Axel Hägerström. Eine Studie zur schwedischen Philosophie der Gegenwart\Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts / Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe Bd.21: Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts [1 ed.] 3787314210, 9783787314218

Die beiden Schriften zu Axel Hägerström und Thomas Thorild hat Cassirer im schwedischen Exil verfasst. In seinem Versuch

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Axel Hägerström. Eine Studie zur schwedischen Philosophie der Gegenwart\Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts / Gesammelte Werke, Hamburger Ausgabe Bd.21: Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts [1 ed.]
 3787314210, 9783787314218

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Ernst Cassirer Gesammelte Werke Hamburger Ausgabe Band 21 Axel Hägerström Eine Studie zur schwedischen Philosophie der Gegenwart

Meiner

Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts

ERNST CASSIRER AXEL HÄGERSTRÖM. EINE STUDIE ZUR SCHWEDISCHEN PHILOSOPHIE DER GEGENWART THORILDS STELLUNG IN DER GEISTESGESCHICHTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS

ERNST CASSIRER GESAMMELTE WERKE HAMBURGER AUSGABE Herausgegeben von Birgit Recki Band 21

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

ERNST CASSIRER AXEL HÄGERSTRÖM. EINE STUDIE ZUR SCHWEDISCHEN PHILOSOPHIE DER GEGENWART THORILDS STELLUNG IN DER GEISTESGESCHICHTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS

Text und Anmerkungen bearbeitet von Claus Rosenkranz

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Diese Ausgabe ist das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit des Felix Meiner Verlags mit der Universität Hamburg und der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt. Sie wird gefördert von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und der Aby-Warburg-Stiftung. Komplementär erscheint die Ausgabe »Ernst Cassirer, Nachgelassene Manuskripte und Texte« (Hamburg 1995 ff.).

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-7873-1421-0

Zitiervorschlag: ECW 21

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2005. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platte und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. – Satz: KCS GmbH, Buchholz. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. ∞ www.meiner.de

INHALT

AXEL HÄGERSTRÖM. EINE STUDIE ZUR SCHWEDISCHEN PHILOSOPHIE DER GEGENWART Vorrede..............................................................................................

3

erstes kapitel. Der Kampf gegen die Metaphysik......................

8

zweites kapitel. Die Kritik des Subjektivismus ..........................

21

drittes kapitel. Die Moralphilosophie .......................................

53

viertes kapitel. Recht und Mythos .............................................

81

fünftes kapitel. Zur »Logik der Geisteswissenschaften« ......... 106

THORILDS STELLUNG IN DER GEISTESGESCHICHTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS Einleitung.......................................................................................... 119 erstes kapitel. Thorilds Spinozismus .......................................... 128 zweites kapitel. Die »Stufenfolge der Wesen«............................ 146 drittes kapitel. Thorilds Erkenntnislehre .................................. 160 1. ............................................................................................... 160 2. ............................................................................................... 186 viertes kapitel. Thorild und die Aufklärung.............................. 205 fünftes kapitel. Die Lehre vom Genie........................................ 221 Editorischer Bericht ......................................................................... 237 Abkürzungen.................................................................................... 241 Schriftenregister ............................................................................... 243 Personenregister ............................................................................... 261

AXEL HÄGERSTRÖM. EINE STUDIE ZUR SCHWEDISCHEN PHILOSOPHIE DER GEGENWART

3

3

VORREDE

Voltaire beschreibt in seinen »Lettres sur les Anglais« das Erstaunen, das den Philosophen befällt, wenn er zuerst ein neues Land betritt. »Ein Franzose, der in London ankommt«, so sagt er, »findet dort die Dinge in der Philosophie ebensosehr wie in allem übrigen geändert. Er verließ die Welt voll; er findet sie leer. In Paris denkt man sich die Welt erfüllt von Wirbeln feiner Materie; in London sieht man nichts dergleichen. Bei uns ist es der Druck des Mondes, der die Flut des Meeres verursacht; bei den Engländern ist es das Meer, das gegen den Mond gravitiert […] In Paris stellt man sich die Erde in der Art einer Melone vor; in London ist sie auf beiden Seiten abgeplattet. […] Unsere Chemie läßt alles aus Säuren, aus Alkalien und aus der subtilen Materie entstehen; während die allgemeine Anziehungskraft auch in der Chemie der Engländer die Hauptrolle spielt. Selbst die Wesenheit der Dinge hat sich völlig gewandelt. Ein Einverständnis besteht weder über die Definition der Seele noch über die der Materie. Descartes behauptet, daß die Seele dasselbe wie das Denken ist; Locke beweist ihm das Gegenteil. Descartes behauptet weiter, daß die Ausdehnung allein die Materie konstituiert. Newton fügt die Undurchdringlichkeit hinzu.«1 Seit Voltaire diese Worte schrieb, hat zweifellos die Wissenschaft einen immer allgemeineren Charakter angenommen; wir finden heute nicht mehr, daß das System der Physik und Chemie sich wandelt, 1 [Voltaire, Lettres sur les Anglais, ou lettres philosophiques, in: Mélanges historiques, Bd. I (Œuvres complètes, hrsg. v. Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat de Condorcet u. Jacques Joseph Marie Decroix, Bd. XXVI), Paris 1824, S. 5–157: S. 75 ff.: »Un Français qui arrive à Londres trouve les choses bien changées en philosophie comme dans tout le reste. Il a laissé le monde plein, il le trouve vide. A Paris on voit l’univers composé de tourbillons de matière subtile; à Londres on ne voit rien de cela. Chez nous c’est la pression de la lune qui cause le flux de la mer; chez les Anglais c’est la mer qui gravite vers la lune […] A Paris vous vous figurez la terre faite comme un melon; à Londres elle est aplatie des deux côtés. […] Votre chimie fait toutes ses opérations avec des acides, des alkalis, et de la matière subtile: l’attraction domine jusque dans la chimie anglaise. L’essence même des choses a totalement changé. Vous ne vous accordez ni sur la définition de l’ame, ni sur celle de la matière. Descartes assure que l’ame est la même chose que la pensée, et Locke lui prouve assez bien le contraire. Descartes assure encore que l’étendue seule fait la matière, Newton y ajoute la solidité.«]

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Axel Hägerström

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wenn wir von einem Lande zum anderen übergehen. Aber im Umkreis der Philosophie machen sich die Grenzpfähle, die die einzelnen Länder voneinander trennen, noch immer deutlich bemerkbar. Es fehlt sicherlich nicht an großen gemeinsamen Problemen, die die Philosophie der verschiedenen Nationen miteinander verbinden. Aber daneben besitzt die Philosophie jedes Landes eine bestimmte Richtung, die ihr allein eigentümlich ist und durch die sie sich spezifisch unterscheidet. Die Bedingungen der besonderen nationalen Kultur, die geschichtliche Tradition, die Art und Form des akademischen Unterrichts machen | sich hier weit stärker geltend als in anderen Gebieten. Dem philosophischen Forscher, der sich in einen neuen Wirkungskreis und in eine veränderte geistige Umgebung versetzt sieht, erwächst somit eine neue Aufgabe, die sich nur allmählich und schrittweise bewältigen läßt. Er wird vieles zulernen; aber er wird sich auch entschließen müssen, in manchem, was ihm bisher als sicheres Besitztum galt, noch einmal »umzulernen«. Vieles von dem, was ihm bisher feststand, beginnt für ihn wieder problematisch zu werden; und auch dort, wo er an früheren Ergebnissen festhält, wird er das Bedürfnis einer Neuorientierung und einer Neubegründung fühlen. Seit ich, vor nunmehr drei Jahren, mein Amt in Göteborg antrat, hat sich dieses Bedürfnis in mir immer stärker geltend gemacht. Ich gestehe, daß ich bis dahin die Arbeit der zeitgenössischen schwedischen Philosophie nicht methodisch verfolgt hatte und daß ich nur eine sehr begrenzte und fragmentarische Kenntnis von ihr besaß. Als Rechtfertigung hierfür mag dienen, daß viele wichtige Werke mir nicht zugänglich waren, da sie in schwedischer Sprache verfaßt sind. Erst als diese Schranke für mich wegfiel, konnte ich hoffen, mir eine genauere Kenntnis der modernen Entwicklung der schwedischen Philosophie zu verschaffen. Und je weiter ich hierin fortschritt, um so mehr regte sich in mir der Wunsch, es nicht bei einer bloß historischen Kenntnisnahme bewenden zu lassen, sondern zu einem prinzipiellen Verständnis ihrer Hauptrichtungen zu gelangen. Ein solches Verständnis aber ist nicht anders erreichbar als durch eine eingehende systematische Auseinandersetzung mit verwandten oder gegnerischen Anschauungen. Weit mehr als andere Wissensgebiete ist die Philosophie auf diese Form der Auseinandersetzung angewiesen. Die wissenschaftliche Philosophie ist ihrer Natur nach dialogisch, und sie ist es schon seit ihren ersten Anfängen gewesen. Platon erklärt, daß es keinen anderen Zugang zur Welt der »Ideen« gibt als dadurch, daß wir »einander Rede stehen in Frage und Antwort«, (»ατ  οσα, äς λ γον δδοµεν το2 ε6ναι κα Cωτ3ντες κα

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Vorrede

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ποκCιν µενοι«2). Der »Austausch der Gründe«, das »δο2να τε κα ποδξασθαι λ γον« gehört nach ihm zum Wesen der Philosophie, und hierin sieht er ein für ihre methodische Arbeit unentbehrliches Moment.3 Unter diesem Gesichtspunkt bitte ich die folgende Studie zu betrachten. Sie hat keinerlei polemische Absicht, und sie will in den Streit der verschiedenen philosophischen »Schulen«, der heute in Schweden wieder | so heftig geführt wird, nicht eingreifen. Sie sollte lediglich der sachlichen Klärung der Probleme und zugleich der eigenen Selbstbelehrung dienen. Denn es wäre ein schlechter Kritiker, der seine Kritik nur an den Gegenstand richtete, den er behandelt, und der nicht durch ebendiesen Gegenstand zugleich zu einer Nachprüfung der eigenen Grundanschauungen angeregt würde. Wenn die Diskussion im Geiste wahrhafter Sachlichkeit geführt wird, so führt sie stets nicht nur zu einer Kritik an anderen Anschauungen, sondern auch zu einer Art von Selbstkritik, zu einer Untersuchung der Fundamente, auf denen man selbst zu bauen versucht hat, und zu einer neuen und schärferen Analyse der Grundprobleme, von denen man in seiner wissenschaftlichen Arbeit ausgegangen ist. Ich hoffe, daß man dieses doppelte sachliche Bestreben in der hier vorliegenden Auseinandersetzung mit der Philosophie Axel Hägerströms nicht verkennen wird. Die Polemik um ihrer selbst willen habe ich nirgends gesucht; ja, ich habe sie absichtlich gemieden. Aber ich bin in der Entwicklung meines Denkens und meiner wissenschaftlichen Arbeit ganz andere Wege als Hägerström gegangen, und ich bin, in bezug auf viele Grundprobleme, zu entgegengesetzten Resultaten wie er gelangt. Ein so scharfer Kritiker, wie Hägerström es ist, wird es mir gewiß nicht verübeln, daß ich diese Gegensätze, wo ich auf sie zu sprechen kam, so klar und so bestimmt wie möglich zu formulieren suchte. Denn nur aus solcher Bestimmtheit kann die gegenseitige Verständigung erwachsen, um die es mir zu tun ist. Vor allem mußte ich es mir angelegen sein lassen, das Werk Hägerströms nicht nur in einzelnen Teilen, sondern in seinem gesamten Umfang kennenzulernen und es so genau wie möglich zu studieren. Daß mir dieses Studium nicht leichtgefallen ist, will ich nicht verschweigen. Immer wieder habe ich während der Arbeit an ein Wort Kants denken müssen. »Indessen scheinet es mir überhaupt«, so schreibt Kant in einem Brief 2 Platon, Phaidon 78 C f. [Cassirer zitiert Platon unter Angabe der StephanusPaginierung. Die Verifizierung des originalsprachlichen Textes erfolgt nach: Opera omnia uno volumine comprehensa, hrsg. v. Gottfried Stallbaum, Leipzig/London 1899.]. 3 Ders., De republica 531 E.

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Axel Hägerström

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an Marcus Herz,4 »vornehmlich in zunehmenden Jahren, mit der Benutzung fremder Gedanken in bloß spekulativen Felde nicht gut gelingen zu wollen, sondern ich muß mich schon meinem eigenen Gedankengange, der in einer Reihe von Jahren sich schon in ein gewisses Gleis hineingearbeitet hat, überlassen.« Aber man wird mir, wie ich hoffe, zugestehen, daß ich mich nach Kräften bemüht habe, nicht nur im eigenen Gleise zu bleiben, sondern auf die Fragestellung Hägerströms ein | zugehen und sie in ihrer Eigenart und in ihrem wirklichen Kern zu erfassen. Hierbei hatte ich freilich erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden. Den Zugang zu Hägerströms Lehre mußte ich mir langsam erarbeiten, und die Form, in die Hägerström manche seiner Grundgedanken gekleidet hat, trug nicht dazu bei, diese Arbeit zu erleichtern. Hägerström hat in seiner Selbstdarstellung seine Schrift über das »Prinzip der Wissenschaft« als seine wichtigste Schrift bezeichnet. Aber dieses Werk, mit dessen Studium ich demgemäß begann, ist auch eine seiner schwierigsten Schriften; ja es gehört meines Erachtens zu den dunkelsten und am schwersten zugänglichen Werken der modernen philosophischen Literatur. Irre ich nicht, so ist auch die Wirkung, die es auf das Denken der Gegenwart geübt hat, durch diesen Umstand hintangehalten oder doch wesentlich abgeschwächt worden. Wenigstens ist mir in der erkenntnistheoretischen Literatur der letzten Jahrzehnte, die ich ziemlich genau verfolgt habe, eine eingehende Charakteristik und Kritik der Lehre Hägerströms nicht begegnet. In Schweden scheint freilich diese Schwierigkeit weniger stark ins Gewicht gefallen zu sein: Hier kam wohl die mündliche Unterweisung Hägerströms und der starke Einfluß, den er als akademischer Lehrer geübt hat, dem Verständnis zu Hilfe und half über manche Dunkelheit hinweg, die sich bei der Lektüre seines erkenntnistheoretischen Hauptwerks wohl für jeden unvorbereiteten Leser ergeben wird. Eine zusammenfassende kritische Auseinandersetzung mit Hägerströms Philosophie hat es bisher, soviel ich sehe, noch nicht gegeben. Allen Vannérus hat sich in seiner Schrift »Hägerströmstudier«5 vielfach kritisch gegen einzelne Lehren Hägerströms gewandt. Aber er betont selbst, daß es ihm nicht auf eine streng systematische Diskussion der Grundbegriffe ankam, sondern [auf] kurze Randbemerkungen zu Hägerströms Schriften, die einen subjektiven oder persönli4 Immanuel Kant, Brief an Marcus Herz vom 15. Oktober 1790, in: Werke, in Gemeinschaft mit Hermann Cohen u. a. hrsg. v. Ernst Cassirer, 11 Bde., Berlin 1912–1921, Bd. X, hrsg. v. Ernst Cassirer, S. 55 f.: S. 56 (Akad.-Ausg. XI, 215). 5 Allen Vannérus, Hägerströmstudier, Stockholm 1930.

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Vorrede

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chen Einschlag haben. Gerade das letztere suchte ich sorgfältig zu vermeiden; ich wollte in dieser Schrift niemals bloß mich selbst sprechen lassen, sondern bestimmte sachliche Probleme zu Worte kommen lassen. Hierbei konnte ich allerdings nicht umhin, auf meine früheren Schriften zu verweisen, da ich die explizite Begründung meiner eigenen Auffassung im Rahmen dieser Schrift nicht zu geben vermochte. Doch habe ich mich nirgends damit begnügt, früher Gesagtes zu wiederholen. Ich habe vielmehr die Anregungen, die sich mir aus dem Studium von Hägerströms Hauptwerken ergaben, | dazu benutzt, meine eigene Grundanschauung, wie ich sie insbesondere in meiner »Philosophie der symbolischen Formen«6 dargestellt habe, schärfer zu fassen und sie auf neue Gebiete anzuwenden. So ist meine Gesamtauffassung der ethischen und rechtsphilosophischen Probleme hier viel ausführlicher behandelt, als es in meinen früheren Schriften, die vor allem der theoretischen Philosophie galten, geschehen ist. Dankbar benutzt habe ich die Darstellung einiger Hauptlehren Hägerströms, die Einar Tegen in einer Reihe von Aufsätzen gegeben hat, die sich durch Knappheit und Klarheit auszeichnen.7 Auf die Schriften von Hägerströms Schülern und auf die Entwicklung der »Uppsala-Schule« bin ich jedoch hier nicht eingegangen, um das ohnehin schwierige Thema nicht noch mehr zu komplizieren.8 Statt dessen habe ich es mir angelegen sein lassen, Hägerströms Philosophie aus ihrer isolierten Stellung zu befreien. Ich habe versucht, ihr innerhalb der Geschichte der modernen Philosophie einen bestimmten Platz zuzuweisen und ihre Grundgedanken mit denen anderer zeitgenössischer Denker zu vergleichen. Göteborg, im Januar 1939. Ernst Cassirer |

6 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache, Berlin 1923, Zweiter Teil: Das mythische Denken, Berlin 1925, Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis, Berlin 1929 [ECW 11–13]. 7 Einar Tegen, Den moderna straffrättens principer. Några ord i den Lundstedt-Thyrénska frågan, in: ders., I filosofiska frågor, Uppsala/Stockholm 1927, S. 94–107. – Ders., Nya riktlinjer inom rättsfilosofi och straffrätt. Med anledning av den Lundstedt-Thyrénska striden, a. a. O., S. 108–145. – Ders., Kritisk objektivism. En grundståndpunkt och en kritik, in: Theoria 2 (1936), S. 27–57. 8 Wenn ich Zeit und Muße finde, die hier begonnenen Untersuchungen fortzusetzen, so hoffe ich, in einer besonderen Studie auf einige Punkte der Philosophie Adolf Phaléns zurückkommen zu können.

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erstes kapitel. Der Kampf gegen die Metaphysik Wenn es sich darum handelt, den Grundgedanken zu bezeichnen, von dem Hägerströms Philosophie ausgeht und der sie, bis in die letzten Einzelheiten hinein, beherrscht, so scheint es, als ob diese Frage keinerlei Schwierigkeiten in sich berge. Sie beantwortet sich sozusagen von selbst: Denn Hägerström hat keinen Zweifel daran gelassen, worin, seiner Überzeugung nach, der Anfang aller Philosophie besteht und was ihr systematisches Endziel ist. Den Beginn muß die reine Begriffsanalyse bilden, die zunächst den Sinn der Termini klärt, die uns in den Urteilen begegnen, die wir als »philosophische« zu bezeichnen pflegen. Denn ohne eine solche analytische Klärung bleibt der Gehalt dieser Urteile völlig unbestimmt: Die Philosophie droht sich in ein bloßes Spiel mit Worten aufzulösen. Setzt man aber einmal dieses Instrument der Begriffsanalyse ein und macht man von ihm einen strengen und folgerichtigen Gebrauch, so hat man mit dieser methodischen Wendung auch sofort eine wichtige und grundlegende sachliche Einsicht gewonnen. Es zeigt sich, daß die Kantische Frage: die Frage, wie Metaphysik als Wissenschaft möglich sei, keine andere als eine rein negative Antwort zuläßt. Die Hoffnung auf irgendeine künftige Metaphysik, »die als Wissenschaft wird auftreten können«,1 muß endgültig aufgegeben werden. Denn alle Wissenschaft bezieht sich ihrem Wesen nach auf eine Wirklichkeit, die sie erfassen, beschreiben, auslegen will. In jedem wissenschaftlichen Urteil wird die Realität von dem, worüber man urteilt, vorausgesetzt. An einer solchen Stütze in der Realität, an einem fundamentum in re, fehlt es aber, wie die Begriffsanalyse zeigt, ebenjenen Urteilen, die uns im Umkreis der Metaphysik begegnen. Sie haben nur die sprachlichgrammatische Form der Aussage; aber sie erweisen sich, bei schärferer Zergliederung, als Aussagen, die nicht von einem »Etwas«, sondern von einem »Nichts« | gelten. Denn der Gegenstand, auf den sie sich beziehen, enthält miteinander unvereinbare Prädikate und löst sich in eine Reihe widersprechender Bestimmungen auf. Diese Widersprüche will Hägerström keineswegs ausschließlich in denjenigen Gedankenbildungen aufweisen, die bisher in der Geschichte der Metaphysik hervorgetreten sind. Seine Fragestellung schlägt einen anderen und viel radikaleren Weg ein. Denn er will die 1 [Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, in: Werke, Bd. IV, hrsg. v. Artur Buchenau u. Ernst Cassirer, S. 1–139 (Akad.-Ausg. IV, 253–383).]

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Der Kampf gegen die Metaphysik

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Metaphysik nicht nur in ihrer expliziten Gestalt – in der Gestalt, die sie in den einzelnen philosophischen »Systemen« angenommen hat – bekämpfen. Was er zeigen will, ist, daß die Herrschaft der Metaphysik sich viel weiter erstreckt, als es ihre historischen Erscheinungsformen erkennen lassen. Die Metaphysik herrscht nicht nur bei Platon und Aristoteles, bei Descartes und Leibniz, bei Fichte oder Hegel. Nicht minder stark ist der Einfluß, den sie auf das unsystematische »populäre« Denken und auf das Denken der Wissenschaft ausgeübt hat und noch ständig ausübt. Und in diesem Einfluß liegt erst ihre eigentliche und stärkste Gefahr. Die »unbewußte« Metaphysik ist bedenklicher als die bewußte. Denn während die letztere ihre Schlußfolgerungen klar und deutlich ausspricht und uns damit den Schlüssel zur Kritik von selbst in die Hand gibt, waltet jene sozusagen im Dunkeln. Sie versteckt sich unter Aussagen, die auf den ersten Blick einen völlig unverdächtigen, einen rein empirischen Charakter zu besitzen scheinen. Hägerström will die Metaphysik bis in ihre letzten Schlupfwinkel verfolgen, und er entdeckt sie an Stellen, wo man sie nicht zu suchen pflegt. Sie wurzelt nach ihm fest im gewöhnlichen Bewußtsein, und sie breitet sich deshalb wie ein Gedankenschleier nicht nur über die Philosophie, sondern überhaupt über alles, was Wissenschaft heißt. Wenn wir, in der Sprache des täglichen Lebens wie in der der Wissenschaft, von »Dingen« und »Eigenschaften« reden, wenn wir in der modernen Naturwissenschaft die Begriffe von »Materie« und »Bewegung« brauchen, wenn wir in der Moralphilosophie von objektiven Normen sprechen, wenn wir in der Jurisprudenz das geltende Recht auf einen staatlichen Willen gründen: so ist dies alles eine zwar verhüllte, aber in ebendieser Verhüllung nur um so gefährlichere Metaphysik.2 Und da alle »metaphysischen« Vorstellungen nach Hägerström keinerlei Wirklichkeitsgehalt in sich schließen, sondern einfach in das Reich | des Aberglaubens zu verweisen sind, so ergibt sich daraus, daß der Aberglaube es ist, der immer wieder wie durch tausend feine und unmerkliche Poren in unser Wissen und in unsere Auffassung der Wirklichkeit eindringt. Diesen Prozeß will Hägerströms Philosophie erkennen, um ihn kraft dieser Erkenntnis unschädlich zu machen. Die Fackel der Kritik soll das Dunkel erhellen, das bisher nicht nur für die gewöhnliche Auffassung, sondern auch für die Wissenschaftstheorie, für die Ethik und für die Rechts-

2 Vgl. Axel Hägerström, Axel Hägerström, in: Raymund Schmidt (Hrsg.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. VII, Leipzig 1929 [sep. pag.], S. 26 ff. u. 34 ff. [Im Folgenden: Selbstdarstellung].

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Axel Hägerström

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philosophie den Ursprung und den Sinn solcher Begriffe wie »Wahrheit« und »Wirklichkeit«, wie »Sollen« und »Pflichtgebot«, wie moralische oder rechtliche »Verbindlichkeit« für uns verdeckte. Hägerströms gesamte philosophische und einzelwissenschaftliche Arbeit wird von dieser einen Tendenz beherrscht und innerlich zusammengehalten: Der Selbstdarstellung, die er von seiner Philosophie gegeben hat, hat er das Motto: »Praeterea censeo metaphysicam esse delendam«3 vorangestellt. Den Eingang in Hägerströms Lehre und den ersten Einblick in ihre allgemeine gedankliche Struktur haben wir damit gewonnen; aber für ihr eigentliches und tieferes Verständnis ist damit freilich vorerst nur wenig erreicht. Denn es handelt sich für uns nicht darum, zu wissen, was Hägerström durch seine Kritik zerstört, sondern darum, was er, nach dieser Zerstörung, wieder aufgebaut hat. Die wichtigste Frage bleibt immer, was er an philosophischem Gedankengehalt bewahrt, was er sozusagen aus den Trümmern der Metaphysik gerettet hat. Nur auf Grund dieser positiven Leistung werden wir die Stellung, die seine Lehre in der Philosophie der Gegenwart einnimmt, verstehen und richtig bewerten können. Betrachten wir nur das, was er bestreitet und verneint, so geraten wir damit in Gefahr, die Besonderheit seiner Lehre zu verkennen. Denn der Kampf gegen die Metaphysik bildete, seitdem die Herrschaft der Hegelschen Philosophie gebrochen war, einen allgemeinen und durchgehenden Zug des philosophischen Denkens. In ihm begegnen sich philosophische Schulen von ganz verschiedenem Charakter und ganz verschiedenem Ausgangspunkt. Die Kampfansage gegen die dogmatische Metaphysik ist ebenso bezeichnend für den englischen Empirismus, wie sie es für den französischen Positivismus, für den deutschen »Neukantianismus«, für den »Empiriokritizismus« und die »Immanenzphilosophie« ist. Bleiben wir also bei diesem Kriterium stehen, so müßten wir damit die Lehre Hägerströms in eine Gedankenbewegung einreihen, der man mit gleichem Recht Denker | wie Comte und Mill, wie Cohen und Natorp, wie Mach und Avenarius zurechnen kann. Daß damit jede individuelle Charakteristik dieser Lehre zerstört und unmöglich gemacht wäre, liegt auf der Hand. Nicht das »Daß«, sondern das »Warum« ist hier das Entscheidende: Denn ein philosophischer Gedanke kann niemals allein durch seinen Inhalt, sondern er muß durch die Art seiner Begründung bestimmt werden. Es kommt nicht lediglich darauf an, was er besagt, sondern was er bedeutet: Und diese seine Bedeutung können wir von ihm nicht ablesen, solange wir uns ausschließ3

[A. a. O., S. 1.]

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Der Kampf gegen die Metaphysik

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lich an das halten, was er als ausgesprochenes Resultat in sich enthält. Wir dürfen dieses Ergebnis nicht unmittelbar als solches hinnehmen, sondern müssen es gedanklich zu »vermitteln« suchen. Und diese Vermittlung kann nicht anders geschehen als dadurch, daß wir auf die Prämissen zurückgehen, auf die eine bestimmte philosophische These sich stützt, und daß wir, Schritt für Schritt, den Schlußprozeß für uns wiederholen, kraft dessen aus den gegebenen Voraussetzungen die Folgerung entspringt. Zwei Thesen, die inhaltlich nahe miteinander übereinzustimmen, ja die sich völlig zu decken scheinen, können daher etwas sehr Verschiedenes bedeuten, wenn man sie, statt nach ihrem bloßen Resultat, nach der Art und der Form ihrer Ableitung betrachtet. Was die Hägerströmsche Grundthese: die These von der Unmöglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft, betrifft, so läßt sich dieser Sachverhalt in der einfachsten und schlagendsten Weise nachweisen, wenn man sie mit analogen Sätzen vergleicht, denen man in anderen Gedankenkreisen begegnet. Am weitesten in der Verneinung der Metaphysik ist in der Philosophie der Gegenwart bekanntlich die sogenannte »Wiener Schule« gegangen, wie sie durch Schlick und Carnap vertreten wird. Denn hier wird die letzte und äußerste Folgerung gezogen: Die Sätze der Metaphysik gelten nicht nur als unbeweisbar oder als unwahr, sondern sie gelten geradezu als sinnlos. Es sind bloße Verbindungen von Zeichen, denen sich keine Bedeutung beimessen läßt. Da der Sinn eines Satzes durch nichts anderes als durch die Methode seiner Verifizierung zu definieren ist, so fallen metaphysische Sätze, für die eine Verifikation prinzipiell unmöglich ist, aus dem Kreise des »Sinnvollen« heraus. Man hat diese Zuspitzung der These, innerhalb der »Wiener Schule«, immer als einen besonderen methodischen Fortschritt begrüßt, und man hat geglaubt, daß erst auf Grund derselben die endgültige Befreiung von allen metaphysischen »Scheinproblemen« | erreicht worden sei.4 Aber Hägerström gibt in dieser Hinsicht dem modernen »Neupositivismus« nichts nach. Auch für ihn ist die Metaphysik mit allem, was sie enthält und mit all den Einsichten, die sie uns über das Wesen der Wirklichkeit verspricht, »[…] nichts anderes als eine Reihe von Wortverbindungen, über deren Charakter der Metaphysiker nichts weiß.«5 Die Klarlegung dieses Ver4 Vgl. bes. Rudolf Carnap, Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit, Berlin 1928. – Zum »Sinnbegriff« des »Wiener Kreises« s. auch Åke Petzäll, Logistischer Positivismus, Göteborg 1931 (Göteborgs högskolas årsskrift 37, 1931:3), S. 8 ff. 5 Selbstdarstellung, S. 26.

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Axel Hägerström

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hältnisses ist, wie er betont, die Haupttendenz seiner Schrift über »Das Prinzip der Wissenschaft« (1908) sowie aller seiner späteren Arbeiten. Man könnte demnach in Hägerström nicht nur den Vorläufer, sondern bereits den Vollender des strikten »Positivismus« sehen. Aber dieser Schluß wäre zweifellos ein völliger Fehlschluß. Denn die erkenntnistheoretische Grundansicht, von der er ausgeht, ist mit der Position des »Wiener Kreises« völlig unvereinbar. Für die letztere muß sich alle echte »Verifikation«, deren ein Satz fähig ist, zuletzt, mittelbar oder unmittelbar, auf die Gegebenheiten der Wahrnehmung zurückführen lassen. Die Sinnesempfindung bildet die Grundschicht für alle sinnvollen Aussagen. Hägerström dagegen ist weder Sensualist, noch ist er bloßer Empirist; er ist vielmehr strikter Rationalist. Auch für ihn muß jede Aussage, sofern sie den Anspruch erhebt, auf etwas »Wirkliches« zu gehen, auf Erfahrung bezogen sein. Das prinzipielle Hinausgehen über die Erfahrung, die Annahme irgendeines »transzendenten« Seins, das außerhalb ihrer Sphäre liegt und ihren Bedingungen nicht untersteht, wird von ihm verworfen. Aber auf der anderen Seite steht für ihn fest, daß die Erfahrung ihre Funktion der Begründung des Wissens nur darum erfüllen kann, weil sie in sich selbst ursprüngliche, rein logische Momente enthält. Sie ist kein Konglomerat von Empfindungen, sondern muß als eine durchgängige Einheit und als systematischer Zusammenhang verstanden werden. Der Erkenntniswert der Erfahrung beruht daher für Hägerström – in striktem Gegensatz zu allen Spielarten des sensualistischen Positivismus – nicht auf ihrer »Materie«, sondern auf ihrer »Form«. Für ihn gilt durchaus der Satz, den Kant als das oberste Prinzip aller »Analogien der Erfahrung« bezeichnet hat: »Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen | möglich.«6 Denn erst aus einer solchen Weise der Verknüpfung kann nach ihm jene Bestimmtheit hervorgehen, die für ihn das auszeichnende und das eigentlich konstitutive Moment der »Realität« bildet. Die Sinnlichkeit ist zwar ein Moment in allem Erfahrungswissen; aber wenn man dieses Moment isoliert und es als den eigentlichen Grund des Wissens ansieht, so ist damit eine willkürliche Abtrennung und Hypostasierung vollzogen, die geradewegs wieder in jene Metaphysik zurückführt, die der Empirist bekämpfen will. Eine der wesentlichen Aufgaben, die Hägerström sich in der Schrift über das »Prinzip der Wissenschaft« gestellt hat, besteht in dem Nachweis dieses Sachverhalts. Was hier gezeigt werden soll, ist, daß der »reine« 6 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Werke, Bd. III, hrsg. v. Albert Görland), S. 166 (B 218).

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Der Kampf gegen die Metaphysik

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Empirismus, der die sinnliche Empfindung als die alleinige Wurzel der Realitätserkenntnis ansieht und damit alle die logischen Bänder zerschneidet, auf denen der Zusammenhang der Erfahrung beruht, ein absolut in sich selbst widersprechendes System ist.7 Damit zeigt sich von einer neuen Seite her, daß das rein negative Moment der Ablehnung der Metaphysik in keiner Weise hinreicht, um die allgemeine Stellung und die erkenntnistheoretische Grundtendenz einer philosophischen Lehre zu charakterisieren. Es ergibt sich das merkwürdige Schauspiel, daß Systeme, die sich völlig einig darüber sind, daß die Metaphysik bekämpft und zerstört werden müsse, doch durchaus verschiedene, ja bisweilen diametral entgegengesetzte Antworten auf die Frage zu geben pflegen, worin denn diese Metaphysik, die sie vernichten wollen, eigentlich besteht. Der Gebrauch des Terminus »Metaphysik« ist insofern niemals eindeutig, als er stets von dem Bezugssystem abhängt, das der erkenntnistheoretische Kritiker zugrunde legt. Wird dieses Bezugssystem verändert, indem das Kriterium der Wahrheit an eine andere Stelle verlegt wird, so erhalten sofort alle Werte sozusagen ein entgegengesetztes Vorzeichen. Den Anhängern und Verteidigern der Metaphysik erwächst hieraus die gleiche Genugtuung wie Jason in der Argonautensage: Sie sehen, wie die geharnischten Krieger, die sich zum Kampf gegen die Metaphysik erhoben hatten, sich gegenseitig anfallen und sich zu vernichten streben. So wird für Hägerström derjenige Empirismus, der in der Erfahrung nichts anderes sieht und anerkennt, als was sich in den Gege | benheiten der sinnlichen Wahrnehmung darstellt, zu einer bloßen Spielart des metaphysischen Dogmatismus. Und auf der anderen Seite ist es unmittelbar klar, daß wenn man jenes Sinnkriterium annimmt, das der moderne »Neupositivismus« aufgestellt hat, damit gerade die wichtigsten und fundamentalsten Sätze Hägerströms zu »metaphysischen« und somit zu »sinnlosen« Sätzen werden müßten. Hägerströms Hauptthese besteht darin, daß es eine Wirklichkeit gibt, die vom denkenden Subjekt absolut unabhängig ist; daß diese Wirklichkeit ungeachtet dieser Unabhängigkeit alle Grundgesetze des Denkens, insbesondere den Satz der Identität und des Widerspruchs, erfüllt; daß sie eine eindeutige Bestimmtheit und eine durchgängige rationale Ordnung aufweist, daß wir sie nicht nur als eine Menge zufälliger empirischer Tatsachen anzusehen haben, sondern daß es 7 Axel Hägerström, Das Prinzip der Wissenschaft. Eine logisch-erkenntnistheoretische Untersuchung, Bd. I: Die Realität, Uppsala 1908 (Skrifter utgifna af K. Humanistiska Vetenskaps-Samfundet i Uppsala, Bd. 12:3), S. 28 ff., vgl. bes. die Zusammenfassung S. 35 ff. u. 60 ff.

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etwas gibt, was seinem eigenen Begriffe nach real, d. h. »selbstnotwendig« ist. Diese Selbstnotwendigkeit kann auf keine wie immer gearteten »Fakta« gegründet werden; sie muß an sich selbst gelten, und deshalb kann ihre Behandlung nicht in den Umkreis der empirischen Wissenschaften gehören.8 Dies wird weiterhin so ausgedrückt, daß »die Realität absolut gewusst ist«, daß »[…] der Begriff der Realität als mit sich selbst identisch an sich unmittelbare Giltigkeit hat, was dasselbe ist, wie dass er absolutes Wissen ist.«9 Man wird es einem »Empiristen« kaum verargen können, wenn er in alledem nur die Wiederholung bekannter Grundthesen der alten rationalen »Ontologie« sehen wollte, wie sie z. B. von Christian Wolff vertreten worden ist. Für jeden, der diese Sätze zuerst liest, wird es sehr schwer sein, mit ihnen einen anderen Sinn als einen rein metaphysischen zu verbinden. Aber es wäre freilich voreilig, einem solchen Eindruck nachzugeben: Denn der unverkennbare Anklang der Worte darf uns in einer Frage von solcher Wichtigkeit nicht täuschen. Die Termini, die Hägerström für seine Grundbegriffe benutzt, sind freilich ihrem eigentlichen Sinn keineswegs adäquat. Sie zeigen eine durchaus Hegelsche Prägung – auch dort, wo es Hägerström gerade darauf ankommt, die Kritik an Hegels System zu vollziehen. Wer sollte nicht an Hegel denken, wenn er liest, daß »die Realität […] das Wissen (im Unterschied zu der bloß faktischen Gewißheit), [daß sie somit] das Absolute, oder: […] der an sich gültige Begriff«10 sei; wer sollte sich nicht mitten in die | Problematik des Hegelianismus versetzt sehen, wenn Hägerström die Forderung aufstellt, daß »[…] das absolut gültige Identitätsprinzip zwei Begriffe in sich schliessen muss, die in ihrer Differenz identisch gesetzt werden.«11 In seiner Selbstdarstellung hat Hägerström ausdrücklich zugestanden, daß die Ausdrücke, in die er seine Thesen kleidet, »der Terminologie des Subjektivismus und der Metaphysik entnommen«12 seien, was sich daraus erkläre, daß sein Interesse bei Abfassung der Schrift hauptsächlich auf die Widerlegung des Subjektivismus und der Metaphysik gerichtet war. »Es war natürlich«, so sagt er, »daß ich, um mich überhaupt verständlich zu machen, die dazugehörige Terminologie gebrauchte. Indessen hatte diese, obzwar negative, Abhängigkeit von den genannten philosophischen Ansich-

8 Ders., Botanisten och filosofen. Om kunskapsfilosofiens nödvändighet, Stockholm 1910, S. 57. 9 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 54 f. 10 [Selbstdarstellung, S. 17.] 11 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 89. 12 [Selbstdarstellung, S. 17.]

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ten zur Folge, daß ich mir nicht ganz klar darüber war, daß die Benutzung dieser Terminologie Mißverständnisse veranlassen könne.«13 Solche Mißverständnisse sind in der Tat kaum vermeidlich, wenn ein Denker fortfährt, die Sprache einer Philosophie zu sprechen, deren Inhalt er bekämpft und von der er sich loszumachen sucht. Der beste Weg, ihnen zu entgehen, scheint mir darin zu bestehen, daß wir Hägerströms Lehre nicht nur ihrem negativen, sondern vor allem ihrem positiven Gehalt nach zu erfassen suchen. Die Schärfe der Kritik und Polemik bei Hägerström und die Freude, die er offenbar an beiden hat, hat es meines Erachtens verschuldet, daß man oft in seiner Lehre mehr eine destruktive als eine konstruktive Leistung gesehen hat. Aber mir scheint, daß er, insbesondere in seiner theoretischen Philosophie, nicht nur niederreißen, sondern auch neu aufbauen wollte: Und die einzelnen Schritte dieses logischen Aufbaues sind es, die uns in den folgenden Betrachtungen besonders beschäftigen sollen. Auch Hägerströms Verhältnis zur Metaphysik tritt damit in ein neues Licht. Ein einheitlicher Gebrauch und eine strikte logische Definition des Terminus »Metaphysik« findet sich, soviel ich sehe, in Hägerströms Schriften nicht. Denn seine Erklärung, daß die Metaphysik »eine Reihe von Wortverbindungen [sei,] über deren Charakter der Metaphysiker nichts weiß«, wird wohl niemand als eine solche Definition ansehen. Sie ist ein Schlagwort und ein Kampfwort, wie es im Eifer des Gefechtes geprägt zu werden pflegt. Derartige Kampfund Schlagworte haben in der Geschichte der Philosophie immer eine | große Rolle gespielt; aber die objektive Kritik, die rein an dem sachlichen Gehalt der Probleme, nicht an dem Streit der Schulen interessiert ist, darf sich durch sie nicht beirren lassen. »Kein Bedenken, welches überhaupt Eindruck auf unsern Geist macht«, so hat Heinrich Hertz einmal gesagt, »kann dadurch erledigt werden, daß es als metaphysisch bezeichnet wird; jeder denkende Geist hat als solcher Bedürfnisse, welche der Naturforscher metaphysische zu nennen gewohnt ist.«14 Müßten wir die Hägerströmsche Erklärung wörtlich nehmen, so würde durch sie die gesamte bisherige Geschichte der Philosophie gewissermaßen in ein Trümmerfeld verwandelt. Platons Dialoge, Aristoteles’ Schriften, Descartes’ »Meditationen«, Spinozas »Ethik«, Hegels »Phänomenologie des Geistes« würden dann für uns A. a. O., S. 17 f. Heinrich Hertz, Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt (Gesammelte Werke, hrsg. v. Philipp Lenard, Bd. III), Leipzig 1894, S. 27 [Zitat S. 28]. 13 14

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nichts anderes als eine Zusammenstellung von Worten sein – von Worten, mit denen keiner dieser Denker irgend etwas gemeint hat, ja auch nur meinen konnte. Aber werden wir damit dem historischen Phänomen gerecht, das wir mit dem Namen der »Metaphysik« zu bezeichnen pflegen? Zeigt uns dieses Phänomen wirklich nur ein Spiel mit Worten, oder enthält es nicht ein dauerndes Ringen um bestimmte sachliche Probleme? Diese Probleme können wir auch dann als solche anerkennen und sie in ihrer sachlichen Bedeutung erfassen und verstehen, wenn wir die Lösungen, die für sie gegeben worden sind, kritisch bestreiten. Die echten, die wahrhaft originalen metaphysischen Gedanken sind niemals leere Gedanken, Gedanken ohne Inhalt gewesen. Bei Platon, bei Aristoteles, bei Descartes, bei Leibniz, bei Spinoza, bei Fichte, bei Schelling, bei Hegel finden wir, wenn wir ihre Systeme bis zu der Wurzel zurückverfolgen, aus der sie entsprungen sind, immer einen bestimmten Inhalt, eine Grund- und Uranschauung, der ihre Begriffe entstammen und aus der sie sich ständig nähren. Platon ist der erste, der in voller Schärfe und Klarheit das Problem der logischen und der mathematischen »Form« entdeckt; und seine Ideenlehre ist der Versuch, diese »Form« in ihrer Allgemeinheit und Notwendigkeit und ihrer systematischen Geschlossenheit verständlich zu machen. Aristoteles geht vom Phänomen des Lebens und des organischen Werdens, also von den Grundphänomenen der biologischen Erkenntnis, aus, und um ihnen gerecht zu werden, schafft er seine Grundbegriffe von »Möglichkeit« und »Wirklichkeit« und seinen Begriff der »Entelechie«. Descartes begründet eine neue Auffassung der | »Natur« als eines reinen Größenkosmos, als einer Kette von Ursachen und Wirkungen, die unter strengen mathematischen Gesetzen steht. Leibniz hält an dieser Konzeption fest; aber im Begriff der »Monade« fügt er in dieses mathematische Weltbild einen neuen Zug ein: Er begründet die Idee des Ich und der Persönlichkeit, als einer in sich geschlossenen selbständigen und »autarken« Einheit, die nicht von außen bestimmt wird, sondern sich aus sich selbst bestimmt. Und in Hegels Lehre erhebt sich eine neue Gesamtanschauung des geschichtlichen Werdens und seines Sinnzusammenhanges. In all diesen, wie immer »metaphysischen«, Begriffen handelt es sich somit um die Eroberung und um die gedankliche Erschließung und Interpretation bestimmter Wissensgebiete und Sinngebiete. Jeder wahrhaft originale Denker stellt einen neuen Standort des Sehens fest und gewinnt von ihm aus eine neue »Perspektive« der Wirklichkeitserkenntnis. So ist die Geschichte der Metaphysik keineswegs eine Geschichte von leeren Begriffen oder leeren Worten; sie ist vielmehr eine in sich

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zusammenhängende Folge von Intuitionen. Die Schwierigkeiten, die Gefahren, die Antinomien der Metaphysik entstehen dadurch, daß diese Intuitionen sich ihres logischen Charakters nicht völlig bewußt sind; daß keine von ihnen sich als bloße Teil intuition versteht, sondern den Anspruch erhebt, das Ganze des Seins zu umspannen und gedanklich zu repräsentieren. Der Wettstreit, der damit entsteht, wird unmittelbar zum dialektischen Widerstreit. Jede Einzelperspektive will jetzt die andere, statt sie in ihrem eigentümlichen »Blickpunkt« zu verstehen, vielmehr verdrängen: Jede versucht dogmatisch die Alleinherrschaft über das Ganze an sich zu reißen und sich in dieser absoluten Herrschaft zu behaupten. Es ist verständlich, daß man glaubt, all diesen Streitigkeiten und all diesen Widersprüchen am sichersten entgehen zu können, wenn man das Übel an der Wurzel angreift, wenn man die Metaphysik mit Stumpf und Stiel ausrottet und ihre Begriffe für ein leeres »Nichts« erklärt. Aber sooft diese radikale Ausrottung auch versucht und gefordert worden ist, so wenig ist sie jemals gelungen. Die Metaphysik gleicht der Lernäischen Hydra, der immer neue Köpfe nachwachsen, so viel man ihrer auch schon abgeschlagen hat. Der Grund hierfür kann nur darin liegen, daß sie keineswegs eine willkürliche Begriffsdichtung einzelner Denker ist, sondern in einer allgemeinen »Naturanlage« wurzelt. Auch Häger| ström erkennt, wenigstens mittelbar, diesen Sachverhalt an. Denn für ihn beschränkt sich ja, wie wir gesehen haben, die Metaphysik keineswegs auf das, was in den philosophischen Systemen von ihr erscheint und festgehalten wird. Er sieht sie vielmehr mitten in der Wissenschaft und er sieht sie im allgemeinen »Bewußtsein« wirksam. Wenn er den Begriff eines »Dinges mit Eigenschaften« oder den Begriff der »Bewegung«, so wie er im »gewöhnlichen Bewußtsein« erscheint, wenn er die gewöhnliche Auffassung vom »Ich« für metaphysisch erklärt15 – so wird unmittelbar deutlich, daß sich derartige Begriffe zwar kritisieren, aber nicht einfach eliminieren lassen. Kant hat die dogmatische Metaphysik in der Form, in der er sie historisch vorfand, aufs schärfste bekämpft; aber eine Ausschaltung und Ausrottung der Metaphysik als »Naturanlage« hat er nicht für erforderlich oder auch nur für möglich gehalten. »Daß der Geist des Menschen metaphysische Untersuchungen einmal gänzlich aufgeben werde«, so sagt er, »ist ebensowenig zu erwarten, als daß wir, um nicht immer unreine Luft zu schöpfen, das Atemholen einmal lieber ganz und gar einstellen würden. Es wird also in der Welt jederzeit, und was noch mehr, bei jedem, vornehmlich dem nachdenkenden Menschen 15

Vgl. Selbstdarstellung, S. 30 ff.

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Metaphysik sein […] Nun kann das, was bis daher Metaphysik geheißen hat, keinem prüfenden Kopfe ein Gnüge tun, ihr aber gänzlich zu entsagen, ist doch auch unmöglich, also muß endlich eine Kritik der reinen Vernunft selbst versucht, oder, wenn eine da ist, untersucht, und in allgemeine Prüfung gezogen werden, weil es sonst kein Mittel gibt, dieser dringenden Bedürfnis, welche noch etwas mehr, als bloße Wißbegierde ist, abzuhelfen.«16 Kant fordert also nicht die gänzliche Auflösung und Vernichtung, sondern die Kritik der Metaphysik. Und er selbst vollzieht diese Kritik, indem er den verschiedenen metaphysischen Teilintuitionen, die sich bisher für das Ganze der Welterklärung ausgegeben hatten, ihre bestimmte Stelle zuweist und sie in ihrem systematischen Ver hältnis zueinander bestimmt. Dem Freiheitsbegriff wie dem Naturbegriff, dem moralischen Grundbegriff der Pflicht und der ästhetischen Anschauung soll diese Stelle angewiesen und dadurch ihre Grenze bezeichnet werden. Ist eine solche kritische Grenzbestimmung einmal durchgeführt, so können wir sicher sein, daß die einzelnen »Sphären« – die | Sphäre der Wissenschaft, der Religion, der Kunst, der Sittlichkeit – einander nicht mehr stören und daß sie nicht, willkürlich und unmethodisch, ineinander übergreifen, sondern daß jede in ihrer selbständigen Bedeutung, in der ihr eigenen autonomen Gesetzlichkeit erkannt und anerkannt wird. Es gibt für Kant somit, nach wie vor, eine »Metaphysik« der Naturerkenntnis, eine Metaphysik der sittlichen Erkenntnis, eine Metaphysik des Rechts und eine Metaphysik der Kunst: Und es muß sie geben, sofern sie auf allgemeingültige Prinzipien gegründet werden sollen. Was zu verlangen ist, ist nur dies, daß jedes dieser Gebiete in seiner Eigenart, in seiner spezifischen Bedeutung erkannt und aus seinen spezifischen »Gründen« erklärt wird. Was Kant verlangt, ist somit nicht die Zerstörung der Metaphysik – denn als »Naturanlage« ist und bleibt sie nach ihm unzerstörlich –, sondern ihre Disziplin. Und diese Disziplin besteht eben darin, daß jeder ihrer Begriffe sich in seinem Gebrauch zugleich der Bedingungen bewußt wird, unter denen er steht, und daß er sich, auf Grund dieses Wissens, die Grenzen seiner Anwendung bestimmt. Die volle Einsicht in diese Bedingungen kann freilich auf Grund der Begriffsanalyse allein nicht gewonnen werden. Durch bloße Analyse kommt keine wahrhaft philosophische Leistung zustande. Die Analyse ist, auch nach Kant, ein unentbehrliches Instrument der philosophischen Erkenntnis, aber sie erschöpft nicht ihren Gehalt. Der 16

Kant, Prolegomena, S. 122 f. (Akad.-Ausg. IV, 367).

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philosophischen Analysis liegt immer irgendeine »Synthesis« zugrunde: »[…] denn wo der Verstand vorher nichts verbunden hat, da kann er auch nichts auflösen […]«17 Die Art und Richtung dieser »Synthesis«, durch die auch für Hägerströms gesamte Lehre erst das eigentliche Fundament geschaffen wird, läßt sich in seiner theoretischen Hauptschrift leicht erkennen. Den Realitätsbegriff, von dem er in dieser Schrift ausgeht, will er nicht auf formal-logischem Wege beweisen oder deduzieren. Er erklärt diesen Begriff ausdrücklich für »unmittelbar«: »Er kann auf keine Weise a posteriori (oder sensitiv) begründet oder a priori vermittelt werden.«18 Er ist unabhängig von der Erfahrung, weil er deren ständige und unentbehrliche Bedingung ist: »Die Giltigkeit des Realitätsbegriffs kann nicht als im ganzen auf einer […] besonderen Erfahrungserkenntnis beruhend angesehen werden, weil diese Giltigkeit dabei beständig | vorausgesetzt wird.«19 Und ebenso bedarf die These, daß die Realität unbedingt mit sich selbst identisch sein muß, ihrerseits keiner weiteren logischen Begründung; sie ist vielmehr nach Hägerström der tragende Grund für alle Beweisführung überhaupt. »Daraus folgt, dass die Vorstellung von der unbedingt notwendigen Selbstidentität der Wirklichkeit und damit von dem an sich bestehenden Realitätsbegriff nicht zu vermeiden, und dass es unmöglich ist, sich über sie zu stellen und sie als etwas nur Subjektives zu betrachten. Wird man nur zur Selbstbesinnung getrieben, so erweist sich jeder solche Versuch als misslungen. Im ganzen gilt da der Satz, dass ebenso unmittelbar, wie ich bei nach innen gewandtem Reflektieren mir meiner eigenen Existenz bewusst bin – ohne alles Schliessen oder Abstrahieren – ich auch bei allem Reflektieren mir des ebengenannten Begriffs als in sich selbst Bestand habend bewusst bin – ohne alles Schliessen oder Abstrahieren. Vielmehr ist die fragliche Vorstellung bei allem Schliessen und Abstrahieren als äusserster Stützpunkt gegenwärtig. Sie ist sozusagen ein Anker, den der Mensch bei allem seinem Reflektieren auswirft, um nicht wie ein Holzstückchen auf dem Meere seiner Gefühle und Reflexionen umhergetrieben zu werden.«20 Dieser »äußerste Stützpunkt« und Ankergrund steht also für Hägerström vor aller Begriffsanalyse fest, weil ohne ihn die Analyse gar nicht einsetzen könnte. Und hier – an diesem für seine gesamte Lehre entscheidenden Punkt – verschmäht er es denn auch nicht, auf den Terminus der »Intuition« zurückzu17 18 19 20

Ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 113 (B 130). Das Prinzip der Wissenschaft, S. 54. A. a. O., S. 42. A. a. O., S. 79 f.

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greifen. »Was […] die Realität betrifft, so hat man dabei an den Wirklichkeitsbegriff zu denken, so wie er sowohl in der allgemeinen Vorstellungsweise als in der Wissenschaft lebt. […] Es ist klar, dass es sich dabei um eine nicht weiter auflösbare Intuition handelt. Jeder Versuch, diesen Begriff weiter aufzulösen, gerät in einen unvermeidlichen Zirkel. […] Was […] die Selbstidentität betrifft, so haben wir daran zu denken, was wir meinen, wenn wir einen Gegenstand als ein bestimmtes Dies bezeichnen. Natürlich handelt es sich auch hier um eine nicht weiter auflösbare Intuition. Jeder Versuch einer weiteren Analyse scheitert natürlich an der Unmöglichkeit, etwas zu denken, ohne es als ein bestimmtes Dies zu denken.«21 In diesem Resultat sieht Hägerström die »kopernikanische [Wendung] | der Erkenntnistheorie«.22 Er gebraucht hierbei dieses Wort freilich in einem Sinne, der dem Sinne, in welchem es von Kant eingeführt worden ist, fast entgegengesetzt ist. Kants »Revolution der Denkart«23 sollte darin bestehen, daß man die bisherige Auffassung, die Erkenntnis müsse sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten, aufgebe. Die Erkenntnis kann nicht mit der Frage, was der Gegenstand, in seinem reinen Ansich, ist, beginnen. Sie muß vielmehr mit der Einsicht in das, was sie selbst ist, den Anfang machen, da ihr nur aus dem Wissen um ihre eigene Struktur, um ihre Voraussetzungen und Prinzipien, das Wissen vom Gegenstand, als Gegenstand der Erfahrung, erwachsen kann. Nach Hägerström gilt es dagegen, das Objekt, nicht das Subjekt, in den Mittelpunkt zu stellen. Und von diesem Standpunkt aus, daß nur die »Sache selbst« das Kriterium veri sein könne, sieht er auch in Kants Transzendentalismus nichts anderes als eine besondere historische Spielart jenes Subjektivismus, der nach ihm die bisherige Erkenntnistheorie fast ausschließlich beherrscht hat. Ob und wieweit Kant von diesem Vorwurf getroffen wird, läßt sich indes erst entscheiden, nachdem man sich klargemacht hat, welche bestimmte systematische und polemische Bedeutung der Begriff des Subjektivismus im Ganzen von Hägerströms Lehre besitzt. |

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A. a. O., S. 87 f. [A. a. O., S. 77.] [Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 15 (B XI).]

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zweites kapitel. Die Kritik des Subjektivismus Der Kampf gegen den »Subjektivismus« bildet das Grundthema von Hägerströms Erkenntnislehre. Ihm gelten alle erkenntnistheoretischen Hauptschriften Hägerströms, und als seine wesentliche und wichtigste Leistung sieht er es an, daß es ihm gelungen ist, hier nicht auf halbem Wege stehenzubleiben, sondern sein Ziel wirklich zu erreichen. Er will nicht nur bestimmte Einzellehren des Subjektivismus in ihrer logischen Unhaltbarkeit erweisen, sondern er will bis zur Wurzel des Übels vordringen und diese Wurzel ein für alle Mal zerstören. Damit ist uns der Weg unserer kritischen Analyse vorgezeichnet. Wir müssen mit dieser negativen These – mit der Verneinung und Bestreitung des Subjektivismus – beginnen; aber wir werden freilich bei ihr nicht stehenbleiben können. Wir werden uns zu fragen haben, was Hägerström in seiner eigenen Erkenntnislehre dem Subjektivismus entgegengestellt, d. h., welche positive Antwort er auf die Frage nach dem »Gegenstand der Erkenntnis« gegeben hat. Denn erst, wenn man dieses Moment betrachtet, erhält die Polemik gegen den Subjektivismus einen scharf bestimmten Sinn. In den erkenntnistheoretischen Kämpfen, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts einsetzen und die das gesamte Gepräge der Philosophie dieses Zeitraums bestimmt haben, hat der Kampf gegen den Subjektivismus jederzeit eine entscheidende Rolle gespielt. An Kritikern und Gegnern des Subjektivismus hat es hier nie gefehlt; aber er wurde freilich aus ganz verschiedenen Gesichtspunkten und mit sehr verschiedenartigen, oft sogar divergenten Gründen bestritten. Es schien eine Zeitlang, als solle dem Subjektivismus der endgültige Sieg zufallen, nachdem es ihm gelungen war, eines der Haupthindernisse zu besiegen, nachdem er auch in das naturwissenschaftliche Denken eingedrungen war und den »naiven Realismus« der Physiker überwunden und zerstört hatte. Die Lehre Machs, daß der »Gegenstand«, auf den die | naturwissenschaftliche Erkenntnis sich bezieht, nichts anderes und nicht mehr sein könne als eine Summe einfacher Empfindungen, daß sich das »Objekt« aus den Elementen der sinnlichen Empfindung, aus Farben, Tönen, Geschmäcken, Gerüchen aufbaue, schien die Grenze zwischen Psychologie und Physik endgültig aufzuheben. Mach selbst hat die Aufhebung dieser Grenze als das methodische Hauptziel bezeichnet, das er sich in seiner Erkenntnislehre setzte. Aber der Triumph des Subjektivismus war auf diesem Gebiet nur von kurzer Dauer. Der Machsche Phänomenalismus und »Konszientialismus« hat in der Physik keine bleibende Stätte gewonnen; er wurde

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mehr und mehr zurückgedrängt, als sich ihm Forscher vom Range Ludwig Boltzmanns und Max Plancks entgegenstellten. Unter ganz anderen Gesichtspunkten ist dieser »Konszientialismus« von Metaphysikern, wie Eduard von Hartmann in seinem »System des transzendentalen Realismus«, von »kritischen Idealisten«, wie den Denkern der »Marburger Schule«, von Logikern und Phänomenologen wie Husserl bekämpft worden. In der scharfen Kritik des Subjektivismus steht also Hägerström keineswegs allein, sondern hier ist er durch viele Fäden mit dem Denken seiner Zeit verknüpft. Die Zusammenhänge, die hier bestehen, sind freilich von sehr komplizierter Art, und es ist keineswegs leicht, sie an der Hand von Hägerströms Schriften zu verfolgen. Denn er selbst ist in der Darstellung seiner erkenntnistheoretischen Grundgedanken seinen eigenen Weg gegangen, ohne nach rechts oder links zu blicken. Das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit anderen Forschern scheint er auf diesem Gebiet nicht empfunden zu haben. Es ist in dieser Hinsicht z. B. sehr auffallend, daß er ein Werk wie Husserls »Logische Untersuchungen«, soviel ich sehe, nirgends erwähnt, obwohl er in seinem Kampf gegen den »Psychologismus« in der modernen Logik und Erkenntnislehre mit Husserl durchaus übereinstimmt.1 Hier besteht, was die Form der Darstellung betrifft, eine merkwürdige Diskrepanz zwischen Hägerströms erkenntnistheoretischen Schriften und seinen anderen Hauptwerken. Während er dort, wo er Fragen der Moralphilosophie, der Rechtsphilosophie, der Wirtschaftsphilosophie, der Soziologie behandelt, auf die Anschauungen | anderer Denker sehr sorgfältig eingegangen ist und sie sehr eingehend kritisiert hat,2 zeigen die erkenntnistheoretischen Hauptschriften ein ganz anderes Verhalten: Die Schrift über das »Prinzip der Wissenschaft« macht keinerlei Versuch, das Thema in das Ganze der erkenntnistheoretischen Diskussionen der Gegenwart einzureihen und Hä-

1 Eine eingehende kritische Auseinandersetzung mit Husserls Grundanschauungen findet sich, soviel ich sehe, im Kreise der Uppsala-Schule, zuerst bei Adolf Phalén, vgl. z. B. »Zur Bestimmung des Begriffs des Psychischen«, Uppsala/Leipzig 1914 (Skrifter utgifna af Kungl. humanistiska vetenskaps-samfundet i Uppsala, Bd. 16), S. 421 ff. 2 Dies gilt besonders von Hägerströms rechtsphilosophischer Hauptschrift »Till frågan om den objektiva rättens begrepp. I. Viljeteorien«, Uppsala/Leipzig 1917 (Skrifter utgifna af Kungl. humanistiska vetenskaps-samfundet i Uppsala, Bd. 19:2), und von seiner Schrift über den Marxismus. Einen noch größeren Raum nimmt die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur der Rechtsphilosophie und der Rechts- und Religionsgeschichte in dem Werk über den römischen Obligationsbegriff ein.

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gerströms Stellung zu den Hauptrichtungen der modernen Erkenntnistheorie zu präzisieren. Aber auch wenn man von der Gegenwart auf die Vergangenheit zurückblickt, fehlt es nicht an Berührungspunkten zwischen Hägerström und anderen Denkern, die das »Realitätsproblem« in den Mittelpunkt ihrer Philosophie gestellt haben. Hägerström meint freilich, daß der »Subjektivismus«, d. h. die Annahme, daß dem Bewußtsein unmittelbar nichts anderes gegeben sei als seine eigenen Inhalte und daß alles darüber Hinausgehende, sofern es ihm überhaupt zugänglich sei, nur diskursiv, auf dem Wege der Schlußfolgerung, gewonnen werden könne, »[die] allgemeine […] Richtung der modernen Erkenntnistheorie« sei. Er findet diese Anschauung nicht nur bei Descartes oder Hume, sondern auch bei Kant; und er erklärt, daß der Satz, daß das Bewußtsein selbst das einzige unmittelbar Gegebene sei, nicht nur in der Geschichte der Philosophie, sondern auch gemeinhin als selbstverständlich betrachtet zu werden pflege.3 Aber diese Behauptung bedarf zweifellos der Einschränkung. Sooft der Subjektivismus auch vertreten worden ist, so sind doch immer wieder, und in allen Epochen der Geschichte der Philosophie, Widersacher gegen ihn aufgetreten, die seine Grundthese scharf kritisiert und die sie, auf Grund dieser Kritik, verworfen haben. Und noch weniger kann behauptet werden, daß der »gemeine Menschenverstand« dieser These zuneige. Die Philosophen des gemeinen Menschenverstandes, die Vertreter der schottischen Schule, die sich auf den »Common sense« als das eigentliche und wesentliche Kriterium der Wahrheit berufen, haben hierüber anders geurteilt. Sie haben durchgängig die Ansicht verfochten, daß der »Common sense« uns keinen Zweifel darüber läßt, daß es eine nicht nur mit | telbare, sondern unmittelbare Erkenntnis der Realität geben kann und geben muß. Und sie wandten ebendies Argument an, um den Humeschen Skeptizismus und Subjektivismus zu bestreiten und zu entwurzeln.4 Kant hat diese Form der ArgumenSelbstdarstellung, S. 4 [Zitat S. 6]. Einer der ersten Denker, der, gegenüber der Auflösung des Gegenstandsbegriffs in eine Summe einfacher Perzeptionen, die Lehre von der unmittelbaren Erkenntnis der Realität verfochten hat, scheint Richard Price gewesen zu sein. »Every perception«, so sagt er, »being the perception of something, implies some kind of reality distinct from and independent of itself; nothing being more grossly absurd, than to suppose the perception, or apprehension of a thing, to be the same with the thing itself.« Daß Prices Lehre einen starken Einfluß auf die Problemstellung und Grundauffassung der gesamten »schottischen Schule« geübt hat, ist von Torgny Torgnysson Segerstedt in seiner Schrift »The Problem of Knowledge in Scottish Philosophy (Reid – Stewart – Hamilton – Ferrier)«, Lund 3 4

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tation als ungenügend erkannt, und er hat sie, in der Vorrede zu den »Prolegomena«, scharf zurechtgewiesen. Er will den Humeschen Subjektivismus mit anderen und stärkeren Gründen bekämpfen, und er geht zu diesem Zwecke nicht von den Urteilen des »Common sense«, sondern von dem logischen Bestand der wissenschaftlichen Erkenntnis aus. Die Analyse dieses Bestandes soll zeigen, daß und warum die Humesche These unhaltbar ist. Und nichts hat sich Kant so angelegen sein lassen, als eine scharfe Grenzlinie zwischen seinem eigenen »kritischen Idealismus« und dem Vorstellungsidealismus Berkeleys oder Humes zu ziehen. Er will nicht vom psychologischen Selbstbewußtsein und von den »Tatsachen« dieses Selbstbewußtseins ausgehen. Die »Fakta«, die er seiner Untersuchung des Realitätsbegriffs zugrunde legt, liegen an anderer Stelle. Es ist das »Faktum« der Mathematik und der mathematischen Naturerkenntnis, das er zum Ausgangspunkt seiner Kritik macht. In diesem Sinne hat er seinen Idealismus, im Unterschied zum psycholo | gischen, als »formalen Idealismus« bezeichnet, weil seine Hauptabsicht darauf geht, die logische Form der Wissenschaft als solche aufzuweisen und sie in ihrem »quid juris« zu verstehen. Das Resultat von Kants Untersuchung läßt sich kurz dahin zusammenfassen, daß der Begriff der Gegenständlichkeit sich für ihn auf den der Gesetzlichkeit, der »objektiven Notwendigkeit« reduziert. Die »Beziehung auf den Gegenstand« hört damit auf, den Appell an eine der Erkenntnis fremde und schlechthin äußerliche Instanz zu bedeuten. Sie ergibt sich vielmehr aus der Reflexion der Erkenntnis auf sich selbst und auf ihren eigenen logischen Grund. »Wenn wir untersuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen für eine neue Beschaffenheit gebe und welches die Dignität sei, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter tue, als die Verbindung der Vorstel-

1935 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt. 1, Bd. 31, Nr. 6), S. 19 ff. [Zitat S. 25], treffend dargelegt worden. Aber selbst innerhalb des Kreises des strengen Cartesianismus ist die Ansicht, daß das Bewußtsein unmittelbar nur seine eigenen »Ideen« kennt, niemals alleinherrschend gewesen. Die These, daß es eine nicht nur mittelbare, sondern unmittelbare Erkenntnis der Realität gibt, ist z. B. in scharfer Form von Antoine Arnauld in seiner gegen Malebranche gerichteten Streitschrift »Des vraies et des fausses idées« verfochten worden. Diese Schrift Arnaulds hat Thomas Reid, der Begründer der »schottischen Schule«, gekannt, und er hat sich ausdrücklich auf sie berufen. Die Lehre von der »unmittelbaren Erkenntnis« der Wirklichkeit hat somit, auch wenn wir nur die Entwicklung der neueren Philosophie ins Auge fassen, eine reiche und interessante Vorgeschichte; und es würde sich der Mühe lohnen, diese Vorgeschichte einmal zusammenfassend darzustellen.

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lungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen und sie einer Regel zu unterwerfen; daß umgekehrt nur dadurch, daß eine gewisse Ordnung in dem Zeitverhältnisse unserer Vorstellungen notwendig ist, ihnen objektive Bedeutung erteilet wird.«5 Daß dieses Grundproblem der Beziehung der Erkenntnis auf den Gegenstand nicht durch psychologische Untersuchungen über die Herkunft unserer Begriffe geklärt und entschieden werden kann, steht für Kant fest. Er unterscheidet aufs bestimmteste zwischen der Aufgabe der »transzendentalen Deduktion«, die er sich gestellt hat, und jener »physiologischen Deduktion«, die im Kreise des englischen Empirismus galt. Die letztere erscheint ihm als völlig ungeeignet, die eigentliche Frage: die Frage nach der objektiven Geltung der Grundbegriffe der Erkenntnis, zu beantworten. Man kann freilich von diesen Begriffen »die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufsuchen«, und »[e]in solches Nachspüren der ersten Bestrebungen unserer Erkenntniskraft, um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Begriffen zu steigen, hat ohne Zweifel seinen großen Nutzen […]« »Allein eine Deduktion der reinen Begriffe a priori kommt dadurch niemals zustande, denn sie liegt ganz und gar nicht auf diesem Wege […]« Die versuchte physiologische Ableitung betrifft nur die »Quaestio facti«; sie kann uns nichts über die »Quaestio juris« sagen, die das eigentliche Thema der transzendentalen Deduktion bildet.6 Nichts wäre daher verfehlter, als wenn man die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Grund | begriffe der Erkenntnis auf eine Art von psychologischem Denkzwang gründen wollte, der sich in ihnen auswirkt. Eine solche Beweisführung vermöchte die Skepsis nicht umzustoßen, sondern käme ihr vielmehr aufs äußerste entgegen. Der Kausalbegriff z. B. würde falsch sein, wenn er nur auf einer beliebigen uns eingepflanzten subjektiven Notwendigkeit, gewisse empirische Vorstellungen nach einer solchen Regel des Verhältnisses zu verbinden, beruhte. »Ich würde nicht sagen können: die Wirkung ist mit der Ursache im Objekte, (d. i. notwendig), verbunden, sondern ich bin nur so eingerichtet, daß ich diese Vorstellung nicht anders als so verknüpft denken kann; welches gerade das ist, was der Skeptiker am meisten wünscht; denn alsdenn ist alle unsere Einsicht durch vermeinte objektive Gültigkeit unserer Urteile nichts als lauter Schein, und es würde auch an Leuten nicht fehlen, die diese subjektive Notwendigkeit, (die gefühlt werden muß), von sich nicht gestehen würden; zum wenigsten könnte man mit niemanden über dasjenige 5 6

Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 181 (B 242 f.). A. a. O., S. 106 f. (B 118 f.) [Zitat S. 106 (B 118 f.)].

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hadern, was bloß auf der Art beruht, wie sein Subjekt organisiert ist.«7 Daß diese streng objektive Tendenz der kritischen Erkenntnislehre nicht sogleich in ihrer vollen Bedeutung erfaßt wurde, daß sich vielmehr die Interpretation immer wieder auf den Nebenweg und Abweg der Ableitung der Grundbegriffe aus der »psychologischen Organisation des Menschen« abdrängen ließ: dazu trug gerade jener Umstand bei, der für die Erneuerung und Wiederbelebung der Kantischen Studien in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entscheidend ins Gewicht fiel. Die »Rückkehr zu Kant« ist in Deutschland durch die Naturwissenschaft angebahnt worden; und ihr ist es zu danken, daß das allgemeine Interesse wieder auf die »Kritik der reinen Vernunft«, als das Grundbuch der modernen Erkenntnistheorie, gelenkt wurde. Seitdem die Naturwissenschaft endgültig mit der spekulativen Philosophie gebrochen hatte, war sie mehr und mehr in ein rein materialistisches Fahrwasser geraten. Der Materialismus schien das einzige Mittel zu sein, um sich endgültig aus den Banden der Schellingschen und Hegelschen Naturphilosophie zu befreien, um eine exakte Philosophie der Naturwissenschaft zu begründen. Im populären Bewußtsein wurden »Materialismus« und »Naturwissenschaft« fast gleichbedeutende Begriffe: Werke wie Büchners »Kraft und Stoff« erschienen gleichsam als das philosophische Gesetzbuch des naturwissenschaftlichen Denkens. Was über den Rahmen dieses Gesetzbuches hinausging, wurde nicht nur der Meta | physik zugerechnet, sondern geradezu zum »Köhlerglauben« gestempelt. Hier griff Helmholtz ein, der der erste moderne Naturforscher ist, der das Problem einer Kritik der Voraussetzungen und Prinzipien der Naturerkenntnis in voller Klarheit gesehen und der damit dem modernen naturwissenschaftlichen Denken eine ganz neue, der »materialistischen« durchaus entgegengesetzte Richtung gegeben hat. Er forderte mit stärkstem Nachdruck eine »Erkenntnistheorie der Physik«; und er erklärte, daß sich der hier gestellten Aufgabe kein Zeitalter ungestraft werde entziehen können.8 Für die Lösung dieser Aufgabe mußte Helmholtz auf Kant zurückgehen. Aber Helmholtz war nicht nur Physiker; er war zugleich Physiologe, und seine physiologischen Arbeiten stehen von früh an im Mittelpunkt seiner Forschung. Als Schüler Johannes MülA. a. O., S. 136 (B 168). Über Helmholtz’ Kritik der Grundlagen der Naturerkenntnis vgl. meine Schrift »Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Historische und systematische Studien zum Kausalproblem«, Stockholm 1937 (Göteborgs högskolas årsskrift, Bd. 42:3), S. 76 ff. [ECW 19, S. 75 ff.]. 7 8

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lers ist er zum Begründer der modernen »physiologischen Optik« geworden. So ist es verständlich, daß er auch sein erkenntniskritisches Problem, das er in großer Schärfe und in großer Allgemeinheit sah, nichtsdestoweniger gewissermaßen sub specie der Physiologie betrachtete. Und hierdurch verschob sich ihm unwillkürlich die Kantische Grundfrage. Er glaubte, die Kantische Aprioritätslehre erläutern und rechtfertigen zu können, indem er sie auf Johannes Müllers Lehre von den »spezifischen Sinnesenergien« bezog. Die Frage wurde nicht mehr an die objektiven Bedingungen der Möglichkeit der Naturwissenschaft, sondern sie wurde an eine bestimmte empirische Wirklichkeit, an die »psychophysische Organisation« des Menschen gerichtet. Den Zirkel, der hierbei begangen wurde, hat in der deutschen Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts zuerst Hermann Cohen erkannt, und seine ganze Arbeit der Kantinterpretation ist durch diese Erkenntnis bestimmt worden.9 Er verwirft die psychologisch-physiologische Deutung der Kantischen Aprioritätslehre als einen völligen Irrtum. Das »Subjekt«, von dem Kant spricht, hat nach Cohen keine empirische Bedeutung und keine empirische Wirklichkeit; es hat einen rein ideellen Sinn. Es bezeichnet jenes Grundprinzip, auf dem alle Möglichkeit der Erfahrung und damit die Möglichkeit der Erkenntnis von »Gegenständen« beruht: Denn »Gegenstände« sind uns immer nur im Zusammen | hang der Erfahrungserkenntnis, nicht aber gänzlich außerhalb derselben, als sogenannte »Dinge an sich« gegeben. Kants Lehre vom erkennenden Subjekt wird daher von Cohen nicht in dem Sinne aufgefaßt, daß wir vom faktischen Bestand des empirischen »Selbstbewußtseins« ausgehen könnten und daß dieses das einzig »unmittelbar Gegebene« sei. Die »Gegebenheit«, die er fordert und die er als das eigentliche Fundament aller erkenntnistheoretischen Arbeit ansieht, ist von völlig anderer Art. Sie besteht in gewissen Wissenschaftsfakten: insbesondere im »Faktum« der Mathematik und der mathematischen Naturwissenschaft. Diese Fakta können nicht dadurch erkannt und verstanden werden, daß man der Genesis bestimmter Vorstellungen in unserem Bewußtsein wie z. B. der Entstehung der Raumvorstellung, der Zahlvorstellung, der Kausalvorstellung nachgeht. Es gilt vielmehr, den objektiven Gehalt der Begriffe von Raum, Zeit, Zahl usf. zu zergliedern, und es gilt, auf diese Analyse gestützt, die logische Struktur der Mathematik und 9 Näheres hierüber in meinem Aufsatz: Hermann Cohen und die Erneuerung der Kantischen Philosophie, in: Kant-Studien 17 (1912), S. 252–273 [ECW 9, S. 119–138].

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Physik zu begreifen. Für diese Aufgabe kann die Erkenntniskritik von der Psychologie, als der Lehre vom »Bewußtsein«, keine Hilfe erwarten: Die Einmischung psychologischer Fragestellungen kann vielmehr hierbei nur verwirren und stören. Denn das Wort »Erkenntnis« selbst muß durchaus im objektiven Sinne verstanden werden: Es besagt einen Inbegriff von »Regeln«, von »Axiomen«, von »Prinzipien«, denen wir gegenständliche Bedeutung, denen wir »Allgemeinheit und Notwendigkeit« zuschreiben; und die Begründung dieser Notwendigkeit kann sich nicht selbst auf jene »Zufälligkeiten«, auf jene »vérités contingentes« stützen, mit denen es die Psychologie zu tun hat. An diese Fragestellung des deutschen Neukantianismus hat Hägerström angeknüpft, und seine Hauptabsicht in seiner ersten großen philosophiegeschichtlichen Arbeit, in dem Werk über Kants Ethik, ist darauf gerichtet, ihr Geltung und Anerkennung zu verschaffen. Auch er betont fort und fort, daß es sich in Kants Werk um eine objektive Begründung der Erkenntnis, nicht um eine bloß subjektive Begründung handelt. Cohen hatte gegenüber Friedrich Albert Langes »Geschichte des Materialismus« klargestellt, daß und warum eine zureichende historische Erklärung und eine systematische Begründung der Kantischen Aprioritätslehre unmöglich sei, wenn man hierfür auf eine Untersuchung der »psychophysischen Organisation« zurückgeht. In voller Übereinstimmung hiermit erklärt Hägerström, daß die apriorischen Bestimmungen des Bewußtseins für Kant nicht bedeuten können | das Vorhandensein einer allgemeinen ursprünglichen Organisation bei dem individuellen psychologischen Bewußtsein, auf Grund dessen es allgemein und notwendig auf eine bestimmte Weise funktionieren müßte. »Hieraus liesse sich ebenso wenig wie auf rein sensualistischem Wege eine objektive Notwendigkeit erklären, nur eine subjektive Notwendigkeit, auf bestimmte Weise wahrzunehmen.«10 Und auf diese objektive Notwendigkeit kommt es nach Hägerström allein an. Er will in dieser Hinsicht die Frage noch bestimmter und radikaler gestalten, als es im deutschen Neukantianismus geschehen war. Er erklärt z. B. in bezug auf Cohens Kantdeutung, daß in ihr die Überwindung des Psychologismus zwar angestrebt, aber nicht wirklich erreicht worden sei. Denn Cohen habe zwar den Fehler der Anknüpfung an das individuelle empirische Bewußtsein vermieden; 10 Axel Hägerström, Kants Ethik im Verhältnis zu seinen erkenntnistheoretischen Grundgedanken systematisch dargestellt, Uppsala/Leipzig 1902, S. 72 f., vgl. bes. S. 23 ff.

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er sei indes der Ansicht, daß »[…] die ganze Erkenntnistheorie Kants auf eine psychologische Erklärung der allgemeinen Methoden hinausläuft, durch welche die mathematische Naturwissenschaft psychologisch entsteht.«11 Eine solche Erklärung aber ist gleichfalls unmöglich, weil wir durch sie notwendig auf einen unendlichen Regreß geführt würden.12 »Die psychologische Erkenntnis«, so sagt Hägerström, »die das seelische Leben als eine Wirklichkeit in der Zeit zum Gegenstand hat, kann nicht zugrunde gelegt werden, ohne daß man damit einen Zirkel begeht. […] Gerade das für die Erkenntnis Wesentliche: die Setzung einer objektiven Realität der Vorstellung, fehlt hierbei. […] Denn der besondere psychische Akt, in welchem der Wahrnehmungsinhalt sich als etwas darstellt, dem Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit zukommt, ist doch immer etwas anderes als diese Allge | meingültigkeit und Notwendigkeit selbst. […] Der besondere gedankliche Akt, in welchem die Winkelsumme im Dreieck als zwei Rechte erscheint, ist doch immer etwas anderes als der in diesem Denkakt ausgesagte Sachverhalt selbst (något annat än saken själv). […] Deshalb kann das Denken, wenn es als psychischer Vorgang im eigentlichen Sinne verstanden wird, niemals über sich selbst hinausgehen und zum Gedachten hinführen. […] Die Frage bezieht sich mit einem Worte nicht auf eine psychologische oder überhaupt auf eine objektiv-reale Bedingung, sondern auf eine logische Bedingung für das Hinausgehen über das Denken selbst, das die betreffende Erkenntnis in sich schließt.«13 A. a. O., S. 2 ff. u. 8 [Zitat]. Die Frage, ob diese an Cohens Kantwerken geübte Kritik zutrifft, will ich hier nicht aufwerfen. Für ihre gründliche Beantwortung wären sehr ausführliche Erörterungen erforderlich, die über den Rahmen dieser Abhandlung hinausgehen würden und die hier, wo es mir lediglich auf die Darstellung und Kritik von Hägerströms eigener Erkenntnislehre ankommt, entbehrlich sind. Ich möchte aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß meine eigene Auffassung von Cohens Lehre, die sich mir auf Grund des Studiums seiner Werke und auf Grund seines persönlichen Unterrichts gebildet hat, eine völlig andere als diejenige Hägerströms ist, ja ihr in vielen prinzipiellen Punkten diametral entgegensteht. Die Kritik Hägerströms ist, meiner Überzeugung nach, der eigentlich entscheidenden philosophischen Leistung Cohens nicht gerecht geworden, was freilich, wie ich zugebe, zum Teil durch die Dunkelheit von Cohens Stil und durch seine schwer zu durchdringende Terminologie verschuldet sein mag. 13 Axel Hägerström, Stat och rätt. En rättsfilosofisk undersökning I, Uppsala 1904, S. IV ff. [»Särskildt är därvid af betydelse, att den psykologiska kunskapen såsom ägande till föremål själslifvet såsom tidlig verklighet icke utan cirkel kan läggas till grund. […] Just det väsentliga för kunskapen: sättandet af föreställningens objektiva realitet saknas här. […] Ty den särskilda psykiska akt, i hvilken förnimmelseinnehållet framstår såsom ägande inre allmängiltighet och nödvändig11 12

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Wenn jedoch Hägerström Kants Lehre durchaus »objektiv« fassen und interpretieren will, so entsteht die Frage, wie er nichtsdestoweniger in seinen Schriften zur Grundlegung der Erkenntniskritik fortfahren kann, diese Lehre dem Kreise des »Subjektivismus« zuzurechnen: jenes Subjektivismus, der nach ihm mit Augustin und Descartes seinen Einzug in die Philosophie gehalten hat.14 Hier stehen wir vor einem schwer zu lösenden Dilemma. Als Kantinterpret will Hägerström nachweisen, daß wir in Kant den eigentlichen Überwinder des Psychologismus und Subjektivismus zu sehen haben; als philosophischer Systematiker urteilt er, daß Kant noch ganz im Subjektivismus befangen und tief in ihn verstrickt sei. Ich gestehe, daß es mir schwerfällt, beide Anschauungen, für die sich klare und unzweideutige Belege in Hägerströms Schriften finden, miteinander zu vereinen. Ist Hägerström, nachdem er sein Kantwerk abgeschlossen hatte, zu einer anderen und völlig entgegensetzten Auffassung der systematischen Grundtendenz von Kants Lehre gelangt? Aber in diesem Falle hätte man erwarten müssen, daß er diese Änderung seiner Anschauung hervorgehoben und daß er sie eingehend begründet hätte, was, soviel ich sehe, nirgends geschehen ist. Oder meint Hägerström, daß die Unklarheit, die hier vorliegt, Kant selbst zur Last zu legen ist, daß dieser also über den Grundcharakter seiner Lehre nicht ins Klare gekommen ist und beständig zwischen einer subjektivistischen und einer objektivistischen Auffassung geschwankt hat? Derartige Vorwürfe sind, wie bekannt, in den Arbeiten der Uppsala-Schule nicht nur gegen Kant, sondern auch gegen fast alle philosophischen Lehren der Vergangenheit erhoben worden. Bei einzelnen Forschern, die diesem Kreise angehören, bildet die | Behauptung derartiger innerer Widersprüche in jedem philosophischen System geradezu die Grundmaxime der historischen Interpretation; ja sie scheint bisweilen zu einer Art von methodologischem Dogma zu erstarren. Aber Hägerströms Kantwerk urteilt hierin weit vorsichtiger und zurückhaltender. Es betont zwar, daß Kant, gleich anderen großen und originalen Denkern, sein Werk nicht mit einem Schlage, als ein fertig het, är dock alltid något annat än denna allmänglitighet och nödvändighet själv […] Den särskilda tankeakt, i hvilken summan af alla vinklarne i en triangel framstår såsom två räta är dock alltid något annat än saken själf. […] Därför kan aldrig det psykiska tänkandet såsom sådant i egentlig mening gå utöfver sig själft och till det tänkta. […] Det är med ett ord icke fråga om en psykologisk eller öfverhufvud en objektivt real utan blott om en logisk betingning för det utgående öfver tänkandet själft, som kunskapen i fråga innefattar.«]; vgl. bes. »Selbstdarstellung«, S. 3 ff. 14 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 68 ff.; vgl. Selbstdarstellung, S. 32 f.

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vollendetes Ganze, hinstellen konnte; daß er ständig um den adäquaten Ausdruck seiner Gedanken zu ringen hatte und daß daher seine Darstellung von mancherlei Ungleichheiten, Unebenheiten, Unfertigkeiten nicht frei ist. Der Gedanke aber, daß Kant den Charakter seiner eigenen erkenntniskritischen Grundthese nicht klar erfaßt habe und daß er sich, in bezug auf sie, die ärgsten Widersprüche habe zuschulden kommen lassen, wird von Hägerström energisch zurückgewiesen. »Man muss fordern«, so erklärt er in der Einleitung zu seinem Kantwerk, »dass wirklich ein einheitlicher Gedanke derart nachgewiesen wird, dass Kants eigene Darstellung, wie sie Punkt für Punkt verläuft, sich durch denselben als ein zusammenhängendes Ganzes begreifen lässt. Es ist […] nicht notwendig, dass dieser Gedanke, damit seine grundlegende Natur angenommen werden könne, als vollständig durchgeführt nachgewiesen werde. Es lässt sich ja wohl die Möglichkeit starker Einflüsse denken, die sich in einer anderen Richtung geltend gemacht haben. Auch sind Inkonsequenzen aus zufälligen Ursachen nicht ausgeschlossen. Wenn aber bedeutendere Abweichungen vorhanden sind, so muss dargethan werden, teils dass wirklich starke Einflüsse mehr äusserer Natur vorliegen, teils dass die Art und Weise, wie Kant sie seinem System zu assimilieren gesucht hat, von dem als leitend angenommenen Gedanken bestimmt ist. Und hinsichtlich weniger bedeutender Inkonsequenzen müssen die zufälligen Umstände, durch die sie hervorgerufen worden, genau bestimmt werden können. In dem Folgenden haben wir dieses Wahrheitskriterium zur Richtschnur genommen.«15 Nimmt man dieses »Wahrheitskriterium« an, so muß man Kant meiner Ansicht nach von dem Vorwurf des erkenntnistheoretischen Subjektivismus durchaus freisprechen. Es liegt zwar auf der Hand, daß er fortfährt, die Sprache dieses Subjektivismus zu sprechen, ein Umstand, der vom ersten Erscheinen der »Kritik der reinen Vernunft« an bis auf den heutigen Tag immer wieder Mißverständnisse und Fehl | deutungen verschuldet hat. Schon in der äußeren Disposition der »Kritik der reinen Vernunft«, in ihrer Einteilung in die verschiedenen »Erkenntnisvermögen« des Verstandes, der Urteilskraft, der Vernunft läßt sich ja die Nachwirkung der Vermögenspsychologie des 18. Jahrhunderts nicht verkennen. Aber sucht man, mit Hägerström, nach dem »einigende[n] Element« 16 in Kants Denken, so wird man dasselbe, gerade wenn man seiner eigenen Deutung folgt, immer nur im »Objektivismus«, nicht im »Subjektivismus« finden können. 15 16

Kants Ethik, S. V f.; vgl. S. 16 f. u. ö. [A. a. O., S. V.]

