Bücher ohne Grenzen: Der Verlag Seix Barral und die Vermittlung lateinamerikanischer Erzählliteratur im Spanien des Franquismus 9783964562197

Mit dem chronologischen Schwerpunkt auf den Jahren 1960-75 wird die Funktion der lateinamerikanischen Literatur als elem

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Bücher ohne Grenzen: Der Verlag Seix Barral und die Vermittlung lateinamerikanischer Erzählliteratur im Spanien des Franquismus
 9783964562197

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
1. Einleitung
2. Verlage und Buchpolitik im Franquismus
3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung: Der Verlag Seix Barrai bis 1967
4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67)
5. Das spanische Verlagswesen und der Boom (1967-78)
6. Der lateinamerikanische Roman in Spanien: Zusammenfassende Bemerkungen
7. Bibliografie
8. Quellenverzeichnis
9. Dokumentarischer Anhang
Abbildungen
Personenregister

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Burkhard Pohl Bücher ohne Grenzen

Editionen der Iberoamericana Ediciones de Iberoamericana Serie A: Literaturgeschichte und -kritik / Historia y Crítica de la Literatura Serie B: Sprachwissenschaft / Lingüística Serie C: Geschichte und Gesellschaft / Historia y Sociedad Serie D: Bibliographien / Bibliografías Herausgegeben von / Editado por: Walther L. Bernecker, Frauke Gewecke, Jürgen M. Meisel, Klaus Meyer-Minnemann A: Literaturgeschichte und -kritik / Historia y Crítica de la Literatura, 29

Burkhard Pohl

Bücher ohne Grenzen Der Verlag Seix Barrai und die Vermittlung lateinamerikanischer Erzählliteratur im Spanien des Franquismus

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main 2003

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und B e i h i l f e f o n d s Wissenschaft der V G WORT D 7 Göttinger p h i l o s o p h i s c h e Dissertation

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2003 ISBN 3-89354-890-4 Zugl.: Göttingen, Univ. Diss., 2001

Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann, unter Verwendung eines Plakatentwurfes von Julio Vivas Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier gemäß ISO-Norm 9706 Printed in Germany

5

INHALTSVERZEICHNIS

Vorbemerkung 1.

9

Einleitung

11

1.1

Theoretische und methodische Überlegungen

13

1.2

Forschung zum Thema

26

1.3

Quellenlage und Gliederung

34

2.

Verlage und Buchpolitik im Franquismus

39

2.1

Das Verlagswesen im franquistischen Staat

39

2.2

Spanische Verlage und die lateinamerikanischen Märkte

56

2.3

Zum literarischen Feld der Nachkriegszeit

75

2.4

Die Zeitschrift Laye und der kulturelle Aufbruch in den 50er Jahren

86

3.

Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung: Der Verlag Seix Barrai bis 1967

93

3.1

Seix Barrai: Ein katalanisches Familienunternehmen

94

3.2

Die "conspiración cotidiana": Seix Barrai ab 1955

96

3.2.1 Ein Image entsteht: Biblioteca Breve

96

3.2.2 Das Verlagsprogramm als Ausdruck einer spezifischen Verlagspolitik... 100

3.3

3.2.3 Paratexte als Mittel kultureller Positionierung

115

3.2.4 Strategien der Vernetzung und Gruppenbildung

119

"Arbolar bandera": Seix Barral und der spanische Sozialrealismus ab 1958

3.4

123

3.3.1 Der Premio Biblioteca Breve

123

3.3.2 Die "operación realismo"

128

3.3.3 Die Reihe Colliure

135

3.3.4 Der Verlag als Sprachrohr intellektueller Opposition

137

Seix Barral als Bestandteil internationaler Netzwerke (1959-67)

142

3.4.1 Der Blick über die Grenze: Verlagsziele und Strategien für die 60er Jahre

142

6

3.4.2 Seix Barrai und die europäische Vermarktung der novela social

149

3.4.3 Die Verlegergruppe Formentor als Modell internationaler Vernetzung... 152 3.4.4 Internationale Produktion als Weg zu verlegerischer Unabhängigkeit

171

4.

Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67).... 183

4.1

Der transatlantische literarische Austausch bis 1959

184

4.1.1 Produktion und Import lateinamerikanischer Literatur in Spanien

184

4.1.2 Exkurs zu argentinischen und mexikanischen Verlagen

186

4.1.3 Paris als literarischer Umschlagplatz

188

4.1.4 Informelle und institutionelle Kontakte zwischen den Kontinenten

190

4.2

Lateinamerikanische Narrativik bei spanischen Verlagen (1959-67)

196

4.2.1 Seix Barrais Dominanz: Das Lateinamerika-Programm bis 1967

196

4.2.2 Lateinamerikanische Literatur bei anderen Verlagen

199

4.3

Verlagspolitik im Zeichen ästhetischer Erneuerung in Spanien

4.3.1 Die Abkehr vom realismo social ab 1962/63

201 202

4.3.2 Lateinamerikanische Literatur und spanische Theoriedebatte:

4.4

Der Vermittlungsdiskurs bei Seix Barrai

207

Die lateinamerikanischen Romane in der spanischen Literaturkritik

216

4.4.1 Die Rezeption in den Literaturzeitschriften

216

4.4.2 Literaturkritik zwischen ästhetischem Aufbruch und

4.5

kulturellem Nationalismus

218

Marktperspektiven der lateinamerikanischen Literatur

225

4.5.1 La ciudadylosperros

als Wendepunkt in Seix Barrais Verlagspolitik... 225

4.5.2 Boom und soziokultureller Aufschwung in Lateinamerika

227

4.5.3 Seix Barrais Vertriebsstrategien für Lateinamerika

231

4.5.4 Kuba: Die Revolution als politische Utopie und kultureller

4.6

Handelspartner

235

Publizieren im Zeichen der Zensur

238

4.6.1 Seix Barrais strategischer Umgang mit dem Machtapparat

239

4.6.2 Die spezifische Zensurpraxis bei lateinamerikanischer Literatur

245

4.7

Zusammenfassung

254

7

5.

Das spanische Verlagswesen und der Boom (1967-78)

255

5.1

Literarische Produktion im Spanien des Spätfranquismus

256

5.1.1 Kulturindustrie und Buchmarkt um 1970

256

5.1.2 Intellektuelle und literarisches Leben im Spätfranquismus

271

5.1.3 Die Gauche Divine

280

5.2

Die doppelte Kontinuität eines Erfolgsmodells: Seix Barrai und Barrai Editores (1967-78)

287

5.2.1 "Casi hollywoodiano": Die kulturelle Institution Seix Barrai (1967-70). 287 5.2.2 Die Entwicklung Seix Barrais ab 1970

297

5.2.3 "Barrai sigue": Der Verlag Barrai Editores (1970-78)

300

5.2.4 Lateinamerikanische und spanische Literatur bei Barrai Editores

314

5.2.5 Das Kollektiv als verlegerische Alternative: Distribuciones de Enlace... 325 5.2.6 Kultureller Anspruch und ökonomische Rationalität: Das Scheitern von Barrai Editores 5.3

333

Der Boom und die Vermarktung der lateinamerikanischen Literatur ab 1967

336

5.3.1 Der Boom in Spanien

336

5.3.2 Lateinamerikanische Schriftsteller als Medienstars

351

5.3.3 Verlegerische Paratexte zwischen Mainstream-Orientierung und Distinktionsstreben 5.3.4 Die Literaturkritik im Boom zwischen Akzeptanz und Konfrontation 5.4

7.

373

Transnationale Identität: Carlos Barrai und die Kulturdebatte um den Boom

6.

362

380

5.4.1 Die Einheit der Literaturen in spanischer Sprache

380

5.4.2 Die ßoo/w-Diskussion in Lateinamerika

386

Der lateinamerikanische Roman in Spanien: Zusammenfassende Bemerkungen

395

Bibliografie

401

8 8.

Quellenverzeichnis

431

8.1

Interviews

431

8.2

Konsultierte Akten aus dem Archivo de la Administración

432

8.3

Abkürzungsverzeichnis

434

9.

Dokumentarischer Anhang

435

Abbildungen

513

Personenregister

527

9

VORBEMERKUNG

Die vorliegende Arbeit wurde im Winter 2001 an der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation eingereicht. Ich danke Prof. Dr. Manfred Engelbert herzlich für die vertrauensvolle Begleitung und Betreuung meiner Forschungstätigkeit im Rahmen dieser Dissertation und des Göttinger SFB 529. Prof. Dr. Wilhelm Graeber bin ich für seine Bereitschaft zur Zweitbegutachtung der Arbeit sehr verbunden. Der VG Wort danke ich für die finanzielle Unterstützung der Publikation. Meine Forschung beinhaltete die Auswertung umfangreichen dokumentarischen Materials, das ich vorwiegend in Spanien sichten und zusammentragen konnte. Mehrere Personen trugen mit ihrer Kooperationsbereitschaft zum Gelingen der empirischen Arbeit bei: An erster Stelle danke ich Yvonne Hortet, die mir Zugang zum Nachlass von Carlos Barrai gewährte und damit diese Arbeit in der vorliegenden Fassung erst möglich machte. Folgende Personen stellten sich mir dankenswerterweise für Interviews zur Verfügung: Felix de Azúa, Marcos Ricardo Barnatán, Alfredo Bryce Echenique, José Maria Castellet, Salvador Clotas, Antoni Comas, Alberto Cousté, Jorge Edwards, Joan Ferraté, Pere Gimferrer, Román Gubern, José Maria Guelbenzu, Jorge Herralde, Mario Lacruz (f), Ramón López, Joaquín Marco, Rafael Martínez Alés, Isabel Monteagudo, Beatriz de Moura, Alberto Oliart, Cristina Peri Rossi, Francisco Porrúa, Javier Pradera, Antonio Rabinad, Fritz J. Raddatz, Rosa Regás, Montserrat Sabater, Jaime Salinas, Montserrat Salvat i Seix, Joan Seix, María Rosa Seix, Rafael Soriano, Michi Strausfeld, Esther Tusquets, Julio Vivas und Mauricio Wácquez (f). Jaime Salinas gestattete mir darüber hinaus Einsicht in unveröffentlichte Interviewmanuskripte. Salvador Clotas, Montserrat Salvat i Seix, Maria Rosa Seix und Joan Seix ließen mir Fotos und weiteres dokumentarisches Material zukommen. Dr. Dunia Gras, Prof. Joaquín Marco und Dr. Jordi Gracia ermöglichten mir, das an der Universität Barcelona zusammengestellte Pressearchiv einzusehen und waren Gesprächspartner für anregende inhaltliche Diskussionen. Vor Ort unterstützten sie mich in vielen organisatorischen und wissenschaftlichen Fragen. Bei der Abfassung der Arbeit stand ich in regem Kontakt zu meinen Kolleginnen und Kollegen am SFB 529 und am Romanischen Seminar. Dr. Stefanie Karg verdanke ich eine überaus gründliche Manuskriptkorrektur. Dr. Annette Paatz war wiederholt mit konstruktiver inhaltlicher Kritik zur Stelle. Wulf Wäntig leistete wertvolle Hilfe beim Textlayout.

10

Meine Eltern und Freunde haben mich über die Jahre mit ihrem Interesse und Verständnis unterstützt und mir eine beschwingte Doktorfeier beschert. Mein besonderer Dank geht an Ute, die mein Vorhaben von Beginn an begleitet und dafür gesorgt hat, dass ich während der Dissertationszeit guten Mutes blieb. Ihnen allen und den nicht genannten Personen, die mir auf die ein oder andere Weise eine Hilfe waren, gilt mein herzlicher und freundschaftlicher Dank.

1. Einleitung

1.

11

EINLEITUNG Verlegerträume im Herzen, bemüht, den gesellschaftlichen Diskurs für ästhetische, literarische und intellektuelle Herausforderungen zu öffnen, aufzuklären, zu erschüttern und Schönheit in die Welt zu bringen, stellt sich der Verleger dem Verlagsalltag. Dort dominiert der Warencharakter des Buches. Ernüchterung allenthalben. Kommerz regiert, gleichwohl nicht unbesiegbar. (Dähne 1998: 86)

Verschiedene Interpretationen sind immer wieder vorgebracht worden, um den Boom der lateinamerikanischen Literatur in den 60er Jahren zu erklären.1 Neil Larsen benennt in seiner Übersicht erstens eine werkimmanente Argumentation, die allein die Entstehung einer neuen literarischen Sprache der lateinamerikanischen Wirklichkeitsaneignung als Begründung heranzieht und die gerade von den einschlägigen Schriftstellern selbst angeführt worden ist;2 zweitens ein mit dem Namen von Angel Rama (1981) verbundenes soziologisches Erklärungsangebot, das den literarischen Erfolg vornehmlich als kulturindustrielles Lese- und Marktphänomen ansieht; drittens eine historisch argumentierende Position, die in der Kubanischen Revolution den Hauptauslöser eines kontinentübergreifenden neuen kulturellen Selbstbewusstseins vermutet;3 schließlich viertens eine auf Tulio Halperin Donghi (1981) zurückgehende ideologiekritische These, nach der der Boom sich aus der temporären Koinzidenz eines gemeinsamen antiimperialistischen und antireaktionären Interesses bürgerlich-liberaler Schriftsteller und des revolutionären Proletariats generiert. In dieser Arbeit kann es nicht mehr darum gehen, eines der Ausgangsmodelle zur alleinigen Erklärungsgrundlage zu wählen oder sich an einer Neudefinition des Boom zu versuchen. Weitgehend dürfte Konsens darüber herrschen, dass die Internationalisierung der lateinamerikanischen Literaturen seit den 60er Jahren auf der

2

3

In der weiterhin ungeklärten Definitionsfrage (vgl. das Vorwort zu Rössner 1995: VII-XI) wähle ich den Begriff der "lateinamerikanischen Literatur" als umfassenderen Terminus, da die in dieser Arbeit untersuchten Verlagsprogramme auch Titel brasilianischer Autoren einschließen. Ferner ziehe ich die Bezeichnung des Lateinamerikanischen der des Iberoamerikanischen vor, auch wenn sich die hierin konnotierte Dichotomie von "Selbstbeschreibung" (LA) und "Fremdzuschreibung" (IA) in letzter Zeit aufzulösen scheint. Larsen (1995: 68). Der "claim to formal immanence" (ebd.) liegt z.B. Carlos Fuentes' Darstellung der Nueva narrativa hispanoamericana (1969) zugrunde und findet sich auch in der von José Donoso vorgebrachten Definition des Boom als des zufälligen ("fortuito") Zusammentreffens einer "docena de novelas que eran por lo menos notables, poblando un espacio antes desierto" (1983: 12). Hierzu zählt Larsen auch kritische Positionen wie die Fernández Retamars (1979), die auf der Schlüsselfunktion der Kubanischen Revolution insistieren, um dem Kosmopolitismus der Boom-Autoren das Vorbild des vor Ort in den revolutionären Prozess eingebundenen Künstlers entgegenzustellen.

12

Burkhard Pohl

Interdependenz der genannten Faktoren basiert: Die Kubanische Revolution schafft z.B. eigene Plattformen kultureller Öffentlichkeit, die lateinamerikanischen Künstlern eine internationale Beachtung ermöglichen. Bereits 1972 hatte José Donoso auf den verlegerischen Beitrag gerade Seix Barrais zum Boom hingewiesen, der der lateinamerikanischen Literatur erstmals ein internationales Forum im spanischen Sprachraum geboten habe (Donoso 1983: 59). In der Bundesrepublik stellte Michi Strausfeld 1976 in ähnlicher Weise eine Professionalisierungstendenz fest, denn der Boom biete "dem lateinamerikanischen Autor zum erstenmal die Möglichkeit, sein Werk schnell zu publizieren, auf Interesse bei Verlegern und Publikum zu stoßen, d.h. konkret: von seiner Arbeit als Schriftsteller zu leben" (Strausfeld 1976: 15). Angel Ramas 1981 erstpublizierter Aufsatz "El 'boom' en perspectiva", der in seiner gedrängten Faktendichte bis heute unerreicht ist, markiert den Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einzelnen Marktphänomenen wie dem Verlags- und Pressemarketing oder der Professionalisierung des Schriftstellers. Obwohl die Erwähnung der literarischen Vermarktung seitdem zum Repertoire der meisten Literaturgeschichten des Boom gehört,4 haben Ramas Anregungen nur wenige Nachfolger gefunden, was angesichts der Fülle an Literatur zum Boom verwundern mag; zu nennen sind etwa Studien zum realisierten Verkaufserfolg (Castro-Klarén/Campos), zur Rezeption des Boom in internationalen Märkten (Brown, Wiese) oder zum Zusammenwirken von Markt und Ästhetik in Literaturen des Postboom (Bergenthal, Engelbert).5 Trotz des Aufschwungs der Medienforschung gehört der Fragenkomplex der Literaturvermarktung und der relevanten Vermittlungsinstanzen weiterhin zu den in der Forschung zum Boom am wenigsten behandelten Bereichen. Die vorliegende Arbeit untersucht die Vermittlung lateinamerikanischer Erzählliteratur durch spanische Verlage in der Zeit des Franquismus. Wiewohl frühere und spätere Entwicklungen einbezogen werden, liegt der chronologische Schwerpunkt auf den Jahren 1960-75. Ziel ist es einerseits, einen Beitrag zur Geschichte des spanischen Verlagswesens und Buchmarktes im 20. Jahrhundert zu leisten. Am Fallbeispiel des Verlegers Carlos Barrai und der von ihm betreuten Verlage Seix Barrai und Barrai Editores werden die Entwicklungsperspektiven und Strategien eines Litera4

5

Randolph Pope (1996: 228) verweist auf das Interesse internationaler "editors in search of a new product", sieht jedoch die Kubanische Revolution als Hauptursache des Boom an. Ebenso konstatiert Marina Gälvez die Notwendigkeit, die sich zur literarischen Blüte gesellenden "factores extraliterarios" zu betrachten (1987: 44) - ohne diese Faktoren aber darüber hinausgehend als generelle Bedingungen literarischer Produktion anzusehen. Noch knapper verfährt die von Michael Rössner (1995) herausgegebene Lateinamerikanische Literaturgeschichte, in der der "sogenannte 'Boom'" (263) lediglich als Sammelbegriff für den internationalen Markterfolg lateinamerikanischer Romane fungiert, auf dessen gesonderte Betrachtung gänzlich verzichtet wird. Zur näheren Vorstellung aktueller Forschungspositionen vgl. den Forschungsüberblick (1.2).

1. Einleitung

13

turverlags innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes des Franquismus herausgearbeitet. Andererseits steht die Arbeit im Zeichen der Erforschung des internationalen Literaturtransfers zwischen Spanien und Lateinamerika. Die Funktion der lateinamerikanischen Literatur wird als elementarer Teil einer bestimmten Verlagspolitik und der literarischen Entwicklung im Spanien der 60er und 70er Jahre analysiert. Unter dem Stichwort des Boom geht es dabei vor allem um die Erforschung der Marktbeziehungen literarischer Produktion. Damit liegt der Arbeit ein der Empirie und der Literatursoziologie verpflichteter Zugang zugrunde, der die pragmatische Dimension des literarischen Textes in den Vordergrund der Analyse stellt und vor allem den Akt der Vermittlung selbst problematisiert - als eine keinesfalls interessenlose Kanalisierung, in der Verlage als wesentliche Instanz fungieren. Insofern ein Fall des transatlantischen Literatur- bzw. Kulturtransfers behandelt wird, ist sie ferner als Beitrag zu einer die Internationalität von Nationalliteraturen berücksichtigenden Literaturgeschichtsschreibung zu verstehen, die sich die Überwindung nationaler Ausschließungstendenzen zum Ziel setzt was gerade für die Forschung zu europäischen Literaturen immer noch ein Desiderat darstellt.6

1.1

Theoretische und methodische Überlegungen

Literaturwissenschaft,

Verlags- und

Medienforschung

Historische Verlagsforschung wird in dieser Arbeit als Querschnittsaufgabe verstanden, die ein integratives Vorgehen erfordert. Sie vereint, so der Historiker Siegfried Lokatis, vielseitige Aufgabenbereiche und definiert sich "als disziplinübergreifende, quellenkritische Grundlagenforschung [...], die zwangsläufig mehrdimensional ausgerichtet [ist] und sich eines umfangreichen methodischen Repertoires [bedient], das z.B. statistische, betriebsgeschichtliche und diskursgeschichtliche Verfahren enthält" (Lokatis 1999: 525). Demgegenüber ist trotz eines beträchtlichen Angebots an theoretischen Entwürfen zur literarischen Kommunikation immer wieder festzustellen, dass diese den empirischen Befunden nicht völlig gerecht werden können; Modelle unterschiedlicher Komplexität bieten ein Grundgerüst, das jedoch kaum die konkreten pragmatischen Beziehungen von Literatur abbilden kann.7 Wenn im Folgenden -

Vgl. dazu auch Claudio Guillén, der als Resümee seiner komparatistischen Studien zur europäischen Literatur zur "superación del concepto de nación" (1998: 418) auffordert. Einen Überblick über diesbezügliche Konzepte bietet Schöning (2000). Ältere lineare Kommunikationsmodelle gehen meist auf die Grundtriade von AutorWerk-Leser und Sender-Botschaft-Empfänger (Lasswell/Berelson) zurück und kennzeichnen Verlage oder Feuilletons als dazwischen agierende Vermittlungsinstanzen (eine Zusammenfassung gibt Homberg 1992). Siegfried J. Schmidt differenziert zwischen den vier "Handlungsrollen" Produktion, Vermittlung, Rezeption und Verarbeitung, wobei der letztgenannte Begriff auch die literaturkritische Interpretation einschließt (S. J. Schmidt

14

Burkhard Pohl

einen gewissen Eklektizismus durchaus in Kauf nehmend - einige aktuelle theoretische Ansätze diskutiert werden, dann unter der Prämisse, dass es nicht Aufgabe dieser Arbeit sein kann, aus den konkurrierenden, sich häufig ähnelnden Modellen einen neuen, einzigen theoretischen Erklärungsansatz zu konstruieren. Verlage nehmen eine Scharnierfunktion zwischen Autor und Publikum, zwischen Text und Markt ein. Innerhalb des Kommunikationsprozesses fungieren Verlage als interessegeleitete "gatekeeper of ideas" (Coser u.a. 1982: 362). 8 Sie sind eine aktive Vermittlungsstelle und zentrale Selektionsinstanz, deren Publikationsentscheidung und Programmkriterien steuernd auf die Produktion und Konsumption von Literatur einwirken: El editor se convierte en una figura clave en el funcionamiento del campo literario, dado que no actúa como mero intermediario entre mercado y escritores, sino como agente activo de esas relaciones: por lo que acepta o rechaza publicar, por los recursos que pone o puede poner en juego para promover sus mercancías, por las garantías que el solo sello de su empresa puede ofrecer ya al escritor, ya al público (prestigio, "seriedad", espíritu de vanguardia, etc.). Las relaciones ambiguas del escritor frente al mercado se manifestarán también como relaciones ambiguas frente al editor, quien puede aparecer como la ocasión o el obstáculo de su proyecto literario y, por ende, de su efectiva profesionalización. (Altamirano/Sarlo 1983: 69)9

8

9

1991). Während diese Entwürfe die Dimension des Marktes mehr oder weniger in ein einziges festes Modell integrieren, spricht Dill (1986) von "Literaturverhältnissen", die jeweils in einen kulturellen (Text) und einen industriellen (Buch) Kommunikationsprozess zu unterscheiden seien; mithin sei eine diskursgeschichtliche von einer ökonomischsoziologischen Analyse zu trennen. Geht man von einem weitgefassten Begriff der Rezeption aus, lässt sich mit Wiese, die auf Faulstich Bezug nimmt, als "distributive Textverarbeitung" die Rezeption durch professionelle Instanzen (Literaturkritik, Verlag) von der im eigentlichen Sinne "rezeptiven Textverarbeitung" durch private Leser bzw. Käufer und einer "produktiven Textverarbeitung", d.h. der Verfilmung und anderen Formen medialer Verarbeitung unterscheiden (Wiese 1992: 17). Insgesamt bleibt der Erklärungsgehalt dieser statischen Modelle begrenzt und hält einer empirischen Überprüfung selten stand, wie auch Wiese (ebd.) resümiert. So kommen z.B. im Verlag gleichermaßen Verfahren der Produktion, Distribution und Rezeption zur Anwendung. Gegenüber den Vorstellungen einer Linearität von Kommunikation ist heute besser von einer komplexen Vernetzungsstruktur aller beteiligten Instanzen auszugehen, die Interdependenzen und Rückwirkungen berücksichtigt (Faulstich 1998: 139). Gaiser versucht diese Interrelationen im differenzierten Modell einer übergreifenden "Institution Literatur" (Gaiser 1993: 82) zu erfassen, um auf diesem Wege pragmatische Zusammenhänge mit einzubeziehen. Mit der aus der traditionellen Kommunikationswissenschaft (Lewis/White, Robinson) stammenden Vorstellung des Ein- und Ausgang von Informationen kontrollierenden "gatekeeper" werden Entscheidungs- und Publikationskriterien kommunikativer Vermittler Journalisten, Redakteure, Verleger, usw. - untersucht (Knetsch 1999: 30, Kübler 2000: 25). Schon Escarpit betont die selektive Funktion des literarischen Verlags (choisir) gegenüber den weiteren Funktionen Herstellung (fabriquer) und Vertrieb (distribuer) (Escarpit 1968: 64).

1. Einleitung

15

Demgegenüber konnotieren schematische Dichotomisierungen, z.B. zwischen kommerziellen und kulturellen Verlagen eine "keineswegs nur bei Laienkritikern und Avantgarde-Autoren" (Röhring 1997: 1) verbreitete Autonomie-Vorstellung von Kunst oder zumindest eines Teils davon, auf die in der literarischen Öffentlichkeit regelmäßig rekurriert wird. 10 Dualismen der Art [groß-Massenpublikum-affirmativ-ökonomisch] vs. [klein-Avantgardemilieu-kritisch-kulturell] mögen zwar graduelle Unterschiede zutreffend charakterisieren, geben aber ein allzu undifferenziertes Bild wieder und verdecken das notwendige ökonomische Interesse auch der Kleinverlage oder die Tatsache, dass gerade das ambitionierte literarische Programm im finanziell starken Großverlag eine Nische finden kann. 1 1 Bei allen strategischen und programmatischen Differenzierungen ist auf der stets auch ökonomischen Bedingtheit der literarischen und insbesondere der verlegerischen Tätigkeit zu insistieren: We conclude that the major task for editorial judgement is to try to determine which projects will pay their way. The criteria for financial success, as well as the methods through which this success is realized, differ considerably from one house to another; but the principle remains that publishing is, above all, a business. (Coser u.a. 1982: 146)12 Verlagsforschung leistet somit einen notwendigen Beitrag zu einer Literaturwissenschaft, die sich das Ziel setzt, ein auf die im engen Sinn ästhetische Analyse zentriertes Vorgehen zu überwinden: In sum, the study of publishing houses can help break the impasse of analytical models that place texts and commerce on incommensurable levels of existence by identifying points of articulation where economic and symbolic capital are converted from one to another via specific strategies. (Danny J. Anderson 1996: 35)13 10

11

12

13

Viele Darstellungen unterstreichen den Dualismus von literarischer und ökonomischer Edition, also von zwei Polen, deren einer primär am ästhetischen, der andere am kommerziellen Wert und Erfolg ihres Produktes orientiert sei. Rama prägt den Begriff der "empresa cultural" gegenüber den "empresas estrictamente comerciales" (Rama 1981: 67), der Verleger Giulio Einaudi spricht von der Dichotomie zwischen "Ja"- und "Nein"Verlegern (Einaudi 1993: 12). Eine ähnliche Dichotomisierung liegt auch der Feldtheorie Bourdieus zugrunde (s.u.). So betont unter anderem Weimann: "Der gegenwärtige Raum kultureller Tätigkeiten ist viel weniger autonom, viel weniger aus einer abgrenzbaren Kernzone der Hervorbringung schöner Künste ableitbar, als das zu Zeiten der klassischen Industriegesellschaft allenfalls noch scheinen mochte." (Weimann 1997: 246). Die Autoren untersuchen den US-Verlagssektor der frühen 80er Jahre, dessen Kennzeichen nicht ohne weiteres auf einen spanischen Kontext der letzten 60 Jahre übertragbar sind. Abgesehen von den politisch-gesellschaftlichen Kontexten sind spanische Verlage kleiner, besitzen weniger ausgeprägte Management-Strukturen und erzielen wesentlich geringere Auflagen. Dies verbietet jedoch nicht, grundsätzliche Aussagen zu übertragen; Gemeinsamkeiten bestehen etwa in der Entwicklung der Agenturtätigkeit oder der Konzentrationsprozesse. Ich stimme hier mit der bei Bergenthal (1999: 265) zitierten Auffassung von Zima (1991: 366) überein, "daß der Objektbereich der Literaturwissenschaft weit über den literarischen Text hinausgeht und das literarische Kommunikationssystem als ganzes umfaßt: den lite-

16

Burkhard Pohl

Hier zeichnet sich in den letzten Jahren eine Renaissance von Ansätzen ab, die den sozioökonomischen Bedingungsfaktoren eines literarischen Textes gerecht zu werden versuchen. Während Walter Homberg noch 1992 erklärte, dass "[d]ie Literaturwissenschaft [...] die materielle Seite der literarischen Produktion und Distribution meist ignoriert" habe (Homberg 1992: 392), nimmt, beflügelt durch die wachsende Interaktion mit anderen Disziplinen, auch in den Philologien die Beschäftigung mit der Funktion von Literatur "como medio de comunicación e institución social" (Iglesias Santos 1994: 309) in den 90er Jahren wieder zu, was unter anderem an der schlagartigen internationalen wissenschaftlichen Konsekration der Schriften Pierre Bourdieus abzulesen ist. Soziologische, kulturwissenschaftliche und komparatistische Modelle haben Beziehungen zu erfassen versucht, innerhalb derer Literatur als soziales und ästhetisches Phänomen verstanden wird. 14 Gemeinsam ist diesen Theorien der Gedanke einer dynamischen Ausprägung des kulturellen Lebens, innerhalb derer, mit einer mehr oder weniger starken Eigengesetzlichkeit sich organisierend, Auseinandersetzungen um Hegemonie und Gegenmacht geführt werden. Innerhalb dieser Struktur (Feld, System) pflegen sich einzelne Positionen zusammenzuschließen (Institutionen, Formationen), wobei sich ein diesen Positionen eigenes Interessensubstrat manifestiert (structure of feeling, Habitus, Repertoire, Ideologie). Instanzen der Produktion (Verlag, Autor) und Legitimation bzw. Rezeption (Literaturkritik, Universität) stehen in einer "interaction constante" (Dubois 1978: 87) und setzen Kanonisierungsprozesse in Gang. Gerade Verlagshäuser sind über weite Strecken des 20. Jahrhunderts Zentren dieser Interaktion einer intellektuellen Elite und organisieren deren öffentliche Präsenz. 15 Verlegerisches Handeln ist dann insgesamt als interessegeleitete Beeinflussung der literarischen Machtverhältnisse zu verstehen. Aufgabe der Forschung ist, das aktualisierte Interesse im jeweiligen historischen Zusammenhang zu ermitteln. Bevor dies an zwei einschlägigen Ansätzen erörtert wird, ist eine weitere Differenzierung zum Untersuchungsgegenstand angebracht.

14

15

rarischen Markt, das Verlagswesen, Lesergruppen und ihre Ideologien, das Bibliothekswesen, literarische Bewegungen und die literarische Kritik sowie Literatur in den Medien." "Todas ellas [...] entienden la literatura como un sistema socio-cultural y un fenómeno de carácter comunicativo que se define de manera funcional, es decir, a través de las relaciones establecidas entre los factores interdependientes que conforman el sistema." (Iglesias Santos 1994: 309). Die Autorin bezieht sich, dem kanadischen Theoretiker Steven Tötösy folgend, auf verschiedene "teorías sistémicas", zu denen sie die Kultursemiotik Juri Lotmans, die Literatursoziologie Pierre Bourdieus und Jacques Dubois', die Empirische Literaturwissenschaft Siegfried J. Schmidts und Itamar Even-Zohars Polysystem Studies zählt. Dies gilt zumindest für einige westliche Staaten. Régis Debray betont z.B. die Machtstellung der Verlage Gallimard und Grasset als literarische Konsekrationsinstanzen im Frankreich der Jahre 1920-60 (1979: 73-94). Eine vergleichsweise intellektuelle Dominanz ließe sich im Italien der Nachkriegszeit für den Einaudi-Verlag beschreiben.

1. Einleitung

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In dieser Arbeit geht es vornehmlich um den mit der Publikation von Erzählliteratur beschäftigten Verlag. Gern wird bei der Rede von Verlagen vernachlässigt, dass sich in der Aufspaltung in literarische und nicht-literarische, institutionelle oder private (Publikums-)Verlage, Konzerne oder Ein-Person-Untemehmen, der Verlagssektor als viel heterogener erweist, als in den meisten Modellen suggeriert.16 Strukturelle Differenzierungen sind ferner nach den Vertriebswegen - Sortiment, Buchgemeinschaft, usw. - zu treffen. Marktbeziehungen zwischen einzelnen Unternehmen können durch Konkurrenz, aber auch durch Komplementarität geprägt sein.17 Generalisierende Aussagen zu Export- oder Auflagenzahlen müssen also am Fallbeispiel überprüft werden.18 Kultursoziologie In zahlreichen Schriften hat Pierre Bourdieu sein Feldkonzept auf die Bereiche Kunst und Literatur übertragen.19 Bourdieu versteht Gesellschaft als sozialen Raum, der durch verschiedene relativ autonome Felder konstituiert ist. Demzufolge gestaltet sich die literarische Produktion gemäß den Eigengesetzlichkeiten eines Feldes der Kunst bzw. der Literatur. Das Feld ist nicht als hierarchisch strukturiertes, sondern als relationales Gefüge konzipiert, in dem ein permanenter Kampf um (Machtpositionen herrscht.20 Diese Positionen zeichnen sich durch den Besitz einer Menge unterschiedlicher Kapitalarten (symbolisch-kulturell, ökonomisch, sozial) aus. Als konstitutives Gesetz des literarischen Feldes definiert Bourdieu die Dichotomie von Innovation und Imitation, d.h. von tendenziell autonom und heteronom orientiertem Prinzip. Diese Binärstruktur wird von Bourdieu auch auf das Verlagswesen übertragen, wo Bourdieu, und hierin ähnelt sein Ansatz dem von Escarpit,21 zwei entgegengesetzte Produktionslogiken und -zyklen am Werk sieht: 16

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Coser u.a. (1982: 92). Damit konstatieren die Autoren eine scheinbare Selbstverständlichkeit, die dennoch in einschlägigen Arbeiten zu selten thematisiert wird. Im spanischen Verlagswesen der 70er Jahre stehen z.B. Seix Barrai und Barrai Editores in direkter Konkurrenz, während sich das auf Originalausgaben spezialisierte Programm Seix Barrais und das Taschenbuchprogramm von Alianza eher ergänzen (siehe 4.2.1). "[E]l libro es un producto nada homogéneo y las afirmaciones excesivamente categóricas tienen un valor limitado y discutible si no va concretado al tipo de producción librera que en cada momento se está teniendo presente." (Martínez Alés 1972: 67). Vgl. Bourdieu (1979, 1983, 1983a, 1992, 1997, 1997a). Weitere Erläuterungen bei Fröhlich (1994) und Jurt (1995). "Das literarische (etc.) Feld ist ein Feld von Kräften, die sich auf all jene, die in es eintreten, und in unterschiedlicher Weise gemäß der von ihnen besetzten Stellung ausüben (etwa [...] diejenige des Autors von Erfolgsstücken oder die des Avantgardedichters), und zur gleichen Zeit ein Feld der Konkurrenzkämpfe, die nach Veränderung oder Bewahrung jenes Kräftefeldes streben." (Bourdieu 1997: 34). Robert Escarpit unterscheidet einen "circuit lettré" (74) als geschlossene Sphäre der kulturellen Eliten und den "circuit populaire" der lediglich zu 'intuitiven' (75) ästhetischen Urteilen befähigten Kulturkonsumenten. Eine solche - kaum haltbare - strikte Trennung beider Ebenen ist in Bourdieus Feld-Modell allerdings weniger scharf angelegt.

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Burkhard Pohl A un pôle, l'économie anti-"économique" de l'art pur, qui, fondée sur la reconnaissance obligée des valeurs de désintéressement et sur la dénégation de 1'"économie" (du "commercial") et du profit "économique" (à court terme), privilégie la production et ses exigences spécifiques, issues d'une histoire autonome; cette production [...] est orientée vers l'accumulation de capital symbolique, comme capital "économique" dénié, reconnu, donc légitime, véritable crédit, capable d'assurer, sous certaines conditions et à long terme, des profits "économiques". A l'autre pôle, la logique "économique" des industries littéraires et artistiques qui, faisant du commerce des biens culturels un commerce comme les autres, confèrent la priorité à la diffusion, au succès immédiat et temporaire, mesuré par exemple au tirage, et se contentent de s'ajuster à la demande préexistente de la clientèle [...] (Bourdieu 1992: 202)

Bourdieu klassifiziert Verlage nach dem Anteil langfristiger und kurzfristiger, Bestseller-orientierter Planung. Zwischen diesen beiden Extremen, die im Frankreich von 1975 durch Laffont und Minuit repräsentiert werden, siedelt sich eine Verlagsposition an, die auf dem Wege ist, akkumuliertes symbolisches in ökonomisches Kapital umzuwandeln und widersprüchliche Distinktionsinteressen (Avantgarde vs. Kommerz) auszutarieren sucht. Diese Verlegergestalt entspricht am ehesten Bourdieus Rede vom Verleger oder Ausstellungsleiter als "Doppelgestalten", die die ökonomische Logik in das Feld künstlerischer Produktion vermitteln. 22 Das von Bourdieu für das Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts konzipierte Modell ist gerade beim Transfer auf spanischsprachige Literaturen nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen, zumal Bourdieus Begrifflichkeit bisweilen uneindeutig ausfallt. 23 Carlos Altamirano und Beatriz Sarlo kommen bei grundsätzlicher Zustimmung zu dem Schluss, dass Bourdieus Thesen für den lateinamerikanischen Kontext der Modifizierung bedürfen. Zu revidieren sei vor allem das Prinzip einer (relativen) intellektuellen Autonomie angesichts eines stets durch politische und ökonomische Heteronomie dominierten Publikationsprozesses; des Weiteren seien Bedenken gegenüber der nationalen Eingrenzung des Feldbegriffes anzumelden. 24 Mit ein-

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Bourdieu (1997: 37). Auch aus der Systemtheorie stammende Anregungen definieren den Buchverlag in einer Doppelfunktion "in der Interpenetrationszone von Kultur und Wirtschaft", wie Georg Jäger (1995: 34) im terminologischen Bezug auf Talcott Parsons erklärt. Wenn Jäger anschließend den "deutlichen Erkenntnisgewinn" (ebd.) einer systemtheoretischen Herangehensweise betont, die nach Claus-Michael Ort "die sozialorganisatorischen Produktions-, Rezeptions-, Distributions- und Verarbeitungsbedingungen literarischer Wirklichkeitskonstruktionerl" (zitiert bei Jäger 1995: 35) analysiere, übergeht er allerdings völlig die umfassende literatursoziologische Theorietradition. Die Überschneidungen zwischen Bourdieus Kapitalbegriff und der Systemtheorie sind offensichtlich, wenn z.B. die "Eigenspezifik" von Verlagen darin gesehen wird, "kulturelle und wirtschaftliche Wertmuster zu verbinden und zu tauschen" (ebd.). Auch Fröhlich weist daraufhin, dass "Raum- und Feld-Begriff [...] abwechselnd in Singular und Plural und als Ober- oder Unterbegriff verwendet und in verschiedensten Kontexten unterschiedlich eingesetzt [werden]." (Fröhlich 1994: 52, Anm. 11). "El criterio [de autonomía] se torna problemático cuando se ponen a foco ciertas sociedades donde [...] no se han consolidado sistemas políticos liberal-democráticos estables, aunque la extensión de las relaciones capitalistas ha generado un campo intelectual [...]"

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leuchtenden Argumenten hat Kathrin Bergenthal am Beispiel Chiles die Übertragbarkeit der Kapitaldichotomien auf den heutigen Literaturmarkt angezweifelt, auf dem der ökonomische Erfolg häufig erst als Vorbedingung für den Aufbau symbolischen Kapitals dient (Bergenthal 1999: 273). Problematisch erweist sich die in der Feldtheorie angelegte Wertung, mit der Bourdieu eine eher autonome, elitäre Produktion von der auf primär finanziellen Gewinn angelegten Kunst abgrenzt und einer Dichotomisierung von hoher und niedriger Kunst Vorschub leistet.25 Nichtsdestoweniger kann eine literatursoziologische Untersuchung kaum umhin, ein Umfeld zu benennen, in dem sich literarische Kommunikation abspielt, mag man es nun Literaturbetrieb,26 literarisches Leben oder eben Feld nennen; die Annahme bestimmter, etwa mit dem Begriff des symbolischen Kapitals verbundener Eigendynamiken muss aber nicht schon das Losgelöstsein literarischer Produktion von gesellschaftlichen Prozessen bedeuten. Bourdieus Ausführungen bieten eine Terminologie, die zur Beschreibung und Bezeichnung empirischer Befunde durchaus taugen kann und für die Ausleuchtung poetologischer Debatten und Abgrenzungsmechanismen mittlerweile etabliert ist.27 Auf jeden Fall ist Bourdieus Begriff der Autonomie aufzugeben und höchstens als Zielvorstellung zu kennzeichnen, die dann nicht als unspezifisches Handlungsmotiv im Rahmen eines literarischen Kräftefeldes vorauszusetzen, sondern in ihren Relationen - als Streben nach rechtlicher, sozialer oder finanzieller Unabhängigkeit zum Zweck literarischer Produktion - darzulegen wäre. Ich spreche deshalb vom Feld als operationalisierbarem Konstrukt im Sinne der von Altamirano/Sarlo gemachten Einschränkungen: Für das franquistische Spanien ist von einem prinzipiell heteronomen literarischen Feld auszugehen, dessen Akteure innerhalb der strukturellen Heteronomie Freiräume entwickeln und sich dabei bewusst als gesellschaftlich handelnde Subjekte verstehen.28 Schon durch die Gege-

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(Altamirano/Sarlo 1983: 85). Vgl. außerdem Grandis (1993) zum Transfer von Bourdieus Thesen auf die Literatur Argentiniens, Buckley (1996) für die Anwendung auf Spanien. In ihrer Darlegung der Feldtheorie kommen Andreas Dörner und Ludgera Vogt entsprechend zu dem Schluss, "[...] daß es sich bei der Zuordnung von Bezeichnungen wie 'hoch' oder 'niedrig', 'Kunst' oder 'Kitsch' um einen nahezu klassischen Etikettierungsprozeß [...] handelt [...]" (Dörner/Vogt 2001: 99). Vgl. auch die schon von Christa Bürger u.a. (1982) an der Dichotomisierung von Hoch- und Trivialkultur geübte grundsätzliche Kritik. Zum "Literaturbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland" vgl. Arnold (1981). Dies in Übereinstimmung mit Elisabeth Arend: "Die literatursoziologische 'Schule', die sich auf Bourdieu [...] bezieht, ist dort am überzeugendsten, wo es um die Untersuchung literarischer Schulen bzw. Strömungen geht, um das Erkennen der Mechanismen im Spannungsfeld von Gesellschaft, Politik und Ästhetik, die bei der Ausformulierung poetologischer Konzepte eine Rolle spielen." (Arend 1998: 135). Zu Erscheinungsformen dieser Heteronomien (Zensur, Subventionspolitik) siehe 2.1 und 2.2. Die Rede von struktureller Heteronomie schließt auch innerbetriebliche Entscheidungshierarchien eines Verlags mit ein (siehe 3.4.4).

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benheiten des nationale Grenzen überschreitenden Buchmarktes spanischer Sprache ist ferner eine gewisse Internationalität des Feldes vorauszusetzen. Raymond Williams' Cultural Materialism setzt sich das Ziel, zwischen ökonomischem Determinismus und esoterischem Autonomiedenken eine Beschreibung kultureller Produktion zu entwickeln, die deren vielfältigen und historisch wechselnden Bedingungsfaktoren gerecht werden kann. Williams setzt dabei auf die Integration von Soziologie und Kulturwissenschaft. Zur Erfassung der gesellschaftlichen Beziehungen der "artistic and intellectual activities" (R. Williams 1981: 13) mit den ihnen eigenen Gesetzmäßigkeiten ("internal institutional reproduction", 223) widmet Williams der Frage der Autonomie von Kultur einigen Raum. Insofern er der kulturellen Aktivität und ihren Akteuren eine gewisse Eigenständigkeit ("relative distance"; "variable autonomy", 218) zugesteht, nähert sich Williams den Positionen Bourdieus und der Systemtheorien. Kultur ist jedoch weniger deutlich von Gesellschaft etwa durch die vermutete Vermittlung eines Habitus abgegrenzt und, das ist entscheidend, Autonomie nicht zum wertenden Maßstab kultureller Aktivität erhoben: "No füll account of a particular formation or kind of formation can be given without extending description and analysis into général history." (85) Auch wenn Williams das soziale Klasseninteresse kultureller Akteure nicht negiert, legt er das Augenmerk auf die spezifischen, in stetigem Wandel begriffenen Realisierungen des kulturellen Lebens, 29 die eben in verschiedener Distanz zu staatlicher und wirtschaftlicher Macht stehen; andererseits warnt Williams jedoch vor apologetischen Annahmen einer "uncommitted intelligentsia". Deren Funktion sei vielmehr im Rückgriff auf Gramscis differenzierte Überlegungen zur Einbindung des organischen Intellektuellen zu erörtern (227). 30 Neben den institutions als den für Kultur zuständigen administrativen und korporativen Einrichtungen (Kammern, Akademien) definiert Williams verschiedene Typen interner kultureller (Selbst-)Organisation unter dem Begriff der formation: kulturelle Gruppierungen oft reduzierter Mitgliederzahl und begrenzter Dauer. 31 Williams 29 30

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"[A] social class is by no means always culturally monolithic." (R. Williams 1981: 74). Williams' materialistischer Ansatz verficht damit eine durchaus marxistische Position, die "bei der Analyse der komplexen Verschränkung des sozialen und ökonomischen, des politischen, ideellen und kulturellen Bereichs nicht auf der Priorität der Ökonomie [beharrt] und [...] sowohl eigendynamischen Prozessen als auch individual- und sozialpsychologischen Faktoren Rechnung [trägt]" (Scheideier 1997: 9). Scheideier bezieht sich dabei auf Marx' dritte "These über Feuerbach" (1845). In Williams' Definition: "variable relations in which 'cultural producers' have been organized or have organized themselves" (1981: 35). Nach dem Grad der formellen Anbindung unterscheidet er formations nach drei Typen interner Organisation: auf "formal membership" basierend, als informelle "collective public manifestation" über ein öffentliches Medium repräsentiert (Bsp. Der blaue Reiter), schließlich unorganisiert, jedoch durch "conscious association or group identification" verbunden (68). Seix Barrais Reihe Biblioteca Breve, die in der Kooperation befreundeter externer und interner Verlagsmitarbeiter entsteht, erfüllt z.B. die Kriterien einer "collective public manifestation"; die sich

1. Einleitung

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betont die Heterogenität einzelner Formationen, denen weniger eine fest umrissene Ideologie, denn eine variable structure of feelings eigne. Mit dem Begriff der formation füllt Williams eine Leerstelle der Feldtheorie Bourdieus, der weniger Kollektive als Individuen im Blick hat. Innerhalb des literarischen Lebens stehen ferner als dominant, residual oder emergent zu bezeichnende Prinzipien in einer oft agonalen Beziehung (204). Die dominante Position ist besetzt durch Institutionen und am engsten angebunden an soziale Hegemonieinstanzen, während die anderen Typen Alternativen formulieren, sei es als Aktualisierung von seit jeher Existierendem (residual), sei es als Schaffung von Neuem durch Bruch von außen mit dem Etablierten (emergent). Nach Williams ist emergence nicht deckungsgleich mit Innovation an sich, da diese auch innerhalb der dominierenden Position entstehen könne. Williams' Entwurf ist auch für außerhalb des britischen Kontextes angesiedelte Untersuchungen anregend, da er die Möglichkeit eröffnet, ohne die Vorgaben eines allzu engen Modells spezifischen historischen und individuellen Gegebenheiten gerecht zu werden - dies gilt z.B. im Falle Spaniens für die Analyse loser literarischkultureller Interessengemeinschaften wie der Gauche Divine oder der Gruppe um Seix Barrai.32 Literarischer

Austausch und Internationalität

von Literatur

Der grenzüberschreitende Literaturaustausch stellt keineswegs ein exklusiv zeitgenössisches Phänomen dar. In historischer Perspektive ist aber eine Verlagerung vom "vor- und frühneuzeitlichen 'Internationalismus'" als Elitenphänomen zum gegenwärtigen Transnationalismus als einem "viel dichteren und intensiveren Massenphänomen" zu beobachten (Swaan 1995: 110). Die aktuellen literarischen bzw. kulturellen Kontakte entspannen sich im Kontext "komplexer, multidimensionaler Prozesse" der Globalisierung,33 die die Professionalisierung der sich (auch) transnational organisierenden Vermittlungsinstanzen einschließen. Ein solcher Prozess kennzeichnet gerade die Literaturbeziehungen innerhalb der spanischsprachigen Welt der 1960er Jahre. Der Boom signalisiert eine besondere Verdichtung des mate-

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über mehrere Verlage und Zeitschriften artikulierende Generación del Medio Siglo zeigt Merkmale einer "conscious association". Siehe meine Darstellung in 3.3 (Seix Barrai) und 5.1.3 (Gauche Divine). Aus diesem Grund schlagen Altamirano/Sarlo (1983: 99f.) eine Kombination von Williams' Vorschlägen mit der Feldtheorie vor, um zu einer Binnendifferenzierung der von Bourdieu erstellten Struktur von Positionsnahmen zu gelangen. In der Retrospektive würdigt Sarlo die Bedeutung der Theorien Williams' im Kontext der argentinischen Diktatur von 1976-83, als die von Williams vorausgesetzte Verquickung von Kultur und Politik eine Selbstlegitimation der "acción intelectual" als politisches Handeln ermöglicht habe (Sarlo 2000: 312). "Globalisierung ist ein komplexer multidimensionaler Prozess der Entgrenzung und Enträumlichung zum einen, der Verdichtung und Vernetzung zum anderen." (Tetzlaff

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Burkhard Pohl

riellen und geistigen literarischen Austauschs zwischen Lateinamerika und Europa bzw. Spanien. Die Forschung zur Internationalisierung von Literaturen gibt hier bislang keine einheitliche Begrifflichkeit vor.34 Die meisten der geschilderten Entwürfe geraten bei der Analyse internationaler Literaturbeziehungen an ihre Grenze und zeigen in ihrer Beschränkung auf nationale Zusammenhänge eine die Literaturwissenschaften insgesamt kennzeichnende Blickverengung. 35 Die auf Itamar Even-Zohar zurückgehenden Polysystem Studies verstehen die literarische Kommunikation als Relation und als Produkt von Hegemoniekämpfen. 36 Diese Forschungsrichtung hat sich, innerhalb eines breiteren Trends der Übersetzungsforschung, insbesondere der Untersuchung internationaler Austauschbeziehungen gewidmet, die sich als Transfer zwischen Quell- und Zielsystem manifestieren. Unter Betonung der (geografischen, kulturellen) Peripherie in binnen- und intersystemischen Beziehungen stehen auch die Verbindungslinien von literarischer Übersetzung und politisch-ökonomischen Interessen (Sprachpolitik) zur Diskussion. Die so aufgeworfenen Fragen zu den Bedingungen der Aneignung übersetzter bzw. nicht-nationaler Literatur werden bei der Analyse von Rezeptionsdiskursen virulent.37 Allerdings scheint der überwiegende Teil der Arbeiten zur Übersetzungs- und Transferforschung zumeist den Akzent auf diskursive und im engeren Sinn literari-

2000: 24). Für der Kommunikationswissenschaft entstammende Modelle internationaler, medialer Kommunikation z.B. besteht die Aporie, dass "keine theoriegeleitete Herangehensweise üblich ist, die mit klar definierten Begriffen und problembezogenen Fragestellungen operiert." (Kriener/Meckel 1996: 12). 35 Auch die historische Verlagsforschung gibt hier kaum Hilfen an die Hand, denn sie scheint Darntons auf die Buchforschung bezogene Befürchtung einzulösen, "[to face] a danger that has restricted the development of other disciplines: nationalization." (Damton 1987: 33). 36 "[jjjjg 'literary system' can be formulated to mean [...] [t]he network relations that is hypothesized to obtain between a number of activities called 'literary', and consequently these activities themselves observed via that network." (Even-Zohar 1990: 28). Mit dem Neologismus Polysystem unterscheidet Even-Zohar sein Konstrukt als dynamisch und heterogen gegenüber anderen System-Begriffen. Ziel ist es, einen "Dynamic Functionalism" von Literatur und der ihr systemisch verbundenen Größen herzustellen (ebd.). Konzipiert als Netz von Beziehungen und Auseinandersetzungen zwischen Kanonisiertem und Nicht-Kanonisiertem, sind die Überschneidungen mit der Feldtheorie offensichtlich, mit der man die Ausrichtung auf strukturelle Relata und einer gewissen Autonomie teilt. Anders als Bourdieu lehnt sich Even-Zohar an ein auf Jakobson zurückgehendes Modell systemischer Kommunikation zwischen Produzent, Produkt und Konsument an, am Markt wirkende Institutionen (Verlag, Feuilleton) sind zwischengeschaltete Bedingungsinstanzen, ein Repertoire von Normen und Werten liefert die ideologisch-diskursive Grundlage (1990: 31). Vgl. zu den Polysystem Studies auch die hervorragende Darstellung bei Iglesias Santos (1994: 327-48). 37 Siehe die Abschnitte 4.3 und 5.3.3 dieser Arbeit. 34

1. Einleitung

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sehe Prozesse zu legen, während erstens die Materialität der Vermittlungsinstanzen und des Übermittlungskanals seltener zur Diskussion steht, zweitens die Rückbindung des Transferprozesses an die gesellschaftlichen Kontexte zwar gefordert wird, aber bislang noch zu wenig in den Blick genommen wurde.38 Es bleibt deshalb noch zu klären, inwieweit die Polysystem Studies tatsächlich die im herkömmlichen Systembegriff angelegte Vorstellung der Eigengesetzlichkeit und Abgeschlossenheit literarischen Handelns aufzubrechen wissen.39 Vor allem José Lambert hat die Polysystemtheorie in dieser Richtung weitergeführt und dabei Wert darauf gelegt, dass "le terme 'littérature' ou 'système littéraire' n'implique nullement l'autonomie de la littérature".40 Grundsätzlich scheint mir geboten, eine mindestens doppelte Untersuchungsperspektive einzuhalten, die zwischen der Intemationalität als organisatorisch-institutionellem Phänomen und als individuell-geistigem Prinzip differenziert, wie es Lutz Danneberg und Jörg Schönert ähnlich für den verwandten Fall des internationalen Wissenschaftstransfers darlegen.41 Anthony Pym rekurriert auf das im Zuge der Globalisierungsdebatte gängig gewordene Bild des Netzes bzw. Netzwerkes {network, réseau),42 um eine adäquate Beschreibung auch der materiellen Gegebenheiten historischer internationaler Austauschprozesse zu leisten. Pym bemängelt an der von Even-Zohar vorgeschlagenen Terminologie, dass dessen Rede von Systemen als "networks of relations" (s.o.) den literarischen Austausch nur zwischen sprachlich und geografisch vorstrukturierten Gemeinschaften voraussetze. Pym plädiert stattdessen für die Perspektive transkultureller Netze, die sich ortsunabhängig zwischen den Kulturen entwickeln und in der Interaktion von Personen, Gruppen oder Institutionen ständig neu konstituieren: Instead of communities, organisms and ecosystems, it is perhaps more stimulating to think of winds, of forces that sweep across particular cultures [...] without any necessary restriction to the inner cohesion or circularity of the territory crossed. Such a network

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Die Berücksichtigung der "implicaciones políticas, económicas y sociales" in der Übersetzungsforschung wird auch von Iglesias Santos als ein Bereich erkannt "en el que casi todo el trabajo queda por hacer" (1994: 343). Vgl. Lorenz (2001:566). Lambert (1983: 7), vgl. Lorenz (2001: 568). Danneberg/Schönert (1996: 10-12) nehmen an gleicher Stelle noch weitere begriffliche Differenzierungen vor. Parallele Prozesse auf den beiden genannten Ebenen sind häufig, aber nicht zwingend gegeben. So ist z.B. der Literaturaustausch zwischen Spanien und Lateinamerika im 20. Jahrhundert in beträchtlichem Maße durch das nationale Eigeninteresse und Superioritätsdenken auf Seiten der ehemaligen Kolonialmacht determiniert. "Im transnationalen Kontext sind kulturelle Praktiken in Netzwerke aus wirtschaftlichem Austausch und politischer Interdependenz eingebettet, die ständig in Frage gestellt, umstritten, sich anpassend und subversiv sind [...] Die soziologische Untersuchung der transnationalen Gesellschaft sollte in allererster Linie jene Unternehmer, Funktionäre, Experten und Medienpersönlichkeiten erforschen, die diese Netze konstituieren [...]" (Swaan 1995: 109 u. 116).

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Burkhard Pohl would comprise the general lines of individual voyages made from culture to culture, without mimicking the curves of geographical frontiers. [...] The historiography of intercultural transfer must be based on the development of such networks at all levels: those of navigators, railways, roads, political and military alliances, colonial and imperialist extensions. (Pym 1992: 138f.)43

Eine solche Untersuchung lenkt den Blick auf die "mediale Konditionierung literarischer Austauschprozesse in historischer Perspektive" (Paatz 2001: 147). Verlage agieren als Knotenpunkte von Netzwerken; sie organisieren und beeinflussen entscheidend die internationale Vermarktung und Artikulation kultureller Gruppen und Positionen. Seix Barrai z.B. wirkt in den 60er Jahren am Aufbau eines internationalen Verlagsnetzes mit, das im gemeinsamen Agieren kulturelle Definitionsmacht und Marktvorteile zu sichern sucht (siehe 3.4.3). Um die den literarischen Austausch konditionierenden Interessen und Erwartungen zu erfassen, fuhrt Pym darüber hinaus den Begriff des régime ein, den er der nordamerikanischen Politologie entnimmt. 44 Als verschiedenen Akteuren gemeinsames Regelwerk kennzeichnet das régime die ideologische Basis der empirisch messbaren Netzstrukturen.45 Denkbar wäre auch die Ausweitung der Feldtheorie auf die Untersuchung internationaler Literaturbeziehungen. Diese Anwendung ist allerdings außerhalb der Frankophonie noch wenig geleistet. Joseph Jurts Erörterung liefert einen Forschungsbericht und reklamiert die grundsätzliche Übertragbarkeit des Feldkonzepts auf außer43

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Pym untersucht den literarischen Transfer in verschiedenen sprachlichen Kontexten und bezieht vor allem Austauschbeziehungen zur iberischen Halbinsel ein. Dabei überzeugt, dass er sein Modell in zahlreichen Einzelstudien vom Mittelalter bis zur Gegenwart auf seine Tragfähigkeit überprüft (zuletzt Pym 2000). Auch Pym fällt hinter seine eigenen empirischen Befunde zurück, wenn er sich an anderer Stelle genötigt sieht, auf der Eigengesetzlichkeit der Literatur zu beharren und sich von soziologischen Ansätzen abzugrenzen, die seiner Ansicht nach die Kunst einem ökonomischen Determinismus unterwürfen: "la littérature n'est pas l'économie" (1988: 14). Diese Kritik unterstellt indes eine allzu platte Gegenposition: Die auch durch Pyms empirische Beispiele unterstützte Erkenntnis, dass kein literarisches Netz ohne das Wirken ökonomischer Mechanismen funktioniert, muss nicht dazu verleiten, eine völlige Entsprechung internationaler literarischer mit makroökonomischen Austauschprozessen zu vermuten. Pym bezieht sich auf Keohane/Nye (Keohane, Robert Owen/Joseph S. Nye: Power and Interdependence. World Politics in Transition, Nachdr. New York: Longman 1999 [1977]) sowie Finlayson/Zacher und zitiert die bei letzten gegebene Definition: "Un régime se compose d'ensembles - explicites ou implicites - de principes, de normes, de règles et de procédés de négociation autour desquels les attentes des acteurs convergent sur un champ de rapports internationaux, et grâce auxquels les comportements individuels de ces acteurs pourraient être coordonnés." (Finlayson, J.A./M.W. Zacher: "The GATT and the régulation of trade barriers: regime dynamics and functions", International Trade Organization 35:4 (Fall 1981), S. 563; zitiert und übersetzt bei Pym 1988: 13). In einer Studie zu Andrés Bello und der von diesem mit herausgegebenen Biblioteca Americana ermittelt Manfred Engelbert z.B. ein régime liberaler Interessen, das südamerikanische Revolutionäre und europäische Republikaner einander annähert (Engelbert 2001: 80). Unter 5.4 werde ich mit Bezug auf den Boom ein mögliches régime 'Transna-

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französische Literaturen, schlägt dabei aber Modifizierungen vor.46 Pascale Casanovas ambitionierte Studie einer "république mondiale des lettres" (1999) leidet unter dem Paris-Zentrismus der Autorin und allzu mechanischen Dichotomisierungen zwischen Innovation und Imitation, Autonomie und Heteronomie. 47 Es stellt sich die Frage, inwieweit, analog zu Jurt,48 ein internationales, transatlantisches Feld spanischer Sprache, mit jeweils nationalen Unter-Feldem, zu konstruieren ist, oder ob die binenstaatlichen Kräftefelder eher für sich (als national) zu betrachten sind, mit Unter-Feldern z.B. der Regionalsprachen.49 Meines Erachtens kann die Annahme eines internationalen literarischen Feldes mit der von Bourdieu vermuteten Handlungsautonomie nicht Apriori der Untersuchung sein, und ein solches ist nur bei einer hohen Intensität literarischer Kontakte beschreibbar, wie sie sich im Zeitraum des Boom zeigt. Ansonsten erscheint mir ein Vernetzungsbegriff angemessen, der der Fragilität internationaler Literaturbeziehungen, die oftmals auf dem Kontakt einzelner Personen beruht, besser gerecht wird.

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tionalität' untersuchen. Mit Bezug auf Paul Arons Untersuchungen zur belgischen Literatur plädiert Jurt dafür, den Begriff der Autonomie durch den der 'Unabhängigkeit' zu ersetzen. Damit könnten Beziehungen zwischen literarischen Zentren und Peripherien, die "oft durch moralische, religiöse oder politische Gründe motiviert" seien, erfasst werden (Jurt 1998: 101). Casanova umreißt in impliziter Anlehnung an Bourdieu einen internationalen "espace" der Literatur und hierarchisiert dabei sprachliche Räume literarischer Produktion nach dem Grad ihrer Autonomie. Vgl. meine Rezension Pohl (2000b). "Das literarische Feld ist nicht mit einem nationalen Raum identisch, sondern erstreckt sich zumeist auf einen ganzen Sprachraum; in das Feldkonzept läßt sich problemlos die Relation Zentrum-Peripherie einbauen." (Jurt 1998: 102). Dies entspräche wieder eher der Polysystemtheorie, von deren Warte aus Lambert für die Aufhebung nationalliterarischer Begriffe in der Pluralität von 'Literaturen' (in Belgien, in Spanien, usw.) plädiert (José Lambert: "Littérature et systèmes de valeurs: une mise en carte", Manuskript, zitiert bei Iglesias Santos 1994: 345).

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1.2

Burkhard Pohl

Forschung zum Thema

Forschungen zum spanischen

Buchmarkt

Bislang existiert nur eine schmale Forschung(sliteratur) über das spanische Verlagswesen. Einschlägige Arbeiten zum spanischen Buchmarkt des 19. und angehenden 20. Jahrhunderts sind meist in Frankreich entstanden, wobei vor allem die Arbeiten Jean-François Botreis zu nennen sind.50 Philippe Castellano (1996) hat eine materialreiche Dissertation zur Entstehung der Enciclopedia Espasa in den 20er Jahren verfasst. Besonders für die Zeit des Franquismus gilt hingegen Botreis Verdikt, dass innerhalb der an sich noch recht bescheidenen Buchhandelsforschung in Spanien die zeitgenössischen Entwicklungen am stärksten vernachlässigt worden seien.51 Der vom gleichen Autor beobachtete "discret courant d'intérêt pour le Franquisme" (55) hat bislang erst, neben Jubiläumsschriften und vorwiegend juristische und makroökonomische Fragen behandelnder Fachliteratur, wenige soziohistorische Einzelanalysen hervorgebracht.52 Trotz der breit gefächerten Forschung zur spanischen Nachkriegsliteratur ist, wie auch José Carlos Mainer zu Recht beklagt, die Funktion der Literaturverlage daher selten einmal Gegenstand wissenschaftlichen Interesses gewesen.53 Dass die Verlagsforschung in Spanien nur sehr langsam von der Stelle kommt, liegt auch am erschwerten Zugang zu Unternehmensarchiven, die oft nicht mehr existieren: "Una guerra civil y mucha desidia previa han hecho desaparecer - en lo que me consta - archivos que pudieron ser próvidas fuentes de información [...]", vermerkt Mainer für den Beginn des 20. Jahrhunderts und trifft damit eine Feststellung, die sich auch für die Nachkriegsgeschichte als gültig erweist.54 Ebenso gilt allerdings

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Einen Überblick über die Forschung zum spanischen Buchwesen bis zum Beginn der 90er Jahre gibt Jean-François Botrel (1995). "[L]a période contemporaine [est] encore indubitablement la plus délaissée." (Botrel 1995: 51). Ein Grund liegt sicher in der mangelnden wissenschaftlichen Institutionalisierung von Buchhandels- und Verlagsforschung, auch wenn sich der Kreis der beteiligten Disziplinen ausweitet: "Aujourd'hui, en Espagne, les historiens du livre et de la lecture, sans oublier la presse, sont toujours des bibliothécaires et bibliographes auxquels sont venus s'ajouter des historiens de l'éducation, des hispanistes historiens de la culture et de la littérature et des spécialistes des sciences de l'information et de la communication [...]." (Botrel 1995: 58). Mainer schließt in sein unter Berufung auf Robert Escarpit formuliertes "programa de sociología de la literatura" deshalb eine detaillierte Beschäftigung mit literarischen Verlagen ein (Mainer 1988: 139). Unter den einschlägigen Literaturgeschichten stellt José María Martínez Cachero (1985) umfangreiches Material zu den verlegerischen Bedingungen der spanischen Literatur des 20. Jahrhunderts bereit. Mainer (1988: 144). Das Gesagte gilt nicht nur für spanische Verlage: "Unfortunately, however, publishers usually treat their archives as garbage" weiß Darnton (1987: 41) in seiner Bestandsaufnahme der internationalen Buchgeschichtsforschung zu berichten. An-

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der Einwand Botreis, dass vorhandene Archive noch bei weitem nicht aufgearbeitet geschweige denn ausgewertet worden seien:55 Nicht nur spanische Verlage öffnen ihre Archive äußerst ungern für die Forschung, und die Tatsache, dass viele der im Franquismus relevanten Verlage noch heute bestehen, macht dieses Unterfangen nicht leichter.56 Insofern über die Beschäftigung mit dem lateinamerikanischen Boom speziell der Verlag Seix Barrai in den Mittelpunkt rückt, verstehe ich meine Fallstudie als einen Beitrag zu Mainers wie folgt formuliertem Desiderat: En lo más cercano, cabe soñar que algún día podamos recontar lo que ha significado desde 1956 la Biblioteca Breve de Editorial Seix-Barral, su participación en las reuniones editoriales de Formentor, su actuación en la difusión de la nueva novela francesa o la política de los premios Biblioteca Breve. (Mainer 1988: 145)

Für die Analyse des Verlagswesens nach dem Spanischen Bürgerkrieg ist Josephine Hurtleys Monografie über den Verleger José Janés (1986) ein unersetzliches Werk. Zum Exil-Verleger José Martínez hat Albert Forment (2000) eine wertvolle und materialreiche Biografie publiziert, die unter anderem die Kommunikation zwischen dem Pariser Exil und der kulturellen Dissidenz in Spanien erhellt. Meines Wissens sind dies bislang die einzigen wissenschaftlichen Monografien, die die Bedeutung eines bestimmten Verlags bzw. Verlegers für die Zeit des Franquismus zum Untersuchungsgegenstand machen. Als übergreifende Studien wäre die Pionierarbeit von Valeriano Bozal (1969) zu nennen sowie die eher enumerativen und zuweilen unkritischen Abrisse bei Hipólito Escolar (1996). In der Biblioteca del Libro der Stiftung Germán Sánchez Ruipérez erscheinen seit 1983 regelmäßige Monografien zur spanischen Buchgeschichte - z.B. Galán Pérez (1986) - , die allerdings selten die Gegenwart behandeln. Noch recht unbeachtet geblieben ist auch die Frage des Verhältnisses von Verlagen und politischer Macht, deren weitgehende Reduzierung auf die Frage der Literaturzensur andere Bereiche der kulturpolitischen Interaktion ausgelassen hat, auf die im Rahmen dieser Arbeit eingegangen wird.57

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ders gestaltet sich die Situation bei der Zeitschriftenforschung, soweit diese auf öffentlich zugängliches Textmaterial zugreifen kann, das dementsprechend intensiv analysiert worden ist (u.a. F. Rubio 1976, Gracia 1994, 1996a). Auf Quellenmaterial basierende Studien zur Struktur von Zeitschriftenverlagen und deren Herausgeberkreisen liegen z.B. für Indice (Oskam 1992), Destino (Geli/Huertas 1990) oder Triunfo (Alted/Aubert 1995) vor. Dies stellt Botrel in seiner Forschungsbilanz fest und lässt damit die von Mainer vorgebrachte Klage nur zum Teil gelten: "Le discours convenu sur l'absence d'archives [...] ne doit pas faire oublier que les bribes existantes sont encore en attente d'exploitation pour la plupart [...]." (Botrel 1995: 54). Zu den nach Auskunft der Verlagsleitung spärlichen Archivbeständen Seix Barrals aus den 60er Jahren wurde mir kein Zugang ermöglicht, ebenso wenig zu der umfangreichen Verlagskorrepondenz von Tusquets Editores. Bei Alianza gelten die betreffenden Archive als verschollen. Auch über Verbleib und Erhaltungszustand der archivarischen Bestände der aufgelösten Verlage Barrai Editores und Argos Vergara herrscht völlige Unklarheit. Vgl. zur Zensur die diesbezüglichen Ausführungen in 2.1. Besonders die Arbeit von Knetsch (1999) zeichnet sich durch differenzierte Schlussfolgerungen aus, da die Autorin

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Erst der sich immer deutlicher als ökonomisch organisierter Markt entwickelnde Literaturbetrieb der Demokratie hat zu wissenschaftlichen Untersuchungen Anlass gegeben, die in unterschiedlicher Gewichtung auch Verlage einbeziehen. Neben medienökonomischen Studien (Gifreu 1983, Carrón 1988) sind die Monografien von Ramón Acin (1990), Anne Lenquette (1999) oder die von José Manuel López de Abiada u.a. herausgegebenen Sammelbände (1997, 2001) zur Literaturvermarktung in Spanien zu nennen. Lenquette behandelt in ihrer Untersuchung zum Roman der spanischen Demokratie auch die Entwicklung des literarischen Marktes. Am Beispiel der Verlage Anagrama und Tusquets verfolgt sie dabei die Bildung eines kompetitiven, kulturelles und ökonomisches Kapital vereinenden Verlagsprofils. Acin analysiert die Struktur des Buchmarkts im Spanien der 70er und 80er Jahre und untersucht Strategien, mit deren Hilfe sich literarische Verlage unter verändernden Rahmenbedingungen zu behaupten versuchen. Auf die Tiefenanalyse eines Einzelverlags angelegte Arbeiten existieren im spanischsprachigen Raum jedoch eher für lateinamerikanische Verlage, so von Kathrin Bergenthal zu Planeta Chilena (1999) und von Danny J. Anderson zum mexikanischen Verlag Joaquín Mortiz (1996).58 Bergenthal wählt in ihrer Arbeit über den vom Planeta-Verlag geforderten chilenischen "Mini-Boom" der 90er Jahre einen integrativen Ansatz, der Textanalysen mit den "zielgerichteten Interaktionen" (1999: 276) der literarischen Institutionen verbindet und in einem spezifischen zeitgeschichtlichen, nationalen Bezugsrahmen verortet. Für die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in den 80er und 90er Jahren habe ich selbst am Beispiel der Verlage Alfaguara und Argos Vergara Strategien für den transnationalen Buchmarkt spanischer Sprache untersucht (Pohl 2001; 2003). Forschung zum lateinamerikanischen

Roman in Spanien

Mit gebührendem zeitlichen Abstand hat erst in den 90er Jahren die systematische Beschäftigung mit der zeitnahen Rezeption lateinamerikanischer Literatur in Spanien begonnen. Verschiedene Instanzen der Rezeption sind behandelt worden, weitere Arbeiten haben die Auswirkungen der spanischen Zensur auf die Vermittlung untersucht.59 Die Monografie von Maider Dravasa (1992) widmet sich als einzige der relevanten Untersuchungen explizit der Rolle der katalanischen Literaten um Seix Barrai im Rahmen der transatlantischen Literaturvermittlung. Dravasa stellt ideologische Gemeinsamkeiten zwischen lateinamerikanischen und katalanischen Intellektuellen

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im Gegensatz zu anderen Studien auch die Alltagspraxis auf Seiten der Behördenvertreter untersucht und u.a. nicht das Gespräch mit ehemaligen Zensurverantwortlichen scheut. Eine ausführliche Darstellung von Andersons Ergebnissen folgt unter 3.2. Zur Rezeption insgesamt: Santana (1995, 2000), Prats (1995) sowie Dravasa (1992). Zu literarischen Zeitschriften: Gracia (1996) und Gras (1996). Zu Verlagen: Mènda (1994). Zur Zensur: Abellän (1992) und Romero Downing (1992).

I. Einleitung

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fest und untermauert dies mit einer vergleichenden Textanalyse von Juan Goytisolos Reivindicación del Conde Don Julián und Gabriel García Márquez' El otoño del patriarca. Die eigentliche Darstellung beschränkt sich auf die Dekade der 60er Jahre und endet mit Beginn der Massenvermarktung der zum Star gewordenen Schriftsteller, die die Verfasserin auf das Jahr 1969 datiert. Durch diesen Endpunkt muss die Analyse des sich um den Boom entwickelnden Literaturbetriebes eher bei knappen Beispielen verbleiben. Dravasas These von der Unterwerfung des Künstlers durch die Konsumgesellschaft wird meines Erachtens dabei zu wenig auf die Selbstinszenierung und Marktinteressen der Akteure hinterfragt. Gloria Romero Downing arbeitet in ihrer Dissertation (1992) im Zentralarchiv von Alcalá de Henares befindliche Dokumente auf, die sich auf die Zensur lateinamerikanischer Werke in Spanien beziehen. Detailliert untersucht die Autorin Beispiele von Manuel Puig (La traición de Rita Hayworth) und Guillermo Cabrera Infante (Tres tristes tigres), bei denen sie anhand der Zensurakten eine Rekonstruktion von Passagen des Ursprungstextes vornimmt. Romero Downings Arbeit gibt einen wichtigen Überblick über die zensorische Behandlung bestimmter lateinamerikanischer Texte und über das auf dem spanischen Markt existierende Volumen an lateinamerikanischer Literatur; zu beanstanden ist die lückenhafte Dokumentation und Präsentation der Ergebnisse, die z.B. selten Rückschlüsse auf die konkret betroffenen Verlage zulässt. In einem weiteren Abschnitt werden Literaturbeziehungen zwischen Spanien und Lateinamerika diskutiert, vornehmlich allerdings für die 40er Jahre. Mario Santana (1995) bewertet den lateinamerikanischen Boom als Phänomen einer ästhetischen Neuorientierung im Spanien der 60er Jahre. In drei Dimensionen erzählerischer Praxis - poetischer Realismus (La ciudad y los perros), linguistische Erneuerung (Tres tristes tigres) und Imagination (Cien años de soledad) - habe die lateinamerikanische Literatur die vom sozialen Realismus enttäuschten spanischen Rezipienten begeistern können. Neben dieser Feststellung ordnet Santana dem Boom auch eine kommerzielle Komponente zu, nämlich seine zeitliche Koinzidenz mit Expansionsbestrebungen der spanischen Verlagswelt hin zum lateinamerikanischen Markt, geht jedoch nicht näher auf diese oder weitere verlagsökonomische Aspekte ein. Die Dissertation von Nuria Prats (1995) zeichnet sich durch ihren Materialreichtum aus, mit dem verschiedene Instanzen der spanischen Rezeption ausführlich dargestellt werden. Bezüglich der Tätigkeit literarischer Verlage ist sie die einzige Monografie, die die Produktion verschiedener Unternehmen berücksichtigt. Die Arbeit beschränkt sich allerdings weitgehend auf die Dokumentation von Rezeptionszeugnissen und verzichtet auf die eingehende Untersuchung der Handlungszusammenhänge literarischer Felder oder der materiellen Dimension literarischer Produktion und Austauschbeziehungen.

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Vertiefende Analysen von Einzelaspekten finden sich in Beiträgen aus dem Forschungsumfeld der Universität Central Barcelona. Während Pablo Sánchez López (1998) die Relevanz des Premio Biblioteca Breve heraushebt, behandeln Jordi Gracia (1996) und Dunia Gras (1996) die Rezeption lateinamerikanischer Werke in bestimmten Literaturzeitschriften der 60er und 70er Jahre. Für umfangreiche Diskursanalysen der literaturkritischen Rezeption ist ferner ein Sammelband für das Jahr 2003 angekündigt (Marco/Gracia 2003). Die Monografien von Claudia Wiese (1992) und Meg H. Brown (1994) liefern komplementäre Analysen der Rezeption lateinamerikanischer Romane in Westdeutschland. Wiese erstellt eine fakten- und kenntnisreiche Überblicksstudie der Rezeptionsinstanzen, während Brown konkrete Fallanalysen einschlägiger Bestseller präsentiert. Wiese äußert sich auf einigen Seiten auch über die vermittelnde Funktion spanischer Instanzen (1992: 52-56); da dieser Bereich am Rande der eigentlichen Darstellung liegt, bleibt ihr Überblick aber knapp. Die erwähnten Monografien und Aufsätze bilden ein solides Fundament für einzelne Aspekte der vorliegenden Arbeit, die in ihrer Untersuchung der verlegerischen Vermittlung an entscheidenden Punkten über die bisherige Forschung hinausfuhrt. Als integrative, quellengestützte Studie stellt sie eine der ersten Verlagsanalysen für den Zeitraum des Franquismus überhaupt dar. Methodologisch wird in der historiografischen Aufarbeitung archivierter Primärquellen 60 und in der detaillierten Analyse paratextuellen Materials (Umschlag-, Werbe- und andere Paratexte) gegenüber den vorliegenden Arbeiten Neuland betreten. Inhaltlich messe ich den materiellen Bedingungsfaktoren des internationalen Austauschs größeres Gewicht bei, so dass die wirtschaftlichen Aspekte des Vermittlungsprozesses detaillierter als bisher geschehen analysiert werden. In diesem Zusammenhang stand es bislang aus, das Verhältnis von Staat und Verlag auf seine ökonomischen Interessenkonflikte und -Überschneidungen hin zu fokussieren. Zur Untersuchung des Querschnittsthemas Buchzensur nimmt meine Darstellung einen Perspektivwechsel vor. Während in den einschlägigen Arbeiten die autorenund werkbezogene Analyse dominiert, die lediglich pauschale Aussagen über das Zensurschicksal einzelner Verlage ermöglicht, wird hier eine verlagsspezifische Detailstudie vorgenommen. Für den Gegenstand der Zensur lateinamerikanischer Texte waren konkrete Forschungen zudem lückenhaft geblieben. 61

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So ist offensichtlich in keiner der genannten Arbeiten zum Thema mit Ausnahme der Zensurakten des Informationsministeriums (Prats, Romero Downing) Archivmaterial ausgewertet worden. Zensurstatistiken in den vorliegenden Forschungsarbeiten sind in der Regel auf bestimmte Epochen oder Autoren beschränkt, selten wird dagegen nach Verlagen sortiert - ein Anliegen, das durch die Struktur des Archivo General de la Administración (AGA), dem

1. Einleitung

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Kontextorientierte Darstellungen zur Literatur des Franquismus Einige der Arbeiten, die Prozesse innerhalb der spanischen Literatur in soziokultureller Perspektive untersuchen, gehen vereinzelt auch auf die Funktion von Verlagen ein. Shirley Mangini (1987) hat eine informative Darstellung dominanter literarischer und intellektueller Trends des Franquismus verfasst, die eine gute Einführung in das Spektrum einer sich als dissident verstehenden kulturellen Produktion liefert. Manginis mit zahlreichen Selbstzeugnissen der von ihr behandelten Protagonisten dokumentierte Arbeit bietet damit eine Synthese des zum Publikationszeitpunkt vorliegenden Forschungsstandes. Die Monografie von Carme Riera (1988) gibt eine detaillierte Beschreibung der engen sozialen und literarischen Bindungen der von ihr als Escuela de Barcelona bezeichneten Dichterschule. Im Mittelpunkt der biografisch und textanalytisch angelegten Arbeit steht das dichterische Werk dreier Autoren: Carlos Barrai, Jaime Gil de Biedma, José Agustín Goytisolo. Riera bemüht sich im Falle Barrais um eine Aufwertung dessen dichterischer Produktion und macht sich dabei Barrais Selbststilisierung als Geschäftsmann wider Willen zu eigen. Rieras Verwendung des Escuela-Begáffes ist allerdings wegen seines normativen Charakters kritisiert worden (Bonet 1994) und erscheint angesichts der in den Bereichen Kino und Architektur etablierten homonymen Gruppenbezeichnung problematisch. Barry Jordan (1990) erörtert unter vielfältigen Fragestellungen die Politisierung der spanischen Intellektuellen in den 50er Jahren. Ausgehend vom soziobiografischen Hintergrund einiger Protagonisten, untersucht er die prägenden kulturellen Diskurse, die im spanischen literarischen Spektrum verfügbar sind. Anhand der detaillierten Lektüre ausgewählter Texte stellt Jordan Differenzierungen innerhalb der gern als homogene Generación del Medio Siglo bezeichneten Gruppen fest, die die spätere Herausbildung unterschiedlicher sozialer und literarischer Strategien unter diesen Intellektuellen nachvollziehbar machen. Laureano Bonet (1988, 1994) beschreibt anhand zahlreicher mündlicher und textlicher Dokumente die Entwicklung und Selbstpositionierung spanischer Intellektueller um die Zeitschrift Laye und andere literarische Gruppen im Barcelona der 50er Jahre.62 Bonet warnt davor, den Exklusivismus der Laye-Gruppe in die Literaturgeschichtsschreibung zu übernehmen - eine durchaus angebrachte Warnung,

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zentralen spanischen Staatsarchiv, enorm erschwert wird. Wenn dies geschieht, wie bei Cisquella u.a. (1977), dann aufgrund von verlagseigenen Angaben und für vergleichsweise kurze Zeitspannen. Die detaillierte und systematische Aufschlüsselung aller Zensurfälle des Franquismus, etwa nach Art einer Datenbank, bleibt indes bislang eine Utopie. Ich beziehe mich im Folgenden nur auf das Werk El jardin quebrado von 1994. Einen breiten Raum nimmt die Diskussion des Generationen- bzw. Gruppenbegriffs im Kontrast zur von Riera eingebrachten Kategorie Escuela ein: Bonet spricht sich hier deutlich für die elastischere Bezeichnung der 'Gruppe' aus.

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betrachtet man die Autobiografien Barrais oder Goytisolos oder die Anthologien Castellets - , konzentriert sich selbst allerdings auf den engen Umkreis der LayeMitarbeiter und auf den Bezugsraum Barcelona. Bonet dokumentiert überzeugend die Kohärenz und interne Differenzierung der Gruppe anhand von Texten ihrer Mitglieder. In einem abschließenden Ausblick streicht er die identitätsstiftende Funktion der Biblioteca Breve und ihre Bedeutung als neue mediale Plattform spanischer Literatur heraus. Da Bonets Arbeiten sich auf die 50er Jahre beschränken, liefern sie aber nur Indizien zur Rekonstruktion späterer internationaler und überregionaler Bezüge. Jordi Gracia (1996) hat neben zahlreichen Artikeln und Darstellungen eine materialreiche Monografie über das intellektuelle Leben im franquistischen Spanien bis 1962 verfasst. Er behandelt dort neben einschlägigen Zeitschriften wie Insula oder Revista Española eine Vielzahl marginaler Projekte und beschreibt, wie sich innerhalb franquistischer Organisationen eine kritische Kultur entwickeln konnte.63 Knapp geht Gracia auch auf das verlegerische Spektrum der 50er Jahre ein, aus dem er die Biblioteca Breve Seix Barrais und den Madrider Verlag Taurus heraushebt. Weder Bonet noch Gracia behandeln, bedingt durch die zeitliche Begrenzung ihrer Arbeiten, den Beginn der lateinamerikanischen Rezeption und Produktion bei Seix Barrai. José Antonio Fortes (1982, 1987, 1988, 1990) analysiert aus ideologiekritischer Perspektive die literarische Produktion im franquistischen Spanien in ihrer klassenspezifischen Interessengebundenheit. Seine Ausführungen überzeugen durch ihre engagierte Verknüpfung und Kontrastierung verlegerischer und schriftstellerischer Anliegen, die nicht, wie bei der Mehrzahl der erwähnten Monografien, als abstraktes kulturelles Autonomiestreben eingegrenzt, sondern als direkte ökonomische und soziale Behauptungsinteressen verstanden werden. Allerdings leiden Fortes' Arbeiten unter einer polemischen und gleichzeitig eigenwilligen Diktion, die den Erkenntnisgewinn zuweilen deutlich schmälert. Während das Wirken bestimmter literarischer Instanzen (Gruppen, Zeitschriften) für die 50er Jahre und die Generación del Medio Siglo eingehend betrachtet wurde, sind solche institutionenorientierten Untersuchungen für das literarische Leben der 60er und vor allem 70er Jahre seltener, im Gegensatz zum Kino, wo die Monografie von Riambau/Torreiro (1999) zur Escuela de Barcelona hervorsticht.64 Für die Literatur kommt Ramón Buckley (1996) wohl das Verdienst zu, als erster Forscher die Terminologie und Theorie Bourdieus auf die spanische Kulturproduktion der jünge63 64

Gracia (1996). In einer früheren Studie (1994) analysiert Gracia detailliert die Zeitschriften des studentischen Einheitssyndikats SEU. Die Bedeutung der von Riambau/Torreiro behandelten Künstlerzirkel der Gauche Divine wird erst in jüngster Zeit wieder häufiger thematisiert. Hierzu tragen die z.T. außerordentlich populären Memoiren damaliger Protagonisten (Terenci Moix, Maruja Torres, Rosa Regás, Román Gubern, usw.) bei.

1. Einleitung

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ren Vergangenheit anzuwenden. Für den Zeitraum 1955-81 versucht der Autor, drei Epochen zu unterscheiden, und innerhalb dieser Epochen je drei Konsekrationsstufen zu trennen. In der Begrenzung auf die "grupos y tendencias más representativas" (2) bleibt die Darstellung dabei notwendigerweise reduktionistisch. Ausgangspunkt seiner Betrachtung ist die These, dass sich im Beobachtungszeitraum ab 1959 ein intellektuelles und literarisches Feld autonomisiere und eine Transición auf kultureller Ebene antizipiere; Autonomie ist damit verstanden als relative Dissidenz im totalitären System, aber auch als Abkehr von parteipolitischer - d.h. kommunistischer - Instrumentalisierung (7). Der Autor untersucht die Bemühungen der zeitgenössischen Avantgarden, sich gegen das Etablierte zu behaupten: Die 60er Jahre seien von der Hegemonie des realismo dialéctico geprägt, die ab 1968 von diversen postmodernen Trends abgelöst werde, bis sich in der Transición vormals marginalisierte Strömungen (narrativa femenina) durchsetzten. Innovativ ist Buckleys Ansatz, homologe Prozesse in verschiedenen Kunst- und Wissenschaftsdisziplinen einzubeziehen und den Diskurs einzelner spanischer Intellektueller zu internationalen Kollegen in Bezug zu setzen. Mit der These einer "doble transición" greift Buckley zudem einen suggestiven Terminus auf. Allerdings lassen sich an Buckleys Arbeit auch die Ambivalenzen aufzeigen, die Bourdieus Modell generell zu eigen sind. Neben den allgemeinen Problemen begrifflicher Zuordnung - ist die Trennung von Laye-Gruppe als älterer Generation {realismo social) und den Brüdern Juan und Luis Goytisolo als Teil der jungen Generation (realismo dialéctico) für die Jahre 1958-66 angebracht? Lassen sich Autoren wie Armando López Salinas und Luis Martín Santos dann unter das gleiche Etikett der Avantgarde fassen? Warum gehört Carmen Martin Gaite zur "Primera Generación", warum Miguel Delibes (auch) zur "joven promoción" (2)? - bleibt das Feld bei Buckley national determiniert und auf einen engen Literatur- bzw. Kulturbegriff begrenzt, der die pragmatischen Beziehungen eines Textes letzten Endes doch ausklammert. Entsprechend erscheinen in seinem "Campo de la narrativa: España" keine lateinamerikanischen Autoren, wohl aber in Lateinamerika lebende spanische Exilschriftsteller. Vermittlungsinstanzen wie Verlage und Presse stellen keinen eigenen Analysegegenstand dar. Indem er das spanische literarische Feld durch wenige Kategorien und Namen eher grob skizziert, sagt Buckley in der Sache letztlich wenig mehr als die einschlägigen Literaturgeschichten; die Funktion des Feldbegriffs ist auf die einer rein terminologischen Stütze ohne messbaren heuristischen Wert reduziert - womit Bourdieu nach Ansicht mancher Kritiker nicht einmal Unrecht geschieht.

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1.3

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Quellenlage und Gliederung

Quellenlage Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Archivrecherchen wurden im Rahmen von zwei dreimonatigen Forschungsreisen nach Barcelona und Madrid unternommen. Angesichts der Schwierigkeiten des Materialzugangs konzentrierten sich meine Forschungen auf die Auswertung dreier archivarischer Bestände in privatem oder öffentlichem Besitz, deren Verfügbarkeit nicht mehr den Gepflogenheiten und Zwängen noch am Markt aktiver Unternehmen unterliegt. Es handelt sich um folgende Sammlungen: a) den Nachlass von Carlos Barrai, aufgeteilt in das Privatarchiv der Familie Barrai (AB) - das demnächst an die Biblioteca de Catalunya übergeben werden soll - und das kommunale Archiv von Calafell, den Fons Barrai (FB), wo ein Großteil der Originalausgaben der Verlage Seix Barrais und Barrai Editores lagern.65 Im privaten Nachlass existieren zahlreiche Durchschriften zu Vorgängen aus den verschiedenen Epochen Barralscher Verlagstätigkeit. Vor allem die Korrespondenz mit Verlegern, Schriftstellern und der franquistischen Administration wurde einbezogen. b) die Bestände des Archiv Bergnes de las Casas (ABCAS) der Biblioteca de Catalunya, die die umfassendste Sammlung von paratextuellem Material zur spanischen Buchgeschichte darstellen. c) die im Zentralarchiv (AGA) von Alcalá de Henares lagernden Akten des Tourismus- und Informationsministeriums. Hier wurden Zensurakten sowie unsystematisch geführte Bestände einzelner Verwaltungseinheiten des Ministeriums ausgewertet. Deren Informationsgehalt beschränkte sich nicht nur auf behördeninterne Vorgänge, sondern sie lieferten wertvollen Aufschluss über das Verhältnis zwischen Verlagen und staatlichen Autoritäten für den gesamten Betrachtungszeitraum dieser Arbeit. Darüber hinaus konnte ich für Einzelaspekte Material aus privaten Beständen (Archive von Salvador Clotas/ASC, Montserrat Salvat i Seix und Joan Seix/AS) und aus verlagseigenen Pressearchiven (Distribuciones de Enlace, ADE) nutzen. Archivforschungen in der Biblioteca Nacional in Madrid und der Fundación Figueras in Barcelona stellten sich für das Thema hingegen als weniger ergiebig heraus.66 Für die Aufarbeitung der historischen Verlagsepoche habe ich ferner nicht-standardisierte problemzentrierte Interviews mit zahlreichen Zeitzeugen durchgeführt.67 Die 65

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Ich danke Yvonne Hortet, Vda. de Barrai, ausdrücklich für die Möglichkeit, den Nachlass Carlos Barrals zu konsultieren. Die Einsicht weiterer öffentlicher Archive (Fundación Pablo Iglesias, Stadtarchiv Barcelona) war mir aus arbeitsökonomischen Gründen nicht möglich. Das nicht-standardisierte bzw. offene Interview gehört zu den Methoden qualitativer Sozialforschung und bezeichnet eine freie Gesprächsführung ohne fest strukturierte Vor-

1. Einleitung

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Auswahl der Gesprächspartner richtete sich nach zwei Kriterien und trug damit den einzelnen Untersuchungsaspekten Rechnung: Erstens wurden verschiedene Instanzen des literarischen Lebens berücksichtigt (Verlag, Autor, Agentur, Literaturkritik, Kulturadministration), zweitens wurden Personen befragt, die in direktem geschäftlichen oder persönlichen Kontakt mit den Verlagen Carlos Barrais standen. Natürlich können im zeitlichen Abstand mehrerer Jahrzehnte ermittelte Selbstzeugnisse nicht die Verlässlichkeit archivarischer Quellen ersetzen, außerdem sind die Ergebnisse in hohem Maß von der Aufgeschlossenheit des Befragten abhängig.68 Dennoch stellen Interviews ein unverzichtbares Instrument dar, um die meist auf informeller Ebene angesiedelten Funktionsweisen und Beziehungen innerhalb des literarischen Lebens zu erhellen und Angaben zur oft nicht anderweitig dokumentierten Unternehmensgeschichte zu rekonstruieren. In diesem Zusammenhang wurden auch autobiografische Schriften von Zeitzeugen herangezogen, allen voran die mehrbändigen Memoiren Carlos Barrais, die die in dieser Arbeit relevanten Aspekte aus der Distanz von jeweils zwanzig Jahren berichten.69 Außerdem wurden anhand von verlegerischen Werbetexten und von Presserezensionen lateinamerikanischer Romane Analysen des Vermittlungsdiskurses vorgenommen, die sich auf einschlägiges semiologisches Instrumentarium stützen. Als Werbetexte wurden verschiedene Typen paratextuellen Materials wie Umschlagtexte, Plakate und Verlagsankündigungen herangezogen. Die Untersuchung von Zeitungen und Zeitschriften beschränkt sich auf ausgewählte Publikationen und konnte durch vorliegende Ergebnisse anderer Studien ergänzt werden.70 Gliederung Die Darstellung orientiert sich an der Kombination von zwei Themenfeldem: Das Handeln des Einzelverlags mitsamt den praktizierten Abgrenzungs- und Marktstrategien auf der einen Seite, die Vermittlung eines spezifischen Produkts "lateiname-

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gaben (Fragebogen) für Interviewer und Interviewten. Das problemzentrierte Interview bzw. Leitfadengespräch lässt der Erzählung des Befragten großen Raum, wobei der Interviewer durch Zwischenfragen strukturierend eingreifen darf, anders als beim rein narrativen Interview, das die Rolle des Interviewers auf klärende Nachfragen beschränkt (Diekmann 1998: 449-51, Stier 1999: 189). Um diesen auch von Stier (1999: 190) angesprochenen Problemen entgegenzuwirken, habe ich einige Gesprächspartner mehrmals interviewt. Barrai (1978, 1988 1990), dazu kommt der autobiografisch gefärbte Roman Penúltimos castigos (1994 [1983]). Zwar liefern Barrais Memoiren ein auch für diese Arbeit unschätbares Selbstzeugnis, doch sind seine Ausführungen zu oft unkritisch zur Kenntnis genommen und die Darstellungsstrategien des Verfassers ausgeblendet worden. José-Carlos Mainer zeigt, wie Barrai von der individuellen Erinnerung in kollektive Erfahrung und Geschichte überblendet - "estrategia de colectivización" - , um den Text zur "leyenda de amistad" und zu den "memorias colectivas" einer literarischen Gruppe zu erheben (1990: 10f.). Zu den Desiderata gehören die Lokalisierung und Auswertung audiovisueller Rezeptionsdokumente oder die systematische Analyse der Tagespresse.

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rikanische Erzählliteratur" und das kollektive literarische Phänomen Boom auf der anderen. Diese parallelen Entwicklungen werden in zwei zeitlichen Blöcken dargestellt, um der Interdependenz der jeweiligen Faktoren und insbesondere der Verzahnung von Markt und Literatur im Boom Rechnung zu tragen. Zum einen wird am Beispiel der von Carlos Barrai geführten Verlage und Reihen untersucht, mit welchen Mitteln und unter welchen Bedingungen ein literarischer Verlag wie Seix Barrai seine anerkannt herausragende Stellung erreicht. Zum anderen wird die Rezeption der lateinamerikanischen Erzählprosa bei Seix Barrai und Barrai Editores analysiert; diese Darstellung wird wiederum mit einer Verlags- und medienübergreifenden Rezeption dieser Texte im spätfranquistischen Spanien in Verbindung gesetzt. Kapitel 2 fuhrt mit einem Überblick in die Entwicklung des spanischen Verlagswesens und der Literaturbeziehungen zwischen Spanien und Lateinamerika zur Zeit des Franquismus ein. Ausgehend von den heteronomen Bedingungen literarischer Produktion im Franquismus werden ideologische und materielle Bedingungen verlegerischer Arbeit und das ambivalente Verhältnis zwischen Staat - in Gestalt seiner kulturellen Lenkungsinstanzen - und Buchhandel erörtert (2.1). In diesem Zusammenhang werde ich insbesondere den Literaturaustausch mit Lateinamerika und dessen Nutzung für ökonomische und politische Interessen betrachten (2.2). Mit dem Import von meist englischsprachigen Übersetzungen und von Büchern aus lateinamerikanischer Produktion wird ein wesentliches Charakteristikum des spanischen Buchmarkes der 40er und 50er Jahre untersucht. Diese Ansätze einer literarischen Internationalität prägen auch die künstlerische und ideologische Entwicklung der intellektuellen Szene der frühen 50er Jahre, darunter die Zeitschrift Laye, die als Vorläuferin der späteren Biblioteca Breve kurz beleuchtet wird (2.3). In Kapitel 3 wird auf das Fallbeispiel Seix Barrai eingegangen, in dessen Mittelpunkt die Verlegerfigur Carlos Barrai steht. Die Verlagsentwicklung ab der Gründung der Biblioteca Breve 1955 wird als Prozess der Positionsnahme und Einschreibung in einen sozialen, kulturellen und literarischen Kontext verstanden, der schließlich den nationalen spanischen Rahmen überschreitet (3.1-3.3). Die Equipe um Carlos Barrai entwickelt Strategien, die das Verlagshaus als Zentrum einer sich oppositionell verstehenden Kulturvermittlung profilieren und die auch bei den lateinamerikanischen Projekten der 60er Jahre in Anschlag gebracht werden. Ein längerer Exkurs ist den Formentor-Verlegerpreisen als einem markanten Fall verlegerischer Internationalisierung gewidmet, bei deren Organisation Seix Barrai eine ausschlaggebende Rolle spielt (3.4). Die Vermittlung des lateinamerikanischen Romans soll in Kapitel 4 auf der Grundlage dieser Entwicklung betrachtet und auf ihre Implikationen sowohl für den Einzelverlag Seix Barrai als auch auf ihre Rezeption im spanischen literarischen Kontext untersucht werden. Nach einem Überblick über die Tendenzen nach dem Bürgerkrieg (4.1.) stehen zunächst die Jahre 1959 bis 1967 im Mittelpunkt, die als

1.

Einleitung

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erste Phase der Präsenz des neuen lateinamerikanischen Romans in Spanien anzusehen ist (4.2). In diesem Zusammenhang werden, vom Fallbeispiel ausgehend, die konkreten materiellen und diskursiven Aspekte der verlegerischen Vermittlung erörtert und in den zeitgenössischen Rezeptionskontext gestellt. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur nach Spanien wird vor dem Hintergrund der innerspanischen poetologischen Auseinandersetzung um den Sozialrealismus betrachtet und mittels Paratextanalysen für die Instanzen Verlag und Literaturkritik diskutiert (4.3-4.4). Ferner werden die Bemühungen um lateinamerikanische Schriftsteller im Kontext der internationalen Orientierung Seix Barrais untersucht. Diese äußert sich sowohl in einem durch die Kubanische Revolution motivierten politischen Interesse als auch in dem Ziel ökonomischer Expansion in die überseeischen Buchmärkte (4.5). Zur Vervollständigung der Analyse wird schließlich die franquistische Zensurpraxis bei ausgewählten lateinamerikanischen Romanen dargestellt und in Relation zu den allgemeinen Zensurproblemen literarischer Verlage gesetzt (4.6). Kapitel 5 widmet sich in chronologischem Anschluss der Epoche des eigentlichen lateinamerikanischen Boom ab 1967 und seiner verlegerischen Verankerung. Im Zusammenhang mit der Herausbildung eines sich stärker marktwirtschaftlich organisierenden Literaturbetriebes in Spanien (5.1) wird die Bedeutung Barcelonas als einer internationalen literarischen Kapitale ausgeleuchtet. Dort konstituiert sich mit der Gauche Divine ein elitäres intellektuelles Spektrum, in dessen Umfeld sich lateinamerikanische Schriftsteller und deren spanische Verleger bewegen. Im Vordergrund der verlagsspezifischen Erörterung stehen neben Seix Barrai der ab 1969 aktive Verlag Barrai Editores sowie das Gemeinschaftsprojekt Distribuciones de Enlace (5.2). Der Boom wird als kulturindustrielles Phänomen anhand seiner Präsenz in der literarischen Öffentlichkeit untersucht (5.3). Einzelaspekte wie Markenbildung, Starkult und unternehmerische Distinktionsmechanismen werden anhand verschiedenen paratextuellen Materials analysiert. Abschließend werde ich auf die sich in der Vermittlung des Boom aktualisierenden zeitgenössischen Identitäts- und Nationendebatten eingehen, in denen sich Carlos Barrai wiederholt engagiert zu Wort meldet (5.4). Abschließend einige formale Hinweise: Den einzelnen Kapiteln und z.T. auch Unterkapiteln sind jeweils orientierende Zusammenfassungen vorangestellt. Das Literaturverzeichnis enthält alle direkt zitierten und referierten Titel. Auf Monografien und wissenschaftliche Artikel wird im Text jeweils mit Autoren- und Jahresangabe verwiesen. Interviews und Artikel aus journalistischen Publikationen werden bei erster Nennung im Text vollständig, bei weiteren Nennungen mit Kurztitel zitiert. Archivarische Quellentexte sowie von Dritten zitierte Quellen sind am Ort bezeichnet und im Anhang nicht mehr einzeln bibliografiert; eine Ausnahme bilden die in der Bibliografie aufgeführten Zensurakten.

2. Verlage und Buchpolitik im Franquismus

2.

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VERLAGE UND BUCHPOLITIK IM FRANQUISMUS

In diesem Kapitel werden politische und materielle Bedingungen verlegerischer Arbeit im Franquismus und die übergreifenden Entwicklungen der spanisch-lateinamerikanischen Transferbeziehungen bis 1975 geschildert. Die franquistische Kulturpolitik ist durch den Widerspruch zwischen ökonomischer Förderung und politischer Reglementierung geprägt, den stellvertretend die Institutionen der Bücherzensur und des Instituto Nacional del Libro Español (INLE) repräsentieren (2.1). Im Hinblick auf die verlegerischen Beziehungen zu den lateinamerikanischen Staaten zeigt sich das oft konfliktgeladene Verhältnis von Staat und Verlagen von einem gemeinsamen Exportinteresse getragen (2.2). Der Blick auf zentrale Aspekte des literarischen Lebens der Nachkriegszeit verdeutlicht, dass die verlegerische Vermittlungsarbeit der späteren Jahre auf Internationalisierungsprozesse der 40er und 50er Jahre aufbaut. Um die Zeitschrift Laye formiert sich dabei eine literarische Gruppe, die den personellen und konzeptuellen Vorläufer der Biblioteca Breve Seix Barrais darstellt (2.3).

2.1

Das Verlagswesen im franquistischen Staat

Buchpolitik zwischen Repression und Promotion Der gesamte Produktionsprozess eines Buches ist im Franquismus staatlicher Zensur bzw. Kontrolle unterworfen. In der hierarchischen Organisation und Kontrolle der kulturellen Medien gehorcht die Kulturpolitik des Franquismus einer totalitären Praxis, die die Zensur des kulturellen Produktes zum integrativen Bestandteil hat: La intervención publica en España durante el franquismo se basaba en el control político y la represión ideológica, lo que contrastaba con el resto de los países europeos, en los que la intervención pública se relacionaba con proyectos políticos fundados sobre la base de la ampliación del consenso social. Los medios de comunicación fueron durante la Dictadura un aparato ideológico del Estado en su sentido más estricto.71

Verlage und andere am Buchhandel Beteiligte sind auf mehrfache Weise Kontrollmechanismen ausgesetzt. Dies äußert sich in der Zwangsmitgliedschaft im INLE und den Gliederungen des Nationalsyndikates (Sindicato Nacional del Papel y Artes Gráficas) und setzt sich in der Zensur fast aller zur Publikation, zum Import und Export vorgesehenen Texte fort, ebenso wie in der politischen Kontrolle der Subventionsvergabe oder Registrierung. Die vom 31.5.-9.6.1944 in Madrid abgehaltene Asamblea del Libro Español illustriert die Einbindung der Buchpolitik in den faschistischen Staat. Als zentrale Versammlung von 450 Teilnehmern (nach Aussage 71

Zallo (1995: 141). Die restriktive Funktion der Kulturzensur überlagert damit die in westlichen Industrienationen üblicherweise praktizierte fordernde Kulturpolitik von "mecenazgo", "democratización cultural", "democracia cultural" (36-43). Vgl. auch die Darstellung bei Timoteo Alvarez (1990: 223).

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des Protokolls) aus staatlichen Institutionen und den betreffenden Berufszweigen hat sie das Ziel, Richtlinien der spanischen Buchpolitik zu bestimmen. Hier ergeht unter den Augen Francos eine von Verlegern, Händlern und staatlichen Funktionären verabschiedete Erklärung, die den Verleger auf die Grundsätze der franquistischen Doktrin verpflichtet und ausdrücklich die Notwendigkeit einer Buchzensur akzeptiert: La Asamblea del Libro Español declara [...] que los editores vienen obligados, por un imperativo nacional, a contribuir por todos los medios a su alcance al enaltecimiento y prestigio de los valores espirituales tradicionales del pueblo español, debiendo no sólo acatar y cumplir lealmente cuantas disposiciones se dicten en orden a la difusión de doctrinas religiosas, morales y políticas, sino también ejercer espontáneamente su industria como un alto magisterio. (INLE 1945: 309) Allerdings wird die endgültige Erklärung erst nach langwierigen Diskussionen verabschiedet. In der Abschlussdebatte um die "derechos y deberes del editor" (INLE 1945: 283-311) bekennen mehrere anwesende Verleger in ihrem Resolutionsentwurf zwar die Treue zum franquistischen Staat, fordern jedoch die Abschaffung der Vorzensur und wirtschaftliche Erleichterungen; außerdem wenden sie sich gegen das geplante Buchgesetz, das die unternehmerische Tätigkeit zu stark reglementieren würde. 72 Der 'liberale' Tenor dieser Vorschläge stößt jedoch auf vehemente Ablehnung seitens der Administration: "Esas ideas son la base de todas las leyes de prensa de los Estados liberales: máxima libertad y máxima responsabilidad. Y no tengo que hacer más crítica sobre esto, que es tan antiguo como todo el proceso liberal." 73 Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt klingen Differenzen an, die insgesamt die Beziehung zwischen Staat und Verlagen und zwischen verschiedenen Instanzen der staatlichen Kulturpolitik charakterisieren. Die franquistische Buchpolitik ist vom Spagat zwischen den verschiedenen ideologischen Prämissen des Regimes - die "Ungleichzeitigkeit der politischen und wirtschaftlichen Verfassung" (Bernecker/Pietschmann 1993: 327) - gekennzeichnet. Die fortwährende Vereinigung von Zensur und Kulturforderung unter einem organisatorischen Dach drückt den unlösbaren strukturellen und ideologischen Widerspruch aus, der eine wirkungsvolle Kulturpolitik grundsätzlich behindert. 74 72

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Das Protokoll (INLE 1945: 289) nennt als Unterzeichner des Entwurfs folgende Verleger: Joaquín Sopeña, José Ruiz-Castillo (Biblioteca Nueva), Santiago Salvat, P. Manon (Roma), José Janés, O. Pasenti (Hispano-Americana de Ediciones), Luis de Caralt, E. Pascual (Apolo), José Zendrera (Juventud), J. Formés (Labor), Eugenio Subirana, Manuel Aguilar, Javier Morata, Alfonso Mangada (Afrodisio Aguado), Manuel Marín, G. Campos, Gustavo Gili, Ramón Juliá (Ediciones del Zodíaco), Leónides Fuente y Ara (Luis Vives), Saturnino Calleja und Fernando Calleja (La Nave). Zitiert nach der Gegenrede von Manuel Torres López, Jurist, Falangist und Delegado Nacional de Propaganda

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in der für die Zensur zuständigen Vicesecretario de Educación

Popular (INLE 1945: 299; zu Torres López vgl. Beneyto Pérez 1987: 27). Die Zuständigkeiten für Kultur- und Buchpolitik im engeren Sinn wandeln sich etliche Male und sorgen für das Nebeneinander konkurrierender Institutionen. Für Garcia

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Während die Informations- und Massenmedien weiterhin einem strengen Dirigismus unterworfen sind - nicht nur das Staatsfernsehen, sondern auch die unter Beteiligung von Staat und Privaten oligopolistisch organisierten Informationsmedien Radio und Presse -, 7 5 entwickelt sich die Politik gegenüber anderen Kulturindustrien (Buch, Kino) zu einem "liberalismo vigilado", der Regulierungsmechanismen (Buchgesetz) mit einem Instrumentarium von Subventionen (z.B. Exportkredite) kombiniert (Zallo 1995: 121). Einerseits geht es dem Franquismus darum, die Buchbranche an die staatsdirigistische Leine zu legen, andererseits jedoch politisch pragmatische Wege zum Wiederaufbau einer Verlagsindustrie nach dem Kriege zu entwickeln. Diese Strategie von 'Zuckerbrot und Peitsche' begleitet eine äußerst erfolgreiche Entwicklung des spanischen Verlagswesens ab den 60er Jahren: "[L]a única rama que - aparte de apoyos oficiales - demostró dinamismo económico fue el sector editorial." (Zallo 1995: 337). Die folgende Darstellung zu den Instrumenten franquistischer Buchpolitik trägt diesem Dualismus Rechnung: Zensur und Kontrolle einerseits, andererseits Vermittlung, "extensión" und "promoción" - zumeist aber auch "propaganda" - über das Kulturgut Buch, für die in erster Linie der Instituto Nacional del Libro Español verantwortlich zeichnet.

Die Bücherzensur76 Nachdem im Mai 1937 in der Zone der Aufständischen bereits eine Anordnung zur Vorzensur ergangen ist, regelt ab dem 22.4.1938 eine Ley de Prensa, die ohne substanzielle Veränderungen bis 1966 Gültigkeit behält, die Überwachung aller Ver-

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Jiménez ist die Kulturpolitik des Franquismus deshalb durch "incoherencia, dispersión e insolidaridad" gekennzeichnet (1980: 352). Zallo konstatiert für die spanischen Presseunternehmen im Franquismus, dass die Komplizenschaft von Kapitalseignern und politischer Macht eine Abhängigkeit vom System geschaffen habe, die nahezu keinerlei Raum für sichtbare Dissidenzformen gelassen habe: "Sostenida por un capital adicto al régimen, sometida a la censura previa y a la amenaza represiva, la prensa 'independiente' reprodujo la política informativa de la dictadura sobre los temas internos e internacionales." (Zallo 1995: 141). Timoteo Alvarez (1990: 227) konstatiert die Affinität von Kapital und politischer Macht anhand der Unternehmen Edica (Ya), Prensa Española (ABC) oder die Godó-Gruppe (La Vanguardia). Allein in den 60er Jahren hätten sich einige Risse im monolithischen Pressesystem gezeigt, als deren Exponenten ihm Cuadernos para el diálogo, Triunfo oder Informaciones gelten. Mittlerweile existieren mehrere Monografien, die die franquistische Literaturzensur unter verschiedener Akzentsetzung untersuchen, so dass sich eine ausführlichere Schilderung an dieser Stelle erübrigt (Knetsch 1999, Gallofré 1991, Neuschäfer 1991, Abellán 1980, Cisquella u.a. 1977). Zu Einzelfragen siehe die Beiträge bei Abellán (1987, dort Abellán, Beneyto Pérez, Cruz Hernández, Losada Castro, Torrealdai), zu lateinamerikanischen Autoren Abellán (1992), Romero Downing (1992), zur Pressezensur der Nachkriegsära Sinova (1989). Ausführliche Beispiele zum Verlag Seix Barrai und zur Zensur lateinamerikanischer Titel werden unten (4.6) behandelt.

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lagspublikationen. 77 Aufgabe der Buchzensur ist neben der Kontrolle der wenigen Neuerscheinungen vor allem die rigide Überprüfung älterer Bücher oder von Neuauflagen vor dem Krieg veröffentlichter Bücher. In der ersten Nachkriegsphase ist es erklärtes Ziel des Regimes, destruir todo aquello que pudiera se dañino y peijudicial para nuestra moral y para todos los conceptos [...] oriéntandolo [el pueblo] [...] en el sano concepto de nuestras ideales que inspiraron el Movimiento Nacional, y propagando la sana y tradicional cultura española así como la Doctrina Cristiana.78 Die administrativen Zuständigkeiten für die Kulturpolitik und insbesondere die Zensur wechseln zwischen 1936 und 1951 im Widerstreit der franquistischen Interessengruppen ständig.79 Verantwortlich für die Zensur sind zunächst die ab 1937 nebeneinander bestehenden Delegaciones de Prensa y Propaganda der staatlichen und falangistischen Organisation, die 1938 im Innenministerium unter Ramón Serrano Suñer vereinheitlicht werden. 80 Im August 1939 wandelt sich die Delegación Nacional zur Subsecretaría de Prensa y Propaganda, die Ministerien des Inneren und der öffentlichen Ordnung werden zum Ministerio de Gobernación vereint.81 Als Subsecretario und Director General de Propaganda sorgt das Tandem der Falangisten Antonio Tovar und Dionisio Ridruejo dafür, dass die Partei großen Einfluss auf Pressewesen und Propaganda nimmt und dass unter anderem die falangistische Presse von der Zensur freigestellt wird (Payne 1987: 286). Nach der erneuten Regierungsumbildung vom 20.5.1941 werden beide entmachtet, der gesamte Zensur-Apparat wird aus dem Ministerium ausgegliedert und untersteht ab 1942 der neu gegründeten Vicesecretario de Educación Popular innerhalb der Secretaría General del Movimiento, der mit Ministeriumsstatus ausgestatteten Führungsinstanz der Falange. Mit den nach Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzenden

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Zur Organisation der Zensur in den Jahren 1938-1942: Beneyto (1987) und Gallofré (1991), allgemein Neuschäfer (1991). Im April 1938 und September 1941 werden per Erlass weitere Teile des Genehmigungsverfahrens festgelegt (Neuschäfer 1991: 41); ein Erlass vom 23.3.1946 regelt schließlich das Verfahren der consulta previa, weitere Dekrete folgen 1957 und 1959. "Normas a los delegados comarcales de educación popular" vom 21.1.1944, dokumentiert bei Abellán( 1980: 249-52). Im Organigramm der franquistischen Administration erscheinen die jeweiligen kulturellen Sektoren bzw. Industrien auf horizontaler Ebene vereinigt. Die folgende Darstellung zur administrativen Einordnung des Buch- bzw. Verlagssektors gilt demnach in weiten Teilen für die Bereiche Kino, Radio und Presse, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Die Zuständigkeit liegt zwischen 1938 und Ende 1941 bei den Innenministern Ramón Serrano Suñer (1/1938-10/1940), José Lorente Sanz (bis 5/1941) und Valentin Galarza Morante (5/1941-9/1942); als Subsecretarios fungieren José María Alfaro (8/193910/1940) und Antonio Tovar (10/1940-12/1940), als Directores Generales de Propaganda Dionisio Ridruejo, Angel Riveras de la Portilla und Carmen de Icaza (Beneyto Pérez 1987: 34). Die folgenden Angaben vor allem nach Pizarroso (1989). Für die einzelnen Phasen der Zensur bis 1951 siehe auch Sinova (1989: 83-122).

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staatlichen Bemühungen um ein nicht faschistisches Image wird die Vicesecretario aufgelöst und die Bildungs- und Kulturpolitik im Ministerio de Educación Nacional zusammengefasst. Die Gründung des Ministerio de Información y Turismo (MIT) am 18.7.1951 gibt dem Zensurverfahren schließlich seine fortan nicht mehr grundlegend veränderte organisatorische Struktur. Die Zensur wird innerhalb des Informations- und Tourismusministeriums in die Verantwortung der Dirección General de Información (1967 umbenannt in Dirección General de Cultura Popular y Espectáculos) gestellt, die die Bereiche Buch, Theater und Film zusammenfasst (siehe Abb. I). 82 Von 1946-62 liegt die Zensur im Machtbereich des Integristen Gabriel Arias Salgado, der zunächst das Amt des Vicesecretario de Educación Nacional, ab 1951 das des Informations- und Tourismusministers ausübt; Generaldirektor ist Vicente Rodríguez Casado. 83 Nach Jahren der totalitären Überwachung aller kulturellen Produktion ändert sich nun die Zensurstrategie. Zwar lässt die Ahndung von Verstößen kaum nach, doch verlagert sich der Schwerpunkt vom Totalverbot einer Publikation zur Genehmigung unter Auflage von Textänderungen. Abellán spricht deshalb von der Ära Arias Salgado als einer Phase der Eindämmung ("contención") aller unliebsamen kulturellen Produktion.84 Im Zusammenhang mit den politischen

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Innerhalb der Behörde ist die Subdirección General de Acción Cultural y del Libro für die Förderung und Kontrolle des Buchwesens zuständig. Sie vereint vier Sektionen: Difusión, zuständig für die Informationspolitik und die Publikation und Distribution staatlicher Druckwerke; Promoción Cultural, die die private und öffentliche Subventionierung kultureller Initiativen, möglichst auch eines internationalen Kulturaustausches organisiert; drittens der INLE, dem die Bündelung der Produktions- und Distributionsaufgaben in staatlichem und privatem Auftrag obliegt (siehe 2.1). Die Sektion Ordenación Editorial vereint die Funktionen der Kulturkontrolle: vier Unterabteilungen organisieren den Zensurprozess von Begutachtung, Information und Inspektion (Lectorado), der Anfertigung bibliografischer Listen (Orientación Bibliográfica; Visado y Control de Grabaciones), sowie die Registrierung der inländischen Verlage und Importunternehmen. Eine Sonderfunktion erfüllt die Oficina de Información y de Enlace, eine dem MIT angegliederte Behörde polizeilichen Charakters, die Informationen über kulturelle Akteure sammelt und bei Bedarf der Zensur zustellt. Auf regionaler Ebene überwachen Provinzdelegationen die Einhaltung der zentralen Vorgaben und sind z.B. mit der Beschlagnahmung von Büchern (secuestro) befasst; auch die Kontrolle geringer Importkontingente obliegt diesen Delegationen (Abellán 1987: 22f.). Das Mandat von Arias Salgado steht für eine "teología de la información" (Pizarroso Quintero 1989: 237) und signalisiert die innenpolitische Zurückdrängung der Falange zugunsten der Durchsetzung des Katholizismus als Integrationsideologie: "Im Gefolge des Konkordats [von 1953] erreichten die Verflechtung und Verfilzung staatlicher und kirchlicher Institutionen einen in der spanischen Geschichte nie dagewesenen Umfang." (Bernecker 1988: 107). Die Auseinandersetzung zwischen katholischen Integristen (Opus Dei, CSIC, Arbor) und Aperturistas (ACNP, Escorial) löst schließlich den Disput zwischen Falange und Kirche ab. Abellán (1980) unterscheidet vier Phasen franquistischer Zensur und orientiert sich vor allem an den Richtungsentscheidungen der verantwortlichen Ministerien: An die totalitäre

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Protesten von 1956 und der folgenden Repression erreicht die Zahl zensierter Titel aber immer noch einen Höchststand von 17%.85 Am 10.7.1962 vollzieht sich mit der Ernennung von Manuel Fraga Iribarne zum Minister für Information und Tourismus eine neue kulturpolitische Akzentuierung, in der die promoción an erste Stelle gerückt wird. Auf Fraga gehen eine populärkulturelle Rezeption anstrebende und massenmediale Vermittlung ausnutzende Initiativen wie die teleclubs oder die Libros R TV zurück. Die im Verlagsbereich nachhaltigste Entscheidung ist die Abschaffung der Vorzensur mittels der Ley de Prensa e Imprenta vom 18.3.1966, die das Ministerium im zeitweiligen Dialog mit kulturellen Akteuren und Institutionen aushandelt.86 Die Abschaffung der obligatorischen Vorzensur stellt den Verlag vor zwei Optionen: entweder Präsentation vor Drucklegung unter Risiko eines Verbots (consulta voluntaria), oder Publikation auf eigene Verantwortung und Ablieferung der Pflichtexemplare für den Depósito Legal?1 mit dem Risiko des nachträglichen Verbots (denuncia) und des damit verbundenen Einzugs (secuestro) der gesamten Druckauflage. Als Ausdruck der Interessenwidersprüche von politischer Öffnung und Repression etabliert sich ein dritter Weg der stillschweigenden Tolerierung (silencio administrativo) vieler eigentlich nicht genehmer Titel, unter dem Vorbehalt einer späteren Beschlagnahmung (secuestro) im Falle einer Anzeige und eines entsprechenden Gerichtsentscheides. 88 Die Ambivalenz des Gesetzes von 1966 ist bekannt: Die Möglichkeit des nachträglichen

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Zensur der faschistischen Jahre (1936-1945) schließt sich eine Phase der klerikal dominierten Eindämmung ("contención") an (1946-1962), die vor allem mit dem Namen von Gabriel Arias Salgado verknüpft ist, eine Epoche der Verschlechterung der Verbotseffizienz ("deterioro", 1962-69) unter Manuel Fraga Iribarne, schließlich die der Durchlässigkeit ("incontención", 1969-75) unter Alfredo Sánchez Bella und vor allem Pío Cabanillas. Anders Knetsch (1999: 13), die in die Epochen 1939-51, 1951-66 und 1966-75 unterteilt und damit die Bedeutung des Buchgesetzes von 1966 betont. Die Zahl ist ein Tendenzwert, den Abellán (1980: 147f.) für den Aprilmonat errechnet. Knetsch (1999: 140) ermittelt über Stichproben einen Rückgang der Verbote von 52% (1943) auf 13% (1961). Ein Brief García Hortelanos an Carlos Barrai vom 27.7.1962 (AB) bezeugt diesen Dialog. García Hortelano berichtet von der ersten Zusammenkunft von madrilenischen Schriftstellern mit Jose Maria García Escudero, dem Director General de Cine y Teatro, und zeigt sich "ligeramente optimista" aufgrund der Gesprächsbereitschaft des Staatsbeamten. Der Depósito Legal bezeichnet den gesetzlichen Sammelauftrag aller Druckprodukte, der in Spanien seit dem 18. Jahrhundert existiert und vornehmlich von der Nationalbibliothek in Madrid wahrgenommen wird: "El Depósito Legal es la obligación, impuesta por ley u otro tipo de norma administrativa, de depositar en una o varias agencias especificadas, ejemplares de las publicaciones de todo tipo, reproducidos en cualquier soporte, por cualquier procedimiento para distribución pública, alquiler o venta." (, 15.7.2001). Die Formel des silencio administrativo fungiert künftig als "válvula y solución de escape a las contradicciones entre la normativa vigente y la inexorable evolución de la realidad sociológica [...] como solución inhibitoria [...] como abandono del autor o editor a su propia suerte." (Abellán 1980: 149).

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Publikationsverbots zwingt die Verlage zur Selbstzensur bzw. zur consulta voluntaria verdächtiger Titel, wenn sie nicht ein erhebliches finanzielles Risiko auf sich nehmen wollen. Der Produktionsprozess eines Buches verkürzt sich damit für viele Titel, wenn auch die Planungssicherheit nur eine vorläufige ist. Unter dem Generaldirektor Carlos Robles Piquer (1962-69), einem Schwager von Fraga Iribarne, werden überdies informelle Vorverhandlungen zwischen Verlag und Leiter der Zensurbehörde gängige Praxis (siehe 4.6.1). Unverändert hält sich unter Fraga ein regelmäßiger Anteil beanstandeter Titel, der nach 1969 sogar wieder ansteigt, wobei über die "intolerante tolerancia" (Buckley 1996: 9) des silencio administrativo die Quote der publizierten Werke aber konstant bleibt. 89 Aus dem Jahr 1970 liegt aus dem MIT eine detaillierte Aufstellung über Zensurfalle vor: Von 13.315 in der Ordenación Editorial registrierten Titeln werden 56% der Vorzensur präsentiert (7.480) und nur 44% direkt in den Depósito Legal eingestellt (5.835). Von den vorab präsentierten Titeln werden 6,7% (=507) abgelehnt, von den zum Depósito Legal angemeldeten Fällen werden 4,4% (=257) nicht autorisiert, 28 davon vor Gericht gebracht, allerdings meist erfolglos. Die Verbote belaufen sich also auf rund ein Zwanzigstel der vorgelegten Titel. 90 Ein weiteres Mittel präventiver und politischer Kontrolle über das Verlagswesen ist die offizielle Registrierung und damit Legalisierung des Verlags, die aufgrund von Polizeigutachten und verlegerischen Eigenauskünften erteilt oder verweigert werden kann. 91 Im Falle der Verweigerung darf der Verlag zwar produzieren, muss aber den Weg der Vorzensur gehen, darf die Erleichterungen des neuen Gesetzes also nicht nutzen. Konkret erhalten z.B. Seix Barrai und Barrai Editores erst 1968 die Zulassung, und der Verlag Siglo XXI sieht sich zwecks Erhalt der Registrierung genötigt, sich aus freien Stücken zur consulta voluntaria zu verpflichten. 92 Umgekehrt beruft sich das MIT gegenüber dem Verlag Estela auf die Nichteinhaltung der in der Registerkarte angegebenen Unternehmensziele, um ein Verlagsverbot zu erwirken. 93 89

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Abelláns exemplarische Aufstellung liefert für die Jahre 1962-73 Vergleichswerte von 2,7 (1962-69) und 3,3% (1970-73) nicht autorisierter Titel. Während unter Fraga der silencio administrativo kaum Anwendung findet (0,7%), liegt die Quote unter Sánchez Bella bei 5,5% (Abellán 1980: 153). "Intervenciones judiciales en expedientes de la Sección de Ordenación Editorial", AGA, Fach 48806. Bis zum 31.1.1971 werden von der Ordenación Editorial des MIT 32 Verfahren (davon 11 nach vorherigem secuestro) angestrengt, von denen Ende Januar lediglich einer zur Anklage geführt hat (Manuel de Pedrolo, Un amor fora ciutat, Aymá), dagegen 14 mit Freispruch enden, 17 noch in Verhandlung sind. Ley de Prensa, 31.3.1966, Art. 51-54. Die Registrierung verlangt neben Angaben zu den Besitz- und administrativen Verhältnissen des Verlags auch die Skizzierung der hauptsächlichen Verlagslinien. Ausführliche Angaben bei Cendán Pazos (1972: 107-11). Arnaldo Orfila, Verlagschef von Siglo XXI, kündigt diese Bereitschaft am 4.6.1969 in einem Brief an Robles Piquer an; dieser meldet daraufhin Orfila am 9.6.1969 den Vollzug der Registrierung (AGA, Fach 48798). Estela, 1958 als Verlag mit religiös-pädagogischem Programm gegründet, wird mit Da-

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Mit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Februar 1969 reagiert das Regime auf die fortschreitenden innenpolitischen Unruhen (Bernecker 1988: 150). Der neue Minister Alfredo Sánchez Bella, der im gleichen Jahr Fraga Iribarne ablöst, versucht durch Unnachgiebigkeit in Einzelfallen das System der staatlichen Kulturkontrolle aufrechtzuerhalten. Eine "política de cierres" betrifft verschiedene Verlage mit einem Schwerpunkt politischer Sachtitel, wie Ricardo Aguilera, Halcón, Equipo Editorial, Estela und Zyx.94 Intensiver Beobachtung und zahlreichen Verboten ist ferner vor allem Anagrama ausgesetzt.95 Auch Pressepublikationen sind betroffen, wie das Magazin Triunfo, das vier Monate (Juli-Oktober 1971) nicht erscheinen darf, während die ursprünglich franquistische Tageszeitung Madrid ihr Erscheinen ganz einstellen muss (1970). Ein Element regimenaher Repression sind die sich häufenden Anschläge auf Buchhandlungen und Verlage seitens faschistischer Ultras.96 Spätestens mit der kulturpolitischen Öffnung 1973-74 unter Pío Cabanillas und Ricardo de la Cierva zeigt sich jedoch die Durchlässigkeit der Zensur, die auch durch Cabanillas' Rücktritt im Oktober 1974 nicht mehr zu stoppen ist. Die noch von Cabanillas angeschobene Ley del Libro, die 1975 in Kraft tritt,97 verbessert die Rechte der Autoren gegenüber den Verlagen und unterstreicht die ökonomische Bedeutung des Verlagswesens, um damit einer strengen Zensur implizite Schranken aufzuerlegen.98 Die Beurteilungskriterien der Zensurgutachten sind per behördlichem Vordruck vorgegeben und betreffen inhaltliche Verstöße und Beleidigungen gegen die Katholische Kirche, gegen die allgemeine bzw. die sexuelle Moral oder gegen die politischen Grundsätze und Institutionen des Regimes.99 Restriktiver Behandlung unter-

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tum vom 29.5.1971 die Publikationsgenehmigung entzogen. Wie Unterlagen des MIT zeigen, reagiert das Ministerium auf die wiederholte Vorlage von nicht genehmen Titeln marxistischer Theorie; diese "tendencia de corte netamente subversiva" und "claramente marxista" wolle man nicht dulden, erklärt Sánchez Bella gegenüber José Maria Pemán, der sich als prominenter Fürsprecher für Estela einsetzt (Brief vom 26.7.1971, AGA, Fach 49085). Der Leiter von Estela, Alfonso Comín, gründet 1972 Laia als Nachfolgeverlag. Cisquella u.a. (1977: 62). Nach Ende des Ausnahmezustandes können allerdings zwei der genannten Verlage (Aguilera, Zyx-Zero) ihre Arbeit wieder aufnehmen. Schon vorher hatten temporäre Publikationsverbote zum Ruin von Verlagen wie Ciencia Nueva (1967) und Ediciones de Cultura Popular (1968) geführt. Einzelheiten sind dargestellt bei Anagrama (1994: 25-29). Cisquella u.a. (1977: 122) zählen 66 Attentate zwischen 1971 und dem Frühjahr 1976, darunter den Bombenanschlag aus dem Jahre 1974 auf das Lager von Distribuciones de Enlace in Barcelona (siehe 5.2.5.). Boletín Oficial del Estado, No. 63, 13.3.1975, auszugsweise zitiert bei Herrero-Tejedor (1997: 19-35). Payne (1987: 595). Detailinformationen zur Zensur der Jahre 1973-76 bei Cisquella u.a. (1977: 107-32) sowie Cruz Hernández (1987). Das Formular sieht lediglich fünf Fragen vor: "¿Ataca al Dogma? ¿A la moral? ¿A la Iglesia o a sus ministros? ¿Al Régimen y a sus instituciones? ¿A las personas que colaboran o han colaborado con el Régimen?" Zur Spezifizierung dieser Kriterien vgl. Knetsch

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liegen damit z.B. regionalsprachliche Publikationen 100 sowie Texte exilierter Regimegegner, gegenüber denen sich erst in den 60er Jahren eine schrittweise Permissivität entwickelt. Neben den inhaltlichen Gründen fließen textexterne Kriterien, etwa Vermutungen über das angesprochene Publikum, in die Urteilsfindung ein. Daher betreffen Verbote in der Zeit des Spätfranquismus in erster Linie Presseorgane und Verlage mit relativ hohen Distributionszahlen, z.B. die auf Taschenbücher spezialisierten Verlage Zyx und Estela. Das nationale und internationale Prestige eines Autors kann ebenso positiv auf die Zensurentscheidung wirken wie das politische, kulturelle und ökonomische Standing eines Verlags. 101 Der politische Wandel des Spätfranquismus bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Praxis der Zensur und jedes einzelnen Gutachters. 102 Nicht nur die personelle Überforderung der Behörden angesichts der in den 60er Jahren rasant steigenden Zahlen der Buchproduktion und Verlagsgründungen machen die Maschen der Zensur durchlässiger. 103 Der ökonomische Primat der Stabilisierungspolitik und das Klima gesellschaftlicher Modernisierung

stehen einer engen

Auslegung

zensorischer

Richtlinien entgegen, wie sie z.B. v o m Informationsminister Alfredo Sánchez Bella (1969-73) verfochten werden. 104 Infolge der Aufweichung der ideologischen Vorga-

(1999: 82-90), Abellán (1980: 87-96), Cisquella u.a. (1977: 73-100). Vgl. Gallofré (1991) zum Katalanischen; Losada Castro (1987) zum Galizischen; Torrealdai (1987) zum Baskischen. 101 Dies wird unter 4.6.1 näher erörtert. 102 Als Spätfranquismus verstehe ich die von Carr/Fusi (1979: 189-206) als "crisis" bezeichneten Jahre von 1969-75, deren Beginn durch die Verhängung des Ausnahmezustands im Januar 1969, die Ernennung von Kronprinz Juan Carlos zu Francos Nachfolger und der Regierungsumbildung infolge des Matesa-Skandals vom Sommer 1969, bei der Carrero Blanco zum Vizepräsidenten der Regierung ernannt wird, gekennzeichnet ist. Die Epoche ist von verschärfter innenpolitischer Konfliktivität und von regierungsinternen Kämpfen zwischen Reformern und Hardlinern und innerhalb der regimetragenden Interessengruppen geprägt. Vgl. zur politischen Krise des Franquismus ferner Preston (1978), Fontana (1986) und Bernecker (1988: 180-205). 103 Zu Problemen kommt es auch im Umgang mit unbotmäßigen Autoren aus dem eigenen Lager. Ein notorischer Fall ist Camilo José Cela: Die widerwillig akzeptierte moralische und sprachliche Dissidenz dieses regimenahen Autors schafft vollendete Tatsachen und zwingt die Gutachter dazu, auch bei weniger genehmen Autoren Milde walten zu lassen. Zu einem Manuskript von Adriano González León heißt es: "He señalado una serie de palabras y frases soeces, que sin embargo podrían permitirse puesto que se les consiente a Cela y Castillo Puche." (País portátil, AGA, Doss. 10590-68). 104 offensichtlich zeigt sich auch die Judikative unabhängiger als gewünscht. Sánchez Bella beklagt Anfang 1970 in einem Brief an den Justizminister Oriol y Urquijo die allzu großzügige Behandlung von Verbotsanträgen durch die Justiz. So herrsche eine "desorientación del criterio de nuestros censores, tan sistemáticamente desmentido por las autoridades judiciales", denn die Gerichte legten "amplios márgenes de criterios" an, ganz im Gegensatz zu den Gutachtern, denen die Mittel fehlten, "para impedir con mayor eficacia y efectividad la difusión de aquellos libros que consideramos socialmente peligrosos o incursos, en su contexto, en figura delictiva [...]" (Brief Alfredo Sánchez Bella an Antonio 100

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ben sehen sich Gutachter mit Interpretationsproblemen konfrontiert: "¿por qué no era pecado en 1966 lo que lo fue hasta 1961? ¿por qué Marx era un terrorista en los años cuarenta y un clásico en los setenta?"105 Die Zensur erstreckt sich schließlich ebenso auf Buchimporte vor allem aus Lateinamerika, die als potenzielle ideologische Bedrohung und als nicht unbedingt erwünschte Konkurrenz der nationalen Verlagsindustrie erachtet werden. Betroffen sind neben den generell als verdächtig geltenden Titeln republikanischer Exilanten auch die Vielzahl von Übersetzungen, die nach dem Krieg den spanischen Buchmarkt versorgen. Aus politischen und protektionistischen Motiven werden strenge Maßstäbe bei der Importkontrolle angelegt, deren Umsetzung jedoch durch die schwierigen Kontrollmöglichkeiten im Zollverkehr und durch die unklaren Sanktionierungsmöglichkeiten relativiert wird.106 1970 beläuft sich der Anteil abgelehnter Importanträge für im weiteren Sinn literarische Titel ("libros no técnicos ni científicos") auf immerhin 13,35% (2.281 von 17.705).107 Zum Verhältnis von Verlag und Staat Das durch Zensur und Protektionismus bestimmte Verhältnis von Staat und privaten Verlagen ergibt kein einheitliches Bild. Der Pragmatismus der meisten Unternehmer steht einer engen ideologischen Verpflichtung auf den falangistischen Staat im Wege, ohne dass man aber ein allzu unbotmäßiges Verhalten an den Tag legen mag oder kann. Während hinsichtlich der ökonomischen Ziele kaum Interessenunterschiede zwischen Staat und Verlagen bestehen, bleiben auf innenpolitischem Gebiet nur schwer auszugleichende Differenzen. Die Zensur ist ein dauernder Konfliktpunkt und steht von Beginn an in der Kritik auch loyaler Verleger. So artikuliert der Verleger Gustavo Gili in seinem Bosquejo de una política del libro (1944), der die Leitlinien künftiger Buchpolitik absteckt, vorsichtige Unzufriedenheit mit der Rigidität der Vorzensur.108 Der Verlag Ramón Sopeña lässt Ende 1944 verlauten, dass der Staat dem Verlagswesen einen guten Dienst erwiesen habe, die Zensur aufzuweichen, wobei zu diesem Zeitpunkt natürlich von einer nennenswerten Zen-

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Maria de Oriol y Urquijo, 31.7.1970, AGA, Fach 48806). Cruz Hernández (1987: 43). Der Autor, letzter Director General de Cultura Popular, sieht in den unlösbaren internen Konflikten des Regimes den entscheidenden Grund für die allmähliche Durchlässigkeit der Zensur (Cruz Hernández 1987: 44). Leider liegen hier nur äußerst unvollständige Daten vor, da die Kontrolle kleiner Importmengen (unter 25 Exemplaren) den dezentralen Delegationen des Ministeriums obliegt. Abellán (1992: 15) macht im Archiv des MIT daher nur die geringe Zahl von 51 Vorgängen aus. Die Quote der verbotenen Titel aus inländischer Produktion beträgt für alle Bücher im gleichen Jahr rund 5% (nach einer Aufstellung der Ordenación Editorial, AGA, Fach 48806). "[JJuzgamos tarea urgente la reforma de nuestro sistema de censura, que, además de ser excesivamente complicado, resulta en muchos casos de efectos contraproducientes." (Gili Roig 1944: 118).

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Surerleichterung für literarische Werke nicht die Rede sein kann. 109 Für Santiago Salvat, einen der Leiter eines der größten spanischen Verlagsunternehmens seiner Zeit, 110 gilt 1950 die Zensur vor allem als lästiger Wettbewerbsnachteil gegenüber lateinamerikanischen Verlegern, die bei ihren Exporten nach Spanien zudem die "morbosidad" der Leser in Bezug auf verbotene Titel ausnutzten (Salvat 1950: 45). Bis zum Ende des Franquismus ist aus den öffentlichen Stellungnahmen der Großverlage aber keineswegs eine generell oppositionelle Haltung abzulesen. Eher wird eine Strategie der behutsamen Korrekturen verfolgt, die nicht unbedingt aus Gründen der Meinungsfreiheit, sondern aus finanziellen Erwägungen gefordert werden. 111 Insgesamt kann der franquistische Staat auf die gezwungene oder auch freiwillige Kooperation wichtiger Verlage bauen. 112 Umgekehrt nimmt sich der Staat mit zunehmender wirtschaftlicher Öffnung auch zahlreicher Bedenken der Buchlobbyisten an. Indem Großverlage die staatlichen Subventionen monopolisieren und den Buchmarkt mit rein kommerziellen Produkten dominieren, machen sie sich in den Augen regimekritischer Verlage zwangsläufig der politischen Kollaboration verdächtig. Kleinere Literaturverlage wie Barrai Editores, Alianza oder Tusquets gehen zum kommerziellen und politischen Mainstream der Großverlage deshalb auf Distanz. Carlos Barrai charakterisiert die spanischen Teilnehmer, die auf dem Verleger-

109 "También han contribuido poderosamente a ello [al incremento editorial] los Organismos oficiales con acuerdos [...] como el de hacer menos rígido el espíritu de la Censura de originales [...]." (nach "Breve balance editorial del año", in: Bibliografía Hispánica 3:12 (Dezember 1944), S. 839-853, hier: 851). Sopeña bezieht sich offenbar auf die Ausnahmeregelungen für die Produktion religiöser und klassischer Werke. 110 Santiago Salvat Espasa (1891-1971) ist von 1962-65 Präsident der Internationalen Verlegerunion und gleichzeitig dauernder Vertreter in den Gremien des INLE. Als führendem Verleger und Exporteur kommt seiner Zusammenarbeit mit dem Ministerium eine besondere Rolle zu. Bei der Ausschreibung der RTV-Bücher (siehe 5.1.1.) erhält Salvat den Zuschlag, obwohl sein Verlag vorher nicht im literarischen Bereich tätig gewesen ist. 111 Noch zur Geltungszeit der alten Zensurgesetzgebung (1964) äußert sich der Verleger Manuel Aguilar in seinen Memoiren uneindeutig: Für ihn, der, politisch desinteressiert, 1939 lediglich an sein Geschäft gedacht habe, sei die Zensur nicht überraschend gekommen und schnell zur wenn auch lästigen Gewohnheit geworden. Für die Gegenwart fordert er eine Aufgabe der Vorzensur und die Freiheit, auf eigene Verantwortung produzieren zu können, umso mehr, als hier ein Konkurrenznachteil gegenüber lateinamerikanischen Staaten bestehe und Importverbote in der Praxis usurpiert würden. Mit dieser Formel allerdings lässt Aguilar die Tür offen für die Möglichkeit der Nachzensur, wie es 1966 in der Ley de Prensa e Imprenta auch verordnet wird (Aguilar 1964: 250). Vgl. auch die wenig überzeugende Distanzierung des sich als liberal verstehenden Verlegers José Ruiz-Castillo Basala. Dieser bezeichnet in seinen 1972 erstveröffentlichten Memoiren die Vorzensur mit einer ambivalenten Formulierung als "inexcusada y temporalmente [...] natural después de nuestro conflicto bélico, si bien cabe discutir la cuantía mayor o de menor en ambos conceptos relativos" (1986: 362). 112 Siehe 4.6.1 zur Selbstzensur des Planeta-Verlags.

