Bausteine supranationaler Gerichtskooperation: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase [1 ed.] 9783428583140, 9783428183142

Seit rund zwei Jahrzehnten entwickelt der Unionsgesetzgeber einen europäischen Justizraum, in dem die nationalen Gericht

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Bausteine supranationaler Gerichtskooperation: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase [1 ed.]
 9783428583140, 9783428183142

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Schriften zum Europäischen Recht Band 208

Bausteine supranationaler Gerichtskooperation Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase

Von Martin Vocks

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN VOCKS

Bausteine supranationaler Gerichtskooperation

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 208

Bausteine supranationaler Gerichtskooperation Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase

Von Martin Vocks

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahr 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 25 Alle Rechte vorbehalten © 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-18314-2 (Print) ISBN 978-3-428-58314-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/21 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur befinden sich auf dem Stand von Mai 2020. Spätere Entwicklungen konnten vereinzelt berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Präsident des Bundesverfassungsgerichts a. D. Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Andreas Voßkuhle. Die Förderung und Unterstützung, das Vertrauen und der Rückhalt, die ich während der Studienund Promotionsjahre am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie erfahren habe, waren in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit und die vielfachen Prägungen und Erinnerungen, die mit ihr verbunden bleiben. Herrn Prof. Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke) danke ich sehr herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Großer Dank gebührt auch den Freiburger Freund*innen und Kolleg*innen, die die vorliegende Arbeit über die Jahre hinweg durch fachliche Diskussion und persönlichen Zuspruch begleitet haben. Hierzu zählen aus dem Kreis des Lehrstuhls insbesondere Prof. Dr. Anna-Bettina Kaiser, LL. M. (Cambridge), Prof. Dr. Thomas Wischmeyer, Dr. Franziska Bantlin, LL. M. (Yale), Dr. Martin Diesterhöft, Malte Marwedel und Cordt-Magnus van Geuns-Rosch, M. Jur. (Oxford), sowie darüber hinaus Dr. Philipp Hofmann, Dr. Alexander Klausmann, Dr. Ferdinand Dreher, LL. M. (UCL), Dr. Gerd Giesen, Katharina Stein, LL. M. (Columbia), Dr. Nils Janson, Carolin Fretschner, LL. M. (NYU), Hans-Christian Schmitz, Silvan Weisser und Dr. Verena Heil. Großer Dank gebührt darüber hinaus der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die die Arbeit mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Der größte Dank schließlich gilt meiner Familie – Hermann Vocks, Ursula Vocks und Uwe Vocks. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Berlin, im September 2021

Martin Vocks

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase . . . . . . 9 I. Hintergrund: Von der internationalen Rechtshilfe zum europäischen Justizraum

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II. Erkenntnisziele und Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 § 2 Europäische Gerichtskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Erster Baustein. Supranationaler Geschäftsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Direkter unionsweiter Gerichts- und Behördenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Elektronischer unionsweiter Gerichts- und Behördenverkehr . . . . . . . . . . . 32 3. Künftige Arbeitsfelder des supranationalen Geschäftswegs . . . . . . . . . . . . . 36 II. Zweiter Baustein. Supranationale Kommunikationsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Unionsweite Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Unionsweite Beschleunigungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Unionsweite Kostenvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Kommunikationsregeln . . . . . . 56 § 3 Europäisches Gerichtswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Dritter Baustein. Supranationale Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. „European Judicial Training Network“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Personalentwicklungsstrategie der Europäischen Kommission (2011) . . . . 68 3. Europäische Agentur für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Strafverfolgung (EPA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Personalentwicklung . . . . . . . . 72 II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Zivil- oder Handelssachen . . . 76 2. Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3. Künftige Arbeitsfelder des supranationalen Beweistransfers . . . . . . . . . . . . 84 III. Fünfter Baustein. Supranationale Informationsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. „European Criminal Register Information System“ (ECRIS) . . . . . . . . . . . 94 2. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Informationsverwaltung . . . . . 96 § 4 Europäische Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Sechster Baustein. Supranationale Entscheidungen in Zivilsachen . . . . . . . . . . 105

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Inhaltsverzeichnis 1. Unionsweite Entscheidungsvoraussetzungen (Zuständigkeits- und Maßstabs­ funktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Unionsweite Entscheidungswirkungen (Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzfunktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Künftige Arbeitsfelder supranationaler Entscheidungen in Zivilsachen . . . . 111 II. Siebter Baustein. Supranationale Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Unionsweite Entscheidungsvoraussetzungen (Zuständigkeits- und Maßstabs­ funktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Unionsweite Entscheidungswirkungen (Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzfunktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Künftige Arbeitsfelder supranationaler Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Achter Baustein. Supranationale Entscheidungen in Strafsachen . . . . . . . . . . . 138 1. Unionsweite Entscheidungsvoraussetzungen (Zuständigkeits- und Maßstabs­ funktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Unionsweite Entscheidungswirkungen (Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzfunktion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Künftige Arbeitsfelder supranationaler Entscheidungen in Strafsachen . . . . 153

§ 5 Europäische Gerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Neunter Baustein. Supranationale Verfahrensregeln für zivilrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen . . . . . . . . . 177 2. Europäisches Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Europäisches Verfahren über geringfügige Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Verfahrensregeln für zivilrechtliche Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Zehnter Baustein. Supranationales Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Europäische Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Künftige Arbeitsfelder des supranationalen Ermittlungsverfahrens . . . . . . . 197 § 6 Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 II. Ausblick: Die europäische Justizpolitik vor einer Krise des gegenseitigen Vertrauens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

§ 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase I. Hintergrund: Von der internationalen Rechtshilfe zum europäischen Justizraum Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Zivil- und Strafgerichte zählte lange Zeit zu den Materien, die wegen ihrer besonderen Nähe zum Kern der Souve­ ränität der Mitgliedstaaten aus dem europäischen Integrationsprozess wie selbstverständlich ausgeklammert blieben. In einer ersten, noch stark völkerrechtlich geprägten Entwicklungsphase genügte meist das Instrumentarium der internationalen Rechtshilfe, um die Gerichts- und Behördensysteme der Mitgliedstaaten bei Bedarf angemessen zu koordinieren. Zentrale Vorschriften enthielten die Übereinkommen des Europarats über den Auslieferungsverkehr und die allgemeine Rechtshilfe in Strafsachen, die durchgehend auf klassischen Rechtshilferegelungen basierten, etwa der förmlichen administrativen Abwicklung von Ersuchen, dem Schutz eigener Staatsangehöriger, sowie den Vorbehalten beiderseitiger Strafbarkeit und außenpolitischer Opportunität; im Übrigen wurden die Rechtshilfebeziehungen der Mitgliedstaaten im nationalen Verfahrensrecht oder in völkerrechtlichen Verträgen geregelt.1 Auch in einer zweiten historischen Phase fanden sich, gleichsam im Schatten des Gemeinschaftsrechts, nur punktuelle erste Emanzipationsschritte in Richtung einer regional stärker integrierten europäischen Justiz­ kooperation: Hierzu zählte insbesondere das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ),2 das durch einheitliche Regelungen zu Mindeststandards für die Verkehrsfähigkeit zivilrechtlicher Vollstreckungstitel zu 1

Zur historischen Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd.  2, Vorb. Art.  82–86 AEUV, Rn.  4 ff.; Vogel / Eisele, in: Gra­ bitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 1 ff.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 82 AEUV, Rn. 2 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 6 ff.; Böse, in: Böse (­EnzEuR Bd. 9), § 1, Rn. 5 ff.; Meyer, in: ebd., § 37, Rn. 6 ff.; Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 41 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 15 ff. (allgemein zur Geschichte europäischer Strafrechtsintegration; speziell zur Entwicklung der verfahrensrechtlichen Zusammenarbeit in Strafsachen im RFSR ausführlich S. 374 ff.). Äußerst differenzierte Nachzeichnung zudem bei Fijnaut, A peaceful revolution, 2019, S. 63 ff.; ferner Dieckmann, Transnationale Verbrechensbekämpfung, 2019, S. 33 ff., 46 ff.; Meyer, Strafrechtsgenese in Internationalen Organisationen, 2012, S. 295 ff.; Postberg, Die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen im Wandel, 2011, S. 7 ff.; Miettinen, in: Brière / Weyem­bergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 35 (40 ff.). 2 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32).

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§ 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase 

einer tragenden Säule der Binnenmarktintegration aufstieg; eine zentrale Rolle spielte dabei die Eingliederung des EuGVÜ in das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, das erheblich zur praktischen Akzeptanz des Übereinkommens durch die nationalen Zivilgerichte beitrug.3 Hinzu traten später das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)4 und die sogenannten TREVI-Gruppen nationaler Fachbeamter; beide blieben jedoch jenseits ihrer symbolischen und vertrauensstiftenden Bedeutung eher moderate Weiterentwicklungen der bestehenden völkerrechtlichen Instrumente.5 Zu einem wichtigen Akteur dieser Entwicklungsphase europäischer Justizpolitik wurde schließlich der EuGH, der, nachdem auf dem EuGVÜ aufbauende Harmonisierungsbestrebungen nationaler Verfahrensvorschriften integrationspolitisch keine ausreichende Dynamik entfachen konnten, insbesondere in den frühen 1990er Jahren einzelne, meist spezifisch fremdenrechtliche Regelungen der nationalen Zivilprozessrechte dem Maßstab der Grundfreiheiten unterwarf.6 Erst mit den Verträgen von Maastricht (1993) und Amsterdam (1997) und dem Übergang zu den legislativen Handlungsformen der supranationalen Gemeinschaftsmethode in Form der Verordnung (Zivilsachen) und des der Richtlinie nachgebildeten Rahmenbeschlusses (Strafsachen),7 dem Konzept eines gemeinsamen europäischen „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“,8 3 Näher zum EuGVÜ, das sich trotz seiner völkerrechtlichen Natur faktisch schnell zu einem integralen Teil des acquis communautaire entwickelte und rückblickend als echte Erfolgsgeschichte der Europäischen Gemeinschaften gilt, etwa Paulus / E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Einführung, Rn.  32 ff.; Magnus, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Introduction, Rn. 17 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Vor Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 6 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 29 f. 4 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19). 5 Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Vorb. Art. 82–86 AEUV, Rn. 5, 7; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 1 ff. Ausführlich zu TREVI insbesondere Fijnaut, A peaceful revolution, 2019, S. 130 ff. 6 Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 13 f. 7 Leible, in: Leible / Terhechte, § 14, Rn. 39 ff.; Hess, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd.  1, 42. EL 9/2010, Art. 81 AEUV, Rn. 31 ff.; Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 1, Rn. 9; Meyer, in: ebd., § 37, Rn. 8 ff. 8 Vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 bis 89 AEUV. Hinter dem historisch auf den Amsterdamer Vertrag von 1997 zurückgehenden Begriff des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (RFSR) verbirgt sich bisher weniger ein klares primärrechtliches Regelungskonzept, sondern eher ein bewusst flexibler Oberbegriff für verschiedene Felder der Zusammenarbeit zur Sicherstellung der Personenfreizügigkeit innerhalb der Union, die regelmäßig in besonderem Maße souveränitätssensible, ehemals integrationsfeste Kernbereiche der Mitgliedstaaten berühren und deshalb durch besonders differenzierte föderale Kooperationsformen mit zwischenstaatlichen und supranationalen Elementen gekennzeichnet sind. Grundsätzlich soll der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ allgemein über die Grundfreiheiten des Binnenmarkts hinaus und in zumindest impliziter Verknüpfung mit den ebenfalls im Maastrichter Vertrag angestoßenen Entwicklungen einer politischen Union und einer Unionsbürgerschaft den möglichst umfassenden freien Personenverkehr innerhalb der Union ermöglichen (vgl. Art. 3 Abs. 2 EUV) und der Verwirklichung der Grundrechte dienen (Art. 67 Abs. 1 AEUV), dabei jedoch zugleich in

I. Hintergrund: Von der internationalen Rechtshilfe zum europäischen Justizraum  11

sowie dem Europäischen Rat von Tampere (1999), der den im Binnenmarkt damals zunehmend bewährten Grundsatz gegenseitiger Anerkennung als zentrales Regelungskonzept auch für die justizielle Zusammenarbeit benannte,9 setzte schließlich besonderer Weise auch die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten achten (vgl. Art. 67 Abs. 1 AEUV a. E.). Vgl. zu den konzeptionellen Hintergründen des RFSR und insbesondere auch zu der – im Detail allerdings von zahlreichen Unschärfen und Überschneidungen geprägten – Zieltrias Röben, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 53. EL 5/2014, Art. 67 AEUV, Rn. 9 ff., 17 f.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 67 AEUV, Rn. 74 ff.; Weiß / Satzger, in: Streinz, Art. 67 AEUV, Rn. 8 ff., 25 ff.; Müller-Graff, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd.  2, Art.  67 AEUV, Rn. 11 ff., 34 ff.; Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Vorb. Art. 82–86 AEUV, Rn. 25 f.; Jokisch / Jahnke, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 2, Rn. 1 ff. Ausführliche Darstellungen außerdem bei Schwarz, Grundlinien der Anerkennung im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2016, S. 222 ff.; Zorn, Die Auflösung der Säulenstruktur der EU durch den Vertrag von Lissabon und die Auswirkungen auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2014, S. 74 ff.; Monar, in: von Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 749 ff.; schließlich allgemein zur Nieden, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2018. S. zudem ausführlich zum „Raum“-Narrativ eines politischen europäischen Gemeinwesens (in Gegenüberstellung zum ursprünglichen Konzept der Rechtsgemeinschaft) von Bogdandy, in: Franzius / Mayer / Neyer (Hrsg.), Die Neuerfindung Europas, 2019, S. 67 ff. 9 Europäischer Rat, Tampere Europäischer Rat (15. und 16. Oktober 1999), Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Schlussfolgerung Nr. 33. Mit dem Lissabonner Vertrag ist die zentrale Rolle des Anerkennungsprinzips für den europäischen Justizraum nunmehr auch auf primärrechtlicher Ebene ausdrücklich verankert (vgl. Art. 67 Abs. 3 und 4, Art. 81 Abs. 1 S. 1, Art. 82 Abs. 1 UA 1 AEUV). Allgemein zum Grundsatz gegenseitiger Anerkennung bei zivilrechtlichen Entscheidungen, wo der europäische Gesetzgeber sich von Beginn an an den bestehenden Regelungen des EuGVÜ zur Entscheidungsanerkennung zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten orientieren konnte, und ferner auch die Vorstellung einer ähnlich den Grundfreiheiten des Binnenmarkts konzipierten unionsweiten Urteilsfreizügigkeit nahelag, etwa Hess, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 42. EL 9/2010, Art. 81 AEUV, Rn. 31 ff.; Stürner, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd.  2, Art.  81 AEUV, Rn.  12 ff.; Leible, in: Streinz, Art. 81 AEUV, Rn. 16 f.; Storskrubb, in: Hess / Bergström / Dies. (Hrsg.), EU Civil Justice: Current Issues and Future Outlook, 2016, S. 299 ff.; Hess, ZVglRWiss 111 (2012), S. 21 ff. Aus der sehr umfangreichen Literatur zur gegenseitigen Anerkennung in der strafrechtlichen Zusammenarbeit, wo das Anerkennungsprinzip demgegenüber wegen der besonderen Grundrechts- und Souveränitätssensibilität der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit insbesondere in den ersten Jahren nach dem Tampere-Programm vielfach mit einer gewissen Skepsis betrachtet worden ist (und teils auch heute noch wird), s. zunächst die monographischen Aufarbeitungen bei Burchard, Die Konstitutionalisierung der gegenseitigen Anerkennung, 2019; Rung, Grundrechtsschutz in der Europäischen Strafkooperation, 2019, S. 66 ff.; Roger, Grund und Grenzen transnationaler Strafrechtspflege, 2016, S. 217 ff.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 75 ff.; Mavany, Die europäische Beweisanordnung und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, 2012, S. 17 ff.; Nalewajko, Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung: Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europäischen Union, 2010; Scheuermann, Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im geltenden und künftigen Europäischen Strafrecht, 2009; Andreou, Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Strafsachen in der Europäischen Union, 2009. Außerdem ausführlich zur gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 82 AEUV, Rn. 5 ff.; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 17 ff.; Hochmayr, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd.  2, Art.  82 AEUV, Rn.  5 ff.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  82 AEUV, Rn. 5 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 9 ff.; Hauck, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 11,

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eine dritte, transformative Phase europäischer Justizpolitik ein – ein echter „Aufbruch nach Europa“10. Prägend ist dabei die Ablösung der Souveränität der Mitgliedstaaten als Grundprinzip der tradierten völkerrechtlichen Rechtshilfe durch den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens:11 So erwähnt der Europäische Rat erstRn. 49; Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 36, Rn. 12 ff. (Anerkennungsprinzip als „Paradigmenwechsel“, Rn. 13). Schließlich für eine übergeordnete Konturierung des Anerkennungsprinzips im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ nicht nur, aber auch mit Blick auf die justizielle Zusammenarbeit (und insoweit zugleich mit Gegenüberstellung der gegenseitigen Anerkennung im RFSR und der anderen dort insbesondere als Erbe des EuGVÜ wirkmächtigen Anerkennungskonzeptionen wie der Anerkennung ausländischer hoheitlicher Entscheidungen nach völkerrechtlichen Regeln sowie der gegenseitigen Anerkennung von Hoheitsakten im europäischen Binnenmarkt, vgl. dort S. 57 ff. bzw. 151 ff.) Schwarz, Grundlinien der Anerkennung im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2016, S. 247 ff. 10 So der Titel der in jene Zeit fallenden Festschrift zu Ehren des Hamburger Max-PlanckInstituts von Basedow / Drobnig / Ellger / Hopt / Kötz / Kulms / Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa: 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001. 11 Ausführlich zum Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und / oder Strafsachen (zum gegenseitigen Vertrauen im allgemeineren Kontext europäischer Integration: Hartmann, Europäisierung und Verbundvertrauen, 2015, S. 25 ff.; Franzius, HFR 2012, S. 159 ff.; übergreifend für die verschiedenen Materien des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ außerdem Maiani / Migliorini, CMLR 57 [2020], S. 7 ff.) s. nur – stellvertretend für zahlreiche weitere Beiträge – etwa Burchard, Die Konstitutionalisierung der gegenseitigen Anerkennung, 2019, S. 468 ff.; Xanthopoulou, CMLR 55 (2018), S. 489 ff.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 194 ff.; Kaufhold, EuR 2012, S. 408 (410 ff.); Wischmeyer, 17 German L. J. (2016), S. 339 (354 ff.); von Danwitz, EuR 2020, S. 61 (68 ff.); Mitsilegas, NJECL 6 (2015), S. 457 ff.; Vermeulen, in: Tiedemann / Sieber / Satzger / Burchard / Brodowski (Hrsg.), GS Vogel, 2016, S.  181 ff.; Willems, European Journal of Legal Studies 9 (2016), S. 211 ff.; Storskrubb, in: Bakardjieva Engelbrekt / Bremberg / Michalski / Oxelheim (Hrsg.), Trust in the European Union in Challenging Times, 2019, S. 159 ff.; Ott, Betrifft Justiz 2020, S. 200 (200 f.). Die oft als eher pauschal empfundene Berufung der politischen Akteure und des EuGH auf das gegenseitige Vertrauen hat vielfach für Kritik gesorgt, die auch heute regelmäßig noch anklingt; s. nur  – wiederum stellvertretend für zahlreiche weitere Beiträge – Thöne, Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die EuGVVO, 2016, S. 132 f. m. w. N.; Kohler, ZEuS 2016, S. 135 (139 ff., 150 f.) („Leerformel“ [S. 140]); Varga, in: Rauscher Bd. 2, Einl EG-BagatellVO, Rn. 7 („… Wunsch- bzw. mittlerweile eher Zwangsvorstellung des europäischen Normgebers …“); Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 13 („… fiktives, […] vielleicht sogar kontrafaktisches Vertrauen …“); Asselineau, NJECL 9 (2018), S. 184 (184) („the mission to achieve and rely on mutual trust is far from complete“); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 81 („… Erkenntnis, dass sich gegenseitiges Vertrauen […] nicht dekretieren oder herbeireden lässt, sondern langsam erworben werden muss – die Mitgliedstaaten sind hier nicht immer unwillig, sondern eher vorsichtig“); Meyer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 37, Rn. 31 („Doch hat weder der Zusammenhang noch der Begriff des Vertrauens eine befriedigende Aufarbeitung erfahren. […] An diesem Punkt scheint die wohl eigentliche rechtspolitische Funktion von gegenseitigem Vertrauen durch. Es soll zur Zusammenarbeit auch auf neuem Terrain mit innovativen Instrumenten motivieren [und] nicht aus Empirie gerinnen, sondern als Vorschuss gewährt werden“); weiterführender Überblick zum Stand der Debatte außerdem bei Meyer, EuR 2017, S. 163 (164 ff.) m. w. N. Doch finden sich mittlerweile auch differenzierte Konzeptionen eines allgemeinen (Rechts-)Prinzips gegenseitigen Vertrauens mit konkreten Folgerungen für die Zusammenarbeit der Gerichte und Justizbehörden: So erblickt etwa Meyer, EuR 2017, S. 163 (174 ff.) vor dem Hintergrund der neueren EuGH-Rechtsprechung und insbesondere des Gutachtens zum EMRK-Beitritt der Union (dort

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mals im Haager Programm von 2004 die Bedeutung des gegenseitigen Vertrauens für eine effektive grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Gerichte und Justizbehörden.12 Im Stockholmer Programm von 2009 heißt es sodann ausdrücklich, das „gegenseitige Vertrauen zwischen den Behörden und Dienststellen der einzelnen Mitgliedstaaten und den Entscheidungsträgern [sei] die Grundlage für eine wirksame Zusammenarbeit in diesem Bereich“.13 Auch die Europäische KommisS. 171 ff.) im gegenseitigen Vertrauen ein eigenständiges Verfassungsprinzip (S. 175), das den fundamentalen Bruch der Zusammenarbeit mit tradierten völkerrechtlichen Prinzipien markiere, insoweit eine historische Parallele des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zu den Ausführungen des EuGH im Van Gend en Loos-Urteil zur Eigenständigkeit der Unionsrechtsordnung bilde, und die Mitgliedstaaten der Sache nach verpflichte, „grundsätzlich alles zu unterlassen, was die Funktionsfähigkeit des Kooperationssystems unterminiert“. Kaufhold, EuR 2012, S. 408 ff., konturiert den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens ebenfalls als grundlegendes Prinzip des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, dem zwei einander bedingende Funktionen zugrunde liegen: Das gegenseitige Vertrauen sei zum einen – in tatsächlicher Hinsicht – die Wirksamkeitsbedingung einer erfolgreichen Zusammenarbeit der Gerichte und Justizbehörden (ausführlich S. 417 ff.), und zum anderen – in rechtlicher Hinsicht – ein die Zusammenarbeit dirigierendes Auslegungsprinzip der einschlägigen Rechtsinstrumente, demzufolge Kontrollen fremder Hoheitsakte bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ungeachtet des Harmonisierungsgrads des betreffenden Rechtsgebiets möglichst zu unterbleiben haben (ausführlich S. 426 ff.). Dabei gelte: „Für die sekundärrechtliche Normierung des Rechtsprinzips gegenseitigen Vertrauens wird sich nur entscheiden, wer tatsächlich vertraut“ (S. 410). In ähnlicher Weise rekonstruiert Wischmeyer, 17 German L. J. (2016), S. 339 (368 ff.) den Grundsatz gegenseitigen Vertrauens als Optimierungsgebot zur Stärkung des Vertrauens zwischen den Akteuren im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, das gleichsam als Dogmatik gegenseitigen Vertrauens („Grammar of Trust“, S. 374) in einer Reihe konkreter Auslegungsregeln zum Ausdruck kommen könne, etwa einem liberalen Verständnis der Ausnahmen gegenüber unionsrechtlichen Kooperationspflichten (S. 374 f., 376 ff.) oder wechselseitigen Informations- und Rücksichtnahmepflichten der Gerichte und Justizbehörden (S. 375 f.). S. zuletzt außerdem Eßlinger, Gegenseitiges Vertrauen: Zur grenzüberschreitenden Beurteilung des Grundrechtsschutzes im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2018, S. 37 ff. (mit Aufarbeitung der historischen Ursprünge des Vertrauensgedankens im europäischen Strafrecht insbesondere im Vertrag von Amsterdam, sowie Grundzügen einer Operationalisierung des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens für die grenzüberschreitende Strafrechtszusammenarbeit durch das Medium der Unionsgrundrechte, S. 104 ff., und der abschließenden Andeutung von Verfassungsidentität und Menschenwürde als möglichen Grenzen des gegenseitigen Vertrauens deutscher Strafverfolgungsbehörden im europäischen Justizraum, S. 291 ff.). 12 Im Einzelnen führt der Europäische Rat insoweit eher allgemein aus, die europaweite Verstärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nationaler Gerichte und Justizbehörden erfordere eine Festigung des gegenseitigen Vertrauens und Maßnahmen der Vertrauensbildung; das gegenseitige Vertrauen sei insbesondere darauf gerichtet, dass alle europäischen Bürger Zugang zu einem Justizwesen genössen, das hohen Qualitätsanforderungen genüge (Europäischer Rat, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union (2005/C 53/01 [ABl. C 53/1]), S. 11). Ferner sei die Errichtung des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ ihrerseits ein wichtiger Faktor für die Stärkung des für künftige Integrationsschritte erforderlichen gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten (ebd., S. 2). 13 Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm  – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger (2010/C 115/01 [ABl. C 115/1]), S. 5. Die Gewährleistung und der Ausbau des gegenseitigen Vertrauens zwischen den unterschiedlichen nationalen Rechtssystemen und „zwischen allen auf nationaler und auf Unionsebene einschlägig Tätigen“

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sion spricht ausdrücklich von der „Entwicklung eines auf gegenseitiger Anerkennung und gegenseitigem Vertrauen beruhenden Europäischen [Rechtsraums, der] durch einen Brückenschlag zwischen den verschiedenen Justizsystemen der Mitgliedstaaten erreicht werden soll“,14 dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten in die „Unabhängigkeit, Qualität und Leistungsfähigkeit der Justizsysteme und [der] Achtung des Rechtsstaatsprinzips“15, „sodass die Angehörigen der Rechtsberufe einander auch über die Grenzen hinweg vertrauen und zusammenarbeiten können“,16 sowie dem gegenseitigen Vertrauen als dem „Grundstein, auf dem die EU-Justizpolitik aufbauen sollte“.17 Die konkretesten Konturen hat der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens schließlich – freilich ohne dass das gegenseitige Vertrauen als Rechtsbegriff in den Sekundärrechtsakten des europäischen Justizraums genannt würde18 – in der Rechtsprechung des EuGH erhalten, der regelmäßig das gegenseitige Vertrauen als Grundlage der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (ebd., S. 18) seien daher eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (ebd., S. 5); geeignete vertrauensstärkende Maßnahmen seien namentlich die Schaffung von Mindestvorschriften (ebd., S. 10, 12), die Aus- und Fortbildung des Justizpersonals der Mitgliedstaaten (ebd., S. 13), sowie die Entwicklung einer gemeinsamen Rechtskultur der Mitgliedstaaten (ebd., S. 18). Im – auch sonst sehr allgemein gehaltenen – Nachfolgedokument zum Stockholmer Programm spricht der Europäische Rat ebenfalls die Bedeutung des gegenseitigen Vertrauens an, allerdings nur in sehr oberflächlicher Form, s. Europäischer Rat, Tagung vom 26./27. Juni 2014 – Schlussfolgerungen, EuCO 79/14, S. 5 („Das reibungslose Funktionieren eines echten Europäischen Rechtsraums unter Achtung der verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten ist unverzichtbar für die EU. In diesem Zusammenhang sollte das gegenseitige Vertrauen in die jeweiligen Rechtsordnungen weiter gestärkt werden“). 14 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 3. 15 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 4 f. 16 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 7. 17 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 4. 18 Lediglich in den Erwägungsgründen einzelner Sekundärrechtsakte finden sich bisweilen Bezugnahmen auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens; s. etwa aus dem Ensemble der Rechtsakte zur gegenseitigen Anerkennung (weitere Bezugnahmen enthalten auch andere Rechtsakte zu Einzelfragen der Zusammenarbeit) EG 26 der EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]) („gegenseitiges Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Union“); EG 21 der EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]) („Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens“); EG 10 des RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]) („hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten“); EG 5 des RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/ JI [ABl. L 327, S. 27]) („wechselseitiges Vertrauen unter den Mitgliedstaaten im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit“). Griffige Zusammenfassungen bieten außerdem die Erwägungsgründe 4 der RL-Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren (RL 2012/13/EU [ABl. L 142, S. 1]) und der RL-Übersetzung im Strafverfahren (RL 2010/64/EU [ABl. L 280, S. 1]), sowie Erwägungsgrund 6 der RL-Rechtsbeistand und konsularische Betreuung im Strafverfahren (RL 2013/48/EU [ABl. L 294, S. 1]): „Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen kann nur in einem Klima des Vertrauens vollständig zum Tragen kommen, in dem nicht nur die Justizbehörden, sondern alle an Strafverfahren beteiligten Akteure Entscheidungen der

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hervorhebt.19 Das gegenseitige Vertrauen basiere zum einen auf der „Prämisse […], dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt […], auf die sich [nach Art. 2 EUV] die Union gründet“, wodurch das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und Justizbehörden anderer Mitgliedstaaten als denen ihrer eigenen Justizbehörden gleichwertig ansehen […].“ 19 So formuliert der Gerichtshof regelmäßig, dass die Zusammenarbeit auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten beruhe; s. EuGH, Rs. C-530/18 (EP), EU:C:2019:583, Rn. 39; Rs. C-386/17 (Liberato), EU:C:2019:24, Rn. 41; Rs. C-97/18 (ET), EU:C:2019:7, Rn. 17; Rs. C-220/18 PPU (ML), EU:C:2018:589, Rn. 87; Rs. C-571/17 PPU (Ardic), EU:C:2017:1026, Rn. 90; Rs. C-270/17 PPU (Tupikas), EU:C:2017:628, Rn. 49; Rs. C-484/15 (Zulfikarpasic), EU:C:2017:199, Rn. 40; Rs. C-499/15 (W u. a.), EU:C:2017:118, Rn. 50; Rs. C-289/15 (Grundza), EU:C:2017:4, Rn. 41; Rs. C-241/15 (Bob-Dogi), EU:C:2016:385, Rn. 65; Rs. C-455/15 PPU (P), EU:C:2015:763, Rn. 35; Rs. C-4/14 (Bohez), EU:C:2015:563, Rn. 43; Rs. C-536/13 (Gazprom), EU:C:2015:316, Rn. 39; Rs. C-376/14 PPU (C.), EU:C:2014:2268, Rn. 66; Rs. C-452/12 (Nipponkoa), EU:C:2013:858, Rn. 36; Rs. C-157/12 (Salzgitter Mannesmann), EU:C:2013:597, Rn. 32; Rs. C-296/10 (Purrucker II), EU:C:2010:665, Rn. 81; Rs. C-211/10 PPU (Povse), EU:C:2010:400, Rn. 40; Rs. C-533/08 (TNT Express Nederland), EU:C:2010:243, Rn. 49; Rs. C-403/09 PPU (Deticek), EU:C:2009:810, Rn. 45; Rs. C-185/07 (West Tankers), EU:C:2009:69, Rn. 30; Rs. C-195/08 PPU (Rinau), EU:C:2008:406, Rn. 47, 50; Rs. C-292/05 (Lechouritou u. a.), EU:C:2007:102, Rn. 44; Rs. C-159/02 (Turner), EU:C:2004:228, Rn. 24; Rs. C-116/02 (Gasser), EU:C:2003:657, Rn. 72. Oftmals heißt es auch, die Kooperation der Gerichte und Justizbehörden setze ein „hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten“ voraus; s. EuGH, Rs. C-509/18 (PF), EU:C:2019:457, Rn. 36; Rs. C-508/18 (OG) und C-82/19 PPU (PI), EU:C:2019:456, Rn. 57; Rs. C-492/18 PPU (TC), EU:C:2019:108, Rn. 41; Rs. C-514/17 (Sut), EU:C:2018:1016, Rn. 27; Rs. C-551/18 PPU (IK), EU:C:2018:991, Rn. 38; Rs. C-327/18 PPU (RO), EU:C:2018:733, Rn. 36; Rs. C-220/18 PPU (ML), EU:C:2018:589, Rn. 53; Rs. C-216/18  PPU (LM), EU:C:2018:586, Rn. 40, 58; Rs. C-571/17  PPU (Ardic), EU:C:2017:1026, Rn. 69; Rs. C-484/15 (Zulfikarpasic), EU:C:2017:199, Rn. 41; Rs. C-551/15 (Pula Parking), EU:C:2017:193, Rn. 53; Rs. C-640/15 (Vilkas), EU:C:2017:39, Rn. 31; Rs. C-477/16  PPU (Kovalkovas), EU:C:2016:861, Rn. 26, 44; Rs. C-453/16  PPU (Özcelik), EU:C:2016:860, Rn. 23 f., 35 f.; Rs. C-452/16  PPU (Poltorak), EU:C:2016:858, Rn. 25; Rs. C-241/15 (Bob-Dogi), EU:C:2016:385, Rn. 32; Rs. C-108/16 PPU (Dworzecki), EU:C:2016:346, Rn. 27; Rs. C-404/15 und C-659/15 PPU (Aranyosi u. a.), EU:C:2016:198, Rn. 76; Rs. C-237/15  PPU (Lanigan), EU:C:2015:474, Rn. 28; Rs. C-168/13  PPU (Jeremy F.), EU:C:2013:358, Rn. 35; Rs. C-396/11 (Radu), EU:C:2013:39, Rn. 34; Rs. C-192/12 PPU (West), EU:C:2012:404, Rn. 53, 68; Rs. C-388/08 PPU (Leymann und Pustovarov), EU:C:2008:669, Rn. 50; Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld VZW), EU:C:2007:261, Rn. 57. Bisweilen spricht der EuGH zudem davon, dass die Zusammenarbeit auf das gegenseitige Vertrauen gestützt sei, s. EuGH, Rs. C-361/18 (Weil), EU:C:2019:473, Rn. 29; Rs. C-559/14 (Meroni), EU:C:2016:349, Rn. 47; Rs. C-681/13 (Diageo Brands), EU:C:2015:471, Rn. 63; Rs. C-302/13 (flyLAL-Lithuanian Airlines), EU:C:2014:2319, Rn. 45; Rs. C-619/10 (Trade Agency), EU:C:2012:531, Rn. 40; Rs. C-139/10 (Prism Investments), EU:C:2011:653, Rn. 27, oder ihr dieses zugrundeliege, s. EuGH, Rs. C-551/18 PPU (IK), EU:C:2018:991, Rn. 63; Rs. C-551/15 (Pula Parking), EU:C:2017:193, Rn. 54; Rs. C-157/12 (Salzgitter Mannesmann), EU:C:2013:597, Rn. 31; Rs. C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), EU:C:2012:719, Rn. 35. Vereinzelt findet sich schließlich die Aussage, der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens sei der Zusammenarbeit immanent (EuGH, Rs. C-327/18 PPU [RO], EU:C:2018:733, Rn. 45), stelle deren Rechtfertigung dar (EuGH, Rs. C-551/15 [Pula Parking], EU:C:2017:193, Rn. 50), oder habe sie ermöglicht (EuGH, Rs. C-92/12  PPU [S. C. u. a.], EU:C:2012:255, Rn. 103; Rs. C-256/09 [Purrucker I], EU:C:2010:437, Rn. 72).

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des zu ihrer Umsetzung erlassenen Unionsrechts impliziert und gerechtfertigt sei.20 Zum anderen werde das gegenseitige Vertrauen konkret auch durch die Bindung aller Mitgliedstaaten an gemeinsame Grundrechtsstandards aus der EU-Grundrechtecharta getragen, aufgrund derer „Maßnahmen, die mit diesen Rechten unvereinbar sind, in der Union nicht zulässig sind“,21 sodass die Mitgliedstaaten bei der Zusammenarbeit ihrer Gerichte und Justizbehörden abgesehen von Ausnahmefällen davon ausgehen könnten, „dass [auch] alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten“22, und „in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unions­ ebene und insbesondere in der Charta garantierten Grundrechte zu bieten“.23 Erst diese „fundamentale“ Vermutung gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten und der damit einhergehende weitestgehende Verzicht auf die Kontrolle der Hoheitsakte der anderen Mitgliedstaaten ermögliche „die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums [der nationalen Gerichte und Justizbehörden] ohne Binnengrenzen“.24 Auf der Basis dieses  – auch primärrechtlich freilich weiterhin nicht 20

So zunächst grundlegend EuGH, Gutachten 2/13 des Gerichtshofs (Plenum), EU:C:​ 2014:2454, Rn. 168, bevor diese Rechtsprechungslinie mit einiger Verzögerung auch für die strafrechtliche Zusammenarbeit aufgenommen wurde; s. EuGH, Rs. C-551/18 PPU (IK), EU:C:2018:991, Rn. 34; Rs. C-327/18 PPU (RO), EU:C:2018:733, Rn. 34; Rs. C-220/18 PPU (ML), EU:C:2018:589, Rn. 48; Rs. C-216/18 PPU (LM), EU:C:2018:586, Rn. 35. 21 EuGH, Gutachten 2/13 des Gerichtshofs (Plenum), EU:C:2014:2454, Rn. 169 (m. w. N. zur entsprechenden älteren Rechtsprechung außerhalb des „Raums der Freiheit, der Sicherheits und des Rechts“). 22 EuGH, Rs. C-509/18 (PF), EU:C:2019:457, Rn. 22; Rs. C-508/18 (OG) und C-82/19 PPU (PI), EU:C:2019:456, Rn. 43; Rs. C-551/18 PPU (IK), EU:C:2018:991, Rn. 35; Rs. C-327/18 PPU (RO), EU:C:2018:733, Rn. 35; Rs. C-220/18  PPU (ML), EU:C:2018:589, Rn. 49; Rs. C-216/18 PPU (LM), EU:C:2018:586, Rn. 36; Rs. C-453/16 PPU (Özcelik), EU:C:2016:860, Rn. 24; Rs. C-452/16 PPU (Poltorak), EU:C:2016:858, Rn. 26; Rs. C-404/15 und C-659/15 PPU (Aranyosi u. a.), EU:C:2016:198, Rn. 78; Gutachten 2/13 des Gerichtshofs (Plenum), EU:C:​ 2014:2454, Rn. 191. 23 EuGH, Rs. C-489/19 (NJ), EU:C:2019:849, Rn. 27; Rs. C-571/17 PPU (Ardic), EU:C:​ 2017:1026, Rn. 90; Rs. C-453/16  PPU (Özcelik), EU:C:2016:860, Rn. 23; Rs. C-241/15 (Bob-Dogi), EU:C:2016:385, Rn. 33; Rs. C-404/15 und C-659/15  PPU (Aranyosi u. a.), EU:C:2016:198, Rn. 77; Rs. C-4/14 (Bohez), EU:C:2015:563, Rn. 58; Rs. C-168/13  PPU (Jeremy F.), EU:C:2013:358, Rn. 50; Rs. C-491/10 PPU (Aguirre Zarraga), EU:C:2010:828, Rn. 70. 24 EuGH, Rs. C-509/18 (PF), EU:C:2019:457, Rn. 22; Rs. C-508/18 (OG) und C-82/19 PPU (PI), EU:C:2019:456, Rn. 43; Rs. C-97/18 (ET), EU:C:2019:7, Rn. 17; Rs. C-551/18 PPU (IK), EU:C:2018:991, Rn. 35; Rs. C-220/18 PPU (ML), EU:C:2018:589, Rn. 49; Rs. C-216/18 PPU (LM), EU:C:2018:586, Rn. 36; Rs. C-484/15 (Zulfikarpasic), EU:C:2017:199, Rn. 41; Rs. C-551/15 (Pula Parking), EU:C:2017:193, Rn. 51; Rs. C-477/16  PPU (Kovalkovas), EU:C:2016:861, Rn. 27; Rs. C-453/16  PPU (Özcelik), EU:C:2016:860, Rn. 24; Rs. C-452/​ 16 PPU (Poltorak), EU:C:2016:858, Rn. 26; Rs. C-404/15 und C-659/15 PPU (Aranyosi u. a.), EU:C:2016:198, Rn. 78; Gutachten 2/13 des Gerichtshofs (Plenum), EU:C:2014:2454, Rn. 191. GA Bot, EU:C:2016:140 (Schlussanträge Aranyosi u. a.), Rn. 106 schreibt dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens sogar ausdrücklich die Rolle eines „tragenden [Grundsatzes] des Unionsrechts, wie der Vorrangsgrundsatz und der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung“, zu, und sieht ihn dogmatisch primär im Grundsatz loyaler Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV

I. Hintergrund: Von der internationalen Rechtshilfe zum europäischen Justizraum  17

ausdrücklich erwähnten – gegenseitigen Vertrauens werden unter dem Dach des Lissabonner Vertrags nunmehr die grundsätzlich fortbestehenden Justizsysteme der Mitgliedstaaten (Art. 67 Abs. 1 AEUV) in ein engmaschiges Geflecht europäischer Kompetenzen eingebettet, auf deren Grundlage der Unionsgesetzgeber unterschiedlichste Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Koordinierung, Kooperation und Vernetzung der Gerichte und Behörden erlassen kann (Art. 81 ff. AEUV):25 Für

verankert (Rn. 177; Letzteres wird zudem bereits angedeutet bei GA Ruiz-Jarabo ­Colomer, EU:C:2008:206 [Schlussanträge Bourquain], Rn. 45). Auch GA Szpunar, EU:C:2018:644 (Schlussanträge RO), Fn. 52 m. w. N. spricht vom gegenseitigen Vertrauen als „prägende[m] Element der DNS des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. Zumindest in den Schlussanträgen der Generalanwälte wird darüber hinaus in jüngerer Zeit, allerdings ohne nähere konzeptionelle Ausführungen, explizit davon gesprochen, dass der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens einen bewussten Bruch mit dem klassischen System der internationalen Rechtshilfe und dem zugrundeliegenden Grundsatz der völkerrechtlichen Souveränität der Mitgliedstaaten darstelle; s. GA Sharpston, EU:C:2018:890 (Schlussanträge IK), Rn. 37, 120; GA Sánchez-Bordona, EU:C:2019:337 (Schlussanträge O. G. und P. I.), Rn. 90; GA SánchezBordona, EU:C:2018:547 (Schlussanträge ML), Rn. 30; insbesondere schließlich GA Bobek, EU:C:2016:622 (Schlussanträge Grundza), Rn. 33 f. („Das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit basiert auf den Grundsätzen der Souveränität, Gegenseitigkeit und Nichteinmischung, die in völkerrechtlichen Instrumenten verankert und grundlegende Elemente der Kooperation zwischen Staaten sind. Diese Kooperation dient im Wesentlichen der Vermeidung von Einmischungen in die inneren Angelegenheiten der beteiligten Staaten. Dagegen baut das System der Justiziellen Zusammenarbeit […] innerhalb der Union in erster Linie auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung auf. Innerhalb dieses System öffnen sich die Rechtsordnungen der verschiedenen Mitgliedstaaten untereinander auf Basis eines erhöhten wechselseitigen Vertrauens in ihre jeweiligen Strafrechtssysteme“). 25 Im Einzelnen lässt sich aus den Kompetenzkatalogen der Art. 81 (Zivilrecht) sowie Art. 82 (Strafrecht) AEUV bei kleineren terminologischen Abweichungen ein Kern von weitgehend gleichlaufenden Kompetenzen des Unionsgesetzgebers für zivil- oder strafrechtliche Maßnahmen herausarbeiten: Sowohl zivil- als auch strafrechtliche Rechtsakte kann die Union demnach für die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen erlassen (Art. 81 Abs. 2 lit. a), Art. 82 Abs. 1 UA 1 lit. a) AEUV), sowie für die Vermeidung oder Auflösung von Zuständigkeitskonflikten zwischen den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden mehrerer Mitgliedstaaten (und daneben für die Ausgestaltung der Kollisionsvorschriften des materiellen Rechts in Zivilsachen) (Art. 81 Abs. 2 lit. c), Art. 82 Abs. 1 UA 1 lit. c) AEUV), sowie zur Weiterbildung von Richtern, Staatsanwälten und Justizbediensteten (Art. 81 Abs. 2 lit. h), Art. 82 Abs. 1 UA 1 lit. c) AEUV). Daneben enthalten sowohl Art. 81 als auch Art. 82 AEUV generalklauselartige Auffangkompetenzen zur „Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren“ (Art. 81 Abs. 2 lit. f.) AEUV) bzw. die Erleichterung der „Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strafverfolgung sowie des Vollzugs und der Vollstreckung von Entscheidungen“ (Art. 82 Abs. 1 UA 1 lit. d) AEUV). Für die zivilrechtliche Zusammenarbeit kann der Unionsgesetzgeber ferner Regelungen zur grenzüberschreitenden Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke (Art. 81 Abs. 2 lit. b)), zur alternativen Streitbeilegung (Art. 81 Abs. 2 lit. g)), und zur Sicherung eines „effektiven Zugang[s der Bürger] zum Recht“ (Art. 81 Abs. 2 lit. e)) schaffen; für die strafrechtliche Zusammenarbeit bestehen daneben einzelne Kompetenzen zum Erlass von Richtlinien zur Harmonisierung der Zulässigkeit von Beweismitteln zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 82 Abs. 2 UA 2 lit. a)), der Verteidigungsrechte des Einzelnen im Strafverfahren (Art. 82 Abs. 2 UA 2 lit. b)), der Rechte von Opfern von

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§ 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase 

den Bereich zivil- und handelsrechtlicher Verfahren gilt insoweit die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung, die als Nachfolgerin des EuGVÜ die zentralen Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit sowie zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen enthält.26 Vier entsprechende Rechtsakte bestehen für familien- und erbrechtliche Verfahren, namentlich die Europäische Eheverfahrensverordnung,27 die Europäische Unterhaltsverfahrensverordnung,28 die Europäische Erbrechtsverordnung,29 sowie die Europäische Güter­rechtsverordnung.30 Gleich sieben separate Rechtsakte finden sich sogar für die grenzüberschreitende Kooperation der nationalen Strafverfolgungsorgane bei

Straftaten (Art. 82 Abs. 2 UA 2 lit. c)) sowie gegebenenfalls weiterer spezifischer Aspekte des Strafverfahrens, die der Rat zuvor einstimmig und mit Zustimmung des Europäischen Parlaments festgelegt hat (Art. 82 Abs. 2 UA 2 lit. c)). S. im Detail – teils bereits mit kurzen Hinweisen zu den bisher erlassenen Rechtsakten, die im Laufe der Untersuchung aber jeweils im Zusammenhang näher erläutert werden sollen – zu den zivilverfahrensrechtlichen Kompetenzen Hess, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 42. EL 9/2010, Art. 81 AEUV, Rn. 37 ff.; Leible, in: Leible / Terhechte, § 14, Rn.  70 ff.; Leible, in: Streinz, Art. 81 AEUV, Rn. 19 ff.; Stürner, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd.  2, Art.  81 AEUV, Rn.  26 ff.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  81 AEUV, Rn. 7 ff.; zu ihren strafverfahrensrechtlichen Pendants Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 11 ff.; Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 4, Rn. 28 ff., 43 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 15 ff.; Rossi, in: Calliess / Ruffert, Art.  82 AEUV, Rn. 1 ff.; Hochmayr, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd. 2, Art. 82 AEUV, Rn. 15 ff. Hinzu treten Kompetenzen zur Harmonisierung der materiellen Strafrechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bereichen besonders schwerer Kriminalität – die über die in Art. 83 Abs. 1 genannte Liste hinaus durch einstimmigen Ratsbeschluss mit Zustimmung des Europäischen Parlaments noch erweitert werden können – sowie auf Gebieten, wo die Schaffung gemeinsamer europäischer Strafrechtsvorschriften für die effektive Durchführung von harmonisierten Unionspolitiken unerlässlich ist (Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV); s. Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 8 ff., 42 ff.; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 83 AEUV, Rn. 26 ff., 71 ff.; Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 4, Rn. 7 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 83 AEUV, Rn. 6 ff., 27 ff.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 83 AEUV, Rn. 7 ff., 23 ff.; Hochmayr, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 9 ff., 30 ff.; Meyer, Strafrechtsgenese in Internationalen Organisationen, 2012, S. 408 ff. 26 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); zu ihr Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 246 ff. 27 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); näher Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2015, S. 288 ff.; Hau, in: Leible / Terhechte, § 16; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 379 ff. 28 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2015, S. 298 ff.; Martiny, in: Leible / Terhechte, § 17; Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen in Europa, 2011, S. 35 ff. 29 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2015, S. 305 ff.; Dutta, in: Leible / Terhechte, § 18. 30 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]); Kroll-Ludwigs, in: Rauscher Bd. 4, Einf. EU-LP-GüterVO-E, Rn. 4 ff., 15 ff.; Dutta, FamRZ 2016, S. 1973 ff. S. insoweit zudem das in der Untersuchung wegen der größeren quantitativen Bedeutung der EuGüterVO zurückstehende, im Übrigen aber entsprechend mitzudenkende Parallelinstrument mit güterrechtlichen Regelungen für eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften: VO (EU) 2016/1104 (ABl. L 183/30).

I. Hintergrund: Von der internationalen Rechtshilfe zum europäischen Justizraum  19

Geldstrafen und Geldbußen,31 Einziehungsentscheidungen,32 Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren,33 Bewährungsmaßnahmen und Alternativsanktio­ nen,34 Gewaltschutzmaßnahmen,35 Haftbefehlen zur Festnahme und Übergabe gesuchter Personen zur Strafverfolgung (Mindesthöchststrafe von zwölf Monaten) oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Sicherungsmaßregel (Sanktion von mindestens vier Monaten),36 sowie Freiheitssanktionen.37 Sie bilden – neben zahlreichen weiteren Sekundärrechtsakten zu speziellen Fragen der Gerichtszusam 31 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); näher zu ihm Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 333 ff.; Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 63 ff.; Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 1 ff.; Krumm / Lempp / Trautmann, Das neue Geldsanktionsgesetz, 2010, S. 168 ff.; Karitzky / Wannek, NJW 2010, S. 3393 ff. 32 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 367 ff.; Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 40, Rn. 2 ff.; Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 76 ff. 33 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 395 ff.; Morgenstern, Die Untersuchungshaft, 2018, S. 725 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 448 f.; Morgenstern, ZIS 2014, S. 216 ff. 34 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 304 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 462 ff.; Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 51 ff.; Morgenstern, BewHI 2012, S. 213 ff.; Staudigl / Weber, NStZ 2008, S. 17 ff. 35 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Lonati, EuCLR 8 (2018), S. 332 ff.; Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 465 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 465 f. 36 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 137 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 456 ff.; Morgenstern, Die Untersuchungshaft, 2018, S. 669 ff.; Klimek, European Arrest Warrant, 2015, S. 31 ff.; Burchardt, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 14, Rn. 6 ff.; ferner Ahlbrecht / Böhm / Esser / Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 2018, S. 302 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, S. 633 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. 2018, S. 210 ff.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 225 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 432 ff. Als einer der wenigen Rechtsakte des europäischen Justizraums hat der europäische Haftbefehl auch eine breite monographische Aufbereitung erfahren, im Einzelnen namentlich bei Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, 2003; Tinkl, Die Rechtsstellung des Einzelnen nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl im Vergleich zu seiner Rechtsstellung im traditionellen Auslieferungsverfahren, 2008; Henke, Der europäische Haftbefehl, 2008; Schaper, Verfassungsrechtliche Probleme bei der Übertragung von Hoheitsrechten zur Schaffung eines europäischen Strafrechts, 2009; Pohl, Vorbehalt und Anerkennung – der Europäische Haftbefehl zwischen Grundgesetz und europäischem Primärrecht, 2009; Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 2012; Schallmoser, Europäischer Haftbefehl und Grundrechte, 2012; Miluscheva, Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls im Spannungsfeld zwischen effektiver Strafverfolgung und Betroffenenschutz, 2016; schließlich Haggenmüller, Der Europäische Haftbefehl und die Verhältnismäßigkeit seiner Anwendung in der Praxis, 2018. 37 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 264 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 459 ff.; Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 32 ff.

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§ 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase 

menarbeit, die im Laufe der Untersuchung näher thematisiert werden – nach dem Konzept der EU-Justizpolitik die Keimzelle eines unionsweit einheitlichen „europäischen Justizraums“, in dem künftig „Justiz und Bürgerrechte […] auf keinerlei Grenzen innerhalb der EU mehr stoßen“ sollen.38

II. Erkenntnisziele und Methode der Untersuchung Rund zwei Jahrzehnte nach dem Amsterdamer Vertrag und dem Tampere-Gipfel des Europäischen Rates neigt sich die damals eingeleitete Transformation von der internationalen Rechtshilfe hin zum europäischen Justizraum aus integrationspolitischer Perspektive nunmehr einer ersten größeren Zäsur zu. Während die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen insbesondere in der ersten Dekade nach dem Amsterdamer Vertrag durchgehend eine herausragende Rolle bei der Errichtung des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ spielte, treten seit dem Beginn der 2010er Jahre immer stärker Forderungen nach Evaluation, Konsolidierung und punktueller Lückenfüllung in den Mittelpunkt der europäischen Justizpolitik: Sowohl das Tampere-Programm (1999) als auch das Haager Pro 38 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 11. Die Formulierung des „europäischen Justizraums“ findet sich, soweit ersichtlich, erstmals bei Hess, NJW 2001, S. 15 ff. Ergänzend treten auf der politischen Ebene des europäischen Justizraums mit dem Lissabonner Vertrag erstmals verfahrensrechtliche Rahmenbedingungen einer originär supranationalen EU-Justizpolitik hinzu, in denen der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens wegen der besonderen Souveränitätssensibilität der meisten Materien als stark konkordanzdemokratisches Politikmodell mit zahlreichen, meist mehrfach rückgekoppelten Verhandlungsschleifen aus supranationalen und intergouvernementalen Beteiligungsrechten und einer inhärenten Bereitschaft zu eher pragmatischen und kompromisshaften Regulierungsentscheidungen mit neofunktionalen Zügen konzipiert ist. Zentrale Elemente sind dabei die Befugnis des Europäischen Rates zur Formulierung von strategischen Leitlinien der legislativen und exekutiven Planung für die Weiterentwicklung des RFSR (Art. 68), der Hinweis auf die zentrale Rolle der nationalen Parlamente im Subsidiaritätsfrühwarnsystem nach dem Subsidiaritätsprotokoll (Protokoll [Nr. 2] über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) (Art. 69 AEUV), sowie das geteilte Initiativrecht der Kommission und eines Viertels der Mitgliedstaaten für Rechtsakte auf dem Gebiet der strafrechtlichen und polizeilichen Zusammenarbeit (Art. 76 AEUV). Zu den strategischen Leitlinien des Europäischen Rates im Einzelnen Röben, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 53. EL 5/2014, Art. 68 AEUV, Rn. 2 ff.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  68 AEUV, Rn.  5 ff.; Weiß, in: Streinz, Art. 68 AEUV, Rn. 1 ff.; Müller-Graff, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd. 2, Art. 68 AEUV, Rn. 1 ff.; zum Subsidiaritäts-Frühwarnverfahren Röben, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 53. EL 5/2014, Art. 69 AEUV, Rn. 2 ff.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  69 AEUV, Rn.  4 ff.; Weiß / Huber, in: Streinz, Art. 69 AEUV, Rn. 4 f.; Müller-Graff, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd.  2, Art.  69 AEUV, Rn.  1 ff.; Meyer, in: Böse (­EnzEuR Bd. 9), § 25, Rn. 40 f.; ausführlich außerdem Suhr, in: Calliess (Hrsg.), Liber Amicorum Torsten Stein, 2015, S. 887 ff.; zum konkurrierenden Initiativrecht für straf- und polizeirechtliche Maßnahmen schließlich Röben, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 53. EL 5/2014, Art. 76 AEUV, Rn. 2 ff.; Brömer / Rossi, in: Calliess / Ruffert, Art. 76 AEUV, Rn. 2 ff.; Weiß, in: Streinz, Art. 76 AEUV, Rn. 1 ff.; Müller-Graff, in: Pechstein / Nowak / Häde Bd.  2, Art.  76 AEUV, Rn.  1 ff.

II. Erkenntnisziele und Methode der Untersuchung

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gramm (2004) und schließlich das Stockholmer Programm (2009) des Euro­ päischen Rates räumten beiden Politikfeldern noch zentrale Positionen auf der politischen Agenda ein und formulierten weitreichende Integrationspläne.39 Im Nachfolgedokument des Stockholmer Programms aus dem Jahr 2014 dagegen wird für die justizielle Zusammenarbeit nur noch lakonisch die „allgemeine Priorität“ formuliert, „auf der Grundlage der bisherigen Programme […] die vorhandenen Rechtsinstrumente und politischen Maßnahmen einheitlich umzusetzen, wirksam anzuwenden und zu konsolidieren“.40 Auch die „EU-Justizagenda 2020“ der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2014 gibt als politische Marschroute eine Aufgabentrias aus „Konsolidierung, Kodifizierung, Ergänzung“ vor: „Um den Herausforderungen zu begegnen, die in Bezug auf die Schaffung eines voll funktionsfähigen Europäischen Rechtsraums festgestellt wurden, sollte der Schwerpunkt der EUJustizpolitik in den kommenden Jahren darauf liegen, die bisherigen Errungenschaften zu konsolidieren und, sofern erforderlich […], EU-Recht und die Praxis zu kodifizieren sowie den bestehenden Rechtsrahmen durch neue Initiativen zu ergänzen.“41 Nach rund zwei Jahrzehnten oftmals ausgesprochen dynamischer Rechtsetzung scheint eine erste formative Phase des europäischen Justizraums nun also weitgehend abgeschlossen, und stattdessen eine Konsolidierungsphase einzusetzen, in der einerseits auf den seit dem „Aufbruch nach Europa“ zurückgelegten Weg zurückgeschaut, und andererseits eine Marschroute für die noch ausstehenden Etappen auf dem Weg zum europäischen Justizraum formuliert werden muss. Die nachfolgende Untersuchung soll vor diesem Hintergrund einen systematischen Überblick über die künftigen Aufgaben des europäischen Gesetzgebers in der anbrechenden Konsolidierungsphase gewinnen: Welche Schritte auf dem Weg zum europäischen Justizraum sind bereits zurückgelegt – und welche Aufgaben, so kann als übergeordnetes Erkenntnisinteresse und Leitfrage der Untersuchung formuliert werden, stehen den Akteuren der EU-Justizpolitik in den nächsten Jahren bevor? Der Untersuchung geht es dabei – dies kann kaum deutlich genug hervorgehoben werden – ausdrücklich nicht um eine verfahrensrechtliche Perspektive auf einzelne Problemfragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, sondern um die übergreifenden rechtspolitischen Leitlinien des Projekts des europäischen Justizraums in seiner gesamten Breite. Der Untersuchung soll deshalb eine etwas abstrakter ansetzende ordnungsbildende Regulierungsperspektive zugrundeliegen, die möglichst losgelöst von konkreten verfahrensrechtlichen Einzelproblemen allgemeiner nach den künftigen rechtspolitischen Aufgaben der EU-Justizpolitik und des euro-

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Europäischer Rat, Tampere Europäischer Rat (15. und 16. Oktober 1999), Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Schlussfolgerungen Nr. 28 ff.; Europäischer Rat, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union (2005/C 53/01 [ABl. C 53/1]), S. 7 f., 11 ff.; Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger (2010/C 115/01 [ABl. C 115/1]), S. 11 ff. 40 Europäischer Rat, Tagung vom 26./27. Juni 2014 – Schlussfolgerungen, EuCO 79/14, S. 2. 41 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 6.

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§ 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase 

päischen Gesetzgebers fragt:42 Gemeinsam mit dem europäischen Justizraum ist seit dem Europäischen Rat von Tampere 1999 auch die Komplexität problemangemessener rechtspolitischer Schwerpunktsetzungen deutlich angewachsen; was seinerzeit noch im Wesentlichen mit der lakonischen Formulierung vom Grundsatz gegenseitiger Anerkennung als „Eckstein“ der Zusammenarbeit umschrieben werden konnte, hat sich mittlerweile zu einem weitläufigen komplexen unionsweiten Kooperationsregime zwischen den Gerichten und Justizbehörden von 27 Mitgliedstaaten und über 400 Millionen Unionsbürgern ausdifferenziert, das in Gestalt von rund zwei Dutzend Sekundärrechtsakten mit zahlreichen eigenständigen Konzepten und rechtlichen Bauformen für unterschiedlichste Fragen grenzüberschreitender Zusammenarbeit nahezu praktisch alle Bereiche zivil- und strafrechtlicher Verfahren berührt. Erforderlich wird damit eine Einbettung der zahlreichen rechtlichen Einzelfragen in einen allgemeineren, umfassenden Beobachtungs- und Reflektionsrahmen, in dem – jenseits der verfahrensrechtlichen und dogmatischen Arbeit am Sekundärrecht des europäischen Justizraums, also gleichsam dem Tagesgeschäft des europäischen Gesetzgebers und der entsprechend ausdifferenzierten prozessrechtlichen Diskurse  – die bisherigen Entwicklungsschritte des europäischen Justizraums mit den relativen Erfolgen und Problemen der unterschiedlichen Kooperationsfelder systematisch abgeglichen, und übergeordnete Leitplanken für künftige rechtspolitische Schwerpunktsetzungen formuliert werden können.43 Die Analyse zielt vor diesem Hintergrund nicht in die (verfahrensrechtliche)  Tiefe, sondern bewusst in die (rechtspolitische) Breite des europäischen Justizraums; ihr Erkenntnisinteresse ist nicht primär rechtlicher, sondern rechtspolitischer Natur: Sie soll gerade nicht im Detail möglichen Einzelproblemen des europäischen Zivil- oder Strafverfahrensrechts nachspüren, sondern die übergeordneten Aufgabenfelder und Arbeitsschwerpunkte herausarbeiten, denen sich die Architekten des europäischen Justizraums in der bevorstehenden Konsolidierungsphase zuwenden müssen; sie soll keine konkreten Rechtsprobleme der europäischen Gerichts- und Behördenzusammenarbeit analysieren oder entsprechende Lösungsmöglichkeiten anbieten, sondern im systematischen Vergleich der unterschiedlichen Kooperationsfelder Bewusstsein für den rechtspolitischen Handlungsbedarf schaffen, den 42

Vgl. ausführlich (auch hier aber nur als Auswahl aus dem damit verbundenen verwaltungsrechtlichen Methodendiskurs seit den 1990er Jahren) zu dem dahinterstehenden methodischen Konzept einer steuerungs- und insbesondere (auch) rechtsetzungsorientierten (Verwaltungs-) Rechtswissenschaft Voßkuhle / Wischmeyer, in: Rose-Ackerman / Lindseth (Hrsg.), Comparative Administrative Law, 2. Aufl. 2017, S. 85 ff.; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrechtliche Dogmatik, 2013, S. 18 ff.; Voßkuhle, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 1, § 1, Rn. 15 ff. (sowie ausführlich Rn. 9 ff. zu den spezifischen Hintergründen und Auslösern dieses Methodenwandels). S. ferner zuvor bereits mit ähnlicher Stoßrichtung Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 18 ff. zum methodischen Konzept im Allgemeinen, und S. 5 f. zur darin eingelassenen rechtspolitischen Perspektive im Besonderen; Hoffmann-Riem, in: Schmidt-Aßmann / Ders. (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, S. 9 ff.; Schmidt-Aßmann, in: ebd., S. 387 ff. 43 Ausführlich Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 5 f.

II. Erkenntnisziele und Methode der Untersuchung

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der europäische Justizraum in der Breite aufwirft. Ihr Ziel ist dabei ausdrücklich auch keine konkrete rechtliche Reformagenda, die der Unionsgesetzgeber etwa abarbeiten müsste, sondern vielmehr eine systematische rechtspolitische Kartographierung des europäischen Justizraums und seiner diversen Kooperationsfelder, an denen sich der Unionsgesetzgeber bei der Entwicklung entsprechender Reformplanungen orientieren kann. Der angestrebte Ertrag der Untersuchung liegt also darin, gleichsam aus der Vogelperspektive das aktuelle rechtspolitische Gesamtbild des europäischen Justizraums nachzuzeichnen, und auf diese Weise die künftigen Arbeitsschwerpunkte der europäischen Justizpolitik abzustecken. Methodisch sollen dieses Erkenntnisziel und die ihm zugrundeliegende ordnungsbildende Regulierungsperspektive umgesetzt werden, indem die Untersuchung „zehn Bausteine“ des europäischen Justizraums entwirft: Aus dem bestehenden sekundärrechtlichen Ensemble des Justizraums sollen – gleichsam querschnittsartig, also grundsätzlich unabhängig von verfahrensrechtlichen Unterscheidungen zwischen einzelnen Sekundärrechtsakten oder Rechtsgebieten wie dem europäischen Zivil- oder Strafverfahrensrecht – anhand von vier thematischen Kapiteln insgesamt zehn Kooperationsbereiche mit gemeinsamen Strukturmerkmalen destilliert werden, die jeweils als ein vom Unionsgesetzgeber entwickelter „Baustein“ im Gefüge des Justizraums verstanden werden können. Insbesondere sollen dabei bewusst auch gleichsam die Ränder des europäischen Justizraums ausgeleuchtet und diejenigen Bereiche der Gerichts- und Behördenzusammenarbeit in die Betrachtung miteinbezogen werden, die bisweilen etwas im Schatten der gegenseitigen Entscheidungsanerkennung gestanden, und bisher oftmals weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung größere Beachtung gefunden haben. Konkret werden in einem ersten Kapitel die bisherigen Regelungen zur unionsweiten Gerichtskommunikation untersucht (§ 2): Hier lassen sich als erste zwei Bausteine die Regelungen zum unionsweiten Geschäftsweg (§ 2 I.) sowie zu den Form- und Verfahrensvorschriften der grenzüberschreitenden Gerichtskommunikation (§ 2 II.) analysieren. Im zweiten Kapitel soll dann die unionsweite Wissensverwaltung durch die Gerichte und Justizbehörden in den Blick genommen werden (§ 3): Hier können als dritter, vierter und fünfter Baustein die unionsrechtlichen Regelungen zur europabezogenen Aus- und Fortbildung des Gerichtspersonals der Mitgliedstaaten (§ 3 I.), zur grenzüberschreitenden Beweiserhebung in laufenden Gerichtsverfahren (§ 3 II.), und zum sonstigen Austausch von Informationen zwischen den Gerichten und Justizbehörden (§ 3 III.) konturiert werden.44 Im dritten Kapitel werden sodann die Regelungen zur gegen 44

Bewusst aus der Betrachtung ausgeblendet bleibt dabei die datenschutzrechtliche Perspektive, deren Vorgaben für die Informationszusammenarbeit der Gerichte und Justizbehörden im Wesentlichen einheitlich aus der Datenschutzgrundverordnung und ihrem strafrechtlichen Pendant folgen; s. insbesondere zu letzterer die Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. L 119/89), und näher Schmidt, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, 2018, S. 173 ff.; De Hert / Sajfert, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 243 (244 f.); Hornung / Schind-

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§ 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase 

seitigen Anerkennung von Entscheidungen der Gerichte und Justizbehörden betrachtet (§ 4), namentlich – als Bausteine sechs, sieben und acht – für zivil- und handelsrechtliche (§ 4 I.), erb- und familienrechtliche (§ 4 II.), sowie strafrechtliche (§ 4 III.) Entscheidungen. Als abschließende zwei Bausteine werden im vierten Kapitel dann die ersten Ansätze eines europäischen Verfahrensrechts für bestimmte Gerichtsverfahren im Justizraum untersucht (§ 5): Entsprechende Regelungen hat der europäische Gesetzgeber bisher in Form sektoraler Rechtsakte mit unmittelbar anwendbaren, aber fakultativen Verfahrensvorschriften für bestimmte zivilrechtliche Verfahren mit besonderem Bezug zu den Grundfreiheiten des Binnenmarkts und der allgemeinen Personenfreizügigkeit der Unionsbürgerschaft (§ 5 I.),45 sowie ler / Schneider, ZIS 2018, S. 566 ff. Weiterführend zu den datenschutzrecht­lichen Strukturen der Straf- und Polizeirechtskooperation im „Raum der Freiheit, der Sicher­heit und des Rechts“ zudem Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 42 ff. (mit ausführlicher Analyse der unionsverfassungs-, und insbesondere grundrechtlichen Maßstäbe) und S. 209 ff. (zu den datenschutzrecht­lichen Einzelvorschriften ausgewählter Sekundärrechtsinstrumente des Informationsaustauschs); Schmidt, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, 2018, S. 115 ff. (allgemeine datenschutzrechtliche Maßstäbe), S. 188 ff. (konkrete Datenschutzvorgaben der Sekundärrechtsakte zur Informationszusammenarbeit); hinsichtlich des Informationsaustauschs im Rahmen von zentralen Agenturen und Datenbanken des RFSR zudem Boehm, Information sharing and data protection in the area of freedom, security and justice, 2012, S. 19 ff. (allgemeine Maßstäbe des Unionsrechts), 175 ff., 321 ff. (Datenschutzregime einzelner europäischer Akteure und Datenbanken). Nur als Randbemerkung sei aber festgehalten, dass der strafrechtliche Datenschutz angesichts der Erfahrungen mit dem Vorgängerrechtsakt (Rahmenbeschluss 2008/977/JI des Rates über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden [ABl. L 350/60]; näher Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 290 ff., 413 ff.; Schmidt, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, 2018, S. 161 ff.; Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 50, Rn. 10 ff.; Esser, in: Böse [EnzEuR Bd. 9], § 19, Rn. 19 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 6, 21. EL 4/2011, III D 16 [Rb Datenschutz], Rn. 3 ff.), wo im Jahr 2012 verbreitet noch Vollzugsdefizite und zahlreiche unbestimmte Bereichsausnahmen in den nationalen Umsetzungsvorschriften zu konstatieren waren, in der bevorstehenden Konsolidierungsphase grundsätzlich ebenfalls im Fokus des Unionsgesetzgebers wird bleiben müssen: Vgl. Europäische Kommission, Bericht […] auf der Grundlage von Artikel 29 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 27. November 2008 über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden, KOM(2012) 12 endgültig, S. 3 ff., 6 ff. 45 Bisweilen wird insoweit auch von einem europäischen „Binnenmarktprozessrecht“ gesprochen, vgl. etwa McGuire, ecolex 2008, S. 100, wobei dieselbe Formulierung allerdings auch als Synonym für die Zusammenarbeit der Zivilgerichte im europäischen Rechtsraum insgesamt gebräuchlich ist, vgl. Hess, IPrax 2001, S. 389 (390). Außerhalb der Betrachtung der hiesigen Untersuchung bleibt dabei die Europäische Kontenpfändungsverordnung aus dem Jahr 2014; auch sie ist zwar als fakultativer Rechtsakt für grenzüberschreitende Zivil- und Handelssachen ausgestaltet, unterscheidet sich von den hier analysierten Instrumenten aber dadurch, dass sie kein eigenständiges Erkenntnisverfahren bereitstellt, sondern lediglich die Zwangsvollstreckung erleichtern soll. Zu ihr s. näher etwa Rauscher / Wiedemann, in: Rauscher Bd. 2, Einl. EU-KPfVO, Rn. 6 ff.; Hilbig-Lugani, in: MK-ZPO, Vor Art. 1 EuKoPfVO, Rn. 1 ff.; Wiedemann / Harbeck, RIW 2018, S. 777 ff.; Domej, GPR 2017, S. 84 ff.; zu den Hintergründen schließlich weiterführend Bruns, ZEuP 2010, S. 809 ff.

II. Erkenntnisziele und Methode der Untersuchung

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für strafrechtliche Ermittlungsverfahren durch die Europäische Staatsanwaltschaft bei Delikten gegen finanzielle Interessen der Union geschaffen (§ 5 II). Für jeden dieser zehn Bausteine wird dabei zunächst das bisher vorhandene, sachlich einschlägige Sekundärrechtsmaterial ordnungsbildend aufbereitet: Welche Kooperationsformen und -modelle hat der europäische Gesetzgeber für den jeweiligen Bereich der Gerichts- und Behördenzusammenarbeit seit dem Amsterdamer Vertrag und dem Tampere-Gipfel des Europäischen Rates entwickelt? Vor dieser Folie wird dann im jeweils letzten Schritt des betreffenden Bausteins aus der rechtsetzungsorientierten Perspektive der EU-Justizpolitik und des Unionsgesetzgebers den sich abzeichnenden rechtspolitischen Zukunftsaufgaben nachgegangen, die der jeweilige Baustein in der anbrechenden Konsolidierungsphase mit sich bringen wird: In welchem Umfang lassen sich jeweils praktische Schwierigkeiten der Gerichts- und Behördenzusammenarbeit oder größere Reformdiskussionen in der verfahrensrechtlichen Literatur erkennen  – wo liegen künftig also größere, wo kleinere Arbeitsschwerpunkte der EU-Justizpolitik und des Unionsgesetzgebers, oder, um das Bild erneut aufzugreifen, bei welchen Bausteinen des Justizraums muss künftig weiterhin grundlegende Aufbau- und Konstruktionsarbeit geleistet, und wo eher der abschließende rechtliche Feinschliff vorgenommen werden? Nochmals ist dabei aber ausdrücklich an das rechtspolitische Erkenntnisziel der Untersuchung zu erinnern: Die Analyse ist in vergleichender Perspektive an den künftig erforderlichen Arbeitsschwerpunkten bei der Errichtung des europäischen Justizraums interessiert, aber gerade nicht an der Beschreibung, Ursachenforschung oder Klärung der den entsprechenden Befunden zugrundeliegenden verfahrensrechtlichen Einzelprobleme – sie soll die künftigen Aufgaben der europäischen Justizpolitik der kommenden Jahre nicht etwa zu lösen versuchen, sondern diese überhaupt erst im Quervergleich der unterschiedlichen Kooperationsfelder herausarbeiten, und übergeordnete Orientierungen für die bevorstehende Konsolidierungsphase formulieren. Sie erarbeitet ihr Bild vom europäischen Justizraum und seinen zehn Bausteinen folglich mit einem etwas breiteren Pinselstrich  – weder strebt sie bei der ordnungsbildenden Aufarbeitung des Sekundärrechts jeweils eine maximale systembildende Tiefenschärfe an, noch ist es dem Erkenntnisziel zuträglich (oder angesichts des mittlerweile erreichten Differenzierungsgrads der EuGH-Rechtsprechung und vieler prozessrechtlicher Problemdiskurse immer möglich), bei der Analyse der Zukunftsaufgaben der EU-Justizpolitik etwaige aktuelle Reformdiskussionen zu den jeweiligen Rechtsfragen einzelner Bausteine in allen Facetten darzulegen. Die verfahrensrechtlichen Einzelregelungen einerseits, und die Rechtsprechung des Gerichtshofs sowie die Grundpositionen der Literatur zu Reformfragen andererseits werden dementsprechend zwar durchgehend zur Veranschaulichung und gleichsam zur rechtlichen Nachverdichtung der rechtspolitischen Perspektive der Untersuchung herangezogen; angesichts der Breite der unterschiedlichen Kooperationsbereiche bleiben sie aber notwendigerweise kleine Mosaiksteinchen im rechtspolitischen Gesamtbild, an dem die Untersuchung wegen ihres Erkenntnisinteresses und infolge ihrer spezifischen ordnungsbildenden Regulierungsperspektive ausschließlich interessiert ist. Erst diese Vorgehensweise, die die

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§ 1 Einführung: Der europäische Justizraum in der Konsolidierungsphase 

Breite im Zugriff auf möglichst alle Bereiche der Gerichts- und Behördenkooperation bewusst durch einen Verzicht auf größere Tiefe bei der Analyse einzelner prozessrechtlicher Fragen erkauft, ermöglicht es letztlich aber, Schritt für Schritt anhand der zehn Bausteine einen systematischen Gesamtüberblick über die künftigen Arbeitsschwerpunkte der europäischen Justizpolitik zu gewinnen. In einem kurzen Schlusskapitel sollen dann schließlich die dabei gewonnenen Einsichten zusammengefasst und ein abschließender Ausblick gewagt werden (§ 6).

§ 2 Europäische Gerichtskommunikation I. Erster Baustein. Supranationaler Geschäftsweg 1. Direkter unionsweiter Gerichts- und Behördenverkehr Die Grundlage des supranationalen Geschäftswegs im europäischen Justizraum bildet der direkte grenzüberschreitende Geschäftsverkehr der Gerichte und Justizbehörden, in den bei Bedarf sogenannte, meist administrative Zentralstellen oder Zentrale Behörden eingeschaltet werden können; daneben kann die Kommunika­ tion der Gerichte in grenzüberschreitenden Verfahren teils auch über hybride europäische Kontaktnetzwerke mit justiziellen und administrativen Stellen abgewickelt werden. Die zentrale Rolle der Gerichte für die grenzüberschreitende Kommunikation lässt sich dabei zumindest mittelbar aus den Sekundärrechtsakten der justiziellen Zusammenarbeit ablesen, wo meist ein funktionaler Verweis auf die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten und entsprechende Notifikations- und Transparenzpflichten gegenüber der Kommission zum Zweck der Veröffentlichung zu finden sind.1 Verschiedentlich finden sich zudem prozedural nicht näher abge 1

Für die Zivilgerichte der Mitgliedstaaten vgl. zunächst Art. 2 lit. f)  und 74 f. EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351 vom 20. 12. 2012, S. 1]); Art. 2 Nr. 1, 2 und 68 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 2 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2, und Art. 71 Abs. 1 lit. a EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 3 Abs. 2 und 77 UA 1, 78 Abs. 1 lit. a) EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 3 Abs. 2 und 63 UA 1, 64 Abs. 1 lit. a) EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]); näher E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 2 Brüssel Ia, Rn. 45 f., bzw. Art. 74 Brüssel Ia, Rn. 1 f.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 2 Brüssel Ia-VO, Rn. 37, bzw. Art. 74 Brüssel Ia-VO, Rn. 1; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 2 Brüssel Ia-VO, Rn. 47 ff.; Merret, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 2 Brussels Ibis, Rn. 46, bzw. Mankowski, in: ebd., Art. 74 Brussels Ibis, Rn. 1 f.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 2 EuGVVO, Rn. 32, bzw. Art. 74 EuGVVO, Rn. 1 f.; speziell für Ehescheidungsund Kindschaftsverfahren Dilger, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 2 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 2 ff.; Pintens, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 2 Brussels IIbis, Rn. 4 f., bzw. Mankowski, in: ebd., Art. 68 Brussels IIbis, Rn. 1 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 2 Brüssel IIa-VO, Rn. 2 f., bzw. Art. 68 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 ff.; für Unterhaltsverfahren Reuß, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 2 VO Nr. 4/2009, Rn. 8; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 2 EG-UntVO, Rn. 3 ff.; für die erbrechtlichen Regelungen Schall / Simon, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 3 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 31 ff.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 3 EU-ErbVO, Rn. 11 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 3 EU-ErbVO, Rn. 33 ff., bzw. Art. 78 EU-ErbVO, Rn. 1; aus güterrechtlicher Sicht schließlich noch Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 3 EU-EheGüVO, Rn. 24 ff. Für die Strafgerichte und Strafverfolgungsbehörden vgl. Art. 2 Abs. 1, 3 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 3 Abs. 1, 3 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 3 Abs. 1, 2 und

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

sicherte Ermittlungspflichten der Gerichte, sich vor der grenzüberschreitenden Kontaktaufnahme mit allen verfügbaren Mitteln um die Kontaktdaten des zuständigen ausländischen Gerichts zu bemühen, sowie Weiterleitungspflichten zwischen den Gerichten desselben Mitgliedstaats, falls ausländische Verfahrensdokumente bei einer unzuständigen Stelle im Inland eingehen.2 Darüber hinaus wird den Mit4 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 3 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 6 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 2 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); näher Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 677 (zum RB-Haftbefehl); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 23 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., § 40, Rn. 12 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 43 (zum RB-Freiheitsstrafe); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 9; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 4; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 8. Insbesondere für die grenzüberschreitende Kontaktaufnahme der Strafverfolgungsorgane der Mitgliedstaaten wird der direkte Kontakt ohne Einschaltung weiterer administrativer Stellen meist auch ausdrücklich vorgeschrieben, wobei die verfahrensrechtlichen Details insoweit naturgemäß den nationalen Umsetzungsvorschriften vorbehalten bleiben: Vgl. Art. 4 Abs. 3 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 4 Abs. 2 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 6 Abs. 2 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 10 Abs. 2 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 8 Abs. 1 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 5 Abs. 1 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]), die jeweils für „alle offiziellen Mitteilungen“ den unmittelbaren Kontakt der Behörden vorschreiben, sowie die wohl nur nach ihrer Formulierung abweichende Regelung in Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 5 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]), die die direkte Übermittlung europäischer Haftbefehle und die Lösung etwaiger Probleme unmittelbar zwischen den beteiligten Behörden vorsieht; hierzu Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 121 ff.; Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 624, 684 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 268 (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 290 (zum RB-Geldsanktionen), und Rn. 303 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 24 ff. (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., § 40, Rn. 13 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 10; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 8; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 9. 2 Zu ersterem Regelungsansatz s. im Einzelnen Art. 4 Abs. 5 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 4 Abs. 4 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/ JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 6 Abs. 6 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 10 Abs. 7 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); in der Sache trotz abweichenden Wortlauts („alle sachdienlichen Nachforschungen“) wohl identisch Art. 8 Abs. 2 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/ EU [ABl. L 338/2]); Art. 10 Abs. 1 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 5 Abs. 4 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 30; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 7.  EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 8; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 9. Zu zweiterem hingegen etwa für die Weiterleitung von Schriftstücken in Zivilsachen Art. 6 Abs. 4 EuZustVO (VO [EG] Nr. 1393/2007 [ABl. L 324, S. 79]); Okonska, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 6 VO Nr. 1393/2007, Rn. 34 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 6 EG-ZustellVO, Rn. 11 f.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, Art. 6 EG-ZustVO

I. Erster Baustein. Supranationaler Geschäftsweg

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gliedstaaten als Weiterentwicklung der administrativen Kanäle der internationalen Rechtshilfe die Benennung sogenannter Zentralstellen gestattet, die nach einzelstaatlichen Vorschriften organisatorisch ausgestaltet werden können. Funktional bleibt ihre Beteiligung mit Differenzierungen zwischen den drei Referenzgebieten jedoch ausdrücklich auf die formale Unterstützung der Gerichte beschränkt: In zivilrechtlichen Verfahren kommt den Zentralstellen im Rahmen unionsweiter Zustellungen – für die grundsätzlich die Übermittlung der zuzustellenden Schriftstücke über sogenannte „Übermittlungs-“ bzw. „Empfangsstellen“3 und die anschließende Zustellung nach dem nationalen Prozessrecht vorgesehen ist4  – die Aufgabe zu, allgemeine Auskünfte zu erteilen, bei Schwierigkeiten für Konsultationen bereitzustehen, sowie ausnahmsweise zuzustellende Dokumente direkt an die zuständigen inländischen Stellen weiterzuleiten.5 In erb- und familienrechtlichen Verfahren erfasst der Wirkungskreis der Zentralen Behörden für bestimmte eilbedürftige Konstellationen, namentlich grenzüberschreitende Kindschafts- und 2007, Rn. 3; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 6 EuZVO, Rn. 4; für die Weiterleitung ausländischer Dokumente in Strafverfahren vgl. Art. 4 Abs. 6 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 4 Abs. 5 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 6 Abs. 7 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 10 Abs. 8 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 8 Abs. 3 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 10 Abs. 6 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 5 Abs. 5 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 30; Böse, in: Grützner / ​ Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 8; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 9. 3 Vgl. Art. 2 Abs. 1 bis 3 EuZustVO (VO [EG] Nr. 1393/2007 [ABl. L 324, S. 79]); Okonska, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 2 VO Nr. 1393/2007, Rn. 2 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 2 EG-ZustellVO, Rn. 3 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, Art. 2 EG-ZustVO 2007, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 2 EuZVO, Rn. 2 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 451 f. 4 Vgl. Art. 4 bis 11 EuZustVO (VO [EG] Nr. 1393/2007 [ABl. L 324, S. 79]). Insbesondere zur Übermittlung der Schriftstücke zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen (Art. 4) und zur anschließenden Zustellung durch die Behörden und nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats (Art. 7 Abs. 1) s. im Einzelnen Okonska, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 4 VO Nr. 1393/2007, Rn. 3 ff., Art. 7 VO Nr. 1393/2007, Rn. 5 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 4 EG-ZustellVO, Rn. 2 ff., bzw. Art. 7 EG-ZustellVO, Rn. 2 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, Art. 4 EG-ZustVO 2007, Rn. 2 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 4 EuZVO, Rn. 1, bzw. Art. 7 EuZVO, Rn. 1. S. ferner zur ebenfalls möglichen Zustellung durch Postdienste des Empfangsmitgliedstaats (Art. 14) und zur unmittelbaren Zustellung, bei der – sofern der Zustellungsmitgliedstaat dies gestattet – das Schriftstück unmittelbar den Zustellungsorganen des Empfangsmitgliedstaats übergeben werden kann (Art. 15), Okonska, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 14 VO Nr. 1393/2007, Rn. 4 ff., Art. 15 VO Nr. 1393/2007, Rn. 3 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 14 EG-ZustellVO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 15 EG-ZustellVO, Rn. 1 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, Art. 7 EG-ZustVO 2007, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 14 EuZVO, Rn. 1; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 456 ff. 5 Vgl. Art. 3 EuZustVO (VO [EG] Nr. 1393/2007 [ABl. L 324, S. 79]); Okonska, in: Geimer / ​ Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 3 VO Nr. 1393/2007, Rn. 1 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 3 EG-ZustellVO, Rn. 1 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, Art. 3 EG-ZustVO 2007, Rn. 2 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 3 EuZVO, Rn. 1 f.

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

Unterhaltsverfahren, über die Unterstützung der Gerichte hinaus auch eigenständige inhaltliche Aufgaben. Hierzu zählen allgemein der Austausch verfahrensrelevanter Informationen, die Übermittlung und Entgegennahme und teilweise auch selbständige Stellung bestimmter Anträge im Verfahren vor den Gerichten bis hin zur unionsweiten Geltendmachung von Unterhaltsforderungen in fremdem Namen, sowie die eigenständige Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Parteien.6 In strafrechtlichen Verfahren erfasst das Mandat der Zentralen Behörden noch mit deutlichen Spurenelementen der internationalen Rechtshilfe neben inhaltlicher Unterstützung vor allem die administrative Abwicklung des amtlichen Schriftverkehrs, etwa die Übermittlung von Entscheidungen, Nachfragen oder Konsultationen zwischen den Gerichten, und alle sonstigen Mitteilungen.7 Daneben bestehen mittlerweile hybride, semi-institutionalisierte Kontaktnetzwerke aus justiziellen und administrativen Stellen der Mitgliedstaaten, die die unionsweite Gerichtskommunikation durch den informellen Austausch sachdienlicher Informationen erleichtern sollen. Das sogenannte „Europäische Justizielle Netz in 6 Vgl. zunächst allgemein zu den Zentralen Behörden im Rahmen von Ehe- und Kindschaftsverfahren Art. 53 bis 58 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); de Lima Pinheiro, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 53 Brussels IIbis, Rn. 1 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 53 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 f. Zu den allgemeinen Aufgaben der Zentralen Behörden in Kindschaftsverfahren – hierzu gehören insbesondere die Informationbeschaffung, die Unterstützung der Parteien, und die Erleichterung einer gütlichen Einigung (Art. 55 lit. a), b) und e) EuEheVO) –, sowie insbesondere zur zwingenden Zustimmung der Zentralen Behörde vor der Unterbringung eines Kindes in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 56 Abs. 1 und 2) s. sodann ausführlich de Lima Pinheiro, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 55 Brussels IIbis, Rn. 1 ff., bzw. Art. 56 Brussels IIbis, Rn. 1 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 55 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 f., bzw. Art. 56 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 f. Nochmals umfangreicher sind die Befugnisse der Zentralen Behörden in grenzüberschreitenden Unterhaltsverfahren: Vgl. insoweit zunächst allgemein Art. 49 bis 63 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 49 VO Nr. 4/2009, Rn. 1 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Vor Art. 49 EG-UntVO, Rn. 1, Art. 49 EG-UntVO, Rn. 1 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Vorbem zu Artt. 49 EG-UntVO, Rn. 1 ff. Im Einzelnen kommt den Zentralen Behörden sogar die Aufgabe zu, Anträge auf Erlass, Abänderung oder Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen entgegenzunehmen und mithilfe ihrer Pendants in den anderen Mitgliedstaaten entsprechende Verfahren vor den zuständigen Gerichten einzuleiten (Art. 56, 51 Abs. 1 EuUnthVO); ferner können sie „alle angemessenen Maßnahmen“ vornehmen, um etwa Prozesskostenhilfeanträge zu erleichtern, den Aufenthaltsort verfahrensbeteiligter Personen zu ermitteln oder die Eintreibung von Unterhalt zu erleichtern, soweit dies mit dem Recht der jeweils beteiligten Mitgliedstaaten vereinbar ist (Art. 51 Abs. 2). Vgl. ausführlich Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 51 VO Nr. 4/2009, Rn. 3 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 20 EG-UntVO, Rn. 6 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 51 EG-UntVO, Rn. 3 ff. bzw. 7 ff. 7 Vgl. Art. 2 Abs. 2 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 3 Abs. 2 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); etwas detaillierter Art. 7 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]) und Art. 4 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); schließlich Art. 7 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn. 678 (zum RB-Haftbefehl); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 24 (zum RB-Geldsanktionen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 7.  EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 6; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 8.

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Zivil- und Handelssachen“ für die zivilrechtliche sowie erb- und familienrechtliche Zusammenarbeit hat der Unionsgesetzgeber bereits im Jahr 2001 geschaffen; das Pendant für die strafrechtliche Zusammenarbeit existiert seit 2008.8 Die in­ stitutionelle Struktur des EJN ist bewusst offen gefasst, um trotz der Vielfalt einzelstaatlicher Organisationsmodelle unionsweit anschlussfähig zu bleiben: Jeder Mitgliedstaat kann demnach sämtliche Stellen oder Behörden benennen, deren Kenntnisse für die grenzüberschreitende Kommunikation mit den Gerichten anderer Mitgliedstaaten hilfreich erscheinen; ausdrücklich zählen hierzu etwa Verbindungsrichter, Berufskammern, und die im Rahmen einzelner Sekundärrechtsakte benannten Zentralstellen.9 Darüber hinaus benennt jeder Mitgliedstaat eine oder mehrere sogenannte Kontaktstellen – üblicherweise Gerichte oder Behörden, die regelmäßig mit grenzüberschreitenden Verfahren in Berührung kommen, oder aus anderen Gründen über eine herausgehobene Expertise verfügen – und stattet diese mit angemessenen Personal- und Kommunikationsressourcen aus.10 Die Informations- und Kommunikationsfunktion des EJN wird primär durch diese Kontaktstellen wahrgenommen, die sowohl den inländischen Gerichten als auch den anderen Kontaktstellen des EJN zur Verfügung stehen. Je nach Bedarf kommt ihnen die Aufgabe zu, direkte Kontakte zu ausländischen Gerichten zu vermitteln, Informationen zur Anwendung unionsrechtlicher oder ausländischer Vorschriften zur Verfügung zu stellen, oder die inländischen Gerichte bei der Vorbereitung von Ersuchen um justizielle Zusammenarbeit zu beraten; ferner können die Kontaktstellen bei allen weiteren Schwierigkeiten ad hoc angerufen werden.11 Die konkreten Abläufe be 8 Für erstere s. die EJN-Entscheidung Zivilsachen (Entscheidung des Rates 2001/470/EG [ABl. L 174, S. 25]), mit vertiefenden Darstellungen etwa bei Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 123 ff.; Fornasier, ZEuP 2010, S. 477 (488 ff.); Menne, ZEuP 2019, S. 472 (482 f.); Menne, JZ 2017, S. 332 (334 f.); zum Pendant speziell für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Notaren außerdem Matyk, ZEuP 2010, S. 497 (500 ff.). Für letztere s. dann den EJN-Beschluss Strafsachen (Beschluss des Rates 2008/976/JI [ABl. L 348, S. 130]), und die Ausführungen bei Ahlbrecht / Böhm / Esser / Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 2018, S. 552 f.; Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 576 f.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 278; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 502 f.; Stiegel, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 46, Rn. 12 ff.; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 48 ff.; Schierholt, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 3 (EJN-Beschluss), Rn. 1 ff.; schließlich Demmelbauer, Europol, Eurojust und das Europäische Justizielle Netz, 2012, S. 36 ff. 9 Vgl. Art. 2 EJN-Entscheidung Zivilsachen (Entscheidung des Rates 2001/470/EG [ABl. L 174, S. 25]); Art. 1 EJN-Beschluss Strafsachen (Beschluss des Rates 2008/976/JI [ABl. L 348, S. 130]); Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 124 f.; Stiegel, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 46, Rn. 13; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 51; Schierholt, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 3 (EJN-Beschluss), Rn.  4. 10 Vgl. Art. 2 Abs. 2 und 2a EJN-Entscheidung Zivilsachen (Entscheidung des Rates 2001/470/ EG [ABl. L 174, S. 25]); Art. 2 Abs. 3 und 5 EJN-Beschluss Strafsachen (Beschluss des Rates 2008/976/JI [ABl. L 348, S. 130]); Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 123 f.; Stiegel, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 46, Rn.  13; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 52; Schierholt, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 3 (EJN-Beschluss), Rn. 5. 11 Vgl. Art. 5 EJN-Entscheidung Zivilsachen (Entscheidung des Rates 2001/470/EG [ABl. L 174, S. 25]); Art. 4 EJN-Beschluss Strafsachen (Beschluss des Rates 2008/976/JI [ABl. L 348,

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

ruhen dabei weitgehend auf informellen Regeln und bewährten Praktiken, die unter dem Vorsitz der Kommission in mindestens zwei jährlichen Sitzungen der Kontaktstellen und bedarfsweise einberufenen Plenarsitzungen aller Mitglieder des Netzes erarbeitet und verfeinert werden; lediglich für die Antwort auf Ersuchen ausländischer Gerichte werden den Kontaktstellen Bearbeitungsfristen von 15 bis 30 Tagen vorgegeben, deren Missachtung jenseits der statistischen Erfassung in einem elektronischen Register der Kommission aber keine Sanktionen nach sich zieht.12

2. Elektronischer unionsweiter Gerichts- und Behördenverkehr Als zweiter, allerdings noch auf verschiedene experimentelle Einzelprojekte beschränkter Kommunikationsweg zeichnet sich unter dem Oberbegriff einer europäischen „e-justice“ zudem in Ansätzen ein grenzüberschreitender elektronischer Geschäftsweg der Gerichte und Justizbehörden im europäischen Justizraum ab. Vor dem Hintergrund des Durchbruchs elektronischer Kommunikationstechnologien sowie der immensen geographischen Größe des Justizraums zeigt sich hier seit dem Ende der 2000er Jahre ein recht offensiver Ansatz der europäischen Justizpolitik zur Entwicklung einer unionsweiten elektronischen Informations- und Kommunikationsinfrastruktur mit unmittelbarem Zugriff für sämtliche Gerichte, Justizbehörden und Unionsbürger.13 Bereits im Rahmen des Europäischen Justiziellen Netzes hatte sich ein informelles Vorläuferkonzept herausgebildet, das auf einem von den EJN-Kontaktstellen und der Kommission entwickelten, öffentlich zugänglichen online-Informationsangebot mit Merkblättern zu praktischen Fragen grenzüberschreitender Gerichtsverfahren beruhte:14 Die zivilrechtliche Abteilung enthält derzeit rund 20 Informationsblätter mit einem Gesamtumfang von rund 10 500 Seiten zu thematisch sortierten Schlagworten wie „Scheidung“, „Unterhalt“ oder „Insol­venz“, sowie zu verfahrensrechtlichen Einzelthemen wie „Der Gang zum S. 130]); Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 123 f.; Stiegel, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 46, Rn. 17 f., 22 ff.; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 56 ff., 62 f.; Schierholt, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 3 (EJN-Beschluss), Rn. 2 f., 14 ff., 20 ff. 12 Vgl. Art. 8 bis 12 EJN-Entscheidung Zivilsachen (Entscheidung des Rates 2001/470/ EG [ABl. L 174, S. 25]); Art. 5 f. EJN-Beschluss Strafsachen (Beschluss des Rates 2008/976/ JI [ABl. L 348, S. 130]); Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 124; Stiegel, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 46, Rn.  19 ff.; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 59 ff.; Schierholt, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 3 (EJN-Beschluss), Rn. 23. 13 Vgl. Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger (2010/C 115/01 [ABl. C 115/1]), S. 7, 12, 14 und insbesondere 16. Darstellungen der Grundzüge des e-justice-Programms bieten außerdem Velicogna / Lupo, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 181 (182 f.); Storskrubb, in: ebd., S. 271 (275 ff.); Pilette, in: Weller / Wendland (Hrsg.), Digital Single Market, 2019, S. 291 ff. 14 Stiegel, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 46, Rn. 25; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 63. Zur Überführung der online-Angebote des EJN in das Europäische Justizportal s. Rat der Europäischen Union, Zusammenarbeit zwischen der Website des Europäischen Justiziellen Netzes für Strafsachen und E-Justiz – Schlussfolgerungen des Rates, EuCO 13407/13.

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Gericht“, „Prozessuale Fristen“, oder „Vollstreckungsverfahren“;15 das strafrechtliche Informationsangebot umfasst eine etwas kleinere, in derzeit zwölf Sprachen verfügbare Sammlung verschiedener Dateien wie dem „Europäischen Justiziellen Atlas“ (Kontaktdaten der international zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten), die sogenannten „Belgischen Blätter“ (rechtliche und praktische Informationen zu strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten), oder die Datei „Solon“ (Glossar einschlägiger Rechtsbegriffe mit Übersetzungen in den Mitgliedstaaten).16 Die wesentlichen politischen Koordinaten des seither vorangetriebenen „e-justice“-Konzepts finden sich in einer „Europäischen Strategie für die e-Justiz“ der Kommission aus dem Jahr 2008,17 sowie in zwei Aktionsplänen des Rates für die Zeiträume 2009 bis 2013 und 2014 bis 2018.18 Als grobe Leitlinie definiert die Kommission „e-Justiz“ als den möglichst viele Mitgliedstaaten einbeziehenden „Rückgriff auf Informations- und Kommunikationstechnologien für einen besseren Zugang der Bürger zur Justiz und für ein effizienteres Vorgehen der Justiz bei der Streitbeilegung und der strafrechtlichen Ahndung“.19 Der erste Aktionsplan des Rates geht bereits im Jahr 2009 von einem Umfang von etwa zehn Millionen Parteien grenzüberschreitender Zivilverfahren im europäischen Justizraum aus,20 und betont – zunächst noch mit einer gewissen verbraucherrechtlichen, auf den unionsweiten „Zugang zum Recht“ abhebenden Akzentuierung21 – den Konsens der Mitgliedstaaten, die europäische e-Justiz müsse angesichts der geographischen Größe des Justizraums einen Eckpfeiler der weiteren Entwicklung bilden.22 Als zentrales Projekt kristallisiert sich dabei die Entwicklung eines „Europäischen Justizportals“ heraus, das Bürgern, Unternehmen und Rechtspraktikern verschiedenste Informationen über den europäischen Justizraum zugänglich machen soll. Einschlägige – und bisweilen etwas eklektisch anmutende – Angebote sind hier etwa Sammlungen von Rechtsvorschriften und Rechtsprechung auf nationaler und europäischer Ebene, Glossare zur Übersetzung von Rechtsbegriffen, Formulare und Verfahrensdokumente zum Herunterladen, Suchmaschinen für die Suche beispielsweise nach 15 Vgl. im Einzelnen den Überblick in Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM(2016) 129 final, S. 8 ff. 16 Näher Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 63. 17 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung […]: Eine europäische Strategie für die e-Justiz, KOM(2008) 329 endgültig; s. ferner Rat der Europäischen Union, Rolle der europäischen E-Justiz in der Justizpolitik der EU, EuCO 16114/2/10. 18 Rat der Europäischen Union, Mehrjähriger Aktionsplan 2009–2013 für die europäische E-Justiz (2009/C 75/01 [ABl. C 75/1]); Rat der Europäischen Union, Mehrjähriger Aktionsplan für die europäische E-Justiz (2014–2018), EuCO 9714/14. 19 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung […]: Eine Europäische Strategie für die e-Justiz, KOM(2008) 329 endgültig, S. 3. 20 Rat der Europäischen Union, Mehrjähriger Aktionsplan 2009–2013 für die europäische E-Justiz (2009/C 75/01 [ABl. C 75/1]), S. 1. 21 Rat der Europäischen Union, Mehrjähriger Aktionsplan 2009–2013 für die europäische E-Justiz (2009/C 75/01 [ABl. C 75/1]), S. 2. 22 Rat der Europäischen Union, Mehrjähriger Aktionsplan für die europäische E-Justiz (2014–2018), EuCO 9714/14, S. 4.

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

Rechtsanwälten, Notaren, Gerichtsdolmetschern oder Mediatoren in anderen Mitgliedstaaten, sowie Weiterleitungen zu anderen einschlägigen online-Angeboten der Union oder anderer Akteure.23 Längerfristig gehen die Überlegungen der Kommission dahin, über die elektronischen Informationsangebote hinaus auch Kommunikations- und Transaktionsfunktionen mit unmittelbaren Rechtsfolgen elek­ tronischer Interaktionen in das Europäische Justizportal zu integrieren, etwa den Einblick in Registerakten, die Vornahme von Verfahrenshandlungen, oder die Zahlung von Gerichtskosten;24 ferner findet sich bereits die Möglichkeit zur Einrichtung dauerhaft registrierter individueller Nutzerprofile. Konzeptionell, wenn auch ersichtlich noch ein gutes Stück entfernt am integrationspolitischen Horizont, zeichnet sich damit in vagen Umrissen der Gedanke eines europäischen „one stop government“ im europäischen Justizraum ab.25 Im Übrigen befindet sich die Entwicklung des elektronischen Geschäftswegs angesichts des vergleichsweise jungen Alters des „e-justice“-Programms und der äußerst dynamischen Realbereichsentwicklungen noch im Experimentierstadium; klar prägend ist hier ein querschnittsartiger Zugriff, der in praktisch allen Bereichen supranationaler Gerichtskommunikation im „Raum“ separate – derzeit laut dem 2018 ausgelaufenen Aktionsplan des Rates insgesamt 4226 – Projekte entwickelt. Zumindest als erster ordnungsbildender Orientierungspunkt lässt sich hier ein Tableau unterschiedlicher Projekte skizzieren, das von der Digitalisierung einzelner Verfahrensschritte bis zur elek­ tronischen Abwicklung gesamter Gerichtsverfahren reicht: Am Anfang dieses Spektrums steht etwa die elektronische Zustellung von Verfahrensdokumenten in Zivilsachen, die in einem Verordnungsentwurf der Kommission aus dem Jahr 2018 erstmals flächendeckend für alle grenzüberschreitenden Zustellungsvorgänge vorgesehen ist,27 sowie die Durchführung von Telefon- oder Videokonferenzen bei 23

Abrufbar unter https://e-justice.europa.eu/home.do (letzter Abruf am 15. 4. 2020). S. außerdem etwa Steigenga / Velicogna, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 243 (252 f.); Storskrubb, in: ebd., S. 271 (278). 24 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung […]: Eine Europäische Strategie für die e-Justiz, KOM(2008) 329 endgültig, S. 6 f. Zur gängigen Unterscheidung der drei zentralen Funktionen elektronischer Verwaltung – Informations-, Kommunikations-, Transaktionsfunktion – s. Britz, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 2, § 26, Rn. 21 ff. 25 So auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung […]: Eine europäische Strategie für die e-Justiz, KOM(2008) 329 endgültig, S. 5 ff.; außerdem Steigenga / Velicogna, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 243 (252 f.); Storskrubb, in: ebd., S. 271 (278). Ausführlich zum Konzept im Allgemeinen Britz, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 2, § 26, Rn. 39 ff. 26 Rat der Europäischen Union, Mehrjähriger Aktionsplan für die europäische E-Justiz (2014–2018), EuCO 9714/14, S. 2 ff.; Rat der Europäischen Union, Durchführung des mehrjährigen Aktionsplans für die Europäische E-Justiz (2014–2018), EuCO 15771/14, S. 2 ff. 27 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“), COM(2018) 379 final. Für die Nutzung elektronischer Zustellungs- und weiterer Kommunikationsformen in Strafverfahren steht die Entwicklung demgegenüber noch am Anfang, und beschränkt sich bisher auf die informelle Erörterung möglicher Anwendungsfelder; vgl. zuletzt Council of the European

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grenzüberschreitenden Beweisaufnahmen, die neben der logistischen Verein­ fachung für die Verfahrensbeteiligten auch aus der Perspektive der Gerichte die Verfahrensplanung und -durchführung erleichtern soll, indem etwa Aussagen von Zeugen und Sachverständigen oder Übersetzungen durch Dolmetscher flexibel in den Verfahrensablauf integriert werden können. Der Rat hat hierfür als unverbindliche Handreichung einen Leitfaden bewährter Praktiken erstellt, der neben rechtlichen Fragen mit bemerkenswertem Detailgrad auch technische Aspekte von Videokonferenzen thematisiert, bis hin zu Fragen der Konfiguration der Geräte, der Positionierung von Mikrofonanlagen, oder den spezifischen rechtlichen Anforderungen bei der Ausstattung der Justiz mit mobilen Geräten.28 Die Kommission hat in diesem Zusammenhang ferner mit einem Verordnungsvorschlag von 2018 eine Überarbeitung der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung in Zivil- oder Handelssachen eingeleitet, die neben einer prinzipiellen Pflicht zur Übermittlung aller Unterlagen auf elektronischem Weg und dem standardmäßigen Rückgriff auf Videokonferenzen erstmals auch unionsrechtliche Vorschriften zur elektronischen Beweisaufnahme formuliert, und insbesondere die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Nutzung digital im Ausland erhobener Beweise im späteren Gerichtsverfahren zuzulassen.29 Am anderen Ende des Spektrums steht demgegenüber das seit 2011 von 23 Mitgliedstaaten und weiteren Projektpartnern unter der Koordinierung des nordrhein-westfälischen Justizministeriums betriebene e-CODEX-Projekt („e-Justice Communication via Online Data Exchange“), das für bestimmte Verfahrenshandlungen die Interoperabilität der IT-Systeme der Mitgliedstaaten herstellen und so zumindest in technischer Hinsicht die Durchführbarkeit ganzer gerichtlicher Verfahren über online-Anwendungen sicherstellen soll.30 In das e-CODEX-Projekt integriert sind bisher die Rahmenbeschlüsse über den Europäischen Haftbefehl und über Geldsanktionen, sowie das Europäische Bagatellverfahren und das Euro­ Union, 12th Meeting of the Consultative Forum of Prosecutors General and Directors of Public Prosecutions of the Member States of the European Union (Eurojust, The Hague, 6 October 2017), Conclusions, EuCO 6029/18, S. 2, sowie ausführlicher Council of the European Union, 12th Meeting of the Consultative Forum of Prosecutors General and Directors of Public Prosecutions of the Member States of the European Union (Eurojust, The Hague, 6 October 2017): Summary and compilation of replies on the use of digital tools in criminal proceedings, EuCO 7509/18, S. 1 ff. 28 Rat der Europäischen Union, Videokonferenzen als Bestandteil der Europäischen E-Justiz. Grundlagen des Einsatzes von Videokonferenzen in grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren, EuCO 9862/09, S. 2 ff. 29 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, COM(2018) 378 final. 30 Abrufbar unter https://www.e-codex.eu (letzter Abruf: 15. 4. 2020). S. zudem Velicogna, in: Contini / Lanzara (Hrsg.), The Circulation of Agency in E-Justice, 2014, S. 309 ff. (mit differenzierter Darstellung der technischen Abläufe im Einzelnen, S. 312 ff.); Velicogna / Lupo, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 181 (192 ff.); Steigenga / Velicogna, in: ebd., S. 243 (255 f.); Storskrubb, in: ebd., S. 271 (279 ff.).

