - durch Kontrolle nur ergänzt wird, wurde gezeigt, daß Gesetzesbindung vom Legitimationsanspruch des Art. 20 Abs. 3 GG her, nur als - auch - faktische Bindung verstanden werden kann: Die Monopolisierung staatlicher Gewalt ist im Verhältnis zum einzelnen nur legitim, wenn berechenbare Staatsgewalt an die Stelle privater Willkür tritt. Art. 20 Abs. 3 GG kann wegen Art. 79 Abs. 3 GG nicht gegen einfaches Verfassungsrecht abgewogen werden. Dasselbe gilt fUr Art. 1 Abs. 1 GG. Hieraus ergab sich das Verbot, den einzelnen artikulationslos staatlicher Gewalt zu subsumieren. Mit ihm darf nicht derart "verfahren" werden, daß er zur "quantite negligeable" (DOrig) wird. Dies setzt nicht nur Kontrollinstrumente, sondern auch Kontrollierbarkeit staatlicher Macht voraus. Auch die Justizförmigkeit des Strafverfahrens ist rechtsstaatlich geboten, zudem durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG vorausgesetzt. Die Anforderungen, die an ein rechtsstaatliches Strafverfahren zu stellen sind, ergaben sich aus einer Gesamtschau der traditionell auch dem Rechtsstaatsprinzip zugeordneten Justizgewährleistungen. Ihr präziser Sinn wurde historisch durch ihr Verständnis als Reaktion auf den Inquisitionsprozeß gewonnen. Er läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß diese Rechte dem Verfahrensunterworfenen einen Prozeß sichern wollen, in dem die Entscheidung gegenüber seinen tatsächlichen und rechtlichen Argumenten einschließlich seines Beweisanerbietens vollständig gerechtfertigt werden muß: Die Rechtsanwendung muß angesichts dieser Argumente allgemein nachvollziehbar begründet werden. Zu solcher Begründung nötigen die Justizstandards, indem sie dem Betroffenen eine Subjektstellung im Verfahren einräumen: Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs eröffitet das Recht zum Vortrag aller entscheidungserheblichen Gegenargumente und schließt Entscheidungs- und Beweisregeln, die zur Übernahme der Erkenntnisse anderer Organe verpflichten aus. Er begründet (unter bestimmten Bedingungen) das Verbot der Verwertung von Erkenntnissen, die nicht Gegenstand der Erörterung werden konnten.

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Teil 2: Verfassungsrechtliche Grundlagen der öffentlichen Kontrolle

Das Prinzip des fairen Verfahrens gebietet die Gewährleistung der Voraussetzungen rechtlichen Gehörs: Beweisfilhrungsrechte in bestimmtem Umfang und Informationspflichten, die die Beweisfilhrung erlauben. Die SubjektsteIlung des Angeklagten erfordert weiter, ihn so zu stellen, daß er die zuvor genannten Rechte selbst wahrnehmen kann. Die Öffentlichkeit des Verfahrens zwingt zur Bertlcksichtigung der vorgetragenen Einwände. Diese Justizllirmigkeit läßt sich nicht unter Verweis auf die Notwendigkeit eines effektiven Strafverfahrens einschränken. Zunächst deshalb nicht, weil die Nachvollziehbarkeit durch die Allgemeinheit erst die Effektivität der Strafverfolgung ihr gegenüber sichert. Sodann, weil es sich um ein Prinzip handelt, das dem Ausgleich des Interesses an der Strafverfolgung mit dem Interesse des dem Verfahren Unterworfenen dient. Jede Suspendierung dieses Prinzips würde zu einseitiger Unterwerfung des Angeklagten fllhren. Diesen auf die Rechtstreue des Gerichts bzw. der Ermittlungsbehörden zu verweisen, läßt sich auch durch Schutzpflichten gegenüber der Allgemeinheit nicht legitimieren. Zudem ist gem. Art. 20 Abs. 3 GG staatliche Rechtserkenntniskompetenz nur zulässig unter der Bedingung, daß das durch sie eingeräumte unbegrenzte rechtliche "Können· staatlicher Organe faktisch an Gesetze gebunden ist. Eine solcherart gebundene Entscheidungsbefugnis ist ohne Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse der Betroffenen wie der Öffentlichkeit nicht herzustellen: Wo der Staat - um der Entscheidungseinheit willen - die Kompetenz hat, bindend dartlber zu befmden, wer welche Rechte hat, kann diese Kompetenz ihrerseits nur durch Verfahrensgarantien gebunden werden, die gleichsam im Wege "unmittelbaren (wenn auch nicht unwiderstehlichen) Zwangs· rechtskonformes Entscheiden garantieren. Art. 1 Abs. 1 GG verlangt auch innerhalb von Verfahren die SubjektsteIlung des Betroffenen als Negation der Unterwerfung unter personale Willkür.

Teil 3 Die KontrolldeflZite im einzelnen Im vorangegangenen Abschnitt konnten die Kriterien gewonnen werden, anhand derer sich bestimmen läßt, wann die durch Informationsbeherrschungsrechte eingeräumte Macht unzulässig, weil unkontrollierbar ist - gemessen an dem, was die Verfassung als kontrollierbar ansieht. Im nun folgenden Abschnitt geht es um dreierlei: Zum einen muß bestimmt werden, worin diese Macht besteht und wie weit sie reicht. Zum anderen soll begründet werden, daß sie - gemessen an den oben entwickelten Kriterien - zu weit reicht. Schließlich muß untersucht werden, welche Konsequenzen aus dieser Bewertung ftlr das Geflecht der diese Macht konstituierenden Informationsbeherrschungsbefugnisse zu ziehen sind. In allen drei Fällen besteht die Macht zum Eingriff in Grundrechte im Ergebnis darin, daß die zur Preisgabe des Grundrechts fUhrenden Entscheidungen wegen des durch die Informationsbeherrschungsrechte begründeten Wissensgefälles heteronom sind - und durch die Ermittlungsbehörden gesteuert werden können. Unkontrollierbar bleiben die Eingriffe, solange dieses Wissensgefälle besteht und wirksam werden darf. Es gibt daher zwei Möglichkeiten zur Aufhebung dieser Macht: Entweder man hebt das Wissensgefälle auf - dies setzt jedoch wiederum Informationspflichten voraus, deren Kontrollierbarkeit stets prekär ist. Oder man nimmt ihm die Wirksamkeit - was im Falle des Einsatzes verdeckter Ermittier problematisch, weil seinerseits schwer kontrollierbar ist. Der Gang der Untersuchung folgt den Fallkonstellationen: Zunächst wird geprüft, ob die durch die Befugnis zum Einsatz von verdeckten Ermittlem und V-Leuten begründete Macht kontrollierbar ist. Dabei kann im w.esentlichen auf die schon im zweiten Teil der Arbeit erzielten Ergebnisse verwiesen werden (siehe unten, A.). Sodann geht es um den durch Informationsbeherrschungsrechte begründeten Einfluß auf das Hauptverfahren (unten, B), nämlich zuerst die Macht zur Prozeßsteuerung durch Teilinformationen über die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (1.), schließlich durch die Befugnis zur Beweisftlh-

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

rung durch Verhörspersonen unter Zurückhaltung von Infonnationen über den unmittelbaren Zeugen (11.).

A. Die Kontrollierbarkeit des Einsatzes verdeckter Ermittler - Justizgewährleistung I. Keine Kontrolle ohne Betroffenenöffentlichkeit 1. Kontrollbedürftigkeit

Verdeckte Ennittlungstätigkeit ist - als grundrechtseingreifende Tätigkeit kontrollbedürftig. Die Ennächtigung zu heimlichen Ennittlungen enthält zugleich die Ennächtigung zum Eingreifen in verschiedene Grundrechte des Beschuldigten sowie Dritter: Die verdeckte Infonnationsgewinnung zum Zwecke der Strafverfolgung tangiert stets das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung des Befragten, ebenso wie desjenigen, über den Infonnationen erhoben werden). Die Ennittler brechen zudem die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes 2, häufig ist auch Art. 13 GG 3 berührt, nämlich dann, wenn die Ennittler die Wohnungen derjenigen betreten, von denen sie Infonnationen erhalten wollen. Diese Eingriffe sind nur innerhalb der von den verfassungsgemäßen gesetzlichen Ennächtigungsgrundlagen gezogenen Schranken zulässig4 • 2. Die Kontrollierbarkeit verdeckter Ermittlungstltigkeit

Ob verdeckte Ennittler sich innerhalb dieser Schranken halten, kann nicht kontrolliert werden.

) vgl. dazu: Haas, V-Leute, S. 53 ff.; Friedrichs, S. 63; Lüderssen, Festschrift filr Peters, S. 345 ff.; Schünemann, StrafV 1985, S. 430; Wolter, StrafV 1989,358 ff. (371). 2 BVerfUE 78,77 (89); Weßlau, Vorfeldennittlungen, S. 110 ff., S. 202 f.; Dencker, Festschrift filr Dünnebier, S. 456; Körner, BtMG, § 31 Rdnr. 112 f. m.w.N.; a.A. Krey, Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur Bekämpfung des Rauschgifthandels, a.a.O., S. 44; Rebmann, NJW 1985, 3; Steinke, MDR 1980, 456. 3 streitig: vgl. Frister, StrafV 1993, 151 ff.; Rogall, JZ 1987, 847 (853); Kniesei / Tegtmeyer / Vahle, Handbuch, Rdnm. 571 ff.; Weßlau, Vorfeldennittlungen, S. 200 einerseits; und die Entwurfsbegründung zur StPOE 1988, S. 93 andererseits. 4 Für das Recht der verdeckten Ennittler, Wohnungen zu betreten, ist allerdings zu Recht die Gültigkeit der dies gestattenden Vorschriften bezweifelt worden: Sie sind vom Gesetzesvorbehalt des Art. 13 GG nicht gedeckt, vgl. dazu: Frister, StrafV 1983, 151 ff.

I. Keine Kontrolle ohne Betroffenenöffentlichkeit

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Der Betroffene hat faktisch nicht die Möglichkeit, jeden rechtswidrigen Eingriff gerichtlich überprüfen zu lassen. Wer ein Kontrollverfahren in Gang setzen will, ist prinzipiell angewiesen auf beweisbare Kenntnisse über diese Tätigkeits. Sowohl ob und wie Staatsorgane gehandelt haben als auch warum sie tätig wurden, muß fllr den Betroffenen wie fllr den Kontrolleur nachvollziehbar sein. Im Falle verdeckter Ermittlungen kommen als Informationsquellen aber lediglich der verdeckte Ermittier selbst oder die von ihm beobachteten oder vernommenen Personen in Betracht. Auf Seiten der Betroffenen, gleichgültig, ob dies die Ausgehorchten oder die Beschuldigten sind, fehlt mit der Information über den Einsatz zugleich schon der Anlaß zur Kontrolle. Die Betroffenen wissen ja nicht, daß sie mit verdeckten Ermittlern zu tun haben. Wenn Ermittlungsbeamte im klassischen Strafverfahren Wohnungen durchsuchen, dann müssen sie sich als Funktionsträger ausweisen, § 106 Abs. 2 S. 1 StPO und sie· müssen den Betroffenen vom Zweck der Maßnahme unterrichten6 • Anders, wenn ein verdeckter ErmittIer entgegen § 110 c StPO in einer Wohnung eine Durchsuchung vornimmt, dann setzt eine nachträgliche Rechtskontrolle voraus, daß der Betroffene bemerkt, erstens, daß ein Staatsorgan seine Wohnung betreten hat, zweitens daß diese durchsucht wurde. Rechtskontrolle ist also nur möglich, wenn der verdeckte ErmittIer versagt hat. Wenn er planwidrig enttarnt wurde, dann ist sein Einsatz auch überprüfbar. Aber selbst dann, wenn der Betroffene den Verdacht hat, daß er staatlicherseits ausgeforscht werden sollte, kann er die Tätigkeit des ErmittIers nicht mit Aussicht auf Erfolg überprüfen lassen. Denn eine hierauf gerichtete Klage ist nur zulässig, wenn der Kläger substantiiert behauptet, von einem Staatsorgan in seinen Rechten verletzt zu sein7 • Dazu muß er schildern können, welcher Beamte welcher Behörde, wann aufweiche Art und Weise gegen ihn vorgegangen sein soll. Von den Ermittlungsbehörden erflihrt der Betroffene nichts, da diese das Recht haben, alle seinen Einsatz betreffenden Informationen geheimzuhalten. § 19 Abs. 4 BDSG und die ähnlich lautenden Vorschriften der Landesdatenschutzgesetze stellen auch die Ermittlungsbehörden von einer Auskunftspflicht frei. Über in der Vergangenheit stattgefundene Einsätze muß nur informiert werden, wenn der verdeckte ErmittIer eine Wohnung betreten hat, und wenn weder

, Evers, Gutachten, S. 80; Amelung / Schall, JuS 1975, 570. vgl. hierzu Weßlau, Vorfeldennittlungen, S. 200. 7 Evers, Privatsphäre und Ämter rur Verfassungsschutz, S. 270.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

der Untersuchungszweck, noch die öffentliche Sicherheit, noch der verdeckte Ennittler, noch die Möglichkeit seiner weiteren Verwendung (§ 1 IOd Abs. 1 StPO) geflihrdet ist. Wann Infonnationen erteilt werden, steht mithin schon rechtlich nahezu im Belieben der Ennittlungsbehörden. Auch wenn der Betroffene schlicht seinen Verdacht als Klagebehauptung formuliert, muß er doch nachweisen können, daß und wie ein Staatsorgan gehandelt hat, er müßte den verdeckten Ennittler enttarnen. Gerichtliche Kontrolle setzt also voraus, daß das Auftreten des Ennittlers als Privatperson mit falscher Legende entlarvt wird. Man muß - wenn sich die Behörde nicht zu ihm bekennt - seine wirkliche Identität und seine Funktion als Staatsorgan selbst nachweisen. Infonnationen über die Einsätze verdeckter Ennittler erhält der Betroffene, gleich ob er Beschuldigter oder Dritter ist, auch nicht im Wege der Akteneinsicht. Schon nach geltendem Recht hält man es bekanntlich ft1r zulässig, diese Infonnationen analog § 96 StPO den Akten femzuhalten s. Auch in Zukunft soll die Tatsache, daß ein V-Mann eingesetzt wurde, zwar in den Generalakten der Staatsanwaltschaft, nicht aber in den Ennittlungsakten zu finden sein9 • Nicht selten wird die Arbeit verdeckter Ennittler sogar der Staatsanwaltschaft gegenüber geheimgehalten 10. Statt zu infonnieren, lenkt der Akteninhalt eher in die Irre: Es werden dort zur Stützung der Legende oft falsche Vennerke eingetragen, die, z.B. durch die Behauptung einer gelungenen Flucht, den Einsatz der V-Person oder des verdeckten Ennittlers selbst mit Glaubwürdigkeit ausstatten 11. Ob man eine solche Behauptung oder sogar die Durchfilhrung von Scheinennittlungsverfahren als Mittel zur Stützung von Legenden ft1r zulässig hält l2 , spielt keine Rolle - eine solche Praxis läßt sich, die generelle Zulässigkeit verdeckter Ennittlungen unterstellt, nicht unterbinden. Selbst wenn es eine Infonnationspflicht der Ennittlungsbehörden gäbe, würde dies eine subjektive Kontrolle kaum ausreichend ennöglichen. Zwar verlangt der Grundsatz der Betroffenenöffentlichkeit nicht notwendig, daß Eingriffe nur Siehe oben S. 38 t1; vgl. für die Praxis: Anlage D RiStBV, Abschnitt I 5.6. Vgl. § 110 d Abs. 2 StPO, dies gilt allerdings im wesentlichen nur für Entscheidungen über den Einsatz der ErmittIer. Eine Pflicht zur Protokollierung der Einsätze gibt es nicht 10 Vgl. die Fallschilderung von Wlichtler, Anlage zum Protokoll der 31. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, 12. Wahlp., S. 127 ff.; Taschke, Die behördliche Zurückhaltung, S. 75; Geißer, GA 1985, 248 (387); Schtifor, Kpr. 1983 (Heft 4), S. 15; Füllkrug, ZRP 1984, 194. 11 V gl. hierzu LG Berlin, StraN 1986, 96; Kleinknecht, Festschrift für Dreher, S. 722 f.; H. Schtifor, NStZ 1984, 204 f. 12 Zur Zulässigkeit von öffentlich proklamierten Scheinermittlungsverfahren vgl. meine Ausführungen in StratV 1987, 544 ff. 8

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I. Keine Kontrolle ohne Betroffenenöffentlichkeit

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öffentlich vollzogen werden dürfen. Allerdings genügt hierftlr auch nicht die Einfllhrung einer bloßen Rechtspflicht zur Benachrichtigung, vielmehr muß deren Einhaltung gesichert sein. Andernfalls setzte eine systematische Kontrolle voraus, daß die Betroffenen stets korrekt benachrichtigt würden. Ob dies erfolgt, läßt sich jedoch nicht überprüfen 13 • Wiederum liegt es in der Hand der Exekutive, ob sie sich überprüfen - d.h. ans Gesetz binden - läßt. Dazu müßte nämlich der Betroffene das bereits wissen, wozu er der Benachrichtigung bedarf: Daß er nämlich von einem verdeckten Ermittler ausgehorcht worden ist. Kontrolle der Tätigkeit verdeckter ErmittIer ist unter solchen Bedingungen prinzipiell nicht möglich. Ob verdeckte ErmittIer sich im Rahmen gesetzlicher Ermächtigung halten, ob sie Abhörgeräte einsetzen, ob sie über ihre Legende hinaus nicht täuschen, ob sie Straftaten provoziert haben, ob sie nur mit richterlicher Ermächtigung tätig geworden sind, läßt sich nicht feststellen, solange man nicht weiß und sich nicht in Erfahrung bringen läßt, ob überhaupt verdeckte ErmittIer eingesetzt wurden und was sie getan haben l4 . Anders im klassischen Ermittlungsverfahren: Dort setzen Grundrechtseingriffe prinzipiell ihre Anordnung voraus, §§ 35, 81a Abs. 2, 98 Abs. 1, 100 Abs. 1, 100b Abs. 1, 105 Abs. 1, 111 Abs. 2 StPO IS • Das bedeutet, daß die Ermittlungsbehörden den Betroffenen über den Eingriff selbst und dessen Zweck unterrichten müssen, bevor sie tätig werden. Auch bei schlichter Ermittlungstätigkeit darf über denjenigen, der gegenüber den Bürgern handelt, nicht getäuscht werden. Solche Betroffenenöffentlichkeit gestattet den Beteiligten, die Eingriffe gerichtlich überprüfen zu lassen, sofern ein Art. 19 Abs. 4 GG genügender Rechtsschutz zur Verftlgung steht l6 . Selbst, wenn Ermittlungsbeamte im Wege der informatorischen Befragung "Daten erheben-, wenn die Betroffenen sich also freiwillig äußern, müssen sie erfahren, wem gegenüber und zu welchen Zwecken sie Daten preisgeben (§ 163 a Abs. 3 mit §§ 58 ff. sowie § 163 a Abs. 4 und 5 StPO)17 11. Sollen Informationen gegen den Willen des Infor-

