BAND Die Verfassung des Marktes: F. A. von Hayeks Lehre von Staat und Markt im Spiegel grundgesetzlicher Staats- und Verfassungsrechtslehre [Reprint 2016 ed.] 9783110505122, 9783828201149

134 95 32MB

German Pages 325 [328] Year 2000

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

BAND Die Verfassung des Marktes: F. A. von Hayeks Lehre von Staat und Markt im Spiegel grundgesetzlicher Staats- und Verfassungsrechtslehre [Reprint 2016 ed.]
 9783110505122, 9783828201149

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel: Zwei Grundkonzeptionen des Staates
2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit
3. Kapitel: Die Herrschaft des Gesetzes als Prinzip der Beschränkung staatlicher Zwangsgewalt
4. Kapitel: Die Freiheitlichkeit des Marktes
5. Kapitel: Sozialer Rechtsstaat wider umverteilender Wohlfahrtsstaat
6. Kapitel: Der Leistungsstaat
7. Kapitel: Resümee
Literaturverzeichnis

Citation preview

Michael Kläver Die Verfassung des Marktes

Marktwirtschaftliche

REFORMPOLITIK Schriftenreihe der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft N. F.

Herausgegeben von

Rolf Hasse und Joachim Starbatty

Bd. 5: Die Verfassung des Marktes F.A.v. Hayeks Lehren von Staat und Markt

Die Verfassung des Marktes Friedrich August von Hayeks Lehre von Staat und Markt im Spiegel grundgesetzlicher Staats- und Verfassungsrechtslehre

Von

Michael Kläver

©

Lucius & Lucius • Stuttgart

Meiner Frau Johanna

n2 Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Kläver, Michael: Die Verfassung des Marktes :F.A.von Hayeks Lehre von Staat und Markt im Spiegel grundgesetzlicher Staats- und Verfassungsrechtslehre / Michael Kläver. - Stuttgart : Lucius und Lucius, 2000 (Marktwirtschaftliche Reformpolitik ;N.F.,Bd.5) Zugl. :Tübingen, Univ., Diss. ISBN 3-8282-0114-8 © Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH • Stuttgart • 2000 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Einband: Spiegel Buch GmbH, Ulm Printed in Germany

Vorwort Diese Arbeit hat der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Sommersemester 1999 als Dissertation vorgelegen. Mein besonderer Dank gilt folgenden Personen: An erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider, der meine Arbeit bestmöglich gefördert hat und mir die Möglichkeit freier wissenschaftlicher Forschung an seinem Lehrstuhl gegeben hat. Frau Christa Dammann, die sich der Mühe des Korrekturlesens unterzogen hat. Herrn Prof. rer. pol. Ernst Heuß, der das Zweitgutachten erstellt hat. Für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft möchte ich dieser und insbesondere Ihrem Vorsitzenden Herrn Prof. Dr. rer. pol. Dr. h.c. Joachim Starbatty herzlich danken. Nürnberg im November 1999

Michael Kläver

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel: Zwei Grundkonzeptionen des Staates 1. Der Staat als „Bürgervereinigung" (civil association)

2

II. Der Staat als „Unternehmung" (enterprise association)

4

III. Die Frage nach der richtigen Konzeption

6

IV. Die Staatskonzeption Friedrich August von Hayeks

8

2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit I. Der Freiheitsbegriff Hayeks 1. Freiheit als Zustand der Abwesenheit von Zwang

9 9

2. Die Untrennbarkeit von Freiheit und Verantwortung

13

3. Freiheit durch das Gesetz

16

II. Der Freiheitsbegriff des Grundgesetzes

17

1. Der liberalistische Freiheitsbegriff

18

2. Der hayeksche und der liberalistische Freiheitsbegriff im Vergleich

21

3. Der republikanische Freiheitsbegriff Karl Albrecht Schachtschneiders

25

4. Die Freiheitsbegriffe Hayeks und Schachtschneiders im Vergleich

29

HI. Politische Freiheit und Demokratie bei Hayek

31

IV. Der Verbund von Freiheit und Verantwortung

35

1. Individuelle Zwecksetzung und Verantwortung

35

2. Der Bereich persönlicher Verantwortung

37

3. Verantwortung durch das Gesetz

39

4. Politische Verantwortung

41

5. Das freiheitliche Verbundprinzip - Grundlage von Rechtsstaat und Markt.. 43

3. Kapitel: Die Herrschaft des Gesetzes als Prinzip der Beschränkung staatlicher Zwangsgewalt I. Das Prinzip der Herrschaft des Gesetzes (rule of law)

45

II. Die Unverzichtbarkeit staatlicher Zwangsgewalt

46

ID. Hayeks Rechtsstaatsbegriff und der Rechtsstaatsbegriff des Grundgesetzes 48 IV. Das allgemeine Gesetz 1. Gesetz und Befehl: Nomos und Thesis

52 53

Inhaltsverzeichnis

VII

2. Herkömmliche Kriterien der Gesetzesallgemeinheit

56

3. Die Allgemeinheit des Gesetzes bei Kant

59

4. Die Allgemeinheit deS Gesetzes bei Hayek

68

5. Die Allgemeinheit des Gesetzes nach dem Grundgesetz

76

6. Die Negativität der Gesetze

84

7. Die Gleichheit vor dem Gesetz

89

V. Evolutorische Rechtserkenntnis 1. Der Prozeß evolutorischer Rechtserkenntnis

97 97

2. Richterrecht und positive Gesetzgebung

101

3. Die Konsistenz der Gesetze

108

VI. Die immanente Beschränkung staatlicher Zwangsgewalt

112

VII. Hayeks Universalisierbarkeitstest im Vergleich

114

1. Gesetze als Interessenausgleich - Die Republiklehre Karl Albrecht Schachtschneiders 114 2. Gesetz als Vertrag - Das kontrakttheoretische Konzept James M. Buchanans 117 3. Gesetzgebung als Fairneß- Die Gerechtigkeitstheorie John Rawls*

121

4. Kapitel: Die Freiheitlichkeit des Marktes I. Die fundamentalen Rechtsinstitute des Marktes 1. Die Vertragsfreiheit

127 127

a) Das Vertragsprinzip

127

b) Vertragsfreiheit bei Hayek

129

c) Die Vertragsfreiheit in privat- und staatsrechtlicher Sicht

132

d) Vertragsfreiheit und Grundgesetz

135

2. Eigentum

137

a) Die freiheitliche Notwendigkeit von Eigentum nach Kant und Hayek.. 137 b) Eigentum und Knappheit

142

c) Eigentum und Grundgesetz

147

II. Die staatsrechtlichen Vorbehalte gegenüber Markt und Wettbewerb 151 1. Ein Beispiel: Das Wtfttbewerbsverständnis Herbert Krügers

151

2. Markt, Wettbewerb und staatsrechtliches Ordnungsdenken

158

III. Der Markt bei Kant 1. Die Selbständigkeit des Markt- und Staatsbürgers

165 165

VIII Inhaltsverzeichnis

2. Wettbewerb als „durchgängiger Antagonism"

171

IV. Die freiheitliche Begründung des wettbewerblichen Marktes bei Hayek 174 1. Das freiheitliche Verbundprinzip und die spontane Ordnung des Marktes.. 174 2. Marktliche Verantwortung und Haftung