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päische Mahnverfahren; bei letzterem deutet sich unter den derzeit neun teilnehmenden Mitgliedstaaten – als möglicher Fingerzeig einer (zumindest vorübergehend) sinnvollen Differenzierung – die Praxis an, das online-Verfahren vorerst nur für institutionelle Akteure wie Anwälte, Banken, Versicherungsunternehmen oder Sozialversicherungsträger zu öffnen.31 Ein vollständig digital abgewickeltes online-Gerichtsverfahren findet sich schließlich für die Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten über im Internet geschlossene Kauf- oder Dienstleistungsverträge des digitalen Binnenmarkts; hier können fakultativ über eine sogenannte OS-Plattform ausführliche Informationen über die verfügbaren Schlichtungsstellen der Mitgliedstaaten, Gebühren, Verfahrensdauer, und Rechtsfolgen der Schlichtung eingesehen werden, und anschließend mit kostenlosen elektronischen Beschwerdeund Antwortformularen gemeinsam eine Schlichtungsstelle festgelegt werden, die analog oder elektronisch über ein elektronisches Fallbearbeitungssystem auf der OS-Plattform ein Streitbeilegungsverfahren nach den nationalen Vorschriften durchführt.32

3. Künftige Arbeitsfelder des supranationalen Geschäftswegs In der Konsolidierungsphase der nächsten Jahre wird die EU-Justizpolitik dem supranationalen Geschäftsweg allerdings noch in größerem Umfang ihre Aufmerksamkeit widmen müssen. Fast durchgehend ist die Zusammenarbeit der Gerichte und Justizbehörden hier noch eher von Schwierigkeiten geprägt. Allenfalls für den direkten Gerichtsverkehr, und hier insbesondere die zivilrechtliche Zustellung von Verfahrensdokumenten33 sowie die Zusammenarbeit familienrechtlicher Zentraler 31

Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1896/​ 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2015) 495 final, S. 6 f. Ausführlich zur bisherigen Implementationspraxis in den beteiligten Mitgliedstaaten Velicogna / Lupo, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 181 (195 ff.). 32 Vgl. die Vorschriften der sogenannten OS-Verordnung (VO [EU] Nr. 524/2013 [ABl. L 165, S. 1]). Im Einzelnen sieht die Verordnung eine elektronische „OS-Plattform“ (Art. 5 Abs. 1 bis 4), ein ergänzendes Netz von „OS-Kontaktstellen“ der Mitgliedstaaten, insbesondere Verbraucherzentralen und -verbände, denen primär die Aufgabe zukommt, die Kommunikation der Bürger mit den zuständigen Streitbeilegungsstellen außerhalb der OS-Plattform zu erleichtern (vgl. Art. 7 Abs. 1 und 2), sowie Vorschriften zur Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens über die OS-Plattform (Art. 8 Abs. 1 und 2) und schließlich zur Durchführung des Verfahrens (Art. 10) vor. Für weiterführende – und meist skeptische – Überblicke zur OS-Verordnung Greger / ​Unberath / Steffek, Recht der alternativen Konfliktlösung, 2. Aufl. 2016, S. 467 ff.; Koehler / ​ Müller, in: Leible / Terhechte, § 26, Rn. 35; Hakenberg, EWS 2014, S. 181 (181 ff.); Rühl, ZRP 2014, S. 8 (10 f.); Meller-Hannich / Höland / Krausbeck, ZEuP 2014, S. 8 (17 ff.). 33 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/​ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 10 f. Insgesamt bewerteten 49 % der von der Kommission befragten Rechtspraktiker der Mitgliedstaaten die Arbeit der zivilrechtlichen Zentralstellen als „sehr effektiv“ oder zumindest

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Behörden bei Kindesentführungen, wo die Kommission binnen etwa vier Jahren immerhin 155 bilaterale Zusammenkünfte Zentraler Behörden registriert hat, lässt sich eine noch vergleichsweise positive Bilanz der bisherigen Zusammenarbeit ziehen.34 Wo darüber hinaus beim Direktverkehr der Gerichte und Justizbehörden bisher Probleme vermeldet werden, scheinen diese prinzipiell in absehbarer Zeit lösbar; für zivilrechtliche Verfahren diagnostiziert die Kommission etwa Missverständnisse über die Aufgaben der Zentralstellen, eine mangelhafte Verbreitung von Informationen über ihre Erreichbarkeit, oder basale technische Probleme bis hin zu fehlenden Computern,35 für die familienrechtliche Zusammenarbeit vor allem nicht näher beschriebene Probleme bei der Zusammenarbeit in Kindschaftsverfahren.36 Deutlich größere Aufmerksamkeit wird der Unionsgesetzgeber dem­gegenüber der Absicherung des direkten Gerichtsverkehrs bei der Arbeit der strafrechtlichen Zentralstellen – meist in intergouvernementaler Tradition die Justizministerien der Mitgliedstaaten37 – zukommen lassen müssen, denen trotz ausdrücklicher Kritik „effektiv“, und lediglich 18 % als ineffektiv (ebd., S. 10); zumindest die praktischen Probleme der EuZustVO scheinen insoweit eher bei der Arbeit der Übermittlungs- und Empfangsstellen der Mitgliedstaaten zu suchen zu sein, vgl. – mit einem Überblick über die konkreten Probleme, etwa hinsichtlich der Kenntnisse der Übermittlungs- und Empfangsstellen über die Funktionsweise der Verordnung – ebd., S. 10. 34 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2201/​ 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, KOM(2014) 225 final, S. 13 mit Fn. 52. 35 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/​ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 10 f. 36 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2201/​ 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, KOM(2014) 225 final, S. 13. 37 So etwa bei der Kommunikation in Verfahren über strafrechtliche Geldsanktionen und Einziehungsentscheidungen – freilich nur nach den letzten verfügbaren einheitlichen Erhebungen, die schon älteren Datums sind – auffälligerweise in eher kleineren Mitgliedstaaten wie Dänemark, Estland, Ungarn, Litauen, Lettland und Slowenien (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] gemäß Artikel 20 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, KOM[2008] 888 endgültig, S. 3) bzw. Dänemark, Tschechien, Irland, Lettland, Polen, der Slowakei, und Rumänien (vgl. Europäische Kommission, Bericht […] gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, KOM[2010] 428 endgültig, S. 6) sowie bei der tendenziell komplexeren Kommunikation über Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren, wo Tschechien, Finnland und Ungarn das jeweilige Justizministerium als Zentrale Behörde benannt haben (vgl. European Commission, Tables „State of play“ and „Declarations“ accompanying the document Report on the implementation by the Member States of the Framework Decisions 2008/909/JHA, 2008/947/JHA and 2009/829/JHA on the mutual recognition of judicial decisions on custodial sentences or measures involving deprivation of liberty, on probation decisions and alternative sanctions and on supervision measures as an alternative to provisional detention, SWD[2014] 34 final, Annex II, S. 13 und 15).

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seitens der Kommission teilweise noch materielle Entscheidungsbefugnisse übertragen werden.38 Der EuGH scheint hier mit seiner ersten Entscheidung zur Thematik der Zentralstellen aus dem Jahr 2017, derzufolge die Vollstreckung ausländischer (familienrechtlicher) Entscheidungen stets unmittelbar bei den Gerichten der Mitgliedstaaten beantragt werden kann – und einzelstaatliche Vorschriften mit erweiternden materiellen Kompetenzen der Zentralstellen aufzuheben sind39  –, zwar zuletzt möglicherweise eine Gegenbewegung einzuleiten, deren Auswirkungen allerdings für die Kommunikation der Strafverfolgungsorgane schon deshalb voraussichtlich gering bleiben dürften, da jenseits des politisch in dieser Frage relativ hoch gegriffenen Vertragsverletzungsverfahrens nicht recht einleuchtet, in welchen verfahrensrechtlichen Konstellationen die Rolle der strafrechtlichen Zentralstellen im unionsweiten Verkehr der Strafverfolgungsbehörden vor den EuGH gelangen könnte. Als bislang ebenfalls schwieriges Terrain, das der Unionsgesetzgeber vertieft in den Blick wird nehmen müssen, erweist sich auch die Zusammenarbeit im Rahmen des EJN-Systems, wo die jüngeren Evaluationen zwar einerseits eine gewisse institutionelle Dynamik nahelegen, sich aber andererseits auch recht deutlich die Grenzen der unionsweiten Gerichtskommunikation durch informelle Kontaktnetzwerke andeuten: So setzt sich zwar das EJN in Zivil- und Handelssachen mit Stand 2016 aus unionsweit 505 Mitgliedern zusammen, und weist dabei mit etwa gleicher Beteiligung von Kontaktstellen (139 Mitglieder), Zentralbehörden (124 Mitglieder) und sonstigen Justizbehörden (166 Mitglieder), sowie einem kleineren Anteil von Berufskammern und Verbindungsrichtern (70 bzw. sechs Mitglieder) eine recht hohe institutionelle Diversität auf.40 Zugleich bringen jedoch die meisten Mitgliedstaaten zurzeit bei einem Gesamtdurchschnitt von etwa fünf Kontaktstellen pro Mitgliedstaat lediglich zwei bis drei Kontaktstellen in das EJN ein, sodass gegenüber der traditionellen Praxis des Austauschs nationaler Verbindungsrichter jedenfalls in der Breite noch relativ wenig gewonnen scheint.41 Auch lassen die einzelnen Aufgabenfelder des EJN derzeit noch ein unterschiedliches Niveau der Zusammenarbeit erkennen; eine beträchtliche Resonanz erfährt insoweit vor allem die programmatische Arbeit der Kontaktstellen zur Entwicklung bewährter Praktiken – wo neben 38 thematisch auf einzelne Unionsrechtsakte konzen­ 38

So Europäische Kommission, Bericht […] gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, KOM(2010) 428 endgültig, S. 6 f., für Lettland und Irland, deren Zentrale Behörden teilweise eine Vorabprüfung vornehmen müssen, bevor ausländische Entscheidungen überhaupt an die zuständige inländische Behörde weitergeleitet werden, sodass die Abwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Ergebnis – und im ausdrücklichen Widerspruch zu den einschlägigen Sekundärrechtsakten – letztlich auch weiterhin von einem kaum begrenzten Rechtshilfeermessen der nationalen administrativen Stellen abhängt. 39 EuGH, Rs. C-283/16 (M. S.), EU:C:2017:104, Rn. 26 ff., 46 ff. 40 Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM(2016) 129 final, S. 3. 41 Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM(2016) 129 final, S. 4.

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trierten Sitzungen und rund 300 bilateralen Treffen im Zeitraum von 2009 bis 2015 elf Arbeitsgruppen zu relativ spezialisierten Sonderthemen eingesetzt wurden, etwa „Familienmediation“, „Unterhaltsrückstände“, oder „Bekanntheitsgrad des EJN“42 –, wohingegen ausgerechnet in der grenzüberschreitenden Fallkooperation der Kontaktstellen bisher die Zusammenarbeit nur auf geringem quantitativen Niveau stattfindet: Die Kommission spricht hier  – wenngleich ohne konkrete Daten – von einem „gemischte[n], wenn auch lückenhafte[n] Bild, demzufolge das Netz […] höchst unterschiedlich in Anspruch genommen wird […];“43 einen gro 42 Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM(2016) 129 final, S. 5 f. 43 Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM(2016) 129 final, S. 5 f. Insbesondere erweist sich dabei die bisher politisch verschleppte Entwicklung einer adäquaten technischen Infrastruktur für die Fallbearbeitung der Kontaktstellen als Problem; das von der EJN-Ratsentscheidung ausdrücklich vorgesehene interne elektronische Registrations- und Kommunikationssystem ist nach einem ersten gescheiterten Anlauf bisher nicht weiter verfolgt worden (s. Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM[2016] 129 final, S. 6 f.), und scheint auch weiterhin keine über sehr unspezifische und eher routiniert anmutende Überlegungen hinausgehende Rolle auf der Agenda von Rat und Kommission einzunehmen, vgl. Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM(2016) 129 final, S. 12, sowie Rat der Europäischen Union, Europäisches Justizielles Netz in Zivil- und Handelssachen – Schlussfolgerungen des Rates vom 8. Dezember 2016, EuCO 15349/16, S. 5. Daneben scheinen hier mittelfristig Überlegungen zur Verkopplung der bisher nur lose verbundenen Kommunikationskanäle und zu ihren spezifischen institutionellen Vor- und Nachteilen in unterschiedlichen Verfahrenskonstellationen angezeigt, die aus den Erfahrungen der Praxis heraus entwickelt und zumindest in einen rechtlich unverbindlichen Katalog bewährter Praktiken überführt werden könnten. Als erster Fingerzeig bleibt dabei festzuhalten, dass sich im strafrechtlichen Kontaktstellensystem sowohl für die Anfragen inländischer gegenüber solchen ausländischer Behörden als auch für Anfragen zu leichten gegenüber solchen zu schweren Delikten bisher ein Verhältnis von jeweils etwa 2:1 entwickelt hat, s. European Judicial Network (EJN Secretariat), Report on the Operation and Management of the European Judicial Network 2011 and 2012, S. 15 ff. sowie S. 37 ff. Als vorrangiges Anwendungsgebiet des EJN-Kontaktstellensystems könnte sich damit längerfristig vor allem die breite Masse niedrigschwelliger Verfahren herauskristallisieren, in denen selbst der gegenüber der internationalen Rechtshilfe bereits reduzierte Aufwand der direkten unionsweiten Kommunikation mit ausländischen Gerichten noch unverhältnismäßig oder aus sonstigen Gründen prohibitiv erscheint. In qualitativer Hinsicht fällt dabei allerdings auf, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit der Kontaktstellen weiterhin vor allem in Kooperationsanfragen im Rahmen der klassischen internationalen Rechtshilfe, also außerhalb des Anwendungsbereichs der Sekundärrechtsakte des europäischen Justizraums zu finden ist (7 765 Anfragen im gesamten zweijährigen Berichtszeitraum, und damit rund die Hälfte aller Anfragen im EJN); erst mit deutlichem Abstand rangiert dann die Unterstützung der Gerichte und Justizbehörden bei der Abwicklung europäischer Haftbefehle (3 330 Anfragen) und Auskünften über das Recht des heimischen oder eines anderen Mitgliedstaats (2 470 Anfragen), vgl. ebd., S. 15. Ein vergleichbarer Befund liegt auch mit Blick auf die anderen Sekundärrechtsakte der Zusammenarbeit in Strafsachen nahe, die in der Praxis des EJN im Grunde eine bestenfalls marginale Rolle spielen (jeweils für den gesamten zweijährigen Berichtszeitraum: 43 Anfragen im Rahmen von Einziehungsentscheidungen, 288 Anfragen im Rahmen von Geldsanktionen, sowie 52 Anfragen im Rahmen der Vollstreckung von Freiheitssanktionen; ebd., S. 15 f.). S. ferner für weitere, inhaltlich weitgehend vergleichbare Daten European Judicial

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ben Anhaltspunkt möglicher Größenordnungen vermitteln insoweit die jüngeren Berichte des strafrechtlichen EJN, die bei einer vergleichbaren Größe des Netzwerks (etwa 400 Kontaktstellen) etwas mehr als 15 000 Fallanfragen zwischen den Kontaktstellen ermitteln.44 Schließlich wird insbesondere auch die Entfaltung des elektronischen Geschäftswegs der Gerichte noch mit neuer Arbeit für die EUJustiz­politik einhergehen: Die bisherigen Realbereichszahlen legen hier in einem gewissen Kontrast zur Innovationsrhetorik der europäischen Justizpolitik offen, wie sehr es sich dabei quantitativ noch um ein Nischenphänomen handelt. Schon die noch fragmentarischen, nach Art eines offen erweiterbaren Werkzeugkastens konzipierten elektronischen Informationsangebote des EJN hinterlassen in der Praxis noch einen bestenfalls gemischten Eindruck; einer jährlichen Nachfrage von knapp drei Millionen Abrufen, die insbesondere mit der verstärkten Einstellung familienrechtlicher Informationsangebote deutlich zunahm, stehen Befragungen von Rechtspraktikern und Unionsbürgern gegenüber, die den EJN-Publikationen qualitativ lediglich zu 60 bis 70 % einen tatsächlichen Nutzen zumessen.45 Für die diversen „e-justice“-Projekte scheint die praktische Nachfrage aktuell nochmals schwächer ausgeprägt; die Kommission meldete hier zuletzt umgerechnet etwa 10 000 tägliche Aufrufe des Europäischen Justizportals,46 rund 60 tägliche Beschwerden im OS-System,47 sowie ein allgemeines Interesse etwa eines Fünftels der befragten Unionsbürger an der internetgestützten Abwicklung des Europäi­Network, Report on Activities and Management, 2015–2016, S. 10 ff.; European Judicial Network, Report on Activities and Management, 2017–2018, S. 7 ff. (jeweils abrufbar unter: https:// www.ejn-crimjust.europa.eu/ejn/EJN_DynamicPage/EN/69. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 44 European Judicial Network (EJN Secretariat), Report on the Operation and Management of the European Judicial Network 2011 and 2012, S. 11. In den Folgejahren bewegte sich das Fallaufkommen hier bei etwa 22 000 Fällen, s. European Judicial Network, Report on Activities and Management, 2015–2016, S. 9, bzw. 14 000 Fällen, s. European Judicial Network, Report on Activities and Management, 2017–2018, S. 7 (jeweils abrufbar unter: https://www.ejn-crimjust. europa.eu/ejn/EJN_DynamicPage/EN/69. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 45 Europäische Kommission, Bericht […] über die Tätigkeit des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, COM(2016) 129 final, S. 8 f. 46 Rat der Europäischen Union, Halbzeitüberprüfung des mehrjährigen Aktionsplans für die Europäische E-Justiz (2014–2018), EuCO 9806/16, S. 3. 47 Europäische Kommission, Bericht […] über die Funktionsweise der nach der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten eingerichteten Europäischen Plattform zur online-Beilegung von Streitigkeiten, COM(2017) 744 final, S. 5. Zwar scheint dabei die Umsetzung der OS-Richtlinie in den Mitgliedstaaten auf keine nennenswerten Schwierigkeiten gestoßen zu sein: So haben mittlerweile alle Mitgliedstaaten entsprechende Umsetzungsvorschriften erlassen und die erforderlichen Kontaktstellen benannt, und sind rund 300 Streitbeilegungsstellen über die Plattform erreichbar; s. ebd., S. 4. Andererseits berichtet die Kommission hier aber dennoch lediglich von monatlich etwa 160 000 Aufrufen der AS-Webseite und 2 000 Beschwerden; selbst diese Zahlen erscheinen nochmals deutlich relativiert, wenn man sich vor Augen führt, dass etwa 85 % der über die OS-Webseite eingeleiteten Streitschlichtungsverfahren nach 30 Tagen ohne Ergebnis automatisch geschlossen werden, vermutlich weil die Beteiligten das Interesse wieder verloren haben, wobei andererseits immerhin 71 % der Besucher der Webseite die Plattform allgemein als nützliches Instrument ansahen, vgl. ebd., S. 7 bzw. S. 8.

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schen Bagatellverfahrens über e-CODEX.48 Auch hinsichtlich der zugrundeliegenden  – technischen wie rechtlichen  – Regulierungsprobleme scheint das Projekt einer unionsweiten „e-justice“ der Gerichte und Justizbehörden zumindest im Moment noch eher neue Fragen aufzuwerfen als alte zu beantworten: Dies gilt zum einen für technische Aspekte wie die Verbreitung interoperabler Hard- und Softwaresysteme bei den Gerichten, die zumal angesichts der spezifischen Anfor­ derungen der IKT-Nutzung in der Justiz – etwa hinsichtlich zuverlässiger Kom­ munikationsprotokolle und Maßnahmen zur Gewährleistung der Daten- und System­sicherheit49 – einen erheblichen, regelmäßig wiederkehrenden Modernisierungs- und Kostenaufwand hervorrufen;50 zum anderen wirft die elektronische Vernetzung der Gerichts- und Behördensysteme mit besonderer Brisanz die typischen institutionellen Herausforderungen einer solchen Transformation auf, etwa mit Blick auf die Nutzerkompetenz des Gerichtspersonals, die zugleich mit der technischen Entwicklung Schritt halten muss,51 oder die institutionelle Adaptionsbereitschaft gewachsener Gerichts- und Behördenstrukturen,52 zumal wenn  – und weil – die Nutzung neuer Technologien erst in der Langfristperspektive spürbare Rationalisierungserfolge verspricht.53 Die jüngeren Ausgaben des EU-Justizbarometers der Kommission, eines stark datenbasierten justizspezifischen MonitoringMechanismus, der anhand von drei jährlich erhobenen Indikatoren („Effizienz“, „Qualität“ und „Unabhängigkeit“) Aufschluss über die institutionelle Leistungsfähigkeit der nationalen Gerichts- und Behördensysteme geben und die Entdeckung und Verbreitung bewährter oder innovativer Praktiken im informellen Regulierungswettbewerb der Mitgliedstaaten fördern soll,54 attestieren den Mitgliedstaaten hier zudem im Moment oftmals noch eher schwache organisatorische und personelle Infrastrukturvoraussetzungen für eine unionsweite elektronische Gerichts-

48 Europäische Kommission, Bericht […]: Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM(2013) 795 final, S. 6. 49 Storskrubb, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 271 (285). 50 Lanzara, in: Contini / Ders. (Hrsg.), The Circulation of Agency in E-Justice. Interopera­ bility and Infrastructures for European Transborder Judicial Proceedings, 2014, S. 3 (15 f.; 30); Contini, in: ebd., S. 331 (351 f.). 51 Lanzara, in: Contini / Ders. (Hrsg.), The Circulation of Agency in E-Justice. Interopera­ bility and Infrastructures for European Transborder Judicial Proceedings, 2014, S. 3 (23 f.); Contini, in: ebd., S. 331 (351 f.); Storskrubb, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 271 (274). 52 Vgl. Lanzara, in: Contini / Ders. (Hrsg.), The Circulation of Agency in E-Justice. Inter­ operability and Infrastructures for European Transborder Judicial Proceedings, 2014, S. 3 (17 ff.; 22). 53 Vgl. Velicogna / Lupo, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 181 (195 f.); ferner allgemein Britz, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 2, § 26, Rn. 8 ff. 54 Zu Zielen, Methode und Funktionsweise des EU-Justizbarometers vgl. Europäische Kommission, Mitteilung […]: EU-Justizbarometer 2018, COM(2018) 364 final, Teil 1/2, S. 2 ff.

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und Behördenvernetzung.55 Die bisherigen länderspezifischen Empfehlungen und finanziellen Fördermaßnahmen der Kommission für Modernisierungsprojekte der nationalen Gerichtssysteme betreffen dementsprechend schwerpunktmäßig – mit einem Umfang von etwa 700 Millionen Euro bei einem Gesamtvolumen von etwa 55

Storskrubb, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 271 (282). Vgl. im Detail zuletzt auch Europäische Kommission, Mitteilung […]: EU-Justizbarometer 2018, COM(2018) 364 final, S. 32 ff: Ein insgesamt skeptisches Fazit zieht die Kommission namentlich für die Verfügbarkeit und Qualität von online-Informationen über die Gerichtssysteme, für die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel im Gerichtsverfahren selbst, sodann für den digitalen Zugriff auf Gerichtsurteile, und schließlich für die Nutzung elektronischer Fallbearbeitungssysteme zur Verwaltung der gerichtsinternen Verfahrensabläufe (vgl. insoweit die Kurzzusammenfassung in ebd., S. 50, 52). Im Einzelnen ist die Bereitstellung von zugangsrelevanten Informationen über das Gerichtssystem demnach lediglich in Bulgarien, Italien, Litauen, den Niederlanden und Portugal gut ausgebaut; fast alle Mitgliedstaaten verfügen aber immerhin über entsprechende Webportale zum Abruf bestimmter Formulare für die nationalen Gerichtsverfahren sowie nähere Informationen zu den gesetzlichen Vorschriften, vgl. ebd., S. 29. Der Einsatz elektronischer Kommunikationsformen während des gerichtlichen Verfahrens scheint lediglich in einigen (insbesondere osteuropäischen) Mitgliedstaaten besonders ausgeprägt: Eine elektronische Klageerhebung in Zivilverfahren etwa ist in Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Österreich, Portugal, Spanien, Rumänien, Finnland und der Slowakei durchgehend bei allen Gerichten möglich, in Deutschland, Italien, Slowenien, Malta und Schweden immerhin noch bei (teilweise etwas mehr als) der Hälfte der Gerichte, in den meisten anderen Mitgliedstaaten in der Regel bei etwa einem Viertel der Gerichte. Verfahrenshandlungen wie etwa eine Ladung sind in Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Österreich, Finnland und Polen regelmäßig in elektronischer Form verfügbar, in Portugal, Spanien, Rumänien, Italien, Slowenien, Dänemark, Deutschland, Frankreich und Belgien mindestens bei der Hälfte der Gerichte, und im Übrigen wiederum entweder bei einem Viertel der Gerichte oder gar nicht. Digitale Informationen über den aktuellen Verfahrensstand können in Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Portugal und Rumänien bei allen Gerichten, in Österreich, Spanien, Italien, Polen, Slowenien, Malta, Irland, Bulgarien, den Niederlanden und Kroatien mindestens bei der Hälfte der Gerichte, und im Übrigen wiederum in geringerem Umfang oder überhaupt nicht eingeholt werden. In Zypern und Luxemburg besteht bisher keine der drei Möglichkeiten; für Großbritannien wurden keine Daten erhoben. Vgl. im Detail (auch mit – in der Sache weitgehend vergleichbaren – Statistiken zur Verfügbarkeit elektronischer Verfahren im Bereich von Bagatellforderungen) zu diesen Zahlen ebd., S. 33, und zur Kommunikation zwischen Gerichten und Rechtsanwälten – namentlich mit Blick auf die Einreichung von Schriftsätzen, die elektronische Signatur von Dokumenten, sowie die sonstige Verfahrenskommunikation – ebd., S. 34. Die Nutzung sozialer Medien zur Verbreitung von Informationen über die Gerichte scheint insbesondere in Estland, Spanien, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Bulgarien, Irland und Schweden, sowie mit Abstrichen in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Ungarn, Portugal und Finnland gängig, und spielt ansonsten keine nennenswerte Rolle; ebd., S. 35. Immerhin bei der Bereitstellung von Gerichtsurteilen in digitaler Form zeigt sich ein im Detail recht differenziertes Bild, wo ein Großteil der Mitgliedstaaten anhand des von der Kommission zugrundegelegten Benchmarking-Systems mindestens die Hälfte der möglichen Punkte, und etwa ein Viertel (Bulgarien, Estland, Irland, Litauen, Malta, Rumänien) die volle Punktzahl erreicht; ebd., S. 36. Einen ebenfalls immerhin gemischten Eindruck hinterlässt zudem die Ausstattung der Gerichte und Justizbehörden mit elektronischen Formen der Fallbearbeitung und statistischen Erfassung, wo fast alle Mitgliedstaaten durchgehend an allen Gerichten sowohl entsprechende Fallverwaltungssysteme als auch Instrumente zur statistischen Erfassung der Rechtsprechungstätigkeiten einsetzen, und die übrigen regelmäßig mindestens an der Hälfte der Gerichte; ebd., S. 44.

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900 Millionen Euro aus dem Europäischen Struktur- und Investitionsfonds für die Reformen der nationalen Gerichtssysteme zwischen 2007 und 2023 – die Entwicklung justizspezifischer Informations- und Kommunikationstechnologien, oftmals aber auch schlicht die Sicherstellung der erforderlichen technischen Ausstattung der nationalen Stellen.56 Zum anderen deuten die bisherigen Projekte der Kommission eine Reihe anspruchsvoller Regulierungsfragen zu typischen, oft auch verfassungsrechtlich grundierten Folgeproblemen der Umstellung auf elektronische Kommunikationsformen zwischen den Gerichten und Justizbehörden an; hierzu gehören etwa die Bewältigung des „digital divide“ beim Zugang zur Justiz57 oder die Sicherung der Transparenz von Handlungs- und Verantwortungszusammenhängen zwischen den digital vernetzten Gerichten,58 die Einpassung elektronischer Kommunikationsformen in die heterogenen Verfahrenslogiken und -konzeptionen der Prozessrechte der Mitgliedstaaten,59 oder die Entwicklung adäquater rechtlicher Regulierungsstrukturen für die Entwicklung und Auswahl europäischer „e-justice“Instrumente selbst,60 um insbesondere in sensiblen verfahrensrechtlichen Materien im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten mittelbare Pfadabhängigkeiten oder den

56 Europäische Kommission, Mitteilung […]: EU-Justizbarometer 2018, COM(2018) 364 final, Teil 1/2, S. 6. Das Gesamtvolumen für Maßnahmen zur Digitalisierung und Förderung elektronischer Informations- und Kommunikationsmittel der Gerichte – teils bereits die Entwicklung justizspezifischer Informations- und Kommunikationstechnologien, oftmals aber auch schlicht die Sicherstellung der erforderlichen technischen Ausstattung der nationalen Gerichte und Behörden, und insoweit in beiden Berichtszeiträumen als mit Abstand größter Ausgabenposten – betrug dabei zwischen 2007 und 2013 rund 450 Millionen Euro, und zwischen 2014 und 2020 (voraussichtlich) etwas mehr als 200 Millionen Euro; vgl. ebd., S. 11. Mit Ausnahme von Malta und Kroatien hatten dabei alle der 16 Mitgliedstaaten, die Mittel aus dem ESI-Fonds zur Reform ihrer Gerichtssysteme erhalten hatten, diese für den Ausbau von elektronischen Kommunikationsmitteln genutzt (ebd., S. 10); konkret setzten etwa Spanien und Portugal die ESI-Mittel sogar vollständig für den Ausbau der digitalen und elektronischen Infrastruktur ihrer Gerichte ein, Tschechien, Ungarn, Litauen, Polen, Rumänien und die Slowakei immerhin (teils deutlich) über 50 %, und alle anderen ESI-Empfängermitgliedstaaten (mit Ausnahme Ungarns) zumindest teilweise (ebd., S. 11). 57 Storskrubb, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 271 (285) m. w. N. 58 Storskrubb, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 271 (285). 59 Lanzara, in: Contini / Ders. (Hrsg.), The Circulation of Agency in E-Justice. Interopera­ bility and Infrastructures for European Transborder Judicial Proceedings, 2014, S. 3 (20); Steigenga / Velicogna, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 243 (244 f.); Storskrubb, in: ebd., S. 271 (286), die aber zugleich auch auf mögliche Perspektiven einer produktiven Weiterentwicklung und Modernisierung tradierter verfahrensrechtlicher Prinzipien vor dem Hintergrund von e-Justice-Projekten hinweist (S. 301). 60 Lanzara, in: Contini / Ders. (Hrsg.), The Circulation of Agency in E-Justice. Interopera­ bility and Infrastructures for European Transborder Judicial Proceedings, 2014, S. 3 (21); Steigenga / Velicogna, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 243 (269 f.); Storskrubb, in: ebd., S. 271 (287).

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

regulatory capture durch europäische Technikvorgaben zu vermeiden.61 Die enorme rechtliche Sensibilität dieser längst nicht abschließenden Themenfelder scheint im bisherigen Zugriff der europäischen Justizpolitik und ihrer bisweilen eindimensionalen Reformrhetorik aber oft noch kaum reflektiert; wenngleich für das EU-Justizbarometer der noch eher im Fluss befindliche Charakter des Monitoring-Konzepts in Rechnung zu stellen ist, lässt sich jedenfalls in der Grundausrichtung eine recht eindeutige Neigung zu stark informellen, legitimatorisch kaum abgesicherten Formen der Einfluss­nahme und eher technokratisch-wettbewerbsorientierten Organisationsmaßstäben erkennen, die insbesondere materielle oder rechtsstaatliche Verfahrensstandards bisher bestenfalls als untergeordnete Facetten der ökonomischen Indikatoren „Effizienz“, „Qualität“ und „Unabhängigkeit“ der nationalen Gerichts- und Behördensysteme versteht.62

II. Zweiter Baustein. Supranationale Kommunikationsregeln 1. Unionsweite Formvorschriften Die Vielzahl und Komplexität tatsächlicher Zugangsbarrieren definierte der Europäische Rat bereits im Tampere-Programm zumindest der Sache nach, wenn auch noch primär mit Blick auf Zivilrechtsstreitigkeiten, als wesentliches Hindernis des unionsweiten „Zugangs zum Recht“. Der Unionsgesetzgeber hat vor diesem Hintergrund bisher, allerdings verstreut auf zahlreiche Rechtsakte und Einzelvorschriften, vielfach Regelungen zum Abbau spezifischer Transaktionskosten geschaffen, die regelmäßig mit der Kommunikation in grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren einhergehen. Ein erster Regelungskomplex umfasst vor allem Regelungen zu den Formalia der grenzüberschreitenden Kommunikation. Insbesondere die immense Heterogenität und Unübersichtlichkeit der Formvorgaben und Verfahrensdokumente in den Mitgliedstaaten wurde von den Akteuren der europäischen Justizpolitik früh als praktisches Problem grenzüberschreitender Gerichtsverfahren im Allgemeinen und der gegenseitigen Entscheidungsanerkennung im Besonderen erkannt.63 Anstelle praktisch wie integrationspolitisch unrealistischer Harmonisierungen einzelner Verfahrenshandlungen oder -dokumente entwickelte der Unionsgesetzgeber daraufhin ein pragmatisches zweistufiges Regelungskonzept originär europäischer Formulare mit standardisierten Ankreuzfeldern, die zumindest wesentliche grenzüberschreitende Kommunikationsvorgänge zwischen den Gerichten vereinheitlichen sollen, sowie etwas offenerer europäischer Mindest 61 Velicogna / Lupo, in: Hess / Kramer (Hrsg.), From common rules to best practices in European Civil Procedure, 2017, S. 181 (194 f.); allgemein außerdem Britz, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 2, § 26, Rn. 56 ff. 62 So die Kritik etwa von Kern, GPR 2016, S. 109 (109, 111). 63 Vgl. Europäischer Rat, Tampere Europäischer Rat (15. und 16. Oktober 1999), Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Schlussfolgerung Nr. 31.

II. Zweiter Baustein. Supranationale Kommunikationsregeln

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vorgaben für sonstige einzelstaatliche Verfahrensdokumente und -handlungen. Der aktuelle Bestand unionsrechtlicher Formulare und Bescheinigungen – die regelmäßig den betreffenden Sekundärrechtsakten angehängt sind, auf Antrag der berechtigten Person ausgestellt werden, und durch delegierte Rechtsakte der Kommission angepasst werden können – lässt sich in leichter Vereinfachung seinerseits drei Regelungsmodellen zuordnen. Eine erste und quantitativ weit überwiegende Gruppe bilden demnach Bescheinigungen mit reiner Informationsfunktion, die für die unionsweite Anerkennung und Vollstreckung den wesentlichen Inhalt gerichtlicher Entscheidungen wiedergeben (vgl. etwa die Anhänge I und II der EuGVVO, Anhänge I bis IV der EuEheVO, Anhang des RB-Geldsanktionen). Regelmäßig enthalten diese Informationsbescheinigungen zunächst die Kontaktdaten des Gerichts, das die Entscheidung erlassen hat; hierzu zählen die offizielle Bezeichnung und Anschrift sowie informelle Kontaktmöglichkeiten per Telefon oder Email, sowie bei den tendenziell besonders fehlersensiblen strafrechtlichen Bescheinigungen nähere Angaben zur behördenintern für Rückfragen zuständigen Person und deren Sprachkenntnissen („Kontaktfunktion“). Der zweite Formularabschnitt enthält detaillierte Angaben zu der zu dokumentierenden Entscheidung in Form meist sehr ausführlicher, schematisch auszufüllender Tabellen („Informationsfunktion“). Der dritte Abschnitt dient schließlich der Bestätigung der Authentizität und inhaltlichen Richtigkeit der bescheinigten Entscheidung („Verifikationsfunktion“). Die konkreten rechtlichen Wirkungen dieser Informationsformulare sind bisher nur rudimentär geregelt, und einem systematischen Zugriff kaum zugänglich; als grobe Leitlinie lässt sich allenfalls ein weites Ermessen der Gerichte konstatieren, das zwar dem Zweck der Vereinfachung unionsweiter Kommunikationsvorgänge Rechnung trägt, andererseits aber auch deren Fehleranfälligkeit erhöht. So ist zum einen regelmäßig weder eine spezifische Übermittlungsform vorgeschrieben, noch die Vorlage der zugrundeliegenden Entscheidung selbst, sondern prinzipiell auch die informelle Übersendung einer Kopie der Bescheinigung per Email ausreichend. Zum anderen steht es den Gerichten meist frei, bei einer fehlenden, unvollständigen oder offensichtlich falschen Bescheinigung eine Frist zur Vorlage des korrekten Formulars zu setzen, sich mit anderen Dokumenten zu begnügen, oder ganz auf Unterlagen zu verzichten, wo kein weiterer Klärungsbedarf besteht.64 Verallgemeinerungs­ 64 Vgl. Art. 37 Abs. 1 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); Art. 37, 38 Abs. 1, 45 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1, 29 Abs. 1, 40 Abs. 1 und 2 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 46 Abs. 3, 47 Abs. 1 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 45 Abs. 3, 46 Abs. 1 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). S. dann vertiefend für Zivil- und Handelssachen E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 37 Brüssel Ia, Rn. 5 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 37 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 37 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 f.; Wautelet, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 37 Brussels Ibis, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 37 EuGVVO, Rn. 3 ff.; hinsichtlich Ehescheidungs- und kindschaftsrechtlichen Verfahren Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 37 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 3 ff., Art. 38 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 1 ff., Art. 45 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 2 f.; Magnus, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 37 Brussels IIbis, Rn. 11 ff., bzw. Art. 38 Brussels IIbis, Rn. 5 ff., bzw. Art. 45 Brussels

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

fähige Ausdifferenzierungen dieses Regelungskonzepts in einzelnen Referenzgebieten sind noch sehr selten anzutreffen; als Beispiel lässt sich am ehesten der Verzicht auf ein Fristerfordernis bei einer fehlenden Bescheinigung über strafrechtliche Vermögenssanktionen verstehen, der  – neben dem vergleichsweise geringeren, zumal grenzüberschreitenden, Strafbedürfnis der zugrundeliegenden Kriminalitätsformen wie namentlich Bußgeldern im Straßenverkehr  – offenbar im Massen­ geschäft niedrigschwelliger Geldsanktionen die Behörden zur kommunikativen Sorgfalt anhalten soll.65 Als zweiter Regelungsansatz kristallisiert sich die formularmäßige Darstellung des Inhalts öffentlicher Urkunden heraus, die seit dem Jahr 2016 in einer separaten Verordnung umfassend geregelt ist. Diese soll – angesichts rund zwölf Millionen in einem anderen Mitgliedstaat lebender Unionsbürger, und regelmäßiger grenzüberschreitender Beziehungen etwa der Hälfte der kleinen und mittelständischen Unternehmen im supranationalen „Raum“66 – den Nachweis be-

IIbis, Rn. 5 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 37 Brüssel IIa-VO, Rn. 6 ff., bzw. Art. 38 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 45 Brüssel IIa-VO, Rn. 7 f.; für Unterhaltsverfahren Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 20 VO Nr. 4/2009, Rn. 5 ff., Art. 28 VO Nr. 4/2009, Rn. 1 ff., Art. 29 VO Nr. 4/2009, Rn. 5; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 20 EG-UntVO, Rn. 5 ff.; Andrae / Schimrick, in: Rauscher Bd. 4, Art. 20 EG-UntVO, Rn. 2 f., bzw. Art. 40 EG-UntVO, Rn. 1; für erbrechtliche Verfahren Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 46 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 5, Art. 47 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 2 f.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 46 EU-ErbVO, Rn. 4 ff., Art. 47 EU-ErbVO, Rn. 2 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 46 EU-ErbVO, Rn. 3 ff., bzw. Art. 47 EU-ErbVO, Rn. 1 ff.; schließlich für Güterrechtsstreitigkeiten Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 45 EU-EheGüVO, Rn. 4 ff., Art. 46 EU-EheGüVO, Rn. 2 ff. Im Rahmen der strafrechtlichen Zusammenarbeit s. Art. 4 Abs. 3 S. 1 und 2, 7 Abs. 1 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 4 Abs. 2 S. 1 und 2, 8 Abs. 1 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 6 Abs. 2 S. 1 und 2, 11 Abs. 1 lit. a) RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 10 Abs. 2 S. 1 und 2, 15 Abs. 1 lit. a) RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 8 Abs. 1 S. 1, 10 Abs. 1 lit. a) RLSchutz­anordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); ausdrücklich besonders liberal – Übermittlung des Formblatts durch jedes sichere Mittel, das die Erstellung einer schriftlichen Fassung ermöglicht, deren Echtheit feststellbar ist  – Art. 10 Abs. 4 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2, 9 Abs. 1 lit. a)  RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn. 682 ff. (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 267 (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 290 (zum RB-Geldsanktionen), Rn. 295 (zum RB-Einziehungsentscheidungen), und Rn. 303 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 22 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., § 40, Rn. 11 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 29; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 8; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 9. 65 Vgl. Art. 7 Abs. 1 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 8 Abs. 1 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]). 66 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, COM(2013) 228 final, S. 4.

II. Zweiter Baustein. Supranationale Kommunikationsregeln

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stimmter öffentlich beurkundeter Rechts- oder Statusverhältnisse in gerichtlichen oder behördlichen Verfahren erleichtern, insbesondere von Geburt, Tod oder Namen, Eheschließung oder -scheidung, Abstammung und Adoption, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit, sowie Vorstrafenfreiheit einer Person.67 Die Wirkungen der Bescheinigungen erscheinen hier etwas differenzierter: In prozeduraler Hinsicht bewirkt die Vorlage einer Bescheinigung die Befreiung der Urkunde von einer förmlichen Legalisation und die Gleichstellung inländischer und ausländischer beglaubigter Kopien; im Übrigen kommt ihr ebenfalls lediglich eine Informationsfunktion zu, sodass alle materiellen Rechts- und insbesondere Anerkennungswirkungen auf separate Rechtsgrundlagen gestützt werden müssen.68 Im Detail wird diese Informationsfunktion dabei durch eine Kombination standardisierter Felder zum Ankreuzen und nichtstandardisierter länderspezifischer Feldüberschriften samt einem ausführlichen – und wenig benutzerfreundlichen – Glossar der einschlägigen Rechtsbegriffe in allen Amtssprachen der Union konkretisiert. Als dritter, hinsichtlich Differenziertheit und Integrationstiefe am weitesten vorangeschrittener, allerdings bisher auch nur vereinzelt umgesetzter Regelungsansatz lässt sich schließlich die Standardisierung ganzer Verfahrenshandlungen mit unmittelbar konstitutiven Rechtswirkungen der anzukreuzenden Formulare identifizieren: Entsprechende Rechtswirkungen, die im Detail jeweils in der zugehörigen Verordnung geregelt sind, entfalten neben der Bestätigung unbestrittener Forderungen nach der Europäischen Vollstreckungstitelverordnung69 insbesondere die Klage-, Antwortund Urteilsformulare des Europäischen Mahn- und des Europäischen Bagatellverfahrens; neben inhaltlichen Angaben finden sich hier auch anzukreuzende Optionen für Anträge im Verfahren.70 Für den quantitativ weit überwiegenden Bereich der einzelstaatlichen Verfahrensdokumente steht aus unionsrechtlicher Sicht vor allem die Frage angemessener Übersetzungsvorgaben im Raum. Hier lässt sich ihrerseits in Ansätzen eine Ausdifferenzierung der unionsweiten Formanforderungen in ein zweispuriges System beobachten, das zwischen dem internen administrativen Kommunikationsverkehr der Gerichte und der externen Kommunikation zwischen Gerichten und Verfahrensbeteiligten unterscheidet: Für den administrativen unionsweiten Schriftverkehr der Gerichte zeigen die drei Referenzgebiete tendenziell einen Anstieg der Übersetzungsanforderungen parallel zur wachsenden Komplexität und Fehlersensibilität des Verfahrens. So ist in zivilrechtlichen Verfahren grund-

67 Art. 2 Abs. 1 EuUrkundenVO (VO [EU] Nr. 1024/2012 [ABl. L 200, S. 1]). Ausführlich zu Hintergrund und Zielen der Verordnung Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, COM(2013) 228 final, S. 4 ff. 68 Vgl. Art. 2 Abs. 4, 8 Abs. 1 EuUrkundenVO (VO [EU] Nr. 1024/2012 [ABl. L 200, S. 1]). 69 Vgl. die Anhänge I bis III der EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]). 70 Vgl. die Anhänge I und IV bis VII der EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]), sowie die Anhänge I, III und IV der EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]).

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

sätzlich keine Übersetzung der Entscheidung selbst nötig,71 in erb- und familienrechtlichen Verfahren nur auf Wunsch des empfangenden Gerichts,72 und in strafrechtlichen Verfahren grundsätzlich immer,73 wobei aber jeweils die Amts­ sprachen anderer Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis als gleichwertig notifiziert werden können. Vereinzelt arbeitet der Unionsgesetzgeber zudem mit Anreizen für die Vollstreckungsbehörden, freiwillig auf die Übersetzung von Unterlagen zu verzichten, etwa durch umfangreiche Konsultations- oder Kostentragungspflichten des Vollstreckungsmitgliedstaats, wenn dessen Gerichte auf einer Übersetzung bestehen.74 Im externen unionsweiten Kommunikationsverkehr zwischen den Gerichten und den Verfahrensbeteiligten entwickeln sich demgegenüber differenziertere und inhaltlich striktere Übersetzungspflichten: Bei zivilrechtlichen sowie 71

Vgl. Art. 37 Abs. 2, 42 Abs. 3 und 4 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 37 Brüssel Ia, Rn. 15 f., bzw. Art. 42 Brüssel Ia, Rn. 17 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 37 Brüssel Ia-VO, Rn. 4 ff., bzw. Art. 42 Brüssel Ia-VO, Rn. 9 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 37 Brüssel Ia-VO, Rn. 3, bzw. Mankowski, in: ebd., Art. 42 Brüssel Ia-VO, Rn. 33 ff.; Wautelet, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 37 Brussels Ibis, Rn. 15 ff., bzw. Cuniberti / Rueda, in: ebd., Art. 42 Brussels Ibis, Rn. 23 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 37, Rn. 5 f., bzw. Art. 42, Rn. 6 ff. 72 Vgl. Art. 38 Abs. 2, 45 Abs. 2 UA 3 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 20 Abs. 1 lit. d), Abs. 2 und 3, Art. 28 Abs. 1 lit. c), Abs. 2 und 3, Art. 29 Abs. 2 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 47 Abs. 2 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 46 Abs. 2 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). Im Einzelnen s. für Ehescheidungs- und Kindschaftsverfahren Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 38 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 5 f.; Magnus, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 38 Brussels IIbis, Rn. 23 f., bzw. Art. 45 Brussels IIbis, Rn. 16 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 38 Brüssel IIa-VO, Rn. 8 ff., bzw. Art. 45 Brüssel IIa-VO, Rn. 9 ff.; für Unterhaltsverfahren Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 20 VO Nr. 4/2009, Rn. 57, Art. 28 VO Nr. 4/2009, Rn. 7 f.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 20 EG-UntVO, Rn. 7, 9; Andrae / Schimrick, in: Rauscher Bd. 4, Art. 20 EG-UntVO, Rn. 5 ff.; für erbrechtliche Streitigkeiten Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 47 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 4; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 47 EU-ErbVO, Rn. 5 f.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 47 EU-ErbVO, Rn. 3 ff.; für Güterrechtsverfahren schließlich Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 46 EU-EheGüVO, Rn. 5 f. 73 Vgl. Art. 16 Abs. 1 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 19 RBEinziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 21 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 24 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 24 Abs. 1 und 3 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 8 Abs. 2 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); etwas differenzierter Art. 23 Abs. 1 und Abs. 3 UA 1 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn. 681 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 267 (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 290 (zum RB-Geldsanktionen), Rn. 295 (zum RB-Einziehungsentscheidungen), und Rn. 303 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 22 (zum RB-Geldsanktionen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 29; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 31; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 24. 74 Vgl. Art. 16 Abs. 2 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 23 Abs. 3 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]).

II. Zweiter Baustein. Supranationale Kommunikationsregeln

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erb- und familienrechtlichen Zustellungen besteht ein Annahmeverweigerungsrecht für Schriftstücke in einer Sprache, die der Empfänger nicht versteht oder die nicht die Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats ist.75 Für grenzüberschreitende Strafverfahren werden durch eine separate Richtlinie aus dem Jahr 2010 nochmals weitergehende Übersetzungsvorgaben statuiert: Hier ist eine effektive mündliche Kommunikation mit dem Rechtsbeistand sowie die Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen in angemessener Frist garantiert, und wird den Mitgliedstaaten zugleich aufgegeben, ein organisationsrechtliches Regime zu Fragen der Qualitätssicherung, Übersetzungskosten, Dokumentationspflichten sowie Rechtsschutzgewährleistungen zu schaffen.76

2. Unionsweite Beschleunigungsvorschriften Als zweites Regelungsgebiet supranationaler Verfahrensregeln finden sich diverse Vorschriften zur Reduktion der zeitlichen Verzögerungen bei der grenzüberschreitenden Gerichts- und Behördenkommunikation. Den typischerweise zu befürchtenden zeitlichen Mehraufwand grenzüberschreitender Gerichtsverfahren versucht der Unionsgesetzgeber durch ein zweistufiges prozedurales Regelungskonzept zu bewältigen: Auf einer ersten Stufe enthält das Sekundärrecht regelmäßig ein allgemeines Beschleunigungsgebot, „unverzüglich“ zu handeln, allerdings ohne justiziable Konkretisierungen von Maßstab oder Rechtsfolgen;77 differenzierter 75 Vgl. Art. 8 EuZustVO (VO [EG] Nr. 1393/2007 [ABl. L 324, S. 79]); insbesondere auch zum konkreten Maßstab der erforderlichen Sprachkenntnisse und den Rechtsfolgen der Annahmeverweigerung Okonska, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 8 VO Nr. 1393/2007, Rn. 6 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 8 EG-ZustellVO, Rn. 2 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, Art. 8 EG-ZustVO 2007, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 8 EuZVO, Rn. 1 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 452 ff. 76 Vgl. Art. 2 Abs. 1 und 2, sowie Art. 3 Abs. 1 bis 3 RL-Übersetzung im Strafverfahren (RL 2010/​64/EU [ABl. L 280, S. 1]). Zudem sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Vorkehrungen zu Übersetzungskosten, Dokumentationspflichten und der nötigen Weiterbildung des Justizpersonals zu treffen (vgl. Art. 4 bis 7). Zur Richtlinie und den einzelnen, teils überaus differenzierten Pflichten der nationalen Gerichte bei der Übersetzung s. ausführlich Schneider, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 6, 40. EL 37/2014, III D 17 (RiLi Dolmetschleistungen), Rn. 5 ff.; Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 595 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 275 f.; Fingas, EuCLR 9 (2019), S. 175 (176 ff.); Cras / de Mateis, eucrim 2010, S. 153 (157 ff., mit detaillierter Nachzeichnung der einzelnen Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren, S. 153 ff.). 77 Vgl. zuerst Art. 29 Abs. 2, 48 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); Art. 31 Abs. 1, 32 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 31 Abs. 1, 34 Abs. 3 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 48 S. 1, 49 Abs. 1, 52 S. 2 ­EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 9 Abs. 1 S. 2, 17 Abs. 2, 47 S. 1, 48 Abs. 1, 51 S. 2 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). Für Zivil- und Handels­sachen s. vertiefend E.  Peiffer / M.  Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art.  48 Brüssel Ia, Rn. 1 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 48 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 f.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 48 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 48 Brussels Ibis, Rn. 1 f.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 48 EuGVVO, Rn. 1 f.; für Ehescheidungs-

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

nehmen sich demgegenüber auf einer zweiten Stufe ausdrückliche Fristenregelungen für bestimmte Verfahrenshandlungen aus, die regelmäßig dort auffindbar sind, wo eine zeitliche Verzögerung in besonderer Weise die Grundrechte der Parteien berühren, oder wegen der Sensibilität des Verfahrensgegenstands eine mittelbare Repolitisierung durch einzelstaatliche Interessen ermöglichen würde. In groben Zügen lässt sich hier eine Skala ansteigender Fristenvorgaben skizzieren: Für grenzüberschreitende Zivilverfahren findet sich demnach lediglich eine Soll-Vorschrift, die Zustellung der Verfahrensdokumente innerhalb eines Monats durchzuführen; auch bei Verstößen bleibt die Empfangsstelle jedoch zur schnellstmöglichen Zustellung verpflichtet, und die Verzögerung für das Verfahren folgenlos.78 In Erb- und Familienrechtsverfahren werden ausschließlich die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat und entsprechende Rechtsbehelfe durch konkrete Fristen abgesichert, wobei die Fristdauer keinem übergeordneten Muster zu folgen scheint, sondern je nach Sekundärrechtsakt zwischen 30 Tagen und sechs Wochen variiert; der Hintergrund liegt hier in der inhärenten Eilbedürftigkeit familienrechtlicher Entscheidungen, die sonst – etwa in Verfahren über das und Kindschaftsverfahren Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 31 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 4; McClean, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 31 Brussels IIbis, Rn. 3; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 31 Brüssel IIa-VO, Rn. 3; zu den unterhaltsrechtlichen Regelungen Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 34 VO Nr. 4/2009, Rn. 3 ff.; Andrae / Schimrick, in: Rauscher Bd. 4, Art. 34 EG-UntVO, Rn. 7; für erbrechtliche Streitigkeiten Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 52 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 3; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 48 EU-ErbVO, Rn. 6, Art. 52 EU-ErbVO, Rn. 5; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 48 EU-ErbVO, Rn. 2, bzw. Art. 52 EU-ErbVO, Rn. 3; zu den güterrechtlichen Regelungen Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 17 EU-EheGüVO, Rn. 15, Art. 47 EU-EheGüVO, Rn. 6. Hinsichtlich der strafrechtlichen Zusammenarbeit vgl. dann die Regelungen in Art. 6, 7 Abs. 3, 8 Abs. 1, 14, 15 Abs. 3 S. 1 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/ JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 7 Abs. 1, 8 Abs. 5, 10 Abs. 3 und 4, 14 Abs. 3, 15 S. 1, 17 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 6 Abs. 7, 8 Abs. 1, 11 Abs. 3, 12 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2, 16 Abs. 1 und 3, 17 Abs. 1 und 5, 18 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 12 Abs. 1 und 3, 15 Abs. 2, 19 Abs. 3 und 5, 20 Abs. 2 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 8 Abs. 3, 9 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4, 10 Abs. 2 lit. a), 13 Abs. 4 und 5, 14 Abs. 3, RLSchutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 15 Abs. 2, 17 Abs. 1 (Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls als „Eilsache“), Abs. 4 S. 1, Art. 20 Abs. 2 S. 1, 21 S. 2, 22, 23 Abs. 3 S. 1, 23 Abs. 4 S. 3; 29 Abs. 4 S. 2 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 4 Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 UA 2 S. 1, 8 Abs. 1, 9 Abs. 3, 12 Abs. 3, 15 Abs. 2 S. 1 und 2, 20 Abs. 1, 21 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); außerdem Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2015, 2. Hauptteil, Rn. 691, 694 f. (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 287 (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 290 (zum RB-Geldsanktionen), Rn. 295 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 40, Rn. 18 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 42 (zum RB-Freiheitssanktionen). 78 Vgl. Art. 7 Abs. 2 EuZustVO (VO [EG] Nr. 1393/2007 [ABl. L 324, S. 79]); Okonska, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 7 VO Nr. 1393/2007, Rn. 14 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 7 EG-ZustellVO, Rn. 6 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, Art. 7 EG-ZustVO 2007, Rn. 6 f.

II. Zweiter Baustein. Supranationale Kommunikationsregeln

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Sorgerecht, die Rückgabe entführter Kinder, oder Unterhaltsforderungen – durch die Schaffung vollendeter Tatsachen faktisch unterlaufen zu werden drohen.79 In Strafverfahren sind Fristenvorschriften schließlich dort vorgesehen, wo ein Freiheitsentzug der betroffenen Person in Rede steht, etwa bei der Anerkennung und Vollstreckung europäischer Haftbefehle, bei denen die Fristenregelungen (60 bzw. zehn Tage) prozedural durch einen peer review-Mechanismus mit Meldepflichten gegenüber Eurojust und dem Rat, sowie die Pflicht zur Freilassung der inhaftierten Person abgesichert werden. Variationen dieses Regelungskonzepts finden sich in den anderen Rahmenbeschlüssen zu strafrechtlichen Freiheitssanktionen: Für die unionsweite Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und Maßnahmen anstelle der Untersuchungshaft finden sich Anerkennungsfristen von 20 bzw. 60 Tagen, und für die Vollstreckung von Freiheitssanktionen von 90 Tagen, deren Verfehlung jeweils lediglich durch Unterrichtungspflichten gegenüber dem Entscheidungsmitgliedstaat und ein verschärftes Beschleunigungsgebot sanktioniert wird.80 79 Vgl. zunächst Art. 11 Abs. 3 UA 2 (Sechs-Wochen-Frist für Entscheidung über Rückgabeantrag bei Kindesentführung) und 15 Abs. 5 S. 1 (Sechs-Wochen-Frist für Übernahme eines Kindschaftsverfahrens bei grenzüberschreitender Verweisung) EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 19 Abs. 2 S. 2 (45-Tages-Frist für Rechtsschutz gegen Unterhaltsentscheidungen im Urteilsmitgliedstaat), 30 S. 1 (30-Tages-Frist für Vollstreckbarerklärung von Unterhaltsentscheidungen), 32 Abs. 5 S. 1 und 2 (30- bzw. 45-Tages-Frist für Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckbarerklärung), 34 Abs. 2 (90-Tages-Frist für Entscheidung über Rechtsbehelfe im Vollstreckbarerklärungsverfahren), 58 Abs. 3 und (30- bzw. 60 TagesFrist für sämtliche Schritte in Informationsersuchen zwischen den Zentralen Behörden), 58 Abs. 9 S. 3 (90-Tages-Frist für Nachreichen bestimmter Schriftstücke zwischen den Zentralen Behörden) EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 50 Abs. 5 S. 1 und 2 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]) (30- bzw. 60-Tages-Frist für Rechtsbehelfe im Vollstreckbarerklärungsverfahren); Art. 49 Abs. 5 S. 1 und 2 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). Für verfahrensrechtliche Einzelheiten der ehe- und kindschaftsrechtlichen Regelungen s. Dilger, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 11 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 6 f.; Pataut / Gallant, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 11 Brussels IIbis, Rn. 34 ff., bzw. Art. 15 Brussels IIbis, Rn. 48 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 11 Brüssel IIa-VO, Rn. 14 f., bzw. Art. 15 Brüssel IIa-VO, Rn. 25 f.; für Unterhaltsverfahren Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 19 VO Nr. 4/2009, Rn. 16 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 34 EG-UntVO, Rn. 7 ff.; Andrae / Schimrick, in: Rauscher Bd. 4, Art. 19 EG-UntVO, Rn. 12 f.; Art. 32 EG-UntVO, Rn. 4; für erbrechtliche Verfahren Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 50 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 6; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 50 EU-ErbVO, Rn. 8 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 50 EU-ErbVO, Rn. 5; für güterrechtliche Verfahren (30- bzw. 60-Tages-Frist für Rechtsbehelfe im Vollstreckbarerklärungsverfahren) Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 49 EU-EheGüVO, Rn. 15 ff. 80 Vgl. im Einzelnen Art. 9 Abs. 4 S. 2 (Zehntagesfrist für Entscheidung über Rücknahme der übermittelten Bewährungsentscheidung, wenn die zu überwachende Maßnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat angepasst werden soll), Art. 12 Abs. 1 S. 1 (60-Tages-Frist für Entscheidung über die Anerkennung der Bewährungsentscheidung und Überwachung der Maßnahmen) des RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 12 Abs. 1 und 2 (Frist von 20 Arbeitstagen für Entscheidung über Überwachungsmaßnahmen, und weiteren 20 Arbeitstagen bei Rechtsbehelf), Art. 13 Abs. 3 S. 2 (Zehntagesfrist für Entscheidung über Rücknahme der übermittelten Überwachungsentscheidung, wenn die zu überwachende Maßnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat angepasst werden soll) des RB-Überwachungsmaß-

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

3. Unionsweite Kostenvorschriften Zu einem dritten Feld lassen sich schließlich Vorschriften zu den finanziellen Kosten in grenzüberschreitenden Verfahren zusammenfassen. Hier lässt sich anhand einer Vielzahl sekundärrechtlicher Einzelregelungen ein allgemeiner Gedanke unionsweiter finanzieller Kostenneutralität destillieren, der auf die Minimierung finanzieller Zusatzkosten grenzüberschreitender Gerichtsverfahren gegenüber rein innerstaatlichen Verfahren zielt. Aus systembildender Sicht findet dieser Ansatz, der sich in Reinform freilich schon deshalb nicht durchhalten lässt, weil der tatsächliche finanzielle Mehraufwand letztlich den Verfahrensbeteiligten oder den öffentlichen Haushalten der Mitgliedstaaten zugewiesen werden muss, in einem dreistufigen Regelungsmodell Niederschlag: Auf einer ersten Stufe – gleichsam der negativen Dimension europäischer Kostenneutralität – lassen sich demnach regelmäßig Vorschriften mit formalen kostenrechtlichen Diskriminierungsverboten in Verfahren im supranationalen Justizraum ansiedeln. Dies gilt etwa für Sicherheitsleistungen bei Auslandsvollstreckungen – regelmäßig nennt das Sekundärrecht als verbotene Anknüpfungspunkte die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz, sowie den gewöhnlichen Aufenthalt81  –, oder die Kosten grenzüberschreitender Zustellungen, die nahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 17 Abs. 2 und 3 (Zehn- und 60-Tagesfrist für Entscheidung über Anerkennung des Haftbefehls bei Zustimmung der Person zur Übergabe bzw. ohne Zustimmung), Art. 17 Abs. 4 S. 2 (Fristverlängerung um weitere 30 Tage bei Unmöglichkeit der Fristwahrung), Art. 23 Abs. 2, 3 S. 2 und 4 S. 3 (jeweils Zehntagesfrist zur Übergabe der Person nach Anerkennung des Haftbefehls bzw. nach erneut vereinbartem Termin wegen Unmöglichkeit der Wahrung der ursprünglichen Frist bzw. bei Verschiebung der Übergabe aus schwerwiegenden humanitären Gründen), 27 Abs. 4 S. 4 (Entscheidung über Zustimmung zur Verfolgung weiterer Straftaten außerhalb des ursprünglichen Haftbefehls), 28 Abs. 3 lit. c) (Entscheidung über Zustimmung zur weiteren Übergabe oder Auslieferung an anderen Mitgliedstaat bzw. Drittstaat) des RB-Haftbefehl (RB 2002/584/ JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 12 Abs. 2 (90-Tages-Frist für Entscheidung über Anerkennung der Freiheitssanktion), Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 S. 4 (30-Tages-Frist für Überstellung der Person nach Anerkennung der Freiheitssanktion bzw. weitere Zehntagesfrist bei Unmöglichkeit der ursprünglich geplanten Überstellung), Art. 18 Abs. 3 S. 3 (Entscheidung über Zustimmung zur Verfolgung weiterer Straftaten außerhalb des ursprünglichen Urteils) des RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]). S. im Einzelnen hierzu außerdem Ahlbrecht / Böhm /  Esser / Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 2018, S. 324 ff. (zum RB-Haftbefehl); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 694 f., 700 f. (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 287 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 305 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 42; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 11. 81 Vgl. Art. 56 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); Art. 51 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 44 Abs. 5 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 57 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 56 ­EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). Im Detail für Zivil- und Handelssachen E.  Peiffer / M.  Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 56 Brüssel Ia, Rn. 1 ff.; Gottwald, MKZPO, Art. 56 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 56 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Kramer, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 56 Brussels Ibis, Rn. 1 f.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 56 EuGVVO, Rn. 2; für Ehescheidungs- und Kindschaftsverfahren Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 51 VO Nr. 2201/2003 (EheVO),

II. Zweiter Baustein. Supranationale Kommunikationsregeln

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auch in besonders kostenintensiven Verfahren auf einen verhältnismäßigen, gegenüber der Kommission zu notifizierenden Festbetrag begrenzt sind.82 Funktional vergleichbare Regelungen finden sich für den internen Kostenausgleich der Mitgliedstaaten für unionsweit relevante Handlungen ihrer Strafverfolgungsorgane; interessanterweise wird hier, wo weniger die Gefahr individueller Diskriminierung beim Zugang zum Recht und stärker der Verbundgedanke unionsweit einheitlicher Strafverfolgung in Rede steht, das Prinzip des Handelns aller Mitgliedstaaten auf eigene Rechnung teilweise gelockert, etwa durch eine freiwillige Kostenbeteiligung des Urteilsmitgliedstaats für ungewöhnlich hohe Vollstreckungskosten, die Beteiligung des Urteilsmitgliedstaats an Einziehungserlösen jenseits von 10 000 Euro, oder die konsensuale Verteilung des Erlöses zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten.83 Rn. 1 ff.; McEleavy, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 51 Brussels IIbis, Rn. 3 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 51 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 ff.; zu den unterhaltsrechtlichen Regelungen Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 44 VO Nr. 4/2009, Rn. 7; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 44 EG-UntVO, Rn. 34; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 44 EG-UntVO, Rn. 21; für Erbrechtsverfahren Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 57 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 1 f.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 57 EU-ErbVO, Rn. 1 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 57 EU-ErbVO, Rn. 2 f.; für güterrechtliche Verfahren Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 56 EU-EheGüVO, Rn. 1 ff. 82 Vgl. Art. 11 Abs. 1 bzw. Abs. 2 EuZustVO (VO [EG] Nr. 1393/2007 [ABl. L 324, S. 79]); Okonska, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 54. EL 2/2018, Art. 11 VO Nr. 1393/​ 2007, Rn. 5 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 11 EG-ZustellVO, Rn. 1 ff.; Heiderhoff, in: Rauscher Bd. 2, 4. Aufl. 2015, Art. 11 EG-ZustVO 2007, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 11 EuZVO, Rn. 1 f. 83 Vgl. insoweit Art. 13 (Zuteilung des Erlöses zum Vollstreckungsmitgliedstaat, sofern zwischen den Mitgliedstaaten nicht anders vereinbart) und Art. 17 (Verzicht auf wechselseitige Kostenerstattung zwischen den Mitgliedstaaten für Vollstreckungshandlungen) des RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 15 (Zuteilung der eingezogenen Gelder oder Vermögensgegenstände unter der Wertgrenze von 10 000 Euro, und hälftige Aufteilung des weiteren Betrags, sofern zwischen den Mitgliedstaaten nicht anders vereinbart), und Art. 20 (Verzicht auf wechselseitige Kostenerstattung zwischen den Mitgliedstaaten für Vollstreckungshandlungen, sowie Pflicht zu Konsultationen bei erheblichen oder außergewöhnlich hohen Kosten) des RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 22 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 25 Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), und Art. 18 RLSchutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]) (jeweils: Kostentragungspflicht des Vollstreckungsmitgliedstaats, sofern Kosten nicht ausschließlich im Urteilsmitgliedstaat entstanden sind); Art. 30 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]) (Kostentragungspflicht des Entscheidungsmitgliedstaats außer für ausschließlich im Vollstreckungsmitgliedstaat entstandene Kosten); Art. 24 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]) (Kostentragungspflicht des Vollstreckungsmitgliedstaats, sofern Kosten nicht ausschließlich im Urteilsmitgliedstaat entstanden sind). Ausführlich s. dann Bock, in: Ambos / König / Rackow, 3.  Hauptteil, Rn. 286 (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 290 (zum RB-Geldsanktionen), Rn. 295 (zum RB-Einziehungsentscheidungen), und Rn. 309 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 77 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., § 40, Rn. 39 f. (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß /  Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 28, 31; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 21, 25.

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

Die zweite Stufe bildet sodann – gleichsam als positive Dimension der Kostenneutralität des europäischen Justizraums – die Gewährleistung von Prozesskostenhilfe, der wegen der direkten Mehrbelastung für die Haushalte der Mitgliedstaaten ein materieller, etwas offenerer Maßstab zugrunde liegt. Für zivilrecht­liche sowie erb- und familienrechtliche Verfahren besteht bereits seit 2003 ein per Richtlinie harmonisierter Anspruch auf eine „angemessene Prozesskostenhilfe“ mit detaillierten unionsrechtlichen Vorgaben für die finanziellen Verhältnisse der Beteiligten, den Inhalt des Verfahrens und das Verfahren zur Beantragung von Leistungen.84 In erb- und familienrechtlichen Verfahren werden zum einen die Regelungen der PKH-Richtlinie für Unterhaltsverfahren nochmals ausdifferenziert;85 zum anderen gilt hier ein Meistbegünstigungsprinzip, das allen Verfahrensbeteiligten die günstigste kostenrechtliche Behandlung im Vollstreckungsmitgliedstaat garantiert, die auch im Erkenntnisverfahren in einem anderen Mitgliedstaat Prozesskostenhilfe erhalten haben.86 Für Strafverfahren hat der Unionsgesetzgeber bemerkenswerterweise erst im Jahr 2016 nachgezogen; der Regelungsansatz erscheint hier tendenziell restriktiver, und sieht mit dem „Interesse der Rechtspflege“, einer Bedürftigkeitsprüfung, sowie weiteren Kriterien bezüglich der Straftat und Strafe gleich drei kumulative materielle Maßstäbe vor.87 Als weitere Rechtsquelle unionsweiter 84 Vgl. Art. 3 und 4 RL-Prozesskostenhilfe Zivilverfahren (RL 2003/08/EG [ABl. L 26, S. 41]). Im Detail, auch zu den Vorgaben der Richtlinie hinsichtlich Anspruchsumfang und -inhalt der Prozesskostenhilfe (Art. 5 bis 11) und den dazugehörigen Verfahrensregelungen (Art. 12 bis 16) s. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 476 ff.; Roth, in: Leible / Terhechte, § 25, Rn. 14 ff.; Geimer / Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010, S. 1547 ff.; Jastrow, MDR 2004, S. 75 (75 ff.); Tulibacka, CMLR 46 (2009), S. 1527 (1543 f.). 85 Vgl. die ausgesprochen differenzierte Regelung in Art. 44 bis 47 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]), und dabei insbesondere den Katalog des Art. 45 S. 2 zum Umfang der Prozesskostenhilfe; zudem Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 44 VO Nr. 4/2009, Rn. 1 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 44 EGUntVO, Rn. 3 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 45 EG-UntVO, Rn. 3 ff. 86 Vgl. Art. 50 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 47 Abs. 2 ­EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 56 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 55 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). Zu den ehe- und kindschaftsrechtlichen Vorschriften vertiefend Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 50 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 2 ff.; McEleavy, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 50 Brussels IIbis, Rn. 5 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 50 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 ff.; für Unterhaltsverfahren Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 47 VO Nr. 4/2009, Rn. 11 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 47 EG-UntVO, Rn. 10 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 47 EG-UntVO, Rn. 6 ff.; für erbrechtliche Streitigkeiten Schall / Simon, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 3 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 31 ff.; Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 56 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 2 f.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 56 EU-ErbVO, Rn. 1 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 56 EU-ErbVO, Rn. 2 f.; für Güterrechtsverfahren Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 55 EU-EheGüVO, Rn. 1 ff. 87 Vgl. die Vorschriften der RL-Prozesskostenhilfe Strafverfahren (RL [EU] 2016/1919 [ABl. L 297, S. 1]). S. außerdem zu den Hintergründen sowie zu den verfahrensrechtlichen Einzelheiten der Richtlinie – insbesondere auch zu Inhalt und Voraussetzungen (Art. 3, 4 Abs. 1 bis 4) des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe sowie den ergänzenden Verfahrens-, Organisations- und

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Prozesskostenhilfe tritt im Anwendungsbereich des Unionsrechts ferner Art. 47 Abs. 3 GRCh hinzu, der Begrenzungen des Zugangs zu innerstaatlichen Vorschriften der Prozesskostenhilfe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung mit eigenständigen, vom EuGH entwickelten Kriterien unterwirft.88 Auf einer dritten Stufe lassen sich schließlich – gleichsam als prozedurale Dimension der unionsweiten Kostenneutralität – Vorschriften mit besonderen verfahrensrechtlichen Zugangserleichterungen zu den Gerichten anderer Mitgliedstaaten ansiedeln. Mit unterschiedlichen Nuancierungen scheint dieser Gedanke bisher in zwei bereits älteren, wenig rezipierten Sekundärrechtsakten umgesetzt: Die Mediations-Richtlinie regelt seit dem Jahr 2008 den Zugang zu bestimmten Formen der alternativen Streitbeilegung in grenzüberschreitenden Zivilverfahren im europäischen Justizraum.89 Sie soll die gütliche Streitbeilegung in allen grenzüberschreitenden Streitigkeiten fördern, in denen die Parteien sich freiwillig auf die Mediation verständigen oder rechtlich zu ihr verpflichtet sind; darüber hinaus kann das zuständige Gericht die Parteien auch initiativ zu einer Mediation auffordern.90 Der Begriff der Mediation bezieht stark funktional jede dritte Stelle ein, die eine freiwillige Streitbeilegung auf unparteiische und sachkundige Art durchführen kann; eine etwaige Mediationsvereinbarung kann unmittelbar für vollstreckbar erklärt werden, sofern sie nicht mit Vorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats kollidiert.91 Ergänzend gibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten Organisationspflichten für die Ausbildung von Mediatoren und die Entwicklung entsprechender Verhaltenskodizes auf.92 Funktional vergleichbar, aber ungleich komplexer ist das Regelungskonzept der Richtlinie zur Opferentschädigung in Strafverfahren (2004), die Opfern vorsätzlicher Rechtsschutzregelungen, die in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren sind (Art. 6 bis 8) – insbesondere Bannehr, Der europäische Pflichtverteidiger, 2020, S. 221 ff.; zudem Zink, Autonomie und Strafverteidigung zwischen Rechts- und Sozialstaatlichkeit, 2019, S. 39 ff.; Mitterhuber, Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, 2021, S. 121 ff.; Meyer-Mews, ZRP 2019, S. 5 (5 ff.); Schlothauer / Neuhaus / Matt / Brodowski, HRRS 2018, S. 55 (56). 88 Im Einzelnen leitet der EuGH dabei aus dem Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes einen möglichen Anspruch auf Befreiung von Gerichtskosten sowie außergerichtlichen, namentlich Rechtsanwaltskosten ab, wobei allerdings die Gerichte der Mitgliedstaaten im Einzelfall zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen der Gewährung von Prozesskostenhilfe nach dem nationalen Verfahrensrecht sich – im Lichte von Art. 47 GrCH und des Streitgegenstands, der Erfolgsaussichten, sowie der Bedeutung und Komplexität des Rechtsstreits – als unverhältnismäßige Einschränkung der effektiven Rechtsverteidigung erweisen; EuGH, Rs. C-156/12 (GREP), EU:C:2012:342, Rn. 31 ff. 89 S. ausführlich zur RL-Mediation im Zivilverfahren (RL 2008/52/EG [ABl. L 136, S. 3]) – insbesondere zum Mediationsbegriff (Art. 3), den Voraussetzungen der Inanspruchnahme einer Mediation (Art. 5), der anschließenden Vollstreckbarkeit einer etwaigen durch die Mediation erreichten Vereinbarung (Art. 6), sowie zu den Organisationspflichten der Mitgliedstaaten insbesondere im Hinblick auf die Ausbildung und adäquate Qualitätssicherung der Tätigkeit von Mediatoren (Art. 4) – Lahann, ZEuS 2008, S. 359 ff., sowie (allerdings sehr knapp) Sujecki, EuZW 2010, S. 7 (7 ff.); Eidenmüller / Prause, NJW 2008, S. 2737 (2738 ff.). 90 Art. 5 RL-Mediation im Zivilverfahren (RL 2008/52/EG [ABl. L 136, S. 3]). 91 Art. 3, Art. 6 RL-Mediation im Zivilverfahren (RL 2008/52/EG [ABl. L 136, S. 3]). 92 Art. 4 RL-Mediation im Zivilverfahren (RL 2008/52/EG [ABl. L 136, S. 3]).

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Straftaten ermöglichen soll, Entschädigungsansprüche nach der Rückkehr in den Heimatmitgliedstaat bei dessen Behörden geltend zu machen. Der Sache nach errichtet die Richtlinie ein prozedurales Stellvertretungsmodell, das die Zuständigkeit für den Entschädigungsantrag in den Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Opfers verlagert, und im Übrigen – etwa für die Entscheidung über den Antrag, die anwendbaren Entschädigungsvorschriften, und die spätere Auszahlung – die Vorschriften und Behörden des Mitgliedstaats in die Pflicht nimmt, in dem die Straftat begangen wurde.93

4. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Kommunikationsregeln Auch die supranationalen Kommunikationsregeln der Gerichte und Justizbehörden werden in den kommenden Jahren allerdings noch in größerem Umfang die Aufmerksamkeit des Unionsgesetzgebers beanspruchen. Fast durchgehend ist die Zusammenarbeit der Gerichte und Justizbehörden hier bislang durch bestenfalls ambivalente, über weite Strecken schwache, und teilweise geradezu desaströse Bilanzen gekennzeichnet. Teilweise unklar, im Übrigen aber problematisch stellt sich die Situation zunächst bei den unionsrechtlichen Formvorschriften dar: Hier operiert die europäische Justizpolitik bisher weithin noch vor dem Hintergrund einer überwiegend unbekannten Realbereichsbilanz, insbesondere wo – und weil – den Gerichten bei der Handhabung der unionsrechtlichen Formulare und Bescheinigungen ein weites sekundärrechtliches Ermessen zukommt. Bei der Nutzung standardisierter Informationsbescheinigungen ist tendenziell am ehesten die Erkenntnis verallgemeinerungsfähig, dass die frühe, noch stark rechtshilferechtlich inspirierte Praxis, im Rahmen des Europäischen Haftbefehls die Angaben zur gesuchten Person und den mutmaßlichen Straftaten nicht präzise genug zu formulieren, oder umgekehrt vor der Vollstreckung zusätzliche, nicht im Formular genannte Informationen anzufordern, mittlerweile wohl überwunden scheint.94 Auch die ersten Experimente mit unmittelbar verfahrensgestaltenden Unionsformularen, vor allem im Rahmen des Europäischen Bagatellverfahrens, deuten zumindest prin­ zipiell eher in eine positive Richtung: Die Kommission berichtet insoweit im Jahr 93 RL-Opferentschädigung in Strafsachen (RL 2004/80/EG [ABl. L 261, S. 15]). Die Richtlinie enthält im Einzelnen Zuständigkeitsregelungen zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten (Art. 1 und 2), Vorschriften zur Übermittlung der Anträge und Stellungnahmen zwischen den Behörden (Art. 6 bis 10), und Vorgaben zu den anwendbaren materiellen Entschädigungsvorschriften (wobei jeder Mitgliedstaat weiterhin sein eigenes Entschädigungsrecht anwendet, die Richtlinie jedoch ihrerseits zumindest gewisse Mindeststandards harmonisiert [Art. 12]). Überblick bei Esser, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 53, Rn. 65 f. 94 Zuletzt, soweit ersichtlich, thematisiert in Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die seit 2005 erfolgte Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM(2007) 407 endgültig, S. 5, 9 f.

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2013, dass 62 % der Nutzer des Verfahrens mit der Funktionsweise der Formulare zufrieden, und Probleme eher bei technischen Details zu erkennen seien, etwa hinsichtlich der Angaben zur gerichtlichen Zuständigkeit, der Zinsberechnung, der beizufügenden Unterlagen, sowie insbesondere bei der Bereitstellung praktischer Hilfen zum Ausfüllen der Formulare, wo vielfach Vollzugsdefizite bestünden.95 Erstaunlicherweise erweist sich aber stattdessen das vermeintlich eher technische Feld der Übersetzung einzelstaatlicher Verfahrensdokumente bislang als echte Baustelle; durchgehend scheinen die unionsrechtlichen Mindestvorschriften hier noch eine bemerkenswert geringe praktische Steuerungskraft zu entfalten: Im binnenadministrativen Kommunikationsverkehr zwischen den Gerichten mehren sich zum einen Hinweise auf fortbestehende Sprachprobleme in grenzüberschreitenden Ehescheidungs- und Kindschaftsverfahren;96 zum anderen entwickelt sich durch die fakultative Öffnung für die Amtssprachen anderer Mitgliedstaaten eine erhebliche Bandbreite unabgestimmter individueller Lösungen, die ohne Zurückführung auf ein übersichtlicheres Maß mittelfristig beträchtliche Reibungsverluste in der gerichtlichen Kommunikation erzeugen dürfte. In Zivilverfahren etwa erweist sich zwar Englisch für die Übermittlung grenzüberschreitender Zustellungsanträge als informelle lingua franca der Gerichte, die aber oft zugleich durch – bis zu fünf (Frankreich)  – weitere zugelassene Fremdsprachen ergänzt wird;97 gelegentlich entsteht hier sogar das kuriose Problem, dass die Mitgliedstaaten wohl aus politischen Gründen sogar Fremdsprachen akzeptieren, deren Kenntnisse bei ihren Gerichten überhaupt nicht vorhanden sind.98 In grenzüberschreitenden Strafverfahren lassen sich aktuell sogar mindestens sieben unterschiedliche Regelungsmodelle nachweisen; diese reichen, mit Variationen im Detail, von der Annahme aller Entscheidungen in Englisch oder der Amtssprache eines der größeren Mitgliedstaaten 95

Europäische Kommission, Bericht […]: Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM(2013) 795 final, S. 6. 96 Vgl. die Andeutung in Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, KOM(2014) 225 final, S. 13, zu Übersetzungsschwierigkeiten beim Informationsaustausch zwischen den Zentralstellen. 97 Lediglich Luxemburg nimmt bisher nicht einmal Zustellungsanträge in englischer Sprache entgegen; außer Irland und Malta akzeptieren alle anderen Mitgliedstaaten immerhin mindestens eine weitere Sprache neben der eigenen Amtssprache, und mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten gibt an, im Rahmen der grenzüberschreitenden Zustellung sogar drei oder mehr Fremdsprachen als zulässige Sprachen anzusehen, vgl. Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 11 (mit ausführlicher Übersicht zu den jeweils zulässigen Sprachen in Anhang II). 98 Vgl. Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 11, 10, 20.

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(Französisch, Deutsch, Italienisch) über differenzierte Lösungen wie der Öffnung für die Sprache regional angrenzender Mitgliedstaaten oder dem traditionellen Grundsatz der Reziprozität bis hin zum Ermessen der Gerichte, hierüber fallweise zu entscheiden.99 Auch für den externen unionsweiten Kommunikationsverkehr der Gerichte und Justizbehörden mit den verfahrensbeteiligten Bürgern im europäischen Justizraum gaben im Jahr 2013 noch rund 52 % der befragten zivil-, erb- und fami­lienrechtlichen Rechtspraktiker an, bei grenzüberschreitenden Zustellungen mit Problemen der korrekten Belehrung des Empfängers über das Annahmeverweigerungsrecht konfrontiert gewesen zu sein.100 Als aktuell dynamischstes Regelungsgebiet lässt sich dabei die Verfeinerung einzelner Formvorschriften für die unionsweite Gerichtskommunikation ausmachen; hier finden sich insbesondere seit dem Jahr 2015 Grundlinien einer die Übersetzungsanforderungen bei europaweiten Zustellungen konkretisierenden Zustellungsrechtsprechung des EuGH, die auf einem eher weiten Verständnis des sachlichen Anwendungsbereichs101 sowie 99 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] gemäß Artikel 20 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, KOM(2008) 888 endgültig, S. 9; Europäische Kommission, Bericht […] gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, KOM(2010) 428 endgültig, S. 14; European Commission, Tables „State of play“ and „Declarations“ accompanying the document Report on the implementation by the Member States of the Framework Decisions 2008/909/JHA, 2008/947/JHA and 2009/829/ JHA on the mutual recognition of judicial decisions on custodial sentences or measures involving deprivation of liberty, on probation decisions and alternative sanctions and on supervision ­measures as an alternative to provisional detention, SWD(2014) 34 final, S. 4 ff., 8 ff. und 13 ff. 100 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/​ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 11 ff. mit Fn. 24. Ähnliche Probleme scheinen auch die unionsrechtlichen Vorgaben zur Übersetzung in Strafverfahren aufzuwerfen, wo die Kommission im Jahr 2018 erstmals ein systematisches Fazit zog: Insgesamt 16 Mitgliedstaaten – Belgien, Bulgarien, Irland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Litauen, Luxemburg, Ungarn, Malta, Österreich, Rumänien, Slowenien, die Slowakei und Finnland  – hatten die entsprechende Richtlinie bis zum Frist­ ablauf nicht einmal umgesetzt, sodass die Kommission Vertragsverletzungsverfahren einleitete; s. Europäische Kommission, Bericht […]: Umsetzung der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, COM(2018) 857 final, S. 3. Auch dort, wo zumindest nationale Vorschriften erlassen worden waren, konstatierte die Kommission beträchtliche Defizite der konkreten Regelungen, und zieht offenbar ebenfalls Vertragsverletzungsverfahren in Erwägung, s. ebd., S. 4. 101 So hat der Gerichtshof hinsichtlich der Zusammenarbeit der Zivilgerichte zum einen die grenzüberschreitende Zustellung von notariellen Urkunden außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, und zum anderen die Übermittlung privater Schriftstücke mit förmlichen Rechts­ wirkungen ausdrücklich der EuZustVO unterworfen; s. EuGH, Rs. C-14/08 (Roda Golf & Beach Resort), EU:C:2009:395, Rn. 53 ff., bzw. Rs. C-223/14 (Tecom Mican und Arias Domín­ guez u. a.), EU:C:2015:744, Rn. 32 ff. Etwas differenzierter fällt bisher die Rechtsprechung zur Reichweite der Dolmetsch- und Übersetzungspflichten in Strafverfahren aus: Hier hat der EuGH einerseits für Strafbefehle (und vergleichbare vereinfachte Sanktionsinstrumente nach dem nationalen Verfahrensrecht für weniger schwere Delikte) eine Übersetzungspflicht bejaht;

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einer strikten, ausdrücklich mithilfe der Unionsgrundrechte begründeten Auslegung der einzelnen Übersetzungspflichten beruht.102 Letzteres – die sekundärrechtliche Konsolidierung und Fortschreibung der vom EuGH entwickelten Grundsätze – hat der Unionsgesetzgeber im Herbst 2018 mit einem Vorschlag zu einer weiteren EuZustVO-Novelle in Angriff genommen, der wesentliche Aussagen des EuGH kodifiziert.103 In der Gesamtbilanz kaum weniger durchwachsen präsentiert sich sodann die bisherige Funktionsweise der sekundärrechtlichen Fristen- und Beschleunigungsregelungen, denen sich der Unionsgesetzgeber künftig ebenfalls nochmals vertieft wird widmen müssen: Während zumindest die strafrechtlichen Vorschriften derzeit ein etwas differenzierteres Bild mit partiell ermutigenden Befunden aufweisen, zeitigen die Fristenvorgaben in zivil- sowie erb- und familienrechtlichen Verfahren bisher bestenfalls marginale Beschleunigungseffekte. Im Einzelnen ermittelte die Kommission für die grenzüberschreitende Zustellung zivilrechtlicher Verfahrensdokumente im europäischen Justizraum zuletzt trotz einer grundsätzlichen EuGH, Rs. C-278/16 (Sleutjes), EU:C:2017:757, Rn. 26 ff. Zugleich steht den nationalen Gerichten aber ein Bewertungsspielraum zu, ob sie einen Einspruch gegen einen Strafbefehl auch in einer anderen als der Verfahrenssprache akzeptieren, wenn der Beschuldigte dieser nicht mächtig ist; EuGH, Rs. C-216/14 (Covaci), EU:C:2015:686, Rn. 26 ff. Für rein innerstaatliche Verfahren, etwa hinsichtlich der Anerkennung einer ausländischen Strafentscheidung, finden die Dolmetsch- und Übersetzungspflichten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Anwendung; EuGH, Rs. C-25/15 (Balogh), EU:C:2016:423, Rn. 28 ff. 102 Insbesondere hat der EuGH klargestellt, dass bei grenzüberschreitenden Zustellungen in Zivilverfahren im europäischen Justizraum die Empfangsstellen der Mitgliedstaaten eine strenge Verpflichtung ohne jeglichen Bewertungsspielraum trifft, den Empfänger des fraglichen Schriftstücks über sein Annahmeverweigerungsrecht zu belehren, und hierfür ausnahmslos das von der EuZustVO vorgesehene Formblatt mit dem einheitlichen Belehrungstext zu nutzen (vgl. Anhang II der Verordnung); EuGH, Rs. C-519/13 (Alpha Bank Cyprus), EU:C:2015:603, Rn. 28 ff. Überdies ist auch das angerufene Gericht selbst zu einer Nachprüfung gehalten, ob der Empfänger von der inländischen Empfangsstelle über das Annahmeverweigerungsrecht belehrt wurde; EuGH, Rs. C-384/14 (Alta Realitat), EU:C:2016:316, Rn. 47 ff. Verstöße gegen die Belehrungspflicht führen dabei allerdings nicht zur Nichtigkeit der Zustellung, sondern können geheilt werden, indem die Zustellung wiederholt, und dabei eine ordnungsgemäße Belehrung mittels des Formblatts durchgeführt wird; EuGH, Rs. C-519/13 (Alpha Bank Cyprus), EU:C:2015:603, Rn. 28 ff.; Rs. C-354/15 (Henderson), EU:C:2017:157, Rn. 49 ff.; Rs. C-21/17 (Catlin Europe), EU:C:2018:675, Rn. 31 ff. Kommt das betreffende Gericht hingegen zu dem Schluss, dass der Empfänger sich zu Unrecht auf das Annahmeverweigerungsrecht der Verordnung berufen hat, bemessen sich die Rechtsfolgen für das weitere Verfahren nach dem nationalen Verfahrensrecht; EuGH, Rs. C-384/14 (Alta Realitat), EU:C:2016:316, Rn. 47 ff. 103 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“), COM(2018) 379 final. Ersteres hingegen – die Erarbeitung eines arbeitsfähigen Maßes an Standardisierung bestimmter grenzüberschreitender Verfahrenshandlungen im europäischen Justizraum, die einerseits die spezifischen Differenzierungen der nationalen Verfahrensrechtsordnungen wahrt, und andererseits zugleich dennoch spürbare Erleichterungen der Gerichts- und Behördenkommunikation zeitigt – dürfte einen Zielkonflikt darstellen, der sich bei nüchterner Betrachtung ohne zumindest sektorale Harmonisierungen auch des politisch besonders sensiblen Verfahrensrechts der Mitgliedstaaten nicht auflösen lassen wird.

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Beschleunigung gegenüber der Zustellung per internationaler Rechtshilfe weiterhin einen durchschnittlichen zeitlichen Rahmen zwischen einem und sechs Monaten – sodass die Vorgaben der EuZustVO regelmäßig verfehlt werden dürften –,104 und betont den Reformbedarf bei der Ausstattung der Empfangsstellen und der Nutzung elektronischer Übermittlungs- und Zustellungsverfahren.105 Die Fris­ tenregelungen für erb- und familienrechtliche Verfahren geben bislang sogar ein nochmals zweifelhafteres Bild ab; im Jahr 2008 etwa wurden lediglich 15 % der Anträge auf Rückgabe eines entführten Kindes tatsächlich binnen der vorgegebenen sechs Wochen beschieden, und war für das gesamte Verfahren teilweise ein Zeitraum von einem Jahr und länger,106 im Falle von Rechtsbehelfen in einigen Mitgliedstaaten sogar von bis zu zwei Jahren zu veranschlagen.107 Lediglich die Vollstreckung strafrechtlicher Freiheitssanktionen hat zwar gegenüber der traditionellen Rechtshilfe grundsätzlich eine deutliche Beschleunigung erfahren,108 die 104

Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/​ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 6 f., 19. Die grenzüberschreitende Zustellungsdauer hat demzufolge in sieben Mitgliedstaaten abgenommen, in vier Mitgliedstaaten zugenommen, und ist in zehn Mitgliedstaaten im Wesentlichen unverändert geblieben. Einen Ausreißer bildet hier insbesondere Portugal, dessen Übermittlungsstellen bis zu neun Monate für ihre Arbeit in Anspruch nehmen; vgl. inklusive einer ausführlichen Aufschlüsselung der Entwicklung der Zustellungsdauer (allerdings nur hinsichtlich der zwölf in die Evaluation einbezogenen Mitgliedstaaten) ebd., Anhang I. Im Übrigen fällt hier auf, dass eine funktionierende Zusammenarbeit insbesondere bei der direkten grenzüberschreitenden Zustellung durch Postdienste bereits durchaus ausgeprägt zu sein, und zu der moderaten Beschleunigung der Zustellungsverfahren beigetragen zu haben scheint; den Erhebungen der Kommission zufolge scheint sie sogar der Zustellung durch die Übermittlungsund Empfangsstellen zunehmend den Rang abzulaufen, s. ebd., S. 14 mit Fn. 29 (mit kurzem Überblick auch der fortbestehenden praktischen Probleme bei der Zustellung durch Postdienste, ebd., S. 14 f.). Eher gemischt stellt sich demgegenüber das Bild bei der unmittelbaren Zustellung durch die zuständigen Stellen des Empfangsmitgliedstaats dar, die in etwa der Hälfte der Mitgliedstaaten zulässig ist; vgl. ebd., S. 16. 105 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/​ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 5. 106 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2201/​ 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, KOM(2014) 225 final, S. 7. 107 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung), COM(2016) 411 final, S. 2. 108 Dies konstatiert ausdrücklich mit Blick auf die zuvor geltenden Rechtshilfeinstrumente bereits der erste Bericht der Kommission zum Europäischen Haftbefehl aus dem Jahr 2007, der zum damaligen Zeitpunkt eine Durchschnittsdauer von 43 Tagen für die Vollstreckung (sowie elf Tagen bei Zustimmung der zu übergebenden Person) nennt; vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die seit 2005 erfolgte Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren

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zudem teilweise durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH immer stärker flankiert wird: So gesteht der Gerichtshof zum einen den Mitgliedstaaten einen Ausgestaltungsspielraum der Fristenregelungen zu, der insbesondere die Einrichtung individualschützender Rechtsbehelfe ermöglichen soll, solange zumindest die endgültige Entscheidung der Behörden innerhalb der sekundärrechtlichen Frist bleibt;109 zum anderen entwickelt der EuGH zuletzt einen recht differenzierten Rechtsfolgenansatz, demzufolge die Strafverfolgungsbehörden auch nach Fristablauf zur Entscheidung über die Anerkennung bzw. zur Vornahme der Voll­ streckungsmaßnahmen verpflichtet bleiben, jedoch über einen gewissen Beurteilungsspielraum für den weiteren Verfahrensablauf verfügen.110 Im Übrigen offenbaren sich jedoch auch hier vielfach auch in den jüngsten Erhebungen noch teils massive zwischen den Mitgliedstaaten, KOM(2007) 407 endgültig, S. 4. In den Jahren 2005 bis 2009 pendelte sich die durchschnittliche Dauer von der ursprünglichen Festnahme bis zur Entscheidung über die Übergabe der Person dann auf bemerkenswert stabilem Niveau zwischen 42,8 (2007) und 51,7 (2008) Tagen, bzw. zwischen 14,2 (2006) und 17,1 Tagen (2007) im Falle der Zustimmung der betroffenen Person ein; s. im Einzelnen Europäische Kommission, Bericht […] über die seit 2007 erfolgte Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM(2011) 175 endgültig, Anhang I. Die Zahlen der Kommission aus dem Jahr 2015 zu den Fristenvorschriften europäischer Haftbefehle deuten allerdings zuletzt wieder auf einen leichten Anstieg der Verfahrensdauer hin (wobei sich entsprechende Durchschnittswerte wegen der teils fehlenden Angaben einzelner Mitgliedstaaten nicht immer ganz zuverlässig ermitteln lassen); näher European Commission, Commission Staff Working Document: Replies on questionnaire on quantitative information on the practical operation of the European arrest warrant – Year 2015, SWD(2017) 320 final, Annex I, Tabelle II.5 und 6. 109 Insbesondere sind die Mitgliedstaaten dabei auch nicht gehindert, etwaige Rechtsbehelfe mit einem Suspensiveffekt gegenüber der Anerkennungsentscheidung ihrer Justizbehörden zu versehen; maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Haftbefehl einzig, dass die Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts nicht zu Verstößen gegen die Fristenvorgaben der Rahmenbeschlüsse zur strafrechtlichen Zusammenarbeit führt, s. EuGH, Rs. C-168/13 PPU (F.), EU:C:2013:358, Rn. 34 ff. mit Besprechung bei Mancano, in: Brière / Weyem­bergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 285 (297 f.). 110 Ersteres entschied der Gerichtshof namentlich zunächst für den Ablauf der Frist zur Entscheidung über die Anerkennung europäischer Haftbefehle, s. EuGH, Rs. C-237/15 (Lanigan), EU:C:2015:474, Rn. 27 ff., und anschließend auch für die Überschreitung der Frist zur Übergabe der Person, die die beteiligten Strafverfolgungsbehörden nicht davon entbindet, ein neues Übergabedatum zu vereinbaren, s. EuGH, Rs. C-640/15 (Vilkas), EU:C:2017:39, Rn. 20 ff. Hinsichtlich der Inhaftierung der betroffenen Person nach Fristablauf gibt der EuGH den nationalen Gerichten eine Einzelfallprüfung auf, ob die gesamte Haftdauer – auch mit Blick auf das zugrundeliegende Strafverfahren in dem anderen Mitgliedstaat – im Lichte von Art. 6 GRCh als übermäßig lang erscheint; wird dies bejaht, und die Inhaftierung deshalb vorläufig beendet, müssen die Justizbehörden dieses Mitgliedstaats jedoch sicherstellen, dass eine Flucht der betroffenen Person effektiv unterbunden und die spätere Übergabe sichergestellt wird; s. EuGH, Rs. C-237/15 (Lanigan), EU:C:2015:474, Rn. 27 ff. Lässt sich die „sehr ernsthafte“ Fluchtgefahr allerdings auch durch zusätzliche Maßnahmen nicht „auf ein hinnehmbares Maß“ beschränken, dürfen die Mitgliedstaaten gleichwohl die Person nicht freilassen; umgekehrt untersagt Art. 6 GRCh aber nationale Regelungen, die die Fristenregelungen des Sekundärrechts lediglich suspendieren, um eine Vorabentscheidung des EuGH abzuwarten, s. EuGH, Rs. C-492/18 PPU (TC), EU:C:2019:108, Rn. 40 ff.

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

Unterschiede bei der tatsächlichen durchschnittlichen Verfahrensdauer für die Vollstreckung europäischer Haftbefehle mit und ohne Zustimmung der betroffenen Person (zwischen einem und 40 Tagen bzw. zwischen 13 und 230 Tagen)111 und bei den absoluten Zahlen von Fristverstößen bei der Anerkennung (zwischen 0 und 150) und Vollstreckung (zwischen 0 und 91), wobei bei letzteren darüber hinaus oftmals auch die obligatorische Meldung an Eurojust unterblieb.112 Als nochmals 111

Laut European Commission, Commission Staff Working Document: Replies on questionnaire on quantitative information on the practical operation of the European arrest warrant – Year 2015, SWD(2017) 320 final, Annex I, Tabelle II.6, finden sich vergleichsweise kurze Übergabeverfahren mit einer Dauer von unter drei Wochen insbesondere im Falle von Polen (13 Tage), Estland (15 Tage), Belgien und Frankreich (jeweils 17 Tage), und Rumänien (20 Tage); immerhin unter der bisherigen Durchschnittsdauer von rund sechs bis sieben Wochen liegen ferner Litauen (26 Tage), Schweden und Spanien (jeweils 28 Tage), Luxemburg (29 Tage), Zypern (30 Tage), Griechenland (34 Tage), Finnland (35 Tage), Deutschland (rund 41 Tage), Österreich (43 Tage), und Kroatien sowie Ungarn (jeweils 48 Tage). Teils erheblich längere Übergabeverfahren ermittelt die Kommission demgegenüber für Lettland (50 Tage), die Slowakei (65 Tage), Portugal (rund 75 Tage), Dänemark und Tschechien (jeweils 80 Tage), und Slowenien (97 Tage). Absolute Ausreißer sind schließlich Malta (187 Tage) und Irland (230 Tage). Bei Übergabeverfahren mit Zustimmung der betroffenen Person weisen nach den Zahlen in ebd., Tabelle II.5 wiederum Malta (mit einer zweifelhaften, hier nicht zu verifizierenden Verfahrensdauer von angeblich unter einem Tag), Belgien und Ungarn (jeweils 2 Tage)  und Luxemburg (3 Tage) eine Verfahrensdauer von unter einer Woche auf; im Rahmen von zwei Wochen bewegen sich Estland und Spanien (jeweils 8 Tage), Rumänien (9 Tage), Frankreich, Lettland und die Niederlande (jeweils 10 Tage), Litauen und Portugal (jeweils 11 Tage), Polen (12 Tage), Kroatien und Schweden (jeweils 13 Tage), und immerhin im Rahmen von drei Wochen Zypern (10 bis 15 Tage), Deutschland (rund 15 Tage), Österreich (16 Tage), Slowenien (18 Tage), Finnland und Griechenland (jeweils 20 Tage). Darüber liegen schließlich die Übergabeverfahren in Tschechien (rund 30 Tage), Dänemark (31 Tage), der Slowakei (32 Tage), sowie wiederum Irland (40 Tage). 112 Dabei vermelden hinsichtlich der Anerkennung des Europäischen Haftbefehls  – wobei allerdings naturgemäß auch die oft eher geringe absolute Anzahl der an diese Mitgliedstaaten übermittelten Haftbefehle zu berücksichtigen ist – eine Reihe von Mitgliedstaaten, namentlich Belgien, Estland, Zypern, Litauen, Luxemburg, Ungarn, die Slowakei und Finnland, keinen einzigen Fristverstoß, Malta, Österreich und Rumänien jeweils einen, Schweden und Kroatien jeweils zwei, Portugal drei, Slowenien und Griechenland vier, Portugal fünf, Frankreich acht, Dänemark neun, Spanien zehn, Lettland 16, Deutschland 66, die Niederlande 85, und Irland sogar 150; s. European Commission, Commission Staff Working Document: Replies on questionnaire on quantitative information on the practical operation of the European arrest warrant – Year 2015, SWD(2017) 320 final, Annex I, Tabelle II.8.1. Die von Art. 17 Abs. 7 S. 1 RB-Haftbefehl vorgeschriebene Benachrichtigung von Eurojust in Fällen von Fristverstößen scheint dabei ebenfalls nur bedingt ernstgenommen zu werden; Schweden, Kroatien, Tschechien und Irland setzten Eurojust stets von Fristversäumnissen ihrer Gerichte und Justizbehörden in Kenntnis, Griechenland und Lettland immerhin teilweise, die anderen Mitgliedstaaten – auch solche mit sehr zahlreichen Verzögerungen wie namentlich Deutschland und die Niederlande – hingegen gar nicht, vgl. ebd., Tabelle 8.II. Hinsichtlich der Vollstreckung europäischer Haftbefehle und der Übergabe der betroffenen Person geben im Detail – allerdings auch hier wieder mit naturgemäß unterschiedlichem Fallaufkommen – Dänemark, Deutschland, Estland, Kroatien, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Portugal, Slowenien, die Slowakei und Finnland an, die Vollstreckungsfristen für europäische Haftbefehle stets eingehalten zu haben; einige andere Mitgliedstaaten – namentlich Irland und Schweden (jeweils ein Fristverstoß), Polen (5), Tschechien (6) und Österreich (12) – weisen ebenfalls überschau-

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problematischeres, selbst hinter die ihrerseits zweifelhaften Bilanzen der beiden anderen Felder bisher deutlich zurückfallendes Regelungsgebiet mit massivem künftigen Handlungsbedarf für den europäischen Gesetzgeber erweisen sich zuletzt die finanziellen Kosten der unionsweiten Gerichtskommunikation  – wohl auch, weil sich dem europäischen Justizraum hier jenseits unverbindlicher integrationspolitischer Bekenntnisse seitens der Mitgliedstaaten ausnahmsweise ein konkret bezifferbarer Preis anheften lässt: Bereits vergleichsweise technische Regelungen zur Kostenneutralität von auslandsrelevanten Verfahrenshandlungen etwa werfen derzeit noch in erstaunlichem Umfang Schwierigkeiten auf, etwa hinsichtlich der Abrechnung zusätzlicher verdeckter Kosten für Auslandszustellungen in Zivilverfahren113 oder verbreiteter Vollzugsdefizite bei der Übernahme der Vollstreckungskosten und Aufteilung finanzieller Erlöse in Strafverfahren.114 Geradezu verheerend liest sich die bisherige Anwendungsbilanz der PKH-Richtlinie, deren jährliche Anwendungsfälle in der Evaluation von 2012 – fast eine Dekade nach Inkrafttreten der Richtlinie – für praktisch alle Mitgliedstaaten lediglich im zweistelligen Bereich liegen,115 und die demnach nur 15 % der Unionsbürger und 30 % der Rechtsbare Verstöße auf. Insbesondere Rumänien (28) und nochmals deutlicher Spanien (91) stechen hier jedoch mit offenbar erheblichen Problemen bei der Einhaltung der Vollstreckungsfristen heraus. Auffällig ist zudem, dass die von Art. 23 Abs. 5 RB-Haftbefehl eigentlich zwingende Freilassung der gesuchten Person nach Ablauf der Frist praktisch ausgesprochen selten erfolgte, nämlich lediglich in jeweils einem Fall in Irland, Österreich, Polen und Schweden; im Detail ebd., Tabellen II.8.3 und II.8.4. 113 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/​ 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, COM(2013) 858 final, S. 3. 114 Im Rahmen der Zusammenarbeit bei Geldsanktionen etwa hatte ungefähr die Hälfte der – ohnehin wenigen – Mitgliedstaaten, die den Rahmenbeschluss im Jahr 2008 überhaupt umgesetzt hatten, keinerlei Umsetzungsvorschriften erlassen, die den Verzicht auf eine Kostenerstattung von anderen Mitgliedstaaten regelten; immerhin schien hier jedoch ein Großteil der Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss zumindest im Hinblick auf die Erlösverteilung zwischen Entscheidungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat umgesetzt zu haben, s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] gemäß Artikel 20 des Rahmenbeschlusses 2005/214/ JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, KOM(2008) 888 endgültig, S. 8 f. Parallele Befunde kennzeichnen die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei Einziehungsentscheidungen; auch hier hatte im Jahr 2010 rund die Hälfte der Mitgliedstaaten die Vorschriften des Rahmenbeschlusses zur Kostenerstattung nicht umgesetzt, wohl aber die Vorgaben zu den Verfügungsrechten über den Einziehungserlös, s. Europäische Kommission, Bericht […] gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, KOM(2010) 428 endgültig, S. 13 f. 115 Lediglich in zwei Fällen – namentlich in Frankreich in den Jahren 2006 und 2008 – erreichte das jährliche Aufkommen an Anträgen dabei überhaupt eine dreistellige Zahl; in Belgien, Deutschland, Spanien, Irland und Italien bewegte sich die durchschnittliche Zahl jährlicher Anträge oberhalb von 50, in allen anderen Mitgliedstaaten sogar noch darunter, s. Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Richtlinie 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Fest­ legung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, COM(2012) 71 final, S. 8 m. Fn. 29 bzw. S. 9.

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§ 2 Europäische Gerichtskommunikation

anwälte überhaupt bekannt, und von keinem einzigen der befragten Gerichtsvollzieher jemals angewandt worden ist.116 In ähnlicher Weise ermittelte die Kommission für die Regelungen der unionsweiten Opferentschädigung – freilich bereits 2009, also unmittelbar nach Inkrafttreten der Richtlinie – eine marginale Anwendungspraxis, die in praktisch keinem Mitgliedstaat eine zweistellige Anzahl von Anträgen überstieg, und mit etwa 10 % zugleich eine sehr geringe Erfolgsquote aufwies.117 Auch substantielle Reformbemühungen sind hier bisher nicht zu verzeichnen gewesen, sondern lediglich eine relativ unambitionierte Strategie kleiner Schritte mit punktuellen Detailreformen der teils sehr komplexen sekundärrechtlichen Arrangements; im Übrigen scheint man hauptsächlich auf die Ergebnisse einer offensiveren Öffentlichkeitsarbeit zu hoffen. Bei der zivilrechtlichen PKH-Richtlinie sieht die Kommission insoweit ausdrücklich den geringen Informationsstand der Unionsbürger und Rechtsanwender als Hauptursache.118 Ähnliches gilt für die strafrecht 116 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Richtlinie 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, COM(2012) 71 final, S. 10 f. In Deutschland, Irland, Portugal und Polen war die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Prozesskostenunterstützung demnach nicht einmal zehn Prozent der Befragten überhaupt ein Begriff, s. ebd., S. 8 mit Fn. 27. Einschränkend zu sehen ist dabei allerdings, dass die Kommission sich insoweit auf einen – für einen Justizraum von über 400 Millionen Unionsbürgern und 28 Mitgliedstaaten mit ihren Gerichten schwerlich repräsentativen  – Befragtenkreis von lediglich 53 Prozesskostenhilfebehörden der Mitgliedstaaten, 13 statistischen Ämtern, 43 Gerichtsvollziehern, 60 Richtern, 237 Rechtsanwälten, 102 Bürgern und 37 sonstigen Personen stützt; vgl. ebd., S. 3 m. Fn. 9. 117 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Richtlinie 2004/80/EG des Rates zur Entschädigung der Opfer von Straftaten, KOM(2009) 170 endgültig, S. 5 ff. (mit dem nicht näher erläuterten Hinweis auf Anhaltspunkte, denen zufolge die Zahl der Anträge nach Abschluss des Erhebungszeitraums deutlich zugenommen habe, S. 7). 118 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Richtlinie 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, COM(2012) 71 final, S. 16. Als neuerlicher Gradmesser wird hier die Entwicklung der erst 2016 geschaffenen strafrechtlichen Prozesskostenvorschriften zu beobachten bleiben, wo sich der Konflikt der Aufteilung finanzieller Mehrkosten zwischen den Unionsbürgern und den öffentlichen Haushalten der Mitgliedstaaten infolge der Souveränitäts- und Grundrechtssensibilität grenzüberschreitender Strafverfahren nochmals zuspitzt. Den finanziellen Gesamtrahmen einschließlich aller Implementationskosten taxiert die Kommission zuletzt bei jährlich etwa zehn Millionen Strafverfahren im europäischen Justizraum auf eine Summe zwischen 247 und 382 Millionen Euro, s. European Commission, Commission Staff Working Document: Impact assessment accompanying the Proposal for Measures on Legal Aid for Suspects or Accused Persons in Criminal Proceedings, SWD(2013) 476 final, S. 5; vgl. ferner European Commission, Commission Staff Working Document: Implementation Plan accompanying the document Directive of the European Parliament and the Council on provisional legal aid for suspects or accused persons deprived of liberty and legal aid in European arrest warrant proceedings, SWD(2013) 499 final. Hier dürfte zudem ein auch grundrechtlich fundierter Hebel etwa für den EuGH angelegt sein, den Trend zur Abwälzung der Verfahrenskosten auf die Unionsbürger abzumildern, und die Thematik nebenbei etwas prominenter als bisher in den Diskurs der europäischen Justizpolitik einzuspeisen. Eine derartige Entwicklung deutet sich insoweit möglicherweise bereits bei der zivilrechtlichen Prozesskostenhilfe an, wo der EuGH in seiner bisher

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liche Opferentschädigung, wo primär die Komplexität des Antragsverfahrens, etwa hinsichtlich sprachlicher Hindernisse, des Fehlens zentraler Informationsquellen und der erforderlichen Einschaltung der Behörden zweier Mitgliedstaaten als Problemquelle ausgemacht wird,119 und ferner die tendenziell restriktive Rechtsprechung des EuGH zum Opferbegriff bei juristischen Personen eine weitere praktische Zugangshürde bildet.120 Für die Mediation in Zivilverfahren identifiziert die Kommission bei einer bislang ähnlich schwachen Realbereichsbilanz, für die allerdings keine konkreten Daten bereitgestellt werden, zudem gleichsam weiche Problemfaktoren wie den Mangel an Mediationsbewusstsein und -kultur, die unzureichende Erfahrung im Umgang mit grenzüberschreitenden Verfahren, sowie relativ schwach ausgeprägte Qualitätskontrollmechanismen für Mediatoren, allerdings ohne dem jenseits sehr allgemein gehaltener Überlegungen zur Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit bisher Reformüberlegungen entgegenzusetzen.121

einzigen Entscheidung zur PKH-Richtlinie eine auffällig weite Auslegung des unionsrechtlichen Anspruchs entwickelt hat, s. EuGH, Rs. C-670/15 (Salplachta), EU:C:2017:594, Rn. 25 ff., im Hinblick auf die Erstattung von Kosten, die dem Antragsteller für die Übersetzung der zum PKH-Antrag gehörenden Anlagen entstanden sind. 119 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Richtlinie 2004/80/EG des Rates zur Entschädigung der Opfer von Straftaten, KOM(2009) 170 endgültig, S. 11 bzw. S. 8. 120 S. die Entscheidung EuGH, Rs. C-467/05 (Dell’Orto), EU:C:2007:395, Rn. 51 ff., derzufolge der (mittlerweile aufgehobene) RB 2001/220/JI über Opferrechte im Strafverfahren regelmäßig nur für natürliche Personen als Opfer von Straftaten anwendbar ist. 121 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivilund Handelssachen, COM(2016) 542 final, S. 4 f.

