»Bébé préjudice« und »Kind als Schaden«: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung für neues Leben in Deutschland und Frankreich [1 ed.] 9783428508358, 9783428108350

Der Streit um den Ersatz des Unterhaltsschadens nach unerwünschter Geburt eines Kindes hat in den zurückliegenden 30 Jah

166 6 23MB

German Pages 195 Year 2002

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

»Bébé préjudice« und »Kind als Schaden«: Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung für neues Leben in Deutschland und Frankreich [1 ed.]
 9783428508358, 9783428108350

Citation preview

Schriften zum Internationalen Recht Band 131

„Bébé préjudice“ und „Kind als Schaden“ Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung für neues Leben in Deutschland und Frankreich Von Thomas Winter

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS WINTER

,Bébé préjudice" und „Kind als Schaden"

Schriften zum Internationalen Recht Band 131

„Bébé préjudice" und „Kind als Schaden" Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung für neues Leben in Deutschland und Frankreich

Von

Thomas Winter

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Winter, Thomas: „Bébé préjudice" und „Kind als Schaden" : eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung für neues Leben in Deutschland und Frankreich / Thomas Winter. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Internationalen Recht ; Bd. 131) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10835-3

Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-10835-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Für Miriam

Vorwort Die vorliegende Arbeit schließt eine Lücke, in dem sie die Diskussion um das Kind als Schaden um die französische Sicht des Problems erweitert. Das Anliegen der Arbeit reicht freilich über das der Information hinaus. In kritischer Betrachtung der vorgetragenen Argumente und unter Abwägung der widerstreitenden Interessen von Eltern, Kind, Ärzten und Gesellschaft habe ich versucht, trotz aller verbleibenden Zweifel einen eigenen Standpunkt zu begründen. Der Leser mag ihm zustimmen oder widersprechen, stets sollte er sich aber bewusst werden, in welchem Ausmaß sein Dafürhalten oder seine Ablehnung vor allem der eigenen Weltanschauung geschuldet ist. Aufrichtiger Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Rolf Stürner, der die vorliegende Arbeit nicht nur angeregt, sondern in allen Phasen ihrer Entstehung kritisch begleitet und trotz seiner häufig abweichenden Auffassung in der Sache wohlwollend gefördert hat. Für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens habe ich Herrn Prof. Dr. Günter Hager zu danken. Ermöglicht wurde die zügige Ausarbeitung der Dissertation durch die finanzielle Unterstützung der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg, der ich während der Dauer von 17 Monaten als Stipendiat angehörte. Ich möchte die Gelegenheit an dieser Stelle nutzen, zwei weiteren Begleitern meines juristischen Werdegangs Dank zu sagen: Zum einen Herrn Prof. Dr. Heike Jung, der mir vom Anfang meines Studiums bis zum Abschluss der vorliegenden Arbeit stets mit ebenso freundschaftlichem wie hilfreichem Rat zur Seite gestanden hat, zum anderen Herrn Prof. Dr. Albin Eser, der mein Interesse an wissenschaftlicher Arbeit geweckt und stets aufs Neue wachgehalten hat. Den herzlichsten Dank verdienen schließlich meine Eltern, ohne deren Unterstützung nicht nur die vorliegende Arbeit, sondern meine gesamte Ausbildung nicht möglich gewesen wäre. Frankfurt/Main, Januar 2002

Thomas Winter

Inhaltsverzeichnis Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden 13 I. Von glücklicher Geburt und wrongful birth 13 II. Die Diskussion um das Kind als Schaden als Paradigma haftungsrechtlicher Folgen (bio-)wissenschaftlichen Fortschritts 19 III. Die Kind als Schaden Problematik jenseits disziplinärer und nationaler Grenzen und Beschränkungen 22 B. Das Kind als Schaden im System der Arzthaftung und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung I. Die Einordnung der Kind als Schaden Problematik in das System der Arzthaftung 1. Die Pflichtverletzung des Arztes a) Die Haftungsbegründung nach deutschem Recht aa) Vertragliche Haftungsbegründung bb) Deliktsrechtliche Haftungsbegründung b) Die Haftungsbegründung nach französischem Recht aa) Vertragliche Haftungsbegründung bb) Deliktsrechtliche Haftungsbegründung 2. Der Schaden von Eltern und Kind a) Schadensersatz als Rechtsfolge ärztlicher Pflichtverletzung aa) Deutsches Recht bb) Französisches Recht b) Der Schaden der Eltern aa) Kosten der misslungenen ärztlichen Behandlung bb) Kosten und Einbußen durch einen weiteren Eingriff cc) Kosten und Einbußen durch das Kind dd) Kosten für das Kind ee) Körperliche und seelische Verletzungen c) Der Schaden des Kindes 3. Der Ursachenzusammenhang zwischen ärztlichem Fehl verhalten und elterlichem und kindlichem Schaden a) Das ärztliche Fehlverhalten als conditio sine qua non elterlicher und kindlicher Einbußen b) Der Schaden von Eltern und Kind als adäquat kausale Folge ärztlichen Fehlverhaltens c) Die Vermeidung der elterlichen Unterhaltspflicht als Zweck des ärztlichen Handelns aa) Die deutsche Lehre vom Schutzzweck der Norm bzw. des Vertrages . bb) Versuche einer wertenden Kausalbetrachtung im französischen Recht 4. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs und Mitverschulden: Wegfall oder Minderung des Schadensersatzanspruchs aufgrund eigener Willensentscheidung der Eltern

25 25 27 27 27 32 34 34 42 44 46 46 47 48 48 49 50 52 52 54 55 56 60 61 61 65

67

10

Inhaltsverzeichnis a) Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch Geschlechtsverkehr der Eltern b) Verlust der Ersatzansprüche aufgrund der Verweigerung eines (erneuten) Schwangerschaftsabbruchs c) Verlust der Ersatzansprüche wegen verweigerter Freigabe des Kindes zur Adoption d) Verlust der Ersatzansprüche wegen späterer Aufnahme des Kindes als Wunschkind („Damaskuserlebnis") 5. Befund der dogmatischen Betrachtungen II. Die Lösung der Kind als Schaden Problematik in der deutschen und französischen höchstrichterlichen Rechtsprechung 1. Der Anspruch der Eltern a) Deutsche Lösung b) Französische Lösung 2. Der Anspruch des geschädigten Kindes a) Deutsche Lösung b) Französische Lösung

C. Der Schadensersatzanspruch im Widerstreit zwischen haftungsrechtlichen Grundsätzen und übergeordneten ( R e c h t s - ) P r i n z i p i e n I. Die Vereinbarkeit des Schadensersatzanspruches mit den Zwecken des Haftungsrechts 1. Die Anknüpfung an das Fehlverhalten des Arztes (Schädiger) a) Zivilrechtliche Bestrafung ärztlicher Sorgfaltswidrigkeit b) Präventive Verhaltenssteuerung ärztlichen Handelns 2. Der Ersatzanspruch aus der Perspektive von Eltern und Kind (Geschädigte). a) Ausgleich elterlicher und kindlicher Einbußen b) Versorgung bei familiärer Not II. Die Vereinbarkeit des Schadensersatzanspruchs mit übergeordneten (Rechts-) Prinzipien 1. Methoden zur Berücksichtigung übergeordneter (Rechts-)Prinzipien a) Die verfassungskonforme Auslegung des deutschen Schadensrechts b) Das französische Merkmal eines rechtmäßigen Schadens („dommage légitime") 2. Der Einfluss übergeordneter (Rechts-)Prinzipien auf die Lösung der Kind als Schaden Problematik a) Auswirkungen einer schadensersatzrechtlichen Lösung auf ärztliches Verhalten und gesellschaftliche Prozesse aa) Die Notwendigkeit einer Haftung als Voraussetzung der Qualitätssicherung ärztlicher Versorgung bb) Die Befürchtung einer „lebensfeindlichen Einstellung" des Arztes gegenüber dem Ungeborenen (1) Präkonzeptionelle Haftungsanknüpfung (2) Postkonzeptionelle Haftungsanknüpfung cc) Die Befürchtung verfehlter Signalwirkung auf die Gesellschaft dd) Gewährleistung elterlicher Entscheidungsfreiheit b) Existenz des Kindes versus Gewährleistungsanspruch auf der Grundlage nichtverhinderter Entstehung

68 69 71 72 73 75 76 76 79 82 82 83

86

87 88 88 89 92 92 95 96 97 98 99 103 104 105 106 107 108 111 115 115

Inhaltsverzeichnis aa) Der Versuch einer Auflösung im (Verfassungs-)Recht ( - deutscher Weg-) 117 (1) Die Haftung für neues Leben auf der Schnittstelle zwischen Schuld-und Familienrecht 118 (2) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes als Hinderungsgrund elterlichen Unterhaltsersatzes 121 (3) Schweigen des Haftungsrechts vor der Würde des Kindes

125

bb) Der Versuch einer Auflösung jenseits des Rechts ( - französischer Weg-) 129 (1) Beobachtungen

129

(2) Kritik

135

(3) Erklärungsversuche

137

(4) Würdigung

150

D. Der Schadensersatzanspruch des geschädigten Kindes I. Der Schadensersatzanspruch des Kindes im Widerstreit der Interessen 1. Das Bedürfnis für einen eigenen Schadensersatzanspruch des Kindes

152 152 153

a) Lebenslange Versorgung des Kindes unabhängig vom Schicksal seiner Eltern 153 b) Der Schluss vom elterlichen auf den kindlichen Schaden

154

2. Die Handlung des Arztes als Verletzung der Interessen und Rechte des Kindes 156 a) Die ärztliche Pflichtwidrigkeit als Verletzung des Kindes an seiner Gesundheit 157 b) Die ärztliche Pflichtwidrigkeit als Verletzung des Kindes in seinem Persönlichkeitsrecht 158 II. Die Feststellung eines Schadens als zentrales Problem der Ansprüche aus wrongful life 159 1. Die Suche nach einer Vergleichsgrundlage zur Ermittlung eines Schadens des Kindes 159 a) Die hypothetische Nichtexistenz als Alternative zum Leben des geschädigten Kindes 159 b) Die Suche nach einer alternativen Vergleichsgrundlage 2. Die Ambivalenz „humaner" Argumentation a) Die Befürchtung einer sich ausbreitenden Eugenik