176

3. Die engere Freiheitlichkeit von Markt und Wettbewerb

178

4. Die Reziprozität des Marktes

181

5. Der „Zwang" des Marktes

184

6. Markt und Demokratie

186

7. Die „Moral" des Marktes

189

V. Markt, Wettbewerb und Effizienz

191

1. Probleme einer Effizienzbegründung des Marktes

191

2. Wettbewerb als Wissensgenerierungsprozeß

193

3. Markt und Wettbewerb als freiheitliche Antwort auf die Dynamik der Welt 199

VI. Das Verhältnis zwischen Markt und Rechtsstaat bei Hayek

203

1. Das Grundverhältnis

203

2. Hayeks Kritik interventionistischer Eingriffe

205

3. Rechtsregelung statt Interventionismus

208

4. Wettbewerbspolitik bei Hayek

211

VE. Markt und Grundgesetz- die Frage nach der Wirtschaftsverfassung 215 1. Der Begriff der Wirtschaftsverfassung

215

2. Die „Ordnungsneutralität" des Grundgesetzes

216

3. Die Bedeutung der Grundrechte für die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes 221 a) Der Versuch einer einzelgrundrechtlichen Marktbegründung am Beispiel der Eigentumsdogmatik Walter Leisners 223 b) Der Versuch einer grundrechtlichen Kettenbildung

227

c) Die freiheitliche Begründung des Marktes aus der inneren Logik der Grundrechte 229 d) Das klare Nein zur Planwirtschaft und das vorbehaltliche Ja zum Markt 232 4. Die Rolle der Sozialen Marktwirtschaft in den Texten der Wiedervereinigung 236

Inhaltsverzeichnis

VIII. Die europäische Wirtschaftsverfassung

IX

239

5. Kapitel: Sozialer Rechtsstaat wider umverteilender Wohlfahrtsstaat I. Der soziale Rechtsstaat bei Kant

246

II. Der soziale Rechtsstaat bei Hayek

252

1. Hayeks begriffliche Antihakung gegenüber dem „Sozialstaat"

252

2. Die Sicherung des Existenzminimums bei Hayek

256

3. Soziale Sicherheit durch allgemeine Rechtsregelung

260

4. Die Freiheitswidrigkeit des umverteilenden Wohlfahrtsstaates

264

5. Umverteilung und Markt

265

IE. Der Sozialstaat des Grundgesetzes

268

6. Kapitel: Der Leistungsstaat I. Die Absage an den Minimalstaat

280

II. Staatsmonopole und Staatsunternehmen

286

IH. Staatliche Marktbetätigung und Staatsmonopole nach dem Grundgesetz 290 IV. Kommunale Bereitstellung öffentlicher Güter

294

7. Kapitel: Resümee

297

Literatur

301

1. Kapitel: Zwei Grundkonzeptionen des Staates Zwei gegenläufige Staatskonzeptionen bestimmen nach der Auffassung des englischen Philosophen und Historikers Michael Oakeshott das moderne europäische Bild vom Staat1: Die eine ist die Konzeption des Staates als bürgerliche Vereinigung (civil association), die andere ist die Konzeption des Staates als Unternehmen oder Zweckvereinigung (enterprise or purposive association). Oakeshotts Ausgangsbasis sind vier Begriffe2: Bürger (citizen), Recht/Gesetz (law), Gemeinwohl (public concern) und insbesondere der Begriff der Freiheit (freedom)3. Die jeweilige Konzeption des Staates ist von der Definition dieser Begriffe abhängig und bestimmt diese zugleich. Es ist schwer zu entscheiden, welcher Begriff den Anfang der Überlegungen darstellt; denn die Begriffe wirken zusammen und hängen voneinander ab. Während die Begriffe Staat, Recht/Gesetz und der Bürger eher neutral besetzt sind, verbinden sich mit dem Begriff des Gemeinwohls häufig bestimmte Staatskonzeptionen. Hier soll Gemeinwohl jedoch zunächst völlig neutral begriffen werden, d. h. der Begriff läßt sowohl eine materielle als auch eine bloß formale Deutung zu.

1

On Human Conduct, 1975, S. 313 ff.

2

Die Schwierigkeit, die sich dabei ergibt, ist, daß es keine „neutralen" Begriffe gibt, sondern die Begriffe selbst bestimmten historischen oder theoretischen Staatskonzeptionen entlehnt sind. Ein Umstand, der viele Autoren (darunter auch Oakeshott und Hayek) veranlaßt, ihre eigenen Begriffsbezeichnungen zu prägen. Oftmals gelingt es jedoch nicht, die Begriffe auch hinreichend zu etablieren. Die Neufassung der Begriffe unter der alten Begriffsbezeichnung führt in vielen Fällen zu völliger Begriffsverwirrung; denn jeder versteht unter ein und derselben Begriffsbezeichnung möglicherweise etwas völlig anderes, so daß in der wissenschaftlichen Diskussion oftmals aneinander vorbeigeredet wird. Durch die Neubezeichnung der Begriffe könnte dies vermieden werden. Allerdings versuchen viele die alte Begriffsbezeichnung für ihre eigenen Position zu beanspruchen und sperren sich deshalb gegen die Einführung neuer Begriffe. Vgl. dazu auch F. A. von Hayek, Die Sprachverwirrung im politischen Denken, in: ders., Freiburger Studien, 1969, S. 206 ff. 3

M. Oakeshott, On Human Conduct, S. 109.

2

1. Kapitel: Zwei Grundkonzeptionen des Staates

I. Der Staat als „Bürgervereinigung" (civil association) Die Konzeption des Staates als „bürgerliche Vereinigung" (civil association)4 ist die des Staates als „Wächterstaat" (custodian). Dieser Wächterstaat ist jedoch nicht mit dem herkömmlich verstandenen „Nachtwächterstaat"5 gleichzusetzen. Die Bezeichnung „Wächterstaat" bringt zum Ausdruck, daß der Staat selbst keine materiellen Ziele und Zwecke verfolgt, sondern nur die Bürger allein materielle Zwecke wählen und verfolgen können. Oakeshott beschreibt den Staat als Bürgervereinigung wie folgt: Die Rolle des Staates beschränkt sich darauf, die Zweckverfolgung jedes einzelnen angesichts gleichzeitiger Zweckverfolgung anderer zu gewährleisten, indem er ein System des bürgerlichen Rechts (system of civil law) feststellt und durchsetzt. Der Begriff des Gemeinwohls - für die bürgerliche Vereinigung bezeichnet Oakeshott ihn als respublica - ist rein formal, als Zustand der Bedingungen und Voraussetzungen individueller (gegenseitiger) Zweckverfolgung und Bedürfnisbefriedigung6. Es 4

M. Oakeshott, On Human Conduct, S. 313: „Civil associates are persons (cives) related to one another, not in terms of a substantive undertaking, but in terms of the common acknowledgement of the authority of civil (not instrumental) laws specifying conditions to be subscribed to in making choices and in performing self-chosen actions. A state understood in these terms is identified as a system of law and its jurisdiction. The office of its government is to be the custodian of a respublica composing a system of civil law, to adjudicate disputes about the meanings of its component laws in contingent situations, to give recognition to actions and utterances performed in adequate subscription to them, to penalize inadequate subscription and to redress injury arising from it, and to authorize amendments to this respublica. The mode of association here is, therefore, formal; not in terms of the satisfaction of substantive wants but in terms of conditions to be observed in seeking the satisfaction of wants. The common concern of cives is solely to act justly; that is, in adequate subscription to the prescriptions of a respublica capable of being amended in response to changed understandings of what is 'just'. (...) In short, the civil condition and a state understood in terms of civil association postulates selfdetermined autonomous human beings seeking the the satisfaction of their wants in self-chosen transactions with others of their kind." 5