§ 3 Europäisches Gerichtswissen I. Dritter Baustein. Supranationale Personalentwicklung 1. „European Judicial Training Network“ Der Europäische Rat betont vor dem Hintergrund historisch meist stark homogener Personalbestände in den nationalen Gerichtssystemen – die zudem wegen der Vorbehaltsklausel des Art. 45 Abs. 4 AEUV von einer sukzessiven Auflockerung durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Binnenmarkt weitgehend abgeschottet blieben – seit langem die Notwendigkeit, die Aus- und Weiterbildung zu Themen des europäischen Rechtsraums zu intensivieren und Elemente einer gemeinsamen europäischen Justizkultur zu entwickeln.1 Die bisherigen Ansätze – die nationale Ebene soll hier aus praktischen Gründen ausgeblendet bleiben – sind dabei angesichts der in Art. 67 Abs. 1 AEUV gesondert abgesicherten Organisationskompetenzen der Mitgliedstaaten meist auf informelle Steuerungsmechanismen verwiesen. Auf noch rein zwischenstaatlicher Ebene ist demnach die Bildung von Behördennetzwerken nach völkerrechtlichen Grundsätzen angesiedelt. Als historisch erstes, über punktuelle Arbeitsvisiten und andere bilaterale Kooperationsformen hinausgehendes Forum einer unionsweiten Personalkooperation besteht insoweit das bereits im Jahr 2000 in der sogenannten Charta von Bordeaux gegründete „European Judicial Training Network“ der zuständigen Aus- und Fortbildungsstellen der Mitgliedstaaten. Kennzeichnend sind hier, abgesehen von einer losen Koordinierung der EJTN-Aktivitäten mit den Fortbildungsprogrammen auf Unionsebene, noch weitgehend völkerrechtliche Strukturen: Die Beteiligung am EJTN als zwischenstaatlicher Organisation steht allen einzelstaatlichen Stellen offen, die an der Ausbildung des Gerichts- und Behördenpersonals beteiligt sind; unter den derzeit 35 Mitgliedsinstitutionen2 finden sich Fortbildungseinrichtungen sämtlicher Mitgliedstaaten, zumeist die Justizministerien, Justizräte oder spezialisierte Fortbildungseinrichtungen.3 Formell operiert das EJTN dabei als gemeinnützige Ver 1

Vgl. Europäischer Rat, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union (2005/C 53/01 [ABl. C 53/1]), S. 10 ff.; Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger (2010/C 115/01 [ABl. C 115/1]), S. 6 f., 13 f. Vgl. ferner zuletzt Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 7 f. 2 Vgl. European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2016, S. 3 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 3 Vgl. Art. 6, 7 EJTN-Statut (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020).

I. Dritter Baustein. Supranationale Personalentwicklung

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einigung nach belgischem Recht;4 rechtliche Vorgaben für die Politikformulierung und -umsetzung enthält das Organisationsstatut, das für Entscheidungen zur Funktionsweise und Weiterentwicklung des Netzwerks eine Generalversammlung der Mitgliedsinstitutionen mit einem Lenkungskommittee errichtet, und die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben einem Generalsekretär überträgt. Das inhaltliche Mandat des EJTN umfasst die „Förderung juristischer Ausbildungsprogramme mit einer genuin europäischen Dimension“; ausdrücklich fallen hierunter die Ermittlung von Ausbildungsbedürfnissen und die Koordinierung nationaler Ausbildungsprogramme, die Verbreitung bewährter Verfahren zwischen den Rechtspraktikern und Ausbildungseinrichtungen der Mitgliedstaaten, sowie die Entwicklung eigener innovativer Fortbildungsmethoden.5 Die Agenda des EJTN wurde zuletzt durch sieben strategische Ziele für den Zeitraum von 2014 bis 2020 sowie neun im Jahr 2016 formulierte Grundsätze der europäischen justiziellen Fortbildung präzisiert: Zu den strategischen Zielen zählen demnach insbesondere die Sicherung einheitlicher Qualitätsstandards der Aus- und Fortbildung, die Stärkung der Kenntnisse des Unionsrechts und des gegenseitigen Vertrauens der Rechtspraktiker, sowie langfristig die progressive Entwicklung eines europäischen Selbstverständnisses des Gerichts- und Behördenpersonals aller Mitgliedstaaten;6 die allgemeinen Fortbildungsgrundsätze zielen in sehr unverbindlicher Form auf die Förderung einer multidisziplinären und wertebasierten Fortbildungskultur und die Sicherung professioneller, mit ausreichenden Ressourcen ausgestatteter Fortbildungsstrukturen in den Mitgliedstaaten.7 Im Detail lassen sich die aktuell bestehenden Kooperations­ aktivitäten innerhalb des EJTN im Wesentlichen drei Themenkreisen zuordnen, die aber bewusst auf eine Erweiterung nach Art eines offenen Baukastenprinzips angelegt sind: Das Kernstück bildet dabei das seit 2005 durchgeführte EJTN-Austauschprogramm für Richter, Staatsanwälte und Ausbildungspersonal aller Rechtsgebiete; umfasst sind sowohl Kurz- als auch Langzeitaufenthalte an entsprechenden Institutionen der Union oder in einem anderen Mitgliedstaat.8 Zweitens entwickelt das EJTN selbst Seminare zu konkreten rechtlichen Fragen grenzüberschreitender Gerichtsverfahren, die einen möglichst praxisbezogenen Unterrichtsansatz verfolgen sollen; neben dem allgemeinen Zivil- („iLaw Project“) und Strafrecht („Criminal Justice Project“) lässt sich hier zunehmend eine Ausdifferenzierung hin zu Spezialmaterien wie etwa der Terrorismusbekämpfung ausmachen („Project on 4 Vgl. European Judicial Training Network, Strategic Plan 2014–2020, S. 2 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 5 Vgl. Art. 4, 5 EJTN-Statut (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 6 Vgl. European Judicial Training Network, Strategic Plan 2014–2020, S. 4 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 7 Vgl. European Judicial Training Network, Grundsätze der justiziellen Fortbildung, 2016, S. 2 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 8 Vgl. European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2016, S. 3 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020).

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

Countering Terrorism and Radicalisation to Violent Extremism“).9 Als separater Zweig der EJTN-Seminare entwickelt sich zudem ein Linguistikprogramm mit Schulungen in englischer und französischer Rechtsterminologie mit Kleingruppenunterricht für Praktiker verschiedener Rechtsgebiete unter Aufsicht eines Linguistikexperten und eines muttersprachlichen Justizpraktikers.10 Ein drittes Gebiet bildet schließlich die Entwicklung einer zentralen Infrastruktur für die Information über bestehende Fortbildungsprojekte auf nationaler Ebene; hierzu gehören primär online verfügbare Rechercheangebote („EJTN Catalogue +“), und eine an das Ausbildungspersonal gerichtete Internetplattform zum Austausch bewährter Fortbildungsmethoden („Judicial Training Methods Project“).11

2. Personalentwicklungsstrategie der Europäischen Kommission (2011) Teilweise bereits supranationale Züge weisen demgegenüber die Formulierung allgemeiner Ausbildungsziele durch die Europäische Kommission und die finanzielle Förderung entsprechender Projekte auf nationaler Ebene auf. Das primäre Instrument auf der Unionsebene bildet dabei eine entsprechende Strategie der Kommission aus dem Jahr 2011,12 die jedoch schon wegen der ambitionierten Zielsetzungen – in dem Jahrzehnt zwischen 2011 und 2020 soll sie die Hälfte der rund 1,4 Millionen Justizpraktiker im Justizraum in europabezogene Aus- und Fortbildungsmaßnahmen einbeziehen13 –, aber auch wegen der bereits zuvor regel­mäßig eher geringen Reichweite entsprechender Maßnahmen14 durchweg pragmatische 9

Vgl. European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2016, S. 3 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 10 Vgl. European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2016, S. 3 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 11 Vgl. European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2016, S. 3 (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 12 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Förderung des Vertrauens in eine EU-weite Rechtspflege. Eine neue Dimension der justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, KOM(2011) 551 endgültig. Speziell für die europabezogene Fortbildung von Strafrechtspraktikern s. zudem das sogenannte LETS-Programm der Kommission (Europäische Kommission, Mitteilung […] über ein Europäisches Fortbildungsprogramm für den Bereich Strafverfolgung, COM[2013] 172 final, S. 1 ff.). 13 Näher Europäische Kommission, Mitteilung […]: Förderung des Vertrauens in eine EUweite Rechtspflege. Eine neue Dimension der justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, KOM(2011) 551 endgültig, S. 2 ff. Für einen Grobüberblick über die Verteilung der Rechtspraktiker auf verschiedene Berufsgruppen (allerdings auf der Grundlage von Zahlen aus dem Jahr 2010) s. ebd., S. 4: Über die Hälfte sind demnach Rechtsanwälte (868 515), und ein vergleichsweise geringer Anteil Richter oder Staatsanwälte (114 132); die dritte Gruppe bilden Notare (38 269), Gerichtsvollzieher (29 060), und sonstige Justizbedienstete (351 220). 14 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung […]: Förderung des Vertrauens in eine EU-weite Rechtspflege. Eine neue Dimension der justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, KOM(2011) 551 endgültig, S. 5. Für die Vorläuferprojekte seit dem Tampere-Programm vgl. zunächst Verordnung Nr. 743/2002 des Rates über eine allgemeine Rahmenregelung der

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Züge aufweist. Inhaltlich formuliert die Kommission jenseits der genannten Zieldaten lediglich einige Leitlinien und Empfehlungen; so sollen als Zielgruppe idealerweise alle Rechtspraktiker angesprochen, relevante Ausbildungsmaßnahmen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Erstausbildung begonnen und dann laufbahnbegleitend fortgesetzt, sowie sämtliche Programme möglichst praxisrelevant und ohne prohibitiven Zeitaufwand ausgestaltet werden.15 Als mögliche Instrumente werden ohne nähere Ausführungen etwa Austauschaufenthalte in anderen Mitgliedstaaten, die Schulung fremdsprachiger Rechtsterminologie, sowie der Einsatz elektronischer Lernmittel genannt.16 Alle Detailfragen zu konkreten Ausbildungsinhalten und -methoden sowie deren effektiver Verbreitung überlässt die Kommission den Ausbildungsinstitutionen der Mitgliedstaaten; zudem werden die europäischen Praktikerverbände in die Pflicht genommen, namentlich die Räte der Anwaltschaften bzw. Notariate der Europäischen Union, das Europäische Netz der Räte für das Justizwesen, und das Netz der Präsidenten der Obersten Gerichtshöfe der Europäischen Union.17 Als ergänzende Koordinierungsmaßnahmen nennt die Kommission zum einen flankierende Regelungen zur Stärkung der institutionellen Voraussetzungen der Personalentwicklung in den Mitgliedstaaten; hierzu zählen etwa Maßnahmen zur Förderung der gegenseitigen Anerkennung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, zur Verbesserung der Übertragbarkeit anderweitiger berufsbildender Qualifikationen, sowie zur Förderung von öffentlich-privaten Partnerschaften und Konsortien nationaler Ausbildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlicher Akteure wie Berufskammern, Unternehmen, Universitäten und unabhängigen Forschungseinrichtungen.18 Zum anderen setzt die Kommission in Gemeinschaft für Aktivitäten zur Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen (ABl. L 115/1) und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für einen Beschluss des Rates für ein Rahmenprogramm auf der Grundlage von Titel VI des Vertrags über die Europäische Union – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, KOM(2001) 646 endgültig; sodann für die europäische Personalpolitik unter dem Haager Programm Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung […] über die Fortbildung von Vertretern der Justizberufe in der Europäischen Union, KOM(2006) 356 endgültig, und die Beschlüsse Nr. 2007/126/JI des Rates zur Auflegung des spezifischen Programms „Strafjustiz“ als Teil des Generellen Programms „Grundrechte und Justiz“ für den Zeitraum 2007 bis 2013 (ABl. L 58/13) und Nr. 1149/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Auflegung des spezifischen Programms Ziviljustiz als Teil des Generellen Programms Grundrechte und Justiz für den Zeitraum 2007–2013 (ABl. L 257/16). 15 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Förderung des Vertrauens in eine EU-weite Rechtspflege. Eine neue Dimension der justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, KOM(2011) 551 endgültig, S. 5. 16 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Förderung des Vertrauens in eine EU-weite Rechtspflege. Eine neue Dimension der justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, KOM(2011) 551 endgültig, S. 6 f. 17 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Förderung des Vertrauens in eine EU-weite Rechtspflege. Eine neue Dimension der justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, KOM(2011) 551 endgültig, S. 8 f. 18 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Förderung des Vertrauens in eine EU-weite Rechtspflege. Eine neue Dimension der justiziellen Aus- und Fortbildung auf europäischer Ebene, KOM(2011) 551 endgültig, S. 11 f.

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weitem Umfang auf die Finanzierung von Maßnahmen auf nationaler Ebene; dem aktuellen Mehrjahresprogramm für den Zeitraum von 2014 bis 2020 liegt dabei mit der „Unterstützung und Förderung der juristischen Ausbildung in den Mitgliedstaaten (…) im Interesse der Entstehung einer gemeinsamen Rechts- und Justizkultur“ ein äußerst offener inhaltlicher Zuschnitt zugrunde, dessen Zielgruppe sich über das Gerichtspersonal hinaus auf andere Interessenträger erstreckt, etwa die Unionsbürger, Angehörige der Rechtsberufe im weiteren Sinne und ihre Berufsverbände,19 und zivilgesellschaftliche Akteure wie Hochschulen, Forschungsinstitute und Nichtregierungsorganisationen.20 Der Kreis förderungsfähiger Maßnahmen ist gleichermaßen weit gezogen und umfasst etwa Projekte zur Öffentlichkeitsarbeit über Unionsrecht und -politiken, Analysen zur Funktionsweise und verbesserten Implementation der einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften, sowie die Verbesserung des wechselseitigen Verständnisses der Justizpraktiker, insbesondere mit einem Fokus auf regionale länderübergreifende Projekte, die langfristig zur Herausbildung einer gemeineuropäischen Justizkultur beitragen könnten.21 Die Mittelzuweisung – für den gesamten Förderzeitraum ist ein Volumen von 377,6 Millionen Euro vorgesehen – erfolgt aufgrund jährlicher Ausschreibungen durch die Kommission, wobei 35 % der Mittel für Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen im engeren Sinne vorbehalten sind;22 der erforderliche „Europäische Mehrwert“ eingereichter Projekte bemisst sich unter anderem nach der inhaltlichen Qualität, dem voraussichtlichen Multiplikatoreffekt in der Öffentlichkeit, und der geographischen Ausstrahlung in möglichst vielen Mitgliedstaaten.23

3. Europäische Agentur für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Strafverfolgung (EPA) Die am stärksten integrierte, in Ansätzen – wenn auch noch auf die strafrechtliche Zusammenarbeit beschränkt – bereits originär supranationale Form gemeinsamer Personalentwicklung findet schließlich unter dem Dach der Europäischen Agentur 19

Vgl. Art. 5 und 6 des Beschlusses des Rates Nr. 2007/126/JI zur Auflegung des spezifischen Programms „Strafjustiz“ als Teil des Generellen Programms „Grundrechte und Justiz“ für den Zeitraum 2007 bis 2013 (ABl. L 58/13). 20 Vgl. Art. 3 und 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1382/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms „Justiz“ für den Zeitraum 2014 bis 2020 (ABl. L 354/73). 21 Vgl. Art. 4 lit. b) und lit. c) des Beschlusses des Rates Nr. 2007/126/JI zur Auflegung des spezifischen Programms „Strafjustiz“ als Teil des Generellen Programms „Grundrechte und Justiz“ für den Zeitraum 2007 bis 2013 (ABl. L 58/13). 22 Vgl. Art. 8 Abs. 1 und Abs. 4 mit dem Anhang der Verordnung (EU) Nr. 1382/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms „Justiz“ für den Zeitraum 2014 bis 2020 (ABl. L 354/73). 23 Vgl. Art 8 Abs. 4 und Abs. 5 des Beschlusses des Rates Nr. 2007/126/JI zur Auflegung des spezifischen Programms „Strafjustiz“ als Teil des Generellen Programms „Grundrechte und Justiz“ für den Zeitraum 2007 bis 2013 (ABl. L 58/13).

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für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Strafverfolgung (EPA) statt.24 Das EPA-Modell ist seit der 2015 abgeschlossenen Reform der Verordnung – die sich zuvor auf die Ausbildungskooperation für ranghohe nationale Polizeibeamte beschränkt hatte – umfassend in den Rahmen des Unionsrechts eingebunden und durch die Umstellung auf das Agenturmodell deutlich stärker hierarchisch organisiert. In inhaltlicher Hinsicht erstreckt sich das Mandat der EPA recht weitgehend auf sämtliches Gerichts- und Behördenpersonal der Mitgliedstaaten, das mit der Verhütung oder Bekämpfung von mehrere Mitgliedstaaten betreffender schwerer Kriminalität oder Kriminalitätsformen mit Relevanz für Unionspolitiken befasst ist; der Ausbildungsauftrag umfasst zum einen die Unterstützung und Koordinierung einzelstaatlicher Maßnahmen, etwa mit Blick auf die Anwendung unionsrechtlicher Strafverfolgungsinstrumente oder praktische Fragen der unionsweiten Zusammenarbeit, und zum anderen die Entwicklung und Durchführung eigener Ausbildungsmaßnahmen auf der Unionsebene.25 Als Orientierung dienen dabei die von der Kommission 2013 im Rahmen des LETS-Programms („Law Enforcement Training Scheme“) formulierten strategischen Prioritäten der Fortbildung im Bereich der Strafverfolgung, die auch die Politikentwicklung der EPA anleiten sollen.26 Im Vordergrund stehen demnach die Vermittlung allgemeiner Grundkenntnisse zur unionsweiten Strafverfolgung, sprachliche Kenntnisse zumindest des Englischen und die Entwicklung entsprechender kultureller Kompetenzen, sowie themenspezifische Fortbildungen zu typischerweise grenzüberschreitenden Kriminalitätsformen wie Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Cyberkriminalität, Korruption sowie Finanzdelikten.27 Darüber hinaus obliegt die inhaltliche Konkretisierung von Fortbildungsauftrag und -methoden jedoch in weitem Umfang der EPA selbst, die zu diesem Zweck strategische Bedarfsanalysen durchführt und sodann mehrjährige Fortbildungsprogramme verabschiedet.28 Mögliche Elemente sind dabei etwa – gegebenenfalls in elektronischer Form – Kurse, Seminare und Konferenzen, die Entwicklung gemeinsamer Lehrpläne der Ausbildungseinrichtungen der Mitgliedstaaten, spezialisierte aufeinander aufbauende Fortbildungsmodule für bestimmte fachliche oder geographische Zielgruppen, Austauschprogramme zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten, und die Förderung wissenschaftlicher Arbeiten und Kooperation der EPA mit Hochschuleinrichtungen der Mitgliedstaaten.29 Als zentrales politikformulierendes Gremium der EPA agiert dabei der mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Verwaltungsrat, der sich aus einem Vertreter jedes Mitgliedstaats und der Kommission zusammensetzt, und für dessen Mitglieder jenseits der „Kenntnisse im Bereich der 24

EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). Vgl. Art. 2, 3 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). 26 Europäische Kommission, Mitteilung […] über ein Europäisches Fortbildungsprogramm für den Bereich Strafverfolgung, COM(2013) 172 final, S. 1 ff. 27 Näher Europäische Kommission, Mitteilung […] über ein Europäisches Fortbildungs­ programm für den Bereich Strafverfolgung, COM(2013) 172 final, S. 4 f. 28 Vgl. Art. 4 Abs. 1 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). 29 Vgl. Art. 4, 5 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). 25

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

Aus- und Fortbildung der Strafverfolgungsbediensteten“ und „einschlägigen Führungs-, Verwaltungs- und haushaltstechnischen Kompetenzen“ keine substantiellen Kriterien aufgestellt werden.30 Neben inhaltlichen Entscheidungen zur mehrjährigen Programmplanung und zum jährlichen Arbeitsprogramm, den von der EPA entwickelten Lehrplänen und Fortbildungsmodulen, oder der Öffentlichkeitsarbeit der EPA werden auch mittelbare Lenkungsentscheidungen zu Zielvorgaben, Leistungsindikatoren und Mittelzuweisungen einzelner Programme dem Verwaltungsrat überantwortet.31 Fakultativ kann dieser zwar durch einen wissenschaftlichen Beirat unterstützt werden, der jedoch seinerseits in starker Abhängigkeit vom Verwaltungsrat konstruiert ist, etwa hinsichtlich Zusammensetzung, Auswahl der Mitglieder, und des jederzeit möglichen Widerrufs des Beirats insgesamt.32 Weitere Akteure werden nur am Rande in die Politikentwicklung eingebunden, etwa durch Vorschlagsbefugnisse des Exekutivdirektors der EPA oder vereinzelte Anhörungsrechte der Kommission und des Europäischen Parlaments.33 Erst auf der Vollzugsebene werden zudem nationale EPA-Stellen integriert, die den Informationsaustausch zwischen der EPA und den nationalen Ausbildungseinrichtungen erleichtern und die Implementation der EPA-Maßnahmen in den Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene koordinieren sollen.34

4. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Personalentwicklung In der anbrechenden Konsolidierungsphase wird die EU-Justizpolitik die supranationale Personalentwicklung in den nationalen Gerichts- und Behördensystemen in eher kleinerem Umfang noch in den Blick nehmen müssen. Hier lässt sich derzeit ein ambivalentes Bild der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erkennen: Einerseits – auch wenn die europäische Justizpolitik hier bisher naturgemäß auf weitgehend noch unerschlossenem Terrain operiert, da sich zum einen die tatsächlichen Steuerungswirkungen der verschiedenen europäischen Personalentwicklungskonzepte, wenn überhaupt, nur annäherungsweise und mit zeitlicher Verzögerung evaluieren lassen,35 und zum anderen die bisher verfügbaren Realbereichsanalysen in der Regel von den verantwortlichen Akteuren selbst erarbeitet werden, sodass auch zumindest quantitativ belastbare Befunde oftmals nur schwer von einem mehr oder weniger latenten integrationspolitischen Impetus zu trennen sind – ist die Koordinierung der Personalentwicklung in den Gerichtssystemen der Mitgliedstaaten grundsätzlich auf vielversprechendem Boden zu verorten: Für ihre Personalentwicklungsstrategie aus dem Jahr 2011 ermittelte die Kommission zuletzt (2017) eine Beteiligung von 143 000 Justizpraktikern an einschlägigen Aus 30

Vgl. Art. 8 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). Vgl. Art. 10 Abs. 2, 3 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). 32 Vgl. Art. 16 Abs. 4, 15 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). 33 Vgl. Art. 10 Abs. 1 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). 34 Vgl. Art. 6 EPA-VO (VO [EU] Nr. 2015/2219 [ABl. L Nr. 319, S. 1]). 35 Vgl. Voßkuhle, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts Bd. 3, § 43, Rn. 51, 55. 31

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und Fortbildungsmaßnahmen, und konstatiert insoweit eine stabile Gesamtentwicklung; insoweit bleibt also immerhin festzuhalten, dass das Gesamtziel von 700 000 aus- oder fortzubildenden Rechtspraktikern voraussichtlich sogar frühzeitig im Jahr 2018 oder 2019 erreicht worden ist.36 Im Detail lassen sich dabei aber jenseits auffälliger Einzelbeobachtungen – so entfallen etwa 40 % der Maßnahmen auf zivilrechtliche oder Querschnittsthemen, und lediglich 20 % auf strafrechtliche Ausbildungsinhalte,37 ferner erhebt die Kommission jeweils gesondert ausgewiesene Daten für die Beteiligung unterschiedlicher Berufsgruppen, die durchschnittliche Dauer von Maßnahmen, oder die Verfügbarkeit des als besonders effektiv erachteten Kleingruppentrainings38  – letztlich kaum darüber hinausgehende verallgemeinerungsfähige Schlüsse ziehen. In ähnlicher Weise, wenngleich auf quantitativ wesentlich geringerem Niveau, lesen sich auch die jüngeren Evaluationen der EJTN-Programme prinzipiell ermutigend, und belegen für die rund sechs Jahre zwischen dem Stockholmer Programm und dem letzten verfügbaren Bericht des Jahres 2016 eine Verdoppelung der jährlichen Beteiligung an Maßnahmen von etwa 2700 auf etwa 5500, sowie eine knappe Verdreifachung der individuellen Trainingstage von rund 10 600 auf etwa 27 300.39 Gleichlaufend hierzu deuten schließlich auch die jüngeren EPA-Daten, die sich allerdings teilweise noch auf den Zeitraum vor der Verordnungsnovelle beziehen, auf eine sukzessive zunehmende praktische Bedeutung der Agentur hin; die Gesamtzahl der Teilnehmer an Fortbildungsmaßnahmen ist demnach von etwa 2000 im Jahr 2009 auf etwa 18 000 im Jahr 2016 angestiegen, und weist dabei jährliche Wachstumsraten von 25 bis 30 % auf. Rund 14 000 Teilnehmer entfielen dabei zuletzt auf internetgestützte Maßnahmen wie Web-Seminare, 492 Teilnehmer auf Austauschaufenthalte  – worin sich eine korrespondierende Entwicklung mit den EJTN-Zahlen zeigt –, und immerhin 87 Maßnahmen auf lokale Angebote am Sitz der EPA in Budapest.40 Andererseits lässt sich aber auch der künftige Weiterentwicklungsbedarf aller drei Programme, ebenso wie das Bedürfnis nach einer verstärkten Koordinierung und Aufgabenteilung untereinander, kaum von der Hand weisen: Für das zwischenstaatliche EJTN zeichnet zuletzt sich als Problem vor allem die wachsende inhaltliche und geographische Differenzierung der Nachfrage ab, die mittel 36

European Commission, European Judicial Training 2017, S. 2, 19 f. S. ferner Europäische Kommission, Bericht […] über die Zwischenbewertung der Umsetzung des Programms „Justiz“ 2014–2020, COM(2018) 507 final. 37 European Commission, European Judicial Training 2017, S. 17. 38 European Commission, European Judicial Training 2017, S. 7 ff. 39 European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2016, S. 3. Auch die jüngsten Zahlen bestätigen diese Entwicklung; s. European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2017 bzw. EJTN Year in Review, 2018, jeweils S. 3 f. (jeweils abrufbar unter: http:// www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation/. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 40 European Union Agency for Law Enforcement Training (CEPOL), 2016 Annual Report, 2017, S. 9 f. (sowie für weitere, diesen Trend weitgehend fortschreibende Zahlen: European Union Agency for Law Enforcement Training [CEPOL], 2017 Annual Report, 2018, S. 10, 12 f.) (jeweils abrufbar unter: https://www.cepol.europa.eu/publications-annual-report. Letzter Abruf: 15. 4. 2020).

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fristig das Ziel einer prinzipiell gleichmäßigen Personalentwicklung der Mitgliedstaaten unterläuft; insbesondere erfährt hier das EJTN-Austauschprogramm mit über 2 200 Teilnehmern aus 25 Mitgliedstaaten einen umfangreichen Zulauf, während die jährlichen Teilnehmerzahlen aller anderen Angebote durchgehend jeweils unter 500 liegen, und zeigen sich einige wenige – meist größere – Mitgliedstaaten wie Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien besonders engagiert, während in fast allen anderen Mitgliedstaaten mit der Ausnahme Belgiens, Polens, Portugals und Rumäniens allenfalls eine marginale Partizipation am EJTN anzutreffen ist.41 Auf politischer Ebene wird dieser Trend durch die verhaltene Finanzierungsbereitschaft der Mitgliedstaaten reflektiert; trotz der nachdrücklichen Bekenntnisse des Europäischen Rates zu einer progressiven gemeinsamen Personalentwicklung im Haager und Stockholmer Programm von 2005 bzw. 2010 wurde im Organisationsstatut des EJTN noch im Jahr 2015 eine Deckelung der Jahresbeiträge der Mitgliedstaaten auf maximal 40 000 Euro beschlossen, und der übrige Finanzierungsbedarf auf Betriebskostenzuschüsse durch die Kommission abgewälzt.42 Gleichsam spiegelbildlich hierzu dürfte das EPA-Modell tendenziell eher Gefahr laufen, durch den stark hierarchischen, tendenziell wegen der starken Position des Verwaltungsrats auch technokratischen Politikansatz zu Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu führen, wo und weil der Zugriff der Union als europäische Überdeterminierung der nationalen Personalpolitik wahrgenommen wird. Als institutionelle Stellschraube einer entsprechenden Mediatisierung der europäischen Vorgaben und Ausdifferenzierung anhand der personalpolitischen Bedürfnisse der Mitgliedstaaten bottom up liegt dabei das System der nationalen EPA-Stellen auf der Hand, über deren tatsächliche Ausgestaltung und Arbeitsweise im unionsweiten Vergleich aber bisher nichts bekannt erscheint. Zumindest vorläufig scheint dieser Spagat noch – allerdings wohl auch wegen des quantitativ noch sehr geringen Umfangs der EPA-Aktivitäten, die einen Großteil der rund 1,9 Millionen nationalen Strafverfolgungsbeamten43 bisher weder betreffen noch diesen wohl in der Breite überhaupt bewusst sind – passabel zu gelingen; augenfällig sind insoweit insbesondere die bislang hohen Zufriedenheitswerte von jeweils über 90 % der Teilnehmer aller EPA-Formate und eine sich zunehmend andeutende thematische Spezialisierung auf bestimmte praktisch relevante Bereiche des europäischen Justizraums, namentlich organisiertes Verbrechen, migrationsbezogene 41 European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2016, S. 3 f. (sowie mit weitgehen ähnlichen Daten European Judicial Training Network, EJTN Year in Review, 2017 bzw. EJTN Year in Review, 2018, jeweils S. 3 f.) (jeweils abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/ About-us/EJTN-documentation/. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 42 Vgl. Art. 8 EJTN-Statut (abrufbar unter: http://www.ejtn.eu/About-us/EJTN-documentation. Letzter Abruf: 15. 4. 2020); Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1382/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms „Justiz“ für den Zeitraum 2014 bis 2020 (ABl. L 354/73). 43 Vgl. – auf Basis der Daten des Jahres 2013 – Europäische Kommission, Mitteilung […] über ein Europäisches Fortbildungsprogramm für den Bereich Strafverfolgung, COM(2013) 172 final, S. 4.

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Straftaten, Cybercrimes und Terrorismus.44 Für die Kommissionsprogramme schließlich weisen die Abschlussberichte der separaten Vorgängerprogramme (jeweils 2007–2013) für Ziviljustiz (JCIV) und Strafjustiz (JPEN) derzeit auf drei konkrete Problemfelder hin: So zeigt sich bisher erstens eine hohe Anfälligkeit des Programms für Effektivitäts- und Effizienzverluste, namentlich infolge der bürokratischen Hürden bei Antragstellung und Berichterstattung, der geringen Sichtbarkeit der Programme und sich nur langsam erhöhenden Nachfrage nach Förderungsmitteln, sowie der sehr offenen Zieldefinition und langen Projektzyklen.45 Zweitens treten bislang oft Nachhaltigkeitsprobleme hinzu, insbesondere wegen des Fehlens von Anschlussfinanzierungen auf nationaler Ebene oder variierenden Ausbildungsprioritäten zwischen den Mitgliedstaaten, die eine Übertragung erfolgreicher Projekte hemmt.46 Als drittes Problem konstatieren beide Abschlussberichte unabhängig voneinander auch hier eine deutliche geographische Spreizung, und insbesondere ein Übergewicht von Anträgen aus großen Mitgliedstaaten des europäischen Justizraums – vor allem Deutschland, Frankreich und Italien –, während aus kleineren Mitgliedstaaten teilweise keinerlei Anträge auf Projektförderung gestellt wurden.47 Die aktuelle „Roadmap“ der Kommission zur Entwicklung des Nachfolgeprogramms („European Judicial Training Strategy 2019–2025“) nimmt zumindest letzteren Befund teilweise auf: Inhaltlich steht hier die Ausdifferenzierung anhand der Fortbildungsbedürfnisse verschiedener Mitgliedstaaten im Vordergrund, ausdrücklich auch mit Blick auf die Stärkung grundlegender rechtsstaatlicher Strukturen in einigen osteuropäischen Mitgliedstaaten; zugleich wird eine stark praxisorientierte Programmentwicklung angestrebt, die frühzeitig Funktionsund Interessenträger aus den nationalen Gerichtssystemen in die Definition konkreter Ausbildungsbedürfnisse einbeziehen soll.48

44 European Union Agency for Law Enforcement Training (CEPOL), 2016 Annual Report, 2017, S. 8 ff.; European Union Agency for Law Enforcement Training (CEPOL), 2017 Annual Report, 2018, S. 10, 12 f. (jeweils abrufbar unter: https://www.cepol.europa.eu/publicationsannual-report. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 45 Europäische Kommission, Bericht […]: Bericht über die Ex-post-Bewertung des Programms Ziviljustiz (2007–2013), COM(2017) 59 final, S. 20 ff.; Europäische Kommission, Bericht […]: Ex-post-Bewertungsbericht zum Programm Strafjustiz (2007–2013), COM(2017) 115 final, S. 21 ff. 46 Europäische Kommission, Bericht […]: Ex-post-Bewertungsbericht zum Programm Strafjustiz (2007–2013), COM(2017) 115 final, S. 16 ff.; Europäische Kommission, Bericht […]: Bericht über die Ex-post-Bewertung des Programms Ziviljustiz (2007–2013), COM(2017) 59 final, S. 17 ff. 47 Europäische Kommission, Bericht […]: Ex-post-Bewertungsbericht zum Programm Strafjustiz (2007–2013), COM(2017) 115 final, S. 24 ff.; Europäische Kommission, Bericht […]: Bericht über die Ex-post-Bewertung des Programms Ziviljustiz (2007–2013), COM(2017) 59 final, S. 23 ff. 48 European Commission, Roadmap European Judicial Training Strategy 2019–2025, S. 1 ff. S. außerdem Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms „Justiz“, COM(2018) 384 final.

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer 1. Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Zivil- oder Handelssachen Die deutlich erhöhte Komplexität der Beweiskooperation und ihre ordnungsbildende Eigenständigkeit gegenüber anderen Formen des Informationsaustauschs zwischen den Gerichten und Justizbehörden sind insbesondere der Einbettung der betroffenen Informationen in ein laufendes Gerichtsverfahren geschuldet, das regelmäßig auf geschlossenen, oftmals auch in besonderer Weise rechtskulturell imprägnierten verfahrensrechtlichen Gesamtkonzepten der Mitgliedstaaten mit funktional abgestimmten Beweiserhebungs- und -verwertungsregeln beruht, und entsprechend maßgeschneiderte rechtliche Verarbeitungsmechanismen der einzelnen Gerichtssysteme für grenzüberschreitende Beweise erfordert.49 Das Prinzip gegenseitiger Anerkennung, das die Akteure der europäischen Justizpolitik schon recht früh – und augenscheinlich eher aus Verlegenheit – prinzipiell als Regulierungskonzept auch für den unionsweiten Beweistransfer gewählt hatten,50 steht in einem natürlichen Spannungsverhältnis zu dieser Binnenrationalität der nationalen Verfahrensrechte; insbesondere lässt er sich, wie das Beispiel des mittlerweile wieder aufgehobenen Rahmenbeschlusses zur „Europäischen Beweisanordnung“ in Strafverfahren zeigt,51 nicht sinnvoll durch die gleichsam automatische Transplantation des in einem Mitgliedstaat erhobenen Beweises in das Erkenntnisver 49

Zum strukturellen Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz gegenseitiger Anerkennung und der Binnenrationalität der nationalen Beweisvorschriften ausführlich Gleß, ZStW 125 (2013), S. 573 ff.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 5 f.; Gleß, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 16, Rn. 6 ff.; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 98. 50 Europäischer Rat, Tampere Europäischer Rat (15. und 16. Oktober 1999), Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Schlussfolgerung Nr. 36; später dann Europäischer Rat, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union (2005/C 53/01 [ABl. C 53/1]), S. 12; Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger (2010/C 115/01 [ABl. C 115/1]), S. 12. 51 Vgl. die Vorschriften des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung, RBEBA (RB 2008/978/JI [ABl. L 350, S. 72]), mittlerweile aufgehoben durch die Verordnung (EU) 2016/95 zur Aufhebung bestimmter Rechtsakte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (ABl. L 26, S. 9), die im Wesentlichen einen solchen unmittelbaren Transfer eines im ersuchten Mitgliedstaat rechtmäßig erhobenen Beweises in das Erkenntnisverfahren des ersuchenden Mitgliedstaats vorschrieben. Näher zum RB-EBA (und zu seiner sehr spärlichen Umsetzung durch die Mitgliedstaaten, die letztlich dann auch zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses führte) etwa Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, S. 660; Kubiciel, in: Ambos / König / Rackow, 4.  Hauptteil, Rn.  372 ff.; Gleß, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 27 ff.; Gleß, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III B 3 b (RB-Beweisanordnung), Rn. 1 ff.; Ditscher, Europäische Beweise, 2012, S. 95 ff., 150 ff.; Mavany, Die europäische Beweisanordnung und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, 2012, S. 77 ff.; Murphy, in: Eckes / Konstadinides (Hrsg.), Crime within the area of freedom, security and justice, 2011, S. 224 ff.

II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer

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fahren in einem anderen Mitgliedstaat umsetzen.52 Der Unionsgesetzgeber löst dieses Dilemma bisher durch ein zweistufiges Regelungsmodell auf, das den Gerichten alternative Verfahren unionsweiter Beweiszusammenarbeit auf der Basis gegenseitiger Anerkennung an die Hand gibt. Die erste Umsetzung dieses Modells bildet die Europäische Beweisaufnahmeverordnung, die den Beweistransfer in Zivilsachen sowie in erb- und familienrechtlichen Verfahren regelt. Die EuBewVO53 erfasst inhaltlich alle Beweise, die zur Verwendung in einem laufenden oder zu eröffnenden gerichtlichen Verfahren bestimmt sind;54 die Beweiskooperation erfolgt unmittelbar zwischen den Gerichten der betroffenen Mitgliedstaaten, die bei Schwierigkeiten durch administrative Zentralstellen unterstützt werden können.55 Als erste Variante der Beweiszusammenarbeit sieht die Verordnung ein modifiziertes Ersuchensmodell vor, in dem die Befugnisse zur Beweisaufnahme nach allgemeinen völkerrechtlichen Grenzen strikt territorial abgegrenzt bleiben: Die zur Beweiserhebung erforderlichen Informationen werden demnach mittels eines recht detaillierten Formblatts auf einem beliebigen Übermittlungsweg an das zuständige Gericht des Mitgliedstaats gesandt, in dem die Beweisaufnahme erfolgen soll;56 dieses bestätigt den Eingang des Ersuchens, bittet bei Bedarf um Vervollstän 52

McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 5 f.; Gleß, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 16, Rn. 6 ff.; Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 82 AEUV, Rn. 11. 53 Für Überblicke s. Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2015, S. 249 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 461 ff.; Hau, ERA-Forum 2005, S. 224 (224 ff.); Müller, Grenzüberschreitende Beweisaufnahme im europäischen Justizraum, 2004, S. 89 ff.; Huber, GPR 2004, S. 115 (116). 54 Vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]). Zur Reichweite der Verordnung, insbesondere mit Blick auf die erfassten Verfahrensgegenstände und den unionsrechtsautonomen Beweisbegriff, Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 1 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 3 ff., 35 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 1 f. bzw. 3 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 1 ff., 11 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuBVO, Rn. 1 f.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 34 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 464 f. 55 Vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 3 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]); Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 2 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 1 ff., Art. 3 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 1 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 2 EG-BewVO, Rn. 3 ff., bzw. Art. 3 EG-BewVO, Rn. 2 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 2 EG-BewVO, Rn. 1, 5 f., bzw. Art. 3 EG-BewVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 2 EuBVO, Rn. 1, bzw. Art. 3 EuBVO, Rn. 1 f.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 41 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 465 f. 56 Vgl. Art. 4 bis 6 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]). Insbesondere zunächst zu den Formalia des Beweisersuchens Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 4 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 3 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 4 EG-BewVO, Rn. 2 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 4 EG-BewVO, Rn. 5 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 4 EuBVO, Rn. 4; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 43 ff. Außerdem zu den zulässigen Übermittlungswegen – zu denen ausweislich Art. 6 alle Kommunikationsformen gehören, mit denen sich der ersuchte Mitgliedstaat einverstanden erklärt hat – Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 6 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 3 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 6 EG-BewVO, Rn. 2 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 6 EG-BewVO, Rn. 1 f.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 6 EuBVO, Rn. 1 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 466.

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

digung noch fehlender Angaben, und führt dann die Beweisaufnahme unverzüglich – mit einer Höchstfrist von 90 Tagen – nach seinem eigenen Verfahrensrecht und gegebenenfalls unter Einsatz der dort vorgesehenen Zwangsmittel durch.57 Die Modalitäten der Beweisaufnahme können mit Blick auf die spätere Verwertbarkeit der Beweise im ersuchenden Mitgliedstaat unter Umständen punktuell an dessen Verfahrensrecht angepasst werden; hierzu zählen insbesondere die Durchführung der Beweisaufnahme in einer vom ersuchenden Mitgliedstaat gewünschten Form, die Anwesenheit der Parteien, sowie die Beteiligung vom ersuchenden Gericht beauftragter Gerichtsangehöriger oder Sachverständiger.58 Die Ablehnungsgründe des ersuchten Gerichts sind auf ein Minimum reduziert und stark formalisiert: Lediglich ein unvollständiges Ersuchen, ein nicht gezahlter Gebührenvorschuss, oder ein kumulativ aus beiden Rechtsordnungen herzuleitendes Aussageverweigerungsrecht einer zu vernehmenden Person rechtfertigen die Ablehnung der Beweisaufnahme;59 materielle Gesichtspunkte, insbesondere die fehlende Verfügbarkeit eines 57 Vgl. Art. 7 bis 16 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]). S. insbesondere im Detail zur Erledigung des Ersuchens nach dem Verfahrensrecht des ersuchten Mitgliedstaats Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 10 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 1 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 10 EG-BewVO, Rn. 2 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 10 EG-BewVO, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 10 EuBVO, Rn. 1 ff.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 46, 52 f. Zudem mit Blick auf die von Art. 10 Abs. 4 ermöglichten Formen eines Einsatzes von Videokonferenzen Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 10 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 31 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 10 EG-BewVO, Rn. 12 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 10 EG-BewVO, Rn. 26 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 10 EuBVO, Rn. 5 f.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 47 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 473 ff. 58 Vgl. Art. 10 bis 12 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]). Zur Berücksichtigung bestimmter verfahrensrechtlicher Formen des ersuchenden Mitgliedstaats Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 10 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 7 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 10 EG-BewVO, Rn. 8 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 10 EG-BewVO, Rn. 7 ff. Ferner s. zur – insoweit noch deutlich durch völkerrechtliche Züge geprägten – Teilnahme von Gerichtspersonen des Vollstreckungsmitgliedstaats, denen bei der Beweisaufnahme nach allgemeinen Grundsätzen keine hoheitlichen Befugnisse zukommen, und die ebenfalls nur in den Grenzen des Rechts des ersuchten Mitgliedstaats zulässig ist, Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 12 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 2 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 12 EG-BewVO, Rn. 2 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 12 EG-BewVO, Rn. 4 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 12 EuBVO, Rn. 1 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 468. 59 Vgl. Art. 14 Abs. 1 und 2 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]); zu ersteren beiden (sowie den weiteren Ablehnungsmöglichkeiten aus formalen Gründen, nament­ lich der fehlenden Anwendbarkeit der Verordnung oder einem Beweisersuchen, dessen Erledigung die Gerichtsgewalt des ersuchten Mitgliedstaats überschreiten würde)  Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 14 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 1 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 14 EG-BewVO, Rn. 11 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 14 EG-BewVO, Rn. 16 ff.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 79 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 470 f. Insbesondere zu der im Detail recht komplexen Meistbegünstigung hinsichtlich Aussageverweigerungsrechten und Aussageverboten von Zeugen nach den Rechtsordnungen der beteiligten Mitgliedstaaten (Art. 14 Abs. 1) s. zudem Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 14 VO Nr. 1206/2001

II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer

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entsprechenden Beweisverfahrens, die fehlende Zuständigkeit des Gerichts, oder ein Verstoß gegen den ordre public des ersuchten Mitgliedstaats sind irrelevant.60 Als zweite Variante etabliert die Verordnung sodann ein durch verschiedene prozedurale Kautelen abgesichertes Selbstvornahmerecht zur Beweisaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat: Zum einen beschränkt sich die extraterritoriale Beweisaufnahme auf freiwillige Maßnahmen, die keine hoheitlichen Zwangsmaßnahmen erfordern;61 zum anderen kann sie durch das zuständige Gericht des ersuchten Mitgliedstaats an bestimmte, durch dieses zu überwachende Bedingungen geknüpft, und bei Verstößen gegen den ordre public auch ganz abgelehnt werden.62 Eine genehmigte extraterritoriale Selbstvornahme wird durch das ersuchende Gericht nach dessen Verfahrensrecht vorgenommen, wobei nach Möglichkeit Video- oder Telefonkonferenzen zum Einsatz kommen sollen.63 Für die abschließende Übermittlung der in einer der beiden Varianten erhobenen Beweise zwischen den Mitgliedstaaten macht die Verordnung keine weiteren Vorgaben.

(BeweisaufnahmeVO), Rn. 3 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 14 EG-BewVO, Rn. 3 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 14 EG-BewVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 7 EuBVO, Rn. 5 f.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 80; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 470 f. 60 Vgl. Art. 14 Abs. 3 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]), wobei es hinsichtlich letzterem zwar an einer ausdrücklichen Regelung fehlt, allerdings die von der Verordnung genannten Versagungsgründe allgemein für abschließend gehalten werden; näher Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 14 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 13; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 14 EG-BewVO, Rn. 19; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 14 EG-BewVO, Rn. 23; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 14 EuBVO, Rn. 2; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 79; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 470. 61 Vgl. Art. 17 Abs. 2 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]); Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 17 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 3 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 21 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 16 ff.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 54 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 471 f. 62 Vgl. Art. 17 Abs. 1, 2, 4 UA 1 und 2, 5 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]). Im Detail zu den Ablehnungsgründen und möglichen Bedingungen Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 17 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 9 ff., 12 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 9 ff. bzw. 13 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 17 EuBVO, Rn. 1; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 55, 58; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 471 f. 63 Vgl. Art. 17 Abs. 3, 4 UA 3, und 6 EuBewVO (VO [EG] Nr. 1206/2001 [ABl. L 174, S. 1]). S. ausführlich zur Durchführung der grenzüberschreitenden direkten Beweisaufnahme Knöfel, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 55. EL 6/2018, Art. 17 VO Nr. 1206/2001 (BeweisaufnahmeVO), Rn. 12 ff.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 18 ff., 24 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 15; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 17 EuBVO, Rn. 3 ff.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 55; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 471 f.

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

2. Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen Als zweite, wesentlich umfangreichere und differenziertere Umsetzung des zweistufigen Beweistransferkonzepts tritt nunmehr die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen hinzu, die im Jahr 2014 als Nachfolgeprojekt des Rahmenbeschlusses zur Europäischen Beweisanordnung in Kraft getreten ist. Die in extensiver rechtspolitischer Debatte und einem vergleichsweise umkämpften Gesetzgebungsverfahren entwickelte Richtlinie geht zurück auf eine Initiative einer Gruppe von Mitgliedstaaten unter der Führung Belgiens auf der Grundlage von Art. 76 AEUV. In der Sache liegt der EEA-Richtlinie ebenfalls die Wahl zwischen formalisiertem Beweisersuchen und extraterritorialer Selbstvornahme zugrunde, die allerdings wegen der zusätzlichen Komplexität des strafrechtlichen Beweistransfers prozedural weitaus stärker ausdifferenziert wird. Die Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) ist demnach als eigenständige, originär unionsrechtliche Entscheidung ausgestaltet, die zur Erlangung von Beweisen in einem anderen Mitgliedstaat oder zur Übermittlung dort bereits vorhandener Beweise erlassen und sodann qua gegenseitiger Anerkennung in allen Mitgliedstaaten einheitlich vollstreckt wird.64 In sachlicher Hinsicht steht eine EEA für alle Ermittlungsmaßnahmen in Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Verfügung, und kann insbesondere auch von beschuldigten Personen zur Geltendmachung von Verteidigungsrechten beantragt werden;65 die funktionale Anordnungszuständigkeit liegt bei dem jeweils zuständigen nationalen Gericht oder Staatsanwalt, sowie ferner bei sämtlichen Verwaltungsbehörden, deren EEA jedoch von einer Justizbehörde desselben Mitgliedstaats validiert werden muss.66 Maßstab für den Erlass einer EEA ist zunächst die Zulässigkeit der Ermittlungsmaßnahme in einem äquivalenten innerstaatlichen Fall, und sodann die Verhältnismäßigkeit der Auslandsermittlung mit Blick auf die spezifisch erschwerte Verteidigungssituation der betroffenen Person;67 64 Vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]); Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 159; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 255 f.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 137 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 3 f.; Zimmermann, ZStW 127 (2015), S. 143 (146 ff.). 65 Vgl. Art. 4, Art. 1 Abs. 3 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]); Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 158; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 255; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 26 ff. (sowie in diesem Kontext auch zum Antragsrecht beschuldigter Personen: S. 37); Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 137 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 6 ff. 66 Vgl. Art. 2 lit. c) EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]); Wortmann, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2020, S. 44 ff.; Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 159 f.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 255; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 6; Zimmermann, ZStW 127 (2015), S. 143 (148 f.). 67 Vgl. Art. 6 Abs. 1 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). S. zu beiden Kriterien – wobei die Richtlinie hinsichtlich letzterem außer der Formulierung „notwendig und verhältnis-

II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer

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sind beide Kriterien erfüllt, kann die EEA mithilfe des Formulars im Anhang der Richtlinie in jeder geeigneten Weise an den Vollstreckungsmitgliedstaat übersandt werden.68 Das Regime der möglichen Aufschub- und Versagungsgründe vor der Vollstreckung einer EEA ist gegenüber dem Modell der EuBewVO inhaltlich erheblich differenzierter, und prozedural stärker dialogisch ausgestaltet: Neben eher technischen Versagungsgründen finden sich weiterhin traditionelle rechtshilferechtliche Ablehnungsgründe mit starkem Bezug zur Souveränität des Vollstreckungsmitgliedstaats – etwa die Gefährdung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen, die Beeinträchtigung bereits laufender Strafermittlungen, oder der territoriale Vorrang bei der Verfolgung von Auslandstaten –,69 zugleich aber auch innovative Regelungen zum Schutz von Individualrechten, etwa ein Ablehnungsgrund bei Anhaltspunkten für die Verletzung von Schutzpositionen nach Art. 6 EUV

mäßig“ keinerlei weitere Maßgaben enthält (und so letztlich den Umsetzungsvorschriften der Mitgliedstaaten wohl kaum gehaltvolle Prüfungspflichten der Gerichte und Justizbehörden bei der Ausstellung europäischer Ermittlungsanordnungen abverlangt) – Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 161; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 256; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 33 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 10. 68 Vgl. Art. 5 Abs. 1, 7 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). S. dabei insbesondere zu den Formalia einer EEA, namentlich mit Blick auf die im Einzelnen erforderlichen Angaben zum Gegenstand des Ermittlungsverfahrens und zu den gewünschten Ermittlungsmaßnahmen (Art. 5), Wortmann, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2020, S. 75 ff.; Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 162 f.; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 29 ff.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 146 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 9, 11; Böse, ZIS 2014, S. 152 (153 f.). 69 Vgl. zu den Ablehnungsgründen Art. 11 Abs. 1 lit. a)  (Entgegenstehende nationale Vorschriften zu Immunitäts- oder anderen Vorrechten, oder vorrangige Erwägungen der Presse- und Meinungsfreiheit), lit. b) (Verletzung besonderer nationaler Sicherheits- oder geheimdienst­licher Interessen), lit. c)  (angeordnete Ermittlungsmaßnahme wäre in entsprechendem Ordnungswidrigkeitenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht verfügbar), lit. d)  (Vollstreckung der EEA verstieße gegen ne bis in idem-Grundsatz), lit. e)  (die der EEA zugrundeliegende Straftat wurde außerhalb des Anordnungsmitgliedstaats, und zumindest partiell im Vollstreckungsmitgliedstaat begangen, und ist in letzterem nicht strafbar), lit. g) (fehlende Strafbarkeit der zugrundeliegenden Tat im Vollstreckungsmitgliedstaat, sofern diese keine vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit ausgenommene Katalogtat mit einer Mindesthöchststrafe von 3 Jahren Freiheitsstrafe im Anordnungsmitgliedstaat darstellt), lit. h) (angeordnete Ermittlungsmaßnahme ist im Vollstreckungsmitgliedstaat ausdrücklich auf bestimmte andere Katalogtaten beschränkt) EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). Ausführliche Aufarbeitung und Kategorisierung der einzelnen Versagungsgründe außerdem bei Wortmann, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2020, S. 153 ff.; Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 167 ff. (zumindest zu einem Teil der Versagungsgründe), sowie auch Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 256; ausführlich dann Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 57 ff., und Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 163 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 17 ff.

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

oder der Grundrechtecharta.70 Zum anderen sehen die einzelnen Ablehnungsgründe vielfach Konsultationen zwischen den beteiligten Behörden vor, die eine angemessene Einzelfalllösung ermöglichen sollen, und insbesondere den Strafverfolgungsbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats die Möglichkeit zur Ersetzung der angeordneten Maßnahme durch äquivalente Instrumente des innerstaatlichen Rechts eröffnen.71 Vor diesem im Detail recht intrikaten prozeduralen Gefüge entfaltet die Richtlinie sodann ebenfalls zwei Varianten der Beweiserhebung: Als Grundfall wird die Beweisaufnahme auch hier binnen einer Höchstfrist von 30 Tagen durch die ersuchte Behörde und – gegebenenfalls modifiziert durch die vom Anordnungsmitgliedstaat beantragten Formen – nach deren Verfahrensrecht durchgeführt.72 Als gleichberechtigte Alternative ermöglicht die EEA-Richtlinie analog zur direkten Beweisaufnahme nach Art. 17 EuBewVO eine Mitwirkung aller zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats, sofern dies nicht wesentlichen Sicherheitsinteressen oder Rechtsgrundsätzen des Vollstreckungsmitgliedstaats widerspricht; Art und Umfang der extraterritorialen Ermittlungsbefugnisse werden dabei konsensual auf der Grundlage des Verfahrensrechts beider Mitgliedstaaten festgelegt.73 Für bestimmte Ermittlungsmaßnahmen, namentlich grenzüberschreitende Vernehmungen per Video- oder Telefonkonferenz sowie die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs in einem anderen Mit 70

Vgl. Art. 11 Abs. 1 lit. f) EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). S. zudem Jähnke / ​ Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 256; Wortmann, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2020, S. 168 f.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 169 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 19; Zimmermann, ZStW 127 (2015), S. 143 (152 ff.). 71 Demnach haben die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats stets auf nicht ausdrücklich in der EEA vorgesehene Ermittlungsmaßnahmen zurückzugreifen, wenn die angeordneten Maßnahmen im Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats entweder nicht bestehen oder zumindest für derartige Verfahren nicht zur Verfügung stehen, oder nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats eine gleichermaßen effektive, aber weniger stark einschneidende Maßnahme vorhanden ist, vgl. Art. 10 Abs. 1 bis 4 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). Im Einzelnen Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 57 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 14 f.; Zimmermann, ZStW 127 (2015), S. 143 (162 ff.). 72 Vgl. im Detail Art. 9 und 12 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). Insbesondere zur Anerkennung der EEA und Durchführung der angeordneten Ermittlungsmaßnahmen (Art. 9 Abs. 1) s. zunächst allgemein Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 175 f.; außerdem Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 256; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 38 ff.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 151 ff. (hinsichtlich der Vollstreckung im Allgemeinen), 157 ff. (insbesondere – mit Zweifeln an der praktischen Wirksamkeit des sekundärrechtlichen Regimes – zu den Fristenvorgaben); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 12. 73 Vgl. Art. 9 Abs. 4 und 5 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). Näher Jähnke / ​ Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 256; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 43 f.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 155 f.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 13.

II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer

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gliedstaat, wird der extraterritoriale Beweiszugriff des Anordnungsmitgliedstaats – allerdings auch hier meist nur bei freiwilliger Mitwirkung des Betroffenen oder des beteiligten Mitgliedstaats – nochmals erweitert.74 Sowohl die abschließende Übermittlung der Beweise75 als auch die Rechtsbehelfe betroffener Personen werden in der EEA-Richtlinie, anders als bei der EuBewVO, weitgehend harmonisiert; letztere Regelungen betreffen zudem die (Suspensiv-)Wirkungen der Anfechtung einer EEA sowie ihre Berücksichtigung im Strafverfahren im Anordnungsmitgliedstaat.76

74 Vgl. Art. 22 bis 31 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). Im Einzelnen regeln die teils sehr differenzierten Vorschriften hier zunächst die vorübergehende Überstellung von beweisrelevanten Personen an den Anordnungsmitgliedstaat (Art. 22) und die umgekehrte Konstellation der Überstellung an den Vollstreckungsmitgliedstaat der EEA (Art. 23), sodann die Vernehmung von Personen durch Videokonferenzen (Art. 24) oder Telefonkonferenzen (Art. 25), anschließend Ermittlungsmaßnahmen zur Überwachung von Bankkonten (Art. 26) und anderen Finanztransaktionen (Art. 27), und schließlich dann noch grenzüberschreitende Observationsmaßnahmen (Art. 28), den Einsatz verdeckter Ermittlungspersonen im Vollstreckungsmitgliedstaat (Art. 29), und die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs (Art. 30 f.). Überblick bei Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 71 ff.; Wortmann, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2020, S. 193 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 35 ff.; außerdem Zimmermann, ZStW 127 (2015), S. 143 (170 ff.); speziell zur Telekommunikationsüberwachung zudem Bachmaier, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 313 (315 ff., 330 ff.). 75 Vgl. Art. 13 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]), wobei die Richtlinie aber hinsichtlich der Form der Übermittlung keine weiteren Vorgaben trifft, sondern lediglich die unverzügliche und unmittelbare Übermittlung vorsieht (Abs. 1); Wortmann, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2020, S. 187 f.; Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 175 f.; zumindest knapp auch Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 47; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 25. 76 Vgl. Art. 14 Abs. 1 bis 5 EEA-RL (RL 2014/41/EU [ABl. L 130, S. 1]). Im Grundsatz verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten zunächst recht allgemein dazu, gleichwertige Rechtsbehelfe gegen durch eine EEA angeordnete Ermittlungsmaßnahmen zu treffen wie in rein innerstaatlichen Fällen (Abs. 1, 3 und 4); Rechtsschutz gegen den Erlass der EEA selbst kann hingegen ausschließlich im Anordnungsmitgliedstaat gewährt werden (Abs. 2). Sofern ein Rechtsbehelf gegen die Durchführung der Ermittlungsmaßnahme im Vollstreckungsmitgliedstaat oder gegen den Erlass der EEA im Anordnungsmitgliedstaat eingelegt worden ist, unterrichten die zuständigen Behörden einander wechselseitig (Abs. 5); Suspensivwirkungen entfalten Rechtsbehelfe gegen die Ermittlungsmaßnahmen oder die zugrundeliegende EEA jedoch nur, soweit das Recht des jeweils angerufenen Gerichts dies für vergleichbare innerstaatliche Fälle ebenfalls vorsieht (Abs. 6). Eine erfolgreiche Anfechtung von Ermittlungsmaßnahmen löst hinsichtlich der Verwertbarkeit der Beweise die Rechtsfolgen aus, die das Verfahrensrecht des Anordnungsmitgliedstaats für die erfolgreiche Anfechtung innerstaatlicher Ermittlungsmaßnahmen vorsieht; die EEA-Richtlinie schreibt insoweit lediglich die Wahrung der Verteidigungsrechte und eines fairen Verfahrens ausdrücklich vor (Abs. 7; hierzu im Detail Wortmann, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2020, S. 218 ff.). S. ausführlich Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 93 ff.; Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 189 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 36. EL 10/2014, III A 3.14 (RL EEA), Rn. 26 ff.; Zimmermann, ZStW 127 (2015), S. 143 (168 ff.).

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3. Künftige Arbeitsfelder des supranationalen Beweistransfers Im Rahmen der beginnenden Konsolidierungsphase werden auch die Rege­ lungen zum supranationalen Beweistransfer einen größeren Arbeitsschwerpunkt für die Akteure der EU-Justizpolitik bilden müssen. Auf breiter Front lassen sich hier weiterhin Herausforderungen in der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ausmachen: Für die EuBewVO etwa erarbeitete die Kommission bereits im Jahr 2007 einen ersten, wenngleich kaum repräsentativ lediglich auf der Basis von gut 400 befragten Justizpraktikern erstellten Anwendungsbericht, dessen Befunde deutlich auf potentiell strukturelle Schwierigkeiten bei der Anwendung der Verord­ nung hinwiesen. Gerade hinsichtlich der allgemeinen prozeduralen Regelungen des Beweistransfers, die damals gegenüber der traditionellen Beweisrechtshilfe weitrei­ chende Neuerungen darstellten, lassen sich hier verbreitete Unsicherheiten über die Funktionsweise der Verordnung ablesen: So hatten etwa über drei Viertel der Befragten bis dato keine Zusammenarbeit mit Zentralen Behörden durchgeführt, und bewerteten wiederum drei Viertel der anderen Praktiker die Effizienz und den Nutzen der Zentralen Behörden als unklar.77 Moderne Kommunikationstechnik wurde zum damaligen Zeitpunkt von fast zwei Dritteln nur selten genutzt, und ihr Nutzen von über der Hälfte bezweifelt;78 auch der unmittelbare Geschäftsverkehr der Gerichte stieß bei zwei Dritteln der Befragten auf eine unklare oder eher negative

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Vgl. im Detail Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, KOM(2007) 769 endgültig, S. 10, Anhang II. Demnach waren 31,8 % der befragten Justizpraktiker bis dato nicht in Kontakt mit einer Zentralstelle gekommen (wobei weitere 18,2 % keine Angaben hierzu machten); 45,5 % der Befragten hatten bei grenzüberschreitenden Beweiserhebungen „manchmal“, und lediglich 4,5 % „oft“ Kontakt mit den Zentralstellen aufgenommen. Im Einklang damit berichteten 50 % der Befragten, dass Zentralstellen „manchmal“ Beweisersuchen an die zuständigen Stellen weitergeleitet hätten, während 13,6 % dies bereits „oft“, und 27,3 % bis dahin „nie“ erlebt hatten. Hinsichtlich des allgemeinen Nutzens der Zentralstellen ist das Bild kaum aussagekräftig: 28,1 % der Befragten konnten hierzu keine Einschätzung abgeben, 33 % hielten die Arbeit der Zentralstellen bei Unterschieden zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zumindest im Grundsatz für effizient, und 9,5 % für eher ineffizient; 21,4 % maßen den Zentralstellen einen großen oder sehr großen Nutzen zu, 2,5 % hielten die Arbeit der Zentralstellen für ineffizient. 78 Lediglich 4,2 % der Befragten hatten bei grenzüberschreitenden Beweisaufnahmen im Rahmen der Verordnung bereits „oft“ moderne Kommunikationstechnik zum Einsatz gebracht, 17,7 % der Befragten zumindest „manchmal“, und 62,2 % lediglich „selten“ (während von 15,9 % keine Angaben gemacht wurden). Immerhin 34,3 % der Justizpraktiker berichteten dabei allerdings auch von erheblichen oder zumindest spürbaren Vereinfachungen und Beschleunigungen der Beweisaufnahme infolge der Nutzung moderner Kommunikationstechnologien; 12,7 % sahen keinen derartigen Effekt, und 53 % vermochten dies nicht einzuschätzen. Vgl. im Einzelnen Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, KOM(2007) 769 endgültig, S. 12 f., Anhang IV.

II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer

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Resonanz.79 Der durchschnittliche Zeitaufwand für die Erledigung von Beweisersuchen betrug demnach in über 75 % der Fälle über sechs Wochen, und wurde in der Summe von rund drei Vierteln der Befragten tendenziell positiv bewertet.80 Die direkte grenzüberschreitende Beweisaufnahme schließlich wurde lediglich von knapp einem Viertel der Gerichte überhaupt genutzt, wobei der Beschleunigungsund Vereinfachungseffekt insoweit wiederum von zwei Dritteln eher negativ eingeschätzt wurde.81 Ungeachtet dieser bestenfalls ambivalenten Befunde zog die 79

Insoweit gaben 20,4 % der Befragten an, den Nutzen des unmittelbaren Verkehrs der Gerichte allgemein nicht beurteilen zu können, 37,8 % hielten die Abwicklung von Beweisersuchen unmittelbar zwischen den Gerichten bei Unterschieden im Detail zwischen den Mitgliedstaaten im Allgemeinen für eher effizient, und 8,5 % für tendenziell ineffizient; lediglich 23,8 % der Justizpraktiker hatten den direkten grenzüberschreitenden Kontakt zwischen den Gerichten als effizient oder sehr effizient erlebt (wobei allerdings wiederum über 75 % der Befragten angaben, der direkte Gerichtsverkehr habe keine besonderen Probleme verursacht), s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, KOM(2007) 769 endgültig, S. 16, Anhang VI. Das Problem schien dabei jedoch auch darin zu liegen, dass Beweisersuchen teilweise nicht auf dem schnellstmöglichen Weg übermittelt wurden, mit dem sich der ersuchte Mitgliedstaat bereit erklärt hat, und die möglichen Vorteile des direkten Gerichtsverkehrs dadurch von vornherein zunichtegemacht wurden; dieses Problem sahen insgesamt 27,2 % (gegenüber 54,6 %) der Justizpraktiker, während 18,2 % hierzu keine Antwort geben konnten, s. ebd., S. 12 f., Anhang IV, S. 15, Anhang V. 80 Wobei im Einzelnen 11,4 % der befragten Justizpraktiker sogar von einer erheblichen, und 54,2 % zumindest von einer allgemeinen Vereinfachung der Beweisaufnahme, teilweise mit Divergenzen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, sprachen; 8 % der Befragten maßen der Verordnung insoweit keinen Nutzen zu, 25,6 % blieben unschlüssig, s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, KOM(2007) 769 endgültig, S. 22, Anhang XII. Hinsichtlich der zeitlichen Dauer grenzüberschreitender Beweisaufnahmen sahen – weitgehend parallel zu diesen Befunden – 59,2 % der Befragten eine deutliche oder zumindest grundsätzliche Beschleunigung gegenüber den zuvor angewandten nationalen Vorschriften, 10 % hingegen keinerlei Beschleunigung, und 24,3 % konnten dies nicht beurteilen. Konkret ließ sich allerdings auch auf dieser Grundlage für lediglich 10,9 % der Beweisersuchen eine Verfahrensdauer von weniger als sechs Wochen, für etwa die Hälfte (48 %) eine Erledigung des Ersuchens in sechs bis zwölf Wochen, und für 28,6 % der Ersuchen eine Dauer von über zwölf Wochen feststellen, vgl. ebd., S. 9, Anhang I. 81 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, KOM(2007) 769 endgültig, S. 17, Anhang VII. Lediglich 5,2 % der Befragten berichteten insoweit, nach ihrer Erfahrung werde „oft“ vom Instrument der unmittelbaren Beweisaufnahme Gebrauch gemacht; 17,2 % hatten dies „manchmal“, und 59 % allenfalls „selten“ erlebt. Auch zur Problemanfälligkeit der unmittelbaren grenzüberschreitenden Beweisaufnahme durch die Gerichte des Entscheidungsmitgliedstaats (Art. 17 EuBewVO) gibt der Bericht keinen klaren Aufschluss; während zwar 41,1 % die unmittelbare Beweisaufnahme als nützlich ansahen (und lediglich 8,5 % als Verbesserung gegenüber den traditionellen Beweisersuchen), gab rund die Hälfte der beteiligten Justizpraktiker (50,4 %) hierzu keine Auskunft. Auch berichteten insoweit zwar 68,2 %, die direkte grenzüberschreitende Beweisaufnahme verursache keine besonderen Probleme, 31,8 % sahen dies jedoch anders bzw. konnten insoweit keine Einschätzung treffen.

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

Kommission zügig ein überraschend positives Fazit des Regelungskonzepts,82 und konzentrierte sich stattdessen auf die Stärkung der Anwendungspraxis, vor allem durch die Verteilung von insgesamt 50 000 praktischen Leitfäden an zuständige Gerichte der Mitgliedstaaten.83 In der Folge blieben zentrale reformbedürftige Schnittstellenprobleme des Regelungskonzepts84 – etwa, als nicht abschließende Sammlung, die Maßstäbe der Auswahl unterschiedlicher Beweisaufnahmemöglichkeiten,85 Sanktionen für die Missachtung von Erledigungsfristen durch das ersuchte Gericht,86 sowie die Rechtsfolgen bei einer Verweigerung der Mitwirkung

82

S. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, KOM(2007) 769 endgültig, S. 7 f., derzufolge „die Verordnung […] ihre zwei Hauptziele, nämlich erstens die Vereinfachung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und zweitens die Beschleunigung der Beweisaufnahme“ […] in einem relativ zufriedenstellenden Ausmaß erreicht“ habe. 83 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, KOM(2007) 769 endgültig, S. 3. 84 Allenfalls langfristig dürfte sich – nicht zuletzt aufgrund der kompetenziellen Grenzen des Art. 81 Abs. 2 lit. d) AEUV, aber auch mit Blick auf den bisher noch bescheidenen Erfolg der EuBewVO – über die bisherigen Kooperationsregeln der EuBewVO hinaus die Frage nach Angleichungen des Beweisverfahrensrechts der Mitgliedstaaten selbst stellen, s. etwa Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 462, S. 475 f.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 4, 99 (die als mögliche erste Schritte vor allem die Zeugnisfähigkeit, Belehrungspflichten und Verweigerungsrechte von Beweispersonen für harmonisierungsfähig hält, Rn. 4). 85 Hier wird in der Literatur eines der zentralen Reformprobleme des bisherigen Konzepts der EuBewVO verortet; s. nur McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 99 m. w. N. (mit Verweis auf ein breites Bündel von Einzelerwägungen, die bisher mangels einer unionsrechtlich einheitlichen Regelung im Einzelfall jeweils heranzuziehen sein können, etwa ausdrückliche Vorgaben des nationalen Verfahrensrechts, die Verhältnismäßigkeit der mit der Beweisaufnahme verbundenen Kosten, das betreffende Beweismittel sowie dessen anschließende Verwertbarkeit, Rn. 91); von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 34; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 11; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuBVO, Rn. 3. Verbreitet wird in diesem Zusammenhang zudem die Schaffung von Regelungen zur Zulässigkeit sogenannter extraterritorialer Beweisanordnungen angemahnt, mit denen die Gerichte der Mitgliedstaaten bisher die Vorschriften der EuBewVO umgehen können, indem sie schlicht nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht gegenüber den betreffenden Verfahrensbeteiligten die Vorlage in anderen Mitgliedstaaten belegener Beweismittel anordnen; s. von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 18 f.; McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 21 ff., 98; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 464 f. („… gemeinschaftsrechtliche Regelung [erscheint] überfällig …“); a. A. aber etwa Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 12, der extraterritoriale Beweisanordnungen in anderen Mitgliedstaaten unabhängig von der EuBewVO weiterhin für unproblematisch zulässig hält. 86 S. etwa McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 99 m. w. N., die aber an anderer Stelle (Rn. 13) auch deutlich auf die beschränkten Handlungsmöglichkeiten des Unionsgesetzgebers hinweist, hier eine effektive Regelung zur wechselseitigen Sanktionierung zwischen den Gerichten zu schaffen.

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durch Beweispersonen87 – bis heute weitestgehend ungelöst. Auch eine bewusste Konsolidierung der zahlreichen offenen Einzelfragen durch den EuGH ist bisher ausgeblieben; im Gegenteil zeichnen sich in den ersten Entscheidungen des Gerichtshofs zur EuBewVO seit dem Jahr 2011 tendenziell sogar ein Rückbau des Anwendungsbereichs der Verordnung und eine Liberalisierung der einzelstaat­lichen Instrumente des Beweistransfers ab,88 die ohne Intervention des Unionsgesetzgebers und eine Novelle der Verordnung kaum mehr rückgängig zu machen sein werden. Doch scheint die Situation insoweit bereits derart verfahren, dass die politischen Akteure sich zwischenzeitlich offen mit der Stagnation der Rechtsentwicklung abzufinden schienen; der Reformwille, der in einer Rüge des Europäischen Parlaments für die Schlussfolgerungen des genannten Kommissionsberichts und im Stockholmer Programm des Europäischen Rates artikuliert worden war, ist abgesehen von einigen unverbindlichen Überlegungen im Stockholm-Aktionsplan der Kommission versiegt,89 und scheint auch durch die intensive Debatte um die parallele EEA-Richtlinie nicht wiederbelebt worden zu sein.90 Parallel dazu scheint sich die 87

McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 99 m. w. N. Auch darüber hinaus wird in der Literatur gefordert, weitere Aspekte der bisherigen Regelungen zur unmittelbaren grenzüberschreitenden Beweisaufnahme mit in künftige Reformüberlegungen einzubeziehen: Dies gilt zum einen für die Freiwilligkeit der Mitwirkung an der Beweisaufnahme, die zumindest durch Zwangsmaßnahmen der Gerichte des ersuchten Mitgliedstaats eingeschränkt werden könnte; vgl. Knöfel, EuZW 2008, S. 267 (269); McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 57, 96; auch Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 472 hält das Freiwilligkeitserfordernis im Beweisverkehr zwischen den Mitgliedstaaten grundsätzlich für antiquiert. Zum anderen wird die zusätzliche Absicherung der direkten grenzüberschreitenden Beweisaufnahme durch den ordre public-Vorbehalt zugunsten des ersuchten Mitgliedstaats kritisiert, und stattdessen die Umwandlung in ein Anzeigeerfordernis angeregt; s. Knöfel, EuZW 2008, S. 267 (269); McGuire, in: Leible / Terhechte, § 23, Rn. 58, 95 m. w. N.; zumindest ähnlich auch Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 472 f.; Rauscher, in: MK-ZPO, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 12; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 17 EuBVO, Rn. 1 (die jeweils dem ordre public bei der direkten grenzüberschreitenden Beweisaufnahme allenfalls marginale Bedeutung für Extremfälle zuschreiben); anders aber von Hein, in: Rauscher Bd. 2, Art. 17 EG-BewVO, Rn. 8. 88 Namentlich für zwei zentrale Beweismittel – zum einen die Vorladung und Vernehmung eines in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Zeugen, zum anderen die Beweisaufnahme durch einen Sachverständigen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats – entschied der Gerichtshof, dass die EuBewVO keine Sperrwirkung entfaltet, sondern die Gerichte der Mitgliedstaaten vielmehr auch ihre eigenen innerstaatlichen Verfahrensregeln anwenden dürfen, soweit diese eine entsprechende Beweisaufnahme ermöglichen; s. EuGH, Rs. C-170/11 (Lippens u. a.), EU:C:2012:540, Rn. 25 ff., bzw. Rs. C-332/11 (ProRail), EU:C:2013:87, Rn. 39 ff. (mit Besprechung beider Entscheidungen bei Huber, ZEuP 2014, S. 642 ff.). 89 Vgl. den Hinweis auf einen möglichen Änderungsvorschlag zur EuBewVO mit – nicht näher präzisierten – „gemeinsamen Mindeststandards“ in Europäische Kommission, Mitteilung […]: Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Bürger Europas. Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms, KOM(2010) 171 endgültig, S. 24. 90 Auch in einem neuen Reformvorschlag der Kommission zur Überarbeitung der EuBewVO aus dem Jahr 2018 finden sich – während das zweispurige anerkennungsbasierte Beweistransferkonzept unangetastet bleibt – neben einigen Erleichterungen der direkten grenzüberschreitenden Beweisaufnahme primär verschiedene verfahrensrechtliche Vereinfachungen für die Abwicklung der grenzüberschreitenden Kommunikation der an der Beweisaufnahme beteiligten

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

rechtspolitische Situation trotz des divergierenden Entwicklungsstadiums beider Instrumente auch beim strafrechtlichen Beweistransfer im Rahmen der EEA-Richtlinie zu entwickeln, wo die rechtlichen Details aber – zumal bisher Konkretisierun­ gen durch die EuGH-Rechtsprechung noch weitestgehend fehlen91 – zudem durch das wesentlich dichtere und komplexere Regelungsdesign der Richtlinie selbst sowie die entsprechend anspruchsvolle Aufgabe der Mitgliedstaaten bei der Umset­ zungsgesetzgebung nochmals verkompliziert werden. Das Tableau in der Literatur diskutierter Einzelfragen, die vorbehaltlich künftiger Vorabentscheidungen durch den Gerichtshof wohl durch eine größere Reform der Richtlinie zu klären sein werden, lässt sich dabei grob den grenzüberschreitenden Eingriffsvoraussetzungen und Rechtsschutzgarantien zuordnen: Bei ersteren stehen primär bislang die Fragen im Raum, inwieweit Richtervorbehalte des einzelstaatlichen Strafprozessrechts unterlaufen werden, wo der Anordnungsmitgliedstaat kein Äquivalent für die fragliche Maßnahme kennt,92 wie – auch mit Blick auf die spezifische, schwer greifbare Doppelbelastung durch grenzüberschreitende unionsweite Strafverfolgungs­ maßnahmen – die Verhältnismäßigkeit einer EEA-Anordnung zu konkretisieren Gerichte, und nicht zuletzt eine – freilich nach den obigen Ausführungen zur e-Justiz mit einer gewissen Skepsis zu betrachtende – Stärkung der unmittelbaren Beweisaufnahme durch die verpflichtende Nutzung von Videokonferenzen; s. im Einzelnen Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, COM(2018) 378 final. 91 Bisher hat der EuGH lediglich in einer ersten Entscheidung zur EEA-Richtlinie aus dem Jahr 2019 festgehalten, dass die Justizbehörden der Mitgliedstaaten beim Erlass europäischer Ermittlungsanordnungen nicht verpflichtet sind, auf dem entsprechenden Formblatt (Anhang A der Richtlinie, Formblatt J) bereits etwaige Rechtsbehelfe näher zu umschreiben, die gegen die EEA im Ausstellungsmitgliedstaat zur Verfügung stehen; s. EuGH, Rs. C-324/17 (Gavanozov), EU:C:2019:892, Rn. 26 ff. 92 Insbesondere wird dabei zum einen bezweifelt, dass die von der EEA-Richtlinie vorgesehene Validierung von nichtjustiziellen Stellen erlassener Ermittlungsanordnungen durch die Gerichte des Anordnungsmitgliedstaats in der Praxis tatsächlich über ein bloßes Abzeichnen hinaus eine den Anforderungen etwaiger Richtervorbehalte im Vollstreckungsmitgliedstaat gleichkommende materielle Kontrollwirkung entfalten werde, und zum anderen die Gefahr betont, dass selbst bei einer tatsächlichen inhaltlichen Prüfung im Anordnungsmitgliedstaat zumindest bei einer Validierung durch eine Staatsanwaltschaft etwaige Richtervorbehalte des Vollstreckungsmitgliedstaats unterlaufen zu werden drohen; s. etwa Armada, NJECL 6 (2015), S. 8 (11 f.); hinsichtlich ersterer Problematik außerdem Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 139 f. (mit im Ergebnis allerdings relativierender Bewertung des Problems, S. 145); Heard / Mansell, NJECL 2 (2011), S. 353 (357); hinsichtlich zweiterem Aspekt Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 160 f.; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 36, 98 f. (die dabei allerdings auf die Möglichkeit einer mittelbaren Absicherung nationaler Richtervorbehalte auf dem Umweg der Umsetzung der Versagungsgründe der Richtlinie durch die nationalen Gesetzgeber hinweist – S. 282); Böse, ZIS 2014, S. 152 (158, 163 f.); Zimmermann, ZStW 2015, S. 143 (167 f.) (mit dem Hinweis, die Frage dürfte jedenfalls in den Mitgliedstaaten keine größere Rolle spielen, die bereits im Vorfeld auf das Bestehen eines Richtervorbehalts hinweisen und eine Validierung durch ein Gericht des Anordnungsmitgliedstaats anregen).

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ist,93 oder welche rechtlichen Sicherungen im Einklang mit der Richtlinie ent­ wickelt werden können, um ein strategisches sogenanntes „Befugnis-Shopping“ durch die Strafverfolgungsbehörden zulasten der betroffenen Person zu vermeiden.94 Letztere betreffen bislang vor allem die Frage nach der Effektivität des zwischen mehreren Mitgliedstaaten aufgespaltenen Rechtsschutzes95  – und hier insbesondere die Frage nach den Wirkungen erfolgreicher Rechtsbehelfe im Voll­ streckungsmitgliedstaat für das Strafverfahren im Anordnungsmitgliedstaat, die die Richtlinie nur durch ein allgemeines Berücksichtigungsgebot regelt96  –, die Schwierigkeiten einer einheitlichen Operationalisierung der Ablehnungsgründe im Allgemeinen und der erwähnten Grundrechteklausel im Besonderen,97 und die 93

Ausführlich Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 161 f.; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, jedenfalls für den Bereich von Ordnungswidrigkeiten sowie Bagatelldelikten (S. 273 f.); Belfiore, EuCLR 5 (2015), S. 312 (318 f.); Armada, NJECL 6 (2015), S. 8 (15); Ruggeri, ZIS 2015, S. 456 (461 f.); Böse, ZIS 2014, S. 152 (158 f.). 94 Dieses Problem sehen etwa Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 255; Zimmermann, ZStW 2015, S. 143 (150 ff.). 95 Als eines der zentralen Defizite der EEA-Richtlinie wird in der Literatur die fehlende prozessuale Waffengleichheit zwischen den auf der Grundlage der EEA-Richtlinie zusammenarbeitenden Strafverfolgungsbehörden und dem Betroffenen diagnostiziert, dem in der Regel keine entsprechend koordinierten grenzüberschreitenden Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, und der zudem potentiell mit einem erheblichen zeitlichen, sprachlichen und finanziellen Mehraufwand der Verteidigung gegen die einzelnen Verfahrensschritte einer Europäischen Ermittlungsanordnung konfrontiert ist; s. etwa Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 190 f. m. w. N.; Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 97 f., 99 f., die zudem auf das potentielle praktische Problem hinweist, die fehlerhaften Handlungsbeiträge bei der Beweiserhebung und -verwertung überhaupt den beteiligten Behörden der verschiedenen Mitgliedstaaten zuzuordnen, um die jeweils eröffneten Rechtsschutzwege korrekt voneinander abzugrenzen (S. 308); Zimmermann, ZStW 2015, S. 143 (168 f.); Belfiore, EuCLR 5 (2015), S. 312 (321 f.); Böse, ZIS 2014, S. 152 (160), der darüber hinaus insbesondere auch das regelmäßige Problem heimlich vorgenommener Ermittlungsmaßnahmen hervorhebt, bei denen der Betroffene oftmals erst dann Rechtsschutz erlangen kann, wenn etwaige erhobene Beweise bereits in den Anordnungsmitgliedstaat weitergeleitet worden sind (S. 161); ferner auch Heydenreich, StraFO 2012, S. 439 ff. 96 Sodass es auch weiterhin ohne Weiteres zu der Situation kommen kann, dass die Gerichte des Anordnungsmitgliedstaats im späteren Verfahren nach den Vorschriften ihres nationalen Verfahrensrechts auch solche Beweismittel verwerten, gegen die der Betroffene im Vollstreckungsmitgliedstaat erfolgreich Rechtsschutz geltend gemacht hat; ausführlich Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S. 192, der als Kern des Problems aber weniger die fehlende Regelung der EEA-Richtlinie, sondern insgesamt das Fehlen eines (dem Unionsgesetzgeber auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 2 UA 2 AEUV grundsätzlich möglichen) einheitlichen Rechtsinstruments mit Vorgaben zur Verwertbarkeit grenzüberschreitend erhobener Beweise sieht (ebenso ferner Kusak, ERA Forum 19 [2019], S. 391 [399]); Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 96; Zimmermann, ZStW 2015, S. 143 (170); Ruggeri, ZIS 2015, S. 456 (463); Böse, ZIS 2014, S. 152 (161, 163 f.); Böhm, NJW 2017, S. 1512 (1515). 97 Im Zentrum der Diskussion steht insoweit die fehlende Justiziabilität des „berechtigten Grundes“ für die Annahme eines Grundrechtsverstoßes, die den Stellen des Vollstreckungsmitgliedstaats unionsrechtlich kaum determinierte Entscheidungsspielräume für die Versagung ausländischer Ermittlungsanordnungen eröffnet; s. etwa Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

überaus komplizierte Frage des Rechtsschutzes bei Verstößen der Strafverfolgungsbehörden gegen unmittelbare Vorgaben der Richtlinie selbst.98 Zugleich arbeitet die Kommission jedoch bereits an Weiterentwicklungen des strafrechtlichen Beweistransfers und neuen Parallelinstrumenten zur EEA-Richtlinie, ohne dass für diese belastbare Erkenntnisse über Funktionsweise und Leistungsfähigkeit in der Praxis vorhanden wären;99 im Mittelpunkt steht dabei seit dem Frühjahr 2018 das und Vertrauen, 2015, S. 169 ff. (der allerdings dessen ungeachtet klarstellt, dass die Aufnahme eines europäischen ordre public-Vorbehalts in die EEA-Richtlinie grundsätzlich einen Schritt in die richtige Richtung bedeute [S. 301]); Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 61 f.; Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 273 f. (die das Problem insbesondere in der Ausgestaltung der Grundrechtsklausel als lediglich fakultativen Ablehnungsgrund mit primärrechtlich nur schwach rückgebundenen Umsetzungsspielräumen der nationalen Gesetzgeber sieht); Armada, NJECL 6 (2015), S. 8 (24 ff., 29) und Zimmermann, ZStW 2015, S. 143 (157 ff.), die darüber hinaus einen mit einem europäischen ordre public implizierten Ausschluss etwaiger weitergehender Grundrechtsgewährleistungen nach nationalem Recht befürchten (dazu ferner auch Daniele, NJECL 6 [2015], S. 179 [189]); Böhm, NJW 2017, S. 1512 (1513). Unklar ist zudem die damit verwandte Frage, ob und inwieweit zumindest bei Bagatellstraftaten ausnahmsweise auch die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats eine eigene Verhältnismäßigkeitsprüfung vor der Ausführung der angeordneten Ermittlungsmaßnahme vornehmen dürfen; s. Ronsfeld, Rechtshilfe, Anerkennung und Vertrauen, 2015, S, 180 ff.; Belfiore, EuCLR 5 (2015), S. 312 (319); grundsätzlich bejahend Brahms / Gut, NStZ 2017, S. 388 (390 f.); Böse, ZIS 2014, S. 152 (158), der dem Vollstreckungsmitgliedstaat zumindest eine ergänzende summarische Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit mit anschließender Pflicht zur Konsultation der anordnenden Behörde bei Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit zugestehen will. 98 Wobei neben Fragen der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie im Einzelfall komplexe Abgrenzungsprobleme befürchtet werden, ob und in welchem Umfang einzelne Regelungen der Richtlinie individualschützenden Charakter aufweisen, und deshalb Rechtsschutz des Betroffenen vor den nationalen Gerichten erfordern; im Einzelnen Leonhardt, Die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, 2017, S. 329 ff. (mit Darstellung der denkbaren anderen Rechtsschutzkonstellationen bei alternativen oder kumulativen Verstößen gegen Vorschriften des Anordnungs- und des Vollstreckungsmitgliedstaats, S. 324 ff.); Böse, ZIS 2014, S. 152 (161 ff.). 99 Zuletzt finden sich immerhin erste Evaluationen der bisherigen Umsetzungsschritte in den Mitgliedstaaten, die – was angesichts der erheblichen Komplexität der EEA-Richtlinie nicht unbedingt verwundert – mit der gebotenen Vorsicht tendenziell in die Richtung einer ähnlich wie bei der EuBewVO eher durchwachsenen frühen Vollzugspraxis deuten könnten. So setzte die Umsetzung der Richtlinie in den meisten Mitgliedstaaten offenbar überhaupt erst im Jahr 2017 ein, also rund drei Jahre nach der Verabschiedung der Richtlinie selbst, und oft auch erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist; 2017 erfolgte die Umsetzung dann jedoch gleich in 21 Mitgliedstaaten (Belgien, Zypern, Tschechien, Estland, Griechenland, Finnland, Frankreich, Kroatien, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowenien, Slowakei, Großbritannien), vgl. Council of the European Union, Directive 2014/41/EU of 3 April 2014 regarding the European Investigation Order in Criminal Matters – Competent authorities and languages (Paper by EJN), EuCO 15211/1/17 (REV 1), ANNEX. Auch unterscheidet sich die Zahl der Umsetzungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten teils erheblich, was die Übersichtlichkeit der grenzüberschreitenden Beweiserhebung in Strafverfahren nicht erhöhen dürfte: Während vielfach zwar offenbar einheitliche Regelungen im bestehenden nationalen Strafverfahrensrecht oder in entsprechenden neuen Rechtsakten geschaffen wurden, reicht die Zahl der separaten Eingriffe in die bestehende Rechtsordnung in anderen Mitgliedstaaten von einer einstelligen Anzahl bis hin zu 39 verschiedenen Rechtsetzungsmaßnahmen. Zu ersterer

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Projekt einer Richtlinie über die sogenannte „European Production and Preservation Order“ für den strafprozessualen Zugriff auf elektronische Beweismittel im europäischen Justizraum sowie im Rahmen globaler Informationsverflechtungen der Union insbesondere mit den Vereinigten Staaten.100 Hier ist erstmals sogar ein unmittelbarer Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf in anderen Mitgliedstaaten oder der digitalen Cloud gespeicherte Informationen vorgesehen, für den eine „European Production Order“ (EPOC) zur Erlangung der Informationen sowie eine „European Preservation Order“ (EPOC-PR) zur Anordnung der Speicherung für einen möglichen späteren Abruf nebst detaillierten Fristen- und sonstigen Verfahrensregelungen zur Verfügung steht; die Justizbehörden des betreffenden Mitgliedstaats werden in diesem erweiterten, von territorialen Erwägungen weitgehend abgelösten Modell gegenseitiger Anerkennung lediglich tätig, wenn der Adressat

Gruppe gehören demnach Belgien, Zypern, Estland, Griechenland, Italien, Malta und Portugal; zu zweiterer Ungarn, Lettland, Niederlande, Großbritannien (jeweils 2 Rechtsetzungsmaßnahmen), Frankreich (3), Kroatien, Slowakei (jeweils 5), Finnland und Rumänien (jeweils 6]. Litauen und Slowenien haben elf Rechtsakte modifiziert, Schweden 22, und Tschechien hat zur Umsetzung der Richtlinie nicht weniger als 39 legislative Maßnahmen vorgenommen. Vgl. hierzu im Detail die Daten (mit Einzelnachweisen zu den nationalen Rechtsquellen) in Council of the European Union, Directive 2014/41/EU on the European Investigation Order – Transposition, EuCO 5908/18, S. 3 ff. Zudem fällt auf, dass relativ viele Mitgliedstaaten von der Möglichkeit Gebrauch machen, eine Zentrale Behörde für die Abwicklung europäischer Ermittlungsanordnungen zu benennen, was sich zumindest als kleines Indiz für eine gewisse Skepsis der Mitgliedstaaten gegenüber der Richtlinie lesen lässt; s. Council of the European Union, Directive 2014/41/EU of 3 April 2014 regarding the European Investigation Order in Criminal Matters – Competent authorities and languages (Paper by EJN), EuCO 15211/1/17 (REV 1), ANNEX: Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen, und Rumänien haben demnach jeweils ihr Justizministerium benannt, teilweise ergänzt durch die Generalstaatsanwaltschaft oder andere Behörden bei europäischen Ermittlungsanordnungen im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens; in Portugal fungiert die Generalstaatsanwaltschaft als Zentrale Behörde, in den Niederlanden und in Großbritannien andere Behörden. Ohne formale Benennung als Zentrale Behörde verfügen zudem Belgien (Generalstaatsanwaltschaft) und Kroatien (Justizministerium) über ausdrücklich herausgehobene administrative Ansprechpartner in Problemfällen. Zuletzt zeichnet sich außerdem das praktische Problem ab, dass bisher oftmals lediglich die Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats für die Übermittlung europäischer Ermittlungsanordnungen akzeptiert wird, s. Council of the European Union, Directive 2014/41/EU on the European Investigation Order – Transposition, EuCO 5908/18, S. 2; konkret scheint dies derzeit in Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland und der Slowakei der Fall zu sein, während die anderen Mitgliedstaaten zumindest in Eilfällen auch europäische Ermittlungsanordnungen in englischer Sprache akzeptieren, s. die Angaben in der Tabelle in Council of the European Union, Directive 2014/41/EU of 3 April 2014 regarding the European Investigation Order in Criminal Matters – Competent authorities and languages (Paper by EJN), EuCO 15211/1/17 (REV 1), ANNEX. 100 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Europäische Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen, COM(2018) 225 final. S. zudem Rat der Europäischen Union, Verbesserung des grenzüberschreitenden Zugangs zu elektronischen Beweismitteln, EuCO 6339/18, S. 2 ff. Ausführlich zur parallelen amerikanischen und europäischen Entwicklung Siry, NJECL 10 (2019), S. 227 ff.

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der EPOC oder EPOC-PR die freiwillige Mitwirkung verweigert.101 Die avisierten Vorteile des unionsweiten Direktzugriffs – namentlich die Beschleunigung des Informationszugriffs und der Verzicht auf hier naturgemäß komplexe territoriale Zuständigkeitsabgrenzungen102 – gehen dabei allerdings mit sich bereits jetzt deutlich 101

Als spezifische Probleme grenzüberschreitender elektronischer Beweismittel sieht die Kommission insbesondere die besondere Eilbedürftigkeit wegen der erleichterten Löschbarkeit von Daten, die Komplexität territorialer Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen den Mitgliedstaaten, und die oftmals fehlende Kooperationsbereitschaft privater Diensteanbieter gegenüber ausländischen Strafverfolgungsbehörden, die sich nach der – freilich nicht näher belegten – Einschätzung des Unionsgesetzgebers selbst mit den neueren unionsrechtlichen Instrumenten wie der Europäischen Ermittlungsanordnung nicht adäquat bewältigen lassen. Der Verordnungsvorschlag sieht daher erstmals – als bisher weitestgehendes Modell gegenseitiger Anerkennung im europäischen Justizraum – einen unmittelbaren grenzüberschreitenden Zugriff auf in anderen Mitgliedstaaten gespeicherte Transaktions- und Inhaltsdaten vor, bei denen die Mitwirkung der dortigen Strafverfolgungsbehörden nur noch ausnahmsweise bei der Verweigerung der Herausgabe oder Speicherung der fraglichen Daten durch den privaten Diensteanbieter erforderlich sein soll. Die EPOC-Anordnung kann demnach von den Gerichten oder Strafverfolgungsbehörden – sowie, analog zur EEA-Richtlinie, durch andere Behörden mit entsprechender Validierung durch eine Justizbehörde – erlassen werden (vgl. Art. 4 EPOC-VO-E), wenn sie mit Blick auf das betreffende Ermittlungsverfahren verhältnismäßig ist und für innerstaatliche Fälle eine vergleichbare Maßnahme verfügbar wäre, wobei allerdings die Anordnungsvoraussetzungen zum Teil danach variieren sollen, ob die Herausgabe der Daten oder ihre Speicherung für eine mögliche Herausgabe zu einem späteren Zeitpunkt angeordnet wird, und ferner danach, ob Teilnehmer- und Zugangs-, oder Transaktions- und Inhaltsdaten betroffen sind (vgl. Art. 5 und 6 EPOC-VO-E). Sie soll dann mittels eines entsprechenden Zertifikats entweder an einen Vertreter des Diensteanbieters, den dieser nach den Vorgaben einer ergänzenden Richtlinie zuvor eigens zu benennen hat, oder alternativ direkt an eine Niederlassung des Anbieters in einem beliebigen Mitgliedstaat übermittelt werden (vgl. Art. 7 EPOC-VO-E). Nach Erhalt der EPOC-Anordnung ist der Adressat verpflichtet, die angeforderten Daten innerhalb von zehn Tagen – in Eilfällen sogar innerhalb von sechs Stunden – unmittelbar an die Strafverfolgungsbehörden des Anordnungsmitgliedstaats zu übermitteln (bzw. sie im Falle einer Sicherungsanordnung für 60 Tage zu speichern) (vgl. Art. 9 und 10 EPOC-VO-E). Verweigert der Adressat die Herausgabe oder Speicherung, müssen die relevanten Unterlagen von der Anordnungsbehörde an die zuständigen Stellen des Vollstreckungsmitgliedstaats übersandt werden, die sodann den Diensteanbieter binnen fünf Tagen zur Herausgabe der Daten nach den nationalen Vorschriften auffordert; die Vollstreckung kann aber unter anderem verweigert werden, wenn die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats im Zugriff auf die Daten einen offensichtlichen Verstoß gegen die Grundrechtecharta sehen (vgl. Art. 14 EPOC-VO-E). Für den Rechtsschutz der Betroffenen sieht der Verordnungsvorschlag lediglich ein allgemeines Gebot zur Schaffung wirksamer Rechtsbehelfe vor (vgl. Art. 17 EPOC-VO-E). S. ferner den Überblick über das Regelungskonzept in Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Europäische Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen, COM(2018) 225 final, S. 4 f., 11 ff.; Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Regelungen für die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren, COM(2018) 226 final, S. 3 f., 7 ff.; Buono, ERA Forum 19 (2019), S. 307 (310 f.); außerdem die ausführliche Darstellung der zentralen Elemente des Entwurfs bei Basar, jurisPR-StrafR 5/2019 Anm. 1 (unter III.). 102 Näher European Commission, Commission Staff Working Document: Executive Summary of the impact assessment accompanying the document Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on European Production and Preservation Orders for electronic

II. Vierter Baustein. Supranationaler Beweistransfer

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abzeichnenden, gravierenden Folgeproblemen einher, die noch kaum durchdacht erscheinen, sowohl im bisherigen Gesetzgebungsverfahren durch die Mitglied­ staaten als auch in der rechtspolitischen Diskussion deutlich artikuliert werden,103 und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen im EEA-Gesetzgebungs­ verfahren wohl noch zu beträchtlichen Modifikationen des EPOC-Konzepts, und sinnvollerweise auch zu dessen stärkerer Integration in die bestehenden EEA-­ Regelungen führen müssten.104

evidence in criminal matters and Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council laying down harmonised rules on the appointment of legal representatives for the purpose of gathering evidence in criminal proceedings, SWD(2018) 119 final, S. 1. 103 S. etwa die – insbesondere mit Blick auf die fehlenden Grundrechtssicherungen und die prinzipielle Ausklammerung der Strafverfolgungsbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats – kritischen Kommentare Finnlands und Deutschlands in Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on European production and preservation orders for electronic evidence in criminal matters – compilation of Member States comments, EuCO 10470/1/18 (REV 1), ANNEX, S. 13 f. bzw. S. 11. Auch in der Literatur stößt das Vorhaben auf erhebliche Kritik. Sie entzündet sich insbesondere an den defizitären Grundrechtsvorkehrungen, deren Einhaltung darüber hinaus zum Teil den Diensteanbietern als Adressaten europäischer Sicherungs- oder Herausgabeanordnungen überantwortet wird, den schwachen Beteiligungsrechten des Betroffenen, den partiell unklaren Erlassvoraussetzungen, namentlich – insoweit parallel zur EEA-Richtlinie – mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit des Erlasses einer grenzüberschreitenden Anordnung, sowie der Gefahr des Unterlaufens von Richtervorbehalten im Vollstreckungsmitgliedstaat; s. etwa Burchard, ZIS 2018, S. 249 (265 ff.); Mitsilegas, Maastricht Journal of European and Comparative Law 25 (2018), S. 263 (264 f.: „privatization of mutual trust in Europe’s area of criminal justice“); Burchard, ZRP 2019, S. 164 (164 ff.); Schaar, MMR 2018, S. 705 (706). Massive Kritik hinsichtlich der Rechtsschutzstrukturen auch bei Basar, jurisPR-StrafR 5/2019 Anm. 1 (unter IV.) („Der Verordnungsvorschlag schießt […] weit über das Ziel hinaus und stellt den Rechtsschutz so weit zurück, dass eine der wesentlichen Maximen europäischer Rechtstraditionen […] gänzlich in Frage gestellt wird. […] Der Entwurf geht […] davon aus, dass der Schutz der Verhältnismäßigkeit […] durch die Anordnungsbehörde selbst gewährleistet wird, was – gelinde gesagt – als rechtstaatliche Sicherung nicht ernst genommen werden kann. […] Die Liste weiterer Defizite hinsichtlich des Rechtsschutzes ist lang. Im Ergebnis werden die Kontrollmöglichkeiten so weit beschränkt, dass faktisch […] Schutz gegen missbräuchliche Anordnungen kaum vorhanden ist.“); ebenfalls kritisch Smuha, EuCLR 8 (2018), S. 83 (86 ff.); Schott, StV 2020, S. 1 (die vor allem den LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments als Hoffnungsträger für weitreichende Modifikationen ausmacht). Hingegen sieht Buono, ERA Forum 19 (2019), S. 307 (312) ohne nähere Problematisierung der Rechtsschutzthematik in dem Projekt einen „clear step ahead“ („the overall judicial system will benefit in terms of efficiency and deliverability“). 104 Letzteres wird ausdrücklich angemahnt bei Basar, jurisPR-StrafR 5/2019 Anm. 1 (unter IV.); allgemeiner zum Verhältnis des Vorschlags zu den bereits bestehenden sekundärrechtlichen Instrumenten und Rechtshilferegelungen außerdem Smuha, EuCLR 8 (2018), S. 83 ff. Zu den bisherigen Überlegungen hinsichtlich des Verhältnisses von EEA-RL und EPOC-VO vgl. European Commission, Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on European Production and Preservation Orders for electronic evidence in criminal matters, COM(2018) 225 final, S. 7 ff.

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III. Fünfter Baustein. Supranationale Informationsverwaltung 1. „European Criminal Register Information System“ (ECRIS) In der Schengener Zusammenarbeit und den Anfängen des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ bildete neben den traditionellen Mechanismen der internationalen Rechtshilfe lange Zeit die Einrichtung zentraler Unionsdatenbanken den primären Regelungsansatz für Aufbau und Verwaltung unionsweiter Datenbestände. Beispiele für dieses weiterhin genutzte Konzept, das oft neben den Polizei- auch den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten Zugriffsrechte einräumte, sind namentlich das Schengener Informationssystem II (SIS II), eine Reihe zwischen 2009 und 2013 errichteter Einzeldatenbanken der Asyl- und Einwanderungszusammenarbeit, sowie die Informationsverarbeitung durch Europol.105 In materieller Hinsicht dominiert dabei mit Ausnahme von Europol ein stark fragmentierter, nach einzelnen Datentypen ausdifferenzierter inhaltlicher Zuschnitt der Datenbanken; lediglich die Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (euLISA)106 lässt sich als loser institutioneller Rahmen dieses Gefüges verstehen. Die prozeduralen Regelungen zu Gewinnung, Verwaltung und Nutzung der Daten sind gleichermaßen disparat ausgestaltet, und weisen meist noch deutliche völkerrechtliche Spurenelemente auf, typischerweise etwa Abrufbeschränkungen auf einzelne benannte Behörden und zentrale Zugangs- oder Verbindungsstellen, oder die Mediatisierung des Zugriffs durch Indexabfragen und sogenannte Treffer-/ Kein Treffer-Verfahren.107 Vor dem Hintergrund dieses noch stark völkerrechtlich 105 Zur Gruppe dieser Datenbanken gehören namentlich etwa das Schengener Informationssystem II (SIS II) (VO [EG] 1987/2006 [ABl. L 381, S. 4]), der sogenannte VIS-Beschluss (Beschluss 2008/633/JI des Rates [ABl. L 218, S. 129]) und die Eurodac-Verordnung (VO [EU] 603/2013 [ABl. L 180, S. 1]), sowie die Vorschriften zur Informationsverarbeitung durch Europol, vgl. Art. 4 Abs. 1, 17 bis 22 Europol-VO (VO [EU] 2016/794 [ABl. L 135/53]). Für vertiefende Darstellungen der verschiedenen Datenbanken s. insbesondere Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn.  5 ff.; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 94 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 482 ff.; Gleß, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, III B 3 g (VisaInformationssystem-Beschluss), Rn. 1 ff. Speziell zur Informationsverarbeitung durch Europol s. zudem Neumann, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 44, Rn. 25 ff.; Eisele, in: ebd., § 49, Rn. 13 ff.; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 121 ff.; Ruthig, in: ebd., § 20, Rn. 46 ff.; Schamberg, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 34. EL 12/2013, III B 3 (Europol), Rn. 35 ff. 106 Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. L 286/1). Vgl. zudem die aktuelle Evaluation in Europäische Kommission, Bericht […] über die Funktionsweise der Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (eu-LISA), COM(2017) 346 final. 107 Zu den teils sehr komplexen institutionellen und verfahrensrechtlichen Strukturen einzelner Informationssysteme s. Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 95 ff. (SIS II), 113 ff. (VIS), 117 ff. (Eurodac), 121 ff. (Europol-Informationssystem), 135 ff. (Europäisches Zollinforma-

III. Fünfter Baustein. Supranationale Informationsverwaltung

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souveränitätsbezogenen Ansatzes entwickelt der Unionsgesetzgeber in jüngerer Zeit ein neues Regulierungskonzept zur Informations- und Datenverwaltung in grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren. Der zentrale Gedanke liegt dabei in der dezentralen Vernetzung bereits vorhandener, interoperabler einzelstaatlicher Register mit bestimmten elektronischen Zugriffsmöglichkeiten aus allen angeschlossenen Mitgliedstaaten. Ein entsprechendes Registervernetzungssystem findet sich derzeit namentlich für die Strafregister der Mitgliedstaaten: Ein erster Ansatz des Rates zur Vernetzung der Strafregister der Mitgliedstaaten im Jahr 2005 beruhte dabei noch weitgehend auf einem völkerrechtlichen Ersuchensmodell und wechselseitigen Meldepflichten bei einer Verurteilung ausländischer Staatsangehöriger; mit dem „European Criminal Register Information System“ (ECRIS) wurde die Verwaltung der Strafregisterdaten im Jahr 2009 dann vollständig auf ein System dezentraler Registervernetzung umgestellt, und das bestehende Regime um eine gemeinsame Verbindungssoftware ergänzt sowie verfahrensrechtlich erheblich ausdifferenziert.108 Die an ECRIS angeschlossenen Mitgliedstaaten sind demnach verpflichtet, bei Verurteilungen ausländischer Staatsangehöriger einen Vermerk im Strafregistereintrag anzubringen, und den Herkunftsmitgliedstaat über ein System nationaler Zentralstellen zu benachrichtigen; ebenso ist auf Antrag der ausländischen Zentralstelle eine Abschrift des Urteils zu übermitteln sowie eine spätere Streichung der Person aus dem Strafregister mitzuteilen.109 Die Zentralstelle des Herkunftsmitgliedstaats ist ihrerseits zur Speicherung der erhaltenen Registerinformationen verpflichtet.110 Sowohl die Zentralstellen aller Mitgliedstaaten als auch Personen mit Wohnsitz oder Staatsangehörigkeit in einem Mitgliedstaat können anschließend die Zentralstellen der (anderen) Mitgliedstaaten um die Übermittlung der vorhandenen Registerinformationen ersuchen; etwaige vorhandene Informationen tionssystem – ZIS), sowie 141 ff. (European Car and Driving License Information System – EUCARIS); außerdem Schmidt, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, 2018, S. 23 ff. 108 Vgl. zunächst (neben der detaillierten Darstellung der Vorgeschichte der Rechtsakte bei Stefanou / Xanthaki, in: Dies. [Hrsg.], Towards a European Criminal Record, 2008, S. 1 ff.) zur alten Rechtslage Art. 1 bis 4 Strafregister-Beschluss (Beschluss 2005/876/JI des Rates [ABl. L 322, S. 33]); ausführlich zu den Einzelheiten des Beschlusses Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 157; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 34. EL 12/2013, III A 3.13 (RB Strafregister), Rn. 5. Die rechtliche Grundlage des ECRIS-Systems bilden nunmehr der RB-Strafregister (RB 2009/315/JI [ABl. L 93, S. 23]) und der ECRIS-Beschluss (Beschluss 2009/316/ JI des Rates [ABl. L 93, S. 33]). Ausführlich zu den beiden neuen Instrumenten Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 157 ff., 179 f.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 34. EL 12/2013, III A 3.13 (RB Strafregister), Rn. 8 ff.; Sollmann, NStZ 2012, S. 253 (254 ff. bzw. 256 f.). Daneben beruht das verfahrensrechtliche Regime von ECRIS in weitem Umfang auf informellen Standards und bewährten Praktiken; vgl. Rat der Europäischen Union, ECRIS – Nicht bindendes Handbuch für Rechtsanwender, EuCO 9061/2/13, S. 2 ff. 109 Vgl. Art. 3 und 4 RB-Strafregister (RB 2009/315/JI [ABl. L 93, S. 23]); Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 162 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 34. EL 12/2013, III A 3.13 (RB Strafregister), Rn. 13; Hochmayr / Ligocki, ZIS 2016, S. 159 (163). 110 Vgl. Art. 5 Abs. 1 RB-Strafregister (RB 2009/315/JI [ABl. L 93, S. 23]); Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 164; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 34. EL 12/2013, III A 3.13 (RB Strafregister), Rn. 14 f.; Hochmayr / Ligocki, ZIS 2016, S. 159 (163).