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Jener bildet die Haupt- und Grundthese, die durch gelegentliche Abweichungen nicht verdunkelt werden kann. Auch wenn wir diejenige Definition des Subjektivismus annehmen, die Hägerström in seinen erkenntnistheoretischen Hauptschriften gibt, können wir Kant nicht länger dieser philosophischen Richtung zuzählen. Die subjektivistische These soll danach besagen, daß das Bewußtsein unmittelbar nur seine eigenen Daten zu erfassen vermag und daß ihm daher die »Außenwelt«, die materielle Welt in Raum und Zeit, nur mittelbar auf dem Wege einer stets unsicheren Schlußfolgerung zugänglich sei. Aber ebendiese These ist es, die Kant bekämpft hat, und ihrer Widerlegung ist ein besonderes Kapitel gewidmet, das er der zweiten Auflage der Vernunftkritik hinzugefügt hat. »Das bloße, aber empirisch bestimmte Bewußtsein meines eigenem Daseins«, so wird hier erklärt, »beweiset das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir.« Der Idealismus (als psychologischer Idealismus) »[…] nahm an, daß die einzige unmittelbare Erfahrung die innere sei und daraus auf äußere Dinge nur geschlossen werde […] Allein hier wird bewiesen, daß äußere Erfahrung eigentlich unmittelbar sei, daß nur vermittelst ihrer zwar nicht das Bewußtsein unserer eigenen Existenz, aber doch die Bestimmung derselben in der Zeit, d. i. innere Erfahrung möglich sei.«17 Wir dürfen jedoch bei Hägerströms Kantinterpretation und Kant| kritik nicht zu lange verweilen, sondern müssen uns statt dessen in den eigentlichen Mittelpunkt seiner Erkenntnislehre, in seine Ana lyse des Realitätsbegriffs versetzen. Bevor ich auf diese Analyse eingehe, sei es mir erlaubt, meine eigene Stellung zu dem Problem, die ich in all meinen Arbeiten zur Erkenntnistheorie festzuhalten und eingehend zu begründen gesucht habe, hier noch einmal, in möglichster Prägnanz und Kürze, zu skizzieren. Denn nur auf Grund einer solchen Darlegung wird es möglich sein, die Fragen, die ich an Hägerströms Erkenntnislehre richten möchte, scharf und klar zu formulieren. Die »kritische« Philosophie beginnt mit einer »Revolution der 17 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 200–202 (B 275–277). – Psychologische Idealisten, wie Schopenhauer, wußten sich, wie bekannt, diese Kantische »Widerlegung des Idealismus«, die in der zweiten Auflage der Vernunftkritik hinzugefügt ist, nicht anders zu erklären als durch die Annahme, daß Kant hier »aus Menschenfurcht« seine eigene Lehre verstümmelt und verleugnet habe. Aber die ernsthafte Kantinterpretation rechnet wohl nicht mehr mit derartigen Annahmen. Auch Hägerström findet, mit vollem Recht, die »Widerlegung des Idealismus« in durchgängigem Einklang mit Kants Grundanschauungen; und er hat sich in seinem Kantwerk wiederholt auf sie berufen, um seine eigene »objektivistische« Interpretation zu stützen (vgl. Kants Ethik, S. 16 f. u. 110).

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Denkart«,18 durch die der Schwerpunkt des Realitätsproblems verschoben und an eine andere Stelle verlegt wird. Sie macht sich nicht länger anheischig, das Problem zu behandeln, das die dogmatische Metaphysik gestellt hatte und das innerhalb derselben zu immer neuen, einander widerstreitenden Lösungsversuchen geführt hatte. »[…] der stolze Name einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben […] muß«, wie Kant sagt, »dem bescheidenen einer bloßen Analytik des reinen Verstandes Platz machen.«19 Die Frage bezieht sich jetzt also nicht mehr auf »Dinge überhaupt«; auf Gegenstände, die in ihrem absoluten Dasein und Sosein erfaßt werden sollen. Sie geht lediglich auf jene Gegenstände, die uns in einer bestimmten Erkenntnisart, die Kant unter dem Namen des »reinen Verstandes« zusammenfaßt, zugänglich werden und die unter den Bedingungen ebendieser Erkenntnisart betrachtet werden sollen. Dieser Name klingt psychologistisch und subjektivistisch. Aber für Kant ist der Verstand nicht länger ein einzelnes »Vermögen« der menschlichen Seele. Er definiert ihn vielmehr als das »Vermögen der Regeln«,20 d. h. als die logische Voraussetzung dafür, daß es überhaupt so etwas wie Regelmäßigkeit, wie durchgehende Ordnung, wie Gesetzlichkeit in den Inhalten gibt, auf die sich die Erkenntnis bezieht. Der Verstand in diesem Sinne bedeutet also keinen Inbegriff bloßer Vorstellungen, und ebensowenig bedeutet er ein Ganzes von Begriffen und Urteilen, wenn unter diesen letzteren psychische Akte verstanden werden, die sich in einem bestimmten Zeitpunkt in unserem Bewußtsein abspielen. Er will statt dessen vielmehr das »Stattfinden von Grundsätzen« ausdrücken,21 | d. h. die Tatsache bezeichnen, daß die Erfahrungserkenntnis nicht, wie der Sensualismus meint, ein bloßes »Gewühl von Empfindungen« oder eine »Rhapsodie von Wahrnehmungen«22 ist. Diese Erkenntnis steht unter Prinzipien; sie gewinnt erst dadurch den Charakter der Einheit und der durchgängigen Bestimmtheit; und ebendiese Bestimmtheit ist es, was der Begriff eines »Gegenstandes der Erkenntnis« besagt und was als das auszeichnende Moment der empirischen Realität anzusehen ist. Diese allgemeine Bestimmung dessen, was der Realitätsbegriff, gemäß der kritischen Grundauffassung, ist und nicht ist, ist jedoch nur 18 19 20 21 22

[S. oben, S. 20.] Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 217 (B 303). [A. a. O., S. 626 (A 126).] Vgl. z. B. a. a. O., S. 154 (B 197). [A. a. O., S. 618 (A 111): »Gewühle von Erscheinungen« u. 152 (B 195).]

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der erste Ansatz des Problems; sie ist dagegen keineswegs seine endgültige Lösung. Um zu dieser Lösung vorzudringen, bedarf es vielmehr der Besonderung, der logischen Spezifikation der Frage. Die einzelnen Regeln, die summarisch unter dem Gattungsnamen des »Verstandes« zusammengefaßt werden können, müssen sorgfältig voneinander gesondert und jeder von ihnen muß ihr Anteil am Aufbau der gegenständlichen Erkenntnis bestimmt werden. Wir müssen erkennen, wie sie einander wechselseitig bedingen und wechselseitig stützen und wie erst kraft dieses Ineinandergreifens die logische »Form« des Erfahrungswissens sich konstituiert. Diese Aufgabe ist es, die die »Kritik der reinen Vernunft« zuerst in voller Schärfe gestellt und für die sie die ersten m ethodischen Vorbedingungen geschaffen hat. Aber denken wir sie uns nun durchgeführt und zu Ende geführt: Was wird aus der Frage, ob die Prinzipien, auf denen alle Erfahrungserkenntnis beruht, selbst »subjektiver« oder »objektiver« Art seien? Verstehen wir diese Frage in dem Sinne, den die dogmatische Metaphysik mit diesen Termini verband, oder in dem Sinne, in dem die Ausdrücke im populären Sprachgebrauch, ohne nähere erkenntniskritische Reflexion, gebraucht zu werden pflegen, so können wir sie nicht nur nicht beantworten, sondern wir können ihr nicht einmal eine bestimmte Bedeutung beimessen. Beide, die Metaphysik wie die gewöhnliche »unkritische« Auffassung, nehmen das Subjektive als eine »innere« Welt, der die Welt der Objekte als ein »Äußeres« gegenüberstehen soll. Aber was besagt dieser Gegensatz des »Inneren« und »Äußeren«, wenn wir ihn auf die Prinzipien, auf die logischen Grundvoraussetzungen der Erkenntnis anzuwenden versuchen? Diese Prinzipien sind keine »Gegenstände« von der Art, wie es die empirischen »Dinge« sind, die wir in ihrem Nebeneinander und Nacheinander, in ihrer räumlichen und zeitlichen Ordnung anschauen. Aber ebensowenig können | wir sie der »inneren« Welt, der Welt des Bewußtseins zurechnen und sie in ihr wie in einer harten und undurchdringlichen Schale eingeschlossen liegend denken. Denn ebendies sollte ja ihr Sinn sein, daß sie die allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung darstellen, daß sie die Form der »Erfahrung überhaupt« konstituieren. Durch sie wird daher erst das M edium geschaffen, in welchem sich die Scheidung einer »inneren« Welt von einer »äußeren Welt«, die Gegenüberstellung von »Subjekt« und »Objekt« vollziehen kann. Ist einmal die Erfahrungserkenntnis logisch aufgebaut, so gibt es für sie und innerhalb derselben eine mögliche Unterscheidung und Abgrenzung verschiedener Stufen der Wirklichkeitserkenntnis. Wir können hier den sinnlichen »Schein« von der objektiven empirischen »Erscheinung«, d. h. vom Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung trennen – und wir

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können die »Materie«, als den Ausdruck derjenigen Realität, mit der es die naturwissenschaftliche Erkenntnis zu tun hat, vom bloßen Wahrnehmungsobjekt unterscheiden. Dieses letztere wird damit seinerseits für ein »Subjektives«, für ein ν µω ν im Gegensatz zum τε0 ν, für einen Inbegriff »sekundärer Qualitäten« erklärt. Aber diese Erklärung hebt seinen Realitätswert nicht schlechthin auf. Sie bezieht ihn nur auf einen bestimmten, engeren Erfahrungskreis, der außer durch die »allgemeinen Naturgesetze«, die die Physik aufstellt, durch die besonderen Bedingungen bestimmt wird, die die Physiologie feststellt. Die Qualität »Rot« oder »Grün« ist etwas durchaus Bestimmtes und insofern »Reelles«; aber sie ist nicht »dieselbe« für den Normalsichtigen und für den Rot-Grün-Blinden. Der letztere sieht die Farbwelt in einer eigentümlichen Weise, die keineswegs »Schein« oder »Täuschung« ist, die aber, um in ihrer Eigentümlichkeit verstanden, um dem allgemeinen Erfahrungszusammenhang eingereiht zu werden, der Berücksichtigung spezieller Bedingungen bedarf: ebenjener Bedingungen, die im Zusammenhang unserer kausalen Erkenntnis als die »Gründe« der Rot-Grün-Blindheit feststellbar sind. Der Fortgang der Erfahrungserkenntnis ist also so beschaffen, daß sich in ihm die Grenze dessen, was wir das »Subjektive« und was wir das »Objektive« nennen, ständig verschiebt; daß eine immer weiter fortschreitende »Auseinandersetzung« von »Ich« und »Welt« stattfindet. Aber ebendiese Auseinandersetzung ist nur im Rahmen des Erfahrungswissens als solchen und unter dessen Voraussetzungen möglich. Wir können daher nicht fragen, ob dieses Wissen und die Prinzipien, auf denen es beruht, | selbst »subjektiv« oder »objektiv« sind. Es geht diesem Gegensatz insofern voraus, als es die allgemeine Bedingung für ihn bildet, als es erst gestattet, ihm eine bestimmte Bedeutung und Anwendung zu geben.23 Und damit ist zugleich ein anderes gegeben. Ist einmal erkannt, daß die »Beziehung auf den Gegenstand« kein einzelner Prozeß ist, der sich in unserem Vorstellen, in unserem Denken oder Schließen vollzieht, sondern daß ebendiese Beziehung die Fundamentalrelation bildet, auf der jegliche empirische Erkenntnis überhaupt beruht, so rückt damit auch das Problem der Erklärung dieser Relation in ein neues Licht. Keiner Erkenntnistheorie kann es gelingen, diese Erklärung dadurch zu geben, daß sie im Kreise der empirischen Dinge oder Sachverhalte nach Analogien für diese Relation Ausschau hält. Denn 23 Zur näheren Begründung verweise ich auf meine Schrift »Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik«, Berlin 1910, bes. Kap. 7: Subjektivität und Objektivität der Relationsbegriffe, S. 410 ff. [ECW 6, S. 334 ff.].

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wenn die Funktion der Gegenstandssetzung, der Objektivierung und Realisierung, erst das Fundament zur Anschauung und zur Erkenntnis einer empirischen Welt legt, so können wir die Beziehungen, die sich zwischen den Elementen dieser letzteren feststellen lassen, nicht auf dasjenige übertragen, worauf eben erst die logische Möglichkeit dieser Beziehungen selbst beruht. Die Inhalte des Erfahrungswissens sind so beschaffen, daß zwischen ihnen ganz bestimmte Relationen: Relationen des räumlichen Nebeneinander, des zeitlichen Nacheinander, von »Ding« und »Eigenschaft«, von »Ursache« und »Wirkung«, bestehen. Aber auf das, was die Basis für alle diese Relationen bildet, auf die Gegenstandsbeziehung als solche, dürfen wir all diese Differenzen nicht anwenden. In dieser Grundbeziehung gibt es kein »Innen« und »Außen«, kein »Vorher« oder »Nachher«, keine »Ursache« und keine »Wirkung«, keinen »Grund« und keine »Folge«. Sie bildet vielmehr ebenjene Bestimmung, aus der alle diese Differenzen sich ableiten, aus der sie sich gewissermaßen erst herauskristallisieren. Wenn wir das Bewußtsein als das »Innere« ansehen, dem der Gegenstand als das »Äußere« gegenübersteht, wenn wir beide in ein kausales Verhältnis zueinander setzen, nach welchem entweder der Gegenstand auf das Ich »einwirkt« und in ihm ein Abbild seiner selbst erzeugt, oder umgekehrt das Ich aus sich heraus, kraft bestimmter Akte der »produktiven Einbildungskraft« oder der vernünftigen Schlußfolgerung, den Gegen | stand »erzeugt« – so sind all diese Wendungen nichts anderes als Metaphern. Es sind Bilder, die nichts erklären können, weil sie das, was sie erklären wollen, beständig voraussetzen müssen. Wenn »Inneres« und »Äußeres«, wenn »Ding« und »Eigenschaft«, »Grund« und »Folge«, »Ursache« und »Wirkung« jeweilig bestimmte Grundrichtungen, bestimmte »Spezifikationen« der Gegenstandsbeziehung darstellen, so ist es offenbar ein Zirkel, wenn man aus ebendieser Spezifikation das Allgemeine, das logische Genus dieser Beziehung verständlich machen will. Es bleibt also nichts übrig, als diese Beziehung als solche als ein »Urphänomen« der Erkenntnis anzuerkennen, aus dem sich ihre besonderen Bestimmungen ableiten, das aber selbst seinerseits keiner weiteren Ableitung oder Reduktion fähig oder bedürftig ist. Die »Hypothesis« der Gegenständlichkeit überhaupt, die gleichbedeutend mit der Hypothesis einer durchgängigen Gesetzlichkeit und nur ein anderer Ausdruck für diese Gesetzlichkeit ist, wird damit zum δ ς µοι πο2 στ3, zum »Archimedischen Punkt« jeglicher Erfahrungserkenntnis; aber sie selbst können wir nicht weiter aus einer metaphysischen »Überwelt« oder »Hinterwelt« begreiflich zu machen und sie durch die Beziehung auf diese zu begründen und zu sichern suchen.

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Zwischen dieser Grundanschauung und derjenigen, die Hägerström in seiner Schrift über »Das Prinzip der Wissenschaft« entwickelt hat, besteht, soviel ich sehe, keine wesentliche, keine eigentlich prinzipielle Divergenz. Hält man sich freilich an die Form, in die Hägerström in dieser Schrift seine Hauptthesen gekleidet hat, so wird man hier schwerlich irgendein Moment der Übereinstimmung auffinden können. Aber bei dem noch so unfertigen, ja in vieler Hinsicht geradezu chaotischen Zustand der philosophischen Terminologie wird man diesem Umstand keine allzu große Bedeutung zumessen und aus ihm keine voreiligen Schlüsse ziehen dürfen. Hägerström hat es als eine der ersten und wichtigsten Forderungen erklärt, daß man in der philosophischen Erkenntnis durch den »Wortnebel« hindurchdringen, daß man »from sounds to things« gelangen solle.24 Die Verschiedenheit der Ausdrücke kann daher das Urteil über die Sache nicht bestimmen, und sie darf dieses Urteil nicht trüben. Ich lasse daher hier alle die Angriffe beiseite, die Hägerström auch gegen den »kritischen Idealismus« gerichtet hat, in dem er kaum etwas anderes als eine besondere Spielart des von ihm be | kämpften »Subjektivismus« zu sehen scheint. Das Hauptgewicht dürfen wir hier nicht auf die Vorstellung legen, die Hägerström sich von anderen Lehrmeinungen gebildet hat, sondern auf seine eigene Antwort auf das Problem, was der »Gegenstand der Erkenntnis« ist und was er nicht ist. Und hier begegne ich mich mit ihm vor allem in einer entscheidenden Schlußfolgerung. Der »kritische Objektivismus« Hägerströms25 lehnt ebenso bestimmt, wie es der »kritische Idealismus« tut, den Begriff von einem unerkennbaren »Dinge an sich« ab, das das erkennende Subjekt »affiziert« und ihm durch diese Affektion die Materie der Erkenntnis liefert. Und er begründet diese Ablehnung in ähnlicher Weise wie dieser; er sieht in dieser Annahme nichts anderes als eine falsche Verräumlichung der Subjekt-Objekt-Beziehung. Hägerström geht davon aus, daß das Bewußtsein sich keineswegs allein auf sich selbst bezieht und daß es nicht lediglich seine eigenen Zustände erfaßt. Es bezieht sich vielmehr notwendig auf Gegenstände; es ist »Bewußtsein von etwas«. Jedes denkende Bewußtsein ist »Bewusstsein von einem […] an sich selbst Bestand habenden«.26 Aber wir begehen, wie er betont, einen schweren Irrtum, wenn wir dieses »an sich selbst BeSelbstdarstellung, S. 48. Der Ausdruck des »kritischen Objektivismus« findet sich, soviel ich sehe, bei Hägerström selbst nicht. Ich entnehme ihn einem Aufsatz Einar Tegens: Kritisk objektivism, der eine knapp zusammenfassende Darstellung der Grundanschauungen der Uppsala-Schule gibt. 26 Selbstdarstellung, S. 7 ff.; Das Prinzip der Wissenschaft, S. 78 [Zitat] u. ö. 24 25

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stand habende«, statt es im Erfahrungszusammenhang zu suchen, als ein Etwas denken, das von jeglicher Beziehung zur Erfahrung gelöst ist und ihr gegenüber ein »Absolutes«, ein »Transzendentes« bedeutet. Schon dieser Ausdruck der Transzendenz, der »Jenseitigkeit« verrät den Ursprung des Irrtums. Denn in ihm zeigt sich, daß die »intentionale« Beziehung auf den Gegenstand, die für jedes denkende Bewußtsein charakteristisch und für dasselbe unentbehrlich ist, mit einer räumlichen Beziehung verwechselt wird; daß das im Urteil »Gemeinte« nicht etwa nur als ein von ihm Verschiedenes, sondern auch als ein von ihm räumlich Getrenntes angesehen wird. Und von hier aus ergeben sich alsbald all die bekannten Aporien und Antinomien, die in der Geschichte des Erkenntnisproblems immer wieder gleich Irrlichtern aufgeleuchtet sind und das philosophische Denken auf eine falsche Bahn gelockt haben. Man fragt, wie es möglich sei, daß das Bewußtsein über seinen eigenen Schatten springen, daß es je über sich selbst hinausgelangen | könne. Dem kann nach Hägerström nur begegnet werden, indem man den metaphorischen Ausdruck des Sachverhalts mit einem rein logischen vertauscht. »Das Objekt ist keineswegs etwas, was die Selbständigkeit des Bewußtseins beschränkt, demnach etwas Äußeres für dasselbe, das als solches nicht unmittelbar in seiner Wirklichkeit aufgefaßt werden kann, wie es Idealisten und Realisten einträchtig angenommen haben, so verschieden auch ihre Ansichten über die Realität des Dinges an sich gewesen sein mögen.«27 Wenn somit Hägerström sich gegen die Psychologisierung des »Gegenstandes der Erkenntnis« wendet, so ist dies keine Rückkehr zu irgendeiner Form des dogmatischen »Realismus«: Denn er wendet sich nicht minder scharf gegen seine Hypostasierung, gegen seine Erhebung zu einer Substanz, die »in sich ist und durch sich erkannt wird«.28 27 Selbstdarstellung, S. 5. – Daß die falsche Verräumlichung der Gegenstandsbeziehung und die durch sie hervorgerufene Trennung der Erkenntnis in ein »Ding an sich« und ein »Bewußtsein an sich« die Quelle aller »Metaphysik der Erkenntnis« und alles durch sie bedingten Skeptizismus und »Irrationalismus« ist, ist eine These, die auch ich in allen meinen erkenntnistheoretischen Schriften verfochten habe. Vgl. bes. meine Kritik von Nicolai Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin/Leipzig 1921, in: Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik und Denkpsychologie, in: Jahrbücher der Philosophie. Eine kritische Übersicht der Philosophie der Gegenwart (3. Jahrgang), hrsg. in Gemeinschaft mit zahlreichen Fachgenossen v. Willy Moog, Berlin 1927, S. 31–92: S. 83 ff. [ECW 17, S. 71 ff.]. 28 [Baruch de Spinoza, Ethica ordine geometrico demonstrata (Teil 1, Def. 3), in: Opera quae supersunt omnia, hrsg. v. Karl Hermann Bruder, 3 Bde., Leipzig 1843–1846, Bd. I, S. 149–416: S. 187: »in se est et per se concipitur«.]

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Er muß die Auflösung der Realität in eine Summe bloßer Bewußtseinsdaten bekämpfen; aber er will den Gegenstand keineswegs über den Kreis der möglichen Erfahrung hinausrücken und ihn den Bedingungen der Erfahrungserkenntnis entziehen. Der Satz, den Kant als den »obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile«29 bezeichnet hat, daß die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind, gilt auch für ihn. Eine »Realität«, die nicht diesen Bedingungen unterliegt, ist für ihn ein hölzernes Eisen. In dieser Hinsicht gilt sein Kampf nicht minder dem Subjektivismus, als manchen bekannten Formen und Spielarten des »Realismus«. Er erklärt ausdrücklich, »daß der erkenntnistheoretische Realismus ebenso unmöglich ist wie der erkenntnistheoretische Idealismus«, und er lehnt jede Lehre vom Absoluten, im Sinne des in sich selbst Wirklichen als des Grundes der relativen Wirklichkeit, ab – und zwar ebensowohl bezüglich einer objektiven Wirklichkeit als bezüglich des Bewußtseins oder des Ichs selbst.30 Die Annahme, in der Erscheinung trete eine »Wirklichkeit an sich« hervor, wird daher unbedingt von ihm verworfen. »Zum Komischen steigert sich die Ab | hängigkeit des erkenntnistheoretischen Realismus von bloßen Worten, über deren Charakter man in Unkenntnis schwebt«, so erklärt er, »wenn man sogar Zweifel darüber äußern hört, ob diese Wirklichkeit an sich wirklich mit den Bedingungen der Erkenntnis übereinstimmt, die uns gegeben sind, z. B. mit dem Widerspruchsgesetze.«31 Damit ist genau dieselbe Auffassung erreicht, die auch den »kritischen Idealismus« – in dem Sinne, in welchem ich denselben verstehe – kennzeichnet. Denn auch dieser hält auf der einen Seite daran fest, daß eine Auflösung der Realität in bloße Bewußtseinsdaten unmöglich ist, während er andererseits betont, daß die Realität, als e mpirische Realität, notwendig denjenigen logischen Voraussetzungen unterliegt, die für alles Erfahrungswissen gelten und für dasselbe konstitutiv sind. Hägerström hat dieser These gelegentlich einen besonders scharfen und prägnanten Ausdruck gegeben, indem er erklärt, daß es einen anderen Begriff des »Seins« als den des » ImWissen-Gesetztsein[s]« nicht geben könne und daß schon der Versuch, nach einem anderen Sein als diesem zu fragen, einen Irrtum und ein Mißverständnis in sich schließe. Der Fehler liegt darin, »[…] dass man nicht bedenkt, dass die Realität, die Existenz, oder wie man es nun nennen will, nichts anderes ist als ein Begriff, ohne dessen Selbst29 30 31

[Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 117 (B 136).] Selbstdarstellung, S. 5 f. [Zitat S. 6]. A. a. O., S. 29.

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identität es überhaupt keine Bedeutung hätte, dass etwas existierte. Daher muss auch die empirische Realität, die Realität in Zeit und Raum, rein logisch hinsichtlich der Forderungen nach ihrer Selbstidentität bestimmt werden.« Über das Wissen der Realität hinauszufragen und dieses in irgendeiner Weise »transzendieren« zu wollen, hat also keinen Sinn: Denn die Realität ist unmittelbar nur »[…] sich selbst in einem Sich-selbst-wissen gegeben, dessen Unmittelbarkeit darin liegt, dass der Begriff der Sache direkt an sich selbst Giltigkeit hat.«32 Diese Formulierung scheint sogar direkt wieder in einen Idealismus Fichtescher Prägung zurückzulenken, der die Realität als im Ich gesetzt und durch das Ich gesetzt betrachtet. Aber dieser Umstand darf uns nicht beirren. Denn die »Setzung« kann in Hägerströms Gedankengang offenbar nur als Ausdruck einer logischen, nicht einer realen Bestimmtheit gefaßt werden. Sie darf nicht als Bezeichnung für ein Wirkliches, für einen Akt, eine »Tathandlung« des erkennenden Subjekts genommen werden, welche aller Erfahrung voranginge und ihr zugrunde läge. Von etwas Der | artigem soll hier keine Rede sein. Denn jeder Versuch, die Grundfunktion der Gegenstandssetzung in dieser Weise zu »erklären«, würde uns unrettbar in einen Zirkel verwickeln. Wir müßten ja, um diese Erklärung zu stützen, die Tathandlung selbst als etwas »Wirkliches«, als etwas sich Vollziehendes und in diesem Vollzug Bestehendes, betrachten – also ebendas voraussetzen, was wir seiner »Möglichkeit« nach ableiten wollten. Wenn wir von der Widerspruchslosigkeit und der durchgängigen Gesetzlichkeit der Erfahrung, von ihrer »Selbstidentität« ausgehen, so kann es sich niemals darum handeln, dieses Prinzip in gewöhnlichem logischen Sinne »beweisen«, d. h., aus etwas anderem herleiten und auf etwas anderes zurückführen zu wollen. An Stelle eines solchen Beweises hat hier die einfache »Aufweisung« zu treten. Denn jeder Beweis setzt bereits »die logische Notwendigkeit oder die absolute Giltigkeit des Begriffs der Realität in ihrer Selbstidentität« voraus.33 Das objektive Prinzip für Erfahrungsrealität ist nach Hägerström eines eigentlichen »Beweises« weder fähig noch bedürftig; es steht unter allen Umständen fest.34 Damit ist, nach Hägerström, auf der einen Seite die logische Bedeutung des Gegenstandsbegriffs als solche festgestellt und eben hierdurch zugleich das Schreckgespenst der dogmatischen Metaphysik, der Begriff vom »Ding an sich«, verscheucht und ein für allemal 32 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 64 ff. [1. Zitat S. 64, 2. Zitat S. 65 f.] u. 68 f. [3. Zitat]. 33 A. a. O., S. 56. 34 A. a. O., S. 65.

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aus der Erkenntnislehre verbannt. Und nun können wir zu der eigentlichen positiven Aufgabe, zu der schärferen Analyse des Realitätsbegriffs und zu einer Zerlegung desselben in seine einzelnen Momente fortschreiten. Die erste Frage, die wir hierbei zu stellen haben werden, ist die, durch welche Erkenntnisfunktion der Zugang zur Realität erschlossen werden kann. Auf diese Frage erhalten wir zunächst eine negative Antwort. Die Ansicht, daß die Sinnlichkeit der wahrhafte, wenn nicht der einzige Zugang zur Wirklichkeit sei, wird von Hägerström unbedingt verworfen. Denn er definiert die Realität durch den Gedanken der Bestimmtheit, und er betont, daß diese Bestimmtheit, dieser durchgängige Zusammenhang, den die Erfahrungselemente unter sich besitzen, nicht mit dem verwechselt werden dürfe, was man gemeinhin unter dem Namen der »Existenz« begreift. Bestimmtheit ist überall dort vorhanden, wo wir, statt bloße Einzelsetzungen, ein System von Setzungen vor uns haben, die ineinander eingreifen und sich wechselseitig nach | einer Regel bedingen. Die Urteile der reinen Mathematik bilden ein solches System – und auch ihnen können und müssen wir daher Realität zuschreiben, wenngleich den Gebilden, von denen sie sprechen, keine physische Existenz in natura rerum zukommt.35 Schon hieraus geht hervor, warum die sinnliche Empfindung, die auf ein einzelnes, auf ein hier und jetzt Gegebenes geht, nicht das hinlängliche Kriterium der Realität sein kann. Hägerström leugnet natürlich nicht, daß die Empfindung als ein notwendiges Moment in die Bestimmung der empirischen Wirklichkeit eingeht; aber sie ist ihm andererseits auch nicht mehr als ein solches Moment. Er bestreitet dem Empirismus nicht, daß die Wirklichkeit wissenschaftlich nur durch Erfahrung bestimmt werden kann; aber er leugnet, daß die Erfahrung in ihrem spezifisch wissenschaftlichen Sinn, sensu eminenti, sich aus bloßen Empfindungen aufbauen kann.36 Den Empirismus Millscher Prägung sieht er daher als absolut in sich selbst widersprechend an.37 Die Sensibilität ist nicht für die Realität der Erfahrung bestimmend; sie ist vielmehr selbst nur ein Glied in dem Erfahrungskomplex. Die logischen Momente der Erfahrung, nicht ihre sensitiven Momente bilden für Hägerström den Ausgangspunkt; denn »[…] es ist der Erfahrungsinhalt selbst, der […] durch sein Vermögen, auf eine widerspruchs35 Vgl. hierzu bes. Axel Hägerström, Art. »Hägerström«, in: Filosofiskt lexikon, unter Mitw. v. Bertil Hammar u. a. bearb. v. Alf Ahlberg, Stockholm 21931, S. 85–88: S. 85 f. 36 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 29. 37 A. a. O., S. 36.

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lose Weise die Realität zu bestimmen, seine eigene Giltigkeit bestimmt.«38 Sehen wir uns also auf die Logik als die zuletzt entscheidende Instanz hingewiesen, so erhebt sich weiter die Frage, welches logische Gebilde es ist, mit dem wir, in der Untersuchung der Realitätsfrage, den Anfang zu machen haben und dessen Führung wir uns anvertrauen wollen. Hägerström antwortet hierauf mit dem Hinweis auf den Begriff. Seine gesamte erkenntnistheoretische Arbeit wird schon durch diesen ersten Ansatz in eine ganz bestimmte Richtung gedrängt, die sie unbeirrbar festhält. Wer als Logiker in die eigentliche Natur des Begriffs eingedrungen ist und sie sich, in analytischer Arbeit, verdeutlicht hat, dem fällt, nach Hägerström, die Lösung des erkenntniskritischen Grundproblems gewissermaßen von selbst in den Schoß. Der Begriff ist das »Sesam öffne Dich!«, das uns die Pforten der Realität erschließt. Denn beide: Begriff und Realität, werden durch ein und | dieselbe Forderung, durch die Forderung der inneren Widerspruchslosigkeit oder der »Selbstidentität« bestimmt. Die Erfüllung dieser Forderung ist dasjenige, was den Begriff von der bloßen Vorstellung unterscheidet. Er kann in gewissem Sinne der Klasse der Vorstellungen eingereiht werden; aber er ist eine »Vorstellung mit selbstidentischem Inhalt«, die damit Allgemeinheit und innere Festigkeit besitzt.39 Und ebendiese innere Festigkeit ist es, die die Realität kennzeichnet und auszeichnet; sie ist dasjenige Moment, wodurch sie erst konstituiert wird. Aus dieser zentralen Stellung, die der Begriff im Aufbau von Hägerströms Logik und Erkenntnislehre einnimmt, ergeben sich aber sofort einige weitere, auf den ersten Blick höchst überraschende Konsequenzen. Ein Trennungsstrich zwischen »Begriff« und »Wirklichkeit« läßt sich jetzt nicht länger ziehen; beide sind nicht nur korrelativ aufeinander bezogen, sondern sie fallen ihrer Grundbedeutung nach zusammen. Durch diese Koinzidenz wird der Begriff zum »unmittelbar giltigen Begriff« oder, wie Hägerström sich ausdrückt, zum »absoluten Begriff«.40 In ihm ist das Denken als solches, unabhängig von jeder Impression, Erkenntnisgrund seiner eigenen Gültigkeit.41 Die Realität als Selbstidentität ist das allein unmittelbar Gegebene; sie ist das Wissen (im Unterschied zu der bloß faktischen Gewißheit); sie ist das Absolute, oder: sie ist der an sich gültige 38 39 40 41

A. a. O., S. 62. A. a. O., S. 21. [Vgl. a. a. O., S. 54 ff.] A. a. O., S. 24.

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Begriff. Wird nicht hier das ontologische Argument in aller Form behauptet? Oder kann man es als etwas anderes denn als eine solche Erneuerung auffassen, wenn Hägerström den Satz aufstellt, daß die empirische Wissenschaft sich nur unter der Voraussetzung als Erkenntnis behaupten kann, daß es etwas gibt, was »gemäß seinem eigenen Begriff real« und also »selbstnotwendig« ist?42 Haben wir hier nicht unmittelbar wieder ein Etwas vor uns, »cuius essentia involvit existentiam«?43 »[…] die absolute Giltigkeit des Realitätsbegriffs«, so heißt es an anderer Stelle, »besagt, dass die Realität unbedingt mit sich selbst identisch sein muss. Dies wieder schliesst in sich, dass der Begriff der Realität als mit sich selbst identisch an sich unmittelbare Giltigkeit hat, was dasselbe ist, wie dass er absolutes Wissen ist.«44 | Ein Kritiker Hägerströms, Allen Vannérus, hat sich Sätze dieser Art, die nach ihm eine Art »Apotheose des Wirklichkeitsbegriffs« in sich schließen, nicht anders erklären können als durch die Annahme, daß Hägerström hier alle seine eigenen Grundanschauungen verleugnet habe und daß er unversehens in den ärgsten Dogmatismus zurückgefallen sei.45 Aber ich bin weit entfernt, eine solche Schlußfolgerung zu ziehen. Denn abgesehen davon, daß man einem so konsequenten Denker und einem so scharfsinnigen Analytiker wie Hägerström einen derartigen »Rückfall« kaum zutrauen wird, handelt es sich hier keineswegs um eine vereinzelte oder zufällige Äußerung, sondern um eine Anschauung, die sich durch das ganze Werk Hägerströms hindurchzieht. Hägerström ist, wenn ich recht sehe, der einzige moderne Logiker, der es gewagt hat, wieder in die Bahnen des alten »Universalienstreites« einzulenken und in diesem Streit eine ganz bestimmte Stellung einzunehmen. Er setzt sich unbedingt für die Realität der Allgemeinbegriffe ein. Ich bin nicht sicher, ob er die These »universalia ante rem« aufrechtzuerhalten gedenkt; aber für die These »universalia in re« entscheidet er sich ohne jedes Bedenken. Und er läßt sich hierin durch die Einwände, die von früh an gegen diese These vorgebracht worden sind, nicht irre machen. Dem Satz, den Antisthenes gegen Platons Ideenlehre gerichtet haben soll: »ππον µν C3, !ππ τητα δ οχ C3«,46 tritt er fast in derselben Weise entge42 Botanisten och filosofen, S. 57 [»till sitt eget begrepp är realt […] själfnödvändigt«]. 43 [Spinoza, Ethica (Teil 1, Def. 1), S. 187.] 44 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 55. 45 Vannérus, Hägerströmstudier, S. 9 [»apoteosering av verklighetsbegreppet«]. 46 [Cilicius Simplicius, In Aristotelis Categorias commentaria, hrsg. mit Unterstützung der Preußischen Akademie der Wissenschaften v. Carolus Kalbfleisch (Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. VIII), Berlin 1907, S. 208.]

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gen, wie Platon es, nach antiken Berichten, getan hat. Er erklärt, daß es, um das Allgemeine zu erfassen, eines bestimmten Organons der Erkenntnis bedarf, über das der bloße Empiriker nicht verfügt. In dem Dialog »Botanisten och filosofen« macht der Philosoph den Versuch, dem Botaniker, der als verstockter Nominalist auftritt, die Augen einzusetzen, mit denen er nicht nur das Besondere, sondern auch das Allgemeine sehen kann: Er erklärt ihm, daß keineswegs allein den einzelnen Birken, sondern auch der »allgemeinen Birke« objektive Realität zukomme.47 Wenn ein Denker wie Hägerström, der eine Erkenntnislehre auf streng kritischer Grundlage aufgebaut hat, in dieser Weise für die »Realität« der Allgemeinbegriffe eintritt und wenn er behauptet, daß es etwas geben müsse, das »gemäß seinem eigenen Begriffe real« ist, so müssen wir nach einem tieferen Grunde für diese Anschauung suchen. | Es ist offenbar nicht möglich, daß er einfach den scholastischen »Realismus« erneuern will und daß er alles vergessen hat, was Kant gegen die Möglichkeit des ontologischen Arguments eingewandt hat. » Sein«, so erklärt Kant, »ist offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne. Es ist bloß die Position eines Dinges oder gewisser Bestimmungen an sich selbst. Im logischen Gebrauche ist es lediglich die Kopula eines Urteils. Der Satz ›Gott ist allmächtig‹ enthält zwei Begriffe, die ihre Objekte haben: Gott und Allmacht; das Wörtchen ›ist‹ ist nicht noch ein Prädikat obenein, sondern nur das, was das Prädikat beziehungsweise aufs Subjekt setzt. […] Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will […] denke, so kommt dadurch, daß ich noch hinzusetze ›Dieses Ding ist‹, nicht das Mindeste zu dem Dinge hinzu.«48 Wir fassen hier diese Argumentation Kants nicht im Hinblick auf ihren metaphysischen, sondern lediglich im Hinblick auf ihren logischen Gehalt ins Auge. Denn nur der letztere kann für die Interpretation und Kritik von Hägerströms Lehre in Betracht kommen. Wenn Hägerström, in der Frage des ontologischen Arguments, Kant die Nachfolge verweigert, so liegt dem ersichtlich kein metaphysisches Motiv, sondern ein bestimmtes logisches Motiv zugrunde. Irre ich nicht, so liegt der letzte Grund für Hägerströms Auffassung in der Vorstellung, die er sich von dem Ver hältnis des Begriffs zum Urteil macht. Was mich betrifft, so bin ich in all meinen logischen und erkenntniskritischen Schriften davon ausgegangen, daß für eine kritische Gestaltung der Erkenntnis47 48

Botanisten och filosofen, S. 58 ff. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 414 f. (B 626–628).

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lehre das Urteilsproblem in den Mittelpunkt gerückt werden muß und daß man erst von ihm aus zu einer sicheren Bestimmung dessen gelangen kann, was im »Begriff« gemeint und gesetzt ist. Nimmt man diese Anschauung an, so wandelt sich damit die Auffassung von der Struktur und der Rangordnung der logischen Probleme. Der Begriff wird, statt als Gattungsbegriff, als abstrakter »Allgemeinbegriff« bestimmt zu werden, als Relationsbegriff erfaßt. Er hat keine »absolute« Bedeutung, die ihm rein in bezug »auf sich selbst«, auf seine »Wesenheit« als solche zukommt. Was er »ist« und bedeutet, läßt sich vielmehr allein dem systematischen Zusammenhang entnehmen, in dem er steht, und seine logische Bestimmung ist nur in diesem Zusammenhang, nicht vor ihm und außerhalb desselben möglich. Die moderne Logik hat dieses Verhältnis vor allem an der | Struktur der mathematischen Begriffe aufgewiesen. Sie zeigt, daß z. B. Begriffe wie Punkt, Linie, Fläche sich nicht »absolut« definieren lassen, daß wir ihnen keinen für sich bestehenden, schlechthin unabhängigen Eigengehalt zusprechen können, sondern daß ihre Bedeutung sich erst aus ihrer »impliziten Definition« ergibt. Diese besteht darin, daß wir das »Sein« des Begriffs durch die Bedingungen bestimmen, denen er genügen soll, welche Bedingungen sich nicht anders als durch einen gewissen Inbegriff von Sätzen – in der Geometrie durch ein bestimmtes »Axiomensystem« – ausdrücken lassen. Es ergibt sich hieraus, daß im Aufbau der Logik das Urteil, das der allgemeinste Ausdruck der Relation ist, zum Primären, der Begriff dagegen zum Sekundären wird. Der »Sinn« eines Begriffs läßt sich nicht angeben, indem wir auf irgendwelche empirische Gegenstände hinweisen, von denen er abstrahiert sein soll. Nicht nur gegenüber den mathematischen Begriffen, sondern gegenüber den wissenschaftlichen Grundbegriffen überhaupt versagt diese Theorie der Abstraktion. Wir müssen in jedem Fall, um zu einer wirklich präzisen Fassung dieser Begriffe zu gelangen, die gesamten Urteilskomplexe ins Auge fassen, auf die sie sich stützen und die sie zum Ausdruck bringen wollen. Und auf diesen Urteilskomplexen beruht auch das, was wir die »objektive Realität« eines Begriffs nennen können. Diese Realität besagt nicht, daß es in der Welt der »Dinge« etwas gibt, das unseren allgemeinen Begriffen entspricht und zu ihnen ein Korrelat, ein reales »Gegenstück« bildet. Der Begriff ist nichts anderes als ein »Prädikat möglicher Urteile«; und beim Urteil können wir nach einem derartigen »Gegenbild« nicht einmal suchen und fragen. Denn das Urteil geht, seiner logischen Struktur nach, nicht auf einzelne Gegenstände; es geht vielmehr auf Sachverhalte. Es will in sich »Bestand« haben; aber dieser Bestand läßt sich nur in der Form der Gültigkeit, der Wahrheit

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einer Beziehung, nicht in der Form eines Gegenständlichen, an und für sich Seienden, aufweisen.49 Ebendies ist es, was, wie mir scheint, auch den Kernpunkt in Kants Widerlegung des ontologischen Arguments ausmacht. In diesem Argument wird, wie Kant hervorhebt, eine beziehungsweise Setzung mit einer absoluten Setzung verwechselt. Vom Sein der Kopula »ist« wird auf ein substantielles Sein geschlossen. Aber dieser Schluß wird hin | fällig, wenn wir uns den Sinn des »Ist«, das in jeder Aussage, in jedem objektiven Urteil enthalten ist, vergegenwärtigen. Dieser Sinn kann nach Kant nicht thetisch, sondern er muß synthe tisch verstanden werden. »Sein« ist nicht, wie Herbart definiert, als »absolute Position«50 zu fassen, der durch ebendiese Definition von der Kritik wieder zur Metaphysik, zur Setzung seiner absoluten, einfachen und realen Wesen gelangt. Es ist vielmehr stets nur relative Position; es geht auf die Ordnung und Verknüpfung, auf die Gesetzlichkeit der Elemente, aus denen sich die Erfahrungserkenntnis aufbaut, nicht auf ein einzelnes, an sich Existierendes. In diesem Sinne kann Kant sagen, daß der »Gegenstand«, den wir bei aller empirischer Erkenntnis voraussetzen müssen, nichts anderes und nichts mehr sei, als »[…] das Etwas, davon der Begriff eine solche Notwendigkeit der Synthesis ausdruckt.«51 Und hieraus wird erst klar, warum er das »Sein« als solches nicht als »reales Prädikat« eines Begriffs gelten lassen kann. Jedes reale Prädikat eines Begriffs enthält immer eine besondere Bestimmung, durch welche wir den gegebenen Begriff von anderen unterscheiden. Es spricht dem Begriff eine »Eigenschaft« zu, die nicht anders als durch bestimmte Urteile fixiert werden kann. Wir sagen von einem Begriff x, daß er a ist, b ist usf. – und durch die Gesamtheit dieser Aussagen gewinnt das vorher unbestimmte x erst gewisse Merkmale und kraft ihrer einen bestimmten Inhalt. Aber das »Sein« als solches ist nicht noch einmal als ein Prädikat dem Begriffsinhalt hinzuzufügen, da es nichts anderes als die Kopula des Urteils besagt, also lediglich die allgemeine Form der Setzung, nicht irgendeine besondere »Materie«, eine neue inhaltliche Bedingung zum Ausdruck bringt.

Zur näheren Begründung vgl. meine Schrift »Substanzbegriff und Funktionsbegriff« (Kap. 1 u. 4), S. 1 ff. u. 148 ff. [ECW 6, S. 1 ff. u. 121 ff.]. 50 [Johann Friedrich Herbart, Allgemeine Metaphysik, nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre. Zweiter, systematischer Theil, in: Sämmtliche Werke, hrsg. v. Gustav Hartenstein, Bd. IV, Teil 2, Hamburg/Leipzig 21886, S. 1–519: S. 77.] 51 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 616 (A 106). 49

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Durch diese Betrachtungen haben wir, wie mir scheint, erst den Schlüssel zu Hägerströms auf den ersten Blick so überraschender und paradoxer Verteidigung des »Begriffsrealismus« gefunden. Dieser Realismus ist sicherlich nicht metaphysischer Art, und von einer Neubelebung des scholastischen »Ontologismus« werden wir hier in keinem Fall sprechen dürfen. Es ist vielmehr eine Grundtendenz von Hägerströms Logik, die sich hierin ausspricht. Diese Logik sucht nach einem letzten Stützpunkt, und sie meint ihn nirgend anders als im Begriff finden zu können. Der Beziehungsausdruck des Urteils genügt Hägerström nicht; er erscheint ihm nicht als gesichert, ja nicht einmal als verständlich, wenn nicht zuvor die Fundamente der Beziehung festge | stellt sind; und diese Feststellung muß durch die Setzung von Begriffselementen erfolgen, die somit dem Urteil gegenüber als das Einfache und Primäre zu gelten haben. In diesem Sinne wird der Begriff wieder zur »absoluten Position« im Unterschied vom Urteil, das eine »relative Position« in sich schließt.52 Und es besteht zum mindesten die Gefahr, daß damit der Begriff zu einem selbständigen »Wesen« gemacht, daß ihm nicht nur objektive Be deutung beigelegt, sondern daß er unmittelbar hypostasiert wird. Manche Wendungen, die sich insbesondere in der Schrift über »Das Prinzip der Wissenschaft« finden, scheinen eine solche Gefahr sehr nahezurücken. Denn hier wird der Begriff der notwendigen Selbstidentität der Wirklichkeit als ein »absolutes Wissen« bezeichnet, »[…] in welchem als solchem Subjekt und Objekt identisch sind.«53 Auch in der Schrift »Botanisten och filosofen« verficht Hägerström mit voller Entschiedenheit die These, daß, allen modernen Anschauungen zum Trotz, die Empirie tatsächlich die Bestimmbarkeit der gegebenen Wirklichkeit durch Begriffe und damit die Realität der Begriffe vor-

52 In diesem Moment erblicke ich den prinzipiellen Unterschied zwischen der Begriffstheorie Hägerströms und derjenigen Auffassung des Begriffs, die ich selbst in meinen erkenntnistheoretischen Schriften, vor allem in der Schrift »Substanzbegriff und Funktionsbegriff« [ECW 6] und im dritten Bande der »Philosophie der symbolischen Formen« [ECW 13] zu begründen versucht habe. Hier liegt auch der Punkt, in dem ich mich von der weiteren Ausbildung der Begriffslehre, wie sie von jüngeren Forschern der »Uppsala-Schule« gegeben worden ist, unterscheide. Vgl. hierzu meine eingehende Diskussion mit Konrad Marc-Wogau in »Inhalt und Umfang des Begriffs«, in: Theoria 2 (1936), S. 207–232, und »Zur Logik des Symbolbegriffs«, in: Theoria 4 (1938), S. 145–175, sowie Marc-Wogaus eigene Darlegungen »Der Symbolbegriff in der Philosophie Ernst Cassirers«, in: Theoria 2 (1936), S. 279–332, und »Bemerkungen zu der Besprechung Ernst Cassirers in Theoria, Jahrg. II, H. 2, S. 207 ff.«, in: Theoria 2 (1936), S. 335–342. 53 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 9.

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aussetze.54 Aber auch diese Realität erhält einen anderen Sinn, wenn wir sie, statt sie lediglich vom Standpunkt des Begriffs zu sehen, sub specie der Urteilsfunktion betrachten. Wir brauchen dann lediglich die Verknüpfung des Besonderen durch Regeln, nicht aber ein Allgemeines neben oder über dem Besonderen zu fordern. Der »Bestand«, den wir der »allgemeinen Birke« zusprechen, läßt sich hierbei nicht mit der »Existenz« der einzelnen Birken auf eine Linie stellen, und beide lassen sich nicht unter einen gemeinsamen höchsten Gattungsbegriff, den Begriff der Realität, subsumieren. Denn diese Subsumtion ließe sich nur auf Grund einer µετ$βασις ε&ς 'λλο γνος, auf Grund eines Übergangs von den Relationsbegriffen zu den | Dingbegriffen vollziehen. Daß die allgemeine Birke »besteht«, das kann nur bedeuten, daß das, was durch sie ausgesagt werden soll, kein bloßer Name, daß es nicht einfach ein »flatus vocis« ist, sondern daß diese Aussage sich auf bestimmte Verhältnisse des Realen bezieht. Im Begriff der »allgemeinen Birke« sprechen wir lediglich das Faktum aus, daß es Urteile gibt, die sich nicht nur auf diese oder jene hier und jetzt gegebene Birke beziehen, sondern den Anspruch erheben, von »allen« Birken zu gelten. Diese logische »Teilhabe«, diese µθεξις des Besonderen am Allgemeinen, können wir als solche festhalten, ohne sie in irgendeiner Weise in eine ontologische Behauptung, in die Setzung zweier Grundformen der »Realität« zu verwandeln. Ich muß indes betonen, daß die hier geäußerten Bedenken sich weit mehr auf gewisse Züge der Logik Hägerströms als auf den Aufbau seiner Erkenntniskritik beziehen. Denn dieser Aufbau stützt sich nicht nur auf eine Begriffsanalyse, sondern er weist auch dem Urteil die ihm gebührende Stelle zu; ja er scheint in ihm das eigentliche Prinzip der »Objektivierung« zu sehen. Hägerström geht davon aus, »[…] daß in jedem Urteil die Realität von irgend etwas vorausgesetzt wird.« »Wenn ich finde, daß ›das Pferd läuft‹, so meine ich natürlich, daß das Laufen selbst als ein Zustand des Pferdes wirklich vorhanden ist, also nicht nur eine Phantasie in mir ist. ›Die Winkelsumme eines Dreiecks ist 180°‹ bedeutet, daß die Winkelsumme von 180° etwas Reales und nicht nur eine Auffassung ist. Es ist so.« Diesem »Ist« des Urteils wird man, wie Hägerström hervorhebt, nicht gerecht, wenn man es lediglich als eine »Verbindung von Vorstellungen« definiert: Denn dann verschwindet eben die wesentliche Leistung, die in seiner gegenständlichen Bedeutung besteht. »Man hat […] gesagt, das Urteil sei eine apperzeptive Verbindung von Vorstellungen. Eine derartige Verbindung ist aber keineswegs ein Bewußtsein von irgend etwas […] Die ›Ver54

Botanisten och filosofen, S. 63.

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bindung‹ von Vorstellungen kann nur eine Ursache zur Entstehung des Urteils sein, nicht aber das Urteil selbst.«55 Wir müssen also auch hier die Frage nach der psychologischen Entstehung von der nach der erkenntniskritischen Bedeutung aufs schärfste sondern. Daß gerade Kant es war, der, im Gebiet der Urteilslehre, diese Sonderung zuerst vollzogen und der auf ihr seine ganze Lehre vom »Gegenstand der Erkenntnis« aufgebaut hat, kann nicht bezweifelt werden. Auch in dieser Hinsicht müssen wir ihn also von dem Vorwurf des »Subjektivismus«, den Hägerström gegen ihn richtet, | freisprechen. »Wenn ich«, so sagt er, »die Beziehung gegebener Erkenntnisse in jedem Urteile genauer untersuche und sie, als dem Verstande angehörige, von dem Verhältnisse nach Gesetzen der reproduktiven Einbildungskraft, (welches nur subjektive Gültigkeit hat), unterscheide, so finde ich, daß ein Urteil nichts andres sei als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen. Darauf zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. […] Dadurch allein wird aus diesem Verhältnisse ein Urteil, d. i. ein Verhältnis, das objektiv gültig ist und sich von dem Verhältnisse ebenderselben Vorstellungen, worin bloß subjektive Gültigkeit wäre, z. B. nach Gesetzen der Assoziation, hinreichend unterscheidet. Nach den letzteren würde ich nur sagen können: Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere; aber nicht: er, der Körper, ist schwer; welches soviel sagen will als: die beiden Vorstellungen sind im Objekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts, verbunden und nicht bloß in der Wahrnehmung, (so oft sie auch wiederholt sein mag), beisammen.«56 Es ist offenbar die hier gegebene Bestimmung des objektiven Wissens, im Unterschied zum subjektiven Wahrnehmen oder Vorstellen, die Hägerström annimmt, wenn er erklärt, jedes Urteil sei »[…] eine Auffassung irgendeiner Sache als real.«57 Aber was sollen wir in diesem Zusammenhang unter dem Ausdruck »Sache« verstehen, und was bedeutet es, wenn Hägerström auch sonst immer wieder nachdrücklich betont, das Kriterium veri sei »nur die Sache selbst«; in welcher Weise dagegen das empirische Subjekt zu seinem Begriff von der Sache gekommen ist, entscheide in keiner Weise über die Wahrheit.58 Daß es sich hierbei nur um eine Sache handeln kann, die »im Wissen gesetzt« ist, nicht aber diesem als etwas 55 56 57 58

Selbstdarstellung, S. 7 f. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 120 f. (B 141 f.). Selbstdarstellung, S. 7. Das Prinzip der Wissenschaft, S. 16.

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Fremdartiges und Äußeres, als ein »Ding an sich« gegenübersteht, ergibt sich unmittelbar aus den Prämissen von Hägerströms Erkenntnislehre.59 Die Realität, auf die hier abgezielt wird, muß also gemäß jener Erkenntnisform bestimmt werden, durch welche sie allein, als Datum des Wissens, gegeben werden kann. Ist das Urteil als diese Erkenntnisform erkannt, so zeigt sich, daß die »Sache«, nach der wir suchen, nichts ande | res als ein Sachverhalt, eine gültige Relation sein kann. Jedes Urteil, auch das scheinbar elementarste, stellt schon ein komplexes logisches Gefüge dar. Es ist nichts absolut Einfaches, sondern ein in sich gegliedertes Ganze – und die in ihm ausgedrückte Realität muß demgemäß, unbeschadet ihrer Einheit, gewissermaßen den gleichen Mannigfaltigkeitsgrad in sich schließen und eine ihm entsprechende Artikulation aufweisen. Daß dem so ist, ergibt sich auch aus Hägerströms eigener Analyse des Realitätsbegriffs, wenn wir sie genauer verfolgen und ihre einzelnen Schritte näher ins Auge fassen. Die wachsende Komplikation des Problems tritt dann deutlich zu Tage. Der Ausgangspunkt der Untersuchung und der erste Ansatz der Frage ist bei Hägerström von überraschender und von sehr bestechender Einfachheit. Denn es zeigt sich, daß der einzige Satz der Identität und des Widerspruchs hinreicht, um das gesamte Gebäude nicht nur der rein logischen Erkenntnis, sondern auch der Wirklichkeitserkenntnis zu tragen. Auf ihn gestützt, gelangen wir zu dem »an sich gültige[n] Begriff«,60 und dieser genügt seinerseits, um die Realität als »Selbstidentität« zu definieren. Der Identitätssatz ist also keineswegs allein ein logischer Satz, sondern ein Grundprinzip der wissenschaftlichen Erkenntnis überhaupt; ja er ist, wie schon der Titel von Hägerströms erkenntnistheoretischer Hauptschrift feststellt, das Prinzip der Wissenschaft, aus dem alle anderen quellen und neben dem es keiner anderen Voraussetzungen zu bedürfen scheint. Aber lesen wir weiter, so beginnt sich der Schwerpunkt der Deduktion allmählich zu verschieben. Denn der Ausdruck der »Selbstidentität« wird von Hägerström in seinen späteren Schriften durch den der Bestimmtheit ersetzt; und diese Bezeichnung wird von ihm selbst als die bessere erklärt.61 Für diese Bestimmtheit bleibt natürlich der Identitätssatz die Conditio sine qua non, die notwendige Bedingung; aber er kann nicht mehr länger als die hinreichende Bedingung gelten. Denn für sie gilt es, nicht allein die logischen Momente, sondern die sensitiven und anschaulichen Mo59 60 61

S. oben, S. 37 ff. [S. oben, S. 14.] Selbstdarstellung, S. 18.

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mente ins Auge zu fassen und die Erklärung des Realitätsbegriffs auf sie zu stützen. Die empirisch bestimmte Realität hat, wie betont wird, »[…] den eigentümlichen Charakter […] dass jedes Moment als individuell darin auf einen bestimmten Zeitpunkt und rücksichtlich der äusseren Wirklichkeit auf einen bestimmten Ort im Raume bezogen wird. Dieses Verhältnis zu Zeit und Raum betrach | ten wir eben als Nota characteristica für den […] ›Erfahrungsinhalt‹ zum Unterschied von anderen widerspruchslosen Bestimmungen der Realität. Die regelbestimmte Zusammengehörigkeit ist daher eine Zusammengehörigkeit in Zeit oder Raum. Damit ist klar, dass jedes Moment seine eigentümliche Regelbestimmtheit nur im Verhältnis zu anderen Momenten als vorausgehenden, gleichzeitigen oder nachfolgenden oder auch zu anderen Momenten als auf eine bestimmte Weise placierten hat.«62 Hieraus geht hervor, daß, sobald wir uns der Bestimmung des Erfahrungsinhalts, der empirischen Realität, zuwenden, der »absolute« Begriff für sich allein nicht mehr genügt, sondern daß wir uns hier auf ein komplexes System von relativen Begriffen, von Ordnungs- und Verhältnisbegriffen zurückgewiesen sehen. Schon Raum und Zeit als solche sind ja nichts anderes als Ausdrücke für derartige Ordnungsschemata: für die Ordnungsform des Nebeneinander und des Nacheinander. Und diese Formen lassen sich nicht durch bloße Analyse aus dem einfachen Begriff der »Identität« gewinnen, sondern stellen ihm gegenüber ein Neues und Eigenes, einen Gehalt sui generis dar. Dieser Sachverhalt kompliziert sich noch weiter, wenn wir auf die besonderen Bedingungen reflektieren, unter denen es allein zu einer gesetzlich bestimmten Raum- und Zeitordnung kommen kann und unter denen diese sich in objektiv-wissenschaftlichen Aussagen fixieren läßt. Wir werden dann auf ein reichgegliedertes System von Voraussetzungen geführt, unter denen z. B. die Begriffe von Zahl und Größe, von Ursache und Wirkung ihre Stelle haben und in ihrer spezifischen Eigenart erkannt und begründet werden müssen. Daß für die Aufgabe einer solchen »transzendentalen Deduktion« weder die Psychologie noch die bloße Logik zuständig ist, sondern daß sie mit anderen Mitteln und Methoden durchgeführt werden muß, als beide zur Verfügung stellen, ist ersichtlich. All die vielfältigen Versuche, die man unternommen hat, um z. B. den Kausalsatz aus dem Widerspruchssatz abzuleiten, scheitern an der Natur des Problems selbst. Wenn also in der Erfahrungswirklichkeit jedes Moment seine eigentümliche Regelbestimmtheit nur im Verhältnis zu 62 Das Prinzip der Wissenschaft, S. 60 ff. [Zitat S. 62 f.]; vgl. Selbstdarstellung, S. 20 f.

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an deren hat, so kann es nur dann gelingen, eine Theorie der Erfahrung aufzubauen, wenn dieselbe diesem Umstand Rechnung trägt und sich somit zu einer Logik der Verhältnisbegriffe gestaltet. Will daher Hägerström die Realität als »das Absolute« bestimmen, so kann er dies nur dadurch, daß er ihr, so seltsam und paradox dies klingen mag, die Absolutheit | eines – Relationsgefüges zuschreibt. Von dem ontologischen Begriff des absolut notwendigen »Wesens« ist hier keine Rede mehr; es handelt sich vielmehr um eine universelle Regel, die alle Wirklichkeitserkenntnis zusammenhalten soll, also um einen reinen Funktionsbegriff. Auch alles »Faktische« kann nur durch den Hinweis auf eine solche Regel bestimmt werden. Denn der einzige sachliche Grund zur Annahme objektiver Realität bei einer empirischen Anschauung, zur »›Konstatierung des Faktums‹« ist, wie Hägerström selbst hervorhebt, »die Notwendigkeit des Gegenstands als Glied in dem allgemeinen gesetzmässigen Zusammenhange […]« »Solches allein, das durchweg sich auf den gesetzmässigen Zusammenhang als Kriterium veri bezieht, ist objektiver Grund zur Konstatierung des Faktums.«63 Damit hat, wie mir scheint, Hägerströms Lehre vom Wahrheitskriterium erst ihren inneren Abschluß gefunden. Dieser konnte nur dadurch erreicht werden, daß die bloße Begriffsanalyse durch eine Urteilsanalyse ergänzt und gestützt und daß an Stelle des ontologisch klingenden Ausdrucks der »Sache selbst« der kritische Ausdruck des »gesetzmäßigen Zusammenhangs« gesetzt wurde. |

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Das Prinzip der Wissenschaft, S. 64 f.

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drittes kapitel. Die Moralphilosophie Der Leser, der sich mit kritischem Interesse in Hägerströms theoretische Hauptschriften vertieft hat, wird vielleicht ein gewisses Befremden empfinden, wenn er von ihnen zum Studium seiner praktischen Philosophie übergeht. Denn hier scheint sich die intellektuelle Gesamthaltung plötzlich zu verändern. Als Theoretiker ist Hägerström strenger Rationalist und Objektivist. Er beginnt mit der Setzung der »Selbstidentität des Wirklichen«,1 und er erklärt, daß sie eines Beweises weder fähig noch bedürftig sei. »An sich ist jedes Urteil wahr« und »In dem Sinne ist jede Erkenntnis unmittelbar, daß in ihr stets etwas Bestimmtes als real gegeben ist.«2 Aber dies alles ändert sich mit einem Schlage, sobald wir vom Gebiet der theoretischen Urteile in das der sogenannten »praktischen Urteile« übergehen. Hier steht es für Hägerström fest, daß schon das bloße Suchen nach irgendeiner Objektivität ein verfehltes und vergebliches Unterfangen ist. Was wir vorfinden und was wir zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung machen können, sind nicht Werte, als eine selbständige, den theoretischen Objekten vergleichbare Gegenstandsklasse, sondern lediglich »Bewertungen«, die als reine Gefühlsausdrücke an das fühlende und wollende Ich gebunden sind und daher über den Kreis des Individuellen, des für dieses oder jenes Subjekt Gültigen, niemals hinausgehen können. Der Subjektivismus, den Hägerström in bezug auf das theoretische Wissen unablässig bekämpft hat, triumphiert also innerhalb der Moralphilosophie. Die Frage, ob eine moralische Vorstellung wahr oder falsch sei, entbehrt jedes Sinnes. Moralische Vorstellungen als solche, d. h. als Vorstellung davon, daß ein gewisses Handeln einen höchsten Wert darstellt, können nicht als wahr oder als falsch bezeichnet werden. Sie können lediglich als tatsächliche Vorkommnisse in unserem Seelenleben konstatiert und registriert werden. »Moralphilosophie als Wissenschaft ist einzig und allein | eine Wissenschaft von den moralischen Bewertungen in ihrem geschichtlichen Wachstum, gestützt auf eine psychologische Analyse und geleitet von einem kritisch-philosophischen Eindringen in die hier wirksamen Ideen.« Die Sonne der Moralphilosophie muß demnach nach Hägerström sozusagen über Gerechte und Ungerechte scheinen. Denn als Wissenschaft kann sich eine solche Philosophie nur behaupten, wenn sie selbst nicht wertet, sondern 1 2

[Vgl. oben, S. 19.] Selbstdarstellung, S. 17 f.

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erkennt, d. h. aber, wenn sie sich jenseits von Gut und Böse stellt. Ebensowenig wie die Moralphilosophie zeigen kann, daß gewisse Regeln befolgt werden müssen, kann sie zeigen, daß man ihnen nicht folgen soll und daß andere Prinzipien des Handelns an ihre Stelle zu treten haben. »[…] moralvetenskapen icke kan vara en lära i moral, utan blott en lära om moralen.«3 Damit ist im Gebiet der moralischen Ideen ein völliger Relativismus zum Grundprinzip erhoben. Hägerström verwahrt sich am Schluß seiner Antrittsvorlesung »Om moraliska föreställningars sanning« dagegen, daß damit eine Moral des »Übermenschen» oder eine »sophistische« Moral verteidigt werden solle. Was den ersteren Punkt anlangt, so wird man ihm hierin ohne weiteres zustimmen müssen. Denn Nietzsches Moral hat einen durchaus imperativischen Charakter, sie will bestimmte Gesetzestafeln stürzen, um andere an ihre Stelle zu setzen; sie will werts chaffend sein und somit ebenjene Funktion erfüllen, die Hägerström prinzipiell bestreitet. Anders dagegen steht es mit der sophistischen Moral. Zwischen ihr und Hägerström vermag ich einen eigentlichen, systematischen Wesensunterschied nicht zu entdecken. Ich muß, um nicht mißverstanden zu werden, freilich betonen, daß ich mit dieser Behauptung keinerlei Urteil über die Wahrheit oder Falschheit, über Wert oder Unwert von Hägerströms Moralphilosophie fällen will; es soll sich lediglich um die Feststellung eines historischen Tatbestandes handeln. Die Sophistik wollte – zum mindesten in der Gestalt, in der sie uns bei ihren konsequenten Theoretikern entgegentritt – keineswegs eine Rechtfertigung oder Verherrlichung des »Egoismus« sein; sie geht vielmehr von der These der Äquivalenz aller moralischer Vorstellungen aus. Der Mensch wird als Maß aller Dinge erklärt: Die Ethik wird in Psychologie und Anthropologie aufgelöst. Und ebendiese Auflösung ist es, die auch Hägerströms Moralphilosophie kennzeichnet und die ihr ihr gedankliches Gepräge gibt. Eine Lehre »von« der Moral kann nach ihm keinen | anderen Charakter als den der psychologischen Feststellung und der genetischen Ableitung besitzen, und beides muß sich gleichmäßig und ohne Unterschied auf alle Moralsysteme beziehen, die jemals in der Menschheit hervorgetreten sind. Was gefordert und geleistet werden kann, ist die vollständige Beschreibung dieser 3 Axel Hägerström, Om moraliska föreställningars sanning, Stockholm 1911, S. 38 f. [S. 39 u. 38: »Moralfilosofien såsom vetenskap är endast och allenast en vetenskap om de faktiska moraliska värderingarna i deras historiska växt, stödd på en psykologisk analys och ledd av kritiskt filosofiskt inträngande i här verksamma idéer.«].

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Systeme, nicht aber eine Entscheidung zwischen ihnen; denn jede solche Entscheidung würde ein Moment der Willkür und somit der Unwissenschaftlichkeit in sich schließen.4 Wenngleich ich indes, in bezug auf die Lehre der Relativität aller moralischen Vorstellungen und Urteile, keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Hägerströms Anschauung und der Grundauffassung der antiken Sophistik erkennen kann, so liegt es mir doch völlig fern, beide in systematischer Hinsicht auf ein und dieselbe Linie zu stellen. Denn die systematische Bedeutung eines philosophischen Gedankens ergibt sich – wie früher bereits betont wurde – niemals aus seinem Inhalt allein. Um sie zu beurteilen, muß man stets den Begründungszusammenhang ins Auge fassen, in welchem er steht. Und in der Art, wie er seine These begründet hat, weicht | Hägerström durchaus von der Sophistik ab. Für Protagoras folgt der moralische Relativismus aus seiner erkenntnistheoretischen Grundanschauung und bildet ein einfaches Korollar zu ihr. Für ihn steht es fest, daß die Wahrnehmung das alleinige Kriterium des Wissens ist; daß α(σθησις und πιστ)µη eins sind. Jede Wahrnehmung aber ist an ein »Hier« und »Jetzt« gebunden; sie gilt nur für »mich«, den Wahrnehmenden, und sie gilt nur in bezug auf den jeweiligen momentanen

4 Die hier gegebene Darstellung der Grundgedanken von Hägerströms Moralphilosophie stützt sich im wesentlichen auf seine akademische Antrittsvorlesung »Om moraliska föreställningars sanning«, auf den Aufsatz »Kritiska punkter i värdepsykologien«, in: Festskrift tillägnad E. O. Burman på hans 65-årsdag den 7 Oktober 1910, Uppsala 1910, S. 16–75, und auf die Schrift »Till frågan om den objektiva rättens begrepp«. Nicht berücksichtigt ist hierbei die Lehre, die er in seiner Schrift »Stat och rätt« aufgestellt hat. Denn hier steht er auf einem völlig anderen Boden. Der Begriff eines »objektiven Sollens« wird in dieser Schrift nicht nur festgehalten, sondern er steht geradezu in ihrem Mittelpunkt. Hier ist nicht nur, im Sinne Kants, von der Pflicht als etwas unbedingt Gebotenem die Rede (S. 26 u. 48), sondern es wird auch der Relativität der »Güter« ein absolut Gutes gegenübergestellt und als Prinzip des Willens erklärt (S. 38). Und hier wird auch in der Grundlegung der Ethik der Psychologismus unbedingt verworfen und demgemäß jede bloß sozialpsychologische Betrachtung und Behandlung ethischer Probleme aus allgemeinen methodischen Gründen abgelehnt (S. 2 f. u. 10 f.). Daß dies alles mit dem Standpunkt, den Hägerström später in seinen Schriften zur Wertlehre und zur Rechtsphilosophie einnimmt, unvereinbar ist, liegt auf der Hand. Es muß sich also in dem Zeitraum zwischen 1904 und 1911 eine entscheidende Umwälzung in seiner Philosophie vollzogen haben, und es wäre wichtig und interessant, wenn wir über die intellektuellen Motive, die zu ihr geführt haben, genauer orientiert wären. Aber die Selbstdarstellung Hägerströms enthält hierüber keine Aufklärung; die Schrift »Stat och rätt« wird hier nur im Schriftenverzeichnis erwähnt, ohne daß auf ihre Stellung im Ganzen von Hägerströms Entwicklung eingegangen wird.

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Zustand, in dem ich mich befinde. Alle allgemeinen Urteile über das »Sein«, über die Realität als solche, werden damit hinfällig; sie erweisen sich als bloße Fiktion. Und nicht minder fiktiv ist ein Urteil, das irgendwelche allgemeinen Werte behauptet: Wie jedem nur seine eigene Wahrnehmung wahr und das Maß aller Wahrheit ist, so muß auch der einzelne, so muß das individuelle Subjekt als »Richter« über Gut und Böse erklärt werden.5 Es ist somit der erkenntnistheoretische Sensualismus, der hier dem moralischen Relativismus zur Stütze und zum Beweis dient: Der Subjektivismus der Erkenntnislehre zieht den der Ethik nach sich. Hägerströms Beweisführung bewegt sich in der genau entgegengesetzten Bahn. Denn bei ihm folgt die Lehre, daß es keine »Wahrheit« moralischer Vorstellungen geben kann, aus den Prämissen seiner rationalistischen Erkenntnislehre. Realität ist mit Bestimmtheit gleichbedeutend, und diese letztere muß auf allgemeingültigen und notwendigen Prinzipien beruhen. Aber eine solche Bestimmtheit findet sich nur im Kreise des theoretischen Wissens. Dieses hat den Erfahrungszusammenhang in Raum und Zeit zum Gegenstand; es sichert und begründet diesen Zusammenhang, indem es die universellen Regeln feststellt, denen alles Naturgeschehen gehorcht und durch die es zu einem in sich geschlossenen »System« wird. Jedes besondere Moment muß durch Begriffe bestimmt werden: Nur damit kann es überhaupt als »Dies« oder »Jenes«, als ein bestimmtes Etwas gesetzt sein.6 Hieraus ergibt sich aber zugleich der umgekehrte Schluß. Was dieser allgemeinen Ordnung in Raum und Zeit nicht angehört und innerhalb derselben keine feste und eindeutige Stelle besitzt – dem kann keine »Wirklichkeit« zukommen. Gehen wir, mit diesem Kriterium ausgerüstet, an die »Welt der Werte« heran, so müssen wir nach Hägerström sofort erkennen, daß und warum sie eine bloße Scheinwelt ist. Denn Werte haben kein »Wo« und »Wann«, keinen Ort im Raume und kein Dasein in der Zeit. | Was in dieser Weise bestimmbar ist, ist nicht ihr Gehalt, ist nicht ihr »Sein an sich«, sondern nur die psychischen Vorgänge, in denen wir so etwas wie einen »Wert« zu erfassen glauben. Diese Vorgänge sind als konkrete Tatsachen aufweisbar; aber sie haben nur insofern einen bestimmten Inhalt, als wir keinen Versuch machen, sie aus dem Zusammenhang des individuellen psychischen Geschehens zu lösen. Sobald wir eine solche Loslösung versuchen, sobald wir den Werten statt eines subjektiven Daseins »in uns« ein objektives Sein zusprechen, haben wir damit eine Hypostasierung begangen, die uns not5 6

Vgl. Platon, Theaitet 151 ff. u. 161 C ff. Das Prinzip der Wissenschaft, S. 62 (vgl. oben, S. 50 ff.).

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wendig wieder in alle Gefahren und Widersprüche der Metaphysik verstricken muß. Die Philosophie hat sich nach Hägerström dieses Dilemma bisher durch Ausflüchte und Scheinlösungen verschleiert. Um den moralischen Urteilen irgendeine objektive Bedeutung zu sichern, mußte sie eine neue Welt erdenken und die Werte gleichsam in dieser Überwelt ansiedeln. So allein schien ihre Partikularisierung, ihre Bindung an ein »Hier« und »Jetzt« überwunden werden zu können. Das »Hier« wird überwunden, indem man den Werten ein »ideales« Sein zuspricht und indem man dieses Sein des Guten, des Schönen, des Gerechten »an sich«, mit Platon, an einen »überhimmlischen Ort« (»*πεCουC$νιον τ πον«)7 verlegt. Das »Jetzt« wird als Bedingung beseitigt, indem man ihnen einen absoluten, zeitlosen Charakter beilegt, indem man sie für »ewige Werte« erklärt. Und ist man einmal so weit gelangt, so muß man sich nach einem metaphysischen Substrat umsehen, dem diese zeit- und raumlosen Qualitäten anhaften. Man muß das endliche empirische Sein überschreiten und zu einem unendlichen Bewußtsein seine Zuflucht nehmen, das man als den eigentlichen Träger der Werte ansieht. Jede Behauptung »objektiver» Werte treibt uns daher unvermeidlich von der Psychologie wieder in die Metaphysik und in die Theologie zurück. Aber noch eine andere »Hypostase« ist es, die uns in diesem Zusammenhang immer wieder begegnet. Wenn man sich scheut, die praktischen Werte unmittelbar aus Gott herzuleiten und auf den göttlichen Willen als ihren eigentlichen Rechtsgrund zu verweisen – wenn man statt dieser transzendenten Begründung eine immanente Begründung geben will, so pflegt man sie aus dem »Staatswillen« abzuleiten. Aber damit diese Ableitung standhält, muß man zuvor den Staat selbst zu einem »sterblichen Gott«8 gemacht haben. Man muß ihm ein selbständiges geistiges Sein zusprechen, das »vor« den Individuen und ihnen an Macht und Würde bei weitem überlegen ist. | Hägerströms praktische Philosophie sieht ihre Hauptaufgabe darin, uns von beiden Idolen: dem theologischen sowohl wie dem politischen, zu befreien. Sie lehnt den religiösen Absolutismus und den Staatsabsolutismus ab, und sie will zeigen, daß nach dieser Ablehnung in der Tat nichts anderes übrigbleibt als empirisch-konkrete Geschehnisse in den Individuen, Vorgänge der »Stellungnahme« und [Platon, Phaidros 247 C.] [Thomas Hobbes, Leviathan, sive de materia, forma, et potestate, civitatis ecclesiasticae et civilis (Teil 2: De civitate sive republica, Kap. 17), in: Opera philosophica, quae latine scripsit, omnia. Ante quidem per partes, nunc autem, post cognitas omnium objectiones, conjunctim et accuratius edita, Bd. I, Amsterdam 1668, S. 83–172: S. 85: »Mortalis Dei«.] 7 8

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der Bewertung, in all ihrer Mannigfaltigkeit, in all ihrer Besonderung und Vereinzelung.9 Auf die Feststellung irgendeines gedanklichen Moments in diesen Akten der Stellungnahme müssen wir Verzicht leisten. »Ist das Gefühl oder Verlangen selbst eine Werterfahrung, so ist das Wort Wert nur ein Ausdruck für ein Gefühl oder Verlangen und kein Ausdruck für einen Gedanken.«10 Man erkennt jetzt das Band, das Hägerströms theoretische und praktische Philosophie zusammenhält. Beide begegnen sich in ihrer negativen These: in dem »C eterum censeo metaphysicam esse delendam«. 11 Aber das Ziel wird in beiden Fällen auf ganz verschiedene Weise und mit verschiedenen Mitteln erreicht. Die Wissenschaft entzieht sich der Herrschaft der Metaphysik, indem sie sich den positiven Sinn des Realitätsbegriffs, den Sinn der »Selbstidentität«, klarmacht und indem sie zeigt, wie sie mit ihren eigenen Begriffen und Grundsätzen die Erkenntnis der Realität gewinnen und sicherstellen kann. Die praktische Philosophie, die »Wertlehre«, aber muß den umgekehrten Weg gehen; sie kann nicht begründen, sondern nur zerstören. Die Hilfe wider die Metaphysik bringt auf der einen Seite der »kritische Objektivismus« – während sie auf der anderen Seite nur der Skeptizismus erbringen kann, der die angeblichen Werturteile als Schein entlarvt.12 Es hat in der modernen Philosophie nicht an Versuchen gefehlt, einen »kritischen Objektivismus« auch in der Wertlehre, und speziell in der Rechtslehre, zur Geltung zu bringen. Im Gebiet der Rechtsphilosophie hat z. B. Rudolf Stammler die Forderung erhoben, von der Metaphysik Hegels auf die Kritik Kants zurückzugehen. In seiner Schrift »Wirtschaft und Recht« (1896) und in seiner »Theorie der Rechtswissenschaft« (1911) entwickelt er die Idee einer »Sozialphilosophie«, die weder positivistisch noch metaphysisch orientiert sein | sollte. Sie sollte nicht von sozialen Einzelwahrheiten handeln, sondern von dem, »was den einzelnen Erkenntnissen systematischen Zusammenhang in allgemeingültiger Notwendigkeit verleihen kann«; sie wollte die letzte bestimmte Ge setzmäßigkeit des sozialen und des rechtlichen Lebens aufweisen. »Die bewußte Einsicht in diese Gesetzmäßigkeit«, so erklärt Stammler, »würde einen sicheren allgemeingültigen Leitfaden liefern, nach

9 Vgl. hierzu bes. Om moraliska föreställningars sanning, S. 9 ff. und Selbstdarstellung, S. 42 ff. 10 A. a. O., S. 44. 11 [S. oben, S. 10.] 12 »Das ›Werturteil‹ selbst ist, sofern in ihm der Wert dessen beurteilt wird, daß etwas zur Wirklichkeit gehört, nur ein Schein.« Selbstdarstellung, S. 44.

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dem alle Einzelwahrnehmungen der sozialen Geschichte in übereinstimmender Weise aufgefaßt, beurteilt und gerichtet werden können.«13 Irre ich nicht, so hat es in Hägerströms eigener Entwicklung eine Epoche gegeben, in der ihm ein ähnliches wissenschaftliches Ideal vorschwebte. Wenigstens finde ich in seiner Schrift »Stat och rätt« (1901), die freilich Fragment geblieben ist, manches, was sich mit Stammlers Gedanken der kritischen Begründung einer »sozialen Teleologie« berührt, wenngleich er später die Stammlerschen Thesen stark bekämpft hat.14 Er vertritt hier noch, in Kantischem Sinne, die »praktische Realität des Pflichtbegriffs«; er spricht von einer »objektiven Gültigkeit« des Sollens, die sich auf das bloße Gefühl nicht reduzieren läßt; er will die logische Haltbarkeit der Idee einer äußeren Verpflichtung erweisen, indem er sie aus einem reinen Vernunftprinzip herleitet.15 Aber mit alledem hat Hägerström in der späteren Ausbildung seiner Lehre gebrochen. Er sah keinen anderen Weg, die praktische Philosophie und die Rechtswissenschaft von der Herrschaft der Metaphysik zu befreien, als dadurch, daß er den Gordischen Knoten der Metaphysik zerhieb, statt ihn zu lösen. Die Befreiung von der Metaphysik schien nur erreichbar zu sein, wenn man nicht nur den Begriff des »absoluten Geistes«, sondern auch den des »objektiven Geistes« opferte. Begriffe wie der vom »Volksgeist« oder von der »Staatspersönlichkeit« können nach Hägerström ihren animistischen Ursprung nicht verleugnen. Mit ihnen muß endgültig gebrochen werden.16 Wenden wir uns nun von der Darstellung von Hägerströms Hauptgedanken ihrer kritischen Betrachtung zu, so müssen wir, wie mir scheint, zwei Gesichtspunkte scharf voneinander sondern. Hägerströms Angriff gilt auf der einen Seite der Möglichkeit der Ethik als Wissen | schaft, während er auf der anderen Seite der Möglichkeit irgendwelcher objektiven Werturteile gilt. Beide Thesen werden von ihm selbst nicht gesondert: Er ist offenbar der Ansicht, daß mit der negativen Beantwortung der ersten Frage auch das Schicksal der zweiten entschieden ist. Aber trifft diese Voraussetzung in aller Strenge 13 Rudolf Stammler, Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosophische Untersuchung, Leipzig 1896, S. 15 f. 14 S. Axel Hägerström, Är gällande rätt uttryck av vilja?, in: Festskrift tillägnad Vitalis Norström på 60-årsdagen den 29. Januari 1916, Göteborg 1916, S. 171–210: S. 176 ff.; Till frågan om den objektiva rättens begrepp, S. 41 ff. 15 Vgl. Stat och rätt, S. 31 ff. [S. 33: »Om pliktbegreppets praktiska realitet«], 39 [»objektiva giltighet«] u. 249 f. 16 Selbstdarstellung, S. 47: »Im modernen Staatsbegriff kommt der alte Animismus stark zur Geltung. Der Staat wird ein Wille.«

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zu? Kant hat, obwohl es ihm auf theoretischem wie auf praktischem Gebiet um die philosophische Überwindung der Skepsis zu tun war, nichtsdestoweniger erklärt, daß man die Skeptiker als »Wohltäter der menschlichen Vernunft«17 ansehen müsse, weil sie dazu berufen seien, die Vernunft immer wieder aus dem »dogmatischen Schlummer«18 zu erwecken, in welchen sie ohne ihre Arbeit verfiele. »Alles skeptische Polemisieren«, so erklärt er, »ist eigentlich nur wider den Dogmatiker gekehrt, der ohne ein Mißtrauen auf seine ursprünglichen objektiven Prinzipien zu setzen, d. i. ohne Kritik gravitätisch seinen Gang fortsetzt, bloß um ihm das Konzept zu verrücken und ihn zur Selbsterkenntnis zu bringen.«19 Daß Hägerström diese Aufgabe mit großer Schärfe durchgeführt und daß er so manchen dogmatischen Systemen der Ethik und der Wertlehre gründlich »das Konzept verrückt« hat, ist meines Erachtens unbestreitbar. Ja ich gehe in meinen Zugeständnissen noch weiter. Ich verhehle mir nicht, daß keine andere philosophische Disziplin so weit von dem Ideal einer wirklichen wissenschaftlichen Begründung entfernt ist, als die Ethik, und daß der »Aberglaube« nicht nur in der alltäglichen Moral, sondern auch in der philosophischen Moral noch keineswegs ausgerottet ist. Künftige Jahrhunderte werden vielleicht, wenn sie auf manche Morallehren zurückblicken, die uns heute noch vielfach als »der Weisheit letzter Schluß«20 verkündet werden, das Urteil fällen, daß sie sich zur echten ethischen Erkenntnis etwa so verhalten, wie sich die Alchimie zur Chemie oder die Astrologie zur wissenschaftlichen Astronomie verhält. Das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert glaubte die Herrschaft der Vernunft, im Theoretischen wie im Praktischen, gekommen und gesichert. Man zweifelte nicht an dem Wissenschaftscharakter der Ethik – und man liebte es, die Ethik mit der Mathematik zusammenzustellen. Nicht nur ein Rationalist wie Leibniz, sondern auch ein Empirist wie Locke geht diesen Weg. Auch Locke geht davon aus, daß es in der Moral Beweise gebe, die den logischen und mathematischen Beweisen an Strenge und an unmittelbarer Evidenz nicht nachstehen. Diese Auffassung wurde unhaltbar, nachdem Kant | die Eigentümlichkeit der ethischen Erkenntnisart bestimmt und die Grenzen zwischen »theoretischer« und »praktischer« Vernunft gezogen hatte. Aber noch im Kreise der modernen Phänomenologie hat man versucht, durch reine [Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 652 (A 377).] [Ders., Prolegomena, S. 8 (Akad.-Ausg. IV, 260).] 19 Ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 515 (B 791). 20 [Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie. Zweiter Theil (Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 4 Abt., insges. 133 Bde. in 143 Bdn., Weimar 1887–1919, 1. Abt., Bd. XV), S. 315.] 17 18

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»Wesensschau« eine Hierarchie der Werte aufzubauen. Wenn Hägerström seine Skepsis nur gegen derartige Versuche gewandt hätte, wenn er sich damit begnügt hätte, alle die Bruchstellen in diesem angeblich streng wissenschaftlichen Aufbau aufzuweisen – so würde ich ihm hierin in keiner Weise widersprechen. Aber seine These geht ohne Zweifel wesentlich weiter und enthält eine andere, viel radikalere Konsequenz. Denn seine Kritik will, um mit Kant zu sprechen, keine bloße Kritik der »Bücher und Systeme«,21 sondern sie will eine »Kritik der menschlichen Vernunft« sein. Sie muß also nicht nur die philosophische, sondern auch die »gemeine sittliche Vernunfterkenntnis« umfassen. Daß auch diese letztere fortwährend Werturteile fällt und daß sie diesen eine objektive Bedeutung zumißt; daß sie eine Handlung als »gut« oder »böse«, als »richtig« oder »falsch« erklärt, leidet keinen Zweifel. Und doch unterliegt hierbei, nach Hägerström, unser »populäres« sittliches Bewußtsein der gleichen Selbsttäuschung, der das philosophische verfiel. Es glaubt, einen »Gegenstand« ergreifen und erkennen zu können; es glaubt, irgendeinen bestimmten Charakter, der der Handlung selbst anhaftet, aussagen zu können. Aber unter dem scharfen Messer der Begriffsanalyse löst sich dieser angebliche Gegenstand in nichts auf. Er hat kein reales, sondern lediglich ein nominales Sein. »Werte«, im objektiven Sinn verstanden, sind nichts anderes und können nichts anderes als Worte sein. Damit scheint den objektiven Werturteilen nicht nur ihre strenge Begründbarkeit und Beweisbarkeit, sondern es scheint ihnen auch jeder faßbare Sinn abgesprochen zu werden. Wenn wir fortfahren, irgendein praktisches Verhalten dem anderen vorzuziehen und es als das »bessere« zu bezeichnen, so fehlt es solchen Urteilen nach Hägerström an jedem Fundament. Natürlich räumt er ein, daß wir derartige Urteile nicht nur fällen, sondern daß wir sie notwendig fällen müs sen. Aber er erklärt dieses »Müssen«, indem er den assoziativen Mechanismus aufzudecken sucht, der dafür verantwortlich zu machen ist. Durch diesen Mechanismus werden bestimmte Gefühlsqualitäten mit gewissen theoretischen Vorstellungen verknüpft und hierdurch der Schein eines Objektiven vorgetäuscht. Wie die theoretische Skepsis Humes die Tatsache und die psychologische Notwendigkeit des Kausalurteils keineswegs | bestreitet, aber dieses letztere nicht als ein Erzeugnis der Vernunft, sondern der Einbildungskraft erklärt, wie sie in ihm demgemäß kein »Wissen«, sondern einen bloßen »Glauben« sieht, so zieht die praktische Skepsis Hägerströms den gleichen Schluß für die Werturteile. Aber auch wenn man sich streng innerhalb des von 21

[Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 50 (B 27).]