Der Begriff „Nachtwächterstaat" ist auf den Begründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lasalle zurückzuführen. So R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 10. Auflage 1988, S. 283; vgl. auch F. Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, in: ders., Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft (herausgegeben von E.-J. Mestmäcker), S. 105 ff. (114 f.), der innerhalb seiner Konzeption der Privatrechtsgesellschaft in der Wahrnehmung der Nachtwächteraufgabe den eigentlichen und wichtigsten Zweck des Staates sieht. Der Begriff taucht bei vielen Autoren auf. Vgl. zum Beispiel H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 1964, S. 797. 6 Mit dem Begriff respublica definiert Oakeshott keinen gemeinsamen materiellen Zweck im Sinne eines materiellen Gemeinwohlbegriffes, Interesses oder Gutes, auch

I. Der Staat als „Bürgervereinigung" (civil association)

3

geht allein darum, die erkennbaren Bedingungen dafür sicherzustellen, daß die einzelnen Bürger ihre selbstgewählten Zwecke und Bedürfnisse verfolgen können. Der Bürger ist dabei als autonomes selbstzweckhaftiges Wesen gedacht, welches seine eigenen Wünsche durch selbstbestimmtes Handeln und in Interaktion mit anderen zu erfüllen strebt. Der Staat im Sinne der bürgerlichen Vereinigung selbst ist zweckneutral. Er dient gleichzeitig den individuellen Zwecken aller. Er ist gewissermaßen zweckblind. Die Zwecke der einzelnen sind nur von Relevanz, soweit sie die bürgerlichen Bedingungen und Voraussetzungen allgemeiner individueller Zweckverfolgung betreffen, zu deren Einhaltung der Staat zwingt. Die einzelnen Bürger stehen miteinander nicht in Beziehung der Art gemeinsamer materieller Zwecke, sondern in der Art, daß sie gemeinsam die Notwendigkeit eines geeigneten Systems bürgerlicher Gesetze anerkennen, die die Bedingungen eigengeleiteten Handelns schaffen und sichern. Der „bürgerlichen Vereinigung" wohnt ein rein individueller Freiheitsbegriff inne7. Die politische Freiheit als Recht der Teilnahme und Mit Wirkung an politischen Entscheidungen ist irrelevant, weil politische Entscheidungen eben nicht gemeinsame Zwecke festlegen können. Wenn der „Zweck" des Staates auf die Sicherstellung des gesetzlichen Bedingungszustands beschränkt ist, kann in der staatlichen Mitwirkung selbst kein Mehr an ,.Freiheitsverwirklichung" liegen. Die Gewährleistung des allgemeinen Bedingungszustands ist ausschlaggebend. Die Freiheitlich-

nicht als Ziel oder Summe von Einzelzwecken, als kleinsten gemeinsamen (konsensualen) Nenner, vielmehr definiert Oakeshott, On Human Conduct, S. 147 f., respublica als den Anwendungszustand von Regeln, mit anderen Worten als Zustand allgemeiner gesetzlicher Handlungsbedingungen. 7

M. Oakeshott, On Human Conduct, S. 314: „Thus, the 'freedom' inherent in this mode of association lies, first, in associates not being related to one another in the pursuit of any substantive purpose they have not chosen for themselves and from which they cannot extricate themselves by a choice of their own, and secondly in their actions and utterances being not even officially noticed or noticeable (much less subjected to examination or direction) in respect of their substantive character but solely in respect of the civil conditions to which they are required to subscribe. And it is a 'freedom' to choose which is not only exercised in the performance of substantive actions but is also postulated in the subscribing to the conditions of respublica: laws cannot either specify actions or exhaustively define subscriptions to themselves. This 'freedom' cannot be increased by the enjoyment of a right to participate in the care and custody of respublica; it is not decreased by the absence of such a right; and those who have the authority to make or to amend the provisions of a respublica are neither more or less 'free' then those who do not."

4

1. Kapitel: Zwei Grundkonzeptionen des Staates

keit des Bürgers liegt in dessen Selbstbestimmtheit, die allerdings die Verwirklichung des bürgerlichen Bedingungszustands voraussetzt. Selbstbestimmung erfordert die Anerkennung bürgerlicher Bedingungen und hängt eng mit Selbstverantwortung zusammen. Der Einzelne ist zu einem selbstbestimmten Leben nicht nur „ermächtigt", sondern auch verpflichtet; denn nur der Einzelne kann für sich Zwecke und Bedürfnisse definieren. Eine gemeinsame Zweckdefinition über den Staat findet nicht statt. Die Zweckdefinition und -befriedigung findet allein auf der Ebene der Bürger statt. Mit dem Staat steht lediglich die „formale" gemeinsame Infrastruktur dazu zur Verfügung.

II. Der Staat als „Unternehmung" (enterprise association) Dem Staat als ,3ürgervereinigung" steht bei Oakeshott der Staat als „Unternehmung" (enterprise association) oder „Zweckvereinigung" (purposive association) gegenüber8: Der Staat als Unternehmung ist bestimmt durch den gemeinsamen Zweck als materielle Ausprägung des Gemeinwohls. An die Stelle der respublica der Bürgervereinigung tritt ein Gemeingut (common good). 8

On Human Conduct, S. 315: ,An enterprise association is composed of persons related in terms of a specified common pupose or interest and who recognize one another in terms of their common engagement to pursue or to promote it. Each associate knows himself as the servant of the purpose being pursued. They may also recognize themselves to be associated in terms of some rules of conduct, but since these rules are, like the associates themselves, instrumental to the pursuit of the common purpose, this does not constitute a distinguishable relationship. But a purpose can be pursued only in the performance of substantive actions; consequently, these associates are not merely joined by the recognition of their common purpose but also as cooperators related in the performance of actions each which is (or is alleged to be) contributory to the achievement of the common purpose. This mode of association is, then, substantive; it is association in co-operative 'doing'. And there may be as many such associations as there are purposes to invoke joint pursuit. A state understood in the terms of purposive association is, then, identified in terms of a purpose and of the persons joined in pursuing it. This purpose is not merely one among many which these persons, or groups of them, may from time to time choose to be joined in pursuing, nor is the sum of all such purposes: purposes modify one another and cannot be related on terms of addition if only because each is necessarily a competitor for the total resources of time and energy. It is their sovereign purpose, that which determines all others; their so-called 'common good'. And the office of the government of such a state is to specify and to interpret this sovereign common purpose and to manage its pursuits, that is, to determine how it shall be pursued in contingent circumstance and to direct the substantive actions of the associates so that the performances of each shall contribute to its achievement, or to settle disputes about what actions do or do not contribute."