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

aus dem einzelstaatlichen Strafregister zu Verurteilungen im Herkunftsmitgliedstaat, einem anderen Mitgliedstaat, oder einem Drittstaat sind innerhalb einer Höchstfrist von zehn Arbeitstagen und ohne Ablehnungsgründe zu übermitteln.111 Als Kommunikationskanal dient dabei das ECRIS-System, das sich aus einer Verbindungssoftware und dem verschlüsselten Kommunikationsnetz s-TESTA zusammensetzt.112 Zu den obligatorisch zu übermittelnden Informationen gehören Informationen zur Person, zu Art und Inhalt der Verurteilung und zu der zugrundeliegenden Straftat. Fakultativ mitzuteilende Informationen betreffen etwa den Ort der Tatbegehung sowie etwaige aus der Verurteilung folgende Rechtsverluste; im Übrigen können auch alle weiteren im Strafregister eingetragenen Informationen übermittelt werden, etwa die Nummer von Ausweisdokumenten, Aliasnamen sowie Fingerabdrücke.113 Zur Standardisierung der elektronischen Informationsübermittlung gibt der ECRIS-Beschluss ein sehr umfangreiches System von Zahlencodes vor; diese umschreiben etwa den zugrundeliegenden Straftatbestand, den Grad der Tatbestandsverwirklichung oder der Beteiligung, etwaige Informationen über Schuldminderungen oder Rückfalltaten, sowie die Haupt- und mögliche Nebenstrafen mit den Bedingungen ihrer Vollstreckung.114

2. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Informationsverwaltung Auch der supranationalen Informationsverwaltung wird sich die EU-Justizpolitik in der anbrechenden Konsolidierungsphase lediglich in kleinerem Umfang nochmals zuwenden müssen. Insgesamt weist die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auch hier ambivalente Züge auf: Einerseits haben zwar mittlerweile – angesichts der Sensibilität vor allem der strafrechtlichen Datenverwaltung durchaus erstaunlich – nahezu alle Mitgliedstaaten die ECRIS-Rahmenbeschlüsse umgesetzt, und dafür oftmals tendenziell umfangreiche Reformen im nationalen Strafregisterrecht durchgeführt;115 im Jahr 2014 waren 25, und 2017 sodann alle Mitgliedstaaten an 111 Vgl. Art. 6 bis Art. 8 RB-Strafregister (RB 2009/315/JI [ABl. L 93, S. 23]); Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 169 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 34. EL 12/2013, III A 3.13 (RB Strafregister), Rn. 19 f., 23 ff. 112 Vgl. für Details zum (auch technischen) Aufbau von ECRIS Art. 3 und 4 ECRIS-Beschluss (Beschluss 2009/316/JI des Rates [ABl. L 93, S. 33]); Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 180; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 34. EL 12/2013, III A 3.13 (RB Straf­ register), Rn. 37 ff. 113 Vgl. Art. 11 Abs. 1 und 2 RB-Strafregister (RB 2009/315/JI [ABl. L 93, S. 23]); Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 178 f.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 34. EL 12/2013, III A 3.13 (RB Strafregister), Rn. 33 ff. 114 Vgl. Art. 3 RB-Strafregister (RB 2009/315/JI [ABl. L 93, S. 23]). 115 Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten, COM(2016) 6 final, S. 3. Lediglich Dänemark, Estland, Irland, Italien, Malta und Rumänien haben dem-

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ECRIS angeschlossen, wobei mittlerweile 76 % der möglichen Gesamtverbindungen zwischen allen Mitgliedstaaten eingerichtet sind.116 Die Gesamtzahl der Kommunikationsvorgänge über ECRIS beläuft sich derzeit jährlich auf knapp zwei Millionen, d. h. im monatlichen Durchschnitt 165 000 Meldungen;117 während die Anzahl von Mitteilungen über neue Verurteilungen sich bei jährlich etwa 330 000 stabilisiert, nimmt die Anzahl von Informationsersuchen und Antworten weiterhin deutlich zu, und führt in rund 30 % aller Anfragen zu positiven Auskünften über frühere Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat.118 Zugleich entwickelt sich offenbar zunehmend ein informeller Konsens der Mitgliedstaaten, die nationalen Strafregisterbehörden zugleich als Zentralstellen für den europäischen Datenaustausch zu benennen,119 und – wenngleich in geringerem Umfang – den Begriff der nach bisher keine Umsetzungsvorschriften erlassen, teilen aber (mit Ausnahme Maltas) auf der Grundlage der nationalen Strafregistervorschriften ebenfalls Informationen über die technischen Kanäle des ECRIS-Systems, vgl. ebd., S. 3. 116 Europäische Kommission, Bericht […] über den Austausch von Strafregisterinformationen zwischen den Mitgliedstaaten mittels des Europäischen Strafregisteraustauschsystems (ECRIS), COM(2017) 341 final, S. 4. Die meisten Mitgliedstaaten weisen mindestens 20 Verbindungen zu anderen Mitgliedstaaten auf; die höchste Anzahl an Verbindungen – wenngleich damit bisher kein Mitgliedstaat mit sämtlichen anderen Mitgliedstaaten verbunden, und das eigentliche Ziel des ECRIS-Systems auch nach dem ausdrücklichen Fazit der Kommission (ebd., S. 4) bisher nicht erreicht ist – erreichen dabei Österreich, Spanien, Großbritannien und Irland (jeweils 26 Verbindungen mit anderen Mitgliedstaaten), Finnland, Lettland und Rumänien (jeweils 25 Verbindungen), Belgien, Tschechien, Deutschland, Frankreich, Litauen, die Niederlande, Polen und Schweden (jeweils 24 Verbindungen), Belgien, Estland, Italien, Dänemark und Luxemburg (jeweils 23 Verbindungen), Zypern und Ungarn (jeweils 22 Verbindungen), und die Slowakei (21 Verbindungen), vgl. ebd., S. 4. 117 Demnach findet bereits seit Beginn des ECRIS-Systems im Jahr 2012 ein stetiger Anstieg der zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauschten Meldungen statt; beliefen sich die ECRISMeldungen im Jahr 2012 noch insgesamt auf 300 000, lagen sie im Jahr 2016 bereits bei rund 3 Millionen, s. Europäische Kommission, Bericht […] über den Austausch von Strafregisterinformationen zwischen den Mitgliedstaaten mittels des Europäischen Strafregisteraustauschsystems (ECRIS), COM(2017) 341 final, S. 4 f. Innerhalb dieses Gesamtaufkommens scheint die Bedeutung von ECRIS – wobei allerdings zum einen die Größe der Mitgliedstaaten, und zum anderen die Anzahl ihrer Staatsbürger eine Rolle spielt – allerdings erheblich zu divergieren: Während insbesondere Deutschland zwischen 2014 und 2016 an rund einem Viertel der ECRIS-Vorgänge entweder als anfragender oder als angefragter Mitgliedstaat beteiligt war (2014: 28,7 %; 2015: 25,6 %; 2016: 24,9 %), und daneben noch Großbritannien (2014: 9,7 %; 2015: 14,7 %; 2016: 13,7 %) und Italien (2014: 10,9 %; 2015: 9,1 %; 2016: 7,7 %) regelmäßig zu den aktiveren Mitgliedstaaten gehörten, liegt der Umfang von ECRIS-Meldungen für alle anderen Mitgliedstaaten regelmäßig lediglich im mittleren bis unteren einstelligen Bereich, vgl. ebd., S. 10 f. 118 Europäische Kommission, Bericht […] über den Austausch von Strafregisterinformationen zwischen den Mitgliedstaaten mittels des Europäischen Strafregisteraustauschsystems (ECRIS), COM(2017) 341 final, S. 4 f. 119 Dies ist namentlich in Belgien, Bulgarien, Tschechien, Deutschland, Estland, Griechenland, Spanien, Finnland, Frankreich, Kroatien, Italien, den Niederlanden, Polen, Portugal und Slowenien der Fall; in Österreich, Zypern, Dänemark, Ungarn, Irland, Litauen, Lettland, Malta, Rumänien, Schweden, und Großbritannien kommt diese Aufgabe dem Innenministerium, in Luxemburg und der Slowakei der Generalstaatsanwaltschaft zu, vgl. Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates vom 26. Fe-

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„Verurteilung“ über strafgerichtliche Entscheidungen hinaus auszudehnen und auch Daten über Ermittlungen, laufende Verfahren oder staatsanwaltschaftliche Entscheidungen auszutauschen.120 Das Auftreten von Vollzugsdefiziten hält sich bei alledem bereits im relativ überschaubaren Rahmen von etwas über 6 %, was die fristgemäße Beantwortung von Informationsersuchen betrifft.121 Zugleich kündigen sich auf dieser Grundlage bereits die nächsten Etappen bei der Weiterentwicklung des ECRIS-Systems an, zum einen mit der behutsamen Entfaltung des ECRIS-Modells durch den EuGH  – insbesondere durch die dogmatische Ver­ kopplung der register- und der vollstreckungsrechtlichen Anerkennung strafrecht­ licher Entscheidungen122 –, zum anderen mit der Integration von Drittstaatlereinträgen in ECRIS, deren Umfang auf 550 000 Verurteilungen in 19 Mitgliedstaaten geschätzt wird, und für die die Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt hat, der statt separater Auskunftsersuchen auf einer anonymisierten Index­ abfrage mit anschließender regulärer Übermittlung etwaiger Informationen über ECRIS beruht.123 Als kleinere Problemfälle kristallisieren sich hier allenfalls die bru­ar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten, COM(2016) 6 final, S. 4, sowie die entsprechende Tabelle ebd., S. 15 ff. 120 Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten, COM(2016) 6 final, S. 4. Entsprechende Regelungen finden sich bisher in Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden und Slowenien; in Estland, Frankreich, Litauen und Lettland verzichten die nationalen Umsetzungsvorschriften dagegen auf eine ausdrückliche Begriffsdefinition, und überlassen es damit letztlich den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden, auch andere Daten als lediglich strafrechtliche Verurteilungen in das ECRIS-System einzuspeisen, ebd., S. 4. Immerhin 22 % aller Ersuchen (insgesamt 79 000) fanden zuletzt tatsächlich außerhalb eines laufenden Strafverfahrens statt, was die Kommission vor allem auf Anfragen von Einzelpersonen zu ihrem eigenen Registereintrag zurückführt, s. Europäische Kommission, Bericht […] über den Austausch von Strafregisterinformationen zwischen den Mitgliedstaaten mittels des Europäischen Strafregisteraustauschsystems (ECRIS), COM(2017) 341 final, S. 6. 121 So wurden im Einzelnen im Jahr 2016 rund 14 000 Informationsersuchen überhaupt nicht beantwortet (3,9 % aller Ersuchen), wobei insbesondere Zypern (66,1 % aller Ersuchen blieben unbeantwortet) und Estland (34,9 %), sowie mit Abstrichen Italien (20 %) und Lettland (17,8 %) zu den Problemfällen zu gehören scheinen. Bei weiteren 13 000 Ersuchen (3,6 %) erfolgte die Meldung erst nach Ablauf der nach dem Rahmenbeschluss vorgesehenen Frist; insoweit häuften sich die Schwierigkeiten insbesondere in Griechenland (28,1 % der Ersuchen wurden verspätet beantwortet), Finnland (21,5 %), Estland (20,5 %), Rumänien (9,3 %) sowie Italien (5,3 %), s. Europäische Kommission, Bericht […] über den Austausch von Strafregisterinformationen zwischen den Mitgliedstaaten mittels des Europäischen Strafregisteraustauschsystems (ECRIS), COM(2017) 341 final, S. 6. 122 Insbesondere ist den Mitgliedstaaten demnach verwehrt, bei der Umsetzung des RB-Strafregister und des ECRIS-Beschlusses zusätzliche, der Eintragung ausländischer Verurteilungen gleichsam vorgeschaltete Anerkennungsverfahren auf innerstaatlicher Ebene zu schaffen, s. EuGH, Rs. C-25/15 (Balogh), EU:C:2016:423, Rn. 28 ff. 123 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates im Hinblick auf den Austausch von Informationen über Drittstaatsangehörige und das Europäische Strafregister­

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Übermittlung fakultativer und zusätzlicher Informationen heraus, die von den Umsetzungsvorschriften der Mitgliedstaaten meist noch ignoriert werden;124 auf ein potentielles kleineres Problemfeld weist ferner die Beobachtung hin, dass sowohl die Mitteilung neuer oder aktualisierter Registereinträge als auch die Abfrage ausländischer Registerdaten bisher ein gewisses Ungleichgewicht aufweisen, und einige Mitgliedstaaten entweder wenige oder gar keine Interaktionen über ECRIS vornehmen, oder aber mit einer starken Divergenz von eigenen und zu beantwortenden Ersuchen konfrontiert sind.125 Andererseits hat die EU-Justizpolitik aber jenseits des strafrechtlichen Registeraustauschs und des ECRIS-Systems bisher keine überzeugenden Antworten auf die Fragen gefunden, wie der unionsweite ad hoc-Austausch aller sonstigen möglicherweise verfahrensrelevanten Informationen in laufenden Zivil- und Strafverfahren erfolgreich ausgestaltet werden kann: Hier erscheint die Rechtsentwicklung in der Breite noch fragmentarisch, und in der Tiefe ordnungsbildend nur wenig aufschlussreich. Lediglich für einige spezielle Informationen finden sich bislang im Detail schwer überschaubare Vorschriften, die in der Regel noch auf einer Art formalisiertem Ersuchensmodell klassisch völkerrechtlicher Informationsersuchen mit vereinzelten supranationalen Einsprengseln beruhen. Stellvertretend für dieses Regelungskonzept – sofern man davon überhaupt sprechen kann – steht zum einen der Austausch von Informationen in Unterhaltsverfahren: Die EuUnthVO errichtet hierfür ein System wechselseitiger Ersuchen zwischen den Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten, das die Übermittlung von sachdienlichen Daten zu Anschrift, Einkommen, Arbeitgeber, Bankverbindung und Vermögen des Unterhaltsschuldners ermöglichen soll. Die Zentrale Behörde des ersuchten Mitgliedstaats ist verpflichtet, sämtliche geeigneten und angemesinformationssystem (ECRIS) und zur Ersetzung des Beschlusses 2009/316/JI des Rates, COM​ (2016) 7 final, S. 4. Zumindest perspektivisch dürfte sich darüber hinaus die Frage stellen, inwieweit das Regelungsmodell der Vernetzung heterogener, dezentral geführter und eben nur technisch interoperabler Register durch eine rechtliche Koordinierung der unterschiedlichen Registervorschriften – also gleichsam einen spill over von der technischen auf die rechtliche Ebene – erweitert werden kann. Für ECRIS stellt sich diese Frage mit Blick auf die potentielle Verantwortungsdiffusion und Gefährdung von Resozialisierungschancen durch das Zusammenspiel verschiedener einzelstaatlicher Registervorschriften, und insoweit nicht zuletzt mit einer gewissen grundrechtlichen Dringlichkeit; konkret steht dabei die Abstimmung registerrechtlicher Tilgungsvorschriften und Auskunftsbeschränkungen im Vordergrund, s. im Einzelnen Hochmayr / Ligocki, ZIS 2016, S. 159 (166 ff.). Als naheliegende Regelungsmodelle werden dabei in erster Linie die strikte Anerkennung und Durchsetzung aller registerrechtlichen Folgen des Urteilsmitgliedstaats, sowie ein – praktisch wohl eher schwierig zu operationalisierendes – registerrechtliches Meistbegünstigungsprinzip zugunsten des Verurteilten diskutiert, s. Hochmayr / Ligocki, ZIS 2016, S. 159 (170 ff.). 124 Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten, COM(2016) 6 final, S. 5. 125 Europäische Kommission, Bericht […] über den Austausch von Strafregisterinformationen zwischen den Mitgliedstaaten mittels des Europäischen Strafregisteraustauschsystems (ECRIS), COM(2017) 341 final, S. 6.

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senen Mittel zur Einholung der Informationen einzusetzen, insbesondere auch mithilfe anderer inländischer Behörden, die im Rahmen ihrer Tätigkeit über relevante Informationen verfügen; als Ablehnungsgründe nennt die EuUnthVO lediglich Gefährdungen der nationalen oder öffentlichen Sicherheit, sodass hier auch bei unionsrechtsautonomer Auslegung in weitem Umfang noch politische Interessen des ersuchten Mitgliedstaats in Anschlag gebracht werden können.126 Die übermittelten Informationen dürfen dabei nach dem völkerrechtlichen Grundsatz der Spezialität ausschließlich für die Zwecke des betreffenden Unterhaltsverfahrens genutzt werden.127 Zum anderen hat der Europäische Rat für den strafrechtlichen Informationsaustausch bereits im Haager Programm den sogenannten „Grundsatz der Verfügbarkeit“ aus der Taufe gehoben, demzufolge „der bloße Umstand, dass Informationen Grenzen überschreiten, […] nicht länger von Bedeutung sein“ soll, und „unionsweit ein Strafverfolgungsbeamter in einem Mitgliedstaat, der für die Erfüllung seiner Aufgaben Informationen benötigt, diese aus einem anderen Mitgliedstaat erhalten kann.“128 Rechtlich wird das Verfügbarkeitsprinzip bisher als Diskriminierungsverbot ausländischer Informationsersuchen gegenüber dem innerstaatlichen Informationsaustausch konkretisiert, insbesondere durch die Vorschriften der sogenannten „schwedischen Initiative“ von 2006, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, ausländischen Strafverfolgungsbehörden sämtliche Informationen während eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu denselben Bedingungen – und insbesondere ohne gesonderte Genehmigung übergeordneter Behörden – zur

126 Vgl. Art. 61 Abs. 1, 2 UA 1 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]). Im Detail außerdem Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 61 VO Nr. 4/2009, Rn. 3 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 61 EG-UntVO, Rn. 1 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 61 EG-UntVO, Rn. 2 ff. 127 Vgl. Art. 62 Abs. 2 UA 1 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Picht, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 62 VO Nr. 4/2009, Rn. 3 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 62 EG-UntVO, Rn. 4; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 62 EGUntVO, Rn. 6. 128 Europäischer Rat, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union (2005/C 53/01 [ABl. C 53/1]), S. 7 f. Ausführlich zum Grundsatz der Verfügbarkeit dann Schmidt, Der Grundsatz der Verfügbarkeit, 2018, S. 45 ff., mit differenzierter Darstellung der historischen Genese des Verfügbarkeitsprinzips (S. 50 ff.), seiner strukturellen Bezüge zum Grundsatz gegenseitiger Anerkennung (S. 62 ff.), einer Reihe von Regulierungsoptionen hinsichtlich der technischen Umsetzung (S. 76 ff.), sowie einer Skizze potenzieller – etwa technischer, politischer und nicht zuletzt praktischer – Hürden einer dereinstigen vollständigen Umstellung des strafrechtlichen Informationsaustauschs auf ein umfassendes System informationeller Verfügbarkeit (S. 241 ff.); Zusammenfassungen der zentralen Gehalte des Grundsatzes der Verfügbarkeit außerdem bei Pörschke, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen am Beispiel des Prümer Modells, 2014, S. 63 ff.; Kubiciel, in: Ambos / König / Rackow, 4.  Hauptteil, Rn. 386 ff.; Gleß / Trautmann, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III B 3 d (RB-Informationsaustausch), Rn. 2; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 6. EL 8/2008, III A 3.12 (RBInf), Rn. 1; Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn. 28; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 39 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. 2018, S. 235 f.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 271; Zöller, ZIS 2011, S. 64 (64).

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Verfügung zu stellen, wie sie für einen innerstaatlichen Fall gelten.129 Der Austausch ist dabei an eine Frist von acht Stunden in dringenden, und einer Woche in allen anderen Fällen gebunden,130 und kann prinzipiell über alle verfügbaren Kommunikationskanäle erfolgen.131 Der Übermittlung können jedoch auch hier weit­reichende materielle Versagungsgründe entgegengehalten werden, die – wie die Beeinträchtigung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen des ersuchten Mitgliedstaats, oder die eindeutige Unverhältnismäßigkeit des Informationsersuchens – kaum verdeckte Einfallstore für intergouvernementale Interessenpolitik bilden; für den Bereich geringfügigerer Kriminalität mit Freiheitsstrafen von einem Jahr oder weniger besteht darüber hinaus ohnehin ein fakultatives Ablehnungsrecht.132 Der ursprüngliche, deutlich weiterreichende Ansatz der Kommission, der ähnlich wie bei der Registervernetzung für sogenannte „gleichwertige Behörden“ einen unmittelbaren Direktzugriff auf online verfügbare Informationen und eine online-Indexabfrage mit anschließendem formalisiertem Ersuchen für alle sonstigen, analog verfügbaren Informationen vorsah, wurde mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags aufgegeben, insbesondere weil der Kreis abfragefähiger Straftaten nicht näher definiert und zudem kein adäquater Datenschutzstandard festgelegt worden war.133 Lediglich 129

Vgl. Art. 3 Abs. 1 bis 4 RB-Informationsaustausch (RB 2006/960/JI [ABl. L 386, S. 89]). Ausführliche Behandlung bei Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 103 ff., 111 f.; Kubiciel, in: Ambos / König / Rackow, 4. Hauptteil, Rn. 392; Gleß / Trautmann, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III B 3 d (RBInformationsaustausch), Rn. 8 ff.; s. außerdem Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der EU, 2007, S. 39 ff.; Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn. 25; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 48, 50 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 6. EL 8/2008, III A 3.12 (RBInf), Rn. 2 ff., 6. 130 Vgl. Art. 4 Abs. 1 und 2 bzw. 3 und 4 RB-Informationsaustausch (RB 2006/960/JI [ABl. L 386, S. 89]); Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 113 ff.; Kubiciel, in: Ambos / König / Rackow, 4.  Hauptteil, Rn. 393; Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn. 25; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 55 f.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 6. EL 8/2008, III A 3.12 (RBInf), Rn. 7. 131 Vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 RB-Informationsaustausch (RB 2006/960/JI [ABl. L 386, S. 89]); Gleß / Trautmann, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III B 3  d (RB-Informationsaustausch), Rn. 17; Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn. 24; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 6. EL 8/2008, III A 3.12 (RBInf), Rn. 11. 132 Vgl. Art. 10 RB-Informationsaustausch (RB 2006/960/JI [ABl. L 386, S. 89]). S. zudem im Detail Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 116 ff.; Kubiciel, in: Ambos / König / Rackow, 4.  Hauptteil, Rn.  395; Gleß / Trautmann, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III B 3  d (RB-Informationsaustausch), Rn. 12 f.; Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn. 25; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 60 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 6.  EL 8/2008, III A 3.12 (RBInf), Rn. 16. 133 Vgl. Art. 5, 11 ff. in Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Austausch von Informationen nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit, KOM(2005) 490 endgültig. Inhaltlich erfasste der Entwurf die Übermittlung von DNA-Profilen, Fingerabdrücken, ballistischen Erkenntnissen, Kfz-Halterermittlungen, Telefonnummern und Verbindungsdaten der Telekommunikation, sowie Mindestauskünfte zur Identifizierung von Personen aus Personenstandsregistern (vgl. Anhang II). Für die Feststellung

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für den Austausch von DNA-Profilen, daktyloskopischen Daten sowie Daten aus Fahrzeugregistern wurde das Prinzip des online-Direktzugriffs im sogenannten Prüm-Beschluss separat umgesetzt;134 ähnliche Abrufrechte bestehen ferner für Fahrzeug-, Eigentümer- und Halterdaten in Ermittlungsverfahren wegen Straßenverkehrsdelikten.135 Bei näherer Betrachtung darf dieses unübersichtliche sekundärrechtliche Regime aber mittlerweile wohl als weitgehend gescheitert gelten: Während für den unterhaltsrechtlichen Informationsaustausch abgesehen von sehr allgemeinen Hinweisen auf Probleme bei grenzüberschreitenden Kindesentführungen136 bisher keine Einblicke in den Realbereich verfügbar sind, lassen die wenigen Evaluationen der strafrechtlichen Instrumente auf der Basis des „Grundsatzes der Verfügbarkeit“ unmissverständlich auf einen prekären Zustand der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit schließen. In ihrem Anwendungsbericht zum RBInformationsaustausch aus dem Jahr 2011 zieht die Kommission  – trotz eines grenzüberschreitenden Informationsbedarfs in geschätzt etwa 25 % aller strafrechtder Gleichwertigkeit der Behörden sah der Entwurf ein vorgeschaltetes Notifikationsverfahren vor, in dem die von den Mitgliedstaaten benannten Behörden nach einer Überprüfung ihrer Befugnisse (vgl. Anhang III) für den grenzüberschreitenden online-Direktzugriff als gleichwertig akkreditiert werden konnten. Für vertiefende Darstellungen sowohl des Entwurfs als auch der Hintergründe seines Scheiterns s. insbesondere Pörschke, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen am Beispiel des Prümer Modells, 2014, S. 74 ff.; Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 179 ff.; außerdem Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn. 28 ff.; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 39 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 6.  EL 8/2008, III A 3.12 (RBInf), Rn. 1; Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der EU, 2007, S. 46 ff. 134 Vgl. Art. 2 bis 7, 8 bis 11 sowie 12 des sogenannten Prüm-Beschlusses (Beschluss 2008/615/JI des Rates [ABl. L 210, S. 1]). Vertiefend zum Prüm-Beschluss (sowie dem ihm zugrundeliegenden Prüm-Vertrag, mit dem die wesentlichen Regelungen zunächst, ähnlich wie im Schengen-System, auf völkerrechtlicher Basis zwischen einer kleineren Gruppe von Mitgliedstaaten geschaffen worden waren, s. Hummer, EuR 2007, S. 517 ff.) Lauer, Informationshilfe im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, 2018, S. 129 ff.; Pörschke, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen am Beispiel des Prümer Modells, 2014, S. 110 ff.; Eisele, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 49, Rn. 26 f.; Esser, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 19, Rn. 33 ff.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 6.  EL 8/2008, III A 3.12 (RBInf), Rn. 1; Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der EU, 2007, S. 42 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 41. 135 Richtlinie (EU) 2015/413 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte (ABl. L 68/9); Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität (ABl. L 119/132). Zu letzterer etwa Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 43. 136 Vgl. – im Kontext der insoweit vergleichbaren Regelung zum Informationsaustausch in Kindschaftsverfahren in Art. 55 lit. a EuEheVO – Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, KOM(2014) 225 final, S. 5.

III. Fünfter Baustein. Supranationale Informationsverwaltung

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lichen Ermittlungs- und polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahren in den Mitgliedstaaten137 – allgemein ein ernüchterndes Fazit. Vier Jahre nach seinem Inkrafttreten hatte rund ein Drittel der Mitgliedstaaten  – darunter Deutschland  – den Rahmenbeschluss noch nicht umgesetzt, und insoweit hauptsächlich auf politisch umkämpfte und langwierige innerstaatliche Gesetzgebungsverfahren verwiesen.138 Abgesehen von Schweden und Slowenien gaben alle Mitgliedstaaten an, die In­ strumente des Rahmenbeschlusses nicht auf regelmäßiger Basis zu nutzen;139 stattdessen scheint sich ein gewisser Wildwuchs von Kanälen des Informationsaustauschs zwischen den Strafverfolgungsbehörden zu entwickeln, zu denen etwa der SIRENE-Kanal des Schengener Informationssystems, die Informationskanäle im Rahmen von Europol und Interpol, Verbindungsrichter, sowie alte Rechtshilfeverträge auf europäischer oder bilateraler Ebene gehören.140 Selbst bei eilbedürftigen Informationsanfragen spielte der Rahmenbeschluss demnach keine nennenswerte Rolle,141 ebenso wenig die Nutzung der als zu umständlich und komplex empfun 137

Europäische Kommission, Mitteilung […]: Stärkung der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden in der EU: Das Europäische Modell für den Informationsaustausch, COM(2012) 735 final, S. 3. 138 European Commission, Commission Staff Working Paper: Operation of the Council Framework Decision 2006/960/JHA of 18 December 2006 („Swedish Initiative“), SEC(2011) 593 final, S. 5. Überhaupt keine Umsetzung des Rahmenbeschlusses war demnach insbesondere in einigen der größeren Mitgliedstaaten erfolgt, etwa in Deutschland, Frankreich, Italien und Polen, ebensowenig aber in Österreich, Belgien, Estland, Griechenland und Luxemburg; s. ebd., S. 5. 139 Laut den Daten der Kommission – die sich allerdings ausdrücklich auf Informationsersuchen beschränken, die über Europols sogenannte „Secure Information Exchange Network Application“ übermittelt wurden, und insoweit kein abschließendes Bild vermitteln – belief sich die Zahl von Informationsersuchen auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses zur schwedischen Initiative für den gesamten Zeitraum von 2009 bis 2011 auf gerade einmal 111 Ersuchen, von denen sogar lediglich 4 auf das Jahr 2011 entfielen; lediglich Frankreich (33 Ersuchen), Deutschland (26) und Großbritannien (10) kommen hier auf zweistellige Zahlen, für alle anderen Mitgliedstaaten liegt die Anzahl der Ersuchen für den gesamten dreijährigen Zeitraum im einstelligen Bereich. S. im Einzelnen European Commission, Commission Staff Working Paper: Operation of the Council Framework Decision 2006/960/JHA of 18 December 2006 („Swedish Initiative“), SEC(2011) 593 final, S. 6 f. 140 European Commission, Commission Staff Working Paper: Operation of the Council Frame­work Decision 2006/960/JHA of 18 December 2006 („Swedish Initiative“), SEC(2011) 593 final, S. 8 f. Die Auswahl des am besten geeigneten Kommunikationskanals erfolgte dabei meist weniger anhand klar vorgegebener Kriterien, sondern ad hoc anhand des Gegenstands des Ersuchens, des ersuchten Mitgliedstaats, der Dringlichkeit sowie etwaiger Geheimhaltungsbedürfnisse; die Antwort auf Informationsersuchen wurde demnach in aller Regel auf demselben Wege übermittelt, auf dem auch das Ersuchen eingegangen war, ebd., S. 8 f. 141 Zwar bestehen nach den Erkenntnissen der Kommission in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich Vorschriften, die in eilbedürftigen Fällen die Übermittlung von Informationen innerhalb der Acht-Stunden-Frist ermöglichen; in der Praxis hatten jedoch nur 11 % der Mitgliedstaaten in größerem Umfang entsprechende Eilersuchen an andere Mitgliedstaaten gerichtet, 57 % in geringfügigem Umfang, und 32 % überhaupt nicht (wobei aber immerhin im Fall von Eilersuchen in 88 % der Fälle tatsächlich in der Regel die Fristvorgaben des Rahmenbeschlusses eingehalten werden konnten), vgl. European Commission, Commission Staff Working Paper: Operation of the Council Framework Decision 2006/960/JHA of 18 December 2006 („Swedish Initiative“), SEC(2011) 593 final, S. 9.

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§ 3 Europäisches Gerichtswissen

denen Formulare.142 Der Rat verwies vor diesem Hintergrund zunächst lediglich auf die faktisch möglicherweise deutlich weiterreichende Nutzung der Standards des Rahmenbeschlusses, dessen wesentliche Regelungen in anderer Form bereits zuvor oft im Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten vorhanden gewesen seien;143 die Kommission formulierte demgegenüber immerhin teils recht differenzierte Vorschläge zur besseren Nutzung der vorhandenen Vorschriften, etwa die Straffung und bessere Verwaltung der Kommunikationskanäle, die stärkere Einbeziehung bereits erprobter lokaler und regionaler Kooperationsformate, und die Verbesserung der technischen, semantischen, organisatorischen und rechtlichen Interoperabilität der nationalen Systeme.144 Seither scheint die Entwicklung aber, abgesehen von punktuellen Ansätzen wie einem insbesondere von der Kommission vorangetriebenen erneuerten Europäischen Rahmen für die rechtliche und technische Interoperabilität der vorhandenen Informationssysteme145 und einer Vielzahl begleitender, eher punktueller Reforminitiativen des Rates,146 weitgehend zu stagnieren.

142

European Commission, Commission Staff Working Paper: Operation of the Council Frame­ work Decision 2006/960/JHA of 18 December 2006 („Swedish Initiative“), SEC(2011) 593 final, S. 9 f. Lediglich fünf Mitgliedstaaten gaben demnach an, die vom Rahmenbeschluss vorgegebenen Formulare überhaupt zu nutzen; ansonsten schien die Praxis stattdessen schlicht auf formlose Beschreibungen des Inhalts des Ersuchens zurückzugreifen. Im Übrigen beschränkte sich selbst in den Mitgliedstaaten, in denen (wie etwa Großbritannien) die Formulare grundsätzlich zum Einsatz kamen, diese Praxis oft auf bestimmte Behörden aus dem Bereich der komplexeren Wirtschaftskriminalität, s. ebd., S. 9 f. 143 Rat der Europäischen Union, Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union („schwedischer Rahmenbeschluss“) – Überprüfung nach Artikel 11 Absatz 2, inwieweit die Mitgliedstaaten dem Rahmenbeschluss nachgekommen sind / Bericht, EuCO 15278/11, S. 5 f. 144 Europäische Kommission, Mitteilung […]: Stärkung der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden in der EU: Das Europäische Modell für den Informationsaustausch, COM(2012) 735 final, S. 9 ff. 145 S. Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Rates zum weiteren Vorgehen zur Verbesserung des Informationsaustauschs und zur Sicherstellung der Interoperabilität der EU-Informationssysteme – Schlussfolgerungen (8. Juni 2017), EuCO 10151/17, sowie die Verordnungsvorschläge Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration), COM(2017) 794 final. 146 S. zuletzt Rat der Europäischen Union, Leitfaden für den Austausch von strafverfolgungsrelevanten Informationen, EuCO 6261/17, S. 1 ff., 5 ff.; zuvor bereits Rat der Europäischen Union, Entwurf von Leitlinien für eine einzige Anlaufstelle (Single Point of Contact – SPOC) für den internationalen Austausch von strafverfolgungsrelevanten Informationen, EuCO 10492/14.

§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen I. Sechster Baustein. Supranationale Entscheidungen in Zivilsachen 1. Unionsweite Entscheidungsvoraussetzungen (Zuständigkeits- und Maßstabsfunktion) Für die Zusammenarbeit bei gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen hat der Unionsgesetzgeber bisher ein Regelungskonzept entwickelt, das sich bereits weitgehend als „föderales Einheitsurteil“ zusammenfassen lässt: Die Zuständigkeits- und Maßstabsfunktion der Vorschriften der EuGVVO und der Rom-Verordnungen zum internationalen Privatrecht sind fast ausschließlich an Gemeinwohlzielen und Regelungsinteressen des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ orientiert, und nehmen insbesondere unionsrechtliche Regelungskonzepte wie die allgemeine Personenfreizügigkeit der Unionsbürgerschaft sowie die Grundfreiheiten des Binnenmarkts auf; der Rückgriff auf einzelstaatliche Regelungsinteressen ist dabei in aller Regel ausgeschlossen. Im Einzelnen lassen sich zwei Regelungskomplexe ausmachen: Die verfahrensrechtliche Zuständigkeit bestimmt sich in sachlicher Hinsicht ausschließlich anhand des unionsrechtsautonomen Begriffs der „Zivil- und Handelssache“, und ausdrücklich ohne Rücksicht auf etwaige spezifische organisationsrechtliche Abgrenzungen der Rechtswege und Streitgegenstände nach dem nationalen Prozessrecht und ausnahmslos anhand der unionsrechtsautonomen Begriffsbildung der Verordnung. Zentrale Trennlinien bilden dabei die Abgrenzung gegenüber öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten insbesondere in Steuer- und Zollsachen, staatshaftungsrechtlichen Streitigkeiten und verwaltungsgerichtlichen Verfahren einerseits, sowie andererseits gegenüber einem bewusst engen Kreis spezifischer Zivilverfahren, deren Regelungsgegenstand entweder in den Anwendungsbereich der erb- und familienrechtlichen Zusammenarbeit fällt, oder wegen besonderer Charakteristika der betroffenen Verfahren durch einzelstaatliche sowie zunehmend auch durch separate unionsrechtliche Vorschriften geregelt wird.1 Die örtliche Zuständigkeit der Zivilgerichte im europäischen Justizraum bestimmt sich sodann anhand eines unionsweit einheitlichen, durchgehend an supranationalen Zuständigkeitsinteressen orientierten Katalogs 1 Art. 1 Abs. 1 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Ausführlich E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 1 Brüssel Ia, Rn. 6 ff. bzw. 45 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff. bzw. 7 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff. bzw. 40 ff.; Rogerson, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 1 Brussels Ibis, Rn. 1 ff. bzw. 28 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuGVVO, Rn. 3 ff., 13 ff.

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

mit Gerichtsständen der internationalen (und teilweise auch unmittelbar örtlichen) Zuständigkeit, der die Gerichtsstände der nationalen Prozessordnungen umfassend verdrängt.2 Ordnungsbildend lassen sich hier leicht vereinfachend vier materielle Zuständigkeitsanknüpfungen ausmachen: Die flexibelste Zuständigkeit folgt aus der gemeinsamen Bestimmung des zuständigen Gerichts in Form einer Gerichtsstandvereinbarung oder einer rügelosen Einlassung im Verfahren; die EuGVVO sieht für beide Konstellationen lediglich punktuelle Formvorschriften und Aufklärungspflichten der Gerichte vor.3 Für den allgemeinen Gerichtsstand knüpft die Verordnung an den Wohnsitz des Beklagten – der allerdings bei natürlichen Personen nach einzelstaatlichem Verfahrensrecht, bei juristischen Personen hingegen nach einem unionsrechtsautonomen Begriff bestimmt wird –,4 und für diverse besondere, teils ergänzende, teils ausschließliche Gerichtsstände an die Sachnähe des Gerichts zum betreffenden Verfahrensgegenstand an. Beispiele für letztere Zuständigkeiten bilden vor allem vertragsrechtliche, deliktische, oder mit einem anderen bereits

2

Vgl. Art. 4 bis 35 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Für Zusammenfassungen der EuGVVO-Zuständigkeitsordnung und ihrer Grundgedanken sowie zu ihrem Verhältnis zu den Zuständigkeitsvorschriften der Mitgliedstaaten s. etwa Paulus, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Vor Art.  4 Brüssel Ia, Rn.  2 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 4 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Vorbem zu Art. 4 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Vlas, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 4 Brussels Ibis, Rn. 1 f.; Adolphsen, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2015, S. 82 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Vor Art. 4–35 EuGVVO, Rn. 1 ff. 3 Vgl. Art. 25 und 26 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Im Detail zur Zulässigkeit und den verfahrensrechtlichen Wirkungen von Gerichtsstandsabreden einerseits, und den funktional äquivalenten Voraussetzungen und Folgen der rügelosen Zuständigkeitsbegründung vor den Gerichten eines eigentlich unzuständigen Mitgliedstaats andererseits s. etwa E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 25 Brüssel Ia, Rn. 12 ff., bzw. Art. 26 Brüssel Ia, Rn. 4 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 ff., bzw. Art. 26 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff., bzw. Staudinger, in: ebd., Art. 26 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Magnus, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 25 Brussels Ibis, Rn. 17 ff., bzw. Calvo Caravaca / Carrascosa González, in: ebd., Art. 26, Rn. 7 ff.; Schlosser / ​Hess, EuZPR, Art. 25 EuGVVO, Rn. 2 ff., bzw. Art. 26 EuGVVO, Rn. 2 f.; ausführliche Analyse zudem bei Abendroth, Parteiautonome Zuständigkeitsbegründung im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 71 ff. 4 Vgl. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); Paulus, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art.  4 Brüssel Ia, Rn.  1 ff.; Gottwald, in: Krüger / Rauscher (Hrsg.), MK-ZPO, Bd. 3, 5. Aufl. 2017, Art. 4 Brüssel Ia-VO, Rn. 16 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 4 Brüssel Ia-VO, Rn. 5 ff.; Vlas, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 4 Brussels Ibis, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 4 EuGVVO, Rn. 1 f. Zur konkreten Bestimmung des Wohnsitzgerichtsstands – bei natürlichen Personen haben die Gerichte der Mitgliedstaaten insoweit ihr eigenes Recht anzuwenden (Art. 62 Abs. 1), bei juristischen Personen ist der Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung entscheidend (Art. 63 Abs. 1) – s. im Detail E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 62 Brüssel Ia, Rn. 1 ff., bzw. Art. 63 Brüssel Ia, Rn. 1 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 62 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 63 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Staudinger, in: Rauscher Bd. 1, Art. 62 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 63 Brüssel  Ia-VO, Rn. 1 ff.; Vlas, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 62 Brussels Ibis, Rn. 1 ff., bzw. Art. 63 Brussels Ibis, Rn. 1 f.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 62 EuGVVO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 63 ­EuGVVO, Rn.  1.

I. Sechster Baustein. Supranationale Entscheidungen in Zivilsachen 

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laufenden Verfahren eng verbundene Streitigkeiten.5 Als vierte Anknüpfung finden sich schließlich gesonderte Zuständigkeitsregeln für bestimmte binnenmarktnahe Konstellationen, insbesondere Versicherungs-, Individualarbeits- und Verbraucherverträge.6 Ergänzend enthält die EuGVVO ein stark formalisiertes Regelungsmodell zur Behandlung positiver Kompetenzkonflikte; wesentliche Bauformen sind hier die Koordinierung rechtshängiger Parallelverfahren, die der Sache nach durch ein schlichtes Prioritätsprinzip geregelt wird,7 sowie die freiwillige, etwas offener geregelte Koordinierung der Gerichte bei gleichzeitigen Verfahren in mehreren Mitgliedstaaten, bei denen wegen der engen Verbindung der beiden Streitgegenstände eine einheitliche Entscheidung geboten erscheint.8 Der Koordinierung der 5 S. stellvertretend für die zahlreichen anderen Zuständigkeitsanknüpfungen der EuGVVO (Überblick bei Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 263 f.) im Einzelnen zu den zentralen Gerichtsständen des vertraglichen Erfüllungsorts (Art. 7 Nr. 1), der deliktischen Schädigung (Art. 7 Nr. 2), und der Belegenheit der streitgegenständlichen Immobilie (Art. 24 Nr. 1) Paulus, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 7 Brüssel Ia, Rn. 1 ff., 137 ff., bzw. Art. 24 Brüssel Ia, Rn. 14 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff. bzw. 45 ff., bzw. Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 7 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 7 ff., 102 ff., bzw. Mankowski, in: ebd., Art. 24 Brüssel Ia-VO, Rn. 11 ff.; Mankowski, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 7 Brussels Ibis, Rn. 36 ff. bzw. 226 ff., bzw. de Lima Pinheiro, in: ebd., Art. 24 Brussels Ibis, Rn. 16 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 7 EuGVVO, Rn. 1a ff., 12 ff., bzw. Art. 24 EuGVVO, Rn. 2 ff.; ausführlich ferner bereits zur (insoweit unveränderten) Vorgängervorschrift Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO), 2008, S. 79 ff. 6 Namentlich bestehen besondere Klägergerichtsstände zugunsten strukturell unterlegener Parteien im Mitgliedstaat des Wohnsitzes von Versicherungsnehmern (Art. 11 Abs. 1 lit. b) und Verbrauchern (Art. 18 Abs. 1) sowie am gewöhnlichen Arbeitsort von Arbeitnehmern (Art. 21 Abs. 1); ausführlich Paulus, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 11 Brüssel Ia, Rn. 7 ff., bzw. Art. 18 Brüssel Ia, Rn. 10 f., bzw. Art. 21 Brüssel Ia, Rn. 18 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 3, bzw. Art. 18 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 21 Brüssel Ia-VO, Rn. 6; Staudinger, in: Rauscher Bd. 1, Art. 11 Brüssel Ia-VO, Rn. 3 ff., bzw. Art. 18 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 ff., bzw. Mankowski, in: ebd., Art. 21 Brüssel Ia-VO, Rn. 8 ff.; Heiss, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 11 Brussels Ibis, Rn. 4 ff., bzw. Mankowski / Nielsen, in: ebd., Art. 18 Brussels Ibis, Rn. 4 ff., bzw. Esplugues Mota / Palao Moreno, in: ebd., Art. 21 Brussels Ibis, Rn. 11 ff. 7 Vgl. Art. 29 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Näher, insbesondere auch zum Zweck der Rechtshängigkeitsvorschriften, parallele Verfahren zur Vermeidung kollidierender späterer Urteile möglichst bereits in einem frühen Verfahrensstadium zu vermeiden, und zum autonomen Streitgegenstandsbegriff des Unionsrechts und der insoweit zentralen sogenannten „Kernpunkttheorie“, E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art.  29 Brüssel Ia, Rn. 4 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 29 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 bzw. Rn. 2 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 29 Brüssel Ia-VO, Rn. 4 ff.; Fentiman, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 29 Brussels Ibis, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 2 ff.; außerdem Schmehl, Parallelverfahren und Justizgewährung, 2011, S. 93 ff. 8 Vgl. Art. 30 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). In dieser Konstellation kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren zunächst aussetzen, und sich auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn das zuerst befasste Gericht ebenfalls für das andere Verfahren zuständig wäre und beide Verfahren nach seinem nationalen Verfahrensrecht verbinden könnte (Art. 30 Abs. 1 und 2 EuGVVO), ohne dass dabei allerdings die Möglichkeit einer unmittelbaren Verweisung des zweiten Verfahrens an das Gericht des ersten Verfahrens vorgesehen ist. Ausführlich, auch zu den unionsrechtlichen Anforderungen an die Konnexität beider Verfahren, E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 30 Brüssel Ia, Rn. 8 ff.;

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

materiell-rechtlichen Maßstäbe in grenzüberschreitenden Zivilverfahren liegen schließlich ebenfalls eigenständige europäische Anknüpfungsgesichtspunkte zugrunde, wobei das seit dem Jahr 2007 außerhalb der EuGVVO entwickelte europäische Kollisionsrecht für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse mit einem tendenziell nochmals stärker flexibilisierenden Zugriff regelmäßig auf die Rechtswahlfreiheit sowie, mit zahlreichen zusätzlichen Kollisionsnormen für bestimmte unionsrechtsautonom auszulegende Schuldverhältnisse, den gewöhnlichen Aufenthalt statt auf den Wohnsitz abhebt.9

2. Unionsweite Entscheidungswirkungen (Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzfunktion) Die unionsweiten Wirkungen zivilrechtlicher Entscheidungen haben mit der EuGVVO-Novelle des Jahres 2012 eine strukturelle Weiterentwicklung erfahren und sich in weiten Teilen an ein Modell der einheitlichen Entscheidungsgeltung wie im föderalen Bundesstaat angenähert. Das Kernstück der Reform war insoweit die Abschaffung des allerdings bereits zuvor stark formalisierten Verfahrens zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen (sogenanntes Exequatur): Aus ordnungsbildender Sicht lässt sich seither von einer unionsweit einheitlichen Gerichtsentscheidung mit unmittelbarer Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzfunktion in sämtlichen Mitgliedstaaten sprechen. Wesentliche Elemente bilden dabei der Grundsatz der unmittelbaren Vollstreckbarkeit in allen Mitgliedstaaten ohne jegliche administrative oder gerichtliche Zwischenverfahren,10 die formelle Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 30 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 30 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Fentiman, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 30 Brussels Ibis, Rn. 5 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 30 EuGVVO, Rn. 1 ff. 9 In der Regel sehen diese Kollisionsvorschriften zahlreiche unterschiedliche, primär am gewöhnlichen Aufenthalt der Verfahrensbeteiligten ausgerichtete Anknüpfungspunkte zur Bestimmung des (nicht notwendigerweise Mitglied-) Staats vor, dessen materielles Recht anzuwenden ist. Für vertragliche Schuldverhältnisse gilt insoweit die sogenannte Rom I-Verordnung (VO [EG] 593/2008 [ABl. L 177, S. 6]); zusammenfassende Darstellung etwa bei Magnus, in: Magnus / Mankowski Bd. 2, Introduction, Rn. 1 ff.; von Hein, in: Rauscher Bd. 3, Einl. Rom I-VO, Rn. 1 ff. Das Pendant für nicht-vertragliche Schuldverhältnisse bildet die sogenannte Rom II-Verordnung (VO [EG] 864/2007 [ABl. L 199, S. 40]); zusammenfassend Mankowski, in: Magnus / Mankowski Bd. 3, Introduction, Rn. 1 ff.; Unberath / Cziupka, in: Rauscher Bd. 3, Einl. Rom II-VO, Rn. 1 ff. 10 Vgl. Art. 36 Abs. 1, 39 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Zu den Anerkennungswirkungen  – sie treten gleichsam automatisch mit der Entscheidung selbst in allen anderen Mitgliedstaaten zugleich ein (vgl. Art. 36 Abs. 1 EuGVVO) – s. zunächst E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 36 Brüssel Ia, Rn. 5 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 36 Brüssel Ia-VO, Rn. 9 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 36 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 ff.; Wautelet, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 36 Brussels Ibis, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 36 EuGVVO, Rn. 2 ff. Insbesondere zur Vollstreckbarkeitswirkung in allen Mitgliedstaaten, die infolge der Abschaffung des Exequaturverfahrens gleichzeitig mit der Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Urteilsmitgliedstaat eintritt, s. anschließend E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / ​

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vollstreckungsrechtliche Gleichstellung von ausländischen und inländischen Entscheidungen,11 sowie das Gebot zur materiell möglichst präzisen Vollstreckung des ausländischen Entscheidungsinhalts im Sinne eines Herkunftslandprinzips einschließlich weitreichender verfahrensrechtlicher Anpassungspflichten des Vollstreckungsmitgliedstaats.12 Für den Rechtsschutz gegen unionsweite Zivilurteile errichtet die Verordnung ein strikt abgegrenztes duales Kontrollmodell: Für Einwände gegen den Inhalt der Entscheidung bleibt ausschließlich der Urteilsmitgliedstaat zuständig, und ist jegliche sachliche Überprüfung der Entscheidung durch die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats ausgeschlossen;13 ansonsten richtet sich der Rechtsschutz gegen die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften des konkreten Vollstreckungsmitgliedstaats, sofern diese im Rahmen der unionsrechtlichen Prinzipien von Effektivität und Äquivalenz mit den Anerkennungs- und Vollstreckungsregelungen der Verordnung vereinbar sind.14 Ergänzend schafft die EuGVVO einen originär unionsrechtlichen Vollstreckungsrechtsbehelf, der aller­ dings in allen Vollstreckungsmitgliedstaaten separat eingelegt werden muss;15 Peiffer / Peiffer, Art. 39 Brüssel Ia, Rn. 1 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 39 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 39 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 39 Brussels Ibis, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 39 EuGVVO, Rn. 1 ff. 11 Vgl. Art. 41 Abs. 1 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); E.  Peiffer / ​ M.  Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 41 Brüssel Ia, Rn. 5 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 41 Brüssel Ia-VO, Rn. 1; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 41 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 41 Brussels Ibis, Rn. 4 f.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 41, Rn. 2 f. 12 Vgl. Art. 54 Abs. 1 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Ausführlich hierzu, auch mit Blick auf die Grenzen der Anpassung (Art. 54 Abs. 1 UA 2) und den Rechtsschutz der von der Anpassung nachteilig betroffenen Partei (Art. 54 Abs. 2), Wiedemann, Vollstreckbarkeit. Entwicklung, Wirkungserstreckung und Qualifikation im System Brüssel 1a, 2017, S. 271 ff.; E.  Peiffer / M.  Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 54 Brüssel Ia, Rn. 7 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 54 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 54 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Kramer, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 54 Brussels Ibis, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 54 EuGVVO, Rn. 1 f. 13 Vgl. Art. 52 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art.  52 Brüssel Ia, Rn.  1 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 52 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 f.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 52 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Mankowski, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 52 Brussels Ibis, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 52, Rn. 1 f. 14 Vgl. Art. 41 Abs. 2 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); E.  Peiffer / ​ M.  Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 41 Brüssel Ia, Rn. 11 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 42 Brüssel Ia-VO, Rn. 6 f.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 41 Brüssel Ia-VO, Rn. 13 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 41 Brussels Ibis, Rn. 6 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 41 EuGVVO, Rn. 4 ff. 15 Vgl. Art. 45 bis 51 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Im Detail sind hier viele Regelungen enthalten, die bereits vor der EuGVVO-Reform Teil des Exequaturverfahrens waren: S. insbesondere zum durch die Verordnung garantierten zweitinstanzlichen Rechtsschutz im Vollstreckungsmitgliedstaat E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 49 Brüssel Ia, Rn. 2 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 49 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 49 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

den Maßstab bilden dabei offensichtliche Verstöße gegen den ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats, die effektive Zustellung und Verteidigungsmöglichkeit gegen die Klage im Ausgangsverfahren, unter Umständen die Kollision mit anderweitigen Urteilen über denselben Streitgegenstand, sowie die Missachtung ausschließlicher oder einiger privilegierter Gerichtsstände.16 Verfahrensrechtlich wird auch hier auf das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats verwiesen;17 eigene Vorgaben macht die Verordnung lediglich in sehr loser Form für die unionsweite Rechtsschutzkoordinierung durch meist fakultative Aussetzungspflichten oder Vollstreckungsbeschränkungen.18 Bd. 1, Art. 49 Brussels Ibis, Rn. 1 ff. Außerdem zur Koordinierung mit etwaigen Rechtsbehelfen des Vollstreckungsgegners im Urteilsmitgliedstaat – die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaats können in diesem Fall das Rechtsbehelfsverfahren aussetzen, wenn bereits um Rechtsschutz im Urteilsmitgliedstaat nachgesucht wird, und dem Betroffenen anderenfalls sogar eine Frist setzen, innerhalb derer er noch offenstehende Rechtsschutzmöglichkeiten im Urteilsmitgliedstaat auszuschöpfen hat (Art. 51 Abs. 1) – E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 51 Brüssel Ia, Rn. 5 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 51 Brüssel Ia-VO, Rn. 2 f.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 51 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 51 Brussels Ibis, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 51 EuGVVO, Rn. 1 ff. 16 Vgl. Art. 45 Abs. 1 bis 3 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). S. im Einzelnen zu den Versagungsgründen – namentlich Verstöße gegen den ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats (Art. 45 Abs. 1 lit. a), fehlendes rechtliches Gehör bei der Verfahrenseinleitung wegen mangelhafter Zustellung der Klage (Art. 45 Abs. 1 lit. b), Unvereinbarkeit der Entscheidung mit anderen bereits vorliegenden Entscheidungen über denselben Streitgegenstand, die im Vollstreckungsmitgliedstaat selbst (Art. 45 Abs. 1 lit. c) oder bereits zuvor in einem anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat ergangen und darüber hinaus anerkennungsfähig sind (Art. 45 Abs. 1 lit. d) – Hardung, Die europäische Titelfreizügigkeit, 2020, S. 102 ff.; E. Peiffer / ​ M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 45 Brüssel Ia, Rn. 13 ff., 52 ff., 105 ff., 118 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 12 ff., 19 ff., 45 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 5 ff., 33 ff., 61 ff., 67 ff.; Francq, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 45 Brussels Ibis, Rn. 14 ff., 36 ff., 60 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 45 EuGVVO, Rn. 2 ff., 16 ff., 29 ff., 36. Ferner sieht Art. 45 Abs. 1 lit. e), Abs. 2 einen differenzierten Ablehnungsgrund vor, demzufolge zwar unter Verstoß gegen die besonderen Gerichtsstände für Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträge sowie die ausschließlichen Gerichtsstände der Verordnung ergangene Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten nicht anerkannt zu werden brauchen, die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaats bei der diesbezüglichen Prüfung jedoch an die Tatsachenfeststellungen gebunden bleiben, auf die das Gericht des Entscheidungsmitgliedstaats seine Zuständigkeit gestützt hat; ausführlich E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 45 Brüssel Ia, Rn. 122 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 5 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 70 ff.; Francq, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 45 Brussels Ibis, Rn. 78 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 45 EuGVVO, Rn. 37 ff. 17 Vgl. Art. 47 Abs. 2 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]); E.  Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 47 Brüssel Ia, Rn. 6 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 47 Brüssel Ia-VO, Rn. 1; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 47 Brüssel Ia-VO, Rn. 8 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 47 Brussels Ibis, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 47 EuGVVO, Rn. 1. 18 Vgl. Art. 44 EuGVVO (VO [EU] Nr. 1215/2012 [ABl. L 351, S. 1]). Die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaats können demnach fakultativ die Beschränkung oder Aussetzung der Vollstreckung oder die Leistung einer Sicherheit anordnen, wenn im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist (Art. 44 Abs. 1); wenn die Vollstreckbarkeit der Entscheidung auch im Urteilsmitgliedstaat aus irgendeinem Grund ausgesetzt ist, muss das

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3. Künftige Arbeitsfelder supranationaler Entscheidungen in Zivilsachen In der Konsolidierungsphase der nächsten Jahre wird der Unionsgesetzgeber auch dem bestehenden Regime unionsweiter zivilrechtlicher Entscheidungen allenfalls in kleinerem Umfang weiterhin seine Aufmerksamkeit schenken müssen. Eher am Rande lässt die bisherige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten – nicht zuletzt dank der jahrzehntelangen Erfahrung mit dem EuGVÜ19  – hier überhaupt noch rechtspolitischen Handlungsbedarf erkennen.20 Vielfach haben sich die relevanten Fragen hier bereits in rechtliche Details und dogmatische Einzelfragen verlagert, die insbesondere in zahlreichen Vorabentscheidungen des EuGH zum EuGVÜ soVollstreckungsverfahren hingegen zwingend ausgesetzt werden (Art. 44 Abs. 2). Vgl. ausführlich E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 44 Brüssel Ia, Rn. 6 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 44 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 44 Brüssel IaVO, Rn. 1 ff.; Cuniberti / Rueda, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 44 Brussels Ibis, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 44 EuGVVO, Rn. 3 ff. 19 S. nur Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 34; E. Peiffer / M. Peiffer, in: Paulus / Peiffer / Peiffer, Art. 1 Brüssel Ia, Rn. 6 ff. bzw. 45 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff. bzw. 7 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 1 ff. bzw. 40 ff.; Rogerson, in: Magnus / Mankowski Bd. 1, Art. 1 Brussels Ibis, Rn. 1 ff. bzw. 28 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuGVVO, Rn. 3 ff., 13 ff. 20 Grundsätzlich besteht seit langem Konsens über die zufriedenstellende Funktionsweise der unionsrechtlichen Vorschriften, der durch eine breit angelegte Evaluation im Vorfeld der EuGVVO-Reform von 2012 nochmals ausdrücklich bestätigt worden ist; vgl. die von der Kommission beauftragte, auf der Befragung von rund 1 000 Rechtsanwendern in allen Mitgliedstaaten beruhende Studie von Hess / Pfeiffer / Schlosser, Study JLS / C4/2005/03, Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States, 2007, die allgemein zur EuGVVO a. F. resümiert: „They clearly expressed the opinion that this Community instrument is performing well; it was even lauded as a masterpiece of community legislation. […] The overwhelming majority appreciated the current state of affairs as being satisfactory“, vgl. ebd., S. 1. Im Detail reichte das jährliche Fallaufkommen im Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregelungen der EuGVVO a. F. ausweislich der – soweit ersichtlich – letzten systematischen Erhebung auf Unionsebene, freilich auf der Grundlage bereits sehr alter Zahlen (Berichtszeitraum 2003 bis 2005), vom zweistelligen Bereich (etwa in Ungarn [rund 70 Entscheidungen], Großbritannien [geschätzt weniger als 50 Entscheidungen], Griechenland [rund 30 veröffentlichte Entscheidungen] oder Irland, Finnland, Estland und Slowenien [jeweils ca. 20 Entscheidungen]) über niedrige vierstellige Fallzahlen (Polen [2 500 Entscheidungen alleine im ersten Jahr nach dem EU-Beitritt]) bis zu fast 13 000 (Österreich, wo damit 1,5 % aller nationalen Zivilverfahren betroffen sind), und über 1 000 Entscheidungen allein an einigen grenznahen süddeutschen Landgerichten; s. ebd., S. 16 ff. Verfahren über Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen waren dabei etwas zahlreicher; hier reicht das  – wiederum nur sehr bedingt aussagekräftige  – Spektrum wiederum vom zweistelligen Bereich (etwa Portugal mit lediglich 10 Entscheidungen, Griechenland und Ungarn mit jeweils etwa 30 Entscheidungen, und Irland mit etwa 50 Entscheidungen), über den niedrigen (Italien, Frankreich und Großbritannien mit jeweils etwa 100 Entscheidungen) und mittleren bis oberen dreistelligen Bereich (Deutschland, wo wiederum allein die Landgerichte Traunstein und München I sowie Frankfurt mit 300 bzw. 173 und etwa 50 Verfahren zu Buche schlagen, Luxemburg mit gut 400 Entscheidungen, und Polen mit zwischen 450 und 900 Entscheidungen), vgl. ebd. S. 20 f.

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wie zur EuGVVO a. F. und n. F. mittlerweile enorm ausdifferenziert sind. Im Einzelnen entwickelt der Gerichtshof dabei hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit für „Zivil- und Handelssachen“ seit dem Jahr 2007, und bemerkenswerterweise nochmals verstärkt in den letzten Jahren seit etwa 2013, eine recht liberale Rechtsprechung, die einen Großteil der fraglichen einzelstaatlichen Verfahren mit öffentlich-rechtlichen Bezügen letztlich dem Begriff der „Zivil- und Handelssache“ zuschlägt.21 Für den Vertrags- und Deliktsgerichtsstand stellt sich die Rechtsprechung, die seit den Anfängen des EuGVÜ ungebrochen den Arbeitsschwerpunkt des EuGH gebildet hat, nochmals großzügiger dar; fast ausnahmslos bejaht der Gerichtshof bei entsprechenden Vorabentscheidungsersuchen eine Zuständigkeit nach der ­EuGVVO.22 Etwas differenzierter nimmt sich wegen der für die Verfahrensbetei 21

So hat der Gerichtshof ungeachtet einer etwaigen öffentlich-rechtlichen Einordnung nach dem nationalem Recht des vorlegenden Gerichts behördliche Erstattungsansprüche gegenüber Privaten infolge versehentlicher Zahlung einer überhöhten Enteignungsentschädigung (EuGH, Rs. C-645/11 [Sapir u. a.], EU:C:2013:228, Rn. 31 ff.), behördliche Schadensersatzansprüche wegen Mehrwertsteuerbetrugs (EuGH, Rs. C-49/12 [Sunico u. a.], EU:C:2013:545, Rn. 32 ff.), Entgeltansprüche einer kommunalen Gesellschaft für die Nutzung öffentlicher Einrichtungen (EuGH, Rs. C-551/15 [Pula Parking], EU:C:2017:193, Rn. 31 ff.), sowie Schadensersatzansprüche infolge von Verstößen gegen unionsrechtliche Wettbewerbsvorschriften (EuGH, Rs. C-302/13 [flyLAL-Lithuanian Airlines], EU:C:2014:2319, Rn. 24 ff.), und Ansprüche Privater gegen einen Mitgliedstaat im Zusammenhang mit dem Erwerb von dessen Staatsanleihen (EuGH, Rs. C-226/13 [Fahnenbrock u. a.], EU:C:2015:383, Rn. 34 ff.) als „Zivil- und Handelssachen“ qualifiziert, für die im europäischen Justizraum die Zuständigkeits- und Anerkennungsregelungen der EuGVVO anzuwenden sind. Ebenso unterfallen – zumindest im Grundsatz – Streitigkeiten über die Entrichtung von Jahresbeiträgen für die Mitgliedschaft in beruflichen Kammern der EuGVVO, sowie Rückforderungsklagen öffentlich-rechtlicher Körperschaften gegen Arbeitgeber wegen Zuschlägen im Rahmen des Urlaubsentgelts, sofern bei der Beitreibung der Forderung nach dem nationalen Recht keine hoheitlichen Befugnisse oder spezielle Verfahrensregelungen in Anspruch genommen werden, s. EuGH, Rs. C-421/18 (Ordre des avocats du barreau de Dinant), EU:C:2019:1053, Rn. 22 ff. bzw. Rs. C-579/17 (Gradbenistvo Korana), EU:C:2019:162, Rn. 44 ff. Bereits zuvor hatte der Gerichtshof ferner Regressansprüche öffentlicher Stellen im Rahmen der nationalen Sozialhilfevorschriften und die Inanspruchnahme privater Bürgen durch staatliche Stellen auf der Grundlage einer privatrechtlichen Bürgschaft für Zollforderungen als „Zivil- und Handelssachen“ eingeordnet, s. EuGH, Rs. C-271/00 (Baten), EU:C:2002:656, Rn. 28 ff. bzw. Rs. C-266/01 (Préservatrice Foncière TIARD), EU:C:2003:282, Rn. 20 ff.; Ähnliches gilt schließlich für deliktische Forderungen gegenüber dem Lehrpersonal öffentlicher Schulen wegen Aufsichtspflichtverletzungen, s. EuGH, Rs. C-172/91 (Sonntag / ​ Waidmann), EU:C:1993:144, Rn. 14 ff. 22 Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeitsanknüpfungen des Sekundärrechts – nämlich dem vertraglichen Erfüllungsort einerseits, und dem deliktischen Erfolgsort andererseits  – findet sich dabei in der Rechtsprechung ein breites Spektrum detaillierter Differenzierungen, die sich primär nach dem anwendbaren materiellen Recht und dem Gegenstand des Vertrags einerseits, und der Art des deliktischen Anspruchs sowie Schadens andererseits orientieren: Den vertraglichen Erfüllungsort im europäischen Justizraum hat der EuGH auch jenseits der von der EuGVVO legaldefinierten Erfüllungsorte für Kauf- und Dienstverträge (vgl. Art. 7 Nr. 1 lit. b) der Verordnung) für eine Reihe unterschiedlicher Vertragsgegenstände näher konkretisiert, darunter Versendungskaufverträge (EuGH, Rs. C-381/08 [Car Trim], EU:C:2010:90, Rn. 45 ff.; Rs. C-87/10 [Electrosteel Europe], EU:C:2011:375, Rn. 16 ff.), Kreditverträge (EuGH, Rs. C-249/16 [Kareda], EU:C:2017:472, Rn. 40 ff.), Arbeitsverträge (EuGH, Rs. C-37/00 [We-

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ligten potenziell weitreichenden Folgen unionsweiter Zuständigkeitsvereinbarungen im Allgemeinen, und im digitalen Binnenmarkt im Besonderen, die erst im Jahr 2013 einsetzende Entfaltung von Gerichtsstandvereinbarungen aus; hier häufen sich bei einer zunächst ebenfalls noch recht großzügigen Grundlinie zuletzt Entscheidungen, die Wirksamkeit und Reichweite von Prorogationsabreden entweder restriktiv verstehen, oder zumindest an ungeschriebene prozedurale Voraussetzungen binden.23 Gleichsam in zweiter Reihe finden sich sodann einige Mateber], EU:C:2002:122, Rn. 37 ff.; Rs. C-437/00 [Pugliese], EU:C:2003:219, Rn. 15 ff., 28 ff.), Personen- und Güter­beförderungsverträge (EuGH, Rs. C-204/08 [Rehder], EU:C:2009:439, Rn. 30 ff.; Rs. C-274/16 [flightright], EU:C:2018:160, Rn. 67 ff., bzw. Rs. C-88/17 [Zurich Insurance and Metso Minerals], EU:C:2018:558, Rn. 15 ff.), Handelsvertreterverträge (EuGH, Rs. C-19/09 [Wood Floor Solutions Andreas Domberger], EU:C:2010:137, Rn. 31 ff.), örtlich unbeschränkte Unterlassungsansprüche (EuGH, Rs. C-256/00 [Besix], EU:C:2002:99, Rn. 24 ff.), oder – dies auch mit Blick auf die bewusste Umgehung der Formvorschriften der EuGVVO für Gerichtsstandvereinbarungen – individuelle Vereinbarungen über den vertraglichen Erfüllungsort (EuGH, Rs. C-106/95 [MSG / Les Gravières Rhénanes], EU:C:1997:70, Rn. 26 ff.). Der deliktische Erfolgsort innerhalb des europäischen Justizraums hat demgegenüber insbesondere eigenständige Ausprägungen für reine Vermögensschäden (EuGH, Rs. C-168/02 [Kronhofer], EU:C:2004:364, Rn. 12 ff.; Rs. C-12/15 [Universal Music International Holding], EU:C:2016:449, Rn. 22 ff.), sowie für (auch online begangene) Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegenüber natürlichen oder juristischen Personen (EuGH, Rs. C-68/93 [Shevill u. a. / Presse Alliance], EU:C:1995:61, Rn. 17 ff.; Rs. C-509/09 [eDate Advertising], EU:C:2011:685, Rn. 38 ff.; Rs. C-194/16 [Bolagsupplysningen und Ilsjan], EU:C:2017:766, Rn. 23 ff., 47 ff.) erfahren; vielfach hat der Gerichtshof daneben aber bereits auch Überlegungen zur Bestimmung des deliktischen Erfolgsorts in anderen Konstellationen angestellt, namentlich hinsichtlich gesellschaftsrechtlicher deliktischer Pflichtverstöße (EuGH, Rs. C-147/12 [ÖFAB], EU:C:2013:490, Rn. 49 ff.; Rs. C-47/14 [Holterman Ferho Exploitatie u. a.], EU:C:2015:574, Rn. 52 ff., 67 ff.), Produkthaftungsansprüchen (EuGH, Rs. C-45/13 [Kainz], EU:C:2014:7, Rn. 19 ff.), kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche (EuGH, Rs. C-27/17 [flyLAL-Lithuanian Airlines], EU:C:2018:533, Rn. 31 ff., 46 ff.; Rs.  C-352/13 [CDC Hydrogen Peroxide], EU:C:2015:335, Rn. 35 ff.; Rs. C-451/18 [Tibor-Trans], EU:C:2019:635, Rn. 23 ff.), Urheberrechtsverletzungen (EuGH, Rs. C-533/07 [Falco Privatstiftung und Rabitsch], EU:C:2009:257, Rn. 19 ff.; Rs. C-170/12 [Pinckney], EU:C:2013:365, Rn. 23 ff.; Rs. C-387/12 [Hi Hotel HCF], EU:C:2014:215, Rn. 24 ff.; Rs. C-441/13 [Hejduk], EU:C:2015:28, Rn. 16 ff.), Markenrechtsverstößen (EuGH, Rs. C-523/10 [Wintersteiger], EU:C:2012:220, Rn. 18 ff.), Wettbewerbsrechtsverletzungen (EuGH, C-360/12 [Coty Germany], EU:C:2014:1318, Rn. 40 ff.), sowie Prospekthaftungsklagen (EuGH, Rs. C-304/17 [Löber], EU:C:2018:701, Rn. 17 ff.). 23 Namentlich bei Gerichtsstandvereinbarungen im europäischen Justizraum auf dem Gebiet des Handelsrechts lässt der EuGH eine großzügige Linie walten: Demnach soll für einen zuständigkeitsbegründenden Handelsbrauch  – zu dessen Prüfung im Einzelfall die nationalen Gerichte berufen bleiben, die aber ohne Rücksicht auf etwaige weitere Anforderungen nach dem nationalem Recht ein rein unionsrechtsautonomes Begriffsverständnis zugrunde zu legen haben (EuGH, Rs. C-195/97 [Castelletti], EU:C:1999:142, Rn. 13 ff.)  – allgemein bereits genügen, dass eine entsprechende Praxis allgemein und regelmäßig von Kaufleuten im grenzüberschreitenden Handelsverkehr des betreffenden Handelszweigs beachtet wird (EuGH, Rs. C-106/95 [MSG / Les Gravières Rhénanes], EU:C:1997:70, Rn. 13 ff.; Rs. C-195/97 [Castelletti], EU:C:1999:142, Rn. 13 ff.), ohne dass insoweit aber für alle Mitgliedstaaten ein ausdrücklicher Nachweis erforderlich wäre (EuGH, Rs. C-195/97 [Castelletti], EU:C:1999:142, Rn. 13 ff.); die nötige Kenntnis von dem fraglichen Handelsbrauch steht nach dem Gerichtshof ferner dann unumstößlich fest, wenn die Parteien bereits zuvor in dem betreffenden Geschäfts-

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

rien, die bei quantitativ geringerer Bedeutung ebenfalls als weitgehend konsolidierte Felder der Entscheidungsvoraussetzungen von Zivilurteilen im europäischen Justizraum gelten dürfen; hierzu zählen die teilweise bereits recht ausdifferenzierten Gerichtsstände des Sachzusammenhangs24 sowie die Vorschriften zur Koordinierung in mehreren Mitgliedstaaten rechtshängiger Parallelverfahren, bei denen der EuGH regelmäßig die unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften stärkt und Durchbrechungen nach einzelstaatlichem Verfahrensrecht eine Absage erteilt.25 Als bisher bereich tätig waren, s. EuGH, Rs. C-106/95 (MSG / Les Gravières Rhénanes), EU:C:1997:70, Rn. 13 ff. Andererseits hat der EuGH aber auch allgemein klargestellt, dass die Regelungen der EuGVVO ausschließlich eine Zuständigkeitsvereinbarung hinsichtlich der Gerichte der Mitgliedstaaten, und nicht auch hinsichtlich Drittstaaten gestatten, EuGH, Rs. C-387/98 (Coreck Maritime), EU:C:2000:606, Rn. 17 ff. (wobei umgekehrt eine rügelose Einlassung auch entgegen einer Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten eines Drittstaats Wirkung entfalten soll  – s. EuGH, Rs. C-175/15 [Taser International], EU:C:2016:176, Rn. 20 ff.). 24 Die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats für weitere, sonst nicht ihrer Zuständigkeit unterfallende Streitigkeiten im europäischen Justizraum kann demnach auch bei mehreren Beklagten – allerdings nur hinsichtlich derjenigen Beklagten mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat (EuGH, Rs. C-645/11 [Sapir u. a.], EU:C:2013:228, Rn. 52 ff.)  – unabhängig vom Bestehen einer einheitlichen Rechtsgrundlage erhoben werden, und setzt insbesondere auch nicht voraus, dass das Verfahren gegen den Erstbeklagten nach den Vorschriften des fraglichen Mitgliedstaats überhaupt zulässig ist, s. EuGH, Rs. C-98/06 (Freeport), EU:C:2007:595, Rn. 31 ff.; Rs. C-145/10 (Painer), EU:C:2011:798, Rn. 73 ff., bzw. Rs. C-77/04 (Reisch Montage), EU:C:2006:471, Rn. 22 ff. Auch ist im Grundsatz keine gesonderte Prüfung erforderlich, ob die Klage möglicherweise missbräuchlich im Mitgliedstaat eines bereits anhängigen Verfahrens erhoben wird, um den Beklagten zu einem Verfahren in einem anderen als seinem Heimatmitgliedstaat zu zwingen, EuGH, Rs. C-98/06 (Freeport), EU:C:2007:595, Rn. 51 ff. (anders aber der Gerichtshof in der Entscheidung EuGH, Rs. C-77/04 [GIE Réunion européenne], EU:C:2005:327, Rn. 25 ff.; ähnlich auch Rs. C-521/14 [SOVAG], EU:C:2016:41, Rn.27 ff.); wird allerdings unmittelbar nach der Erhebung der zweiten Klage im fraglichen Mitgliedstaat die erste Klage zurückgenommen, die überhaupt erst den Gerichtsstand des Sachzusammenhangs eröffnet hatte, kann das Gericht gehalten sein, sich auch hinsichtlich der zweiten Klage für unzuständig zu erklären, wenn die Parteien des ersten Verfahrens kollusiv zusammengewirkt haben, EuGH, Rs. C-352/13 (CDC Hydrogen Peroxide), EU:C:2015:335, Rn. 16 ff. Auch die Frage, ob tatsächlich die Gefahr besteht, dass bei getrennten Verfahren in mehreren Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen im Justizraum ergehen, bleibt bei alledem weiterhin allein in der Prüfungskompetenz des angerufenen Gerichts, das insoweit alle verfügbaren Anhaltspunkte einzubeziehen hat; s. EuGH, Rs. C-145/10 (Painer), EU:C:2011:798, Rn. 73 ff.; Rs. C-616/10 (Solvay), EU:C:2012:445, Rn. 18 ff.; zumindest ähnlich auch Rs. C-366/19 (Profit Investment SIM), EU:C:2016:282, Rn. 60 ff. 25 Insbesondere hat der Gerichtshof auch für Fälle einer unvertretbar langen Verfahrensdauer im zuerst angerufenen Mitgliedstaat das Vorrangprinzip im europäischen Justizraum betont, und die später angerufenen Gerichte kategorisch verpflichtet, sich für unzuständig zu erklären, EuGH, Rs. C-116/02 (Gasser), EU:C:2003:657, Rn. 70 ff. Ebenso wenig kann ferner ein durch die Gerichte eines Mitglied- oder Drittstaats ausgesprochenes Klageverbot vor den Gerichten eines bestimmten Mitgliedstaats (sogenannte „anti-suit injunction“), oder aber – in der gleichsam umgekehrten Situation – ein freiwilliger Zuständigkeitsverzicht des angerufenen Gerichts nach dem Gedanken des „forum non conveniens“ einen anderen Gerichtsstand des Justizraums sperren, s. EuGH, Rs. C-159/02 (Turner), EU:C:2004:228, Rn. 24 ff.; Rs. C-185/07 (Allianz), EU:C:2009:69, Rn. 20 ff. (allerdings mit Differenzierungen in EuGH, Rs. C-536/13 [Gazprom],

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noch eher abseits liegende Felder, die zuletzt aber immerhin einen Zuwachs an Vorabentscheidungen des EuGH aufweisen, zeichnen sich die binnenmarktspezifischen26 und ausschließlichen Zuständigkeiten,27 sowie die Kollisionsvorschriften der Rom-Verordnungen ab, die insbesondere seit dem Jahr 2015 – und mit einem bereits jetzt erkennbaren integrationsfreundlichen Grundton – in der Judikatur des Gerichtshofs anzukommen beginnen.28 Die Titel-, Vollstreckungs- und RechtsEU:C:2015:316, Rn. 28 ff.) bzw. EuGH, Rs. C-281/02 (Owusu), EU:C:2005:120, Rn. 24 ff. (mit Besprechung bei Bruns, JZ 2005, S. 890 ff.). Lediglich Verletzungen ausschließlicher Gerichtsstände durch das zuerst angerufene Gericht, die ansonsten später zu einer Versagung der Anerkennung des Urteils in den anderen Mitgliedstaaten führen könnten, sind auch im Rahmen eines Zuständigkeitskonflikts vor Erlass des Urteils bereits durch die später angerufenen Gerichte nachzuprüfen, sodass in dieser Konstellation ausnahmsweise Abweichungen vom Prioritätsprinzip im europäischen Justizraum und die Fortsetzung des Verfahrens in den anderen Mitgliedstaaten denkbar sind, s. EuGH, Rs. C-438/12 (Weber), EU:C:2014:212, Rn. 49 ff. 26 So ist etwa für verbraucherrechtliche Klagen (deren im Detail recht schwierige Abgrenzung gegenüber gewerblichen Streitigkeiten letztlich von den nationalen Gerichten unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zu leisten ist: S. EuGH, Rs. C-464/01 [Gruber], EU:C:2005:32, Rn. 29 ff.) ein Klägergerichtsstand des Verbrauchers im europäischen Justizraum gegenüber in den anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen bereits dann gegeben, wenn – wofür der EuGH im Detail zahlreiche, im Einzelfall ebenfalls vom angerufenen Gericht zu prüfende mögliche Kriterien formuliert (und umgekehrt in einer anderen Entscheidung die allgemeine Verfügbarkeit der Webseite in der dortigen Landessprache als einziges Anknüpfungskriterium ausdrücklich ausschließt) – der Internetauftritt des Unternehmens die grundsätzliche Bereitschaft zu Geschäften und Vertragsabschlüssen mit Verbrauchern in dem fraglichen Mitgliedstaat zu erkennen gibt, EuGH, Rs. C-585/08 (Pammer und Hotel Alpenhof), EU:C:2010:740, Rn. 53 ff.; im Übrigen erfordert die Zuständigkeit der dortigen Gerichte jedoch keinen kausalen Zusammenhang des online-Angebots mit dem späteren Vertragsschluss, solange sich zumindest eine enge Verbindung mit dem Vertragsgegenstand feststellen lässt, s. EuGH, Rs. C-218/12 (Emrek), EU:C:2013:666, Rn. 21 ff., bzw. EuGH, Rs. C-297/14 (Hobohm), EU:C:2015:844, Rn. 23 ff. Auch bei der Auslegung der besonderen arbeitsrechtlichen Zuständigkeiten schließlich zeigt sich der EuGH bisher recht großzügig; sofern der Kläger – auch bei herausgehobenen Tätigkeiten – weisungsgebunden und gegen Vergütung (EuGH, Rs. C-47/14 [Holterman Ferho Exploitatie u. a.], EU:C:2015:574, Rn. 34 ff.) und nicht im Rahmen hoheitlicher Befugnisse (EuGH, Rs. C-154/11 [Mahamdia], EU:C:2012:491, Rn. 38 ff.) handelte, ist bisher das besondere Zuständigkeitsregime des europäischen Justizraums für eröffnet erklärt worden. 27 Hier dominiert eine eher restriktive Auslegung durch den EuGH: Nur in recht engen Grenzen  – etwa für Verfahren über nach nationalem Recht mit dinglichen Wirkungen versehene Vorkaufsrechte (EuGH, Rs. C-438/12 [Weber], EU:C:2014:212, Rn. 39 ff.), die Löschung von Grundbucheinträgen (EuGH, Rs. C-417/15 [Schmidt], EU:C:2016:881, Rn. 24 ff.; Rs. C-630/17 [Milivojevic], EU:C:2019:123, Rn. 96 ff.), Streitigkeiten innerhalb der Miteigentümergemeinschaft einer Immobilie (EuGH, Rs. C-605/14 [Komu u. a.], EU:C:2015:833, Rn. 22 ff.), sowie abgetretene mietrechtliche Schadensersatzansprüche (EuGH, Rs. C-8/98 [Dansommer], EU:C:2015:833, Rn. 15 ff.) – hat der Gerichtshof den Gerichten der Mitgliedstaaten bisher gestattet, ihre Zuständigkeit innerhalb des Justizraums aus der Belegenheit der von dem Rechtsstreit betroffenen Sache herzuleiten. 28 Insbesondere hat der EuGH sowohl für die Kollisionsregeln in vertraglichen als auch in nicht-vertraglichen Streitigkeiten hinsichtlich sogenannter Eingriffsnormen des zuständigen Mitgliedstaats, die trotz der Anwendung ausländischen Rechts in jedem Fall zu beachten sind, festgehalten, dass ihre Anwendung im europäischen Justizraum lediglich im Rahmen des Grundsatzes loyaler Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV infrage kommt, und darüber hinaus eine

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schutzfunktion unionsweiter Zivilurteile nach der EuGVVO ist demgegenüber, obwohl bereits das EuGVÜ und die alte EuGVVO die virulenten Fragen als Teil des Exequaturverfahrens in ähnlicher Form aufwarfen, bisher nicht in vergleichbarer Weise durchdrungen; immerhin lässt sich jedoch ein Grundgerüst einer Dogmatik für den Rechtsschutz im Vollstreckungsmitgliedstaat erkennen, das zunächst in der Rechtssache Krombach, und seit dem Jahr 2009 in einer Reihe weiterer Vorabentscheidungen, primär um die Kontrollbefugnisse im Rahmen des ordre publicVorbehalts herum errichtet worden ist.29 Als Grundkonzept lässt sich dabei ein differenziertes, lose von der Dogmatik zu Einschränkungen von Grundfreiheiten im Binnenmarkt inspiriertes Rechtsschutzkonzept nachzeichnen, demzufolge die ordre public-relevanten Vorschriften der nationalen Rechtsordnungen von den nationalen Gerichten bestimmt werden, und der Gerichtshof sich auf eine Verhältnismäßigkeitskontrolle der Einschränkung der Urteilsfreizügigkeit im konkreten Fall beschränkt.30 Eher am Rande findet zudem bisher die Konkretisierungsarbeit des konkrete Begründung durch das zuständige Gericht erfordert, dass und weshalb der fraglichen Vorschrift im Gefüge der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats eine derart große Bedeutung zukommt, dass ausnahmsweise eine Abweichung von den sekundärrechtlichen Kollisionsregeln angezeigt ist, s. EuGH, Rs. C-135/15 (Nikiforidis), EU:C:2016:774, Rn. 41 ff. bzw. EuGH, Rs. C-149/18 (Da Silva Martins), EU:C:2019:84, Rn. 24 ff. 29 Insoweit hat der Gerichtshof festgehalten, dass der Vollstreckungsgegner im europäischen Justizraum alle mit zumutbarem Aufwand verbundenen Rechtsbehelfe des Urteilsmitgliedstaats ausschöpfen muss, um bereits in diesem Verfahrensstadium spätere etwaige ordre public-Verstöße möglichst abzuwenden, EuGH, Rs. C-681/13 (Diageo Brands), EU:C:2015:471, Rn. 40 ff.; den Gerichten des Urteilsmitgliedstaats ist dabei allerdings – abgesehen von der Prüfung, ob der fragliche Rechtsstreit überhaupt in den Anwendungsbereich der Vollstreckungsvorschriften der EuGVVO fällt (EuGH, Rs. C-361/18 [Weil], EU:C:2019:473, Rn. 28 ff.) – untersagt, eine amtswegige Prüfung etwaiger Versagungsgründe vorzunehmen und den Vollstreckungsgegner von seinen Rechtsschutzmöglichkeiten bei einer späteren Vollstreckung in Kenntnis zu setzen, s. EuGH, Rs. C-347/18 (Salvoni), EU:C:2019:661, Rn. 34 ff. Auch sonst zeichnet sich zumindest tendenziell ein eher enges Verständnis der Verfahrensvorgaben des Vollstreckungsrechtsbehelfs der EuGVVO ab: So hat der EuGH zum einen klargestellt, dass der Rechtsbehelf nur den Parteien des Vollstreckungsverfahrens offensteht, EuGH, Rs. C-167/08 (Draka NK Cables u. a.), EU:C:2009:263, Rn. 19 ff.; zum anderen können die Mitgliedstaaten im Grundsatz zusätzliche Verfahrensregeln erlassen, die den Zugang zu weiteren Instanzen im Vollstreckungsmitgliedstaat von einem Zulassungsverfahren durch die Rechtsmittelgerichte abhängig machen, s. EuGH, Rs. C-433/18 (Aktiva Finants), EU:C:2019:1074, Rn. 23 ff. 30 Näher Thöne, Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die EuGVVO, 2016, S. 63 ff.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 12; Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / ​ Terhechte, § 15, Rn. 189 f. m. w. N.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 45 EuGVVO, Rn. 5 f. Jenseits dieser nicht besonders trennscharfen Grundkonstruktion erschöpft sich die Dogmatik des ordre public im europäischen Justizraum bislang noch eher in Einzelaussagen; als wohl verallgemeinerungsfähige Fragmente erscheinen dabei in methodischer Hinsicht das Erfordernis einer umfassenden Gesamtwürdigung der Verfahrensumstände, in materieller Hinsicht das Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit des anderen Gerichts (vgl. Art. 45 Abs. 3 EuGVVO) und – als Ansatz zu einem gemeineuropäischen ordre public – die Berücksichtigung von Unionsgrundrechten wie Art. 47 Abs. 2 GRCh, sowie schließlich in prozeduraler Hinsicht die ungeschriebene Subsidiarität des ordre public-Rechtsschutzes und wohl auch anderer unionsrechtlicher Vollstreckungsrechtsbehelfe gegenüber zumutbarem Rechtsschutz während des ursprünglichen Verfahrens im Urteilsmitgliedstaat. Konkret hat der EuGH bisher lediglich einen möglichen ordre

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EuGH bezüglich der anderen Prüfungsvorbehalte des Vollstreckungsgerichts statt, wobei dem Rechtsschutz wegen einer fehlenden Verteidigungsmöglichkeit im Ausgangsverfahren31 nochmals eine etwas größere Bedeutung zukommt als einander widersprechenden Urteilen, wo letztlich wohl der Großteil einschlägiger Konstelpublic-Verstoß anerkannt, wenn die zu vollstreckende Entscheidung im Urteilsmitgliedstaat ergangen ist, nachdem der Beklagte wegen Verstoßes gegen Verfahrensregeln durch Beschluss von der weiteren Teilnahme am gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen worden war, und das Vollstreckungsgericht bei umfassender Gesamtwürdigung hierin eine offensichtliche und unverhältnismäßige Einschränkung des rechtlichen Gehörs sieht, EuGH, Rs. C-394/07 (Gambazzi), EU:C:2002:219, Rn. 21 ff., sowie in einer ähnlichen Konstellation, in der der Beklagte wegen eines zugleich im Urteilsmitgliedstaat laufenden Strafverfahrens nicht persönlich am Verfahren teilgenommen, und das Gericht ihm zugleich die Vertretung durch einen Rechtsbeistand untersagt hatte, EuGH, Rs. C-7/98 (Krombach), EU:C:2000:164, Rn. 36 ff. Ansonsten hat der Gerichtshof den Gerichten des Justizraums in sämtlichen Vorabentscheidungen den Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt ausdrücklich versagt, namentlich bei gerichtlichen Entscheidungen, die infolge schlichter Fehler der Rechtsanwendung unter Verstößen gegen unionsrechtliche Vorschriften ohne wesentliche Bedeutung für die Unions- oder nationale Rechtsordnung ergangen sind (EuGH, Rs. C-681/13 [Diageo Brands], EU:C:2015:471, Rn. 40 ff.), Entscheidungen, die unter Verstoß gegen die Rechtshängigkeitsregeln der EuGVVO erlassen, und mit denen die Entscheidungszuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats – und sogar des Vollstreckungsmitgliedstaats selbst – unterlaufen wurden (EuGH, Rs. C-386/17 [Liberato], EU:C:2019:24, Rn. 31 ff.), Entscheidungen über Ansprüche, die der Vollstreckungsgegner in der Zwischenzeit erfüllt hat (EuGH, Rs. C-139/10 [Prism Investments], EU:C:2011:653, Rn. 27 ff.), Entscheidungen, die aus praktischen Gründen letztlich möglicherweise ohnehin nicht vollstreckt werden können (EuGH, Rs. C-420/07 [Apostolides], EU:C:2009:271, Rn. 48 ff.), sowie im Grundsatz auch Entscheidungen, denen das Gericht des Urteilsmitgliedstaats trotz fehlender Einlassung des Beklagten keine Begründung beigefügt hatte, solange diesem gleichwohl zumindest auf anderem Wege effektiver Rechtsschutz offenstand (EuGH, Rs. C-619/10 [Trade Agency], EU:C:2012:531, Rn. 48 ff.), Entscheidungen mit weitreichenden wirtschaft­ lichen Folgen und komplexen Berechnungsmodalitäten hinsichtlich der Anspruchshöhe, solange diese zumindest nachvollziehbar bleibt (EuGH, Rs. C-302/13 [flyLAL-Lithuanian Airlines], EU:C:2014:2319, Rn. 45 ff.), und schließlich Entscheidungen mit rechtlichen Wirkungen für am Ausgangsverfahren nicht beteiligte Dritte, soweit diese die Wahrung ihrer Rechte auch vor dem Vollstreckungsgericht noch wirksam sicherstellen können (EuGH, Rs. C-559/14 [Meroni], EU:C:2016:349, Rn. 36 ff.). 31 Als Maßstab für die Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Klageerhebung im Justizraum formuliert der EuGH dabei – unabhängig davon, ob ein Versäumnisurteil oder eine sonstige Entscheidung ergangen ist (EuGH, Rs. C-78/95 [Hendrikman und Feyen / Magenta Druck & Verlag], EU:C:1996:380, Rn. 14 ff.) –, dass der Betroffene so rechtzeitig tatsächliche Kenntnis vom Inhalt der Klageschrift erlangt hatte, dass er sich vor den Gerichten des Urteilsmitgliedstaats wirksam verteidigen konnte, s. EuGH, Rs. C-283/05 (ASML), EU:C:2006:787, Rn. 16 ff. Wird später die effektive Verteidigungsmöglichkeit bestritten, kommt den Gerichten des Vollstreckungsmitgliedstaats die Befugnis zu, die Angaben hinsichtlich der Klagezustellung in der dem Urteil beigefügten Entscheidung umfassend zu überprüfen, EuGH, Rs. C-619/10 (Trade Agency), EU:C:2012:531, Rn. 27 ff. Auch hier erfordert jedoch – ähnlich wie bei der soeben thematisierten ordre public-Rüge – die Versagung der Anerkennung, dass dem Beklagten nicht bereits während des Verfahrens im Urteilsmitgliedstaat ein Rechtsbehelf offen gestanden hätte, mit dem die mangelhafte Zustellung der Klage und die daraus resultierende eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeit hätten gerügt werden können, s. EuGH, Rs. C-420/07 (Apostolides), EU:C:2009:271, Rn. 54 ff.; insbesondere sind dabei ausdrücklich auch außerordentliche Rechtsbehelfe wie etwa nationale Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vo-

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lationen erfolgreich durch die vorgeschaltete Koordinierung im Stadium der Rechtshängigkeit ab­gefangen wird.32 Als erster Schritt zu einer möglichen eigenständigen vollstreckungsrechtlichen Dogmatik des europäischen Justizraums kündigt sich ferner ein unionsrechtsautonomes Konzept der materiellen Rechtskraft zivilrechtlicher Entscheidungen an, das der EuGH andeutungsweise für abweisende Prozessurteile wegen der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts angenommen hat.33 Wo sich jenseits dieser äußerst stark ausdifferenzierten Rechtsprechungsentwicklung zum bestehenden Sekundärrecht noch mögliche künftige Arbeitsaufträge der EU-Justizpolitik erkennen lassen, betreffen sie naturgemäß in erster Linie die Evaluation und mögliche punktuelle Anpassungen im Zuge der EuGVVO-Reform 2012 novellierter Detailregelungen, die den Unionsgesetzgeber aber angesichts der grundsätz­lichen inneren Kohärenz und praktischen Akzeptanz des EuGVVOSystems nicht vor unüberwindbare Schwierigkeiten stellen sollten: Bei den Zuständigkeits- und Maßstabsregelungen fallen insoweit allenfalls noch punktuell möglicher Reformbedarf bei den Rechtshängigkeitsvorschriften bei überlanger Verfahrensdauer34 und der fehlenden unionsrechtsautonomen Definition des Wohnrigen Stand in vollem Umfang auszuschöpfen, s. EuGH, Rs. C-70/15 (Lebek), EU:C:2016:524, Rn. 32 ff. 32 Dementsprechend hatte der EuGH bisher lediglich Anlass zu den Klarstellungen, dass die Anerkennungsversagung grundsätzlich auch bei Aufeinandertreffen von jeweils im Ausgangsund im Vollstreckungsmitgliedstaat erlassenen Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes greift, s. EuGH, Rs. C-80/00 (Italian Leather), EU:C:2002:342, Rn. 39 ff., demgegenüber aber die Urteilskollision von zwei unvereinbaren Entscheidungen der Gerichte desselben Mitgliedstaats kein Anerkennungshindernis darstellt, s. EuGH, Rs. C-157/12 (Salzgitter Mannesmann Handel), EU:C:2013:597, Rn. 22 ff. 33 EuGH, Rs. C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung u. a.), EU:C:2012:719, Rn. 34 ff. Hier lägen, sollte der Gerichtshof diesen Gedanken weiterentwickeln, komplexe dogmatische Folgefragen bei der Koordinierung mit dem nationalen Vollstreckungsrecht der Mitgliedstaaten sowie eine Weichenstellung für die EuGVVO selbst, deren Herkunftslandprinzip als eine bisher tragende Säule des europäischen Justizraums zumindest in seiner bisherigen Form weitgehend aus den Angeln gehoben würde. In der Literatur wird die Entscheidung vielfach als Grundlage eines eigenständigen unionsrechtlichen, im Vergleich zu den meisten nationalen Vorschriften weiter gefassten, aber bisher noch relativ schwach konturierten Rechtskraftbegriffs und als Abkehr vom Konzept der Wirkungserstreckung gerichtlicher Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat interpretiert (und aus rechtspolitischer Sicht nahezu ausnahmslos kritisiert); s. etwa Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 36 Brüssel Ia-VO, Rn. 16; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 36 Brüssel Ia-VO, Rn. 8; Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 188; Ulrici, JZ 2016, S. 127 (130); darüber hinaus mit erheblichen methodischen Zweifeln an der Vorgehensweise des EuGH Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (531 m. w. N.), und Klöpfer, GPR 2015, S. 210 (211 ff.), der die Rechtskraftkonzeption des EuGH zudem auch in der Sache für verfehlt hält; schließlich mit weiterführendem Überblick zur (kritischen) Rezeption der Entscheidung in der Literatur Wiedemann, Vollstreckbarkeit. Entwicklung, Wirkungserstreckung und Quali­ fikation im System Brüssel 1a, 2017, S. 126 f. 34 Als zentrales Problem wird dabei in der Reformdebatte das Phänomen sogenannter Torpedoklagen betont – insbesondere rein taktisch erhobene (typischerweise negative Feststellungs-) Klagen vor den Gerichten eines Mitgliedstaats mit üblicherweise sehr langer Verfahrensdauer, durch die wegen des Vorrangs des zuerst angerufenen Gerichts eine gegnerische Leistungsklage über denselben Gegenstand in allen anderen Mitgliedstaaten für den fraglichen Zeitraum blo-

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sitzes ins Auge;35 gelöst erscheint dagegen die parallele Problematik des Missbrauchs der Rechtshängigkeitsregeln zur Umgehung von Gerichtsstandvereinbarungen.36 Daneben bleibt die in der EuGVVO-Reform von 2012 zwischen Kommission und Mitgliedstaaten noch nicht konsensfähige Frage nach der Einbeziehung von Drittstaatensachverhalten in den Anwendungsbereich der Verordnung; abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten zweier paralleler Regime des internationalen Zuständigkeitsrechts in den Mitgliedstaaten für unionsinterne und unionsexterne Verfahren steht dahinter die Erwägung, ob und inwieweit grenzüberschreitende Zivilverfahren im europäischen Justizraum, etwa mit Blick auf die zumal zunehmend digitalen wirtschaftlichen Verflechtungen des Binnenmarkts mit den Volkswirtschaften größerer Drittstaaten, sinnvollerweise entsprechende Zuckiert wird. Ausführlich (auch zu den diesbezüglichen, letztlich nicht verwirklichten Reform­ plänen der Kommission im Rahmen der letzten EuGVVO-Novelle, die eine sechsmonatige Frist zumindest zur Zuständigkeitsprüfung des erstbefassten Gerichts vorsahen) Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (531 f.); Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 29 Brüssel Ia-VO, Rn. 35 ff.; Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 165 ff.; Stadler / Klöpfer, ZEuP 2015, S. 732 (756 f.); Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 29 EuGVVO, Rn. 4c, 11 f.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 29 Brüssel Ia-VO, Rn. 28 (der hier allerdings keinen Handlungsbedarf des Unionsgesetz­ gebers sieht, sondern für ein Festhalten an der strikten Priorität zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts plädiert); Nielsen, in: Ferrari / Ragno (Hrsg.), Cross-border litigation in Europe, 2015, S. 153 ff.; schließlich Marinello, Kompetenzkonflikte sowie grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung im Europäischen Justizraum, 2016, S. 86 ff. 35 S. Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 91 m. w. N., die insoweit wegen der teils stark divergierenden Wohnsitzkonzepte in den Mitgliedstaaten entweder parallel zu den Regelungen zum Sitz juristischer Personen eine Harmonisierung auch des Wohnsitzes natürlicher Personen in der EuGVVO, oder alternativ parallel zu anderen Sekundärrechtsakten der justiziellen Zusammenarbeit eine grundsätzliche Abkehr vom Wohnsitzkriterium und eine stärkere Orientierung der Zuständigkeitsregeln am gewöhnlichen Aufenthalt vorschlagen; für letztere Option ausdrücklich auch Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 62 EuGVVO, Rn. 2 (Ersetzung der Wohnsitzanknüpfung durch unionsrechtsautonom auszulegenden gewöhnlichen Aufenthalt sei „rechtspolitisch überfällig“); ebenso mit Verweis auf im derzeitigen Regime drohende Kompetenzkonflikte, die Komplexität der Regelung, sowie den erforderlichen Gleichklang der EuGVVO und der Rom I- und II-Verordnungen Staudinger, in: Rauscher Bd. 1, Art. 62 Brüssel Ia-VO, Rn. 9. Das Festhalten an der bestehenden Lösung befürwortet dagegen – unter Berufung auf einen auch bei einem Übergang zum gewöhnlichen Aufenthalt nur geringen Gewinn an Rechtssicherheit – Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 62 Brüssel Ia-VO, Rn. 2. 36 Die Neuregelung derartiger Konstellationen stellte einen Schwerpunkt der letzten Überarbeitung der EuGVVO dar (vgl. etwa Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 4, mit Verweis auf die Formulierung des Heidelberg Reports: „the most pressing issue“); sie findet sich nunmehr in Art. 31 Abs. 2, demzufolge der Vorrang des zuerst befassten Gerichts im Justizraum ausnahmsweise durchbrochen wird, wenn durch die Anrufung dieses Gerichts eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats umgangen worden ist. Ausführlich zur Reform und den vorausgegangenen rechtspolitischen Überlegungen Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (533 ff.); Marinello, Kompetenzkonflikte sowie grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung im Europäischen Justizraum, 2016, S. 97 ff.; Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 4; Nielsen, CMLR 50 (2013), S. 503 (520 ff.); Stadler / Klöpfer, ZEuP 2015, S. 732 (756); Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 31 Brüssel Ia-VO, Rn. 3 ff.; Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 168 ff. m. w. N.

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ständigkeits- und Maßstabserwägungen berücksichtigen müssten.37 Ein weiterer möglicherweise reformrelevanter Themenkreis lässt sich bei der prozessrechtlichen Verarbeitung digitaler Kommunikationsformen im Justizraum verorten; insbesondere das vorhandene zuständigkeits- und kollisionsrechtliche Repertoire unterliegt hier schnell relativ idiosynkratischen Ausdifferenzierungen bis hin zur Entwicklung bereichsspezifischer Sonderdogmatiken, deren Entwicklung – dies zeigt sich derzeit etwa bei grenzüberschreitenden Zivilverfahren über im Internet begangene Schädigungen wie Persönlichkeitsrechts- oder Immaterialgüterrechtsverletzungen – schon heute anspruchsvolle Fragen aufwirft.38 Im Übrigen dürfte der Schwer 37 Vielfach wird dabei in der Reformdiskussion zum einen das mit eigentlich überflüssigen Abgrenzungsproblemen verbundene Nebeneinander zweier Parallelregime zur internationalen Zuständigkeit in sämtlichen Mitgliedstaaten (im Detail: Weber, RabelsZ 75 [2011], S. 619 [623 ff.]), und zum anderen die Entkopplung der Zuständigkeits- und der Vollstreckungsregelungen innerhalb des EuGVVO-Systems beklagt, die letztlich nur dem politischen Widerstand der Mitgliedstaaten gegenüber der Aufgabe ihrer nationalen Zuständigkeitsvorschriften im Verhältnis zu Drittstaaten geschuldet sei; s. nur Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 10, 34, 66 f. m. w. N. (inklusive Überblick über die typischerweise relevanten Drittstaatskonstellationen im europäischen Justizraum); Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 6 ff.; Nielsen, CMLR 50 (2013), S. 503 (512 f.); Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (524 f., mit ausführlicher Aufarbeitung der Konfliktlinien im Gesetzgebungsverfahren zur letzten EuGVVO-Reform, S. 512 ff.), sowie zu den Einzelheiten der seinerzeit von der Kommission avisierten Drittstaatenregelungen Hess, CMLR 49 (2012), S. 1075 (1105 f.); Stadler / Klöpfer, ZEuP 2015, S. 732 (746 ff.); Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 4 Brüssel Ia-VO, Rn. 11 f.; Weber, RabelsZ 75 (2011), S. 619 (626 ff.) (der trotz des Scheiterns dieser Pläne weiterhin die Erstreckung der EuGVVO auf die europaweite Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus Drittstaaten als Fernziel ausgibt, S. 640); Borrás, in: Lein / Magnus (Hrsg.), The Brussels I review proposal uncovered, 2012, S. 57 ff.; Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensachverhalte, 2013, S. 235 ff. Parallel dazu stellt sich auch weiterhin die funktional vergleichbare rechtspolitische Frage der angemessenen Koordinierung von EuGVVO und Schiedsgerichtsbarkeit, die ebenfalls bereits im Vorfeld der EuGVVO-Reform von 2012 kontrovers diskutiert worden war, s. nur Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, S. 164 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 104 ff. (mit extensiver Aufarbeitung der politischen Interessenlage im Vorfeld der Reform und der These, die an sich sinnvolle Einbeziehung von Schiedsverfahren in das EuGVVO-System sei primär am systematisch organisierten Widerstand der schiedsrechtlichen „community“ gescheitert); Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 34, 56, 58 f. m zahlreichen m. w. N.; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 25b; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuGVVO, Rn. 23a; Nielsen, CMLR 50 (2013), S. 503 (507 ff.); Stadler / Klöpfer, ZEuP 2015, S. 732 (735 ff.); Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (533 ff.); Illmer, RabelsZ 75 (2011), S. 645 (657 ff.); ausführliche Aufarbeitung der Reform schließlich bei Harris / Lein, in: Lein / Magnus (Hrsg.), The Brussels I review proposal uncovered, 2012, S. 31 ff. Beide Fragen dürften im 2022 vorzulegenden Anwendungsbericht zur EuGVVO n. F., und wohl auch in etwaigen dereinstigen weiteren Novellierungen der Verordnung eine zentrale Rolle spielen; hinsichtlich der Drittstaatenproblematik ist als politischer Kompromiss sogar eine ausdrückliche Verpflichtung der Kommission in Art. 79 S. 2 EuGVVO eingefügt worden, die Thematik in ihrem Bericht erneut zu erörtern. 38 Insbesondere die dogmatisch überzeugende Einhegung des deliktischen Handlungs- und Erfolgsorts bei persönlichkeits- und immaterialgüterrechtlichen Mediendelikten mit Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten (zu den bisherigen Ansätzen in der Rechtsprechung des EuGH s. oben in § 4 I. 3., Fn. 22) stellt sich als beträchtliche rechtspolitische Herausforderung dar, und befindet

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punkt der künftigen Arbeit des Unionsgesetzgebers vor allem darin liegen, mit Blick auf den 2022 vorzulegenden Kommissionsbericht (vgl. Art. 79 EuGVVO) die praktischen Folgen der Abschaffung der Vollstreckbarerklärung zu beobachten, und etwaige Einzelprobleme gleichsam rechtlich abzuschleifen: Hier könnten zum einen die zwischen den Mitgliedstaaten teils erheblich divergierenden Vollstreckungsregeln, -formen und -zuständigkeiten in den Blick geraten, im Detail etwa hinsichtlich materieller Rechtskraft, Präklusions- und Gestaltungswirkungen sowie etwaiger prozessualer Drittwirkungen.39 Bei der modifizierten Rechtsschutzarchitektur der EuGVVO dürfte dagegen der an die Stelle des Exequaturverfahrens getretene unionsrechtliche Vollstreckungsrechtsbehelf der Art. 45 ff. EuGVVO im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen: Auch wenn die empirischen Befunde der alten ­EuGVVO – im Jahr 2010 etwa wird für das Exequaturverfahren von einer Prüfung der Versagungsgründe in nur 10 % aller Verfahren und einer Erfolgsquote von wiederum lediglich 5–10 %, sowie einer erstinstanzlichen Verfahrensdauer zwischen sieben Tagen und vier Monaten berichtet40 – dessen relativ beschränkte Bedeutung nahelegen, lässt sich kaum von der Hand weisen, dass die Kombination der Verweisung auf das einzelstaatliche Verfahrensrecht, der möglichen Parallelvollstreckung in mehreren Mitgliedstaaten, und nicht zuletzt der sekundärrecht­

sich mit Blick auf die sich wandelnden technischen Möglichkeiten und die daraus resultierenden neuen deliktsrechtlichen Gefährdungslagen weitestgehend noch im Fluss; ausführlich Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 7 Brüssel Ia-VO (mit vergleichender Analyse entsprechender „offline“ [Rn. 129] und „online“ [Rn. 130 f.] begangener deliktischer Schädigungen); Gottwald, in: MKZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO, Rn. 58 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 7 EuGVVO, Rn. 17; Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 106. 39 Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 186 f. jeweils m. w. N. zu den einzelnen infolge der EuGVVO-Reform möglicherweise relevanten vollstreckungsrechtlichen Themenkreisen, die darüber hinaus auch auf denkbare Reibungsverluste der grenzüberschreitenden Vollstreckungspraxis im Justizraum infolge der entfallenen „Titelimportfunktion“ des Exequaturs hinweisen, wo die Zwangsvollstreckung zivilrechtlicher Entscheidungen (wie etwa in Deutschland) abhängig von Vollstreckungsart und -gegenstand unterschiedlichen Gerichten oder Behörden zugewiesen ist, und nicht zentral (wie etwa in Spanien oder Österreich) durch eine einzige hoheitliche Stelle durchgeführt oder überwacht wird (Rn. 218), im Großen und Ganzen aber eine positive Prognose für die Bewährung der reformierten Vollstreckungsvorschriften abgeben (Rn. 222). Ähnlich auch Wiedemann, Vollstreckbarkeit. Entwicklung, Wirkungserstreckung und Qualifikation im System Brüssel 1a, 2017, S. 67 f., die vor allem die bisweilen fragliche Fähigkeit der nationalen Vollstreckungsorgane zur Vollstreckung ausländischer Entscheidungen als wunden rechtspolitischen Punkt sieht; Thöne, Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die EuGVVO, 2016, S. 82 ff. (der das Problem aber zumindest im Bereich der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Geldforderungen für gut beherrschbar hält, S. 82); Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Art. 41 Brüssel Ia-VO, Rn. 8 aE (der ebenfalls trotz des zu erwartenden Fallaufkommens die meisten Schwierigkeiten mit hinreichendem Pragmatismus der nationalen Gerichte auch ohne erneute gesetzgeberische Intervention als lösbar erachtet); Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (517 f.). 40 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2009) 174 endgültig, S. 4.