13 ebenso Weßlau, Vorfeldennittlungen, S. 206. 14 Evers, Gutachten, S. 80 hält es immerhin rur denkbar, daß durch Indiskretionen Rechtskontrolle in gewissem Umfang garantiert werden kann. IS so Fezer, Strafprozeßrecht, Band I, 8/72 ff.; BGH, NStZ 1981, 22 ff. (23); kritisch Amelung, JZ 1987,737 ff. (744) - aber die Kritik Amelungs stützt sich schon auf neue, operative Maßnahmen, wie Telefonüberwachung, Rasterfahndung u.ä. 16 vg!. aber Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, S. 39 ff, S. 60 ff.; ders. Infonnationsbeherrschungsrechte, S. 82 f. 17 allgemein zum Inhalt: LR-Hanaele, § 136 Rdnr. 32; Fezer, Strafprozeßrecht, Bd. I, 3/31 ff. 11 zur infonnatorischen Befragung in oben genannten Sinne: LR-Rieß, § 163a, Rdnrn. 17 ff.; SK-StPO-Rogall, vor § 133 Rdnr. 46; a.A. KleinJcneeht/ Meyer, Ein!. 79. Zu deren Zulässigkeit, siehe unten B. I.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

manten erhoben werden, so hat dies gern. §§ 161 a, 57 ff. StPO flirmlich zu geschehen, die Zeugen müssen eigens geladen und ebenfalls belehrt werden, der Beschuldigte muß über den gegen ihn bestehenden Tatverdacht und sein Schweigerecht belehrt werden, § 136 Abs. 1 StPO. Der vernommene Zeuge darf sich in diesen Situationen eines Rechtsbeistandes bedienen l9 , der Beschuldigte kann erklären, daß er nur in Gegenwart eines Verteidigers aussagen wolle20 • Der Beschuldigte, über den bzw. zu dessen Lasten Informationen erhoben wurden, erfllhrt davon in der Regel21 durch die Dokumentation der Vernehmung in den Akten. Betroffenenöffentlichkeit gewährleistet auf diese Weise die Kontrollierbarkeit staatlicher Informationserhebung. Eine solche Dokumentationspflicht, deren Einhaltung überdies sanktioniert sein mUßte, verträgt sich nicht mit dem Institut des verdeckten Ermittiers - sein Einsatz verlangt dauerhafte Geheimhaltung. 3. Fazit

Heimliche Ermittlungstätigkeit unterliegt also im Unterschied zu fUr die Betroffenen öffentlichen Ermittlungen keiner subjektiven Kontrolle. Die Schranken, welche die Gesetze dem Eingreifen durch verdeckte Ermittier auferlegen, sind in diesen Fällen faktisch nicht wirksam. Verdeckte Staatstätigkeit ist daher verfassungsrechtlich nicht zulässig, weil sie einer unbeschränkten Ermächtigung zum Eingreifen in Grundrechte Dritter und des Beschuldigten gleichkommt. Verfassungsrechtlich zulässig werden verdeckte Ermittlungen auch nicht dadurch, daß man eine Pflicht aufstellt, die von solchen Maßnahmen Betroffenen nachträglich darüber zu informieren 22 • Dann nämlich hängt, ob der Einsatz verdeckter Ermittier kontrolliert ist, davon ab, ob diese Pflicht zur Information eingehalten wird. Die Einhaltung einer solchen Informationsverpflichtung ist in gleichem Maße unkontrollierbar, wie z.B. die Einhaltung der Pflicht, prinzipiell keine Wohnungen zu durchsuchen. Auch hier kann nur derjenige eine Pflichtverletzung zu seinen Lasten gerichtlich feststellen lassen, welcher davon nicht nur weiß,

19 BVerfUE 38, 105 ff.; Fezer, Strafprozeßrecht, Band 11, 13/46; LR-Dahs, § 58 Rdnr. 10 m.w.N. 20 LR-Rieß, § 163a Rdnrn. 95 f. m.w.N. 21 dazu, daß es in diesem Bereich Kontrolldefizite gibt, s.u. S. B. I. 22 eine solche Benachrichtigung sehen § 163 n Abs. 3 StVÄGE und §§ 101 Abs. 4 und 110 d Abs. I OrgKGE aber nicht fllr den Einsatz der verdeckten ErmittIer als solchen, sondern nur fllr den Fall vor, daß diese in eine (privat-)Wohnung eingedrungen ist oder den Beschuldigten oder Dritte fotografiert oder abgehört hat

11. Die Durchsetzbarkeit des Verbots verdeckter Ennittlungen

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sondern dies auch noch nachweisen kann. Aus diesem Grunde ist eine nicht sicherbare Benachrichtigungspflicht kein Mittel, die Kontrolle heimlicher Staatstätigkeit zu gewährleisten23 •

ß. Die Durchsetzbarkeit des Verbots verdeckter Ermittlungen Fraglich ist allerdings, ob mit der Unzulässigkeit verdeckter Informationssammlung überhaupt etwas fl1r die Kontrolle staatlicher Ermittlungsarbeit gewonnen wäre: Ist das Gebot der Betroffenenöffentlichkeit überhaupt ein Hindernis dafUr, sich durch Heimlichkeit der Kontrolle zu entziehen? Heimlich tätig werden, d.h. sich jeglicher Kontrolle entziehen, könnten ErmittIer möglicherweise auch dann, wenn gar keine Ermächtigungsgrundlage ihren verdeckten Einsatz prinzipiell zuließe, ja sogar dann, wenn ihr Einsatz explizit verboten wäre. Dann bestünde hinsichtlich der Schrankenfunktion von Gesetzen kein Unterschied zwischen Gesetzen, die nur öffentliches Tätigwerden gestatten und solchen Gesetzen, die verdecktes Handeln erlauben. Beide könnten heimlich - sprich: unkontrollierbar - gebrochen werden. Allerdings läßt sich mit der Unzulässigkeit verdeckter Ermittlungsmethoden weitgehend auch deren Einsatz verhindern. Die Durchfilhrung heimlicher Ermittlungen muß mit dem Verbot zugleich unmöglich oder sinnlos werden: Erstens dürfen ohne gesetzliche Ermächtigung fl1r solche Tätigkeiten keine Haushaltsmittel zur Verfilgung gestellt werden 24 • Ohne sie lassen sich weder falsche Papiere, Abhörgeräte und Geld rur Scheinkäufe beschaffen, noch läßt sich der zur Stützung der Legende erforderliche, aufwendige Lebensstil verdeckter ErmittIer herstellen 2s • Zwar ist es prinzipiell denkbar, daß zu anderen Zwecken bereitgestellte Sach- und Personalmittel umgewidmet werden26 , doch ist solches allenfalls in EinzelflilIen denkbar. Die Unzulässigkeit der heimlichen Verbrechensaufklärung steht deshalb dem systematischen Einsatz verdeckter Ermittler entgegen. Zweitens verlangt effektive Kontrolle über das Verbot des Einsatzes hinaus das Verbot der Verwertung solcherart gewonnener Erkennt-

vgl. dazu die eingehenden Ausfiihrungen, oben Teil 2, A. 11. 2). Zum Zusammenhang von Haushaltsmitteln und Kontrolle, Schlink, Die Amtshilfe, S.299. 2S vgl. den Fall des LKAes Bayern, LG München, 9 Kls 338 JS 13742/92 geschildert von Heiner Busch, cilip, 1991, S. 25 dort wurden u.a., Flug und Aufenthalt in Kolumbien "notwendig". 26 vgl. meine Ausfilhrungen in: StrafV 1987, 544 (547 f.) zum Einsatz der Ennittlungsbehörden zur Schaffung einer besonders überzeugenden Legende. 23

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

nisse. Wenn rechtswidrig erlangte Informationen wertlos sind, ist auch der Rechtsbruch sinnlos. Woher eine Information stammt, ob sie ordnungsgemäß oder heimlich ermittelt wurde, läßt sich nämlich im Unterschied zu heimlichen Ermittlungen als solchen von den Betroffenen kontrollieren, sofern es einen Zwang zur Dokumentation der Informationsquelle gibt. Informationen, deren Quelle geheimgehalten wird und von denen offengelassen wird, wie (d.h. auf welchem Wege) sie in den Besitz der Ermittlungsbehörden gelangt sind, dürfen nicht verwertet werden. Das bedeutet, daß Akten den Hinweis "Vertraulich (oder: dienstlich) wurde bekannt- ebensowenig enthalten dürfen, wie etwa ungeklärt bleiben darf, welche Tatsachen die Beamten zu dem Verdacht gefilhrt haben, an einem bestimmten Orte seien sachliche Beweismittel zu fmden. Wenn solche Lücken in der Dokumentation der Ermittlungen in der Akte unzulässig sind, und wenn der Verstoß gegen das Gebot lückenloser Darstellung durch Unverwertbarkeit oder sogar durch Verfahrenseinstellung sanktioniert ist, dann erst läßt sich mit dem Wissen gleichwohl eingesetzter verdeckter Ermittier nichts anfangen. Betroffenenöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens, d.h. in diesem Fall: die nachtragliche, umfassende Information muß zur Bedingung der Reproduktion seiner Ergebnisse im Hauptverfahren werden27 • Es kann auch in diesem Falle Mißbräuche geben, etwa, wenn vermerkt wird, daß durch verdeckte Tätigkeit erlangte Wissen sei einem anonymen Telefonanruf zu verdanken. Aber als systematisch eingesetzte Ermittlungsmethode sind verdeckte Ermittlungen in diesen FllIlen wenig erfolgversprechend, zum einen, weil sich auf solche Hinweise nicht zahlreiche Verfahren ZUTÜckftlhren lassen, zum anderen, weil solche Vermerke dann signifIkant werden: Sie deuten auf die FllIle, in denen solche Beamte tätig werden, geradezu hin21 • Die Unzulässigkeit verdeckter Tätigkeit allein vermag also nicht zu garantieren, daß Ermittlungen ftlr die Betroffenen öffentlich - mithin kontrollierbar - erfolgen. Hierzu bedarf es vielmehr zusätzlich der Verfahrensregelungen, die garantieren, daß heimlich gewonnene Informationen wertlos sind.

ID. Zusammenfassung Die Zlllässigkeit verdeckter Ermittlungen vertragt sich nicht mit der Schrankenfunktion von Gesetzen. Gesetze begrenzen staatliches Handeln nur, wenn

27 dazu, warum und unter welchen Bedingungen in diesen Fällen Informationspflichten genügen, siehe unten B. I. 21 Demgegenüber ist das Fehlen jeglicher Angaben darüber, woher polizeiliches Wissen stammt, mehrdeutig. Es kann - da schlechte Aktenftlhrung nicht sanktioniert ist - auch daher rühren, daß die Ermittlungsbeamten es unterlassen haben, den Gang der Ermittlungen sorgflUtig zu protokollieren.

III. Zusammenfassung

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ihre Einhaltung in einem Verfahren kontrollierbar ist, das dem durch die Grenzziehung Begünstigten die Chance gibt, ihn betreffendes staatliches Handeln einer - öffentlicher Kritik unterliegenden - gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. An dieser Möglichkeit fehlt es dem von heimlichen Grundrechtseingriffen Betroffenen. Selbst wenn er argwöhnen sollte, daß ihm gegenüber staatliches Handeln stattfmdet, so wäre er fllr die Begründung einer Klage auf die freiwillige Mitwirkung und Information durch die kontrollierte Behörde angewiesen. Da sich in diesem Falle die Kontrollierbarkeit nicht durch bloße Benachrichtigungspflichten herstellen läßt, sind die Befugnisse zu verdecktem Ermitteln verfassungswidrig und d.h. nichtig.

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Teil 3: Die KontrolldefIZite im einzelnen

B. Grundrechtseingriffe durch Informationsbeherrschung im Gerichtsverfahren und ihre Kontrolle - Justizf"örmigkeit des Verfahrens In den beiden nunmehr zu erörternden Fällen erhalten die Ennittlungsbehörden. unkontrollierbare Macht über das Strafurteil. Im ersten Fall wird ihnen durch die Infonnationsbeherrschungsbefugnisse das Recht eingeräumt, Beweise zu präsentieren, die zur Grundlage der Beweiserhebung und -würdigung in der Hauptverhandlung werden. Welchen Wert diese Beweise haben, läßt sich jedoch durch das Gericht nicht vollständig würdigen, weil dieser Beweiswert davon abhängt, welchen Ausschnitt aus den Ennittlungen sie darstellen. Darüber zu infonnieren, sind die Ennittlungsbehörden nach herrschender Auffassung indessen nicht verpflichtet.

Die Befugnis zur Präsentation von Beweismitteln als eines Mosaiksteines, dessen Platz im Gesamtbild nur den Ennittlungsbehörden bekannt ist, dessen Beweiswert deshalb auch nur von ihnen bestimmt werden kann, filhrt dazu, daß das Gericht die in der Auswahl zugleich liegende Bewertung der Beweise durch die Ennittlungsbehörden übernehmen muß: Das Urteil ist nur dann fehlerfrei, wenn diese Kontroll- und Bewertungsfunktion durch die Ennittler bei Anklageerhebung und Zusammenstellung des als Resultat dieser Bewertung ft1r ,,relevantft befundenen Materials zutreffend und pflichtgemäß wahrgenommen wurde. Der zweite Fall ist von der Struktur her vergleichbar: Wenn man die Rechtsauffassung der herrschenden Meinung zugrundelegt, ergibt sich aus der Befugnis zur Zurückhaltung von Infonnationen (die Aufschlüsse über die Identität von unmittelbaren Zeugen erbringen könnten) in Verbindung mit der Pflicht des Gerichts zur Beweiserhebung durch Vernehmung der Verhörsperson die Möglichkeit zur "Prozeßsteuerung durch die Exekutive ft29 durch Teilinfonnation. Die Pflicht zur prinzipiellen Verwertung der Aussagen von Verhörspersonen stellt sich als schlichte Übernahme nicht nachvollziehbarer Ergebnisse des Ennittiungsverfahrens dar, weil man diesen Aussagen keinen (tragenden) Beweiswert zuerkennen kann. Von einer verfassungsrechtlich unzulässigen Macht der Ennittlungsbehörden kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn diese sich nicht als das Werk des erkennenden Gerichts darstellt.

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UK. Preuß, StrafV 1981,312.

B. Grundrechtseingriffe durch Infonnationsbeherrschung

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Dies aus folgenden Gründen: Die Instrumente, die die Verfassung mit den lustizstandards zur Kontrolle von Rechtserkenntnisprozessen zur VerfUgung stellt, garantieren im Prinzip allein schon durch ihre Existenz auch deren Kontrollierbarkeit. Ihre Geltung stellt eigentlich sicher, daß die Entscheidung nachvollziehbar ist, nicht auf partikularem Urteil, d.h. auf den unkontrollierten Kenntnissen und damit der Macht anderer Organe beruht. Das geschieht dadurch, daß rechtliches Gehör, Beweisantragsrechte und die SubjektsteIlung des Angeklagten es gestatten, aufzudecken, daß eine verurteilende Entscheidung auf partikularem Urteil basieren würde, wenn sie erginge. Argumentativ läßt sich im Grundsatz erreichen, daß man auf die Kenntnisse eines anderen Staatsorganes verzichtet, wenn man sie nicht beurteilen kann indem man aufzeigt, daß man sie nicht beurteilen kann. Von diesem Grundsatz gibt es eine Ausnahme, die hier einschlägig ist: Sie besteht darin, daß das erkennende Gericht in der Übernahme der Erkenntnisse nicht frei ist, wenn also die tragende Bedeutung partikularer Kenntnisse sich nicht als Fehler des erkennenden Gerichts darstellt. Sie liegt in zwei Fällen vor: Erstens dann, wenn das erkennende Gericht verpflichtet ist zur Verwertung des partikularen Wissens, zweitens dann, wenn der Verzicht auf dessen Verwertung sich der Sache nach zugleich als Verzicht auf der Strafverfolgungsfunktion darstellt. Darauf zu verzichten, hieße die Freiheit der BeweiswÜfdigung, wie sie die Strafprozeßordnung in § 261 StPO einräumt, als Befugnis zur Derogation des Strafverfahrensrechts als Entscheidungssystem mißzuinterpretieren. Läßt sich begründen, daß den Ermittlungsbehörden durch das Gesetz unmittelbar oder in seiner Interpretation durch die herrschende Meinung, solchermaßen unkontrollierbare Macht eingeräumt ist, so stellt sich die Frage nach den Konsequenzen. Es stehen im Grundsatz zwei Möglichkeiten zur VerfUgung: Entweder man erstreckt die lustizstandards zumindest sinngemäß30 auf das Ermittlungsverfahren - und hebt dadurch das WissensgeflUle auf - oder aber man unterbindet den Gebrauch des WissensgeflUles. Wodurch dies zu geschehen hat, bedarf genauerer Untersuchung, weil diese Macht ein Resultat des Zusammenwirkens unterschiedlicher Befugnisse darstellt. Aus den vorangegangenen Erwägungen ergibt sich der Gang der Untersuchung. Zunächst bedarf es in beiden Fällen des Nachweises, daß die Entscheidung sich in der Weise auf Informationen des Ermittlungsverfahrens stützt, daß diese - im Unterschied zur sonstigen Überzeugungsbildung - schlicht übernommen werden. Damit wäre begründet, daß die Entscheidung auf partikularem Urteil

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d.h. hier: so daß ihre Funktion im Hauptverfahren erftlllt wird.