II. Der Staat als „Unternehmung" (enterprise association)

5

Die einzelnen Mitglieder des Staates sind darin verbunden, diesen gemeinsamen Zweck bestmöglich zu verfolgen. Der gemeinsame Zweck führt zur Zurückdrängung der individuellen Zwecke. Die Verfolgung individueller Zwecke wird nur zugelassen, wenn dies gleichzeitig dem gemeinsamen Zweck dient. Aufgabe des Staates {government, der Staat im engeren Sinne) ist es, den gemeinsamen Zweck zu bestimmen und seine Verfolgung sicherzustellen. Der Staat legt fest, in welcher Weise der gemeinsame Zweck verfolgt werden soll. Er richtet die Handlungen der Individuen auf dieses Ziel aus. Die vom Staat getroffenen Regelungen sind rein instrumental, weil sie nicht um einer formalen Vereinbarkeit des Nebeneinander verschiedener Handlungen willen, sondern im Sinne zweckgerichteter Koordination existieren. Der Staat als Unternehmung konstituiert sich nicht nur in Anerkennung des gemeinsamen Zwecks, sondern auch in Anerkennung der Befugnis gemeinsamer Lenkungsentscheidungen, die Richtung und Weg der Zweckverfolgung festlegen sollen. Der Staat soll das einzelne Mitglied bestmöglich zur Zwekkerreichung einbeziehen. Er muß jedem Mitglied einen geeigneten Platz in der Zweckvereinigung ermöglichen, damit dieser seinen Talenten entsprechend dem gemeinsamen Zweck dienen kann. Oakeshott reduziert die Freiheit der Unternehmung auf einen Zustand der Sorglosigkeit und Geborgenheit9; denn jedem ist sein Platz in der Zweckvereinigung sicher. Das einzelne Mitglied ist dadurch frei, daß es den ihm zukommenden Platz einnimmt. An die Stelle individueller Sorge und Verantwortung tritt die staatliche. Dies schließt eine Fürsorge des Staates im Falle der (durch staatliches „Mißmanagement" verursachten) Fehlallokation mit ein10. Die Freiheit des einzelnen Mitglieds verwirklicht sich darin, daß der Einzelne den staatlichen Vorschriften entsprechend handelt. Dadurch wird ihm staatliche Wohlfahrt zuteil. Die Freiheitlichkeit der Zweckvereinigung gewährt dem Einzelnen ein höchstmögliches Maß an Sicherheit. 9 On Human Conduct, S. 317: „The 'freedom' inherent in such a state is the condition of being released from every care in the world save one; namely, the care not to be idle in fulfilling one's role in the enterprise, not to inhibit or prejudice that complete mobilization of resources which constitutes such a state. It is a condition in which having wants and seeking often elusive satisfactions, and the attendant risk of the frustration of one's purposes, have been replaced by the enjoyment of assured benefits. To the obedient will accrue a share in the profits of the enterprise, and the desirable constitution for the government of such a state will be one which makes this more rather than less certain. The member of such a state enjoys the composure of the conscript assured of his dinner. His 'freedom' is warm, compensated servility." 10

M. Oakeshott, On Human Conduct, S. 316.

6

1. Kapitel: Zwei Grundkonzeptionen des Staates

Von Oakeshott an dieser Stelle unerwähnt, bleibt die politische Freiheit. Bezieht man diese in die Konzeption des Staates als Zweckvereinigung mit ein, gelingt es möglicherweise dem oakeshottschen Urteil der Freiheit als „warme Servilität" entgegenzutreten; denn, wenn das einzelne Mitglied am politischen Entscheidungsprozeß über den richtigen Weg, wie der gemeinsame Zweck verfolgt werden soll, mitwirkt, ist der Vorwurf der Unterwürfigkeit unangebracht. Der Einzelne nimmt an der politischen Willensbildung teil. Staatlicher Wille wird so zum Ausdruck eines gemeinsamen Willens. Die Freiheit des Einzelnen verwirklicht sich darin, daß er dem gemeinsamen Willen, der ob seiner Beteiligung auch sein Wille ist, folgt. Dann „unterwirft" sich der Einzelne mit dem gemeinsamen Willen auch dem eigenen. Die Zweckvereinigung stellt also anders als die Bürgervereinigung nicht die Handlungsfreiheit des Einzelnen in den Vordergrund, sondern die bestmögliche Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks, dem auch der Einzelne höchste Priorität einräumt. Durch bestmögliche (effiziente) Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks verwirklicht sich auch die Freiheit des Einzelnen. An die Stelle des Primats individueller Zweckdefinition und -Verfolgung tritt der Primat der gemeinsamen Zielhierarchie.

III. Die Frage nach der richtigen Konzeption Mit den Konzeptionen des Staates als Bürgervereinigung oder als Unternehmung/Zweckvereinigung sind die zwei Grundkonzeptionen in ihren Kernzügen vorgestellt. Diese bilden gleichsam die Gegenpole der Diskussion um den Staat und daraus abgeleiteter Probleme. Wird vom Staat gesprochen, sollte, um Mißverständnisse zu vermeiden und um keine falschen Erwartungen aufkommen zu lassen, offengelegt werden, welcher Hemisphäre das jeweilige Konzept zuzuordnen ist. Der Versuch einer dritten Grundkonzeption scheint bisher nicht gelungen, auch wenn die Diskussion um den „dritten Weg" nach wie vor geführt wird11. Obwohl sich die verschiedenen Versuche eigenständiger Konzeptionen im Detail oftmals erheblich unterscheiden und deswegen eine Einordnung auf den ersten Blick zunächst nicht leicht möglich ist, ändert sich dies, wenn 11 Die Debatte um den „dritten Weg" ist in jüngster Zeit neu entbrannt. Insbesondere der britische Premierminister Tony Blair und der amerikanische Präsident Bill Clinton tragen dieses Schlagwort wie eine Monstranz vor sich her. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder fühlt sich nach eigenen Aussagen diesem Weg verpflichtet. Allerdings wird hierbei mehr an einen „dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus gedacht als in den Staatskategorien Oakeshotts.

III. Die Frage nach der richtigen Konzeption

7

man die jeweilige Konzeption von ihrem schmückenden Beiwerk befreit und sie auf ihre Begriffe reduziert. Dann tritt die Grundkonzeption, auf der sie basiert, meist recht deutlich zutage. Die Frage, welche der beiden Grundkonzeptionen die richtige ist, ist eine philosophische Frage, die rein dogmatisch endgültig nicht entscheidbar ist, weil beide Grundkonzeptionen zu Aussagen über den Staat führen können, die in sich schlüssig sind. Die wissenschaftliche Analyse kann nur leisten, vorhandene Konzeptionen, unabhängig davon, welcher Grundkonzeption sie zuzurechnen sind, auf innere Widersprüche und Lücken hin zu überprüfen. Der Streit um das richtige philosophische Paradigma ist wohl nur zu lösen, wenn es gelingt, auch eine im Detail widerspruchsfreie und sich in der Praxis bewährende Konzeption des Staates zu entwickeln, die einer der beiden Grundkonzeptionen zum Sieg verhelfen könnte. Insofern erweisen sich zumindest solche Staatsentwürfe als unbrauchbar, die von Annahmen über den Menschen ausgehen, die den allgemeinen (biologischen, psychologischen und epistemologischen) Erkenntnissen widersprechen oder historischen Erfahrungen zuwiderlaufen. Die den Staatskonzeptionen inhärenten Begriffe bilden nicht nur die Grundlage für den Staat im engeren Sinne, sondern für das gesamte „Gemeinwesen", also für alle Institutionen, die dieses bestimmen. So ist auch die Konzeption des Marktes von den tragenden Grundbegriffen abhängig. Der Markt kann als unverzichtbares Instrument des Individuums zur eigenen Zweckverfolgung oder aber als ein Instrument des Staates zur gemeinsamen Zweckverfolgung verstanden werden. Die Interdependenz zwischen Staat und Markt ist eine Interdependenz, die in den Grundbegriffen begründet liegt. Unterschiedliche Begriffe wirken sich nicht nur auf die Konzeption des Staates, sondern auch auf die des Marktes aus. Die begriffliche Verfassung des Staates wird gleichzeitig zu der des Marktes.