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lichen Unschärfen des Verordnungsrechtsbehelfs selbst in bestimmten Konstellationen ernsthafte Fragen hinsichtlich des nach Art. 47 Abs. 1 GRCh gebotenen Rechtsschutzniveaus aufwerfen kann.41 Insbesondere könnte sich in diesem Zusammenhang auch noch einmal die Frage nach der Daseinsberechtigung der ordre public-Kontrolle bei der unionsweiten Vollstreckung von Zivilurteilen stellen: Bereits bei der letzten EuGVVO-Reform hatte die Kommission insoweit im ursprünglichen Verordnungsentwurf vergeblich ein möglichst umfassendes Herkunfts­ landprinzip umzusetzen versucht, das lediglich noch eine Urteilskollision sowie Verstöße gegen einen gemeineuropäischen verfahrensrechtlichen ordre public als zulässige Rechtsschutzgründe im Vollstreckungsmitgliedstaat vorsah.42 Rückblickend scheint diesem letztlich gescheiterten Vorhaben jedoch eher eine recht diffuse Gemengelage rechts- und integrationspolitischer Erwägungen im Wege gestanden zu haben, etwa ein in den späten 2000er Jahren weit verbreitetes Unbehagen an der Dynamik der europäischen Rechtsentwicklung auch in der zivilrechtlichen Zusammenarbeit, die noch nachklingende Erfahrung der Krombach-Entscheidung, in der sich der ordre public-Vorbehalt entgegen allen Erwartungen selbst gegenüber einer Entscheidung aus einem großen Mitgliedstaat wie Frankreich als erforderlicher Notfallmechanismus für Extremfälle erwiesen hatte,43 und das sehr komplizierte und eher unglücklich kommunizierte Regelungskonzept des Verordnungsentwurfs 41

In der Reformdiskussion der Literatur wird insoweit insbesondere auf die (nicht zuletzt im Vergleich zu den Rechtsschutzregelungen des alten Exequaturverfahrens) geringe unionsrechtliche Regelungsdichte des Rechtsbehelfs im Allgemeinen, und die unklare (und bereits vor der EuGVVO-Reform umstrittene) Frage im Besonderen hingewiesen, inwieweit im europäischen Justizraum die einzelstaatlichen Vorschriften über die Abwehr der Vollstreckung bei einer zwischenzeitlichen Erfüllung durch den Vollstreckungsgegner durch die Anerkennung und Vollstreckbarkeit nach der EuGVVO verdrängt werden; s. Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 227 f., und insbesondere zu letzterem Problem Ulrici, JZ 2016, S. 127 [136]; Gottwald, in: MK-ZPO, Art. 46 Brüssel Ia-VO, Rn. 4 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 41 EuGVVO, Rn. 8 (denen zufolge das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip derartige Rechtsbehelfe kategorisch ausschließt); Marinello, Kompetenzkonflikte sowie grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung im Europäischen Justizraum, 2016, S. 79 ff. Auch die potenziellen Unklarheiten bei der Abgrenzung der europäischen und nationalen Vollstreckungsrechtsbehelfe, nicht zuletzt auch aus der Perspektive des mit dem Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen oftmals überforderten Schuldners, werden teilweise als Defizit der aktuellen Regelung angesehen, s. Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (514 ff.); umgekehrt weisen aber Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 47 EuGVVO, Rn. 1 darauf hin, dass auch der Gläubiger im Rahmen des unionsrechtlichen Vollstreckungsrechtsbehelfs oftmals mit den nicht harmonisierten und wenig transparenten Verfahrensvorschriften des ausländischen Vollstreckungsmitgliedstaats konfrontiert sei. 42 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig, S. 6 ff.; näher Hardung, Die europäische Titelfreizügigkeit, 2020, S. 75 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Vorbemerkung zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO, Rn. 3 ff.; Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / ​ Terhechte, § 15, Rn. 26, 197, 201 m. w. N.; Magnus / Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), S. 252 ff. 43 EuGH, Rs. C-7/98 (Krombach), Rn. 19 ff. (näher zur Krombach-Entscheidung bereits § 4 I. 3., Fn. 30).

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selbst, das unter anderem die normativ wie kulturell sensible ordre public-Problematik ohne zwingenden Grund mit der prinzipiell eher technischen sowie konsensfähigen Abschaffung des Exequaturs verband.44 Die Praxis, wie sie sich in einer umfassenden, wenngleich auf Basis einer nicht ganz unproblematischen Datenlage und mit variierenden Berichtszeiträumen erstellten Studie im Auftrag der Kommission darstellt,45 scheint diese Bedenken jedenfalls bereits zum damaligen Zeitpunkt kaum mehr getragen zu haben: Der ordre public-Vorbehalt spielt hier zum einen eine marginale Rolle in der Vollstreckungspraxis; in sämtlichen Mitgliedstaaten bleibt die Anzahl erfolgreicher Berufungen auf den ordre public – bei regelmäßig dutzenden bis hunderten, in Einzelfällen sogar tausenden Exequaturverfahren (Deutschland; 2 843 Verfahren) – im niedrigen einstelligen Bereich.46 Zum anderen

44 Ausführlich zum damaligen Verordnungsvorschlag (und dem strategisch nicht idealen Vorgehen der Kommission) Stadler / Klöpfer, ZEuP 2015, S. 732 (759 ff.) („schlechtes Timing“, S. 761); Wiedemann, Vollstreckbarkeit. Entwicklung, Wirkungserstreckung und Qualifikation im System Brüssel 1a, 2017, S. 61 ff.; Mankowski, in: Rauscher Bd. 1, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO, Rn. 3 ff., 8; Oberhammer / Koller / Slonina, in: Leible / Terhechte, § 15, Rn. 26, 197, 200 m. w. N.; Cuniberti / Rueda, RabelsZ 75 (2011), S. 286 (312 ff.); Thöne, GPR 2015, S. 149 (153 f.); Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (511, 519 f.); Nielsen, CMLR 50 (2013), S. 503 (526 f.); Hess, CMLR 49 (2012), S. 1075 (1103 ff., m. w. N.). Für Zusammenfassungen der rechtspolitischen Diskussion und des sehr differenzierten Meinungsstands zu künftigen Reformperspektiven des ordre public-Vorbehalts s. Leible, in: Rauscher Bd. 1, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 5 m. w. N.; außerdem etwa Frackowiak-Adamska, CMLR 52 (2015), S. 191 (210 ff.) (die ihrerseits als Fernziel die Entwicklung einer einheitlichen, auch die anderen Rechtsakte der zivilrecht­lichen Zusammenarbeit erfassenden, lose am US-amerikanischen „full faith and credit“-Konzept orientierten Vollstreckbarkeitsregelung für alle Mitgliedstaaten mit stark zurückgedrängten Anerkennungsversagungsgründen anregt); Thöne, Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die EuGVVO, 2016, S. 157 ff. (der seinerseits auch auf die möglicherweise dialog- und damit integrationsfördernde Wirkung des ordre public-Vorbehalts zwischen den Mitgliedstaaten hinweist, S. 74); Kohler, ZEuS 2016, S. 135 (144) und Domej, RabelsZ 78 (2014), S. 508 (520) (die in der Debatte wegen der sehr engen Auslegung der ordre public-Klausel der EuGVVO letztlich eher eine symbolisch-integrationspolitische Frage sehen); Jüngst, Der europäische verfahrensrechtliche ordre public, 2011, S. 229 ff. 45 European Parliament, Interpretation of the Public Policy Exception as referred to in EU Instruments of Private International and Procedural Law, 2011, S. 46 ff. 46 Lediglich acht Mitgliedstaaten berichteten hier ausweislich European Parliament, Interpretation of the Public Policy Exception as referred to in EU Instruments of Private International and Procedural Law, 2011, S. 49 ff., Tabelle 3. 2. 1., für den gesamten rund zehnjährigen Berichtszeitraum überhaupt von Fällen, in denen ihre Gerichte bei der Anwendung von EuGVÜ und EuGVVO die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung abgelehnt hatten, nämlich Frankreich (5 Fälle bei 22 Rügen des ordre public in einer unbekannten Gesamtzahl von Anerkennungsverfahren), Großbritannien (3 Fälle bei 8 Rügen des ordre public in insgesamt 693 Anerkennungsverfahren), Slowenien (3 Fälle bei 8 Rügen des ordre public in einer unbekannten Gesamtzahl von Anerkennungsverfahren), Deutschland (2 Fälle, allerdings bei hier sogar 56 Rügen des ordre public in insgesamt 2 843 Anerkennungsverfahren), Belgien (ein Fall bei 10 Rügen des ordre public seit 1984 in einer unbekannten Gesamtzahl von Anerkennungsverfahren), Ungarn (ein Fall bei einer unbekannten Zahl von Rügen des ordre public in 100 Anerkennungsverfahren), Spanien (ein Fall bei 20 Rügen des ordre public in einer unbekannten Gesamtzahl von Anerkennungsverfahren), sowie die Niederlande (ein Fall bei 11 Rügen des

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

zeigt sich ein weitgehend eindeutiger informeller Konsens der nationalen Zivil­ gerichte über die Anwendungspraxis des ordre public, der weitgehend dem damaligen Kommissionsvorschlag entspricht; wesentliche Elemente sind insoweit die besonders enge Auslegung der Versagungsmöglichkeit, die Beschränkung auf verfahrensrechtliche Aspekte, sowie das zumindest prinzipielle Bewusstsein für die zentrale Bedeutung der Unionsgrundrechte und von Art. 6 EMRK.47 Schließlich lässt sich ein relativ klar umrissener sowie auch überschaubarer Kanon wiederkehrender, tatsächlich problematischer ordre public-Konstellationen ausmachen, der sich durch eine systematische Entfaltung der Verfahrensgrundrechte auf Unionsebene – insbesondere Art. 47 Abs. 1 GRCh – ohne Weiteres bewältigen lassen sollte; hierzu zählen Zustellungsmängel, Gehörsverletzungen, fehlende Urteilsbegrün-

ordre public in einer unbekannten Gesamtzahl von Anerkennungsverfahren). Keinen einzigen durch ihre Gerichte festgestellten Verstoß gegen den ordre public vermeldeten demgegenüber Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Polen und Schweden, obwohl die Gesamtzahl von Exequaturverfahren vor den nationalen Gerichten hier immerhin noch bei jeweils etwa 40 bis 50, im Falle Schwedens sogar über 150 lag (für Finnland und Luxemburg fehlen entsprechende Angaben; für die übrigen in der Studie berücksichtigten Mitgliedstaaten, namentlich Zypern, Griechenland, Italien, Portugal, Irland und Österreich, waren weder Angaben zum Fallaufkommen noch zur Zahl der ordre public-Rügen und -Verstöße verfügbar). 47 Darüber hinaus lässt sich zumindest zum damaligen Zeitpunkt in Grundzügen ein recht klarer informeller Konsens der Gerichte über den zulässigen Umfang von ordre public-Erwägungen nachzeichnen: Hierzu gehört zunächst eine besonders enge Auslegung der ordre public-Klausel der EuGVVO; eine entsprechende Praxis konstatierte die Studie etwa hinsichtlich der Gerichte in Österreich, Belgien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Ungarn, wobei kein einziger Mitgliedstaat von einer weiten Auslegung des ordre public durch seine Gerichte berichtete, und lediglich in Finnland und Schweden die Position der Gerichte noch unklar erschien, vgl. European Parliament, Interpretation of the Public Policy Exception as referred to in EU In­ struments of Private International and Procedural Law, 2011, S. 71 ff., Tabelle 3. 2. 3. Ebenfalls konsentiert erschien die Beschränkung der ordre-public-Kontrolle auf Fragen des Verfahrensrechts: Bei der Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vermeldeten acht Mitgliedstaaten die Praxis ihrer Gerichte, lediglich bei Verfahrensfragen Verletzungen des ordre public in Betracht zu ziehen (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Portugal, Ungarn, Spanien), während lediglich die britischen Gerichte in einer nicht ganz klaren Fallkonstellation zum Teil auch materiell-rechtliche Fragen in den Blick genommen hatten (wobei allerdings die Länderberichte für Österreich, Zypern, Estland, Finnland, Griechenland, Litauen, Lettland, Luxemburg, Polen, Slowenien und Schweden insoweit schweigen); s. ebd., S. 57 ff., Tabelle 3. 2. 2 (b). Als weitere Gemeinsamkeit in der Praxis der nationalen Gerichte ließ sich der Studie schließlich eine prinzipielle Orientierung an den Unionsgrundrechten und Art. 6 der EMRK entnehmen, s. ebd., S. 62 ff., Tabelle 3. 2. 2 (d): Ausdrücklich hatten sich demnach bei der Auslegung des ordre public-Vorbehalts des EuGVÜ und der EuGVVO regelmäßig die Gerichte in Österreich, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Portugal und Großbritannien auf die Unions- sowie die Konventionsgrundrechte berufen, zumindest der Sache nach den entsprechenden Länderberichten zufolge auch die Gerichte in Spanien und den Niederlanden. In Belgien, Finnland und Schweden ließ sich keine derartige Praxis feststellen, wobei die Studie allerdings keine weiteren Angaben dazu macht, ob die Gerichte hier ausdrücklich keine Bedeutung der Unionsgrundrechte sahen, oder möglicherweise über eine Prüfung der nationalen Grundrechte diese zumindest mittelbar in die Prüfung einfließen ließen.

II. Siebter Baustein. Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren

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dungen, exzessive Forderungen in (damals noch in der EuGVVO geregelten) Unterhaltsverfahren, sowie durch Prozessbetrug erschlichene Urteile.48

II. Siebter Baustein. Supranationale Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren 1. Unionsweite Entscheidungsvoraussetzungen (Zuständigkeits- und Maßstabsfunktion) Aus den bisherigen Maßnahmen des europäischen Gesetzgebers für die Zusammenarbeit bei erb- und familienrechtlichen Entscheidungen lässt sich ein Konzept eines „föderalen Vorrangurteils“ destillieren, das vorrangig auf europäischen Regelungsinteressen beruht, regelmäßig wegen der stärkeren Souveränitätssensibilität der Materie aber auch Anknüpfungen mit primär einzelstaatlichen Gesichtspunkten aufgreift: Für die sachliche Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte in grenzüberschreitenden Ehe- und Kindschaftsverfahren werden insbesondere die Ehescheidung bzw. die Zuweisung, Übertragung und Entziehung verschiedener kindschaftsrechtlicher Befugnisse ausdrücklich aufgeführt, und im Gegenzug verschiedene spezielle familienrechtliche Materien ausgenommen.49 Für die örtliche Zuständigkeit in eherechtlichen Streitigkeiten besteht eine allgemeine Zuständigkeit im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts eines oder beider Ehegatten sowie gegebenenfalls im Mitgliedstaat der gemeinsamen Staatsangehörigkeit; ergibt sich dabei keine Zuständigkeit irgendeines Mitgliedstaats, wenden alle Mitgliedstaaten ihr eigenes Zuständigkeitsrecht an. Ein ähnliches Zuständigkeits­modell gilt für Kindschaftsverfahren; hier ist vorrangig der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes entscheidend, sodann bestehen stark ausdifferenzierte Sonderzuständigkeiten für grenzüberschreitende Kindesentführungen und Gerichtsstandvereinbarungen der Eltern, und gilt subsidiär das autonome Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaa-

48 Vgl. European Parliament, Interpretation of the Public Policy Exception as referred to in EU Instruments of Private International and Procedural Law, 2011, S. 98 f., Tabelle 3. 3. 2 (c), bzw. ebd., S. 111, Tabelle 3. 4. 2 (e): Demnach bildeten Zustellungsprobleme bei der Einleitung des Verfahrens, teilweise aber auch bei der Zustellung des späteren Urteils, ein wiederkehrendes Problem insbesondere bei der ordre public-Prüfung in Frankreich, den Niederlanden und Italien (wo der Länderbericht allerdings nur allgemein von fehlender Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gegen die Klage spricht); Fragen des rechtlichen Gehörs beschäftigten wiederum die niederländischen sowie die portugiesischen Gerichte. Das Problem einer fehlenden Urteilsbegründung trat wiederholt bei der ordre public-Kontrolle in Frankreich und den Niederlanden auf; sowohl von überzogenen Unterhaltsentscheidungen als auch von Fällen durch Prozess­ betrug erlangter Entscheidungen berichten jeweils Deutschland und die Niederlande. 49 Vgl. Art. 1 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Dilger, in: Geimer / ​ Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 1 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 3 ff.; Pintens, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 1 Brussels IIbis, Rn. 11 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 1 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 ff.

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

ten.50 Die Verfahrensvorschriften für Kompetenz- und Rechtshängigkeitskonflikte sind dabei der EuGVVO nachgebildet;51 daneben enthält die EuEheVO einen prozeduralen Mechanismus für eine unionsweite Verweisung von Verfahren mit eigenständigen materiellen Voraussetzungen und Verfahrensvorgaben, demzufolge Kindschaftsverfahren im Interesse des Kindeswohls an die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats mit besonderer Bindung zum Kind – insbesondere wegen des gewöhnlichen Aufenthalts oder der Staatsbürgerschaft des Kindes  – abgegeben werden können, wenn die dortigen Gerichte ausdrücklich ihre Zuständigkeit erklären.52 Die materiellen Entscheidungsmaßstäbe unterfallen hier in ein zweispuriges System: Während für eine Gruppe von siebzehn Mitgliedstaaten seit dem Jahr 2010 eine im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit erlassene Kollisionsrechtsverordnung gilt – tragende Regelungsprinzipien sind hier eine begrenzte Rechtswahlmöglichkeit und ein gestuftes System von Gerichtsständen mit Anknüpfungen an den gewöhnlichen Aufenthalt, die Staatsangehörigkeit, und das einzelstaatliche Kollisionsrecht –, verbleibt es außerhalb dieses Regimes bei den autonomen Kollisionsvorschriften der Mitgliedstaaten.53 In grenzüberschreitenden Unterhaltsverfahren besteht eine vergleichsweise weit gefasste sachliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte für jegliche Unterhaltspflichten aufgrund von Familie, Ehe, Verwandtschaft oder Schwägerschaft.54 Für die örtliche Zuständigkeit kommen hier vorrangig flexible materielle Anknüpfungen wie der gewöhnliche Aufenthalt, Gerichtsstandvereinbarungen und die rügelose Einlassung zum Tragen, nachrangig die gemeinsame Staatsangehörigkeit, und nur zur Vermeidung von negativen Kompetenzkonflikten ausnahmsweise irgendein ausreichender Bezug zu dem fraglichen

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S. im Einzelnen für Ehescheidungen insbesondere Art. 3 Abs. 1, und für Kindschaftssachen Art. 8 Abs. 1 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]). Im Detail s. Dilger, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 3 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 4 ff., Art. 8 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 3 ff.; Borrás, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 3 Brussels IIbis, Rn. 4 ff., bzw. Art. 8 Brussels IIbis, Rn. 3 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 18 ff., bzw. Art. 8 Brüssel IIa-VO, Rn. 6 ff. 51 Vgl. Art. 19 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Dilger, in: Geimer / ​ Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 19 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 1 ff.; Mankowski, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 19 Brussels IIbis, Rn. 1 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 19 Brüssel IIa-VO, Rn. 15 ff. 52 Art. 15 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]). Ausführlich zu dieser im gesamten europäischen Justizraum singulären Regelung Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 15 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 1 ff.; Pataut / Gallant, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 15 Brussels IIbis, Rn. 6 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 15 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 f., 5 ff. 53 Vgl. die Vorschriften, insbesondere Art. 5 und Art. 8, der sogenannten Rom III-Verordnung (Rom III-VO (VO [EU] 1259/2010 [ABl. L 343, S. 10])); zusammenfassend Helms, in: Rauscher Bd. 5, Einl. Rom III-VO, Rn. 1 ff. 54 Vgl. Art. 1 Abs. 1 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Reuß, in: Geimer / ​ Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 1 VO Nr. 4/2009, Rn. 17 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 1 EG-UntVO, Rn. 3 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 1 EG-UntVO, Rn. 1 ff.

II. Siebter Baustein. Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren

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Mitgliedstaat.55 Die verfahrensrechtlichen Koordinierungsregeln entsprechen denen der EuGVVO.56 Für das anwendbare Sachrecht besteht wiederum eine gespaltene Regelung; für die ratifizierenden Mitgliedstaaten wird auf das Haager Unterhaltsprotokoll von 2007 verwiesen, für alle anderen Mitgliedstaaten auf das nationale Kollisionsrecht.57 Ein nochmals kleinteiligeres System unionsweiter Zuständigkeiten und Maßstäbe gilt für erbrechtliche Verfahren über die „Rechtsnachfolge von Todes wegen“: Hier sind zwölf angrenzende Verfahrensmaterien mit Bezug zum Familien-, Gesellschafts-, Sachen- und Registerrecht ausgenommen;58 die örtliche Zuständigkeit folgt dabei aus einer allgemeinen Zuständigkeit im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers sowie einem im Detail schwer überschaubaren, ordnungsbildend eher unergiebigen System verschiedener Proroga­ tions- und Einlassungsformen, die in verschiedenster Form zu Begrenzungen oder Verweisungen des Verfahrens führen können.59 Die anwendbaren erbrechtlichen Vorschriften ergeben sich dabei aus dem stark differenzierten Kollisionsrechtsregime der EuErbVO; neben der allgemeinen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers und der alternativen Rechtswahl zugunsten des Mitgliedstaats der Staatsangehörigkeit finden sich hier verschiedene Sonderanknüpfungen insbesondere für Erbverträge und andere Verfügungen von Todes wegen.60 Für grenzüberschreitende güterrechtliche Verfahren besteht schließlich eine allgemein 55

Vgl. Art. 3 lit. a) und b) EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Reuß, in: Geimer / ​Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 3 VO Nr. 4/2009, Rn. 17 ff., 23 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 3 EG-UntVO, Rn. 9 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 3 EGUntVO, Rn. 22 ff. 56 Art. 12 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Reuß, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 12 VO Nr. 4/2009, Rn. 8 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 12 EG-UntVO, Rn. 7 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 12 EG-UntVO, Rn. 2 ff. 57 Vgl. Art. 15 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 15 VO Nr. 4/2009, Rn. 1 ff.; Lipp, in: MKFamFG Bd. 2, Art. 15 EG-UntVO, Rn. 3 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 15 EG-UntVO, Rn. 1 f., 13 ff.; ausführliche Darstellung zudem bei Bartl, Die neuen Rechtsinstrumente zum IPR des Unterhalts auf internationaler und europäischer Ebene, 2012, S. 74 ff. 58 Vgl. Art. 1 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]). Ausführlich außerdem Schall / Simon, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 1 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 5 ff.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 1 EU-ErbVO, Rn. 2 ff., 16 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 1 EU-ErbVO, Rn. 1 ff., 9 ff. 59 Vgl. Art. 4 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Wall, in: Geimer /​ Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 4 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 7 ff.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 4 EU-ErbVO, Rn. 1 ff., 4 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 4 EU-ErbVO, Rn. 1 ff.; Kurth, Der gewöhnliche Aufenthalt in Art. 4, 21 Abs. 1 EuErb-VO, 2017, S. 71 ff.; ausführlich außerdem Meyer, Die Gerichtsstände der Erbrechtsverordnung unter besonderer Berücksichtigung des Forum Shopping, 2013, S. 57 ff. 60 Vgl. Art. 21 ff. EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Odersky, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 21 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 1 ff., 4 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Vorbem. zu Art. 20 ff. EU-ErbVO, Rn. 1 ff.; Greeske, Die Kollisionsnormen der neuen EU-Erbrechtsverordnung, 2014, S. 31 ff.; ausführlich insbesondere zur Rechtswahl noch Profehsner, Disposition im internationalen Erbrecht, 2019, S. 167 ff.

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

formulierte sachliche Zuständigkeit der Gerichte für „eheliche Güterstände“.61 Die örtliche Zuständigkeit richtet sich dabei – insoweit findet hier erstmals eine Verknüpfung der unterschiedlichen erb- und familienrechtlichen Zuständigkeitsregime untereinander statt – prinzipiell als Annex zu den Zuständigkeiten für ein etwaiges bereits laufendes Ehescheidungs- oder Nachlassverfahren, und lediglich nachrangig nach eigenen Zuständigkeitsregelungen, die primär auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten oder eine Gerichtsstandvereinbarung, und nur subsidiär auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten abstellen.62 Die Auflösung grenzüberschreitender Kompetenzkonflikte entspricht wiederum der EuGVVO.63 Kollisionsrechtlich errichtet die EuGüterVO ebenfalls ein eigenständiges System mit gestuften Anknüpfungen der Rechtswahl, des gewöhnlichen Aufenthalts, der Staatsangehörigkeit, der engsten Verbindung zu den Ehegatten, sowie des Rechts des Mitgliedstaats, auf das die Ehegatten nachweislich bei der Planung ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen vertraut hatten.64

2. Unionsweite Entscheidungswirkungen (Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzfunktion) Die Vollstreckungs- und Rechtsschutzvorschriften der erb- und familienrechtlichen Rechtsakte beruhen auf einem weitgehend formalisierten Exequaturverfahren, das zuvor in ähnlicher Form bereits in der EuGVVO a. F. geregelt war. Regelmäßig wird bei Vorliegen weniger formeller Voraussetzungen eine ausländische Entscheidung für vollstreckbar erklärt, ohne dass materielle Einwände gegen die Anerkennung geprüft oder der Gegner der Zwangsvollstreckung angehört würden, und sodann wie eine inländische Entscheidung nach den Vorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats vollstreckt. In Reinform umgesetzt findet sich dieser Ansatz in der EuErbVO sowie der EuGüterVO: Hier wird zunächst jeweils in Grund­zügen das formalisierte Exequaturverfahren geregelt – insbesondere hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit, der Rechte und Pflichten der beteiligten Parteien, sowie der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung –, und im Übrigen pauschal auf das autonome Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten über die Vollstreckbarerklärung aus 61 Vgl. Art. 1 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]); Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 1 EU-EheGüVO, Rn. 2 ff., 11 ff.; Kroll-Ludwigs, in: Rauscher Bd. 4, Einf. EU-LPGüterVO-E, Rn. 15 ff.; Kroll-Ludwigs, GPR 2016, S. 231 (232); Andrae, IPrax 2018, S. 221 ff.; Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), S. 44 (45 ff.). 62 Vgl. Art. 6 lit. a) bis c) EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]); Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 6 EU-EheGüVO, Rn. 3 ff.; Kroll-Ludwigs, in: Rauscher Bd. 4, Einf. EULP-GüterVO-E, Rn. 23 ff.; Kroll-Ludwigs, GPR 2016, S. 231 (232 ff.); Wendland, IPrax 2019, S. 1 ff.; Simotta, ZVglRWiss 116 (2017), S. 44 (49 ff.). 63 Art. 17 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]); Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 17 EU-EheGüVO, Rn. 1 ff. 64 Vgl. Art. 26 ff. EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]); Kroll-Ludwigs, in: Rauscher Bd. 4, Einf. EU-LP-GüterVO-E, Rn. 43 ff.; Kroll-Ludwigs, GPR 2016, S. 231 (234 ff.).

II. Siebter Baustein. Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren

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ländischer Entscheidungen verwiesen.65 Für die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zum Umgangsrecht sowie zur Kindesrückgabe errichtet die ­EuEheVO wegen der faktischen Eilbedürftigkeit der Vollstreckung ein Sonderregime ohne Exequaturverfahren, das ausnahmsweise die durch verschiedene prozedurale Kautelen, insbesondere die Sicherstellung effektiven rechtlichen Gehörs, abgesicherte unmittelbare Vollstreckbarkeit in den anderen Mitgliedstaaten ermöglicht, sich ordnungsbildend aber wegen der stark spezifischen Verfahrenskonstellation als Randerscheinung darstellt.66 Im Übrigen bewendet es auch für Entscheidungen nach der EuEheVO beim Modell des formalisierten Exequaturverfahrens und der Vollstreckung nach dem Verfahrensrecht des Vollstreckungsmitgliedstaats, dessen Gerichte lediglich bei Umgangsentscheidungen begrenzte Konkretisierungs- und Anpassungsrechte erhalten.67 In Unterhaltsverfahren schließlich findet sich eine weitere kollisionsrechtliche Sonderkonstruktion, die die unmittelbare Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen von der Bindung des Urteilsmitgliedstaats an die Vorschriften des Haager Unterhaltsprotokolls abhängig macht; bei Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten findet weiterhin ein formalisiertes Exequaturverfahren statt.68 Die Rechtsschutzarchitektur aller vier Sekundärrechtsakte entspricht dabei prinzipiell dem zivilrechtlichen Modell der EuGVVO; neben dem Verbot einer inhaltlichen Kontrolle der Entscheidung, das dem Urteilsmitgliedstaat implizit die alleinige Zuständigkeit für die sachliche Nachprüfung zuweist, besteht ein weitgehend identischer, ebenfalls nach nationalem Verfahrensrecht durchzuführender 65

Vgl. Art. 48 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 47 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). S. zunächst allgemein zum Exequaturverfahren (insbesondere mit Blick auf die damals noch in der alten EuGVVO enthaltenen Regelungen) die ausführliche Darstellung von Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union, 2009, S. 9 ff. Zu den aktuellen erbrechtlichen Regelungen sodann Hardung, Die europäische Titelfreizügigkeit, 2020, S. 139 ff.; außerdem Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 48 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 1 ff.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 48 EUErbVO, Rn. 2 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 48 EU-ErbVO, Rn. 2 ff.; aus güterrechtlicher Perspektive Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 47 EU-EheGüVO, Rn. 1 ff.; Kroll-Ludwigs, in: Rauscher Bd. 4, Einf. EU-LP-GüterVO-E, Rn. 85; Kroll-Ludwigs, GPR 2016, S. 231 (239). 66 Vgl. Art. 41 Abs. 1, 42 Abs. 1 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 42 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 1 f.: Magnus, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 42 Brussels IIbis, Rn. 6, bzw. Art. 41, Rn. 7; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 41 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 42 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 ff. 67 Vgl. Art. 28 Abs. 1 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 28 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 2 ff.; McClean, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 28 Brussels IIbis, Rn. 1 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 28 Brüssel IIa-VO, Rn. 1 f., 4 ff. 68 Art. 17 Abs. 2, Art. 30 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Hardung, Die europäische Titelfreizügigkeit, 2020, S. 194 ff. bzw. 214 ff.; Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 17 VO Nr. 4/2009, Rn. 4 ff., Art. 30 VO Nr. 4/2009, Rn. 1 f.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 17 EG-UntVO, Rn. 13 ff., Art. 30 EG-UntVO, Rn. 1 ff.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 17 EG-UntVO, Rn. 8 ff., bzw. Andrae / Schimrick, in: ebd., Art. 30 EG-UntVO, Rn. 1 ff.

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

unionsrechtlicher Vollstreckungsrechtsbehelf mit dem Maßstab des ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats, der effektiven Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Klagezustellung, sowie der Kollision der Entscheidung mit einer inländischen oder anerkennungsfähigen – und früher ergangenen – Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat.69 Gesondert herauszuheben, da möglicherweise stilbildend für spätere Reformen anderer Instrumente oder die dortige Rechtsschutzpraxis der nationalen Gerichte, ist in diesem Zusammenhang die Erweiterung des materiellen Rechtsschutzkatalogs für güterrechtliche Entscheidungen, der eine ausdrückliche Pflicht zur Auslegung der Rechtsschutzgründe unter Beachtung der Grundrechtecharta statuiert; die Regelung nimmt primär den in Güterrechts­verfahren naturgemäß sensiblen Art. 21 GRCh über den Grundsatz der Nichtdiskriminierung in den Blick, eröffnet darüber hinaus aber – insoweit wird hier, ähnlich wie bei der EEA-Richtlinie zum strafrechtlichen Beweistransfer, die stärker am Schutz einzelstaatlicher Politikinteressen orientierte Handschrift der an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten sichtbar – Wege zu einer in der Praxis möglicherweise wesentlich weiterreichenden Kontrolle ausländischer Güterrechtsentscheidungen im europäischen Justizraum.70

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Vgl. Art. 23 EuEheVO (VO [EG] Nr. 2201/2003 [ABl. L 338, S. 1]); Art. 24 EuUnthVO (VO [EG] Nr. 4/2009 [ABl. L 7, S. 1]); Art. 40 EuErbVO (VO [EU] Nr. 650/2012 [ABl. L 201, S. 107]); Art. 37 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]). Im Einzelnen für ehe- und kindschaftsrechtliche Entscheidungen s. Paraschas, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 45. EL 7/2013, Art. 23 VO Nr. 2201/2003 (EheVO), Rn. 5 ff.; Siehr, in: Magnus / Mankowski Bd. 4, Art. 23 Brussels IIbis, Rn. 11 ff.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 23 Brüssel IIa-VO, Rn. 4 ff.; für Unterhaltsentscheidungen Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 42. EL 10/2011, Art. 24 VO Nr. 4/2009, Rn. 4 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 24 EG-UntVO, Rn. 2 ff.; Andrae / Schimrick, in: Rauscher Bd. 4, Art. 24 EG-UntVO, Rn. 4 ff.; für erbrechtliche Entscheidungen Schall / Simon, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 3 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 31 ff.; Franzmann / Schwerin, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 49. EL 6/2015, Art. 40 Europäische Erbrechtsverordnung 2012, Rn. 3 ff.; Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 40 EU-ErbVO, Rn. 3 ff.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 40 EU-ErbVO, Rn. 2 ff.; für güterrechtliche Entscheidungen schließlich Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 37 EU-EheGüVO, Rn. 5 ff.; Kroll-Ludwigs, in: Rauscher Bd. 4, Einf. EU-LP-GüterVO-E, Rn. 86 f.; Kroll-Ludwigs, GPR 2016, S. 231 (239 f.). Vereinzelt finden sich darüber hinaus Abwandlungen des Rechtsschutzmodells, die ordnungsbildend aber zu vernachlässigen sind; hierzu zählen namentlich die kindschafts- und ehespezifischen Versagungsgründe der EuEheVO, die die Überprüfung des rechtlichen Gehörs wegen der Beteiligung des Kindes etwas differenzierter ausformulieren (Art. 23 EuEheVO) bzw. die Nichtanerkennung von Ehescheidungen wegen unterschiedlicher materieller Ehevorschriften untersagen (Art. 25 EuEheVO), sowie ein Sonderrechtsbehelf bei einem unverschuldet ergangenen Versäumnisurteil in Unterhaltsverfahren (Art. 19 EuUnthVO). 70 Vgl. Art. 38 EuGüterVO (VO [EU] 2016/1103 [ABl. L 183, S. 1]); Mayer, in: MKFamFG Bd. 2, Art. 38 EU-EheGüVO, Rn. 1 f. (der der Vorschrift aber primär Appellcharakter zuschreibt).

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3. Künftige Arbeitsfelder supranationaler Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren Ähnlich wie bei den soeben thematisierten Regelungen über Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen wird die EU-Justizpolitik auch hier in der Konsolidierungsphase der kommenden Jahre allenfalls einen kleineren Arbeitsschwerpunkt setzen müssen. Eher am Rande deutet die bisherige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten derzeit noch auf Probleme hin: Auch hier sind die meisten Regelungsbereiche seit etwa dem Ende der 2010er Jahre, und verstärkt insbesondere nochmals seit dem Jahr 2015, jedenfalls in den wesentlichen Zügen durch die Rechtsprechung des EuGH näher konkretisiert und ausdifferenziert worden, und hat sich die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit dementsprechend bereits weitgehend in die Ausarbeitung der rechtlichen Details verlagert, wobei auch hier in einer erkennbaren strukturellen Parallele zur frühen Entwicklung von EuGVÜ und EuGVVO die zentralen unionsrechtlichen Begriffe der sachlichen und örtlichen Zuständigkeitsregelungen des Sekundärrechts im Zentrum stehen. Im Einzelnen entwickelt der EuGH bei ersteren bisher ein fast durchgehend liberales Verständnis der sachlichen Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte; in aller Regel ist hier der Anwendungsbereich der Sekundärrechtsakte eröffnet.71 Bei letzteren scheint die Richtung noch etwas offener; im Mittelpunkt stehen hier die Konkretisierung des unionsrechtlichen „gewöhnlichen Aufenthalts“ innerhalb des europäischen Justizraums und der Gerichtsstände bei Kindesentführungen und Unterhaltsverfahren.72 71 So unterfallen den Zuständigkeits-, Anerkennungs- und Vollstreckungsregelungen des Justizraums etwa – hier nur mit Blick auf die Abgrenzung insbesondere zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten – Entscheidungen über die Inobhutnahme und Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien (EuGH, Rs. C-435/06 [C], EU:C:2007:714, Rn. 25 ff.; Rs. C-523/07 [A], EU:C:2009:225, Rn. 23 ff.), die Unterbringung eines Kindes in einer geschlossenen Einrichtung (EuGH, Rs. C-92/12 PPU [Health Service Executive], EU:C:2012:255, Rn. 57 ff.), nicht aber, wie der Gerichtshof im Rahmen der Rom III-Verordnung zum anwendbaren Ehescheidungsrecht festgestellt hat, was aber gleichermaßen für die EuEheVO gelten dürfte – Ehescheidungen, die vor einem geistlichen Gericht durch einen der beiden Partner durch eine einseitige Erklärung herbeigeführt werden können, s. EuGH, Rs. C-372/16 (Sahyouni), EU:C:2017:988, Rn. 36 ff. 72 Für das Verständnis des gewöhnlichen Aufenthalts der Verfahrensbeteiligten im Justizraum stellt die Rechtsprechung bisher allgemein auf eine Reihe im Einzelfall durch das angerufene Gericht zu gewichtende Kriterien der sozialen Integration in einem Mitgliedstaat ab, wozu namentlich die zeitliche Dauer oder Regelmäßigkeit, die Umstände und Gründe für den Auf­enthalt die Staatsangehörigkeit, etwaige Sprachkenntnisse, sowie familiäre und soziale Bindungen zählen sollen, s. etwa EuGH, Rs. C-523/07 (A), EU:C:2009:225, Rn. 31 ff.; speziell für den gewöhnlichen Aufenthalt von Kindern tritt der tatsächliche Lebensmittelpunkt hinzu, EuGH, Rs. C-512/17 (HR), EU:C:2018:583, Rn. 39 ff., und wird allgemein die physische Anwesenheit im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts vorausgesetzt, s. EuGH, Rs. C-111/17 PPU (OL), EU:C:2017:436, Rn. 36 ff., bzw. Rs. C-393/18 PPU (UD), EU:C:2018:835, Rn. 45 ff. Die unterhaltsrechtlichen Zuständigkeitsfragen betreffen bisher in der Regel die grenzüberschreitende Koordinierung der Gerichte im europäischen Justizraum, wenn gleichzeitig Ehescheidungs-, Sorgerechts- und Unterhaltsanträge in verschiedenen Mitgliedstaaten gestellt werden; s. EuGH, Rs. C-759/18 (OF), EU:C:2019:816, Rn. 32 ff.; Rs. C-468/18 (R), EU:C:2019:666, Rn. 29 ff.; Rs. C-499/15 (W und V), EU:C:2017:118, Rn. 48 ff.; Rs. C-403/09 PPU (Deticek),

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

Als weiteres Betätigungsfeld des EuGH treten hier zunächst die etwa zeitgleich einsetzenden, seither aber etwas abnehmenden Vorabentscheidungen zur Rechtshängigkeit paralleler Verfahren in mehreren Mitgliedstaaten hervor, bei denen der Gerichtshof – distinkt anders als bei der EuGVVO – den strikten Vorrang des früheren Verfahrens im konkreten Fall zugunsten des Kindeswohls abmilderte, und dabei teilweise eine eigenständige, wenn auch rudimentäre, Dogmatik ungeschriebener Kommunikations- und Informationspflichten der Gerichte zugrundelegte.73 In jünEU:C:2009:810, Rn. 33 ff. Daneben lassen sich der EuGH-Rechtsprechung auch erste allgemeine Aussagen zum Verhältnis der unionsrechtlichen und der nationalen Zuständigkeitsordnungen in Erb- und Familienrechtsverfahren im europäischen Justizraum entnehmen. So hat der Gerichtshof etwa die Berufung auf konkurrierende grenzüberschreitende Zuständigkeitsregelungen des nationalen Verfahrensrechts im Anwendungsbereich der einschlägigen Verordnungen zurückgewiesen, namentlich hinsichtlich Verfahren mit Drittstaatsbezug, für die auch nach europäischem Sekundärrecht ein Gerichtsstand gegeben wäre, s. EuGH, Rs. C-20/17 (Oberle), EU:C:2018:485, Rn. 30 ff., bzw. Rs. C-68/07 (Sundelind Lopez), EU:C:2007:740, Rn. 18 ff. Umgekehrt kann allerdings auf nationaler Ebene etwa durch eine Zuständigkeitskonzentration für grenzüberschreitende Unterhaltsstreitigkeiten von den Vorgaben des Sekundärrechts abgewichen werden, wenn damit eine ordnungsgemäße Rechtspflege gefördert und insbesondere die Interessen des Unterhaltsberechtigten an einer effektiven Durchsetzung ihrer Ansprüche gestärkt werden, s. EuGH, Rs. C-400/13 (Sanders und Huber), EU:C:2014:2461, Rn. 23 ff., sowie im Grundsatz auch für Kindesrückgabeverfahren EuGH, Rs. C-498/14 PPU (RG), EU:C:2015:3, Rn. 41 ff. 73 S. EuGH, Rs. C-296/10 (Purrucker II), EU:C:2010:665, Rn. 80 ff.: Demnach müssen die Gerichte des europäischen Justizraums sich bei Zweifeln, ob in einem anderen Mitgliedstaat bereits ein Verfahren über denselben Streitgegenstand anhängig ist, zum einen bei derjenigen Partei, die die Rechtshängigkeit geltend macht, über den dortigen Verfahrensinhalt erkundigen, und zum anderen das fragliche Gericht des anderen Mitgliedstaats auf die im Raum stehende Verfahrenskollision hinweisen und um nähere Informationen zum Verfahrensgegenstand und den zuständigkeitsbegründenden Sachverhaltselementen bitten; daneben kann die zentrale Behörde um Unterstützung bei der Aufklärung der Zuständigkeitsfrage gebeten werden. Sodann hat das später angerufene Gericht abzuwarten, ob sich auf diesem Wege eine hinreichende Informationsbasis gewinnen lässt, wobei sich der relevante Zeitraum allgemein an der konkreten Verfahrenssituation, und insbesondere an den Belangen des Kindeswohls der am Verfahren beteiligten minderjährigen Personen unter besonderer Berücksichtigung von deren Alter auszurichten hat. Ergibt sich dabei, dass das zuerst angerufene Gericht des anderen Mitgliedstaats seine Zuständigkeit für ein bereits rechtshängiges Verfahren bejaht, hat das später angerufene Gericht sich – insoweit dann wieder nach den allgemeinen Rechtshängigkeitsregeln der Verordnung – für unzuständig zu erklären, und insbesondere eine eigene Nachprüfung der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts zu unterlassen. Nur dann, wenn sich trotz hinreichender Bemühungen innerhalb der angemessenen Frist keine ausreichenden Informationen über das im anderen Mitgliedstaaten möglicherweise rechtshängige Parallelverfahren gewinnen lassen, darf das Verfahren vor dem später angerufenen Gericht fortgesetzt werden. Stellt sich später heraus, dass tatsächlich kein Parallelverfahren in einem anderen Mitgliedstaat rechtshängig war, entspricht dies im Ergebnis wiederum ohne weiteres den Vorgaben der Verordnung; soweit hingegen tatsächlich derselbe Streitgegenstand bereits in einem anderen Mitgliedstaat rechtshängig war, wird gegebenenfalls entgegen Art. 19 Abs. 2 EuEheVO der Vorrang des tatsächlich zuerst befassten Gerichts durchbrochen, und können die Verfahren in beiden Mitgliedstaaten (unter der Gefahr zweier einander widersprechender Entscheidungen, die beide grundsätzlich Geltung im europäischen Justizraum beanspruchen können) unabhängig voneinander fortgesetzt werden. Auch dann, wenn sich das Verfahren vor dem zuerst angerufenen Gericht nach der Befassung

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gerer Zeit wächst die Vorlagepraxis der Erb- und Familiengerichte nun nochmals etwas in die Breite; eine bereits relativ differenzierte Rechtsprechung mit sowohl liberalen als auch restriktiven Elementen entwickelt sich vor allem für Gerichtsstandvereinbarungen,74 während für die unionsweite Verweisung sorgerechtlicher Verfahren75 zumindest erste EuGH-Judikate zu konstatieren sind. In ähnlicher Weise finden sich auch für die Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzvorschriften der erb- und familienrechtlichen Rechtsakte mittlerweile verschiedene Vorabentscheidungen, wobei allerdings ins Auge fällt, dass das Aufkommen nach einer ersten Welle in den späten 2000er Jahren nun eher zurückgeht; als Grundlinie lässt sich dabei die Absicherung des sekundärrechtlichen Regelungsmodells gegenüber nationalen Ausnahmeregelungen auch in sensiblen Konstellationen erkennen, vor allem bei der korrekten Durchführung des formalisierten Exequaturverfahrens76 soder Gerichte eines anderen Mitgliedstaats erledigt, soll die Rechtshängigkeitssperre entfallen, und kann dementsprechend das Verfahren in dem anderen Mitgliedstaat fortgesetzt werden; EuGH, Rs. C-489/14 (A), EU:C:2015:654, Rn. 27 ff. 74 Demnach soll jedenfalls die einvernehmliche Antragstellung durch beide Eltern für eine Kindschaftssache bei den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats als dem des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes stillschweigend die dortige Zuständigkeit begründen, EuGH, Rs. C-565/16 (Saponaro), EU:C:2018:265, Rn. 22 ff.; dabei ist namentlich auch nicht von Belang, ob in dem fraglichen Mitgliedstaat möglicherweise bereits anderweitige Verfahren zwischen denselben Beteiligten, insbesondere über eine Ehescheidung, anhängig sind, EuGH, Rs. C-656/13 (L), EU:C:2014:2364, Rn. 38 ff. Auch eine wirksam vereinbarte Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats bleibt aber nach dem EuGH strikt auf den betreffenden Verfahrensgegenstand beschränkt, und entfaltet für etwaige spätere Verfahren keine Wirkung mehr, sobald die dortigen Gerichte eine rechtskräftige Entscheidung getroffen haben, EuGH, Rs. C-436/13 (E), EU:C:2014:2246, Rn. 37 ff. 75 Dabei hat der EuGH zum einen klargestellt, dass die unmittelbare grenzüberschreitende Verweisung innerhalb des Justizraums nach Art. 15 EuEheVO nur dann zum Tragen kommt, wenn das Verfahren ausnahmsweise an einen sonst unzuständigen Mitgliedstaat übergeben werden soll; besteht hingegen auch für den anderen Mitgliedstaat ohnehin bereits eine Zuständigkeit nach der Verordnung, kann der Verweisungsmechanismus nicht dazu genutzt werden, die Anrufung eines der – insbesondere aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts oder einer Gerichtsstandvereinbarung – zuständigen Gerichte durch die Parteien zu unterlaufen, EuGH, Rs. C-478/17 (IQ), EU:C:2018:812, Rn. 30 ff. Zum anderen hat der Gerichtshof – auch hier in der Sache eher restriktive – erste Konkretisierungen der rechtlichen Maßstäbe für eine grenzüberschreitende Verweisung von Kindschaftssachen zwischen zwei Gerichten unterschiedlicher Mitgliedstaaten nach Art. 15 EuEheVO formuliert, s. EuGH, Rs. C-530/18 (EP), EU:C:2019:583: Die unmittelbare unionsweite Abgabe des Verfahrens bildet demnach einen nur begrenzt verallgemeinerungsfähigen Ausnahmefall (Rn. 24 f.), der insbesondere auch keine Verpflichtung zur Verweisung vorsieht, sondern dem verfahrensführenden Gericht ein weites Ermessen belässt, das Verfahren zu behalten, wenn es die Bindungen des betroffenen Kindes zum eigenen Mitgliedstaat für stärker hält (Rn. 27 ff.); soll gleichwohl eine Verweisung erfolgen, kann dies nicht rein abstrakt mit den Vorzügen des Verfahrensrechts des anderen Mitgliedstaats begründet werden, sondern erfordert die Darlegung eines konkreten Nutzens für das Kindeswohl (Rn. 39 ff.). 76 So hat der EuGH namentlich etwa für grenzüberschreitende Unterbringungsentscheidungen im europäischen Justizraum die Verpflichtung zur Durchführung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens unterstrichen, s. EuGH, Rs. C-92/12 PPU (Health Service Executive), EU:C:2012:255, Rn. 100 ff. In verfahrensrechtlicher Hinsicht finden sich zudem eine ausdrückliche Bestätigung des Gerichtshofs hinsichtlich der Möglichkeit, die Einleitung des Exequatur-

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

wie der Auslegung des ordre public und der anderen Rechtsschutzgründe,77 wobei die Bedeutung des ersteren in der Praxis der nationalen Gerichte ausweislich der letzten umfassenden Erhebung im Jahre 2011 bereits auffällig gering erscheint.78 verfahrens unmittelbar bei den zuständigen Fachgerichten des Vollstreckungsmitgliedstaats (anstelle von deren Zentraler Behörden) zu beantragen, EuGH, Rs. C-283/16 (S.), EU:C:2017:104, Rn. 27 ff. 77 Hier verfolgt der EuGH eine ausgesprochen restriktive Linie: Selbst das bewusste Übergehen der grenzüberschreitenden Rechtshängigkeitsregeln der Verordnung, sogar zulasten der Gerichte des nunmehr zur Vollstreckung berufenen Mitgliedstaats, rechtfertigt keine Berufung auf den ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats, s. EuGH, Rs. C-386/17 (Liberato), EU:C:2019:24, Rn. 31 ff. Hinsichtlich der materiellen Konkretisierung des grenzüberschreitenden ordre public im Justizraum hebt der EuGH zwar einerseits insbesondere die Bedeutung des Kindeswohls, und insoweit insbesondere die Frage nach hinreichendem rechtlichen Gehör des Kindes, für die ordre public-Prüfung im Einzelfall hervor (allgemein EuGH, Rs. C-455/15 PPU [P], EU:C:2015:763, Rn. 35 ff.; insbesondere mit Blick auf die Anhörung des Kindes zudem EuGH, Rs. C-491/10 PPU [Aguirre Zarraga], EU:C:2010:828, Rn. 43 ff.), hat aber andererseits auch hier klargestellt, dass im Grundsatz die Prüfung der betroffenen Kindeswohlbelange den Gerichten des Urteilsmitgliedstaats überlassen bleibt (EuGH, Rs. C-211/10 PPU [Povse], EU:C:2010:400, Rn. 81 ff.; Rs. C-491/10 PPU [Aguirre Zarraga], EU:C:2010:828, Rn. 43 ff. [Besprechung bei Britz, JZ 2013, S. 105 {109 f.}]), und ansonsten jenseits von Zweifeln an der Authentizität der beigefügten Bescheinigung über die Entscheidung die vom Sekundärrecht genannten Ablehnungsgründe abschließend zu verstehen, und weitergehender Rechtsschutz im Vollstreckungsmitgliedstaat dementsprechend ausgeschlossen sind, EuGH, Rs. C-195/08 PPU (Rinau), EU:C:2008:406, Rn. 57 ff.; Rs. C-211/10 PPU (Povse), EU:C:2010:400, Rn. 81 ff. 78 Für Ehescheidungen aus einem anderen Mitgliedstaat wurde von keiner einzigen wegen eines ordre public-Verstoßes versagten Anerkennung berichtet, wobei allerdings auch entweder das Fallaufkommen in den Mitgliedstaaten marginal war (der französische Länderbericht spricht von zwei Anerkennungsverfahren, der deutsche und der österreichische jeweils von einem, und die Berichte der baltischen Mitgliedstaaten jeweils von „wenigen Fällen“), oder überhaupt keine Angaben der Mitgliedstaaten vorlagen (Zypern, Finnland, Polen, Portugal, Irland, Italien, Slowenien, Schweden, Spanien, Ungarn); European Parliament, Interpretation of the Public Policy Exception as referred to in EU Instruments of Private International and Procedural Law, 2011, S. 94 f., Tabelle 3. 3. 1. Ebenfalls keine einzige Feststellung eines ordre public-Verstoßes vermeldeten die Mitgliedstaaten – aber auch hier mit nur unwesentlich höherer Gesamtzahl der Fälle (etwa 12 Verfahren in Großbritannien, 4 in Deutschland, 2 in Österreich, ein einziges in Spanien, und wiederum „wenige“ in den baltischen Mitgliedstaaten) – bei der Anerkennung von Entscheidungen in Kindschaftsverfahren (wobei auch hier keine Daten zu Zypern, Irland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Schweden, Slowenien und Ungarn vorlagen), s. ebd., S. 103 ff., Tabelle 3. 4. 1. Deutschland, Spanien und Großbritannien berichten dabei von einer engen Auslegung des ordre public in Ehesachen durch die nationalen Gerichte, und von einem entsprechenden Verständnis in Kindschaftssachen die Niederlande, Spanien und wiederum Großbritannien, wohingegen die Gerichte in Portugal bei letzterem ausdrücklich eine weite Auslegung des ordre publics vornahmen. Im Grundsatz scheinen zudem die italienischen Gerichte sich zumindest in Ehescheidungsverfahren auf die Prüfung rein verfahrensrechtlicher Fragen im Rahmen der ordre public-Kontrolle zu beschränken (wobei im Übrigen die Situation für Finnland, Deutschland, Portugal, Spanien und Großbritannien uneinheitlich, und für alle anderen Mitgliedstaaten nicht bekannt ist; ebd., S. 95 ff., Tabelle 3. 3. 2 (a)), und in Kindschaftsverfahren zu etwa gleichen Teilen verfahrensrechtliche (Österreich, Finnland, Deutschland, Litauen, Spanien) und materiell-rechtliche Kontrollen (Niederlande, Portugal, Großbritannien, sowie auch hier Finnland und Deutschland) durchgeführt zu werden; ebd., S. 105 ff., Tabelle 3. 4. 2 (a).

II. Siebter Baustein. Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren

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Wo die EU-Justizpolitik und der Unionsgesetzgeber hier derzeit noch auf punktuelle Reformfragen stoßen, betreffen diese in der Regel grundlegende Begriffsarbeit (die freilich oftmals wohl ebenfalls künftiger EuGH-Rechtsprechung überlassen werden kann), oder die Präzisierung innovativer Regelungskonzepte, die ohne entsprechende Vorbilder im Unionsrecht erstmals mit den familien- und erbrechtlichen Sekundärrechtsakten entwickelt und implementiert worden sind. Dies gilt etwa für zwischen den Mitgliedstaaten divergierende Ehe- und Partnerschaftskonzepte,79 ebenso für den Begriff des „Familienverhältnisses“ in Unterhaltsverfahren,80 sowie für letztlich nahezu alle Grenzkonstellationen in Nachlassverfahren, wo wegen des Pioniercharakters der EuErbVO weder auf bereits bestehende Begriffsbildungen des internationalen Verfahrensrechts, noch  – etwa hinsichtlich freiwilliger und streitiger Gerichtsbarkeit, der erbrechtlichen Kompetenzen des Notariats, oder der Abgrenzung gegenüber Insolvenz-, Unterhalts- und Güterverfahren – auf einen bestehenden informellen Konsens der Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden kann.81 In ähnlicher Weise bildet für die Zuständigkeits- und Maßstabsregelungen mit ihren komplexen multiplen sekundärrechtlichen Anknüpfungen und Verweisungsregeln vor allem die Klärung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts eine zentrale Frage,82 stellen sich daneben aber auch praktisch so relevante wie intrikate Fragen 79 Namentlich die nach dem Recht diverser Mitgliedstaaten mögliche gleichgeschlechtliche Ehe und die in einigen Mitgliedstaaten anzutreffenden, als rechtliches Minus gegenüber der Ehe ausgestalteten alternativen verschiedengeschlechtlichen Partnerschaftsformen stehen dabei im Zentrum der rechtspolitischen Debatte; s. Hau, in: Leible / Terhechte, § 16, Rn. 12 m. w. N.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 1 Brüssel IIa-VO, Rn. 5 ff.; Gottwald, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 1 EU-EheVO, Rn. 5 (der für einen auf die traditionelle Ehe begrenzten Anwendungsbereich plädiert). 80 Ausführlich zu den zahlreichen bisherigen Abgrenzungsproblemen – von der Grundfrage der unionsrechtsautonomen oder mitgliedstaatlichen Bestimmung des „Familienverhältnisses“ bis zu zahlreichen Einordnungsfragen spezifischer einzelner Unterhaltsansprüche (etwa: An­ sprüche aus eingetragener Lebenspartnerschaft, faktischen nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Geschwisterschaft) – etwa Martiny, in: Leible / Terhechte, § 17, Rn. 7 m. w. N.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Einl. EG-UntVO, Rn. 46 und Art. 1 EG-UntVO, Rn. 9 ff.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 1 EG-UntVO, Rn. 14 ff. 81 Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 2 EU-ErbVO, Rn. 3; Dutta, in: Leible / Terhechte, § 18, Rn. 1 f. (streitige und freiwillige Gerichtsbarkeit), 15 f. (Einbeziehung von Notaren in das Regime der Verordnung), sowie 10 ff. (parallele insolvenz- oder familienrechtliche Verfahrens­bezüge). 82 Insbesondere wegen der zahlreichen denkbaren Anknüpfungs- und Wertungsgesichts­ punkte bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts (und nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Verbreitung des Begriffs in diversen völkerrechtlichen Übereinkommen zur Zusammenarbeit der Gerichte in familienrechtlichen Streitigkeiten) wird die Entwicklung eines einheitlichen Begriffskonzepts in der Literatur als eine der zentralen künftigen Herausforderungen der EuGH-Rechtsprechung und europäischen Justizpolitik angesehen; s. nur Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Art. 3 Brüssel IIa-VO, Rn. 21 ff., Hau, in: Leible / Terhechte, § 16, Rn. 47 f.; Gottwald, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 3 EU-EheVO, Rn. 7 f.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 2 EG-UntVO, Rn. 16 ff. (mit der allgemeinen Forderung, der Aufenthaltsbegriff der Verordnung müsse sich gleichermaßen in den systematischen Kontext der anderen familienrechtlichen Sekundärrechtsakte des Unionsrechts sowie der völkerrechtlichen Begrifflichkeiten insbesondere des Haager Unterhaltsübereinkommens einfügen, Rn. 18); Martiny, in: Leible / Terhechte, § 17, Rn. 19; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 3 EG-UntVO, Rn. 23 ff. (auch mit Überlegungen zu

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

wie etwa nach einem angemessenen Regime für den unionsweiten Unterhalts­ regress der öffentlichen Hand.83 Für die Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzregelungen lassen sich als potentiell reformrelevante Felder zum einen die unionsweite Vollstreckung von Unterhaltsurteilen markieren, wo wegen der Anbindung an das Haager Unterhaltsprotokoll einerseits rechtliche, wegen der Komplexität unterhaltsrechtlicher Forderungen als Dauerschuldverhältnisse mit engem Bezug zu statusrechtlichen Fragen und regelmäßiger Beteiligung Drittleistender andererseits bisweilen praktische Schwierigkeiten bestehen,84 zum anderen aber auch unionsweite Erb- sowie Güterrechtsentscheidungen, wo vor allem die begriffliche und rechtliche Neuschöpfung einer unionsweiten „Annahme“ öffentlicher Urkunden im Mittelpunkt steht.85 Abschließend wird die EU-Justizpolitik hier angesichts der weiterhin anhaltenden Reformdiskussion86 zum einen zumindest perspektivisch Elementen eines gemeinsamen Begriffskerns der verschiedenen familienrechtlichen Rechtsakte); Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 4 EU-ErbVO, Rn. 12 ff. (mit Plädoyer für eine primär am jeweiligen Verordnungszweck orientierte Auslegung); Dutta, in: Leible / Terhechte, § 18, Rn. 23 f.; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 4 EU-ErbVO, Rn. 6 ff. m. w. N.; ausführlich zu den übergreifenden Konturen des Begriffs im Unionsrechts schließlich Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt im System des Europäischen Kollisionsrechts, 2017, S. 191 ff. 83 Das zentrale rechtspolitische Problem liegt dabei in der Frage, ob und inwieweit auch dem Rückgriff nehmenden Hoheitsträger die Begünstigung eines Klägergerichtsstands im Mitgliedstaat des Unterhaltsberechtigten zustehen soll; s. nur Martiny, in: Leible / Terhechte, § 17, Rn. 20 m. w. N.; Andrae, in: Rauscher Bd. 4, Art. 3 EG-UntVO, Rn. 44 m. w. N.; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Vorbemerkung zu Art. 3 EG-UntVO, Rn. 29 ff. (mit Plädoyer für eine pragmatische Lösung und eine entsprechende Zuständigkeitserweiterung zugunsten der Behörden der Mitgliedstaaten). 84 S. aus der entsprechenden Reformdebatte nur Martiny, in: Leible / Terhechte, § 17, Rn. 96; Andrae / Schimrick, in: Rauscher Bd. 4, Art. 21 EG-UntVO, Rn. 30 bzw. ebd., Art. 30 EG-UntVO, Rn. 12 (am Beispiel typischerweise auftretender Probleme wie der fehlenden Harmonisierung der Pfändungsfreigrenzen der nationalen Unterhaltsvorschriften und der oftmals auftretenden Bestimmtheitsprobleme insbesondere indexierter ausländischer Unterhaltsentscheidungen). 85 Die wohl entweder durch künftige EuGH-Judikate, oder aber eine etwaige Novelle der einschlägigen Rechtsakte zu präzisierenden Wirkungen dieses bis dato unbekannten, als Kompromisslösung gegenüber den ursprünglich noch weitergehenden Plänen der Kommission geschöpften Regelungskonzepts – das vage auf eine Anerkennung der verfahrens-, nicht aber der materiellrechtlichen Wirkungen öffentlicher Urkunden in den anderen Mitgliedstaaten zu zielen scheint –, werden in der Literatur vielfach problematisiert (und der Unionsgesetzgeber wegen der neu geschaffenen Unklarheiten teils heftig kritisiert); s. nur Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 59 EU-ErbVO, Rn. 1; Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Art. 59 EU-ErbVO, Rn. 1 ff. m. w. N.; Dutta, in: Leible / Terhechte, § 18, Rn. 62 ff. m. w. N.; Mayer, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 58 EU-EheGüVO, Rn. 1 (der mit Blick auf die parallelen Regelungen der Eu-GüterVO vom hybriden Konzept einer „verfahrensrechtlichen Kollisionsnorm“ spricht); Kroll-Ludwigs, GPR 2016, S. 231 (240, zu den vergleichbaren Vorschriften der EuGüterVO). Ausführliche Analyse außerdem bei Schmitz, Die Annahme öffentlicher Urkunden nach Art. 59 Abs. 1 EuErbVO, 2020, S. 109 ff. 86 Die längerfristige Sinnhaftigkeit des Festhaltens am Exequaturverfahren für erb- und familienrechtliche Entscheidungen ist in der Literatur eine der zentralen Reformfragen: S. etwa hinsichtlich des bestehenden Regelungsregimes in Unterhaltsverfahren Martiny, in: Leible / Terhechte, § 17, Rn. 38; Lipp, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 15 EG-UntVO, Rn. 4 (der die Begründung des Unionsgesetzgebers, die einheitliche kollisionsrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten garantiere die Wahrung verfahrensrechtlicher Mindeststandards, zwar für sachlich nicht tragfähig hält, aber im materiellrechtlichen Gleichlauf dennoch eine hinreichende Basis für

II. Siebter Baustein. Entscheidungen in erb- und familienrechtlichen Verfahren

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die Frage im Blick behalten müssen, ob und inwieweit mittelfristig die Anerkennungs- und Vollstreckungsregelungen an ihr Pendant in Zivil- und Handelssachen angeglichen werden sollten: Insoweit hatte die Kommission bereits im Jahr 2016 als logischen nächsten Entwicklungsschritt nach der EuGVVO-Reform die Überarbeitung auch der EuEheVO avisiert, die zu einer vollständigen Abschaffung des Exequaturverfahrens in ehe- und kindschaftsrechtlichen Verfahren geführt hätte, und ferner Änderungsvorschläge zu fünf weiteren vollstreckungsrechtlichen Themen­kreisen insbesondere in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren formuliert;87 zügig entwickelte sich hier jedoch ein klarer politischer Gegensatz zwischen den konsultierten Interessenträgern einerseits – die Kommission ermittelte als status quo einen Aufwand von mehreren Monaten und bis zu 4000 Euro pro Exequatur­entscheidung, und eine Zustimmung von 86 % der konsultierten Verfahrensbeteiligten und Justizpraktiker zur geplanten Reform88 –, und einer Reihe von Mitgliedstaaten andererseits, weshalb die Kommission das Reformprojekt weitgehend geräuschlos noch im Jahr 2016 zunächst wieder begrub.89 Zum anderen bleibt ebenfalls zu beobachten, ob auf längere Sicht die kollisionsrechtliche Einheit des Justizraums durch die bestehenden Sekundärrechtsakte hinreichend gewährleistet wird, oder eine Zersplitterung des anwendbaren Rechts in erb- und familienrechtlichen Verfahren droht, durch die der mittlerweile erreichte, teilweise durchaus mühsam erarbeitete erb- und familienrechtliche Integrationsstand der Mitgliedstaaten und ihrer Gerichte empfindlich unterlaufen würde:90 Vom Haager Unterhaltsprotokoll die EuUnthVO-Regelungen zur Vollstreckbarkeit erblickt); ähnlich für die EuErbVO Dutta, in: Leible / Terhechte, § 18, Rn. 61 (Exequaturverfahren als „Anachronismus“); Rauscher, in: MK-FamFG Bd. 2, Art. 43 EU-ErbVO, Rn. 1; a. A. aber etwa Hertel, in: Rauscher Bd. 5, Vorbem zu Art. 39 ff. EU-ErbVO, Rn. 1, der der bewussten Entscheidung des Unionsgesetzgebers zustimmt, insoweit zunächst die Bewährung der entsprechenden Regelungen der reformierten EuGVVO abzuwarten, und in diesem Lichte dann behutsam näher über mögliche Reformen der familien- und erbrechtlichen Parallelrechtsakte nachzudenken. 87 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung), COM(2016) 411 final, S. 1 ff.; Überblick bei Weller, IPrax 2017, S. 222 ff. 88 Zahlen nach Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung), COM(2016) 411 final, S. 5; Europäische Kommission, Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung), SWD(2016) 208 final, S. 3. 89 Vgl. Gottwald, in: MK-FamFG Bd. 2, Vorbemerkung zu Art. 1 EU-EheVO, Rn. 12. 90 S. nur Leible, in: Leible / Terhechte, § 14, Rn. 60 f.; Hess, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd.  1, 42. EL 9/2010, Art. 81 AEUV, Rn. 64; Wagner, RabelsZ 79 (2015), S. 521 (526 f.); Britz, JZ 2013, S. 105 (110). Auch Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Einl. Brüssel IIa-VO, Rn. 46 f. warnt vor einem weiteren Anstieg der Unübersichtlichkeit der kollisionsrechtlichen Regelungen im europäischen Justizraum, und äußert überdies grundlegende Zweifel an der längerfristigen Kompromissfähigkeit der Mitgliedstaaten; Winkler von Mohrenfels, in: MK-BGB, Vorbemer-

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sind derzeit zwar nur Dänemark und Großbritannien ausgenommen; die nach langwierigen Gesetzgebungsverfahren von vornherein nur per Verstärkter Zusammenarbeit erlassenen Kollisionsvorschriften in Güter- sowie in Ehesachen gelten jedoch – bei unionsweit schon im Jahr 2007 rund 300 000 neu geschlossenen und 500 000 aufgelösten binationalen Ehen, sowie rund 40 000 neu geschlossenen und 10 000 aufgelösten binationalen eingetragenen Partnerschaften91 – derzeit nur für jeweils siebzehn Mitgliedstaaten, und etwa zwei Drittel der Unionsbevölkerung.92

III. Achter Baustein. Supranationale Entscheidungen in Strafsachen  1. Unionsweite Entscheidungsvoraussetzungen (Zuständigkeits- und Maßstabsfunktion) Neben den Rechtsakten der gegenseitigen Anerkennung hat der Unionsgesetzgeber auf der Grundlage von Art. 82 Abs. 1 und 2 sowie Art. 83 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV zahlreiche Vorschriften zur Mindestangleichung des Strafverfahrensrechts und materiellen Strafrechts erlassen; wegen der Sensibilität für die Souveränitätsinteressen der Mitgliedstaaten kommen dabei lediglich Rahmenbeschlüsse und Richtlinien mit entsprechenden Ausgestaltungsspielräumen der Mitgliedstaaten zum Einsatz. Das Regelungskonzept des Unionsgesetzgebers lässt sich bisher als „föderale Rahmenentscheidung“ skizzieren, die lediglich europäische Mindeststandards definiert, und ansonsten auch die Umsetzung individueller Regelungsinteressen der Mitgliedstaaten ermöglicht. Die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit einzel­ kung zu Art. 1 Rom III-VO, Rn. 6, schreibt der Rom III-Verordnung insoweit nicht zuletzt auch die Funktion eines Testballons zu, inwieweit die Verstärkte Zusammenarbeit auf dem rechtspolitisch sensiblen Gebiet des erb- und familienrechtlichen Kollisionsrechts längerfristig einen gangbaren Weg für den Unionsgesetzgeber bieten könnte. S. ferner zu den – bisher aber nur in allerersten Ansätzen vorhandenen – darüber hinausgehenden Ansätzen zu einer Annäherung auch der materiellen Vorschriften der Mitgliedstaaten in Ehe- und Kindschaftssachen, die bisher im Wesentlichen aus vereinzelten regionalen Abkommen und wissenschaftlichen Vorarbeiten bestehen, Hau, in: Leible / Terhechte, § 16, Rn. 76 m. w. N.; Rauscher, in: Rauscher Bd. 4, Einl. Brüssel IIa-VO, Rn. 56 m. w. N. 91 Europäische Kommission, Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen der Güterstände internationaler Paare (eheliche Güterstände und Güterstände eingetragener Partnerschaften), COM(2016) 108 final, S. 7. 92 Europäische Kommission, Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen der Güterstände internationaler Paare (eheliche Güterstände und Güterstände eingetragener Partnerschaften), COM(2016) 108 final, S. 9; näher Winkler von Mohrenfels, in: MK-BGB, Vorbemerkung zu Art. 1 Rom III-VO, Rn. 6 ff.; vertiefend zur verstärkten Zusammenarbeit bei der Rom III-VO Lignier / Geier, RabelsZ 79 (2015), S. 546 (571 ff.); Zeitzmann, ZEuS 2011, S. 87 ff.

III. Achter Baustein. Supranationale Entscheidungen in Strafsachen   

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staatlicher Gerichte und Justizbehörden für unionsweite Strafentscheidungen wird dabei auf sekundärrechtlicher Ebene sehr pragmatisch vorgenommen; regelmäßig finden sich hier ein allgemeiner Verweis auf die Gerichts- und Behördensysteme der Mitgliedstaaten und die Pflicht, die jeweils im Anwendungsbereich des fraglichen Sekundärrechtsakts zuständigen Stellen gegenüber dem Rat oder der Kommission zu benennen. Neben den Zuständigkeiten für Strafverfahren findet sich ein unionsrechtsautonomer Begriff für „Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften“, der der Sache nach die diversen Ordnungswidrigkeitenregime der Mitgliedstaaten erfassen soll; analog zur Abgrenzung der Zivil-, Erb- und Familienrechtsgerichte gegenüber Verwaltungsverfahren und -gerichten verläuft die Trenn­linie der sachliche Zuständigkeit damit vor allem anhand der Abgrenzung gegenüber Verwaltungsbehörden im Allgemeinen und Polizei- und sonstigen Gefahrenabwehrbehörden im Besonderen.93 Die darauf aufbauende örtliche Zuständigkeit der nationalen Strafverfolgungsorgane wird auf Unionsebene nur sehr fragmentarisch geregelt: Im Grundsatz bewendet es hier bei den allgemeinen völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln der staatlichen Strafgewalt, in erster Linie dem Territorialitätsprinzip, und sodann dem aktiven und passiven Personalitätsprinzip, dem sogenannten Staatsschutz- bzw. Realprinzip, und dem Weltrechtsprinzip;94 bereichsspezifisch treten bisweilen sekundärrechtliche Pflichten der Mitgliedstaaten hinzu, für bestimmte Delikte extraterritoriale Zuständigkeiten ihrer Strafverfolgungsorgane zu schaffen.95 Die materiellen Zuständigkeitsanknüpfungen für Strafverfahren im 93

Näher Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 637 (zum RB-Haftbefehl); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 64; Meyer, in: von der Groeben / ​ Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 82 AEUV, Rn. 4; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd.  1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 12 f., 15. 94 Ersteres knüpft an den Ort der Tatbegehung, zweiteres an die Staatsangehörigkeit des Täters, das passive Personalitätsprinzip an die Staatsangehörigkeit des Opfers, und das Weltrechtsprinzip schließlich an Rechtsgüter oder Interessen der internationalen Staatengemeinschaft an: Ausführlich Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, S. 23 ff., 28 ff. (zur allgemeinen Konzeption des Völkerrechts bzw. sodann mit differenzierter Darstellung der einzelnen Anknüpfungselemente); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. 2018, S. 41 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 208 ff. 95 Das Regelungskonzept des Unionsgesetzgebers hat sich dabei im Laufe der Zeit leicht ausdifferenziert: Vgl. im Detail zunächst Art. 9 Abs. 1 und 2 RB-Betrug und Fälschung unbarer Zahlungsmittel (RB 2001/413/JI [ABl. L 149, S. 1]), Art. 4 Abs. 1 und 2 RB-unerlaubter Aufenthalt (RB 2002/946/JI [ABl. L 328, S. 1]), Art. 7 Abs. 1 und 2 RB-Bestechung (RB 2003/568/JI [ABl. 192, S. 54]), Art. 8 Abs. 1 und 2 RB-Drogenhandel (RB 2004/757/JI [ABl. 335, S. 8]), – mit kleineren Differenzierungen, und ohne Äquivalent in der RL-Umweltverschmutzung (RL 2008/99/EG [ABl. L 328, S. 28]) – Art. 7 Abs. 1 und 2 RB-Umweltverschmutzung durch Schiffe (RB 2005/667/JI [ABl. 255, S. 164]); Art. 7 Abs. 1 RB-organisierte Kriminalität (RB 2008/841/ JI [ABl. L 300, S. 42]), und Art. 9 RB-Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (RB 2008/913/JI [ABl. L 328, S. 55]). Etwas differenzierter dann bereits Art. 10 RL-Menschenhandel (RL 2011/36/EU [ABl. L 101, S. 1]), und Art. 17 Abs. 1 bis 3 RL-sexueller Missbrauch (RL 2011/93/ EU [ABl. L 335, S. 1]); ähnlich auch Art. 12 RL-Angriffe auf Informationssysteme (RL 2013/40/ EU [ABl. L 218, S. 8]) und Art. 10 RL-Marktmanipulation (RL 2014/57/EU [ABl. L 173, S. 179]); anders hier allerdings der ebenfalls in diesem Zeitraum erlassene Art. 8 RL-Geldfälschung (RL 2014/62/EU [ABl. L 151, S. 1]). Das differenzierteste System enthält zuletzt Art. 19 Abs. 1 RL-Terrorismusbekämpfung (RL 2017/541/EU [ABl. L 88, S. 6]).

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

europäischen Justizraum überschneiden sich daher im Sinne eines sogenannten strafanwendungsrechtlichen „Netzgedankens“, was zwar integrationspolitisch um der Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte und der Straflosigkeit betreffender Delikte willen gewollt ist, jedoch umgekehrt fast notwendig mit positiven Kompetenzkonflikten und den damit verbundenen Folgeproblemen einhergeht.96 Die verfahrensrechtliche Koordinierung bei grenzüberschreitenden Kompetenzkonflikten ist demgegenüber jedoch bisher schwach ausgeprägt; entsprechende Vorschriften enthält lediglich ein Rahmenbeschluss zur Vermeidung und Beilegung strafrechtlicher Kompetenzkonflikte aus dem Jahr 2009,97 der auf einem zweistufigen Koordinierungsmodell beruht: Tritt ein grenzüberschreitender Kompetenzkonflikt im europäischen Justizraum auf, müssen die Strafverfolgungsorgane der betroffenen Mitgliedstaaten demnach zunächst Kontakt aufnehmen und einander über den aktuellen Verfahrensstand unterrichten,98 und anschließend in direkte Konsultationen über eine effiziente Lösung zur Vermeidung einer doppelten Strafverfolgung eintreten – idealerweise die Konzentration der Strafverfolgung in dem besser geeigneten Mitgliedstaat, wofür der Rahmenbeschluss jenseits seiner Erwägungsgründe jedoch

96 Zur Problematik positiver Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten – etwa, hier nur schlagwortartig, mit Blick auf das vermehrte Auftreten von Vollstreckungshindernissen infolge des ne bis in idem-Verbots (Art. 54 SDÜ, Art. 50 GRCh), die Verschwendung staatlicher Strafverfolgungsressourcen, sowie die individuelle Mehrbelastung durch parallele Strafverfahren in mehreren, möglicherweise auch seitens der Strafverfolgungsbehörden strategisch ausgewählten Mitgliedstaaten – s. zunächst Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 284 ff.; Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 121 ff.; weiterführend dann etwa Thorhauer, Jurisdiktionskonflikte im Rahmen transnationaler Kriminalität, 2019, S. 60 ff. (zu den strukturellen Ursachen grenzüberschreitender Kompetenzkonflikte), S. 126 ff. (für eine differenzierte Aufarbeitung der regelmäßig konfligierenden Interessen); Zimmermann, Strafgewaltkonflikte in der Europäischen Union, 2014, S. 70 ff., 137 ff. (zu den typischen Ursachen und Folgeproblemen grenzüberschreitender Strafverfolgungskonflikte zwischen den Mitgliedstaaten, und – insoweit S. 254 ff. – zu den strukturellen Unzulänglichkeiten des ne bis in idem-Verbots als Mittel der Auflösung von Kompetenzkonflikten). 97 RB-Kompetenzkonflikte (RB 2009/948/JI [ABl. L 328, S. 42]); ausführlich Thorhauer, Jurisdiktionskonflikte im Rahmen transnationaler Kriminalität, 2019, S. 465 ff.; Zimmermann, Strafgewaltkonflikte in der Europäischen Union, 2014, S. 300 ff.; Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 187 ff.; Grotenrath, Unternehmenssanktionierung in Europa, 2017, S. 98 ff.; außerdem Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 73, 76; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 450 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 34 ff.; Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 82 AEUV, Rn. 28 ff.; Schneider, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 34. EL 12/2013, III A 3.17 (RB Kompetenzkonflikte), Rn. 1 ff. 98 Vgl. Art. 5 bis 9 RB-Kompetenzkonflikte (RB 2009/948/JI [ABl. L 328, S. 42]); Schomburg / Trautmann, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 1 (RB-Kompetenzkonflikte), Rn. 6 f.; Schneider, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 34. EL 12/2013, III A 3.17 (RB Kompetenzkonflikte), Rn. 11 ff.; Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 212 ff.

III. Achter Baustein. Supranationale Entscheidungen in Strafsachen   

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keine eigenständigen Kriterien vorgibt.99 Die materiellen Maßstäbe für Strafverfahren im europäischen Justizraum folgen schließlich einem zweispurigen System: Im Geltungsbereich der Art. 82 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV hat der Unionsgesetzgeber Grundzüge eines angeglichenen europäischen Strafrechts und Strafverfahrensrechts geschaffen, das vermittelt durch die Umsetzungsgesetzgebung der Mitgliedstaaten im gesamten europäischen Justizraum zur Geltung kommt. Der materiell-rechtliche Regelungsbestand umfasst derzeit insgesamt fünfzehn separate Sekundärrechtsakte: Bereits unter dem Tampere-Programm erließ der Unionsgesetzgeber Angleichungen der einzelstaatlichen Strafvorschriften für Betrug und Fälschung unbarer Zahlungsmittel, Schleuserkriminalität, Bestechung im privaten Sektor, sowie illegalen Drogenhandel;100 vor der Folie des dezidiert sicherheitspolitisch akzentuierten Haager Programms traten dann unionsrechtliche Harmonisierungen für Straftaten mit terroristischem Bezug, Umweltdelikte, die Berücksichtigung früherer ausländischer Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren, organisierte Kriminalität sowie bestimmte rassistische und fremdenfeindliche Straftaten hinzu.101 Unter der Ägide des Stockholm-Programms erließ der Unions 99

Vgl. Art. 10 bis 13 RB-Kompetenzkonflikte (RB 2009/948/JI [ABl. L 328, S. 42]); Schomburg / Trautmann, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 1 (RB-Kompetenzkonflikte), Rn. 8 ff.; Schneider, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 34. EL 12/2013, III A 3.17 (RB Kompetenzkonflikte), Rn. 16 ff.; Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 217 f. Auch Erwägungsgrund Nr. 9 des Rahmenbeschlusses betont aber nur, dass für die Bestimmung des am besten für die Strafverfolgung geeigneten Mitgliedstaats regelmäßig die spezifischen Umstände eine zentrale Rolle spielten, und zählt dann eine ausgesprochen weit gefächerte Reihe denkbarer Anknüpfungspunkte auf – namentlich den hauptsächlichen Tatort, den hauptsächlichen Schadensort, den Aufenthaltsort des Verdächtigen sowie die Optionen der Auslieferung an andere geeignete Mitgliedstaaten, die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz des Verdächtigen, dessen maßgebliche Interessen sowie die Interessen von Tatopfern und -zeugen, die Verwertbarkeit von Beweismitteln, sowie die Gefahr von Verfahrensverzögerungen in den infrage kommenden Mitgliedstaaten. 100 S. zunächst den RB-Betrug und Fälschung unbarer Zahlungsmittel (RB 2001/413/JI [ABl. L 149, S. 1]); näher zudem Killmann, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 15, Rn. 1 ff.; Dannecker, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 7, Rn. 16 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 398 ff. Sodann s. den RB-unerlaubter Aufenthalt (RB 2002/946/JI [ABl. L 328, S. 1]); Kilchling / Herz, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 22, Rn. 22; Hecker, ZIS 2016, S. 467 (473 f.). Anschließend s. den RB-Bestechung (RB 2003/568/JI [ABl. 192, S. 54]); Killmann, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 13, Rn. 8; Dannecker, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 7, Rn. 102 f.; Waßmer, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  5, 46. EL November/2018, III C 6.4 (Rb Bestechung privaten Sektor [sic]]), Rn. 2 ff; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 395 ff. Zuletzt s. den RB-Drogenhandel (RB 2004/757/JI [ABl. 335, S. 8]); Böse, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 20, Rn. 4, 6 ff.; Weißer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 9, Rn. 30 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 388 ff.; Hecker, ZIS 2016, S. 467 (472 f.). 101 S. hier zunächst den Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates v. 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (ABl. L 328/55); näher Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 412 ff.; Weiß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 25, Rn. 27 ff. S. anschließend den – mittlerweile außer Kraft getretenen – RB-Terrorismusbekämpfung (RB 2008/919/JI [ABl. 330,

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

gesetzgeber schließlich weitere Harmonisierungsinstrumente zur Bekämpfung von Menschenhandel, sexuellem Missbrauch von Kindern, Angriffen auf Informationssysteme, Insiderhandel, Geldfälschung und anderen Straftaten gegen den Euro, sowie zuletzt zur Reform der unionsrechtlichen Strafvorschriften für terroristische Delikte.102 Als wesentliche Parameter des unionsrechtlichen Harmonisierungskonzepts kristallisieren sich dabei zum einen rechtsaktübergreifend Grundzüge eines funktionalen europäischen „Allgemeinen Teils“ mit unionsrechtsautonomen Konzepten für Beihilfe, Anstiftung und Versuch, harmonisierten Regelungen für Beschlagnahme, Sicherstellung und Einziehung, sowie einem separaten Regime für die strafrechtliche Verantwortlichkeit und Sanktionierung juristischer Personen heraus.103 Zum anderen tritt jeweils rechtsaktspezifisch ein unionsrechtsautonom S. 1]); Weißer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 9, Rn. 82 ff.; Kreß / Gazeas, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 19, Rn. 13 ff.; Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 377 ff. Sodann s. den RB-Umweltverschmutzung durch Schiffe (RB 2005/667/JI [ABl. 255, S. 164]) und die RL-Umweltverschmutzung (RL 2008/99/EG [ABl. L 328, S. 28]); Hecker, in: Sieber / ​ Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 28, Rn. 12 ff. (zu letzterer); Burr, in: Grützner / Pötz / Kreß / ​ Gazeas Bd. 5, 16. EL Juni/2010, III C 14.1 (EG-RiLi Umweltschutz), Rn. 2 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 83 AEUV, Rn. 33 f. Anschließend s. den RB-Berücksichtigung in neuem Strafverfahren (RB 2008/675/JI [ABl. L 220, S. 32]), und den RB-organisierte Kriminalität (RB 2008/841/JI [ABl. L 300, S. 42]); zu ersterem Hauck, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 11, Rn. 105, zu letzterem Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 409 ff.; Kreß / Gazeas, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 18, Rn.  8 ff.; Weißer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 9, Rn. 5 ff.; Hecker, ZIS 2016, S. 467 (470 f.). 102 S. zunächst die RL-Menschenhandel (RL 2011/36/EU [ABl. L 101, S. 1]); Huber, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 21, Rn.  28 ff.; Weißer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 9, Rn. 47 ff.; Symeonidou-Kastanidou, NJECL 7 (2016), S. 465 (467 ff.); Satzger / Zimmermann / Langheld, EuCLR 3 (2013), S. 107 (107 f.). Sodann s. die Vorschriften der RL-sexueller Missbrauch (RL 2011/93/EU [ABl. L 335, S. 1]); Geiger, Auswirkungen europäischer Strafrechtsharmonisierung auf nationaler Ebene, 2012, S. 229 ff.; Weißer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 9, Rn. 63 ff.; Ziemann / Ziethen, ZRP 2012, S. 68 ff.; Hecker, ZIS 2016, S. 467 (473). Das nächste Sekundärrechtsinstrument dieser Phase bildete die RL-Angriffe auf Informationssysteme (RL 2013/40/EU [ABl. L 218, S. 8]); ausführlich Haase, Computerkriminalität im Europäischen Strafrecht. Kompetenzverteilung, Harmonisierungen und Kooperationsperspektiven, 2017, S. 146 ff.; Sieber, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 24, Rn. 66 ff. (noch zum Vorgängerrechtsakt); Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. 2015, S. 402 ff.; Gercke, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 19. EL Dezember/2010, III C 2.2 (RB Angriffe Informationssysteme), Rn. 3 ff. Danach s. die RL-Marktmanipulation (RL 2014/57/EU [ABl. L 173, S. 179]), sowie zu ihr Satzger, in: Streinz, Art. 83 AEUV, Rn. 36; Kudlich, AG 2016, S. 459 ff.; Böse / Koch, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 17, Rn. 1 ff. (zum Vorgängerrechtsakt). Den jüngsten Rechtsakt stellt schließlich die RL-Terrorismusbekämpfung (RL 2017/541/ EU [ABl. L 88, S. 6]) dar; zu ihr Sánchez Frías, EuCLR 8 (2018), S. 201 (215 f.). 103 Anstelle des sehr umfangreichen Sekundärrechtsmaterials s. als Überblick Jähnke / ​ Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 471 ff., Killmann, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 11, Rn. 2 ff., und Stuckenberg, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 10, Rn. 8 ff.; speziell zu einzelnen Themenkomplexen des Allgemeinen Teils dann Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 218 ff. (namentlich zu objektiven Tatbestandsvoraussetzungen und der subjektiven Tatseite, Teilnahmeformen, und Grundzügen einer Rechtfertigungs- sowie Entschuldigungsdogmatik); Rankinen, EuCLR 6 (2016), S. 117 ff. (zu den Verschuldensformen, namentlich Vorsatz, S. 124 ff., und verschiedenen im Sekundärrecht anzutreffenden Fahrlässigkeitsgraden,

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auszulegender Katalog zu harmonisierender Straftatbestände mit unionsweiten Tatbestandsmerkmalen sowie Vorgaben zum Strafrahmen inklusive mildernder und erschwerender Umstände hinzu, der allerdings in Regelungsumfang und -dichte teils erheblich zwischen den Sekundärrechtsakten variiert. Abgerundet wird das strafrechtliche Harmonisierungsmodell des Unionsgesetzgebers durch zahlreiche punktuelle Begleitregelungen; hier finden sich zum einen Verfolgungserleichterungen wie die Pflicht zur Strafverfolgung bestimmter Delikte von Amts wegen, zum anderen meist institutionelle Vorkehrungen etwa eines effektiven Opferschutzes, der Entwicklung wirksamer Kriminalpräventionsstrategien, sowie der statistischen Aufbereitung und des Austauschs mit anderen Mitgliedstaaten in den betreffenden Kriminalitätsbereichen. Der strafprozessuale Korpus unionsrecht­licher Harmonisierungen unterfällt schließlich, nachdem die Entwicklung eines einheitlichen Rechtsakts mit Verfahrensstandards am Widerstand der Mitgliedstaaten im Gesetzgebungsverfahren gescheitert ist,104 in derzeit insgesamt fünf Richtlinien mit punktuellen Angleichungen der nationalen Strafprozessordnungen. Im Detail bestehen hier teils sehr detaillierte Vorgaben für die Belehrung und Unterrichtung des Beschuldigten im Strafverfahren,105 für Information, Schutz, Unterstützung und Verfahrensbeteiligung von Opfern von Straftaten,106 für den Zugang zu einem

S. 129 ff.); Giannakoula, EuCLR 5 (2015), S. 133 (139 ff.) (Systematisierung der unionsrechtlichen Harmonisierung der Strafrahmen); Peristeridou, in: Klip (Hrsg.), Substantive Criminal Law of the European Union, 2011, S. 69 ff. (zum Bestimmtheitsgrundsatz); Blomsma, in: ebd., S. 135 ff. (zum Fahrlässigkeitsmaßstab); Keiler, in: ebd., S. 173 ff. (zu den Teilnahmeformen sowie ihrer Abgrenzung zur Täterschaft). 104 Insoweit hatte der europäische Gesetzgeber in den späten 2000er Jahren zunächst die Entwicklung eines einheitlichen Rechtsakts mit Mindeststandards im Strafverfahren angestrebt, der sich dann allerdings gegen den Widerstand der Mitgliedstaaten im Gesetzgebungsverfahren als politisch nicht durchsetzbar erwies; vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch der Kommission: Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, KOM(2003) 75 endgültig, sowie Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union, KOM(2004) 328 endgültig. Näher Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 52; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 82 AEUV, Rn. 40; Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, S. 534; Spronken, EuCLR 1 (2011), 213 (217 ff.); Blackstock, EuCLR 2 (2012), S. 21 (23 f.). 105 Ein erster Rechtsakt regelt verschiedene Belehrungs- und Unterrichtungspflichten der Strafverfolgungsbehörden gegenüber beschuldigten Personen, etwa hinsichtlich der Belehrung über das Recht auf Hinzuziehung eines Anwalts, die Unterrichtung über den Tatvorwurf, und dem Hinweis auf das Recht zur Verweigerung der Aussage (Art. 3 Abs. 1), vgl. im Detail die Vorschriften der RL-Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren (RL 2012/13/EU [ABl. L 142, S. 1]). Zu den Details des Rechtsakts s. insbesondere Cras / de Mateis, eucrim 2013, S. 22 (24 ff.); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 605 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 278 f.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 406 f.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 54. 106 Der entsprechende Rechtsakt enthält diverse Vorgaben zur Information und Unterstützung von Opfern von Straftaten, etwa hinsichtlich der Rechte im Rahmen der Anzeigeerstattung (Art. 5) und des rechtlichen Gehörs im Hauptverfahren (Art. 10), vgl. die RL-Opferrechte im Strafverfahren (RL 2012/29/EU [ABl. L 315, S. 57]); ausführlich zur Richtlinie zudem

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Rechtsbeistand und die Benachrichtigung Dritter bei einem Freiheitsentzug,107 zur Absicherung der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der gerichtlichen Verhandlung,108 sowie für die Verfahrensrechte minderjähriger Beschuldigter.109 Außerhalb dieses weitläufigen Ensembles unionsrechtlicher Harmonisierungen gilt für Strafverfahren im Justizraum nach allgemeinen Grundsätzen, und bei vielfachen, ordnungsbildend hier nicht im Detail nachzuvollziehenden informellen Wechselwirkungen, Einflusspunkten und indirekten Überformungen der nationalen Strafrechtssysteme durch europäische Normen, weiterhin das Straf- und Strafverfahrensrecht der Mitgliedstaaten.110

­ öhler, Strafprozessuale Rechte des Verletzten in der Europäischen Union, 2019, S. 85 ff., G 112 ff.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 408 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 61; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 323 ff.; Meier, in: Zöller / Hilger / Küper / Roxin (Hrsg.), FS Wolter, 2013, S.  1387 ff. 107 Vgl. die RL-Rechtsbeistand und konsularische Betreuung im Strafverfahren (RL 2013/48/ EU [ABl. L 294, S. 1]); ausführlich Schneider, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  6, 40. EL 12/2016, III D 18 (RiLi Rechtsbeistand), Rn. 1 ff. (zur Genese und den rechtspolitischen Zielen der Richtlinie), Rn. 22 ff. (zu den verfahrensrechtlichen Garantien der Richtlinie für die Erreichbarkeit eines Rechtsbeistands), und Rn. 68 ff. (zu den Benachrichtigungs- und Kommunikationsrechten); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 621 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 261 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 55; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 407 f.; ­Symeonidou-Kastanidou, EuCLR 2015, S. 68 (70 ff.); allgemein vertiefend zur Problematik effektiven Verteidigerbeistands im europäischen Strafjustizraum ferner Plekksepp, Die gleichmäßige Gewährleistung des Rechts auf Verteidigerbeistand, 2012, S. 31 ff. 108 Im Einzelnen regelt die RL-Unschuldsvermutung und Anwesenheitsrecht im Strafverfahren (RL [EU] 2016/343 [ABl. L 65, S. 1]) etwa Fragen der Aussageverweigerung und Selbstbelastungsfreiheit (Art. 7). Ausführlich zur Richtlinie Villamarín López, ERA Forum 18 (2017), S. 335 ff.; Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 635 ff.; Klip, European Criminal Law, 3. Aufl. 2016, S. 273 f.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 406 f.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 56. 109 Hier hat der Unionsgesetzgeber Regelungen zum Beispiel hinsichtlich der möglichst re­ striktiven Anwendung von Freiheitssanktionen (Art. 10) und des Ausschlusses der Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren (Art. 14) geschaffen, vgl. die RL-Minderjährige im Strafverfahren (RL [EU] 2016/800 [ABl. L 132, S. 1]); im Detail zu ihr Klimek, Mutual recognition of ju­ dicial decisions in European criminal law, 2017, S. 648 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 57; Rap / Zlotnik, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 26 (2018), S. 110 ff. 110 S. zu den zahlreichen Wechselwirkungen zwischen den nationalen Strafrechts- und der Unionsrechtsordnung etwa Heger, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 5, insbesondere zu den wechselseitigen Verweisungsregeln (Rn. 8 ff.,), dem Vorrang des Unionsrechts (Rn. 81 ff.) und der unionsrechtskonformen Auslegung (Rn. 101 ff.) als zentralen Koordinierungsmechanismen zwischen supranationaler und nationaler Ebene; außerdem ausführlich auch Hauck, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 11, der zusammenfassend von einem „bunten Strauß“ spricht, „den das Europarecht dem nationalen Strafprozessrecht überreicht“ (Rn. 115).

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2. Unionsweite Entscheidungswirkungen (Titel-, Vollstreckungs- und Rechtsschutzfunktion) Die Vollstreckungsvorschriften für strafrechtliche Entscheidungen im europä­ischen Justizraum beruhen auf einem zweistufigen Modell aus einer teilweise formalisierten Bewil­ligungsentscheidung sowie für einzelne Sanktionstypen bereits relativ stark ausdifferenzierten Vollstreckungsvorschriften: Erst durch eine sogenannte Bewilligungsentscheidung wird die strafrechtliche Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats anerkannt und ihm zugleich die Vollstreckbarkeit verliehen; insoweit entfällt hier die Aufteilung in ein zweistufiges Anerkennungs- und Exequaturmodell wie bei zivil- sowie erb- und familienrechtlichen Entscheidungen.111 Im Bewilligungsverfahren können durch die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats112 in be 111 Vgl. Art. 6 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 7 Abs. 1 RBEinziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 8 Abs. 1 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 12 Abs. 1 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 9 Abs. 1 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 15 Abs. 1 RB-Haftbefehl (RB 2002/​584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 8 Abs. 1 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Ahlbrecht / Böhm / Esser / Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 2018, S. 388, 407 ff. (mit differenzierter Darstellung der grundsätzlichen verfahrensrechtlichen Abläufe, die freilich im Einzelnen durch die jeweiligen Umsetzungsvorschriften der Mitglied­ staaten zu präzisieren sind); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn.  624 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 269 (zum RB-Freiheitssanktionen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 21 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 10 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 26 f.; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 15; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 12. 112 Das Sekundärrecht enthält regelmäßig konkrete Vorgaben, welchen Mitgliedstaaten eine strafrechtliche Entscheidung zur Bewilligung übermittelt werden darf: Ein recht liberaler Ansatz prägt die Vollstreckung von finanziellen Sanktionen; hier kann die Entscheidung durch den Ursprungsmitgliedstaat jedem Mitgliedstaat zur Anerkennung und Vollstreckung übermittelt werden, in dem der Adressat der Entscheidung seinen gewöhnlichen Aufenthalt (bzw. eingetragenen Sitz bei juristischen Personen) hat, über Vermögen verfügt, oder Einkommen bezieht, vgl. Art. 4 Abs. 1 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 4 Abs. 1 RBEinziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]). Differenzierter nehmen sich die Regelungen aus, bei denen die Vollstreckung die Überwachung von Maßnahmen erfordert: Entscheidungen über Bewährungsmaßnahmen und Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren können dem Mitgliedstaat übermittelt werden, in dem der Adressat der Entscheidung seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt hat und dorthin nach der Entscheidung zurückgekehrt ist, sowie auf Antrag des Adressaten auch allen anderen Mitgliedstaaten, sofern deren Behörden der Übermittlung zustimmen (wofür das Sekundärrecht jedoch keine eigenen Vorgaben enthält), vgl. Art. 5 Abs. 1 und 2 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 9 Abs. 1 und 2 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]). Entscheidungen über Gewaltschutzmaßnahmen hingegen können allen Mitgliedstaaten übermittelt werden, in denen die zu schützende Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ist oder demnächst zu begründen beabsichtigt; der Kreis der infrage kommenden Mitgliedstaaten wird hier allerdings durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die ausstellenden Behörden eingegrenzt, bei der die Länge des Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat und das Schutzbedürfnis zu berücksichtigen sind, vgl. Art. 6 Abs. 1

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

grenztem Umfang auch materielle Versagungsgründe nachgeprüft werden, soweit die meist fakultativen Versagungsgründe der Rahmenbeschlüsse durch nationale Umsetzungsvorschriften übernommen werden. Die materiellen Prüfungsbefugnisse lassen sich dabei in der Konstruktion der Rahmenbeschlüsse weder eindeutig zwischen Bewilligungshindernissen und (gegebenenfalls später zu prüfenden) Rechtsschutzgründen unterscheiden, da die Konkretisierung durch die nationale Umsetzungsgesetzgebung vorgenommen wird, noch angesichts ihrer Vielzahl und kleinteiligen Ausgestaltung ordnungsbildend befriedigend aufbereiten; als Leitlinie dürfte hier langfristig vor allem eine Unterscheidung zwischen – erstens – formellen Bewilligungshindernissen,113 – zweitens – Versagungsgründen aufgrund von grundrechtlichen oder anderen, etwa im Unionsbürgerstatus radizierten subjektiven Rechten der betroffenen Person,114 und – drittens – vorrangigen nationalen RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]). Bei europäischen Haftbefehlen hängen die möglichen Vollstreckungsmitgliedstaaten naturgemäß vom tatsächlichen Aufenthalt der zu übergebenden Person ab: Ist dieser bekannt, kann die Entscheidung direkt diesem Mitgliedstaat übermittelt werden, anderenfalls wird der Haftbefehl für alle anderen Mitgliedstaaten im Schengener Informationssystem II ausgeschrieben, vgl. Art. 9 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/ JI [ABl. L 190, S. 1]). Bei der Vollstreckung von Freiheitssanktionen schließlich können – hier ist das völkerrechtliche Erbe des europäischen Justizraums noch relativ deutlich erkennbar – ausschließlich der Mitgliedstaat der Staatsangehörigkeit, und alle anderen Mitgliedstaaten lediglich bei ausdrücklicher Zustimmung ihrer zuständigen Behörden und (regelmäßig – vgl. als Ausnahme Art. 6 Abs. 2 lit. c)) der verurteilten Person selbst als Vollstreckungsmitgliedstaat ausgewählt werden, vgl. Art. 4 Abs. 1 bis 4 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]) (auch mit Vorgaben zur erforderlichen Konsultation der Behörden, inwieweit die Übertragung der Strafvollstreckung im konkreten Fall dem Resozialisierungsinteresse des Verurteilten dienen würde). Vgl. zu den unterschiedlichen Modellen Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 682 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 262 f. (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 302 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 34 f. (zum RB-Freiheitssanktionen), 55 (zum RB-Bewährungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 10; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 7; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 9. 113 Hier einzuordnen ist insbesondere das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats, die Vollstreckung der ausländischen Entscheidung zu verweigern, wenn die erforderliche Bescheinigung nicht vorliegt, unvollständig ist, oder offensichtliche inhaltliche Fehler aufweist; vgl. Art. 7 Abs. 1 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 8 Abs. 1 RBEinziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]), Art. 11 Abs. 1 lit. a)  RBBewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 15 Abs. 1 lit. a)  RBÜberwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), Art. 10 Abs. 1 lit. a) RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]) und Art. 9 Abs. 1 lit. a) RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]) (der RB-Haftbefehl enthält keine derartige Regelung); ausführlich Bock, in: Ambos / König / Rackow, 3.  Hauptteil, Rn.  270 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 35 (zum RB-Geldsanktionen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 6; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 16; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 13. 114 Hier ist (neben etwaigen Immunitäten und Befreiungen) regelmäßig ein Ablehnungsgrund gegeben, wenn die Vollstreckung der ausländischen Entscheidung eine Person betrifft,

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Regelungsinteressen des Vollstreckungsmitgliedstaats weiterhelfen, die sich im Einzelnen auf die fehlende Strafbarkeit der fraglichen Tat im Vollstreckungsmitgliedstaat,115 ihre Verjährung,116 ihre zumindest teilweise Begehung auf dem Hodie nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats noch nicht strafmündig ist, und dementsprechend auch von dessen eigenen Gerichten nicht hätte verurteilt werden können; s. Art. 7 Abs. 2 lit. f) RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 11 Abs. 1 lit. g) RBBewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 15 Abs. 1 lit. g) RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), Art. 10 Abs. 1 lit. h) RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]), Art. 3 Nr. 3 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]), Art. 9 Abs. 1 lit. g) RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/ JI [ABl. L 327, S. 27]). Näher Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn.  663 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 270 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Löber, Die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, 2017, S. 142; Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 41 (zum RB-Geldsanktionen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 14.  EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 6; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 19. Außerdem besteht ein in dieser Form nur bei europäischen Haftbefehlen vorhandener Ablehnungsgrund, wenn der Haftbefehl zur Vollstreckung einer bereits verhängten Freiheitsstrafe ausgestellt wird, die zu übergebende Person durch ihre Staatsangehörigkeit, ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt eine besondere Bindung zum Vollstreckungsmitgliedstaat aufweist, und dieser sich verpflichtet, die Freiheitsstrafe selbst zu vollstrecken; s. Art. 4 Nr. 6 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Löber, Die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, 2017, S. 151 f.; Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 666; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 6. 115 Insoweit ist, als eine der wichtigsten Innovationen des europäischen Justizraums gegenüber der internationalen Rechtshilfe, die Voraussetzung der sogenannten beiderseitigen Strafbarkeit der Handlung, auf der die Entscheidung beruht, nunmehr abgeschafft. Konkret sieht das Regelungskonzept des Unionsgesetzgebers einen Katalog von in der Regel über 30 – allerdings teilweise sehr offen gehaltenen – Deliktsbereichen vor, für die das Kriterium der beiderseitigen Strafbarkeit nicht mehr gilt; vgl. Art. 5 Abs. 1 und 2 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 6 Abs. 1 und 2 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]), Art. 10 Abs. 1 und 2 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 14 Abs. 1 und 2 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), Art. 2 Abs. 2 und 3 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]), Art. 7 Abs. 1 und 2 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]). Ausführlich Ahlbrecht / Böhm / Esser / Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 2018, S. 331 ff. (zum RB-Haftbefehl); Löber, Die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, 2017, S. 145 ff.; Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn.  624, 649 ff. (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 271 ff. (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 289 (zum RB-Geldsanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 37 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 30 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Klimek, Mutual recognition of judicial decisions in European criminal law, 2017, S. 501 ff.; ferner Conrad, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Rechtshilfe- und Strafanwendungsrecht, 2013, S. 173 ff.; Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 25; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 14.  EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 5; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 9 ff., 19; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 11. 116 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. c) RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 8 Abs. 2 lit. h) RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]), Art. 11 Abs. 1 lit. e) RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 15 Abs. 1

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heitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats,117 oder ihre relative Geringfügigkeit beziehen.118 Die prozedurale Ausgestaltung des Bewilligungsverfahrens obliegt bei alledem weitgehend den Umsetzungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Die Vollstreckung des Strafurteils erfolgt sodann nach dem Verfahrensrecht des Vollstreckungsmitgliedstaats,119 wobei die Rahmenbeschlüsse teils recht ausführliche lit. e) RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), Art. 10 Abs. 1 lit. f) RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]), Art. 4 Nr. 4 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]), Art. 9 Abs. 1 lit. e) RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]) (letzterer ohne die zusätzliche Voraussetzung der Zuständigkeit des Vollstreckungsmitgliedstaats); Löber, Die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, 2017, S. 149 f.; Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn. 666 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 270 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 38 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 28 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 14.  EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 6; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 19; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 13. 117 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. d) RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 8 Abs. 2 lit. f)  RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 11 Abs. 1 lit. k) RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]) und Art. 10 Abs. 1 lit. i) RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 4 Nr. 7 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 9 Abs. 1 lit. l) RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/ JI [ABl. L 327, S. 27]) (ebenfalls mit entsprechendem Vorbehalt nur für erstere Konstellation); Löber, Die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, 2017, S. 153 f.; H ­ eger / ​ Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 666 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 270 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 39 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 26 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 6; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 19; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 13. 118 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. h) RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]) (keine Vollstreckungspflicht bei Geldsanktionen bis zu 70 Euro); außerdem Art. 11 Abs. 1 lit. j) RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]) und Art. 9 Abs. 1 lit. h) RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]) (jeweils keine Vollstreckungspflicht bei Bewährungsmaßnahmen bzw. Freiheitssanktionen mit verbleibender Dauer bis zu sechs Monaten); Bock, in: Ambos / König / Rackow, 3. Hauptteil, Rn. 270 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 35 (zum RB-Geldsanktionen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 65; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 20. 119 Vgl. Art. 9 Abs. 1 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 12 Abs. 1 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 13 Abs. 1 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 16 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 11 Abs. 1 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 1 Abs. 2 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 17 Abs. 1 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 642 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 282 (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 290 (zum RBGeldsanktionen), Rn. 295 (zum RB-Einziehungsentscheidungen), und Rn. 307 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 31 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 16 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Morgen-

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ergänzende Regelungen zu den zulässigen Vollstreckungsmitgliedstaaten120 und der Koordinierung paralleler Vollstreckungshandlungen,121 den Anpassungsrechten und -pflichten der verhängten Sanktion,122 sowie der unionsweiten Konsultation stern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 40 (zum RB-Freiheitssanktionen), 79 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 25; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 17. 120 In der Regel sieht das Sekundärrecht zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten während der Vollstreckung zwar lediglich die Übermittlung der Entscheidung an jeweils einen Mitgliedstaat zur selben Zeit vor, ausnahmsweise können aber auch mehrere Mitgliedstaaten zugleich mit der Vollstreckung betraut werden; vgl. Art. 4 Abs. 4 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]) (Übermittlung nur an jeweils einen Mitgliedstaat), Art. 5 RBEinziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]) (Übermittlung an mehrere Mitgliedstaaten möglich), Art. 6 Abs. 5 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]) und Art. 10 Abs. 6 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]) (Übermittlung nur an jeweils einen Mitgliedstaat), Art. 9 Abs. 3 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]) (Übermittlung an mehrere Mitgliedstaaten durch Ausschreibung im SIS II möglich), Art. 5 Abs. 3 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/ JI [ABl. L 327, S. 27]) (Übermittlung nur an jeweils einen Mitgliedstaat); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn.  693 (zum RB-Haftbefehl); Gleß, in: Sieber / Satzger /  von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 25 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 13 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 14.  EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 10; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 7; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 10. 121 Das sekundärrechtliche Repertoire zur grenzüberschreitenden Abstimmung paralleler Vollstreckungshandlungen umfasst zunächst vor allem Zuständigkeitsabgrenzungen für die Folgeentscheidungen im Vollstreckungsverfahren, die meist dem Vollstreckungsmitgliedstaat übertragen sind; vgl. Art. 9 Abs. 1 S. 2 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 12 Abs. 1 HS 2 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]), Art. 14 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), mit primärer Zuständigkeit des Entscheidungsmitgliedstaats allerdings Art. 18 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), mit ebenfalls differenzierter Aufteilung der Zuständigkeiten Art. 11 Abs. 2 und 3, 13, 14 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]), Art. 12, 18 Abs. 1 und 2, 19 Abs. 2, 28 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]), Art. 17 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 und 4 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]). S. außerdem Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn.  686 f., 696 f. (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 282 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 307 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von HeintschelHeinegg, § 39a, Rn. 79 f. (zum RB-Geldsanktionen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 44 f. (zum RB-Freiheitssanktionen), 57 (zum RB-Bewährungsüberwachung); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 25, 30.  122 Vgl. Art. 8, 9 Abs. 3, 10 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 7 Abs. 2 bis 4, 12 Abs. 3 und 4 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 9 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 13 RBÜberwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 9 Abs. 1 und 2 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]); Art. 8 Abs. 2 bis 4 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]). Allgemein s. Bock, in: Ambos / König / Rackow, 3. Hauptteil, Rn. 278 ff.; (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 290 (zum RB-Geldsanktionen), Rn. 295 (zum RB-Einziehungsentscheidungen), und Rn. 306 (zum RBBewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 80 f. (zum RB-Geldsanktionen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 40 (zum RB-Freiheitssanktionen), 58 (zum RB-Bewährungsüberwachung), 68 (zum RB-Geldsanktionen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 24, 26. 