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Hägerström anerkannten und zugestandenen Kreises hält, entsteht hier ein neues Problem. Denn schon vom Subjekt aus gesehen läßt sich das Erlebnis der »Bewertung« oder der »Stellungnahme« nicht einfach auf das Dasein bestimmter Gefühle und gewisser theoretischer Vorstellungselemente, die assoziativ mit ihnen verbunden sind, zurückführen. Schon rein phänomenologisch besteht hier, wie mir scheint, ein deutlicher Unterschied. Auch wenn wir ganz davon absehen, von »Werten an sich« zu sprechen, was, wie ich zugebe, in jedem Fall eine bedenkliche Metapher ist und bleibt, wenn wir also die Werte sozusagen vom reinen »Ichpol« aus betrachten, sind sie etwas Neuartiges und Eigenartiges. Denn das »Ich« ist an den Bewertungen und Stellungnahmen in ganz anderer Weise beteiligt als an bloßen einzelnen Gegebenheiten des Affekts oder der Vorstellung. Ein Gefühl der Trauer, der Angst usf. nimmt »mich« ein; ich bin ihm hingegeben, und in diesem Hingegebensein ist alles andere für mich wie versunken und ausgelöscht. Aber die »Stellungnahme« verlangt ein anderes; sie fordert ein Vergleichen, ein Abwägen des einen gegen das andere. Und die Entscheidung, die hier gefällt wird, hängt nicht nur von dem jeweilig gegebenen Zustand, sondern sie hängt vom Ganzen der »Persönlichkeit«, von der Grundrichtung ihres Fühlens und Wollens, nicht von einem Einzelgefühl oder Einzelimpuls, ab. Die »Subjektivität« der Werte ist daher, phänomenologisch betrachtet, immer etwas anderes als die der bloßen Gefühle, weil die Subjektbasis selbst hier eine andere und weitere ist; weil die Bewertung eine Form der Rückschau, der Vorschau und Überschau einschließt, die den Gefühlen, als bloßen Zuständlichkeiten, mangelt. Denn jede echte Stellungnahme enthält einen »reflexiven« Akt, der für sie bestimmend und charakteristisch ist. Der Überblick, den sie vollzieht, schließt ein rein theoretisches Moment ein, das sich, auch für die psychologische Analyse, als etwas anderes und als etwas mehr erweist als eine Reihe bloßer Reproduktionen oder Assoziationen. Auf diesem Moment beruht das scheinbar so zwiespältige Verhalten, das schon das gewöhnliche Bewußtsein in seinen »Werturteilen« einnimmt. Sind solche Urteile einfache Gefühlsreaktionen, so wäre jeder Versuch ihrer | »Begründung« absurd. In der »Kritik der Urteilskraft« hat Kant, wie bekannt, eine »Antinomie des Geschmacks« aufgestellt, die darin besteht, daß auf der einen Seite zugestanden wird, daß sich »über den Geschmack […] nicht [streiten läßt]«,22 während auf der anderen Seite über nichts so viel gestritten wird als über den Ge22 [Ders., Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Otto Buek, in: Werke, Bd. V, hrsg. v. Otto Buek, S. 233–568: S. 414 (Akad.-Ausg. V, 338).]

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schmack. Besteht Hägerströms Theorie zu Recht, so liegt die gleiche »Antinomie«, in noch viel schärferem und ausgeprägterem Sinne, in unseren praktischen Urteilen vor. Wir versuchen immer wieder, nicht nur vor anderen, sondern auch vor uns selbst unsere Handlungen zu rechtfertigen und betrachten sie demnach so, als ob sie einer Rechtfertigung fähig und bedürftig wären. Auch der entschiedenste moralische Skeptiker wird, solange er einfach in der »natürlichen Einstellung« verharrt, dieser Versuchung nicht entgehen können. Läßt sich ein Ausweg aus diesem Labyrinth finden – läßt sich das faktische Verhalten des Bewußtseins mit dem, was prinzipiell zu fordern ist, irgendwie in Einklang bringen? Eine erste, freilich nur provisorische Antwort auf diese Frage erhalten wir, wie mir scheint, wenn wir die Form betrachten, in der moralische Streitfragen im täglichen Leben aufgeworfen und behandelt zu werden pflegen. Einer Analyse der »ersten Prinzipien« der Moral pflegt man hierbei weder in der privaten noch in der öffentlichen Diskussion zu begegnen. Diese Prinzipien gelten in irgendeiner Weise als bekannt und zugestanden: Es handelt sich nur darum, sie in der rechten Weise anzuwenden, es handelt sich darum, von konkreten Einzelfällen festzustellen, in welcher Weise sie sich unter diese oder jene Grundsätze subsumieren lassen. Diese Aufgabe der Subsumtion ist jedoch selbst eine rein theoretische Aufgabe, die den gewöhnlichen Grundsätzen der Logik untersteht. Alles, was man in der Moral unter dem Begriff der »Kasuistik« zu vereinigen pflegt – und dieser umfaßt ja weit mehr als die bloß theologische Kasuistik –, dient diesem Ziele. Hier werden bestimmte Grundsätze als gegeben und anerkannt vorausgesetzt; die Frage, die man stellt, ist nur die, wie ein besonderer »Gewissensfall«, ein casus conscientiae, gemäß diesen Grundsätzen zu beurteilen ist. Und diese Form der Beurteilung ist keine Sache des »Gefühls«, sondern eine Sache der »Urteilskraft«, die hier nicht anders fungiert als im theoretischen Gebiet. Für den Subsumtionsprozeß als solchen gelten dieselben objektiv fixierbaren Regeln, die wir anwenden, wenn wir ein empirisch Gegebenes auf einen allgemeinen Begriff beziehen, wenn wir | z. B. ein Exemplar einer Pflanze oder eines Tieres seiner »Spezies« zuordnen. Damit ist auch im Kreise der praktischen Probleme der theoretischen Arbeit ein weites und wichtiges Feld zugewiesen. Denn auch hier lassen sich bestimmte hypothetische Zusammenhänge aufweisen, lassen sich Sätze aufstellen, die besagen, daß, wenn eine bestimmte Voraussetzung gilt, auch bestimmte Folgerungen gelten, die mit ihr verknüpft sind. Auch im Reich des Wollens und Handelns gilt ein Prinzip, das dem theoretischen Satz der Identität und des Widerspruchs ent-

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spricht. Sofern wir überhaupt »wollen«, verlangen wir eine Einheit, eine innere Konsequenz und Kohärenz des Wollens – ebenso wie das theoretische Denken eine solche Kohärenz und Konsequenz in der begrifflichen Repräsentation der Wahrnehmungswelt fordert. Erst hieraus ergibt sich das, was wir die Einheit der »Persönlichkeit« nennen. Die Grundforderung, der die Persönlichkeit sich unterstellt, ist die der inneren Folgerichtigkeit des Tuns. In dieser Forderung der Folgerichtigkeit konstituiert sie sich erst als Persönlichkeit, als bestimmter »Charakter«. Es braucht hier zunächst noch nicht gefragt zu werden, woher die Regel stammt, unter die sich das Handeln stellt. Das Schwergewicht liegt vielmehr darauf, daß, wenn einmal die Regel gesetzt ist, aus dieser ersten Setzung andere quellen, die mit ihr nicht bloß durch zufällige Assoziationen verknüpft sind, sondern in irgendeiner Weise sachlich und inhaltlich an sie »gebunden« sind. Sofern der Grundsatz als gültig angesehen wird, daß der Mensch dem Willen Gottes gehorchen – daß er sich zu seiner eigenen »individualischen Vollkommenheit[…]«23 entwickeln oder das Wohl der Allgemeinheit befördern soll usf.: so ergeben sich aus dieser Prämisse bestimmte Schlußfolgerungen, die sich rein logisch, und somit streng objektiv, ableiten lassen. Erwägt man die Eigenart des Subsumtionsprozesses, durch welchen, sowohl im praktischen wie im theoretischen Urteil, das Besondere auf ein Allgemeines bezogen wird, so erkennt man, daß eine noch so große Differenz der moralischen Vorstellungen, die uns die Erfahrung darbietet, nicht notwendig auf eine Divergenz der zugrundeliegenden B egriffe führt. Ich begnüge mich damit, dies an einem einzelnen Beispiel zu erläutern. In seiner Antrittsvorlesung »Om moraliska föreställningars sanning« beginnt Hägerström mit einer Erzählung Herodots, nach welcher der Perserkönig Dareios an einige Griechen, die sich an seinem Hofe befanden, die Frage gerichtet habe, um welchen Preis sie wohl die Lei | chen ihrer Väter verzehren würden. Als die Griechen einen solchen Gedanken entrüstet von sich wiesen, ließ Dareios die Vertreter eines indischen Stammes vortreten, bei dem die Sitte der Leichenverzehrung galt, und fragte sie, ob sie sich jemals entschließen könnten, an Stelle derselben den griechischen Brauch der Feuerbestattung anzunehmen, was sie, mit nicht 23 [Gotthold Ephraim Lessing, Das Christenthum der Vernunft, in: Sämtliche Schriften, hrsg. v. Karl Lachmann, 3., aufs neue durchges. u. verm. Aufl., besorgt durch Franz Muncker, 23 Bde., Bde. I–XI: Stuttgart 1886–1895, Bde. XII–XXI: Leipzig 1897–1907, Bde. XXII–XXIII: Berlin/Leipzig 1915 u. 1924, Bd. XIV, S. 175–178: S. 178.]

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geringerer Empörung, verneinten. Beispiele dieser Art haben in der Moralphilosophie stets eine große Rolle gespielt; seit Montesquieus »Lettres Persanes« bilden sie auch ein beliebtes und oft behandeltes literarisches Thema. Aber wenn wir sie näher analysieren, so zeigt sich, daß sie kaum geeignet sind, die These zu stützen, die durch sie erhärtet werden soll. Denn was lehrt uns die vergleichende Ethnologie und Soziologie in diesem Punkt? Thurnwald hat in einem Überblick über die Bestattungsgebräuche aller Völker betont, daß sich vielleicht auf keinem anderen Gebiet »eine so bunte Mannigfaltigkeit von Gebräuchen und Gedanken« feststellen lasse wie hier. Aber es gelingt ihm nichtsdestoweniger, gewissermaßen den roten Faden aufzuzeigen, der durch alle diese Gebräuche und Gedanken hindurchgeht. Er weist darauf hin, daß innerhalb der »niedrige[n] Kulturhorizonte« zunächst die Furcht vor dem Tode alles andere überwiege. »[…] die Reaktion, den Ort des Todes zu meiden und in egozentrischer Weise vor dem Unerfreulichen und Unsicheren die Flucht zu ergreifen«,24 macht sich hier allein geltend, und sie führt dazu, daß die Leiche einfach liegengelassen wird, ohne irgendeine Art der Behandlung zu erfahren. Aber im Fortgang der Kulturentwicklung tritt hierin allmählich ein Wandel ein. Die Furcht wird jetzt von anderen Vorstellungen überwogen und überwunden, die sich auf den Toten selbst, auf das Fortleben seiner Seele und auf deren Wohl und Wehe beziehen. Mit Rücksicht auf dieses Fortleben wird die Sorge für den Leichnam, schon im Kreise der Primitiven und noch mehr in allen großen Kulturreligionen der Erde, zu einem allgemeinen Gebot. Die verschiedenen Modi dieser Fürsorge ändern offenbar nichts an der Einheit der Grundauffassung. Denn sie entstammen weit mehr der Verschiedenheit der mythischen Vorstellungswelten als einem Gegensatz in dem, was praktisch bejaht und anerkannt wird. Der Ahnenkult als solcher ist das Verbindende, und er gilt als ein »Seinsollendes«; aber in welcher Art dieser Kult geübt wird, hängt von der jeweiligen Auffassung ab, die man sich vom Leben nach dem Tode macht. Je nach dieser Auffassung wandeln sich die Bestattungsriten, die damit einer fast unbeschränkten Variation fähig werden, in | der wir jedoch ohne Schwierigkeit ein gemeinsames religiös-sittliches Thema erkennen können. Die fast unübersehbare Vielfalt und Disparatheit, die uns das ethnologische Material auf den ersten Blick darbietet, löst sich daher bei näherer Betrachtung oft in eine überra24 [Richard Thurnwald, Art. »Totenkultus. A. Allgemein«, in: Reallexikon der Vorgeschichte, hrsg. v. Max Ebert, Bd. XIII, Berlin 1929, S. 363–409: S. 365 u. 407.]

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schende »Einfalt« von »Elementargedanken« auf.25 Wir finden gewisse immer wiederkehrende Urformen des sittlich-religiösen Verhaltens – und diese Formen selbst zeigen eine bestimmte Ordnung, je nachdem der soziale Kreis und der durch ihn abgesteckte Horizont sich erweitert. Die vielberufene »Relativität« der sittlichen Vorstellungen rückt damit in ein neues Licht. Denn sie bedeutet keineswegs, daß wir im Bereich des Praktischen prinzipiell außerstande sind, das Besondere irgendwelchen allgemeinen Regeln unterzuordnen und es an ihnen zu »messen«. Eine solche Messung ist vielmehr auch hier möglich – und durch sie kann oft das Partikularste, Zufälligste, Absonderlichste einen neuen Sinn erlangen, indem wir auch in ihm die Auswirkung eines allgemeinen Motivs wiedererkennen. Nichts mag verwerflicher und roher erscheinen als die Sitte der Kamtschadalen, bei denen man die Toten den Hunden zum Fraße vorwirft. Aber auch sie ist ein Ausdruck des Ahnenkults und der Ahnenverehrung: Man nimmt an, »[…] daß [die Menschen, deren] Leiche[n] auf diese Weise verzehrt [werden], die Macht erlange[n], mit diesen Tieren im künftigen Leben (auf Hundeschlitten) zu fahren.«26 Es wäre sicher kindlich, aus der Masse der Bestattungsbräuche einen als Norm herausheben zu wollen und ihn als den allein »wahren«, im Gegensatz zu allen anderen, die man für »falsch« erklärt, zu bezeichnen. Aber das hindert uns keineswegs, auch im Praktischen eine bestimmte Über- und Unterordnung vorzunehmen und z. B. im Ahnenkult und in der pietas gegenüber den Vätern etwas anderes und Höheres zu sehen als in der primitiven, rein »egozentrischen« Todesfurcht. Und wir können weiterhin verfolgen, wie die Verehrung der Ahnen, die in der Familie erwächst und deren eigentlichen und festesten Halt bildet, weiterwirkt und andere Formen der Gemeinschaft aufbauen hilft, die sich der Familie überordnen. So hat z. B. Fustel de Coulanges in seinem grundlegenden Werk »La cité antique« gezeigt, | wie stark die römische Gentilverfassung und weiterhin die gesamte gesellschaftlichpolitische Ordnung des römischen Staates im Ahnenkult der Römer, in ihrer Verehrung der Laren, der Manen und Penaten wurzelt.27 In alledem erkennt man, daß es, im Theoretischen wie im Praktischen, 25 Vgl. Adolf Bastian, Die Welt in ihren Spiegelungen unter dem Wandel des Völkergedankens. Prolegomena zu einer Gedankenstatistik, Berlin 1887. 26 Für alle Einzelheiten verweise ich auf das reiche ethnologische Material bei Thurnwald, Art. »Totenkultus« [Zitat S. 367]. 27 Vgl. auch Walter Friedrich Otto, Die Manen oder Von den Urformen des Totenglaubens. Eine Untersuchung zur Religion der Griechen, Römer und Semiten und zum Volksglauben überhaupt, Berlin 1923.

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einen Fortschritt vom Besonderen zum Allgemeinen und in diesem Sinne zum »Objektiven« gibt. Denn auch in der theoretischen Erkenntnis scheint uns ja ein Begriff nur darum »wahrer« als der andere, weil er imstande ist, einen größeren Erfahrungskreis zu umfassen und in seiner Gesetzlichkeit zu bestimmen. Und auch hier halten wir zwar unverbrüchlich an der Forderung eines »Objektiv-Realen« fest und setzen die Gegenstandsbeziehung als solche, ihrem allgemeinen Charakter nach, bei jedem einzelnen Erfahrungsschluß voraus; aber zugleich müssen wir zugeben, daß das »Was« dieser Realität einer steten Änderung fähig ist, so daß uns in verschiedenen Phasen der theoretischen Erkenntnis ein ganz verschiedenes Bild der »Wirklichkeit« entgegentritt. Aber damit scheint freilich die eigentliche Schwierigkeit noch nicht berührt. Denn die verschiedenen Systeme moralischer Vorstellungen, die wir in der Erfahrung antreffen und die durch Sitte und Brauch oder durch religiöse Lehren ihre Sanktion erhalten haben, liefern uns, wie wir gesehen haben, immer nur »hypothetische« Regeln: Sie stellen fest, daß, wenn eine bestimmte Prämisse gilt, die als feststehend angesehen und anerkannt wird, an sie bestimmte Schlußfolgerungen geknüpft sind. Die philosophische Ethik aber hat sich niemals mit solchen hypothetischen Imperativen begnügt, sondern sie hat »kategorische Imperative« an ihre Stelle zu setzen gesucht. Sie entstand erst, als sich im Kreise des griechischen Denkens die Begriffe der »Sitte« und der »Sittlichkeit« voneinander zu scheiden begannen. Die Sitte fragt nicht nach ihren Ursprüngen und nach dem Grund ihrer Geltung; das fraglose Verharren im Gegebenen und Überlieferten bildet vielmehr einen ihrer Grundzüge. Die griechische Philosophie aber will diesem Verharren ein Ende machen. Sie beginnt mit der Sokratischen Frage, was das Schöne, das Gerechte, das Gute »sei« und wie es zu begründen sei. Diese Forderung des »Rechenschaftsablegens«, des λ γον διδ ναι, ist ein neuer Zug, der bei Platon zu einer »Revolution der Denkart«28 in allen | Fragen des politischen und sozialen Lebens führt. Die Reflexion erhebt jetzt nicht nur den Anspruch, die einzelnen Regeln und Normen auf ihre Widerspruchslosigkeit und ihren inneren Zusammenhang zu prüfen. Sie verlangt die Erforschung ihres »Grundes«, und sie erklärt, daß ohne die Einsicht in diesen Grund das sittliche Leben in sich selbst haltlos ist. Das »unerforschte Leben« ist – wie Sokrates in der Platonischen »Apologie« sagt – für den Menschen nicht lebenswert: » δ νεξταστος βος ο βιωτ-ς νθC.πω«.29 28 29

[S. oben, S. 20.] Platon, Apologia Sokratus 38 A.

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Schroffer, als es hier geschieht, kann die Ablösung vom Gefühl nicht vollzogen werden, und weiter als hier scheint die Hybris des Denkens, des Begriffs nicht gehen zu können. Es ist nur eine Folgerung hieraus, wenn schließlich in der Sokratik alle Schuld des Willens bestritten und allein dem Denken zur Last gelegt wird. Οδες 0κ1ν 2µαCτ$νει – die Verfehlung stammt nicht aus dem Willen, sondern aus der mangelnden Einsicht, aus dem Irrtum des Verstandes. Damit ist alles Praktische in das Theoretische aufgelöst und in dasselbe gewissermaßen zurückgenommen. Aber gerade dieser erste Ansatz der klassischen griechischen Ethik enthält, wenn wir Hägerströms Anschauung folgen, den entscheidenden Fehler, der sich seitdem auf die gesamte Folgezeit vererbt hat. Dieser Fehler fällt nicht etwa der Moralphilosophie als solcher zur Last; er ist vielmehr ein ganz primitiver logischer Denk- und Schlußfehler. Wir können an den Willen nicht die Forderung stellen, sich vor der Vernunft zu »rechtfertigen« und seinen eigenen »Logos« aufzuweisen, ohne damit jene typische Verwechslung zu begehen, die die Logik als eine µετ$βασις ε&ς 'λλο γνος kennzeichnet. Der Wille hat eben sein spezifisches Sein und seinen spezifischen Charakter darin, daß er eine solche Forderung nicht kennt und anerkennt. Er setzt sich über alle »Begründung« hinweg und setzt sich selbst an ihre Stelle: »stat pro ratione voluntas«. Der Hauptgrund, den Hägerström für diese Ablehnung jeglicher Objektivität auf ethischem Gebiet anführt, besteht, wie wir gesehen haben, darin, daß eine solche Objektivität ohne Angabe eines bestimmten Objektkreises, auf den sich die angebliche praktische Erkenntnis beziehen könnte, sinnlos wird. Ein solcher aber läßt sich nicht finden: Denn die Welt ist gewissermaßen »weggegeben« an das theoretische Denken und Urteilen. Neben dem Inbegriff der räumlich-zeitlichen Gegenstände, die die Inhalte dieses Denkens bilden, ist für eine andere Welt kein Platz. Aber hier drängt sich uns zunächst ein | Bedenken auf, das sich ergibt, wenn wir auf die Grundlagen von Hägerströms eigener Erkenntnislehre zurückblicken. Wie hatte diese Erkenntnislehre den Begriff der Realität bestimmt? Die Bestimmtheit der besonderen Erfahrungselemente durch Begriffe – so hatte Hägerström erklärt – ist eigentümlicher Natur. »Sie schliesst das Vorhandensein einer Regel für die Synthese oder die Zusammengehörigkeit von Begriffen in sich. […] Der einzelne sinnliche Gegenstand ist eine solche Regel. Seine Einheit ist die Einheit der Regel, und seine Individualität ist die vollständige Bestimmtheit der Regel in dem Sinne, dass von zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Begriffen die Zugehörigkeit des einen zu der fraglichen Synthese bejaht und die des anderen verneint werden

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muss.«30 Für Hägerström sind also nicht, wie für einen dogmatischen »Realismus«, die theoretischen Begriffe deshalb wahr, weil ihnen sinnliche Gegenstände entsprechen, die sie in sich abbilden. Es gilt vielmehr das Umgekehrte, daß das, was wir den »Gegenstand der Erkenntnis« nennen, erst durch Begriffe konstituiert wird; da sich nicht angeben läßt, was ein »sinnliches Ding« bedeuten soll, wenn wir hierbei nicht eine »Einheit der Regel« voraussetzen, die verschiedenartige Bestimmungen aufeinander bezieht und miteinander zusammenfaßt. Der Begriff dieser Regel ist also die Bedingung und das logische Prius für die Anwendung des Dingbegriffs. Daraus aber ergibt sich, daß »Objektivität« – wenn wir Hägerströms eigene Definition annehmen – keineswegs dasselbe wie materielle, sinnlich-empirische Wirklichkeit ist. Der Schwerpunkt des Begriffs der Objektivität liegt, nach Hägerström, nicht in den sinnlichen Gegebenheiten als solchen, sondern in ihrer Kohärenz und widerspruchslosen Ordnung.31 Blicken wir von hier aus auf die Probleme der praktischen Philosophie hin, so wird auch in ihnen die Frage nicht so gestellt werden können, daß wir untersuchen, ob es irgendwelche empirischen Dinge oder Dingqualitäten gibt, die unseren Werturteilen »entsprechen«. Sie lautet vielmehr lediglich, ob es möglich ist, an Bewertungen oder Handlungen einen gewissen Maßstab anzulegen und gemäß demselben ein bestimmtes Prinzip der Über- und Unterordnung für sie zu gewinnen. Hägerström selbst scheint einen derartigen Gedanken nicht völlig abzulehnen. »Warum sollte nicht«, so erklärt er einmal, »der einzelne, der sich der Folgen ungezügelter | Leidenschaft bewußt und darüber entsetzt ist, sowohl sich selbst gewisse Handlungsarten verbieten als auch sich selbst für das Verbot der Umgebung empfänglich zeigen wollen?«32 Aber hier ist, wie mir scheint, die grundlegende These von Hägerströms Moralphilosophie, die These von der Äquivalenz aller Bewertungen und Stellungnahmen, schon verlassen oder doch wesentlich gelockert. Der Leidenschaft ist es ja gerade eigentümlich, daß sie ganz in der Gegenwart aufgeht und sie ausschöpfen will, statt sich mit irgendwelchen Erwägungen über die möglichen Folgen, sei es für die Gesellschaft, sei es für den Handelnden selbst, zu beschweren. Und wie ließe sich ihr dies verbieten, wenn man wirklich streng auf dem Hägerströmschen Standpunkt stehenbleibt? Lassen sich Gefühle überhaupt gebieten oder verbieten? Kant hat erklärt, daß selbst die Nächstenliebe, wenn man sie lediglich als Affekt ver30 31 32

Das Prinzip der Wissenschaft, S. 62. Vgl. z. B. a. a. O., S. 59 ff. Selbstdarstellung, S. 46.

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steht, nicht zum Inhalt eines moralischen Gebots gemacht werden könne. »[Liebe] gegen Menschen«, so sagt er, »kann […] nicht geboten werden; denn es steht in keines Menschen Vermögen, jemanden bloß auf Befehl zu lieben.«33 Sobald wir also alles »Praktische« in Gefühle und an sie geknüpfte Vorstellungen aufgehen lassen, ist nicht einzusehen, wie es hier, gegenüber uns selbst und gegenüber anderen, zu Geboten oder Verboten kommen soll. Ohne Zweifel könnten und müßten wir, welche Theorie wir auch annehmen mögen, fortfahren, uns vor einem »asozialen« Individuum zu schützen und es, wenn nötig, zu vernichten. Aber sich an dasselbe mit einem »Verbot« zu wenden, wäre offenbar ein Versuch am untauglichen Objekt. Man würde in der Tat den Kern von Hägerströms Lehre nicht treffen, und man würde sozusagen ihre Pointe verfehlen, wenn man in ihr nichts anderes als eines der Systeme des moralischen »Utilitarismus« sehen wollte. Damit würde gerade ihre methodische Eigenart verkannt. Der Utilitarismus bejaht durchaus die Objektivität moralischer Vorstellungen und Urteile. Er stellt ein oberstes Ziel: »das möglichst große Glück der möglichst großen Zahl«, auf, und er sagt sein »Ja« oder »Nein« zu den Handlungen, die dieses Ziel befördern oder nicht befördern. Es herrscht also hier durchaus eine soziale Teleologie, die einen bestimmten Zustand der menschlichen Gesellschaft für wertvoll erklärt, während sie einen anderen verwirft. | Daß auch der Marxismus, unbeschadet seines ökonomischen Materialismus und trotz seiner Verachtung aller »Ideologie«, eine solche Teleologie in sich schließt und daß er in diesem Sinne eine »Moral« enthält, für die er objektive Gültigkeit in Anspruch nimmt, hat Hägerström in einer eigenen Untersuchung in sehr scharfsinniger Weise erwiesen.34 Ja, er geht so weit, diese soziale Teleologie geradezu als den »nervus rerum« des Marxismus zu bezeichnen.35 Aber er selbst kann offenbar diesen Weg nicht gehen, da er damit doch wieder »eine Lehre in der Moral« statt eine »Lehre von der Moral« geben, also seinem Grundprinzip widerstreiten würde. Die Frage nach der Möglichkeit einer »objektiven« Moral kann daher nicht lauten, ob unseren Urteilen auf diesem Gebiete irgendwelche an sich seiende »Wertqualitäten« entsprechen, die ihren theoretisch konstatierbaren physischen Qualitäten zu vergleichen sind. Wir fragen hier nicht nach solchen Substraten, sondern wir fragen da33 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1. Teil, 1. Buch, 3. Hauptstück), hrsg. v. Benzion Kellermann, in: Werke, Bd. V, S. 1–176: S. 91 f. (Akad.Ausg. V, 83). 34 Axel Hägerström, Social teleologi i marxismen, Uppsala 1909 (Uppsala universitets årsskrift 1909), vgl. bes. S. 59 ff. 35 A. a. O., S. 66.

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nach, ob alle Äußerungen des »praktischen Bewußtseins« einander gleichwertig, ob sie lediglich »disjecta membra« sind oder ob auch zwischen ihnen die Möglichkeit eines Zusammenhangs, einer Gliederung, einer Über- und Unterordnung besteht. Herrscht hier lediglich die Disparatheit des Gefühls, oder gibt es auch hier den Fortgang zu »Begriffen«, d. h. zu immer weiteren Einheitsbildungen? Lediglich in diesem Sinne und im Hinblick auf eine solche mögliche Synthesis können wir auch im praktischen Gebiet von »Objektivität« sprechen – so wie ja auch der Dingbegriff selbst nichts anderes als »eine Regel für die Synthese oder Zusammengehörigkeit« in sich schließen sollte. »Objektivierung« bedeutet in jedem Falle Vereinheitlichung, und diese letztere erfolgt dadurch, daß der »besondere« Fall unter Gesetze gestellt und gemäß denselben bestimmt wird. Das Problem lautet also, ob und wieweit eine solche Bestimmung nicht nur im Bereich der theoretischen, sondern auch in dem der praktischen Erkenntnis möglich ist. Die theoretische Erkenntnis bezieht sich auf die Ordnung der Wahrnehmungswelt, und sie sucht diese Wahrnehmungswelt als ein in sich geschlossenes Ganzes zu erweisen – als eine »Natur«, die unter bestimmten Regeln steht. Die praktische Erkenntnis sucht nicht nach derartigen Regeln des empirischen Daseins oder Geschehens, sondern nach Regeln für das Wollen und für das Tun. Sie hat es, Kantisch gesprochen, | nicht mit einem Reich der Natur, sondern mit einem »Reich der Zwecke« zu tun. Kant hat beide Reiche nach ihrem metaphysischen Sinn und Ursprung streng voneinander getrennt: Er stellt der Natur, dem Gegenstand der Erfahrung, dem »mundus sensibilis«, die Welt der Freiheit, den »mundus intelligibilis« gegenüber. Aber auch wenn wir ihm auf diesem metaphysischen Wege der Grundlegung der Ethik nicht folgen, so bleibt doch das methodische Problem zurück, das er gestellt hat. Die Frage ist, ob es auch im Gebiet des Willens jene Möglichkeit der Einheitssetzung gibt, die für alle theoretische Erfahrung die eigentliche, konstitutive Voraussetzung bildet. Besteht diese Möglichkeit nicht – dann kann es freilich weder eine Wissenschaft noch eine Philosophie der Moral geben; denn aus subjektiven Vorstellungen oder Gefühlen kann sich ebensowenig eine Wissenschaft wie eine Philosophie gestalten. Die theoretische Realität steht unter dem allgemeinen Gesetz, das von Hägerström als das der »Selbstidentität« bezeichnet wird. Dies Gesetz besagt, daß es innerhalb der Erfahrung nichts schlechthin einzelnes gibt, sondern daß alles sich »zum Ganzen webt«,36 daß jede 36 [Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil (Werke, 1. Abt., Bd. XIV), S. 30.]

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besondere Wahrnehmung ihre Stelle im Erfahrungszusammenhang besitzt und sich dem letzteren widerspruchslos einfügen läßt. Hägerström sucht, wie wir gesehen haben, für diese Erklärung der Realität keinen »Beweis« und keine Ableitung aus einem höheren Prinzip zu geben; er spricht von ihr als einer »nicht weiter auflösbare[n] Intuition«.37 Aber hier könnte sich uns die Frage aufdrängen, wie, unter Voraussetzung dieser »Intuition« der Wirklichkeit, das Wirkliche jemals zum philosophischen Problem werden konnte. Warum hat die Philosophie, statt bei dieser einfachen Uranschauung stehenzubleiben, immer wieder nach dem »Grunde« des Seins und nach dem »Grunde« der Wahrheit gefragt? Es ist offenbar das Phänomen der Täuschung und des Irrtums gewesen, das stets von neuem auf diese Frage hinführte. Denn selbst wenn man annimmt, daß die Uranschauung der »Wirklichkeit«, als der gesetzlichen Ordnung der Erfahrungswelt, feststeht, so müssen wir doch immer wieder erkennen, daß ebendiese Ordnung, kaum daß wir sie erfaßt und uns ihrer versichert zu haben glauben, uns gewissermaßen wieder unter den Händen verschwindet – daß das, was wir bisher als real und objektiv betrachtet haben, sich in einen bloßen Schein auflöst. Die durchgängige Einheit und Wider | spruchslosigkeit der Erfahrungselemente ist uns daher nicht sowohl gegeben, als sie uns aufgegeben ist. Sie ist kein Dogma, sondern ein Postulat der Erkenntnis; und ein Postulat, das nur allmählich und schrittweise seine Erfüllung findet. Jede einzelne Wahrnehmung oder Anschauung tritt zunächst, ohne jeglichen Skrupel, mit dem Anspruch auf, sich nicht nur auf einen Gegenstand zu beziehen, sondern der volle und adäquate Ausdruck der »Wirklichkeit« als solcher zu sein. Aber diese verschiedenartigen Ansprüche geraten miteinander in Konflikt; es zeigt sich, daß sie sich nicht vereinigen und sich nicht gleichzeitig befriedigen lassen. Die Erkenntnis sieht sich fortwährend genötigt, bestimmte Positionen aufzugeben, um dafür andere behaupten zu können. Dieser Prozeß, durch den das, was wir das Wirkliche, das eigentlich Objektive nennen, gewissermaßen ständig von Ort zu Ort rückt, nimmt seinen Anfang keineswegs erst in der empirischen und theoretischen Wissenschaft der Natur. Die Tendenz, von der die Wissenschaft geleitet wird, das Bestreben, an Stelle der fließenden Reihe der Phänomene, die von einem Moment zum andern wechseln, ein »Sein«, d. h. ein Beständiges und Dauerndes zu gewinnen, setzt schon ein, bevor die eigentliche wissenschaftliche Reflexion beginnt und bevor es, kraft ihrer, zu einer strengen Begriffsbildung kommt. Schon im 37

Das Prinzip der Wissenschaft, S. 88; vgl. oben, S. 19 f.

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Kreise der Wahrnehmungserkenntnis läßt sich diese Tendenz aufweisen und in ihrer Entwicklung verfolgen. Denn schon die Wahrnehmung begnügt sich nicht damit, einzelne sinnliche Daten, so wie sie hier und jetzt gegeben sind, einfach wie an einem Faden aufzureihen. Sie hebt aus der Reihe dieser Daten gewisse Bestimmungen heraus, und sie sieht in ihnen das eigentliche, objektive »Wesen« des Wahrnehmungsgegenstandes, das von den »zufälligen« Erscheinungen abgelöst und ihnen gegenübergestellt wird. Die moderne Psychologie hat uns gezeigt, wie sehr diese Invariantenbildung den gesamten Aufbau der Wahrnehmungswelt beherrscht. Die sogenannten »Konstanzphänomene« der Wahrnehmung bilden eines der wichtigsten und der erkenntnistheoretisch interessantesten Kapitel der Wahrnehmungspsychologie. Wir lernen aus ihnen, daß schon die Wahrnehmung keineswegs der einfache Ausdruck und Abdruck der physikalischen Reizverhältnisse ist; daß sie vielmehr an den Daten der Empfindung eine eigentümliche Unterscheidung, eine Art erster »Kritik« vollzieht und daß sich durch diesen Prozeß erst dasjenige ergibt, was wir in der gewöhnlichen An | schauung als die »wahre« Größe eines Objekts, als die »wahre« Farbe eines Sehdings usf. bezeichnen.38 Aber die begriffliche Arbeit der Wissenschaft muß freilich auf diesem Wege viel weiter gehen. Sie muß die Forderung der Konstanz weit schärfer fassen und weit ernster nehmen. Sie will nicht nur bestimmte Phänomene herausheben, die vom Standpunkt des einzelnen Subjekts relativ gleichbleibend sind, sondern sie will eine »gemeinsame« Welt für alle Subjekte aufbauen. Und um diese Aufgabe erfüllen zu können, muß sie sich zu immer weiteren Opfern entschließen. Die Wahrnehmungserkenntnis als solche kann zwar niemals aufgegeben oder verleugnet werden; aber ihr Wirklichkeitsanspruch muß immer schärfer geprüft und ihre Fundamente müssen, auf Grund dieser Prüfung, immer tiefer gelegt werden. Die unmittelbaren Inhalte der Wahrnehmung sinken jetzt zu »sekundären Qualitäten« herab, die in dem Weltbild, das die naturwissenschaftliche Erkenntnis aufbaut, durch andere Momente, durch rein quantitative Bestimmungen, ersetzt werden müssen. Aber auch hierbei bleibt der Prozeß der Objektivierung nicht stehen. Es konnte eine Zeitlang scheinen, als habe die »mechanische Naturwissenschaft« das Ziel erreicht; als habe sie einen letzten und endgültigen Gegenstandsbegriff gewonnen. 38 Die erkenntnistheoretische Bedeutung dieser »Konstanzphänomene« habe ich in einem Aufsatz behandelt, der demnächst im »Journal de Psychologie« erscheinen wird [Le langage et la construction du monde des objets, in: Journal de Psychologie normale et pathologique 30 (1933), S. 18–44 (ECW 18, S. 265–290)].

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Aber die Entwicklung der modernen Physik hat uns gezeigt, daß die Grenze abermals hinausgerückt werden muß. Um zu einer wahrhaft umfassenden und einheitlichen Naturbeschreibung zu gelangen, müssen wir uns entschließen, gewisse Elemente zu relativieren, die früher für absolut galten. Es zeigt sich z. B., daß die Masse eines Körpers, die man als eine absolute Konstante ansah, von der Geschwindigkeit abhängt; es zeigt sich, daß wir für Länge und Zeitdauer verschiedene Werte erhalten, wenn wir für die Messung verschiedene Bezugssysteme zugrunde legen. Aber die Objektivität, nach der die naturwissenschaftliche Erkenntnis strebt, wird dadurch keineswegs zerstört; sie wird vielmehr fortschreitend gesichert. Als echte »Invarianten« und damit als das eigentliche Gerüst der Objektivität erscheinen jetzt diejenigen Gesetze der Natur, die in beliebig bewegten Bezugssystemen in gleicher Weise gelten. Und damit wird erst völlig deutlich, was das Streben nach Objektivität eigentlich besagt und wie es logisch und methodisch zu definieren ist. | Es handelt sich in ihm nicht darum, ein »Absolutes« jenseits der Erfahrungswelt zu ergreifen; es handelt sich vielmehr darum, die Erfahrungswelt selbst in ihrer Ganzheit, als durchgängige Einheit unter universellen Gesetzen, zu begreifen.39 Dies alles müssen wir uns gegenwärtig halten, um die Frage zu beantworten, in welchem Sinne innerhalb der praktischen Sphäre eine »objektive« Erkenntnis möglich ist. Der Maßstab kann auch hier nur in der Einheit und Universalität liegen; aber diese Universalität bezieht sich nicht auf das Vorstellen, sondern auf das Wollen; sie betrifft nicht die logische Einheit von Denksetzungen, sondern die Einheit von Zielsetzungen. Jedes Moralsystem schließt derartige Zielsetzungen in sich, und jedes betrachtet sie in irgendeiner Weise als objektiv verbindlich. Aber der Anthropozentrismus ist in der Ethik noch weit schwerer zu überwinden als in der Naturerkenntnis, denn was kann und was will die Ethik anders sein als eine »Lehre vom Menschen«? Der Mensch, von dem in der Fragestellung der Ethik die Rede ist, wird jedoch von Anfang an nicht als bloßes psychophysisches Einzelwesen, sondern als soziales Wesen gedacht. Er steht in einer Gemeinschaft und empfängt von ihr die Regeln seines Handelns. Je weiter wir in der Entwicklungsgeschichte zurückgehen, um so deutlicher und um so unausweichlicher zeigt sich dieser Zwang, den der soziale Verband auf den einzelnen ausübt. Sitte und Brauch erscheinen zu-

39 Zur näheren Begründung vgl. meine Schrift »Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik«, S. 160 ff. [ECW 19, S. 155 ff.].

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nächst als das einzig Objektive, und diesem Objektiven gegenüber gibt es keine Freiheit und keine Spontaneität. Aber auch hier setzt ein Prozeß ein, der allmählich die Fessel lockert. In dem Moment, in dem verschiedene menschliche Gemeinschaften einander begegnen und zueinander in Beziehungen treten, erhebt sich ein neues Problem. Die bisherige Perspektive verschiebt sich. Denn was vom Standpunkt der einen Gemeinschaft galt, gilt nicht von dem der anderen. Diese Divergenz kann hier, in der Welt des Wollens und Tuns, nicht durch Begriffe aus der Welt geschafft werden; sie muß durch Kämpfe entschieden werden. Jeder Einzelkreis sucht sich zu behaupten, und er sucht, was ihm entgegensteht, zu vernichten und zu unterdrücken. Aber es zeigt sich, daß selbst diese physische Unterdrückung nicht möglich ist, ohne daß dabei der Sieger in eine bestimmte ideelle Abhängigkeit von dem Besiegten gerät. Denn jede Expansion, jede | Erstreckung des Handelns und Wollens über einen weiteren Kreis, ist implizit bereits eine Lockerung der Normen, die für den engen und engsten Kreis galten. Platon erklärt, an einer Stelle der »Republik«, daß gerade die einander widersprechenden Wahrnehmungen den eigentlichen Anfang der begrifflichen Erkenntnis bilden; denn sie sind »Parakleten des Denkens«,40 sie rufen das Denken zur Lösung des Widerspruchs herbei. Und Kant hat diesen Gedanken vom Theoretischen ins Praktische gewandt. Er geht in seiner Geschichtsphilosophie davon aus, daß der »Antagonismus« der menschlichen Triebe es ist, der zuletzt zur Schaffung einer sozialen Ordnung überhaupt und innerhalb derselben zu immer weiteren und umfassenderen Einheiten führt.41 Die philosophische Ethik schließt diese Entwicklung ab, indem sie es wagt, die Frage nach einem universellen Bezugssystem aufzustellen. Sie greift damit nicht schlechthin ins Leere; sie verläßt den Weg nicht, den das »natürliche« Bewußtsein eingeschlagen hat; aber sie sucht ihn bis zu Ende zu gehen und ihm sein eigentliches Ziel zu weisen. Die Idee einer »Einheit des Willens« bezeichnet freilich nichts, was unmittelbar verwirklicht ist; sie ist gewissermaßen nur der »unendlich ferne Punkt«, auf den wir die Rechtserfahrung und die soziale Erfahrung beziehen. »[…] die transzendentalen Ideen«, so erklärt Kant, »sind niemals von konstitutivem Gebrauche, so daß dadurch Begriffe gewisser Gegenstände gegeben würden, und in dem Falle, daß man sie so versteht, sind es bloß vernünftelnde (dialektische) Begriffe. Dagegen aber haben sie einen vortrefflichen und unent[Platon, De republica 524 D: »παCακλητικ3 τ0ς διανοας«.] Vgl. Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: Werke, Bd. IV, S. 149–166: S. 155 ff. (Akad.-Ausg. VIII, 20ff.). 40 41

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behrlich notwendigen regulativen Gebrauch, nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien aller seiner Regeln in einen Punkt zusammenlaufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius) […] ist […] dennoch dazu dient, ihnen die größte Einheit neben der größten Ausbreitung zu verschaffen.«42 Auch im Praktischen muß diese Forderung der »größten Einheit« immer wieder gestellt werden; gerade weil die Erfahrung uns zeigt, daß sie in ihr niemals adäquat erfüllt oder erfüllbar ist. Daß Hägerström diese Einheitsforderung im Aufbau seiner Er | kenntnislehre durchgehend festgehalten hat, haben wir gesehen. Aber in der moralischen Welt scheint ihm schon der Gedanke einer »Selbstidentität« als unvollziehbar. In ihr gilt nichts anderes als eine Vielheit von Bestrebungen und Impulsen. Die Philosophie kann dem Kampf dieser Impulse nur zusehen; sie kann nicht in ihn eingreifen, indem sie ihrerseits irgendeine Richtschnur für das Handeln aufstellt. Das Ideal der praktischen Philosophie kann immer nur ein rein deskriptives Ideal sein: Nur eine Beschreibung, nicht eine Bewertung der verschiedenen Moralsysteme ist möglich. Aber hat Hägerström diesen Standpunkt, den Standpunkt des bloßen Zuschauers, überall konsequent festgehalten – und bricht an keiner Stelle seines Werkes eine andere Auffassung durch? Hägerström hat, wie mir scheint, seinen moralischen Relativismus nirgends so klar, so scharf und so unumwunden ausgesprochen, wie in seiner Antrittsvorlesung: »Om moraliska föreställningars sanning«. Aber eben hier findet sich noch eine andere Wendung. Er spricht seiner Auffassung nicht nur einen philosophischen, sondern auch einen pädagogischen Wert zu, und er erwartet von ihr eine bestimmte erzieherische Wirkung. Der Glaube an objektive moralische Werte – so erklärt er – hat die Menschheit von jeher in sich selbst entzweit, und er war es, der sie immer von neuem in die gefährlichsten Kämpfe verwickelte. »[…] die Vorstellung, daß den eigenen moralischen Anschauungen, die man hegt, eine absolute Autorität zukommt, hat stets zum Fanatismus geführt und wird immer wieder zu ihm hinführen. […] Der Unwille gegen andere, der eigenen Auffassung widerstrebende Richtungen wird zu einem heiligen Zorn, der jedes Maß und alle Grenzen überschreitet. […] Es ist klar, daß, wenn das Rechtsbewußtsein in einer Gemeinschaft sich spaltet, aber jeder Teil seinen Werten absolute Heiligkeit zuspricht, der Fanatismus blühen muß. […] Wenn wir dagegen einmal den letzten Schritt getan, wenn wir allen offenen oder heimlichen Glauben an 42

Ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 441 f. (B 672).

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die kosmische und damit objektive Bedeutung unserer Werte hinter uns gelassen haben, wird damit die Moral als solche nicht aussterben. Wir haben vielmehr Grund zu vermuten, daß sie sich, wie ein Vogel Phönix, von neuem aus der Asche der alten Moral erheben und daß sie nunmehr einen freieren und weiteren Blick gewinnen wird. Sie wird das Gepräge eines milderen Urteils über alles menschliche Streben tragen, das aus der Betrachtung sub specie aeternitatis folgt – aus der Einsicht, daß alles doch nur ein Glied in einem endlosen natürlichen Zusammenhang | ist, in welchem nichts an und für sich höher oder niedriger steht.«43 Diese Sätze klingen spinozistisch – und sie wiederholen die Forderung, die Spinoza an die philosophische Ethik gestellt hat. Das »non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere«44 sollte nach Spinoza der Leitspruch der Ethik werden; die Ethik will nicht loben oder tadeln, sie will lediglich verstehen. Aber auch Spinoza, der von der Gleichung: »Deus sive Natura« ausgeht, hat seinen Naturalismus nicht in völliger Strenge durchführen können. Er fordert, daß wir die menschlichen Leidenschaften so betrachten sollen, wie der Geometer seine Figuren betrachtet. Aber ebendiese vorurteilslose und unbefangene Betrachtung soll in bezug auf die Leidenschaften etwas Bestimmtes leisten. Der Einblick in die »Mechanik der Affekte« dient keinem bloß theoretischem, sondern einem praktischen Zweck. Denn nur durch ihn können wir in den Stand gesetzt werden, die Affekte zu meistern und zu beherrschen, statt uns von ihnen beherrschen zu lassen. Und damit erst wird das Grund- und Hauptziel der Spinozistischen Ethik erreicht. Sie gipfelt in einer Lehre von der Kraft des Intel43 Om moraliska föreställningars sanning, S. 34 ff. [»[…] att föreställningen om den egna moraliska åskådningen såsom absolut auktoriserad och därmed den enda rätta har lett och skall alltid leda till fanatism. […] Indignationen blir en helig vrede, som går över alla mått och gränser. […] Det är klart, att om rättsmedvetandet i ett samhälle klyver sig, men varje part ger åt sina värden absolut helgd, skall fanatismen blomstra. […] När vi en gång tagit det sista steget och lämnat bakom oss all öppen eller hemlig tro på våra värdens kosmiska och därmed objektiva betydelse, skall den av allt att döma icke därför själv dö bort. Tvärtom är anledning förmoda, att den, en fågel Fenix, skall födas på nytt ur det gamlas aska med friare och fjärrsyntare blick. Den skall då ock bära prägeln av det mildare bedömande av all mänsklig strävan, som följer med betraktelsen sub specie æternitatis, med insikten i att allt dock blott är led i ett ändlöst naturligt sammanhang, där ingenting i och för sig är högre eller lägre.«]. 44 [Baruch de Spinoza, Tractatus politicus, in quo demonstratur, quomodo societas ubi imperium monarchicum locum habet, sicut et ea ubi optimi imperant, debet institui, ne in tyrannidem labatur et ut pax libertasque civium inviolata maneat, in: Opera quae supersunt omnia, Bd. II, S. 43–136: S. 52.]

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lekts und von der menschlichen Freiheit. »Affectus, qui passio est, desinit esse passio, simulatque eius claram et distinctam formamus ideam.«45 Der Affekt beschränkt, aber die »ratio« hebt diese Beschränkung auf; und sie bahnt damit den Weg zu jener Einheitsschau, die sich im »Amor Dei intellectualis«46 vollzieht. Von einer derartigen Anschauung ist Hägerström sicher so weit wie irgend möglich entfernt; er würde sie als »mystisch« verwerfen. Aber auch er strebt nach einer »philosophischen« Moral, d. h. nach einer solchen, die die Dinge sub quadam aeternitatis specie betrachtet. Und von diesem Standpunkt aus muß er den Fanatismus ablehnen. Für eine rein deskriptive Moral, die sich streng innerhalb ihrer Grenzen hält, bestünde offenbar kein Grund zu einer derartigen Ablehnung. Der Fanatismus hat nicht nur jederzeit seine Macht im Leben der Menschheit bewiesen, sondern er ist auch immer wieder als Ideal vertreten und verkündet worden; und heute wird er von vielen Seiten geradezu als »das« moralische Ideal schlechthin gepriesen. Eine Moralphilosophie, die einzig und allein eine Wissenschaft von den faktischen moralischen Bewertungen in ihrem historischen Bestand und Wachstum sein will, müßte sich also damit begnügen, dieses Faktum, neben anderen Fakten, festzustellen. Aber dies ist nicht die Meinung Häger | ströms. Ihm erscheint der Fanatismus als eine verworrene und beschränkte Ansicht; als eine Ansicht, die es zu überwinden und die es durch eine freiere, weiterblickende, vorurteilslosere zu ersetzen gilt. Dem universellen Aspekt wird hier somit ein Vorrang vor anderen engbegrenzten Aspekten eingeräumt. Die Enge und Befangenheit der »fanatischen« Moral soll durch die philosophische Reflexion überwunden werden. Dies erscheint, rein logisch beurteilt, kaum konsequent; aber es zeigt sich darin die gleiche Grundtendenz des ethischen Denkens, die auch Spinoza, allem Naturalismus zum Trotz, zur Aufstellung einer Lehre »von der Macht des Intellekts oder der menschlichen Freiheit« (»De potentia intellectus seu de libertate humana«)47 geführt hat. Die Geschichte der philosophischen Ethik zeigt uns, wie dieses universalistische Streben in ihr von Anfang an lebendig war und wie es ihre gesamte Fortentwicklung bestimmt hat. Dieser Antrieb ist so stark, daß er auch alle Gegensätze der philosophischen Schulen überbrückt. Die moralischen Fragmente Demokrits zeigen, daß dieser »Materialist« eine Ethik entwickelt hat, die in ihrem Universalismus der »idealistischen« Ethik Platons nicht nachsteht. Und was hier 45 46 47

[Spinoza, Ethica (Teil 5, Lehrsatz 3), S. 392.] [A. a. O. (Teil 5, Lehrsatz 33), S. 408.] [A. a. O. (Teil 5, Vorrede), S. 388.]

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begonnen wurde, das setzt sich fort und baut sich weiter aus in der stoischen Moralphilosophie. Sie wird zum Prototyp des ethischen Universalismus – und in der Form, die die Stoa ihm gegeben hat, wirkt derselbe durch die Jahrhunderte fort. In der neueren Philosophie nehmen die großen »Rationalisten« Descartes, Spinoza, Leibniz, Kant die Aufgabe wieder auf, die die Stoa innerhalb des Kreises des antiken Denkens zu erfüllen suchte. Auch sie stehen durchweg im Zeichen jenes Ideals, das die Stoa zuerst verkündet hat: des Ideals der »inneren Freiheit«. In alledem handelt es sich ersichtlich nicht um bloße Lehren »über« moralische Vorstellungen und um deren faktische Beschreibung oder psychologische Erklärung. Es handelt sich um immer erneute Ansätze der philosophischen Reflexion, und jeder neue Schritt auf diesem Weg bedeutet zugleich ein neues Stadium in der »Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins«. Sollen wir diesen ganzen Weg der philosophischen Ethik verwerfen, und sollen wir ihm mißtrauen, weil die Entwicklung der moralischen Ideen überall mit bestimmten metaphysischen Ideen durchsetzt ist? Oder läßt sich nicht der Gehalt, der hier gewonnen worden ist, festhalten, auch wenn wir seine metaphysische Hülle abstreifen? Die stoische Ethik hat weitergewirkt, und sie hat eine bedeutsame Mission auch für die moderne Welt erfüllt, nachdem die metaphysischen | Grundvoraussetzungen, auf denen sie sich aufbaute, längst verlassen waren. Und ebenso läßt sich der reine Sinn des Kantischen Pflichtbegriffs und seines Begriffs der ethischen Autonomie herausschälen und festhalten, ohne daß wir ihn in derselben Weise wie Kant – kraft der Scheidung des »mundus sensibilis« vom »mundus intelligibilis« – begründen. Auch hier bleibt eine bestimmte f unktionelle Bedeutung der ethischen Grundbegriffe zurück, die an ihre metaphysisch-substantialistische Passung und Einkleidung nicht gebunden ist. Ich stimme mit Hägerström ganz darin überein, daß auch in der Kulturphilosophie die Metaphysik mehr und mehr durch die Kritik abgelöst werden muß; aber die Kritik braucht hier sowenig wie im Gebiet der theoretischen Erkenntnis zur Skepsis, zum Zweifel an der Möglichkeit einer objektiven Grundlegung zu werden. Die Ausrottung alten »Aberglaubens« mag hier immer wieder nötig sein, und sie mag als eine der wichtigsten Aufgaben einer kritischen Philosophie der Kultur erscheinen. Aber die Entfernung des Schuttes soll auch hier nur dem Ziele dienen, einen neuen Aufbau zu ermöglichen; und in diesem Aufbau fällt der Philosophie nicht nur eine kritische, sondern auch eine konstruktive Aufgabe zu. »Es gilt«, so hat Hägerström selbst diese Aufgabe einmal formuliert, »den alten Kitt der Gesellschaft beizeiten durch einen neuen von festerer Beschaffenheit zu ersetzen. Dadurch werden wir auch unser

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eigenes Leben auf eine höhere Ebene erheben, indem wir es in das unbegrenzte Streben des Menschengeschlechts nach Glück und Kultur einreihen. Hieraus erwächst uns eine tiefere Befriedigung, als uns alle Jagd nach dem bloßen Einzelglück schenken kann … Aber wir bedürfen keiner abergläubischen Vorstellungen, um unser Streben einem größeren Ganzen einzufügen. Wir brauchen uns nur in die tiefsten Zwecke unseres Geschlechts einzuleben, um damit für uns selbst eine Aufgabe zu gewinnen, die uns über das drückendste aller Gefühle erhebt, über das Gefühl von der Leere des Lebens.«48 Hier stellt Hägerström, wie man sieht, der Moralphilosophie nicht nur eine negative, sondern auch eine positive Aufgabe; und in diesem Zuge scheint seine Lehre in ihrer Grundtendenz den großen ethischen Systemen der Vergangenheit näher verwandt, als er annimmt und als er selbst zugeben würde. |

48 Axel Hägerström, Om sociala vidskepelser, in: Tiden. Månadsskrift för socialistisk kritik och politik 5 (1913), S. 321–332: S. 332 (Zitat nach: Vannérus, Hägerströmstudier, S. 33 [»Det gäller att i tid ersätta det gamla samhällskittet med ett nytt av solidare konsistens. Därmed lyfta vi ock vårt eget liv upp på ett högre plan genom att insätta det såsom led i släktets ändlösa strävan mot lycka och kultur. Vi förvärva så en djupare tillfredsställelse än all isolerad jakt efter egen lycka kan skänka … Men vi behöva inga vidskepliga föreställningar för att foga våra strävanden in i ett större helt. Vi behöva blott leva oss in i vårt släktes djupaste syften för att skänka oss själva en uppgift, som höjer oss över den tyngsta av alla känslor, känslan av livets tomhet.«]).

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viertes kapitel. Recht und Mythos Es ist nicht meine Absicht, und es kann nicht meine Aufgabe sein, hier eine eingehende Kritik von Hägerströms Rechtsphilosophie zu geben. Eine solche Kritik würde weit über den Rahmen dieser Abhandlung hinausgehen: Denn sie müßte sich in all die sehr vielfältigen und verschiedenartigen Einzelfragen vertiefen, die Hägerström in seiner Rechtslehre aufgeworfen hat. Aber auch in anderer Hinsicht vermöchte ich einer derartigen Aufgabe nicht zu genügen. Hägerströms Rechtsphilosophie ist kein bloß spekulatives System, sondern sie baut sich auf einer außerordentlich breiten empirischen Grundlage auf. Das Werk über den römischen Obligationsbegriff breitet eine Fülle rechtshistorischen Stoffes vor uns aus und sucht jeden einzelnen Schritt der Analyse auf diesen Stoff zu stützen und aus ihm zu belegen. In dieses Gebiet wird Hägerström nur derjenige folgen können, der das juristische Detail ebenso genau kennt und ebenso souverän beherrscht wie er selbst. Ich stelle mir im folgenden eine weniger umfassende Aufgabe; ich hebe nur dasjenige Problem heraus, das meiner eigenen Arbeit am nächsten liegt. Ich habe im zweiten Band meiner »Philosophie der symbolischen Formen« die allgemeine Struktur des myth ischen Bewußtseins aufzuhellen und im einzelnen zu analysieren gesucht. Hierbei mußte ich mich auf ein möglichst umfassendes empirisches Material stützen, das ich im wesentlichen aus dem Studium der religionsgeschichtlichen, der ethnographischen und anthropologischen Literatur zu gewinnen suchte. Daß mir bei diesem Studium das Werk Hägerströms über den römischen Obligationsbegriff entgangen ist, bedaure ich lebhaft; aber ich konnte kaum vermuten, in der Literatur der Rechtsgeschichte eine Schrift zu finden, die nicht nur auf Einzelprobleme des mythischen Bewußtseins eingeht, sondern dieses geradezu zum Mittelpunkt der Analyse und der Kritik macht. Um so lieber benutze ich die Gelegenheit, die sich mir hier darbietet, das | früher Versäumte nachzuholen und meine eigene Auffassung von der Natur und Funktion des mythischen Bewußtseins mit derjenigen Hägerströms zu vergleichen. Ich bin von der Anschauung ausgegangen, daß für jede kritische Grundlegung der Kulturphilosophie der Einblick in das Wesen und die Form des Mythos unentbehrlich ist, weil der Mythos sozusagen die Urschicht alles Bewußtseins und der tragende Grund für alle seine Leistungen ist. Die Sprache, die Kunst, die Religion, ja auch die theoretische Erkenntnis müssen sich erst langsam von die-

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ser Urschicht ablösen, ehe sie ihre eigene selbständige Gestaltung gewinnen können.1 Sie alle sind, genetisch gesehen, keine autonomen Schöpfungen; sie quellen vielmehr aus dem Mythos hervor und bleiben lange Zeit hindurch gleichsam in ihm eingesponnen. Hägerström hat das gleiche Phänomen und das gleiche Problem an der Entwicklung des Rechtsbewußtseins aufgewiesen. Er zeigt, daß man in ihm um so stärkere mythische Züge entdeckt, je mehr man sich seinen eigentlichen Anfängen nähert. Und er zieht hieraus den radikalen Schluß, daß das juristische Denken, das man wegen seiner Klarheit und Schärfe zu bewundern pflegt und das man ebendeshalb oft mit dem mathematischen Denken verglichen hat, im Grunde in abergläubischen Vorstellungen befangen ist, die es niemals wirklich abgestreift hat. Die gesamte klassische Jurisprudenz baut sich nach Hägerström auf einer Grundlage von Aberglauben auf. Hier haben wir es keineswegs mit einer Welt von Tatsachen, sondern lediglich mit einer Welt von Vorstellungen zu tun, die die Rechtsphantasie geschaffen und die sie, durch die Jahrhunderte hindurch, zäh | festgehalten hat. Den Römern lag »der Animismus […] im Blute«, und sie haben ihn auf die gesamte Folgezeit vererbt. Und das Übel ist, nach Hägerströms Auffassung, durch die Einwirkung der Philosophie nicht behoben, sondern fast noch verstärkt worden. Denn die klassischen römischen Juristen konnten nur deshalb an die Lehren der Aristotelisch-stoischen Philosophie anknüpfen und sich von ihnen bestimmen lassen, weil selbst hier der tief im allgemeinen Volksbewußtsein wurzelnde Animismus keineswegs entwurzelt, sondern nur verdeckt worden war. »Dieser war in der griechischen Philoso1 Ich habe diese These ausdrücklich auch auf das Gebiet des Rechts ausgedehnt, wenngleich es zu einer Darstellung der Rechtsprobleme im Rahmen der »Philosophie der symbolischen Formen« bisher nicht gekommen ist. Diese Lücke suche ich im Folgenden zu ergänzen, wobei ich mich jedoch mit einer ganz knappen Skizze begnügen muß. »[…] alle [symbolischen Formen]«, so schrieb ich, »treten nicht sogleich als gesonderte, für sich seiende und für sich erkennbare Gestaltungen hervor, sondern sie lösen sich erst ganz allmählich von dem gemeinsamen Mutterboden des Mythos los. Alle Inhalte des Geistes, sosehr wir ihnen systematisch ein eigenes Gebiet zuweisen und ihnen ein eigenes autonomes ›Prinzip‹ zugrunde legen müssen, sind uns rein tatsächlich zunächst nur in dieser Verflechtung gegeben. Das theoretische, das praktische und das ästhetische Bewußtsein, die Welt der Sprache und der Erkenntnis, der Kunst, des Rechts und der Sittlichkeit, die Grundformen der Gemeinschaft und die des Staates: sie alle sind ursprünglich noch wie gebunden im mythisch-religiösen Bewußtsein.« Sprache und Mythos. Ein Beitrag zum Problem der Götternamen, Leipzig/Berlin 1925 (Studien der Bibliothek Warburg, Bd. 6), S. 37 f. [ECW 16, S. 266].

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phie in eine solche Form eingekleidet, dass der grobe Aberglaube verhüllt wurde.«2 Aber den wahrhaft kritischen Blick kann diese Verhüllung nicht täuschen. Unter der Maske der juristischen Begriffe wird er immer wieder die mythischen Begriffe entdecken. Der römische Obligationsbegriff als solcher, der für diesen ganzen Prozeß des Denkens als typisches Musterbeispiel gelten darf, kann diese Herkunft nirgends verleugnen, denn die Obligation ist, recht besehen, nichts anderes als die »mystische Gebundenheit einer Person durch eine andere«.3 Ebenso ist für Hägerström der sogenannte »Staatswille« nichts anderes als eine reine Fiktion, ja, mehr als das, er ist nur ein Gespenst.4 Und es wird nachgerade hohe Zeit, mit derartigen Gespenstern aufzuräumen, wenn wir zu einer kritischen Selbstbesinnung über die wahren Grundlagen der Kultur kommen wollen. Wo die klassische Jurisprudenz ein in sich streng gefügtes, logisches System von Begriffen sah, da sieht Hägerström nur einen Komplex magischer Vorstellungen: Das magische Denken floriert nach ihm, obgleich verborgen, auch in der Gegenwart. Wieweit diese Anschauung sich auf die römischen Rechtsquellen stützen kann und sich aus ihnen belegen läßt, soll hier nicht gefragt werden: Die Entscheidung hierüber muß der Fachkritik überlassen bleiben. Statt auf Einzelfragen dieser Art einzugehen, will ich versuchen, das Problem, das hier aufgeworfen wird, auf eine breitere Basis zu stellen. Hägerström selbst hat betont, daß die Begriffe der Rechtswissenschaft es keineswegs allein sind, die gewissermaßen eine mythische »Vorgeschichte« aufzuweisen haben. Er dehnt seine These viel weiter aus, und er erstreckt sie insbesondere auch auf die Grundbegriffe der Naturerkenntnis. Wir sprechen ohne weiteres von Kräften | in uns selbst und in der Natur, als wäre das Vorhandensein derselben etwas Selbstverständliches; in Wahrheit aber sind Ausdrücke wie »Kraft« oder »Substanz« nur Worte, denen wir, auf Grund eines komplizierten psychologischen Mechanismus, den Hägerström im einzelnen aufzudecken sucht, eine bestimmte Bedeutung geben. »[…] man glaubt […] dass dieser Wortzusammenstellung eine durch die Worte ausgedrückte Realität entspricht, d. h. man erlebt bei den Worten dasselbe Gewissheitsgefühl wie bei wirklicher Erkennt-

2 Axel Hägerström, Der römische Obligationsbegriff im Lichte der allgemeinen römischen Rechtsanschauung, Bd. I, Uppsala/Leipzig 1927 (Skrifter, utgivna av Kungl. Humanistiska Vetenskaps-Samfundet i Uppsala, Bd. 23), S. III f. u. 280 ff. [Zitate S. 281]. 3 A. a. O., S. 19 ff. [Zitat S. 19]. 4 A. a. O., S. 16 f.

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nis.«5 Es ist also eine rein mythische Vorstellung, oder es ist, im günstigsten Falle, ein bloßer Anthropomorphismus, der sich unter dem Ausdruck der Kraft verbirgt und der somit die objektive Auffassung des Geschehens verfälscht. Daß es ein bestimmtes Stadium der Naturerkenntnis und der Naturphilosophie gegeben hat, für welches diese Bemerkung zutrifft, ist unbestreitbar. Noch die Naturphilosophie der Renaissance vermag sich den ursächlichen Zusammenhang der Phänomene nicht anders denn als einen Lebenszusammenhang zu denken; noch für sie sind »vis« und »vita« nicht nur verwandt, sondern sie werden geradezu als synonyme Begriffe erklärt. »Vita dicitur a vi«, so heißt es in Campanellas »Metaphysik«, »hoc est essendi virtute potestateque: ea igitur ratione, qua sunt Entia cuncta, vivunt […]«6 Aber das Band, das beide Begriffe miteinander verbindet, beginnt sich zu lockern, in dem Augenblick, in dem die mathematische Betrachtung der Natur einsetzt. Der Prozeß geht anfangs nur langsam vor sich; noch bei Kepler, der die ersten exakten Gesetze der Planetenbewegung aufstellt, macht sich die Anschauung von der Beseelung des Himmels geltend. Aber je weiter die mathematische Theorie fortschreitet, je mehr sie sich ihrer spezifischen Aufgabe bewußt wird und je klarer sich für sie die Bedingungen der Lösung dieser Aufgabe abzeichnen, um so strenger setzt sich die kritische Scheidung durch. Als das eigentliche Ziel der modernen theoretischen Physik hat Max Planck die »Emanzipierung von den anthropomorphen Elementen« bezeichnet; und er hat gezeigt, wie sich diese Forderung in allen Gebieten der Physik fortschreitend immer strenger erfüllt.7 In dem heutigen Aufbau der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantentheorie wird niemand irgendwelche »ma | gische« Vorstellungen entdecken können: Der reine Gesetzesbegriff hat hier den mythischen Kraftbegriff verdrängt. Was die Loslösung des theoretischen Denkens von dem Untergrund des mythischen Bewußtseins erschwert und immer wieder Ders., Vergleich zwischen den Kraftvorstellungen der Primitiven und der modernen Naturvölker. Zugleich ein Beitrag zur Psychologie der Magie, in: Festskrift tillägnad professor emeritus Arvi Grotenfelt på hans 70-årsdag 10.4.1933, Porvoo 1933 (Ajatus. Filosofisen yhdistyksen vuosikirja, Bd. 6), S. 63–84: S. 63 u. 67 [Zitat]. 6 Näheres in meiner Schrift über das Erkenntnisproblem, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. I, Berlin 1906, S. 210 f. [ECW 2, S. 175 f.] [Zitat: Tommaso Campanella, Universalis philosophiae seu metaphysicarum rerum, iuxta propria dogmata, partes tres, libri 18 (Teil 3, Buch 18, Kap. 1, Art. 1), Paris 1638, S. 249]. 7 Max Planck, Die Einheit des physikalischen Weltbildes, in: ders., Wege zur physikalischen Erkenntnis. Reden und Vorträge, Leipzig 1933, S. 1–32: S. 3 ff. [Zitat S. 5]. 5

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hintangehalten hat, ist die Abhängigkeit, in der es sich von der Sprache befindet. Auch die Begriffe der Wissenschaft sind Wortbegriffe und demgemäß an die Struktur der Sprache gebunden. Seine volle Autonomie erlangt das theoretische Denken erst dann, wenn es sich entschließt, den letzten Schritt zu tun; wenn es sich in den Symbolen der Mathematik statt der »natürlichen« Sprache eine »künstliche« Sprache erschafft. Die natürliche Sprache bleibt immer wie mit unsichtbaren Fäden mit der mythischen Denk- und Vorstellungsart verknüpft. Man braucht nur zu erwägen, welche Bedeutung die Metapher für sie hat, um sich diesen Zusammenhang deutlich zu machen. Alles Sprechen ist in gewissem Sinne an die Metapher gebunden; wollten wir der Sprache ihren Gebrauch verbieten, so würde sie damit aufhören, lebendige Sprache zu sein und sich in ein abstraktes Zeichensystem verwandeln. Und nicht nur im Gebrauch der Sprache, sondern auch in den primitiven Anfängen der Sprach-»Theorie«, d. h. in der ersten Reflexion über ihr Wesen und ihren Ursprung, tritt diese Verbindung hervor. Es dauert lange Zeit, ehe das Wort in seiner rein signifikativen Funktion erfaßt wird. Ursprünglich erscheint es als selbständige, für sich bestehende Substanz, und diese Substanz ist von geheimnisvollen magischen Kräften erfüllt. Das Wort gilt als die ursprüngliche Kraftquelle, von der sich die Kräfte der Natur ableiten. In primitiven Mythen wird ihm die Rolle der Weltschöpfung übertragen: Das Sein der Götter wie das Sein der Menschen und der Dinge ist aus ihm hervorgegangen.8 Aber daß die Sprache hierbei nicht stehenbleibt, ist ersichtlich. Je weiter sie fortschreitet, um so mehr entringt auch sie sich der Herrschaft der mythischen Phantasie. Das einzelne Wort wird jetzt nicht mehr als ein Seiendes, mit eigenen selbständigen Kräften Begabtes gedacht, sondern es wird auf seinen Zusammenhang im Ganzen der Rede geachtet, und dieser letztere ist es, der als der eigentliche »Sinn« der Sprache erscheint. Die syntaktische Gliederung des sprachlichen Satzes will einen bestimmten Sachverhalt zum Ausdruck bringen, und dieser stellt sich nicht in einem einzelnen, Gegenständlichen dar, sondern in einer komplexen, in sich gegliederten Beziehung. Sobald die Sprache in | dieser Weise zum reinen Beziehungsausdruck wird und sobald sie die ihr eigentümliche »Dar stellungsfunktion« vollständig und systematisch ausbildet, ist sie nicht nur über den Kreis der mythischen Phantasie, sondern selbst über den der sinnlichen Vorstellung hinausgelangt.

8 Näheres hierüber in meiner Schrift: Sprache und Mythos, S. 37 ff. [ECW 16, S. 266 ff.].

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Wenden wir uns nun von diesen vorbereitenden Betrachtungen dem eigentlichen Problem Hägerströms, dem Verhältnis von Recht und Mythos zu, so werden wir hier ein ähnliches Verhältnis erwarten dürfen. Daß auch das Recht im Mythos wurzelt und daß es sich aus ihm genetisch entwickelt hat, kann kaum bezweifelt werden. Und die Analogien mit der Sprache drängen sich auch hier überall auf. Das zeigt sich vor allem an dem Rechtsformalismus, der um so starrer und strenger wird, je ältere Schichten der Rechtsentwicklung wir betrachten. Wie im mythischen und religiösen Gebrauch der Sprache, wie im Gebet und in der Anrufung der Götter die Regel gilt, daß beides nur wirksam werden kann, wenn es sich in genau vorgeschriebenen Formen vollzieht – wie jede Auslassung oder Umstellung eines Wortes die Kraft des Anrufs zerstört,9 so gilt das gleiche ursprünglich auch für jede rechtliche Handlung. Sie erlangt ihre »bindende« Kraft erst dadurch, daß sie sich bestimmter vorgeschriebener sprachlicher Wendungen bedient und daß sie diese mit den entsprechenden, streng formelhaften Handlungen begleitet. Hägerström hat diesen Sachverhalt in seinem Werk über den römischen Obligationsbegriff an einer Fülle von Einzelheiten dargelegt und erläutert. Bei dem ältesten rechtsbegründenden zivilen Akt – dem per aes et libram – stellte man sich, wie er ausführt, wirklich vor, daß ein unsichtbares Band konstituiert wurde, womit der Rechtsempfänger an der Sache oder Person festhielt. Für das Zustandekommen dieses »unsichtbaren« Bandes aber ist es unerläßlich, daß sich in der sichtbaren Welt eine Reihe von Vorgängen in ganz bestimmter Folge abspielt, daß bestimmte Worte gesprochen und gewisse Handgriffe vorgenommen, z. B. ein Kupferstück auf die Waage geworfen werden mußte. »Da der Akt per aes et libram mit seiner Fähigkeit, eine Wirkung hervorzurufen, die der bei der Weihung eines Gebäudes für einen Gott entsprach, selbst aus symbolischen Handlungen und dem Aussprechen von verba sollemnia besteht, ergibt sich der Schlussatz von selbst, dass es sich auch hier um ein Hervor | zaubern der Wirkung handelte.«10 Ich leugne diese Auffassung keineswegs, sofern sie lediglich auf bestimmte historische Wurzeln der Rechtsbegriffe hinweisen will. Aber auch hier erhebt sich die Frage, ob der Einblick in die genetischen Anfänge der Kultur uns auch den Einblick in die Bedeutung der verschiedenen Kulturfunktionen verschaffen kann. Wenn sich im 9 Für den Kreis der römischen Religionsgeschichte vgl. hierzu die Beispiele und Belege, die Eduard Norden gegeben hat: Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Leipzig/Berlin 1913. 10 Der römische Obligationsbegriff (§ 3), S. 35 ff. [Zitat S. 36].

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Lauf der Entwicklung ein charakteristischer Bedeutungswandel vollzieht, so ist dieser Schluß offenbar nicht zwingend; es handelt sich dann nicht nur darum, was diese Funktionen, was die Sprache, die Kunst, das Recht ursprünglich gewesen sind, sondern was sie kraft dieses Bedeutungswandels geworden sind. In der Sprache können wir den Fortgang von dem anfänglich magischen Sinn des Wortes zu seiner reinen Darstellungsfunktion, und damit zu einer »objektiven« Auffassung, deutlich verfolgen. Läßt sich im Gebiet des Rechts eine analoge Tendenz aufweisen? Mir scheint, daß wir diese Frage bejahen müssen, auch wenn wir uns lediglich auf dasjenige rechtsgeschichtliche Material stützen, das Hägerström selbst beigebracht und auf das er seine Auffassung gegründet hat. Hägerström verfährt als Rechtshistoriker fast wie ein Geologe, der es mit der Geschichte der Erde zu tun hat. Wie dieser sich nicht bei dem heute gegebenen Zustande der Erde begnügt, sondern ihre Vergangenheit erforschen, wie er einen Einblick in die Aufeinanderfolge ihrer einzelnen Schichten gewinnen und schließlich zu der ältesten Schicht zurückdringen will, so will Hägerström sozusagen eine »Formationskunde« des Rechts geben. Und er kommt zu dem Resultat, daß die Unterschicht und die eigentlich tragende Urschicht des Rechts nicht in dem zu suchen sei, was die Rechtsdokumente uns unmittelbar zu erkennen geben, sondern daß wir, um den Sinn dieser Dokumente wahrhaft zu verstehen, auf ihre mythische Wurzel zurückgehen müssen. Aber auch wenn dies zutrifft, so ist doch damit nur ein bestimmter Ausgangspunkt der Rechtsbegriffe bezeichnet, nicht aber das Ganze ihres möglichen »Sinnes« getroffen; denn gerade die ständige Umgestaltung dieses Sinnes und die bei ihr wirksamen Motive bilden das eigentliche Problem. Hägerström erklärt wiederholt, daß schon für die klassische römische Jurisprudenz die ursprüngliche mythische Bedeutung bestimmter Rechtsbegriffe verdunkelt gewesen sei. Er unterscheidet einen »ursprünglichen Sinn« der Begriffe ius, iustum, iniuria von ihrem »späteren Sinn«. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs »ius« ist nach | ihm eigentlich die übernatürliche Kraft, durch Reinheit von Befleckung mit Todeskeimen charakterisiert, also eine mystische Le benskraft. Aber diese Bedeutung verblaßt mehr und mehr; es findet eine »Bedeutungsentwicklung« statt, durch welche der innige Zusammenhang zwischen dem ius, iustum etc. und der mythisch-religiösen Sphäre relativ gelöst wird.11 An anderer Stelle spricht Hägerström davon, daß wir in den uns vorliegenden Rechtsquellen nur noch ein 11

A. a. O., S. 555 ff.

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»verblasstes Überbleibsel« der ursprünglichen mystischen Grundanschauung zu erkennen vermöchten12 oder daß die Ausdrucksweise der klassischen Juristen uns nicht täuschen dürfe, da sie »durch einen dem System selbst fremden Überbau beeinflusst« sei.13 Aber diese soziologische Kategorie des »Überbaus« lehrt uns nichts über die Möglichkeit ebendieses Überbaues selbst und über seine ideellen Bedingungen. Die Tatsache, daß schon den klassischen römischen Juristen der mystische Ursprung einzelner ihrer fundamentalen Begriffe nicht mehr bewußt oder daß er für sie verdunkelt war, darf ja nicht rein negativ, sondern sie muß zugleich positiv gewertet werden. Hier liegt offenbar kein bloßes »Vergessen«, sondern eine Umformung vor, die einen neuen Gehalt an Stelle des alten setzt. Und eben das »Warum« dieses Neuen gilt es zu verstehen. Ich glaube, wir können dieses Warum nur erfassen, wenn wir nicht die Rechtsgeschichte allein befragen, sondern eine Verallgemeinerung des Problems versuchen – wenn wir uns den Gang der Kulturentwicklung als Ganzes verdeutlichen. Denn hier finden wir überall, daß die Richtung vom »Mystischen« zum »Symbolischen« und »Ideellen« geht; daß die mythische Hypostase allmählich durch die Erkenntnis von »Prinzipien«, von Regeln, von Grundsätzen, von *ποθσεις verdrängt wird. Versuchen wir uns dies vorerst an der Entwicklung des griechischen Denkens zu vergegenwärtigen; denn dieses hat nach Hägerström an der Ausbildung des Systems der römischen Jurisprudenz einen entscheidenden Anteil gehabt. Seine Auffassung vom Grundcharakter dieses Systems wird dadurch freilich nicht verändert. Denn die griechische Philosophie ist ihm selbst kaum etwas anderes als eine Kette metaphysischer und somit »abergläubischer« Vorstellungen. Bei Thales, bei Anaximander, bei Heraklit und weiterhin bei Platon, bei | Aristoteles, bei den Stoikern: überall findet er den Einfluß des »primitive[n] Animismus«.14 Nun braucht irgendein Einschlag mythischer Motive bei all diesen Denkern nicht bestritten zu werden. Er war, geschichtlich gesehen, unvermeidlich; denn er ergab sich aus der spezifischen Aufgabe, die das griechische Denken zu erfüllen hatte. Auch dieses Denken ist nicht aus dem Nichts erwachsen; es konnte nicht mit rein begrifflichen Konstruktionen beginnen, sondern mußte sich aus der Anschauung nähren, die in der Epoche des Griechentums nicht rein empirische, sondern mythische Anschauung war. Aber die wesentliche und die eigentlich »klassische« Leistung des griechischen 12 13 14

A. a. O., S. 295. A. a. O., S. 598 f. [Zitat S. 599]. A. a. O., S. 278 ff. [Zitat S. 278 f.].

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Denkens besteht darin, daß es dem Mythos, an den es überall anknüpfen muß und in den es noch vielfältig verstrickt ist, gewissermaßen Schritt für Schritt Boden abgewinnt. Mitten im Kreise desselben bereitet sich jetzt die entscheidende Umbildung vor. Die Größe der Pythagoreer liegt nicht in dem, was sie über den mystisch-magischen Charakter der Zahlen lehren. Sie liegt darin, daß sie die Zahl als reines Erkenntnisprinzip entdecken und daß sie von hier zu dem Gedanken der Arithmetik als theoretische Wissenschaft fortschreiten. Auch die Leistung, die Euklid in der Systematisierung der Geometrie vollbracht hat, wäre ohne die philosophische Arbeit Platons und der Platonischen Akademie nicht möglich gewesen. Was die Griechen entdeckt haben, ist somit die reine »Form« der theoretischen, der deduktiven Wissenschaft überhaupt, und ihre Logik und Dialektik dient diesem Ziele. Aber sie sind hierbei nicht stehengeblieben; sie haben in ihrer Medizin auch das erste Musterbild einer streng empirischen Wissenschaft aufgestellt. Die Hippokratische Medizin verdrängt die magische: Sie zuerst weiß die Krankheiten an ihren natürlichen Merkmalen zu erkennen und sie aus ihren natürlichen Ursachen zu erklären, statt sie auf dämonisch-göttliche Kräfte zurückzuführen. Die Römer haben diesen großen theoretischen Leistungen nichts Gleichwertiges an die Seite zu stellen, denn ihr Denken bewegt sich nicht im Kreise der reinen Betrachtung, der theoretischen Spekulation. Aber statt dessen erfassen sie eine andere und neue Aufgabe. Sie suchen die Einheitsforderung, der die Griechen in der Anschauung des Seins genügen wollten, im Reich des Handelns zur Geltung zu bringen. Und dadurch werden sie zu den ersten Logikern des Rechts. Der Stoff des römischen Rechts nährt sich, wie Hägerström an mannigfachen Beispielen – am | Beispiel des römischen Obligationsbegriffs, der römischen Spezieslehre usf. – erwiesen hat, aus mythischen Quellen. Aber was aus ihnen nicht hergeleitet und nicht erklärt werden kann, ist die Form, in die dieser Stoff hier eingeht. Denn diese Form steht unter der Herrschaft eines neuen Prinzips, des Prinzips der Identität und des Widerspruchs. Das primitive Denken kennt dieses Prinzip nicht; ja, man hat es geradezu als ein charakteristisches Kennzeichen desselben angesehen, daß es ein mystisches und »prälogisches« Denken ist, das sich nicht, wie das unsere, verpflichtet, sich des Widerspruchs zu enthalten.15 Und dieser Zug tritt noch deut15 Lucien Lévy-Bruhl, Les fonctions mentales dans les sociétés inférieures, Paris 1910 (Travaux de l’année sociologique); deutsche Ausg. unter dem Titel: Das Denken der Naturvölker, übers., hrsg. u. eingel. v. Wilhelm Jerusalem, Wien/ Leipzig 1921, S. 57 ff.

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licher als in der theoretischen Auffassung der Welt im Kreise des Handelns hervor. Der primitive Mensch sieht sein Handeln von allen Seiten eingeschränkt; er stößt überall auf übernatürliche Kräfte, die es hemmen und vernichten können. Um sein Ziel erreichen zu können, muß er diese Mächte für sich zu gewinnen, muß er sie durch Gebet oder Opfer günstig zu stimmen suchen. Aber diese Art der Abwehr oder der Versöhnung kann nicht nach allgemeinen Richtlinien erfolgen und nicht durch einheitliche Regeln umfaßt werden. Denn die dämonischen Kräfte, von denen der Mensch sich umgeben und denen er sich ausgeliefert sieht, sind unübersehbar vielfältig, und jede von ihnen ist launisch und wetterwendisch. In der polytheistischen Götterwelt liegen nicht nur die einzelnen Götter miteinander in ständigem Streite; sondern auch der Einzelgott, der »Sondergott« besitzt hier anfangs noch keine Persönlichkeit im strengen Sinne, keinen einheitlichen, in sich konsequenten »Charakter«.16 Zwischen all diesen Gewalten wird der Mensch gleichsam hin- und hergerissen; denn jede von ihnen tritt mit verschiedenen, oft diametral widerstreitenden Forderungen an ihn heran. Das Recht jedoch – in dem Sinne, in dem die Römer es verstehen und aufbauen – will ebendiesen Widerstreit beseitigen. Es stellt ein Ganzes von Geboten auf, die, wenigstens der Grundintention nach, miteinander zusammenhängen sollen – wenngleich dieser Zusammenhang nicht von Anfang an besteht, sondern erst durch gedankliche Arbeit herzustellen ist. Die Rechtsprechung sieht sich vor ganz bestimmte | konkrete Einzelfragen gestellt, die sie in ihren besonderen Bedingungen zu berücksichtigen hat. Aber nachdem einmal durch den Richterspruch eine Entscheidung über sie gefällt ist, wirkt sie über den bloßen Einzelfall, auf den sie sich bezog, hinaus. Das Urteil des Richters greift gewissermaßen in die Zukunft: Es »präjudiziert« die künftigen Fälle. Das Edikt des Prätors, das anfangs der Lösung eines Sonderproblems galt, kann damit allgemeine rechtsbildende Kraft gewinnen. Eine der Grundforderungen der klassischen Jurisprudenz besteht darin, all diesen vielfältigen, von Tag zu Tag zuwachsenden Rechtsstoff nicht einfach als solchen hinzunehmen und ihn lediglich zu registrieren, sondern ihn zu sichten, zu prüfen, auf seine innere Widerspruchslosigkeit hin zu untersuchen. Auf dieses Postulat gestützt, suchen die Römer einen »Kosmos« des Rechts 16 Über das Verhältnis der »Augenblicksgötter« zu den »Sondergöttern« und »persönlichen Göttern« s. das religionsgeschichtliche Material bei Hermann Usener, Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Bonn 1896; vgl. meine Darlegungen in »Sprache und Mythos«, S. 14 ff. [ECW 16, S. 241 ff.].