8

1. Kapitel: Zwei Grundkonzeptionen des Staates

IV. Die Staatskonzeption Friedrich August von Hayeks Auf die von Oakeshott beschriebenen Staatskonzeptionen greift auch Friedrich August von Hayek zurück, insbesondere auf die von Oakeshott auch verwendeten Bezeichnungen der Bürgervereinigung als Nomokratie und der Zweckvereinigung als Teleokratie, wobei Hayek klarstellt, daß er die Bezeichnung Nomarchie vorziehen würde12. Das Staatskonzept Hayeks entspricht zweifellos der Hemisphäre des Staates als Bürgervereinigung. Anhand der hayekschen Lehre wird deutlich, daß auch die Konzeption von Markt und Wettbewerb von der gewählten Grundkonzeption des Staates und den zugrundeliegenden Begriffen abhängt. Bei den Befürwortern des Staates als Zweckvereinigung werden die hayekschen Begriffe zunächst wohl wenig Begeisterung hervorrufen. Dennoch mag die weitere Auseinandersetzung mit den hayekschen Begriffen dazu führen, sich von der an Hayek orientierten Konzeption des Staates beeindrucken zu lassen. In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die Konzeption des Grundgesetzes und der darauf abstellenden Staats- und Verfassungsrechtslehre an den Begriffen Hayeks zu messen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen und bewerten zu können. Um die Argumentation Hayeks zu untermauern oder zu ergänzen, werden auch andere Autoren, die Nähe zu Hayek aufweisen, herangezogen. Ausgangspunkt der Untersuchung ist das der Lehre Hayek innewohnende Fundamentalprinzip von Staat und Markt: Freiheit. Diese führt zur Begründung des Rechtsstaats, zur rechtsstaatlichen Herrschaft des Gesetzes, den Gegenstand des zweiten Kapitels. Im vierten Kapitel werden zunächst die aus den Fundamentalprinzip ableitbaren Grundinstitute Vertragsfreiheit und Eigentum erörtert. Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen dann der Markt, seine freiheitliche Begründung und sein Verhältnis zum Rechtsstaat. In den beiden folgenden Kapiteln wird die Vereinbarkeit der hayekschen Thesen mit Aspekten des Sozialstaates und des Leistungsstaates geprüft. Ein kurzes Resümee schließt die Untersuchung ab.

12 Die Sprachverwirrung im politischen Denken (1968), in: ders.; Freiburger Studien, 1969, S. 206 ff. (223 f., Fn. 19). Auf die diesbezügliche Nähe zwischen Oakeshott und Hayek weist auch N. P. Barry, Hayek's Social and Economic Philosophy, 1979, S. 197, hin.

2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit Um das Verhältnis von Staat und Markt klären zu können, ist es uner1

läßlich, zunächst das Fundamentalprinzip zu definieren und zu erörtern, welches Grundlage von Staat und Markt in der Lehre Hayeks ist: Freiheit.

I. Der Freiheitsbegriff Hayeks 1. Freiheit als Zustand der Abwesenheit von Zwang Im Sinne der hayekschen Lehre wird ein Zustand der Freiheit" angestrebt14. Freiheit ist Ziel und Zielbedingung zugleich. Im ersten Kapitel in ,J)ie Verfassung der Freiheit" stellt Hayek einführend fest, was unter einem Zustand der Freiheit zu verstehen ist: „Wir befassen uns in diesem Buch mit jenem Zustand der Menschen, in dem Zwang auf einige von Seiten anderer Menschen so weit herabgemindert ist, als dies im Gesellschaftsleben möglich. Diesen Zustand werden wir durchweg einen Zustand der Freiheit nennen."

Erst in Verbindung mit der hayekschen Definition des Zwanges wird obige Definition verständlich: „Unter ,Zwang' wollen wir eine solche Veränderung der Umgebung oder der Umstände eines Menschen durch jemand anderen verstehen, daß dieser, um größere Übel zu vermeiden, nicht nach seinem eigenen zusammenhängenden Plan, sondern im Dienste der Zwecke des anderen handeln muß."16

Zwang in der Terminologie Hayeks unterwirft den Menschen fremden Zwecken. Der Freiheitsbegriff Hayeks gründet sich auf der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen1 . Im Zustand der Freiheit als Abwesenheit von 13

Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, Regeln und Ordnung, 2. Auflage 1986, S. 85, spricht von der Freiheit als einem obersten Prinzip. 14 Die Verfassung der Freiheit, 3. Auflage 1991, S. 13. 15 Die Verfassung der Freiheit, S. 13. 16 Die Verfassung der Freiheit, S. 27. Kritisch zum umfassenden Zwangsbegriff Hayeks-. M. N. Rothbard, F. A. Hayek and the Concept Coercion, in: ORDO, Bd. 31 (1980), S. 44 ff., der den Zwangsbegriff auf physische Gewalt und deren Androhung beschränkt sehen möchte. 17 Der Mensch existiert, wie Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten, 1785/1786, Werkausgabe hrsg. von W. Weischedel, Bd. VI, 1968, S. 59, schreibt, als „ein vernünftiges Wesen als Zweck an sich selbst". Die Freiheit des Menschen liegt

10 2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit

Zwang kann der Einzelne eigene, selbstgesetzte Zwecke verfolgen. Der Einzelne ist frei, sein Wissen für seine Zwecke zu verwenden18. Da diese Freiheit jedem zukommt, ist der Einzelne bei der Verfolgung seiner Zwecke nur insoweit frei, als er dadurch nicht andere bei der Verfolgung ihrer Zwecke behindert oder dies gar verhindert: „Freiheit für alle kann nach dem bekannten Ausspruch Immanuel Kants nur erreicht werden, wenn die Freiheit eines jeden nur soweit ausgedehnt wird, daß sie die gleiche Freiheit der übrigen Menschen nicht beeinträchtigt." 19

Der Mensch ist nämlich nicht isoliertes Einzelwesen, sondern lebt in Gemeinschaft mit anderen. Seine Freiheit bestimmt sich im Nebeneinander und Miteinander mit den anderen. Hayek kann sich auch der Definition der Freiheit als „ Unabhängigkeit von der Willkür anderer" anschließen20. Diese Definition geht auf die von Kant gegebene Definition der Freiheit als der „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür" zurück21. Freiheit ist zunächst ein negativer Begriff22. Ganz im Sinne individueller Freiheitserfahrung Kants:

nach Kant in dessen Fähigkeit zur Moralität begründet. So Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 206, Fn. 4. Vgl. auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 431, der mit Kant die Freiheit im Vermögen des Menschen erkennt, „die Maximen des Verhaltens selbst zu bestimmen". 18

F. A. v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, S. 83.

19

F. A. von Hayek, Liberalismus, in: ders., Die Anmaßung von Wissen - Neue Freiburger Studien, hrsg. von W. Kerber, 1996, S. 216 ff. (229). 20

Die Verfassung der Freiheit, S. 15.

21

Die Metaphysik der Sitten, ed. Weischedel, Bd. 7, S. 345; vgl. zum kantianischen Freiheitsbegriff K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre. Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts-, und Staatslehre, 1994, S. 275 ff., S. 290 ff.; ders., Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, in: ders. (Hrsg.): Wirtschaft, Gesellschaft und Staat im Umbruch, Festschrift der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg 75 Jahre nach Errichtung der Handelshochschule Nürnberg, 1995, S. 418 ff, inbes. S. 430; zur Hayeks Nähe zur Freiheitslehre Kants vgl. auch Ch. Kukathas, Hayek and Modern Liberalism, 1989, S. 31 ff., 167 ff.; J. N. Gray, Freiheit im Denken Hayeks, 1995, S. 4 ff. 22

Vgl. auch F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 25 f.; ders., Liberalismus, S. 230.