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

zwischen den Behörden vorsehen.123 Die Rechtsschutzfunktion für unionsweite Strafentscheidungen schließlich folgt einer ähnlichen Architektur wie bei zivil- sowie erb- und familienrechtlichen Entscheidungen, wirkt im Detail jedoch wegen der erheblichen Grundrechtssensibilität (sowie, wie erwähnt, den Umsetzungsspielräumen auf nationaler Ebene) weitaus unklarer. Der Rechtsschutz gegen das ursprüngliche Strafurteil – im Sekundärrecht umschrieben als dessen „Sachgründe“ – wird ausschließlich im Urteilsmitgliedstaat angesiedelt; der Rechtsschutz gegen einzelne Maßnahmen der Strafvollstreckung richtet sich demgegenüber in den Grenzen unionsrechtlicher Effektivität und Äquivalenz nach dem Verfahrensrecht des Vollstreckungsmitgliedstaats.124 Darüber hinaus sieht das Sekundärrecht drei weitere Versagungsgründe vor, die funktional den materiellen Rechtsschutzgründen gegenüber zivil- sowie erb- und familienrechtlichen Entscheidungen entsprechen: 123

Bereits vor der Anerkennung der ausländischen Entscheidung sind die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats oftmals gehalten, hinsichtlich möglicher Ablehnungsgründe die Behörden des Entscheidungsmitgliedstaates zu konsultieren und mögliche Anerkennungshindernisse auszuräumen; vgl. Art. 7 Abs. 3 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 9 Abs. 4 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]), Art. 11 Abs. 3 und 4 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 15 Abs. 2 und 3 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), Art. 9 Abs. 3 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Bock, in: Ambos  / ​ König / Rackow, 3.  Hauptteil, Rn.  305; Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, §  39a, Rn. 28 (zum RB-Geldsanktionen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 7.  EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 23. Nach erfolgter Bewilligungsentscheidung werden dann in der Regel alle wesentlichen Verfahrensschritte in allen beteiligten Mitgliedstaaten durch entsprechende Informationspflichten flankiert. Abrundend besteht meist ein allgemeines Gebot der Strafverfolgungsbehörden, einander bei Bedarf zu konsultieren und ad hoc pragmatische Lösungen zu suchen, s. Art. 15 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 22 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), Art. 16 RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]), Art. 15 Abs. 3 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]). Vgl. insgesamt mit Blick auf die wechselseitigen Informations- und Konsultationspflichten Heger / Wolter, in: Ambos / König / ​ Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 691 (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 307; Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 27 ff. (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 14 f. (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Morgenstern, in: Böse (­EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 42 (zum RB-Freiheitssanktionen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 29; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (­RbAnerkEinziehung), Rn.  13. 124 Ausdrückliche Regelungen des Sekundärrechts finden sich nicht überall; vgl. immerhin aber  – trotz teilweise abweichender Terminologie („Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens“)  – die etwas versteckten Regelungen in Art. 11 Abs. 2 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 9 Abs. 2 und 13 Abs. 2 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]), Art. 19 Abs. 2 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 19 Abs. 2 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Bock, in: Ambos / König / Rackow, 3. Hauptteil, Rn. 284 (zum RB-Freiheitssanktionen), Rn. 295 (zum RB-Einziehungsentscheidungen), und Rn. 308 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 62 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 36 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 27; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 18.

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Als Pendant zur dortigen Urteilskollision findet sich hier der aus Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens übernommene ne bis in idem-Vorbehalt;125 als Gegenstück zur dortigen Gewähr rechtlichen Gehörs und einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit hat der Unionsgesetzgeber zudem durch einen separaten Rechtsakt im Jahr 2009 für die meisten Strafurteile einen einheitlichen, ausgesprochen differenziert und mit zahlreichen kleinteiligen Ausnahmen und Gegenausnahmen konstruierten Versagungsgrund für in Abwesenheit ergangene Strafurteile geschaffen.126 Das funktionale Äquivalent zum ordre public des Vollstreckungsmit 125 Namentlich kann die Anerkennung versagt werden, wenn wegen derselben Handlung entweder ein Urteil des Vollstreckungsmitgliedstaats selbst ergangen, oder ein Urteil eines dritten Mitgliedstaats ergangen und auch bereits vollstreckt worden ist; vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. a)  RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]), Art. 8 Abs. 2 lit. a)  RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]), Art. 11 Abs. 1 lit. c) RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]), Art. 15 Abs. 1 lit. c) RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]), Art. 10 Abs. 1 lit. g) RL-Schutzanordnung (RL 2011/99/EU [ABl. L 338/2]), Art. 3 Nr. 2 und 4 Nr. 3 Alt. 2, sowie (hinsichtlich Drittstaaten) Art. 4 Nr. 5 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]), sowie Art. 9 Abs. 1 lit. c) RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); Löber, Die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, 2017, S. 131 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 8. Aufl. 2018, S. 232 ff. (zum europäischen Haftbefehl); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 660 ff., 666 (zum RBHaftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 270 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 36 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 23 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 6; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 18; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 13. 126 Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates v. 26. Februar 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist (ABl. L 81, S. 24); ausführlich Klitsch, ZIS 2009, S. 11 (15 ff.); Böse, North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 37 (2011), S. 489 ff.; Jähnke / Schramm, Europäisches Strafrecht, 2017, S. 413. Im Grundsatz sieht das Sekundärrecht – mit teils abweichenden Regelungen im Detail, und hier nur vereinfacht zusammengefasst – vor, dass in Abwesenheit des Verurteilten ergangene Entscheidungen nicht vollstreckt werden müssen, es sei denn, die betroffene Person ist laut den Angaben der Bescheinigung entweder nachweislich rechtzeitig über das Verfahren informiert worden, wurde trotz eigener Abwesenheit durch einen Rechtsbeistand vertreten, oder hat auf die Anwesenheit im Verfahren ausdrücklich verzichtet; vgl. im Einzelnen Art. 7 Abs. 2 lit. g) RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); etwas knapper Art. 8 Abs. 2 lit. e) RBEinziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); sodann Art. 11 Abs. 1 lit. h) RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 4a RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 9 Abs. 1 lit. i) RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]). Ausführlich Ahlbrecht / Böhm / Esser / Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 2018, S. 366 ff.; Löber, Die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, 2017, S. 143 f.; Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2. Hauptteil, Rn. 667 ff. (zum RBHaftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 270 (zum RB-Freiheitssanktionen), und Rn. 304 (zum RB-Bewährungsmaßnahmen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 42 (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 25 (zum RB-Einziehungsentscheidungen);

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

gliedstaats findet sich schließlich in ausdrücklicher Form lediglich für unionsweite Geldsanktionen, wenn die Vollstreckung Unionsgrundrechte verletzen würde;127 jenseits dieses ausdrücklichen, erstaunlicherweise seitens des Unionsgesetzgebers nicht mit näheren Verfahrensvorgaben versehenen Prüfvorbehalts finden sich vor allem meist nahezu gleichlautende allgemeine Grundrechtsklauseln, denen zufolge die Vollstreckung von Strafurteilen nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte berührt.128 Die prozedurale Dimension des Vollstreckungsrechtsschutzes schließlich wird weitgehend den Mitgliedstaaten überantwortet; unionsrechtliche Regelungen finden sich lediglich ansatzweise für die unionsweite Koordinierung des Rechtsschutzes, wobei aber abgesehen von vereinzelten ausdrücklichen Informationspflichten über laufende Rechtsbehelfe129 in der Regel nur zahlreiche ordnungsbildend kaum sinnvoll aufzuarbeitende allgemeine Informations- und Unterrichtungspflichten der beteiligten Behörden bestehen, die weder ausdrücklich auf die Benachrichtigung über Rechtsbehelfe zugeschnitten sind noch entsprechende Rechtsfolgen vorgeben.130

Esser, in: ebd., § 53, Rn. 43 ff.; Bartels, Die Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils in Europa, 2014, S. 189 ff.; Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 28; Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 14. EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 7; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 20; Grotz, in: ebd., 32. EL 6/2013, III A 2.6 (RbAnerkEinziehung), Rn. 13. 127 Vgl. Art. 20 Abs. 3 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 43 ff. (ohne Bezugnahme auf die Vorschrift des Art. 20 Abs. 3 allgemein zur Frage nach einem ungeschriebenen ordre public-Vorbehalt) (zum RB-Geldsanktionen); Gleß, in: ebd., Rn. 36 (zum RB-Einziehungsentscheidungen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 66 (zum RB-Geldsanktionen); Böse, in: Grützner / ​ Pötz / Kreß / Gazeas Bd. 4, 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeldstrafe), Rn. 21 ff. Gesamtüberblick über die Versagungsgründe der verschiedenen Sekundärrechtsakte ferner bei Penkuhn, Der ordre-public-Vorbehalt als Auslieferungshindernis im europäischen Auslieferungsverkehr, 2020, S. 366 ff. 128 Vgl. Art. 3 RB-Geldsanktionen (RB 2005/214/JI [ABl. L 76, S. 16]); Art. 1 Abs. 2 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]); Art. 1 Abs. 4 RB-Bewährungsmaßnahmen (RB 2008/947/JI [ABl. L 337, S. 102]); Art. 5 RB-Überwachungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (RB 2009/829/JI [ABl. L 294, S. 20]); Art. 1 Abs. 3 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]); Art. 3 Abs. 4 RB-Freiheitssanktionen (RB 2008/909/JI [ABl. L 327, S. 27]); näher Ahlbrecht / Böhm / Esser / Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 2018, S. 361 ff. (zum RB-Haftbefehl); Heger / Wolter, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn. 643 f. (zum RB-Haftbefehl); Bock, in: ebd., 3. Hauptteil, Rn. 270 (zum RB-Freiheitssanktionen); Gleß, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 39a, Rn. 43 (zum RB-Geldsanktionen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 41 (zum RB-Freiheitssanktionen), 66 (zum RB-Geldsanktionen); Böse, in: Grützner / Pötz / Kreß / Gazeas Bd.  4, 14.  EL 2/2010, III A 1.2 (Rb Europ. Haftbefehl), Rn. 4; Böse, in: ebd., 7. EL 10/2008, III A 2.4 (RbGeld­strafe), Rn. 21 ff. 129 Vgl. Art. 9 Abs. 3 RB-Einziehungsentscheidungen (RB 2006/783/JI [ABl. L 328, S. 59]). 130 Vgl. z. B. Art. 15 Abs. 3 RB-Haftbefehl (RB 2002/584/JI [ABl. L 190, S. 1]).

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3. Künftige Arbeitsfelder supranationaler Entscheidungen in Strafsachen Bei der anstehenden Konsolidierung des europäischen Justizraums werden die Akteure der EU-Justizpolitik auch hier insgesamt eher ein kleineres Arbeitsfeld vorfinden. In der Summe bietet die bisherige Zusammenarbeit der Gerichte und Justizbehörden in Strafverfahren ein gemischtes Bild mit sowohl mittlerweile weitgehend eingespielten Kooperationsbereichen als auch fortbestehenden rechtspolitischen Problemgebieten. So ist zwar einerseits, ähnlich wie bei den beiden zuvor behandelten Bausteinen, die Arbeit am Sekundärrecht der strafrechtlichen Zusammenarbeit vielfach bereits zur – ebenfalls oftmals sehr stark ausdifferenzierten – Klärung rechtlicher Einzelfragen in der Vorabentscheidungspraxis des EuGH übergegangen: Als zentraler Topos fungierte dabei zunächst, primär bedingt durch die Vorgängerregelung in Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens mitsamt der dortigen Vorabentscheidungszuständigkeit des EuGH, die Konkretisierung des Rechtsschutzes gegen mehrfache Verurteilungen in derselben Sache; die Rechtsprechung des EuGH setzt hier bereits in den 2000er Jahren mit einer Reihe zentraler Aussagen zum europäischen ne bis in idem ein – etwa zum unionsrechtsautonomen Tatbegriff und der zeitlichen Schwelle der Vollstreckungssperre –, scheint jedoch mit dem Abflauen entsprechender Vorlagen seit den späten 2010er Jahren, also etwa zeitgleich mit Inkrafttreten der eigenständigen, in ihrem Ver­ hältnis zu Art. 54 SDÜ noch unklaren Garantie in Art. 50 GRCh,131 von einzelnen Ausläufern abgesehen bereits weitgehend ausentwickelt.132 Sodann tritt in der 131 Mögliche Divergenzen zwischen den Anwendungsbereichen beider Regelungen werden in der Literatur insbesondere hinsichtlich des nach Art. 54 SDÜ, aber nicht nach Art. 50 GrCH erforderlichen sogenannten Vollstreckungselements, also dem Beginn der Vollstreckung der verhängten Sanktion, debattiert; s. Radtke, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 12, Rn. 57 (m. w. N. auch zum Spektrum der in der Literatur diskutierten vermittelnden Einzellösungen, und dem Vorschlag, den Konflikt entweder durch den Vorrang der liberaleren Regelung in Art. 50 GrCH kraft dessen höherrangiger Stellung im Primärrecht, oder umgekehrt durch die Qualifikation von Art. 54 SDÜ als implizite Beschränkung und Konkretisierung des Schutzbereichs von Art. 50 GrCH aufzulösen); Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 34 (der in Art. 50 GRCh keine Modifikation der bisherigen Schutzgewährleistungen des Art. 54 SDÜ erkennt); Hauck, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 11, Rn. 59 ff. (ebenfalls für Gleichlauf beider Gewährleistungen); Morgenstern, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 15, Rn. 18; Kaiafa-Gbandi, EuCLR 7 (2017), S. 30 (37 f.); Schomburg / Suominen, NJW 2010, S. 1190 (1191). 132 Für den Begriff „derselben Tat“ legt der EuGH ein von den nationalen Rechtsordnungen grundsätzlich unabhängiges unionsrechtsautonomes Verständnis zugrunde (EuGH, Rs. C-261/09 [Mantello], EU:C:2010:683, Rn. 33 ff.), und stellt namentlich auf das rein materielle Kriterium ab, ob die fraglichen Tathandlungen sich als „Komplex […] unlösbar miteinander verbundener Tatsachen [darstellen], unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse“; EuGH, Rs. C-436/04 (Van Esbroeck), EU:C:2006:165, Rn. 27 ff.; Rs. C-150/05 (Van Straaten), EU:C:2006:614, Rn. 41 ff.; Rs. C-288/05 (Kretzinger), EU:C:2007:441, Rn. 29 ff.; Rs. C-367/05 (Kraaijenbrink), EU:C:2007:444, Rn. 23 ff. Auf dieser Basis hat der Gerichtshof eine differenzierte Kasuistik zum ne bis in idem im europäischen Justizraum entwickelt: Eine erneute Strafverfolgung scheidet demnach bereits dann aus, wenn gegen den Angeklagten in einem anderen Mitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verhängt und die

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

EuGH-Rechtsprechung, nachdem die Problematik ungeschriebener Rechtsschutzbedürfnisse zumindest bei schweren Grundrechtsverletzungen zuvor bereits seit längerem als neuralgischer Punkt des strafrechtlichen Anerkennungskonzepts und der Strafrechtskooperation im europäischen Justizraum insgesamt thematisiert worden war,133 die (weiterhin nicht vollständig abgeschlossene) Aufarbeitung der unklaren Rechtsschutzkonstruktion der strafrechtlichen Rechtsakte in den Vordergrund: Zunächst schien sich dabei, trotz früher Überlegungen zu weitaus differenzierteren Rechtsschutzkonzepten in einigen Schlussanträgen der Generalanwälte,134 eine weitgehend formale, am Wortlaut sowie Vorrang der Rahmenbeschlüsse orientierte Grundlinie zu entwickeln, die jegliche Erweiterung der expliziten Versagungsgründe unmissverständlich ausschloss, und damit wohl insbesondere auch die Behauptung des sekundärrechtlichen Regelungsmodells gegenüber fortbestehenden Kontrollvorbehalten im Umsetzungsrecht der Mitgliedstaaten (etwa § 73 S. 2 des deutschen IRG) bezweckte.135 Über den Umweg der nationalen VerfasVollstreckung zur Bewährung ausgesetzt (EuGH, Rs. C-288/05 [Kretzinger], EU:C:2007:441, Rn. 39 ff.), oder die ausgeurteilte Strafsanktion aus anderen verfahrensrechtlichen Gründen im Urteilsmitgliedstaat nie vollstreckt wurde (EuGH, Rs. C-297/07 [Bourquain], EU:C:2008:708, Rn. 34 ff.); ebenso greift das unionsweite Doppelverfolgungsverbot bei einem rechtskräftigen Freispruch aufgrund von Verjährung der Tat (EuGH, Rs. C-467/04 [Gasparini u. a.], EU:C:2006:610, Rn. 23 ff.) oder aus Mangel an Beweisen (EuGH, Rs. C-150/05 [Van Straaten], EU:C:2006:614, Rn. 55 ff.), sowie bei Einstellungsbeschlüssen der Staatsanwaltschaft gegen Geldauflage oder aus sonstigen Gründen, auch wenn es nie zur Eröffnung des Hauptverfahrens oder einer sonstigen inhaltlichen Befassung der Gerichte des fraglichen Mitgliedstaats gekommen ist, EuGH, Rs. C-187/01 (Gözütok und Brügge), EU:C:2003:87, Rn. 26 ff., bzw. EuGH, Rs. C-398/12 (M), EU:C:2014:1057, Rn. 27 ff. 133 S. stellvertretend für die diversen Einzelbeiträge zur Problematik, die bis zum A ­ ranyosi-​ Urteil eine der am stärksten diskutierten Einzelfragen des gesamten europäischen Justizraums darstellte, die Zusammenfassungen der Diskussion etwa bei Vogel / Eisele, in: Gra­ bitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 37 ff.; Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd.  2, Art.  82 AEUV, Rn.  11 ff.; Burchard, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 14, Rn. 47 ff.; Böse, in: ebd., § 36, Rn. 15 f.; Meyer, in: Ambos / König / Rackow, 2.  Hauptteil, Rn. 806 ff.; Van Ballegooij / Bard, NJECL 7 (2016), S. 439 (440 ff.); Rung, Grundrechtsschutz in der Europäischen Strafkooperation, 2019, S. 380 ff. Ausführliche Analyse zuletzt ferner bei Penkuhn, Der ordre-public-Vorbehalt als Auslieferungshindernis im europäischen Auslieferungsverkehr, 2020, S. 158 ff. 134 Vgl. GA Cruz Villalón, EU:C:2010:404 (Schlussanträge I. B.), Rn. 35 ff., und GA Sharp­ ston, EU:C:2012:648 (Schlussanträge Radu), Rn. 63 ff., sowie ausführlich dann GA Bot, EU:C:2012:600 (Schlussanträge Melloni), Rn. 51 ff. 135 In der Rechtssache Radu (EuGH, Rs. C-396/11 [Radu], EU:C:2013:39, Rn. 31 ff.) entschied der EuGH zunächst, dass die im RB-Haftbefehl aufgelisteten Versagungsgründe abschließend seien, und andere, selbst besonders grundrechtssensible Verfahrensfehler wie die fehlende Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Ausstellung eines europäischen Haftbefehls keinen Ablehnungsgrund darstellten; eine Zurückweisung des Haftbefehls durch den Vollstreckungsmitgliedstaat sei dabei insbesondere auch nicht wegen Art. 47 und 48 der Grundrechtecharta sowie Art. 6 EMRK geboten. In der Melloni-Entscheidung (EuGH, Rs. C-399/11 [Melloni], EU:C:2013:107) bekräftigte der Gerichtshof diese restriktive Haltung gegenüber den Rechtsschutzmöglichkeiten im Vollstreckungsmitgliedstaat dann erneut: Bei europäischen Haftbefehlen infolge einer Verurteilung in Abwesenheit seien die Versagungsmöglichkeiten abschließend geregelt (Rn. 36 ff.), die ihrerseits den grundrechtlichen Anforderungen an effektiven Rechtsschutz nach Art. 47 und

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sungsgerichte – zunächst einer Vorlage des spanischen Verfassungsgerichts zum Verhältnis des unionsrechtlichen Rechtsschutzes gegen Abwesenheitsurteile zu nationalen Verfassungsgarantien rechtlichen Gehörs (Melloni), sodann der zweiten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum europäischen Haftbefehl, in der das Gericht für eine ähnliche Konstellation einen Menschenwürdeverstoß feststellte, von der im Rahmen der Identitätskontrolle erforderlichen Vorlage jedoch ausnahmsweise wegen eines acte clair absah136 – ist seither jedoch ein Paradigmenwechsel in der EuGH-Rechtsprechung eingeleitet, und die Grundlegung für eine eigenständige Rechtsschutzdogmatik für unionsweite Strafurteile mit gravierenden Grundrechtsverstößen erfolgt. Erstmals findet sich dieser Ansatz in der AranyosiEntscheidung von 2016 zur ausnahmsweisen grundrechtsbedingten Ablehnung eines europäischen Haftbefehls wegen der Haftbedingungen im Urteilsmitgliedstaat: Als materielles Kriterium definiert der Gerichtshof „objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben“ hinsichtlich „systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffender Mängel der Haftbedingungen“ im Ursprungsmitgliedstaat des Haftbefehls, die bei genauer Prüfung die „ernsthafte und durch Tatsachen“ begründete Annahme eines Verstoßes gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 4 GRCh rechtfertigen; als verfahrensrechtliche Kriterien werden zudem die Pflicht zur vorherigen Einholung von Informationen bei der für die Ausstellung des Haftbefehls zuständigen Behörde sowie zunächst der Aufschub der Voll­ streckung vorgegeben, bevor die Übergabe der Person endgültig abgelehnt werden kann.137 An diese Wende der EuGH-Rechtsprechung knüpfen zuletzt zwei weitere Art. 48 Abs. 2 GRCh genügten (Rn. 48 ff.), und selbst etwaige weiterreichende Garantien in der Verfassung des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts verdrängten (Rn. 56 ff.). Ausführliche Besprechungen beider Entscheidungen (neben den meisten der soeben in § 4 III. 3., Fn. 133 genannten Nachweise) etwa bei de Boer, CMLR 50 (2013), S. 1083 (1091 ff.); Mitsilegas, NJECL 6 (2015), S. 457 (466 ff.); Mancano, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 285 (294 ff.); Lenaerts, CMLR 54 (2017), S. 805 (817 ff., zu Melloni). 136 BVerfGE 140, 317 (Europäischer Haftbefehl II), Rn. 51 ff., mit Besprechung etwa bei Meyer, NJECL 7 (2016), S. 277 (280 ff., 282 ff., mit der Einschätzung, die Bezeichnung als „Solange III“-Urteil sei noch eine Untertreibung, da die Entscheidung im Hinblick auf die mit ihr einhergehenden tektonischen Verschiebungen in der Rechtsschutzarchitektur des europäischen Justizraums nicht weniger als ein „judicial earthquake“ bedeute, S. 280); weitere (zum Teil auch kritische) Besprechungen der Entscheidung zudem bei Nowag, CMLR 53 (2016), S. 1441 (1445 ff.); Anagnostaras, CMLR 53 (2016), S. 1675 (1700 ff.); Swoboda, ZIS 2018, S. 276 (287 ff.); Müller, ZEuS 2016, S. 345 (360 ff.); Van Ballegooij / Bard, NJECL 7 (2016), S. 439 (459 f.); Reinbacher / Wendel, EuGRZ 2016, S. 333 ff. 137 EuGH, Rs. C-404/15 und C-659/15  PPU (Aranyosi und Caldararu), EU:C:2016:198, Rn. 75 ff. Ausführliche (und meist zustimmende)  Besprechungen der Entscheidung und des damit verbundenen Paradigmenwechsels (so Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 21) im Rechtsschutzregime des Europäischen Haftbefehls – der sich für den RB-Freiheitssanktionen ohne Weiteres, und für die anderen strafrechtlichen Rahmenbeschlüsse des Justizraums zumindest insoweit verallgemeinern lassen dürfte, als nicht gerade haftspezifische Grundrechtsverletzungen in Rede stehen – finden sich bei Van Ballegooij / Bard, NJECL 7 (2016), S. 439 (450 ff., 460 ff.); Meyer, NJECL 7 (2016), S. 277 (285 ff.); Anagnostaras, CMLR 53 (2016),

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

Entscheidungen aus dem Jahr 2018 an: Zum einen werden dabei nunmehr Prüfungspflichten und -maßstab der vollstreckenden Justizbehörden bezüglich der Haftbedingungen im Urteilsmitgliedstaat konkretisiert, insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung von etwaigen Rechtsbehelfen, der relevanten konkreten Haftanstalten und Haftbedingungen, sowie von Zusicherungen der ausstellenden Justizbehörde.138 Zum anderen weitet der Gerichtshof das neue Prüfungsmodell vor dem Hintergrund der polnischen Rechtsstaatskrise nunmehr auf „systemische oder allgemeine Mängel in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz des Ausstellungsmitgliedstaats“ aus: Als allgemeiner Anhaltspunkt genügt dabei zunächst abstrakt die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens nach Art. 7 EUV; eine Ablehnung des europäischen Haftbefehls ist jedoch auch unter diesen Voraussetzungen nur möglich, wenn die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats – insbesondere auch anhand von Konsultationen mit der für das Verfahren zuständigen Stelle des Ausstel­lungsmitgliedstaats – zu der Vermutung gelangen, dass sich die im Kommissionsvorschlag nach Art. 7 Abs. 1 EUV formulierten Zweifel an der Unabhängigkeit der dortigen Justiz konkret auch im weiteren Verfahren nach einer Übergabe der Person manifestieren würden.139 Weder die praktische Operationalisierung noch eine längerfristig tragfähige dogmatische Rückbindung dieser Rechtsprechungslinie an die strafrechtlichen Rahmenbeschlüsse scheint dabei schon ganz durchdacht; festzuhalten bleibt gleichwohl, dass der EuGH zumindest für den Moment ein praktisch handhabbares Rechtsschutzmodell für den Grundrechtsschutz bei der unionsweiten Strafvollstreckung skizziert hat.140 Als jüngster Fokus der Recht­ sprechung scheint sich ferner, abgesehen von einer vereinzelten Entscheidung zur

S. 1675 (1682 ff.); Lenaerts, CMLR 54 (2017), S. 805 (834 ff., mit übersichtlicher Aufbereitung der vom EuGH entwickelten Prüfpflichten für die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats); Bay Larsen, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 433 (438 f.); Müller, ZEuS 2016, S. 345 (350 f.). 138 Nach den in der Entscheidung ML (EuGH, Rs. C-220/18 PPU [ML], EU:C:2018:589) entwickelten Kriterien müssen die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats demnach, wenn sie bei ihrer Entscheidung über eine Zurückweisung des Haftbefehls mit Anhaltspunkten für systemische Mängel der Haftbedingungen im Ursprungsmitgliedstaat konfrontiert sind, zum einen lediglich die konkreten Haftbedingungen in den voraussichtlich zuständigen Gefängnissen in ihre Prüfung einbeziehen, ob die Übergabe der Person zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 4 GRCh führen würde (Rn. 77 ff.). Zum anderen können etwaige Rechtsbehelfe des Betroffenen im Rahmen des Strafvollzugs sowie ausdrückliche Zusicherungen grundrechtskonformer Haftbedingungen durch die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats in die Prüfung eingestellt werden (Rn. 72 ff. bzw. 108 ff.). S. näher zur Entscheidung Hummer, EuR 2018, S. 653 (668 f.). 139 EuGH, Rs. C-216/18 PPU (LM), EU:C:2018:586, Rn. 35 ff., mit (im Grundsatz zwar zustimmender, hinsichtlich der vom EuGH entwickelten Prüfungsvorbehalte aber eher enttäuschter) Besprechung bei Bard / van Ballegooij, NJECL 9 (2018), S. 353 (360 ff.); ausführliche Besprechungen der Entscheidung zudem bei Wendel, EuR 2019, S. 111 ff.; Konstadinides, CMLR 56 (2019), S. 743 ff.; Hummer, EuR 2018, S. 653 (663 ff.). 140 Vgl. etwa die Checkliste mit entsprechenden Prüfungspunkten in Europäische Kommission, Bekanntmachung der Kommission – Handbuch mit Hinweisen zur Ausstellung und Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (2017/C 335/01) (ABl. C 335/1), S. 33.

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prozeduralen Ausgestaltung der Rechtsbehelfe im Vollstreckungsmitgliedstaat,141 die Konturierung des Gehörsrechtsschutzes gegenüber strafrechtlichen Urteilen in absentia zu etablieren; ins Auge fällt dabei, dass der EuGH hier nach Melloni und der anschließenden Debatte von vornherein eine etwas rechtsschutzsensiblere Position zu beziehen scheint.142 Jenseits der naturgemäß konfliktträchtigen Rechtsschutzregelungen anerkennungsbasierter unionsweiter Strafentscheidungen bleibt der Entwicklungsstand der Rechtsprechung dann noch eher einen Schritt zurück: Auf dem Feld des Vollstreckungsrechts lassen sich in jüngerer Vergangenheit, in quantitativ aber noch klar geringerem Umfang, immerhin erste Rechtsprechungs 141

S. die Entscheidung EuGH, Rs. C-168/13 PPU (F.), EU:C:2013:358, Rn. 34 ff., der zufolge die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des RB-Haftbefehl – was sich auf die anderen Sekundärrechtsakte der strafrechtlichen Zusammenarbeit ohne Weiteres bertragen lassen dürfte – grundsätzlich Rechtsbehelfe zugunsten der betroffenen Person auch mit Suspensiveffekt gegenüber der Anerkennungsentscheidung durch die inländischen Stellen einrichten können, solange jedenfalls im Einzelfall die Fristenvorgaben des Rahmenbeschlusses gewahrt bleiben. 142 In Melloni hatte der Gerichtshof zunächst den neu in den RB-Haftbefehl eingefügten Versagungsgrund für Abwesenheitsentscheidungen ausdrücklich als abschließende Regelung qualifiziert, die weitergehende Rechtsschutzgewährungen ausschließe (im konkreten Fall hatten die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats den europäischen Haftbefehl nur mit der Bedingung anerkannt, dass nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats eine spätere Überprüfung der Abwesenheitsentscheidung durch die dortigen Gerichte sichergestellt sei); die sekundärrechtlichen Kautelen des Art. 4a RB-Haftbefehls (und wohl auch seiner identischen Pendants in einigen anderen strafrechtlichen Rahmenbeschlüssen) zum Rechtsschutz gegenüber Abwesenheitsurteilen seien dabei auch im Hinblick auf die unionsrechtlichen Garantien wirksamen Rechtsschutzes und der Achtung der Verteidigungsrechte (Art. 47, 48 Abs.2 GRCh) nicht zu beanstanden, s. EuGH, Rs. C-399/11 (Melloni), EU:C:2013:107, Rn. 36 ff., bzw. 48 ff. (sowie bereits oben § 4 III. 3., Fn. 133, 135). In den Folgeentscheidungen hat der EuGH jedoch die prozeduralen Anforderungen des Rahmenbeschlusses an effektiven Rechtsschutz gegenüber Abwesenheitsentscheidungen im europäischen Justizraum dann eher erhöht: Bei einem Strafverfahren über mehrere Instanzen ist demnach erforderlich (allerdings auch ausreichend), dass die Voraussetzungen an das rechtliche Gehör des Betroffenen in der Rechtsmittelinstanz des Urteilsmitgliedstaats gewahrt wurden, in der letztmalig eine tatsächliche und rechtliche Prüfung des Tatvorwurfs erfolgte, EuGH, Rs. C-270/17 (Tupikas), EU:C:2017:628, Rn. 49 ff. Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für ein späteres Strafverfahren, in dem eine frühere Verurteilung im Wege nachträglicher Gesamtstrafenbildung abgeändert wird, EuGH, Rs. C-271/17 PPU (Zdziaszek), EU:C:2017:629, Rn. 76 ff. (nicht allerdings für die Entscheidung über einen Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen Auflagen, wenn die zugrundeliegende Strafe nach Art und Maß unverändert bleibt – EuGH, Rs. C-571/17 PPU [Ardic], EU:C:2017:1026, Rn. 63 ff.). Ferner kann die Anerkennung eines europäischen Haftbefehls verweigert werden, wenn die Vorladung zu dem fraglichen Verfahren im Ausstellungsmitgliedstaat lediglich einem Vertreter übergeben wurde, und sich dem Haftbefehl nicht mit Sicherheit die tatsächliche Kenntnisnahme durch den anschließend in Abwesenheit verurteilten Betroffenen entnehmen lässt, EuGH, Rs. C-108/16 PPU (Dworzecki), EU:C:2016:346, Rn. 34 ff. (wobei der Gerichtshof allerdings an anderer Stelle darauf hinweist, dass die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats bei ihrer Prüfung grundsätzlich auch Anhaltspunkte außerhalb des Haftbefehls und seiner Formblätter einbeziehen können, die auf die Wahrung des rechtlichen Gehörs im ursprünglichen Verfahren hindeuten, und ihnen insbesondere auch die Konsultation der zuständigen Stellen des Ausstellungsmitgliedstaats offensteht, s. EuGH, Rs. C-108/16 PPU [Dworzecki], EU:C:2016:346, Rn. 50 f.; Rs. C-271/17 PPU [Zdziaszek], EU:C:2017:629, Rn. 98 ff.).

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

linien zu den Vorschriften der beiderseitigen Strafbarkeit143 sowie vor allem zu vollstreckungsrechtlichen Fragen unionsweiter Freiheitssanktionen nachvollziehen,144 ohne dass aber jenseits einer allgemein eher liberalen Grundhaltung schon 143 Hier hatte der EuGH bereits in einer der ersten größeren Entscheidungen zur strafrechtlichen Zusammenarbeit die grundsätzliche Primärrechtskonformität der Abschaffung des Kriteriums beiderseitiger Strafbarkeit bestätigt, insbesondere mit Blick auf die Vereinbarkeit der sehr unbestimmt formulierten Katalogtaten mit dem Legalitätsgrundsatz, sowie hinsichtlich des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots: EuGH, Rs. C-303/05 (Advocaten voor de Wereld), EU:C:2007:261, Rn. 45 ff. In zwei jüngeren Judikaten des Gerichtshofs finden sich nunmehr erstmals Konkretisierungen der sekundärrechtlichen Vorschriften, die auf ein eher enges Verständnis der fortbestehenden Anerkennungsversagungsgründe außerhalb der Katalogtaten der Rahmenbeschlüsse hinweisen: Zum einen ist demnach das Kriterium beiderseitiger Strafbarkeit im europäischen Justizraum bereits dann erfüllt, wenn die fraglichen Tatumstände auch im Vollstreckungsmitgliedstaat, unabhängig von der genauen rechtlichen Qualifikation nach dem dortigen Recht, zumindest irgendeiner strafrechtlichen Sanktion unterliegen, s. EuGH, Rs. C-289/15 (Grundza), EU:C:2017:4, Rn. 25 ff. Zum anderen können die Stellen des Vollstreckungsmitgliedstaats, sofern ihnen ausnahmsweise eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit zusteht, keine über die prinzipielle Strafbarkeit des Verhaltens im Ausstellungsmitglied hinausgehenden qualitativen Kriterien berücksichtigen, etwa hinsichtlich des dortigen Strafrahmens; EuGH, Rs. C-463/15 PPU (A.), EU:C:2015:634, Rn. 24 ff. 144 So hat der EuGH zum einen entschieden, dass die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats eine Freiheitssanktion nicht ohne Zustimmung des Urteilsmitgliedstaats aufgrund entsprechender Regelungen ihres Strafvollstreckungsrechts verkürzen dürfen, s. EuGH, Rs. C-554/14 (Ognyanov), EU:C:2016:835, Rn. 31 ff.; hinsichtlich einer haftverkürzenden Anrechnung freiheitsbeschränkender Maßnahmen, die der Urteilsmitgliedstaat zuvor vorgenommen hatte – etwa in Form von Hausarrest, Meldeauflagen, Überwachungsmaßnahmen o. ä. –, billigt der Gerichtshof dem Vollstreckungsmitgliedstaat dagegen einen eigenen Prüfungsspielraum zu, inwieweit die Zwangswirkung auf den Betroffenen mit einer Inhaftierung vergleichbar war, EuGH, Rs. C-294/16 PPU (JZ), EU:C:2016:610, Rn. 32 ff. Im Übrigen hat sich der EuGH vor allem mehrfach zur Möglichkeit der Mitgliedstaaten geäußert, statt der Anerkennung europäischer Haftbefehle die Strafvollstreckung bei eigenen Staatsangehörigen oder im Inland ansässigen Personen selbst zu übernehmen (Art. 4 Nr. 6 RB-Haftbefehl): Grundsätzlich ist demnach Voraussetzung, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat bei der Ablehnung des Haftbefehls nicht lediglich die Absicht einer Vollstreckungsübernahme bekundet, sondern auch deren erfolgreiche Durchführung bereits zu diesem Zeitpunkt tatsächlich sicherstellt; ebenso wenig ist ausreichend, dass die Strafverfolgungsbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats zu diesem Zeitpunkt lediglich die Einleitung eigener Ermittlungen wegen derselben Tat beabsichtigen, EuGH, Rs. C-579/15 (Poplawski), EU:C:2017:503, Rn. 19 ff., bzw. Rn. 45 ff. Differenzierte Kriterien hat der Gerichtshof insoweit auch zu der Frage entwickelt, für welchen Personenkreis eine derartige grenzüberschreitende Vollstreckungsübernahme im Justizraum überhaupt in Betracht kommt: Neben eigenen Staatsbürgern ist dies namentlich für Personen der Fall, deren Wohnsitz sich bei tatsächlicher Betrachtung im Vollstreckungsmitgliedstaat befindet, oder deren Bindungen an diesen Mitgliedstaat nach Dauer, Art und Umständen einem tatsächlichen Wohnsitz gleichstehen, s. EuGH, Rs. C-66/08 (Kozlowski), EU:C:2008:437, Rn. 31 ff. Zugleich kann aber auch hinsichtlich aller anderen Unionsbürger eine Vollstreckungsübernahme nur abgelehnt werden, wenn dies mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot der Unionsbürgerschaft vereinbar ist (EuGH, Rs. C-123/08 [Dominic Wolzenburg], EU:C:2009:616, Rn. 43 ff.): Insbesondere darf insoweit die Möglichkeit einer Vollstreckungsübernahme nicht von einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis abhängig gemacht werden (und umgekehrt für Unionsbürger mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung nicht schlichtweg ausgeschlossen – zu dieser Konstellation EuGH, Rs. C-579/15 [Poplawski], EU:C:2017:503, Rn. 19 ff.). Materielle Differenzierungen, die die

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ordnungsbildende Beobachtungen nahelägen. Klare Nebenrollen spielen hier ferner der Grundsatz der Spezialität,145 neuerdings immerhin auch die Berücksichtigung ausländischer Verurteilungen bei der Strafzumessung in einem späteren Verfahren,146 sowie die 2018 erstmals behandelte Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Täters im Bewilligungsverfahren.147 Für die Zuständigkeits- und Maßstabsvor­ schriftenfunktion unionsweiter strafrechtlicher Entscheidungen schließlich lassen sich bisher im Wesentlichen zwei Arbeitsschwerpunkte des EuGH identifizieren: Für erstere, wo der Zugriff für den Gerichtshof wegen der geringen Regelungsdichte von Zuständigkeitsfragen auf Unionsebene von vornherein stark erschwert ist, hat der EuGH zuletzt verschiedentlich die sachliche Zuständigkeitsabgrenzung von Justiz- und Verwaltungsbehörden beim Erlass europäischer Haftbefehle auf-

Vollstreckungsübernahme an eine bestimmte Mindestdauer eines ununterbrochenen dauerhaften Aufenthalts im Vollstreckungsmitgliedstaaten knüpfen, bleiben gleichwohl zulässig, s. EuGH, Rs. C-123/08 (Dominic Wolzenburg), EU:C:2009:616, Rn. 49 ff., bzw. Rn. 55 ff. In der gleichsam umgekehrten Konstellation einer sogenannten Kettenübergabe, bei der die übergebene Person ohne Rückkehr in den Vollstreckungsmitgliedstaat unmittelbar vom Ausstellungsmitgliedstaat an einen oder mehrere weitere Mitgliedstaat(en) des Justizraums übergeben wird, hat der Gerichtshof schließlich eine pragmatische Lösung gewählt; hier ist lediglich die Bewilligungsentscheidung des letzten Mitgliedstaats in der Kette, und darüber hinaus keine weitere Beteiligung der zuvor beteiligten Mitgliedstaaten erforderlich, EuGH, Rs. C-192/12 PPU (West), EU:C:2012:404, Rn. 40 ff. 145 Hier betrifft die bisherige Rechtsprechung Grundfragen des Erfordernisses der Zustimmung des Vollstreckungsmitgliedstaats vor einer Strafverfolgung im Ausstellungsmitgliedstaat wegen anderer als der im europäischen Haftbefehl genannten Straftaten: Zum einen stellt der EuGH hinsichtlich der Identität der fraglichen Straftaten recht formell auf die Beschreibung der Tatbestandsmerkmale im Ausstellungsmitgliedstaat ab, wie sie sich aus den Angaben im Haftbefehl ergeben, wobei aber ein Spielraum für kleinere zeitliche und räumliche Abweichungen bestehen soll, EuGH, Rs. C-388/08 PPU (Leymann und Pustovarov), EU:C:2008:669, Rn. 42 ff. Zum anderen soll aber auch dann, wenn eine erforderliche Zustimmung des Vollstreckungsmitgliedstaats noch nicht eingegangen ist, nicht schlechthin die Strafverfolgung wegen anderer Delikte im Ausstellungsmitgliedstaat, sondern lediglich der Rückgriff auf (durch den Haftbefehl nicht anderweitig gedeckte) freiheitsbeschränkende Maßnahmen ausgeschlossen sein, EuGH, Rs. C-388/08 PPU (Leymann und Pustovarov), EU:C:2008:669, Rn. 65 ff. 146 Wo der Gerichtshof sich zum einen veranlasst sah, auf die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Berücksichtigung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten unabhängig von einem separaten innerstaatlichen Bewilligungsverfahren hinzuweisen – EuGH, Rs. C-171/16 (Beshkov), EU:C:2017:710, Rn. 31 ff.; Rs. C-390/16 (Lada), EU:C:2018:532, Rn. 27 ff.  –, und zum anderen entschied, dass bei der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe aufgrund früherer Verurteilungen in anderen Mitgliedstaaten das betreffende Gericht die ausländischen Entscheidungen ohne Änderungen zugrunde zu legen hat, EuGH, Rs. C-171/16 (Beshkov), EU:C:2017:710, Rn. 42 ff. 147 S. EuGH, Rs. C-367/16 (Piotrowski), EU:C:2018:27, Rn. 28 ff., wonach die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats zum einen hinsichtlich der Strafmündigkeit der betroffenen Person ihr eigenes Recht anzuwenden haben, bzw. Rn. 40 ff., wonach sich zum anderen die diesbezügliche Prüfung auf die formale Frage nach dem strafrechtlich relevanten Mindestalter beschränkt, und insbesondere darüber hinausgehende materielle Erwägungen zur individuellen Einsichtsfähigkeit keine Berücksichtigung finden, auch wenn das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats dies sonst erfordert.

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gegriffen, und dabei eine tendenziell restriktive Linie eingeschlagen;148 für letztere sticht bisher vor allem die recht ergiebige EuGH-Judikatur zu den harmonisierten Verfahrensstandards im Strafverfahren heraus, die bei einer oft überraschend restriktiven Auslegung der Schutzvorschriften nahezu im Jahrestakt immerhin kleinere Konkretisierungen des Sekundärrechts für die Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungsorgane zeitigt.149 Andererseits dürfen aber Umfang, Dichte und 148 Der Gerichtshof hebt insoweit allgemein hervor, dass der Begriff der „Justizbehörde“ im europäischen Justizraum als autonomes Konzept des Unionsrechts ausgelegt werden muss, EuGH, Rs. C-452/16 PPU (Poltorak), EU:C:2016:858, Rn. 24 ff.; Rs. C-477/16 PPU (Koval­ kovas), EU:C:2016:861, Rn. 25 ff. Exekutiven Stellen wie etwa den Justizministerien der Mitgliedstaaten oder Polizeibehörden kann vor diesem Hintergrund in aller Regel nicht die Zuständigkeit zum Erlass eines europäischen Haftbefehls zur Strafverfolgung übertragen werden; s. EuGH, Rs. C-477/16 PPU (Kovalkovas), EU:C:2016:861, Rn. 25 ff. bzw. Rs. C-452/16 PPU (Poltorak), EU:C:2016:858, Rn. 24 ff. (wobei mit Blick auf letztere aber ausdrücklich die Möglichkeit anerkannt wurde, dass ein zunächst von einer Polizeibehörde erlassener nationaler Haftbefehl anschließend durch eine Staatsanwaltschaft bestätigt, und durch diese dann ein daran anknüpfender europäischer Haftbefehl erlassen wird, EuGH, Rs. C-453/16 PPU [­ Özcelik], EU:C:2016:860, Rn. 22 ff.) Größere Abgrenzungsschwierigkeiten werfen demgegenüber die Vorabentscheidungsersuchen zum Erlass europäischer Haftbefehle durch die Staatsanwaltschaften der Mitgliedstaaten auf: Hier hat der EuGH im Grundsatz die Zuständigkeit derjenigen Staatsanwaltschaften verneint, die – wie im konkreten Verfahren mit Blick auf Deutschland – bei der Ausstellung europäischer Haftbefehle zwecks Strafverfolgung zumindest mittelbar den Weisungen und Anordnungen übergeordneter exekutiver Stellen unterliegen können, EuGH, Rs. C-508/18 (OG), EU:C:2019:456, Rn. 43 ff. (mit Besprechung von Ambos, NJECL 10 [2019], S. 399 ff.); eine Ausnahme soll allerdings dann gelten, wenn (wie etwa in Österreich) nach dem nationalen Verfahrensrecht der endgültige Erlass des europäischen Haftbefehls von einer obligatorischen und umfassenden Nachprüfung der formellen Erlassvoraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit durch ein Gericht mit umfassender Prüfungsbefugnis stattfindet, s. EuGH, Rs. C-489/19 PPU (NJ), EU:C:2019:849, Rn. 27 ff., oder entsprechender Rechtsschutz sonst sichergestellt wird, EuGH, Rs. C-625/19 PPU (Openbaar Ministerie / Parquet Suède), EU:C:2019:1078, Rn. 32 ff. Prinzipiell vom RB-Haftbefehl gedeckt sind dagegen nach der bisherigen Rechtsprechung nationale Verfahrensvorschriften, die den Staatsanwaltschaften oder auch dem Generalstaatsanwalt der Mitgliedstaaten die Erlasszuständigkeit zuweisen, sofern zumindest bei der konkreten Entscheidung über europäische Haftbefehle deren Unabhängigkeit von der Exekutive sichergestellt bleibt, EuGH, Rs. C-566/19 PPU (Parquet général du Grand-Duché de Luxembourg et Tours), EU:C:2019:1077, Rn. 50 ff., bzw. Rs. C-509/18 (PF), EU:C:2019:457, Rn. 22 ff. Wiederum anders verhält es sich schließlich bei europäischen Haftbefehlen zur Vollstreckung einer bereits durch Gerichtsurteil verhängten Freiheitssanktion; hier gestattet der EuGH, da den Anforderungen an den effektiven Rechtsschutz im europäischen Justizraum bereits durch das vorangegangene gerichtliche Strafverfahren Rechnung getragen sei, den Erlass des europäischen Haftbefehls auch Staatsanwaltschaften ohne weitere gerichtliche Kontrolle, s. EuGH, Rs. C-627/19 (Openbaar Ministerie / Procureur du Roi de Bruxelles), EU:C:2019:1079, Rn. 20 ff. Zusammenfassung der Rechtsprechungsentwicklung ferner bei Mancano, in: Brière /  Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 285 (304 ff.). 149 Insbesondere im Rahmen der sekundärrechtlichen Vorgaben zur Unschuldsvermutung billigt der EuGH den Mitgliedstaaten und ihren Gerichten einen beträchtlichen Umsetzungsspielraum zu: So können zum einen im Rahmen von Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Untersuchungshaft – deren Zulässigkeit die Richtlinie im Übrigen allgemein unberührt lässt (EuGH, Rs. C-310/18 [Milev], EU:C:2018:732, Rn. 39 ff.) – ausdrücklich etwa eine Prüfung des Tatverdachts vorgenommen werden (EuGH, Rs. C-439/16 PPU [Milev], EU:C:2016:818,

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Differenziertheit der mittlerweile erreichten Entfaltung des Sekundärrechts durch den EuGH nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU-Justizpolitik und der Unionsgesetzgeber – wohl mit der Ausnahme des mittlerweile weitgehend etablierten Europäischen Haftbefehls: Eine umfassende quantitative Studie aus dem Jahr 2017 zeichnet bei der bis dato historisch höchsten Gesamtzahl von etwas über 16 000 Haftbefehlen im Jahr 2015150 weitgehend das Bild einer Erfolgsgeschichte Rn. 29 ff.), und auch in der Begründung des Gerichts (sowie späteren darauf Bezug nehmenden Entscheidungen – wiederum EuGH, Rs. C-310/18 [Milev], EU:C:2018:732, Rn. 39 ff.) die belastenden Sachverhaltsaspekte dargelegt werden, solange der Beschuldigte dadurch nicht als schuldig dargestellt wird, EuGH, Rs. C-8/19 PPU (RH), EU:C:2019:110, Rn. 51 ff. Sogar Verfahrensregelungen, die dem Beschuldigten den Nachweis für den zwischenzeitlichen Eintritt neuer Entlastungsgründe aufbürden, sind demnach mit der Richtlinie zur Unschuldsvermutung im europäischen Justizraum vereinbar, s. EuGH, Rs. C-653/19 PPU [Spetsializirana prokuratura], EU:C:2019:1024, Rn. 25 ff. Zum anderen lässt die unionsrechtliche Unschuldsvermutung im Rahmen von Verfahrensverständigungen bei Delikten mit mehreren Beteiligten zu, dass ein an der Verständigung nicht beteiligter Beschuldigter ausdrücklich als Mittäter benannt wird, wenn sonst keine korrekte rechtliche Qualifikation des Tatvorwurfs möglich wäre, und ein ausdrücklicher Hinweis auf die bisher nicht bewiesene Schuld des Dritten erfolgt, EuGH, Rs. C-377/18 (AH u. a.), EU:C:2019:670, Rn. 30 ff.; sogar ein ausdrückliches Zustimmungserfordernis der anderen Beschuldigten zur Verfahrensverständigung ist demnach unionsrechtlich unbedenklich, EuGH, Rs. C-2019:776 (Spetsializirana prokuratura / Presomption d’innocence), EU:C:2019:776, Rn. 31 ff. Auch mit Blick auf die Belehrungs- und Unterrichtungspflichten der nationalen Strafverfolgungsorgane hält der Gerichtshof es für grundsätzlich ausreichend, der Verteidigung des Angeklagten erst nach Anklageerhebung detaillierte Angaben zum Tatvorwurf zu übermitteln, wenn das Gericht sonst alle erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die Verfahrensrechte und die Fairness des Strafverfahrens zu gewährleisten; EuGH, Rs. C-612/15 (Kolev u. a.), EU:C:2018:392, Rn. 82 ff. Insoweit kann einem Beschuldigten ohne Wohnsitz im Verfahrensmitgliedstaat nach dem EuGH die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten für die Zustellung eines Strafbefehls aufgegeben werden, solange nur die Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl dadurch nicht effektiv verkürzt wird, EuGH, Rs. C-216/14 (Covaci), EU:2015:686, Rn. 53 ff. 150 European Commission, Commission Staff Working Document: Replies on questionnaire on quantitative information on the practical operation of the European arrest warrant – Year 2015, SWD(2017) 320 final, S. 4, wobei freilich das wichtige caveat zu beachten bleibt, dass die verfügbaren Zahlen hier noch im Wesentlichen aus dem Zeitraum stammen, bevor die rechtsstaatlichen Krisenphänomene in Mitgliedstaaten wie Polen und Ungarn ihr derzeitiges Ausmaß angenommen hatten. Im Einzelnen wird für das Jahr 2015 ein bis dato historischer Höchststand von insgesamt 16 144 grenzüberschreitenden Haftbefehlen konstatiert, der sowohl das Aufkommen des Vorjahres (14 948 europäische Haftbefehle, allerdings bei 27 Mitgliedstaaten) als auch den bisherigen Höchstwert aus dem Jahr 2009 (15 827 europäische Haftbefehle, allerdings bei 25 Mitgliedstaaten) nochmals jeweils signifikant übertraf, s. ebd., S. 4. Namentlich – für die folgenden Zahlen s. ebd., Annex, Tabelle I.1. – Polen (2390 europäische Haftbefehle), Deutschland (2237), Italien (1918), Frankreich (1131) und Rumänien (1260) erwiesen sich dabei als besonders aktive Nutzer des europäischen Haftbefehls; aus einem Großteil der Mitgliedstaaten wurde ebenfalls zumindest ein dreistelliges Fallaufkommen berichtet (namentlich von Ungarn, 941 europäische Haftbefehle; Österreich, 830; Belgien, 785; Spanien, 655; Tschechien, 631; den Niederlanden, 484; Litauen, 391; der Slowakei, 335; Portugal, 270; Schweden, 258; Großbritannien, 228; Lettland, 170; Bulgarien, 152; Kroatien, 147; Luxemburg, 135; Finnland, 105, sowie Dänemark, 101). Lediglich einige kleinere Mitgliedstaaten griffen in einer zweistelligen Zahl von Fällen auf den europäischen Haftbefehl zurück (Estland, 97; Slowenien, 96;

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des Rahmenbeschlusses151 – im Übrigen zumindest teilweise noch mit einer ausgesprochen komplexen und fragilen Konstruktion konfrontiert sind, die insbesonIrland, 92; Zypern, 56; Malta, 22). Auf der Adressatenseite verteilt sich die Summe europäischer Haftbefehle ohne erkennbare Ausreißer grob proportional zur Größe der Mitgliedstaaten, wobei allerdings nicht bekannt ist, inwieweit die Haftbefehle jeweils direkt an die betroffenen Mitgliedstaaten übermittelt oder im Schengener Informationssystem allgemein ausgeschrieben worden waren: Namentlich Großbritannien (2041 verhaftete Personen), Deutschland (1635), Italien (1112) und Spanien (810) stechen hier heraus; in den anderen Mitgliedstaaten bewegte sich die Zahl der vollstreckten europäischen Haftbefehle jeweils zur Hälfte im unteren bis mittleren dreistelligen (Frankreich, Niederlande, Rumänien, Österreich, Tschechien, Ungarn, Polen, Bulgarien, Griechenland, Irland, Schweden) oder im zweistelligen Bereich (wobei Daten für Italien insoweit nicht verfügbar waren), vgl. ebd., Annex, Tabelle II.1. Knappe Zusammenfassung der älteren Kommissionsberichte zum Europäischen Haftbefehl ferner bei Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  82 AEUV, Rn.  24 ff. 151 Dies lässt sich namentlich an der Aufschlüsselung nach den zugrundeliegenden Delikten, der Anzahl der Ablehnung von europäischen Haftbefehlen, sowie bezüglich des Fallaufkommens in Konstellationen betreffend die Übergabe von Staatsangehörigen des Vollstreckungsmitgliedstaats nachvollziehen: Bezüglich ersterem zeigt sich, dass die Nutzung des europäischen Haftbefehls keineswegs auf Fälle schwerer Kriminalität beschränkt ist, sondern gleichsam die Niederungen der Verfolgung der Alltagskriminalität in den Mitgliedstaaten erreicht hat, vgl. European Commission, Commission Staff Working Document: Replies on questionnaire on quantitative information on the practical operation of the European arrest warrant – Year 2015, SWD(2017) 320 final, Annex, Tabelle I.3: Demnach wurde der größte Anteil europäischer Haftbefehle zur Verfolgung von Drogendelikten (1 137 Verfahren, insbesondere aus Polen [459], Spanien [154] und Frankreich [108]), Diebstählen und Sachbeschädigungen (2983, insbesondere aus Polen [1959], Ungarn [235] und Frankreich [105]), Betrugs- und Korruptionsstraftaten (1875, insbesondere aus Polen [1341], Ungarn [132] und Spanien [80]), Körperverletzungen (1049, insbesondere aus Polen [655], Ungarn [97] und Schweden [82]) und Tötungsdelikten (273, insbesondere aus Spanien [61] und Frankreich [48]) ausgestellt; kleinere Posten bilden die Verfolgung von Sexualstraftaten (291), Menschenhandel (141), waffen- und sprengstoffrechtlichen Verstößen (93), sowie ferner Terrorismusdelikte (79) und die Fälschung des Euro (8). Das Bild bleibt dabei allerdings teilweise unscharf, da die Mitgliedstaaten den größten Anteil der Haftbefehle ohne nähere Zuordnung zu bestimmten Delikten meldeten (2651), und aus über einem Drittel der Mitgliedstaaten (Belgien, Bulgarien, Tschechien, Deutschland, Italien, Zypern, Niederlande, Österreich, Portugal und Rumänien) insoweit überhaupt keine Angaben gemacht wurden, s. ebd., Annex, Tabelle I.3. Hinsichtlich zweiterem fällt ins Auge, dass die Vollstreckung europäischer Haftbefehle in der Praxis der Justizbehörden  – zumindest beim Stand des Jahres 2015, und auch insoweit ohne Zahlen aus den besonders aufkommensstarken Mitgliedstaaten Italien und Großbritannien – allgemein keine größeren Schwierigkeiten mehr zu bereiten scheint: Im größten Teil der Mitgliedstaaten liegt die Quote europäischer Haftbefehle, deren Vollstreckung abgelehnt wurde, unter 10 %; lediglich in Polen (immerhin 21,1 % der eingehenden Haftbefehle), Luxemburg (20 %), Belgien (18,7 %), Tschechien (14,7 %), Österreich (12,9 %) und Deutschland (10,7 %) wurden häufiger Versagungsgründe geltend gemacht, umgekehrt jedoch in einigen Mitgliedstaaten, namentlich Malta, Finnland und der Slowakei, sogar jeder einzelne eingehende Haftbefehl vollstreckt, vgl. ebd., Annex, Tabelle II.7. Die Fälle, in denen die Justizbehörden der Mitgliedstaaten gegenüber einem europäischen Haftbefehl einen Versagungsgrund geltend machten, bewegen sich in der Summe aller Mitgliedstaaten meist im unteren zweistelligen oder sogar im einstelligen Bereich: Zumindest noch in gewissem Umfang wurde die Vollstreckung europäischer Haftbefehle versagt, weil der Haftbefehl nicht im Einklang mit dem Anwendungsbereich des Haftbefehls stand (44 Fälle), sowie wegen der fehlenden beiderseitigen Strafbarkeit außerhalb der entsprechenden Katalogtaten (37), der be-

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dere an drei konkreten Fronten weiterhin rechtspolitischen Handlungsbedarf aufwirft: Zum einen finden sich bei den Rahmenbeschlüssen zur gegenseitigen Anerkennung jenseits des europäischen Haftbefehls vielfach noch Anzeichen für ernsthafte Vollzugsdefizite. Beim RB-Geldsanktionen etwa hatten zuletzt noch sechs Mitgliedstaaten ersichtlich über den Rahmenbeschluss hinausgehende Versagungsgründe festgelegt;152 für Einziehungsentscheidungen finden sich – neben vorstehenden Vollstreckung der Sanktion im Vollstreckungsmitgliedstaat (35), der Begehung außerhalb des Hoheitsgebiets des Urteilsmitgliedstaats (32), der Verjährung der Tat (31), der Vermutung von Grundrechtsverstößen (21), der kurzen Dauer der Sanktion unter vier Monaten (13), und des Fehlens von Informationen zum Haftbefehl, die der Entscheidungsmitgliedstaat nicht mitgeteilt hatte (12); ferner berichteten die Mitgliedstaaten von 25 Fällen, in denen der Vollstreckungsmitgliedstaat die Übergabe von der Garantie des Entscheidungsmitgliedstaats abhängig machte, dass die zu übergebende Person im Falle einer Verurteilung zur Strafverbüßung wieder zurücküberstellt werde, s. ebd., Annex, Tabelle I.10. Praktisch bedeutungslos war demgegenüber die Ablehnung von Haftbefehlen wegen einer bereits zuvor erfolgten Einstellung im Vollstreckungsmitgliedstaat (6), des ne bis in idem-Verbots (6), einer Amnestie (5), fehlender Strafmündigkeit (3), mehrerer konfligierender Haftbefehle (3), des Urteils eines Drittstaats (1) sowie der Immunität der zu übergebenden Person (kein einziger Fall). Eine gewisse praktische Bedeutung scheint den Versagungsgründen vor allem noch mit Blick auf Art. 4 Nr. 6 des RBHaftbefehl zuzukommen, der dem Vollstreckungsmitgliedstaat erlaubt, statt der Übergabe der Person zur Strafvollstreckung selbst die Durchführung der Sanktion zu übernehmen, sodass im Ergebnis trotz der Ablehnung des Haftbefehls die verhängte Strafe gleichwohl vollstreckt wird, nur eben durch einen anderen Mitgliedstaat (192 Fälle, vor allem aus Deutschland [54], Spanien [34], Rumänien [26], Polen [20] und Frankreich [12]); s. ebd., Annex, Tabelle II.7. Ähnliches gilt für den Ablehnungsgrund nach Art. 4a des Rahmenbeschlusses gegenüber Haftbefehlen zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen, wobei von den insgesamt 85 Fällen fast die Hälfte auf einen einzigen Mitgliedstaat entfällt (Deutschland, 42), und mit der Ausnahme der Niederlande (16) sämtliche anderen Mitgliedstaaten diesen Ablehnungsgrund lediglich ein einzelnes Mal geltend machten, s. ebd., Annex, Tabelle II.7. Ferner scheint die erhebliche Anzahl europäischer Haftbefehle als problematisch auf, die aus „sonstigen“ Gründen nicht vollstreckt wurden; mit 215 Fällen hat diese Gruppe sogar den größten Anteil an den insgesamt geltend gemachten Versagungsgründen, s. ebd., Annex, Tabelle II.7. Soweit die Mitgliedstaaten hierzu nähere Angaben machten, scheint in den meisten dieser Fälle die ausstellende Behörde den Haftbefehl noch vor der Vollstreckung wieder zurückgezogen zu haben; für diverse Mitgliedstaaten – Deutschland, Tschechien, Estland, Griechenland, Griechenland, Frankreich, Polen, Portugal, Slowenien und Schweden, wobei allein Deutschland, Frankreich und Tschechien gemeinsam bereits für 71,7 % der fraglichen Fälle stehen – liegen aber keine Erkenntnisse darüber vor, weshalb die Vollstreckung abgelehnt worden ist, und ob möglicherweise Versagungsgründe nach den nationalen Umsetzungsvorschriften geltend gemacht wurden, die vom RB-Haftbefehl nicht gedeckt sind, s. s. ebd., Annex, Tabelle II.7 mit den Fnen. 43 bis 49. Bei Übergabeverfahren betreffend eigene Staatsangehörige taten sich schließlich insbesondere Rumänien (406), die Niederlande (141), Polen (125), Ungarn (94), Litauen (84) und Frankreich (78) hervor, s. ebd., Annex, Tabelle II.9. 152 Den Rahmenbeschluss hatten rund zwei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist im März 2007 sechzehn Mitgliedstaaten noch nicht einmal umgesetzt; entsprechende Vorschriften meldeten lediglich Österreich, Tschechien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Ungarn, Litauen, Lettland, die Niederlande und Slowenien, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] gemäß Artikel 20 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, KOM(2008) 888 endgültig, S. 1. Auch die dortigen Vorschriften wiesen oftmals noch problematische Abweichungen von zentralen Vorgaben des Rahmenbeschlusses auf, etwa bei der Definition des Anwendungsbereichs des Rahmenbeschlusses (insbesondere Lettland,

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vom Rahmenbeschluss ebenfalls nicht vorgesehenen Anhörungsrechten im Bewilligungsverfahren – exzessive Ablehnungs- oder Aufschubgründe sogar in mindestens elf Mitgliedstaaten.153 Für die unionsweite Überwachung von Maßnahmen sowie die Vollstreckung von Freiheitssanktionen hatten bis zu zwei Jahre nach Litauen und Tschechien), der Liste vom Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit ausgenommener Delikte (Tschechien, Lettland und Slowenien), dem Ablauf des Bewilligungsverfahrens (Österreich, Estland, Ungarn, Litauen und Slowenien), der Vollstreckungsregelungen (wo insbesondere Tschechien entgegen dem Rahmenbeschluss den gesamten Bereich finanzieller Sanktionen gegen juristische Personen ausgenommen hatte), sowie der wechselseitigen Unterrichtung zwischen den Justizbehörden während des Vollstreckungsverfahrens (Estland und Dänemark); vgl. im Einzelnen ebd., S. 2 ff. Besonders eklatante Umsetzungsdefizite offenbarten sich bei der Ausgestaltung der vom Rahmenbeschluss zugelassenen Ablehnungsgründe: Fast ausnahmslos wurden die Ablehnungsgründe im nationalen Recht von der Mehrheit der Mitgliedstaaten als zwingende Gründe für die Versagung der Vollstreckung umgesetzt; nur eine kleine Gruppe von Mitgliedstaaten, meist Finnland sowie teilweise Dänemark, Frankreich, Ungarn und die Niederlande, sahen hier zum Teil fakultative Ablehnungsgründe mit entsprechenden Entscheidungsspielräumen der Gerichte im Einzelfall vor, vgl. ebd., S. 3. Darüber hinaus meldeten sechs Mitgliedstaaten der Kommission zusätzliche Versagungsgründe, die von den Vorschriften des Rahmenbeschlusses kaum gedeckt gewesen sein dürften, etwa bei Entscheidungen gegen juristische Personen (Tschechien), Verfahrensfehlern im Entscheidungsmitgliedstaat (Finnland) oder Zweifeln an der Unabhängigkeit der dortigen Behörden (Estland), der Zuständigkeit von Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats, Verjährung oder einer Amnestie (Ungarn), Anhaltspunkten für eine ungerechtfertigte Diskriminierung des Adressaten der Entscheidung (Lettland, Slowenien) sowie der Unmöglichkeit oder Verfassungswidrigkeit der Vollstreckung nach nationalem Recht (ebenfalls Lettland oder Slowenien); vgl. ebd., S. 3 f. 153 Insoweit waren über ein Jahr nach Ablauf der Umsetzungsfrist in sieben Mitgliedstaaten die Gesetzgebungsverfahren zu entsprechenden nationalen Vorschriften noch nicht abgeschlossen, und in weiteren sieben Mitgliedstaaten keinerlei Maßnahmen zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses ergriffen worden; auch unter den übrigen Mitgliedstaaten bescheinigte die Kommission nur etwa der Hälfte eine zufriedenstellende Umsetzung (Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Tschechien, Ungarn), und zog hinsichtlich der anderen Hälfte ein skeptisches (Österreich, Dänemark, Lettland, Finnland) oder offen kritisches Resümé (Deutschland, Irland), vgl. Europäische Kommission, Bericht […] gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, KOM(2010) 428 endgültig, S. 1. Neben diversen Einzelfragen schienen, parallel zur Vollstreckung von Geldsanktionen, die überschießenden Ablehnungsgründe nach dem nationalen Recht das Hauptproblem bei der Umsetzung darzustellen: Auch hier wurden, mit Ausnahme der Versagungsgründe für verjährte und außerhalb des Hoheitsgebiets des Entscheidungsmitgliedstaats begangene Taten, die Versagungsgründe des Rahmenbeschlusses durchgehend von der Mehrzahl der Mitgliedstaaten als zwingende Vorschriften ausgestaltet; lediglich Polen, Portugal und Rumänien entschieden sich in der Regel für Umsetzungsmodelle, die den Gerichten und Justizbehörden die Entscheidung über die Geltendmachung von Ablehnungsgründen im Einzelfall überließen, vgl. ebd., S. 6. Außer Portugal und Irland – das offenbar keinen einzigen Ablehnungsgrund in das nationale Recht überführt hatte – sahen zudem alle Mitgliedstaaten zusätzliche rahmenbeschlusswidrige Versagungsgründe vor, die inhaltlich weitgehend den exzessiven Regelungen bei der Anerkennung von Geldsanktionen entsprachen (vgl. ebd., S. 5); auffälligerweise regelte zudem eine Reihe von Mitgliedstaaten (Tschechien, Polen, Rumänien, Slowenien, mit Abstrichen auch Österreich und Deutschland) besondere Anhörungserfordernisse der betroffenen Person im Anerkennungsverfahren, die von dem Rahmenbeschluss nach Auffassung der Kommission ebenfalls nicht gedeckt waren, vgl. ebd., S. 6.

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Fristablauf jeweils zwischen zehn und sechzehn Mitgliedstaaten die Rahmen­ beschlüsse nicht einmal umgesetzt; in den anderen Mitgliedstaaten waren die Divergenzen bei der Ausgestaltung von Versagungs- und Anpassungsgründen vergleichbar mit denen bei Geldsanktionen.154 Zum anderen bleibt die grenzüberschreitende Zuständigkeitskoordinierung eine Achillesferse der Zusammenarbeit in Strafverfahren: Hier zeigt sich etwa bei näherer Betrachtung bislang ein breites Spektrum gewachsener institutioneller Strukturen in den Mitgliedstaaten, die von der Zuständigkeit von Strafgerichten und Staatsanwaltschaften (Geldsanktionen und Einziehungsentscheidungen)155 über die teilweise Einbindung exekutiver Akteure zumindest in der Vergangenheit (Haftbefehle)156 bis zu einem Tableau mit (je nach Zählweise)  bis zu 16 verschiedenen Zuständigkeitskonstruktionen aus justiziellen und administrativen Stellen für ein- und ausgehende Entscheidungen (Überwachung von Maßnahmen)157 reicht. Zugleich richten auch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit die Vorschriften des RB-Kompetenzkonflikte, die ihrerseits bereits eine Minimallösung darstellen – selbst ein nur geringfügig weitergehender Entwurf eines Rechtsakts zur freiwilligen Übertragung von Strafverfahren aus dem Jahr 2009 konnte, wenngleich immerhin von 16 Mitgliedstaaten getragen, letztlich nicht verabschiedet werden158 –, in der Praxis bisher offenbar 154 Europäische Kommission, Bericht […]: Umsetzung der Rahmenbeschlüsse 2008/909/JI, 2008/947/JI und 2009/829/JI über die gegenseitige Anerkennung von Urteilen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, von Bewährungsentscheidungen und alternativen Sanktionen und von Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft durch die Mitgliedstaaten, COM(2014) 57 final, S. 5 f. bzw. 9 f. 155 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] gemäß Artikel 20 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, KOM(2008) 888 endgültig, S. 3; Europäische Kommission, Bericht […] gemäß Artikel 22 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates […] über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, KOM(2010) 428 endgültig, S. 6. 156 Europäische Kommission, Bericht […] über die seit 2005 erfolgte Umsetzung des Rahmen­ beschlusses des Rates v. 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, KOM(2007) 407 endgültig, S. 8. 157 European Commission, Tables „State of play“ and „Declarations“ accompanying the document Report on the implementation by the Member States of the Framework Decisions 2008/909/JHA, 2008/947/JHA and 2009/829/JHA on the mutual recognition of judicial decisions on custodial sentences or measures involving deprivation of liberty, on probation decisions and alternative sanctions and on supervision measures as an alternative to provisional detention, SWD(2014) 34 final, S. 4 ff., 8 ff. und 13 ff. 158 Rat der Europäischen Union, Entwurf […] über die Übertragung von Strafverfahren, EuCO 16437/09; ausführlich zum Entwurf, der aber ebenfalls keinerlei justiziable Maßstäbe oder sonstige verpflichtende Vorkehrungen für die Koordinierung paralleler Verfahren in mehreren Mitgliedstaaten vorsah, etwa Zimmermann, Strafgewaltkonflikte in der Europäischen Union, 2014, S. 307 ff.; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 76; Eisele, ZStW 125 (2013), S. 1 (19 f.); Luchtman, Utrecht Law Review 7 (2011), S. 74 (81 f.). S. ferner aus den Anfangstagen des europäischen Justizraums die – nicht weiterverfolgte – Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips (2003/C 100/12) (ABl. C 100/24), sowie die darauf folgenden, letztlich ebenfalls fruchtlos gebliebenen Über-

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ausgesprochen wenig aus. Fünf Jahre nach seinem Erlass hatten überhaupt erst 15 Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss umgesetzt, zumal meist in uneinheitlicher Form durch Änderungen des Straf- und des Verwaltungsverfahrensrechts, und nur entsprechend überschaubare praktische Erfahrungen gesammelt.159 Daneben zeigt sich für zentrale Elemente des Rahmenbeschlusses ein noch sehr weites Panorama von Vollzugsdefiziten oder jedenfalls stark divergierenden Umsetzungsvorschriften, die selbst zwischen diesen 15 Mitgliedstaaten die Verfahrenskoordinierung empfindlich beeinträchtigen: Dies gilt aus verfahrensrechtlicher Sicht primär für die – hier potentiell besonders sinnvolle – Einrichtung von zentralen Behörden160 und die disparaten und oftmals gar nicht näher bezeichneten Kommunikationskanäle zwischen den Strafverfolgungsbehörden.161 Aus materieller Sicht liegen die Schwachpunkte der Umsetzungsvorschriften vor allem in der relativ unsorgfältigen Konkretisierung des (seinerseits kaum direktionsfähigen) Kriteriums des „hinreichenden Grunds“, bei dem die ausländischen Strafverfolgungsstellen zu kontaktieren sind,162 den zahlreichen Ausnahmeregelungen aus Gründen der legungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren, KOM(2005) 696 endgültig (und zu ihnen: Zimmermann, Strafgewaltkonflikte in der Europäischen Union, 2014, S. 301 ff.; Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 191 ff.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 82 AEUV, Rn. 16). 159 Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI […] zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren durch die Mitgliedstaaten, COM(2014) 313 final, S. 5 f. So war der Rahmenbeschluss im Frühjahr 2014, über ein Jahr nach Ablauf der Umsetzungsfrist, von elf Mitgliedstaaten überhaupt noch nicht umgesetzt worden (Bulgarien, Dänemark, Estland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Malta, Schweden, Großbritannien); ebd., S. 5. Auch in den anderen Mitgliedstaaten konstatierte die Kommission teils sehr stark divergierende Regelungsmodelle; die Mehrzahl hatte die Vorgaben des Rahmenbeschlusses in das nationale Strafverfahrensrecht integriert, teilweise griffen die Mitgliedstaaten jedoch auch auf verwaltungsrechtliche Vorschriften (Zypern) oder Modifikationen des Gerichtsorganisationsrechts (Belgien; Niederlande) zurück, s. ebd., S. 6. 160 Diese hatten lediglich Ungarn, Finnland, Portugal, Rumänien und Tschechien vorgenommen; Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI […] zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren durch die Mitgliedstaaten, COM(2014) 313 final, S. 7. 161 Hier erweist sich bisher insbesondere als praktisches Problem, dass einige Mitgliedstaaten selbst für den informellen Austausch über das Vorliegen eines Kompetenzkonflikts auf der Kommunikation in der jeweiligen Amtssprache bestehen (Slowakei, und mangels anderer Angaben wohl auch Deutschland, Kroatien und Lettland; Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI […] zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren durch die Mitgliedstaaten, COM(2014) 313 final, S. 7), keine Angaben zu den verfügbaren Kommunikationskanälen gemacht haben (Österreich, Zypern, Deutschland, Lettland, Polen; ebd., S. 9), und keine Vorkehrungen zur beschleunigten Abwicklung von grenzüberschreitenden Kompetenzkonflikten zumindest in Haftsachen vorsehen (Österreich, Deutschland, Lettland, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei; ebd., S. 8). 162 Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI […] zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren durch die Mitgliedstaaten, COM(2014) 313 final, S. 7 f. In aller Regel übernahmen die Mit-

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„nationalen Sicherheit“,163 sowie den relativ disparaten rechtlichen Lösungen der Mitgliedstaaten zur Bestimmung des am besten geeigneten Verfahrensmitglied­ staats. Bei letzteren reicht das Spektrum von der Konzentration in einem Mitgliedstaat über die parallele Fortsetzung beider Verfahren oder die Einsetzung gemeinsamer regionaler Ermittlungsteams im Falle Belgiens und der Niederlande bis hin zur schlichten Einstellung der Ermittlungen.164 Die politischen Optionen für eine gleichsam „große Lösung“ und eine Neuregelung des gesamten Themenkomplexes muten dabei angesichts der bisherigen Reformdiskussion in der Literatur165 rechtspolitisch zumindest kurz­fristig oft kaum realistisch an; denkbare konzeptionelle Elemente wären hier etwa die gegebenenfalls auch zunächst nur auf bestimmte Deliktsbereiche beschränkte Harmonisierung des Strafanwendungsrechts der Mitgliedstaaten oder alternativ die Entwicklung eines umfassenden Kollisionsrechtsregimes,166 die im Detail allerdings äußerst diffizile Begrenzung extraterritorialer Strafgewalt durch die Frei­zügigkeitsgarantien von Unionsbürgerschaft und Binnengliedstaaten insoweit entweder schlicht den Wortlaut des Rahmenbeschlusses („hinreichender Grund zu der Annahme [eines parallelen Strafverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat]“), oder entwickelten eigene, letztlich ebenso unscharfe Kriterien („wenn es gerechtfertigt ist oder […] feststeht, dass ein paralleles Verfahren geführt wird“; insbesondere Deutschland, Kroatien, Ungarn, Lettland, Polen und Portugal); s. ebd., S. 7 f. mit Fn. 11 f. 163 Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI […] zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren durch die Mitgliedstaaten, COM(2014) 313 final, S. 10, namentlich mit Blick auf Österreich, Belgien, Tschechien, Finnland, Kroatien, Ungarn, die Niederlande, Polen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei. 164 Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI […] zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren durch die Mitgliedstaaten, COM(2014) 313 final, S. 10 f. Überwiegend sehen die nationalen Regelungen zwar die Konzentration der Ermittlungen oder Verfahren in einem einzigen Mitgliedstaat vor (Österreich, Belgien, Kroatien, Ungarn, Finnland, Rumänien, Slowenien, Niederlande), teilweise finden sich aber auch Vorschriften zur Fortführung beider Verfahren in enger Abstimmung, bis hin zur Einsetzung gemeinsamer Ermittlungsteams (Belgien, Niederlande), oder lediglich Generalklauseln zur „Führung des Verfahrens in anderer angemessener Weise“ (Finnland); s. ebd., S. 10 f. 165 Ausführliche Darstellung der verschiedenen in der Literatur entwickelten übergreifenden Modelle etwa bei Zimmermann, Strafgewaltkonflikte in der Europäischen Union, 2014, S. 320 ff.; Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 253 ff. 166 Entsprechende – politisch wegen der Sensibilität materiellrechtlicher Strafrechtsharmonisierungen, und rechtlich wegen der primärrechtlichen Gebote der Achtung der nationalen Rechtsordnungen (Art. 67 Abs. 1 AEUV) und der Subsidiarität wohl allenfalls auf lange Sicht realisierbare – Vorschläge finden sich etwa bei Thorhauer, Jurisdiktionskonflikte im Rahmen transnationaler Kriminalität, 2019, S. 668 ff. (als Teil eines durch weitere prozedurale Koordinierungsregeln flankierten „Drei-Stufen-Modells“); Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 348 ff. (mit primärer Anknüpfung an den Tatort-Mitgliedstaat), der darin aber ebenfalls zur Zeit lediglich „eine Vision“ sieht (S. 365); Zimmermann, Strafgewaltkonflikte in der Europäischen Union, 2014, S. 369 ff.; Eisele, ZStW 125 (2013), S. 1 (12 ff., 30 ff.); Thorhauer, NJECL 6 (2015), S. 78 (98 ff.); Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 82 AEUV, Rn. 74.

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markt,167 sowie eine stärkere Institutionalisierung der Zuständigkeitsabgrenzung durch die teils in bereits recht komplexen Modellen entworfene Einbindung von supranationalen Stellen wie Eurojust oder dem EuGH.168 Als praktikable Regulierungsstrategie bleibt demgegenüber vorerst wohl am ehesten die systematische Beobachtung und Sammlung bereits bestehender informeller Koordinierungsformen zwischen den Straf­verfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten, die dann per­ spektivisch in einen entwicklungsoffenen Kanon bewährter Praktiken und Verfahren überführt und schrittweise verrechtlicht werden könnten.169 Entsprechende, 167

So entnehmen Böse / Meyer, ZIS 2011, S. 336 (340 f., 344) namentlich den Grundfreiheiten des Binnenmarkts (Art. 34, 45, 49, 56 und 63 AEUV) sowie dem allgemeinen Freizügigkeitsrecht (Art. 21 AEUV) primärrechtliche Grenzen für die extraterritoriale Erstreckung der Strafgewalt der Mitgliedstaaten, und begründen dies mit dem Vorrang des Unionsrechts gegenüber den materiellen Strafanwendungsnormen auf nationaler Ebene; insbesondere dann, wenn das betreffende Rechtsgut bereits durch das am Tatort geltende Strafrecht hinreichend geschützt (oder die kriminalisierte Verhaltensweise primärrechtlich ausdrücklich zulässig) ist, sei die Begründung der Strafgewalt durch das Recht der anderen Mitgliedstaaten einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterwerfen, und nur bei einer entsprechend differenzierten Begründung im Lichte der Grundfreiheiten (insbesondere bei Wirtschaftsstraftaten) oder der Unionsbürgerschaft (für sonstige Delikte) zulässig. S. ferner zu den (allerdings bisher vereinzelt gebliebenen) Andeutungen des EuGH in diese Richtung Thorhauer, NJECL 6 (2015), S. 78 (96 ff.). 168 S. etwa Thorhauer, Jurisdiktionskonflikte im Rahmen transnationaler Kriminalität, 2019, S. 740 ff. (Vermittlung durch Eurojust), 758 ff. (abschließende Konfliktlösung durch den EuGH); ähnlich, wenngleich mit verschiedensten Nuancierungen, auch etwa Eisele, ZStW 125 (2013), S. 1 (23 ff.); Kaiafa-Gbandi, EuCLR 7 (2017), S. 30 (42); Hecker, ZIS 2011, S. 60 (62 f.); Luchtman, Utrecht Law Review 7 (2011), S. 74 (97). S. außerdem Sinn, ZIS 2013, S. 1 (4 ff. bzw. 6 ff.), der als rechtspolitisches Nahziel zunächst ein sogenanntes „Modell der vereinbarten Gerichtsbarkeit“ ausgibt, in dem der bestehende Rahmenbeschluss zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten durch Regeln zur fakultativen Befassung von Eurojust und einer anschließenden Überprüfung der von Eurojust getroffenen Zuständigkeitsentscheidung durch den EuGH zu ergänzen wäre; das Fernziel liege dabei in einem durch eine neue Richtlinie zu regelnden „Modell der gesetzlich bestimmten Zuständigkeit“, das im Falle einer mangelnden Einigung der Mitgliedstaaten über die Verfolgungszuständigkeit die zwingende Anrufung von und verbindliche Zuständigkeitszuweisung durch Eurojust vorsieht, gegen die den Mitgliedstaaten (allerdings wohl regelmäßig nicht auch dem Betroffenen) dann nach allgemeinen primärrechtlichen Grundsätzen die Nichtigkeitsklage offenstünde. 169 Vgl. immerhin in Ansätzen nunmehr die (inhaltlich von Eurojust entwickelten) Leitlinien zur Zuständigkeitskoordinierung in Council of the European Union, Guidelines for deciding „which jurisdiction should prosecute?“, EuCO 9628/18, S. 4 f., die, allerdings ohne feste Reihenfolge, den Tatort, den Aufenthaltsort der verdächtigen Person, die Verfügbarkeit und rechtliche Verwertbarkeit von Beweismitteln, Zeugen- und Opferinteressen, den bereits erreichten Verfahrensstand und die zu erwartende Verfahrensdauer als bedeutsame Aspekte der Zuständigkeitskoordinierung hervorheben, und demgegenüber eine Reihe weiterer Erwägungen – namentlich die Verurteilungswahrscheinlichkeit, das zu erwartende Strafmaß, Einziehungsmöglichkeiten, Kosten- und Ressourcenaufwand sowie etwaige strafverfolgungspolitische Prioritäten der Mitgliedstaaten – ausdrücklich zurückstufen oder gar gänzlich ausschließen. Gaeta, in: Ruggeri (Hrsg.), Transnational Inquiries and the Protection of Fundamental Rights in Criminal Proceedings, 2013, S. 311 (327 f.) weist in diesem Zusammenhang ferner auf die durch den Lissabonner Vertrag eröffnete Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit hin, durch die etwaige Vorgaben auch zunächst zwischen einer Gruppe integrationswilliger Mitgliedstaaten etabliert und dann später für andere Mitgliedstaaten geöffnet werden könnten.

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einander teilweise durchaus sinnvoll ergänzende Elemente wären dabei etwa in materieller Hinsicht unver­bindliche bereichsspezifische Vorgaben der am besten geeigneten Strafgewalt in einzelnen strafrechtlichen Rechtsakten,170 in prozeduraler Hinsicht eine rechtliche Mindestkoordinierung in mehreren Mitgliedstaaten geführter sogenannter „Spiegelverfahren“,171 und allgemein die Verbesserung des Kommunikationsflusses ­zwischen den Strafverfolgungsbehörden durch die Einrichtung eines zentralen Verfahrensregisters etwa nach dem Vorbild von ECRIS oder zumindest bilateraler Informationspflichten über ein begonnenes Strafverfahren, wo bestimmte Anhaltspunkte die parallele Strafverfolgung in einem an­ deren Mitgliedstaat konkret nahelegen.172 Zuletzt wirft die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen für die EU-Justizpolitik auch weiterhin die rechtspolitische Mammutaufgabe auf, an der Konkretisierung der primärrechtlichen Rahmenbedingungen weiter­zuarbeiten: Das primärrechtliche Tableau nach dem Lissabonner Vertrag einschließlich der Nachschärfungen und Grenzziehungen durch die Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten173 stellt insoweit eher vordergründig eine Konsolidierung der inkrementellen Integrationsschritte seit Maastricht dar; im Detail verkörpern jedoch auch die Art. 83 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV vielfach weiterhin komplexe Kom­promisslinien, die zudem oftmals noch in dem fundamental anderen integrationspolitischen Umfeld der Verhandlungen über die letztlich gescheiterte 170

Eisele, ZStW 125 (2013), S. 1 (21); Hecker, ZIS 2011, S. 60 (62). Diese sind durch informelle grenzüberschreitende Absprachen gekennzeichnet, parallele (Ermittlungs-)Verfahren zunächst in mehreren Mitgliedstaaten weiterzubetreiben, um alle Aufklärungs- und Strafverfolgungsmöglichkeiten auszuschöpfen, bevor in einem späteren Stadium eine Konzentration des Verfahrens in einem Mitgliedstaat erfolgt; näher Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd.  2, Art.  82 AEUV, Rn.  28; Meyer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 37, Rn. 29. 172 So etwa mit Blick auf ein „EU-Strafverfahrensregister“ Rekate, Die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten und der Grundsatz einmaliger Strafverfolgung in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2015, S. 363 f.; Thorhauer, Jurisdiktionskonflikte im Rahmen transnationaler Kriminalität, 2019, S. 761 ff.; ähnlich Zimmermann, Strafgewaltkonflikte in der Europäischen Union, 2014, S. 434 ff.; Eisele, ZStW 125 (2013), S. 1 (18 f.). 173 S. etwa im Hinblick auf die Angleichung verfahrensrechtlicher und materieller Strafrechtsvorschriften BVerfGE 123, 267 (Lissabon), Rn. 252 f., 352 ff., dem zufolge „wegen der besonders empfindlichen Berührung der demokratischen Selbstbestimmung durch Straf- und Strafverfahrensnormen […] die vertraglichen Kompetenzgrundlagen für solche Schritte strikt – keinesfalls extensiv  – auszulegen [sind] und ihre Nutzung […] besonderer Rechtfertigung“ [bedarf] (Rn. 358), Rn. 361 f. („Wegen drohender Uferlosigkeit dieses die Strafrechtsetzung betreffenden Kompetenztitels ist eine solche Kompetenzvorschrift mit dem [Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung] an sich ebenso wenig zu vereinbaren wie mit dem gebotenen Schutz des demokratisch an die Mehrheitsentscheidung des Volkes besonders rückgebundenen nationalen Gesetzgebers. Der Vertrag von Lissabon bietet jedoch hinreichende Anhaltspunkte für eine verfassungskonforme Auslegung“), Rn. 363 („Entsprechend begrenzend ist die allgemeine Ermächtigung zur Festlegung von Straftaten und Strafen nach Art. 83 Abs. 1 AEUV auszulegen“), Rn. 364 („Die Zuständigkeiten der Europäischen Union im Bereich der Strafrechtspflege müssen zudem in einer Weise ausgelegt werden, die den Anforderungen des Schuldprinzips genügt […] Bei der Umsetzung der Mindestvorgaben ist ferner darauf zu achten, dass nur die grenzüberschreitende Dimension eines konkreten Straftatbestands von den europäischen Rahmenvorschriften angesprochen wird“). 171

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Unionsverfassung wurzeln, und als Ausgangspunkt für Grund und Grenzen supranationaler Strafverfolgung bisher auf europäischer Ebene nur in ersten Ansätzen aufgearbeitet  sind.174 So scheinen etwa bei der zentralen materiell-rechtlichen 174

So die rechtspolitische Bestandsaufnahme von Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 1 f., 3 f., der in Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV „zwei distinkte Kompetenzen unterschiedlicher Provenienz und Finalität“ sieht, für die erst der Lissabonner Vertrag „eine Konsolidierung und Einhegung der [weitgehend unabhängig voneinander] gewachsenen Kompetenznormen“ herbeigeführt habe: Während – im Grundsatz – die Harmonisierungskompetenz hinsichtlich bestimmter schwerer grenzüberschreitender Straftaten in Art. 83 Abs. 1 historisch auf die hybride, teils supranationale, teils intergouvernementale „Dritte Säule“ des Maastrichter und Amsterdamer Vertrags zurückgehe und insoweit originär mit dem Aufbau des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ verknüpft sei, wurzele die Annexkompetenz des Art. 83 Abs 2 zur strafrechtlichen Rechtsetzung in anderen harmonisierten Politikfeldern im Gemeinschaftsrecht (wenngleich auch hier Legitimation und Umfang gemeinschaftsrechtlicher Strafrechtsharmonisierung lange sehr umstritten, und vor allem durch den Rückgriff des EuGH auf die sogenannte implied powers-Lehre getragen war), und beruht damit primär auf ak­ zessorisch-funktionalen Erwägungen für den Integrationsprozess im weiteren Sinne; ähnlich auch Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 83 AEUV, Rn. 10 f.; Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 4, Rn. 4; Vogel, in: ebd., § 7, Rn. 24 f.; Coutts, CMLR 54 (2017), S. 771 (775 ff.); Miglietti, NJECL 5 (2014), S. 5 (6 ff.). In ähnlicher Weise sind ferner auch die hinter dem Primärrecht stehenden Grundfragen europäischer Strafrechtsetzung, etwa im Hinblick auf die spätestens mit dem Lissabonner Vertrag vollzogene Verschiebung von Legitimationssubjekt, -modell und -problemen der europäischen Strafrechtspolitik von der zwischenstaatlichen auf die supranationale Ebene bislang nicht vollständig beantwortet: S. – ohne dass an dieser Stelle auf die entsprechenden intensiven Theoriediskurse insbesondere aus den 2010er Jahren und rund um den Lissabonner Vertrag sowie die demokratietheoretischen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Lissabon-Urteil hinsichtlich der Supranationalisierung des Strafrechts (BVerfGE 123, 267 [Lissabon], Rn. 253) näher eingegangen werden kann – etwa Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 7, der insoweit zum einen die Frage demokratischer Legitimation der europäischen Strafrechtsetzung, die „ständige Wegbegleiterin der Entwicklung des Straf- und Strafverfahrensrechts der EU“, hervorhebt (und im Detail das Legitimationsniveau angesichts der mit dem Lissabonner Vertrag bewirkten Stärkung der Beteiligungsrechte des europäischen und der nationalen Parlamente für mittlerweile ausreichend erachtet, dessen ungeachtet jedoch eine differenzierte Diskussion über „die demokratietheoretischen Voraussetzungen von Strafgesetzgebung und die Möglichkeit ihrer Transformation auf die supranationale Ebene“ anmahnt – in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Vorb. Art. 82–86 AEUV, Rn. 30 f.), und zum anderen die strafrechtsrelevanten Garantien der Grundrechtecharta und der EMRK, der Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten, sowie der primärrechtlichen Maßgaben der Kompetenzausübung, namentlich Verhältnismäßigkeit, Subsidiarität, und Achtung der nationalen Rechtsordnungen und -traditionen (Art. 67 Abs. 1 AEUV), als wesentliche Grenzen materiell-rechtlicher europäischer Strafrechtsetzung unter dem Lissabonner Primärrechtsregime sieht (Rn. 27 ff.); ähnlich (mit ausführlicherer Ausarbeitung des Arguments) zudem Meyer, Strafrechtsgenese in Internationalen Organisationen, 2012, S. 869 ff.; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 83 AEUV, Rn. 18 ff.; Gärditz, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 6, Rn. 11 ff. m. w. N. (der die vorhandenen Legitimationsstrukturen auf Unionsebene ebenfalls als ausreichend erachtet); Vogel, in: ebd., § 7, Rn. 31 ff.; Meyer, in: ebd., § 25, Rn. 20 ff.; Kaiafa-Gbandi, EuCLR 1 (2011), S. 7 (12 ff.). Deutlich skeptischer dagegen zum Beispiel (aus der relativ jüngeren Literatur) Simon, NJECL 3 (2012), S. 242 ff., die vorbehaltlich einer demokratiebezogenen Aufladung zentraler Primärrechtsvorgaben wie dem Subsidiaritätsprinzip namentlich die Kompetenzen in Art. 83 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV für legitimationstheoretisch nicht haltbar erachtet.

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Harmonisie­rungskompetenz des Art. 83 Abs. 1 AEUV für die eingrenzenden Tat­ bestands­merkmale der „besonderen Schwere“ und der „grenzüberschreitenden Dimension“ bisher keine kohärenten oder zumindest operationalisierbaren Maßstäbe gefunden.175 Die europäische Strafrechts- und Kriminalpolitik, deren konkreter Zugriff sich ersichtlich auch zwischen den Unionsorganen unterscheidet,176 lässt vor diesem unscharfen Hintergrund tendenziell die Neigung zu einer extensiven Krimina­lisierung177 sowie einem relativ unbekümmerten Umgang mit rechtlich an 175 Beiden Kriterien wird in der rechtspolitischen Diskussion der Literatur angesichts ihrer Offenheit weithin keine signifikante Begrenzung der Kompetenzausübung zugetraut; s. nur Satzger, in: Streinz, Art. 83 AEUV, Rn. 7 („… abstrakte, nicht leicht zu interpretierende Kriterien […], was eine klare Umgrenzung des Umfangs der Rechtsangleichungskompetenz stark erschwert“), Rn. 11 f.; Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 4, Rn. 8 f. („typisierende Betrachtungsweise“, „politischer Einschätzungsspielraum des europäischen Gesetzgebers“); Kaiafa-Gbandi, EuCLR 5 (2015), S. 3 (10 f.); Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 13 f. m. w. N. 176 Vgl. Satzger, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 2, Rn. 67 ff.; Meyer, in: von der Groeben / ​ Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 24; Weyembergh / Wieczorek, in: Colson / Field (Hrsg.), EU criminal justice and the challenges of diversity, 2016, S. 29 (44 ff.), mit Verweis auf die – insbesondere im Bereich von Vorfeldstraftaten, Fahrlässigkeitsformen und Versuchsstrafbarkeiten – tendenziell zurückhaltenderen Musterbestimmungen, die der Rat den Verhandlungen im Gesetzgebungsverfahren zugrundelegt (EuCO 16798/09; Zusammenfassung bei Satzger, in: Böse [EnzEuR Bd. 9], § 2, Rn. 78 ff.), und das entgegengesetzte politische Konzept der Kommission (Europäische Kommission, Mitteilung […]: Auf dem Weg zu einer europäischen Strafrechtspolitik: Gewährleistung der wirksamen Durchführung der EU-Politik durch das Strafrecht, KOM[2011] 573 endgültig), dem wegen des Initiativrechts der Kommission bisher oftmals das größere Gewicht zukommt. Kritisch zu dem daraus resultierenden Nebeneinander divergierender kriminalpolitischer Ansätze etwa Vogel, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 7, Rn. 30 („… Harmonisierungspraxis [folgt] nur auf dem Papier einem in sich stimmigen kriminalpolitischen Konzept […], sondern [hängt] stark von politischen Konstellationen, Emotionen und Trends ab“); Weyembergh / Wieczorek, in: Colson / Field (Hrsg.), EU criminal justice and the challenges of diversity, 2016, S. 29 (29 f.: “… meaning and content of […] EU criminal policy […] are far from evident. EU criminal developments have not, until now, followed a consistent policy or strategy, nor have they implemented a vision“); Vervaele, in: Galli / Weyembergh (Hrsg.), Approximation of substantive criminal law in the EU, 2013, S. 43 (57) („eclectic“); Hauck, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 11, Rn. 119 f. (der vor diesem Hintergrund dafür plädiert, künftig „die kriminalpolitischen Fäden“ […] am besten bei der Kommission“ zu bündeln); Kaiafa-Gbandi, EuCLR 5 (2015), S. 3 (5 ff., die hingegen perspektivisch die Entwicklung einer inter-institutionellen Vereinbarung der Unionsorgane für unabdingbar hält). Ausführliche Analyse außerdem bei Corral-Maraver, EuCLR 7 (2017), S. 123 ff. 177 Als zentrales Problem wird in der rechtspolitischen Debatte zum einen die Erstreckung der unionsrechtlichen Strafbarbeitsvorgaben auf Vorfeldhandlungen ohne echte Rechtsgutsgefährdungen (etwa im Bereich der Fälschung unbarer Zahlungsmittel, des Menschenhandels und bestimmter Terrorismusdelikte) und die bisweilen anzutreffende Pönalisierung von zahllosen Verhaltensweisen in mehr oder weniger losem Zusammenhang mit dem geschützten Rechtsgut („Rundumschläge […] “) gesehen, darüber hinaus aber auch eine gewisse Tendenz des Unionsgesetzgebers zu einer symbolpolitischen Schaffung strafrechtlicher Sanktionen und ein eher laxer Umgang mit dem ultima ratio-Gedanken bei auf Art. 83 Abs. 2 AEUV gestützten Strafrechtsharmonisierungen zur Effektuierung anderweitiger unionsrechtlicher Regelungen; ausführlich (und m. w. N.) Satzger, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 2, Rn. 23 ff., 27 f., 34 ff., 30 ff. (mit Beispielen aus dem Bereich der Terrorismusbekämpfung, Umweltdelikte und Rassismusbekämpfung, wo

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schließend schwer zu verarbeitenden dogmatischen Brüchen im Zusammenspiel nationaler und supranationaler Strafrechtsvorschriften vor allem im Bereich des Allgemeinen Teils erkennen,178 bezahlt dies jedoch – neben zunächst sehr scharfer Kritik, die teilweise auch in Überlegungen zu alternativen Konzepten europäischer Strafrechtspolitik in der Wissenschaft gemündet ist179 – in den frühen, teils aber auch jüngeren Evaluationen der Sekundärrechtsakte noch mit eher durchwachsenen Realbereichsbilanzen mit Ausnahme ohnehin in allen Mitgliedstaaten kriminalisierter Gebiete wie insbesondere dem Menschenhandel und Sexualstraftaten gegen Minderjährige.180 Für die Annexkompetenz der Union zur Strafrechtsharmonisieneue Gesetzgebungsinitiativen in der Vergangenheit ad hoc an aktuelle politische Entwicklungen anknüpften, Rn. 35). In der strafrechtlichen Literatur wird diese Einschätzung aber nicht durchgehend geteilt; so weist etwa Vogel, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 7, Rn. 29 f., darauf hin, dass gerade Phänomene wie die zeitliche Vorverlagerung von Strafbarkeitsanknüpfungen und strafrechtspolitischer Aktionismus kein spezifisch europäisches Problem seien, sondern oft auch die nationale Strafrechtsetzung prägten und dort ebenfalls kritisiert würden („In der Tat bewegen sich Unionsmaßnahmen durchweg im Mainstream aktueller Kriminalpolitik“, Rn. 29). 178 S. etwa Kaiafa-Gbandi, EuCLR 5 (2015), S. 3 (11 ff.); Meyer, in: von der Groeben / ​ Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 21, 23; Satzger, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 2, Rn. 49 ff.; Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 4, Rn. 14 (insbesondere im Hinblick auf Versuchsstrafbarkeit und Beteiligungsformen, und mit dem Hinweis, Abhilfe könnten künftig salvatorische Klauseln im Sekundärrecht leisten, denen zufolge bestimmte Fragen des Allgemeinen Teils unberührt blieben); Satzger, in: Streinz, Art. 83 AEUV, Rn. 42, sowie ZIS 2016, S. 771 (773 ff.) (der als möglichen Lösungsweg die Entwicklung einer auf Art. 83 AEUV gestützten Richtlinie mit einem umfassenden „Allgemeinen Teil“ des materiellen Unionsstrafrechts aufzeigt; die zu erwartenden Reibungen mit den nationalen Strafrechtsordnungen und das dortige Nebeneinander paralleler „Allgemeiner Teile“ für unionsrechtlich harmonisierte und rein auf nationaler Ebene geregelte Straftaten sei dabei zumindest für eine Übergangszeit hinzunehmen, s. Satzger, in: Böse [EnzEuR Bd. 9], § 2, Rn. 88. Allgemein skeptisch gegenüber derartigen Überlegungen: Stuckenberg, in: Böse [EnzEuR Bd. 9], § 7, Rn. 10). Verschiedentlich werden den sekundärrechtlichen Vorschriften zudem Bestimmtheitsdefizite attestiert; s. (mit Blick u. a. auf die Unionsrechtsinstrumente zur Strafbarkeit von Kinderpornographie, Menschenhandel, Korruption im privaten Sektor, sowie weitere) Satzger, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 2, Rn. 38. 179 Überblick bei Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 83 AEUV, Rn. 16 f. Überlegungen zu kriminalpolitischen Alternativen finden sich primär in European Criminal Policy Initiative, ZIS 2009, S. 697 ff., und später European Criminal Policy Initiative, ZIS 2013, S. 412 ff. (zu den Hintergründen dieses sogenannten „Manifests für eine europäische Kriminalpolitik“: Satzger, ZIS 2009, S. 691 ff.; Überblick über ihre wesentlichen, in der Sache eher maßvollen Postulate und ihre Rezeption durch die Unionsorgane bei Satzger, in: Böse [EnzEuR Bd. 9], § 2, Rn. 56 ff. bzw. 66 ff.). 180 Lediglich für diese beiden Deliktsbereiche stellte die Kommission ohne größere Einschränkungen fest, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen aus den entsprechenden Rahmenbeschlüssen weitgehend nachkämen, weil entweder bereits zuvor die erforderlichen Vorschriften auf nationaler Ebene bestanden hätten, oder noch fortbestehende Regelungslücken nunmehr geschlossen worden seien; vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] auf der Grundlage von Artikel 12 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie, KOM(2007) 716, S. 9, und Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] auf der Grundlage von Artikel 10 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels, KOM(2006) 187, S. 9 f. Ansonsten ist das Bild aber seit den ersten Rechtsakten des Unionsgesetzgebers durchgehend von erheblichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung

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rung in anderweitig harmonisierten Politikfeldern (Art. 83 Abs. 2 AEUV) sind sogar praktisch alle Abgrenzungen zu anderen Ermächtigungsgrundlagen bestenfalls unscharf: Primär geraten dabei interne Politiken wie insbesondere der Binnenmarkt und die Zollpolitik, sowie ferner die Unionskompetenz zur Betrugsbekämpfung (Art. 325 Abs. 4 AEUV) in den Blick;181 zudem bleibt hier die praktisch alles entscheidende Aufgreifschwelle der „Unerlässlichkeit“ einer unionsrechtlichen Re­ gelung (Art. 83 Abs. 2 S. 1 AEUV) weiterhin blass, und scheint der Sache nach bisher auf eine amalgamierte Prüfung des normativen und empirischen Kriminalisierungsbedarfs des fraglichen Verhaltens hinauszulaufen, wobei bei letzterem aus auf nationaler Ebene gekennzeichnet; insbesondere für eine Reihe der frühen Rechtsakte des Unionsgesetzgebers nahm die Kommission – namentlich bei Korruptionsdelikten, der Harmonisierung der Einziehungsvorschriften und für den Bereich der Drogenkriminalität – zunächst offen kritische Evaluationen vor (Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] gemäß Artikel 9 des Rahmenbeschlusses 2003/568/JI des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, KOM(2007) 328 endgültig, S. 10 ff.; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] gemäß Artikel 6 des Rahmenbeschlusses des Rates über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (2005/212/ JI), KOM(2007) 805 endgültig, S. 7; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2004/757 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, KOM(2009) 669 endgültig, S. 10 f.), und zog auch für die Rechtsakte zur Harmonisierung des Betrugs mit unbaren Zahlungsmitteln, zur Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt in der Union, zu terroristischen Delikten, und zu Angriffen auf Informationssysteme bestenfalls gemischte Anwendungsbilanzen, vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […]: Zweiter Bericht gemäß Artikel 14 des Rahmenbeschlusses des Rates […] zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln, KOM(2006) 65 endgültig, S. 7; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] auf der Grundlage von Artikel 9 des Rahmenbeschlusses des Rates betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt, KOM(2006) 770 endgültig, S. 9; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] auf der Grundlage von Artikel 11 des Rahmenbeschlusses des Rates […] zur Terrorismusbekämpfung, KOM(2007) 681 endgültig, S. 11 f.; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Bericht […] auf der Grundlage von Artikel 12 des Rahmen­ beschlusses des Rates über Angriffe auf Informationssysteme, KOM(2008) 448 endgültig, S. 10 f. Die späteren Berichte zur Angleichung der Straftaten im Zusammenhang mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, der Berücksichtigung von Vorstrafen aus anderen Mitgliedstaaten bei der Strafzumessung, und erneut von Delikten gegen informationstechnische Systeme scheinen zuletzt immerhin wieder trotz diverser kleinerer Probleme auf eine Stabilisierung der Umsetzungspraxis auf niedrigem Niveau hinzudeuten; vgl. Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, COM(2014) 27 final, S. 11; Europäische Kommission, Bericht […] über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren, COM(2014) 312 final, S. 11 ff.; Europäische Kommission, Bericht […] über den Umfang, in dem die Mitgliedstaaten die für die Einhaltung der Richtlinie 2013/40/EU über Angriffe auf Informationssysteme und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2005/222/JI erforderlichen Maßnahmen getroffen haben, COM(2017) 474 final, S. 14 f. 181 Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 4, Rn. 24 ff. m. w. N.; Meyer, in: von der Groeben / ​ Schwarze / ​Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 48 ff.

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§ 4 Europäische Gerichtsentscheidungen

kriminologischer Sicht die Anforderungen an die Erforschung der vielfach verkomplizierten Wirkungszusammenhänge eines spezifisch supranationalen Mehrebenenstrafrechts oft unzureichend berücksichtigt erscheinen.182 Allenfalls in ersten Schritten erarbeitet, vor allem auch mit Blick auf den noch fast vollständig unerschlossenen Realbereich, sind schließlich bisher die materiellen Grenzen europäischer Strafrechtspolitik im Allgemeinen – etwa mit Blick auf zentrale primärrechtliche Schranken wie Subsidiarität und Verfassungsidentität sowie ihre prozedurale Absicherung in den sogenannten Notbremseklauseln in Art. 82 Abs. 3 und Art. 83 Abs. 3 AEUV –,183 und die rechtliche Entfaltung und praktische Opera­ tionalisierung grundrechtlicher Standards im Besonderen: Welche tatsächlichen Steuerungswirkungen und Entwicklungsperspektiven, und möglicherweise Re 182

So etwa die detaillierte Kritik von Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83 AEUV, Rn. 56 ff. m. w. N., 60 f.; ähnlich auch Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 83 AEUV, Rn. 93; Kaiafa-Gbandi, EuCLR 5 (2015), S. 3 (11); Mi­glietti, NJECL 5 (2014), S. 5 (11 f., 24, mit ausführlicher Fallstudie des Gesetzgebungsverfahrens zur Marktmissbrauchsrichtlinie: S. 16 ff.); Öberg, NJECL 5 (2014), S. 370 ff., der aus Art. 83 Abs. 2 AEUV eine Pflicht des Unionsgesetzgebers zu einer empirisch belegten Begründung ableitet, dass strafrechtliche Sanktionen konkret wirksamer seien als nicht-strafrechtliche Maßnahmen. Einen strikten Maßstab hat insbesondere auch das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil angemahnt, s. BVerfGE 123, 267 (Lissabon), Rn. 362 („Damit dieser Ausnahmetatbestand erfüllt ist und die Ermächtigung zur Strafgesetzgebung im Annex als übertragen angenommen werden kann, muss nachweisbar feststehen, dass ein gravierendes Vollzugsdefizit tatsächlich besteht und nur durch Strafandrohung beseitigt werden kann“). Wohl kein grundsätzliches Problem sehen in der bisherigen Praxis hingegen Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  83 AEUV, Rn. 24 (lediglich allgemeine Begründungspflicht des europäischen Gesetzgebers, weshalb der geplante Rechtsakt das einzige Mittel zur effektiven Rechtsdurchsetzung sei); Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 4, Rn. 19 (Beurteilungsspielraum und Begründungspflicht des Unionsgesetzgebers hinsichtlich der rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen zur Unerlässlichkeit). 183 Wobei in der rechtspolitischen Diskussion – wenngleich es bisher an einem praktischen Anwendungsfall im Gesetzgebungsverfahren auch rund zehn Jahre nach dem Lissaboner Vertrag weiterhin fehlt – insbesondere für die Notbremseklauseln bisher eine restriktive Handhabung befürwortet wird, die in einer strikten Begrenzung auf Elemente wie etwa Legalitätsgrundsatz, Rückwirkungsverbot, Schuldprinzip (materiell-rechtliche Notbremse, Art. 83 Abs. 3), Verfahrensgrundrechte oder allgemeine Prozessmaximen (verfahrensrechtliche Notbremse, Art. 82 Abs. 3), sowie einem Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten inklusive weitgehender Freistellung von einer rechtlichen Überprüfung dieses Aspekts des Gesetzgebungsverfahrens durch den EuGH zum Ausdruck kommt; s. – mit kleineren Abweichungen im Detail – Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 83 AEUV, Rn. 99, bzw. Art. 82 AEUV, Rn. 116 ff.; Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 83, Rn. 36 f., 39, bzw. Art. 82 AEUV, Rn. 49, 53 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 82 AEUV, Rn. 64 (der allerdings bei evident sachfremder Berufung auf die Notbremseregelungen ausnahmsweise eine Missbrauchskontrolle durch den EuGH befürwortet – ebenso Böse, in: Böse [EnzEuR Bd. 9], § 4, Rn. 22); Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 82 AEUV, Rn. 50 (der ebenfalls zumindest eine Begründungspflicht des betreffenden Mitgliedstaats sieht, welche grundlegenden Aspekte der nationalen Strafrechtsordnung konkret die Auslösung des Notbremseverfahrens rechtfertigen sollen); potentiell weitergehenderer Ansatz allerdings bei Gaede, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 3, Rn. 101, dem zufolge vor allem die Grundrechte der nationalen Rechtsordnungen und die aus ihnen abgeleiteten Verfahrensprinzipien (beispielsweise der Schuldgrundsatz) eine Auslösung der Notbremse rechtfertigen können.