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kongress von 1962 in Barcelona regimekritische Resolutionen unterbinden wollen, als "fabricantes de Biblias, los impresores de machines ricamente ilustradas [...] los editores españoles de vocación industrial, comprometidos con las instituciones paraoficiales" (Barral 1978: 287). Eine dieser parastaatlichen Institutionen ist der Instituto Nacional del Libro Español (INLE), der dem Ausgleich der Interessen von Staat und Privatsektor dienen soll. Die Vermittlerrolle

des

INLE

Die Gleichschaltung der Buchpolitik wird mit der Schaffung des Instituto Nacional del Libro Español untermauert. Zur Förderung des nationalen Buchhandels war bereits in republikanischer Zeit (1935) ein Instituto del Libro Español gegründet worden. 113 1939 wird das Institut, zunächst als Appendix des Propagandaministeriums, als Instituto Nacional del Libro Español wiederbelebt mit der Aufgabe, zum "mejor cumplimiento de la función nacional del libro español" beizutragen. 114 Der INLE steht wie die gesamte Kulturpolitik im Dienst des totalitären Staates: dem entspricht die Besetzung seiner Präsidentschaft mit dem Falangisten Julián Pemartin. Das Institut zentralisiert die Aufgaben der 1942 aufgelösten Handelskammern" 5 und erfüllt sowohl kontrollierende als auch wirtschaftsfördernde Funktionen: El Instituto Nacional del Libro Español [...] es el Organismo Nacional al que están encomendados la dirección y el gobierno de la política del libro español, su ordenación sistematizada a través de publicaciones bibliográficas y su protección desde el punto de vista

' 13 Die Geschichte des INLE und seine Bedeutung für die nationale und internationale Kulturpolitik Spaniens ist kaum erforscht, diesbezügliche Akten sind zudem nur schwer zugänglich. Informationen liefern Cendán Pazos (1972: 40f.), Escolar (1996b: 187f.) und Romero Downing (1992), die allerdings nur die 40er Jahre näher untersucht. Das Institut überdauert das Ende des Franquismus und wird erst 1986 aufgelöst; seine Funktionen nehmen ab diesem Zeitpunkt die Handelskammern einerseits, die Sekretariate des Kulturministeriums andererseits wahr. 114 Orden Ministerial de Gobernación vom 23.5.1939 (zitiert bei Cendán Pazos 1972: 303f.). Die Mitgliedschaft im INLE ist für "todos los industriales y comerciantes del libro" vorgeschrieben (Cendán Pazos 1972: 43). Darüber hinaus unterliegen alle in der Buchindustrie Tätigen der obligatorischen Einschreibung in das entsprechende Einheitssyndikat, den Sindicato Nacional del Papel y Artes Gráficas. Die Unternehmerschaft (uniones de empresarios) zergliedert sich ferner in regionale und nationale Subinstanzen der jeweiligen Berufszweige Buchhandel und Verlage (Agrupaciones de Editores de Libros/ Agrupaciones del Comercio del Libro), die als Interessenvertretung der ihr angeschlossenen Unternehmen gegenüber der staatlichen Administration agieren. Ihre Sprecher wirken ab 1959 in den Organen des INLE beratend und beschließend mit, haben dort also indirektes Mitbestimmungsrecht (vgl. Taubert 1953: 270, Cendán Pazos 1972: 60f.). 115 Aufgabe der Cámaras Oficiales del Libro in Barcelona (gegründet 1918) und Madrid (1922) war vor allem die Unterstützung der Verlagsindustrie durch Produktions- und Exportsubventionen (Escolar 1996b: 186f.). Des Weiteren existiert bis 1939 ein Comité Oficial del Libro als Beratungsinstanz des republikanischen Ministerio de Trabajo, Comercio e Industria (Cendán Pazos 1972: 39).

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comercial [...] estará constituido [...] por las tres secciones de política cultural, de ordenación bibliográfica y de política comercial [...]' 16

Auf internationaler Ebene dient die Tätigkeit des INLE in erster Linie dem Wiederaufbau eines funktionierenden Exporthandels mit Lateinamerika, der gleichzeitig der Kulturpropaganda des faschistischen Staates verpflichtet ist (siehe 2.2). Organisatorisch wird der INLE schließlich, ähnlich wie der Zensurapparat, im Jahre 1951 in die Dirección General de Información bzw. Cultura Popular innerhalb des Ministerio de Información y Turismo eingegliedert. Mit der Regierungsumbildung von 1957 wird die spanische Autarkiepolitik zugunsten einer neoliberalen Ausrichtung aufgegeben. Der neue Kurs der franquistischen Wirtschaftspolitik führt zu einem Kompetenz- und Machtzuwachs für den INLE, dem mit Dekret vom 28.6.1957 alle relevanten Aufgaben der Buchhandelsforderung übertragen werden. Endgültig stehen nun die wirtschaftlichen Ziele im Vordergrund, während die Vokabel "Kultur" völlig aus dem Organigramm des INLE verschwunden ist. Die Behörde ist nicht mehr als Kontrollorgan, sondern als beratende Vermittlungsinstanz zwischen Privatsektor und Staat definiert: "Organismo de gestión simultánea al servicio del Estado y de los particulares para el logro de sus respectivos objetivos en el ámbito de la producción y de la difusión del libro." 117 Gemäß seinem Selbstverständnis als autonom handelnde Institution beteiligt der INLE ab 1959 auch Vertreter des Privatsektors an seinen Gremien. 119 Guillermo Diaz-Plaja, Präsident des INLE von 1967-72, macht deshalb einen "fundamental hibridismo" in der Struktur der von ihm geleiteten Behörde aus, warnt jedoch vor den Risiken einer "politización excesiva" des INLE, wie sie sich in der

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Reglamento del INLE, 6.4.1943, zitiert bei Cendán Pazos (1972: 304-14). Zu den konkreten Aufgabenbereichen, siehe Kap. 3, Art. 6-8: "De los fines de las secciones del Instituto Nacional del Libro". Präambel der Ministerialverordnung vom 23.11.1961, zitiert bei Cendán Pazos (1972: 43f.). Die Formel "organismo autónomo subvencionado por el Estado" erscheint bereits in einer Ministerialverordnung vom 12.3.1946 (Cendán Pazos 1972: 43). Der ehemalige INLEMitarbeiter Cendán Pazos bekräftigt auch heute den 'demokratischen' Charakter der Behörde: "El INLE era oficialmente un órgano autónomo, pero sus órganos rectores desde 1958 eran totalmente democráticos dentro de un sistema dictatorial, y su financiación provenía de un 95% de sus propios recursos." (Fernando Cendán Pazos, Interview mit B.P., 18.11.1997). In den Exekutivgremien des INLE, dem interministeriellen Consejo de Administración und dessen beigeordneter Comisión Delegada, üben je ein Verlags- oder Buchhandelsvertreter das Amt des Vizepräsidenten aus. Dem Consejo de Administración gehören neben ministeriellen Vertretern insgesamt zwölf Vertreter der Verleger- und Buchhändlergremien, dazu zwei Schriftsteller an. In der Comisión Delegada bilden die Privaten sogar die nominelle Mehrheit gegenüber den Beamten. Der ersten Comisión Delegada aus dem Jahre 1959 gehören z.B. Vertreter der Verlage Sopeña, Salvat, Bruguera, Espasa-Calpe, Gredos, Editorial Católica und U.D. de Ediciones an. Auch Victor Seix ist in den 60er Jahren Mitglied (Cendán Pazos 1972: 50f.).

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Führungsrolle politischer Vertreter in seinen Leitungsgremien manifestiere (DiazPlaja 1971: 51). In der Tat kann von 'Autonomie' kaum die Rede sein - die Zugehörigkeit des Instituts zum MIT bedeutet vielmehr, dass Zensur und Kulturförderung in einer politischen Hand vereint liegen: [Se produce] una unión confusa entre la actividad promotora de la cultura y la obligada y penosa tarea de punición que corresponde en ocasiones al Estado, bien a través de la vía gubernativa, bien a través de la vía judicial. Es evidente un aparente contrasentido que el propio Ministerio reúna en la mano de una sola figura - la del Presidente del Consejo de Administración - a un Director general en cuya mano están, aunque parezca contradictorio, ambas actitudes. (Díaz-Plaja 1971: 52) Díaz-Plajas nur vorsichtige Kritik an der Zensur korreliert mit offiziellen Verlautbarungen des Institutes, die in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Politik trotz gelegentlicher Vorbehalte die Existenz einer Zensur nicht grundlegend in Frage stellen. 120 Die Aufgaben des INLE umfassen eine Vielzahl von Fördermaßnahmen für Verlage und Buchhandel. Zum Bereich der Öffentlichkeitsarbeit {promoción) gehören Ausstellungen, nationale Buchpreise sowie die Erstellung von National- und Spezialbibliografien. Im Inland betreut der INLE handelsstimulierende Projekte wie den Tag des Buches bzw. die Fiesta del Libro (23. April) oder die Feria Nacional del Libro,121 die als Verkaufsmesse für Publikumsverlage einen großen kommerziellen Stellenwert besitzt, der sich an den stetig steigenden Verkaufszahlen ablesen lässt. 122 Für den Verlagssektor sind vor allem die finanziellen Subventionsinstrumente des Staates von Bedeutung. Im Jahre 1966 wird mit einer Ausfuhrungsbestimmung zum Buchgesetz von 1946 Verlagen eine Erstattung von Importzöllen auf Papier zugebilligt, deren Volumen durch die Belastung anderer Branchen zustande kommt. 123 Die Stabilisierungspolitik zeitigt eine Reihe von Maßnahmen strikter Exportförderung: Der I. Entwicklungsplan von 1964-67 institutionalisiert ein doppeltes System 120

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So verknüpft Cendán Pazos seine implizite Kritik der Vorzensur mit der Apologie der Ley de Prensa von 1966, die ihm als notwendige 'Spielregel' gilt, um die Rechte "del prójimo y del propio Estado" gegenüber privaten Ansprüchen zu schützen: "El paso de un régimen de censura previa obligatoria a otro [...] de la consulta voluntaria [...] constituye, sin duda alguna, una evidente muestra de apertura hacia fórmulas de expresión y de convivencia mucho más acordes con la realidad del mundo de hoy." (Cendán Pazos 1972: 96). Der von Cendán Pazos in Übersetzung angeführte positive Kommentar der deutschen Welt (in Übersetzung: "[la ley] es liberal, y, sin embargo, permite imponer autoridad [...] un progreso", 97) zeigt eine durchaus problematische ideologische Position dieser Zeitung. Beide Veranstaltungen stammen noch aus republikanischer bzw. monarchischer Zeit. Die erste Fiesta del Libro wird 1926 organisiert, die ersten Ferias del Libro, veranstaltet von den Buchkammern, finden 1933-36 statt und werden 1944 vom INLE neu initiiert. In nicht inflationsbereinigten Zahlen versechsfachen sich die Verkäufe bei der Feria Nacional del Libro zwischen 1960 und 1971. Siehe Cendán Pazos (1972: 228-57 und 1989). Einen einzigartigen kulturpolitischen Beitrag leisten INLE und MIT femer durch die Subventionierung der Taschenbuchreihe Libros RTV (siehe 5.1.1). Dekret vom 31.3.1966, vgl. Cendán Pazos (1972: 210).

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von Voraus- (créditos prioritarios) und Exportkrediten (créditos a la exportación) sowie von Steuer- und Abgabenerleichterungen (desgravaciones fiscales).124 In seiner Zielrichtung auf nationale Marktinteressen beschränkt sich der INLE nicht nur auf das spanische Territorium, sondern bezieht die Ebene der internationalen Handelsbeziehungen vor allem nach Lateinamerika ein, das gleichzeitig als ideologische Projektionsfläche paternalistischer kultureller Fürsorge und wichtiges Absatzgebiet für die nationale Industrie dient. Der Erfolg der Aktivitäten des INLE ist jedoch umstritten. Die Instrumente der Leseforderung im Franquismus erweisen sich als unzureichend und mehr an den Bedürfnissen der Produzenten als an denen der Konsumenten orientiert.125 Dies gilt besonders für den internationalen Austausch, der ex post eher als Ausdruck der "megalomanía de una cultura universal del imperio hispánico",126 denn tatsächlicher infrastruktureller Maßnahmen bewertet wird. Pompöse Ausstellungen und Kongresse beschwören die kulturelle Zusammengehörigkeit der spanischsprachigen Staaten. 1969/70 führt der Beauftragte des INLE, Santiago Pedraz, per Lastwagen eine abenteuerliche, achtmonatige Ausstellungsreise - Primera Exposición Itinerante del Libro Español - durch den südamerikanischen Kontinent, die an die von Hispanidad-Strategen anvisierten Kulturmissionen erinnert.127 Der spanische Botschafter in Kolumbien lobt denn auch das Unterfangen, befürchtet zu Recht aber ein Verbleiben in reinen Schauprojekten: Solamente se recogerá el fruto de este gran esfuerzo si no se trata de una de esas fulgurantes y aisladas empresas del "heroismo" español, capaz de lo más temerario y genial, de lo más jactancioso, pero muchas veces inhábil para el empeño paciente, perseverante, cotidiano. 128

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Zwei Erlasse des Finanzministeriums vom 13.11.1963 und 23.7.1964 bilden die Grundlage für diese Export- und Vorzugskredite (Cendán Pazos 1972: 212-18). Den Unternehmen wird ein auf ein Jahr befristeter Kredit über 55% des exportierten Wertes gestattet, um die langwierigen Zahlungsprozesse zu überbrücken. Die Kreditzahlungen werden über den staatlichen Banco de Crédito Industrial abgewickelt. Ähnliches gilt auch für das vom Erziehungsminister Rubio (1956-62) entwickelte Programm einer "extensión cultural" in Form staatlicher Buchschenkungen, das für Garcia Jiménez einem paternalistischen Bildungsverständnis entspringt, nach dem die Bevölkerung in der unfreien Rolle zu "missionierender" Rezipienten verharre: "Se intenta multiplicar las opciones de disponibilidad de unos recursos técnicos al servicio de la 'cultura dada', pero con ello no se gana un ápice de libertad en la creación, participación y comunicación cultural." (1980: 200). García Jiménez (1980: 495). "Se trata de una misión cultural", erklärt Guillermo Díaz-Plaja, und die Kommentatorin des Libro Español versteigt sich dazu, das Unternehmen als "aventura 'colombina' de conquista y penetración de Hispanoamérica" anzukündigen (Mercedes Gordon: "Una 'Carabela', sobre ruedas, promocionará el libro español en Hispanoamérica", El Libro Español 140 (September 1969), S. 553-55). Pedraz steht als Journalist seit 1963 in den Diensten des INLE. Seine Reise ist bei Mangada/Pol (1997: 260-67) dokumentiert. Joaquín Juste: "Informe del embajador de España en Colombia sobre la I Exposición del

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Ein Bericht des regierungsnahen ABC urteilt zum gleichen Zeitpunkt hingegen, dass die staatliche Buchpolitik zu sehr von Wirtschaftsinteressen geleitet sei und die Kulturadministration in Untätigkeit verharre. Die nach Übersee ausgerichteten Initiativen für das spanische Buch basierten auf der "heroica iniciativa privada de nuestros editores, respaldada, principalmente, insistimos, no por los departamentos culturales, sino por los ministerios económicos".129 Aber auch die ökonomische Bilanz der Subventionspolitik fällt zwiespältig aus. Anlässlich der Beratungen des 1968 verabschiedeten zweiten Entwicklungsplans bekräftigt das Ministerium zwar den prinzipiellen Nutzen der Kredithilfen, die zu einer Steigerung der Auslandsverkäufe und der Verlagsproduktion insgesamt beigetragen hätten, konzediert jedoch die "insuficiencia" und "escasa agilidad práctica" der Kredite.130 1969 gerät das System der Exporthilfen durch den Matesa-Skandal in die öffentliche Diskussion.131 Die Abhängigkeit des Verlagssektors von Export- und anderen Vergünstigungen erweist sich nun als Nachteil, als die Bedingungen für die Kreditvergabe zeitweilig verschärft werden und zahlreiche Unternehmen der beteiligten Branchen in eine Finanzkrise geraten.132 Ferner wird die Verteilungspraxis als ungerecht kritisiert. In ihrer Projektion auf Exportstatistiken wird durch die Aktivitäten des INLE vor allem den Interessen großer Unternehmen entsprochen, deren Leiter oft selbst als Branchenvertreter an den Gremien des INLE partizipieren. Kleinere Literaturverlage sehen sich demgegenüber nicht nur durch die Zensur einseitig betroffen, sondern auch von den finanziellen Förderprogrammen übergangen. "Aunque en apariencia los créditos puedan ser accesibles a todos por igual, en la práctica únicamente se benefician de ellos las grandes empresas editoriales que monopolizan la exportación." (Cisquella u.a. 1977:

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Libro Español, en Colombia", 2.2.1970, AGA, Fach 49083. Meines Wissens bleibt es allerdings bei dieser ersten und letzten Wanderausstellung des Spanischen Buches. "Las taifas de nuestra cultura", ABC, 28.11.1972, zitiert bei García Jiménez (1980: 486). INLE: "Información básica sobre la industria y el comercio del libro", Información Comercial Española 431 (Juli 1969), S. 57-77, hier: 65. Am 17.7.1969 ergeht Anklage gegen die Firma Maquinaria Textil del Norte de España S.A. (Matesa), die insgesamt 10 Mrd. Peseten an erhaltenen Exportsubventionen veruntreut haben soll. Neben hochrangigen Politikern und Beamten ist auch der Verleger Manuel Salvat in den Skandal verwickelt; auf einer Krisensitzung befürchtet der INLE deshalb zu Recht gravierende Folgen für das spanische Verlagswesen und die Kreditpraxis ("Acta de la reunión extraordinaria celebrada por la Comisión Delegada General del Consejo de Administración del INLE", 11.9.1969, AGA, Fach 49083). Der für die Krediterteilung zuständige Banco de Crédito Industrial verweigert in Folge des Matesa-Skandals und eines restriktiven Erlasses des Finanzministeriums (27.8.1970) weitere Zahlungen und fordert den INLE zu detaillierterer Auskunft und Rechenschaft auf. Eine Aufstellung vom Herbst 1970 gibt elf Verlage an, die aufgrund der Kreditrestriktionen zahlungsunfähig geworden seien. Die diesbezüglichen Akten des INLE für die Jahre 1969-71 dokumentieren ausführlich die Umstände und Konsequenzen (AGA, Fächer 49083-49084).

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134). 133 Die Zuteilung der Exportkredite ist außerdem an eine politische Unbedenklichkeitsbescheinigung des MIT gekoppelt. Auch hier sind Massenverlage durch ihr meist konfliktfreies Verlagsprogramm im Wettbewerbsvorteil. 134 Werden Titel für den spanischen Markt verboten, können sie von Großunternehmen leichter über Filialen in Lateinamerika abgesetzt werden. Trotz aller Kritik an den zuständigen staatlichen Instanzen verfügen spanische Verlage über ein im internationalen Vergleich vorteilhaftes Gerüst an Subventionen, auf die auch mittlere und kleinere Unternehmen zurückgreifen. 135 Paradoxerweise wird im Bemühen um eine Industrieforderung und technische Modernisierung auch die materielle Basis für die sich um Verlage sammelnde kulturelle Opposition geschaffen: En los años 60 hubo una serie de medidas por el Gobierno de Franco que protegió la industria editorial, paradójicamente, porque lo que se protegía era la industria, e, indirectamente, nosotros nos beneficiábamos de eso. Teníamos créditos muy baratos, teníamos protección de papel, había papel disponible y abundante, después teníamos cosas que no tenían en América [...] no estaban protegiendo a ninguna posición política, estaban protegiendo a la industria de Artes Gráficas, pero nosotros nos beneficiábamos de esa mejora de la parte maquinaria, podíamos competir con mucha más calidad que los editores americanos. Luego hubo lo que se llamaba la desgravación fiscal a la exportación. La exportación estuvo protegida hasta la entrada en el Mercado Común. Recibíamos una devolución de impuestos inmediatamente en el momento en que se producía la exportación hacía Sudamérica. Eso era una fuente de liquidez muy rápida.136 Auch die Buchpolitik ist durch das Grunddilemma der franquistischen Politik gekennzeichnet: die Ökonomisierung und Modernisierung der Kulturpolitik schafft Freiräume für eine über Kultur transportierte politische Dissidenz. 137

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"El INLE estaba completamente dominado por tres o cuatro editores: Salvat, Planeta, luego Santillana. El INLE no comprendió que tenía que ser un organismo autónomo, al servicio de los editores, de los lectores, y de los libreros. Era incapaz de ofrecer una reforma, p.ej. crear una escuela de libreros, y otros cursos para ayuda a los libreros." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998). Gemäß dem Erlass vom 23.7.1964 bedarf die Erteilung der Verlagskredite eines "informe favorable del Ministerio de Información y Turismo". Wie eine Stellungnahme von Robles Piquer bestätigt, sind diese Informationen auch politischer Art: "Claramente, se trata de un informe político y de solvencia general de cada Empresa, que no responsabiliza económicamente al Ministerio." (Carlos Robles Piquer: "Análisis de la nota sobre crédito editorial y sugerencias sobre éste", Februar 1970, AGA, Fach 49083). Immerhin zeigen interne Statistiken des INLE, dass auch kleinere Verlage in den Genuss von Vorauskrediten gelangen: Für 1969 wird die Verteilung an 53 Empfänger vorgeschlagen, unter ihnen Alianza und Ariel (INLE: "Créditos prioritarios para la industria editorial", 13.10.1969, AGA, Fach 49083). Edicusa erscheint ebenfalls in der Liste, es ist jedoch kein Betrag ausgewiesen. Die weitaus größten Zahlungen gehen an Salvat, mit Abstand folgen Labor, Plaza y Janés, Afha Internacional, Planeta und Toray. Rafael Martínez Ales, Interview mit B.P., 17.11.1997. Dieses Kapitel beschränkt sich auf die Beziehungen von Verlagen und politischen Institutionen. Für die Rechtsstellung des Schriftstellers in der spanischen Gesetzgebung und

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2.2

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Spanische Verlage und die lateinamerikanischen Märkte

Traditionell stellen die lateinamerikanischen Staaten ein bevorzugtes Absatzgebiet für spanische Verlage dar. Die Exporte helfen die geringe Inlandsnachfrage zu kompensieren und erlauben es, kostengünstiger in höheren Auflagen zu produzieren. Vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreichen spanische Unternehmen eine konkurrenzlose Vormachtstellung in Lateinamerika. Nachdem durch den Bürgerkrieg die Exporte nach Lateinamerika zum Erliegen gekommen sind, wird deren Rückgewinnung zu einem gleichermaßen wirtschaftlichen wie politischen Anliegen des franquistischen Spanien. Auf politischer Seite vereint die verlegerische reconquista der spanischsprachigen Märkte nach dem Bürgerkrieg die kulturhegemonialen Wunschträume der Hispanitäts-Ideologen und den Pragmatismus von Wirtschaftspolitikern. Allerdings aktualisieren sich in der Frage der transatlantischen Verlagsbeziehungen und der Internationalisierung der eigenen Buchindustrie Widersprüche und Interessenkonflikte der franquistischen Politik: Die Reziprozität der Austauschbeziehungen - d.h. die Tatsache auch des Literaturimports - berührt nicht nur protektionistische Wirtschaftsinteressen des Staates, sondern reibt sich mit innenpolitischen Kontrollinteressen, wie sie sich in der mehr oder weniger harten Zensur auch gegenüber Buchimporten ausdrücken. In der Analyse der Möglichkeiten und Grenzen literarischer Außenbeziehungen stellt sich erneut die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Verlag, das sich durch ein beiden gemeinsames Exportinteresse auszeichnet, aber durch die Frage der Zensur belastet ist. Bislang wurde selten der Versuch unternommen, die materiellen Dimensionen des literarischen Austausches darzustellen. Es soll im Folgenden weniger um die inhaltliche Seite des Literaturtransfers gehen, die in den späteren Kapiteln unter dem Aspekt der Vermittlung thematisiert werden wird, sondern um globale Handelsbeziehungen im Hinblick auf die Ware Buch. Buchexport vor 1936 Gegenüber der schwachen institutionellen Basis transatlantischer Literaturbeziehungen im 19. Jahrhundert nimmt der über Verlage organisierte Austausch zwischen den spanischen und lateinamerikanischen Metropolen um die Jahrhundertwende rasant zu. Die verlegerischen Beziehungen entwickeln sich im transatlantischen Handel zu einem der wenigen erfolgreichen Wirtschaftszweige, in deren Verlauf vor allem katalanische Unternehmen den lateinamerikanischen Markt dominieren und Barcelona zwischenzeitlich Paris als Verlagszentrum für die lateinamerikanischen Märkte ablöst. Die Exporte nach Lateinamerika machen Mitte der 20er Jahre um 50% der spanischen Verlagserlöse aus (Pike 1971: 194). Einflussreiche Verlage in Lateinamerika sind bis zum Bürgerkrieg Sopeña, Salvat oder Espasa, aber auch kleinere Unternehmen wie der 1911 gegründete Verlag Industrias Gráficas Seix y Verlagspraxis vgl. Lenquette (1999: 23-32).

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Barral können von diesem Exportaufschwung profitieren. Vorübergehend erobert die Compañía Iberoamericana de Publicaciones (CIAP) eine Hegemoniestellung im transatlantischen Handel mit literarischen Werken, da sie unter Einsatz neuer Vertriebs- und Honorarstrategien viele spanische und lateinamerikanische Schriftsteller an sich bindet.138 Das Exportinteresse begünstigt die Publikation lateinamerikanischer Autoren bei spanischen Verlagen (Marco 1992). In den transatlantischen Literaturbeziehungen ist damit ein Modell vorausgenommen, das sich in gewisser Weise im Boom der 60er Jahre wiederholen wird: Die ästhetisch einflussreichen lateinamerikanischen Texte werden über eine spanische Infrastruktur in Umlauf gebracht und vermarktet. Der Lateinamerika-Handel dient in diesem Zusammenhang gleichzeitig als Unterstützung eines panhispanistischen Diskurses der kulturellen Annäherung und politischen Einflussnahme innerhalb der Hispania. 139 Wie Caudet für die Vorkriegsjahrzehnte darlegt, bedeutet "política del libro" zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Zusammenwirken der drei Interessengruppen "editores (y libreros), poder público y productores de cultura".140 Gemeinsames Anliegen ist die Ausdehnung nach Lateinamerika. Während einerseits das Interesse einer spanischen Intelligenz zu konstatieren ist, die in den Identitätsdiskursen eines Rodó oder Marti Anknüpfungspunkte für ihr panhispanistisches Ideal vermutet, fungiert andererseits die transatlantische 138

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Die CIAP wird 1928 durch die deutschen Bankiers Bauer & Co. gegründet und von dem Monarchisten und zeitweise franquistischen Erziehungsminister Pedro Sáinz Rodríguez geleitet. Durch die Absorption von Kleinverlagen, die Einführung verkaufsabhängiger Vorschüsse und einer festen Gehaltszahlung an Verlagsautoren sowie die Verpflichtung von Intellektuellen unterschiedlicher ideologischer Provenienz, entsteht ein Verlagskonzern, der horizontal und vertikal marktbestimmend wird und neue Maßstäbe für die Professionalisierung des spanischen Buchmarktes und des transatlantischen Buchhandels setzt. Zwischenzeitlich vereint die CIAP um die 80% der spanischen Buchproduktion! Bereits nach drei Jahren geht das Unternehmen allerdings Bankrott. Vgl. Esteban (1972: 29), Caudet (1987: 143f.), Escolar (1989: 285-93), Santonja (1989: 9f.). Rehrmann bezeichnet mit dem Oberbegriff des Panhispanismus einen "Grundkonsens" spanischer Intellektueller, der sich über das gesamte 20. Jahrhundert bis zur Transición kaum verändert habe. Dessen Essenz sei die "mehr oder weniger explizit geäußerte[n] Überzeugung [...], daß den spanischen Kulturtraditionen in den Exkolonien (mindestens) prioritäre Bedeutung zukomme [...], diese gegenüber allen sonstigen einen 'superioren' Charakter besäßen [...] und daß Spanien (was auch immer man darunter versteht) einen Anspruch auf eine Art guía intelectual oder cultural geltend machen könne" (1996: 21). Mit Beginn der II. Republik habe sich die konservativ-reaktionäre Interpretation der hispanischen Einheit unter dem Motto der Hispanidad radikalisiert. Bei Arenal/Nájera wird der Begriff Panhispanismo dagegen auf entsprechende Bewegungen im Spanien des frühen 19. Jahrhunderts begrenzt und bezeichnet dort eine eurozentrische Position, über die im Wettstreit der imperialistischen Mächte verschiedene Pläne zur Vereinigung der Territorien spanischer Sprache entwickelt würden (Arenal/Nájera 1992: 46). Caudet (1987: 142). Die Skizze Caudets liefert eine äußerst instruktive Darstellung der Kulturbeziehungen Spaniens mit Lateinamerika für die Vorkriegsjahre. Vgl. ferner Halperin Donghi (1987) und Marco (1992).

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Vermittlertätigkeit spanischer Verlage, für die die Gewinnung der lateinamerikanischen Märkte auf der Tagesordnung steht, als Ausdruck eines "practical hispanism".141 Buchexport als politisches

Instrument

Im Kontext der außenpolitischen Isolation entwickelt sich der kulturelle Austausch mit Lateinamerika zu einem wichtigen Betätigungsfeld franquistischer Politik, dessen Erfolge als identitätsstiftender Stabilisierungsfaktor im Inneren fungieren und das außenpolitische Terrain für wirtschaftliche Expansionsbestrebungen bereiten sollen. Als Integrationsdiskurs dient dabei das auf Ramiro de Maeztu zurückgehende Konzept der Hispanidad, das das falangistische imperio-Zie\ einer spanischen Großmachtrolle mit der katholischen Missionierungsidee zu einem Hegemonieanspruch über die ehemaligen Kolonien verbindet.142 Fundamentale Hispanidad-Werte sind Einheit und Rasse, vor allem aber Katholizismus und Imperium, in denen sich die klerikalfaschistische Wandlung des panhispanistischen Konzeptes manifestiert.143 Bei Maeztu ist die Hispanidad als historisch angelegte spirituelle Einheit der spanischsprachigen Völker definiert. Verbindendes Element ist der Katholizismus, der die Synthese der historischen Erfahrungen und damit der geistigen Charakteristika des spanischen Wesens bildet.144 In Bezug auf die spanischsprachigen Staaten Lateinamerikas fordert Maeztu neue "misiones", d.h. die Bekehrung der amerikanischen Staaten zu ihrer hispanischen Essenz, die unter dem Einfluss ausländischer Ideen (Naturalismus, Materialismus, Liberalismus) in Vergessenheit geraten sei. Die frühkoloniale Vergangenheit und insbesondere die katholische Missionierung Lateinamerikas dienen als fundierender Mythos145 einer transatlantischen Gemeinschaft, der nach außen distinktive und nach innen integrative Funktion zugeschrieben wird.146 Denn zur Konstituierung der hispanischen "patria dual", so Maeztus Lehre an die Lateinamerikaner, genüge nicht der von ausländischen Einflüssen sich 141 142

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Zum "practical hispanism" katalanischer Unternehmen siehe Pike (1971). "[L]a política de la Hispanidad, destinada a impulsar las relaciones entre España e Iberoamérica, fue uno de los canales que con mayor profusión utilizó el franquismo para tratar de afirmar su protagonismo internacional." (Delgado Gómez-Escalonilla 1988: 8f.). Rehrmann (1996: 130). Bei Maeztu ist der Begriff der Rasse, anders als bei Ortega y Gasset, auch biologisch definiert (ebd.: 212). Maeztu (1941: 56); die Erstausgabe erschien 1934. Vgl. Rehrmann (1996: lOlf.) zur ausführlichen Darstellung der Thesen Maeztus und konkurrierender Konzepte. "Die [fundierende] Funktion des Mythos [...] stellt Gegenwärtiges in das Licht einer Geschichte, die es sinnvoll, gottgewollt, notwendig und unabänderlich erscheinen läßt." (Assmann 1997: 79). Manuel Ramírez rechnet die "apelación a la Hispanidad" zu den sieben konstitutiven Elementen einer franquistischen Ideologie. Die Hispanidad erfülle eine doppelt integrative und aggressive Funktion als "reforzamiento del ingrediente nacionalista y su expansión más allá de nuestras fronteras y del océano" (Ramírez 1978: 91).

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lossagende territoriale Nationalismus, sondern es bedürfe auch der spirituellen, katholischen Einheitserfahrung, die nationale Grenzen überschreite (279). Maeztu hofft für diese Mission auf "Caballeros de la Hispanidad" (287), unter ihnen auf die "poetas que nos orienten con sus palabras mágicas" (304). Für die franquistische Außenkulturpolitik im Zeichen der Hispanidad ist die Verlagsexpansion nach Lateinamerika deshalb von großer strategischer Bedeutung. Einerseits wird dem Medium Buch eine kulturimperiale Funktion zugeschrieben, demnach der Export spanischer Bücher nach Lateinamerika der kulturellen Rückeroberung der entkolonisierten Staaten dient.147 Andererseits stehen hinter der panhispanistischen Rhetorik die materiellen Interessen spanischer Verlage und der franquistischen Administration. Der Direktor des INLE, Julián Pemartin, selbst ein führender Ideologe des Regimes, erklärt auf der eingangs (2.1) erwähnten Asamblea del Libro Español die Buchpolitik, auf falangistische Versatzstücke rekurrierend, zu einer patriotischen Aufgabe: Para España, la política del libro es de una necesidad vital. No sentir esta necesidad es no conocer aquel destino en lo universal, que es la esencia configurativa de nuestra Patria. Hablar de hispanidad, es justamente asentar las premisas de esa inexcusable necesidad de una política del libro, instrumento irreplazable para la realización de los altos ideales del espíritu expresados en aquel concepto. 148

In Pemartíns Rede ist das Verlagswesen Teil der hispanischen Mission, Verleger und Autoren dienen dem Staat als "caballeros de la Hispanidad" im Sinne Maeztus. Nicht die Kultur als Wert für sich wird betont, sondern ihr Beitrag zur Sicherung des imperio, der historisch fundierten Hegemonie Spaniens in Lateinamerika, im Sinne einer „misión civilizadora y cultural" (Pemartin 1948: 19).149 Unter diesen Prämissen entwickelt das Regime im Rahmen des Wiederaufbaus einer nationalen Verlagsindustrie Pläne zur Wiedergewinnung der transatlantischen Märkte. Die Ley de Protección del Libro Español vom 18.12.1946 soll die internationale Konkurrenzfähigkeit der spanischen Verlage über Rohstoffsubventionen 147

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Dem Autor einer 1943 publizierten INLE-Studie erscheint z.B. die (Schul)Bildung lateinamerikanischer Kinder und Eliten über aus Spanien importierte Textbücher als bedeutendstes Instrument der Hispanidad-Mission. Daher sei auch die Förderung des Buchexportes ein wichtiges Anliegen für "todos los interesados en mantener y fomentar la Hispanidad" (A. de S.: "En tomo al problema del libro español en América", in: Bibliografía Hispánica 2:3 (März 1943), S. 1-11, hier: 3). "Asamblea del Libro Español", in: Bibliografía Hispánica 3:6 (Juni 1944), S. 426-41, hier S. 426; Hervorhebung von B.P. José Antonio Primo de Rivera hatte im dritten seiner "puntos de Falange" erklärt: "Tenemos voluntad de imperio." ("Los 26 puntos de Falange. Norma programática del Estado (1934)", in: García Nieto/Donézar 1974: 260-63). Pemartíns an Primo de Rivera und Maeztu angelehnter Entwurf einer Teoría de la Falange (1948), dem obiges Zitat entnommen ist, räumt dem imperio-Gedmken breiten Raum ein, den er abstrakt als Ziel der kulturellen und damit politischen Einflussnahme interpretiert: "Imperio es el concepto de influencia" (1948: 9).

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gewährleisten und insbesondere dem Papiermangel, vielleicht dem materiellen Hauptproblem für das Verlagswesen der Nachkriegszeit, abhelfen.150 Gerade mit Blick auf den Lateinamerika-Handel tritt die ursprünglich ökonomische Ausrichtung der Buchpolitik wieder in den Vordergrund, nicht immer zum Wohlgefallen der franquistischen Ideologen.151 Institutionelle Träger sind der Instituto de Cultura Hispánica (siehe 4.5.1) von außenpolitischer Seite sowie der INLE von Seiten des Presse- und Propaganda- bzw. Informationsministeriums. Die von Caudet für die 30er Jahre konstatierte strategische Verflechtung staatlicher und nicht-staatlicher Interessengruppen besteht bei allen Gegensätzen auch im Franquismus fort. Ein kurz nach Kriegsende (11.4.1939) verfasstes Schreiben der Cámara Oficial del Libro an den Servicio de Prensa y Propaganda belegt die Relativität ideologischer Überzeugungen gegenüber ökonomischen Argumenten, wenn aus Verlegerkreisen - letztlich erfolglos - der Export von Büchern vorgeschlagen wird, die von der franquistischen Zensur verboten worden sind.152 Während der ersten Nachkriegsjahre setzen sich die maßgeblichen Verlagsfünktionäre für eine Mäßigung des Lateinamerika-Diskurses zugunsten der Sachlichkeit wirtschaftlicher Konkurrenzverhältnisse ein. Der Verleger Gustavo Gili Roig widerspricht in seiner Denkschrift von 1944 den Apologeten einer imperialen Hispanidad, die in der Frage der Außenhandelsbeziehungen nach Übersee einer "Eroberung" dieser Märkte das Wort reden.153 Vielmehr habe die allmähliche Entwicklung einer eigenen Buchindustrie in Argentinien oder Mexiko, verbunden mit dem Wegfall des Handels während des spanischen Bürgerkrieges, die spanische Hegemonie auf diesen Buchmärkten radikal beendet. Während vor dem Krieg fast 40% des Umsatzes in Hispanoamerika realisiert worden seien, machten diese Märkte nun (1943) nur noch knapp 10% aus (90) - die Zukunft des spanischen Buches in Amerika sei "seriamente amenazado" (99).154 Für Gili Roig ist die Auseinandersetzung mit den Verlegern

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Cendán Pazos (1972: 204-08), der auch den vollständigen Gesetzestext abdruckt (428-30). Gallofré (1991: 515-20) zitiert eine Stellungnahme von Ernesto Giménez Caballero gegen das Gesetz von 1946 ("Carta sobre la situación del libro español"). Das Gesetz sei geprägt von katalanischem Unternehmergeist, begünstige einseitig die Verlagsindustrie zu Lasten der Bevölkerung und bewirke eine wirtschaftliche Abhängigkeit von ausländischen Importen. Hingegen sei das Buch kein materieller, sondern ein spiritueller Wert; es gehe vielmehr um die Förderung der nationalen "creación", etwa mittels Autorensubventionen und rigider Zensur. Giménez Caballero verknüpft schriftstellerische Interessen mit falangistischer Ideologie gegen den mit dem Katalanismus identifizierten, unternehmerischen Liberalismus und Pragmatismus. Der Text ist dokumentiert bei Abellán( 1987: 161-67). Gili Roig zeigt sich insgesamt um eine nicht imperialistische Haltung gegenüber den Staaten Lateinamerikas bemüht: "[...] espiritualmente, la única actitud posible es de amplia comprensión ante este magno acontecimiento [...]: 'Hispano-América se aproxima a su mayor edad."' (1944: 100). Der Verfasser ist allerdings selbst nicht frei vom Hispanidad-Pathos, wenn er die "naciones hermanas" als "no tanto un capítulo de su [i.e. España] economía como un pedazo de

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Lateinamerikas daher als Austausch unter Gleichen - d.h. als wirtschaftliche Konkurrenzbeziehung - ("intercambio comercial", 100) zu verstehen. Spanische Verlage müssten strategische Nischen besetzen, "aquellos sectores culturales donde todavía no ha llegado la producción de los propios países americanos". Gili Roig fordert zu diesem Zweck die Verbilligung der Exportpreise (100) und staatliche Hilfen zum Schutz gegen Raubdrucke (124), außerdem eine bessere Distribution und staatliche Finanzhilfen. Gustavo Gili formuliert damit ein Programm, das unter geringen Veränderungen zum Verlegerdiskurs der Folgejahre gehören wird und das die patriotische Wortwahl mit der Forderung nach handelsfordernden Instrumenten verbindet. Auf der Asamblea del Libro Español von 1944 werden von Verlegerseite staatliche Subventionen erbeten: Se trata, esencialmente, de que el Estado cree una situación que les [a los editores] permita desplegar su actividad y su iniciativa en condiciones, si no idénticas, semejantes a las de sus competidores. Esto es todo. Sin esto no hay posibilidad de recuperar el mercado americano, hoy casi perdido, como hemos dicho, ni de lograr la necesaria difusión de nuestro libro. 155

Der verlegerische Appell an die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen von Unternehmer- und staatlicher Seite hat Erfolg, denn eine Resolution, in der Steuererleichterungen und andere Hilfen gefordert werden, wird mit großer Mehrheit verabschiedet. Die 40er Jahre: Import und Konkurrenz aus Lateinamerika Vom Ausfall der spanischen Exporte nach 1936 profitieren lateinamerikanische Verlage, die, aufbauend auf einer vorhandenen materiellen Infrastruktur (Druck-, Papierindustrie), während des Zweiten Weltkrieges eine Blütezeit erleben. Die Austauschbeziehungen zwischen den Kontinenten verkehren sich für etwa ein Jahrzehnt in die entgegengesetzte Richtung. Unter anderem von spanischen Exilanten in den Metropolen Lateinamerikas neu gegründete Verlagshäuser wie Sudamericana, Losada, Fabril und Emecé in Argentinien, Fce, Séneca, später Era oder Joaquín Mortiz in Mexiko werden zu Zentren

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su mismo ser" beschreibt (87). Der Außenhandel wird als Krieg konnotiert, den zu Beginn des Jahrhunderts spanische Verleger gegen "enemigos" geführt hätten, deren Reihen "reforzadas [...] por intelectuales españoles desterrados de su patria" gewesen seien. Dieser Kampf habe schließlich mit der "derrota total de las Editoriales extranjeras intrusas y la conquista para nuestro libro de aquellos mercados" (95) geendet. INLE (1945: 196). Das Zitat entstammt einem Vortrag der Verleger Santiago Salvat (Salvat), Joaquín Sopeña (Sopeña) und José Zendrera (Juventud) zum Thema "Difusión del Libro Español" (167-209). Die Verfasser fordern darin materielle Unterstützung in Form von Tarif- und Steuerhilfen und Papiersubventionen, und allgemeine Fördermaßnahmen wie die Wiederbelebung des Dia del Libro oder die Einrichtung von Bibliotheken. Für den internationalen Handel werden die Erlaubnis zur Filialgründung in Latein-

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eines interkulturellen Kontaktes und zu künftigen Vermittlem einer internationalen und exilspanischen Literatur nach Spanien. 156 In Lateinamerika produzierte Zeitschriften (Cuadernos Americanos; Sur) sind Foren einer transatlantischen Kommunikation, wobei die Beteiligung der in Spanien residierenden Akteure allerdings begrenzt bleibt. Der Beitrag des spanischen Exils zum Aufbau eigenständiger Verlagsindustrien in Lateinamerika ist oft genug gewürdigt worden und nicht zu unterschätzen; es wäre jedoch unangebracht, die Blüte argentinischer oder mexikanischer Verlage ab Mitte der 1930er Jahre allein von der Leistung spanischer Exilanten abhängig zu machen, wie es die Historiografie spanischer Provenienz heute gerne suggeriert.157 Für diese Intellektuellen bedeutet der Kontakt zu den literarischen Zirkeln von Mexiko D.F. oder Buenos Aires eine Möglichkeit der sozialen und kulturellen Integration, auch wenn eine völlige Assimilation und Akzeptanz des Fremden für viele unmöglich bleibt. 158 Argentinien stellt zunächst den Haupthandelspartner und gleichzeitigen Konkurrenten für spanische Verlage dar.159 Begünstigt von einer protektionistischen Wirtschaftspolitik, erlebt die argentinische Buchindustrie zwischen 1936 und 1947 ihre "[d]écada brillante" (García 1965: 132), in der sie ihre Exportabhängigkeit korrigiert und selbst zum stärksten Produzenten und Exporteur innerhalb des spanischen Sprachraumes avanciert. Allein zwischen 1938 und 1944 verdreifacht sich die argentinische Druckproduktion, und 1945 ist Argentinien mit einem Anteil von nahezu 70% der gesamten Buchproduktion in spanischer Sprache hegemoniale Macht. 160

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amerika und Abkommen zum Schutz vor Raubdrucken gefordert. Ich werde in Kapitel 4.5 näher auf einzelne Verlage eingehen. - Die Forschung zur kulturellen Leistung des Bürgerkriegexils hat in der Transición und anlässlich des Quinto Centenario stark zugenommen. Ein Forschungsüberblick bei Aznar Soler (1997a), neuere Darstellungen bei Aznar Soler (1995) und Caudet (1997). Zu Verlagsgründungen in Mexiko siehe die Überblicke bei Luis Sánchez (1982), Arbonés (1992) und Escalona (1997: 249), femer die Studie von Santonja (1997) zu José Bergamín. Zu Exilverlagen in Argentinien vgl. Pochat (1991). Nach Lagarde (1981: 40) erlebt die argentinische Buchindustrie z.B. bereits ab 1860 ein "âge d'or", in dessen Verlauf verschiedene bedeutende Verlage entstehen und die Produktion einen Industrialisierungsschub erlebt. Schließlich entwickelt sich mit der "révolution culturelle" (42) der 1920er Jahre ein aktiver Literaturbetrieb, in dem spanische Exilanten künftig zentrale Verlagspositionen besetzen werden. Rehrmanns (1996) Analyse des Amerikabildes spanischer Exilschriftsteller kommt zu dem Schluss, dass diese trotz ihrer kulturellen Integration in neue nationale Felder eine paternalistische Position nicht ablegen. Vgl. auch Fagen (1973). Analysen des argentinischen Verlagswesens bei Bottaro (1964), Garcia (1965), Lagarde (1981), Rivera (1998), aus spanischer Perspektive Puigvert (1967). Das argentinische Werkeregister nennt folgende Werte, die eine bis 1944 steigende und ab 1947 rapide fallende Tendenz verdeutlichen: 1938 - 1.736 Titel, 1941 - 2.660, 1944 5.323, 1947-4.141, 1948-3.242 (Rivera 1998: 101; Lagarde 1980: 52). Die Stagnation wird dadurch verdeutlicht, dass noch 1963 die Zahl bei unter 4.000 Titeln liegt; der Wert von 1944 wird erst im Jahre 1976 (6.674) wieder überschritten! Der Verleger Gustavo

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Die argentinische Verlagsindustrie produziert zeitweise mehr Titel als Spanien, und auch wenn diese Relation sich bald umkehren soll, liegen die Auflagenzahlen in Argentinien weit über den spanischen.161 Dass die argentinische Verlagsindustrie in den 40er Jahren zu einem wesentlichen Teil als Exporteur in den spanischen Markt auftreten kann, verdankt sie der politischen Affinität zwischen dem ab 1946 peronistischen Argentinien und Franco-Spanien; insgesamt schließen beide Staaten zwischen 1939 und 1976 zwölf Kultur- und 38 Handelsabkommen.162 Im Handelsabkommen vom 30.10.1946 ist unter sieben Abschnitten immerhin einer speziell (Kap. 5, Art. 28-29) dem Handel mit Verlagsund Filmprodukten gewidmet.163 Die Regierungen versichern, "medidas necesarias para asegurar e incrementar el intercambio, a reciprocidad" (Art. 28) zu ergreifen und bestehende Importschranken abzubauen.164 Die positiven Auswirkungen dieser Verträge fallen für lateinamerikanische Verlage jedoch gering aus, denn infolge wirtschaftlicher Probleme und der erstarkenden internationalen Konkurrenz gerät die heimische Buchindustrie ab 1947 in eine schwere Krise. Verschiedene staatliche Eingriffe (Importrestriktionen, Devisenkontrolle) verteuern zusätzlich die Buchproduktion und behindern den Erwerb internationaler Autorenrechte (Garcia 1965: 134). Auch Mexiko kann vom Ausfall der außeramerikanischen Konkurrenz während des Spanischen Bürgerkrieges und des II. Weltkrieges profitieren und seine nationale Produktion ausweiten. Jedoch bleibt der Buchmarkt importabhängig, unter allmählicher Verlagerung auf Spanien als wichtigem Handelspartner. 1944 machen argentinische und US-amerikanische Importe 46% respektive 41% aus, spanische dagegen lediglich 7%; 1951 dagegen liegen die spanischen Importe an der Spitze (32,3%), gefolgt von Argentinien (28,3%) und den USA (24,4%).165 Die mexikanische Inlandsproduktion erreicht 1946 einen Höchststand und zeigt im Außenhandel mit Spanien bis 1948 eine fast ausgeglichene Bilanz, 1951 jedoch betragen die Exporte

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Gili Roig referiert noch höhere, von der US-amerikanischen Publikation Books Abroad veröffentlichte Zahlen: 1938 - 1.876 Titel, 1939 - 2.637; 1940 - 3.807; 1941 - 6.088. Allein die Produktion Losadas wird mit 480 Titeln zwischen 1938 und 1942 angegeben (Gili Roig 1944: 97). Die registrierte Durchschnittsauflage steigt von 4.600 (1940) auf bis zu 8.594 (1959) an, ist danach jedoch erheblichen Unregelmäßigkeiten unterworfen (Lagarde 1980: 52). Argentinien befindet sich damit in einer Spitzengruppe mit Kuba [!] und Uruguay. Die Relation von insgesamt 253 Handels- und Finanzabkommen gegenüber 99 Kultur- und Ausbildungsabkommen verdeutlicht einmal mehr die von der franquistischen Außenpolitik gesetzten Prioritäten (Pereira/Cervantes 1992: 150 u. 192). Der Text des Acuerdo comercial hispano-argentino, publiziert in La Vanguardia Española vom 1.11.1946, ist abgedruckt bei García Nieto/Donézar (1975: 215-25). Auf dem Kongress der Konföderation lateinamerikanischer Buchhandelskammern im Jahre 1947 geht Spanien weitere Verpflichtungen zur Beschleunigung der Importzahlungen ein (Cosío Villegas 1949: 327). Eigene Berechnung nach Statistiken bei Peñalosa (1957: 191).

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nach Spanien nur noch wenig mehr als ein Zehntel des von dort importierten Wertes. Mangelndes staatliches Interesse und Währungsinstabilität behindern den langfristigen Aufschwung der Buchindustrie. Immerhin: "By 1952, however, the quantity of Mexican book imports and exports was fairly stabilized, and publishers seemed reconciled to increasing foreign competition." (Peñalosa 1957: 256). Auch am Beispiel eines international weniger bedeutenden Marktes wie Chile zeigen sich die beschriebenen Entwicklungen: Durch die Kriege in Spanien und Europa entfallt die Präsenz ausländischer Verlage, während die gleichzeitige Anwesenheit vieler südamerikanischer Intellektueller noch die Entwicklung einer eigenen, nationalen Verlagsindustrie zwischen 1930 und 1950 begünstigt. Für einige Jahre ist die chilenische Buchindustrie einer der Hauptexporteure innerhalb des spanischsprachigen Amerika (Subercaseaux 1993: 127). Wichtigste Verlage sind Zig-Zag und Ercilla. Bei Zig-Zag liegt die Durchschnittsauflage in den betrachteten Dezennien bei 2.500, in einzelnen Jahren sogar deutlich darüber.166 Hinsichtlich der produzierten Titel gilt allerdings das gleiche Phänomen wie in anderen spanischsprachigen Staaten: Es dominieren Übersetzungen, in der überwiegenden Mehrzahl aus dem Englischen. Der chilenische Aufschwung endet um 1950, und die Verlagsindustrie gerät alsbald in anhaltenden Rückstand gegenüber den stärkeren Exportnationen Argentinien, Mexiko und Spanien, deren protektionistischen Maßnahmen die chilenische Administration keine gleichwertigen Instrumente entgegenzusetzen bereit ist. Chiles Buchproduktion bleibt von nun an weitgehend auf den internen Markt begrenzt (Subercaseaux 1993: 244-51). Der Import lateinamerikanischer Buchprodukte wird in offizieller franquistischer Diktion als Zeichen einer funktionierenden panhispanischen Kultureinheit gedeutet. In der Praxis zeigen sich die Kulturbeziehungen mit Lateinamerika allerdings häufig von Konkurrenz und Misstrauen geprägt. Aus spanischer Sicht sind ungehinderte Buchimporte nicht mit den Überwachungsprinzipien des totalitären Staates vereinbar. Gegen die befürchtete ideologische Unterwanderung bringt der franquistische Staat deshalb wie erwähnt die Buchzensur in Anschlag. Darüber hinaus gelten die Bücher der lateinamerikanischen Verlage, vor allem aus dem Bereich der übersetzten Literatur, als Bedrohung für das Wiederstarken einer nationalen Verlagsindustrie. Zu Beginn der 40er Jahre finden sich in den Verlautbarungen des INLE heftige Klagen über die unerwünschte Konkurrenz aus den angeblichen Partnerländern. Mientras tanto, entre los 4.523 libros registrados en Bibliografía Hispánica hay incluidos [sie] 254 que fueron impresos en Hispanoamérica, de los cuales llegó la cantidad suficiente para abastecer nuestro mercado. Libros éstos de literatura, y en su mayoría, o totalidad, traducciones [...] los libros americanos compiten con ventaja de precios con los nuestros. Esto, a todas luces, es un gran problema.16

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Gili Roig (1944: 98) nennt, unter Berufung auf US-amerikanische Quellen, für 1940 eine Durchschnittsauflage von 6.000 Exemplaren für Zig-Zag. "Breve balance editorial del año", Bibliografia Hispánica, 3:12 (Dezember 1944), S. 839-

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Auf der Kehrseite der Bemühungen um einen Buchtransfer nach Lateinamerika stehen daher staatsdirigistische Eingriffe, mit denen der Franquismus missliebige Importe ins eigene Land zu begrenzen versucht. Wiederholt geraten die Restriktionen der mit der Kulturaufsicht befassten Ministerien in Widerspruch zu den handelspolitischen Beschlüssen des Außenministeriums. Im Sommer 1945 sieht sich z.B. die Junta de Relaciones Culturales des Außenministeriums zum Protest gegen fortwährende Importverbote von Seiten der Vicesecretario de Educación Popular genötigt, die gegenüber einem wichtigen Partner wie Argentinien unverzeihlichen außenpolitischen Schaden anrichteten.168 Am Fallbeispiel eines transatlantischen Vermittlers der 40er Jahre zeigt sich die Uneinheitlichkeit franquistischer Kulturpolitik. Der Verleger und Buchhändler Joaquín de Oteyza, der vorher im Auftrag katalanischer Verlage als Zwischenhändler für die lateinamerikanischen Märkte gearbeitet hatte, versucht 1944/45 in Spanien den Vertrieb argentinischer Bücher zu organisieren und in Madrid ein zentrales Importlager zu errichten.169 Das Vorhaben unterliegt erheblichen Repressalien durch die Vicesecretario de Educación Popular, die über ein Jahr hinweg die innerspanische Zirkulation der Bücher blockiert, wenn auch die Zahl der endgültig verbotenen Titel (ca. 90) in diesem Fall relativ gering bleibt. 170 Erst die Eingaben einzelner spanischer Verleger, des INLE und einflussreicher Persönlichkeiten bewirken die Aufhebung der Sanktionen gegen Oteyza. Weitere Einzelbeispiele bestätigen die relativ hohe Zahl von Verboten auch für spätere Jahre: Ein argentinischer Verleger beziffert Mitte der 40er Jahre den Anteil in Spanien verbotener Titel seines Programms auf 55%.171 Für die Jahre 1963-65 beklagt

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50, hier: 840. Die Rede ist von "grandes peijuicios a las relaciones culturales hispano-americanas y, especialmente, en lo que se refiere a la venta del libro español" ("Actas de las sesiones de la Comisión Permanente de la JRC", 21.6., 16.7. und 20.7. 1945, AMAE, R-3724/1, zitiert bei Delgado Gómez-Escalonilla 1992: 425). Mangada/Pol (1997: 175-206). Geplant ist ein für damalige Zeiten enormes Kontingent: Oteyza schließt einen Vertrag über "24.000 paquetes de cinco kilos de libros, que son 120 toneladas de papel, que cubrirían una superficie de 1.500 metros cúbicos" ab (aus Tagebüchern Oteyzas, zitiert bei Mangada/Pol 1977: 206). Nach Oteyzas Angaben handelt es sich um 1.800 Titel und 260.000 Bücher, eine angesichts einer spanischen Gesamtproduktion von ca. 4.500 (1944) bzw. 4.200 (1945) Titeln gewaltige Zahl. Oteyza archiviert in seiner Venta del libro, einem privaten Buchmuseum, immerhin 341 Einzelexemplare von Büchern, deren Import ihm zwischen 1945 und 1954 von der Zensur untersagt worden ist. Das Gros der Titel (182=53%) entfällt auf die Jahre 1946-47 (eigene Zählung nach der Aufstellung bei Mangada/Pol 1997: 277-86). Betroffen ist vor allem der Verlag Losada (121 Titel), weitere Verlage sind u.a. Santiago Rueda (47), Poseidon (30), Acme Agency (28), Argonauta (20), Guillermo Kraft (11). Vgl. auch 4.1.1. Cosío Villegas (1949: 319f.) bezieht sich hier auf "uno de los tres editores argentinos más importantes", vermutlich Losada, dessen Titel wegen des starken Gewichts republikanischer Autoren stark zensiert werden. Noch 1963 kritisiert ein Vertreter des spanischen Informationsministeriums in Buenos Aires den Verlag Losada als Eigentum eines "viejo español que publicó, preferentemente, la mayor producción de los rojos" (José Ignacio

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der Fondo de Cultura Económica (FCE) eine Importverweigerung bei über 100 Titeln (Cisquella u.a. 1977: 99), beim mexikanischen Verlag Siglo XXI liegt der Anteil 1972 bei ca. 25%. 172 Allerdings entwickeln Verlage und Importeure erfolgreiche Strategien, um die Zensur zu umgehen. Der Schmuggel verbotener Bücher bildet einen zentralen Aspekt des Literaturaustauschs zwischen Spanien und Lateinamerika zur Zeit des Franquismus. Dem illegalen Buchtransfer späterer Jahre können die Behörden kaum etwas entgegensetzen, wie der im transatlantischen Handel erfahrene Verleger Manuel Aguilar erläutert: En la actualidad, con la permanente ida de españoles a naciones extranjeras y la afluencia de visitantes de medio mundo a España, los libros van y vienen en las maletas y en las carteras de los unos y de los otros; de hecho se realizan numerosas importaciones de tipo privado o individual, a la mano.173 Auf lateinamerikanischer Verlegerseite wird die von verschiedenen Regierungen forcierte Annäherung an den Franquismus keinesfalls rundweg akzeptiert. Die Verlegerkonferenz des spanischen Sprachraums in Buenos Aires (1947) ist gekennzeichnet von politischen Auseinandersetzungen zwischen spanischen und lateinamerikanischen Teilnehmern um die literarische Repression in Spanien, infolge derer unter anderem ein Beschluss gegen die Buchzensur gefasst wird. Die spanischen Offiziellen enthalten sich der Zustimmung. 174 Der mexikanische Verleger Daniel Cosío Villegas urteilt 1949, Spanien kämpfe "con todas sus armas no sólo para rehacer una industria que significa millones de

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Ramos: "España pierde su mercado librero en América", 6.9.1963, AGA, Fach 475). Felix Santos: "La colonización cultural y los libros. Conversación con Arnaldo Orfila", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXII (November 1972), S. 31-33, hier: 33. Aguilar (1964: 267). Die Kontrollmechanismen der Behörden werden umgangen: "El procedimiento era muy sencillo. En la factura del origen se cambiaban los títulos. La factura se aprobaba por el Departamento de Censura y el funcionario de Aduanas entregaba, normalmente, los paquetes sin abrirlos y sin comprobar el contenido." (Mangada/Pol 1997: 199). Der mexikanische Verleger Joaquín Díez-Canedo (Joaquín Mortiz), dessen Bücher über Seix Barral importiert werden, bestätigt diesen illegalen Literaturaustausch: "Todo lo hacíamos [...] engañando a la aduana. Los libreros los vendían bajo mano, no estaban a la vista. [...] Los envíos los mandábamos a contrabando, con títulos falsos, como si fueran de otros autores. Nadie se molestaba en abrir las cajas, pese a que eran remitidas desde México. Por lo general, llegaban bien, pero en un par de ocasiones nos incautaron todo el envío. Alguien quiso revisar todas aquellas cajas, encontró los libros de Goytisolo [i.e. Señas de identidad, Don Julián] y los confiscaron." (Interview mit Joaquín DíezCanedo, La Vanguardia, 22.11.1993, S. 29, FB). Die Dokumentation des Primer Congreso de Editores y Libreros de América Latina, España y Portugal (Buenos Aires, 5.-15.7.1947) erschien in der argentinischen Gaceta del Libro und ist abgedruckt bei Mangada/Pol (1997: 255-60). Von spanischer Seite nehmen u.a. der spätere Informationsminister Alfredo Sánchez Bella als Vertreter einer Exportorganisation (EPESA) sowie die Verleger Gustavo Gili, Ramón Sopeña, Joaquín de Oteyza und Javier Morata teil (Escolar 1996b: 139).

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capital, sino la hegemonía espiritual y política sobre la América española".175 Die protektionistischen und expansionistischen Maßnahmen der Franco-Administration widersprächen den bilateralen Verträgen. Neben den Zensurbestimmungen beklagt Cosío die bürokratische Hürde der Importlizenzen, deren Bearbeitung bis zu zwei Jahre dauere, und die mangelnde Zahlungsmoral der Importeure, bedingt durch die vom spanischen Staat absichtlich verzögerte Bereitstellung von Devisen. Spanische Verlage könnten über ihre argentinischen Niederlassungen voll am Aufschwung der dortigen Industrie partizipieren und gleichzeitig von Europa und Lateinamerika aus die regionalen Märkte bedienen. Sie besäßen dadurch Marktvorteile gegenüber den lateinamerikanerischen Verlagen, denen der Import nach Spanien durch die erwähnten Hindernisse verleidet sei. Obgleich Cosíos ausschließliche Schuldzuweisung an die spanische Adresse den unbestreitbaren wirtschaftlichen Aufschwung lateinamerikanischer Verlage zu sehr zu negieren scheint, so bekunden auch zurückhaltendere Urteile ein "irregular funcionamiento de los convenios" zwischen Argentinien und seinen spanischsprachigen Handelspartnern (Garcia 1965: 135). Cosíos Äußerungen stehen in krassem Widerspruch zu dem von spanischer Seite erweckten Eindruck einer argentinischen Buchhegemonie. Vielmehr bringt er ähnliche Exklusivismus-Vorwürfe an, wie sie von spanischer Seite zuweilen gegen lateinamerikanische Verlage erhoben werden (s.u.). Die Klagen spanischer Verleger über die Handelsnachteile gegenüber Lateinamerika sind deshalb in ihrer Einseitigkeit zu relativieren und zu spezifizieren: Bei der Rede von lateinamerikanischen, meist argentinischen Importen nach Spanien ist zu bedenken, dass diese zu einem Teil auch Re-Importe spanischer Unternehmen darstellen können.176 Ferner bestätigt sich, dass die mit panhispanistischem Pathos beschworenen partnerschaftlichen Literaturbeziehungen zwischen den Kontinenten von einem heftigen Nationalismus konterkariert werden. Transnational operierende spanische Verlage verorten sich vor allem national, und auch Cosíos Haltung gegenüber den spanischen Konkurrenten ist alles andere als herzlich.177 Erst der informelle Austausch zwischen Verlegern und Schriftstellern kann hier zu einer ideologischen Änderung fuhren (siehe 4.1.4).

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Cosío Villegas (1949: 328). Der Beitrag "España contra América en la industria editorial" erscheint zum ersten Mal in Sur 174 (1949), S. 74-88. Der aus Spanien nach Mexiko emigrierte Cosío Villegas ist u.a. Mitbegründer des Fondo de Cultura Económica und der ab 1942 publizierten Cuadernos Americanos. Es ist leider nicht zu ermitteln, in welcher Form die Umsätze der argentinischen Filialen spanischer Unternehmen in den einschlägigen Statistiken des INLE oder anderer Institutionen erscheinen. Der exilierte Verleger Gonzalo Losada schlägt in einer Rede aus dem Jahre 1944 einen anderen Ton an. Anlässlich des erwähnten Export-Abkommens mit Oteyza beschwört Losada den verlegerischen Beitrag zu einer zukünftigen Versöhnung mit Spanien, "a crear una camaradería y una comprensión de la que hoy carecemos. Esta reunión daría, seguramente, lugar al nacimiento de una conciencia hispánica y a una unidad que nos falta y que hoy necesitamos urgentemente." (Zitiert bei Mangada/Pol 1997: 187).

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Spanische

Unternehmensexpansion

Während die staatliche Förderung des Buchexports in der Autarkiephase der 40er Jahre nur schleppend anläuft, bauen spanische Verlage schon kurz nach Kriegsende neue Vertriebsnetze in und nach Lateinamerika auf. 178 Großverlage verlagern ihre Hauptaktivität während des Bürgerkrieges vorübergehend in ihre lateinamerikanischen Filialen, die künftig als mehr oder weniger eigenständige Unternehmen operieren. Buenos Aires dient dabei als wichtigster Handelsplatz: Espasa-Calpe unterhält hier seit 1937 eine eigene Filiale, die die Colección Austral produziert.179 Der Verleger Manuel Aguilar bereist ab 1946 Lateinamerika und gründet Niederlassungen in sechs Staaten (Aguilar 1964: 263-67), Labor besitzt seit 1947 eine Filiale in Mexiko. Die lateinamerikanischen Filialen importieren in der Regel in Barcelona, Madrid oder Buenos Aires gedruckten Bücher und produzieren nur vereinzelt Reprints oder Bücher lokaler Autoren. 180 Bereits in den 50er Jahren existieren damit wieder transatlantische Vertriebswege für spanische Unternehmen, wobei Sachbuch- und technische Verlage die Führungsrolle einnehmen, während Belletristikverlage noch stark unter der Zensur und der lateinamerikanischen Konkurrenz selbst in Spanien zu leiden haben.181 Manuel Aguilar begründet den Erfolg seiner und anderer Exportbemühungen damit, dass sich die lateinamerikanischen Verlag zu sehr auf die Produktion literarischer Werke spezialisiert hätten: Observé que [...] se habían dedicado tan solo a imprimir preferentemente literatura. Tal limitación nos convino. De haber ellos aprovechado a fondo la coyuntura favorable de la guerra de España y de la mundial, habrían podido retrasar muchos años la reincorporación de los editores españoles al mercado de América. (Aguilar 1964: 265). 182 178

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Der Verleger Manuel Aguilar (jun.) führt rückblickend den Anstieg der Exportleistung weniger auf staatliche Hilfen denn auf verlegerische Eigeninitiative zurück: "Y los editores españoles, tan pronto como acabó la segunda guerra mundial, cogieron algunos sus maletas y se fueron allí [i.e. a América Latina] y empezaron a vender sus libros en Buenos Aires y se fueron a descubrir lo que pasaba en Chile, y en Columbia, y en Méjico. Y cuando llegaron los señores subsecretarios de Educación Popular, ya allí se vendían los libros [...]." (in: "Miseria, negocio, cultura, manipulación y libertad del libro en España", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (November 1972), S. 75). Cosío (1949: 317) erwähnt femer die Verlage Juventud, Salvat, Gili, Sopeña und Aguilar. Von den mexikanischen Filialen der großen spanischen Verlage druckt 1957 lediglich Espasa-Calpe auch eigene Titel vor Ort (Peñalosa 1957: 140). Meistverkaufender Exportverlag ist nach einem zeitgenössischen Bericht Espasa-Calpe ("Notas sobre el comercio editorial con el exterior durante el año 1944", Bibliografía Hispánica 3:12 (Dezember 1944), S. 854-57). Die Aussage trifft in besonderem Maße auf Argentinien zu, weniger auf Mexiko, wo der FCE ein umfangreiches Sachbuchprogramm vertreibt. - Ein Gegenbeispiel liefert Paidós (seit 1945), der als Fachverlag für Psychologie und Soziologie in den 60er Jahren seine Produktion erheblich steigert und vor allem nach Spanien exportiert, wo allein 65% der verkauften psychologischen Handbücher aus argentinischen Verlagen stammen (Lagarde 1980: 65).

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Schnell expandierende spanische Unternehmen beeinflussen in den Folgejahren maßgeblich den Buchmarkt in Lateinamerika. Wie Peñalosa für das Jahr 1956 feststellt, umfassen die Kataloge von Espasa-Calpe, Labor und Aguilar jeweils mehr Titel als die anderer mexikanischer Verlage.183 Ein wissenschaftlicher Verlag wie der 1944 gegründete Gredos exportiert nach eigener Aussage im Jahre 1958 allein 40% einer Erstauflage nach Lateinamerika, während lediglich die Hälfte für den heimischen Markt produziert wird.184 Ein Beispiel aus späterer Zeit ist der Verleger Jesús Polanco, der mit seinem auf Schulbücher spezialisierten Verlag Santillana ab 1961 vor allem in Lateinamerika reüssiert, bevor er im Zuge der 1970 gesetzlich verankerten Reformen schulischer Curricula auch in Spanien zu einem der größten Verlagsunternehmen aufsteigt.185 1950-70: Aufschwung und

Exportorientierung

Noch 1953 kommt ein spanischer Analyst der Verlags- und Marktbeziehungen zwischen Lateinamerika und Spanien zu dem Schluss, zwischen den Kontinenten und Märkten herrsche nun ein ausgeglichenes Austauschverhältnis.186 Die Hoffnung des Verfassers auf eine für nationale Interessen günstigere Entwicklung der terms of trade wird nicht enttäuscht: Ab 1950 beginnen die Werte zugunsten der spanischen Produzenten auseinanderzuklaffen, um in den folgenden Jahren bei gleich bleibender Tendenz die frühere Einschätzung ausgewogener Handelsbeziehungen eindeutig zu widerlegen. Der Export verzeichnet einen stetigen Zuwachs mit Sprüngen in den Jahren 1948-50 und 1959-61.187 Auch von staatlicher Seite erhalten die Verlage nun die geforderte Unterstützung. Mit der geschilderten Umgestaltung des INLE von 1957 üben Verlagsvertreter ein Mitspracherecht in buchpolitischen Fragen aus. Die Einführung verschiedener Instrumente der Exportsubvention ab 1963 in Form von Vorauskrediten, Transportkostenübernahmen oder Steuererleichterungen soll die internationale Expansion 183 184

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Im Einzelnen: Espasa 1.457, Labor 957, Aguilar 750 Titel (Peñalosa 1957: 140). Diese Aussage trifft der Verlagsdirektor Hipólito Escolar bezüglich der Biblioteca Románica Hispánica, deren Titel in Auflagen von 3.000 Stück produziert werden (Angel Ruiz Camps: "La vocación cultural de la Editorial Gredos", El Libro Español 8 (August 1958), S. 375-78, hier: 376). Frattini/Colias (1996: 113-15), Escolar (1996b: 164), Escolano Benito (1996: 384). Nach Aussage von Frattini/Colias wurde Santillana seinerzeit vorgeworfen, bei der Planung neuer Schulbücher von Insider-Informationen seitens des Erziehungsministeriums profitiert zu haben. José Luis Asenjo Martínez: "Economía iberoamericana del libro", in: Primer Congreso de Cooperación Económica. Comunicaciones y ponencias, Dokument 134 (17 Seiten), Madrid/Barcelona 1953, ABCAS. Von 1959 (100%) bis 1962 beläuft sich diese Steigerung in Dollar auf 187%, in Peseten auf 209%, in Gewicht auf 176% (Cendán Pazos 1972: 149; Instituto de Economía Americana 1969: 491). Vgl. auch für die folgenden Ausführungen die statistischen Angaben zum spanischen Buchexport und -import im Anhang I.

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spanischer Verlage begünstigen. Die Maßnahmen stellen auch eine Reaktion auf fortwährende konjunkturelle Schwankungen im Außenhandel dar. Kurzfristige Einbrüche im Exporthandel um 1962/63 sorgen für Aufregung bei spanischen Funktionären und Verlegern. 188 In Argentinien beeinträchtigt Anfang 1963 eine galoppierende Inflation nicht nur den Import ausländischer Bücher, sondern zieht mit Preiserhöhungen auch die heimische Verlagsindustrie in Mitleidenschaft, darunter stark in Argentinien vertretene spanische Verlage wie Plaza y Janes. 189 Bereits kurze Zeit nach den Katastrophenmeldungen der Jahre 1962-63 sind die Handelskrisen jedoch überwunden, und lateinamerikanische wie spanische Verlage erleben eine blühende Dekade. Die Verlautbarungen von spanischen Politikern und Verlegern sind in diesem Zeitraum von großem Optimismus in Bezug auf die amerikanischen Märkte geprägt.190 Die transatlantischen Verlagsbeziehungen intensivieren sich als Ausdruck und Folge des literarischen und kulturindustriellen Aufschwungs nicht nur in Spanien, sondern auch in den lateinamerikanischen Metropolen. Trotz gewisser Differenzen zeigen alle Statistiken für die Dekade der 60er einen starken Anstieg der Werte an, bei einer Verlangsamung des Wachstums um 1964-65 und einem deutlichen Sprung im Jahre 1966. Die Exporte spanischer Druckprodukte insgesamt verfünffachen sich zwischen 1960 und 1970 (inflationsbereinigt: 340%); die Erlöse für Bücher steigen zwischen 1968 und 1971 um 68%. 191 Nach Dollarwerten verdoppeln sich die Erlöse zwischen 1961 und 1967. 192

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Ein Informe des INLE vom 22.11.1962 beklagt akute Probleme im Lateinamerika-Exportgeschäft und fordert zügige Protektionsmaßnahmen. Im September 1963 erklärt ein Vertreter des MIT in Argentinien, "España pierde su mercado librero en América", und zahlreiche in den Akten des INLE archivierte Zeitungsartikel schlagen einen ähnlichen Ton an (INLE: "Informe sobre dificultades con que tropieza en varios países de América Española la exportación de nuestros libros", Madrid: 22.11.1962; José Ignacio Ramos, Consejero de Información, Buenos Aires: "España pierde su mercado librero en América", Buenos Aires, 6.9.1963. Sämtliche Dokumente aus AGA, Fach 475). "Recargos, nubarrones y amenaza de emigración en el negocio editorial", Primera Plana, 26.2.1963, S. 34f. (AGA, Fach 475). Die inflationäre Preissteigerung lässt die Lese- bzw. Kaufrate kurzfristig um 50% absinken. Für spanische Exporteure bewirkt die Inflation zum einen die Verteuerung ihrer Bücher im Exportland, zum anderen die Entwertung ihrer im Versandhandel auf Raten getätigten Verkäufe (venta a plazos). So vermutet in einer Umfrage von 1966 die überwiegende Mehrheit der befragten 27 Verlage große Perspektiven für Verkäufe auf den lateinamerikanischen Märkten ("Los problemas de la industria del libro en España", Información Comercial Española 391 (März 1966), S. 55-99). Einige Verlage allerdings bezweifeln, dass sich kurzfristig große Marktchancen ergeben könnten. Berechnungen nach Cendán Pazos (1972: 149-52). Im Vergleich zu den Erlösen von 1961 (16,4 Mio. $ = 100%) beläuft sich der Wert im Jahr 1964 auf 138%, nach einem Rückgang auf 120% (1965) wieder auf 201% im Jahr 1967 (32,9 Mio. $) (Instituto de Economía Americana 1969: 491).

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Der Export in die Staaten Lateinamerikas macht in den 60er Jahren noch bis zu 80% der Gesamtbuchexporte aus.193 Der Export konzentriert sich dabei auf wenige Staaten, in denen entsprechend die Filialen der spanischen Verlage eingerichtet werden: 1972 gehen drei Viertel der Exporte nach Argentinien, Mexiko, Venezuela, Chile und Kolumbien. Außerhalb des spanischen Sprachraumes sind vor allem die USA und Frankreich, dazu Großbritannien und die deutschen Staaten Hauptabnehmer. Die 60er Jahre stehen damit im Zeichen einer sich verdichtenden internationalen Konkurrenz, in der die spanische Industrie und Administration bemüht sind, ihren Anspruch auf kulturelle und wirtschaftliche Dominanz in der Comunidad Hispánica zu behaupten. Spanische Offizielle vermuten die Gegner gleich an verschiedenen Fronten. Erstens machten US-Verlage (Grolier, McGraw-Hill, Prentice Hall) spanischen Verlagen ihre Marktposition streitig. In gewohnt panhispanistischer Interpretation richtet sich der Blick auf die US-amerikanische Marktkonkurrenz, deren im Gefolge der Kubanischen Revolution intensivierte 'Hinterhof-Politik auch zu einer verlegerischen Expansion auf die lateinamerikanischen Märkte geführt hat. Konnte der INLE 1965 diesbezüglich noch Entwarnung vermelden,194 kommt ein Analyst bereits 1967 zu der unerfreulichen Erkenntnis, "nuestras exportaciones [...] no venían creciendo en la misma medida de las de nuestro competidor principal en Hispanoamérica que son los Estados Unidos". Ein Anliegen der künftigen Exportpolitik müsse darin bestehen, contrarresta[r], en forma eficaz y permanente, la tendencia imperialista de la expansión editorial norteamericana, dejándola reducida a sus justos límites, y logrando, además, una asociación y colaboración sólidas y permanentes entre la industria editorial hispanoamericana y la española.195

Zweitens sehen sich die Spanier auch im Kampf gegen lateinamerikanisches Emanzipationsstreben auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Panamerikanische Wirtschaftsblöcke, so der Tenor einer Fachkonferenz noch aus dem Jahre 1973, drohten Spanien auszugrenzen und die Comunidad Hispánica obsolet zu machen.196 Innerhalb dieser Gemeinschaft vertritt die spanische Administration aber wie selbstverständlich einen Führungsanspruch dahingehend, dass "nuestra industria, aunque sin 193

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Von 1960-65 bewegen sich die Werte (in Peseten) für Lateinamerika zwischen 80-85% der Gesamtexporte. Die Schwankungen zeigen sich im kurzfristigen Absinken des Anteils auf 68% (1964). In den 70er Jahren sinken die Zahlen dann deutlich (1976: 59%). Alle Angaben nach Galán Pérez (1986: Anexo II, o.S.). "La simple comparación de estas cifras [i.e. de exportación a Hispanoamérica] señala claramente que, por ahora, el libro español tiene un franco predominio sobre el libro norteamericano en aquellos años." ("La exportación editorial a Hispanoamérica", El Libro Español 85 (Januar 1965), S. 39). INLE: "Informe sobre el comercio del libro durante el año 1966", El Libro Español 112 (April 1967), S. 333-59, hier: 337. Peña Abizanda (1973: 67). Nach der 1960 gegründeten lateinamerikanischen Freihandelszone (ALALC) werden 1969 der Andenpakt und die La-Plata-Gruppe als subregionale Organisationen ins Leben gerufen (Nohlen 1993: 32).

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ánimo de dominación, siga siendo la primera y la más importante."197 Natürlich erregt die politische Entwicklung in Lateinamerika Argwohn, denn der Einfluss Kubas, Exportstützpunkt der UdSSR, gilt als Bedrohung für die antikommunistisch definierte Einheit der hispanischen Schicksalsgemeinschaft. Ökonomische Argumente verbinden sich mit traditionellen Hispanitätsmustem: [A]quellas repúblicas [...] no [...] han dejado de ser esencial y fundamentalmente hispánicas porque han tenido una raíz que les ha sostenido en el tiempo: el idioma, el libro. Al conservar el libro escrito y pensado en español, han seguido conservando el pensamiento común, el estilo de vida, formas y costumbres. Son y siguen siendo hispánicas [...] y esto es lo que muchos quieren a toda costa que dejen de ser. Vor diesem ideologischen Hintergrund ist die trotz aller Steigerungsraten andauernde Instabilität der spanischen Exporte auch auf andere als ökonomische Gründe zurückzuführen. Der Verfasser eines Berichts über den Kolumbien-Handel beklagt 1963 die mangelnde Qualität der exportierten Schul- und Sachbücher, sowohl in technischer (Übersetzungen, Druckfehler) als auch in ideologischer Hinsicht. Kolumbianischen Rezipienten gälten spanische Bücher als politisch zensiert und seien dort deshalb nicht wohl gelitten. 199 Spanische Verlage würden die spezifischen Bedürfnisse lateinamerikanischer Rezipienten verkennen, so ein anderer Beteiligter, und eine generelle kulturelle Arroganz an den Tag legen: 1. Se edita casi siempre pensando más en el público español que en el del ámbito hispanoamericano. 2. Como consecuencia de lo anterior, los términos y modismos utilizados son típicamente españoles o incluso localistas y, por lo tanto, poco comprensivos para estos lectores. 3. Las colecciones de libros de bolsillo, por lo general, ignoran, al seleccionar los títulos, las inquietudes del lector joven. 4. Con frecuencia se repiten los temas por distintos editores. 5. Hay olvido manifiesto, salvo excepciones, de los autores hispanoamericanos, muchos de ellos prestigiosos. 6. Se envían libros a América en cantidades masivas sin preocuparse de las apetencias y gustos del público, que no siempre coincide con el del exportador. 7. En libros de estudio se cometen a veces groseros errores al tratar temas americanos, no dándoles a ciertos hechos la importancia debida e ignorando otros. [...]200

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INLE: "Informe", El Libro Español 112 (April 1967), S. 337. Santiago Pedraz Estévez: "El libro español en Hispanoamérica", in: Arbor 311 (1971), S. 21-28, hier: 28. Arturo Fuentes Gracia: "Situación y perspectivas del comercio librero entre España y Colombia", El Libro Español 69-70 (September-Oktober 1963), S. 243-51, hier: 248. Antonio Sempere Colomina: "La exportación de libros españoles vista desde América", El Libro Español 173 (Mai 1972), S. 219-22, hier: 222. Der Verfasser ist Präsident von Aguilar Argentina und gleichzeitig für die spanische Handelskammer in Buenos Aires tätig.

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1970-85: Stagnation und Krisen In den 70er Jahren sind die Exportbeziehungen durch ein konjunkturelles Auf und Ab gekennzeichnet, das auf die spanische Verlagsindustrie vorübergehend gravierende Auswirkungen hat. Auf diese Turbulenzen sei an dieser Stelle nur kurz eingegangen.201 Mit dem Nachlassen der verlegerischen Hausse Ende der 60er Jahre zeigt sich, dass die nationalen Buchindustrien sich gerade im Hinblick auf internationale Handelsbeziehungen modernisieren müssen. Wie der Vertreter von Aguilar erklärt, sei die Zeit vorbei, in der spanische Verleger "como pioneros" handeln könnten, stattdessen bedürfe es trans- und innernationaler Konzentrationsbemühungen.202 Die praktischen Vorstellungen von INLE und Großverlagen laufen darauf hinaus, über Koedition und internationale Joint Ventures bis hin zur transnationalen Konzentration finanzielle Risiken zu verringern und die Distribution zu beschleunigen.203 Auf institutioneller Ebene wird eine Organisation ins Leben gerufen, die die Interessen spanischer und lateinamerikanischer Verleger und Händler gleichzeitig vertreten soll.204 Die Ölkrise von 1973/74, verbunden mit der Machtübernahme der Militärdiktaturen in Argentinien, Uruguay und Chile, beeinträchtigt die transatlantischen Austauschbeziehungen jedoch auch auf spanischer Seite nachhaltig. Der Ölschock wird in Lateinamerika mit starken Import- und Devisenrestriktionen bekämpft, so dass auch die Buchexporte von Spanien nach Mexiko und Argentinien über mehrere Jahre hinweg z.T. spektakulär fallen. Die Werte für Argentinien sinken binnen zwei Jahren auf fast ein Drittel des Wertes von 1974 (1.379 Mio. Pten.) und machen 1976 (495 Mio. Pten.) nur noch 8,3% der gesamten Lateinamerika-Exporte aus (ASFODEL 1978: 353-57). Im November 1976 beziffert eine interministerielle Kommission der spanischen Regierung die Importschulden Argentiniens gegenüber spanischen Verlagen auf 18,5 Mio. Dollar, und wieder einmal ist von der "peor crisis" in der Geschichte der spanischen Buchexporte nach Argentinien die Rede.205 Einzig

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Siehe 5.2 zu den Auswirkungen auf den Verlag Barrai Editores sowie zu internationalen Marktstrategien. Sempere Colomina: "Exportación", El Libro Español 173 (Mai 1972), S. 222. Mit dem Mittel des Joint Venture oder der Koedition betreiben spanische Verlage auch die Steigerung des Exports nach Europa und den USA, so dass der Anteil der produzierten nicht-spanischsprachigen Titel von 2,1% (1967) auf 11,5% (1977) zunimmt (Galán Pérez 1986: 209, Anm. 5). Einen Überblick über die Formen internationaler Untemehmenskooperation gibt Meissner (1990). "Expansión del libro en España", El Libro Español 171 (März 1972), S. 132-34. Über etwaige Erfolge der als Federación Iberoamericana de Instituciones Editoriales y Libreras bezeichneten Vereinigung habe ich keine Angaben gefunden. "El Libro Español en la Argentina", Information der Cámara Española de Comercio, Buenos Aires, 2.2.1976, AGA, Fach 67101. Unter dieser Archivnummer existieren weitere Quellen zum Thema

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der Ölstaat Venezuela erhöht seine Buchimporte enorm und wird 1977 vorübergehend zum größten Abnehmer (23%) spanischer Druckerzeugnisse. Mancher exportabhängige Verlag gerät in eine existentielle Krise, und ein Unternehmen wie Planeta reduziert binnen zwei Jahren seine Exporte freiwillig um über 50%.206 Erst 1977 erreicht das verlegerische Exportvolumen wieder den Wert von 1972. Dennoch bleiben die transnational tätigen spanischen Verlage auf den lateinamerikanischen Märkten mittelfristig erfolgreich und treten an die Stelle der krisengeschüttelten einheimischen Verlage. Zu Beginn der 80er Jahre zeigen erneut verschärfte Wirtschaftskrisen in Lateinamerika, vor allem Mexiko, ihre Auswirkungen auf spanische Verlage. Einige traditionsreiche Unternehmen müssen ganz oder teilweise schließen (Bruguera, Argos Vergara) oder werden von Konzemen aufgekauft (Aguilar, Alfaguara); Seix Barrai/Ariel wird von Planeta übernommen. Die Bertelsmann-Töchter Plaza y Janes und Circulo de Lectores schließen ihre Niederlassungen in Übersee, und erst 1994 richtet Plaza y Janes wieder eine Dependance ein (Leyva 1995: 18). Im Zuge wiederholter und folgenreicher Exportkrisen und des EG-Beitritts Spaniens verlieren die lateinamerikanischen Märkte an Gewicht für die spanische Verlagsindustrie.207 Erst in den 90er Jahren werden die transnationalen Verlagskonzerne sich mit Strategien der Regionalisierung wieder stärker in Lateinamerika engagieren (Pohl 2001). Der Überblick zeigt eine außerordentlich schwankende, wenn auch deutlich wachsende Konjunktur in den transatlantischen Exportbeziehungen. Trotz oder wegen seiner herausragenden Bedeutung bleibt der Export nach Amerika mit Risiken behaftet, die sich über das gesamte Jahrhundert nicht ändern, ungeachtet sich z.T. revolutionär wandelnder politischer, soziologischer und literarischer Bedingungen; geändert haben sich nur die Strategien der Verlage, dieser Probleme Herr zu werden. Die von Verlegern und Ökonomen geführten Klagen im transatlantischen Exportgeschäft sind seit den 40er Jahren bis heute weitgehend stereotyp geblieben:208 Raub206 " | p ] e u n a manera sistemática, hemos ido reduciendo nuestros mercados exteriores y, en dos años, desde el 74 al 76, nuestras exportaciones se han reducido al menos del 50%." (Brief José Manuel Lara an Andrés Reguera, MIT, 18.3.1977, AGA, Fach 67101, Vol. 49021). Ein anderer Exporteur, Grijalbo, teilt am 21.6.1975 dem Ministerium mit, seine Exporte völlig unterbrochen zu haben (Telegramm Grijalbo an MIT, AGA, ebd.). 207 Während 1970 noch die ersten fünf Exportländer der spanischen Verlage allesamt in Lateinamerika liegen (Argentinien, Mexiko, Venezuela, Kolumbien, Chile), belegen 1985 Frankreich, die USA und Großbritannien die Plätze hinter Argentinien und Mexiko. Hier ist allerdings der steigende Anteil der Grafikprodukte zu berücksichtigen, der einerseits zur weiteren Zunahme der Exportdaten entscheidend beiträgt, andererseits vor allem in die europäischen Staaten gerichtet ist. Erst Ende der 90er Jahre kehrt sich diese Tendenz wieder um: 1997 ist Brasilien, wo Spanisch im Begriff steht, als erste Fremdsprache eingeführt zu werden, Hauptexportmarkt für das spanische Buch, auf den Plätzen folgen Argentinien, Mexiko und Frankreich (FEDECALI 1998: 17 u. 30). 208 Coser u.a. karikieren treffend die "perennial complaints of book people" in den Vereinigten Staaten als Traum von einem Goldenen Zeitalter: "the reading public is not expanding,

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drucke, Konkurrenz einheimischer und ausländischer Verlage, Protektionismus der lateinamerikanischen Staaten und Verteuerung des spanischen Produkts, finanzielle Belastung (Transportkosten, Zahlungsunregelmäßigkeiten, Einfuhrzölle, Währungsschwankungen), Desinteresse der Leser, schlechte Distribution und Information. Es ist daher nicht einfach, zwischen leitmotivischem Zweckpessimismus und panhispanistischer Verve eine zuverlässige Bestandsaufnahme zu erzielen. Die Exportkonjunktur stellt sich zunächst als die Erlöslage weniger großer Unternehmen dar: "Ciertamente, todo el sector exporta. Pero unos más que otros."209 Dieses auf die 80er Jahre gemünzte Zitat hat auch für die Zeit des Franquismus Bestand, obwohl dort der innerspanische Konzentrationsprozess noch weniger ausgeprägt ist. Dessen ungeachtet besitzt der Export nach Lateinamerika auch für die hier interessierenden Verlage Seix Barrai und Barral Editores eine beträchtliche Relevanz,210 was sich indirekt in der Heftigkeit bestätigt, mit der kleine Verlage die Monopolisierung von staatlichen Exportkrediten durch die Marktfuhrer beklagen (s.o.). Die unterschiedliche Ausrichtung auf die lateinamerikanischen Märkte spiegelt sich im jeweiligen Verlagsprogramm. Ein Verlag wie Destino besitzt keine eigenen Niederlassungen in Lateinamerika, folgerichtig publiziert man auch sehr wenig lateinamerikanische Schriftsteller. Anders stellt es sich dagegen bei Seix Barral dar (siehe 3.3 und 4.5). Es ist daher nicht zu verwundern, dass die Konjunktur der Exportverhältnisse chronologische Parallelen zum Boom des neuen lateinamerikanischen Romans in Spanien aufweist.

2.3

Zum literarischen Feld der Nachkriegszeit

Im Kontext totalitärer Kontrolle, außenpolitischer Isolation und wirtschaftlicher Notlage hat die kulturelle und verlegerische Produktion im Nachkriegsspanien eine schwierige Ausgangslage. Während die Stärkung des Lateinamerika-Handels positiv auf die unternehmerische Konjunktur zurückwirken soll, geht es im spanischen Inland neben der Lösung materieller Fragen - Papierkontingentierung, Steuerlast, Vertriebsstellen - um das Ausfindigmachen von Angebotsmöglichkeiten. Die Binnennachfrage wird vor allem mit Übersetzungen aus dem europäischen und US-

209

210

book prices are too high, postal rates are too high, and distribution does not work." Alle Argumente finden sich auch in den von mir zitierten Klagen spanischer Verleger. Beachtet man, dass die Autoren eine Verlegermeinung aus dem Jahre 1913 zitieren, erscheint die internationale Kontinuität der gleichen Argumente noch frappierender (Coser u.a. 1982: 363). Carrón (1988: 202). Nach den vom Autor referierten Daten teilen sich 1985 nur 2,7% der Unternehmen (=22) ca. 49% der Gesamterlöse aus dem Export, während auf 69% der Verlage (= 553) nur 3,4% entfallen. Auch im Import bildet sich ein Oligopol heraus, denn 1985 importieren zwei Unternehmen 38% des Gesamtvolumens. Exportverluste tragen dazu bei, dass Barral Editores bereits 1973 seine Selbstständigkeit einbüßt (siehe 5.2.6). Zur Bedeutung des Lateinamerika-Exports für Seix Barral siehe 4.5.

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amerikanischen Ausland befriedigt, außerdem konsolidieren sich erste Ansätze einer verlegerischen Promotion spanischer Literatur. In diesem Abschnitt werden Charakteristika des literarischen Lebens in der Postguerra bis Mitte der 50er Jahre skizziert und speziell die Umstände und Bedeutung der Rezeption internationaler Erzählliteratur geschildert. Spätere kontextuelle Entwicklungen der 60er und 70er Jahre werden im Rahmen der Fallstudien der Kapitel 3-5 konkretisiert. Die anschließenden Anmerkungen zum Schriftstellerkreis um die Zeitschrift Laye leiten zum konkreten Fallbeispiel Seix Barrai über. Verlage in den 40er Jahren Durch den Krieg muss der spanische Verlagssektor materiell wie personell drastische Verluste verkraften, ein Neuaufbau von Unternehmen und Märkten geschieht allmählich. Mit dem Sieg Francos entsteht ein Bruch innerhalb der literarischen bzw. intellektuellen Szene Spaniens, deren republiknahe Vertreter nun vornehmlich im Exil agieren und dort oft im Verlagswesen tätig sind. Auch die großen Exportverlage siedeln sich in Lateinamerika an. Für die Entwicklung des spanischen Buchmarktes lässt sich für die Jahre 1940-59 von einer langen Epoche des Wiederaufbaus ("recuperación") sprechen, die durch eine allgemeine Mangelsituation geprägt ist: "extrema dificultad en la producción y difusión de títulos, especialmente en el campo del pensamiento político y en el de la investigación sociológica." (Galán Pérez 1986: 96). Die Verlagsarbeit im franquistischen Spanien ist durch die geschilderten Formen staatlicher Kontrolle und Zensur erheblich beeinträchtigt. Hinzu kommen die Auswirkungen der gesamtgesellschaftlichen materiellen Notlage z.B. in Form von Stromrestriktionen oder Papierrationalisierungen, die die Entwicklung des Verlagswesens der Nachkriegsjahre bremsen.211 Zum Ausgleich der Angebotslücken versorgen Importe aus Lateinamerika, vor allem Argentinien, den spanischen Markt, die wiederum zum Erstarken der dortigen Verlagsindustrie beitragen. Das Verlagswesen erholt sich deshalb langsam. Die Zahl der produzierten Titel steigt von 2.587 (1940) auf 4.201 (1951) an, 1958 werden 5.208 Titel hergestellt, 1960 bereits 6.085 (nach Zahlen des INLE). Erst mit der exportorientierten Stabilisierungspolitik der 60er Jahre beschleunigt sich dieser Wachstumsprozess. 211

"[L]as intensas restricciones en el flúido eléctrico, la falta casi absoluta de vagones de ferrocarril para transportar el papel desde las fábricas a sus puntos de destino, la escasez de pastas de papel y otros inconvenientes de menor importancia, han acentuado de modo intentísimo los graves obstáculos con que tropieza actualmente la industria editorial para su normal desarrollo." (Saturnino Calleja, Verleger, in: "Breve balance editorial del año", Bibliografía Hispánica 3:12 (Dezember 1944), S. 839-853, hier: 853). Vgl. die emphatische Schilderung des Verlegers Aguilar. Dieser umgeht die Papierprobleme durch die Verwendung von Dünndruck- bzw. Bibelpapier {papel biblia), das unbeschränkt erhältlich ist (Aguilar 1964: 248).

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Die erneuerten Buchexportbeziehungen mit Lateinamerika werden zum Motor der ökonomischen Erholung: 1956 beträgt das Gewichtsvolumen aller exportierten Verlagsprodukte das 18fache von 1942.212 Während Spanien damit die Spitze im hispanophonen Raum einnimmt, liegt es im europäischen Vergleich noch deutlich zurück. Dominante Verlage der 40er und 50er Jahre sind vor allem die exportorientierten Unternehmen wie Espasa-Calpe, Labor, Sopeña, Aguilar, Gili.213 Während die staatseigenen Verlage (Editora Nacional, Cultura Hispánica) eher untergeordnete Rolle spielen, üben kirchliche bzw. katholische Verlage wie der zum Opus Dei gehörende Verlag Rialp einen "gran protagonismo" aus (Escolar 1996b: 160). Populärkulturelle Genres wie Abenteuer- oder Liebesroman (Corin Tellado) erzielen gute Verkäufe.214 Die von José Mallorqui verfassten und bei Germán Plaza publizierten Abenteuer des Coyote, 1943 erstmals erschienen, stellen mit 50.000 spanischen und 200.000 übersetzten Exemplaren einen frühen Bestseller dar. Die internationale Rezeption des Coyote macht ihn zur gefeierten nationalen Antwort auf das angebliche Überangebot ausländischer Literatur auf dem spanischen Markt, und in einer Hommage aus dem Jahre 1950 würdigt man die "eficacísima labor de captación hispánica, sin alharacas, casi insensiblemente" der Reihe, deren "sabor caballeresco" eine "obra misionera" gerade in Übersee darstelle.215 Der Verleger Germán Plaza selbst sieht den außerordentlichen Erfolg seiner Reihe in der Kombination der "acción" des internationalen Westerngenres mit der nationalspezifischen Zeichnung seines Protagonisten als "españolisimo".216 Plaza erzielt auch später mit ungewöhnlichen Strategien kommerzielle Erfolge. Auflagen bis zu 100.000 Exemplaren erreicht etwa die Enciclopedia Pulga, die preisgünstige Ausgaben im Miniaturformat produziert.217

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Vgl. die Statistiken in Anhang I. Nach Taubert können von 640 spanischen Verlagen (1950) lediglich ein Viertel als "bedeutendere Verlage" angesehen werden, "von denen 12 von überragender Bedeutung sind" (Taubert 1953: 271). Esteban (1996: 291f.). Vgl. die literarische Reminiszenz an Autorinnen der novela rosa (Magali, Concordia Merrel, Berta Ruck, Corin Tellado) bei Rabinad (1996: 274). Luis Montañés Fontenla: "Análisis de un sorprendente éxito editorial. La Colección de 'El Coyote' publica su número 100", in: Bibliografía Hispánica, 9:2 (Februar 1950), S. 2334, hier: 32. Plaza (1956: 52). Ähnlich Cirici, der im Coyote die gelungene Kombination von USHeldenmythen und Hispanidad-ldeologie sieht (Cirici 1977: 161). Gil Casado lobt Mallorqui sowohl wegen seiner Produktivität als auch literarischen Qualität, weist jedoch auf die Nähe zur franquistischen Mentalität hin: "Al hablar de Mallorqui estamos hablando de fascismo." (1990: 97). Vgl. insgesamt Alvarez Macias (1972). Vgl. Plaza (1956). Mit den ab 1955 publizierten Libros Plaza versucht sich Plaza an der Popularisierung des Taschenbuchformates auf dem spanischen Markt (siehe 5.1).

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Institutionelle Bedingungen spanischer

Erzählliteratur

Das literarische Leben spielt sich nach dem Krieg in informellen, relativ abgeschlossenen Zirkeln ab, die vorwiegend in den Metropolen Madrid und Barcelona anzutreffen sind. Typisches Modell ist die an einem privaten oder öffentlichen Ort zusammenkommende tertulia, Gesprächszirkel mit einer in die Aufklärung zurückreichenden Tradition, sowie kulturelle und geistige Zentren wie Athenäen und Studienkollegien. Die meisten der bekannten tertulias stehen mit einer Publikation (Destino, El Ciervo, Insula) oder einer staatlichen Kulturinstitution, vor allem der Universität, in Zusammenhang. Auch die um die Zeitschrift Laye gruppierten Dichter der sog. Escuela de Barcelona (siehe 2.4) organisieren sich in regelmäßigen Treffen (Riera 1988: 93-110). Die Zahl der dauerhaft aktiven, meist in Barcelona ansässigen Literaturverlage ist in den 40er Jahren relativ gering.218 Zwar haben einige traditionsreiche und vor dem Krieg gewachsene Unternehmen den Krieg überdauert, doch gerade im belletristischen Bereich existieren nur wenige Anbieter. Als neue literarische Verlage entstehen nach dem Krieg Janes, Destino, Caralt oder Lara, aus dessen Verlag 1949 Planeta hervorgeht. Bei diesen Verlagen erscheint der größte Teil der unter den Etiketten tremendismo oder existencialismo verorteten Literatur der Nachkriegsjahre, in der spanische Schriftsteller sich über die Thematisierung von Unsicherheit, Gewalt und Einsamkeit an einer individuellen Aufarbeitung der gesellschaftlichen Mangelerfahrung versuchen.219 Der von Destino verliehene Premio Nadal (ab 1945) stellt die wichtigste Konsekrationsform für Nachwuchsschriftsteller dar. Im Jahr 1952 wird erstmals der Premio Planeta vergeben, der als höchst dotierter Romanpreis für spanischsprachige Autoren auf Bestseller-Verkäufe programmiert ist.220 Kleinere verlagsunabhängige Lite218

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In den 40er Jahren steigt die Zahl der gemeldeten Verlage allmählich an, an der Buchmesse in Madrid 1944 nehmen allerdings erst 78 Häuser teil, davon natürlich nur ein Teil literarischer Verlage (Martínez Cachero 1985: 88). Die bei Gallofré (1991: 497-99) dokumentierte Aufstellung von Verlagen der Einzugsbereiche Barcelona, Valencia und Mallorca umfasst 85 Unternehmen per August 1939 (Schreiben der Cámara Oficial del Libro Barcelona an den Ministerio de la Gobernación in Burgos, 10.8.1939). Zum Begriff der "novela existencial española" vgl. Barrero Pérez (1987: 54-60) und Sobejano (1975: 281-85, "realismo existencial"). Diese an inhaltlichen und ästhetischen, nicht an ideologischen Merkmalen ausgerichtete Benennung kollidiert z.T. mit der von Rodríguez Puértolas (1986) vorgelegten ideologiekritischen Bestandsaufnahme einer "literatura fascista". Als vielleicht erster kommerzieller Erfolg wäre Celas La familia de Pascal Duarte (Aldecoa, 1942) mit vier Auflagen bis 1946 anzusehen. Gut verkaufen sich vor allem bei Destino und Planeta publizierte und konsekrierte Autoren wie José María Gironella, von dessen Roman Los cipreses creen en Dios (Planeta, 1953) binnen weniger Wochen 50.000 Exemplare abgesetzt werden (Martínez Cachero 1985: 209; vgl. Conte 1998: 53); ein anderer Erfolgstitel ist Lola, espejo oscuro von Darío Fernández Florez (Plenitud 1950), der in den 60er Jahren sogar verfilmt wird (Barrero Pérez 1987: 72). Als "novelas

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raturpreise erfüllen demgegenüber eher mäzenatische Funktion (Premio Café Gijón, Premio Sésamo) (Gracia 1996: 153). Eine Besonderheit stellt die internationale Projektion des Premio Internacional de Primera Novela dar, den José Janés zwischen 1947 und 1951 viermal verleiht: "International" ist der Preis durch die Besetzung der Jury, an der zunächst auch die Briten Walter Starkie und William Somerset Maugham mitwirken, vor allem aber durch den Anspruch, Texte aus Spanien und Lateinamerika einzubeziehen, die nicht nur auf Spanisch, sondern "en cualquiera de los idiomas étnicos de Europa y América" abgefasst sein dürfen (Hurtley 1986: 246). Entsprechend erhält bei seiner ersten Verleihung ein Uruguayer, Rodolfo L. Fonseca (Turris eburnea, José Janés, 1948), den Preis. Darüber hinaus kreiert Janés einen kurzlebigen Premio Joven Literatura, der 1952 an den Romanerstling von Juan Goytisolo geht, dessen Werk (El mundo de los espejos) allerdings nicht publiziert wird.221 Janés' mäzenatische Preise stellen Vorläufer des Premio Biblioteca Breve dar, denn beide besitzen eine transatlantische, auf die Wiederbelebung der spanischsprachigen Literatur ausgerichtete Orientierung. Die verschiedenen vom franquistischen Staat verliehenen Literaturpreise werden im literarischen Milieu naturgemäß argwöhnisch betrachtet. Mit dem 1956 erstmals verliehenen Premio de la Crítica aus der Hand renommierter Literaturkritiker wird dagegen eine Auszeichnung für die spanische Literatur geschaffen, die durch ihre institutionelle Unabhängigkeit und nicht-kommerzielle Ausrichtung Ansehen genießt (Martínez Cachero 1985: 235-37). Literarische Internationalität

in der Postguerra

Trotz der totalitären Kontrolle lässt nicht von einem gegenüber jeglichem Internationalen abgeriegelten spanischen Buchmarkt sprechen. Obwohl sich spanische Schriftsteller mangels Zugriff auf bedeutende Werke der internationalen Avantgarde selbst als Autodidakten sehen,222 ist sowohl in materieller (Export/Import) als auch in inhaltlicher Hinsicht (Übersetzungen) eine begrenzte Internationalität des literarischen Feldes schon in den 40er Jahren zu konstatieren. Der realisierte Literaturimport der Nachkriegsjahre trägt zur kulturellen Sozialisation der in den 60er Jahren maßgeblichen Schriftsteller und Verleger bei und schafft gleichzeitig wichtige verlagsstrategische Vorleistungen.

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de éxito" erwähnt Martínez Cachero (1985: 133-44) ferner noch Nada (Carmen Laforet, Destino, 1945) und Mariana Rebull (Ignacio Agustí, Destino, 1944). Juan Goytisolo würdigt im Rückblick das Mäzenatentum von Janés: "[E]l voto cariñoso y parcial de mi amigo [Fernando Gutiérrez] y su absoluta confianza en el valor de mi obra venidera convencieron al editor de que me otorgara la recompensa, increíble para mí, de un cheque de diez mil pesetas [...] el propio Janés, al recibirme, me había hecho comprender con gran tacto que su premio era sólo un estímulo a continuar mi camino [...] [En Madrid] el premio literario de Janés me conferia [...] un pequeño prestigio [...]." (1995: 195 u. 203). Vgl. die Selbstzeugnisse bei Barrero Pérez (1987: 56).

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Im europäischen Vergleich ist der spanische Buchmarkt als sprachlicher Importeur zu sehen, insofern weitaus mehr Texte in die Sprache als aus ihr heraus übersetzt und kaum einheimische Autoren exportiert werden. 223 Auch die belletristische Verlagsproduktion der 40er und weite Strecken der 50er Jahre ist dominiert von Übersetzungen, deren Zahl 1945 sogar die der spanischen literarischen Titel übersteigt (776:730). 224 Lateinamerikanische Schriftsteller werden von den heranwachsenden Literatureliten Spaniens vor den 60er Jahren kaum gelesen. 225 Bevorzugte Produkte sind Romane aus dem anglophonen und, in geringerem Maße, französischen Raum, zu deren herausragendem spanischen Vermittler José Janés avanciert.226 Janés profitiert von der exklusiven Zusammenarbeit mit dem British Council bzw. mit dessen Leiter Walter Starkie, die ihm die Rechte zahlreicher zeitgenössischer Autoren sichert.227 Er bringt in weniger als zwanzig Jahren (1941-59) rund 1.600 Titel auf den Markt, eine angesichts der mangelhaften Produktions- und Rezeptionsbedingungen gewaltige Zahl. 228 Nach Janés' Tod übernimmt Germán Plaza 1959 dessen umfang-

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Ganne/Minon (1992) sprechen in diesem Zusammenhang von intraduction. Vgl. zur Übermacht der englischsprachigen Übersetzungen Bozal (1969), Martínez Cachero (1985: 83), Jordan (1990: 115-28). Die Rezeption der übersetzten Literatur im Nachkriegsspanien ist m.W. bislang nicht detailliert erforscht, mit Ausnahme der Rezeption von Faulkner (Bravo 1985) und Joyce (Santa Cecilia 1997). Siehe zur Rezeption lateinamerikanischer Literatur nach dem Bürgerkrieg 4.1. Die publizierte Statistik der Monate Nov.-Dez. 1942 zeigt Janés an der Spitze hinsichtlich der vom INLE erteilten Übersetzungslizenzen: von 132 Titeln entfallen 33 auf Janés, 17 bzw. 16 Titel auf die Verlage Maucci und Labor, Tartessos ist mit 8 Lizenzen aufgeführt (Antonio Macipe: "Política comercial del libro en 1942", Bibliografia Hispánica 2:1 (Januar 1943), S. 8-12, hier: 12; vgl. Hurtley 1986: 239). Walter Starkie ist von 1940-54 Direktor des Instituto Británico in Madrid und Repräsentant des British Council (Hurtley 1986: 199ff). Die Kooperation der britischen Regierung ist Teil einer kulturellen Export- und Infiltrationsstrategie ("trade follows the book") der Kriegsjahre. Der Verleger Stanley Unwin, damaliges beratendes Mitglied des British Council, schreibt: "What the book trade does in general and apart from the particular purposes of particular books, is to publicize British habits, ideas and ideals, over the entire world. The variety, vigour and freedom of British civilization are demonstrated through the whole range of its literary output from the ordinary novel to the most serious critical and scientific works." (Stanley Unwin: The Truth about Publishing, London: Allen & Unwin, 1976 [1923], S. 438, zitiert bei Hurtley 1986: 21 If.). Als Dichter und Journalist tätig, beginnt Janés 1934 Literatur zu publizieren und bringt bis 1938 in der katalanischsprachigen Reihe Quaderns Literaris 222 Titel in wöchentlichem Rhythmus heraus (Bibliografisehe Übersicht bei Hurtley 1986: 354f., vgl. Vela 1996: 430). Nach dem Krieg als Katalanist und Republikaner zunächst zum Tode verurteilt, begnadigt man Janés durch Vermittlung falangistischer Freunde, allen voran der Schriftsteller und Funktionär Eugeni d'Ors. 1940 gründet Janés zusammen mit dem Falangisten Félix Ros den Verlag Emporion, trennt sich aber 1941 von Ros, um in der Folgezeit sowohl mit einem eigenen Label (José Janés Editor) als auch über andere Verlagsreihen (Ediciones Pallas, Ánfora, Lauro, de la Gacela) zu publizieren. Diese Streuung ermöglicht einerseits eine Absicherung gegenüber einem Verbot eines einzelnen Verlags, andererseits eine bessere Ausschöpfung der streng rationalisierten Papierzuteilungen. Ros gründet sei-

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reiches Programm, das den Grundstock zum Aufschwung des neuen Unternehmens Plaza y Janés in den 60er Jahren legt. Über Plazas erprobte Distributionskanäle und -medien können die belletristischen Titel Janés' einer Massenrezeption zugänglich gemacht werden. Das Spektrum der in Spanien erfolgreichen Werke umfasst neben Büchern von Nobelpreisträgern wie Pearl S. Buck und Knut Hamsun Titel internationaler Erfolgsautoren (Vicky Baum, Maurice Baring, William Somerset Maugham, Cecil Roberts, Maxence van der Meersch, Lajos Zilahy, Stefan Zweig), die als Erbauungsund Evasionsliteratur - "novela luminosa" - in schweren Nachkriegszeiten fungieren.229 Das Programm von José Janés deckt zahlreiche Namen der englischen Literatur der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ab, unter ihnen ebenso "apologistes catòlics" wie 'intellektuelle' Autoren.230 Verlage wie Caralt, Tartessos und Lara/Planeta publizieren in den 40er Jahren ferner US-amerikanische Schriftsteller, die aber erst ab 1947 zur signifikant stärksten Gruppe übersetzter Literatur werden.231 Bis 1953 gelangen allein acht Romane von Sinclair Lewis auf den Markt, zwischen 1951 und 1957 erscheinen Texte von Truman Capote, Dashiell Hammett, Erskine P. Caldwell oder William Faulkner. Die Bedeutung der angloamerikanischen Literaturen in der Nachkriegszeit hängt mit ihrer relativ leichten Verfügbarkeit für spanische Leser zusammen: "A small but significant amount of American realist fiction was commercially available in authorized versions." (Jordan 1990: 116). Während Romane wie Manhattan Transfer (John Dos Passos), For Whom the Bell Tolls (Ernest Hemingway) oder Tobacco Road (John Steinbeck) verboten bleiben, sind andere Titel dieser Autoren frei erhältlich. Dies macht den Realismus eines Hemingway oder Dos Passos, eher als die Literaturen Frankreichs oder Italiens, zum "nearest practical example of the theories of realism" im Umfeld der künftigen novela social.232 Zu den nachdrücklichen

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nerseits den Verlag Tartessos, der ebenfalls zu einem Forum für anglophone Autoren wird (Hurtley 1986: 185). Hurtley charakterisiert Janés als Intellektuellen, dessen katholisches und kapitalistisches Denken ein Arrangement mit dem Franquismus erlauben, der als Katalanist jedoch auf Distanz zum Regime bleibt. Schon 1947 publiziert Janés mit Terres de l'Ebre von Sebastián Juan Arbo einen katalanischen Text (Doria 1997: 4). Bozal (1969: 88) zitiert diesen Begriff aus zeitgenössischen Rezensionen. Die erwähnten Schriftsteller werden, mit Ausnahme Hamsuns, von Bozal als Bestseiler-Autoren der Nachkriegszeit geführt; Maßstab ist die Zahl ihrer in Spanien publizierten Werke und Auflagen. Fast alle Autoren sind auch bei Janés publiziert (Hurtley 1986: 213f.). Nach Hurtley (1986: 270) gehören der ersten Kategorie Charles Morgan, Maurice Baring und Gilbert K. Chesterton, der zweiten Virginia Woolf, Aldous Huxley, Evelyn Waugh und P.G. Wodehouse an. Jordan (1990: 116). Angaben zu übersetzten US-amerikanischen Schrifstellern ferner bei Hurtley (1986: 185) und Sobejano (1975: 40). Jordan (1990: 117). Allerdings wird nach Jordans Auffassung die intellektuelle Rezeption der US-amerikanischen Literatur vor allem über Castellets Essays gesteuert und fällt damit äußerst selektiv aus (124). Aus dem breit verfügbaren Textkorpus wurde nur eine

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Zeugnissen des Einflusses der US-Rezeption auf die spanische Literaturszene sind José María Castellets Vorwort zu Frederik Hoffmans La novela moderna en Norteamérica (1955) und seine Schrift La hora del lector (1957), beide bei Seix Barrai publiziert, zu zählen. Gerade englischsprachige Autoren und Texte unterliegen oft milderen Zensurverfiigungen als die unter totalitärer Überwachung stehende einheimische Produktion, und die Tatsache, dass die meisten Herausgeber der englischsprachigen Romane stärker kommerziell orientiert sind (Planeta, Plaza) und/oder dem Regime nahestehen (Caralt), deutet darauf hin, dass diese Texte als politisch eher unverdächtig empfunden werden konnten.233 Bravo kommt ihrerseits in ihrer maßgeblichen Studie zur Rezeption Faulkners in Spanien zum Schluss, "[t]odos los incipientes escritores de los años cincuenta leyeron a Faulkner".234 Dessen Rezeption kann sich auf zahlreiche in Spanien publizierte Titel gründen, zeigt sich zum gewissen Teil aber auch über Argentinien und vor allem Paris vermittelt, das einen ständigen Bezugspunkt der intellektuellen Opposition darstellt.235 Weitere internationale Berührungspunkte bestehen zur französischen Avantgarde, nachdem manche Angehörige der katalanischen Bildungseliten schon im Elternhaus mit der französischen Sprache und Literaturtradition konfrontiert worden sind. 236 Die Schriften Claude-Edmonde Magnys üben entscheidenden Einfluss auf die Theoriebildung Castellets aus und wirken über diese auf die spanische Literaturszene.237

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schmale Auswahl als Vorbilder akzeptiert, so dass z.B. der viel publizierte Sinclair Lewis nicht im Kanon der üblicherweise zitierten literarischen Einflüsse erscheint. Dies bemängelt auch Gii Casado (1973: 136). Auch nach Rafael Contes Auffassung werden die englischen Autoren angeboten, da sie politisch unbedenklich erscheinen (Conte 1998: 52). Hurtley beobachtet dagegen anhand der bei José Janés publizierten Übersetzungen eine "mutilació més o menys dràstica", zu der aber unter Umständen auch die bewusste oder unbewusste Vorzensur durch die Übersetzer beigetragen habe (1986: 311). Bravo (1985: 124). Die spanische Rezeption der 50er Jahre steht in einer eigenen Tradition der 30er Jahre und liest Faulkner vor allem als sozialkritischen Autor, weniger im Hinblick auf dessen erzähltechnische Innovationen. Bravos Studie widerlegt das Vorurteil einer Unkenntnis Faulkners in Spanien, das noch 1999 von Pascale Casanova aufgegriffen wird. Wenn Casanova, sich auf Benet berufend, eine ausschließlich über französische Übersetzungen vermittelte Faulkner-Rezeption im franquistischen Spanien diagnostiziert (1999: 458), so reduziert sie nicht nur das spanische literarische Feld auf einen einzigen Autor, sondern redet einer ebenso einseitigen 'französischen' Faulkner-Lektüre das Wort, die die beschriebene spanische Rezeption außer Acht lässt. Von Faulkner erscheinen in Argentinien und Mexiko zwischen 1939 und 1956 insgesamt 15 Titel in Übersetzung, in Spanien sind es im gleichen Zeitraum acht; z.T. handelt es sich dabei um Übersetzungen gleicher Werke. Caralt bringt zwischen 1947 und 1959 sechs Romane Faulkners heraus (Bravo 1985: 307). In der 1960 von Plaza y Janés gegründeten Reihe Reno erscheinen neun Titel des Nobelpreisträgers ( 187). Juan Goytisolo (1995: 59; 135) und Carlos Barrai (1990: 154f.) berichten in ähnlicher Weise von der Lektüre französischer Bücher in der Familienbibliothek. Bravo (1985: 121). Goytisolo betont den "impacto de las obras de Sartre y Claude Edmonde Magny tocante a la tècnica novelesca de Dos Passos, Hemingway y Dashiell

2. Verlage und Buchpolitik im Franquismus

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Sartre und Camus sind zu Beginn der 50er Jahre ständig zitierte, wenn auch oft nur sporadisch gelesene Referenzgrößen und Vermittler internationaler literarischer Standards.238 Sartres offiziell verbotene Texte kursieren unter der Hand, und bereits 1949 widmet Alfonso Sastre dem dramatischem Werk Sartres einige Abhandlungen in der vom Studentischen Einheitssyndikat publizierten Zeitschrift La hora.239 Einen dritten Strang internationaler ästhetischer Vorlagen stellt der italienische Neorealismus dar, der in Spanien primär über das filmische Medium rezipiert wird. Er bietet Modelle eines dokumentarischen Erzählens an und ist kraft seiner Genese aus dem antifaschistischen Widerstand auch politisch attraktiv für Spaniens "emergent dissident intelligentsia".240 Als literarisches Zeugnis der kulturellen Bedeutung übersetzter Bücher zitiere ich Antonio Rabinads Memento morí (1996) dessen Handlung im Barcelona des Bürgerkriegs und der Jahre 1950-53 spielt. Die sexuelle Initiation des Protagonisten Zoilo, eines bürgerlichen Kriegsverlierers, ist begleitet durch die Lektüre von "Stefan Zweig, Lajos Zilahy, Somerset Maugham [...] morbosas novelitas [...] poéticas, cosmopolitas." (282) Der gereifte Zoilo wappnet seinen liberalen Geist mittels der Lektüre einer "sobada edición argentina de Sartre" {La edad de la razón) (65) gegen die materielle Notlage. Der Name Sartre verweist auf die Bedeutung des oben angesprochenen illegalen Literaturimports. Die Lektüre verbotener Bücher exilierter oder übersetzter Autoren, thematisiert in fiktionalen oder autobiografischen Zeugnissen, stellt angesichts der wenigen offiziell verfugbaren Literatur eine Notwendigkeit dar, dient aber auch der Selbstvergewisserung des bürgerlichen Intellektuellen und seines beginnenden Nonkonformismus.241 Als typisches Muster der Rezeption lässt sich das Stöbern im Hinterzimmer der Antiquariate und ausgewählter Buchhandlungen bezeichnen: [P]asé a la lectura de los componentes de esa generación [del 27], lo cual no era tan difícil, por los años cincuenta [...] ya que en una ciudad relativamente grande, en este caso

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Hammett - ostensible en los ensayos de Castellet recogidos en 'La hora del lector' y en mis articulillos de 'Problemas de la novela'." (1995: 220f.). "Though Sartre's 'Qu'est-ce que la litterature?' was frequently mentioned in intellectual circles in the early and mid-50s in Spain, it seems to have been less widely read." (Jordan 1990: 91). Gracia (1996: 72). Zu Sartre vgl. Goytisolo (1995: 172). Jordan (1990: 104). Die spanische Rezeption beschränkt sich jedoch auf nur wenige Filme (v.a. Ladri di biciclette, Vittorio de Sica, und Roma città aperta, Roberto Rossellini) und einen ungleich geringeren Empfängerkreis als etwa beim US-amerikanischen Roman: "Relatively few films were given a commercial screening [...] Others, which escaped official interference, were exhibited in private, non-commercial venues, before small, select audiences [...]." (105). In Rafael Chirbes' La larga marcha stellen (verbotene) Bücher den Rückzugsraum für das innere Exil eines Arztes dar, der sich in die Lektüre Barojas vertieft und noch La Regenta, Tirano Banderas, aber auch Titel von Balzac, Dostojewsky, Maupassant und Tolstoi im Regal stehen hat (Chirbes 1996: 45f.).

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Burkhard Pohl Valencia, había por lo menos una librería en cuyo fondo, en una salita semisecreta, podíamos encontrar los libros de Losada, y otros, que venían de América. Y a la vez que leía a la generación del 27, leí a Neruda, ya pude también tomar contacto con Vallejo [...] 242

Dort entdecken die künftigen Intellektuellen des Medio Siglo verbotene oder inoffiziell importierte Literatur in lateinamerikanischen Ausgaben und französischen Übersetzungen. Juan Goytisolo berichtet von der Rezeption der Werke ausländischer Autoren, "leídas en francés o en las mediocres traducciones que llegaban bajo mano de Buenos Aires" (1995: 134), deren mit dem Ruch der Illegalität behafteter Konsum eine besondere Attraktion ausübt.243 Die gemeinsame Lektüre bestimmter Bücher fungiert identitätsstiftend für die sich herausbildenden Freundeskreise und Gruppen, umso mehr, als nur wenige Leser finanziell oder durch ihr Interesse dazu in der Lage sind, sich die verbotenen Bücher zu beschaffen (Goytisolo 1995: 174). Nationalistische Kritik an Übersetzungen Die Vielzahl an Übersetzungen bei gleichzeitiger Knappheit der eigenen materiellen Mittel beeinträchtigt in nationalistischer Interpretation das Wiedererstarken einer spanischen Literatur. In der unmittelbaren Nachkriegszeit stellen daher neben den argentinischen Importen die als zu zahlreich bewerteten Übersetzungen das Ziel heftiger Kritik aus Reihen offzieller Institutionen dar, zumal mit den englischsprachigen Literaturen gerade die Kultur eines der ideologischen Hauptgegner importiert werde. Aufrechte Falangisten wie Julián Pemartín versteigen sich dazu, die Publikation spanischer Autoren als nationale Aufgabe zu propagieren, und Ernesto Giménez Caballero sieht 1946 eine "crisis espiritual" dämmern, hervorgerufen u.a. durch die Invasion von Übersetzungen und katalanischen (!) Büchern.244 Zwei weitere Beispiele: Am 22.11.1943 beklagt ein Rundschreiben des INLE, dass die exzessive Übersetzungsquote die geistige Gesundheit ("salud del espíritu") der spanischen Leser gefährde: "el editor español [...] sólo se preocupó de traducir los últimos títu242

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Francisco Brines, in: Encuentro con el 50. La voz poética de una generación, Oviedo: Fundación Municipal de Cultura, 1987, S. 63-99, hier zitiert nach Barrai (2000: 274); vgl. auch das Zeugnis von Juan García Hortelano bei U. Schmidt (1984: 496f.). Barrai urteilt, dass allein die Antiquariate angesichts der ungenügenden Ausstattung der eigentlichen Buchhandlungen die relevanten Publikationen zugänglich gemacht hätten: "Los libreros iban almacenando lo que el país iba produciendo, toneladas de libros con tapas de tela descolorida y espantosas sobrecubiertas que envejecían ante la indiferencia de los escasos clientes, y parecían ignorar la existencia de otros títulos; pedirlos era una impertinencia. [...] Por eso eran tan importantes las librerías de viejo." (Barral 1990: 240). Die literarische Initiation durch Bücher der Verlage Losada, Aguilar oder FCE ist ein rekurrentes Motiv in Goytisolos Erinnerungen: "Las obras del Fondo de Cultura Económica, introducidas más o menos clandestinamente de México, circulan de mano en mano." (165); "[Goytisolo] descubre a Anatole France y devora [...] sus Obras Completas editadas por Aguilar, pero cuya difusión ha sido prohibida por la censura." (166). Ernesto Giménez Caballero: "Carta sobre la situación del libro español", 1946, vgl. die Anmerkung in 2.2. Andere Beispiele für Kritik an den Übersetzungen auf dem spanischen Buchmarkt bei Hurtley (1986: 258-64) und Santa Cecilia (1997: 152).

2. Verlage und Buchpolitik im Franquismus

los extranjeros, fuesen o no ortodoxo, en relación con la che später fordert der INLE Büchern spanischer Autoren

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selectos, fuesen o no de fondo eminentemente moral u pureza y austeridad de nuestras costumbres." Eine Wodaher die Buchhändler auf, in ihren Schaufenstern den den Vorrang zu geben.245

Allerdings zeigt sich gerade im zitierten Aufruf an die Buchhändler die Schwäche der franquistischen Administration, den Verleger- und Käuferentscheidungen eine alternative Buchpolitik entgegenzusetzen, umso mehr, da der Erfolg der internationalen Literatur mit dem selbst postulierten volkswirtschaftlichen Ziel eines starken Verlagswesens konform geht. Trotz aller Kontrollmaßnahmen und Appelle steigt der Anteil spanischer Autoren in den 40er Jahren kaum an; diese entstammen zudem hauptsächlich früheren literarischen Generationen (Bozal 1969: 90). In den 50er Jahren ändert sich das Bild schlagartig: Mit der politischen Öffnung gegenüber den USA gewinnt auch deren Literatur an Wohlwollen innerhalb der franquistischen Presse und wird zuweilen direkt gegen die novela social ausgespielt: Die Estafeta Literaria würdigt Ende der 50er Jahre Capote, Styron, Goyen, McCullers oder Saroyan als ideologische und ästhetische Alternativen zum spanischen Sozialrealismus (Jordan 1990: 126). Gleichzeitig formiert sich Kritik innerhalb der neuen spanischen Literatur, deren Vertreter in den 50er Jahren um eigene Publikationsmöglichkeiten bemüht sind und die Übersetzungspraxis spanischer Verlage als kulturelles Hemmnis ansehen.246 Während die wichtigen zeitgenössischen Werke den spanischen Lesern vorenthalten blieben, füllten sich die Buchhandlungen mit Büchern internationaler zweitklassiger Schriftsteller, deren Werke als ideologisch rückständig und ästhetisch anspruchslos bemängelt werden.247

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INLE: "Traducciones", Circular 57, 22.11.1943; "Preferencia en los escaparates para los libros españoles", Circular 58, 29.11.1943, beide abgedruckt in: Bibliografía Hispánica, 3:1 (Januar 1944), S. 82-84). Dieses trotz ideologischer Differenz gemeinsame Interesse kennzeichnet auch den polemischen Artikel von Juan Goytisolo: "Para una literatura nacional popular" (Insula 146 (Januar 1959), S. 6 u. 11), der angesichts der "hegemonía intelectual y literaria extranjera" (6) in Spanien die Renaissance einer nationalen, aber nicht national istischen Literatur fordert. Dies vermerkt auch José María Castellet in seinen Notas sobre literatura española contemporánea (Barcelona: Laye, 1955), S. 23, zitiert bei Barrero Pérez (1987: 52f.).

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2.4

Burkhard Pohl

Die Zeitschrift Laye und der kulturelle Aufbruch in den 50er Jahren

Politische Unruhe im Bürgertum Ab den 50er Jahren beginnt sich an den spanischen Universitäten ein "bloque generacional lleno de impaciencia" zu formen (Pinilla de las Heras 1989: 18). Individuelle Frustrationserfahrungen innerhalb der franquistischen Gesellschaft tragen zur allmählichen Distanzierung vom offiziellen Spanien bei. Überzeugte Falangisten protestieren gegen die Entmachtung ihrer Bewegung und versuchen sich außerhalb der zusehends machtloseren Partei für deren Sozialrevolutionäre Ziele einzusetzen. Streng katholisch aufgewachsene Kinder des (Groß)Bürgertums entwickeln als Reaktion auf die z.B. an Jesuitenschulen erfahrene repressive Erziehungsmoral einen ausgeprägten Antiklerikalismus.248 Das Missverhältnis zwischen eigener Prosperität und sozialer Not in der Großstadt, in deren Randgebieten sich Migranten aus der spanischen Provinz niederlassen, befördert ein soziopolitisches Engagement Einzelner.249 Internationale Aufenthalte als Erfahrung westlicher demokratischer Gesellschaftsordnungen schärfen den kritischen Blick auf die spanische Realität.250 Die vielfachen Einschränkungen der individuellen Freiheit treiben die Abkömmlinge bürgerlicher Familien in den politischen Protest, der sich in Ermangelung einer nennenswerten Mittelschicht mit der Arbeiterschaft und der Kommunistischen Partei (PCE) verbündet. Die Vertreter einer kulturellen bzw. literarischen Dissidenz der 50er Jahre entstammen mehrheitlich den privilegierten Mittel- und Oberschichten.251 Während einige als Kinder aus falangistischen Familien eine frühe politische Sozialisierung in Reihen der Partei durchlaufen haben (z.B. Ignacio Aldecoa, José Maria Castellet, Manuel Sacristán, Alfonso Sastre), kommen andere aus den systemtreuen, aber politisch passiven Familien des konservativen, katholischen Bürgertums (Carlos Barrai, Juan/José Agustín/Luis Goytisolo, Alberto Oliart).252 Auf der anderen Seite entstammen einige Schriftsteller republikanischen Familien des Kleinbürgertums oder aus dem Arbeitermilieu und verfügen über eine universitäre Bildung (José Maria 248

Marsal (1979: 42), vgl. dort die autobiografischen Äußerungen Castellets (90) oder J. A. Goytisolos (173). 249 Morán (1971: 364), Soldevila (1982: 168f.). Luis Goytisolo thematisiert später in Las afueras (1958) die soziale Ungleichheit zwischen prosperiendem Stadtbürgertum und verarmter Vorstadt- bzw. Landbevölkerung. 250 Vgl. Gil Casado (1973: 117), Marsal (1979: 42), Oliart (1998: 316-22). 251 "[jjhg ra dical, opposition intelligentsia in Spain in the 1950s and beyond was largely led by the well-heeled, well-educated offspring of the upper middle class of the winning side." (Jordan 1995: 254). 252 Jordan (1990: 44). Nach Jordans differenzierter Darstellung zeigt sich ein Teil der jungen Falangisten ideologisch zunächst auf Linie (Sacristán, Castellet, Sastre), andere behalten stets eine zweifelnde Distanz (Aldecoa, Fernández Santos).

2. Verlage und Buchpolitik im Franquismus

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Caballero Bonald, Juan García Hortelano, Alfonso Grosso) oder treten als NichtAkademiker in Kontakt zu den literarischen Zirkeln der Metropolen Madrid und Barcelona (Francisco Candel, Antonio Ferres, Armando López Salinas, Juan Marsé) (Jordan 1990: 51-53). Neue Institutionen literarischer

Öffentlichkeit

Das innen- und kulturpolitische Tauwetter unter dem Mandat des Erziehungsministers Joaquín Ruiz-Giménez (1951-56) begünstigt die Neuartikulierung und konstituierung literarischer Gruppen, die als erste Nachkriegsgeneration die sowohl materiellen als auch bildungsmäßigen Voraussetzungen für eine kulturelle Tätigkeit mitbringen.253 In den 50er Jahren entstehen zahlreiche neue Plattformen literarischer Öffentlichkeit, denen potenziell eine doppelte Funktion als Vermittler von Inhalten und als organisatorische Zentren einer sich als politisch engagiert verstehenden Literatur zukommt. Unter der Ägide des Studentischen Einheitssyndikats (SEU) werden Zeitschriften meist kurzer Lebensdauer gegründet, in denen die künftige intellektuelle Elite ihre ersten Artikel platziert und die gerade unter dem Schutzmantel einer offiziellen Publikation als Medien eines offeneren Denkens genutzt werden können.254 Hierzu zählen mit unterschiedlich kritischer Ausrichtung Laye (1950-54), Alcalá (1952-55) oder später Acento Cultural (1958-61). Die in Madrid erscheinende, durch private Finanzierung relativ unabhängige Revista Española (1953-54) demonstriert bereits im Titel ihren Anspruch, nationalen Autoren ein Forum zu bieten.255 An dieser Zeitschrift wirkt eine Gruppe junger Schriftsteller mit (Rafael Sánchez Ferlosio, Josefina und Ignacio Aldecoa, Carmen Martin Gaite, Jesús Fernández Santos), aus deren Reihen wichtige Impulse und Werke einer Literatur des Sozialrealismus und des schriftstellerischen Engagements hervorgehen. Laye In Barcelona bildet sich Anfang der 50er Jahre im Umfeld der Zeitschrift Laye (1950-54) eine literarische Gruppe, die nach dem Ende der Zeitschrift auf Freund253

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Vor dem Hintergrund der außenpolitischen Öffnungsstrategie und erster nennenswerter Streiks im Jahr 1951 nimmt das Franco-Regime einige binnenökonomische Korrekturen vor - Aufhebung der Rationalisierungen, Importliberalisierung die für die Mittelschichten eine relative wirtschaftliche Entspannung bedeuten und Freiräume zu kultureller Betätigung schaffen (Preston 1978a: 236, Bernecker 1988: 90, Bonet 1994: 29). Als offizielle Publikation des SEU unterliegt Laye z.B. nicht der Vorzensur (Jordan 1990: 64). Hier wäre das apologetische Urteil etwa Martínez Cacheros (1985: 177) zu korrigieren, dass eine vermeintliche 'Liberalität' der Falange eine Herausbildung kultureller Opposition erst ermöglicht habe. Wenn überhaupt, wird Dissidenz zugelassen, um sie zu integrieren und zu kanalisieren: "That these [falangist] reviews did tolerate a degree of ideological divergence is probably true, but this should not be taken as a mark of their inherent liberalism or open-handedness." (Jordan 1990: 47). Zur Revista Española vgl. Jordan (1990: 66-83) und Gracia (1996: 174-78). Zum Sozialrealismus siehe 3.3.3.

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schaftsebene fortbesteht und ab 1955 den Kern des Berater- und Mitarbeiterstabs von Seix Barrai bilden wird.256 Laye wird vom Erziehungsministerium und der Falange finanziert und erscheint als Organ der Delegación del Distrito de Educación Nacional de Cataluña y Baleares?51 Die Publikation ist als Kommunikationsmedium der universitären Eliten definiert und inhaltlich von zwei Tendenzen geprägt: der Beschäftigung mit politisch-pädagogischen und universitären Themen, für die (Noch-)Falangisten wie Francisco Farreras, Ramón Viladás und Manuel Sacristán verantwortlich zeichnen, sowie der Auseinandersetzung mit kulturellen Themen aus unterschiedlichen Disziplinen. Regelmäßige Mitarbeiter sind u.a. Gabriel und Joan Ferraté und José Maria Castellet, dessen im gleichen Zeitraum am Instituto de Estudios Hispánicos abgehaltenes Literaturseminar (Seminario Boscán) ein Forum kritischen Denkens darstellt.258 Castellet ist Mitarbeiter und Berater einiger Verlage (Caralt, Horta) und besitzt durch seine publizistische und Lehrtätigkeit bereits einen gewissen intellektuellen Einfluss und Beziehungen zum offiziellen kulturellen Leben.259 Sporadisch partizipieren an Laye eine Reihe junger bürgerlicher Schriftsteller mit studentischem Hintergrund an der Universität Barcelona: Carlos Barrai, Alfonso Costafreda, Jaime Gil de Biedma, Jaime Ferrán, José Agustín und Juan Goytisolo, Alberto Oliart.260 Laye entwickelt sich in den vier Jahren seines Bestehens von einer offiziell falangistischen Publikation zu einer von einer Gruppe weniger politisch gebundener Personen getragenen Kulturzeitschrift, deren Positionen sich infolge der erlittenen staatlichen Bevormundung radikalisieren. Die Mitarbeiter von Laye beschließen im

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Zu Laye ist eine mittlerweile stattliche Bibliografie entstanden. Neben den Monografien von Bonet (1988) und Pinilla de las Heras (1989) habe ich Kapitel bei Jordan (1990: 5666) und Gracia (1996: 97-105) herangezogen. Einen Vorläufer stellt die 1946-47 in insgesamt vier Ausgaben erscheinende, vom Instituto Balmes finanzierte Zeitschrift Quadrante dar, an der u.a. Castellet, Sacristán und Pinilla de las Heras mitarbeiten (Bonet 1994: 239). Der erste Herausgeberstab besteht aus den Falangisten Francisco Farreras, Eugenio Fuentes Martin und Pedro Gómez de Santamaría. Nähere Angaben zur Gründung und Organisation bei Bonet (1988: 103-06); vgl. die Erinnerungen von Farreras (1994: 87-98). Jones (1978: 412) charakterisiert den Seminario Boscán als Zentrum des "núcleo [...] más extremo" der studentischen Opposition um 1956. Im Verlag Luis de Caralt treffen in den 40er Jahren z.B. Pinilla de las Heras, Castellet und García-Borrón, die Redaktionsmitarbeiter von Quadrante, zusammen. Mit dem Verleger und Schriftsteller Horta publiziert Castellet 1956 die Poesie-Reihe Fe de vida, in der u.a. Bände von Joaquín Marco, Victoriano Crémer, María Beneyto und Jaime Gil de Biedma erscheinen (Bonet 1994: 51). In der Forschung wird das Gewicht einzelner Mitarbeiter und Inhalte unterschiedlich bewertet. Die literarischen Themen nehmen im letzten Erscheinungsjahr 1953 deutlich zu, während sich Laye in der Anfangsphase vergleichsweise stärker mit universitären, bildungspolitischen Fragen beschäftigt (Gracia 1996: 98). Andere wichtige Mitarbeiter sind Esteban Pinilla de las Heras, Alfonso García Seguí oder Ramón Carnicer, der später auch bei Seix Barrai und Barrai Editores als Buchautor in Erscheinung tritt.

2. Verlage und Buchpolitik im Franquismus

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Sommer 1953 freiwillig das Ende der Zeitschrift, als per Anweisung aus dem MIT die Vorzensur der Artikel verfugt wird. Laye kennzeichnet eine Distanz zum gesellschaftlichen und politischen Klima des Franquismus. Diese Distanz äußert sich in einer Mischung aus Kosmopolitismus, Laizismus und Elitismus, die zwar nonkonformistische, aber noch recht heterogene ideologische Positionen erkennen lässt. Das zentrale Anliegen der im engeren Sinne politischen Vorstellungen von Laye ist die Frage der kulturellen Erneuerung des Staates. Reste der falangistischen Sozialdoktrin vermischen sich mit dem Gedankengut der liberalen Erziehungskonzepte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zu Forderungen nach allgemeinem Bildungszugang und nach einer laizistischen Volkserziehung (Gracia 1996: 104). In diesem Konzept erfüllt der Intellektuelle als Teil der geistigen Elite eine pädagogische Funktion gegenüber dem Volk.261 In der Forderung nach der Erneuerung des starken Staates, der sich für Bildung und Wohlfahrt des Volkes einsetzt, zeichnen sich ferner künftige marxistische Perspektiven ab. In erster Linie ist Laye aber als eine pluridisziplinäre kulturelle Zeitschrift zu sehen, in der sich eine intellektuelle Neugier äußert, die sich zu großen Teilen aus den "mitos culturales" des Auslands speist und dabei die Auslandserfahrungen der meisten Laye-Mitarbeiter spiegelt.262 Sacristán und Castellet leiten aus ihrer selektiven Sartre-Rezeption Ideen zur Funktion des Schriftstellers und der Literatur ab: engagement des Schriftstellers im Sinne einer ethischen Pflicht zur Realitätsvermittlung (Sacristán), Lektüreprozess als Entschlüsselung einer vom Text angebotenen Realitätsabbildung (Castellet). Carlos Barrai, Joan Ferraté oder Jaime Gil de Biedma vertreten einen Diskurs der Autonomie der Kunst, der sich auch in der Wahl der von ihnen in Laye behandelten literarischen Vorbilder (Eliot, Rilke, Joyce) andeutet. Die Kritik am Establishment äußert sich in der Abgrenzung zu den Intellektuellen der 40er Jahre und in der Berufung auf den vom Regime und der Kirche verfemten Ortega y Gasset oder die literarische 27er Generation.263 Gegenüber einer Repression, die "Gide [...] as subversive as Lenin"264 erscheinen lässt, erleben die künftigen Schriftsteller, Kritiker und Verleger schon die aus einem Bildungsbedürf-

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Bonet sieht das in Laye vertretene universitäre Reformanliegen als Beitrag zur Bildungspolitik des Ministers Joaquín Ruiz-Giménez, der selbst wiederholt zitiert wird (1988: 32f.). Gracia (1996: 98), der folgende internationale Einflüsse nennt: "Sartre, Eliot, poesía simbolista francesa, progresismo católico, pensamiento germánico". Vgl. Bonet zum "europeismo" der Gruppe (1988: 39-47). Der Ortega-Kult führt auch zum Ende der Zeitschrift: Die vorletzte Ausgabe vom April 1953 erscheint als Hommage an Ortega y Gasset, was dazu fuhrt, dass Laye die Privilegien eines offiziellen Bulletins des SEU entzogen bekommt. Zur Bedeutung Ortegas für die Intellektuellen der Nachkriegszeit vgl. G. Moran (1998). José María Maravall: Dictatorship and Politicai Dissent. Workers and Students in Franco's Spain. London: Tavistock, 1978, S. 137, zitiert bei Jordan (1990: 50).

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nis rührende Lektüre und die eigene literarische Betätigung als dissidente Aktion: "Se podía tener una actitud liberal dentro de una tarea cultural."265 Mit Pinilla de las Heras lässt sich von einer antioligarchischen - "no estrictamente anticapitalista" (1989: 69) - Position der Laye-Gruppe sprechen, die zwar der Kooperation von Teilen des katalanischen Großbürgertums mit dem Franco-Apparat zuwiderlaufe, deren Individualismus jedoch ebenso wenig Affinität mit den politischen Forderungen des Proletariats aufweise. Der Kosmopolitismus von Laye geht mit einem ausgeprägten Misstrauen gegenüber spanischem kulturellem Traditionalismus und Nationalismus einher, einer generellen "prevención a lo español" (Bonet 1988: 65), die sich auch auf die Werke der literarischen Vorgängergeneration des tremendismo erstreckt. Der Antizentralismus der Laye-Gruppe ist ein Distinktionskriterium gegenüber anderen spanischen Schriftstellerzirkeln. In Madrid ist nicht nur die politische Macht lokalisiert, die die individuelle Bewegungsfreiheit einschränkt, sondern auch der Großteil der offiziellen literarischen Konsekrationsinstanzen (Akademien, Universität, Ministerium) angesiedelt.266 Inhaltlich unterscheidet sich Laye z.B. vom katholischen Reformismus der in Madrid produzierten Alcalá, einer anderen SEU-Publikation, die sich ausdrücklich nationalen politischen Themen widmet (Gracia 1996: 106-23). Zur Revista Española besteht eine Affinität hinsichtlich der Forderung nach einer kulturellen Modernisierung, die dort über die Förderung einer spanischen Narrativik und die ästhetische Ausrichtung am Neorealismus, bei Laye entlang der Spannung "between Sartrian engagement and Anglo-American autonomy theory, suffused with Orteguian elitism" (Jordan 1990: 66) formuliert wird. Obwohl bei Laye Sympathien für den Katalanismus bestehen - vor allem bei Joan Ferraté, der z.B. Eliots The Waste Land ins Katalanische übersetzt - , existieren unter den meisten Mitarbeitern von Laye wenige Berührungspunkte mit dessen politischen und kulturellen

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Jaime Ferrán bei Marsal (1979: 121). Alberto Oliart beschreibt im Rückblick die Dichtung als "una forma de [...] afirmamos frente a los demás, de superar nuestras limitaciones, frustraciones y complejos, de romper las murallas de prohibiciones y anatemas, la hipocresía y el miedo de nuestro entorno humano, social y político, y encontrar en el papel en el que íbamos escribiendo ese poema nuestro la clave y el camino de nuestra libertad." (1998: 215). In Barrais Memoiren finden sich zahlreiche Belege für das Ressentiment gegenüber den literarisch als dominant empfundenen Kreisen im Madrid der frühen 50er Jahre. Erklärtes Ziel der frühen Verlagsarbeit ist daher der Erwerb eigener kultureller Macht: "hacer respetar la poesía que [...] intentábamos hacer y que sobre todo predicábamos como propuesta de reemplazo de la poesía oficializada por las antologías de los últimos tiempos que nos ignoraban - o las revistillas literarias - que nos tenían por forasteros - o la inercia de los profesores y de los bebedores de café con leche en la capital." (Barral 1978: 189). Die um offizielle Anerkennung bemühten und einzig die enge spanische literarische Tradition rezipierenden Schriftsteller Madrids - "[e]scritores capitalinos, con secreta vocación de académicos, no particularmente decididos a inventar nada" - verursachen Barral hingegen "espanto" (67).

2. Verlage und Buchpolitik im Franquismus

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Organisationen.267 Durch die Beibehaltung des Spanischen als Schriftsprache bleiben in Laye publizierende Schriftsteller wie Barrai, Gii de Biedma oder José Agustin Goytisolo auf Distanz zur katalanischen Literatur.268 Bonet betont, dass die Intellektuellen um Laye und später um Seix Barrai gegenüber anderen literarischen Gruppen Barcelonas, z.B. um die Zeitschriften El Ciervo oder Destino, einen stärkeren Zusammenhalt aufwiesen.269 Dieser Exklusivismus wurde von den Insidern der Laye-Gruppe z.B. über die Beteiligung an Zeitschriften oder Anthologien organisiert und in den autobiografischen ästhetischen Zeugnissen bewusst-unbewusst fortgeschrieben.270 In dieser Geschlossenheit stellt Laye den personellen und konzeptuellen Vorläufer der Biblioteca Breve dar, die Carlos Barrai 1955 innerhalb des Familienunternehmens Seix Barrai ins Leben ruft. Nach der Schließung ihrer Zeitschrift steht der Laye-Gruppe dort ein neues Medium zur Verfugung, über das einige ihrer Mitglieder als Berater und Lektoren literarische Projekte umsetzen können. Auch Kontakte zu den Madrilenen der Revista Espanola oder ins Ausland können über die verlegerische Infrastruktur intensiviert werden.