204

Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

der Ennittlungsbehörden basiert. Sodann muß dargelegt werden, daß es dem erkennenden Gericht in diesen Fällen nicht freisteht, diesen Einfluß zurückzuweisen. Der Einfluß der Ennittlungsbehörden beruht im ersten Fall darauf, daß der gesamte Ablauf des Ennittlungsverfahrens für die BeweisWÜfdigung von Bedeutung ist - einschließlich der erfolglos verlaufenen Ennittlungen. Die Annahme, die präsentierten Beweise seien die bei kunstgerechtem Vorgehen einzig ermittelbaren, relevanten Beweismittel, liegt der Entscheidung - bis auf AusnahmefiUle - regelmäßig zugrunde. Auf sie zu verzichten, hieße weithin auf Strafverfolgungstätigkeit überhaupt zu verzichten. Ob diese Annahme zutrifft, ist jedoch, wenn man, wie die herrschende Meinung die Lückenhaftigkeit von Akten für zulässig erachtet, nicht kontrollierbar, weil den Beteiligten dann zwar nicht entgeht, daß die Dokumentation des Vorverfahrens unvollständig ist, wohl aber gegebenenfalls, daß die Ennittlungen selbst auch lückenhaft waren. Da in diesen Fällen die Entscheidung nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruht, werden die Justizstandards, wie rechtliches Gehör und Subjektstellung des Angeklagten (faires Verfahren) gegenstandslos. Deren Erstrekkung auf das Ennittlungsverfahren ist daher geboten. Sie können dort - zumindest, solange gegen Unbekannt, bzw. ohne unmittelbare Beteiligungsrechte operiert wird - nur die Fonn einer umfassenden sanktionierten Dokumentationspflicht mit nachfolgender Kontrollmöglichkeit im Hauptverfahren annehmen. Andernfalls läßt man eine "Prozeßsteuerung durch die Exekutive3h' zu. Anstelle des öffentlich kontrollierten, richterlichen Urteils tragen dem Entscheidungskriterien und -maßstäbe der - weniger am Tatschuldprinzip als vielmehr an der Kontrolle gesellschaftlicher Entwicklungen interessierten Ennittlungsbeamten die Entscheidung, (unten, 1.). Im zweiten Falle muß zunächst nachgewiesen werden, daß sich die Pflicht zur Verwertung der Aussagen von Verhörspersonen als schlichte Übernahme der Ergebnisse des Ennittlungsverfahrens darstellt, weil man diesen Aussagen keinen (tragenden) Beweiswert zuerkennen kann. Die Pflicht zur Beweiserhebung setzt genau dies voraus, daß die Aussagen im Grundsatz von (mit)tragender Bedeutung für die Entscheidung sind. Im folgenden gilt es nachzuweisen, daß das Referat von Beobachtungen der V-Leute keine solche Bedeutung hat, auch wenn es zutreffend sein kann. Hinsichtlich seiner Richtigkeit bestehen regelmäßig Zweifel, die notwendigerweise abstrakter Natur sind - durch eine Beweiserhebung also nicht behoben, allenfalls bestätigt werden können. Angesichts dessen erweist sich die Pflicht zur Verwertung solcher Aussagen (auch

31

UK. Preuß, StrafV 1981,312.

I. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über das Ennittlungsverfahren

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neben weiteren Indizien), falls sich nicht in der Hauptverhandlung neue Zweifel ergeben als eine Art BeweisWÜTdigungsregel, die den Verhörspersonen die Steuerung des Verfahrens erlaubt. Die richterliche Beweiserhebung vollzieht sich in diesem Fall zwar unter den Augen der Beteiligten und der Öffentlichkeit, diese haben jedoch, unter der Voraussetzung prinzipieller Verwertungspflicht, keine Macht, die Berücksichtigung ihrer durch eine Beweiserhebung nicht autklärbaren Zweifel zu erzwingen, (unten, 11.).

I. ProzeBsteuerung durch Teilinformation über das Ermittlungsverfahren im allgemeinen - Die Bedeutung der Aktenvollständigkeit Die Transparenz richterlichen Vorgehens und Urteilens gestattet an sich die öffentliche Kontrolle der Verurteilung. Nur dann, wenn das Gericht auf die Lücken- und Fehlerlosigkeit des Ermittlungsverfahrens angewiesen ist, um selbst richtig entscheiden zu können - wenn also Fehler im Vorverfahren im Hauptverfahren nicht kontrollier- oder korrigierbar sind - bedarf es zusätzlich der Kontrolle des Ermittlungsverfahrens. Nach herrschender Auffassung hat das Ermittlungsverfahren nur unselbständigen, vorbereitenden Charakter, das Gericht trägt die alleinige Verantwortung fUr das Zutreffen seiner Entscheidung. Fehler der Ermittlungsbehörden könnten durch ergänzende Beweiserhebung oder durch vorsichtige BeweisWÜTdigung neutralisiert werden. § 261 StPO verbiete dem Richter überdies, die Ergebnisse des Vorverfahrens einfach zu übernehmen. Er müsse seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpfen. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens fließen demzufolge in die richterliche Entscheidung nur ein, soweit sie im Hauptverfahren präsentiert wurden und dort das Gericht überzeugt haben. Wenn ein Gericht vermeidbare Fehler und Schlampereien der Ermittlungsbehörden nicht kompensiert, sondern übernimmt, müßte dies folgerichtig zur Fehlerhaftigkeit des Urteils filhren. Diese Übernahme unterläge dann öffentlicher Kontrolle. Eine solche Argumentation hält jedoch genauerer Betrachtung nicht stand: Daß Ermittlungsfehler zu einem materiell falschen Urteil nur vermittelt durch Verfahrens- oder Denkfehler des Gerichts filhren, trifft nicht zu. Haben zum Beispiel die Ermittlungsbeamten in der Akte vermerkt, ein Mitangeklagter habe aus eigener Initiative nach dem Richter verlangt und ein (protokolliertes, aktenkundiges) Geständnis abgelegt, während tatsächlich die Ermittlungsbeamten diesen Mitangeklagten zuvor mehrfach aufgesucht und unter Druck zum Geständnis erst bewegt haben, und legt das Gericht schließlich dem Urteil die Annahme zugrunde, dies Geständnis sei dem Druck schlechten Gewissens

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

erwachsen32, so konnte es ohne Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO von weiterer Aufklärung der Genese der Aussage absehen, und es konnte (fehlerfrei beweiswürdigend) hierauf sein Urteil über die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Mitangeklagten stützen. Revisibel (wegen Verstoßes gegen § 136a StPO) wird ein solches Urteil erst, wenn das Vorgehen der Ermittlungsbehörden bekannt und nachweisbar werden sollte. Nur wenn die Kontrolle der Ermittlungstätigkeit ohnehin funktioniert, weil deren Fehler erkannt werden, dann fUhren Fehler der Ermittlungsbehörden zur Rechtswidrigkeit des Urteils. Die Fehlerhaftigkeit von Ermittlungen wirkt sich zwar (negativ) auf das Urteil aus, fmdet aber nicht in der Anfechtbarkeit der Erkenntnistätigkeit des sie rezipierenden Urteils seinen Niederschlag. Zugleich mit der richterlichen Kontrolle versagt auch die öffentliche: So wenig, wie dem Gericht ohne Aktenkenntnis erkennbar war, wie das Geständnis zustandegekommen war, so wenig lag dies filr die Öffentlichkeit auf der Hand. Dieser Sachverhalt soll im folgenden genauer analysiert werden. Zuerst soll gezeigt werden, daß die richterliche Entscheidung notwendig auf den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens basiert. Sie können nicht ausgeblendet werden; die gesetzliche Regel, wonach die Entscheidung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft werden muß, läßt sich nicht erfilllen. Daher wirken sich Fehler des Ermittlungsverfahrens auch auf das Urteil aus (siehe unten, 1). Daß ein deshalb materiell falsches Urteil gleichwohl rechtsfehlerfrei sein kann, liegt daran, daß das Gericht die Ermittlungen als Basis der Bestimmung des Umfanges seiner Amtsaufklärungspflicht wie auch als Grundlage seiner Beweiswürdigung heranziehen darf und daran, daß, ob die Ermittlungen ordnungsgemäß vollzogen wurden, seiner und der Kontrolle der Beteiligten entzogen ist - sofern man der herrschenden Auffassung folgt (siehe unten, 2). 1. Der Stand der Ermittlungen als Hintergrund der BeweiswOrdigung

Daß die Ermittlungen den Hintergrund der Beweiswürdigung darstellen, zeigt ein Überblick über die Struktur der Entscheidungsfindung. Grundlage einer Verurteilung ist die Annahme33 , daß die erhobenen Beweise keine andere

so geschehen im Fall Schmücker, siehe oben, Teil I, A. I. 3). hierftlr ist zunächst gleichgültig, ob diese Annahme auf einer intuitiv gewonnenen Uberzeugung oder auf rationalen Erwägungen beruht. 32

.. 33

I. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über das Ennittlungsverfahren

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plausible Erklärung zulassen als die Tatbegehung durch den Angeklagten. Die Beweise stellen sich ausnahmslos als Indizien34 dar, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit - die sich aus deren Zusammenspiel ergibt - filr die Tatbegehung sprechen - im selben Maße, in dem andere Erklärungen entweder der Indizien oder der Tat unwahrscheinlich werden. Das Fehlen anderer Erklärungsmöglichkeiten oder die Unwahrscheinlichkeit, daß andere Erklärungen zutreffen, ist daher maßgeblich filr die Entscheidung, ihre Existenz begrUndet Zweifel an der Tatbegehung. Die Erkenntnis solcher Möglichkeiten, zugleich die Würdigung der erhobenen Beweise, ist prinzipiell auf zweierlei Arten möglich: Sie kann zum einen darauf beruhen, daß (entlastende) Indizien auf alternative Erklärungen hinweisen, sie kann aber auch auf Erfahrung beruhen. Auch allgemeine Kenntnisse können konkrete Zweifel begründen. Daß der Halter eines Wagens nicht notwendigerweise der Täter eines mit dem Wagen verschuldeten Unfalls sein muß, besagt bereits die allgemeine Erfahrung, daß Fahrzeuge häufig von anderen als dem Halter gefahren werden. Auch, daß diese Alternative nicht unwahrscheinlich ist, besagt die Erfahrung, die wiederum darauf basiert, daß man Fälle kennt (erkannt hat), in denen dies so war. Die Erfahrung muß man zudem so häufig gemacht haben, daß man einschätzen kann, wie oft solches vorkommt. Die Fähigkeit zur abstrakten Würdigung ist daher begrenzt: Sie setzt entweder voraus, daß man selbst bereits die Erfahrung gemacht hat oder aber es muß sich um ein gängiges, allgemein bekanntes Phänomen handeln. Zugleich ist die Erkennbarkeit solcher alternativen Erklärungen eine Bedingung filr das Recht, jemanden (aufgrund von Beweisen) zu verurteilen. Wenn man ausschließlich auf die durch Erfahrungen vermittelte, allgemeine Kenntnis möglicher alternativer Erklärungen angewiesen ist, trägt dies vielfach nicht die Verurteilung aufgrund bestimmter Indizien: Hat z.B. ein Angeklagter gestanden, der auch ein Tatmotiv gehabt hätte, so ist abstrakt gleichwohl durchaus denkbar, daß er nur jemand anderes gedeckt hat. Die Wahrscheinlichkeit, daß dies so ist, ist jedenfalls höher als sie wäre, wenn man ermittelt hätte, ob andere Täter mit Motiv in Frage kommen - mit negativem Erfolg. In der letzten Alternative kann rur eine Verurteilung also durchaus entscheidend sein, ob ein Fall "ausermittelt" ist. Eine Verurteilung setzt dann aber voraus, daß die Beteiligten auch von den Ermittlungen Kenntnis haben. Ein weiterer Fall soll die Bedeutung von Ermittlungen filr die Beweiswürdigung konkretisieren.

34

vgl. dazu ausfilhrlich: Grünwald, Festschrift filr Honig, S. 58 f.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

In der Toilette eines Cafes ist ein Gast tot zusammengebrochen. Was zunächst nur wie ein Herzinfarkt aussah, entpuppte sich bei genauerer Untersuchung als unnatürlicher Tod, herbeigeftlhrt durch Gift. Die Ennittlungen ergaben, daß der Gast das Gift im Kaffee zu sich genommen haben mußte. Zugriff auf diesen Kaffee hatten höchstwahrscheinlich nur drei Personen. Bei zweien konnten die Ennittlungsbehörden zunächst keinerlei unmittelbare Beziehungen zum Opfer feststellen. Die dritte, X, war mit dem Opfer verfeindet. Sie hatte mit dem Opfer zusammen zum Zwecke der Aussprache das Cafe aufgesucht. Diese Tatsachen werden in der Hauptverhandlung unmittelbar unter Beweis gestellt. Aus den Ennittlungsakten ergibt sich zudem, welche Zeugen nach jeweiligen Feindschaften und Konflikten mit dem Opfer ergebnislos infonnatorisch befragt oder runnlich vernommen wurden, sowie, daß die Familienmitglieder übereinstimmend angegeben haben, das Opfer sei - bis auf X - bei jedennann beliebt gewesen. Einige Arbeitskollegen haben dies bestätigt. Wie schwer die geschilderte Beweislage den X belastet, hängt davon ab, wie umfassend die Ennittlungsbehörden alle möglichen anderen Spuren gesucht und überprüft haben. Wenn sie alle denkbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, dann belasten die Beweise ihn schwer. Als Täter käme neben X praktisch nur "der große UnbekannteR, als Motiv ein von niemandem registrierter oder ein geheimgehaltener Konflikt in Betracht, der Zugriff des Täters auf den Kaffee müßte ebenso unbeachtet vonstatten gegangen sein. Wenn die Ennittler dagegen nicht alle Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, wenn also nicht sämtliche Arbeitskollegen und Nachbarn befragt wurden, dann ist offen, ob nicht im Umkreis des Opfers noch andere Personen existieren, die ein Tatmotiv gehabt und vielleicht in irgendeiner Weise das Zusammentreffen im Cafe als gOnstige Tatgelegenheit genutzt haben, um den Verdacht von sich auf X zu lenken. Ein solcher Tathergang ist dann wesentlich wahrscheinlicher als im anderen Fall.

Dieselben Beweise haben, weil sie unvollständig sind, in diesem Fall eine ganz andere Bedeutung, als im vorangegangenen. Der Stand der Ennittlungen erwies sich in beiden Fällen als maßgeblich ftlr die Möglichkeit einer Verurteilung. Berücksichtigte man ihn nicht, so müßte in sehr vielen Fällen (der Fall Schmücker gehörte dazu) mit der - dann abstrakt bleibenden - Erwägung freigesprochen werden, eine alternative Erklärung der präsentierten Beweise und der Tat sei nicht auszuschließen.

I. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über das Ennittlungsverfahren

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Dies ist weder rechtlich erforderlich - nach herrschender Meinung -, noch vennag die abstrakte, auf allgemeine Erfahrung gestützte Würdigung die konkrete, auf Indizien gestützte vollständig zu ersetzen. Es ist zum einen unstreitig, daß die abstrakte Möglichkeit alternativer Erklärungen nur in Ausnahmeflilien, nämlich dann, wenn sie naheliegt, eine Verurteilung ausschließt. So wird stets betont, der Richter brauche ,,nicht jeder denkbaren, den Umständen nach femliegenden Fallgestaltung nachzugehen". Ob eine Fallgestaltung naheliege, bestimme sich danach, "ob die festgestellten Tatsachen im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte fUr eine solche Möglichkeit" ergeben haben. Die Indizien müßten ,,mit der entlastenden, alternativen Fallgestaltung ebensogut (!) übereinstimmen, wie mit dem vom Gericht fUr erwiesen erachteten Sachverhalt035 • Oben wurde dargestellt, daß die Überzeugungskraft von Indizien nur die Kehrseite des Fehlens anderer Erklärungen ist. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung schließen abstrakte Überlegungen, die "bloßft denkbar sind nur unter der Prämisse aus, daß fUr sie nonnalerweise Anhaltspunkte ennittelbar sein müßten. Fehlt es an solchen Ennittlungen oder können sie nicht berücksichtigt werden, ist auch der nur gedachte Kausalverlauf von erheblicher Bedeutung. Die Praxis und Theorie der Beweiswürdigung setzt daher voraus, daß der Stand der Ennittlungen miteinbezogen werden darf. Zum anderen lassen sich Beweise auch nicht anders würdigen als von der herrschenden Meinung vorausgesetzt, sofern das Ergebnis einer Würdigung im Prinzip Verurteilungen zulassen soll. Müßte man das Fehlen konkreten Wissens um den Stand der Ennittlungen regelmäßig durch die Überlegung auffangen, alternative Erklärungen seien wahrscheinlich, wären Strafverfahren undurchführbar. Nun wird die Fähigkeit zu abstrakter Einschätzung der Wahrscheinlichkeit durch konkrete Erfahrung - sei dies auch in anderen Kontexten - konstituiert. An solcher Erfahrung mangelt es in dem Ausmaß, in dem Ennittlungsvorgänge nicht mehr nachvollzogen werden. Wenn den Beteiligten die Spurenakten nicht mehr regelmäßig zur Verftlgung stehen, sinkt die Phantasie ftlr alternative Möglichkeiten. Maßgeblich ist jedoch vor allem, daß abstrakte Möglichkeiten eben nicht von sich aus präsent werden, sie drängen sich im Unterschied zu konkreten Alternativen nicht ohne weiteres auf. Sie müssen aber die Fonn konkreter "VorftsteIlungen annehmen, sollen sie berücksichtigungsfähig sein. Das, was sich im

35

BGHSt 25,367; BGH bei Holtz MDR 1977,284; LR-Gol/witzer, § 261, Rdnr. 57.

14 Velten

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

Falle Schmücker oder Bullerjahn tatsächlich ereignet hat, hätte sich auch ein böswilliger Geist kaum konkret ausdenken können. Die oben genannte Beweisregel erweist sich so als Umschreibung des Vorganges der Überzeugungsbildung, welcher nicht hintergehbar ist. Obwohl im Falle Schmücker das Gericht wußte, daß Polizei und Staatsanwaltschaft Akten zurückhielten, war es faktisch außerstande, dies Wissen in konkrete Zweifel an der Tatbegehung "umzusetzen". Es hätte, das nämlich verheimlichten die Ermittlungsbehörden, die Aussagen des Mitangeklagten Bodeux so würdigen müssen, als sei Bodeux zu seinem Geständnis durch Druck bewegt worden. Es hätte die gesamten Beweismittel so würdigen müssen, als habe es noch andere relevante (aber: inwiefern relevante?) Spuren gegeben. Dann wäre es auf die Kontrolle der Ermittlungen nicht angewiesen. Die filr die Übernahme von Beweisergebnissen "verantwortliche" Unterstellung, es handele sich um ein vollständiges Bild der Beweissituation, wird mehr oder minder unbewußt vollzogen. Einem Beweis kann überhaupt nur dadurch Bedeutung und damit zugleich irgendein, sei es auch noch so geringer Beweiswert gegeben werden, daß man ihn in einen Kontext stellt. Man wird ihn dabei automatisch in ein Gesamtbild einfilgen, und zwar wird dies eher der Normalfall als eine außergewöhnliche Beweislage sein. Dies umsomehr, als dem Publikum erstens im Schutze der Heimlichkeit begangene Fehler seltener bekannt werden und es diese zweitens dem Maßstab unterwirft, der filr öffentliches Handeln gilt: Dort sind Skandale die Ausnahme. Im Falle Bullerjahn war es z.B. nicht möglich, sich gar niemanden unter der Vertrauensperson vorzustellen; allerdings bewies von den Reichsrichtern wohl auch keiner ausreichend Vorstellungskraft, um die Möglichkeit einzukalkulieren, es könne sich um einen - nicht unabhängigen - Zeugen handeln, der den gegen den Angeklagten bestehenden Verdacht nicht nur genau kannte, sondern darüberhinaus ein Motiv hatte, letzteren zu belasten. Das bedeutet, daß auch dort, wo Informationen fehlen, nicht Leerstellen, sondern die Vorstellung bestimmter Möglichkeiten die Grundlage einer Einschätzung des Beweismaterials bilden. Zweifel an der Tatbegehung entstehen deshalb nur, wenn das Gericht sich vorstellen kann, daß es anders war. Das wiederum setzt voraus, daß es sich zumindest in Umrissen vorstellt, was anders war. Selbst wenn man, entgegen diesen Ausfilhrungen, unterstellt, abstrakte, unsubstantiierte Zweifel wären möglich, hilft dies nicht weiter. Nicht nur eine auf Indizien (im traditionellen Verständnis) basierende Prozeßfilhrung36 wäre praktisch nicht mehr möglich. Man müßte selbst dann noch, wenn man sich

36 dazu, daß von der Struktur her jeder Beweis ein Indizienbeweis ist: Grünwald, Festschrift rur Honig, S. 58 f.