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aufzubauen, wie die griechischen Naturphilosophen die Natur als Kosmos, als »Weltordnung« zu verstehen suchten. Daß sowohl die Naturbegriffe wie die Rechtsbegriffe hierbei nicht als fertige Schöpfungen, wie Athene aus dem Haupt des Zeus, entstehen konnten, daß sie vielmehr eine lange Vorgeschichte besitzen und durch Vermittlungen aller Art hindurchgehen, ist freilich unverkennbar. Auch in Griechenland ist der Logik, wie sie sich in Platons Dialogen zu gestalten beginnt und wie sie in den Aristotelischen Lehrschriften in geschlossener Form vor uns steht, ein Stadium vorangegangen, das man als das der »archaischen« Logik bezeichnen kann. Diese Vorstufe ist dadurch charakterisiert, daß in ihr das Denken noch keine wirkliche »Eigengesetzlichkeit« erlangt hat, sondern daß es durch tausend Fäden mit der Sprache verbunden und von ihr abhängig erscheint. Der »Logos« ist eine noch ungeschiedene Einheit von »Gedanke« und »Rede«. »[…] die ›archaische Logik‹«, so stellt Ernst Hoffmann den Sachverhalt dar, »[ist] noch gebunden an das Material, durch welches das philosophische Eidos zum Ausdruck kommen will: die Sprache. […] Das archaische Denken ist charakterisiert durch den Kampf um die Loslösung aus jener Gebundenheit, welche für das ›primitive‹ Denken noch etwas Endgültiges, für das ›klassische‹ schon etwas Abgetanes hat. Die Formen des primitiven Denkens tragen, wie Mythik, Mantik und Magie zeigen, in sich noch gar nicht die Möglichkeit einer Selbstbefreiung; das klassische rationale Denken der attischen Philosophie dünkt sich (sehr irrtümlich) schon wieder so immun gegen die abgetanen primitiven Formen, daß es sie in Dienst nimmt für Funktionen, die ihm selber nicht liegen. Die Cχα1οι aber […] sind es, die den Befreiungs | kampf selber kämpfen.«17 Daß dieser Befreiungskampf auch im Gebiet des Rechts zu kämpfen war und daß er hier vielleicht noch keineswegs als abgeschlossen anzusehen ist; dies gebe ich Hägerström durchaus zu. Aber auch hier dürfen wir nicht alle Unterschiede verwischen, indem wir im Begriff des Rechts als solchen einfach einen Rest »primitiven« Glaubens und Aberglaubens sehen. Denn selbst wenn wir in die religiösen Ursprünge des Rechts zurückgehen, so finden wir schon in ihnen einen bestimmten gedanklichen Kern, der sich deutlich von der bloß »animistischen« Vorstellungs- und Gefühlsweise unterscheidet. Die Römer denken freilich das Recht nicht einfach als einen Inbegriff menschlicher Satzungen, sondern sie denken es als ein von den Göttern Gegebenes und 17 Ernst Hoffmann, Die Sprache und die archaische Logik, Tübingen 1925 (Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, Bd. 3), S. VII f.

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Gebotenes. Es gibt für sie noch kein schlechthin selbständiges, kein »autonomes« ius; sondern alles ius, alles von Menschen geschaffene Recht hat seinen Ursprung im fas, im göttlichen Recht. »Im älteren römischen Recht«, so sagt Hägerström, »war fas, das göttliche Recht, vom ius, dem menschlichen Recht, nicht gesondert. Fast alle Rechtsgeschäfte scheinen hier eine religiöse Form besessen zu haben. Die Rechtspflege blieb damit eine religiöse Angelegenheit. […] Das Recht bestand ein für alle Mal mit göttlicher Autorität; es galt nur, von diesem an sich bestehenden Recht Kenntnis zu gewinnen.«18 Dieser Ausgangspunkt von Hägerströms Deduktionen läßt sich, wie mir scheint, weder mit historischen noch mit systematischen Gründen bestreiten. Aber es bleibt die Frage zurück, ob man hieraus den Schlußsatz ziehen kann, den er gezogen hat: ob man das Recht zu einem bloßen »Kräftekonglomerat« machen kann, das lediglich durch einen unberechtigten Anthropomorphismus zum Ausdruck eines einheitlichen »Willens« gemacht wurde. Nach Hägerström beruht der Bestand des Rechts auf einer Fülle ganz heterogener Faktoren. Religiöse Anschauungen, das sogenannte »Rechtsbewußtsein«, Klasseninteressen, die allgemeine Geneigtheit, sich den bestehenden Verhältnissen zu fügen, die Furcht vor Anarchie: all dies wirkt hier zusammen. Eine Analyse des Rechtsbegriffs kann nach ihm nichts anderes tun, als alle diese Faktoren aufzuweisen und sie in ihrer Wirksamkeit zu beschreiben. Die Aufgabe der Rechtspsychologie und Rechtssoziologie | könnte damit in der Tat erfüllt erscheinen; aber für eine eigentliche »Philosophie« der Kultur ist damit die Frage noch nicht erledigt. Denn für sie besteht das Grundproblem eben darin, wie es für den menschlichen Geist möglich war und auf Grund welcher Faktoren es ihm gelang, derart Widerstrebendes zu einer Art von Einheit zusammenzufassen. Diese Grund- und Urfunktion des συν$γειν ε&ς 4ν bildete schon für Platons Ideenlehre das eigentliche Problem, das sich seither in den verschiedensten Variationen durch die Geschichte der Philosophie hindurchzieht. Im logischen Begriff stellt sich dieses Problem in seiner rein abstrakten und reflektierten Form dar; aber wir begegnen ihm auch außerhalb desselben überall dort, wo überhaupt eine »Einheit des Mannigfaltigen« gesetzt oder angestrebt wird. Die reinen »Verstandesbegriffe«, die »Kategorien«, sind, nach 18 Till frågan om den objektiva rättens begrepp, S. 1 f. [»I den äldre romerska rättsordningen var fas, den gudomliga rätten, icke afsöndrad från jus, den mänskliga. Nästan alla rättstransaktioner synas ha haft religiös form. Rättsvården blef därmed en religiös angelägenhet. […] Nej, rätten bestod nu en gång i detta afseende med gudomlig auktoritet och var ej att ändra. Det gällde blott att få kunskap därom.«].

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Kants Definition, nichts anderes als die Mittel, mit deren Hilfe wir »Erscheinungen […] buchstabieren, um sie als Erfahrung lesen zu können«.19 Sie sind weder reale Gegenstände, noch sind sie »eingeborene Ideen«, und sie gehören demnach weder der »äußeren« noch der »inneren« Wirklichkeit an. Sie stellen vielmehr die logischen Bedingungen dar, unter denen jede »Synthesis« von Wahrnehmungen steht und kraft deren diese letztere erst ihre objektive Bedeutung gewinnt. Die Rechtsbegriffe haben die gleiche Aufgabe der »Synthesis« zu vollziehen, aber ihre Einheitsbildungen haben einen ganz anderen Charakter, da sie sich nicht auf eine Einheit von Wahrnehmungen, sondern von Handlungen beziehen. Und die Tendenz zu einer solchen Synthese ist den Rechtsbegriffen auch dort eigen, wo sie noch im »archaischen« Gewande, im Gewande religiöser Vorstellungen auftreten. Denn es gibt auch in der Religion einen inneren Fortgang, der sie über den Bereich des Magisch-Mythischen hinausführt.20 Hierdurch wird schon innerhalb ihrer selbst, und gleichsam auf ihrem eigenen Grund und Boden, ein neuer Naturbegriff wie eine neue, nicht mehr rein magische Fassung des Rechtsbegriffs vorbereitet. Fast alle großen Kulturreligionen sind in dieser Richtung fortgeschritten. Die Mannigfaltigkeit der Einzelgötter bleibt bestehen, und ihre Macht dauert fort; aber sie bilden nicht länger bloß einzelne, einander widerstreitende Potenzen, sondern sie beginnen sich selbst einer Ordnung einzureihen; sie stehen unter der Herrschaft eines obersten Gottes. Dieser oberste Gott erscheint, von der Natur aus gesehen, als der | höchste Himmelsgott; von der Menschenwelt aus gesehen als der gemeinsame »Vater der Götter und Menschen«. Im Kreise der indischen Religion wird diese Stufe durch die Konzeption des Dyaus pitar bezeichnet; in der griechischen und römischen Religion entspricht ihr die Vorstellung vom Ζε2ς πατ)C, von Jupiter oder Diespiter. Zeus und Jupiter sind Lichtgötter, die dem Dunkel, dem Chaos entgegengesetzt sind. Aber den Sieg über dieses Chaos vollziehen sie nicht nur als Naturpotenzen, sondern auch als sittliche Potenzen. Denn der oberste Lichtgott ist zugleich der Hüter des Rechts. Im indisch-iranischen Kreise sind Mithra und Varuna die Kräfte des Himmels, des Lichtes, der Sonne. Aber sie wachen zugleich über die Rechtsordnung; »[u]ntrüglich, schlaflos durchschauen sie alles, die offenbaren wie die verborgenen Taten der Menschen. Sie haben die Welt geordnet, allen [Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 257 (B 370 f.).] Näheres hierüber in meiner »Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil« (4. Abschn.: Die Dialektik des mythischen Bewußtseins), S. 287 ff. [ECW 12, S. 275 ff.]. 19 20

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Wesen ihre Stelle angewiesen und ihre Wege vorgezeichnet.« Der sprachliche Ausdruck für das Recht und der für die Ordnung der Natur ist, in den indisch-iranischen Quellen, noch nicht geschieden: Das Wort »Rita« bezeichnet ebensowohl die Anschauung einer Gesetzlichkeit, die in der Natur waltet, wie es die Rechtssatzung bezeichnet.21 Auch bei den Griechen ist Zeus, der höchste Himmelsgott, zugleich der Verwalter und Hüter des Rechts: Dike ist, nach Hesiod, »vom Geschlecht des Zeus«.22 Dies alles ist sicherlich »archaisch«; aber es ist nicht mehr primitiv-magisch, weil es eine Tendenz zum »Universalismus« zeigt, die dem magischen Tun, das auf eine Einzelwirkung ausgeht und das gewissermaßen »[v]erhaftet an den Körpern klebt«,23 fremd ist. Daß im übrigen die Rechtsbegriffe eine ganz andere Aufgabe zu erfüllen hatten als die Naturbegriffe und daß sie sich demgemäß in ihrer allgemeinen Struktur von den letzteren wesentlich unterscheiden, ist unbestreitbar. Aber es folgt hieraus nicht, daß ihnen keinerlei »Wirklichkeitsgehalt«, keinerlei objektive Bedeutung zukommt. Denn in welchem Sinne läßt sich überhaupt an Begriffe die Forderung stellen, daß sie mit der Wirklichkeit »übereinstimmen« sollen? Jeder Begriff will Begriff von etwas sein; er richtet sich auf einen bestimmten Sachverhalt, den er zum Ausdruck bringen will. Aber diese gegenständliche Intention besagt nicht, daß er irgendein Wirkliches unmittelbar abbildet. Die Abbildtheorie des Begriffs muß aufgegeben werden zu | gunsten einer reinen Funktionstheorie, 24 und vom Standpunkt dieser letzteren müssen wir sowohl den Zusammenhang zwischen den Natur- und Rechtsbegriffen wie ihren spezifischen Unterschied beurteilen. Dieser Unterschied ist nicht substantieller, er ist methodischer Natur. Er beruht nicht darauf, daß Naturbegriffe einen wirklichen »Gegenstand« besitzen, den sie unmittelbar nachbilden können, während es den Rechtsbegriffen an einem solchen Gegenstand fehlt. Begriffe als solche sind bestimmte Fragen, die die Erkenntnis an die Wirklichkeit richtet; und von der besonderen Richtung dieser Fragen hängt die Antwort ab, die wir auf sie erhalten. Die Naturbegriffe beziehen sich auf die Ordnung der empirischen Wahrnehmungswelt, auf die Ordnung des Existierenden in Raum und Zeit. Die Rechtsbegriffe wollen gleichfalls Erfahrungsbegriffe sein und für 21 Näheres hierzu bei Hermann Oldenberg, Die Religion des Veda, Stuttgart/Berlin 21917, S. 179 ff. [Zitat S. 185]. 22 [Hesiod, Opera et dies, in: Carmina, bearb. v. Alois Rzach, Leipzig 21908, S. 51–95: S. 66, V. 256: »∆κη ∆ι-ς κγεγαυ1α«.] 23 [Goethe, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil, S. 68.] 24 Vgl. oben, S. 68 f.

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die Erfahrung gelten; aber sie beziehen sich nicht unmittelbar auf die »Natur der Dinge«, sondern auf die soziale Erfahrung, für die sie nach einer Art »Ordnungsschema« suchen. Daß diesen verschiedenen Aufgaben, die die Naturbegriffe und die Rechtsbegriffe sich stellen, auch verschiedene Arten der Bestimmung und Gliederung entsprechen müssen, liegt auf der Hand. Es ist ein neues und bisweilen viel verwickelteres »Begriffsnetz«, das sich uns ergibt, wenn wir das Sein nicht nur seinem rein physischen Bestand nach betrachten, sondern es sub specie der Kategorien des Rechts sehen. Der verschiedene Blickpunkt nötigt uns in beiden Fällen, die Linien der Verbindung und Trennung ganz anders zu ziehen. Betrachten wir etwa einen Begriff wie den des »Besitzes«, so bezieht er sich auf körperliche Dinge, die der Naturforscher als solche kennzeichnet, die er in ihrem Sein und Sosein, als physikalisch-chemische Objekte, beschreiben kann. Aber die Rechtsbegriffe fügen dieser Beschreibung gewissermaßen eine neue Dimension hinzu. Indem sie nicht nur nach dem Gegenstand des Besitzes fragen, sondern die Frage nach seinem »Rechtstitel« aufwerfen, werden sie zu einer viel schärferen Differenzierung genötigt. Die römische Jurisprudenz unterscheidet etwa zwischen dem Eigentumsbesitzer, dem »Prekaristen«, dem Superfiziar, dem Pfandgläubiger, dem Sequester, dem Finder.25 So wird das, was wir die empirische »Wirklichkeit« nennen, in den Rechtsbegriffen in ganz anderer Weise erfaßt und klassifiziert, als es in der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung der Fall ist. Aber beides kann miteinander | bestehen, weil ein Begriff – mag es sich nun um einen theoretischen oder um einen praktischen Begriff handeln – in keinem Fall mehr ist als eine logische Ordnungsform, die offenbar verschieden sein kann und darf, wenn es sich um eine Form für wirkliche oder mögliche Wahrnehmungen auf der einen Seite, um eine Form für wirkliche oder mögliche Handlungen auf der anderen Seite handelt. Die Frage nach dem Begriff des »objektiven Rechtes«, die Hägerström in seiner rechtsphilosophischen Hauptschrift gestellt hat, mündet somit in ein viel umfassenderes und allgemeineres Problem ein. Man kann Hägerströms Lösung nicht verstehen, und man kann ihm als Kritiker nicht gerecht werden, ohne auf dieses Problem, als das eigentliche logische Zentrum, einzugehen. Was ist die logische Natur des Begriffs, und in welchem Sinne kann man ihm eine »objektive« Bedeutung beimessen? Die Antwort, daß die Wahrnehmung das einzige unmittelbare Wirklichkeitskriterium bilde und daß, ihr gegen25 Vgl. Heinrich Dernburg, Pandekten, Bd. I: Allgemeiner Theil und Sachenrecht, 3., verb. Aufl., Berlin 1892, S. 402 f.

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über, dem Begriff in jedem Fall nur eine sekundäre und abgeleitete Funktion zukommen könne, wird von Hägerström unbedingt verworfen. Wenn er somit den Rechtsbegriffen die objektive Gültigkeit bestreitet, so geschieht das sicher nicht aus dem Grunde, daß sie All gemeinbegriffe sind und als solche keinen unmittelbaren Zugang zur Wirklichkeit haben können.26 Seine Polemik stützt sich vielmehr auf die genau entgegengesetzte erkenntnistheoretische Grundansicht. Er verwirft die Rechtsbegriffe, weil sie sich niemals zu derjenigen Stufe der Allgemeinheit erheben können, die die theoretischen Begriffe kennzeichnet, weil sich in ihnen, unter dem Schein von Begriffen, nur gewisse Gefühle und an sie geknüpfte Assoziationen verbergen. Was besagt z. B. ein juristischer Begriff wie »Eigentum«? »Ohne darüber nachzudenken, lassen wir uns auf dem Gebiet der praktischen Erkenntnis durch Vorstellungen beherrschen, die mit der magischen Anschauungsweise sehr nahe verwandt sind. […] Was bedeutet privates Eigentumsrecht? Suchen wir festzustellen, was bei seinem Vorhandensein wirklich beobachtet werden kann, so finden wir nichts anderes als gewisse soziale Regeln, die relativ allgemein durchgeführt werden. […] Aber das allgemeine Bewusstsein und, hierauf gestützt, die Rechtswissenschaft schieben zwischen die Rechtsfakta – Kauf, Testament usw. – und die Anwendung der sozialen Regeln ein Recht, das durch die Rechtsfakta erworben werde: das Eigentumsrecht im gewöhnlichen Sinne des Wortes. […] Wenn mir | das Eigentum[srecht] an einem Apfel zusteht, so bedeutet dies […] dass mein Geist die Möglichkeit hat, den Apfel zu essen. Der Ursprung dieser mystischen Vorstellungsweise liegt zweifellos in stark entwickelten Kraftgefühlen bei der Verteidigung einer gewissen Position, z. B. wenn man als erster von einem bisher nicht okkupierten Gegenstand Besitz ergriffen hat. Solche Kraftgefühle wecken die Vorstellung von objektiven Kräften, die unabhängig von dem Wahrnehmbaren fungieren. Indes ist es klar, dass damit die Rechtsfakta auch mit einer ausgesprochen mystischen Kraft ausgestattet werden.«27 Ich will hier die Frage nicht aufwerfen, wieweit Hägerström mit seiner psychologischen Ableitung des Begriffs des »Eigentums« im Rechte ist. Es bedürfte sehr umfangreicher psychologischer und soziologischer Einzeluntersuchungen, um auf diese Frage eine befriedigende Antwort zu geben. Aber das logisch-erkenntniskritische Problem, die Frage nach dem Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz, 26 27

Zur Realität der Allgemeinbegriffe bei Hägerström vgl. oben, S. 43 ff. Vergleich zwischen den Kraftvorstellungen, S. 83 f.

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liegt an einer anderen Stelle. Es besteht nicht darin, ob so etwas wie »Eigentum« in der Wirklichkeit, als eines ihrer Bestandstücke, aufzufinden ist. » Realität« soll ja nach Hägerström nichts anderes als Bestimmtheit besagen, und diese Bestimmtheit führt auf den Gedanken der durchgängigen und widerspruchslosen Verknüpfung zurück. Die theoretischen Begriffe gehen von dem Postulat einer solchen widerspruchslosen Ordnung der Wahrnehmungswelt aus; aber die Erfüllung dieses Postulats ist auch für sie eine schwierige Aufgabe, die die Erkenntnis niemals im »absoluten« Sinne zu lösen vermag. Die Gefahr, daß die Einheit, die die Erkenntnis gestiftet zu haben glaubt, zerbricht, bleibt stets bestehen. Auch die exakten Wissenschaften sind gegen diese Gefahr keineswegs gesichert. Die mathematischen Begriffe galten jahrhundertelang als Prototyp aller Gewißheit; sie erschienen auf einer »unmittelbaren Evidenz« gegründet. Erst die Entwicklung des mathematischen Denkens im 19. und 20. Jahrhundert hat uns darüber belehrt, daß auch die Mathematik von »Grundlagenkrisen« nicht verschont ist, daß auch in ihr »Paradoxien« und »Antinomien« auftreten können. Die Physik glaubte ihren inneren Abschluß erreicht zu haben, als es ihr gelang, alle Naturphänomene durch ihre Reduktion auf mechanische Phänomene aus einem Prinzip zu erklären. Aber auch hier erwies sich dieser Abschluß als verfrüht. Die Phänomene der Optik und Elektrodynamik ließen sich den Gesetzen der Mechanik nicht wider | spruchslos einreihen. Die moderne Physik mußte die Annahme, daß alle physikalischen Vorgänge sich vollständig auf Bewegungen einfacher Massenpunkte zurückführen lassen, aufgeben und ihr System auf einer neuen Grundlage zu errichten suchen. Es gibt also, selbst für die Naturwissenschaft, niemals eine absolute, sondern immer nur eine relative Bestimmtheit des Wirklichen: eine Bestimmtheit, die durch andere, umfassendere Einheitssetzungen ersetzt und überboten werden kann. Die einzelne Wahrnehmung wird hierdurch in ihrem Wirklichkeitsanspruch nicht entwertet, aber sie wird nicht länger als »an sich« gültig erklärt, sondern ihre Gültigkeit wird auf einen begrenzten Kreis beschränkt. Wenn behauptet wird, daß der Inhalt eines Traumes der Wirklichkeit nicht »entspricht«, so wird damit – wie auch Hägerström betont28 – die Existenz dieses Inhalts keineswegs aufgehoben; es wird nur erklärt, daß dieser Inhalt nicht für sich, sondern nur in Beziehung auf das phantasierende Bewußtsein besteht, wie es unter den bestimmten physiologischen Bedingungen eines Traumes gegeben ist. Der Weg der objektiven Erkenntnis geht also von engeren zu weiteren und 28

Botanisten och filosofen, S. 54.

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schließlich zu universalen Einheitsbildungen fort, wobei aber die äußerste Grenze immer nur intendiert, niemals endgültig erreicht wird.29 Auch für die Rechtsbegriffe können wir nach keinem anderen Kriterium suchen. Auch sie können sich nur dadurch »bewähren«, daß es ihnen gelingt, innerhalb ihrer Sphäre die gleiche Leistung zu vollbringen, die die naturwissenschaftlichen Begriffe gegenüber der Wahrnehmungswelt zu erfüllen haben – daß sie also von einem relativ engen Kreis zu immer weiteren Kreisen fortschreiten und diese letzteren zu beherrschen und zu »organisieren« vermögen. Sie setzen zunächst in einem ganz bestimmten, eng abgegrenzten Gebiet ein, über das sie nirgends hinausblicken. »Recht« gibt es nur innerhalb einer ganz bestimmten Gemeinschaft, innerhalb der Sippe, des Stammes usf. Wer außerhalb dieses Verbandes steht, steht damit eo ipso auch außerhalb des Rechtes; ihm gegenüber hört aller soziale Schutz und alle soziale Verbindlichkeit auf. Aber mit der Erweiterung der sozialen Verbände und mit den neuen Aufgaben, die diese Erweiterung in sich schließt, setzt auch hier eine Entwicklung ein, die das »Rechtsbewußtsein« ebenso wie das theoretische Bewußtsein über seine anfänglichen Schranken hinausdrängt. Auch hier müssen jetzt Set | zungen, die bisher »absolut« galten, relativiert oder sogar völlig aufgegeben und ausdrücklich aufgehoben werden. Die Blutrache ist, innerhalb des Sippenverbandes, nicht nur Recht, sondern Pflicht; sie ist der stärkste Ausdruck der Gemeinschaft, durch welche die einzelnen Glieder der Sippe miteinander zusammengehalten werden. Aber dieses »Recht« schlägt in sein Gegenteil um, sobald ein anderes und weiteres soziales »Bezugssystem« erreicht ist. An seine Stelle müssen jetzt andere Rechtsbegriffe und andere Rechtsmittel treten: Die Blutrache wird durch ein »Wergeld« ersetzt, und sie wird schließlich durch die staatliche Strafe völlig verdrängt. Mommsen faßt den Weg der Rechtsentwicklung dahin zusammen, daß er »von der Selbstverteidigung und der Selbstrache zum Gesamtschutz und zur staatlichen Strafe«30 gehe. Wenn das römische Recht diesen Weg beschritten und wenn es ihn konsequent weiterverfolgt hat, so ist es eben damit über seine mythische Gebundenheit hinausgelangt. Es vermochte sich zu einer Anschauung zu erheben, kraft deren die anfängliche Enge des bäuerlichen Rechtes sich zum Staatsrecht erweitern und schließlich in ein »Weltrecht« übergehen konnte. Im Gedanken der Rechtssystematik Vgl. hierzu oben, S. 72 ff. [Theodor Mommsen, Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker, Leipzig 1905, S. 2.] 29 30

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vollziehen die Römer eine neue große Synthese, die in gewissem Sinne der griechischen Anschauung des »Naturgesetzes«, wie sie sich seit Leukipp und Demokrit herausarbeitet, gleichwertig und ebenbürtig zur Seite tritt. »Realität« soll nach Hägerströms eigener Definition nichts anderes als Bestimmtheit bedeuten; der Weg zu ihr wird also, in der praktischen wie in der theoretischen Erkenntnis, vom Unbestimmten zum Bestimmten, vom 'πειCον zum πCας, vom Partikularen zum Universalen führen müssen. Die Richtung dieses Weges läßt sich deutlicher aufzeigen, wenn wir das Recht nicht nur in seinem Verhältnis zum Mythos, sondern auch in seinem Verhältnis zur Sprache betrachten. Das Recht ist zwar, genetisch betrachtet, aufs engste mit dem Mythos verbunden; aber es scheint niemals völlig in ihm aufzugehen. Es grenzt sich einen Bezirk des »Profanen« ab, innerhalb dessen es sich relativ frei und selbständig bewegt. Aber es gelangt damit freilich noch zu keiner wahrhaften »Autonomie«. Wenn es sich allmählich der unbedingten Herrschaft des Mythos entringt, so gerät es damit um so stärker unter die Herrschaft einer anderen Macht: unter die Macht der Sprache. Denn es bedarf der Sprache, um sich in seiner Eigenart zu konstituieren, um sich von Sitte und Brauch allmählich loszuringen. Sitte und Brauch | bestehen, ohne daß dieser Bestand einer expliziten Formulierung bedarf. In ihnen walten die »ungeschriebenen Gesetze«, denen man folgt, weil sie von jeher gegolten haben und weil sie in dieser ihrer Ewigkeit und Unveränderlichkeit ihren göttlichen Ursprung bezeugen. Aber in dem Moment, wo der Staat mit neuen selbständigen Forderungen auftritt und wo er die mythisch-religiösen Bindungen zu lockern beginnt, muß das Recht eine andere Gestalt annehmen. Es gilt nur, sofern es vom Staat festgestellt und verkündet wird. Die 'γCαφοι ν µοι weichen damit dem positiven Recht, das in der Form von Sprache und Schrift niedergelegt und an diesen Akt der Verkündigung gebunden ist. Schon etymologisch scheint sich dieser Zusammenhang zwischen Sprache und Recht aufweisen und verfolgen zu lassen. Der griechische Ausdruck der ∆κη hängt mit dicere zusammen; ebenso wie fas mit fari zusammenhängt. Aber indem das Recht in den Bereich der Sprache eintritt und sich in ihre Formen kleidet, hat es damit auch einen neuen Weg der Objektivierung beschritten. Auf den ersten Blick könnte es freilich scheinen, daß die Abhängigkeit von der Sprache eine bloße Fessel ist. Sie macht sich um so stärker bemerkbar, und sie wird um so drückender, in je ältere Epochen der Rechtsentwicklung wir zurückgehen. Denn hier gilt noch die Bindung aller Rechtsgeschäfte an eine starre sprachliche Formel. So müssen z. B. bei der mancipatio nicht nur bestimmte Riten sorgsam beobachtet, sondern

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es müssen auch bestimmte Reden gewechselt werden, und die Gültigkeit des Akts hängt davon ab, daß diese Reden sich an die genau vorgeschriebene Fassung halten. Und doch steht diesem negativen Moment auch ein positives Moment gegenüber. Denn der sprachliche Ausdruck des Rechts gibt ihm zugleich eine neue Bestimmtheit. Der eigentliche Gehalt der Sprache stellt sich nicht im Wort, sondern im Satz dar. Sie muß vom Wort zum Satz, vom 8πος zum λ γος fortgehen, um zu ihrer eigentlich »logischen« Leistung zu gelangen – um zur Darstellung von Sachverhalten zu werden. Eine besonders charakteristische Form nimmt diese Leistung an, wenn der sprachliche Satz sich zum Ausdruck der rechtlichen »Satzung« macht. Erst auf Grund einer solchen läßt sich die Vielheit, die Disparatheit und der Widerstreit der einzelnen Interessen überwinden. Sie haben sich jetzt dem Richtspruch und Urteilsspruch zu fügen – einem Spruch, der, einmal gefällt und rechtskräftig geworden, eine Art von Endgültigkeit für sich in Anspruch nimmt, die durch individuelle Willkür nicht mehr anzutasten ist. Wenn das Recht | in seinem Gefühlsgrund mit dem Mythos zusammenhängt, so erlangt es durch seinen Zusammenhang mit der Sprache erst einen bestimmten gedanklichen, einen objektiv fixierbaren Gehalt. Aber hier, wo wir uns nicht im Gebiet des Wahrnehmens und Vorstellens, sondern im Gebiet des Handelns befinden, ergibt sich zugleich eine neue Bedeutung und Leistung der Sprachbegriffe. Sie haben jetzt nicht bloß die Aufgabe, bestimmte gegebene Sachverhalte darzustellen, sondern sie müssen gewissermaßen in eine andere zeitliche Dimension hinausgreifen. Das »Sprechen« soll nicht einfach einen hier und jetzt gegebenen Tatbestand festhalten und als solchen zum Ausdruck bringen, sondern es richtet sich auf die Zukunft: Es wird zum »Versprechen«. Die Voraussetzung, daß das einmal gegebene Wort bindet, daß es dem Tun eine bestimmte Richtung vorschreibt, ist eine der Quellen, aus der das »Rechtsbewußtsein« fließt. Wenn wir dieses Bewußtsein zu zergliedern und es in seinem spezifischen Sinn zu erfassen suchen, so stoßen wir immer auf dieses Element. Das Naturrecht hat als den Grund aller staatlichen und sozialen Ordnung den Pakt angesehen, den die einzelnen Individuen untereinander schließen, und der Grundsatz: pacta sunt servanda, gilt ihm als oberstes Rechtsprinzip. Sofern damit eine genetische Erklärung vom Ursprung des Rechts gegeben werden sollte, sofern der Vertrag als ein historisches Faktum angesehen wurde, war diese Anschauung leicht zu widerlegen. Aber Kant, der im ganzen an der Problemstellung des Naturrechts festhält, macht hier einen scharfen methodischen Unterschied. Der »ursprüngliche Vertrag« als Koali-

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tion jedes besonderen und Privatwillens in einem Volk zu einem gemeinschaftlichen und öffentlichen Willen ist, wie er betont, »[…] keinesweges als ein Faktum vorauszusetzen nötig (ja als ein solches gar nicht möglich); gleichsam als ob allererst aus der Geschichte vorher bewiesen werden müßte, daß ein Volk, in dessen Rechte und Verbindlichkeiten wir als Nachkommen getreten sind, einmal wirklich einen solchen Aktus verrichtet […] haben müsse, um sich an eine schon bestehende bürgerliche Verfassung für gebunden zu achten. Sondern es ist eine bloße Idee der Vernunft, die aber ihre unbezweifelte (praktische) Realität hat: nämlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes haben entspringen können […]«31 Der Schwer | punkt des Problems verschiebt sich damit von der Wirklichkeit des Vertrags nach seiner »Möglichkeit«. Wie die theoretische Philosophie die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, als wissenschaftliche Erfahrung, zu untersuchen hat, so hat es die praktische Philosophie mit den Bedingungen der Möglichkeit der Rechtserfahrung und der sozialen Erfahrung zu tun. Und hierfür wird vom Naturrecht die Fähigkeit des »Versprechens« in Anspruch genommen und als ein oberstes Prinzip erklärt. Niemand wird heute die Lösung, die hier dargeboten wird, einfach übernehmen und gutheißen wollen – aber daß das Naturrecht ein echtes philosophisches Problem gestellt hat, braucht nicht bestritten zu werden. Es ist unmöglich, aus irgendeinem »ursprünglichen Vertrag« die Substanz des Rechtes und den Inhalt der positiven Rechtssatzungen herzuleiten. Aber andererseits muß zugestanden werden, daß alle Rechtsordnung zu ihrem Bestande jener eigentümlichen Funktion bedarf, die das Naturrecht mit dem Begriff des Vertrages zu bezeichnen versucht. Solange der Mensch einfach in der Gegenwart lebt und in seinem Tun lediglich der Gewalt der gegenwärtigen Eindrücke unterliegt, kann es für ihn zwar etwas wie eine Bindung an Brauch und Sitte geben – denn diese stehen selbst als unmittelbar gegenwärtige Mächte vor ihm, die ihn umfangen und sein gesamtes Vorstellen und Wollen in eine bestimmte Richtung zwingen –, aber der Gedanke einer Rechtsordnung im strengen Sinne kann hier noch nicht auftreten. Diese entsteht erst, wenn das Denken sich dazu erhebt, das hier und jetzt Gesetzte über den einzelnen Moment der Setzung zu erweitern und es, im Prinzip, über die 31 Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Werke, Bd. VI, hrsg. v. Artur Buchenau, Ernst Cassirer u. Benzion Kellermann, S. 355–398: S. 380 f. (Akad.-Ausg. VIII, 297).

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Zukunft auszudehnen. Die Bestimmbarkeit der Zukunft durch die Gegenwart und die Verbindlichkeit dessen, was die Gegenwart beschlossen hat, für die Zukunft ist ein Moment, das in jede »mögliche Gesetzgebung« eingeht. Das Recht als Kulturfaktum beruht auf dieser Antizipation, auf der Vorwegnahme der Zukunft in der Gegenwart. Ohne diesen eigentümlichen »Fernblick« hätte der Mensch keine rechtliche Ordnung und keine soziale Ordnung aufzubauen vermocht. Das Recht – so betont Hägerström selbst – ist unleugbar eine Bedingung der Kultur, »[o]hne dasselbe hätte[…] [der Mensch sich] niemals [über das Tier erheben und sich] die Herrschaft gegenüber anderen Gattungen erkämpfen können.«32 Aber dies beruht eben darauf, daß im Recht wie in der Sprache eine eigen | tümliche Funktion der Objektivierung waltet – daß sich in beiden der Mensch zu einer Stufe gegenständlicher Anschauung erhebt, die dem Tier, daß in seinen unmittelbaren Eindrücken lebt, versagt ist. Die Richtung auf die Zukunft, die ein konstruktives Moment in allem menschlichen Bewußtsein bildet, läßt sich durch den Ausdruck des » Willens« bezeichnen. Schon Leibniz’ Psychologie erklärt, daß alles Bewußtsein sich inhaltlich in zwei große Klassen gliedern läßt, die er als »Vorstellung« und »Tendenz«, als perceptio und percepturitio bezeichnet.33 Aber Hägerströms Psychologie mißtraut solchen Ausdrücken, wie »Tendenz« und »Wille« es sind; und sie will durch eine scharfe Begriffsanalyse erweisen, daß sich in ihnen unklare und widerspruchsvolle Elemente finden. Eine der Hauptaufgaben, die Hägerströms Rechtsphilosophie sich stellt, besteht darin, den »Willen« als eine Art Idol, im Baconischen Sinne des Wortes, zu erweisen. Wo dieser Ausdruck sich einmischt, da sind wir, nach Hägerström, schon mitten im Gebiet unhaltbarer mythischer und metaphysischer Vorstellungen. Durch sein ganzes Werk geht diese Polemik gegen den Willensbegriff hindurch, der sowohl in der Form des »Staatswillens« wie in der des »Gesamtwillens« oder »Gemeinwillens« abgelehnt und für die Grundlegung des Rechts als unbrauchbar erklärt 32 Axel Hägerström, Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, in: Litteris 5 (1928), S. 20–40 u. 81–99: S. 24. 33 Gottfried Wilhelm Leibniz, Brief Nr. 14 an Christian Wolff: »[…] quaecunque in Anima universim concipere licet, ad duo possunt revocari: expressionem praesentis externorum status, Animae convenientem secundum corpus suum; et tendentiam ad novam expressionem […] verbo: perceptionem et percepturitionem. Nam ut in externis […] in anima duo sunt: status et tendentia ad alium statum.« In: Briefwechsel zwischen Leibniz und Christian Wolf. Aus den Handschriften der Koeniglichen Bibliothek zu Hannover, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Halle 1860, S. 56–58: S. 56.

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wird.34 Es soll in keiner Weise bestritten werden, daß Hägerström mit dieser »Entlarvung« des Willensbegriffs gegenüber Hegels Absolutierung des »Staatswillens« eine wichtige und wertvolle kritische Arbeit geleistet hat. Aber wiederum erhebt sich die Frage, ob wir, um der Gefahr der Hypostasierung des Willens zu entgehen, auch auf seinen einfachen Begriff zu verzichten und ihn in der Begründung der Rechtslehre durch etwas anderes zu ersetzen haben. Der Ersatz, den Hägerströms Theorie uns darbietet, besteht darin, daß er das Recht, statt in ihm einen Ausfluß des »Willens« zu sehen, in seiner psychologischen Entstehungsweise an das Gefühl anknüpft. Hierbei wird der Ausdruck des »Gefühls« selbst zunächst in einem sehr engen Sinne genommen. Hägerström steht der Lange-Ja | messchen Theorie am nächsten, die die Gefühle nicht nur aus bestimmten körperlichen Zuständen hervorgehen läßt, sondern sie als ebendiese Zustände selbst erklärt. »Our natural way of thinking«, so erklärt James, »is that the mental perception of some fact excites the mental affection called the emotion, and that this latter state of mind gives rise to the bodily expression. My theory, on the contrary, is that the bodily changes follow directly the perception of the exciting fact, and that our feeling of the same changes as they occur is the emotion.«35 Im gleichen Sinne betont Hägerström, daß man, wenn man bestimmen wolle, was Zorn, Entsetzen, Freude oder Kummer sei, letzten Endes nichts anderes finden könne, als bei dem Organismus vorhandene eigenartige Qualitäten. »Kummer ist ein unangenehmer lastender Druck auf dem Organismus in Verbindung mit Bewegungen, welche auf die Aufhebung dessen gerichtet sind, dessen Vorstellung mit diesen Qualitäten assoziiert ist. Entsetzen ist die mit stärkster Unlust verknüpfte Bewegungslähmung, die wir bei gewissen Wahrnehmungen erfahren usw. Nur auf diese Weise können die Gefühlsqualitäten selbst in ihrer Realität fixiert werden.«36 Aber eben wenn man diese Hägerströmsche Definition annimmt, wird es höchst problematisch, ob man zu einer wirklichen Analyse des Pflichtbegriffs gelangt, indem man ihn einfach in bestimmte Gefühle und in die Assoziationen, die sich an sie anknüpfen, auflöst. Auch wenn wir nicht nur auf alle metaphysischen Erklärungen des Willens verzichten, sondern es auch ablehnen, in ihm, gemäß der Vermögenspsychologie des 18. Jahrhunderts, ein eigenes »Seelenvermögen« zu sehen, 34 Vgl. Är gällande rätt uttryck av vilja?, S. 172 ff.; Till frågan om den objektiva rättens begrepp, S. 45 ff. 35 William James, The Principles of Psychology, Bd. II, London 1901, S. 449. 36 Vergleich zwischen den Kraftvorstellungen, S. 65.

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bleibt doch ein Moment erhalten, das das Phänomen des »Wollens« als solches kennzeichnet und uns nötigt, in ihm eine Erscheinung sui generis zu sehen. Empfindung und Gefühl sind wesentlich konstatierend; sie beschreiben einen bestimmten Zustand, in dem sich der Organismus momentan befindet. Aber läßt sich hieraus der Inhalt des Rechtsbegriffs und des Pflichtbegriffs gewinnen? Unterscheidet sich die Bindung, die in ihnen gedacht wird, in nichts von Zuständen der Angst, der Gehemmtheit, des lastenden Druckes? Mir scheint, daß eine Betrachtung des schlichten phänomenologischen »Befundes« des Pflichtbewußtseins ausreicht, um hier die Grenze sicher zu ziehen. Denn in der Pflicht liegt keineswegs | allein das Moment des äußeren Zwanges; ja dieses letztere wird in ihr gerade überschritten und aufgehoben. Es ist ein aktives Sich-Binden, nicht eine bloß passive Gebundenheit, was sich in ihr ausdrückt. »Pflicht«, so hat Goethe einmal prägnant und charakteristisch definiert: »wo man liebt, was man sich selbst befiehlt.«37 In dieser Fähigkeit des Sichselbst-Befehlens erlangt der Wille erst seine eigentlich ethische Qualität. Auf ihr beruht das, was man die sittliche »Persönlichkeit«, was man die Einheit, die Geschlossenheit, die innere Konsequenz des Charakters nennt. Und in dieser Form des Wollens, in dieser aktiven Selbstgestaltung haben wir abermals die mythische Vorstellungsweise weit hinter uns gelassen. Der »Wille« ist hier nicht länger die Bezeichnung für irgendeine geheimnisvolle Urpotenz des Seins, die im Menschen herrscht und die vielleicht als unbewußte Macht, als »blinder Wille« auch alles Naturgeschehen durchdringt. Er besagt lediglich eine bestimmte Grundrichtung des Bewußtseins: die Richtung auf ein Nichtgegebenes, Zukünftiges, erst zu Verwirklichendes. Und diese Richtung ist auch für alle Rechtsgestaltung charakteristisch und unentbehrlich: Denn auf ihr beruht die Möglichkeit, daß eine hier und jetzt getroffene Entscheidung über den Einzelfall hinauswachsen, daß sie künftige Fälle »präjudizieren« kann.38 Diese Richtung auf ein Nichtgegebenes läßt sich nicht als eine bloße Täuschung, als eine leere Fiktion bezeichnen. Es drückt sich darin vielmehr eine eigene und unentbehrliche »Intention« aus, die dem Gefühl als solchem mangelt. Und ebenso hebt sich die »prospektive« Richtung des

37 Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen. Nach den Handschriften des Goethe- und Schiller-Archivs (Nr. 829), hrsg. v. Max Hecker (Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. XXI), Weimar 1907, S. 183. 38 Vgl. oben, S. 89 ff. Dieser Gedanke des »Präjudiz« ist besonders im englischen Common Law lebendig; vgl. hierzu die Ausführungen Hägerströms, Till frågan om den objektiva rättens begrepp, S. 2 ff.

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Willens deutlich von der retrospektiven der Erinnerung und von der auf das Gegenwärtige gerichteten Funktion der Wahrnehmung und der gegenständlichen Anschauung ab. Daß ohne eine solche Fähigkeit des Vorblicks und Vorausblicks jenes Phänomen, das wir menschliche »Kultur« nennen, nicht möglich wäre, liegt auf der Hand. Eine kritische Kulturphilosophie wird daher den »Willen« in der hier angegebenen Bedeutung unter die »Bedingungen der Möglichkeit« der Kultur rechnen dürfen, wenngleich sie sich nicht anheischig machen wird, ihn bis zu seiner letzten metaphysischen Wurzel zurückzuverfolgen und ihn in diesem Sinne zu »erklären«. |

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fünftes kapitel. Zur »Logik der Geisteswissenschaften« Im Umkreis der theoretischen Erkenntnis hat Hägerström die Methode einer »transzendentalen« Begründung, die weder metaphysisch sein will noch rein empirisch sein kann, durchaus anerkannt. Hier leidet es für ihn keinerlei Zweifel, daß jede Wirklichkeitserkenntnis sich auf allgemeine, rationale Prinzipien stützen muß und daß die Aufgabe der philosophischen Kritik darin besteht, diese Prinzipien in ihrem Bestand aufzuweisen und in ihrer objektiven Gültigkeit zu begründen. Die Rationalität des Wirklichen ist kein Ergebnis, zu dem Hägerström in seiner Erkenntnistheorie gelangt; sie ist vielmehr das Axiom, das er an ihre Spitze stellt. Er weiß, daß ein solches »Axiom« keines empirischen Beweises fähig ist; aber er begegnet dem mit der Frage, was denn überhaupt ein »empirischer Beweis«, selbst im Kreis der Einzelwissenschaften, besagt und bedeutet. Und er erklärt, daß auch in diesem Kreise die bloße »Induktion«, in dem Sinne, in welchem empiristische Logiker wie John Stuart Mill sie verstanden haben, keinerlei Kraft der Begründung besitzt. Die inductio per enumerationem simplicem bleibt in jedem Falle unzulänglich, und aus ihr allein kann niemals ein Urteil entspringen, dem wir objektive Bedeutung zusprechen könnten. Ein Besonderes, das lediglich faktische, aber keinerlei theoretische Geltung für sich in Anspruch nähme, kann daher nach Hägerström niemals den Grund für ein Urteil bilden, das sich auf die Realität bezieht.1 Der Versuch Humes, die empirische Erkenntnis aus »Impressionen« und »Assoziationen« aufzubauen, fällt damit für Hägerström in sich selbst zusammen. Aber all dies gilt nach ihm nicht länger, sobald wir uns den praktischen Problemen zuwenden. Die Humesche Lehre vom »belief« wird innerhalb dieses Gebiets ausdrücklich gutgeheißen und wiederhergestellt: Eine Werterkenntnis, die mehr sein will als ein Gefüge von Wertgefühlen und von Assoziationen, die sich an sie anknüpfen, ist eine bloße Chimäre. Damit fällt für Hä | gerström auch jede Möglichkeit einer »Geisteswissenschaft«. Er scheint schon dem Namen einer solchen Wissenschaft zu mißtrauen; denn er glaubt, in ihm gewisse »animistische« Anklänge zu spüren. »Überhaupt ist alles, was Geisteswissenschaft heißt«, so sagt er, »– mag sie das Ich, die Gesellschaft, den Staat, die Moral oder die Religion betreffen –, nur ein intellektuelles Spiel mit Gefühlsausdrücken, als ob damit etwas Reales bezeichnet würde. Man setzt bei

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Vgl. hierzu bes. Botanisten och filosofen, S. 4 ff.

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der Annahme der Möglichkeit einer solchen Wissenschaft voraus, daß das Gefühl selbst Erkenntnis in sich schließen könne.«2 Hume beschließt die skeptische Kritik des Kausalbegriffs, die er im »Enquiry concerning Human Understanding« gibt, mit der Aufforderung, eine praktische Anwendung von dem Ergebnis zu machen, zu dem die theoretische Untersuchung geführt hat. »Durchmustern wir«, so sagt er, »von diesen Prinzipien überzeugt, unsere Bibliotheken: Welche Verwüstung müßten wir in ihnen nicht anrichten! Wenn wir irgendeinen Band z. B. aus der Theologie oder der Schulmetaphysik zur Hand nehmen, so laßt uns fragen: ›Enthält er irgendeine abstrakte Schlußfolgerung, die sich auf Größe oder Zahl bezieht?‹ Nein. ›Enthält er irgendeine experimentelle Feststellung über Tatsächliches und Wirkliches?‹ Nein. Also ins Feuer damit: Denn er kann nichts als Sophisterei und Täuschung enthalten!«3 Wenn wir, mit Hägerströms Kriterium der Wissenschaftlichkeit ausgerüstet, an eine Prüfung unserer Büchereien gingen, so müßte, wie mir scheint, die Verwüstung noch von ganz anderer und von viel umfassenderer Art sein. Sie würde sich keineswegs auf die Werke der Theologie oder der Metaphysik beschränken, sondern müßte alles ergreifen, was außerhalb des Kreises der Naturwissenschaft, als der eigentlichen und einzigen Wirklichkeitswissenschaft, steht. Das Werk Humes würde in diese Vernichtung einbezogen werden müssen. Denn Hume war Historiker; und gehört nicht die Geschichte zu den »Geisteswissenschaften«, ja bildet sie nicht die eigentliche methodische Grundlage für dieselben? Aber auch bei den Wissenschaften vom Ich, von der Gesellschaft, vom Staat, von der Moral oder der Religion könnten wir nicht stehenbleiben. Wir müßten mit dem gleichen Recht auch alle Sprachwissenschaft, sofern sie sich nicht bloß auf Phonetik oder Lautphysiologie beschränkt, alle Kunstwissenschaft, sofern sie nicht bloß von Gefühlen handelt, sondern sich in einer Analyse der Werke der Kunst versucht, der Vernichtung preis | geben. Und was wird aus der Literaturwissenschaft, der Philologie, der Archäologie? Sollten wir dies alles Selbstdarstellung, S. 48. [David Hume, An Enquiry concerning Human Understanding, in: Essays. Moral, Political, and Literary, hrsg. v. Thomas Hill Green u. Thomas Hodge Grose, neue Aufl., Bd. II, London/New York/Bombay 1898, S. 1–135: S. 135: »When we run over libraries, persuaded of these principles, what havoc must we make? If we take in our hand any volume; of divinity or school metaphysics, for instance; let us ask, Does it contain any abstract reasoning concerning quantity or number? No. Does it contain any experimental reasoning concerning matter of fact and existence? No. Commit it then to the flames: For it can contain nothing but sophistry and illusion.«.] 2 3

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als eitel Blendwerk und Sophisterei erklären und das Humesche Wort: »Commit it then to the flames« darauf anwenden? Daß bei einer so radikalen Aufräumungsarbeit unsere Bibliotheken von manchem Ballast befreit würden, soll nicht bestritten werden. Aber träte damit nicht auch eine wirkliche Verkümmerung und Verarmung unseres geistigen Lebens ein? Hägerströms These führt, selbst wenn wir sie an seiner eigenen Arbeit messen, zu einem merkwürdigen Paradoxon. Was bliebe von dieser Arbeit zurück, wenn wir mit seiner Forderung Ernst machen, wenn wir daran festhalten wollten, daß die Geisteswissenschaften es lediglich mit Gefühlen zu tun haben und ihnen daher keinerlei objektiver Erkenntniswert zukommt? Hat nicht Hägerström alle seine philosophischen Hauptthesen auf ein sehr umfassendes Material gestützt, das er den sogenannten »Geisteswissenschaften« entnahm? Keiner der Schlüsse, die er in seinem Werk über den römischen Obligationsbegriff gezogen hat, wäre möglich gewesen, wenn er sich nicht fort und fort auf die Ergebnisse der Rechtsgeschichte, der Sittengeschichte, der Mythengeschichte, der vergleichenden Religionsgeschichte berufen hätte. Sprechen wir also all diesen Wissenschaften, weil sie eine andere Methodik als die der Naturwissenschaften befolgen, den objektiv-wissenschaftlichen Wert ab, so können wir diesen Wert auch nicht für die Folgerungen in Anspruch nehmen, die Hägerström aus ihnen ziehen will. Hägerström könnte hierauf vielleicht erwidern, daß er keineswegs die Fakta bezweifeln wolle, die die Geisteswissenschaften ans Licht fördern; was er bestreite, sei nur, daß diese Wissenschaften sich auf theoretischen Prinzipien aufbauen. Aber auch diese Antwort würde die Schwierigkeit nicht beseitigen: Denn mit ihr würde Hägerström in Konflikt mit seinen eigenen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen geraten. Einer der Grund- und Eckpfeiler seiner Erkenntnislehre besteht darin, daß jede faktische Erkenntnis schon eine prinzipielle Erkenntnis in sich schließt, daß es ein Wissen von »bloßen Tatsachen« nicht gibt und nicht geben kann.4 Die Frage, die hier zu stellen wäre, ist also die, welche Prinzipien es sind, auf denen die Feststellung rechtsgeschichtlicher, sprachwissenschaftlicher, kunstwissenschaftlicher, religionsgeschichtlicher Fakta beruht und ob diese Prinzipen, sofern sie | bestehen, mit denen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis einfach zusammenfallen oder ihnen gegenüber etwas Selbständiges, Eigenartiges, Autonomes bedeuten.

4 Vgl. hierzu bes. das Kapitel »Hvad konstateringen af faktum i vetenskapen förutsätter«, in: Botanisten och filosofen, S. 22–41.

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Hägerström hat die Möglichkeit jeder derartigen Autonomie unbedingt verneint. Aber um den wirklichen Grund dieser völlig ablehnenden Haltung zu verstehen, dürfen wir uns meines Erachtens nicht darauf beschränken, die sachlichen Argumente ins Auge zu fassen, die er für sie ins Feld geführt hat. Wir müssen zugleich die historische Lage der Philosophie berücksichtigen, die Hägerström vorfand, und die besondere Aufgabe, die er sich auf Grund dieser historischen Lage gestellt hat. Sein Kampf galt von Anfang an der Hegelschen Metaphysik und der Herrschaft, die dieselbe über die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts ausgeübt hatte. Aber von Seiten der Naturwissenschaft konnte dieser Kampf als entschieden gelten. Die Naturwissenschaft hatte sich der Vormundschaft der Schellingschen oder Hegelschen Naturphilosophie seit langem entzogen; sie hatte ihren spezifischen Wissenschaftscharakter erkannt und sich ihre theoretischen Prinzipien und Grundlagen geschaffen. Aber ein ganz anderes Bild bietet sich uns dar, wenn wir den Stand der Geisteswissenschaften im 19. Jahrhundert betrachten. Hegels entscheidende und seine wahrhaft originale und produktive Tat lag auf diesem Gebiet. Mit seinen Grundbegriffen des »objektiven Geistes« und des »absoluten Geistes« hat er nicht nur eine neue Metaphysik und eine neue »Phänomenologie des Geistes« geschaffen, er hat auch der modernen Geschichtswissenschaft, der Religionswissenschaft, der Staatswissenschaft, der Rechtswissenschaft neue Impulse gegeben und ihnen den Stempel seiner Denkart aufgeprägt. Es war daher ein kühner Entschluß, wenn Hägerström den Kampf in dieses Gebiet verlegte. Denn hier traf er in der Tat die stärkste Stelle seines Gegners und den Punkt, an dem er bisher fast als unüberwindlich schien. Die Herrschaft Hegels konnte erst dann als gebrochen gelten, wenn es gelang, seine Geschichtsphilosophie, seine Rechtsphilosophie und seine Staatsphilosophie zu entwurzeln. Hierzu aber sah Hägerström keinen anderen Weg, als seinen Angriff auch gegen die gesamte bisherige Wissenschaft von Recht und Staat zu richten und ihr jeglichen objektiven Anspruch zu entziehen. Was von ihr übrigblieb, waren bloße Gefühle – und es ist ein hoffnungsloser Versuch, Gefühle zum Rang wissenschaftlicher Erkenntnisse erheben zu wollen. Aber die These Hägerströms reicht viel weiter, als es zunächst den | Anschein hat. Als empirischer Forscher hat er sich insbesondere auf das Gebiet der Rechts- und Staatslehre konzentriert und sich innerhalb desselben in gewissem Sinne spezialisiert. Seine Philosophie kennt indes eine solche Besonderung nicht: Sie führt ihren Schlag gegen alles, was sich mit dem Namen der »Geisteswissenschaft« schmückt. Auf die besondere Stellung der Psychologie ist

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Hägerström hierbei, wenn ich recht sehe, nirgends eingegangen, obwohl es von besonderem Interesse wäre, zu wissen, inwieweit er, von seinen Voraussetzungen aus, die Psychologie als Wissenschaft anerkennt. Wenn man die Psychologie nicht im bloßen »Behaviorismus« aufgehen läßt, wenn man ihr andere und weitere Aufgaben stellt, so kann ja kaum bezweifelt werden, daß sie ihrer Gesamtstruktur nach zu den Geisteswissenschaften zählt und daher an ihrem Schicksal teilnehmen muß. Damit würde aber wieder eines der Fundamente von Hägerströms eigener Lehre erschüttert und untergraben. Denn seine Moralphilosophie und seine Rechtsphilosophie stützt sich ja im wesentlichen auf psychologische Untersuchungen über die Natur des Pflichtgefühls und des Rechtsgefühls. Wenn also nicht dem ganzen Gebäude der Einsturz drohen soll, so bleibt nichts übrig, als seine Fundamente neu zu legen. Es ist bekannt, daß ebendieses Problem es gewesen ist, das in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts eines der Grundund Kernprobleme der wissenschaftlichen Methodenlehre gebildet hat. Aber Hägerström geht seltsamerweise an allen Untersuchungen, die dieser Frage galten, völlig vorbei. Auch der Name Wilhelm Diltheys begegnet, soviel ich sehe, nirgends in seinen Schriften. Und doch hatte Dilthey das Programm einer nicht metaphysischen, sondern kritischen Grundlegung der Geisteswissenschaften schon in seiner »Einleitung in die Geisteswissenschaften« vom Jahre 1883 gestellt. »Der Beweis wird versucht«, so schrieb er in der Vorrede zu diesem Werk, »daß eine allgemein anerkannte Metaphysik durch eine Lage der Wissenschaften bedingt war, die wir hinter uns gelassen haben, und sonach die Zeit der metaphysischen Begründung der Geisteswissenschaften ganz vorüber ist.«5 An Stelle einer solchen Begründung wollte Dilthey eine allgemeine »Strukturlehre« der Geisteswissenschaften setzen, die sich auf eine »Kritik der historischen Vernunft«6 gründen sollte. Ich behaupte keineswegs, daß dieser große Plan gelungen ist, daß Dilthey die Aufgabe, die er sich stellte, vollständig gelöst hat. Einer der Gründe dafür, daß sein Werk Fragment geblieben ist, liegt darin, daß er, so klar er seine | neue Aufgabe ergriff, doch zunächst noch im Banne jenes Positivismus und Psychologismus stand, der durch seine Auffassung verdrängt und überwunden werden sollte. Statt einen neuen »gegenständlichen« Aufbau zu versuchen, ging er 5 [Wilhelm Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, Bd. I, Leipzig 1883, S. XIX.] 6 [A. a. O., S. 145.]

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von dem Begriff des »Erlebnisses« aus; und er suchte in einer neuen »geisteswissenschaftlichen Psychologie«, die sich auf diesen Begriff stützt, die Grundlegung der Geisteswissenschaften zu vollziehen. Die Logik der Geisteswissenschaften wird einen anderen Weg einschlagen müssen. Aber die Tatsache, daß es eine solche Logik gibt und geben muß, ebenso wie sie für die mathematische und für die naturwissenschaftliche Erkenntnis besteht, scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen; und Diltheys eigene Untersuchungen über die Struktur der historischen Wirklichkeit stellen einen sehr wichtigen und wesentlichen Beitrag zu ihr dar. Hätten es freilich die Geisteswissenschaften lediglich mit Gefühlen zu tun, so wäre dieser Gedanke ein Widersinn. Von einer »Logik der Geisteswissenschaften« werden wir nur sprechen dürfen, wenn wir annehmen, daß auch sie ihren Gegenstand haben, daß sie sich keineswegs bloß im Kreis subjektiver Zuständlichkeiten herumtreiben und sich mit deren Beschreibung begnügen. Aber der Gegenstand, um den es sich hier handelt, ist freilich von anderer Art als die materiellen Dinge, deren Beschaffenheit und deren Zusammenhang die Naturwissenschaft zu erkennen sucht. Statt mit Dingen haben wir es hier mit Formen zu tun. Die Formen der Gesellschaft will die Soziologie, die Formen der Religion will die Religionsgeschichte und die vergleichende Religionswissenschaft, die Formen der Kunst will die Kunstwissenschaft erforschen. Sicherlich sind alle diese Formen an den »Stoff«, an bestimmte physische Dinge und Vorkommnisse gebunden; und sie haben ihre äußere Erscheinung nur an diesem. Die menschliche Kultur, mit deren Erkenntnis es die Geisteswissenschaft zu tun hat, stellt sich uns nicht anders als an ihren materiellen Dokumenten und Monumenten dar; in dem, was in Sprache und Schrift festgehalten ist, in den Darstellungen der bildenden Kunst, in Geräten und Werkzeugen, in Bauten usf. Aber dies alles erhält für uns seinen Sinn erst, wenn es interpretiert, wenn es in der rechten Weise »ausgelegt« wird. Und es zeigt sich, daß die empirische Psychologie, die unsere Vorstellungen, Gefühle, Triebe zu analysieren und die Bedingungen ihrer Entstehung aufzudecken sucht, für diese Auslegung nicht ausreicht. Wir müssen die Formwelt der Sprache, der Kunst, der Religion, des Rechts usf. als solche verstehen, wenn | wir in den Sinn der einzelnen sprachlichen, künstlerischen, religiösen Gebilde eindringen wollen. Eine der wesentlichen Aufgaben der Philosophie ist es, diese Leistung zu vollbringen und damit von den »Tatsachen« der Geisteswissenschaften zu ihren »Prinzipien«, zu den »Bedingungen ihrer Möglichkeit« zurückzudringen. Die Begründung für diese Anschauung habe ich in meiner »Philo-

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sophie der symbolischen Formen« zu geben versucht,7 und ich kann sie hier nicht explizit wiederholen. Nur an einem Beispiel möchte ich noch kurz zu erörtern suchen, in welchem Punkte sich meine Auffassung von der Ansicht Hägerströms unterscheidet. Wenn es ein Gebiet gibt, in dem es schwer, ja unmöglich scheint, irgendeinen »Objektivitätsanspruch« aufrechtzuerhalten, so ist es sicherlich das Gebiet der Kunst. Den Gedanken, die Kunst auf objektive Normen und Regeln zu bringen, nach denen sich der Wert der einzelnen Kunstwerke beurteilen ließe, haben wir wohl für immer aufgegeben. Auch Kant, der erklärt, daß das Geschmacksurteil auf Gründen a priori beruhe, läßt nichtsdestoweniger die Notwendigkeit, die er diesem Urteil zuschreibt, nur als eine »subjektive Notwendigkeit« gelten. Das Geschmacksurteil geht nach ihm auf Gegenstände der Sinne, aber nicht, um einen Begriff derselben für den Verstand zu bestimmen; denn es ist kein Erkenntnisurteil. Wenn der Begriff uns also hier im Stich läßt, so scheint nichts übrigzubleiben, als daß wir uns in allen Aussagen über Kunstwerke ganz und ausschließlich dem Gefühl überlassen. Wenn in irgendeinem Gebiete der Philosophie, so scheint daher der Psychologismus und Relativismus in der Ästhetik zu Hause zu sein. Hier scheint schon das Suchen nach einem »Gegenstand« problematisch, ja absurd zu sein. Die Kunst ist recht eigentlich das Gebiet der »Illusion«; haben doch manche Ästhetiker und Psychologen die »bewußte Selbsttäuschung« als ihren Zweck bezeichnet.8 Und dennoch gibt es eine Phänomenologie der Kunst, die keineswegs in psychologischen Zergliederungen unserer Gefühle aufgeht. Sie hat die Aufgabe, die »Form« der Dichtung, der Malerei, der Plastik, der Architektur usf. zu erkennen. Wenn Lessing im »Laokoon« die »Grenzen der Mahlerey und Poesie«9 bestimmen will, so geht er hierbei nirgends von der Analyse der Gefühle aus, die die Malerei und die Dichtung in uns erwecken. Er fragt nach den Dar stellungsmitteln, deren sich beide bedienen, und er will zeigen, | daß sich gemäß diesen Darstellungsmitteln auch das Dargestellte, auch die Gegenstände der Malerei und der Poesie, unterscheiden müssen. Die Ästhetik handelt somit keineswegs allein von subjektiven Eindrücken; sie handelt vielmehr von bestimmten »Gestalten«; von

3 Teile, Berlin 1923, 1925 u. 1929 [ECW 11–13]. Vgl. Konrad Lange, Das Wesen der Kunst. Grundzüge einer realistischen Kunstlehre, 2 Bde., Berlin 1901. 9 [Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon: oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie. Mit beyläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte. Erster Theil, in: Sämtliche Schriften, Bd. IX, S. 1–177.] 7 8

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der Gestalt der Tragödie, des Epos, des Romans oder, in der bildenden Kunst, von den Beziehungen des »Linearen« zum »Malerischen« usf. Ein Werk wie Heinrich Wölfflins »Kunstgeschichtliche Grundbegriffe« ist ganz auf solche Fragen der künstlerischen Form gerichtet. In diesem Sinne – aber freilich auch nur in diesem – läßt sich von der Kunst als einer »zweiten Natur« sprechen. Die Kunst ist nicht, im Sinne der Nachahmungstheorie, eine Kopie und Abspiegelung der empirischen Wirklichkeit, aber ebensowenig steht sie dieser als etwas Jenseitiges und Transzendentes gegenüber. Weder der bloße Naturalismus noch ein metaphysischer Spiritualismus vermögen demnach ihre eigentliche »Heimat« zu bezeichnen; denn das Schöne steckt weder einfach »in« den Dingen, noch thront es als ideale Macht »über« ihnen. Das Prädikat der Schönheit drückt keine dingliche Qualität, es drückt vielmehr eine spezifische Funktion aus – und die Ästhetik will zeigen, wie diese Funktion, im Aufbau der Welt der künstlerischen Formen, sich in ihrer spezifischen Gesetzlichkeit gleichbleibt und sich nichtsdestoweniger in eine Mannigfaltigkeit von Gestaltungsweisen auseinanderlegt. Ähnliche Probleme drängen sich dem Erkenntniskritiker auf, wenn er sich der Sprachwissenschaft zuwendet und sich ihre logische Struktur klarzumachen sucht. Der erste Begründer einer kritischen Sprachphilosophie, Wilhelm von Humboldt, ist von dem Begriff der »inneren Sprachform« ausgegangen, und alle seine Betrachtungen lenken immer wieder auf diesen Begriff, als das eigentliche systematische Zentrum, zurück. Später ist dieser Humboldtsche Formbegriff als metaphysisch verworfen worden. Eine objektive Begründung schienen die Begriffe der Sprachwissenschaft nur dann finden zu können, wenn sie sich so eng als möglich an das Beispiel der Naturbegriffe anschlossen. In seiner Schrift »Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft« (1873) hat August Schleicher, der selbst zuvor eine metaphysische Sprachtheorie auf Hegelscher Grundlage aufzubauen versucht hatte, den Satz verfochten, daß nunmehr auch auf diesem Gebiete die Herrschaft der Naturwissenschaft angebrochen sei. Die Sprachwissenschaft müsse demnach auf jede Sonderstellung verzichten; sie müsse die Begriffe und Methoden der Naturwissenschaft annehmen, um sie auf ihre be | sondere Materie anzuwenden.10 Die Materie, aus der die Sprache sich aufbaut, ist der Laut; an ihm und an ihm allein werden daher ihre grundlegenden Gesetze zu entdecken sein. Gibt es keine Lautgesetze, die sich an Stringenz und Exaktheit 10 Näheres über Schleichers Sprachtheorie in meiner »Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil«, S. 108 ff. [ECW 11, S. 108 ff.].

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mit den allgemeinen Naturgesetzen vergleichen lassen, so besteht keine Hoffnung, die Sprache in objektiv-wissenschaftlicher Weise zu erkennen. Die »Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze« wurde daher in der Schule der »Junggrammatiker« zum obersten Postulat der Sprachwissenschaft erhoben.11 Indem erklärt wird, daß diese Gesetze »mit blinder naturnotwendigkeit«12 wirken, glaubt man, damit die Linguistik der bedenklichen Nachbarschaft mit den »Geisteswissenschaften« entzogen zu haben. Heute ist auch diese Anschauung im Kreise der Sprachwissenschaft überwunden. Die menschliche Rede wird als eine eigentümliche »Gestalt« anerkannt; als ein Ganzes, das sich nicht aus den Elementen des Lautes zusammensetzen läßt. Damit ist die Semantik wieder in ihre zentrale Rolle eingesetzt und als ein Selbständiges und Eigenes neben der Lautphysiologie, der Phonetik und Phonologie anerkannt. Und auch die Sprachpsychologie hat eine neue Wendung genommen, seitdem sie das »Bedeutungserlebnis« in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen rückte. Sie mußte jetzt mehr und mehr erkennen, daß die Anschauungen und Methoden der älteren »mechanistischen« Psychologie schon bei der einfachen Beschreibung dieses Erlebnisses versagen – daß hier ein Phänomen vorliegt, das sich nicht restlos in einzelne sinnliche Eindrücke und in die zwischen ihnen bestehenden Assoziationen auflösen läßt. Gegen diese »verhängnisvollste aller Stoffentgleisungen«, wie er sie nennt, will Karl Bühler, im Kreise der modernen Psychologie, »die These von der Idealität des Gegenstandes ›Sprache‹« vertreten. Und als eine seiner ersten Aufgaben sieht er es hierbei an, »[…] de[n] prinzipielle[n] Mißgriff aufzudecken und als Mißgriff zu entlarven […] den all jene getan haben, die im Banne der klassischen Assoziationstheorie die zweifelsfrei nachzuweisenden Komplexions- und Verlaufsverkettungen in unserem Vorstellungsleben verwechseln mit dem Bedeutungserlebnis. « 13 Damit ist auch das Problem der »Objektivität« der Sprachbegriffe in | einer veränderten und in einer erkenntniskritisch berichtigten Form gestellt. Versteht man dieses Problem in der Weise, daß man nach irgendeinem Substrat in der Außenwelt sucht, das in den Sprachbegriffen irgendwie wiedergegeben oder abgebildet würde, so zeigt sich sofort die methodische Unmöglichkeit jedes derartigen Versuches. Die Frage des φ9σει ν oder θσει ν, mit der die antike Vgl. a. a. O., S. 114 ff. [ECW 11, S. 114 ff.]. [Hermann Osthoff, Das verbum in der nominalcomposition im deutschen, griechischen, slavischen und romanischen, Jena 1878, S. 326.] 13 Karl Bühler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Jena 1934, S. 58. 11 12

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Sprachphilosophie begann, stellen wir uns heute nicht mehr. Sie ist längst zugunsten des »Nominalismus« entschieden. Niemand versucht mehr, eine µοι της, eine Gleichheit oder Ähnlichkeit zwischen den Worten und den durch sie bezeichneten Dingen zu entdecken. Aber aus der Ablehnung dieser These folgt keineswegs, daß nun das Ganze der Sprachbegriffe in dem Kreise des »subjektiven« Vorstellens und Fühlens beschlossen sei und ihn prinzipiell nicht überschreiten könne. Das »Objektive«, dessen die Sprache fähig ist, besteht nicht in der Nachbildung von Dingen oder Dingverhältnissen. Die Frage der »Objektivität« können wir, wenn sie einen Sinn haben soll, überhaupt nicht an das bloße Wort, wir können sie vielmehr nur an jene Funktion richten, die man die Darstellungsfunktion der Sprache genannt hat. Daß diese Funktion sich nicht in bloße Empfindungen, Vorstellungen, Gefühle auflösen läßt, zeigt die unbefangene psychologische Analyse. Zwischen dem bloßen Empfindungs- und Gefühlslaut, wie er auch in der Tierwelt herrscht, und dem Charakter der menschlichen »Aussage«, die sich auf einen bestimmten Sachverhalt bezieht, läßt sich auch genetisch keine Brücke schlagen; man kann das eine nicht aus dem anderen »ableiten«, sondern muß sich begnügen, es als Moment sui generis aufzuweisen und in seiner Eigentümlichkeit anzuerkennen.14 Und es läßt sich weiter zeigen, daß dieses Moment nicht nur für den Aufbau der Begriffswelt, sondern auch für den der Wahrnehmungswelt von wesentlicher Bedeutung ist. Die Fähigkeit des Menschen, nicht in bloßen Eindrücken aufzugehen, sondern sich zu gegenständlichen Anschauungen zu erheben, findet eine ihrer stärksten Stützen in jenem Prozeß der Objektivation, der durch die Sprache eingeleitet und durch sie erst ermöglicht wird.15 In alledem erscheint die Sprache, ebenso | wie die Kunst, als eine eigene »Welt«; was aber nicht bedeutet, daß beide sich auf eine eigene Wirklichkeit, neben oder über der Natur, als dem Ganzen der Gegenstände in Raum und Zeit, beziehen, sondern daß sich in ihnen je eine besondere Art der Gestaltung, und damit der Objektivierung, vollzieht. Erkennen wir dies an, so müssen wir uns freilich entschließen, die Aufgabe der Erkenntniskritik, gegenüber der traditionellen Auffassung, zu erweitern. Wir müssen versuchen, das Ineinandergreifen der einzelnen Objektivationsprozesse zu verstehen und jedem von ihnen seine Stelle im Ganzen der Erkenntnis zuzuweisen. Die Streitfragen 14 Ich verweise auch hierfür auf die Darstellung Bühlers, der diesen Punkt in helles Licht gerückt hat. 15 Für dieses Problem, das hier nicht weiter verfolgt werden kann, verweise ich auf meinen Aufsatz »Le langage et la construction du monde des objets«.

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zwischen den verschiedenen erkenntnistheoretischen Schulen der Gegenwart können nicht zur Klarheit und zur Entscheidung gebracht werden, wenn man nicht diese Erweiterung des erkenntnistheoretischen Horizonts vornimmt. Sie sind zum großen Teil dadurch hervorgerufen worden, daß jede einzelne Richtung eine bestimmte Erkenntnisform, wie sie in gewissen »Wissenschaftsfakten« vorliegt, absolut setzte und an dieser absoluten Norm den Wert aller Erkenntnis zu messen suchte. Auf diese Weise ist in der Erkenntnistheorie ein Logizismus, ein Psychologismus, ein Biologismus, ein Physikalismus, ein Historismus entstanden, die miteinander um die Herrschaft stritten. Mir scheint indes, daß eine »kritische« Philosophie einen allgemeineren Gesichtspunkt suchen muß, durch welchen sie von der Notwendigkeit befreit wird, eine einzelne Erkenntnisform für die allgemeingültige und allein mögliche zu erklären, und sich damit einem dieser verschiedenen »Ismen« zu verschreiben. Ihr Absehen muß auf die Totalität möglicher Erkenntnisformen und auf das Verhältnis, das zwischen den einzelnen Gliedern dieser Totalität besteht, gerichtet sein: ein Verhältnis, das nur dann bestimmt werden kann, wenn wir jede von ihnen in ihrer spezifischen Eigenart erkannt haben. Nimmt man diesen Standpunkt ein, so kann man den Erkenntniswert der Naturwissenschaften durchaus anerkennen und ihnen in all unserem objektiven Erfahrungswissen den obersten Rang zugestehen, ohne genötigt zu sein, damit auf die »Geisteswissenschaft« Verzicht zu leisten und in ihr nur noch ein »intellektuelles Spiel mit Gefühlsausdrücken« zu sehen.

THORILDS STELLUNG IN DER GEISTESGESCHICHTE DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS

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EINLEITUNG

Daß Thorild zu den merkwürdigsten und bedeutendsten Erscheinungen der schwedischen Literaturgeschichte gehört, ist, soviel ich sehe, niemals bestritten worden. Auch diejenigen Forscher, die in seinem Streit mit Kellgren und Leopold am entschiedensten gegen ihn Partei genommen haben, haben ihm Anerkennung nicht versagt. Sie haben betont, daß selbst seine Gegner sich dem mächtigen Impuls, der von seiner Persönlichkeit ausging, nicht entziehen konnten. Geijer hat gesagt, daß Thorilds Naturgefühl und sein Kampf gegen alle konventionellen Regeln wie eine Offenbarung gewirkt hätten; er habe seine Sache mit einer Jugendfrische in Blick und Phantasie geführt, die man in seinen besten Werken noch heute, wie einen ewigen Frühling, verspüre.1 Aber so einmütig in dieser Hinsicht das Urteil lautet, so zwiespältig und schwankend wird es, wenn man sich dem Gebiet von Thorilds Philosophie nähert. Er selbst hat hier das eigentliche Zentrum seines Wesens und seiner Leistung gesehen. »Es gibt in meinem Wesen etwas, das weit über dem Poeten steht«, so hat er in seinem Protest gegen das Urteil der Gesellschaft »Utile Dulci« gesagt, »das ist der Philosoph.«2 Aber war Thorild überhaupt ein Philosoph, und kann sein Werk mit rein philosophischen Maßstäben gemessen werden? Diese Frage ist sehr verschieden beantwortet worden. Man findet in der Thorildliteratur fast die gesamte Skala möglicher Wertschätzungen vertreten; man hat Thorilds Philosophie auf der einen Seite hohe Bewunderung gezollt, wie man ihr auf der andern mit schärfster Skepsis und Kritik entgegengetreten ist. Geijer sieht in Thorild nicht nur einen philosophischen Systematiker, sondern er erklärt, daß Thorild der einzige | Denker gewesen sei, dem es gelungen sei, die neuen Tendenzen, die sich der Aufklärung und dem Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts entgegenstellten, zu gedanklicher Klarheit zu erheben und ihnen eine theoretische Begründung zu geben. Martin Lamm bestreitet dieses Urteil nicht nur, sondern er kehrt es um. Er 1 Erik Gustav Geijer, Thorild. Tillika en filosofisk eller ofilosofisk bekännelse, in: Samlade skrifter, hrsg. v. John Landquist, Bd.III, Stockholm 1925, S.34–152: S.96. 2 Thomas Thorild, Til Sällskapet Utile Dulci, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, 2 Bde. (Svenska författare, utgivna av Svenska vitterhetssamfundet, hrsg. v. Stellan Arvidson u. Casimir Fontaine, Bd. XV), Stockholm 1933–1934, Bd. I, S. 467–471: S. 471 [»Men det är et väsende hos mig vida öfver Poeten: det är Filosofen.«].

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will auch in dem Philosophen Thorild nichts anderes als den Polemiker sehen. Thorild ist ihm keine reflexive oder meditative Natur, sondern eine reine Kämpfernatur. »Man muß sich fragen, ob seine Bedeutung als literarischer Gladiator nicht unvergleichlich größer als seine Bedeutung als Denker ist und ob nicht seine glänzenden Repliken und witzigen Invektiven die längste Lebenskraft behalten werden. […] Daß er während dieser unablässigen Streitigkeiten seine Ansichten ständig mit metaphysischen Argumenten verteidigt, ist vielleicht kein unwiderleglicher Beweis dafür, daß er für die philosophische Gelehrtenstube geschaffen war […] Daß er, zur Zeit und zur Unzeit, zu philosophischen Argumenten griff, scheint mir eher darauf hinzudeuten, daß die Philosophie für ihn mindestens ebensosehr ein Gedankenspiel wie ein Ringen mit wirklichen Problemen war. […] Er ist ein Geistesverwandter von Erasmus Montanus, und man muß unwillkürlich daran denken, daß er in ethnographischer Hinsicht ein Landsmann des von ihm bewunderten ›göttlichen Norwegers‹ Holberg ist.«3 Wird also schon die Frage, ob Thorild ein Philosoph gewesen ist, von der Forschung grundverschieden beantwortet, so mehren sich die Schwierigkeiten noch, wenn man fragt, welche Philosophie er vertreten hat. Auch hier sind fast alle möglichen Charakteristiken versucht worden, und es gibt wohl keine philosophische Schule, der man ihn nicht bisweilen zugerechnet hat. Man hat ihn einen Empiristen oder Rationalisten, einen Sensualisten oder Intellektualisten, einen Stoiker, einen Skeptiker oder Relativisten genannt. Nyblaeus, der Thorild mit den Augen Boströms sieht, will seine Lehre als »höheren Empirismus« bezeichnen, der sich zur Stufe der eigentlich philosophischen Weltanschauung, zur Stufe des Boströmschen Persönlichkeitsidealismus, nicht zu erheben vermochte.4 Andere, wie LjungMartin Lamm, Upplysningstidens romantik. Den mystiskt sentimentala strömningen i svensk litteratur, 2 Bde., Stockholm 1918 u. 1920, Bd. II, S. 416 f. [»Och fråga är väl, om han ej haft en ojämförligt större betydelse som litterär gladiator än som tänkare och om ej hans lysande repliker och kvicka invektiv skola komma att äga den längsta livskraften. […] Att han under dessa oavlåtliga strider ständigt försvarar sina åsikter med metafysiska argument, är kanske ej heller ett så ovedersägligt bevis på att han skapats för den filsofiska studiekammaren […] Detta vädjande i tid och otid till de filosofiska skälen synes mig snarare tyda på att filosofien för honom åtminstone lika mycket var en tankelek som en brottning med verkliga problem. […] Han är en frände till Erasmus Montanus, och man kan ej låta bli att erinra sig, att han etnografiskt är landsman till den av honom beundrade ›gudomlige norrbaggen‹ Holberg.«]. 4 Axel Nyblaeus, Den filosofiska forskningen i Sverige. Från slutet af adertonde århundradet, framstäld i sitt sammanhang med filosofiens allmänna utveckling, Bd. I, Lund 1873, S. 221 u. 273 ff. [Zitat S. 273: »högre empirismen«]. 3

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gren, betrachten Thorild als reinen »Gefühlsphilosophen«, der an die Seite Rousseaus und in seinen erkenntnistheoretischen Grundan | schauungen an die Seite Lockes gestellt werden müsse.5 In der neueren Forschung hat man seit Karitz’ eindringenden Untersuchungen insbesondere den Einfluß von Spinoza und Leibniz auf Thorild betont.6 Für Albert Nilsson ist Thorild vor allem der Vorkämpfer für die Aufklärungsideen und entschiedener Rationalist.7 Den Einfluß der Stoa stellt die neueste Darstellung von Roland Fridholm in den Mittelpunkt.8 So erhalten wir hier nicht nur ein buntes, sondern ein durchaus widerspruchsvolles Bild – ein Bild, das uns dazu veranlassen könnte, das Problem überhaupt aufzugeben und uns bei der Anschauung zu beruhigen, daß Thorild im Gebiet der Philosophie über einen vagen Eklektizismus nicht hinausgekommen sei und überhaupt keine selbständige Gedankenrichtung vertrete. Aber zu einer derartigen Lösung wird man sich schon aus stilkritischen Gründen schwer entschließen. Ob ein Denker selbständig oder bloßer Nachahmer ist, ob er eine in sich geschlossene Gesamtanschauung besitzt oder nur einzelne Anregungen, die ihm da oder dort begegnen, ergreift: das pflegt sich schon in der Form, die er seinen Gedanken gibt, zu bekunden. Was Thorild betrifft, so hat er eine streng schulmäßige Darstellung und Entwicklung seiner philosophischen Überzeugungen freilich verschmäht, und nichts in seinem Stil schmeckt nach der Studierstube. Aber auf der anderen Seite ermangelt dieser Stil durchaus nicht der gedanklichen Bestimmtheit. Thorild wollte kein philosophisches »System« aufstellen; aber alles, was er lehrte, hat einen sehr ausgeprägten Charakter und eine eigentümliche Physiognomie. Er war von einer ungeheuren Streitlust erfüllt und im Gebrauch der Mittel, die er gegen seine Gegner anwandte, wenig wählerisch. Aber nichts deutet darauf hin, daß die Kampfworte, die er geprägt hat, für ihn bloße Schlagworte gewesen sind, die er je nach dem besonderen Anlaß verwendet hat. Die Kraft von Thorilds Stil beruht eben darauf, daß man in jedem seiner Sätze, in so leidenschaftli5 Gustaf Ljunggren, Svenska vitterhetens häfder efter Gustaf III:s död, Bd. I: Kellgren. Leopold. Thorild, Till och med 1792, Lund 1873, S. 200 f. u. 579 f. 6 Vgl. Anders Karitz, Thorild och hans filosofi, in: Till Thorilds minne, den 1 Oktober 1908 af litteraturhistoriska seminariet i Lund, Lund 1908 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt. 1, Bd. 4, Nr. 1), S. 69–107, und ders., Tankelinjer hos Thorild. Ungdomsårens filosofi, Diss., Lund/Leipzig 1913 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt. 1, Bd. 9, Nr. 5). 7 Albert Nilsson, Thomas Thorild. En studie över hans livsåskådning, Stockholm 1915, S. 41 ff. u. 151 ff. 8 Roland Fridholm, Thorild och antiken, Diss., Göteborg 1940.