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Jones grenzt den aus dem Laye-Kreis hervorgegangenen "socialismo utópico" von 1956 z.B. von den christdemokratischen Catdlics Catalans um Jordi Pujol ab (1978: 412). Diese ambivalente Beziehung "desde dentro y hacia fuera" schildert Barrai in seinen Memoiren (1978: 196-98). Bonet (1994: 145f.). Bonet spricht deshalb vom Grupo Laye, der sich in den Jahren ab 1955 im Grupo Biblioteca Breve fortsetze. Die begriffliche Trennung bleibt etwas unscharf, zumal nicht alle der bei Bonet aufgezählten ¿aye-Mitglieder (z.B. Sacristán, Pinilla, Carnicer) in gleichermaßen enger Verbindung zur Verlagsreihe stehen. Bonet konstatiert, dass die in den 70er und 80er Jahren publizierten Memoiren von Carlos Barrai, Jaime Gil de Biedma und Juan Goytisolo Zeit- und Literaturgeschichte auf den Kreis des Grupo Laye reduzierten (1994: 9-11). Außerdem beobachtet er in der ästhetischen Produktion der 50er Jahre ein gemeinsames Zeichenrepertoire - z.B. das Symbol des "jardín burgués" - und einen "autobiografismo más o menos solapado", in dem die kulturelle Gruppenidentität - tertulias, gemeinsame Lektüren, Dialoge - fortwährend bekräftigt werde (200).

3. Verlagspolitik,

3.

kulturelle

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Internationalisierung

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VERLAGSPOLITIK, KULTURELLE POSITIONIERUNG UND I N T E R N A T I O N A L I S I E R U N G : D E R V E R L A G S E I X B A R R A L BIS 1 9 6 7

Über die Zeitschrift Laye hatte sich zu Beginn der 50er Jahre eine Gruppe junger katalanischer Intellektueller Gehör verschafft, deren politische und kulturelle Stellungnahmen zum nationalkatholischen Diskurs des franquistischen Regimes auf Distanz gehen. Mit der Gründung der Reihe Biblioteca Breve (1955) durch den Verlag Seix Barrai verfugen einzelne Mitglieder der Laye-Gruppe über ein neues Medium der kulturellen Betätigung. Der Verlag und die von Carlos Barrai geleiteten Reihen profilieren sich in den 50er und 60er Jahren als Vermittler des Nouveau Roman und anderer internationaler Strömungen sowie als Förderer einer spanischen dissidenten Erzählliteratur. Nach seiner Neuorientierung als literarischer Verlag nutzt Seix Barrai bestimmte Strategien, um sich eine prominente Position im spanischen literarischen Feld zu verschaffen. In der Biblioteca Breve entwickelt Seix Barrai ein international orientiertes avantgardistisches Verlagsprogramm, das durch die Nutzung ungewöhnlicher paratextueller Mittel unterstützt wird (3.2.1). Gleichzeitig ist die Biblioteca Breve ein Instrument der Gruppenbildung und Zusammenarbeit mit anderen literarischen Instanzen (Verlage, Kritik, Leser), in der die Öffentlichkeitsstrategien der Laye-Äxa. fortgesetzt werden. Bereits in den Jahren bis 1958 werden dabei auch erste Auslandskontakte geknüpft (3.2.2). Die aufgezeigten Strategien der kulturellen Positionsnahme gipfeln in der Auslobung des Verlagspreises Premio Biblioteca Breve im Jahre 1958. Mit der im gleichen Jahr beginnenden Publikation der spanischsprachigen Narrativik setzt sich Seix Barrai erfolgreich an die Spitze der literarischpolitischen Bewegung des realismo social (3.3). Parallel zu dieser Konsolidierung innerhalb der nationalen Literatur entspannt sich ein fortschreitender Prozess der Internationalisierung des Verlages, der sich im Ereignis der Formentor-Treffen manifestiert. Vor dem Hintergrund politisch motivierter verlagsinterner und -externer Konflikte wird die europäische Internationalisierung zum alternativen inhaltlichen und ökonomischen Projekt, das sich in der Planung konkreter verlegerischer Kooperationen niederschlägt (3.4). Im Kontext der Formentor-Treffen entspannt sich auch die Vermittlung des lateinamerikanischen Romans durch Seix Barrai, in deren Verlauf die aufgezeigten Strategien aktualisiert werden. Darauf wird ausfuhrlich in Kapitel 4 eingegangen.

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3.1

Burkhard Pohl

Seix Barrai: Ein katalanisches Familienunternehmen

Wie andere große Verlagsunternehmen seiner Zeit,271 entsteht Seix Barrai um die Wende zum 20. Jahrhundert als Familienbetrieb.272 1880 erwirbt Victoriano Seix i Saura eine Druckerei und gründet Litografía Seix, die vor allem für den Verlag eines Neffen, Editorial Jaime (später: Francisco) Seix, produziert und importierte Plakatvordrucke weiterverarbeitet.273 Nach dem Tode von Victoriano Seix sen. im Jahre 1911 schließt sich dessen Sohn, Victoriano Seix jun. mit der Druckerei der Brüder Luis und Carlos Barral, Gráficas Barrai Herms. zusammea 274 Das neue Unternehmen Industrias Gráficas Seix y Barral Herms. S.A. siedelt sich im Bezirk Eixample an, in dem später als "casa oscura" bekannt gewordenen Gebäude im Carrer Proven?a.275 Die Modernisierung der Maschinerie276 und ein staatlicher Großauftrag verhelfen der Druckerei zum wirtschaftlichen Aufstieg, der es Seix y Barral erlaubt, eine eigene Verlagssparte auf- und auszubauen. Noch vor 1920 beginnt man mit eigenen Publikationen pädagogischen Inhalts, deren Prestige durch die Mitarbeit renommierter katalanischer Intellektueller (Juan Palau Vera, Gaziel, u.a.) gesichert ist und die ein liberales Bildungsanliegen verfolgen. Neben Primärtextsammlungen und Lehrwerken für verschiedene Schulfacher produzieren Industrias Gráficas Seix y Barral "trabajos manuales" (Werkmaterialien) und "juguetes instructivos" (Lernspiele) - Theaterbühne nebst Figureninventar zum Nachspielen ausgewählter Dramen. Seix y Barral formulieren ein pädagogisches Anliegen, das, in heftiger Ablehnung populärkultureller Medienkonkurrenz, die Sorge um moralische Integrität und zugleich materielle Qualität ausdrückt: "Moralidad intachable - Amenidad inagotable - Presentación inmejorable" lauten die Ziele der 1921 eingerichteten Literaturreihe für Kinder und

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Z.B. Salvat (1867), Sopeña (1894), Gili (1902), Aguilar (1914). Espasa-Calpe entsteht 1925 ähnlich wie Seix Barral aus dem Zusammenschluss zweier Verlage, Espasa (1902) und Calpe (1918). Vgl. Escolar (1996b: 134), Cendán Pazos (1972: 115). Die Rekonstruktion der Untemehmensgeschichte basiert auf Gesprächen mit Joan Seix, Montserrat Salvat i Seix und Maria Rosa Seix, auf mir von der Familie Seix überlassenen Verlagschroniken sowie auf Angaben im Prospekt "Premio Biblioteca Breve 1999". Dieser Verlag wird 1890 gegründet. Außerdem leitet die Familie des Bruders von Victoriano Seix eine Buchhandlung, "El Bazar de los Andaluces", mit angeschlossener Kleindruckerei. Über die Bezeichnung liegen mir unterschiedliche Angaben vor ("Gráficas Barral Hnos.", "Litografía Barral Herms."). Leider ist über die Geschichte der Barralschen Unternehmen wenig Information erhalten, wie mir die Familie Carlos Barrais bestätigte. "Esa fachada en que los ennegrecidos pliegues de la piedra gris oprimían las ventanas como ojos bajo una frente redobladamente fruncida, me sugirió el apelativo de 'casa oscura' con el que yo y los amigos designamos durante años el lugar y las actividades en él radicadas." (Barral 1978: I If".). Nach eigenen Angaben verwendet das Unternehmen als erster spanischer Druckereibetrieb mit einem separaten Motor betriebene Maschinen.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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Jugendliche.277 Aus der Verlagsankündigung erschließt sich, dass dabei auch das Publikum der ehemaligen Kolonien angesprochen ist: Las juventudes hispano-americanas [...] se entregan ciegamente a lo único que cae en sus manos: a la literatura corrosiva, enervante, turbia y descabellada, producto de ediciones bastardas y defectuosas, de folletines baratos y de la pésima cinematografía de arrabal.278

Didaktischen Zwecken dient ferner die "famosa colección" (Escolar 1996b: 177) Vidas de Grandes Hombres, bei der ein Bogen von römischen Kaisern und frühchristlichen Heiligen bis zu den Helden kastilischer Geschichtsschreibung und europäischen Künstlern geschlagen wird.279 Die Produktion schulischen Lehrmaterials steigt im Kontext der Bildungsinitiativen der II. Republik, so dass der Verlag zu Ende des Bürgerkriegs ein imposantes Programm von insgesamt ca. 800 Titeln anbietet (Barrai 1978: 14). Nach dem Tod der drei Firmeninhaber Victoriano Seix, Luis und Carlos Barrai zwischen 1933 und 1936, werden Juan Seix sowie Eduardo Barrai zu neuen Leitern. Juan Seix, eigentlich Maler, gliedert der Druckerei eine Zeichenschule an. Der Aufschwung des Verlags wird durch den Bürgerkrieg gestoppt. Nach 1939 sinken aufgrund scharfer Zensurvorgaben die Möglichkeiten zur Produktion von Schulbüchern. Die Monopolisierung des Erziehungswesens durch die Kirche und kirchliche Verlage sowie der Ausfall der Lateinamerika-Exporte erschweren die Situation. Seix und Barrai beschließen, sich der Krise durch neue Produkte zu stellen und gründen im April 1945 den Verlag Editorial Seix Barrai S.A., der zunächst die Backlist der pädagogischen Literatur verwaltet und mühsam ein neues Programm entwickelt.280 Mit der inhaltlichen Neuorientierung ist Juan Petit beauftragt, ein ehemaliger, vom Franco-Regime entlassener Universitätsdozent. Als Leiter der Herausgabe von Kunstbänden und pädagogischen Reihen arbeiten der Mediävist Enric Bagué und der Musiker Oriol Martorell, Leiter der Verkaufsabteilung ist Eduardo Barrai.281 Erwähnenswert als konzeptionelle Vorgängerin der Biblioteca

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Ankündigungstext zur Biblioteca de lecturas amenas para la juventud, Verlagsprospekt 1922, ABCAS. Die nach Aussage des Verlags einzige zeitgenössische Reihe ihrer Art ("un esfuerzo único hasta ahora en España y los demás países que hablan su lengua", Verlagskatalog 1948, ABCAS) enthält vorwiegend Abenteuerromane von Robert Louis Stevenson, James Fenimore Cooper oder Daniel Defoe. Verlagsprospekt 1922, ABCAS. Im Programm sind ferner einige zeithistorische, deutlich antikommunistische Texte erwähnt. Seix y Barrai publizieren eine Biblioteca de la Guerra Mundial mit Erinnerungen von Ludendorff (Mis recuerdos de la guerra) und eine Biblioteca de historia contemporánea mit Werken von Gustav Noske (La revolución alemana) oder sprechenden Titeln wie La locura roja und El infierno bolchevique. Registro Mercantil de Barcelona (Band 4111, Buch 3450, Abt. 2a, Blatt 606), Eintrag vom 24.7.1945. Das Gründungskapital beträgt 2 Mio. Pten. (4.000 Aktien). Barrai (1978: 14). U.a. erscheinen mehrere Bände einer Historia de la cultura española (1953-56), herausgegeben von Enric Bagué und Julio Caro Baroja, die nach Carlos Barrais Zeugnis spektakuläre Verluste produziert. Darüber hinaus publiziert Seix Barrai

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Breve ist die interdisziplinäre Colección Estudio, wenn auch deren Programm ganz andere inhaltliche Ansprüche setzt: Auf wenigen Seiten - "en breves páginas de agradable lectura" - solle, so heißt es 1948, in verschiedene Themen eingeführt werden.282 Der Einfluss Petits zeigt sich in den späteren Publikationen der Reihe, in der der Themenbereich Literatur gegenüber früheren Schwerpunkten wie Geografie, Technik oder Kunstgeschichte dominiert. 283 Die nach eigener Einschätzung "kreative" Tätigkeit beschränkt sich in Carlos Barrais Erinnerung auf den "cuarto de los sabios", in dem er selbst ab 1950 neben Petit zu arbeiten beginnt und in dem die Biblioteca Breve später ihren Anfang nimmt. Barrai beschreibt seine ersten Arbeitserfahrungen im familieneigenen Verlag als zutiefst entfremdete Tätigkeit: La administración comercial de ese voluminoso catálogo correspondía a gentes lejanísimas del cuarto de los sabios, a funcionarios casi desconocidos que habitaban en las más extremas oficinas del edificio nuevo. Así es que "los sabios" teníamos muy poco que ver con la suerte librera de nuestros productos, o de los productos que teóricamente controlábamos mientras hablábamos de un futuro diferente. (Barral 1978: 14)

Bereits in dieser Schilderung kündigt sich ein kontinuierliches Motiv der Distinktion an: Auf der einen Seite die technisch-kommerzielle Logik, auf der anderen die "Weisen", die eine Verschwörung - "conspiración cotidiana" - gegen das System planen (Barral 1978: 23).

3.2

Die "conspiración cotidiana": Seix Barrai ab 1955

3.2.1

Ein Image entsteht: Biblioteca Breve

Víctor Seix und Carlos Barral, Sohn bzw. Neffe der Firmeninhaber, arbeiten seit der ersten Hälfte der 50er Jahre im Verlag mit und werden 1957 zu Mitgliedern der Firmenleitung ernannt, von der aus sie dem Unternehmen ein völlig neues Profil geben.284 Bereits 1955 ruft Barral in Zusammenarbeit mit Petit die Reihe Biblioteca Breve ins Leben. Seix übernimmt als director comercial die wirtschaftliche Expansion und Konsolidierung des Verlags, der im Dezember 1957 mit einer Kapitalerhöhung von vier auf sieben Mio. Peseten Ausdruck verliehen wird.

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medizinische und religiöse Titel sowie von Barral abfällig als "Wälzer" {mamotretos, ebd.) bezeichnete enzyklopädische Werke, die eher durch die Illustrationen denn durch ihr intellektuelles Niveau bestochen hätten (Barral 1978: 29). Verlagskatalog 1948, S. 20. Bis 1948 sind in dieser Reihe 61 Titel publiziert worden. Unter den letzten im Katalog verzeichneten Titeln befinden sich vier literaturgeschichtliche Handbücher: Drei Abrisse der spanischen (A. del Saz), katalanischen und portugiesischen (Martin de Riquer) Literatur, sowie eine Einführung in die hispanoamerikanische Lyrik (A. del Saz). Erst ab diesem Zeitpunkt gewinnt der Verlag Seix Barral eine sichtbare Eigenständigkeit gegenüber der Druckerei: Der Informador Bibliográfico erscheint noch 1955 unter dem Namen von Industrias Gráficas, 1956 jedoch als publiziert von Editorial Seix Barral.

3. Verlagspolitik,

kulturelle Positionierung

und

Internationalisierung

97

Mit der Biblioteca Breve kreiert Seix Barrai ein international orientiertes Verlagsprogramm, das Rezeptionserwartungen eines elitären Publikums erfüllt. Paratextuelle Strategien verleihen der Reihe ein wieder erkennbares Image. Durch die konsequente Umsetzung von Strategien der Gruppenbildung und Öffentlichkeitsarbeit wird Seix Barrai ab 1958 schließlich zum wichtigen Vermittler der sozialrealistischen Erzählliteratur in Spanien. In diesen Jahren schafft Seix Barrai die materiellen und inhaltlichen Vorbedingungen für die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in den 60er Jahren. Unternehmensstruktur Die Anteile des Verlags sind im Besitz dreier Familien: ca. 40% gehören der Familie Barrai, je ca. 30% den Familien Seix und Font, Verwandten der Seix (Stand i960).285 Der achtköpfige Consejo de Administración des Unternehmens setzt sich aus Angehörigen aller drei Familien zusammen.286 In der Praxis obliegt die Führung der Einzelunternehmen jedoch nur Angehörigen der Gründerfamilien Seix (Juan, Victor) und Barral (Carlos). Innerhalb des Gesamtunternehmens macht die Druckerei den weitaus größten wirtschaftlichen Anteil aus und sichert das finanzielle Fundament. Um 1960 zählt der Betrieb 160 Arbeitskräfte.287 In den 60er Jahren trägt die gemischte Struktur dreier fast gleich starker Aktionärsgruppen zu erheblichen Spannungen bei, die sich in angeblichen oder tatsächlichen Versuchen der Einflussnahme auf die Editionstätigkeit äußern.288 Im Februar 1966 wird die "existencia de tres grupos distintos en la Junta General"289 schriftlich konstatiert. Gleichzeitig werden penible Vorschriften über den Umgang der Anteilseigner erlassen: Den Familien Barral und Seix werden separate Verhandlungen mit der Eignergruppe Font untersagt, finanzielle und andere Fragen der Unternehmensentwicklung sollen im Konsens entschieden werden. 1969 erwirbt die Familie Seix den Font-Aktienbestand und werden zu Mehrheitseignern des Gesamtunternehmens, was die interne Krise vertieft, in deren Folge Carlos Barral 1970 den Verlag verlässt.

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Protokoll der außerordentlichen Aktionärsversammlung vom 22.12.1960, AB. Ähnlich verhält es sich bei der Druckerei, für die mir keine vollständigen Registerdaten vorliegen. Nach den am 22.12.1960 modifizierten Unternehmensstatuten sind dies: Eduardo Barral, Carlos Barral, Alfredo Rocha (Familie Barral); Tomás Seix, Victor Seix, Juan Seix (Familie Seix Miraita); José Maria Font Seix, Maria de los Reyes Anglada Albareda (Familie Font, Erben Franciso Seix). "Análisis financiero y de rotación de capital", Industrias Gráficas Seix y Barral Hnos. S.A., ca. 1960, AB. Zu den Querelen zwischen Carlos Barral und den anderen Eignerfamilien siehe 3.4.4. Protokoll der Aktionärsversammlung vom 4.2.1966, AB.

98

Burkhard Pohl

Die Organisation der literarischen

Edition

1955 gerät Jaime Salinas als Unternehmensberater in Kontakt zum Verlag und seinem literarischen Umfeld und wechselt dort schließlich auf die Stelle eines secretario general, zuständig für die Organisation der Öffentlichkeitsarbeit.290 Salinas ist Sohn des in die USA exilierten Dichters Pedro Salinas und hat eine kaufmännische Ausbildung und eine autodidaktische literarische Erziehung in den USA und Frankreich genossen. Durch seinen interkulturellen und republikanischen Erfahrungshorizont verfugt Jaime Salmas, anders als viele seiner spanischen Freunde, über eine tiefe Skepsis gegenüber allem Spanischen und allen Nationalismen.291 Sein Beitrag beschleunigt den Aufbau einer durchdachten Programmatik und Öffentlichkeitsarbeit und damit die Professionalisierung und Internationalisierung des Verlags.292 Die Konzeption des Programms obliegt neben Carlos Barrai auch Juan Petit, der ein biografisches und inhaltliches Bindeglied zur Vorkriegsliteratur darstellt und bis zu seinem Tod im Januar 1964 auch als Übersetzer, Juror und Lektor tätig ist.293 Petits Nachfolge in der literarischen Leitung tritt Gabriel Ferrater an, dessen Mitarbeit im Verlag allerdings weniger konstant verläuft; Ende der 60er Jahre übernimmt Félix de Azúa, später Pere Gimferrer diesen Posten.294 Die Biblioteca Breve wird von wenigen festen Mitarbeitern gestaltet. Barrai ist nach eigener Aussage zunächst für die übersetzten literarischen Titel der Reihe zuständig (Serie Antología), während das nicht-fiktionale Programm offensichtlich von Petit und externen Mitarbeitern betreut wird.295 Mitglieder der ¿aye-Gruppe sind als Berater, Herausgeber und Übersetzer an der Programmentwicklung beteiligt. Aufbauend auf dieser informellen Zuarbeit bildet Seix Barrai um 1960 ein Lektürekomitee 290

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Ich beziehe mich auf eigene Interviews mit Jaime Salinas. Außerdem konnte ich Angaben aus einem unveröffentlichten Interview Juan Cruz' mit Salmas entnehmen. Eine Schilderung der 50er Jahre liefert ferner das Interview von Laureano Bonet, "Jaime Salinas: Retrato de Familia", Insula 523-24 (Juli-August 1990), S. 69-72. "No sé cuál es mi identidad. Me resulta muy difícil, y además llegué a la conclusión de que es una ventaja no tener esa identidad. Yo soy anti-nacionalista por naturaleza, no me siento cómodo en España, pero tampoco me siento cómodo en los EEUU, tampoco en Francia, ni en ningún sitio." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997). "Mi función era probar que aquello pudiera convertirse en algo parecido a una editorial, y para que esto suceda hay que establecer un orden, unas reglas y probar a cumplirlas." (Jaime Salinas, Brief an B.P. vom 10.11.1998). Petit ist z.B. tatkräftiger Vermittler der bei Minuit unter Vertrag stehenden Alain RobbeGrillet und Marguerite Duras (Bonet 1994: 356). Ein beredtes Zeugnis für Ferraters innerliche Distanz zum Verlag geben einige der posthum veröffentlichten Briefe an seinen Bruder Joan Ferraté (Ferrater 1986: 387-458). In einem Brief vom Juni 1956 an den Einaudi-Verlag gibt Barrai seine Unkenntnis der spanischen Romanproduktion zu: "[...] je ne me considère assez renseigné sur le roman espagnol strictement contemporain pour vous conseiller là-dessus [...]." Er selbst befasse sich vielmehr mit einer "série de littérature étrangère" innerhalb der Biblioteca Breve (Brief Carlos Barrai an Renato Solmi, Verlag Einaudi, 14.6.1956, AB).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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nach d e m Vorbild des italienischen Einaudi-Verlags, der Schriftsteller wie Italo Calvino, Elio Vittorini oder Carlo Levi als Lektoren beschäftigt. 2 9 6 Seix Barrais Komitee tritt regelmäßig, meist vierzehntägig, zusammen, u m über das Verlagsprog r a m m zu beraten, wobei eine endgültige Publikationsentscheidung den Verlagsmitarbeitern, vor allem Carlos Barrai als literarischem Direktor, obliegt. 2 9 7 Allerdings sind w e d e r Aufgabenzuschreibung noch Besetzung des Komitees, dessen fester S t a m m aus wenigen Personen besteht, statisch. Einzelne Präferenzen und Zuständigkeiten lassen sich aus Zeugnissen erschließen. N a c h übereinstimmenden Aussagen sind dies über einen längeren Zeitraum Ferrater, Valverde, Gii de Biedma, Castellet, Vilanova u n d Clotas. Im Herbst 1961 gestaltet sich nach Aussage von Victor Seix die Besetzung wie folgt: 2 9 8 José Maria Valverde (nordamerikanische Literatur), José Maria Castellet (französische Literatur), Gabriel Ferrater (britische Literatur), Antonio Vilanova, Emilio Lorenzo Criado und Margarita Fontseré, die Gattin Juan Petits (deutschsprachige Literatur). Hinzu k o m m e n Petit und Seix, Barrai wird n u n als zuständig f ü r die spanischsprachige Literatur ausgewiesen. 2 9 9 D e r T o d Petits 1964, das Exil Valverdes 1967 und Auslandsaufenthalte (Gii, Ferrater) bedingen Fluktuationen unter den Mitgliedern. Die Mitglieder des Komitees sind in seiner Anfangsphase gleichzeitig Juroren des Premio die Einheit von Preisentscheidung u n d Programmgestaltung

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Biblioteca

Breve,

was

fördert.

Giulio Einaudi versammelt über ca. dreißig Jahre hinweg in seinen 'Mittwochssitzungen' bis zu zwanzig Personen, die dem Verlag als Angestellte oder Berater angehören: "Alle Berater, ob sie in Turin wohnten oder von auswärts kamen, hatten Zutritt zu diesen Sitzungen am Mittwochnachmittag, die sich von fünf Uhr bis zum vorgerückten Abend abspielten. Auch die internen Lektoren nahmen daran teil, wodurch es zu einem Informationsaustausch über die eigenen Lektüren kam, über die ringsherum aufgenommenen Kontakte; und es kam zu Diskussionen über die Bücher, die zum Teil von zwei oder drei Beratern gelesen wurden, so daß man den Gehalt der Vorschläge abwägen konnte. So hat sich mit der Zeit der Einaudi-Katalog entwickelt." (Einaudi 1993: 134f.). Die Geschichte des Einaudi-Verlags ist für die Jahre 1933-58 bei Turi 1990 dokumentiert, femer existieren zwei Bände Interviews mit Giulio Einaudi (Einaudi 1990, Einaudi 1993). Das Gesamtverzeichnis der Edizione Einaudi (1983) rubriziert die Publikationen der ersten fünfzig Verlagsjahre. Jaime Salinas übernimmt Ende der 70er Jahre als Direktor bei Alfaguara das Modell Einaudis und lässt sich von einem fest angestellten Komitee angesehener Schriftsteller (Benet, García Hortelano, Marias, u.a.) und Kritiker assistieren (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997). "De lo que se trataba [...] era simplemente de saber si valía una segunda lectura, mía o de alguno de los presentes que tuviera criterios muy diferenciados." (Barrai 1988: 87). Brief Víctor Seix an Vicente Rodríguez Casado vom 13.7.1961, AB. Andere Zeitzeugen bestätigen eine tendenzielle Zuständigkeit nach genrespezifischen und sprachlichen Kriterien: Der 1963 hinzukommende Salvador Clotas habe sich mit italienischer, der selten anwesende Gil de Biedma mit anglophoner Literatur, Ferrater mit "ensayo y exotismos" befasst, so Félix de Azúa, der Ende der 60er Jahre wie Pere Gimferrer und Javier Fernández de Castro zum Komitee stößt (Félix de Azúa, Interview mit B.P., 1.3.1999). Zwischenzeitlich soll sogar Mario Vargas Llosa beteiligt gewesen sein (Salvador Clotas, Interview mit B.P., 26.6.1998).

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100

Die Biblioteca Breve entwickelt wie kaum eine andere spanische Verlagsreihe ihrer Zeit ein unverwechselbares und erfolgreiches Profil. Im Folgenden gilt es, Instrumente und Strategien auszumachen, mittels derer Seix Barrai in kurzer Zeit eine herausragende Position im spanischen Verlagsspektrum bezieht und ein beträchtliches kulturelles, später auch ökonomisches Kapital erwirbt.

3.2.2

Das Verlagsprogramm als Ausdruck einer spezifischen Verlagspolitik

Verlegerische Strategien Danny J. Anderson definiert Verlagsstrategien als "systematic actions that facilitate achievement of a goal in the future". 300 Zu diesen Zielen gehört ebenso der Aufbau eines bestimmten literarischen Prestiges wie das Erreichen finanzieller Rentabilität. Die Strategien müssen nicht einer festen Planung entsprechen, im Gegenteil verfahren viele literarische Verleger nach einem "less-than-conscious plan". 301 Dieser Verweis auf das Moment des 'Fast-Unbewussten' macht es nötig, von Verlagsstrategien in einem weiteren Sinne zu sprechen, d.h. auch ein verlegerisches Handeln, das sich nicht auf explizite Planungen zurückführen lässt, im Ergebnis als durch implizite Strategien motiviert zu verstehen. 302 Anderson entwickelt drei Kategorien, um Strategien der Verlagsarbeit zu erfassen: den Aufbau eines festen 'Autorenstalls' (affiliation), 3 0 3 die Profilierung über die Außendarstellung verlegerischer Reihen (visibility), schließlich die spezifischen inhaltlichen, oft nur im Nachhinein ermittelbaren Kriterien verlegerischer Programmbildung (distinction). Alle diese Phänomene werden sich auch in meinen Fallbeispielen finden, jedoch ist Andersons am mexikanischen Beispiel entwickeltes Schema eher als brauchbare terminologische Anregung denn als endgültige Vorgabe zu betrachten, da Anderson nur bestimmte Aspekte untersucht. Einzubeziehen wären beispielsweise auch ökonomische Maßnahmen wie die Organisation des Vertriebs oder Vernetzungsstrategien auf internationaler Ebene. Ferner gilt es angesichts der Komplexität und Widersprüchlichkeit umfangreicher Verlagsprogramme nach Unternehmenssparten zu differenzieren. Besser sollte man wohl von einer generellen

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Anderson (1996: 6, Anm. 7). Ebd. Anderson bezieht sich mit seiner Definition auf Bourdieu und Coser u.a. (1982). Rouet verwendet in ähnlicher Form den Begriff der Verlagsstrategie, den er als "une manière d'inscrire sa propre production dans l'espace que balisent les ouvrages existants" (1992: 15) erklärt und sich damit dem eine Zielrichtung konnotierenden Terminus der prise de position bei Bourdieu annähert. Während Anderson unter dem Begriff der affiliation lediglich den Aspekt der Autorenbindung an den Verlag erfasst, erscheint mir der von Pym propagierte Terminus des network besser geeignet (siehe 1.1), die komplexen kommunikativen Beziehungen zwischen literarischen Instanzen und Gruppen zu erfassen, da in Pyms Verständnis insbesondere die internationale Perspektive berücksichtigt ist.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

101

Strategie - bzw. marktgegebenen Notwendigkeit - der Distinktion ausgehen, die eine Vielzahl von Einzelstrategien nach sich zieht. Eine "gute" Verlagspolitik besteht dann, so Bouvaist/Boin, in der Ausformung eines unverkennbaren Images, das es ermöglicht, ein der Zielgruppe entsprechendes Produkt zu einem angemessenen Preis und unter Ausnutzung der benötigten Vertriebswege zu lancieren. Vor allem ein kleinerer Verlag muss, um sich innerhalb eines engen Marktes bei Zwischenhandel, Buchhandel und Käufern bemerkbar zu machen, seine spezifische Verlagspolitik entwickeln, die immer als Ensemble einzelner Maßnahmen zu sehen ist - als "[pjolitique d'auteurs, de catalogue, de relations publiques, de commercialisation" (Bouvaist/Boin 1989: 100) - und sich erst allmählich, im Austarieren von Programmpunkten, gestaltet: La recherche de l'équilibre entre "la découverte", la réédition d'ouvrages anciens disparus des catalogues, la traduction d'auteurs étrangers connus chez eux, mais encore inconnus en France et les livres de commande, est déjà difficile au moment où l'éditeur se lance sur le marché. Au fil des mois et au fil des années, la tâche de l'éditeur se complique. (Bouvaist/Boin 1989: 105)

Diese von den Verfassern für das Frankreich der 70er Jahre formulierte Feststellung trifft zwar nicht ganz auf die spezifische spanische Situation der 50er Jahre zu, insofern hier von einer wesentlich geringeren Konkurrenzsituation auszugehen ist. Dennoch zeigt sich auch im Programm von Seix Barrai das Bemühen, unter Beibehaltung eines bestimmten Verlagsprofils jeweils neue adäquate Produkte herauszubringen. Bei der Analyse eines Verlagsprogramms ist zu beachten, dass die Angabe des Erscheinungsjahres allein noch keinen vollständigen Aufschluss über verlegerische Schwerpunkte und Planungen erlaubt. Die Verlagsplanung orientiert sich gemeinhin an den saisonalen Höhepunkten im Herbst (Frankfurter Buchmesse, Weihnachten) und Frühjahr (Verlagspreise, Tag des Buches) und läuft der kalendarischen Einteilung damit entgegen. 304 Eine präzise Darstellung ist oft nur mit Einsicht des Impressums möglich, da Verlagskataloge und Bibliografien in der Regel nicht nach Publikationsmonaten unterscheiden. Zu bedenken ist auch der mehrmonatige oder jährige Publikationsvorlauf, der im spanischen Fall um den durch den Zensurprozess entstehenden zeitlichen Aufschub zu ergänzen ist. Bei der Rekonstruktion einer Verlagsplanung sollten daher möglichst beide Daten von Manuskripteinreichung und Publikation berücksichtigt werden. 305 Schließlich können Angaben über ge-

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Röhring (1997: 124-36) beschreibt die Praxis von Verkauf und Vertrieb und widmet sich speziell (133-36) der Frankfurter Buchmesse. Vgl. Cendän Pazos (1972: 143), der für den Zeitraum von 1965-68 die monatlichen Publikationszahlen des spanischen Verlagssektors aufschlüsselt und entsprechende Gewichtungen in Herbst und Frühjahr ermittelt. Ein Beispiel bietet La ciudady los perros. Vielfach wird die Rezeption dieses Romans für 1962 angesetzt, dem Jahr der Verleihung des Premio Biblioteca Breve. Dies trifft jedoch nur auf einen Kreis eingeweihter Leser zu, denn tatsächlich gelangt der Titel nach Zensurquerelen erst Ende 1963 auf den spanischen Markt.

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plante, aber von der Zensur nicht genehmigte Titel weitere Auskunft über die ursprünglichen Programmschwerpunkte geben. Der folgende Überblick über das Verlagsprogramm Seix Barrais und über die während der Leitung Carlos Barrais (1955-70) entwickelten literarischen Reihen hat einführenden Charakter und greift deshalb teilweise auf spätere Kapitel vor. Für vollständige Titelangaben verweise ich auf die Bibliografie im Anhang (II). Biblioteca

Breve

Die Reihe Biblioteca Breve erscheint erstmals 1955 und ist zunächst die einzige literarische Verlagsreihe Seix Barrais. 1961 kommt die Biblioteca Formentor als ausschließliche Romanreihe hinzu, 1965 Nueva Narrativa Hispánica, 1968 die Taschenbuchreihe Biblioteca Breve de Bolsillo. Unter der Ägide von Carlos Barral und Victor Seix erscheint auch die sich hauptsächlich aus nicht-fiktionalen Titeln speisende Colección Testimonio, deren erster Titel 1960 auf den Markt kommt. Im Umfeld der Biblioteca Breve ist ferner die Reihe Colliure angesiedelt, die von 1961 bis 1966 unter dem Firmennamen Literaturasa herausgegeben wird. Weitere Produkte des Verlags werden von Victor Seix betreut: Es handelt sich um aufwendig produzierte enzyklopädische Reihen,306 die aus dem Englischen oder Deutschen übersetzt und per Subskription bzw. Ratenkauf vertrieben werden. Schließlich hat der Verlag Restbestände an didaktischem Material und Jugendbüchern in seinem Programm, die nur noch wenige Jahre weitergeführt und Anfang der 60er Jahre an den Verlag Teide abgegeben werden. Schon durch die bloße Artikulation einer Verlagspolitik versucht Seix Barral sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Folgende Prinzipien, die sich bis über Jahre hinweg kaum verändern sollen, werden dem Erscheinen der Biblioteca Breve im Jahre 1955 programmatisch vorangestellt: •Facilitar al público de lengua española el acceso a autores extranjeros que no han podido hacerse lugar en series literarias comprometidas con el gusto mayoritario. *Publicar traducciones dignas, en buena prosa castellana, de obras importantes de literatura y de critica contemporánea, desconocidas en España. •Establecer contacto con el público lector de literatura, a fin de publicar de acuerdo con el criterio de una minoría interesada.307

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Im Katalog von 1969 sind erwähnt: die 17-bändige, von Chanticleer Press (New York) übernommene Reihe El Mundo de la Naturaleza (MN), die auf 32 Bände angelegte Reihe Arte de los Pueblos (AP), deren Original als Kunst der Welt im westdeutschen Holle Verlag erscheint und die man in Koedition mit dem Verlag Praxis - dessen Mitarbeiter Castellet ist - produziert; schließlich die Reihen Los Continentes und Arte y Civilización. Informador Bibliográfico de I.G. Seix y Barral Hnos., April 1955, o.S, ABC AS.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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Die Biblioteca Breve ist zunächst explizit für nicht-spanische Titel konzipiert.308 Über drei Aspekte wird die Distinktion zu anderen Verlagen ausgesprochen: a) Es sollen zeitgenössische Texte internationaler Literatur erscheinen, die, ob aus kommerziellen oder anderen Gründen, weder in Spanien noch Lateinamerika publiziert sind. Die Abgrenzung zielt hier gegen die an ein breites Publikum gerichteten und an primär anglophoner Literatur orientierten Verlage (Janés, Caralt, Plaza), deren Ausgaben den Markt dominieren, die aber aus staatlicher oder Eigenzensur heraus bedeutende Strömungen zeitgenössischer Literatur nicht publizieren.309 b) Die Reihe soll eine hohe ("digna") übersetzerische Qualität besitzen - ein Hinweis vor allem auf die Konkurrenz argentinischer Verlage, deren legal oder illegal importierte Übersetzungen in Spanien stark vertreten sind. c) Die Reihe richtet sich an ein erlesenes Publikum jenseits des Massengeschmacks. Seix Barrai wählt z.B. mit Robbe-Grillet einen Schriftsteller, der auch in seinem Heimatland noch zur Avantgarde gehört und dort erst in den 60er Jahren stabile Verkäufe erreicht.310 Ich möchte die aufgezeigten Distinktionsbereiche - Textselektion, editorische Qualität, Gruppenbildung mit Lesern und Autoren - zum Ausgangspunkt meiner folgenden Ausführungen machen. Hier erschließt sich ein spezifisches 'Modell Biblioteca Breve', das als Grundlage der verlegerischen Politik Carlos Barrais insgesamt anzusehen ist. Die Biblioteca Breve startet mit einem zunächst bescheidenen Volumen.311 Noch 1955 erscheinen vier Titel, an deren Erstellung der ¿aye-Kreis beteiligt ist: Frederik J. Hoffman, La novela moderna en Norteamérica (Übersetzung und Einleitung von Castellet); T.S. Eliot, Función de la poesía y función de la crítica (Übersetzung und Einleitung von Gii de Biedma); Juan Eduardo Cirlot, La pintura surrealista und Del expresionismo a la abstracción.311 Hoffmans Buch, das als erster Titel (Nr. 101) der Reihe firmiert, wird mit Subvention der US-amerikanischen Botschaft publiziert, was an das bereits bei José Janés beobachtete Sponsoring durch den British Council erinnert (siehe 2.3). Als erste narrative Texte werden Italo Svevos La coscienza di Zeno und Alain Robbe-Grillets Les gommes unter Vertrag genommen und 1956 publiziert, letzterer aus kommerziellen Gründen unter dem an Kriminalromane erinnernden Titel La doble muerte del profesor Dupont (Barrai 1978: 31). 308

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So heißt es weiter unten: "Publicará [...] novelas, narraciones cortas y, en general, obras de creación en prosa de autores extranjeros de este siglo [...]". Vgl. die Bestandsaufnahme zum spanischen Verlagswesen der Nachkriegszeit bei Bozal (1969), siehe auch 2.3. Von Robbe-Grillets La jalousie verkaufen sich im ersten Jahr 1957 in Frankreich lediglich 146 Exemplare (Bourdieu 1992: 204). Informador Bibliográfico, April 1955. Cirlot ist zeitweiliger Teilnehmer an der sog. Tertulia de San Elias, die 1956-57 im Hause Barrais stattfindet (Barrai 1978: 84-87; vgl. Riera (1988: 103-05).

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Der ehemalige Schulbuchverlag verortet sich nun neu als Literaturverlag gehobenen Anspruchs. Die Titelplanung orientiert sich unter anderem an Nischen in den Programmen lateinamerikanischer Verlage - in deren Importen, nicht innerhalb des weitgehend abgeschlossenen spanischen Marktes, vermutet man die Hauptkonkurrenz. Anhand der Informationen in wenigen rezipierten internationalen Zeitschriften, allen voran Les Temps Modernes, sucht man junge Autoren, die den argentinischen und mexikanischen Verlagen noch nicht bekannt sind. Barrai formuliert zwanzig Jahre später: Se trataba de constituir una back-list con los autores importantes muy recientes, o exóticos a los canales de información italo-francesa de los editores argentinos, adelantándoseles a cubrir una etapa de las literaturas extranjeras en la que todavía no parecían interesados. Jaime [Salinas] pensaba, además, con razón, que esas fuentes de información no eran difíciles de arrebatar y que el período de pujanza de la edición humanística en Latinoamérica estaba en sus tramos finales.313

Unter diesen Voraussetzungen macht sich Seix Barrai auf die Suche nach Titeln internationaler Autoren und betätigt sich zunächst als Vermittler des französischen Nouveau Roman, aber auch des italienischen Neorealismus und angloamerikanischer Schriftsteller.314 Die Publikation mehrerer deutschsprachiger Schriftsteller der Nachkriegszeit lässt sich ebenfalls in Konsequenz der erwähnten Nischen-Strategie interpretieren: Diese Autoren finden sich nicht bei den lateinamerikanischen Verlegern.315 Außerdem äußert sich in dieser Schwerpunktsetzung die Germanophilie Petits und Barrais.316 Eine weiteres Novum ist die Publikation von Autoren des sowjetischen Sozialrealismus (Boris L. Gorbatov) und anderer osteuropäischer Literaturen (Slavomir Mrozek). Die Reihe gibt sich als repräsentativer und zeitgenössischer Querschnitt, als Sensor des internationalen Zeitgeistes. In ihrer Heterogenität und Universalität stellt die Biblioteca Breve eine Ausnahme in der spanischen Verlagslandschaft dar; vergleichbar sind in gewisser Weise Reihen des argentinischen Verlags Losada317 oder auch die Colección Austral von Espasa-Calpe, die sich jedoch vor allem auf Klassiker konzentriert. Im Bereich der zeitgenössischen internationalen Erzähl- und Sach313 314

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Barrai (1978: 139). Die Passage wird auch bei Rama zitiert (1981: 71). Vgl. die Bibliografie (Anhang II). Die ersten vierzig Titel (bis Ende 1959) umfassen narrative Werke von Marguerite Duras, Ennio Flaiano, Henry Green, Tommaso Landolfi, Carson McCullers, Henry Miller, Cesare Pavese, Mario Pomilio, Alain Robbe-Grillet und Italo Svevo. Als erste Romane deutscher Sprache erscheinen 1958 No soy Stiller (Max Frisch), 1959 Casa sin amo (Heinrich Boll). Sudamericana publiziert in den 60er Jahren das dramatische Werk Max Frischs. Barrai lernt Deutsch als erste Fremdsprache und hält sich Anfang der 50er Jahre zweimal in Heidelberg auf (Barrai 1978: 45-51, Barrai 1990: 339-51). Margarita Petit Fontsere ist bis Mitte der 60er Jahre die hauptsächliche Übersetzerin Seix Barrais für deutschsprachige Literatur. Zu Losada siehe 4.1. Der Exklusivität der Auswahl Seix Barrais sind also zumindest in Argentinien Grenzen gesetzt.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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buchliteratur besetzt Seix Barrai ein von spanischen Verlagen nicht bedientes Marktsegment. Konkurrierende Sachbuchverlage wie Taurus, Guadarrama, Alianza oder Ariel werden erst später oder im gleichen Zeitraum gegründet. Bei der spanischen Narrativik überlässt man zunächst noch Destino oder Planeta das Feld. Als "bibliothèque de témoignage de l'actualité littéraire ou dans quelques cas de littérature experimentale" spannt die Biblioteca Breve einen breiten Bogen, dessen programmatische Kohärenz eben nicht durch ein bestimmtes ästhetisches, sondern ein zeitbezogenes Kriterium hergestellt ist.318 Die ursprüngliche paratextuelle Unterteilung in drei Serien - Antología (Erzählprosa), Ensayo (Essay) und Museo (Bildende Künste) - wird bald ergänzt um die Aufteilung der fiktionalen Titel in Relato, Novela und Antología (Dichtung). Ab 1964 kommt als neue Serie Ciencias Humanas hinzu, worunter unterschiedliche Themenbereiche wie Psychologie, Linguistik und Medizin, vor allem aber Gesellschaftswissenschaften (Soziologie, Wirtschaft, Politik) fallen. In den ersten Jahren suchen die Macher der Biblioteca Breve mittels literaturtheoretischer Schriften den Anschluss an internationale Tendenzen herzustellen und gleichzeitig die Positionen der eigenen Gruppe zu artikulieren. Die Publikation von Hoffmans Einfuhrung in die nordamerikanische Literatur bezeugt ebenso wie Teile von Castellets vielschichtigem Essay La hora del lector die wichtige Rolle der USamerikanischen Schriftsteller für die Herausbildung einer neuen spanischen Literatur. In den Schriften von T.S. Eliot und Juan Ferraté (Teoría del poema) steht ein immanenter Literaturbegriff im Vordergrund.319 Ferner bemüht sich die Reihe um die Anerkennung verfemter Schriftsteller und integriert Autoren des spanischen Exils (José Bergamín, Luis Cernuda, Pedro Salinas, Segundo Serrano Poncela). Schon in den 50er Jahren lässt die Biblioteca Breve eine spanische liberale Denktradition zu Wort kommen, so in Las pequeñas Atlántidas (Alberto Gil Novales)320 oder in Schriften exilierter Intellektueller wie Ortega (José Ferrater Mora) oder La voluntad del estilo (Juan Marichal). In ihrer politischen Ausrichtung bilden diese und andere Titel ein Pendant zu den Reihen des 1956 gegründeten Verlags Taurus, mit dem Seix Barrai einige Autoren (José Maria Castellet, José Luis Aranguren, Segundo Serrano Poncela) teilt. Gleichzeitig setzt die Biblioteca Breve die liberale Unternehmenstradition der Vorkriegsjahre fort (siehe 3.1).

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"Moment actuel", 1963, S. 2, AB. Das wahrscheinlich von Carlos Barrai verfasste 17seitige Dokument dient als Anlage zu einem (mir nicht vorliegenden) Schreiben an internationale Verleger und ist deshalb auf Französisch abgefasst. Eine nähere Diskussion der dort enthaltenen Vorschläge folgt unten (3.4.2). Erst die Essays von Juan Goytisolo (Problemas de la novela, 1959) und, Mitte der 60er Jahre, von Alfonso Sastre oder Galvano della Volpe markieren deutliche Grundlagen für einen sozial(istisch)en Realismus. Das Werk trägt den Untertitel: Decadencia y regeneración intelectual en España en los siglos XVIII y XIX.

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Die Titel der Serie Museo machen den Lesern die Kunst- und Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts zugänglich und versuchen den intellektuellen Anschluss an die ästhetische Moderne.321 Barrai beschreibt Museo als weniger elitär als die anderen Unterreihen - "peut-être la plus commerciale et la moins rigoureuse des sections de 'Biblioteca Breve'" - , umso mehr, da man sukzessive auch Filmbücher oder kommentierte Drehbücher publiziert {Hiroshima, mon amour; L'année dernière à Marienbad; Mamma Roma; Otto e mezzo).222 Im Katalog von 1957 tritt zu den drei oben genannten Verlagszielen ein vierter Aspekt hinzu, der auf die künftige Rolle Seix Barrais als Förderer von novela social und Boom vorausweist: "Procurar una primera oportunidad editorial a jóvenes autores y críticos españoles que hayan dado, en revistas y publicaciones esporádicas, testimonio de su ambición y de sus posibilidades." Zu der Leserorientierung kommt damit die Autorperspektive, der Wille zur Förderung einer Nachwuchsliteratur in spanischer Sprache. Seix Barrai wandelt sich vom reinen Spezialisten für ausländische Avantgarde zu einem gegenwartsorientierten Verlag auch und gerade nationaler Produktion, in Übereinstimmung mit den Publikationsbedürfnissen der sich im Umfeld der Biblioteca Breve bewegenden intellektuellen Szene und in Reaktion auf soziopolitische und literarische Entwicklungen innerhalb Spaniens.323 Zu den im Zitat erwähnten "jóvenes críticos" zählt José María Castellet, als erster der angesprochenen jungen Autoren erscheint Luis Goytisolo {Las afueras, 1958). Ab 1960 erweitert sich das Verlagsprogramm um neue, spezialisierte Reihen. Das auf die Kombination unterschiedlicher Genres ausgerichtete Konzept der Biblioteca Breve scheint weniger dazu geeignet, den Programmbereich spanischer Erzählprosa angemessen zu kanalisieren. Um dem neuen Projekt ein eigenes Profil zu verleihen, begründet Seix Barrai ab Mai 1961 die Biblioteca Formentor,324 Die Reihe erscheint in höherer Auflage und in einem größeren Umfang als die Breve - rund zwanzig Titel pro Jahr - und zielt auf ein breiteres Publikum: sie enthält ausschließlich Romane mit Erstauflagen von meist 4.000 Exemplaren. Der relativ hohe Publikationsrhythmus unterstreicht den Wunsch nach Marktpräsenz und lässt bis Ende 1963

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Bis 1960 erscheinen Arquitectura moderna (Gillo Dörfles, mit einem Nachwort von Bohigas/Martorell), La escultura del Siglo XX (Werner Hofmann, übers, v. Gabriel Ferrater) und vier Abhandlungen Juan-Eduardo Cirlots zur zeitgenössischen und Vorkriegskunst. "Moment actuel", 1963, S. 2, AB. An anderer Stelle deutet der Verlag diese Heterogenität positiv um: "La serie MUSEO [...] tiende a constituir un sistema de referencias válido en la intrincada y compleja realidad de nuestro tiempo." (Verlagsprospekt Biblioteca Breve, 1960). Siehe Abb. 2. Es fällt auf, dass der Begriff der "minoría interesada" im aktualisierten Programmtext von 1957 durch den umfassenderen Terminus des "público interesado" ersetzt ist, so dass der elitäre Anspruch etwas gemäßigt wird. Der Reihentitel ist an die ab 1959 auf Kap Formentor abgehaltenen Kolloquien und Verlegertreffen angelehnt (siehe 3.4.3).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

107

bereits 55 Titel erscheinen. Die Aufmachung der Biblioteca Formentor als Hardcover und unter Verwendung farbiger Titelillustrationen vermittelt ein Profil, das an die Reihe Ancora & Delfín des Konkurrenten Destino erinnert und den Büchern insgesamt einen marktgängigeren Status verleiht.325 Auch die Autoren und ästhetischen Schwerpunkte schließen an Destino an. Die Reihe verbreitet von 1961 bis 1966 gleichmäßig spanischsprachige und übersetzte Narrativik. Danach wechseln die Texte spanischer Sprache in die 1965 gegründete Reihe Nueva Narrativa Hispánica, während das Label Biblioteca Formentor nun allein für internationale Literatur reserviert bleibt und das wenig spezifische Ziel verfolgt, ein "panorama general de la narrativa contemporánea en las distintas literaturas" bereitzustellen.326 Nachdem sich 1967 die Verlegergruppe Formentor auflöst, entfallt die semantische Anbindung der Reihe.327 In der zweiten Hälfte der 60er Jahre hat das auf symbolisches Kapital setzende Signet 'Formentor' ausgedient, der Verlag wählt nun den eingängigeren Slogan des Neuen, Narrativen und Spanischsprachigen (Nueva Narrativa Hispánica)?2* Ästhetisch versucht die Biblioteca Formentor den Spagat zwischen dem kommerziell und politisch als Erfolg versprechend vermuteten Genre des spanischen Sozialrealismus einerseits, zwischen europäischem Realismus und anderen internationalen Tendenzen andererseits.329 Die Autoren sollen laut Verlagswerbung bereits einen gewissen internationalen Bekanntheitsgrad erreicht haben, was auf einen Teil der Autoren vielleicht eher (Malamud, McCullers), auf andere, die vor allem während der Verlegertreffen in Formentor 'entdeckt' werden, weniger zutreffen dürfte. In ihrer Zusammensetzung stellt die Biblioteca Formentor ein mehr oder weniger repräsentatives Panorama europäischer Literaturen dar, mit einem Schwerpunkt auf italienischer, englisch- und deutschsprachiger Narrativik, während die französischen

325

326 327

328

329

"La Biblioteca Formentor, al principio era con ilustraciones de pintores en cada cubierta. Pero claro, eso al final se pone muy difícil, conseguir cada vez una ilustración buena y, además, barata" (Montserrat Sabater, Interview mit B.P., 24.4.1998). "La Biblioteca Formentor era distinta [de la Breve], con un formato ya más convencional, en hardback. Funcionaba algo mejor para convencer a los libreros." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998). Seix Barrai, Verlagskatalog Frühjahr 1969, ABC AS, S. 23. Bis 1964 erscheinen 39 ausländische und 28 spanischsprachige Titel. Bis 1967 folgen weitere 15 ausländische Titel, dazu nur noch Carpentier, Edwards und Vargas Llosa als spanischsprachige Aushängeschilder. Von 1968-73 publiziert die Biblioteca Formentor noch 23 Titel übersetzter Autoren, d.h. der Publikationsrhythmus verringert sich von ursprünglich zwölf auf vier Titel/Jahr. Allerdings erscheint in den 70er Jahren noch einmal eine kurzlebige Taschenbuchreihe unter dem Titel Biblioteca Universal Formentor, Unter dem gemeinsamen Nenner der "actualité littéraire" findet sich eine Linie an realistischen Prinzipien orientierter Literatur (Italien, UdSSR, vor allem spanische Jungautoren) und - "dans quelques cas" - ein experimenteller Roman ("Moment actuel", 1963, S. 3, AB).

108

Burkhard Pohl

Autoren des Nouveau Roman (Duras, Ollier, Robbe-Grillet, Sarraute) weiterhin in der Biblioteca Breve erscheinen. Bis 1970 macht die französische Literatur in der Biblioteca Formentor deshalb nur fünf Titel aus.330 Unter der Leitung von Joan Ferraté ändert die Biblioteca Formentor ab 1970 ihren Charakter und nimmt auch weniger aktuelle Autoren auf, deren Werke es in Spanien noch kennenzulernen gilt.331 Die unterschiedliche Konzeption der beiden Bibliotecas spiegelt sich weitgehend im Programm wider: Die auf narrative Texte spezialisierte Biblioteca Formentor soll eine breitere Rezeption innerhalb der neuen Mittelschichten erreichen. Während die Biblioteca Formentor auf eine speziell an gegenwartsorientierten Romanen interessierte Leserschaft setzt, deren vermuteten Rezeptionsinteressen durch eine Akzentuierung nationaler Schriftsteller entsprochen werden soll, bleibt die Biblioteca Breve auf 'schwierigere' Genres und Inhalte konzentriert und versammelt die literarisch innovativeren Titel. Folgerichtig erscheinen die Romane des spanischen Sozialrealismus nicht in der Biblioteca Breve, sondern in der kommerzielleren Biblioteca Formentor. Umgekehrt wird ein alles andere als sozialrealistischer Roman wie Gestos von Severo Sarduy (1963) in der Biblioteca Breve publiziert. Ab 1961 beschränkt sich die Biblioteca Breve auf wenige narrative Titel, darunter Erzählungen und die Sieger der Verlagspreise Premio Biblioteca Breve und Prix International de la Littérature.332 Im Jahre 1965 fuhrt Seix Barrai die Reihe Nueva Narrativa Hispánica ein, die sich ausschließlich auf Erzählliteratur in spanischer Sprache konzentriert. Mit dieser Entscheidung setzt der Verlag die Strategie der Diversifizierung von Reihen und Labels fort. Während die Biblioteca Formentor nun für Übersetzungen reserviert bleibt, konnotiert die Reihe Nueva Narrativa Hispánica den Hegemonieanspruch Seix Barrais im Bereich der hispanophonen Edition und trägt insbesondere dem Erfolg der lateinamerikanischen Autoren Rechnung. Der allgemein gehaltene Titel Nueva Narrativa Hispánica ermöglicht den strategischen Kunstgriff, dass der Verlag Joaquín Mortiz in Mexiko sich mit eigenen Titeln an dieser Reihe beteiligt, was den gegenseitigen Vertrieb vereinfacht und die Corporate Identity der beiden Verlage festigt.333 Wie Biblioteca Formentor zu Beginn der 60er Jahre einen programmati330

331 332

333

Es handelt sich um Cabanis, Guilloux, Le Clézio, Mohrt und Pieyre de Mandiargues. Als "autores importantes" nennt der Katalog von 1969 in dieser Reihenfolge Frisch, Boll, Maclnnes, Malamud, McCullers, Updike, Bassani, Guimaräes Rosa und Carpentier, interessanterweise aber keinen Vertreter der in der Biblioteca Breve so wichtigen französischen Literatur. Zum Programm Seix Barrais ab 1970 siehe 5.2. Die Dichotomie symbolisch vs. ökonomisch gilt somit auch für die Publikation der internationalen Formentor-Preisträger (siehe 3.4.3). Der jeweilige Prix International de la Littérature erscheinen in der Biblioteca Breve, der mit dem weniger prestigeträchtigen Prix Formentor ausgezeichnete Roman in der Biblioteca Formentor. Zu der Zusammenarbeit zwischen Seix Barrai und Joaquin Mortiz siehe 4.5.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

109

sehen Akzent setzte, steht Nueva Narrativa Hispánica für zwei neue Verlagstendenzen: erstens eine ästhetische Avantgarde, die das orthodox realistische Modell scharf ablehnt, und zweitens die steigende Rezeption lateinamerikanischer Autoren. Die ersten Titel der Nueva Narrativa Hispánica erscheinen in geringer Frequenz. Von 1965-68 beläuft sich die Zahl lediglich auf insgesamt 15, der Rhythmus erhöht sich jedoch 1969/70 mit der Publikation von insgesamt 17 Titeln in zwei Jahren.334 Insgesamt hält sich ein nummerisches Gleichgewicht spanischer und lateinamerikanischer Autoren.335 Ab 1969 gewinnt die Reihe Nueva Narrativa Hispánica an Gewicht, da sie nun auch neue Werke bekannterer, bisher in anderen Reihen publizierten Schriftsteller spanischer Sprache aufnimmt. Die Reihe übersteht die Umstrukturierungen der frühen 70er Jahre und wird erst in den 80er Jahren eingestellt.336 Die vierte der von Carlos Barrai betreuten literarischen Reihen ist die Colección Testimonio, deren erster Titel bereits im Dezember 1959 erscheint.337 Der Name der Reihe konnotiert deren Entstehung im Kontext des Sozialrealismus.338 Testimonio stellt den Versuch dar, das hohe symbolische Kapital der Biblioteca Breve um ein kommerzielleres Produkt zu ergänzen, ohne dass diesem Unterfangen langfristiger Erfolg beschieden ist. Das Konzept von Testimonio übernimmt den bekannten Anspruch auf Aktualität und macht ein heterogenes Spektrum aktueller politischer Themen zugänglich, die in der Form des zeithistorischen Romans oder der journalistischen Recherche präsentiert werden: "Testimonio llamaba la atención a una serie de problemas que aquí estaban sometidos a censura. Era una colección de tipo más bien periodístico, histórico, documental."339 Die publizierten Texte widmen sich, oft aus linker Perspektive, zeitgeschichtlichen Fragen wie der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gräuel (André Schwarz-Barth, El ùltimo justo, Leon Poliakov/Josef Wulf, El tercer Reich y los Judíos', Raimund Schnabel, Poder sin moral: Historia de las SS, Joaquín Amat-Piniella, K.L. Reich), der Dekolonialisierung Afrikas (Rolf Italiaander, La hora de Africa; Jules Roy, La Guerra de Argelia-, René Dumont, El Africa negra ha empezado mal), dem Attentat auf J.F.Kennedy (Thomas

334

335

336 337

338

339

Die Autoren der Nueva Narrativa Hispánica bis Ende 1968: Celaya, Rabinad, Martínez Moreno, Flakoll/Alegría, Traba, Revol, García Hortelano, Sánchez Espeso, Marín Morales, Edwards, Guzmán, Guelbenzu, Donoso, Grosso, Cortázar. Die ersten 22 Titel bis Dezember 1969 stehen in ausgeglichenem Verhältnis; bis 1975 verlagert sich die Überzahl allerdings auf die Seite der spanischen Autoren (31 vs. 23). Weitere Angaben zur Reihe Nueva Narrativa Hispánica siehe 5.2.1. Die Reihe wird hier nachrangig dargestellt, da ihr Konzept sich von den anderen drei Reihen signifikant unterscheidet. Auch in einer zeitgenössischen Verlags Werbung ("Testimonio", 1961, ABC AS) finden sich Schlüsselbegriffe der sozialrealistischen Poetik ("libro acusador", "relato objetivo"). Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998. In dieser Hinsicht trifft die Charakterisierung der Reihe im Verlagsprospekt "Testimonio" (1961) zu: "Una colección sobre problemas de actualidad que argumenta su conciencia de hombre libre".

110

Burkhard Pohl

Buchanan, ¿Quién mató a Kennedy?-, Informe de la Comisión Warren), oder auch dem Vietnamkrieg (Mary McCarthy, Vietnam).340 Testimonio deckt ein thematisches Feld ab, welches im Zeitkontext von kaum einem anderen spanischen Verlag seriös beschritten wird. Dennoch erlangt die Reihe keine Kontinuität, was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sie außerhalb des einmal eingeführten Verlagsprofils steht und die üblichen Seix-Barral-Leser nicht erreicht.341 So gelingt es offensichtlich weder den Lesern noch dem Verlag, z.B. über die eher entlegene politische Problematik Afrikas einen Transfer auf die spanische Realität zu leisten und die beschworene Komplizenschaft aufzubauen, anders als im Rezeptionskontext der ehemaligen Kolonialmächte Frankreich oder Großbritannien, von wo manche Titel als Bestseller eingekauft werden. In der Bilanz erfüllt Testimonio nicht die finanziellen Erwartungen an eine Reihe mit Bestseller-Ambitionen.342 Bei einer Erstauflage von 4.000 Exemplaren verläuft allein der Start erfolgreich, denn der erste Titel, El último justo (André SchwarzBarth, 1959, siehe Abb. 3), kann mit dem Prestige des Prix Goncourt antreten und im ersten Jahr 25.000 Exemplare verkaufen, während der zweite, mit 20.000 Exemplaren verkaufte Titel von Leon Poliakov/Josef Wulf von der Aktualität des hier protokollierten Eichmann-Prozesses profitiert. Im Gegensatz zu diesen Zahlen erreichen die weiteren Titel geringe Startverkäufe von 1.500 Exemplaren, was umso schwerer wiegt, als die Texte auf momentane Ereignisse Bezug nehmen und nicht als Longseller konzipiert sind.343 Die fehlende Konstanz und Homogenität findet auch in der Präsentation ihre Entsprechung, denn die Titel erscheinen nach den anfanglichen Erfolgen nur schleppend, ehe 1963 mit verändertem Format und Aufmachung ein Neuanfang gemacht wird, der jedoch die Zahl der publizierten Titel bis zum Auslaufen der Reihe (1968) auf lediglich 21 ansteigen lässt.344

340

341

342

343

344

Daneben stehen bunt zusammengewürfelte Titel von gewisser thematischer Brisanz: El Yeti, Los multimillonarios, Control de natalidad. Der bisweilen sensationalistische Charakter der Paratexte kontrastiert mit dem elitären Profil der Biblioteca Breve. Ein Buch über den Mord an John F. Kennedy erscheint mit folgender Werbung: "Oswald, Ruby, el policía Tippitt son meros comparsas del drama de Dallas. [...] Seix Barral ha editado el sensacional estudio de Buchanan ¿Quién mató a Kennedy?" Allerdings verkauft sich gerade dieses Buch relativ gut (s.u.). Barral selbst bezeichnet den finanziellen Erfolg der Reihe als "irreguliére" und spricht von einer schlechten Öffentlichkeitsarbeit ("Moment actuel", 1963, S. 4, AB). Wie Sahnas bemerkt, habe Barral selbst zu keiner Zeit echtes Interesse an Testimonio gezeigt: "El último justo [1959] fue la primera vez que Seix Barral probaba suerte con libros bestselléricos. A Carlos nunca le interesó mucho esa colección, por eso se hizo muy poco. A él le interesaba la Biblioteca Breve." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998). Immerhin werden von ¿Quién mató a Kennedy? (Thomas Buchanan, 1964) im ersten Jahr rund 6.000 Exemplare abgesetzt und insgesamt drei Auflagen produziert. Die Ratlosigkeit Seix Barrais in Hinblick auf Testimonio spiegelt sich auch in der eher wortkargen Ankündigung im Verlagskatalog von 1969 wider, nach der die Reihe "una serie de documentos de historia contemporánea" umfasse, darunter "algunos best-sellers"

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Statistische

111

Internationalisierung

Auswertung

An den Publikationsdaten Seix Barrais lässt sich die allmähliche Etablierung des Verlags und seiner Verlagspolitik ablesen. Nach der Veröffentlichung von je vier Büchern in den Jahren 1955 und 1956 und nach Ablauf der nötigen Zensurverfahren beginnt ein kontinuierlicher Publikationsrhythmus ab 1957. Während das Volumen mit insgesamt 47 Titeln in vier Jahren (1957-60) jedoch noch in einem moderaten Bereich liegt, erlebt das Jahr 1961 mit den neu hinzu gekommenen Verlagsreihen einen nennenswerten Zuwachs. Die Programmplanung sieht nun vierzig Titel pro Jahr vor - zwanzig Formentor, sechzehn Breve, vier Testimonio - , ein Ziel, dem man mit der Höchstzahl von 37 publizierten Titeln im Jahr 1962 vorerst am nächsten kommt.345 Bezüglich der Publikation neuer Titel hat das Verlagsprogramm in den frühen 60er Jahren also bereits sein Maximum erreicht: die Produktion umfasst zwischen 1957 und 1969 im Schnitt 24 neue Titel pro Jahr.346 Deutlich zeigt sich das überragende Gewicht der Biblioteca Breve, die einen kontinuierlichen Publikationsrhythmus beibehalten hat. In der Umkehrung der Relation von Biblioteca Breve und Biblioteca Formentor zwischen 1961-64 einerseits, ab 1966 andererseits ist der programmatische Wandel Seix Barrais - Abkehr vom Sozialrealismus - eindrucksvoll abzulesen (siehe 4.3). Die Einführung der Taschenbuchreihe Biblioteca Breve de Bolsillo im Jahre 1968 bedeutet einen neuerlichen Titelzuwachs. Ende der 60er Jahre erhöht sich zudem signifikant die Zahl der Neuauflagen und Reprints vergriffener Titel.

Reihen und Genres (Titel per Erscheinungsdatum 1969): Biblioteca Breve:

Novela

60

= 32%

Relato

29

= 15%

Poesía/Antología

11

Ensayo davon:

56 Literatura

(37)

Filosofía

(19)

Museo

18

Ciencias Humanas

15 189

Biblioteca

Formentor:

Nueva Narrativa

345

346

Hispánica:

91 23

(Seix Barrai, Verlagskatalog Frühjahr 1969, ABC AS, S. 23). Seix Barrai, Boletin Interno Comercial 1962, S. 7f., ABCAS. Die dort aufgeführte Planung nennt für 1962 sogar 44 (25:17:2) Titel. Drei der sieben weiteren Titel erscheinen später, von den vier verbleibenden werden mindestens drei von der Zensur verboten. Der Verlagskatalog 1969 umfasst insgesamt 317 Titel in den hier betrachteten Reihen.

Burkhard Pohl

112

Testimonio:

21

Biblioteca Breve de Bolsillo:

52 396

Anteil der Narrativik (ohne Biblioteca Breve de Bolsillo)'. 62% = 201

Jahr

Biblioteca Breve

1955

4

1956

4

1957

13

1958

13

1959

8

1960

11

Biblioteca Formentor

Nueva Narrativa Hispánica

Testimonio

Biblioteca Breve de Bolsillo (+ Serie Mayor)

1 2

1961

7

12

3

1962

15

21

1

1963

14

17

3

1964

15

13

6

1965

20

9

2

1

1966

16

4

2

2

1967

22

5

5

1968

13

5

6

1969

14

5

8

30

1970

10

5

8

21

1971

23

2

7

31

1972

12

3

6

14 (6)

1973

14

3

5

5(8)

1974

18

5

6 (6)

1975

10

6

2(8)

2

22

(Reeditionen eigener Titel sind bei den Reihen Biblioteca Breve, Biblioteca Formentor und Nueva Narrativa Hispánica nicht eingerechnet; die Serie Mayor wird 1972 ergänzend zur Biblioteca Breve de Bolsillo eingeführt) Das Verhältnis von fiktionaler und nichtfiktionaler Literatur hält sich bis 1960 in der Biblioteca Breve zunächst die Waage. Ab den 60er Jahren tritt mit der Gründung rein narrativer Reihen der Roman in den Vordergrund, der sich offenbar als das am

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

113

meisten Erfolg versprechende Produkt erwiesen hat. Die narrativen Titel machen jetzt rund zwei Drittel des Programms aus. Dieses Bild vervollständigt sich noch durch den großen Anteil der philologischen Sachtitel. Seix Barral hebt sich damit von den stärker wissenschaftlichen und politischen Programmen anderer progressiver Verlage ab.

Narrativik nach Herkunftsregionen und -ländern (Verlagskatalog Frühjahr 1969,186 Titel) Spanien

46

= 25%

Lateinamerika

27

= 14,5%

Englischsprachig

USA 19

Bellow, Chevalier, Haldeman, Hemingway, Knowles, Lovecraft, Malamud, McCullers, Miller, Purdy, Talling, Updike, D. Woolf

Großbritannien 10 Cicellis, Fielding, Green, Howard, Isherwood, Maclnnes, Moore, Sillitoe, Wilson Südafrika 5

Gordimer, Lessing

Deutschsprachig

23

Bachmann, Boll, Eisner, Erb, Holthusen, Kern, Lind, Nossack, Rehmann, Scholz, Seghers, Weiss; Frisch, Musil, Rezzori

Frankreich

17

Butor, Cabanis, Duras, Guilloux, Lange, Le Clézio, Mohrt, Ollier, Pérec, Pieyre de Mandiargues, Robbe-Grillet, Sarraute, Wittig

Italien

19

Bassani, Cassola, Flaiano, Gadda, Landolfi, Mastronardi, Pavese, Piovene, Pomilio, Pratolini, Quarantotti, Rosso, Svevo, Vittorini, Volponi

UdSSR

3

Bondarev, Gorbatov, Tendriakov

Skandinavien

6

Dagerman, Meri, Skou-Hansen, Soderberg, Sundman, Vesaas

Japan

5

Dazai, Mishima, Tanizaki

Andere

6

Gombrowicz, Hoveyda, Mrozek, Mulisch, Namora, Rao

Trotz der Schwerpunktsetzung auf spanischsprachiger Literatur zeigt sich das narrative Verlagsprogramm ausgeprägt international: 60% der Titel sind aus anderen Sprachen übersetzt. Innerhalb der spanischsprachigen Erzählliteratur übertrifft die Zahl spanischer Autoren bis 1969 die der lateinamerikanischen (46:27), eine Ten-

114

Burkhard Pohl

denz, die sich bis 1975 fortsetzt (99:55). 347 In den Zeiträumen 1960-69 und 1970-75 erscheint die nahezu gleiche Anzahl lateinamerikanischer Titel. 348 Auflagen Die Bücher Seix Barrais zeigen die für Spanien charakteristischen niedrigen Auflagenhöhen. 349 Bei Seix Barrai sind die Erstauflagen für gewöhnlich auf 3.000 (Biblioteca Breve/Nueva Narrativa Hispánica) bis 4.000 {Biblioteca Formentor /Testimonio) Exemplare konzipiert, die enzyklopädischen Titel erhalten teilweise höhere Auflagen (10.000 Exemplare). 350 Die Zahlen der Biblioteca Breve bewegen sich für die 60er Jahre normalerweise zwischen 2.500 und 4.000 Exemplaren. Lediglich ausgewählte Autoren (z.B. Ernest Hemingway, Paris era una fiesta, 1963) und die Preisträger des Premio Biblioteca Breve liegen darüber (La ciudad y los perros, 1963, 5.000). 351 Blickt man auf frühe verlagseigene Angaben zu Verkäufen, ergibt sich ein bescheidenes Bild. Das Stammpublikum deckt 1963 nur eine schmale Gruppe ab: Die Startverkäufe bis ein halbes Jahr nach Publikation liegen im Durchschnitt bei 1.000-1.300 Exemplaren, der mittelfristige Verkauf bis nach vier Jahren umfasst durchschnittlich 50% der Auflage. Die von den Reihen Seix Barrais regelmäßig erreichte Käuferschicht liegt also bei 1.500-2.000 Personen, die sich auf Spanien und die spanischsprachigen Staaten aufteilen. 352 Zum Zeitpunkt des Sommers 1963 haben Titel von José Luis Aranguren (La juventud europea y otros ensayos) und Juan Goytisolo (Campos de Níjar) sowie die von José María Castellet herausgegebene Lyrik-Anthologie in der Biblioteca Breve die 2. bis 3. Auflage

347 348 349

350

351

352

Siehe die Bibliografie (Anhang II). Weitere statistische Angaben zu lateinamerikanischen Titeln siehe 4.2. Trotz stetig wachsender Gesamttitelmengen und der Exportmöglichkeiten nach Lateinamerika bewegen sich die Auflagen spanischer Bücher unter dem Durchschnitt anderer Industriestaaten. In der bei Galán Pérez (1986: Anhang III.7) referierten Vergleichsstatistik für das Jahr 1982 liegt die Durchschnittsauflage spanischer Bücher unter den in Staaten des Ostblocks oder in Italien erzielten Werten. Ich beziehe mich auf die von Carlos Barrai 1963 ("Moment actuel") angegebenen Zahlen. Obgleich die Auflagenhöhe neben den Verkaufszahlen eines publizierten Titels zu den am besten gehüteten verlegerischen Geheimnissen gehört, verfügen wir im Falle Seix Barrais über verschiedene kontrastierbare Datengrundlagen. Auf folgende Daten wurde im Einzelfall rekurriert: das Impressum der Publikationen Seix Barrais von 1963 bis 1975, Zahlen aus Verlagskatalogen und -prospekten, die Angaben bei der Manuskripteinreichung zur Zensur und bei der Vorlage fertiggestellter Exemplare beim Depósito Legal. Auch wenn verlagseigene Angaben zu Auflagen stets mit Vorsicht zu behandeln sind, besteht kein Grund, an der Aussage früherer Seix-Barral-Mitarbeiter (Sahnas, Soriano) zu zweifeln, dass die einige Jahre lang im Impressum der Bücher Seix Barrais angeführten Zahlen der tatsächlichen Druckauflage entsprochen hätten, zumal diese Zahlen der Praxis anderer Verlage nahe kommen. Die Startauflagen des Premio Biblioteca Breve steigen im Laufe der 60er Jahre auf über 10.000 Exemplare an. Barrai, "Moment actuel", 1963, S. 5, AB.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

115

erreicht und jeweils 10.000 Exemplare Druckauflage überschritten. In der Biblioteca Formentor erreichen zunächst nur zwei Titel Nachauflagen, darunter Juan Garcia Hortelanos Roman Tormenta de verano, der mit ca. 20.000 verkauften Exemplaren 1963 einen kleinen Bestseller darstellt.353 Erst gegen Ende der 60er Jahre verzeichnen sowohl die Höhe einzelner Auflagen als auch die Zahl der erreichten Nachauflagen einen signifikanten Anstieg (siehe 5.3.1). Noch verfugt Seix Barrai damit über deutlich weniger gut verkaufte Titel als die länger etablierte Konkurrenz bei einem Verlag wie Destino. Dessen narrative Reihe Ancora & Delfin stützt sich auf solide, zuweilen überragende Verkäufe seiner AWa/-Preisträger und auf kontinuierliche Nachauflagen seiner Backlist. Von 160 im Zeitraum 1955-65 bei Ancora & Delfin publizierten Titeln erzielen 26 zwei oder mehr Auflagen (ca. 15%). Hohe Auflagen verzeichnen jedoch ausnahmslos die preisgekrönten und die bereits eingeführten Autoren wie Carmen Laforet und Camilo José Cela. 354

3.2.3

Paratexte als Mittel kultureller Positionierung

Die inhaltliche Positionsbestimmung Seix Barrais wird über den Einsatz visueller und verbaler Paratexte zur Außendarstellung von Verlag und Buch unterstützt. Das Bemühen, auch in der Materialität des Produkts eine wiedererkennbare und repräsentative Ästhetik zu erreichen, ist Teil der auf Distinktion setzenden Verlagspolitik. Der Begriff des Paratextes bezieht sich nach Gérard Genette auf [...] un certain nombre de productions, elles-mêmes verbales ou non, [...] qui en tout cas l'entourent [den Text] et le prolongent, précisément pour le présenter, au sens habituel de ce verbe, mais aussi en son sens le plus fort: pour le rendre présent [...] Le paratexte est donc pour nous ce par quoi un texte se fait livre et se propose comme tel à ses lecteurs, et plus généralement au public, [...] il s'agit ici d'un seuil, ou - mot de Borges à propos d'une préface - d'un "vestibule" qui offre à tout un chacun la possibilité d'entrer, ou de rebrousser chemin. (Genette 1987: 7f.)

Genette unterscheidet ferner zwischen Peritexten und Epitexten. Die Subkategorie des Peritextes umfasse jene Paratexte, die "autour du texte, dans l'espace du même volume" (10) figurieren, die also materieller Bestandteil des Buches sind: Format, Reihengestaltung, Buchrücken, Umschlagtexte, usw. Als Epitexte bezeichnet Genette demnach die die Performanz eines Textes begleitenden Mitteilungen wie Interviews und ähnliche mediale Inszenierungen (öffentlicher Epitext), Briefe und

353

354

Ebd. Bei dem zweiten, nicht namentlich erwähnten Werk, dürfte es sich um Juan Goytisolos Fin de fiesta handeln. In Barrais Angaben sind nicht die Auflagen der Reihe Testimonio berücksichtigt. Die Spitzentitel bei Destino für den Publikationszeitraum 1955-65: J.L. Martín Descalzo, La frontera de Dios (Premio Nadal 1956, 12. Aufl.), Juan Antonio Payno, El curso (P.N. 1961, 10. Aufl.), Rafael Sánchez Ferlosio, El Jarama (P.N. 1955, 7. Aufl.), Eduardo Caballero Calderón, El buen salvaje (P.N. 1965, 6. Aufl.). Alle Angaben nach Destino, Verlagskatalog 1965, ABCAS.

116

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Tagebücher (privater Epitext), daneben aber auch alle der eigentlichen Werbung und Public Relations zuzurechnenden Instrumente wie Werbeprospekte, Plakate oder Anzeigen (verlegerischer Epitext). Obwohl Paratexte in erster Linie kommerziellen Zwecken dienen, da Sortiment, Kritiker und Leser zum Kauf animiert werden sollen, erschöpft sich ihre Funktion nicht darin. Verbale wie ikonografische Paratexte verwenden ein sich wiederholendes Repertoire an Lexemen, das, bewusst oder nicht, eine kulturelle oder politische Stellungnahme des Verlags - "una autentica ideologia editorial" (Salas Bruquetas 1985: 36) - signalisiert und einen spezifischen literarischen Diskurs konnotiert. Die Umschlagtexte Seix Barrels, die in dieser Arbeit analysiert werden sollen, fungieren auch als Visitenkarte des Verlags und sind zuweilen höchst ästhetisiert. 355 Um den Diskurs der verlegerischen Vermittlung zu erfassen, sollen verschiedene paratextuelle Formen herangezogen werden: (Schutz)Umschlagtext und Titelillustration, Plakat und Annonce sowie verschiedene Ausprägungen des sog. Waschzettels. 356 Im Falle Seix Barrais fasse ich hierunter speziell an die Buchhändler gerichtete Informationsblätter ("Nota para los libreros"), die auf Verkaufsargumente und anzusprechende Zielgruppen hinweisen, sowie die an Publikum und Kritik gerichteten Informationstexte zu Buch und Autor - der Waschzettel im eigentlichen Sinn - , die bei der Biblioteca Formentor farblich abgesetzt eingeheftet sind und dort den Umschlagtext ersetzen. Zur Buchvorstellung bedient sich Carlos Barrai darüber hinaus der hybriden Form eines persönlich gehaltenen, oft mehrseitigen Anschreibens an Buchhändler oder Kritiker, das zuweilen als "Carta del editor" auch in Annoncen erscheint und die üblichen Ausmaße eines Waschzettels überschreitet. 357 Die Aufmachung und Ikonografie der Verlagsreihen sind weitere von Seix Barrai genutzte paratextuelle Strategien. Fadenheftung, Verwendung von couche-Papier und die Wahl seltener Schrifttypen gehören zu den materiellen Distinktionsmerk-

355

356

357

Genette weist für den hier interessierenden Analysezeitraum auf die Ästhetisierung des Waschzettels hin: "L'âge d'or (ou de vermeil) du PI [prière de insérer] de couverture, a sans doute été, en milieu avantgardo-intellectuel (autour du Nouveau Roman, de Tel Quel, de Change, de Digraphe et autres paroisses parisiennes), les années soixante et soixantedix." (1987: 105). Die Beobachtung lässt sich auf Spanien übertragen, zumal die Pariser Verlagsprodukte als häufiges paratextuelles Vorbild dienen. Mit 'Waschzettel' ist der Informationstext für die Programmvorschau gemeint, "den die Presseabteilung zusammen mit jedem Rezensionsexemplar verschickt" und der "den Rohstoff für Klappen- und Rückseitentexte des Schutzumschlags [liefert]" (Röhring 1997: 93). Anders Genette, der den Umschlagtext nur als eine Fortentwicklung des Waschzettels [frz. "prière de insérer"] definiert (1987: 98-109). Genette bemisst den Umfang des Waschzettels auf eine halbe bis ganze Seite (1987: 98). Nach Auskunft von verschiedenen Seiten (Montserrat Sabater, Jordi Gracia) war Carlos Barrai selbst für die Mehrzahl der Umschlagtexte verantwortlich, was eine Rekurrenz von Lexemen und Argumenten zur Folge hat.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

117

malen. Bestimmte Markenzeichen dienen der Corporate Identity der Verlagsprodukte. Hierzu zählt das Verlagslogo des einer Steinzeitzeichnung nachempfundenen Bogenschützen, das sich bis heute erhalten hat.358 Getreu eines internationalen Usus ist auch die Unterteilung der Biblioteca Breve in eigene Serien durch bestimmte ikonografische und farbliche Zeichen unterstützt.359 Die Titelfotos der Biblioteca Breve gehören heute zum kollektiven Gedächtnis der spanischen Gegenwartsliteratur. In der Ursprungsidee europäischen Verlagen, vor allem Gallimard nachempfunden, tragen alle in der Biblioteca Breve erscheinenden Bücher bis Mitte der 70er Jahre einen von einem Schwarzweißfoto illustrierten Schutzumschlag, der meist eine konnotative Verbindung zum geschriebenen Text herstellt (Abb. 4-5). 360 Ohne dass bildlicher und schriftlicher Text stets deckungsgleich zueinander stehen müssen, kommt das fotografische Medium dem von der sozialrealistischen Ästhetik formulierten Ziel objektivistischer Dokumentation entgegen. 361 Mitunter treten Fotografie und Text in enge Interaktion: Im Auftrag Barrais begleitet z.B. Oriol Maspons, der für die meisten Titelfotos der Biblioteca Breve verantwortlich zeichnet, die Autoren Armando Lopez Sahnas und Antonio Ferres bei ihren Recherchen zum Reisebericht Caminando por las Hurdes und tätigt die in den Band integrierten Aufnahmen (Balsells 1995: 17). Dieses intermediale Prinzip wird später vor allem im befreundeten Verlag Lumen fortgeführt, wo Esther Tusquets 1962 die Reihe Palabra e Imagen kreiert, bei der wiederum Maspons als Mitarbeiter tätig ist. 362

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Bonet assoziiert mit dem Bogenschützen den Anspruch geistiger Führung, wie sie im Laye-Umfeld Ortega y Gasset zugewiesen wurde. Bonet paraphrasiert das Editorial der Nr. 23 vom April 1953: "[...] se defiende a Ortega como intelectual, [...] que [...] 'señala fines' con pulso firme al igual que un arquero" (Bonet 1988: 77). Jede Untergattung der Biblioteca Breve (zunächst: Antología, Ensayo, Museo, s.u.) ist durch eine spezielle Einbandfarbe und ein geometrisches Symbol gekennzeichnet, evtl. angeregt durch die ikonografische Differenzierung von Gallimards nrf (Taschenbuchausgabe) in littérature, philosophie, sciences, sciences humaines, idées actuelles\ vgl. dazu Genette (1987: 26). Der argentinische Verlag Sudamericana wählt eine ähnliche ikonografische Binnendifferenzierung seiner Reihen. Das französische Vorbild erwähnt Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997. "Al principio íbamos buscando un poco a ciegas las fotos; luego entramos en contacto con Oriol Maspons, quien se reunía con Carlos Barral y discutía ampliamente el tipo de imagen, siempre en función, claro está, con el contenido de los libros. [...] No obstante, en algún caso la conjunción entre imagen y texto fracasó por entero." (Interview Salinas, zitiert bei Bonet 1994: 359). Zwei weitere Beispiele für Kohärenz von Titel und Inhalt: Das Foto von Tiempo del silencio zeigt weiße Mäuse im Versuchslabor und nimmt so metonymisch ein zentrales Handlungselement auf. Das Titelfoto des Romans Los albañiles (Vicente Leñero, 1964), das Maurer bei der Arbeit zeigt, illustriert direkt den Buchtitel (Abb. 4). Balsells (1995: 14). In den 60er Jahren erscheinen in Palabra e Imagen u.a. vier von Maspons mitgestaltete Titel.

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Die Aufmachung fungiert als Distinktionsmerkmal zu allen spanischen Konkurrenten. Das Titelbild ist bei der Biblioteca Breve zur eigenständigen Kunstform aufgewertet, deren Urheber einen eigenen Bekanntheitsgrad erringt. Diese paratextuell vermittelte Modernität der Biblioteca Breve kontrastiert mit dem "verismo en ocasiones un tanto agobiante"363 anderer literarischer Reihen von Caralt, Planeta oder Plaza y Janés, oder auch mit den Farbeinbänden Destinos. Zur Außendarstellung der Bücher Seix Barrais gehört ferner das Autorenfoto auf der Rückseite des Umschlags, dessen Abdruck keinesfalls bei allen spanischen Verlagen (z.B. Destino) üblich ist. In der Reihe Colliure gelangt das Autorenporträt sogar auf den Titel (siehe 3.3.3). Diese äußere Gestaltung der Biblioteca Breve wird, bei wechselnder Inneneinbandgestaltung, bis 1974 beibehalten, als unter Wegfall des Schutzumschlags alle literarischen Reihen optisch angeglichen werden und die Biblioteca Breve ihr bis in die 90er Jahre unverändertes Design erhält.364 Bei der meist von Barrai selbst getroffenen Auswahl des Einbands liegt nicht unbedingt ein festes ästhetisches Konzept zugrunde, vielmehr reizt den Verleger das Spiel mit spontanen Einfallen. 365 Aufmachung und Motivik der anderen Reihen sind Änderungen unterworfen. Die Bücher der Biblioteca Formentor sind zunächst als Hardcover mit einem mehrfarbigen, durch ein Foto illustrierten Umschlag konzipiert und enthalten statt eines Umschlagtextes einen eingehefteten, farblich abgesetzten Waschzettel (Abb. 6). Ab 1965 erscheint die Biblioteca Formentor in Broschur, ohne Schutzumschlag und mit dezenter, radierter Titelgrafik. Beide narrative Reihen Biblioteca Formentor und Nueva Narrativa Hispánica sind vorübergehend im Design einander angeglichen, was ihren konzeptuellen Zusammenhang verdeutlicht. Für die Nueva Narrativa

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Bonet (1994: 358). Bonet zieht Parallelen zwischen den Titelseiten Seix Barrais und dem Rationalismus, Abstraktion und Nüchternheit des zeitgenössischen katalanischen Designs. Die Inneneinbände der Biblioteca Breve zeigen zwischen 1955 und 1974 vier Gestaltungsversionen. Der Einband weist in der ersten Phase äußere Ähnlichkeit mit EspasaCalpes Colección Austral auf, die damit zum "inconfesado modelo material" (Gracia 1996: 158) avanciert: Das Verlagslogo ist rasterartig auf einen farbigen Hintergrund gedruckt, in der Mitte sind Titel bzw. Umschlagtext platziert und mit einem weißen Hintergrund abgesetzt. Zwischen 1963 und 1968 erscheint der Einband in Weiß, auf dem in reproduzierter Handschrift Autor und Titel vermerkt sind und die jeweilige Subreihe durch zwei farbige Streifen gekennzeichnet ist. Von 1969 bis Ende 1970 wechselt die Beschriftung des weißen Untergrundes: Unter dem in Lettern gesetzten Titel erscheinen die ersten Zeilen des Textes gedruckt. Diese unübersichtliche Gestaltung - Titel und Autor gehen fast unter - wird unter neuer verlegerischer Führung ab 1970 erneut verändert: Auf einem pastellfarbenen Untergrund (nach Genre gestaffelt) erscheint der Titel in größeren Lettern. An die Stelle der Formexperimente ist ein klares, nüchternes Motiv getreten. Barrais Einfälle stoßen nicht immer auf Zustimmung: "Debajo de la sobrecubierta [de Biblioteca Breve] había una cubierta que cambiaba porque Carlos quería cambiar de vez en cuando. Le gustaba jugar con eso, pero nunca llegó a acertar con la cubierta, sí con la sobrecubierta." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998). Der durchaus eigenwillige ästhetische Geschmack Barrais zeigt sich besonders in der Aufmachung der Titel von Barrai Editores (siehe 5.2.3).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Hispánica

Internationalisierung

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wird dann 1967 ein eigenes Layout mit abstrakten Motiven eingeführt,

das das avantgardistische Anliegen der Reihe illustriert und das gleichzeitig im Trend des zeitgenössischen Grafikdesigns liegt (Abb. 7). 366 Der Reihentitel Biblioteca

Breve dient als Markenzeichen und wird mit Schaffung

des gleichnamigen Premio 'Premio

Seix Barral'

Biblioteca

firmiert.367

Breve

1958 veredelt, der eben nicht als

Die Herausgeber der Reihe sehen ihr Projekt als

eigenständig an und identifizieren sich offensichtlich eher mit der literarischen Reihe als mit dem Geschäftlichkeit suggerierenden "apellido industrial" des Verlags. 368 Ausgehend von einem schnell erworbenen kulturellen Prestige, ersetzt der Produktname in der Außendarstellung metonymisch den des Verlagshauses. Die Bezeichnung Biblioteca

Breve

soll als "práctica industrial y experiencia literaria"

eine kollektive Interessenlage und Mentalität verkörpern. 369

3.2.4

Strategien der Vernetzung und Gruppenbildung

Zu der Distinktion über das Angebot gesellt sich eine Strategie der informellen und formellen Vernetzung und Gruppenbildung, mit Hilfe derer der Verlag sich im literarischen Feld und am Markt z u positionieren versucht. 370 Dabei sind gleichermaßen die durch die Notwendigkeiten des Verlagsgeschäftes (Werbung, Vertrieb) eingegangenen Bindungen wie die auf eine bestimmte inhaltliche Konsolidierung zielenden Vernetzungen zu betrachten.

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Für weitere Ausführungen zum verlegerischen Design siehe 5.1.1. Andere Literaturpreise seiner Zeit werden eher mit Namen von verstorbenen Personen oder des Verlags bzw. der Vergabeinstitution - Nadal, Planeta, Boscán, Leopoldo Alas, Ateneo de Sevilla - versehen. Apellido industrial lautet ein Gedicht aus Carlos Barrais Diecinueve figuras de mi historia civil (1961). Bei der Verleihung des ersten Premio Biblioteca Breve erscheint der Verlagsname weder auf dem Plakat noch auf der Einladung, die Carlos Barral als "Director de Biblioteca Breve" signiert. Wie sehr die Reihe als persönliches Projekt aufgefasst wird, zeigt Barral in seinen Memoiren mit der (nicht ganz zutreffenden) Rede von der Biblioteca Breve als "mi biblioteca" (Barral 1978: 32). Bonet (1994: 67). Die Strategie hat sich als erfolgreich erwiesen, denn die Reihe ist über alle Verlagskrisen hinweg bis heute fortgesetzt worden, während alle weiteren Reihen Formentor, Nueva Narrativa Hispánica, usw. - zwischenzeitlich eingestellt wurden. Dass Seix Barral noch heute von dem früheren Prestige zehrt oder zu zehren glaubt, zeigt die Neuauflage der Biblioteca Formentor im Jahr 1999. Als Vernetzung bezeichne ich die Bildung kultureller Netzwerke, d.h. das materielle Zusammenwirken literarischer Instanzen auf internationaler oder nationaler Ebene, das sich eher informell konstituiert, unter Umständen aber auch einen hohen Organisationsgrad entwickeln kann. Damit sind Begriffe wie Kontakt, Gruppenbildung oder Affiliation integriert. Gegenüber Begriffen wie Intertextualität oder Rezeption ist hier das materielle Zustandekommen des Kontakts vorausgesetzt. Ein Beispiel ist das von Pym untersuchte Netz internationaler Verleger bzw. Herausgeber von Gedichtanthologien (Hundred Best), das zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Großbritannien ausgehend nach Europa und in die USA reicht (Pym 2000: 197-210).

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Vor allem Sahnas dringt darauf, die Verlagsprodukte marktstrategisch zu professionalisieren. Hierzu zählen Maßnahmen wie die erwähnte Umschlaggestaltung der Biblioteca Breve, die Vorbereitung einer eigenen Taschenbuchreihe oder die Zusammenarbeit mit der literarischen Agentur Balcells.371 Wie andere Verlage wirbt Seix Barrai regelmäßig mit Anzeigen in einschlägigen kulturellen Zeitschriften und Illustrierten, in denen unter Einsatz unkonventioneller grafischer und verbaler Strategien - z.B. durch den unkommentierten Abdruck der im Verlag publizierten Autorennamen - das Profil einer Verlagspolitik geschärft wird, die durch Qualität ein eingeweihtes Publikum zu überzeugen sucht (Abb. 8). Die Überheblichkeit gegenüber anderen spanischen Verlagen, die Jaime Sahnas in der Rückschau innerhalb des Umfeldes von Seix Barrai ausmacht,372 vermittelt in höflicherer Form eine vergleichende Anzeige zu Ritmo lento, in der der Verlag selbstbewusst die konkurrenzlose Überlegenheit seines Produktes verkündet.373 Schließlich ist Sahnas verantwortlich für die Organisation von Buchpräsentationen, die, als elitäres Spektakel gestaltet, viel zum Image des Verlags beitragen. Seix Barrai versucht sein öffentliches Auftreten als Treffen der kulturellen Avantgarde und Meinungsmacher zu inszenieren, beispielsweise in Form der Verleihungen des Premio Biblioteca Breve in Sitges, der Verlegertreffen in Formentor oder der zahllosen Empfange in den einschlägigen Szene-Bars der katalanischen Gauche Divine,374 1966 erfindet Seix Barrai die Semana Biblioteca Breve. Eine Woche lang, so die Annonce zur Semana des Jahres 1967, würden in den "wichtigsten" spanischen Buchhandlungen alle lieferbaren Titel des Verlags ausgestellt werden.375 Höhepunkt dieser Werbewoche ist die Verleihung des aktuellen Premio Biblioteca Breve. Der Verlag schafft sich so seine eigene Buchmesse, eine nicht alltägliche Operation, 371

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Die Idee einer Taschenbuchedition setzt Salinas allerdings erst ab 1965 bei Alianza um. Zu Alianza und zur Entwicklung der Agentur von Carmen Balcells siehe auch 5.1.1. "Destino debía de merecerse nuestro respeto, pero por razones de juveniles, los despreciábamos olímpicamente. Los acusábamos de ser una editorial no colaboracionista, pero casi, que publicaba una literatura tradicional española." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997). "Compare el Finalista del Biblioteca Breve con cualquier otro Premio del año." (Anzeige zu Ritmo lento, Carmen Martín Gaite, in: Papeles de Son Armadans 29:85, April 1963 und 29: 86, Mai 1963). Allerdings bemängelt Carlos Barrai, dass sich ob der geringen Auflage der Kulturzeitschriften - konkret Papeles de Son Armadans, Insula oder Indice dort nur ein geringer Werbeeffekt erzielen lasse ("Moment actuel", 1963, S. 13, AB). Den ersten 'cóctel literario' organisiert der Verlag anlässlich der Vorstellung des 1957 veröffentlichten Amor von Henry Green. Ort ist das Cristal City (Barrai 1978: 143), das als Bar und Buchhandlung ab Mitte der 50er Jahre einen Treffpunkt der bürgerlichen Linken um Seix Barrai darstellt. Vgl. Riera (1988: 99-101) und zur Gauche Divine 5.1.3. "Los libreros más importantes de España, entre ellos su librero habitual, colaborarán en la celebración de la S E M A N A B I B L I O T E C A B R E V E [...] Durante estos días estarán permanentemente expuestos todos los títulos no agotados de la Biblioteca, algunos de los cuales, sin duda, le interesan y todavía no conoce." (Anzeige zur zweiten Semana Biblioteca Breve vom 27.2.-5.3.1967, Insula 243 (Feb.1967), S. 6).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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deren Zustandekommen daraufhinweist, dass der Verlag der Werbung ein gehöriges Gewicht einräumt und dabei auf die interessierte Mitarbeit der Buchhändler zählen kann. Der Kontakt zum Leser Wie oben gesehen, definieren die Herausgeber der Biblioteca Breve Autoren, Verleger und Leser als eine eingeschworene Gemeinschaft ("minoria interesada") und widmen den Rezipienten ausdrückliche Aufmerksamkeit. Bei Ankündigung der Reihe im Jahre 1955 werden unter dem Motto "Su criterio puede sernos muy ütil" ausfuhrliche Anregungen zu folgenden Punkten erbeten:376 -Meinung zum avantgardistischen, minoritären Anspruch -Auffassung über das Verlagsprogramm, Änderungs- bzw. Erweiterungsvorschläge -Vorschlag weiterer Titel zur Übersetzung -Nennung weiterer Interessierter -Angebot der regelmäßigen Mitarbeit -Begründung für den "exito con que ha sido acogida la Biblioteca" Lässt man die zuletzt angeführte suggestive Frage beiseite, ist die Offenheit für Anregungen der Leser durchaus ernst zu nehmen, da zu diesem Zeitpunkt ein festes Titelkonzept noch nicht besteht. In der Suche nach Rezipienten, die in ihrer Doppelrolle als Käufer und externe Verlagsmitarbeiter ("Lectores-Colaboradores") an der Programmplanung teilhaben, zeigt sich nicht nur der noch provisorische Charakter der Reihe, sondern das Selbstverständnis der Herausgeber als Plattform eines kulturellen Gruppeninteresses.377 Der Anreiz für die Leser ergibt sich aus dem Versprechen symbolischen Kapitals: der aktiven Zugehörigkeit zu einem kleinen, aber erfolgreichen Projekt, zu einem Zeitpunkt, da die Teilnahme an literarischen Zirkeln eine Möglichkeit darstellt, sich der Einverleibung des politischen Systems etwas zu entziehen und eine eingeschränkte intellektuelle Autonomie zu pflegen. Auf einer weniger idealistischen Ebene besitzt die Kontaktaufnahme zum Leser für den Verlag eine verkaufsstrategische Funktion, da sie die Kunden- und Pressekartei füllen hilft, die im Jahr 1960 immerhin rund 4.000 Einträge zählt.378 Im Projekt Biblioteca Breve institutionalisieren sich so die im Freundeskreis Barrais existierenden informellen Bindungen und es setzt die auf lokaler Ebene, vor allem 376

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Informador Bibliográfico, April 1955. Die Bitte um Rückmeldung ist allerdings auch bei anderen zeitgenössischen Verlagen (z.B. Planeta) gängige Praxis. "Biblioteca Breve publicará de acuerdo con un cuerpo de Lectores-Colaboradores £...] La condición de Lector-Colaborador da derecho a proponer la traducción y edición de las obras que quisiera [leer]..." (Seix Barral, Verlagsprospekt 1955, ABCAS). Die Großschreibung und Hervorhebung (Fettdruck im Original) verdeutlichen die dem Leser zugeschriebene Bedeutung. Sitzungsprotokoll "Literaturasa", o.D. (1960), AB.

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über Laye formulierten Positionsnahmen fort. Mit dem Verlag und der literarischen Reihe verfügt ein Teil der ehemaligen Laye-Mitarbeiter über das Medium, den regionalen Raum Kataloniens zu überschreiten, ohne dabei, wie bei Laye, der Finanzierung und damit der direkten Kontrolle einer staatlichen Institution zu unterliegen. Mit der 1958 erfolgten Ausrichtung des Programms auf spanische Autoren erreicht das literarische Kontaktnetz auch Madrid (s.u.). Der Kontakt zu Schriftstellern und Medien Seix Barrai verfügt nicht, wie etwa Destino oder später Alfaguara, über eine mit dem Verlag verbundene literarische Zeitschrift, die als publizistisches Sprachrohr dienen könnte. Vielmehr stützt sich Seix Barrai auf ein Netz von Mitarbeitern, die selbst im literarischen Milieu tätig sind, sowie auf das hohe symbolische Kapital seiner Titel und die damit erworbene Komplizität der Literaturkritik. In den Anfangsjahren der Biblioteca Breve tritt der Verlag in Kontakt zu verschiedenen literarischen Instanzen und Akteuren des In- und Auslands, wobei sich Barrai oft gleichzeitig als Verleger und Schriftsteller engagiert.379 Dokumentiert sind beispielsweise Kontakte zu den Zeitschriften Insula und Papeles de Son Armadans, an die sich Barrai zunächst wegen der Publikation einer eigenen Rilke-Übersetzung sowie seines Gedichtbandes Metropolitano richtet.380 Auf der anderen Seite kann Barrai hier ebenso Kontakte für seinen Verlag knüpfen. José Maria Caballero Bonald, in Madrid lebender Redakteur der Papeles de Son Armadans, zeigt großes Interesse an den Publikationen Seix Barrais und verspricht eine regelmäßige Rezension seiner neu erscheinenden Titel, während der Verlag im Gegenzug monatliche Anzeigen schaltet. Zuweilen übernimmt Caballero Bonald für Seix Barrai Verhandlungen mit den Zensurbehörden,381 während ihm der Verlag seinerseits eine Übersetzung überträgt (Michel Butor, El empieo del tiempo, 1958). Zwischen der Biblioteca Breve und den Papeles de Son Armadans bzw. ihrem Herausgeber Cela bestehen Gemein-

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Persönliche Kontakte bestehen zu Angel González oder zu Vicente Aleixandre. Weitere Kontakte nach Madrid gehen auf das studienbedingte Zusammentreffen von Valente, Caballero Bonald oder J.A. Goytisolo im Colegio Mayor Hispanoamericano zurück. Zum Colegio Mayor, vgl. Payeras Grau (1990: 9) und 4.2. Kontaktperson bei Insula ist Vicente Aleixandre, der als Mentor zahlreicher junger spanischer Dichter fungiert. Metropolitano, Carlos Barrais erster veröffentlichter Gedichtband, erscheint schließlich bei Cantalapiedra (Santander 1957). Zur Editionsgeschichte von Metropolitano vgl. Barrai (1993: 33-36) und Barrai (1997). Caballero Bonald versucht, die Manuskripte an einen weniger kritischen Gutachter zu vermitteln. So heißt es in einem Brief vom 19.1.1957: "Haré lo que pueda sobre la censura de 'La España primitiva y romana', de Caro Baraja, aunque [...] encontrarle la pista a los libros que ya tienen destinado su correpondiente lector, es asunto que cae fuera de mis posibilidades. Los que yo personalmente presente serán los que Rumeu [ein bestimmter Gutachter?] reclame antes de que caigan en las sagaces y cultivadas manos del cuerpo de lectores." (Brief José María Caballero Bonald an Carlos Barral, 19.1.1957, AB). Das Buch erscheint 1957 als Teil von Seix Barrais Historia de la cultura española.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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samkeiten in einem konzeptuellen Elitismus und einer gewissen Aufgeschlossenheit gegenüber internationalen Literaturen. Die geografische Randlage in Katalonien bzw. Mallorca erleichtert es, dass diese Zusammenarbeit im Jahre 1959 in die Organisation der literarischen Treffen in Formentor auf Mallorca mündet. Carlos Barrais Urteil über die auf Gegenseitigkeit basierende Kooperation fallt in der Retrospektive dementsprechend positiv aus, wenn er Papeles de Son Armandans als besonders "receptiva" für Seix Barrais Ambitionen bezeichnet (Barrai 1978: 195). Die Übersetzertätigkeit ist ein weiterer Aspekt des um Seix Barrai existierenden Beziehungsgeflechts. Ein Großteil der anfallenden Übersetzungen werden in dem engen Umkreis von Verlagsmitarbeitern, Beratern und bei Seix Barrai publizierenden Schriftstellern angefertigt. Neben Juan Petit und Margarita Fontseré ist vor allem Gabriel Ferrater häufig mit Übersetzungsarbeiten betraut. Ferner sind unter anderem Jose Maria Caballero Bonald, Salvador Clotas, Jaime Gil de Biedma, Jesús López Pacheco, Juan Marsé, Manuel Sacristán, José Maria Valverde und Manuel Vázquez Montalbán wiederholt als Übersetzer für Seix Barrai tätig.382

3.3

"Arbolar bandera": Seix Barrai und der spanische Sozialrealismus ab 1958

In den für die politische Geschichte des Franquismus einschneidenden Jahren 1958-59 beginnt auch für Seix Barrai eine neue Etappe. Nach erfolgter Konsolidierung der Biblioteca Breve greift der Verlag aktuelle literarische und gesellschaftliche Entwicklungen auf und inszeniert seine publizierten einheimischen Schriftsteller als neue Generation von landesweiter Bedeutung. Die Vermarktung der spanischen Gegenwartsautoren wird mit der Verleihung des Premio Biblioteca Breve im Mai 1958 eingeläutet. Antifranquistische politische Ziele, finanzielle Interessen und der Anspruch auf literarische Definitionsmacht werden in einer gemeinsamen Strategie verknüpft.

3.3.1

Der Premio Biblioteca Breve

Die Initiative zum Premio Biblioteca Breve (PBB) hat Vorläufer in den Literaturpreisen von Destino, Planeta oder Janés, neben den internationalen Vorbildern eines Prix Goncourtm Ein bereits erprobtes Modell ist auch die 'Unterwanderung' des 382

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In den 70er Jahren sind auch Lateinamerikaner (Sergio Pitol, Néstor Sánchez) unter den Übersetzern. Auch die Idee zu einem Literaturpreis geht nach dessen eigener Aussage auf Jaime Salinas zurück. Aus markttechnischen Erwägungen untersagt Sahnas jegliche Veröffentlichung eines spanischen narrativen Titels vor dem Erscheinen der gebührend zu bewerbenden Preisträgerromane: "En tanto no aparezca la novela premiada y el primer finalista, en ningún caso (la ley es de Jaime Salinas que lleva la publicidad de la editorial) aparecerá obra alguna de un autor español (y no sólo novela: por esa misma razón he tenido que aplazar la publicación de CABEZA RAPADA [...] sobre cuyos derechos he contratado ya)" informiert Carlos Barrai in einem Brief vom 8.1.1958 seinen Adressaten Vicente

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Dichterpreises Boscän Ende der 40er Jahre, mit dessen Renommee sich die Kreise um Barrai z.B. gegenüber dem damals bekannteren, in Madrid verliehenen Premio Adonais profilieren wollten.384 Erster Preisträger des Premio Biblioteca Breve ist im Jahr 1958 Luis Goytisolo (Las afueras), und spätestens ab der zweiten, medial aufgewerteten Verleihung an Juan Garcia Hortelano (Nuevas amistades), die ihren Autor zum Aushängeschild der bei Seix Barrai publizierten spanischen Autoren kürt, etabliert sich der Premio Biblioteca Breve als der zeitgenössische Verlagspreis mit dem höchsten Prestige in Spanien. Die öffentliche Präsentation und Inszenierung des Preises wird dabei zur erneuten Formulierung der Verlagspolitik in Anspruch genommen und dient der erfolgreichen Imagepflege. Dies soll nun an der Preisvergabe des Jahres 1958 verdeutlicht werden. Für den 14.6.1958 lädt Seix Barrai zur Verleihung des ersten PBB ein. Plakat und Einladung ziert ein Foto von Oriol Maspons, dessen semantischer Gehalt das Selbstverständnis des Verlags nachdrücklich untermauert (Abb. 9): In Nahaufnahme blickt eine junge Frau direkt in die Kamera. Sie trägt ein kurzärmliges, gestreiftes Hemd, das Haar liegt offen, die geschlossene Faust stützt ein aufgeschlagenes Buch gegen das Kinn. Das Buch trägt den bezeichnenden Titel Amor (Henry Green) und ist in der Biblioteca Breve erschienen. Das Foto der Leserin umschreibt das Image der Buchreihe: zugleich herausfordernd und nachdenklich, jung und international, intelligent und voller selbstbewusster Neugier. Man geht wohl nicht zu weit, die dargestellte Frau als Typus der modernen Studentin zu identifizieren, die 1956 gegen den Status quo aufbegehrt hatte und die etwa Juan Marse 1965 in der Figur Teresa Serrat literarisch gestalten würde.385 Die Ikonografie kontrastiert hier deutlich mit dem nationalkatholischen Frauenbild der perfecta casada und mit der in Fotoromanen oder Frauenzeitschriften propagierten Unterwerfung unter den "triunfador econömico".386 Als Ort der Verleihung wählt man den Bade- und Künstlerort Sitges, in bewusster Abgrenzung von der Metropole Barcelona, die üblicherweise Schauplatz der Preis-

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Aleixandre (AB). Der Premio Boscän wird innerhalb des Instituto de Estudios Hispánicos, in dessen Obhut Laye entsteht, ab 1949 verliehen und in diesem Jahr an Alfonso Costafreda vergeben. Barrai beschreibt die allmähliche Inbesitznahme der Preisjury durch seinen Freundeskreis als einziges Mittel, eine "forma de mínimo poder" gegen die Exklusivität der "capillas establecidas" zu erlangen (Barrai 1978: 59). Diese Bedeutungsebene beschreibt auch das ebenfalls von Maspons erstellte Titelfoto zu García Hortelanos Roman Nuevas amistades (1959), das vier junge Menschen in einem StraBencafé porträtiert. Cirici (1977: 168). Das von Fray Luis de León 1583 propagierte Ideal der perfecta casada wird noch von der franquistischen Familienpolitik als vorbildlich hingestellt. Der pointiert jugendlich-moderne Habitus des Frauenporträts von Maspons kontrastiert z.B. deutlich mit dem Bild der lesenden (Ehe-)Frau, wie es sich einige Jahre zuvor in der Werbung der staatlichen Kampagne zum Dia del libro 1950 darstellt (siehe Abb. 10).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

lnternationalisierung

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Verleihungen anderer Verlage war und ist.387 Ein zeremonieller Rahmen von gestelztem Grußwort, üppiger Tafel und erhabener Musik konnotiert das Bedürfnis nach Seriosität und einen Elitismus, die auch in Zukunft die Öffentlichkeitsarbeit des Verlags und seines Verlegers bestimmen werden. 388 Schließlich werden die anwesenden Pressevertreter mit einer ungewöhnlich üppigen Informationsmappe ausgestattet. Der PBB soll unter Betonung der inhaltlichen und erzähltechnischen Erneuerung von Preisen anderer Verlage unterschieden werden. Favorisiert werde, so der Ausschreibungstext, "[n]o la mejor novela entre las presentadas, sino la mejor entre aquellas que revelen una voluntad de renovación de los procedimientos y de los conceptos mismos del género [...], que más se acerquen a las exigencias literarias de nuestro tiempo". 389 Nahezu konspirativ spricht Barrai in seinem Grußwort von einer "vanguardia todavía secreta, una ambiciosa minoría", die es aufzuspüren gelte, trotz des Risikos, dass einem hochwertigen Text die erforderliche Innovationsfreude abgehen möge: [...] que la mejor obra presentada no se cuente entre las que delatan una auténtica vocación renovadora o entre las que se presumen adscritas a la problemática literaria y humana estrictamente de nuestro tiempo, con lo cual, aun premiando una buena novela, nos veríamos obligados a reconocer nuestro fracaso.390 Unter dieser Prämisse etabliert man ein Abstimmungsverfahren, das auch die NichtVerleihung des Preises ermöglichen soll. Mit diesem ökonomisch eher nachteiligen Prinzip, so der Verlag, lehne man den üblichen Goncourt-Modus ab, den der NadalPreis des Konkurrenten Destino in Spanien verbreitet habe. 391 In der Dotierung ist

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"[N]o se hizo en Barcelona, sino en Sitges, para tratar de darle un carácter menos aburguesado que él que tenía el Nadal, que se hacía en el Palace y al que acudían las autoridades." (Jaime Salinas, Interview mit Juan Cruz, unveröffentlichtes Manuskript, 1997, S. 49, konsultiert mit Genehmigung von Jaime Salinas und Juan Cruz). Diese und die folgenden Angaben entnehme ich der Presseinformation zum Premio Biblioteca Breve (AS). Den musikalischen Rahmen bildet eine Aufführung von "Polifonía Española del Renacimiento" unter der Leitung von Oriol Martorell, seinerzeit Mitarbeiter Seix Barrals. Ganz im Sinne der Veranstalter vermerkt der Chronist der Zeitschrift Destino den "ambiente distinguido y minoritario" der Preisverleihung. Der gleiche Beobachter äußert femer sein Erstaunen über die umfangreiche Pressearbeit Seix Barrals: "¡qué servicio de información, santo Dios!" (A. LL.: "El premio de novela Biblioteca Breve", Destino 1089 (21.6.1958), S. 41). Presseinformation zum Premio Biblioteca Breve 1958, AS (Abb. 11).

Ebd., Hervorhebung von B.P. Ebd. In einer Vorauswahl haben die Jurymitglieder die Chance, aus allen Manuskripten die sie interessierenden auszuwählen. Ab zwei erhaltenen Stimmen gelangt der Text in die Endausscheidung. Diese verläuft im Ausschlussverfahren, wobei die Jurymitglieder auch Leervoten abgeben und somit auf das siegreiche Manuskript auch weniger als die absolute Stimmenmehrheit entfallen können. Die der Jury zuerkannte Entscheidungsautonomie erweist sich in späteren Jahren in pragmatischer Hinsicht als nachteilig, da 1960 keine absolute Mehrheit zustande kommt oder 1965 nur äußerst zähe Verhandlungen zu der später

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der PBB seinen Konkurrenten, mit Ausnahme des Planeta, angeglichen. 392 Angesichts der kontinuierlichen finanziellen Aufwertung der Literaturpreise schlägt Seix Barrai vorübergehend die entgegengesetzte Richtung ein, denn 1968 wird mit der Auszeichnung anstelle eines Preisgeldes lediglich eine Publikationszusage verbunden. Vorbildlich fuhrt Seix Barrai die Umwandlung symbolischen Kapitals in ökonomisches vor: Der Verlag unterstreicht die hohen literarischen Ziele des Preises, während die Schriftsteller zumindest auf entsprechend gute Verkäufe ihres Siegertitels hoffen können. 393 Die Jury-Teilnahme des Universitätsdozenten José Maria Valverde sichert dem Verlagspreis ein zusätzliches Prestige und sorgt für die nötige Pluralität angesichts der Beteiligung von drei Verlagsmitarbeitern an der Jury.394 Innerhalb der Jury stellt Valverde ein strategisches Bindeglied zu anderen literarischen Formationen - z.B. der Zeitschrift El Ciervo- dar und vertritt wiederholt eine Mindermeinung. 395 So fehlt in Valverdes Kommentar jeglicher Verweis auf Erneuerung oder Veränderung. Für ihn sei literarische Qualität an keine bestimmte "técnica moderna" gebunden, es gehe um die "novela bien hecha y bien escrita".396 Valverde erklärt sich durch den erklärt anti-kommerziellen Charakter des Preises zu einer Teilnahme motiviert.

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umstrittenen Entscheidung für Marsé und gegen Puig führen. 1 95 8 beläuft sich das Preisgeld des Premio Biblioteca Breve auf 30.000 Peseten, ein Jahr später ist die Summe auf 50.000 erhöht, 1965 auf 100.000, 1972 auf 200.000 Peseten. Mit der gleichen Summe sind die Preise der Konkurrenten Barrai, Alfaguara und Destino prämiert, während der Planeta zu diesem Zeitpunkt bereits bei 1,1 Mio. Peseten liegt (Cendán Pazos 1972: 429f.). In der Ausschreibung heißt es: "[El Premio Biblioteca Breve] Consistirá exclusivamente en la garantía de la publicación de la obra escogida por el jurado, con la mención Premio Biblioteca Breve del año en cuestión. [...] Editorial Seix Barral, patrocinadora del premio, considera que el único valor de éste, estimable por parte de los escritores y por el público interesado por la literatura, es el prestigio que a cada nuevo autor que obtenga el premio otorgan los nombres de los escritores que le precedieron." (Pressemitteilung "Premio Biblioteca Breve 1968", ABCAS; vgl. Martínez Cachero 1985: 293f.). 1969 wird wieder ein Preisgeld gezahlt. Zur Jury gehören Carlos Barral, José Maria Castellet, Juan Petit, Víctor Seix, José Maria Valverde (Abb. 12). Jeder Juror wird in einer Pressebeilage vorgestellt und zitiert, auch dies ein Beispiel der geschickten Öffentlichkeitsarbeit Seix Barrais. Die Jury ist nach 1963 Veränderungen unterworfen: Clotas und García Hortelano treten an die Stelle von Petit und Valverde, 1965 partizipiert Mario Vargas Llosa als sechster Juror. Zwischen Valverde und der Gruppe um Seix Barral existiert immerhin "algún contraste ideológico" (Bonet 1994: 144). Valverdes christlichem Glauben stehen der Laizismus bzw. Atheismus eines Barral, Ferrater oder Goytisolo entgegen: "[EJstábamos dispuestos a afrontar el asunto [la fe católica] como un tema paraliterario. Lo cual, insisto, era de una gran incongruencia con los tiempos." (Barral 1990: 303). Vgl. zur Vermittlerrolle Valverdes auch 4.2. Vgl. dagegen die semantische Kette, die Barral an zitiertem Platz erstellt: "Biblioteca Breve se había propuesto [...] presentar [...] la más moderna narrativa [europea] [...] lo más nuevo que se hace [en castellano]." (Hervorhebungen von B.P.).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

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Mit Ausnahme Valverdes teilen alle Juroren in ihren Kommentaren Barrais Qualitätsforderungen. Vier Stellungnahmen sprechen sich formelhaft für eine "renovación" des spanischen Romans in technischer und inhaltlicher Hinsicht aus. Worin diese Erneuerung oder Modernität aber bestehen könnte, benennt konkret nur Castellet, der in seiner Formulierung die semantische Festlegung dieser Begriffe für die kommenden Jahre vornimmt: Der Wille zur Erneuerung möge sich "dentro de una línea de conciencia social y de responsabilidad histórica" manifestieren - hier spricht der theoretische Vordenker der novela social, so wie er sich in zahlreichen Artikeln seiner Zeit äußert.397 Damit gibt Castellet eine ästhetische Position vor, die sich nicht in der esoterischen Suche nach einer innovativen Kunst für Minoritäten erschöpft, wie es die üblichen programmatischen Aussagen des Verlags vorführen. Castellets Forderung nach gesellschaftlich engagierter Literatur wird durch den Siegertitel Las afueras insofern entsprochen, als dessen eigentliche Protagonisten, so die Vorabinformation für die Presse, in den " circunstancias históricas y sociales" zu sehen seien - eine Formulierung, die die beiden Adjektive wiederholt, die in Castellets zitierter Aussage zur Qualität des neuen spanischen Romans gehören sollten. Aber auch andere Manuskripte beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Fragen, mindestens zwei Texte sind in einem lateinamerikanischen Kontext angesiedelt: während ein Roman (Soto Aparicio), so die Inhaltsangabe in der Presseinformation, die "rebelión de los oprimidos" gegen eine Bergbaufirma in Kolumbien schildere, habe ein anderer (Figuerola) eine Liebesgeschichte inmitten einer politischen Revolution in irgendeinem lateinamerikanischen Staat zum Thema. Ein drittes Manuskript (Ovellano) kommt mittels eines "procedimiento minucioso, atento a los menores detalles de la realidad y de la corriente mental de los personajes" dem Stilideal Castellets nahe, ein viertes ("Hedy Zagher", pseud.) referiert eine religiöse Sinnkrise. 398 Im Jahr 1959 geht der PBB an Juan García Hortelano, der mit seinem anti-bürgerlichen Roman Nuevas amistades einen kommerziellen Erfolg produziert und damit ein Vorbild für zahlreiche künftig bei Seix Barrai publizierte Titel sozialrealistischer Tendenz abgibt. Finalist ist der Chilene Carlos Droguett, dessen Prämierung eine zweite Programmstrategie in Gang setzt, gemäß derer auch 1960 und 1961 Lateinamerikaner als Finalisten ausgezeichnet werden und damit die internationale Zielrichtung des Premio Biblioteca Breve und der Verlagspolitik antizipiert wird (siehe 4.2).

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Zu Castellets theoretischen Positionen vgl. Bonet (1994: 107-29). Von 129 Bewerbern werden schließlich dreißig für die Endauswahl bestimmt, fünf Manuskripte gelangen in die letzte Abstimmungsrunde. Die Inhaltsparaphrasen entnehme ich der Pressemappe zum PBB 1958 (AS). Eine dort archivierte handschriftliche Notiz zum Abstimmungsverlauf erwähnt neben L. Goytisolo folgende Manuskripte: Miguel Buñuel (Un lugar para morir), Rosa Figuerola Suñol (La luna y los hombres), Fernando Soto Aparicio (Una ventana sobre el infierno), Lorenzo Ovellano (La procesión de los tristes), nicht aber die offzielle Finalistin "Hedy Zagher" (Cuarto menguante).

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3.3.2

Die "operación realismo"

Anders als bei den internationalen Autoren, wo Seix Barrai in Spanien kaum bekannte Namen übersetzt, beginnt die Einführung einer spanischen Programmlinie nicht bei Null, sondern greift die aktuellen Tendenzen des realismo social auf. Dessen Entwicklung reicht in die frühen 50er Jahre zurück, in deren Verlauf einige Schriftsteller beginnen, ihr Werk eindeutiger in den Dienst der politischen Opposition zu stellen und ihrer sozialen Erfahrung inmitten einer literarischen Strömung Ausdruck zu verleihen, die in bestimmten Verlagen und Zeitschriften transportiert wird. Für Jordan liegen die Gemeinsamkeiten innerhalb des realismo social bzw. der novela social in erster Linie in der übergeordneten politischen Intention der Autoren: ' T h e novela social would then be conceived as a series of diverse attempts to construct or create a politically committed novel." (Jordan 1990: 24). Die literarisch wie politisch diffusen Tendenzen der frühen 50er Jahre, wie sie z.B. für Laye charakteristisch sind, radikalisieren sich um 1955-56 infolge der erlittenen staatlichen Repression und münden in die Aneignung sozialistischer Positionen, deren ästhetische Umsetzung in realistische Werke zu einer programmatischen Verschmelzung der Gruppen aus Madrid und Barcelona führt. Ab 1956 lässt sich von der novela social als einer organisierten literarischen Bewegung sprechen. 399 Dieses Gruppenoder Generationenbewusstsein liegt z.B. der Planung des Congreso de Escritores Jóvenes für Ende 1955 zugrunde, dessen Zustandekommen vom Regime unterbunden wird. 400 Ein weiteres Moment sind die wenige Monate später, Anfang 1956 ausbrechenden Studentenunruhen, die das Scheitern der Liberalisierung von innen bekräftigen und für viele Intellektuelle die politische Radikalisierung bedeuten. 401 Ferner wird mit dem Nadal-Preis 1956 für Rafael Sánchez Ferlosio (El Jarama) und dem sich anschließenden Verkaufserfolg ein literarisches Modell geschaffen, das der politisch engagierten Literatur eine neue Leserschicht erschließt. Schriftsteller und Vermittler verleihen der novela social durch Veröffentlichungen, Veranstaltungen und Preisverleihungen die Meinungsführerschaft im literarischen Spektrum. 402 Or-

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Jordan (1990: 25). Zeitgenössische und spätere Definitionsversuche mittels Generationenbegriffen bestätigen die sich um diesen Zeitpunkt manifestierende Vernetzung unter Zugrundelegung soziologischer, politischer und kultureller Aspekte. Vgl. die Begriffsdiskussion bei Bonet (1994: 131-41). In der Planungsphase ab 1954 publiziert der Kongress drei Vorabzeitschriften, bis er kurz vor seiner Veranstaltung im November 1955 verboten wird. Nicht zu Unrecht, so Lizcano, vermutet das Regime eine Beteiligung kommunistischer Parteigänger, da die Organisation des Kongresses in der Hand des PC gelegen habe und der Vorsitz Lains und die Trägerschaft des SEU lediglich als Fassade gedient hätten (Lizcano 1981: 115-18). Der Zeitzeuge Esteban Pinilla de las Heras kritisiert den studentischen Protest im Rückblick indes als unpolitische Übersprungshandlung von Bürgerkindern: "subjetivas, discontinuas, con matices grotescos de opera bouffe" (1989: 55). Vgl. zu den Ereignissen von 1956 Ginerde San Julián (1978: 317f.), Lizcano (1981), Fusi (1986: 163 f.). Eine Zusammenstellung zeitgenössischer kultureller und politischer Aktivitäten bei Jordan (1990: 25).

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ganisatorische Unterstützung liefert die verbotene Kommunistische Partei, der viele Schriftsteller und Intellektuelle als Mitglied oder Sympathisanten verbunden sind. In seinen Anfangen prägen den Sozialroman der 50er Jahre durchaus unterschiedliche erzählerische und politische Formen der Wirklichkeitsaneignung, bevor sich die objektivistische Abbildung gesellschaftlicher Missstände zur dominierenden Tendenz entwickelt. Ziel ist es, über die quasi-fotografische Schilderung des hic et nunc - das testimonio - ein realitätsgetreues Bild von Gesellschaft zu erzeugen, das im Leser eine kritische Bewusstwerdung auslösen soll.403 In diese Richtung zielt Alfonso Sastre, der 1958 die Funktion des realismo social als "una consideración más profunda de la persona humana como relación, como formando parte del orden o del caos social, con toda la problemática que esta consideración arrastra en esta época [...] de subversión" definiert.404 Inhaltlich setzt sich bis zu Beginn der 60er Jahre die Zeichnung bürgerlicher Milieus gegenüber einem "proletarian realism" durch, der die Situation der gesellschaftlich Marginalisierten ins Bild rückt und die Solidarität des bürgerlichen Schriftstellers mit den Unterdrückten zeigen soll.405 Seix Barrais Publikation spanischer Romane schließt an diese Entwicklungen an, die bisher von anderen Verlagen getragen wurden.406 Bei Destino erscheinen nicht nur zahlreiche realistische Romane der frühen 50er Jahre, sondern auch die 'proletarischen' Romane von Schriftstellern wie Armando López Salinas oder Jesús López Pacheco, die der Kommunistischen Partei nahe stehen oder deren Mitglieder sind. Auch Planeta beginnt in den 50er Jahren, gestützt auf die Werbewirksamkeit des Premio Planeta, seine Reihe Autores Españoles Contemporáneos, in der "Consagrados" (Pío Baroja, Vicente Blasco Ibáñez, Darío Fernández Flórez) neben Neulingen - "Nuevos Valores" (Ignacio Aldecoa, Ricardo Fernández de la Reguera, Juan Goytisolo, Carmen Kurtz) - stehen. Planetas Reihe erweist sich nach eigener Aussage als finanziell rentabel, denn der Gegenwartsbezug der Romane macht sie für eine breite Leserschaft attraktiv.407 403 404

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F. Morán (1971: 364), Soldevila (1980: 216), Jordan (1990: 22). Sastre (1965: 21). Das Zitat entstammt dem erstmals 1958 in Acento Cultural abgedruckten Text "Arte como construcción I" (13-28). Sastre definiert retrospektiv den Sozialrealismus aus drei Komponenten bestehend - Intention, Thematik, Form - , deren letztere freilich nun (1965) einer Erneuerung bedürfe, im Sinne des realismo crítico. Jordan (1990: 28), der Nuevas amistades (publiziert 1959) als Modell für den antibürgerlichen Roman ansieht, während El Jarama (1955) ein Vorbild für spätere proletarische Romane, z.B. La piqueta (Antonio Ferres, 1959), abgegeben habe, die die Realität der Arbeiterschaft thematisieren. Vgl. Gracia, der die Verlage Arión, Destino und Rocas, die Revista Española und die in Madrid erteilten Literaturpreise Café Gijón und Sésamo erwähnt (1996: 153). "La colección 'Autores españoles contemporáneos' fue iniciada hace algunos, pocos, años, más bien como empresa cultural que como negocio lucrativo. Por aquel entonces [...] los autores nacionales sólo eran leídos por un reducido grupo de intelectuales, casi siempre colegas [...] Fue causa esencial en este cambio de opinión del público el hecho de que las novelas seleccionadas tenían un interés evidente [...] y que los temas tratados en

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Auf die gleiche Lesererwartung - Realitätsnähe - spekuliert auch die vom Premio Biblioteca Breve angestoßene, 1957 konzipierte Initiative Seix Barrais. Im bewussten Gegensatz zu den genannten Verlagen reklamiert Seix Barrai jedoch das Publikum des "reducido grupo de intelectuales" für sich, dem die Texte anderer Verlage zu wenig avantgardistisch seien. Die Publikation spanischer Nachwuchsautoren ist bereits Ende 1957 in Planung (siehe 3.3.1), und im gleichen Jahr formuliert Castellet mit La hora del lector - ebenfalls bei Seix Barrai erschienen - erste Grandsätze einer mimetischen und sozial engagierten Literatur.408 Als ersten spanischsprachigen Erzähltext wählt Seix Barrai mit Cabeza rapada (Jesús Fernández Santos, 1958) das Buch eines bekannten, bereits mit zwei Romanen publizierten Schriftstellers.409 Der Band erscheint aus strategischen Gründen erst nach der Publikation des Premio Biblioteca Breve 1958 von Luis Goytisolo, Las afueras, dessen Verleihung den öffentlichen Akzent für das neue Verlagsprofil setzen soll. Beide Werke thematisieren die Lebenswirklichkeit marginalisierter Bevölkerungsgruppen: Fernández Santos' Erzählungen schildern, meist aus der Perspektive der Verlierer, Kriegserfahrung, Armut und soziale Ungleichheit im ländlichen Spanien. Goytisolo verknüpft sieben Episoden zu einem Mikrokosmos der sozialen Ungleichheit zwischen boomender Großstadt und verarmter Vorstadt. Die Publikationen von Goytisolo und Fernández Santos bilden den Auftakt für die Verlagsphase, die metonymisch mit dem Ortsnamen und späteren Reihentitel Formentor zu benennen wäre, der als Gruppenbegriff schließlich Eingang in die Literaturgeschichtsschreibung erhält.410 Bald generiert sich aus der mäzenatischen Förderung der "jóvenes autores y críticos españoles"411 eine Verlagsstrategie, die erstens der überregionalen Bekanntmachung

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estas narraciones se referían a hechos o problemas que a todos nos inquietaban." (Planeta, Verlagskatalog 1957, ABC AS). P/a/ieto-Preisträger oder Finalisten der 50er Jahre sind u.a. Carmen Kurtz, Ana Maria Matute, Ignacio Aldecoa. Zu Juan Goytisolos Gastspiel bei Planeta vgl. Goytisolo (1995: 244f.). Der Band erhält unter anderem ein Fragment aus Sartres Qu'est-ce que la littérature? (Castellet 1957: 150-55). Im letzten Kapitel fordert Castellet das solidarische Engagement von Autor und Leser für eine bessere Gesellschaft - "una labor común de signo eminentemente social" (102). Fernández Santos zeichnet mit Los bravos (Castalia, 1954) nach allgemeiner Auffassung für das vielleicht erste repräsentative Werk der novela social verantwortlich. Gil Casado spricht mit Blick auf das Publikationsjahr von Los bravos vom Auftakt zur Hegemonie einer "Generación del Cincuentaicuatro" (1973: 116); Soldevila lehnt diese "manía clasificatoriafs]" (1980: 208) ab, attestiert Los bravos aber ebenfalls den Status eines der bemerkenswerten Werke ("una de las más notables obras") der novela social (232). Fernández Santos veröffentlicht außerdem En la hoguera (Madrid: Arion, 1957). Bonet (1994: 76) weist nach, dass die Bezeichnung "Grupo Formentor" um 1964 in den spanischen Feuilletons Erwähnung findet. Vgl. die zitierte programmatische Aussage (siehe 3.3.2): "Procurar una primera oportunidad editorial a jóvenes autores y críticos españoles que hayan dado, en revistas y publicaciones esporádicas, testimonio de su ambición y de sus posibilidades."

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der Dichter aus dem Umfeld der sog. Escuela de Barcelona,412 zweitens der gezielten nationalen und internationalen Vermarktung des vorwiegend sozialrealistischen Romans spanischer Sprache und Herkunft dient. Seix Barrais verlegerisches Konzept, sich etablierende literarische Trends aufzugreifen und gewinnbringend auszuschlachten, markiert das Ausgreifen eines bislang vorwiegend im katalanischen Raum agierenden Verlags nach Madrid.413 Ehemalige Mitarbeiter der Revista Española und Laye verbinden sich nun in einem Gemeinschaftsprojekt, mit dem Seix Barrai das Publikationsinteresse der fast ausnahmslos in Madrid lebenden Schriftsteller bedient. Gleichzeitig verleiht der Verlag der über Literatur vermittelten politischen Aufklärungsarbeit ein relativ unabhängiges institutionelles Standbein. Der von Barrai selbst zur "operación realismo" deklarierten Strategie4'4 liegt damit auch eine verbesserte Interaktion und Kommunikation der literarischen Instanzen zugrunde. Der Kontakt nach Madrid vollzieht sich über gemeinsame Treffen von Autoren und Verlegern, auf denen Romansujets und Publikationsstrategien ausgehandelt werden. In enger zeitlicher Nähe treffen in der ersten Jahreshälfte 1959 in Collioure und Formentor im inneren und äußeren Exil lebende spanische Intellektuelle zusammen. Während die Gedenkfeiern zum 20. Todestag Antonio Machados im Februar 1959 vor allem als Brückenschlag zum Exil an politischer Bedeutung gewinnen, versichern sich die spanischen Teilnehmer der im Mai 1959 auf Kap Formentor/Mallorca abgehaltenen, von Camilo José Cela organisierten Conversaciones poéticas ihres poetologischen und politischen Selbstverständnisses. Der sich am gleichen Ort anschließende Coloquio Internacional de Novela, initiiert von Seix Barrai, macht den Verlag zur Plattform für die Umsetzung des spanischen Sozialromans und zum international anerkannten Vermittler.415 Seix Barrai versucht, als "agent centralisateur"416 die bekanntesten Vertreter dieser literarischen Richtung um sich zu scharen. Deutlich zeigt sich diese Strategie in der Bindung Juan Goytisolos an Seix Barrai oder in der Publikation der AWa/-Preisträger Armando López Sahnas und Antonio Ferres. Mittel zur Promotion der spanischsprachigen Literatur wird der Premio Biblioteca Breve, der im Mai 1959 an den Madrilenen Juan García Hortelano fällt, künftig ein wichtiger Vermittler zwischen den konkurrierenden Zentren Barcelona und Madrid.417

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Zum Begriff vgl. Riera (1988). Auch die ersten theoretischen Texte der Biblioteca Breve sind von Katalanen oder Exilanten verfasst worden (Cirlot, Ferraté, Castellet, Gallego). Vgl. Barrai (1978: 207), insgesamt zur Organisation der "operación realismo" S. 192-94 u. 201-07. Nach Riera (1988: 175) maßt sich Barrai hierzu Unrecht die alleinige Urheberschaft an einer gemeinschaftlich konzipierten Strategie an. Zu der Machado-Hommage 1959 vgl. Mangini (1987: 107f.) und Barrai (1978: 181-90). Zu den Formentor-Treffen siehe Abschnitt 3.4.3 dieser Arbeit. Dubois (1978: 91). Dubois verwendet diesen Begriff u.a. in Bezug auf die Rolle der Editions de Minuit als Vermittler des französischen Nouveau Roman. Barrai bezeichnet García Hortelano als den entscheidenden "mediador" zwischen den

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Zwischen 1959 und 1964 publiziert Seix Barrai etwa zwanzig narrative Titel spanischer Autoren, die sich in irgendeiner Weise in den realismo social einschreiben 418 eine beträchtliche Zahl, zumal Seix Barrai weitere Veröffentlichungen von Grosso, Lopez Salmas, Ferres oder Lopez Pacheco verboten werden. 419 Die narrativen Texte werden von parallel erscheinenden manifestartigen Schriften flankiert. 420 Außerdem initiiert Barrai eine Serie literarischer Reisebeschreibungen, die sich der sozialen Aufklärungsarbeit verpflichtet sehen. 421 Der Erfolg des Jungstars Juan Goytisolo mit Campos de Nijar - drei Auflagen bis 1963 - schafft hier einen eigenen Trend, der den dokumentarischen und moralischen Ansprüchen der Realisten in besonderem Maße nachkommt. 422 Um der Initiative ein deutliches Image zu verleihen, werden die unter dem Banner des Sozialrealismus erscheinenden narrativen Texte ab 1961 in der neuen Verlagsreihe Biblioteca Formentor konzentriert. Der semantische Anschluss an die Literatentreffen von Formentor verdeutlicht den Anspruch, führendes Medium der dort vertretenen politisch-ästhetischen Positionen zu sein. 'Formentor' wird zum Mar-

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verlegerischen bzw. schriftstellerischen Interessen Barcelonas und Madrids (1978: 202). Hierzu gehören die Romane und Erzählungen von Consuelo Alvarez, Manuel Arce, Femando Avalos, Ramón Camicer, Gabriel Celaya, Juan Farias, Jesús Fernández Santos, Antonio Ferres, Juan García Hortelano, Juan Goytisolo, Luis Goytisolo, Alfonso Grosso, Juan Marsé, Ramón Nieto, Fernando Morán, Armando López Salinas und Daniel Sueiro. Pablo Gil Casado erwähnt in seiner Übersicht über den spanischen Sozialroman (1973: 147-50) für den betreffenden Zeitraum 1955-68 insgesamt 59 Titel, davon 17 bei Seix Barrai erschienene, zusätzlich vier zur Publikation vorgesehene, im Ausland publizierte Titel. Allerdings kann man Gil Casados Liste nicht als endgültig und allein repräsentativ für die von Barrai postulierte "dernière génération" ansehen. Zu den Publikationsproblemen Alfonso Grossos vgl. Fortes (1982: 25-30). José Maria Castellet, La hora del lector (1957), Veinte años de poesía española (1959), Juan Goytisolo, Problemas de la novela (1959). Alle Titel erscheinen in der Biblioteca Breve. So heißt es im Umschlagtext zu Caminando por las Hurdes (Antonio Ferres/Armando López Salinas 1960), es zähle die "actitud moral del espectador ante los grupos humanos de su país peor tratados". Im Vorwort erklären die Verfasser ihren didaktischen und aufklärerischen Anspruch: "El conocimiento de cómo viven, piensan y trabajan los hombres de nuestro país, debe conducirnos a una mayor y mejor comprensión social de los problemas de nuestro tiempo, en esta España que hay." (9) Zur Entstehungsgeschichte dieses Buches siehe 3.2.3. Die Titel Seix Barrais: Juan Goytisolo, Campos de Nijar (1960); Antonio Ferres/Armando López Salinas, Caminando por las Hurdes (1960); Antonio Ferres, Tierra de olivos (1964); Ramón Carnicer, Donde las Hurdes se llaman Cabrera (1964); Jesús Torbado, Tierra mal bautizada (1969). Alle Titel erscheinen in der Biblioteca Breve. Die Texte sind durch Fotos ergänzt. Allerdings bleibt dieser Trend fast nur auf Seix Barrai beschränkt, wenn auch ein Umschlagtext behauptet, "[e]l libro de viajes [...] se ha convertido en los últimos años en un género que cultivan la mayor parte de nuestros jóvenes narradores." (Antonio Ferres, Tierra de olivos, 1964). Gil Casados Übersicht (1973: 150), in der die libros de viaje als Unterkategorie des Sozialromans erscheinen, führt neben den Titeln Seix Barrais nur ein weiteres Werk: Celas Viaje a la Alcarria.

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kennamen der auf eine nationale und internationale Verwertung zielenden Marktstrategie. Der Publikationsbeginn der Biblioteca Formentor im Mai 1961 fallt deshalb mit der Verleihung des ersten Prix Formentor zusammen, der ebenfalls an García Hortelano geht. 423 Durch seine organisatorische Entschiedenheit erlangt Seix Barral schon bei Zeitgenossen das Prestige des engagiertesten Förderers der spanischen Literatur, wie es aus dem dankbaren Lob von Antonio Ferres auf seinen Verleger Carlos Barral spricht: Por lo que respecta a mi editor, Carlos Barral, no tengo ninguna queja. Seria difícil encontrar a alguien que se portara mejor que él con su grupo de escritores jóvenes, quizá por una fe excesiva que como poeta y hombre de letras tiene en un renacer de la novela y de la literatura en España. Puedo, incluso, hablar en nombre de varios de mis compañeros.424 Die Publikation sozialrealistischer Texte ist von einem spezifischen metaliterarischen Diskurs begleitet, der der literarisch-politischen Bewegung Zusammenhang verleiht.425 Fast jeder verlegerische Peritext zu Romanen spanischer Autoren bei Seix Barral rekurriert auf ein Begriffsinventar, das die Facetten sozialrealistischen Schreibens - Inhalt, Ästhetik, kritische Intention - erfasst. Als Beispiel für viele andere mögen die Umschlagtexte zu Juan García Hortelanos Romanen Nuevas amistades (1959) und Tormenta de verano (1962) dienen: es una novela de intención primordialmente sociológica. [...] Según un procedimiento riguroso, principalmente basado en el diálogo (se trata, según palabras del autor, de una novela "formalmente ascética"), N U E V A S AMISTADES da testimonio del mundo de referencias, de la lengua y de las costumbres de un estrato determinado de la juventud española, con una precisión extraordinaria. N U E V A S AMISTADES

incorpora a la temática de la joven narrativa realista española el análisis en profundidad de un problema moral: el de la mala conciencia de un personaje que, como tantos de nosotros, se resigna a admitir el mundo de referencias intelectuales y de normas morales de un grupo humano al que irremediablemente pertenece y cuyas justificaciones no puede honestamente admitir. TORMENTA DE VERANO

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Eine Verlagsanzeige in Papeles de Son Armadans 20:62 (Mai 1961) verkündet "el lanzamiento de la BIBLIOTECA FORMENTOR, que agrupará a las mejores obras de la actual novelística mundial y de la joven novelística española, y dentro de la cual se publicará la novela galardonada con el PRIX FORMENTOR [ . . . ] " . Antonio Núñez: "Encuentro con Antonio Ferres", Insula 220 (März 1965), S. 6. Nach außen versucht sich der Verlag folglich als einziger Vertreter der jungen spanischen Literatur darzustellen: "Dans 'Biblioteca Formentor' on publie à côté les romans des écrivains espagnols de la dernière génération, dont Editorial Seix Barral a le quasi monopole, les romans les plus significatifs des littératures contemporaines." ("Moment actuel", 1963, S. 4, AB; Hervorhebung von B.P.). Hervorhebungen von B.P. Vgl. auch den Informationstext zu Tiempo de silencio, in der jegliche stilistische Neuerung übergangen wird. Zwar falle die Gesellschaftszeichnung "dura y desoladoramente" aus, dennoch handle es sich um einen zugänglichen und gut verständlichen Text: "Novela realista para el lector habitual de novela [...] La crítica social contenida en el libro no es partidista sino para todos los públicos, porque es inteligente, profunda y matizada." ("Nota informativa sobre novedades. Tiempo de Silencio", 1962, ABCAS). Der vollständige Text ist in Anhang IV dokumentiert.

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Bei anderen, weniger bekannt gewordenen Autoren finden sich ähnliche Versatzstücke: El extraordinario verismo del lenguaje en los diálogos, la autenticidad de los personajes, hacen de este libro una de las mejores muestras de la nueva narrativa realista española.