161 164 165

b) Die Privilegierung des unerwünscht geborenen Kindes

167

c) Der Respekt vor der Person des Kindes

168

3. Der Schaden des Kindes jenseits des rechtlich Fassbaren

170

E. Schlussbetrachtung

172

Literaturverzeichnis

175

Sachverzeichnis

193

Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden I. Von glücklicher Geburt und wrongful birth Die Geburt eines Kindes kann nicht ausschließlich als statistisches Datum begriffen werden, weil sie sich seit jeher einer rein rationalen Betrachtung entzieht. Die Gefühle und Empfindungen, die ein neugeborenes Kind auszulösen vermag, lassen sich in dürren Worten freilich kaum nachzeichnen, so dass es - abgesehen vom Erleben eigener Elternschaft - allenfalls den Schriftstellern gelingt, der Ahnung vom Zauber des neuen Lebens nachzuspüren. Und so heißt es etwa bei Thomas Mann: „... ein Erbe! Ein Stammhalter! Ein Buddenbrook! Begreift man, was das bedeutet? Begreift man das stille Entzücken, mit dem die Kunde, als das erste, leise, ahnende Wort gefallen, von der Breiten- in die Mengstraße getragen worden? Den stummen Enthusiasmus, mit dem Frau Permaneder bei dieser Nachricht ihre Mutter, ihren Bruder und - behutsamer - ihre Schwägerin umarmt hat? Und nun, da der Frühling gekommen, der Frühling des Jahres einundsechzig, nun ist er da und empfängt das Sakrament der Taufe, er, auf dem längst so viele Hoffnungen ruhen, von dem längst so viel gesprochen, der seit langen Jahren erwartet, ersehnt worden, den man von Gott erbeten und um den man Doktor Grabow gequält hat... er ist da und sieht ganz unscheinbar aus"1. Die Bewertung der Geburt als glückliches Ereignis reicht weit zurück und gehört zu den überlieferten und fest verwurzelten Mythen des christlichen Abendlandes. So lässt sich schon im Evangelium bei Johannes nachlesen: „Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist" 2 . Aus dieser Tradition und diesem Bewusstsein heraus wird es verständlich, wenn sich sogar in die sonst so nüchterne und trockene Sprache des Juristen feierliche Ergriffenheit mischt: „Partout où il y a création et vie, il y a grande joie 3 ." Es scheint daher nicht zweifelhaft, die Vermutung der 1

Thomas Mann, Buddenbrooks, 7. Teil, 1, S. 396. Die Bibel, Evangelium nach Johannes, 16. Kapitel, Vers 21. 3 „Überall, wo es Entstehung und Leben gibt, herrscht große Freude", Le Tourneau, D. 1990, 285 (288); die lebendige Sprache des französischen Kommentators steht zugegebenermaßen in auffälligem Gegensatz zur auch bei diesem Thema gewohnt technokratischen Diktion vor allem deutscher Autoren, vgl. als Kontrast etwa Zimmermann, JZ 1997, 131: „Die Geburt eines Menschen ist ein Ereignis, das von der geltenden Rechts- und Sittenordnung nicht per se als nachteilhaft bewertet wird." 2

14

Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden

glücklichen Geburt zum Fixpunkt auch rechtlicher Problemlösung machen zu können 4 . Doch wie so oft trügt der Schein auch hier. Der hymnischen Beschwörung einer glücklichen Geburt tritt unvermittelt das hässliche Schlagwort „wrongful birth" gegenüber, das in den Ausdrücken „ K i n d als Schaden" und „bébé préjudice" seine nicht minder unschönen deutschen bzw. französischen Entsprechungen gefunden hat 5 . Statt von grenzenloser Freude steht mit einem M a l die Frage nach dem finanziellen Ausgleich für die Geburt eines Menschen i m Raum. Wurde das neugeborene Leben eben noch voller Pathos in der Welt begrüßt, scheint es nun, in verachtenden Worten zum Ausdruck gebracht, zu einem überflüssigen und störenden Faktum herabgewertet, von seiner Umgebung als Negativum abqualifiziert, und in seiner Existenz - wenn überhaupt - nur unter der Bedingung des Ausgleichs oder der Wiedergutmachung akzeptiert zu werden 6 . Die Schwangerschaft wird dem Juristen zur Körperverletzung 7 , der Kindesunterhalt zum Kostenfaktor familiärer Haushaltsbilanzen. Gegen eine solche Betrachtung sträubt sich nicht nur das oben nachgezeichnete Gefühl, sondern ihr widersetzt sich auch das als unumstößlich formulierte Postulat, weder die Geburt eines Kindes noch das K i n d oder sein Leben selbst dürften als „Quelle eines Schadens" („source d'un dommage") angesehen werden 8 . Muss aber 4

So ausdrücklich CA Riom, D. 1990, 284 (285); Mannsdorfer, Schädigung, S.354. Zur Terminologie: Die anglo-amerikanischen Begriffe haben sich sowohl in Deutschland als auch in Frankreich zur Unterscheidung verschiedener Fallgruppen durchgesetzt. Unter „wrongful birth" werden die Schadensersatzansprüche der Mutter (bzw. der Eltern) eines unerwünschten geschädigten Kindes gegen den sie während der Schwangerschaft betreuenden Arzt eingeordnet. Von dieser Fallgruppe unterscheiden sich die Fälle der „wrongful conception" oder „wrongful pregnancy" dadurch, dass die Eltern eines gesunden Kindes gegen den Arzt Ansprüche geltend machen, weil dieser die Geburt als solche vertragswidrig nicht verhindert hat. Klagen wegen „wrongful life" schließlich machen nicht die Eltern, sondern das geschädigt geborene Kind selbst gegen den Arzt geltend. Vgl. zur Begrifflichkeit den guten Überblick bei Merkel, Wrongful birth (in: Neumann/Schulz), S. 173 f., für Deutschland außerdem: Deutsch, Medizinrecht, S. 188ff.; ders., VersR 1995, 609 (614); Hauberichs, Haftung, S.3f.; Pahmeier, Geburt, S. 1 f.; für Frankreich: Murai, JCP 1996, S.282; Roche-Dahan, D. 1997, 36 (37f.); Sainte-Rose, JCP 2000.IL, n° 10438, S.2301. 6 Diese Negativbewertung besonders stark betonend Picker, AcP 195 (1995), 483 (490). 7 Vgl. nur BGHZ 76, 259; Eser/Koch, DÄB1 78 (1981), 1673; Harrer, Familienplanung, S. 195 ff.; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch, S.727; Palandt/Heinrichs, Vorbem. v. §249 Rz.48. 8 Der Ausdruck wird von den Befürwortern ebenso wie von den Gegner zivilrechtlicher Ersatzansprüchen stereotyp wiederholt und findet sich durchgängig auch in der Rechtsprechung wieder, vgl. nur BVerfGE 88, 203 (204 u.296); BGHZ 124, 128 (140f.); Deutsch NJW 1994, 777; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, S.515; Picker, AcP 195 (1995), 483 (501); Stürner, JZ 1998, 317 (324); CE, D. 1984, 425; C. cass, D. 1991, 566 (567); Le Tourneau, D. 1991, 567; Mathieu, RFD adm. 1997,382 (385); Verpeaux, D. 1991,80 (81); Waline, RD pubi. 1997,1147 (1153); kritisch dagegen Barbièri, JCP 1992.IL, n°21784; den geradezu selbstverständlichen Anspruch auf Unumstößlichkeit dieser Wendung bezweifelnd Merkel, Wrongful birth (in: Neumann/Schulz), S. 173 (187): „Die empirische Möglichkeit einer Menschenexistenz, die für ihren Träger nicht lebenswert ist, zu bestreiten, ist offenkundig falsch." 5

I. Von glücklicher Geburt und wrongful birth

15

letzteres nicht als „Axiom" jeder humanen Werten und der Würde des Menschen verpflichtenden Gesellschaft gelten und sich bereits aus diesem Grund jedes Nachdenken über eine finanzielle Kompensation „planwidriger" Geburten verbieten9? Ehe eine Antwort versucht wird, gilt es davor zu warnen, dem Einfluss der schlagwortartigen Verknappung zu erliegen und ihr die gedankliche Verkürzung des hinter der Parole lauernden Problems folgen zu lassen. Sie droht, die Lösung zu emotionalisieren und zu trivialisieren und ihr so ihren Wert zu nehmen10. Der Ausdruck „Kind als Schaden" gewinnt seine Prägnanz und Griffigkeit vor allem aus der Überlagerung des juristischen Terminus „Schaden" durch die konnotative Bedeutung, die sich mit dem Begriff in der Alltagssprache verbindet, entlarvt sich bei näherem Hinsehen aber schnell als linguistischer Kunstgriff und semantische Finte 11 . Es erweist sich, dass lediglich die fehlende begriffliche Abstraktion es erlaubt, juristische Argumentation und laienhafte Bewertung zu vermengen, wohl mit dem Ziel, menschliche Urängste zu wecken. Die sprachliche Pointierung ist jedoch nur als rhetorisches Mittel in der Debatte zulässig. Sie ist zurückzuweisen, sobald mit ihr eine in der Sache nicht hinnehmbare Vereinfachung einhergeht. Die Verkürzung des Problems eines finanziellen Ausgleichs bei unerwünschter Geburt eines Kindes in den Schlagworten vom „Kind als Schaden" und „bébé préjudice" verspricht daher keinen Erkenntniswert jenseits eines Appells zum sensiblen und behutsamen Umgang bei der Suche nach einer Lösung des dahinter stehenden Problems 12. Seine Funktion erschöpft sich vollends in dem mahnenden Hinweis, dass die kindliche Existenz nicht allein von materiellen, sondern ebenso sehr (oder stärker) von immateriellen Vorgaben geprägt ist 13 . 9

Vgl. in diesem Sinne fast wortgleich Picker, AcP 195 (1995), 483 (501): „Das zentrale Bedenken gegen die Anerkennung eines Anspruchs der Eltern auf Schadensersatz wegen planwidriger' Geburt eines Kindes folgt aus einem klaren Axiom: In der geltenden Rechts- und Sittenordnung, so lautet die eherne Regel, darf ein Mensch niemals auch nur mittelbar als „Schaden" oder „Nachteil" bewertet werden." Und Le Tourneau, D. 1991, 567: „Autant il importe, dans le principe, de rappeler que donner la vie ne saurait être, en soi, la source d'un dommage (axiome qui est consubstantiel à toute notre civilisation)..." 10 Vgl. dazu BGHZ 76, 249 (253); BGHZ 124, 128 (140); Losch/Radau, NJW 1999, 821 (822); MünchKomm/Grw^, vor §249 Rz. 12; Schöbener, JR 1996, 89 (90). 11 Hermeneutisch korrekt muss der Fachbegriff „Schaden" im rechtlichen Kontext denotativ verwendet werden, das heißt, es darf nur auf den begrifflichen Inhalt des Zeichens abgestellt werden, ohne Nebenbedeutungen und inhaltliche Nuancen, die das Zeichen als Begleitvorstellung beim Sprecher/Hörer auslöst, zu berücksichtigen. Konnotationen, das heißt die Gesamtheit der sich mit dem Zeichen verbindenden emotionalen Begleitvorstellungen, sind dagegen nicht für alle Kontexte und Situationen gültig; vgl. Pelz, Linguistik, S. 185 f. 12 WeitergehendStürner, FamRZ 1985,753,760; moderater jedochders, JZ 1998,317 (324). 13 So wohl auch Lange, Richterrecht (in: Nörr), S. 143 (153): „Es hat sich freilich sogleich gezeigt, dass eine Abwicklung nach dem Ausgleichsprinzip mit seinem notwendigerweise buchhalterisch-bilanzierenden Denken einem ungewollten Kind nicht ebenso gemäß sein kann wie einem zerbeulten Kotflügel." In seiner Absolutheit dagegen nicht akzeptabel Picker, AcP 195 (1995), 483 (510): „... so erweist sich die im Schlagwort vom ,Kind als Schaden' komprimierte Kritik ohne Abstrich als logisch wie rechtlich begründet."

Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden

16

Am Anfang dieser Untersuchung verlangt die Ehrlichkeit nach einer weiteren, möglicherweise banalen Einsicht: Kinder kosten Geld 14 . Neben „Betreuungs- und Erziehungsleistungen" schulden ihre Eltern ihnen „Sachleistungen, die den wirtschaftlichen Bedarf der Kinder decken"15. Nach einer Modellrechnung des Bundsfamilienministeriums betrug der finanzielle Aufwand für ein Kind in den alten Bundesländern 1993 durchschnittlich 976 DM pro Monat 16 . Legt man einen Zinsertrag von nur 4 % per anno zugrunde, errechnet sich aus dieser monatlichen Rate für den Unterhalt eines Kindes von seiner Geburt bis zu seinem 20. Geburtstag ein Betrag von 357.972 DM; bei einer langfristig am Kapitalmarkt realistisch zu erzielenden Verzinsung von 7 % überspringt man bereits die halbe Million. Im Vergleich zu kinderlosen Paaren sind Familien trotz unterschiedlicher staatlicher Förderung und Privilegierung - etwa im Steuerrecht - materiell eindeutig benachteiligt: „Das Pro Kopf Einkommen eines Paares mit Kind beträgt 63 Prozent dessen, was die kinderlosen Freunde haben, eine Kluft, die alle Hilfe der letzten Jahre um genau einen Prozentpunkt verringert hat" 17 . Gerade junge Familien tragen ein erhöhtes Armutsrisiko 18 . Vergegenwärtigt man sich vor diesem Hintergrund eine gängige Definition des Schadens im Rechtssinne, wonach „ein Vermögensschaden dann vorliegt, wenn der Geschädigte eine in Geld meßbare Einbuße erlitten hat" 19 , mag die folgerichtige Subsumtion in ihrer Konsequenz zunächst erschrecken, es wäre jedoch unredlich sie in ihrer Eindeutigkeit zu verschwiegen: Per definitionem lassen sich die Ausgaben für jedes Kindes dem Schadensbegriff unterordnen 20. Daran kann nicht einmal das größte Elternglück etwas ändern, heisst es doch im Nachsatz der Begriffsbestimmung ausdrücklich: „Dabei spielt es keine Rolle, ob den wirtschaftlichen Nachteilen immaterielle Vorteile gegenüberstehen"21. In den allermeisten Fällen der Geburt eines Kindes wird freilich niemand diese Überlegungen überhaupt anstellen, und die Eltern werden es glücklicherweise als ganz selbstverständlich und natürlich empfinden, dass ihre Sorge für das Neugeborene die Übernahme der Versorgung und die materielle Ausstattung des Kindes einschließt. Es gilt aber die Frage zu beantworten, ob denn nicht abweichend von diesem skizzierten Normalfall Voraussetzungen denkbar sind, die eine isolierte Betrachtung der finanziellen Lasten erlauben 14

Vgl. dazu auch Puhl, Unterhaltsanspruch (in: Wolter/Riedel/Taupitz), S. 197, Fn.4. BVerfGE 99, 216 (231). Vgl. zur gesetzlichen Unterhaltspflicht der Eltern in Deutschland § 1601 BGB und in Frankreich Art. 203 Code civil. 16 Hertel, WiSta 1998, 523 (526). 17 Vgl. Mayer, Die ZEIT 33/2000, S. 1. 18 So das Ergebnis des Armutsberichts der Bundesregierung, S.XXIV und ausf. S.95ff. 19 UünchKomm/Grunsky, vor § 249 Rz. 12. 20 Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 53: „Wer in der sozialen Wirklichkeit unserer Tage aber die Belastung mit Unterhaltsverpflichtungen für ein ungewolltes Kind nicht als Schadensereignis begreifen kann, lebt auf einem anderen Stern..."; vgl. auch Barbièri , JCP 1992.11., n°21784; Looschelders, Ausstrahlung (in: Wolter/Riedel/Taupitz), S.93 (109). 21 MünchKomm/Grunsky, vor § 249 Rz. 12. 15

I. Von glücklicher Geburt und wrongful birth

17

und die Zuweisung insbesondere des Kindes Unterhalts an einen Dritten rechtfertigen können. Es geht dabei also gerade nicht darum, die Geburt oder das Leben eines Kindes insgesamt als Schaden zu benennen, weshalb auch die Schlagworte vom „Kind als Schaden" oder „bébé préjudice" in die Irre weisen. Die als natürlich empfundene Verbindung von materieller Belastung und immaterieller Freude legt es nahe, die Möglichkeiten ihrer Trennung dort zu suchen, wo der finanzielle Aufwand im Einzelfall des ideellen Ausgleichs entbehrt und zur beherrschenden Größe zu werden droht, weil sich entgegen der eingangs geschilderten Vermutung der glücklichen Geburt der Jubel über das Neugeborene - jedenfalls bei den Eltern - nicht einstellen will 2 2 . Die Vermutung der glücklichen Geburt ist nämlich durchaus dem Gegenbeweis zugänglich, und die Widerlegung im Einzelfall erweist sich zugleich als der erste Schritt zur Entzauberung eines Mythos. Ebenso wie für die Freude über neues Leben finden sich auch für das Leid und die Tragik, die sich mit der Geburt eines Menschen verbinden, zahlreiche Zeugnisse in der Geschichte und Literatur. Man denke nur an die Legionen unehelicher und heimlich geborener Kinder und die Verachtung und Ausgrenzung, vor denen sich ihre Mütter fürchteten oder die sie erfahren mussten23. Als Beispiel sei nur an Gretchen und ihre Freundin Bärbel aus Goethes Faust erinnert: „Es stinkt! Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt 24 ." Bereits für die römische Antike lässt sich die Ansicht nachweisen, Kinder seien zwar ein Segen, aber nur, wenn sie sich auf höchstens zwei pro Ehepaar beschränkten: „In der Oberschicht ging es vor allem um die Erhaltung von Heiratschancen und um die Wahrung der weiblichen Ehre. In den weniger begüterten Schichten stand die Sorge um die Ernährung von noch mehr Kindern im Vordergrund, während bei denjenigen Frauen, die sich durch Prostitution ihren Lebensunterhalt verdienten, die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit eine entscheidende Rolle für oder gegen eine Abtreibung spielte"25. Mögen diese Motive wenig ehrbar gewesen sein, mutet das Postulat der glücklichen Geburt in späteren Zeiten fast zynisch an. Wurde etwa im 16. Jahrhundert eine Magd bei Unzucht oder unehelicher Schwangerschaft ertappt, drohte ihr in manchen Teilen Deutschlands unter Umständen der Tod durch Ertränken, und der Kindsvater konnte des Ortes oder Landes verwiesen werden 26. Auch jenseits solch grausamer, staatlich verord22 Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass dies letztlich auch der Ansatzpunkt der französischen Rechtsprechung zur Frage der Ersatzfähigkeit des Unterhaltsschadens ist. Sowohl die C. cass. als auch der CE gehen davon aus, dass die Geburt eines Kindes allein keinen Anspruch auf Entschädigung für die Mutter bzw. die Eltern begründen kann, dass sich aber unter erschwerten Umständen oder einer ungewöhnlichen Situation eine gegenteilige Entscheidung rechtfertige. Vgl. nur die beiden Leitentscheidungen CE, D. 1984, 425 f. und C.cass., D. 1991, 566; ausführlich dazu unten B.II. l.b). 23 Vgl. die Beiträge bei Jütte [Hrsg.], Geschichte der Abtreibung; beachte auch das Minderheitenvotum Mahrenholz/Sommer, BVerfGE 88, 203 (338). 24 Goethe, Faust - Der Tragödie erster Teil, S. 175 (Zeile 3545 f.). 25 Jütte, Griechenland und Rom (in: Jütte), S.27 (36f.). 26 Leibrock-Plehn, Frühe Neuzeit (in: Jütte), S.68 (73).

2 Winter

Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden

18

neter Barbarei vergangener Zeiten verliert der helle Schein des Glücks seinen Glanz. Offenkundig dürfte dies i m drastischen Einzelfall einer Schwangerschaft infolge eines Sexualverbrechens sein. Doch es lässt sich kaum ernsthaft bestreiten, dass auch existenzielle Sorgen und finanzielle Nöte eines Elternpaares der Einschätzung einer Schwangerschaft oder der Geburt als freudiges Ereignis entgegenstehen können 2 7 . Das Pathos von der glücklichen Geburt mag anrühren, überzeugen kann es nicht, und seine Tauglichkeit als Grundlage juristischer Entscheidungen wird zumindest fragwürdig. Die verordnete Freude muss aber vor allem vor dem Hintergrund einer allgegenwärtigen und staatlich geförderten Familienplanung und ihrem selbstverständlichen Umgang mit Kontrazeptiva grotesk anmuten 28 . „Wunschkinder sind das Produkt selbstbestimmter Entscheidungen von Paaren für ein Kind. [...] Es ist ein Vorgang rationaler Planung" 2 9 . In dieser Aussage spiegelt sich nicht nur die Lebens Wirklichkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts wider 3 0 , sondern dahinter verbirgt sich ein international anerkanntes Menschenrecht. So hat zum Beispiel die internationale Menschenrechtskonferenz von Teheran 1968 in Art. 16 ihrer Erklärung festgeschrieben: „Die Eltern haben ein fundamentales Menschenrecht, Zahl und Geburtenabstände ihrer Kinder frei und verantwortlich zu bestimmen" 3 1 . Die eigenständi27