I. Prozeßsteuerung durch Teilinformation über das Ermittlungsverfahren

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einen anderen Kausalverlauf nicht vergegenwärtigen kann, einkalkulieren, daß dieser Mangel an Vorstellungskraft nur auf die eigene, mangelnde Kenntnis des Beweismaterials oder seiner Genese zurückzuftlhren sei. Nicht einmal die Berücksichtigungjedes abstrakt denkbaren, entlastenden Kausalverlaufes könnte solchen Anforderungen genügen. Eine BeweiswUrdigung, die stets unterstellt, es könne sein, daß die Beweislage nicht erschöpfend ermittelt wurde, ist mithin unter der Bedingung, daß Verfahren bisweilen auch zu Verurteilungen ftlhren sollen - nicht möglich. Die Art und Weise der Ermittlungen muß daher solcher Würdigung adäquat sein - nicht umgekehrt. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß der Stand der Ermittlungen in aller Regel in die richterliche Beweiswürdigung einfließen darf und dies auch zwangsläufig geschieht. Da eine Rekonstruktion der Ermittlungen im Hauptverfahren selbst weder vom Umfang noch vom Rüstzeug her 7 möglich ist, sind die Beteiligten für eine Kontrolle des Vorverfahrens auf den Akteninhalt angewiesen. 2. Die Aussagekraft der Akten

Verfassungsrechtlich wäre die Annahme der Vollständigkeit von Ermittlungen unbedenklich unter der Voraussetzung, daß Gericht und Beteiligte den Fall unvollständiger Ermittlungen - auf der Grundlage der Akten oder durch Befragung von Ermittlungsbeamten - erkennen und rur Beweiserhebung und Entscheidungsfindung berücksichtigten und gegebenenfalls öffentlich problematisieren könnten. Grundlage solcher Erkenntnis könnten die Akten oder aber die - nach dem Stand der Ermittlungen - in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise sein. Die Frage ist also, ob Akten und sonstige Beweismittel, so wie sie nach geltendem Recht (bzw. nach dessen Interpretation) gefUhrt bzw. erhoben werden, erkennen lassen, wo noch Aufklärungsbedarf bestand, wo noch Hinweise auf alternative Kausalverläufe existieren könnten. Die Erkenntnis solcher Lücken fUhrte dann entweder - im Zwischenverfahren - zur Ablehnung der Eröffuung oder - im Hauptverfahren - zur Beweiserhebung oder zum Freispruch.

37 Durch gezielte Erhebung einzelner Beweise läßt sich der Stand der Ermittlungen nicht ohne Kenntnis des Beweismittels und -gegenstandes, also der zuvor stattgefundenen Ermittlungen durchfilhren. Ein solches Verfahren setzt also voraus, was erst erzielt werden soll: Kenntnis vom Vorverfahren. Um nicht aufInformationen der Ermittlungsbehörden angewiesen zu sein, müßten praktisch alle Beweiserhebungen im Vorfeld in der Hauptverhandlung nochmals durchgefilhrt werden - das Ermittlungsverfahren verlöle seine Funktion. Fraglich wäre überdies, ob sich solches im Wege des Strengbeweises überhaupt realisieren ließe. Auf eine genauere Untersuchung dieser Frage kann jedoch angesichts der Absurdität solchen Vorgehens verzichtet werden.

14'

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

Zunächst müßte aufgrund des Akteninhaltes erkennbar sein, daß (bzw. wo) die Ermittlungen - nicht die Akten - Lücken aufweisen. Es muß filr die Verfahrensbeteiligten Anlaß gegeben sein, nach zusätzlichen Erkenntnissen zu fragen. Solche Fragen stellen sich in den folgenden Fallgruppen in der Tat ein: Erstens, wenn ein typischer Kausalverlauf in eine andere Richtung deutet als das präsentierte Beweismaterial, es aber nicht ersichtlich ist, daß die Ermittlungsbehörden in dessen Richtung überhaupt ermittelt haben. Zweitens, wenn bestimmte typische Beweismittelkreise überhaupt nicht Gegenstand der Erhebungen waren. Drittens, wenn Indizien ermittelt und in den Akten niedergelegt wurden, die eine bestimmte Alternative konkret nahe legen, es aber wiederum unterlassen wurde, der Frage weiter nachzugehen. In allen übrigen Fällen ist jedoch die Lückenhaftigkeit von Ermittlungen überhaupt nicht erst erkennbar. Im gedachten Fall muß zum Beispiel die Information bekannt sein, daß das Opfer sich in ganz bestimmten Kreisen bewegte, soll erkennbar sein, daß in diesen Kreisen hätte ermittelt werden müssen. Ein anderes Beispiel hierfilr liefert wiederum der Fall Schmücker. Die Ermittlungsbehörden waren verschiedenen entlastenden Tatspuren überhaupt nicht nachgegangen. Die Hinweise auf solche Tatspuren hatten sie in Aktenbände geheftet, die dem Gericht nicht gern. § 199 Abs. 2 S. 2 StPO vorgelegt wurden, und von deren Existenz Gericht und Verteidigung erst im Laufe des Verfahrens durch unbeabsichtigte Indiskretion erfuhren. Das gilt zum einen filr Hinweise aus der Bevölkerung, denen nicht oder jedenfalls nicht ausreichend nachgegangen wurde und nach denen Schmücker kurz vor dem Tatzeitpunkt in der Nähe des Tatortes mit anderen Personen in einem Auto gesehen wurde. Obwohl das Kennzeichen des Wagens bekannt war, wurde dieser Spur nicht nachgegangen. Daß in diese Richtung hätte ermittelt werden müssen, konnte sich weder dem Gericht noch der Verteidigung aufdrängen, ohne daß beide von diesen Hinweisen aus der Bevölkerung wußten. Folgerichtig fiel die diesbezügliche Lückenhaftigkeit der Ermittlungen erst auf, als ein Beamter während seiner gerichtlichen Vernehmung versehentlich von dem Hinweisordner sprach. Das galt desgleichen filr konkrete behördliche Hinweise z.B. des LPKA Hannover, des Bundeskriminalamtes und der Kripo Bremen zur Beteiligung anderer Personen und Gruppen an der Tat. Diese Informationen verblieben in dem bei der Polizei gefllhrten Retent "Sch 762 von dem nur das Landes- und Bundesamt rur Verfassungsschutz erfuhren. ft

,

Diese Beispiele zeigen vor allem, daß Fragen, die die Erkenntnis von Ermittlungslücken zur Folge haben, nur auftauchen, wenn der Stand der Ermittlungen vollständig bekannt ist. Fragen setzen Informationen voraus, und ob ein Gericht die richtigen Fragen stellt, das hängt davon ab, ob es richtig und vor allem vollständig informiert wurde.

I. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über das Ennittlungsverfahren

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Nach herrschender Auffassung gibt es eine solche Pflicht zur lückenlosen Information allerdings aus verschiedenen Gründen nicht: Zum einen fallen Vorgänge, die zwar tat- aber nicht täterbezogen sind, nicht unter die Dokumentationspflicht. Die Ermittlungsbehörden müssen zwar alles vorlegen, was erheblich (im traditionellen Verständnis) ist, aber sie bestimmen selbst, um was es sich handelt. Zum anderen bedeutet Dokumentation nach allgemeiner Auffassung zwar, daß die Akten "das Ermittlungsergebnis und den Gang des Verfahrens· wiederspiegeln sollen, doch findet eine Praxis, die sich mit der zusammenfassenden Darstellung etwa des Beweismittelkreises und des Beweisergebnisses begnügt, nicht jedoch den Inhalt informatorischer Befragungen wiedergibt, allgemeine Billigung. Schließlich gibt nach herrschender Auffassung § 96 StPO in analoger Anwendung den Ermittlungsbehörden das Recht, auch solche Informationen zurückzuhalten, die täter- und tatbezogen, also erheblich, sind. Alle diese Einschränkungen der Dokumentationspflicht verhindern, daß Lükken und Fehler der Ermittlungsbehörden überhaupt erkennbar sind. Ob sich hinter solchen Dokumentationslücken Relevantes - d.h. Lückenhaftigkeit der Ermittlungen - oder Irrelevantes - nämlich nur Ermittlungsergebnisse, im Fall nicht weiterführten - verbirgt, ist damit nicht mehr erkennbar. Welche Informationen anstelle der Lücke stünde, läßt sich eben nicht sagen. Das Wissen, daß nur lückenhaft präsentiert werden muß, ist daher nicht zugleich das Wissen über Ermittlungslücken. Ein Urteil darüber, ob "ausermittelt· wurde, läßt das präsentierte Beweismaterial angesichts dessen nicht zu. Im Gegenteil, die oben entwickelte Struktur der Beweiswürdigung kann durch die Ermittlungsbehörden benutzt werden, weil sie die Freiheit zur Präsentation der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens haben. Wenn z.B. im oben erwähnten Fall die Nachfrage bei Arbeitskollegen ergab, daß im Umkreis des Opfers weitere Personen mit Tatmotiv und Tatgelegenheit existieren, so erlaubt die (faktische) Freiheit, über die Weitergabe dieser Information zu entscheiden, die Steuerung des Ergebnisses der Hauptverhandlung: Das richterliche Urteil ist deshalb heteronom. Die Rechtserkenntnis im Strafprozeß hängt also von den Ergebnissen des nicht-öffentlichen Ermittlungsverfahrens und dadurch vermittelt38 von der Prä-

31 Die Unterstreichung soll kenntlich machen, daß nicht anstelle einer Beweiswürdigung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung sozusagen die Beweiswürdigung "aus dem Inbegriff der Akten w tritt.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

sentation der Ennittlungsergebnisse in den Akten ab, weil erstere nicht kontrollierbar sind. Aus der Struktur der Beweiswürdigung im Strafprozeß ergibt sich mithin, daß fUr die Entscheidungsfindung der gesamte Ablauf der Ennittlungen relevant ist. Der von der herrschenden Meinung in Bezug auf den Akteninhalt vertretene Relevanzbegriff ist demgegenüber enger: Es dürfen keine Infonnationen fehlen, deren Kenntnis eine andere Entscheidung zur Folge gehabt hättt?9. Damit wird die Befugnis zur Würdigung des Beweismaterials Gesamtheit geteilt und in dem Maße, in dem sie dem Richter fehlt, auf die Ennittlungsbehörden übertragen: Sie müssen bei der Präsentation des Beweismaterials die Aufgabe der Würdigung des Materials auf dem Hintergrund ihrer Ennittlungen übernehmen. Dies geschieht, indem sie mit Anklageerhebung entscheiden, der Fall sei ausennittelt und indem sie das (i.S. der herrschenden Auffassung) relevante Beweismaterial vorlegen. Wenn sie fehlerfrei handeln, dann hat der von ihnen präsentierte Ausschnitt aus den Ennittlungen den Beweiswert, den ihm beizumessen das Gericht nicht umhin kann. 3. Fazit

Die den Ennittlungsbehörden durch die Befugnis zur Präsentation nur eines Teils des Beweismaterials eingeräumte Macht ist verfassungsrechtlich unzulässig, weil unkontrollierbar. Da das Strafprozeßrecht selbst weder ausdrücklich regelt, welchen Inhalt die Akten haben müssen, noch, welches die Folgen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Dokumentation sind, trifft das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nur dessen Auslegung durch die herrschende Auffassung. Dagegen ist die folgende, verfassungskonfonne Auslegung geboten: Wie bereits angedeutet, sind zweierlei Konsequenzen prinzipiell möglich: Man unterbindet die Wirksamkeit des WissensgefiUles, indem man die Präsentation der Infonnationen überhaupt fUr unzulässig erklärt oder man hebt das WissensgefiUle auf, d.h. man unterwirft die Ennittlungen dem Regime der lustizstandards. Ersteres ist stets das einschneidendere Mittel, weil es zugleich die Strafverfolgungstätigkeit trifft, im hier diskutierten Falle sie sogar weitgehend unmöglich macht. Es wäre aus diesem Grunde verfassungsrechtlich nicht

39 Es handelt sich der Sache nach um ein aus der Sicht des Revisionsgerichts gewonnenes Kriterium: Es wird gefragt, ob das Urteil auf der Nicht-Vorlage der Informationen beruht.

I. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über das Ennittlungsverfahren

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begrUndbar. Letzteres setzt voraus, daß sich das Wissensgefiille durch - aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs - herzuleitende Informationspflichten überhaupt aufheben läßt. Es müßte sich um Informationspflichten handeln, deren Umfang erstens die vollständige Kontrolle der Ermittlungen gestattet und deren Erfüllung zweitens kontrollierbar und aufgrunddessen erzwingbar ist. Daraus ergibt sich folgendes: a) Akteninhalt und Kontrolle durch die Hauptverhandlung Ob die Ermittlungsbehörden den Sachverhalt vollständig aufgeklärt und pflichtgemäß alles, was - nach traditionellem Verständnis - filr die Entscheidung von, Bedeutung ist, dem Gericht präsentiert haben, läßt sich nur kontrollieren, wenn die gern. § 199 StPO vorzulegenden Akten das Ermittlungsverfahren vollständig dokumentieren. Sie müssen dazu über alle ta/bezogenen Ermittlungsschritte berichten, und zwar über Beweisthema, Beweismittel und Beweisergebnis. Unter Beweisergebnis ist dabei nicht lediglich die Darlegung, daß Unerhebliches und was an Erheblichem bekannt wurde, zu verstehen. Vielmehr muß das Gespräch bzw. die Vernehmung sinngemäß wiedergegeben werden. Dies gilt überdies rur jegliche Ermittlungen, form- und dokumentationspflichtfreie sogenannte "informatorische Befragungen" darf es nicht geben. Auf Einschränkungen der Vorlagepflicht gern. § 96 StPO darf sich die Staatsanwaltschaft nicht berufen. Nur unter diesen Bedingungen lassen die Akten ein Urteil darüber zu, ob vollständig ermittelt wurde. Besteht einmal eine Pflicht zur Aktenvollständigkeit, so markiert jede Lücke eine Ermittlungslücke, jeder Bruch in den Akten eine mögliche Fälschung, der gezielt nachgegangen werden kann. Wenn in einer vollständigen Akte keine Angaben über Ermittelbares oder Ermitteltes enthalten sind, dann haben solche "Lücken" allein die Bedeutung, daß dort nichts ermittelt wurde. . In einer nicht notwendig vollständigen Akte hingegen sind Brüche nicht signifikant, hier können geheimhaltungsbedürftige Informationen fehlen. Lücken müssen nicht Ermittlungslücken sein. Für die Ermittlungsbeamten scheidet folgerichtig eine Berufung auf § 54 StGB (in Bezug auf dasselbe Ermittlungsverfahren) aus, andernfalls läßt sich die Darstellung des Vorverfahrens in den Akten nicht durch Rückfragen überprüfen. Die §§ 96, 54 StPO finden dem Gesagten zufolge im Grundsatz nur filr die am Verfahren beteiligten Ermittlungsbehörden keine Anwendung.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

Dies gilt jedoch in einigen Fällen auch ft1r "außenstehende" Behörden: Verfahrensbeteiligte Behörden haben kein Recht zur Zurückhaltung von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren, weil dessen Ablauf kontrollierbar sein muß, will man das präsentierte Beweismaterial würdigen können. Wenn nun verfahrensfremde Behörden, die über gewünschte Informationen verfttgen könnten, auf konkrete Beweisanfrage hin gem. §§ 54, 96 StPO die Auskunft verweigern, hindert dies nicht die Kontrolle des Ermittlungsverfahrens, da es sich um ein Wissen handelt, das auch den Ermittlungsbehörden nicht zur Verfttgung stand. Es hindert auch die Würdigung der übrigen Beweise nicht, da man weiß, welche Frage unbeantwortet blieb, es ist als Ermittlungslücke offenbar. Sofern jedoch verfahrensfremde Behörden ihr Wissen im Einzelfall zur Verfilgung gestellt haben oder dies regelmäßig tun, muß dies Wissen den übrigen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden. Aus derselben Überlegung resultiert das Verbot, Informationen von nur den Ermittlungsbehörden bekannten Personen durch den Hinweis "vertraulich wurde bekannt" zu anonymisieren. Denn auch gerade diese Anonymisierung kann den Ermittlungsbehörden dazu dienen, sich der Kontrolle zu entziehen, weil ihre Überprüfung durch Verteidigung oder Gericht ausgeschlossen ist. Einen weiteren neuralgischen Punkt der Kontrolle hat das Schmücker-Verfahren offenbart. Es betrifft die Rolle von Behörden, die sich in der Art von Ermittlungsbehörden mit demselben Lebenssachverhalt befassen. Hier kommen insbesondere Verfassungsschutz-, Umwelt-, Zoll- und Finanzbehörden40 (die drei letzteren als Fahndungsbehörden) in Betracht. Wird ihnen das Recht zur Teilinformation eingeräumt, so können sie in derselben Weise Macht über das Ergebnis des Hauptverfahrens erlangen wie die Ermittlungsbehörden dies ohne hinreichende Kontrolle haben. Für sie gilt daher, daß sie ihre Ermittlungen im Verfahren nur entweder vollständig oder gar nicht zur Verfttgung stellen dürfen, sie unterliegen also denselben Kontrollbedingungen wie die Ermittlungsbehörden. Etwas anderes gilt ft1r die Polizeibehörden, auch dort, wo sie präventiv aber bezogen auf denselben Fall - tätig werden. Die Besonderheit besteht hier darin, daß diese Behörden zugleich Ermittlungsbehörden sind - also bei unterschiedlichen Aufgaben organisatorisch und personell identisch sind. Hier setzt die Kontrollierbarkeit des Ermittlungsverfahrens voraus, daß sich die zugleich mit den Ermittlungen (sei es auch nur teilweise) befaßten Polizeibehörden be-

40 Dem entspricht die einfachgesetzliche Rechtslage, insbesondere steht § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO nicht entgegen, da dem Grundsatz nach das sog. Steuergeheimnis keine Geltung rur Informationen besitzt, die von der Finanzbehörde im Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren gewonnen wurden (vgl. dazu LR-Rieß, § 161, Rdnr. 20).