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chem Über | schwang sie auch oft gesprochen sind, eine feste und dauernde Überzeugung spürt. Sie sind von einem echten philosophischen Pathos erfüllt und von einem echten philosophischen Eros getragen. Wenn der Stil der Mensch ist, so muß Thorild in irgendeinem Sinne »Philosoph« sein. Er ist es freilich nicht im Sinne eines strengen Systematikers. Ihn irgendeiner Schule zuzurechnen und ihn unter einen der traditionellen Gattungsbegriffe subsumieren zu wollen, an die wir uns in der Darstellung der Geschichte der Philosophie gewöhnt haben, ist äußerst gefährlich. Thorilds Individualität spottet all solcher schematischen Bezeichnungen, und sie durchbricht immer wieder alle Dämme, die wir mit ihnen zu errichten suchen. Er ist kein kühler und ruhiger Kopf, der die Probleme in allen ihren Konsequenzen durchdenkt und der seine Begriffe dialektisch zergliedert. Alles, was er ergreift, gewinnt sofort den Stempel seiner Persönlichkeit und geht in sein spezifisches Lebensgefühl ein. Dieses charakteristische Lebensgefühl durchdringt auch alle Teile seiner Philosophie. Es spricht sich ebensowohl in seiner Metaphysik wie in seiner Erkenntnislehre, in seiner Naturphilosophie wie in seiner Ästhetik aus. Daß hier der Schlüssel zu all dem liegt, was Thorild als Denker vertreten und gelehrt hat, ist unverkennbar. Es genügt daher nicht, seine Lehren einfach nach ihrem Bestand zu beschreiben. Wir müssen sie vielmehr an ihrer Quelle aufsuchen; wir müssen sehen, wie sie dieser Quelle entspringen, welche neuen Elemente sie durch äußere Einflüsse und Zuflüsse in sich aufnehmen und in welcher Richtung der Gedankenstrom, der hierdurch eingeleitet wird, weitergeht. Thorilds Denken ist, gleich seinem Lebensgefühl, durchaus dynamisch. Es läßt sich demgemäß weder durch seinen Ausgangspunkt noch durch seinen Zielpunkt, weder durch seine Anfänge noch durch sein Endergebnis allein bestimmen. Wir müssen, um uns über seine eigentlich bestimmenden Kräfte klarzuwerden, die gesamte Bewegung mitvollziehen, die es durchläuft. Statt lediglich das Produkt dieses Denkens, wie es sich in einzelnen festen Lehrsätzen darstellt, zu betrachten, müssen wir es in seinem inneren Werden als reinen Prozeß erfassen. Damit nimmt auch die Frage, welcher »Schule« wir Thorild zurechnen sollen, eine andere Gestalt an. Denn es genügt nicht, zu wissen, daß er in einer bestimmten Epoche seiner Entwicklung »Spinozist« oder »Leibnizianer« gewesen ist, daß er die Ideen der Aufklärung oder die des Sturm und Drang | vertreten habe. Es fragt sich vielmehr, welches besondere Motiv ihn zu Spinoza oder Leibniz, zur Aufklärung oder zum Sturm und Drang hingezogen hat und welche Momente er sich von ihnen angeeignet hat. Und bei ihm, dem Dichter-Philosophen, ist diese Motivierung stets in doppelter Richtung zu suchen. Sie

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liegt nicht lediglich in bestimmten objektiven Sachverhalten, sondern zugleich in der subjektiven Weise und gewissermaßen in der subjektiven Stimmung seines Denkens; sie ist niemals bloß durch Reflexion und Abstraktion, sondern durch Gefühl und Einbildungskraft bestimmt. Die Wege der logischen und der psychologischen Erklärung, die wir sonst sorgfältig voneinander scheiden müssen, müssen daher hier verbunden werden: Die wahre »Genese« eines Thorildschen Gedankens ergibt sich immer erst, wenn wir seine Entstehung einerseits aus dem Geist eines bestimmten Problems, andererseits aus dem Geist seines Urhebers, aus Thorilds eigenem Geiste beleuchten. Subjektives und Objektives, psychologische Motivierung und logische Begründung müssen zwar hier, wie überall, auseinandergehalten werden; aber sie dürfen nicht schlechthin geschieden werden, da eine solche Trennung gewissermaßen den Lebensfaden von Thorilds Denken zerschneiden würde. Das Problem nimmt hierdurch freilich eine höchst verwickelte Gestalt an – und es läßt sich verstehen, daß, trotz all der eindringenden Forschungsarbeit, die ihm gewidmet worden ist, eine einheitliche und allgemein anerkannte Lösung von ihm noch nicht erreicht worden ist. Dieser Stand der Dinge mag es erklären und entschuldigen, wenn ich in den folgenden Betrachtungen einen anderen Weg einzuschlagen versuche. Diesen Übergriff in ein fremdes Gebiet, in das Gebiet der schwedischen Philosophie- und Literaturgeschichte, hätte ich nicht gewagt, wenn ich dazu nicht durch eine Einzelbeobachtung ermutigt worden wäre, die sich unmittelbar aus meinem eigenen Arbeits- und Forschungskreise ergab. Von jeher hat die Deutung von Thorilds Erkenntnislehre in der Literatur über Thorild einen Stein des Anstoßes gebildet. Legt man die verschiedenen Darstellungen, die diese Lehre bei Nyblaeus und bei Karitz, bei Albert Nilsson und bei Martin Lamm gefunden, nebeneinander, so zeigt jede von ihnen ein anderes Bild; und in der Polemik, die zwischen Albert Nilsson und Martin Lamm über diesen Punkt geführt worden ist, steigert sich der Gegensatz zu einer Schärfe, | die jede Vermittlung ausschließt. Zwei entgegengesetzte Thesen stehen sich hier kontradiktorisch gegenüber.9 Nun soll keineswegs verkannt und geleugnet werden, daß Thorilds Erkenntnislehre, wenn man sie unter rein systematischen Gesichtspunkten betrachtet, Dunkelheiten und schwer auflösbare Aporien enthält. Aber der Historiker des Erkenntnisproblems wird durch sie sofort an Probleme erinnert, die ihm von 9 Vgl. hierzu besonders den Aufsatz von Albert Nilsson, Thorild ännu en gång, in: Edda 15 (1921), S. 1–43 u. 212–238.

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anderer Seite her bekannt und vertraut sind. Noch bevor er in alle Einzelheiten dieser Lehre eingedrungen ist, wird er sich durch sie in eine bestimmte Atmosphäre des Denkens versetzt fühlen. Denn Thorilds Theorie des Erkennens ist keineswegs eine singuläre Erscheinung. Sie ist nur ein Moment in einer großen Bewegung, die in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts, also in den Jünglings- und Studienjahren Thorilds, einsetzt – die die gesamte philosophische Weltanschauung in neue Bahnen zu lenken versucht, um dann freilich nach kurzer Zeit zu erlahmen. Dieser Bewegung war nur eine kurze Lebensdauer beschieden, und in der Geschichte der Philosophie hat sie keine entscheidende Rolle gespielt; sie verblich vor dem aufgehenden Gestirn der »Kritik der reinen Vernunft«. In der allgemeinen Ideengeschichte des achtzehnten Jahrhunderts bezeichnet sie nichtsdestoweniger einen bedeutsamen Wendepunkt. Haben wir einmal erkannt, daß Thorild diesem allgemeinen Typus der Erkenntnislehre angehört – und der Beweis hierfür läßt sich meines Erachtens systematisch und historisch in aller Strenge führen –, so haben wir damit einen Ariadnefaden im Labyrinth der Thorildschen Philosophie gefunden. Denn die Erkenntnislehre bildet für Thorild freilich nicht, wie für die eigentlichen großen »Kritiker« der Erkenntnis, die Basis und das tragende Fundament des Ganzen. Aber sie ist ebensowenig ein bloßes Beiwerk und ein relativ gleichgültiges Moment. In ihr drückt sich vielmehr der »Geist« der Thorildschen Philosophie in sehr bestimmter und höchst charakteristischer Weise aus, und von ihr gehen Fäden nach allen Richtungen aus, die sie nicht nur mit Thorilds Metaphysik und Naturphilosophie, sondern auch mit seiner Poetik verbinden. Diese Fäden habe ich im einzelnen zu verfolgen gesucht, und auf diesem Wege suchte ich in dem Gewirr der sich kreuzenden und bisweilen einander widersprechenden | Motive, die auf die Ausbildung von Thorilds Philosophie gewirkt haben, eine feste Orientierung zu gewinnen. Ich bitte jedoch, die Resultate, zu denen ich gelangt bin, wenngleich ich sie, um der Deutlichkeit der Darstellung willen, so scharf und so präzis als möglich auszusprechen suchte, nicht als dogmatische Entscheidungen des Problems anzusehen. Sie sind in erster Linie als Fragen gemeint, die ich an die Thorildforschung richten wollte; sie wollen nur eine bestimmte Richtung andeuten, in der wir uns der Lösung der vielen Rätsel, die Thorild uns aufgibt, vielleicht allmählich nähern können. Noch sei ein Wort über die M ethode gestattet, die ich in den folgenden Untersuchungen befolgt habe. Der erste Weg der Interpretation Thorildscher Gedanken, der sich jedem Betrachter aufdrängen muß, ist der Weg der ideengeschichtlichen Analyse und Herlei-

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tung. Ohne die Einrichtung in den ideengeschichtlichen Zusammenhang muß uns vieles an Thorild fremd und unverständlich bleiben. Schon Geijer hat betont, daß man Thorild nur dann gerecht werden könne, wenn man seine Lehre und seine geistige Entwicklung auf dem Hintergrund seiner Zeit betrachtet.10 Dieser Gesichtspunkt ist mit Recht von allen Darstellern Thorilds festgehalten worden. In sorgsamen Einzelanalysen hat man sein Verhältnis zu Spinoza und Leibniz, zu den Denkern der französischen Aufklärung und zu Rousseau, zu Shaftesbury, zu Young studiert. Die Notwendigkeit dieser Betrachtungsweise und ihre Fruchtbarkeit bestreite ich so wenig, daß ich versucht habe, sie noch wesentlich zu erweitern, wobei ich vor allem bestimmten, bisher nicht beachteten Beziehungen Thorilds zur deutschen Geistesgeschichte nachgegangen bin. Aber wenn wir diese Methode allein anwenden, so bleibt noch immer ein Hauptproblem ungelöst. Denn selbst die vollständige Kenntnis der Quellen Thorilds vermag uns nichts darüber zu sagen, wie all die verschiedenen Momente, die er von antiken Denkern, von Spinoza, von Leibniz, von Shaftesbury oder Rousseau entnahm, sich in seinem Geist zueinandergefügt und in welcher Weise sie ineinander eingegriffen haben. Diese innere Beziehung der einzelnen Lehrstücke bleibt so lange ungeklärt, als wir nicht jedes von ihnen in ebendem Lichte sehen, in dem es Thorild erschien. Thorild hat ja sicherlich nicht einzelne Begriffe oder Prinzipien von diesem oder jenem Denker übernommen, um sie als »dis | jecta membra« irgendwie miteinander zu verbinden. Er eignete sich nur das an, was für ihn eine spezifische Bedeutung besaß – und diese Bedeutung war für ihn oft eine ganz andere als bei den eigentlichen Urhebern selbst. Sie festzustellen kann nicht auf dem Wege der genetischen Untersuchung, sondern nur auf dem Wege der systematischen Rekonstruktion von Thorilds Gedanken gelingen. Die Ursprungsfrage läßt sich nur lösen, wenn wir über die Bedeutungsfrage Klarheit gewonnen haben. Solange wir nicht wissen, was gewisse Ausdrücke wie »sinne« und »förstånd« bei Thorild besagen, welchen Gehalt sie in sich bergen und welche gedankliche Tendenz sie ausdrücken, können wir nicht darüber entscheiden, ob Thorild durch den Gebrauch dieser Ausdrücke zum »Sensualisten« oder »Rationalisten« geworden ist. Diese Schwierigkeit tritt besonders deutlich hervor, wenn man die eingehende Untersuchung über Thorilds Entwicklung liest, die Arvidson gegeben hat.11 Diese Ent10 11

1931.

Geijer, Thorild, S. 37 ff. Stellan Arvidson, Thorild. Studier i hans ungdomsutveckling, Diss., Lund

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wicklung zeigt in Arvidsons Darstellung ein merkwürdig buntes Bild, und sie verläuft in seltsamen Sprüngen. Wir erfahren von plötzlichen Umschlägen, die Thorild, oft im Verlauf eines einzigen Jahres, von einem Standpunkt zu dem genau entgegengesetzten geführt haben. Eben noch Sensualist, entschließt er sich, zum Rationalismus überzugehen; eben noch Materialist und Anhänger des »Système de la nature«, wird er zum Pantheisten und Vitalisten. Ich gestehe, daß mir eine solche Entwicklung bei Thorild wenig wahrscheinlich und daß die Lösung, die hier geboten wird, mir auch psychologisch unbefriedigend erscheint. Denn Thorild ist in seinem Denken nicht unstet oder wankelmütig, und ebensowenig ist er vorsichtig abwägend. Er tastet nicht langsam nach verschiedenen Möglichkeiten der Lösung eines Problems; er stürzt sich vielmehr, wie Tegnér in einem bezeichnenden Bilde gesagt hat, gleich dem Löwen mit einem einzigen Sprung auf seine Beute. Hartnäckigkeit und Eigensinn sind weit eher die Fehler, die man ihm vorwerfen kann, als Veränderlichkeit und schnelle Beeinflußbarkeit. Hat er einmal einen Gedanken erfaßt, so kämpft er für ihn bis zum Äußersten. Thorild besitzt bereits als Zwanzigjähriger eine fertige Metaphysik, die er bis in seine Mannesjahre, bis in die Schriften der Greifswalder Zeit, fast unverändert festgehalten hat. Er gehörte, gleich Schelling, zu den in der Philosophie so seltenen frühreifen | Geistern. Seine Entwicklung hat freilich nicht gehalten, was die Anfänge versprachen. Seine eigentliche Produktivität fällt in die Zeit der ersten Jugend. Er selbst hat in einem Brief einmal betont, daß alle seine Hauptschriften in der Zeit vom 19. bis zum 24. Jahre von ihm verfaßt worden sind – »Passionerna«, »Den Nye Granskaren«, die Ode »Inbildningens nöjen« nennt er die »Funken eines Jugendfeuers«.12 Ist dieses Jugendfeuer so rasch erloschen, wie es aufgeflakkert ist? War Thorilds Philosophie nur ein prasselnder Funkenregen von einzelnen Gedanken, oder läßt sie sich einer ruhigen, stetig leuchtenden Flamme vergleichen? Thorild hat in seiner Ästhetik das Genie als die Vereinigung von Kraft und Harmonie erklärt. Hat er, wenn man ihn mit diesem Maße mißt, Anspruch auf den Namen eines Genies? Die Kraft in seinem Wesen liegt deutlich zutage, und keiner, der mit ihm in Berührung kam, konnte sie verkennen oder sich ihr ganz entziehen. Die Harmonie aber ist ihm nicht nur von seinen Gegnern, die den ersten Ansturm seiner Kraft auszuhalten hatten, abgesprochen 12 S. die Briefe an Pehr Tham vom 10. und 30. Juli 1787, in: Thomas Thorilds bref, hrsg. v. Lauritz Weibull, Bd. III, Uppsala 1902 (Skrifter utgifna af svenska literatursällskapet, Bd. 19/3), S. 141 f. [S. 142: »gnistorne af en ungdoms eld«] und 142.

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worden; auch spätere Beurteiler – wie z. B. Ljunggren – haben erklärt, daß Thorilds Verhalten im Streit gegen Kellgren und Leopold fast wie das eines Wahnsinnigen wirken könne.13 Trotzdem scheint es mir, daß wir hier das Urteil Geijers annehmen müssen. »[…] wem ist es nicht bekannt«, so sagt er zu Beginn seines Thorildaufsatzes, »daß Thorild allgemein als ein regelloses ungeheuerliches literarisches Phänomen angesehen wird? Dennoch war auch er in seiner Ordnung, und nicht nur außerordentlich.«14 Aber die Harmonie bei Thorild ist in jedem Falle eine verborgene Harmonie; sie ist, um mit Heraklit zu sprechen, eine Cµονη φαν ς. Die Aufgabe der folgenden Untersuchung soll es sein, diese »unsichtbare Harmonie« sichtbar werden zu lassen, indem wir uns in den Mittelpunkt von Thorilds Denken versetzen; indem wir seine Gedanken nicht nur dem Inhalt nach betrachten, sondern auch versuchen, sie aus ihrem eigentlichen Grunde entspringen zu lassen – ein Grund, der bei Thorild freilich nicht in streng objektivem Sinne, als logisches Prinzip und Fundament, sondern als Persönlichkeits- und Lebensgrund verstanden werden muß. |

Ljunggren, Svenska vitterhetens häfder, S. 215 ff. Geijer, Thorild, S. 38 [»[…] och vem är det obekant, att Thorild allmänneligen anses för ett regellöst, vidunderligt litterariskt fenomen? Likväl var även han i sin ordning, och ej blott utomordentlig.«]. 13 14

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erstes kapitel. Thorilds Spinozismus In den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts – es ist die Zeit, in der Thorild sein Studium in Lund absolviert und in der er die ersten Jugendeindrücke empfängt, die sich ihm tief einprägen und die für sein gesamtes Leben und Denken bestimmend geblieben sind – vollzieht sich eine geistige Bewegung, die anfangs noch in einen engen Kreis eingeschlossen bleibt. Aber so gering ihre Weite und ihr Umfang auf den ersten Blick erscheint, so intensiv sind ihre Wirkungen. Denn es sind gerade die tiefsten und produktivsten Geister, die von ihr ergriffen werden. Der erste, der nicht nur von ihr erfaßt wird, sondern der sich auch sofort über ihren Ursprung und ihr Ziel im klaren war, ist Lessing gewesen. Es zeigt sich auch hier, daß Lessing, so fest er in seiner Zeit stand, weit über diese Zeit hinausdachte. Als Lessing mit Friedrich Heinrich Jacobi am 1. August 1780 zu Besuch bei Gleim in Halberstadt weilte, da schrieb er an die Tür des Gartenhauses von Gleim die Worte » Eν κα πGν«. Sie waren der Nachklang jenes berühmten Gespräches, das Jacobi kurz zuvor mit ihm geführt hatte. »Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. Eν κα πGν! Ich weiß nichts anders.« »Da wären Sie ja mit Spinoza ziemlich einverstanden«, wirft Jacobi erstaunt und bestürzt ein. Und Lessing erwidert: »Wenn ich mich nach jemand nennen soll, so weiß ich keinen andern.«1 Er wollte sich nach keinem bestimmten Denker nennen, und er lehnte es ab, auf die Worte eines philosophischen Meisters zu schwören. Aber er erklärte, Spinoza zu kennen, wie nur sehr wenige ihn gekannt haben mögen – und sein Gerechtigkeitsgefühl und sein kritischer Sinn empörte sich dagegen, daß man von Spinoza wie »von einem todten Hunde«2 rede. | Dies war in der Tat, durch mehr als ein Jahrhundert, das Schicksal Spinozas und seiner Lehre gewesen. Bayles Kritik im »Dictionnaire historique et critique« war sachlich gemeint; aber sie war Bayle unter der Hand, statt zu einer Darstellung, zu einer Travestie des Spinozismus geworden. Er, der sonst eine so ungewöhnliche Gabe der Aneignung fremder philosophischer Gedanken besaß und der selbst das Entlegenste und Fremdartigste in seinen Kreis zu ziehen versuchte, hatte an dieser Aufgabe versagt. Auch die Schulphilosophie war in ihrem VerdammungsS. Friedrich Heinrich Jacobi, Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn (Werke, 6 Bde., Leipzig 1812–1825, Bd. IV), S. 51 ff. [Zitat S. 54]. 2 [A. a. O., S. 68.] 1

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urteil über Spinoza einig. In Frankreich erklärt Voltaire zwar, daß man sowohl die Persönlichkeit Spinozas wie seine Werke mißverstanden habe; aber auch er kommt zu dem Schluß, daß das Gebäude des Spinozismus auf der Unwissenheit der Physik und auf dem ärgsten Mißbrauch der Metaphysik aufgebaut sei.3 In Deutschland hat Christian Wolff seine gewohnte Schärfe und Gründlichkeit auch in der Prüfung von Spinozas Lehre walten lassen. Diese Prüfung ist in Wolffs »Theologia naturalis« enthalten;4 sie stellt die Grundbegriffe von Spinozas Metaphysik bestimmt auf, um aus ihnen in strenger systematischer Beweisführung die Folgerungen des Atheismus und Fatalismus zu entwickeln. Die meisten Wolffianer sind dem Meister auf diesem Wege gefolgt. Wenn Lessing seinem Freunde Mendelssohn die Wendung zum Spinozismus verschwieg, so wußte er, warum er es tat; er wollte dem überzeugten Anhänger des Wolffschen Systems den Schmerz ersparen, in den ihn ein solches Geständnis hätte versetzen müssen und den er später, bei der Enthüllung Jacobis, wirklich empfand. Aber die eigentliche Spinozarenaissance ist nicht erst durch Lessing und durch sein Gespräch mit Jacobi eingeleitet worden. Lange bevor dies Gespräch stattfand, hatten Herder und Goethe Spinozas Lehre auf eigenen Wegen entdeckt und sie innerhalb ihres Kreises, innerhalb des »Sturmes und Dranges« verbreitet. Hat man sich in der Literaturgeschichte und in der allgemeinen Geistesgeschichte jemals die Frage gestellt, wie es kam, daß gerade die Epoche des Sturm und Drang den Ideen Spinozas zum Durch | bruch verholfen hat, und ist man sich der Merkwürdigkeit und der Paradoxie dieser Tatsache bewußt geworden? Niemand wird auf den ersten Blick irgendeine Ähnlichkeit zwischen den Grundtendenzen des Sturm und Drang und denen des Spinozismus entdecken können. Folgt man der Auffassung, die insbesondere Friedrich Heinrich Jacobi vertreten hat, so ist der Spinozismus nicht nur aus dem Rationalismus entsprungen, sondern er ist »der« Rationalismus selbst: Jede konsequente rationalistische Philosophie muß, früher oder später, in ihm enden. Wie konnte die Sturm- und Drangperiode ein solches System verherrlichen – ja wie Voltaire, Lettres sur Spinoza (Œuvres complètes, hrsg. v. Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat de Condorcet u. Jacques Joseph Marie Decroix, Bd. XXXIV), Paris 1821, S. 344 ff. 4 Christian Wolff, Theologia naturalis, methodo scientifica pertractata (§ 671– 716), Bd. II, Frankfurt/Leipzig 1737, S. 672–730. Einen Auszug aus dieser Spinozakritik hat Heinrich Scholz in der Einleitung zu seiner Ausgabe von »Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn« (Neudrucke seltener philosophischer Werke, hrsg. von der Kantgesellschaft, Bd. VI), hrsg. v. Heinrich Scholz, Berlin 1916, S. IX–CXXVIII, gegeben. 3

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konnte sie es nur dulden? Hatte sie nicht der Herrschaft der »Vernunft« den Krieg erklärt, und wandte sie nicht alle Mittel an, um diese Herrschaft zu stürzen? Spinozas Ethik ist strenger Universalismus, der die Resignation des Individuums, ja seine Auslöschung verlangt; die Ethik des Sturm und Drang ist schrankenloser Individualismus, der die volle Entfaltung aller Kräfte des einzelnen fordert. Spinozas Naturbegriff ist abstrakt und mathematisch; er verwirft alles, was dem Kreise der bloßen »Einbildungskraft« angehört; er sieht die »imaginatio« als Quelle alles Irrtums an. Für den Sturm und Drang wird dagegen dieses von Spinoza verworfene Vermögen zum Schlüssel jeder wahren Naturerkenntnis. Nicht dem Begriff und dem rechnenden Verstand, sondern nur dem Gefühl und der Phantasie kann sich die Natur erschließen. Wo konnte es hier einen Berührungspunkt geben, und wie konnte sich das Band zwischen dem Sturm und Drang und dem Spinozismus knüpfen? Die Antwort auf diese Frage läßt sich, wie mir scheint, nur gewinnen, wenn wir nicht vom Bestand des Spinozismus, als einer in sich geschlossenen spekulativen Lehre, ausgehen, sondern wenn wir die Funktion ins Auge fassen, die er für die Dichter und Denker der neuen Generation zu erfüllen hatte. Alles, was sonst dem Leben einen festen und sicheren Halt geboten hatte, war für diese Generation ins Wanken geraten. Die »orthodoxen Begriffe von der Gottheit« galten nicht mehr für sie. Der Glaube an die Staatsautorität war durch die Mißbräuche, deren sich diese Autorität schuldig gemacht hatte, aufs schwerste erschüttert; überall regte sich eine revolutionäre Leidenschaft, die nur auf den Augenblick wartete, um alle Dämme zu durchbrechen. Alle ständischen und sozialen Konventionen wurden beiseitegeschoben; man hat von | Rousseau gelernt, den wahren Menschen, den »homme naturel«, vom »homme artificiel« zu unterscheiden. Selbst die Ehre, die für die Menschen des siebzehnten Jahrhunderts die eigentlich bewegende Kraft gebildet und die ihre dichterische Legitimation und Verklärung in der klassischen Literaturepoche gefunden hatte, ist in ihrem wirklichen Wert fragwürdig geworden. »Hat man je etwas so unbilliges gehört«, so sagt der Held in Leisewitz’ Drama »Julius von Tarent« zu seinem Bruder Guido, als dieser ihm das Gebot der Ehre vorhält, »[als die Liebe] die erste Triebfeder der menschlichen Natur mit der Grille einiger Thoren zu vergleichen!«5 In diesem Sturm Johann Anton Leisewitz, Julius von Tarent (Akt 3, Szene 3), in: Julius von Tarent und die dramatischen Fragmente, Stuttgart 1889 (Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, in Neudrucken hrsg. v. Bernhard Seuffert, Bd. 32), S. 1–127: S. 77. 5

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und Aufruhr aller Gefühle, in diesem Umsturz aller Werte sucht man nach irgendeinem festen Punkt und nach einem sicheren Ankergrund. Und die Lehre Spinozas war es, in der man diesen Grund gefunden zu haben glaubte. So war es gerade der polare Gegensatz, in welchem sie sich zur Lebensstimmung des Sturm und Drang befand, was sie diesem wert und was sie ihm zuletzt unentbehrlich machte. Wir brauchen dies nicht mittelbar zu erschließen; wir besitzen hierfür vielmehr ein vollgültiges und wahrhaft klassisches Zeugnis: das Zeugnis eines Mannes, der mitten in dieser Bewegung stand und der wie kein anderer dazu berufen war, sie nach ihrem eigentlichsten, tiefsten Sinn zu deuten. »Nachdem ich mich […] in aller Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens […] umgesehn hatte«, so berichtet Goethe in »Dichtung und Wahrheit«, »gerieth ich endlich an die Ethik [Spinozas]. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wüßte ich keine Rechenschaft zu geben, genug ich fand hier eine Beruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine große und freie Aussicht über die sinnliche und sittliche Welt aufzuthun. […] Übrigens möge auch hier nicht verkannt werden, daß eigentlich die innigsten Verbindungen nur aus dem Entgegengesetzten folgen. Die alles ausgleichende Ruhe Spinoza’s contrastirte mit meinem alles aufregenden Streben, seine mathematische Methode war das Widerspiel meiner poetischen Sinnes- und Darstellungsweise, und eben jene geregelte Behandlungsart, die man sittlichen Gegenständen nicht angemessen finden wollte, machte mich zu seinem leidenschaftlichen Schüler, zu seinem entschiedensten Verehrer. Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten sich mit | nothwendiger Wahlverwandtschaft, und durch diese kam die Vereinigung der verschiedensten Wesen zu Stande.«6 Hier erfassen wir in voller Klarheit, in welcher Weise die junge Generation, die in Goethe und Herder ihre geistigen Führer sah, Spinoza las und wie sie ihn empfand. Ob und auf welchen Wegen die Wellen dieser Bewegung nach Schweden gelangt sind und wann sie das schwedische Geistesleben zuerst berührt haben; das ist eine Frage, auf die, soviel mir bekannt, die literarhistorische Forschung noch keine sichere Antwort gegeben hat. Albert Nilsson hat die Vermutung geäußert, daß Thorilds Spinozastudium in Verbindung mit den Anfängen der Spinozarenaissance in Deutschland gestanden habe, eine Ansicht, die Martin Lamm zwar nicht von der Hand weist, der 6 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit (14. Buch) (Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 4 Abt., insges. 133 Bde. in 143 Bdn., Weimar 1887–1919, 1. Abt., Bde. XXVI–XXIX), Bd. XXVIII, S. 288 f.

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er aber doch skeptisch gegenübersteht, da er erklärt, daß sich im übrigen bei Thorild keine direkte Berührung mit Herders und Goethes ihm nahestehender Anschauung zeige.7 An einem Punkte jedoch findet sich nicht nur eine solche Berührung, sondern hier können wir direkt die Brücke schlagen. Die Bekanntschaft Thorilds mit Spinoza stammt aus den letzten Jahren seines Studiums in Lund;8 wir können sie mit großer Wahrscheinlichkeit in die Jahre 1779 und 1780 setzen.9 Ein Jahr zuvor war eine Schrift erschienen, die – wie sich mit Sicherheit erschließen läßt10 – Thorild nicht nur gelesen hat, sondern die auch einen starken und bleibenden Eindruck auf ihn gemacht hat. Es ist die Schrift Herders »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele«. Vom Spinozismus ist in dieser Schrift nicht unmittelbar die Rede: Die Untersuchung bewegt sich vielmehr in den Bahnen der Leibnizschen Psychologie und Erkenntnislehre. Aber an einer Stelle kommt Herder auf Spinoza zu sprechen. Am Schluß des ersten Teils seiner Abhandlung wird er auf das Problem der Willensfreiheit geführt, das er im Sinne des strengsten Determinismus entscheidet. »Von Freiheit schwätzen, ist sehr leicht, wenn man jedem Reiz, jedem Scheingut als einer uns sufficienten Ursache dienet. Es ist | meistens ein erbärmlicher Trug mit diesen sufficienten Gründen […] Sobald man ins Spekuliren kommt, kann man aus Allem Alles machen, dünkt sich aufgeflogen zum Empyreum, und der arme Wurm liegt noch in der Hülle ohne Flügel und Frühling. – Da ists wahrlich der erste Keim zur Freiheit, fühlen, daß man nicht frei sei, und an welchen Banden man hafte? Die stärksten freisten Menschen fühlen dies am tiefsten, und streben weiter […] Wo Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Je tiefer, reiner und göttlicher unser Erkennen ist, desto reiner, göttlicher und allgemeiner ist auch unser Würken, mithin desto freier unsre Freiheit. […] Wir stehen auf höherm Grunde […] wandeln im großen Sensorium der Schöpfung Gottes, der Flamme alles Denkens und Empfindens, der Liebe. Sie ist die höchste Vernunft, wie das reinste, göttlichste Wollen; wollen wir dieses nicht dem h. Johannes, so mögen wirs dem ohne Zweifel noch göttlichern Spi-

7 Nilsson, Thomas Thorild, S. 7; Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 137. 8 Vgl. Lauritz Weibull in seiner Ausgabe von Thorilds Briefen, Brief an Sven Erland Heurlin vom 12. Oktober 1780, in: Thomas Thorilds bref, hrsg. v. Lauritz Weibull, Bd. I, Uppsala 1899 (Skrifter utgifna af svenska literatursällskapet, Bd. 19/1), S. 17–20: S. 19 Anm. 2. 9 Über die Gründe dieser Datierung vgl. Arvidson, Thorild, S. 92. 10 Zur näheren Begründung s. Kap. 3, S. 171 ff.

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no za glauben, dessen Philosophie und Moral sich ganz um diese Achse beweget.«11 Es ist möglich, daß diese Worte Herders den ersten zündenden Funken gebildet haben, durch den die Spinozabewegung von Deutschland nach Schweden übertragen wurde. Wenn Thorild diese merkwürdigen Sätze kurz nach dem Erscheinen von Herders Werk gelesen hat – eine Annahme, die sich fast zur Gewißheit erheben läßt –,12 welchen Eindruck mußten sie auf ihn machen! Das Jahr 1778, in dem Herders Schrift erscheint, ist für Thorild ein Jahr der schweren inneren Krise. Noch zu Anfang des Jahres ist er – wie sich aus einem Brief an seinen Jugendfreund Hylander ergibt – gläubiger Christ gewesen.13 Aber unmittelbar darauf muß sich der Bruch vollzogen haben, durch den sich Thorild für immer vom Christentum entfernt hat. In dem Aufsatz »En pantheists anmärkningar vid Reimarus« tritt er als überzeugter Anhänger des Pantheismus auf, den er gegen orthodoxe und philosophische Angriffe verteidigt.14 Das große Problem, das nun für ihn | entstehen mußte, bestand darin, wie auf dem neuen Boden, auf dem Boden des Naturalismus und Determinismus, sich eine Ethik aufbauen lasse. Wenn jetzt ein Denker wie Herder, der der geistige Führer und Vorkämpfer der jungen Generation war, erklärte, daß eine solche Ethik nicht nur möglich, sondern daß sie auch vollkommener und »göttlicher« sei als alle früheren Sittenlehren, so war Thorilds ganzes Streben mit einem Schlage bestätigt und gerechtfertigt. Und wenn nach Herder diese Rechtfertigung aus Spi noza geschöpft werden konnte: welchen Ansporn mußte das nicht für Thorild bilden, sich in dessen Schriften zu versenken! Aber wir wollen nicht bei bloßen Wahrscheinlichkeiten stehenbleiben, so viele Argumente sich auch für sie anführen lassen mögen. Wir müssen damit rechnen, daß es keines äußeren Anstoßes für das Spinozastudium Thorilds bedurfte, daß er seinen Weg zu Spinoza selbständig und aus eigenem Antrieb gefunden hat. Auch in diesem Fall bleibt die Beziehung zu der gleichzeitigen Spinozarenaissance in 11 Johann Gottfried Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. Bemerkungen und Träume, in: Sämmtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan, 33 Bde., Berlin 1877–1913, Bd. VIII, S. 165–333: S. 201 f. 12 Vgl. unten (Kap. 3), S.173 ff. 13 Der Brief ist wahrscheinlich am Karfreitag des Jahres 1778 geschrieben; vgl. den Brief an Anders Hylander (1778), in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 5 f.: S. 5 Anm. 14 Die Kriterien der Handschrift und andere Momente sprechen nach Arvidson, Thorild, S. 70, dafür, daß dieser Aufsatz in das Jahr 1779 oder spätestens in das Frühjahr 1780 zu setzen ist.

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Deutschland bestehen; ja, sie erscheint in noch hellerem Lichte. Denn nun können wir uns, am Beispiel Thorilds, abermals den allgemeinen geistigen Hintergrund der großen Bewegung klarmachen, die zur Erneuerung des Spinozismus geführt hat. Für Thorild bestand dieselbe innere seelische Bereitschaft für Spinoza, die für Herder und Goethe bestand. Auch er war kein kühler Denker, kein Systematiker der Philosophie. Er konnte niemals mit seinem Kopf allein, er mußte mit seinem ganzen Wesen und seiner Persönlichkeit denken. Ohne Leidenschaft gibt es nach Thorild keine Philosophie, sowenig es ohne sie eine Kunst gibt. »Pathos, pathos!«, so schreibt er in sein Tagebuch, »Innerlich, heftig von allem berührt werden. Unendliches Gefühl für Himmel und Abgrund, für Schutt und Sonne, für Blumen und Wälder, für eine Hütte und die Welt, für aller Dinge Entstehen und Vergehen, Dämmerung und Ausgang, für das Kleinste vom Kleinen, das dürftigste Leben wie für alles Mächtige und Prächtige, für Glanz und Freude!«15 In dieser Kraft der Mitempfindung, der universellen Sympathie, die gleich sehr Hohes und Niedriges umfaßt, sah Thorild die eigentliche und wesentliche Gabe des Genies, und sie forderte er nicht nur vom Dichter, sondern auch vom Philosophen. Aber diesem Pathos Thorilds stand von Anfang an eine andere | Kraft und eine andere Sehnsucht gegenüber. Er wollte nicht nur der Allempfindende, er wollte der »Weise« mit dem Allblick und dem umfassenden Überblick sein. »Universalität von Genie und Seele«, so schreibt er, »das ist der wahre Plan meines Lebens.«16 Dieser Zug seines Wesens ist es, was auch ihn zwingt, nach einer Beruhigung seiner Leidenschaften zu streben und sich nach einer »großen und freien Aussicht über die sinnliche und sittliche Welt« umzusehen. Dieser Wunsch wird ihm, wie Goethe, durch Spinoza gewährt. Aber zum einfachen Schüler Spinozas konnte er sowenig wie dieser werden. Denn was ihn zu Spinoza hintrieb, war auch hier nicht die Übereinstimmung, sondern der Gegensatz. Was ihm Spinoza wert machte, war nicht eine ursprüngliche Gleichheit oder Ähnlichkeit des Empfindens; es war vielmehr der Umstand, daß er ihn als Gegenpol zu sich empfand und daß er dieses geistigen Gegenpols für seine innere Bildung bedurfte. Erst hieraus läßt sich, wie mir scheint, das höchst 15 Thomas Thorild, Utdrag af en dagbok, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, 2 Bde., Uppsala 1874, Bd. I, S. 327–336: S. 335 [»Pathos, pathos! – Röras af allt, innerligen, ljufligt. Oändlig känsla, för klyfta och himlar, för grus och solar, för blommor och skogar, en koja och verlden, för allt tings uppkomst och fall, gryning och utgång, för det minsta af det minsta, torftigaste lif och allt af herskap, prakt, glans och glädje.«]. 16 A. a. O., S. 329 [»Universalitet af snille och själ – det är mitt lifs sanna plan.«].

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verwickelte Verhältnis verstehen, in dem Thorild zu Spinoza steht. Es läßt sich begreifen, daß er sich dem Spinozismus ganz hingeben konnte, ohne doch jemals mit ihm verschmelzen zu können. Er fühlte sich ständig von ihm angezogen und zu ihm hingezogen; aber es gab von Anfang an zwischen ihm und der Lehre Spinozas eine feste Grenze, die er nicht überschreiten konnte und die er nicht überschritten hat. Seine Aneignung dieser Lehre vollzieht sich nicht in ruhiger Betrachtung und Hinnahme, geschweige in einer einfachen Übernahme bestimmter schulmäßiger Begriffe und Lehrsätze. Sie vollzieht sich in einem inneren Kampf, in einem ständigen Ringen mit den Problemen, in einer Dialektik des Gedankens und des Gefühls. Diese Dialektik ist es, die dem Spinozismus Thorilds seine besondere Farbe und, geistesgeschichtlich betrachtet, seinen größten Reiz gibt. Denn hinter dem begrifflichen Kampf, der sich hier vor unseren Augen abspielt, steht zugleich ein seelischer Kampf. Thorild war von einem ungeheuren Selbstbewußtsein beseelt: einem Selbstbewußtsein, das nicht nur seinen zeitgenössischen Gegnern, sondern auch späteren Kritikern bisweilen bis an die Grenze des Krankhaften zu gehen schien.17 Aber diesem schrankenlosen Individualismus des Fühlens stand bei ihm ein Denken gegenüber, das sich an das Gebot des Universalismus | band. Diese Forderung wurde in ihm durch Spinoza verstärkt und ständig wachgehalten. »Unser physisches sowohl als geselliges Leben, Sitten, Gewohnheiten, Weltklugheit […] Religion«, so sagt Goethe mit Hinblick auf Spinoza, »alles ruft uns zu: daß wir entsagen sollen. […] Wir setzen eine Leidenschaft an die Stelle der andern; Beschäftigungen, Neigungen, Liebhabereien, Steckenpferde, alles probiren wir durch, um zuletzt auszurufen, daß alles eitel sei. Niemand entsetzt sich vor diesem falschen, ja gotteslästerlichen Spruch; ja man glaubt etwas Weises und Unwiderlegliches gesagt zu haben. Nur wenige Menschen gibt es, die solche unerträgliche Empfindung vorausahnen, und, um allen partiellen Resignationen auszuweichen, sich ein- für allemal im Ganzen resigniren. Diese überzeugen sich von dem Ewigen, Nothwendigen, Gesetzlichen, und suchen sich solche Begriffe zu bilden, welche unverwüstlich sind, ja durch die Betrachtung des Vergänglichen nicht aufgehoben, sondern vielmehr bestätigt werden.«18 Der »partiellen Resignation« war Thorild sehr wenig fähig; aber die Fähigkeit, sich »im Ganzen zu resignieren«, hat er besessen. Ich stimme Lamm bei, wenn er sagt, daß Thorild seinem Temperament nach die Spinozistische Resignation und Harmonie 17 18

Vgl. z. B. das Urteil Ljunggrens, Svenska vitterhetens häfder, S. 215. Goethe, Dichtung und Wahrheit (14. Buch), Bd. XXIX, S. 9 f.

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sehr fern lag.19 Aber schon von früher Jugend an hielt ihm seine Vernunft und seine Philosophie unablässig diese Forderung vor, und ihr versuchte er zu genügen. »Es ist der Fehler der Natur«, so schreibt er an Heurlin, »daß der Mensch nicht alle Sinne hat und daß er nicht die Kreise aller Dinge umfassen kann. Aber dies tut der Weise. […] Er sieht mit denselben Augen wie Gott. Er sieht, wie die ewigen Kräfte der Natur sich in unendlichem Leben regen und sich in allem und jedem ausdrücken. […] Der Philosoph, der Richter der Welt, darf nicht parteiisch sein. Er muß den törichten, unwissenden, aufrührerischen Menschen ersticken. Er muß ihn die hohe tröstende Demut der Vernunft lehren. […] Entsagung! Durch dich geht man in den Himmel des ewigen Friedens ein und findet noch im Leid selbst Seligkeit und Ehre.«20 Thorild fühlte sich, wie alle seine Äußerungen über Spinoza bezeugen, durch ihn »in einen Himmel des ewigen Friedens« versetzt; aber er brauchte, um dieses Gefühl zu genießen, keineswegs alle metaphy | sischen Einzelsätze Spinozas anzunehmen. »Ich kann nicht sagen«, so schreibt Goethe am 9. Juni 1785 an Fritz Jacobi, »daß ich jemals die Schrifften dieses trefflichen Mannes in einer Folge gelesen habe, daß mir jemals das ganze Gebäude seiner Gedancken völlig überschaulich vor der Seele gestanden hätte. Meine Vorstellungs und Lebensart erlauben’s nicht. Aber wenn ich hinein sehe glaub ich ihn zu verstehen, das heist: er ist mir nie mit sich selbst in Widerspruch und ich kann für meine Sinnes und Handelns Weise sehr heilsame Einflüsse daher nehmen.«21 Alles deutet darauf hin, daß Thorild in einem ähnlichen Verhältnis zu Spinoza stand. Die »Ethik« hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht; und in einem Jugendbrief an seinen Freund Heurlin träumt er davon, sich mit ihr in einen einsamen Winkel der Erde zurückzuziehen.22 Aber von hier bis zur Annahme aller Einzelsätze Spinozas war noch ein weiter Schritt – und ihn scheint Thorild in keiner Epoche seines Lebens getan zu haben. Am weitesten in der Aneignung des Spinozismus ist Thorild in einer Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 139. Brief an Sven Erland Heurlin vom 4. Juni 1781, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 49–52: S. 50 f. [»Naturens fel är ändå människan ikke har alla sinnen, och ikke innefattar alla tingens kretsar! Men det gör den wise. […] Han ser med samma öga som Gud. Ser naturens eviga krafter hvimla i oändeliga lif. Uttrykka sig i hvart. […] Filosofen, verldens domare, får ikke vara partisk. Han måste förqväfva den dumma, okunniga, uproriska människan. Lära henne förnuftets höga, tröstande ödmjukhet! […] Försakelse! Genom dig ingår man i den eviga fridens himmel, finner i sjelfva lidandet salighet och ära!«]. 21 [Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 9. Juni 1785, in: Werke, 4. Abt., Bd. VII, S. 62–64: S. 63.] 22 Brief an Jacobi vom 12. Oktober 1780, S. 19. 19 20

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Skizze gegangen, für die er den Titel »Deus deissimus« als Überschrift gewählt hat. Thorild geht hier vom Spinozistischen Substanzbegriff aus, und er zieht aus ihm die letzten Konsequenzen. Gemäß diesem Begriff kann es nur eine wahrhafte Realität geben: die Realität des Ganzen, das wir mit dem Namen »Gott« oder »Natur« bezeichnen können. Wenn wir von Teilen dieses Ganzen reden und wenn wir ihnen irgendwelche Wirklichkeit zusprechen, so ist dies eine Ausdrucksweise, die nicht von der Sache hergenommen ist, sondern die nur unserer menschlich eingeschränkten Vorstellungsart entspricht. Für diese, für den menschlichen Sinn, für die menschliche Einbildungskraft und den menschlichen Verstand ist es notwendig, Grenzlinien zu ziehen und Teilungen vorzunehmen, denen im Sein als solchem, im absoluten Sein nichts entspricht. Die reine Natur ist ein »Totum ohne Teile«, aber die menschliche Erkenntnis muß dieses Ganze zerstückeln, um es begreifen zu können. In Wahrheit aber ist die Natur kein Aggregat, das sich aus Teilen aufbaut, sondern ein in sich ungeschiedenes Eins; sie kann, richtig betrachtet, nicht einmal als »Totum«, sondern sie muß als »Omne« bezeichnet werden. Der Begriff des Einzelwesens ist daher im Grunde ein leeres Wort: Denn kein Einzelwesen kann als selbständige | Realität, es kann nicht als »Ens«, sondern immer nur als ein »modus Entis« bezeichnet werden. Es folgt hieraus, daß alle philosophischen Lehren geirrt haben, die, statt sich auf die Anerkennung des absoluten Eins zu beschränken, von einer Vielheit der Prinzipien ausgegangen sind. Platons Ideen, Aristoteles’ Formen, Wolffs Möglichkeiten – sie alle sind nichts anderes als menschliche Begriffe und Vorstellungsarten, die fälschlich zu metaphysischen Realitäten hypostasiert worden sind: »Idealia entificata. more imbecillae mentis humanae, in suis qvantis, terminatis, finitis, parvis, haerentis.«23 Daß Thorild hier in seinem Denken bis zur letzten Grenze des Spinozismus vorgedrungen ist, ist unverkennbar. Er erreicht hier jene Konsequenz, die von Hegel mit dem Namen des »Akosmismus« bezeichnet worden ist.24 Schon Christian Wolff hat in seiner Kritik des 23 Thomas Thorild, Deus deissimus, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. II, S. 145–167: S. 145 ff. [S. 147: »Totum utan partes«] u. 158 [2. Zitat]. 24 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, hrsg. v. Karl Ludwig Michelet, Bd. III (Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. XV), Berlin 1836, S. 408, 390 u. 373 f.: »Will man [Spinoza einen Atheisten] nennen, nur deshalb, weil er Gott nicht von der Welt unterscheidet, so ist dieß ungeschickt; man [würde] vielmehr [den Spinozismus] ebenso gut [oder] besser [haben] Akosmismus […] nennen können [indem darin nicht d]as Weltwesen, das endliche Wesen, das Uni-

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Spinozismus hervorgehoben, daß Spinoza das Dasein der Einzeldinge nicht erkläre, sondern aufhebe, und daß er damit die eigentlich sogenannte Natur zu einem Non-Ens mache.25 In der Skizze »Deus deissimus« bemüht sich Thorild nicht, diesen Einwand zu entkräften: Er zieht selbst den Schluß des »Akosmismus« und scheint sich bei diesem Fazit des Spinozistischen Systems zu beruhigen. Hier ist der Begriff des Einzelwesens tatsächlich zum bloßen Schein herabgesetzt.26 Aber freilich müssen wir hier eine Einschränkung machen. Es wäre unbedacht, wenn wir in dem Fragment »Deus deissimus« schlechthin ein Bekenntnis zum Spinozismus in seiner radikalen Form sehen wollten. Was hier vorliegt, ist | eine Studie über Spinozas System, in der Thorild sich die Struktur desselben klarzumachen suchte. Hierfür muß er die Prinzipien streng und bestimmt aufstellen und die Folgerungen, die sie in sich schließen, in aller Klarheit entwickeln. Die Abhandlung »Deus deissimus« ist von Thorild nicht veröffentlicht worden, und nichts deutet darauf hin, daß sie für die Veröffentlichung bestimmt war. Sie war ersichtlich für Thorild allein bestimmt und sollte ihm zu innerer Klarheit verhelfen. Jeder Denker wird bei dem Versuch, in ein philosophisches System einzudringen, solche Entwürfe für sich anfertigen; aber es wäre voreilig, aus dem Umstand, daß er eine bestimmte Lehre in all ihren Konsequenzen durchdenkt, den Schluß zu ziehen, daß er sie auch in all diesen Konsequenzen annehmen will. Oft wird sich vielmehr das Umgekehrte einstellen: Gerade wenn wir uns alle Folgerungen, die sich mit logischer Notwendigkeit aus einem bestimmten Satz ergeben, klargemacht haben, werden wir einsehen, daß wir diesen Satz nicht annehmen können oder daß wir ihm eine andere, modifizierte Form geben müssen, die bestimmte Konsequenzen, die uns als unannehmbar scheinen, ausschließt. Das scheint mir auch hier der Fall zu sein. Die Studie »Deus deissimus« beweist, wie ernsthaft Thorild mit dem Problem des Spinozismus gerungen hat und mit welcher Energie und versum [sondern] vielmehr nur Gott [als das] Substantielle […] gelten [und perennieren] darf. […] Spinoza behauptet, was man eine Welt heißt, giebt es gar nicht; es ist nur eine Form Gottes, nichts an und für sich. Die Welt hat keine wahrhafte Wirklichkeit, sondern alles dieß ist in den Abgrund der Einen Identität geworfen.« Es ist sehr interessant zu verfolgen, wie die Auffassung Thorilds von Spinozas Lehre und ihrer Grundtendenz hier bis ins einzelne mit Hegels Auffassung übereinstimmt. 25 Wolff, Theologia naturalis (§ 696), S. 703 f.; s. Scholz, Einleitung, S. LVII. 26 »Rent, i Gud, i Naturen, finnes intet qvantum. Det är vår svaghet. […] Ingen ting har en gräns verkeligen. […] Al Differentia limes qvanti, terminus, är et sken […]« Deus deissimus, S. 146 ff. [Zitat S. 146 u. 148].

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Leidenschaft er sich in Spinozas System vertieft hat. Er ist nicht bei bloß oberflächlicher Kenntnis einzelner Sätze stehengeblieben; er wollte das System in seinem Aufbau und in seinem logischen Gefüge erkennen. Und er hat hier ohne Zweifel klar und scharf gesehen – klarer und schärfer als Herder, der über einen bloß gefühlsmäßigen Spinozismus im Grunde niemals hinausgekommen ist. Aber was er in dieser Weise sah, das mußte ihm zeigen, daß er niemals zum unbedingten Schüler Spinozas werden, daß er nicht alle Lehren desselben einfach hinnehmen konnte. Das erste Moment, das Thorild an der Annahme des Spinozismus in seiner eigentlich historischen Gestalt hindern mußte, war die Auflösung der Natur in einen rein mathematischen Kosmos, die er hier vorfand. Das Sein der Materie ist bei Spinoza wie bei Descartes auf Ausdehnung und Bewegung reduziert. Wenn wir von »inneren« Kräften sprechen, so ist das ein leerer Anthropomorphismus – ein Wort, dem keine Wirklichkeit entspricht. Die Natur als Substanz ist das Allumfassende, der Mensch, als Modus, ist das | Umfaßte. Wir dürfen somit nicht die Natur vom Menschen aus, sondern wir müssen den Menschen von der Natur aus betrachten und interpretieren. Bei dieser Betrachtung aber löst sich das Ganze der Natur in rein mechanische Phänomene, in die Phänomene von Druck und Stoß auf. Sowohl das körperliche wie das seelische Dasein sind Sonderfälle dieser universellen Mechanik. Diese Auffassung hat Thorild niemals angenommen. Gegenüber dem Mechanismus Spinozas betont er mit großer Entschiedenheit das Recht und die Notwendigkeit des Vitalismus. Nur als All-Leben kann die Natur verstanden werden; wenn wir nicht von der Seite des Lebens in sie eindringen, ist und bleibt sie für uns ein Buch mit sieben Siegeln. Diese Ansicht hat Thorild niemals verleugnet; es findet sich, soweit ich sehe, bei ihm kein einziger Satz, der darauf hindeutet, daß er in irgendeiner Epoche seiner philosophischen Entwicklung »Materialist« oder »Mechanist« gewesen wäre. Man hat freilich bisweilen angenommen, daß Holbachs »Système de la nature« einen starken Eindruck auf Thorild gemacht und eine Zeitlang den Charakter seiner Lehre entscheidend mitbestimmt habe.27 Aber ich vermag hierfür keinen Beweis zu finden. Thorild konnte sich durch Holbach in seinem Kampf gegen Orthodoxie und Priesterschaft bestärkt fühlen, aber seinen Naturbegriff konnte er sich niemals aneignen. Er hätte damit das Fundament aufgeben müssen, auf dem seine gesamte Naturansicht ruht. Hier konnte er kaum anders empfinden als Goethe in seiner Straßburger Zeit und der Kreis um ihn 27

Vgl. Arvidson, Thorild, S. 102 ff.

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empfunden hat: Das »Système de la nature« mußte ihm als »[…] so grau, so cimmerisch, so todtenhaft« erscheinen, daß er »davor wie vor einem Gespenst schauderte[…]«28 Holbachs Werk ist ein historisch interessantes und wirksames Buch, aber man wird es kaum – wie Arvidson es tut – als ein »inspiriertes und inspirierendes Buch«29 bezeichnen können. Man braucht sich nur den Eindruck, den Holbach auf Rousseau machte, und die Schilderung, die Rousseau von ihm gibt, zu vergegenwärtigen, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie er auf Thorild wirken mußte, der Rousseau in seinem Naturgefühl so nahestand. »Ich hasse diese kalten Handwerksgeister«, so schreibt Thorild in den Anmerkungen zu »Passionerna«, »diese mechanisch-seelenlosen Köpfe, die die Natur als ein totes | Uhrwerk darstellen, die nur den Körper der Welt sehen […] Das Auge des Weisen sieht Gott und sieht und erkennt ihn als all-lebend. Die Welt ist die erste große allgemeine Offenbarung Gottes. Er lebt in ihr in jedem Lichtschimmer, in jedem Zug von Schönheit. Was wäre sie ohne ihn? Nur der Schein eines Wesens, ein toter ohnmächtiger Stoff – ja nicht einmal das. Ohne ihn – und du fällst in den Abgrund des ewigen Nichts, schönes und herrliches Heiligtum Gottes.«30 Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß diese Worte in ausdrücklichem Hinblick auf das »Système de la nature« gesprochen sind und daß sie Thorilds Empfindung gegenüber dem Werke ausdrücken. Aber er ist in seiner Abneigung und in seinem Kampf gegen den Mechanismus noch weiter gegangen. N ewton kann sicherlich in keiner Weise als »Materialist« bezeichnet werden; seine ersten Schüler und Anhänger haben vielmehr in seiner Lehre von der allgemeinen Attraktion die eigentliche Rettung vom Materialismus, die Wiederherstellung und Sicherung einer rein »geistigen« Auffassung des Universums gesehen.31 Aber auch ihn zieht Thorild in sein Verdammungsurteil ein. »O ewige Vgl. hierzu Goethe, Dichtung und Wahrheit (11. Buch), Bd. XXVIII, S. 68. [Arvidson, Thorild, S. 102: »inspirerad och inspirerande bok«.] 30 Thomas Thorild, Passionerna, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 35–56: S. 51 [»Jag hatar dessa kalla handtverks-Snillen, dessa mechaniska, själlösa hufvuden, som upställa Naturen såsom et dödt Urverk; som se endast Verldens kropp! […] Den Vises öga ser Gud: ser och känner honom al-lefvande! Verlden är Guds första, stora, allmänna Uppenbarelse. Han lefver där i hvar strimma af ljus, i hvart drag af Skönhet! Utom honom, hvad vore den? skenet af en varelse; et dödt vanmägtigt stoft; icke det! Utom honom – fall i afgrunden af dit eviga intet, sköna och härliga Guds helgedom!«]. 31 Näheres hierüber in der Schrift von Hélène Metzger, Attraction universelle et religion naturelle chez quelques commentateurs anglais de Newton, 3 Bde., Paris 1938 (Actualités scientifiques et industrielles, Bde. 621–623/Philosophie et histoire de la pensée scientifique, Bde. 4–6). 28 29

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Natur«, so schreibt er in einem Briefe an Heurlin, »wie wenige dringen in das Innerste und Allerheiligste Deines Tempels ein und empfinden dort die Fülle der Gottheit. […] Newton war dort, aber maß den Tempel nur nach seiner Höhe und Breite aus; er sah wohl die unendlichen Kräfte, aber er erfaßte sie nur mit einem mechanischen Auge.«32 Aber es war noch ein anderes und stärkeres Motiv, das Thorild über den Spinozismus, in seiner strengen und systematischen Gestalt, hinausdrängen mußte. Im System des Spinozismus gibt es keine Stelle für die Realität des Individuums. Alles Sein eignet der einen unendlichen Substanz; das Einzelwesen ist und bleibt nur ein flüchtiger Schatten. Diese Konsequenz hat sich Thorild in seiner Spinozastudie, in der Schrift »Deus deissimus«, völlig klargemacht, und er muß sie von früh an durchschaut haben.33 Aber er konnte bei ihr nicht stehenbleiben. Wenn er sie als abstrakter | Denker, als Metaphysiker hätte annehmen können, so mußte sich doch sein künstlerisches Gefühl gegen sie aufbäumen. In den Anmerkungen zu »Passionerna« hat Thorild über Spinoza ein merkwürdiges Wort gesprochen. Er sagt hier, daß Spinoza nicht Pantheist hätte sein können, wenn er Dichter gewesen wäre.34 Lamm findet dieses Wort mit Recht orakelmäßig.35 Aber mir scheint, daß wir auch hier eine Auflösung dieses dunklen Orakelspruchs finden können, wenn wir an Goethes Verhältnis zu Spinoza denken. »Ich für mich«, so schreibt Goethe an Fritz Jacobi in einem Brief vom 6. Januar 1813, »kann, bey den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens, nicht an einer Denkweise genug haben; als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und eins so entschieden als das andre. Bedarf ich eines Gottes für meine Persönlichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt. Die himmlischen und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, daß die Organe aller Wesen zusammen es nur erfassen mögen.«36 Diese Worte Goethes sind nicht lediglich als individuelles 32 Brief an Sven Erland Heurlin vom 8. Mai 1781, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 44 f.: S. 44 [»O eviga natur! Huru få, som intränga i det innersta och heligaste af dit tempel, och där smaka den allefvande gudomens fullhet! […] Newton var där, men såg blott högderna och bredderna. Såg val den oändeliga kraften; men blott med et mekaniskt öga.«]. 33 Vgl. Deus deissimus, S. 145: »Endast Gud kan vara något. Al (oss känbar) varelse är et Phénomen. Alt deleligt är ej ren varelse.« 34 »Spinosa skald, hade icke varit Pantheist.« Passionerna, S. 51. 35 Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 139. 36 [Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 6. Januar 1813, in: Werke, 4. Abt., Bd. XXIII, S. 226–228: S. 226.]

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Bekenntnis gemeint; sie wollen vielmehr ein allgemeines Verhältnis ausdrücken, in dem unsere menschliche Erkenntnis zur Wirklichkeit steht. »Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten«, so hat er sie an anderer Stelle prägnant zusammengefaßt.37 Der reine Denker kann sich an der Einheit der Dinge genügen lassen; der Dichter lebt in ihrer Vielheit. Jener mag bei einer abstrakten Weltformel stehenbleiben; dieser besitzt die Welt nur, indem er sie sich in die Fülle der Erscheinungen ausbreitet und jeder von ihnen ihr volles Recht zuteil werden läßt. Als Dichter ist auch Thorild von dieser Empfindung durchdrungen. »Hoheit und Pathos«, so sagt er in einer Schilderung seines Charakters, »das war mein Leben. Alles, alles betraf mich und bewegte mich […] Pathos von allem in der Natur, Empfindung für alles, was wird und strebt, für Morgenröte und Abenddämmerung, für Entzünden und Verlöschen, für Jugend und Alter, für die milde Sonne und das Keimen des Frühlings wie für den matten Glanz des Herbstes, für den Fall des Laubes und das | letzte Blühen.«38 Dieses lebendige poetische Naturgefühl vermochte ihm der Spinozismus nicht zu deuten und nicht zu rechtfertigen. Der Dichter in ihm konnte bei der einen Substanz nicht stehenbleiben; er verlangte ein »pluralistisches Universum«. Nicht nur der Metaphysiker, sondern auch der Naturforscher kann in strengem Sinne »Pantheist« sein, denn auch er will alles Besondere auf ein Allgemeines, Gesetzliches reduzieren. Für den Dichter aber genügt diese Reduktion nicht. Er wird immer in gewissem Sinne »Polytheist« bleiben, weil er das Göttliche in den Einzelerscheinungen sehen und verehren muß. Er lebt in der »Fülle der Gesichte«39 und kann sich dieselbe nicht in eine abstrakte Einheit, die nur dem Verstand faßbar ist, zusammendrängen lassen.40 Ders., Maximen und Reflexionen. Nach den Handschriften des Goetheund Schiller-Archivs (Nr. 807), hrsg. v. Max Hecker (Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. XXI), Weimar 1907, S. 179. 38 Thomas Thorild, Karakter, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 278–281: S. 280 [»Höghet och pathos, det var mitt lif! Allt, allt angick och rörde mig […] pathos af allt i naturen, i synnerhet som födes eller dör, af gryning och mörkning, af tändas och svinna, af ungdom och ålder, af vårens milda sol och brodden, af höstens matta glans och löfvens fall och sista blomster.«]. 39 [Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil (Werke, 1. Abt., Bd. XIV), S. 33.] 40 Versteht man Thorilds Wort »Spinosa skald, hade icke varit Pantheist« in diesem Sinne, so braucht man nicht mit Nilsson, Thorild ännu en gång, S. 15, anzunehmen, daß Thorild es nur aus Vorsicht gesprochen hat. Er konnte auch, ohne seinen eigenen »Pantheismus« zu verleugnen, die Differenz desselben von der Spinozistischen Fassung des Gottes- und Naturbegriffs betonen. 37

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Beide Forderungen: die Forderung einer »lebendigen« Natur und die volle Anerkennung des Einzelwesens, fand Thorild in der Leibnizischen Philosophie erfüllt. Sie stand dem Spinozismus in vielen Stücken nahe oder schien ihm doch nahezustehen; aber sie unterschied sich andererseits von ihm in ebenden Grundmomenten, die den Spinozismus als Ganzes für Thorild unannehmbar machten. Dieser Unterschied scheint Thorild früh zum Bewußtsein gekommen zu sein – und er war es, der ihn dazu trieb, sich immer fester an die Leibnizische Lehre anzuschließen, die er, wenn eine Vermutung Nilssons zutrifft, schon während seiner Schuljahre in Göteborg in ihren Grundzügen kennengelernt hatte.41 Zwar ist auch das Leibnizische Universum durchaus mathematisch bestimmt und geordnet, und an der Forderung der strengen mathematischen Naturerklärung hat Leibniz immer festgehalten. Aber er hatte den mathematischen Kosmos auf einen metaphysischen Kosmos gestützt, der von anderer Art als der Spinozas ist. Den abgeleiteten, den »derivativen« Kräften, die wir mathematisch-physikalisch bestimmen und beschreiben | können, liegen die »primitiven« Kräfte zugrunde. Sie sind die eigentlichen Prinzipien der Dinge, die wir nicht, wie bei Spinoza, als ruhendes Sein, sondern als ständige und stetige Tätigkeit zu denken haben. Die wahre Kraft ist nicht als bloße »Möglichkeit« zu denken; sie ist in jedem Augenblick aktiv und wirksam.42 Diese Lehre war Thorild durchaus gemäß, und sie hat er völlig angenommen. Eine ruhende Kraft ist auch ihm ein Widersinn; eine Kraft ist nur dadurch, daß sie unablässig tätig ist.43 Und ebenso lehrt er – gemäß Leibniz’ »principium identitatis indiscernibilium« –, daß die Kräfte in der Natur ein »Eigenwesen« besitzen, daß sie ins Unendliche differenziert sind. In dem Aufsatz »Deus deissimus« hatte Thorild aus den metaphysischen Prämissen des Spinozismus die Folgerung entwickelt, daß nur dem Ganzen des Alls Realität zukommt; jede Differenz, die der menschliche Geist zu 41 Nilsson, Thomas Thorild, S. 6. In dem Aufsatz »Dygd och plikt«, der nach Arvidsons Datierung in das Jahr 1780 zu setzen ist, rechnet Thorild Leibniz neben Konfuzius, Solon, Sokrates, Platon und Bacon zu den »unsterblichen Namen«, die die Menschheit anbeten müsse (Thomas Thorild, Dygd och plikt, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 367–370: S. 368 [»odödliga Namn«]). 42 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Specimen dynamicum pro admirandis naturae legibus circa corporum vires et mutuas actiones detegendis et ad suas causas revocandis. Pars I, in: Mathematische Schriften, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Bd. VI, Halle 1860, S. 234–246. Zum Unterschied der »derivativen« und »primitiven« Kraft bei Leibniz vgl. meine Schrift »Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen«, Marburg 1902, S. 290 ff. [ECW 1, S. 259 ff.]. 43 Vgl. die näheren Nachweise bei Karitz, Tankelinjer hos Thorild, S. 59 ff. u. 89 ff.

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setzen gezwungen ist, gehört nur ihm selbst, nicht der Natur an und ist somit bloßer Schein.44 Als Anhänger von Leibniz muß er die genau entgegengesetzte Folgerung ziehen. Die durchgängige Individuation ist das Grundgesetz der Wirklichkeit. Sie ist es so sehr, daß wir niemals an eine Grenze von ihr gelangen können. Das Leben bricht nirgends ab; so weit wir auch die Teilung der Materie treiben mögen, so finden wir jeden kleinsten Teil noch immer von Leben erfüllt. Denn welcher Stoff kann nicht in die feinsten Elemente aufgelöst werden und diese in noch subtilere? Wir finden ein Ganzes von schwebenden Lebensgeistern noch in dem kleinsten Organ der allbelebenden Natur.45 Dies ist weit von Spinoza entfernt – und doch konnte es sich mit innerer Konsequenz aus ihm entwickeln: eine Konsequenz, die man freilich nur verstehen kann, wenn man sie nicht rein logisch, sondern psychologisch faßt – wenn man, statt bloß abstrakter Prinzipien, das individuelle Lebensgefühl Thorilds in die Prämissen einbezieht. Dieses Gefühl mußte sich, sosehr Thorild Spinoza verehrt und bewundert hat, zuletzt doch auf die Seite von Leibniz’ | und Shaftesburys Naturbegriff neigen – ein Prozeß, den wir in ganz gleicher Weise bei Herder und bei Goethe46 verfolgen können. Herder hat einmal den Plan gefaßt, sich die Beziehungen zwischen Spinoza, Leibniz und Shaftesbury in einer eigenen Schrift zu verdeutlichen: Er wollte zwischen ihnen eine Parallele ziehen und die Unterschiede beleuchten. Dieser Plan ist nicht zur Ausführung gekommen, und in der Tat scheint es Herder nie gelungen zu sein, hier ganz scharf zu sehen. In seinen Gesprächen über »Gott« finden wir eine ständige Mischung der Motive; einen Synkretismus aus Leibniz, Spinoza und Shaftesbury.47 Auch Thorild war zu strengen systematischen Unterscheidungen nicht geneigt und zu objektiven historischen Urteilen nach seiner Veranlagung kaum befähigt; rein geschichtliche Interessen scheinen ihm ganz gefehlt zu haben. Aber es fehlt nicht an Anzeichen, daß er in seiner Auffassung und Bewertung der drei Denker, die ihm so nahestanden, Vgl. oben, S. 137 . Vgl. die Anmerkungen zu »Passionerna«, S. 54, sowie »Filosofiska betraktelser. Till en vän«, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 291–314: S. 291. 46 Vgl. hierzu Wilhelm Dilthey, Aus der Zeit der Spinozastudien Goethes, in: Gesammelte Schriften, Bd. II: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. Abhandlungen zur Geschichte der Philosophie und Religion, Leipzig/Berlin 1914, S. 391–415. 47 Näheres hierüber bei Rudolf Haym, Herder nach seinem Leben und seinen Werken dargestellt, 2 Bde., Berlin 1880 u. 1885, Bd. II, S. 265 ff. 44 45

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ganz bestimmte Grenzen zog und daß er Leibniz und Shaftesbury, im Ganzen gesehen, den Vorrang vor Spinoza zusprach. In den »Philosophischen Betrachtungen« erklärt er, daß Linnés Seele dazu geschaffen gewesen sei, die äußere Natur zu erkennen, während Spinoza und noch mehr Shaftesbury und Leibniz dazu getaugt hätten, die innere Natur der Dinge zu erfassen.48 In diesem Urteil, zu dem Thorild gelangt, kann man sich noch einmal den gesamten Gedankenprozeß vergegenwärtigen, kraft dessen er in die Lehre Spinozas eindrang, um sie sich auf der einen Seite anzueignen und sie auf der andern Seite, gemäß den Forderungen seines Denkens und seiner Persönlichkeit, umzubilden. |

48 Filosofiska betraktelser (Hanselli), S. 304. Auf diese Stelle hat Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 139, mit Recht hingewiesen.

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zweites kapitel. Die »Stufenfolge der Wesen« Die Lehre von der »Stufenfolge der Wesen« gehört zu den wichtigsten und den am meisten charakteristischen Bestandteilen von Thorilds Philosophie. Es scheint, daß Thorild diese Lehre sehr früh erfaßt hat, denn die ersten deutlichen Spuren von ihr finden wir schon in der Rede, die er im Jahre 1778 als Neunzehnjähriger in Lund in seiner Studentenvereinigung gehalten hat. Seitdem hat er sie unverändert festgehalten; sie zieht sich wie ein roter Faden durch alle seine Schriften hindurch und begleitet ihn bis in seine Greifswalder Zeit. Daß diese Lehre ihrem philosophischen Gehalt nach auf Leibniz zurückgeht, unterliegt keinem Zweifel. Nach Leibniz baut sich das Universum aus selbständigen Wesenheiten auf, die eine kontinuierliche Stufenfolge bilden. Eine Kette, die nirgends abreißt, verknüpft das Niederste und das Höchste. Von der scheinbar rohesten Materie bis hinauf zu Gott führt ein Weg. Es gibt kein Sein, das aus dieser Gemeinschaft der Wesen herausfällt und das nicht an ihrer Vollkommenheit teilhätte. Denn alles steht in Beziehung miteinander, und jedes Einzelwesen ist nur kraft dieser Beziehung. Jedes Einzelsubjekt, jede Monade drückt das Ganze der Welt aus, und jede spiegelt dieses Ganze in besonderer und eigentümlicher Weise wider. »[…] jede Substanz [ist] wie eine Welt für sich, gleichsam ein Spiegel Gottes oder vielmehr des gesamten Universums, das sie nach ihrer Weise und Eigentümlichkeit ausdrückt, sowie etwa eine und dieselbe Stadt je nach den verschiedenen Standorten, die der Betrachter wählt, sich verschiedenartig darstellt. Auf diese Weise wird das Universum gewissermaßen so viele Male vervielfältigt, als es Substanzen gibt, und ebenso mehrt sich der Ruhm Gottes im selben Maße, als es eine Vielheit von einander ganz verschiedener Darstellungen seines Werkes gibt.«1 | Thorild hat also diese Lehre nicht geschaffen; wohl aber hat er von ihr eine merkwürdige und höchst originelle Anwendung gemacht. Denn es ist wohl das erste Mal, daß hier der Versuch unternommen wird, auf einem rein metaphysischen Satz ein ganzes System der Ästhetik und der Kritik aufzubauen. Das aber ist bei Thorild geschehen. Wenn alles Geschaffene ein Recht auf sein Dasein hat – so folgert er –, so hat es auch ein Recht, dieses Dasein in der ihm gemäßen Weise auszusprechen und auszudrücken. Der Stil ist der Mensch; man kann daher dem Menschen sowenig seinen Stil verbie1 Gottfried Wilhelm Leibniz, Metaphysische Abhandlung (Abschn. 9), in: Hauptschriften, Bd. II, S. 135–188: S. 144 f. [Zitat].

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ten, wie man ihm verbieten kann, dieser oder jener Mensch zu sein. Es kann somit keine schlechthin allgemeingültigen, für alle geltenden Regeln des »guten Geschmacks« geben. Gegen den Dogmatismus solcher Regeln setzt sich der Individualismus Thorilds zur Wehr. Jede Individualität, so hoch oder niedrig sie stehen mag, so vollkommen oder unvollkommen sie ist, hat ihren eigenen Lebensstil und muß somit auch ihren eigenen Ausdrucksstil haben, den keine Kritik ihr beschränken darf. Statt das Schwache zu schelten, sollte die Kritik vielmehr danach streben, es zu verstehen und sich seiner anzunehmen. Die Schwachen haben nicht nur ein Recht zu leben, sondern kritische Anmaßung verkümmert werden.2 Aber freilich – welch eine paradoxe Folgerung und Forderung liegt hierin! Man weiß, welche Verwunderung und welchen Sturm der Entrüstung Thorild erregte, als er mit diesen Sätzen zuerst hervortrat. Und doch waren sie für ihn selbst kaum etwas anderes als einfache Konsequenzen aus einem bestimmten metaphysischen Grundsatz. Wie er erklärt hat, in »Passionerna« nur die »Metaphysik der Leidenschaften«3 gegeben zu haben, so wollte er in der Schrift »En kritik öfver kritiker« nur eine Metaphysik der Kritik geben. Er glaubte seine Poetik auf den ersten logischen Grundsätzen, auf dem Satz der Identität und des Widerspruchs aufzubauen, und er konnte nicht verstehen, daß seine Gegner nicht nur gegen die Prinzipien seiner Ästhetik, sondern auch gegen die ersten Prinzipien der Logik so blind sein konnten. Gibt es etwas Einfacheres als einzusehen, daß »jedes Ding ist, was es ist« und daß man es daher unmöglich durch kritische Prinzipien in sein Gegenteil umwandeln kann? Diese Berufung auf die einfache Logik mag imponierend klingen – aber hat hier nicht der Logiker und der Metaphysiker Thorild den Lebensfaden der Kritik zerschnitten? Woher | nimmt die Kritik noch das Recht und den Mut zu urteilen, wenn sie schlechthin alles anzuerkennen hat? Soll in der Kunst das Erhabene und das Niedere, das Große und das Kleine, das Schwache und Starke gleich viel gelten? Mag sein, daß es in der Natur für ein anderes Ding natürlich ist, mehr zu sein. Aber läßt sich dieser Grundsatz von der Natur auf die Kunst übertragen? Läßt sich daraus, weil nichts um seiner Fehler willen, sondern alles um seines Wertes willen hervorgebracht wird, der Schluß ziehen, daß auch alle Fehler ihren Wert haben?4 [So im Original.] [Passionerna, S. 51: »Passionernas metafysik«.] 4 Vgl. Thomas Thorild, En kritik öfver kritiker. Med utkast till en lagstiftning i snillets verld, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 119–191: S. 133 f. [Zitat S. 124: »att taga hvar sak för hvad den är«]. 2 3

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Thorild hat in einer Schilderung seines Charakters einmal gesagt, daß sein Wahlspruch, im Gegensatz zu dem »nihil admirari« des Horaz, der Grundsatz des »nihil spernere« gewesen sei.5 Aber gehen nicht beide Sätze ineinander über; kann derjenige, der in der Kunst nichts verachten will, in der Kunst noch etwas schätzen und bewundern? Thorild sagt in einem Brief an Heurlin, daß selbst der Esel seinen Kreis habe, in welchem er hoch, mächtig und majestätisch sei, und daß der Wolf und der Straßenräuber ihre Welt von Größe und Schönheit haben.6 Damit stehen wir auf einem Standpunkt jenseits von Gut und Böse und jenseits von Schön und Häßlich; ein Standpunkt, der für den Metaphysiker möglich ist, der aber für den Kritiker eine Verleugnung all dessen in sich zu schließen scheint, was er ist und was er will. Daß sich Thorild hier nicht nur in einen Konflikt verstrickt, sondern daß er in eine Antinomie, in einen völligen Widerspruch mit sich selbst und den Aufgaben aller Kritik zu geraten droht, kann nicht geleugnet werden. Seine Gegner wie seine modernen Darsteller haben ihm diese Antinomie vorgehalten.7 Und in seinen eigenen Schriften findet sich, soviel ich sehe, nichts, was unmittelbar dazu dienen könnte, den Widerspruch aufzulösen. Wir müssen daher die Frage, statt an Thorild, an Leibniz richten. Auch bei Leibniz ist jede Monade in ihrer Art vollkommen; sie ist das, was sie im Gesamtgefüge des Universums sein kann und sein soll. Was sie auch immer sein mag, so ist sie eine bestimmte Repräsentation des Ganzen, ein lebendiger Spiegel des Alls. Gibt es darum keinen | Seins- und Wertunterschied der Monaden, und nach welchen K riterien läßt sich dieser Unterschied bestimmen? Auf diese Frage hat Leibniz eine klare und bestimmte Antwort gegeben. »Vollkommenheit«, so erklärt er, »nenne ich alle Erhöhung des Wesens, denn wie die Krankheit gleichsam eine Erniedrigung ist und ein Abfall von der Gesundheit, also ist die Vollkommenheit etwas, so über die Gesundheit steiget […] Gleichwie nun die Krankheit herkommet von verletzter Wirkung […] also erzeiget sich hingegen die Vollkommenheit in der Kraft zu wirken, wie denn alles Wesen in einer gewissen Kraft bestehet, und je größer die Kraft, je höher und freier ist das Wesen. Ferner bei aller Kraft, je größer sie ist, je mehr zeiget sich dabei Viel aus einem und in einem, indem Eines viele außer sich regieret, und in sich vorbildet. Nun die EinigKarakter, S. 279; vgl. Utdrag af en dagbok, S. 331. Brief an Heurlin vom 4. Juni 1781, S. 50 f. 7 In der modernen Thorildliteratur hat die Darstellung von Martin Lamm diesen Punkt scharf beleuchtet; vgl. Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 351 ff. 5 6

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keit in der Vielheit ist nichts anders, als die Uebereinstimmung, und weil eines zu diesem näher stimmet, als zu jenem, so fließet daraus die Ordnung, von welcher alle Schönheit herkommt, und die Schönheit erwecket Liebe. Daraus siehet man nun, wie Glückseligkeit, Lust, Liebe, Vollkommenheit, Wesen, Kraft, Freiheit, Uebereinstimmung, Ordnung und Schönheit an einander verbunden, welches von Wenigen recht angesehen wird.« Diese Sätze, die sich in einer Leibnizischen Abhandlung »Von der Weisheit« finden,8 hätte Thorild geschrieben haben können. In seinen Schriften begegnen wir immer wieder derselben Erklärung der Ordnung, der Schönheit, der Übereinstimmung, der Harmonie, der Vollkommenheit.9 »Das Sein kann nicht gedacht werden ohne die innerste und wohltuende Übereinstimmung aller Teile; und das ist nicht Schönheit, sondern lebende Schönheit.« 10 Die letzten Worte fügen eine weitere, für Thorild charakteristische Bestimmung hinzu. Leibniz hatte die Schönheit im wesentlichen durch intellektuelle Momente als »Einheit in der Vielheit«, als »Ordnung in der Mannigfaltigkeit«11 beschrieben. Und für ihn war es auch ein intellektuelles Moment, durch das sich in der Rangordnung der Wesen das Höhere vom Niederen scheidet. Was den Menschen vom | Tier, was Gott vom Menschen unterscheidet, das ist der Grad der Klarheit und Deutlichkeit der Vorstellungen. Das Tier lebt dumpf in bloßen sinnlichen Empfindungen dahin; Gott sieht alles, was er sieht, in seiner absoluten Wesenheit, in seiner adäquaten Idee. Der Mensch nimmt eine Mittelund Zwischenstellung ein; er strebt von der Sinnlichkeit zur Vernunft, von der Verworrenheit zur Klarheit, und er ist um so vollkommener, je mehr ihm dieses Streben gelingt. All dies wird von Thorild nicht geleugnet, sondern vielmehr ausdrücklich betont und hervorgehoben. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Von der Weisheit, in: Hauptschriften, Bd. II, S. 491–496: S. 493. Thorild kann diesen Aufsatz von Leibniz nicht gekannt haben, da er erst im Jahre 1838 von Guhrauer in seiner Ausgabe der »Deutschen Schriften« (hrsg. v. Gottschalk Eduard Guhrauer, Bd. I, Berlin 1838, S. 420–426: S. 422 f.) veröffentlicht worden ist. 9 Vgl. besonders den Aufsatz »Dygd. Skönhet. Harmoni«, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 269 f. 10 Thomas Thorild, Idéer öfver sällheten, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 273–275: S. 273 [»Varelse kan icke tänkas utan genom alla delars innersta och välgörande öfverensstämmelse, och detta är icke skönhet, utan lefvande skönhet.«]. 11 [Gottfried Wilhelm Leibniz, Specimen inventorum de admirandis naturae generalis arcanis, in: Philosophische Schriften, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, 7 Bde., Berlin 1875–1890, Bd. VII, S. 309–318: S. 317: »expressio multorum in uno«.] 8

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Aber er fügt dem intellektuellen Moment das emotionale hinzu. Die wahre Vollkommenheit beruht ihm nicht nur in der Klarheit des Denkens, sondern auch in der Kraft des Fühlens; neben die »Vernunft« setzt er das »Leben«. Auch bei Leibniz besteht kein Zweifel daran, daß alle Wirklichkeit Kraft ist, daß es nirgends Stillstand, sondern nur ewige Bewegung gibt: Aber in seiner Stufenordnung erhebt sich die Denkkraft über die organische Kraft und sondert sich von ihr. Diese Sonderung gesteht Thorild nicht zu. Er verlangt das Ineinander und Miteinander aller Kräfte, und er glaubt, daß nur hieraus nicht nur »Schönheit«, sondern auch »lebende Schönheit« entstehen kann. Damit ist zugleich mittelbar die Lösung des Rätsels gegeben, von dem wir ausgegangen waren. Es kann und muß eine »Kritik« geben – so wahr es ein Kriterium des Vollkommenen gibt. Wir brauchen keineswegs alles Dasein und alle literarischen Erzeugnisse gleichzustellen, wenngleich wir in einem gewissen Sinne alles Dasein und alle literarischen Erzeugnisse an ihrer Stelle als berechtigt und notwendig anerkennen müssen. Denn die Stellen selbst ordnen sich in einer aufsteigenden Reihe. Zwar steht nicht ein absolut Wertloses, ein Nicht-sein-Sollendes einem absolut Wertvollen gegenüber. Denn die absolute Negation des Wertes käme der völligen Vernichtung des Seins gleich. Solchem Negativismus darf sich die Kritik nicht überlassen. »O-heter, icke-heter, nulliteter, non-entia – dem jage vi efter hos hvarannan och i allt, dem stride, larme vi öfver utan ända; men mig angår ingen ting utan i sin realitet.«12 Aber die Realität selbst kann größer und kleiner, schwächer und stärker sein, und sie ist es je nach dem Grad, in welchem sie das Gebot der Harmonie und Ordnung erfüllt, in welchem sie, um mit Leibniz zu sprechen, »viel aus Einem und in Einem«13 ist. Das Höhere ist dadurch aus | gezeichnet, daß es zugleich die größere Ausbreitung und die größere Geschlossenheit besitzt. Es ist nicht dem Sein nach anders; aber es hebt sich extensiv und intensiv aus dem Ganzen des Seins hervor. In extensiver Hinsicht ist es das Größere, das Weitere: Es umfaßt das Niedere, ohne von ihm umfaßt zu werden. In intensiver Hinsicht ist es das Kraftvollere; es durchdringt, beherrscht, organisiert das Niedere. Die Kritik hat, nach Thorild, nicht zu befehlen; sie soll und darf nicht als Schulmeisterin auftreten. Sie muß sich damit begnügen, einfach festzustellen; aber diese Feststellung soll eben dem einzelnen die Stelle anweisen, in die es in der allgemeinen Ordnung gehört. »[…] so allwichtig ist der Grad, dass selbst das Gute Utdrag af en dagbok, S. 331. [Gottfried Wilhelm Leibniz, Scientia generalis. Characteristica, in: Philosophische Schriften, Bd. VII, S. 1–247: S. 87.] 12 13

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[…] durch Unmaas [böse] und selbst das Böse […] durch Maas [gut] wird; wie ohne Grad alles Wahre falsch und alles Natürliche unnatürlich [ist]«14 Die Anwendung dieser Maxime ergibt bei Thorild eine höchst eigenartige Form der Kritik. Was er vor allem bekämpft, ist die Unnatur, ist die Verstellung, die irgendeine Produktion als das erscheinen lassen will, was sie nicht ist. Jede solche Unwahrheit, jede Ziererei und Heuchelei, jedes Sich-Aufblähen muß der Kritiker schonungslos geißeln; er muß den Werken der Kunst die Maske abreißen und ihr wahres Gesicht entdecken. Aber damit ist auch seine Pflicht erfüllt und sein Beruf beendet. Hat er die »Wahrheit« eines Werkes einmal festgestellt und klargestellt, so darf er das Urteil über diese Wahrheit getrost dem Leser überlassen. Mag dieser immerhin nach eigenem Geschmack und nach eigenem Maß das wählen, was ihm verwandt ist und was ihm zugehört. Wenn ein Werk sich schlicht und unverstellt als das gibt, was es ist – so ist es nicht Sache der Kritik, ihm dieses Sein zu mißgönnen und zu bestreiten. Die Grundwahrheit aller Kritik ist, jede Sache als das zu nehmen, was sie ist.15 Der Kritiker wird nicht alles »über einen Kamm scheren«. Er wird einen Roman, der bloß der Unterhaltung dienen soll, nicht mit dem gleichen Maß messen wie ein philosophisches Lehrgedicht; er wird, was lediglich gefallen und zerstreuen will, nicht ebenso beurteilen wie das, was den Anspruch erhebt, zu erheben, zu belehren, zu erschüttern. So tastet er auch das Niedere in seinem Bestand nicht an, wenngleich er einsieht und feststellt, daß es ein Niederes ist. Als den Grundcharakter seiner gesamten Philosophie | hat Thorild Universalität und Einheit, Reichtum und Harmonie, eine Stufenfolge erklärt. Und deshalb sagt er von sich, daß er alle bloße Opposition gehaßt und als ein Zeichen des Mißverständnisses angesehen habe.16 Das Zeichen wahrer Größe bleibt dessenungeachtet bestehen: Und es ist dasselbe in der Kunst wie in der Natur. »Kraft und Harmonie erklären die gesamte Natur«,17 und Kraft und Harmonie, Fülle und Maß sind auch die Kennzeichen des großen Kunstwerkes. Es ist Thorild freilich nicht gelungen, eine in sich geschlossene Poetik und Ästhetik aufzubauen. Auch hier wird man an das Wort Tegnérs erinnert, daß Thorild gleich dem Löwen, der sich mit einem einzigen Sprung auf seine Beute stürzt, sich schnell auf sei-

14 Thomas Thorild, Allblick, oder die Wichtigkeit von allem, erkannt durch die Gradation als Real-Philosophie und Universalmethode der Natur und des Lebens (§ 8), in: Till Thorilds minne, S. I–XXXIV: S. IV. 15 En kritik öfver kritiker, S. 124. 16 Karakter, S. 281. 17 [Passionerna, S. 44: »Kraft och harmoni förklara hela naturen.«]

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nen Gegenstand warf, ohne sich doch seiner wirklich zu bemächtigen. Aber von dem Selbstwiderspruch, daß er sich nicht nur zum Kritiker, sondern auch zum Gesetzgeber aufgeworfen habe, nachdem er eine Philosophie und Metaphysik angenommen, die im Grunde jede Möglichkeit der Kritik ausschloß, werden wir ihn freisprechen müssen. Die verschiedenen Momente und Motive seines Denkens schließen sich in seinem Geist in sehr merkwürdiger Weise zusammen; aber sie verwirren und stören einander nicht. Die Leibnizischen Grundbegriffe von Kraft und Harmonie hat jedoch Thorild nicht nur dazu benützt, um sich ihrer im Streit gegen seine Gegner zu bedienen und um auf ihnen eine Lehre von der Dichtkunst aufzubauen. Sie bilden zugleich das Grundgerüst für seine Kos mologie, für eine Auffassung des Ganzen der Welt und ihrer inneren Struktur. Den Weg, den Thorild hier beschritten hat, kann man sich am besten verdeutlichen, wenn man auch hier den Kreis der Betrachtung erweitert. Leibniz’ System ist im achtzehnten Jahrhundert in einem doppelten Sinne wirksam und fruchtbar gewesen. Es hat, um die Kantische Unterscheidung zu gebrauchen, einen neuen Schulbegriff und einen neuen Weltbegriff der Philosophie ins Leben gerufen. Der Schulbegriff wird durch Christian Wolff und seine Schüler und Anhänger repräsentiert. Hier handelte es sich vor allem um die begriffliche Durcharbeitung des Systems und um seine Anwendung auf alle Teile des Wissens. Durch diese Leistung ist Wolff, wie Kant ihm nachrühmt, der »Urheber des [in Deutschland] noch nicht erloschenen Geistes der Gründlichkeit«18 geworden. Aber diese strenge und nüchterne Exposition | der Grundgedanken der Leibnizischen Lehre vermochte nicht ihren ganzen Gehalt ans Licht zu heben. Es gab Geister, die in dieser Lehre andere, tief verborgene Kräfte spürten und die den Versuch machten, diese Kräfte wieder freizumachen und sie zu neuem Leben zu erwecken. Sie empfanden den großen Lehrmeister Wolff zugleich als einen Schulmeister, der dem Genius von Leibniz nicht gerecht geworden sei. Und sie versuchten eine andere Deutung von Leibniz’ Lehre, die ihrem eigenen Geist gemäß war. Lessing, Herder, Goethe, Schiller sind in dieser Weise – ein jeder auf seinem eigenen Wege – auf Leibniz zurückgegangen.19 Ich verfolge hier

18 [Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Werke, in Gemeinschaft mit Hermann Cohen u. a. hrsg. v. Ernst Cassirer, 11 Bde., Berlin 1912–1921, Bd. III, hrsg. v. Albert Görland), S. 28 (B XXXVI).] 19 Für Lessings und Herders Verhältnis zu Leibniz vgl. meine Schrift: Freiheit und Form, Studien zur deutschen Geistesgeschichte, 21918, S. 150 ff. u. 188 ff. [ECW 7, S. 100 ff. u. 127 ff.]; für Goethes »Monadenlehre« und seinen Begriff der

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diese Entwicklung nur am Beispiel Schillers, weil dieses für Thorild besonders wichtig und aufklärend ist. Wenn man die Jugendbriefe Thorilds liest, so wird man in der gesamten Stimmung, die sich in ihnen ausdrückt, an den jungen Schiller erinnert. Diese Gleichartigkeit ist schon von Nilsson betont worden; und er erklärt, daß sie sich nicht nur auf den intensiven Freundschaftskult beider erstrecke, sondern daß sie in einer Gleichheit der Weltauffassung wurzele.20 Die Übereinstimmung ist um so bedeutsamer und vom geistesgeschichtlichen Standpunkt aus um so interessanter, als zwischen Schiller und Thorild eine direkte Berührung nicht bestanden haben kann. Schillers »Theosophie des Julius« ist 1786 in den »Philosophischen Briefen« erschienen. Diese Darstellung geht freilich auf einen früheren Plan zurück; ihre Grundgedanken finden sich bereits in den Gedichten, die der »Anthologie auf das Jahr 1782« angehören. Um diese Zeit hatte Thorild seine »Gradationslehre« und seine »Relativitätslehre« bereits konzipiert; denn beide gehören der frühesten Schicht seines Denkens an.21 Thorild und Schiller haben also ihre Grundauffassungen unabhängig voneinander gefunden, wobei sie sich auf eine gemeinsame Grundlage: auf Leibniz und Shaftesbury, gestützt haben.22 Von hier aus entwickeln sie ihre Lehre von Gott und Welt, ihre eigen | tümliche Kosmologie und »Theosophie«. Schiller geht davon aus, daß jedes Wesen die Welt nur von seinem eigenen Standpunkt sehen und daß sie sich ihm daher immer nur unter dem besonderen Blickpunkt darstellen kann, der durch seine geistigen Kräfte bestimmt wird. Für den Menschen ist es die Kraft des Denkens und die Kraft der Liebe, die sein Dasein ausmachen und denen gemäß er sich daher das Universum denken muß. Als denkendes Wesen sieht der Mensch die Welt als ein Stufenreich der Geister, als einen »intelligiblen« Kosmos; als fühlendes Wesen will er diese Hierarchie nicht nur begreifen, sondern er will mit dem All der Wesen verschmelzen und jede seiner Schönheiten und Vollkommenheiten in sich genießen. »Harmonie, Wahrheit, Ordnung, Schönheit, Vortrefflichkeit geben mir Freude, weil sie mich in den tätigen Zustand ihres Erfinders, ihres Besitzers versetzen, weil sie mir die Gegenwart »Entelechie« vgl. Otto Harnack, Goethe in der Epoche seiner Vollendung 1805–1832. Versuch einer Darstellung seiner Denkweise und Weltbetrachtung, 2., umgearb. Aufl., Leipzig 1901, S. 50 f. u. 80 f. 20 Nilsson, Thomas Thorild, S. 12. 21 Über die Entstehung und die ersten Anfänge der Gradations- und Relativitätslehre vgl. Karitz, Tankelinjer hos Thorild, S. 20 ff. 22 Über Schillers Verhältnis zu Shaftesbury vgl. meinen Aufsatz: Schiller und Shaftesbury, Publications of the English Goethe Society N. S. 11 (1935), S. 37–59 [ECW 18, S. 333–352].