Giesen, Arzthaftungsrecht, S.53; vgl. auch Stoll, Haftungsfolgen, S.268: „Andererseits läßt sich schwer leugnen, daß der Gesamttatbestand der unerwünschten Geburt eines Kindes und deren Folgen - einschließlich der Begleitumstände wie Erschwerung der Lebensverhältnisse der Familie, Betreuung und Unterhalt des Kindes, eventuell auch Belastung und Bedrückung der Eltern durch Behinderung oder schlechte Eigenschaften des Kindes - trotz der positiven Aspekte und möglichen Vorteile des ,Habens' eines Kindes sehr wohl als Beeinträchtigung berechtigter Interessen der Eltern bewertet werden kann." 28 Ungefähr 80 % aller verheirateten Paare in Deutschland verhüten, vgl. Holzwarth, ungestörte Familienplanung, S. 11; ausf. BMJFSF, Bericht zur gesundheitlichen Situation der Frauen in Deutschland, S. 288 ff. Die Vermutung, Empfängnisverhütung und Familienplanung würden unbewusst als etwas Unmoralisches grundsätzlich in Frage gestellt, vgl. dazu Thür, durchkreuzte Familienplanung, S. 3, erweist sich daher als unhaltbar und wird auch von der Rechtsprechung nicht geteilt, vgl. nur BGHZ 67,48 (51): „Nach den herrschenden Moralvorstellungen ist weder Empfängnisverhütung als solche noch ärztliche Mithilfe dazu verwerflich"; vgl. dazu auch Müller, Fortpflanzung (in: Festschr. f. Steffen), S. 355 (356). Es sei ergänzend darauf hingewiesen, dass auch die Anfänge der Familienplanung bis in die Antike zurückreichen, vgl. dazu Jütte, Griechenland und Rom (in: Jütte), S.29f. Für das 20. Jahrhundert lässt sich nachweisen, dass bereits vor dem Ersten Weltkrieg Empfängnisverhütung für zwei Drittel aller Frauen selbstverständlich geworden war, vgl. Dienel, Das 20. Jahrhundert (in: Jütte), S. 142. 29 Mertens, Wunschkinder, S. 1. 30 Nach einer Studie im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fasst die große Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Gründung einer Familie erst dann ins Auge, wenn sie eine Ausbildung beendet hat und ein sicherer Arbeitsplatz gefunden ist, weil ihr nicht zuletzt die hohen Kosten, die ein Kind verursacht, deutlich vor Augen steht; vgl. dazu Nickeil Plies! Schmidt, Verhütungsverhalten, S. 107. 31 Abgedruckt bei Tomuschat, Menschenrechte, S.66 (68); vgl. dazu Harmsen, VN 1969, 109 (116); Heinrichs, Männer, S. 177 f.; Palm-Risse, Schutz, S. 144 ff. mit weiterführenden Hinweisen insbesondere auch zu Art. 23 Abs. 2 des Internationalen Paktes für Bürgerliche und Politische Rechte.

II. Die Diskussion als Paradigma haftungsrechtlicher Folgen

19

ge Entscheidung für oder gegen eine Elternschaft ist Ausdruck humaner Lebensführung und entspricht der Wertordnung des Grundgesetzes32, das den Schutzbereich der Familie in Artikel 6 über alle Bereiche des familiären Zusammenlebens erstreckt 33, und dem Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention34. Die Eltern entscheiden, wann und wie viele Kinder sie haben wollen. Praktisch wird diese Freiheit durch die weitestgehend unproblematische Verbreitung und Verwendung verhütender Mittel gewährleistet und ist längst zur gesellschaftlichen und individuellen Normalität geworden 35. Wird sie von Dritten durchkreuzt, liegt der Schritt nahe, diesen dafür zur Verantwortung zu ziehen. Die erlittenen Einbußen werden nicht (mehr) als Schicksal empfunden und hingenommen, sondern sind der Erwartung an eine rechtliche Sanktion gewichen36. Man mag diesen Befund bedauern, bestreiten wird man ihn nicht können.

II. Die Diskussion um das Kind als Schaden als Paradigma haftungsrechtlicher Folgen (bio-)wissenschaftlichen Fortschritts Eine dramatische Steigerung erfährt die Auseinandersetzung um die „Haftung für neues Leben" 37 bei der Geburt eines behinderten Kindes. Hier gesellt sich zu den finanziellen Lasten und der Durchkreuzung des eigenen Lebensentwurfs der Eltern ein im Einzelfall möglicherweise unermessliches menschliches Leid 38 . Seine juristische und ethische Zuspitzung findet das Problem in der Frage, ob die eigene Existenz derart lebensunwert sein kann, dass sie sogar einen Schadensersatzanspruch des Kindes selbst gegen denjenigen rechtfertigt, der sie in vorwerfbarer Weise nicht unterbunden hat 39 . Darf die Rechtsordnung so weit gehen? Oder muss sich diese Betrachtung schon deshalb verbieten, weil sich dahinter der in der Logik der schadens32

BGHZ 67, 48 (51). Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 158. 34 Frowein/Peukert, EMRK, Art. 12 Rz.6; Palm-Risse, Schutz, S. 133 ff. 35 Stieglitz, Wrongful birth, S. 1 f. 36 Hauberichs, Haftung, S. 1; Lange, Schadensersatz, S.327f.; Picker, AcP 195 (1995), 483 (485); Weber, Arzthaftpflicht, S.3; vgl. auch Stürner, VersR 1984, 297 (305 f.); Mazeaud, D. 2001, 432 sieht darin den Ausdruck eines wachsenden Glaubens an den Segen des Schadensrechts und spricht von einer „idéologie de la réparation." Vgl. dazu auch Salas, Justices 2001, 14(17). 37 So die Formulierung des Titels bei Lange, Haftung; vgl. auch Picker, Wrongful life, S. 3 und den Titel bei Hauberichs, Haftung. 38 Vgl. nur das besonders krasse Beispiel von Merkel, Wrongful birth (in: Neumann/ Schulz), S. 172 (189), wo das unvorstellbare Leiden eines Kindes beschrieben wird, das an einer genetischen Krankheit schwerster Art leidet, die in einer fortschreitenden Ablösung der Haut vom Körper besteht und nach 15 Tagen qualvoller Schmerzen zum sicheren Tod führt. Dies ist freilich nur ein Beispiel unter vielen ebenso schrecklichen, vgl. Merkel, Früheuthanasie, S.42ff. und passim. 39 Picker, Wrongful life, S.4; Sargos, JCP 2000.11., n° 10438, S. 2297; Stoll, Haftungsfolgen, S.280. 33

2*

20

Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden

dogmatischen Differenzhypothese liegende Vergleich mit der Nichtexistenz verbirgt und sich die ungeheurere Überlegung aufdrängt, ob ein Nicht-geboren-werden gegenüber dem So-geboren-sein der bessere Zustand sein könnte40? Diese Frage mutet nur vordergründig hypothetisch an, sie stellt sich jedoch in ihrer ganzen Tragweite sehr praktisch einer Schwangeren, die aufgrund vorgeburtlicher Untersuchungen um die Defekte ihrer Leibesfrucht weiß und die Entscheidung - Abbruch oder Austragung der Schwangerschaft - treffen soll 41 . Der in diesem Fall fehlende rechtliche Zwang zur Lebenserhaltung macht sie unvermittelt zur Richterin über Leben und Tod des Kindes und beschwört eine ethische, psychische und menschliche Notlage herauf, aus der sich ein glücklicher Ausweg nicht denken lässt42. Doch wem, wenn nicht der künftigen Mutter - im Idealfall im Einklang mit dem Vater, der sich seiner Verantwortung stellt - kann das Urteil obliegen, wenn sich die einzig denkbare Alternative einer übergeordneten, verbindlich staatlichen Entscheidung unter allen Umständen als die schlechtere erweist? Dass sich der Zwang zum Abbruch als abscheuliches Verbrechen verbietet, kann nicht bezweifelt werden. Aber auch ein vorgeschriebenes und entsprechend sanktioniertes ausnahmsloses Ja zur Geburt erblich behinderter Kinder gegen den erklärten Willen der Eltern erwiese sich als unzumutbar und im Übrigen - die erfolglose Geschichte restriktiven Abtreibungsstrafrechts macht es nur allzu deutlich - als nicht durchsetzbar. Es entbehrte im religiös neutralen Staat einer notwendigen Legitimation durch einen weltanschaulichen Konsens43. Die vorgeschriebene Übernahme persönlicher Schicksale und Tragödien lässt sich nicht rechtfertigen, wenn offensichtlich nicht einmal Einigkeit darüber herrscht, „welche künftigen Lebensformen gefördert werden sollten" 44 . Die nichtregulierte Entscheidungsfreiheit mag die Möglichkeit unverantwortlicher und leidvoller Entscheidungen eröffnen, dem verordneten Zwang, gleich in welcher Richtung, zeigt sie sich allemal überlegen45. Die Vehemenz, mit der dieser Befund in Zweifel gezogen wird, erklärt sich daher, dass die Wahl für oder gegen das behinderte Kind sich zunehmend als das Ergebnis aus dem Zusammentreffen zweier Voraussetzungen darstellt, die ihrerseits Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen sind: Einerseits der Möglichkeit, die Geburt zu verhindern und andererseits die Aussicht, Schädigungen des Kindes bereits vor diesem Zeitpunkt zu entdecken46. Die erste Bedingung berührt die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Abtreibung, die zweite führt in das unsichere Feld der präna40 Luciani , PA n° 7, 1997, 17; Picker, Wrongful life, S. 11 ff.; Stoll, Haftungsfolgen, S.280; ausf. unten D. 41 Vgl. dazu Pluisch, Schwangerschaftsabbruch, S.4ff. 42 Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S.90; Picker, Wrongful life, S. 2. 43 Dazu Engelhardt, Konsens (in: Bayertz), S.30 (51). 44 Vgl. dazu die umstrittenen Thesen von Watson , FAZ 224/2000, S.55; siehe auch Picker, Wrongful life, S. 2; ders., AcP 195 (1995), 483 (487f.). 45 Über das Thema hinausgehend Watson, FAZ 224/2000, S.55. 46 Luciani, PA n° 7, 1997, 17; Mathieu, Génome, S. 75; Vitzthum, ZRP 1987, 33 (35).