I. Der Freiheitsbegriff Hayeks

11

„Denn die Freiheit (so wie sie uns durchs moralische Gesetz allererst kundbar wird) kennen wir nur als negative Eigenschaft in uns, nämlich durch keine sinnliche Bestimmungsgriinde zum Handeln genötigt zu werden." 23

Im Umkehrschluß folgert Hayek: „Die Freiheit wird etwas Positives nur durch den Gebrauch, den wir von ihr machen. Sie sichert uns keinerlei bestimmte Möglichkeiten, sondern überläßt es uns, zu entscheiden, was wir aus den Umständen machen, in denen wir uns befinden." 24

Im positiven Sinn ist Freiheit für Hayek die Freiheit zu selbstbestimmter Lebensgestaltung. Hayek spricht sich gegen eine Gleichsetzung von Freiheit mit der Einräumung bestimmter Freiheiten aus: „ Freiheiten' treten nur auf, wo die Freiheit fehlt."25 Freiheit ist für Hayek unteilbar: „Obwohl es (...) berechtigt sein mag, von verschiedenen Arten von Freiheit zu sprechen, .Freiheiten von etwas' und .Freiheiten zu etwas', gibt es in unserem Sinne nur eine Freiheit, die dem Grade nach, aber nicht in ihrer Art veränderlich ist." 26

Ein Mehr oder Minder an Handlungsmöglichkeiten ist kein Mehr oder Minder an Freiheit im Sinne Hayeks. Der Begriff Freiheit ist bei Hayek auf die Beziehungen von Menschen zu Menschen ausgerichtet: Abwesenheit von Zwang bedeutet Abwesenheit von personalem Zwang durch die Mitmenschen . Freiheit verlangt, so Hayek, nicht mehr, „als daß Zwang und Gewalttätigkeit, Betrug und Irreführung verhindert werden"2 . Nur wenn Handlungsmöglichkeiten durch personalen Zwang anderer genommen werden, ist damit auch ein Verlust an Freiheit verbunden. Um den hayekschen Freiheitsbegriff verstehen zu können, ist es notwendig, sich vom gewöhnlichen Sprachgebrauch des Begriffs Freiheit zu lösen; denn dieser verbindet mit jeder Beschränkung von Handlungsmöglichkeiten eine Einbuße an Freiheit. Darauf weist auch Hayek ausdrücklich hin29.

23 Die Metaphysik der Sitten, S. 333. Dazu auch F. Neumann, Die Herrschaft des Gesetzes, 1980, S. 169. 24

Die Verfassung der Freiheit, S. 26.

25

Die Verfassung der Freiheit; S. 26.

26

Die Verfassung der Freiheit, S. 16.

27

Die Verfassung der Freiheit, S. 16.

28

Die Verfassung der Freiheit, S. 173.

29

Die Verfassung der Freiheit, S. 16, insbes. auch Fn. 7.

12 2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit

Ausgangspunkt und Endpunkt freiheitlicher Überlegungen kann nur der Einzelne sein. Dies folgt aus der Selbstzweckhaftigkeit des Menschen. Die individuelle Freiheit im Sinne Hayeks darf jedoch nicht, wie er selbst bemerkt, mit einem Begriff der Freiheit verwechselt werden, der Freiheit dafür gebraucht, „zw tun und zu lassen, was ich will"30. Dies würde dem hayekschen Freiheitsbegriff diametral entgegenlaufen, weil so Freiheit als unendliche Handlungsmöglichkeit begriffen würde31. Ein Zustand individueller Freiheit aller schließt sich damit aus; denn die Individuen nehmen sich gegenseitig ,.Freiheit", um die eigene zu vermehren.

30

Die Verfassung der Freiheit, S. 21. Insofern läßt sich der hayeksche Freiheitsbegriff nicht als liberalistisch einstufen, um in der Terminologie Karl Albrecht Schachtschneiders zu sprechen. Dazu ausführlich in diesem Kapitel, I. Zur Kritik am liberalistischen Freiheitsbegriff Schachtschneider, Res publica res populi, S. 441 ff.; ders.,Vom liberalistischen zum republikanischen Freiheitsbegriff, S. 418 ff, S. 422 ff. An dieser Stelle kann es zu einer Verwirrung von Begriffen und Bezeichnungen kommen, die Hayek auch selbst erkannt hat und auf die er im Nachwort ,J)ie Verfassung der Freiheit" zu sprechen kommt. Es geht um die Einordnung seiner Staatslehre: Die Einordnung in den Konservatismus lehnt er ab; aber auch eine pauschale Einordnung in den Liberalismus, weil damit zu viel völlig undifferenziert bezeichnet würde. Nach Hayeks Auffassung ist eine Unterscheidung in einen angelsächsisch (anti-konstruktivistisch) und einen kontinental (konstruktivistisch) geprägten Liberalismus notwendig, wobei sich Hayek eindeutig dem ersteren zurechnet. Der Einordnung unter der Bezeichnung Libertarismus kann er zwar an und für sich zustimmen, allerdings mißfällt ihm das Wort. Es erscheint ihm zu künstlich. Historisch richtig erscheint Hayek die Anknüpfung an die englischen Whigs: ,Je mehr ich über die Ideengeschichte lerne, desto bewußter wird mir, daß ich einfach ein unverbesserlicher Old Whig bin - mit der Betonung auf ,old'." (S. 494). Letztlich ist er sich aber nicht sicher, ob eine Neueinführung der Bezeichnung „Whiggismus" wirklich sinnvoll ist. Von den verschiedenen Autoren wird Hayek höchst unterschiedlich eingeordnet. So widerspricht Paul B. Cliteur, Why Hayek is a Conservative, ARSP 1990, S. 467 ff., der hayekschen Selbsteinschätzung und ordnet ihn im Ergebnis dem Konservatismus zu (S. 476). Will Kymlicka, Politische Philosophie heute, 1996, S. 98 ff., zählt Hayek zu den Libertaristen. Für John N. Gray, Freiheit im Denken Hayeks, 1995, S. V, Norman Barry, Hayek on Liberty, in: Z. Pelczynski/J. N. Gray (Hrsg.): Conceptions of Liberty in Political Philosophy, 1984, S. 263, und Roland Kley, Hayek's Social and Political Thought, 1994, S. 228, steht Hayek in der Tradition des klassischen Liberalismus David Humes, Adam Smiths und auch Kants, der sich Hayek auch selbst zurechnet. 31 Vgl. auch dazu N. Barry, Hayek on Liberty, in: Z. Pelczynski/J. N. Gray (Hrsg.): Conceptions of Liberty in Political Philosophy, 1984, S. 263 ff. (275); H. Bouillon, Hayek and his Epistemological Restatement of Classical Liberalism, in: Chr. Frei/ R. Nef (Hrsg.); Contending with Hayek, 1994, S. 87 ff. (88 ff.).