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eines vernünftig empfindenden Wesens verraten und meine Verwandtschaft mit diesem […] mich ahnen lassen. Eine neue Erfahrung in diesem Reiche der Wahrheit, die Gravitation, der entdeckte Umlauf des Blutes, das Natursystem des Linnäus, heißen mir ursprünglich eben das, was eine Antike, in Herkulanum hervorgegraben – beides nur Widerschein eines Geistes, neue Bekanntschaft mit einem mir ähnlichen Wesen. Ich bespreche mich mit dem Unendlichen durch das Instrument der Natur, durch die Weltgeschichte – ich lese die Seele des Künstlers in seinem Apollo.«23 Diese Form der Erkenntnis ist nach Schiller der wahre »Amor Dei intellectualis«;24 denn sie ist mit der Liebe unzertrennlich verbunden. Die Gesetze der Natur sind nach Schiller »[…] die Chiffern, welche das denkende Wesen zusammen fügt, sich dem denkenden Wesen verständlich zu machen […]«25 Aber diese Chiffren würden uns unlesbar bleiben, wenn wir sie nur mit dem kalten Verstand zu enträtseln versuchten. Wir dringen erst in sie ein, wenn wir uns selbst mit der Kraft der All-Liebe erfüllen und durchdringen. Dann verstehen wir sowohl das physische wie das geistige Sein in seiner wahrhaften Einheit, als eine einzige Selbstoffenbarung der allgemeinen »Sympathie«, die das Weltall zusammenhält. In der äußeren körperlichen Welt nennen wir diese Sympathie Anziehung, Gravitation der Massen; in der inneren nennen wir sie Wahlverwandtschaft, Freundschaft der Geister. Aber beides sind nur verschiedene Namen für ein und dasselbe Urphänomen der Schöpfung: | »Tote Gruppen sind wir – wenn wir hassen, Götter – wenn wir liebend uns umfassen, Lechzen nach dem süßen Fesselzwang – Aufwärts durch die tausendfache Stufen Zahlenloser Geister, die nicht schufen, Waltet göttlich dieser Drang.«26 Aus dieser kosmischen Urkraft der Seele entspringt im Menschen die Kraft, die ihn vor allen niederen Wesen auszeichnet: die Kraft der Aufopferung. Er ist fähig, sein eigenes Dasein nicht nur zu verges23 [Friedrich Schiller, Philosophische Briefe, in: Sämtliche Werke. SäkularAusgabe in 16 Bänden, in Verb. m. Richard Fester u. a. hrsg. v. Eduard von der Hellen, Stuttgart/Berlin o. J. (1904–1905), Bd. XI, S. 108–138: S. 118.] 24 [Baruch de Spinoza, Ethica ordine geometrico demonstrata (Teil 5, Lehrsatz 33), in: Opera quae supersunt omnia, hrsg. v. Karl Hermann Bruder, Bd. I, Leipzig 1843, S. 149–416: S. 408.] 25 [Schiller, Philosophische Briefe, S. 118.] 26 [Ders., Die Freundschaft, in: Sämtliche Werke, Bd. II, S. 26 f.: S. 27.]

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sen, sondern es auch zu vernichten und auszulöschen, um es einem anderen und Höheren, einem geliebten Wesen oder einer Idee zum Opfer zu bringen. Der einzelne gibt sich auf, um in dieser Aufgabe und Hingabe sein höchstes Glück, seine Einheit mit dem Ganzen, zu genießen. »Liebe zielt nach Einheit, Egoismus ist Einsamkeit. Liebe ist die mitherrschende Bürgerin eines blühenden Freistaats, Egoismus ein Despot in einer verwüsteten Schöpfung.«27 Aus dieser dunklen Despotie des Ich wird der Mensch durch die Fähigkeit der Selbstaufopferung befreit: In ihr fühlt er sein Selbst nicht vernichtet, sondern unendlich erhöht und gesteigert. Zug für Zug finden wir diese Lehre bei Thorild wieder. Er nimmt dieselben Voraussetzungen an, und er zieht aus ihnen die gleichen Konsequenzen. Schon in seiner Studentenrede vom Jahre 1778 treten die allgemeinen Grundzüge seiner Anschauung hervor, wenngleich hier die Gedanken noch nicht völlig geklärt und noch nicht von jenem Pathos durchglüht sind, mit dem er sie später, in seiner Dichtung und in seiner Philosophie, hingestellt hat. Kein Wesen kann aus dem Kreise heraustreten, in den die Natur es gestellt hat. Es muß seine Gedanken denken und mit seinen Organen empfinden und fühlen. So hat in gewisser Weise jedes Wesen seine eigene Welt, die der des anderen unvergleichlich ist. Man hat diese Auffassung Thorilds oft als »relativistisch« oder »skeptisch« bezeichnet; aber man muß mit dieser Bezeichnung vorsichtig sein. Denn Thorild bestreitet hier weder die allgemeinen Grundwahrheiten der Vernunft, die vielmehr die Prämissen für alle seine Schlußfolgerungen bleiben; noch bestreitet er die allgemeine und durchgängige Gesetzlichkeit der Natur. Wenn hier von »Skeptizismus« geredet werden kann, so ist es nicht der Skeptizismus Humes, und ebenso | wenig will Thorild einfach die These des Protagoras erneuern, daß der Mensch das »Maß aller Dinge«28 sei. Was er gibt, ist eine Variation über das Thema des Leibnizischen Phänomenalismus.29 Es ist die Lehre, daß jede Monade die Welt nur von ihrem besonderen »Gesichtspunkt« (»selon son point de veue«)30 sehen und [Ders., Philosophische Briefe, S. 125 f.] [Protagoras, Fragm. 1, zit. nach: Hermann Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch, Bd. II, Berlin 21906, S. 536: »πντων χCηµτων µτCον στ ν νθCωπος«.] 29 Wie häufig und nach wie verschiedenen Seiten hin dieses Thema in der philosophischen Literatur des 18. Jahrhunderts behandelt worden ist, zeigt meine Darstellung der Geschichte des Erkenntnisproblems, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. II, Berlin 31922, S. 485 ff. [ECW 3, S. 409 ff.]. 30 [Gottfried Wilhelm Leibniz, 5. Schreiben an Samuel Clarke, in: Philosophische Schriften, Bd. VII, S. 389–420: S. 412.] 27 28

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erkennen kann. »Was wir auch in der Natur zu entdecken glauben, sind nichts anderes als Bilder, Gleichheiten, Vergleichungen. […] Welch kindischer und lächerlicher Hochmut wäre es dann, sich allein im Besitz von Verstand und von allem Licht zu wähnen […] und damit die Wahrheit gewissermaßen zu einem Fideikommiß zu machen […]«31 Denselben Schluß aus der Leibnizischen Monadenlehre hat Schiller gezogen. Alle Erkenntnis, die der Mensch erreichen kann, ist symbolische Erkenntnis, ist »Hieroglyphe« und »Chiffre«. »Wahrheit also ist keine Eigenschaft der Idiome, sondern der Schlüsse; nicht die Ähnlichkeit des Zeichens mit dem Bezeichneten, des Begriffs mit dem Gegenstand, sondern die Übereinstimmung dieses Begriffs mit den Gesetzen der Denkkraft. Ebenso bedient sich die Größenlehre der Chiffern, die nirgends als auf dem Papiere vorhanden sind, und findet damit, was vorhanden ist in der wirklichen Welt.« Jedes Wesen hat sein eigenes Alphabet, in dem es die Welt liest – und doch lesen alle den gleichen Text: die ewige Weltharmonie.32 Und wie Schiller, so fordert auch Thorild nicht nur die Erkenntnis dieser Harmonie, sondern auch die Aufopferung für sie. Jeder Teil muß sich bescheiden und leiden; ja er muß untergehen, wenn das Ganze leben soll; denn »[um] der Melodie [willen] sterben die Töne«.33 »Sieh, wie jeder Teil der unendlichen Natur sich in den andern ergießt«, so schreibt Thorild an Heurlin. »Wie Leben, Seligkeit und Kraft unermeßlich strömen. Harmonie, Harmonie! Etwas, das er lieben, womit er sich vereinen kann, sucht jeder Stoff, und er ruht nicht, bevor er es gefunden! Du mußt lieben, oder du gelangst nicht in den Tempel der Natur; als Priester dieses Tempels verweigere ich dir den Eintritt. Lieben alles Wahre, | alles Gute und Schöne!«34 Als 31 Thomas Thorild, Tal hållet för Götheborgs landskap; vår-termin 1778, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 297–316: S. 307 f. [Zitat S. 307: »Hvad vi Tro oss uptäcka i naturen är icke annat, än bilder, likheter och jemförelser. […] Sluten då […] huru barnsligt och löjeligt deras högmod är, som tro sig vara ensame alsvåldige besittjare af alt förstånd och alt Ljus […] som göra af Sanningen et fidei-commiss och en arfvedelslott […]«]. 32 Schiller, Philosophische Briefe (Theosophie des Julius), S. 117 ff. u. 129 f. [Zitat S. 130]. 33 [Thomas Thorild, Die Verrückung, oder das Orakel-Spiel der Weltnarrheit genannt Weltweisheit, in: ders., Die Gelehrtenwelt, 2 Bde., o. O. o. J., Bd. II, S. 26–49: S. 31.] 34 Ders., Brief an Sven Erland Heurlin, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 34–37: S. 35 [»Se, huru hvar del af den oändeliga naturen utgjuter sig till den andra! huru lif, sällhet och förmåga strömmar omäteligen! Harmoni! Harmoni! Något at älska, at förenas med, söker hvart stoft, och hvilar ikke förr än det funnit! Ni måste älska – eller som dess präst förbjuder jag ehr, kom ikke in i naturens tempel! Älska alt sannt, alt godt, alt skönt!«].

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die aufopfernden, reichen, glückseligen Wesen werden im sechsten Gesang von »Passionerna« die großen Helden und die großen Genies gepriesen. Auch der Vergleich der Newtonschen Attraktionskraft mit der allmächtigen Liebe, die alles bildet, alles hegt – ein Vergleich, der für die Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts bedeutsam und typisch ist und der uns immer wieder in den verschiedensten Varianten begegnet –, findet sich bei Thorild, wie er sich bei Schiller findet: »Du hjertats Gud och Sinnets himmel! Nej, Du är fröjd och lif i all Naturen – I Verldarna, i stoftet Allt är förening, dragningskraft och Kärlek.«35 Diese Verse lassen einen weiteren Zug erkennen, der Schillers und Thorilds Jugenddichtung gemeinsam und der in philosophischer Hinsicht höchst eigentümlich ist. In beiden wird die Freude, die Freude an jeder Schönheit der Natur und an allem menschlichen Dasein, nicht nur gerechtfertigt, sondern sie wird gefordert, sie wird zur Pflicht gemacht. Für beide gilt die Freude – ein seltsam unkantischer Gedanke – gewissermaßen als der kategorische Imperativ der menschlichen Natur. Denn nur durch sie kann sich der Mensch aus seinem engen Dasein erlösen und am Leben des Alls teilhaben. Schiller ist diese Anschauung so tief eingepflanzt, daß er sie auch, als er zum Schüler Kants geworden war, nicht aufopfern mochte und konnte. Der Versuch, sie mit den Grundsätzen der Kantischen Ethik zu versöhnen, ist für seine späteren philosophischen Schriften bezeichnend und bestimmend. Thorild aber kann sich dieser Anschauung ohne jeden inneren Vorbehalt hingeben. »Leid und Unglück«, so wagt er an Heurlin zu schreiben, »ist eine Sache für Toren. Das ist sein ewiges Kennzeichen: Man ist nicht weise, außer sofern man glücklich ist. Achte hierauf, mein Freund, das ist die göttliche Lehre, die ich Dir verkünde. Um sich Freude zu schaffen aus der ganzen Natur: deshalb heiße ich Dich, Dich in die allgemeine Liebe zu ergießen, Deine Sinne für alles, was gut und schön ist, zu öffnen.«36 Diese Philosophie ist ihm Ders., För och mot, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 168. Ders., Brief an Sven Erland Heurlin vom 28. September 1781, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 62–64 u. Bd. II, Uppsala 1900 (Skrifter utgifna af svenska literatursällskapet, Bd. 19/2), S. 65: S. 63 [»Qvalet och olykkan tillhörer dåren. Det är et evigt kännemärke: man är ikke vis utan så långt man är lyklig! Märk det, min vän, detta är det gudomliga förståndet jag predikar för dig! At skapa sig nöjen af hela naturen: det är därför jag ber dig utgjuta dig i allmän kärlek – öpna dina sinnen för det goda och sköna i allt.«]. 35 36

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die echte Liebeslehre, die höher steht als alles Bücherwissen und alle empirische | Einzelkenntnis. »Tausend Kenntnisse wiegen nicht eine einzige freudige Bewegung auf.«37 Diese Apotheose der Freude ist möglich, weil wir an ihr das einzige Mittel besitzen, das den Menschen zur Allnatur, und damit zu Gott, führen kann. »Freude heißt die starke Feder In der ewigen Natur. Freude, Freude treibt die Räder In der großen Weltenuhr. Blumen lockt sie aus den Keimen, Sonnen aus dem Firmament, Sphären rollt sie in den Räumen, Die des Sehers Rohr nicht kennt.«38 Wir brauchen diesen Versen Schillers nur die Verse Thorilds im letzten Gesang von »Passionerna« gegenüberzustellen, um die völlige Einheit der Gedanken, der dichterischen Stimmung, ja selbst im Ausdruck zu spüren. »Nöjet! Centrum i alla Naturens kretsar: ach! evigt Kringom hvilket hvimla och röras de lefvande stoften, Aldrig hvilande. O känsla! O smak af Naturen och Lifvet! Droppe af Guds sötma! fläkt af hans andas ljufhet! Lifva mig, himmelskt strömmande, från evighet, ur Guds sköte! För mig på dina vågor! til Honom! til det Hela!«39 In Schillers »Lied an die Freude« und in Thorilds Versen herrscht ein »Hedonismus« ganz eigener Art – ein Hedonismus, wie er in dieser Form vielleicht nur in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts ausgebildet worden ist. Denn hier soll in keiner Weise die »Lust« verherrlicht und als das höchste Gut erklärt werden. Was hier gepriesen wird, ist nicht der passive Genuß der Dinge, sondern die aktive Teilnahme am Ganzen des Lebens: der Lebensfülle und Lebenskraft, die aus der allumfassenden Sympathie erwächst und die das

37 Tal hållet för Götheborgs landskap, S. 312 [»Tusende kunskaper upväga icke en enda lycksalig rörelse.«]. 38 [Friedrich Schiller, An die Freude, in: Sämtliche Werke, Bd. I, S. 4–7: S. 5.] 39 Passionerna (6. Gesang), S. 48 f.

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enge Ich zur Ewigkeit erweitert.40 Das war die Stimmung, die Beethoven aus Schillers Lied »An die Freude« entgegenklang und der er den tiefsten und mächtigsten Ausdruck gegeben hat. |

40 »Detta är Naturens Moral: Njut alt hvad du kan. Men den samma Naturen säjer: du kan ej njuta utan i förening.« Thomas Thorild, Filosofiska betraktelser, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 434–464: S. 442.

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drittes kapitel. Thorilds Erkenntnislehre 1. Die Erkenntnislehre Thorilds gehört zu den schwierigsten und zu den am meisten umstrittenen Elementen seines Gesamtwerkes. Sie ist für das Verständnis dieses Gesamtwerkes von wesentlicher Bedeutung, und kein Darsteller Thorilds konnte an ihr vorübergehen. Aber trotz dem eindringenden Studium, das ihr gewidmet worden ist, erscheint sie noch immer als dunkel und widerspruchsvoll. Die Auffassungen über sie gehen weit auseinander – nicht nur betreffs der Einzelheiten der Ausführung, sondern auch betreffs ihrer Grundrichtung und wesentlichen Tendenz. Es scheint kaum eine der bekannten und geläufigen erkenntnistheoretischen Kategorien zu geben, die nicht gelegentlich zur Charakteristik der Thorildschen Lehre gebraucht worden wäre. Man hat Thorild als Skeptiker, als Relativisten, als Sensualisten, als »höheren Empiristen«, als Rationalisten oder Intellektualisten bezeichnet – man hat ihn zu Heraklit oder Protagoras, zum Stoizismus, zu Condillac oder Locke, zu Spinoza oder Leibniz gestellt. Ist aus diesem Dilemma ein Ausweg möglich? Oder sollen wir annehmen, daß der Grund der Unklarheit in Thorild selbst zu suchen ist – daß dieser, in Sachen der Erkenntnistheorie, überhaupt keinen festen Standpunkt besessen, sondern aus mehr oder weniger zufälligen Anlässen bald diese, bald jene Meinung ergriffen hätte? Zu dem Gesamtbild von Thorilds Wesen würde freilich eine derartige Annahme wenig passen. Denn wie immer man ihn beurteilen und bewerten mag, so muß doch zugegeben werden, daß er als Dichter, als Metaphysiker, als Kritiker ein sehr bestimmtes »Gesicht« hat. Sollte er allein in diesem Gebiet ein bloßer Eklektiker sein? Um dieser Folgerung zu entgehen, hat man noch zu einem anderen Auskunftsmittel gegriffen. Man hat geglaubt, den Knoten dadurch lösen zu können, daß man von einer | Entwicklung Thorilds gesprochen hat, die ihn von einem Extrem zum anderen geführt habe. Aber wie seltsam nimmt sich bei den Verfechtern dieser Ansicht diese Entwicklung aus! Arvidson nimmt an, daß Thorild im Jahre 1779 eine Erkenntnistheorie aufgestellt habe, die streng sensualistisch im Geiste Condillacs gewesen sei. Aber bei ihr sei er nicht stehengeblieben: Denn schon ein Jahr später, im Jahre 1780, muß er als »Rationalist« bezeichnet werden. Sein philosophisches Denken steht um diese Zeit, nach Arvidsons Darstellung, auf demselben Grund wie das von Spinoza und Leibniz; sein Weltbild ist scholastisch-meta-

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physisch.1 Das wäre schon ein seltsamer Umschwung, für den sich in den Quellen selbst keine befriedigende Erklärung finden läßt. Aber diese Konstruktion erscheint noch merkwürdiger und fragwürdiger, wenn man bedenkt, daß Thorild den Schritt, den er hier getan hat, alsbald hätte wieder rückgängig machen müssen. Denn den Grundsatz, daß »Sinn und Erfahrung« den Anfang aller Philosophie ausmachen und daß alles, was außerhalb dieses Kreises liegt, leeres Trugbild sei, hat er auch in seinen späteren Schriften durchweg festgehalten.2 Nirgends hat er ihn bestimmter aufgestellt und energischer verfochten als in den Schriften seiner letzten Epoche. Seine schärfste Zuspitzung hat er in der »Gelehrtenwelt« und in der »Archimetria« erhalten. Thorilds Denken hätte also nicht sowohl eine langsame und stetige Entwicklung erfahren als vielmehr einen seltsamen Zickzackkurs beschrieben; es wäre von dem Vorwurf völliger Inkohärenz und Inkonsequenz nicht freizusprechen. Demgegenüber scheint es immerhin befriedigender, sich für die eine der beiden Alternativen zu entscheiden – also entweder, mit Karitz und Nilsson, Thorild als »Rationalisten« zu erklären, oder ihn, mit Nyblaeus, Ljunggren und Martin Lamm, zum Empiristen oder Sensualisten zu machen. Ich versuche in den folgenden Betrachtungen eine andere Lösung des Rätsels. Wenn ich, um der größeren Klarheit willen, das Resultat dieser Betrachtungen vorwegnehmen darf, so will ich zu zeigen versuchen, daß Thorild eine bestimmte erkenntnistheoretische Grundansicht vertritt, die er von Anfang bis zu Ende konsequent festgehalten hat. Sicherlich gibt es bei ihm, wie bei jedem Denker, Modifikationen des Gedankens und Modifikationen des Ausdrucks. Aber | der Kern seiner These wird dadurch nicht verändert. Ich will ferner zeigen, daß Thorilds Erkenntnislehre sich weder dem Gattungsbegriff des »Sensualismus« noch dem des »Rationalismus« unterordnen läßt, sondern daß sie beiden gegenüber eine deutlich geschiedene, aber nichtsdestoweniger in sich selbst klare und eindeutige Anschauung vertritt. Und ich will schließlich versuchen, den ge schichtlichen Ursprung dieser Anschauung aufzuweisen und damit der Erkenntnislehre Thorilds ihren historischen Ort bestimmen und sie aus den ihr eigentümlichen Voraussetzungen erklären. Daß der »Sinn« (sinne) der Ursprung aller Erkenntnis ist und daß auf ihm letzten Endes alle Wahrheit beruht, ist ein Satz, der sich durch alle Schriften Thorilds hindurchzieht. Ihn müssen wir daher unbeVgl. Arvidson, Thorild, S. 160 ff. Vgl. hierzu die Belege bei Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 161 ff. [Zitat S. 162: »Sinne och Erfarenhet«]. 1 2

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dingt voraussetzen; aber es handelt sich darum, für ihn die richtige systematische und historische Interpretation zu finden. Diese Interpretation wird indes durch die traditionelle Auffassung der Entwicklung des Erkenntnisproblems in der neueren Zeit wesentlich erschwert. Seit dem Streit zwischen Descartes und Gassendi, zwischen Leibniz und Locke, zwischen Kant und Hume sind wir alle gewohnt, für die eine oder andere Seite in diesem Streit Partei zu nehmen. Wir erklären uns entweder für die Sinnlichkeit oder den Intellekt, für die Erfahrung oder die Vernunft, für das »Aposteriori« oder für das »Apriori«. Und wir glauben fast gegen den Satz vom »ausgeschlossenen Dritten« zu verstoßen, wenn wir nicht die eine oder andere These annehmen. Kant hat erklärt, daß es »zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis«3 gäbe, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand. Ist dem so, so müssen wir uns über die Rang- und Wertordnung dieser beiden »Stämme« entscheiden; wir müssen wissen, was jeder von ihnen zum Aufbau der Erkenntnis beiträgt; wir müssen wissen, welcher von ihnen, im Sinne der psychologischen Entwicklung oder im Sinne der logischen Geltung, das »erste« und das »zweite«, das »Frühere« oder das »Spätere« ist. Aber Thorild hat sich diese Frage nicht nur nicht gestellt, sondern er hat sie, wo immer sie ihm entgegentrat, aufs bestimmteste abgelehnt. Er hat sie, statt sie für ein Problem, ja für das Problem der Erkenntniskritik zu halten, vielmehr für eine Illusion erklärt, von der man sich freimachen müsse. Für ihn steht fest, daß Verstand und Sinnlichkeit nicht zwei getrennte »Stämme« | bilden, die scharf gesondert bleiben müssen, wenngleich sie vielleicht in einer »uns unbekannten«, in einer transzendenten Wurzel zusammenhängen mögen. Diese gemeinschaftliche Wurzel beider ist für ihn vielmehr das unmittelbar Bekannte, das ursprünglich Gegebene, das in direkter Erfahrung Erfaßbare, an dem schlechthin kein Zweifel möglich ist. Er benennt es mit dem Ausdruck »känsla«. »Åtskiljen ej människan. Den stora Känslan följer ej er mechaniska ordning.«4 Aber wir treffen den Sinn dieses Ausdrucks kaum, wenn wir ihn einfach mit »Gefühl« übersetzen und das Gefühl hierbei in der Art fassen, wie es uns die traditionelle Psychologie zu tun gelehrt hat. Seit Tetens hat das Gefühl in der empirischen Psychologie seinen festen und bestimmten Platz. Es gilt als ein eigenes selbständiges »Seelenvermögen«, das neben Denken und Wollen steht. Aber gerade gegen eine derartige Sonderstellung 3 4

[Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 51 (B 29).] Vgl. die Vorrede zu »Passionerna«, S. 38.

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würde sich Thorild sträuben. Denn für ihn ist das »Gefühl« kein Vermögen neben anderen, sondern es ist der Urgrund alles Bewußtseins; es ist kein Teil, keine bestimmte Provinz unseres Ich, sondern es ist das Ich selbst, der Urquell unseres Daseins und unseres Selbstbewußtseins. Thorild ist weder Sensualist noch Rationalist; er bleibt vielmehr auch in seiner Erkenntnislehre entschiedener Vitalist. »Erkennen« ist ihm nicht bloße Denkäußerung, sondern es ist Lebensäußerung; und »Leben« kann nicht in abstrakten Begriffen beschrieben, es kann nur gefühlt und geschaut werden. Wir müssen in den Lebensstrom eintauchen und uns von ihm tragen lassen, wenn wir ihn verstehen wollen. Es ergibt sich hieraus, daß und warum der »Sinn« für Thorild niemals als ein bloßes passives »Vermögen« gilt. Was er uns gibt, sind – um mit Spinoza zu reden – nicht »stumme Bilder auf einer Tafel«;5 es sind nicht bloße Produkte, sondern Prozesse. Der Thorildsche »Sinn« hat einen durchaus aktiven, energetischen Charakter; er ist nichts Statisches, sondern etwas durch und durch Dynamisches; er ist Lebensgefühl und Lebensdrang. Auch das sinnliche »Pathos« ist für Thorild kein bloßes Leiden; es ist vielmehr ein inneres Wirken; es ist der ganze Mensch in seiner inneren Fülle und Bewegung. Thorild ist auch in seiner Psychologie und Erkenntnislehre noch »Pantheist«. Für ihn liegt alle Wahrheit nur im Ganzen. Die Namen, durch die wir einzelne seelische Fähigkeiten, die Fähigkeit des Empfindens, des Denkens, des Wollens zu | unterscheiden suchen, gelten ihm nichts. Im Grunde ist schon diese Zerlegung selbst die eigentliche Todsünde der Abstraktion – das πC3τον ψε2δος aller Psychologie und Erkenntnislehre. Man versteht, daß Thorild aus dieser Grundstimmung heraus zum schärfsten Gegner Kants werden mußte und daß er diesen in seiner späteren Periode so leidenschaftlich bekämpft hat. Denn Kant ist und bleibt der große Kritiker und Analytiker der Erkenntnis; er selbst hat sein Verfahren der »Scheidekunst der Chemiker«6 verglichen. Thorild aber hat von sich gesagt, daß ihm alle »Opposita« verhaßt gewesen seien. In einem höchst bedeutsamen und aufschlußreichen Selbstbekenntnis, in einer Skizze seines Charakters, die er schon als Jüngling entworfen hat, bezeichnet er diesen Zug geradezu als Grundzug seines Wesens.7 Aus dieser Tendenz her5 [Spinoza, Ethica (Teil 2, Lehrsatz 49, Anm.), S. 264: »veluti picturas in tabula mutas«.] 6 [Vgl. Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, hrsg. v. Benzion Kellermann, in: Werke, Bd. V, S. 1–176: S. 175 f.: »ein der Chemie ähnliches Verfahren der Scheidung« (Akad.-Ausg. V, 163).] 7 »Hela naturen, dess minsta och största, lefde för min själ. Deraf hela karakteren af min filosofi: universalitet och enhet, rikhet och harmoni, en

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aus wandte er sich immer wieder mit wachsender Schärfe gegen die Scheidung von Sinnlichkeit und Verstand, von Materie und Form, von Rezeptivität und Spontaneität. Man kann – so betont er später in einem Briefe an Reinhold – Form und Materie wohl in abstracto voneinander unterscheiden; aber es ist verhängnisvoll, wenn man sie, wie Kant es getan habe, voneinander abzuscheiden sucht. Alles Geistige ist konkret, sinnlich bestimmt; alles Sinnliche ist geistdurchdrungen. Es ist vergeblich, ein Moment vom andern trennen zu wollen; alles löst sich »in lauter Eigenschaft, Kraft, Leben […] Etwas ins Unendliche« auf.8 Und ebenso ist ihm die Scheidung von δναµις und νCγεια, von Potenz und Akt, von »Possibilität« und »Realität« eine leere Fiktion, die der Kindheit der Philosophie angehört, aber für die echte Einsicht gleich einem Phantom vergeht.9 Erst auf dieser Grundlage versteht man, daß für Thorild Sinn, Erfahrung, Wahrheit pantheistisch in eins verschmelzen kann: »Pantheismen är enhet, öfverensstämmelse, ljus, frid, den kysser sanning, sinne, erfarenhet; naturen är och är.«10 | Den Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen Thorild und dem englischen und französischen Sensualismus des 18. Jahrhunderts besteht, kann man sich am besten vergegenwärtigen, wenn man seine Grundauffassung der Lehre Condillacs gegenüberstellt. Für beide gilt der »Sinn« als Ursprung und Grundlage aller Erkenntnis – aber sie legen in dieses Wort völlig verschiedene Bedeutungen hinein. Nur der Name ist gemeinsam; die Funktion des Sinnes ist bei Thorild und Condillac nicht nur nicht gleich, sondern sie ist geradezu entgegengesetzt. Condillac ist keineswegs Materialist; er ist vielmehr Spiritualist, der an der Einfachheit der Seelensubstanz festhält.11 Aber er ist strenger psychologischer Analytiker; er sieht in der Analyse nicht nur alles Heil der Erkenntnis, sondern sie ist ihm die höchste Kraft des Menschen, die für alles geistige Schaffen unentbehrlich ist. Der Dichter wie der Denker muß sie gebrauchen: Der Genius Corneilles ist, gradation. Jag hatade alla slag, opposita, undantag såsom litenhetens gränser, fånighet, missvett.« Karakter, S. 281. 8 Thomas Thorild, Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 18. März 1800, in: Ernst Reinhold (Hrsg.), Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kant’s, Fichte’s, Jacobi’s und andrer philosophirender Zeitgenossen an ihn, Jena 1825, S. 289–294: S. 291 f. [Zitat S. 292]. 9 Thomas Thorild, Programm zum neuen Jahrhundert: über das Heidenthum der Gelehrten, in: Die Gelehrtenwelt, Bd. I, S. 1–16 [sep. pag.]. 10 Filosofiska betraktelser (Hanselli), S. 310. 11 Zum Folgenden vgl. die Darstellung der Lehre Condillacs in meiner »Philosophie der Aufklärung«, Tübingen 21932 (Grundriß der philosophischen Wissenschaften), S. 21 ff. u. 132 ff. [ECW 15, S. 17 ff. u. 104 ff.].

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nach Condillac, dem Genius Newtons verwandt, weil beide eine gleich starke Gabe der Analyse besaßen.12 Diese Auffassung führt Condillac zu dem, was Thorild die »mechanische Ordnung« der Psychologie genannt hat. Er will das Seelische in seine letzten Elemente zerlegen und zeigen, wie es sich aus diesen Elementen zusammensetzt. Das Bewußtsein wird ihm damit zum Mosaik der Sinnesempfindungen. Condillacs berühmter Vergleich der Seele mit einer Bildsäule, die sich nach und nach belebt und deren Leben sich immer mehr erweitert und verstärkt, je mehr sinnliche Eindrücke sie empfängt, ist für diese Auffassung das prägnanteste und typische Beispiel. Aus einer Summe, aus einem bloßen Aggregat der »einfachen« Geruchsempfindungen, Geschmacksempfindungen, Tastempfindungen, Gesichtsund Gehörsempfindungen baut sich die Seele allmählich auf. Die Mechanik hat hier überall das Vorbild der Psychologie gebildet, und Condillacs höchster Ehrgeiz bestand geradezu darin, ein »Newton der Psychologie« zu werden.13 Die Auffassung Thorilds steht zu all dem von Anfang an in diametralem Gegensatz. Schon die Frage Condillacs muß ihm im | Grunde unverständlich sein. Condillac will gewissermaßen den Ursprung des Lebens belauschen; er will zeigen, wie das Leben sich allmählich aus stummen passiven Eindrücken der Sinne erzeugt. Für Thorild aber gibt es keinen solchen Ursprung. Denn das Leben hat keinen Anfang und kein Ende, es war immer und wird immer sein. Jeder Versuch, es aus etwas, was vor ihm liegt, zu erklären, muß scheitern. Das Leben ist für Thorilds Pantheismus das allein Bekannte, unmittelbar Gegebene; es ist erstes und höchstes Erklärungsprinzip, aber es ist nicht selbst etwas Erklärbares oder Erklärungsbedürftiges. Es ist unergründlich, weil es ewig ist und weil das Ewige nichts hat, das ihm vorausgeht und aus dem es abgeleitet werden könnte: »Mägtig är du, Natur! O alla varelsers fullhet! Mägtig är du. Och kraft, och kraft af evighet strömmar Från dit inre, outgrundliga Lif. I dit Hela Oomfamneligt utsträckt, stor, harmonisk, oändlig: I dit stoft obegriplig. Källa af smärta och vällust: Källa af ljus, af själ.«14 12 Vgl. Etienne Bonnot de Condillac, La langue des calculs (Œuvres, Bd. XXIII), Paris 1798, S. 233 f. 13 Dieser Punkt ist in der neuesten Darstellung von Condillacs Psychologie treffend hervorgehoben worden; vgl. Georges Le Roy, La psychologie de Condillac, Paris 1937, S. 31 ff. 14 Passionerna (1. Gesang), S. 40.

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Ich kann nicht finden, daß Thorild in dieser seiner Grundanschauung jemals geschwankt hätte, wenngleich er nach den verschiedensten Bezeichnungen für sie greift. Er spricht von All-Liebe, vom AllLeben, von der Allvernunft: Aber er will damit im Grunde immer nur ein und denselben Allblick bezeichnen: den Blick für die eine, in sich ungeschiedene Wirklichkeit der Natur und der Seele. Der Darsteller von Thorilds Philosophie wird freilich das Fehlen jeder festen Terminologie bedauern, und er wird es oft als einen bedenklichen Mangel empfinden. Aber er wird sich hierbei auch der ersten »Grundwahrheit« erinnern, die Thorild für die Kritik aufgestellt hat: »att taga hvar sak för hvad den är«.15 Die Sprache eines pantheistischen Metaphysikers können wir nicht mit denselben Maßen messen wie die eines strengen Methodikers der Erkenntnis – und von ihren Schwankungen dürfen wir uns nicht beirren lassen. In seinen Jugendschriften scheint Thorild eine genaue Definition dessen, was er unter »sinne« versteht, nicht nur nicht gesucht, sondern er scheint sie geflissentlich gemieden zu haben. Er mochte glauben, daß es sich hier um eines jener Urphänomene handele, | auf das man wohl hinweisen, das man jedoch nicht in logische Begriffe fassen kann. Jeder Versuch einer »Erklärung« würde, nach Thorilds Überzeugung, das Phänomen vielmehr verdunkeln. Was »Sinn« ist: das kann nicht logisch definiert oder expliziert, es kann nur erfahren und erlebt werden. Die Werke der Greifswalder Zeit versuchen zum mindesten eine Art von begrifflicher Umschreibung. Was ist Sinn? – so fragt Thorild in der »Gelehrtenwelt« –, und er beantwortet diese Frage damit, daß der Sinn nichts anderes als »Bewußtseyn des Gegebenen, oder Erkenntniß des Seyns«16 ist. Aber das »Gegebene« ist ihm hierbei niemals, im Sinne des Sensualismus, die Gesamtheit der sogenannten »Sinnesdaten«; das bloße Aggregat von einzelnen Impressionen. Die Natur fällt nicht in verschiedene Sinnesgebiete auseinander, sondern alles in ihr ist harmonisch verbunden; die Scheidung in disparate Gebiete liegt nicht in ihr, sondern sie wird erst durch eine falsche Abstraktion in sie hineingelegt. Hier gilt es, wenn wir der Wirklichkeit nahebleiben wollen, nicht die Abstraktion, sondern die immer schärfere Attention zu brauchen. »Die Attention unterscheidet Alles bis aufs Feinste: abscheidet aber nichts; (was aus der Musik und aller Kunst erhellt.) Unterscheiden belebt den Verstand des Ganzen; Abscheiden tödtet ihn […] Nur das immer neue Wahrnehmen (genauere Merken) kann alle Richtigkeiten finden, so wie in jeder Kunst: und hier also kommt Alles 15 16

[S. oben, S. 147 Anm. 4.] [Die Verrückung, S. 33.]

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auf höheren Sinn an (in Kraft und Klarheit, d. i. in Genie und Jugement).«17 Steht Thorild mit dieser Lehre allein – oder gehört er einem bestimmten Typus der Erkenntnistheorie an? Und in welcher Weise ist dieser Typus in der allgemeinen Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts vertreten? Erst wenn man die Frage in diesem Sinne stellt, erhält sie ihr volles systematisches Gewicht und ihre eigentliche geistesgeschichtliche Bedeutung. Als Einzelerscheinung betrachtet behält die Erkenntnislehre Thorilds, wie der Gegensatz der Auffassungen bei den verschiedenen Interpreten beweist, immer etwas schwer Deutbares; sie ist gewissermaßen ein Chamäleon, das in allen Farben schillert. Aber dieser Eindruck hört sofort auf, sobald es uns gelingt, ihr in der Geschichte des Erkenntnisproblems ihren »natürlichen Ort« zuzuweisen. Sie ordnet sich dann nicht nur einem allgemeinen | Zusammenhang ein, sondern sie wird auch zu einem höchst bezeichnenden und erleuchtenden Beispiel für diesen Zusammenhang. Was bei Thorild selbst als merkwürdige Anomalie erscheinen kann, das wird jetzt zum Ausdruck eines universellen Problems; was bei ihm als »exzentrisch« erscheint, das kann nun auf einen festen ideellen Mittelpunkt bezogen werden. Freilich müssen wir, um die Frage in diesem Lichte zu sehen, weit zurückgehen. Wir müssen uns die Vorgeschichte des Thorildschen Sinnbegriffes vergegenwärtigen und gewissermaßen seine Genealogie bis in ihre ersten Anfänge zurückverfolgen. Der Ausdruck »Sinn« (sensus, sense, sens) wird in der neueren Philosophie in zwei Bedeutungen gebraucht, die nicht nur nicht miteinander zusammenfallen, sondern die geradezu entgegengesetzten Denktendenzen entsprechen. Wenn wir diese Tendenzen nicht schon an ihrer Quelle bestimmt voneinander unterscheiden, so laufen wir immer wieder Gefahr, uns durch die Äquivokation des Sinnbegriffs zu falschen Deutungen verleiten zu lassen. Auf der einen Seite steht der strenge »Sensualismus«, wie er zuerst durch Gassendi und Hobbes begründet wird. Beide stellen sich die Aufgabe, der Aristotelischscholastischen Erkenntnislehre eine andere entgegenzustellen, die der modernen Naturerkenntnis entsprechen und ihr als sicherer philosophischer Halt dienen soll. Die neue Auffassung vom Gegenstand der Erkenntnis verlangte eine andere Auffassung vom Ursprung der Erkenntnis; die moderne Ontologie bedurfte einer modernen Erkennt17 Brief an Reinhold vom 18. März 1800, S. 290, und Brief an Reinhold vom 25. Februar 1800, in: Ernst Reinhold (Hrsg.), Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, S. 286–289: S. 287.

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nistheorie. Indem Gassendi und Hobbes die Sinneswahrnehmung zum Prinzip aller Erkenntnis machen, steht ihnen dabei kein anderes Ziel vor Augen, als eine gemeinsame Grundlage für Physik und Psychologie zu finden. Gassendi ist der erste, der die Brücke zwischen der antiken Atomistik und dem Erkenntnisideal der modernen exakten Naturwissenschaft schlägt. Er glaubt zu sehen, daß die Atomistik die einzige philosophische Lehre ist, die das Wahrnehmungsproblem von allem metaphysischen Ballast und allen scholastischen Scheinlösungen befreien und es auf eine sichere empirische Grundlage stellen kann. Er greift hierfür auf die Epikureische Theorie der Wahrnehmung zurück, die er gemäß seinem Zwecke umbildet. Die Wahrnehmung ist ihm wie Epikur die Quelle aller Evidenz (νCγεια); denn sie ist das einzige Mittel, durch welches das Bewußtsein unmittelbar mit dem Objekt in Berührung treten und sich desselben be | mächtigen kann. Vom Gegenstand her lösen sich fortdauernd kleine Bilder (εδωλα) ab, und von ihm gehen Strömungen (Jεµατα) aus, die dem Ich in der Form von Wahrnehmungen zum Bewußtsein kommen. Sollen diese Bilder als Ausdruck des Objekts gelten, sollen sie Wahrheit, nicht Täuschung enthalten, so ist die erste Bedingung hierfür offenbar, daß wir sie so nehmen, wie sie sind, daß wir sie nicht durch irgendeine willkürliche Zutat verfälschen. Der Sinn ist also um so vertrauenswürdiger, je passiver er sich verhält, je mehr er lediglich den Eindruck des Gegenstandes hinnimmt und je getreuer er ihn bewahrt. Die gleiche Grundtendenz finden wir bei Hobbes wieder. Er ist konsequenter als Gassendi; denn bei ihm kommt es zu einer radikalen Ausschaltung des Speziesbegriffs. Er läßt die Spezies weder als »species immateriata« im Sinne der Scholastik noch als »species materiata« im Sinne Epikurs oder Gassendis gelten. Er ersetzt sie durch den Grundbegriff der modernen Galileischen Dynamik: durch den Begriff der Bewegung. In Körper und Bewegung löst sich alles Sein, das physische wie das psychische, auf. Die Gesetze der Mechanik, die Gesetze von Druck und Stoß, sind die obersten allgemeinen Naturgesetze. Und die Wahrnehmung ist nichts anderes als der Rückstoß, den ein organischer Körper leistet, wenn er von einem äußeren Reiz getroffen wird. Die mechanische Tatsache dieses Rückstoßes drückt sich psychologisch in der Form einer Wahrnehmungsvorstellung, eines »Phantasma« aus. Der Nachdruck liegt auch hier darauf, daß alle Tätigkeit der Wahrnehmung, sofern von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, immer nur »Reaktion«, nicht »Aktion« sein kann und daß die objektive Gültigkeit der Wahrnehmung eben auf dieser vollständigen Passivität beruht. Die ersten Denker, die sich im Kreise der englischen Philosophie

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gegen diese Lehre zur Wehr gesetzt haben, sind die Platoniker der Schule von Cambridge gewesen. Sie sahen in ihr den eigentlichen Todfeind; denn sie erkannten in ihr mit Recht den Versuch, alle Selbsttätigkeit des Geistes zu leugnen und zu ersticken. Wenn sie diesen Versuch energisch und unablässig bekämpften, so waren sie hierbei nicht von rein erkenntnistheoretischen Erwägungen geleitet. Ihr eigentliches und entscheidendes Interesse lag an einer anderen Stelle. Sie wollten den Weg für eine neue Metaphysik und für eine neue religiöse Grundanschauung freimachen, die sie ebensowohl | der herrschenden Calvinistischen Dogmatik wie dem modernen mathematisch-naturwissenschaftlichen Weltbild entgegenstellten. Cudworth führt in seinem Werk »The True Intellectual System of the Universe« den Kampf nach beiden Fronten. Die erste Bedingung hierfür aber war, daß er den Begriff des »Sinnes« selbst umformte und damit den Sensualismus an seiner Wurzel angriff. Hobbes und die gesamte »mechanische« Philosophie – so wendet Cudworth ein – behaupten die Wahrnehmung zu erklären; aber in Wahrheit läuft diese Erklärung darauf hinaus, daß sie sie als geistigen Prozeß vernichten. Denn sie übersehen und leugnen gerade dasjenige Element an ihr, was sie erst zu einer Erscheinung des Bewußtseins macht. Es gibt kein noch so elementares Bewußtseinsphänomen, das nicht irgendeine aktive Leistung in sich schließt. Die Tätigkeit des Bewußtseins beginnt keineswegs erst bei den sogenannten »höheren« Seelenvermögen; sie ist nicht auf den Bereich des Denkens, des Urteilens oder Schließens beschränkt. Jede noch so primitive Empfindung schließt bereits eine charakteristische Aktivität ein. So weit wir auch das Bewußtsein zurückverfolgen mögen, es wird niemals zum toten Stoff, es bleibt stets Energie. Auch der »Sinn« wird daher von Cudworth und den Cambridge-Platonikern im wesentlichen als Tun, nicht als Leiden gefaßt. Der eigentliche systematische Grund hierfür liegt darin, daß ihr Blick auf die »innere«, nicht auf die »äußere«, auf die religiöse, nicht auf die physikalische Erfahrung gerichtet war. Sie liebten es, das Wort Plotins zu zitieren, daß es eine Wahrnehmung gebe, die uns nicht vom Körperlichen, sondern vom Seelisch-Geistigen unterrichtet: !στι κα ψυχ0ς ασθησς τις. Diese Wahrnehmung ist nach ihnen der Schlüssel zu aller Wirklichkeitserkenntnis; denn alle echte Wirklichkeit ist geistiger Art und Herkunft.18 Über den Kampf der Cambridge-Platoniker gegen Hobbes’ Sensualismus und Mechanismus vgl. die ausführliche Darstellung in meiner Studie: Die Platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge, Leipzig/Berlin 1932 (Studien der Bibliothek Warburg, Bd. 24) [ECW 14, S. 221–380]. 18

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Der Kampf, den die Cambridge-Platoniker gegen Hobbes geführt haben, hat in der Geschichte des Erkenntnisproblems keine unmittelbare Wirkung geübt. Sie stehen innerhalb ihrer Epoche allein; sie gelten als religiöse und mystische Grübler, die den vergeblichen Versuch machen, sich dem immer mächtiger anwachsenden Strom der Naturerkenntnis entgegenzustellen. Daß trotzdem ihre Lei | stung nicht vergessen wurde und daß sie im Gebiet der allgemeinen Ideengeschichte nicht verlorenging, ist einem einzigen Denker zu verdanken, der sich mit den Cambridge-Platonikern in seinen Grundvoraussetzungen berührt, der aber allen ihren Gedanken eine freiere, kühnere und universellere Wendung gab. Es ist Shaftesbury, der die Lehre der Cambridge-Platoniker von der ασθησις ψυχ0ς aufgenommen und der sie in allen Gebieten seiner Philosophie: in der Metaphysik sowohl wie in der Ethik und Ästhetik, zur Geltung gebracht hat. Der »Sinn«, auf den er sich beruft, ist nicht auf die Welt der Objekte, sondern auf die des Subjekts gerichtet. Er ist der Sinn für das Wahre, für das Schöne, für das Sittliche; und all dies besitzen wir nach Shaftesbury nur dadurch, daß wir es tätig hervorbringen. Auch Shaftesburys Ästhetik zeichnet sich dadurch aus, daß sie zum ersten Mal diesen Gesichtspunkt in voller Schärfe durchführt. Sie geht weder von der Analyse des Kunstwerks noch von der psychologischen Zergliederung des Kunstgenusses aus; sie will vielmehr in den schöpferischen Prozeß der Kunst eindringen und von ihr aus das Geheimnis des Schönen lösen. »[…] the Beautifying, not the Beautify’d, is the really Beautiful.«19 Jetzt erhalten wir eine Lehre vom »Sinn«, die diesen durchaus als lebendige Energie faßt und die diese Energie in allen ihren Grundrichtungen: als künstlerischen, als moralischen, als religiösen Sinn, verfolgen will. Was durch sie alle erfaßt wird, sind nicht materielle Objekte. Es sind vielmehr Lebensformen des Ich, die indes so beschaffen sind, daß mit ihnen und durch sie das Ich sich unendlich über den Kreis des eigenen engen Daseins erweitert. Der Genius in ihm selbst berührt sich mit dem »mächtigen Genius der Natur« und geht im Akt des künstlerischen Schaffens, der moralischen Sympathie und der religiösen Liebe völlig in ihm auf. Der starke und nachhaltige Einfluß, den Shaftesbury auf Thorild geübt hat, ist unverkennbar, und er ist, soviel ich sehe, von allen Interpreten einmütig hervorgehoben worden. Er tritt ebenso deutlich in 19 [Anthony Ashley Cooper, III. Earl of Shaftesbury, The Moralists, a Philosophical Rhapsody. Being a Recital of Certain Conversations, on Natural and Moral Subjects (Teil 3, Abschn. 2), in: ders., Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times, Bd. II, 2., korr. Aufl., o. O. 1714, S. 177–443: S. 404.]

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Thorilds allgemeinen metaphysischen und religiösen Grundanschauungen wie in der besonderen Gestaltung seiner ästhetischen und ethischen Lehren hervor. In letzterer Hinsicht hat insbesondere Torgny Torgnysson Segerstedt gezeigt,20 welch bedeutsame Rolle die Lehre vom »Moral Sense« für Thorilds philosophische Entwicklung ge | spielt hat. Unmittelbare erkenntnistheoretische Anregungen konnte freilich Thorild Shaftesbury nicht entnehmen, denn dieser begnügt sich überall mit der Aufstellung bestimmter metaphysischer, ethischer, ästhetischer Thesen, ohne das Bedürfnis zu fühlen, sie durch eine erkenntnistheoretische Analyse zu stützen und zu rechtfertigen. Wohl aber gibt es einen Denker, der, im übrigen ganz auf dem Boden von Shaftesburys Gottes- und Naturbegriff stehend, auch diesen Versuch unternommen hat. Es ist kein anderer und kein Geringerer als Herder gewesen, dem in der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts diese Aufgabe zufiel. Wenn man die Schriften Thorilds aus seiner späteren Epoche, insbesondere die »Archimetria« und die »Gelehrtenwelt«, studiert, so fällt die Übereinstimmung der erkenntnistheoretischen Grundanschauung mit Herder unmittelbar in die Augen. Als Thorild Herder die »Archimetria« zusandte, erkannte der letztere sofort diese geistige Verwandtschaft. Er hat das Werk eingehend besprochen und seinem Grundgedanken entschieden zugestimmt.21 Noch wärmer und enthusiastischer sprach er sich in dem Brief an Thorild aus, mit dem er die Zusendung seiner Rezension begleitete. »Enthülle Dich, Geist, daß Wir uns begegnen« – so ruft er ihm zu. »Daß wir più e meno Eins wollen, davon ist keine Frage. Dringen Sie vor.«22 Aber diese Einheit des Wollens zwischen Herder und Thorild gehört nicht erst der späteren Epoche, der Greifswalder Zeit Thorilds, an, sondern sie läßt sich viel weiter zurückverfolgen. Thorild ist, wie sich zeigen läßt, in seiner Erkenntnislehre schon sehr früh der Schüler Herders geworden – und er ist es immer geblieben. Im Jahre 1778 erscheint Herders Schrift » Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele«. Sie geht auf eine Preisaufgabe zurück, die die Berliner Akademie der Wissenschaften gestellt hatte. Sulzer, der eigentliche Urheber der Aufgabe, hatte eine »Untersuchung der beiden Grundkräfte der Seele des Erkennens und Empfindens« geforTorgny Torgnysson Segerstedt, Moral Sense-skolan och dess inflytande på svensk filosofi, Lund/Leipzig 1937 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt. 1, Bd. 33, Nr. 8), S. 371–445. 21 Johann Gottfried Herders Rezension von Thorilds »Archimetria«: Maximum s. Archimetria. Berlin 1799, in: Sämmtliche Werke, Bd. XX, S. 367–371 u. 409. 22 Vgl. a. a. O., S. 409. 20

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dert. Aber statt dieser Aufgabe zu genügen, beginnt Herder seine Schrift damit, daß er die Fassung der Aufgabe kritisiert. Können wir überhaupt von »Erkenntnisvermögen« und »Empfindungsvermögen« als zwei getrennten Kräften sprechen? Die Schulphilosophie hat es von jeher | getan; aber sie hat sich damit, nach Herder, in einer verhängnisvollen Täuschung bewegt. »Empfinden« und »Erkennen« sind, wie er erklärt, keineswegs zwei getrennte Provinzen der Seele, deren genaue Grenzen sich ziehen und deren Gebiete sich bestimmt gegeneinander abgrenzen lassen. Sie sind Lebensäußerungen, und als solche gehören sie stets dem ganzen Menschen an. Denn das Leben läßt sich nicht in eine Mehrheit heterogener Kräfte auseinanderlegen, es ist eine allumfassende Grundkraft und eine alldurchdringende Urkraft. »Empfinden« und »Erkennen« sind somit nur wie zwei verschiedene Zweige an ein und demselben Baum aufzufassen – und dieser Baum erwächst aus der Wurzel des Fühlens und muß sich, um nicht abzusterben, ständig aus ihr nähren. Das »reine«, das von dieser Wurzel abgesonderte Denken, auf das sich die rationalistische Schulphilosophie beruft, ist daher nichts als totes Denken; es kann uns keine Wahrheit, sondern nur Trug und Schein geben. »[…] wie fein ist die Ehe, die Gott zwischen Empfinden und Denken in unsrer Natur gemacht hat! Ein feines Gewebe, nur durch Wortformeln von einander zu trennen. […] Alles sogenannte reine Denken […] ist Trug und Spiel, die ärgste Schwärmerei, die sich nur selbst nicht dafür erkennet. Alle unser Denken ist aus und durch Empfindung entstanden, trägt auch, Trotz aller Destillation, davon noch reiche Spuren.«23 Es gibt kein Selbstgefühl, und es gibt kein Wissen von der Wirklichkeit, das nicht aus der Quelle der Empfindung emporsteigt. Daher ist die Empfindung kein trügerisches Vermögen: Sie ist vielmehr die Voraussetzung für alle Wahrheitserkenntnis. »Betrügt mich der Schall, das Licht, der Duft, die Würze; ist mein Sinn falsch, oder habe ich ihn nur falsch zu brauchen mich gewöhnet, so bin ich mit alle meiner Känntniß und Spekulation verlohren. Auch kann der Gegenstand für tausend andre Sinnen in tausend andern Medien ganz etwas anders, vollends in sich selbst ein Abgrund seyn, von dem ich nichts wittre und ahnde; für mich ist er nur das, was mir der Sinn und sein Medium, jenes die Pforte, dies der Zeigefinger der Gottheit für unsre Seele, dargibt. Innig wissen wir außer uns nichts: ohne Sinne wäre uns das Weltgebäude ein zusammen geflochtner Knäuel dunkler Reize […]«24 Man gebe daher jeden Versuch auf, Emp | findungsvermögen und 23 24

Ders., Vom Erkennen und Empfinden, S. 233 f. A. a. O., S. 187 f.

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Erkenntnisvermögen säuberlich gegeneinander zu scheiden und den Menschen zu einem Geschöpf zu machen, das aus verschiedenen Teilen zusammengeflickt wäre: »Mit Namen zimmern wir keine Fächer in unsrer Seele […]«25 Ist Herder damit zum radikalen »Sensualisten« geworden, spricht er als Schüler Lockes oder Condillacs? Die Antwort auf diese Frage können wir ihm selbst entnehmen; denn er hat seinen Gegensatz gegen den Sensualismus nicht minder scharf als den gegen den Rationalismus bezeichnet. Die Polemik gegen Condillac setzt schon in seinen frühesten Schriften ein; und sie stützt sich auf dieselben Gründe, die der gegen das Wolffische Schulsystem ins Feld führt. Auch in Condillacs Sensualismus sieht Herder den Fehler der falschen Abstraktion, des trennenden Verstandes. In Herders »Preisschrift über den Ursprung der Sprache« (1772) wird Condillacs Erklärung der Entstehung der Sprache als hohl bezeichnet.26 Sie ist es deshalb, weil sie einer falschen und oberflächlichen Psychologie entspringt. Denn man mißversteht den »Sinn«, wenn man ihn statt in seiner ungeteilten Ganzheit nur in seinen »disjecta membra« betrachtet. »Allen Sinnen liegt Gefühl zum Grunde, und dies gibt den verschiedenartigsten Sensationen schon ein so inniges, starkes, unaussprechliches Band, daß aus dieser Verbindung die sonderbarsten Erscheinungen entstehen. […] Wir sind voll solcher Verknüpfungen der verschiedensten Sinne […] Alle Zergliederungen der Sensation bei Buffons, Condillacs und Bonnets empfindendem Menschen sind Abstraktionen: der Philosoph muß Einen Faden der Empfindung liegen laßen, indem er den andern verfolgt – in der Natur aber sind alle die Fäden Ein Gewebe!«27 Die Verwandtschaft zwischen Herders und Thorilds Erkenntnislehre liegt hier offen zutage. Aber der Zusammenhang beider ist noch enger; er erstreckt sich nicht auf einzelne Anschauungen oder Lehrsätze, sondern auf die gesamte Methode, der sie in ihrem Denken folgen. Der Schlüssel für alles Begreifen und Verstehen der Wirklichkeit ist für Thorild die Analogie. Sie hat er in seinem Lehrgedicht in überschwenglichen Worten gepriesen: |

25 Diese Äußerung gehört der Herderschen »Metakritik« an: Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, in: Sämmtliche Werke, Bd. XXI, S. 1–190: S. 19, ist aber ganz im Geist und Sinn der Schrift »Vom Erkennen und Empfinden« gesprochen. 26 Ders., Abhandlung über den Ursprung der Sprache, welche den von der Königl. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesezten Preis erhalten hat, in: Sämmtliche Werke, Bd. V, S. 1–154: S. 20. 27 A. a. O., S. 61 f.

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»Analogi! sublima, strålande Sanningens Iris, Som hon utskickar vidt i Naturens okända riken, Analogi! du ser det; ropar det högt för den vise. Känslan i människo-stoftet är alt. är, namngifven, Tanke: Herrskande heter Passion – Passion!«28 Dieser Enthusiasmus für die Analogie kennzeichnet und durchdringt Thorilds ganzes Denken. Die Bedeutung, die der Begriff der Analogie für Thorilds gesamte Lehre besitzt, ist mit vollem Recht von Karitz hervorgehoben worden, der hier geradezu das Zentrum dieser Lehre sieht. »Wenn man Thorilds philosophisches Werk als Ganzes analysieren und zum Gegenstand einer Kritik machen wollte«, so bemerkt er, »so müßte man zweifellos an den Gebrauch anknüpfen, den er von Analogien macht und den man bei ihm geradezu als typisch betrachten muß. Denn hier berührt man den empfindlichsten Punkt, und hier erfaßt man das, was Thorilds Gedankenleben am tiefsten charakterisiert. Auch ist sein Verhältnis zur Analogie bezeichnend für seinen gesamten Entwicklungsgang.«29 Genetisch haben Karitz und Nilsson30 diese Rolle des Analogieprinzips auf die Leibnizische Philosophie zurückgeführt, in der es ohne Zweifel seine letzte historische Wurzel hat. Aber wenn man die Anwendung des Prinzips bei Thorild verfolgt und wenn man sie dem Gebrauch, den Leibniz von ihm gemacht hatte, gegenüberstellt, so ergibt sich hierbei keineswegs eine durchgehende Übereinstimmung; es zeigt sich vielmehr ein unverkennbarer systematischer Gegensatz. 31 Für Thorild ist die Analogie nicht, wie sie es für Leibniz ist, ein Instrument des exakten, des logisch-mathematischen Denkens. Er gebraucht sie vielmehr als ein Mittel der Phantasie, und er will sie ausdrücklich in diesem Kreise festhalten. Die Phantasie ist nach ihm ein unentbehrliches Organ der Erfassung der Natur und damit ein Instrument der Wahrheitserkenntnis. Er erkennt auch hier keine strengen Grenzen zwischen den verschiedenen Seelenvermögen und zwischen den verschiedenen Arten der Erkenntnis an; er erklärt geradezu, daß auch alles Denken eine Passionerna (4. Gesang), S. 43. Karitz, Tankelinjer hos Thorild, S. 94 [»Och om Thorilds filosofiska författarskap skulle skärskådas i sin helhet och göras till föremål för en kritik, borde denna otvivelaktigt anknytas till den användning av analogier som hos honom kan anses vara typisk. Ty här berör man nog den ömtåligaste punkten, och här får man väl även grepp om vad som djupast karaktäriserar Thorilds tankeliv. Dessutom är hans förhållande till analogierna betecknande för hela hans utvecklingsgång.«]. 30 Vgl. Nilsson, Thomas Thorild, S. 60 f. 31 Über diesen Gegensatz s. die späteren Darlegungen unten, S. 198 ff. 28 29

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Funktion der »Einbildungskraft« sei: »alt Tänka är Inbilla, Sinligt se«.32 | Einen solchen Satz hätte Leibniz niemals sprechen können. Zwar ist auch Leibniz in seiner Psychologie nicht Platoniker, sondern Aristoteliker. Zwischen den verschiedenen Funktionen des seelischen Lebens und zwischen den verschiedenen Erkenntnisstufen gibt es nach ihm keine absolute Trennung, keinen Platonischen χωCισµ#ς. Wie bei Aristoteles das Erkennen stetig von der Stufe der »Wahrnehmung« (ασθησις) zu der der Phantasie (φαντασα) fortgeht, um von hier zur Stufe des Gedächtnisses (µν µη) und zu der des Denkens (πιστ µη und νο2ς) aufzusteigen, so betont auch Leibniz fort und fort, daß auch das »abstrakteste« Denken an die sinnliche Anschauung gebunden ist.33 Aber dieser Aristotelische Begriff der »Phantasie« steht mit dem Begriff, den Thorild mit ihr verbindet, nicht auf einer Stufe. Er wird von Leibniz in streng logischem Sinne verstanden, und er hat ihn zu einer seiner größten Entdeckungen: zur Entdeckung der »Characteristica generalis«, geführt.34 Das Prinzip der Kontinuität schlägt auch bei Leibniz die Brücke zwischen Denken und Sinnlichkeit. Aber die Synthesis vollzieht sich bei ihm in genau umgekehrter Richtung, als sie sich bei Thorild vollzieht. Er führt nicht das Denken auf die Sinnlichkeit, sondern diese auf jenes zurück. Er »intellektualisiert« die Sinnlichkeit, wie Kant ihm vorgeworfen hat, indem er sie als eine bloße Unterart des Denkens, als ein »verworrenes Denken« erklärt. Die entgegengesetzte Tendenz tritt uns bei Thorild entgegen, und sie bestimmt den Gebrauch, den er von der Analogie macht. Die erste bestimmte Aufstellung der Analogie als Erkenntnisprinzip findet sich in dem Aufsatz »En pantheists anmärkningar vid Reimarus«. Das Wesen der unendlichen Natur – so wird hier erklärt – besteht in nichts anderem als in einer überall verbreiteten »verksamhets- och känslo-kraft«. Die Annahme einer solchen Kraft ist keine selbstgemachte Erdichtung: Die stärkste und klarste Analogie spricht für sie – und wo gäbe es, außer der Erfahrung, einen anderen Wahrheitsgrund?35 Das natürliche, das 32 Thomas Thorild, Inbildningens nöjen, prosaisk ode, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 57–72: S. 69. 33 Vgl. z. B. Gottfried Wilhelm Leibniz, Erwiderung auf die Betrachtungen über das System der prästabilierten Harmonie in der zweiten Auflage des Bayleschen »Dictionnaire historique et critique« (Artikel: Rorarius), in: Hauptschriften, Bd. II, S. 382–405: S. 388 u. 394. 34 Näheres hierüber bei Louis Couturat, La logique de Leibniz d’après des documents inédits (Kap. 4), Paris 1901, S. 81 ff. 35 Thomas Thorild, En pantheists anmärkningar vid Reimarus. Naturliga religionens förnämsta sanningar, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 320–342: S. 322.

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physische Auge gelangt bald an seine Grenze; und wo es uns verläßt, müssen wir mit den »Augen der Analogie«36 sehen. Der Mensch kann eine fremde Wirk | lichkeit nur dadurch verstehen, daß er sein eigenes Wesen in sie hineinlegt und daß er sie nach Maßgabe seines eigenen Selbstgefühls deutet. An diesem »Anthropomorphismus« dürfen wir keinen Anstoß nehmen; denn er ist schlechthin unvermeidlich. Es gibt für den Menschen keine andere Wahrheit und keine andere Erkenntnis als diejenige, die er in sich selbst vorfindet, und es wäre vergeblich, einer höheren, angeblich »transzendenten« Wahrheit nachzujagen. Ebendies aber ist das Grundprinzip der Erkenntnislehre, das Her der in der Schrift »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele« aufgestellt hatte. »Aber wie?«, so hatte er hier gefragt, »ist in dieser ›Analogie zum Menschen‹ auch Wahrheit? Menschliche Wahrheit gewiß, und von einer höhern habe ich, so lange ich Mensch bin, keine Kunde. Mich kümmert die überirrdische Abstraktion sehr wenig, die sich aus allem, was ›Kreis unsres Denkens und Empfindens‹ heißt, ich weiß nicht auf welchen Thron der Gottheit setzet, da Wortwelten schafft und über alles Mögliche und Würkliche richtet. Was wir wissen, wissen wir nur aus Analogie, von der Kreatur zu uns und von uns zum Schöpfer. […] Syllogismen können mich nichts lehren […] Die stille Aehnlichkeit, die ich im Ganzen meiner Schöpfung, meiner Seele und meines Lebens empfinde und ahnde: der große Geist, der mich anwehet und mir im Kleinen und Großen, in der sichtbaren und unsichtbaren Welt Einen Gang, Einerley Gesetze zeiget: der ist mein Siegel der Wahrheit. […] Ich schäme mich nicht, an den Brüsten dieser großen Mutter Natur nur als ein Kind zu saugen, laufe nach Bildern, nach Aehnlichkeiten […] weil ich kein andres Spiel meiner denkenden Kräfte (wenn ja gedacht werden muß) kenne, und glaube übrigens, das Homer und Sophokles, Dante, Shakespeare und Klopstock der Psychologie und Menschenkänntniß mehr Stoff geliefert haben, als selbst die Aristoteles und Leibnitze aller Völker und Zeiten.«37 Das war die Kriegserklärung der jungen Generation in Deutschland gegen den Intellektualismus der Aufklärungszeit: die Kriegserklärung der Phantasie, die »nach Bildern läuft«, gegen den Verstand, der in strengen und trockenen Begriffen denkt. Und ihr hat sich Thorild, der selbst in den Begriffen der Leibniz-Wolffischen Philosophie erzogen worden war, sofort angeschlossen. Er hat den Kampf von | Deutschland nach Schweden verpflanzt, und er ist hier zum ersten 36 37

[Ebd.: »analogiens öga«.] Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 170 f.

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»Rufer in Streit« geworden. Bei Herder läßt sich Schritt für Schritt verfolgen, wie der spezifische und charakteristische Gebrauch, den er von der Analogie macht, der Metaphysik und der Psychologie eine neue Gestalt gibt. Alle Grundfragen beider rücken jetzt in ein anderes Licht. Die Psychologie des achtzehnten Jahrhunderts war entweder empirische Psychologie im Sinne der Engländer, oder sie war rationale Psychologie im Sinne Wolffs gewesen. Die erstere war darauf ausgegangen, das Bewußtsein in eine Summe einzelner sinnlicher Empfindungen aufzulösen und das Ich zu einem »Bündel von Perzeptionen«38 zu machen; die letztere hatte die einfache Natur der Seele behauptet und hieraus ihre Unteilbarkeit und Unzerstörlichkeit gefolgert. Herder erklärt beide Wege für ungültig. Er will eine Seelenlehre begründen, die rein auf das Zeugnis der inneren Erfahrung und auf das der Analogie aufgebaut ist. Die innere Erfahrung aber weiß ebensowenig etwas von einfachen Sinnesempfindungen, wie sie etwas von einer einfachen Seelensubstanz weiß. Beide Begriffe sind Ergebnisse einer künstlichen Abstraktion, die die Phänomene verfälscht und sie in ein Prokrustesbett einzwängt. Wir erleben immer nur den einheitlichen Bewußtseinsstrom als solchen; nicht aber die Elemente, aus denen er sich angeblich zusammensetzt. Aber ebenso ist es nach Herder ein unzulässiger Schritt und eine unberechtigte Hypostasierung, wenn wir diese Einheit, die sich uns im Erlebnis unmittelbar kundtut, zu einem an sich bestehenden einheitlichen Dinge, zu einer Seelensubstanz im Sinne der rationalen Psychologie machen. Die Schwächen dieser letzteren hat Herder klar durchschaut, und er hat demgemäß auch alle traditionellen Unsterblichkeitsbeweise abgelehnt. Er tritt hier nicht nur der Wolffischen Schulphilosophie, sondern auch Bonnets Gedanken der »Palingenesie« entgegen. Freilich hält Herder daran fest, daß der Mensch »zur Hoffnung der Unsterblichkeit« gebildet sei. Aber allen Begründungen dieser Hoffnung aus reinen Begriffen steht er mit stärkstem Mißtrauen gegenüber. »Man erwarte hier keine metaphysische Beweise von der Unsterblichkeit der Seele aus ihrer einfachen Natur«, so sagt er in den »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit«, »aus ihrem Spiritualismus u. f. Die Physik kennet diese einfache Natur nicht und könnte vielmehr Zweifel gegen sie erregen, da wir unsre Seele nur in einem zusam | mengesetzten Organismus durch Wirkungen kennen, die aus 38 [David Hume, A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects (Buch 1, Teil 4, Abschn. 6), hrsg. v. Lewis Amherst Selby-Bigge, Oxford 1896, S. 252: »a bundle […] of […] perceptions«.]

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einer Mannichfaltigkeit von Reizen und Empfindungen zu entsprießen scheinen. Der allgemeinste Gedanke ist nur das Resultat unzählicher einzelner Wahrnehmungen und die Regentin unsers Körpers wirkt auf das zahllose Heer untergeordneter Kräfte als ob sie ihnen allen dem Ort nach gegenwärtig wäre. Auch Bonnets sogenannte Philosophie der Keime kann hier unsre Führerin nicht seyn: denn sie ist in Absicht auf den Uebergang zu einem neuen Daseyn theils unerwiesen, theils nicht zu ihm gehörig.«39 Der erste Teil von Herders »Ideen« ist im Jahre 1785 erschienen; diese Sätze sind also von der Schrift »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele« durch mehrere Jahre getrennt. Sie durften trotzdem hier angeführt werden; denn sie drücken, in besonders knapper und prägnanter Form, eines der Hauptresultate ebendieser Schrift aus. Was Thorild betrifft, so sind wir in der günstigen Lage, uns von dem Ursprung und der ersten Gestalt seiner Psychologie ein viel genaueres Bild machen zu können, als es in anderen Gebieten, z. B. in der Religionsphilosophie und in der Metaphysik, der Fall ist. Denn er selbst hat uns den Weg, den er hier gegangen ist, in zwei Aufsätzen, die mit Sicherheit seiner frühesten Zeit zuzuweisen sind, genau beschrieben. Der eine ist der Aufsatz »En pantheists anmärkningar vid Reimarus«; der andere knüpft an Bonnets »Recherches sur le Christianisme« an und kritisiert eingehend die dort gegebenen Unsterblichkeitsbeweise.40 Für beide Aufsätze ist es charakteristisch, daß sie eine Seelenlehre aufbauen wollen, die sich von der Metaphysik emanzipiert, um sich statt dessen um so enger an die Erkenntnislehre anzuschließen, die Thorild vertritt. Auch Thorild erklärt, ebenso wie Herder, die reine Spekulation in diesem Gebiet für unzuständig. Aus bloßen Begriffen läßt sich die Natur der Seele nicht erkennen und bestimmen. Was aber die Erfahrung angeht, so zeigt sie uns das »Ich« durchaus nicht als eine einfache Substanz, sondern als ein höchst verwickeltes Phänomen. Es ist vielfältig, weil wir das, was wir »Seele« nennen, immer nur in der Form des organischen Lebens | kennen und weil diese Form von einer Fülle wechselnder Bedingungen abhängt. So ist denn auch das Ich nicht jenes feste, gleichbleibende, in jedem Augenblick mit sich selbst 39 Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Erster und zweiter Teil (Sämmtliche Werke, Bd. XIII), S. 165. 40 Der Bonnetaufsatz ist bei Hanselli (Anmärkningar, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 283–290: S. 284 ff.) und bei Arvidson (Anmärkningar, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 350–357: S. 351 ff.) gedruckt. Daß er, ebenso wie der Reimarusaufsatz, der frühesten Epoche Thorilds angehört und etwa in die Jahre 1779 oder 1780 zu setzen ist, hat Arvidson (Thorild, S. 70 f.) gezeigt.

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identische Sein, als welches es in der rationalen Psychologie beschrieben wird. Das Ich ist uns nirgends anders als im Bewußtsein gegeben, und nur diesem können wir die Data zu seiner Bestimmung entnehmen. Dieses Bewußtsein aber ist fließend und wechselnd, wie das organische Leben selbst es ist. Ist das Ich – so fragt Thorild im Reimarusaufsatz – wirklich beständig, und ist es eine einfache Idee? Und er verneint beide Fragen. »Es gibt in Wahrheit nichts, das zusammengesetzter wäre als mein Ich: Denn dieses Ich umfaßt alle Bestimmungen meines Wesens, alles was ›mich‹ ausmacht und mich von allen anderen Dingen unterscheidet. Auf dieselbe Weise wie die Idee ›Baum‹ eine Unendlichkeit von Teilideen, des Stammes, der Zweige, des Laubes, seiner Stelle im Raum, seines Lebens, seiner Umweltbedingungen enthält, so ist auch mein Ich sowohl im Fuß wie in der Hand, sowohl in der einen Fiber wie in der andern.«41 Das Ich der Philosophen, das rein spekulative Ich, ist nichts als eine tiefsinnige Unbegreiflichkeit. Auf diese Weise, auf dem Wege des »Spiritualismus«, ist also, wie Thorild nicht minder energisch als Herder betont, dem Problem nicht beizukommen. Gefühl und Anschauung werden hier immer wieder den Sieg behalten und uns lehren, daß eine Loslösung des Ich von seinen organischen Bedingungen schlechterdings unmöglich ist. Das Ich eines Menschen, der am Podagra leidet, ist ebenso podagristisch wie sein Bein. »I ch«, so sagt er, »ich sehe, begreife und fühle, daß die ganze Natur düster und schmerzhaft ist – daß sie, wie er sagen will, gleichsam an Podagra leidet; ich finde in der Welt nicht mehr die gleiche Munterkeit und Freude wie in meinen rüstigen Tagen (da ich noch gesunde Beine hatte).«42 Ist Thorild, indem er sich in dieser Weise gegen den Spiritualismus und seine Lehre von der einfachen Seelensubstanz wendet, damit notwendig dem entgegengesetzten Extrem verfallen; spricht er hier als reiner »Materialist«? Daß und warum dem nicht so ist, tritt wiederum am klarsten hervor, wenn wir die gleiche Frage in bezug auf Herder stellen. Herder lehnt den Materialismus nicht minder | entschieden als den Spiritualismus ab, weil seiner Überzeugung nach beiden dieselbe 41 En pantheists anmärkningar vid Reimarus, S. 328 [»tvertom, ingen är mera sammansatt, än just denna; ty den innefattar på en gång alla min varelses charkteristiker, alt som utgör mig och skiljer mig från alla andra ting. på samma sätt som den idéen Trädet innefattar tillika en oändelighet smärre idéer af stammen, af grenarne, af löfven, af dess rum, dess bruk, dess lif och uppehållningslagar etc. etc. Mit jag är i foten så väl som i handen, och i en fibrill så väl som i en annan.«]. 42 A. a. O., S. 327 ff. [Zitat S. 327: »Jag […] jag ser, begriper och känner at hela Naturen är dunkel och olustig (och liksom har podagra, vill han säja); jag finner icke i verlden den munter- och glättighet, som i mina raska dar, (då jag hade friska ben).«].

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unzulässige Form der Abstraktion zugrunde liegt. Die wirkliche Erfahrung gibt uns, wie er immer wieder betont, Seelisches und Körperliches nicht als abgeschieden voneinander; sie gibt uns stets das eine mit dem anderen und in das andere verwoben. Jedes Erlebnis ist ein leibseelisches, ein psychophysisches Phänomen. »Wenn wir uns wohl befinden, ist unsre Brust weit, das Herz schlägt gesund, jede Fiber verrichtet ihr Amt im Spiele. Da fährt Schrecken auf uns zu; und siehe als erste Bewegung, noch ohne Gedanken von Furcht und Widerstande, tritt unser reizbares Ich auf seinen Mittelpunkt zurück, das Blut zum Herzen, die Fiber, selbst das Haar, starrt empor; gleichsam ein organischer Bote zur Gegenwehr, die Wache steht fertig.«43 Und es ist nicht bloß der Mensch als Ganzes, sondern es ist schon die einzelne Fiber, die diese Fähigkeit besitzt, auf einen bestimmten Reiz zu antworten. Herder knüpft hier an den Begriff der »Irritabilität« an, der durch Haller zur Grundlage der Physiologie gemacht worden war. In der Tatsache der Irritabilität entschleiert sich ihm das Geheimnis alles organischen und alles seelischen Lebens. »Tiefer können wir wohl die Empfindung in ihrem Werden nicht hinabbegleiten, als zu dem sonderbaren Phänomenon, das Haller ›Reiz‹ genannt hat. Das gereizte Fäserchen zieht sich zusammen und breitet sich wieder aus; vielleicht ein Stamen, das erste glimmende Fünklein zur Empfindung […]« Und haben wir erst dieses »Fünklein«, so können wir leicht verfolgen, wie es zur Flamme wird, die die ganze Natur durchdringt. Denn alles, was wir »Bewußtsein« nennen, ist schon hier angelegt. Ob wir von Empfindung, Vorstellung, Einbildungskraft, Verstand sprechen: ihr Keim und Anfang ist stets der gleiche. Er liegt in nichts anderem als in der Fähigkeit der organischen Materie, in bestimmter und spezifischer Weise auf äußere Reize zu antworten. Je höher wir in der organischen Natur steigen, um so vielfältiger und verwickelter wird das System dieser Antworten. Der wachsenden organischen Komplikation entspricht die Komplikation des Empfindens – und diese letztere genügt, um alles »höhere« Seelenleben zu erklären. »Niederes« und »Höheres« sind auch hier | durch ein unsichtbares Band geeint und gehen durch unmerkliche Vermittlungen ineinander über. »Ohne Samenkörner ist keine Ernte, kein Gewächs ohne zarte Wurzeln und Staubfäden, und vielleicht wären unsre göttlichsten Kräfte nicht ohne diese Aussaat dunkler Regungen und Reize.«44 43 Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 172. – Um sich der fast wörtlichen Übereinstimmung bei Thorild bewußtzuwerden, vergleiche man mit diesen Sätzen die Stelle im Reimarusaufsatz, En pantheists anmärkningar vid Reimarus, S. 328, Z. 228–234. 44 Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 171.

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Auch für Thorild steht fest, daß diese unlösliche Verflechtung zwischen Seelischem und Körperlichem nicht nur für den voll entwickelten, ausgebildeten Organismus, sondern bereits für jedes kleinste Element der organischen Materie besteht. Nicht nur der Mensch als Ganzes, sondern schon jede einzelne »Fiber« hat »Empfindung« – oder doch ein Analogon von ihr. Die Höhe, die Stärke, die Feinheit der Empfindung hängt nur vom Grade der Differenziertheit des Organismus ab. »Naturens väsenteliga känsla«, so erklärt Thorild im Reimarusaufsatz, »är i mån af Mekanismens finhet och rikhet.« Die Art der Sinnesorgane muß daher die ganze »Welt« eines Wesens bestimmen; ein Blinder kann nicht dieselbe Art von Wirklichkeit haben, wie sie für einen Sehenden besteht. Und es gibt für ihn auch nicht die gleiche Art des Selbstbewußtseins, des »Ich«. »Er kann nicht sagen mein Aussehen, meine Farbe und noch viele andere von solchen ›Mein‹, wie sie uns durch das Auge gegeben sind.«45 Man hat diese Sätze auf Condillac bezogen und in ihnen einen Nachklang der Fiktion der Statue sehen wollen, die allmählich durch die Eindrücke der Sinne belebt wird.46 Aber wenn man sie im Zusammenhang liest und wenn man die Art ihrer Begründung ins Auge faßt, so erkennt man, daß sie etwas ganz anderes bedeuten. Denn gerade das Problem der allmählichen Belebung eines an sich Seelenlosen besteht für Thorild nicht. Nach ihm ist es müßig, nach der Entstehung des Lebens zu fragen und seinen Ursprung im einzelnen aufweisen zu wollen. Das Leben ist ebenjenes All und eine, das unentstanden und unvergänglich ist. Es ist niemals möglich, Leben durch Addition des Leblosen, durch bloß mechanische Zusammensetzung zu gewinnen; wohl aber ist es möglich, sich, auf dem Wege der Analogie, durch Subtraktion, durch Ausschaltung bestimmter Sinnesgebiete, eine Vorstellung davon zu machen, wie die Welt sich für andere und weniger differenzierte Sinne ausnehmen | mag. Betrachtungen dieser Art ziehen sich durch Herders ganzes Werk hindurch. Er erklärt es für eine der wichtigsten Aufgaben, den Beitrag genau zu untersuchen, den jeder Sinn der Seele liefert. »Daß aber nicht bei zwei Menschen dieser Sinnenbeitrag an Art und Stärke, Tiefe und Ausbreitung Einerlei seyn kann, bezeugen viele Proben. Gesicht und Gehör, die den meisten Stoff zum Denken geben, sind selten bei einem Menschen in gleichem Grad der Ausbildung und natürlichen Stärke. […] Die drei größten epischen Dichter in aller Welt, Homer, Ossian und Milton waren blind, 45 En pantheists anmärkningar vid Reimarus, S. 323 u. 329 [»han kan icke säja min hy, min färg och en mängd af min, som ögat bibringar oss.«]. 46 Arvidson, Thorild, S. 73.