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formbedarf, haben etwa die noch nicht evaluierten Richtlinien zu den unionsrechtlichen Mindeststandards für Strafverfahren in den Mitgliedstaaten?184 Wie müsste bei einer Weiterentwicklung dieser Verfahrensstandards ein über die ersten, eher behelfsmäßigen Rechtsschutzvorgaben der Aranyosi-Rechtsprechung hinausweisendes und auch vor dem Hintergrund von Grundrechtecharta und EMRK dogmatisch stimmiges Regime transnationaler europäischer Grundrechtsgewährleistungen gegenüber unionsweiten Strafverfolgungsmaßnahmen konturiert und vom europäischen Gesetzgeber in sekundärrechtliche Form gegossen werden?185 Inwie 184 Bis zu den Anwendungsberichten der Sekundärrechtsakte, die planmäßig bereits im No­ vember 2017 (Art. 29 RL Opferrechte im Strafverfahren), bzw. im November 2019 (Art. 16 RL Rechtsbeistand im Strafverfahren), im April 2021 (Art. 12 RL Unschuldsvermutung und Anwesenheitsrechte im Strafverfahren) und im Juni 2022 (Art. 25 RL Rechte von Kindern im Strafverfahren) angeständen hätten bzw. anstehen, bleibt das Bild insoweit weitgehend spekulativ. Der Bericht zur Harmonisierung der Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren legt jedenfalls eher Skepsis nahe: Für zentrale Regelungen des Rahmenbeschlusses, vor allem hinsichtlich der Erklärung der Rechte in Strafverfahren sowie in Verfahren zur Vollstreckung europäischer Haftbefehle, der Unterrichtung des Beschuldigten über den Tatvorwurf und des Rechts auf Einsicht in die Verfahrensakte, stellte die Kommission in einer Reihe von Mitgliedstaaten gravierende Mängel fest; Europäische Kommission, Bericht […]: Umsetzung der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren, COM(2018) 858 final, S. 5 ff. Vielfach verzögerte sich überdies die Umsetzung in den Mitgliedstaaten erheblich; teilweise wurden erst Jahre nach Ablauf der Frist entsprechende nationale Vorschriften erlassen (Luxemburg und Rumänien, jeweils 2017), und gegen gleich sieben Mitgliedstaaten, namentlich Zypern, Tschechien, Luxemburg, Malta, Slowenien, die Slowakei und Spanien, hat die Kommission mittlerweile sogar Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, s. ebd., S. 3. Überwiegend wird dem Unionsgesetzgeber in der Literatur dennoch bisher – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der sehr schwierigen politischen Ausgangssituation des zunächst gescheiterten einheitlichen Rechtsakts zu Verteidigungsrechten im Strafverfahren (vgl. oben § 4 III. 1., Fn. 104)  – zumindest ein Schritt in die richtige Richtung attestiert; s. Anagnostopoulos, EuCLR 4 (2014), S. 3 (18); Mitsilegas, in: Fletcher / Herlin-Karnell / Matera (Hrsg.), The European Union as an area of freedom, security and justice, 2017, S. 201 (206); Blackstock, EuCLR 2 (2012), S. 21 (35); Asselineau, NJECL 9 (2018), S. 184 (187 ff., der perspektivisch sogar weitere Sekundärrechtsinstrumente in vier zusätzlichen Bereichen anregt, namentlich der Untersuchungshaft, der Erweiterung der bestehenden Verteidigungsrechte im Hauptverfahren, der Rechte von Zeugen, und der Mindeststandards bei der Ausgestaltung des Instanzenzugs). Dagegen bescheinigt allerdings Callewaert, ZEuS 2014, S. 79 (81 f.), einigen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts einen „Flirt[…] mit den unteren Grenzen des Art. 6 EMRK“, und weist insoweit (ebenso wie Wahl, ERA Forum 18 [2017], S. 311 [331 f.]), auf die längerfristige Gefahr hin, dass die Verfahrensstandards des europäischen Justizraums durch die aktuellen Sekundärrechtsakte insbesondere gegenüber der potentiell dynamischeren EGMRRechtsprechung gleichsam eingefroren werden könnten; ähnlich skeptische Stimmen außerdem bei Gaede, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 3, Rn. 99; de Bondt / Vermeulen, eucrim 2010, S. 163 (166 ff.) („The current procedural rights debate is clearly heading in the wrong direction“, S. 167). 185 Im Kern wird die zentrale rechtspolitische Herausforderung insoweit darin gesehen, die mittlerweile auf Unionsebene herangewachsenen Gewährleistungen insbesondere der Grundrechtecharta spezifisch im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen und die daraus resultierenden hybriden, arbeitsteiligen Eingriffsformen als Abwehrrechte zu entfalten, und eine spezifisch auf diese neuen transnationalen Verflechtungen abgestimmte Grundrechtsdogmatik zu entwickeln; s. nur Gaede, in: Böse (EnzEuR Bd. 9),

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weit müssten unionsweite strafrechtliche Entscheidungen schließlich auf lange Sicht auch durch weitere innovative Strukturen wie etwa grenzüberschreitende Strafverteidigungsnetzwerke oder andere -institutionen eingebettet und möglicherweise auch auf sekundärrechtlicher Ebene stärker verankert werden?186 Auch wenn die ursprünglich verbreitete grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber der europäischen Strafrechtspolitik vor allem im Vergleich zum Diskurs der frühen 2000er Jahre mittlerweile einer eher problemlösungsorientierten, ernsthaft an einer dauerhaften Operationalisierung des europäischen Strafrechtsregimes interessierten Perspektive weicht – die eigentliche Arbeit der EU-Justizpolitik und des Unionsgesetzgebers dürfte hier teilweise gerade erst beginnen.

§ 3, Rn. 10, 52, 54, 56 f. („Bei alledem ist zu prüfen, ob die neuartigen Gefährdungslagen der Dynamisierung nationaler Strafverfahren infolge des einwirkenden Unionsrechts nicht gänzlich neue Schutzinstrumente erfordern, weil die bisher geeigneten nationalen Kautelen zu versagen drohen. Das neuartige Strafverfahrensmodell der EU trifft auf europäische Grund- und Menschenrechte, die entwicklungsoffen und wirksam zu interpretieren sind […]. Dies muss die urteilenden Gerichte und vornehmlich den Gesetzgeber inspirieren. Innovationen zugunsten der Strafverfolgung [„gegenseitige Anerkennung“, „Grundsatz der Verfügbarkeit“] müssen Innovationen zugunsten eines adäquaten europaweiten Grundrechtsschutzes gegenüberstehen“, Rn. 57); Meyer, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 37, Rn. 36 („… fehlt es aber [noch] an einer supranationalen Grundrechtsdogmatik, um die [auch kumulative] transnationale Eingriffswirkung im Raum erfassen zu können. [Es bedarf der] Kreierung besonderer raum-adaptierter transnationaler Rechte und Verantwortlichkeitsmechanismen“); Burchard, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 14, Rn. 54 (der allgemein bei der Entwicklung „wahrlich europäische[r] Verteidigungs- und Justizgrundrechte“ primär den EuGH in der Pflicht sieht, wie bereits in früheren Integrationsstadien eine historische Rolle als Motor der Integration zu spielen); Böse, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 36, Rn. 17 (der insbesondere auf die bereits bestehenden Regelungen zum Schutz vor doppelter Strafverfolgung als möglichen Prototypen entsprechender Gewährleistungen hinweist, und darüber hinaus ein Recht auf „multinationale [Straf-]Verteidigung“ und Mindeststandards für grenzüberschreitende Ermittlungseingriffe, etwa Richtervorbehalte oder andere spezifische Eingriffsschwellen, als weitere dogmatische Ansatzpunkte sieht); Meyer, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd.  2, Vorb. Art. 82–86 AEUV, Rn.  26, 33. 186 Überblick über die bisherigen (noch eher rudimentären, meist in losen Netzwerken nationaler Strafverteidiger bestehenden) Ansätze derartiger Projekte bei Rackow, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 23, Rn. 3 ff., 11 ff., 18 ff. (und insbesondere Rn. 23 ff. zu dem bisher am weitesten gediehenen Projekt „Eurodefensor“); Esser, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 57, Rn. 14 ff., bzw. in: ebd., § 59, Rn. 31 ff.

§ 5 Europäische Gerichtsverfahren I. Neunter Baustein. Supranationale Verfahrensregeln für zivilrechtliche Streitigkeiten 1. Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen Als Pionierprojekt bei der Entwicklung europäischer Verfahren zur erleichterten Rechtsdurchsetzung in bestimmten binnenmarkttypischen zivilrechtlichen Streitigkeiten fungierte im Jahr 2004 der bereits im Tampere-Programm vorgesehene sogenannte „Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen“. Die europäische Vollstreckungstitelverordnung (EuVTVO) beseitigte als erster Sekundärrechtsakt das Erfordernis eines Exequaturverfahrens vor einer unionsweiten Zwangsvollstreckung.1 Der unionsrechtsautonome Begriff der „unumstrittenen Forderung“ erfasst sowohl ausdrücklich anerkannte Ansprüche als auch Versäumnisurteile;2 im Übrigen entspricht der sachliche Anwendungsbereich weitestgehend der EuGVVO.3 Die Bestätigung unbestrittener Forderungen nach der EuVTVO ist nicht verpflichtend, sondern tritt optional neben die reguläre unionsweite Vollstreckung nach der EuGVVO.4 Die Verordnung beruht dabei auf einem zweigliedrigen Verfahrensmodell: Für die Vollstreckung unbestrittener Forderungen wird das Exequaturverfahren beseitigt, und ein Modell unmittelbarer Vollstreckbar­keit in allen Mitgliedstaaten errichtet; als Kompensationsmaßnahme wird die Voll 1 Vgl. Art. 1 EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]). S. außerdem Arnold, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 1 VO Nr. 805/2004, Rn. 3; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 1 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 1 EG-VollstrTitelVO, Rn. 4 f.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 1 ff. 2 Vgl. Art. 3 Abs. 1 EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]); Arnold, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 2 VO Nr. 805/2004, Rn. 2 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 3 EG-VollstrTitelVO, Rn. 2 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 3 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 3 EuVTVO, Rn. 2 ff.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn.  29 ff. 3 Vgl. Art. 2 Abs. 1 und 2 EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]); Arnold, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 2 VO Nr. 805/2004, Rn. 2 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 2 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 2 EG-VollstrTitelVO, Rn. 2 ff.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 21; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 541. 4 Vgl. Art. 27 EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]). Im Einzelnen s. Zenker, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 27 VO Nr. 805/2004, Rn. 3 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 27 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 27 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 27 EuVTVO, Rn. 1; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn.  13; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 555 f.

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

streckbarkeit an ein unmittelbar im Urteilsmitgliedstaat selbst durchzuführendes Bestätigungsverfahren gebunden,5 in dem außer im Fall ausdrücklich anerkannter Forderungen verschiedene unionsrechtliche Anforderungen an die Zustellung der ursprünglichen Verfahrensdokumente und die Unterrichtung des Schuldners über die Forderung nachzuprüfen sind.6 Infolge der Bestätigung durch die Gerichte des Urteilsmitgliedstaats ist die zugrundeliegende Entscheidung in allen Mitgliedstaaten nach dem dortigen Verfahrensrecht zu vollstrecken;7 die Vollstreckung kann lediglich wegen eines früheren Urteils über denselben Streitgegenstand versagt werden, und sieht insbesondere keine Prüfung des ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats vor.8 Rechtsschutz wird im Übrigen ausschließlich im Urteils­

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Vgl. Art. 6 Abs. 1, Art. 12 bis 17 EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]), wobei allerdings europäische Vollstreckungstitel gegen Verbraucher (außer im Fall ausdrücklich anerkannter Forderungen) nur von den Gerichten des Mitgliedstaates des Wohnsitzes des Verbrauchers erlassen werden können (Art. 6 Abs. 1 lit. d)); ausführlich Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 6 VO Nr. 805/2004, Rn. 5 ff. (sowie 31 ff. zu den spezifisch verbraucherrechtlichen Konstellationen); Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 6 EG-VollstrTitelVO, Rn. 8 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 6 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / ​ Hess, EuZPR, Art. 6 EuVTVO, Rn. 1 ff.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 43 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 543 ff. 6 S. insoweit im Einzelnen zur Zustellung mit Empfangsnachweis (Art. 13) und zur alternativen Zustellung ohne Empfangsnachweis (Art. 14) ausführlich Klumpp, Die Zustellungsformen der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels, 2009, S. 78 ff.; Arnold, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 13 VO Nr. 805/2004, Rn. 1 ff., Art. 14 VO Nr. 805/2004, Rn. 3 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 13 EG-VollstrTitelVO, Rn. 4 ff. bzw. Art 14 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 f.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 13 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 14, EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn.  35 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 13 EuVTVO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 14 EuVTVO, Rn. 1 ff. Zur ebenfalls erforderlichen Belehrung des Schuldners über die möglichen Folgen des Nichtbestreitens der Forderung (Art. 17) Arnold, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 17 VO Nr. 805/2004, Rn. 1 ff.; Adolphsen, in: MKZPO, Art. 17 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 17 EG-­VollstrTitelVO, Rn. 2 ff. 7 Vgl. Art. 20 EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]); Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 20 VO Nr. 805/2004, Rn. 1 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 20 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 20 EG-­ VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 20 EuVTVO, Rn. 2 ff.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn.  47 ff. 8 Vgl. Art. 21 Abs. 1 EuVTVO (VO [EG] 805/2004 [ABl. L 143, S. 15]). Zu den Versagungsgründen im Einzelnen Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 21 VO Nr. 805/2004, Rn. 2 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 21 EG-­VollstrTitelVO, Rn. 3 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 21 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 21 EuVTVO, Rn. 1; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 50, 55 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 550 ff. Zur Beschränkung, Anordnung einer Sicherheitsleistung oder ausnahmsweisen Aussetzung der Vollstreckung während eines laufenden Rechtsbehelfs gegen den europäischen Vollstreckungstitel (Art. 23) Hilbig, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 23 VO Nr. 805/2004, Rn. 7 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 23 EGVollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 23 EG-VollstrTitelVO, Rn. 2 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 23 EuVTVO, Rn. 1, 3 f.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 54.

I. Neunter Baustein. Verfahrensregeln für zivilrechtliche Streitigkeiten 

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mitgliedstaat gewährt, wobei die Verordnung zusätzlich einen unionsrechtlichen Mindestrechtsbehelf für Fälle unverschuldeter Säumnis installiert.9

2. Europäisches Mahnverfahren Die im Anschluss an die EuVTVO erlassene europäische Mahnverfahrens­ verordnung (EuMVVO) etabliert als erster Sekundärrechtsakt des europäischen Justizraums einen originär europäischen Vollstreckungstitel. Sachlich ist das europäische Mahnverfahren für bezifferte, fällige Geldforderungen aus vertraglichen Schuldverhältnissen im Anwendungsbereich der EuGVVO anwendbar;10 zudem kann das Mahnverfahren nur eingeleitet werden, wenn zumindest eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des befassten Gerichts hat.11 Auch die EuMVVO ist als optionales Instrument ausgestaltet; die Erwirkung eines Mahnbescheids nach nationalem Recht mit anschließender Vollstreckung nach den EuGVVO-Vorschriften bleibt alternativ oder parallel möglich.12 Das Verfahren wird mit der Einreichung eines detaillierten Formulars bei dem nach den EuGVVO-Vorschriften zuständigen Gericht eingeleitet;13 9 Namentlich sieht die EuVTVO in Art. 19 vor, dass nur in denjenigen Mitgliedstaaten eine Bestätigung erfolgen kann, nach deren Verfahrensrecht der Schuldner einen Rechtsbehelf zur Wiederaufnahme des Verfahrens bei unverschuldeten Verteidigungshindernissen einlegen konnte; ausführlich hierzu Arnold, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 2, 40. EL 6/2011, Art. 19 VO Nr. 805/2004, Rn. 6 ff.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 19 EG-­VollstrTitelVO, Rn. 6 ff.; Pabst, in: Rauscher Bd. 2, Art. 19 EG-VollstrTitelVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / ​Hess, EuZPR, Art. 19 EuVTVO, Rn. 1 ff.; Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 40. 10 Vgl. Art. 4, Art. 2 Abs. 1 und 2 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). Zum sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung für „Zivil- und Handelssachen“ (mit Ausnahme insbesondere nichtvertraglicher Ansprüche, die der Unionsgesetzgeber wegen der regelmäßig komplexeren Beweissituation für ungeeignet hielt) Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 2 VO Nr. 1896/2006, Rn. 1 ff.; Ulrici, MK-ZPO, Art. 2 EGMahnVO, Rn. 3 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 2 EG-MahnVO, Rn. 4 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 2 EuMahnVO, Rn. 1 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 12, 17 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 561 f. 11 Vgl. Art. 3 Abs. 1 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]); Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 3 VO Nr. 1896/2006, Rn. 2 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 3 EG-MahnVO, Rn. 2 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 3 EG-MahnVO, Rn. 4 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 3 EuMahnVO, Rn. 1; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 13 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 561. 12 Vgl. Art. 1 Abs. 2 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]); Kodek, in: Geimer / ​ Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 1 VO Nr. 1896/2006, Rn. 2; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 1 EG-MahnVO, Rn. 10 f.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 1 EG-MahnVO, Rn. 2 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 11. 13 Vgl. Art. 6 und 7 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). Namentlich zu den Details der Verfahrenseinleitung durch das entsprechende einheitliche Formular s. K ­ odek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 7 VO Nr. 1896/2006, Rn. 1; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 7 EG-MahnVO, Rn. 4 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 7 EGMahnVO, Rn. 7 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 7 EuMahnVO, Rn. 1 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn.  36 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 563 f. Zur Ab-

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

erscheint die Forderung als begründet,14 erlässt das Gericht binnen 30 Tagen einen sogenannten „Europäischen Zahlungsbefehl“, der dem Antragsgegner nach vergleichbaren Zustellungsregelungen wie in der EuVTVO zugestellt wird.15 Legt der Antragsgegner binnen weiterer 30 Tage mithilfe eines Formblatts Einspruch gegen den Zahlungsbefehl ein, wird das Verfahren nach dem nationalen Verfahrensrecht des zuständigen Mitgliedstaats fortgeführt.16 Anderenfalls wird der Europäische Zahlungsbefehl durch das ursprüngliche Gericht umgehend für vollstreckbar erklärt, und kann anschließend in allen Mitgliedstaaten ohne Exequaturverfahren nach dem dortigen Verfahrensrecht vollstreckt werden.17 Im Vollstreckungsmitgrenzung der Zuständigkeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten wird schlicht auf die EuGVVO verwiesen (Art. 6 Abs. 1); s. Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 6 VO Nr. 1896/2006, Rn. 11 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 6 EG-MahnVO, Rn. 2 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 6 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 27 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 562 f. 14 Vgl. Art. 8 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). Ausführlich (insbesondere zu den erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der konkreten Prüfungsrechte und -pflichten des Gerichts in diesem Verfahrensstadium) Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 8 VO Nr. 1896/2006, Rn. 2 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 8 EG-MahnVO, Rn. 4 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 8 EG-MahnVO, Rn. 3 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 8 EuMahnVO, Rn. 1 f.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 39 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 564 ff. 15 Vgl. Art. 9 bis 15 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). Insbesondere zum Inhalt des Zahlungsbefehls  – insoweit wird der Antragsgegner zur Zahlung oder Einlegung eines Einspruchs aufgefordert, und darüber informiert, dass der Zahlungsbefehl einen Vollstreckungstitel darstellt, dem allerdings keine inhaltliche Prüfung zugrunde liegt – Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 12 VO Nr. 1896/2006, Rn. 3 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 12 EG-MahnVO, Rn. 4 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 12 EGMahnVO, Rn. 2 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 55 ff. 16 Vgl. Art. 16 und 17 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). Näher zu den relativ geringen Voraussetzungen des Einspruchs, der formlos und insbesondere ohne Begründung erhoben werden kann, Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 12 VO Nr. 1896/2006, Rn. 3 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 16 EG-MahnVO, Rn. 2 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 16 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 16 EuMahnVO, Rn. 1 f.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 60 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 567. Zu den konkreten Einspruchswirkungen und namentlich der möglichen Überleitung des Rechtsstreits in ein ordentliches Zivilverfahren nach dem Recht des Ausstellungsmitgliedstaats s. darüber hinaus Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 17 VO Nr. 1896/2006, Rn. 4 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 17 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 17 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 567 f. 17 Vgl. Art. 18, 19 und 21 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). Ausführlich zur Vollstreckbarerklärung des Zahlungsbefehls durch die Gerichte des Entscheidungsmitgliedstaats und der damit korrespondierenden Abschaffung des Exequaturverfahrens im Vollstreckungsmitgliedstaat – insoweit greift die EuMVVO letztlich den Regelungsansatz der EuVTVO auf, und erweitert ihn insbesondere um Regelungen zum Erkenntnisverfahren, mit dem die später zu bestätigende Forderung festgestellt wird – s. Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 18 VO Nr. 1896/2006, Rn. 1 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 18 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 18 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 18 EuMahnVO, Rn. 1 f.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 66 ff., 101 f.

I. Neunter Baustein. Verfahrensregeln für zivilrechtliche Streitigkeiten 

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gliedstaat kann auch hier lediglich eine Urteilskollision mit einer früheren Entscheidung, sowie ausnahmsweise eine zwischenzeitliche Zahlung eingewandt werden.18 Im Übrigen findet Rechtsschutz gegen Europäische Zahlungsbefehle ausschließlich im Urteilsmitgliedstaat statt. Die Verordnung sieht jedoch auch hier einen harmonisierten Rechtsbehelf vor, wenn der Antragsgegner ohne eigenes Verschulden oder infolge höherer Gewalt an einer effektiven Verteidigung gehindert oder der Europäische Zahlungsbefehl offensichtlich zu Unrecht erlassen worden war.19

3. Europäisches Verfahren über geringfügige Forderungen Die anschließend kreierte Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (auch Europäische Bagatellverfahrensverordnung  – EuBagVO) regelt für den besonders binnenmarktrelevanten Bereich geringwertiger Forderungen in Grundzügen erstmals ein umfassendes europäisches Erkenntnisverfahren mit einem abschließenden originär supranationalen Voll­ streckungstitel.20 Das Bagatellverfahren steht auch hier als optionales Verfahren neben den nationalen Verfahrensrechten und der EuGVVO für Zivil- und Handels­ 18

Vgl. Art. 22 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). S. zu den verschiedenen Rechtsschutzgründen allgemein Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 22 VO Nr. 1896/2006, Rn. 3 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 22 EG-MahnVO, Rn. 5 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 22 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 103 ff. Außerdem zum (in dieser Form lediglich in der EuMVVO vorgesehenen) Rechtsschutz wegen einer zwischenzeitlichen Zahlung des Antragsgegners sodann (mit kritischer Perspektive) Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 22 VO Nr. 1896/2006, Rn. 6; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 18 EG-MahnVO, Rn. 18 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 22 EG-MahnVO, Rn. 28 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 22 EuMahnVO, Rn. 2; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 112 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 569. Eine inhaltliche Nachprüfung der zugrundeliegenden Forderung selbst ist jedoch auch hier untersagt; ausführlich Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 22 VO Nr. 1896/2006, Rn. 11; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 22 EG-MahnVO, Rn. 23 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 22 EG-MahnVO, Rn. 45. 19 Vgl. Art. 20 EuMVVO (VO [EG] 1896/2006 [ABl. L 399, S. 1]). Zu den Voraussetzungen des Rechtsbehelfs – insbesondere hinsichtlich des „offensichtlich zu Unrecht“ erlassenen Zahlungsbefehls –, sowie zu den Wirkungen einer erfolgreichen Rüge (regelmäßig Aufhebung des europäischen Zahlungsbefehls) Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 20 VO Nr. 1896/2006, Rn. 7 ff.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 20 EG-MahnVO, Rn. 7 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 20 EG-MahnVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 20 EuMahnVO, Rn. 1 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 71 ff.; Freitag, IPrax 2007, S. 509 (510 f.). Außerdem zur Beschränkung, Anordnung einer Sicherheitsleistung oder ausnahmsweisen Aussetzung der Vollstreckung des Zahlungsbefehls während der entsprechenden Nachprüfung Kodek, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 55. EL 6/2018, Art. 23 VO Nr. 1896/2006, Rn. 1 f.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 23 EG-MahnVO, Rn. 2 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 23 EG-MahnVO, Rn. 1 ff. 20 Vgl. Art. 1 S. 1 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Einführung VO Nr. 861/2007, Rn. 15 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 1 EG-BagatellVO, Rn. 1; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuBagVO, Rn. 1 f.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 17.

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

sachen mit einem Streitwert von höchstens 5000 Euro zur Verfügung, wenn zumindest eine der Parteien den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts hat.21 Mit dem Arbeitsrecht, bestimmten mietrechtlichen Verfahren und Ansprüchen wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen werden darüber hinaus weitere Sondermaterien ausgenommen, die sich inhaltlich in der Regel nicht zur Behandlung in einem stark vereinfachten europäischen Erkenntnisverfahren eignen.22 Das Bagatellverfahren wird durch die Einreichung eines entsprechenden Klageformblatts eingeleitet, das bei den Gerichten der Mitgliedstaaten vorzuhalten oder im Internet bereitzustellen ist.23 Bei Mängeln des Formblatts oder offensichtlich erfolglosen Verfahren kann das Gericht die Klage sofort zurückweisen;24 anderenfalls wird ein schriftliches, hinsichtlich der Kommunikationsmittel extrem liberalisiertes Erkenntnisverfahren durchgeführt, bei dem das Gericht die erforderlichen Klage- und Antwortformblätter mit Fristen zwischen 14 und 30 Tagen zwischen den Parteien hin- und zurücksendet.25 Eine rechtliche Vertretung ist nicht erforderlich; das Gericht ist zudem verpflichtet, eine 21 Vgl. Art. 1 S. 2 und 3 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). S. zunächst zum optionalen Charakter der Verordnung (Art. 1 S. 2) Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 1 VO Nr. 861/2007, Rn. 7; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Einl EGBagatellVO, Rn. 55; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuBagVO, Rn. 2; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 12 ff. Sodann insbesondere ausführlich zum sachlichen Anwendungsbereich für „Zivil- und Handelssachen“ mit einem Mindeststreitwert von 5000 Euro (Art. 2) und der zusätzlichen Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Bezugs des Rechtsstreits (Art. 3) Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 2 VO Nr. 861/2007, Rn. 2 ff., Art. 3 VO Nr. 861/2007, Rn. 5 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 2 EG-BagatellVO, Rn. 2 ff., bzw. Art. 3 EG-BagatellVO, Rn. 3 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 2 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 3 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 2 EuBagVO, Rn. 1 ff., bzw. Art. 3 EuBagVO, Rn. 1 f.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 28 ff. 22 Vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. h) bis j) EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 2 VO Nr. 861/2007, Rn. 35; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 2 EG-BagatellVO, Rn. 22; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 2 ­EuBagVO, Rn.  4  ff. 23 Vgl. Art. 4 Abs. 1 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). Im Einzelnen zu den geringen Formvorgaben für die Klageeinleitung („beispielsweise per Fax oder E-Mail“) und der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten, für die stillschweigend auf die EuGVVO verwiesen wird, Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 4 VO Nr. 861/2007, Rn. 3 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 4 EG-BagatellVO, Rn. 7 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 4 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 4 ­EuBagVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 37 ff. 24 Vgl. Art. 4 Abs. 3 und 4 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 4 VO Nr. 861/2007, Rn. 27 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 4 EG-BagatellVO, Rn. 13 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 4 EG-­ BagatellVO, Rn. 13 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 4 EuBagVO, Rn. 6; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 42. 25 Vgl. Art. 5 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]), sowie zum Schriftlichkeitsprinzip im Allgemeinen und den einzelnen Verfahrensschritten im Besonderen Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 5 VO Nr. 861/2007, Rn. 4 ff., 10 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 5 EG-BagatellVO, Rn. 1 f., 3 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 5 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff., 5 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuBagVO, Rn. 5 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn.  47 ff.

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gütliche Einigung zu fördern und die Parteien über relevante Verfahrensfragen zu unterrichten.26 Eine mündliche Verhandlung findet nur statt, wenn das Gericht dies wegen der Unzulänglichkeit der schriftlichen Beweismittel oder wegen des Antrags einer Partei für erforderlich hält;27 soweit mit dem Gebot prozeduraler Fairness vereinbar, kommen dabei weitestmöglich elektronische Kommunikationsmittel wie Video- oder Telekonferenzen zum Einsatz.28 Die weiteren verfahrensrechtlichen Modalitäten werden teilweise in der EuBagVO geregelt – etwa hinsichtlich Beweisaufnahme,29 Zustellung,30 Fristen und Kosten31 –, und ansonsten dem nationalen Verfahrensrecht überlassen.32 Nach Abschluss des Verfahrens erlässt das 26

Vgl. Art. 10 bis 12 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). Im Einzelnen zum bewussten Verzicht des Unionsgesetzgebers auf das Erfordernis einer rechtlichen Vertretung Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 10 VO Nr. 861/2007, Rn. 1 f.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 10 EG-BagatellVO, Rn. 1; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 10 EG-BagatellVO, Rn. 1 f.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 46; außerdem zur allgemeinen Pflicht des Gerichts zur Information der Parteien über den Verfahrensfortgang und zur Erleichterung einer gütlichen Einigung Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 12 VO Nr. 861/2007, Rn. 4 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 12 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 12 EG-BagatellVO, Rn. 2 f.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 52 f. 27 Vgl. Art. 5 Abs. 1a EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). Im Detail, auch mit Blick auf die fragliche Vereinbarkeit der Regelung mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 6 Abs. 6 S. 1 EMRK und Art. 47 UA 2 S. 1 GRCh, Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 2 VO Nr. 861/2007, Rn. 9; Hau, in: MK-ZPO, Art. 5 EG-BagatellVO, Rn. 1 f.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 5 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 60. 28 Vgl. Art. 8 Abs. 1 S. 1 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 8 VO Nr. 861/2007, Rn. 1 f.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 8 EG-BagatellVO, Rn. 2 f.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 8 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 50. 29 Vgl. Art. 9 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). Ausführlich Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 9 VO Nr. 861/2007, Rn. 1 f.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 9 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 9 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 9 EuBagVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 51. 30 Vgl. Art. 13 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). Zu den unionsrechtlichen Vorgaben an die Zustellung – sie orientieren sich an Art. 13 und 14 der EuMVVO – s. Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 13 VO Nr. 861/2007, Rn. 1 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 13 EG-BagatellVO, Rn. 3 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 13 EGBagatellVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 13 EuBagVO, Rn. 1. 31 Vgl. Art. 14, 15a und 16 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). S. insbesondere zum Verbot unverhältnismäßig hoher Gerichtsgebühren und der Bindung an die entsprechenden Gebühren in vereinfachten Verfahren nach nationalem Recht und zur differenzierten Kostenverteilung zwischen den Parteien des Verfahrens Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 16 VO Nr. 861/2007, Rn. 3 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 16 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 16 EG-BagatellVO, Rn. 1 f.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 16 EuBagVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 63 ff. 32 Vgl. Art. 19 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); ausführlich, auch mit Blick auf die infolge der teils erheblichen Regelungslücken der Verordnung bisweilen durchaus variierende konkrete Gestalt des europäischen Bagatellverfahrens in den Mitgliedstaaten, Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 19 VO Nr. 861/2007, Rn. 1 f.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 19 EG-BagatellVO, Rn. 1 f.; Varga, in: Rauscher

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

Gericht binnen 30 Tagen ein Europäisches Bagatellurteil auf dem entsprechenden Formblatt im Anhang der Verordnung,33 das anschließend ohne Exequaturverfahren in allen Mitgliedstaaten nach dem nationalen Verfahrensrecht vollstreckt werden kann.34 Das Rechtsschutzsystem beruht auch hier auf einem sehr stark eingeschränkten35 Vollstreckungsrechtsschutz bei einer Urteilskollision,36 und einem Mindestrechtsbehelf im Urteilsmitgliedstaat für unverschuldete oder durch höhere Gewalt verursachte Hindernisse einer effektiven Verteidigung gegen die Klage.37 Darüber hinaus stellt die Verordnung den Mitgliedstaaten frei, inwieweit sie zusätzliche Rechtsmittel gegen den Erlass eines Europäischen Bagatellurteils durch die inländischen Gerichte bereitstellen.38 Bd. 2, Art. 19 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 19 EuBagVO, Rn. 3; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 25. 33 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 7 VO Nr. 861/2007, Rn. 4 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 7 EG-BagatellVO, Rn. 11 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 7 EG-­ BagatellVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 61. 34 Vgl. Art. 20 und 21 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). Namentlich zur Abschaffung des Exequaturverfahrens und zur unmittelbaren Vollstreckbarkeit des Bagatellurteils in allen Mitgliedstaaten Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 20 VO Nr. 861/2007, Rn. 4 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 20 EG-BagatellVO, Rn. 3 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 20 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 20 E ­ uBagVO, Rn. 1 f., bzw. Art. 21 EuBagVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 70, 73. 35 Vgl. (hinsichtlich des Verbots inhaltlicher Nachprüfung der Entscheidung) Art. 22 Abs. 2 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 22 VO Nr. 861/2007, Rn. 11; Hau, in: MK-ZPO, Art. 22 EG-BagatellVO, Rn. 3; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 22 EG-BagatellVO, Rn. 9. Insbesondere zum Verzicht auf eine ordre public-Prüfung europäischer Bagatellurteile im Vollstreckungsmitgliedstaat s. zudem Hau, in: MK-ZPO, Art. 22 EG-BagatellVO, Rn. 3; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 22 EG-BagatellVO, Rn. 1 mit Fn. 1; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 1 EuBagVO, Rn. 2; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 74. 36 Vgl. Art. 22 Abs. 1 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / ​ Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 22 VO Nr. 861/2007, Rn. 3 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 22 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 22 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 74 ff. 37 Vgl. Art. 18 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]). S. zu den Voraussetzungen und Wirkungen des Rechtsbehelfs – bei einer erfolgreichen Rüge ist das Bagatellurteil grundsätzlich aufzuheben – Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 18 VO Nr. 861/2007, Rn. 3 ff. (Zulässigkeitsvoraussetzungen), 7 ff. (Begründetheitsvoraussetzungen), 25 ff. (Entscheidungsmöglichkeiten des angerufenen Gerichts); Hau, in: MK-ZPO, Art. 18 EG-BagatellVO, Rn. 2 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 18 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 18 EuBagVO, Rn. 1; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 69. Zur auch hier vorgesehenen Beschränkung, Anordnung von Sicherheitsleistungen oder Aussetzung der Vollstreckung schließlich Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 23 VO Nr. 861/2007, Rn. 5 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 23 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 23 EG-BagatellVO, Rn. 1 ff.; Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 75. 38 Vgl. Art. 17 Abs. 1 EuBagVO (VO [EG] 861/2007 [ABl. L 199, S. 1]); Peiffer, in: Geimer / Schütze (Int. Rechtsverkehr) Bd. 3, 44. EL 3/2013, Art. 17 VO Nr. 861/2007, Rn. 1 f., 5 ff.; Hau, in: MK-ZPO, Art. 17 EG-BagatellVO, Rn. 1 f.; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 17 EG-­ BagatellVO, Rn. 1 f.

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4. Künftige Arbeitsfelder der supranationalen Verfahrensregeln für zivilrechtliche Streitigkeiten In der beginnenden Konsolidierungsphase wird der Unionsgesetzgeber auf dem Feld der supranationalen zivilrechtlichen Verfahrensregeln allerdings einen größeren Arbeitsschwerpunkt setzen müssen. Über weite Strecken wirft die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten hier noch erhebliche Probleme auf: Als Leitinstrument der wenigen vorhandenen Rechtsprechung, in der bereits die rechtliche und dogmatische Feinarbeit an den drei Rechtsakten betrieben wird, kristallisierte sich in den Jahren 2012 bis 2015 zunächst das Europäische Mahnverfahren heraus, wo wohl primär wegen der sehr geringen Zugangshürden bei der Verfahrenseinleitung eine offenbar vor allem von institutionellen Akteuren im Binnenmarkt angetriebene Anwendungs- und Vorlagepraxis der nationalen Gerichte einsetzte; als relevante Thematik sticht dabei bisher vor allem die Präzisierung der Schutzvorschriften des Antragsgegners hinsichtlich der Zustellung sowie des Einspruchs und der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen europäische Zahlungsbefehle hervor, wobei sich ein tendenziell gläubigerfreundlicher Ansatz des Gerichtshofs abzuzeichnen scheint.39 39 Insbesondere die Vorschriften über die ausnahmsweise Überprüfung eines europäischen Zahlungsbefehls im europäischen Justizraum bei einer fehlenden Verteidigungsmöglichkeit haben bisher eine enge Auslegung durch den EuGH erfahren. So scheidet eine nachträgliche Kontrolle des Zahlungsbefehls mangels „außergewöhnlicher Umstände“ aus, wenn der Rechtsbeistand des Antragsgegners schuldhaft die fristgerechte Einlegung des Widerspruchs versäumt hat; EuGH, Rs. C-324/12 (Novontech-Zala), EU:C:2013:205, Rn. 20 ff. Ebenso wenig ist Rechtsschutz gegenüber europäischen Zahlungsbefehlen im Ausstellungsmitgliedstaat eröffnet, wenn der Antragsgegner trotz wirksamer Zustellung des Zahlungsbefehls später geltend macht, das Ursprungsgericht habe sich aufgrund von Falschangaben des Antragstellers fälschlicherweise für zuständig gehalten; EuGH, Rs. C-245/14 (Thomas Cook Belgium), EU:C:2015:715, Rn. 27 ff. Etwas differenzierter verhält sich der EuGH zu den Zustellungsvorschriften und den Regelungen zum Einspruch gegenüber einem europäischen Zahlungsbefehl; hier kommen in der Rechtsprechung auch die Belange des Antragsgegners stärker zur Geltung. Demnach beginnt zum einen die Einspruchsfrist – jedenfalls bis zu einer ordnungsgemäßen Heilung nach der EuZustVO – nicht zu laufen, wenn der europäische Zahlungsbefehl dem Antragsgegner zwar ordnungsgemäß zugestellt wurde, aber die vom Antragsteller beigefügte Anspruchsbegründung nicht übersetzt, und der Antragsgegner nicht über sein Annahmeverweigerungsrecht nach Art. 8 Abs. 1 EuZustVO belehrt wurde; EuGH, Rs. C-21/17 (Catlin Europe), EU:C:2018:675, Rn. 31 ff. War die Zustellung aus anderen Gründen fehlerhaft, kommt es auf die Einspruchsmöglichkeit von vornherein nicht an; in diesem Fall darf der Zahlungsbefehl durch die Gerichte des Ausstellungsmitgliedstaats nicht für vollstreckbar erklärt werden (und müssen die Mitgliedstaaten darüber hinaus sogar die Möglichkeit einer nachträglichen Annullierung der Vollstreckbarerklärung für solche Konstellationen schaffen, in denen der Zustellungsmangel erst nach der Vollstreckbarerklärung überhaupt zutage getreten ist), s. EuGH, Rs. C-119/13 (eco cosmetics und Raiffeisenbank St. Georgen), EU:C:2014:2144, Rn. 37 ff. Eher am Rande war der EuGH bisher mit den Prüfungspflichten des ausstellenden Gerichts während des europä­ ischen Mahnverfahrens befasst: Insoweit hat der Gerichtshof zunächst zwar festgestellt, dass auf nationaler Ebene grundsätzlich keine über Art. 7 EuMVVO hinausgehenden Anforderungen an den Erlass europäischer Zahlungsbefehle formuliert werden dürfen; EuGH, Rs. C-215/11 (Szyrocka), EU:C:2012:794, Rn. 25 ff. In einer jüngeren Entscheidung findet sich jedoch nunmehr die Einschränkung, dass zumindest im Rahmen von Verbraucherverträgen die Gerichte

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

Insbesondere seit dem Jahr 2015 treten vermehrt die Bestätigungsvoraussetzungen unbestrittener Forderungen als weiterer prominenter Rechtsprechungstopos hinzu, hier allerdings mit einem dezidiert restriktiven Zugriff des EuGH, der bisher fast durchgehend ein enges Verständnis der bestätigungsfähigen Forderungen und bestätigungsberechtigten Behörden zugrundelegt.40 Im Übrigen fehlt es aber an verallgemeinerungsfähigen präzisierenden Rechtsprechungsaussagen oder gar -linien fast völlig, insbesondere auch mit Blick auf das dogmatisch potentiell deutlich ergiebigere Europäische Bagatellverfahren, wo bisher lediglich zwei Vorabentscheidungen zum Anwendungsbereich der Verordnung41 sowie der Kostenverteilung zwischen den Parteien bei teilweisem Obsiegen vorliegen.42 Wenig überraschend fällt zugleich ins Auge, wie gering der Bekanntheitsgrad und die Anwendungsprader Mitgliedstaaten aufgrund des Diskriminierungsverbots in Art. 38 GrCH berechtigt sind, vom Antragsteller zusätzliche Unterlagen zu möglicherweise missbräuchlichen Vertragsklauseln anzufordern, s. EuGH, Rs. C-453/18 (Bondora), EU:C:2019:1118, Rn. 36 ff. 40 So hat der EuGH insbesondere hinsichtlich der Entscheidungsbefugnisse im Bestätigungsverfahren zur Sicherung der effektiven Nachprüfung der Zustellungs- und sonstigen Bestätigungsvoraussetzungen einen Richtervorbehalt statuiert, s. EuGH, Rs. C-300/14 (Imtech Marine Belgium), EU:C:2015:825, Rn. 44 ff. Hinsichtlich der Forderungen, die als europäischer Vollstreckungstitel grenzüberschreitend vollstreckt werden können, betont der Gerichtshof allgemein das Erfordernis einer autonomen, im gesamten europäischen Justizraum einheitlichen Auslegung der „unbestrittenen Forderung“, sodass nicht zwingend sämtliche Arten nationaler Versäumnisurteile und entsprechender Entscheidungen vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst sind; EuGH, Rs. C-511/14 (Pebros Servizi), EU:C:2016:448, Rn. 36 ff. Ausdrücklich der Bestätigung als europäischer Vollstreckungstitel entzogen sind demnach etwa unstrittige Nebenentscheidungen zu gerichtlichen Verfahren, die ihrerseits einen strittigen Anspruch betrafen, sowie bestimmte notarielle Urkunden im Zwangsvollstreckungsverfahren, deren Rechtswirkungen vom Ausbleiben eines Widerspruchs der Parteien abhängen, sofern die Urkunde sich nicht ihrerseits auf eine unbestrittene Forderung bezieht, s. EuGH, Rs. C-66/17 (Chudas), Rn. 27 ff., bzw. Rs. C-484/15 (Zulfikarpasic), EU:C:2017:199, Rn. 52 ff. Ferner neigt der EuGH auch beim Bestätigungsverfahren zu einer strikten Auslegung der einzelnen Verfahrensanforderungen: Fehlt es in dem fraglichen Mitgliedstaat an einem den Anforderungen von Art. 19 ­EuVTVO genügenden Rechtsbehelf, mit dem der Antragsgegner Fälle höherer Gewalt oder anderer außergewöhnlicher Umstände als Begründung für seine ausgebliebene Verteidigung geltend machen kann, dürfen die dortigen Gerichte unbestrittene Forderungen von vornherein nicht als europäische Vollstreckungstitel bestätigen, s. EuGH, Rs. C-300/14 (Imtech Marine Belgium), EU:C:2015:825, Rn. 33 ff. (wobei der EuGH in Rn. 28 ff. zugleich klarstellt, dass Art. 19 der Verordnung weder selbst einen solchen Rechtsbehelf regelt, noch die Mitgliedstaaten zu einer Umsetzung auf nationaler Ebene verpflichtet, sondern lediglich eine Maßstabsnorm für die Ausgestaltung der nationalen Vorschriften bildet, wenn die Mitgliedstaaten ihren Gerichten die Bestätigung von Entscheidungen als europäische Vollstreckungstitel eröffnen möchten). 41 Dabei stellte der EuGH klar, dass das europäische Bagatellverfahren wegen des fehlenden grenzüberschreitenden Bezugs innerhalb des Justizraums nicht durchgeführt werden kann, wenn beide Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben, und eines der dortigen Gerichte anrufen, s. EuGH, Rs. C-627/17 (ZSE Energia), EU:C:2018:941, Rn. 32 ff. 42 Im Grundsatz billigte der Gerichtshof nationale Vorschriften, die den Gerichten bei teilweisem Obsiegen und Unterliegen eine hälftige Aufteilung der Verfahrenskosten oder eine Kostenaufhebung ermöglichen, soweit derartige Kostenregelungen sich in den Grenzen des Äquivalenz(im Vergleich zu den Kostenvorschriften für entsprechende nationale Zivil­verfahren) sowie des Effektivitätsprinzips halten, s. EuGH, Rs. C-554/17 (Jonsson), EU:C:2019:124, Rn. 19 ff.

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xis zentraler Verfahrensrechtsakte hier bislang ausfallen: Für die EuMVVO ermittelte die Kommission (allerdings auf der Grundlage von Eurobarometer-Zahlen des Jahres 2010), dass nur sechs Prozent der Befragten überhaupt vom europäischen Mahnverfahren gehört hatten;43 über die Hälfte der insgesamt 12 000 bis 13 000 Anträge 2012 und 2013 entfielen auf Österreich und Deutschland (jeweils rund 4000), während für alle anderen Mitgliedstaaten das Aufkommen im mittleren dreistelligen Bereich oder darunter lag.44 Das Europäische Bagatellverfahren war im Jahr 2013 ebenfalls lediglich 14 % der befragten Bürger – und weniger als der Hälfte der in einer anderen Studie befragten Gerichte und Richter – bekannt;45 auch hier zeigen sich zudem mit Zahlen im niedrigen vierstelligen (Spanien; 1 047 Verfahren) und praktisch nichtexistenten Bereich (Bulgarien; 3 Verfahren) massive Unterschiede bei der tatsächlichen Nachfrage nach dem Verfahren.46 Im Übrigen nehmen sich 43

Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1896/​ 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2015) 495 final, S. 4. 44 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1896/​ 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2015) 495 final, S. 14 f. Im Einzelnen ermittelte die Kommission – wobei die zeitliche Zuordnung der einzelnen Daten nicht immer eindeutig ist, und für Italien, Kroatien, Lettland und Rumänien keine Zahlen verfügbar waren – für Deutschland 4130, und für Österreich 4367 (2012) bzw. 2119 (2013) Anträge auf Einleitung des europäischen Mahnverfahrens; in den übrigen Mitgliedstaaten blieb die Zahl der jährlichen Anträge jedoch weit darunter (Finnland, 633 Anträge; Ungarn, 442; die Niederlande, 372; Tschechien, 358; Belgien, 319; bemerkenswerterweise auch Frankreich, 335; Portugal, 485 im Jahr 2012, 296 im Jahr 2013; Polen, durchschnittlich etwa 300 jährlich seit 2008; Luxemburg, 218; Großbritannien, 208; Irland, 189; Griechenland, 168; Bulgarien, 109), und spielte oftmals in der Praxis eine sehr geringe Rolle (Schweden, 91 Anträge; Slowakei, 86; Spanien, 63), oder existierte praktisch nur auf dem Papier (Slowenien, 12 Anträge; Zypern, 11; Litauen, 9; Estland, 6; Malta, ein einziges Mahnverfahren). Der Umfang tatsächlich vollstreckter europäischer Zahlungsbefehle ging sogar in keinem Mitgliedstaat – wobei für die meisten größeren Mitgliedstaaten, darunter auch Österreich und Deutschland, keine Daten vorlagen – über eine Anzahl zwischen 100 und 200 hinaus (Luxemburg, Ungarn, sowie Portugal und Großbritannien im Jahr 2013), und blieb ansonsten im zwei- oder sogar im einstelligen Bereich. 45 Europäische Kommission, Bericht […]: Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM(2013) 795 final, S. 9. 46 Europäische Kommission, Bericht […]: Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM(2013) 795 final, S. 3. Noch drastischere Befunde ermittelte das Parlament in einer separaten Studie zur praktischen Bedeutung des europäischen Bagatellverfahrens: Auch hier zeigte sich zudem praktisch nirgendwo eine größere Nachfrage nach dem europäischen Verfahren; im Zeitraum zwischen 2010 und 2012 fanden demnach in 12 ausgewählten Mitgliedstaaten (sowie dem Land Hessen) durchschnittlich lediglich 118 europäische Bagatellverfahren statt, wobei der Schnitt insbesondere durch Spanien (1 130 Verfahren im Jahresdurchschnitt) ganz erheblich in die Höhe gezogen wurde. In allen anderen Mitgliedstaaten sowie Hessen mit Ausnahme Großbritanniens (105 europäische Bagatellverfahren im Jahresdurchschnitt) lag das durchschnittliche jährliche Verfahrensaufkommen im zweistelligen (Hessen, 64; Österreich, 56; Polen und Slowakei, jeweils 48; Finnland, 19; Niederlande, 15) oder völlig zu vernachlässigenden Bereich (Portugal, 8; Malta, 4; Bulgarien, 3; Slowenien, 2). Im

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

auch die künftigen Perspektiven der vorhandenen Rechtsakte zunehmend zweifelhaft aus, und dürfte der Unionsgesetzgeber wohl aller Voraussicht nach noch für längere Zeit weiter mit Pionierarbeit und insbesondere einer ersten Generalüberholung sowie Straffung des bestehenden Korpus’ verschiedener Verfahrensrechtsakte befasst sein. Dies gilt in besonderer Weise für die EuVTVO als historisch ersten Verfahrensrechtsakt auf diesem Feld, wo sich zwar immerhin die ursprünglichen, teils drastischen Prognosen über die zu schwachen Rechtsschutzstrukturen und Sicherungen des effektiven Grundrechtsschutzes gegenüber Versäumnisurteilen aus anderen Mitgliedstaaten letztlich nicht bestätigt zu haben scheinen,47 andererseits aber das Verfahrenskonzept der Verordnung, für die bezeichnenderweise zu keinem Zeitpunkt eine entsprechende Evaluation der Kommission erstellt wurde, nicht nur in seiner praktischen Leistungsfähigkeit immer noch stark unterbelichtet, sondern vor allem in der Sache durch die zwischenzeitliche, inhaltlich weitgehend gleichlaufende Reform der EuGVVO mittlerweile überholt ist.48 Soweit der Gedanke eines eigenständigen europäischen Binnenmarktverfahrensrechts überhaupt eine längerfristige Zukunft hat, dürfte die EuVTVO daher gleichwohl einen natürlichen Streichkandidaten darstellen; im Raum stehen dabei die Aufhebung der Verordnung, ihre Integration in eine noch zu schaffende einheitliche Kodifikation aller Rechtsakte mit supranationalen Zivilverfahrensregeln, sowie ihre Eingliederung in den regulären EuGVVO-Rahmen, die sich in einer etwaigen weiteren EuGVVO-Reform nach dem Kommissionsbericht im Jahr 2022 vermutlich durch recht moderate Anpassungen des Verordnungstextes bewerkstelligen ließe.49 Das Verhältnis zu allen erstinstanzlichen Zivilverfahren in den betroffenen Mitgliedstaaten – wobei allerdings keine Daten für den Umfang von Bagatellverfahren auf nationaler Ebene vorlagen, die mit ihrem europäischen Pendant hätten abgeglichen werden können – war der Anteil europäischer Bagatellverfahren mit 0,003 % praktisch kaum mehr wahrnehmbar; vgl. ausführlich zu den genannten Zahlen European Parliament, European Small Claims Procedure, S. 30, Annex 2.  47 Die teils drastische rechtspolitische Kritik an der Verordnung entzündete sich seinerzeit zum einen an der Abschaffung des Exequaturverfahrens, und zum anderen am Verzicht des Unionsgesetzgebers auf die ordre public-Kontrolle durch die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaats; s. nur Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 16 ff., 50, 56 f. m. w. N.; Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 5 EG-VollstrTitelVO, Rn. 4 ff. m. w. N.; Stürner, GPR 2010, S. 43 (46 ff., mit Überblick zu typischen problemträchtigen Konstellationen). 48 Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 64 f., schreibt der Verordnung dementsprechend aus heutiger Sicht eher den Charakter einer zwischenzeitlichen Episode zu, deren historisches Verdienst vor allem darin liege, den Weg für die Beseitigung des Exequaturverfahrens in späteren Rechtsakten wie der EuMVVO, der EuBagVO und insbesondere der reformierten EuGVVO geebnet zu haben; ebenso Frackowiak-Adamska, CMLR 52 (2015), S. 191 (214). 49 S. etwa Adolphsen, in: MK-ZPO, Art. 5 EG-VollstrTitelVO, Rn. 33, der von einem „chaotisch[en]“ Zustand spricht (vgl. auch ebd., Art. 27, Rn. 1 zu den ursprünglichen Überlegungen der Kommission im Vorfeld der EuGVVO-Reform, die ausdrücklich die weitgehende „Ersetzung“ der EuVTVO vorsahen); Frackowiak-Adamska, CMLR 52 (2015), S. 191 (192 f., mit dem Hinweis, dass für grenzüberschreitende unbestrittene Forderungen unterhalb der Wertgrenze des europäischen Bagatellverfahrens derzeit nicht weniger als vier verschiedene Rechtsakte nebeneinander zur Anwendung kommen können, sowie zur Aufhebung der EuVTVO, S. 214 f.); auch Lehmann, in: Leible / Terhechte, § 19, Rn. 64 f., sieht angesichts des „Wildwuchses“ (Rn. 58) separater Verordnungen zur grenzüberschreitenden Entscheidungsvollstreckung im Binnenmarkt allgemein das Erfordernis einer Konsolidierung des sekundärrechtlichen Bestands, und

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Arbeitsgebiet des europäischen Gesetzgebers, auf dem sich die Zukunft der supranationalen Zivilverfahrensrechtsakte letztlich insgesamt entscheiden wird, bildet demgegenüber die Entfaltung von Europäischem Mahnverfahren und Europäischem Bagatellverfahren: Hier wird die europäische Justizpolitik künftig nicht umhinkommen, beide Verfahrenskonzepte selbst auf grundlegenderen Reformbedarf zu überprüfen; zunehmend – insoweit rächt sich nun partiell der bereits seinerzeit kritisierte, aus politischen Gründen stark auf Effizienz bedachte Entstehungsprozess beider Verordnungen50 – offenbaren sich auch an zentralen Stellschrauben teilweise Inkohärenzen des Verfahrenskonzepts und zumindest Unsauberkeiten im Zusammenspiel der verschiedenen prozessualen Elemente, die in der Literatur seit langem erhebliche Kritik erfahren. Für die EuMVVO zeichnen sich etwa die Regelungen zum Ausschluss deliktischer Ansprüche,51 zu Umfang und Maßstab der unionsrechtsautonomen Prüfung, ob die Forderung „begründet erscheint“,52 regt insoweit die Zusammenfassung der Verordnung (unter Aufhebung der EuVTVO) in einem einheitlichen Rechtsakt an. Allgemein ähnlich auch die Analyse von Schlosser / Hess, EuZPR, Einleitung EuBagVO, Rn. 1 („immer größere Zersplitterung […] Mit dem Wegfall des Exequaturverfahrens nach Brüssel I nF sind die Vorteile der Verordnung verschwindend gering geworden“); Stadler / Klöpfer, ZEuP 2015, S. 732 (764 ff.), die sich für eine flächendeckende Anpassung der verschiedenen Anerkennungs- und Vollstreckungsregelungen an das Modell der reformierten EuGVVO (sowie ebenfalls für die ersatzlose Aufhebung der EuVTVO) aussprechen; auch Baumert, RIW 2018, S. 555 (557) befürwortet die ersatzlose Abschaffung der Verordnung; schließlich Hess, CMLR 49 (2012), S. 1075 (1112). S. ferner zuletzt die entsprechenden Überlegungen zu denkbaren einheitlichen Vollstreckbarkeitsmodellen bei Hardung, Die europäische Titelfreizügigkeit, 2020, S. 306 ff., die etwa durch einen für sämtliche Sekundärrechtsakte geltenden „Allgemeinen Teil“ implementiert werden könnten, ebd., S. 323 ff. 50 Nachzeichnungen der Entstehung beider Instrumente in den frühen Jahren des europäischen Justizraums bei Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 1 VO (EG) 1896/2006, Rn. 2 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 6 ff. (jeweils hinsichtlich der EuMVVO), bzw. Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn.  8; Hau, in: MK-ZPO, Vorbemerkung zu § 1097, Rn. 3a; Varga, in: Rauscher Bd. 2, Einl. EG-BagatellVO, Rn. 16 ff. (jeweils hinsichtlich der EuBagVO). 51 Namentlich die drohende Aufspaltung hinsichtlich der Anwendbarkeit des europäischen Mahnverfahrens und seiner nationalen Pendants bei eigentlich einheitlichen grenzüberschreitenden Lebenssachverhalten mit lediglich rechtlich unterschiedlich qualifizierten Ansprüchen wird in der Literatur als zentrales Defizit des Verordnungskonzepts diagnostiziert; s. etwa Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 19 f.; ähnlich Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 2 EG-MahnVO, Rn. 14 f.; Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 2 VO (EG) 1896/2006, Rn. 1, 9; Sujecki, NJW 2007, S.1622 (1623). 52 Ausführlich und m. w. N. zum Meinungsstand hinsichtlich der gänzlich unklaren (und entsprechend stark umstrittenen) zulässigen Prüfungstiefe der nationalen Gerichte etwa Ulrici, in: MK-ZPO, Art. 8 VO (EG) 1896/2006, Rn. 11 ff., der in der Regelung einen misslungenen Formelkompromiss des europäischen Gesetzgebers erblickt, der insbesondere der Unterscheidung zwischen einstufigen bzw. zweistufigen Mahnverfahren in den seinerzeit am Gesetzgebungs­ verfahren beteiligten Mitgliedstaaten geschuldet gewesen sei, Rn. 2 f.; ähnlich Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 11 EG-MahnVO, Rn. 6 ff.; Rechberger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 39 ff.; Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 8 EuBagVO, Rn. 1 f.; Pernfuß, Die Effizienz des Europäischen Mahnverfahrens, 2009, S. 168 ff.; Sujecki, NJW 2007, S.1622 (1624), dem zufolge das europäische Mahnverfahren wegen der entsprechend divergierenden Prüfungstiefe in den Mitgliedstaaten sogar praktisch kaum mehr als gesamteuropäisches Gerichtsverfahren angesehen werden kann; McGuire, GPR 2007, S. 303 (307).

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

sowie zu einer Vielzahl auch durch die ersten EuGH-Judikate nicht gelöster Rechtsschutzprobleme als drängende Reformthemen ab;53 die Realbereichsbefunde der Kommission weisen zudem auf teils massive Differenzen der durchschnittlichen Verfahrensdauer (zwischen einer Woche und neun Monaten) hin.54 Bei der 53 Im Zentrum der Debatte steht dabei zum einen die Vollstreckungsabwehrklage mitsamt ihren Pendants in den anderen Mitgliedstaaten als Problemfall des Spannungsfelds zwischen der Verordnung und dem nationalen Verfahrensrecht; s. nur Gsell, EuZW 2011, S. 87 ff.; Rech­ berger, in: Leible / Terhechte, § 20, Rn. 114 ff., 79 ff.; Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 22 EGMahnVO, Rn. 40 ff.; McGuire, GPR 2007, S. 303 (307 bzw. 305). Zum anderen wird in der Literatur aus rechtspolitischer Sicht verbreitet das Fehlen klarer Maßstäbe für den Rechtsschutz gegen „offensichtlich zu Unrecht“ erlassene Zahlungsbefehle im Erlassmitgliedstaat problematisiert; s. etwa Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Art. 20 EG-MahnVO, Rn. 46 ff. m. w. N. („… die wohl unklarste Vorschrift der EG-MahnVO“); Schlosser / Hess, EuZPR, Art. 20 EuBagVO, Rn. 7. 54 Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1896/​ 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2015) 495 final, S. 14 ff. Nur in wenigen Mitgliedstaaten ließ sich ein europäischer Zahlungsbefehl in der Regel tatsächlich wie von der Verordnung vorgesehen binnen 30 Tagen erlangen (Belgien, Bulgarien, Deutschland, Irland, Litauen, und Malta, wo allerdings auch nur ein einziges Verfahren stattgefunden hatte); in allen anderen Mitgliedstaaten lag die durchschnittliche Verfahrensdauer regelmäßig zwischen einem Monat und einem halben Jahr, in Extremfällen sogar bei bis zu acht oder neun Monaten (Spanien bzw. die Slowakei), vgl. ebd., S. 8. Ein ähnliches Phänomen, wenngleich die Verordnung insoweit keine feste Frist vorsieht, zeigte sich für die Dauer der Erlangung eines europäischen Bagatellurteils; auch hier konstatierte die Kommission bei einer Testauswahl von zehn Mitgliedstaaten eine durchschnittliche Dauer von fünf Monaten des gesamten Bagatellverfahrens, die lediglich in wenigen Mitgliedstaaten signifikant unterschritten wurde (insbesondere Finnland, 3 Monate; ferner Estland, Frankreich, Slowenien und Deutschland, jeweils etwa 4 Monate), vgl. Europäische Kommission, Bericht […]: Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM(2013) 795 final, S. 6 mit Fn. 19. Auffällig ist dabei auch, dass nur in einem kleinen Teil der Mitgliedstaaten die nationalen Gesetzgeber gezielt organisatorische Erleichterungen zur effizienten Abwicklung europäischer Mahnverfahren geschaffen haben, etwa durch die Konzentration der Zuständigkeiten bei entsprechend spezialisierten zentralen Mahngerichten (Kroatien, Portugal, Deutschland, Finnland, Schweden – s. Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2015) 495 final, S. 5 mit Fn. 12), die Annahme von Anträgen in anderen als der Amtssprache (Tschechien, Estland, Zypern, Schweden, Frankreich; ebd., S. 6), die Möglichkeit elektronischer Anträge auf Erlass des europäischen Zahlungsbefehls (immerhin Tschechien, Deutschland, Estland, Frankreich, Litauen, Österreich, Slowenien, die Slowakei, Finnland, Schweden, Großbritannien und Zypern; ebd., S. 6 mit Fn. 15), oder die Automatisierung der Antragsprüfung (nur Österreich und Deutschland; ebd., S. 7). Ferner fanden sich auch für weitere zentrale Verfahrensschritte zumindest in einigen Mitgliedstaaten wiederkehrende Schwierigkeiten, insbesondere hinsichtlich der regelmäßigen Rücksendung unvollständiger Anträge (Deutschland, Schweden, Niederlande; ebd., S. 7 mit Fn. 18) und der ausnahmsweisen Nachprüfung europäischer Zahlungsbefehle im Entscheidungsmitgliedstaat, wo die relevanten Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten offenbar sehr stark divergierten, ebd. S. 10. Auch für das europäische Bagatellverfahren hatten lediglich Finnland, Malta und das Land Hessen eine Bündelung der Zuständigkeiten bei einem oder mehreren Fachgerichten vorgenommen (Europäische Kommission, Bericht […]: Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM(2013) 795 final, S. 4); zudem hob die

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­ uBagVO stehen insoweit ebenfalls primär Rechtsschutzfragen im Fokus,55 sowie E ferner die Verzahnung zwischen der Verordnung und den umfangreich subsidiär in Anspruch genommenen nationalen Verfahrensvorschriften, auch und gerade bei kleinteiligen prozessualen Fragen wie der Streitwertberechnung.56 Allgemein wird hier im prozessrechtlichen Detail oft der zentrale Regelungsgedanke eines sehr gläubiger-, und insoweit oft unternehmensfreundlichen Verfahrenszuschnitts teilweise nochmals extensiver verwirklicht.57 In der Vergangenheit hielt sich die Reformbereitschaft des Unionsgesetzgebers jedoch noch stark in Grenzen: In der ersten Überarbeitung beider Verfahren beschränkte sich der Unionsgesetzgeber vor allem auf Details wie die Liberalisierung des Erfordernisses eines grenzüberschreitenden Bezugs und eine Reihe technischer Vereinfachungen bei verschiedenen Effizienzhemmnissen der Kommunikation und der Verfahrenskos-

Kommission hier die fehlende Bereitschaft der Gerichte zur Bearbeitung von fremdsprachigen Anträgen im Bagatellverfahren (lediglich in Estland, Zypern, Malta, Finnland, Schweden und Frankreich; ebd., S. 7 mit Fn. 26) sowie die nur marginale oder sogar überhaupt nicht vorhandene Nutzung elektronischer Kommunikationsformen (an maximal 10 % der für das Bagatellverfahren zuständigen Gerichte etwa in Belgien, Bulgarien, Griechenland, Lettland, der Slowakei und Ungarn; ebd., S. 5 mit Fn. 13 und 14), und außerdem vor allem die teils sehr hohen Gerichtsgebühren einiger Mitgliedstaaten (vgl. ebd., S. 8) als zentrale Problempunkte hervor, die eine stärkere Nutzung des Bagatellverfahrens regelmäßig verhinderten. 55 Wobei auch hier die Anwendbarkeit einzelstaatlicher Vollstreckungsrechtsbehelfe wie der Vollstreckungsgegenklage neben den Anerkennungsregelungen der Verordnung eine der ungeklärten Hauptfragen des Verordnungskonzepts bildet; s. Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 76; Hau, in: MK-ZPO, Art. 22 VO (EG) 861/2007, Rn. 5 m. w. N. (der eher zur Verordnungswidrigkeit entsprechender Regelungen tendiert); Huber, GPR 2014, S. 242 (247); ferner (wenngleich teilweise zur – allerdings weitestgehend vergleichbaren – Situation bei der Vollstreckungstitelverordnung) Beuck, Voraussetzungen und Rechtsbehelfe beim einheitlichen Vollstreckungstitel nach der EuVTVO, 2016, S. 238 ff. m. w. N.; Ptak, Der Europäische Vollstreckungstitel und das rechtliche Gehör des Schuldners, 2014, S. 200 f.; Heringer, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, 2007, S. 143 ff. 56 S. etwa Hau, in: MK-ZPO, Vorbemerkung zu § 1097, Rn. 20, der den Vereinfachungs- und Beschleunigungseffekt der Verordnung dadurch oftmals unterlaufen sieht, und die möglichst weitreichende Implementation unionsrechtsautonomer Regelungen für den sinnvolleren Regelungsansatz gehalten hätte; ebenso Varga, in: Rauscher Bd. 2, Art. 19 EG-BagatellVO, Rn. 1 mit Fn. 1, dem zufolge es daher de facto 27 unterschiedliche europäische Bagatellverfahren gebe, und die Vereinfachungsidee der Verordnung letztlich weitgehend ins Leere laufe; ebenso Jahn, NJW 2007, S. 2890 (2894) (sowie speziell mit Blick auf die Frage der Verfahrenskosten außerdem auch Kotzur, GPR 2014, S. 98 [98 f.]). Für einen Überblick über die typischen Grenzfälle, in denen die Bestimmung der einschlägigen Regelungen zwischen der EuBagVO und dem nationalen Verfahrensrecht Schwierigkeiten bereitet, s. Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 25. 57 Was insbesondere aus verbraucherrechtlicher Sicht problematisch erscheint (und den Zweck des Bagatellverfahrens als Binnenmarktinstrument damit teilweise geradezu konter­ kariert), wenn das europäische Bagatellverfahren – wie es in der Praxis oftmals der Fall ist – von kleinen und mittleren Unternehmen zur Forderungsdurchsetzung gegenüber Verbrauchern im Justizraum in Anspruch genommen wird; s. Varga, in: Rauscher Bd. 2, Einl EG-BagatellVO, Rn. 67 f.; ähnlich Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 34; Hau, in: MK-ZPO, Vorbemerkung zu § 1097, Rn. 18; Kieninger, VuR 2011, S. 243 (246).

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ten.58 Die zukünftige Rolle von EuMVVO und E ­ uBagVO scheint nach alledem bestenfalls ungewiss, zumal angesichts der konzeptionellen Großwetterlage und eines tendenziellen Schwenks der europäischen Justizpolitik in Richtung kollektiver Rechtsdurchsetzungsformen,59 und wird sich voraussichtlich in den nächsten Jahren allenfalls auf einem quantitativ etwas höheren Niveau als bisher einpendeln; die Kommission avisiert insoweit ein jährliches Aufkommen von gut 400 000 Verfahren nach der EuBagVO60 und Kosteneinsparungen zwischen 325 und 418 Millionen Euro.61 Die ursprüngliche, auch in jüngerer Zeit noch formulierte These insbesondere der Europäischen Bagatellverfahrensverordnung als Keimzelle eines künftigen europäischen Zivilprozessrechts dürfte sich jedenfalls unabhängig davon, inwieweit EuMVVO und EuBagVO nach der ersten zaghaften 58

Allgemein zog die Kommission trotz der zweifelhaften empirischen Befunde zur Funktionsweise beider Verordnungen das überraschend positive Fazit, das Mahnverfahren habe seine Ziele insgesamt „weitgehend erreicht“ (vgl. Europäische Kommission, Bericht […] über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2015) 495 final, S. 3), und das Bagatellverfahren die Durchsetzung grenzüberschreitender geringfügiger Forderungen immerhin „erleichtert“, vgl. Europäische Kommission, Bericht […]: Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, COM(2013) 795 final, S. 2. Zu Einzelheiten der drei in der Reform behandelten Problemkreise s. European Commission, Commission Staff ­Working Document: Impact assessment accompanying the document Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EC) No 861/2007 of the European Parliament and of the Council establishing a European Small Claims Procedure and Regulation (EC) No 1896/2006 of the European Parliament and of the Council of 12 December 2006 creating a European order for payment procedure, SWD(2013) 459 final, S. 15 ff., 17 f., 18 ff.; zu den erwogenen anderen Reformoptionen ebd., S. 26 ff. Zur Reform von EuMVVO und EuBagVO s. zudem Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 77; Huber, GPR 2014, S. 242 (243 ff.). Ein insgesamt eher skeptisches Fazit der Reform ziehen Sujecki, ZRP 2014, S. 84 (86); Huber, RIW 2018, S. 625 ff.; grundsätzlich eher zustimmend im Hinblick auf die parallelen Überarbeitungen der EuMVVO hingegen Ulrich, EuZW 2016, S. 369 (369 ff.). 59 Europäische Kommission, Mitteilung […]: „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“, COM(2013) 401 final, S. 2 ff. Auch Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 78, erwartet eine längerfristige Schwerpunktverlagerung und ein stärkeres Engagement des Unionsgesetzgebers im Bereich von Gruppen- und Sammelklagen (s. andererseits aber auch Einhaus, RIW 2018, S. 631 [633], der das Potential des Bagatell­ verfahrens derzeit ausdrücklich noch nicht für ausgeschöpft hält). 60 European Commission, Commission Staff Working Document: Impact assessment accom­ panying the document Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EC) No 861/2007 of the European Parliament and of the Council establish­ing a European Small Claims Procedure and Regulation (EC) No 1896/2006 of the European Parliament and of the Council of 12 December 2006 creating a European order for payment procedure, SWD(2013) 459 final, S. 24. 61 Europäische Kommission, Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitdokument zum Vorschlag zur Änderung einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (Verordnung [EG] Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und Verordnung [EG] Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates […] zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens), SWD(2013) 460 final, S. 6 ff.

II. Zehnter Baustein. Supranationales Ermittlungsverfahren  

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Reform beider Verordnungen künftig etwas stärker reüssieren, bei Lichte besehen vorerst erledigt haben.62

II. Zehnter Baustein. Supranationales Ermittlungsverfahren  1. Europäische Staatsanwaltschaft Mit der Europäischen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Straftaten gegen finanzielle Interessen der Union (EuStA) hat der Unionsgesetzgeber über die bestehenden institutionellen Strukturen zur unionsweiten Koordinierung der nationalen Strafverfolgungsbehörden hinaus – insbesondere durch die kommissionsinterne Einrichtung OLAF63 sowie die Agenturen Eurojust64 und Europol hinaus – erstmals 62

Diese These findet sich etwa bei Hau, in: MK-ZPO, Vorbemerkung zu § 1097, Rn. 21 m. w. N.; auch Stürner, in: Leible / Terhechte, § 21, Rn. 82, schreibt der EuBagVO eine Pilotfunktion für die künftige Entwicklung gemeinsamer europäischer Regeln für das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren zu, und sieht in ihr sogar bereits die mögliche Vorstufe eines vollständigen europäischen Zivilprozessrechts; grundsätzlich ähnlich (wenngleich etwas zurückhaltender) zudem Gruber, in: Rauscher Bd. 2, Einl. EG-MahnVO, Rn. 9; Kern, JZ 2012, S. 389 (391; „Startpunkt“). 63 Ausführlich Brüner / Spitzer, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 43, Rn. 1 ff., 17 ff.; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 22, Rn. 4 ff.; Satzger, in: Streinz, Art. 325 AEUV, Rn. 36 ff.; Waldhoff, in: Calliess / Ruffert, Art. 325 AEUV, Rn. 21 ff. 64 Eurojust fungiert auch nach der 2018 abgeschlossenen Reform seiner Rechtsgrund­ lagen (s. nunmehr die Regelungen der VO [EU] 2018/1717 [ABl. L 295/138]) als Koordinierungsstelle für die nationalen Strafverfolgungsbehörden; s. allgemein MacLean, in: Grützner / ​ Pötz / Kreß / Gazeas (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Bd. 4, 15. EL 4/2010, III A 3.7 (Eurojust-Beschluss), Rn. 6 ff.; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 2 ff.; Grotz, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 45, Rn. 1, 7 ff.; Herrnfeld, in: Schomburg / Lagodny / Gleß / Hackner, III D 2 (Eurojust), Rn.  7 ff.; Demmelbauer, Europol, Eurojust und das Europäische Justizielle Netz, 2012, S. 49 ff. Das Mandat von Eurojust umfasst die Förderung, Koordinierung und Verbesserung grenzüberschreitender Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten im Rahmen schwerer Kriminalitätsformen, die mindestens zwei Mitgliedstaaten betreffen, wobei die Übertragung von Ermittlungsmaßnahmen an Eurojust primärrechtlich ausdrücklich untersagt wird (Art. 85 Abs. 2 AEUV); s. Wasmeier / Maschl-Clausen, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 85 AEUV, Rn. 4 ff.; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 9 ff. Überwiegend agiert Eurojust durch nationale Mitglieder – in der Regel Staatsanwälte, Richter oder Polizisten –, die von den Mitgliedstaaten für mindestens vier Jahre entsandt und zugleich weiter mit den regulären Strafverfolgungsbefugnissen ihres Mitgliedstaates ausgestattet werden; s. im Detail Grotz, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 45, Rn. 10; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 6 ff. Durch seine nationalen Mitglieder kann Eurojust insbesondere die nationalen Strafverfolgungsbehörden ersuchen, die Strafverfolgung zu bestimmten Tatbeständen einzuleiten, oder sich in verschiedener Form mit den Strafverfolgungsorganen der anderen Mitgliedstaaten abzustimmen; daneben kann Eurojust auf Ersuchen der beteiligten Mitgliedstaaten auch selbst mit der aktiven Koordinierung grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen betraut werden, s. Grotz, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 45, Rn. 12 ff.; Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 15 ff. Durch das Kollegium handelt Eurojust darüber hinaus mit unverbindlichen schriftlichen Stellungnahmen

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organisatorische und prozedurale Regelungen eines originär europäischen Ermittlungsverfahrens geschaffen. Die Vorschriften über die im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit errichtete EuStA – ein Integrationsprojekt mit beträchtlicher Vorgeschichte, das mit variierender Nomenklatur und verschiedenen Regelungskonzepten letztlich bis in die 1990er Jahre zurückreicht65 – finden sich seit dem Herbst 2017 in einer Verordnung über die Errichtung und Funktionsweise der Europäischen Staatsanwaltschaft und einer separaten Richtlinie zur Harmonisierung der von der EuStA zu verfolgenden Delikte. Institutionell ist die Europäische Staatsanwaltschaft demnach als Einrichtung der Union mit Rechtspersönlichkeit verfasst.66 Als Prinzipien der Strafverfolgung durch die EuStA werden allgemein die Beachtung der Grundrechtecharta, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit, die Unparteilichkeit sowie die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit gegenüber sämtlichen Behörden und politischen Akteuren auf nationaler und europäischer Ebene definiert.67 Organisatorisch ist die EuStA als hybride supranationale Behörde mit einer zentralen und einer dezentralen Ebene aufgebaut. Auf der zentralen, in Luxem­burg ansässigen Ebene sind demnach ein Kollegium, Ständige Kammern, ein Europäischer Generalstaatsanwalt sowie die Europäischen Staatsanwälte angesiedelt; die dezentrale Ebene bilden demgegenüber sogenannte Delegierte Europäische Staatsanwälte mit Sitz in den Mitgliedstaaten.68 Das EuStA-Kollegium aus dem Europäischen Generalstaatsanwalt und einem Europäischen Staatsanwalt zu Kompetenzkonflikten oder wiederholten Schwierigkeiten zwischen denselben Mitgliedstaaten; Grotz, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 45, Rn. 31 ff. Jenseits dieser Vermittlungsfunktionen verfügt Eurojust selbst über keine unmittelbaren Durchgriffsbefugnisse in die Ermittlungsverfahren der Mitgliedstaaten – Ersuchen oder Stellungnahmen durch Eurojust können mit schriftlicher Begründung durch die nationalen Behörden zurückgewiesen werden –, sondern allenfalls seine Mitglieder in ihrer Eigenschaft als nationale Strafverfolgungsbehörde; mittelbar führen Interventionen durch Eurojust aber oft zur Einleitung von Strafverfahren in den Mitgliedstaaten, deren Behörden wegen des Legalitätsprinzips bei hinreichenden Anhaltspunkten hierzu verpflichtet sind, s. Zöller, in: Böse (EnzEuR Bd. 9), § 21, Rn. 19 f. 65 Ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung und Zwischenschritte auf dem Weg zur Europäischen Staatsanwaltschaft bei Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd.  1, 65.  EL 8/2018, Art. 86 AEUV, Rn. 1 ff.; Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 4 ff.; Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 1 f.; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  86 AEUV, Rn.  3 ff. 66 Vgl. Art. 3 Abs. 1 und 2 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (8); Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 19; Magnus, HRRS 2018, S. 143 (144); zu den Hintergründen dieser Vorgehensweise des europäischen Gesetzgebers – namentlich mit Blick auf die Unabhängigkeit der EuStA und ihre Fähigkeit, eigenständig völkerrechtliche Übereinkommen mit Drittstaaten, internationalen Organisationen und vor allem den bisher nicht an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten abzuschließen – Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 67. 67 Vgl. Art. 5 und 6 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (6); Illuminati, in: ebd., S. 179 (182) (zu den Unabhängigkeitsgarantien der EuStA-Verordnung); Brodowski, StV 2017, S. 684 (689). 68 Schaubildartige Darstellung der Organisationsstruktur der EuStA bei Brodowski, StV 2017, S. 684 (685).

II. Zehnter Baustein. Supranationales Ermittlungsverfahren  

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jedes Mitgliedstaats führt die allgemeine Aufsicht über die Aktivitäten der EuStA, insbesondere mit Blick auf strategische Fragen und die Kohärenz und Einheitlichkeit der Strafverfolgungspolitik im gesamten europäischen Justizraum; operative Einzelfallentscheidungen durch das Kollegium sind dagegen ausgeschlossen.69 Mit Rücksicht auf das Arbeitsaufkommen und die funktionalen Bedürfnisse der EuStA werden Ständige Kammern errichtet, in denen insgesamt drei Europäische Staatsanwälte die Ermittlungen durch Delegierte Europäische Staatsanwälte in den Mitgliedstaaten überwachen und leiten; die Verordnung sieht hierfür im Detail eine Reihe differenzierter Entscheidungsrechte im laufenden Verfahren sowie ein allgemeines Weisungsrecht vor, die in Verfahren über Straftaten mit Schäden unterhalb von 100 000 Euro innerhalb der Ständigen Kammer auch einem einzelnen Europäischen Staatsanwalt übertragen werden können.70 Im Übrigen sind die Europäischen Staatsanwälte mit der Aufsicht über die Delegierten Europäischen Staatsanwälte in ihrem Herkunftsmitgliedstaat und der entsprechenden Berichterstattung in der Ständigen Kammer betraut; ferner tragen sie die Verantwortung für den effektiven Informationsfluss zwischen der zentralen Ebene in Luxemburg und den Delegierten Europäischen Staatsanwälten in ihrem Mitgliedstaat.71 Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte – von denen für jeden Mitgliedstaat mindestens zwei vorhanden sein müssen, und die im Einzelnen auf Vorschlag der Mitgliedstaaten durch das Kollegium ernannt werden – sind als untere operative Ebene der EuStA für die Durchführung der erforderlichen Strafverfolgungsmaßnahmen zuständig, sind insoweit den nationalen Staatsanwälten umfassend gleichgestellt, und können neben nationalen Ermittlungsmaßnahmen auch auf europäische Instrumente wie etwa die Europäische Ermittlungsanordnung nach der EEA-Richtlinie zurückgreifen; sie sind insbesondere für die Anklageerhebung und die Vertretung der EuStA bei sämtlichen Verfahrenshandlungen vor den nationalen Gerichten zuständig, und können parallel weiterhin Aufgaben als nationale Staatsanwälte wahrnehmen.72 Die 69 Vgl. Art. 9 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (9 f.); Alle­ grezza / Mosna, in: ebd., S. 141 (150); Herrnfeld, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 383 (385); Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 22; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 86 AEUV, Rn. 52; Brodowski, StV 2017, S. 684 (685); Magnus, HRRS 2018, S. 143 (144). 70 Vgl. Art. 10 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (10 f.); Alle­ grezza / Mosna, in: ebd., S. 141 (150); Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 23 ff.; Magnus, HRRS 2018, S. 143 (144); Brodowski, StV 2017, S. 684 (685). Ferner kann in diesen Konstellationen die Strafverfolgung gemäß Art. 34 Abs. 3 und 4 EuStA-VO auch ganz den nationalen Behörden überlassen werden; näher Brodowski, StV 2017, S. 684 (688). 71 Vgl. Art. 12 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (13 f.); Illuminati, in: ebd., S. 179 (183); Brodowski, StV 2017, S. 684 (685). 72 Vgl. Art. 13 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (14 ff.); Herrnfeld, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 383 (385 f.); Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 28; Brodowski, StV 2017, S. 684 (685); Magnus, HRRS 2018, S. 143 (145).

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

sachliche Zuständigkeit der EuStA erstreckt sich auf einen bisher recht eng gefassten Bestand eigens harmonisierter Straftaten zum finanziellen Nachteil der Union, der aber nach den Vorgaben des Art. 86 Abs. 4 AEUV einstimmig auch auf andere Felder schwerer grenzüberschreitender Kriminalität erweitert werden kann.73 Im Einzelnen bestehen derzeit unionsrechtsautonome Definitionen für Betrug, Geldwäsche sowie vorsätzliche Bestechung und Bestechlichkeit mit ergänzenden Regelungen für Versuch, Beteiligungsformen, Strafrahmen und Verjährungsfristen.74 Voraussetzung für eine Verfolgung durch die EuStA ist ferner die Begehung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder die Staatsangehörigkeit des Täters in einem Mitgliedstaat.75 Die EuStA-Verordnung regelt sodann in sehr komplexer Form die Einleitung und Durchführung des Ermittlungsverfahrens, die Anordnung und Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen durch den Delegierten Europäischen Staatsanwalt, sowie eine etwaige Anklage vor den nationalen Gerichten.76 Das Strafverfahren selbst wird schließlich nach den dortigen Umsetzungsvorschriften zu den harmonisierten EuStA-Delikten geführt, für die die Verordnung zudem entsprechende örtliche Zuständigkeitsregelungen vorsieht.77 Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind dabei an die Unionsgrundrechte und die europäischen Sekundärrechtsakte zu Verfahrensstandards im Strafverfahren gebunden.78 Das Rechtsschutzsystem ist schließlich ähnlich wie die EuStA selbst in eine zentrale und eine dezentrale Ebene aufgespalten: Während die nationalen Gerichte prinzipiell auch für die Kontrolle von Verfahrenshandlungen der EuStA zuständig sind, überprüft der EuGH jeweils ausschließlich am Maßstab des Unionsrechts die Gültigkeit von EuStA-Verfahrens-

73

Wobei in der primärrechtlichen Systematik namentlich eine Orientierung an den in Art. 83 Abs. 1 AEUV genannten Kriminalitätsbereichen – Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, illegaler Drogen- und Waffenhandel, Geldfälschung, Computerkriminalität, und organisierte Kriminalität – naheliegt; so etwa Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 6; s. zudem Rheinbay, Die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, 2014, S. 113 ff.; Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 86 AEUV, Rn. 63; Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 49 ff.; Brodowski, StV 2017, S. 684 (686 f.). Zu den verfahrensrechtlichen Abläufen eines etwaigen Erweiterungsbeschlusses zudem Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 86 AEUV, Rn. 19 ff. 74 Vgl. Art. 22 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Art. 5 ff. RL-Betrugsbekämpfung (RL [EU] 2017/1371 [ABl. 198, S. 29]). Ausführlich Kaiafa-Gbandi, ZIS 2018, S. 575 (578 ff.); Vilas Álvarez, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 25 (29 ff.); Magnus, HRRS 2018, S. 143 (147 ff.); Brodowski, StV 2017, S. 684 (686 f.). 75 Vgl. Art. 23 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Panzavolta, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 59 (71 f.); Brodowski, StV 2017, S. 684 (686); Magnus, HRRS 2018, S. 143 (147). 76 Vgl. Art. 26 ff., 30 ff. EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); Brodowski, StV 2017, S. 684 (687 ff.). 77 Vgl. Art. 26 Abs. 4 und 5, Art. 36 Abs. 3 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]).; Brodowski, StV 2017, S. 684 (689). 78 Vgl. Art. 41 und 42 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]); ausführlich Illuminati, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 179 (184 f.); Díaz Abad, in: ebd., S. 235 (236 ff.); Brodowski, StV 2017, S. 684 (689).

II. Zehnter Baustein. Supranationales Ermittlungsverfahren  

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handlungen im Vorabentscheidungsverfahren sowie bestimmte EuStA-Beschlüsse im Wege einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV.79

2. Künftige Arbeitsfelder des supranationalen Ermittlungsverfahrens Bei der bevorstehenden Konsolidierung des europäischen Justizraums wird die EU-Justizpolitik jedoch schließlich auch hier ein größeres Arbeitsfeld vorfinden. Die noch in statu nascendi befindliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter dem Dach der Europäischen Staatsanwaltschaft dürfte naturgemäß bis auf weiteres beträchtliche Herausforderungen mit sich bringen: Zwar erscheint bereits der erfolgreiche Abschluss des so langen wie komplexen wie umstrittenen Gesetzgebungsverfahrens schon als beachtlicher integrationspolitischer Erfolg, der sich in das zu Beginn der Untersuchung skizzierte historische Panorama ohne weiteres als nochmalige Zäsur einfügt. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung im Ergebnis trotz ihrer politischen Sensibilität doch von einer sehr breiten Verstärkten Zusammenarbeit mit nunmehr 22 Mitgliedstaaten getragen wird,80 die zwischenzeitlich kaum realistisch schien, etwa zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens, als gleich 14 Kammern nationaler Parlamente einen Verstoß des ursprünglichen Kommissionsentwurfs gegen das Subsidiaritätsprinzip rügten, und die Kommission die Bedenken im Subsidiaritätskontrollmechanismus nach Protokoll 2 des AEUV eher nonchalant zurückwies.81 Doch müssen nun andererseits aus Sicht des europäischen Gesetzgebers gleichsam die Mühen der Ebene bewältigt und die tatsächliche Implementation des sehr diffizilen, bisher nur auf dem Papier bestehenden EuStARegimes sichergestellt werden; der Rat geht insoweit in seinem jüngsten Sachstandsbericht allein von einer mindestens zweijährigen Implementationsphase für die vorbereitenden Arbeiten aus, die derzeit primär die Auswahl und Ernennung 79 Vgl. Art. 41 Abs. 1 bis 3 EuStA-VO (VO [EU] 2017/1939 [ABl. L 283, S. 1]). Ausführlich Mitsilegas / Giuffrida, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 59 (81 f.); Díaz Abad, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 235 (251 f.); Herrnfeld, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 383 (407 f., 410); Brodowski, StV 2017, S. 684 (692); Böse, JZ 2017, S. 82 (82 ff.); Magnus, HRRS 2018, S. 143 (154). 80 S. Beschluss (EU) 2018/1094 der Kommission […] zur Bestätigung der Beteiligung der Niederlande an der Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (ABl. L 196/1); Beschluss (EU) 2018/1103 der Kommission […] zur Bestätigung der Beteiligung Maltas an der Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (ABl. L 201/2). 81 Europäische Kommission, Mitteilung […] über die Überprüfung des Vorschlags für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Subsidiaritätsgrundsatz gemäß Protokoll Nr. 2, COM(2013) 851, S. 3 f., 4 ff. Ausführlich zur Subsidiaritätsproblematik im EuStA-Gesetzgebungsverfahren Madsen / Elholm, in: Asp (Hrsg.), The European public prosecutor’s office, 2015, S. 31 (40 ff.); kritische Analyse der Reaktion seitens der Kommission auf die nationalen Subsidiaritätsbedenken bei Wieczorek, European Law Journal 16 (2015), S. 1247 ff.

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

des Europäischen Generalstaatsanwalts82 und die Auswahl der Europäischen Staatsanwälte, die Entwicklung und technische Einrichtung des Fallbearbeitungssystems, sowie administrative und organisatorische Fragen zu Haushalt und vorläufiger Verwaltung der EuStA betreffen.83 Daneben hat die Kommission mit der Einrichtung einer Expertengruppe begonnen, die als Ansprechpartner und Kontaktpunkt für den Informationsaustausch mit den Mitgliedstaaten über den Fortschritt der dortigen Implementationsmaßnahmen fungieren soll;84 auch finden sich erste, allerdings in der Regel noch sehr offen gehaltene Überlegungen zur in Art. 86 Abs. 1 S. 1 AEUV ausdrücklich vorgegebenen Zusammenführung der Europä­ ischen Staatsanwaltschaft mit Eurojust sowie anderen Akteuren der europäischen Strafverfolgung.85 Neben den rechtlichen Details des künftigen Verhältnisses von EuStA, Eurojust und den anderen Akteuren wird die EU-Justizpolitik in diesem Zusammenhang auch in den Blick nehmen müssen, ob und inwieweit sich aus der bisherigen Praxis von Eurojust möglicherweise wichtige praktische Lehren für die Anfangsjahre der EuStA ziehen lassen: Dem in seiner aktuellen ­sekundärrechtlichen Gestalt noch hoch abstrakten EuStA-Modell tritt hier ein in Ansätzen praxiserprobtes, relativ differenziertes, insgesamt bis zu fünfstufiges Verfahrensmodell für die Koordinierung komplexer unionsweiter Strafverfolgungsmaßnahmen durch die Behörden mehrerer Mitgliedstaaten gegenüber, das weder 82

Vgl. Beschluss (EU) 2018/1275 des Rates […] zur Ernennung der Mitglieder des in Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung (EU) 1393/2017 vorgesehenen Auswahlausschusses (ABl. L 238/92). 83 Council of the European Union, European Public Prosecutor’s Office – Implementation, EuCO 6467/18, S. 1 f. 84 Council of the European Union, European Public Prosecutor’s Office – Implementation, EuCO 6467/18, S. 1 f. 85 S. Council of the European Union, European Public Prosecutor’s Office – Cooperation with partner agencies and offices, in particular OLAF / EPPO and Eurojust / EPPO, EuCO 6099/18, sowie im Hinblick auf OLAF nunmehr Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft und die Wirksamkeit der Untersuchungen des OLAF, COM(2018) 338 final. Zu den zahlreichen Einzelfragen der Integration von Eurojust und Europäischer Staatsanwaltschaft und den denkbaren administrativen und operativen Kooperationsmodellen, deren Details bisher noch meist eher vage bleiben, s. nur Weyembergh / Brière, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 171 (178 ff., bzw. 183 ff.); Espina Ramos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 87 (92 bzw. 93 ff.); außerdem Deboyser, in: Erkelens / Meij / Pawlik (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2015, S. 79 (86); Trentmann, ZStW 129 (2017), S. 108 (127 ff., 142 ff.); Weyembergh / Brière, NJECL 9 (2018), S. 62 ff.; schließlich noch Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 86 AEUV, Rn. 15 ff. (mit vertiefter Analyse der primärrechtlichen Vorgaben); Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd.  2, Art.  86 AEUV, Rn.  58 f.; Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 83; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 86 AEUV, Rn. 14 (der ferner die perspektivische Zusammenführung von Art. 85 und Art. 86 AEUV bei einer möglichen weiteren Vertragsreform für sinnvoll hält).

II. Zehnter Baustein. Supranationales Ermittlungsverfahren  

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sekundär- noch primärrechtlich ausdrücklich vorstrukturiert wird, sondern sich angesichts der weitgehend informellen Koordinierungsaufgaben von Eurojust recht pragmatisch anhand der praktischen Bedürfnisse in unionsweiten Fällen herausgebildet hat.86 In einer ersten Phase wird demnach das nationale Eurojust-Mitglied bei Bedarf durch die Behörden seines Mitgliedstaats um Beteiligung von Eurojust ersucht, und der Fall sodann in einer zweiten Phase, dem sogenannten „Level I-Meeting“, den nationalen Mitgliedern der anderen Mitgliedstaaten in Grundzügen präsentiert. In den folgenden Phasen drei und vier werden sodann durch die nationalen Mitglieder der an der unionsweiten Strafverfolgung sinnvollerweise zu beteiligenden Mitgliedstaaten geeignete Koordinierungsschritte erörtert (sogenanntes „Level II-Meeting“) und die Behörden der Mitgliedstaaten anschließend nach den allgemeinen Eurojust-Regeln um die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen ersucht. In einer fakultativen fünften Phase kann Eurojust schließlich auch beim Vollzug der Strafverfolgungsmaßnahmen eingeschaltet werden; das Instrumentarium erfasst dabei insbesondere die Einberufung weiterer Koordinierungstreffen mit Beteiligung von Vertretern der zuständigen nationalen Strafverfolgungsbehörden zur Beratung des Vorgehens bei konkreten Einzelmaßnahmen (sogenanntes „Level III“-Meeting), die Leitung und Überwachung der Durchführung unionsweiter Ermittlungsmaßnahmen in Echtzeit (sogenannter „action day“), und die Einrichtung sogenannter Gemeinsamer Ermittlungsgruppen aus Behördenvertretern der beteiligten Mitgliedstaaten sowie anderer interessierter Akteure wie etwa Europol, denen die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen in bestimmtem Umfang direkt übertragen werden können.87 Für das Jahr 2017 etwa weist Eurojust bereits 302 Level III-Meetings mit insgesamt etwa 4400 beteiligten Behördenvertretern der Mitgliedstaaten, die Finanzierung von 128 und Unterstützung von 200 Gemeinsamen Ermittlungsgruppen, und 17 „action days“ zur unionsweiten Koordinierung simultaner Festnahmen, Hausdurchsuchungen, Zeugenbefragungen und Beschlagnahmungen aus.88 Die bisher verfügbaren, von Eurojust selbst erstmals für den Zeitraum April 2015 bis Juni 2016 veröffentlichten Fallstudien legen dabei nahe, 86

Vgl. Eurojust, Eurojust Jahresbericht 2016 – Criminal Justice across Borders, 2017, S. 12 ff. Vgl. im Detail die Regelungen der Rechtsgrundlage zur Einsetzung gemeinsamer Ermittlungsgruppen (Rahmenbeschluss des Rates […] über gemeinsame Ermittlungsgruppen [2002/465/JI] [ABl. L 162/1]), sowie die Entschließung des Rates zu einem Modell für eine Vereinbarung über die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG) (2017/C 18/01) (ABl. C 18/1); für jüngere, in der Regel gegenüber den ersten Analysen aus der Mitte der 2000er Jahre eher zurückhaltendere Einschätzungen des Potentials gemeinsamer Ermittlungsgruppen Neumann, in: Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg, § 34, Rn. 7 ff., 12 ff. 88 Vgl. das Schaubild in Eurojust, Eurojust at work in 2017, 2018, S. 1; für ältere Zahlen zudem Trentmann, ZStW 129 (2017), S. 108 (123 ff.). Als Überblick der verschiedenen anderen Aktivitäten von Eurojust s. zudem Eurojust, Second JIT Evaluation Report, 2018, S. 10 ff. (zu gemeinsamen Ermittlungsgruppen), Council of the European Union, Eurojust’s European Arrest Warrant Casework – Report (2014–2016), EuCO 9198/17, S. 2 ff. (zur Einschaltung von Eurojust durch nationale Strafverfolgungsbehörden bei der Ausstellung und Vollstreckung europäischer Haftbefehle), sowie Eurojust, Report on Eurojust’s casework in the field of prevention and resolution of conflicts of jurisdiction, 2018, S. 5 ff. (zur Koordinierung grenzüberschreitender Kompetenzkonflikte). 87

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

dass hier aktuell neben komplexen Strukturen organisierter Diebstahls- und Betrugskriminalität (Operationen „Vertigo“ und „Stroke of Luck“) vor allem relativ neuartige Phänomene von unionsweiter, oft auch über die Unionsgrenzen hinausreichender Cyberkriminalität (Operationen „BlackShades“ und „Avalanche“)89 im Fokus stehen. Über die tatsächliche Verwertbarkeit dieser Erfahrungssammlung für das auf dem Papier weitaus stärker ausdifferenzierte und formalisierte Ermitt­ lungsverfahren durch die Europäische Staatsanwaltschaft ist damit zunächst wenig gesagt; mit Blick auf die praktisch kaum vermeidbaren tatsächlichen Reibungsverluste in der Anfangsphase des EuStA-Modells scheint hier aber ein aus praktischer Sicht nicht ganz triviales Erfahrungsreservoir angelegt, das eine krude Frühform des EuStA-Verfahrens möglicherweise umso mehr sinnvoll unterfüttern kann, als die tatsächliche Gestalt des europäischen Ermittlungsverfahrens angesichts der derzeit zugrunde gelegten Praxisparameter – die Kommission rechnet insoweit mit einem theoretischen Bedarf des supranationalen Ermittlungsverfahrens in über 13 600 Fällen von Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung von Unionsmitteln mit einem Gesamtvolumen von etwa zwei Milliarden Euro,90 einem tatsächlichen Aufkommen von jährlich etwa 2 500 EuStA-Verfahren,91 und einem Nettonutzen der Betrugsbekämpfung in Höhe von 471 Millionen Euro gegenüber der bisherigen Betrugsbekämpfung insbesondere durch OLAF92 – in weiten Teilen auch durch die Dynamik der frühen Praxis des EuStA-Systems und die Entwicklung entsprechender informeller Strukturen auf Ebene der Geschäftsordnung, Rechtspraxis und 89

Kurzüberblicke jeweils in Eurojust, Operation BlackShades. An Evaluation, 2015; Eurojust, Operation Vertigo. A closer look, 2016; Eurojust, Operation Avalanche. A closer look, 2017; Eurojust, Stroke of Luck. A closer look, 2017 (sämtlich abrufbar unter http://www. eurojust.europa.eu/doclibrary/corporate/Pages/caseworkpublications.aspx?Page=2. Letzter Abruf: 15. 4. 2020). 90 Europäische Kommission, Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug, SWD(2012) 196 final, S. 3. Zur Aufteilung auf Kriminalitätsbereiche und einzelne Posten des Unionshaushalts s. European Commission, Commission Staff Working Document: Impact assessment accompanying the Proposal for a Council Regulation on the establishment of the European Public Prosecutor’s Office, SWD(2013) 274 final, S. 93 bzw. 75 f. 91 European Commission, Commission Staff Working Document: Impact assessment accompanying the Proposal for a Council Regulation on the establishment of the European Public Prosecutor’s Office, SWD(2013) 274 final, S. 100. 92 Europäische Kommission, Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug, SWD(2012) 196 final, S. 7. Etwa zwei Drittel davon – 315 Millionen Euro – entfallen demnach auf die Strafverfolgungsaktivitäten der EuStA, das übrige Drittel auf die separate Strafverfolgung in den Mitgliedstaaten auf der Basis der vereinheitlichten Straftatbestände der RL-Betrugsbekämpfung; vgl. Europäische Kommission, Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Zusammenfassung der Folgenabschätzung. Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, SWD(2013) 275 final, S. 11.

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Rechtsprechung mitbestimmt werden wird.93 Zuletzt wird der europäische Gesetzgeber schließlich auch beobachten müssen, ob es nach der Errichtung der EuStA gelingt, die rechtlichen wie praktischen Fallstricke der EuStA-Verordnung und der RL-Betrugsbekämpfung zu umgehen, die bereits jetzt vielfach in der Literatur diskutiert werden, oder ob insoweit nochmals eine größere Reform des EuStA-Systems erforderlich wird. Sie sind wenig überraschend sehr breit gestreut, meist fundamentaler Natur, und letztlich oft demselben Grundgedanken des Verfahrenskonzepts geschuldet, der auch die Verfahrensrechtsakte für grenzüberschreitende Zivilverfahren kennzeichnet: Entsprechende Problemfelder finden sich demnach primär bei den Regelungen, die – meist zugunsten ersterer – die unionsweiten Eingriffsbefugnisse der EuStA und die dazugehörigen Rechtsschutz- und Kontrollmechanismen austarieren; mit zahlreichen Nuancierungen werden hier etwa praktische Probleme einer effektiven Kontrolle unionsweiter Ermittlungsmaßnahmen,94 die strukturellen Schwierigkeiten einer nicht institutionalisierten Verteidigung des Beschuldigten gegen parallele Ermittlungsmaßnahmen in mehreren Mitgliedstaaten95 oder die angesichts der Regelungen der Verordnung naheliegende Möglichkeit strategischer Zuständigkeitsentscheidungen durch die EuStA zugunsten bestimmter besonders verfolgungsgeeigneter Mitgliedstaaten thematisiert.96 Gleichsam in 93

Insbesondere zur zentralen Bedeutung der Geschäftsordnung im organisatorischen Gefüge der EuStA s. Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (17 f.); s. in diesem Zusammenhang ferner auch die Vorschläge zur Fortbildung der typischerweise im künftigen Zuständigkeitsbereich der EuStA tätigen nationalen Rechtspraktiker bei Sicurella, NJECL 8 (2017), S. 497 ff. 94 Dabei werden vor allem die zu erwartenden praktischen Schwierigkeiten für die nationalen Gerichte hervorgehoben, wenn es gilt, ein umfangreiches Bündel verschiedener Zwangs- und Ermittlungsmaßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, die sich im Detail nach den verfahrensrechtlichen Maßstäben diverser nationaler Rechtsordnungen richten; s. Magnus, HRRS 2018, S. 143 (154). 95 In der Literatur werden insoweit vielfach  – ähnlich wie auch bei der EEA-Richtlinie (s. oben in § 3 II. 2., Fn. 95) – ernsthafte Zweifel an der prozessualen Waffengleichheit zwischen EuStA und Beschuldigtem bei unionsweiten Ermittlungsmaßnahmen geäußert, und die Entwicklung grenzüberschreitender europäischer Netzwerke von Strafverteidigern speziell für Ermittlungsverfahren der EuStA angemahnt; s. nur Allegrezza / Mosna, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 141 (158); Illuminati, in: ebd., 2018, S. 179 (186 f.); Magnus, HRRS 2018, S. 143 (150, 152); Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 13; Brodowski, StV 2017, S. 684 (692); Novokmet, NJECL 8 (2017), S. 374 (393, 401). Auch der in Art. 41 Abs. 2 lit. c) der EuStA-VO vorgenommene schlichte Verweis auf die RL-Rechtsbeistand in Strafverfahren wird dabei als nicht hinreichend erachtet, da die Richtlinie zum einen keine eigenständigen Regelungen für eine effektive Verteidigung gerade bei parallelen Ermittlungsmaßnahmen in mehreren Mitgliedstaaten enthalte, und darüber hinaus auch das tatsächliche Schutzniveau wegen des engen Anwendungsbereichs der Richtlinie und der nationalen Umsetzungsspielräume zwischen den Mitgliedstaaten oftmals stark divergieren werde; s. Bachmaier Winter, in: Dies. (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 117 (133 ff.). 96 So weist etwa Panzavolta, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 59 ff., gleich auf einen ganzen Reigen möglicher Probleme hin, insbesondere hinsichtlich der gezielten, letztlich nur durch allgemeine fair trial-Erwägungen begrenzten Anklage durch die EuStA in einem Mitgliedstaat, dessen materiell- und verfahrensrechtliche

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

vertikaler Perspektive treten sodann vielfach spezifische Probleme der hybriden Organisations- und Verfahrensstruktur der EuStA mit originär europäischen und dezentralen einzelstaatlichen Elementen hinzu, die die Komplexität dieser Gemengelage nochmals steigern; insoweit rücken mögliche Interessenkonflikte und Politisierungsgefahren wegen der Doppelfunktion der Delegierten Europäischen Staatsanwälte auf europäischer und nationaler Ebene,97 die bisher bestenfalls durch Vorschriften (etwa hinsichtlich Tatbeständen, Strafrahmen, Beweisregelungen, Akteneinsichtsrechten­) die Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung erhöhen (S. 66), hinsichtlich des fehlenden zentralen Rechtsschutzes auf europäischer Ebene gegen Zuständigkeitsentscheidungen der EuStA (namentlich durch die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, S. 80 f.), hinsichtlich der praktischen Schwierigkeiten bei der – auf europäischer Ebene bisher (vorbehaltlich etwaiger späterer Klarstellungen in der EuStA-Geschäftsordnung) nicht geregelten – Bestimmung des Tatorts gerade im Rahmen der von der EuStA zu verfolgenden Finanzdelikte, bei denen oftmals verschiedene Handlungs- und Erfolgsorte bestehen (S. 76 ff.), sowie etwas grundlegender hinsichtlich der in den meisten nationalen Verfassungen sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 47 GRCh geregelten Garantie des gesetzlichen Richters (S. 64 ff.; ähnlich ferner Ruggeri, in: Bachmaier Winter [Hrsg.], The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 201 [212]). Die Problematik des strategischen forum shopping sehen grundsätzlich auch Luchtman, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 154 (166) (der angesichts der fehlenden Zentralisierung des Rechtsschutzes gegen Zuständigkeitsentscheidungen sogar von „almost  a guarantee for forum shopping“ spricht); Mit­silegas / Giuffrida, in: ebd., S. 59 (84 f.); Illuminati, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 179 (196); Marstaller, EuCLR 6 (2016), S.161 (184); Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 117 f. (mit ergänzendem Hinweis auf den drohenden Schaden für Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der EuStA bei einer längerfristigen Praxis strategischer Zuständigkeitsentscheidungen); Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 13, 36; Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art. 86 AEUV, Rn. 28; Magnus, HRRS 2018, S. 143 (151) (allerdings mit der Anmerkung, die Verordnung habe das Problem im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsentwurf bereits erheblich entschärft). Auch die Kritik an der fehlenden Nichtigkeitsklage zur Anfechtung von Zuständigkeitsentscheidungen wird vielfach ausdrücklich geteilt; s. Mitsilegas / Giuffrida, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 59 (85); Luchtman, in: ebd., S. 154 (161); Herrnfeld, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 383 (409); Novokmet, NJECL 8 (2017), S. 374 (393). 97 Zum einen wird dabei allgemein die potentielle Vermischung der Strafverfolgungsbelange unterschiedlicher Hoheitsträger in der täglichen Arbeit der Delegierten Europäischen Staats­ anwälte problematisiert, die auch durch die in der EuStA-VO vorgesehene politische Aufsicht in Form von Anhörungen des Europäischen Generalstaatsanwalts durch das Europäische Parlament in aller Regel nur schwach eingehegt werde, und zum anderen insbesondere die fehlende unionsrechtliche Absicherung der Delegierten Europäische Staatsanwälte gegenüber dienstrechtlichen Maßnahmen auf nationaler Ebene, die den Mitgliedstaaten mittelbare Einflussnahmen auf die Arbeit der EuStA ermögliche, wo die Verfolgung von Straftaten zulasten des Unionshaushalts entweder allgemein keine besondere Priorität darstelle, oder auch im Einzelfall mit bestimmten politischen Interessen kollidiere; s. Martínez Santos, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 1 (20 ff.); Satzger, in: ebd., S. 43 (45 f., zu ersterer Problematik); Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 86 AEUV, Rn. 6 (insbesondere im Hinblick auf etwaige Verstrickungen der nationalen Verwaltungen in finanzielle Unregelmäßigkeiten und andere mittelbare Nachteile eines gesteigerten Verfolgungsdrucks); Magnus, HRRS 2018, S. 143 (144, sowie 157 mit der Befürchtung, in der Praxis werde die Effektivität der Strafverfolgung der EuStA bisweilen unterminiert werden, indem die nationalen Stellen der EuStA etwaige Verdachtsfälle schlicht verschweigen); Wasmeier / Killmann,

II. Zehnter Baustein. Supranationales Ermittlungsverfahren  

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rudimentäre europäische Verfahrensgrundsätze kompensierte Patchwork-Struktur des Ermittlungsverfahrens mit seinen zahlreichen Rückgriffen auf das nationale Verfahrensrecht,98 wiederum aus der Rechtsschutzperspektive die Aufspaltung der Kontrolle der EuStA zwischen dem EuGH und dem verfahrensführenden nationalen Gericht,99 und nicht zuletzt die naturgemäß problemträchtigen Unschärfen bei in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 73, 76; Brodowski, StV 2017, S. 684 (684, der aber zugleich darauf hinweist, dass dieses Problem zumindest empirisch bisher nur schwach belegt sei). 98 S. ausführlich etwa Allegrezza / Mosna, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 141 (162), im Einzelnen vor allem im Hinblick auf die von Art. 30 Abs. 1 EuStA-VO nur für insgesamt sechs Ermittlungsmaßnahmen harmonisierten Ermittlungsmaßnahmen, die in jedem Mitgliedstaat (und auch dann nur für bestimmte schwere Straftaten mit einer Höchststrafandrohung von mindestens vier Jahren) zur Verfügung stehen müssen (S. 152), das zu strukturellen Redundanzen einzelner Verfahrensanforderungen wie namentlich Richtervorbehalten führende Nebeneinander der Rechtsordnungen aller an der fraglichen Ermittlungsmaßnahme beteiligten Mitgliedstaaten (S. 153 f.), die vielfachen Konsultationserfordernisse zwischen den Europäischen Delegierten Staatsanwälten bei Ermittlungsmaßnahmen mit Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten (S. 154 f.), und die fehlenden einheitlichen Standards auf Unionsebene hinsichtlich der Verwertbarkeit der von der EuStA erhobenen Beweise im späteren Strafverfahren in einem Mitgliedstaat (S. 158 ff.) – in der Summe laufe die EuStA in ihrer derzeitigen Form bei alledem eher auf eine quasi-intergouvernemental geprägte, rechtlich stark fragmentierte Kooperation der nationalen Staatsanwaltschaften hinaus als auf die ursprünglich eigentlich beabsichtigte Konzeption einer originär supranationalen Strafverfolgungsbehörde (S. 149 f.). Allgemein diagnostizieren dieses Grundproblem auch Vogel / Eisele, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 57. EL 8/2015, Art. 86 AEUV, Rn. 43 (die zudem auf die praktische Schwierigkeit hinweisen, seitens der EuStA bis zu 28 verschiedene Strafverfahrensrechte sachgemäß anzuwenden); Herrnfeld, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 383 (403 ff.); Mitsilegas / Giuffrida, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 59 (88 f.). Insbesondere die zu befürchtenden beweisrechtlichen Friktionen stehen im Zentrum der rechtspolitischen Kritik (anders aber Dannecker, in: Streinz, Art. 86 AEUV, Rn. 11, der das Problem insgesamt für überschätzt hält); s. nur Mitsilegas / Giuffrida, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 59 (77); Csúri, in: ebd., S. 141 (149); Bachmaier Winter, in: Dies. (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 117 (129 f.); Illuminati, in: ebd., 2018, S. 179 (193 ff.); ausführlich Helenius, in: Asp (Hrsg.), The European public prosecutor’s office, 2015, S. 178 (192 ff.); Suhr, in: Calliess / Ruffert, Art.  86 AEUV, Rn.  28; Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 131; Magnus, HRRS 2018, S. 143 (145 f.); Zerbes, ZIS 2015, S. 145 (149: Die EuStA bleibe ohne stärkere beweisrechtliche Koordinierung absehbar ein „prisoner of national laws“). Vgl. schließlich allgemein zum Hintergrund der im Laufe der Zeit stärker werdenden Dezentralisierungstendenz im Gesetzgebungsverfahren und dem (politisch gegenüber den Mitgliedstaaten nicht durchsetzbaren) ursprünglichen Kommissionsentwurf aus dem Jahr 2013 etwa White, NJECL 4 (2013), S. 22 ff.; Satzger, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 43 (45 f.); Van Ballegooij, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 27 (32); Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 69 ff. (mit ausführlicher vergleichender Analyse der verschiedenen möglichen Modelle im Ausgangspunkt des EuStA-Gesetzgebungsverfahrens; hierzu s. ferner Met-Domestici, in: Nowak [Hrsg.], The European Public Prosecutor’s Office and national authorities, 2016, S. 35 [41 ff.]). 99 Mitsilegas / Giuffrida, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 59, sehen hier sogar einen der zentralen Problem-

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§ 5 Europäische Gerichtsverfahren

der Annexzuständigkeit der EuStA für untrennbar mit Finanzdelikten verbundene Straftaten in den Blick.100 Hier wird der Unionsgesetzgeber genau beobachten müssen, inwieweit sich das Feld der offenen strukturellen Fragen entweder noch im politischen Vorlauf oder zumindest in der späteren Praxis der EuStA entschärfen lässt, und ob sich die Europäische Staatsanwaltschaft, wenn auch gegebenenfalls mit ähnlichen anfänglichen Komplikationen, wie dies zunächst für heute etablierte Instrumente wie den Europäischen Haftbefehl der Fall war, mittelfristig auf einem rechtlich und politisch akzeptablen Niveau einspielt, oder ob möglicherweise nochmals nachgesteuert und eine größere Reform der zugrundeliegenden Rechtsakte in Angriff genommen werden muss.101

punkte des EuStA-Systems insgesamt, zum einen mit Blick auf die zusätzliche Arbeitsbelastung des EuGH infolge zahlreicher weiterer Vorabentscheidungsersuchen in EuStA-Ermittlungsverfahren, die gleichermaßen die Effektivität sowohl der Strafverfolgung als auch der Verfahrensrechte der Betroffenen einzuschränken drohe (S. 86), zum anderen aber auch hinsichtlich der Gefahr von Unklarheiten bei der Abgrenzung konkreter Kompetenzen der nationalen Gerichte und des EuGH bei der Kontrolle bestimmter Verfahrenshandlungen der EuStA (S. 82 ff.); ähnlich auch Erbeznik, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 185 (205 f.); Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 160; Böse, JZ 2017, S. 82 (84 ff.). 100 Die durch die potentiell divergierende Ausgestaltung einzelner Delikte der RL-Betrugsbekämpfung in den Mitgliedstaaten noch verstärkt werden; s. Sicurella, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 99 (102; 121); Sitbon, in: ebd., S. 129 (134); allgemein sehr kritisch auch Kaiafa-Gbandi, ZIS 2018, S. 575 (582), die die nationalen Gesetzgeber daher zu einem möglichst restriktiven Vorgehen bei der Umsetzung der Richtlinie aufruft; Herrnfeld, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 383 (388 f.); Vervaele, in: ebd., S. 413 (428); Wasmeier / Killmann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje Bd. 2, Art. 86 AEUV, Rn. 28; Bro­ dowski, StV 2017, S. 684 (687), der dabei auf die naheliegende Möglichkeit hinweist, sich bei der Frage der untrennbaren Verbindung der betreffenden Delikte primär an den Maßstäben der europäischen ne bis in idem-Verbote (Art. 54 SDÜ, Art. 50 GRCh) zu orientieren. 101 So auch Herrnfeld, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU c­ riminal law, 2018, S. 383 (411); Brodowski, StV 2017, S. 684 (692). Insgesamt überwiegt in der Literatur jedoch deutlich die Skepsis, was die längerfristigen Perspektiven der Europäischen Staats­ anwaltschaft anbelangt; s. nur Erbeznik, EuCLR 5 (2015), S. 209 (221) (wenngleich noch zum ursprünglichen Kommissionsentwurf: “[…] revolution is known to eat its children, and a postponement of the solutions for the problems to the application stage will seriously haunt Member States later“); Erbeznik, in: Brière / Weyembergh (Hrsg.), The needed balances in EU criminal law, 2018, S. 185 (186) („legal Frankenstein“); Vervaele, in: ebd., S. 413 (429); Sicurella, in: Geelhoed / Erkelens / Meij (Hrsg.), Shifting Perspectives on the European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 99 (125); zumindest tendenziell auch Allegrezza / Mosna, in: Bachmaier Winter (Hrsg.), The European Public Prosecutor’s Office, 2018, S. 141 (162). Einen deutlich optimistischeren Ausblick formuliert aber etwa Magnus, HRRS 2018, S. 143 (155), der zufolge „[dem] Unionsgesetzgeber mit der EuStA [bei Kritik im Detail] ein großer Wurf gelungen [ist]. […] Der Blick in die Zukunft der EuStA ist positiv […]“. Vereinzelt finden sich darüber hinaus in der Literatur sogar erste Überlegungen zu Erweiterungen der Kompetenzen der EuStA; s. Di Francesco Maesa, NJECL 9 (2018), S. 191 ff. (im Hinblick auf Umweltstraftaten, deren Verfolgung im europäischen Justizraum sich aus ähnlichen Gründen wie bei den bisher der EuStA zugewiesenen Finanzdelikten als bisweilen schwierig erweise).