I. Prozeßsteuerung durch Teilinformation über das Ermittlungsverfahren

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züglich desselben Lebenssachverhaltes nicht auf §§ 54, 96 StPO berufen dürfen: Dies nicht nur deshalb, weil die organisatorische und personelle Einheit den Mißbrauch durch "Umwidmung der Informationen jederzeit erlaubt. Die organisatorische und personelle Verknüpfung beider Aufgaben durch die Identität der Lebenssachverhalte bezweckt eine Koordination: Um der effektiveren Erfilllung der Aufgaben willen ist gewünscht, daß in doppel- (also: präventiv und repressiv) relevanten Fällen die notwendigen Informationen zusammenlaufen. Die Folge hiervon ist, daß die Kenntnis jener Ermittlungen, die (zunächst) zur Gefahrenabwehr erfolgten, notwendig ist, um beurteilen zu können, ob die Ermittlungen. vollständig waren oder nicht. Sie enthalten nämlich häufig (oft zwangsläufig) das Wissen, das die fUr die Ermittlungen relevanten Fragestellungen ergab oder hätte ergeben müssen. ft

Für die Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden bzw. der Polizei in bezug auf andere Verfahren (im materiellen Sinne) ergibt sich nichts anderes als filr sonstige Behörden. Soweit sie den Ermittlungsbehörden Informationen zur VerfUgung stellen, dürfen diese den übrigen Verfahrensbeteiligten nicht vorenthalten werden. Dies sind die Resultate der verfassungsgebotenen Auslegung der §§ 54, 96, 199 Abs. 2, S. 2 StPO, im Hinblick auf die JustiztOrmigkeit des Strafverfahrens41 • b) Sanktion Fraglich ist indessen, wie und ob sich die Vollständigkeit der Akten seinerseits erzwingen läßt. Denn nicht schon, wenn Akten vollständig sein sollen, erst wenn sie es in aller Regel sind, eignen sie sich zur Kontrolle der Ermittier. Informationen, die aus Befragungen herrühren, Hinweise aus der Bevölkerung kann man auch dann noch unterdrücken, wenn dies untersagt ist. Eine systematische Kontrolle der Aktenvollständigkeit zur Sicherung der Dokumentationspflicht scheidet aus, sie würde den Nachvollzug der Ermittlungen erfordern. Eine Stichprobenkontrolle ist hingegen möglich. Sie wird durch eigene Ermittlungen der Verteidigung, durch "Selbstentlarvung der Ermittlungsbehörden, sowie durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung möglich. Ihre systematische Wirkung erhält diese Stichprobenkontrolle vor allem durch erheblift

41 Damit ist zugleich gesagt, daß nicht ausgeschlossen werden kann und solI, daß sich aus anderen Überlegungen (einfachgesetzlicher oder verfassungsrechtlicher Provenienz) nicht durchaus weitergehende Offenbarungspflichten ergeben können.

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Teil 3: Die KontrolldefIzite im einzelnen

che Sanktionen im Verstoßfalle; dann hat ihre Möglichkeit präventive Wirkung. Die Sanktion muß weitergehen, als nur zu verhindern, daß der Rechtsverstoß zur Geltung kommt. Denn, wenn die Entdeckung einer Lücke zu nichts anderem führt, als die Dokumentation der fehlenden Information auch bewirkt hätte, nämlich daß diese Information nunmehr Eingang in die Beweiswürdigung fmdet, dann gibt es keinen Grund, lückenlos zu dokumentieren - im Gegenteil: Der Fälschende könnte in der Hoffuung auf Beweisverlust handeln, weil die Aussicht besteht, daß sein Verstoß unentdeckt bleibt oder daß der Zeuge sich nach dem Ablauf einiger Zeit nicht mehr erinnert42 • Daher muß dem Unterschlagen von Informationen ein Verfahrenshindernis folgen, zugleich müßte es strafbewehrt sein, nur dann ist das Risiko einer Fälschung regelmäßig zu hoch. Nicht ausreichend wäre es ferner, diese Sanktion davon abhängig zu machen, ob die fehlende Information fUr die Entscheidung von Bedeutung gewesen wäre. Versteht man darunter, daß ihre Existenz die Entscheidung hätte ändern müssen, handelt es sich nicht mehr um eine Sanktion, sondern wiederum lediglich um die Heilung eines Rechtsverstoßes. Versteht man darunter, daß über sie hätte Beweis erhoben werden müssen, dann ist die Vollständigkeit der Akten im weiteren Sinne nicht erzwingbar, weil das Weglassen von Nicht-Erheblichem folgenlos bliebe. Diese Vollständigkeit ist jedoch, wie gezeigt, erforderlich, wenn man eine systematische Kontrolle der Ermittlungen durch die Beteiligten gewährleisten will. 4. Zusammenfassung

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens finden zum Teil Eingang in die Verurteilung, ohne daß über sie in der Hauptverhandlung Beweis erhoben wird. Insbesondere die Annahme, es sei erschöpfend ermittelt worden, bildet - wenn nicht Lücken erkennbar sind - den gedanklichen Hintergrund jeder Beweiswürdigung. Solche Beweiswürdigung ist - dies verlangt die Justizförmigkeit des Strafverfahrens - verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn die Beteiligten im Hauptverfahren Ermittlungslücken in aller Regel aus den Akten erkennen können, so daß, ob jene Annahme zutrifft, betroffenenöffentlicher Kontrolle unterliegt. Dann kann, wenn dies nicht zutrifft, im Zwischenverfahren durch ergänzende

42 Dies ist im Fall Schmücker mehrfach geschehen. So betont das Landgericht Berlin ja auch in seinem Einstellungsbeschluß, eine Weiterftlhrung des Prozesses unter Berücksichtigung des nachträglich bekannt gewordenen Beweismaterials sei sinnlos, weil die meisten Zeugen erklärt hätten, sie erinnerten sich nicht mehr, LG Berlin, Urteil vom 28.1.1991, StrafV 1991,379 (390 ff).

11. Prozeßsteuerung durch Teilinformation über Beweismittel

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Ermittlungen gern. § 202 StPO für Vollständigkeit gesorgt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch eine sanktionierte Pflicht, das Ermittlungsverfahren vollständig in den gern. §§ 199, 147 StPO dem Gericht und dem Beschuldigten vorzulegenden Akten zu dokumentieren. Dies bedeutet, daß alle tatbezogenen Ermittlungen zugänglich sein müssen, es darf keine Spurenakten geben und es darf keine Vorenthaltung von Akten analog § 96 StPO geben. Der Verstoß gegen diese Verpflichtung muß sanktioniert sein, z.B. durch ein Verfahrenshindernis. Andernfalls ist der Angeklagte auf die Sorgfalt und Integrität der Ermittlungsbehörden weitgehend unkontrollierbar angewiesen.

ll. Prozeßsteuerung durch Teilinformation über Beweismittel und Beweisergebnisse im besonderen - Die Vernehmung von Verhörspersonen Das Recht der Ermittlungsbehörden, Zeugen zu "sperren" mit der Folge, daß an deren Stelle Verhörspersonen deren Aussage in der Hauptverhandlung referieren, gewährt den Ermittlungsbehörden Einfluß auf die richterliche Entscheidungsfindung durch Teilinformationen über Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens. Es handelt sich nicht allein deshalb um Teilinformationen, weil das Recht zur Zurückhaltung von Beweismitteln condicio sine qua non der Befugnis zur Beweisftlhrung allein durch den mittelbaren Zeugen darstellt, sondern auch deshalb, weil die Aussage der Verhörspersonen über die Vernehmung ihrerseits lückenhaft sein darf: Auf Fragen, deren Beantwortung Rückschlüsse auf die Anonymität des verdeckten Zeugen zuließe, schulden die Ermittier keine Antwort. Gleichwohl erscheint fraglich, inwiefern ihnen diese Befugnisse Macht über die richterliche Entscheidung einräumen, gehört doch die Würdigung von Zeugenaussagen auch der Aussagen sog. mittelbarer Zeugen und der Aussagen von Zeugen, die unter Berufung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht, gern. § 55 Abs. I StPO nur teilweise zur Sache aussagen, zum Alltagsgeschäft eines jeden Richters. Es handelt sich also um die Einflußnahme durch Zeugenaussagen, wie sie - so scheint es - jede Privatperson auch ausüben könnte. Die Besonderheit liegt denn auch nicht darin, daß die Geflihrlichkeit solcher Aussagen überhaupt nicht eingeschätzt und also gewürdigt werden kann, sondern darin, daß eine solche Würdigung in ihren entscheidenden Punkten nur abstrakt und nicht angesichts des Einzelfalles möglich ist. Sie fUhrt in jedem Falle zu dem Ergebnis, daß es - theoretisch betrachtet - ebensogut möglich ist, daß die Aussage der Wahrheit entspricht wie, daß sie unerkennbar gefälscht ist. (Daneben existiert noch die - durch Beweiswürdigung reduzierbare - Gefahr erkennbarer Fälschung.) Unter Fälschung verstehe ich hier - wie auch im

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

folgenden - in erster Linie die bewußte Verflilschung ihrer Wahrnehmungen durch die Verhörsperson, etwa indem sie ihren Eindruck über die Glaubwürdigkeit der V-Person falsch wiedergibt (also eigene Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage unterschlägt, indem sie ihren Bericht über die Vernehmungssituation schönt, die Aussage der V-Person in Details oder auch in wesentlichen Punkten falsch wiedergibt oder gar erfindet). Die noch im Detail zu schildernden Probleme der Beweiswürdigung sind naturgemäß nicht geringer, wenn dergleichen unbewußt geschieht - im Gegenteil. Aus diesem Ergebnis abstrakter Würdigung ändert sich, wie zu zeigen sein wird, auch durch das Zusammenspiel mit anderen Beweisen nichts. Eine Konkretisierung durch Quantifizierung dieses Risikos ist in Ermangelung von Erfahrungen nicht möglich. Das bedeutet folgendes: Die Beweiserhebung bringt einen Erkenntnisgewinn nicht hinsichtlich der Frage, ob die Wahrscheinlichkeit der Fälschung geringer ist als eben dargelegt. Ein Mehr an Erkenntnissen erzielt man durch die Vernehmung von Verhörspersonen nur, wenn man voraussetzt, daß die Aussage nicht gefillscht ist. Wenn die herrschende Meinung annimmt, das Gericht sei zur Beweiserhebung verpflichtet, setzt es eben diese Prämisse voraus. Das bedeutet, daß die herrschende Meinung die Gerichte auf eine Beweiswürdigungsregel des Inhalts verpflichtet, die Aussagen seien nicht gefillscht - es sei denn, es liegt ausnahmsweise eine erkennbare Fälschung vor. Der Unterschied zur ,,normalen~ Beweiserhebung liegt darin, daß man in diesen Fällen erst nach der Beweiserhebung weiß, ob man genügend Informationen erhalten hat, um sie zu würdigen43 • Das verbleibende, nur abstrakt erkennbare Risiko, daß man fillschlicherweise, aber unerkennbar glaubt, genügend Informationen zu haben, um einem Zeugen Glauben zu schenken zu können, ist im Vergleich zum Risiko, das bei Verhörspersonen besteht, marginal. Auf dem Hintergrund der Pflicht, durch Vernehmung von Verhörspersonen Beweis zu erheben, wird der Einfluß - weil nicht zurückweisbar - zur unkontrollierbaren Macht. Ob das Urteil stimmt, hängt von der Integrität der Ermittlungsbehörden ab. Einen vergleichbaren Einfluß räumt man - dies ist verräterisch - Privatpersonen nicht ein: Über die Sperrung von Zeugen müssen, folgt man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Behörden entscheiden. Eine "Vorsichtsmaßnahme~, die überflüssig wäre, könnte man die Zuverlässigkeit derartiger Aussagen im Einzelfall bestimmen. Das Prozedere, das die herrschende Meinung rur geboten erachtet, unterscheidet sich der Sache nach nicht von dem - verfassungsrechtlich mit Gewißheit

43

vgl. dazu auch Frister, ZStW 1993, 340 ff. (353).

11. Prozeßsteuerung durch Teilinforrnation über Beweismittel

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unzulässigen - Fall, daß ein Richter "in camera", d.h. unter Ausschluß der Beteiligten und der Öffentlichkeit, Beweise erhebt, um im - dann öffentlichen - Hauptverfahren nur noch zu referieren, was die Zeugen angeblich berichtet haben. 1. Die Beweiswürdigung im Falle der Aussage einer Verhörsperson

Der Rechtsprechung zufolge ist der Bericht von Verhörsbeamten über die Aussage von V-Personen zwar kein ungefährliches, aber doch auch kein schlechthin ungeeignetes Beweismitte144 • Ein solcher Bericht müsse besonders vorsichtig gewürdigt werden. Was die Rechtsprechung darunter versteht, dafilr ist die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1962 ein Beispie145 • Der Bundesgerichtshof richtet darin sein gesamtes Augenmerk auf die Frage, ob und wie gegebenenfalls eine falsche Belastung durch die V-Person selbst erkannt werden könne: Zunächst mahnt der Bundesgerichtshof allgemein zur Vorsicht, weil beim Zeugen vom Hörensagen "eine erhöhte Gefahr der Entstellung oder Unvollständigkeit in der Wiedergabe von Tatsachen" bestehe, "die ihm von demjenigen vermittelt worden sind, auf den sein Wissen zurückgeht"! Das Gericht könne sich kein Bild machen von "Persönlichkeit, Lebenslauf, Charakter, Beweggründen, kurz von der persönlichen Glaubwürdigkeit des im Dunkel bleibenden Gewährsmannes". Im konkreten Fall hatten die Verhörsbeamten ihrerseits nach Ansicht des Bundesgerichtshofes jedoch besonders sorgfältig und filr das Gericht nachvollziehbar die Glaubwürdigkeit der V-Person überprüft. Es handelte sich um die Verurteilung eines sich selbst als unabhängig bezeichnenden Landtagskandidaten wegen seiner Unterstützung der im Jahre 1956 verbotenen KPD. Als Beweis hierfür wurde seine Teilnahme an der sog. Werbellin-See-Konferenz des verbotenen Partei vorstandes im Jahr 1958 gewertet. Für die Teilnahme hatten geheimgehaltene Gewährsleute der Polizei - vermittelt durch die Aussagen von Verhörspersonen - gezeugt. Das Vordergericht hatte, daß den Gewährsleuten geglaubt werden könne, u.a. darauf gestützt, daß "die Vemehmungstaktik der Verhörsbeamten den Vergleich und damit die Nachprüfung der Aussagen beider Gewährsmänner auf ihre Rich-

44 BGHSt 17, 382 (385 ff.); BGH Stratv.l989, 518; aus der Literatur: Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit, S. 296 m.w.N.; LR-Gol/witzer, § 250 Rdnr. 28; Fezer, JZ 1985, 497; a.A.: Lamprecht, Festschrift rur Richard Schmidt, S. 285. 4S BGHSt 17, 382 (385 ff).

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

tigkeit ermögliche, ferner, daß den Gewährsleuten durch die Verhörsbeamten Lichtbilder einer Anzahl von Konferenzteilnehmern vorgelegt worden seien, und die Gewährsleute diese identifiziert hätten. Schließlich stimmten die Aussagen der Gewährsleute über den Inhalt der dort gehaltenen Referate mit unabhängigen Zeugenaussagen überein. ft

Was der Bundesgerichtshof hier anfUhrt, sind in der Tat Kriterien, die in gewissem, bescheidenem Umfang ein Urteil über die Glaubwürdigkeit der Gewährsleute zulassen. Die Zuverlässigkeit solcher Kriterien hängt indessen vollständig davon ab, ob die Verhörspersonen ihrerseits wahrheitsgetreu berichten, wie die Vernehmung sich abgespielt hat. Hierzu verliert der Bundesgerichtshof (nicht zufällig) kein Wort. Die Fragestellung, ob die Verhörspersonen möglicherweise ihre Berichte mit solchen Angaben über die Vernehmungstaktik selbst angereichert haben, um der Aussage eine erhöhte Glaubwürdigkeit zu verleihen, oder sogar die Aussage selbst oder Teile der Aussage erfunden haben, taucht in der Entscheidung nicht auf. Sie taucht nicht auf, weil Zweifel daran normalerweise (zu Recht) nicht ohne Anlaß entstehen. Doch selbst wenn ein Zweifel der Sache nach begründet wäre, würde er in solchen Fällen nicht aufkommen. Ob die Verhörsperson ihrerseits die Geschichte erfunden hat, ob sie Details hinzugefUgt oder weggelassen hat, das ist, wie der Bundesgerichtshof eingangs seines Urteils noch erwähnt, besonders wichtig, läßt sich aber überhaupt nicht, auch nicht unter erschwerten Bedingungen, überprüfen. Darüberhinaus verlangt der Bundesgerichtshof, daß nicht den Aussagen der Verhörsbeamten schlechthin zu folgen sei, vielmehr müßten die Aussagen der Gewährsmänner (!) durch andere Beweise bestätigt werden46 • Alle diese Überlegungen bzw. Anweisungen laufen indessen bezüglich der Verhörsbeamten selbst leer. Im Normalfall einer Zeugenaussage47 , auch in Fällen, in denen außer der Zeugenaussage kein anderes Beweismittel existiert, lassen sich Kriterien, Indizien, angeben, die - zu einem Gesamtbild zusammengefUgt - eine verallgemeinerungsflihige Aussage darüber erleichtern, ob das Zeugnis subjektiv richtig ist oder nicht. Es sind dies Kriterien, an denen sich auszurichten hat, wer eine Entscheidung rational begründen will, der also unter bewußter Abwägung aller BGHSt 17, S. 386, vgl. auch BGHSt 29, 109; 33, 178; 36, 159. RG, GA 72 (1928),345 f., setzt ganz allgemein Zeugnis vom Hörensagen und Vernehmung der Verhörsperson gleich, BVerfGE 57, 250 (277 ff.); BGHSt 33, 83, (89); Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit, S. 296 m.w.N. Alle diese Vertreter der h.M. setzen das hier behandelte Fehlurteilsrisiko schlicht mit jedem anderen Risiko gleich. 46 47

11. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über Beweismittel

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Umstände entscheiden will, auf deren Existenz aber auch angewiesen ist, wer die Urteilsfmdung filr eine intuitive Entscheidung hält48 • In der Literatur zur Aussagepsychologie sind eine Reihe solcher sogenannten Wahrheitskriterien ermittelt worden. Bezüglich der Frage, ob die Verhörsperson wahrheitsgemäß berichtet, versagen diese Wahrheitskriterien sämtlich. Solche Kriterien sind: Die Übereinstimmung mit anderen Indizien (a), Gründe und Genese der Aussage (b), deren Inhalt und Stil (c) und zuletzt das Verhalten des Zeugen in der Vernehmungssituation (d) sowie seine allgemeine Glaubwürdigkeit (e). a) Übereinstimmung mit anderen Indizien Das zuverlässigste Wahrheitskriterium ist die Übereinstimmung einer Zeugenaussage mit weiteren Indizien. Aus diesem Grunde wohl fordern der Bundesgerichtshof'9 und ein großer Teil der Literatur°, daß der Beweiswert der Verhörspersonsaussage durch das Zusammenspiel mit anderen Beweismitteln konkretisiert werden müsse. Ob der vernommene V-Mann gelogen hat oder nicht, läßt sich anhand einer solchen Kongruenz zwar erkennen, vorausgesetzt ist jedoch, daß die Verhörsperson die Wahrheit erzählt hat. Die stets abstrakt bestehende Möglichkeit, daß die Aussage der Verhörsperson gefälscht ist, wird durch die Kongruenz mit dem übrigen Beweismaterial allerdings nicht weniger wahrscheinlich. Im Normalfall erhöht sich, wenn eine Aussage zu anderen Indizien paßt, zum einen die Wahrscheinlichkeit, daß die Aussage der Wahrheit entspricht. Dies beruht darauf, daß im Falle der Fälschung die Übereinstimmung zweier Indizien Ld.R. durch Zufall erklärt werden müßte: Die Wahrscheinlichkeit, daß jemand fälschlich behauptet, eine Person am Tatort gesehen zu haben, der dann zufällig auch noch die Tatwaffe gehört, ist sehr gering, jedenfalls viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, daß jemand nur die Anwesenheit dieser Person am Tatort erfindet. Zum anderen wird die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung erhöht,