In den zitierten und vielen anderen Peritexten bis etwa 1966 ist das semantische Feld sozialrealistischen Erzählens abgesteckt: Analyse gesellschaftlicher Erfahrung ("análisis en profundidad, intención sociológica, testimonio"), objektiv(istisch)er Beschreibungsmodus ("precisión, ascética, procedimiento riguroso, verismo"), Denunziation von Missständen.428 Mittels des obligatorischen Hinweises auf die Existenz einer neuen spanischen Erzählgeneration erklärt Seix Barrai seine Verlagspolitik kurzerhand zum allgemeinen Trend. Zu den früheren Romanen von Ferres und López Salinas heißt es dementsprechend: "[U]na y otra [novela] pueden adscribirse a ese realismo sociológico que parece ser la tendencia fundamental de la joven literatura española."429 Die ausgewählten Beispiele zeigen, dass der Verlag über das Instrumentarium der Paratexte eine Isotopienfolge transportiert, die zum typischen Inventar des sozialrealistischen Diskurses gehört. Die repetitive und zuweilen ungeschickt klingende Wortwahl lässt sich allerdings nicht allein auf die verkaufsstrategische Notwendigkeit zurückfuhren, ein homogenes Vokabular zu schaffen, sondern gehorcht den sprachlichen Vermeidungsstrategien einer von politischer Zensur bedrohten Verlagspraxis. So weisen Rafael Conté und Gabriel Celaya bereits 1959 daraufhin, dass Begriffe wie 'social' oder 'sociológico' der rhetorischen Verkleidung subversiverer Ausdrücke wie 'político' und 'socialista' dienten.430

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Fernando Avalos, En plazo, 1961. Auch Texte, die nicht in das Schema zu passen scheinen, werden über verschraubte Formulierungen in den Trend eingeschrieben: "PUENTE DE C A Ñ A M O es en cierta medida una novela de aventuras, pero no por ello no inserta en la corriente realista de la más joven narrativa española [...] se dibuja con un perfil muy neto una experiencia concreta, determinada, significativa" (Waschzettel zu Juan Farias, Puente de cáñamo, 1963). Vgl. Fortes, der einen Katalog rekurrenter Lexeme auflistet, die er zeitgenössischen Interviews einiger Schriftsteller der sog. Generación del Medio Siglo entnimmt, vor allem den von Olmos García (Francisco Olmos García: "La novela y los novelistas españoles de hoy", Cuadernos Americanos, 129 (Juli-August 1963), S. 211-18) zusammengetragenen Äußerungen (zitiert in Fortes 1982: 73; vgl. Mangini 1987: 119). Umschlagtext zu Ferres/López Salinas, Caminando por las Hurdes (1960). Der Hinweis bezieht sich auf die Debütromane der beiden Autoren. Rafael Conté konstatiert in einer Rezension zu Nuevas amistades eine "intención política [...] O 'sociológica', que es un modo más bonito de hablar, pero que encubre al término 'política' en su aceptación amplia y digna [...]" (Acento cultural, Januar 1959, S. 38, so zitiert bei Mangini 1987: 132). Vgl. die bei Ursula Schmidt zitierte Äußerung von Garcia Hortelano: "[...] lo llamábamos social-realismo, realismo critico, porque no se podía decir realismo socialista, pero era realismo socialista lo que se hacía." (U. Schmidt 1984: 514).

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Welche Rezeptionserwartung angesprochen werden soll, konkretisieren die vom Verlag an die Händler übermittelten Verkaufsargumente. Nuevas amistades sei, so der Informationstext Seix Barrais, an erwachsene Leser gerichtet, die sich für "obras del tipo de: El Jarama, Entre visillos, Nada, las novelas de Françoise Sagan" interessierten, d.h. die bei Destino prämierten Adoleszenzromane und den internationalen französischen Bestseller, an deren Erfolge man anzuschließen gedenkt.431 Als Referenzgrößen nennt die Information auch die neorealistischen Filme Juan Antonio Bardems (CALLE MAYOR, MUERTE DE UN CICLISTA), die damit als gleichwertiges künstlerisches Genre anerkannt werden.432 Aus dem zweckdienlichen Werbetext wird eine Bestandsaufnahme des kulturellen Kanons des zeitgenössischen progressiven Bürgertums - bzw. dessen, was die Verkaufsabteilung eines literarischen Verlags als einschlägige Werke ansieht. Der Name von Françoise Sagan spricht ein gut informiertes Publikum an, da diese Autorin bislang noch nicht in Spanien erschienen ist.433 Der Hinweis auf das Medium Kino und erfolgreiche Romane zeigt ferner, dass Seix Barrai ein breiteres, nicht mehr nur elitäres Publikum im Blick hat. Der Name Bardems, dessen Werke mit der Zensur in Konflikt geraten waren, bekräftigt aber auch den kritischen Impetus Seix Barrais. Kurz, die Verlagswerbung formuliert den Anspruch, künftig als Vermittler einer ganzen, sich literarisch und politisch zu Wort meldenden Generation zu agieren.

3.3.3

Die Reihe Colliure

Neben den Romanprojekten spanischer Erzähler zielt die Verlagsarbeit auf die Konsekration der lyrischen Werke aus dem Umfeld Seix Barrais. Eine gemeinsam geplante Dichteranthologie von neun Autoren wird 1960 unter einem Allgemeingültigkeit versprechenden Titel publiziert (Veinte ahos de poesia espahola: 1939-1959), die das gescheiterte Projekt einer einst geplanten Anthologie Laye umsetzt. Herausgeber ist erneut Castellet, dessen Prolog die für das Generationen-Projekt nötige inhaltliche Argumentation schafft. Castellets Anthologie bildet jedoch nur den Auftakt zu einer Strategie der Eigenwerbung, deren konkrete Umsetzung die Reihe Colliure darstellt, die zwischen 1961 und 1964 unter dem Verlagsnamen Literaturasa erscheint.434 Colliure ist ausgelagert aus dem eigentlichen Programm Seix

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Ich zitiere aus den entsprechenden "Notas informativas" Seix Barrais, ABCAS. Vgl. auch den Paratext zum zeitgleich veröffentlichten Eloy (Carlos Droguett), der ebenfalls den Bogen von der Literatur zum Kino (Western) schlägt. Beide Genres stehen also gleichberechtigt nebeneinander (siehe 4.3). Der Katalog der Biblioteca Nacional erwähnt lediglich eine 1954 in Buenos Aires publizierte katalanische Übersetzung von Bonjour tristesse; eine spanische Übersetzung erscheint 1963 bei Plaza y Janes. Die Gesellschaft Literatura S.A. wird, mit geringen Beiträgen von 4.600 bis 7.300 Peseten (zum Vergleich: ein Band der Biblioteca Formentor kostet 110 Peseten), von Barrai, Gil de Biedma, Goytisolo, Castellet und Sahnas gegründet. Sahnas übernimmt als wirtschaftlicher Manager und offizieller Verleger die Außenvertretung. Meine Darstellung stützt

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Barrais, kann sich aber bei der Distribution auf die Infrastruktur Seix Barrais stützen; Castellet organisiert über den Verlag Praxis das benötigte Papierkontingent.435 Ziel von Colliure ist, eine Publikationsmöglichkeit für junge spanische Dichter zu bieten, zu denen natürlich die Gründer der Reihe selbst zählen. Geplant ist ein Publikationsrhythmus von vier Bänden pro Jahr bei Auflagen von 1.000 bis 1.500 Stück. Colliure beginnt mit der gemeinsamen Vorstellung der ersten vier Titel zum Día del Libro 1961.436 Convendría aprovechar la Fiesta del Libro en Barcelona para lanzar la colección; los descuentos especiales que se hacen durante esos días siempre son útiles para coaccionar al librero. Consiguiendo que para el Día del Libro estén bien repartidos los 4 títulos en los quioscos se puede hacer una buena propaganda de tipo visual i.e. acostumbrar al público al aspecto físico de la colección. [...] Desde un punto de vista publicitario y psicológico evidentemente el lanzamiento de cuatro títulos juntos es preferible 437 Wie bei der Biblioteca Formentor, steht auch bei Colliure der Ort metonymisch für ein doppeltes ästhetisch-literarisches Programm: einerseits Zeugnis und Stellungnahme zur spanischen Realität, im Sinne des Vorbilds Machado, andererseits Positionierung einer Gruppe junger Autoren von der Peripherie aus - akzentuiert durch die katalanische Schreibweise des französischen Ortsnamens - , deren Zusammenschluss in direkter Verbindung mit den Machado-Feierlichkeiten vom Februar 1959 steht: "Era una tentativa de crear una especie de 'nueva generación de poetas.'" 438 Teil dieser Generationsstrategie ist die Beschränkung der Reihe auf zwölf Bände, von denen schließlich elf erscheinen. 439 Das auf dem jeweiligen Buchtitel abgebildete Autorenfoto macht den Dichter als Zeugen der Realität und als Mitglied der neuen Generation zum Protagonisten.

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sich auf Material aus dem Archiv Barrai sowie auf Payeras Grau (1990). Die Beteiligung des Verlags Praxis entnehme ich den Statuten von Literaturasa; an dieser Stelle ist Payeras Grau (1990: 11) zu korrigieren, die allein Seix Barrai als materielle Basis erwähnt. Die Idee zu Colliure geht nach eigener Aussage auf Jaime Salinas zurück: "Eso fue una idea mía. Cuando llegué aquí y conocí a todos ellos, los poetas publicaban por propia cuenta. Yo propuse por qué no haríamos una especie de pool, la impresión a través de Seix Barral, el papel lo traía Castellet. Mi papel fue puramente de gestor." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998). Die publizierten Titel im Einzelnen: Gabriel Celaya, Los poemas de Juan de Leceta (1961), Angel González, Sin esperanza, con convencimiento (1961), José Agustín Goytisolo, Años decisivos (1961), Jesús López Pacheco, Canciones del amor prohibido (1961), Carlos Barral, 19 figuras de mi historia civil (1962), Angel Crespo, Suma y sigue (1962), Gloria Fuertes, ... que estás en la tierra (1962), José María Caballero Bonald, Pliegos de cordel (1963), José Angel Valente, Sobre el lugar del canto (1963), Jaime Gil de Biedma, En favor de Venus (1965), Alfonso Costafreda, Compañera de hoy (1966). Literaturasa, Protokoll der "Reunión del 4 de Enero, 1961", AB. Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998. Die numerische Begrenzung ist nicht unumstritten: "Yo hubiera querido que esa colección fuera abierta, que continuara. Pero otra vez, por esas políticas - que yo desconocía, como venía de fuera - era una colección cerrada de doce títulos. En este sentido era muy artificial." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998).

3. Verlagspolitik,

kulturelle Positionierung

und

Internationalisierung

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Die Auswahl der Dichter mag insofern dem "azar" geschuldet sein,440 als nicht alle in Frage kommenden Autoren aufgenommen werden können oder wollen oder ein passendes Werk vorliegen haben. Den Ausschlag geben persönliche und ideologische Affinitäten, jedoch auch verlegerische Verbindungen und das GenerationenKonzept. Mit Ausnahme Celayas sind die schließlich publizierten Autoren zwischen 1925 und 1930 geboren und haben zumeist an der Machado-Feier teilgenommen. Sie entstammen den befreundeten Dichtergruppen aus Madrid und Barcelona (Barrai, Gil de Biedma, González, J.A. Goytisolo, Valente, Costafreda) und stehen zum Verlag als Autoren oder Übersetzer in engem Kontakt (Caballero Bonald, Crespo, López Pacheco). Weniger zufallig dürfte auch die Übereinstimmung mit den meisten Namen aus Castellets Anthologie sein: Sieben der neun dort vorgestellten Dichter werden in die Reihe Colliure übernommen.441 Dem in der genannten Anthologie nicht aufgeführten Alfonso Costafreda geschieht mit der späten Publikation von Compañera de hoy (1966) sozusagen nachträgliche Gerechtigkeit.442 Ästhetisch dominiert die poesía social. Auch ein weniger dem Realismus verpflichteter Dichter wie Barrai publiziert ein explizites und autobiografisches Werk (19 figuras de mi historia civil), ebenso Valente, der für Colliure eine Anthologie seiner politisch engagiertesten Titel zusammenstellt. Andererseits sind gerade die spät (1965/66) publizierten Lyrikbände von Gil de Biedma und Costafreda Beispiele einer intimistischen, weniger deutlich sozial engagierten Lyrik.443

3.3.4

Der Verlag als Sprachrohr intellektueller Opposition

Weder ist Seix Barrai alleiniger Verleger der sozialrealistischen Literatur der 50er und frühen 60er Jahre anzusehen, noch lässt sich die Verlagspolitik Seix Barrai auf diese einzige Tendenz verkürzen. Seix Barrai entwickelt über geschicktes Marketing ein entsprechendes Profil, doch keineswegs ein Monopol auf die spanische Nachwuchsliteratur.444 Dennoch setzt Seix Barrai konsequenter als andere Verlage eine 440 441 442

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In dieser Richtung äußert sich Payeras Grau (1990: 9). Es fehlen lediglich Jaime Ferrán und Claudio Rodríguez. "Los títulos los decidieron ellos - Barrai, Gil de Biedma, Castellet yo no intervenía. Sobre Costafreda hay una enorme lucha interna: en los primeros libros no aparece en la cubierta, al final, sí. Supongo que le consideraban no suficientemente social." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998). Costafreda hatte bereits, laut Barrai auf Intervention Gil de Biedmas, keinen Eingang in Castellets Anthologie gefunden (Barral 1978: 193). Das Generationenargument lässt auch die älteren Dichter Eugenio de Nora und Blas de Otero, die ursprünglich für Colliure vorgesehen sind, herausfallen. Ich stütze mich auf die Textanalysen bei Payeras Grau. Die Autorin sieht auch in diesen letztgenannten Titeln eine 'poética comprometida' am Werk: "De sus opiniones se desprende que defendían la necesidad de una poética comprometida, pero no la consideraban la única posible ni despreciaban la construcción artesanal de un edificio útil pero también hermoso." (1990: 12). Vgl. die oben angeführten Publikationsstrategien anderer Verlage, vgl. auch Gracia (1996: 153-55). Als Konkurrenz zum Sozialrealismus meldet sich Anfang der 60er Jahre z.B. die

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spezifische Publikationsstrategie um, die sich nicht als rein literarisches, sondern als politisches Manöver versteht. Carlos Barrais eigene Retrospektive auf diese Verlagsphase leistet einer exklusivistischen Interpretation Vorschub und fördert dabei die ein oder andere Legendenbildung. 445 Aus der zeitlichen Distanz von zwanzig Jahren stilisiert Barrai die verlegerische Neuorientierung zum mystischen Akt und inszeniert sich als Propheten, den während der Machado-Feiern 1959 eine plötzliche Erleuchtung überkommen habe: El caso es que aquella noche comprendí que estaba en mi mano la posibilidad de hacer respetar la poesía que precisamente los que estábamos allí y unos pocos más intentábamos hacer y que sobre todo predicábamos como propuesta de reemplazo de la poesía oficializada por las antologías de los últimos tiempos - que nos ignoraban - o las revistillas literarias - que nos tenían por forasteros - o la inercia de los profesores y de los bebedores de café con leche en la capital. Que no era difícil arbolar bandera y edificar a la vista de todos y hacernos de una vez presentes, no sólo, como hasta ahora, como la fracción burguesa y periférica del campo numantino. Pero eso, si era lo más directo, no era lo más importante. [...] Había que reducimos a nuestra posible función: orilla lujosa de un acontecimiento mucho mayor y de inmediata significación histórica. Pero para eso estaban los novelistas, nuestros primos hermanos en el país de la prosa, contemporáneos estrictos y parientes ideológicos de los más, encallados a la mitad de camino de los premios comerciales, agitando los modestos estandartes de los galardones de cuentos y novela corta que se otorgaban en Madrid. [...] Estrategia: la editorial, sus premios, sus recientes vinculaciones con la maquinaria europea de clercs de l'édition que repartía y ajustaba las reputaciones y las candidaturas a figurar en los futuros manuales de literatura universal. (Barral 1978: 189f.) In Barrais Version wird dem Verleger von den Zeitumständen ein politischer Auftrag überantwortet ("arbolar bandera"), den sein Verlag allein, als organisatorisches Zentrum einer ganzen literarischen Generation, auszuführen imstande ist. Durch die epische Stilisierung wird der verlegerischen Strategie eine historische Dimension zugeschrieben. 446

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sog. "novela metafísica" oder "espiritual" um Manuel Garcia-Viño zu Wort, der die politischen Ambitionen des Sozialrealismus bewusst ablehnt und dem Objektivitätspostulat gegenüber stärker die - z.T. religiös inspirierte - Innenperspektive ins Spiel bringt. Im Vergleich zur Konkurrenz des Sozialrealismus sind die betreffenden Schriftsteller (José Vidal Cadellans, Carlos Rojas, Manuel Garcia-Viflo, Antonio Prieto, José Maria Souviron, u.a.) viel weniger untereinander und mit bestimmten Verlagen verbunden. In seiner Schrift Novela española actual (Madrid: Guadarrama, 1967) versucht sich García-Viflo an einer Zusammenführung der verschiedenen Autoren (vgl. Martínez Cachero 1985: 26773, Herráez 1997: Anm. 7). Barral (1978: 181-207). Wie oben bereits angemerkt (2.4), kennzeichnet die autobiografischen Schriften von Barral, Gii de Biedma oder Juan Goytisolo generell eine "tentación aislacionista" in Bezug auf das Wirken anderer literarischer Gruppen oder auf die Bedeutung soziohistorischer Kontexte (Bonet 1994: 11). Die epische Erhöhung wichtiger Episoden, die hier durch den Einsatz von Kriegsmetaphorik geleistet wird, ist in Barrais Memoiren kein Einzelfall. Im ersten Band schildert Barral die Entscheidung für die Verlagstätigkeit 1951 als dramatischen inneren Kampf inmitten eines Gewitters (1994: 365-67). Riera unterstreicht die Strategie der Selbststili-

3. Verlagspolitik,

kulturelle Positionierung

und

Internationalisierung

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Gleichzeitig erweist sich der Kampf gegen die politische Macht als Auseinandersetzung um die Macht im spanischen Literaturbetrieb.447 Barrai beschreibt die Zusammenarbeit der Gruppe um Seix Barrai mit den Romanciers aus Madrid als strategisches Bündnis gegen das nationale literarische Establishment von "Milchkaffeetrinkern" und Real Academia Española. Seix Barrai ist als einziger progressiver Verlag Spaniens skizziert, die Seix-Barral-Mitarbeiter und -Freunde als subversive Gruppe ("poesía no oficializada") inmitten eines angepassten intellektuellen Umfeldes. Stilisiert wird ein Künstlertyp, der ein Leben der Bohème fuhrt - Gin und Whisky trinken, Juliette Gréco hören - und der den Kanon der sozialistischen Linken (Brecht, Gorki, Gramsci, Lukács, Sartre) rezipiert hat. Literarische Auszeichnungen sind von unmittelbarer Bedeutung. Die Romanciers aus Madrid werden nicht etwa mit dem Versprechen auf politischen Erfolg gelockt, sondern der ihnen nicht gewährte kommerzielle Gewinn ("encallados") bindet sie an Seix Barrai. In Barrais Zitat steht die "política estética" der Schriftsteller, Verleger und Kritiker in direktem Bezug zur "política editorial".448 Hier setzt die von Alfonso Sastre einige Jahre später geäußerte Kritik an. Obwohl ihm die vom "triángulo J.M. Castellet-C.Barral-J.Goytisolo" eingeleitete Lancierung als bedeutendste Strömung ("promoción más relevante") der spanischen Gegenwartsliteratur erscheint, bemängelt er den Exklusivismus des einbezogenen Personenkreises (Sastre 1970: 148). Das wirtschaftliche Kalkül mit einer politisch engagierten Käuferschaft habe allein die linke politische Gesinnung der Autoren zum Auswahl- und Erfolgskriterium erhoben, ungeachtet literarischer Qualitäten, und habe somit Autoren wie Ignacio Aldecoa oder Ana María Matute ausgeschlossen. Barrai gibt im Rückblick allerdings gleichzeitig zu verstehen, dass er dem poetologischen Selbst Verständnis der Sozialrealisten distanziert gegenüber gestanden habe. Bezeichnenderweise vermittelt der Text eine Dichotomie zwischen den "poetas" (Barcelona) und den "prosistas" (Madrid), wobei letztere despektierlich als Vertreter eines "simple naturalismo", einer "poética de la avaricia de medios" und eines

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sierung, wenn sie bei einer anderen Episode der Erzählung über das Machado-Treffen 1959 eine bewusste Identifikation Barrais mit Boscän vermutet (1988: 175). Barrais Darstellung verleiht ihrem Protagonisten ex post eine neuerliche literarische Weihe zu einem Zeitpunkt (1978), da der Verleger das Scheitern seiner früheren Verlagsprinzipien und -Strategien erfahren muss. Fortes kritisiert aus diesem Grund das Vorgehen der Gruppe um Seix Barrai als arbeitsteiliges Manöver, dessen weniger politische denn kommerzielle Marschrichtung von Castellet und J. Goytisolo vorgegeben worden sei. Insofern diese Politik als nationalliterarisches Projekt gegen die Invasion des Anglophonen proklamiert worden sei, habe Seix Barrai als "aparato ideolögico" agiert, der letztlich den nationalistischen Interessen des Regimes diene und einen verlegerischen Kolonialismus gegenüber den Provinzen perpertuiere. Fortes weist diese Prozesse am literarischen Werdegang eines sich von der Peripherie her positionierenden Autors (Alfonso Grosso) nach, der nur über Seix Barrai zum Erfolg gelangt, sich in dieser Abhängigkeit jedoch zur Anpassung an die vom Verlag favorisierten ästhetischen Konzepte genötigt sieht (Fortes 1982: 40-47).

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"descaro ideológico" tituliert werden - als zwar politische "primos hermanos", aber literarisch zweitrangig.449 Das Verlagsprogramm Seix Barrais transportiert somit ein gesellschaftliches Unbehagen, das Mitte der 50er Jahre einem Großteil der jungen bürgerlichen Literaturszene eignet. Der kulturelle Nonkonformismus und Eklektizismus der Biblioteca Breve drückt ein individuelles Autonomiestreben aus, das vom franquistischen Staat negiert bzw. strenger politischer Kontrolle unterworfen wird. Die Reihe entwirft ein alternatives Programm von Inhalten und Stoffen, die im franquistischen Bildungswesen und kulturellen Leben bislang nicht zugänglich gemacht worden sind.450 Das Programm Seix Barrals schärft den Blick auf die Gegenwart und auf Perspektiven des Auslands. Im Bestreben, eine "ambición más universal, menos sumisa a los limites de provincianismo" zu vertreten,451 stehen Seix Barrai und die Biblioteca Breve für Begriffe wie Neuheit und Avantgarde, Universalität und Grenzüberschreitung. Dies impliziert eine Gegenposition zu franquistischen Leitideologemen wie Tradition und Hispanität. Die Biblioteca Breve bezieht vor allem in ihren ersten Jahren den elitären Standpunkt des nur sich selbst verpflichteten Intellektuellen und drückt eine politische Verunsicherung aus, die Carlos Barrai in der Erinnerung der niedergeschlagenen Studentenunruhen von 1956 für sich konstatiert: "[N]os encerramos en el castillo de la dignidad de la inteligencia insumisa y de la seriedad de la obra insojuzgada y bien hecha. Yo asumí, por entonces, también esa filosofía en lo tocante a mi profesión de editor." (Barral 1978: 92). Trotzdem ist die soziopolitische Funktion der Reihe als Reservoir subversiver Diskurse nicht zu unterschätzen in einem Kontext, in dem kulturelle Tätigkeit generell als verdächtig gilt452 Indem sich die bürgerlichen Intellektuellen auf die Organisation kultureller Aktivitäten verlegen, stellen sie eine Infrastruktur zur Verfugung, die von der organisierten antifranquistischen Opposition - d.h. der Kommunistischen Partei - für die Zwecke politischer Agitation verwandt werden kann.453 449

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"Había, eso sí, que destilar alrededor de ese juego una filosofía elástica acerca del realismo que permitiera la convivencia de nuestras oscuras poéticas de jóvenes líricos formados en el tardío simbolismo, con trastiendas psicologistas y utillaje de tradición barroca, con el simple naturalismo, la poética de la avaricia de medios y el descaro ideológico del grueso de los prosistas." (Barral 1978: 190). Gracia stellt anhand des Kataloges der Biblioteca Breve die "carencias culturales" heraus, die die Reihe gerade durch ihre Heterogenität aufgreife: "conexión con las corrientes contemporáneas y divulgación y crítica de las nuevas ideas y obras" (1996: 155). Seix Barral, Verlagskatalog Frühjahr 1969, S. 11, ABC AS. Wie Gracia zutreffend bemerkt, ist im Franquismus "la mera calidad y dignidad intelectual" bereits ein Ausweis politischer Dissidenz (Gracia 1996: 162). Ausdruck dieser "calidad" und "dignidad" sind in unterschiedlicher Akzentuierung die literarischen Reihen Biblioteca Breve und Biblioteca Formentor, deren letztere vor allem zu einer Plattform der politisch engagierten Literatur des Sozialrealismus avanciert. "Clearly, for many youngsters, Opposition Student politics was a romantic, voluntaristic, and even frivolous affair and many would find it very difficult to resolve the contradic-

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und lnternationalisierung

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In den beginnenden 60er Jahren artikuliert sich mit der Publikation von Autoren des spanischen Sozialrealismus deutlicher ein politischer Unterton, während gleichzeitig stärker am Markt orientierte Strategien eingeschlagen werden. Seix Barrai profiliert sich, in Fortsetzung anderer literarischer Projekte der Nachkriegszeit, als Vertreter der Publikations- und politischen Interessen der intellektuellen Opposition. 454 Pointiert ausgedrückt: Der Verlag schafft sich seine eigene Generación del Medio Siglo. Der Erfolg der Verlagsstrategien scheint Seix Barrai Recht zu geben: Ein vermutlich 1960 publizierter Verlagsprospekt - die folgende Angabe "en menos de 4 años" ist dahingehend zu berichtigen - zieht eine überaus positive Bilanz der ersten Jahre der Biblioteca Breve und präsentiert diese Reihe mit einem gehörigen Eigenlob: Biblioteca Breve nació con una misión de "descubierta" en distintos terrenos de la actualidad literaria. Y es notable [...] que en colaboración estrecha con un grupo de literarios entusiastas, poco a poco consejeros habituales, y con el apoyo, en el fondo, de un sector de público mucho mayor del que esperaba, haya cubierto con facilidad en menos de 4 años de existencia la mayor parte de sus objetivos inmediatos. [...] Desdeñando los nombres que tenían ya una audiencia en nuestro país, se trataba de introducir otros nuevos a los que ni siquiera una "critica oficial" había abierto camino, porque, en general, representaban una literatura difícil. [...] Biblioteca Breve ha seguido una política coherente que garantiza un amplio desarrollo en línea recta. Probablemente será éste el secreto de la favorable acogida de que ha sido objeto por parte del público y de la critica en España y de la consideración de que goza en los círculos literarios y editoriales del extranjero 455 In diesem Rückblick werden die Strategien der Kommunikation und Gruppenbildung sowie der inhaltlichen Innovation als Gründe des verlegerischen Erfolges angeführt. Neu ist der Verweis auf das nicht gar so begrenzte Publikum, das man erreicht habe, und das sich nicht nur auf das spanische Inland beschränke. Seix Barrai erklärt sich hier bereits zum internationalen Vermittler der spanischen Erzählliteratur und kündigt weitere Bemühungen in diese Richtung an: Posiblemente nunca se habló tanto de una colección en la prensa y las revistas españolas, y nunca tan rápidamente encontraron audiencia en el extranjero los autores españoles que por primera vez publicaba, y, naturalmente, esto es sólo el principio. Biblioteca Breve no ha hecho más que desbrozar las lindes del terreno que se propone ocupar. (Ebd.) Diese internationale Perspektive der Verlagspolitik Seix Barrais soll im nächsten Abschnitt untersucht werden.

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tions between their class background and their radical politics. Also, the penalties for student dissent were as nothing compared to the punishment meted out to those clandestine opposition party workers and militants unfortunate enough to be arrested. Yet, it was the same bourgeois youth who organized the lectures, poetry readings, film clubs, discussions, conferences, etc. These were activities which were quite successfully (though quite subtly) appropiated by the real political opposition, especially the Communist Party, and channelled into a broad democratic opposition front against the regime." (Jordan 1995: 254). Es handelt sich um den "sector de público que aún estaba virgen, la juventud universitaria, sector de público restringido numéricamente, pero de gran proyección social y cultural." (Bozal 1969: 92). Prospekt Biblioteca Breve, ca. 1960, 4 Seiten, ABCAS, Hervorhebung von B.P.

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3.4

Seix Barrai als Bestandteil internationaler Netzwerke (1959-67)

Die mit der Reihe Biblioteca Breve verbundenen Internationalisierungsbemühungen bilden einen Querschnittsaspekt der Verlagsarbeit Seix Barrais in den 60er Jahren. Ein Positionspapier Carlos Barrais aus dem Jahre 1963 konkretisiert Strategien der Verlagsexpansion auf nationaler und internationaler Ebene (3.4.1). Nach der innerspanischen Etablierung der Biblioteca Breve knüpft Seix Barrai europaweite Kontakte durch die Organisation der internationalen Verlegerpreise in Formentor (3.4.2). Die Formentor-Treffen, deren verlagsgeschichtlicher Bedeutung in einem längeren Exkurs Rechnung getragen werden soll, illustrieren beispielhaft Wege der internationalen Literaturvermittlung und das Funktionieren literarischer Netze im Spannungsfeld von kulturellem Anliegen und Marktkalkül (3.4.3). Für Seix Barrai eröffnet sich ferner neuer Handlungsspielraum angesichts politischer Beschränkungen im spanischen Inland (3.4.4). Vor dem Hintergrund der internationalen Diskussionen entspannt sich schließlich der programmatische Wandel Seix Barrais vom spanischen Sozialrealismus zu einer vor allem durch lateinamerikanische Schriftsteller repräsentierten ästhetischen Erneuerung.

3.4.1

Der Blick über die Grenze: Verlagsziele und Strategien für die 60er Jahre

Spanien zu Beginn der 60er Jahre Der innenpolitische Umschwung von 1959 wirkt sich nachdrücklich auf das Verlagswesen aus. Die falangistisch inspirierte Autarkiepolitik des Regimes, bereits seit Beginn der 50er Jahre eingeschränkt, wird mit dem Stabilisierungsplan vom Juli 1959 durch einen Wirtschaftskurs abgelöst, der eine neoliberale Politik der Rationalisierung, Exportstimulation und Investitionsförderung forciert. Die Regierungsumbildungen von 1957 zugunsten des Opus Dei und, infolge anhaltender sozialer Proteste, von 1962, bekräftigen den neuen Kurs einer konservativen Modernisierung. Die gesetzliche Neuregelung der Zensurpraxis ab 1966 verringert die Produktionsdauer und Verbotszahlen, ohne dass sich grundsätzlich am Prinzip der Buch- und Pressezensur etwas ändert. Der relative Anstieg des Bildungsniveaus und die Entstehung neuer, ausreichend begüterter Mittelschichten bewirken eine Ausweitung des Publikums für den Buchhandel. Der wirtschaftliche und soziologische Wandel der Gesellschaft und das Beharrungsvermögen des franquistischen Systems stürzen die vornehmlich um die Kommunistische Partei versammelte Opposition in interne Konflikte. Dennoch führt die unaufhaltsame Ausbildung einer schichtenübergreifenden Dissidenz zur Aushöhlung des gesellschaftlichen Rückhalts des Franquis-

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Zu den innenpolitischen Geschehnissen und dem wirtschaftspolitischen Kurs ab 1959, vgl. Fontana/Nadal (1986: 367-73), Payne (1987: 463-520), Bernecker (1988: 11 lff.).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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Im Einklang mit der Entwicklung der spanischen Volkswirtschaft erlebt die spanische Buchindustrie nach 1959 einen allgemeinen Aufschwung. Die Zahl der publizierten Titel erhöht sich zwischen 1960 und 1970 von 6.085 auf 14.119, darunter sind ca. 40% Belletristik. Die im Rahmen der Stabilisierungspolitik erlassenen Exporthilfen kommen dem Ansinnen der Verleger entgegen, die lateinamerikanischen Märkte wiederzugewinnen. Zwischen 1960 und 1971 wächst der Export aller Druckprodukte um 340%, zwischen 1968 und 1971 für Bücher um 56,5%. 457 Auch die Zahl der Anbieter steigt nach Angaben des INLE im Zeitraum 1960-71 von 583 auf 915 (Cendán Pazos 1972: 112), was eine gegenüber den Vordekaden (1940: 420 Unternehmen) sprunghafte Zunahme ausmacht. In diesem Jahrzehnt entstehen u.a. 1959 Plaza y Janes, 1960 Lumen (als Neugründung) und Seix Barrais Biblioteca Formentor, 1962 Edicions 62, 1963 Edicusa, 1964 Alfaguara, 1965 Alianza, 1969 Tusquets und Anagrama. Die mexikanischen Verlage Gry albo und Fondo de Cultura Económica (FCE) eröffnen 1962 und 1963 Filialen in Barcelona bzw. Madrid. Ebenfalls 1962 wird der Buchclub Círculo de Lectores als erste Auslandsfiliale des Bertelsmann-Buchclubs gegründet. Schließlich nehmen mit Anaya (1959) und Santillana (1960) in diesen Jahren die fuhrenden Schulbuchverlage der Demokratie ihre Tätigkeit auf. Seix Barrai

um 1960: Expansion

und

Internationalisierung

Der allgemeine Expansionskurs der spanischen Verlagsindustrie kennzeichnet auch die Entwicklung der von Victor Seix und Carlos Barrai geleiteten Verlagsprojekte. Neben der Erweiterung des Programms und der Verlagsreihen steht der Ausbau der materiellen Infrastruktur auf der Tagesordnung. 458 Ein Hauptanliegen ist die effiziente und stabile Organisation des Vertriebs in Spanien und Lateinamerika: Cuando entraron Víctor Seix y Carlos Barrai, se tuvo que crear toda esa red de contactos con librerías, no existía antes. [...] Cuando Víctor Seix viajaba por América Latina alrededor de 1958, se conservó durante algunos años la red de distribución pedagógica. Pero poco a poco, eso fue cambiado por distribuidores literarios. [...] La red se creó país por país, provincia por provincia. Se buscaba gente aficionada con el libro, más que gente que quería hacerlo como profesión. Funcionó bien [...].459

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Vgl. 2.2. Inflationsbereinigte Berechnung nach absoluten Werten in Peseten bei Cendán Pazos (1972: 149-52), der Zahlen des INLE heranzieht. In Volumina fällt der Anstieg noch deutlicher aus: zwischen 1960 (7.000 Tonnen) und 1970 (35.000 Tonnen) verfünffacht sich das Produkt (Galán Pérez 1986: 201, nach Angaben des INLE). Die Statistiken des INLE und des Instituto Nacional de Estadística (INE) zeigen bei unterschiedlichen Werten gleiche Tendenzen. Im Juni 1961 nimmt Seix Barrai beim Banco Industrial einen Kredit von 16,5 Mio. Peseten auf, dem im August 1967 ein Exportkredit von 6,7 Mio. folgt (Registro Mercantil de Barcelona, Band 4111, Buch 3450, Abt. 2a., Blatt 606, Einträge Nr. 12 [17.8.1961] und 23 [31.10.1967]). Antoni Comas, Interview mit B.P., 27.2.1999. Zunächst ist Comas als Mitarbeiter von Victor Seix zuständig für den nationalen Markt und wird 1968 Nachfolger des versterbe-

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In Spanien nimmt Seix Barrai ab Mai 1962 den Vertrieb wieder in eigene Hände und vervollständigt in nahezu allen Provinzhauptstädten ein umfassendes, recht gut operierendes Netz von Repräsentanzen. Der Verlag verfügt nun neben eigenen Lagern in Madrid und Barcelona über zwanzig lokale Vertretungen. In Lateinamerika wird der Vertrieb direkt von Barcelona aus und in den größeren Märkten zudem über Filialen oder Partnerfirmen abgewickelt. 460 Der interne Bericht aus dem Jahre 1963 kommt zum Schluss, dass die Bücher Seix Barrais landesweit in allen spanischen Buchhandlungen gut verteilt seien, dass aber eine Erhöhung der Verkäufe noch ausstehe. 461 Die Einschätzung trifft sich mit dem Urteil des Schriftstellers Isaac Montero, der Seix Barrai bescheinigt, ein neuartiges Vertriebssystem etabliert zu haben, das den Kontakt zum "nuevo público" herzustellen vermag. 462 Eine zweite unternehmerische Strategie ist die Investition in neue Produktsparten, für die vor allem Victor Seix verantwortlich zeichnet. Hierzu zählt die Gründung einer Werbeagentur im Jahre 1958 (Seix Barrai Agencia de Publicidad, S.A.), die Kunden der Druckerei enger binden und die eigene Öffentlichkeitsarbeit kanalisieren soll. 463 Weiter entwickelt Seix zu Beginn der 60er Jahre eigene Geschäftsaktivitäten in neu gegründeten Subunternehmen (Idiomas Vivientes, Difusora Internacional), bei denen er mit dem argentinischen Verleger Jacobo Muchnik kooperiert.464

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nen Victor Seix als kaufmännischer Leiter. Es handelt sich um Argentinien, Mexiko, Chile, Peru, Uruguay und die Dominikanische Republik. In Kolumbien besitzt der Verlag sogar zwei Repräsentanzen. Bei der Distribution auf dem Subkontinent schließt sich Victor Seix auch mit katalanischen Verlegern zusammen, deren Produkte nicht in Konkurrenz zueinander stehen (Juventud, Teide). Das Verlagsrundschreiben Seix Barrais lobt 1962 das vorzügliche Ergebnis der mexikanischen Vertriebsfirma Avándaro: "[La Biblioteca Breve] hoy se encuentra completa en todas las librerías y se halla frecuentamente expuesta en las escaparates [mexicanas]." (Seix Barral, "Boletín interno comercial", 1962, S. 15). Nach Verkäufen rangiert Barcelona an erster Stelle, gefolgt von Madrid, Valencia, Bilbao und San Sebastián. Selbst im "reaktionären" Zaragoza hätten die Bücher Seix Barrais ein Publikum gefunden ("Informe comercial", September 1963, 8 Seiten, AB, versehen mit der Notiz vom 18.9.1963: "De Antonio Comas a Víctor Seix, Carlos Barral, Jaime Salinas y Juan Petit. Con gran retraso les paso el informe comercial que había redactado a finales de Junio al terminar el viaje de inspección por España"). Isaac Montero: "Los premios o treinta años de falsa fecundidad", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XIV (Mai 1969), S. 73-84, hier: 77. Undatierte Verlagschronik "Cent anys endarrera", AS. Barral bezeichnet Seix' Strategie im Nachhinein zwiespältig als "política de fragmentación del poder industrial y financiero por medio de la invención de negocios y la fundación de filiales" (Barral 1988: 74). Idiomas Vivientes ist ein vom argentinischen Verleger Jacobo Muchnik (Fabril) und Victor Seix gemeinsam betriebenes Projekt, das Lizenzausgaben von Sprachkursen auf dem spanischen und lateinamerikanischen Markt zu verkaufen sucht, um damit vom Bildungsbedarf der neuen Mittelschichten zu profitieren. Difusora Internacional wird 1966, ebenfalls unter Beteiligung von Muchnik, als Verlag für den Vertreter- bzw. Versandhandel gegründet: Das Unternehmen stellt journalistisch aufbereitete Jahreschroniken (Anuarios) her, für die namhafte Schriftsteller Texte liefern. Erster

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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Interne Bilanzen der Jahre 1961-63 geben Aufschluss über den Umfang der verlegerischen Aktivitäten, die in diesem Zeitraum annähernd stabile Gesamtverkäufe und einnahmen aufweisen.465 Zunächst ist die prinzipielle Bedeutung der Exportmärkte d.h. vor allem Lateinamerikas - für Seix Barral zu konstatieren. Üblicherweise wird mindestens ein Drittel jeder Auflage für den Export kalkuliert.466 Die Statistik liefert Angaben über einen beträchtlichen, wenn auch schwankenden Exportanteil von über 30% der Gesamtverkäufe.467 Derlei Veränderungen spiegeln die allgemeine unruhige Exportkonjunktur in Lateinamerika, lassen sich aber auch auf spezifische Umstände, wie den Erfolg eines bestimmten Titels, zurückfuhren.468 Ferner verzeichnet die Sparte "Literatura" - d.h. die von Barral geführten Reihen in dem kurzen Betrachtungszeitraum 1961-63 einen starken prozentualen Verkaufszuwachs, der auch mit der verbesserten Vertriebsstruktur zusammenhängt. Selektive Angaben zur "venta a librerías" zeigen für diese Sparte nicht nur einen relativen Anstieg gegenüber den anderen Verlagsreihen (von 26% Ende 1961 auf 42% im Frühjahr 1963), sondern auch eine Steigerung der absoluten Verkaufszahlen von 53%.469 Diese Verlagsangaben belegen, dass es für Seix Barral Anfang der 60er Jahre aufgrund der Marktstruktur von Interesse sein muss, über ein in Lateinamerika verkäufliches literarisches Produkt zu verfügen. Die von Barral im gleichen Zeitraum entworfenen Programmplanungen demonstrieren die Aufgeschlossenheit des Verlegers für die vom Management angemahnte Modernisierung des Marketing.470 Dies

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Geschäftsführer bis 1975 ist Antonio Rabinad. Das Unternehmen arbeitet sehr erfolgreich, scheitert aber mangels Nachfrage an der Expansion in die lateinamerikanischen Märkte (Antonio Rabinad, Interview mit B.P., 19.6.1998). Difiisora Internacional ist heute Teil des Planeta-Konzems. Seix Barral, "Situación del presupuesto 1963", 5 Seiten, S. 4, AB. Verfasser ist Antoni Comas. Nach Aussage des früheren Mitarbeiters Rafael Soriano belief sich der Anteil der für den Export vorgesehenen Bücher auf ein Drittel der Auflage, bei Erstauflagen von 3-5.000 Exemplaren also auf etwa 1.000-1.500 Exemplare (Rafael Soriano, Interview mit B.P., 14.11.1997). Die Verkaufszahlen im Ausland halbieren sich im Zeitraum April 1962-April 1963 gegenüber dem Vergleichsjahr 1961. Die Zahlen für den Bereich "Literatura" bleiben aber weitgehend stabil; der Rückgang betrifft vor allem die enzyklopädischen Titel. Der Kommentar der Verkaufsabteilung beklagt die Zahlen als folgenschwer für die Verlagsentwicklung, "dada la importancia de nuestras ventas a América." ("Informe comercial", 1963, AB). "Esos cambios tuvieron que ver con muchos factores, por ejemplo, con que surgió un nuevo Vargas Llosa, o que hubo una influencia muy grande. Eso cambió en meses." (Antoni Comas, Interview mit B.P., 27.2.1999). Die Angaben erfolgen nach dem "Informe comercial", 1963. Antoni Comas, Sekretär von Victor Seix, schließt den erwähnten "Informe Comercial" mit der Feststellung, dass die Titeldistribution im Inland erfolgreich verlaufen, jedoch an ihre Grenzen gestoßen sei: "Creo que hemos llegado al fin de una etapa y en términos ge-

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beweist das bereits an anderer Stelle erwähnte Strategiepapier aus dem Jahre 1963, in dem Barrai befreundeten internationalen Verlagen eine Bestandsaufnahme seines Verlags liefert. Der Text verdient nun eine eingehende Betrachtung, denn er dokumentiert das Interesse Barrais an der Erschließung neuer, auch internationaler Käuferschichten.471 Zu Beginn seiner Präsentation verweist ein selbstbewusster Barrai auf die erfolgreiche Verlagspolitik der Anfangsjahre und auf das hohe Prestige der Biblioteca Breve: Sie sei finanziell stabil und gelte der internationalen Kritik als la série la plus audacieuse et la plus sérieuse des collections qu'on publie dans le monde de langue espagnole, réputation que la plupart des critiques importants, aussi bien qu'en [sic] Espagne qu'en Amérique Latine, ont reconnue volontiers dans plusieurs 472 occasions.

Nun gelte es zu expandieren, "d'élargir les activités de la maison d'édition" (7). In seinem Papier entwickelt Barrai zahlreiche Vorschläge, um aufbauend auf den Flaggschiffen Biblioteca Breve und Biblioteca Formentor weitere, kommerziellere Reihen zu publizieren - "qui devraient profiter de ce prestige le transportant à des champs différents, le faisant arriver à des secteurs du public qui ne sont pas encore intéressés à l'actualité littéraire ou à la culture spéculative" (7). Dies bedeutet auch verstärkte Bemühungen um die Biblioteca Formentor, die trotz ihrer marktgängigeren Gestaltung bislang kein neues Publikum erschlossen hat. Barrai nennt drei Programmbereiche für eine Erweiterung der editorischen Aktivitäten: Erstens denkt er an eine zugleich prestigeträchtige und finanziell lukrative Pléiade spanischer Autoren in Koedition mit Gallimard.473 Zweitens sucht Barrai mit einer humanwissenschaftlichen Reihe (Psychologie, Soziologie, Zeitgeschichte, Ökonomie) die "prise de position dans le terrain de la pensée" zu verstärken. Barrai vertraut hier auf den "public assuré" (9) der Biblioteca Breve und hofft durch die geschickte Lancierung eines breitenwirksamen Titels - gedacht ist an die Memoiren Jean-Paul Sartres - auf eine Rezeption, die um 30% über der der Breve liegen soll. Dieser Programmentwurf wird unter dem Serientitel Ciencias Humanas innerhalb der Biblioteca Breve umgesetzt.474 Drittens nennt Barrai mehrere kommerzielle Projekte, die gerade auch den lateinamerikanischen Markt einbeziehen und die ebenfalls in europäischer Koedition entstehen sollen. Hierzu zählen anspruchsvoll konzipierte Bildbände, die möglichst,

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nerales tendremos una venta estancada si no variamos nuestros métodos comerciales actuales." Das Dokument ist im Anhang V in Auszügen zitiert. "Moment actuel, 1963", S. 2, AB. "La section d'auteurs en langue espagnole de la Bibliothèque de la Pléiade, projet qui relève d'un accord avec la maison Gallimard de Paris." (8). Zwei Jahre später wird Alianza mit einer ähnlichen Programmatik Erfolg haben.

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aber nicht notwendig, von spanischen Themen ausgehen und frühere Projekte Seix Barrais weiterentwickeln sollen.475 Weiter entwickelt Barrai Vorschläge für verlegerische Zugpferde ("machines") aus dem Bereich der Belletristik; er denkt an Anthologien zum Kriminal- oder Science-Fiction-Roman und, nach einem Modell des italienischen Mondadori-Verlags, an Enzyklopädien zeitgenössischer und spanischsprachiger Literatur. Dieser nicht umgesetzte Vorschlag ist wegweisend in seiner Zielsetzung, die sich bislang fremd gebliebenen Schriftsteller und Literaturen Lateinamerikas und Spaniens miteinander und untereinander in Kontakt zu bringen.476 Dies wird in der Tat eine der wesentlichen Errungenschaften der Boom-Epoche darstellen. Schließlich denkt Barrai an die Entwicklung einer Reihe von quality paperbacks. Er konstatiert, dass die strukturellen Schwächen des spanischen Buchmarktes bislang eine angemessen breite Zirkulation von Taschenbuchreihen verhindert hätten. Dennoch sei Spanien, wie Barrai zutreffend erkennt, ein Zukunftsmarkt für Taschenbücher, die bestimmten Qualitätsstandards genügten.477 Grundlage sei eine langfristige inhaltliche Konzeption, die neben Nachdrucken eigener Titel mehrere Schwerpunkte besitzen könne: neue Übersetzungen moderner, frei verfügbarer Klassiker, anspruchsvolle Genreliteratur (Kriminalroman, Science-Fiction), unübersetzte wissenschaftliche Standardtexte. Die Inhalte müssten sich an der Nachfrage im gesamten spanischen Sprachraum orientieren, d.h. international rezipierbare Texte berücksichtigen, um eine finanzierbare Auflage zu erzielen. Zudem sei eine äußerliche Qualität - "aspect de pocket-book sophistiqué" im Stile von rororo oder Fischer - zu wahren. Wieder zeigt sich Barrai auf der Höhe seiner Zeit, antizipiert sein Vorschlag doch ein Produkt, das mit der Gründung der Libros de Bolsillo von Alianza schon kurz darauf (1966) in Spanien Einzug halten wird.478

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Barrai erwägt zwei Modelle: Erstens eine Reihe zur Kunst der Renaissance, die mit begleitenden Kommentaren renommierter Verfasser (Aranguren) versehen sein soll; zweitens eine intermediale "vision du paysage et des gens de l'Espagne d'aujourd'hui", die ausdrücklich an die Reisebeschreibungen Celas, Lopez Sahnas' oder Goytisolos erinnern soll. Auszüge aus narrativen Texten spanischer Schriftsteller sollten mit Fotografien von Maspons oder Massat kombiniert werden, evtl. auch mit Filmaufnahmen Berlangas oder Bardems. Barrai hält Auflagen von 7-10.000 Exemplaren für machbar, notwendig sei allerdings auch hier eine Koedition. "Je pense qu'un tel ouvrage serait de grande utilité comme moyen d'information dans le mosaïque des différentes sociétés littéraires de langue espagnole qui se connaissent très mal entre elles. En fait les écrivains du Mexique, du Chili et d'Argentine, par exemple, n'arrivent à dépasser leurs frontières que quand ils ont atteint une célébrité équivalente à celle des grandes figures d'écrivains en langues étrangères, et en Espagne on ignore d'une façon incroyable les écrivains d'Amérique Latine." (ebd.: 10). Als Vorbild lässt Barrai allein die Reihen des mexikanischen FCE gelten. Auch hier orientiert er sich eher an der lateinamerikanischen als an der spanischen Konkurrenz. Die einheimischen Taschenbuchreihen von Plaza y Janés (Reno) oder Juventud erscheinen Barrai als inhaltlich beliebig und ästhetisch unattraktiv. Seix Barrai selbst bringt erst 1968 die Taschenbuchreihe Biblioteca Breve de Bolsillo heraus.

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Zum Ende geht Barrai ausführlich auf zwei Aspekte ein: "Effort publicitaire et revue littéraire". All die genannten Ziele seien nur mit einer effektiven und finanziell besser ausgestatteten Werbestrategie zu erreichen, die über das Publikum der wenig gelesenen etablierten Literaturzeitschriften hinausreiche479 - "la deuxième vague des publics littéraires de chacun de nos pays" (14), zu dessen Ansprache die Mundpropaganda allein nicht ausreiche. Wirkungsvoll erscheint Barrai ferner das Konzept einer transatlantisch agierenden Literaturzeitschrift - eine von Intellektuellen spanischer Sprache immer wieder aufgegriffene Idee. Diese Zeitschrift solle in Spanien produziert, jedoch in finanzieller und literarischer Kooperation mit lateinamerikanischen Akteuren und/oder spanischen Exilanten entstehen. Mit der Publikation verbindet Barrai die Hoffnung auf eine doppelte Förderung der "nouveaux écrivains de l'Espagne" (15): diese könnten sich einerseits als Mitarbeiter der Zeitschrift, andererseits als Gegenstand der Literaturkritik profilieren.480 Anders als etwa bei dem Magazin Destino, dessen Kulturteil in enger Anbindung an den gleichnamigen Verlag entsteht, jedoch in das Konzept einer bunten Wochenillustrierten eingebettet ist, bewegen sich Barrais Vorstellungen auf eine rein literarische Publikation hin. Die von ihm favorisierte Funktion eines transatlantischen Vernetzungsmediums erfüllt später am ehesten der 1966 in Paris erscheinende Mundo Nuevo, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied zu Barrais Entwurf: statt der von Barrai erwähnten spanischen "nouvelle vague" steht dort die lateinamerikanische nueva narrativa im Vordergrund.481 In dieser Programmplanung zeigt sich Barrai, anders als in seiner gängigen Selbststilisierung, als durchaus wirtschaftlich planender Verleger. Seine Vorschläge stehen unter der Prämisse, symbolisches und ökonomisches Kapital in ein symbiotisches Verhältnis zu fuhren, und beziehen, deutlicher als noch bei der "operación realismo", auch die internationale Perspektive ein. Für den nationalen Markt gilt es, Produkte und Strategien zur Gewinnung neuer Leser jenseits der Kultureliten zu entwickeln. Barrai kommt damit auch Forderungen aus dem eigenen Verlag entgegen, die zwecks besserer Akzeptanz bei Händlern und Käufern ein marktgängigeres Programm reklamieren: "Sería muy conveniente reforzar nuestras gestiones comerciales con otras colecciones sean literarias o no, que se acomoden más al nivel medio español." 482 479

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Barrai beklagt das Fehlen eines spanischen Pressemediums im Stile des Figaro Littéraire und verweist auf die geringen Auflagen einheimischer und lateinamerikanisher Fachblätter. Die Wochenbeilagen der Tageszeitungen seien überdies ob ihrer außerordentlichen "mentalité localiste" für Seix Barrai nicht zugänglich. Der Erfolg der Biblioteca Breve lasse sich demzufolge weniger auf Werbung denn auf ein genuines Nachfrageinteresse und die Kommunikation innerhalb der "élites littéraires" zurückführen (ebd.: 13). Die Zeitschrift solle deshalb Originaltexte vorab drucken, darüber hinaus eine der Polemik bzw. Diskussion geöffnete Rubrik und schließlich eine selektive Bibliografie enthalten. Das Projekt kommt nicht zustande. Zu Mundo Nuevo siehe die Anmerkungen unter 5.3.1. Eine prinzipielle Belastung für Seix Barrai stellen die unternehmensinternen Schulden des

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Gemeinsamer Nenner der aufgeführten Strategien ist die Internationalisierung des Verlagsprogramms und des Unternehmens (Koedition). Die Suche nach neuen Lesern und Märkten bezieht zum Zeitpunkt von 1963 nicht nur den spanischen oder europäischen Kontext, sondern gerade die Staaten Lateinamerikas ein. Bezüglich der geplanten Literaturzeitschrift formuliert Barrai ein Credo, das auf die transatlantische Vernetzung der Literaturen spanischer Sprache zielt: "Il y a des possibilités inestimables dans le domaine de la mise en rapport des différentes littératures nationales en langue espagnole." (15) Ab 1963 wird es hauptsächlicher Schwerpunkt Seix Barrais, diese Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen. Barrais Optimismus für die internationalen Perspektiven der spanischsprachigen Literaturen orientiert sich dabei auch an seiner Wahrnehmung der europäischen Literaturszene, zu der schon früh Kontakte aufgenommen wurden.

3.4.2

Seix Barrai und die europäische Vermarktung der novela social

Die Orientierung an der internationalen Avantgarde ist, wie bereits gezeigt, Ausdruck der ideologischen und literarischen Distinktion intellektueller Gruppen im Franquismus (siehe 2.3). Im Programm der Biblioteca Breve erscheinen von Beginn an Werke internationaler, vorwiegend westlicher Literaturen. Was Seix Barrais Bemühungen um Internationalität von der spanischen Konkurrenz unterscheidet, ist die Intensität des transnationalen Kontaktes mit den europäischen Literatureliten. Aus der verlegerischen Arbeit generiert sich ein internationaler Austausch, der sich wenige Jahre später in der Verlegergruppe um die Formentor-Preise konsolidiert. Mit der Publikation übersetzter ausländischer Autoren tritt Seix Barrai mit renommierten französischen, italienischen oder westdeutschen Verlagen in Kontakt.483 Paris als Zentrum der spanischen Exilopposition und als internationale Kulturmetropole ist bevorzugter Ort für literarische Kontakte und Informationen. Von dort wird ein großer Teil des frühen Programms der Biblioteca Breve bezogen und dort erscheinen literarische Zeitschriften {Nouvelle Revue Française, Temps modernes), die in Barcelona als Informationsmedien über die internationalen Literaturen dienen. Había diferentes cauces de información. Primero, los contactos personales, recomendaciones de miembros del comité de lectura o de gente externa. Se recibían algunos catálogos, pocas revistas, no llegaban por la censura. Además, los contactos personales de Francfort eran importantes. Generalmente, Carlos y yo cada año hacíamos uno o dos viajes a Paris. Era más accesible y más importante Paris que Tormo, había amigos exiliados,

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Verlags gegenüber der Druckerei dar, die sich mit 8 Mio. Pten. (1963) ungefähr auf den Betrag der Produktionskosten eines Jahres (1963: 8,4 Mio. laut Haushaltsplan) belaufen ("Informe comercial" 1963). Die von Seiten der Verkaufsabteilung geäußerten Sorgen sind ein Motiv der kontinuierlichen Auseinandersetzungen zwischen den jeweils von Barrai und Seix geführten Verlagsbereichen (siehe 3.4.4). In Frankreich sind dies vor allem Gallimard (Duras) und Minuit (Robbe-Grillet, Butor), in Westdeutschland Suhrkamp (Frisch, Nossack u.a.), Kiepenheuer & Witsch (Boll) und Rowohlt (Friedrich). Die italienischen Titel stammen vor allem von Einaudi und Feltrinelli.

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Burkhard Pohl librerías, etc. Había contactos clandestinos con el Ruedo Ibérico, allí estaban Claude Gallimard y Monique Lange.484

Umgekehrt wendet sich Seix Barrai auf der Suche nach Verwertungschancen der eigenen Autorenrechte an die genannten europäischen Verlage oder wird von jenen angesprochen. In Richtung Italien datiert der erste Kontakt mit Einaudi aus dem Jahr 1956, als der italienische Verlag um Übersetzungsempfehlungen für interessante spanische Romanciers bittet.485 Zwischen 1959 und 1967 publiziert Einaudi insgesamt neun Titel von acht spanischen Schriftstellern; darunter sind drei Autoren Seix Barrais, an erster Stelle Juan Goytisolo. 486 In Paris ist vor allem die Zusammenarbeit mit Gallimard von Belang, zu dem durch Monique Lange, die zeitweise an tertulias im Hause Barrais partizipiert, und deren Freund und zwischenzeitlichen Ehemann Juan Goytisolo ein persönlicher Kontakt besteht. Goytisolo lebt seit Herbst 1956 in Paris und ist dort bis ca. 1964 als Lektor Gallimards tätig. Gallimard setzt in den späten 50er Jahren einen Akzent auf spanische Narrativik, wobei Autoren Seix Barrais ein besonderes, aber nicht ausschließliches Gewicht zukommt. Auch Seuil, wo in den 60er Jahren der spanische Exilant Xavier Domingo tätig ist, und Robert Laffont publizieren spanische Autoren, letzterer jedoch nur Schriftsteller Planetas. 487 Ein weiterer Vermittler nach Frankreich ist Maurice Coindreau als Übersetzer und Herausgeber.488

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Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997; vgl. Barrai (1978: 140), der mit Salinas' Verlagseintritt die "era de los viajes frecuentes a París" beginnen sieht. Ich werde im Zusammenhang der Vermittlung lateinamerikanischer Literatur auf die zentrale Rolle von Paris zurückkommen. Der Brief ist darüber hinaus ein Dokument für die literarischen Präferenzen von Barrai oder Castellet. Dem italienischen Verlag werden angesichts des "extrême état de pauvreté de la littérature espagnole d'après-guerre" vier Texte bzw. Autoren empfohlen: Celas La Colmena, Sánchez Ferlosios El Jarama - "le meilleur sans doute des romans espagnols depuis 1936"-, Duelo en el paraíso von José Agustín [sic] Goytisolo und El camino von Delibes. Der Brief dokumentiert offenbar den ersten Kontakt zwischen Seix Barrai und Giulio Einaudi Editore. Barrai bezieht sich auf die Zusendung eines Verlagskatalogs von Einaudi und die dabei formulierte Frage nach spanischen Romanciers. Die Korrespondenz richtet sich noch nicht an Einaudi selbst, sondern an den Mitarbeiter Solmi, dessen Vater mit Barrai korrespondiert und wohl den Kontakt hergestellt hat (Brief Carlos Barrai an Renato Solmi/Einaudi, 14.6.1956, AB; vgl. 3.2.1). Juan Goytisolo ist als einziger Autor mit zwei Titeln (Fiestas, 1959; L'isola, 1964) publiziert. Die weiteren Autoren in der Reihenfolge ihres Erscheinens bei Einaudi: Cela, Luis Goytisolo, Matute, García Hortelano, Sánchez Ferlosio, Sender, Laforet (nach dem Gesamtverzeichnis Edizione Einaudi 1983: 742). Seix Barrai ist längst nicht alleiniger Nutznießer, wie Fortes (1988) suggeriert. Von 1957 bis Frühjahr 1963 publizieren französische Verlage mindestens 38 Titel von 23 zeitgenössischen spanischen Autoren. Unter den sechs Autoren, die auch oder exklusiv bei Seix Barrai publizieren, nimmt Juan Goytisolo mit acht übersetzten Werken eine Ausnahmeposition ein und kann damit eindrucksvoll von seiner Vermittlerrolle profitieren (Daten nach Pelayo 1963: 234-37; dessen Bibliografie ist im Anhang VI dieser Arbeit dokumentiert). Coindreau betont seinerseits die wichtige Vermittlerrolle Castellets und Seix Barrais,

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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Die Vermarktung der spanischen Nachwuchsautoren im Zuge der "operación realismo" stellt somit auch eine Reaktion auf die verlegerische Nachfrage des europäischen Auslands dar, wo man sich weitere Verwertungschancen erhofft. Vermittlerpersonen wie Juan Goytisolo oder Carlos Barrai verknüpfen das Eigeninteresse mit dem übergeordneten Interesse an einer internationalen Verbreitung der spanischen Nationalliteratur.489 Wiederholt betont Barrai zu Beginn der 60er Jahre, dass sich die spanische Romanliteratur international zu einer "moda" entwickelt habe und dort eine "reñida competencia" zwischen den führenden Verlegern verursache.490 Den Grund für diese erfolgreiche Rezeption sieht er im zeithistorischen Entstehungskontext der spanischen Romane, der im Ausland einen Solidarisierungseffekt und ein generelles Interesse an literarischen Zeugnissen der Diktatur fordere.491 In einem 1963 an der Universidad Nacional Autónoma de México gehaltenen Vortrag verteidigt Barrai die vornehmlich durch die sozialrealistische Ästhetik repräsentierte Testimonialliteratur als einzig angemessene Ausdrucksform einer spezifischen spanischen Realität. Er sieht sich als Gesandten einer literatura de urgencia und zeigt ein Bewusstsein für die politisch bedingte Differenzqualität der spanischen Literatur im internationalen Kontext: A vosotros, que forzosamente pensáis en el camino recorrido por las literaturas europeas a partir de la poética realista que las gobernó en los años inmediatamente posteriores a la resistencia os podrá parecer que os hablo de algo que ya conocéis, de una experiencia que ya habéis hecho. Pero yo creo que las circunstancias son muy distintas, que en nuestro caso las vivencias más crueles se han disuelto a lo largo de veinte años en nuestra historia personal, y, ahora, al cabo de un largo sueño, [...] se nos hace urgente reconocernos.492 Ästhetik und Markt gehen hier Hand in Hand. Barrel ist sich bewusst, dass das politische Selbstverständnis der spanischen Gegenwartsliteratur dieser erst die internationalen Märkte erschlossen hat. Für die Zukunft prophezeit er der realistischen Literatur nun eine "expansión" ungeahnten Ausmaßes. 493

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denn wenige Verlage zeigten sich "tan preocupadas por la difusión de las letras españolas y extranjeras" (José Corrales Egea: "En París, con Maurice Coindreau (Apuntes de un encuentro)", Insula 154 (Sept. 1959), S. 5). Fortes sieht hier eine kollektive Gruppenstrategie als Zusammenspiel von Schriftstellern, Verlagen und Literaturkritik am Werke. Der sich lediglich als "eufémico y blando" (1988: 191) äußernde Antifranquismus der maßgeblichen Intellektuellen werde ökonomischen Zielen untergeordnet. Unter dem Schlagwort der "normalización" literarischer Austauschbeziehungen zum Ausland rede man schließlich der Sache der franquistischen Pseudo-Liberalisierung das Wort. Zur Verlagstätigkeit in Paris vgl. die Selbstzeugnisse bei Goytisolo (1986: 5-8, 20, 105-11 und 1995: 267-71, 299). Carlos Barrai, Vortragsmanuskript "Censura" (ca. 1964), 15 Seiten, AB. Barrai beurteilt diese modisch bedingte Rezeption nicht nur positiv: der internationale Erfolg einer auf Oberflächenrealismus festgelegten Narrativik behindere deren formale Innovation (ebd., S.l 1). An dieser Stelle sind bereits die Diskussionen um den "kritischen Realismus" zu spüren (siehe 4.3.1). Carlos Barrai, Vortragsmanuskript "UNAM", 1963, 12 Seiten, AB. "Estoy personalmente convencido, y muchos de mis compañeros de letras lo están tam-

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Als international vernetzter Verlag reagiert Seix Barrai fortan sensibel auf die Signale der ausländischen literarischen Öffentlichkeit. Die jährliche Verleihung der Internationalen Verlegerpreise in Formentor dient als bevorzugter Austragungsort europäischer Debatten und als ständiger Gradmesser des internationalen Ansehens der spanischen Literatur.

3.4.3

Die Verlegergruppe Formentor als Modell internationaler Vernetzung

Zwar ist wiederholt die Bedeutung der anfanglich in Formentor verliehenen Literaturpreise und der sich um diese Preise entspannenden intellektuellen Kontakte betont worden, doch ist in Ermangelung dokumentarischen Materials eine systematische Erforschung der Abstimmungen und Verfahren bisher unmöglich gewesen. 494 Aufgrund von nicht aufgearbeiteten oder publizierten Unterlagen werde ich nun diese einzigartige internationale Verlagskooperation detaillierter konturieren und bisherige Forschungsthesen damit auf gesicherten Boden stellen. 495 Weitere Daten aus nationalen und internationalen Presseberichten geben Aufschluss über die außerspanische Resonanz der Formentor-Preise. Vorläufer der Verlegerpreise sind die von Seix Barrai organisierten Coloquios Internacionales de Novela, deren erster vom 26.-28.5.1959 in Formentor/Mallorca stattfindet, im Anschluss an die Conversaciones Poéticas des auf Mallorca residierenden Camilo José Cela. Das Kolloquium dient nicht nur der Kontaktpflege und Anbindung zur europäischen Literatur- und Kritikerelite, sondern bildet auch den internationalen Rahmen für die Verleihung des Premio Biblioteca Breve.496 Die Diskussio-

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bién, de que a partir de ahora se abre ante la literatura española una posibilidad de expansión que no tuvo desde hace muchos años y de que la naturaleza histórica de esa posibilidad la inclina casi totalmente del lado del realismo." (Carlos Barrai, Vortragsmanuskript "UN AM", 1963). Die ausführlichste Schilderung findet sich in Barrais Memoiren (Barral 1978: 239-91 zu den Jahren 1959-62; 1988: 27-47 und 63-65 als Gesamtüberblick). Barrais Erinnerungen bestechen durch ihre atmosphärische Dichte und Teilnehmerporträts, liefern aber wenige konkrete und verlässliche Daten. Für das Jahr 1967 konnte umfassendes Archivmaterial neu genutzt werden, für die Jahre 1961, 1962, 1964 und 1965 liegen mir Teilnehmerlisten vor, lediglich für 1963 musste auf Presseangaben zurückgegriffen werden. Die Abstimmungsprozesse ließen sich für 1967 rekonstruieren, für die weiteren Jahre halfen Angaben aus der internationalen Presse. Vgl. die Dokumentation der Teilnehmerlisten, Statuten, Abstimmungen und Preisträger im Anhang (VII-IX) dieser Arbeit. Die Protokolle und Korrespondenz der Formentor-Preise bleiben verschollen. In der bisherigen Forschung macht allein Dravasa (1992: 68f.) nähere Angaben zur Preisverleihung 1961, geht jedoch auf folgende Jahre nicht ein. Das Treffen wurde in einschlägigen Literaturzeitschriften dokumentiert: José Luis Cano: "Las 'Conversaciones Poéticas' de Formentor'", Insula 151 (Juni 1959), S. 10; José Maria Castellet: "El Primer Coloquio Internacional sobre Novela", Insula 152-53 (Juli-Aug. 1959), S. 19 u. 32; José María Espinás: "El I Coloquio Internacional de Novela, en Formentor", Destino 1139 (6.6.1959), S. 13-15; Joan Fuster: "El I coloquio internacional de

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nen drehen sich um die Funktion des Schriftstellers in der Gesellschaft und um die Funktion realistischen Schreibens. Als Kontrahenten formieren sich auf der einen Seite Robbe-Grillet und Butor als Vertreter des Nouveau Roman, die die gesellschaftliche Veränderungsmacht der Literatur an ihrem ästhetischen Innovationsgehalt messen ("objetivismo esteticista"), auf der anderen der Großteil der spanischen Romanciers, die auf der Abbildung von Realität im Sinne der sozialen Funktionalisierung von Literatur beharren ("objetivismo testimonial"). 497 Italiener, Briten und einige Spanier (Delibes, Cela, Martín Gaite) nehmen eine eher moralisch als politisch definierte Mittelposition ein. 498 Letztlich aber gewinnt das Formentor-Treffen vor allem als publizistisches Ereignis und als Kontaktaufnahme zu den literarischen Eliten Europas an Relevanz: Las reuniones respondieron a la expectación que habían suscitado - la prensa y la radio les dieron resonancia pertinente - , y sobre todo, facilitaron los contactos personales entre escritores de tan diversa procedencia lingüística y estética, que es lo verdaderamente positivo de este tipo de rencontres 499 Als Vertiefung dieser Kontakte entwickeln Salinas, Petit und Barrai die Idee eines Internationalen Verlegerpreises, der ebenfalls auf Mallorca verliehen werden soll. Das Projekt wird auf der Frankfurter Buchmesse 1959 ins Rollen gebracht und erhält die Zustimmung einiger einflussreicher Verleger aus dem Kreise der "contraferia exclusiva" - der informellen Zusammenkunft der sich als elitär verstehenden, nicht primär an Bestsellern orientierten Zunft. 500 Am 3.5.1960 unterzeichnen sechs inter-

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novela en Formentor", Papeles de Son Armadans 14:41 (August 1959), S. 207-12; Jesús López Pacheco: "Novela Internacional", Indice 126 (Juni 1959), S. 10 u. 26; Juan Ramón Masoliver: "Poética agitación en la isla de la calma o las Conversaciones de Formentor", Destino 1138 (30.5.1959), S. 38f. Vgl. die bibliografischen Angaben bei Gracia (1996) und Fortes (1982). Der an die Teilnehmer ausgeteilte Fragebogen gibt folgende Themen vor: "I. EL NOVELISTA Y LA REALIDAD. ¿Cree usted que la novela debe aspirar a transcribir una experiencia, o a testimoniar una situación; a defender una postura ideológica, o a crear un mundo independiente? II. E L NOVELISTA Y LA SOCIEDAD. Frente al problema de la sociedad, ¿cree usted que el novelista debe limitarse a transcribir el mundo tal como lo ve y entiende o, más bien, que, matizando sus observaciones y señalando las contradicciones de la sociedad que describe, debe cooperar de algún modo a su transformación? [...] III. E L NOVELISTA Y SU ARTE. En la actual querella entre 'vieja' y 'nueva' novela, ¿ve usted una cuestión puramente técnica o cree usted que atañe a la concepción de la novela como género literario?" (López Pacheco, "Novela", Indice 126 (Juni 1959), S. 10). Fuster, "Coloquio", Papeles de Son Armadans 14:41 (August 1959), S. 210. Ein anderer Bericht deutet erhitzte Diskussionen an: "Castellet [...] dice que el novelista debe buscar el sentido de la marcha de la sociedad para sumarse a ella, con su útil de trabajo, que es la novela. A lo cual Robbe-Grillet dice que el mejor modo de identificarse con esa marcha que puede tener el novelista es hacer buenas novelas. Nerviosamente, Carmen Martín Gaite exlama: ' ¡Claro, como al zapatero lo único que hay que pedirle es que haga buenos zapatos!'" (López Pacheco, "Novela", Indice 126 (Juni 1959), S. 10). Fuster, "Coloquio", Papeles de Son Armadans 14:41 (August 1959), S. 212. Barral (1978: 261). Barrai und Salinas stimmen ihr Konzept vorher mit Einaudi ab. Des-

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nationale Verlage die ersten Statuten und eine grundlegende Convention: Gallimard, Einaudi, Weidenfeld, Rowohlt, Grove Press, Seix Barrai. Es werden zwei Literaturpreise unterschiedlicher kommerzieller Zielsetzung, jedoch gleich hoher Dotierung ausgelobt: der Prix International des Éditeurs, später Prix International de la Littérature, sowie der Prix Formentor, die ich im Folgenden als PI und PF abkürze.501 Im Mai 1960 organisiert Seix Barrai in Formentor den zweiten Coloquio Internacional sobre Novela, auf dem der Beschluss zu den Literaturpreisen gefasst und in Statuten gegossen wird. 502 Die Diskussionsthemen dieses II. Kolloquiums - "El editor y el novelista" und "El editor y el público" - lassen den pragmatischen Blick auf die Marktbedingungen von Literatur erkennen. Hier legen Barrai und Castellet ihre Auffassungen zur eigenen Verlagsarbeit dar und betonen den aktiven Einfluss des Verlegers auf die Entwicklung literarischer Trends: [Barrai dijo que] [e]n la actualidad [...] el editor "busca" a los autores, a veces incluso más allá de las obras que ya tienen terminadas; él, o su comité de lecturas, ejercen, de hecho, una doble influencia sobre el trabajo de los autores y sobre la formación del gusto de los lectores.503 Sie gehen dabei mit Juan Goytisolo konform, der gegen Camilo José Cela die verlegerische Intervention in den Schaffensprozess als vorteilhaft für den Schriftsteller verteidigt. 504

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sen und Gallimards Teilnahme, dazu Salinas' und Monique Langes Verhandlungsgeschick, sind nach Barrais Zeugnis (251-56) ausschlaggebend für das Zustandekommen des Kompromisses. Da Französisch erste Verkehrssprache der Veranstaltungen ist, firmieren die Preise in der Regel unter den französischen Begriffen. Wie Barral einräumt, dient das Kolloquium, das sich offiziell dem verlegerischen Einfluss auf ästhetische Urteile widmet ("Influencia del editor en la estabilidad de los gustos literarios"), eher als Fassade der übergeordneten Interessen (Barral 1978: 267). Eine Chronik und ein Protokoll des Coloquio unter anderem in: "Reunión internacional de editores en Formentor, Mallorca", El Libro Español 30 (Juni 1960), S. 191-96. Vgl. auch José Maria Castellet: "El Segundo Coloquio Internacional sobre Novela en Formentor", Insula 163 (Juni 1960), S. 4; J.M. Espinás: "Cita en Formentor. El II Coloquio Internacional de la Novela", Destino 1188 (14.5.1960), S. 43f.; Juan García Hortelano: "Las letras y el oro", Indice 137-38 (Juni-Juli 1960), S. 42. "Reunión", El Libro Español 30 (Juni 1960), S. 192. Castellet spricht in ähnlicher Weise von "minorías intelectuales, ligadas a la labor editorial, que, por lo general, representan la parte más viva de la vanguardia literaria". Obwohl von der Bevölkerung isoliert, bestimmten diese Eliten - sprich: der Seix-Barral-Zirkel - über den künftigen Massengeschmack: "[A]l cabo del tiempo, llegan a influir en el gusto de un público más amplio." (Castellet, "Coloquio", Insula 163 (Juni 1960), S. 4). Mit Cela ist die Position des sich als autonom verstehenden Schriftstellers repräsentiert, dessen Autonomie freilich nur aufgrund einer politischen Affinität und ökonomischen Freiheit begründet werden kann; Goytisolo hingegen verkörpert die Position eines Nachwuchsautors, der literarische (Op)Positionsnahmen mit einer bewussten Akzeptanz der Marktbedingtheit von Literatur verbindet.

3. Verlagspolitik,

kulturelle Positionierung

und

Internationalisierung

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Formalien und Statuten Jährlicher Termin der mehrtägigen Formentor-Treffen ist die erste Maiwoche; hinzu kommen regelmäßige Vorbereitungstreffen anlässlich der Buchmesse in Frankfurt. Damit etabliert sich ein halbjährlicher Versammlungsrhythmus, dessen Unterschied zu üblichen Verlagskontakten in dem außergewöhnlichen Organisationsgrad liegt, mit dessen Hilfe heterogene Partikularinteressen zu einem gemeinsamen Projekt kanalisiert werden. Zur Frankfurter Buchmesse 1961 werden weitere sieben Verlage aufgenommen und der Kreis der Teilnehmerstaaten damit auf dreizehn ausgeweitet, die in sieben Delegationen zusammengefasst sind.505 Die sechs Gründerverlage sichern jedoch ihre Machtposition: Seix Barrai fuhrt die "Délégation EspagnolePortugaise-Latino-Américaine" an und tritt so als hauptsächlicher Vertreter nicht nur der spanischen, sondern auch der lateinamerikanischen Literaturen an.506 Generalsekretär der jährlichen Zusammenkünfte wird Jaime Sahnas, der diese Funktion auch nach seinem Ausscheiden bei Seix Barrai 1964 ausübt. Als namensgebender Versammlungsort gilt für 1961 und 1962 Formentor, bis nach Querelen mit der spanischen Regierung die Preisverleihungen an wechselnde Orte verlegt werden.507 In den formalen Vorgaben spiegelt sich die unterschiedliche Interessenlage der Beteiligten. Grundsätzlich handelt es sich um die Doppelung eines eher kommerziellen Preises (PF) als Vorschuss für ein noch nicht publiziertes Manuskript, und eines eher literarischen, prestigeträchtigen Preises (PI) fur ein publiziertes Werk. Das Preisgeld beträgt jeweils 10.000 $, eine nach allgemeiner Auffassung nicht eben geringe Summe.508 Die sechs Gründungsverlage bilden laut Statuten als "membres

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"Addendum a la Convention du Prix International des Editeurs", 19.10.1961, AB. Die Verlage sind Arcadia (Lissabon), Bonnier (Stockholm), Gyldendal (Kopenhagen), Gyldendal (Oslo), McClelland & Stewart (Toronto), Meulenhoff (Amsterdam), Otava (Helsinki). Die Statuten werden bis 1967 verschiedentlich, aber nicht substanziell verändert. Ihr Stellenwert ist keinesfalls gering zu schätzen, wie die Bemerkung des deutschen Jurors Adolf Frisé zeigt, dass 1961 in Streitfragen die Statuten "oft, Silbe für Silbe, zu Rate gezogen" worden seien (Adolf Frisé: "Beckett-Borges 3:3", Die Zeit 20 (12.5.1961), S. 20). Die Vertreter der später aufgenommenen Verlage werden in die sechs Delegationen eingegliedert: Während die skandinavischen Verlage eine eigene, neue Delegation bilden und in dieser Gesamtheit den Gründerverlagen rechtlich gleichgestellt sind, werden Kanada durch die englische, die Niederlande durch die deutsche und englische, Portugal schließlich durch die spanische Jury mit vertreten, so dass diese "membres participants" nur einen geringen Einfluss besitzen und meist nur mit einem stimmberechtigten Repräsentanten vor Ort sind. Veranstaltungsorte sind Korfu (1963), Salzburg (1964), Valescure (1965) und Gammarth (1967). Zu den politischen Querelen siehe S. 175 dieser Arbeit. Die finanzielle Beteiligung trägt der Größe des jeweiligen Verlags Rechnung: Gallimard und Einaudi übernehmen je 4.000 $, Rosset 3.500 S, Weidenfeld und Ledig-Rowohlt je 2.750 S, Seix und Barrai lediglich 2.000 $; die ausstehenden 1.000 S sind von dem Verle-

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fondateurs" die Kerngruppe gegenüber den 1961 neu aufgenommenen Verlagen, die als "membres participants" nur begrenzten Einfluss auf die Entscheidungen nehmen können und mit geringeren Summen an der Finanzierung der Treffen beteiligt sind. 509 In den Statuten des PI wird Seix Barrais Einfluss deutlich, insofern als der Text fast wörtlich die Leitlinien des Premio Biblioteca Breve aufgreift: Les œuvres retenues ne devront pas seulement avoir la valeur littéraire normalement exigée en semblable circonstance, mais encore témoigner, par leur inspiration, leur forme ou leur contenu, d'un effort de renouvellement dans leur genre et présenter, au jugement des promoteurs, des qualités durables, capables d'exercer une influence sur le développement des différentes littératures nationales. No la mejor novela entre las presentadas, sino la mejor entre aquellas que revelen una voluntad de renovación de los procedimientos y de los conceptos mismos del género [...], que más se acerquen a las exigencias literarias de nuestro tiempo.511 Der Preis ist nicht an ein Lebenswerk (wie z.B. der Nobelpreis), sondern an ein einzelnes Werk eines noch aktiven Autors gebunden, und damit als der Aktualität verpflichteter "Anti-Nobel" konzipiert (Einaudi 1990: 128). Mit der Auflage, dass es sich um einen lebenden Autor handeln solle, der noch ein umfangreicheres Werk erwarten lasse oder bereits vorweise, ist das Ziel verbunden, dem preisgekrönten Titel breite Öffentlichkeit - "la plus vaste audience internationale" - zu verschaffen. 512 Er soll in wenigstens einem Herkunftsland der in einer Delegation integrierten Verlage publiziert werden. Der Modus setzt voraus, dass nicht den wirtschaftlichen Interessen aller beteiligten Verlage entsprochen werden kann, denn die Rechte für einen Preisträger mögen durchaus bei einem anderen als dem teilnehmenden Verlag seines Herkunftslandes liegen. 513

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ger aufzubringen, dem die Organisation der internationalen Publikation des mit dem Prix Formentor ausgezeichneten Titels obliegt. Auch hier gelten Unterschiede, denn der kanadische Verlag McClelland & Stewart übernimmt lediglich 500 $, der niederländische Verleger Meulenhoff immerhin 800 $. "Statuts du Prix International des Editeurs", Titel 1, 1960, AB. Ausschreibung zum Premio Biblioteca Breve, siehe dazu auch S. 125 dieser Arbeit. "L'auteur doit donc être vivant, et le jury pouvoir raisonnablement estimer qu'il poursuivra son œuvre" ("Statuts", Titel 2). Die Verbindung von Konsekration und Innovation setzt eine in der Praxis nicht leicht zu erfüllende Norm, zumal der jeweilige Konsekrationsgrad international stark differieren kann. So werden 1961 mit Beckett und Borges zwei bereits etablierte Autoren prämiert, die dem Kriterium der Zukunftsorientiertheit kaum genügen; das im folgenden Jahr auf den noch wenig bekannten Uwe Johnson entfallende Votum deckt dagegen eher die Anforderungen ab. Der deutsche Preisträger Uwe Johnson z.B. erscheint bei Suhrkamp. Rowohlt führt nicht ein einziges der mit dem PI ausgezeichneten Werke in seinem Programm, eine Tatsache, die das kommerzielle Kalkül bei diesem Verleger zumindest als weniger vordringlich erscheinen lässt. In Spanien übernimmt Seix Barrai die meisten der Preisträger in seine eigene Programmplanung; Saul Bellows Herzog wird jedoch bei Destino publiziert. Johnsons Das dritte Buch über Achim, das ebenso wie Mutmaßungen über Jakob in Spanien verboten wird, erscheint 1962 in Buenos Aires bei Plaza y Janés (El tercer libro sobre Ajim).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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Diese relative Ungebundenheit des PI an Verlagsinteressen wird durch ein kompliziertes Wahlverfahren angestrebt. Es sieht Abstimmungen durch nationale Jurys bzw. Delegationen vor, die sich aus sechs Mitgliedern - Lektoren, Autoren und Kritikern - zusammensetzen, denen jedoch keiner der beteiligten Verleger selbst angehören darf. Allerdings wird die eigentlich geforderte Abgrenzung von Verlag und nationaler Jury nicht immer streng aufrechterhalten; z.B. sind Caillois als Mitarbeiter von Gallimard oder Calvino als Lektor von Einaudi 1961 Mitglieder der jeweiligen nationalen Delegationen. Gleiches gilt für die spanische Jury, an der Juan Petit partizipiert, während andere Mitglieder - Aub, Cela, Paz - keine unmittelbare Verbindung zum Verlag Seix Barrai besitzen.514 Für die Abstimmung in Formentor wird eine Kandidatenliste erstellt, für die im monatelangen Vorlauf des Treffens jede Delegation drei nationale Kandidaten nominiert und weitere zwei internationale Autoren benennen darf. Aus dieser Liste wird vor Ort eine endgültige Auswahl erstellt, aus der in mehreren Runden schließlich der Sieger ermittelt wird. 1961 stehen in Formentor um die fünfzig Autoren zur Erstabstimmung, deren Endauswahl noch siebzehn Autoren umfasst.515 Die auch in den folgenden Jahren hohe Kandidaten- und Jurorenzahl verlangsamt den Entscheidungsprozess außerordentlich, so dass schließlich eine Begrenzung auf maximal drei Kandidaten pro Delegation notwendig wird und sich für 1967 die Zahl der stimmberechtigten Jurymitglieder auf je drei reduziert. Bei aller Weitläufigkeit bedarf die Internationalisierung der Literaturen in Formentor der Kodierung in einer oder zwei führenden Sprachen.516 Mit der Erweiterung der beteiligten Staaten auf Skandinavien und, für 1967, auf Japan, stellt sich das erhebliche Problem der Verfügbarkeit von Übersetzungen der zur Abstimmung vorgeschlagenen Autoren. Für 1967 wird daher ein Fonds ins Leben gerufen, aus dem Übersetzungen ins Englische und Französische finanziert werden sollen, was das 514

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Nach Einaudis Ansicht (1993: 208) verlagert die Arbeit der nationalen Formentor-Jury die Sitzungen des eigenen Lektorenkomitees auf eine internationale Ebene, und tatsächlich rekrutiert sich in verschiedenen Jahren mit Castellet, Gii de Biedma, Vilanova, später Ferrater und Valverde, auch ein Teil der spanischen Juroren aus dem Lektorenkreis Seix Barrais. Nicht alle Delegationen und Verlage sind gleichermaßen engagiert bei den Beratungen. Während Einaudis Gruppe stets den größten Umfang aufweist und sich konsequent um die Interessen der eigenen Autoren bemüht, ist die deutschsprachige Delegation kleiner und nur selten vollständig vertreten. Nach Dravasa (1992: 71), die einen zeitgenössischen Zeitungsbericht zitiert (Le Figaro, 13.5.1961); vgl. auch Barrai (1978: 251) und die Autorenliste in Anhang VIII. Spanische Presseberichte für 1961 u.a. bei B.[artolomé?] M.[ostaza?]: "Los Premios Formentor", El Libro Español 42 (Juni 1961), S. 189f.; Enrique Canito: "Los Premios Internacionales de Novela", Insula 174 (Mai 1961), S. 5; José María Llompart: "Carta de Formentor", Papeles de Son Armadans, 21:62 (Mai 1961), S. XXVII-XL. Die Formentor-Treffen bestätigen somit, dass internationale bzw. "ex-zentrische" Autoren nur als "hommes traduits" existieren. Pascale Casanova macht diese These zu einer der Konstituenten der von ihr skizzierten "république mondiale des lettres" (1999: 354).

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erhebliche Finanzvolumen der Formentor-Treffen noch erhöht.517 Dennoch wird immer wieder der Euro- bzw. Sprachenzentrismus der beteiligten Juroren bemängelt, dem auch durch die Verringerung der zur Auswahl stehenden Texte wenig Abhilfe geschaffen wird. Nur wenige Texte liegen vor der Abstimmung in den Konferenzsprachen vor, kein Jurymitglied kennt alle vorgeschlagenen Werke.518 Während der PI schon allein durch die Komplexität der Statuten als seriös ausgewiesen ist, wird der PF als "weniger ein mäzenatisches denn ein kommerzielles Unternehmen" wahrgenommen.519 Während es als Qualitätsnachweis des PF genügt, dass der zu prämierende Titel einer Übersetzung würdig sein soll,520 widmen sich die Statuten minutiös dem technischen Aspekt der internationalen Vermarktung des Siegertitels. Angestrebt ist die gleichzeitige Publikation in allen dreizehn Verlegerstaaten und damit in elf Sprachen binnen eines Jahres. Die Publikationspflicht des PF stößt im konkreten Fall jedoch auf Hindernisse. Zwar erscheint Garcia Hortelanos Tormenta de verarto noch wie geplant, doch kann Seix Barrai schon aufgrund der Zensurauflagen die vereinbarten Veröffentlichungsfristen nicht einhalten. Marainis L'età del malessere und Semprüns Le grand voyage dürfen in Spanien nicht erscheinen, Schnecks Nightclerk gilt von vornherein als nicht publizierbar. Wie der damalige Rowohlt-Mitarbeiter Raddatz feststellt, scheitert das Konzept des PF an den mangelnden internationalen Verwertungschancen der prämierten Titel, deren Auswahl von den hauptsächlich am nationalen Markt orientierten Verlagsinteressen dominiert ist.521 Die Schwierigkeiten bei der Suche nach erfolgversprechenden Manuskripten lassen die Verleger daher schon 1963 vom Kriterium 517

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"Afin d'éviter, dans la mesure du possible, que les membres du Jury International soient appelés à se prononcer sur des ouvrages dont ils n'auraient pas tous pu prendre personellement connaissance, au moins en traduction, et pour permettre une discussion comparative généralisée, il est entendu que les ouvrages candidats devront être accompagnés d'une traduction anglaise ou française. Au cas où il n'existerait pas, une traduction en langue française ou anglaise pourra être établie sur recommendation du Jury aux frais du Fonds Commun de Traduction." ("Statuts du Prix International de Littérature", Titel 3, 1967, AB. Hervorhebung im Original). So beklagt Vilar 1962, dass die spanischen Autoren hoffnungslos benachteiligt und sogar missachtet würden: "[Q]uedó demostrado el desconocimiento o la falta de interés de los demás por la literatura española. [...] Los jurados extranjeros tenían la obligación moral de pronunciarse respecto a las obras de los escritores españoles, aun en el supuesto de que fuese en contra. [...] [E]n general, las literaturas latinas estaban en esa desventaja 'administrativa' respecto a los anglosajones." (Sergio Vilar: "Carta de Formentor", Papeles de Son Armadans 25:75 (Juni 1962), S. LXVII-LXXIV, hier: LXXf.). Dieter E. Zimmer: "Die Revolution im Swimming-Pool", Die Zeit 20 (14.5.1965), S. 17f., hier: 18. "[...] digne d'être publiée dans le monde entier" ("Statuts de la Sélection des Editeurs (Prix Formentor)", 3.5.1960, 2 Seiten, AB, hier: S. 1). Auch hier ist die Hierarchie der Verlage streng geregelt: Die "membres participants" können lediglich ein Manuskript über die gemeinsame Delegation einbringen, Arcadia darf somit nur einen Text durch Seix Barrai präsentieren.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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des Unveröffentlichtseins abrücken, was dem Prestige des PF wiederum abträglich

Prix International 1961 1962 1963 1964 1965 1967 Prix 1961 1962 1963 1964 1965

de la Littérature/Prix

International

des

Editeurs

Jorge Luis Borges, Ficciones Samuel Beckett, Molloy/Malone meurt/Comment c 'est/L 'innommable Uwe Johnson, Mutmaßungen über Jahob Carlo Emilio Gadda, La cognizione del dolore Nathalie Sarraute, Les fruits d'or Saul Bellow, Herzog Witold Gombrowicz, Kosmos Formentor Juan Garcia Hortelano, Tormenta de verano Dacia Maraini, L'età del malessere Jorge Semprün, Le grand voyage Gisela Eisner, Die Riesenzwerge Stephen Schneck, Nightclerk

Verlegerinteressen Mehrere sich überlagernde Motive - politische, kulturelle, finanzielle - kommen für die kostspielige Anwesenheit in Formentor in unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen. Für einen über die Sprachgrenzen noch wenig bekannten Verlag wie Seix Barrai sind die Formentor-Treffen mit der Hoffiiung auf Prestigegewinn und mit der Kontaktaufnahme auf internationaler Bühne verbunden.523 Für alle Teilnehmer liegt ein Reiz der Verlegertreffen in ihrer Aura einer "Akademie der modernen Literatur", deren Bedeutung sich weniger in der Preisverleihung selbst als im mittelbaren "antiprovinziellen Effekt" eines nationale Grenzen überschreitenden Literaturaustauschs ausdrückt: "daß einem Kreis einflußreicher Literaten wenig oder gar nicht bekannte Werke vorgestellt werden, daß Übersetzungspläne reifen, daß man die Ansprüche aneinander mißt."524 Giulio Einaudi referiert 1998 anhand der Kandidatenliste des

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Salinas beschreibt einen zunehmend sorgloseren Umgang mit den Statuten: "[Y]a en Corfü se hizo la excepción porque el libro de Semprún ya estaba publicado [...] Yo como secretario general que tenía que comprobar y asegurar que se aplicara el reglamento, tuve que protestar enérgicamente, pero no me hicieron caso, naturalmente." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 30.4.1998). "Wir kannten keinen anderen spanischen Verlag, hatten auch kaum spanische oder lateinamerikanische Autoren in unserem Programm [...]. Die Beziehung des Rowohlt-Verlags nach Spanien, die sich durch Formentor entwickelte, gestaltete sich über den Verlag und die Person Barral." (Fritz J. Raddatz, Interview mit B.P., 15.4.1998). Zimmer: "Revolution", Die Zeit 20 (14.5.1965), S. 17. Dies wird auch von den beteiligten Verlegern so gesehen; Barney Rosset (Grove Press) fordert trotz organisatorischer Hindernisse 1962 die Fortführung der Preise: "They are unique in our publishing world and I am confident that their stature will continue to grow rapidly." (Brief Barney Rosset an

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Jahres 1965, welcher Einfluss von Formentor auf die italienische Rezeption ausgegangen sei, da 70% der dort für den PI präsentierten Autoren heute in Italien publiziert seien: Bene, su questi 31 Autori, oggi in Italia 23 vedono pubblicato le loro opere, il 70% di quelli presentati al premio in quell'anno. Di questi 23 Autori, Einaudi ne ha pubblicato 13, di cui 7 erano da noi già conosciuti e pubblicati, mentre 6 furono accolti nel nostro catalogo dopo i dibattiti formentoriani. Affermo, non insinuo, che gli altri dieci autori pubblicati in Italia da altre case editrici, sono entrati nei cataloghi della concorrenza grazie a Formentor.525 Ahnliches lässt sich für die Programme von Seix Barrai und seinem mexikanischen Partnerverlag Joaquin Mortiz beobachten. In Anbetracht der eingeschränkten Importmöglichkeiten für ausländische Publikationen stellt der fortwährende Austausch mit internationalen Verlegern für Seix Barrai ein notwendiges Instrument der Vermittlung und Information dar. Viele in Formentor präsentierte Autoren erscheinen später bei Seix Barrai und Joaquin Mortiz oder sind bereits vorher im Verlagsprogramm vertreten. Allein elf der siebzehn Finalisten des PI 1961 werden bei diesen beiden Verlagen publiziert.526 Von den Preisträgern des PI werden Sarrautes Las frutas de oro (1965) und Gombrowicz' Cosmos (1969) bei Seix Barrai veröffentlicht, von Gadda erscheinen der 1963 prämierte Titel Aprendizaje de dolor (1965) und vorher El zafarrancho aquel de Via Merulana (1964). Insgesamt stellt sich ein großer Teil des narrativen Programms von Seix Barrai als Querschnitt durch die auf den Formentor-Treffen diskutierte Literatur dar.527 Dies gilt auch für die internationale Rezeption lateinamerikanischer Autoren (s.u.).

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Claude Gallimard, 13.12.1962, AB). Fritz J. Raddatz, der von 1959-69 bei Rowohlt angestellt ist, charakterisiert die Formentor-Treffen als einen "internationale[n] Salon" und "ein gesellschaftliches Ereignis mit intellektueller Ambition" (Interview mit B.P., 15.4.1998). Giulio Einaudi, Vortragsmanuskript für "Homenaje a Carlos Barrai", Madrid, Casa de América, 29.4.1998, 8 Seiten, hier: S. 3; vom Autor erhaltene Kopie. Drei Finalisten sind bereits bei Seix Barrai publiziert worden (Duras, Miller, RobbeGrillet), hinzu kommen, z.T. mit anderen als den beim PI präsentierten Titeln, Bellow (1968), Carpentier, Cassola (1961), Frisch (1961), Gadda (1964), Maclnnes (1962), Sarraute (1965); Beckett (Como es) und ebenfalls Bellow (Henderson, el rey de la lluvia) gehen an Joaquín Mortiz. Auch von den international wenig bekannten Kandidaten zum PF werden einige in das Programm Seix Barrais übernommen. 1961 ist dies Claude Ollier (Garantía del orden, 1963), dessen Roman sich als "una obra maestra de la 'técnica objetiva' [...] al servicio de una acción ágil y violenta" (Umschlagtext) für die Biblioteca Formentor qualifiziert; 1962 wird Seix Barrai auf Fereydoun Hoveyda (La cuarentena, 1963) und Lucio Mastronardi (El maestro de Vigevano, 1964) aufmerksam. Zur Diskussion stehen z.B. später bei Seix Barrai publizierte Autoren wie Le Clézio, Meri, Mishima, Mulisch, Nossack, Pieyre de Mandiargues, Rezzori oder Tanizaki. Von den fünf PF publiziert Seix Barral neben García Hortelano nur Eisner, da, wie erwähnt, die übrigen Preisträger nicht in Spanien veröffentlicht werden dürfen.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung

und

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Internationalisierung

D i e s e Angaben verdeutlichen ferner, in welcher Übereinstimmung mit europäischen Literaturen und Verlagen Seix Barrai handelt, w e n n auch der Zusammenhang von Präsentation in Formentor und anschließender Publikation nicht immer im Einzelnen nachzuweisen ist. Durch die engen Kontakte im 'Club Formentor' ergibt sich die Chance eines Informationsmonopols über die internationale Szene: Auch das spielte für die Verleger eine große Rolle, jenseits der Preise, der Austausch von Informationen. Irgend jemand fragte: "Kennt Ihr James Baldwin?" Baldwin war gerade in Amerika hochgegangen, der erste Roman war bereits bei Gallimard erschienen. Man fragte Weidenfeld, die Amerikaner, "Who is Baldwin?", dann kriegte man den Band, setzte sich ans Telefon und rief direkt unser New Yorker Büro an. Man machte sich also kundig, was in der Welt der Literatur los war. Das war für die Spanier vor allem wichtig, weil sie so abgeschnitten waren, aber für alle anderen auch. Erval von Gallimard, zuständig für die deutschen Autoren, konnte man beim Kaffee Autoren nennen - "Kümmer dich mal um den" - gar nicht unbedingt Rowohlt-Autoren, auch andere. Es ging gar nicht um Verlagsinteressen, es war ein intellektueller Austausch. 528 N e b e n diesen mittelbaren Marktinteressen stehen auch konkretere finanzielle Erwägungen im Vordergrund. D i e s gilt besonders für den Prix

Formentor:

Wir alle erhofften uns verlegerische, kommerzielle Erfolge herstellen, von mir aus, manipulieren zu können. Eine der règles du jeu war, dass der Preisträger [...] sieben Auslandsausgaben erhielt; das war natürlich eine spektakuläre Angelegenheit. Gerade in Deutschland, wo das Publikum sehr preisgläubig ist [...] erhoffte man sich, dass man die Aufmerksamkeit auf ein jeweils schwieriges Buch lenken konnte. (Ebd.) Für Seix Barrai bieten die Kontakte in Formentor zunächst die Chance zur internationalen Vermarktung der spanischen Erzähler, was v o n Zeitgenossen durchaus erkannt und begrüßt wird. 5 2 9 A u s diesem Grund verzichtet der Verlag auf die Möglichkeit, während der Formentor-Woche auch über den Premio

Biblioteca

Breve

zu

entscheiden - w i e noch 1961 geschehen - , sondern verlegt dessen Verleihung in den Winter. S o werden ein zweiter öffentlichkeitswirksamer Auftritt des Verlags und des siegreichen Manuskripts ermöglicht, das im folgenden Jahr um den PF ins Rennen geschickt wird. 5 3 0 Insgesamt aber geht das ökonomische Kalkül nur bedingt auf,

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Fritz J. Raddatz, Interview mit B.P., 15.4.1998. Frisé versteht die Kandidatenvorstellung als einen "Test: für die Verleger, ihre Lektoren wie für die Kritiker." (Adolf Frisé: "Nathalie Sarraute behauptet sich", Frankfurter Allgemeine Zeitung 104, 5.5.1964, S. 20). "No cabe duda que, al margen de la considerable suma que este premio [el PF] lleva consigo, jamás se habían ofrecido al escritor novel tamañas posibilidades de difusión." (Llompart, "Carta", Papeles de Son Armadans 21:62 (Mai 1961 ), S. XXXIIf.). 1962 wird u.a. Carlos Martínez Morenos Roman El paredón, Finalist des PBB, um den PF ins Rennen geschickt, 1963 gelangt Mario Vargas Llosa (La ciudad y los perros) in die letzte Abstimmung und unterliegt dort Jorge Semprún, 1965 tritt Guillermo Cabrera Infante ( Vista del amanecer en el trópico) an. Des Weiteren präsentiert die spanische Delegation schon 1961 einen Katalanen, Josep Vicen? Foix, für den man trotz fehlender Siegchancen eine gewisse Aufmerksamkeitswirkung erhoffen kann. Ein solches Interesse spricht z.B. aus den Reportagen der Zeit, in denen alljährlich bestimmte Autoren als "Entdeckung" gefeiert werden, so 1963 der Finne Veijo Meri und der Franzose André Pieyre de Mandiargues (Dieter E. Zimmer: "Die nächste Insel, dasselbe Preisgericht", Die Zeit

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denn die Ausstrahlung der internationalen Preise auf den eigenen Markt reduziert sich auf die Preisträger aus dem eigenen Land oder auf international bereits renommierte Autoren. Seix Barrai kann daher in erster Linie vom Erfolg García Hortelanos in Formentor finanziellen Gewinn ziehen.531 Literarische

Positionskämpfe

Die Verlegertreffen sind Schauplatz von Diskussionen, die repräsentativ für die Auseinandersetzungen innerhalb einer international agierenden Literaturelite stehen und die über Formentor auch nach Spanien ausstrahlen. In Formentor werden die ästhetischen Positionen verhandelt, die in den 60er Jahren auch in die spanische Realismus-Debatte Einzug halten, und gleichzeitig Kämpfe um die kulturelle Definitionsmacht auf internationaler und nationaler Ebene gefuhrt. Raddatz entwirft heute das Bild einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der das Votum einiger "Eminenzen" - Enzensberger, Vittorini, Calvino, Maspero, Sanguinetti - entscheidenden Einfluss besessen hätte,532 und in der Tat fallen Vittorinis Eintreten für Johnson, Enzensbergers Plädoyer für Gadda oder gegen Robbe-Grillet besonders ins Gewicht. Die Verhandlungen sind geprägt von strategischen Erwägungen - "nur taktische Zielstrebigkeit hat hier irgendwelche Aussicht"533 - und lassen nur selten eine frühe Entscheidung absehen. Durch die Kontinuität eines Großteils der Juroren und ihrer Urteile bzw. Vorschläge vermitteln die Formentor-Preise einen zeitgenössischen Kanon der westlichen Literaturszene.534 Die Kandidatur Robbe-Grillets sorgt 1962 für erhitzte Debatten um den literarischen Wert des Nouveau Roman und wird schließlich abgelehnt, da der Autor zu bekannt sei und nur eine "Mode" repräsentiere.535 In Elio Vittorinis Plädoyer für den schließlichen Sieger Uwe Johnson spiegelt sich stellvertretend die europaweite Auseinandersetzung um die Ablösung mimetischer und literarische Kontinuität wahren-

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19(10.5.1963), S. 9-12, hier: 10). "Bei Autoren, die in Deutschland gänzlich unbekannt waren, hat sich der Preis überhaupt nicht rentiert. Auch bei Semprún hat das nicht funktioniert, überhaupt hat die spanische Literatur nur Misserfolge gebracht [...]. Natürlich hat es funktioniert bei Gisela Eisner, das war Wind in den Segeln. [...] Für uns war Gisela Eisner ein großer Erfolg, in Skandinavien oder Frankreich überhaupt nicht." (Fritz J. Raddatz, Interview mit B.P., 15.4.1998). Fritz J. Raddatz, Interview mit B.P., 15.4.1998. Zimmer, "Insel", Die Zeit 19 (10.5.1963), S. 10. Die vorliegenden Daten über die zur Endauswahl stehenden Titel weisen nach, dass die meisten für den PI aufgebotenen Autoren über mehrere Jahre hinweg auf den Listen erscheinen. So finden wir Cortázar oder Fuentes bereits 1964, unmittelbar nach ihrer europäischen Rezeption, in der Endausscheidung; Gombrowicz ist 1965 Finalist, ehe er 1967 den Preis erhält. Ähnlich verhält es sich bei Mishima oder Bellow. Hans Magnus Enzensberger wird mit den Worten zitiert: "Wollen wir Literatur oder eine Mode krönen?" Skandinavische Vertreter kritisieren, dass Robbe-Grillet durch die Verfilmung von Letztes Jahr in Marienbad ein bereits zu populärer Autor sei ("Einen gefunden", Der Spiegel 20 (16.5.1962), S. 84-86, hier: 84).

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der Texte durch einen "neuen Roman" des sprachlichen Experiments und der linguistischen Erneuerung wider. 536 Die Preisverleihung des PF 1962 an Dacia Maraini (L'età del malessere) stößt auf heftige Kritik innerhalb der Formentor-Gruppe und schließlich in Italien, da Kritiker der Autorin vorhalten, allein auf Drängen ihres Partners Alberto Moravia durchgesetzt worden zu sein. 537 1963 sorgt vor allem die Fürsprache Enzensbergers für die knappe Entscheidung zugunsten Carlo Emilio Gaddas.538 Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Finalisten dreht sich um den Gegensatz von Qualität und Unterhaltung. Von den Italienern, die konsequent 'ihren' Autor Gadda bewerben, wird dessen Konkurrent Nabokov heftig attackiert. Gadda schreibe "nährende", "arterielle" Literatur, Nabokov dagegen eine leichte, unernste Konsumliteratur, die als "venös" und belangloser Kosmopolitismus abzulehnen sei. 539 Erneut ist die Vergabe des PI 1964 von intensiven Diskussionen um den Nouveau Roman geprägt. Hatte dieser in den Vorjahren dem heftigen Widerstand anderer Meinungen weichen müssen, so wird diesmal Sarraute, in einem "Kampf zwischen den Alten und Neuen" 540 gegen Cortázar, Gombrowicz, Mishima oder Solshenitzyn durchgesetzt. Die Kritik an Sarrautes Werk vor allem von Seiten der US-Jury richtet sich gegen den angeblichen Hermetismus ihres Werkes und den fehlenden welterklärerischen Anspruch. 1965 drehen sich die Debatten um die Dichotomie von

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Der Text ist abgedruckt in Elio Vittorini: "Comunicazione a Formentor", Il menabò di letteratura 5 (1963), S. 4-6. Vittorini kommentiert dort auch die beiden deutschen Kandidaturen zum PI, Die Blechtrommel und Mutmaßungen über Jakob. Der Gegensatz von Alt und Neu zeigt sich für Vittorini weniger auf der Ebene des erworbenen symbolischen Kapitals als im Kontrast zwischen dem perfekten, aber traditionellen, weil realistischen Werk ("un'opera ben organizzata secondo una vecchia cucina") eines Grass und der zukunftsträchtigen, imperfekten Innovation ("un'opera magari piena di difetti ma che porta un'indicazione culturale nuova") eines Johnson, dessen Konzept der Offenheit, der "Mutmaßungen" (congetture), die Realität des Menschen in der modernen Welt angemessen darstelle. Dies behauptet auch ein von Carlos Barrai und Jaime Salmas erstellter Bericht (Dokument "Formentor", 1962, 4 Seiten, AB): "El premio [...] se supone otorgado bajo la interesada influencia del escritor italiano Alberto Moravia". Infolge dieser Gerüchte veröffentlichen einige italienische Schriftsteller "polemische Artikel gegen die junge Autorin und provozieren einen Skandal bei einer Lesung Dacia Marainis im Verlagshaus von Einaudi [...]" (Heinzius 1995: 23f.). Dass gerade L'età del malessere äußerst negative Reaktionen hervorruft - "literarisch ohne Bedeutung und eigentlich noch nicht einmal eine 'Hoffnung'" (Zimmer: "Insel", Die Zeit 19 (10.5.1963) S. 10) - , mag nicht zuletzt daran liegen, dass der präfeministische Diskurs dieses Textes bei den vornehmlich männlichen Kritikern Irritationen auslöst. Enzensberger widmet Gadda wenig später auch eine 5p/ege/-Rezension ("Carlo Emilio Gadda, La cognizione del dolore", Der Spiegel 23 (31.5.1963), S. 72f.). Zimmer, "Insel", Die Zeit 19 (10.5.1963), S. 10. Dieter E. Zimmer: "Der Kampf zwischen den Alten und den Neuen", Die Zeit 19 (8.5.1964), S. 9-10.

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"neurotischer" (u.a. Cortázar) und "normaler" (Guimaräes Rosa) Literatur, um Moralismus oder Zynismus, um Zerstörung oder Bejahung der Romangattung.541 Deutlicher als in den Vorjahren ist 1967 die Entscheidung zwischen Gombrowicz und Mishima von politischen Tönen gefärbt.542 Wie Einaudi berichtet, resultiert die Unterstützung der Spanier und Italiener für Gombrowicz, einen eher unbekannten Autor, auch daraus, dass Mishima als esoterisch empfunden wird (Einaudi 1998: 5). Die Diskussionen bewegen sich also in drei Hauptsträngen: Ein erster Konflikt entwickelt sich aus dem Widerspruch der Urteilskriterien von Konsekration und Innovation. Das Argument der ästhetischen Innovation um jeden Preis trifft zweitens auf das Kriterium der Lesbarkeit und Publikumsansprache, dessen Vertreter umgekehrt dem Vorwurf der Trivialisierung und Marktorientierung ausgesetzt sind. Ein drittes Bewertungskriterium orientiert sich an einem politischen Kunstbegriff, der den literarischen Wert mit der Frage des gesellschaftlichen Engagements verknüpft.

Internationalität und nationale Präferenzen Trotz aller Internationalität der Vorschläge und Voten 543 sind die Entscheidungen auch von nationalen bzw. nationalsprachlichen Interessen beeinflusst, die wiederum mit kommerziellen und literarischen Kriterien korrelieren. In der Regel stimmen die Delegationen für sich einheitlich ab, und die Tatsache, dass allein den Hegemonialsprachen (Englisch, Französisch) entstammende oder dorthin übersetzte Texte überhaupt von einer größeren Zahl der Anwesenden rezipiert worden sind, sorgt für einen unübersehbaren Zentralismus bei der Aufstellung der Kandidatenlisten.544 541

Zimmer, "Revolution", Die Zeit 20 (14.5.1965), S. 17. Für Gombrowicz plädieren nach Angaben des Protokolls Sanguinetti, Ferrater, Manganelli, Ripellino, Eriksson, Mohrt und Bondy. Raddatz exponiert sich vor allem aus politischen Gründen gegen Gombrowicz, für Mishima votieren auch Aury und Keene. Die international unterschiedliche Rezeption des Diskussionsverlaufs spiegelt für sich ebenfalls eine Hierarchie der Literaturen wider. Während die spanischen Chronisten (Barrai, Salinas) nicht müde werden, die entscheidende Rolle Gabriel Ferraters bei der Diskussion um Gombrowicz zu betonen, wird diese Einschätzung nicht überall geteilt. Fritz J. Raddatz erinnert sich heute nicht mehr an Ferraters Intervention, und Dieter E. Zimmer geht eher belustigt auf dessen Plädoyer für Gombrowicz ein (Zimmer, "Tunesien", Die Zeit 19 (12.5.1967), S. 17). Unbestritten leistet Ferrater als Kontaktperson und Übersetzer (Pornografía, span. La seducción, Seix Barrai, 1968,) einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung des Werkes von Gombrowicz in Spanien (vgl. Ferrater 1986: 192-94). 543 "Während Strada die UdSSR dokumentierte, sprach Ripellino von tschechoslowakischen Autoren, Cases über deutsche und diskutierte von Rezzoris Vorschläge, Vittorini die von Saul Bellow in aufgeschlossenen, öffentlichen Sitzungen [...]." (Einaudi 1993: 199). 544 Siehe hierzu das unten referierte Beispiel des Jahres 1967. Allerdings sind nationalliterarische Interessen nicht ausschließlich dominierend: "So sehr dieser Teil der Verhandlungen [die Diskussion um Gadda und Nabokov, B.P.] sich auch wie eine Art Länderspiel ausnahm, die Diskussionen selbst waren ernst, und alles Hin und Her zwischen den Nationen kann den Preis eigentlich nicht blamieren." (Zimmer, "Insel", Die Zeit 19 (10.5.1963), S. 10). Erst 1967 wird der Zwang zur gesammelten Abstimmung in der 'Nationalmann-

542

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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Wenn Adolf Frisé sein Erstaunen über das geringe Engagement der Franzosen für ihre 'eigenen' Kandidaten äußert, weist dies ex negativo auf die Normalität nationaler Präferenzen hin.545 Die Konkurrenz literarischer Kriterien und Rezeptionsmuster lässt oft eine Grenzziehung zwischen romanischen und angelsächsischen Anwesenden entstehen. Einaudi oder Salinas gehen so weit, hier zwei bipolare "Lobbies" am Werke zu sehen, Raddatz vermutet ein nach nationalen Erfahrungen differenziertes ästhetisches "Empfinden".546 Gerade die italienisch-spanische Homogenität bei den entscheidenden Abstimmungen fallt auf, denn nur in einem der sechs Jahre entscheidet man unterschiedlich voneinander. Eindeutiger gehorchen die Abstimmungen über den PF nationalen Marktinteressen, da nur ein Werk der eigenen Sprache bzw. Nationalliteratur kommerzielle Chancen verspricht und entsprechend favorisiert wird. Um dieser Interessenlage gerecht zu werden, wird, streng nach Proporz, jeder der beteiligten Gründerverlage je einmal bei der Verleihung des PF berücksichtigt. Formentor zeigt sich als Geflecht gemeinsamer, aber auch widerstrebender Interessen, die dauernde Konflikte vorprogrammieren. Der Dualismus zwischen kommerziellen und literarischen Zielsetzungen hatte bereits der Entscheidung für das Konzept zweier Literaturpreise zugrunde gelegen. 1965 kommt es zu einem Streit, der fast das Auseinanderbrechen der Gruppe zur Folge hat; schließlich geht nur Weidenfeld. Anlass ist die Verlegung des nächsten Austragungsortes in die USA, was von einigen Europäern aus politischen und aus Kostengründen nicht akzeptiert wird. Unmittelbare Ursache soll jedoch ein Zwist zwischen Gallimard und Rosset (Grove Press) sein, der sich am fehlenden Marktwert des aktuellen PF (Stephen Schneck) neu entzündet habe.547 Angesichts der 1967 getroffenen Entscheidung gegen Mishima, dem man ein höheres kommerzielles Potenzial zugeschrieben hatte, fordert mancher Verleger eine stärkere Kontrolle der nationalen Jurys. Die konstant hohen Kosten für eine nicht übermäßigen finanziellen Nutzen versprechende Veranstaltung tragen schließlich dazu bei, dass nach 1967 keine Preisverleihung mehr stattfindet.548

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schaft' aufgehoben. Frisé, "Sarraute", Frankfurter Allgemeine Zeitung 104 (5.5.1964), S. 20. Fritz J. Raddatz, Interview mit B.P., 15.4.1998; Jaime Salmas, Interview mit B.P., 18.11.1997; Giulio Einaudi, Vortragsmanuskript für "Homenaje a Carlos Barral", 29.4.1998, S. 5. Wie der Spiegel berichtet, stößt das freizügige Werk Schnecks vor allem bei Gallimard, der sich in Frankreich mit zensorischen Einschränkungen konfrontiert sieht, auf Empörung. Gallimard hatte auch Rossets früheres Eintreten für den kaum minder freizügigen Miller missbilligt ("Formentor-Preis: Moses und Mimi", Der Spiegel 20 (12.5.1965), S. 122Í). Ein internes Finanzpapier Seix Barrals kritisiert die exorbitanten Kosten der FormentorPreise, die eine "situación alarmante" geschaffen hätten. Bereits im April 1963, vor dem

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Vermittlung spanischer und lateinamerikanischer

Autoren

Über die spanische Jury werden von Beginn an auch lateinamerikanische Schriftsteller in die Debatten eingebracht, während spanische Autoren eine immer unbedeutendere Rolle spielen. Schon bei den ersten Treffen sind einzelne Teilnehmer aus Lateinamerika vor Ort: Octavio Paz ist bereits 1961 Delegierter, in späteren Jahren sind es auch Mario Vargas Llosa und der in Mexiko lebende Max Aub, Mario Benedetti ist laut der Teilnehmerliste 1962 unter den Journalisten - ein Jahr, bevor er für den PBB kandidiert. Ansonsten ist die spanische Delegation vornehmlich mit Lektoren und Mitarbeitern Seix Barrais besetzt (vgl. Anhang VIII). Beim ersten Treffen des Jahres 1961 präsentiert Paz die lateinamerikanischen Autoren Carpentier, Borges und Rulfo, und setzt sich dabei vor allem für Carpentier ein: Octavio Paz hizo una breve exposición, destacando la obra de Carpentier, novelista en plena producción, como la más adecuada al espíritu y finalidad del premio, frente a la de Borges, una obra ya prácticamente concluida y, por otra parte, universalmente famosa, y a la de Rulfo, autor a quien, en cambio, seria prematuro otorgar el premio. 549

Cela schlägt bei dieser Gelegenheit die spanischen Autoren J. Goytisolo, Delibes und Matute vor, Foix wird von Castellet als "apuesta" für die katalanische Literatur präsentiert.550 Von diesen sieben Kandidaten ist lediglich Goytisolo bei Seix Barrai publiziert; die Lateinamerikaner sind sämtlich im franquistischen Spanien unveröffentlicht und z.T. importiert worden. Bei der Kandidatenkür zeigt sich bereits 1961, dass lateinamerikanische Autoren ein hohes Prestige genießen. Unterstützt von den romanischen Sprachen, gewinnt Borges den PI; darüber hinaus sind Rulfo und Carpentier in der Vorauswahl. Carpentier wird auch in den folgenden Jahren stets ein umworbener Kandidat sein und gelangt 1963, unter engagierter Fürsprache Caillois', in die Abstimmungsrunde der letzten drei.551 1964 liegt Carpentier als "schon traditioneller Favorit der zweiten, dritten Linie"552 wieder in der Endrunde, ebenso wie Cortázar. Im gleichen Jahr reagiert Seix Barrai auf Carpentier bezeugte internationale Anerkennung und beantragt die spanische Publikation von El siglo de las luces. Ständige Kandidaten sind auch Cortázar und Guimaräes Rosa, die bereits in verschiedenen Teilnehmerstaaten publiziert sind. Fuentes steht 1967 auf der Bewerber-

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eigentlichen Treffen auf Korfu, sei der Voranschlag um 50% überschritten ("Situación del presupuesto 1963", AB). Llompart, "Carta", Papeles de Son Armadans 21:62 (Mai 1961), S. XXXVf. Castellet bei Dravasa (1992: 71). Carpentier erhält dort die Unterstützung der skandinavischen Delegation, während die spanisch-portugiesische Delegation sich für Einaudis Favoriten Gadda ausspricht. Nach Auskunft von Salinas sind es auch bei den ersten Treffen die skandinavischen Verlage, die Carpentier über ihre Vorschlagsliste in die Formentor-Diskussionen einbringen (Interview mit B.P., 18.11.1997). Allerdings war Carpentier in den 50er Jahren auch schon in Frankreich bekannt geworden. Frisé, "Sarraute", Frankfurter Allgemeine Zeitung 104 (5.5.1964), S. 20.

3. Verlagspolitik,

kulturelle Positionierung

und

Internationalisierung

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liste. Auch Vargas Llosas Manuskript, das bei der Bewerbung um den PF 1963 nur knapp (3:4) gegen Semprún scheitert, wird in Formentor präsentiert. Nicht nur Seix Barrai orientiert sich auf den ersten Formentor-Treffen über die neue lateinamerikanischen Literatur; über den Kontakt zu Paz, Vargas Llosa oder Caillois erhält beispielsweise auch der Einaudi-Verlag Kenntnis von neuen Autoren, wo bislang lediglich Borges, Icaza und Revueltas publiziert waren.553 Das Beispiel des Jahres 1967 belegt die internationale Anerkennung der lateinamerikanischen Literatur. Die Auswahlliste von 33 Autoren spiegelt die Hegemonie der fuhrenden Sprachen und zentralen Literaturen: Acht englisch-, sechs französischund fünf deutschsprachige Autoren stehen zur Abstimmung, ferner vier Lateinamerikaner, vier osteuropäische Autoren, je zwei Japaner und Italiener, je eine Schwedin und ein Niederländer. In der endgültigen Auswahl von sechzehn Kandidaten verschieben sich die Gewichte jedoch signifikativ. Es verbleiben alle vier Lateinamerikaner (Carpentier, Cortázar, Fuentes, Guimaraes Rosa), dazu drei Franzosen (Le Clézio, Leiris, Simon), drei US-Amerikaner (Malamud, Nabokov, Updike), zwei Deutsche (Kluge, Schmidt), sowie Golding, Gombrowicz, Landolfi und Mishima. In die zweite Runde gelangen sieben Autoren, neben den sich durchsetzenden Gombrowicz (8 Stimmen) und Mishima (7), noch Carpentier, Cortázar und Guimaraes Rosa mit je einer Stimme, dazu Leiris (1) und Simon (2). Weder angloamerikanische noch deutsche Autoren sind weiter vertreten, nurmehr zwei Autoren der zentralen europäischen Literaturen. Der Entscheidungsverlauf von 1967 beweist somit eindrucksvoll die Veränderung der literarischen Geografie hin zu Autoren der (vermeintlichen) Peripherie, die ihrerseits nun über die Metropolen international entdeckt werden. Der Sprachenzentrismus ist zwar aufgehoben, die internationale Wahrnehmung bleibt jedoch abhängig von der Konsekration und Vermittlung in den Metropolen. Die Unterstützung für lateinamerikanische Autoren ist 1967 längst nicht auf die Jurys romanischer Sprache beschränkt, obwohl diese eine starke Rolle spielen; für Guimaraes Rosa ergreifen Clotas und Caillois, für Carpentier Castellet und Mohrt, für Cortázar wieder Clotas das Wort, ebenso der Schwede Bjurström. Für Fuentes sprechen sich Gold und Baldik aus. Das Verhalten der spanischen Jury (Castellet, Clotas, Ferrater) zeigt 1967 eine klare Präferenz für Autoren der eigenen Sprache bzw. kulturellen Nähe und des eigenen Verlags: man setzt sich für Carpentier, Cortázar, Guimaraes Rosa und den WahlArgentinier Gombrowicz ein. Ähnlich engagiert zeigen sich die Mitglieder der spanischen Jury bei der Vergabe von Übersetzungshilfen für Repräsentanten marginaler

553

Giulio Einaudi betont ferner die Vermittlungsarbeit Italo Calvinos, der, mit einer Lateinamerikanerin verheiratet, "auf viele Autoren von Cortázar bis Rulfo da Onetti [sie] oder Vargas Llosa hinwies" (Einaudi 1993: 203).

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Literaturen.554 Clotas schlägt José Lezama Limas Paradiso vor, von Caillois kommt zudem der Vorschlag des in Spanien noch nicht publizierten Salvador Elizondo (Farabaeuf), eine Empfehlung, die von Carlos Barral aufmerksam registriert wird.555 Neben der Unterstützung für lateinamerikanische Autoren versucht die spanische Jury, wie schon 1961, die katalanische Literatur zu unterstützen. Castellet nominiert zwei Titel von Mercé Rodoreda (La plaga del diamant; El carrer de les camelies) zur Übersetzung, Ferrater ebenso zwei Titel von Pia (El quadern gris; Aigua de mar). Anders sieht es mit Vertretern der peninsularen spanischen Literatur aus, die in diesem Jahr völlig unberücksichtigt bleibt. Seix Barral setzt zu diesem Zeitpunkt (1967) eindeutig auf lateinamerikanische Literatur. Außendarstellung

und internationale

Resonanz

Ein wichtiger Aspekt der Formentor-Treffen ist die Außendarstellung. Bereits die Coloquios Internacionales von 1959 und 1960 waren, wiewohl an der Peripherie organisiert, keineswegs intim gehalten. Durch die zeitliche Nähe zu den Conversaciones Poéticas konnte man die Anwesenheit wichtiger Vertreter der spanischen Literatur nutzen, um schlagkräftige Strategien zu entwickeln und um eine positive Berichterstattung in den einschlägigen Medien zu erzielen. Die Organisatoren und beteiligten Verlage sorgen für eine rege Beteiligung der internationalen Presse und Öffentlichkeit und machen die Verlegertreffen zu einem kosmopolitischen Spektakel: "'Vogue', 'Queen', Blätter der Gesellschaft lassen sich berichten, die 'Daily Mail', der 'Daily Telegraph', 'Le Monde', 'Le Figaro Littéraire'."556 Der Wille zur Öffentlichkeit der Abstimmungen und Diskussionen, ein Novum in der Praxis von Literaturpreisen, ermöglicht eine ausführliche Berichterstattung. Gleichzeitig aber wirkt sich gerade diese kalkulierte Transparenz nachteilig aus, wie es das zwiespältige Echo des Auslands beweist. Informelle Absprachen und nicht regelkonforme Manöver treten offen zutage. Vor allem der PF als 554

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Insgesamt werden für diese Zuschüsse 1967 zwölf Autoren vorgestellt, darunter die Japaner Ibuse und Kojima, die Tschechen Hrabal und Linhartova, schließlich Landolfi, die Skandinavier Gyllensten und Sörensen, oder der Bretone Rieu. Ich beziehe mich auf handschriftliche Notizen aus dem Archiv Barral. Farabaeuf war 1965 bei Joaquín Mortiz erschienen. Im Falle der in Gammarth 1967 ebenfalls vorgestellten Tschechin Vera Linhartova ist der Informationsfluss offensichtlich, denn ihr bei Einaudi übersetzter Erzählungsband ¡nteranalissi del fluito prossimo wird später von Salvador Clotas für Seix Barral euphorisch begutachtet. Trotz dieser Empfehlung erscheint das Buch nicht in Spanien, es überwiegen vielleicht die auch von Clotas eingestandenen kommerziellen Risiken (Salvador Clotas, Gutachten o.D. (1968?), AC). Adolf Frisé: "Gadda knapp vor Nabokov", Frankfiirter Allgemeine Zeitung 106 (8.5.1963), S. 24. Im Jahr 1962 sind Pressevertreter aus zehn Staaten anwesend, wobei Italien, Frankreich, England und Spanien den größten Anteil ausmachen. Das große Gewicht der von Einaudi aufgebotenen intellektuellen Prominenz spiegelt sich in der überragenden italienischen Medienpräsenz wider: neben dem staatlichen Fernsehsender RAI reisen sieben Journalisten als Vertreter von vierzehn Pressepublikationen an.

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung

und

Internationalisierung

169

offensichtlich kommerzieller Preis steht in der Kritik, denn kaum ein Preisträger findet die ungeteilte Zustimmung weder der Verleger noch der Presse.557 Immerhin aber halten die Skandale die Veranstaltung als inszenierte Show im Gespräch: Sonst ernten sie wenig Dank. Im Gegenteil. Eine große englische Zeitung, die vor einigen Monaten anmerkte, es sei dies einer der anrüchigsten Literaturpreise, die zur Zeit überhaupt verliehen werden, stand mit dieser Meinung wahrscheinlich nicht alleine da. Das haben die Verleger davon, daß sie den Preisträger unter den Augen der Öffentlichkeit suchen lassen - und daß sich Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen nichts entgehen ließen: nicht das nationale Kalkül [...], nicht die Kenntnislosigkeit des einen oder anderen Jurors, nicht die Mängel der Prozedur, nicht den paradoxen Luxus, in dem sich die Konferenzen der Jurys manchmal zutrugen. Was bei anderen Preisen gnädig und sorgfältig verheimlicht wird, lag hier immer wieder zutage; aber diese Offenheit schadete dem Prestige des Preises nur. 5

Die Rezeption und Bewertung der Formentor-Treffen kann je nach nationalem Kontext grundverschieden ausfallen, wie ein kurzer Blick auf das Presseecho zeigt.559 Während in Spanien die Einmaligkeit des Unternehmens und dessen grenzüberschreitende Funktion weithin anerkannt sind, gilt den deutschen Rezensenten der Preismodus bereits zu seiner Gründung als verfehlt. Die Berichterstattung des Spiegel oder der Zeit belegt einen sehr gelassenen Umgang mit dem Ereignis der Preisvergabe, das aus westdeutscher Perspektive als ein mehr oder weniger luxuriöses Spektakel eingeordnet wird, dessen literarischer Wert zwar vorhanden, jedoch nur relativ einzuschätzen sei. Auf größeres Interesse stoßen die Interna der Literatentreffen und die politische Realität Spaniens, mit der sich die Verleger konfrontiert sehen. Insbesondere die Vorgänge um die Ausladung Einaudis Anfang 1963 sind dem Spiegel eine ausführliche Meldung wert.560 Im Gegensatz zur bescheidenen Resonanz auf die literarischen Leistungen der spanischen Autoren gilt das Augenmerk der Journalisten eher deren Auseinandersetzungen mit dem franquistischen Regime.561

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560

561

Nicht nur der Spiegel beanstandet ein Qualitätsproblem beim PF und konstatiert, "daß die Schubladen der Verleger offensichtlich nirgendwo von preiswerten Erstlingswerken überquellen" ("Prix Formentor: Sieg der Zwerge", Der Spiegel 20 (13.5.1964), S. 123). Die Bericht der Zeit zum Treffen von 1964 ist von einer Karikatur begleitet, auf der neben dem üppig sprießenden Gewächs "Preis" ein zartes Pflänzchen "Literatur" dahin vegetiert (Zimmer, "Kampf", Die Zeit 19, 8.5.1964, S. 10). Dieter E. Zimmer: "Lustlos in Tunesien", Die Zeit 19 (12.5.1967), S. 17. Meine Darstellung bietet eine punktuelle Sicht auf wesentliche Aspekte der internationalen Rezeption. Die Wirkungsanalyse der Formentor-Treffen für andere Rezeptionskontexte und Verlage bleibt ein Desiderat. "Sie als der Sohn", Der Spiegel 3 (16.1.1963), S. 64. Zu den Vorgängen um Einaudi siehe S. 175. Der Spiegel äußert sich z.B. eher ironisch über den "preiswürdigen Inhalt" von Tormenta de verano, dem außerdem "ohne spürbare Diskussionen" der Preis zuerkannt worden sei ("Vor Mitternacht", Der Spiegel 20 (10.5.1961), S. 77f., hier: 78).

170

Burkhard Pohl

Gemessen an dieser politisierten Erwartungshaltung an die Verlegertreffen, die dem Selbstverständnis der meisten Anwesenden entspricht, reagieren auswärtige Beobachter überrascht bis empört auf die Zurschaustellung der Dolce Vita seitens der Formentor-Mitglieder. Gastiert man 1963 im Kasino-Hotel des Freiherrn von Richthofen auf Korfu - einer "Mischung von restaurierter Kaiserherrlichkeit und Spielbank" belustigt sich der Spiegel 1965 über die "Highlife-Party auf [dem] Schloß eines amerikanischen Millionärs bei Cannes". 562 Solche Opulenz stößt etwa bei einem Schriftsteller wie Uwe Johnson, der 1963 als Vorjahrespreisträger teilnimmt, auf heftige Ablehnung: Auf deutsch formulierte der ernste junge Autor es so: "Für die Zukunft muß ich diese (Preisrichter-) Funktion aufgeben. Vornehmlicher Grund dafür sind die Abzeichen des Luxus und Wohlstands, unter denen die Arbeitssitzungen dieses Preises abgehalten werden, denn nach meiner Meinung vertragen die sich durchaus nicht mit den Umständen vieler Schriftsteller in vielen Ländern, und auch nicht mit den Interessen der zeitgenössischen Literatur, wie ich sie verstehe."563

Zusammenfassung: Formentor als Prototyp internationaler

Kooperation

Die Internationalen Verlegerpreise stellen als Institutionalisierung geschäftlicher und literarischer Kontakte eine neue Qualität grenzüberschreitender Vernetzung dar. Der Verbund der Formentor-Verlage profiliert sich als konzertiertes strategisches Unternehmen, in dem kommerzielle, politische und ästhetische Interessen interagieren. Die Untersuchung der Verlegerpreise erweist sich als aufschlussreich für die Rekonstruktion transnationaler literarischer Austauschprozesse. In dieser Perspektive manifestiert sich in Formentor ausschnitthaft ein "internationales literarisches Feld" (Jurt) oder eine 'Weltrepublik der Literatur' (Casanova). Literarische Verlage agieren als Zentren eines exklusiven Betriebs aus Verlag, Autor und Kritik, der seine eigenen Konsekrationsmechanismen zu schaffen weiß und marktorientiertes Handeln mit der Attitüde kultureller Avantgarde zu kombinieren sucht. 564 Der Zusam562

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"Formentor-Preis", Der Spiegel 20 (12.5.1965), S. 122; das erste Zitat nach Zimmer, "Insel", Die Zeit 19 (10.5.1963), S. 10. Zimmer kritisiert sogar den "Zynismus" von Verlegern, "die über Artischockenherzen gebeugt die bequeme Verlogenheit des bürgerlichen Lebens beklagen, die in eine Simultandolmetschanlage hinein dem Kosmopolitismus fluchen" (Zimmer, "Revolution", Die Zeit 20 (14.5.1965), S. 18). "Formentor-Preis: Holzauktion auf Korfu", Der Spiegel 20 ( 10.5.1963), S. 84. Die internationale Gruppe versucht damit eine kulturelle Hegemonie auszuüben, wie sie Debray dem französischen Verlagswesen und konkret Gallimard bzw. der Nouvelle Revue Française für die Mitte des 20. Jahrhunderts zuschreibt (Debray 1979: 73-94). Debray skizziert den "cycle éditorial (1920-1960)" als Autonomisierungsphase des literarischen Milieus (73), in der die literarischen Instanzen eng verquickt sind und die geistigen Produzenten über die Distribution mitentscheiden: "Jamais comme alors la distance ne fut plus réduite entre le producteur (l'écrivain), le filtreur (le critique de revue ou de journal) et l'entrepreneur (l'éditeur). [...] La NRF a représenté cette fusion des trois instances de production, de diffusion et de consécration [...]. La maison Gallimard [...] aura permis à

3. Verlagspolitik,

kulturelle Positionierung

und

Internationalisierung

171

menschluss zu einem internationalen Netzwerk dient der Meinungsführung und Verbreitung literarischer Positionen, die in Abgrenzung zu einem jeweils nationalen kulturellen Referenzsystem formuliert und eingesetzt werden können. Indes zeigt sich im Kontext der 60er Jahre, dass der ungeschminkte Versuch, Kunst und Markt zu vereinen, die intellektuelle Tätigkeit eines Gutteils ihrer Legitimation beraubt. Davon zeugen die Auseinandersetzungen der Verlage untereinander und die stellenweise herbe Kritik der internationalen Feuilletons. Bei den Entscheidungen dominiert ein eurozentrischer Kosmopolitismus, unter dessen Prämissen mit Borges, Beckett oder Gombrowicz nicht nur literarische, sondern geografische Grenzgänger geehrt werden, die bereits in den Metropolen, allen voran Paris, literarische Legitimation erhalten haben.565 Gegenüber einem Apriori literarischer Internationalität ist aber zu modifizieren, dass die Diskussionen und Interessen von einem Wechselspiel zwischen Nationalität und Internationalität gekennzeichnet sind und kulturnationale Aspekte (Sprache, Rezeption, Übersetzung, Gruppenbildung) maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung ausüben. Für die spanische Literaturszene liegt die Bedeutung der Verlegerpreise in ihrem Beitrag zur internationalen Zirkulation von eigener und fremder Literatur. Die internationale und spanische Rezeption der lateinamerikanischen Literatur erhält hier einen bedeutenden Impuls, denn bereits mit der Preisverleihung an Borges 1961 deutet sich die bedeutende Rolle an, die lateinamerikanische Autoren künftig spielen können. Die in den Diskussionen zum Prix International konsekrierten Autoren sind Leitfiguren des späteren Boom, der sich gerade beim Treffen 1967 mit Vehemenz ankündigt. Ferner äußert sich in Formentor die ungebrochene Relevanz des Nouveau Roman, der erst jetzt auch in Spanien Fuß fassen wird. Die Programmpolitik Seix Barrais in den 60er Jahren - Abkehr vom nationalspezifischen Sozialrealismus zeigt sich damit direkt von den auf internationaler Ebene verhandelten Positionen beeinflusst.

3.4.4

Internationale Produktion als Weg zu verlegerischer Unabhängigkeit

Neben den verlagsstrategischen und ästhetischen Erwägungen erfüllt die internationale Vernetzung der Formentor-Gruppe für Seix Barrai eine konkret politische Funktion. Im Schutz der internationalen Öffentlichkeit ist es dem Verlag leichter möglich, seine oppositionelle Verlagspolitik durchzusetzen. Aus zahlreichen Dokumenten ist ersichtlich, wie die zu erwartenden Reaktionen des Auslands und die

565

'un esprit' de se donner son propre corps industriel et typographique, avec pouvoir de décision sur le incorporations." (1979: 80f.) Diese intellektuelle Machtstellung der Verlage wird nach Debray ab 1968 durch den "cycle media" (94-113) abgelöst. Alle drei Autoren werden bereits in den 40er bzw. 50er Jahren auf französisch übersetzt und publiziert. Casanova beschreibt die Übersetzungsstrategien dieser und anderer Schriftsteller als Mittel zur literarischen Universalisierung (Casanova 1999: 188-206).

172

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Rückendeckung durch internationale Intellektuelle fruchtbaren Einfluss auf Seix Barrais Beziehungen zur Zensur nehmen (siehe 4.6.2). Aber auch außerhalb der Formentor-Treffen sind die internationalen Freunde ständige Ratgeber Carlos Barrais in Fragen der Verlagsplanung und in Bezug auf den Umgang mit Repressalien verschiedener Art. Die verlagsinternen Machtverhältnisse werfen das Problem der unternehmerischen Selbstzensur auf. Ideologisch und ökonomisch motivierte Differenzen Barrais mit anderen Parteien innerhalb des Unternehmens machen die Programmentwicklung zum permanenten Lavieren um die individuelle Handlungsund Entscheidungsautonomie. Zensorische und verlagsinterne Konflikte beeinflussen damit gleichermaßen Barrais Hinwendung zu internationalen Verlegern.566 Die Formentor-Gruppe

als politisches

Netzwerk

In den 60er Jahren häufen sich die internationalen Zusammenkünfte der linken Intelligenz, an denen, wie im Falle der COMES, auch Barrai oder Castellet wiederholt teilnehmen.567 Im Zeitkontext kommt den Formentor-Treffen unweigerlich eine außenpolitische Dimension zu. Es muss das Misstrauen des franquistischen Regimes erregen, dass auf spanischem Boden ein Treffen internationaler, z.T. als links bekannter Intellektueller abgehalten wird, bei dem in Spanien verbotene Werke präsentiert und womöglich auch prämiert werden. Vor allem die Teilnahme Einaudis, der enge Beziehungen zur Kommunistischen Partei Italiens unterhält, wird beargwöhnt. In den sich an den Formentor-Preisen entzündenden Konflikten lässt die franquistische Politik die Chance aus, nach außen ein demokratischeres Image aufzubauen, um sich stattdessen erneut in ihrer Widersprüchlichkeit von Europa-Orientierung und Repression zu verstricken. Verlage wie Einaudi oder Rowohlt sehen sich in ihrem Ansinnen bestärkt, über die internationale Einbindung Seix Barrais "etwas gegen Franco zu tun".568 Die staatlichen Repressalien tragen dazu bei, Seix Barrais 566

567

568

Im Nachhinein urteilt Barrai, dass er sich 1962 gegenüber dem politischen Druck des MIT einzig auf die "simpatía de una fracción influyente de la opinion internacional" habe verlassen können (1978: 295). Siehe 4.6.1. zu weiteren Einzelheiten um Zensur und verlegerische Umgehungsstrategien. 1 962 besuchen zahlreiche spanische Intellektuelle den Gründungskongress der COMES (Comunità europea degli scrittori) in Rom, deren Ziel vor allem der Dialog zwischen Ostund West-Schriftstellern ist (vgl. Armando López Salinas: "Carta de Italia", Papeles de Son Armadans 25:74, (Mai 1962), S. XLIX-LVII). Im Rückblick unterstreicht José Maria Castellet die Bedeutung der internationalen Kongresse für die innerspanische literarische Debatte: "Algunos de nosotros viajábamos mucho, por ejemplo, a través de la Comunidad Europea de Escritores que tuvo mucha actividad en Italia en los primeros años de los 60 y que comprendía a todos los países de Europa, incluidos los comunistas. [...] Esos congresos internacionales eran un importante sustituto para el debate intelectual. En la medida en que estaban en la COMES los escritores del Este, se abría el gran debate - que casi nunca llega a una conclusión - sobre la palabra libertad y la libre circulación de ideas y todo esto. A través de estos viajes, se tenía contacto y se conocía a gente." (José María Castellet, Interview mit B.P., 14.11.1997; vgl. Castellet 1995: 18). Dieses Handlungsmotiv schreibt Raddatz der deutschsprachigen Jury zu (Interview mit

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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antifranquistisches Image im In- und Ausland zu festigen. Dieses Image beschreibt die kommunistische L'Unità Italiens am 8.6.1961 wie folgt: La más empeñada en la lucha contra la Censura es, sin duda, la casa editora barcelonesa SEIX Y BARRAL, dirigida por el joven poeta CARLOS BARRAL. Las editoriales madrileñas GREDOS, GUADARRAMA, REVISTA DE OCCIDENTE - continúan una rutina conservadora, y la barcelonesa DESTINO no va más allá de los puros intereses comerciales [...] El Catálogo de SEIX Y BARRAL [...] muestra una voluntad de renovación y de ampliación desconocida en España.