II. Die Diskussion als Paradigma haftungsrechtlicher Folgen

21

talen Diagnostik und der Gentechnik 4 7 . In ihrer Kombination geben beide die Mittel an die Hand, eine Selektion erbkranken Nachwuchses vorzunehmen und begründen so die Befürchtung einer sich ausbreitenden Eugenik 4 8 . Damit ist, zumal in Deutschland, ein Tabu berührt - ein Tabu freilich, das nur vordergründig Sprachverbote auferlegt, tatsächlich jedoch vor allem seinen alltäglichen Bruch verschweigt 49 . Wer sich die Kluft zwischen diagnostizierbaren und therapierbaren Schädigungen vergegenwärtigt 5 0 , wird kaum die Augen vor dem Umstand verschließen können, dass sich der vermeintliche Zweck pränataler Diagnostik zumindest derzeit eher als ein Mittel der Familienplanung entpuppt, das den Eltern die oben beschriebene Perspektive der Entscheidung eröffnet, als ein Kampf der Medizin gegen fötale Krankheiten 5 1 . Jeder positive Befund macht eine solche Entscheidung jedoch nicht nur möglich, sondern erzwingt sie. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet trotz entsprechender Indikation allein der Verzicht auf jegliche Art vorgeburtlicher Untersuchung, wie er sich derzeit als ein schicksalhaftes „Recht, nicht zu wissen" darstellt 5 2 , und der sich bei staatlicher Regelung in ein verordnetes Sich-Ergeben verwandelte. Eine derartige resignative Lösung müsste jedoch schon deshalb auf Wi47

Luciani , PA n° 7, 1997, 17 f.; Picker, Wrongful life, S. 1. Jung , ZStW 100 (1988), 3 (36); Laufs, Handbuch, S.743; Lochak, Medecine prénatale (in: Heymann-Doat), S. 112. 49 In Deutschland werden jährlich etwa 80.000 vorgeburtliche Untersuchungen durchgeführt. 1994 wurden in den alten Bundesländern knapp 900 Schwangerschaftsabbrüche wegen einer drohenden Behinderung des Kindes durchgeführt, 1980 waren es noch 3000 Fälle. Insgesamt lag die Zahl der Abtreibungen in Deutschland in den letzten Jahren bei rund 130.000; vgl. zu den Angaben Statistisches Jahrbuch 2000, S.418; siehe auch Propping , FAZ 230/2000 S. 67. Höhere Zahlen lassen sich für Frankreich nachweisen: Zwischen 1995 und 1998 schwankte die Zahl aller Schwangerschaftsabbrüche um die 200.000 pro Jahr, wobei aus medizinisch oder embryopathisch indizierten Gründen zwischen 2200 und 3000 Schwangerschaften abgebrochen wurden, was einer Quote von 1,1 bis 1,4% entspricht; vgl. Sargos, JCP 2000.11., n° 10438, S.2293 (2295). Vgl. zu dem Missstand einer Tabuisierung Merkel, Früheuthanasie, S. 12. 50 Vgl. dazu Beckerl Fuhrmann! Holzgrevel Sperling, pränatale Diagnostik, S.31 u. 39; Guckes, schiefe Ebene, S. 180: „Zwar gibt es für einige Schädigungen Therapiemöglichkeiten im Mutterleib (z.B. Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Schwangerer und Embryo, Defekte des Zwerchfells, Fehlbildungen des Harntraktes, Hydrozephalus, Phenylhetonurie, Herzrhythmusstörungen), verglichen mit den etwa 100 Erkrankungen, die diagnostiziert werden können, handelt es sich dabei aber um seltene Ausnahmen"; Laufs, MedR 1990, 231 f.; Lochak, Medecine prénatale (in: Heymann-Doat), S. 111 f.; Rapport du CE, les lois bioéthique, S. 52 f. 51 Zu dieser Verknüpfung Rauskolb, pränatale Diagnostik (in: Martius/Rath), S.204, wo das Ziel pränataler Diagnostik so wiedergegeben wird: „Das unmittelbare Ziel ist die frühzeitige Erfassung oder der Ausschluss von Entwicklungsstörungen oder Krankheiten des Feten. In zahlreichen Fällen fällt die Erkennung schwerer Anomalien in einen Zeitraum, in dem die Option für einen Schwangerschaftsabbruch noch offen ist"; vgl. auch Cramer, ZRP 1992, 136 (137); Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S.91 f.; ders. NJW 1998,796 (797); Laroche-Giserot, PA 2000, n° 189, S.43 (47); Nippert, Anwendungsproblematik (in: BZgA-Forum), S. 14; Thewes, Arzthaftung, S. 1 f. 52 Van den Daele, Mensch, S.79ff., 83ff.; Laufs, Fortpflanzungsmedizin, S.94.; vgl. auch Hennies, ArztR 1998,127 (129), der einer Frau vor dem Entschluss zu einer Untersuchung das Aufsuchen einer Beratungsstelle empfiehlt. 48

22

Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden

derstand stoßen, weil sie zugleich die bestehenden Chancen fötaler und embryonaler Krankheitsbehebung ebenso preisgäbe wie die frühzeitige Aufklärung der zukünftigen Eltern über ihr eigenes und das Los des Kindes und damit in Kauf nähme, heilbares Leiden nicht verhindert zu haben53. Im Übrigen widerspräche einer pauschalen Missbilligung, dass die oben skizzierte, plakativ nach außen getragene Ablehnung jeder Eugenik sich in der Praxis selektiver Schwangerschaftsabbrüche als in höchstem Maße ambivalent erweist, und im Gegenteil sogar zu der Befürchtung Anlass gibt, dass der Abbruch bei Kindern mit zu erwartenden Gesundheitsschäden dem gesellschaftlichen Verhaltensstandard eher entsprechen dürfte als die Fortsetzung der Schwangerschaft 54. Auch das mag man bedauern, auch das wird sich jedoch ehrlicherweise kaum bestreiten lassen. Hat man die pränatale Diagnostik im Grundsatz als ärztliche Behandlungsmaßnahme anerkannt 55, kommt man vor dem Hintergrund der aktuellen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht umhin, auch die damit eröffnete Freiheit und Verantwortung der Eltern zu akzeptieren, sich gegen die Geburt ihres Kindes entscheiden zu können. Ebenso wie bei der Durchkreuzung der Familienplanung ist dann die Frage nach der Übertragbarkeit dieser Verantwortung im Falle vorwerfbarer Verkürzung der ihr entsprechenden Freiheit durch ärztliches Fehlverhalten der sich anschließende, nächste Schritt. Die Nichterfüllung der gewählten eigenen Option durch den Dritten lässt auch hier den Schicksalsfall zum Rechtsfall werden.

III. Die Kind als Schaden Problematik jenseits disziplinärer und nationaler Grenzen und Beschränkungen Die Frage nach der Haftung des Arztes für fehlgeschlagene Sterilisationen, fehlerhafte genetische Beratung und misslungene Schwangerschaftsabbrüche wird nicht (mehr) ausschließlich als Sachfrage des Haftungs- und Arztrechts erörtert, sondern die Antwort wird auch in einer (rechts)politischen Debatte in den verschiedenen Medien gesucht56. Diese Versuche sind einer Lösung solange nicht abträg53

Guckes, schiefe Ebene, S. 185. Man vergegenwärtige sich dabei, dass die Frage im Raum steht, ob „man Menschen zum Beispiel die Verantwortung auferlegen [kann], sich über ihre genetische Verfassung zu informieren, bevor sie sich fortpflanzen" oder ob „es in Zukunft als unmoralisch gelten [wird], die Geburt von Kindern mit gravierenden genetischen Defekten zuzulassen", vgl. Watson , FAZ 224/2000,55; anschaulich auch Weber, Arzthaftpflicht, S. 3: „Dadurch ist der Druck einer neuen Geisteshaltung, in der das Ausleseprinzip hochgehalten wird, nicht mehr zu unterschätzen. Gewollt sind nur wenige, aber dafür begabtere und gesündere Kinder"; außerdem Aynès , D. 2001, ehr., 492f.; Becker/Fuhrmann/HolzgrevelSperling, pränatale Diagnostik, S.41; Stürner, Schwangerschaftsabbruch, S.33. 55 Die pränatale Diagnostik bei Risikoschwangerschaften gehört seit mehr als 25 Jahren zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen und die Zahl der Untersuchungen steigt seither kontinuierlich an, vgl. Nippert, Anwendungsproblematik (in: BZgA-Forum), S. 14; vgl. zum französischen Recht Mordefroy, dommage génétique, S. 235 f. 56 So Deutsch, NJW 1998, 510. 54

III. Problematik jenseits disziplinarer und nationaler Grenzen

23

lieh, wie weltanschaulich motivierte Kritik am geltenden Recht einerseits, und die begründbaren Lösungswege innerhalb des bestehenden normativen Rahmens andererseits auseinandergehalten werden, und der Wechsel von der rechtlichen auf die moralische Argumentationsebene nicht durch den Schleier scheinbar zwingender dogmatischer Figuren verhüllt wird 57 . Die tiefe gesellschaftliche und juristische Kontroverse um den Schwangerschaftsabbruch mag im Streit um die Familienplanungsschäden ihre Fortsetzung im Zivilrecht finden und dessen Heftigkeit erklären 58 . Sie vermag jedoch weder die persönliche Diffamierung des Meinungsgegners zu rechtfertigen 59, noch darf sie den Blick dafür verstellen, dass in einer emotional aufgeladenen Debatte allzu leicht weltanschauliche Standpunkte verteidigt anstatt analytisch begründete und rationale Lösungen gesucht werden 60. Die Dogmatik sollte nicht in den Dienst der Ideologie gestellt werden, sondern die methodenehrliche Diskussion verlangt, die eigene Wertung als solche offen zu legen und damit angreifbar zu machen61, statt sie unter stillschweigender Berufung auf ihre vermeintlich überlegene Moralität - auch für andere - als verbindlich vorauszusetzen62. Die Hintergründe und Wertungen, die der Lösung eines Problems zugrunde liegen, zu erhellen, ist Aufgabe der Rechtsvergleichung. Mit ihrem veränderten Blickwinkel und ihrer Distanz zur eigenen Rechtsordnung vermag sie Gewohntes in Frage zu stellen und durch die Beobachtung der ausländischen Diskussion die Kreativität zur Entwicklung eigener, neuer Lösungen anzuregen63. Wo der Vergleich Parallelen aufdeckt, vermag er trotz unterschiedlicher Vorschriften im einzelnen die nationale Lösung zu bestätigen und ihren Kontext zu beleuchten. Wo er Unterschiede ans Licht bringt, gilt es herauszufinden, ob diese einer abweichenden gesetzlichen Regelung entspringen oder einem verschiedenen Werteverständnis Tribut zollen. Damit ist der Anspruch an die nachfolgende Untersuchung benannt: Sie soll zum einen über die französische Erörterung um das Kind als Schaden und deren Auflösung in der Rechtsprechung informieren und durch die Erklärungsversuche von Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Vergleich mit den Ergebnissen der eigenen Rechtsordnung einen Beitrag zur deutschen Diskussion leisten. Zu diesem 57

Vgl. zu dieser Gefahr Debo, Schwangerschaftsabbruch, S.3; Losch/Radau, NJW 1999,

821 (822).

58 Laufs, NJW 1998, 796 (797); Dorsner-Dolivet, JCP 1984.11., n° 20149; d'Onorio , D. 1984, 426. 59 Vgl. zu den Auswüchsen einerseits EserfKoch, Schwangerschaftsabbruch III, S. 517 ff.; andererseits Stürner, Schwangerschaftsabbruch, S.5ff. 60 Looschelders, Ausstrahlung (in: Wolter/Riedel/Taupitz), S.93 (108). 61 Zu diesem Methodenproblem Rüthers, Rechtstheorie, S. 370f.; ähnlich Kaufmann, Rechtsphilosophie, S.57, der auf den Richter bezogen fordert, dieser möge dort, wo er Macht ausübt, sich zu dieser bekennen und nicht wissenschaftliche Erkenntnis vorschützen. 62 Vgl. dazu Pawlowski, Methodenlehre, S. 405, der deutlich macht, dass mit Hilfe eines Rückgriffs auf Wertbegriffe versucht werde, einen Streit mit dem Ziel zu moralisieren, ihn mit Hilfe der Mehrheit oder der Macht für sich zu entscheiden, weil die eigenen Interessen oder Neigungen hinter diesen allgemein für achtbar gehaltenen Werten versteckt würden. 63 Zweigertl Kötz, Rechtsvergleichung, S. 14.