§ 6 Ergebnisse und Ausblick I. Ergebnisse Welche Schritte auf dem Weg zum europäischen Justizraum sind also bereits zurückgelegt – und welche Aufgaben, um abschließend nochmals die Ausgangsfrage der Untersuchung aufzugreifen, stehen den Akteuren der EU-Justizpolitik in den nächsten Jahren bevor? Die obige Analyse ist dieser Frage anhand von zehn Bausteinen des europäischen Justizraums nachgegangen, in deren Rahmen für verschiedene Gebiete der grenzüberschreitenden Gerichts- und Behördenzusam­ menarbeit zunächst jeweils der bisherige Bestand sekundärrechtlicher Kooperationsformen systematisiert, und vor dieser Folie dann dem rechtspolitischen Handlungsbedarf des betreffenden Bausteins in den nächsten Jahren nachgespürt wurde. Erneut muss dabei ausdrücklich auf die einleitenden Ausführungen zu den Erkenntniszielen und der methodischen Vorgehensweise der Untersuchung hingewiesen werden: Ihr war nicht an der Erörterung zivil- oder strafprozessrechtlicher Einzelfragen der europäischen Gerichts- und Behördenzusammenarbeit gelegen, sondern an einer abstrakteren rechtspolitischen Standortbestimmung und der Kartographierung der künftigen Arbeitsschwerpunkte im europäischen Justizraum. Ihr ging es auch nicht um die Formulierung konkreter Reformvorschläge, sondern um die übergeordneten, längerfristigen rechtspolitischen Bögen, an denen sich die Architekten des europäischen Justizraums in der bevorstehenden Konsolidierungsphase ausrichten müssen. Vor diesem Hintergrund ist bei einer Gesamtschau aller vier Kapitel und zehn Bausteine zunächst als übergeordnete Erkenntnis festzuhalten: Auch rund zwei Jahrzehnte nach dem Tampere-Gipfel des Europäischen Rates und dem eingangs zitierten „Aufbruch nach Europa“ kann von einer absehbar bevorstehenden „Ankunft in Europa“ schwerlich die Rede sein. Das zwischenzeitlich ausgegebene (wenn auch ersichtlich von einer gewissen symbolischen Integrationsrhetorik mitgetragene) Ziel, die Arbeiten am europäischen Justizraum im Jahr 2020 endgültig abzuschließen,1 hat sich vor dem Hintergrund der obigen Befunde als deutlich überambitioniert erwiesen: Bei allen Unterschieden im Detail werfen doch zumindest im Grundsatz alle zehn Bausteine, und damit sämtliche Bereiche grenzüberschreitender Gerichts- und Behördenkooperation, auch weiterhin neue Aufgaben für den Unionsgesetzgeber auf. Im Einzelnen konnten – damit nun zu einer kurzen Rekapitulation der Ergebnisse der Untersuchung – fünf Bausteine identifiziert werden, die für die Architekten des europäischen Justizraums in den nächsten 1 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, COM(2014) 144 final, S. 11.

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

Jahren lediglich noch in kleinerem Umfang neue Aufgaben mit sich bringen werden – diesen fünf Bausteinen werden EU-Justizpolitik und Unionsgesetzgeber also in Zukunft, um im Bild zu bleiben, eher noch einen letzten rechtlichen Feinschliff verleihen müssen. Hier beschränken sich die fortbestehenden Arbeitsaufträge meist auf einzelne Regelungsbereiche des betreffenden Bausteins, und oftmals sogar lediglich auf rechtliche Detailfragen einzelner Sekundärrechtsakte, während die übrigen Regelungsbereiche des Bausteins grundsätzlich etabliert scheinen. Diese fünf Bausteine werden in der anbrechenden Konsolidierungsphase daher lediglich noch kleinere Arbeitsschwerpunkte des europäischen Gesetzgebers bilden müssen. Dies gilt erstens für die supranationale Aus- und Fortbildung des Gerichts- und Behördenpersonals der Mitgliedstaaten (s. oben § 3 I.), sowie zweitens für den sonstigen Informationsaustausch zwischen den Gerichten und Justizbehörden (s. oben § 3 III.). Drittens ist hier die Kooperation bei Gerichts- und Behördenentscheidungen in Zivil- und Handelssachen einzuordnen (s. oben § 4 I.), sowie viertens die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei unionsweiten Entscheidungen in familien- und erbrechtlichen Verfahren (s. oben § 4 II.). Fünftens schließlich gehört hierher auch das unionsrechtliche Regime für Entscheidungen der Gerichte und Justizbehörden in Strafsachen (s. oben § 4 III.). Anders stellte sich die Situation bei den übrigen fünf Bausteinen dar. Hier war jeweils deutlich größerer rechtspolitischer Handlungsbedarf zu konstatieren, der sich regelmäßig praktisch flächen­ deckend und rechtsaktübergreifend auf alle Regelungsbereiche des jeweiligen ­Bausteins erstreckte – hier wird künftig also auch weiterhin grundlegende Kon­ struktions- und Aufbauarbeit zu leisten sein. Diese fünf Bausteine werden bei der Konsolidierung des europäischen Justizraums größere Arbeitsschwerpunkte darstellen müssen. Hier sind erstens die Regelungen des supranationalen Geschäftswegs der Gerichte und Justizbehörden anzusiedeln (s. oben § 2 I.). Zweitens gehören hierher die Form- und Verfahrensvorschriften grenzüberschreitender Gerichts- und Behördenkommunikation (s. oben § 2 II.), sowie drittens die rechtlichen Instrumente des grenzüberschreitenden Beweistransfers zwischen den Mitgliedstaaten (s. oben § 3 II.). Viertens ist hier das Regime europäischer Zivilverfahrensrechtsakte (s. oben § 5 I.), und fünftens schließlich das supranationale Ermittlungsverfahren durch die Europäische Staatsanwaltschaft zu verorten (s. oben § 5 II.). Auch wenn die verschiedenen Bausteine sich wegen ihrer thematischen wie rechtlichen Vielfalt naturgemäß weder qualitativ noch quantitativ schematisch vergleichen lassen, deutet sich im Gesamtbild zudem möglicherweise eine gewisse Auseinanderentwicklung der vier untersuchten Kooperationsgebiete an, die die EU-Justizpolitik jenseits der Arbeit an den einzelnen Bausteinen zumindest weiterhin im Blick behalten sollte: Während zumindest für die Entwicklung europäischer Gerichtsentscheidungen und teilweise auch für die grenzüberschreitenden Wissensverwaltungsstrukturen der Gerichte und Justizbehörden, wo bei allen drei bzw. immerhin zwei der drei Bausteine nur noch in kleinerem Umfang Reformfragen zu diagnostizieren waren, bisher der richtige rechtspolitische Weg eingeschlagen worden zu sein scheint, wirken die Felder der europäischen Gerichts­ kommunikation und der europäischen Gerichtsverfahren mit dem fortbestehenden

I. Ergebnisse  

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umfassenden Handlungsbedarf aller vier Bausteine im Vergleich deutlich abgehängt. Vordergründig plausible Unterschiede – etwa das teils divergierende Alter der einzelnen Rechtsakte, oder ein unterschiedliches Maß an erforderlichem gegenseitigem Vertrauen für die entsprechenden Kooperationsbereiche – greifen als Erklärung insoweit zu kurz: So mag sich etwa der relative rechtspolitische Rückstand der im ersten und vierten Kapitel behandelten Bausteine zur europäischen Gerichtskommunikation und den europäischen Gerichtsverfahren gegenüber der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei Gerichts- und Behördenentscheidungen (drittes Kapitel) zwar hinsichtlich einzelner Regelungsbereiche – in ersterem Fall etwa des elektronischen Geschäftswegs, in letzterem Fall etwa der Europäischen Staatsanwaltschaft – offenkundig mit dem relativ jungen Alter beider Kooperationsphänomene gegenüber bis zu fünfzehn Jahren älteren Instrumenten wie der EuGVVO, der EuEheVO oder dem RB-Haftbefehl, und möglicherweise auch mit der gesteigerten Vertrauenssensibilität europäischer e-Justice und der EuStA gegenüber der dementsprechend seit längerem eingespielten Entscheidungsanerkennung im Rahmen der drei genannten Rechtsakte erklären lassen. Für die nach den oben erarbeiteten Erkenntnissen rechtspolitisch nicht weniger problematischen anderen Regelungsbereiche der Kommunikations- und Verfahrensbausteine lassen sich beide Erklärungen aber gar nicht, oder nur in sehr eingeschränktem Umfang heranziehen: Weder die Regelungen zum direkten Gerichts- und Behördenverkehr (erster Baustein), noch die Form-, Fristen- oder Kostenregelungen der Gerichts- und Behördenkommunikation (zweiter Baustein), noch schließlich die Verfahrensrechtsakte für grenzüberschreitende Zivilrechtsstreitigkeiten (neunter Baustein)  – genauso wenig übrigens wie die ebenfalls als rechtspolitisches Problemgebiet herausgearbeiteten Regelungen der EuBewVO zum zivilrechtlichen Beweistransfer (sechster Baustein) – sind signifikant jünger, oder erscheinen grundlegend anfälliger für Probleme des gegenseitigen Vertrauens als die Rechtsakte der Bausteine zur gegenseitigen Entscheidungsanerkennung; allesamt entstammen sie im Gegenteil den ersten Arbeiten des Unionsgesetzgebers zum europäischen Justizraum in den frühen oder mittleren 2000er Jahren, sind oftmals sogar (mit der Ausnahme der finanziellen Kosten der Gerichtskommunikation sowie der europäischen Zivilverfahrensrechtsakte, für die sich im Hinblick auf die finanziellen Belastungen für die Mitgliedstaaten bzw. die Abschaffung des ordre public-Vorbehalts wohl auch über die Thematik gegenseitigen Vertrauens nachdenken ließe) in denselben Rechtsakten geregelt wie die gegenseitige Anerkennung, und nehmen hier durchgehend eine stark untergeordnete, anerkennungsakzessorische Rolle ein, die kaum ein wesentlich höheres Niveau gegenseitigen Vertrauens erfordern dürfte als die gegenseitige Entscheidungsanerkennung selbst. Wenngleich, wie eingangs dargelegt, die Ursachenforschung hinsichtlich der Entwicklung der zehn Bausteine ausdrücklich nicht im Erkenntnisinteresse der Untersuchung lag, laden die obigen Befunde zumindest teilweise immerhin zu Spekulationen über etwaige strukturelle Ursachen für die Entwicklungsverzögerungen einzelner Kooperationsbereiche ein: Weshalb scheint etwa für viele Sekundärrechtsakte des bisher besonders problematischen ersten, zweiten und neunten Bausteins praktisch keine nennenswerte Anwendungspraxis

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

zu bestehen, und ist insbesondere auch vielen Rechtsanwendern offenbar ihre Existenz nicht bekannt? Bedingen die Schwierigkeiten bestimmter thematisch verwandter Bausteine – Kandidaten für eine solche Querverbindung wären etwa die Bausteine des ersten und des zweiten Kapitels zur europäischen Gerichtskommunikation und zum europäischen Gerichtswissen  – zumindest teilweise die Probleme der Zusammenarbeit in anderen Bausteinen? Inwieweit zeigt sich in der Auseinanderentwicklung der vier Kooperationsfelder und im relativen Erfolg des Regimes gegenseitiger Entscheidungsanerkennung möglicherweise auch das historische Erbe der in ihren frühen Jahren eher auf einem neofunktionalen Integrationskonzept beruhenden europäischen Justizpolitik, die angesichts der zu erwartenden politischen Widerstände der Mitgliedstaaten bewusst auf eine Politik schneller und pragmatischer Rechtsetzungsvorhaben auf der Basis des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung setzte, und sich für die Entwicklung der anderen Kooperationsbereiche stillschweigend eher auf informelle (und möglicherweise wegen der unterschätzten Beharrungskräfte der Mitgliedstaaten in dieser souveränitätssensiblen Materie bisher ausgebliebene) spill over-Effekte der Anerkennungsrechtsakte verließ, statt auch für andere Bereiche bewusst stärker ausdifferenzierte Regelungskonzepte zu entwickeln? Feststehen dürfte jedenfalls: Unter dem Strich scheint zu Beginn der angekündigten Konsolidierungsphase bestenfalls der Grundstein des europäischen Justizraums erfolgreich gelegt – auch in den nächsten Jahren wird dieser also eine rechtspolitische Großbaustelle bleiben müssen. Deutlich erkennbar ist aber immerhin auch, dass die EU-Justizpolitik diese Herausforderung engagiert anzunehmen begonnen hat: Für alle vier Kooperationsbereiche der grenzüberschreitenden Gerichts- und Behördenzusammenarbeit, die in der obigen Untersuchung thematisiert worden sind, hat sie in jüngster Zeit neue Rechtsetzungsinitiativen auf den Weg gebracht. Bei näherer Betrachtung finden sich derzeit konkrete (und teils sogar bereits abgeschlossene) Reformvorhaben für nicht weniger als acht der zehn Bausteine: Auf dem Gebiet europäischer Gerichtskommunikation hat zum einen der Rat eine neue Strategie für die Weiterentwicklung des europäischen ejustice-Programms beschlossen (erster Baustein);2 zum anderen hat die Kommission einen Verordnungsvorschlag für die Reform der grenzüberschreitenden Zustellung in Zivilverfahren lanciert (zweiter Baustein).3 Für die Wissensverwaltung 2 Rat der Europäischen Union, Strategie für die E-Justiz (2019–2023) (2019/C 96/04). Hier werden – freilich in eher allgemeiner Form – erstmals auch übergreifende allgemeine Grundsätze der europäischen E-Justiz formuliert: Insbesondere soll demnach die digitale Kommunikation mit Gerichten und Behörden durchgehend in den relevanten Rechtsakten auf nationaler und europäischer Ebene vorgesehen werden („standardmäßig digital“), zur Vermeidung re­ dundanter Verfahren möglichst dem Grundsatz der einmaligen Erfassung folgen, und möglichst anwenderfreundlich ausgestaltet sein, s. ebd., Schlussfolgerung Nr. 11. 3 Der Verordnungsentwurf zur Novelle der EuZustVO sieht neben der teilweisen Kodifikation der EuGH-Rechtsprechung zur bisherigen Verordnung einige echte Innovationen vor, etwa eine gemeinsame IT-Infrastruktur der Gerichte zur unionsweiten Abwicklung von Zustellungsersuchen, die Möglichkeit elektronischer Adressabfragen aus Wohnsitzregistern anderer Mitgliedstaaten, oder die unmittelbare elektronische Zustellung zwischen speziellen elektronischen Nutzerkonten; s. insbesondere Art. 8, 3a, 3c und 15a in Europäische Kommission, Vorschlag

I. Ergebnisse  

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der Gerichte und Justizbehörden liegt nicht nur ein Entwurf für ein Nachfolgeprogramm der Kommission zur Aus- und Fortbildung des Gerichtspersonals vor (dritter Baustein),4 sondern sind neben dem oben bereits erörterten Projekt der EPOCVerordnung über elektronische Beweismittel in Strafverfahren auch die Novellierung der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen in Angriff genommen (vierter Baustein),5 sowie eine Erweiterung des ECRIS-Systems für Strafregistereinträge von Drittstaatlern und ein neuer Interoperabilitätsrahmen mit einem „Europäischen Suchportal“ für den Zugriff auf die bestehenden Datenbanken der Union geschaffen worden (fünfter Baustein).6 Ebenso engagiert zeigt sich der Unionsgesetzgeber auf dem Feld europäischer Gerichtsentscheidungen: Neben einem noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Vorschlag für (inhaltlich weitgehend auf der Linie der Rom I- und II-Verordnungen liegende) Regelungen zum anwendbaren Recht bei grenzüberschreitenden Forderungsabtretungen in Zivil- und Handelssachen (sechster Baustein)7 ist hier die Reform der EuEheVO erfolgreich abgeschlossen worden (siebter Baustein).8 Für die Zusammenarbeit bei strafrechtlichen Entfür eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gericht­ licher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“), COM(2018) 379 final. 4 Die Eckdaten des Entwurfs – ein siebenjähriger Programmzeitraum von 2012–2027, ein Gesamtvolumen von 305 Millionen Euro, und ein weit gefasster Kreis förderungsfähiger Adressaten und Projekte – knüpfen dabei weitgehend an das im Grundsatz bewährte Vorläuferprogramm der Kommission aus dem Jahr 2011 an; s. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms „Justiz“, COM(2018), 384 final. 5 Der Verordnungsentwurf zur Reform der EuBewVO zielt, ähnlich wie das Reformprojekt hinsichtlich der EuZustVO (s. soeben § 6 I., Fn. 3), neben einer Erleichterung der praktischen Abwicklung von Beweisersuchen durch ein dezentrales IT-System vor allem auf eine erhebliche Effektuierung der unmittelbaren Beweisaufnahme der Gerichte in anderen Mitgliedstaaten: Insbesondere würden das Freiwilligkeitserfordernis bei derartigen Beweisaufnahmen abgeschafft und nach Ablauf einer 30-Tages-Frist die Zustimmung der dortigen Gerichte fingiert, die unmittelbare Beweisaufnahme durch Videokonferenzen gefördert, und darüber hi­ naus als flankierende Regelung das Beweisrecht der Mitgliedstaaten insoweit harmonisiert, als per Videokonferenz erhobenen Beweisen „nicht allein wegen ihres digitalen Charakters die Anerkennung als Beweismittel verweigert werden darf“; s. im Einzelnen insbesondere Art. 6, 17, 17a und 18a des Entwurfs in Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, COM(2018) 378 final, sowie allgemein zum Verordnungsentwurf den Überblick bei Knöfel, RIW 2018, S. 712 ff. 6 S. die VO (EU) 2019/816 (ABl. L 135, S. 1), bzw. die VO (EU) 2019/818 (ABl. L 135, S. 85). 7 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, COM(2018), 96 final. 8 S. insoweit die neue VO (EU) 2019/1111 (ABl. L 178, S. 1) (mit Überblick bei Erb-Klünemann / Niethammer-Jürgens, FamRB 2019, S. 454 ff.). Zentrale Elemente der Reform sind eine verfahrensrechtliche Ausdifferenzierung der unmittelbaren grenzüberschreitenden Verweisungs-

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

scheidungen (achter Baustein) finden sich sogar gleich drei neue Rechtsakte, nament­lich novellierte Vorschriften zur gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen (nebst weitgehend identischen Regeln für Sicherstellungsentscheidungen)9 sowie Reformen der unionsrechtlichen Harmonisierungen der materiellen Vorschriften über die Strafbarkeit der Geldwäsche und des Betrugs mit unbaren Zahlungsmitteln.10 Auf dem Gebiet europäischer Gerichtsverfahren schließlich hat die Kommission die Ausweitung der Kompetenzen der Europäischen Staatsanwaltschaft auf Terrorismusstraftaten angeregt (zehnter Baustein).11 Auch wenn nicht alle der neuen Projekte schon immer ganz den oben herausgearbeiteten Reformbedarf der jeweiligen Bausteine zu reflektieren scheinen, und ebenso wenig feststeht, ob die zahlreichen verschiedenen Gesetzgebungsverfahren tatsächlich am Ende erfolgreich abgeschlossen werden können: Zumindest im Moment liegt, rund zwei Jahrzehnte nach dem Tampere-Gipfel, mit dem Beginn der Konsolidierungsphase des europäischen Justizraums zumindest wieder der Hauch einer neuen Aufbruchstimmung in der Luft.

II. Ausblick: Die europäische Justizpolitik vor einer Krise des gegenseitigen Vertrauens? Dennoch bleibt bei einem die Untersuchung abschließenden Ausblick – mit dem nochmals der Bogen zu den einleitenden Ausführungen zum gegenseitigen Vertrauen (s. oben § 1 I.) geschlagen werden soll – auch festzuhalten, dass das Projekt des europäischen Justizraums mittelfristig vor einer unsichereren Zukunft steht als je zuvor seit dem Tampere-Gipfel von 1999. Gerade im Vergleich mit den zu Bemöglichkeit in Kindschaftsverfahren, wenn die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats besser zur Entscheidung geeignet erscheinen (Art. 12, 13) und die weitgehend der EuGVVO nachgebildete Abschaffung des Exequaturverfahrens für kindschaftsrechtliche Entscheidungen (Art. 34). Für bestimmte sogenannte „privilegierte“ Entscheidungen, namentlich über das Umgangsrecht und die Rückgabe rechtswidrig in einen anderen Mitgliedstaat verbrachter Kinder, werden die Rechtsschutzgründe im Vollstreckungsmitgliedstaat sogar über das Vorbild der EuGVVO hinaus strikt auf die Unvereinbarkeit mit einer vorherigen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats beschränkt (Art. 42 ff.). Die neuen Regelungen werden das bisherige EuEheVO-Regime im August 2022 ablösen (Art. 104 Abs. 1). 9 VO (EU) 2018/1805 (ABl. L 303, S. 1). Für Überblicke zur Reform s. Brodowski, ZIS 2019, S. 602 (609); Ochnio, NJECL 9 (2018), S. 432 ff. 10 S. nunmehr die RL (EU) 2018/1673 (ABl. L 284, S. 22), bzw. die RL (EU) 2019/713 (ABl. L 123, S. 18). 11 Hier hatte die Kommission bereits während der laufenden Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft die Initiative ergriffen, und insoweit auch bereits einen Vorschlag für die gegebenenfalls erforderliche Änderung des Art. 86 Abs. 4 AEUV vorgelegt; s. Europäische Kommission, Mitteilung […]: Ein Europa, das schützt: Eine Initiative zur Ausweitung der Zuständigkeiten der Europäischen Staatsanwaltschaft auf grenzüberschreitende terroristische Straftaten, COM(2018), 641 final. Im (nach Art. 86 Abs. 4 AEUV vorab zu befassenden) Europäischen Rat fanden diese Pläne allerdings keine Resonanz, sodass das Vorhaben wohl derzeit als vorläufig gescheitert gelten darf.

II. Ausblick  

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ginn der Untersuchung skizzierten Anfängen des Justizraums lässt sich kaum übersehen, wie sehr sich die Rahmenbedingungen seit dem damaligen „Aufbruch nach Europa“ gewandelt haben: Vom prinzipiellen Integrationsoptimismus der späten 1990er und frühen 2000er Jahre scheint derzeit wenig übrig; stattdessen lassen gleich mehrere Mitgliedstaaten seit etwa der Mitte der 2010er Jahre teils dramatische Krisenphänomene hinsichtlich grundlegender rechtsstaatlicher Strukturen, und insbesondere ernsthafte Probleme der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit ihres Gerichts- und Behördensystems von der Exekutive erkennen. Mittlerweile sind gegen gleich zwei Mitgliedstaaten sogar förmliche Verfahren nach Art. 7 EUV eingeleitet worden: Zunächst initiierte die Europäische Kommission ein entsprechendes Rechtsstaatlichkeitsverfahren im Hinblick auf diverse Justizreformen in Polen.12 Im Jahr 2018 folgte sodann, nachdem die Kommission von der Einlei 12 Gegenstand des Rechtsstaatlichkeitsverfahrens gegen Polen (Europäische Kommission, Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Republik Polen, COM[2017] 835 final; zu den vorausgehenden Abhilfeversuchen der Kommission Möllers / Schneider, Demokratiesicherung in der Europäischen Union, 2018, S. 73 ff.; Hummer, EuR 2018, S. 653 [655 ff.]; Nickel, EuR 2017, S. 663 [670 ff.]) ist zum einen eine Reihe von Reformen der Organisation des polnischen Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahr 2016 (insbesondere hinsichtlich der Zusammensetzung des Verfassungsgerichts, der Veröffentlichung seiner Urteile, und der Ernennung seiner Präsidentin: ebd., Rn. 91 ff., 97 ff., 102 ff.; s. ausführlich Czarny, OstEuR 2018, S. 5 ff.; De Vries, WiRO 2018, S. 105 [105 ff.], sowie allgemein zur Demontage der Verfassungsgerichtsbarkeit als typischem Auftakt derartiger rechtsstaatlicher Erosionsprozesse Huber, Der Staat 56 [2017], S. 389 [390 ff.]), und zum anderen ein Reformpaket aus dem Jahr 2017, mit dem weitreichende Neuregelungen über das Oberste Gericht und die ordentlichen Gerichte des Instanzenzuges vorgenommen wurden (Überblicke zu den einzelnen Maßnahmen bei Möllers / Schneider, Demokratiesicherung in der Europäischen Union, 2018, S. 76 ff.; Voßkuhle, NJW 2018, S. 3154 [3154 f.]; Venohr, DRiZ 2018, S. 60 [60]; im Detail De Vries, WiRO 2018, S. 105 [107 ff.] sowie WiRO 2018, S. 129 [129 ff.]; Niezgódka, NJ 2017, S. 360 [360 ff.]): Im Einzelnen wird die Zwangspensionierung der Richter des Obersten Gerichts, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, sowie die Neubesetzung der freiwerdenden Richterstellen durch den polnischen Staatspräsidenten angeordnet, der die Ernennung auf der Grundlage von Empfehlungen des neu zusammengesetzten „Landesrats für Gerichtswesen“ vornimmt, dessen richterliche Mitglieder ihrerseits nicht länger von richterlichen Selbstverwaltungsgremien, sondern durch das Parlament ernannt werden (ebd., Rn. 115 ff., m. w. N. – wie in der Regel auch bei den nachfolgenden Bestandteilen der Reformen – zu den Gutachten der Venedig-Kommission des Europarats sowie teilweise weiterer Gremien, die insoweit regelmäßig eklatante Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit und andere rechtsstaatliche Grundsätze feststellen). Von dem herabgesetzten Pensionsalter betroffene Richter des Obersten Gerichts können zudem den Staatspräsidenten um eine Verlängerung des aktiven Dienstes ersuchen, der darüber nach freiem Ermessen und ohne Fristen- oder sonstige Verfahrensvorgaben entscheiden, und maximal zwei Verlängerungen um jeweils drei Jahre gewähren kann (ebd., Rn. 123 ff.). Weiterhin wird ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Überprüfung bereits rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen installiert, der die Aufhebung von Entscheidungen ermöglicht, die in den letzten 20 Jahren von den Instanzgerichten getroffen worden sind; eine Aufhebung, die zum Beispiel durch den Generalstaatsanwalt beantragt werden kann, kommt demnach unter anderem dann in Betracht, wenn „die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit“ dies erfordert (ebd., Rn. 128 ff.). Daneben werden neue Disziplinarregelungen am Obersten Gericht eingeführt: Neben der Abschaffung verschiedener Verfahrensgarantien in Disziplinarverfahren

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

tung eines weiteren Verfahrens zunächst abgesehen hatte, eine Entschließung des Europäischen Parlaments zur Durchführung eines Verfahrens nach Art. 7 EUV gegen Ungarn.13 Für „die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne wird insbesondere das Amt eines „außerordentlichen Disziplinarbeauftragten“ geschaffen, der für einzelne disziplinarrechtliche Fälle vom Staatspräsidenten ohne Beteiligung richterlicher Gremien ernannt werden kann, und dann anstelle des vom Kollegium des Obersten Gerichts gewählten Disziplinarbeauftragten das Disziplinarverfahren gegen Richter des Obersten Gerichts führt, sowie für entsprechende Rechtsstreitigkeiten eine neue Disziplinarkammer errichtet, die sich ausschließlich aus neu (d. h. unter maßgeblichem Einfluss der aktuellen parlamentarischen Mehrheit) ernannten Richtern zusammensetzt (ebd., Rn. 133 ff.). Weitere Reformen betreffen den Landesrat für Gerichtswesen, dem bei dienstrechtlichen Entscheidungen wie der Beförderung oder Versetzung von Richtern weitreichende Mitwirkungsrechte zukommen: Parallel zur vorzeitigen Beendigung der Amtszeit der bisherigen richterlichen Mitglieder des Landesrats wird das soeben im Zusammenhang mit dem Obersten Gericht genannte Ernennungsverfahren für die freiwerdenden Stellen geschaffen, das maßgeblich dem Sejm die Auswahl der richterlichen Mitglieder überantwortet (ebd., Rn. 137 ff.). Zudem wird die Organisation der ordentlichen Gerichte in weitem Umfang modifiziert: Auch hier wird zunächst das Pensionsalter auf 60 (Richterinnen) bzw. 65 Jahre (Richter) herabgesetzt, und dem Justizminister ein weit gefasstes Ermessen eingeräumt, individuelle Verlängerungen bis zum Alter von 70 Jahren zu genehmigen (ebd., Rn. 146 ff.). Ebenso wird dem Justizminister die Befugnis übertragen, ohne inhaltliche Voraussetzungen oder Rechtsschutzgewährleistungen die (sowohl mit Rechtsprechungs- als auch Gerichtsverwaltungsaufgaben betrauten) Präsidenten der Gerichte abzusetzen, und einen neuen Gerichtspräsidenten auszuwählen (ebd., Rn. 151 ff.). Ferner kann der Justizminister die Kürzung der Bezüge derjenigen Gerichtspräsidenten verfügen, an deren Gerichten er (nicht näher spezifizierte) „Missstände“ identifiziert (ebd., Rn. 163). Abschließend werden dem Justizminister zugleich das Amt des Generalstaatsanwalts übertragen, und darüber hinaus zahlreiche Kompetenzerweiterungen bis hin zu unmittelbaren Eingriffsbefugnissen in einzelne Ermittlungsverfahren vorgenommen (ebd., Rn. 169 f.). 13 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. September 2018 zu einem Vorschlag, mit dem der Rat aufgefordert wird, im Einklang mit Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union festzustellen, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Werte, auf die sich die Union gründet, durch Ungarn besteht (ABl. 2019, C 433, S. 66). Das Art. 7-Verfahren gegen Ungarn (Überblick etwa bei Voßkuhle, NJW 2018, S. 3154 [3155]) betrifft über Fragen des Gerichtssystems hinaus eine Vielzahl möglicher Verstöße gegen die Grundwerte der Union (s. im Einzelnen die Anlage zur Entschließung: Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Werte, auf die sich die Union gründet, durch Ungarn, im Einklang mit Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union [ABl. 2019, C 433, S. 69], Rn. 7 ff.). Im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit und weitere Organisationsfragen des Gerichtssystems rügt das Europäische Parlament konkret insbesondere das problematische Verhältnis zwischen dem Nationalen Richterrat als justiziellem Selbstverwaltungsorgan und dem Nationalen Justizamt, einer im Rahmen umfangreicherer Reformen im Jahr 2011 eingeführten Behörde, dessen (vom ungarischen Parlament gewähltem) Präsidenten trotz zwischenzeitlicher kleinerer Änderungen weiterhin grundsätzlich die Befugnis zukommt, Ermessensentscheidungen über Versetzungen und Zuweisungen von Richtern zu treffen, dem ungarischen Staatspräsidenten Empfehlungen hinsichtlich der Ernennung und Entlassung der Gerichtspräsidenten zu unterbreiten, sowie in Disziplinarverfahren gegen einzelne Richter mitzuwirken (ebd., Rn. 12 f.). Parallel zum Verfahren gegen Polen werden zudem auch hier die Vorschriften über die altersbedingte Versetzung von Richtern in den Ruhestand gerügt; nachdem der EuGH zunächst im Jahr 2012 die damaligen Ruhestandsvorschriften, denen zufolge u. a. Richter und Staatsanwälte mit Vollendung des 62. Lebensjahres aus dem Dienst auszuscheiden hatten, für unionsrechtswidrig befunden

II. Ausblick  

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Binnengrenzen“ – insoweit sei nochmals an die Formulierungen der politischen Akteure und des EuGH zu Beginn der Untersuchung erinnert – der fundamental auf dem gegenseitigen Vertrauen in die „Unabhängigkeit, Qualität und Leistungsfähigkeit der Justizsysteme und [die] Achtung des Rechtsstaatsprinzips“ und auf der „Prämisse [beruht], dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt […], auf die sich [nach Art. 2 EUV] die Union gründet“,14 liegt in dieser Entwicklung eine existentielle Gefährdung: Anders, als dies in allen bisherigen Debatten über das gegenseitige Vertrauen seit dem Tampere-Programm von 1999 der Fall gewesen ist, stehen hier nicht mehr allenfalls punktuelle Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Gerichte anderer Mitglied­ staaten im Zusammenhang mit einzelnen besonders weitreichenden Sekundärrechtsakten, oder schlimmstenfalls zwar etwas grundsätzlichere, aber oft auch eher generalverdachtsartige und diffus bleibende Vermutungen über (vermeintliche) rechtsstaatliche Defizite der dortigen Gerichts- und Behördensysteme in Rede, sondern der planvolle und systematische, politisch motivierte, und auch kaum mehr verschleierte Rückbau zentraler Säulen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie insgesamt, wie er in der Europäischen Union noch vor wenigen Jahren schlechthin nicht mehr vorstellbar schien. Wo in der Vergangenheit selbst bei Marksteinen auf dem Weg zum europäischen Justizraum – etwa: beim Erlass des RB-Haftbefehl in den frühen 2000er Jahren, bei der Abschaffung des ordre public-Vorbehalts in den Verfahrensrechtsakten für grenzüberschreitende Zivilrechtsstreitigkeiten in den mittleren 2000er Jahren, bei der EuGVVO-Reform und der Abschaffung des Exequaturverfahrens oder der Diskussion um effektiven Grundrechtsschutz gegenüber grenzüberschreitenden strafrechtlichen Entscheidungen vor dem Aranyosi-Urteil in den frühen 2010er Jahren,15 beim Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens über die EuStA in den späten 2010er Jahren – zwar intensiv, aber letztlich eben auch immer nur um die Reichweite und Belastbarkeit des gegenseitigen Vertrauens im Rahmen konkreter und nuancierter rechtlicher Einzelregelungen gerungen wurde, stehen hier stattdessen ein offener Angriff auf grundlegende rechtsstaatliche Postulate wie die richterliche Unabhängigkeit, und die faktische Unterwerfung gesamter einzelstaatlicher Gerichts- und Behördensysteme unter bestimmte politische Interessen im Raum. Ein direkterer Angriff gleichsam mitten in das Herz des gegenseitigen Vertrauens, wie es seit dem Tampere-Gipfel immer wieder als zentrale hatte (Rs. C-286/12 [Kommission / Ungarn], EU:C:2012:687, Rn. 48 ff.), traf der ungarische Gesetzgeber zwar Regelungen für die Rückkehr der ausgeschiedenen Richter in den Dienst, die aber in der Praxis oftmals unter anderem deshalb ins Leere liefen, weil die fraglichen Stellen zwischenzeitlich schlicht anderweitig besetzt worden waren (ebd., Rn. 15). Ferner nimmt das Europäische Parlament die fehlende Umsetzung zweier EGMR-Urteile zur Verfahrensdauer in Zivilrechtsstreitigkeiten bzw. zur Amtsenthebung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs (ebd., Rn. 16 f.), und die als zu intransparent kritisierten Regelungen über die Organisation der Staatsanwaltschaften in den Blick, letzteres insbesondere hinsichtlich der politischen Abhängigkeit des Generalstaatsanwalts sowie der Zuweisung und Entziehung spezifischer Verfahren zu den einzelnen Staatsanwälten (ebd., Rn. 19). 14 S. bereits oben unter § 1 I., Fn. 20. 15 S. stellvertretend die Nachweise oben in § 4 III. 3., Fn. 133.

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

Grundlage der Gerichtszusammenarbeit hervorgehoben worden ist, scheint kaum vorstellbar. Bahnt sich vor diesem Hintergrund also am integrationspolitischen Horizont möglicherweise eine tiefergehende Krise des gegenseitigen Vertrauens im europäischen Justizraum an? Zumindest verdichten sich bei näherer Betrachtung mittlerweile die Indizien, dass diese rechtsstaatlichen Erosionsprozesse tatsächlich zu grundsätzlicheren Schwierigkeiten des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Gerichten zu führen beginnen. So hat als bisher deutlichstes Anzeichen einer möglichen Vertrauenskrise den EuGH im Jahr 2018 erstmals ein konkretes Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts erreicht, ob und in welchem Umfang die Kooperationspflichten des Sekundärrechts auch gegenüber Mitgliedstaaten mit rechtsstaatlichen Defiziten gelten oder einseitig ausgesetzt werden können: Konkret hat der irische High Court dem Gerichtshof im Hinblick auf von polnischen Gerichten ausgestellte europäische Haftbefehle die Fragen vorgelegt, ob eine Ablehnung der Vollstreckung bei „stichhaltige[n] Beweise[n], dass die Verhältnisse im Ausstellungsmitgliedstaat mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren unvereinbar sind, weil in diesem Mitgliedstaat selbst das Justizsystem nicht mehr nach dem Rechtsstaatsprinzip funktioniert“, möglich sei, und ob bei systemischen Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit die „vollstreckende Justizbehörde verpflichtet [sei], die ausstellende Justizbehörde um jede weitere notwendige Information zu ersuchen, die es [ihr] gestatten könnte, die Gefahr eines unfairen Verfahrens auszuschließen, und […] welche Garantien für ein faires Verfahren […]“ in diesem Fall für eine Anerkennung und Vollstreckung des Haftbefehls erforderlich seien.16 Auch legen umfangreiche statistische Erhebungen der Kommission aus dem Jahr 2018 nahe, dass das gegenseitige Vertrauen in die Unabhängigkeit und rechtsstaatliche Integrität der Gerichte und Justizbehörden offenbar längst nicht mehr in allen Mitgliedstaaten als selbstverständlich unterstellt werden kann: So wird bei der Frage nach der subjektiv wahrgenommenen Unabhängigkeit der (Zivil-)Gerichte unter den im Rahmen des Eurobarometers befragten Unionsbürgern – wobei allerdings eine offene Frage bleibt, inwieweit sich diese Befunde auch auf die Rechtspraktiker der Mitgliedstaaten übertragen lassen – lediglich für neun Mitgliedstaaten ein Wert von über 75 % der Befragten ermittelt, die die nationalen Gerichte für unabhängig hielten (Dänemark, Finnland, Österreich, Niederlande, Schweden, Irland, Deutschland, Luxemburg und Großbritannien); weitere acht Mitgliedstaaten (Belgien, Estland, Griechenland, Frankreich, Zypern, Litauen, Tschechien und Rumänien) erzielten immerhin noch Werte zwischen 50 % und 75 %. In allen anderen Mitgliedstaaten zweifelten demgegenüber mindestens die Hälfte (Portugal, Ungarn, Lettland, Malta, Polen, Spanien, Slowenien und Italien) oder sogar mehr als drei Viertel der Befragten (Bulgarien, Slowakei, Kroatien) die Unabhängigkeit der eigenen Gerichte an. Diejenigen befragten 16

S. – auch im Hinblick auf die Antwort des EuGH und die von ihm entwickelten Prüfpflichten der vollstreckenden Justizbehörden – die (bereits oben in § 4 III. 3., Fn. 139 thematisierte) Vorabentscheidung in EuGH, Rs. C-216/18 PPU (LM), EU:C:2018:586, Rn. 25, und die dort zitierten Entscheidungsbesprechungen.

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Unionsbürger, die ihren Gerichten einen Mangel an Unabhängigkeit attestierten, begründeten dies in etwa gleichem Umfang mit Einflussnahmen durch staatliche und politische Akteure (insbesondere Kroatien, für über ein Viertel der Befragten auch in der Slowakei, Bulgarien, Slowenien, Italien, Spanien, Polen, Lettland, Portugal, Rumänien, Litauen, Tschechien und Griechenland) sowie durch private, etwa wirtschaftliche Akteure (auch hier vor allem Kroatien, sowie mit Werten von über 25 % auch die Slowakei, Bulgarien, Slowenien, Italien, Spanien, Lettland, Portugal, Polen, Rumänien und Griechenland). Eine ebenfalls substantielle Rolle scheint ferner die Wahrnehmung fehlender institutioneller Sicherungen der richterlichen Unabhängigkeit zu spielen (jeweils für 25 % bis 50 % der Befragten in Kroatien, der Slowakei, Bulgarien, Slowenien, Italien, Portugal, Spanien, Polen und Lettland).17 Bei alledem ist zwar auch in Erinnerung zu rufen: Bisher handelt es sich bei diesen Beobachtungen noch eher um erste Indizien, die differenzierter im Kontext verschiedener, jeweils deutlich gegenläufiger Entwicklungen zu würdigen wären, bevor wirklich zuverlässig Symptome einer systemischen Krise des gegen 17

S. (zu diesen und den nachfolgenden Zahlen) Europäische Kommission, Mitteilung […]: EU-Justizbarometer 2018, COM(2018) 364 final, Teil 2/2, S. 49 ff. (sowie zu neueren, inhaltlich aber – allenfalls mit der Tendenz zu einer abermaligen leichten Verschlechterung – weitgehend vergleichbaren Werten: Europäische Kommission, Mitteilung […]: EU-Justizbarometer 2019, COM[2019] 198 final, S. 55 ff.). In einer parallelen Befragung binnenmarktrelevanter Wirtschaftsakteure fiel das Ergebnis – wobei allerdings durchgehend rund 20 %, in Einzelfällen (insbesondere Estland und Ungarn) auch bis zu 40 % der Befragten keine Angaben machen konnten  – nochmals problematischer aus: Hier nahmen lediglich in sieben Mitgliedstaaten (Däne­mark, Finnland, Deutschland, Schweden, Irland, Luxemburg, und – allerdings bei massiven Schwankungen zwischen 2016 und 2018 – Österreich) mehr als drei Viertel der Befragten die Gerichte als unabhängig wahr, und in sechs weiteren Mitgliedstaaten (Niederlande, Großbritannien, Malta, Zypern, Litauen und Frankreich) mehr als die Hälfte. In insgesamt dreizehn Mitgliedstaaten – also in fast der Hälfte der Mitgliedstaaten des europäischen Justizraums – lag die positive Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Gerichte zwischen 25 % und 50 % (Portugal, Belgien, Estland, Griechenland, Spanien, Rumänien, Tschechien, Lettland, Polen, Ungarn, Bulgarien, Slowenien und Italien), und in Kroatien und der Slowakei sogar noch unter 25 %. Sowohl der politische als auch der wirtschaftliche Einfluss auf die Gerichte wurde hier entsprechend stärker wahrgenommen; bei ersterem lag der Wert sogar für drei Mitgliedstaaten (Slowakei, Kroatien und Slowenien) über der Hälfte der Befragten, und für weitere zehn Mitgliedstaaten bei mindestens einem Viertel (Italien, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Lettland, Tschechien, Griechenland, Frankreich, Polen und Portugal), bei letzterem in zwei Mitgliedstaaten (Kroatien und Slowenien) über 50 %, und in ebenfalls zehn Mitgliedstaaten bei mindestens 25 % (Italien, der Slowakei, Bulgarien, Rumänien, Lettland, Tschechien, Spanien, Frankreich, Polen und Griechenland). Auch hier wurden zudem weitreichend fehlende institutionelle Vorkehrungen als Grund für den Mangel an wahrgenommener richterlicher Unabhängigkeit angeführt (namentlich von mindestens einem Viertel der Befragten in Kroatien, der Slowakei, Slowenien, Bulgarien, Italien, Lettland, Rumänien, Griechenland, sowie erstaunlicherweise in besonderem Maße in Spanien und Frankreich). Etwas weniger problematisch, aber wohl auch weitaus weniger aussagekräftig sind schließlich die Zahlen zur eigenen Wahrnehmung der Unabhängigkeit durch die Richter der Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Befragung von gut 11 000 Richtern durch das Europäische Netz der Räte für das Justizwesen: Hier schneidet auf einer Skala von 0 (geringe Unabhängigkeit) bis 10 (hohe Unabhängigkeit) lediglich Lettland mit 7 ab, und erzielen alle anderen Mitgliedstaaten Durchschnittswerte von 8 oder 9.

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

seitigen Vertrauens diagnostiziert werden könnten – etwa: der offenbar prinzipiell fortbestehenden Bereitschaft der Gerichte, selbst bei fundamentalen rechtsstaat­ lichen Defiziten anderer Mitgliedstaaten in grundrechts- und vertrauenssensiblen Rechtsgebieten Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, statt schlicht unilateral den Vollzug zu verweigern, bzw. dem teilweise auch in den Kommissionsstudien weitaus höheren Zutrauen der Unionsbürger einiger Mitgliedstaaten in die Unabhängigkeit ihrer Gerichte (sowie dem interessanterweise fehlenden Zusammenhang der Problembefunde mit grundlegenden rechtsstaatlichen Erosionsprozessen in Mitgliedstaaten, wo jene bisher nicht annähernd in demselben Maße stattfinden wie in Polen und Ungarn). Auch sind zumindest die gröbsten rechtsstaatlichen Exzesse derzeit auf Polen und Ungarn beschränkt (und insoweit auch der jeweiligen individuellen innenpolitischen Konstellation beider Mitgliedstaaten geschuldet, die nicht zwangsläufig von Dauer sein muss),18 und werden die dortigen Entwicklungen von den anderen Mitgliedstaaten bislang scharf kritisiert. Nicht zuletzt gilt auch: Die Diagnosen von Krisen des gegenseitigen Vertrauens sind im Grunde so alt wie der europäische Justizraum selbst.19 Dennoch wird die EU-Justizpolitik in der bevorstehenden Konsolidierungsphase über die beschriebenen rechtspolitischen Arbeitsaufträge hinaus zugleich zumindest Vorsorge treffen müssen, das gegenseitige Vertrauen als gemeinsames Fundament aller zehn Bausteine gegenüber der möglicherweise heraufziehenden Krise des gegenseitigen Vertrauens zu festigen. Konkret geht damit eine doppelte Aufgabe einher: Eine erste Herausforderung wird darin liegen, soweit wie möglich zumindest die Symptome einer etwaigen Vertrauenskrise einzudämmen und (jeweils zusätzlich zu den oben erarbeiteten rechtspolitischen Arbeitsaufträgen) baustein- und rechtsgebietsübergreifend die Widerstandsfähigkeit des Justizraums gegenüber Zweifeln der Mitgliedstaaten und ihrer Gerichte am gegenseitigen Vertrauen zu erhöhen, also die Krisenfestigkeit der bereits bestehenden oder etwaiger neuer Rechtsakte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu stärken.20 Hierfür finden sich bei näherer Betrachtung durchaus bereits differenzierte (und teilweise auch erprobte) Instrumente im Werkzeugkasten der europäischen Justizpolitik, die in den nächsten Jah 18

Wenngleich sie sich sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene in ein breiteres Narrativ einfügen, das die Diskreditierung der Rechtsordnung einschließlich der zu ihrer Durchsetzung berufenen staatlichen Institutionen als vermeintlich demokratische Gegenbewegung gegenüber einer vermeintlich politischen Justiz vorantreibt; so Voßkuhle, NJW 2018, S. 3154 (3156 f.) m. w. N.; ähnlich auch Möllers, ZRP 2020, S. 27 (30); außerdem Braum, KritV 2018, S. 185 ff. („Möglicherweise markiert das Jahr 2018 einen Zeitpunkt, zu dem diese Erosion […] die Systemebene erfasst. [Es geht] um die Zerstörung des demokratischen Rechtsstaats selbst“; S. 185). Zu den Ansteckungsgefahren der polnischen Rechtsstaatskrise für andere Mitgliedstaaten auch Mattern / Matczak, DRiZ 2019, S. 132 (132 f.). 19 S. zur Kritik am Grundsatz gegenseitigen Vertrauens als Legitimation der Zusammenarbeit im europäischen Justizraum bereits die zu Beginn der Untersuchung in § 1 I., Fn. 11 aufgeführten Nach­weise. 20 So sieht etwa auch Voßkuhle, NJW 2018, S. 3154 (3155) die Gefahr „erhebliche[r] Funktionsdefizite“ in den auf dem gegenseitigen Vertrauen beruhenden Bereichen der Unionsrechtsordnung, wo dieses Vertrauen infolge der rechtsstaatlichen Krisenerscheinungen abzunehmen beginnt.

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ren verstärkt zum Einsatz gebracht werden könnten: So bestehen etwa bereits jetzt im Sekundärrecht rechtliche Bauformen – zum Beispiel ordre public-Vorbehalte und ähnliche, oftmals durch differenzierte prozedurale Abstimmungspflichten ergänzte Prüfbefugnisse des Vollstreckungsmitgliedstaats, Unterrichtungs- und Konsultationspflichten, oder punktuelle Harmonisierungen von Verfahrensstandards auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 2 lit. f) (wie etwa bei den Zustellungsregelungen der EuVTVO und EuMVVO)21 und Art. 82 Abs. 2 UA 2 AEUV (wie etwa bei den Rahmenbeschlüssen und Richtlinien über Verfahrensrechte im Strafverfahren)22 – die grundsätzlich für alle zehn Bausteine (möglicherweise auch nur für eine Übergangszeit) auf vertrauenssensible Kooperationsregelungen ausgeweitet werden könnten.23 Auch dürfte der Unionsgesetzgeber oftmals sein bisher eher undifferen 21

S. oben § 5 I. 1., Fn. 6 (EuVTVO) bzw. § 5 I. 2., Fn. 15 (EuMVVO). Zu den entsprechenden Rechtsakten s. im Einzelnen m. w. N. oben § 4 III. 1., Fn. 105 bis 109. 23 S. zunächst nochmals die oben in § 1 I., Fn. 11 angeführten Überlegungen zur sekundärrechtlichen Operationalisierung des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens, die vor dem Hintergrund der hier geschilderten Entwicklung von besonderer Aktualität sind. Konkrete, dogmatisch ohne weiteres anschlussfähige Beispiele für entsprechende Regelungen finden sich etwa in der bereits in § 3 II. 2., Fn. 70 thematisierten Grundrechtsklausel der EEA-Richtlinie, sowie neuerdings in der vergleichbaren (und wohl davon inspirierten) Regelung des Art. 19 der neuen VO (EU) 2018/1805 (ABl. L 303, S. 1) über die Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen, dem zufolge die Anerkennung und Vollstreckung nach Konsultationen mit der Behörde des Entscheidungsmitgliedstaats versagt werden kann, „wenn in Ausnahmefällen aufgrund genauer und objektiver Angaben berechtigte Gründe zu der Annahme bestehen, dass die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung unter den besonderen Umständen des Falles die offensichtliche Verletzung eines in der Charta verankerten relevanten Grundrechts, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, des Rechts auf ein faires Verfahren oder des Rechts auf Verteidigung zur Folge hätte“. Auch die (bei Bedarf wohl schlicht kodifizierbare) Rechtsprechung des EuGH hat diese Richtung, wie oben in § 4 III. 3., Fn. 137 ff. dargelegt, in der Aranyosi-Entscheidung und der daran anknüpfenden Rechtsprechung zur Nachprüfung strafrechtlicher Entscheidungen bei möglichen Grundrechtsverstößen grundsätzlich eingeschlagen; konkret gilt dies gerade auch für die Problematik systematischer rechtsstaatlicher Defizite, wenn der Gerichtshof in der Entscheidung über das soeben geschilderte Vorabentscheidungsersuchen des irischen High Court (Rs. C-216/18 PPU [LM], EU:C:2018:586) davon spricht, die Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats könnten die Anerkennung eines europäischen Haftbefehls (zur Strafverfolgung) versagen, „wenn sie über Anhaltspunkte – wie diejenigen in einem begründeten Vorschlag der Europäischen Kommission nach Art. 7 Abs. 1 EUV – dafür [verfügen], dass wegen systemischer oder allgemeiner Mängel in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz des Ausstellungsmitgliedstaats eine echte Gefahr der Verletzung des in Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbürgten Grundrechts auf ein faires Verfahren besteht“ [und „konkret und genau“ geprüft haben], ob es in Anbetracht der persönlichen Situation dieser Person sowie der Art der strafverfolgungsbegründenden Straftat und des Sachverhalts, auf denen der Europäische Haftbefehl beruht, und unter Berücksichtigung der Informationen, die der Ausstellungsmitgliedstaat gemäß Art. 15 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in geänderter Fassung mitgeteilt hat, ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die besagte Person im Fall ihrer Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat einer solchen Gefahr ausgesetzt sein wird“ (ebd., LS). Dass dieser Grundgedanke gestufter prozeduraler Pflichten der beteiligten Gerichte nicht auf die Anerkennung von Entscheidungen beschränkt bleiben muss, sondern prinzipiell für eine Vielzahl von Konstellationen ausdifferenziert werden kann, zeigt die Entscheidung in der Rs. C-296/10 (Purrucker II), 22

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

ziertes Spiel auf der primärrechtlichen Klaviatur noch verfeinern, und mittels der dort bereits vorhandenen, zuletzt aber vernachlässigten Verfahrensmechanismen im legislativen Prozess von Fall zu Fall (wieder) deutlich effektiver um das Vertrauen der Mitgliedstaaten werben können: So könnten hier potentiell vertrauensfördernde Dialoginstrumente wie die seit dem Stockholmer Programm von 2010 weitgehend verkümmerten Strategischen Leitlinien des Europäischen Rates (Art. 68 AEUV)24 oder der Subsidiaritätsdialog mit den nationalen Parlamenten (Art. 69 AEUV)25 für eine problembewusstere Kommunikation über das gegenseiEU:C:2010:665, Rn. 80 ff., wo entsprechende Informations- und Kommunikationsregeln vom Gerichtshof für die Koordinierung grenzüberschreitender Parallelverfahren entwickelt wurden (s. ausführlich bereits oben § 4 II. 3., Fn. 73). 24 Auch wenn hier wegen der Breite anderer dringlicher Themen im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ einerseits, und der notwendigen Zustimmung von Mitgliedstaaten wie Polen und Ungarn zu einem entsprechenden Programmdokument andererseits aktuell vielleicht keine fundamentalen neuen Impulse zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens zu erwarten wären, bleibt dennoch unverständlich, weshalb der Europäische Rat die Tradition des Tampere-, Haager und Stockholm-Programms offenbar aufgegeben und bei der Politikentwicklung im RFSR im Allgemeinen, und – wenn schon nicht durch neue Gesetzgebungsprioritäten, so doch wenigstens durch ein allgemeines politisches Bekenntnis zum gegenseitigen Vertrauen als langfristig weiter zu verfolgendem Ziel – nicht zuletzt auch bei der Vertrauensbildung im Besonderen derart abgedankt hat. Schon das Nachfolgeprogramm zum Stockholmer Programm von 2014 enthielt oft kaum mehr als allgemeine Ausführungen zur Bedeutung des europäischen Justizraums und des gegenseitigen Vertrauens (s. bereits oben § 1 I., Fn. 13); die zuletzt veröffentlichte „Strategische Agenda 2019–2024“ (abrufbar unter https://www.consilium.europa.eu/ media/39963/a-new-strategic-agenda-2019-2024-de.pdf. Letzter Abruf: 3. 5. 2020) lässt nicht einmal mehr erkennen, ob sie als Festlegung strategischer Leitlinien im Sinne von Art. 68 AEUV gedacht ist, sondern definiert lediglich vier allgemeine übergeordnete Prioritäten der EU in den nächsten Jahren („Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Freiheiten“, „Entwicklung einer soliden und dynamischen wirtschaftlichen Basis“, „Verwirklichung eines klimaneutralen, fairen und sozialen Europas“, „Förderung der Interessen und Werte Europas in Welt“). Als einzige erkennbare inhaltliche Maßgabe für den europäischen Justizraum wird – in einem einzigen Satz (!) – lakonisch das Ziel formuliert, den „Kampf gegen […] grenzüberschreitende Kriminalität [auszuweiten und zu verstärken], indem wir die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch verbessern“, s. ebd., S. 2. Das gegenseitige Vertrauen wird nicht einmal mehr erwähnt, und die aktuelle Krisenentwicklung in Ungarn und Polen allenfalls mittelbar angesprochen („Die Rechtsstaatlichkeit muss […] von allen Mitgliedstaaten […] umfassend geachtet werden“; ebd., S. 2.). 25 S. allgemein zum Subsidiaritätskontrollmechanismus bereits die Nachweise oben in § 1 I., Fn. 38. Nach Art. 69 AEUV ist der Urheber eines Gesetzentwurfs – sowohl die Kommission als auch im Falle des Initiativrechts nach Art. 76 AEUV der Rat – verpflichtet, diesen den nationalen Parlamenten zuzuleiten (Art. 4 des Subsidiaritätsprotokolls); innerhalb von acht Wochen können die nationalen Parlamente (oder gegebenenfalls deren einzelne Kammern) in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber den Unionsorganen ihre Bedenken hinsichtlich der Wahrung von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit geltend machen (Art. 6). Die Unionsorgane sind anschließend allgemein verpflichtet, die Stellungnahmen der nationalen Parlamente zu berücksichtigen; darüber hinaus sind sie zu einer erneuten Überprüfung des Entwurfs und im Falle des Festhaltens am Entwurf zu einer gesonderten Begründung verpflichtet, wenn mindestens ein Drittel der Stimmen der nationalen Parlamente eine begründete Stellungnahme abgegeben hat (wobei jedem Parlament zwei Stimmen zukommen) (Art. 7 Abs. 1 und 2). Bei alledem muss zwar klar sein, dass das Subsidiaritätskontrollverfahren in aller Regel nur einen begleitenden

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tige Vertrauen im Gesetzgebungsverfahren genutzt, oder punktuelle Blockaden des gegenseitigen Vertrauens durch einen offensiveren Rückgriff auf die Verstärkte Zusammenarbeit (Art. 20 EUV) zwischen den stärker vertrauensbereiten Mitgliedstaaten aufgelöst werden.26 Partiell dürfte der europäische Gesetzgeber darüber Mechanismus darstellen kann, um das gegenseitige Vertrauen im Gesetzgebungsverfahren zu stärken. Dennoch sind durchaus Mechanismen vorstellbar, wie der Dialog mit den nationalen Parlamenten produktiv in den Dienst der Vertrauensbildung gestellt werden könnte. Allgemein bietet die Subsidiaritätskontrolle den Unionsorganen immerhin eine erste Möglichkeit, gleichsam im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens das politische Umfeld auf nationaler Ebene und die grundsätzlichen Erfolgschancen des Rechtsetzungsvorhabens zu sondieren, und – sollten sich in diesem Verfahrensstadium anhand der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente wiederkehrende Problempunkte des fraglichen Rechtsakts herauskristallisieren (oder gar, gerade auch vor dem Hintergrund des relativ vagen Maßstabs von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, s. im strafrechtlichen Kontext nur Asp, EuCLR 1 [2011], S. 44 [45 f.], ausdrücklich auf Bedenken des gegenseitigen Vertrauens hingewiesen werden) – nicht nur etwaige wunde Punkte des gegenseitigen Vertrauens entsprechend frühzeitig adressiert und so möglicherweise die Vertrauensneigung der Vertreter im Rat im konkreten Gesetzgebungsverfahren erhöht, sondern auch allgemein eine neue Sensibilität der Unionsorgane für etwaige Bedenken der Mitgliedstaaten im gewandelten politischen Umfeld der aktuellen Rechtsstaatlichkeits­krisen signalisiert werden, was über das einzelne Gesetzgebungsverfahren hinaus einer politischen Kultur des gegenseitigen Vertrauens zuträglich sein dürfte. Auch hier lässt die aktuelle Praxis, wie sie zuletzt im Gesetzgebungsverfahren zur EuStA zutage getreten ist, noch Luft nach oben (s. die Nachweise in § 5 II. 2., Fn. 81). 26 Abgesehen von den Erleichterungen der Verstärkten Zusammenarbeit im Kontext der strafrechtlichen Notbremse-Klauseln (Art. 82 Abs. 3, 83 Abs. 3 AEUV) gelten insoweit die normalen Vorgaben der Art. 20 EUV, Art. 326 ff. AEUV: Eine Verstärkte Zusammenarbeit kann demnach (nach Ermächtigung durch Ratsbeschluss, Art. 329 Abs. 1 UA 2 und 3 AEUV) bei einer Mindestbeteiligung von neun Mitgliedstaaten „als letztes Mittel“ durchgeführt werden, wenn „die mit dieser Zusammenarbeit angestrebten Ziele von der Union in ihrer Gesamtheit nicht innerhalb eines vertretbaren Zeitraums verwirklicht werden können“ (Art. 20 Abs. 2 S. 1 EUV). Der entsprechende Rechtsakt entfaltet sodann lediglich unter den an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten Wirkung (Art. 20 Abs. 4 S. 1 EUV), die spätere Beteiligung steht aber auch allen anderen Mitgliedstaaten zu jedem Zeitpunkt offen (Art. 328 Abs. 1 S. 2 AEUV). Allgemein näher Blanke, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 58. EL 1/2016, Art. 20 EUV, Rn. 35 ff.; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, Art. 20 EUV, Rn. 14 ff.; speziell mit Blick auf den europäischen Justizraum Cach, EuR 2014, S. 716 (721 ff.); Lignier / Geier, RabelsZ 79 (2015), S. 546 ff. Gerade das Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit scheint im Grunde auf die dem Unionsgesetzgeber möglicherweise bevorstehende Situation zugeschnitten, trotz eines allgemein brüchiger werdenden gegenseitigen Vertrauens im Gesetzgebungsverfahren von Fall zu Fall potentiell unsichere Mehrheiten für neue Sekundärrechtsakte organisieren zu müssen. Mitgliedstaaten mit klaren rechtsstaatlichen Defiziten lassen sich zwar nach geltendem Primärrecht auch auf diese Weise nicht von vornherein von der Zusammenarbeit im Rahmen neuer Rechtsakte ausschließen, dürften aber meist ohnehin kaum an der Begründung zusätzlicher europäischer Kooperationspflichten interessiert sein. Für den europäischen Gesetzgeber geht mit dieser Flexibilisierung der Integration hin zu einem stärker differenzierenden, jeweils fallspezifisch das aktuelle Niveau gegenseitigen Vertrauens abbildenden „asymmetrischen Föderalismus“ zwar strategisch zugleich das Risiko (s. allgemein, zugleich auch als Urheber dieser Formulierung, Blanke, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim Bd. 1, 58. EL 1/2016, Art. 20 EUV, Rn. 76; speziell hinsichtlich der strafrechtlichen Zusammenarbeit auch Herlin-Karnell, eucrim 2010, S. 59 [61]; a. A. aber etwa Thym, in: Hatje / Müller-Graff [EnzEuR Bd. 1], § 5, Rn. 95, 110; ­Lignier / Geier, RabelsZ 79 [2015], S. 546 ff. [580 ff.]) einher, einer durch die potentielle Erosion

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

hinaus auch politische Handlungsspielräume zurückgewinnen können, indem er – gleichsam als nächste Eskalationsstufe nach Instrumenten wie der Verstärkten Zusammenarbeit – einzelne Kooperationsbereiche bis zum Abklingen der aktuellen Rechtsstaatlichkeitsprobleme bewusst von weiteren Integrationsschritten ausnimmt (oder im Extremfall vielleicht auch dauerhaft opfert), deren Bedeutung im Gesamtgefüge des Justizraums das von den Mitgliedstaaten zu investierende gegenseitige Vertrauen möglicherweise nicht aufwiegt: Gehören etwa, um ein offensichtliches Beispiel anzuführen, die rechtspolitisch weiterhin problematischen und ohnehin fakultativen Verfahrensrechtsakte für grenzüberschreitende zivilrechtliche Streitigkeiten wirklich zum harten rechtlichen Kern des europäischen Justizraums, oder wären sie (und möglicherweise sogar auch die Europäische Staatsanwaltschaft) nicht abgesehen von ihrer symbolischen Bedeutung im Grunde auch verzichtbar? Und lohnen sich, provokant gefragt, überhaupt größere Überarbeitungen der bisher ebenfalls schwächelnden Bausteine zur grenzüberschreitenden Gerichts- und Behördenkommunikation, wenn offenbar andere Kooperationsbereiche wie etwa die Entscheidungsanerkennung im Großen und Ganzen auch ohne derartige Regelungen grundsätzlich zufriedenstellend zu funktionieren scheinen? Die zweite und ersichtlich anspruchsvollere Aufgabe wird parallel zu dieser Symptombekämpfung darin liegen, auch die Ursachen der drohenden Krise des gegenseitigen Vertrauens zu beseitigen, und die Rechtsstaatlichkeitsprobleme in den genannten Mitgliedstaaten zu überwinden. Hier steht die Europäische Union vor einem qualitativ neuen Problem, für das es in dieser Form weder ein historisches Vorbild im Integrationsprozess,27 noch – bei aller grundsätzlicher Krisenerprobung der politischen Struk-

gegenseitigen Vertrauens längerfristig drohenden Zersplitterung des europäischen Justizraums und der Rückkehr zu einem unübersichtlichen System in jeweils unterschiedlicher Integrationstiefe zusammenarbeitender Mitgliedstaaten, ähnlich wie im überkommenen Regime multilateraler völkerrechtlicher Rechtshilfeverträge, sogar noch Vorschub zu leisten. Er erhielte aber andererseits auch die Chance, anderenfalls möglicherweise dauerhaft ausgeschlossene (oder nur gleichsam mit der rechtspolitischen Brechstange mögliche) Integrationsschritte zunächst von kleineren Inseln gegenseitigen Vertrauens aus zu implementieren – wie beispielsweise bei der zwischenzeitlich bereits jeweils erweiterten Verstärkten Zusammenarbeit im Rahmen der Rom III-Verordnung (s. insoweit oben § 4 II. 1. und § 4 II. 3., Fn. 53 bzw. Fn. 90) oder der Europäischen Staatsanwaltschaft, und funktional ähnlich wie bei den Schengener Übereinkommen als historischem Vorreiter des Justizraums insgesamt –, und auf diese Weise nebenbei durch eine bewusst pragmatischere, selbstbewusst auch nach außen vertretene Politik der kleinen Schritte oder gar kleineren Umwege auf dem weiteren Weg zum europäischen Justizraum den mittlerweile erreichten Reifegrad des gesamten Projekts zu dokumentieren und damit möglicherweise sogar das gegenseitige Vertrauen langfristig zu stärken (ähnlich im Hinblick auf das SchengenRegime etwa Thym, in: Hatje / Müller-Graff [EnzEuR Bd. 1], § 5, Rn. 39: „[…] Kronzeuge, dass eine außervertragliche, völkerrechtliche Kooperation die supranationale Integration langfristig zu fördern vermag. […] weitgehend reibungsfreie Gesetzgebung im kleineren Kreis“). 27 S. aus der Literatur nur etwa Bogdanowicz / von Bogdandy / Canor / Taborowski / Schmidt, CMLR 55 (2018), S. 983 (984, die gar einen Ackerman’schen „constitutional moment“ für die EU ausmachen: „At issue is whether illiberal democracies become part of the European public order as laid out in Article 2 TEU, or are opposed by it. In any event, the consequences could be truly far-reaching“); Karpenstein / Sangi, EuZW 2020, S. 140 (140, 143) („wohl präzedenzlose

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turen auf der Unionsebene in den 2010er Jahren – ein wirkliches Patentrezept zu geben scheint.28 Insbesondere das eigentlich gerade für derartige Konstellationen Verfassungskrise in einem Mitgliedstaat“ […]; „Untätigkeit wäre hier […] fatal: Mit jedem Tag werden weitere unabhängige Gerichte drangsaliert, abgeschafft und das Vertrauen in die Europäische Rechtsgemeinschaft ausgehöhlt“); Schmidt / Bogdanowicz, CMLR 55 (2018), S. 1061 (1061) („… the ‚rule of law crisis‘ remains the European Union’s most pressing issue“); Wendel, BDVR-Rundschreiben 2018, S. 4 (4 f., der [aber eher konkret auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache LM bezogen] von einem möglichen „Anfang vom Ende des gegenseitigen Vertrauens“ spricht: „Die Negation rechtsstaatlicher Grundsätze, wie sie derzeit in Polen zu beobachten ist, rüttelt an den Grundfesten der europäischen Rechtsgemeinschaft“). Auch auf politischer Ebene wird die Dimension des Problems deutlich betont; s. aus den diversen Verlautbarungen der letzten Jahre nur Europäische Kommission, Mitteilung […]: EU-Justizbarometer 2018, COM(2018) 364 final, Teil 1/2, S. 1 („Die Unabhängigkeit, Qualität und Effizienz der Justizsysteme sind für die Umsetzung des EU-Rechts und für die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens von grundlegender Bedeutung“); Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union. Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte, COM(2019) 163 final, S. 1 („Die Rechtsstaatlichkeit ist einer der Grundwerte der Europäischen Union und ein Ausdruck unserer gemeinsamen Identität und Verfassungstraditionen. Sie ist allen Mitgliedstaaten eigen und bildet die Grundlage jedweden demokratischen Systems. Ohne sie kann es keinen Grundrechteschutz [sic] geben. Die Rechtsstaatlichkeit ist auch für das Funktionieren der Europäischen Union – als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie als Binnenmarkt – [zentral]. Sie gewährleistet, dass Mitgliedstaaten und [Bürger] im Geiste gegenseitigen Vertrauens zusammenarbeiten können. Zudem schafft sie Vertrauen in die öffentlichen Einrichtungen einschließlich der Justiz, und sie ist unabdingbar für ein reibungsloses Funktionieren demokratischer Gesellschaften“); Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit der Union. Ein Konzept für das weitere Vorgehen, COM(2019), 343 final, S. 1 („Das europäische Projekt beruht auf der grundsätzlichen Achtung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die wirksame Anwendung des EU-Rechts und gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. […] Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit stellen daher auch die rechtliche, politische und wirtschaftliche Grundlage der Arbeitsweise der EU infrage“). Zu den diversen größeren und kleineren Rechtsstaatlichkeitsproblemen einzelner Mitgliedstaaten im Laufe des Integrationsprozesses s. ferner den Überblick bei Serini, Sanktionen der Europäischen Union bei Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Demokratie- oder Rechtsstaatsprinzip, 2009, S. 136 ff. 28 Immerhin hat die Kommission vor dem Hintergrund der mittlerweile bereits deutlich vorangeschrittenen Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Ungarn und Polen Grundzüge eines neuen übergreifenden Konzepts (Überblick zum vorausgehenden EU-Rahmen für Rechtsstaatlichkeit aus dem Jahr 2014 bei Hummer, EuR 2015, S. 625 [635 f.]; Hofmeister, DVBl. 2016, S. 869 ff.) vorgeschlagen, mit dem in Zukunft vergleichbaren Entwicklungen in anderen Mitgliedstaaten vorgebeugt werden soll, s. Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit der Union. Ein Konzept für das weitere Vorgehen, COM(2019), 343 final. Demnach wird die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der Union als „gemeinsame Verantwortung aller Mitgliedstaaten und EU-Organe“ definiert (wobei die Kommission nicht allgemein auf die Unionsziele in Art. 2 EUV abstellt, sondern mit dem Gebot loyaler Zusammenarbeit aus Art. 4 Abs. 3 EUV und der Rolle der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Unionsrechts nach Art. 19 EUV zwei konkrete dogmatische Anknüpfungspunkte zur Begründung dieser Gesamtverantwortung heranzieht), s. ebd., S. 4 f. Diese gemeinsame Verantwortung wird sodann durch Grundzüge einer Art dreistufigen Schutzkonzepts konkretisiert: Auf einer ersten Stufe rangiert die Förderung rechtsstaatlicher Strukturen auf nationaler Ebene durch den „Aufbau von Wissen und [die] Schaffung einer gemeinsamen Kultur der Rechtsstaatlichkeit“ (ebd., S. 6). Als mögliche Maßnahmen nennt die Kommission dabei etwa die (auch finanzielle) Unterstüt-

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

geschaffene Verfahren nach Art. 7 EUV als primäres rechtliches Instrument sieht zwar grundsätzlich einschneidende Sanktionsmöglichkeiten bis hin zur Aussetzung des Stimmrechts im Rat (bei gleichzeitig fortdauernder Bindung an dessen Entscheidungen) vor (Art. 7 Abs. 3 EUV), schreibt aber zugleich einen einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates vor, um die erforderliche „schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel 2 [EUV] genannten Werte durch einen Mitgliedstaat“ feststellen zu können (Art. 7 Abs. 2 EUV). Sowohl das von der Kommission im Jahr 2017 begonnene Verfahren gegen Polen, als auch das vom Europäischen Parlament im Jahr 2018 eingeleitete Verfahren gegen Ungarn sind zwar weiterhin anhängig, dürften aber wegen der wechselseitigen Veto-Möglichkeit beider Mitgliedstaaten im jeweils anderen Verfahren aller Voraussicht nach zumindest in absehbarer Zukunft (jedenfalls bis zu einem etwaigen Regierungswechsel in einem der beiden Mitgliedstaaten, oder einer auf anderem Wege herbeigeführten politischen Spaltung zwischen Polen und Ungarn im Hinblick auf die Sperrminorität) nicht zu einem einstimmigen Be­schluss führen.29 Allenfalls punktuell bleibt zung zivilgesellschaftlicher Akteure, die Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie der VenedigKommission des Europarates, oder die Entwicklung einer spezifischen Kommunikationsstrategie hinsichtlich Rechtsstaatlichkeitsthemen in Form entsprechender online-Angebote; s. im Einzelnen ebd., S. 10. Auf einer zweiten Stufe soll die „Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit auf nationaler Ebene“ (ebd., S. 10) erfolgen: Hier avisiert die Kommission eine jährliche Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten sowie entsprechende Themenschwerpunkte des EU-Justizbarometers und einen strukturierten Dialog und Informationsaustausch mit den Mitgliedstaaten über Rechtsstaatsfragen, die hierfür eigenständige Kontaktstellen bereitstellen sollen; ferner werden Parlament und Rat aufgefordert, gemeinsam mit der Kommission einen „integrierten Ansatz“ zur Abstimmung der einschlägigen Aktivitäten der drei Institutionen zu erarbeiten, s. ebd., S. 15. Auf der dritten Stufe soll die Gesamtverantwortung von Mitgliedstaaten und Union in konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Unionsebene münden, wo die nationale Ebene versagt hat: Hier kündigt die Kommission insbesondere ein strategisches Vorgehen bei Vertragsverletzungsverfahren an, das etwa in einer aggressiveren Vorgehensweise bei der Beantragung einstweiliger Maßnahmen und beschleunigter Verfahren vor dem EuGH zum Ausdruck kommt, und ruft daneben den Rat auf, geeignete Modifikationen des Vorgehens bei Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Art. 7 EUV weiter voranzutreiben („… klarere und stabilere Verfahrensregeln …“), s. ebd., S. 19. 29 Möllers / Schneider, Demokratiesicherung in der Europäischen Union, 2018, S. 120 ff., greifen daher die Überlegung auf, inwieweit Verfahren nach Art. 7 EUV (dort S. 45 ff.) zur Durchbrechung von Veto-Situationen wie in der Konstellation Ungarns und Polens möglicherweise untereinander verbunden werden könnten (und sehen im Übrigen aber die Funktion der Unionsebene primär darin, den politischen Prozess, und vor allem die demokratische Opposition, auf nationaler Ebene zu schützen, S. 130 ff.). Voßkuhle, NJW 2018, S. 3154 (3155), der zudem eine darüber hinausgehende Erosion der europäischen Werte- und Rechtsgemeinschaft insgesamt befürchtet, sieht die traditionellen Kompromissmechanismen der Unionsebene mit den aktuellen Krisenerscheinungen potenziell ganz grundsätzlich überfordert; auch Yamato / Stephan, DÖV 2014, S. 58 ff., erachten den Mechanismus nach Art. 7 EUV als „zahnlos“. Nickel, EuR 2017, S. 663 (679) (und im Grundsatz auch Weber, DÖV 2017, S. 741 [747]) befürchtet sogar einen latenten Unwillen der Mitgliedstaaten, den Konflikt mit Polen und Ungarn weiter auf die Spitze zu treiben, der sich zum einen aus einer allgemeinen integrationspolitischen Erschöpfung aufgrund der vielfältigen Krisenerfahrungen der 2010er Jahre, und zum anderen aus dem seinerzeitigen Konflikt um die FPÖ-Regierungsbeteiligung in Österreich im Jahr 2000

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noch die Möglichkeit von Vertragsverletzungsverfahren, um einzelne rechtsstaatliche Fehlentwicklungen möglichst zurückzudrehen; die Kommission hat diesen Weg bereits mehrfach beschritten und separate Verfahren wegen verschiedener Elemente der polnischen Justizreformen angestrengt, in denen schließlich der EuGH die entsprechenden Regelungen regelmäßig für mit der unionsrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes durch ein unabhängiges Gericht (Art. 19 Abs. 1 UA 2 EUV) unvereinbar erklärte.30 Ansonsten sind die Unionsorgane hier jedoch

speise; allgemein skeptisch ferner Hauser, Die Anwendung des Sanktionsverfahrens gemäß Art. 7 EUV auf Polen, S. 69. Hingegen plädiert Möllers, ZRP 2020, S. 27 ff. – der bisher ein Scheitern sämtlicher „Versuche [resümiert], die Umprogrammierung der Justiz in Ungarn und Polen aufzuhalten“ (dabei aber auch allgemeiner die Frage aufwirft, ob im Kontext der Osterweiterung 2004 ein gemeinsames Rechtsstaatsverständnis der alten und neuen Mitgliedstaaten nicht eher unterstellt worden sei [S. 28]) – künftig für „offensive politische Lösungen“, die eine stärkere Übernahme von Verantwortung der Mitgliedstaaten erforderten, die sich bisher gleichsam hinter den Unionsorganen versteckt hätten; während das Europäische Parlament als Forum der Rechtsstaatsdebatte noch den relativ stärksten Beitrag geleistet, und die Kommission zu zögerlich agiert habe, sei vor allem dem Europäischen Rat ein Versagen zu bescheinigen (S. 28 f.). Bogdanowicz / von Bogdandy / Canor / Taborowski / Schmidt, CMLR 55 (2018), S. 983 (984 f.) bewerten die bisherige politische Reaktion der Unionsebene demgegenüber zwar durchaus als „fierce“, weisen aber zugleich darauf hin, dass dessen ungeachtet in letzter Konsequenz die politischen Selbstheilungskräfte auf nationaler Ebene über die Bewältigung der aktuellen Krise entscheiden werden. Auch Dörr, ZG 2020, S. 26 ff., hält das Verfahren nach Art. 7 EUV nicht für ein adäquates Instrument für die aktuellen Probleme in Ungarn und Polen, sondern sieht in letzter Konsequenz nur die politische Entwicklung auf nationaler Ebene als geeignete Lösungsinstanz. 30 So hat der Gerichtshof in den betreffenden Vertragsverletzungsverfahren (zum Verhältnis des Vertragsverletzungsverfahrens zum Verfahren nach Art. 7 EUV Brauneck, NVwZ 2018, S. 1423 [1426 f.]) zum einen die Herabsetzung des Ruhestandsalters der Richter des obersten Gerichts Polens beanstandet, soweit hiervon auch bereits im Amt befindliche Richter betroffen sind, EuGH, Rs. C-619/18 (Kommission / Polen [Indépendance de la Cour supreme]), EU:C:2019:531, Rn. 42 ff., 71 ff. (mit Besprechung bei Schiffauer, EuGRZ 2019, S. 549 [556 ff.]). Ebenso sind die Regelungen unionsrechtswidrig, die den Staatspräsidenten ermächtigen, nach eigenem Ermessen auch nach Überschreiten des Ruhestandsalters die Fortsetzung der Tätigkeit von Richtern des obersten Gerichts zu gestatten, EuGH, Rs. C-619/18, EU:C:2019:531, Rn. 42 ff., 108 ff., oder die dem Justizminister eine derartige Befugnis hinsichtlich der Richter an den ordentlichen Gerichten verleihen, EuGH, Rs.C-192/18 (Kommission / Polen [Indépendance des juridictions de droit commun]), EU:C:2019:924, Rn. 98 ff. (s. ferner dort Rn. 58 ff. und die Besprechung von Leick, NVwZ 2020, S. 291 ff. zu den vom EuGH ebenfalls für unionsrechtswidrig erachteten Differenzierungen des Ruhestandsalters der polnischen Richter anhand des Geschlechts). Zum anderen hat der EuGH zunächst konkrete unionsrechtliche Voraussetzungen hinsichtlich der Unabhängigkeit von Einrichtungen wie der Disziplinarkammer am obersten Gericht Polens formuliert (EuGH, Rs. C-585/18 [A. K. {Indépendance de la chambre disciplinaire de la Cour supreme}], EU:C:2019:982, Rn. 120 ff., mit Besprechung bei Karpenstein / Sangi, EuZW 2020, S. 140 [140 f.], die die Entscheidung etwas optimistisch gleich als potentiellen Befreiungsschlag für die Unabhängigkeit der polnischen Justiz sehen [S. 140], allerdings auch auf die Schwierigkeiten ihrer praktischen Umsetzung hinweisen, S. 142), und sodann Polen in einem weiteren Vertragsverletzungsverfahren durch einstweilige Anordnung die Aussetzung der Regelungen über die Disziplinarkammer aufgegeben, s. EuGH, Rs. C-791/19 R (Régime disciplinaire des juges), EU:C:2020:277, Rn. 50 ff. Ferner findet sich in anderem Zu-

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

auf gleichsam „weiche“ politische Maßnahmen beschränkt, die sich gemessen am Ausmaß der rechtsstaatlichen Krisenphänomene eher zahm ausnehmen; lediglich die nunmehr mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 etablierte partielle Konditionalität der Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Standards für bestimmte finanzielle Zuwendungen aus dem Unionshaushalt dürfte im Hinblick auf deren relativ große Bedeutung für die öffentlichen Haushalte Ungarns und Polens

sammenhang die Aussage des EuGH, dass Art. 19 Abs. 1 UA 2 EUV die (nichtdiskriminatorische) Kürzung richterlicher Besoldungsleistungen zulässt, wenn derartige Maßnahmen infolge eines Haushaltsdefizits und der Vorgaben etwaiger europäischer Kreditprogramme erforderlich werden, sodass möglicherweise politisch motivierte Verringerungen der richterlichen Bezüge, wie etwa im Rahmen der oben in § 6 II., Fn. 12 geschilderten Kürzungsbefugnisse des polnischen Justizministers gegenüber einzelnen Gerichtspräsidenten, voraussichtlich ebenfalls an einem sehr strikten unionsrechtlichen Maßstab zu prüfen sein dürften, s. EuGH, Rs. C-64/16 (Associacao Sindical dos Juízes Portugueses), EU:C:2018:117, Rn. 29 ff. Zuletzt hat die Kommission ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eröffnet (Verfahren Nr. 20202182), das sich auf neue Justizreformen aus dem Dezember 2019 bezieht; neben der Erweiterung des Anwendungsbereichs von Disziplinarverfahren wegen des Inhalts gerichtlicher Urteile, bestimmten Beschränkungen der Zuständigkeitsprüfung durch die polnischen Gerichte und Offenlegungspflichten einzelner Richter hinsichtlich bestimmter Informationen über ihre nichtberuflichen Tätigkeiten sehen die neuen Vorschriften insbesondere eine alleinige Zuständigkeit der für den „außerordentlichen Rechtsbehelf“ (s. oben § 6 II., Fn. 12) eingerichteten speziellen Kammer am Obersten Gericht für Entscheidungen über Fragen der richterlichen Unabhängigkeit vor, sodass in derartigen Verfahren keine Vorabentscheidungsersuchen durch polnische Gerichte an den EuGH mehr gestellt werden können sollen. Zumindest obiter dictum hat der EuGH allerdings bereits festgehalten, dass Regelungen als unionsrechtswidrig einzustufen sind, die den Richtern nationaler Gerichte Disziplinarmaßnahmen für den Fall androhen, dass sie ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof richten, s. EuGH, Rs. C-558/18 (Miasto Lowicz), EU:C:2020:234, Rn. 54 ff., sodass auch diese Regelungen unionsrechtlich kaum zu halten sein werden. Insgesamt werden bei alledem aber vielfach auch Zweifel angemeldet, ob der EuGH den rechtsstaatlichen Krisenphänomenen in den betreffenden Mitgliedstaaten, nicht zuletzt auch angesichts der teils zu konstatierenden Weigerung Polens, die EuGH-Judikate überhaupt umzusetzen, hinreichend effektiv wird begegnen können; s. nur Voßkuhle, NJW 2018, S. 3154 (3155); Möllers, ZRP 2020, S. 27 (29, der darüber hinaus auf das Problem einer drohenden Legitimationskrise des EuGH selbst hinweist, wenn dessen oftmals eher frei aus Art. 19 Abs. 1 UA 2 EUV hergeleitete Rechtsprechung zur richterlichen Unabhängigkeit in den anderen Mitgliedstaaten als Kompetenzanmaßung durch den Gerichtshof aufgefasst werden sollte); a. A. aber Kulick, JZ 2020, S. 223 ff., der in den Kreis der rechtsstaatlichen Sorgenkinder neben Ungarn und Polen insbesondere auch Rumänien und Bulgarien einbezieht, und gerade wegen der Schwächen des Verfahrens nach Art. 7 EUV insbesondere den EuGH als relevanten Akteur identifiziert, der durch die Eröffnung von Kontrollspielräumen zugunsten der nationalen Gerichte sowie auch durch seine eigene Rechtsprechung (etwa im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren) noch am ehesten auf die Rückkehr zu rechtsstaatlichen Strukturen hinwirken könne. S. ferner die (allerdings eher für etwaige künftige Rechtsstaatlichkeitskrisen relevanten) Überlegungen einer an den Begriff des systemischen Defizits anknüpfenden primärrechtlichen Dogmatik zur Einhegung der Rechtsstaatlichkeitskrisen bei von Bogdandy, ZaöRV 79 (2019), S. 503 ff. (sowie zuvor bereits von Bogdandy / Ioannidis, ZaöRV 74 [2014], S. 283 ff.), und daneben die Überlegungen zur längerfristigen Ausdifferenzierung des unionsrechtlichen Sanktionenregimes bei Rechtsstaatlichkeitsdefiziten von Dumbrovsky, in: Hatje / Tichý (Hrsg.), Liability of Member States for the Violation of Fundamental Rights of the European Union, EuR 2018 Beiheft 1, S. 201 ff.

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möglicherweise echte politische Schlagkraft entfalten.31 Ob, und insbesondere auch wann diese Mechanismen aber tatsächlich ausreichende Dynamik auslösen werden, um die rechtsstaatlichen Verfallsprozesse in einem oder beiden der betreffenden 31

Der sogenannte „Rechtsstaatsmechanismus“ (VO [EU, Euratom] 2020/2092 [ABl. LI 433, S. 1]; zu Hintergründen, Entstehung und Gegenstand der Verordnung etwa Mader, EuZW 2021, S. 133 ff.; Payandeh, JuS 2021, S. 481 [488 f.]) enthält Regeln „zum Schutz des Haushalts der Union im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten“ (Art. 1 VO [EU, Euratom] 2020/2092 [ABl. LI 433, S. 1]). Der Begriff der „Rechtsstaatlichkeit“ knüpft dabei zunächst relativ unspezifisch an Art. 2 EUV an und soll allgemein „die Grundsätze der Rechtmäßigkeit […], der Rechtssicherheit, des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt, des wirksamen Rechtsschutzes  – einschließlich des Zugangs zur Justiz – durch unabhängige und unparteiische Gerichte […], der Gewaltenteilung und der Nichtdiskriminierung und […] Gleichheit vor dem Gesetz“ umfassen (Art. 2 lit.  a VO [EU, Euratom] 2020/2092 [ABl. LI 433, S. 1]). Die Verordnung stellt einen differenzierten Maßnahmenkatalog zur Verfügung, der für die direkte, indirekte und geteilte Mittelverwaltung jeweils die Aussetzung oder Kürzung verschiedener Zahlungen ermöglicht (Art. 5 Abs. 1 VO [EU, Euratom] 2020/2092 [ABl. LI 433, S. 1]). Die Kommission kann den Rechtsstaatsmechanismus – gegebenenfalls auf Aufforderung des Europäischen Parlaments – durch eine schriftliche Mitteilung an den betreffenden Mitgliedstaat auslösen, wenn sie hinreichende Anhaltspunkte ausmacht, dass „Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit […] die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend […] unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen“ (vgl. Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 4 Abs. 1 und 2 VO [EU, Euratom] 2020/2092 [ABl. LI 433, S. 1]). Der betreffende Mitgliedstaat kann hierzu binnen maximal dreimonatiger Frist Stellung nehmen und geeignete Abhilfemaßnahmen vorschlagen; beabsichtigt die Kommission sodann auf dieser Grundlage die Verhängung von Sanktionen, ist zunächst eine weitere Stellungnahme des Mitgliedstaats zu den konkret geplanten Mittelkürzungen oder -aussetzungen, und im letzten Schritt dann die Annahme eines entsprechenden Durchführungsbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit durch den Rat vorgesehen (Art. 6 Abs. 4 bis 10 VO [EU, Euratom] 2020/2092 [ABl. LI 433, S. 1]). Belastbarer materieller Maßstäbe jenseits des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Pflicht, der „Art, der Dauer und dem Umfang der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit […] gebührend Rechnung [zu tragen]“ (vgl. Art. 5 Abs. 3), enthält sich die Verordnung allerdings weitgehend. Zuletzt ist ein gleichsam spiegelbildliches Verfahren zur Aufhebung der getroffenen Maßnahmen für den Fall vorgesehen, dass der betreffende Mitgliedstaat die festgestellten Rechtsstaatlichkeitsverstöße effektiv beendet, wobei die Kommission spätestens ein Jahr nach Erlass des Durchführungsbeschlusses eine diesbezügliche Evaluation einleiten muss (Art. 7 Abs. 1 und 2 VO [EU, Euratom] 2020/2092 [ABl. LI 433, S. 1]). S. ferner zu den vorangegangenen Plänen Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union. Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte, COM(2019) 163 final, S. 6; Brauneck, NVwZ 2018, S. 1423 (1423); Möllers / Schneider, Demokratiesicherung in der Europäischen Union, 2018, S. 76 ff.; Franzius, DÖV 2018, S. 381 ff. Jenseits dieses finanziellen Hebels spricht aus der Auflistung „andere[r] Mechanismen und Rahmen“, die neben Art. 7 EUV-Verfahren und Vertragsverletzungsverfahren „bei der Früherkennung und Vorbeugung“ genutzt werden könnten, insgesamt aber eher die Ohnmacht der politischen Akteure gegenüber den Entwicklungen in Polen und Ungarn. Die Kommission nennt zwar eine ganze Reihe möglicher Ansätze, die aber jeweils allenfalls punktuell etwas ausrichten können dürften; das Spektrum reicht insoweit von der Möglichkeit länderspezifischer Empfehlungen des Rates bei schwerwiegenden Mängeln der Leistungsfähigkeit des Justizwesens, über die Veröffentlichungen der Ergebnisse des EU-Justizbarometers bis zu Ermittlungen durch OLAF (sowie künftig die Europäische Staatsanwaltschaft) bei Korruptionsproblemen im nationalen Gerichtssystem, s. Europäische Kommission, Mitteilung […]: Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in

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§ 6 Ergebnisse und Ausblick

Mitglied­staaten aufzuhalten und möglichst ohne Langzeitfolgen für das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten wieder vollständig umzukehren, bleibt für den Moment eine völlig offene Frage. Von ihr wird aber langfristig nicht weniger als das Schicksal des europäischen Justizraums abhängen: Sollten sich die polnischen und ungarischen Rechtsstaatlichkeitskrisen auch in den nächsten Jahren ungebremst weiter entfalten und das Fundament gegenseitigen Vertrauens tatsächlich weiter erodieren, wäre die unionsweite Gerichts- und Behördenkooperation in ihrer heutigen Form wohl am Ende, und die bevorstehende Konsolidierungsarbeit der europäischen Justizpolitik an den zehn Bausteinen letztlich umsonst. Denn in diesem Fall müssten beide Mitgliedstaaten bei dem selbst gesteckten Anspruch der Union an das gegenseitige Vertrauen den europäischen Justizraum im Grunde verlassen (wofür es, soweit ersichtlich, auf unionsrechtlicher Ebene derzeit keine einseitige Handhabe zu geben scheint). Oder aber das Sekundärrecht der Gerichts- und Behördenzusammenarbeit müsste mittelfristig flächendeckend wieder um zahllose nationale Kontroll- und Souveränitätsvorbehalte der anderen Mitgliedstaaten ergänzt, und der europäische Justizraum mit seinen zehn Bausteinen wieder zu seinen eingangs beschriebenen Ursprüngen im völkerrechtlichen Modell der internationalen Rechtshilfe zurückgebaut werden – womit dann nicht nur von der Essenz des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens wenig bliebe, sondern auch der damalige „Aufbruch nach Europa“ nach mehreren Jahrzehnten europäischer Justizpolitik und Dutzenden Sekundärrechtsakten letztlich nur wieder an seinem historischen Ausgangspunkt ankäme.

der Union. Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte, COM(2019) 163 final, S. 5 ff. Kritisch hierzu Möllers, ZRP 2020, S. 27 (29) („… so ist dieser Mechanismus klar unter dem Niveau der europäischen Integration. […] Wenn die Kommission zu derartigen Mitteln greift, zeigt sich, wie hilflos man in Brüssel ist“).

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Sachverzeichnis Allgemeiner Teil eines europäischen Strafrechts  142, 172 Beiderseitige Strafbarkeit  147, 157 f. Beweisrechtliche gegenseitige Anerkennung  76 f. Bewilligungsentscheidung ​145  ff. Delegierte Europäische Staatsanwälte ​194 f. Direkter unionsweiter Gerichts- und ­Behördenverkehr ​27  f. e-CODEX ​35 e-Justice ​32 ff., 40 ff. Entwurf RB Übertragung von Strafverfahren  165 EU-Justizbarometer ​44 Eurodac ​94 Eurojust ​193 f., 198 ff. Europäische Agentur für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Straf­ verfolgung ​70 ff., 73, 74 f. Europäische Beweisanordnung ​76 Europäische Beweisaufnahmeverordnung in Zivil- oder Handelssachen ​76 ff., 84 ff. European Criminal Register Information System ​95 f., 96 ff. EuEheVO (Verordnung (EG) Nr. ​2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000)  18 EuEheVO, sachliche Zuständigkeit nach der ​ 125, 131 EuEheVO, internationale Zuständigkeits­ vorschriften der ​125 f., 131 ff. EuEheVO, grenzüberschreitende Voll­ streckung nach der ​129, 133, 137

EuEheVO, Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Vollstreckung nach der ​ 129 f., 134 EuEheVO, Ordre public-Vorbehalt der ​134 EuErbVO (Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses)  18 EuErbVO, sachliche Zuständigkeit nach der  127 EuErbVO, internationale Zuständigkeits­ vorschriften der ​127 EuErbVO, Kollisionsrechtsvorschriften der ​ 127 EuErbVO, grenzüberschreitende Voll­ streckung nach der ​128 f. EuErbVO, Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Vollstreckung nach der ​129 f. Europäische Ermittlungsanordnung ​80  ff., 87 ff. EuGVVO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handels­ sachen) 17 f. EuGVVO, Begriff der Zivil- und Handels­ sache nach der ​105, 112 EuGVVO, internationale Zuständigkeits­ vorschriften der ​105 ff., 112 ff. EuGVVO, Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Vollstreckung nach der ​ 109 f., 115 ff., 121 f. EuGVVO, Ordre public-Vorbehalt der ​ 122 ff.

Sachverzeichnis EuGVÜ (Übereinkommen über die gericht­ liche Zuständigkeit und die Voll­ streckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom ​ 27.09.1968) 9 EuGüterVO (Verordnung (EU) ​2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands) 18 EuGüterVO, sachliche Zuständigkeit nach der ​127  f. EuGüterVO, internationale Zuständig­ keitsvorschriften der ​128 EuGüterVO, Kollisionsrechtsvorschriften der ​128, 138 EuGüterVO, grenzüberschreitende Voll­ streckung nach der ​128 f. EuGüterVO, Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Vollstreckung nach der ​129 f. European Judicial Training Network ​66 ff., 73 f. Europäisches Justizielles Netz in Zivil- und Handelssachen; Europäisches Justizielles Netz ​30 ff., 38 ff. Europäisches Justizportal ​33  f. Europäischer Justizraum ​20 Europäische Kontenpfändungsverordnung ​ 24 Europäisches Mahnverfahren ​179 ff., 185, 187, 189 ff., 191 ff. European Production and Preservation Order (Europäische Herausgabeanordnung und Europäische Sicherungsanordnung für elektronische Beweismittel in Strafsachen) ​90  ff. Europäischer Rat von Tampere ​11 EuUnthVO (Verordnung (EG) Nr. ​4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen)  18 EuUnthVO, sachliche Zuständigkeit nach der  126

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EuUnthVO, internationale Zuständigkeitsvorschriften der ​126 f., 131 f. EuUnthVO, Kollisionsrechtsvorschriften in Verfahren nach der ​127, 137 f. EuUnthVO, grenzüberschreitende Vollstreckung nach der ​129, 133 f. EuUnthVO, Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende Vollstreckung nach der ​ 129 f. Europäische Staatsanwälte ​194  f. Europäische Staatsanwaltschaft ​193  ff. Europäische Staatsanwaltschaft, Prinzipien der Strafverfolgung durch die ​194 Europäischen Staatsanwaltschaft, Europäischer Generalstaatsanwalt bei der ​194 f. Europäischen Staatsanwaltschaft, Kollegium der ​194  f. Europäischen Staatsanwaltschaft, Ständige Kammern der ​194  f. Europäischen Staatsanwaltschaft, Verfahrensregeln der ​196, 201 ff. Europäischen Staatsanwaltschaft, Zuständigkeiten der ​195 f., 203 f. Europäischer Vollstreckungstitel ​177  ff., 186, 188 Europäisches Verfahren über geringfügige Forderungen ​181 ff., 186, 187 f.,189, 190 f., 191 ff. Europol ​94, 193 Exequatur, Abschaffung des ​108 f., 120 f. Formulare und Bescheinigungen ​44 ff., 47 f., 56 f. Fristen in der grenzüberschreitenden Gerichts- und Behördenzusammenarbeit ​ 49 ff., 59 ff. Gegenseitige Anerkennung ​11  f. Gegenseitige Anerkennung öffentlicher ­Urkunden ​46  f. Gegenseitiges Vertrauen ​12 ff., 210 ff. Gewöhnlicher Aufenthalt in erb- und familienrechtlichen Verfahren ​135 Grenzüberschreitender Informationsaustausch in Unterhaltsstreitigkeiten ​99 f., 102 Grenzüberschreitende Strafverteidigung ​ 175 f.

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Grenzüberschreitende Vollstreckung strafrechtlicher Entscheidungen ​148  ff. Grundsatz der Spezialität ​159 Grundsatz der Verfügbarkeit ​100 Harmonisierte Verfahrensgarantien im europäischen Strafrecht ​143 f., 160, 174 f. Internationale Rechtshilfe ​9 Justizbehörde, Begriff der ​159 f. Kompetenzkonflikte in grenzüberschreitenden Strafverfahren, ​139  ff. Kostenrechtliches Diskriminierungs­verbot in grenzüberschreitenden Verfahren ​ 52 f., 63 Lissabon-Urteil ​169 Mediation in grenzüberschreitenden Zivilverfahren ​55, 65 ne bis in idem-Grundsatz ​151, 153 f. Notbremseklauseln für Rechtsakte der strafrechtlichen Zusammenarbeit ​174 OLAF ​193 online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten, Verordnung über die ​36 Opferentschädigung in grenzüberschreitenden Strafverfahren ​55 f., 64 f. Personalentwicklungsstrategie der Euro­päi­ schen Kommission (2011) ​68 ff., 72 f., 75 Prozesskostenhilfe in grenzüberschreitenden Verfahren ​54 f., 63 f. RB-Bewährungsmaßnahmen (Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen)  18 f. Rahmenbeschluss Betrug und Fälschung unbarer Zahlungsmittel (Rahmenbeschluss

des Rates vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln) 141 Rahmenbeschluss Bestechung (Rahmenbeschluss 2003/568/JI des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Be­ stechung im privaten Sektor)  141 Rahmenbeschluss Berücksichtigung in neuem Strafverfahren (Rahmenbeschluss ​ 2008/675/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren)  142, 159 Rahmenbeschluss Drogenhandel (Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels) 141 RB-Einziehungsentscheidungen (Rahmenbeschluss 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen) 18 f. RB-Freiheitssanktionen (Rahmenbeschluss ​ 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union)  18 f. RB-Geldsanktionen (Rahmenbeschluss ​ 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grund­ satzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen)  18 f. RB-Haftbefehl (Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI))  18 f., 161 ff. Rahmenbeschluss Informationsaustausch (Rahmenbeschluss ​2006/960/JI des Rates

Sachverzeichnis vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union)  100 ff. Rahmenbeschluss Kompetenzkonflikte (Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren)  141, 165 ff. Rahmenbeschluss organisierte Kriminalität (Rahmenbeschluss ​2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität)  142 Rahmenbeschluss Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (Rahmenbeschluss ​ 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit)  141 Rahmenbeschluss Strafregister (Rahmenbeschluss ​2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten)  95 f. Rahmenbeschluss Terrorismusbekämpfung (Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008 zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung)  141 f. RB-Überwachung statt Untersuchungshaft (Rahmenbeschluss 2008/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung – zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft)  18 f. Rahmenbeschluss Umweltverschmutzung durch Schiffe (Rahmenbeschluss ​ 2005/667/JI des Rates vom 12. Juli 2005 zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe)  142 Rahmenbeschluss unerlaubter Aufenthalt (Rahmenbeschluss des Rates vom

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28. November 2002 betreffend die Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens für die Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt) 141 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ​10  f. Rechtsetzungskompetenzen für Strafrechtsharmonisierungen ​169  ff. Rechtsschutz gegen grenzüberschreitende strafrechtliche Entscheidungen ​150  ff. Rechtsschutz gegen in Abwesenheit ergangene strafrechtliche Entscheidungen ​ 151, 157 Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft ​196 f., 201, 203 f. Rechtsstaatlichkeitskrise in Polen und Ungarn  211 ff., 220 ff. Rechtsstaatsmechanismus, ​224  ff. Rechtsstaatsverfahren nach Art. ​7 EUV 221 ff. RL Angriffe auf Informationssysteme (Richtlinie 2013/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. August 2013 über Angriffe auf Informationssysteme und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2005/222/JI des ­Rates) 142 RL Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren (Richtlinie ​2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren) 143, 161 RL Betrugsbekämpfung (Richtlinie (EU) ​ 2019/713 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/413/JI des Rates)  195 f. RL Marktmanipulation (Richtlinie ​2014/ 57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Markt­ manipulationen (Marktmissbrauchsrichtlinie)) 142

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RL Menschenhandel (Richtlinie 2011/36/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Ver­ hütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates)  142 RL Minderjährige im Strafverfahren (Richt­ linie (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind)  144 RL Opferrechte im Strafverfahren (Richt­ linie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI)  143 f. RL Rechtsbeistand und konsularische Betreuung im Strafverfahren (Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs)  143 f. RL Schutzmaßnahmen (Richtlinie 2011/99/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung)  18 f. RL sexueller Missbrauch (Richtlinie 2011/​ 92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinder­pornographie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des ­Rates) ​142

RL Terrorismusbekämpfung (Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates)  142 RL Umweltverschmutzung (Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt)  142 RL Unschuldsvermutung und Anwesenheitsrecht im Strafverfahren (Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren)  144, 160 f. Rom III-Verordnung ​126, 138 Rom-Verordnungen zum Internationalen Privatrecht ​107  f., 115 Schengener Durchführungsübereinkommen  10 Schengener Informationssystem II ​94 Strategische Leitlinien des Europäisches ­Rates nach Art. 68 AEUV  218 Subsidiaritätsfrühwarnmechanismus nach Art. 69 AEUV  218 f. TREVI-Gruppen ​10 Übersetzungspflichten in grenzüber­ schreitenden Verfahren ​47 ff., 57 ff. Versagung der Anerkennung ausländischer Strafrechtsentscheidungen bei schweren Grundrechtsverletzungen ​151 f., 153 ff., 175 Verstärkte Zusammenarbeit ​219  f. VIS-Beschluss ​94 Zentralstelle, Zentrale Behörde ​29 f., 36 ff.