Allerdings konstatiert der Verfasser auch, dass Seix Barral zu sehr aktuellen literarischen Moden folge und ideologisch keiner einheitlichen Linie treu sei; gerade Publikationen zur politisch-historischen Bildung fehlten im Programm.569 1961 gerät Seix Barral im Anschluss an das Formentor-Treffen in einen ernsten Konflikt mit dem Regime. 570 Die Zusammenarbeit mit ausgewiesenen linken Intellektuellen des Ausland ist der spanischen Obrigkeit so verdächtig, dass ein Bericht des Innenministeriums den Vorwurf kommunistischer Unterstützung gegen Seix Barral erhebt: "D'après ce rapport, je ferais, consciemment ou non, la politique littéraire dictée par le parti c[ommuniste] et j'avais fait une opération de rassemblement de tous les écrivains anti-franquistes."571 Der Verlag wird aufgefordert, seine Politik zu ändern und eine öffentliche Treueerklärung gegenüber dem Regime zu leisten. Barral soll vorübergehend das Land verlassen und der mit dem Prix Formentor ausgezeichnete Roman von García Hortelano, Tormenta de verano, als subversives Werk mit Publikationsverbot belegt werden. 572 Die angedrohten Konsequenzen bleiben jedoch aus. Tormenta de verano kann im Lichte seines internationalen Literaturpreises erscheinen, da die Zensurbehörde offensichtlich die Ansicht Barrais teilt, eine Nichtgenehmigung werde einen internationalen Skandal nach sich ziehen: "[I]l faut qu'ils se décident à l'interdire et par conséquent à affronter un énorme scandale international ou à l'approuver [...]".573

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B.P., 15.4.1998), in der mit Enzensberger oder Hans Mayer ausgewiesene Linke sitzen. Das Engagement Einaudis rührt auch daher, dass er im Wirken Seix Barrais eine Reminiszenz an die antifaschistische Tradition seines eigenen Verlags verspürt (vgl. Einaudis Erinnerungen in 1993: 57-74). "Hay quien atribuye a SEIX Y BARRAL la grave debilidad en el sector de las publicaciones de interés ideológico, histórico y científico." Der Text ist nach der vom MIT an Victor Seix geschickten Übersetzung zitiert (Brief Rodríguez Casado an Seix, 11.7.1961, AB). Die ausführlichen Angaben zu Seix Barral und das lapidare Urteil über den Konkurrenten Destino deuten auf Insider-Informationen aus dem Umfeld Seix Barrais hin. Da Barral selbst die Vorgänge in seinen Memoiren schildert (Barral 1978: 280-97), fasse ich das Geschehen unter Berücksichtigung bisher unbekannter Dokumente zusammen, um detaillierter auf die besondere Rolle der internationalen Verlegerbeziehungen im innenpolitischen Streit einzugehen. Brief Barral an Einaudi, 27.7.1961, AB, dokumentiert im Anhang dieser Arbeit. Als Beleg für die kommunistischen Umtriebe gilt dem DG Rodríguez Casado der oben zitierte Artikel in L'Unità (Anlage zum Brief von Rodríguez Casado an Seix 11.7.1961, AB). Brief Barral an Einaudi, 27.7.1961, AB. Gabriele Knetsch belegt anhand der Zensurakten dieses Romans, dass die Furcht vor internationalen Protesten die Entscheidung eines Gut-

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Das Formentor-Treffen vom Anfang Mai 1962 findet im Kontext weiter verschärfter innenpolitischer Spannungen statt.574 Die Umstände dieses Treffens, das zu einer Eskalation der Beziehungen zwischen Verlag und Regime fuhrt, bieten ein prägnantes Beispiel für das Funktionieren des internationalen Netzwerkes um Seix Barrai.575 Von Beginn an versucht das Regime, die Veranstaltung zu behindern und jede Berichterstattung zu unterbinden: "A poco de iniciarse las reuniones, algunos de los periodistas invitados por la delegación española [...] comunicaron a Carlos Barral que sus crónicas les eran devueltas prohibidas por la censura de prensa."576 Die franquistischen Behörden reagieren damit unter anderem darauf, dass Einaudi Verlagsvertreter aus dem Ostblock nach Formentor eingeladen hatte.577 Erneut unter dem Verdacht kommunistischer Umtriebe werden die Seix-Barral-Mitarbeiter in Formentor verhört und ihnen Repressalien angedroht, falls es zu regimefeindlichen Äußerungen oder Handlungen komme. Nach hektischen Verhandlungen zwischen Ministerialbeamten und Jaime Salinas als verantwortlichem Veranstalter wird ein Kompromiss geschlossen: Angesichts der internationalen Besetzung und der Androhung medienwirksamer Proteste lassen die Autoritäten das Treffen geschehen, Seix Barral sichert Stillschweigen über das Vorgefallene zu - was die internationalen Medien natürlich nicht davon abhält, die Geschehnisse zu dokumentieren. In der nationalen Presse fehlen diesbezügliche Berichte, umso mehr, da offenbar per Erlass des Informations- und Tourismusministers Arias Salgado vorübergehend jegliche Werbung und Rezension für Produkte Seix Barrais in spanischen Tageszeitungen untersagt worden ist.578 Die Vorgänge in Formentor wirken durch die zeitliche und geografische Nähe auf dem Kongress der Internationalen Verleger-Union nach, der vom 8.-14.5.1962 in Barcelona stattfindet. Eine Gruppe von Kongressteilnehmern versucht in Verbindung mit der ausländischen Presse die Geschehnisse in Formentor öffentlich zu

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achters zu Gunsten Seix Barrate beeinflusst (1999: 203). Zwischen März und Juni 1962 ereignen sich in Asturien blutig niedergeschlagene Bergarbeiterstreiks; ein von 102 Intellektuellen und Künstlern unterzeichnetes Protestschreiben führt zur Ausweisung des Erstunterzeichners José Bergamin. Im Juni stellen 118 antifranquistische Oppositionelle auf einem Kongress der Europäischen Bewegung in München Demokratisierungsforderungen und erzeugen heftige politische Reaktionen in Madrid. Im Juli bildet Franco sein Kabinett um und ernennt u.a. Manuel Fraga Iribame zum Informationsminister. Zu den politischen Unruhen der frühen 60er Jahre vgl. Payne (1987: 497503) und Bernecker (1988: 143-79). Noch im Laufe des Sommers 1962 erstellen Barral und Sahnas einen Bericht über die Formentor-Treffen 1959-62 und die polizeilichen Maßnahmen (Dokument "Formentor", 4 Seiten, AB, zitiert in Anhang X). Nach Barral (1978: 297) erwirkt dieser "minucioso memorial" ein vorübergehendes Entgegenkommen des neuen Ministers Fraga Iribarne. Dokument "Formentor", 1962, AB. Ein tschechischer Vertreter darf teilnehmen, dem polnischen und sowjetischen Verleger wird die Einreise verweigert ("Sie als der Sohn", Der Spiegel 3 (16.1.1963), S. 64). Dies berichtet Barral in einem Brief an Giulio Einaudi vom 4.6.1962, AB (siehe Anhang).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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machen. Einige Verlage präsentieren eine Resolution, die nach langer Diskussion in abgeschwächter Form verabschiedet wird:579 1. Die Hauptaufgabe der Internationalen Verleger-Union wird in Artikel 1 ihrer Satzung wie folgt definiert: "Die Freiheit des Geistes in Wort und Schrift ist die Voraussetzung für das Leben, Denken und Wirken des Menschen [...]" 2. Diese Freiheiten werden noch heute in vielen Ländern ernsthaft bedroht; Millionen von Menschen werden nicht frei und objektiv orientiert. Wir fordern daher alle Mitglied-Organisationen auf, alle Hindernisse zu bekämpfen, die der Freiheit des Geistes in Wort und Schrift im Wege stehen.580 Wenn in diesem Dokument auch die Zensur weltweit angeprangert wird, so ist die francokritische Zielrichtung des Textes deutlich. Die spanischen Behörden sind sich dessen durchaus bewusst und üben weiteren Druck auf Seix Barrai aus. Im Frühjahr 1962 veranlasst das Innenministerium auf Bitte des Informations- und Tourismusministers eine Finanzprüfung gegen den Verlag, die erst nach Intervention von Barrais Freund Alberto Oliart unterbunden wird. Obwohl die Ernennung des Ministers Manuel Fraga Iribarne und seines Generaldirektors Carlos Robles Piquer im Juli 1962 zunächst die unmittelbaren Repressionen gegen Seix Barrai unterbindet, bedeutet dies kein Ende der Beeinträchtigungen. Bereits Ende 1962 ereignet sich ein neuer Zwischenfall, als die Behörden ein Einreiseverbot gegen Einaudi verhängen und damit die Auslagerung der Formentor-Treffen auf internationale Standorte erzwingen. 581 Die Ereignisse um Einaudi werfen auch für die Formentor-Gruppe die Frage der öffentlichen Stellungnahme auf. Mancher Verleger zeigt sich sehr darum bemüht, die politische Profilierung der Gruppe nicht zu weit gehen zu lassen: Our purpose is one of fiirthering and recognizing creative literary effort, and although political matters impinge upon this area, they do not dominate it. We must not allow ourselves to be looked upon only as a group interested in political controversy.582 Allerdings bleiben die Formentor-Treffen auch in den folgenden Jahren ein Politikum. Im Jahre 1965 verweigern die spanischen Behörden Barrai die rechtzeitige Ausstellung des Reisepasses und damit die Teilnahme am Treffen im französischen Valescure, worauf 35 anwesende Intellektuelle mit einem Protestschreiben antwor579

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Ein Brief von Paul Flamand (Seuil) an Barrai zeugt von diesbezüglichen Planungen: "Le mieux sera sans doute que, dès les premières heures du Congrès, nous nous réunissions à quelques-uns, de pays différents, pour préparer notre attitude." (Brief Paul Flamand an Barrai, 24.4.1962, AB). Deutschsprachige Fassung der am 7.5.1962 verabschiedeten Resolution des 16. Kongresses der Internationalen Verleger-Union (Unión Internacional de Editores 1964: 457). Einaudi hatte die von Sergio Libero vici und Michele Straniero herausgegebenen Canti della nuova resistenza spagnola, eine Sammlung von antifranquistischen Liedern, publiziert, die das spanische Informationsministerium als "insultos a las creencias religiosas y a las autoridades españolas" interpretiert. Gegen Einaudi wird daraufhin ein Einreiseverbot nach Spanien verhängt. Das Zitat entstammt dem Brief von Carlos Robles Piquer an Victor Seix vom 28.11.1962, AB. Brief Bamey Rosset (Grave Press) an Claude Gallimard, 13.12.1962, AB.

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ten.583 Vor allem die Verleihung des PF an Jorge Semprün im Jahre 1963 gewinnt durch die Begleitumstände an politischer Schärfe. Das Buch des Kommunisten Semprün gilt der spanischen Zensur selbstverständlich als eine Provokation. El largo viaje wird für Spanien verboten und kann nur für den Export in kleiner Auflage erscheinen.584 Antifranquismus kann aber auch nicht uneigennützigen taktischen Zielen dienen: Während der Beratungen der Verleger im Jahr 1963 trifft ein angeblich von Salvador de Madariaga unterzeichnetes Telegramm ein, in dem die Kandidatur Sempnins als Beleidigung spanischer Interessen kritisiert wird. Die Urheberschaft Madariagas wird von vielen Seiten angezweifelt, nicht zuletzt von Barrai, der hinter dem Brief dunkle Machenschaften von Gallimard und, speziell, Juan Goytisolo vermutet, um Semprün als Autor des Hauses den Preis zuzuspielen.585 Dass dieser - unbewiesene - Verdacht überhaupt aufkommt, zeigt, wie eng politische und wirtschaftliche Erwägungen im Denken der Beteiligten zusammengehen. Carlos Barrai vs. Seix Barrai S.A. Die Entscheidungsautonomie Barrais ist jedoch nicht nur von staatlicher Seite bedroht. Auch innerhalb des Unternehmens trifft das literarische Verlagsprogramm seitens der anderen Eignerfamilien auf häufige Kritik, die von Barrai als herbe Einschränkung seiner verlegerischen Freiheit wahrgenommen wird. Ständiger Zwist entzündet sich an der Frage nach der Wirtschaftlichkeit der literarischen Reihen.586 Femer erregen die politischen Auseinandersetzungen Seix Barrais mit der Obrigkeit die Missbilligung mancher Teilhaber, die aus geschäftlichen Gründen und ideologischer Überzeugung für Neutralität gegenüber dem Regime plädieren.587

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Das Dokument liegt im Archiv Barrai. Die Namen der Unterzeichner sind in Anhang VIII aufgeführt. Die Produktion erfolgt in Gemeinschaftsarbeit mit Joaquín Mortiz. Semprün evoziert in L'écriture ou la vi'e die Erinnerung an den Erhalt eines unbedruckten Probeexemplars anlässlich des PF 1964 in Salzburg (Semprün 1994: 281 f.). Barrai (1988: 46). Barrai selbst hatte versucht, Vargas Llosa zum Preisträger küren zu lassen. Der Streit dreht sich oft um die Kooperation zwischen Druckerei und Verlag: "Había un enfrentamiento constante por razones económicas. En realidad, lo sólido era Industrias Gráficas. Uno de los primeros problemas que tuve que resolver era que Juan Seix, el padre de Víctor, un empresarial, sólo imprimia libros en Industrias Gráficas cuando las máquinas estaban paradas. La primera batalla era hacer una programación con ciertas fechas y para que estuvieran hechas para aquellas fechas. Otra lucha consistía en el precio de impresión. Había que imprimir en Industrias Gráficas, y los precios los hacían ellos." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997). Dies gilt vor allem für die Familie Font, die - ob zu Recht, entzieht sich meiner Kenntnis - mit dem Opus Dei in Verbindung gebracht wird (Rafael Soriano, Interview mit B.P., 14.11.1997).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und

Internationalisierung

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In Folge der durch das Formentor-Treffen 1961 hervorgerufenen Probleme wächst auch der interne Druck auf Barrai, das Verlagsprogramm politisch weniger anstößig zu gestalten. Dieser hingegen beharrt auf seiner Handlungsfreiheit. In einem Brief an Einaudi schildert Barrai die Diskussionen innerhalb der Unternehmensleitung hinsichtlich der Finanzierungs- und Zensurprobleme der literarischen Reihen. Man befürchte eine Gefahrdung des Gesamtunternehmens und wolle ihm, Barrai, die Selbstzensur bzw. interne Zensur auferlegen; allein Victor Seix sei auf seiner Seite: Je ne crois pas qu'une seule des menaces de M. le Directeur Général arrive à être effectuée [...] Puis, évidemment mon danger c'est la survivance de la société, qui dépend de la résistance nerveuse de Victor. Il faut aussi compter avec la possibilité de qu'ils me tendent un piège politique ou juridique.588

Anlässlich der ein Jahr später gegen den Verlag gerichteten staatlichen Maßnahmen gärt der interne Konflikt auch nach dem Ministerwechsel im Sommer 1962 weiter. Barrai macht seine eigentlichen Gegner innerhalb des Unternehmens aus und sieht auch die von Victor Seix übernommene Vermittlerrolle zwischen den Fronten zwiespältig. Barrai beschuldigt ihn der zunächst unbewussten, schließlich bewussten Kollaboration mit dem Ministerium: Seix habe im Gespräch mit den Funktionären des MIT Barrais Demission zugesagt.589 Barrai geht so weit, einen Plan zur Ausgliederung seiner Verlagsreihen aus dem Unternehmen zu entwerfen: Mais rien n'est changé quant au front intérieur et quant à la nécessité d'assurer mon indépendance vis à vis des pressions qui empêchent, par des raisons tout autre que sérieuses, le libre développement de ma politique littéraire et l'expansion déjà franche de la maison d'édition. [...] j'ai travaillé à un plan visant la restructure de la société et l'élimination de toute possibilité de chantage et d'obstaculation de la part de Seix et des noires forces politiques qui se cachent derrière lui.590

Seix ist in der Tat darum bemüht, auf Barrais politischen Konfrontationskurs mäßigend einzuwirken. Er kritisiert, dass Publikationsentscheidungen hinter seinem Rükken getroffen würden, ohne dass er selbst zu den potenziellen Zensurproblemen eines Titels habe Stellung nehmen können.591 In Anbetracht des Machtwechsels im MIT bittet Seix darum, dass sich der Verlag bei anstehenden kulturpolitischen Diskussionen im Hintergrund halte und andere Verleger in die Schusslinie setze: El nuevo Ministro tiene una serie de ideas y proyectos de gran envergadura que intentará sacar adelante contra toda oposición. Nuestra habilidad consistirá en desaparecer de la primera línea y dejar que sean otros los editores que apechuguen con los problemas.592

Ais Jaime Salinas zum Mai 1964 bei Seix Barrai kündigt, begründet auch er sein Ausscheiden mit den unüberbrückbaren Differenzen innerhalb des Verlags, die ihn 588 589 590 591

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Brief Carlos Barrai an Giulio Einaudi, 27.7.1961, AB, siehe Anhang XI. Brief Carlos Barrai an Giulio Einaudi, 4.6.1962, AB, siehe Anhang XI. Brief Carlos Barrai an Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, 4.8.1962, AB. "[N]o debe hacerse ninguna gestión económica, de contrato o de traducción hasta que yo no haya devuelto la documentación correspondiente a un título con mi aprobación." (Internes Schreiben Víctor Seix an Carlos Barrai und Juan Seix, 26.6.1962, AB). Internes Schreiben Víctor Seix an Carlos Barrai, 28.7.1962, AB.

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selbst in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt hätten: "[D]esde hace unos años [...] se han ido multiplicando las dificultades y acentuando los inconvenientes para el desarrollo de la labor que tengo asignada con continuidad, eficacia y responsabilidad." Insbesondere der von Víctor Seix eingeschlagene Kurs erscheint ihm kontraproduktiv und drohe "consecuencias ruinosas" nach sich zu ziehen. Daher sehe er fiir sich keine Zukunft mehr im Verlag.593 Die Verlagsarbeit Carlos Barrais ist vom fortwährenden Misstrauen gegenüber seinen Partnern begleitet.594 Der Konflikt zwischen den Verlagsparteien stellt sich als schwieriger Ausgleich literarischer und ökonomischer Prinzipien dar. Im repressiven System des Franquismus fuhrt diese Auseinandersetzung schließlich zum Problem der politischen Selbstzensur. Wie die Korrespondenz Barrais mit dem Ministerium zeigt, ist Barrai selbst an einem verträglichen Auskommen mit den Behörden interessiert. Dennoch ist Seix' defensive Strategie der vorauseilenden politischen Rücksichtnahme weder mit den Überzeugungen noch mit dem internationalen Prestige Barrais und der von ihm betreuten Verlagsreihen völlig vereinbar, das eben eine deutliche politische Profilierung einschließt. Die dauernden internen Machtkämpfe fuhren nach Victor Seix' Tod 1967, durch zwischenmenschliche Probleme verschärft, schließlich zum Bruch zwischen dem literarischen Leiter und dem Management.595 Internationale

Koedition

Die internen Auseinandersetzungen beschleunigen Barrais Hinwendung zu den ausländischen Verlegern. Barrais Idee einer internationalen Koedition steht in Zusammenhang mit den Bemühungen, sich der doppelten Überwachung im eigenen Unternehmen und durch die Zensur zu entledigen: Bereits 1961, acht Jahre vor seinem Weggang, denkt Barrai offen über eine Abspaltung von Seix Barrai nach, um mit Unterstützung der befreundeten europäischen Verleger eine organisatorisch und finanziell unabhängige Reihe aufzubauen.596 Ein Jahr später skizziert er einen aben593

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Brief Jaime Salinas an Carlos Barral, 22.4.1964, AB. Heute sieht Salinas beide Positionen offenbar neutraler: "En 1964, por toda una serie de razones, yo decidí dejar Seix Barral. Había un enfrentamiento entre las dos familias, la familia Seix y la familia Barral ya desde el primer día desde que entré; mi función era de intermediario entre las dos. Pero lo que pasa es que, cuando sale un intermediario, con el paso de tiempo uno se convierta en una especie de 'punching-ball' de los dos lados, y en este sentido yo estaba empezando a cansarme." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997). Es ist aus dem vorliegenden Material weder möglich noch notwendig, die Stichhaltigkeit der Vorwürfe zu überprüfen. Barrais Haltung gegenüber Seix entspannt sich im Laufe der gemeinsamen Tätigkeit, da dieser sich als loyale Stütze der literarischen Projekte erweist. Im Nachhinein scheint Barral selbst um eine Revision seiner harschen Urteile bemüht zu sein: "Victor [...] me pareció en aquellos inicios un personaje marcado por las contradicciones." (Barral 1978: 20-24, hier: 21f.). Hierzu siehe 5.2.1. und Barral (1988: 97-102). Brief Carlos Barral an Giulio Einaudi, 27.7.1961. Offenbar bewirkt diese Androhung die erhofften Zugeständnisse der Unternehmensteilhaber: Erstens, so ein Brief Barrais vom

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Internationalisierung

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teuerlichen Plan 'feindlicher Übernahme': An Barrais Anwalt Gil Robles und interessierte Verleger - Gallimard, Einaudi - sollen stimmberechtigte Aktien ausgegeben werden, um mit Hilfe dieser Fürsprecher eine Kapitalerhöhung durchzusetzen. Die auswärtigen Verleger sollen neue Aktien Seix Barrais erwerben und damit Carlos Barrais Position zur Mehrheit verhelfen. Allerdings gelingt es nicht, Einaudi von der Umsetzbarkeit dieses Plans zu überzeugen.597 Barrai versucht in den Folgejahren immer wieder, die temporäre Kooperation der Formentor-Gruppe in eine dauerhafte verlegerische Koedition und Beteiligung umzuwandeln: "Carlos necesitaba capital. La única manera de conseguir capital para un proyecto que él proponía era del extranjero, porque los bancos de aquí se hubieran negado."598 Im März 1963 sichert Gallimard seine Beteiligung an einer Kapitalerhöhung zu. An der Planung internationaler Projekte ist außerdem der italienische Mondadori-Verlag beteiligt; dieser zögert jedoch in Anbetracht unklarer politischer Rahmenbedingungen und teilt am Anfang 1964 mit, dass er von den italienischen Ministerien keine Erlaubnis zu der geplanten Kapitalbeteiligung erhalten habe.599 Nach längeren Vorabplanungen gründet Carlos Barrai 1964 das Unternehmen Barrai Editores, um sich ein verlegerisches Standbein für etwaige unabhängige Produktionen zu verschaffen. Konkrete Überlegungen hinsichtlich einer gemeinsamen Taschenbuchreihe und einer Pléiade española - vgl. die zitierte Planung von 1963 (3.4.1) - werden fortgeführt, ohne dass es Barrai jedoch über die Jahre hinweg gelingt, die endgültige Einwilligung seiner internationalen Kollegen zu gewinnen. Für die Mitte der 60er Jahre angegangene Produktion seiner Taschenbuchreihe lässt sich Barrai vor allem von Feltrinelli und dessen Mitarbeiter Valerio Riva beraten. Ebenso verhandelt er mit dem Verlag Hachette, der Barrais Pläne aber mit "certains risques" finanzieller Art behaftet sieht und sich distanziert hält.600 Die mit Gallimard erwo-

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Dezember 1961, sei sein Verlagsprogramm genehmigt und eine Finanzierung aus Mitteln der Druckerei zugesagt worden; zweitens habe man ihm Entscheidungsfreiheit in seiner Verlagspolitik zugesichert: "1. On rétablissait le plan de publication que j'avais formulé un an auparavant sans aucune restriction [...] 2. Je restais libre et autonome dans ma politique littéraire sans d'autres limites que la Censure officielle." (Brief Carlos Barrai an Giulio Einaudi, 13.12.1961, AB). Beide Briefe sind im Anhang XI dokumentiert. Briefe von Carlos Barrai an Giulio Einaudi, 16.6.1962, und von Giulio Einaudi an Carlos Barrai, 20.7.1962, AB. Jaime Salmas, Interview mit B.P., 30.4.1998. Vgl. die Dokumente im Archiv Barrai: Brief Bernard Huguénin (Gallimard) an Carlos Barrai, 5.3.1963; Brief Alberto Mondadori an Barrai, 22.1.1964. Brief Guy Schoeller (Hachette) an Carlos Barrai, 2.5.1966, AB. Barrai hatte um Erfahrungen hinsichtlich der von Hachette publizierten Livres de Poche angefragt und ein Programm von vier Titeln pro Monat - zwei literarisch, zwei wissenschaftlich - vorgeschlagen. Schoeller meldet insbesondere Bedenken bei den Verkaufschancen wissenschaftlicher Titel und bei den für Lateinamerika veranschlagten Einnahmen an. Drei Kriterien trügen zum guten Gelingen der Livres de Poche bei: hohe inhaltliche Qualität; hohe Titelrotation, die eine schnelle Amortisierung ermögliche; hohe Auflagen von mindestens 40.000 Exemplaren zur Kostenminimierung des Einzelexemplars. Wie sich für Spanien

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gene Koedition einer Pléiade spanischer Autoren gewinnt zwar Konturen (Layout, Titel), bleibt aber unrealisiert. Barrais Initiativen zur Koedition und finanziellen Kooperation auf internationaler Ebene scheitern an juristischen und organisatorischen Fragen, vermutlich auch an ökonomischen Bedenken der potenziellen Partner. Ein Brief Barrais an Riva vom 22.7.1965 (AB) bringt die Probleme vor, die das internationale Taschenbuchprojekt gefährden. Gewissermaßen bilden die angeführten sechs Punkte eine Summe aller auf den Verleger einwirkenden Beschwernisse, gleichzeitig ist die Lage des spanischen Buchmarkts stellvertretend resümiert: 1) Die internen, ideologisch begründeten Auseinandersetzungen zwischen den Kapitalseignern ließen nicht nach; finanzielle Probleme und Ineffizienz lähmten die Produktion und Distribution der Titel; nach einer Entmachtung Victor Seix' drohe auch Barrais Verlagspolitik einem "vergonzoso compromiso" unterworfen zu werden. 2) Am lateinamerikanischen Markt zögen dunkle Wolken auf, da die Inflationsraten den Absatz spanischer Bücher unmöglich machten. Abhilfe biete höchstens ein Vertriebsnetz, das unabhängig vom baldigen Devisenumtausch agiere: "Una posibilidad que quizá tenga Labor pero de la que no disponen los editores pequeños, ni siquiera cuentan con distribuidoras propias pero sin un capital operativo real." 3) Die innereuropäische Kommunikation beanspruche zuviel Zeit. 4) Die Beziehungen zur Zensur hätten sich auf einem schlechten Niveau stabilisiert. 5) Der "sucio colonialismo cultural" der US-Amerikaner okkupiere den lateinamerikanischen Markt für universitäre Fachbücher. 6) Der Markt für Taschenbücher werde enger, die Konkurrenz wachse. In der Zusammenschau verfestigt sich gleichwohl das Bild einer umfassenden Strategie der Internationalisierung, die als Alternative zu den auf nationaler Ebene existierenden Beschränkungen in Gang gebracht wird. Barrai strebt an, den lose institutionalisierten Kreis befreundeter Verlage in eine festere Geschäftsbeziehung einzubinden. Dass diese Initiativen in der kulturellen Aufbruchsstimmung ihrer Zeit durchaus repräsentativ sind, zeigt der anekdotische Versuch europäischer Verleger, auf der Frankfurter Buchmesse 1968 einen alternativ zu den bestehenden Institutionen agierenden supranationalen, libertären Verlag ins Leben zu rufen (Barrai 1988: 102). Auch in der spanischen Verlagsbranche geht der Trend zur internationalen Koedition als dem Modell der Zukunft. Mit einem entscheidenden Unterschied allerdings: Barrai geht es nicht nur um die Finanzierung, sondern auch um die Handlungsautonomie, die er besser durch internationales als durch firmeneigenes Kapital gewährleistet sieht. Die Kooperation mit internationalen Partnern ist ein probates Mittel kultureller Opposition, wie ein Seitenblick auf das spanische Kino verdeutlicht. Internationale zeigt, lässt sich dort zumindest die dritte Bedingung angesichts geringer Nachfrage nur äußerst schwer einhalten (siehe 5.1.1).

3. Verlagspolitik, kulturelle Positionierung und Internationalisierung

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Filmfestivals dienen als Foren für kritische spanische Produktionen (z.B. Luis Bunuels V I R I D I A N A ) und sichern gleichzeitig Beistand gegenüber innenpolitischen Repressalien. In den 60er Jahren gehen spanische Produzenten und Regisseure zu Koproduktionen mit französischen oder italienischen Partnern über, um bei Zensurproblemen in Spanien ihr Werk über das Ausland international präsentieren zu können. Andererseits versucht das spanische Regime, wie im Verlagswesen, das Kino als Exportfaktor zu stabilisieren und, mit eher geringem Erfolg, die junge cineastische Avantgarde für ihr Außenimage zu instrumentalisieren. In jedem Fall können die Regisseure und Produzenten des Nuevo Cine Espanol oder der Escuela de Barcelona aus der staatlichen Filmförderung Kapital schlagen.601

601

Vgl. zusammenfassend Rudolph (1999: 251) zum Thema internationaler Filmproduktion.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

4.

Literatur in Spanien (1959-67)

183

D I E VERMITTLUNG LATEINAMERIKANISCHER LITERATUR IN SPANIEN ( 1 9 5 9 - 6 7 )

In den vorangegangenen Kapiteln wurde die Entwicklung Seix Barrais ab 1955 als Ausformung eines konkreten verlegerischen Profils analysiert, das den innerspanischen Bezugsrahmen bald überschreitet. Die 1960 begonnene Publikation lateinamerikanischer Narrativik steht, auch vor dem Hintergrund des sich allmählich manifestierenden internationalen und nationalen Rezeptionsinteresses, im Zusammenhang mit dieser spezifischen Verlagsplanung. Inmitten sich verschiebender soziologischer, ästhetischer und marktökonomischer Entwicklungen soll die Erschließung neuer Märkte und Zielgruppen geleistet werden. Auf den Verlegertreffen in Formentor kann sich die Equipe von Seix Barrai gleichzeitig vom wachsenden Interesse der internationalen Öffentlichkeit für einige lateinamerikanische Autoren überzeugen. Seix Barrai betritt mit dieser Schwerpunktsetzung weitgehend verlegerisches Neuland in Spanien, wie ein Blick auf den Literaturaustausch und die konkrete Vermittlung lateinamerikanischer Literatur vor 1960 (4.1) und fiir die folgenden Jahre bis 1967 (4.2) erhellt. Im zeitgenössischen Kontext machen es ästhetische und verlagsstrategische Erwägungen für Seix Barrai ab diesem Datum attraktiv, lateinamerikanische Literatur als festen Programmbestandteil zu integrieren: Zunächst entspricht die von Seix Barrai publizierte Literatur den in Spanien gepflegten Prämissen einer gesellschaftskritischen Literatur, deren ästhetische Umsetzung zu Beginn der 60er Jahre zum Gegenstand literarischer Kontroverse wird (4.34.4). In ökonomischer Perspektive kommt die Publikation lateinamerikanischer Autoren den Exportinteressen Seix Barrals auf den spanischsprachigen ÜberseeMärkten entgegen (4.5). Ferner lassen die Manuskripte lateinamerikanischer Autoren auf Spielräume bei der Zensur hoffen, die sich gegenüber außerhalb des spanischen Kontextes angesiedelten Inhalten zuweilen nachgiebig zeigt. Die Verhandlungen Seix Barrals mit den Zensurbehörden illustrieren das Interessengeflecht, das bei der Vermittlung lateinamerikanischer Literatur auf Verleger- und offizieller Seite zum Tragen kommt (4.6).

184

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4.1

Der transatlantische literarische Austausch bis 1959

4.1.1

Produktion und Import lateinamerikanischer Literatur in Spanien

Die Produktion und Rezeption lateinamerikanischer Literatur fallt im Spanien der Nachkriegszeit nicht sehr umfangreich aus. Das Angebot der Verlage im Bereich spanischsprachiger Literatur beschränkt sich weitgehend auf nationale Autoren, ebenso wie die Mehrzahl der literarischen Förder- und Verlagspreise. Die von Gloria Romero Downing anhand der Zensurakten des MIT ermittelten Daten geben einen ersten Eindruck von der Zahl der im Franquismus verfugbaren lateinamerikanischen Titel. Zwischen 1938 und einschließlich 1961 werden demnach 283 Titel lateinamerikanischer Schriftsteller der Zensur vorgelegt - also durchschnittlich zwölf pro Jahr; davon sind 116 Romane und 33 Erzählbände.602 Die Angaben beziehen sowohl in Spanien produzierte als auch für den Import vorgesehene Bücher ein. Für die gesamte Zeit des Franquismus enthält die Aufstellung Romeros 144 in Spanien gedruckte Romane, die in nicht wenigen Fällen als Nachauflagen bereits vor dem Krieg publizierter Titel erscheinen. Von diesen ist ein großer, leider von der Verfasserin nicht ausgewiesener Teil, für den Export bestimmt und allein aus technischen Gründen in Spanien hergestellt.603 Wichtigste spanische Vermittler dieser Zeit sind Espasa-Calpe und Aguilar, die als transnational operierende Unternehmen auf den Märkten in Übersee etabliert sind. In der von Espasa-Calpe herausgegebenen Colección Austral erscheinen lateinamerikanische Titel in Auflagen von bis zu 5.000 und mehr Exemplaren (z.B. Titel von Rómulo Gallegos); genau genommen, handelt es sich hier um Produktionen aus Buenos Aires, die zum Teil nach Spanien importiert werden. Romero weist nach, dass Espasa-Calpe in den 40er Jahren bei der Genehmigung seines transatlantischen Handels mit dem Propagandaministerium und der spanischen Botschaft kooperiert und sich auf den Kompromiss einlässt, bei strittigen Titeln lediglich für den lateinamerikanischen Markt zu produzieren.604 Neben Espasa-Calpe fuhrt Aguilar den 602

603

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Romero Downing (1992: 141). Bis 1976 werden nach Romeros Zählung 453 Titel lateinamerikanischer Schriftsteller zur Zensur vorgelegt, darunter 195 Romane und 51 Erzählbände. Romeros Angaben erfassen jedoch nicht den vollständigen Umfang der tatsächlich publizierten Titel (siehe 5.3.1 für die Jahre 1962-76). Romero Downing (1992: 121). Abellán, der sich offensichtlich auf statistische Angaben Romeros stützt, schätzt den Anteil der für den Export bestimmten Titel auf "algo más del 60%" (Abellán 1992: 15), lässt aber offen, inwieweit diese Titel ausschließlich für den Export produziert wurden. Abellán geht noch weiter: "[H]ay indicios razonables para creer que existían conexiones de control de textos e incluso de servicios de inteligencia entre las casas editoriales implantadas en países latinoamericanos - en concreto Espasa-Calpe de Buenos Aires - y los corresponsales de la Delegación Nacional de Prensa y Propaganda de las embajadas. De

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67)

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größten Stamm an lateinamerikanischen Autoren. Eine Programmübersicht dieses Verlags aus dem Jahr 1958 nennt nicht weniger als 66 Namen für alle literarischen Genres und Epochen, darunter Werke zeitgenössischer Autoren wie Ciro Alegría, Eduardo Mallea, José Maria Arguedas und Miguel Angel Asturias. Hinzu kommen spezielle Editionen einheimischer Schriftsteller in Argentinien, Mexiko und Venezuela. 605 Einer der konsekrierten Autoren ist der Argentinier Enrique Larreta (1875-1961), der lange Jahre in Spanien lebt, 1949 hier den nationalen Cervantes-?rz\s gewinnt und sogar zum Namenspatron einer allerdings nur einmal (1950) verliehenen staatlichen Auszeichnung wird.606 Ein weiterer südamerikanischer Preisträger ist Rodolfo Fonseca, der 1947 den Premio Internacional de Novela von José Janés erhält (siehe 2.3). Im Jahre 1959 wird Mario Vargas Llosa ein literarischer Förderpreis zugesprochen, der Premio Leopoldo Alas. Sein Erzählband Los jefes erscheint in einer Auflage von 1.500 Stück, erzielt jedoch keine nennenswerte Beachtung. 607 Die von Romero Downing angeführten Gesamtzahlen schließen ferner einen beträchtlichen Anteil von Titeln ein, die bei lateinamerikanischen Verlagen produziert und von dort nach Spanien importiert wird. 608 Diese Zensuranträge geben meist geringe Stückzahlen an, so dass von einer recht begrenzten Rezeption ausgegangen werden kann. Vor 1960 gelangen im Import bereits Werke von Ernesto Sàbato (1946 Uno y el universo, 1953 Hombres y engranajes), Octavio Paz (u.a. Libertad bajo palabra, 1950), Jorge Luis Borges (Ficciones, 1956) und Juan Rulfo {El llano en llamas, 1960) nach Spanien. 609 Da von Paz mindestens vier Titelimporte

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este modo, quedaban reducidas a un minimo las dificultades de importación hacia España." (Abellán 1992: 20, Anm. 6). "América, Europa y Aguilar", Pregón (Januar 1958), S. 5f., ABC AS. Es handelt sich um die monatliche Programminformation des Verlags. Abellán qualifiziert Larreta als "autor muy publicado y leído en la década de los cuarenta en España" (1992: 16). Einer der wenigen zeitgenössischen Leser von Los jefes ist nach eigener Aussage Juan García Hortelano (Campbell 1971: 264), während José María Castellet bekennt, das Buch bei seiner Erstpublikation 1959 zwar erhalten, jedoch ungelesen beiseite gelegt zu haben (im Vorwort zur Neuausgabe von Los jefes, Barcelona: Barrai 1971). Auch die von Romero Downing aus den 'normalen' Zensurakten ermittelte Angabe von 51 zur Importgenehmigung vorgelegten Titeln dürfte nur ein unvollständiges Bild liefern; eine umfassende Aufarbeitung speziell der Vorgänge zur Importzensur steht damit noch aus. Während ich die (für meine Forschungszwecke zu) umfangreichen Akten der "Licencias de importación" der Jahre 1961-76 im Zentralarchiv von Alcalá (AGA, Vol. 87439, Fächer 77347-77435) lokalisieren, aber nicht auswerten konnte, ist der Verbleib der kompletten Vorgangsakten dieser Buchimporte ungeklärt (Stand März 1998, mündliche Auskunft von Manuel L. Abellán). Alle Angaben nach Abellán (1992) und Romero Downing (1992). Meist bewegen sich die importierten Exemplare im Bereich von 25 bis 250 Stück, wie z.B. bei Adolfo Bioy Casares (El perjuicio de la nieve, 1943, 125 Ex.) oder Mariano Azuela (Esa sangre, 1956, 250 Ex.). Von Julio Cortázars Rayuela sind nach offiziellen Zahlen (AGA, Doss. 4217-67,

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nachgewiesen sind, überrascht es weniger, dass gerade dieser Autor als Teilnehmer in Formentor zu den ersten Vermittlern der künftigen Soom-Generation gehört. In größerer Zahl finden sich auf dem spanischen Markt Romane von Mariano Azuela, Eduardo Barrios, Manuel Gálvez, Alberto Insúa und Enrique Larreta, und vor allem Werke venezolanischer Autoren: Ramón Díaz Sánchez, Rómulo Gallegos, Teresa de la Parra und Lucila Palacios.610 Einige dieser Titel, deren Erstauflage oft vor dem Bürgerkrieg liegt, erreichen (Nach-)Auflagen von 10.000 Exemplaren.611 Auch von diesen mit mehreren Werken verzeichneten Autoren bleibt kaum einer vom Verbot einzelner Titel verschont. Einheimische Autoren machen allerdings nur einen geringen Teil der Programme lateinamerikanischer Verlage aus, die in den 40er und 50er Jahren so erfolgreich den spanischen Markt versorgen.612 Es dominieren vielmehr internationale Schriftsteller und Autoren des spanischen Exils. Aus den gegen den Importeur Oteyza verhängten Importverboten (siehe 2.2) lassen sich ex negativo auch Anhaltspunkte für die Zusammensetzung der aus Argentinien transferierten Literatur gewinnen. Unter den 341 insgesamt betroffenen Titeln ist lateinamerikanische Literatur nur in sehr geringem Ausmaß vertreten (je 1 Titel von Jorge Luis Borges, Nicolás Guillén, Pablo Neruda, Mariano Picón-Salas). Stattdessen finden sich große Namen der Vor- und Zwischenkriegsliteratur wie Dos Passos, Gide, Joyce, Lawrence, Proust oder Romains, ferner Autoren des spanischen Exils wie Alberti, Ayala oder Baroja.613

4.1.2

Exkurs zu argentinischen und mexikanischen Verlagen

In Argentinien entsteht zwischen 1938 und 1940 das Trio der künftig maßgeblichen Literaturverlage Sudamericana, Losada und Emecé. Sudamericana wird 1938 von einer Gruppe argentinischer Intellektueller um die von Victoria Ocampo herausgegebene Sur gegründet und 1939 von dem nach Buenos Aires emigrierten Katalanen Antoni López Llausás erworben. Das Verlagspro-

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Fach 18164, Rayuela) bis 1967 erst 95 Exemplare importiert worden. Der relativ hohe Anteil venezolanischer Autoren erklärt sich wohl aus deren guten Publikumserfolgen vor dem Bürgerkrieg (Marco 1992) und ihren häufigen freiwilligen oder politisch erzwungenen Aufenthalten in Europa, wo sie literarische Kontakte knüpfen können (López Alvarez 1991: 135; zu Teresa de la Parra vgl. Rössner 1995: 310). Diese Auflage erreichen Mariano Azuelas Los de abajo im Jahre 1960 oder Ramón Díaz Sánchez' Cumboto im Jahre 1961. Das Angebot von Edhasa (1950), Importeur zahlreicher bedeutender (Sudamericana, Emecé, FCE) und kleinerer lateinamerikanischer (Hermes, Cosmos, Sur, Librería del Colegio (B.A.)) Verlage, umfasst vor allem europäische oder anglophone Autoren, die in Spanien nicht oder nur wenig publiziert sind (Katalog Edhasa 1950, ABC AS). Mit mehr als drei Titeln erscheinen in der Aufstellung Alberti, Baroja, Dos Passos, Gide, Lawrence, Proust, Romains und Wassermann, dazu nicht-fiktionale Titel von Max Dickmann, Waldo Frank, Loreno Luzuriaga und Emest Renan. Die vollständige Liste im Anhang bei Mangada/Pol (1997).

4. Die Vermittlung

lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

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gramm steht zunächst unter dem Einfluss der Si/r-Gruppe, deren Zeitschrift über Sudamericana vertrieben wird, und umfasst vor allem angloamerikanische Autoren (Caldwell, Faulkner, Hemingway, Steinbeck, Woolf), weitere Europäer (Capek, Malraux, Thomas Mann) sowie wenige lateinamerikanische (L. Marechal, Mallea) und spanische Schriftsteller (Baroja);614 einen großen Teil des Programms machen nicht-fiktionale Reihen aus. Mit der Gründung des Verlags und Importhauses Edhasa in Barcelona (1946) sowie des Verlags Hermes in Mexiko, in dessen Programm weitgehend die in Argentinien verpflichteten Autoren erscheinen, treibt López Llausás die Internationalisierung von Sudamericana voran. Gonzalo Losada gründet 1938 den gleichnamigen Verlag, der sich auf die Publikation von spanischen Exil- oder Vorkriegsautoren sowie von Klassikern spezialisiert.615 Als "editorial de los exiliados"616 besitzt Losada große Bedeutung für die spanische Rezeption dieser in Spanien zumeist verbotenen Texte. Die Colección Contemporánea, ähnlich universell konzipiert wie Espasas Austral, jedoch stärker auf zeitgenössische Texte ausgerichtet, ist wegen ihres geringen Preises ein wichtiges Vermittlungsmedium. Ein Pendant zu Seix Barrais Reihen zeitgenössischer Narrativik (Biblioteca Breve; Biblioteca Formentor) bildet die zeitgleich publizierte Reihe Novelistas de nuestra época: dort erscheinen u.a. Vertreter des Nouveau Roman (Robbe-Grillet) oder der italienischen Nachkriegsgeneration (Moravia, Piovene, Pratolini, Vittorini). Auch Losada schwenkt in den 60er Jahren auf die verstärkte Publikation lateinamerikanischer Autoren ein und 'entdeckt' Augusto Roa Bastos (Hijo de hombre, 1960) und David Viñas (Los dueños de la tierra, 1960) (Rama 1981: 67). In den 70er Jahren, im Zuge des Kampfes um die Firmenleitung, konzentriert sich Losada allerdings verstärkt auf die sicheren Absatz versprechenden Klassiker des 19. und 20. Jahrhunderts. Emecé wird 1939 gegründet und profiliert sich als elitärer und internationaler Verlag. Emecé wird zum Hausverlag für Borges, Bioy Casares, Bullrich und Mallea (der auch bei Sudamericana erscheint) und übernimmt im transatlantischen Aus-

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"López Llausás vino en 1938/39. Al principio estaba en contacto con el grupo de Sur, donde trabajaban, bajo la sombra de Victoria Ocampo, Borges, Mallea, Bioy. Todos ellos colaboran en un principio con Sudamericana, se forma un comité de lectura extraordinario que hace que se publique a autores completamente desconocidos, nuevos, Paul Bowles, por ejemplo." (Francisco Porrúa, Interview mit B.P., 15.4.1998). Dem ersten "directorio" gehören u.a. Victoria Ocampo, Oliverio Girando und Carlos Mayer an; Julián Urgoiti und López Llausás sind "gerentes". Vgl. Pochat (1991: 168), Arbonés (1992: 141 f.), Lagarde (1980: 64). Losadas Mitarbeiter sind Guillermo de Torre und Atilio Rossi, mit denen er vorher bei Espasa-Calpe Argentina angestellt war - wie übrigens auch der bei Sudamericana engagierte Urgoiti - , sowie Pedro Henriquez Urefla, Francisco Romero oder Amado Alonso. Pochat (1991: 166). Zu den Autoren zählen u.a. Rafael Alberti, Arturo Barea, Federico García Lorca oder Miguel Hernández, ferner die Essayisten Américo Castro und José Ferrater Mora.

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tausch die Publikation von Camilo José Cela (La colmena, 1951) und Juan Goytisolo (Fiestas, 1958). Einen besonderen Stellenwert erhält die galicische Literatur, da zwei Galicier - Arturo Cuadrado, Luis Seoane - als literarische Leiter fungieren (Pochat 1991: 169). Emecé ändert nach Abflauen des Boom in den 70er Jahren radikal sein Verlagsprogramm und produziert von nun an, wie Angel Rama bedauernd feststellt, "la peor linea de best-sellers" (Rama 1981: 67). Als "most important Publishing firm in Mexico"617 gilt der 1934 gegründete und von Daniel Cosío Villegas geleitete, mit staatlichen Mittel geförderte Fondo de Cultura Econòmica, der viele spanische Emigranten zu seinen Mitarbeitern zählt. 1948 wird der Argentinier Arnaldo Orfila zum Verlagschef ernannt und hat diesen Posten bis zu seiner politisch motivierten Entlassung im Jahre 1965 inne.618 In diese Zeit fällt eine äußerst umfassende Verlagstätigkeit mit der Gründung der Reihen Breviarios, Colección Popular und vor allem der Letras Mexicanas (ab 1952), die ein Sammelbecken verschiedener zeitgenössischer, nationaler Autoren darstellt. Mit der Biblioteca Americana versucht der FCE einem Manko abzuhelfen, das die fehlende Vermittlung lateinamerikanischer Literatur im eigenen Land betrifft.619

4.1.3

Paris als literarischer Umschlagplatz

Die internationale Vermittlung lateinamerikanischer Literatur führt immer wieder über Paris. Dieser traditionelle Aufenthaltsort lateinamerikanischer Autoren ist auch nach dem Zweiten Weltkrieg Anziehungspunkt vieler Schriftsteller und wirkt als verlegerisches Sprungbrett für deren europaweite Rezeption.620 Die sich nach 1945 von Paris aus entwickelnde Borges-Rezeption stellt einen Auslöser des späteren intensiven literarischen Austausches zwischen Spanien und Lateinamerika dar.621 In ähnlicher Weise wird auch Bioy Casares erst nach seiner Publikation in Paris auch in Argentinien breitere Aufmerksamkeit erregen.622 Vor allem ist die Vermittlerrolle

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Peflalosa (1957: 150). Die Aussage berücksichtigt allerdings nicht die großen spanischen Verlage. Orfila gründet daraufhin den Verlag Siglo XXI (siehe 4.5.2). "El Fondo de Cultura Económica quiere combatir con la publicación de esta Biblioteca un mal antiguo y grave: el desconocimiento de los valores de la América hispánica, mal del que adolecen no sólo los países extranjeros, sino los propios países que la constituyen. [...] Nuestro público, para formarse culturalmente y hasta para obtener información sobre América, suele recurrir sobre todo a libros extranjeros." (Verlagsinformation, o.D. [nach 1945], ABCAS). Von den zahlreichen Darstellungen zum Thema 'Lateinamerikaner in Paris' vgl. an neueren Monografien Pera (1997) für den Modernismo und Nelle (1996) für das 19. und 20. Jhdt. bis 1959. Nogueral Jiménez (1997) und Schwartz (1990: 194-97) beschreiben den 'Mythos Paris' im Werk lateinamerikanischer Schriftsteller. Ette (1994: 312). Vgl. für die "Vorreiter-Funktion" Frankreichs auch die zusammenfassenden Bemerkungen bei Wiese (1992: 115-20). Gallagher datiert die (Wieder)Entdeckung von Bioy Casares in Buenos Aires auf die Publikation des Diario de la guerra del cerdo im Jahre 1969 (1976: 66).

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien (1959-67)

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von Roger Caillois zu nennen, der, nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Buenos Aires, ab 1950 zwei auf lateinamerikanische Literatur spezialisierte Reihen leitet: die Collection

d'Œuvres

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(Institut international de

Coopération

intellectuelle, 1951) und vor allem La Croix du Sud (Gallimard, 1950), in der bis 1968 allein fünfzig Titel lateinamerikanischer Autoren erscheinen. 623 Diese Reihe ist ein herausragendes europäisches Medium lateinamerikanischer Literatur, welches stilbildend auf das Programm anderer französischer Verlage (Albin Michel, Laffont, Seghers, Seuil) wirkt. 624 Ein Katalogtext zu La Croix du Sud aus dem Jahre 1963 zeigt, dass der Verlag frühzeitig das literarische und verlegerische Potenzial der lateinamerikanischen Literatur zutreffend einschätzt: Chaque peuple, lors d'une période privilégiée, apporte quelque chose d'inédit au patrimoine littéraire de la planète [...] Pour les années qui viennent, l'enrichissement principal risque fort de venir des littératures ibéro-américaines. 625 Die Relevanz der Reihe liegt dabei weniger in ihren für französische Maßstäbe bescheidenen Verkäufen, sondern in ihrem Einfluss auf die professionellen Rezipienten begründet, da eine Publikation bei La Croix du Sud oft Übersetzungen in andere Sprachen nach sich zieht. 626 La Croix du Sud bekräftigt ein Stereotyp lateinamerikanischer Differenz und Spezifität, indem nur Werke aufgenommen werden, die die "esencia", das "específicamente americano" ausdrücken, während Texte von Bioy Casares, Fuentes oder Ocampo an anderer Stelle oder gar nicht publiziert werden. 627 Die Politik von La Croix du Sud bietet somit ein Beispiel dafür, wie Dichotomie von regionaler und universaler Literatur von Europa aus Vorschub geleistet wird. 623

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In Carlos Barrais nachgelassener Bibliothek befindet sich auch eine Ausgabe der französischen Zeitschrift Preuves, in der Roger Caillois vier lateinamerikanische Erzähler - Borges, Silvina Ocampo, Cortázar, Arreóla - vorstellt (Roger Caillois: "Contes sud-américains", Preuves 102 (August 1959), S. 36-55). Im Katalog von 1963 sind bei Croix du Sud 23 Autoren mit 31 Büchern verzeichnet, die mit wenigen Ausnahmen (Asturias) in Spanien noch unveröffentlicht sind. Caillois hatte nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem bei der in drei Ausgaben erschienenen Zeitschrift La Licorne, 1947 von der Uruguayerin Susana Soca gegründet, mitgewirkt (Molloy 1972: 181 f.; dort auch eine Titelübersicht zu Croix du Sud). Verlagskatalog Gallimard, "Littératures étrangères", Juni 1963, S. 22 (ABCAS). Dies vermerkt jedenfalls Caillois selbst: "Las cifras de difusión de La Croix du Sud son todavía reducidas, pero aquí no es la cifra absoluta de lectores lo que cuenta, sino quiénes son esos lectores y la repercusión que por intermedio de ellos tiene el libro. Así, generalmente, un libro que sale en La Croix du Sud, aun cuando su tirada no pase de tres mil o cinco mil ejemplares, se traduce inmediatamente en otras lenguas europeas: inglés, alemán, italiano, húngaro, etc." (Elvira Orphée: "Visita a Roger Caillois", Mundo Nuevo 2 (August 1966), S. 56-59, hier: 57). "La Croix du Sud no publica poesía, ensayos [...], libros que viniendo de América Latina no dan una idea de su esencia. Por eso no se ha publicado en esta colección La región más transparente de Carlos Fuentes. Por eso se ha publicado Chaves, de Mallea." (Roger Caillois bei Orphée, "Visita", ebd.). Caillois' Auswahl scheint nicht zuletzt durch politische (rechte) Präferenzen des Herausgebers beeinflusst; vgl. Couffon (1971: 298), Molloy (1972: 183).

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Ein weiterer Protagonist ist der Hispanist und Übersetzer Claude Couffon, der zahlreiche Autoren, u.a. Fuentes und Vargas Llosa, an französische Verlage vermittelt (Couffon 1971: 300). Mancher Lateinamerikaner ist selbst in literarischen Institutionen tätig, wie später Severo Sarduy als Mitarbeiter bei Seuil und Gallimard. Hinzu kommt die Funktion von Paris als materiellem Umschlagplatz der in Lateinamerika produzierten Bücher. Die von Antonio Soriano 1950 gegründete Librairie Espagnole, wichtige Anlaufstelle spanischer Intellektueller während ihrer Parisbesuche, vertreibt vornehmlich Publikationen lateinamerikanischer Verlage und organisiert Veranstaltungen mit lateinamerikanischen und spanischen Schriftstellern (Morro Casas 1998).

4.1.4

Informelle und institutionelle Kontakte zwischen den Kontinenten

Die Angaben zur offiziell verfugbaren Verlagsproduktion spiegeln allerdings nicht alle Facetten des Literaturaustauschs zwischen Spanien und Lateinamerika wider, der sich häufig entlang persönlicher Erfahrungen und Beziehungen entwickelt, die später erst in literarische Projekte umschlagen. Im ideologischen und organisatorischen Schatten des Franco-Regimes bestehen um 1950 individuelle Kontakte zwischen spanischen und lateinamerikanischen Schriftstellern. In Madrid halten sich ab den 40er Jahren Studenten und Schriftsteller aus francotreuen Staaten Lateinamerikas auf: Zu nennen sind hier vor allem die nikaraguanischen Dichter der Vanguardia-Gruppe (José Coronel Urtecho, Pablo Antonio Cuadra), sowie der "Generation von 1940" um Ernesto Cardenal, Ernesto Mejía Sánchez und Carlos Martínez Rivas.628 Ein Kristallisationspunkt ist der für lateinamerikanische Stipendiaten eingerichtete Colegio Nuestra Señora de Guadalupe, wo ein Kontakt zu falangistischen Dichtern und Intellektuellen wie Leopoldo Panero, Luis Vivanco oder Luis Rosales entsteht, aber auch zu einem frühen Antifranquisten wie José Agustín Goytisolo.629 Dieser wohnt zeitweise im Colegio de Nuestra Señora de Guadalupe und entwickelt sich zu einem herausragenden Vermittler der lateinamerikanischen Dichtung nach Spanien und speziell Barcelona.630 Lateinamerikaner partizipieren auch an der zwi628

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Die Vanguardia-Gruppe verficht einen "hispanismo nostálgico, imperial y católico" und schlägt sich im Bürgerkrieg, im Gegensatz zum größten Teil der lateinamerikanischen Intelligenz, auf die Seite der Aufständischen (Pastor Alonso 1994: 484). José Manuel Caballero Bonald beschreibt dieses Colegio als frühen Treffpunkt der Generación del Medio Siglo (Encuentro con el 50. La voz poética de una generación. Oviedo: Fundación Municipal de la Cultura 1987, S. 63-99, zitiert bei Barrai 2000: 26693, hier: 275). Unter den Studenten des Colegio sind u.a. die Nikaraguaner Ernesto Cardenal, Pablo Antonio Cuadra, Ernesto Ocampo Mejía Sánchez, der Kolumbianer Eduardo Cote, die Spanier José Agustín Goytisolo und José Angel Valente und der Peruaner Julio Ramón Ribeyro, der 1953 den Literaturpreis des Instituto de Cultura Hispánica gewinnt. Caballero Bonald erwähnt ferner Juan Goytisolo, Valverde, Costafreda und sich selbst als häufige Besucher des Colegio. Barrai bezeichnet ihn als "embajador de la poesía latinoamericana, en la [posición] que le

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67)

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sehen 1947-49 aus den Reihen des Colegio Mayor Cisneros erscheinenden katholischen Zeitschrift Alférez, zu deren Mitarbeitern auch José Maria Valverde zählt.631 Mit Valverde, J.A. Goytisolo und Caballero Bonald bewegen sich somit drei spätere Mitarbeiter und Autoren Seix Barrais in diesem internationalen Umfeld Madrids. Weitere transatlantische Kontakte entstehen über die offiziellen Kanäle der Kulturbeziehungen, als deren maßgebliche Trägerinstanz der Instituto de Cultura Hispánica (ICH) fungiert.632 Der ICH wird 1946 als Nachfolger des Consejo de la Hispanidad gegründet, um die für Bewahrung und Ausbau der "cultura hispánica" notwendigen Aufgaben zu bündeln. Das Institut entwickelt Instrumente des kulturellen Austauschs mit anderen spanischsprachigen Staaten und fordert öffentliche und private Initiativen. 633 Von seinem Selbstverständnis als (relativ) autonome Behörde ausgewiesen, fungiert der ICH in der Praxis als verlängerter Arm der staatlichen Außenpolitik und assimiliert deren imperiale bzw. paternalistische Interessen im Zeichen der Hispanidad. Die ernüchternden Resultate der franquistischen Lateinamerika-Politik "mucha retórica y pocas realidades"634 - zeigen sich auch in der Bilanz des ICH, dessen politische Funktionalisierung eine produktive Arbeit durchweg in Frage stellt:

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había impuesto la convivencia con hispanos transoceánicos en los colegios mayores de Madrid" (Barral 1978: 41; vgl. J. Goytisolo 1995: 203f.; Payeras 1990: 9). J.A. Goytisolo publiziert später z.B. die Anthologie Nueva poesía cubana (Barcelona: Península, 1970). Gracia (1996: 42) bezeichnet Alférez aufgrund seines profranquistischen, internationalen Mitarbeiterstabes als "portavoz de la Hispanidad". Der damalige Redakteur Antonio Lago Carballo betont insbesondere den Einfluss des Argentiniers Goyeneche als Vermittler eines "pensamiento cristiano europeo" und würdigt die Vemetzungsfunktion dieser Zeitschrift: "Era la posibilidad de conocer no sólo las revistas que existían en Argentina y a sus colaboradores [...], sino de conocer a otros hispanoamericanos: el historiador chileno Jaime Eyzaguirre, los poetas nicaragüenses Pablo Antonio Cuadra y José Coronel, el mejicano Alfonso Junco, etc., que por aquellos años fueron los primeros hispanoamericanos que vinieron por aquí." (in Marsal 1979: 181). Die erwähnten Namen finden sich auch auf der Teilnehmerliste des vom ICH organisierten Intellektuellen-Kongresses 1950 (s.u.). Die auswärtige Kulturpolitik des Franquismus und die Funktion des Instituto de Cultura Hispánica sind in den informativen Monografien von Delgado Gómez-Escalonilla (1988, 1992) und Escudero (1994) analysiert. Eine zusammenführende und Einzelaspekte vertiefende Untersuchung bei Rehrmann (1996). Die genannten Verfasser konzentrieren sich allerdings hauptsächlich auf den Zeitraum zwischen 1939 und 1953. Die Aufgabenbereiche des ICH sind: "el ámbito del estudio, defensa, difusión de la cultura hispánica; el fomento del conocimiento mutuo e intensificación del intercambio cultural; la ayuda y coordinación de las iniciativas públicas y privadas emprendidas en este sentido" (Delgado Gómez-Escalonilla 1988: 151, vgl. das Zitat bei Rehrmann 1996: 152). "La idea de la Hispanidad fue en general durante el franquismo más un mito propagandístico que se utilizó para reforzar y asegurar la existencia y perpetuación del Régimen, que un objetivo político concreto a realizar. Se concibió más como una política de legitimación interna o de 'sustitución' de otras dimensiones de la política exterior española que no era posible desarrollar, que como una política que respondiese realmente a los intereses de España. El balance final, como no podía ser de otra forma, es mucha retórica y pocas realidades." (Arenal/Nájera 1992: 169).

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La vida del Instituto de Cultura Hispánica se debatió [...] entre una sincera lucha por avanzar hacia la concreción de la Comunidad Iberoamericana, y una utilización, a veces servil, como aparato de propaganda. (Rubio 1989: 146) Die Aktivitäten des ICH beschränken sich in der Hauptsache auf das spanische Territorium, und dienen somit eher der ideologischen Homogenisierung der eigenen Eliten als der internationalen Kulturexpansion. Zu diesen Aktivitäten zählt die Erteilung von Studienstipendien an lateinamerikanische Bewerber, deren Auswahl streng an politischer Affinität ausgerichtet ist. Ziel ist die Ausbildung hispanischer Eliten, "minorías selectas", wie es 1959 der Direktor des ICH und spätere Informationsminister Alfredo Sánchez Bella in panhispanistischer Diktion formuliert, "capaces de instaurar, al margen y por encima de la política de los partidos, insuflando y vivificando la vida de las instituciones de cada nación, un nuevo orden hispanoamericano." 635 Das angepeilte Ziel einer Förderung von 15% der lateinamerikanischen Studenten in Spanien wird allerdings weit verfehlt. 636 In der ersten Hälfte der 50er Jahre organisiert der ICH verschiedene Kongresse, u.a. den Congreso de Cooperación Intelectual von 1950, der den Grundstein zur transatlantischen Kooperation von Intellektuellen spanischer Sprache legen soll. Die Teilnehmerliste umfasst die "Creme der peninsularen Intelligenz, die dem Regime auf die eine oder andere Weise verbunden war": 637 Schriftsteller wie Azorin, Baroja, Cela, Giménez-Caballero, d'Ors, Pemán oder Rosales, Falangisten wie Lain, Pemartin, Tovar, Integristen wie Calvo Serer, Marañón, aber auch weniger orthodoxe Intellektuelle wie Alonso, Aleixandre, Marias oder Ortega y Gasset. Unter den laut Rehrmann "weniger imposant anmutenden" (Rehrmann 1996: 150) Namen der Lateinamerikaner finden sich außer Vasconcelos, P.A. Cuadra und Coronel Urtecho mehrere profranquistische, z.T. länger in Spanien weilende junge Intellektuelle (M. Amadeo, J. Eyzaguirre, J.C. Goyeneche, A. Junco, J. Ycaza Tigerino, u.a.), deren Texte in Reihen des ICH oder in Alférez erscheinen. Der ICH gibt zwei Zeitschriften heraus, Mundo Hispánico und Cuadernos Hispanoamericanos, und entwickelt eine eigene Verlagstätigkeit (Ediciones Cultura Hispánica), in deren Reihen mehrere Sammlungen lateinamerikanischer Texte publiziert werden. Die Veröffentlichungen des ICH bieten damit gerade den zeitweise in Madrid lebenden lateinamerikanischen Schriftstellern eine, wenn auch schmale, 635

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Alfredo Sánchez Bella: Misión de los Institutos de Cultura Hispánica. Finalidades,

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ganización y Orientaciones, Ediciones Instituto Caldense de Cultura Hispánica, 1959, S. 28; zitiert bei Escudero (1994: 187). Nach González Calleja/Pardo Sanz beträgt die Zahl lateinamerikanischer Studenten in Spanien für die Jahre 1964-72 jährlich ca. 12.000, von denen im Schnitt lediglich 130 mit Stipendien des ICH ausgestattet sind (1993: 174f.). Der größte Teil der Studenten entstammt kleineren Staaten wie Peru, Puerto Rico, Kuba und Kolumbien; Kuba nimmt in dieser Zeit den 4. Platz unter den Herkunftsstaaten ein! Rehrmann (1996: 150); die vollständige Liste bei Delgado Gómez-Escalonilla (1988: 175).

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67)

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verlegerische Plattform.638 Mit seinen kulturellen Einrichtungen bietet der ICH ungewollt auch die institutionelle Basis für die Entstehung einer kritischen Intelligenz; konkret zeigt sich dies am Instituto de Estudios Hispánicos in Barcelona, einer dem ICH assoziierten Einrichtung, in der sich die Gruppe um die Zeitschrift Laye organisiert.639 Auch in späteren Jahren entwickeln sich literarische Kontakte über Reisen und Studienaufenthalte lateinamerikanischer Schriftsteller in Spanien, wenn auch Paris deren hauptsächlichen Anziehungspunkt bildet. Mario Vargas Llosa veröffentlicht Los jefes während eines Stipendiums in Madrid. Der später u.a. bei Seix Barrai publizierte Kolumbianer Manuel Zapata Olivella gerät durch einen Aufenthalt in Barcelona Ende der 50er in Kontakt zur literarischen Szene. 640 Ein weiterer Kolumbianer, Eduardo Caballero Calderón, später Gewinner des Premio Nadal von 1966, lebt mehrere Jahre in Spanien. Er ist Mitbegründer des Verlags Guadarrama und zählt zu den vor dem Boom am häufigsten in Spanien publizierten lateinamerikanischen Gegenwartsautoren.641 In der Regel sind die Kontakte mit der lateinamerikanischen Literatur aber sporadischer Natur. Einzelne lateinamerikanische Zeitschriften sind sowohl Informationsais auch Publikationsmedien für die spanischen Schriftsteller auf beiden Seiten des Atlantiks; hierzu zählen die von Exilanten herausgegebenen Cuadernos Americanos (Mexiko) und La Torre (Puerto Rico) oder die kubanische Ciclón.642 José Maria

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Zwischen 1949 und 1952 erscheinen Anthologien nikaraguanischer - mit einem Vorwort von Ernesto Cardenal - , puertorikanischer, dominikanischer, panamesischer und brasilianischer Lyrik; später publiziert der ICH noch Anthologien argentinischer und chilenischer Poesie oder den antinerudinischen "Canto personal (Carta perdida a Pablo Neruda)" von Leopoldo Panero. Die Angaben entstammen der Titelübersicht in Instituto de Cultura Hispánica (1953). Cardenal und Coronel Urtecho geben 1962 bei Aguilar eine Anthologie nordamerikanischer Dichtung heraus. Zu Laye siehe 2.4. Er freundet sich z.B. mit dem Dichter und Kritiker Joaquín Marco an (Joaquín Marco, Interview mit B.P., 18.6.1998). Caballero Calderón gelangt 1946 nach Spanien und gründet 1954 zusammen mit dem Spanier Manuel Sanmiguel den Verlag Guadarrama, der dem transatlantischen Austausch dienen soll: "publicar en España las obras de las figuras de Hispanoamérica y dar a conocer a nuestros autores [españoles] en aquellas tierras." (Manuel Sanmiguel, bei Angel Ruiz Camps: "Una editorial abierta a Europa y a América", El Libro Español 1 (Juli 1958), S. 331-34, hier: 332). Im Verlagsprogramm von Guadarrama erscheinen unter anderem essayistische Werke über lateinamerikanische und insbesondere kolumbianische Themen, Titel von spanischen Exilautoren (Luis Cernuda) und von Caballero Calderón selbst (Siervo sin tierra, Ancha es Castilla). Barrai erwähnt in seinen Memoiren die Rezeption und Korrespondenz mit diesen Zeitschriften (1978: 195). La Torre (Revista General de la Universidad de Puerto Rico) erscheint erstmals 1953, herausgegeben von Jaime Benítez. Die Zeitschrift enthält regelmäßige bibliografische Überblicke aus Puerto Rico, Spanien, Argentinien und Mexiko. In Heft 7 (Juli-Sept. 1954) ist u.a. ein Text von Julio Cortázar ("Para una poética", 121-38)

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Castellet rezipiert die zeitgenössische mexikanische Literatur durch Bücher, die ihm Verwandte ab Mitte der 50er Jahre aus Mexiko schicken. 643 Der bereits erwähnte José María Caballero Bonald hält sich zwischen 1959-61 in Kolumbien auf und lernt dort die "nueva novela" schätzen (Campbell 1971: 322). Andere Zeitgenossen scheinen erst spät auf die lateinamerikanische Literatur aufmerksam zu werden. 644 In Barcelona werden die um falangistische oder klerikale Institutionen und Publikationsmedien in Madrid gruppierten lateinamerikanischen Schriftsteller weitgehend ignoriert.645 Mitte der 50er Jahre verspürt in den europäisch orientierten Kreisen von Seix Barrai und Laye, mit Ausnahme von Valverde oder J.A. Goytisolo, kaum jemand ein echtes Interesse für Literatur aus Lateinamerika: Cuando a mí me habían mandado un paquete de libros, u otros habían recibido algún libro, pues se hablaba. Pero no fue en los principios una vocación hispanoamericana en absoluto. Era una vocación totalmente europea [...] para nosotros Europa era el espejo y no lo era América Latina. [...] Eso viene después. Viene a través de la creación del Premio Biblioteca Breve, que era en lengua castellana, y al que se podían presentar autores latinoamericanos. Y se presentaron y nosotros empezamos a conocer a autores latinoamericanos.646 Jaime Salinas drückt es ähnlich aus: "Con América Latina teníamos muy poco contacto. Al principio, Carlos [Barral] no tenía ningún interés en la literatura latinoamericana y la despreciaba rotundamente."647 Und der damals als Literaturkritiker tätige Pere Gimferrer konstatiert ein solches Desinteresse noch für das Jahr 1965:

643

644

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646 647

verzeichnet; in Heft 38 (April-Juni 1962) schreibt Castellet über "Juan Goytisolo y la novela española actual" (131-40). Barral scheint La Torre von Beginn an rezipiert zu haben; im Fons Barral, Calafell, sind die vollständigen Jahrgänge archiviert. Castellet (1995: 144f.). Castellet hebt besonders seine Lektüre der Werke von Octavio Paz hervor - "para mí el gran descubrimiento" - , die er auf Ende der 50er Jahre terminiert (Interview mit B.P., 14.11.1997). Die Teilnahme von Paz an den Formentor-Treffen mag durch dieses persönliche Interesse angeregt worden sein, geht nach Castellet aber auf eine Einladung Carlos Barrals zurück (1995: 145). Die Aussagen spanischer Autoren in einschlägigen um 1970 publizierten Interviews (z.B. bei Tola de Habich/Grieve 1971) siedeln die individuelle Rezeption lateinamerikanischer Romane in den 60er Jahren an. Miguel Delibes bemerkt, dass vor dem Boom zwar lateinamerikanische Titel in Spanien erhältlich gewesen seien, dass aber erst die verbesserten Kommunikationsflüsse die Aufmerksamkeit auch auf neue Autoren gelenkt hätten: "A Carpentier se le conocía, y a Gallegos se le conocía, y a Mallea se le conocía, y a Borges se le conocía [...] Lo que ocurre es que, por diversos motivos, a Hispanoamérica se tenía un poco apartada [...]." (Tola de Habich/Grieve 1971: 122). In den Kreisen von Laye oder der Revista Española dominierte das europäische Vorbild (siehe 2.4). Das heutige Urteil Castellets bezeugt, dass das eigene Desinteresse an den vom ICH geförderten Autoren auch politisch motiviert war: "Claro, el Instituto no invitaba a Neruda, ni Neruda hubiera venido. Eran siempre autores más o menos mediocres, alguno seguramente tenía más calidad. El Instituto quería mantener la idea de la España Imperial y ellos se prestaban a este juego político, llamaban a España la 'Madre Patria'. Pero entonces, no era ninguno de los autores importantes, no sé si alguien como Coronel Urtecho." (José María Castellet, Interview mit B.P., 14.11.1997). José María Castellet, Interview mit B.P., 14.11.1997. Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

(1959-67)

195

Cuando yo empecé a interesarme por la literatura de América, ésta era muy poco conocida en España. Cuando hice un artículo sobre Cortázar, en 1965, conseguí los libros de Cortázar en el almacén de una distribuidora que no creía que podía venderlo porque les parecía un autor desconocido. 648

Der Überblick zeigt erstens, dass das Volumen der in Spanien publizierten und distribuierten lateinamerikanischen Werke in der Nachkriegszeit eher spärlich ausfallt, und dass zweitens, wie in Lateinamerika selbst, bestimmte Autoren von der Rezeption ausgeschlossen sind. Wichtige Namen der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur - Bioy Casares, Borges, Carpentier, Neruda, Onetti - wurden nicht oder nicht mit ihrem Hauptwerk in Spanien publiziert bzw. dorthin importiert. Ein Kulturtransfer im Sinne einer Interaktion und wechselseitigen Rezeption zwischen den literarischen Zentren spanischer Sprache, die sich in Europa und Lateinamerika konstituieren, bleibt bis zu den 60er Jahren recht beschränkt. Zwar entspannt sich nach dem Bürgerkrieg ein intensiver Buchhandel zwischen Lateinamerika und Spanien. Selten aber ist lateinamerikanische Literatur auch Gegenstand des materiellen Transfers dort produzierter Bücher; vielmehr werden von Spanien aus bevorzugt Sachtitel, von Lateinamerika aus Übersetzungen aus anderen Literaturen exportiert. Auch in Lateinamerika stehen einheimische Schriftsteller im Schatten der internationalen Romanciers und leiden unter dem mangelnden Distributionsinteresse ihrer Verleger; zur literarischen Anerkennung bedürfen sie meist des Umwegs über Paris. Man sollte sich also bei der Bestandsaufnahme davor hüten, eine generelle NichtExistenz lateinamerikanischer Literatur in Spanien oder eines transatlantischen Literaturtransfers zwischen 1939 und 1960 zu konstatieren. Allerdings stellt das verfugbare Angebot nur eine bruchstückhafte und stark zensierte Auswahl der zeitgenössischen Narrativik Lateinamerikas dar. Mit Blick auf diese Arbitrarität lässt sich José Maria Castellets Diktum zustimmen, dass bis zu den 60er Jahren die spanische Rezeption der lateinamerikanischen Literatur "chaotisch" verlief.649 Als Seix Barrai mit Carlos Droguett 1960 seinen ersten lateinamerikanischen Autor publiziert, erschließt der Verlag, wie schon beim Nouveau Roman, dem spanischen Leser ein bis dahin kaum bekanntes literarisches Spektrum.

648 649

Pere Gimferrer, Interview mit B.P., 7.11.1997. "[E]l proceso de conocimiento [...] ha sido muy desordenado [...] muy caótico" (Castellet 1971: 47f.). Trotz Martínez Cacheros Hinweis auf die "relevantes actividades culturales" des ICH und die Rolle der Cuadernos Hispanoamericanos (1985: 276) sollte man diese nicht überbewerten. Es ist nicht abzustreiten, dass diese Institutionen Geld und Aufmerksamkeit in den kulturellen Austausch mit Lateinamerika investierten, doch wurde die zeitgenössische Literatur aus Übersee bis in die 60er Jahre weitgehend ignoriert (Rehrmann 1996: 191).

Burkhard Pohl

196

4.2

Lateinamerikanische Narrativik bei spanischen Verlagen (195967)

Erst mit Beginn der 60er Jahre intensiviert sich von Spanien aus ein neuerlicher Austausch mit lateinamerikanischen Literaturen, und Barcelona, weniger Madrid, konsolidiert sich als Zentrum des internationalen Transfers. Wiewohl Produktion und Rezeption dieser Literaturen in Spanien zunehmen, konzentriert sich die Publikation auf wenige Verlage, während das Gros der künftigen Erfolgsautoren zunächst weiterhin bei lateinamerikanischen Verlagen verbleibt. Unbestritten spielt Seix Barrai bei der Vermittlung lateinamerikanischer Gegenwartsliteratur in diesem Zeitraum die entscheidende Rolle. In der ersten Hälfte der 60er Jahre monopolisiert der Verlag in Spanien nahezu die Publikation lateinamerikanischer Erzählliteratur und bedient sich konsequent der Möglichkeiten seines Premio Biblioteca Breve. Die literarische Schwerpunktsetzung Seix Barrais steht dabei in der Kontinuität einer Profilierung und Abgrenzung gegenüber der verlegerischen Konkurrenz in Spanien und Lateinamerika.650

4.2.1

Seix Barrais Dominanz: Das Lateinamerika-Programm bis 1967

Bereits im Mai 1958, anlässlich der ersten Verleihung des Premio Biblioteca Breve, hatte Carlos Barral erklärt, die zeitgenössische Literatur Spaniens und Lateinamerikas fördern zu wollen: "Biblioteca Breve [...] a partir de ahora se propone dar paso a lo más nuevo que se hace en España y en Hispanoamérica."651 In diesem Jahr finden sich in der Endauswahl zum Premio Biblioteca Breve unter 29 Titeln mindestens drei Lateinamerikaner, einer davon unter den letzten fünf Autoren.652 Bei der zweiten Preisverleihung im Mai 1959 belegt der Roman Eloy des Chilenen Carlos Droguett in einer pragmatischen Entscheidung den zweiten Platz hinter Juan García Hortelanos Nuevas Amistades.653 Mit der Publikation von Eloy im Jahre 1960 beginnt Seix Barral eine neue Verlagslinie lateinamerikanischer Literatur. Der Premio Biblioteca Breve wird zum internationalen Konsekrationsinstrument der von Lateinamerikanern verfassten Narrativik und bleibt gleichzeitig ein wichtiges Informationsmedium. Zwischen 1962 und 1971 geht die Auszeichnung sechsmal an lateinamerikanische Autoren, insgesamt zehn weitere Manuskripte reüssieren zwischen 1959 und 1971 als Finalisten und werden nach Möglichkeit bei Seix Barral

650

651 652

653

Für die folgenden Kapitel verweise ich auf die Bibliografie spanischer Literaturpreise und auf das Verzeichnis lateinamerikanischer Titel bei spanischen Verlagen im Anhang (XIIIXVIII). Pressemitteilung "Premio Biblioteca Breve 1958", AS. Es handelt sich um den Kolumbianer Fernando Soto Aparicio (Una ventano sobre el infierno). In den 60er Jahren werden in Spanien mehrere Romane dieses Autors bei Aguilar, Plaza y Janés und Ediciones Marte veröffentlicht. José Maria Valverde, der als einziger für Droguett stimmte, berichtet, dass sein Votum mit der Begründung abgewiesen worden sei, der Text sei zu kurz (Valverde 1972: 102).

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

(1959-67)

197

publiziert. In der Chronologie folgt als zweiter lateinamerikanischer Titel Los extraordinarios (Ana Mairena), einer der Finalisten des nicht erteilten Premio Biblioteca Breve von 1960. Im Jahr 1961 wird El paredón des Uruguayers Carlos Martínez Moreno Finalist, nur geschlagen von dem in der spanischen Literaturszene bereits bekannten José Manuel Caballero Bonald (Dos días de setiembre). Martínez Morenos Titel, der im Winter 1962/63 erscheint, schließt die Reihe der vor der 'Ära Vargas Llosa' publizierten Bände ab. Ebenfalls 1961 ging bekanntlich der Prix International de la Littérature an Jorge Luis Borges, unter Mitwirkung der spanischen und lateinamerikanischen Vertreter um Seix Barrai. Mit der am 1.12.1962 erfolgten Prämierung von Los impostores (La ciudad y los perros) wird nicht nur fur Seix Barrai, sondern für die transatlantischen Literaturbeziehungen insgesamt eine neue Phase eingeläutet: seit langer Zeit erhält ein Lateinamerikaner einen der renommierten spanischen Romanpreise. In der Endauswahl befindet sich neben Carmen Martin Gaite (Ritmo lento) noch Manuel Zapata Olivellas Roman En Chimá nace un santo, der ebenfalls bei Seix Barrai erscheinen wird. Die Jury verkündet in ihrem Kommuniqué, dass sie die "abundancia y calidad de la concurrencia de origen hispanoamericano" mit höchster Zufriedenheit aufgenommen habe.654 1963 wird Gestos von Severo Sarduy publiziert, dessen Erstausgabe bei Seuil in Paris erschienen war. Die Rezeption bleibt recht gering, erst 1971 folgt eine zweite Auflage. La ciudad y los perros wird im Oktober 1963 dagegen mit großem Erfolg veröffentlicht: Die zweite Auflage ist bereits in Druck, als am 2.12.1963 der neue Premio Biblioteca Breve verliehen wird. Die Dominanz spanischer Titel aus Übersee wiederholt sich: Diesmal belegen zwei Lateinamerikaner (Vicente Leñero, Mario Benedetti) die ersten Plätze, ein weiterer (Jorge Edwards) kommt in die Ausscheidung der letzten fünf Titel. Und auch der spanische Konkurrent Destino verleiht seinen Premio Nadal 1963 an einen Kolumbianer (Manuel Mejia Vallejo). In den Winter 1963/64 fallt außerdem das wichtige internationale Realismus-Kolloquium in Madrid (siehe 4.3). Nimmt man die Verleihung des Premio de la Crítica für 1963 hinzu, der rückwirkend im darauffolgenden Jahr an Mario Vargas Llosa verliehen wird, ergibt sich eine erste Verdichtung der Aufmerksamkeit fiir lateinamerikanische Literatur. Der Beginn des "preboom" in Spanien lässt sich somit auf das Frühjahr 1964 terminieren.

654

Zitiert in "Mario Vargas Llosa ganó, con 'Los impostores', el Premio Biblioteca Breve", Destino 1323 (15.12.1962), S. 58. Unter den letzten elf Titeln liegt auch der spätere Mz£fa/-Gewinner El día señalado, der lediglich zwei Stimmen erhält - dies vielleicht ein Hinweis auf die unterschiedlichen literarischen Präferenzen der Jurys beider konkurrierender Verlage. Die anderen Titel: Silvia Guerrico, Al andar se hace camino; Juan Maria de Aresti, Sábado sin sol; Pablo Antoñana, Sumario 4/61; Luis López Ñuño, La bóveda de mil claveles; José Luis Leirea, La Gándara; Pedro Espinosa, Siesta; Juan Ventura Agudiez, Las tardes de Therese Lamarck (ebd.).

198

Burkhard Pohl

Der Premio Biblioteca Breve des Jahres 1964 geht an Guillermo Cabrera Infante für Vista del amanecer en el trópico, Finalist ist der von Darwin Flakoll und Claribel Alegría verfasste Roman Cenizas de Izalco. Im gleichen Jahr untersagt die Zensur die Publikation der Titel Gracias por el fuego (Benedetti) und La otra mitad (Martínez Moreno). Seix Barrai nimmt 1963/64 die bereits in Lateinamerika, teilweise auch in Frankreich, publizierten Werke von Guimaräes Rosa (Gran sertón) und Carpentier (El siglo de las luces) in die Programmplanung auf und reagiert damit auf die gute Resonanz beider Autoren im Rahmen der Formentor-Treffen. 1965 kann Seix Barrai nach längeren Verhandlungen mit der Zensur El siglo de las luces publizieren. Beim Premio Biblioteca Breve unterliegt Manuel Puig in einer viel diskutierten Abstimmung mit 2:4 Stimmen gegen Juan Marsé.655 La traición de Rita Hayworth wird nach langwierigen Verhandlungen verboten und erst 1971, nach erfolgter Publikation in Argentinien, in einer zensierten Fassung erscheinen. Das ebenfalls zensierte, mittlerweile in Tres tristes tigres umbenannte Manuskript Cabrera Infantes wird beim Prix Formentor präsentiert. Mit La casa verde, der um den Jahreswechsel 1965/66 erscheint, wiederholen Vargas Llosa und Seix Barrai den Erfolg des Romanerstlings - innerhalb eines Jahres erscheinen vier Auflagen mit 25.000 Exemplaren. Im Herbst 1966/67 zeigt sich endgültig die Bedeutung der lateinamerikanischen Titel im Verlagskalkül Seix Barrais: Sie machen das Gros der Neuerscheinungen aus, in der Herbstankündigung stammen fünf von dreizehn narrativen Titeln von lateinamerikanischen Autoren (Cabrera Infante, Carpentier, Casey, Flakoll/Alegría, Traba), nur einer aus der Feder eines Spaniers (Rabinad). Der neuen Schwerpunktsetzung wird durch die Einführung der Reihe Nueva Narrativa Hispánica programmatisch entsprochen. Spanienweit steht auch der Premio de la Crítica 1966 (verliehen 1967) ganz im Zeichen der lateinamerikanischen Literatur: Vargas Llosa bestätigt als Sieger seine Vorrangstellung, mit Carpentier und Caballero Calderón liegen zwei weitere Lateinamerikaner in der Endausscheidung.

655

Wie Salvador Clotas heute berichtet, habe er sich zugunsten Marsés umstimmen lassen, um ein Patt zu vermeiden: "Este afto fue muy duro tomar una decisión, porque por un lado estaba Marsé, y por el otro, una novela que me parecía una verdadera revelación, La traición de Rita Hayworth. En el sentido de una novedad y de una revelación, para mí estaba muy claro que el libro de Puig era precioso y muy bueno, pero no había duda de que Marsé merecía el premio. La verdad es que al principio de las deliberaciones dije que nunca me parecía justo que el premio quedara desierto, y que estaba dispuesto a votar para cualquiera de las dos. Se produjo un empate. Recuerdo que tuve una larga discusión con Mario Vargas Llosa en función precisamente de lo que yo había dicho, de que no debería ser declarado desierto. Después de esta conversación, yo cambié mi voto. Yo cambié de voto en función de muchas cosas: me convenció Mario Vargas Llosa con muchas razones que me parecieron serias, y creía que mi postura quedaba clara. Visto con la perspectiva actual, uno tal vez diría que estas cosas no hay que hacerlas, pero yo entonces era muy joven, ahora no sé si lo haría." (Salvador Clotas, Interview mit B.P., 26.6.1998).

4. Die Vermittlung

lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

(1959-67)

199

Das Lateinamerika-Programm Seix Barrais wird somit vorwiegend durch den Premio Biblioteca Breve gesteuert, der einerseits dazu dient, neue Manuskripte aufzuspüren, andererseits ein Werbeinstrument ftir bereits eingeplante Publikationen ist. Weitere Vermittlungswege entstehen im direkten Kontakt durch die LateinamerikaAufenthalte Barrais (siehe 4.5.), durch das Engagement einzelner Mitarbeiter (Valverde) oder die Formentor-Treffen. Angehende Äoo/w-Schriftsteller und internationale Vermittler besorgen für Nachwuchsautoren die notwendigen Verlagsbeziehungen nach Spanien: Mario Vargas Llosa wird von Pariser Freunden an Barrai verwiesen, Vicente Leñeros Manuskript Los albañiles wird, nachdem es in Mexiko abgelehnt worden ist, von Joaquín Diez-Canedo (Joaquín Mortiz) zur Kandidatur beim Premio Biblioteca Breve eingesandt (Vargas 1993: 58). Natürlich machen die lateinamerikanischen Romane und Erzählungen nur einen geringen Teil der Gesamtproduktion Seix Barrais im genannten Zeitraum aus.656 Abgesehen von dem nach wie vor großen Anteil nichtfiktionaler Titel ist die Verlagsarbeit der Jahre 1961-63/64, wie gesehen (3.3.3), durch die Präsentation von Büchern spanischer Autoren in der Reihe Formentor geprägt. Zum Programm gehören weiterhin ein beträchtlicher Teil internationaler Romantitel, die über die Formentor-Kontakte erworben werden und in der gleichnamigen Reihe ediert sind. Bis zum Ausscheiden Barrais 1970 erscheinen in Spanien 26 Romane und Erzählungen lateinamerikanischer Schriftsteller, d.h. nur rund 15% des Gesamtprogramms an Belletristik. Damit überflügelt diese Sparte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre aber den Anteil spanischer Erzählliteratur und wird zum kommerziell vorrangigen Programmbereich. Bis 1976 publiziert Seix Barrai knapp 55 narrative Titel lateinamerikanischer Autoren.657 Chronologie lateinamerikanischer Titel bei Seix Barrai (Romane und Erzählungen) Jahr

1959

Titel

1960

1961

1962

1963

1964

1965

1966

1967 7

1

1

3

2

2

3

Jahr

1968

1969

1970

1971

1972

1973

1974

1975

Titel

3

5

1

6

6

4

5

6

[ohne Biblioteca

4.2.2

Breve de

Bolsillo]

Lateinamerikanische Literatur bei anderen Verlagen

Allein der quantitative Vergleich zu anderen spanischen Verlagen macht deutlich, dass Seix Barrai innerhalb der spanischen Produktion für die 60er Jahre die unangefochtene Vorrangstellung bei der Publikation neuer lateinamerikanischer Romane und Erzählungen besitzt. Die gleichzeitige Distribution für den mexikanischen Ver656 657

Vgl. die Statistiken in 3.3.2. Siehe für die folgenden Ausführungen die im Anhang abgedruckte Titel Übersicht inklu-

200

Burkhard Pohl

lag Joaquín Mortiz - der einen starken Anteil einheimischer Schriftsteller führt verstärkt durch z.T. identische Reihentitel {Nueva Narrativa Hispánica), steigert noch diese verlegerische Präsenz. Seix Barrai versucht, mit Ausnahme Garcia Márquez', alle relevanten Autoren der nueva novela in seinem Programm erscheinen zu lassen. Mit den zeitgenössischen lateinamerikanischen Autoren bringt der Verlag eine neue Ware auf den spanischen Buchmarkt; anders als bei Texten einheimischer Schriftsteller, wo man mit anderen Verlagen konkurriert, wird die Literatur des Subkontinents bis zum Boom ab 1967 kaum rezipiert. Im Zuge der Ausdifferenzierung des literarischen Feldes im Spanien der 60er Jahre behauptet Seix Barrai seine Position als avantgardistischer Verlag. Beim Konkurrenten Destino bleiben die AWa/-Preise für Mejia Vallejo (1964) und Caballero Calderón (1966) dagegen Ausnahmen - Caballero Calderón erzielt immerhin sechs Auflagen - , erst 1974 gewinnt noch einmal ein Argentinier (Luis Gasulla, Culminación de Montoya) den Preis. Bis 1975 erscheinen bei Destino lediglich sechs Schriftsteller aus Lateinamerika, die mehrheitlich über die Auszeichnung beim Verlagspreis lanciert werden. 658 Im Gegensatz zur internationalen Orientierung Seix Barrais passt die systematische Verpflichtung lateinamerikanischer Autoren nicht in das Verlagsprofil von Destino, der sich seit gut zwanzig Jahren als maßgeblicher Förderer der einheimischen Narrativik hervorhebt und hier sein Publikum findet: El Premio Nadal nunca aspiró a ser un premio para acercarse a América, nunca aspiró a ser para América. Tuvo casualmente algún autor americano, pero era otro planteamiento: se proponía descubrir a autores españoles. Destino nunca tenía casa en América Latina. El Premio Biblioteca Breve, en cambio, estaba pensado en parte para América Latina.659

Anders verhält es sich beim traditionell stark in Lateinamerika vertretenen Verlag Aguilar, der zahlreiche lateinamerikanische Schriftsteller im Programm führt. 660 Allerdings beschränkt sich Aguilar in den 60er Jahren im Wesentlichen darauf, seinen großen Autorenbestand über neue Reihen und Preismodelle auszuschöpfen. An lateinamerikanischer Literatur erscheinen neben den etablierten Schriftstellern (Ciro Alegría, Asturias, Gallegos, Güiraldes), deren Werke zum Teil in teuren Gesamt-

658

659 660

sive der mir bekannten zensierten Titel. Destino wählt vor allem kolumbianische Schriftsteller aus: den bereits erwähnten Eduardo Caballero Calderón (El buen salvaje, 1966; Manuel Pacho, 1966; Siervo sin tierra, 1967; El Cristo de espaldas, 1968; Caín, 1969), der selbst lange Jahre in Spanien lebt, Manuel Mejia Vallejo (El día señalado, 1964; Al pie de la ciudad, 1972) und später Gustavo Alvarez Gardeazábal, 1971 Finalist des Premio Nadal, der in den 70er Jahren mit drei Titeln erscheint (Cóndores no entierran todos los días, 1972/ Dabeiba, 1973; La boba y el buda, 1973). Die weiteren lateinamerikanischen Autoren sind Luis Ricardo Alonso (El candidato, 1970; Los dioses ajenos, 1971), Luis Gasulla (Culminación de Montoya, 1974) und Guillermo A.R. Carrizo (Crónica sin héroes, 1975/ Pere Gimferrer, Interview mit B.P., 7.11.1997. Die internationale Ausrichtung Aguilars spiegelt sich auch in dem Detail, dass ein Vertreter dieses Verlags am Formentor-Treffen 1960 als Beobachter teilnimmt.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

(1959-67)

201

ausgaben zusammengefasst sind, in den 60er Jahren nur mehr wenige Titel zeitgenössischer Romanciers. 1963 sind dies z.B. die Kolumbianer Manuel Zapata Olivella (Detrás del rostro) - ein Jahr später auch bei Seix Barrai publiziert - und Elisa Mújica {Catalina), deren Edition durch einen Literaturpreis gesponsert wird.661 Ambitionierter geben sich dagegen die Sammelbände und Anthologien dramatischer Werke (Teatro Contemporáneo), die ihr Augenmerk auf periphere Nationalliteraturen legen, "que, por causas muy diversas, no logran romper la muralla del desconocimiento".662 Ähnlich wie Aguilar bringt auch Plaza y Janés bestimmte lateinamerikanische Schriftsteller in speziellen Ausgaben für die dortigen Märkte heraus, die aber im spanischen Verlagskatalog nicht einmal erwähnt werden. Ansonsten bestätigen Ausnahmen die Regel eines noch geringen Verlagsinteresses an lateinamerikanischer Narrativik. Der Verlag Taurus veröffentlicht 1963 einen Erzählband des Puertorikaners Emilio Díaz Valcárcel {Proceso de Diciembre), der als Zeugnis des Korea-Krieges dem Anspruch seines Verlegers verpflichtet ist, "literariamente la realidad actual" zu schildern.663 Des Weiteren bleibt es Sache der lateinamerikanischen Verlage, jungen einheimischen Autoren eine spanische Rezeption zu ermöglichen. Andere spanische Verlage werden erst Ende der 60er Jahre auf die Publikation lateinamerikanischer Literatur einschwenken, als sich verschiedene Romanciers aus Übersee als literarische Erneuerer in der spanischen Öffentlichkeit einen Namen gemacht haben. Dieser Vermittlungsdiskurs wird im Folgenden analysiert.

4.3

Verlagspolitik im Zeichen ästhetischer Erneuerung in Spanien

Die prägende literarische Entwicklung im Spanien der 60er Jahre ist die Distanzierung vom realismo social zugunsten eines stärker subjektivistischen und formorientierten Schreibens {realismo dialéctico-, realismo crítico; novela estructural). Vor diesem Hintergrund dienen die Werke lateinamerikanischer Erzähler als wichtige Katalysatoren und Stimulans für die Debatte innerhalb der spanischen Literatur. Begrüßt wird die Erweiterung oder Erneuerung des technischen und inhaltlichen 661

662

663

Zapata Olivellas Roman erhält 1962 den kolumbianischen Esso-Preis, mithin die gleiche Auszeichnung, die zwei Jahre zuvor an Gabriel García Márquez' La mala hora gegangen war; Mújica ist Finalistin. R.L. Williams bewertet diesen während der 60er Jahre verliehenen Literaturpreis als Beitrag zur Modernisierung des kolumbianischen Romans (R.L. Williams 1991:69). Es erscheinen z.B. Werksammlungen zu Mexiko, Kuba, Guatemala und Peru, oder auch zu Dänemark und Ungarn (Katalog Aguilar, 1967, ABC AS). Diese Aussage ist im Begleittext zur Colección Narraciones formuliert (Katalog Taurus, 1966). In dieser schmalen Reihe erscheint neben Werken spanischer Autoren (Aldecoa, Fernández de la Reguera, Gaya Ñuño, Sueiro, Zunzunegui, u.a.) nur ein zweiter lateinamerikanischer Titel von Arturo Uslar Pietri (Pasos y pasajeros, 1966). Zur Rezeption vgl. Jorge Campos: "Díaz Valcárcel: Puerto Rico y Corea", Insula 226 (September 1965), S. 11. Díaz Valcárcel ist 1971 auch Finalist des Premio Biblioteca Breve.

202

Burkhard Pohl

Repertoires, das die Literatur des Sozialrealismus zur Realitätsaneignung eingesetzt hatte. Gleichzeitig werden im Umgang mit den Texten aus Übersee bisherige nationale und internationale Identitätskonzepte zur Disposition gestellt oder aktualisiert.

4.3.1

Die Abkehr vom realismo social ab 1962/63

Nach einigen Jahren konzentrierter Aufbauarbeit für die junge spanische Literatur beginnt sich unter fast allen Beteiligten Anfang der 60er Jahre Ernüchterung zu verbreiten. Die mit der "operación realismo" verknüpften kommerziellen Hoffnungen lassen sich für Verleger und Schriftsteller weder national noch international erfüllen. Der Optimismus bezüglich der Exportchancen spanischer Romane wird durch eine eher geringe Resonanz in Frankreich und anderswo entkräftet.664 Die internationale Vermarktung der spanischen Narrativik findet mit dem bestenfalls gemischten Echo auf García Hortelanos Tormenta de verano, dessen Übersetzungen bis 1962 erscheinen, ein baldiges Ende.665 Im Umfeld der Formentor-Treffen zeigt sich den spanischen Vertretern, dass die im eigenen Land dominierenden ästhetischen Positionen auf internationaler Ebene isoliert sind. Die Verbreitung der jungen spanischen Erzählliteratur bleibt letztlich auf den nationalen Markt begrenzt, verzeichnet aber auch dort keinen überragenden Erfolg. Außer Juan García Hortelano und Juan Goytisolo erreicht bei Seix Barrai keiner der spanischen Romanciers bis 1963 eine zweite Auflage (siehe 3.2). Der Premio Biblioteca Breve von 1960 hatte keinen preiswürdigen Roman erkennen lassen, und der 1961 prämierte Roman von Caballero Bonald (Dos días de setiembre) nur mäßigen Erfolg erzielt. Insgesamt bleibt der sich als politisch verstehende realismo social eine innerhalb des literarischen Milieus zirkulierende Mode und erreicht nicht das angestrebte Publikum.666 Aus dieser Einsicht heraus suchen Schriftsteller wie Daniel

664

665

666

Fortes sieht dies unter anderem in der mangelnden literarischen und ideologischen Einheitlichkeit der übersetzten Texte begründet, in der Cela oder March neben einem in Spanien verbotenen Roman von Ferres (Les vaincus) stehen (Fortes 1988: 190). "[L]a novela del escritor español Juan García Hortelano [...] ha merecido una critica desigual, desde fría y reservada a francamente entusiasta." In dieser Offenheit äußern sich Barrai und Salinas in ihrem Bericht über das Formentor-Treffen von 1962 (Dokument "Formentor", AB, S. 4). Die Reaktion des Auslands spiegelt folgendes Zitat über den Prix Formentor. "Der Nachwuchspreis: [...] Ein für einen jungen Autor ohne Frage ergreifender Augenblick. Weltruhm, wie er glauben muß, auf Anhieb. Juan García Hortelano erlebte das just zwölf Monate zuvor. [...] Sein Platz in der Literatur? Kein Indiz, daß ungeduldig darauf gewartet wird." (Adolf Frisé, "Gadda", Frankfurter Allgemeine Zeitung 106 (8.5.1963), S. 24). Zur negativen Rezeption in Frankreich vgl. Fortes (1988: 192). "[E]ven the earlier social realist novéis had rarely sold over 2,000 copies, mostly bought by like-minded dissident intellectuals." (Labanyi 1995: 295, ähnlich Gil Casado 1973: 120). Gemeint sind dabei die sich im engeren Sinn als sozial(istisch) engagiert definierenden Romane; natürlich erzielen andere einem realistischen Schreiben verpflichtete Schriftsteller - z.B. José María Gironella {Un millón de muertos, 1961) - im gleichen Zeitraum höhere Verkaufserfolge.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

(1959-67)

203

Sueiro in den 60er Jahren nach neuen Ausdrucksformen, denn der "realismo esquemático que utilizaba en mis primeros libros" - unter anderem in dem bei Seix Barrai publizierten La criba (1961) - habe sich als doppelt unbefriedigend erwiesen: "Además de ser mediocre, no tiene éxito."667 Es sind aber nicht nur marktbezogene Gründe, die Anfang der 60er Jahre das noch eben eifrig verfochtene literarische Modell in eine Krise bringen.668 Spanien befindet sich im Stadium eines "Halbentwicklungslandes", in dem das Regime sich über die kapitalistische Modernisierung der Wirtschaft zu behaupten versucht, während eine weitergehende politische Demokratisierung ausbleibt.669 Die frühere ideologische Legitimierung durch die Bewegung und den Diktator wandelt sich zu der rationalen Legitimierung wirtschaftlicher Verbesserungen. In dieser Situation sieht sich der bürgerliche Schriftsteller vor die Notwendigkeit gestellt, eine adäquate ästhetische Stellungnahme zu entwickeln und (gegebenenfalls) seiner Opposition Ausdruck zu verleihen. Die politischen Hoffnungen auf einen revolutionären Aufbruch haben sich nicht erfüllt, denn der gesellschaftliche Wandel ist systemimmanent geblieben: "[E]l país cambia, pero no del modo que habíamos previsto."670 Aus den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wird nun gefolgert, dass man nicht mehr einfach soziale Rückständigkeit anklagen könne, sondern die allgemeine wirtschaftliche Besserung zur Kenntnis nehmen und deren neue gesellschaftliche Widersprüche ihrerseits analysieren müsse. Die Durchsetzung eines primär antibürgerlichen Romantypus um 1960, der mit denunziatorischer Absicht bei der Repräsentation bürgerlichen Lebens verweilt, hatte bereits von dem schriftstellerischen Unbehagen gezeugt, sich glaubhaft als Vertreter auch proletarischer Interessen und Sichtweisen zu präsentieren. Als angemessene literarische Form dieser Analyse erscheint vielen der um eine fotografische Abbildung bemühte Realismus nun untauglich. Es reiche 667

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Lolita Sánchez: "Daniel Sueiro: Nuestra novela se halla en un momento de silencio", Tele-Exprés, 22.2.1969, S. 5. Die literarischen Entwicklungen sind in einschlägigen Handbüchern dargestellt worden, u.a. bei F. Moran (1971), Sobejano (1975: 605), Soldevila (1980), Martínez Cachero (1985), Sanz Villanueva (1988), Barrero Pérez (1992). Meine Zusammenfassung orientiert sich an der aus soziologischer Perspektive äußerst anregenden Darstellung Fernando Moráns, selbst ein vormaliger Vertreter sozialrealistischen Schreibens, die nach wie vor als eine der instruktivsten Analysen der literarischen Entwicklung im Spanien der 60er Jahre anzusehen ist. von Beyme (1971: 184); vgl. Morán, dessen Analyse des spanischen Gegenwartsromans den gesellschaftlichen Kontext des semidesarrollo zugrunde legt. Im semidesarrollo hemmen soziale Normen (katholische Moral) und die politische Organisation (Autokratie/Diktatur) die Entwicklung zum kapitalistischen Industriestaat westlichen Typs. Das Klassenbewusstsein der Arbeiterschaft, die den aktivsten Teil der politischen Opposition ausmacht, ist noch relativ stark ausgeprägt (1971: 313). Zur regimetheoretischen Einordnung der Franco-Diktatur vgl. ferner Bernecker (1988: 74-79). J. Goytisolo (1978: 814). Morán konkretisiert diese Widersprüche: "Es característico del semidesarrollo [...] la aspiración al bienestar y a la eficacia de la sociedad industrial sin alterar las estructuras sociales y políticas del estado anterior." (1971: 411 f.).

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nicht aus, bedrückende Umstände äußerlich zu beschreiben, sondern die Realität müsse erklärt und interpretiert werden,671 um die Notwendigkeit von Veränderungen darzulegen. Alfonso Sastre fordert, ausgehend von seiner triadischen Definition des Sozialrealismus, dass die zeitgenössische Ästhetik einer neuen Form bedürfe, ohne dass aber die soziale Thematik und die gesellschaftskritische Intention aufgegeben werden dürften.672 Das vormals engagierte Beharren auf einem spanischen 'Sonderweg' weicht der raschen Anpassung an internationale literarische Tendenzen. Neben den FormentorTreffen ist das Madrider Kolloquium "Realismo y realidad en la literatura contemporánea" vom Oktober 1963 eine wichtige Etappe auf dem Wege der Abkehr vom sozialrealistischen Paradigma. Hier sehen sich die spanischen Verfechter des Sozialrealismus mit der entgegengesetzten Auffassung internationaler Teilnehmer konfrontiert, dass der Künstler volles Recht besitze, "a hacer su obra con entera libertad y al margen de toda determinación impuesta por motivos histórico-sociales."673 J.M. Castellet berichtet heute, dass ihm, der in Madrid noch als Vordenker des Sozialrealismus auftrat, zu diesem Zeitpunkt Zweifel an den bisherigen theoretischen Grundlagen gekommen seien. Vor allem die dort von Mary McCarthy gegen ihn vorgebrachten Kommentare verleiten ihn, bisher vertretene Positionen in Frage zu stellen (Castellet 1995: 238-47). Dieses Umdenken schlägt sich im Vorwort zur Neuauflage (1966) seiner Lyrik-Anthologie nieder, in dem Castellet frühere pointierte Äußerungen abschwächt.674 In Äußerungen Carlos Barrais um 1963 zeichnet sich eben jener Ablösungsprozess ab. Während er kurz zuvor noch den spanischen literarischen Sonderweg als gesellschaftlich notwendig gepriesen hatte (siehe 3.3.3), erklärt Barrai an anderer Stelle die Ästhetik des Sozialrealismus für ungenügend und prognostiziert die schnelle Ausbreitung eines "realismo crítico". Externe Objektivität und interne Subjektivität gehörten zusammen, um eine vollkommene Wirklichkeitsaneignung leisten zu können.675 Dies bedeutet nicht gleich eine Absage an das Ideal des engagierten Intel671

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"A medida que una sociedad estancada y dislocada [...] se dinamiza [...], el novelista va necesitando, no ya mostrar, sino explicar." (F. Morán 1971: 317). "[A] la altura de nuestro tiempo es preciso encontrar nuevas formas [...] Creemos que el más alto grado de realismo literario se alcanza hoy a la par que el más alto grado estético de la obra." (Sastre 1965: 256). Das hier zitierte Kapitel "Aproximación a la estética" referiert einen ursprünglich für das Realismus-Kolloquium von 1963 verfassten Aufsatz. Martínez Cachero (1985: 267); dort findet sich ein ausführlicher Bericht über das Kolloquium, vgl. femer: "Coloquios sobre el realismo", Insula 204 (Dez. 1963), S. 2. Castellet übt Selbstkritik an seiner früheren vereinfachten Weltsicht: "Dicho de otra forma, ante las nuevas realidades del mundo de hoy y el esfuerzo intelectual que supone llegar a conocerlas y adaptarnos a ellas, caemos constantemente en el error de 'saber' antes de conocer, anteponemos nuestros juicios de valor a los de realidad o de hecho, combinamos una ética y un voluntarismo que creemos y queremos revolucionarios con una exégesis tradicional y convencional de la realidad." (Castellet 1973: 15). Die Rede ist von der "inserción de la experiencia particularizada y cotidiana en la

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lektuellen. Freilich: "[I]l y a une longue ligne de points de contact entre engagement - au sens moral et politique - et réalisme, comme comportement littéraire, mais pas une corrélation nécessaire." Barrai greift, sich auf Gramsci berufend, den orthodoxen sozialistischen Realismus an, und sucht damit, im Einklang z.B. mit Sastre, die Mittelposition zwischen "Réalisme socialiste et littérature non-engagée". Bei diesen handle es sich um "deux phénomènes parallèles, deux produits éphémères des situations historiques concrètes."676 Unübersehbar zeigen sich in den zitierten Äußerungen Barrais die Spuren zeitgenössischer Diskussionen auf internationaler und nationaler Ebene, wie sie beispielsweise in Formentor ausgetragen werden. Barrais, Castellets oder auch Juan Goytisolos Distanzierung vom Sozialrealismus erregen größte Aufmerksamkeit, da alle drei vormals als prominente(ste) Vermittler und Promotoren dieser Ästhetik wahrgenommen worden sind. Es handelt sich allerdings um kein isoliertes Manöver, denn allerorten sind Stimmen von Literaturkritikern und Schriftstellern zu vernehmen, die ihre Enttäuschung hinsichtlich der ästhetischen Anspruchslosigkeit und mangelnden analytischen Tiefe der spanischen Narrativik kundtun.677 Seix Barrai setzt sich bald an die Spitze der literarischen Erneuerer. Trotz der Verlagskampagne für den realismo social besteht bei den Mitgliedern des Lektürekomitees, mit Ausnahme Castellets, offenbar wenig Euphorie fiir dieses literarische Programm, wie Salvador Clotas, in den 60er Jahren freier Lektor Seix Barrais, heute zu berichten weiß: Pero dentro del comité de lectura, excepto tal vez de Castellet, nadie defendía el realismo social. Todos estábamos por otro tipo de literatura más ambiciosa literariamente. Cuando llegó la novela de Martín-Santos, la mayoría de nosotros, excepto Gabriel Ferrater que se mostraba muy poco entusiasta, vimos un cambio hacia una novela mucho más literaria y la recibimos con mucho entusiasmo.678

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temática tradicional" (Undatiertes Manuskript zu einer "Conferencia", Anfang der 60er Jahre, AB). Carlos Barrai: "La littérature engagée est-elle un contresens esthétique?", Vortragsmanuskript o.D., AB. Vgl. z.B. José Corrales Egea: "¿Crisis de la nueva literatura? Reflexiones sobre una apuesta", Insula 223 (Juni 1965), S. 3 u. 10. Der Schriftsteller Ramón Nieto erklärt 1965: "[Y] a no creo en la literatura como arma de combate." (Antonio Núñez: "Encuentro con Ramón Nieto", Insula 221 (April 1965), S. 4). Sein Kollege Antonio Ferres fordert ein "planteamiento formal distinto". Beide früheren Vertreter eines dokumentarischen Realismus treten jedoch weiterhin für eine engagierte Literatur ein, denn "hoy no se puede escribir sin tener en cuenta el contexto social" (Antonio Núñez: "Encuentro con Antonio Ferres", Insula 220 (März 1965), S. 6). Vgl. die Zusammenstellung zeitgenössischer Äußerungen bei Martínez Cachero (1985: 262f.). Salvador Clotas, Interview mit B.P., 26.6.1998. Gleichwohl zeigt sich Ferrater in einem für den Rowohlt Verlag erstellten Gutachten von Martín-Santos' Roman überzeugt: "Esta es, pues, una novela de crítica social. [...] Pero Martín-Santos lo hace con tal ímpetu creativo, con tal obvio y contagioso goce de su habilidad como artista, que contrasta fuertemente con la mayoría de sus contemporáneos y el 'realismo' bastante pedante de ellos."

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Im Verlagsprogramm Seix Barrais zeichnet sich vorerst noch ein Miteinander der theoretischen Schulen ab: Die 1965 publizierten Übersetzungen von Robbe-Grillets programmatischer Schrift Por una novela nueva (Pour un nouveau román, 1963) und Umberto Ecos Obra abierta {Opera aperta, 1962) markieren den Übergang zu Semiotik und neueren strukturalistischen Ansätzen. Während in diesen Jahren weiterhin Vertreter des Nouveau Roman (Duras, Ollier, Robbe-Grillet, Sarraute) publiziert werden, finden dessen Postúlate erst jetzt Eingang in die spanische Romanproduktion.679 Auf der anderen Seite verzeichnet Alfonso Sastres Anatomía del realismo (1965) die Fortentwicklung eines sich weiterhin der Gesellschaftskritik verpflichtenden Realismus, Galvano della Volpes Crítica del gusto (1966) skizziert eine historisch-materialistische Literaturtheorie. Seix Barrai publiziert mit Luis Martín-Santos' Tiempo de silencio (1962) den emblematischen Text des spanischen realismo crítico-, auch Cinco variaciones von Antonio Martínez Menchén (1963) und Ritmo lento (1963) von Carmen Martín Gaite antizipieren den ästhetischen Wandel der in Spanien produzierten Literatur. Wiewohl der Verlag weiterhin auch einer mimetischen Darstellung verpflichtete Texte verlegt - so 1964 Antonio Ferres' Reportage Tierra de olivos - , sieht sich Carlos Barrai bald Kritik seitens einiger Schriftsteller ausgesetzt, die ihm Verrat an der gemeinsamen politischen Sache vorwerfen. Anfang 1966 formuliert Barrai in einem Brief an Alfonso Grosso eine Antwort auf heftige Anwürfe, die "obtusas y apasionadas mentes mesetarias" in Madrid gegen ihn vorgebracht hätten: Recuso el esquematismo sociológico sobre la literatura. [...] La indigencia de medios estéticos, el didactismo de un subnaturalismo de peor estofa que el de Eugenio Sue, el brillante ejemplo de la moderna literatura que publica Literaturnaya Gazeta, la obsesión de que los personajes representativos del medio que forzosamente debe reflejar la novela contemporánea española orinen en las tapias de Entrevias, peguen pasquines de huelga en las fiestas de guardar y forniquen sólo con alegría y como Dios manda, no son más que burbujas de putrefacción de un intento fallido de hacer literatura a partir de un presupuesto no literario [...] Desde hace cinco años vengo repitiendo como un loro que ante la probabilidad de que un pequeño número de escritores naciese realmente de este barril de todo género de frustrados de la policíaca, el cine, la sociología, el periodismo y quien sabe si otros medios de "mass comunication" [sie], yo me proponía ser generoso como editor v lanzador de autores con las primeras novelas mediocres de cada uno, las segundas menos mediocres y las terceras aceptables, de modo que se apreciase un claro desarrollo hacia lo que yo entiendo que es la literatura. En los casos en que eso es así, que son algunos, me doy por muy satisfecho y alimento toda clase de esperanzas, en aquellos en que claramente no es así, el respeto que me debo a mí mismo y a mi oficio me obligará a abandonar la partida.680

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(Gutachten für den Rowohlt Verlag vom 3.9.1963, Ferrater 2000: 142). Vgl. Santana (1995), der die Rezeption des Nouveau Roman in Germán Sánchez Espesos Experimento en Génesis (Seix Barral, 1967) nachweist. Der bekanntere Vertreter eines 'spanischen Nouveau Roman', Juan Benets Volverás a Región, wird 1967 allerdings bei Destino publiziert. Brief Carlos Barral an Alfonso Grosso, 19.2.1966, AB (Hervorhebungen von B.P.). Der

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Deutlicher kann Barrai den Wandel seiner Verlagslinie nicht ausdrücken. Der polemische Ton zeigt die Schärfe der spanischen Debatte, in der sich Barrai vom vormals politisch und verlegerisch opportunen realismo social lossagt. Dieser sei ästhetisch verarmt, da er in einer naiven Widerspiegelungsauffassung verharre; mit der Verteidigung der traditionellen Form gehe ein moralischer Puritanismus einher, der letzlich gesellschaftlich reaktionäre Werte behaupte.681 Zum Angriffspunkt gerät Barrai das "Soziologische" und damit ein Schlüsselbegriff auch der eigenen Verlagswerbung früherer Jahre. Die Anspielungen auf eine sowjetische Inspiration des spanischen Sozialrealismus ("Literaturnaya Gazeta") implizieren eine antidogmatische Stellungnahme vor dem Hintergrund des innerparteilichen Streits der spanischen Kommunistischen Partei, in dem sich 1964 die Vertreter um Iglesias und Ibárruri gegen Claudin und Semprún durchsetzen.

4.3.2

Lateinamerikanische Literatur und spanische Theoriedebatte: Der Vermittlungsdiskurs bei Seix Barrai

Bekanntermaßen übt die Rezeption der in den 60er Jahren erschienenen lateinamerikanischen Romane großen Einfluss auf den geschilderten ästhetischen Wandel aus. Ist die Bedeutung der ab 1963/64 beginnenden Rezeption Vargas Llosas oder Cortázars auf spanische Schriftsteller mehr als erschöpfend erwähnt worden, wurde sie weniger häufig jedoch zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand erhoben.682 Vorliegende Arbeiten haben die chronologisch aufeinander folgende Adaptation dreier ästhetischer Neuerungen nachgewiesen: des kritischen Realismus eines Vargas Llosa in den 60er Jahren, des postmodernen literarischen Spiels eines Cabrera Infante oder Cortázar, der Imagination und Fantasie eines García Márquez. Bei Gonzalo Torrente Ballester wird ein solcher Bezug explizit gemacht, indem La saga/fuga de J.B. auf Cien años de soledad als Hypotext verweist.683 Über die la-

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vollständige Brief ist in Anhang XII dokumentiert. Vor dem Hintergrund des medialen Wandels und populärkultureller Entwicklungen verficht Barrai ein Literaturkonzept, das die Anerkennung angeblich 'subliterarischer' Stilmittel und Genres - "cine, periodismo, policíaca" - ausschließt. Gleichwohl widmen längst nicht alle spanischen Literaturgeschichten den lateinamerikanischen Romanciers ein eigenes Kapitel, wie es Martínez Cachero (1985: 274-81) praktiziert. Komparatistische Studien haben an Einzelbeispielen intertextuelle Beziehungen herausgearbeitet: Sánchez-Rey (1991) wendet in einer umfassenden Studie die Erzähltheorie Genettes auf lateinamerikanische und spanische Autoren als Teil einer gemeinsamen "Nueva Novela Hispánica" an. Beltrán-Vocal (1989) vergleicht Werke von fünf einschlägigen spanischen und lateinamerikanischne Autoren, Dravasa (1992) setzt Juan Goytisolos Reivindicación del Conde Julián in Bezug zu García Márquez' El otoño del patriarca, Herráez (1997) kündigt eine detaillierte Erörterung der durch den Boom beeinflussten Veränderungen im spanischen Roman an. Villanueva (1987: 31) sieht mit Torrente Ballesters Roman die neue Epoche spanischer Erzähler einsetzen, in der wieder das narrative Element im Mittelpunkt stehe. Prats (1995: 442-49) vermutet zudem, dass der Erfolg von Benet, Cunqueiro oder Torrente Ballester auf deren Anklänge an García Márquez zurückzuführen sei - allerdings wäre hier noch zu

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teinamerikanischen Schriftsteller werden schließlich auch frühere literarische Werke und Traditionen nach Spanien vermittelt.684 Im Folgenden werde ich die im engeren Sinne verlegerische Vermittlung des lateinamerikanischen Romans analysieren, wie sie sich in zeitgenössischen Dokumenten widerspiegelt, die bislang größtenteils nicht herangezogen worden sind.685 Der Verlag wird dabei als Vermittler betrachtet, der in seiner Publikationspraxis sowohl Diskurse prägt und antizipiert als auch auf wahrgenommene Trends reagiert. Im Mittelpunkt werden die gemeinhin als Zeit des narrativen Umschwungs bezeichneten Jahre 1962-66 stehen. Mein Anliegen ist es, jenseits des engen Werkekanons des Boom die Paratexte zu weiteren Titeln zu analysieren, um den verlegerischen Paradigmenwechsel zu untersuchen. Die Publikation der ersten lateinamerikanischen Texte bei Seix Barrai geschieht im unmittelbaren zeitlichen Kontext zur "operación realismo" und wird vor allem über die Biblioteca Formentor kanalisiert. Entsprechend kommt bei der paratextuellen Vermittlung das auch bei der Präsentation spanischer Romane verwandte LexemRepertoire zur Anwendung, das die zeithistorische Testimonialfunktion eines Textes herausstreicht.686 Eloy (Carlos Droguett, 1960) beruht auf einer historischen Vorlage. Der Roman referiert in der Form des inneren Monologs die Geschichte eines von der Polizei verfolgten und erschossenen chilenischen Banditen, den die Armut zur Delinquenz getrieben hat. In der paratextuellen Präsentation des Romans werden verschiedene Botschaften übermittelt. Ein wichtiges in der Händlerinformation angeführtes Verkaufsargument ist der dokumentarische Gehalt - "[e]l librero podría usar con provecho del paralelismo con el hecho real de la caza y captura de Eloy" - , der auch durch das Foto des erschossenen Eloy auf dem Buchtitel illustriert wird. Weitere Argumente basieren auf der Kompatibilität des Textes mit nordamerikanischen, z.T. populärkulturellen Vorbildern: der Stil sei "tipo Faulkner", der Roman nähere sich dem Beispiel der "novelas 'fuertes' y policíacas", einer "literatura de acción". Fast könne man von einem "western chileno", "parecido al cine de tipo del de Huston y Ford" sprechen. Im Fall der lateinamerikanischen Literatur, "tan mal conocida en España", muss sich die Werbung also auf einen Aneignungsdiskurs stützen, der den fremden Text in ein bekannteres kulturelles Modell einschreibt. Dieses Modell ist

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ermitteln, inwieweit bei allen drei Schriftstellern von einem wirklich kommerziellen Erfolg die Rede sein kann. Inwieweit sich die spanische Faulkner-Rezeption auf den Einfluss von Vargas Llosa zurückfuhren lässt, ist in der Forschung nicht geklärt. Burunat (1980: 51 f.) behauptet diesen Vermittlungsweg über Lateinamerika nach Spanien; Bravo (1985: 209) sieht dagegen einen eigenen spanischen Rezeptionsstrang vor und nach dem Bürgerkrieg. Santana (1995) konzentriert sich im Wesentlichen auf die Rezeption von La ciudady los perros\ Prats (1995) öffnet den Blick auf ein breites verlegerisches Panorama, analysiert jedoch kaum Paratexte und beschränkt sich auf die wenigen kanonisierten Titel.

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Ende der 50er Jahre das US-amerikanische. Beim Vergleich mit dem Westem-Genre wird der Text auf seine Diegese reduziert und wenn nicht trivialisiert, so doch missinterpretiert.687 Das in Spanien noch wenig verbreitete Stilmittel des inneren Monologs wird nicht erwähnt und höchstens durch den abschließenden Faulkner-Vergleich angedeutet. Offensichtlich wird dem Namen des Nobelpreisträgers Faulkner mehr verkaufsstrategisches Gewicht beigemessen als konkreten stilistischen Hinweisen. Etwas anders verfährt der mit dem Buch veröffentlichte Umschlagtext. Dort ist die technische Innovation erwähnt, doch steht auch hier der inhaltliche Hinweis auf den Überlebenskampf des Protagonisten im Vordergrund der Textpräsentation: ELOY es una novela basada en una historia real: [...] El novelista transforma el suceso en un relato "interior" de las últimas horas del protagonista acorralado y herido; en la experiencia de su situación desesperada, incendiada por el coraje, y la revisión de su vida azarosa, trenzada de primitiva ternura y brutalidad.

Los extraordinarios (Ana Mairena, 1961) schildert das Schicksal eines Migranten vom Land, der sich in der Metropole Mexiko-Stadt eine materielle Existenzbasis zu verschaffen sucht und dabei zum Raubmörder wird. Auf dem verlegerischen Waschzettel wird der Roman als Zeugnis einer mexikanischen Realität angekündigt, die sich in den atmosphärischen Schilderungen einer "dura infancia aldeana" und der "zonas más veladas de una gran sociedad urbana, la de la ciudad de México, impregnada, como cualquier otra de nuestro tiempo, de crueldad y de injusticia" spiegele. Das Geschehen wird somit als universale Problematik dargestellt, die spanischen Lesern aus eigener Ansicht durchaus vertraut vorkommen kann. Mairenas Buch lenkt den Blick auf die Situation der städtischen Marginalisierten, wie es Anliegen nicht weniger Bücher des spanischen Sozialrealismus ist. En Chimá nace un santo (1964) des Kolumbianers Manuel Zapata Olivella thematisiert das Aufbegehren eines dem religiösen Fanatismus verfallenen Dorfes gegen die kirchliche und staatliche Autorität. Zwar bleibt der heterodiegetische Erzähler auf kritischer Distanz zu den Figuren und entlarvt den Aberglauben der Dörfler und den Betrug des selbst ernannten Propheten, doch gewinnt der ursprünglich religiös bedingte kollektive Widerstand zuletzt revolutionäre Züge: Los subalternos [...] [c]omprenden que el pueblo tiene necesidad de un pretexto para luchar y con aquellos machetes y escopetas serían capaces de realizar mayores portentos que todos los realizados por Domingo Vidal.689

Eine entsprechende Lesart vermittelt auch der verlegerische Peritext, der zwar einen exotistischen Diskurs führt, aber die Sozialrevolutionäre Botschaft des Textes untermauert:

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Siehe 3.3.3 zu den Umschlagtexten bei Garcia Hortelano und anderen. Umgekehrt zeigt das Beispiel, dass das filmische Medium auch im literarischen Kontext Legitimation besitzt. Umschlagtext zu Carlos Droguett: Eloy, Seix Barrai 1960. Manuel Zapata Olivella: En Chimä nace un santo, Seix Barrai 1964, S. 160.

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no es sólo una alucinante historia de superchería. El tullido milagrero alrededor de quien se centra la historia, ese cadáver entronizado sacrilegamente en el altar del pueblo, descuartizado luego en nombre de la razón y fuente de una extraña religión de esperanza, es uno de tantos objetos sagrados, talismanes de esperanza a los que se aferra la angustia de los oprimidos, que sacraliza en un drama irreprimible la miseria moral y el dolor de los desamparados.690 EN CHIMA NACE UN SANTO

El paredón (Carlos Martínez Moreno, 1963) schließlich präsentiert ein Zeitzeugnis der Kubanischen Revolution aus der Perspektive eines uruguayischen Journalisten und reflektiert die Bedeutung der Geschehnisse für andere lateinamerikanische Gesellschaften. Bereits der auf dem Umschlagfoto abgebildete bärtige Guerrillero konnotiert unmissverständlich einen Kuba-Bezug. 691 Der Umschlagtext unterstreicht den politischen Gehalt, nimmt jedoch eine ausgewogene Deutung vor: es una novela eminentemente preocupada por el porvenir moral y político de la América de habla hispana, en la que con intensidad creciente afloran en los últimos años las convulsiones hasta ahora sordas de su juventud y de su fuerza. El relato pone en la balanza dos experiencias de muy distinto tamaño, pero del mismo peso, de la vida de un hombre de letras hispanoamericano: por un lado su experiencia de una sociedad civil e inmovilista, de una cultura demasiado europea [...] en su país natal, y por otro lado el espectáculo lleno de violencia, pero abierto hacia el futuro, de la Cuba revolucionaria, de una cultura cuarteada por el exceso de pasión [...].692 EL PAREDÓN

Das Schlüssellexem "experiencia" unterstreicht die auch von der Kritik geteilte Lesart des Romans als tagespolitischen Kommentar bzw. Testimonium. 693 Zunächst wird der Roman in einem lateinamerikanischen Kontext verankert, der als spezifisch und different gegenüber der europäischen Kultur erscheint. In der paratextuellen Kontrastierung von +[Ordnung/ Erstarrung] für Europa und +[Gewalt/ Leidenschaft/ Revolution] für Lateinamerika manifestiert sich in den Begriffen "violencia", "exceso de pasión" und "espectáculo" eine gewisse Distanz zur Revolution. Eine solche dialektische Darstellung des Konflikts von europäischer Transkulturation und lateinamerikanischer Emanzipation entspricht der im Roman ausgeführten Problematik. Wenn auch die Darstellung der Kubanischen Revolution (wie im Primärtext übrigens auch) sich nicht als durchweg positiv bezeichnen lässt,694 dürfte der Verlag an die

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Waschzettel zu Manuel Zapata Olivella: En Chimá nace un santo, Seix Barrai 1964. Seix Barrai treibt auch mit der Russischen Revolution bzw. dem Stalinismus ein ambivalentes Spiel. 1962 prägt das Konterfei Josef Stalins unkommentiert einen Verlagskatalog Seix Barrais, und obwohl das entsprechende Buch mit dem Diktator abrechnet, stellt der Paratext eine mögliche Provokation dar und fungiert ähnlich wie der El paredón illustrierende Revolutionär. Waschzettel zu Carlos Martínez Moreno: El paredón, Seix Barrai 1963. "Nunca como en este caso se puede hablar de literatura testimonio y de reportaje." (Jorge Campos: "De Uruguay a Cuba: El paredón de Carlos Martínez Moreno", Insula 197 (April 1963), S. 11). Prats (1995: 234) sieht den Text in Spanien als Apologie der Kubanischen Revolution rezipiert. Diese Haltung lässt sich aber weder in der zitierten Rezension noch in den verlegerischen Paratexten nachweisen.

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Grenzen des politisch Genehmen gegangen sein, wenn die Revolution als "espectáculo lleno de violencia, pero abierto hacia el futuro" letztlich in einem hoffnungsvollen Licht erscheint.695 Kuba ist Kontrastfolie für eine spanische Gegenwart, die 1962 die bisher heftigsten sozialen Proteste seit dem Bürgerkrieg erlebt und wo ebenfalls "convulsiones hasta ahora sordas" ausbrechen. Dieser identifikatorische Bezug wird deutlich in einer Verlagsannonce dieses Buches hergestellt: El paredón sei ein "testimonio de una experiencia de extraordinario relieve en la actualidad de todos los países de habla española".696 Kuba erscheint als Herausforderung für die spanischen Leser und für das Gesellschaftsmodell westlicher Prägung, "teóricamente libre, civilista y que se siente equilibrada y satisfecha de sus principios". Damit nimmt Martínez Moreno eine politisch-literarische Initiationsreise vorweg, die zahlreiche spanische Intellektuelle, unter ihnen Carlos Barrai, in den nächsten Jahren nach Kuba führen wird (siehe 4.5.4). In späteren Paratexten Seix Barrais wird im Gegensatz zu diesen Beispielen die Überwindung der realistischen Ästhetik zum Programm erhoben. Die Qualität eines Textes gegenüber früheren Werken eines Autors ist in dieser Rhetorik an eine höhere formale Komplexität und Innovation gekoppelt: "Verdadera superación de su obra anterior, este libro [...] señala el paso de su autor a un campo más audaz de búsqueda e investigación literaria."697 Der Umschlagtext fungiert dann zugleich als Indiz und Medium des ästhetischen Wandels in der spanischen Literatur. Es sind nun gerade lateinamerikanische Romane und die ihnen beigefugten Paratexte, die eine solche ästhetische Erneuerung antizipieren, ohne dass aber notwendig eine gesellschaftsbezogene Lektüre verweigert wird. Dieser Diskurs ist bereits bei La ciudad y los perros (1963) zu beobachten, für dessen Erstausgabe José Maria Valverde einen vierseitigen Prolog verfasst. Dieser Text stellt nicht nur den bekanntesten Paratext zur frühen spanischen Rezeption der lateinamerikanischen Literatur dar, sondern signalisiert als Hybrid von Verlagswerbung und Rezension deutlich die Interdependenz von Literaturkritik und Verlag.698 Zunächst nimmt Valverde eine Charakterisierung des Inhalts vor, den er einer direkten politischen Bezugnahme entzieht ("habría que precaverse contra el error de juzgar a los 695

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Die Zensurgutachter sind sich uneins: Das angeblich wohlwollende Urteil des Autors über die Kubanische Revolution motiviert in der ersten Instanz ein Publikationsverbot ("un sentimiento favorable al castrismo", Gutachten 25.3.1962), das nach Einarbeitung von Textkorrekturen und in Folge eines positiven Zweitgutachtens ("nada de esto constituye tesis, ni [...] alabanza", 1.12.1962) aufgehoben wird {Elparedón, AGA, Doss. 1323-62, Fach 13823). "Carta de Seix Barrai", Anzeige in: Destino 1339 (6.4.1963), S. 59. Antonio Martínez-Menchén, Las tapias, Seix Barrai 1969. Zu einem Roman von Antonio Rabinad heißt es, er liefere einen Beitrag zum "renacimiento de la prosa española contemporánea que pugna por salir de los límites que le había impuesto una poética de urgencia" (Antonio Rabinad, El niño asombrado, Seix Barral 1967). Der Prolog ist als "Un Juicio del Dr. José María Valverde" der Ausgabe eingeheftet. Ein Abdruck dieses Textes erscheint in der Verlagsankündigung Seix Barrais (Abb. 13). Die Bedeutung von Valverdes Text ist unter anderem in Randolph Popes Gesamtdarstellung zum lateinamerikanischen Roman gewürdigt (1996: 230f.).

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personajes ficticios como personajes reales") und stattdessen als universale anthropologische Aussage hinstellt - "crítica del hombre [...] por debajo de las propias instituciones de la sociedad"). 699 Valverdes elliptische Strategie, wortreich vom konkreten Gesellschaftsbezug zu abstrahieren, ermöglicht indirekt gerade eine solche Lesart. La ciudad y los perros behandelt eine universale, auch auf Spanien übertragbare, sozialkritische Thematik: unterdrückerische Strukturen in einem militaristisch organisierten Mikrokosmos. 700 Der Rezensent von Insula stellt fest, dass bei aller Universalisierung des Geschehens eine gewisse lokale Färbung existiere, die auch auf Spanien verweise: "en la que no sería difícil rastrear huella española". 701 Darüber hinaus nimmt Valverde Stellung zur ästhetischen Qualität des Textes. La ciudad y los perros bedeutet ihm eine Innovation und Belebung der Literatur spanischer Sprache in Bezug auf ihre erzählerischen Mittel. Der Sprache werde bei Beibehaltung einer realistischen Erzählperspektive ein poetischer Eigenwert verliehen: [La novela] incorpora[r] todas las experiencias de la novela 'de vanguardia' a un sentido 'clásico' del relato: 'clásico', en los puntos básicos del arte de novelar: que hay que contar una experiencia profunda que nos emocione al vivirla imaginativamente; y que hay que contarla con arte [...] con habilidad para arrastrar encandilado al lector hasta el desenlace. Der von Valverde vorgegebene Diskurs - formale Erneuerung bei Beibehaltung einer gesellschaftsbezogenen Thematik und Intention - bildet den Tenor der allgemein euphorischen Rezeption von Vargas Llosas Roman. 702 Mit der Auszeichnung 699

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Seix Barrai gibt den Prolog, zusammen mit fünf Experten-Kommentaren für den Einband, nach Gesprächen mit der Zensur in Auftrag. Valverde erklärt später, dass seine Wortwahl politischen Rücksichtnahmen auf die "posible reacción escandalizada de ciertas personas y ciertos ambientes" geschuldet gewesen sei (Valverde 1972: 102). Die Entpolitisierung bei Valverde steht in Kontrast zum Kommentar Julio Cortázars, dessen Abdruck auf dem Bucheinband prompt von der Zensur untersagt wird: "Implacable testigo del infierno, su [M.V.LI.] alucinante experiencia puede ser también fórmula de redención el día en que nuestros pueblos descubran la libertad profunda que espera su hora enterrada al pie de las estatuas ecuestres de las plazas." (AGA, Fach 14413, Doss. 1031-63, Los impostores). Mario Vargas Llosa fasst nach einem zeitgenössischen Zeitungsbericht sein eigenes Werk wie folgt zusammen: "Describir con la máxima imparcialidad, un mundo cerrado sobre sí mismo (un colegio militar), que es a su vez espejo y proyección de una realidad más vasta; mostrar, por encima de la radical postura que viven, las reacciones profundas de un grupo de adolescentes en el heroísmo, la injusticia y la solidaridad." (Aus einer Vorschau im Klappentext zu Colette Audry, Detrás de la bañera, 1963). Jorge Campos: "Otra gran novela. La ciudad y los perros", Insula 209 (Mai 1964), S. 11. Vgl. die Rezension von Jorge Campos: "Vargas Llosa cuenta [...] al modo tradicional en la novela, pero existen saltos en el tiempo y en la acción... [es] una denuncia que se escapa de lo real inmediato para llegar a lo existencial [...]." Campos rühmt an Vargas Llosas Roman, dass der überharte Naturalismus - "el diálogo vulgar, lo sucio o 'tabú' de algunas escenas" - durch eine Poesie der Darstellung sublimiert werde (Campos, "Otra gran novela", Insula 209 (Mai 1964), S. 11). Ein anderer Kommentar zu La ciudad y los perros lobt dessen Kunstvollendung ("arte"), eine Qualität, "[que] [s]e ha desdeñado mucho" (Concha Castro viejo: "Técnica y arte", Informaciones, 11.4.1964).

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Vargas Llosas als Premio de la Crítica erteilt die spanische Literaturkritik diesem Modell einer stilistischen Erneuerung des Realismus ihre Weihe. Vicente Leñeros Los albañiles (1964) präsentiert das Setting eines Sozialromans, dessen Handlung ihren Ausgang vom Konflikt innerhalb einer Gruppe von Arbeitern und Marginalisierten nimmt. Die Milieuzeichnung geschieht durch realistische Inhalts- und Stilelemente (Soziolekt); wechselnde Erzähler, multiple Fokalisierung und Anachronien brechen dagegen die lineare Erzählstruktur auf. Es handle sich, so der Umschlagtext, um [...] un análisis en profundidad de cierto sector del proletariado urbano mejicano, pero no sociológico, sino, a modo de sección en la realidad colectiva, un examen brillantísimo de lo que es historia común e historia de cada uno. (Hervorhebungen von B.P.) In dieser Interpretation - Rückführung der kollektiven auf die individuelle Erfahrung - dient Los albañiles als Paradebeispiel des kritischen bzw. dialektischen Realismus, wie er zur gleichen Zeit in spanischen Literatenkreisen ausgerufen wird. Im Zitat verbindet sich die Absage an das "Soziologische" mit der Beibehaltung marxistischer Terminologie. Trotz der Hervorhebung formaler Neuerungen bleibt der Gesellschaftsbezug des Textes relevant.703 In den Vermittlungsdiskursen der Romane von Vargas Llosa oder Leñero zeigt sich, dass diese Texte den Bedürfnissen ihrer spanischen und lateinamerikanischen Leser entgegenkommen, als mit einem gehörigen Maß Gesellschaftskritik ausgestattete novela social einerseits, als novela poética andererseits, deren erzähltechnische Neuerungen als Herausforderung begrüßt werden.704 Beide Werke werden vom Realismus ausgehend interpretiert und fungieren als seine Fortsetzung mit anderen Mitteln. Diese Auffassung spricht auch aus einer zeitgenössischen Würdigung Carpentiers, der als "novelista comprometido con lo social, pero también con la primera obligación de crear arte" beiderseits politische und ästhetische Erwartungen erfülle.705

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Dies bestätigt sich in der Rezeption (siehe 4.4). Auch die 1964 publizierten oder zur Publikation vorgesehenen Romane von Mario Benedetti (Gracias por el fuego) und Jorge Edwards (El peso de la noche) korrespondieren, bei einer stärker linearen Erzählfuhrung, in ihrer Kritik des städtischen Bürgertums z.B. mit den antibürgerlichen Romanen von Juan Goytisolo oder Juan García Hortelano. "Pues, para resumirlo en una palabra clave: se trata de una novela 'poética' [...]." (José María Valverde, im Prolog zu La ciudad y los perros). Vgl. das spätere Urteil des Kritikers Juan Pedro Quiñonero, der 1969 zur Ehrenrettung der Sozialrealisten das Werk Vargas Llosas ins Feld führt ("Juan Pedro Quiñonero, contra la polémica", Informaciones de las Artes y las Letras 51(19.6.1969), S. 2): "[Resplandece un hecho evidente: la arraigada y profunda voluntad del novelista de efectuar un examen crítico de su entorno social y subrayar y delimitar responsabilidades [...] ¿no era ése el más precioso intento de nuestros novelistas sociales?" Javier Martínez Palacio: "Los anti-héroes de Alejo Carpentier", Insula 226 (Sept. 1965), S. 1 u. 14.

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In den ausgewählten Beispielen dominiert eine Lesart, die sich mit Villanueva auf den Begriff des intentionalen Realismus bringen lässt. Gemeint ist eine identifikatorische Textaneignung über realistische Sinngebung und über die Kontextualisierung nach Maßgabe des eigenen, soziopolitischen Erfahrungshorizontes: Efectivamente, realismo intencional es igual a donación de sentido realista a un texto del que se hace una hermenéutica "de integración" [...] desde el horizonte referencial proporcionado por la experiencia del mundo que cada lector posea.706 Demnach wird eine Universalisierung oder spanienspezifische Integration angeboten. Der Umschlagtext appelliert an die Empathie des Lesers, sich am dargestellten Beispiel der Kubanischen Revolution oder mexikanischen Metropole mit der eigenen Realität auseinanderzusetzen. In dieser Strategie ist aber nicht nur ein verklausuliertes politisches Anliegen des Verlegers zu vermuten, sondern auch der Versuch, die bislang nicht allzu sehr auf lateinamerikanische Literatur eingestimmten spanischen Rezipienten für den fremden Text zu interessieren, der in semantischen Bezug zu der eigenen Literatur des Sozialrealismus gestellt wird. Die Anspielung auf zeitgeschichtlich-gesellschaftliche Textimplikationen fuhrt bei den besprochenen Paratexten zu lateinamerikanischen Romanen meist zur Zurückstellung der formalen Eigenschaften. Nach dieser Lesart können Texte aber auch explizit in ihren lateinamerikanischen Kontexten verankert werden. Eine solche Konnotierung fordert unter Umständen eine milde Behandlung durch die Zensur, die sich, anders als bei expliziten Aussagen zur spanischen Gesellschaft, gegenüber der Kritik an außereuropäischen Zusammenhängen weitaus indifferenter zeigt (siehe 4.6.2). Gleichzeitig können die Texte aus Lateinamerika als Künder der Hoffnung auf eine bessere eigene Realität geltend gemacht werden, wie es im Paratext zu El paredón anklingt.707

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Villanueva (1994: 179). Den Begriff der identification beziehe ich aus der Analyse des interkulturellen Transfers bei Danielle Risterucci-Roudnicky (1999: 419), die verschiedene Kategorien von Aneignungsstrategien präzisiert. Ausgehend von einem dichotomischen Modell von Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz, unterscheidet sie erstens Diskurse der substitution ("Littérature qui comble les blancs de la littérature nationale"), identification ("Littérature aux normes et aux valeurs-repères semblables") und assimilation ("reconnaissance 'universelle'"), die eine positive Einschreibung in den eigenen literarischen Kontext (acculturation bzw. ressemblence) darstellen. Eine zweite, entgegengesetzte Rezeption grenzt den importierten Text unter Betonung der grundsätzlichen Verschiedenheit (résistance bzw. différence) aus, wobei Nuancen in der Bewertung zu verzeichnen sind: rejet ("Littérature-menace"), exclusion ("Littérature hors des normes et des valeurs"), distance. Nach dieser Terminologie wäre die Vermittlung der lateinamerikanischen Literatur durch Seix Barrai im Sinne einer substitution und identification zu deuten. Gras konstatiert für die Zeitschrift Papeles de Son Armadans: "Los críticos de Papeles de Son Armadans, sensibles a la tradición realista, consideran especialmente interesante la nueva narrativa hispanoamericana porque entienden que ésta transmite una realidad esperanzada y esperanzadora en unos momentos de desesperanza social, cultural y vital en España [...]" (1996: 79).

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Literatur in Spanien (1959-67)

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Nur in wenigen Paratexten wird die intentional realistische Lektüre gänzlich aufgegeben. Severo Sarduys in Paris verfasster Romanerstling Gestos (1963), dessen Publikation neben den bald kanonischen Werken Tiempo de silencio und La ciudad y los perros kaum Beachtung findet, bezeichnet einen Bruch mit sozialrealistischen Prämissen zugunsten der Adaptation des Nouveau Roman für die spanischsprachige Literatur. Von einer solchen Innovation spricht auch der Umschlagtext, wenn dort von der "ungewohnten Distanz" des Erzählers die Rede ist: GESTOS es sobre todo una experiencia de procedimiento narrativo. A una inusitada distancia de los acontecimientos, el narrador nos hace partícipes de la acción excitando nuestra imaginación, a partir de unas cuantas fundamentales notas indicativas (por este lado su técnica se emparentaría con la llamada "técnica objetal") [...].708

Ein späterer Paratext zu Los laberintos insolados von Marta Traba, erschienen 1967, vermittelt eine geänderte Sichtweise, in der die Realität nun als Antithese zur Perspektive des Subjekts fungiert. Der Roman erscheint zugleich als intertextuelles Spiel mit dem Odysseus-Mythos und als Zeugnis der Entfremdung des "modernen Menschen" allgemein und besonders in Lateinamerika: La historia de Los laberintos insolados [...] es como una versión muy particular del mito odisaico [...] y, al mismo tiempo, un testimonio muy preciso de una de las obsesiones del hombre moderno y particularmente del latinoamericano: el deseo de huir, de liberarse de una realidad asfixiante y adormecedora.709

Die dargestellte Realitätserfahrung ist als individuell, nicht kollektiv gekennzeichnet. Wie in anderen Beispielen wird eine lateinamerikanische Spezifität signalisiert, diese jedoch gleichzeitig in einen allgemeinen Kontext ("el hombre moderno") gestellt und universalisiert. In den verlegerischen Paratexten Seix Barrais manifestiert sich somit der skizzierte ästhetische Wandel in der spanischen Literatur. Der anschließende Vergleich mit ausgewählten Rezensionen in der spanischen Fachpresse soll erhellen, auf welche Weise die vom Verlagstext implizierten Lektürevorgaben aufgegriffen werden. Dabei lässt sich im Vermittlungsdiskurs der lateinamerikanischen Romane auch eine metaliterarische Diskussion entlang (kultur)nationaler Literaturbegriffe konstatieren.

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Umschlagtext zu Severo Sarduy: Gestos, Seix Barral 1963. Umschlagtext zu Marta Traba, Los laberintos insolados, Seix Barral 1967. Hervorhebungen von B.P.

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4.4

Die lateinamerikanischen Romane in der spanischen Literaturkritik

4.4.1

Die Rezeption in den Literaturzeitschriften

Entsprechend der nur sporadischen Verlagsrezeption nimmt die lateinamerikanische Literatur in den spanischen Literaturzeitschriften bis zu Beginn der 60er Jahre nur einen geringen Raum ein. Immerhin erscheinen in Indice und Insula häufig Beiträge zur in Übersee produzierten Literatur, doch stehen hier eher die spanischen Exilautoren im Mittelpunkt. 710 Angesichts dieser Situation zeigt sich die spanische Literaturkritik der frühen 60er Jahre von der neuen lateinamerikanischen Literatur äußerst positiv überrascht. 711 Zur wiederkehrenden Formel wird das selbstkritische Eingeständnis, unzulässigerweise die Entwicklungen in den überseeischen Literaturen vernachlässigt zu haben: 712 "Desde aquí hemos reiterado una lamentación: la de que a las letras hermanas de nuestra América no se les preste la atención que parece ineludible exigir." 713 Spanien hinke in der Rezeption den europäischen Nachbarn hinterher, denn noch 1965 seien Schriftsteller wie Carpentier, Cortázar, Fuentes oder Rulfo in Paris bekannter als in Madrid, wie an anderer Stelle bemerkt wird. 714 Um diesen Rückstand aufzuholen, so Juan Ramón Masoliver in der zitierten Rezension, bedürfe es nun des Einsatzes der Verleger, des "incremento editorial". 715 Insula erfüllt eine deutliche Vorläuferrolle in der spanischen Lateinamerika-Rezeption. Bereits im September 1960, noch vor der Auszeichnung von Jorge Luis Borges in Formentor, führt die Zeitschrift die von Jorge Campos geleitete und regelmäßig bediente Rubrik "Letras de América" ein, die in Spanien die erste systematische und kontinuierliche Beschäftigung mit der zeitgenössischen lateinamerikanischen

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"El matiz que reunía en una cierta complicidad a Insula e Indice [...] era la atención a América Latina como destino mayoritario del exilio liberal español." (Gracia 1996: 125). Zur Entwicklung von Indice siehe Oskam (1992). Meine Darstellung bezieht die Zeitschriften Informaciones, Insula, Destino, Tele-Exprés und Triunfo (ab 1969) ein, wobei ich teilweise auf das Pressearchiv der Universität Barcelona zurückgreifen konnte. Vergleichende Daten ziehe ich aus der Arbeit von Prats heran, die die Rezeption in drei Publikationen (Cuadernos Hispanoamericanos, Insula, Informaciones) untersucht, sowie aus den Studien von Gracia (1996) und Gras (1996). Entlarvend für den Kenntnisstand damaliger Leser ist die Berichterstattung in der INLEPublikation El Libro Español: Anlässlich der Vergabe des Internationalen Verlegerpreises an Borges und Beckett (1961) hat der Chronist offensichtlich Probleme mit dem argentinischen Autor. Während Beckett korrekt als 'in Frankreich lebender Ire' beschrieben ist, wird Borges zunächst allgemein zum "hispanoamericano" erklärt, weiter unten sogar der "literatura mejicana" zugeordnet (B.[artolomé?] M.fostaza?], "Premios Formentor", El Libro Español 42 (Juni 1961), S. 189f„ hier: 190). Juan Ramón Masoliver: "Las letras argentinas se asoman a España", Insula 253 (Dezember 1967), S. 11. "Redescubriendo Latinoamérica", Insula 230 (Januar 1966), S. 2. Masoliver, "Letras argentinas", Insula 253 (Dezember 1967), S. 11.