Α. Die nicht nur juristische Diskussion um das Kind als Schaden

24

Zweck ist es erforderlich, zunächst die Frage nach dem Schadensersatz infolge der Geburt eines unerwünschten Kindes in die jeweilige Systematik der Arzthaftung einzuordnen 64 und über die heutige Lösung der „wrongful life" und der „wrongful birth" Fälle in der deutschen und französischen Rechtsprechung zu informieren 65. Im Anschluss daran soll die Spannung zwischen haftungsrechtlichen Grundsätzen und übergeordneten rechtlichen und metarechtlichen Prinzipien nachgezeichnet werden 66, bevor der Frage nachgegangen wird, wer - wenn denn überhaupt ein Anspruch gewährt wird - bevorzugt begünstigt werden soll, insbesondere also überlegt werden, ob dem behinderten Kind selbst Schadensersatz gegen den Arzt zustehen soll 67 .

64 65 66 67

Dazu unten B.I. Dazu unten B.II. Dazu unten C. Dazu unten D.

Β. Das Kind als Schaden im System der Arzthaftung und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung I. Die Einordnung der Kind als Schaden Problematik in das System der Ärzthaftung Der erste in der Bundesrepublik Deutschland wegen der Geburt eines Kindes gerichtlich auf Ausgleich der Unterhaltszahlung in Anspruch genommene Beklagte war kein Arzt, sondern ein Apotheker, der einer Frau statt der Pille versehentlich ein Magenmittel verkauft hatte, woraufhin diese schwanger wurde und ein Kind gebar1. Typischerweise richtet sich eine solche Klage jedoch gegen einen Arzt 2 , etwa wenn eine Sterilisation, sei es beim Mann3 oder der Frau 4, aufgrund eines Kunstfehlers misslingt oder ein Schwangerschaftsabbruch fehlschlägt und es in der Folge entweder zur Geburt eines Kindes kommt5 oder ein weiterer Eingriff notwendig wird 6 . Auch an die Fälle fehlerhafter genetischer Beratung eines Paares oder eines zukünftigen Elternteils vor dem Entschluss zur Zeugung eines Kindes ist zu denken7 ebenso wie an eine falsche Diagnose hinsichtlich einer für die Leibesfrucht gefährlichen Erkrankung der Schwangeren8, an eine falsche oder unvollständige Beratung über •LG Itzehoe (21.11.1968), VersR 1969, 265; zust. Heldrich, JuS 1969, 455; Mertens, FamRZ 1969,251; Giesen, FamRZ 1970,565; abl. Löwe, VersR 1969,573; ders., VersR 1970, 430; Lankers, FamRZ 1969, 384; Selb, JZ 1971, 201. Als erster Fall in Deutschland überhaupt wird gelegentlich die Entscheidung RGZ 108, 87 genannt; vgl. dazu krit. Stürner, JZ 1998, 317 (318). 2 Vgl. zu weitere Ausnahmen: OLG Köln, VersR 1997, 1006 (Versagen einer sogenannten Mikropille); C.cass., JCP 1999.11., n° 10178; TGI Lille, D. 1996, 543 (Anspruch eines durch ein Sexualverbrechen gezeugten Kindes); in seinen Prognosen weitergehend Picker, AcP 195 (1995), 483 (491), der Arzt und Apotheker lediglich als „pars pro toto" für einen leicht industrielle Dimensionen erreichenden Kreis potenzieller Haftungsschuldner ansieht. 3 BVerfGE 96, 375; BGH, NJW 1992, 2961; BGH, NJW 1995, 2407; OLG Braunschweig, NJW 1980, 643. 4 BGHZ 76, 249; BGHZ 76, 259; BGH, NJW 1981, 630; BGH, NJW 1981, 2002; BGH, VersR 1980, 719; BGH, VersR 1982, 68; BGH, NJW 1984, 2625; OLG Zweibrücken, NJWRR 97, 666; TGI Le Mans, Gaz. Pal. 1984.1., Somm., 121; TA Straßbourg, RFD adm. 1995, 1233. 5 BGHZ 95, 199; BGHZ 129, 178; BGH, NJW 1985, 671; BGH, NJW 1985, 2749; BGH, VersR 1986, 869; BGH, NJW 1992, 1556; CE, D. 1984,425; C.cass, D. 1991, 566; CA Riom, D. 1990, 284; TGI Bobigny, D. 1977, 245; TGI Bobigny, JCP 1984.11., n° 20149. 6 TGI Evreux, D. 1981, 185. 7 BVerfGE 96, 375; BGHZ 124, 128; C. cass., JCP 1992.11., n°21947; C. cass., D. 1997, 35. 8 BGHZ 86, 240ff.; OLG Hamm, VersR 1989, 1263; C. cass., D. 1997, 36.

Β. Das Kind als Schaden

26

die Möglichkeiten zur Früherkennung von Schädigungen des Ungeborenen9 oder an einen unrichtigen Befund fötaler oder embryonaler Auffälligkeiten im Rahmen der pränatalen Diagnostik10, was jeweils die Geburt eines missgebildeten oder an der Gesundheit geschädigten Kindes zur Folge hat 11 . Aufgrund dieses Übergewichts möglichen ärztlichen Fehlverhaltens beschränkt sich die nachfolgende Untersuchung darauf, als Anspruchsgegner einer Schadensersatzforderung den Mediziner zu betrachten, zumal sich für die im Vordergrund stehende Frage nach dem Kind als Schaden als besonderem Problem der Haftungsfolge aus der Profession des Beklagten kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn ableitet. Der Streit um die Ersatzfähigkeit des Familienplanungsschadens kann daher in dem übergeordneten System der Arzthaftung verortet werden, welche ihrerseits weder in Deutschland noch in Frankreich spezialgesetzlich geregelt ist 12 , sondern in beiden Ländern von der Rechtsprechung aus den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsnormen entwickelt wurde 13. Der Ausgleich einer durch die Geburt eines Kindes erlittenen Einbuße hängt daher vom Vorliegen der drei klassischen HaftungsVoraussetzungen ab: Haftungsgrund („fait générateur"), hier also regelmäßig schuldhafte Pflichtverletzung („faute"), Schaden („dommage") und Kausalität zwischen beiden („lien de causalité")14.

9

BGHZ 89, 95 ff.; BGH, NJW 1987, 2923 f.; BGH, NJW 1989, 1536ff.; BGH, NJW 1997, 1635; BGH, NJW 1997, 1638. 10 BGH, NJW 1997, 1638; OLG Düsseldorf, NJW 1995, 3059; C. cass., D. 2001, 2325 f.; CE, JCP 1997.11., n°22828; TGIMontpellier, JCP 1990.11., n°21556; TA Strasbourg, Gaz.Pal. 1991,52. 11 Zum Ganzen, z.T. mit Hinweisen auf die parallelen anglo-amerikanischen Fälle Hauberichs, Haftung, S. 131 ff. und 160ff.;Lange, Schadensersatz, S.328ff.; Picker, AcP 195 (1995), 483 (491); Puhl, Unterhaltsanspruch (in: Wolter/Riedel/Taupitz), S. 197 (199f.); Sainte-Rose, JCP 2000.11., n° 10438, S.2301; Stoll, Haftungsfolgen, S.266f. 12 Entsprechende Bestrebungen der nationalen Gesetzgeber sind nicht bekannt und auf europäischer Ebene sind die Versuche einer Vereinheitlichung der Grundsätze über die Haftung der freien Berufe, insbesondere der Richtlinienvorschlag der EG zur Dienstleistungshaftung (ABl. EG C 12 v. 18.1.1991, 8ff.), bisher am Widerstand der Straßburger Lobby gescheitert, vgl. Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 1; Hauberichs, Haftung, S.41; Taupitz, Rahmenbedingen (in: Deutsch/Taupitz), S. 1. 13 Deutsch, Medizinrecht, S. 119; Giesen, Arzthaftungsrecht, S.2; ders., JZ 1990, 1053 ff.; Laufs, Arztrecht, S. 267; für Frankreich: Chabas, obligations, S. 484; Laroumet, D. 1999, ehr., 31 ; Penneau, responsabilité médicale, S.43 ff.; Sargos , JCP 2000.11., n° 10438, S. 2299; vgl. zur neueren Entwicklung Giesen, R., MedR 1997, 17ff.; Rehborn, MDR 1999, 1169ff.; Schlund, ArztuR 1999, 43ff.; in Frankreich: Mazière, PA 2000, n° 112, 16ff.; Pansier/ Skornicki, Gaz. Pal. 1998, 1391 ff.; Radè, D. 1999, ehr., 313 ff.; Welsch, PA 1998, n°43, 6ff. 14 Vgl. zu diesen eine Haftung regelmäßig konstituierenden Voraussetzungen v. Bar, Perspektive, S.4.

I. Die Einordnung in das System der Arzthaftung

27

1. Die Pflichtverletzung des Arztes a) Die Haftungsbegründung

nach deutschem Recht

aa) Vertragliche Haftungsbegründung Die Haftung des Arztes findet ihre Grundlage regelmäßig in dem zwischen ihm und der Patientin wirksam abgeschlossenen Behandlungsvertrag 15. Die Rechtmäßigkeit misst sich an Inhalt und Zweck der vereinbarten ärztlichen Leistung, die typischerweise die genetische Beratung vor der Zeugung eines Kindes, die Sterilisation eines Elternteils, die pränatale Diagnostik oder den Abbruch der Schwangerschaft zum Gegenstand hat 16 . Die Akzeptanz dieser Maßnahmen wird dabei in der Reihenfolge ihrer Aufzählung zunehmend zweifelhaft 17. Keinen Bedenken hinsichtlich der rechtlichen Wirksamkeit begegnet die genetische Beratung der Eltern vor dem Entschluss zur Zeugung eines Kindes, spiegelt sich darin doch der natürliche Wunsch nach einem gesunden Kind wider und sind insoweit kollidierende Rechtsgüter Dritter nicht betroffen 18. Auch die Rechtmäßigkeit einer freiwilligen Sterilisation, die nach eingehender Aufklärung über die Bedeutung und Folgen mit Einwilligung des Patienten vorgenommen wird, lässt sich selbst dann kaum noch bezweifeln, wenn sie unabhängig vom Vorliegen besonderer Indikationen lege artis durchgeführt wird 19 . Die Sterilisation ist weder strafbar 20 noch widerspricht sie grundsätzlich dem ärztlichen Standesrecht21. Ist sie medizinisch indiziert, stellt sie sich als Heilbehandlung dar 22. Auch die medizinisch-sozial oder eugenisch indizierte Sterilisation wird allgemein für zulässig gehalten23, wohingegen eine reine Gefälligkeitssterilisation, die lediglich die endgültige Verhü15 Geiß/Greiner, Arzthaftpflicht, S.3ff.; Palandt/Heinrichs, Vorbem. v. §249 Rz.48; ausführlich Stürner, FamRZ 1985, 753 ff. 16 Waibl, NJW 1987, 1513 (1514). 17 Ebenso mit Hinweis auf die zugrunde liegende, verfassungsrechtlich verbürgte, elterliche Entscheidungsfreiheit Stürner, JZ 1998, 317 (324). 18 Vgl. dazu BGHZ 124,128 ( 137 f.): „Der Wunsch der Kläger, ein zweites, jedoch nicht behindertes Kind zur Welt zu bringen und zur Vermeidung einer aufgrund der Behinderung des erstgeborenen Kindes befürchteten genetischen Schädigung die Zeugung vom Ergebnis einer entsprechenden Beratung abhängig zu machen, könnte nicht einmal moralischen Bedenken begegnen, sondern ist in hohem Maß von elterlicher Verantwortung geprägt;" bestätigt von BVerfGE 96, 375 (402); ebenso Müller, Fortpflanzung (in: Festschr. f. Steffen), S. 355 (357). 19 Franzki, VersR 1990,1181 (1182); Gehrlein, Leitfaden, S.13-, Hauberichs, Haftung, S. 15; Steffen!Dressler, Arzthaftungsrecht, S. 114; rechtsvergleichend Eser, Sterilisation (in: Festschr. f. Tröndle), S.625 (637 ff.). 20 BGHSt 20, 81; Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rz. 61. 21 Allerdings verlangt § 6 der Berufsordnung, dass die Sterilisation aus medizinischen, genetischen oder schwerwiegenden sozialen Gründen indiziert ist; vgl. DÄB1.1976,1543 (1544). 22 Schönke/Schröder/£ser, § 223 Rz.61. 23 LK/Hirsch, § 226 a Rz. 39.