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als ob diese stille Dunkelheit dazu gehörte, daß alle Bilder, die sie gesehen und erfasset hatten, nun Schall, Wort , süsse Melodie werden könnten. […] Dem Einen Dichter ist seine Muse Gesicht, Bild, dem andern Stimme, dem dritten Handlung […]«47 Daß das gleiche Problem in Thorilds Reimarusaufsatz wiederkehrt, würde uns für sich allein keineswegs berechtigen, hier auf eine Abhängigkeit von Herder zu schließen – sowenig wir aus dieser Problemstellung auf eine Abhängigkeit von Condillac schließen können. Denn hier haben wir es mit einer Grundfrage der Psychologie und Erkenntnislehre des achtzehnten Jahrhunderts zu tun, die allen Denkrichtungen gemeinsam ist. Seit der Behandlung des »Molyneuxschen Problems« durch Locke, seit Cheseldens glücklicher Operation, durch die einem blindgeborenen 14jährigen Knaben die Sehkraft gegeben wurde, seit Diderots Betrachtungen in den »Briefen über die Blinden und Taubstummen« hatte die Frage der Abhängigkeit der seelisch-geistigen Welt von den Bedingungen der physischen Organisation unablässig die Gemüter beschäftigt.48 Dasselbe Thema wird in England von Hartley, in Frankreich von Robinet, in Deutschland von Lossius behandelt. Was Thorild und Herder an diesem Punkte miteinander verbindet, ist nicht die Erwähnung des Problems, sondern die Interpretation, die sie ihm geben, und die Schlußfolgerungen, die sie an dasselbe knüpfen. Dies zeigt sich noch in einer anderen Hinsicht. Die Psychologie des »Empfindungsvermögens« führt für beide zu einer neuen Frage: zur Psychologie des Genies. Auch das Genie ist nach Herder nicht in dem Sinne über die Natur erhaben, daß es deren körperliche | Schranken nicht kennt. Es ist nicht dadurch »geistig«, daß es sich dem Sinnlichen widersetzt, sondern daß ihm eine tiefere, vollere, reichergegliederte Sinnlichkeit eignet. Körperliches und Seelisches durchdringt sich in ihm noch weit inniger, als es bei dem Durchschnittsmenschen der Fall ist. Man wird daher niemals zu einer wirklichen Psychologie des Genies gelangen, wenn man nicht auch seine Physiologie berücksichtigt. »Jedes Gedicht, zumal ein ganzes, großes Gedicht, ein Werk der Seele und des Lebens, ist ein gefährlicher Verräther seines Urhebers, oft, wo dieser am wenigsten sich zu verrathen glaubte. Nicht nur siehet man bei ihm etwa, wie der Pöbel ruft, des Mannes dichterische Talente; man sieht auch, welche Sinne und Neigungen bei ihm herrschten? durch welche Wege und wie er Bilder empfing? wie er sie und das Chaos seiner Eindrücke Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 188. Ausführlich dargestellt habe ich die Geschichte dieses Problems in meiner »Philosophie der Aufklärung«, S. 144 ff. [ECW 15, S. 113 ff.]. 47 48

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regelte und fügte?«49 Die traditionelle Ästhetik, insbesondere die Ästhetik des französischen Klassizismus, erscheint Herder abstrakt und blutleer, weil sie von diesem Zusammenhang nichts weiß, weil sie den Menschen und den Künstler sozusagen als »reinen Geist« nimmt. Aber es genügt, nach Herder, auch hier einen Blick auf Shakespeare zu werfen, um sich sofort der Enge und der Schranken dieser Betrachtungsweise bewußtzuwerden. Shakespeares Menschen sind, gleich ihm selbst, keine sublimierten, rein »geistigen« Wesen. Sie stehen greifbar und plastisch in voller Körperlichkeit vor uns. »[…] daß [Shakespeare] kein Physiolog sei, mit Allem, wie sich Physiologie auch von außen zeiget, das müßte niemand sagen, der Hamlet und Lear, Ophelia und Othello nur im Traume gesehen hätte: unvermerkt malt er Hamlet bis auf seine Haare. Da alles Aeußere nur Abglanz der innern Seele ist: wie tief ist nicht der barbarische gothische Shakespear durch Erdlagen und Erdschichten überall zu den Grundzügen gekommen, aus denen ein Mensch wächst, so wie Klopstock zu den geheimsten Wellen und Schwingungen einer reinen himmlischen Seele!«50 Diese Abhängigkeit des Genies von den Bedingungen seiner organischen Natur aber führt zugleich auf ein anderes schwieriges Problem. Wenn wir die eigentliche Grundkraft des Genies als rein organische Kraft, als Lebensfülle und Lebensstärke betrachten – können wir alsdann an das Genie noch irgendeinen ethischen | Maßstab anlegen? Und wenn wir hierauf verzichten, gelangen wir damit nicht zu einer bloßen Machtvergötterung? »›Hats nicht der weiland große Helvetius bewiesen«, so fragt Herder in der Schrift »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele«, »daß Genie und Tugend zu einander wie Katze und Hund gehören, und sind moralische Menschen nicht die schwächsten, erbärmlichsten unter der Sonne? Großer Wille, starke Ungebundenheit und Selbstheit, ein ewiger Kampf mit Göttern und Dämonen, das gibt Helden, Nephilim, Löwen.‹ Wenns Leute gäbe, die in Ernst so dächten, so, glaub’ ich, würde wenig Glückseligkeit in dem Heroismus ruhen: denn Miltons Teufel, der das Pandämonium und gar eine Brücke übers Chaos baute, blieb immer ein unseliger Teufel. Wallenstein und Kromwell waren zuletzt unselige Menschen, und vom Löwen, mit dem sie zu thun hatten, waren vermuthlich ihnen selbst am tiefsten die Klauen im Gesichte. […] Vielleicht haben Menschen von starker Seele mehr Mühe sich zu überwinden: sie haben […] auch mehr Kraft, und nur wenn 49 50

Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 208. A. a. O., S. 183 f.

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sie den Sieg vollendet haben, sollte man sie große Menschen nennen […]«51 Auch Thorild hat ständig mit dem gleichen Problem gerungen, und er ist zur gleichen Entscheidung gelangt. Als Anhänger Spinozas hat er den Schluß gezogen, daß jedes Wesen die Kraft und den Willen zur Selbstbehauptung in sich trage und daß somit in der Natur »Macht« und »Recht« zusammenfallen.52 Aber auch er knüpft hieran die Bemerkung, daß die schlechthin schrankenlose Kraftentfaltung kein Zeichen der Macht, sondern ein Zeichen der Schwäche sei. Wahrhaft stark und wahrhaft groß ist nur die Macht, die sich selbst begrenzt. Der einzelne ist nichts, wenn er nicht im Sinn des Allgesetzes wirkt und sich ihm freiwillig unterwirft. Erst die Harmonie mit dem All gibt der besonderen Kraft ihren Wert. »Kraft ohne Harmonie ist nur eine kleine Kraft, oder etwas Großes in einem Kleinen. Cromwell, Mandrin, jeder Straßenräuber, ein Tiger, ein Löwe […] sie alle sind nur groß im Kleinen.« 53 Ich habe all diese Übereinstimmungen, die sich zwischen Herders | Schrift »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele« und Thorilds Jugendphilosophie finden, angeführt – nicht weil ich damit beweisen wollte, daß Thorild seine Gedanken einfach von Herder übernommen haben müßte. Er kam Herder auf halbem Wege entgegen, und er hat das, was er sich von ihm aneignete, langsam in sich reifen lassen und es in sehr eigentümlicher Weise wiedergedacht. Eine Bereitschaft für die Aufnahme der Ideen, die Herder in seiner Schrift entwickelt, bestand für Thorild darin, daß er den Gedanken der Abhängigkeit des Erkennens von der Art der sinnlichen Organisation schon vor der Bekanntschaft mit dieser Schrift gefaßt hatte. Schon in dem frühesten Zeugnis, das wir von Thorilds Philosophie besitzen, schon in der Rede, die er am 3. Juni 1778 in Lund vor »Göteborgs Nation« gehalten hat,54 finden wir diesen Gedanken. Aber hier besitzt er noch keine originelle Prägung. Thorild knüpft hier an BeA. a. O., S. 218 f. Vgl. die Aufsätze »Naturen och des onda« und »[Har naturen en oordning?]«, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. II, S. 175–191 und 192–196. 53 Utdrag af en dagbok, S. 334 [»Kraft utan harmoni, endast liten kraft, eller stort i ett litet. Cromwell, Mandrin, hvar och en stråtröfvare, en tiger, ett lejon […] alle store i ett litet.«]; vgl. hierzu »Passionerna« (5. Gesang, Z. 318–328), S. 46, und der Brief an Heurlin vom 28. September 1781, S. 65. 54 Zur Datierung der Rede vgl. Lauritz Weibull, Thomas Thorild. Hans ungdom och studentår i Lund, Lund 1896, S. 35. – Herders Schrift kann damals Thorild noch nicht bekannt gewesen sein; denn Herder selbst hat die ersten Exemplare von ihr erst Mitte Juni 1778 erhalten und an seine Freunde versandt. Vgl. Haym, Herder, Bd. I, S. 670. 51 52

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trachtungen an, die die antike Skepsis weitläufig entwickelt hatte und die in der neueren Philosophie seit Montaigne stets eine bedeutsame Rolle gespielt hatten. Es ist das alte skeptische Argument des πC#ς τι, das Argument, daß die Wahrheit niemals »an sich«, sondern immer nur in bezug »auf uns« und auf unsere spezifische Organisation gilt, das hier aufgenommen und in seinen Folgen dargelegt wird. Eine der wichtigsten Konsequenzen, die Thorild aus diesen Prämissen zieht, ist die »veränderliche Natur der Wahrheit und die allgemeine Unsicherheit unseres Wissens« (»våra kunskapers allmäna ovisshet«):55 eine Unsicherheit, die freilich weniger die begrifflich-rationale als die sinnlich-phänomenale Seite der menschlichen Erkenntnis betrifft. Von einem solchen Mißtrauen gegen die Sinnlichkeit spüren wir in den späteren Schriften Thorilds nichts mehr. Hier sind ihm die Sinne keine »falschen Zeugen« mehr; sie sind vielmehr der unentbehrliche und einzige Grund aller Erkenntnis. Ebendieses Vertrauen zu den Sinnen war die These, die Herder in seiner Schrift, gegenüber dem herrschenden Rationalismus, zur Geltung bringen wollte. Wir können uns auch psychologisch leicht vergegenwärtigen, daß Thorild schon | bei der bloßen Nachricht, daß eine Schrift von Herder erschienen sei, die »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele« handelte, sofort von dem lebhaftesten Interesse für sie erfüllt sein mußte. Denn hier fand er ein Thema, in das er sich bereits selbständig vertieft hatte – und er fand es behandelt von einem Denker, der der eigentliche Führer einer geistigen Bewegung war, mit der er durch vielfältige und starke Bande verknüpft war. Wie tief der Sturm und Drang, wie stark die Dichtung Goethes und bestimmte Gedanken und Tendenzen Lavaters auf Thorild gewirkt haben, wissen wir von ihm selbst.56 Und nun erst konnte er die Fesseln ganz abstreifen, die ihn, in der Lundenser Rede vom Jahre 1778, noch an das Wolffische Schulsystem und dessen Erkenntnislehre banden. Seine Skepsis richtete sich fortan nicht mehr gegen die empirischen Grundlagen der menschlichen Erkenntnis; sondern sie richtete sich statt dessen gegen die Metaphysik. Die Metaphysik schafft nur »Wortwelten«, während Erfahrung und Analogie uns den einzigen sicheren Weg zur Wirklichkeitserkenntnis weisen. Herder hatte sich von früh an gegen den Begriff der »Sinnestäuschung« gewandt. Was wir »Sinnestäuschungen« nennen – so erklärte er –, das sind in Wahrheit Urteilstäuschungen. Den Tal hållet för Götheborgs landskap, S. 304 ff. [Zitat S. 307: »om Sanningens föränderliga natur, och våra kunskapers allmäna ovisshet«]. 56 Zur Einwirkung Lavaters und Goethes vgl. Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 322 f. u. 329 f. 55

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Sinn des Irrtums beschuldigen: das galt Herder als eine »unlogische[…] und unphysische[…] Vermischung«.57 Für ihn gab es keinen Riß zwischen Sinnenwelt und Verstandeswelt, zwischen »mundus sensibilis« und »mundus intelligibilis«. Die Welt war ihm ein ungeteiltes Ganze; sie war »[das] große[…] Sensorium der Schöpfung Gottes«, in dem er wandeln wollte.58 Auch Thorild haßte alle »Opposita«. »Die kleinen Geister«, so sagt er, »trennen und zerstreuen, die großen vereinen.« »Alle Vollkommenheit ist Schönheit für die Sinne und für den Verstand; alle Schönheit […] ist Vollkommenheit für die Sinne und den Verstand.«59 Aus dieser Grundanschauung ergab sich für Herder wie für Thorild die natürliche Gegnerschaft gegen Kant. Das Tragische dieser Gegnerschaft liegt darin, daß beide, statt sich in der ihnen eigenen Sphäre – in der Sphäre des »Gefühls«, des »Sinnes«, der »Einbildungskraft« – zu behaupten, den Kampf ins eigene Lager Kants | vortragen wollten. Sie wollten Kant mit seinen eigenen Waffen schlagen und seine »Kritik der reinen Vernunft« durch eine »Metakritik« überbieten. Hier fanden sie freilich in Kant einen Gegner, dem sie in keiner Weise gewachsen waren und an dessen eiserner Rüstung alle ihre Pfeile abprallen mußten. So war weder Herders noch Thorilds Erkenntnislehre eine dauernde philosophische Wirkung beschieden. Aber dies überhebt uns nicht der Frage, was sie innerhalb ihrer eigenen Zeit und für diese Zeit bedeutet haben und welche tiefere geistesgeschichtliche Tendenz sich in ihnen verkörpert.

2. Wenn es uns gelungen ist, in den vorangehenden Untersuchungen den Nachweis dafür zu erbringen, daß Thorilds Erkenntnislehre sich in ihrem Grundprinzip und in ihrem Aufbau und Ausbau auf Herder stützt, so ist damit ein Bedenken beseitigt, das bei jeder anderen Deutung ihres Inhalts notwendig entstehen muß. Man hat, wie wir gesehen haben, diese Lehre ebensooft von Spinoza oder Leibniz wie von 57 Johann Gottfried Herder, Kritische Wälder. Oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. Viertes Wäldchen über Riedels Theorie der schönen Künste, in: Sämmtliche Werke, Bd. IV, S. 1–198: S. 52. 58 Ders., Vom Erkennen und Empfinden, S. 202. 59 Thomas Thorild, Skönheten och critiken, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Erik Gustav Geijer, Bd. II, Uppsala 1820, S. 316 [»De små förstånden klyfva, skingra, de stora förena. – All Fullkomlighet är Skönhet (för sinnet eller förståndet); och all skönhet […] Fullkomlighet – för sinnet eller förståndet.«].

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Thorilds Erkenntnislehre

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Locke oder Condillac ableiten wollen. Und daß sich bei Thorild einzelne Momente finden, die in diese Richtung zu weisen scheinen, soll keineswegs bestritten werden – wie wäre es sonst möglich gewesen, daß eine derartige Interpretation von ausgezeichneten Kennern Thorilds immer wieder versucht worden ist? Aber jede derartige Lösung zeigt sich mit einer inneren Schwierigkeit behaftet. Selbst wenn sie für die Deutung von Thorilds Erkenntnistheorie auszureichen scheint, so geraten wir alsbald in einen schwierigen Konflikt, sobald wir das Ganze von Thorilds Werk und den Charakter und die geistige Eigenart seines Urhebers ins Auge fassen. Es ist schwer, sich den Dichter und den K ritiker Thorild als einen unmittelbaren Schüler irgendeines der großen Begründer der neueren Philosophie zu denken. Eine Erkenntnislehre von der Art, wie sie Descartes und Gassendi, Leibniz und Locke, Hume und Condillac, Wolff und Lambert aufgebaut haben, müßte im Ganzen seiner Welt- und Lebensanschauung immer als ein merkwürdiger Fremdkörper wirken. Thorild denkt weder in den Begriffen dieser Denker, noch spricht er ihre Sprache. Rücken wir dagegen Thorild an Herder heran, so schwindet jeder derartige Zweifel. Bei ihm konnte sich auch der Künstler in Thorild und der Verkünder | eines neuen Ideals der Poetik und Kritik geborgen fühlen – und hier wußte er sich gewissermaßen in seiner natürlichen Heimat. Daß Thorild Herder nicht nur in ideeller Hinsicht, sondern auch in persönlicher Hinsicht nahesteht – daß er mit ihm viele Züge des Temperaments und der geistigen Anlage teilt, ist unverkennbar. Auch in der Thorildliteratur finden wir viele Hinweise auf diese Wahlverwandtschaft. Nyblaeus erklärt, daß Thorild in Hinblick auf die Beweglichkeit des Gefühls und in seinem »reinen lebhaften Sinn« für alles und jedes keinem so nahesteht wie Herder: Doch sei ihm der philosophische Geist ebenso bestimmt vorherrschend, wie der ästhetische Geist bei Herder vorherrsche.60 Noch bestimmter ist der Zusammenhang in Lebensstimmung und Lebensanschauung von Martin Lamm betont worden. Die Gleichheit der Resultate mit Herder – so erklärt er – »[…] ist oft so stark, daß man sich immer wieder genötigt sieht, die chronologischen Kriterien zu prüfen, um festzustellen, daß Thorild sein System wirklich unabhängig von ihm geschaffen hat.«61 Aber diese chronologischen Schwierigkeiten ent60 Nyblaeus, Den filosofiska forskningen i Sverige, Bd. I, S. 206 [»rena, lifliga sinne«]. 61 Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 172 [»[…] så stor, att man gång på gång känner sig nödgad att pröva de kronologiska kriterierna för att konstatera, att Thorild verkligen skapat sitt system oberoende av dem.«].

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stehen nur, wenn man die eigentlichen Berührungspunkte zwischen Thorild und Herder lediglich in ihrem »Spinozismus« sieht. Eine eingehende und umfassende Darstellung seines Spinozismus hat Herder erst im Jahre 1787 gegeben62 – also zu einer Zeit, in der Thorild seinen Weg zu Spinoza seit langem gefunden hatte. Die erste Beschäftigung mit Spinoza aber lag damals auch für Herder bereits weit zurück. In die »Ethik« hatte er sich schon im Jahre 1775 vertieft – und er war sofort von ihr hingerissen worden. Und auch öffentlich hat er noch, im gleichen Jahre, in seinen »Erläuterungen zum Neuen Testament« erklärt, daß Spinozas Moral »die höchste Moral der Vernunft« sei und daß sie dem Christentum nicht nur nicht widerspreche, sondern mit dem Geist desselben im wesentlichen eins sei.63 Derartig zerstreute Äußerungen brauchte freilich Thorild nicht zu kennen und hat er wohl auch nicht gekannt. Geht man jedoch, statt vom Spinozismus, von der Erkenntnislehre aus und sieht man in ihr die erste Begegnung zwischen Thorild und | Herder, so schwinden alle chronologischen Schwierigkeiten. Denn wir können mit Sicherheit feststellen, daß der erste entscheidende Umschwung in Thorilds erkenntnistheoretischen Grundanschauungen in den Jahren zwischen 1778 und 1780 erfolgt sein muß. In seiner Lundenser Rede vom 6. Juni 1778 steht Thorild im wesentlichen noch auf dem Boden des Wolffischen Schulsystems, wenngleich er diesem keineswegs blind folgt, sondern bereits gelernt hat, es mit Kritik und Skepsis zu betrachten. Aber seine Skepsis richtet sich um diese Zeit nicht gegen die eigentlichen Grundpfeiler des rationalistischen Systems. »Man sagt«, so erklärt er in einer Anmerkung, die er seiner Rede hinzugefügt hat, »daß ich am Sein der Dinge und an den ersten Grundlagen unseres Denkens zweifle. Aber dies ist ein Mißverständnis, mit dem man mir Unrecht tut. […] Der friedliche Skeptizismus, den ich vertrete, hat sein bestimmtes Gesetz und seine Grenze. […] Nichts ist augenscheinlicher, als daß die allgemeinen Gesetze, nach denen die ganze Natur wirkt und die von Ewigkeit her in Gottes Verstand gegründet sind, jederzeit gewiß und bestimmt sind. Diese Wahrheiten: Ich bin, alles hat eine Ursache in sich oder außer sich, das Wohl und der Bestand aller Dinge besteht in ihrer Ordnung, Vollkommenheit ist ein Gut, dem wir nachstreben sollen – sie sind noch niemals bestritten worden. Die Frage betrifft nur diejenige Wahr62 Johann Gottfried Herder, Gott. Einige Gespräche, in: Sämmtliche Werke, Bd. XVI, S. 401–580. 63 Ders., Erläuterungen zum Neuen Testament aus einer neueröfneten Morgenländischen Quelle in: Sämmtliche Werke, Bd. VII, S. 335–470: S. 374 Anm. 1. – Über Herders erste Spinozastudien vgl. Haym, Herder, Bd. I, S. 635.

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heit, die aus uns selbst entsteht […] jene Bilder und Vergleiche, Begriffe und Gedanken, die jeder frei denkende Mensch sich für sich selbst über die Welt macht – und hier hat mein Skeptizismus statt.«64 Aber bereits im Reimarusaufsatz, der, nach Arvidsons Feststellungen, in das Jahr 1779 oder spätestens in das Frühjahr 1780 zu setzen ist,65 herrscht eine ganz andere Grundauffassung. Mit aller Entschiedenheit werden hier »Erfahrung und Analogie« als die einzigen sicheren Erkenntnisquellen erklärt. In seiner Lundenser Rede faßt Thorild das Verhältnis von Empfinden und Denken, von Verstand und Sinnlichkeit noch nicht wesentlich anders, als es z. B. Eberhard, Wolffs getreuer Schüler, in der Abhandlung gefaßt hat, die den Preis der Berliner Akademie erhielt. »Eberhards Preisschrift«, so urteilt Herder in einem Brief an Hamann über diese Abhandlung, »ist übers Denken und Empfinden, als 2. seynsollende, von einander wesent | lich unterschiedne Urkräfte der Menschlichen Seele nach Sulzers Hypothese. Da ist nun gefragt, wie beide sich in Länge, Breite, Höhe und Vermischung zu einander verhalten.«66 Dieser Dualismus der Erkenntniskräfte war es, den Herder in seiner Schrift vom Jahre 1778 aufs entschiedenste bekämpfte – und er ist auch für Thorild, seit dem Reimarusaufsatz, ein prinzipiell überwundener Standpunkt, zu dem er nie wieder zurückgekehrt ist. Nimmt man hinzu, daß Thorild in dieser Schrift auch jenes enthusiastische Lob finden konnte, das Herder hier der Spinozistischen Moral gespendet hatte, so schließt sich damit der Kreis der Betrachtung: Man kann jetzt auch die ersten Spinozastudien Thorilds mit Herder und mit der deutschen Spinozarenaissance in Verbindung setzen.67 Hierbei braucht man keineswegs anzunehmen, daß Herders Anregung, die 64 Tal hållet för Götheborgs landskap, S. 315 f. [»Man säger, at jag tviflar på Tingens varelse och de alraförsta grunderna för vår Tanka. Men det är et orättvist misstag. det är en oförmögenhet at se utom […] Den fridsamma Scepticisme jag yrkar, har sin bestämda Lag och sin gräns. […] Ingen ting är mera ögonskenligt, än at de allmäna Lagar, efter hvilka hela naturen verkar och som af evighet varit grundade i Guds förstånd, äro altid vissa och bestämda. Dessa sanningarna: Jag är till – all ting har en ordsak innom eller utom sig – ordning är varelsernas väl och bestånd – fullkomlighet är et godt, som bör eftersträfvas etc. hafva ock ännu aldrig blifvit bestridda. Frågan är endast om den Sanning, som födes hos oss sjelfa […] om de bilder och jemförelser, de tankar och begrepp – hvar fritt tänkande människa – för sig Sjelf – gör öfver verlden. Och i detta fallet är det, som min Scepticisme har rum.«]. 65 Näheres bei Arvidson, Thorild, S. 70 f. 66 Johann Gottfried Herder, Brief an Johann Georg Hamann vom 24. August 1776, in: Briefe an Joh. Georg Hamann, hrsg. v. Otto Hoffmann, Berlin 1889, S. 116–121: S. 121. 67 Näheres hierzu im ersten Kapitel; vgl. oben, S. 131 ff.

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für die Erkenntnislehre Thorilds entscheidend war und die für sie bestimmend geblieben ist, die gleiche Bedeutung auch für seine Wendung zum Pantheismus besessen haben muß. Denn der Pantheismus liegt Thorild sozusagen im Blute: Er entspricht so sehr seinem eigenen Naturgefühl und Lebensgefühl, daß es für ihn kaum eines Anstoßes von außen bedurfte. Und wenn hier eine Einwirkung erfolgt ist, so kann sie ebensowohl von Shaftesbury ausgegangen sein, dessen Lehre ja auch Herders und Goethes »Pantheismus« so stark bestimmt und ihm seine besondere Prägung und Färbung gegeben hat.68 Hingegen kann Thorild durch die Apotheose des Spinozismus, die er in Herders Schrift »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele« fand, sehr wohl den Impuls erhalten haben, sich in das Studium von Spinozas »Ethik« zu vertiefen. Die chronologischen Verhältnisse widerstreiten dieser Annahme nicht, sondern stimmen mit ihr aufs beste überein. Denn die eingehenden Auszüge aus Spinozas »Theologisch-Politischem Traktat« und aus der »Ethik«, die Thorild sich angefertigt hat und die zuerst von Karitz veröffentlicht worden sind,69 gehören, nach Arvidsons Datierung, dem Jahre 1780 an. Und im Briefwechsel begegnet uns Spinozas Name zuerst | in einem Brief an Heurlin vom 12. Oktober 1780.70 Auf der anderen Seite steht fest, daß Thorild zu Beginn des Jahres 1778 seinen Bruch mit dem Christentum noch nicht vollzogen hatte. In seinem Karfreitagsbrief an seinen Jugendfreund Hylander vom Jahre 1778 fühlt und spricht er noch als frommer Christ.71 Damit haben wir für Thorilds Spinozastudium einen festen »Terminus a quo« und einen festen »Terminus ad quem« gewonnen; wir wissen, daß es um dieselbe Zeit eingesetzt haben muß, in der sich auch der Umschwung in Thorilds erkenntnistheoretischer Grundanschauung vollzog. Aber mit all dem stehen wir, in geistesgeschichtlicher Hinsicht, noch keinswegs am Ende, sondern erst am Anfang unseres Problems. Denn so eng immer die Übereinstimmung in bestimmten Grund- und Hauptmotiven des Denkens zwischen Thorild und Herder auch war – so hilft uns doch die bloße Tatsache der Übereinstimmung nichts, sofern wir keine Klarheit über ihre letzten Gründe 68 Wie stark in der Zeit, als Thorild in Lund studierte, das Problem des Pantheismus auch die schwedische Philosophie beschäftigte, hat Segerstedt am Beispiel Fremlings und seiner Vorlesungen gezeigt (Segerstedt, Moral Senseskolan, S. 390 ff.). 69 Vgl. Karitz, Tankelinjer hos Thorild, Bilaga III, S. 115 ff. 70 Brief an Heurlin vom 12. Oktober 1780, S. 19. 71 Brief an Hylander (1778), S. 5 Anm.; vgl. auch Nilsson, Thorild ännu en gång, S. 2 ff.

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Thorilds Erkenntnislehre

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besitzen. Ähnlichkeit, ja selbst Gleichheit in den Resultaten ist ideengeschichtlich kein Beweis für innere Verwandtschaft, sofern sie sich nicht aus tieferen Quellen ableiten läßt. Warum konnte Thorild Herders Anschauung annehmen, und was bedeutete diese Anschauung für ihn? Was vermochte sie ihm für die Ausbildung seines eigenen Geistes und seiner Welt- und Lebensanschauung zu geben, und in welcher Weise war sie für ihn nicht nur eine einzelne Lehre, die er sich angeeignet hat, sondern auch ein dauernder innerer Gewinn – eine ideelle Zusammenfassung und Bestätigung all dessen, was ihm als Denker, als Dichter, als Kritiker als das Ziel seines Lebens vorschwebte? Bleibt man bei Thorild stehen, so ist es keineswegs leicht, das einigende Band zu finden, das all seine verschiedenartigen Bestrebungen miteinander verknüpft. Seine Metaphysik, seine Naturphilosophie, seine Kritik, seine Erkenntnistheorie, seine ästhetischen und politischen Anschauungen sind nur schwer auf einen Nenner zu bringen, und in dem Gesamtgebäude seines Denkens glauben wir oft bedrohliche Risse und Sprünge zu spüren. Aber viele dieser Schwierigkeiten und Widersprüche klären sich, sobald wir auf Herder zurückblicken. Denn bei diesem steht – um uns des bekannten Gleichnisses aus Platos »Staat« zu bedienen – vieles in »großer Schrift« zu lesen, was bei Thorild nur in »kleiner Schrift« | erscheint und daher schwer zu entziffern ist. Auch Herders Ausdrucksweise ist von Schwankungen und Unklarheiten nicht frei. Aber die Stellung, die er in der allgemeinen Ideengeschichte einnimmt, wird dadurch nicht zweideutig oder fragwürdig. In bezug auf die großen Grundzüge seiner Mission und seiner Leistung können wir nicht irren. Herders Denken kreist von früher Jugend an um drei große Probleme, die er nie wieder aus dem Auge verloren hat und die die großen Leitsterne seines Denkens bilden. Auch seiner Erkenntnislehre haben diese Probleme ihren Stempel aufgedrückt. Alle Erkenntnistheoretiker vor Herder haben nach der objektiven Gültigkeit der Erkenntnis gefragt – und sie haben diese Frage vor allem an die Naturwissenschaft gerichtet. Die Naturwissenschaft hatte für die Erkenntnislehre der neueren Philosophie das eigentliche, ja fast das einzige Thema gebildet. Auch das achtzehnte Jahrhundert, das Jahrhundert der Aufklärung, sah hier noch die wahrhafte und alleinige Lichtquelle. »Nature and Nature’s laws lay hid in night. God said: ›Let Newton be‹ and all was light«72 72 [Alexander Pope, Intended for Sir Isaac Newton. In Westminster Abbey, in: Select Poetical Works, Leipzig 1848 (Collection of British Authors, Bd. 152), S. 302.]

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Thorilds Stellung

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– so sang Pope. Rationalisten und Empiristen waren in diesem Urteil einig; nur daß für die einen die logischen Prinzipien der Newtonschen Wissenschaft, für die anderen ihr Inhalt und der Ursprung aus der Erfahrung zum Problem wurden. Von all diesen großen Grundfragen seines Jahrhunderts ist Herders Denken kaum berührt. Zu Newtons Wissenschaft hat er kein inneres Verhältnis; ja er scheint ihr fast zu mißtrauen. Er empfand hier wie Goethe, wie der gesamte Sturm und Drang, wie Faust: »Geheimnißvoll am lichten Tag Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben, Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.«73 Für Herder liegt die eigentliche Offenbarung der Wahrheit und Wirklichkeit nicht länger in der Mathematik oder der mathematischen Physik. Er wendet sich gegen den »Vernunftstolz« der Mathematik, weil dieser Stolz sich gegen den eigentlichen Gehalt des Lebens verblendet und für seine Tiefe unempfindlich ist. Diese Tiefe erschließt | sich dem menschlichen Geist an anderer Stelle; er ahnt und fühlt sie erst dort, wo er mit der Welt der Sprache, mit der Welt der Kunst und mit der Welt der Geschichte sich berührt. Sprache, Kunst und Geschichte sind die Quellen, aus denen auch die Erkenntnislehre Herders sich speist – und dieser verschiedene Ursprung ist es, der ihr, gegenüber Locke und Leibniz, gegenüber Wolff oder der französischen Enzyklopädie, einen völlig anderen Sinn gibt. Hier stehen sich nicht bloße Ergebnisse gegenüber; hier handelt es sich um eine Neuorientierung und Revolution der Fragestellung. Herder ist der erste Denker, vor dessen geistigem Blick klar und deutlich der große Umriß einer »Erkenntnistheorie der Geisteswissenschaft« liegt. Schon in seinen frühesten Schriften hat er diesen Umriß sicher gezeichnet. Denn er ging nicht, gleich den Empiristen und Rationalisten des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, von der Erkenntnis der »Außenwelt«, sondern von der Erkenntnis der »Innenwelt« aus. Sein eigentlicher Stützpunkt lag nicht in der Dingwahrnehmung, sondern in der Ausdruckswahrnehmung. Erst Herder ist es, der die Welt des Ausdrucks in ihrer ganzen Bedeutung erfaßt und in ihrer wahrhaften Tiefe durchdrungen hat. Sprache, Geschichte und Kunst wurden ihm zu den Grund- und Urpotenzen des Ausdrucks. Die Sprache ist für Herder nicht bloß ein System von Zeichen, die zum 73

[Goethe, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil, S. 39.]

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Zwecke der Mitteilung eines objektiven Tatbestandes geschaffen sind. Früher als dieser ihr logischer Sinn ist ihr lyrischer Sinn. Es sind nicht lediglich Sachen und Sachverhalte, die durch sie bezeichnet werden sollen; es sind Empfindungen, Gefühle, Stimmungen, die sich in ihr Bahn brechen und zutage drängen. Und ebenso ist die Poesie, die »Muttersprache des menschlichen Geschlechts«,74 keine bloße »Nachahmung« oder idealisierende Darstellung der Natur. Die Poetik des »Ausdrucks« hat bei Herder alle Formen der Mimesistheorie endgültig verdrängt. Kraft dieser Neuorientierung der Poetik gewinnt für den jungen Herder – wie später für den jungen Thorild – die Ode eine entscheidende Bedeutung. »Das erstgeborne Kind der Empfindung, der Ursprung der Dichtkunst, und der Keim ihres Lebens«, so schreibt er in einer Abhandlung seiner Frühzeit, »ist die Ode.«75 Aber der reichste und weiteste, allumfassende Horizont eröffnet sich, nach Herder, für den Menschen erst, wenn die Ge | schichte vor seinem Blick lebendig zu werden beginnt. Hier erst steht er auf dem ihm eigentümlichen Boden, und hier empfängt ihn seine wahre Wirklichkeit. Er beginnt das Leben zu verstehen, weil es ihm in unendlich vielfältiger Spiegelung aus Jahrhunderten und Jahrtausenden zurückgeworfen wird. Jetzt erst hat die Welt des Ausdrucks ihre ganze Kraft und ihre ganze Fülle gewonnen. In der Welt der Geschichte wird uns auch das scheinbar Entlegenste und Fernste zum Vertrautesten und Nächsten; in ihr geht dem Menschen die Seelenkraft auf, »[w]ie spricht ein Geist zum andern Geist«.76 Erst wenn man sich diesen geistigen Hintergrund von Herders Erkenntnislehre vergegenwärtigt, kann man den Eindruck ermessen, den sie auf Thorild machen mußte. Denn jetzt zeigt sich der entscheidende Gegensatz, der zwischen Herders »Sensualismus« und dem französisch-englischen Sensualismus des achtzehnten Jahrhunderts besteht. Der erstere geht vom »Ausdruck«, der letztere vom »Eindruck« aus. Für Denker wie Hume und Condillac ist die »Impression« das Grundphänomen, das A und O aller Erkenntnis. Alle »Ideen« haben nur insoweit Wert und Gültigkeit, als sie sich als Kopien von Impressionen ausweisen können. Die objektive »Ähnlichkeit« mit den Dingen ist der Maßstab für jegliche Erkenntnis. Herder dagegen ging nicht von der Körperwelt aus, um von ihr zur »Seele«, 74 [Johann Georg Hamann, Aesthetica in nuce. Eine Rhapsodie in Kabbalistischer Prose, in: Schriften, hrsg. v. Friedrich Roth, Bd. II, Berlin 1821, S. 255–308: S. 258.] 75 Johann Gottfried Herder, Fragmente einer Abhandlung über die Ode, in: Sämmtliche Werke, Bd. XXXII, S. 61–85: S. 62. 76 [Goethe, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil, S. 29.]

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zum Bewußtsein zu gelangen, sondern er verfolgte den genau umgekehrten Weg. Dem Bild der Seele als einer »Tabula rasa« hat er stets aufs bestimmteste widersprochen. Er wollte zeigen, wie alles Seelische sich verkörpern, alles Innere sich äußern muß, um zu voller Wirklichkeit zu gelangen. Jede Vorstellung und jeder Gedanke, jedes Gefühl und jeder Affekt bedarf dieses Aktes der Kundgebung und vollendet sich erst in ihm. »Empfindung« ist daher auch für Herder die Grundlage aller Erkenntnis; aber Empfindung ist für ihn nicht der Abdruck toter Dinge, sondern »[das] Analogon, [der] Spiegel, [das] ausgedrückte[…] Bild der Seele«.77 Diesen Prozeß verfolgt Herder in seiner Sprachtheorie, wie er ihn in seiner Kunsttheorie verfolgt. Die Kunsttheorie zeigt ihm, wie jeder Sinn seine eigene Sprache hat; wie die Ausdrucksformen des Gesichts, des Gehörs, des Tastsinns sich differenzieren und wie auf diesem Unterschied die Unterscheidung der Künste in Malerei, Plastik, Dichtung, Musik beruht. Dieses Problem ist eines der ersten, das in Herders Gesichtskreis getreten ist; es bildet den Auftakt zu allen seinen Unter | suchungen über Ästhetik und Sprachtheorie.78 Die Sprachtheorie zeigt Herder, daß es neben der Sprache der einzelnen Sinne und der einzelnen Künste eine allgemeine Form des Ausdrucks gibt, die nach ihrem Ursprung und ihren Gesetzen darzustellen ist. Erst durch sie erreicht der Mensch seine eigentliche Bestimmung: Der Kreis der »Humanität« wird durch sie bezeichnet und abgesteckt. Es ergibt sich hieraus, daß die Gabe des Ausdrucks als solche keineswegs allein dem Künstler vorbehalten ist. Der Künstler besitzt sie freilich in einem spezifischen und ausgezeichneten Sinne; aber an sich ist sie keinem menschlichen Wesen, wie groß oder gering es auch sein mag, versagt. Jeder Mensch ist, gut oder schlecht, ein Künstler.79 »In dem Verstande ist die Natur also an Genies nicht so unfruchtbar, als wir wähnen, wenn wir blos Büchergenies und Papiermotten dafür halten. Jeder Mensch von edeln lebendigen Kräften ist Genie auf seiner Stelle, in seinem Werk, zu seiner Bestimmung, und wahrlich, die besten Genies sind außer der Bücherstube.«80 Auch diese Lehre kehrt bei Thorild wieder und bildet einen charakteristischen Grundzug seiner Lebensanschauung und seiner Kunsttheorie: [Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 239.] Vgl. bes. ders., Kritische Wälder, S. 44 ff. 79 Ders., Kalligone. Vom Angenehmen und Schönen. Erster Theil, in: Sämmtliche Werke, Bd. XXII, S. 1–122: S. 119. 80 Ders., Vom Erkennen und Empfinden, S. 223. 77 78

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»Hvarje kreatur har sin krets af godhet och skönhet: Är i sit stoft Gud! Så til sig hänförer allting: Skapar omkring sig en Verld: en egen ordning af tingen: Egen ordning af godt och fullkomligt, af stigande Skönhet För des skimrande flyende varelse.«81 Jedes Geschöpf besitzt diese Gabe, eine Welt um sich herum zu schaffen, weil es nicht nur in sein enges individuelles Dasein eingeschlossen bleibt, sondern dieses Dasein auszusprechen und damit unendlich zu erweitern vermag. Diese Fähigkeit ist für das seelische Sein des Menschen nicht minder notwendig, als Luft und Licht für sein physisch-organisches Dasein sind. Sie kann daher niemandem verwehrt und sie soll und darf durch keine Kritik verkümmert werden. »Die Sonne«, so sagt Thorild in »En kritik öfver kritiker«, »belebt den kleinsten Wurm, die geringste Blume – und die Sonne | ist das Bild des Genies. Wozu den ganzen Aufwand der Phantasie? Besteht nicht die ganze Welt aus den Schwachen? […] Gesegnet sei die Stärke der Ewigkeit! Sie könnte alles vernichten; aber sie verfährt so, daß sie das Leben aller schützt.«82 Sofern das Bedürfnis sich auszusprechen, anderen sein Fühlen und Denken mitzuteilen, uns rein vitale Funktion, eine einfache menschliche Lebensäußerung ist, muß sie daher von allen kritischen Anfechtungen frei bleiben. Gegen derartige Äußerungen darf die Kritik keinerlei Schutzwehren errichten – auch dann nicht, wenn der Kreis des alltäglichen Ausdrucks überschritten und zum poetischen Ausdruck gegriffen wird. Die Folgerung, die Thorild hier gezogen hat, führt zu einem der merkwürdigsten Sätze seiner Poetik – aber sie läßt sich, wenn man auf ihre eigentümlichen Prämissen hinblickt, wohl verstehen. »Wenn ein kleiner Sterblicher sich hinsetzt, um einen Vers, eine Rede, ein Buch zu schreiben, so ist seine Absicht gewiß, etwas besonders Wahres und Schönes hervorzubringen – etwas, was der kleinen Welt, für die es bestimmt ist, würdig ist. Ihr müßt in ihm einen kleinen Gott sehen, voller Feuer und Ernst, bereit, ein Werde! zu rufen, bereit, aus dem Chaos das Licht zu entwickeln […]«83 Dies ist ganz im Passionerna (6. Gesang, Z. 352–356), S. 47. En kritik öfver kritiker, S. 130 f. [»Solen upplifvar det minsta kräk, den ringaste blomma, och solen är snillets bild. Dock hvartill denna inbildningsståt? Består icke hela verlden af det svaga? […] Välsignad vare evighetens styrka! Den kunde krossa allt, men gör allt för att skydda allas lif.«]. 83 A. a. O., S. 134 [»När en liten dödlig sätter sig ned att skrifva en liten bit vers, tal, bok, så är hans mening visst att göra något särdeles sant och skönt, något ljuft, högt och värdigt den lilla verld, för hvilken han det ämnar. Ni bör i honom se ea liten gud, full af eld och allvar, färdig att ropa sitt varde, redan bjuda sitt kaos ut, kalla ljuset att deröfver utbreda sig […]«]. 81 82

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Thorilds Stellung

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Sinne von Herders Ausdruckskunde gesprochen; aber es bedeutet, für Herder sowenig wie für Thorild, daß deshalb, weil jegliches Wesen ein Recht auf Ausdruck hat, auch alle Arten des Ausdrucks gleichwertig sind. Die Funktion als solche ist freilich überall die gleiche, und sie ist eine allgemeinmenschliche; aber was sie zutage fördert und ans Licht hebt, ist sehr verschieden. Die starke Seele unterscheidet sich von der schwachen, das Genie vom Stümper dadurch, daß in dem, was sie hervorbringen, nicht nur Leben überhaupt sichtbar wird, sondern daß hier ein Leben von unvergleichlicher Tiefe und Eigenart zum Vorschein kommt. Das ist es, was den Stil des großen Künstlers bezeichnet: Denn »Stil« ist, nach Thorilds Definition, nichts anderes als »die Gabe, eine Sache lebendig zu machen. Diese Kunst ist dasselbe wie Genie, und sie entspricht der Kunst der Gottheit, mit einem Wink Leben und Sein zu verleihen.«84 Als Denker und als Dichter kennt Thorild kein höheres Ziel: »Min lag«, so sagt er von sich, »har varit at uttrycka, ej | at beskrifva min känsla.«85 Auch hier ist der Bruch mit jeder Form der Mimesistheorie deutlich. Die Poesie will nicht Objekte oder Geschehnisse schildern, sondern sie will die innere Welt des Subjekts frei ausströmen und sich in Bild und Sprache verkörpern lassen. In diesem Sinne muß alle echte Poesie notwendig »pathetisch«, nicht »mimisch« sein. »Vis poetica seu Pathos« – so hat Thorild eine der Schriften aus seiner Greifswalder Zeit überschrieben. Als Dichter ist ihm hierbei Klopstock das große Vorbild gewesen;86 als Denker knüpft er unverkennbar an Herder an. Wie dieser erklärt er, daß es keinen absoluten, keinen alleinberechtigten Stil geben könne. »Der Stil mag groß oder klein, hoch oder vertraulich […] gering oder glänzend sein […] er hat sein Recht, sofern er nur wahr und in dieser seiner Wahrheit natürlich schön ist.«87 Freilich hat Thorild seiner These eine höchst paradoxe Fassung gegeben, die auf den ersten Blick als absurd und unverständlich erscheinen kann und die seinen klassizistischen Gegnern in der Tat unverständlich war. Die klassizistisch-objektivistische Ästhetik lehrt, daß der Wert eines Kunstwerks auf der Vollkommenheit der »Nachahmung« beruht und daß nur derjenige diese Vollkommenheit erreichen kann, der die Natur des Gegenstandes kennt und der die Regeln der 84 A. a. O., S. 161 [»[…] än konsten att göra en sak lefvande för eder. Denna konst är det samma som genie och svarar emot gudomlighetens konst att med en vink gifva lif och varelse.«]. 85 Anmerkungen zu »Passionerna«, S. 51. 86 Über Thorilds Verhältnis zu Klopstock vgl. Arvidson, Thorild, S. 356 ff. 87 En kritik öfver kritiker, S. 161 [»Denna stil är stor, liten; hög, förtrolig […] ringa, gläsande […] allt, men alltid sann och i sin sanning alltid naturligt skön.«].

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Thorilds Erkenntnislehre

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Nachahmung völlig beherrscht. Für Thorilds Subjektivismus ist diese Schranke gefallen; ihm gilt die Echtheit und Ehrlichkeit des ausgedrückten Gefühls, nicht die Form oder Regel der Darstellung, als das oberste und im Grunde einzige Gesetz. Den »Geschmack« wollte er daher nicht an eine bestimmte Höhe der ästhetischen Kultur binden; er fürchtete vielmehr, daß eine solche Kultur das gesunde und »naive« Gefühl verkünsteln und aus seiner Bahn drängen könne. Hier liegt die scharfe Grenze, die Thorild von seinen Gegnern trennt. Er wollte nicht Natur in Kunst verwandeln oder zur Kunst emporheben; er wollte, mit Rousseau und Herder, die Kunst wieder zur Natur zurückführen. Goethe hat von Herder gesagt, daß er durch seinen Hinweis auf die Volkspoesie und auf die ältesten Urkunden der Dichtung seiner Zeit zuerst wieder den Blick dafür geöffnet habe, »[…] daß die Dichtkunst überhaupt eine Welt- und Völkergabe […] nicht ein Privat-Erbtheil einiger feinen gebil | deten Männer [sei]«88 Unter Thorilds Gegnern befanden sich solche, die, wie Kellgren, echte Dichter waren; aber in ihrer klassizistischen Theorie blieben sie dabei stehen, daß wahre Kunst nur von »feinen gebildeten Männern« ausgehen könne und daß sie die festen Formen der höheren Bildung bewahren müsse. Wenn Thorild diese Schranke umriß, so wirkte er hierbei, insbesondere durch die Form seiner Darstellung, freilich als Revolutionär; aber wir dürfen nicht vergessen, daß auch er auf einem festen Boden stand, den die Poetik Herders, die in der Dichtkunst eine wahre »Welt- und Völkergabe« sah, vorbereitet und gesichert hatte. All diese so charakteristischen Parallelen würden freilich nur sehr geringe Beweiskraft besitzen, wenn wir die »Ausdruckskunde« Herders oder Thorilds lediglich in jener verblaßten Bedeutung verstehen müßten, in der sie uns im Begriff der Physiognomik entgegentritt. Das Interesse für Physiognomik ist in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts so weitverbreitet, daß sich aus ihm nur schwer irgendwelche Schlüsse für individuelle Zusammenhänge ziehen lassen. Die Physiognomik ist Gemeingut geworden; und das Problem der »Chiffreschrift der Natur« beschäftigt alle Geister.89 Auch auf Thorild haben Lavaters »Physiognomische Fragmente« stark gewirkt. Er sah in Lavater einen der »Heiligen der Natur«, den er neben Rousseau und Goethe stellte.90 Wenn er selbst schon früh den Plan zu einer »Allgemeinen Physiognomik oder Bildungslehre« entwarf, so werden Goethe, Dichtung und Wahrheit (10. Buch), Bd. XXVII, S. 313. Nähere Angaben hierüber findet man z. B. in Eduard Sprangers Schrift »Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee«, Berlin 1909. 90 Passionerna (5. Gesang, Z. 313 ff.), S. 46 [»Naturens helige«]. 88 89

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wir daher hierin eher den Einfluß Lavaters als denjenigen Herders sehen müssen.91 Die Beziehungen zwischen Thorild und Herder wurzeln dagegen, wie die Übereinstimmung in den philosophischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen zeigt, in einer anderen und tieferen Schicht. Lavater ist keineswegs der Schöpfer der Ausdruckskunde; er ist nur ihr enthusiastischer Prophet. Und er hat sie nicht vertieft, sondern popularisiert, indem er sie zur bloßen Physiognomik umbildet. Herder selbst war sich dieses Unterschiedes durchaus bewußt. Er hat den »Physiogno | mischen Fragmenten« seinen Beifall nicht versagt, und er hat selbst gelegentlich Beiträge zu dem Werk geliefert. Aber er hat auf der anderen Seite die Grenzlinie zwischen seinen eigenen Bestrebungen und denen Lavaters in aller Schärfe gezogen. Die Physiognomik als isolierte Betrachtungsweise galt ihm nichts; er ließ sie nur im Zusammenhang einer allgemeinen Ausdruckskunde gelten. Nur auf diese Weise kann sie nach ihm philosophischen Sinn und Wert erlangen. Was Lavater als dilettantische Kunst übte, das wollte Herder in einem wahrhaft universellen Sinne – als Sprachphilosoph, als Ästhetiker und Geschichtsphilosoph – verstehen und begründen. »[…] Gesicht und Gestalt«, so schrieb Herder an Lavater, »sind nur wie das Zifferblatt einer Uhr, an dem man wohl sehen kann, was die Zeit ist, nicht aber wie und mit welchen Gewichten die Uhr treibe.«92 Erwägt man die Äußerungen Thorilds, die wir angeführt haben, denkt man insbesondere an seine Definition des Stils als »die feurige, freie und lebendige Kraft der Seele, das auszusprechen, was sie innerlich fühlt und versteht«,93 so sieht man sofort, wie auch für ihn das Problem des »Ausdrucks« eine viel universellere Bedeutung und eine viel größere Reichweite besitzt, als es bei Lavater der Fall ist. Ein zweiter, nicht minder bedeutsamer Zusammenhang ergibt sich, wenn wir den Gebrauch ins Auge fassen, den Herder und Thorild von der Analogie machen. Daß dieser Gebrauch mit demjenigen von Leibniz keineswegs genau übereinstimmt, sondern vielmehr zu ihm an vielen Stellen in scharfem Gegensatz steht, wurde bereits früher betont.94 Und wir können nicht nur die Tatsache dieser Abweichung feststellen, sondern auch ihren Grund aufweisen. Der Analogiebegriff mußte, beim Übergang von Leibniz zu Herder, einen tief eingreifen91 Näheres hierzu und über die Wirkung Lavaters auf Thorild bei Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 322 f. 92 Näheres über das Verhältnis Herders zu Lavater bei Haym, Herder, Bd. I, S. 683 f. [Zitat S. 684]. 93 En kritik öfver kritiker, S. 161 [»[…] för själens eldiga fria och lefvande sätt att säga, hvad den innerligt känner och forstår!«]. 94 Vgl. S. 174 ff.

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den Bedeutungswandel erfahren. Dieser Wandel war nicht zufällig – und noch weniger liegt seine Ursache in einem bloßen Verkennen und Mißverstehen Leibnizischer Gedanken. Er war gefordert durch die neue Aufgabe, die Herder ergriff, und durch die Mission, die er in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts zu erfüllen hatte. Herder ging nicht wie Leibniz von der Logik und Metaphysik, von der Mathematik und Naturlehre aus. Sein Blick war statt dessen auf die ge | schichtliche Welt gerichtet. Auch dort, wo er sich, wie zu Beginn der »Ideen«, ganz in die Natur zu versenken und das Schauspiel ihrer Entwicklung und ihres kontinuierlichen Aufstiegs zu genießen scheint, sieht er sie nur im Lichte der Menschengeschichte und als Vorstufe zu dieser. Damit aber mußte die »Analogie« bei ihm einen ganz anderen Sinn gewinnen, als sie ihn innerhalb des Leibnizischen Systems besessen hatte. Sie soll nicht Begriffe verbinden, sondern sie soll fremdes Leben erschließen und es im Spiegel des eigenen erblicken und verstehen lassen. Sie wird damit aus einem Verstandesprinzip zu einem Prinzip der nachfühlenden und nachschaffenden Phantasie. Leibniz will in scharfen Begriffen denken; Herder will die »stille Ähnlichkeit« empfinden, kraft deren alles einzelne sich »zum Ganzen webt«.95 Das Analogieprinzip, das bei Leibniz ein logisches Prinzip war, wird für Herder zum historischen Prinzip, und das heißt, bei seiner Art, Historisches zu sehen und zu erleben, zum poetischen Prinzip. Herder hat sich tief in die Leibnizische Philosophie versenkt, aber er hat sie niemals mit dem Auge des Logikers, sondern immer mit dem des Dichters gesehen. Es ist höchst charakteristisch, daß er in seiner Schrift »Vom Erkennen« von Leibniz als »dem großen Erfinder des Monadenpoems« spricht.96 Das ist keineswegs als ein herabsetzendes Urteil gemeint, sondern es liegt darin für Herder ein hohes Lob: Er rühmt es Leibniz’ Metaphysik nach, daß sie zuerst ein neues Verständnis für die Totalität der geistigen Welt und damit auch für das Verständnis der Poesie erschlossen habe. Was Thorild betrifft, so geht er nicht, wie Herder, von historischen Phänomenen aus; der Blick für sie scheint ihm gefehlt zu haben. Aber er gebraucht das neue Organon der Erkenntnis, das Herder bei seiner Bemühung um die Welt der Geschichte geschaffen hatte, und wendet es in seiner Weise an. Für Leibniz folgt das Analogieprinzip aus seinem Grundprinzip der Kontinuität. Er beschreibt es als ein »Gesetz der allgemeinen Ordnung«, als ein universelles Denkgesetz, das 95 96

[Goethe, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil, S. 30.] Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 178.

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jedoch, kraft der Harmonie zwischen dem Ideellen und dem Reellen, auch für die Natur Geltung haben muß. Als solches ist es in erster Linie eine Maxime für unsere Begriffsbildung überhaupt, insbesondere eine Regel für den Aufbau der mathematischen Begriffe und des mathematischen Systems. Fassen wir diese Begriffe isoliert, gehen wir statt von allgemeinen Regeln | von einzelnen Fällen aus, so werden wir auf bestimmte Gegensätze geführt, die auf den ersten Blick unausgleichbar scheinen. Wir stellen der Bewegung die Ruhe, wir stellen dem Fall der sich schneidenden Geraden die Parallelen gegenüber – und wir glauben, daß wir jedes dieser Extreme gesondert behandeln und je eine eigene Regel für sie aufstellen müssen. Das Prinzip der Kontinuität und der Analogie belehrt uns darüber, daß dies eine Täuschung ist – ein Vorurteil, das aus der sinnlichen Auffassung der Dinge stammt, das aber die rein intellektuelle Betrachtung überwinden muß. Was sinnlich-anschaulich geschieden erscheint, rückt begrifflich zusammen: Die Gegensätze heben sich nicht nur auf, sondern sie werden geradezu zu einer Identität, da sich zeigen läßt, daß sich exakte und universelle Gesetze finden lassen, die in genau derselben Weise für die Ruhe und die Bewegung, für den Fall der sich schneidenden Geraden und für den Fall der Parallelen gelten. Auch wo Leibniz den Satz der Kontinuität auf Naturprobleme anwendet und aus ihm folgert, daß die Reiche der Natur nicht streng voneinander geschieden sein können, daß es z. B. Übergangsformen zwischen Pflanze und Tier, zwischen Tier und Mensch geben müsse, hat er dies nicht aus empirischen Beobachtungen gefolgert, sondern er hat es aus allgemeinen, logisch-systematischen Gründen postuliert. Er gründet diese Behauptung darauf, daß es im Verstand Gottes und in seinen schöpferischen Ideen keine Lücken und keine Sprünge geben könne, sondern daß diese Ideen ein strenges mathematisches Kontinuum bilden müssen. »[…] toutes les différentes classes des Etres, dont l’assemblage forme l’Univers, ne sont dans les idées de Dieu, qui connoit distinctement leurs gradations essentielles, que comme autant d’Ordonnées d’une même Courbe, dont l’union ne souffre pas qu’on en place d’autres entre deux, à cause que cela marqueroit du desordre et de l’imperfection.«97 Derartige Betrachtungen, die sich auf Logik und Mathematik stützen, gibt es bei Thorild nicht, wenngleich er den Brief von Leibniz an 97 Gottfried Wilhelm Leibniz, Brief an Pierre Varignon; vgl. meine Ausgabe von Leibniz’ Hauptschriften, Bd. II, S. 556–559: S. 557 [Zitat S. 558]. – Zur logischen Darstellung des Kontinuitätsprinzips bei Leibniz verweise ich auf die eingehende Darstellung, die ich in meiner Schrift »Leibniz’ System« gegeben habe. Vgl. bes. S. 219 ff. [ECW 1, S. 198 ff.].

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Varignon, in dem sie sich finden, ausdrücklich zitiert | hat.98 Vom logischen Gebrauch des sogenannten »Analogieschlusses« hat er sehr gering gedacht; er bezeichnet dessen Gebrauch als unsicher und zweideutig.99 Aber das ist nur scheinbar ein Widerspruch zu jener Lobpreisung der »Analogie«, wie sie sich in seinem Lehrgedicht findet. Denn hier denkt er, ebenso wie Herder, an den Wert, den die Analogie für die Erschließung des großen Lebenszusammenhanges der Welt besitzt. Fremdes Leben ist dem Menschen nur dadurch zugänglich und verständlich, daß er es sich aus der Tatsache des eigenen Lebens deutet – und diese Deutung darf ihm nicht verwehrt werden, wenn nicht alles Wissen, das wir von der Wirklichkeit und ihrer Ordnung besitzen, zerstört werden soll. Wenn wir die Wirkung, die Herder auf Thorild geübt hat, in dieser Weise auffassen dürfen, so wächst sie über ein bloß einmaliges und zufälliges Ereignis weit hinaus. Sie gewinnt eine echt symbolische Bedeutung: Sie wird zum Zeichen der großen geistigen Wende, die sich in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts vollzieht. Herder ist nicht der Schöpfer der neuen Zeit, die jetzt heraufkommt – wie hätte auch ein einzelner sie schaffen können? –, aber er darf, wie wenige andere, den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, daß er zu ihrem Geburtshelfer geworden ist. Das größte und ewig denkwürdige Beispiel für die Art, wie er diese seine »maieutische« Kunst geübt hat, bildet die Begegnung, die er in Straßburg mit dem jungen Goethe hatte. Das, was Herder Thorild gegeben hat, weist nicht in solche Tiefe; aber es zeigt uns in sehr bedeutungsvoller und charakteristischer Weise, wie früh sich die Ideen Herders in die Weite erstreckten. In seinen Fragmenten »Ueber die neuere Deutsche Litteratur« sagt Herder in bezug auf Youngs »Conjectures on Original Composition«: »Woher glühet uns bei der Youngischen Schrift […] ein gewisses Feuer an, das wir bei blos gründlichen Untersuchungen nicht spüren? Weil der Youngische Geist drinn herrscht, der aus seinem Herzen gleichsam ins Herz; aus dem Genie in das Genie spricht; der wie der Elektrische Funke sich mittheilt.«100 Diese Form der Mitteilung war auch Herder im höchsten Maße eigen. Er wollte nicht nur belehren; er wollte »aus seinem Herzen ins Herz, aus seinem Genie ins Genie sprechen«. Thorilds Beispiel | zeigt 98 Vgl. seine Abhandlung »True Heavenly Religion restored, and demonstrated upon Eternal Principles. With a Call to Christians of Higher Sense«, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. II, S. 351–417: S. 370 f. 99 A. a. O., S. 367 ff. 100 Johann Gottfried Herder, Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Eine Sammlung von Fragmenten, in: Sämmtliche Werke, Bd. I, S. 131–531: S. 256.

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uns, wie sehr ihm dies auch bei denen gelang, die ihn, statt aus persönlichem Umgang, nur aus seinen Schriften kennenlernen konnten. Aber es bedurfte freilich besonderer Leser, es bedurfte einer inneren Gemeinschaft des Denkens und Fühlens, wenn eine solche Wirkung entstehen sollte. Aber hier eröffnet sich für uns noch eine andere und weitere gei stesgeschichtliche Perspektive, die im Rahmen dieser Untersuchung freilich nur angedeutet werden kann. Wenn wir nach dem Ursprung von Herders »Sinnbegriff« fragen, so suchen wir ihn vergeblich, wenn wir in jenem Kreise stehenbleiben, den die Philosophiegeschichte allein zu behandeln pflegt. Diesen Begriff konnte Herder nicht bei Leibniz, bei Wolff oder Baumgarten finden – und ebensowenig fand er ihn bei Locke, bei Hume, bei den Denkern der französischen Philosophie. Er stammt aus einer völlig anderen Sphäre: Denn Hamann ist es gewesen, der ihn zuerst geprägt und der ihm jene spezifische Bedeutung gegeben hatte, in der ihn Herder verwendet hat. »Sinn und Geschichte«, so schreibt Hamann einmal an Fritz Jacobi, »ist das Fundament und der Boden, [sie] zieh ich […] allen Luftschlössern vor. ∆#ς µοι πο2 στ3 – nur keine geläuterte, und abgezogene und leere Wörter – die scheu ich, wie tiefe stille Wasser und glattes Eis.«101 Diese Gesinnung hat Hamann Herder von früh an eingepflanzt – und diese Worte könnte man als Motto für Herders Gesamtwerk wählen. Hamann war es, der im achtzehnten Jahrhundert eine neue und eigentümliche Form des »Sensualismus« geschaffen hatte. Sein Sensualismus ruht nicht, gleich dem von Hume oder Condillac, auf empirischen noch, gleich dem von Shaftesbury, auf metaphysischen und ästhetischen, sondern er ruht auf mystischen Grundlagen. Und von hier aus war schon Hamann selbst zu einer neuen Auffassung und gewissermaßen zu einer Theodizee der Dichtung gelangt. Er wollte die Welt der Dichtung der Vorherrschaft der »Vernunft« entreißen und sie statt dessen auf Sinne und Leidenschaften gründen. »Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts; wie der Gartenbau, älter als der Acker: Malerey, – als Schrift: Gesang, – als Deklamation: Gleichnisse, – als Schlüsse: Tausch, – als Handel. Ein tieferer Schlaf war die Ruhe unserer Urahnen; und ihre Bewegung, ein taumelnder Tanz. […] Sinne | und Leidenschaften […] verstehen nichts als Bilder. In Bildern besteht der 101 Johann Georg Hamann, Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 14. November 1784, in: Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften, hrsg. v. Carl Hermann Gildemeister, Bd. V: Johann Georg Hamann’s Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Jacobi, Gotha 1868, S. 13–19: S. 16.

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ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glückseligkeit. Der erste Ausbruch der Schöpfung, und der erste Eindruck ihres Geschichtschreibers; – – die erste Erscheinung und der erste Genuß der Natur vereinigen sich in dem Worte: Es werde Licht! Hiemit fängt sich die Empfindung von der Gegenwart der Dinge an.«102 Auch für Thorild wurzelt alle Poesie im »Pathos«, und er sucht in ihr nichts anderes als »lebenden Ausdruck«.103 Und in seiner Ode »Inbildningens nöjen« hat er die beglückende und beseelende Macht der Einbildungskraft gepriesen, die uns allein den dichterischen »Zauberblick« über die Welt zu schenken vermag.104 Daß Hamanns Ideen auf Thorild anders als durch Herders Vermittlung gewirkt haben, wird man freilich kaum annehmen können. Denn die Schriften des »Magus im Norden« galten schon in Deutschland als sibyllinische Bücher, und für einen Nicht-Deutschen mußten sie fast unverständlich sein. Daß aber diese Ideen Thorild verwandt berühren konnten, hat seinen Grund darin, daß ihr Denken, wenngleich es sehr verschiedene Wege einschlägt, nichtsdestoweniger in einer Hinsicht einer gemeinsamen Wurzel entspringt. Man kann Hamann, wie Rudolf Unger gezeigt hat, nur dann verstehen und ihm nur dann seinen rechten Platz in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts anweisen, wenn man ihn und seine Lehre im Zusammenhang mit der pietistischen Bewegung sieht.105 Welch bedeutsame Rolle diese Bewegung aber auch in der schwedischen Literaturgeschichte gespielt und wieviel sie auch hier zur Erweckung des »romantischen Geistes« beigetragen hat, ist aus Martin Lamms Darstellung bekannt.106 Daß auch Thorild von ihr nicht unberührt geblieben ist und daß insbesondere Herrnhutische Einflüsse seine Jugendbildung mitbestimmt haben, scheint festzustehen.107 Damit wäre eine wenn auch nur mittelbare Verbindung zwischen ihm und Hamann gegeben, wenngleich er ebenso entschieden mit der dogmatischen Religion gebrochen hat, wie dieser an ihr festgehalten | hat. Die Tatsache, daß Thorilds Lehre vom »Sinn« nicht auf dem Boden des Empirismus, sondern auf dem der religiösen Mystik erwachsen ist, Ders., Aesthetica in nuce, S. 258 f. Anmerkungen zu »Passionerna«, S. 51 [»lefvande uttryck«]. 104 Inbildningens nöjen, S. 60 ff. [S. 60: »trollblick«]. 105 Rudolf Unger, Hamann und die Aufklärung. Studien zur Vorgeschichte des romantischen Geistes im 18. Jahrhundert, Bd. I, Jena 1911, S. 34 ff. u. 123 ff. 106 Vgl. bes. Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. I, S. 69 ff. 107 Vgl. Henrik Schück/Karl Johan Warburg, Illustrerad svensk litteraturhistoria, Bd. IV, 3., vollst. umgearb. Aufl., hrsg. v. Henrik Schück, Stockholm 1928, S. 352 ff. 102 103

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macht es auch verständlich, daß diese Lehre ihn nicht davon abgehalten hat, sich in einer bestimmten Epoche seines Denkens Swedenborg zu nähern und in der Schrift »True Heavenly Religion Restored« einige seiner Grundideen aufzunehmen.108 |

108 Über diesen Punkt s. Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 174 ff. – In einem Aufsatz »Från Thorilds ungdom. Kring några nyfunna thorildiana«, in: Samlaren 13 (1932), S. 124–189, hat Sven Cederblad wahrscheinlich gemacht, daß die erste Bekanntschaft mit Swedenborgs Lehre schon auf Thorilds Gymnasialzeit in Göteborg zurückgeht.

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viertes kapitel. Thorild und die Aufklärung Daß ein Denker, der von dem leidenschaftlichen Wunsche beseelt ist, »[d]ie Menschen zu bessern und zu bekehren«,1 der sich berufen glaubte, im geistigen und sozialen Leben eine neue und bessere Ordnung der Dinge heraufzuführen, der von sich selbst gesagt hat, sein höchstes Bestreben sei es gewesen, »alles zu verstehen und die ganze Welt zu reformieren«2 – daß ein solcher Denker den Ideen der Aufklärung nicht entsagt hat, sondern tief von ihnen durchdrungen ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Thorild hat sich selbst als Vorkämpfer der Aufklärung gefühlt, und er hätte es entrüstet zurückgewiesen, wenn man ihn ihren Gegner genannt hätte. Auch in seiner Sprache hören wir, bei all dem Neuen, das sie enthält, die großen Losungsworte der Aufklärungszeit. Immer wieder begegnen wir dem Ruf nach Licht und Freiheit. In der Freiheit bestand für ihn aller eigentliche Gehalt und Wert des Lebens: Liebe zur Freiheit – so erklärt er – und Liebe zum Leben sind gleichbedeutend.3 Auch der Kampf, den Thorild, in seiner Erkenntnislehre und in seiner Poetik, für die Rechte des »Gefühls« (känsla) führt, schließt keineswegs eine Feindschaft gegen die Grundtendenzen der Aufklärung in sich. Denn er will damit zwar den schulmäßigen Rationalismus, aber keineswegs die »Vernunft« als solche treffen. Daher ist auch die Bezeichnung Thorilds als reinen »Gefühlsphilosophen« höchst problematisch und unterliegt mancherlei Einschränkungen. Er wollte das Gefühl in der Naturbetrachtung wie in der Kunstbetrachtung wieder in seine Rechte einsetzen; aber zum Apostel des bloßen Gefühls ist er damit nicht geworden. Vom Geist der »Empfindsamkeit« ist er kaum berührt worden; ja sein Widerstand gegen ihn war so stark, daß er selbst den »Werther«, den er tief bewunderte, | als Buch der Lebenskunst nicht gelten ließ.4 Statt Weichlichkeit forderte er Mannessinn und Tapferkeit.5 Auch seine Liebe zu Rousseau und die schwärmerische Verehrung, die er ihm in seiner Jugend widmete, haben ihn nicht daran gehindert, der Gefühlsseligkeit Rousseaus bestimmt zu widersprechen und ihr eine andere, härtere Lebensauffas-

[Goethe, Faust. Eine Tragödie. Erster Theil, S. 27.] Karakter, S. 278 [»att förklara hela naturen och reformera hela verlden«]. 3 Thomas Thorild, Den Nye Granskaren. 1784 (Juli 1784), in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 3–110: S. 82. 4 Utdrag af en dagbok, S. 334. 5 A. a. O., S. 330. 1 2

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sung entgegenzustellen. Er ging hierin so weit, daß er, in einem Brief an Leopold, die Lehre Rousseaus als eine »Weiberphilosophie« erklärte, die für die echten Männer der Tat, für einen Luther oder Gustav Wasa, nicht geschaffen sei.6 In der Religion erklärte er, daß seine Reformation der Beginn des freien Denkens, daß sein Luther Herbert von Cherbury sei.7 Und noch weniger wollte er die Philosophie, in der er sein eigentliches Wesen ausgedrückt fand und die er in dieser Hinsicht noch über die Poesie stellte,8 einfach der Herrschaft des Gefühls ausliefern. Geijer hat von Thorild gesagt, er gehöre zu derjenigen Bildungsperiode, in der das vom Materialismus unterdrückte Lebensprinzip sich wieder freigemacht habe und, vom Begriff verjagt, sich um so energischer dem Gefühl zugewandt habe. Aber er sei der einzige gewesen, der sich bestrebt habe, das Gefühl nicht nur zu verkünden, sondern es auch in ein System zu bringen, um das dunkle lebhafte Allgefühl in Begriffe umzusetzen.9 Bei dieser Umsetzung aber drang er überall auf feste Prinzipien, und er glaubte, eben hierin seinen Gegnern überlegen zu sein.10 Es fehlte also Thorild nicht an der Fähigkeit, zwischen Gefühlen und Grundsätzen einen scharfen Strich zu ziehen. Nur kraft dieser Fähigkeit glaubte er, auf den Namen eines Denkers, eines »Philosophen« Anspruch zu haben. Als sein Freund Hylander einen Versuch macht, ihn wieder zum Christentum zu bekehren und hierfür an sein Gefühl appelliert, da lehnt er diesen Appell ab. »Auf diese Weise«, so erwidert er, »kann ein Philosoph nicht bekehrt werden. Sich von seinem Herzen dahin leiten lassen, eine Wahrheit anzunehmen oder abzulehnen: das heißt sich verführen | lassen […]«11 Diese Worte stehen in einem sehr charakteristischen Gegensatz zu der Heftigkeit, mit der sonst, von andern Denkern des Sturm und Drang, die Lehre 6 Thomas Thorild, Brief an Carl Gustaf af Leopold (1784), in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 112–114: S. 114. 7 Thomas Thorild, Min religion, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 282 f.: S. 283. 8 Til Sällskapet Utile Dulci, S. 471. 9 Erik Gustav Geijer, Thorild. Tillika en filosofisk eller ofilosofisk bekännelse, in: Samlade skrifter, Bd. V, Stockholm 1852, S. 223–362: S. 297 f. (zit. v. Ljunggren, Svenska vitterhetens häfder, S. 200 f.). 10 Thomas Thorild, Upplysning om handelns sanna frihet, om vigten af principer uti allt och om publikens höga rätt att döma, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 257–273 – zum Verhältnis zu Kellgren und Leopold vgl. Nilsson, Thomas Thorild, S. 153 ff. 11 Thomas Thorild, Brief an Anders Hylander, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 6 f. [»Men, ach! så omvändes icke en filosof. Ledas af sit hjerta till eller från en sanning, är detsamma som förföras […]«].

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Thorild und die Aufklärung

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von der »Allmacht des Herzens« verkündet und verteidigt wurde.12 Die Kraft der Aufklärungstendenzen in Thorild können wir also nicht verkennen und unterschätzen: Es ist nur die Frage, in welcher Richtung er diese Kraft gebraucht und welche Momente der Aufklärung er besonders zur Geltung gebracht hat. Im Dezember-Heft der »Berlinischen Monatsschrift« vom Jahre 1784 hat Kant eine Abhandlung veröffentlicht, in der er sich die Aufgabe stellte, den Begriff der »Aufklärung« nach seinem philosophischen Sinne scharf zu bestimmen. »Aufklärung«, so definiert er, »ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.«13 Am Schluß seines Aufsatzes erwähnt Kant eine Abhandlung, die Mendelssohn kurz zuvor veröffentlicht hatte und die das gleiche Thema behandelt. Er erklärt, daß er sie noch nicht zu Gesicht bekommen habe und daß er, falls dies geschehen wäre, seine eigene Darstellung vielleicht zurückgehalten hätte: »[Sie möge] jetzt nur zum Versuche dastehen […] wiefern der Zufall Einstimmigkeit der Gedanken zuwege bringen könne.«14 Die Befürchtung Kants, daß er hier vielleicht nur Mendelssohns Gedanken wiederhole, finden wir | bei einem Vergleich beider Aufsätze nicht bestätigt: Trotz mancher Beziehungen im einzelnen verfolgt der Mendelssohnsche Aufsatz einen andern Gedankengang als der Kantische. Aber Kant wäre sicherlich nicht wenig erstaunt darüber gewesen, wenn man ihm gesagt hätte, daß ein 12 Um hier den ganzen Kontrast zu bemerken, stelle man etwa den Worten Thorilds die Worte Fritz Jacobis im »Allwill« gegenüber. »Ich soll mich um feste Grundsätze bemühen, damit ich zu unwandelbarer Tugend gelange. Nun klingt es mir gerade so, wenn mir jemand vorschlägt, aus Grundsätzen tugendhaft zu werden, als wenn mir einer vorschlüge, mich aus Grundsätzen zu verlieben. […] Mich rettete mein eigenes Herz. Darum will ich ferner ihm gehorchen, und mein Ohr nach seiner Stimme neigen. Diese zu vernehmen, zu unterscheiden, zu verstehen, sei mir Weisheit; ihr muthig zu folgen, Tugend!« Friedrich Heinrich Jacobi, Allwills Briefsammlung (Werke, Bd. I), S. 188 f. [Zitat: Johann Wolfgang von Goethe, Versuch über die Dichtungen, in: Werke, Bd. XL, S. 204–241: S. 239]. 13 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Werke, Bd. IV, hrsg. v. Artur Buchenau u. Ernst Cassirer, S. 167–176: S. 169 (Akad.-Ausg. VIII, 35). 14 [A. a. O., S. 176 (Akad.-Ausg. VIII, 42).]

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junger 25jähriger schwedischer Autor ihm zuvorgekommen sei. Und doch ist dies der Fall. Im Jahre 1784 hatte Thorild begonnen, seine Zeitschrift »Den Nye Granskaren« erscheinen zu lassen. »Sapere aude!« – so schrieb er als Motto über diese Zeitschrift. Und dies war für ihn kein zufällig hingeworfenes Wort: Denn er hat es immer und immer wieder angewandt. »Sapere aude!« war das Kennwort, unter dem er bei dem Wettbewerb der Gesellschaft »Utile Dulci« sein Lehrgedicht eingesandt hat.15 – »Sapere aude!« schrieb er noch in der Greifswalder Zeit als Wahlspruch über die »Gelehrtenwelt«. Aber weit bedeutsamer und merkwürdiger als dieses Zusammentreffen im Ausdruck ist die völlige Übereinstimmung der Tendenzen, die hier zwischen Kant und Thorild, der später einer seiner schärfsten Gegner werden sollte, besteht. Thorild preist wie Kant die Freiheit des Wortes und die des Denkens, weil ein Volk, das sie nicht besitzt, für immer in den Kinderschuhen steckenbleiben müsse. Ein Individuum und ein Volk kann nach ihm erst dann zum Manne heranreifen und die Ehre und Stärke eines Mannes gewinnen, wenn es einsehen lernt, was Wort und Wahrheit bedeuten. Dann erst werde die Welt »wenigstens zu einem Teil aufhören, eine große Kinderstube zu sein«.16 Die Übereinstimmung geht indes noch weiter. Kant hatte sich die Frage gestellt, ob die Aufklärung sich auch auf »Religion[…] und Kirchenwesen[…]« erstrecken und ob auch hier jeder das Recht haben solle, Vorschläge zur besseren Einrichtung dem Publikum mitzuteilen. Und er hatte sie unbedingt bejaht: »Denn daß die Vormünder des Volks (in geistlichen Dingen) selbst wieder unmündig sein sollen, ist eine Ungereimtheit, die auf Verewigung der Ungereimtheiten hinausläuft.« Und ebensowenig läßt sich nach ihm ein Vertrag denken, durch welchen die Priesterschaft eines Landes oder ein ganzes Volk ein für allemal auf ein gewisses unveränderliches Symbol verpflichtet werden könnte. »Ein solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom | Menschengeschlechte abzuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig […]«17 Die gleiche Frage hatte sich – ein halbes Jahr vor dem Erscheinen von Kants Aufsatz – Thorild im »Nye Granskaren« gestellt, und er hatte sie in ganz demselben Sinne beantwortet.18 Wenn zwei so verschiedene Naturen wie Man vgl. Schück/Warburg, Illustrerad svensk litteraturhistoria, S. 371. Den Nye Granskaren, S. 7 [»åtminstone till en del upphöra att vara en stor barnkammare«]. 17 [Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 172 f. (Akad.Ausg. VIII, 38 f.).] 18 »Höra presterne under allmänna granskningen?« Den Nye Granskaren, S. 61. 15 16

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Thorild und die Aufklärung

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Thorild und Kant, die fast überall sonst als wahre Antipoden erscheinen, sich in dieser Weise begegnen konnten, so ist dies ein Beweis dafür, wie stark in den achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts die allgemeine Atmosphäre der Aufklärung noch war und wie sie auch die verschiedenartigsten Denker, gleichsam als ihre natürliche Lebensluft, umfing. Um so wichtiger ist es freilich hier, nicht nur die Einheit, sondern auch die spezifische Differenz zu sehen. Daß die Aufklärung in geistesgeschichtlicher Hinsicht keine streng einheitliche Bewegung ist und daß sie kein festes und geschlossenes »Programm« vertritt, geht schon aus ihren nationalen Unterschieden deutlich hervor. In Frankreich, in England und in Deutschland entwickelt sie sich nicht in gleicher Weise, und in allen drei Ländern sind es andere philosophische Kräfte, auf die sie sich stützt. In Frankreich hat die große »Enzyklopädie«, in England hat Locke, in Deutschland hat Leibniz die Führung. Freilich ist auch hier der rein nationale Unterschied keineswegs ausschlaggebend, und die Grenzpfähle zwischen den einzelnen Ländern hindern die Freiheit der Bewegung und die Freiheit des geistigen Austausches nicht. Diderot, der Begründer der »Enzyklopädie« und derjenige, der ihren Geist am stärksten bestimmt hat, erschien dem jungen Goethe und seinem Kreis »[als] ein wahrer Deutscher«.19 Und Shaftesbury steht in bewußtem Gegensatz zum Geist der englischen Philosophie, wenn man diese durch Namen wie Locke und Hume repräsentiert sein läßt; er ist weit mehr antik, als er englisch ist.20 Nichtsdestoweniger lassen sich die Haupt- und Grundlinien der Bewegung innerhalb der französischen, der deutschen und der englischen Kultur klar gegeneinander absondern – und diese Sonderung kann uns ein erstes, freilich nur vorläufiges Schema für die Bestimmung von Thorilds Stellung liefern. Seine Ablehnung | und sein entschiedener Widerstand gilt vor allem der französischen Aufklärung und dem, den er als ihren eigentlichen Vorkämpfer und Schutzherrn empfindet. Der Widerstand gegen Voltaire durchzieht Thorilds philosophisches Werk, wie er sein kritisches und literarisches Werk durchzieht. Er bekämpft in Voltaire weniger einen einzelnen Denker und Schriftsteller als eine bestimmte geistige Funktion, deren Verkörperung er in ihm sieht. Voltaire gewinnt in Thorilds Schilderung geradezu mephistophelische Züge: Er ist der Geist, der stets verneint, der Geist, der sich nur im Trennen und Scheiden Vgl. Goethe, Dichtung und Wahrheit (11. Buch), Bd. XXVIII, S. 64. Vgl. hierzu meine Schrift: Die Platonische Renaissance, S. 110 ff. [ECW 14, S. 344 ff.]. 19 20

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betätigen kann und dem daher alles Schöpferisch-Aufbauende für immer fremd bleiben muß. Mit dieser »trennenden« Aufklärung gibt es für Thorild keine Versöhnung. Sie ist für ihn die Wurzel alles Übels im Reich der Philosophie wie im Reich des Geschmacks. Schiller hat in dem Gedicht, das er gegen Voltaires »Pucelle« richtete, erklärt, daß der »Witz« auf ewig mit dem Schönen Krieg führe. Was Thorild dem Witz vor allem vorwirft, ist, daß er das Erhabene zerstört. »Dieser universelle, ebendarum mittelmäßige, ewig witzige, niemals erhabene meisterliche Scharlatan«, so schreibt Thorild, nachdem er Voltaires »Lehrgedicht über das Erdbeben in Lissabon« gelesen hat, »ist mit der Denkart, die aus diesem Gedicht spricht – denn in seinem großen Kramladen für ganz Europa hält er Denkarten aller Art feil […] ein schön reimender, ironischer, halb gottloser Narr. Er muß immer Gott verhöhnen […] Die Philosophie der Teile ist immer Wahnwitz: Und sie ist die Philosophie Voltaires.«21 Dies ist es auch, was Thorilds Stellung zu den Vertretern des französischen Klassizismus in Schweden bestimmt. Er fand in ihnen eine leichte und schnelle Beweglichkeit des Geistes; aber er vermißte in ihnen den geistigen Schwung, der allein das Große hervorbringen kann. In dem Brief an Leopold, in dem er diesem zuerst den Kampf ankündigt, spricht er dies scharf und unzweideutig aus. »Ich hasse den Witz nicht, sowenig ich die Lebhaftigkeit des Kindesalters hasse. Ich liebe nicht das, was scheidet (varierar), sondern das, was eint. Kein Gott ist witzig – und zur Göttlichkeit soll sich doch wohl die menschliche Seele entwickeln. […] Ich liebe das Leben, vielfältiges und rasches Leben, aber noch höher stelle ich ein erhabenes Leben.«22 Das ist die Gesinnung, die Thorild durch | gängig zum Ausdruck bringt und für die er streitet. »Könnte ich […] doch lebhaft genug aussprechen, wie sehr ich all das Kleinliche und Mittelmäßige im Geschmack unserer Zeit verachte – ein Geschmack, der ihr durch die kleinen witzigen Köpfe eingepflanzt worden ist, die stets nur die Fehler sehen und sich an allem Falschen 21 Thomas Thorild, Brief an Sven Erland Heurlin vom 6. Juni 1782, in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 77–79: S. 77 [»Denne universelle, just därföre medelmåttige, evigt vettige, aldrig uphögde, mästerlige scharlatanen, skulle med sina tänkesätt i detta stycket (ty i sin stora krambod för hela Europa har han tänkesatt af alla sorteringar) […] en välrimande ironisk, half-gudlös narr. Han skulle altid gäcka Gud […] Delens filosofi är altid vansinnighet, och denna är Voltaires.«]. 22 Ders., Brief an Carl Gustaf af Leopold vom 7. Juli 1785, in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 116–118: S. 117 [»Jag hatar ej quickheten; så litet som jag hatar barndomens liflighet. Jag älskar ej det som varierar, utan det som bringar til enhet. Ingen gud är quick. Och dit, til gudomligheten, skall ju människo-själen? […] Jag älskar lif, mycket et quickt lif; men något mera et sublimt.«].

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Thorild und die Aufklärung

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und Schlechten belustigen […]«, statt sich am Guten, das in allen Dingen liegt, zu erfreuen.23 Die bloße Negation und die einseitige Vorherrschaft der Ana lyse: das also sind die Mängel, die Thorild der Aufklärungsphilosophie und dem Aufklärungsgeschmack nicht verzeihen kann. Aber Thorild hat niemals geglaubt, hierin das Wesen der Aufklärung zu treffen; sondern er war überzeugt, damit nur ihre Karikatur getroffen zu haben. An ihre Stelle wollte er die echte Gestalt der Aufklärung setzen, wie er sie begriff und wie sie ihm in anderen großen Beispielen, die er verehrte, vor Augen stand. Er fühlte sich zu jenen synthetischen Geistern hingezogen, die nicht nur über die Gabe der Zergliederung, sondern mehr noch über die Gabe der Überschau und der Zusammenschau verfügten. Man begreift, wie stark, gemäß dieser Grundforderung seiner Natur, Leibniz und Herder auf ihn wirken mußten. Bei Leibniz stehen Analyse und Synthese in einem vollkommenen und glücklichen Gleichgewicht. Keine der beiden Funktionen stört die andere, und keine verdrängt die andere; sie stehen zueinander in einer wahrhaft »prästabilierten Harmonie«. Sein analytisches Genie hat eine neue Form der Mathematik und eine neue Logik geschaffen, die über das Aristotelische Vorbild wesentlich hinausgeht und die traditionelle Syllogistik weit hinter sich läßt. Sein synthetischer Geist aber treibt ihn zum Aufbau einer Metaphysik, die überall von einer großen Grundintuition beherrscht und durchdrungen ist. Was Herder betrifft, so spürt man bei ihm überall das Übergewicht der künstlerischen Phantasie über den logischen Verstand. Aber in seinem eigensten Gebiet – im Gebiet der Poetik, der Kunsttheorie, der Geschichtsphilosophie – hatte auch er eine gewaltige Denkarbeit zu vollziehen. Und sie war es, die ihn trotz seiner Kampfansage gegen den »abstrakten« Verstand immer wieder zu den Aufklärungsidealen zurückführte. Nur mit ihrer Hilfe konnte er seine große Konzeption der »Humanität« finden und festhalten. Herder hat in seiner Jugend starke | und schlechthin entscheidende Eindrücke von Hamann erfahren; aber erst sein Verhältnis zu Leibniz ermöglichte es ihm, Hamanns Einfluß zu überwinden und sich seiner religiösen Mystik nicht gefangenzugeben. Und er, der Führer und Bahnbrecher der »Geniebewegung«, hat auf der andern Seite energisch gegen die bloße »Geniesucht« protestiert, hat sich dagegen gewandt, daß wir das 23 En kritik öfver kritiker, S. 138 [»Om jag kunde […] nog lifligen uttrycka, huru högt jag föraktar det lilla packaktiga i tidens lynne […] som den tagit af de små qvicka hufvuden, att endast se och endast förlusta sig af felen och det fula i all ting […]«].