48 Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 69 t1; Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band 1, S. 65; Grünwald, Festschrift rur Honig, S. 39. 49 BGHSt 17, 382 ff (386); 29, 109 ff.; 33, 178 ff.; 36, 159 ff. so Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit, S. 296.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

weil jetzt mehr Indizien ftlr sie sprechensI. So ist die Wahrscheinlichkeit, daß jemand eine Tat begangen hat, der am Tatort war und dem (vermutlich) die Tatwaffe gehört, höher als sie wäre, wenn die Person lediglich am Tatort gewesen wäre. Diese ÜberlegungenS2 gelten jedoch nicht rur die Würdigung der Aussage einer Verhörsperson: Diese kennt in der Regel ja das gesamte übrige Beweismaterial, jedenfalls aber kann sie sich davon Kenntnis verschaffen. Weil die anderen Beweise keine von der Verhörspersonsaussage unabhängige Quelle darstellen, konkretisieren sie den Beweiswert der Aussage des Beamten niche 3 : Wer - aus den Ermittlungsakten - weiß, daß die Tatwaffe bei einer bestimmten Person gefunden wurde und nun berichtet, man habe diese Person am Tatort gesehen, rur dessen Wahrhaftigkeit besagt das Zusammentreffen von Beobachtung und Fund der Tatwaffe nichts. Wenn der Beamte berichtet, sein Informant habe eine Rauschgiftübergabe an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit beobachtet, und die Angeklagten wurden von dritten Zeugen kurz zuvor auf einer dorthinfUhrenden

Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I, S. 217 ff. vgl. Grünwa/d, Festschrift für Honig, S. 54. Bei Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band 1, S. 181 heißt es hierzu: "Die Einzelwahrscheinlichkeiten der mehreren Indizien (Indizkombinationen) im Beweisring summieren sich nicht nur, sie" verstärken· sich ... zu einer sehr viel höheren Gesamtwahrscheinlichkeit "; siehe auch ebenda, S. 111. 53 Die Konsequenz für die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung ist, genauer betrachtet, die folgende: Im "Normalfall" einer durch Indizien gestützten Zeugenaussage wirkt sich das Hinzutreten der Indizien in doppelter Weise aus. Gäbe es z.B. in 1.000 Fällen 40 Lügner und bezüglich der restlichen Indizien ließe sich sagen, daß dann, wenn sie in 10 Fällen vorliegen, in 4 Fällen eine Tatbegehung angenommen werden könnte, dann bedeutete dies zum einen, daß die 40 Lügner in 16 Fällen keinen Schaden anrichten, daß also zusammengenommen in 1.000 Fällen höchstens 24 Fehlverurteilungen in Betracht kämen. Das Zusammenpassen von Indizien und Zeugenaussagen führt jedoch darüberhinaus dazu, daß sich die Wahrscheinlichkeit, daß gelogen wurde gegenüber dem allgemeinen Risiko (das hier mit 1.000 : 40 angenommen wurde) präzisieren läßt: Es sinkt in diesen Fällen (auf 1.000 : 10 beispielsweise); hinzukommt dann die oben beschriebene Wirkung, daß in den Lügenfällen einige Lügner keinen Schaden anrichten - und zwar im Grade der Wahrscheinlichkeit, in dem die Indiztatsachen für die Tatbegehung sprechen (also hier 10: 4). Im Falle der Vernehmung von Verhörspersonen reduziert sich die Bedeutung der Indizien. An dem zuletzt geschilderten Mechanismus fehIt es in diesen Fällen. Die Indizien tragen nicht dazu bei, das Risiko, daß gefli/scht wurde, zu präzisieren. Daher senken die Indiztatsachen die Wahrscheinlichkeit eines Fehlurteils ausschließlich in dem Grade, in dem sie Lügen unschädlich machen. Das allgemeine Risiko, daß Verhörspersonen falsch aussagen, läßt sich übrigens praktisch gar nicht einschätzen, da es an Erfahrungen darüber, wie gerne diese Zeugen falsch aussagen, völlig fehlt. Die dargelegten Erwägungen zur Wahrscheinlichkeit sollen lediglich die Struktur des Zusammenwirkens von Indizien erhalten. Ich gebe mich keineswegs der Illusion hin, Beweiswürdigung lasse sich auf solche Weise operationalisieren: Dies würde schließlich voraussetzen, daß wir über (in Zahlen gefaßt) Erfahrungsdaten verfügen, in wievielen Fällen wieviele Leute die Wahrheit sagen (u.ä.). Daran fehlt es indessen zwangsläufig. 51

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11. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über Beweismittel

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Straße gesehen (was offenkundig ist), besagt diese Übereinstimmung ebensowenig. Ein Beispiel dafllr, daß die Kenntnis der Indizien deren Funktion als Kontrollrnaßstab fl1r die Schlüssigkeit der Aussage der Verhörsperson zunichtemacht, ist der Fall Bullerjahn. Dort erklärte die Kenntnis des Zeugen (von Gontard) von den Gerüchten und Verdachtsmomenten, wie es zu einer bezüglich des Verräterlohnes und der Zeit des Verrates mit Gerüchten und Beweisergebnissen übereinstimmenden Aussage des abgeschirmten Zeugen (von Gontard) kommen konnte. Dem verurteilenden Senat hatte diese Übereinstimmung dagegen noch als Bestätigung des Zutreffens der Beweise gegolten. Die Gleichrichtung von Indizien und Aussage spricht in den hier diskutierten Fällen also keinesfalls fl1r die Wahrhaftigkeit der Aussage. Sie ist kein Kriterium, um Fälschung und Wahrheit auseinanderzuhalten - sie hat keinen Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit der Fälschung54 • b) Gründe und Genese der Aussage Die Vorgeschichte der Aussage 55 kann in Normalsituationen Hinweise auf Fälschungsabsichten geben. So kann es ein Indiz rur ein Interesse eines Zeugen an der Belastung des Beschuldigten sein, wenn der Zeuge seine Aussage aufgedrängt hat, oder wenn in sonstiger Weise zum Ausdruck kommt, daß er ein Eigeninteresse daran hat, mit seiner (belastenden) Aussage Gehör zu finden. Auch wenn eine richtige Aussage dem Zeugen vielleicht peinlich oder sonst nachteilig sein könnte, eine Verurteilung hingegen von Vorteil ist, ist Vorsicht geboten: Bei jedem normalen Zeugen wird man nach beweisbaren, erforschbaren Gründen fl1r eine falsche Belastung des Angeklagten suchen. Hierfür bedarf es außergewöhnlicher Gründe, denn üblicherweise hat niemand ein Interesse daran, einen anderen einer Tat zu bezichtigen, die dieser nicht begangen hat. Die Vorgeschichte der Zeugenaussage, die Gründe der Zeugen fl1r sie sind im allgemeinen individuell. Gründe fl1r eine Falschaussage sind entweder in der Beziehung des Zeugen zum Angeklagten oder seiner Persönlichkeitsstruktur zu suchen. Demgegenüber sind Genese und Gründe fl1r die Aussage der Verhörsperson standardisiert. Sie sind vom allem im Falle wahrheitsgemäßer wie auch gefälschter Aussage gleich: Die Verhörsperson kommt amtlich, in ihrer Funktion als Ermittlungsperson, mit der V-Person in Kontakt, sie "drängt" sich zwangsläufig, von Amts wegen, "auf". Auch das Motiv rur die Aussage ist

54 Das Vorliegen solcher Indizien hat nach dem oben Gesagten nur die Bedeutung, daß die Anzahl der Fälle, in denen die Lüge schädlich ist, reduziert wird. 55 vgl. Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band 1, S. 73 ff.

15 Velten

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

standardisiert: Es ist die Funktion der Ennittlungsbehörden, Fälle aufzuklären, jemanden der Tat zu überfUhren. Die FunktionserfUllung kann Motiv sowohl der falschen Belastung als auch der wahrheitsgemäßen Aussage sein. Die Erforschung der Gründe, die zur Aussage gefllhrt haben und des Interesses an der Aussage ist gleichfalls kein Kriterium, geeignet richtige und falsche Aussage auseinanderzuhalten. Zudem handelt es sich nicht um Einzelfallkriterien. c) Aussagen - Analyse Nichts anderes gilt fllr die Analyse der Aussage selbst. Indizien fllr eine Falschaussage ergeben sich dabei in aller Regel daraus, daß Lügner nicht über die ausreichende Kompetenz verfUgen, eine Geschichte aus der freien Phantasie so zu präsentieren, als habe sich die Geschichte tatsächlich ereignet56 • Die Geschichte wirkt unanschaulich und karg. Bei der Aussage der Verhörsperson ist entweder das Auftreten dieses Mangels kein Indiz fllr eine Lüge, oder aber dem Lügner stellt sich das Kompetenzproblem nicht. Die fehlende Kompetenz, eine Geschichte so zu berichten, als habe sie sich tatsächlich ereignet, äußert sich z.B. zuverlässig darin, daß der Erzähler Erinnerungslücken in - fllr die Straftat selbst vielleicht unwesentlichen - subjektiv fllr das eigene Erleben aber bedeutsamen Punkten aufweist57, daß er über entsprechende Details, aufeinander bezogene Handlungsabläufe, die mit dem Beweisthema selbst nichts zu tun haben, nichts aussagen kann 5B • Eine solche falsche Aussage wirkt meist wenig lebendig. Positiv kann die Wiedergabe von Stimmungen und spontanen Assoziationen, die Schilderung von Komplikationen, zeigen, daß eine Aussage auf individuellem Erleben basiert, diesem entspricht59 • Für die wahrheitsgemäße Aussage spricht zudem, wenn ein Zeuge deliktstypische Merkmale schildert, die den kriminalistisch nicht geschulten Nonnalbürgern unbekannt sind60 • Schließlich ist meist nur der einen wahren Sachverhalt darbietende Zeuge imstande, diesen nicht chronologisch, aber dennoch so zu schildern, daß sich zeitlich und sachlich ein zusammenhängendes stimmiges 56 Arntzen, Vemehmungspsychologie, S. 74; Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I, S. 92. 57 Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I, S. 95 f. 51 ebenda, S. 97. 59 ebenda, S. 104 ff. 60 ebenda, S. 101 f.

II. Prozeßsteuerung durch Teilinformation über Beweismittel

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Bild ergibt, wohingegen der Lügner i.d.R. auf eine chronologische Darstellung angewiesen ist61 • Das Fehlen oder Vorhandensein der genannten Kriterien in der Aussage der Verhörsperson ist nun allerdings nicht aussagekräftig. Was die Anschaulichkeit und Lebendigkeit der Schilderung angeht, muß unterschieden werden: Soweit die Verhörsperson über die Vernehmungssituation selbst berichtet, gilt Folgendes: Bezüglich der Person des Vernommenen, seiner Eigenschaften usf. bedarf die Verhörsperson keiner Kompetenz. Alles, was den V-Mann identifizieren könnte, darf geheimgehalten werden. Bezüglich der äußeren Umstände der Vernehmungssituation ist die Verhörsperson kompetent. Sie kann ausnahmslos eigene, bei anderen Vernehmungen gemachte Erfahrungen schildern62 • Die fehlende Kompetenz, die Geschichte selbst so lebendig zu schildern, als habe sie sich tatsächlich ereignet, besagt wiederum nur - was in diesem Falle zutriffi -, daß die Verhörsperson sie nicht selbst erlebt hat. Die Kargheit des Berichts taucht also sowohl bei wahrheitsgemäßer als auch bei gefälschter Schilderung auf. Dies zeigt einfach, daß fllr die Verhörsperson nur das Beweisthema selbst, d.h. nur solche Informationen von Bedeutung waren, die mit der Tatbestandsverwirklichung in Zusammenhang standen. Sollten im Bericht der Verhörsperson deliktstypische Merkmale auftauchen, so ist dies nicht signifikant, weil den vernehmenden Kriminalbeamten die Typik der Delikte bekannt sein dürfte. Schildert der Beamte streng chronologisch, dann besagt dies gleichfalls nichts Negatives: Auch bei wahrheitsgemäßer Aussage muß er nicht die Kompetenz haben, den Sachverhalt mosaikartig so zu schildern, daß es schließlich ein Gesamtbild ergibt, weil er ihn nicht selbst erlebt hat. Zudem erfolgen die Aussagen von bezüglich der Abfassung von Berichten geschulten Zeugen, wie Polizisten oder Juristen in aller Regel gesteuert, d.h. streng chronologisch, was anerkanntermaßen die Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit erschwert63 • d) Verhalten des Zeugen in der Aussagesituation Das Verhalten der Verhörsperson in der Aussagesituation ist ebenfalls weniger signifikant als das ,,normaler" Zeugen. Das ergibt sich aus zweierlei.

61 62 63

15*

ebenda, S. 117 f. vgl. Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band 2, S. 168. ebenda, S. 118; Band 2, S. 169.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

Erstens ist das Verhalten des falsch aussagenden Zeugen im wesentlichen geprägt von der Furcht, einer Falschaussage überführt zu werden64 • Zunächst ist daher, ob und in welchem Umfang ein die Fälschung indizierendes Verhalten auftritt, abhängig von dem, was der falsch-aussagende Zeuge zu erwarten hat: Üblicherweise droht den Zeugen eine Bestrafung gern. §§ 153 ff. StGB. Hierzu bedarf es über die Zweifel an der Aussagequalität hinaus der Möglichkeit, nachzuweisen, daß die Aussage (im Falle der Verhörsperson: deren Aussage) falsch war. Hier besteht ein signifikanter Unterschied zwischen der Situation des falsch-aussagenden "normalen- Zeugen und der Verhörsperson: Die Situation des ,,normalen- falsch Aussagenden ist wesentlich problematischer. Wer die Ermittlungsakten nicht kennt, muß damit rechnen, daß, wen er z.B. fälschlich einer Rauschgiftübergabe bezichtigen will, einen stichhaltigen Alibibeweis hat. Er läuft Gefahr, daß am selben Ort zur selben Zeit andere Personen zugegen waren. Er weiß nicht, ob seine Aussage sich mit den von der Polizei ermittelten Spuren verträgt. Ob seiner Aussage Glauben geschenkt werden kann, ob sie plausibel ist, wird sich rur ihn erst in der Aussagesituation herausstellen. Der mit dem Verfahren selbst vertraute Ermittlungsbeamte weiß hingegen, ob (besser: daß) seine Aussage mit dem Stand der Ermittlungen vereinbar ist. Seine Überführung ist - dank der Abschottung der Vertrauensperson - praktisch ausgeschlossen. Sollte sich die belastende Aussage irgendwie als falsch erweisen, kann stets die Schuld auf den - nicht greifbaren - V-Mann geschoben werden. Praktisch droht dem falsch aussagenden Verhörsbeamten also keine Sanktion6s • Damit fehlt zugleich die entscheidende Ursache rur das auffällige Verhalten falsch aussagender Zeugen. Zweitens kommt Folgendes hinzu: Soweit sich diese Furcht typischerweise darin äußert, daß falsch aussagende Zeugen sich besonders unterwürfig verhalten66, salvatorisch anstelle von Fakten stets ihre Wahrhaftigkeit beteuern67 und weitschweifige Erklärungen abgeben68 , widerspricht ein solches Verhalten dem einstudierten polizeilichen Rollenverhalten69 • Die Forderung an einen Ermittlungsbeamten, Vorgänge möglichst nüchtern und

ebenda, S. 60. daraus folgt noch ein weiteres: Die Wahrscheinlichkeit einer Falschaussage steigt, vgl. hierzu Grünwald, Festschrift rur Dünnebier, S. 358 rur die insoweit gleiche (bzw. noch bessere) Situation des Informanten. 66 Bender / Röder / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, S. 146, 152. 67 ebenda, S. 148. 68 ebenda, S. 149. 69 Das betonen auch Bender / Röder / Nack, ebenda, S. 69: Die Persönlichkeit ist der "Hintergrund - rur die anderen Glaubwürdigkeitskriterien; vgl. auch Band 2, S. 106. 64

6S

11. Prozeßsteuerung durch Teilinfonnation über Beweismittel

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sachlich zu schildern, wird in aller Regel solche oder ähnlich auffällige Ausdrucksfonnen von Furcht überlagern. e) Die allgemeine Glaubwürdigkeit Als einziges, durch die Besonderheit der Situation nicht außer Kraft gesetztes Kriterium verbleibt somit der Eindruck, den die Persönlichkeit des Zeugen selbst hinterläßt. Ein solcher Eindruck allein erlaubt jedoch nicht die Kontrolle, ob eine Aussage im Einzelfall zutrifft oder nicht - öffentlicher Kontrolle staatlicher Tätigkeit ist auch sonst nicht dadurch Genüge getan, daß die Bürger eines Staates im amtlichen Kontakt mit den Organwaltern einen (vielleicht halbstündigen) persönlichen Eindruck von deren Persönlichkeit erhalten. Als einziges Unterscheidungskriterium ftlr die Rechtmäßigkeit staatlichen Handeins taugt ein solcher Kurzeinblick in die Persönlichkeit von Staatsorganen nicht. Dies gilt im Strafverfahren umso mehr, als dort auftretende Beamte angehalten werden, möglichst zurückhaltend - also unpersönlich - zu agieren: In einem in Köln im Jahre 1978 eingesetzten Merkblatt rur Polizeizeugen wird dementsprechend gewarnt: "In der Hauptverhandlung": Durch Zwischenfragen soll Nervosität des Beamten erreicht werden. Hitziges Auftreten des Polizeibeamten, ,,nervöser Typ", verhält sich immer so, läßt sich leicht aus der Ruhe bringen", und als Verhaltensmaßregel heißt es: "Nicht aus der Ruhe bringen lassen. Keine unnötigen Aussagen: persönliche Verhältnisse, politische Einstellung", ja sogar inhaltlich: "Keine Bekleidungsstücke, Haartracht, Brille usw., zum Gegenstand der Aussage machen, denn Zeugen treten mit Gegenbehauptungen auf"'o. In einem in Hamburg aufgetauchten Merkblatt'1 lautet die entsprechende Passage: "Bemühen Sie sich, ruhig und sachlich aufzutreten, und bleiben sie so. Ergreifen Sie das Wort nur auf ausdrückliche Aufforderung des Vorsitzenden Richters. Drücken Sie sich klar, unparteiisch, unmißverständlich und folgerichtig aus ... Halten Sie sich nur an Tatsachen, und venneiden Sie Meinungen und Vermutungen ... Venneiden Sie Superlative und unangemessene Redensarten ... Antworten Sie knapp (!!) und klar. Am geeignetsten sind die Antworten "Ja" und "Nein". Bei langatmigen Erwiderungen werden neue Fragen provoziert und wird der Fragestoffausgeweitet... Venneiden Sie es, während der Wartezeit bis zum Aufruf als Zeuge oder in Verhandlungspausen irgendwelche Äußerungen über den zur Verhandlung anstehenden Fall anderen Zeugen, Kollegen oder