Β. Das Kind als Schaden

28

tung weiterer Schwangerschaften zum Ziel hat, noch vereinzelt problematisiert wird 24 . Da sich eine Rechtswidrigkeit mangels gesetzlicher Regelung jedoch nur über eine angenommene Sittenwidrigkeit konstruieren ließe25, können diese Einwände vor dem Hintergrund herrschender Moralvorstellungen nicht überzeugen26. Zu Recht wird daher die Frage der Rechtmäßigkeit einer freiwilligen Sterilisation von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Grundsatz nicht mehr thematisiert, geschweige denn bezweifelt 27. Lediglich in seltenen Ausnahmefällen sieht der Bundesgerichtshof à&s Selbstbestimmungsrecht der Frau durch das Gewicht des irreversiblen Verlusts der Fortpflanzungsfähigkeit begrenzt, wobei jedoch dem Selbstbestimmungsrecht in jedem Fall große Bedeutung zukommt28. Die größten Schwierigkeiten sind bei der Vereinbarung über einen Schwangerschaftsabbruchs zu bewältigen. Ab dem Zeitpunkt der Empfängnis sind außer den Interessen der Frau oder der Eltern diejenigen der Leibesfrucht zu berücksichtigen, da sich die Entscheidung der Frau nun nicht mehr gegen die Zeugung, sondern gegen das Weiterleben des ungeborenen Kindes richtet 29, was zu einer differenzierten Betrachtung pränataler Untersuchungshandlungen und insbesondere des Schwangerschaftsabbruchs zwingt. Taugliche Haftungsgrundlage kann nämlich nur ein Vertrag sein, der auf ein von der Rechtsordnung erlaubtes Ziel gerichtet ist 30 . Die Trennung zwischen rechtswidrigem und rechtmäßigem Abbruch erlangt als Haftungsvoraussetzung daher im Zivilrecht entscheidende Bedeutung31. Die Absätze 2 und 3 des § 218 a StGB erlauben einen Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer und kriminologischer Indikation, woraus sich in beiden Fällen die Rechtmäßigkeit des Eingriffs ableitet und damit zunächst kein Anlass besteht, an der vollen Wirksamkeit der entsprechenden zivilrechtlichen Vereinbarungen zu zweifeln 32. Soweit man embryopathische Befunde unter das Merkmal der medizinischen Indikation subsumieren kann 33 , gilt dies auch nach der Reform des Strafrechts 24

LK/Hirsch, § 226 a Rz.41; Schönke/Schröder/^r, §223 Rz.61. So bereits Hanack, JZ 1964, 393 (396ff.). 26 BGHZ 67,48 (51). 27 Vgl. die Grundsatzentscheidung BGHZ 67,48 (49 ff.); bestätigt in BGHZ 124,128 (137); BGH, NJW 1981, 2002 (2004); BGH, NJW 1995, 2407 (2409); aus strafrechtlicher Sicht BGHSt 19, 201 ff.; BGHSt 20, 81; klarstellend nochmals BVerfGE 96, 375 (400). 28 BGHZ 67, 48 (53 ff.). 29 Merkel, Wrongful birth (in: Neumann/Schulz), S. 173 (178); Puhl, Unterhaltsanspruch (in: Wolter/Riedel/Taupitz), S. 197 (212ff.). 30 BGHZ 86, 240 (245); BGHZ 124, 128 (137); BGH, NJW 1985, 671 (672); Stürner, FamRZ 1985, 753. 31 Vgl. Merkel, Wrongful birth (in: Neumann/Schulz), S. 173 (178): „Die Indikationenregelung der Absätze 2 und 3 des neuen § 218 a StGB, in all ihrer Vagheit, Inkonsistenz und Unehrlichkeit, dürfte künftig einen langen Schatten in die schadensrechtliche Judikatur der Zivilgerichte werfen." 32 Vgl. dazu hinsichtlich der embryopathischen Indikation auch unten B.1.3.c)aa). 33 Diese Subsumtion entspricht der Intention des Gesetzgebers, der lediglich auf die Ausformulierung dieser Indikation verzichtet hat, nicht jedoch von der Wertentscheidung Abstand nehmen wollte, dass die Geburt geschädigter Kinder für die Mutter unter entsprechenden Vo25

I. Die Einordnung in das System der Arzthaftung

29

i m Jahre 1995 für den Fall, dass die i m Rahmen der pränatalen Diagnostik entdeckten Defekte der Leibesfrucht Motiv eines sich anschließenden Abbruchs sind 3 4 . In den anderen Fällen einer zwar nicht mit Strafe bedrohten, gleichwohl rechtswidrigen Abtreibung nach Beratung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ist der Vertrag zwischen Arzt und Patientin nicht auf die Herbeiführung eines rechtmäßigen Erfolgs gerichtet. Zwar soll auch dieser Abbruch auf der Grundlage eines stets wirksamen Vertrages durchgeführt werden und die Nichtigkeitsfolge der §§ 134, 138 BGB sperren 35 , die Vereinbarung kann aber jedenfalls keine Grundlage dafür bilden, „auf dem Wege über einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wenigstens für die vermögensmäßige Ebene den von den Parteien bezweckten Erfolg, für die Kläger die sozialen und wirtschaftlichen Belastungen durch ein weiteres K i n d zu vermeiden, herzustellen, der unter den gegebenen Umständen von der Rechtsordnung mißbilligt w i r d " 3 6 . Ein Schadensersatzanspruch auf vertraglicher Grundlage scheidet daher in diesen Fällen aus. Soweit die Verträge wirksam sind, können sie in Übereinstimmung mit dem Regelfall ärztlichen Tätigwerdens als Dienstvertrag qualifiziert werden 3 7 , so dass i m raussetzungen nicht zumutbar sei. Daher wurde der Wortlaut der medizinischen Indikation so gefasst, dass die embryopathische darin aufgehen konnte. Vgl. BT-Drucks. 13/1850, S.25f.; Schônke/Schrôder/£séT, § 218 a Rz. 37 f.; Arzt/Weber, Strafrecht BT, S. 129; krit. dazu Beckmann,MedR 1998,155ff.; Otto, Jura 1996,135 (141 f.); SK-Rudolphi, §218aRz.8f.; Tröndle, NJW 1995,3009 (3015). 34 Ebenso BGHZ 129, 178 (184). 35 Zu den logischen Brüchen, die die Konstruktion eines zivilrechtlich gültigen Vertrages auch bei nicht erlaubtem Abbruch durch BVerfGE 88, 203 (295) - wirksame Verpflichtung zu rechtswidrigem Tun - mit sich bringt, vgl. Stürner, Schwangerschaftsabbruch, S. 20f. 36 So BGHZ 129,178 (185) zu einem Unterhaltsanspruch nach Fehlschlagen eines Schwangerschaftsabbruchs, der auf der Grundlage der Notlagenindikation gemäß §218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB a. F. durchgeführt worden war. Das Argument des BGH, eine den Anspruch tragende Rechtmäßigkeit der Abtreibung regelmäßig nur noch in einer für die Schwangere mit der medizinischen und embryopathischen Indikation vergleichbaren Konfliktlage anzunehmen, legt es nahe, daraus die Parallele zum straffreien Abbruch nach Beratung innerhalb der Frist gemäß der reformierten Fassung des §218 a StGB zu ziehen. Vgl. auch Schöbener, JR 1996, 89 (93); Weber, VersR 1999, 389 (392f.); and. Roth, NJW 1994, 2402; ausf. unten B.I.3.c)aa). 37 Nicht durchgesetzt haben sich vereinzelte Versuche in der Literatur, insbesondere den Sterilisationsvertrag als Werkvertrag einzuordnen, so z.B.Adomeit, Jura 1981,196 (197); Kuchinke, NJW 1989,16\\Ströfer, VersR 1981,796 (804). Zwar ist zuzugeben, dass die Sterilität des Patienten der angestrebte Erfolg einer Sterilisation darstellt, der Arzt verspricht jedoch nicht diesen, sondern verpflichtet sich nur zur Vornahme des operativen Eingriffs, der regelmäßig die Zeugungsunfähigkeit des Patienten nach sich zieht. Daneben sprechen die auch bei sonstigen Vereinbarungen zwischen Arzt und Patient geläufigen Argumente der Unberechenbarkeit organisch-physiologischer Geschehensabläufe, die Pflicht zur persönlichen Erbringung der Leistung durch den Arzt (entspricht §613 BGB) und die Vergütungspflicht nach Leistungshandlung (entspricht §614 BGB) für die Annahme eines Dienstvertrages. Vgl. die Grundsatzentscheidung des OLG Düsseldorf, NJW 1975,595; so auch die Rspr. des BGH in den Kind als Schaden Fällen, vgl. BGHZ 76, 249 (250); BGHZ 76, 259 (261); BGH, NJW 1981, 630 (631) und die überwiegende Literatur, vgl. nur Caemmerer, Arzthaftung, S.44ff.; Giesen, JZ 1985, 334; Sigel, Haftung, S. 12ff.; Waibl, NJW 1987, 1513f.; zum Ganzen auch Hauberichs, Haftung, S. 136ff.; Lange, Schadensersatz, S. 328 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen.