I. Der Freiheitsbegriff Hayeks

13

2. Die Untrennbarkeit von Freiheit und Verantwortung Freiheit heißt bei Hayek nicht nur die Möglichkeit, sondern die Notwendigkeit, nach eigenen Plänen und Entscheidungen zu handeln32. Freiheit ist für Hayek ohne Verantwortung nicht denkbar. Sie erfordert die individuelle Bereitschaft, Verantwortung für sich und seinen Wirkungsbereich zu übernehmen: „Freiheit bedeutet nicht nur, daß der Mensch sowohl die Gelegenheit als auch die Last der Wahl hat; sie bedeutet, daß er die Folgen seiner Handlungen tragen muß und Lob und Tadel dafür erhalten wird. Freiheit und Verantwortung sind untrennbar." 33

Die Untrennbarkeit von Freiheit und Verantwortung wird bei Hayek zum Fundament eines freiheitlichen Gemeinwesens 34 . Hayek stellt unmißverständlich fest, daß die Annahme der Freiheitlichkeit und Selbstverantwortlichkeit des Menschen auf einem Bild des Menschen beruht, welches von der individuellen Persönlichkeit des Menschen und der Möglichkeit eigener willentlicher Handlungen und damit eigener Verantwortlichkeit ausgeht35. Die Freiheit und Verantwortung sind zwei Seiten einer Medaille. Oder, wie es Robert Nef ausdrückt, Freiheit als „gegenseitiges Zugeständnis" ist das Zuckerbrot", Verantwortung als „gegenseitige Zumutung" ist die Peitsche36. Freiheit und Verantwortung sind als Grundprinzipien menschlicher Würde identisch37. Hayek spricht von der Komplementarität von Freiheit und Verantwortung3 . Er würde sicherlich der Auffassung Peter Koslowskis zustimmen, daß die persönli-

32

Die Verfassung der Freiheit, S. 24.

33

Die Verfassung der Freiheit, S. 89.

34

Sozialismus und Wissenschaft, in: ders.: Die Anmaßung von Wissen. Neue Freiburger Studien, herausgegeben von Wolfgang Kerber, 1996, S. 155. 35 F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 90 ff. Hayek erörtert ausführlich die Frage der „Verantwortungsfähigkeit" des Menschen. Vgl. auch P. Koslowski, Die Ordnung der Wirtschaft, S. 253, der den Zusammenhang zwischen freiem willentlichen Handeln und der Übernahme von Verantwortung dezidiert zur Sprache bringt, und dessen Grundlage die Urheberschaft des Handelnden für die Wirkungen seiner Handlungen, für das „In-die-Wirklichkeit Gebrachte", ist. 36

Keine Freiheit ohne Verantwortung - keine Verantwortung ohne Freiheit, in: Baader, Roland (Hrsg,): Die Enkel des Perikles - Liberale Positionen zu Sozialstaat und Gesellschaft, 1995, S. 127 ff. (S. 128). 37

Vgl. P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984, S. 82 ff.

38

Die Verfassung der Freiheit, S. 96.

14 2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit

che Verantwortung ein Existential des Menschen ist, ohne das „der Mensch nicht er selbst sein kann"39. Wenn auch die Bedeutung der Selbstverantwortung für das Verständnis der hayekschen Freiheits- und Staatskonzeption entscheidend ist, bleibt dieses Prinzip bei der Kritik der hayekschen Thesen oftmals unbeachtet40. Der Grund dafür mag sein, daß der Frage der Verantwortung zwar in „Der Verfassung der Freiheit" ein eigenes Kapitel gewidmet wird, daß das Prinzip persönlicher Verantwortung ansonsten allerdings eher beiläufig Erwähnung findet oder gar nur unterschwellig unausgesprochen mitklingt. Die Verantwortung ist Voraussetzung der Konzeption der Herrschaft des Gesetzes, der Konzeption gesetzlicher Freiheit. Verantwortung ist ein Rechtsbegriff, „weil das Gesetz klare Merkmale verlangt, um zu entscheiden, wann die Handlungen eines Menschen eine Verpflichtung schaffen, oder ihn der Bestrafung aussetzen^. Das Gesetz verrechtlicht Verantwortung. Der Begriff Verantwortung ist in dieser Hinsicht Rechtsbegriff; denn das Gesetz bestimmt Verantwortung, indem es Rechtsfolgen an Handlungen knüpft, damit Handlungsfolgen an die Handlung bindet, Verantwortung normiert. Über die rechtliche Bedeutung hinaus wird Verantwortung auch als Moralbegriff zur Grundlage der Freiheit: „Die Bedeutsamkeit des Begriffes erstreckt sich daher weit über das Gebiet des Zwangs hinaus, und seine größte Wichtigkeit liegt vielleicht in seiner Rolle, die freien Entscheidungen des Menschen zu leiten. Eine freie Gesellschaft verlangt wahrscheinlich mehr als eine andere, daß die Menschen in ihrem Handeln von Verantwortungsbewußsein getragen werden, das über die vom Gesetz auferlegten Pflichten hinausgeht, und daß die communis opinio es für richtig hält, daß die Einzelnen sowohl für den Erfolg als auch für den Mißerfolg ihrer Bemühungen verantwortlich gemacht werden.Wenn die Menschen handeln können, wie sie es für richtig halten, müssen sie auch für die Ergebnisse ihrer Handlungen verantwortlich gemacht werden." 42

39

Die Ordnung der Wirtschaft, S. 264. Das gute Leben des Einzelnen hängt von dessen Bereitschaft zur Verantwortung ab. Koslowski schreibt, S. 260.: ,JZur Verantwortung gehört der Mut, daß es das Richtige geben wird, wenn die einzelnen sich verantwortlich fühlen und ein persönlich richtiges Leben führen." 40 Vgl. z. B. die Kritik J. B. Müllers, Die soziale Frage - der blinde Fleck der ,Chicago SchooP, Berliner Debatte INITIAL 9, 1998, der das Prinzip Verantwortung bei Hayek beflissentlich übersieht. 41

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 95.

42

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 95.

I. Der Freiheitsbegriff Hayeks

15

Freiheitliches Handeln ist immer zu verantwortendes Handeln. Jenseits eigener Verantwortung ist freiheitliches Handeln nicht möglich. Die Anerkennung des Menschen als vernunftbegabtes Wesen führt zur Freiheit des Menschen. Die Menschen dürfen ihre eigenen Zwecke verfolgen, müssen jedoch die Folgen auch selbst verantworten. Folgen freiheitlichen Handelns sind (soweit wie möglich) individuell zu verantworten. Peter Koslowski definiert Verantwortung als die Zurechenbarkeit einer Tat zu einer Person43. Die Zurechnung kann nicht voraussetzungslos erfolgen: „Die Zuschreibung von Verantwortung setzt daher die Fähigkeit der Menschen zu rationalem Handeln voraus und sie bezweckt, ihr Handeln rationaler zu machen, als es sonst wäre." 44

Verantwortlichkeit erfordert Verantwortungsfähigkeit, aber auch Verantwortungsbe-reitschaft. Freiheit bedeutet nach Hayek die Pflicht und Bereitschaft verantwortlich zu handeln. Eine Position, die auch Kant entspricht; denn, wie es Karl Popper formuliert: „(...) Kant hat gezeigt, daß jeder Mensch frei ist: nicht weil er frei geboren, sondern weil er mit einer Last geboren ist - mit der Last der Verantwortung für die Freiheit seiner Entscheidung." 45

Der Einzelne muß sich bei seinem Tun und Unterlassen, wie es Peter Koslowski formuliert, von der Pflicht leiten lassen „(...) nach bestem Wissen und nach Bemühung um die bestmögliche Information diejenige Entscheidung zu fällen, die diesem beruflichen oder Gemeinschaftszusammenhang und den in ihm Wirkenden und von ihm Betroffenen angemessen ist." 46

Daß Hayek Freiheit und Verantwortung aneinander bindet, rückt ihn sehr in die Nähe des kategorischen Imperativs Kants.