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71

zitiert nach: Mae.ffert, polizeiliche Zeugenbetreuung, S. 54. ebenda, S. 135 ff.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

Pressevertretern gegenüber zu machen. Unterlassen Sie jegliche Diskussion Das Ziel solcher Instruktionen ist es, der Aussage jeden Ausdruck der Persönlichkeit zu nehmen: Die Glaubwürdigkeit eines schablonenhaft agierenden, sich selbst zurücknehmenden Zeugen kann kaum erschüttert werden. Auch weil der persönliche Eindruck auf solche Weise stark "verdünnt werden kann, ist er keinesfalls hinreichend als einziges Unterscheidungsmerkmal für die Wahrheitstreue einer Zeugenaussage. Schon der Schluß vom Charakter und der Persönlichkeit eines Zeugen darauf, ob er die Wahrheit sagt, ist ein zweifelhaftes Instrument der BeweiswÜfdigung (da man, um den Charakter zu kennen, im Grunde wissen müßte, ob der Betreffende lügt) und ohnehin nur als ein Hilfsmittel unter vielen tauglich. Aber wenn nun die daraus resultierende Unsicherheit dadurch verstärkt wird, daß der Zeuge sich möglichst wenig individuell und möglichst zurückhaltend gibt, so sinkt die Aussagekraft seines Verhaltens nahezu auf Null. ft



ft

f) Konsequenzen

Die Aussage von Verhörspersonen vor Gericht unterscheidet sich mithin von der Aussage jedes sonstigen Zeugen dadurch, daß es für die Frage, ob sie mit der Wahrheit übereinstimmt, in aller Regel keine Anhaltspunkte gibt - während im Normalfall solche Indizien stets vorhanden sind. Alle sonst die BeweisWÜfdigung ermöglichenden Kriterien versagen in diesem Falle, ihr Vorliegen oder Fehlen ist für eine gefälschte Aussage nicht mehr spezifisch. In anderen Fällen vermittelt die Beweisaufuahme neue Erkenntnisse, die das allgemeine Risiko, daß Zeugen falsch aussagen, auf das spezielle Risiko verringern, daß ein Zeuge unerkennbar, d.h. zum Beispiel ohne ersichtliches Motiv, zusätzlich phantasiebegabt, daher anschaulich, und ohne sich mit seiner Aussage in Widerspruch zu der sonstigen Beweissituation zu setzen sowie ohne ersichtliche Furcht, lügt. Oder sie ergibt eine (u.U. die Notwendigkeit eines Freispruches begründende) Unsicherheit, etwa, daß erkennbar ein selbstbewußter und phantasiebegabter Zeuge ein gewisses Motiv falscher Belastung hat, sich aber nicht einschätzen läßt, ob er diesem Motiv nachgegeben hat. Welchen Wert eine Zeugenaussage hat, läßt sich in allen diesen Fällen erst nach der Beweisaufnahme sagen, gleichgültig, ob der Aussage gefolgt wird oder nicht.

Im vorliegenden Fall hingegen bleibt es grundsätzlich beim vorher schon bekannten allgemeinen Risiko; konkretisiert werden kann nur das Risiko, daß die Verhörsbeamten zum Beispiel Behauptungen ohne Berücksichtigung des Standes der Ermittlungen aufstellen, daß sie deutlich aus der Rolle fallen und so Verdacht erwecken. Wem das verbleibende Risiko zu hoch ist, der müßte die

11. Prozeßsteuerung durch Teilinforrnation über Beweismittel

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Beweiserhebung zurückweisen 72 • Andernfalls wird sich dieses Risiko einer unerkennbaren Fälschung stets realisieren. Schließlich gilt es dabei zu beachten, daß mit der Unmöglichkeit der Kontrolle etwaiger Fälschungen das Risiko steigt, daß gefiilscht wird: Weil die Gefahr einer Bestrafung, wie gezeigt, auch dann nicht besteht, wenn dilettantisch gefiilscht wird, erhöht dies den Anreiz der Nutzung solcher Möglichkeiten. Aus der Perspektive des Verhörsbeamten eröffnet die Unmöglichkeit, seine Aussage zu würdigen, die Macht, das Verfahren zu steuern - anders als im Normalfall einer Zeugenaussage. Die Beherrschung des - ohnehin kaum vorhandenen - Risikos, sich zu verraten ist überdies (kollektiv) verbesserbar: Subjekt von Prozeßsteuerung ist in solchen Fällen nämlich "die Exekutive", nicht "der Verhörsbeamte". Die Untersuchungen von Maeffert zur polizeilichen Zeugenbetreuung haben gezeigt, daß ein entscheidender Unterschied zum "normalen" Zeugen darin besteht, daß dieser in der Regel für die Instrumentalisierung mit seiner Zeugenrolle auf individuelle Erfahrungen verwiesen ist. Demgegenüber werden den Ermittlungsbeamten die (systematisch gemachten) Erfahrungen mit Zeugenaussagen zur Verfügung gestellt: Sie erfahren, wie ein Zeuge auftreten muß, um glaubwürdig zu erscheinen, sie werden diesbezüglich bisweilen sogar praktisch geschule3 • 2. Der Beweiswert der Aussage der unmittelbaren Zeugen

Ebensowenig läßt sich die bloß referierte Aussage des von den Verhörspersonen vernommenen Zeugen würdigen. Auch hier versagen sämtliche sogenannten "Wahrheitskriterien". Das Risiko, daß dessen Aussage falsch ist und diese "Fälschung" vom Verhörsbeamten nicht anerkannt wurde, muß hingenommen werden. Dies beruht vor allem darauf, daß sämtliche für die Überprüfung der Aussage notwendigen Informationen von den Verhörspersonen gern. § 54 StPO zurückgehalten werden dürfen. (1) Welchen Wert die Übereinstimmung der Angaben des anonymen Zeugen mit den sonst vorhandenen Indizien hat, läßt sich - wie der Fall Bullerjahn

72 dazu, daß es sinnlos ist, das Gericht zu Beweiserhebungen zu verpflichten, die später ohnehin aufgrund abstrakter Erwägungen als wertlos betrachtet werden müssen, vgl. neuerdings auch Frister, ZStW 1993, 340 ff. (353). 73 Zudem hat es bereits Fälle gegeben, in denen bekannt wurde, daß Polizeizeugen auch im Hinblick auf den Vortrag falscher Aussagen vorbereitet und betreut wurden, vgl. die Darstellung von Maeffirt, Bruchstellen - Eine Prozeßgeschichte, passim, ders., polizeiliche Zeugenbetreuung, S. 54 ff.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

gezeigt hat - nicht einschätzen, wenn man die Identität des unmittelbaren Zeugen nicht kennt, weil man solange nicht weiß, über welche Fallkenntnisse dieser Zeuge verftlgt. (2) Informationen über die Vorgeschichte der Aussage, also darüber, in welcher Eigenschaft dieser Zeuge seine Wahrnehmungen gemacht hat, aus welchen Gründen er ausgesagt hat und in welcher Beziehung er zum Angeklagten steht, ob er ein Motiv zu dessen Belastung hat, geflUrrden in aller Regel die Anonymität des Zeugen, können daher nach herrschender Auffassung gern. §§ 96, 54 StPO zurückgehalten werden. Ein Urteil darüber, ob der Zeuge vielleicht voreingenommen ist oder ein berufliches oder finanzielles Interesse an der Verurteilung hat, ist also nicht möglich. (3) Dasselbe gilt filr die genaueren Umstände der Wahrnehmungen des unmittelbaren Zeugen. Die diesbezügliche Lückenhaftigkeit einer Aussage begründet daher auch dort keine Zweifel, wo sie in Wirklichkeit Ausdruck mangelnder Kenntnisse des Zeugen ist. (4) Eine Aussagenanalyse ist aus den oben schon dargelegten Gründen nicht möglich. Die von der Verhörsperson vorgetragene Geschichte läßt kein Urteil darüber zu, ob der abgeschottete Zeuge diese erfunden oder selbst erlebt hat. Erinnerungslücken, auf die die Verhörsperson den Zeugen nicht befragt hat, oder die sie nicht wahrgenommen hat, lassen sich in der Hauptverhandlung nicht mehr ermitteln. Ebensowenig läßt sich feststellen, ob die Aussage angesichts kritischer Nachfragen des mit den Details des Falles vertrauten Angeklagten Bestand gehabt hätte. (5) Ob der abgeschottete Zeuge gewissenhaft ist oder bedenkenlos handelt, dies kann aufgrund der Schilderungen einer Verhörsperson nicht selbst beurteilt werden, vielmehr muß deren Urteil über die Glaubwürdigkeit schlicht übernommen werden. (6) Hinzukommt, daß das Risiko einer Falschaussage auch filr den abgeschotteten Zeugen praktisch nicht vorhanden ist - also zulasten des Angeklagten gegenüber den NormalflUlen belastender Aussagen erheblich ansteigt. Auch wenn der abgeschottete Zeuge falsch ausgesagt hat, läßt sich dies mithin durch Beweiserhebung nur klären, wenn es der Verhörsperson ohnehin aufgefallen ist, und wenn sie dies mitteilt oder dann, wenn die Geschichte in sich nicht schlüssig ist. In allen anderen Fällen muß das Risiko einer Fälschung durch den abgeschotteten Zeugen hingenommen werden, es ist nicht konkretisierbar - aber höher als im Normalfall.

11. Prozeßsteuerung durch Teilinforrnation über Beweismittel

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Diese beiden Risiken, nämlich, daß der unmittelbare Zeuge falsch aussagt und, daß die Verhörsperson dessen Aussage (und sei dies nur leicht) verfälscht wiedergibt, verstärken einander. 3. Die Unterbindung des Einflusses

Die dargestellten BeweisfUhrungsrechte der Ermittlungsbehörden bedeuten allerdings nur dann eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verlagerung der Beweiserhebung in das öffentlich nicht kontrollierte Ermittlungsverfahren, wenn das erkennende Gericht die Beweisergebnisse nicht unter Berufung auf die Kontrolldefizite zurückweisen kann. Denn nur, wenn Verfahrensregeln solches Prozedere sanktionieren, ist der im betreffenden Verfahren Angeklagte trotz öffentlicher Beweisaufnahme und -würdigung auf die Integrität allein der Ermittlungsbeamten angewiesen. Die herrschende Meinung verpflichtet das Gericht tatsächlich zur unkontrollierten Übernahme des Beweisergebnisses des Ermittlungsverfahrens: Wer die BeweisfUhrung durch Verhörsbeamte fUr geboten hält, der setzt voraus, daß es eine BeweiswOrdigungsregel des Inhalts gibt, daß den Beamten im Grundsatz Glauben geschenkt werden muß. Prinzipiell steh~ es dem Gericht offen, im Wege der freien Beweiswürdigung gern. § 261 StPO zu entscheiden, eine den Angeklagten belastende Aussage habe es nicht überzeugt. Es muß hierzu nicht wissen, ob der Zeuge die Wahrheit gesagt hat oder nicht; es genügt, wenn die Unsicherheit des Richters in dieser Frage trotz (oder wegen) der anderen Beweise Zweifel an der Tatbegehung selbst auslöst. Das mit der Verwertung der Aussage einer Verhörsperson verbundene Risiko ist nun allerdings so beschaffen, daß es faktisch solche Zweifel nicht auslöst und normativ zur Begründung fehlenden Beweiswertes nicht taugt (wenn man der Prämisse der herrschenden Auffassung folgt): Dies ergibt sich aus der Natur der Überzeugungsbildung. Ein konkreter Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Aussagen wird sich kaum einstellen. Nach dem oben Dargelegten74 vollzieht sich Beweiswürdigung in der Regel in der Weise, daß die Richter einer Aussage einen Beweiswert verleihen, indem sie sie intuitiv in einen Kontext einfUgen, sich z.B. ihre Entstehung konkret vorstellen. In Kontexte, die von der Regel erheblich abweichen, werden sie die Aussage nicht ohne weiteres einfUgen. Nicht übliche Kausalverläufe fließen in die Beweiswürdigung ein, nehmen die Gestalt konkreter Zweifel an, wenn sich die Richter eine solche Situation wirklich "vor-stellen". Aus diesem Grunde entstehen

74

siehe oben, Teil 3, B. I.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

Zweifel erst, wenn ein Anlaß gegeben ist, von der Normalsituation abzusehen, oder dann, wenn der abweichende Kausalverlauf verbreiteter Erfahrung entspricht. Andernfalls wird man bei der Würdigung der Aussage intuitiv den Normalfall zugrundelegen - hier also die zutreffende Aussage. Weil in der Regel Anhaltspunkte fllr abweichende Kausalverläufe vorliegen, ist eine solche Form der Erkenntnis auch nicht schädlich. Im vorliegenden Fall wird es jedoch regelmäßig an konkreten Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Verhörspersonen fehlen. Wenn Rechtsprechung und herrschende Lehre die sachliche Beweisfllhrung durch Verhörspersonen fllr zulässig erachten, setzen sie voraus, daß deren Aussage im Einzelfall gewürdigt werden kann und muß75 • So, wenn der Bundesgerichtshof vorschreibt, von der Verwertung der Aussage einer Verhörsperson dürfe nur abgesehen werden, wenn diese Aussage keinen Aufklärungserfolg verspreche, weil das Beweisthema fllr die Entscheidung nicht von Bedeutung ist, die Verhörsperson persönlich nicht qualifiziert sei - was bei mit Vernehmungen beruflich befaßten Kriminalbeamten und Staatsanwälten pauschal verneint wird - oder wenn die Beweislage so beschaffen sei, daß die Angaben der Verhörsperson das einzige gegen den Angeklagten sprechende Belastungsmoment seien76 • Demgegenüber richtet sich die Argumentation, es sei zwar nicht in hohem Maße wahrscheinlich, daß die Verhörsperson oder der anonyme Zeuge lüge, auch gebe es dafllr keine Anhaltspunkte, dennoch sei es zu riskant, ihre (bzw. seine) Aussage zu verwerten, weil im Regelfall der Fälschung keine Anhaltspunkte dafllr vorhanden seien, gegen die Beweisfllhrung durch Verhörspersonen überhaupt. Der Richter, der bislang noch Zweifel an der Tatbegehung hat, könnte dem Beweiswert solcher Aussagen, wie dargelegt, nicht fllr den Einzelfall verneinen, weil sich dort im Einzelfall nicht zeigt, ob die Aussage gefälscht ist oder nicht. Der Beweiswert kann also nur durch Erwägungen verneint werden, die fllr alle Fälle der Vernehmung von Verhörspersonen gleichermaßen gelten. Die Annahme einer Beweiserhebungs- und verwertungspflicht setzt daher Unmögliches voraus. Die Alternative besteht also darin, der Aussage von Verhörspersonen entweder prinzipiell einen Beweiswert zuzuerkennen oder ihn ebenso prinzipiell zu leugnen.

75 vgl. BGHSt 30, 141; siehe auch KK-Herdegen, § 244 Rdnr. 24; LR-Gollwitzer, § 244 Rdnr. 182; Alsberg-Nüse-Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 30; Herdegen, NStZ 1984, 98; Peters, Der Strafprozeß, § 37 XI, S. 301, 324; Roxin, Strafprozeßrecht, § 15 I. Hier ist darauf aufmerksam zu machen, daß der BGH die pauschale Ablehnung der Vernehmung von Hörensagen-Zeugen über Aussagen einer anonymen Person im Falle von privaten Zeugen rur erwägenswärt hält: vgl. BGHSt 36, 159 (165). 76 BGHSt 36, 159 (165).

11. Prozeßsteuerung durch Teilinforrnation über Beweismittel

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Das Recht, Beweis durch Verhörspersonen zu filhren, impliziert daher die Geltung einer Beweiswürdigungsregel des Inhalts, daß das Risiko einer Fälschung durch die Verhörspersonen als unerheblich hingenommen werden muß. Hinzukommt, daß es sich hierbei um ein Beweisjührungsmonopol der Exekutive handelt: Einen solchen, von der herrschenden Auffassung verordneten, Vertrauensvorschuß genießen nämlich nur staatliche Organe, nicht private Zeugen: Man stelle sich vor, eine Versicherung beschäftige Privatdetektive, die verdeckt ermitteln. Einer ihrer Versicherungsagenten biete sich in einem Strafverfahren als Beweismittel an. Er sage aus, seine Versicherung filhre einen V-Mann, der bestimmte, den Angeklagten belastende Beobachtungen gemacht habe. Über diese Beobachtungen könne der V-Mann allerdings nicht selbst aussagen, weil dann sein weiterer Einsatz gefilhrdet sei - er wisse zuviel, außerdem seien Racheakte zu befilrchten. Aus demselben Grund könne er, der Versicherungsagent, keinerlei Angaben über die Identität des V-Mannes oder sonstige Umstände, die der Gegenseite seine Enttarnung ermöglichen könnten, machen. Er habe allerdings eine längere Unterredung mit ihm gefilhrt, über die er berichten könne. Oder: Eine enge Freundin oder Vertrauensperson des Angeklagten trage im Verfahren vor, eine ihr persönlich bekannte, vertrauenswürdige Person habe die Tatbegehung beobachtet. Sie habe alle Täter erkannt, der Angeklagte sei nicht unter ihnen gewesen. Die Vertrauensperson selber könne nicht vor Gericht erscheinen, denn die wirklichen Täter würden, hätten sie den Zeugen einmal erkannt, nicht davor zurückschrecken, ihn (oder sie) zu töten. Anders als den Verhörsbeamten würde solchen Zeugen kaum gestattet, die Identität ihrer Informanten geheimzuhalten und deren Bericht zu referieren. "Quod licet jovi, non licet bovi ft : Im Unterschied zu Verhörspersonen wären Privatpersonen zur Preisgabe der Identität bei Ordnungsstrafe, § 70 Abs. 1 StPO verpflichtet, der Zeuge müßte, weil §§ 54, 96 StPO nicht, auch nicht analog, einschlägig sind, unmittelbar selbst verommen werden 77 • Geheimhaltungsbefugnisse haben nur behördliche Instanzen. Ginge es tatsächlich um

77 Erwägenswert wäre allenfalls, den Zeugen gern. § 244 Abs. 3 S. 2 5. Alt. StPO als "unerreichbar ft in einem übertragenen Sinne zu qualifizieren. Nicht mehr die (berechtigte oder unberechtigte) Sperrerklärung verhinderte die Beweiserhebung, sondem es wäre unmittelbar die Gefahr filr den Aussagenden rechtlicher Hinderungsgrund. Wenn man dies befilrwortet, wird indes das weitere Prozedere problematisch. Höchst fraglich ist nämlich, worauf sich in solchen Fällen das gerichtliche Urteil, es bestehe eine Gefahr filr das Leben des Zeugen, stützen soll. Soviel ist gewiß: Alle Tatsachen, auf die eine solche gerichtliche Entscheidung rekurriert, müssen(betroffenen)-öffentlich sein. Entweder man läßt dafilr die Aussage der Privat-Zeugen genügen, oder man schaltet hier eine exekutivische Entscheidung zwischen, filr solches Verfahren gäbe es dann allerdings keine positiv-rechtliche Rechtfertigung. Dasselbe gilt rur die Vernehmung der Berichtsperson. Auch hier gäbe es keinen juristischen Anlaß einen Vernehmungsbeamten zwischenzuschalten, man hätte ja ein - theoretisch gleichwertiges - Beweismittel.