Β. Das Kind als Schaden

30

Falle ärztlicher Sorgfaltswidrigkeit als Anspruchsgrundlage eine positive Vertragsverletzung in Betracht kommt 38 . Von den beiden Erscheinungsformen ärztlicher Pflichtverletzung, fehlerhafte oder eigenmächtige Behandlung39, findet sich vor allem bei Sterilisations- und Abbruchsfällen die erstere 40. Aufklärungsfehler sind präoperativ bei der Information über die Erfolgssicherheit eines Eingriffs, insbesondere einer Sterilisation 41, und postoperativ bei einem versäumten Hinweis auf das mögliche Ausbleiben des Behandlungserfolges denkbar 42. Bei der genetischen Beratung und der vorgeburtlichen Untersuchung der Leibesfrucht kommen neben der falschen Laboranalyse als Vertragsverletzung der fehlende Hinweis auf nicht feststellbare Restrisiken und die lückenhafte Aufklärung über Unsicherheiten hinsichtlich des ermittelten Befunds in Betracht 43. Die jeweilige objektive Sorgfaltspflichtverletzung ist in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des allgemeinen Arzthaftungsrechts vom Patienten zu beweisen44. Gleiches gilt regelmäßig für das Verschulden des Arztes, wobei in Fällen nachweislich fehlerhafter Operation der Anscheinsbeweis für eine fahrlässige Pflichtverletzung streitet und es dem Arzt obliegt, diesen zu erschüttern 45. Anspruchsberechtigt ist zunächst die Vertragspartei selbst, daneben aber nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte 46 auch der Ehepart38

BGHZ 76, 249 (256): „Schlechterfüllung"; Caemmerer, Arzthaftung, S.43; Puhl, Unterhaltsanspruch (in: Wolter/RiedelAaupitz), S. 197 (200f.); Waibl, NJW 1987, 1513 (1514). 39 Giesen, Arzthaftungsrecht, S.5. 40 In der überwiegenden Anzahl einer misslungenen Sterilisation der Frau wurde die Patientin nur einseitig sterilisiert, z.B. BGHZ 76,249; BGHZ 76,259; BGH, VersR 1980,719; 43; BGH, VersR 1982,68; OLG Saarbrücken, NJW 1986, 1549; OLG Köln, VersR 1988; in zahlreichen Fällen eines fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruchs übersah der Arzt, dass ein Zwillingskind existierte, z.B. BGH, NJW 1985,2749; OLG Oldenburg, VersR 1984,694; OLG Frankfurt, VersR 1987, 416; OLG Stuttgart, NJW 1987, 2934; vgl. auch Gehrlein, Leitfaden, S.73f. 41 BGH, NJW 1981, 630, BGH, NJW 1981, 2002; OLG Koblenz, VersR 1987, 371; OLG Hamm, VersR 1987, 1146; OLG Köln, VersR 1987, 187; OLG Düsseldorf VersR 1987, 412; OLG Schleswig, VersR 1987, 419; Gehrlein, Leitfaden, S.74; Laufs/Uhlenbruch Handbuch, S.976. 42 Vgl. in den Sterilisationsfällen BGH, NJW 1981,2002; BGH NJW 1995,2407; OLG Düsseldorf, VersR 1995, 542; aber auch OLG Bremen, VersR 1982, 959; OLG Frankfurt, MedR 1987, 187. Zur Nachbehandlung bei Schwangerschaftsabbrüchen BGH, NJW 1985, 2749; BGH, NJW 1985, 2752; OLG Oldenburg, VersR 1993, 1357. Zum Ganzen ausf. Hauberichs, Haftung, S. 131 ff. 43 BGHZ 89,95 (102); vgl. zur Zweckmäßigkeit bzw. Notwendigkeit einer Fruchtwasseruntersuchung Schlund, JR 1993, 144f. 44 Allein aus dem Eintritt einer Schwangerschaft im Anschluss an eine Sterilisation kann nicht durch Beweis des ersten Anscheins auf das Vorliegen eines Arztfehlers geschlossen werden, vgl. BGH, NJW 1981,2002 (2004); OLG Düsseldorf, VersR 1985,457, OLG Düsseldorf, VersR 1987, 412; OLG Saarbrücken, VersR 1988, 831; Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 319 ff.; Hauberichs, Haftung, S. 154ff.; Laufs!Uhlenbruck, Handbuch, S.902. 45 Hauberichs, Haftung, S. 156; Waibl, Kindesunterhalt, S.40f.; and. Sigel, Haftung, S.39; allgemein dazu Giesen, Arzthaftungsrecht, S. 355 ff. 46 Dazu allgemein Palandt/Heinrichs, § 328 Rz. 13 ff.; Jauemig/Vollkommer, § 328 Rz. 19 ff.; Larenz, Schuldrecht I, S. 224ff.; Medicus, Schuldrecht AT, S. 371 ff.; Schlechtriem, Schuldrecht AT, S. 282ff.

I. Die Einordnung in das System der Arzthaftung

31

ner 47 und der nichteheliche Lebensgefährte 48. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob auch das Kind selbst derart in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen ist, dass ihm eigene Ansprüche gegen den Arzt zustehen können49. Im Falle eines Sterilisationsvertrages käme diese Schutzbereichsbestimmung einem Anspruch des Kindes auf Nichtexistenz gleich, im Falle eines Abtreibungsvertrages dem Anspruch auf die eigene Tötung50. Diese Übersetzung erschreckt zunächst. Die eigentliche, rechtliche Unsicherheit rührt freilich daher, dass die angestellte Überlegung dazu zwingt, bereits bei der Anspruchsbegründung die Alternative der Nichtexistenz als einen gegenüber dem Leben vorteilhaften Zustand mitzudenken. Diese Erwägung entpuppt sich aber bei genauer Betrachtung als ein Vergleichsproblem im Rahmen der schadensrechtlichen Erfassung einer erlittenen Einbuße, wird also erst auf der Haftungsfolgeseite virulent 51 . Für die Haftungsbegründung kann daher festgehalten werden, dass nicht per se auszuschließen ist, dass das Kind in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden kann. Diese Überlegung gewinnt zusätzlich an Gewicht durch das Argument, dass die Eltern sich zu einer genetischen Beratung oder zu einem embryopathisch motivierten Schwangerschaftsabbruch zumindest auch deshalb entschließen, weil sie dem Kind ein leidvolles Schicksal ersparen wollen 52 . Das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte, insbesondere die Leistungsnähe des Kindes und die Erkennbarkeit für den Arzt, kann nicht bezweifelt werden.

47

BGHZ 76, 259 (262); BGHZ 86, 240 (249); BGHZ 89, 95 (98); BGH, NJW 1995, 2407 (2408 f.); OLG Zweibrücken, NJW 1984, 1824 (1825); OLG Köln, VersR 1988, 43; Harrer, Haftung, S. 263 f.; Hauberichs, Haftung, S. 142f.; Giesen, JZ 1985, 334 (335); Lankers, FamRZ 1969, 384; Laufs/Uhlenbruch Handbuch, S.974f.; Sigel, NJW 1978, 2340 (2341). 48 Die Einbeziehung des nichtehelichen Lebenspartners wurde teilweise unter Hinweis auf ein fehlendes Fürsorge- und Obhutsverhältnis zwischen ihm und dem Vertragsgläubiger abgelehnt, so z.B. Lankers, FamRZ 1969,384. Allerdings wird man nicht in Abrede stellen können, dass die Leistung nach dem Vertragsinhalt erkennbar auch dem Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bestimmungsgemäß zugute kommen soll, was nach der Rechtsprechung ausreichende Voraussetzung für die Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte darstellt. Wie hier Debo, Schwangerschaftsabbruch, S.48; Grunsky, Jura 87, 82 (85); Harrer, Haftung, S.267f.; wohl auch Stoll, Haftungsfolgen, S.277; einschränkend Waibl, Kindesunterhalt, S.48 f. 49 Unproblematisch ist dabei allerdings, dass das Ansprüche geltend machende Kind zur Zeit des Vertragsschlusses oder des Eingriffs noch nicht gezeugt oder noch nicht geboren war, da grundsätzlich auch noch nicht gezeugte Personen in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen werden können, vgl. dazu BGHZ 8, 243; BGHZ 58,48 (49); insoweit auch BGHZ 86, 240 (253); Aretz, JZ 1984,719 (720); Deutsch, VersR 1995,609 (614); Fischer, JuS 1984,434 (438); Stoll, Haftungsfolgen, S.284f.; vgl. dazu auch unten D.II. l.b). 50 Merkel, Wrongful birth (in: Neumann/Schulz), S. 173 (184). 51 Vgl. dazu ausf. unten D.II. 52 Deutsch, JZ 1983, 451; Pahmeier, Geburt, S.42; Reinhart, Familienplanungsschaden, S. 199; and. BGHZ 86, 240 (253); Fischer, JuS 1984, 434 (438); rechtsvergleichend Markesinis, RTD civil 2001,77 (91).

32

Β. Das Kind als Schaden

bb) Deliktsrechtliche Haftungsbegründung Die wesentliche Streitfrage einer deliktischen Haftungsbegründung ist die, ob die Herbeiführung oder die Aufrechterhaltung einer Schwangerschaft gegen den Willen der Frau eine Körperverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Ihre praktische Relevanz gewinnt sie durch den nur mit der unerlaubten Handlung verknüpften Schmerzensgeldanspruch gemäß § 847 BGB 53 . Definiert man als Körperverletzung jeden unbefugten Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit 54 , kann angesichts der selbst bei einer komplikationslos verlaufenden Schwangerschaft und Geburt auftretenden erheblichen physischen und psychischen Belastungen für die Frau kaum bestritten werden, dass die Schwangerschaft darunter subsumiert werden kann55. Erst die Versuche, die Begriffsbestimmung der Körperverletzung einer wertenden Betrachtung zu öffnen 56, ermöglichen es, Schwangerschaft und Geburt als natürliche Konsequenz und Erfüllung freiwilliger Sexualität und damit als typische Vitalitätsfunktion und Ausfluss physischen und psychischen Wohlbefindens zu betrachten57, das heißt als normale biologische Veränderung ohne Krankheitswert anzusehen58. Bereits die Wortwahl macht deutlich, dass dabei im Bereich der deliktischen Haftungsbegründung die gleichen Wertungen zugrunde gelegt werden wie bei der vertraglichen Haftungsfolge. 53 Nur diesen hat der BGH in seinen Entscheidungen zum Kind als Schaden geprüft, hingegen die Frage, ob auch der Unterhaltsschaden auf der Grundlage des § 823 BGB ersatzfähig ist, offengelassen; vgl. BGHZ 76, 259 (261), insoweit ausführlicher abgedruckt in NJW 1980, 1452 (1453); BGHZ 86,240 (248); BGH, NJW 1981,1318; BGH, NJW 1985,671 (673 f.); vgl. auch Erman/Schiemann, § 823 Rz. 18. 54 Statt aller ?zl