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Literatur darstellt.716 Um 1965/66 verdichtet sich die Berichterstattung dergestalt, dass z.B. im März 1966 (Nr. 232) neben den "Letras de América" allein drei Artikel Autoren und Texte der "literatura narrativa en Hispanoamérica" behandeln. Neben Mario Vargas Llosa steht vor allem Alejo Carpentier im Mittelpunkt des Interesses und wird zwischen Januar 1965 und Juli 1968 mit gleich sieben ganz- oder mehrseitigen Beiträgen bedacht - das Prestige Seix Barrais, Verlag beider Autoren, damit gleichermaßen konsolidiert. Die Rezeption in Insula beschränkt sich längst nicht auf die Diskussion der wenigen in Spanien publizierten Werke, sondern geht ausführlich auf die schwer erhältlichen, in Übersee erschienenen Titel ein. Auf der einen Seite zeigt sich damit die Offenheit und Informiertheit der Zeitschrift und ihrer minoritären Leserschaft, aber auch die Hinwendung an ein Publikum, das sich mehrheitlich außerhalb der iberischen Halbinsel befindet und vorwiegend im akademischen Spektrum angesiedelt ist.717 Bei den Papeles de Son Armadans erhält die lateinamerikanische Literatur von 1956-62 geringe, erst ab 1963 eine regelmäßige und intensive Aufmerksamkeit.718 Nach Camilo José Celas Teilnahme an der Jury des Premio Casa de las Américas im Sommer 1965 kann und will sich seine Zeitschrift den Literaturen aus Übersee nicht länger verschließen, so dass einzelne Namen ins Rampenlicht rücken. Miguel Angel Asturias, ein Freund Celas, ist der am meisten behandelte Autor (Gras 1996: 78). Die vom Instituto de Cultura Hispánica publizierten Cuadernos Hispanoamericanos entwickeln sich im Laufe der 60er Jahre zu einem nicht unbedeutenden Medium des literarischen Austausches und der spanischen Rezeption neuer lateinamerikanischer Literatur. Das Interesse an der lange vernachlässigten lateinamerikanischen Literatur nimmt ab etwa 1964 sprunghaft zu, und künftig werden sie als spezialisiertes Medium mehr als alle anderen hier genannten spanischen Zeitschriften Artikel zur nueva narrativa hispanoamericana veröffentlichen.719 Insgesamt fallt auf, dass sich 716

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Insula ist den meisten spanischen Rezipienten voraus. Bereits 1961 berichtet ein Kommentar vom literarischen Wandel der lateinamerikanischen Literaturen: "Para todo atento lector de la literatura sudamericana no es ningún secreto el brusco viraje dado por la misma de unos años a esta parte" schreibt José R. Marra-Lopez ("Oda y elegía de Centroamérica", Insula 175 (Juni 1961), S. 3, zitiert bei Prats 1995: 488) und zeigt sich damit besser informiert als der Großteil der spanischen Intellektuellen, deren Begegnung mit diesen Literaturen noch aussteht. In einer Erhebung von 1970 gibt sich lediglich einer von 497 befragten Studenten der Universität Zaragoza als Leser von Insula zu erkennen (Sanz Villanueva/Díez Bosque 1970: 79). Vgl. als Anekdote den Tagebucheintrag Max Aubs, der bei seinem Aufenthalt 1969 in Barcelona feststellen muss: "Nadie lee Papeles de Son Armadans [...] Insula [...] no se ve en ninguna parte." (Aub 1995: 214). Dies gilt, obwohl Camilo José Cela, Herausgeber der Papeles de Son Armadans, bereits frühzeitig mit dem lateinamerikanischen Kontinent in Verbindung steht, so zwecks Publikation von La colmena in Mexiko, oder auch bei seinen Recherchen für den Roman La cátira (Historias de Venezuela), publiziert 1955 (Barcelona: Noguer). Rehrmann vermerkt, dass die Cuadernos Hispanoamericanos ab 1964 "die alten ideologi-

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die Analysen ein geraumes Stück vom offiziellen Hispanitäts-Diskurs entfernen und eine eigenständige und produktive Entwicklung der Literaturen Lateinamerikas anerkennen. Allerdings erweisen sich die Cuadernos Hispanoamericanos vor allem als spanieninterne Publikation, wie es der geringe Anteil lateinamerikanischer Mitarbeiter verdeutlicht; zudem mangelt es in den frühen 60er Jahren an der literarischen Aktualität, die z.B. die zeitnahen Rezensionen in Insula charakterisiert.720 Die an ein breiteres Publikum gerichteten Magazine und Tageszeitungen wie Triunfo, Informaciones oder Destino erweitern erst um 1968/69 ihre Kulturberichterstattung und führen, wie im Fall von Informaciones de las Artes y las Letras, spezielle Kulturbeilagen ein (siehe 5.1.). Vor diesem Zeitpunkt nimmt die kulturelle Berichterstattung noch einen recht begrenzten Raum ein. Informaciones verlegt sich in der Regel auf die Rezension spanischer bzw. in Spanien publizierter Literatur, was die Zahl der hier interessierenden Rezensionen niedrig hält. Kurz: Die Rezeption der lateinamerikanischen Literatur durch die Kritik intensiviert sich in Abhängigkeit von den verstärkten Publikationen in Spanien und von den verbesserten medialen Möglichkeiten der Kulturberichterstattung Ende der 60er Jahre. Es existiert eine Presserezeption vor 1967, die sich vor allem auf die durch Literaturpreise konsekrierten Autoren konzentriert (Asturias, Caballero Calderón, Carpentier, Vargas Llosa). Seix Barrai als hauptsächlicher Verlag ist erwartungsgemäß häufig vertreten. Nur bei Insula findet aber schon vor dem Paukenschlag der spanischen Literaturpreise eine regelmäßige Rezeption lateinamerikanischer Literatur statt, die ausfuhrlich auch die Produktion lateinamerikanischer, vor allem mexikanischer Verlage berücksichtigt.

4.4.2

Literaturkritik zwischen ästhetischem Aufbruch und kulturellem Nationalismus

Die Rezensionen der Literaturkritik entsprechen größtenteils den Lektürevorgaben der Verlagsparatexte. Die Interpretation rückt damit oft einseitig inhaltliche Aspekte in den Vordergrund. Jorge Campos' Rezensionen in Insula kennzeichnet ein Literaturverständnis, welches den realhistorischen Bezug des betrachteten Textes ins Zentrum stellt und das auch einen Text wie Rayuela in erster Linie als "imagen del andar del hombre por el mundo" erscheinen lässt.721 Insbesondere in der mexikani-

720 721

schen Raster [...] sukzessive ad acta legtefn]" (Rehrmann 1996: 192). Im Oktober 1974 leiste die Zeitschrift sich beispielsweise die Publikation einer monografischen Ausgabe über Juan Carlos Onetti ("Homenaje a Juan Carlos Onetti", Cuadernos Hispanoamericanos 292-94). Prats (1995: 491), Rehrmann (1996: 169). "Rayuela, juego; rayuela; armazón innovadora del relato; pero, más allá de todo eso, imagen del andar del hombre por el mundo." (Jorge Campos: "Rayuela, de Julio Cortázar"; Insula 250 (September 1967), S. 11). Diese entscheidende Wendung fehlt bei Santana, dessen Interpretation der gleichen Quelle als Beleg für einen Paradigmenwechsel in der spanischen Literaturkritik daher nicht ganz zutrifft (Santana 1995: 125).

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien (1959-67)

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sehen Literatur, der Campos in der ersten Hälfte der 60er Jahre viele Artikel widmet, sieht er eine kontinuierliche "preocupación por la sociedad" am Werke.722 Diese Rezeptionshaltung beschränkt sich aber nicht auf das Medium der "Letras de América", sondern findet sich allerorten. Der häufig rezipierte Miguel Angel Asturias verkörpert stellvertretend eine engagierte Literatur, in der der Schriftsteller eine politische Funktion besitzt; zum Nobelpreis dieses Autors erklärt ein Kommentator von Tele-Exprés, "la mejor [novela] es aquella que se pregunta por los problemas que acucian a los hombres de un pueblo o todo un continente, sin ninguna concesión a la decadente y peligrosa doctrina del arte por el arte"723 - doch an gleicher Stelle kann Pascal Maistretta ein Jahr später am Beispiel García Márquez' behaupten: "la novela no tiene por qué mantener tesis explícitas".724 Ähnliches lässt sich vor allem auch für Papeles de Son Armadans konstatieren, wo selbst ein Autor wie Cabrera Infante und dessen Roman Tres tristes tigres über den Leisten des kritischen Realismus geschlagen werden. Rezipierte Texte werden in den Papeles auf ihre Möglichkeit geprüft, eine gesellschaftliche Alternative aufzuzeigen, die, entsprechend der gemäßigt politischen Ausrichtung dieser Zeitschrift, meist auf der Ebene des Moralischen angesiedelt ist.725 Die realistische Lesart unterstreicht die Abbildfunktion des Textes, was im Beispiel von Cabrera Infante oder Vargas Llosa {La ciudad y los perros) dazu führt, die Erzählsprache als getreue Reproduktion eines bestimmten Soziolekts zu würdigen, nicht jedoch als Medium einer grundlegenden Veränderung der spanischen Literatursprache. Erst um 1966 kündigt sich in diesen Publikationen generell der Einfluss einer auch formbezogenen Textbetrachtung an.726 Die in den Paratexten Seix Barrais als innovativ geadelten Werke erhalten z.T. bereits vorher schon eine differenzierte Betrachtung. Los albañiles wird in Informaciones als spezifische Darstellung sozialer Erfahrung gewertet, die nicht als die eines Kollektivs, sondern als die des Individuums gegenüber der Gesellschaft formuliert sei. Die kryptische Interpretation des Textes als sozial und doch nicht sozial - im Sinne von "socialista" - kommt dem Duktus des verlegerischen Umschlagtextes ("análisis no sociológico", s.o.) sehr nahe. Gleichzeitig wird dem Text jede politische Transzendenz entzogen. Pese a su título [...] no podría calificarse de obra social. Los albañiles [...] [n]o encarnarán como tal grupo un conflicto colectivo consecuencia de una determinada situación social, sino que el conflicto se proyectará en un mundo cerrado, sobre cada hombre frente a sí 722 723 724 725

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Jorge Campos: "Novelas e ideas de Rosario Castellanos", Insula 211 (Juni 1964), S. 11. Campos schreibt u.a. über Fuentes, Rulfo, Spota und Yáftez. "Asturias, Premio Nobel", Tele-Exprés, 19.10.1967, S. 1 ; Hervorhebung von B.P. Pascal Maistretta: "Cien años de soledad", Tele-Exprés, 28.11.1968, S. 16-17, hier: 17 "Esta primacía otorgada a la creación literaria como interpretación (crítica) de la realidad, se hace patente [...] aún en casos tan dispares como Juan Rulfo y Guillermo Cabrera Infante." (Gras 1996: 81). Diesen Befund ermitteln Prats (1995), Gracia (1996) und Gras (1996) weitgehend ähnlich für Cuadernos Hispanoamericanos,

Insula und Papeles de Son Armadans.

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mismo y frente a los demás. [...] No en cuanto lucha o conflicto, porque el conflicto es otro, está pluralmente interiorizado. El grupo humano está visto en sus individuos, pero es un grupo marcado. La personalización nos conduce a agruparlos bajo el signo de una constante. He aquí patente ya el factor social, la influencia de una organización en el hombre, en estos hombres de Vicente Leñero.727 Anders wiederum verfahrt Jorge Campos, der an einem Roman wie La casa verde, obwohl es ihm in erster Linie unter erzähltechnischen Gesichtspunkten von Interesse scheint, das gesellschaftskritische Potenzial hervorhebt: "No son la denuncia social, ni el testimonio escueto sus [i.e. Vargas Llosa] propósitos fundamentales, pero la aparición de los indígenas y su encuentro con el mundo de los blancos ofrecen una triste realidad, no por escueta, menos acusadora." 728 Exotismus Problematisch stellt sich die Vermittlung in Rezensionen dar, die eine grundsätzliche Differenz zwischen lateinamerikanischem Text und spanischem (Kon)Text herstellen. Manche lateinamerikanische Texte werden völlig auf ihre regionalistische Authentizität reduziert. Zwei bei Destino publizierte Romane der kolumbianischen Violencia, Manuel Mejía Vallejos El día señalado und Eduardo Caballero Calderóns Manuel Pacho, werden in Informaciones über ihren lateinamerikanischen Realitätsbezug rezipiert. Bei Mejía Vallejo greift die Rezensentin zunächst zu namhaften Vergleichen (Faulkner, Valle-Inclán), ehe der Text als Antwort auf eine "realidad histórica que tiene como protagonista la violencia" beschrieben wird, eine Gewalt freilich, die in der literarisch inspirierenden "elemental realidad" Kolumbiens verortet sei. Manuel Pacho gilt ihr als regionalistischer, fast costumbristischer Roman, der durch die "autenticidad" der Menschenzeichnung und der Sprache interessiere.729 Ein anderer Kritiker kategorisiert Manuel Pacho als "relato realista, de pasiones elementales, salvajes casi", in dem eine naturgetreue Darstellung kolumbianischer Realität geleistet werde.730

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Concha Castroviejo: "Mundo cerrado. Vicente Leñero: 'Los albañiles'. Seix Barrai. Barcelona", Informaciones (12.12.1964), S. 13. Ähnlich bemüht sich der knappe Kommentar in Destino, vielleicht unter Wiedergabe einer Pressemitteilung des Verlags, auf die Qualitäten dieses Romans hinzuweisen, der "komplexer" als eine novela social gestaltet sei: "El título de la obra: 'Los albañiles', sin que el título equivalga a una novela social. Parece que es más compleja que todo ello." ("Los premios literarios", Destino 1375 (14.12.1963), S. 56). Die zeitgleiche Veröffentlichung gleich zweier Rezensionen in Insula bezeugt die diesem Werk beigemessene Bedeutung. José Domingo: "Crónica de Novela. Vargas Llosa, Gabriel Celaya" Insula 235 (Juni 1966), S. 6; Jorge Campos: '"La Casa Verde', de Mario Vargas Llosa", ebd., S. 7. Concha Castroviejo: "La lucidez del mundo de los sueños. Manuel Mejía Vallejo: 'El día señalado'. Destino. Barcelona", Informaciones (25.4.1964), S. 14; dies.: "El hombre en su escenario. 'Manuel Pacho'. Destino. Barcelona", Informaciones (28.1.1967).

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Das allgemeine Lob der lateinamerikanischen Texte motiviert zuweilen eine gleichzeitige Abrechnung mit der eigenen Literatur, deren eindeutige politische Aussagen als unzeitgemäße Agitation abgelehnt werden. Eine solche Interpretation ist einer Bilanz vom September 1967, publiziert in der vom INLE herausgegebenen Zeitschrift El Libro Español, zu entnehmen, die lateinamerikanische gegen spanische Autoren ausspielt.73' Letztere pflegten eine nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich fragwürdige "seudonovela", die als ökonomisches und politisches Manöver entlarvt wird. Der Rezensent antizipiert bereits eine pejorative Verwendung der hier auf Spanien gemünzten - Vokabel "boom": Una industria editorial basada en la proliferación de los premios y su "boom" y otra no menos industria de postura político-social de los autores venía ocultando que en el centro que escondían todos esos paravanes, existía muy poca novela auténtica.732

Die fehlende Authentizität des spanischen Gegenwartsromans fuhrt Valencia, darin konform mit Goytisolo oder Barral, auf die beharrliche Schilderung einer "mala calidad social" (ebd.) zurück, die in dieser Form nicht mehr existiere; literarische Qualität sei politischer Agitation gewichen. Dagegen lobt der Autor den "americanismo" der Vargas Llosa, Caballero Calderón und Carpentier und deren "autenticidad", ergänzt um eine an internationalen Vorbildern geschulte moderne Ästhetik: Aparte de sus destrezas formales que demuestran que pocos autores mundiales de primera línea les son ajenos [...] la nota de fidelidad a sus ambientes y a sus temas les ha conferido una autenticidad y una fuerza que les ha abierto los caminos del éxito constituyendo un ejemplo que es de esperar sea fecundo. 733

In anderen Passagen seiner Argumentation entsorgt der Rezensent den Begriff des Sozialen zugunsten eines exotistischen Verständnisses von authentischer Milieuschilderung, wie es in der formelhaften Charakterisierung des erwähnten Romans Manuel Pacho (Caballero Calderón) als "violento y atractivo relato costumbrista de los Llanos" (691) anklingt. Die "fidelidad" zur regionalistischen Tradition Lateinamerikas wird als Gegensatz zur "postura político-social", zum literarischen "agitprop" (695) der spanischen Schriftsteller gepriesen, denen eben nicht an einer angemessenen Realitätsabbildung des sich modernisierenden Spanien gelegen sei. In dieser Zuspitzung werden konservative Interessen bedient, die dem als kommunistisch diffamierten Sozialrealismus seine Berechtigung absprechen und die lateinamerikanische Literatur, wie Jahre zuvor die angloamerikanische (siehe 2.3), als willkommene Alternative preisen. Als Gegenstück, weniger als modernisierte Fortsetzung des spanischen Sozialrealismus interpretiert, aktualisieren signifikante Werke wie La casa verde, El siglo de las luces oder - später - Cien años de soledad

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'"Manuel Pacho'", Tele-Exprés (3.11.1966), S. 14. Antonio Valencia: "La novela española de 1966 con hispanoamericanos en vanguardia", El Libro Español 117 (September 1967), S. 691-98. Valencia, "Novela española", El Libro Español 117 (September 1967), S. 693. Valencia, "Novela española", El Libro Español 117 (September 1967), S. 693f.

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in einer solchen Perspektive eine exotische Vorstellungswelt, in der der bürgerliche Leser der 60er Jahre seine eigenen Vorurteile bestätigt sieht: Lateinamerika als ein Kontinent der "crueldad, violencia", der Revolutionen, der zur Hervorbringung attraktiver Erzählungen, nicht aber nachahmbarer Gesellschaftsmodelle dient. Die bei Seix Banal publizierten Titel bieten sich im Gegensatz zu den erwähnten Publikationen Destinos weniger für einen Vermittlungsdiskurs der Differenz an. Bei Alejo Carpentiers El reino de este mundo, 1967 bei Seix Barrai erschienen, wiederholt sich die im Fall Manuel Zapata Olivellas beobachtete Fremdsetzung des Karibischen über eine Isotopie +[barbarisch] ("alucinante relato", "mundo de pasiones", "elementos casi salvajes de una isla antillana"). Carpentiers Roman wird, in gewisser Übereinstimmung mit dem Originalprolog von 1942 - der allerdings nicht mitpubliziert wird - eher als exotischer denn als universale Gültigkeit beanspruchender Text charakterisiert: [E]s un alucinante relato en la aventurosa corte real haitiana de Henry Christophe. Un mundo de pasiones que se desenvuelven en medio de la feroz caricatura de los fastos de la corte bonapartista construida con los elementos casi salvajes de una isla antillana en la que la tiranía ha brutalmente cambiado de nombre y en la que los ecos del tam-tam repercuten en el latón de los uniformes y en las borlas de las mitras bordadas de fingidos obispos. 734

Nach den Informationen des Waschzettels ist Carpentiers Roman vor allem als historischer Roman attraktiv, denn er vermittle die "revelación de un mundo exótico y de una zona mal conocida de la historia".735 Jeglicher Hinweis auf mögliche zeitnahe Interpretationen fehlt. Eine solche Zurückhaltung kann durchaus politischer Vorsicht geschuldet sein. Der Paratext zu Cenizas de Izalco (Darwin Flakoll/Claribel Alegría, 1966) blendet die konkret geschilderte Realität aus: Der Roman thematisiert aus der Perspektive der in die USA emigrierten Erzählerin die politische Repression in El Salvador, als deren Beispiel das Massaker an der Landbevölkerung von Izalco dient. Im Waschzettel zum Roman wird lediglich ein exotistischer Jargon angeschlagen: La obra En CENIZAS DE IZALCO [...] [se] pone ante nuestros ojos la más íntima textura de la vida en una pequeña ciudad provinciana alejada, que a todos parecería tranquila y casi dormida, y en la que, en cambio, las crispaciones de la pasión y de la violencia se dan con inusitada fuerza. El libro nos da con una viveza extraordinaria el sentimiento de esas fisuras profundas que se producen bajo la inercia aparente. [...] Atractivo del libro Una Centroamérica de tímidos amores culpables y de una brutalidad casi inconcebible. 736

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Hervorhebungen von B.P. Seix Barrai, Pressemappe "Novedades", 1966/67, ABC AS. Seix Barrai, Pressemappe "Novedades", 1966/67, ABC AS. Hervorhebungen im Original.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

Vermittlung und die Frage der

Nationalliteratur

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Die spanische Rezeption des lateinamerikanischen Romans motiviert darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit den Grenzen und der Überlegenheit der eigenen Nationalliteratur. Im Zusammenhang mit der Einschreibung der lateinamerikanischen Texte in ein spanienspezifisches Interpretationsschema des kritischen Realismus stellt sich für viele Rezensenten die Frage der nationalen Zuordnung der vermittelten Literatur. Positionen der Einbürgerung und Abgrenzung werden gleichermaßen vertreten. Eine eventuell konstatierte formale und thematische Differenz wird nun (häufig, nicht generell) als Bereicherung einer gesamten Literatur spanischer Sprache integriert. Die Offenheit korreliert bei einer Zeitschrift wie Insula mit einem auf Internationalisierung und Wiederversöhnung mit dem lateinamerikanischen Exil ausgerichteten Denken. Die Rezipienten der spanischen Feuilletons konstatieren eine Veränderung des spanisch-lateinamerikanischen Literaturaustausches. Nicht selten wird in diesem Zusammenhang ein panhispanistischer Duktus angeschlagen, der die Aneignung des Fremden als kulturelle Auffrischung, aber auch als Fortführung der eigenen Tradition innerhalb der Comunidad Hispánica versteht: "Es un nuevo aire que nos llega de retorno de los países americanos. Es el eco de nuestro propio idioma. Es el lenguaje que se renueva para no morir." 737 Die lateinamerikanische Literatur gründet sich auf das Kastilische, auf die Akkulturation des Kontinents im Zuge der Eroberung. Gern verweisen Rezensenten auf spanische Vorgänger wie Valle-Inclán, über die die Leistung der fremden Autoren in das nationale Erbe eingereiht wird.738 Bei J.R. Masoliver heißt es demzufolge, dass man in Spanien die lateinamerikanische Literatur anders aufnehme - "siempre con ojos y talante completamente distintos" als z.B. in Frankreich: "sin grandes palabras ni patrioterías, con sencillez, al ser algo también nuestro, real y existente, nos sentiremos unidos como con algo nuestro." 739 Eine bezeichnende Aneignung vollziehen die Kommentare des Tele-Exprés zu Vargas Llosas Triumphzug des Jahres 1967. Während die Reportage zur Verleihung des Premio de la Crítica den Schriftsteller als "hombre esencialmente europeo ya" charakterisiert - in Bezug auf seine Rezeption gilt er in der vier Monate später erschienenen Meldung zum Premio Rómulo Gallegos bereits als "casi español por adopción". 740 Das Attribut bildet keinesfalls eine Ausnahme, sondern ein Grundmodell für die Einschreibung verschiedener ßoom-Autoren in die eine Gemeinschaft der spanischsprachigen Literatur, wie sie schließlich auch von Barrai verfochten wird (siehe 5.4).

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738 739 740

Joaquín Garrigues Walker: "Sobre el arte de escribir y el oficio de leer", ABC/El Mirador, 22.4.1971, S. 4. Vgl. die erwähnte Rezension von Concha Castroviejo zu El día señalado. J. R. Masoliver: "Manuel Mejía Vallejo. Premio 'Nadal'", Insula 210 (Mai 1964), S. 4. "Otra vez Vargas Llosa", Tele-Exprés (12.4.1967); "Nueva actualidad de Mario Vargas Llosa", Tele-Exprés (4.8.1967).

224

Burkhard Pohl

Andererseits gibt es auch Vorbehalte. Diese zeigen sich z.B. gegenüber dem Spanisch aus Übersee, das als gar zu sehr von der kastilischen Norm abweichend empfunden wird. Dem Kritiker José Domingo liefert La casa verde einen Beleg für die literarische und sprachliche Emanzipation Lateinamerikas, deren "particularidades lingüísticas" anzuerkennen und dem spanischen Kastilisch als gleichwertig zu betrachten seien. Wohlgemerkt, die Anerkennung der Abweichungen von der Sprachnorm seien wegen der "invasión lingüística - no limitada sólo al campo de la novela" gezwungenerweise zu legitimieren, und könnten nur durch eine, derzeit allerdings nicht zu spürende "influencia cultural española indiscutible" im lateinamerikanischen Sprachraum kompensiert werden.741 Linguistische und ideologische Vorurteile werden erst allmählich aufgegeben und leben, unter veränderten Vorzeichen, in den Attacken auf den Boom um 1970 noch einmal auf (siehe 5.3.4). Die Untersuchung des Vermittlungsdiskurses der 60er Jahre hat gezeigt, dass lateinamerikanische Texte von einem großen Teil der Verlagsparatexte und Rezensenten als gesellschaftskritische Testimonien gelesen und damit in das antifranquistische Selbstverständnis der Nationalliteratur eingebettet wurden: "En este primer momento, la novela hispanoamericana se asumió como una parte de este entramado de la cultura resistente [...]." (Prats 1995: 643). Die lateinamerikanische Literatur stellt in dieser Lesart das funktionale Äquivalent - in politisch-moralischer Intention, Inhalt und Engagement - des bald als obsolet erklärten realismo social dar. Indes lässt sich diese Feststellung nicht ganz verallgemeinern, sondern trifft in erster Linie auf das Umfeld der dissidenten Literatur selbst zu. In der Wahrnehmung einer ästhetischen Differenz stellen andere Rezensenten die Legitimität der eigenen widerständigen Kultur vielmehr auch in Frage. Erst mit zunehmender Desavouierung der realistischen Ästhetik und der Idee des schriftstellerischen Engagements setzt sich ein primär an der Form interessierter Vermittlungsdiskurs durch, der im Gefolge des Boom mit einer allmählich kritischeren Sicht auf die lateinamerikanische Konkurrenz einhergeht.742

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Bei aller Aufgeschlossenheit wird nicht nur von diesem Rezensenten eine semantische 'Frontstellung' zwischen ehemaliger Metropole und Kolonien aufgebaut; der oben zitierte Artikel von Valencia bezieht sich mit folgenden Begriffen auf die lateinamerikanische Literatur: "invasión", "triunfadores hispanoamericanos", "conquista", "oleada" (Valencia, "Novela española", El Libro Español 117 (September 1967), S. 692). Dieser Aspekt wird detaillierter in Kap. 5.3 behandelt.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien

(1959-67)

4.5

Marktperspektiven der lateinamerikanischen Literatur

4.5.1

La ciudad y los perros als Wendepunkt in Seix Barrais Verlagspolitik

225

Die Bedeutung von Mario Vargas Llosas La ciudad y los perros für die Programmpolitik Seix Barrais (und für den Boom insgesamt) ist kaum zu unterschätzen. Die ungewohnt einstimmige Entscheidung der Jury des Premio Biblioteca Breve zeigt, welches verlegerische Potenzial in dem Text vermutet wird. Barrais nach eigenem Bekunden eher geringes Interesse an lateinamerikanischer Literatur schlägt durch diesen Roman in Enthusiasmus um. Vorher, so Jaime Salinas, sei Barrai den Texten und Autoren aus Übersee mit Verachtung begegnet: Me sorprendió mucho, cuando conocí a Barral, el enorme desprecio que él tenía por la literatura hispanoamericana; decía que era una literatura de cocoteros y de coroneles [...] cuando se le concede el Premio Biblioteca Breve a Mario Vargas Llosa [...] Barral cambia por completo de actitud y se da cuenta de que tiene que tomarse en serio la literatura his743 panoamencana.

Schon im Vorfeld der durch zensorische Auflagen hinausgezögerten Veröffentlichung von La ciudad y los perros hegt der Verlag hohe Verkaufserwartungen. Nach den kommerziell eher enttäuschenden Preisträgern der Jahre 1960 und 1961 scheint wieder ein Erfolg in Sicht, der sich nicht nur auf den einheimischen Markt beschränkt. Als Finalist des Prix Formentor vom Mai 1963 ist Vargas Llosas Roman bereits den eingeweihten Kreisen in Europa und Lateinamerika bekannt geworden, erste Übersetzungen werden vereinbart. Ein Brief vom Sommer 1963, mit dem Barral gegenüber der Zensur um die endgültige Freigabe des Manuskripts bittet, beweist die Hoffnungen auf eine internationale Vermarktung: Por las razones que le indiqué - retraso inevitable del lanzamiento del libro a título de ganador del Biblioteca Breve, desventaja en la concurrencia con el ganador del Prix Formentor que ha aparecido ya en Francia, impaciencia de la crítica latinoamericana que ya ha hablado de él [...], necesidad de suministrar ejemplares a los traductores extranjeros, etc. - resulta imprescindible lanzar el libro a principios de la próxima temporada, por lo que me he atrevido a dar la orden de impresión sin esperar a tener la definitiva autorización de censura, autorización que considero implícita en nuestras últimas conversacio744 nes.

La ciudad y los perros erscheint schließlich mit den oben erwähnten Vorschusslorbeeren namhafter Kritiker, deren Urteile, allen voran der Prolog José Maria Valverdes, der Erstausgabe beigefügt sind. Die aufwändige Pressearbeit verschafft dem Buch erfolgreiche Publicity. Während die ersten bei Seix Barral erschienenen lateinamerikanischen Texte wenig Resonanz in der Presse erzielten, löst La ciudad y los

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Jaime Salinas, unveröffentlichtes Interview mit Juan Cruz, 1996, zitiert mit freundlicher Genehmigung von Jaime Salinas. Brief Barral an Robles Piquer, 30.7.1963 (AGA, Doss. 1031-63, Fach 14413, Los impostores). Die französische und US-amerikanische Ausgabe erscheinen jeweils 1966.

226

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perros eine regelrechte "orquestación crítica" 745 aus, die sich vor allem auf das Jahr 1964 konzentriert. Von La ciudad y los perros werden nach Verlagsangaben im Jahr 1964 rund 24.000 Exemplare verkauft. Bis Mitte 1969 erreicht der Roman die 9. Auflage in der Originalausgabe. 746 Wenn auch die Auflagen nach heutigem Maßstab nicht exorbitant hoch ausfallen, so verleiht Vargas Llosas Buch der lateinamerikanischen Literatur dennoch ein bisher nicht gekanntes öffentliches Ansehen, das einen Umbruch in der spanischen Rezeption einleitet: Fue una sorpresa muy grande, se habló mucho en los periódicos, pero no eran los tirajes que se hacen ahora, de cien o doscientos mil ejemplares. El éxito, hasta García Márquez, entonces no se medía por ventas de ejemplares, ya por la sorpresa y por el prestigio que adquiría un autor, pero no tanto por la cantidad de libros que vendía. Der Erfolg von La ciudad y los perros, der noch um die außergewöhnliche Verbreitung durch eine peruanische Taschenbuchedition potenziert wird, 748 hat Vorbildfunktion für den künftigen transatlantischen Austausch. Die frühe Vermittlungsarbeit Seix Barrais im Bereich lateinamerikanischer Romane gestaltete sich, anders als die organisierte "operación realismo", eher als eine "unbewusste" (D. Anderson) Strategie der Angebotserweiterung. Unverkennbar ist aber, dass mit dem als Entdekkung gefeierten Erfolg Vargas Llosas sich dieses tastende Vorgehen in eine bewusste Anwerbung und Promotion lateinamerikanischer Literatur wandelt. 749 Wenn José Miguel Oviedo im Fall von La ciudad y los perros von einem "'lanzamiento' no [...], realmente, calculado" spricht (Oviedo 1977: 34), so trifft dies deshalb eher auf die Auswahl des Manuskripts zu. Wie die hier umrissene Vorgeschichte der endgültigen Publikation im Oktober 1963 zeigt, kalkuliert der Verlag zu diesem Zeitpunkt sehr wohl mit besonderen Einnahmen, und als La ciudad y los perros diese Erwartungen über Maßen erfüllt, ist die Prämierung weiterer lateinamerikanischer Romane eine verlagsökonomische Notwendigkeit. 745 746

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749

Prats (1995: 237). Zur Rezeption und zum Prolog Valverdes, siehe 4.4. Die erste Angabe entnehme ich einem undatierten Programmentwurf Seix Barrais für das Jahr 1965 (AB). Rosa Regás, Interview mit B.P., 18.11.1997. Während Seix Barrai von Vargas Llosas Titel zunächst 1.000 Exemplare exportiert, publiziert der Schriftsteller und Verleger Manuel Scorza 1964 eine Großauflage in der Reihe Populibros Peruanos (Angaben nach Gras 2000: 131-43; vgl. auch Gras 2000a). Nur so ist wohl die Verlagsangabe "125.000 ejemplares impresos en lengua castellana" vom Dezember 1963 zu verstehen (Klappentext zu Colette Audry, Detrás de la bañera, Seix Barrai 1963). Das mit der Vermittlung Vargas Llosas verbundene Prestige lässt sich daran ermessen, dass mindestens drei Protagonisten die Meriten für die Entdeckung des Autors beansprucht haben: Claude Couffon als Vermittler von Paris nach Barcelona (siehe 4.1.), Luis Goytisolo als erster spanischer Lektor für das Komitee Seix Barrais, Carlos Barral als entscheidungsbefugter Verleger (Couffon 1971: 300; Barral 1988: 87; Luis Goytisolo bei Tola de Habich/Grieve 1972: 176; vgl. zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte des

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

4.5.2

Literatur in Spanien (1959-67)

227

Boom und soziokultureller Aufschwung in Lateinamerika

Der Boom ist zunächst in Lateinamerika auszumachen und äußert sich in den "Publikationen vieler wichtiger Romane reifer und jüngerer Autoren [...], die mit einer größeren Aufnahme zu Hause und internationaler Aufmerksamkeit und Anerkennung zusammenfielen" (Wiese 1992: 39). Dieser Aufschwung der einheimischen Literaturen beginnt in Lateinamerika Ende der 50er Jahre. Grundlage ist das Vorhandensein eines an nationaler Literatur interessierten, genügend gebildeten Lesepublikums, das sich um die Jahrzehntwende wesentlich ausweitet. Die zeitgenössische Rezeption der literarischen Produkte wird durch spezifische soziokulturelle Entwicklungen begünstigt. Im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung und bildungspolitischer Verbesserungen seit den 40er Jahren ist in ganz Lateinamerika bis Anfang der 60er Jahre eine Generation bürgerlicher "neo-lectores" herangewachsen.750 Dieses neue Publikum assimiliert unter dem Einfluss der Kubanischen Revolution die nationalen Literaturen als Teil einer kollektiven Identitätssuche, in deren Verlauf unterschiedliche politische Optionen formuliert werden (Rama 1981: 62f.). Die Herausbildung größerer Leserschichten für eine einheimische Literatur vollzieht sich in Interdependenz mit der Professionalisierung des Kulturbetriebes von Presse, Verlag und Universität in den lateinamerikanischen Metropolen.751 Neue Vermarktungssysteme und Formate tragen außerdem dazu bei, Bücher breiteren Bevölkerungsschichten verfugbar machen. Das neue Rezeptionsinteresse an nationalen Literaturen und Themen kündigt sich bereits in den hohen Umsätzen an, die Ende der 50er Jahre in Peru, Uruguay oder Argentinien mit preiswerten Buchformaten erreicht werden und die die späteren Auflagensteigerungen etwa eines Julio Cortázar bei Sudamericana deutlich in den Schatten stellen. Am lateinamerikanischen Markt existieren schon vor dem Boom Bestseller, die auf ein potenzielles Massenpublikum - "mercado[s] ignorado[s]" (Castro/Campos 1983: 328) - hinweisen, das nicht erst durch García Márquez geschaffen wird. Es handelt sich hier um eine spezifisch 'populäre' Diffusion an ein erweitertes lesekundiges Publikum durch die preisgünstigen Ausgaben von Verlagen wie EUDEBA bzw. CEAL in Argentinien (s.u.) oder Alfa in Uruguay (Rivera 1998: 135). Von Peru aus startet der spätere Schriftsteller Manuel Scorza 1956 eine durch Werbemittel gesponserte, als Festival del Libro inszenierte Taschenbuchreihe, die enorme Verkaufszahlen erlangt und zunächst nationale, später auch internationale Klassiker und zeitgenössische Texte

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Romans Vargas Llosa 1985: 14f. und Oviedo 1977: 33f.). Rivera (1998: 143f.). Rivera terminiert die verlegerische Hochphase argentinischer Literatur auf die Jahre 1962-68. Rama (1981: 66-71), Wiese (1992: 39-47), Rivera (1998: 136-49). In Argentinien z.B. spielt die Literaturbeilage der 1962 gegründeten Wochenzeitung Primera Plana eine bedeutende Rolle bei der Promotion der neuen einheimischen Schriftsteller (Rama 1981: 57, Altamirano/Sarlo 1983: 95, Rivera 1998: 144).

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vermarktet (Gras 2000). Diese Käuferschicht erreichen ebenfalls die unzähligen Schwarzdrucke, die zwar ein dauerhaftes Beschwernis für nationale und internationale Verlage bedeuten, jedoch häufig überhaupt erst die Verfügbarkeit eines Buches vor Ort ermöglichen.752 Die vornehmlich durch Gelder der Nationaluniversität finanzierte EUDEBA (Editorial Universitaria de Buenos Aires, ab 1958) führt unter ihrem Leiter Boris Spivakov Taschenbuchausgaben auf dem argentinischen Markt ein und macht damit, Jahre vor Alianza in Spanien, Grundlagentexte für die anwachsenden Mittelschichten in hohen Auflagen und günstigen Preisen zugänglich. Nachdem das Regime Ongania die staatlichen Universitäten ihrer Autonomie beraubt und damit auch Einfluss auf die Verlagspolitik von EUDEBA zu nehmen droht, verlassen Spivakov und seine Equipe 1966 den Verlag und gründen den Centro Editor de América Latina (CEAL), der trotz politischer Zensur die vorigen Tendenzen weiterverfolgt.753 Aus Spanien exportierte Bücher können preislich und nach Auflagen nicht mit denen der Taschenbuchreihen konkurrieren: Vargas Llosa wird, wie gezeigt, in seinem Heimatland Peru vor allem über die Populibros Peruanos bekannt gemacht (siehe 4.5.1). Im Laufe der 60er Jahre erweitern sich für lateinamerikanische Schriftsteller zuerst allmählich, schließlich schlagartig die Publikationsmöglichkeiten. Der Fondo de Cultura Económica (FCE) ergänzt seine Taschenbuchausgabe {Colección Popular) um mexikanische Autoren, die bislang in weniger auflagenstarken Reihen erschienen waren.754 In Mexiko fordern neue Verlage das Quasi-Monopol des FCE heraus. 1960 entsteht Era,755 1962 Joaquín Mortiz, gegründet von dem spanischen Exilanten Joaquín Diez-Canedo. Anfang 1966 sorgt eine beispiellose mexikanische und internationale Unterstützerinitiative für die finanzielle Basis, auf der der vom FCE entlassene Arnaldo Orfila den Verlag Siglo XXI ins Leben ruft und bis 1974 bereits um 752

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"Schwierigkeiten der Verlage, Publikationsrechte zu bezahlen oder Lizenzen zu erhalten, und unzureichende gesetzliche Grundlagen zum Schutz der Verlags- und Autorenrechte oder das Unvermögen des Staates, diese durchzusetzen, begünstigten die große Verbreitung des Piratdrucks in Lateinamerika [...]." (Ille 1986: 293). Lagarde (1980: 71). EUDEBA schafft ein eigenes Netz von rund 100 Verkaufsstellen in Form von Kiosken, das es ermöglicht, in sieben Jahren ca. 800 Bücher in insgesamt 11,5 Mio Exemplaren zu publizieren. Zu EUDEBA vgl. Rivera (1998: 135f.) und Horacio D. Rodríguez: "EUDEBA y la crisis universitaria argentina", Mundo Nuevo 5 (November 1966), S. 91-94. Rama (1981: 70) beziffert die Auflagen der Colección Popular auf 15.000 Exemplare. Era publiziert zunächst mit wenig kommerziellem Erfolg französische und andere europäische Literatur (Biblioteca Era), vor allem aber die Reihe Ancho Mundo, in der u.a. Schriften zum Spanischen Bürgerkrieg erscheinen und die auch auf eine Rezeption in Spanien kalkuliert ist: "Sí, otra de las líneas que seguimos fue publicar lo que no podía editarse en España sobre la guerra civil española, publicarlo en México y tratar también de hacerlo llegar allá. Al principio era difícil, pero con el tiempo fueron entrando los libros." (Villegas/Uribe 1995: 7). In der Reihe Alacena gelingt es dem Verlag ab Mitte der 60er Jahre, auch mexikanische und lateinamerikanische Autoren zu veröffentlichen (Fuentes, Monsiváis, Lezama Lima, usw.).

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67)

229

die 500 Titel produziert.756 Infrastrukturelle Verbesserungen im Vertrieb - der FCE errichtet 1963 eine eigene Filiale in Spanien, später auch Siglo XXI - verbessern die Chancen für eine internationale Rezeption. Während aber vormals internationale Autoren die Verlagsprogramme dominierten, nehmen diese Verlage nun in mehr oder weniger großem Umfang nationale und lateinamerikanische Autoren ins Programm. Gleiches gilt für Sudamericana, Fabril oder Losada in Argentinien. 757 Das Beispiel Sudamericana ist illustrativ für den gleichzeitigen Wandel von Angebot und Nachfrage: Der Verlag stellt in der ersten Hälfte der 60er Jahre sein Programm auf argentinische und lateinamerikanische Autoren um (Cortázar, García Márquez, Mujica Laínez, Sábato) und wird zu einem der wichtigsten Verleger von Autoren des inneramerikanischen und internationalen Boom. Nach eigener Aussage reagiert der Verlag damit auf das Aufkommen eines neuen kulturellen Selbstbewusstseins in der Leserschaft. Francisco Porrúa, von 1962-70 literarischer Leiter bei Sudamericana,758 insistiert heute auf der "complicidad colectiva" und der "red de entusiasmos literarios y artísticos"759 im Buenos Aires der 60er Jahre, die als eigentliche Triebkräfte des Boom der nationalen argentinischen Literatur gewirkt hätten. Die argentinischen Verleger, allen voran er selbst, seien weniger Anstifter als Nutznießer dieser Phänomene gewesen: [El Boom] era un fenómeno que apareció en toda Latinoamérica, y no tuvo nada que ver con los editores. Yo lo considero como una toma de conciencia, de un modo de mirarse a sí mismo diferente, sobre todo entre la juventud sudamericana, que de pronto sintió que podían escribir una literatura de la misma calidad que la literatura europea, una literatura genéricamente nacional. Un sociólogo puede investigar en el asunto de qué pasaba con las economías de los diferentes países, de las diferentes políticas, pero del punto de vista de 756

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Orfila hatte die Übersetzung von The Children of Sánchez, verfasst vom US-amerikanischen Anthropologen Oscar Lewis, für den FCE in Auftrag gegeben. Das Buch löste einen Skandal aus und wurde von der mexikanischen Regierung verboten; Orfila wurde im November 1965 über Nacht seiner Geschäftsführung enthoben (Concepción Zea Abdelnur: "Las actividades de Siglo XXI Editores." Informe presentado en el Seminario Latinoamericano "La Acción del libro en los procesos de cambio en América Latina", 24.30.11.1974, México D.F., Manuskript 5 Seiten, ABCAS). Rama (1981: 70) würdigt vor allem die innovative Rolle von Fabril in Buenos Aires; ferner erwähnt er die Verlage Jorge Alvarez, La Flor, Galerna (Argentinien), Nascimiento, Zig-Zag (Chile), Monte Avila (Venezuela), Alfa, Area (Uruguay), schließlich Seix Barral, Lumen, Anagrama (Spanien). Unter dem Aspekt der internationalen Literaturvermittlung ist Ramas Auswahl zumindest im Bereich der spanischen Verlage angreifbar (siehe die Übersicht in 4.3.1). Porrúa gründet 1955 den auf phantastische bzw. "science-fiction"-Literatur spezialisierten Verlag Minotauro, den er nach seiner Emigration 1977 in Barcelona weiterführt. Ab 1958 arbeitet Porrúa als literarischer Berater bei Sudamericana, 1962 wird er literarischer Direktor und behält diese Stellung bis 1970. Porrúa ist zuständig für junge bzw. zeitgenössische Autoren und damit verantwortlich für die Publikation der Titel von Cortázar (ab Los premios), Sábato oder García Márquez. Tomás Eloy Martínez: "El padre del Boom. Paco Porrúa, el más legendario editor argentino", Página 12/Primer Plano (16.10.1994), S. 1-3 u. 8, hier: 2.

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Burkhard Pohl un editor lo único que se vio fue que una gran masa de lectores de pronto empezaban a leer libros nacionales.760

Auf der anderen Seite bemüht sich Porrúa aktiv um die Publikation einiger Texte Cortázars und um die 'Wiederentdeckung' vernachlässigter Autoren aus der eigenen Backlist (Marechal, Onetti).761 In einem zeitgenössischen Interview betont Porrúas Kollege Fernando Vidal Buzzi, seit 1965 zweiter Verlagsleiter bei Sudamericana, die dezidierte Öffentlichkeitsarbeit für bestimmte nationale Autoren: [E]stamos [...] tratando de crear, de interesar el público en los autores argentinos. La reiteración constante de nombres nuevos, la promoción de figuras nuevas, va poco a poco creando [...] un tipo de mentalidad distinto [...].762 Nicht nur die nationalen Marktbedingungen, auch der transnationale Literaturaustausch zwischen den lateinamerikanischen Metropolen verbessert sich. Kuba wird nach 1959 zu einer neuen internationalen Vermittlungsstelle lateinamerikanischer Literatur und ist zugleich ein kulturelles Zentrum und ideologischer Ausstrahlungspunkt. Die jährlich verliehenen Preise der Casa de las Américas informieren wie kein anderer internationaler Wettbewerb über das Angebot neuer lateinamerikanischer Literatur aller Genres. Unter der Revolution gegründete staatliche Literaturverlage und -Zeitschriften widmen sich programmatisch der Förderung von Editionen kubanischer und lateinamerikanischer Texte, die unter der überdurchschnittlich alphabetisierten Bevölkerung in hohen Auflagen zirkulieren. Als Absatzmarkt für ausländische Buchimporte besitzt Kuba aufgrund seines Devisenmangels allerdings wenig Relevanz. 763 Ein weiteres Beispiel ist Venezuela, dessen demokratisches System und wirtschaftliche Blüte dazu verhelfen, Caracas zu einem inneramerikanischen literarischen Zentrum zu machen; wichtigste Akzente setzen die Verleihung des Premio Rómulo Gallegos ab 1962 und die Gründung des staatseigenen Verlags Monte Avila im Jahre 1968. Von 1958 bis zur Abwertung des Bolívar 1983 ist Venezuela ein wichtiger Partner im internationalen Buchhandel und entwickelt sich mit dem Ölschock von 1973 sogar zum vorübergehenden Hauptimporteur spanischer Verlagsprodukte.764 760 761

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Francisco Porrúa, Interview mit B.P., 15.4.1998. Hervorhebung von B.P. Francisco Porrúa, Interview mit B.P., 15.4.1998. Sudamericana bringt 1966 den fast vergessenen Roman Adán Buenosayres (1948) von Leopoldo Marechal neu heraus, der nun bis 1970 einschließlich jährliche Nachauflagen von 10.000 Exemplaren erhält (Rama 1981: 90). César Fernández Moreno: "Un libro por día", Mundo Nuevo 14 (August 1967), S. 61-69, hier: 67. Angesichts der früheren vornehmlichen Auslandsorientierung nationaler Verlage erscheint es mir höchst fragwürdig, die Verlagspolitik Sudamericanas ab 1965 despektierlich als "politique inflationniste de romans pour exploiter la vague du boom" (Lagarde 1980: 64) zu bezeichnen. Eine ausfuhrliche Darstellung zum kubanischen Literaturmarkt bei Smorkaloff (1997); vgl. auch Dill/Ille (1986). Spanien macht 1982 allein 51,5% der venezolanischen Buchimporte aus. Venezuela fördert den Handel durch die 1975 erfolgte Streichung der Buchimportzölle (López

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

(1959-67)

231

Differenzierungen sind bei der Rede vom Marktphänomen Boom allerdings angebracht. In der Tat stellen die Schnelligkeit, mit der international Übersetzungen der einschlägigen Autoren erscheinen, sowie die Intensität der Nachfrage nach einheimischer Literatur ein Novum für die lateinamerikanischen Märkte dar. Nach Castro/Campos (1983) ist die Professionalisierung des literarischen Marktes als Kulturindustrie aber eher als Teil eines international gleichzeitig stattfindenden Prozesses zu werten, als dass es sich um eine genuin lateinamerikanische Hochphase handle (Castro/Campos 1983: 331). Die tatsächlich erzielten Verkäufe beschränken sich auf wenige Bestseller - allen voran García Márquez - , daneben ist ein relativer Anstieg der Verkäufe vormals unbekannter Autoren und bestimmter literarischer Genres zu verzeichnen. Augenfälliges Beispiel ist der von Angel Rama analysierte Verkaufsanstieg der Werke Julio Cortázars, dessen Auflagen allein beim Verlag Sudamericana, nach einem Höhepunkt 1968/69 mit insgesamt fast 100.000 aufgelegten Exemplaren, ab 1970 noch 10.000 Exemplare pro Titel und Jahr erreichen.765 Mit der Reduktion auf wenige Autoren ist aber die Ausweitung der Nachfrage gerade auf internationaler Ebene nur eine vorübergehende: "Si se trata de responder a la pregunta de la creación de amplios mercados nacionales e internacionales para textos latinoamericanos, creo que la respuesta va hacia la negativa. Los casos del 'boom' son excepcionales y no normativos."766

4.5.3

Seix Barrais Vertriebsstrategien für Lateinamerika

Wie zuvor erwähnt (3.2), wendet Seix Barrai eine Doppelstrategie an, um sich auf den mittel- und südamerikanischen Märkten zu behaupten: die innerhalb des Subkontinents vorwiegend in nationalen Grenzen operierenden südamerikanischen Verlage a) durch eine flächendeckende, kontinentale Expansion zu überholen und b) dabei Nischen in deren Verlagsprogrammen auszunutzen.767 Anfang der 60er Jahre hat Seix Barrai die materiellen Grundlagen für die Umsetzung dieses Vorhabens geschaffen.768 Ein Bestandteil der Lateinamerika-Strategie Seix Barrais ist die Beteiligung am in Mexiko ansässigen Verlag Joaquín Mortiz, durch die man sich einen besseren Zugang zum dortigen wichtigen Exportmarkt erhofft. Carlos Barrai, Victor Seix und

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Alvarez 1991: 163; zu Monte Avila: 145ff.). Rama (1981: 87-89), der die ab 1964 steigenden Verkaufs- und Auflagenzahlen an fünf Büchern Cortázars analysiert. Castro/Campos (1983: 331). Diese Beobachtung trifft zumindest aus der zugrunde liegenden Untersuchungsperspektive der frühen 80er Jahre und vor dem Welterfolg Isabel Allendes zu. Rivera hält die Rede vom Boom angesichts stagnierender Durchschnittsauflagen ebenfalls für übertrieben, konstatiert aber ein nachhaltig wirkendes "positivo interés" seitens der Öffentlichkeit für nationale Autoren (1998: 143). Vgl. 4.3 zum Ausmaß des Boom in Spanien. Vgl. Barral (1978: 139). Siehe 3.4.1 zum Vertrieb in Lateinamerika.

232

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Juan Seix übernehmen gemeinsam 23% der Anteile an Joaquín Mortiz. 769 Die programmatische Nähe beider Verlage ermöglicht eine sowohl technische als auch inhaltliche Zusammenarbeit. 770 Das Abkommen sieht die gegenseitige Distribution im Partnerland vor: Seix Barrai wird die Titel von Mortiz in Spanien, die von Joaquín Diez-Canedo gegründete Firma Avándaro den Bestand der Verlage Seix Barrai, Juventud und Teide in Mexiko vertreiben. Außerdem sollen bei Mortiz verschiedene in Spanien verbotene Titel erscheinen, und selbstverständlich werden, wie im Fall Leñeros (s.o.), Autoren gegenseitig vermittelt.771 Weiterführende Pläne, Autoren auszutauschen und die Publikation zensierter Bücher in gemeinsamen Reihen in Mexiko zu kanalisieren (Barrai 1988: 135), werden nach Seix' Tod nicht mehr ausgeführt; mit einigen Titeln (von José Agustín, Sergio Fernández, Enrique Lafourcade) beteiligt sich Mortiz jedoch an Seix Barrais Nueva Narrativa Hispánica, Seix Barrai wiederum erwirbt einzelne Titel von Mortiz für seine Taschenbuchreihe. 772 Auf dem von nationalen Verlagen dominierten Markt setzt man statt auf direkte Konkurrenz auf Kooperation mit einem Verlag, der ähnlichen Programmstrategien wie den eigenen folgt. Entsprechend publiziert Seix Barrai kaum mexikanische Schriftsteller, die stattdessen über Joaquín Mortiz nach Spanien importiert werden. 773 Seix Barrai kann aus dieser Zusammenarbeit im mittelbaren Bereich der Autorenpflege und des Vertriebs Nutzen ziehen, schafft sich gleichzeitig aber eine Konkurrenz im internationalen Buchmarkt. 774 Dennoch entwickelt sich

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Antoni Comas, Interview mit B.P., 27.2.1999. Vgl. Anderson (1996: 6). Der Kontakt zu Diez-Canedo kommt durch Victor Seix zustande, als dieser den Vertrieb in Mexiko organisiert. Der erste Titel von Joaquín Mortiz erscheint im April 1962 (Agustín Yáflez, Las tierras flacas). Diez-Canedos Strategien ähneln denen Seix Barrais: Das Verlagsprogramm ist auf zeitgenössische Literatur zugeschnitten, darunter Titel junger mexikanischer Autoren (Sainz, Agustín, Elizondo, Garcia Ponce), aber auch anderer Lateinamerikaner (Sarduy, Martínez Moreno, Lafourcade), spanischer Exilanten (Aub, Alberti, Cernuda) sowie bekannter internationaler Autoren (Beckett, Ehrenburg, Grass), die in Reihen wie Novelistas Contemporáneos und Serie del Volador erscheinen. Eine Lyrik-Reihe unter dem bezeichnenden Titel Las dos orillas vereint spanische und mexikanische Autoren. Joaquín Mortiz behauptet damit eine eigenständige Position gegenüber der Konkurrenz der stärker auf nicht-fiktionale Werke ausgerichteten Era, FCE oder Siglo XXI. Nähere Angaben bei Anderson (1996) sowie in den Interviews bei Vargas (1993) und Leyva (1993). Bei Joaquín Mortiz erscheinen z.B. die in Spanien verbotenen Bücher von Carlos Martínez Moreno (La otra mitad), Juan Goytisolo (Señas de identidad), Carlos Fuentes (Cambio de piel) und Alfonso Grosso (El capirote), bei den übersetzten Autoren sind es u.a. die in Spanien verbotenen Titel von Günter Grass (Años de perro; El gato y el ratón) und Mary McCarthy (El grupo). Z.B. Sergio Pitol, Los climas sowie die ersten spanischsprachigen Marcuse-Ausgaben (Eros y civilización', El hombre unidimensional); vgl. 5.1.2. In einer Verlagsanzeige vom Dezember 1963 in Destino - "Seix Barrai presenta en España a la editorial mexicana Joaquín Mortiz" - sind unter den "primeros títulos importados" Werke von Octavio Paz, Agustín Yáflez und Rosario Castellanos erwähnt. "De Joaquín Mortiz, se beneficiaba poco. Se benefició por tener una distribuidora más

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67)

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Mexiko für Seix Barrai zu einem erfolgreichen Markt mit guten Verkäufen fíir "todo lo latinoamericano: era un valor muy sólido, y muchos editores, entre ellos Seix Barral, hicieron una apuesta allí."775 Inhaltlich gilt es für Seix Barral, ein auch in Lateinamerika verkäufliches Angebot präsentieren zu können. In den 50er Jahren hatte der Verlag mit europäischen und US-amerikanischen Titeln Marktlücken der lateinamerikanischen Konkurrenz zu schließen versucht. Angesichts der in Lateinamerika sprunghaft steigenden Nachfrage für einheimische Literatur liegt es nahe, nun auf den Export lateinamerikanischer Titel zu setzen: La política editorial española del libro intentaba por entonces recuperar el mercado hispanoamericano perdido tras la guerra civil del 36, y nada cooperaba mejor a este propósito que lanzar desde España, bien promocionados, a los autores hispanoamericanos. (Gálvez 1987: 47)

Im Gegensatz zu den sich vorwiegend auf nationale Autoren beschränkenden lateinamerikanischen Verlagen deckt Seix Barrais Angebot und Vertrieb den gesamten Kontinent ab. 776 Seix Barral kommt damit den Interessen der lateinamerikanischen Schriftsteller entgegen, über den nationalen Rahmen hinaus Verbreitung zu finden: "A finales de la década de los cincuenta [...] era imposible comprar novelas de escritores extranjeros en nuestro país, y al mismo tiempo era imposible exportar nuestros libros."777 Ebenso bietet der Verlag eine zentrale Adresse für Autoren aus Literaturen mit einer schwächer entwickelten nationalen Verlagsindustrie (Uruguay, Kolumbien, Kuba, Peru), Autoren, für deren Vertreter sich die großen argentinischen oder mexikanischen Häuser weniger interessieren.778 Mit der Prämierung

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fuerte y por la posibilidad de imprimir un buen manuscrito en Mortiz y mantener los contactos con el autor y la agencia literaria. Con Joaquín Mortiz, se creó una propia competencia, no al principio, pero después se hizo verdad." (Antoni Comas, Interview mit B.P., 27.2.1999). Ebd. Ähnliche Kooperationsmodelle geht Carlos Barral um diese Zeit auch in Europa mit Ruedo Ibérico und den Formentor-Verlagen an (siehe 3.4.4). "Only Spain had enough Publishing power combined with adequate distribution of her books to make a novel simultaneously visible in most Spanish-speaking countries." (Pope 1996: 230). Donoso (1983: 29). Auch Miguel Angel Asturias erklärt eigene Überlegungen, sich in Spanien niederzulassen, mit diesem Interesse an einer internationalen Distribution: "En este campo habría que pensar, en primer lugar, el problema que el escritor de América Latina tiene respecto a la publicación de sus obras y a la distribución de las mismas [...] las obras que se publican en España, parece mentira, pero llegan más pronto a los países centro y sudamericanos, que las obras que, por ejemplo, se publican en Buenos Aires o México." (Antonio Serra: "Miguel Angel Asturias de vacaciones en Mallorca", in: TeleExprés 1546, 2.9.1969, S. 12f.). Zu den Publikationsschwierigkeiten lateinamerikanischer Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Ille (1986: 293-96). Bis Ende 1965 sind unter mindestens achtzehn der Zensur vorgelegten Titeln nur ein Argentinier (Sábato, El túnel) und zwei Mexikaner (Leñero, Los albañiles; Mairena, Los extraordinarios).

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zweier mexikanischer Schriftsteller (Leñero 1963; Fuentes 1967) sichert sich Seix Barrai wiederum ein Publikum in diesem wichtigen Buchmarkt. Die Publikation einiger kubanischer Autoren bedient potenzielle Erwartungen einer politisierten Leserschaft. Seix Barrai gelingt es recht bald, ein konkurrenzfähiges literarisches Angebot für den lateinamerikanischen Markt zu erbringen, das am dortigen Boom nicht nur partizipiert, sondern ihn auch mitbestimmt. Welche Bedeutung Seix Barrai in den aufblühenden literarischen Metropolen Lateinamerikas erlangt, deutet folgendes zeitgenössisches Zitat aus Primera Plana, einer der Meinungsführerinnen des Boom, an: Para los escritores de habla española, alcanzar el premio Biblioteca Breve [...] es casi como lograr el Nobel, es recibir el mayor de los espaldarazos. [...] [E]l galardón para 1962 recayó en L A CIUDAD Y LOS PERROS, novela del peruano Mario Vargas Llosa, que acaba de llegar a las librerías de Buenos Aires. Coronar a Vargas Llosa, un intelectual de 28 años, entrañaba, además, coronar a la Latinoamérica, un continente que antes apenas consiguió acercarse al Biblioteca Breve.779 Trotz aller grundsätzlichen Schwierigkeiten des Exportgeschäfts ist Seix Barrais Programmstrategie der 60er Jahre somit im Zusammenhang mit der Hoffnung auf verbesserte Absatzmöglichkeiten auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu sehen. 780 Die Bedeutung der lateinamerikanischen Märkte bewegt sich entlang der zweischneidigen Perspektive, dass einerseits hohe finanzielle Risiken eingegangen werden, andererseits Verkaufsgewinne und Kostensenkungen bei der Produktion erzielt werden können: América Latina siempre fue muy importante, pero menos de lo que se esperaba [...]. Era difícil hacer cálculos económicos con la realidad de allí; las inflaciones, por ejemplo, no se podían resistir. América Latina sirvió para dos cosas: para no separar, por un tiempo, derechos de autor dentro de un idioma español por países, cosa que después no se pudo mantener, claro. Permitía, segundo, producir unas tiradas más altas de lo que hubiera permitido el mercado español. Quizá no se ganaba mucho dinero en América, pero por la disminuición de gastos por ejemplar compensaba los costes en España.781 Aufgrund seines grundlegenden Exportinteresses vertritt deshalb auch ein oppositioneller Verleger wie Carlos Barrai die übliche Forderung nach freien internationalen Handelsbedingungen für die Ware Buch. Barrai formuliert 1966 das konkrete Programm einer "acción conjunta de editores y gobiernos": 779

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Undatiertes Zitat des "Director de Primera Plana de Buenos Aires", 1963 oder 1964, abgedruckt auf dem Schutzumschlag zu Los albañiles (1964). An anderer Stelle heißt es über die Rolle Seix Barrals in den frühen 60er Jahren: "[L]os volúmenes populares de Plaza & Janés y las ficciones prolijamente elegidas por Seix Barral fueron empujando los libros argentinos hacia una crisis." ("La Argentina donde reinan los libros", El Libro Español 87 (März 1965), S. 151-54, hier: 151). Der Artikel erscheint zunächst ebenfalls in Primera Plana. Francisco Porrúa unterstreicht im Rückblick die Relevanz Seix Barrals: "En Buenos Aires, entonces, 'Barcelona' no existía, salvo Carlos Barral y los libros de Carlos Barral." (Interview mit B.P., 15.4.1998). Wie oben gezeigt, klaffen Anspruch und Realität des Lateinamerika-Handels oft auseinander (2.2). Antoni Comas, Interview mit B.P. 27.2.1999.

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1) [...] Los editores de los distintos países de habla castellana debieran convivir en franca competencia publicando indistintamente libros nacionales y extranjeros para todo el ámbito de la lengua. Un autor mejicano debiera publicarse en Barcelona o en Méjico y un autor español indistintamente en Madrid o en Buenos Aires, para todo el ámbito de la lengua española [...] 2) Los legisladores de todos los países debieran comprender que los libros no son elementos fungibles y que un título no sustituye a otro, que la protección de los libros de producción nacional y las dificultades o los encarecimientos de libros en lengua española de otras procedencias constituyen una política comercial cuyas consecuencias en el terreno de la cultura son la depauperación intelectual, el más siniestro provincialismo y la asfixia de las posibilidades de cada cultura nacional. [...] Es evidente, por otra parte, que eso tiene profundas consecuencias en el desarrollo del mercado. 782

1966 entspricht diese Forderung nach freien internationalen Handelsbeziehungen durchaus dem Stabilitätsprogramm der franquistischen Technokraten. Private Interessen an günstigeren Verkaufsbedingungen im Ausland treffen sich hier nolens volens mit staatlichen Hegemonieinteressen im Sinne einer unter wirtschaftsliberalen Prämissen aktualisierten Hispanidad. Dabei ist die Vorstellung eines gleichberechtigten Handels - "franca competencia" - zwischen den Kontinenten nicht unproblematisch, da sie die existierenden, ungleichen Wirtschaftsbeziehungen ausblendet. Im Setzen antinationalistischer Akzente und der Ablehnung einer spanischen Führungsrolle transzendiert Barrais Argumentation jedoch entscheidend die Hispanitätsideologie, und die Forderung nach unbeschränktem Warenverkehr impliziert eine Spitze gegen jegliche staatliche Zensur. Barral führt eine kulturpolitische Argumentation, die den Begriff der Nationalkultur zugunsten einer nur durch internationalen Austausch lebendig gehaltenen, rezeptiven Kultur aufweicht. Kulturaustausch wird nicht einseitig als Export, sondern auch als Import gewertet. Das kulturelle Produkt ist zum transnationalen Gut aufgewertet, die Idee einer Weltliteratur suggeriert.783

4.5.4

Kuba: Die Revolution als politische Utopie und kultureller Handelspartner

Angeregt durch die Kubanische Revolution und die spürbaren neuen literarischen Impulse, bereisen spanische Schriftsteller und Verleger in den 60er Jahren regelmäßig den lateinamerikanischen Kontinent. 784 Besuche in Mexiko oder Argentinien 782

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Carlos Barral, in: "Los problemas de la industria del libro en España. El problema visto por los editores", Información Comercial Española 391 (März 1966), S. 55-99, hier: 89. Siehe ausführlich 5.4. Barrais erste Lateinamerika-Reise führt ihn 1963 u.a. auf Einladung der Universidad Nacional Autónoma nach Mexiko, wo der Verleger verschiedene persönliche Kontakte zum republikanischen Exil und "hispanomexikanischen" Schriftsteilem schließt. Castellet fliegt 1967 zum ersten Mal nach Lateinamerika und nimmt am Congreso de Literatura Iberoamericana in Caracas teil. Unweigerlich schließt er Kontakt zu den intellektuellen Kreisen: "[En Venezuela] Vaig conéixer la plana major deis vells i eis nous protagonistes de la literatura d'America llatina, entre ells Gabriel García Márquez, del qual acabava

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bewirken in Fortsetzung früherer Europa-Reisen auch eine Annäherung von innerem und äußerem Exil. Für Barrai und andere, die über biografische Wurzeln in Lateinamerika verfugen, gestaltet sich der Kontakt mit der lateinamerikanischen Realität zur kulturellen Identitätserfahrung, die anerzogene Hispanidad-Diskurse einer Revision unterzieht. 785 Insbesondere der Kuba-Besuch avanciert zur politischen Initiationsreise der europäischen und spanischen Linken - "el viaje que hicieron, que hicimos todos los convencidos de Barcelona y de Madrid" (Barrai 1988: 133). Bereits 1962 erscheint in Paris die Anthologie España canta a Cuba (Ruedo Ibérico), die unter anderem Texte von Jaime Gil de Biedma, José Agustín Goytisolo, Blas de Otero und José Angel Valente enthält, als Solidaritätserklärung gegen die US-amerikanische Invasion in der Schweinebucht. 786 In der Teilnahme an kulturellen Festivals, an Literaturpreisen und Kongressen auf Kuba konkretisiert sich das Selbstverständnis von literarischer Tätigkeit als gesellschaftlich und politisch revolutionärer Praxis, wie es im Umfeld der Generación del Medio Siglo verankert ist. Der kommunistischen Partei nahe stehende Schriftsteller wie José Agustín Goytisolo, der 1970 eine Anthologie kubanischer Lyrik herausgibt, besuchen häufig die Insel; sein Bruder Juan ist 1962 das erste Mal auf Kuba. 787 Alfonso Grosso weilt dort im September 1966 als Mitglied der Jury des Premio Casa de las Américas, zeitgleich mit J.A. Goytisolo und Juan Garcia Hortelano. Im Anschluss verfasst Grosso seinen kulturell hybriden, nach eigener Aussage "hispanoamerikanischen" Roman Inés just Coming, in dem er die Maßgaben des Sozialrealismus zugunsten einer barocken Schreibweise aufgibt und diesen poetologischen Wandel metaliterarisch kommentiert. 788 Im Januar 1968 gastieren viele linke spanische Intellektuelle und Autoren beim Congreso Cultural de La Habana.™9 Castellet schreibt über seine damalige Teilnahme:

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d'aparéixer Cien años de soledad, novel.la que vaig llegir d'una tirada, en el vol de tornada." (Castellet 1987: 54). In Worten Castellets: "Histories personáis, histories culturáis: no en puc fer ben bé la separació." (1987: 55). Barrais Familie mütterlicherseits stammt aus Argentinien (Barrai 1990: 97). Das spezifische Kubainteresse der Brüder Goytisolo ist durch den familiären Hintergrund - der Großvater war Großgrundbesitzer auf Kuba - beeinflusst (José Agustín Goytisolo bei Marsal 1979: 167; Juan Goytisolo 1995: 16-19). Juan Goytisolo setzt sich in Señas de Identidad kritisch mit dieser Vergangenheit auseinander. Insgesamt sind 34 in Spanien und im Exil lebende Dichter beteiligt. Ich beziehe mich auf die Angaben bei Forment (2000: 202); Riera (1988: 238) gibt den Titel der Anthologie mit Los poetas cantan a Cuba an. Nach Riera ist Carlos Barrai nicht unter den beteiligten Dichtern, Forment erwähnt ihn hingegen. Goytisolo (1986: 57). "Yo recuerdo que en aquel tiempo la experiencia más importante para los comunistas españoles era Cuba." (Juan García Hortelano, zitiert bei Schmidt 1984: 529). Vgl. Fortes (1982: 35). Unter den Teilnehmern sind u.a. Bardem, Barrai, Caballero Bonald, Castellet, Gil de Biedma, Pradera, Sastre sowie zahlreiche Vertreter des Exils in Paris. Ausführliche Informationen bei Forment (2000: 329-31).

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L'experiència cubana va ser, amb totes les seves contradiccions, molt enriquidorament, complexa, difícil de dirigir. Dia a dia la comentava amb un grup o altre d'escriptors, de gent de cinema, d'artistes... Vaig conèixer molta gent nova per a mi i vaig trobar-hi molts vells amics d'Europa o deis recentment coneguts llatino-americans. També, óbviament, eis escriptors cubans. [...] Mentiría, pero, si no reconegués la poderosa força que alenava en aquella revolució. (Castellet 1987: 55) Am Beispiel Kubas zeigen sich auch die zumindest punktuell sich bietenden finanziellen Möglichkeiten, die mit dem politisch motivierten Literaturkontakt einhergehen. Obwohl in der Rückbetrachtung darauf bedacht, den nicht-geschäftlichen Charakter seiner Lateinamerika-Reisen herauszustreichen,790 ist Carlos Barrai, ob als Juror bei Literaturpreisen oder als Teilnehmer an Literaturkongressen, zwangsläufig auch als Verleger und Geschäftsmann unterwegs. 791 1964 unternimmt Carlos Barrai seine erste Reise nach Kuba. Der Aufenthalt dient in erster Linie dem Abschluss eines umfangreichen Exportgeschäfts mit der staatlichen Importgesellschaft Cubartimpex und deren Leiter Heberto Padilla,792 wobei Barrai sich die Vermittlung des Feltrinelli-Mitarbeiters Valerio Riva zunutze macht. 793 Er agiert damit, in einer ersten Phase des internationalen Embargos gegen Kuba, als symbolischer Blockadebrecher, dem ein nach eigener Aussage euphorischer Empfang bereitet wird (Barrai 1988: 123). 794 Aus kubanischer Sicht leistet Seix Barrai einen bedeutenden Beitrag zur Versorgung des nationalen Buchmarkts, ein Journalist spricht

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Auch hier grenzt sich Barrai von dem spanischen Verlagsumfeld ab: "En esa época [1960 ff.] hice varios viajes a América, sobre todo a Cuba y México, de carácter estrictamente literario; viajes muy distintos de los que hacían los demás editores españoles, incluido mi socio Víctor Seix, orientados al comercio editorial [...]." (Barral 1988: 57). Im Nachlass Barrais erhaltene Briefe lateinamerikanischer Schriftsteller aus den 70er und 80er Jahren zeugen von den Erwartungen, die sich an die Besuche des Verlegers in Lateinamerika knüpfen. Die mir vorliegende Bestellliste umfasst Titel nahezu des gesamten Präsenzkatalogs (Dokument "Cubartimpex", AB) in Mengen von bis zu 1.500 Exemplaren: "Discutíamos uno por uno los libros en oferta y el número de ejemplares que pudiera convenir, y siempre en términos estrictamente literarios o ideológicos [...]." (Barral 1988: 124). Riva gibt Barral schriftliche Anweisungen mit auf den Weg (Undatierter Brief von Valerio Riva an Carlos Barral, AB): Neben Verhaltenstipps - Barral solle immer eine Flasche Rum zur Begrüßung parat halten - , nennt er Namen und Adressen einiger Intellektueller und Funktionäre im Kultursektor Kubas (Miguel Barnet, Virgilio Piñera, José Rodríguez Feo, Haydée Santamaría, etc.) und deren mögliche Relevanz für das verlegerische Unternehmen. Die staatlichen Handelsbeziehungen Spaniens mit Kuba streben ab 1962, mit Verhängung des US-Embargos, gegen Null. Die Werte für den Export nach Kuba betragen 1959 noch 18,1 Mio. Peseten und 1960 21,6 Mio., ehe sie 1961 auf 7,1 Mio. und 1962 (Jan.-Sept.) schließlich auf 0,36 Mio. sinken. Ab September 1962 gilt der kubanische Markt als "totalmente cerrado" (INLE: "Informe sobre dificultades con que tropieza en varios países de América Española la exportación de nuestros libros", 22.11.1962, AGA, Fach 475). Allerdings führt der Pragmatismus der franquistischen Kuba-Politik im folgenden Jahr zu einer Neuaufnahme der Handelsbeziehungen auf niedrigem Niveau.

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ein Jahr später von der "montaña de títulos con que Seix Barrai invadió de súbito las librerías del país".795 Innerhalb Spaniens ist Seix Barrai fast der einzige Verlag, der mit der kubanischen Regierung erfolgreich Geschäfte tätigt.796 Der Handel von 1964 bleibt allerdings eine Episode, da Kuba sich künftig weniger ausgabefreudig zeigt. 797 Gleichzeitig trifft Barrai mit kubanischen Intellektuellen zusammen und schließt Kontakte zwecks eventueller Publikationen. Er lernt u.a. Calvert Casey kennen, von dem Seix Barrai zwei Bände mit Erzählungen veröffentlichen wird: El regreso (1967) und Notas de urt simulador (1969). 798 Auf späteren Reisen - 1965 als Juror des Premio Casa de las Américas, 1968 als Teilnehmer am Congreso de Cultura - kann Barral die Kontakte vertiefen.799

4.6

Publizieren im Zeichen der Zensur

Das Lateinamerika-Programm Seix Barrais unterliegt dauernden Auseinandersetzungen mit der Bücherzensur. In der Analyse der Verhandlungsstrategien des Verlags gegenüber den Zensurbehörden erschließen sich exemplarisch die politischen Spielräume kultureller Dissidenz im Spanien der 60er und 70er Jahre. Seix Barral entwickelt im Umgang mit der Zensur erfolgreiche Kommunikationsstrategien, so dass der starre Gegensatz von Staat und Verlag im flexiblen Aushandeln der jeweiligen Interessen beider Seiten stellenweise aufgehoben scheint. Seix Barral repräsentiert einen Bereich oppositioneller Kultur, der zwar in Auseinandersetzung mit dem Regime steht, ohne aber durch staatliche Repression in seiner Existenz bedroht zu 795

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José Lorenzo Fuentes: "Carlos Barral", El Mundo del Domingo (La Habana), 21.2.1965, S. 6 (zitiert nach Barral 2000: 20). 1968 erwähnt ein Papier des INLE Seix Barral als einen der Hauptbegünstigten im mittlerweile erlahmten Kuba-Handel: "Después de las grandes importaciones de 1964 de las que fueron beneficiados, fundamentalmente, Fondo de Cultura en México y Aguilar y Seix Barral en España - las compras de libro extranjeros se han reducido considerablemente [...]." ("Sobre la venta de libros españoles en Cuba", Memorándum des INLE, März 1968, AGA, Fach 49083). "Hubo dos negocios con Cuba: uno en 1964, otro él de las memorias de Fidel Castro. Fueron negocios pequeños, insuficientes para mantener una sociedad. Se benefició, sí, fue una acción importante, pero no para hacer un gran negocio." (Antoni Comas, Interview mit B.P., 27.2.1999). Als ein weiterer linker Verleger, José Martínez (Ruedo Ibérico), 1968 ein Geschäft mit der kubanischen Regierung abschließen will, fällt das Ergebnis sehr enttäuschend aus: "[E]l supuesto negocio editorial se reducía a un vulgar trueque de libros, y encima los pedidos eran mediocres." (Forment 2000: 332). Barral notiert sich auf Kuba unter dem Stichwort "comprar derechos" vier Namen Casey, Carpentier, Otero, Piñero [sie] - , von denen die beiden Erstgenannten mit jeweils zwei Titeln erscheinen (Dokument mit handschriftlichen Notizen Barrais, AB). Lisandro Otero war in dem o.g. Schreiben Valerio Rivas als Bestseller ("La situación [Titel von Otero] [...] é stato un bestseller e [...] noi gli pubblichiamo in Italia ..."), Virgilio Piñera als "papa dei giovani scrittori 'd'avanguardi' - ossia neorealisti ..." empfohlen worden (Riva, Brief an Barral, AB). Die Anekdoten der Reise referiert Barral (1988: 127-29). Einige der 1965 auf Kuba gegebenen Interviews sind in Barral (2000: 15-29) dokumentiert.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien

(1959-67)

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sein scheint. Die anschließende Untersuchung der Zensurvorgänge zu ausgewählten lateinamerikanischen Texten gibt weiteren Aufschluss über deren Vermittlungsbedingungen in Spanien. So werden für die Beurteilung lateinamerikanischer Texte spezifische Begutachtungskriterien angelegt, die unter Umständen eine Genehmigung gerade aus politischen Gründen erleichtern können. Des Weiteren bestätigt sich anhand der von Verlegerseite eingebrachten Argumentation das mit der Publikation lateinamerikanischer Literatur verknüpfte finanzielle Interesse.

4.6.1

Seix Barrais strategischer Umgang mit dem Machtapparat

Auswirkungen von Zensur auf die verlegerische

Praxis

Negative Folgen der Zensur zeigen sich für Verlage vor allem in finanzieller Hinsicht. Die Verlagskalkulation bleibt durch die Dauer des Zensurprozesses unberechenbar, mögliche Investitionen können sich als vergeblich erweisen. Finanzielle Belastungen entstehen auch bei geringfügigen Zensurauflagen durch die Korrektur bereits produzierter Druckfahnen bzw. Bücher.800 In der internationalen Konkurrenz erwachsen Nachteile gegenüber lateinamerikanischen Verlagen, wie es auch Barrai beklagt, der in einem zeitgenössischen Dokument die "fuga de derechos extranjeros [...] a los países de la América Española" als eine der gravierendsten Folgen der Literaturzensur für spanische Verlage bezeichnet.801 Darüber hinaus greift die franquistische Zensur in die Geschäftsbeziehungen und das Unternehmensklima ein. Sie bedeutet nicht nur die implizite Selbstzensur des Schriftstellers, sondern auch die Wandlung des verlegerischen Lektorats zur Vorzensur, eine auferlegte Verantwortung, deren Bedeutung durch das Pressegesetz von 1966 noch zunimmt.802 Der Zwang zur internen Zensur kann das Verhältnis zwischen Verlag und Autor stark belasten, auch wenn oft, wie sich bei beide gemeinsam eine Textkorrektur erstellen. Im Fall Manuel Puigs etwa trägt die Zensur zum Zerwürfnis zwischen Autor und Verleger bei, da Puig die Zensurprobleme für einen Vorwand Barrais hält, sein Buch nicht zu publizieren (Puig 1985: 55). Mancher Verlag wählt offenbar den zweifelhaften Weg, über mehrdeutige Vertragsklauseln die Zustimmung 800

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Dies erkennt sogar die Zensurbehörde selbst an: "[H]e de hacer notar que tales arreglos suponen siempre quebranto económico para el editor, ya que ha de levantar a veces [...] varios cuadernillos del libro reimprimiendo numerosas páginas, variando completamente el ajuste, etc." (MIT, Ordenación Editorial: "Nota sobre negociación con editoriales", 16.9.1970, AGA, Fach 49085). Barral, Vortragsmanuskript "Censura", 15 Seiten, AB. Der Text besteht aus den Kapiteln "La censura y la narrativa extranjera" und "La censura y la difusión de la literatura contemporánea en el extranjero". Zur schriftstellerischen Selbstzensur vgl. die Selbstzeugnisse in Beneyto (1975), zur verlegerischen Zensur Abellán (1980: 20 u. 151 f.). Amell (1989) untersucht für die Transición Beispiele editorischer Praktiken, die sich an der Grenze zur Zensur bewegen.

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des Autors zu späteren Textänderungen zu erhalten (Cisquella u.a. 1977: 138). Barrai nennt für sein Verlagsprogramm der Jahre 1961-64 bei spanischen Autoren einen hohen Anteil verbotener oder zensierter Texte: Von zuletzt 24 seien neun Titel verboten, elf stark oder zumindest textentstellend eingeschränkt worden. Bei ausländischer Literatur zeigt sich ein ähnliches Bild: Hier hat Seix Barrai in vier Jahren 65 Titel der Zensur vorgelegt, von denen 27 mit einem Verbot oder vom Autor nicht akzeptierten Kürzungsauflagen belegt werden. Von den verbleibenden Titeln können lediglich 24 (= 37%) unverändert erscheinen.803 Ohne Frage wird damit die spanische Rezeption bestimmter internationaler Autoren verzögert. Für die Literatur spanischer Sprache zeigt sich, wie sehr einzelne Autoren des sozialen Realismus benachteiligt werden. Einen Ausweg bietet hier die Publikation verbotener Titel bei ausländischen und Exilverlagen.804 Seix Barrai kooperiert zu diesem Zweck mit Joaquin Mortiz in Mexiko und dem 1962 in Paris gegründeten Verlag Ruedo Ibèrico. Dessen Leiter José Martinez schließt im November 1961 mit Barrai ein Abkommen, "un pacto verbal secreto, tipico de antifranquistas" (Forment 2000: 196f.), demzufolge dieser in Spanien verbotene Manuskripte ohne Lizenzhonorar an Martinez vermittelt, der auf diese Weise Unterstützung für den Aufbau seines Verlagsprogramms erhält.805 In den Jahren 1961-62 und konkret im Umfeld der Formentor-Treffen wird Seix Barrai unter dem Verdacht prokommunistischer Agitation ein Opfer polizeistaatlicher Überwachungsmaßnahmen (siehe 3.4.4). In welchem Maße auch das Zensurverfahren auf eine kontinuierliche Ungleichbehandlung bestimmter Verlage nach politischen Kriterien schließen lässt, ist indes bislang nicht ausreichend nachgewie-

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Barrai, Vortragsmanuskript "Censura", S. 7. Die von Barrai erwähnten Titel sind in Anhang XIX dieser Arbeit dokumentiert. Einige Angaben werden von Barrai 1966 in einem Interview mit CBS News wiederholt, vgl. Barrai (2000: 31). Konkret führt Barrai in einem Brief an Robles Piquer (5.3.1965, AB) dreizehn spanischsprachige Titel für die Jahre 1961-64 an, deren Publikation durch Zensurmaßnahmen verhindert worden sei: Alfonso Grosso, El capirote, En romería; Armando López Salinas, Año tras año, Crónica de un viaje; Antonio Ferres, Los vencidos, Al regreso del Boilas; Grosso/López Salinas, Por el rio abajo; Daniel Sueiro, Estos son tus hermanos; Andrés Sorel, Crónica de un regreso; Ernesto Contreras, La tierra prometida', Juan García Hortelano, Gente de Madrid; Mario Benedetti, Gracias por el fuego, Carlos Martínez Moreno, La otra mitad. Das Schicksal der Texte ist unterschiedlich: Einige erscheinen später, sei es bei Seix Barrai oder einem anderen spanischen Verlag, sei es in Mexiko (Joaquín Mortiz, Era) und Paris (Ruedo Ibérico, Librairie du Globe); andere bleiben unveröffentlicht. Allerdings scheint sich Seix Barral die Vermarktung der Auslandsrechte vorzubehalten; dies belegt jedenfalls ein undatiertes Briefmanuskript Carlos Barrals an Armando López Sahnas bezüglich dessen Romans Año tras año (Ruedo Ibérico, 1962) (AB). Auch an der Verleihung des Premio Ruedo Ibérico ist Barral beteiligt. 1963 gehören dessen Jury ferner J. Goytisolo, de Nora, Tuñón de Lara, García Hortelano und Ferres an. Zu Ruedo Ibérico siehe auch García Otin (1998), zu Joaquín Mortiz siehe 4.5.3.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien (1959-67)

241

sen. Indizien deuten auf politisch bedingte Präferenzen bei den Behörden hin, wenn ein Text nicht seines Inhalts, sondern der angeblich "kommunistischen" Orientierung des Verlags oder des Autors wegen nicht genehmigt werden. 806 Seix Barrai oder später Barrai Editores sind allerdings weder die einzigen noch die am härtesten betroffenen Opfer zensorischer Maßnahmen. 807 Zumindest für den Planeta-Verlag und seinen Gründer José Manuel Lara, bekanntermaßen ein Anhänger des Regimes, lässt sich eine besondere Nähe von Verlag und Staat auch dokumentarisch belegen. Planeta ist selten von Zensurproblemen betroffen, wenngleich sich sein Verlagsprogramm weniger durch bedingungslose Regimetreue als durch ideologische Unbedenklichkeit und finanzielle Erwägungen auszeichnet. Umso stärker trifft es Lara, als 1971 ein P/aneto-Preisträger aus religiösen Gründen verboten werden soll (Marcos Aguinis, La cruz invertida).

Lara beklagt

diesen Vorfall mit dem - nicht ganz zutreffenden - Hinweis darauf, dass bislang noch kein einziger Titel Planetas zensiert worden sei. Dafür trage schon der Verlag selbst Sorge, denn schließlich gehe der Preisentscheidung für gewöhnlich eine interne politische Sondierung voraus: Siempre he querido colaborar con ese Ministerio, hasta el extremo de que en el Premio Ateneo de Sevilla se había presentado una novela con seudónimo de autor muy conocido, [...] y le convencí para que la presentase antes a consulta previa en ese Ministerio, el cual rechazó de plano su publicación, con lo que pude convencer a los miembros del jurado para que no la votasen. 808

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Abellán weist solch politisch motivierte Benachteiligungen Seix Barrais anhand der Gutachten zu Büchern von Giovanni Arpiño und Manuel Arce nach (1980: 186 u. 201). Romero Downing (1992: 217f.) stellt an zwei Zensurfallen von 1966 Destino und Seix Barrai gegenüber und konstatiert bei ersterem eine mildere Behandlung ähnlicher inhaltlicher Phänomene. Diesen eher isolierten Daten fügt auch Knetsch keine restlos aussagekräftigen Belege hinzu (1999: 60). Es lässt sich zwar nachweisen, dass Carlos Barrais ambivalentes politisches Auftreten die negative Entscheidung einzelner Gutachter beeinflusst. Der Umkehrschluss, dass anderen Verlagen politischer Gehorsam belohnt worden sei, wurde bislang aber nicht explizit dokumentiert - siehe dazu nun meine obigen Ausführungen zu Planeta. Vergleiche zwischen zeitnah eingereichten Titeln verschiedener Verlage hinsichtlich ihres zensurwürdigen Potenzials, wie sie Abellán und Romero Downing vornehmen, unterstellen eine historisch objektivierbare Lesart dieser Texte; demgegenüber ist zu betonen, dass jede Stellungnahme von dem individuellen Urteil wechselnder Gutachter abhängt. Aufgrund seiner politischen Ausrichtung wird z.B. der Verlag Equipo Editorial aus dem Verlagsregister gestrichen, was wiederum negative Auswirkungen auf dessen Publikationsantrag für Paradiso von José Lezama Lima hat (AGA, Doss. 9652-68, zitiert bei Romero Downing 1992: 229-32); für weitere Beispiel siehe 2.1. Brief José Manuel Lara an Alfredo Sánchez Bella, 22.4.1971, AGA, Fach 48798. In ähnlicher Form protestiert Lara bei dem Generaldirektor Miguel Cruz Hernández gegen den silencio administrativo für den Premio Planeta von 1974, Luis Cantero (Icaria, Icaria), und führt einmal mehr seine besondere Loyalität an: "Seguramente ningún editor te escribirá en la vida extrañado porque una obra suya haya sido calificada con Silencio Administrativo, pero a mí eso, como estoy tan dentro de la línea de ese Ministerio, me molesta

242

Burkhard Pohl

Der Protest Laras bleibt nicht ohne Wirkung. Die Behörde erkennt die Bemühungen des Verlegers an und verzichtet auf eine Vertiefung des Falles.

Kommunikative

Strategien

Die Beziehungen zwischen Einzelverlag und Zensur gestalten sich von Fall zu Fall neu und sind von der politischen Großwetterlage mitbestimmt. Die subjektive Auslegung der Kriterien durch wechselnde Gutachter fordert die Unberechenbarkeit der Zensur, schafft aber auch Schlupflöcher für einzelne Titel. 809 Für einen unter kritischer Beobachtung stehenden Verlag wie Seix Barrai hängt die Genehmigung eines Buches von der Ausnutzung von Strategien ab, die das anonyme und bürokratische Zensurverfahren aushebeln helfen. Über eine Vertrauensperson vor Ort wird z.B. versucht, wohlgesonnene Personen innerhalb der Bürokratie zu kontaktieren.810 Carlos Barrai kann in den häufigen Konflikten mit der Staatsmacht auf die Beziehungen und auf die Fürsprache prominenter Persönlichkeiten rechnen, die dem Verlag nicht unbedingt ideologisch nahe stehen. Sogar Luis Maria Ansön, Journalist des ABC und Schwager des Barral-Freunds Alberto Oliart, setzt sich 1962 für die Belange Barrais ein. 811

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[...]. Te garantizo que pensamos mucho, muchísimo, antes de premiar una obra, que ésta pueda resultar un problema para ese Ministerio." (Brief José Manuel Lara an Miguel Cruz Hernández, 24.12.1974, AGA, Fach 48798 [Hervorhebungen von B.P.]). "Doch die Zensurpraxis wurde nicht nur durch grundsätzliche Kursänderungen des Regimes geprägt. Auch die tagesaktuelle Situation konnte die Urteile härter oder großzügiger ausfallen lassen - die Verleger nützten diese Schwankungen gezielt aus und warteten bei kritischen Werken häufig aufbessere Zeiten." (Knetsch 1999: 267). Knetsch analysiert anhand dreier Romane literarische "Umgehungsstrategien" gegenüber der Zensur, die um die Längs- und Querschnittanalyse von 210 Zensurvorgängen ergänzt wird. Größtenteils überzeugend widerlegt die Verfasserin dabei einige als "Mythen" deklarierte Forschermeinungen und Allgemeinplätze: den "Mythos vom dummen Zensor [...] von der absoluten Willkür der Zensur [...] von der unbeweglich-rigiden Zensur [...] von der Zensur als Kulturblockade" (265-67), schließlich den "Mythos von der kreativitätsfördernden Wirkung der Zensur" (268). In einem Punkt möchte ich Knetsch dennoch korrigieren: Wenn bestimmte Publikationen bei ihrer Erstvorlage verboten, bei einer wenig später erfolgten Vorlage jedoch ohne jede Einschränkung freigegeben werden - wie nach Aussage Barrais z.B. bei Homo faber (Max Frisch) und Lo más tarde en noviembre (Hans-Erich Nossack) geschehen (Barrai, Vortragsmanuskript "Censura", AB) - , oder wenn nicht selten verschiedene Gutachter zu konträren Urteilen kommen, lässt sich m.E. durchaus von zensorischer "Willkür" oder zumindest von Unberechenbarkeit sprechen. Antonio Patón, Beauftragter in Madrid für Seix Barrai und später für die Verlage um Distribuciones de Enlace, versucht die Manuskripte bzw. Texte an einen bestimmten Mitarbeiter zu bringen: "Antonio Patón era una persona clave. El representaba a varios editores frente a censura. Sabía muy bien en cada momento quién podía estar detrás de la ventanilla y esperaba hasta que apareciera la persona más fácil." (Ramón López, früherer Leiter von Distribuciones de Enlace, Interview mit B.P., 17.6.1998). Brief Luis Maria Ansón an Carlos Barrai, 29.5.1962, AB. Als Rechtsbeistand sichert sich Barrai vorübergehend die Dienste von José Maria Gil Robles, der wegen seiner Beteiii-

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

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243

Andere Strategien machen den Zensurprozess zu einem "Katz-und-Maus-Spiel".812 Um der Beschlagnahme und Vernichtung einer bereits produzierten Auflage zu entgehen, wie es das Gesetz von 1966 ermöglicht, wird bei problematischen Werken zuweilen die Erstauflage vollständig ausgeliefert, bevor im Fall einer Strafverfolgung die Behörden den Lagerbestand aufnehmen können.813 In anderen Fällen präsentieren Verlage ein Buch unter Angabe eines ausländischen Publikationsortes oder legen einen verbotenen Titel unter neuem Namen vor (Cisquella u.a. 1977: 91). Von besonderer Bedeutung ist die direkte Kommunikation mit dem Ministerio de Información y Turismo. Manuel Fraga Iribarne und sein Generaldirektor Carlos Robles Piquer pflegen einen informellen Kontakt zu den Verlegern, um einen - oft unmöglichen - Ausgleich staatlicher und privater Interessen herzustellen, mit dem Vorteil, langwierige bürokratische Verfahren zu vermeiden: "Desde el punto de vista de nuestro Departamento, estas soluciones [i.e. la colaboración] nos ahorran el natural desgaste ante la autoridad judicial, a la que, a mi juicio, debe recurrirse solamente en casos extremos y muy claros."814 Diese informellen Kanäle konstituieren sich in Form der persönlichen Lektüre, der Korrespondenz oder direkten Gespräche zwischen Generaldirektor oder sogar Minister und den Verlagsleitern. Vor Beginn oder parallel zum Verlauf des standardisierten Verfahrens von Gutachterurteil, erstem Entscheid und eventueller Revision können Streitfalle verhandelt und ggf. Entscheidungen der unteren Instanzen gemildert werden - oder dem Verlag von vornherein die Unmöglichkeit einer Publikation verdeutlicht werden. Die ausfuhrliche Korrespondenz zwischen Carlos Barral und Carlos Robles Piquer stellt einen paradigmatischen Fall für diese Auseinandersetzungen um Zensurfalle dar. Aus den Berichten und Stellungnahmen des Verlegers erschließt sich, welche Zweideutigkeit und Vagheit bei Verhandlungen mit der Zensur an den Tag zu legen ist. Nur in dieser erzwungenen Kooperation ist die Kontinuität verlegerischer Tätigkeit zu sichern. In den erwähnten Auseinandersetzungen des Jahres 1961 (siehe 3.4.4) fungiert Victor Seix als Vermittler zwischen Staat und Verlag. Seix steht als Mitglied des INLE-Beirates und Verwandter einflussreicher Verlegerfamilien in relativ guter Beziehung zu den staatlichen Behörden. Er verteidigt seinen Kompagnon und des-

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gung am Oppositionstreffen in München im Sommer 1962 ins Pariser Exil gehen muss. In anderer Angelegenheit erhält Barral 1965 Unterstützung durch José Ortega Spottorno, Sohn Ortega y Gassets und Verlagsgründer von Alianza Editorial. "Se trata en este caso de un juego entre el gato y el ratón para ver quién es el más listo y logra engañar al contrario." (Cisquella u.a. 1977: 91). Auch die Buchhändler verfügen über entsprechende Strategien: "Llamábamos a todos los puntos de venta para avisar. Los libreros dejaban un libro en la mesa y los otros bajo el mostrador, y si los oficiales venían, sólo podían secuestrar un libro." (Ramón López, Interview mit B.P., 17.6.1998). Ordenación Editorial: "Nota sobre negociación con editoriales", 16.9.1970, AGA, Fach 49085. Vgl. Cisquella u.a. (1977: 28).

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sen Verlagspolitik gegen die Kommunismus-Vorwürfe, indem er in der Korrespondenz mit dem damaligen Generaldirektor Rodríguez Casado auf Seix Barrais "política literaria, consciente y queridamente apolítica" beharrt.815 Man erfülle vielmehr das auch im nationalen Interesse liegende kulturelle Ziel, die spanische Literatur international bekannt zu machen und damit dem literarischen Hegemonieanspruch des spanischen Exils zu begegnen. Die Argumentation Seix' (von der Barrai Kenntnis hat) erscheint als Lavieren zwischen staatlichen und eigenen Positionen, in dessen Verlauf ein Entgegenkommen gegenüber der Obrigkeit - das Bekenntnis zur politischen Zurückhaltung - andere Türen öffnet. Auch Barrral wählt diese Strategie. In der Korrespondenz mit Robles Piquer zwischen 1963 und 1965 muss sich Barrai mehrmals gegen den Vorwurf politischer Subversion zur Wehr setzen. In seiner Verteidigung beteuert Barrai dagegen den "apolitismo" seiner Verlagslinie. Insgesamt legt Barrai (gemessen z.B. an den später in den Memoiren gemachten Bemerkungen) eine große Vorsicht an den Tag. Der Verleger bekräftigt seine guten Beziehungen zum Leiter der Zensurabteilung und behält trotz andauernder Auseinandersetzungen einen höflichen und vermittelnden Ton bei: Desde mi primera entrevista con el Excmo. Sr. Ministro y desde que se inició el diálogo con Ud. he procurado no transgredir las reglas del fair-play a que el Sr. Ministro se refirió en aquella ocasión. Es evidente que nuestros puntos de vista sobre las cuestiones generales y sobre los casos particulares son a menudo muy distintos, pero siempre que me he referido en público a estas diferencias lo he hecho con honestidad y sin segundas intenciones. Ciertamente tiene Ud. toda la razón cuando dice que el diálogo por parte del Ministerio se ha mantenido siempre en un terreno de extrema corrección y de innegable cordialidad.816 No quisiera terminar esta carta sin expresarle mi esperanza de que la interrupción de nuestra relación a la que debo no poca comprensión y ayuda, sea sólo transitoria consecuencia de su desacuerdo con mis declaraciones y de que se reanude en el futuro.817 Andere Äußerungen der Kontrahenten bestätigen den recht respektvollen Umgang miteinander.818 Dies hindert Barrai allerdings nicht daran, explizit Stellung gegen die Existenz jeglicher Zensur zu beziehen: "Nunca he disimulado mi profunda re815 816 817

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Brief Victor Seix an Vicente Rodríguez Casado, 12.7.1961, AB. Brief Carlos Barrai an Carlos Robles Piquer, 21.11.1963, AB. Brief Carlos Barrai an Carlos Robles Piquer, 5.3.1965, AB. Vgl. auch die in Anhang XX zitierten Briefe Barrais an Robles Piquer vom Mai 1963 und April 1964, in denen der Verleger seine Positionen darlegt. In einem Schreiben an Victor Seix (27.1.1965, AB) bezeichnet Robles Piquer seine Kommunikation mit Seix Barrai als Vorzugsbehandlung: "Hasta ahora me he interesado con frecuencia y de una manera personal por las dificultades que han encontrado ciertos libros publicados por esa editorial [...] He sostenido correspondencia con D. Carlos Barrai, fuera de los conductos oficiales [...] y he procurado dar satisfacción a sus deseos, siempre que me ha sido posible [...]." Barrai selbst konstatiert nach einem Gespräch mit Robles Piquer: "Malgré tout, cette visite [i.e. de R.P.] vient réaffirmer mes bons rapports avec les Pouvoirs [...]." (Brief an Bernard Huguénin/Gallimard, 16.5.1963, AB).

4. Die Vermittlung

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pugnancia a la institución de la Censura preventiva que me parece un siniestro escarnio de la dignidad del hombre civilizado" heißt es im zitierten Brief vom März 1965. Geschickt vermeidet es Barrai mit dieser allgemeinen Wendung, das Ministerium Fragas direkt zu kritisieren. Im Dialog mit der Zensur versucht Barrai, mit dialektischen Argumenten die Widersprüche der offiziellen Politik auszunutzen. Im vermittelnden Umgang verbindet er dabei Zugeständnisse mit Forderungen: Anlässlich des Formentor-Preises 1963 für Jorge Semprún, dessen Verleihung in Spanien scharf kritisiert wird, bekräftigt Barrai seine Unzufriedenheit mit der Entscheidung; ihm wäre es lieber gewesen, der eigene Kandidat, Vargas Llosa, hätte gewonnen, zumal die Entscheidung fur Semprún aus politischen, d.h. extraliterarischen Motiven gefallen sei. Nach dieser Abgabe einer politischen Zuverlässigkeitserklärung fordert Barrai Robles Piquer auf, zügig das Manuskript von Vargas Llosa im Namen der "Wahrheit" zu autorisieren, um gleichzeitig dem im Ausland bereits erschienenen Buch Semprúns Paroli zu bieten: Mi única defensa, o, si Ud. quiere, mi única presencia del lado de la verdad en "caso", consiste en publicar lo antes posible el libro de Vargas Llosa al que sostuve y voté entusiastamente por razones de calidad [...] Y ello depende de Ud. Si se me concede inmediatamente la autorización, yo pondría el libro a la venta antes de las vacaciones de verano y lo mandaría en lengua original [...] a la crítica internacional. 819

Barrai kombiniert den moralischen Appell mit einer ökonomischen Argumentation. Das Beispiel Vargas Llosa steht paradigmatisch für zahlreiche Verhandlungen, die Barrai um die Bücher lateinamerikanischer Autoren führt.

4.6.2

Die spezifische Zensurpraxis bei lateinamerikanischer Literatur

Obwohl lateinamerikanische Texte den gleichen Beurteilungskriterien unterliegen wie spanische, ist die Zensurentscheidung in der Regel von Gesichtspunkten mitbestimmt, die aus der spezifischen Perspektive der transnationalen Rezeption und Vermittlung rühren. Neben den üblicherweise angelegten Kriterien politisch-ideologischer oder religiös-moralischer Integrität geht in die Beurteilung oder Anfechtung zusätzlich eine pragmatische Argumentation mit Exportinteressen, Distributionsund Rezeptionserwartungen ein, die vom Verlag häufig zum eigenen Vorteil in Anschlag gebracht werden können. Auch inhaltliche Differenzkriterien kommen zum Tragen: Als je kulturell 'fremder' der lateinamerikanische Text wahrgenommen wird, desto größer die Chancen auf Genehmigung. Für meine Darstellung habe ich 69 Zensurdossiers der Jahre 1959-74 ausgewertet, mit einem Schwerpunkt auf den im Fallbeispiel untersuchten Verlagen Seix Barrai und Barrai Editores.820 Die folgenden Beobachtungen stellen somit eine verlagsbe819 820

Brief Carlos Barrai an Carlos Robles Piquer, 9.5.1963, AB. Arbeitspragmatische Gründe machten eine Beschränkung auf die bei Seix Barrai und Barrai Editores erschienenen Texte notwendig. Vergleichsdaten zu anderen Verlagen wurden durch Stichproben im Zentralarchiv von Alcalá de Henares ermittelt und z.T. den

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Burkhard Pohl

zogene Ergänzung und Präzisierung zu Romero Downing (1992) dar, die neben einer quantitativen Gesamtaufnahme ausgewählte Beispiele unter anderer Zielsetzung diskutiert, sowie eine Ausweitung der Anmerkungen bei Prats (1995), die die Akten zu den sechs Preisträgern des Premio Biblioteca Breve berücksichtigt. Es geht darum, fallweise zu ermitteln, welche Titel nicht publiziert werden konnten - mit Kürzungen ist fast jedes Manuskript belegt worden - , welche Kriterien von der Zensur angelegt wurden und mit welchen Argumenten ein Verbot vermieden werden konnte. Der Revisionsantrag, den Seix Barrai im Jahr 1964 gegen das Verbot des Romans La otra mitad des Uruguayers Carlos Martínez Moreno einreicht, illustriert die spezifischen Argumentationsstrategien. Barrai fuhrt gegen die moralischen Vorbehalte der Gutachter zunächst inhaltliche Aspekte an. Weiter sei zu berücksichtigen: [L]a alta calidad literaria de "La otra mitad" aleja toda posibilidad de complacencia en las escenas teñidas de emotividad y de erotismo [...] el libro pertenece a una tradición de literatura culta, por lo que no puede considerarse una lectura popular sino destinada a personas con formación literaria en las que, por lo tanto debe darse por supuesto un cierto discernimiento moral [...] el autor, al que se han otorgado últimamente varios premios uruguayos e interamericanos por su obra literaria, es uno de los más responsables escritores de su generación en América [...]la personalidad extraliteraria del autor, que ocupa un alto cargo en el Colegio de Abogados de Montevideo y es o ha sido hasta reciente Presidente de la Asociación de Periodistas uruguayos, aleja toda sospecha de deshonestidad moral en su obra literaria [...] la presente novela, tercera obra de un autor conocido, ha sido va comentada por la prensa americana como una de las expectativas de la narrativa rioplatense actual [...]821

Es lässt sich ein ganzes Repertoire an Strategien erkennen. Ästhetische, vor allem aber kontextuelle Argumente werden nicht frei von Widersprüchen eingebracht: Beruhigend wird der geringe Rezipientenkreis angeführt, aber auch auf das große Interesse der Literaturkritik in Südamerika hingewiesen. Die Bemerkung zum Prestige des Autors Martínez Moreno impliziert einen Hinweis auf die zu befürchtenden internationalen Reaktionen im Fall eines Verbotes. All diese Gesichtspunkte tauchen, mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten, wiederholt in den übrigen Zensurakten lateinamerikanischer Manuskripte auf. Literarische Kriterien geben bei der endgültigen Entscheidung über einen Text selten den Ausschlag, obwohl die Gutachter in der Regel den ästhetischen Wert der Titel Seix Barrais honorieren: "[E]l mérito literario [...] rara vez se echa de menos en las selecciones de Seix Barrai" heißt es 1968 im Gutachten zu Mutaciones bruscas

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vorliegenden Arbeiten entnommen. In diesem Kapitel werden paradigmatische Beispiele vorgestellt; die Gesamtheit der eingesehenen Akten und die Archivreferenzen sind in der Bibliografie aufgeführt. Die chronologischen Zuordnung einzelner Titel erschließt sich aus der Dossierangabe, die jeweils die laufende Nummer sowie das Jahr des Zensurantrags enthält. Brief Carlos Barrai an Carlos Robles Piquer, 12.8.1964, AGA, Doss. 3481-64 (La otra mitad). Hervorhebungen von B.P.

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer

Literatur in Spanien (1959-67)

247

von Enrique Revol.822 Zwar schützen Ansehen des Autors und literarische Qualität, wie in diesem Beispiel, nicht vor Zensurauflagen oder Verboten, sie können jedoch zu Milderungen führen. Bei La casa verde, eingereicht im September 1965, zeigt sich die Zensur durch die literarische Leistung des Autors beeindruckt und streicht die ursprünglich verlangten sechzehn auf drei Änderungen zusammen (Romero 1992: 209). Eine durchgängige Tendenz ist aber hier nicht zu erkennen. Interkulturelle Rezeptionsprozesse beeinflussen deutlicher die Entscheidung: Oft wird die Genehmigung lateinamerikanischer Texte durch die gutachterliche Auslegung gesellschaftlicher Textbezüge begünstigt. Erscheint der jeweilige Text eher in einem außerspanischen Kontext verankert, ist er in den Augen der Gutachter weniger schädlich für eine spanische Rezeption: "[AJpenas figuran circunstanciales alusiones a Cuba y a España" lautet am 19.11.1966 das beruhigende Gutachten zu El reino de este mundo, so dass einem Plazet nichts im Wege steht.823 Auch ein ungeschminkt die salvadorianische Diktatur anklagendes Buch wie Cenizas de Izalco (Darwin J. Flakoll/Claribel Alegría) wird genehmigt.824 Umgekehrt führt gerade die semantische Übertragbarkeit eines Textes auf spanische Zustände zu Beanstandungen, wie im Fall von País portátil (Adriano González León), der nach Meinung des Gutachters zur Subversion anrege, "por ofrecer muchos paralelismos con ciertas circunstancias españolas, especialmente las estudiantiles"; erst nach zahlreichen Korrekturen wird der Text genehmigt.825 Dennoch sind Publikationsverbote seltener auf politische Argumente denn auf moralische Kriterien zurückzuführen, und selbst ein leicht als pro-kubanisches Manifest (miss)interpretierbarer Text wie El paredón (Carlos Martínez Moreno) oder der erwähnte País portátil werden letzten Endes genehmigt.826 Häufig appellieren Verlage daran, aus wirtschaftlichen Erwägungen anderweitige Vorbehalte hintanzustellen. Nicht nur Seix Barrai, auch andere Verlage führen ihr 822

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AGA, Doss. 2820-68. Das Werk wird trotz seiner literarischen Qualität verboten, da die zu Tage tretende Sexualität "moralmente repudiable" ausfalle (Gutachten vom 24.4.1968). Alejo Carpentier, El reino de este mundo, AGA, Doss. 7650-66. Das letzte Gutachten vom 18.11.1965 charakterisiert den Roman als "novela social y costumbrista cuya acción transcurre en un país centroamericano." Trotz mancher prorevolutionärer Aussagen wird der Roman mit nur zwei Streichungen genehmigt (Darwin J. Flakoll/Claribel Alegría, Cenizas de Izalco, AGA, Doss. 3791-65). Vgl. die Begründung eines Gutachters zur Beibehaltung einer Textstelle in Dos veces Alicia von Albalucia Angel, publiziert 1972 bei Barrai Editores: "Desde luego no se refiere a España y sería un exceso de suspicacia solicitar su [del párrafo] supresión [...]" (AGA, Doss. 299872). Adriano González León, País portátil, AGA, Doss. 10590-68. Dieser Befund widerspricht zumindest für die lateinamerikanischen Titel der These Neuschäfers (1991: 43), dass die Bedeutung moralischer Zensurkriterien in den letzten Jahren des Franquismus im Vergleich zur Wirkung politischer Argumente abgenommen habe ein solcher Prozess zeichnet sich keineswegs eindeutig ab. Auch für die Filmzensur lässt sich nach Rudolph (1999: 245) keine solche Entwicklung feststellen.

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existenzielles Exportinteresse nach Übersee als Argument gegen das generelle Verbot eines lateinamerikanischen Textes ins Feld. Dabei können sie die internen Widersprüche der Franco-Politik - wirtschaftliche Öffnung bei innenpolitischer Repression - geschickt für sich ausnutzen: die Exportnotwendigkeit ist mehrfach ein wichtiges Argument für eine positive Entscheidung der Zensoren.827 Das Interesse an einer zügigen internationalen Vermarktung manifestiert sich beispielsweise im Oktober 1971 im Fall der bei Barrai Editores publizierten Argentinier Haroldo Conti und Mirko Buchin, für deren Romane eine schnelle Autorisierung erbeten wird: Se trata de dos casos de urgencia por el hecho de ser ambas novelas argentinas y la obligación de atender nuestros compromisos de preventa en los países americanos del Cono Sur y antes del [...] comienzo de las vacaciones veraniegas [...]. 828

Der obligatorische Export der gesamten oder überwiegenden Auflage nach Lateinamerika ist ein weiterer geläufiger Kompromiss, um einem endgültigen Verbot zu entgehen. Noch 1975, aus Anlass der Publikation von Terra nostra (Carlos Fuentes), bietet Seix Barrai den freiwilligen Export aller Exemplare an, um keine Marktnachteile bei einem angesehenen Autor zu erleiden.829 Es ist allerdings unklar, inwieweit die Verlage sich an derartige Exportauflagen gehalten haben. Zum variierenden Bündel der Entscheidungskriterien gehören außerdem rezeptionsstrategische Überlegungen etwa hinsichtlich der beantragten Auflagenhöhe und der zu erwartenden Verkäufe. Solche Erwägungen können jedoch auch zum Nachteil des Verlags ausschlagen und andere Vorbehalte noch verstärken. Während der Import von Rayuela für geringe Mengen wiederholt genehmigt worden ist, bewegt Seix Barrals Klage über finanzielle Ausfälle die Behörden dennoch nicht dazu, im Jahr 1967 eine Lizenzausgabe dieses Romans für Seix Barrai zu autorisieren, da die Auflage mit 4.000 Exemplaren zu hoch veranschlagt sei. Ebenso wird Ernesto Sábatos El túnel als kurzer Text, für den deshalb eine relativ hohe Verbreitung zu erwarten sei, Ende 1965 zunächst nicht genehmigt. Ein Gutachter begründet sein negatives Urteil wie folgt: "Dada la pequeña extensión de la obra, que puede ponerla en manos de un amplio círculo de lectores que no comprendería fácilmente la intención simbólica de la novela, consideramos conveniente [...] no conceder la autorización de la misma."830

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Vgl. das o.a. Beispiel von La ciudad y los perros (4.5.1 ). Brief Carlos Barrai an die Dirección General de Cultura Popular, 21.10.1971 (zu Mirko Buchin, Chechechela, AGA, Doss. 10695-71). Carlos Fuentes, Terra nostra, AGA, Doss. 14294-75. Auch der Círculo de Lectores muss 1973 bei mindestens zwei Titeln in den obligatorischen Export einwilligen: Día de ceniza (Salvador Garmendia, AGA, Doss. 3516-73) und Confabulano antològico (Juan José Arreola, AGA, Doss. 3519-73). Gutachten vom 13.12.1965 fiir El túnel, AGA, Doss. 3265-65. Die Zensurakten sind unvollständig und widersprüchlich und lassen nicht erkennen, welches abschließende Urteil gefällt wurde. In jedem Fall erscheint das Buch nicht bei Seix Barrai.

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Im Gegensatz zu den erwähnten Kriterien treffen moralisch begründete Vorbehalte der Zensur lateinamerikanische Titel in gleichem Maße wie spanische. Im zitierten Beispiel von La otra mitad verweigert Minister Fraga Iribarne unter Berufung auf negative Gutachten gegen alle Einwände Barrais seine Genehmigung. Dass sich das Publikationsverbot auf die Infragestellung der Institution Ehe im Roman gründet, unterstreicht die stets nur bedingte Effektivität anderer Argumente gegenüber den kritisierten moralischen bzw. religiösen Verstößen: Todo el libro constituye una justificación y elogio del amor adúltero, mientras las relaciones conyugales quedan sistemáticamente ridiculizadas y empequeñecidas. La obra entera está penetrada de erotismo y abundan extraordinariamente los pasajes crudos y obscenas. La obra es totalmente rechazable [...]831

Inakzeptabel sind auch die Thematisierung von Homosexualität oder die angebliche Verherrlichung von Selbstmord und Ehebruch; Paradiso (José Lezama Lima) und La traición de Rita Hayworth (Manuel Puig) - "abundando de manera reiterada las expresiones obscenas, de mal gusto, descripciones de homosexuales y toda clase de atrevimientos morales" - werden per Gerichtsbeschluss verboten.832 Bei Julio Cortázars Libro de Manuel ist es nicht so sehr der engagierte politische Gehalt, sondern vor allem die Fülle der erotischen Passagen, die das Publikationsverbot begründen (Romero Downing 1992: 242). Unter internationaler Perspektive spielen neben ökonomischen auch allgemeinpolitische Erwägungen eine Rolle. Wie 1961 bei García Hortelanos Roman Tormenta de verano (siehe 3.4.4), droht und kalkuliert Barrai bei lateinamerikanischen Autoren mit den möglichen internationalen Reaktionen auf eine Zensur. Die Verantwortlichen zeigen sich für dieses Argument durchaus sensibel, und in einigen Fällen setzen sich sogar Diplomaten in Übersee für eine Genehmigung ein. Im paradigmatischen Fall von La otra mitad betätigt sich der spanische Botschafter in Uruguay, Rafael Ferrer Sagreras, allerdings vergeblich als Vermittler. In einem Brief an Carlos Robles Piquer schreibt er Ende 1964: "Como ya os dije, [...] para mí el asunto tenía una vertiente política [...], pero, me hago cargo de que los señores de la censura han examinado la obra con otros criterios."833 Nachdem 1967 die NichtAutorisierung von Carlos Fuentes' Cambio de piel für internationales Aufsehen

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Zitiert aus dem abschließenden Gutachten der Oficina de Enlace des MIT vom 30.9.1964, bestätigt am 13.11.1964 durch Fraga Iribarne (Carlos Martinez Moreno, La otra mitad, AGA, Doss. 3481-64). Vgl. auch das erwähnte Beispiel von Mutaciones bruscas. Zitiert aus einem späteren Gutachten vom 12.11.1971 zu Manuel Puig, La traiciön de Rita Hayworth, AGA, Doss. 4058-66; bei der Wiedervorlage 1971 erhält der Titel den silencio administrativo. Bei Paradiso (Doss. 9652-68), eingereicht vom Verlag Equipo Editorial, rät ein Gutachter wegen angeblicher "pornografia barroca" (Romero Downing 1992: 230) zum Verbot, obwohl alle Zensurgutachten die politische Distanz Lezamas zu Fidel Castro positiv vermerken. Brief Rafael Ferrer Sagreras an Carlos Robles Piquer, 24.12.1964, La otra mitad, AGA, Doss. 3481-64.

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gesorgt und das Ansehen der spanischen Regierung beschädigt hatte, wird der Premio Biblioteca Breve 1968, País portátil (Adriano González León), unter anderem aus Angst vor einem internationalen Skandal genehmigt: "[...] para no meter la pata y que no sea un 2° 'Cambio de piel'" drängt der venezolanische Botschafter in Bezug auf negative Pressemeldungen vor Ort. 834 Der Erfolg der jeweiligen Argumente ist also unterschiedlich. Bei der Beurteilung politischer Gegenwartsbezüge ergibt sich in Einzelfallen ein Vorteil lateinamerikanischer Texte gegenüber denen spanischer Autoren, zumal wenn diese als Anhänger der Kommunistischen Partei verdächtig sind. Bei lateinamerikanischen Manuskripten fließt sehr häufig die Frage nach der Übertragbarkeit des Geschilderten auf den spanischen Kontext in das Gutachten ein. Oft bewirkt ein solch differenzierendes Herangehen eine schließliche Entwarnung gegenüber problematischen Passagen. Für die Texte aus Übersee ließe sich dann die Hypothese aufstellen, dass ein als exotisch oder folkloristisch gelesener Text von den Gutachtern eher akzeptiert wird als ein sich kosmopolitisch gebendes Werk wie Rayuela oder Cambio de piel. Es zeigt sich aber auch, dass dieser strategische Vorteil lateinamerikanische Texte nicht davor bewahrt, aufgrund anderer, vor allem moralischer Kriterien zensiert zu werden, die unterschiedslos für Romane jeglicher Provenienz gelten.

Es lässt sich kaum nachweisen, in welchem Maße die Erwartung zensorischer Erleichterungen eine Rolle bei der Titelplanung Seix Barrais spielt. Isaac Montero stellt 1969 die These auf, dass die Zensurprobleme bei der Publikation von Romanen des realismo social es für Seix Barrai notwendig gemacht hätten, auf lateinamerikanische Texte auszuweichen. 835 Gewiss geraten bestimmte spanische Autoren, unter anderem Montero selbst, in erhebliche Konflikte mit der Zensur, die zahlreiche Romane unveröffentlicht lassen. 836 Dennoch misst eine solche Argumentation den anderen aufgezeigten Faktoren verlegerischer Entscheidung zu wenig Gewicht bei. Angesichts der vergleichsweise geringen Publikationsmenge lateinamerikanischer Titel in Spanien ist es zudem nicht eindeutig auszumachen, inwieweit diese tatsächlich eine durchweg bevorzugte Behandlung gegenüber spanischen Manuskripten erhalten haben, die in ungleich höherer Zahl erscheinen und entsprechend häufiger

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País portátil, AGA, Doss. 10590-68. Vgl. die regierungsnahe Dokumentation des "caso Fuentes" in der Estafeta Literaria ("Un episodio literario de 1967: el caso Fuentes", La Estafeta Literaria 387, 13.1.1968, S. 4-7) sowie die Stellungnahme von Fuentes in "Fuentes y la censura española", Mundo Nuevo 17 (November 1967), S. 90f. Isaac Montero: "Los premios o treinta años de falsa fecundidad", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XIV (Mai 1969), S. 73-84, hier: 77. Auch Carlos Barrai ist 1975 der Ansicht, dass die Zensur mit den spanischen Autoren Seix Barrais in den 50er und 60er Jahren restriktiver verfahren sei als mit ausländischen Autoren (in Beneyto 1975: 201).

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zensiert werden.837 Mit dem Boom, der die lateinamerikanische Literatur der spanischen quantitativ näher bringt, scheint sich auch die zensorische Kontrolle beider anzugleichen.838 Immerhin werden im Fall Seix Barrais zwischen 1962-69 mindestens sieben Titel lateinamerikanischer Autoren von der Zensur nicht bzw. nur unter solchen Auflagen genehmigt, dass der Verlag von einer Publikation in Spanien vorläufig absieht. Demgegenüber stehen die erwähnten 26 in diesem Zeitraum - meist mit Korrekturauflagen - genehmigten und veröffentlichten Titel.839 Vom Verbot sind neben den einschlägigen Fällen Cambio de piel oder La traición de Rita Hayworth - beide erscheinen erst in den 70er Jahren - Titel wie Gracias por el fuego (Mario Benedetti), Finalist des PBB 1962 und bereits im Verlagsprogramm angekündigt, oder wie die erwähnten La otra mitad (Carlos Martínez Moreno) und Mutaciones bruscas (Enrique Revol) betroffen, außerdem die Lizenzausgaben von Rayuela oder El túnel.840 Andere Titel werden nur genehmigt, nachdem Verlag und Autor erhebliche Textveränderungen akzeptiert haben, so im Fall von Tres tristes tigres, das gegenüber der ursprünglichen Version ( Vista del amanecer en el trópico, publiziert 1974) vom Autor Guillermo Cabrera Infante völlig umgeschrieben wird. Auch Texte bei anderen Verlagen sind von Import- und Publikationsverboten betroffen, z.B. im Jahre 1960 die Importanträge über 50 Exemplare von Hijo de hombre (Augusto Roa Bastos, Losada) oder für die beim FCE erschienenen Titel von Carlos Fuentes (Las buenas conciencias) und Luis Spota (El tiempo de la /ra).841 1968 wird neben Paradiso (José Lezama Lima, Equipo Editorial) auch La muerte de Honorio von Miguel Otero Silva verboten, 1971 Ultimo round (Julio Cortázar) und ¡Zoom! (Hernán Valdés, beide Siglo XXI).842 Im ersten Halbjahr 1970 wird aus dem MIT Anzeige gegen die Publikation von Beatriz Guidos Roman El incendio y las vísperas (Planeta) erstattet, der zu scharfe Kritik an Juan Perón übe, einem Freund des franquistischen Regimes: "Diatriba durísima contra el peronismo, llegándose a ofensas personales contra Juan Domingo Perón."843 Das zuständige Gericht sieht allerdings

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Eine solche Bevorzugung behaupten Romero Downing (1992: 276) und Abellán, der für die Jahre vor 1973 eine "relativa benevolencia" bei der Zensur lateinamerikanischer Autoren beobachtet (Abellán 1980: 240). Diese Aussage lässt sich nur unter Vorbehalt treffen, da bislang keine vollständige Aufarbeitung aller betreffenden Akten vorliegt. Romero Downing ermittelt auf einer Basis von 35 Vorgängen aus den Jahren 1963-68 eine Verbotsquote von immerhin 17% (sechs Titel). Die entsprechenden AGA-Referenzen sind in der Bibliografie aufgeführt. Las buenas conciencias wird wegen der negativen Darstellung des Katholizismus verboten (Gutachten vom 31.10.1960, AGA, Doss. 5438-60). Zu Hijo de hombre (Doss. 429060) und Spota (ohne Dossierangabe) siehe Abellán (1980: 188 u. 191). Zu Paradiso s.o., zu La muerte de Honorio (Doss. 9552-68) siehe Abellán (1992: 18, ohne Verlagsnennung). Zu Ultimo round (Doss. 3790-71) und ¡Zoom! sowie anderen Verbotsverfügungen gegen Siglo XXI siehe Cisquella u.a. (1977: 170-72). Kurzinformation zu El incendio y las vísperas (AGA, Doss. 178-70), zitiert nach der Übersicht von Publikationen, die im Jahr 1970 mit Konfiskation der Auflage oder nach-

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von einer Anklage ab. Ebenfalls im Frühjahr 1970 erhalten Werke von Mario Vargas Llosa (Conversación en la catedral, Seix Barrai) und Juan Carlos Onetti (Juntacadáveres, Revista de Occidente), Ende 1970 José Donosos El obsceno pájaro de la noche (Seix Barrai) das Verdikt silencio administrativo,844 Der gleiche Bescheid ergeht 1974 gegen Concierto barroco von Alejo Carpentier (Siglo XXI) oder Octaedro von Julio Cortázar (Alianza).845 Am Beispiel Seix Barrai ergeben sich konkret weitere Erkenntnisse, die sich als Hypothesen auf den gesamten Vermittlungsprozess übertragen lassen: Die Zensur beeinträchtigt die zeitnahe internationale Verbreitung bestimmter Werke und Autoren. Die verspätete Rezeption etwa Mario Benedettis in Spanien lässt sich auch darauf zurückzuführen, dass sein Roman 1964 nicht bei Seix Barrai erscheinen darf. Der Romanerstling des Argentiniers Enrique Revol ist von der Distribution in Spanien ausgeschlossen zu einem Zeitpunkt, da der Boom neuen Autoren ein Sprungbrett bietet, so dass von Revol lediglich ein Erzählband erscheint, ein in Spanien per se weniger nachgefragtes Genre. Der Programmschwerpunkt Seix Barrais verschiebt sich in geografischer Hinsicht: Von den oben erwähnten sieben nicht bzw. nicht sofort erschienenen Titeln entstammen sechs der Rio de la Plata-Region, wo Seix Barrai seinerseits nun in seinen Marktchancen beeinträchtigt ist. Mit den Titeln von Martínez Moreno und Benedetti hätte Seix Barrai einen deutlicheren Schwerpunkt auf uruguayische Literatur gesetzt. Die Verhandlungsstrategien der Verlage belegen nachdrücklich die zunehmende Bedeutung lateinamerikanischer Titel für den spanischen Markt, selbst wenn manches Argument allein aus Opportunitätsgründen vorgebracht worden sein mag. Insofern sich mit den wirtschaftlichen Interessen die Argumentationsbasis gegenüber der Zensur verbreitert und der Export als mögliche Alternative zum Verbot bestehen bleibt, bietet die Publikation lateinamerikanischer Autoren für den spanischen Verleger strategische Vorteile. Während zu Beginn der 60er Jahre noch ausfuhrliche Diskussionen über die inhaltliche Interpretation geführt werden, verlegt sich Barrai gegen Ende des Franquismus weitgehend auf die kontextuellen Argumente vor allem ökonomischer Natur, denen offenbar nun erhöhtes Gewicht zukommt: Der Boom hat begonnen. Die Zensurakten zeigen ferner, wie sehr die Publikation von der Kompromissbereitschaft des jeweiligen Autors abhängt. Während Carpentier den auferlegten Streichungen in El siglo de las luces erst nach langen Diskussionen zustimmt, akzeptiert

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träglicher Anzeige verfolgt wurden ("Relación de depósitos de publicaciones unitarias [...], sujetos a secuestro previo administrativo o denuncia oficial, durante el ejercicio 1970", AGA, Fach 48806). Die Referenzen: Conversación en la catedral (AGA, Doss. 1188/89-70), Juntacadáveres (3788-70), El obsceno pájaro de la noche (8979-70). Concierto barroco (AGA, Doss. 13119-74); zu Octaedro siehe Romero Downing (1992: 243, ohne Dossierangabe).

4. Die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur in Spanien (1959-67)

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der 1968 noch wenig bekannte González León die behördlichen Vorgaben, um das Erscheinen seines Romans País portátil nicht zu gefährden. 846 Manuel Puig legt nach wiederholter Verweigerung einer spanischen Ausgabe von La traición de Rita Hayworth schließlich ein eigenhändig korrigiertes Exemplar vor, das die Genehmigung und Publikation bei Seix Barrai ermöglicht. 847 Auch die Bemühungen Vargas Llosas in eigener Sache sind zu erwähnen: Barrai und Vargas Llosa fuhren ein persönliches Gespräch mit Robles Piquer, der unter Zusicherung geringfügiger Textveränderungen eine schnelle Genehmigung verspricht.848 Vargas Llosa erklärt sich letztendlich bereit, einige für das Textverständnis unerhebliche Änderungen vorzunehmen, nicht ohne jedoch Robles Piquer gegenüber seine "oposición de principio a la censura" auszudrücken.849 Der Eindruck einer fortwährenden Konfrontation von Staat und Verlag wandelt sich zu dem eines unvermeidlichen Arrangements inmitten eines repressiven Systems. Die verlegerische Notwendigkeit zu ökonomisch tragfahigen Entscheidungen einerseits, die Heterogenität und Fragilität der zensorischen Kriterien andererseits, bedingen auf beiden Seiten eine gewisse Flexibilität des Handelns. Carlos Barrai gibt sich in seiner Korrespondenz mit Robles Piquer als offener Gegner jeglicher Zensur zu erkennen. Er entwickelt aber eine erfolgreiche Strategie des vermittelnden Umgangs und umgeht den offenen Konflikt mit der Politik Fragas. Dennoch vermag sich auch 846

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Dies bezeugt ein Brief Carlos Barrais an Robles Piquer vom 12.12.1968: "Inmediatamente después de la cordial entrevista que sostuvimos con Ud. en Barcelona, Adriano González León se puso a redactar de nuevo los textos [...]." (País portátil, AGA, Doss. 10590-68). Ähnlich engagiert sich Cabrera Infante persönlich für die Genehmigung von Tres tristes tigres und fuhrt mit Robles Piquer eine "extraña y complaciente relación epistolar" (Romero Downing 1992: 212) über nötige Manuskriptänderungen. Joan Ferraté, Interview mit B.P., 16.6.1998. Eine Darstellung der Zensurprobleme in Spanien und Argentinien aus Sicht des Autors in Puig (1985). Femer wird dem Verlag auferlegt, den Buchumschlag mit erläuternden Kommentaren zu versehen, die den womöglich als zu politisch oder brutal empfundenen Text angemessen verorten helfen sollen: "[L]e enviaré las frases que según convinimos deben figurar en la sobrecubierta y de las que tengo ya algunas [...] Estoy seguro que estas breves e incisivas manifestaciones acerca de la excepcionalidad del libro harán menos probables las 'reservas mentales' que fueran de temer en algunos críticos o lectores." (Brief Carlos Barral an Carlos Robles Piquer, 30.7.1963, Los impostores, AGA, Doss. 1031-63). Aus dem Schreiben geht nicht hervor, ob auch die Hereinnahme des Prologs von José Maria Valverde auf Initiative Robles Piquers oder Seix Barrais selbst geschieht, wie es Santana (1992: 81) vermutet. Vargas Llosa erklärt, in acht Fällen Textveränderungen (Ellipsen, Streichungen) vorgenommen zu haben. Zu Beginn des Briefes heißt es: "Me es muy grato dirigirle estas líneas, en relación con ciertas modificaciones que acabo de efectuar en mi novela. He realizado esta tarea teniendo en cuenta sus amables sugerencias, aunque (permítaseme una confidencia) sin alegría ni convicción alguna." (Brief Mario Vargas Llosa an Carlos Robles Piquer, 15.7.1963, Los impostores, AGA, Doss. 1031-63). Die hier dokumentierte Entscheidung widerspricht dem Zeugnis Barrais (1978: 149), demzufolge lediglich ein einziges Wort habe geändert werden müssen.

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Barrai nicht allen Einschränkungen zu entziehen und sieht sich häufig zur Korrektur oder zur verlegerischen Vorzensur genötigt.

4.7 Zusammenfassung Die neue programmatische Ausrichtung Seix Barrais auf lateinamerikanische Literatur setzt konsequent das Bemühen um Distinktion und Dominanz innerhalb eines kulturellen Bezugrahmens fort, der nicht mehr auf Spanien begrenzt zu denken ist. Mit der Publikation Vargas Llosas beginnt in den 60er Jahren gleichzeitig eine eigene spanische Rezeption lateinamerikanischer Narrativik, die ihrerseits schnell nach Europa und Lateinamerika ausstrahlt und die bisherigen Austauschbeziehungen verändert. Zeitgenössische Verlagsparatexte und Rezensionen belegen, dass die lateinamerikanische Literatur vor dem Hintergrund der spanischen Realismus-Debatte der 60er Jahre als impulsgebender Faktor betrachtet wird. Dabei profitiert die verlegerische Vermittlung lateinamerikanischer Literatur auch von Vorteilen im Zensurverfahren, insofern als die Behörden gegenüber Texten aus außerspanischen Literaturen eigene Kriterien anzulegen bereit sind. Das Beispiel Seix Barrai zeigt darüber hinaus, dass die erfolgreiche Vermittlung lateinamerikanischer Romane auch vor dem Hintergrund eines verlegerischen Internationalisierungsstrebens zu sehen ist, das die Wiedergewinnung der Absatzmärkte in Übersee einschließt. Seix Barrai profiliert sich bis Ende der 60er Jahre im Inland wie im Ausland als führender spanischer Verlag lateinamerikanischer Literatur und, allgemein, als Vermittler einer sich als avantgardistisch verstehenden, oppositionellen Literatur inmitten des repressiven politischen Kontextes. Auf internationaler Ebene aber ist es dem Verlag über das Festhalten am "jungen spanischen Roman" nicht mehr möglich, sein kulturelles und ökonomisches Kapital zu steigern. Im Hinblick auf eine Ausweitung der literarischen Vernetzung und des verlegerischen Spielraumes stellen die lateinamerikanischen Märkte die Fortsetzung der europäischen Kontakte und Reisen aus den späten 50er Jahren dar. Es gilt nun zu betrachten, welche Entwickungen im Zuge des Boom der Jahrzehntwende für die Vermittlung der lateinamerikanischen Literatur und die Funktion der relevanten Verlage festzustellen sind.

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5. Das spanische Verlagswesen und der Boom (1967-78)

5.

D A S SPANISCHE VERLAGSWESEN UND DER BOOM

(1967-78)

Somos la generación de Alianza-Seix Barral. Manuel de Lope (1990: 97) Der Beginn des lateinamerikanischen Boom in Spanien ist auf den Zeitpunkt der Rezeption von Cien años de soledad (Gabriel García Márquez) ab Oktober 1967 zu datieren. Erst jetzt wird die lateinamerikanische Literatur zur medialen Sensation, nachdem die Rezeption einzelner Autoren bereits zur literarischen Neubestimmung im Spanien der frühen 60er Jahre beigetragen hatte. Diese erfolgreiche Entwicklung steht im Kontext einer verstärkten Marktorientierung der spanischen Kulturproduktion, in der neue Vermittlungsinstanzen die medialen Möglichkeiten von Literatur erweitern. Bis zum Ende der 60er Jahre verfügen spanische Verlage, unterstützt von staatlichen Exporthilfen und den Reformen der Presse- und Buchzensur von 1966, über verbesserte Rahmenbedingungen (5.1.1). Die kulturelle Opposition des Spätfranquismus differenziert sich. In Barcelona konzentriert sich eine kulturelle Szene kosmopolitischen Einschlags, in der Verleger, unter ihnen Carlos Barral, eine Schlüsselrolle spielen und die als Anlaufpunkt zahlreicher lateinamerikanischer Schriftsteller dient (5.1.2-5.1.3). Die strukturellen Veränderungen im lateinamerikanischen und spanischen Verlagswesen der 70er Jahre beeinflussen die konkreten materiellen Bedingungen der Vermittlung. Ab 1970 unter neuer Leitung, bleibt Seix Barral führender Verlag für lateinamerikanische Literatur und kann sich gegenüber neuer Konkurrenz auf sein erworbenes Prestige stützen (5.2.1-5.2.2). Carlos Barrais Arbeit im neuen Verlag Barral Editores ist durch den Versuch gekennzeichnet, inmitten sich wandelnder Gegebenheiten ein erprobtes verlegerisches Modell fortzuführen. Barrals Strategien der Kooperation und Programmgestaltung zeigen sich vom gegenkulturellen Geist der Zeit geprägt und dokumentieren in ihrem finanziellen Scheitern die Grenzen ambitionierter Verlagstätigkeit (5.2.3-5.2.6). Der Boom in Spanien lässt sich als ein Phänomen intensiver Vermittlungsprozesse und literarischer Dominanz in Spanien auf die Jahre 1967-73 datieren (5.3.1). Die Konjunktur dieser öffentlichen Präsenz ist wiederum in der Verlagsarbeit Carlos Barrals repräsentiert, der sich ab 1972 markant vom Boom zu distanzieren beginnt (5.3.2). Schriftsteller, Verlage und Pressemedien schaffen der lateinamerikanischen Literatur eine mehijährige öffentliche Sonderstellung, in der der Autor als Medienstar inszeniert wird (5.3.3). Die aktive Teilhabe lateinamerikanischer Schriftsteller am kulturellen Leben des Spätfranquismus belegt eine faktische Internationalität des spanischen literarischen Feldes. Während manche Intellektuelle diese Internationalität zum identitätsstiftenden Merkmal erheben, ist der Boom gleichzeitig Motiv innerspanischer literarischer Auseinandersetzungen, in denen sich eine Gegenposition des Nationalen artikuliert (5.4).

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Literarische Produktion im Spanien des Spätfranquismus

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Kulturindustrie und Buchmarkt um 1970

Nach dem Aufschwung des Buchmarktes in den 60er Jahren sind die folgenden Jahre von politischen und ökonomischen Umbrüchen und Konjunkturschwankungen gekennzeichnet, in deren Verlauf sich die Werte der Verlagsproduktion dennoch stabilisieren.850 Beim allmählichen Strukturwandel der Buchindustrie in den 70er und 80er Jahren wirken der politische Übergang und globale Wirtschaftsprozesse ineinander: Gegenüber den unmittelbaren Auswirkungen des politischen Umbruchs vom November 1975 (Pressefreiheit) sollten deshalb längerfristige kulturelle und wirtschaftliche Kontinuitäten nicht unterbewertet werden. Die Konjunktur der Buchbranche ist stark vom Auslandsgeschäft bestimmt. Schwere Exporteinbrüche in Lateinamerika bedrohen zwischen 1973 und 1976 die Existenz mancher Verlage, da gerade der Boom zu einem Ausbau des transnationalen Geschäftes geführt hatte. Nach einer Erholungsphase zeigt sich ein neuerliches krisenhaftes Intermezzo zwischen 1980 und 1984, in dessen Folge zahlreiche Verlage schließen müssen. Hier werden die Voraussetzungen für den massiven Konzentrationsschub ab 1985 gelegt, in dessen Verlauf sich eine transnationale bzw. globalisierte Verlagsindustrie herausbildet.851 Die Verlagsproduktion steigt zunächst von 19.717 (1970) auf 24.085 Titel (1974) weiter an, um in den Folgejahren zu stagnieren. Erst 1980 ist ein neuerlicher Schub auf 28.195 Titel zu verzeichnen, der sich bis 1986 auf 38.405 fortsetzt: In 16 Jahren hat sich die absolute Titelzahl also nahezu verdoppelt.852 Die Durchschnittsauflage hält sich in den 70er Jahren konstant zwischen 8.257 (1975) und 9.434 (1981) Titeln. In den letzten Jahren des Franquismus lässt sich ein stark nachlassendes Interesse an Belletristik zugunsten der Nachfrage nach Sachliteratur konstatieren. Der Anteil der literarischen Produktion sinkt dramatisch von 41% (1971) auf 23% (1976) und erholt sich erst in den 80er Jahren wieder (1985: 36%).853 Auch die Auflagenzahl lite850

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Vor allem die Schulbuchverlage profitieren von den Änderungen der schulischen Curricula in den 60er Jahren und der Ley de Educación 1970 (Escolar 1996b: 164 u. 168). "La evidencia de la crisis por la que atraviesan la mayor parte de las empresas editoriales pone de manifiesto la aparición de una nueva etapa en el mundo de la edición, que se caracteriza por una mayor competitividad y por la desaparición de todos aquellos agentes editores con proyectos coyunturales y sin la infraestructura empresarial necesaria para hacer frente a una situación de crisis generalizada." (Galán Pérez 1986: 92). Vgl. zu den Konzentrationsprozessen der 80er Jahre Carrón (1988), Acta (1990: 96ff.), Pohl (1998), Lenquette (1999). Zu den Exportbedingungen der 70er Jahre vgl. 2.2. Nach Zahlen des INE. Eine ähnliche Entwicklung zeigen auch die Zahlen des ISBN; dort liegt der Anstieg im gleichen Zeitraum (1970-1986) sogar bei 170% (nach Zahlen bei Lenquette 1999: 341, und Cendán Pazos 1972); vgl. Anhang I. Nach Zahlen des INE. Deshalb kann Carrón (1988: 194) wieder die Dominanz der Sparte Literatur betonen, die 1985 nach Exemplaren allein 49,1%, nach Titelmenge 36% der Ge-

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rarischer Titel zeigt eine sinkende Tendenz. Bereits in der Transición aber gewinnt der Roman in spanischer Sprache wieder in der Publikumsnachfrage und entwickelt sich schließlich zu dem Verlagsprodukt der spanischen Demokratie.854 Insgesamt steht die Entwicklung des spanischen Buchmarktes um 1970 im Zeichen fortschreitender kulturindustrieller Entwicklungen, deren gesellschaftliche Folgen unter Intellektuellen eifrig diskutiert werden (siehe 5.1.2). 855 Für die Kulturindustrie typische Phänomene der Repetition (Moden, Bestseller) und Serialisierung (Taschenbuchreihen), die Aufwertung von Marketing und Konsum und damit des Warencharakters der Kultur, gehen einher mit Maßnahmen zur Modernisierung des Produktionsablaufs (Zallo 1995: 29f.). Die in den 60er Jahren beschleunigte Angleichung der Gesellschaft an kapitalistische Marktverhältnisse unterwirft die verlegerische Arbeit einem rapiden Wandel und neuen finanziellen Anforderungen: [E]n los años 1968 y 1969, apareció el fantasma insalvable de la economía, con sus incrementos de costos, las alzas de papel, el precio imposible de las tapas duras y el factor cada vez más decisivo - de la distribución [...]856

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samtproduktion ausmachen. Vgl. zum spanischen Roman der Demokratie die neueren Studien von Lenquette (1999) und Langa Pizarro (2000). Der Begriff der 'Kulturindustrie' kennzeichnet die sich historisch herausbildende Übertragung der Prinzipien von technischer Rationalität und arbeitsteiliger Organisation auf alle Bereiche der kulturellen Produktion. Der kapitalistische Wandel schafft die Bedingungen für die Entstehung einer 'Massenkultur', deren Inhalte "arbeitsteilig und verwertungsorientiert [...] produziert, über anonyme Märkte verteilt und als Massenprodukte konsumiert werden" (Hunziker 1996: 13). Für Horkheimer und Adorno sowie für Marcuse sind die widerständige Kunst und das schöpferische Individuum in der Kulturindustrie der totalitären Herrschaft einer uniformierenden, ökonomischen Logik unterworfen: In der Umsetzung des reproduktiven Prinzips auf die Kunst werde deren humane, aufklärerische Aufgabe verraten, und das Individuum - Künstler oder Rezipient - falle der Entfremdung, Verdinglichung und Massifizierung anheim, mithin den als "Dialektik der Aufklärung" diagnostizierten Symptomen der Moderne (Horkheimer/Adorno 1968 [1947]). Im Ergebnis stehe das zur standardisierten Ware gewordene kulturelle Produkt. Dagegen hatten Brecht (1967 [1932]) und Benjamin (1969 [1934/35]) noch auf die im medialen Wandel angelegten emanzipatorischen Möglichkeiten von Radio oder Film gesetzt. Für Benjamin stellt der Verlust der Aura des einzigartigen Kunstwerkes - für Adorno das Kennzeichen kultureller Degeneration - eine Befreiung und Demokratisierung der Kunst dar. Aus der These von der Vergesellschaftung des Menschen durch die Kulturindustrie hat sich, bei Infragestellung der als elitär kritisierten Degenerationsthese Horkheimer/Adornos (P. Bürger 1982), die Frage nach der Gültigkeit kultureller Werturteile und die Forderung nach einer Neubewertung der Populärkultur (Martín-Barbero 1998) entwickelt. Die Kritische Theorie hat in ihrer Verurteilung des "affirmativen Charakters der Kultur" (Marcuse 1994) ein Problemfeld beschrieben, das zum Referenzpunkt späterer Medienforschung wird und das bei Soziologen wie Bourdieu oder Medienkritikern wie Postman fortwirkt, die darauf hinweisen, dass Verfechter eines angeblich vorurteilslosen Umgangs mit den neuen Medien einem Kulturrelativismus das Wort reden (vgl. Mattelart 1999: 253f.). Ferrán Monegal: "500 títulos para el bolsillo", La Vanguardia, 1.6.1977.