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Teil 3: Die Kontrolldefizite im einzelnen

den Schutz der Integrität der abgeschinnten Person, wäre die Zwischenschaltung einer staatlichen Instanz überflüssig. -In Wirklichkeit soll dadurch verhindert werden, daß Privatpersonen derartige Beweisftlhrungsbefugnisse haben, eben weil man ihnen - im Unterschied zu staatlichen Ennittlern - ungern vertraut. Damit solche Befugnisse nicht mißbraucht werden können (also: weil sie mißbraucht werden können), werden sie staatlicher - allerdings nicht öffentlicher - Kontrolle unterworfen. Ein staatliches Organ soll sich unmittelbar davon überzeugen, daß die Gefahr für den Zeugen tatsächlich besteht und daß seine Aussage zutrifffa. So werden staatliche Belange gesichert, nicht aber die des Beschuldigten. Das Gericht übernimmt diese Bewertung, ohne sie überprüfen zu können, letztlich weil eine (in diesen Fällen nicht zu widerlegende) Vennutung für die Rechtmäßigkeit staatlichen Handeins spricht. 4. Fazit

Die den Ennittlungsbehörden durch das Recht zur Beweisftlhrung durch Verhörspersonen nach Sperrung der unmittelbaren Zeugen und unter Zurückhaltung aller auf dessen Identität verweisenden Infonnationen eingeräumte Macht unterwirft die Entscheidungsfindung im Hauptverfahren der unkontrollierbaren Herrschaft der Exekutive: Von ihrer Sorgfliltigkeit, von ihrem Willen hängt die Rechtmäßigkeit der Entscheidung ab. Zum einen insofern, als die (unzutreffende) Beweiswürdigungsregel den diesbezüglichen Argumenten des Angeklagten die Wirksamkeit verweigert. Zum anderen (als Folge davon) dadurch,daß die Gerichte auf die Übernahme staatlicher Infonnationen verpflichtet werden, zu denen sich die Angeklagte nicht äußern könnte. Diese Macht ist daher verfassungsrechtlich unzulässig, weil der Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör außer Kraft gesetzt ist. Sie basiert auf dem Recht zur Teilinfonnation, d.h. auf einem Zusammenwirken der Zurückhaltung von Beweismitteln mit der verordneten Wirksamkeit der über den Ertrag dieser Beweismittel erteilten Infonnationen. Sie kann verhindert werden, entweder indem man das Wissensgeflille aufhebt, d.h. die Befugnis zur Sperrung von Infonnationen, (wie sie § 110 b Abs. 3 Satz 3 StPO nunmehr ausdrücklich einräumt) für unzulässig, die Befugnis für nichtig erklärt. Oder indem man die Wirksamkeit des Wissensgeflilles unterbindet. Dies hätte die Feststellung zur Folge, daß die Auslegung des § 244 Abs. 2 StPO, wonach die Aufklärungspflicht des Gerichts im Ergebnis die Verwertung des Zeugnisses der Verhörspersonen gebietet, verfassungswidrig ist. Im hier diskutierten Zusammenhang ist letzteres die weniger einschneidende,

7B

vgl. nur das obiter dictum in BGHSt 36, 159 (165).

H. Prozeßsteuerung durch Teilinforrnation über Beweismittel

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aber auch ausreichende Lösung. Die oben getroffene Feststellung, daß die Befugnis zur Zurückhaltung von Informationen aus dem Ermittlungsverfahren - dann aber aus anderen Gründen - verfassungswidrig ist, bleibt davon selbstverständlich unberührt. Die Auslegung des § 244 Abs. 2 StPO, wonach das Gericht verpflichtet ist, durch Vernehmung von Verhörspersonen Beweis zu erheben und deren Aussagen im Grundsatz zu verwerten, ist demnach verfassungswidrig.

Zusammenfassung 1. Aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG, dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus Art. 1 Abs. 1 GG folgt, daß rur die Betroffenen kontrollierbar sein muß, ob Staatsgewalt sich ihnen gegenüber in den Grenzen der Gesetze hält. Justizgewährleistung als solche ebenso wie Justizstandards, die den Betroffenen eine SubjektsteIlung einräumen, sind unabdingbar gewährleistet.

Art. 19 Abs. 4 GG setzt voraus, daß staatliches Handeln sich in einer Form vollzieht, die es den von ihm Betroffenen erlaubt, es gerichtlich überprüfen zu lassen. Dazu muß diese Tätigkeit rur die Betroffenen öffentlich sein, d.h. es muß gesichert sein, daß ihnen bekannt ist oder bekannt wird, daß Staatsorgane handeln. Heimliche Staatstätigkeit verstößt daher gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Dieser Verstoß kann auch durch eine Pflicht zur nächträglichen Benachrichtigung nicht geheilt werden, da deren Erfilllung sich wiederum jeglicher Kontrolle durch die Betroffenen entzieht, Rechtsschutz hinge davon ab, ob Staatsorgane bereit sind, sich einem Kontrollverfahren zu unterziehen und stellte sich nicht mehr als Garantie lückenloser Rechtmäßigkeitskontrolle dar. Gleiches folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, auch in dessen Ausprägung als Garantie der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handeins, Art. 20 Abs. 3 GG. Unter Gesetzlichkeit im Sinne dieses Prinzipes ist die Unterwerfung staatlicher Gewalt unter faktisch wirksame Gesetze zu verstehen. Dies deshalb, weil die Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG Staatsgewalt im Verhältnis zu den Bürgern legitimiert. Der Staat als Garant und Interpret der Rechtsordnung ist dieser im Verhältnis zum Bürger nur untergeordnet, wenn Gewalt- und Entscheidungsmonopol durch subjektive Kontrollverfahren und Justizstandards beschränkt sind.

Art. 1 Abs. 1 GG verbietet es, die Bürger der personalen Willkür von Staatsorganen zu unterwerfen. Das ist der Fall, wenn mit ihnen schlicht "verfahren" werden kann. Die Menschenwürdegarantie gewährleistet daher die Subjektstellung von Bürgern durch und in Verfahren; d.h. sowohl Rechtsschutz als solchen, als auch rechtliches Gehör, Beweisruhrungsrechte und Rechte auf Information innerhalb von Rechtserkenntnisprozessen. Diese Kontrollbefugnisse gegenüber staatlicher Macht können um der Funktionsfilhigkeit der Strafrechtspflege willen in den hier diskutierten Fällen nicht eingeschränkt werden: Dem Schutz vor privater Gewalt ist die Verfassung staatlicher Gewalt durch Verfahren vorgeordnet. Die Verfolgung

Zusammenfassung

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staatlicher Zwecke in Fonn öffentlich kontrollierter Rechtserkenntnisprozesse schützt nicht nur die diesen Prozessen Unterworfenen. Sie garantiert auch der Allgemeinheit die Verwirklichung dieser Aufgaben. Die Suspendierung von Kontrollverfahren und Justi2Standards wUrde nicht nur die Betroffenen staatlicher Willkür aussetzen, sondern darüberhinaus die Effizienz der Aufgabenerfüllung dem jeweiligen Interesse der Staatsorgane an deren Erfüllung überantworten: Strafverfolgung wäre besser möglich; aber ob sie auch besser durchgeführt würde, bliebe offen. Eine Abwägung der Kontrollierbarkeit staatlichen Handeins gegen die Effizienz der Strafverfolgung scheitert überdies daran, daß gern. Art. 79 Abs. 3 GG erstere, soweit sie aus Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GG hergeleitet wurden, unabdingbar garantiert sind. 2. Unter Kontrolle ist subjektive Kontrolle durch die Bürger zu verstehen, denn die Bürger sollen durch sie zu Rechtsinhabern gemacht werden. Wirksame Kontrolle erfordert Justizgewährleistung, Betroffenenöffentlichkeit, SubjektsteIlung der Betroffenen im öffentlichen Gerichtsverfahren und die Möglichkeit, Kritik frei zu äußern. Dem genügen parlamentarische Kontrollmechanismen durch geheim tagende Gremien ebensowenig wie die Kontrolle durch unabhängige, staatliche Instanzen wie z.B. den Datenschutzbeauftragten. Die Rechtsverwirklichung durch sie hängt nämlich im wesentlichen von der Integrität der mit der Kontrolle betrauten Organwalter ab; die Bürger können mit ihren Rechten nicht selbst "etwas anfangen"l. 3. Die den Ennittlungsbehörden durch Infonnationsbeherrschungsrechte eingeräumte Macht setzt im Falle der Befugnis zu verdecktem Ennitteln und der Präsentation von Teilinfonnationen aus dem Vorverfahren im allgemeinen, sowie im Sonderfall der Beweisführung durch Verhörspersonen jegliche öffentliche Kontrolle außer Kraft. a) Soweit es um die Vornahme verdeckter Ennittlungen geht, ergibt sich dies daraus, daß seine Rechte nicht wahrnehmen kann, wer von deren Verletzung nichts erfiihrt: Rechtsschutz ist für den nunnehr theoretisch möglich, der nicht weiß, daß sein Privatleben von einem verdeckten Ennittler oder VMann ausgeforscht wurde. Eine Pflicht der Ennittlungsbehörden, die Betroffenen später von dem Eingriff zu benachrichtigen, hilft nicht weiter: Denn auch die Einhaltung dieser Pflicht ist nicht kontrollierbar, sondern hängt von der Integrität und richtigen Rechtsauffassung der zur Mitteilung verpflichteten Organwalter ab.

I

Dürig, Gutachten, S. 10.

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Die Macht der Ennittlungsbehörden zum Eingriff in Grundrechte des von ihren Infonnationserhebungen Betroffenen ist unkontrollierbar. b) Soweit es um die Verwertung der Ergebnisse nicht-öffentlicher Ennittlungen im Hauptverfahren geht, ist im Grundsatz deren Kontrolle dadurch gewährleistet, daß die Entscheidung und ihre Grundlage - der Prozeßstoff - öffentlich verhandelt werden und der Angeklagte sich dazu äußern und Gegenbeweise präsentieren kann. Dies gilt indessen nicht rur die beiden genannten Fälle. Zwar unterliegt auch, soweit Verhörsbeamte die Aussagen von verdeckten Ennittlern vortragen, öffentlicher Kontrolle, welche Schlüsse das Gericht aus diesen Aussagen zieht. Doch die herrschende Auffassung verpflichtet das Gericht, den Aussagen von Verhörsbeamten Beweiskraft zuzusprechen. Ihr zufolge darf solchen Aussagen der Beweiswert nur abgesprochen werden, wenn die Beweisaufnahme Anhaltspunkte daftlr ergibt, daß die Beamten (oder der V-Mann) falsch aussagen. Die Verhörsbeamten können jedoch regelmäßig falsch aussagen, ohne daß dies erkennbar ist. Dies beruht im wesentlichen auf zwei Dingen: Erstens erweckt bei allen anderen Zeugenaussagen deren Lückenhaftigkeit Zweifel - nicht so im Falle der Vernehmung von Verhörspersonen: Deren Infonnationen dürfen lückenhaft sein, weil die Aussagenden zur Geheimhaltung berechtigt sind. Was sich hinter solcher Geheimhaltung verbirgt, bleibt jeder Erkenntnis verschlossen. Zweitens hat die Übereinstimmung mit anderem Beweismaterial keinerlei Aussagekraft. Da den Ennittlern der Stand der Ennittlungen bekannt ist, können sie ihre Aussagen stets auf das übrige Beweismaterial abstimmen. Die richterliche Beweiswürdigung muß zwar auch sonst Fällen gerecht werden, in denen zwar eine Fälschung unerkennbar, aber das Risiko einer solch unaufklärbaren Fälschung erkennbar ist. So kann es bei einer Tat, die nur von Täter und Opfer bezeugt werden kann, in Einzelfällen an Indizien ftlr oder gegen die belastende Aussage des Opfers fehlen. Doch die Besonderheit solcher Fälle stellt sich im Nonnalfall erst nach der Beweiserhebung heraus. Die Verurteilung kann und muß dann im Hinblick auf diese Unsicherheit unterbleiben. Anders bei der Aussage von Verhörspersonen. Daß diese Aussage falsch sein kann, ohne daß dies erkennbar ist, steht bereits vor der Anhörung der Verhörsperson fest. Die herrschende Meinung, die nur die Berücksichtigung von nachträglich aufgetretenen Zweifeln gestattet, verpflichtet daher die Gerichte, das Risiko einer unerkennbaren Fälschung hinzunehmen, wenn sie die

Zusammenfassung

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Beweiserhebung ftlr geboten erklärt. Dann beruht jedoch die Gerichtsverhandlung auf einer nicht-öffentlichen Beweisaufnahme im Vorverfahren die lustizstandards sind außer Kraft gesetzt, die Ermittlungsbehörden erhalten unkontrollierbaren Einfluß auf den Grundrechtseingriff durch Strafe. Nichts anderes gilt ftlr die Praxis, Informationen aus dem Ermittlungsverfahren nur fragmentarisch zu präsentieren, entweder, weil man sie gern. §§ 54, 96 StPO als geheimhaltungsbedürftig erklärt oder, weil sie, wie z.B. die Spurenakten ftlr das Hauptverfahren angeblich nicht von Bedeutung seien. Auch diese Befugnisse lassen die im Hauptverfahren mögliche, öffentliche Kontrolle leerlaufen: Das ftlr das Hauptverfahren maßgebliche Beweismaterial wird im Ermittlungsverfahren zusammengestellt. Für die Beweiserhebung im Hauptverfahren ebenso wie ftlr die Beweiswürdigung ist entscheidend, ob diese Zusammenstellung des Prozeßstoffes vollständig ist. Ermittlungsfehler können eine falsche, aber rechtsfehlerfreie Verurteilung zur Folge haben: So könnte in einem Indizienprozeß wegen eines Tötungsdeliktes ftlr die Beweiswürdigung von großer Bedeutung sein, ob der Beschuldigte die einzige Person war, die ernsthaft mit dem Opfer verfeindet war. Das Gericht müßte sich, wenn es verurteilen wollte, von dieser Tatsache überzeugen. Eine prozeßordnungsgemäße Aufklärung dieser Frage in der Hauptverhandlung selbst ist nicht möglich. Die richterliche Überzeugung von dieser Tatsache setzt deshalb voraus, daß die diesbezüglich negativen Ergebnisse aus den Ermittlungen zugrundegelegt werden können. Die Qualität der richterlichen Entscheidung hängt insoweit von der Qualität der Ermittlungen und von der Rechtmäßigkeit der Vorauswahl des "relevanten" Beweismaterials durch die Ermittlungsbehörden ab. Eine Kontrolle des Ermittlungsverfahrens durch Gericht und Beschuldigten setzt voraus, daß der Gang der Ermittlungen bis ins Detail im Hauptverfahren nachvollzogen werden kann, damit Ermitt/ungslücken erkennbar werden. Das ist jedoch nicht möglich, sofern Informationslücken zulässig sind. Solange die Ermittlungsbehörden über ihr Vorgehen nur eingeschränkt rechenschaftspflichtig sind, lassen sich - wie am Fall Schmücker gezeigt - bestimmte Ermittlungslücken kaschieren. Die Aufgabe der Beweiswürdigung wird daher den Ermittlungsbehörden in dem Maße überlassen, in dem man ihnen die Zusammenstellung des ftlr die Hauptverhandlung verfügbaren Beweismaterials überläßt. Soll nicht das Urteil auf den Ergebnissen des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens abhängen, müssen die Ermittlungsbehörden alle von ihnen übernommenen Ermittlungsschritte dokumentieren. Diese Dokumentationspflicht ist verfassungsrechtlich geboten.

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Zusammenfassung

4. Folgendes sind die Konsequenzen der festgestellten Kontrolldefizite: a) Die Ennächtigungen zu heimlichen, weder der Kontrolle durch die Betroffenen noch auch durch die Öffentlichkeit zugänglichen Ennittlungen sind verfassungswidrig. Die Ergebnisse solcher Ennittlungstätigkeit dürfen keinen Eingang in das Strafverfahren finden. Nur, wenn verdeckte Ennittlungen unzulässig, zudem in Ennangelung von Haushaltsmitteln kaum durchfUhrbar und - wegen der Unverwertbakeit ihrer Ergebnisse - sinnlos sind, läßt sich verhindern, daß Rechte der Bürger dem unkontrollierbaren Zugriff des Staates ausgesetzt sind. b) Die BeweisfUhrung durch Teilinfonnationen im Falle der Vernehmung von Verhörspersonen ist unzulässig. Die Auslegung des § 244 Abs. 2 i.V.m. 261 StPO, wonach das Gericht im Falle der Sperrung des unmittelbaren Zeugen verpflichtet ist, durch Vernehmung von Verhörspersonen Beweis zu erheben und deren Aussagenim Grundsatz auch zu verwerten, ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. c) Bezüglich des Akteninhalts ergab sich folgendes: Die Ennittlungsbehörden sind verpflichtet, alle ihre Ennittlungsschritte zu dokumentieren. Hinsichtlich jeder Beweiserhebung müssen Beweisziel, Beweismittel und Beweisergebnis - also auch der Inhalt von Zeugenaussagen - vennerkt werden. Es darf keine sogenannten "infonnatorischen" Befragungen und keine Vertraulichkeitszusagen geben, die von diesem Erfordernis ausgenommen sind. §§ 54, 96 StPO finden auf die Auskunfts- und Aktenvorlagepflicht von Ennittlungsbehörden in Bezug auf dasselbe Verfahren keine Anwendung. Es dürfen unter Berufung auf diese Vorschriften auch keinerlei Infonnationen zurückgehalten werden, die den Ennittlungsbehörden (gleichgültig von wem) bereits zugänglich gemacht worden sind. Andere Behörden können sich uneingeschränkt auf §§ 54, 96 StPO berufen - jedoch gelten auch hier zwei Ausnahmen: Die Polizei darf auch dort, wo sie präventiv in bezug auf denselben Lebenssachverhalt tätig ist, keine Infonnationen zurückhalten. Behörden, die wie der Verfassungsschutz aber auch wie sonstige Fahndungsund Ennittlungsbehörden (Finanzamt, Zoll, Umweltschutzbehörden) denselben Sachverhalt ennitteln, dürfen sich auf §§ 54,96 StPO nur in der Weise berufen, daß sie entweder alle ihnen bekannten Infonnationen mitteilen oder keine. Wird in einem Verfahren festgestellt, daß Infonnationen zurückgehalten werden, dann resultiert daraus ein Verfahrenshindernis.

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