43

Die Ordnung der Wirtschaft, S. 253.

44

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 96.

45

Immanuel Kant - Der Philosoph der Aufklärung, in: ders., Die offene Gesellschaft und ihre Feinde 1,7. Auflage 1992, S. XXIX. 46

Die Ordnung der Wirtschaft, S. 265. Koslowski geht von einem weiten Pflichtbegriff aus. Pflicht heißt bei Koslowski das stoische kathekon, das Zukommende, das „in einer Handlungssituation nach sittlicher und außersittlicher Güterabwägung und nach angemessener Informationssuche und Entscheidungszeit Beste". Für Peter Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, S. 33 f., ist der Begriff der Pflicht die Verdichtung von Verantwortung, bestimmte Aufgaben zu erfüllen.

16 2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit

3. Freiheit durch das Gesetz Freiheit bei Hayek ist Freiheit unter dem Gesetz47. Freiheit ist wie bei KantA% auf das engste mit dem Gesetz verbunden: Der Begriff der Freiheit unter dem Gesetz (...) beruht auf der Ansicht, daß wir mit der Befolgung von Gesetzen im Sinne von allgemeinen abstrakten Regeln, die, unabhängig von ihrer Anwendung auf uns, niedergelegt werden, nicht dem Willen eines anderen unterworfen und daher frei sind." 9

Hayek sieht sich in einer Tradition, die bis in die Antike zurückreicht und die sich in allen großen Freiheitsbewegungen der vergangenen Jahrhunderte wiederfindet50. Er knüpft insbesondere an Cicero51, David Hume52, Adam Smith53 und Kant54 an. Hayek sieht das Gesetz als Grundlage der Freiheit55; das Gesetz macht uns frei56. Erst das Gesetz schafft nach Hayek die individuelle Freiheit57. Freiheitlichkeit verwirklicht sich durch Gesetzlichkeit. Der „Zwang", dem der Mensch durch das Gesetz unter-

47

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 178 f, 187 f., 195 ff.

48

K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 290 ff.; H. Hoffmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: Chr. Starck (Hrsg.): Die Allgemeinheit des Gesetzes - 2. Symposium der Kommission „Die Funktion des Gesetzes" am 14. und 15. November 1986, 1987, S. 27. 49

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 185.

50

F. A. von Hayek: Die Verfassung der Freiheit, S. 195 ff., 221 ff., 246 ff.; auch ders., Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, S. 76. 51 In Cicero sieht Hayek einen der wichtigsten Autoren des Ideals der Freiheit unter dem Gesetz. Von diesem führt er in der Verfassung der Freiheit mehrere Zitate an, S. 206; darunter, S. 206 (auch in Recht, Gesetz und Wirtschaftsfreiheit, S. 48): „omnes legum servi sumus ut liberi esse". 52 F. A. von Hayek: Die Verfassung der Freiheit, S. 216 ff.; ders.. Die Rechts- und Staatsphilosophie David Humes, in: ders.: Freiburger Studien, 1969, S. 232 ff., insbes. S. 236, 243; ders., Liberalismus, S. 221. 53

F. A. von Hayek: Die Verfassung der Freiheit, S. 75, Fn. 26; ders., Liberalismus, S. 223 ff. 54

F. A. von Hayek: Die Verfassung der Freiheit, S. 75, Fn. 26, S. 252 ff.; ders.. Die Rechts- und Staatsphilosophie David Humes, S. 243; ders., Grundsätze einer liberalen Gesellschaftsordnung, in: ders.: Freiburger Studien, 1969, S. 108. 55

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 179 .

56

1. d. S. F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 187.

57

J. N. Gray, Freiheit im Denken Hayeks, 1995, S. 61.

II. Der Freiheitsbegriff des Grundgesetzes

17 CO

worfen wird, ist v o n dem Zwang durch Menschen zu unterscheiden . Der hayeksche Zustand der Freiheit ist ein Zustand (personaler) Herrschaftslosigkeit. D i e s macht Gesetzlichkeit zum begrifflichen Bestandteil der Freiheit. D a s Gesetz beschränkt Handlungsmöglichkeiten, nicht j e d o c h die Freiheit: „Wir dürfen nicht vergessen, daß für das Handeln der Menschen gegenüber anderen Personen Freiheit nie mehr bedeuten kann, als daß sie nur durch allgemeine Regeln beschränkt sind. Da es keinerlei Handlungen gibt, die nicht unter Umständen in den geschützten Bereich eines anderen eindringen könnten, kann weder die Rede, noch die Presse, noch die Religionsausübung völlig frei sein. Auf allen diesen Gebieten (sowie auch, wie wir später sehen werden, auf dem des Vertrags) kann Freiheit nur bedeuten, daß das, was wir tun dürfen, nicht von der Gutheißung irgend einer Person oder Behörde abhängt, sondern nur durch dieselben allgemeinen Regeln beschränkt ist, die gleichermaßen für alle gelten."59 W e n n erst die Gesetze uns frei machen, wird der Freiheitsbegriff maßgeblich v o m Begriff des Gesetzes bestimmt. Dieser wird damit z u m Grundbegriff einer jeden Staatslehre, deren Freiheitlichkeit auf Gesetzlichkeit beruht. Fehlt ein klarer Begriff des Gesetzes, können keine konturenscharfen Aussagen über den Staat getroffen werden. S o ist in der Staatslehre Hayeks der Gesetzesbegriff der Schlüssel z u m Freiheitsbegriff und damit zur gesamten Konzeption des Staates.

II. Der Freiheitsbegriff des Grundgesetzes D i e Frage nach d e m Freiheitsbegriff des Grundgesetzes läßt sich nicht einfach mit einem Blick in das Grundgesetz lösen; denn der Begriff der Freiheit ist in der Verfassung Deutschlands nicht definiert 60 . Der Streit

58

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 161. Hayek macht darauf aufmerksam, daß im Englischen sprachlich zwischen Zwang durch Umstände („compulsion") und Zwang durch Menschen („coercion") unterschieden wird; im Zusammenhang eines Zustands der Freiheit als Zustand der Abwesenheit von Zwang spricht Hayek dann von Zwang, S. 161, „wenn das Handeln eines Menschen dem Willen eines anderen unterworfen wird, und zwar nicht für seine eigenen Zwecke, sondern ftir die Zwekke des anderen". 59

F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 187. Der Begriff der Verantwortung im übrigen fällt im Grundgesetz zwar mehrfach (Art. 28 Abs. 2, Art. 46 Abs. 2, Art. 65 GG), aber in höchst unterschiedlicher Bedeutung; vgl. P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, S. 26. Saladin weist auch auf den uneinheitlichen Gebrauch innerhalb der deutschen Rechtssprache hin, in der der Begriff der Verantwortung ungeläufig ist, die Begriffe Haftung" und „Pflicht" dagegen 60

18 2. Kapitel: Das Fundamentalprinzip Freiheit

um den Freiheitsbegriff des Grundgesetzes entbrennt vornehmlich um die richtige Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG61: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."

Nach Karl Albrecht Schachtschneider konkurrieren derzeit zwei Freiheitsbegriffe, der liberalistische und der republikanische62. 1. Der liberalistische Freiheitsbegriff Die Vertreter eines liberalistischen Freiheitsbegriffs begreifen in Anschluß an das £//