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In der Aufholjagd um Effektivität, Modernisierung und Professionalisierung der literarischen Tätigkeit versucht das spanische Verlagswesen, mit der internationalen Medienkonkurrenz Schritt zu halten (Acin 1990: 67). Neue Marktinstrumente und Strategien werden gefordert, die in Frankreich oder Westdeutschland bereits seit den 50er Jahren die "Revolution" des Buchmarktes gekennzeichnet hatten.857 Ich werde einige Aspekte dieser Professionalisierung der Kulturproduktion aufzeigen, die sich gerade in der Publizität des lateinamerikanischen Boom äußern, und damit auf die Rolle des Künstlers und der literarischen Edition in der im Wandel begriffenen spanischen Gesellschaft zu sprechen kommen.

Die Revolution des (Taschen)Buches Die Markteinführung des Taschenbuches ist das sichtbarste Ergebnis der Modernisierung der spanischen Verlagsindustrie in den 60er Jahren. Natürlich ist die Produktion preisgünstiger Bücher in hoher Auflage, d.h. von Volksausgaben {colecciones populares), auch in Spanien keine Erfindung der 60er Jahre.858 Vorläufer für spätere Taschenbuchreihen qualitativen Zuschnitts sind hier Calpes Colección Universal (1919) und Espasa-Calpes Colección Austral (1937). 859 1957 publiziert Germán Plaza mit den Libros Plaza eine erfolgreiche Taschenbuchreihe, die in ihrer Aufmachung an die französische Reihe Le Livre de poche erinnert. Erst Mitte der 60er Jahre setzt sich das Taschenbuch als Medium anspruchsvoller Texte auf breiter Front durch. Den Auftakt macht der Verlag Alianza, der im April 1966 unter Leitung von Jaime Salinas und Javier Pradera sein Libro de Bolsillo auf den Markt bringt.860 Alianza kommt damit der Konkurrenz zuvor, die ebenfalls an der Ent-

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Die Rede von der "révolution du livre" geht auf Escarpit (1969) zurück, der mit der Einführung der Pengwm-Taschenbücher im Jahre 1935 das Zeitalter der Massenkommunikation für das Medium Buch anbrechen sieht (28-30). Zur Edition von Populärliteratur in Spanien vgl. Botrel (1996) und Esteban (1996), zur Produktion der 60er Jahre: V.M.R.: "Libros de bolsillo", Triunfo 469 (29.5.1971), S. 3436. Die begriffliche Abgrenzung nach der Art des Einbands (paperback) und der Funktion bzw. Ausmaße (pocket book) ist selten eindeutig, oft werden beide Bezeichnungen synonym gebraucht. Mit 'Taschenbuch' ist im Folgenden das broschierte und im Allgemeinen kleinere Format gemeint, das zu einem signifikant geringeren Preis als die (oft) gebundene Originalausgabe erscheint und an ein breites Publikum gerichtet ist. Das Taschenbuchformat ist nicht auf die Publikation von Lizenzausgaben begrenzt. Medienhistorisch bezeichnet gerade die US-amerikanische Produktion von Originalausgaben im Taschenbuchformat (durch Robert Fair de GrafF, 1939) die "Ent-kultivierung des Mediums Buch" und seinen Funktionswandel zum Massenmedium (Faulstich 1998: 137). Jaime Salinas berichtet über die Gründung Alianzas: "En ese momento yo me estaba dando cuenta de que lo que estaba haciendo Seix Barral era importante, pero que había otros proyectos editoriales posiblemente más importantes en España; mi obsesión era una colección de bolsillo, un proyecto que a Carlos no le gustaba. Es normal en cierto tipo de editor, un editor personalista, en una colección de bolsillo su personalidad queda diluida, nunca le interesó. La mecánica de las ediciones de bolsillo la conocía de los Estados

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wicklung eigener Reihen arbeitet. Bereits 1963 ist z.B. in der Planung Seix Barrais von einer Taschenbuchreihe die Rede.861 Erst 1968 aber bringt Seix Barrai die Biblioteca Breve de Bolsillo heraus, im gleichen Jahr entsteht ariel quincenal (Ariel). Als direkte Konkurrenz zu Alianza wird 1970 die von Distribuciones de Enlace publizierte Reihe Ediciones de Bolsillo auf den Markt gebracht und im gleichen Jahr erscheint bei Edhasa die Biblioteca Latinoamericana de Bolsillo. 1972 beginnt Destino mit der Reihe Destinolibro. Binnen kurzem ist der Markt gesättigt, denn nahezu jeder relevante Verlag verfugt über eine eigene Taschenbuchreihe. 862 Die kostengünstige Taschenbuchproduktion bietet den Verlagen die Möglichkeit, angemessen auf den sozialen Wandel der spanischen Gesellschaft und den damit verbundenen Lesebedarf zu reagieren. Das Taschenbuch erfüllt in Spanien die kulturell dringend notwendige Funktion der Publikumsausweitung und ist Mittel literarischer Demokratisierung. Alianza gelingt es, die gebildeten Rezipienten zu versorgen und bis in die neuen Mittelschichten Käufer zu finden; inhaltlich füllt der Gegenwartsbezug der Reihe eine von konkurrierenden Projekten belassene Leerstelle. Der Einfluss Alianzas auf die Verfügbarkeit von Literatur und Essay innerhalb der Bildungsschichten ist kaum zu niedrig einzuschätzen. Der mit der Markteinführung der Taschenbücher verbundene Titelzuwachs lässt auch politisch riskante Bücher durch die Maschen der Zensur gelangen. Der erhöhte Titelumlauf und die Zweitverwertung der Verlagsbestände machen zahlreiche Werke der Vor- und Nachkriegszeit neu zugänglich. Aufgrund dieser spezifischen kulturellen Gegebenheiten ist zumindest unter spanischen Verlegern wenig von der Konsumkritik zu hören, die in anderen Industrieländern die Anfänge der Taschenbuchproduktion begleiten: 863 In

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Unidos y algo de Francia, el livre de poche ya existía. Empecé a trabajar en un proyecto para ver si podía interesar a alguno de los editores extranjeros. Gallimard me dijo que había recibido una carta de José Ortega Spottorno, el hijo de Ortega y Gasset, que tenía el proyecto de hacer la colección Idées de Gallimard, que era en esa época una colección de ensayo y más o menos una colección de bolsillo, y que por qué no me ponía en contacto con él. El estaba entonces en Madrid. Vine a hablar con él, le interesó el proyecto, yo me comprometía a aportar algún capital, le hice mucha presión para que no fuera únicamente de ensayo, sino que fuera una colección mucho más amplia e interdisciplinaria. Y así empezamos. Luego, entra allí una persona que desempeña un papel muy importante que es Javier Pradera. En el fondo nos lo repartíamos: Javier Pradera hacía non-fiction, yo hacíafiction." (Jaime Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997). Barrai, "Moment actuel", 1963, AB, siehe die ausführliche Diskussion in 3.4.1. Der Buchhändler Marcel Pons beziffert 1973 die Anzahl der auf dem spanischen Markt konkurrierenden Taschenbuchreihen auf ca. einhundert (María del Carmen Pallares: "El libro de bolsillo es una exigencia del desarrollo tecnológico y cultural", El Libro Español 184 (April 1973), S. 208-10, hier: 209). Wittmann verweist für den westdeutschen Buchmarkt auf die Bedenken von "Kulturkritikern, die wie Hans Magnus Enzensberger die beliebige Verfügbarkeit und den Warencharakter von 'Bildung als Konsumgut' tadelten [...]", deren Auffassung allerdings durch den Erfolg des Taschenbuchs in sozial benachteiligten Milieus widerlegt worden sei (Wittmann 1991: 378).

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Seix Barrais Programmvorschau für 1969 wird die Markteinführung des Taschenbuches in Spanien als das wichtigste Phänomen des vergangenen Geschäftsjahres bezeichnet. 864 Eine Umfrage von 1969 unter fünfzehn meist kleineren Verlagen zeigt, trotz der Klagen über politische Anormalität und infrastrukturelle Rückständigkeit, eine mit dem Medium Taschenbuch verbundene Hoffnung auf literarische Demokratisierung. Der Verleger Jesús Munárriz (Ciencia Nueva) spricht von einem "fenómeno que [...] desborda todo, [...] y es de esperar que [los libros populares] acaben eliminando, en gran parte, la infraliteratura que hasta ahora se vendía en los quioscos". Das literarische Taschenbuch wird in dieser Rede als Alternative zu populären Typen des Groschenromans und der 'Trivialliteratur' verstanden. 865 Allerdings ist auch die Taschenbuchproduktion durch das strukturelle Problem mangelnden Lesekonsums gekennzeichnet. Noch 1985 gelten über 50% der spanischen Bevölkerung als Nichtleser, eine Zahl, die für die Zeit des Franquismus eher noch höher zu veranschlagen ist.866 So erklären 1964 in einer nur in Madrid abgehaltenen Erhebung des Instituto de Opinión Publica lediglich 30% der Befragten, mindestens ein Buch im Monat zu lesen; immerhin 7% geben sich als Analphabeten zu erkennen (Cendán Pazos 1972: 270 u. 287). Die Umfragen des Kulturministeriums von 1978 und 1985 stimmen darin überein, dass jeweils um die 60% (1978: 63,6%) der Bevölkerung niemals oder "prácticamente nunca" - d.h. seltener als alle drei Monate - ein Buch zur Hand nehmen (Galán Pérez 1986: 268). Auch bis Anfang des neuen Jahrtausends hat sich trotz immens gestiegener Produktionszahlen keine wesentliche Verbesserung ergeben: Nach einer Analyse des spanischen Verlegerverbandes aus dem Jahre 1998 sind immer noch 49% der Bevölkerung als Nicht-Leser zu bezeichnen. 867 Unter den anspruchsvolleren Programmen erzielt der Marktführer Alianza 1970 eine Durchschnittsauflage von ca. 25.000 Exemplaren, ein Drittel davon für die lateinamerikanischen Märkte.868 Nur wenige Verlage von libros de bolsillo können jedoch in dieser Höhe produzieren, zumal die meisten Reihen auch Originalausgaben enthalten, deren Verkaufserfolg nicht leicht prognostiziert werden kann. Oft bleiben die Startauflagen unter 10.000 Exemplaren, ein im internationalen Vergleich eher

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Verlagskatalog Seix Barrai, 1969, ABCAS, S. 15. "¿Qué pasa con el libro español? II", Triunfo 361 (3.5.1969), S. 50-58, hier: 56. An gleicher Stelle vermutet auch Carlos Barrai "un crecimiento gigantesco del público literario de criterios exigentes" (58) durch das Taschenbuch. Galán Pérez (1986: 111). Die Erhebung des spanischen Kulturministeriums aus dem Jahre 1985 ermittelt für Spanien einen Anteil von 41% regelmäßigen Lesern, während im europäischen Vergleich für die Bundesrepublik Deutschland 74% oder für Großbritannien noch 55% zu veranschlagen sind (ebd.). Miguel Angel Villena: "La demanda de libros se ha estancado en España, pese al aumento de títulos", El País 1440, 12.4.2000. José Ortega Spottorno, bei Miguel Angel Velasco: "El libro de bolsillo goza de buena salud y su futuro es envidiable", El Libro Español 158 (Feb. 1971), S. 78-85, hier: 85.

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bescheidener Wert, der den Preis auf einem oft unrentabel hohen Niveau belässt.869 Eine regelrechte Massenverbreitung lässt sich nur für Reihen von Bruguera oder Plaza y Janes erkennen, die den Bereich der meist anglophonen Bestseller abdecken und über große Werbeetats verfügen. 870 Als singuläres Beispiel einer breite Bevölkerungsschichten erreichenden Produktion gilt die 1969-71 erstmals aufgelegte Biblioteca Bäsica Salvat de Libros RTV (Abb. 14): Einzigartig ist die erfolgreiche Kooperation von politischem und privatwirtschaftlichem Sektor, das systematische Zusammenwirken der medialen Instanzen Staatsfernsehen (RTV), Groß- und Prestigeverlag, die ein ausländischer Beobachter als "certainly the most concentrated effort ever expended anywhere on books" beurteilt.871 Durch die immense Werbekampagne und einen konkurrenzlos günstigen, weil staatlich subventionierten Preis werden ungeahnte Verkaufszahlen erreicht.872 Damit rufen die Libros RTV allerdings zu Recht Kritiker auf den Plan. Die Abhängigkeit von einmaliger staatlicher Förderung, die anspruchslose Aufmachung, die willkürlich anmutende Titelauswahl und die Koppelung von Buch- und Fernsehkonsum stellen für Vertreter des literarischen Milieus den Gipfel kultureller und politischer Entfremdung dar.873 Das Ministerium setzt bei seiner Ausschreibung in der Tat die Beteiligung wohlwollender Verlage 869

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Francisco Bruguera, zitiert bei Velasco: "El libro de bolsillo", El Libro Español 158 (Feb. 1971), S. 84. In einem seiner zahlreichen Kommentare zum Thema tut Manuel Vázquez Montalbán die Rede von einer "industria cultural" deswegen als Witz ("broma") ab: "Editoriales bien intencionadas, con títulos de irreprochable interés, afrontan inicialmente las ediciones de libro de bolsillo con tiradas de 6.000 ejemplares. Esto significa que dudan agotar este fondo en dos o tres años [...]." (Luis Dávila [pseud. Manuel Vázquez Montalbán]: "La subcultura", Triunfo 447 (25.12.1970), S. 23-25, hier: 25). Entsprechend hatte Carlos Barrai 1964 von seinen französischen Kollegen bei Hachette den Rat erhalten, dass sich nur eine Auflage von 40.000 Exemplaren rechne (siehe 3.4.4). V.M.R., "Libros de bolsillo", Triunfo 469 (29.5.1971), S. 36. "Advertising hammered at the library-building instinct, e.g.: 'For a few pennies you can own the same books that the 15 leading scientists of Spain would choose...' At first the TV commercials were based on saturation bombing principies, now there are only brief spots from time to time." (Herbert R. Lottman: "Salvat's Spanish Skyline", Publishers' Weekly 198: 8 (24.8.1970), S. 27-29). Die Reihe wird im April 1969 lanciert und umfasst einhundert wöchentlich publizierte Titel. Die Programmauswahl erfolgt unter Beteiligung von Vertretern des INLE und der beteiligten Verlage. Die ersten zehn Titel der Reihe erreichen jeweils Verkaufszahlen von über 500.000 Exemplaren, bei Erstauflagen von 150.000 Exemplaren. 1971 erscheint eine zweite Staffel, in der einige Titel ausgewechselt werden. Im gleichen Jahr produzieren Salvat und Alianza eine Biblioteca General Salvat, diesmal unter der Schirmherrschaft der Real Academia Española (Dámaso Alonso), der Académie Française (Maurice Genevoix) und des Nobelpreisträgers Miguel Angel Asturias. Manuel Vázquez Montalbán verfasst eine beißende Kritik in der Zeitschrift La Mosca, in der er dem angeblichen kulturellen Nutzen der Reihe die strukturellen Mängel in der Bildungspolitik entgegenhält (Manuel Vázquez Montalbán: "Biblioteca Básica Salvat de Libros RTV o La Cultura entera al alcance de todos los Españoles", La Mosca 1, o.D., O.S.). An gleicher Stelle kritisieren die Verleger Barrai, de Moura und Herralde die staatliche Kampagne als einem "clásico esquema triunfalista" (Jorge Herralde) folgend.

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voraus, die bereit sind, auch auf Wünsche der Politik einzugehen. 874 Ungeachtet dessen bleibt aber zu konstatieren, dass in der Reihe zahlreiche hochwertige Texte, z.T. in spanischer Erstausgabe, einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.875 Das verlegerische Potenzial zur Popularisierung von Literatur zeigt sich neben der Ä7y-Episode auch im Erfolg des von Bertelsmann 1962 gegründeten Buchklubs Circulo de Lectores, der 1968 eine halbe Million Mitglieder erreicht und 1972 die Millionengrenze überschreitet (Circulo de Lectores 1990: 11-12). Die Vertriebsform der Buchgemeinschaft erweist sich in Spanien angesichts der schlechten Ausstattung mit Verkaufsstellen als besonders erfolgreich.

Buchdesign und Werbung Mit der flächendeckenden Markteinführung des Taschenbuches und der Welle von Verlagsgründungen gerade im progressiv-linken Spektrum wächst die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Käufer. Um das eigene Produkt aus der Fülle ähnlicher Angebote herauszuheben, bedarf es einer verbrauchsgerechten Verpackung. Mit der Aufwertung und institutionellen Verankerung des Grafikdesigns in den 60er Jahren stehen den spanischen Verlagen dafür neue ästhetische Optionen zur Verfugung. 876 Der Grafiker tritt als Alternative zum traditionellen Buch-Illustrator auf, dessen Produkt den semantischen Gehalt des literarischen Text verstärkte - "el dibujante que récréa las ideas sugeridas por un texto" - , und schafft stattdessen ein eigenständiges Kunstwerk (Vêlez 1996: 233). Spanische Literaturverlage versuchen durch eine extravagante Aufmachung das Zielpublikum zu bedienen und eine Gemeinschaft von Produkt, Produzenten und Konsumenten zu erzeugen, wie es bereits bei der Biblioteca Breve zu beobachten war. Auch hier geht Alianza voran, dessen von Daniel Gil entworfene Titelseiten die Imagination des Betrachters anregen und dem

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Dies belegen zumindest interne Planungen für eine Neuauflage der Reihe, bei der loyalen Verlagen durch Subventionen die Publikation politisch erwünschter Titel nahe gelegt werden soll: "Hay una manera de conseguir una inversión rentable editando libros de interés para el Régimen. Consiste en asignar a cualquier editor de confianza y con una organización montada y experimentada ya, una cantidad como participación y base económica para crear una colección popular. [...] Hay entre los editores españoles muchos cuya fidelidad al Régimen es conocida y que, incluso por ella, serían acreedores a esa asociación. [...] Por el contrario unos libros editados por el Ministerio tendrían en contra, ya inicialmente, su característica de libros oficiales y la hostilidad del público, que quiere ser conducido pero no pastoreado." (Eduardo Nolla (INLE): "Nota sobre posibilidades de que el Ministerio continúe la colección 'Libros RTV'", Mai 1971, AGA, Fach 48800). Zu den Büchern lateinamerikanischer Schriftsteller in dieser Reihe siehe 5.3.1. Auf öffentlicher und privater Ebene werden institutionelle Voraussetzungen zur Förderung des Grafikdesign geschaffen, um der steigenden Nachfrage vor allem der Werbeindustrie nachzukommen. Ein Beispiel ist die 1966 in Barcelona gegründete Schule Eina (Satué 1997: 430-34; siehe 5.1.3 zur Gauche Divine).

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Kaufobjekt Buch einen symbolischen Mehrwert verschaffen.877 Beim Verlag Tusquets Editores wird der Einband zuweilen in seiner Materialität verändert, Barrai Editores verpflichtet sogar einen eigenen Grafiker für seine Buchtitel und Plakate. Allerdings ist Prestige nicht alles: Das per se geringe Interesse spanischer Käufer sei, so der Verleger und Kritiker Pedro Altares, eben nur durch einen auffälligen "portadismo" zu erregen, und so sei Daniel Gils exzellente Arbeit kein verlegerischer Luxus, sondern notwendige Strategie zum Vertrieb anspruchsvoller Bücher.878 Die Werbung erzeugt ihren eigenen Diskurs, wie schon das Beispiel Seix Barrai zeigte. Wiederkehrende Slogans von Neuheit, Modernität und Jugend bestimmen die verlegerischen Paratexte. Die "Fetischisierung des Neuen" kennzeichnet die emblematischen Darstellungen zur spanischen und lateinamerikanischen Literatur.879 Über Reihentitel und Verlagsnamen werden bestimmte Images transportiert: Varianten wie Nueva Narrativa Hispánica (Seix Barrai) oder Grandes Escritores Universales (Planeta) verkünden bei etablierten Verlagen einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, Verlagsnamen wie La Gaya Ciencia (nach Nietzsche) oder Inventarios Provisionales wählen die kultivierte Distinktion. Literaturpreise sind auch zu Beginn der 70er Jahre ein wichtiges Instrument verlegerischer Verkaufsförderung. Die Inszenierung der Kultur als gesellschaftliches Spektakel findet ferner ihre Umsetzung in den öffentlichen oder halböffentlichen Buchpräsentationen und Cocktailempfangen, die das Publikum der Eingeweihten und der Presse auf ein Werk einstimmen sollen.880 Hinzu kommt die Funktion der Massenmedien: Während das Fernsehen für die überwiegende Mehrheit der Literaturverlage als kostspieliger Werbeträger ausfallt, sorgt die mediale Entwicklung des Kultur877

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Ein alternatives Modell sind die auf Explizitheit angelegten Arbeiten von Alberto Corazón, der unter anderem die auf marxistische Theoriebildung spezialisierte Taschenbuchreihe ariel quincenal des Verlags Ariel illustriert (Javier Herrera: "La portada del libro de bolsillo (estudio semiótico y estético)", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (Nov. 1972), S. 41-46, hier: 43f.; vgl. Satué 1997: 162). "[E]n España, autores como Freud, Proust, Borges [...] necesitan, para alcanzar una divulgación aceptable, del apoyo de una cubierta que atraiga por sí misma y no primordialmente por el contenido o por el autor." (Pedro Altares: "Del valor gastronómico de los libros", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (November 1972), S. 36-40, hier: 40). Nach Peter Bürger (1982: 258) ist die "Fetischisierung des Neuen" eine wesentliche Strategie der sich auf dem Literaturmarkt behauptenden künstlerischen Avantgarde. Konkret ist hier etwa an die von José María Castellet herausgegebene Anthologie Nueve novísimos poetas españoles (Barcelona: Barral, 1970) und an Carlos Fuentes' Schrift La nueva novela hispanoamericana (México: FCE, 1969) zu denken. Auf den Literaturseiten der zeitgenössischen Presse finden sich häufige Insider-Berichte über "'shows' de lanzamiento", wie im zitierten Fall bei Tusquets Editores (Juan Pedro Quiñonero: "Los hispanoamericanos cosmopolitas. (Presentación de Héctor Bianciotti)", Informaciones de las Artes y las Letras 289 (24.1.1974), S. 5). Ein aufschlussreiches Zeugnis des Barceloneser Literaturbetriebes bieten die Aufzeichnungen Max Aubs (1995), der sich 1969 einige Monate in Spanien aufhält.

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journalismus für eine relative Popularisierung des Schriftstellers und der Bücher insgesamt.

Kulturjournalismus und Medienstars Die Rolle der kulturellen taste-makers in den Massenmedien, vor allem der Tagespresse, wächst gegen Ende der 60er Jahre. In Spanien reagieren verschiedene Periodika mit einer Ausweitung ihrer Kulturteile auf das wachsende Prestige der Kunst im gesellschaftlichen Leben. Um 1968 vollzieht sich ein deutlicher Wandel in der Berichterstattung über literarische Neuerscheinungen, die sich längst nicht mehr auf den Abdruck von Rezensionen beschränkt. Die Tageszeitung Informaciones setzt mit ihrer im Juni 1968 gegründeten wöchentlichen Kulturbeilage Informaciones de las Artes y las Letras neue Maßstäbe für die Vermittlung von Literatur seitens der regimeunabhängigen Tagespresse. Bértolos Einschätzung, dass durch die Beilage von Informaciones die Literaturrezeption in anderen Zeitschriften zwischen 1970 und 1975 an "entidad" verloren habe, kann ich an dieser Stelle nicht ganz folgen (Bértolo 1987: 215); wenn überhaupt, ist ein solcher Prozess erst Mitte der 70er Jahre zu beobachten. Bis dahin ist im Gefolge von Informaciones eher von einer Ausweitung auch andernorts zu sprechen: Wochenzeitschriften wie Triunfo und Destino wandeln sich von Unterhaltungsillustrierten zu deutlicher politisch und kulturell geprägten Magazinen, in denen Literatur als eigener Sparte Platz eingeräumt wird. 881 Triunfo z.B. richtet erst 1969 einen eigenen umfassenderen Kulturteil ein, und auch in Indice oder Destino erhält die Kulturberichterstattung um das Jahr 1968 größeren Raum. Triunfo erreicht Anfang der 70er Jahre immerhin 50-60.000 Leser und liegt damit in der Nähe der von Informaciones erzielten Verbreitung. 882 Ferner gründen sich, neben den eher akademischen Blättern (Insula, Papeles de Son Armadans, La Estafeta Literaria), neue Literaturzeitschriften, die innerhalb eines begrenzten Rezipientenkreises kursieren und sich als Vermittlungsmedien aktueller Tendenzen in den Literaturen spanischer Sprache verstehen: El Urogallo erscheint erstmals 1970, Camp de l'arpa 1972. Hinzu kommt die Literaturkritik in politischen Zeitschriften wie den auflagenstarken Cuadernos para el Diálogo oder in Indice.883

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Zu Triunfo vgl. Alted Vigil/Aubert (1995); zu Destino vgl. Geli/Huertas (1990). Im Jahr 1973 erzielt Triunfo einen Durchschnittverkauf von 46.537, Informaciones von 52.839 Exemplaren (Bischoff 1986: 596). 1968 liegen die gesamtspanischen Verkäufe von Destino bei einem Spitzenwert von 47.078 Exemplaren (Geli/Huertas 1990: 110), zwischen 1970 und 1976 bei 30-33.000 Exemplaren allein in Katalonien (Gifreu 1983: 82). Die Rede von der Hegemonie von Informaciones ist damit rein numerisch zumindest relativiert, zumal die Auflagen von ABC, Ya, La Vanguardia oder Pueblo deutlich höher liegen (vgl. u.a. Lorentzen 1978: 333). Nach Gaiser (1993: 93-104) ist die Institution Literaturkritik zunächst in die eher an einer textnahen Interpretation orientierte akademisch-universitäre und die stärker an den Lesererwartungen ausgerichtete journalistische Literaturkritik zu unterscheiden. In der Praxis aber lässt sich auch in der Tagespresse diese Unterscheidung zwischen einer autor-

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Die Aufwertung der Kulturseiten bietet erweiterten Spielraum für die Werbung und Vermarktung von Literatur. Durch die Beilagen von Tageszeitungen wie Informaciones oder Pueblo wird der Literatur in Spanien eine neue Medienöffentlichkeit jenseits der Fachzeitschriften mit ihrem meist akademischen Publikum geschaffen. El suplemento 'normalizó' la literatura; la apartó de la política y la situó en el mercado. [...] por primera vez una publicación cultural consigue romper con el estrecho círculo de 'los enterados' para acceder a un público masivo. (Bértolo 1987: 214)

Obwohl auch die journalistische Literaturkritik statt der zitierten "Massen" nur eine begrenzte Zahl interessierter Leser erreicht, erfüllt sie eine wichtige Selektions- und Informationsfunktion über das Angebot der nicht auf Bestseller orientierten Verlage.884 Alle nennenswerten literarischen Verlage sind deshalb mit wechselnder Frequenz in den erwähnten Publikationen mit ihrer Werbung vertreten. Viele Zeitschriften und Zeitungen führen Listen 'empfohlener' bzw. 'erhaltener' Buchtitel, die sich im Grenzbereich von Werbung und Information bewegen. Manche dieser Rubriken bevorzugen bestimmte Unternehmen, die vorzugsweise, aber nicht notwendig dem Spektrum der engagierten, mittleren Verlage entstammen. Das ist der Fall bei Triunfo, wo wöchentlich nur zwei bis vier Titel pro Genre präsentiert werden, während z.B. Camp de l'arpa darauf bedacht ist, über das ganze Spektrum spanischer Literaturverlage zu informieren.885 Wenig beliebt sind dagegen noch die umstrittenen Bestseller- und Verkaufsrankings, wie sie in Spanien vom Instituto Nacional del Libro Español ermittelt werden, die wegen ihrer unklaren Datengrundlage eher als verfälschende Darstellung zur Fabrikation von Bestsellern bestimmter Verlage angesehen werden.886 In der Literaturbeilage wird der Schriftsteller zum eigentlichen Protagonisten, das Werk tritt als Referenzgröße in den Hintergrund. Der Autor wird als Star präsentiert,

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und einer publikumsorientierten Literaturkritik treffen (ebd., 98). Informaciones de las Artes y las Letras oder Triunfo entsprechen dem Typus der autororientierten journalistischen Literaturkritik der Feuilletons und Literaturbeilagen, die im Allgemeinen nur das gehobene bzw. anspruchsvolle Literaturprogramm berücksichtigt. Zu diesem Schluss kommt auch Panskus (1981: 97) für den deutschsprachigen Buchmarkt. Zur Fortentwicklung der Literaturbeilagen und der Medienpräsenz von Schriftstellern in der spanischen Demokratie vgl. Neuschäfer (1998) und Lenquette (1999: 103-23). Meine stichprobenhaften Untersuchungen ausgewählter Literaturzeitschriften und beilagen (Jahre 1969-74) ergaben vereinzelte, aber nicht systematische Verknüpfungen von Werbung und Rezension, zumal die Werbung sehr unterschiedlichen Raum einnimmt. In Urogallo z.B. inseriert nur Plaza y Janés, der den Vertrieb besorgt; bei den besprochenen Werken taucht der Verlag jedoch in der Regel nicht auf. In Publikationen wie Triunfo, Informaciones oder Camp de l'arpa sind allerdings vor allem Werbungen kleiner bis mittlerer Verlage regelmäßig vertreten, während Unternehmen wie Planeta oder auch Plaza y Janés in den Rezensionen kaum in Erscheinung treten. Antonio Burgos: "El I.N.L.E. ¿Una fábrica de best sellers?", Triunfo 647 (22.2.1975), S. 32f. Vgl. für die Kritik im deutschsprachigen Raum Ramseger (1981).

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dessen Porträts die Kulturseiten füllen und dessen Meinung gefragt ist. An die Seite der Rezension - oder auch an ihre Stelle - tritt die Reportage, oft ergänzt um ein Interview, die zum dominierenden Textgenre heranwächst und in der Regel Fotos des Schriftstellers enthält. Rubriken wie "Mañana se hablará de...", in der Informaciones Gerüchte ausbreitet und in Arbeit befindliche Werke ankündigt, dienen dem literarischen Rummel und zumindest indirekt der Autorenwerbung. 887 Der der Kunst zugebilligte Unterhaltungswert ermisst sich auch in den Debatten kultureller Protagonisten, deren Medium vormals die tertulia oder die Seiten der Fachblätter darstellten, die nun vermehrt über die Tagespresse, zuweilen in Form wüster Polemik, ausgetragen werden. Bekanntes Beispiel sind die Diskussionen um die Bewertung des lateinamerikanischen Boom oder um den realismo social,888 Die Instrumente der Werbung und Berichterstattung bewirken die mediale Omnipräsenz bestimmter Personen, die sich z.B. in der Nebeneinanderstellung von Rezension, Interview und umfassendem Kommentar in derselben oder in kurz aufeinander folgenden Presseausgaben äußert. Gerade den lateinamerikanischen Schriftstellern des Boom wird durch den neuen Kulturjournalismus erhöhte Publizität verliehen. Das "friendly interview" als Medium zur Konstituierung literarischer Gruppen und kulturellen Renommees, das Castro-Klarén in Pariser Literaturbeilagen und vor allem bei Mundo Nuevo beobachtet, kennzeichnet auch die Berichterstattung zu lateinamerikanischen Autoren in der spanischen Kulturpresse. 889 Spanische Feuilletons präsentieren die einschlägigen Autoren in Fotoreportagen und langen Interviews, über die mancher Autor eine kontinuierliche öffentliche Präsenz erzielt und zum "instant-culture-hero" mutiert, dessen Name als Markenzeichen das Werk ersetzt.890 Oftmals dient der bloße Aufenthalt eines Schriftstellers in Spanien als Nachricht. Die Zeitschrift Tele-Exprés fuhrt z.B. eine Rubrik, die in loser Folge "Escri-

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Die erwähnte Sektion wird von Juan Pedro Quiñonero betreut. Dort heißt es zum Beispiel: "Vargas Llosa y 'Las Visitadoras' (Nueva novela y próxima sensación literaria)..." (241, 22.2.1973, S. 12). Eine ähnliche Funktion erfüllen die dem Innenleben des Literaturbetriebes gewidmeten Rubriken, wie sie Joan de Sagarra (Tele-Exprés) oder Manuel Vázquez Montalbán (Triunfo) leiten. Diese Diskussionen werden in Kapitel 5.1.2 angesprochen. Auch zu Beginn des Boom steht das Erscheinen von Los nuestros von Luis Harss (Erstpublikation 1966), der Interviews mit zehn der nach wie vor bekanntesten Namen der lateinamerikanischen Narrativik der Nachkriegsjahrzehnte versammelt. Die Popularität und Effektivität dieses Genres schlägt sich in der zeitgenössischen Publikation zahlreicher Interview-Sammlungen nieder (Campbell 1971, Tola de Habich/Grieve 1972, A.M. Moix 1972). "Interviewing in Paris, single-book authors, or even authors of unpublished books was instrumental in making these writers into instant-culture-heros. At this point, having leaped out of Mundo Nuevo into Sunday literary pages and weekly magazines, the writer began to reach a public that may or may not have read his 'literary texts'. The culture-hero writer, while being interviewed, is no longer concerned with his craft as a writer." (Castro-Klarén 1977: 72; vgl. auch Rama 1981: 105-07).

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tores sudamericanos en Barcelona" vorstellt und manchen Nachwuchskünstler zum kommenden Star erklärt.891 In dieser Publizität des lateinamerikanischen Schriftstellers schlägt sich die von Rama skizzierte Doppelrolle als "empresario independiente" und prominenter "narrador-intelectual" nieder. Seine Betätigungsfelder sind nicht nur die Plattformen akademischer (Lehrstuhl, Seminar), sondern die Massenmedien der bürgerlichen literarischen Öffentlichkeit (Zeitschrift), wo die Kanonisierung des Boom mit der medialen Kür des Autors zum Star einhergeht. In der Teilhabe am öffentlichen Diskurs ist dem 5oo/w-Intellektuellen eine kulturelle und politische Einflussnahme möglich oder wird von diesem zumindest versucht, während in der Bindung an die Gesetze des Marktes gleichzeitig aber das abstrakte Ideal künstlerischer Autonomie seines Sinnes enthoben wird.892 Nicht nur der Schriftsteller, auch andere schillernde Protagonisten des literarischen Lebens werden zu Stars. Verleger und Kritiker finden in den einschlägigen Interview-Sammlungen der frühen 70er Jahre Platz, und gerade Carlos Barrai ist ein häufig gesuchter Gesprächspartner. Ana Maria Moix schildert ihre Begegnung mit Carlos Barrai voll ironischer Bewunderung: Caía la tarde y la lluvia tras los cristales y el despacho estaba sometido en la penumbra. Detrás de la mesa, recostada en un sillón, una figura vestida de negro, envuelta en sombras, dejó oír una voz grave y espesa. "Ah, la joven escritora". En la oscuridad, intentaba averiguar dónde terminaban las barbas de don Carlos y empezaba el jersey negro, y si me hablaba de frente o vuelto de espaldas porque no se le veía el rostro. [...] La voz grave y espesa se hizo más grave y más espesa. Pronto iban a terminar conmigo. [...] Y entonces la figura negra se despistó y al pasar frente a la ventana enseñó el rostro: era Carlos Barral, de verdad y en persona. Lo había visto antes, un día por la calle, mientras Barral paseaba a un enorme perrazo, y otra vez en una fotografía publicada en una revista extranjera, en donde Barral aparecía en una embarcación, en alta mar, el torso desnudo y las barbas al viento. La voz gruesa y espesa se dejó oír de nuevo y me fijé en los dientes: una buena dentadura blanca, y sin colmillos de vampiro. Me quedé más tranquila. (Ana María Moix 1972: 132)

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Recht mutig kündigt der Tele-Exprés z.B. den jüngst nach Barcelona immigrierten Mexikaner Rey Trevo als "ersten" Vertreter einer neuen Generation an, "que puede ser la que prosiga la tarea emprendida por los que ahora están entre los 40 y 50 años" (Josep M. Soria: "El último latinoamericano de la inmigración literaria", Tele-Exprés (12.2.1971), S. 7). Vgl. für weitere Beispiele 5.3.1. Rama (1981: 102). In Ramas Ausführungen schwingt selbst eine hehre Vorstellung des vornehmlich an der Übermittlung eines "mensaje personal" interessierten Künstlers mit, der folglich eher zum Opfer der Massenmedien stilisiert wird (1981: 108). Vgl. Franco (1981), die die literarischen Strategien des .Boom-Schriftstellers schildert, seine schöpferische Autonomie gegenüber der Massenvermarktung zu behaupten.

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Die Literaturagentur

als neue

Vermittlungsinstanz

Mit der Internationalisierung der Buchmärkte und der Professionalisierung der literarischen Produktion wächst auch das Gewicht der Literaturagenturen. Die Möglichkeiten intermedialer Auswertung von Urheberrechten und die Entpersonalisierung der Kommunikation zwischen Verlag und Autor lassen die Vermittlung einer Agentur zweckmäßig erscheinen. Die Aufgaben von Literaturagenturen - sie "handeln im Auftrag eines Lizenzgebers mit Haupt- und Nebenrechten, sie vermitteln Lizenzen und betreuen daraus entstehende Verträge und Zahlungen gegen eine prozentuale Gewinnbeteiligung"893 verteilen sich auf vielfaltige Spezialisierungsbereiche, so dass eine "eindeutige Beschreibung der Literarischen Agentur schlechthin [...] nicht gegeben werden [kann]" (Hillebrand 1993: 98). Sie beeinflussen nicht nur die Textproduktion (Autor) und Selektion (Verlag), sondern übernehmen, im Einklang mit der "lean production" und Auslagerung von Verlagsfunktionen im modernen Verlagskonzern, zunehmend auch Lektorakts- und Vermarktungstätigkeiten (99). Die Agentur ist heute nicht mehr aus dem spanischen Literaturbetrieb wegzudenken; nur wenige Verlage (Anagrama, Tusquets) haben das Verwertungsrecht ihrer Autoren für sich behalten, während sich eine steigende Zahl von Schriftstellern durch Agenturen vertreten lässt, um überhaupt eine Publikationschance zu erhalten.894 Bereits um 1970 zeichnet sich der Einfluss der literarischen Agenturen auf die Vermarktung der spanischsprachigen Literaturen ab.895 Anders als in den USA oder Großbritannien, wo bereits Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Agenturen entstanden (Heinold 1981: 199), stellen sie zu dieser Zeit ein in Spanien noch relativ junges Phänomen dar. Einige Unternehmen - Acer, Yäiiez, International Editors - arbeiten schon in den 60er Jahren als Importagenturen für ausländische Autoren und Verlage.896 Der Handel mit Auslandslizenzen betrifft vor allem die Großverlage, wobei 893

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Georg Jäger, im Vorwort zu Hillebrand (1993: 1). Vgl. die Definition bei Wittmann (1991: 383). Vgl. Neuschäfer (1998: 546-49). Nach heute üblichen Konditionen erhält eine (spanische) Agentur 10-12% der Autorenhonorare und -Vorschüsse, zuweilen werden auch bis zu 20% erreicht (eMail von Irini Pitsaki, Literaturagentin, Barcelona, vom 23.8.2001). Im ab Juli 1969 gültigen Normvertrag des INLE steht dem Autor ein Honorar von mindestens 10% des Ladenpreises zu, bei Taschenbüchern von 5% (Mangada 1972: 523-29). Die Erforschung der literarischen Agentur, deren Bedeutung in Spanien (noch) ungleich höher ist als z.B. in Deutschland, steht für den spanischen Kontext noch aus. Verlags- und Agenturarchive bleiben verschlossen, und vor allem die bekannteste Agentin, Carmen Balcells, hat sich der interessierten Öffentlichkeit meist verweigert. Damit sind Angaben zum Einfluss der Agenturen auf Vermutungen beschränkt. Die Agentur International Editors, gegründet von jüdischen Emigranten in Argentinien, verlagert ihren Sitz Anfang der 60er Jahre nach Barcelona. Nach dem Tod des Besitzers übernimmt seine Mitarbeiterin Isabel Monteagudo 1971 die Leitung. Die Agentur ist hauptsächlich auf englischsprachige Rechte spezialisiert.

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die Agentur auch als Beraterin fungiert: "Ellos sabían mucho de la literatura y aconsejaban y asesoraban a las editoriales; si ellos decían a Planeta o Plaza que tendrían que publicar a este autor, les hacían caso."897 Wichtigste Agentin für die Vermittlung des Boom ist aber unzweifelhaft Carmen Balcells.898 Carmen Balcells übernimmt Anfang der 60er Jahre eine vom Exilrumänen Vintilia Horia geleitete Literaturagentur. In enger Zusammenarbeit mit Carlos Barrai und Jaime Salinas beginnt sie mit der Verwertung spanischsprachiger Autorenlizenzen, ein Novum auf dem spanischen Markt.899 Balcells erhält die Übersetzungsrechte der Autoren Seix Barrais - "porque [yo] consideraba que su catálogo era el más interesante del país"900 - und erreicht schließlich, dass der Verlag seinen Autoren einen höheren Anteil an der internationalen Rechteverwertung zugesteht. Durch die zunächst enge Anbindung an Seix Barrai spielen sich beide Seiten bei der Vermittlung und Publikation spanischer Autoren in die Hände, für die Balcells zur ersten und vorerst alleinigen Agentin für Auslandslizenzen wird. Bald tritt sie auch in Kontakt zu lateinamerikanischen Autoren, die sie über den Verlag, über befreundete Schriftsteller und auf internationalen literarischen Foren kennenlernt. Die vermittelnde Hand von Carmen Balcells leitet den internationalen Erfolg von García Márquez ein, den sie seit November 1962 betreut und für den sie 1965 vier Romane in die USA verkauft. Balcells' Anteil am Welterfolg von Cien años de soledad festigt noch ihr Prestige als dominierende Agentin im spanischsprachigen Raum.901 Balcells konzentriert sich um 1970 vor allem auf lateinamerikanische Autoren allen voran García Márquez und Vargas Llosa - , die international besser vermarkt897

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Isabel Monteagudo, Interview mit B.P., 10.11.1997. Die Äußerung bezieht sich auf die früheren Eigentümer der Agentur International Editors. Noch heute verfügt die Agentur Carmen Balcells über den größten Rechtebestand: Die mir von der Agentur ausgehändigte Liste nennt 162 spanischsprachige Autoren, Mora zählt "unos 150" (40). Zahlreiche andere Agenturen machen ihr allerdings Konkurrenz, und die Mehrzahl von ihnen bemüht sich um spanischsprachige Autoren (Rosa Mora: "Mujeres del libro", El País Semanal 1230, 23.4.2000, S. 38-49). Nach Neuschäfer, der keine Quelle nennt, umfasst Balcells' Autorenkatalog 349 Seiten (1998: 548). Nach eigener Aussage überzeugt Salinas, der aus den USA Erfahrung mit literarischen Agenturen mitbringt, Carmen Balcells, sich als Agentin selbständig zu machen (Salinas, Interview mit B.P., 18.11.1997). Barrai und Balcells treten das erste Mal während einer Preisverleihung in Formentor (1961 oder 1962) in beruflichen Kontakt (Rosa Mora: "Generosa y terrorista", El País (4.5.2000). Vgl. zur Bedeutung von Carmen Balcells für die Vermarktung des Boom auch Herrero-Olaizola (2001: 215f.). Carme Riera: "Carmen Balcells, alquimista del libro", Quimera 27 (Jan. 1983), S. 23-29, hier: 25. Nach dem Erscheinen des Romans Ende Mai 1967 hat Balcells bis zum Herbst die Übersetzungsrechte nach Frankreich, Italien und den USA verkauft (Saldivar 1997: 457f.; insgesamt 430-68 zur Editionsgeschichte von Cien años de soledad). Balcells ist ein literarisches Denkmal in Donosos El jardín de al lado geschaffen worden. Auch in Carlos Barrais Penúltimos castigos tritt sie auf, Manuel Vázquez Montalbán karikiert sie in El Premio als "Superagente 009".

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bar sind.902 Von den z.B. bei Barrai Editores publizierten spanischsprachigen Schriftstellern vertritt Balcells zehn Lateinamerikaner, jedoch mit García Hortelano nur einen spanischen Romancier.903 Diese Spezialisierung trägt zum Vorwurf bei, die literarischen Agenturen leisteten der Ökonomisierung der Literatur zugunsten einiger weniger Stars Vorschub. Eine Spaltung in marktgängige und risikoreiche Autoren bzw. Texte steuere nicht nur die Verlagsselektion, sondern beraube kleinere Verlage ihrer Konkurrenzfähigkeit.904 Andererseits ist der Einfluss der Agenturen nicht unbeschränkt: Der von ihr betreute Alfredo Bryce Echenique setzt gegen den Willen von Balcells durch, auch in den 80er Jahren wieder bei Carlos Barrai zu publizieren.905 Auf jeden Fall kommt Balcells das Verdienst zu, die oftmals grobe Benachteiligung des Schriftstellers in seiner Beziehung zum spanischen Verleger angegangen zu sein. Juan García Hortelano, 'Hausautor' Barrais und frühzeitig von Balcells vertreten, befürwortet das finanzielle Management der Agentin: "[S]e interpone entre el 902

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In José Maria Castellets Erinnerungen an eine 1972 gemeinsam mit Barral, Vargas Llosa und Balcells unternommene Südamerika-Reise erscheint Carmen Balcells als Betreuerin einer großen Anzahl lokaler Autoren. Balcells' Begegnung mit ihren Schriftstellern wird von Castellet als zwiespältige Erfahrung der quasi neokolonialen finanziellen Abhängigkeit lateinamerikanischer Künstler wahrgenommen: "[V]am anar a Santiago de Xile. L'arribada de la Carme [i.e. Balcells] va ser esplendorosa: l'esperaven eis seus autors, ávids de veure-la, certament, perö també deis diners deis seus drets. Era en plena época d'Allende i escassejaven eis dölars. La Carme n'anava plena. [...] veure-la repartir dolars ais autors xilens em va partir el cor." (1987: 70). Die von Balcells vertretenen lateinamerikanischen Romanautoren sind Alberto Cousté, Jorge Edwards, Carlos Fuentes, Gabriel García Márquez, Salvador Garmendia, Osman Lins, Alvaro Mutis, Juan Carlos Onetti, Mario Vargas Llosa und Mauricio Wácquez. Diese Namen erscheinen in einem Brief aus dem Jahre 1978, in dem Balcells die Verträge von nicht weniger als 53 bei Barral Editores publizierten Büchern kündigt, was 16% des Verlagsprogramms entspricht (Brief Carmen Balcells an Carlos Barral, 30.10.1978, AB). Damit besiegelt die Agentur endgültig das Schicksal des kurz vorher aufgelösten Verlags. Vgl. die Debatte zwischen Verlegern, Autoren und Übersetzern über die Rolle des literarischen Agenten in: "Miseria, negocio, cultura, manipulación y libertad del libro en España", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (November 1972), S. 7485, hier: 80-82). Nach Aussage von Isabel Monteagudo fließen allerdings auch literarische gegenüber rein finanziellen Gründen in die Verlagswahl ein: "Hay preferencias evidentemente, más todavía antes, cuando muchos editores tenían poco dinero - gente que no podía pagar muchos anticipos pero de los que se sabía que se ocuparía de! libro y de que lo vendría, allí tenías ciertas simpatías [...] Claro, si hay una oferta de mil y otra de diez mil, tienes que ir por la de diez mil, si es un buen editor." (Isabel Monteagudo, Interview mit B.P., 10.11.1997). Bryce Echenique ist seit 1972 bei Balcells unter Vertrag und besitzt nach eigener Aussage große Entscheidungsfreiheit: "Carmen Balcells sólo ha sido mi agente literario, nunca mi consejera, y me ha dado una gran libertad en mi trabajo." (Alfredo Bryce Echenique, Brief an B.P., 15.10.1997). Bryce erreicht, dass Barral, der ab 1981 bei Argos Vergara arbeitet, die erste Option auf seine Werke La vida exagerada de Martín Romaña und El hombre que hablaba de Octavia de Cádiz erhält.

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autor y editor y libera a ese ser tradicionalmente negado para las cifras que es el autor [...], es intermediario, puede clarificar un poco o poner un poco de orden empresarial." 906 Damit wird die Autorposition gegenüber dem Verlag stabilisiert, die sich nach Vargas Llosas Worten in den 60er Jahren als ausbeuterisch gestaltete: Las relaciones que [...] existían entre escritores y editores en el ámbito de la lengua eran patriarcales y subjetivas. [...] Los contratos no tenían límite de tiempo [...] Era normal que el editor se reservara la exclusiva para gestionar las eventuales traducciones, y que, concretadas éstas, recibiera por ellas cuando menos la mitad, y a veces las dos terceras partes, de los derechos del autor.907

Allmählich setzt die Agentur gegenüber den Verlagen neue Formeln durch. Musterverträge verbessern die Konditionen zu Gunsten der Autoren, die Rechteversteigerung bei begehrten Titeln wird zur gängigen Praxis. Zugespitzt gesagt, erfüllt die Agentur für Teile der literarischen Produktion die Funktion des finanziellen Korrektivs. Sie ist einerseits Symptom der Kommerzialisierung der Literatur und trägt andererseits aktiv zur Professionalisierung des spanischen und des international vermarktbaren lateinamerikanischen Schriftstellers bei. Unverkennbar müssen sich spanische Verlage zu Ende des Franquismus auf eine Situation einstellen, in der die professionelle Vermarktung von Literatur an Bedeutung zugenommen hat. Gleichzeitig ist das kulturelle und intellektuelle Feld in einem Wandel begriffen, der im Anschluss an internationale Diskurse bereits eine gesellschaftliche Transición zu kapitalistischen Demokratien vorausnimmt.

5.1.2

Intellektuelle und literarisches Leben im Spätfranquismus

Die intellektuelle Linke und die Kulturindustrie Die innenpolitischen Vorgänge des Jahres 1969 (Ausnahmezustand, Caso Matesa, Regierungsumbildung, Ernennung von Prinz Juan Carlos zum Nachfolger Francos) läuten die Phase des Spätfranquismus ein, in der die politische Auseinandersetzung an Radikalität zunimmt und in der sich innerhalb der Opposition allmählich das parteipolitische Spektrum der Transición abzuzeichnen beginnt. Im gesamten antifranquistischen Spektrum stabilisiert sich in den letzten Jahren des Regimes ein offener Protest.908 Die linke Opposition fühlt sich immer weniger durch die Kommunistische Partei allein repräsentiert, deren Legitimation nach dem Partei906

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Juan García Hortelano, in: "Miseria", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (November 1972), S. 81. Mario Vargas Llosa: "El jubileo de Carmen Balcells", El País 1570 (20.8.2000). José María Guelbenzu greift 1970 auf Balcells' Hilfe zurück: "Cuando Carlos dejó la editorial Seix Barral, yo me quedé sin editor. Tenía unos contratos muy duros con Seix Barral y tuve que romperlos. Le encargué a Carmen Balcells que lo hiciera." (José María Guelbenzu, Interview mit B.P., 19.2.1999). Die vier Säulen der Opposition sind die Arbeiterbewegung, die Kirche, die Universitäten und die regionalistische Bewegung. Vgl. Bernecker (1988: 143-79).

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ausschluss Semprúns und Claudíns 1964 und angesichts des als revisionistisch kritisierten politischen Kurses der Parteiführung von verschiedener Seite in Frage gestellt wird.909 Zudem trägt die sowjetische Invasion in Prag zur politischen Verunsicherung der Linken bei. Ende der 60er Jahre bilden sich zahlreiche Splittergruppen einer 'Neuen Linken' - mit einer Hochphase in den Jahren 1968-71 - , die für sich jedoch kaum politische Durchschlagskraft entwickeln.910 Trotz Vertrauensverlust und Mitgliederschwund bleibt der PCE aber stärkste oppositionelle Partei. Insgesamt bleibt die parteigebundene Opposition zunächst schwach. Die Zerstrittenheit der politischen Gruppen und die heftige Ablehnung der Kommunisten durch die bürgerlichen Parteien verhindert es, anders als z.B. beim gewerkschaftlichen Protest der Arbeiterkommissionen, den fragmentierten Widerstand in eine übergreifende, von allen Parteien getragene Aktionsform zu bringen.911 Mit dem Protest gegen die Burgos-Prozesse Ende 1970 beginnt sich das Erscheinungsbild der parteipolitischen Opposition zu ändern. Die Einberufung der Assemblea de Catalunya (1971) leitet in Katalonien eine neue Ära der Zusammenarbeit der oppositionellen Gruppen ein. Das Attentat auf Carrero Blanco im Dezember 1973 macht politische Wegbestimmungen noch dringlicher. Die Gründungen der Junta Democrática (1974) und der Plataforma de Convergencia Democrática (1975) signalisieren die Bündelung der konkurrierenden oppositionellen Kräfte und die Vorbereitung des demokratischen Übergangs.912 Die Pluralität unter der radikalen Linken spiegelt sich auch im intellektuellen Milieu wider. Der Diskurs der spanischen Intellektuellen ist Ende der 60er Jahre vom Miteinander heterogener Positionen und von der Auseinandersetzung mit der um 1968 international betriebenen Theoriebildung gekennzeichnet. Begünstigt durch die Zensurerleichterungen des Jahres 1966 werden die konkurrierenden Strömungen marxistischer Theorie leichter zugänglich, die einen nach wie vor großen Einfluss unter spanischen Intellektuellen ausübt.913 Gleichzeitig werden erste Schriften des 909

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Ausgehend von der Analyse, dass die spanische Gesellschaft noch feudalistisch organisiert sei und der Franquismus nur durch eine bürgerliche Revolution abgelöst werden müsse, strebt der PCE ein Bündnis mit der bürgerlichen (Semi-)Opposition an. Claudin und Semprún sehen dagegen die kapitalistische Modernisierung Spaniens als bereits erfolgt an und fordern demzufolge die Ausrichtung am Ziel der sozialistischen Revolution. Vgl. Preston (1978: 250f.) und Heine (1986: 146). Zur radikalen "Neuen Linken" außerhalb von PC oder PSOE siehe Heine (1986). Der Schriftsteller Félix de Azúa erklärt: "Nosotros, los jóvenes, éramos los grupos que ya consideraban al PCE de derechas. Eran grupos muy cerca del terrorismo, grupúsculos intelectualizados, que hacían reuniones burocratizadas de una ineficacia espantosa. Más eficaces eran los grupos sindicales." (Félix de Azúa, Interview mit B.P., 1.3.1999). von Beyme (1971: 108), Preston (1978: 253). Für die Opposition zwischen 1973 und 1975 vgl. Preston (1978: 254-63) und Kraus/Merkel (1993). "Although Marxism was challenged or ignored in the arts and although 'critical realism' had been partially or totally abandoned in favour of the philosophies of the new vanguards

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vornehmlich über Frankreich vermittelten poststrukturalistischen und libertären Denkens in Spanien rezipiert (Barthes, Deleuze, Foucault, Tel Quel).914 Der NeoNietzscheanismus (Fernando Savater, Eugenio Trias) stellt mit der Autorität jeglicher Staatsgewalt auch das marxistische Denken in Frage und verkündet die Rebellion des Individuums gegen die kollektive Vereinnahmung - eine Position, die sich mit dem "individuell-hedonistischen", oft elitären Protest der Künstler der Gauche Divine verträgt (s.u.) 915 Die libertären, radikalen Positionsnahmen zur Befreiung des Subjekts sind nicht mehr zwangsläufig auf eine konkrete politische Praxis bezogen. Zum gleichen Zeitpunkt, als die Neue Linke zum Widerstand gegen Franco aufrufen, formiert sich auch eine interne Opposition, die den politischen Utopien misstraut. Mit Buckley lässt sich von der "pretransición" einer "izquierda europea" unter spanischen Intellektuellen sprechen, die auf der Suche nach politischer Selbstverwirklichung Kategorien der westlichen Demokratien auf das franquistische Spanien übertragen. Dies bedeutet für einen Teil der kulturellen Elite den langfristigen Abschied vom konkreten politischen Engagement, das an die Arbeiterschaft und andere gesellschaftliche Gruppen delegiert bleibt.916 Eine solche Negation der kollektiven politischen Vereinnahmung geht mit der Selbstbeschränkung auf den Diskurs des Kulturellen und der schriftstellerischen Autonomie einher. Intellektuelle partizipieren zwar mit Solidaritätserklärungen an der Oppositionsarbeit, weitergehende Vorstellungen bleiben aber meist diffus. Carlos Barrais Selbstzeugnis vom Herbst 1968 illustriert die politische Ratlosigkeit eines renommierten oppositionellen Kulturschaffenden. Nach eigener Aussage ein antifranquistischer Aktivist („luchador"), gibt sich Barrai zwar aufgeschlossen für eine spätere kulturpolitische Tätigkeit - die er in den 80er Jahren für den PSOE auch ausüben wird sieht jedoch keine konkreten Perspektiven für ein aktuelles politisches Engagement: [Antes era] librepensador político [...] metodológicamente marxista. Pero no me gustaban las formas de dictadura del proletariado, y era escasamente leninista. Es decir, me había

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[...], it still exercised a preponderant influence on sociologists, historians and economists". (Carr/Fusi 1979: 132); vgl. Heine (1986: 152). Buckley (1996: XIII) spricht in diesem Zusammenhang vom "pensamiento radical" des Pariser Mai 1968. Die Texte finden sich in den Katalogen vieler linker Verlage, z.B. Deleuze/Guattari bei Barrai, Barthes und Tel Quel bei Seix Barrai, Foucault bei Anagrama, Savater bei Taurus. Nach Elias Díaz, der unter jüngeren spanischen Intellektuellen eine von Nietzsche beeinflusste "cierta actitud de protesta individual hedonista" (1978: 253) ausmacht. Tusell/Queipo de Llano (1993: 246). Buckley konstatiert: "Faltó, en la transición española, ese 'quinto poder', esa autoridad moral que, en determinados momentos de la historia, debe ejercer la clase intelectual como contrapeso del poder político, para alejar el pensamiento de la clase política de que aquella transición era, exclusivamente, 'cosa de ellos'." (Buckley 1996: XVII, der sich auf Gregorio Morán, El precio de la transición, Barcelona: Planeta, 1991 beruft). Den Begriff der "pretransición" übernimmt Buckley von Raúl Morado, La transición política, Madrid: Tecnos, 1984.

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Burkhard Pohl quedado en una zona de intelectual socialdemocràtico [...]. Mis ideas se han consolidado y no sólo soy un antifranquista sino un luchador antifranquista. Vivo esa especie de falsa esperanza que ha transformado nuestra juventud, en que pensamos que los acontecimientos cambiarán las cosas inminentemente, lo cual no ocurre nunca. [...] estoy dispuesto a hacer lo que de mí se pida, por escrito, de palabra, y si fuera necesario, de obra [...]. Pero yo no tengo ninguna vocación política concreta [... intervendría] de algún modo en la transformación estrictamente cultural y sobre todo en el terreno de la cultura humanística superior de este país.917

Die im Kontext von '1968' florierende Kapitalismuskritik wird ferner von der Rezeption der Kritischen Theorie und vor allem der Schriften Herbert Marcuses begleitet, die in schneller Folge in Spanien publiziert werden. Seix Barrai z.B. bringt Marcuses Werke El hombre unidimensional und Eros y Civilización und einen Marcuse-Kommentar José Maria Castellets {Lectura de Marcuse) in zugänglichen Taschenbuchausgaben heraus, die sich glänzend verkaufen.918 Marcuses utopisches Denken findet Anklang, weil es Transfermöglichkeiten auf den spanischen Kontext bietet: Es verbindet die Offenlegung der Entfremdungsmechanismen der Massenkultur, die sich in der fortschreitenden Übernahme westlicher Konsumgewohnheiten zu manifestieren scheint, mit einer Kritik an der bestehenden politischen Unterdrückung demokratischer Grundrechte im totalitären bzw. autoritären System. Marcuses Entlarvung der repressiven Sexualmoral erschließt außerdem Optionen zur Befreiung vom gesellschaftlich verordneten Puritanismus, den linke Kritiker auch bei der kommunistischen Opposition am Werke sehen (Labanyi 1995: 297). In der Diskussion um die Kulturindustrie wird die Kritik an der Ökonomisierung und Verdinglichung zum Gemeinplatz. Dabei wird unterschiedlich die Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur(produktion) bestätigt oder in Frage gestellt.919 Auf der einen Seite analysieren marxistische Kritiker den Warencharakter 917

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Sergio Vilar: "Carlos Barrai" (Interview vom 28.12.1968), in: Protagonistas de la España democrática. La oposición a la dictadura, 1939-1969, o.V., o.J. [Paris, Imprimerie Mazarme, 1969], S. 305-10, zitiert nach Barral (2000: 45f.). Eros y civilización (1968) erreicht im April 1969 bereits die 3. Auflage mit 55.000 Exemplaren, bis 1972 sind acht Ausgaben erschienen. Im April 1969 belegt El hombre unidimensional den 4. Platz der Bestsellerliste des INLE (Cendán Pazos 1989: 175). Die von Juan Garcia Ponce übersetzten Texte waren zuerst in Mexiko bei Joaquín Mortiz erschienen. Weitere zeitgenössische Publikationen zu und von Marcuse sind bei Díaz (1978: 258) aufgeführt. Diese Dichotomisierung geht nach P. Bürger (1982) auf die französischen Debatten des 19. Jahrhunderts um Demokratisierung (Zola) vs. Anti-Egalitarismus (Sainte-Beuve) zurück. In seiner Kritik an Adorno sieht Bürger in der (Institution) Literatur des 20. Jahrhunderts die "ästhetizistische Radikalität des autonomen Kunstbegriffs" (1982: 255) verankert, der die Erweiterung der Rezeption auf ein Massenpublikum erkenne, jedoch das Ideal des "inneren Reichtum[s] [...] eines solipsistisch auf sich selbst zurückgezogenen Subjekts" (258) - eines quasi aristokratischen Individuums - hochhalte. Demgegenüber stehe das Aufbrechen des Kanons und die voluntaristische Akzeptanz des Marktwertes von Literatur und der Gleichwertigkeit von Unterhaltungs- und ehemals 'hoher' Kunst. "Damit ist noch nichts über die Triftigkeit dieser Kritik [i.e. an der Vermarktung] ausge-

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des Buches (Beispiele: Buchmessen, Libros RTV) als Bedrohung des emanzipatorischen Potenzials von Kunst als Volkskultur.920 Valeriano Bozal oder Manuel Vázquez Montalbán fordern eine Befreiung des "geschriebenen Wortes", der Literatur schlechthin von ihren politischen und ökonomischen Entfremdungsmechanismen, hoffen aber auf die Möglichkeit einer nicht-affirmativen Populärkultur.921 Die Kritik an der Kulturindustrie bekräftigt andererseits die Position des sich als autonom verstehenden, auf seine Kunst zurückziehenden bürgerlichen Intellektuellen. In Romanen wie Miguel Delibes' Parábola del náufrago (1969) werden die Bedrohungen dieser totalitären Unterwerfung in intertextuellem Verweis auf die Kritische Theorie umgesetzt. 922 Zum einschlägigen Diskurs wird das Leiden des Künstlers an den drohenden Phänomenen der Massengesellschaft und der Kulturindustrie. Das Unbehagen an der Massenkultur findet seinen Ausdruck in der Distanzierung von Formen der cultura popular oder Industrialisierung der Kultur, und die subcultura und Konsumorientierung der Massen wird mit einigem Dünkel angeprangert.923 N o v í s i m o s und literarische

Erneuerung

Der mit dem Namen Luis Martín-Santos verknüpfte poetologische Wandel in der spanischen Erzählliteratur hatte sich mit den 1966 erschienenen Romanen von Miguel Delibes (Cinco horas con Mario), Juan Marsé {Ultimas tardes con Teresa)

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macht: [...] [E]rneut zu überdenken aber wäre die von Adorno so überzeugend vertretene Rettung des Ästhetizismus." (260). Als einschlägiges Beispiel mag die Zeitschrift Cuadernos para el diálogo dienen, deren Sondernummer XXXII vom November 1972 unter folgenden Abschnitten über das Buch in Spanien berichtet: "El libro y la libertad de información; El libro y la cultura establecida; El libro objeto de consumo; El libro y las clases sociales; La industria del libro en España". "Hoy puede llegarse a un conocimiento técnico de la literatura y a un conocimiento técnico de la mecánica cultural en relación con la lucha de clases, del cual puede deducirse la necesidad de una subliteratura de agitación [...] una posible expresión didácticopopular que rompiera para siempre con el populismo que ha impregnado esta clase de empeños. Esta subcultura debiera partir de un examen limitador de las claves lingüisticas convencionales del sujeto revolucionario [...] y debiera adaptarlas, mediante una manipulación técnica, al servicio de una cultura radicalmente critica." (Manuel Vázquez Montalbán: "Tres notas sobre literatura y dogma", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXIII (Dezember 1970), S. 17-22, hier: 21). Delibes stellt seinem Text ein Zitat Horkheimers voran. Die im Roman thematisierte Vernichtung des Individuums durch ein totalitäres System weist sowohl auf die Unterdrückung des Prager Frühlings durch die Sowjetunion als auch auf die repressiven Strukturen der kapitalistischen Massenkultur hin. Dem Käufer der novela popular von Corín Tellado wird z.B. ein kultureller "Minderwertigkeitskomplex" vorgehalten: "[S]ufre de un complejo de inferioridad cultural que encuentra cobijo y comprensión por parte de las editoriales especializadas." (Eduardo Chamorro/Pacho Marinero: "La industria editorial española. Sectores y niveles", Triunfo 469 (29.5.1971), S. 21-23, hier: 22).

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und Juan Goytisolo (Señas de identidad) - letzterer in Mexiko publiziert - verfestigt, die sich in der Erzähltechnik (Perspektivik, Chronologie) und einer selbstkritischen, zuweilen ironischen Reflexion von den Vorgängerwerken der gleichen Autoren abheben. Der Prestigeverlust des Sozialrealismus innerhalb des spanischen literarischen Feldes beschleunigt sich bis zum Ende der 60er Jahre. José María Castellet, einer seiner früheren Wegbereiter, erklärt 1968 mit einem in Caracas publizierten Artikel die Ära des objektivistischen Sozialromans für beendet.924 Der Wandel geht nicht ohne heftige Wortgefechte vonstatten, in denen Gruppen und Einzelpersonen um die Meinungsfuhrerschaft in der literarischen Öffentlichkeit streiten.925 Stand in den Auseinandersetzungen der frühen 60er Jahre eher noch die ästhetische Verarbeitung des politischen Engagements zur Debatte - für die Martín-Santos und Vargas Llosa als adäquate Erneuerer galten geht es nun auch um die gesellschaftliche Funktion von Literatur und die Frage des Engagements an sich. Die Abrechnung mit dem als antiquiert erachteten Sozialrealismus fallt gehässig aus: 1969 erfindet der Journalist César Sánchez Fontenla in Triunfo das Begriffspaar "berza/sándalo" (Kohl/Sandelholz), das als Metonymie für den literarischen Konflikt der folgenden Jahre stehen wird. Wer in den literarischen Kreisen Barcelonas und Madrids ,in' sein will, muss seine Texte vermittels formaler Innovationen veredeln {sándalo), während das kulturelle Kapital des realistischen Romans aufgebraucht scheint, der allzusehr als peninsulares Provinzgewächs {berza) in der Literaturtradition des 19. Jahrhunderts verstanden wird und dem nurmehr "burbujas de putrefacción" zu entsteigen scheinen.926 1969 charakterisiert Carlos Barrai die Literatur der Postguerra als "narrativa naturalista que se autonombró novela social", ais Produkt spanischer Rückständigkeit in kulturellen Dingen - einer "cultura humanística provinciana y tristemente encerrada en sí misma".927 Barral nimmt einige 924

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"No hacen más que un maniqueísmo intelectual [...] que invade la literatura española durante estos aftos, despojándola de uno de los requisitos elementales de la buena literatura: la presentación del mundo como entresijo de contradicciones." (José María Castellet: "Tiempo de destrucción para la literatura española", Imagen, Caracas, 15.7.1968, zitiert bei Martínez Cachero 1985: 264). Manuel Vázquez Montalbán: "Bajo el signo polémico", Triunfo 447 (26.12.1970), S. 26f. Ein beispielhafter Disput entspannt sich z.B. zwischen Isaac Montero und Juan Benet (Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXIII, (Dez. 1970), S. 65-76). Montero verteidigt dort den Sozialrealismus, dessen Scheitern er durch die von der Zensur vereitelten Publikationsmöglichkeiten begründet sieht, während Benet die bekannte grundsätzliche Kritik an den literarischen Qualitäten des realistischen Romans vorbringt. Diese Wendung hatte Barral bereits im Februar 1966 in seinem oben (4.3) zitierten Brief an Alfonso Grosso benutzt (Brief vom 19.2.1966, AB). Carlos Barral: "Reflexiones acerca de las aventuras del estilo en la penúltima literatura española", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XIV (Mai 1969), S. 39-42, hier: 41. Die zitierte Ausgabe der Cuadernos para el diálogo mit dem Titel "30 años de literatura. Narrativa y poesía española 1939-1969" ist Anlass für heftige Kritik, da mehrheitlich

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Autoren von seiner herben Kritik aus, und es überrascht kaum, neben den Namen von Martín-Santos, Benet und Sánchez Ferlosio die von vier Autoren des eigenen Verlags - García Hortelano, Juan und Luis Goytisolo, Caballero Bonald - zu lesen. Demgegenüber prangert Alfonso Sastre eben diese Neuorientierung als "dogmatismo de la indeterminación" an, der aus Marktopportunismus den früheren Dogmatismus einer einzigen (sozialistischen) Idee abgelöst habe. Schuld daran trügen allerdings weniger die Schriftsteller selbst oder die Verlage, sondern die Literaturkritik: El mismo crítico [...] canta las excelencias hoy de escritores 'sociales', mañana de audaces experimentadores de formas literarias; tan mediocres productos del mercado literario, a veces, aquéllos como éstos. (Sastre 1970: 151 f.)

In der Praxis zeigen sich die neuen literarischen Tendenzen der 60er und 70er Jahre in unterschiedlichem Grad von experimentellen Erzählformen bestimmt. Hierzu zählen sowohl Werke, die eine "renovación" des sozialen, kritischen Realismus vornehmen, als auch Texte, die radikaler mit Wirklichkeitsbezügen und tradierten Darstellungsformen brechen und sich der formalen Innovation um der Innovation willen verschreiben: "[L]a novela abandona la historia y se hace sólo discurso."928 Dazu zählen Veränderungen im Erzähldiskurs (Anachronien, Ellipsen, Perspektivwechsel, Mosaik- und Labyrinthstruktur), und in der Intention bzw. in den Inhalten (Metafiktion, Science-Fiction, Pastiche, Intertextualität). Der Roman El mercurio von José Maria Guelbenzu (1968) ist z.B. als metaliterarische Reflexion konstruiert und arbeitet mit kontinuierlichen intertextuellen Verweisen, in denen sich das auch explizit genannte Vorbild Cortázars deutlich äußert. Damit fungiert der Text als "crónica cultural" einer Generation großstädtischer bürgerlicher Intellektueller (Villanueva 1987: 25). Im Plädoyer für die Priorität der Form fungiert der Roman der späten 60er Jahre und frühen 70er Jahre mehrheitlich als novela deshumanizada, die sich der Schilderung von Alltagsrealitäten zu entziehen sucht und den Text nicht als direkten Ausdruck eines sozialen Engagements des Schriftstellers gelten lässt.929 Dies bedeutet nicht die

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Vertreter der Szene um Seix Barrai - Barrai, Benet, Clotas - zu Wort kommen und ihre Interpretation der spanischen Literaturgeschichte formulieren. Cuadernos para el diálogo sieht sich deshalb im Dezember 1970 zu einer weiteren bilanzierenden Sonderausgabe zur spanischen Literatur veranlasst. So differenziert z.B. Martínez Cachero (1985: 342-77). Villanueva (1987: 30) unterscheidet zwischen (jüngeren) "novísimos" und (älteren) "experimentalistas". Die literaturwissenschaftlichen Kategorien und Bewertungen des Romans im Spätfranquismus variieren von Handbuch zu Handbuch: Konsens besteht über die allgemeine Verlagerung der literarischen Aufmerksamkeit auf die Form, Uneinigkeit hingegen in der Beurteilung der gesellschaftskritischen und ideologischen Reichweite eines Textes. "La novela deshumanizada es una tendencia donde por el condicionamiento de una ideología predominante, ya sea la propia del autor o la que reside en su moda literaria, se evita escrupulosamente un contenido que capta al hombre en su problemática vital, alejándose de toda referencia al mundo cotidiano o a los destinos colectivos." (Gil Casado 1990: 14). Gil Casado begrenzt seine Definition nicht auf experimentelle Romane, sondern schließt

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Absage an jegliche Gesellschaftskritik, wohl aber an die Funktion des Schriftstellers als eines Aufklärers über soziale Missstände und an die Funktion der Kunst als utopischer Überwindung des Bestehenden.930 Er demonstriert seine Unabhängigkeit vom System und der systemstabilisierenden Oligarchie, aber auch von den als widersprüchlich empfundenen Dogmen der Opposition und von der stigmatisierten 'Massenkultur'. In einer Situation politischer Orientierungslosigkeit und gleichzeitiger materieller Verbesserungen gilt dem bürgerlichen Künstler die Revolution der Sprache als einzig mögliche Revolution und als Mittel der individuellen Autonomiewahrung. Der Schriftsteller wendet sich nicht mehr an die breite Bevölkerung, sondern kommuniziert mit einer gebildeten Leserschaft, die die neuen narrativen Techniken zu würdigen weiß. Allerdings fallt die Begeisterung dieser Leserschaft gedämpft aus.931 Die neue avantgardistische Literatur kann nur selten ein breites Publikum erreichen, so dass es nur eine Frage weniger Jahre ist, bis spanische Schriftsteller wieder den "pacto narrativo" (Villanueva 1987: 31) mit dem Publikum eingehen. Die emphatische literarische Positionierung gegen den Sozialrealismus ist mit generationsbedingten Kämpfen verknüpft. Um 1970 tritt eine Gruppe junger Schriftsteller auf den Plan, die unter dem Markenzeichen der novísimos als neue spanische Literaturgeneration vermarktet wird. Der Begriff der novísimos, zunächst auf die in José Maria Castellets gleichnamiger Dichter-Anthologie präsentierten Nachwuchsautoren bezogen, wird innerhalb des literarischen Experimentalismus mit dem von Carlos Barrai geprägten Slogan der nueva novela española verknüpft, zumal sich einige der novísimos (Azúa, A.M. Moix, Molina Foix, Vázquez Montalbán) auch im narrativen Fach betätigen.932 Diese Schriftsteller verfugen über einen universitären Hintergrund, mehrheitlich auch über internationale Studien- oder Lehrerfahrung, und sind im Kulturbetrieb Barcelonas oder Madrids beschäftigt. Protegiert durch Wortführer wie Benet und

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auch 'realistisch' erzählte Texte ein, deren Inhalt den Bereich der Alltagsrealität verlässt (z.B. Science-Fiction und Genre-Pastiches). Zwar übten viele hermetische Romane der 70er Jahre Gesellschaftskritik, so Soldevila, so dass die pauschale Dichotomisierung von sozialem und experimentellem Roman irreführend sei. Anders verhalte es sich jedoch mit der Einschätzung der gesellschaftlichen Funktion von Literatur: "Por otra parte, no parece que en él [i.e. en Armas Marcelo], como en el resto de su generación, se albergue la menor ilusión sobre la función social de la literatura, de que en ella haya un arma cargada y capaz de dar a luz por sí sola al futuro mejor. De ahí que hayan renunciado a la popularidad de antemano, y se dirijan claramente a las minorías capaces de seguirlos por el filo de la navaja del hermetismo." (1980: 436). María Mar Langa Pizarra resümiert: "Pero la experimentación de los últimos años del franquismo era tan exagerada que las novelas de Benet, Goytisolo o Cela de esta época interesaron al lector culto exclusivamente como ejercicios de estilo, nunca como historias para ser leídas." (Langa Pizarra 2000: 23). Siehe 5.2.4 zur "nueva novela española". Zu den novísimos und den Kontroversen um diese literarische Gruppe vgl. Martínez Cachero (1985: 309-15), Villanueva (1987: 25f.).

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Castellet, erlangt der Kreis dieser Literaten rasch Publizität und verlegerische Möglichkeiten (Barrai, La Gaya Ciencia, Seix Barrai, Tusquets).933 Die neuen Autoren konstituieren sich als "highly educated literary in-group" und verschaffen sich durch Strategien der polemisch formulierten Absage an etablierte Formen und Ideologien, allen voran dem ernsthaften politischen Engagement der Generation der 50er Jahre, mediale Aufmerksamkeit.934 José María Castellet gibt diese Linie in seiner Einleitung zur Anthologie Nueve novísimos vor: "[S]ólo he tenido en cuenta [...] a los poetas que me han parecido más representativos de la ruptura." (Castellet 1970: 13). Der novísimo Félix de Azúa schildert die Positionsnahme seiner Gruppe gegenüber dem Sozialrealismus als generationsspezifischen Kampf um den "protagonismo cultural", damit um Macht und Marktanteile am literarischen Geschäft: Con los nuevos narradores, se estaba produciendo una ruptura. No estaba muy pensada, más intuitiva, consistía en las resoluciones de cafetería. Fue una reacción tal vez snob, como la famosa Antología [i.e. Nueve novísimos], pero necesaria. Era la época afrancesada, telqueliana, sollersiana. Un asunto de ruptura de protagonismo cultural.935

Zur vordergründig unpolitischen Attitüde gehören ein konsequenter Jugend- und Modekult und die kokettierende Auseinandersetzung mit dem Mainstream als ein Mittel der kulturellen Distinktion und Provokation. Die Literatur der jungen Autoren ist durch intertextuelle Collagen charakterisiert, die sich zwischen populärkulturellen Pastiches und abgehobenem Elitediskurs bewegen. Die ironische Aneignung der Populärkultur im Zeichen des camp wird als metaliterarisches Spiel praktiziert, in dem die Massenkultur als Mythenarsenal für ästhetische Kunstfertigkeit dient.936 Gleichzeitig ist die Akzeptanz der Kulturindustrie und ihrer Marktbeziehungen die notwendige Voraussetzung einer literarischen Produktion, die sich in der Gesellschaft behaupten und professionalisieren will. Ein Autor wie der sich als 'junger Wilder' profilierende Terenci Moix propagiert offen seine Bereitschaft zur massenmedialen Vermarktung und bedient sich erfolgreich deren Konsekrations-

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Aus dem Kreis der novísimos gehen künftige Mitarbeiter bei Seix Barrai und Barrai Editores (Gimferrer, Azúa, Fernández de Castro) hervor. Félix de Azúa bezeichnet das Umfeld Seix Barrais als hauptsächlichen sozialen und intellektuellen Bezugspunkt seiner Generation: "Había cuatro mandarines sacralizados, como Manuel Sacristán; eso era la oposición. La relación con Barral o Castellet era de afecto, mientras que sólo hacia Gabriel Ferrater y Jaime Gil de Biedma sentíamos un respeto intelectual. Luego, el magisterio de Juan Benet aplastó a todos." (Félix de Azúa, Interview mit B.P., 1.3.1999). "In short, a highly educated literary in-group, cultivatedly iconoclastic in their rejection of their elders' concern with national politics and in their rejection of seriousness of style." (Labanyi 1995: 297). Félix de Azúa, Interview mit B.P., 1.3.1999. Allerdings stellen die novísimos keine monolithische Gruppe dar. Manuel Vázquez Montalbán kritisiert die unter diesem Label vermarkteten Autoren als politisch "amarxista[s]" und snobistisch gegenüber den Bedürfnissen des Publikums: "[N]o ha habido ningún nivel de respuesta cordial al público." (bei Campbell 1971: 158f.).

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mechanismen.937 Barcelona als verlegerische und literarische Metropole ist hauptsächlicher Ausgangspunkt der novísimos und der neuen hermetischen Literatur. Die kulturelle Szene der Gauche Divine fungiert dort als einflussreicher sozialer Bezugsrahmen der bürgerlichen Intellektuellen und als Sammelbecken der skizzierten literarischen und politischen Positionen.

5.1.3

Hit Gauche Divine

Die Hochphase der sog. Gauche Divine lässt sich ungefähr auf die Jahre 1965 bis 1971 datieren. Es handelt sich um einen Teil der bürgerlich-intellektuellen Szene Barcelonas, der sich in diversen kulturellen Disziplinen betätigt, eigene Vermittlungsmedien schafft, feste Anlaufpunkte frequentiert und sich politisch mehr oder weniger links definiert. In der Kombination einer regen kreativen Tätigkeit mit der Bereitstellung medialer Instrumente bildet die Gauche Divine einen unmittelbaren Entstehungskontext des lateinamerikanischen Boom in Spanien.938 Die Genese des Begriffes wird dem Kolumnisten Joan de Sagarra zugeschrieben, der im Oktober 1969 in seinem Bericht zum Empfang anlässlich der Gründung des Verlags Tusquets Editores von den Anwesenden als "Gauche Divine" spricht.939 Angelehnt an die Pariser Szene der rive gauche, bezeichnet der Begriff eine Szene bürgerlicher Intellektueller, die sich vorwiegend in freien und künstlerischen Berufen betätigen; hierzu zählen z.B. die Architekten und Cineasten der Escuela de Barcelona und die um das Unternehmen Distribuciones de Enlace gruppierten Verleger und Schriftsteller. Im Kontext von Fragas Kulturpolitik und der wirtschaftlichen Prosperität der 60er Jahre verfügt die Mehrheit dieser Intellektuellen über ausreichende materielle Sicherheit {diviné), um sich im Kulturleben zu professionalisieren und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.940 Ihrem Selbstverständnis nach weniger eine feste Gruppe oder Generation als ein "conglomerado", "movimiento", "tribu" oder "circulo",941 fungiert die Gauche 937

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Terenci Moix bezeichnet seinen schlagartigen Markterfolg provokativ als geplantes Selbstmarketing: "Yo me dije: muy bien, aprovecharé lo de los premios y después entraré al asalto en los mass media." (Campbell 1971: 115). Die folgende Darstellung stützt sich neben dem Katalog zur Ausstellung Gauche Divine (2000) auf die Darstellung von Riambau/Torreiro zum Kino der Escuela de Barcelona (1999). Daneben wurden eigene Interviews und die Memoiren von Zeitgenossen herangezogen, z.B. von Román Gubern (1997) und Xavier Miserachs (1998). O.M. Rubio (2000a: 43). Wiewohl der Begriff Gauche Divine im Zeitkontext despektierlich konnotiert ist, hat er sich mittlerweile als Selbstbezeichnung eines Teils der katalanischen Intelligenz verselbstständigt. Ich gebrauche ihn in diesem Sinne. Die Fotografin Colita bestätigt dies: "Todo nuestro grupo salía de buenos colegios, de la universidad. Todo ella era gente formada y con estudios." (O.M. Rubio 2000: 38). Allerdings verfügen längst nicht alle der Beteiligten über ein festes Einkommen (Regás 2000: 22, vgl. auch die unten zitierte Einschätzung Vázquez Montalbáns von 1971). Diese Bezeichnungen wählten Rosa Regás, Beatriz de Moura, Jorge Herralde und Román

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Divine als relativ heterogene, gleichwohl informell eng verbundene intellektuelle formation?n Die sich im künstlerischen Sammelbecken der Gauche Divine entwickelnden Initiativen fuhren gewissermaßen die Praxis der (gegen)kulturellen Gruppen der 50er Jahre fort: Die Karriere der novísimos mitsamt dem neu entstehenden Verlags- und Zeitschriftenumfeld erinnert an die Genese der Gruppen um Laye und die Biblioteca Breve. Den biografischen Kern der Gauche Divine bildet die Generation der um 1935-45 Geborenen (Ricardo Bofill, Román Gubern, Jorge Herralde, Xavier Miserachs, Terenci Moix, Beatriz de Moura, Joan de Sagarra, Esther und Oscar Tusquets, usw.). Die Dichter und Schriftsteller um Barrai und Castellet zählen zu den "patriarcas" der 1925-30 Geborenen, die aufgrund ihrer institutionellen Macht und ihres kulturellen Kapitals Autorität besitzen.943 Wie andere vergleichbare avantgardistische Bewegungen (Nouvelle Vague, Movida) verschafft sich auch die Gauche Divine die nötige Infrastruktur, um ihre Arbeit und ihre Standpunkte öffentlich bekannt zu machen. Die Aktivitäten der Gauche Divine sind eng mit der Entwicklung bestimmter Verlage, Zeitschriften, Filmproduktionen und Bildungsinstitutionen verbunden. Oriol Regás bringt die Publizitätsstrategien auf den Punkt: "[L]o importante en todos esos movimientos, a menudo anárquicos y espontáneos, sin articular, es que siempre tienen un nombre, después una marca y después un medio de difusión."944 Die als Escuela de Barcelona bezeichnete Gruppe katalanischer Filmschaffender tritt z.B. um 1965/66 an die Öffentlichkeit (Riambau/Torreiro 1999: 154). Mit der privaten Akademie für Design Eina entsteht 1967 ein wichtiges intellektuelles Forum, das im Februar 1967 ein Treffen katalanischer Künstler mit Mitgliedern des

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Gubern in Interviews mit mir. Vgl. auch die ähnliche Definition Guberns bei O.M. Rubio (2000: 27). Carlos Barral allerdings sucht sich später von dem Kollektivbegriff der Gauche Divine zu distanzieren und stellt deren Zusammenhalt generell in Frage: "Yo tengo menos experiencia [...] porque la [i.e. la Gauche Divine] practiqué menos. La gauche divine no era nada, o era un grupo de gente orgullosa de sentirse más civilizada a nivel de las costumbres y que generalmente manifestaba esa satisfacción tomando unas copas en Bocaccio o en casa de unos u otros. Me parece que no había más que eso." (Mariá Favá: "Barral el ácrata", Diario de Barcelona (9.11.1975), zitiert nach Barral 2000: 107). Auch für Manuel Vázquez Montalbán, den zeitgenössischen bissigen Chronisten des Phänomens, handelt es sich eher um ein "fantasma", das sich weder politisch noch sozial über einen Kamm scheren lasse ("Un informe subnormal sobre un fantasma cultural. La Gauche Divine", in: Triunfo 452 (30.1.1971), S. 21-25). Vgl. zur Definition derformation nach R. Williams die Ausführungen unter 1.1. Oriol Regás bei O.M. Rubio (2000: 34). Campbell (1971), dessen Interviewsammlung einen repräsentativen Querschnitt durch die mehr oder weniger konsekrierte literarische Avantgarde Spaniens und damit durch den literarischen Teil der Gauche Divine vornimmt, vereint zwei literarische Generationen: zum einen die Renegaten des realismo social (Barral, Castellet, Gil de Biedma, Hortelano, Benet), zum anderen deren 'Schüler', von denen einige als novísimos in der gleichnamigen poetischen Anthologie vertreten sind (Azúa, Carnero, Panero, A. M. Moix, Gimferrer). Oriol Regás bei O.M. Rubio (2000: 28).

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italienischen Gruppo 63 (Umberto Eco, Gillo Dörfles) organisiert, von dem Impulse zur spanischen Rezeption von Strukturalismus oder Semiotik ausgehen. 945 Bestimmte in Barcelona erscheinende Magazine dienen als Verbreitungsmedien ästhetischer Positionen (Fotogramas, Bocaccio, Siglo XX, Tele-Exprés). Auch Buchverlage sind für die künstlerische Selbstpräsentation von zentraler Bedeutung, wie bereits die Entstehung des Begriffes Gauche Divine im Umfeld von Tusquets Editores anzeigt. Tusquets Editores, Anagrama, Lumen oder Barrai Editores fuhren in ihren Programmen einen wesentlichen Teil der Tendenzen innerhalb der Gauche Divine,946 Aus diesem Kreis entsteht auch die Zeitschrift La Mosca, die, herausgegeben von zunächst drei, später sechs befreundeten Verlagen, ein heterogenes Themenspektrum aus Hoch- und Populärkultur abdeckt und damit als Panorama der Positionen der Gauche Divine fungiert.947 Die Publikation erscheint in acht Ausgaben zwischen 1968 und 1970 in einer Auflage von 3.000 Exemplaren, die hauptsächlich in Barcelona vertrieben werden. Äußerlich als Verlagsprospekt getarnt, verkörpert La Mosca eine doppelte Strategie: Einerseits bietet sie zeitgenössischen intellektuellen Positionen ein öffentliches Forum; andererseits ist sie Werbeträger für das Programm der beteiligten Verlage. Die Szene der Gauche Divine besucht modische Treffpunkte in Küstendörfern und in der Oberstadt Barcelonas, als deren Zentrum die Diskothek Bocaccio und die Calle Tuset gelten, die kurzerhand zur Tuset Street deklariert wird.948 Im Bocaccio 945

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Das Treffen findet im Rahmen des ersten Ästhetik-Seminars der Akademie statt: "[...] un primer y célebre seminario sobre estética [...] que armó un gran revuelo en la España cultural [...]" (Satué 1997: 220). Im Rahmen des Seminars kommen auch Roland Barthes und Lucien Goldmann nach Barcelona. Der Verlag Tusquets Editores wird 1969 von Beatriz de Moura, einer früheren Mitarbeiterin von Esther Tusquets bei Lumen, und deren Bruder Oscar Tusquets gegründet. Zunächst publiziert man im Taschenbuchformat. Besonderes Augenmerk gilt der grafischen Gestaltung der Buchtitel und Plakate, für die Oscar Tusquets und Lluis Clotet verantwortlich zeichnen. Beatriz de Moura charakterisiert die Verlagsziele im Rückblick als Ausrichtung an der Avantgarde: "1. reivindicar las vangardias literarias de nuestro siglo [...]; 2. aportar elementos para un debate vivo, activo, en el terreno de la cultura, de las ideas, mediante textos refractarios a las ortodoxias vigentes que suscitaran polémica; y 3. publicar la narrativa de autores noveles españoles e hispanoamericanos." (Tusquets Editores 1994: 10). Die beteiligten Verlage sind Seix Barrai, Lumen, Edicions 62, Barrai, Tusquets und Anagrama. La Mosca wird in der Privatwohnung Beatriz de Mouras entworfen und geht aus den erwähnten interdisziplinären Seminaren an der Akademie Eina hervor (Gubem 1997: 170, Satué 1997:220). Die Bezeichnung Tuset Street, Titel eines gleichnamigen Films von Luis Marquina (1968), spielt mit der Orientierung am Modell der Londoner Carnaby Street. Bocaccio steht unter Leitung der Brüder Oriol und Xavier Regás und öffnet im Februar 1967 seine Pforten. Jorge Herralde unterstreicht die Rolle dieser festen Treffpunkte: "Algunos y otros [nos conocimos] a través de los estudios. Los años 60 fueron una época de gran circulación social de mucha efervescencia, donde no estaba todo el mundo tan en compartimentos estancos como en otra época, [...] el Bocaccio - allí estaban directores de cine, edito-

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präsentieren Verleger wie Barrai oder Moura ihre Bücher, von dort gehen Initiativen zur Außendarstellung und Promotion einzelner Akteure aus. Die Diskothek publiziert eine Zeitschrift, schafft ein Plattenlabel, organisiert Reisen an mondäne Orte (Ibiza, Rom, Ajaccio, London, New York) und entwirft mit eigenen T-Shirts und Werbeaktionen eine grafische Corporate Identity der Barceloneser Boheme. Die gesellschaftlichen Positionsnahmen der Gauche Divine stehen im Zeichen der eingangs geschilderten intellektuellen Heterodoxie. Gegen die franquistische Erziehung und Familientradition postuliert man die individuelle Freiheit und gibt sich als "bohemia áurea" (Riambau/Torreiro 1999: 29) des Spätfranquismus: Fue más bien una actitud, respecto a las convenciones que habíamos heredado, respecto a las prohibiciones, respecto al ambiente sórdido. [...] Seguramente no tuvimos muchas libertades políticas, pero sí pusimos en práctica libertades sociales. 949

Kulturelle Betätigung wird als adäquate Praxis dieser individuellen Befreiung und Selbstverwirklichung verstanden: El único ámbito posible para pensar, debatir o expresarse con libertad era entonces el estrictamente cultural. Era lo que nos "salvaba"; la literatura, por ejemplo, me salvaba a mí de lo gris, anodino y triste, que era el mundo cultural del franquismo, con todo su lastre de catolicismo. 950

London, New York und Paris liefern die kulturellen Vorgaben, das nahe gelegene Perpignan ist ein häufig besuchtes cineastisches Zentrum. Ein ostentativer Kosmopolitismus wird dem als provinziell und nationalistisch empfundenen Spanien mit seiner Metropole Madrid entgegengesetzt, dessen kulturelle Produktion als "mesetario" und als "berza" (s.o.) verlacht wird.951 In der Auseinandersetzung mit der madrilenischen Linken werden der Sozialrealismus auf der Ebene des Ästhetischen, die Kommunistische Partei auf der Ebene des Politischen attackiert. Zur Diskussion steht nicht der Antifranquismus an sich, sondern die Form, in der sich Protest und Kritik artikulieren sollen. Während sich die meisten Vertreter der Gauche Divine durchaus als "compañeros de viaje" des PC bzw. PSUC als schlagkräftigster Opposition verstehen, stellen sie deren Orthodoxie gleichwohl in Frage.952 In der Gauche Divine problematisiert sich das Gegeneinander von individuellen Freiheitsforderungen und Sozialrevolutionären Postulaten. Gegenüber der

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res, escritores y Cadaqués, y ciertos restaurantes, eran como pequeños crisoles - unos lugares de encuentro más pluridisciplinares, aunque no se reunía la gente para hacer un seminario, pero donde sí se intercambiaban muchas ideas." (Jorge Herralde, Interview mit B.P., 12.11.1997). Rosa Regás, Interview mit B.P., 1.6.1998. Beatriz de Moura, Interview mit B.P., 2.12.1997. Zum Konflikt zwischen Barcelona und Madrid und zum Etikett "mesetario" vgl. Riambau/Torreiro (1999: 187-99). So z.B. Ricardo Muftoz Suay, der als "hombre de la sombra" (Riambau/Torreiro 1999: 69) verschiedene Filme der Escuela de Barcelona produziert. Muñoz Suay verlässt um 1959 den PCE.

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kollektiven Aktion und der Autorität der Partei werden die Werte von Individualismus und intellektueller Autonomie betont: La izquierda ortodoxa encabezada por el Partido Comunista Español en el exilio - que en aquel momento era todavía esencialmente estalinista - no admitía divergencias: para ser entonces considerado "de izquierda" por ciertos intelectuales en España, había que seguir las consignas del Partido; quien se apartara de las normas de conducta establecidas era en seguida considerado sospechoso de un peligroso desviacionismo burgués. Una de las actitudes que, sin proponérselo, adoptó ese grupo heterogéneo, que acabó llamándose Gauche Divine, fue precisamente la de, sin dejar de ser de gauche, "desviarse" de ciertas consignas casi tan puritanas como las del propio catolicismo franquista. Tomamos como referencia, por ejemplo, entre otros movimientos de la época, él de los jóvenes alemanes comuneros de los años 67-68. El turismo a España, alemán entre otros, también aportó modos diferentes. Empezaron a interesarnos las personas como individuos aislados, como individuos per se, y no como parte de una masa sometida o de un partido intolerante. En una sociedad cerrada como era la nuestra, nos parecía fundamental la emancipación del individuo de toda idea preconcebida, de toda norma impuesta, ya fuera desde un estado dictatorial católico o desde un partido autoritario cualquiera.953 Die Abgrenzung verläuft jedoch auch nach innen, zunächst gegen einen katalanischen Nationalismus, dessen großbürgerliche Tradition und ideologischer Konservatismus nicht akzeptiert werden und dessen politisches Ziel - die Wiedergewinnung einer eigenständigen nationalkatalanischen Kultur - mit dem Kosmopolitismus der Gauche Divine nicht unbedingt kompatibel ist: "Ciertamente, en los cenáculos de la Gauche Divine no sólo se hablaba en castellano, sino que se vivía de espaldas a la cultura catalana."954 Dies zeigt sich besonders beim Film: Die Vertreter der Escuela de Barcelona, die sich stark an der Nouvelle Vague orientieren,955 erregen in ihrer Weigerung, in katalanischer Sprache zu drehen, den Zorn von Katalanisten. Um das Potenzial katalanischer Produktionsfirmen auszunutzen und ein größeres Publikum vor Ort zu erreichen, produzieren einige Regisseure schließlich auch Filme in Katalanisch.956 Von Seiten linker Nationalisten werden ferner der Hermetismus und Elitismus der Escuela de Barcelona kritisiert. Die 953

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Beatriz de Moura, Interview mit B.P., 2.12.1997. Salvador Clotas, späterer Abgeordneter des PSOE, verfasst Ende der 60er einen "Elogio de la frivolidad" (publiziert in der Zeitschrift Siglo XX, nach O.M. Rubio 2000: 29), der als Provokation sowohl des franquistischen Gesellschaftsideals als auch der linken Lustfeindlichkeit zu verstehen ist. Riambau/Torreiro (1999: 184). Eine ähnliche Einschätzung vertritt Félix de Azúa: "En Barcelona éramos unas 100 personas. Nadie de este grupo - que luego se intentó ridiculizar con el nombre de 'Gauche Divine' - tenía algo que ver con el nacionalismo catalán. Sólo después, el nacionalismo sirvió para reunir una plataforma desde demócratas liberales hasta comunistas." (Félix de Azúa, Interview mit B.P., 1.3.1999). "El nombre del movimiento cinematográfico francés fue repetidamente invocado por los cineastas barceloneses y resulta curioso constatar como - tanto los sistemas de producción como los métodos de trabajo - mantienen sorprendentes paralelismos." (Riambau/ Torreiro 1999: 200). Die Escuela de Barcelona stellt, wie die Nouvelle Vague, program-

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matisch die formalen über die inhaltlichen Strukturen (Rudolph 1999: 122). Riambau/Torreiro (1999: 185). Die Autoren beziehen sich auf die Regisseure Jacinto

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Charakterisierung des Kinos der Escuela de Barcelona als "doble provocación, antirrealista y anticatalanista" (Riambau/Torreiro 1999: 184) ist auf weite Teile der Gauche Divine und insbesondere auf die Texte und Selbstdarstellung der novísimos übertragbar. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre entspannen sich somit in Kino und Literatur ähnliche Diskussionen: hier die Literatur der novísimos und das Kino der Escuela de Barcelona, dort die novela social und der Nuevo Cine Español?51 Je nach politischem Standpunkt des Betrachters schwankt die zeitgenössische Beurteilung der Gauche Divine zwischen snobistisch-liberal und radikal-libertär. Montserrat Roig übt 1979 harsche Selbstkritik an der politischen Indifferenz und Passivität der intellektuellen Linken und der Gauche Divine im Spätfranquismus: Diese seien, abgesehen von spektakulären Kollektivaktionen, in der desillusionierten Absage an den aktiven Kampf verharrt.958 Die Gauche Divine ziehe damit eine soziale Trennscheide zu der sich aus dem Arbeiter- und Migrantenmilieu rekrutierenden Opposition, selbst wenn nicht alle ihre Vertreter ursprünglich dem (Groß)Bürgertum entstammen oder über finanziellen Reichtum verfügen.959 Ein etwas milderes Urteil fallt Manuel Vázquez Montalbán, Mitglied des PSUC, wenn er die Gauche Divine 1971 als nonkonformistische Fraktion des progressiven Kleinbürgertums, die "high society de la pequeña burguesía progresiva" bezeichnet .960 Ihr Individualismus habe nichts gemein mit dem Wirtschaftsliberalismus der herrschenden Mittel- und Oberschichten, zeige aber nur eine begrenzte politische Reichweite.961 Eher zeige sich am Beispiel der Gauche Divine das generelle soziale Ausgegrenztsein der spanischen Intellektuellen:

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Esteva und Joaquín Jordá. Die Escuela de Barcelona gründet sich als katalanische Antwort auf den Nuevo Cine Español. Eine Gegenüberstellung beider Strömungen bei Rudolph (1999: 116-24). "La Gauche Divine y aledaños había encontrado durante tres días de diciembre un breve sentido a sus vidas. Luego retornarían a lo de siempre, a este devaneo intermitente con la vida política del país. [...] en 1973 y 1975, las nuevas muertes serían presa segura para el cuervo de la impotencia. Nos tomaríamos tres vasos de whisky, dos Valiums e intentaríamos hacer literatura con ello." (Roig 1979: 51), vgl. das Zitat bei Mangini (1987: 215). Vázquez Montalbán nimmt in Los alegres muchachos de Atzavara (Seix Barrai, 1986) eine ironische Fiktionalisierung des intellektuellen Ambientes von 1974 vor. Ähnlich äußert sich die Literaturagentin Isabel Monteagudo, die zwischen bürgerlichen und proletarischen Linken trennt: "Yo no era de la Gauche Divine - que discutía si la revolución debería ser maoísta o leninista, pero que enviaba a sus hijos a estudiar en Inglaterra - , sino de la gauche obrera: vivía en El Carmelo, trabajando duro. Tenía una librería e iba a los institutos a vender los libros por la calle. Me les sentía cerca, pero con las diferencias señaladas." (Isabel Monteagudo, Interview, 10.11.1997). Manuel Vázquez Montalbán: "Informe ", Triunfo 452 (30.1.1971), S. 25. "Las convicciones políticas comunes de la supuesta 'gauche divine' son mínimas: son liberales sentimentalmente y, hay que reconocerlo, partidarios de las revoluciones más novedosas [...] Si la última revolución es la sexual, pues la sexual." (Vázquez Montalbán, "Informe", Triunfo 452 (30.1.1971), S. 23).

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Burkhard Pohl La "gauche divine" no existe. Existe el drama del llamado profesional liberal, del llamado artista, del llamado profesional de la cultura, consumido por una sociedad estudiadora que no ha vacilado en adjetivar peyorativamente a uno de sus sectores más aparentes y menos determinantes. Este sector se ha constituido, socio-económicamente, en high society de la pequeña burguesía progresiva y legisla algunas cosas, pero de escasa importancia comunitaria: modas culturales, de vestuario, sexuales, lingüísticas. Y esa "altura social" hay que considerarla muy a la española: es una altura relativa, con mucho dos caballos por en medio y cubierto de sesenta pesetas en un restaurante para iniciados, con mucho plan de boquilla y mucha tierra en La Habana, con mucha sabiduría convencional y mucho "Reader's Digest", con más Charlie Brown que Carlos Marx. [...] se declara tan partidaria de la felicidad como de los psiquiatras y del "Ché" Guevara, como de Marcial o Pirri. Porque yerran los que han circunscrito la clarificación al litoral catalán. En el triángulo braguetario del Gijón, del Oliver y del Pub de los madriles se cuece un caldo similar, inofensivo y tristón, del que siempre se aprende algo en el duro aprendizaje del oficio de vivir.962

Die Attacken der Künstler gegen Massenkultur und Entfremdung betreffen folgerichtig meist die Kultur und Lebenswelt der affirmativen Mittel- und Oberschicht, an deren gesellschaftlicher Macht diese Intellektuellen (noch) nicht teilhaben. Die sich ungeachtet dieser relativen politischen Apathie fortsetzende gesellschaftliche Unruhe macht jedoch neue Positionierungen notwendig. Im Zusammenhang mit dem encierro in Montserrat vom Dezember 1970, als sich 287 Intellektuelle aus Protest gegen den Burgos-Prozess im Kloster Montserrat versammeln und einschließen lassen, ist das Ende der Gauche Divine zu terminieren. Die für manche Beteiligte enttäuschende Erfahrung, zur Verhandlungsmasse zwischen franquistischer Polizei und politischer Opposition aus Klerus und PSUC - einem "frente eclesiástico-rojo"963 - geworden zu sein, bewirkt ein weiteres Auseinanderdriften politischer Positionen und generell ein Überdenken der antifranquistischen Optionen und Aktivitäten.964 In den Folgejahren beginnt für viele Intellektuelle das Engagement in den legalen und illegalen Parteien der sich formierenden Opposition: "[A] partir de Montserrat, ser gauche se volvió ser algo más concreto, más comprometido, y con poco margen para la frivolidad." (Miserachs 1998: 144).965 Für andere bedeuten die letzten Jahre des Franquismus hingegen das Warten auf den Tod des Diktators in politischer Abstinenz.

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Vázquez Montalbán, "Informe", Triunfo 452 (30.1.1971), S. 25. Gubem bei O.M. Rubio (2000: 34). Die Kommunistische Partei handelt mit Kirchenvertretern und der Polizei den Abzug aller Beteiligten gegen Feststellung der Personalien aus. "Allí se vio claro quién iba a dedicar su vida a la política y quién quería desarrollar su profesión sin compremeterse con una idea política." (Eugenio Trías, zitiert bei Alex Salmón: "¿Qué fue de la 'gauche divine'?", El Mundo (3.4.2000). Zu den Linksparteien in der Transición und im Spätfranquismus, vgl. Kraus/Merkel (1993).

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5.2 Die doppelte Kontinuität eines Erfolgsmodells: Seix Barrai und Barrai Editores (1967-78) In den letzten Jahren seiner Verlagstätigkeit bei Seix Barrai und, ab 1970, bei Barrai Editores, sucht Carlos Barrai die erprobten Strategien fortzusetzen. Die Programmpolitik ändert sich nicht grundlegend, ist aber durch eine stärkere Ausrichtung auf lateinamerikanische Themen und Autoren gekennzeichnet. Unter neuer Leitung bleibt Seix Barrai ab 1970 ein führender Verlag im intellektuellen Milieu, während Carlos Barrai im neuen Verlag selbst an seinen ehrgeizigen Plänen scheitert. 5.2.1

"Casi hollywoodiano": Die kulturelle Institution Seix Barrai (1967-70)

Verlagsprestige und antizentralistische

Distinktion

Das Jahr 1967 leitet einen internen Umbruch bei Seix Barrai ein. Nachdem einige Jahre zuvor mit Jaime Salinas und Juan Petit zwei wegweisende Mitarbeiter gegangen bzw. verstorben waren, setzt der Tod von Victor Seix während der Frankfurter Buchmesse 1967 den folgenschwersten personellen Einschnitt für das Unternehmen. Infolge andauernder Querelen um die Verlagsführung verlässt Carlos Barrai 1970 das Haus, um unter dem Namen Barrai Editores einen Konkurrenzverlag aufzubauen.966 Ungeachtet der innerbetrieblichen Probleme festigt Seix Barrai in diesen drei Jahren sein hohes kulturelles Prestige im gesamten spanischen Sprachraum, das sich schließlich auch in steigenden Verkäufen niederschlägt. Zusammen mit den Taschenbuchausgaben Alianzas versorgt das Programm Seix Barrais die Nachfrage der universitären Bildungseliten der 60er Jahre.967 Seix Barrai genießt als linke kulturelle Institution einen Kult-Status, der sich vor allem an der Person Carlos Barrais als verantwortlichem Verleger orientiert. Juan Benet schildert in seiner Erinnerung das Büro Barrais als Zentrum einer spanisch-katalanischen intelligentsia, in der der charismatische Verleger Züge eines Hollywood-Starproduzenten und Machers erhält und Seix Barrai als spanische Version der Paramount Pictures erscheint (Benet 1990: 15). Für Benet rührt Barrais Prestige vor allem aus einer Aura von Internationalität. Der Verlag ist Impulsgeber und Anlaufstelle der kosmopolitischen literarischen Avantgarde: El despacho de Carlos Barrai [...] era otro mundo y no sólo más animado y cosmopolita sino, cabe decir, casi hollywoodiano: propuestas atrevidas, algunas deslumbrantes, muje966

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Eine nähere Betrachtung der "crisis Seix Barral" erfolgt unten in 5.2.1. f m a i e s ,j e i a década de los sesenta, el circuito cultural de alta calidad (el público high brow) estaba ya asentado. Citaré a título de síntomas lo que significaba desde 1959 el catálogo de Seix-Barral [...]. La presencia de Alianza Editorial fue la reválida de la expansión de aquel público." (Mainer 1982: 9). Mainer betont außerdem die Rolle von Taurus als Verleger des Reformkatholizismus und der Frankfurter Schule. Vgl. auch das diesem Kapitel vorangestellte Zitat von Manuel de Lope.

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Burkhard Pohl res atractivas, muchas copas, llamadas del extranjero, nombres archiconocidos y, sobre todo, ese inconfundible desenfado que emana una congregación d 'hommes d 'esprit en su mejor y más incomprensible momento; [...] Seix Barral parecía el centro de un sistema que dictaba gusto y tendencias y alrededor del cual giraban muchas personas y cosas, todas animadas por el afán de novedad; escritores, diseñadores, grafistas, fotógrafos, modistas, modelos, arquitectos y hasta ginecólogos. Y señores de dinero, simplemente. Sin duda que no vivían de las emanaciones de Seix Barral - porque la casa no daba para tanto - pero nadie en Barcelona que se tuviera por un hombre al día podía dejar de tener relaciones con Carlos Barral quien, tal vez sin proponérselo, producía a su alrededor un efecto de aceleración en virtud del cual nadie podía quedarse atrás. [...] Creo recordar que tuve la sensación de aquella tarde, para mí en particular, había concluido la posguerra. (Benet 1990: 13-15)

Unschwer lässt sich in der Stilisierung Benets das Ambiente der Gauche Divine erkennen, das sich in seinen Ausprägungen von den Anfangsjahren der Biblioteca Breve unterscheidet: Ist Barral damals literarischer Newcomer innerhalb einer um überregionale Anerkennung kämpfenden Gruppe, agiert er nun als Patriarch und Mittelpunkt des intellektuellen Lebens schlechthin. Sein Vorbild wirkt auch auf die neu entstehenden Barceloneser Verlage, deren Bücher sich ebenfalls an das von Seix Barral bediente kultivierte Publikum richten.968 Mit der 1968 aufgelegten Biblioteca Breve de Bolsillo reagiert Seix Barral auf die erfolgreiche Entwicklung von Taschenbuchreihen auf dem spanischen Buchmarkt. In der Reihe wechseln sich Neuausgaben aus der eigenen Backlist (Carpentier, Duras, Frisch, Vargas Llosa) mit einer dem Vorbild der Biblioteca Breve entprechend heterogenen Sammlung von Literatur und Sachtiteln ab. Unter den narrativen Texten sind Original- oder Lizenz- bzw. Neuausgaben spanischsprachiger Schriftsteller (González León, Pitol, Sánchez), 969 übersetzte Klassiker der Weltliteratur (Defoe, Fielding, E.T.A. Hoffmann, James, Stevenson, u.a.) und Einzelprojekte wie die erfolgreiche - in einem Monat werden 10.000 Exemplare verkauft - zweibändige Neuausgabe des Tirant lo Blanc.910 Das Verlagsprogramm bleibt in seinem Titelaufkommen und den Grundprinzipien bis 1970 weitgehend stabil, legt aber ein verstärktes Augenmerk auf spanischsprachige Narrativik und trägt der Aktualität neuer wissenschaftlicher Disziplinen Rechnung. Gegenüber dem florierenden spanisch-lateinamerikanischen Austausch tritt der europäische Bezugsrahmen, wo 1967 die letzte Verleihung der Formentor-Preise stattfindet, etwas in den Hintergrund. Im Juni 1969 publiziert Seix Barral einen aufwändigen, zweihundert Seiten starken Katalog, der in Aufmachung, Druck- und Papierqualität gleichwertig mit den Aus-

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Hierzu zählen die 1969 gegründeten Anagrama und Tusquets und der von Esther Tusquets geleitete Verlag Lumen: "(F)ue Carlos Barral quien creó el núcleo inicial de este público que yo y otros editores similares hemos encontrado ya constituido." (Esther Tusquets, in: "¿Qué pasa con el libro español?", Triunfo 360 (26.4.1969), S. 57). Als Lizenzgeber mancher Titel, z.B. der Bücher Herbert Marcuses, dient der mexikanische Verlag Joaquín Mortiz. Angabe nach Seix Barral, "Boletín de novedades", No. 3 (September 1969), ABC AS.

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gaben der Biblioteca Breve ist. Sämtliche Titel werden mit Kurztexten präsentiert, Paratexte zu den Verlagsreihen und einzelnen Titeln ergänzen die Übersicht. Im Vorwort des Katalogs formuliert Carlos Barral seine Verlagspolitik im Stile eines Manifests.971 Er wiederholt den Anspruch, sich über ein auf Kontinuität ausgerichtetes Programm vom Rest der spanischen Verlagswelt abzuheben, die meist planlos "particularmente anárquico y escasamente profesional" - arbeite. Seix Barrais Programm schreibe sich dagegen in einen europäischen Kontext ein, wo die Pflege einer markanten Verlagspolitik Usus sei (9). Aufgabe sei, die aktuellen Bedürfnisse der spanischen nationalen Kultur aufzugreifen.972 Dazu gehöre in erster Linie die Vermittlung internationaler Avantgarde- und Kanonautoren. Bezüglich der Literatur spanischer Sprache, die, wie er später ausfuhrt, den spanischsprachigen Teil Amerikas einschließe, habe sich Seix Barrais Programm immer bemüht, möglichst universale Autoren zu publizieren, ausgestattet mit einer "ambición [...] menos sumisa a los límites del provincialismo que las circunstancias especiales por las que ha atravesado nuestra cultura han impuesto a la mayoría de autores de dos generaciones literarias" (11). Obwohl Barral nicht explizit macht, welche Generationen gemeint sind, ist die Anspielung auf die angebliche Provinzialität des Sozialrealismus deutlich. Barral, für den die genannten "speziellen" kulturellen Rahmenbedingungen in Spanien offenbar als überwunden gelten, verbalisiert hier die intellektuelle "pretransición" (vgl. 5.1.2). Gleichzeitig steigt Barral in die Debatte um nationale und regionale Identität ein: "En nuestra política de publicación de autores de lengua española tiene especial relieve nuestra voluntad de incorporación de los valores de la narrativa hispanoamericana a nuestra cultura nacional." (12) Hier kommt ein territorialer Nationbegriff ("cultura nacional") zur Anwendung, der sich offensichtlich von der an gleicher Stelle definierten "unidad de la cultura literaria en el ámbito de la lengua" (12) unterscheidet, innerhalb derer Literatur als ein sprachliche Nationengrenzen überschreitender Raum zu verstehen sei. Die postulierte Aufhebung der binnensprachlichen Grenzen und Gleichberechtigung aller Literaturen lässt sich in der verlegerischen Praxis nur bedingt umsetzen, so dass der Katalog weiterhin zwischen "novelistas españoles" und nicht näher spezifizierten "novelistas latinoamericanos" differenziert.973 Trotz dieser begrifflichen Inkonsequenz ist die antizentralistische Richtung angezeigt: Mit dem Abdruck zweier ausführlicher Paratexte im Katalog wird der katalanischen und der lateinamerikanischen Literatur pointierte Aufmerksamkeit verlie971

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Seix Barral, Verlagskatalog Frühjahr 1969, ABC AS, darin: "Notas sobre las tendencias editoriales", S. 9-13; siehe Anhang XXI. Inhaltliche und lexikalische Parallelen zu anderen Texten lassen auf die Autorenschaft Carlos Barrais schließen. "Su política [editorial] [...] debe constituir un sistema, congruente con lo que estima que son necesidades de la cultura nacional." (Verlagskatalog Frühjahr 1969, "Notas", S. 10). Zu Barrais Identitätsdiskurs siehe die ausfuhrliche Erörterung unter 5.4.

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hen: Als "Comentario" erscheint eine Besprechung der von José Agustín Goytisolo herausgegebenen Anthologie Poetas catalanes contemporáneos (153f.). Diese solle dringend notwendige Kenntnisse über die verschiedenen sprachlichen Kulturen der Halbinsel vermitteln, denn nach wie vor herrsche seitens der Kastilischsprecher große Ignoranz gegenüber den Regionalsprachen: "Nosotros no somos de los que piensan que si Don Quijote volviera a Barcelona, de nuevo sería descalabrado, pero sí creemos que hace ya mucho tiempo que no vienen Quijotes." (153) Als zweiter Langtext ist die Rede Mario Vargas Llosas anlässlich der Verleihung des Premio Rómulo Gallegos 1967 abgedruckt (155-61), in der dieser ein engagiertes Bekenntnis zur sozialistischen Revolution ablegt und die Stärke der lateinamerikanischen Literaturen propagiert. Seix Barrai unterstreicht den Willen zur Öffnung zur Peripherie und nach Übersee und wendet sich gegen ein Paradigma spanischer Nationalliteratur. Zwar steht der Verlag mit diesem Programm nicht (mehr) allein in Spanien, bleibt für die Vermittlung lateinamerikanischer Literatur jedoch weiterhin führend. Im Bereich katalanischer Literatur lässt man es hingegen mit der Übersetzung ausgewählter Titel bewenden. Seix Barrai bleibt ein Verlag spanischer Sprache mit Blick auf überregionale Märkte. In den zitierten "Notas" wehrt sich Barrai ferner gegen eine Auslegung seiner Verlagspolitik als "política-política". Wohl beansprucht er einen gewissen Inkonformismus für sich, da sein Verlagsprogramm eine begrenzte Leserschaft anspreche, die aber zuweilen schnell anwachse (12): "Claro que si política-minoritaria quiere decir que no estamos dispuestos a publicar la falsa biografía de Sissi la Emperatriz para aprovechar el éxito de un film rutilante, tal imputación es cierta." (12) Diese Volten stellen allerdings auch eine rhetorische Taktik dar, denn mit marxistischen und kapitalismuskritischen Autoren wie Marcuse und Enzensberger, wohlwollenden Studien über die UdSSR und China oder Werken der verfemten Aranguren und Tierno Galván konsolidiert sich ein eindeutig politisches, linkes Profil, das seinerseits auf eine solide Käufernachfrage stößt.974 Der Katalogtext steht in der Kontinuität verlegerischer Profilierung seit 1955 und bekräftigt die damals vorgestellten Verlagsziele von Internationalität und Avantgarde, passt sie aber den seit Martín-Santos und Vargas Llosa eingeleiteten literarischen Veränderungen an und nimmt Stellung zu den aktuellen Debatten in der spanischen Kulturöffentlichkeit um die politische Funktion der Kunst. Wiederkehrende 974

Einige Titel nebst ihren expliziten Paratexten: H.M. Enzensberger, Política y delito ("Enzensberger relata [...] cómo los sistemas económicos liberales son un perfeccionamiento de las prehistóricas bandas de atracadores"), E.H. Carr, ¿Qué es la Historia? ("Una meditación sobre la finalidad y método de la ciencia histórica desde un punto de vista marxista"), Jan Myrdal, Una aldea de la China popular ("[...] un documento sensacional por su objetividad: [...] éste es el efecto de la revolución en los campesinos de la China popular"); aus: Seix Barrai, Verlagskatalog Frühjahr 1969, ABC AS.

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Merkmale sind die qualitative Abgrenzung gegenüber dem Programm von Massenverlagen, der internationale und antizentralistische Blickwinkel und insgesamt der Wille zur Behauptung eines mit dem Namen Seix Barrai bereits fest konnotierten Verlagsprofils. Das Verlagsprogramm entspricht diesen verlegerischen Selbstzuschreibungen. Mit der Nueva Narrativa Hispánica hatte Seix Barrai 1965 eine eigene Reihe für den Programmbereich aktueller spanischsprachiger Literatur geschaffen. In späteren Jahren trägt man der gestiegenen Nachfrage nach lateinamerikanischen Titeln Rechnung und verzichtet auf den ausnahmslosen Avantgarde-Anspruch: Die Reihe soll nun einerseits Werke etablierter Autoren publizieren, andererseits die Förderung unbekannter Autoren spanischer Sprache umsetzen, wie die Verlagsankündigung aus dem Winter 1969/70 erklärt: Nueva Narrativa Hispánica [...] publica desde las primeras novelas de autores totalmente nuevos hasta los libros recientes de algunos que, como Alejo Carpentier, pueden considerarse clásicos vivos de la lengua, toda clase de obras de prosa narrativa que puedan situarse críticamente en una línea de invención formal y temática. Es esta última cualidad la que justifica el adjetivo "nueva" que califica a la colección.975 Das Attribut des "Neuen" soll nicht mehr den (geringen) Bekanntheitsgrad der Autoren, sondern eine allgemeine "línea de innovación formal y temática" signalisieren. Mit der Publikation avantgardistischer Neulinge und bekannter Namen hofft Seix Barrai, die allgemein konstatierte "crisis de la novela contemporánea" zu überwinden. 976 Die Ankündigung schreckt dabei nicht vor markigen Übertreibungen zurück, die unbekannte Autoren bereits zu "famosos" stempeln: Esta colección, que fue pensada originariamente para el lanzamiento de la nueva narrativa en lengua española, se ha incrementado en la actualidad y pretende dar una visión general de todos los escritores españoles y latinoamericanos, muchos de ellos jóvenes todavía pero ya famosos en todo el ámbito de la lengua.977 Die bewährten Strategien der Öffentlichkeitsarbeit werden unter Berücksichtigung der sich wandelnden Kontexte fortgesetzt. Der Premio Biblioteca Breve beweist weiterhin eine konsequente Lateinamerika-Strategie und behauptet Seix Barrais Stellung als führender transatlantischer Vermittler des Boom. Im März 1967 geht die Auszeichnung an Carlos Fuentes (Cambio de piet) und damit an den Text eines bereits international bekannten Autors, der allerdings durch die Zensur verboten wird und erst 1974 bei Seix Barrai publiziert werden kann. Hinter Fuentes rangiert der Chilene Jorge Guzmán {Job-boj) als einer von zwei Finalisten. Beim Premio Biblioteca Breve 1968 ist neben dem venezolanischen Sieger Adriano González León (País portátil) der Uruguayer Jorge Onetti (Contramutis) unter den letzten drei Kandidaten. Auch bei der 1970 wegen der Krise um Carlos Barrai ausgefallenen

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Verlagsprospekt Nueva Narrativa Hispánica, ca. Winter 1969/70, ABC AS. "Resumen de la temporada 1968", Verlagskatalog Frühjahr 1969, S. 16. Verlagskatalog Frühjahr 1969, S. 22.

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Verleihung werden mit José Donoso (El obsceno pájaro de la noche) und Alfredo Bryce Echenique (Un mundo para Julius) zwei Lateinamerikaner zum inoffiziellen Sieger und Finalisten gekürt. 1969 fallt der Preis hingegen an einen Spanier, Juan Benet (Una meditación), dessen Sieg auch als Konzession an die einheimische Literatur gewertet wird und der gleichzeitig dem Konkurrenten Destino abgeworben wird. 978 Die Auszeichnung von Una meditación bedeutet eine erneute Positionierung für ein experimentelles Schreiben, wie es Barrai in wiederholten öffentlichen Stellungnahmen verfochten hatte. Die Reihe Nueva Narrativa Hispánica signalisiert nun, wie schon die Biblioteca Formentor zu Beginn der 60er Jahre, eine Umbruchphase der spanischen Literatur, die von der Distanzierung zum sozialrealistischen Paradigma und der steigenden Rezeption lateinamerikanischer Autoren gekennzeichnet ist. Mit Experimento en Génesis (Germán Sánchez Espeso, 1967) und El mercurio (José Maria Guelbenzu, 1968) erscheinen zwei Vertreter des hermetischen Erzählens, denen weitere experimentelle Romane und Erzählbände wie Palabras en el muro (Ramón Hernández, 1969), Las tapias (Antonio Martínez Menchén, 1969) oder Antifaz (Guelbenzu, 1970) folgen. Auch lateinamerikanische Titel wie Cambio de piel (Carlos Fuentes, 1967, in Mexiko publiziert), País portátil (Adriano González León, 1968) und vor allem Contramutis (Jorge Onetti, 1969) zeigen in unterschiedlicher Form avantgardistische Techniken. 979 Wie erfolgreich Seix Barrai insgesamt die Kategorie der Innovation für sich verbuchen kann, belegt eine Äußerung Vázquez Montalbáns, der 1971 konstatiert, dass allein durch die Auswahlkriterien des Premio Biblioteca Breve spanischen Nachwuchsautoren der späten 60er Jahre ein "experimentalismo por el experimentalismo" auferlegt worden sei.980 Allerdings ist Seix Barrai nicht der einzige Verleger dieser Poetik. Destino publiziert z.B. Volverás a Region (1967) und Miguel Delibes' Dystopie Parábola del náufrago (1969), Alfaguara prämiert 1968 Corte de Corteza von Daniel Sueiro und publiziert 1969 Camilo José Celas San Camilo 1936. In den 70er Jahren sind es Barrai Editores und Planeta, die mit publizistischem Feuerwerk auf ihre neuen spanischen Autoren aufmerksam machen und, 978

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Benet bezeichnet die Entscheidung im Rückblick als abgekartet, da sein Roman, obwohl unvollständig, im Voraus von Barrai ausgewählt worden sei, um nach mehreren lateinamerikanischen Preisträgern wieder einen Spanier zu küren (Benet 1990: 12). Von 22 Texten in der Schlussdiskussion stammen acht aus Lateinamerika; nach einer bei Prats (1995: 249) zitierten Quelle soll das Manuskript des Nikaraguaners Lizandro Chávez Alfaro (Trágame tierra) gegen Benet unterlegen sein. Während Contramutis in frei assoziierenden Erzählfragmenten die Gedankenwelt eines Selbstmörders ausleuchtet, ist País portátil narrativer und 'realistischer' angelegt. Auf drei unterschiedlich fokalisierten Handlungsebenen werden Guerrillakampf und Repression in der venezolanischen Gegenwart erfasst. "[S]e ha fijado como meta del escritor el innovarse técnicamente, el crear una pequeña conmoción técnica en su obra; y esto en parte ha sido culpa de las bases del premio Biblioteca Breve que casi todos hemos tratado de ganar." (Manuel Vázquez Montalbán, in Campbell 1971: 157).

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zumindest im Fall Barrais, den von Vázquez Montalbán konstatierten Zwang zur Innovation der Form zum Publikationskriterium ausrufen (siehe 5.2.4). La Gaya Ciencia verpflichtet mit Benet und Marías, Alianza mit Guelbenzu relevante Autoren.98' In den Sachtiteln der Biblioteca Breve verlagert sich der Schwerpunkt in der zweiten Hälfte der 60er Jahre von der in der Serie Museo vertretenen ästhetisch-musischen Richtung auf die internationalen Modedisziplinen und Denkschulen: Linguistik, Anthropologie, Strukturalismus und Semiotik (Roland Barthes, Umberto Eco, Luis J. Prieto), liberale und marxistische Kapitalismuskritik (Raymond Aron, Herbert Marcuse), Psychologie und Psychoanalyse (C.G. Jung, Jean Piaget, Luis MartínSantos). Der Eindruck der neuen wissenschaftlichen Paradigmen spiegelt sich in dem Verlagsrückblick Seix Barrais auf das Jahr 1968: "[Publicamos] las nuevas tendencias del pensamiento contemporáneo, recorrido como por una sacudida por la nueva metodología de la lingüística y de la antropología que ha pasado a informar el pensamiento en casi todas las disciplinas humanísticas."982 Bis Ende des Jahrzehnts verzeichnen die Publikationen Seix Barrais einen deutlichen Verkaufsanstieg, der dem generellen Aufwärtstrend des spanischen Buchsektors entspricht. Im Katalog vom Frühjahr 1969 werden 21 Titel ausgewiesen (ohne Taschenbücher), die eine oder mehr Nachauflagen erhalten haben.983 Die meisten Verkäufe werden durch belletristische Titel erzielt, nur vier sind Non-Fiction. Es dominieren wenige zugkräftige Autoren, allen voran Mario Vargas Llosa, dessen 19 Auflagen für drei Titel die Sonderstellung dieses Autors für die Verlagseinnahmen anzeigen.984 Hinzu kommen José Luis Aranguren (6 Auflagen/1 Titel), Juan Goytisolo (6/2), Luis Martín-Santos (5/1) und Juan García Hortelano (5/2).985 Noch gehören also vorwiegend spanische Autoren zu den meist publizierten Namen.

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Engagierte Verfechter des Experimentalismus der 70er Jahre sind ferner die kleinen Verlage Akal, Azanca und Taller Ediciones J.B. (Martínez Cachero 1985: 344f.). "Resumen de la temporada 1968", Verlagskatalog Frühjahr 1969, S. 17, ABCAS. Vgl. das Titelverzeichnis in Anhang II. 1963 hatten erst fünf Titel eine zweite oder dritte Auflage erreicht (siehe 3.2). Für weitere Angaben zu den Verkäufen und Auflagen lateinamerikanischer Autoren siehe 5.3.1. Es bleibt zu klären, inwieweit die Liste vollständig ist; die dort verzeichneten zwei Auflagen für Tormenta de verano widersprechen z.B. früheren höheren Angaben. Die Titel sind: Biblioteca Formentor. La casa verde (7), Nuevas amistades (4); Tormenta de verano (2), Fin de fiesta (2). - Biblioteca Breve: La ciudad y los perros (9), Tiempo de silencio (5), Campos de Níjar (4), La juventud europea y otros ensayos (4), Opiniones de un payaso (3), Ultimas tardes con Teresa (3), Los albañiles (3), Las afueras (3); La balada del Café Triste, La celosía, Cabeza Rapada, Poesía y Literatura I, Frankie y la boda, La responsabilidad del escritor, Dos días de setiembre, París era una fiesta, (alle zwei Auflagen); Un cuarto de siglo de poesía española (2. Aufl. = 5. Aufl. Veinte años de poesía española). - Biblioteca Breve de Bolsillo: La ciudad y los perros (3), La juventud europea y otros ensayos (2), Lo más tarde en noviembre (2), Eros y civilización (2).

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Die "crisis Seix Barrai" Die Trennung Carlos Barrais vom Stammhaus Seix Barrai beendet die mit dem Namen des Verlegers und seiner Reihen verknüpfte kulturelle Ausnahmestellung eines einzelnen Unternehmens. In diesem Ablösungsprozess exemplifiziert sich die allgemeine Umbruchssituation des literarischen Feldes, in der die Figur des Einzelverlegers vom Management ersetzt wird, und in der sich intellektuelle Handlungsautonomie mit den Anforderungen der Kulturindustrie konfrontiert fühlt. Nach Victor Seix' Tod im Oktober 1967 verschärfen sich die internen Auseinandersetzungen zwischen den Familien Seix und Barrai (siehe 3.4.4), deren Zuspitzung der persönliche Konflikt zwischen Carlos Barrai und der Familie Seix bzw. des Nachfolgers von Victor Seix, Antoni Comas, ist. Durch Übernahme der Aktienanteile der Eignergruppe Font werden die Seix zur Mehrheitspartei im Verlag und sehen sich nun in der Lage, Einfluss auf die Politik Carlos Barrais zu nehmen. 1970 ereignet sich der endgültige Bruch, als zunächst Barrais Mitarbeiter Rosa Regás und Rafael Soriano auf internen Druck gehen, schließlich Barrai selbst kündigt, um zügig den neuen Verlag Barrai Editores aufzubauen; einige Autoren, Mitarbeiter und Vertriebsfirmen schließen sich diesem Schritt an.986 Im Juli 1970 werden die Vertreter der Familie Barrai als Vorsitzende des Aufsichtsrates von Seix Barrai abgewählt, im August 1970 enthebt eine außerordentliche Vertreterversammlung Carlos Barrai wegen geschäftsschädigenden Verhaltens seiner weiteren unternehmerischen Funktionen.987 Mittels einer Kapitalerhöhung im November 1970 sichert sich die Familie Seix die überwältigende Aktienmehrheit gegenüber den verbleibenden Anteilen der Barrais.988 Die Krise hat verschiedene Gründe: Durch den auch kommerziellen Erfolg der Verlagsprodukte und das Prestige der eigenen Person in seinem Autonomiestreben bestätigt, sieht Barrai seinen Entscheidungsspielraum in inhaltlichen und ökonomischen Fragen durch Interventionen anderer Verlagsparteien eingeengt. Die Struktur des Traditionsbetriebs mit seinen spezifischen Familieninteressen wird zum Hemmschuh für Barrais Ideal eines intellektuellen Forums internationaler Reichweite. In den von Barrai angebotenen Erklärungen erscheint die "crisis Seix Barrai" als Kampf um inhaltliche Schwerpunkte und unternehmerische Entscheidungsmacht, 986 987

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Martínez Cachero (1985: 294), Barrai (1988: 162-70). Beschlüsse vom 14.7. und 18.8.1970, verzeichnet im Handelsregister Barcelona, Editorial Seix Barral, Band 4111, Buch 3450, Abt. 2a., Blatt 606, Einträge Nr. 28 (24.8.1970) und 30 (26.8.1970). Die entsprechende Passage aus dem Beschluss vom 18.8. lautet: "1. Promover acción de responsabilidad contra el Administrador de la Compañía Director Don Carlos Barral Agesta, por estimar que, en el desempeño de sus funciones, ha causado daño a los intereses sociales por malicia grave y abuso de facultades. 2. Como consecuencia [...] queda destituido y separado de sus cargos de Consejero y Director de la sociedad [...]." Beschluss des Consejo de Administración vom 12.11.1970. Handelsregister Barcelona, ebd., Eintrag Nr. 39 vom 24.6.1971.

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der entlang ökonomischer Entscheidungen ausgetragen wird. In einem im November 1970 entstandenen Schreiben schildert Barrai einzelne Konflikte, die ihn zum Ausscheiden aus dem Verlag gedrängt hätten. Die streng ökonomische Argumentation um Produktionskosten und Vertriebswege steht im Gegensatz zum von Barrai selbst verfochtenen Image des ausschließlich an literarischen Dingen Interessierten:989 Erstens habe sich der Streit an dem Verhältnis von Verlag und Druckerei entzündet. Die (von Barrai und Soriano beschlossene) Auslagerung der Druckaufträge an fremde Unternehmen habe dem Verlag erheblichen finanziellen Nutzen gebracht, da die eigene Firma Industrias Gráficas Seix y Barrai völlig überhöhte Preise verlangt habe. Die Aktionärsmehrheit habe die Buchproduktion wieder an die eigene Druckerei binden wollen, Barrai habe dies radikal abgelehnt. 990 Zweitens sei von außen auf eine Änderung der Verlagsschwerpunkte hingewirkt worden: Die von Carlos Barrai betreuten Reihen hätten verringert werden sollen, zugunsten anderer, mit Seix Barrai assoziierter Unternehmensmarken aus dem Bereich der Produktion von Non-BookArtikeln (z.B. Sprachkurse). Damit wäre der Vertrieb über den Versand- und Vertreterhandel begünstigt und der für die literarischen Reihen geeignetere Sortimenthandel benachteiligt worden, was für das Unternehmen finanzielle Risiken und Einbußen zur Folge gehabt hätte.991 Drittens erwähnt Barrai Auseinandersetzungen um die Rolle lateinamerikanischer Vertriebsfirmen. Diese hätten verlustreich gearbeitet und dienten hauptsächlich dem Vertrieb der erwähnten Non-Books. Er habe sich für die Schließung dieser Filialen ausgesprochen.

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Verlagsplanung "Barrai Editores, S.A.", versandt von Carlos Barrai an Leopoldo Zumalcárregui (Direktor des INLE), Brief vom 30.11.1970 (AGA, Fach 49084), abgedruckt im Anhang (XXII). Das zehnseitige Dokument dient als Grundlage der folgenden Ausführungen zur Konzeption und Gründung von Barrai Editores. Barrais Mitarbeiter Rafael Soriano bestätigt die Auseinandersetzung innerhalb des Unternehmens und bekräftigt die gute Geschäftslage der literarischen Reihen: "Toda la producción de la editorial la hacían Industrias Gráficas Seix y Barral, a unos precios muy superiores que los precios de mercado. Entonces, nos pusimos de acuerdo para dejar de fabricar allí e irnos a otro sitio mucho más barato. Como la editorial no había pagado las facturas a Industrias Gráficas y les debía aproximadamente un año de trabajos, la condición fue que podríamos ir a hacer las cosas en otros talleres, pero que tendríamos que pagar en un plazo de seis meses toda la deuda que la editorial había contraído con Industrias Gráficas. Pues, en aquel año 1969, la editorial ganó todo este dinero, si yo me acuerdo, hasta un poco más, en una cifra sobre 5 millones de pesetas, lo que en estos tiempos era mucho. Se había obtenido un beneficio prácticamente igual que en Industrias Gráficas y se había liquidado toda la deuda que tenía la editorial." (Rafael Soriano, Interview mit B.P., 14.11.1997). Barral bezieht sich offenbar auf die von Victor Seix und Jacobo Muchnik gegründeten Unternehmen Idiomas Vivientes und Difusora Internacional. Entgegen Barrais negativer Einschätzung sprechen andere Zeitzeugen, wie der frühere Leiter von Difusora, Antonio Rabinad, und der zwischenzeitlich bei Seix Barral tätige Mario Muchnik, von einer erfolgreichen Entwicklung der beiden Projekte (Rabinad, Interview mit B.P., 19.6.1998; Muchnik 1999: 198).

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Nach Aussagen Barrais und anderer Zeitzeugen ist die Krise auch auf fortbestehende ideologische Differenzen zurückzufuhren - selbst wenn diese, wie Barrai später eingesteht, nicht überbewertet werden sollten.992 Barrai, der sich an zahlreichen oppositionellen Aktionen der Zeit beteiligt - u.a. an der Caputxinada vom März 1966 eckt bei den Verlagsoberen an, die auf eine nach seiner Auffassung "neutralidad dogmática" setzen und gegen ihn einen Putsch, ein "pronunciamiento político predemocrático, cristiano y burgués en el peor sentido de la palabra" organisiert hätten.993 Die Trennung Barrais wird zum Medienereignis, in dem die geschilderten finanziellen Argumente zwar zur Sprache kommen, der Fall jedoch um seine politischen Implikationen symbolisch erhöht wird:994 Barrais Auseinandersetzung mit den Aktionären des Verlags gerät zum Kampf linker kultureller Akteure gegen eine systemaffirmative Großbourgeoisie. Seix Barrai als "institución cargada de significaciones",995 exerziert den Konflikt zweier Prinzipien des Spät- bzw. Postfranquismus und insbesondere innerhalb des katalanischen Bürgertums vor. Hier konkretisieren sich die politisch-sozialen Gräben zwischen kosmopolitischer Gauche Divine von 1968 und der parteipolitisch organisierten Opposition einerseits sowie dem konservativ-katholischen katalanischen Establishment andererseits. Die Affare spaltet die Zeitgenossen in der Frage der Solidarität mit Carlos Barrai. Die künftige Konkurrenz zweier ähnlich konzipierter, sich mit dem prestigeträchtigen Namen Barrais schmückender Literaturverlage schafft vorübergehend eine Situation des "kulturellen Bürgerkrieges", wie Vázquez Montalbán in einer seiner Glossen formuliert.996 Nachfolger Barrais sind Joan Ferraté und Pere Gimferrer, 992

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Vgl. die Schilderung Barrais (1988: 97-102). Immerhin bewertet Barrai in der Retrospektive die Rolle Victor Seix' als wesentlich solidarischer und politisch engagierter als noch 1962 (siehe 3.4.4): Seix habe z.B. Barrais Teilnahme an der Caputxinada vor dem Aufsichtsrat verteidigt (1988: 90). Barrai (1988: 99). Am 9. März 1966 hatten Studenten im Kapuzinerkonvent von Sarria eine geheime Versammlung abgehalten, die von der Polizei belagert und schließlich gesprengt wurde (Riambau/Torreiro 1999: 142). "Sorprendentemente, un problema interno de una editorial, Seix y Barral, ha alcanzado los honores de acontecimiento periodístico con su pequeña estela escandalosa. (...) El interés que el caso ha despertado entre amplios sectores (...) demuestra que las acciones y actuaciones de los implicados pertenecen también un poco al público que ha convertido a Seix y Barral en una institución cargada de significaciones." (Manuel Vázquez Montalbán: "Sordina para el caso Seix y Barral", Triunfo 399 (24.1.1970), S. 44). Vgl. auch: Miguel Femández-Brasó: "Crónica desde el epicentro del terremoto Seix-Barral", Pueblo (14.1.1970), zusammenfassend Manuel Vázquez Montalbán: "Carlos Barral, a la 'recherche du temps perdu'", Triunfo 438 (24.10.1970), S. 40f. Vázquez Montalbán, "Sordina", Triunfo 399 (24.1.1970), S. 44. Manuel Vázquez Montalbán: "Un jurado para el Biblioteca Breve", Triunfo 456 (27.2.1971), S. 60. Barrais Sichtweise der Dinge wird längst nicht überall geteilt. Sein Nachfolger Joan Ferraté begründet den Konflikt mit Barrais überzogenem Machtstreben: "A fines de los 60, a Carlos le llegó la inquietud de desprenderse de los socios de la empresa que él consideraba hostiles. En realidad, no eran hostiles, él podía manejarlos

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selbst angesehene Persönlichkeiten des literarischen Lebens. Barrai, der sich als legitimen Verwalter der Unternehmenstradition versteht, leistet seinen Beitrag zum Fortbestand der öffentlichen Polemik. Sein Weggang bedeutet eine Ergänzung des verlegerischen Angebots am Markt, gleichzeitig aber die Aufspaltung des um die Biblioteca Breve konzentrierten kulturellen Kapitals.

5.2.2

Die Entwicklung Seix Barrais ab 1970

Im September 1970 übernimmt der noch von Carlos Barrai kontaktierte Joan Ferraté die literarische Leitung des Verlags Seix Barrai und hat diesen Posten bis Ende des Jahres 1973 inne. Während Ferratés Verlagsarbeit zunächst davon bestimmt ist, Autoren und Verträge zu halten oder zurückzugewinnen, verfolgt er darüber hinaus zwei Strategien: erstens die Sicherung der hochwertigen Aufmachung, zweitens die Gründung einer neuen Reihe (Serie Mayor) als inhaltliches Qualitätsprodukt. Die Serie Mayor ist formal der Biblioteca Breve de Bolsillo zugeordnet, fungiert jedoch auch optisch durch ihr größeres Format als eigenständiges Projekt von "quality paperbacks":997 Das genreübergreifende Prinzip der Biblioteca Breve wird zwar beibehalten, jedoch deutlich auf die bislang unterrepräsentierte Lyrik ausgerichtet. Während die Biblioteca Breve de Bolsillo von Barrai (auch) zum Nachdruck erfolgreicher Titel des eigenen Bestandes konzipiert ist, akquiriert Ferraté für die Serie Mayor ausschließlich neue Titel. Diese müssen aber nicht mehr dem für Seix Barrai üblichen Kriterium des Gegenwartsbezuges genügen, im Gegenteil: in Ferraters rein qualitativ bedingter Auswahl steht eine Dante-Übersetzung neben Texten von Nicanor Parra oder Jorge Guillén.998 Die erlesene literarische und materielle Qualität sorgen für einen relativ hohen Preis der Serie Mayor, die eher noch als die mittlerweile etablierten narrativen Reihen Seix Barrais an ein zahlenmäßig geringes Publikum gerichtet ist: Prohibí estrictamente que se hicieran libros de Seix Barral sin coser. Eso significaba que el coste del libro subió un poco. Yo quería conseguir un tipo de libro donde estaba obvio que necesitaba ser cosido. Los libros de la Serie Mayor son todos diferentes, no sólo tipográficamente. Por ejemplo, tiene un libro escandinavo, otro del Siglo XIII... La Serie Mayor en el principio era una colección subvencionada, pero con el tiempo podría haberse convertido en una colección "de referencia", modélica. 99

bastante bien. Era una hostilidad mezquina; tal vez él pensaba que tendría más libertad de dirección sin ellos. El conflicto fue que él quería manejar el capital." (Joan Ferraté, Interview mit B.P., 16.6.1998). 997 " y o creé una colección de bolsillo, Serie Mayor, que iba a ser de 'quality paperbacks'. Seguía siendo Biblioteca Breve de Bolsillo, pero Serie Mayor. La publiqué con lo que yo entonces consideraba lo más interesante." (Joan Ferraté, Interview mit B.P., 16.6.1998). 998 Auch in den narrativen Reihen wird der strikte Gegenwartsbezug aufgelockert: In der Biblioteca Formentor erscheinen z.B. einige Schriftsteller und Werke des frühen 20. Jahrhunderts (Drieu de la Rochelle, Roussel). 999 Joan Ferraté, Interview mit B.P., 16.6.1998.

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Eine weitere inhaltliche Akzentsetzung ist die Publikation mehrerer Werke der Exilautoren Max Aub, Francisco Ayala und Rosa Chacel, die um 1970 Spanien besuchen und erst jetzt, beflügelt durch die Vergabe des Premio Planeta an einen weiteren Exilanten, Ramón J. Sender, von der literarischen Öffentlichkeit 'entdeckt' werden.1000 Dennoch lockert sich mit der Serie Mayor das Übergewicht der narrativen Titel im Verlagsprogramm, die fiir Ferraté eher eine geschäftliche Notwendigkeit darstellen und deren Konzeption stärker an seinen Mitarbeiter Pere Gimferrer delegiert wird. Gimferrer bleibt auch nach Ferratés Ausscheiden Ende 1973 director literario, während die Verlagsleiter mehrfach wechseln. Im Jahr 1982 wird der Verlag nach wirtschaftlichen Problemen, die durch die Absatzkrise in Lateinamerika verschärft werden, an den Planeta-Konzem verkauft.1001 Lateinamerikanische

Autoren bei Seix Barrai ab 1970

Seix Barrai setzt auch nach 1970 die Bemühungen um lateinamerikanische Literatur fort. Beim Premio Biblioteca Breve 1971 stammen die Siegerin (Nivaria Tejera, Sonámbulo del sol) wie auch der Finalist (Emilio Díaz Valcárcel, Figuraciones en el mes de marzo) aus Lateinamerika. Trotz oder sogar wegen des Ausscheidens von Barrai bleiben die meisten Autoren unter Ferraté dem Verlag treu. Weiterhin publizieren Vargas Llosa und Donoso ihre Hauptwerke bei Seix Barrai, ferner kehren nun die wichtigen Autoren Cabrera Infante und Puig zurück, die mit Barrai nicht harmoniert hatten. In den Jahren von 1970-73 werden Titel von einigen Verlagsautoren nachgedruckt (Droguett, Sarduy) oder in Taschenbuchformat neu aufgelegt (Edwards, Leñero, Zapata Olivella). Ferraté selbst zeigt nach eigener Aussage wenig Enthusiasmus für die lateinamerikanische Literatur, folgt jedoch den Geboten des Marktes. Auf diese Weise gelangen neue Namen ins Programm, z.B. Sergio Pitol und Néstor Sánchez, die auch als Übersetzer für Seix Barrai tätig sind. Sánchez wird innerhalb von drei Jahren mit nicht weniger als vier (z.T. bereits in Argentinien erschienenen) Werken publiziert: Néstor Sánchez publicó en Seix Barral porque se presentó en Barcelona, trabajó haciendo traducciones, y como tienes que publicar algo, lo publicas. [...] Sergio Pitol también estaba en Barcelona, traducía del polaco, es un buen chico, y, ¿por qué no? Esto forma parte de la oferta, no de mis criterios.1002

Im Jahr 1973 fusioniert Seix Barral mit dem Sachbuchverlag Ariel, was zur Folge hat, dass sich das Programm Seix Barrais fortan eher auf literarische als auf Sachtitel konzentriert. Hier stehen im weiteren Verlauf der 70er Jahre eindeutig die lateinamerikanischen Literaturen im Mittelpunkt, obwohl auch junge spanische Schrift1000

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Vgl. zu den publizierten Werken Martínez Cachero (1985: 404), zum politischen Kontext die Einführung von Manuel Aznar zu Max Aubs La gallina ciega (1995: 31 -40). Die Verlagsleitung haben zwischen 1974 und 1983 unter anderem Luis Carandell, Ricardo Muñoz Suay, Joan Seix und Mario Muchnik inne. Von 1983-98 ist Mario Lacruz Verlagsleiter. Jorge Edwards fungiert von 1973-78 als literarischer Berater. Joan Ferraté, Interview mit B.P., 16.6.1998.

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steller veröffentlicht werden.1003 Indes wandelt sich der Akzent von der Suche nach einer erzählerischen Avantgarde zur Publikation der Werke bereits eingeführter Autoren, wie es der Verlag bereits Anfang 1970 angekündigt hatte.1004 Der Premio Biblioteca Breve, bislang das herausragende Medium ästhetischer Positionsnahme, wird ab 1973 nicht mehr verliehen.1005 Bis zum Ende der 70er Jahre werden für die Biblioteca Breve somit weitere lateinamerikanische Autoren gewonnen (Monterroso, Neruda, Paz, Säbato, Uslar Pietri), die das Lateinamerika-Programm Seix Barrais für Lyrik und Essaywerke öffnen. Neben aktuellen Werken erscheinen auch ältere Titel in Lizenz- oder Neuausgabe, so dass renommierte, aber in Spanien noch wenig rezipierte Schriftsteller wie der Venezolaner Miguel Otero Silva für den internationalen Markt erschlossen werden. Seix Barrai füllt dabei einen Teil des durch die politischen und ökonomischen Probleme der lateinamerikanischen Verlage entstandenen Vakuums und konsolidiert sich auch in der Demokratie als einflussreicher Vermittler lateinamerikanischer Literatur. Da im Programm nun verschiedene literarische Generationen koexistieren, können sich Nachwuchsautoren kaum gegen das Gewicht der etablierten Namen durchsetzen, zumal nach der Abschaffung des Premio Biblioteca Breve ein adäquates Mittel der Konsekration fehlt. Das Programm Seix Barrais in den 70er Jahren spiegelt damit auch die außerordentliche Vielfalt der lateinamerikanischen Literatur nach dem Boom wider: Während einige Autoren als marktgängig akzeptiert sind, kämpfen die bisher 'übergangenen' gleichaltrigen und älteren Schriftsteller zusammen mit den jüngeren Generationen des Postboom um die Aufmerksamkeit des Publikums.1006 Aus dieser Konkurrenzsituation heraus müssen sich die Versuche anderer Verlage, eine neue Avantgarde auf den Markt zu bringen, zwangsläufig auch jenseits der lateinamerikanischen Literatur bewegen, so wie es Carlos Barrai in seinem neuen Verlag schon 1972 praktiziert.

1003

Die Reihe Nueva Narrativa Hispánica verzeichnet im Verlagskatalog vom Frühjahr 1975 Bücher von 31 spanischen und 23 lateinamerikanischen Autoren. 1004 Siehe den oben (5.2.1) zitierten Verlagsprospekt der Nueva Narrativa Hispánica vom Winter 1969/70. 1005 ] 973 wurde der Preis laut Martínez Cachero (1985: 294) noch einmal ausgeschrieben, aber nicht verliehen. Drei der vier Finalisten wurden später in Nueva Narrativa Hispánica publiziert: Niña Huanca (Fernando González Aller), Fases de la luna (Augusto Martínez Torres) und El círculo Yesida des Venezolaners Carlos Mazzanti Clerici. 1006 Es erscheint deshalb verfehlt, Seix Barrai eine Orientierung am kommerziellen Mainstream zu attestieren - "La colección [Biblioteca Breve] y, por tanto, la editorial, son cada vez menos un espacio abierto para el surgimiento de nuevos autores hispanoamericanos" (Prats 1995: 143) - , ohne diese geänderten Rezeptionsbedingungen lateinamerikanischer Literatur zu berücksichtigen. Ferner übersieht eine solche Argumentation, dass auch einige der von Seix Barrai in den 60er Jahren publizierten Autoren (Fuentes) nur für spanische Leser 'neu' waren und dass auch vor 1970 bereits Lizenzausgaben konsekrierter Autoren (Cortázar, Donoso) erschienen waren.

300

Burkhard Pohl

5.2.3

"Barrai sigue": Der Verlag Barrai Editores (1970-78)

Barrais

verlegerischer

Neubeginn

Aufgrund der andauernden Zwistigkeiten bei Seix Barrai war bereits am 18.3.1964 der Verlag Barrai Editores juristisch gegründet worden.1007 Nach der 1968 erfolgten Eintragung in das Unternehmensregister und angesichts der Verschärfung der internen Auseinandersetzungen bei Seix Barrai beginnt Carlos Barrai im Jahr 1969 unter dem Namen Barrai Editores die Taschenbuchreihe Libros de Enlace zu publizieren. Sie ist auf Theater und Poesie beschränkt und soll zunächst nur komplementär zu Seix Barrais Biblioteca Breve de Bolsillo funktionieren.1008 In den Libros de Enlace erscheinen zwischen Oktober 1969 und Dezember 1970 zwölf Titel. Den Auftakt macht die erste spanische Ausgabe der Lyrik von Octavio Paz {La Centena. Poemas 1935-1968). Große Aufmerksamkeit erlangt der vierte Titel, José María Castellets Anthologie Nueve novísimos poetas españoles; die novísimos Pere Gimferrer und Guillermo Carnero bringen ihrerseits Anthologien vorromantischer (Carnero) und modernistischer (Gimferrer) Dichter heraus. Ferner erscheinen Lyrikbände und Dramen international konsekrierter Autoren.1009 Ab 1971 werden diese Titel in die neue Reihe Ediciones de Bolsillo von Barrai Editores übernommen. Kurioserweise verbleibt der Titel Libros de Enlace als Untertitel der Biblioteca Breve de Bolsillo bei Seix Barrai. Zur adäquaten Ausstattung seines Verlags erreicht Barrai mit tatkräftiger Unterstützung seines Freundes Alberto Oliart eine Kapitalerhöhung: Oliart organisiert die Beteiligung privater Kapitalgeber aus Madrid, übernimmt selbst einen großen Teil der Aktien und sichert damit ein Startkapital von 12 Mio. Peseten.1010 Unter den

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Statuten Barrai Editores, AB. 1008 " c a r i o s Barrai decidió poner en funcionamiento Barral Editores, con la sola limitación de que no entrase en competencia en el mercado librero con las colecciones publicadas por Seix Barral [...] Barral Editores se limitó a publicar en formato y a precios de libros de bolsillo, exclusivamente títulos importantes de poesía y teatro." ("Barral Editores S.A.", Dok. 30.11.1970, ABC AS). 1009 In alphabetischer Reihenfolge: Isaak Babel, Samuel Beckett, Vladimir Holán, Conde de Lautréamont, Robert Musil, Boris Pasternak, Pavel Zukofsky. Siehe insgesamt den Katalog von Barral Editores in Anhang III. 1010 Der Beschluss fällt auf einer Aktionärsversammlung vom 17.3.1971 (Handelsregister Barcelona, Barral Editores, Eintrag Nr. 7, 27.7.1971). Während im persönlichen Umfeld Barrais wenig Kapital eingeholt werden kann, bewirkt das Prestige des Verlegers die Beteiligung von "gente que no lo conocía personalmente, pero que había seguido la obra de Carlos en la editorial y creía que había que ayudar a un editor como él." (Alberto Oliart, Interview mit B.P., 5.6.1998). Vgl. die Liste der Teilhaber in Anhang XXIII. Obwohl das Grundkapital von Oliart im Rückblick als äußerst bescheiden beurteilt wird, liegt der Wert noch um einiges über dem befreundeter Verlage: Tusquets Editores gründet sich mit einem Stammkapital von 165.000 Peseten, laut Beatriz de Moura nach heutigem Stand ca. 1.200 $ (Tusquets Editores 1994: 10). Im Vergleich mit dem Zeitschriften- und Buchver-

5. Das spanische Verlagswesen

und der Boom

(1967-78)

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weiteren Teilhabern sind Schriftstellerfreunde und Mitarbeiter Barrais. Mit diesem Kapital sollen Startinvestitionen getätigt werden, die Barrai auf 11 Mio. Peseten beziffert.1011 Die Organisation ist ganz auf den Einzelverleger Barrai zugeschnitten, die Auswahl der Mitarbeiter basiert vor allem auf Freundschaftsbeziehungen. Gegenüber der komplexen Struktur des Unternehmens Seix Barrai mit seinen kommerziellen Produktionssparten und einem mehrköpfigen Management verfolgt Barrai nun das Prinzip des 'handwerklichen' Literaturverlags. Er kann dabei nur zum Teil auf das literarische Umfeld der Biblioteca Breve zurückgreifen, da der größte Teil der vormals um und auf Seix Barrai konzentrierten Akteure in eigenen Projekten engagiert ist.1012 Dem Aufsichtsrat gehören mit José Agustín Goytisolo, Jaime Gil de Biedma und Alberto Oliart enge Weggefährten Barrais an. Der Verleger umgibt sich mit einem verhältnismäßig großen Mitarbeiterstab (ca. zehn Personen), dem mit Julio Vivas sogar ein fest angestellter Grafiker angehört. Die kaufmännische Leitung obliegt Rafael Soriano, Lektor wird der Peruaner Fernando Tola, weitere Mitarbeiterinnen sind Montserrat Sabater und zwischenzeitlich auch die spätere Suhrkamp-Verantwortliche Michi Strausfeld. Die Verlagsarbeit wird von einem Zirkel externer Lektoren begleitet, zu denen frühere Mitstreiter bei Seix Barrai (Felix de Azúa, Javier Fernández de Castro) und Hausautoren (Alberto Cousté) gehören. Barrai versucht zunächst, den größten Teil der Rechte und Vertriebsstruktur von Seix Barrai zu transferieren. Wichtige Autoren, so Barrai im November 1970, planten den Bruch mit Seix Barrai, darunter Vargas Llosa, Cortázar, García Hortelano, Caballero Bonald, Marsé und Benet.1013 Die Hoffnung trügt jedoch: Einzig Juan García Hortelano kündigt seine Verträge und publiziert seinen neuen Roman {El gran momento de Mary Tribune) bei Barrai Editores. In der Fehleinschätzung Barrais zeigen sich die finanziellen Grenzen, die einer sich vornehmlich auf die Verwertung symbolischen Kapitals stützenden Verlagspolitik gesteckt sind: Gegenüber der Professionalisierung des literarischen Metiers und unter dem Einfluss von Agenturen sind Solidarität oder Freundschaft mit dem dissidenten Verleger ein unzureichendes Entscheidungskriterium. Rechtliche Hürden verhindern zudem ein einfaches Beenden laufender Verpflichtungen. Von Vargas Llosa und Carpentier erhält Barrai immerhin Nebenrechte oder Hauptrechte an kleineren Werken, Caballero Bonald wird 1974 über den Premio Barrai (s.u.) wieder für den Verlag gewonnen. Außerdem einigen sich die Verlagskontrahenten bei strittigen Rechten auf

lag Cuadernos para el diálogo, bei dem 1972 15,5 Mio. Peseten zu Buche stehen, verfügt Barral Editores über ein etwas geringeres Stammkapital (Cuadernos para el diálogo, Geschäftsbericht 1971, ABC AS), ion " p r 0 g r a n l a d e producción" in: "Barral Editores S.A.", November 1970, ABCAS. 1012 So sind z.B. Jaime Salinas bei Alianza, Rosa Regás bei Edhasa und ab 1971 bei La Gaya Ciencia und José María Castellet bei Edicions 62 engagiert. 1013 "Barral Editores S.A.", 30.11.1970, ABCAS.

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Kompromisse: José Donoso (Obsceno pàjaro de la noché) bleibt bei Seix Barrai, Alfredo Bryce Echenique (Un mundo para Julius) geht an Barrai. Anders als erhofft muss Barrai also darauf verzichten, sein auf Innovation abgestelltes narratives Programm in gewünschtem Umfang durch Namen abzusichern, die bereits am Markt eingeführt sind. Barrais vorrangiges strategisches Ziel ist, mit dem neuen Verlag schnell die literarisch führende Position zu erobern, die zuvor mit den von ihm geleiteten Reihen Seix Barrais verknüpft gewesen war. Ein hoher Titelausstoß - jährlich hundert Titel, davon fünfzig als Taschenbuch - soll Barrai Editores rasch ein repräsentatives und konkurrenzfähiges Programm bereit stellen. Zwar ist nach wenig mehr als zwei Jahren ein Programm von zweihundert Titeln aufgebaut, doch das Vorhaben erweist sich bald als überdimensioniert und finanziell nicht tragfähig. 1014

Internationale Projekte für Lateinamerika und Europa Im Rahmen dieser auf Fortsetzung erprobter Strategien zielenden Verlagspolitik strebt Barrai auch die Expansion nach Lateinamerika an.1015 Zu diesem Zweck baut Barrai Editores eine groß angelegte Vertriebsstruktur in Übersee auf - hier kommen die früheren Kontakte zum Tragen - , und richtet sein Verlagsprogramm entsprechend 'lateinamerikanisch' aus (siehe 5.2.4).1016 Der Verlag gründet drei Filialen in Kolumbien, Mexiko und Peru. Fernando Tola, zweiter Mitarbeiter Barrais, geht Mitte der 70er nach Mexiko, um dort eine Filiale von Barrai Editores zu errichten und gleichzeitig die mexikanische Niederlassung der Vertriebsfirma Distribuciones de Enlace zu leiten. Speziell in Peru erhofft man sich für die Werke von und über Vargas Llosa und von Bryce Echenique eine solide Nachfrage, und unter dem Imprint Barrai Editores Peruana werden Ausgaben peruanischer Autoren produziert. Allerdings erweist sich die Entscheidung für Peru als risikobeladen, da relativ hohe Kosten für einen schmalen nationalen Markt aufgebracht werden müssen. 1017

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Siehe unten zur Analyse des Verlagsprogramms. Bei Konkurrenten wie Seix Barrai oder Destino erscheinen in dieser Zeit nur ca. fünfzig-sechzig Titel pro Jahr. I015 "Queria apoyarse, viendo lo que pasó en Seix Barral, en la exportación a América que tenía ayudas estatales importantes." (Alberto Oliart, Interview mit B.P., 5.6.1998). 1016 Laut den Zensuranträgen plant der Verlag z.B. für Alfredo Bryce Echeniques Huerto cerrado den Export von 4.000 Exemplaren einer 5.000er Auflage. Bei Salvador Garmendias Pies de barro sollen von 5.000 Exemplaren nur 1.500 für den spanischen Markt produziert werden. 1017 Dies ist jedenfalls die Auffassung von Joan Seix, der als Direktor von Seix Barral Ende der 70er Jahre vor einem ähnlichen Problem steht: "Tener casa propia en Chile, en Venezuela, era una locura porque causaba enormes problemas de facturación. A veces el propio autor quiere que tengas casa allí, es una especie de servicio a los autores. En Perú teníamos casa porque allí estaba Vargas Llosa. Planeta, por ejemplo, tenía México, Argentina, Colombia, un poco de Chile, pero no Perú, no Venezuela. Allí tenían una distribuidora local. Y eso que Planeta es cien veces más grande que Seix Barral." (Joan Seix, Interview mit B.P., 11.6.1998).

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Mit dem venezolanischen Staatsverlag Monte Avila und dessen Leiter Juan Liscano geht Barrai ab Juli 1973 eine Kooperation zur gegenseitigen Distribution und Koedition ein.1018 Neben den persönlichen Kontakten nach Venezuela, die Barrai anlässlich des Premio Rómulo Gallegos 1972 intensiviert hatte, kommt dabei die Bedeutung Venezuelas als vorübergehend privilegiertes Absatzgebiet spanischer Verlage zum Tragen (siehe 2.2). Ein ähnliches Abkommen trifft Barrai mit dem argentinischen Verlag Corregidor. Zu weiteren Kooperationen mit Unternehmen aus dem Cono Sur kommt es offenbar nicht, was nicht zuletzt mit den dortigen politischen Entwicklungen zusammenhängen dürfte. Der Lateinamerika-Handel bringt den Verlag schließlich in große Bedrängnis. Die Abhängigkeit von den Exporten wird zum Bumerang, als Missmanagement der Vertreter in Übersee und die bald einsetzenden Zahlungskrisen der Importeure enorme Verluste bescheren, die sich mangels Kapital nicht mehr amortisieren lassen. Mangelnde Loyalität Tolas, der unter einem eigenen Verlagsnamen Bücher Barrais raubdruckt, Zahlungsprobleme und Fehlkalkulationen bei Auflagen sowie die Wirtschaftskrise im lateinamerikanischen Kontinent machen die internationale Expansion zu einem finanziellen Fiasko.1019 1975 gesteht Barrai ein, dass gerade die Exportschwierigkeiten seinen Verlag in eine Existenzkrise gestürzt hätten: Hace muy pocos años, la cifra de negocios de cualquier editorial española - y no sólo de las humanísticas como la mía - contaba con un 50% de venta en América Latina. Ahora el mercado latinoamericano puede darse por desaparecido [...]. 1020

Daneben baut Barrai weiterhin auf sein europäisches Kontaktnetz. Luchterhand und Gallimard, so Barrai im zitierten Verlagsexposé von 1970, hätten ihm die Folgerechte der bei Seix Barrai publizierten Autoren angeboten und Optionen auf den neuen Verlag übertragen. Und tatsächlich publiziert Barrai einige schon bei Seix Barrai eingeführte Schriftsteller wie die Deutschen Lind und Nossack und sichert sich Taschenbuchlizenzen für Robbe-Grillet, Piaget, Grass oder Boll. Mit Vittorini und Gadda erscheinen gleich in den ersten Monaten zwei von Einaudi vermittelte Autoren aus Formentor-Zeiten. Eine Neuauflage der verlegerischen Zusammenarbeit im Stile der Formentor-Treffen (siehe 3.4.3) wird aber von Barrai nicht mehr ange-

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Verlagsinformation für den Buchhandel, 10.7.1973, ABCAS. Vgl. die kaum verschlüsselte Darstellung Tolas in Barrais 1983 publiziertem autobiografischen Roman Penúltimos castigos: "[...] el peruano Herminio Toles. Todo lo que había de disparate en su política de inversiones en producción, de irresponsabilidad en la política financiera, de megalomanía en esa política de ventas y de exportaciones desmesuradas, hinchadas, irrecuperables, [...]" (Barral 1994: 146). Beatriz de Moura, ais Leiterin von Tusquets Editores zunächst am Unternehmen Distribuciones de Enlace beteiligt, sieht heute dessen "enloquecida gestión comercial en México" als Auslöser einer vorübergehenden Existenzkrise des eigenen Verlags an (Tusquets Editores 1994: 15). Rosa María Pereda: "Carlos Barral: 'El público, preocupado por su rearme ideológico'", El País, 30.10.1976, zitiert nach Barral (2000: 110f.).

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strebt.1021 Immerhin bereitet er weiterhin das Projekt einer "serie de historia moderna" vor, die gemeinsam mit europäischen Verlagen aufgelegt werden soll.1022 Als Partner nennt Barrai die Formentor-Verlage Gallimard, Einaudi, Rowohlt und Bonniers, außerdem Jonathan Cape (London) und Pantheon (New York). Allerdings wird dieser Plan nicht umgesetzt. Mancher Mitstreiter befindet sich ebenfalls in einer Umbruchphase, so dass die ehemaligen Verbindungen schwächer geworden sind.1023 Die Ära der europäischen Vernetzung ist für Barrai damit beendet. Resigniert konstatiert er im Anschluss an die Frankfurter Buchmesse 1972, dass sich der internationale Austausch dem Marktkalkül der an Kommerz interessierten Verlage unterworfen habe.1024 Noch zehn Jahre zuvor habe die Messe der Information und dem Austausch kultureller Neuigkeiten gedient, "desinteresadas colaboraciones internacionales" - wie in Formentor - seien möglich gewesen (90). Nun aber habe sich die engagierte Verlegerszene auf eine "minoría casi vergonzante o por lo menos irónica o indiferente" reduziert. Die Messe sei zum leeren Spektakel des Kommerzes und der schlechten Qualität degeneriert, subkulturelle Moden dominierten über die "edición más seria"1025. Es fehlt auch nicht die Attacke gegen die literarischen Agenten, "que recorren los pasillos vendiendo en subasta los derechos del próximo Premio Nobel" (91). Paratextuelle Distinktion und

Verlagswerbung

Bei den Abgrenzungsdiskursen und -Strategien des Verlags wiederholen sich einige von der Biblioteca Breve vertraute Muster. Barrai Editores reklamiert die Begriffe der kulturellen Avantgarde und der Aktualität für sich. Über kollektive Präsentationen soll ein neuer Autorenstall als junge, kosmopolitische Generation aufgebaut werden, Grafik und Werbung sollen dem Verlag eine Corporate Identity verleihen. In der Verbindung mit anderen Verlagen und Instanzen sucht man eine gesammelte kulturelle Macht zu organisieren, die sich als ästhetisch und politisch progressiv positioniert. 1021

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Der Verlag Anagrama partizipiert 1977 an einem Nachfolgeprojekt der Formentor-Preise. Dieser Prix International des Editeurs, zusammen mit sieben linken europäischen Kleinverlagen (u.a. Wagenbach, Feltrinelli) konzipiert, bleibt jedoch ein einmaliges Ereignis (Anagrama 1994: 14f.). "Barrai Editores S.A.", 30.11. 1970, ABCAS. Bei Rowohlt z.B. scheiden 1969 die Geschäftsführer Fritz J. Raddatz und Karl Hans Hintermeier aus, Matthias Wegner wird Geschäftsführer und 1971 auch verlegerischer Leiter. Im gleichen Jahr übernimmt die Verlagsgruppe Holtzbrinck 26% am Rowohlt Verlag, 1982 geht der Verlag ganz an Holtzbrinck ("Rowohlt Verlagsgeschichte", (31.05.2001). Carlos Barrai, "Polución tipográfica y disgregación plástica", in: Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (November 1972), S. 90f. "[La Feria] se ha convertido en una máquina tragaperras, [...] una ocasión para el espionaje de modas subculturales, una magna exhibición de perfección técnica al servicio de instrumentos de degradación cultural." (Barral, "Polución", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (November 1972), S. 90).

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Für Barrai geht es weiterhin darum, zentrale Slogans und Begriffe in den öffentlichen Diskurs einzubringen, wobei der publizistische Paukenschlag und die gezielte Provokation nicht gescheut werden.1026 Ganzseitige Anzeigen verkünden Ende 1970 den Neuanfang unter dem Motto "Barrai sigue-Barral decide" (Abb. 15): BARRAL EDITORES sigue representando un papel de editorial rectora respecto a la literatura y la humanística contemporánea, BARRAL EDITORES sigue sugiriendo al público de habla castellana el perfil más nuevo de cada literatura y los últimos puntos de vista válidos en el campo de las humanidades. Las nuevas colecciones de BARRAL EDITORES contienen ya títulos importantes y significativos. Y títulos necesarios. 1027

Über die Wendung "sigue" greift der Werbetext die öffentlichen Diskussionen um die Zukunft Seix Barrais auf. Barral Editores ist als ein Alternativprojekt zu Seix Barral konzipiert und beansprucht dessen Prestige als rezeptionssteuernde Institution ("Barral decide"). Der Name des Verlegerstars verschmilzt mit dem des Unternehmens, dase nun als eigentliche Heimstatt dessen erscheint, was sich mit dem Gütezeichen 'Barral' verbindet: Die inhaltlich falsche Wendung "sigue representando" der Verlag hat erst begonnen, zu publizieren - suggeriert dabei die Identität von neuem und altem Verlag, der Verlegername ist Programm. Dem Konkurrenten Seix Barral hingegen wird implizit die Funktion einer "editorial rectora" abgesprochen. Die Titelauswahl wird als aktuell und von direkter gesellschaftlicher Relevanz ("títulos necesarios") angepriesen, und reißerisch klingt das avantgardistische Credo an, das "Neueste" und die "últimos puntos de vista" zu präsentieren. Die in der Anzeige angeführten Titel verweisen auf die Umsetzung des angekündigten Programms. Zur Distinktion Barrais gehört das Image des autonomen Künstlers und Verlegers, das er offensiv nach außen vertritt: "Yo tengo en la literatura una actitud aristocraticista [...] lo que yo hago tiene esa connotación minoritaria [...] La tiene muy conscientemente [,..]."1028 Barral kritisiert nicht nur die Marktmacht der Großverlage und deren Bestseller-Programme, sondern mokiert sich auch über Teile der linken Szene, die zu sehr an politischer Indoktrination interessiert seien und die niveauvolle Literatur aus dem Blickfeld verloren hätten. Die "extrema politización de la edición progresista" trägt für ihn deshalb eine Mitschuld an der Vorherrschaft kommerzieller Romane.1029 Mit diesem Pauschalangriff ignoriert Barral allerdings die vorhandene Nachfrage in der politisierten Leserschaft und zieht sich auf die esoterische Position der nur sich selbst verpflichteten literarischen Tätigkeit zurück.

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Dies gilt natürlich für die erfolgreiche und umstrittene Dichter-Anthologie Nueve novísimos, mit der Castellet und Barral ein erfolgreiches Modell der ästhetischen Positionsnahme - das der Anthologie Veinte años de poesía española - wieder aufgreifen (3.2). Verlagsanzeige in Cuadernos para el diálogo. No. extraordinario XXIII (Dezember 1970), S. 16, Hervorhebungen von B.P. Francisco López Barrios: "Una década de penitencia" (Interview mit Carlos Barral), Triunfo 662 (7.6.1975), S. 48f„ hier: 49. Barral, "Polución", Cuadernos para el diálogo, No. extraordinario XXXII (November 1972), S. 91.

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Barrai legt erneut großen Wert auf unkonventionelle Aufmachung und Grafik.1030 Die Buchtitel werden mit Rekurs auf eine wieder erkennbare Rasterstruktur gestaltet, die eine jeweils unterschiedliche Fragmentierung des Titelbildes erlaubt. Anders als noch bei der Biblioteca Breve steht das Titelbild in einem geringeren Assoziationsgrad zum Text. Julio Vivas, der Barrais Vorstellungen grafisch umsetzt, bezeichnet dessen Geschmack als "anarchisch": Barrai tenía un gusto muy anárquico. No le gustaba la tipografía moderna, ni Garamond, ni Futura; sólo quería una tipografía Romana, que no estaba en ninguna linotipia; yo la hacía a mano, y no se podía cambiar de ninguna manera. [...] Una estructura fundamental de Barral era la repetición. En Barral Editores, la idea básica era jugar con la cuadrícula. Funcionaba con una retícula delante y detrás, dependía de cómo la cogías y cuántas ponías. Era muy divertido, y me ayudaba mucho la retícula, porque se podían hacer todas las variaciones. Dentro de la estructura estaba la imagen. Así se conocían también los libros de Barral, por lo raro de la imagen. No era explicar el libro, más bien la atmósfera.1031

Gleichzeitig spielt die Werbung Barrais mit der Ästhetik der Konsumgesellschaft. "¿Conoces a Chechechela?" fragt ein Plakat, auf dem eine junge Frau posiert (Abb. 16): Dass es sich um eine Anspielung auf die Protagonistin des gleichnamigen Romans von Mirko Buchin handelt, erschließt sich erst im Blick auf die untere Plakathälfte. Der vorgetragene Anspruch auf Jugendlichkeit lässt den literarischen Text in den Hintergrund rücken und appelliert im Gegensatz zu den oft kryptischen Buchillustrationen offenbar an einen breiteren Publikumsgeschmack. In dieser Hinsicht verdeutlichen Barrals Werbestrategien die Spannung zwischen der Aufrechterhaltung eines antikommerziellen Images und dem dafür notwendigen Verkaufserfolg, für den es wiederum einer auffalligen Marktpräsenz bedarf.1032 Kontinuität und Avantgarde: Barrals Verlagsprogramm ab 1970 In seinen Leitlinien setzt Barral das bei Seix Barral recht erfolgreich praktizierte Programm fort: Er plant eine Mischung nicht-fiktionaler und fiktionaler, vor allem narrativer Titel mit zeitgenössischer Anbindung und zum Teil avantgardistischem Anspruch - "narrativa y crítica de vanguardia o de un alto nivel de ambición":

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Als neues Verlagslogo dienen zwei Delphine, die Barral bereits in jungen Jahren als persönliches Signet entworfen hatte. Julio Vivas, Interview mit B.P., 14.6.1998. Mit dieser Feststellung ist keine Wertung verbunden. Sie unterstützt jedoch Gaisers gegen die Feldtheorie Bourdieus vorgebrachten Einwand, demzufolge kulturelle Dominanz sich, anders als von Bourdieu suggeriert, häufig, wenn nicht vornehmlich über "die reale Macht des Marktes" legitimiert (Gaiser 1993: 178). Am Beispiel der Reihe Hispánica Nova werde ich näher auf weitere diskursive Strategien von Paratexten eingehen. (5.2.4).

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La actividad editorial de Barrai Editores se centrará en los campos de la literatura de creación y de las humanidades y prestará particular atención a la narrativa española e hispanoamericana, a partir de un principio de unidad estética y lingüística de las literaturas hispánicas que ha influido siempre en mis puntos de vista de editor.1033

Der Hinweis auf die spanischsprachige Literatur deutet an, in welchem Programmbereich die Profilierung erfolgen soll. Die Formel der "unidad estética y lingüística" schließt an ähnliche Paratexte zur Nueva Narrativa Hispánica Seix Barrais an (vgl. 5.2.1), der nun Konkurrenz gemacht werden soll. Auf der anderen Seite lässt die vage Einteilung von hoher Literatur und "humanidades" eine breite Spannweite von Themen zu. Das Programm bewegt sich zwischen elitärer Abgrenzung und dem Tolerieren gut verkäuflicher Modetitel. Die inhaltliche Kontinuität zu den Reihen Seix Barrais spiegelt sich in einer chiastischen Bezeichnungspraxis wider: Die Breve Biblioteca de Respuesta lädt zur Identifikation mit der Biblioteca Breve ein.1034 Die auf spanischsprachige Erzähler spezialisierte Hispánica Nova konkurriert mit Seix Barrais Nueva Narrativa Hispánica, und die verlagsübergreifende Taschenbuchreihe Ediciones de bolsillo gehorcht "criterios que se pudieron calificar de semejantes a los que rigieron la programación de la 'Biblioteca Breve de Bolsillo'".1035 Da die Nomenklatur in begrifflicher Reminiszenz zu Seix Barrais Reihen erfolgt, führt die Profilierung über markante Reihentitel allerdings zu einiger Verwirrung. Aushängeschild ist die Breve Biblioteca de Respuesta, in der übersetzte Literatur und Sachtitel aus den Geistes- und Sozialwissenschaften erscheinen. Wie einst die Biblioteca Breve ist auch Respuesta nominell in Serien {Literatura, Hispánica Nova, Balance, Conocimiento) unterteilt, die in Format und Aufmachung angeglichen sind. Dies führt zu Widersprüchen. Während z.B. die Serie Hispánica Nova als eine eigenständige spanischsprachige Literaturreihe propagiert wird, erhalten ihre Titel eine diskontinuierliche Nummerierung innerhalb der Breve Biblioteca de Respuesta, so dass die beabsichtigte programmatische Kohärenz zumindest paratextuell unterlaufen wird.1036 Die Unübersichtlichkeit wird schließlich selbst erkannt: in 1033

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"Barrai Editores S.A.", 30.11. 1970, ABC AS. Vgl. im Folgenden das in Anhang II abgedruckte Verlagsprogramm. Der programmatische Bezug wird von Barrai offen ausgesprochen: "[...] 'Breve Biblioteca de Respuesta' [...] heredará los criterios de la antigua 'Biblioteca Breve' de Seix Barrai"; die Programmkriterien würden aber aktualisiert - "puestos al día según los criterios de la edición europea que se perfilan para la década de los 70" ("Barrai Editores S.A.", 30.11. 1970, ABCAS). Ebd. Weitere Beispiele: Seix Barrai begründet 1970 die Serie Mayor mit einem Schwerpunkt auf Lyrik, Barrai führt eine eigene Lyrik-Reihe (Insulae poetarum) ein. 1972 konkurriert Barrais Taschenbuchausgabe von Carpentiere El siglo de las luces mit der Normalausgabe Seix Barrals. Während Seix Barrai 1974 Cántico von Jorge Guillén publiziert, bringt Barrai eine Gesamtausgabe Guilléns heraus. Der zweite bis vierte Titel der Hispánica Nova erhalten z.B. die laufenden Nummern 7, 9 und 15. Anders verhielt es sich bekanntlich bei Seix Barrai. Dort wurden die narrativen

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späteren Verlagsprogrammen ist die Unterteilung der Breve Biblioteca de Respuesta in bestimmte Serien aufgehoben. Auch der zwischen 1971 und 1974 verliehene Premio Barrai steht in Kontinuität und Konkurrenz zum Vorbild Seix Barrais, d.h. zum Premio Biblioteca Breve.1037 Der Preis ist als Publikationsvorschuss in Höhe von 200.000 Pten. konzipiert und sieht ein Autorenhonorar von 10% für die Erstauflage bzw. 12% für folgende Auflagen vor. Der Verlag verpflichtet sich zur Publikation von 10.000 Exemplaren.1038 Die inhaltlichen Bestimmungen legen den Akzent auf die Innovation, unter fast wörtlicher Übernahme der Formulierung des Premio Biblioteca Breve: "aquellas obras que por su contenido, técnica y estilo respondan mejor a las exigencias de la literatura de nuestro tiempo." Der Preis ist frei für Bewerber aller im peninsularen oder amerikanischen Kulturraum gesprochenen Sprachen, explizit auch für regionale Sprachen: "Las novelas optantes podrán estar escritas en cualquiera de las lenguas romances habladas en la Península Ibérica, en cualquiera de sus variantes peninsulares o americanas." Diese Richtlinien tragen der inneren Differenzierung der in Spanien produzierten Literatur Rechnung, ähnlich dem einst von José Janès verliehenen Premio Internacional (2.1.3). Die Statistik des Verlagsprogramms zeigt eine Konzentration der Aktivitäten auf die Jahre 1970-75. Im Frühjahr 1973 hat Barrai Editores - bei einer Jahresproduktion von über sechzig Titeln - das Ziel von zweihundert Titeln erreicht; auch ohne die Taschenbuchedition sind es immer noch 111 Titel, also knapp vierzig pro Jahr. Der Anteil der Belletristik liegt im Trend der Zeit und ist mit 36% eher gering, verglichen mit dem über 60%igem Anteil im Programm Seix Barrais der 50er und 60er Jahre (siehe 3.2.2). Spanischsprachige Titel überwiegen: die Hispánica Nova umfasst ein Fünftel der Bände im Normalformat. Ab Oktober 1975 muss der Verlag auf Beschluss seiner Geldgeber die Produktion drosseln, um den hohen Verlusten entgegenzuwirken (siehe 5.2.6). Ab diesem Zeitpunkt werden nur noch wenige neue Titel unter Vertrag genommen. Zur Breve Biblioteca de Respuesta kommen noch ca. fünfzehn weitere Titel hinzu, darunter autobiografische Werke von Pedro Lain Entralgo, Carlos Barrai und Agustín Roa Ventura, die Vergangenheitsbewältigung im Zeichen der politischen Transición leisten. In der Hispánica Nova erscheinen in den Jahren 1976-78 nurmehr drei Titel. Die erst 1978 begonnene Serie Novela Corta muss bald eingestellt werden.

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Reihen Nueva Narrativa Hispánica und Formentor separat geführt, die Gattungsunterteilung der Breve {Museo, Novela, etc.) fiel weniger ins Gewicht. Barrai Editores lobt ferner einen Lyrik-Preis aus, den Premio Maldoror. Erster Preisträger des Jahres 1970 ist Rodolfo Hinostroza (Contra natura), 1972 wird er José Lezama Lima für sein lyrisches Gesamtwerk (Poesía completa) zugesprochen. Zur Jury des Jahres 1972 gehören die Spanier Félix de Azúa, Carlos Barrai, José María Caballero Bonald, José Maria Castellet, Jaime Gil de Biedma, José Agustín Goytisolo und Luis Rosales sowie aus Chile Rodolfo Hinostroza und aus Mexiko Octavio Paz. Ausschreibungstext zum Premio Barrai 1973, AB.

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Veröffentlichte Titel Barrai Editores, geordnet nach Reihen und Format Reihen

April 1973

Breve Bib Respuesta

Dezember

87

1975

Juli

139

davon: Serie Respuesta

(40)

Breve Bib Balance

(4)

Conocimiento

(3)

Breve Bib Literatura

(17)

Hispánica Nova/ Barrai Edito-

(23)

1978

150"

(38)

(35)

res Peruana Breve Bib Reforma

11

14

17

Serie Iconològica

3

4

5

Insulae Poetarum

5

Teatro

11

13

2

2

Bib Crítica

1

2

Bib Rescate

4

7

111 Titel

179 Titel

202 Titel

Taschenbuch Ediciones de Bolsillo

65

83

90

Serie Negra

20

27

27 5

Novela Corta INSGESAMT

196 Titel

289 Titel

324 Titel

Quellen: Verlagsprospekte Barrai Editores (April 1973, Juli 1978), Datenbank ISBN

1039

Die Zuordnung zu Serien ist in späteren Katalogen aufgehoben und nur anhand der jeweiligen paratextuellen Information jedes Buches auszumachen. Aus diesem Grund beschränkt sich die Aufschlüsselung der Daten auf die hier untersuchungsrelevante Reihe Hispánica Nova.

310

Burkhard Pohl

In der Breve Biblioteca de Respuesta liegt ein deutliches Gewicht auf Titeln zu literaturwissenschaftlichen und ästhetischen Themen (Harold Bloom, Leo Kofier, George Steiner, u.v.a); dazu zählen auch die auf Einzelautoren ausgerichteten Darstellungen zu Mario Vargas Llosa (José Maria Oviedo), Gabriel García Márquez (Historia de un deicidio) und James Joyce (Ezra Pound) in der Serie Balance. Ferner erscheinen Studien und Grundlagentexte aus aktuellen Themenbereichen der Psychologie, Philosophie und Pädagogik von Theodor W. Adorno, Bruno Bettelheim, Gilles Deleuze, Max Horkheimer, Ivan Mich oder Jean Piaget. Einige Texte bewegen sich im Bereich von Zeitgeschichte und Journalismus (Noam Chomsky, Hans Rauschning) und erinnern an das Konzept der Reihe Testimonio bei Seix Barrai. Die in den 60er Jahren bei Seix Barrai noch wichtige Soziologie ist nun weniger repräsentiert, wenn auch unter dem Reihentitel Conocimiento de España, einige Studien zur Sozialstruktur Spaniens erscheinen. Das Programm der Respuesta wird durch Reihen in größerem und teurerem Format ergänzt: In der Breve Biblioteca de Reforma erscheinen siebzehn Titel, darunter Leitschriften der Postmoderne wie der Antiedipo von Deleuze/Guattari, Werke von Bajtin und Lacan sowie eine Werkausgabe des Anthropolen Marcel Mauss.1040 Eine Reihe zur bildenden Kunst und Architektur (Serie Iconológica) mit fünf erlesenen Titeln signalisiert eine inhaltliche Fortführung von Seix Barrais Serie Museo. Die im Vergleich zum Sachbuchprogramm zahlenmäßig nachrangige Narrativik ist hauptsächlich auf zwei Reihen verteilt. Die ausschließlich für Literatur spanischer Sprache vorgesehene Reihe Hispánica Nova soll die bewährten Prinzipien der literarischen Reihen Seix Barrels aktualisieren, d.h. junge Autoren mit bekannten und konsekrierten Namen mischen (siehe 5.2.4). In der auf internationale Narrativik ausgerichteten Breve Biblioteca de Literatura publiziert Barral einige bereits früher favorisierte, vor allem deutsche, osteuropäische und italienische Autoren wie Ingeborg Bachmann, Carlos Emilio Gadda, Witold Gombrowicz, J.M.G. Le Clézio, Jakov Lind, Hans Erich Nossack oder Italo Svevo, ferner neue Namen wie Peter Handke, Bruno Schulz oder Christa Wolf. Angloamerikanische Autoren fehlen fast völlig. Mit einem kostspieligen Titel wie Aleksandr Solshenitzyns Agosto 1914 bindet der Verlag einen aktuellen Nobelpreisträger (1970) und damit auch kommerziell interessanten Schriftsteller an sich. Solshenitzyns Archipiélago Gulag liefert einen exemplarischen Fall für die eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten Barrals: Als bisheriger Verleger Solshenitzyns bemüht sich Barral frühzeitig auch um diesen Titel und geht bei der Rechteversteigerung an seine finanziellen Grenzen, doch obwohl Autor und Agent dem Verlag gewogen sind, erhält Plaza y Janés die Rechte, der das Doppelte der von Barral gebotenen Summe offeriert.1041 1040

1041

Zutreffend heißt es im Paratext der Reihe: "Se propone sentar un sistema de referencias en la renovación de la problemática y de la metodología que la investigación humanística acusa, en todo el mundo, desde las dos últimas décadas." (Katalog 4/73, ABCAS). Die Auskunft stammt von Michi Strausfeld, die als damalige Angestellte Barrals die

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Einige ambitionierte Projekte vervollständigen das belletristische Programm: Die vornehm gestaltete Biblioteca de Rescate widmet sich der Publikation vergriffener Titel, dem "descubrimiento o recuperación de grandes obras literarias escasa o insuficientemente difundidas" (Katalog April 1973). In dieser Reihe erscheinen lediglich sieben Titel (u.a. von Robert Walser, Gertrude Stein, Thomas de Quincey). Eine Biblioteca Crítica widmet sich der Herausgabe dichterischer Gesamtwerke (Pedro Salinas, Luis Cernuda, César Vallejo, Jorge Guillén), mit der Barrai einen lange gehegten Plan umsetzt. Die insgesamt wenigen Titel der Reihe verkaufen sich trotz ihres hohen Preises recht zügig, da es sich - mit Ausnahme Guilléns - um Gesamtausgaben lange verbotener Autoren handelt.1042 Neben den Großformaten publiziert Barrai Taschenbücher in der kollektiv getragenen Reihe Ediciones de Bolsillo (siehe 5.2.5). In Abstimmung mit dem Programm seiner Verlagskollegen publiziert Barrai vor allem literarische Texte, die rund drei Viertel der Titel ausmachen; darunter sind auch einige spanische Klassiker (Espronceda, Gil y Carrasco) und internationale Lyriker (Blake, Eliot, Enzensberger, Valente) als Fortsetzung der früheren Libros de Enlace. Die Auswahl ist ansonsten weniger elitär gehalten und trägt den Anforderungen des Taschenbuchformats Rechnung; dort erscheint z.B. eine eigene Sparte von Kriminalromanen (Serie Negra), eines in Spanien noch recht wenig rezipierten Genres. Ein besonderer Akzent liegt auf den mindestens vierzehn dem Bereich 'Esoterik und Religion' zuzuordnenden Titeln über Themen wie Kabbala, I-Ging, Tarot, Zen, Taoismus, Astrologie oder Okkultismus. Es handelt es sich in der Regel um selbst in Auftrag gegebene Bücher, mit denen Barrai auf ein evidentes Kaufinteresse an fernöstlicher Spiritualität und alternativen Lebensformen reagiert: Mirko Lauers Ausgabe des I-Ging (1971) erreicht bis 1978 die 10. Auflage, Alberto Coustés Einführung El Tarot o la máquina de imaginar verkauft in fünf Jahren 90.000 Exemplare, der Titel El sistema astrológico (Rodolfo Hinostroza, 1973) verkauft 80.000 Exemplare.1043 Das mediale Format des Taschenbuches erlaubt es Barrai, diesem

1042

1043

Verhandlungen geführt hat (Telef. Interview mit B.P., 5.3.1998). In einem Insider-Bericht ist Barrais Angebot auf 50.000 Dollar Vorschusszahlung beziffert, Plaza habe das Doppelte geboten (Oriol Pinos [pseud.?]: "E pur si muove...", Camp de l'arpa 11 (Mai 1974), o.S.). Von rund 2.500 Stück Erstauflage werden von Vallejos im Mai 1978 publizierter Poesía Completa bis Ende des Jahres immerhin 1.462 Exemplare, d.h. gut zwei Drittel verkauft. Cernudas dichterisches Gesamtwerk verkauft sich 1977 und 1978 insgesamt 1.701 mal (nach einer Verkaufsstatistik der Biblioteca Crítica, Juli 1979, AB). In Coustés Erinnerung lebt andererseits das Bild des 'anarchischen' Verlegers Barrai auf: "Casualmente, una noche, una de tantas cenas con Carlos, saqué el Tarot. A Carlos le fascinó, no paró de preguntar: '¿cómo lo haces? ¿en qué consiste?', etc. Total que al día siguiente me llamó diciendo que no había podido dormir, y que yo tenía que hacer un libro sobre esto. Bueno, yo no quería, no sabía cómo, pero él me convenció de hacerlo. Yo no aportaba nada, era una obra de encargo, y no me parecía un libro, era un método de conocimiento." (Alberto Cousté, Interview mit B.P., 23.2.1999). Ähnliches berichtet

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Burkhard Pohl

eher kommerziell anmutenden Trend zu folgen, für den in den 'vornehmeren' Originalausgaben kaum Platz ist.1044 Gut verkaufen sich auch die Taschenbuchausgaben einschlägiger Werke wie Samuel Becketts Esperando a Godot (4. Aufl. 1973), Mario Vargas Llosas Los jefes (4. Aufl. 1973) oder Jean Piagets Seis estudios de psicología. Im Normalformat wird Jacques Monods Essay El azar y la necesidad zum Überraschungserfolg und erzielt 1973 bereits die sechste Auflage. Eher schlecht laufen dagegen die spanischsprachigen Erzähltitel: Von 39 Titeln der Reihe Hispánica Nova sind bis 1978 sechs mit Nachauflagen verzeichnet, davon fünf von lateinamerikanischen Autoren. Mindestens fünf Auflagen erreichen Alfredo Bryce Echenique (Un mundo para Julius), Gabriel Gárcia Márquez {La increíble y triste historia...) und Jorge Edwards (Persona non grata).1045 Für Persona non grata ist die Erstauflage von 10.000 Exemplaren schnell verkauft und nach einem Jahr liegt bereits die vierte Auflage vor.1046 Die Erzählungen von García Márquez erscheinen sogar auf der Bestsellerliste. Dennoch reichen die Verkäufe nicht aus, um den Verlag zu sanieren, zumal für den kolumbianischen Autor ein hoher Vorschuss gezahlt werden musste.1047 Das Programm von Barrai Editores zeugt von der intellektuellen Aktivität im Spanien des Spätfranquismus und reklamiert eine Position im kosmopolitischen, allem Neuen aufgeschlossenen Leserspektrum. Im Umfeld der Gauche Divine trägt der Verlag als Vermittler zeitgenössischer internationaler Diskussionen dazu bei, die kulturellen Defizite von 30-jähriger Zensurpolitik aufzuarbeiten, die der Verleger

Marcos-Ricardo Barnatán über die Entstehung des von ihm verfassten Buches über die Kabbala: "Yo contesté que no me atrevía a hacer tal libro, sólo tenía 24, 25 años. Bueno, Barral me dijo que quería publicar el libro, y si no lo hacía yo, él lo encargada a otro que lo haría peor que yo. Ese fue el desafío final." (Marcos-Ricardo Barnatán, Interview mit B.P., 1.6.1998). Die Angabe zu Hinostrozas Buch entnehme ich Daniel Flores: '"Nos hemos salido del formato literario para buscar la vida'". Interview mit Rodolfo Hinostroza, (3.10.2001). 1044 Auch die Presse ist sich dieses Zugeständnisses an den Konsumgeschmack bewusst. Barral, dessen verlegerische Verdienste außer Frage ständen, habe die Mode des "libro del verano" kreiert, erklärt Vázquez Montalbán (Manuel Vázquez Montalbán: "Crónica barcelonesa en la frontera del calor", Triunfo 510 (8.7.1972), S. 45f., hier: 46). 1045 Nach bibliografischen Angaben aus dem Jahr 1978 erzielen Gabriel García Márquez, La increíble y triste historia... und Alfredo Bryce Echenique, Un mundo para Julius, je fünf Auflagen. Mirko Buchin, Chechechela; Haroldo Conti, En Vida und Juan García Hortelano, El gran momento de Mary Tribüne, erreichen je zwei Auflagen (Katalog Barral Editores, ABCAS). 1046 Die Angabe zur Erstauflage nach Persona non grata, AGA, Doss. 14025-73. Nach Auskunft von Jorge Edwards erscheinen insgesamt sechs Auflagen bei Barral Editores (Jorge Edwards, Interview mit B.P., 27.5.1998). 1047 Information von Michi Strausfeld, telefonisches Interview mit B.P., 5.3.1998.

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Rafael Martínez Alés auf eine einfache Formel bringt: "todo quedaba por editar".1048 Das Sachbuchprogramm der Reihen Respuesta und Reforma präsentiert eine sich auf der Höhe ihrer Zeit befindliche Auswahl von Namen und Titeln, die im Umfeld von '1968' internationalen Bekannheitsgrad erlangen. Dabei ist Barrai darum bemüht, sich nicht nur auf den Bereich des wissenschaftlich-universitären Diskurses zu beschränken, sondern dem nach eigener Aussage vorhandenen Run auf populärwissenschaftliche Texte nachzukommen, von dem sich der Verlag Longseiler erhofft.1049 Der anti-ökonomische Anspruch, der zur Publikation schier unverkäuflicher Titel wie den Sanskrit-Übersetzungen Fernando Tolas sen. führt, soll so durch das Aufgreifen von gesellschaftlichen Moden kompensiert werden, die im Kontext der Nach-68er-Ära entstehen. Auch bei den narrativen Texten versucht Barrai, aktuellen literarischen und auch kommerziellen Trends Rechnung zu tragen: Autoren des Boom und andere lateinamerikanische Titel stehen im Zentrum der ersten Publikationen. In der Taschenbuchreihe antizipiert Barrai Genres (Kriminalroman, Kurzroman), die in späteren Jahren bei anderen Verlagen großen Erfolg haben werden. Im verlegerischen Angebot des Spätfranquismus konkurriert Respuesta als wissenschaftliche Universalreihe mit Alianza und natürlich mit der Biblioteca Breve', als literarisches Panorama der spanischsprachigen Avantgarde mit Seix Barrais Nueva Narrativa Hispánica und Kleinverlagen wie La Gaya Ciencia. Während es gelingt, manche Lücke - z.B. spirituelle Ratgeberliteratur - zu entdecken, lässt Barrai andere kommerzielle Trends der Populärkultur aus.1050 Im Gegensatz zu anderen befreundeten Verlagen lehnt Barrai außerdem den Dienst an einer konkreten politischen Sache ab. Das geisteswissenschaftlich geprägte Programm enthält vergleichsweise wenige politische Grundlagentexte, und zeitgeschichtliche, ökonomische und gesellschaftliche Analysen mit nationalem und regionalem Bezug sind rar.

1048

Rafael Martínez Alés, Interview mit B.P., 27.5.1998. In ähnlicher Weise charakterisiert Jorge Herralde seine Programmgestaltung bei Anagrama als 'Qual der Wahl' inmitten eines überwältigenden Angebots: "[E]n el ámbito de la vanguardia cultural existían también no sólo lagunas sino océanos por colmar, por lo que la voluntad de exploración [...] no tenía por delanto sino /'embarras du choix." (Anagrama 1994: 12). 1049 i e c t o r español] manifiesta un vivo interés en esa carrera tras la humanística contemporánea: me refiero a los libros de etología, curiosidades naturales, libros sobre el remoto pasado del hombre, pero en un plano de divulgación, no en un nivel estrictamente científico. [...] los títulos ensayísticos o científicos se proponen al público como una necesidad de información cultural y se venden modesta pero regularmente." (Carlos Barral, Interview mit Ana Maria Moix in: Mundo joven, 28.7.1973, S. 20-23, zitiert nach Barral 2000: 84). 1050 Bestseller dieser Zeit sind z.B. Jaume Perichs Karikaturenband Autopista (Laia, 1971) oder Luis Carandells satirische Celtiberia Show (Guadiana, 1970, bis 1972 bereits 16 Auflagen). Zum Kino publiziert Barral nur zwei Bände: Ein Selbstporträt Jean-Luc Godards, den bevorzugten Regisseur der Escuela de Barcelona, sowie die Autobiografie des US-Schauspielers Jerry Lewis.

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Barrai Editores verfolgt die Mischstrategie, sich als antizipativer und anspruchsvoller Verlag zu platzieren, gleichzeitig jedoch über ein hohes Titelvolumen und die Publikation zeitnaher Werke aus einem allzu schmalen Rezeptionsspektrum herauszutreten. Die Balance zwischen Elitismus und Marktorientierung ist jedoch nicht zu halten. Angesichts der ökonomischen Beschränkungen seines neuen Verlags fällt Barrais Programmgestaltung zu gewagt aus. Die Verkaufserfolge bleiben hinter dem selbst formulierten Führungsanspruch zurück, es gelingen zu wenige Bestseller, um die teuren und schwer verkäuflichen Projekte gegenzufinanzieren.1051 Hauptgrund der Misere dürfte der überzogene Titel-Output sein, der eine ausreichende öffentliche Platzierung des einzelnen Buches verhindert und erzielte Gewinne schnell zunichte macht. Als Longseiler konzipierte Titel erhalten durch zu viele ähnlich ausgerichtete Produkte im eigenen Verlag Konkurrenz. Schließlich mangelt es dem Verlagsprogramm an konzeptioneller Abgrenzung nach außen. Die Fixierung auf das Vorbild Seix Barrai vereitelt eine deutlichere Distinktion und Spezialisierung von Barrai Editores, die semantische und lexikalische Wiederholung von Reihennamen und Marken sorgt für Verwirrung. Um einer fest am Markt etablierten Reihe wie Biblioteca Breve Konkurrenz zu leisten, reicht es nicht aus, allein auf die Zugkraft eines persönlichen kulturellen Kapitals zu vertrauen.

5.2.4

Lateinamerikanische und spanische Literatur bei Barrai Editores

Die Verlagspolitik von Barrai Editores steht zu Beginn (1970/71) ganz im Zeichen des Boom und der in dessen Gefolge nach Spanien gelangenden Literatur. Der Erfolg oder Misserfolg der lateinamerikanischen Literatur beeinflusst deshalb indirekt die Verlagsentwicklung; umgekehrt spiegelt sich in den diesbezüglichen Programmentscheidungen, insbesondere in der Neuorientierung zu einheimischen Autoren ab 1972, die Konjunktur des Boom in Spanien insgesamt wider. Hispánica

Nova

Das Programm der spanischsprachigen Literatur bei Barrai Editores gehorcht zunächst dem doppelten strategischen Prinzip von Innovation - durch die Förderung junger novísimos - und Imitation - durch die Fortschreibung des Boom. Die Publikation der am Markt eingeführten 5oo/n-Autoren ist allein schon aus wirtschaftlichen Gründen geboten, so dass das Verlagsprogramm der Jahre 1970 und 1971 hier deutliche Schwerpunkte legt. Zu diesem Zeitpunkt hat die literaturkritische Aufarbeitung des Boom bereits begonnen, dementsprechend erscheint als erster Titel der Biblioteca de Respuesta José Maria Oviedos Einfuhrung in das Werk von Mario Vargas Llosa {La invención de una realidad). Kurz darauf folgen Vargas Llosas 1051

Michi Strausfeld drückt es lakonisch aus: "Mit Autoren wie Bryce Echenique oder Edwards kann man keinen Verlag retten." (Telefonisches Interview mit B.P., 5.3.1998).

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Monografie über García Márquez (Historia de un deicidio) und eine Anthologie lateinamerikanischer Lyrik von Saúl Yurkievich. Da der Verlag die Hauptwerke der durch den Boom konsekrierten Autoren nicht erwerben kann, sichert er sich Rechte an kleineren Werken und an Lizenzausgaben z.B. von Carpentier (Los pasos perdidos, El siglo de las luces, Guerra del tiempo), Fuentes (Los reinos originarios) und Vargas Llosa (Los jefes), später auch Onetti (Los adioses), die in der Taschenbuchreihe Ediciones de Bolsillo erscheinen und erwartungsgemäß mehrere Auflagen erzielen. Im Normalformat kann Barrai einen Erzählband von García Márquez {La increíble y triste historia...) sowie zwei Werke von Lezama Lima (Introducción a los vasos órficos, Poesía completa) herausbringen. Jorge Edwards, ein ebenfalls in Spanien bereits publizierter Autor, hält Barrai die verlegerische Treue und veröffentlicht erfolgreich seinen Roman Persona non grata als Zeitdokument zur weltweiten Kuba-Debatte. In der Lyrik-Reihe Insulae Poetarum erscheinen neben Lezama Limas poetischem Gesamtwerk mit Alvaro Mutis und Ernesto Cardenal zwei in Spanien zu diesem Zeitpunkt noch wenig bekannte Autoren. Gleichzeitig geht es Barrai nun darum, potenzielle Nachfolger der ersten BoomWelle aufzuspüren und das Repertoire der bekannten Erzähler zu erweitern. Erster Kandidat für das Erbe des Boom ist Alfredo Bryce Echenique, dessen Werk Un mundo para Julius noch über Seix Barrai vermittelt wurde. Mit der Verleihung des Premio Barrai von 1971 an Haroldo Conti (En vida) und mit der Publikation mehrerer Romane des Venezolaners Salvador Garmendia (Los pies de barro, Memorias de Altagracia) nimmt Barrai Autoren ins Programm, die vom internationalen Boom bisher ausgeschlossen waren, jedoch bereits über ein nationales Renommee verfugen.1052 Die Klappentexte zu den Romanen Garmendias bedienen sich etwa der Referenz des Boom und fuhren den Autor als "cónsul de la literatura venezolana en el boom de la literatura latinoamericana" ein. Die Hoffnung auf kommerziellen Erfolg schlägt sich bei den Werken dieser drei Autoren in erhöhten Erstauflagen nieder.1053 Un mundo para Julius erreicht in vier Jahren immerhin fünf Auflagen. En vida wird noch ein zweites Mal aufgelegt, zum großen Verkaufserfolg reicht es indes nicht. Neben der Kontinuität einer erfolgreichen Mode bedarf es jedoch auch eines neuen verlegerischen Projekts, um den Gesetzmäßigkeiten der Innovation und Distinktion gerecht zu werden. Schon 1970 bringt Barrai den Begriff des lateinamerikanischen Postboom ins Spiel, ohne ihn aber in der Verlagswerbung offensiv zu perpetuieren (siehe 5.3.2). Der Verlag publiziert die Romane noch weithin unbekannter und zum Teil unveröffentlichter Autoren. Gemeinsam mit der Gruppe der spanischen novisi1052

1053

Garmendias Werk ist von der Zensur betroffen. Dia de ceniza, das Barrel bereits 1968 vergeblich für eine Lizenzausgabe zu gewinnen versucht hatte, darf 1973 auf Anfrage des Circulo de Lectores nur für den Export produziert werden. Für Un mundo para Julius und Los pies de barro werden je 5.000 Exemplare Erstauflage veranschlagt, für En vida die in den Preisvergaberichtlinien festgelegten 10.000 Exemplare (Angaben laut Zensurakten).

316

Burkhard Pohl

mos, denen sie stillschweigend zugeschlagen werden, repräsentieren diese Autoren eine der "Revolution der Form" verpflichtete Literatur.1054 Manche Schriftsteller kennen sich untereinander und partizipieren am intellektuellen Leben Barcelonas in den Zirkeln der Gauche Divine. Barrai versucht, mit diesen Lateinamerikanern und Spaniern eine neue kosmopolitische Avantgarde aufzubauen: "En Barrai Editores, había una serie de jóvenes escritores de vanguardia: Félix de Azúa, Javier Fernández de Castro, Ana María Moix, Alberto Cousté. Con ellos formábamos un grupo que estaba destinado a ser un 'petit-boom'."1055 Die Vermittlung der spanischsprachigen Erzählprosa wird bei Barrai Editores vor allem über die Reihe Hispánica Nova organisiert und durch den Premio Barrai strategisch unterstützt.1056 Hispánica Nova erreicht ein Volumen von über zwanzig Titeln bis zum April 1973, d.h. von ca. einem Titel pro Monat. Bis zum Verlagsende 1978 steigt die Zahl auf 39 Titel, davon entfallen achtzehn auf insgesamt vierzehn lateinamerikanische Autorinnen und Autoren.1057 Bis auf zwei aus dem Katalanischen (Porcel) und Brasilianischen (Lins) übersetzte Romane sind alle Titel Originalausgaben. Insgesamt ist die nationale Zuordnung der vierzehn lateinamerikanischen Autoren mit acht Herkunftsstaaten (Argentinien, Brasilien, Chile, Guatemala, Kolumbien, Mexiko, Peru, Venezuela) sehr heterogen. Kubanische Schriftsteller fehlen unter den neuen Namen völlig. Dies mag darin begründet sein, dass Kuba als Absatzmarkt keinerlei Perspektiven bietet. Auch zeigt sich Barrai politisch unentschlossen und weder daran interessiert, publizistisch für die Kubanische Revolution Partei zu ergreifen, noch daran, durch seine Unterschrift unter den Intellektuellenprotest beim Caso Padilla Stellung zu beziehen; diese Positionierung holt Barrai allerdings mit der Veröffentlichung von Persona non grata nach. Die kubanische Literatur des Exils und der Insel findet, wenn überhaupt, bei anderen spanischen Verlagen ihr Forum. Hispánica Nova profiliert sich in erster Linie, aber nicht ausschließlich durch die Publikation der betont experimentellen, diskursorientierten Texte aus dem Umkreis Barcelonas. Daneben integriert das Programm auch einige eher traditionell realistisch gestaltete Texte zeitkritischen oder testimonialen Charakters. Einige Werke nehmen tagespolitischen Bezug und vermischen Fiktion und Journalismus bzw. 1054

Der metafiktionale Roman Las muertes de Edgardo von Jacobo Chencinsky z.B. begleitet den Protagonisten bei der literarischen Aufarbeitung seiner Vergangenheit und der Beziehung zu einem verstorbenen Freund. Die Erzählung ist fragmentiert und kombiniert die Genres Drama und Roman, wobei die Identitäten der Erzählerfiguren ineinander übergehen. 1055 Mauricio Wácquez, Interview mit B.P., 27.6.1998. 1056 " g s t a biblioteca [i.e. Hispánica Nova] se nutrirá, aparte de las fuentes de información normales del editor a través de un premio 'Barral' de novela en lengua castellana [...]." ("Barral Editores S.A.", 30.11.1970).

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Autobiografie (Edwards); El caso Banchero von Guillermo Thomdike basiert z.B. auf einem politischen Mordfall in Peru. Inhaltlich überwiegen Texte mit einem urban-bürgerlichen Setting, die etwa ein kritisches Bild der Oberschicht von Lima (Bryce) oder der Mittelschichten von Buenos Aires (Conti) entwerfen. Gerade argentinische Schriftsteller (4), deren Urbane Literatur Barrais universalistischem Ideal entgegenzukommen scheint, sind unter den neuen lateinamerikanischen Autoren der Hispánica Nova am stärksten vertreten.1058 Regionalistische Varianten sind dagegen mit Ausnahme von García Márquez (Magischer Realismus) und Monteforte (Neoindigenismus) kaum vertreten. Dieses Terrain bleibt eher Verlagen wie Planeta, Destino oder Seix Barrai überlassen.1059 Barrai verfolgt die Einschreibung in den etablierten verlegerischen Trend des Boom und versucht sich gleichzeitig vom Mainstream abzugrenzen. Die Publikation lateinamerikanischer Literatur steht in der Kontinuität der erfolgreichen Verlagspolitik der 60er Jahre bei Seix Barrai, deren finanzielle Möglichkeiten für Barrai Editores im veränderten Markt der 70er Jahre aber überschätzt werden. Während bei Alianza, Planeta oder Seix Barrai kommerziell erfolgreiche lateinamerikanische Autoren erscheinen, halten sich Barrais Erfolge in Grenzen. "Apuntaba tan alto, pero habia ya pasado el golpe. La Hispánica Nova era una colección de libros hechos para no ser leídos."1060 Chronologisch sind zwei Etappen im Programm der Hispánica Nova zu unterscheiden: Während in der Zeit von Herbst 1970 bis Frühjahr 1972 lateinamerikanische Autoren unterschiedlichen Bekanntheitsgrades im Vordergrund stehen, kehren sich mit der Lancierung des "neuen spanischen Romans" im Herbst 1972 die Prioritäten um. Barrai geht auf Distanz zur kommerziellen Verwertung des Boom. Später publizierte lateinamerikanische Titel werden nicht mehr unter ein einheitliches Motto á la Boom gefasst - im Gegensatz zu den spanischen Autoren, die fast ausnahmslos unter den Slogan "¿Existe o no una nueva novela española?" subsummiert werden (s.u.). "Un Premio polémico ": Der Premio Barral als Austragungsort Rivalitäten

literarischer

Die Verleihungen des Premio Barral zwischen 1971 und 1974 zeigen nachdrücklich den verlagspolitischen Richtungswechsel zur einheimischen spanischen Narrativik an. Gleichzeitig illustriert dieser Preis die zeitgenössischen Abnutzungserscheinungen etablierter Literaturpreise.1061 Fast keine der Preisvergaben geht ohne öffent1057 1058 1059 1060 1061

Siehe die Bibliografie zu Hispánica Nova in Anhang XVII. Vgl. auch die unten zitierte Bemerkung Barrais über die hohe Qualität der argentinischen Bewerber zum Premio Barral 1971.

Siehe 5.4 zu Barrals Vorbehalten gegenüber "folkloristischen" Literaturen. Mauricio Wácquez, Interview mit B.P., 27.6.1998. Der Premio Biblioteca Breve wird 1972 zum letzten Mal verliehen, der Premio Alfaguara

1973.

318

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liehe Diskussionen von sich, was zwar den Verlag im Gespräch hält, jedoch zweimal zu keiner Entscheidung führt und damit das kommerzielle Kalkül durchkreuzt. 1971 knüpft Barrai durch die Entscheidung für Haroldo Conti (En vida), einen zumindest in Argentinien bekannten Autor der Generación del 55, an die gewohnte lateinamerikanische Marktstrategie an. Nachdem die Abstimmung der sechsköpfigen Preisjury ein Stimmenpatt ergibt, wird Conti in einer pragmatischen Entscheidung gegenüber der jungen Spanierin Maria Luz Melcón (Celia muerde la manzana) zum Sieger erklärt; eine Entscheidung, die durch ihren augenscheinlichen Marktopportunismus auch auf Unverständnis stößt.1062 Vor der Presse zeigt sich Barrai insgesamt von der Qualität der argentinischen Manuskripte beeindruckt - "un estilo muy literario, muy depurado" - , die (allzu?) sehr von Cortázar beeinflusst seien und sich bei aller inhaltlichen Tristesse als "muy civilizadas, muy bien escritas [...] pero muy grises" erwiesen hätten. Die spanischen Beiträge disqualifiziert er als immer noch dem "naturalismo de los años cuarenta" verfallen, mit Ausnahme des Textes von Luz Melcón.1063 1972 wird die Jury durch Cortázar und García Márquez um zwei Stars des Boom ergänzt. Das hinzugewonnene kulturelle Kapital wirkt sich ökonomisch nachteilig aus: Die unterschiedlichen Kriterien der Juroren fuhren zu einem erneuten Patt, keiner der Finalisten - Ana Maria Moix, Javier Fernández de Castro, MarcosRicardo Barnatán, Alberto Cousté - erhält die Mehrheit. Während z.B. Azúa und Clotas sich für die experimentellen Texte von Barnatán und Fernández de Castro engagieren, versucht Barrai offenbar, mit Unterstützung Cortázars das leserfreundlichere Manuskript von Moix durchzusetzen.1064 1973 komplettiert mit Carlos Fuentes 1062

1063

1064

Vgl. Josep M. Soria: "Dos novelas para el 'Barral'", Tele-Exprés, 28.5.1971, S. 7. Der Jury gehören Félix de Azúa, Carlos Barral, José María Castellet, Salvador Clotas, Juan García Hortelano und Mario Vargas Llosa an. Alle Zitate nach Josep M. Soria: "Guerra de Premios Literarios", Tele-Exprés, 15.5.1971, S. 7. Informationen von Marcos-Ricardo Barnatán, Interview mit B.P., 1.6.1998. Salvador Clotas schildert die Entscheidung heute als Auseinandersetzung zwischen avantgardistischer und traditioneller Ästhetik: "Una novela presentada fue de Ana Maria Moix, Walter, ¿por qué te fuiste?, que les gustó mucho a Castellet y a Barral. De repente, Felix de Azúa y yo tuvimos una conversación, y nos parecía lamentable que le dieran el Premio a una novela que no nos gustaba cuando había una novela excelente que era Alimento de salto, de Fernández de Castro. Una novela muy difícil, pero de un valor literario. Empezamos a hablar con algunos jurados; tuvimos una reunión con García Hortelano, que tenía un gusto literario abierto y muy inteligente. Se dio cuenta de que nosotros teníamos razón. Luego, hablamos con Vargas Llosa que también entendió el planteamiento que hacíamos, un planteamiento doble: por un lado, de una determinada política literaria - ir hacía una línea más vanguardista y experimental frente a una línea más tradicional - por el otro, de una opción de una novela frente a otra, de un autor frente a otro. El caso es que creo que a Cortázar se le había dicho que no había problema y se le encargó que defendiera la novela de Ana María Moix. Tuve una gran decepción con Cortázar porque hizo una defensa absolutamente tradicional de la novela de Ana María Moix. No sé si había leído el libro con

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ein weiterer Boom-Autor die Jury. Der Premio Barrai geht diesmal ohne Diskussion an den novísimo Vicente Molina Foix (Busto). Finalisten sind Carlos Alfaro und der Chilene Jorge Guzmán (En familia), dessen Manuskript der Zensur zum Opfer fallt. Unter 171 Bewerbern, davon 103 Spanier, werden 29 für die Endausscheidung gewählt. Darunter sind mindestens zwölf lateinamerikanische Autoren - u.a. Oscar Collazos und Manuel Mejia Vallejo - und drei Texte in katalanischer Sprache. Ein Blick auf die Kurzinformationen zu den Bewerbern zum Premio Barrai 1973 liefert Anhaltspunkte für die verlegerische Entscheidung:1065 Ungefähr ein Viertel der Texte (7) sind sprachlich oder erzähltechnisch als experimentell charakterisiert. Zwei Manuskripte haben das Spiel mit subkulturellen Phänomenen (Western, Carlos Gardel) erkennbar zum Thema. Ein gutes Drittel (12) der Manuskripte arbeitet nach Information des Paratextes hingegen mit konkreten Realitätsbezügen, sei es als "crónica urbana", als "reportaje", als "historia de experiencias" oder als "novela política". Allein neun dieser Texte entfallen auf lateinamerikanische Autoren, während nur ein lateinamerikanisches Manuskript als offenbar radikal experimentell gekennzeichnet ist. Da Barrais literarisches Programm zum Zeitpunkt der Verleihung eher auf formorientierte als 'realistische' Texte ausgerichtet ist, deutet sich hier ein Motiv dafür an, dass keines dieser lateinamerikanischen Manuskripte im Verlagsprogramm berücksichtigt wird. 1974 findet die letzte Verleihung des Premio Barrai statt. Mit José Maria Caballero Bonald (Agata ojo de gato) setzt sich ein bekannter, spanischer Schriftsteller gegen den Chilenen Mauricio Wácquez (Paréntesis) durch. Allerdings erhält Caballero Bonald nicht das nötige Quorum und verzichtet daraufhin auf den ihm angebotenen Preis. Wieder verursacht ein Literaturpreis Barrais einen Skandal, den der Verlag werbewirksam umzusetzen versucht: "Un Premio polémico, una votación reñida, un galardón rechazado, una novela excepcional" verkündet der Einband zu Agata ojo de gato ( 1974). Der Premio Barrai kann nicht an das frühere Prestige des Premio Biblioteca Breve anknüpfen. Das Optieren für experimentelle Texte entzieht dem Preis sein kommerzielles Potenzial, das z.B. Planeta mit markiert politisch-realistischen Romanen (Aguinis, Scorza) auszuschöpfen sucht. Die Pressereaktionen fallen reserviert aus und stellen den außerliterarischen Skandal in den Vordergrund, was zwar Aufmerksamkeit schafft, aber die literarische Seriosität beschädigt. Diese Entwicklung be-

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mucha profundidad; dijo que era un libro muy elegante, muy bien escrito, muy interesante [...]. El pensaba que no habría polémica. Entonces, salió Felix de Azúa, hizo una intervención brillantísima a favor de Fernández de Castro, luego hablé yo, luego García Hortelano, y se fue la gente: Vargas Llosa, incluso Castellet, y el pobre Cortázar, al que le habían dicho que no había problema, se quedaba solo defendiendo un libro." (Salvador Clotas, Interview mit B.P., 26.6.1998). Ich beziehe mich auf die in der Verlagsinformation zusammengestellten Texte ("Premio Barrai 1973", AB).

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schränkt sich nicht auf Barcal Editores, denn auch Seix Barcal muss sich 1971 gegen Vorwürfe zur Wehr setzen, seine eigenen Richtlinien verletzt und ein bereits unter Vertrag genommenes Manuskript prämiert zu haben.1066 "¿Existe o no una nueva narrativa española? " Strategien fiir eine junge nationale Literatur Die Entwicklung des Premio Barrai zeigt, dass Carlos Barrai, anders als die verlegerische Konkurrenz, schon 1972 auf Distanz zur lateinamerikanischen Literatur geht. Nach der Teilnahme an einem internationalen Kolloquium in Caracas im April 1972, auf dem die Zukunft der lateinamerikanischen Literaturen heftig debattiert wurde, sieht sich Barrai zu einer öffentlichen Stellungnahme genötigt. Als literarisches Phänomen erklärt er den Boom für beendet: "[Y]a no existe más que a nivel de explotación editorial."1067 Die kommerziellen Verlage drohten, zum Nachteil der Leser und der nachwachsenden literarischen Generation, die einschlägigen Schriftsteller in "máquinas productoras de artículos de consumo" zu verwandeln; selbstverständlich sieht sich Barrai nicht als Teil der konsumorientierten Produktion, obwohl auch sein Verlag in der Vermarktung lateinamerikanischer Autoren auf den Boom rekurriert (siehe 5.3.2). Um der Kunst gegenüber dem ökonomischen Prinzip zu ihrem Recht zu verhelfen, macht sich Barrai deshalb auf die Suche nach neuen literarischen Tendenzen. Noch 1972, offensichtlich recht kurzentschlossen, publiziert er en bloc die Texte mehrerer spanischer, d.h. nationaler Schriftsteller. Er hoffe, so Barcal, damit das Vorurteil zu widerlegen, demzufolge keine nennenswerte spanische Literatur existiere. Las experiencias de un reciente viaje en el que no he podido menos que comprobar un casi universal consenso acerca de la inexistencia de una joven novela española así como de una narrativa madura e importante en la península [...] me han decidido a acumular numerosos lanzamientos de narrativa española en los meses de Octubre y Noviembre [...] lo que me propongo es demostrar la existencia de rigurosas tendencias de renovación literaria y proponerlas a la critica y al público para su identificación. 1068

Stand in den 50er Jahren die Positionsnahme für eine sozialkritische Widerspiegelungsästhetik in Verbindung mit der Legitimierung einer spanischen Nachwuchsliteratur auf der Tagesordnung, in den 60em dann die Apologie des (selbst)kritischen Realismus im Zuge der literarischen und gesellschaftlichen Inter1066

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Sonámbulo del sol (Nivaria Tejera) war bereits vor seiner Prämierung in Spanien in französischer Übersetzung publiziert worden (Josep M. Soria: "Escándalo literario. La novela premiada con el 'Biblioteca Breve' ya estaba publicada", Tele-Exprés, 18.5.1971, S. 4). Carlos Barral: "Enfrentamiento novelístico de continente a continente", Triunfo 522 (30.9.1972), S. 36-37, hier: 36 (siehe Anhang XXIV, vgl. 5.4). Der Text erscheint gleichzeitig unter dem Titel "Puntualización de motivos" als Einleitung des Verlagsprospekts "¿Existe o no una nueva novela española?" vom Herbst 1972. Bereits in Venezuela hatte Barral erklärt: "Lo que fue el boom, una sorpresa en nuestra historia literaria, ha terminado." (Carlos Barral: "El 'boom' visto por un editor", Imagen 41 (11.4.1972), S. 16). Barral Editores, Verlagsankündigung, 25.9.1972, AB.

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nationalisierung, sucht sich Barrai 1972 erneut als Entdecker und Förderer einer schriftstellerischen Avantgarde zu betätigen. Als "evolución esperanzadora" des vergangenen Realismus sei innerhalb der "novela española y latinoamericana posterior al 'boom'" eine Tendenz zu erkennen, die sich durch formorientierte erzählerische Neuerungen auszeichne: "menos anecdótica, más preocupada por el material lingüístico y por las significaciones generales y aleatorias". 1069 Die Aktion beginnt mit einem Paukenschlag, denn Barrai kooperiert mit dem Großverlag Planeta, der seinerseits einige neue Titel spanischer Autoren herausbringt. Barrai vertraut hier auf die Öffentlichkeitswirkung eines gemeinsamen Auftretens, das in literarischen Kreisen allerdings eine Provokation bedeutet, denn Planeta steht als kommerzieller und politisch systemnaher Verlag für Positionen, die nicht nur Barrai bislang vehement abgelehnt hatte. Andererseits illustriert diese Kooperation die Bedingungen literarischer Produktion: Die Verlagsarbeit im Spätfranquismus ist immer weniger von politischer Profilierung bestimmt oder bestimmbar, Kunst und Markt rücken enger zusammen als Kunst und Politik.1070 Das hauptsächliche Motiv dieser Zusammenarbeit ist die zu erwartende öffentliche Resonanz. Daneben geht es um die Profilierung in einem bestimmten Marktsegment: Planeta sucht sein Programm in der Sparte anspruchsvoller Literatur auszuweiten und sich hier ein neues Image zu verschaffen, wobei der Name Barrais dienlich erscheint. Als reicher Verlag geht Planeta kein allzu großes finanzielles Risiko ein. Barrai hingegen untermauert sein Prestige als avantgardistischer Verleger und Trendsetter: La única ventaja que puede tener, y es para los dos, es lograr mayor atención entre los medios interesados. [...] lo que pretendo [...] es, en unas determinadas circunstancias, llamar la atención sobre la vanguardia española.1071 Wie gewohnt kleidet Barrai seine Verlagsstrategie in ein wortreiches paratextuelles Gewand, das eine Mischung aus verlegerischer Legitimation, Werbung und ästhetischem Credo darstellt. Im Herbst 1972 startet Barrai eine breit angelegte Kampagne, um einige spanische Autoren, vor allem aus Barcelona, erfolgreich zu publizieren. Für die Ankündigung bringt Barrai Editores ein 24-seitiges Begleitheft unter dem suggestiven Slogan ¿Existe o no una nueva novela española? heraus, der auch den Einband aller neu vorgestellten Bücher ziert (Abb. 17). Der Verlag wird zum Anwalt literarischer Qualität stilisiert, die potenziellen Käufer als Experten zur Teilnahme an einer offenbar virulenten Diskussion eingeladen. Erneut beteuert der Barrai sein Interesse an einer Kommunikation mit den Lesern, das bereits die Öffentlichkeitsarbeit der Biblioteca Breve gekennzeichnet hatte. 1069

Barral, "Enfrentamiento", Triunfo 522 (30.9.1972), S. 36. Dieses Urteil fállt auch Manuel Vázquez Montalbán (Sixto Cámara [pseud.]: "La derecha y la izquierda editorial", Triunfo 531 (2.12.1972), S. 21). 1071 Carlos Barral im Interview mit Ricardo Huertas: "Cara y cruz de la novela española", La Estafeta Literaria 503 (1.11.1972), S. 10f„ hier: 11.

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Mehrere gemeinschaftliche Präsentationen machen die Autoren bekannt. Erwartet breit, allerdings auch zwiespältig fallt das Echo der Presse aus, die endlich wieder Gelegenheit findet, über einheimische Schriftsteller zu berichten (Martínez Cachero 1985: 320f.). Die zehn von Barrai präsentierten Autoren - zu den acht neuen kommen die bereits erschienenen Romane von Baltasar Porcel und María Luz Melcón hinzu gehören zwei Altersgruppen an: zum einen novísimos, die z.T. bereits in der DichterAnthologie Castellets auftreten und/oder zum Kreis der Gauche Divine gehören (Ana María Moix, Félix de Azúa, Javier Fernández de Castro, Carlos Trias, Javier del Amo), zum anderen ältere, zumeist schon bei Seix Barrai publizierte Autoren mit z.T. 'sozialrealistischer' Vergangenheit (Antonio Ferres, Ramón Camicer, Concha Alos, Juan García Hortelano, Germán Sánchez Espeso). Es spricht fur Barrais Nähe zum Zeitgeist, dass allein fünf Autoren in der von Federico Campbell bei Lumen herausgegebenen Anthologie Infame Turba (1971) vertreten sind, die sich als Spiegelbild der spanischen literarischen Avantgarde versteht. In ästhetischer und ideologischer Hinsicht besteht ansonsten kaum ein Unterschied zu den von Planeta präsentierten Autoren (Manuel Vázquez Montalbán, José Maria Vaz de Soto, José Antonio Gabriel y Galán Pérez, Ramón Hernández, Federico López Pereira).1072 Barrais Lancierung kommt das Verdienst zu, den Vertretern der aktuellen erzählerischen Tendenzen und Ausdrucksformen in der spanischen Literatur ein verlegerisches Forum geboten zu haben. Dies wird auch in der Regel von den Rezensenten gewürdigt. In der literarischen und ideologischen Bewertung der "nueva novela española" scheiden sich jedoch die Geister. Barrais Initiative stößt auf die gemischte Rezeption eines Publikums, das seit einigen Jahren in Diskussionen um das literarische Engagement des Autors und die Relevanz einer mimetischen Wirklichkeitsaneignung gefangen ist. Gerade positive Kritiken für die stärker narrativ angelegten Romane belegen die Rezeptionsprobleme für die oft hermetischen Texte der nueva novela. Für Ignacio Soldevila bietet nur einer der neuen Romane Barrais, Celia muerde la manzana (María Luz Melcón), die lesefreundlichen Eigenschaften einer "novela de factura clásica [...] que se lee con facilidad y que fuerza al lector al clásico tirón" (1980: 432).1073 Viele Rezensionen fallen reserviert aus und halten den Autoren vor, in ihrer ausschließlichen Reduktion auf die Form und auf subjektivistisches Schreiben nicht nur einer Gesellschaftskritik aus dem Wege zu gehen, sondern auch entsetzlich langweilige Texte zu produzieren, wie José Batlló anhand eines späteren Titels, Busto von Vicente Molina-Foix, urteilt:

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Für eine nähere Analyse der einzelnen Romane vgl. Soldevila (1980: 385-444) und Martínez Cachero (1985: 316-27). Ein anderes Beispiel bietet das euphorische Lob, das J.A. Masoliver über den Roman Walter, ¿por qué te fuiste? äußert: "Ana Maria Moix posee la rara virtud de construir una trama que mantenga en vilo al lector para devolvernos esta alegría de la lectura [...]." (Juan Antonio Masoliver: "La base sexta contra Ana María Moix", Camp de l'arpa 9 (Januar 1974), S. 9-12, hier: 9).

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No interesa ya lo colectivo, sino lo individual. [...] Procurando, además, eso sí, que la novela resulte fundamentalmente esotérica y mortalmente aburrida. [...] Mi experiencia personal les garantiza, en el caso concreto de Busto, que no hay insomnio que le plante cara de principio a fin.1074 Barrais offensive Werbung muss ferner auf Widerstände kritischer Leser stoßen, die sich zu sehr an kommerzielle Manipulationen der Kulturindustrie erinnert fühlen, wie sie eines Planeta-Verlags, nicht aber Barrais würdig erscheinen: "Tal vez por su falta de espontaneidad, así como por su marcado carácter mercantil, el lanzamiento no tuvo otro efecto que el inmediato de la atención pública."1075 Manuel Vázquez Montalbán, selbst betroffener Autor, glossiert den Misserfolg treffend als Mischung aus Unlesbarkeit der Texte und prinzipiellen Ressentiments der Leser gegenüber verlegerischer Werbung: Los escritores lanzados aterrizaron en un campo de espadas, en el que quedaron ensartados por los enemigos de todo 'boom'. Las novelas que aportaron no han sido leídas, y sí lo han sido, entre el lector y la novela se colaba el 'boom' y el libro de deber y haber de los señores Lara y Barral.1076 Ähnlich argumentiert aus heutiger Sicht Barrais Verlegerkollege Jorge Herralde, der allerdings auf den verlegerischen Zwang zur permanenten Innovation hinweist: En los años 70 se produjo, hecho de una forma un tanto desafortunada, un lanzamiento de una posible nueva narrativa española, casi por obligación de los editores literarios de intentar descubrir las mejores voces de su tiempo. Esto, dicho muy esquemáticamente, coincidió con que estos escritores, lanzados por Barral con Planeta, eran en bastantes casos muy asfixiados por su teoricismo - era la época del telquelismo, del textualismo, con lo cual, a pesar de la valía intelectual de muchos de esos nuevos autores, eran libros muy difíciles de digerir y, por lo tanto, la operación en sí fue un fracaso.1077 Obwohl sich Barral in der Wahl seiner verlegerischen Mittel an den Mainstream anpasst, erweist sich auch die Strategie der gleichzeitigen Lancierung als ökonomisch unsinnig. Angesichts der hohen Zahl an Romanen muss die Aufmerksamkeit auf einige wenige Namen reduziert bleiben. Der Roman García Hortelanos (El gran momento de Mary Tribüne) absorbiert allein einen großen Teil der Aufmerksamkeit und erreicht als einziger eine Nachauflage, trotz der ungünstigen Präsentation in

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Martín Vilumara (pseud. José Batlló): "El callejón sin salida", Triunfo 610 (8.6.1974), S. 71; vgl. auch Pedro Vergés' Rezension zu Ruinas (Juan Pedro Quiñonero, Barral Editores 1973): "Es un problema de interesar al lector. [...] Al lector medio ha de bastarle con saber que se encuentra ante una novela de difícil lectura, escrita para un determinado público, de vanguardia quizás, acertada a ratos, dispersa en el conjunto y con todo el riesgo que suponen experimentaciones de este tipo." (Camp de l'arpa 11 (Mai 1974), o.S.). 1075 Gil Casado (1990: 95f.), der Barrais und Planetas Lancierung dennoch als Kulminationspunkt der novela deshumanizada des Franquismus würdigt. 1076 Sixto Cámara (pseud. Manuel Vázquez Montalbán): "El 'boom' y el 'puf", Triunfo 580 (10.11.1973), S. 20. 1077 Jorge Herralde, Interview mit B.P., 12.11.1997.

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zwei Teilbänden.1078 Barrai selbst sucht möglicher Kritik im Voraus den Wind aus den Segeln zu nehmen und streicht den uneigennützigen Charakter des Unternehmens heraus. In einer Verlagsinformation verneint er ausdrücklich jegliches Geschäftskalkül und bezeichnet sein Unterfangen vielmehr als "arriesgadisimo" und sogar "demencial": Evidentemente la operación en conjunto tiene muy poco de comercial y es totalmente contraria a las costumbres editoriales que aconsejarían espaciar los lanzamientos y dar tiempo a la critica y al público a reaccionar ante cada título. Barrai fuhrt exemplarisch die Verzahnung von symbolischem und ökonomischen Kapital vor: Der Verleger erklärt vorweg seine wirtschaftliche Inkompetenz, um daraufhin eine Werbekampagne für einen "nuevo frente novelístico español"1080 zu starten und sich für Monate einen vorderen Platz auf den Kulturseiten zu erobern. Durch die Investition, "ä fonds perdus", ohne offensichtliche Aussicht auf finanziellen Gewinn legitimiert er sich als rein der Kunst verpflichteter Intellektueller.1081 In jedem Fall zeigt sich, dass die aufwändige verlegerische Werbung nicht ausreicht, um einer Literatur, die an eine elitäre Leserschaft gerichtet ist, eine größere Verbreitung zu erschließen. Als avantgardistische Herausforderung z.B. an die Biblioteca Breve bleibt Hispánica Nova insgesamt hinter den Erwartungen zurück. Andererseits ist Barrals Kampagne wegweisend, denn auch andere Verlage versuchen in den folgenden Jahren, spanische Autoren mit größerem Werbeaufwand wieder in den Vordergrund zu stellen.1082 Ebenfalls Anfang der 70er Jahre melden sich z.B. kanarische Schriftsteller als eigenständige literarische Strömung ("narraguanches") zu Wort.1083 Mittelfristig ist das Bemühen von Barrai Editores um die in Spanien

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Jahre später noch führt García Hortelano den (relativen) kommerziellen Misserfolg des Romans auf die Einbettung in die "invención de la nueva novela española" zurück und kritisiert in einem Brief an Barrai die unprofessionelle verlegerische Betreuung: "el descuido, la campechanería y la desatención a la que fue sometida Mary en y después de su publicación" (Brief García Hortelano an Barral, 14.7.1981, AB). Barrai verteidigt sich in seiner Antwort u.a. mit Verweis auf die damalige Unmöglichkeit, Romane zu verkaufen, "de no haber sido el libro pringado en su nacimiento con algún Premio Planeta" (Brief Carlos Barral an Juan García Hortelano, 22.7.1981, AB). 1079 Barral Editores, Verlagsankündigung, 25.9.1972, AB. 1080 Umschlagtext zu Javier Fernández de Castro, Así en la tierra (1977). 1081 Nach Bourdieus dichotomischem Modell bildet die Attitüde der asketischen, vermeintlich altruistischen Investition eine Voraussetzung für den Erwerb symbolischen Kapitals im Bereich der avantgardistischen Produktion (1992: 211). 1082 e N "> o. TI e -t § * s » w I O ff tre o. DJ ft e

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Register

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PERSONENREGISTER Kursive Ziffern verweisen auf Anmerkungen. Bei selten genannten leitern ist in Klammern der Verlag

Verlagsmitarbeitern

und -

angegeben.

Abellán, Manuel L. 28, 41-5, 47-8, 60,184-5, 239, 241,251 Achugar, Hugo 391 Acín, Ramón 28, 256, 258, 326, 333 Adorno, Theodor W. 257, 274, 310 Aguilar, Manuel 40, 48, 66, 68, 76 Aguilar, Manuel (jr.) 68 Aguinis, Marcos 241, 319, 345-6, 348, 371 Agustí, Ignacio 79 Agustín, José 232 Anglada Albareda, María 97 Alberti, Rafael 186-7, 232, 385 Aldecoa, Ignacio 86-7, 129-30, 139,201 Aldecoa, Josefina 87 Alegría, Ciro 185,200, 341 Alegría, Claribel 109, 198, 222, 247 Aleixandre, Vicente 122,124, 192 Alfaro, Carlos 319 Alfaro, José María 42 Alonso, Amado (Ed. Losada) 187 Alonso, Luis Ricardo 200 Alvarez, Consuelo 132 Allende, Isabel 25/, 351 Allende, Salvador 370 Alonso, Dámaso 192, 261 Alos, Concha 322 Altamirano, Carlos 14, 18-9, 21,227 Altares, Pedro (Edicusa) 263, 327 Alted Vigil, Alicia 27, 264 Alvarez Macías, Juan Francisco 77 Amadeo, Mario O. 192 Amell, Samuel 239 Amícola, José 388 Amo, Javier del 322 Anderson, Danny J. 15, 28, 100, 226, 232 Angel, Albalucía 247, 357-8, 365 Ansón, Luis María 242 Aranguren, José Luis 105, 114,147, 290, 293 Arbó, Sebastián Juán 81 Arbonés, Jordi 62, 187

Arce, Manuel 132,241 Arenal, Celestino del 57,191 Arend, Elisabeth 19 Arguedas, José María 185, 344, 388, 390 Argullós, Alexandre (Ariel) 326 Arias Salgado, Gabriel 43-4, 174 Armas Marcelo, J(uan) J(osé) 278, 324, 327, 392 Arnold, Heinz-Ludwig 19 Aron, Paul 25 Aron, Raymond 293 Arpiño, Giovanni 241 Arreóla, Juan José 189, 343, 363 Asenjo Martínez, José Luis 69 Assmann, Jan 58 Asturias, Miguel Angel 185, 200, 217-9,233, 261, 336,341-2, 347-8, 352-3, 367, 390 Aub, Max 157, 166, 217, 232, 263, 298 Aubert, Paul 27, 264 Audry, Colette 212, 226 Aury, Dominique 164 Avalos, Fernando 132, 134 Ayala, Francisco 186, 298 Azancot, Leopoldo 353, 376 Azaola, José Miguel de Aznar Soler, Manuel 62, 298 Azorin (José Martínez Ruiz) 192 Azúa, Félix de 98-9, 272, 278-9,281, 284, 301, 308, 316, 318-9, 322, 338-9 Azuela, Mariano 185-6 Babel, Isaak 300 Bachmann, Ingeborg 113, 310 Bachmann-Medick, Doris 389 Bachtin, Michail 310 Bagué, Enric 95 Balcells, Carmen 120, 268, 269-70,271, 337, 343, 354 Baidick, Robert 167 Baldwin, James 161 Balsells, David 117

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Balzac, Honoré de 83 Bardem, Juan Antonio 135, 147,236 Barea, Arturo 187 Bareiro, Ruben 355 Baring, Maurice 81 Bamatán, Marcos-Ricardo 312, 318, 338-9, 361,365 Barnet, Miguel 237, 344 Baraja, Pío 129, 186-7, 192 Barrai, Carlos (sr.) 94-5 Barrai Agesta, Carlos 12, 31-2, 34-6, 44,48-9, 82, 84, 86, 88-91, 93-9, 102-6, 109-10, 114-27,131, 133, 135-40, 142-55, 157, 159,163-4, 168, 172-80,189-91,193-4, 199, 202, 204-7, 221,223-5, 231-246, 248, 250, 252-5, 260-1, 267, 269-70, 273, 274, 276, 278,279, 281, 283, 287-9, 291, 294-308, 310-25, 327-8, 331, 333-6, 339, 343, 349, 355,357, 359, 361-2, 364-8, 375, 378-86, 388-93, 395-7, 399 Barrai, Eduardo 95, 97 Barrai, Luis 94-5

Berg, Walter Bruno 354, 388 Bergamín, José 62, 105, 174,385 Bergenthal, Kathrin 12,15, 19, 28 Bemabeu, Alfonso 375 Bernecker, Walther L. 40, 47, 87, 142,174,

Barrero Pérez, Oscar 78-9, 85,203 Barrios, Eduardo 186 Bartels, August 326 Barthes, Roland 273, 282, 293 Bassani, Giorgio 108, 113 Bassets, Luis 329 Batlló, José 322-3, 360, 374 Baum, Vicky 81

Bonet, Laureano 31-2, 87-91, 98,117-9, 1268,130,138 Borges, Jorge Luis 156, 159, 166-7, 171, 1859,194-5, 197, 216, 263, 340, 342, 345, 347, 353-4, 357, 370, 388-9 Botrel, Jean-François 26-7,258 Bottaro, Raúl 62

Beckett, Samuel 156, 159-60, 171, 216, 232, 300,312 Behm, Holger 326 Bello, Andrés 24 Bellow, Saul 113, 156, 159-60, 162,164 Beltrán-Vocal, Maria Antonia 207 Benedetti, Mario 166, 197-8, 213,240, 251-2, 344 Benet, Juan 99, 206-7, 276-8, 279, 281, 287-8, 292-3,301,348, 355, 383 Beneyto, Antonio 40-2,239, 250 Beneyto Pérez, Juan 40-2 Beneyto, María 88 Benítez, Jaime 193 Benjamin, Walter 257 Berelson, Bernard 13

203,271 Bértolo, Constantino 264-5 Bettelheim, Bruno 310 Beyme, Klaus von 203, 272 Bez, Thomas 326 Bianciotti, Héctor 343, 355, 357 Bioy Casares, Adolfo 185, 187-9, 195, 342 Bischoff, Helmuth 264 Bjurström, Carl Gustaf 167 Blake, William 311 Blasco Ibáñez, Vicente 129 Bloom, Harold 310 Boll, Heinrich 104,108, 113, 149, 303 Bofill, Ricardo 281 Boin, Jean-Guy 101 Bondarev, Juri 113 Bondy, François 164

Bourdieu, Pierre 16-9, 21-2, 25, 32-3, 100, 103,257, 306, 324 Bouvaist, Jean-Marie 101 Bowles, Paul 187 Bozal, Valeriano 27, 80-1,103,141, 275 Bravo, Maria-Elena 80, 82, 208 Brecht, Bertolt 139, 257 Brines, Francisco 84 Brown, Meg H. 12, 30 Bruguera, Francisco 261 Brunei, Pierre 337 Bryce Echenique, Alfredo 270, 292, 302, 312, 314, 315, 317, 338, 340-7, 350, 251-8, 361,366,376 Buchanan, Thomas 110 Buchin, Mirko 248, 306, 312, 377-8 Buck, Pearl S. 81

Register Buckley, Ramón 19, 32-3,45, 273 Bullrich, Silvina 187 Buñuel, Luis 181 Buñuel, Miguel 127 Bürger, Christa 19 Bürger, Peter 257, 263, 274 Burgos, Antonio 265 Burunat, Silvia 209 Butor, Michel 113, 122, 149, 153 Caballero Bonald, José María 87, 122-3, 1367, 190-1, 194, 197, 202, 236, 277, 301, 308, 319 Caballero Calderón, Eduardo 115, 193, 198, 200,218, 220-1,369,371-2 Cabanillas, Pío 44, 46 Cabanis, José 108, 113 Cabrera Infante, Guillermo 29,161, 198, 207, 219, 251,253, 298, 336, 341, 349-50, 359 Caillois, Roger 157, 166-8, 189 Caldwell, Erskine 81, 187 Calleja, Fernando 40 Calleja, Saturnino 40, 76 Calvino, Italo 99, 157, 162,167 Calvo Serer, Rafael 192 Campbell, Federico 185, 194, 266, 279, 281, 292, 322, 382 Campos, G. 40 Campos, Héctor 12, 227, 231, 351 Campos, Jorge 201, 210,212, 216, 218-20, 347, 353, 373 Camus, Albert 83 Candel, Francisco 87 Cándido, Antonio 387 Canito, Enrique 157 Cano, José Luis 152 Cantero, Luis 241 Capek, Karol 187 Capote, Truman 81, 85 Caralt, Luis de 40 Carandell, Luis 298, 313 Cardenal, Ernesto 190,193, 315 Camero, Guillermo 281, 300, 338-9 Camicer, Ramón 88, 91, 132, 322 Caro Baroja, Julio 95 Carpentier, Alejo 107-8,160, 166-7, 194-5, 198, 213, 216-8, 221-2, 238, 247, 252,

529 288, 291, 301, 307, 315, 350, 352-3, 361, 363, 366, 375, 391 Carr, E.H. 290 Carr, Raymond 47, 273, 383 Carrero Blanco, Luis 47, 272 Carrizo, Guillermo A.R. 200 Carrón, José 28, 75,256, 333 Casanova, Pascale 25,82, 157, 170-/, 337 Cases, Cesare 164 Casey, Calvert 198, 238, 355 Cassola, Cario 113,160 Castellano, Philippe 26 Castellanos, Rosario 232 Castellet, José María 32, 81-3, 85-6, 88-9, 99, 102-3, 105-6, 114,126-1, 130-2, 135-6, 139,150,152-4,157, 166-7, 172,185, 194-5, 204-5, 235-1,263, 270, 274, 276, 278-9,281, 300-/, 305,308, 318-9, 322, 327, 331 Castillo Puche, José Luis 47 Castro, Américo 187 Castro, Fidel 249, 397 Castro-Klarén, Sara 12,227, 231, 266, 351-2 Castroviejo, Concha 212,220,223 Caudet, Francisco 57,60, 62 Cela, Camilo José 47, 78, 115, 122, 131 -32, 147, 150, 152-4, 157, 166, 188, 192,202, 217,275,292 Celaya, Gabriel 109, 134,136-1 Cendán Pazos, Fernando 45, 50-3, 60, 70, 94, 101, 126, 143,256, 260, 274, 327, 337 Cernuda, Luis 105,193,232, 311 Cervantes, Angel 63, 382 Chacel, Rosa 298 Chamorro, Eduardo 275 Chao, Ramón 355 Chávez Alfaro, Lizandro 292 Chencinsky, Jacobo 316 Chesterton, Gilbeit Keith 81 Chirbes, Rafael 83 Chomsky, Noam 310 Cicellis, Kay 113 Cierva, Ricardo de la 46 Cirici, Alexandre 77, 124 Cirlot, Juan Eduardo 103, 106, 131

530

Burkhard

Pohl

Clotas, Salvador 34, 99, 122,126, 167-8, 198, 205, 276, 284, 318-9, 333-4 Clotet, Lluis 282 Coindreau, Maurice 150-7 Colías, Yolanda 69 Colita 280, 364

Danneberg, Lutz 23 Dante Alighieri 297 Darnton, Robert 22, 26 Dazai, Osamu 113 Debray, Régis 16,170-1 Defoe, Daniel 95, 288 Deleuze, Gilíes 273,310 Delgado, Fernando G. 324 Delgado Gómez-Escalonilla, Lorenzo 58, 65, 191-2

Collazos, Oscar 319, 338, 343, 346, 364, 388 Comas, Antoni 143-5,232-4, 238, 294 Comín, Alfons 46, 327, 331, 344 Conté, Rafael 78, 82, 134, 337, 341, 352, 355,

Delibes, Miguel 33,150, 153, 166,194, 275, 292, 355,371 Díaz Valcárcel, Emilio 201, 298, 341, 350, 363

559-60, 373, 377-8 Conti, Haroldo 248, 312, 315, 317-8,341, 356, 376-7 Contreras, Ernesto 240 Cooper, James Fenimore 95 Corazón, Alberto 263 Coronel Urtecho, José 190-94 Corrales Egea, José 151, 205 Cortázar, Julio 109,162-4, 166-7,185,189, 193, 195, 207,212, 216, 227, 229-1, 249, 251-2, 277, 299, 301, 318-9, 336, 339-43, 345, 347, 350, 352-4, 3 6 M , 366, 373, 375, 380, 383, 387-9 Cortínez, Verónica 339, 352, 360 Coser, Lewis 14-5,17, 74-5,100 Cosío Villegas, Daniel 63, 65-8, 188 Costafreda, Alfonso 88, 124,136-1, 190 Cote, Eduardo 190 Couffon, Claude 189-90,226 Cousté, Alberto 270, 301, 311, 316, 318, 338,

Díaz, Elias 273-4 Díaz-Plaja, Guillermo 51-3 Díaz Sánchez, Ramón 186 Dickmann, Max 186 Diekmann, Andreas 35 Diez Bosque, José María 217 Díez-Canedo, Joaquín 66, 199, 228, 232 Dill, Hans-Otto 14,230, 338 Domingo, José 220, 224 Domingo, Xavier 150 Donézar, Javier María 59, 63 Donoso, José 11-2,109, 233, 252, 269, 292, 298-99, 302, 337, 340, 343, 347-8, 350-2, 358-60, 366, 376 Dorfles, Gillo 106, 282 Doria, Sergi 81 Dórner, Andreas 19 Dos Passos, John 81-2, 186 Dostojewsky, Fjodor M. 83 Dravasa, Maider 28-29,152,157, 166, 207, 353 -4

Cisquella, Georghina 31,41, 46-7, 54, 66, 239, 243, 251, 330 Claudín, Fernando 207, 272 Clerici, Carlos 299

347-8, 364-1 Crémer, Victoriano 88 Crespo, Angel 136-31 Criado, Emilio Lorenzo 99 Cruz Hernández, Miguel 41, 46, 48, 241-2 Cruz, Juan 98, 125,225, 324, 393 Cuadra, Pablo Antonio 189-92 Cuadrado, Arturo (Emecé) 188 Cunqueiro, Alvaro 207 Cuyás, Ramón (Edic. 62) 321 Dáhne, Helmut 11,328 Dagerman, Stig 113

Drieu de la Rochelle, Pierre 297 Droguett, Carlos 127,135, 195-6, 208-9, 298, 345 Dubois, Jacques 16, 131 Duelo Cavero, Carlos 356 Dumont, René 109 Duras, Marguerite 98, 104, 108, 113, 149, 160, 206, 288 Echavan-en, Roberto 357 Echevarría, José María (Edhasa) 342 Eco, Umberto 206, 282, 293

Register Edwards, Jorge 107,109, 197, 213, 270, 298, 312, 314-5, 317, 338, 368-9 Ehrenburg, lija 232 Einaudi, Giulio 15, 99, 153, 155-6, 159-60, 164-7, 169, 172-5,177-9

531 Ferrán, Jaime 88, 90,137 Ferraté, Joan 88-90, 98, 105, 108,131, 253, 296-8 Ferrater, Gabriel 88, 98-9, 106, 123, 126,157, 164, 168, 205, 279

Eliot, T.S. 89-90, 105,311

Ferrater Mora, José 105, 187

Elizondo, Salvador 168, 232, 373

Ferrer Sagraras, Rafael 249

Eloy Martínez, Tomás 229, 400

Ferrer, Vicente 325

Elsner, Gisela 113, 159-60,162

Ferres, Antonio 87, 117, 129, 131-4, 202, 205-

Engelbert, Manfred 12, 24, 370 Enzensberger, Hans Magnus 162-3, 173, 259, 290, 311

6, 240, 322, 365 Fielding, Henry 113, 288 Figuerola Suñol, Rosa 127

Erb, Ute 113

Finlayson, John A. 24

Erval, François 161

Flaiano, Ennio 104, 113

Escalona, Juan 62

Flakoll, Darwin 109, 198, 222, 247

Escarpit, Robert 14, 17, 26, 258, 327

Flamand, Paul (Seuil) 175

Escolano Benito, Agustín 69

Flores, Daniel 312

Escolar, Hipólito 27, 50, 57, 66, 69, 77, 94-5,

Foix, Josep Vicenç 161, 166,

256, 327

Fonseca, Rodolfo L. 79, 185

Escudero, Maria 191-2

Fontana, Josep 47,142

Espinás, José María 152,154

Font Seix, José Maria 97

Espronceda, José de 311

Fontseré, Margarita 99,104, 123

Esteban, José 57, 77, 258

Ford, John 208

Esteva, Jacinto 285

Forment, Albert 236, 238, 240

Ette, Ottmar 188, 374, 391

Formés, J. (Labor) 40

Even-Zohar, Itamar 16, 22-3

Fortes, José Antonio 32,132,134,139, 150-1,

Eyzaguirre, Jaime 191-2

153,202,236

Ezcurra, José Angel 355

Fortuny, Francese (Fontanella) 327

Fagen, Patricia 62

Fossey, Jean-Michel 344, 355, 357, 373

Farias, Juan 132,134

Foucault, Michel 273

Farreras, Francisco 88

Fraga Iribame, Manuel 44-6,174-5, 243, 249,

Favà, Marià 281 Faulkner, William «0-2, 187, 208-9, 219

253, 280 France, Anatole 84

Faulstich, Werner 14, 258

Franco, Francisco 40, 47, 55, 172, 271

Fell, Claude 353

Franco, Jean 267, 353-4, 387

Fernández, Sergio 232

Frank, Waldo 186

Fernández de Castro, Javier 99, 279, 301, 316,

Frattini, Eric 69

318-9, 322,324-5

Freud, Sigmund 263

Fernández de la Reguera, Ricardo 129, 201

Friedrich, Hugo 149

Fernández Moreno, César 230

Frisch, Max 104,108, 113,149, 160, 242, 288

Fernández Retamar, Roberto 11

Frisé, Adolf 155, 161, 165, 168, 202

Fernández Santos, Jesús 86-1, 130,132, 376,

Fröhlich, Gerhard/7-8

380, 383 Fernández-Brasó, Miguel 296, 358 Fernández Florez, Darío 78, 129 Fernández Moreno, César 230

Fuente y Ara, Leónides (Vives) 40 Fuentes, Carlos 11, 162, 166-7, 189-90, 216, 218, 228, 232, 234, 248-51, 263, 270,

532 291-2, 299, 315, 318,336, 339-40, 344, 347, 349, 352-5, 359, 378, 387,389, 391 Fuentes Gracia, Arturo 72 Fuentes Marín, Eugenio 88 Fuertes, Gloria 136 Fuguet, Alberto 392 Fusi, Juan Pablo 47,128,273, 383 Fuster, Joan 152-3 Gabriel y Galán, José Antonio 322 Gadda, Cario Emilio 113, 159-60, 162-3,166, 303,310 Gaiser, Gottlieb 14,264,306 Galán Pérez, Gabriel 27, 71, 73, 76, 114,143, 256, 260, 326 Galarza Morante, Valentín 42 Galeano, Eduardo 342, 344, 355 Gallagher, David P. 188 Gallego, Julián 131 Gallegos, Rómulo 186,194, 200, 341, 367 Gallimard, Claude 150,155,160, 165,175 Gallofré, María Josepa 41-2, 47, 60, 78 Galster, Ingrid 381 Gálvez, Manuel 186 Gálvez, Marina 12, 346 Ganne, Valérie 80 García, Eustasio Antonio 62-3, 67 García Berlanga, Luis 147 García-Borrón, Juan Carlos 88 García Escudero, José María 44 García Hortelano, Juan 44, 84, 86, 99, 109, 115, 124, 126-1, 129, 131-4, 150, 154, 158-60, 162, 173, 185, 196, 202, 209, 213, 236, 240, 249, 270, 271, 277, 281, 293, 301, 312, 318-9, 322-4, 365 García Jiménez, Jesús 40, 53-4 García Lorca, Federico 187 García Márquez, Gabriel 29, 200-/, 207, 219, 227, 229, 231, 235, 255, 269, 270, 310, 312, 315, 317-8, 337, 340-3, 346-7, 3505, 357-8, 360-1, 364-6, 389-91, 398 García Nieto, María Carmen 59, 63 García Otín, Beatriz 241 García Pavón, Francisco (Taurus) 326 García Ponce, Juan 232,274 García Queipo de Llano, Genoveva 273 García Seguí, Alfonso 88

Burkhard

Pohl

García-Ramos, Alfonso 324 García-Viño, Manuel 138 Gardeazábal, Gustavo Alvarez 200, 347 Gardel, Carlos 319 Garmendia, Salvador 248, 270, 302, 315, 325 Garrigues Walker, Joaquín 223 Gasulla, Luis 200, 344, 372 Gaya Ñuño, Juan Antonio 201 Gaziel (Agustí Calvet) 94 Geli, Carlos 27, 264 Genette, Gérard 115-7,366 Genevoix, Maurice 261 Gide, André 89, 186 Gifreu, Josep 28, 264 Gil, Daniel 262-63 Gil de Biedma, Jaime 31, 88-9, 91, 99, 103, 123,135-8,157, 236,279, 281, 301, 308 Gil y Carrasco, Enrique 311 Gil Casado, Pablo 77, 86,130,132, 202, 277, 323 Gil Novales, Ramón 105 Gil Robles, José María 179, 242 Gili Roig, Gustavo 40, 48, 60-1, 63-4, 66 Giménez Caballero, Ernesto 60, 84, 192 Gimferrer, Pere 98-99, 194, 279, 281, 296, 298, 300,337-8, 373 Giner de San Julián, Salvador 128 Gironella, José María 78, 202, 375 Girando, Oliverio 187 Godard, Jean-Luc 313 Gold, Herbert 167 Golding, William 167 Goldmann, Lucien 282 Gombrowicz, Witold 113, 159-60,162A, 167, 171,310 Gómez, Sergio 392 Gómez de Santamaría, Pedro 88 González, Angel 122, 136-1 González Aller, Fernando 299 González Calleja, Eduardo 192 González León, Adriano 47, 247, 250, 253, 288, 291-2, 349, 359,376 Gorbatov, Boris L. 104 Gordimer, Nadime 113 Gordon, Mercedes 53 Gorki, Maxim 139

Register

533 Heinemann, Ute 385

Goyen, William 85 Goyeneche, Juan Carlos 191-2

Heinold, Ehrhard 268

Goytisolo, José Agustín 31, 86, 88, 91,122,

Heinzius, Barbara 163

126,135-7, 190-1, 194,236,290,301,308 Goytisolo, Juan 29, 32-3, 66, 79, «2-6, 88, 91,

Hemingway, Ernest 81-2, 113-4, 187 Henriquez Urefla, Pedro 187

105, 114-J, 129-32,138-9, 147, 150-1,

Hernández, Felisberto 343

154, 166, 176, 188,190-1, 202-3,207,

Hernández, Miguel 187

213, 221,232, 236, 240, 276-7, 278, 293,

Hernández, Ramon, 292, 322, 376

339, 351-2, 385, 397

Herráez, Miguel 138, 207

Goytisolo, Luis 33, 86, 106, 124, 130,150,

Herralde, Jorge 261, 281, 283, 313, 323, 327, 329, 343, 398

226,277, 343, 355 Gracia, Francisco (Labor) 334

Herrera, Javier 263

Gracia, Jordi 27-8, 30, 32,

Herrero-Olaizola, Alejandro 269, 360

83,87-90,116,

118,129,137,140,153,191,216

Herrero-Tejedor, Fernando 46

Gramsci, Antonio 139, 383

Hidalgo, Diego 334

Grande, Félix 374, 378, 384

Hillebrand, Jutta 268

Grandis, Rita de 19, 387-8

Hinostroza, Rodolfo 308, 311-2

Gras, Dunia 28, 30, 213-4, 216-1,226, 228,

Hintermeier, Karl Hans (Rowohlt) 304 Hoffman, Frederick J. 82, 103

360,374 Grass, Günter 163,232, 303

Hoffmann, E.T.A. 288

Gréco, Juliette 139

Hofmann, Werner 106

Green, Henry 104, 113,120, 124

Holan, Vladimir 300

Grieve, Patricia 194,226,266,

Homberg, Walter 13, 16

352, 355

Grosso, Alfonso 87,109, 132,139, 206,232, 236,240, 276, 375, 380

Holthusen, Hans Egon 113 Horkheimer, Max 257, 275, 310

Guattari, Félix 273, 310

Horta, Joaquín 88

Gubern, Román 32, 280-2, 286

Hortet, Yvonne 34

Guelbenzu, José María 109, 271, 277, 292-3,

Hoveyda, Fereydoun 113,160

382 Guido, Beatriz 251, 346, 388 Guillén, Claudio 13 Guillén, Jorge 297, 307, 311 Guillén, Nicolás 186 Guilloux, Louis 108, 113 Guimaràes Rosa, Joào 108, 164, 166-7, 198, 368 Güiraldes, Ricardo 200, 341, 367 Guzmán, Jorge 109, 291, 319, 355 Gyllensten, Lars 168 Haldeman, Charles 113

Howard, Elizabeth Jane 113 Hrabal, Bohumil 168 Huertas, José María 27, 264 Huertas, Ricardo 321 Huguénin, Bernard (Gallimard) 179, 244 Hunziker, Peter 257 Hurtley, Jacqueline 79-82, 84 Huston, John 208 Huxley, Aldous 81 Ibuse, Masuji 168 Icaza, Carmen de 42 Icaza, Jorge 167

Halperin Donghi, Tulio 11, 57

Iglesias Laguna, Antonio 359, 377

Hammett, Dashiell 81-2

Iglesias Santos, Montserrat 16, 22-3, 25

Hamsun, Knut 81

lile, Hans-Jürgen 228, 230, 233

Handke, Peter 310

Illich, Ivan 310

Harss, Luis 266

Insúa, Alberto 186

Heine, Hartmut 272-3

Isherwood, Christopher 113

534 Italiaander, Rolf 109 Iturralde, Juan 325 Jäger, Georg 18, 268 Jakobson, Roman 22 James, Henry 288,359 Janés, José 27, 40, 79-82, 103, 185 Jitrik, Noè 388 Johnson, Uwe 156, 159,163, 170 Jones, Norman L. 88, 91 Jordà, Joaquín 285 Jordan, Barry 31, «0-1, 83, 85-9, 128-9,141 Joset, Jacques 360 Joyce, James 80, 89, 186, 310, 368 Juan Carlos I. de Borbón 47, 271 Juliá, Ramón (Zodíaco) 40 Junco, Alfonso 191 Jung, C.G. 293 Jurt, Joseph 17, 24-5, 170 Juste, Joaquín 53 Keene, Donald 164 Kennedy, John F. 109-10 Keohane, Robert Owen 24 Kern, Alfred 113 Kluge, Alexander 167 Knetsch, Gabriele 14,27,41,44,46,173,2412 Knowles, John 113 Koner, Leo 310 Kojima Nobuo 168 Kraus, Peter A. 272,286 Kriener, Markus 22 Kübler, Hans-Dieter 14 Kurtz, Carmen 129-30 Labanyi, Jo 202, 274,279 Lacan, Jacques 310 Lacruz, Mario 298 Laforet, Carmen 79, 115, 150 Lafourcade, Enrique 232, 346, 348, 370 Lagarde, Pierre 62-3, 68, 187, 228, 230 Lago Carballo, Antonio 191 Lain Entralgo, Pedro 128, 192, 308 Lambert, José 23,25 Landolfi, Tommaso 104, 113, 167-S Langa Pizarra, María del Mar 257 Lange, Monique 113, 150,154 Lara, José Manuel 74, 241-2, 327

Burkhard

Pohl

Larreta, Enrique 185-6 Ursen, Neil 11, 387-5 Lasswell, Harold 13 Lauer, Mirko 311, 331, 338 Lautréamont, Conde de 300 Lawrence, D.H. 186 Le Clézio, J.M.G. 108, 113,160, 167, 310 Ledig-Rowohlt, Heinrich Maria 155,177 Leiris, Michel 167 Leñero, Vicente 117, 197, 199,213,220, 2324, 298, 349, 359 Lenin, Wladimir I. 89 Lenquette, Anne 28, 56,256-7,265 León, Fray Luis de 124 Lessing, Doris 113 Levi, Carlo 99 Lewis, Anthony 14 Lewis, Jerry 313 Lewis, Oscar 229 Lewis, Sinclair 81 Leyva, José Angel 74, 232 Lezama Lima, José 168, 228,241, 249, 251, 308, 315,339, 341,552-4, 357 Liberovici, Sergio 175 Licitra, Alejandro 398 Lind, Jakov 113, 303, 310 Linhartova, Vera 168 Lins, Osman 270, 316, 368 Liscano, Juan (Monte Avila) 303 Lizcano, Pablo 128 Llompart, José Maria 157,161,166 Lokatis, Siegfried 13 Lope, Manuel de 287, 325 López de Abiada, José Manuel 28, 391, 399 López Alvarez, Luis 186, 230 López Barrios, Francisco 305 López Lamadrid, Antonio (Tusquets) 364 López Llausás, Antoni (Sudamericana) 186-7 López Pacheco, Jesús 123, 129, 132,136-1,153 López Pereira, Federico 322 López Salinas, Armando 33, 87, 117, 129, 131-2, 134, 147, 172, 240 López, Ramón (Distr. de Enlace) 242-3, 327-9 Lorente Sanz, José 42 Lorentzen, Ebba 264 Lorenz, Sabine 23

Register

535

Lorenzo Fuentes, José 238 Losada, Alejandro 386-7 Losada, Gonzalo (Losada) 67, 187 Losada Castro, Basilio 41, 47 Lotman, Juri 16 Lottman, Herbert R. 261 Lovecraft, H.P. 113 Ludendorff, Erich 95 Lukács, György 139 Luzuriaga, Lorenzo 186 Maclnnes, Colin 108, 113,160 Machado, Antonio 131, 136 Macipe, Antonio 80 Madariaga, Salvador de 176 Maeztu, Ramiro de 58-9 Magali 77

Marsé, Juan 87, 123-4, 126,132, 198, 275, 301,355, 385 Martí, José 57 Martín-Barbero, Jesús 257 Martín Descalzo, José Luis 115 Martín Gaite, Carmen 33, 87, 120, 153, 197, 206

Magny, Claude-Edmonde 82 Mainer, José-Carlos 26-7,35,287, 333 Mairena, Ana 197, 209, 233 Maistretta, Pascal 219 Malamud, Bernard 107-S, 113, 167 Malraux, André 187

Martínez Moreno, Carlos 109,161, 197-8, 210-11, 232,240, 246-7,249, 251-2, 352, 355

Mallea, Eduardo 185, 187,189,194, 347 Mallorquí, José 77 Mangada, Alfonso 40, 53, 65-7,186 Manganelli, Giorgio 164 Mangini, Shirley 31,131,134,285 Mann, Thomas 187 Manón, P. (Roma) 40 Maraini, Dacia 158-9, 163 Marañón, Gregorio 192 Maravall, José María 89 March, Susana 202 Marco, Joaquín 30, 57, 88,186,193, 327, 337, 347, 375-6, 391 Marcuse, Herbert 232, 257, 274,288, 290, 293 Maréchal, Leopoldo 187, 230 Marías, Javier 99, 293 Marías, Julián 192 Marichal, Juan 105 Marín, Manuel 40 Marín Morales, José Alberto 109 Marra-López, José R. 217 Marquina, Luis 282 Marsal, Juan F. 86, 90, 191, 236

Martín-Santos, Luis 33, 205-6, 275-7, 290, 293 Martínez, José (Ruedo Ibérico) 27,238, 240 Martínez Alés, Rafael 17, 55, 313, 327-8, 331 Martínez Cachero, José María 26, 78-80, 87, 126,138,195,203-4, 207,276-7, 293-4, 322, 325, 340, 362, 375 Martínez Menchén, Antonio 206, 211, 292, 375

Martínez Palacio, Javier 213 Martínez Rivas, Carlos 190 Martínez Torres, Augusto 299 Martorell, Oriol 95,106,124 Marx, Karl 20, 48 Masoliver, Juan Ramón 153, 216, 223, 322 Maspero, François 162 Maspons, Oriol 117, 124, 147 Mastronardi, Lucio 113,160 Mattelart, Armand 257 Matute, Ana María 130, 139,150, 166, 347 Maupassant, Guy de 83 Mauss, Marcel 310 Mayer, Carlos (Sudamericana) 187 Mayer, Hans 173 McCarthy, Mary 110, 204, 232 McCullers, Carson 85,104, 107-Ä, 113 Meckel, Miriam 22 Meersch, Maxence van der 81 Meissner, Hans-Günther 73 Mejía Sánchez, Ernesto 190 Mejía Vallejo, Manuel 197, 200, 220, 319, 341 Melcón, María Luz 318, 322 Meri, Veijo 113, 160-1 Mérida, Rafael M. 28, 348 Merkel, Wolfgang 272,286

536

Burkhard Pohl

Merrel, Concordia 77 Miller, Heniy 104, 113,160,165 Minon, Marc 80 Miserachs, Xavier 280-1, 286 Mishima, Yukio 113,160,162-5, 167 MiStinova, Anna 382, 393 Mohrt, Michel 108, 113,164, 167 Moix, Ana María 266, 267, 278, 281, 313, 316,318,358 Moix, Terenci 32,280-1 Molina Foix, Vicente 278, 319, 322 Molloy, Sylvia 189 Mondadori, Alberto 179 Monegal, Ferrán 257 Monod, Jacques 312 Monsiváis, Carlos 228 Montañés Fontenla, Luis 77 Monteagudo, Isabel 268-70,285 Monteforte, Mario 317, 325, 366-8 Montero, Isaac 144, 250,276 Montero, Rosa 349 Monterroso, Augusto 299 Moore, Brian 113 Mora, Rosa 269, 400

Myrdal, Jan 290 Nabokov, Vladimir 163, 167 Nadal, Jordi 47,142 Nájera, Alfonso 57,191 Namora, Femando 113 Nella Castro, Antonio 346 Nelle, Florian 188

Moran, Fernando 86, 129, 132, 203-4, 347 Moran, Gregorio 89, 273 Morado, Raúl 273 Morata, Javier 40, 66 Moravia, Alberto 163, 187 Moreno-Durán, Humberto 338 Morer Errea, Miguel 358-9 Morgan, Charles 81 Morro Casas, José Luis 190 Moura, Beatriz de 261, 281-4, 300, 303, 327, 343, 364 Moyano, Daniel 353 Mrozek, Slavomir 104, 113 Muchnik, Jacobo 144, 295 Muchnik, Mario 295,298 Mújica, Elisa 201

Ollier, Claude 108, 113, 160, 206 Olmos García, Francisco 134 Onetti, Jorge 291-2, 362 Onetti, Juan Carlos 167, 195,218, 230, 252, 270, 315, 340, 344, 347-8, 369-70 Orfila, Arnaldo (FCE/Siglo XXI) 45, 66, 188, 228-9

Mújica Laínez, Manuel 229, 339, 342 Mulisch, Harry 113, 160 Munárriz, Jesús 260 Muñoz Suay, Ricardo 284, 298 Musil, Robert 113, 300 Mutis, Alvaro 270, 315

Nerada, Pablo 84, 186,194-5, 299, 350 Neuschäfer, Hans-Jörg 41-2,247,265,268-9 Nieto, Ramón 132,205 Nietzsche, Friedrich 263,273 Nogueral Jiménez, Francisca 188 Nohlen, Dieter 71 Nolla, Eduardo 262 Nora, Eugenio de 137,240 Noske, Gustav 95 Nossack, Hans-Erich 113, 149, 160, 242, 303, 310 Núñez, Antonio 133, 205 Nye, Joseph S. 24 Ocampo, Silvina 189 Ocampo, Victoria 186-7, 189 Oliart, Alberto 86, 88, 90, 175, 242, 300-1, 333-4

Oriol y Urquijo, Antonio María de 47 Orphée, Elvira 189 Ors, Eugenio d'192 Ort, Claus-Michael 18 Ortega, Julio 364 Ortega y Gasset, José 58, 89,117, 192, 259 Ortega Spottorno, José (Alianza) 243, 259,260 Oskam, Jeroen 27,216 Otero, Blas de 137, 236 Otero, Lisandro 238 a e r o Silva, Miguel 251,299, 347, 363 Oteyza, Joaquín de 65-7 Ovellano, Lorenzo 127 Oviedo, José Miguel 226, 310, 314 Paatz, Annette 24

537

Register Padilla, Heberto 237 Palacios, Lucila 186 Palau Vera, Juan 94 Pallares, María del Carmen 259 Panero, Leopoldo 190,193 Panero, Leopoldo María 281 Panskus, Hartmut 265 Pardo Sanz, Rosa María 192 Parra, Nicanor 297 Parra, Teresa de la 186 Pascual, E. (Apolo) 40 Pasenti, O. (Hispano-Americana de Ed.) 40 Paso, Fernando del 344-5 Pastemak, Boris 300 Pastor Alonso, María Angeles 190 Patón, Antonio 242 Pavese, Cesare 104, 113 Payeras Grau, María 122,136-7,191 Payne, Stanley G. 42, 46,142,174 Payno, Juan Antonio 115 Paz, Octavio 157, 166-7, 185,194,232, 299300, 308, 339, 344, 374 Pedraz Estévez, Santiago 53, 72 Pedrolo, Manuel de 45 Pelayo, Donato 140 Pemán, José María 46, 192 Pemartín, Julián 50, 59, 84, 192 Peña Abizanda, Eduardo 71 Peñalosa, Femando 63-4, 68-9,188 Pera, Cristóbal 188 Pérec, Georges 113 Pereda, Rosa María 303, 357 Pereira, Juan Carlos 63, 382 Peri Rossi, Cristina 338, 343, 346, 355, 364 Perich, Jaume 313, 331 Perón, Juan 251, 346 Petit, Juan 95-6, 98-9, 104, 123,126,144, 153, 157,287 Piaget, Jean 293, 303, 310, 312 Picón-Salas, Mariano 186 Pietschmann, Horst 40 Pieyre de Mandriargues, André 108, 113,160-1 Pike, Fredrick B. 56, 58 Pinilla de las Heras, Esteban 86, 88, 90-1,128 Pinochet, Augusto 370 Pinos, Oriol 311

Piñera,Virgilio 237-8, 344 Piovene, Guido 113, 187 Pitol, Sergio 123, 232, 288, 298, 338 Pitsaki, Irini 268 Pizarroso Quintero, Alejandro 42-3 Pía, Josep 168 Plaza, Germán 77, 80, 258 Pochât, María Teresa 62,187 Pohl, Burkhard 25, 28, 74, 256 Pol, Jesús 53, 65-7,186 Polanco, Jesús (Santillana) 69 Poliakov, Leon 109-10 Pomilio, Mario 104, 113 Pons, Marcel 259 Pope, Randolph 12,211,233 Porcel, Baltasar 316, 322, 383 Porrúa, Francisco (Sudamericana) 229-30,234 Portela Peñas, Manuel 326 Postman, Neil 257 Pound, Ezra 310 Pradera, Javier 236, 258, 259, 344, 349 Pratolini, Vasco 113, 187 Prats, Núria 28-30,207-8,210,216-9,224,226, 246,292,299,341,345,352-3,356,373 Preston, Paul 47, 87,272, 344 Prieto, Adolfo 388 Prieto, Antonio 138 Prieto, Luis J. 293 Primo de Rivera, José Antonio 59 Proust, Marcel 186,263 Puig, Manuel 29,126, 198, 239, 249, 253, 298, 340, 342, 351, 356, 369, 377 Puigvert, Alfredo 62 Pujol, Jordi 91 Purdy, James 113 Pym, Anthony 23-4,100, 119 Quarantotti Gambini, Pier Antonio 113 Quincey, Thomas de 311 Quiñonero, Juan Pedro 213, 263, 266, 323, 357, 358-9, 373, 377 Rabinad, Antonio 77, 83,109,145, 198, 211, 295 Raddatz, Fritz J. 158-62,164-5, 172, 304 Rama, Angel 11-2,15, 104, 227-31, 266, 267, 337, 352-4, 384, 386, 388-9 Ramírez, Manuel 58

Burkhard Pohl

538

Rodríguez Monegal, Emir 339

Ramos, José Ignacio 70 Ramseger, Georg 265

Rodríguez Padrón, Jorge 324, 316-7

Rao, Raja 113

Rodríguez Puértolas, Julio 78

Rauschning, Hans 310

Rodríguez, Horacio D. 228

Regás, Oriol 281,283

Rôhring, Hans-Helmut 15,101,116, 326, 328

Regás, Rosa 32,226, 280-1, 283, 294, 301,

Roig, Montserrat 285, 385

342

Rojas, Carlos 138

Regás, Xavier 283

Romains, Jules 186

Rehmann, Ruth 113

Romero, Francisco (Losada) 187

Reguera, Andrés 74

Romero Downing, Gloria 28-30, 41, 50, 184-5,

Rehrmann, Norbert 57-8,

62,191-2,195,217-

241, 246-7, 249, 251-2, 341 Romero de Noah, Flor 345

8, 391

Ros, Félix (Emporion) 80

Renán, Emest 186 Revol, Enrique 109, 247, 251-2, 355

Rosales, Luis 190, 192, 308

Revueltas, José 167

Rôssner, Michael 11-2,186

Rezzori, Gregor von 113,160,164

Rossellini, Roberto 83

Riambau, Esteve 32,280, 282-5,296

Rosset, Bamey (Grove Press) 155,159, 165, 175

Ribeyro, Julio Ramón 190 Rico, Eduardo G. 358, 360, 376

Rossi, Atilio (Losada) 187

Rico, Francisco 333

Rosso, Renzo 113

Rico, Mercedes 326

Rouet, François 100

Ridruejo, Dionisio 42

Roussel, Raymond 297

Riera, Carme 31, 78,103,120.

131,138,236,

Roy, Jules 109 Rubio, Fanny 27

269 Riou, Jakez 168

Rubio, José Luis 53

Rilke, Rainer Maria 89

Rubio, Oliva María 280-1, 284, 286

Ripellino, Angelo M. 164

Ruck, Berta 77

Riquer, Martín de 96

Rudolph, Elke 181, 247, 284-5

Risterucci-Roudnicky, Danielle 214

Ruiz Camps, Angel 69

Riva, Valerio (Feltrinelli) 179-80, 237-«

Ruiz-Castillo Basala, José 40, 49

Rivera, Jorge B. 62,

Ruiz-Giménez, Joaquín 87, 89

221-8,231

Rulfo, Juan 166-7, 185, 216, 219, 341, 345,

Riveras de la Portilla, Angel 42

349, 355

Roa Bastos, Augusto 187, 251, 344 Roa Ventura, Agustín 308

Sabater, Montserrat 107,116,

Robbe-Grillet, Alain 98, 103-4, 108, 113, 149,

Sábato, Ernesto 185, 229,233, 248, 299, 33940, 343, 345, 388

153,160, 162, 187, 206, 303

Sacristán, Manuel 86, 88-9, 91, 123

Roberts, Cecil 81

Saer, Juan José 346

Robinson, Gertrude J. 14 Robles Piquer, Carlos 45, 55, 175,

301, 364

225,240,

243-6, 249

Sagan, Françoise 135 Sagarra, Joan de 266, 280-1

Rocha, Alfredo 97

Sainte-Beuve, Charles-Augustin 274

Rodó, José Enrique 57

Sainz, Gustavo 232

Rodoreda, Mercé 168

Sáinz Rodríguez, Pedro 57

Rodríguez, Claudio 13 7

Salas Bruquetas, Miguel 116

Rodríguez Casado, Vicente 43, 99,173, 244

Saldívar, Dasso 269, 354

Rodríguez Feo, José 237

Register

539

Salinas, Jaime 55, 98-9,107,109-10,114,

Schulz, Bruno 310

117-8, 120, 123,125, 135-7,144,

Schümm, Petra 398

150,

153-5, 159, 163-6, 174,176-9, 194, 202,

Schwartz, Marcy E. 188

225, 258, 269, 287, 301, 345, 399

Schwarz-Barth, Andre 109-10

Salinas, Pedro 98, 105

Scorza, Manuel 226-1, 319, 340-/, 345-6, 350,

Salmón, Alex 286

356, 390

Salvat i Seix, Montserrat 34, 94

Seghers, Anna 113

Salvat, Manuel 54

Seix, Joan (jr.) 34, 94, 298, 302

Salvat, Santiago 40,49, 61

Seix, Juan (sr.) 95, 97,176-7, 232

Sánchez, Lolita 203

Seix, Maria Rosa 94

Sánchez, Néstor 123, 288, 298, 355, 373

Seix, Tomás 97

Sánchez Bella, Alfredo 44, 46-7, 66, 192, 241

Seix, Victor 51, 96-97, 99, 102, 126, 143-5,

Sánchez Espeso, Germán 109, 206, 292, 322

155,176-8, 180, 232, 237, 244, 287, 294,

Sánchez Ferlosio, Rafael 87,115, 128,150,

295-6

277

Seix, Victoriano 94-5

Sánchez Fontenla, César 276

Seix i Saura, Victoriano 94

Sánchez López, Pablo 30

Sempera Colomina, Antonio 72-3

Sánchez-Rey, Alfredo 207

Sempnin, Jorge 158-9,161, 167, 176, 207,

Sanguinetti, Edoardo 162,164

245,272

Sanmiguel, Manuel (Guadarrama) 193

Sénder, Ramón José 150, 298

Santa Cecilia, Carlos G. 80, 84

Seoane, Luis (Emecé) 188 Serra, Antonio 233

Santamaría, Haydée 237 Santana, Mario 28-9,206,208,

218, 253, 353

Serrano Poncela, Segundo 105

Santonja, Gonzalo 57, 62

Serrano Suñer, Ramón 42

Santos, Félix 66

Shaw, Donald L. 346

Sanz Villanueva, Santos 203, 217

Sica, Vittorio de 83

Sarduy, Severo 108, 190, 197,215,232, 298,

Sillitoe, Alan 113

344

Simon, Claude 167

Sarlo, Beatriz 14, 18-9, 21, 227

Sinova, Justino 41-2

Saroyan, William 85

Skármeta, Antonio 346

Sanaute, Nathalie 108, 113, 159-60, 163, 206

Skou-Hansen, Tage 113

Sartre, Jean Paul 83,130, 139, 146

Smorkaloff, Pamela María 230

Sastre, Alfonso 83, 86, 105, 129, 139, 204-6,

Sobejano, Gonzalo 78, 81, 203

236, 277 Satué, Enríe 262, 282, 364 Savater, Fernando 273

Soca, Susana 189 Soldevila, Ignacio 86,129-30,203,

278, 322,

324

Scheideier, Britta 20

Solmi, Renato (Einaudi) 98, 150

Schmidt, Amo 167

Solshenitzyn, Aleksandr 163, 310

Schmidt, Siegfried J. 13, 16

Somerset Maugham, William 79, 81, 83

Schmidt, Ursula 84,134, 236

Sopeña, Joaquín 40, 61

Schnabel, Raimund 109

Sopeña, Ramón 48-9, 66

Schneck, Stephen 158-9, 165

Sorel, Andrés 240

Schoeller, Guy (Hachette) 179

Soria, Josep M. 267, 318, 320, 358

Schönert, Jörg 23

Soriano, Antonio 190

Schöning, Udo 13

Soriano, Rafael 114, 145,176, 294-5, 301,

Scholz, Hermann 113

327-8, 359

540 Soto Aparicio, Fernando 127, 196, 344 Souviron, José María 138 Saderberg, Hjalmar 113 Sörensen, Villy 168 Spivakov, Boris (Eudeba) 228 Spota, Luis 219, 251 Stalin, Josef 210 Starkie, Walter 79-80 Stein, Gertrude 311 Steinbeck, John 81 Steiner, George 310 Stevenson, Robert Louis 95, 288 Stier, Winfried 35 Straniero, Michele 175 Strausfeld, Mechtild 12, 301, 310, 312, 314 Styron, William 85 Subercaseaux, Bernardo 64 Subirana, Eugenio 40 Sueiro, Daniel 132,201, 203, 240, 292 Sundman, PerOlof 113 Svevo, Italo 103-4, 113,310 S waan, Abram de 21,23 Tanizaki, Junichiro 113,160 Taubert, Sigfred 50, 77, 326 Tejera, Nivaria 298, 320, 363, 373, 376 Teilado, Corín 77, 275 Tendriakov, Vladimir 113 Tetzlaff, Rainer 21 Thorndike, Guillermo 317, 368 Tierno Galván, Enrique 290 Timoteo Alvarez, Jesús 39, 41 Tola, Fernando 313 Tola de Habich, Fernando 194, 226, 266, 3013, 352, 355 Tolstoi, Leo 83 Torbado, Jesús 132 Torre, Guillermo de 187 Torrealdai, Joan Mari 41, 47 Torreiro, Casimiro 32,280, 282-5, 296 Torrente Ballester, Gonzalo 207 Torres, Maruja 32 Torres López, Manuel 40 Tötösy, Steven 16 Tovar, Antonio 42, 192 Traba, Marta 109, 198,215 Trevo, Rey 267

Burkhard

Pohl

Trías, Carlos 322 Trías, Eugenio 273, 286 Trías Fargas, Ramón 334 Trilling, Lionel 113 Tuñón de Lara, Manuel 240 Turi, Gabriele 99 Tusell, Javier 273 Tusquets, Esther 117, 281,282, 288, 327, 338, 343 Tusquets, Magín 327 Tusquets, Oscar 281, 282, 327 Ullán, José-Miguel 354 Unwin, Stanley 80 Updike, John 108, 113 Urgoiti, Julián (Sudamericana) 187 Uribe, Marcela 228, 337 Uslar Pietri, Arturo 201, 299, 347 Valdés, Hernán 251 Valdivieso, Mercedes 355 Valencia, Antonio 221,224 Valente, José Angel 122, 136-1, 190, 236, 311 Valle-Inclán, Ramón de 220, 223 Vallejo, César 84, 311 Val verde, José María 99, 123, 126-7,157, 190-1, 194, 196, 211-3, 225, 253, 359 Vargas Llosa, Mario 99,107, 126,145,161, 166-7,176, 185, 190, 193, 197-9,207,2123,217-21,223,225-6,228,234, 245,2524,269-71,276,288,290, 293,298, 301-2, 310, 312,314-5,318-9, 336-7,339, 341, 343,347-50,352-3,355,357-62,365-6, 369-70,375,377-8,382, 387-8, 390,396, 398-9 Vargas, Hugo 198, 232 Vasconcelos, José 192 Vaz de Soto, José María 322 Vázquez Montalbán, Manuel [=Sixto Cámara, Baronesa d'Orcy, Luis Dávila] 123, 261, 266, 269, 275, 276, 278, 279, 281, 285, 286, 292, 293, 296, 312, 321, 322-3, 358, 376, 385 Vela, Leonor 80 Velasco, Miguel Angel 260-1 Vélez, Pilar 262 Vergés, Pedro 323 Vesaas, Taijei 113

541

Register Vidal, Hernán 387 Vidal Buzzi, Fernando (Sudamericana) 230 Vidal Cadellans, José 138 Viladás, Ramón 88 Vilanova, Antonio 99, 157 Vilar, Sergio 158 Villanueva, Darío 207, 214, 277-8 Villar, Arturo del 345 Villegas, Paloma 228, 337 Villena, Miguel Angel 260 Viñas, David 187, 344, 388 Vinyoli, Joan 334 Vittorini, Elio 99, 113,163-4, 187, 303 Vi vaneo, Luis 190 Vivas, Julio 301, 306, 361,504 Vogt, Ludgera 19 Volpe, Galvano della 105, 206 Volponi, Paolo 113 Wácquez, Mauricio 270, 316-7, 319, 338, 366, 368 Walser, Robert 311 Walsh, Rodolfo 388 Wassermann, Jakob 186 Waugh, Evelyn 81 Wegner, Matthias (Rowohlt) 304 Weidenfeld, George 155, 161 Weimann, Robert 15 Weiss, Peter 113 Werner, Michael 375 White, David M. 14

Wiese, Claudia 12, 14, 30,188, 227, 352 Williams, Raymond 20-1,281 Williams, Raymond L. 201, 346 Wilson, Angus 113 Wittig, Monique 113 Wittmann, Reinhard 259, 268, 332, 396 Wodehouse, P.G. 81 Wolf, Christa 310 Woolf, Douglas 113 Woolf, Virginia 81 Wulf, Josef 109-10 Yáñez, Agustín 219, 232 Ycaza Tigerino, Julio 192 Yurkiévich, Saúl 315 Zacher, Mark W. 24 Zagher, Hedy 127 Zallo, Ramón 39, 41, 257 Zapata Olivella, Manuel 193, 197, 201, 20910, 222, 298 Zappietro, Eugenio Juan 345 Zen Abdealnur, Concepción (Siglo XXI) 229 Zendrera, José (Juventud) 40, 61 Zilahy, Lajos 81, 83 Zima, Peter V. 15 Zimmer, Dieter E. 158-9, 161-4, 169-70 Zola, Emile 274 Zukofsky, Pavel 300 Zumalcáiregui, Leopoldo 295 Zunzunegui, Juan Antonio 201 Zweig, Stefan 81, 83