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Genie meistens nur nach Unförmlichkeit schätzen.24 Auch Thorild scheint nicht anders zu denken. »Smak« , so sagt er, »är icke annat än förstånd på en sak, snille icke annat än stort förstånd i en sak […]«25 Hier stehen wir freilich an einem der schwierigsten Punkte von Thorilds Philosophie. Denn der Begriff »förstånd«, wie er hier gebraucht und vorausgesetzt wird, bildet eine wahre Crux für die Interpretation. Er übertrifft in dieser Hinsicht noch den so komplexen Begriff sinne, der ebenfalls so schwer deutbar ist und der die mannigfachsten und divergentesten Auslegungen gefunden hat. Und doch stehen wir hier im Brennpunkt unseres Problems. Denn an der richtigen Erfassung der Begriffe »sinne« und »förstånd« und an dem Einblick in das Verhältnis, in welchem beide zueinander stehen, hängt das rechte Verständnis von Thorilds Philosophie. Für den ersteren Begriff konnten wir eine mittelbare Form der Auslegung wählen. Wir konnten versuchen, seiner Genealogie nachzugehen und ihn bis zu seinen Quellen zurückzuverfolgen, um aus ihnen das Verständnis für seine Eigenart zu gewinnen. Für den Begriff »förstånd« aber ist uns auch dieser Weg abgeschnitten; denn Thorild braucht ihn in so eigentümlichem Sinne, daß uns für ihn fast jedes Analogon in der Geschichte der Philosophie fehlt. Wir dürfen hier weder an Leibniz noch an Locke, weder an Wolff noch an Kant denken. Schon in sprachlicher Hinsicht besteht hier eine Sonderstellung; denn der deutsche Terminus »Verstand«, das englische »understanding«, das französische »entendement« lassen sich durchaus nicht als gleichwertige Ausdrücke für das einsetzen, was Thorild mit dem Wort »förstånd« bezeichnen will. Was für unsere Betrachtung feststeht und was den Leitfaden für sie bilden muß, ist daher nur das eine Faktum, das sich aus Thorilds Werken unmittelbar belegen läßt: Es ist die Wertschätzung, die Thorild mit diesem | Begriff verbindet, und die zentrale Stellung, die er ihm in seiner Lehre gibt. Für beides gibt es unzweideutige Zeugnisse. Daß »förstånd« das Erste in allem ist – daß seine Majestät gleich ewig, gleich hoch für Genies wie für Könige ist26 –, das hören wir immer wieder von Thorild, und in gewissem Sinne faßt sich seine gesamte theoretische und praktische Lebensanschauung in diesen Worten zusammen. Vgl. z. B. Herder, Vom Erkennen und Empfinden, S. 223. Thomas Thorild, Kritik öfver Montesquieu, in: Samalde skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 111–118: S. 118. 26 Vgl. a. a. O., S. 115; »[om] det allmänna förståndet[s frihet]«, Thomas Thorild, Till folket, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Erik Gustav Geijer, Bd. II, S. 183–224: S. 186. 24 25

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Thorild und die Aufklärung

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Was also bedeutet jener Verstand, der hier so enthusiastisch gepriesen wird? Kant hat den Verstand als das »Vermögen der Regeln« 27 erklärt – eine Erklärung, die dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Aber wollten wir sie hier annehmen, so würden wir zu den seltsamsten Paradoxien geführt werden. Hat nicht Thorild der »Regel« den Krieg erklärt – und hat er nicht das Genie von jeder Rücksicht auf den bloßen Regelzwang losgesprochen? War nicht ebendies die Mission, die er in der schwedischen Literatur zu vertreten hatte? Und damit ist es nicht genug. Denn der Terminus »förstånd« besitzt nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Bedeutung. Auch der Wille muß sich die Unterordnung unter den »Verstand« gefallen lassen. Der starke Charakter und der große Verstand werden voneinander nicht geschieden: »vir sapiens« und »vir fortis« bedeuten dasselbe. »Mannasinne, icke vanor och vekheter, utan efter förstånd. « 28 Dies scheint die Sokratische These, daß alle Tugend ein Wissen ist, einzuschließen. Tugend – so erklärt Thorild ausdrücklich – folgt der Aufklärung von selbst; denn sie ist nichts anderes als die »Wahrheit der Seele«.29 Es ist unmöglich, daß ein Mann von Verstand nicht auch ein kraftvoller Mann sein sollte, der alles mit Ausnahme des Rechts verachtet.30 Ist dies nicht ebenjener ethische Intellektualismus, den die Sturm- und Drangperiode so leidenschaftlich bekämpft hat?31 Will Thorild hier mit einem Schlage verfolgen, was er angebetet hat, und anbeten, was er verfolgt hat? All diesen Aporien können wir nur entgehen, wenn wir die Bedeutung, die Thorild mit dem Wort »förstånd« verbindet, scharf ins | Auge fassen und wenn wir auf die besondere Nuancierung achten, die es für ihn besitzt. Er selbst hat uns diese Aufgabe freilich nicht leichtgemacht. Denn er ist jeder philosophischen Detailarbeit abgeneigt32 und ein erklärter Feind aller schulmäßigen Begriffsbestimmung. Wir können also von ihm eine strenge terminologische Festlegung nicht erwarten, sondern müssen, durch eine genaue Vergleichung aller Textstellen, den Sinn des Terminus zu ermitteln suchen. Scheuen wir jedoch diese Mühe nicht, so finden wir sie belohnt. Denn es zeigt sich, daß Thorild in seinem Gebrauch des Begriffes nicht geschwankt, sondern in ihm eine ganz bestimmte Richtung festgehalten hat. »Förstånd« – so können [Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 138 u. ö. (B 171 u. ö.).] Utdrag af en dagbok, S. 330. 29 Den Nye Granskaren, S. 74 [»själens sanning«]. 30 A. a. O., S. 23. 31 Vgl. z. B. die Worte Friedrich Heinrich Jacobis oben, S. 207 Anm. 12. 32 »Jag hatar philosophernas detalj och plock.« Thomas Thorild, Brief an Pehr Tham, in: Thomas Thorilds bref, Bd. III, S. 147–153: S. 147. 27 28

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Thorilds Stellung

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wir das Resultat der Untersuchung zusammenfassen – ist bei ihm keine einzelne Seelenkraft, kein »Vermögen«, das neben dem Gefühl, der Phantasie, dem Willen, der Denkkraft steht. Er ist vielmehr ein bestimmtes Verhältnis, das zwischen all diesen Kräften besteht, und eine Ordnung, die unter ihnen waltet. Er bedeutet kein selbständiges Gewicht auf der Waagschale des Seelenlebens, sondern er bedeutet die rechte Verteilung, das Gleichgewicht aller seelischen Kräfte. Halten wir an dieser Auffassung fest, so verschwinden damit eine Reihe von Widersprüchen, die sich sonst unvermeidlich ergeben müßten. Es kann dann nicht auffallen, daß Thorild die Stärke und das freie Walten aller andern seelischen Potenzen – die Stärke des Gefühls, der Phantasie, der sittlichen Energien – nicht nur mit der Größe des Verstandes für vereinbar hält, sondern daß er sie geradezu als Bedingung dieser Größe ansieht. Denn erst in ihnen kann der Verstand die ihm eigentümliche Funktion ausüben. Wollen wir eine Kantische Bestimmung brauchen – was freilich bei einer Lehre Thorilds nur mit Vorbehalt geschehen kann –, so könnten wir sagen, daß für Thorild der »Verstand« nichts anderes als das »harmonische Spiel der Gemütskräfte« bedeutet – ein Spiel, in dem keine die andere hemmt, sondern in dem alle sich wechselseitig ergänzen. Seine Naturphilosophie hat Thorild in die Worte zusammengefaßt, daß »Kraft und Harmonie die ganze Natur erklären«.33 Seine Psychologie – und in gewissem Sinne seine Ethik und Ästhetik – ließen sich dahin aussprechen, daß Kraft und Harmonie auch alles seelisch-geistige Dasein bestimmen. Und dem »Verstand« fällt hierbei insofern eine entscheidende Rolle zu, als er eben dasje | nige ist, was die Einheit zwischen den verschiedenen Momenten herstellt. Je stärker die einzelnen Kräfte sind, je intensiver das Gefühlsleben, je größer und weiter die Phantasie, je mächtiger die Leidenschaften sind – um so schwerer wird es, diese Einheit zu vollziehen und aufrechtzuerhalten. Aber dem »großen Verstand«, dem Verstand des Genies, gelingt dies, und das Genie beweist und bewährt sich erst ganz in diesem Gelingen. Verstand ohne starke Sinnlichkeit, ohne Gefühl und Einbildungskraft wäre ein leerer Verstand: ein »kalter Handwerksgeist«,34 wie Thorild zu sagen liebt. Aber auch alle diese Kräfte ohne »Verstand« wären nur gegeneinander gerichtet und in diesem Widerstreit zersplittert und machtlos. Thorild hat einmal die Frage aufgeworfen, ob das Genie frei rasen solle – und er hat sie entschieden verneint. »Gebt Gesetze gegen seine Unordnungen«, so hat 33 [S. oben, S. 151. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: Werke, Bd. V, S. 233–568: S. 286 (Akad.-Ausg. V, 217): »freien Spiels der Vorstellungskräfte«.] 34 [S. oben, S. 140.]

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Thorild und die Aufklärung

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er geantwortet, »aber nicht gegen seine Kräfte.«35 Aber solche Gesetze kann nicht der kleine, rechnende, nach konventionellen Regeln abwägende Geschmack, der bloße »Witz« geben. Hier muß etwas anderes und Größeres einsetzen, eine synthetische, nicht eine bloß analytische Funktion; und sie ist es, die Thorild mit den Namen »förstånd« bezeichnet.36 Wollte man in der Philosophiegeschichte nach etwas Umschau halten, was diesem Gebrauch einigermaßen entspricht, so könnte man an Spinozas »Amor Dei intellectualis«37 denken. In der Tat hat Nilsson in seiner Thorildstudie an einer Stelle diese Parallele gezogen.38 Aber auch sie hält nicht völlig Stich. Denn die »intellektuelle Gottesliebe« Spinozas stellt die höchste Stufe seiner Erkenntnislehre dar. Und diese Erkenntnislehre ist darauf gerichtet, uns die Dinge in ihrem eigentlichen Wesen sehen zu lassen. Dieses Wesen erschließt sich nur dem, der sich von den Bedingungen der zeitlichen Anschauung freigemacht und gelernt hat, die Dinge »sub quadam aeternitatis specie«39 zu sehen. Die Zeit muß zurückbleiben, wenn wir uns zur Anschauung und Liebe Gottes erheben wollen. Sie wird als bloßes Trugbild der »imaginatio« erkannt, über | das sich der Intellekt in seinen adäquaten Ideen erhebt. Es gab eine Epoche, in der auch dieses Spinozistische Ideal stark auf Thorild gewirkt hat. Aber er konnte bei ihm nicht stehenbleiben, und er konnte in ihm die Ruhe des Geistes, nach der er suchte, nicht finden. Denn für ihn bedeutete diese Ruhe nicht das Aufhören der Bewegung, nicht den Stillstand der menschlichen Kräfte und der menschlichen Leidenschaften. Sie war vielmehr nur in der Bewegung möglich. Um der Zeit zu entsagen, hätte er dem Leben entsagen müssen – und dieser Schritt war für ihn unmöglich und unvollziehbar. Er strebte mit allen Kräften nach Wahrheit und Schönheit; aber er forderte, daß es »lebendige Wahrheit« und »lebendige Schönheit« sei, in die er sich versenken könne. Thorild konnte und wollte sich demnach nicht, wie Spinoza, zur Anschauung der ewigen, unveränderlichen mathematischen Ordnung der Dinge erheben, um in ihr den »Frieden Gottes« zu finden. Sein Pantheismus 35 Den Nye Granskaren, S. 66 [»Gif lag emot dess oordningar, men ej för dess krafter.«]. 36 Daß bei Thorild »Verstand« niemals ein bloßes »diskursives« Vermögen bedeutet, sondern das Vermögen, mit einem einzigen »intuitiven« Blick in den Kern der Dinge einzudringen, hat Lamm, Upplysningstidens romantik, Bd. II, S. 325, mit Recht gegen Albert Nilsson betont. 37 [S. oben, S. 154.] 38 Nilsson, Thomas Thorild, S. 65. 39 [Spinoza, Ethica (Teil 2, Lehrsatz 44, Folgesatz 2), S. 259.]

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Thorilds Stellung

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und sein Lebensgefühl waren dynamisch und damit zeiterfüllt und zeitgebunden. Dieses dynamische Moment durchdringt so sehr Thorilds Lehre und seine gesamte Persönlichkeit, daß wir auch einzelnen Begriffen und einzelnen Lehrsätzen von ihm nicht gerecht werden und sie nicht in ihrer eigentlichen Bedeutung verstehen können, wenn wir an ihm vorbeisehen. Dies hat sich uns schon an der Lehre vom »Sinn« ergeben, und es bestätigt sich an der Lehre vom »Verstand«. Kraft des eigentümlichen dynamischen Akzents, den beide Begriffe bei Thorild erhalten, führt die Berufung auf den Sinn sowenig zum »Sensualismus«, wie die Berufung auf den Verstand zum »Rationalismus« führt. Der Sensualismus in seiner üblichen Bedeutung wird dadurch vermieden, daß der Sinn wesentlich als Ausdruck, nicht als Eindruck gefaßt wird. Er ist kein bloßes Produkt, sondern ein Prozeß; er ist kein Geschehen, sondern eine Äußerung und als solche ein Tun. Die analoge Umformung können wir im Gebrauch des Wortes »Verstand« beobachten. Für den älteren Rationalismus war der Verstand ein Inbegriff objektiver Begriffe und Prinzipien, ein Ganzes ewiger Wahrheiten. Diese Wahrheiten sind dem Menschen in der Form von »eingeborenen Ideen« als ein fester Besitz mitgegeben; er kann sie nicht erwerben, und er braucht sie nicht zu erwerben. Sie sind ihm von seinem göttlichen Urheber eingeprägt: »la marque de l’ouvrier emprainte sur son ouvrage«,40 wie es bei Descartes heißt. Bei Thorild hingegen bedeutet der Verstand keine vor | aller Erfahrung gegebene Form, sondern einen Akt; kein einzelnes »Vermögen«, sondern ein bestimmtes Tun; keine Potenz oder Possibilität, sondern eine Energie. Würde die Fähigkeit des »Verstandes« für Thorild darin bestehen, daß wir – wie es bisweilen in der Nilssonschen Darstellung seiner Lehre erscheint – von abstrakten Begriffen ausgehen, von ihnen auf dem Wege der deduktiven Schlußfolgerung weiterschreiten, um schließlich mit einer apriorischen Konstruktion der gesamten Wirklichkeit zu enden:41 so müßte man sagen, daß sich Thorild mit seinem Satze, daß Verstand das »Höchste im Menschen« sei, in einen höchst seltsamen Widerspruch zu sich selbst gesetzt hätte. Denn hat er nicht sein Leben lang – von den ersten Anfängen seiner Philosophie bis zur »Gelehrtenwelt« und zur »Archimetria« – unablässig und unerbittlich gegen 40 [René Descartes, Méditations métaphysiques (3. Meditation), in: Œuvres, hrsg. v. Charles Adam u. Paul Tannery, Bd. IX, Paris 1904, S. 1–72: S. 41.] 41 In dieser Form hat Nilsson freilich seine These wohl nur in dem späteren Aufsatz »Thorild ännu en gång«, S. 221, dargestellt, in dem er sich gegen die Einwände Martin Lamms verteidigt. Es scheint sich mir hier allerdings um eine polemische Zuspitzung von Nilssons Auffassung zu handeln, die er im Übereifer des Kampfes vorgenommen hat.

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Thorild und die Aufklärung

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diese Art von Abstraktion und Konstruktion gekämpft? Erschien ihm nicht dies als die eigentliche Todsünde wider die Philosophie, die er Fichte, Schelling, Hegel vorwarf und die ihn zu deren unversöhnlichstem Gegner machte? Freilich mochte es Thorild gelegentlich reizen, seine Lehre – wie es in der Schrift »True Heavenly Religion restored, and demonstrated upon Eternal Principles« (1790) geschehen ist – einmal in streng syllogistischer Form vorzutragen. Er durfte hoffen, auf diesem Wege seine Leser am leichtesten von der Wahrheit dieser Lehre zu überzeugen – und er war vielleicht von dem Ehrgeiz beseelt, mit Spinoza auch in dieser Hinsicht zu wetteifern und gewissermaßen eine »religio more geometrico demonstrata« zu schaffen. Aber hier konnte es sich für ihn immer nur um eine Darstellungsform, nicht um die ihm gemäße Denkform handeln. Der Syllogismus war für ihn Vortragsmittel, nicht Begründungsmittel; denn die eigentliche Begründung stammt stets aus anderen Quellen. Daß eine Philosophie, die sich nicht auf diese Quellen stützt, die nicht auf »Sinn und Erfahrung«42 – in jener spezifischen Bedeutung, die Thorild mit diesen Ausdrücken verbindet – gegründet ist, bloße Wortphilosophie ist, stand für Thorild fest. Damit ist auch unserer Interpretation des Terminus »förstånd« | ein bestimmter Weg vorgezeichnet. Wir kommen dem eigentlichen Kern des Terminus schon wesentlich näher, wenn wir ihn aus seiner nominalen Form in die verbale Form übersetzen. Denn dann tritt das aktive, energetische Moment, das er in sich schließt, alsbald deutlich hervor. Ein großer Verstand ist für Thorild ein großes Verstehen – und diese Gabe ist es, die er dem Genie zuspricht. Um die Welt, die Natur und den Menschen zu verstehen, darf sich der Geist nicht von ihnen zurückziehen und sich in seiner eigenen Sphäre einschließen. Er muß sich mit ihnen nicht nur berühren, sondern sich mit ihnen durchdringen. Daher ist die bloße Denkkraft hier nicht genug. Das wahre Verstehen lebt in der Welt des Anschauens, des Fühlens und Wollens; es ist von all dem nicht abgesondert, sondern es ist eine bestimmte Richtung, die dem Anschauen, Fühlen und Wollen gegeben wird. »Verstehen« in diesem Sinne ist, gleichviel in welcher Sphäre es geübt werden mag, die Erhebung von der Partikularität zu Universalität. Es ist Allblick, Allgefühl, Allwille; es ist Hingabe an das Ganze statt der Beschränkung im einzelnen. Und ebendieses Ziel ist es, was Thorild überall als Ziel der »allgemeinen Aufklärung« vor Augen steht. »Licht, Licht: das ist meine und aller Sterblichen Freude. Das Recht und den Wert zu verstehen, darin besteht menschliche Größe und 42

[S. oben, S. 161.]

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menschliches Glück.«43 Diese Form des Verstehens ist dem abstrakten Begriffsvermögen nicht gegeben; an ihr müssen vielmehr immer alle Kräfte des Menschen beteiligt sein. Die wahre Freiheit kann nicht durch die Ausbildung und die einseitige Bevorzugung eines einzelnen Vermögens im Menschen erreicht werden; sie ist vielmehr der ungehinderte Gebrauch aller Kräfte und Vermögen: »[…] der Sinne, um zu fassen, des Verstandes, um zu denken, des Herzens, um zu lieben und zu wollen, mit einem Wort: das Recht, sein Leben dem Guten zu widmen.«44 | Thorild hat dieses Lebensideal nicht nur als Doktrin verkündet, sondern er hat es selbst leben wollen. Und in der Art, wie er den Akt des Verstehens der Welt ausübt, erfassen wir vielleicht am klarsten und am unmittelbarsten den Sinn, den er in das Wort »förstånd« gelegt hat. Verstehen ist ihm universelle Sympathie: Mitgefühl mit allem, was ist und lebt. Dieser Sinn kommt am klarsten zum Ausdruck, wo Thorild, wie in seinen Jugendbriefen, unbekümmert um jedes philosophische System und jede philosophische Begründung, diese Sympathie frei ausströmen läßt. Er leiht ihr hier oft Worte von hinreißender Kraft und Schönheit. »Ich war gestern draußen an […] einem meiner Lieblingsplätze«, so schreibt er an Heurlin, »um den Sonnenuntergang zu betrachten. Ich fand meine tiefen, hohen, vertrauten Aussichten wieder […] Das Gras, die Saaten, die Ruhe, die Abendsonne, dies alles stimmte mich reich und froh. Ich sah auf diese Szene ohne das geringste Vorurteil, mit Ruhe und Klarheit; ich sah, was all dies war, und fühlte lächelnd ein Glück, als wenn Epikur oder ein Engel neben mir gestanden und zu mir gesagt hätte: Sieh! […] Man muß mit der Welt vertraut und ihr Freund werden, um ihre Schönheit Den Nye Granskaren, S. 62 [»Ljus, ljus, det är min och alla dödliges glädje. Förstå rätt och värde, det är mensklig höghet och sällhet.«]. – Professor Martin Lamm hat mich in einem Brief freundlich darauf aufmerksam gemacht, daß Thorild mit dem aktiven Gebrauch des Wortes »förstånd« (im Sinne des Verstehens) nicht allein steht, sondern daß dieser Gebrauch in der schwedischen Literatur des 18. Jahrhunderts noch allgemein lebendig war und die durchgehende Regel bildete. Als Beispiel hierfür verweist er vor allem auf die bekannte Strophe in Kellgrens »Nya skapelsen«: »O lefvande förstånd af tingen! O snillets, känslans hemlighet!« Johan Henrik Kellgren, Den nya skapelsen, eller inbildningens verld, in: Samlade skrifter, Bd. II, hrsg. v. Sverker Ek u. Allan Sjöding, Stockholm 1939, S. 303–307: S. 305. 44 Den Nye Granskaren, S. 81 f. [»[…] af sina sinnen att fatta, af sitt förstånd att tänka, af sitt hjerta att älska och vilja, med ett ord, rättigheten att njuta sitt lif till godo.«]. 43

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Thorild und die Aufklärung

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zu begreifen. Kein Ding, das von dieser Schönheit ausgeschlossen wäre. In all den weitverstreuten Geschöpfen der Erde, im Kleinen wie im Großen, überall sieht das Auge des Weisen die Kraft […] sieht er das Gesetz von Recht und Schönheit, kraft dessen alles besteht.«45 Wer diesen Blick für das reine Sein besitzt, der muß nach Thorild auch alles in seinem reinen Wert verstehen. Er wird auch das Kleine nicht verachten oder über dasselbe absprechen; er wird sich in den Mittelpunkt jedes Lebenskreises versetzen und in ihm genießen können. Denn dem echten Denker, der das Sein nicht zerstückeln und nicht in Klassen einteilen, sondern der es mit Blick und Gefühl umfassen will, ist alle Wirklichkeit und alles Leben gleich nah. Thorild hätte seiner philosophischen Gesinnung nach das Wort sprechen können, das Hölderlin gesprochen hat: »Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste […]«46 Es folgt daraus, auch im Gebiet der Kritik, eine allumfassende Duldung. Der Kritiker soll gleichfalls alles als das nehmen, was es ist – sofern ihm nur überhaupt ein Sein zukommt, sofern es nicht leeres Scheinwesen und falscher Prunk ist. »Aufrichtig, wenn ich nicht in meinem Leben all das gekannt hätte«, | so sagt Thorild in »En kritik öfver kritiker«, »was in seiner kleinen und armen Einfalt sowohl schön als heilig ist, so wäre die Hälfte meiner Seele blind und kalt geworden – so hätte ich auch niemals das göttliche hohe Verlangen gekannt, die Schönheit zu schützen: jenes Verlangen, das das eigentlich Menschliche im Menschen ist und das dereinst überall auf Erden die Gewalt stürzen wird.«47 Man sieht jetzt, was jene »Aufklärung«, in der Thorild das höchste Ziel menschlicher Bildung und die Verwirklichung menschlicher Freiheit sieht, für ihn bedeutet. Von 45 Thomas Thorild, Brief an Sven Erland Heurlin vom 1. August 1782, in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 83–85: S. 84 f. [»Jag var ute i går mot solens nedgång (åt […] där jag har några favoritställen). Jag återfann mina djupa, höga, förtroliga utsigter […] Gräset och säden och lugnet och aftonsolen gjorde mig öm och glad. Jag såg denna scenen utan den minsta fördom, med ro och klarhet; jag såg hvad det var, och kände leende et nöje som om Epikur eller en ängel hade stått hos mig och sagt: se! […] Nej, du måste bli vän med verlden och lära at begripa skönheten! Ifrån inget stoft är den utesluten. I de strödda kreaturen på jordrymden, i de små föreningar, i de större öfveralt ser den vises öga den kraft […] den lag af rätt och skönhet genom hvilken alt består.«]. 46 [Friedrich Hölderlin, Sokrates und Alkibiades, in: Gedichte (Hölderlins Werke in vier Teilen, hrsg. v. Marie Joachimi-Dege, Teil 1), Berlin u. a. o. J. [1908], S. 116.] 47 En kritik öfver kritiker, S. 130 f. [Zitat S. 130: »Uppriktigt och om jag i lifvet ej hade känt allt detta i sin lilla fattiga enfald både vackra och heliga, så skulle hälften af min själ nu varit blind och kall, så skulle jag också aldrig känt den gudomliga höga åtrå att skydda svagheten, denna åtrå, min herre, som är det enda menskliga hos menniskan, och som en gång öfverallt på jorden skall störta våldet.«].

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Thorilds Stellung

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einer Suprematie, einer Oberherrschaft des Begriffs, von einem »Rationalismus« in diesem Sinne ist bei ihm keine Rede. Denn der »Verstand« oder besser gesagt das »Verstehen« ist für ihn keine Einzelkraft, sondern er bedeutet das Zusammenfassen und die Harmonie aller Kräfte. In alledem ist Thorild sowenig bloßer »Rationalist«, wie er bloßer »Romantiker« ist. Er verschreibt sich sowenig der Verstandesaufklärung, wie er sich dem Sturm und Drang verschreibt. Er will, daß »Kraft« und »Harmonie«, daß Gefühl (känsla) und Verstand (förstånd) sich miteinander durchdringen. In dieser Hinsicht steht Thorild dem »klassischen« Ideal der Totalität weit näher als der bloßen Kraftvergötterung des Sturm und Drang. Wenn er dieses Ideal nicht in derselben Weise wie Goethe, wie Herder oder Wilhelm von Humboldt erreicht hat, so hat er es doch wie sie erstrebt. In seinen späteren Schriften hat er sich gern einen »Totalist[en]« genannt.48 Alles, was die Ganzheit des Menschen stört oder bedroht, was eine Einzelkraft heraushebt, um sie über alle andern herrschen zu lassen, ist verwerflich. »Ich weiß«, so sagt Thorild in seiner Appellation an das Publikum gegen das Urteil, das die Gesellschaft »Utile Dulci« über sein Lehrgedicht gefällt hatte, »ich weiß, daß alles in der Seele des Weisen Hoheit, Ruhe, Verstand sein soll; aber all das mit dem höchsten Gefühl; es soll Folge, Klarheit, Ordnung sein, aber mit der höchsten Kraft. Zerschneidet doch den Menschen nicht! Das große Gefühl folgt Eurer mechanischen Ordnung nicht. In ihm ist alles ein Augenblick, ein Schwung der Gottheit, ein Blitz.«49 Die Schwierigkeiten und Paradoxien, die Thorilds Lehre vom »Sinn« und seine Lehre vom »Verstand« in so | reichem Maße in sich birgt, verschwinden meines Erachtens, wenn man diese Mahnung auf ihn selbst anwendet. Man darf seine Lehre weder zerschneiden, noch darf man sie lediglich in ihren Ergebnissen betrachten. Man muß sie als ein Ganzes nehmen, aber auch dieses Ganze darf nicht rein statisch, sondern es muß genetisch genommen werden. Wir müssen versuchen, es vor uns aufzubauen, um den inneren Denkprozeß zu verstehen, dem es entstammt: einen Prozeß, der niemals dem Denken allein entstammt, sondern den Thorild mit seiner ganzen Persönlichkeit und seinem spezifischen Lebensgefühl durchdrungen hat. | 48 Vgl. Thomas Thorild, Anmerkung z. S. 45, 65, 82, in: Die Gelehrtenwelt, Bd. II, S. 115–118: S. 118. 49 Passionerna (Einleitung), S. 38 [»Jag vet – alt i den Vises själ bör vara höghet, lugn, förstånd: men med den högsta känsla! bör vara följd, klarhet, ordning: men med den högsta kraft! Åtskiljen ej människan. Den stora Känslan följer ej er mechaniska ordning. Alt för den är et ögnablick; en Gudomens fart, et drag, en blixt.«].

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fünftes kapitel. Die Lehre vom Genie Es ist eine weitverbreitete Anschauung, daß die »Geniebewegung« des achtzehnten Jahrhunderts die schärfste Gegnerin der Aufklärung und des Rationalismus gebildet habe und daß der Sturz beider im wesentlichen ihr zu danken sei. Man kann in dieser Ansicht bestärkt werden, wenn man sich die heftigen und maßlosen Angriffe vergegenwärtigt, die einzelne Vertreter des Sturm und Drang nicht nur gegen die Regeln, sondern gegen die Vernunft überhaupt gerichtet haben. Die Ohnmacht der Vernunft sollte erwiesen und ihr gegenüber sollte die »Allmacht des Herzens«1 gelehrt werden. Das Herz soll nicht nur den Dichter, sondern auch den Denker machen; alles Denken, das sich ihm entfremdet oder über dasselbe erhaben dünkt, soll nichts als dürre Abstraktionen oder Wahngebilde hervorbringen. Betrachtet man jedoch nicht nur eine einzelne Phase der Geniebewegung, sondern versucht man, sie historisch als Ganzes zu sehen und sie bis in ihre Ursprünge zurückzuverfolgen, so ergibt sich ein wesentlich anderes Bild. Man erkennt dann, daß diese Bewegung nicht wider die philosophierende Vernunft gerichtet ist, sondern daß sie vielmehr aus der letzteren erwachsen ist und aus ihr sehr starke und bedeutsame, wenn auch nicht die einzigen Impulse erhalten hat. Es genügt, den einen Namen: Shaftesbury, zu nennen, um diesen Zusammenhang außer Frage zu stellen. Es liegt im Wesen jeder großen Kulturepoche, daß sie sich nicht in ihren eigenen Kreis oder in das, was ihr zunächst als dieser Kreis erscheint, einschließt. Sie strebt über sich hinaus; sie durchbricht die Schranke, die sie sich gesetzt, und sie erzeugt und nährt damit ebenjene Kräfte, die dazu berufen sind, sie dereinst zu stürzen. In diesem tragischen Schicksal liegt zugleich ihre wahre geistige Größe. Auch die Aufklärung hat dieses Schicksal erfahren; auch sie hat den Boden für all das bereitet, was sich gegen sie gewandt und sich zuletzt an ihre Stelle gesetzt hat. | Die Lehre vom Genie steht im Mittelpunkt der Ästhetik des 17. und 18. Jahrhunderts, und sie bildet die eigentliche Lichtquelle, die nach allen Seiten hin ihre Strahlen aussendet. Aber die Antworten, die man auf die Frage nach dem Wesen des Genies gibt, hängen von der Form der Fragestellung ab. Und diese Form wird in erster Linie durch die Philosophie bestimmt. Jede neue philosophische Anschauung bringt auch eine neue Anschauung von dem hervor, was das Genie ist und will. Demgemäß lassen sich deutlich drei Grundrichtungen 1

[S. oben, S. 207.]

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unterscheiden, die nacheinander in der Entwicklung des Geniebegriffs zu Worte kommen. Die Philosophie Descartes’ vertritt einen Wahrheitsbegriff, der aus der Mathematik gewonnen ist. Die »Mathesis universalis« ist das große Beispiel und Vorbild, nach welchem Descartes seine Methode geschaffen hat. Jeder Gedanke empfängt seine Wahrheit nur durch die universelle Ordnung, die er repräsentiert und in die er sich einfügt. Was aus dem Zuge dieser Ordnung, aus der kontinuierlichen Bewegung des Denkens, die von den Prinzipien zu den Folgerungen fortschreitet, herausfällt, hat kein Heimatrecht in der Erkenntnis. Descartes bestreitet das Recht und die Gültigkeit aller bloß einzelnen Erkenntnisse; er erkennt nur die »Kette der Wissenschaften«,2 das System der Wahrheit als gültig an.3 Schon die erste methodische Hauptschrift Descartes’, die »Regulae ad directionem ingenii«, hatte eine großartige Vereinfachung und Verallgemeinerung des mathematischen Wissens vorgenommen. Sie hatte erklärt, daß alles mathematische Wissen sich auf zwei Grundbegriffe, die Begriffe von Ordnung und Maß, zurückführen lasse. Die klassizistische Ästhetik überträgt diese Einsicht vom Gebiet der Mathematik auf das der Kunst. »Wahrheit« und »Schönheit« unterscheiden sich nur dem Ausdruck nach, während sie ihrem Wesen nach identisch sind. Denn ihr Wesen liegt in dem Gesetz, dem sie folgen, und dieses ist in beiden Fällen das gleiche. Ordnung und Maß, Zusammenhang und Folge machen ebenso die Schönheit eines Gedichtes aus, wie sie, und sie allein, die Wahrheit einer mathematischen Schlußkette begründen.4 | Die englische Philosophie hat mit dem Ideal des mathematischen Rationalismus gebrochen. Ihr gilt nicht die Vernunft, sondern die Erfahrung als Quelle alles Wissens. Die Erfahrung aber stellt kein in sich geschlossenes System dar. Sie spottet aller Systematik, wie sie innerhalb des mathematischen Denkens erreichbar und für dasselbe charakteristisch ist. Sie ist offen für alles Neue, und sie sucht das Neue. [René Descartes, Cogitationes privatae, in: Œuvres inédites, hrsg. v. Louis Alexandre Foucher de Careil, Paris 1859, S. 1–57: S. 4: »catenam scientiarum«.] 3 Näheres in meiner Schrift: Descartes. Lehre, Persönlichkeit, Wirkung, Stockholm 1939 [ECW 20]. 4 Ich bin durchaus nicht der Ansicht, daß es möglich ist, den gesamten Gehalt der französischen klassizistischen Ästhetik aus dem Geiste des Cartesianismus abzu|leiten. Dieser These, die von Émile Krantz, Essai sur l’esthétique de Descartes, Paris 1882, verfochten worden ist, haben Gustave Lanson, L’influence de la philosophie Cartésienne sur la littérature française, in: Revue de métaphysique et de morale 4 (1896), S. 517–550, und René Bray, La formation de la doctrine classique en France, Paris 1927, mit Recht widersprochen. Ich versuche hier nur eine einzelne Verbindungslinie zu ziehen, die die klassische Ästhetik mit der Philosophie Descartes’ verknüpft. 2

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Diese Empfänglichkeit für das Neue wird jetzt auch zum obersten Grundsatz für alle wahrhaft produktive Kritik erhoben. Das Verhältnis von Kritik und Kunst kehrt sich damit um: Nicht der Künstler hat vom Kritiker, sondern dieser hat von jenem zu lernen. Statt an das Kunstwerk mit bestimmten »apriorischen« Forderungen heranzutreten, wird der wahre Kritiker die Welt der Kunst in ihrer bunten Mannigfaltigkeit, in ihrer nie versiegenden Fülle, wie sie uns die Erfahrung darbietet, auf sich wirken lassen. Im Kunstwerk wird er nicht nur Ausdruck und Beispiel eines Allgemeinen, nicht nur Nachahmung der Natur, sondern vor allem Naturentdeckung sehen. Denn jedes große Kunstwerk läßt uns in der Tat einen Einblick in eine Welt tun, die uns bisher verschlossen war. Hierin liegt der eigentliche und tiefste Reiz, den es auf unsere Phantasie und unser Gefühl ausübt. Was in den Kreisen des Bekannten bleibt, was bloße Wiederholung ist, das verfehlt diesen Eindruck. Daraus folgt, daß dem Poetischen nichts schädlicher sein kann als die Regel und das gelehrte Wissen. Denn beide würden es in den Gang des Gewohnten bannen, während das Ziel aller Poesie das Ungewöhnliche und Außergewöhnliche ist. »There appears something nobly wild and extravagant in these great natural geniuses«, so schreibt Addison im »Spectator«, »that is infinitely more beautiful than all the turn and polishing of what the French call a bel esprit […]«5 Diese Sätze Addisons hat Young in seinen »Conjectures on Original Composition« (1759) aufgenommen und weitergebildet. Youngs Schrift baut sich, geistesgeschichtlich betrachtet, auf zwei Momenten | auf, die in ihrer Bedeutung und in ihrer Herkunft sehr verschiedenartig sind. Auf der einen Seite wirkt das große Beispiel Shakespeares ein: Sie will dem Genius Shakespeares endlich die unbedingte Anerkennung erkämpfen, die ein klassizistisch-eingeengter Geschmack ihm versagen mußte. Zwar konnte die englische Poetik selbst in der Blütezeit des Klassizismus Shakespeare niemals völlig aus dem Auge verlieren, und durch ihn wurde sie vor einer Vergötterung der bloßen Regel geschützt. Dryden tadelt in seinem Essay »Of Dramatick Poesie« die Unregelmäßigkeiten des Shakespeareschen Dramas und die vielen Verstöße wider den guten Geschmack, die es enthält. Aber er fügt hinzu, daß Shakespeare unter allen älteren Dichtern den ausgebreitetsten, uneingeschränktesten Geist besessen habe. »[…] er brauchte nicht die Brillen der Bücher, um in der Natur zu lesen; er 5 [Joseph Addison, The Spectator, Nr. 160, Monday, September 3, 1711, in: The Spectator; with Notes and a General Index. The Eight Volumes comprised in One, London 1811, S. 188 f.: S. 188.]

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blickte in sich selbst, und da fand er sie.«6 Aber neben dem Geist Shakespeares spüren wir bei Young überall einen anderen Geist: den Geist der neuen empirischen Philosophie. Er ruft Bacon ausdrücklich als seinen philosophischen Ahnherrn an und will seine Theorie unter seinen Schutz stellen. »Bacon«, so schreibt er, »under the shadow of whose great name I would shelter my present attempt in favour of originals […]«7 Und er zögert nicht, die großen Meister des empirischen Wissens unmittelbar neben die großen poetischen Genies zu stellen und ihnen die gleiche ursprüngliche Schöpferkraft zuzusprechen. Bacon, Boyle und Newton treten bei ihm an die Seite von Shakespeare und Milton.8 Da die Erfahrung ständig an Ausbreitung gewinnt und uns mit immer neuen Schätzen des Wissens beschenkt: sollte der Mensch, in dem sich all diese Schätze versammeln, nicht auch in seiner eigenen Natur eine stete Erweiterung und Erhöhung verspüren? Sind nicht wir, die Modernen, so fragt Young mit Bacon, die eigentlich Alten, weil wir die Kindheit der Menschheit hinter uns gelassen haben und durch die Fülle des Erfahrungswissens gereift sind?9 Und muß nicht | dereinst der Tag kommen, an dem wir diese ganze Ernte heimbringen werden? Wenn die menschliche Natur eine Schule ist – soll nicht der spätere Schüler den früheren übertreffen? »Warum sollte es so völlig unmöglich erscheinen, daß die spätesten Ausgaben des menschlichen Geistes auch die besten und fehlerfreiesten wären und daß wir Modernen dereinst stolz auf die Dunkelheit früherer Zeitalter zurückblicken werden – daß wir Homer und Demosthenes nur 6 John Dryden, Of Dramatick Poesie: an Essay, London 1693; in Lessings Übersetzung in der »Theatralischen Bibliothek«, s. Gotthold Ephraim Lessing, Theatralische Bibliothek, in: Sämtliche Schriften, hrsg. v. Karl Lachmann, 3., aufs neue durchges. u. verm. Aufl., besorgt durch Franz Muncker, 23 Bde., Bde. I–XI: Stuttgart 1886–1895, Bde. XII–XXI: Leipzig 1897–1907, Bde. XXII–XXIII: Berlin/Leipzig 1915 u. 1924, Bd. VI, S. 1–391: S. 288. 7 Edward Young, Conjectures on Original Composition. In a Letter to the Author of Sir Charles Grandison, in: The Works of the Author of the NightThoughts, Bd. V, neue Aufl., London 1767, S. 109–186: S. 156. 8 A. a. O., S. 161. 9 A. a. O., S. 126. Es ist seltsam, daß Karl Heinrich von Stein in seiner »Entstehung der neueren Ästhetik«, Stuttgart 1886, S. 139, in dieser Stelle die Wiederholung einer »Fontenelle’schen Trivialität« gesehen hat. Sie ist offenbar die Wiederholung eines Baconschen Wortes (Francis Bacon, Novum Organum [Buch 1, Aph. 84], in: Works, hrsg. v. James Spedding, Robert Leslie Ellis u. Douglas Denon Heath, Bd. I, London 1858, S. 70–365: S. 190 f.), das sich übrigens in gleicher Weise bei Descartes und Pascal findet (Blaise Pascal, Fragment d’un traité du vide, in: Pensées. Publiées dans leur texte authentique avec un commentaire suivi, hrsg. v. Ernest Havet, Paris 1897, S. 585–597) und das in der »Querelle des anciens et des modernes« eine wichtige Rolle gespielt hat.

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noch als die Dämmerung des göttlichen Genius und Athen nur noch als die Wiege des Ruhmes verehren werden? Welch eine glorreiche Revolution würde dies nicht in der Welt des Ruhmes bedeuten?«10 Das Ideal eines universellen »apriorischen« Geschmacks ist damit verlassen. Der Geschmack muß sich erneuern, wie die Welt sich erneuert. Und das Wesen des Kunstwerks besteht nicht länger in seiner typischen Bedeutung, sondern in seiner Originalität, in jener Erweiterung unseres Wesens, die den Nachahmern versagt bleibt. »Originale« sind die Wohltäter der Menschheit, die dem Reich des Geistes neue Provinzen erobern und angliedern. »The pen of an original writer, like Armida’s wand, out of a barren waste calls a blooming spring […] if an original, by being as excellent, as new, adds admiration to surprize, then are we at the writer’s mercy; on the strong wing of his imagination, we are snatched from Britain to Italy, from climate to climate, from pleasure to pleasure; we have no home, no thought, of our own; till the magician drops his pen: and then falling down into ourselves, we awake to flat realities, lamenting the change, like the beggar who dreamt himself a prince.«11 Aus einem Gelehrten oder Kenner ist der Künstler hier mit einem Schlage zum Zauberer geworden. Dieser Zauberer ist an keine Regel und an kein Gebot der Wirklichkeit gebunden; er kann sich frei dem Flug seiner Einbildungskraft überlassen und aus ihr immer neue, nie gesehene Gestalten hervorgehen lassen. Aber eine neue Form nimmt das Problem an, sobald die Ästhetik sich der Leitung der Leibnizischen Philosophie überläßt. Denn in dieser hatte eine sehr merkwürdige Durchdringung der beiden hier geschiedenen Momente stattgefunden. Leibniz nimmt die Grundanschauungen | des Cartesischen Rationalismus nicht nur an, sondern er sucht sie noch strenger zu fassen und zu überbieten. Auch er ist überzeugt, daß eine durchgehende universelle mathematische Ordnung alles Geschehen beherrscht. Aus dieser Ordnung kann nichts herausfallen. Auch in der organischen Welt, in der Welt des Lebens, ist alles, was entsteht, streng vorherbestimmt: Es ist prädestiniert und präformiert. Der Satz des zureichenden Grundes beherrscht alles Geschehen und duldet keine Ausnahme. 10 Young, Conjectures, S. 159 f. [»[…] why should it seem altogether impossible, that heaven’s latest editions of the human mind may be the most correct, and fair; that the day may come, when the moderns may proudly look back on the comparative darkness of former ages, on the children of antiquity; reputing Homer and Demosthenes as the dawn of divine genius; and Athens as the cradle of infant-fame; what a glorious revolution would this make in the rolls of renown?«]. 11 A. a. O., S. 117 f. [Zitat S. 117 u. 119].

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Aber wenn Leibniz strenger Rationalist ist und bleibt, so ist er auf der andern Seite extremer Individualist. Jedes Sein ist eigentümlich gestaltet; es gibt nicht zwei Wesen, die einander in allen Stücken gleichen. Beide Gedanken bedingen und durchdringen einander in der Grundkonzeption der Leibnizischen Metaphysik: im Begriff der Monade. Nichts in der Monade vollzieht sich gesetzlos; alles in ihr folgt streng notwendig aus ihrem Wesen. Aber das Gesetz, das hier gilt, ist ein individuelles Gesetz. Jede Monade läßt nach einem ihr eigentümlichen Gesetz die gesamte Folge ihrer Phänomene aus sich hervorgehen, und ebendiese Eigentümlichkeit ist das, was sie zu einem besonderen Wesen, zu einer »individuellen Substanz« macht. »Daß ein bestimmtes Gesetz beharrt, welches alle zukünftigen Zustände des Subjekts, das wir als identisch denken, in sich schließt: das eben macht die Identität der Substanz aus.«12 Welche Wendung mußte eine Ästhetik nehmen, die sich auf dieser Grundlage entwickelte? Sie konnte die bloße »Neuheit« nicht länger als Kriterium brauchen; denn der Flug der Phantasie war durch die Forderung der Gesetzmäßigkeit eingeschränkt. Aber ebensowenig konnte sie nach einem allgemeingültigen, ein für allemal feststehenden Kanon des Schönen streben: Denn dadurch hätte sie dem Gebot der Individualität widerstritten. An diesem Punkt setzt die große Leistung Lessings ein. Er entgeht dem Dilemma, indem er einen neuen Begriff des Genies aufstellt und damit eine neue Synthese zwischen Notwendigkeit und Freiheit, Universalität und Originalität schafft. Schon in den ersten Anfängen seiner literarisch-kritischen Tätigkeit hat Lessing seinen ersten Vorstoß gegen Gottsched und gegen das französisch-klassizistische Ideal der Regel unternommen. | »Ein Geist, den die Natur zum Mustergeist beschloß, Ist, was er ist, durch sich; wird ohne Regeln groß. Er geht, so kühn er geht, auch ohne Weiser sicher. Er schöpfet aus sich selbst. Er ist sich Schul und Bücher. Was ihn bewegt, bewegt; was ihm gefällt, gefällt. Sein glücklicher Geschmack ist der Geschmack der Welt.«13 12 Gottfried Wilhelm Leibniz, Brief an Burcher de Volder vom 21. Januar 1704, in: Philosophische Schriften, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Bd. II, S. 261–265: S. 264. Vgl. diesen Brief in: Hauptschriften, Bd. II, S. 334–341: S. 340 [Zitat] u. 336; ders., Brief an Burcher de Volder vom 24. März/3. April 1699, a. a. O., S. 287–294: S. 292; ders., Die »Monadologie«, a. a. O., S. 435–456: S. 438. 13 Gotthold Ephraim Lessing, An den Herrn Marpurg, über die Regeln der Wissenschaften zum Vergnügen; besonders der Poesie und Tonkunst, in: Sämtliche Schriften, Bd. I, S. 248–255: S. 253.

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Diese Verse hat Lessing mit zwanzig Jahren geschrieben – und sie sind ganz im Geiste von Youngs »Conjectures On Original Composition« gehalten – einem Werk, das erst 10 Jahre später erschienen ist.14 Dennoch besteht keine tiefere Gemeinschaft zwischen Lessing und Young. Denn Lessing beginnt an ebendem Punkt, an welchem Young aufhört. Wenn er die Freiheit der echten »Mustergeister« von jedem Regelzwang betont, so ist dies nur die negative These, der ein positiver Aufbau der Poetik folgen soll. Der Kampf gegen Gottsched ist ihm nicht Selbstzweck; er soll nur den Weg freimachen für ein anderes kritisches und philosophisches Ideal, das er vertritt. Denn jetzt, nach der Ablehnung der Regeln, erheben sich erst die eigentlichen Fragen. Sollen wir annehmen, daß jedes große Kunstwerk nur auf sich selbst steht? Gibt es keine Kontinuität in der Geschichte der Kunst, keine Einwirkung und Fortwirkung? Dann wäre es müßig, den künstlerischen Schöpfungen einen dauernden Wert zuzusprechen, ja sie in irgendeiner Weise als für die Ewigkeit bestimmt anzusehen. Der Künstler besäße zwar Originalität; aber diese wäre in Wahrheit nichts anderes als Vergänglichkeit, als ein flüchtiges und ephemeres Dasein. Mit jedem Originalgenie hübe eine neue Welt an, um sogleich wieder mit ihm zu versinken. Diese Frage ist es, die sich Lessing in der »Hamburgischen Dramaturgie« gestellt hat. So scharf er hier die Regeln des französischen Theaters kritisiert, so erklärt er doch zugleich, daß damit nicht jede Art von Norm für überflüssig erklärt werden dürfe. »[…] mit diesen Regeln fing man an, alle Regeln zu vermengen, und es überhaupt für Pedanterey | zu erklären, dem Genie vorzuschreiben, was es thun, und was es nicht thun müsse. Kurz, wir waren auf dem Punkte, uns alle Erfahrungen der vergangnen Zeit muthwillig zu verscherzen; und von den Dichtern lieber zu verlangen, daß jeder die Kunst aufs neue für sich erfinden solle.«15 Wenn es kein bloßes Nachahmen in der Kunst geben darf – sollte es in ihr auch keinerlei Art des Lernens geben? Oder ist nicht jedes große Genie beides in einem – ist es nicht zugleich Schöpfer und Lehrer? Die zweite Frage, die noch tiefer in den Kern von Lessings Poetik hinein14 Den Grundgedanken der »Conjectures on Original Composition« hatte Young freilich schon früher, im Jahre 1728, in »On Lyrick Poetry«, in: Edward Young, Ocean. An Ode. Occasioned by his Majesty’s Late Royal Encouragement of the Sea-Service. To which is prefix’d an Ode to the King: and a Discourse on Ode, London 1728, S. 14–29, ausgesprochen; doch ist diese Stelle fast unbeachtet geblieben. Näheres bei Walter Thomas, Le poète Edward Young (1683–1765). Étude sur sa vie et ses œuvres, Diss., Paris 1901, S. 463 f. 15 Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie (101.–104. Stück), in: Sämtliche Schriften, Bd. IX, S. 179–406 u. Bd. X, S. 1–221: Bd. X, S. 215.

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führt, besteht darin, ob wir die Schöpfung des Genies als regellos ansehen müssen, weil es keinen allgemeingültigen Kanon für sie gibt. Folgt sie nicht einer Regel anderer und höherer Art, einer Regel, die von innen, nicht von außen stammt – die in jedem Fall besonders aufgesucht werden muß und die trotzdem nicht der Allgemeingültigkeit ermangelt? Die Auflösung dieser beiden Probleme bildet das Ziel von Lessings Poetik und schreibt ihr ihren Gang vor. Der Widerspruch gegen Gottsched und der Kampf gegen den Regelzwang ist nicht Lessings charakteristische und eigentlich originale Leistung. Denn dieser Kampf war vor ihm nicht nur in England, sondern selbst in Frankreich aufgenommen worden. Auch hier hatten die am meisten fortgeschrittenen Geister dem Klassizismus offen den Krieg erklärt. Durch Dubos war eine neue Form der »energetischen« Ästhetik begründet worden, die auf Lessing, wie sein Briefwechsel mit Mendelssohn über das Problem der »gemischten Empfindungen« zeigt, stark gewirkt hat.16 Und Diderot, dem Lessing ausdrücklich seine Dankbarkeit bezeugt und von dem er gesagt hat, daß er an der Bildung seines Geschmacks den größten Anteil gehabt habe,17 war sogar in seinem Aufsatz »Von der dramatischen Dichtkunst« so weit gegangen, zu erklären, daß die Poesie »etwas Ungeheures, Barbarisches und Wildes«18 brauche. Auch ihm lag es, wie Lessing ihm nachrühmt, am Herzen, »das Genie in seine alte Rechte wieder einzusetzen«.19 Es ist somit nicht die Auflehnung gegen den Klassizismus, was die eigentümliche Leistung Lessings ausmacht, sondern | es ist die neue Fassung des Problems, was ihn auszeichnet. Hier erst wird seine Kritik wahrhaft produktive Kritik. Er wollte den Kreis des Rationalismus nicht durchbrechen, aber er vertieft den Begriff des »Rationalen«. Die Antwort auf die Frage nach der Kontinuität der Kunst und nach ihrer »Lehrbarkeit« hat er in den »Literaturbriefen« gegeben. Hier ist die Art der Einwirkung festgestellt, die in der Kunst möglich und die für ihre Entwicklung unumgänglich ist. Sie erfolgt nicht durch Nachahmung und nicht 16 Näheres hierüber bei Erich Schmidt, Lessing. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, Bd. II, Berlin 1892, S. 119. 17 Vgl. die Vorrede zur zweiten Auflage von Gotthold Ephraim Lessings Übersetzung, Das Theater des Herrn Diderot. Aus dem Französischen übersetzt. Zweyte, verbesserte Ausgabe, in: Sämtliche Schriften, Bd. VIII, S. 287–289: S. 288. 18 [Denis Diderot, De la poésie dramatique. A mon ami Monsieur Grimm, in: Œuvres complètes, hrsg. v. Jean Assézat, Bd. VII, Paris 1875, S. 299–394: S. 371: »d’énorme, de barbare et de sauvage«.] 19 Gotthold Ephraim Lessing, Das Theater des Herrn Diderot. Aus dem Französischen. Erster Theil, in: Sämtliche Schriften, Bd. VIII, S. 286 f.: S. 287.

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dadurch, daß man aus den großen Kunstwerken bestimmte Regeln abstrahiert, die man als unverletzbar und unumstößlich ansieht. Wirkliche Schöpferkraft kann auf diese Weise nicht weitergegeben werden; sie geht von Persönlichkeit zu Persönlichkeit, von einem genialen Individuum zum andern.20 Noch tiefer dringt die Lösung der zweiten Frage. Sie knüpft unmittelbar an Leibniz an; sie übersetzt den Gedanken des »individuellen Gesetzes« vom Metaphysischen ins Ästhetische. Das Genie ist keineswegs ungeordnet; es ist keine schlechthin »irrationale« Macht. Aber es gehorcht keiner fremden Regel, sondern gibt sich selbst die Regel. »Wir haben, dem Himmel sey Dank, itzt ein Geschlecht selbst von Critikern, deren beste Critik darinn besteht, – alle Critik verdächtig zu machen. ›Genie! Genie! schreien sie. Das Genie setzt sich über alle Regeln hinweg! Was das Genie macht, ist Regel!‹ So schmeicheln sie dem Genie: ich glaube, damit wir sie auch für Genies halten sollen. Doch sie verrathen zu sehr, daß sie nicht einen Funken davon in sich spüren, wenn sie in einem und eben demselben Athem hinzusetzen: ›die Regeln unterdrücken das Genie!‹ – Als ob sich Genie durch etwas in der Welt unterdrücken liesse! Und noch dazu durch etwas, das, wie sie selbst gestehen, aus ihm hergeleitet ist. Nicht jeder Kunstrichter ist Genie: aber jedes Genie ist ein gebohrner Kunstrichter. Es hat die Probe aller Regeln in sich. Es begreift und behält […] nur die, die ihm seine Empfindung in Worten ausdrücken. Und diese seine in Worten ausgedrückte Empfindung sollte seine Thätigkeit verringern können?«21 Ich habe diese allgemeine Orientierung über die verschiedenen Entwicklungswege des Geniebegriffs in der Literatur und Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts vorausgeschickt, um daran | die Frage zu knüpfen, welchen Weg Thorild eingeschlagen hat und welcher Grundrichtung er sich verwandt fühlt. In einem Sinne kann diese Frage sofort scharf und unzweideutig beantwortet werden. Der »Regel« im Sinne des französischen Klassizismus und im Sinne Gottscheds hat Thorild von früh an den Krieg erklärt, und er hat diesen Krieg unerbittlich und mit den schärfsten Mitteln fortgeführt. Aber welches war seine eigene positive Grundtendenz? Diese Frage läßt keine ebenso unmittelbare und eindeutige Antwort zu; erst eine genaue Analyse kann sie entscheiden. Thorild hat sich selbst, in seinem Schreiben an Herder, den »erste[n] Anstimmer des youngklopstockischen Tons [in Schweden]« genannt. Und er hat diesen Ton nicht nur in seiner Dich20 Ders., Briefe, die neueste Litteratur betreffend (17. Brief), in: Sämtliche Schriften, Bd. VIII, S. 1–285: S. 41 ff. 21 Ders., Hamburgische Dramaturgie (96. Stück), Bd. X, S. 190.

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tung festgehalten; sondern es ist unverkennbar, daß auch die Poetik Klopstocks und Youngs stark auf ihn gewirkt hat.22 Trotzdem muß gesagt werden, daß sich in Thorilds Genielehre wichtige, ja entscheidende Züge finden, die sich weder auf Young noch auf Klopstock zurückführen lassen. Für Young ist es die Imagination, für Klopstock ist es die Inspiration, die den großen Künstler ausmacht. Bei jenem ist das Neue und Wunderbare, bei diesem das Erhabene das Ziel der Poesie. Young sieht in dem Dichter den großen Zauberer, der eine neue Welt wie aus dem Nichts erschafft; Klopstock sieht in ihm den Seher und Propheten, der unmittelbar vom Hauch Gottes berührt ist. All dies klingt auch bei Thorild an, aber bei ihm kommt ein anderes Moment hinzu, das in sehr merkwürdiger Weise an Lessing erinnert und nur bei diesem ein genaues Gegenbild besitzt. Die Frage, ob Lessing einen unmittelbaren Einfluß auf die Ausbildung von Thorilds Genielehre geübt hat, brauchen wir hier nicht aufzuwerfen. Er selbst hat den Namen Lessing in seinen Schriften niemals genannt. Wir müssen also mit der Möglichkeit rechnen, daß ihm die Hauptwerke Lessings unbekannt geblieben sind, so seltsam dies auf der anderen Seite bei einem Denker erscheinen mag, der in der Erneuerung der Poetik und der Kritik eine der wichtigsten Aufgaben der Zeit sah. Aber gerade wenn wir annehmen, daß zwischen Lessing und Thorild keine unmittelbare Berührung stattgefunden habe, rückt die Übereinstimmung in bestimmten Grundideen, die wir bei beiden feststellen können, in um so helleres Licht und gewinnt, ideengeschichtlich betrachtet, um so größere Bedeutung. Thorilds Geniebegriff | läßt sich, wenn man ihn lediglich seinem systematischen Gehalt nach betrachtet, am einfachsten bestimmen, wenn man für diese Bestimmung gewissermaßen drei verschiedene Koordinatenebenen benutzt. Man kann ihn auf der einen Seite mit Young, auf der andern mit Lessing und schließlich mit der typischen Sturm- und Drang-Poetik vergleichen, die sich aus Hamanns Irrationalismus entwickelt. Hamann löst den Gordischen Knoten des Verhältnisses zwischen »Genie« und »Regel« nicht; er zerhaut ihn vielmehr. Das Genie wird für schlechthin frei und selbstherrlich erklärt.23 Was Young betrifft, so will er der Regel keineswegs jeden Wert absprechen; aber sie ist ihm doch nur eine Krücke, die der Lahme braucht, die aber die wirklich große und starke Begabung entbehren kann. »[…] rules, like crutches, are a needful aid to the 22 Eine eingehende Darstellung dieser Einwirkung hat Arvidson, Thorild, S. 355 ff. [Zitat S. 356], gegeben. 23 Zu Hamanns Geniebegriff und seinem Verhältnis zu Young vgl. Unger, Hamann und die Aufklärung, Bd. I, S. 275 ff.

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lame, tho’ an impediment to the strong.«24 Lessing hat eine tiefere Auffassung und eine tiefere Bewertung der Regel; denn er sieht in ihr nichts, was dem Genie gegenübersteht, sondern etwas, was aus ihm selbst quillt: Das Genie braucht sich nicht nach äußeren Mustern zu richten; es braucht nur in sich selbst hineinzublicken, um hier die »Probe aller Regeln« zu finden. In dieser Hinsicht steht Thorild durchaus an Lessings Seite und gegen diejenigen, die das Ungewöhnliche und Neue, das Extravagante und Wilde als solches wollen und verherrlichen. Die Kräfte des Genies sind ihm Naturkräfte, die ihre Regel in sich selbst haben. Man muß sie von innen wirken lassen, statt sie von außen zu beschränken. »Wehe dem Toren, der ein anderes Gesetz für sie aufstellt, als das der Vortrefflichkeit, der Vollkommenheit und des Lebens!«25 In dem Kampf, den er gegen das Urteil der Gesellschaft »Utile Dulci« geführt hat, hat Thorild dieses Prinzip an erste Stelle gerückt. Und hier läßt sich selbst im Wortlaut die Übereinstimmung mit Lessing feststellen. Lessing sagt in der »Hamburgischen Dramaturgie«, daß das Genie der »gebohrne[…] Kunstrichter« sei, der von keinem anderen übertroffen werden könne. »Jedes Genie«, so erklärt auch Thorild, »ist ein geborener Gesetzgeber, selbstschöpferisch in seinem Gebiet. Es empfängt keine Gesetze, sondern gibt sie. Es kennt keine anderen Regeln als die der Natur, als die der höchsten Kraft | und der höchsten Schönheit. Nach diesen Regeln muß ich beurteilt werden, nicht nach einem Richterstuhl mit bestimmten Statuten, sondern von freien Genies […]«26 Trotz seiner Verehrung und Bewunderung für Aristoteles dachte Lessing nicht anders. Einen festen und fertigen Kanon der Dichtkunst wollte er auch der »Poetik« des Aristoteles nicht entnehmen, wenngleich er in ihr ein Meisterwerk der Beobachtung und Analyse sah. Aber Beobachtung und Analyse müssen sich nach ihm jeder neuen Erfahrung – und im Reiche der Kunst ist jeder wahrhaft schöpferische Geist eine solche neue Erfahrung – offenhalten. »Die Regeln in den schönen Künsten«, so schrieb Lessing schon im Jahre 1751 in der Beurteilung von Batteux’ Schrift »Les beaux arts réduits à un même principe«, »sind aus den Beobachtungen entstanden, welche man über die Wercke derselben gemacht hat. Diese BeobYoung, Conjectures, S. 129. Den Nye Granskaren, S. 66 [»Ve den dåren, som vågar gifva dem en lag, annan än förträfflighetens, än fullkomlighetens och lifvets!«]. 26 Til Sällskapet Utile Dulci, S. 469 [»Men hvart Snille är födt Lagstiftare: sjelfskapare i sit ämne. Det tar icke, utan ger lagar. Det känner inga andra reglor än Naturens, än den högsta kraftens och den högsta skönhetens. Efter dessa var det jag behöfde at dömas: ej af en Domstol med en viss stiftning, utan af fria Snillen […]«]. 24 25

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achtungen haben sich von Zeit zu Zeit vermehret, und vermehren sich noch, so oft ein Genie, welches niemals seinen Vorgängern ganz folgt, einen neuen Weg einschlägt, oder den schon bekannten über die alten Grenzen hinausbähnet.«27 Aber noch in einer andern Hinsicht finden wir Thorild an Les sings Seite. Wir sahen, in welcher Weise sich Lessing das Problem der Kontinuität der Kunst gestellt und wie er es gelöst hatte. Auch hier unterscheidet er sich deutlich von Young, so nahe er ihm in negativer Hinsicht, in der Bekämpfung des Regelzwanges steht. Young hatte sich damit begnügt, zwei Typen von Künstlern einander gegenüberzustellen. Die einen, wie Shakespeare oder Homer, folgen nur ihrem eigenen Genius; die andern bedürfen der Bildung und Gelehrsamkeit (learning). Die ersteren sind die wahrhaft selbständigen und die eigentlich mündigen Geister; die andern gleichen Kindern, die niemals ganz auf sich selbst stehen, sondern fremder Führung bedürfen. Ein Genie dieser Art muß in der rechten Weise gepflegt und auferzogen werden – oder es wird es zu nichts bringen. »Learning is its nurse, and tutor; but this nurse may overlay with an indigested load, which smothers common sense; and this tutor may mislead, with pedantic prejudice, which vitiates the best understanding.«28 Lessing setzt an Stelle dieser Youngschen Unterscheidung zwischen »gelehrten« und »ungelehrten« Genies eine andere und | tiefere. Durch bloße Schulregeln kann nach ihm ein Genie nicht gebildet werden, und alle Schätze der Gelehrsamkeit können es nicht weiser machen, als es seiner eigenen Natur nach ist. Aber es gibt freilich Genies, die alles sich selbst zu danken scheinen, und andere, die des zündenden Funkens bedürfen, der das in ihnen verborgene Feuer entfacht. »[…] ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket.«29 Auch diesen so charakteristischen und prägnanten Satz finden wir bei Thorild wieder: »Ett genie«, so sagt er in dem Aufsatz »Om efterhärmning«, der im übrigen ganz Youngs Spuren zu folgen scheint, »väckes af naturen, andre väckas af ett genie.«30 27 Gotthold Ephraim Lessing, Das Neueste aus dem Reiche des Witzes, als eine Beylage zu den Berlinischen Staats- und Gelehrten Zeitungen. 1751, in: Sämtliche Schriften, Bd. IV, S. 385–475: S. 413. 28 Young, Conjectures, S. 131. 29 Lessing, Briefe, die neueste Litteratur betreffend (17. Brief), S. 43. 30 Thomas Thorild, Om efterhärmning, ett fragment af den höga kritiken. Till upplysning för alla de läsare, som icke vilja bedragas, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 213–229: S. 215.

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Die Lehre vom Genie

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Es ist freilich befremdlich, und es kann auf den ersten Blick als eine geistesgeschichtliche Paradoxie wirken, daß wir Thorild hier in so großer Nähe zu Lessing finden. Denn beide gehören verschiedenen Generationen an, und in den dreißig Jahren, die sie voneinander trennen, hatten sich auf allen Kulturgebieten starke und entscheidende Umwälzungen vollzogen. Auch in ihren persönlichen und geistigen Anlagen sind Thorild und Lessing weit voneinander getrennt. Thorild besitzt weder die Bestimmtheit von Lessings Denken noch die Sicherheit seiner kritischen Analyse. Was ihnen gemeinsam ist, ist ihre Kampfeslust und ihr unerschrockener und unbeugsamer Kampfesmut. Aber die überlegene Klarheit des Denkens, die Lessing auch in schärfstem Streit nicht verläßt, und die unbedingte Treffsicherheit seines Urteils hat Thorild nicht besessen; er wirkt oft mehr als reiner Polemiker denn als Kritiker. Ebenso ist sein Naturgefühl und die Grundrichtung seines religiösen Gefühls, seine gesamte Lebenshaltung und Lebensstimmung, derjenigen Lessings fremd. Und auch in der Gesamtauffassung der Poesie ist der Unterschied zwischen beiden unverkennbar. Denn Lessing steht im wesentlichen noch auf dem Boden der Mimesistheorie, während Thorild sich, durch Herder angeregt, entschlossen zur Ausdruckstheorie bekennt.31 Das Ziel der Kunst liegt für Lessing noch immer in der »Nachahmung«, und der Maßstab für die Voll | kommenheit der Nachahmung liegt in ihrer Planmäßigkeit. »Mit Absicht handeln ist das, was den Menschen über geringere Geschöpfe erhebt; mit Absicht dichten, mit Absicht nachahmen, ist das, was das Genie von den kleinen Künstlern unterscheidet […] die nur nachahmen um nachzuahmen […]«32 Stellt man diese Auffassung der Lehre Thorilds gegenüber, daß das Pathos das Wesen aller echten Kunst ausmacht, so scheint zwischen beiden der schärfste Gegensatz zu bestehen. Daß trotz alledem zwischen beiden keine Gegnerschaft oder Feindschaft in einem Hauptpunkt, in der Lehre vom Genie, besteht: das hat, geistesgeschichtlich betrachtet, andere Gründe. Es beruht auf dem Verhältnis der verschiedenen Kräfte, die in Lessings eigenem Wesen zusammenwirken. In seinen allgemeinen philosophischen Überzeugungen, in seinen theologischen Kämpfen, ja auch in vielen Einzellehren seiner Poetik steht Lessing dem älteren Rationalismus noch ganz nahe. Aber seine Lehre vom Genie wächst über diesen Kreis hinaus. Hier ist er nirgends bloßer Vertreter eines Bestehenden, sondern er bahnt neuen Grundanschauungen den Weg. Ohne die Grundideen der Aufklärung zu bekämpfen oder umzustoßen, gibt er der Auf31 32

Vgl. oben (Kap. 3), S. 192 ff. Lessing, Hamburgische Dramaturgie (34. Stück), Bd. IX, S. 327.

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klärung selbst einen neuen Sinn und eine neue Tiefe. Kants berühmte Definition, daß Genie das Talent (Naturgabe) sei, welches der Kunst die Regel gibt, stützt sich auf Lessing und wäre ohne sein kritisches Werk kaum möglich gewesen. Hier also stand Lessing von früh an auf der Seite des Neuen gegen das Alte, so scharf er den Extremisten des Sturm und Drang widersprechen mußte. In Deutschland waren es gerade die eigentlich schöpferischen Geister, die diese wohltätige Wirkung von Lessings Kritik empfunden haben und die sich ihm aufs nächste verbunden und aufs tiefste verpflichtet fühlten. »Man muß Jüngling sein«, so sagt Goethe in der Schilderung seiner Jugendzeit in »Dichtung und Wahrheit«, »um sich zu vergegenwärtigen, welche Wirkung Lessings Laokoon auf uns ausübte, indem dieses Werk uns aus der Region eines kümmerlichen Anschauens in die freien Gefilde des Gedankens hinriß. […] Wie vor einem Blitz erleuchteten sich uns alle Folgen dieses herrlichen Gedankens, alle bisherige anleitende und urtheilende Kritik ward, wie ein abgetragener Rock, weggeworfen, wir hielten uns von allem Übel erlös’t […] Die Herrlichkeit solcher Hauptund Grundbegriffe erscheint nur dem Gemüth, auf welches sie ihre | unendliche Wirksamkeit ausüben, erscheint nur der Zeit, in welcher sie ersehnt, im rechten Augenblick hervortreten.«33 Auch Thorilds Jugend gehört dieser Zeit an. Er selbst hat diese zündende Kraft des Genies immer wieder gespürt und immer wieder verherrlicht. In solchen Wirkungen bestand für ihn das Reich des Geistes. »Einer, dem die begeisternde Kraft innewohnt, rührt unter Hunderten einen, dieser zehn, diese zehn wieder hundert und tausend. Eine geniale Kraft macht den Anfang. Durch sie wird unablässig alles erweckt und belebt. […] Ist es nicht ebenso in der Natur? Für wie viele besteht deren höchste Kraft, ihre Schönheit und ihr Leben? Und doch ist alles durch sie.«34 Auf der anderen Seite aber betont Thorild fort und fort, daß er der Regellosigkeit als solcher keineswegs das Wort reden wolle. »Ich hebe keine Regeln auf«, so erklärte er, »denn jede von ihnen ist in ihrem Grad vollkommen; wogegen ich mich auflehne, das ist nur das Despotische, der Zwang, das Vorurteil in ihnen. Erkennt der keine Regeln an, der an die Regeln des höchsten Wahren und Schönen, an die der Natur, der Leidenschaften und des Genies appelliert?«35 Goethe, Dichtung und Wahrheit (8. Buch), Bd. XXVII, S. 164 f. Utdrag af en dagbok, S. 333 [»Förste förtjusaren rörer en bland hundra, desse tio, desse hundra, desse tusen. En snillekraft är den första. Genom den oupphörligen väckas, lifvas alla. […] Är det ej likaså med naturen? Dess högsta kraft, lif, skönhet, för huru många är den? Och dock är genom den allt.«]. 35 Thomas Thorild, (20 Mars 1782.) Öfver anmärkningen til authorn af Passionerna, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 473–478: S. 473 33 34

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In dieser Hinsicht hat also Thorild, so nahe er seiner ganzen Lebensstimmung nach dem Sturm und Drang steht, die Folgerungen und Forderungen der radikalen Stürmer und Dränger niemals angenommen. Mit dem Sturm und Drang stimmt er in seinem Naturgefühl und seinem religiösen Gefühl überein; aber über die Freiheit des Genies dachte er kaum anders, als Lessing dachte. Die Freiheit, für die er stritt, verstand er nicht als Anarchie, sondern als Autonomie. Das Genie war ihm nicht schrankenlose und ungebändigte Kraft, noch sah er in ihm lediglich das Ungewöhnliche und »Extravagante«. Er nahm vielmehr schon in seinen Begriff die Bestimmung des »Verstandes« – und das hieß für ihn die Forderung der Harmonie – auf. »Ich möchte jeden Augenblick«, so schreibt Klinger einmal, »das Menschengeschlecht und alles, was wimmelt und lebt, dem Chaos zu fressen geben und mich nachstürzen […]«36 Solche Stimmungen und ein derartiges Lebensgefühl sind Thorild völlig | fremd. Er mußte sie fast als Wahnsinn oder Verbrechen ansehen, und er mußte sie als Denker scharf ablehnen, weil sie einer seiner Grundlehren, der Lehre von der »Gradation« widersprachen. Diese gebot ihm, nicht die Kraft als solche zu verehren, sondern das Maß jeder Kraft, das »Quantum des Quale« zu suchen. Im Ausdruck dieser Lehre konnte sich Thorild nicht genug tun, und es ist, als ob er hier mit Absicht immer die stärksten Worte wählte. »[…] wie nur in seinem Grad alles Wahr, Schön, Gut, mithin Recht ist, so wird alles ausser seinem Grad sogleich Falsch, Hässlich, Bös, mithin Unrecht. Folglich muss diese die höchste Regel der höchsten Weisheit seyn: alles in seinem Grad!« 37 Ohne Gradation und Grad kann es in Theorie und Praxis »nichts als Hexerey und Teufeley für Fantasie und Fanatism« geben.38 Thorild hatte in sich des Chaotischen genug. Aber er strebt nirgends vom Kosmos ins Chaos zurück; er wollte vielmehr umgekehrt aus chaotischen Mächten, aus Kraft und Leidenschaft, einen Kosmos gestalten und aufbauen. In seiner Schrift »True Heavenly Religion restored« konnte er daher den Begriff der Ordnung geradezu als den Zentralbegriff [bezeichnen], [»Jag uphäfver inga reglor: de äro alla i sin grad en fullkomlighet: men det uteslutande och despotiska, tvånget, fördomen i dem – är hvad jag bestrider. Ärkänner den inga, som appellerar til det högsta sanna och skönas? til Naturens? til Passionens och Snillets?«]. 36 August Sauer (Hrsg.), Stürmer und Dränger, Bd. I: Klinger und Leisewitz (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe, unter Mitw. v. Bernhard Arnold u. a. hrsg. v. Joseph Kürschner, Bd. 79), Berlin/Stuttgart o. J., S. V. 37 S. Allblick (§ 11), S. V. 38 A. a. O. (§ 46), S. XIII.

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auf den sich die wahre Religion und die wahre Philosophie zurückführen läßt.39 Blicken wir jetzt auf das Ganze unserer Betrachtungen zurück, so zeigt sich uns freilich, daß Thorild das Ziel, das ihm vor Augen stand, nicht erreicht hat. Ein strenger systematischer Denker ist er nicht gewesen, und er ist es auch in den Schriften der Greifswalder Zeit nicht geworden. Er vermochte keine durchgebildete, in sich geschlossene Lehre aufzubauen, und ebensowenig vermochte er seinen Grundbegriffen eine eindeutige, logisch bestimmte Gestalt zu geben. Aber es fehlt seiner Lehre nicht an innerer Folgerichtigkeit, die freilich mehr aus der Einheit seines Lebensgefühls als aus der eines logischen Prinzips stammt. In diesem Lebensgefühl, das sich nie verleugnet hat, wurzelt auch die Originalität, die wir Thorild zusprechen müssen. Tegnérs Urteil, daß er zwar viel Lebhaftigkeit und Scharfsinn besessen, daß es ihm aber an höherer Originalität gemangelt habe, wird ihm kaum gerecht. Die verschiedenen Anregungen, die er von Spinoza und Leibniz, von Shaftesbury und Rousseau, von Herder und Lessing empfangen hat, hat er nicht nur eklek | tisch miteinander verknüpft, sondern er hat sie selbständig und energisch durchdacht und ihnen das Gepräge seines eigenen Geistes aufgedrückt. »Imitera Homerus är icke att skrifva det, som Homerus har skrifvit, utan att skrifva så, som Homerus har skrifvit« – so hat Thorild mit Young gesagt.40 Diesem Grundsatz, den er als Prinzip aller »höheren Kritik« ansieht, ist Thorild auch in seinen philosophischen Lehren nicht untreu geworden. Er wird daher, wie mir scheint, nicht nur in der Geschichte der schwedischen Literatur, sondern auch in der Geschichte der Philosophie seinen Platz behaupten, und er wird vor allem als einer der Denker gelten müssen, in denen die große geistige Wendung, die sich zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts vollzieht, ihren charakteristischen und typischen Ausdruck gefunden hat.

39 40

True Heavenly Religion restored (Kap. 3), S. 363 ff. Om efterhärmning, S. 215.

EDITORISCHER BERICHT

Die Hamburger Ausgabe der Werke Ernst Cassirers (ECW) enthält alle von Cassirer zu Lebzeiten veröffentlichten oder für eine Veröffentlichung vorbereiteten Texte und Schriften in chronologischer Reihenfolge. Vom Prinzip der chronologischen Anordnung wird nur bei mehrbändigen Werken abgewichen, deren einzelne Bände grundsätzlich zu einer Bandgruppe zusammengefaßt werden. Textgrundlage für die Bearbeitung der in der Hamburger Ausgabe dargebotenen Schriften ist jeweils die letzte von Cassirer selbst durchgesehene oder autorisierte Auflage bzw. Version. Dem vorliegenden Band liegen die beiden Monographien »Axel Hägerström. Eine Studie zur schwedischen Philosophie der Gegenwart«, Göteborg 1939 (Göteborgs högskolas årsskrift, Bd. 45, 1939:1) sowie »Thorilds Stellung in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts«, Stockholm 1941 (Kungl. Vitterhets historie och antikvitets akademiens handlingar, Bd. 51:1) zugrunde. Neu hinzugefügt sind dem Band ein Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen sowie ein Schriften- und das Personenregister. Die am Ende der Hägerströmmonographie gegebene Aufstellung der abgekürzt zitierten Werke Hägerströms ist in das Schriftenregister aufgegangen. Orthographie und Interpunktion wurden nach den Regeln des Duden (Band 1, 20. Auflage 1991 und Band 9, 3. Auflage 1985) modernisiert. Erhalten geblieben ist die heute unübliche Vielzahl an Doppelpunkten. Die für Cassirers Schreibstil ebenfalls charakteristischen Doppelinterpunktionen », –«, »; –« und »: –« sind hingegen – nach jeweiliger Prüfung – durchgehend zugunsten des Gedankenstrichs aufgehoben. Gedankenstriche am Absatzende sind getilgt. Abkürzungen im fortlaufenden Text sind bis auf Standardabkürzungen wie »d. h.« oder »z. B.« aufgelöst; in den bibliographischen Angaben sind sie vereinheitlicht. Vornamen sind, auch wo Cassirer sie abkürzt, ausgeschrieben. Ferner sind die alten Kolumnentitel – auf jeder linken Seite »Ernst Cassirer«, auf jeder rechten der Titel der Monographie – durch die Kapitelüberschriften ergänzt. Zur Hägerströmmonographie existierte kein Inhaltsverzeichnis. Es wurde anhand der Kapitelüberschriften ergänzt. Im Kolumnentitel wird auf der Innenseite die Paginierung der Erstausgabe mitgeführt. Im fortlaufenden Text markieren Seitentrennstriche (» | «) den ursprünglichen Seitenumbruch.

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Editorischer Bericht

In den zugrundeliegenden Ausgaben finden sich eine Reihe von offenkundigen Druckfehlern, die im vorliegenden Band stillschweigend korrigiert sind. In Fällen, in denen ein Druckfehler nicht mit Sicherheit angenommen werden konnte, eine Korrektur jedoch geboten schien, ist der originale Wortlaut aus einer Bearbeiteranmerkung ersichtlich. Fehlende Wörter sind ergänzt und wie sämtliche Ergänzungen des Bearbeiters in eckige Klammern eingeschlossen. Alle Zitate sind anhand der von Cassirer angegebenen Ausgaben überprüft und gegebenenfalls korrigiert. Oftmals zitiert Cassirer frei oder auf der Basis von Exzerpten und nach Zitatkonventionen, die den heutigen nicht mehr genügen, so daß eine Vielzahl von Korrekturen nötig war. Da sich jedoch aus diesen Korrekturen keine Sinnveränderung ergibt, konnten sie stillschweigend vorgenommen werden. Originale Hervorhebungen im zitierten Text sind durch Kursivierungen kenntlich gemacht, während Hervorhebungen Cassirers durchgängig gesperrt wiedergegeben sind. Bearbeiterrede ist kursiv gesetzt und in eckige Klammern eingeschlossen. Vom Bearbeiter hinzugefügte Fußnoten stehen ebenfalls in eckigen Klammern. Sofern Cassirer fremdsprachige Literatur in eigener Übersetzung zitiert, ist dem bibliographischen Nachweis der Quelle in eckigen Klammern der originale Wortlaut beigegeben. Auslassungen Cassirers in Zitaten bzw. – wenn Cassirer in Übersetzung zitiert – die entsprechend ausgelassenen Stellen in den beigegebenen Quellentexten werden mit »[...]« wiedergegeben. Einfügungen und Wortveränderungen Cassirers stehen ebenfalls in eckigen Klammern. Alle bibliographischen Angaben sind durchgängig überprüft, vereinheitlicht und gegebenenfalls richtiggestellt oder vervollständigt. Geht aus Cassirers Angaben nicht hervor, welche Ausgabe er zur Zitation benutzt hat, z. B., weil er nur Kapitel und Paragraph eines Werkes angibt, oder fehlen die bibliographischen Angaben ganz, wurde zunächst anhand genauerer Angaben in anderen seiner Werke oder anhand des Zitatwortlauts zu ermitteln versucht, welche Ausgabe Cassirer wahrscheinlich benutzt hat. Wo dieser Weg nicht zu einer bestimmten Ausgabe als wahrscheinlicher Quelle führt, ist die Erstausgabe oder eine zu Cassirers Zeit gängige Ausgabe als Zitatquelle zugrunde gelegt. Entstammt der zitierte Text einer Werkausgabe oder einer Sammlung, sind die Anfangs- und die Endseitenzahl ergänzt. Bei Nachweisen aus dem Werk Kants ist vom Bearbeiter zusätzlich die Paginierung der heute maßgeblichen Akademieausgabe bzw. bei der »Kritik der reinen Vernunft« die Paginierung der Erst- und Zweitauflage in eckigen Klammern ergänzt. Goethezitate sind nach der Weimarer Ausgabe nachgewiesen und geprüft.

Editorischer Bericht

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Für die Unterstützung bei der Bearbeitung des Bandes – Literaturbeschaffung, Hinweise zu Zitaten etc. – habe ich einer Reihe von Personen zu danken: Christian Baldus (Heidelberg), Kristina Nilsson (Lund), Annette Gerlach (Gotha), Andreas Önnerfors (Lund), Christoph Paulus (Berlin), Burkhard Reis (Hamburg), Silke Renner (Köln), Christine Love-Rodgers (Edinburgh), Hans Jörg Sandkühler (Bremen), Martin Schermaier (Münster) und Euree Song (Hamburg). Besondere Erwähnung verdienen Christina Svensson (Hamburg) für ihre Hilfe bei den originalsprachlichen Zitaten sowie Svante Nordin (Lund) für seine Unterstützung bei der Beschaffung einer Thorildausgabe. Dank gebührt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliothek des Philosophischen Seminars der Universität Hamburg, Jan Wiebers, Sandra Ramm, Christine Hentschel, Dirk Matthes, Bastian Hillengaß, Annika Hillmann, Miriam Schaper und Martin Winter, der Bibliothek des Romanistischen Seminars, der Bibliothek des Psychologischen Seminars, der Bibliothek des Seminars für Römisches Recht (alle Universität Hamburg), der Juristischen Seminarbibliothek der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, den Staats-, Stadt- und Universitätsbibliotheken in Berlin, Bremen, Erfurt, Göttingen, Gotha, Greifswald, Halle, Jena, Kiel, Köln, Oldenburg, Osnabrück, Rostock, Saarbrücken, Schwerin, Trier, Weimar, der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, der Goethe-Arbeitsstelle, Hamburg, dem Institut et Musée Voltaire, Genf, der British Library, der Universitätsbibliothek von Edinburgh sowie der Kungl. Biblioteket, Stockholm. Ohne die Hilfe der genannten Personen und Institutionen wäre die Überprüfung der Literatur und der Zitate nicht möglich gewesen. Claus Rosenkranz

ABKÜRZUNGEN

a. a. O. Abschn. Abt. Anm. Aph. Art. Aufl. Bd., Bde., Bdn. bearb. bes. bzw. d. h. d. i. Def. ders. Diss. durchges. ebd. eingel. erw. etc. f., ff. H. Hrsg. hrsg. insges. Jahrg. Kap. korr. Mitw. N. F. N. S. Nr. o. J. o. O. pag. s. S. sep. u. u. a.

am angegebenen Ort Abschnitt Abteilung/en Anmerkung Aphorismus Artikel Auflage Band, Bände, Bänden bearbeitet besonders/besorgt beziehungsweise das heißt das ist Definition derselbe Dissertation durchgesehen ebenda eingeleitet erweitert et cetera folgende, fortfolgende Heft Herausgeber herausgegeben insgesamt Jahrgang Kapitel korrigiert Mitwirkung Neue Folge New Series Nummer ohne Jahr ohne Ort paginiert siehe Seite/n, am Satzanfang auch siehe separat und und andere

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u. ö. übers. umgearb. usf. v. V. verb. Verb. verm. vgl. vollst. Z. z. B. zit.

Abkürzungen

und öfter übersetzt umgearbeitet und so fort vom/von Vers verbessert Verbindung vermehrt vergleiche vollständig Zeile zum Beispiel zitiert

SCHRIFTENREGISTER

Das Schriftenregister umfaßt alle von Cassirer im vorliegenden Band zitierten oder erwähnten Werke. In Fällen, in denen Cassirer nur den Titel nennt, aber keine Ausgabe angibt, wurden die bibliographischen Angaben der Erstausgabe bzw. einer zu seiner Zeit gängigen Ausgabe oder, wenn sich die Schrift in einer Werkausgabe findet, die Cassirer bei anderen Schriften benutzt, die Angaben dieser Ausgabe in eckigen Klammern ergänzt. Addison, Joseph: The Spectator, [Nr. 160, Monday, September 3, 1711, in: The Spectator; with Notes and a General Index. The Eight Volumes comprised in One, London 1811, S. 188 f.]. 223 Arnauld, Antoine: Des vraies et des fausses idées. [Contre ce qu’enseigne l’auteur de La recherche de la vérité, Köln 1683]. 24 Aristoteles: Poetik [= De poetica, in: Opera, durchges. v. Immanuel Bekker, hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. II, Berlin 1831, S. 1447–1462]. 231 Arvidson, Stellan: Thorild. Studier i hans ungdomsutveckling, Diss., Lund 1931. 125, 132 f., 139 f., 161, 178, 181, 189, 196, 230 Bacon, Francis: Novum Organum, in: Works, hrsg. v. James Spedding, Robert Leslie Ellis u. Douglas Denon Heath, Bd. I, London 1858, S. 70–365. 224 Bastian, Adolf: Die Welt in ihren Spiegelungen unter dem Wandel des Völkergedankens. Prolegomena zu einer Gedankenstatistik, Berlin 1887. 66 Batteux, Charles: Les beaux arts réduits à un même principe, [Paris 1747]. 231 Bayle, Pierre: Dictionnaire historique et critique. [Avec la vie de l’auteur, 4 Bde., 5., durchges., korr. u. erw. Aufl., Amsterdam 1740]. 128 Bonnet, Charles de: Recherches [philosophiques] sur le[s preuves du] Christianisme, [neue Aufl., Genf 1770]. 178 Bray, René: La formation de la doctrine classique en France, Paris 1927. 222 Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. [Empirisch-naturphilosophische Studien. In allgemein-verständlicher Darstellung, Frankfurt a. M. 1855]. 26 Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, Jena 1934. 114

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Campanella, Tommaso: [Universalis philosophiae seu metaphysicarum rerum, iuxta propria dogmata, partes tres, libri 18, Paris 1638.] 84 Carnap, Rudolf: Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit, Berlin 1928. 11 Cassirer, Ernst: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. I, Berlin 1906. 84 – Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. I, Text u. Anm. bearb. v. Tobias Berben, Hamburg 1999 [ECW 2]. 84 – Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. II, Berlin 31922. 155 – Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. II, Text u. Anm. bearb. v. Dagmar Vogel, Hamburg 1999 [ECW 3]. 155 – Descartes. Lehre, Persönlichkeit, Wirkung, Stockholm 1939. 222 – Descartes. Lehre, Persönlichkeit, Wirkung, Text u. Anm. bearb. v. Tobias Berben, Hamburg 2005 [ECW 20]. 222 – Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Historische und systematische Studien zum Kausalproblem, Stockholm 1937 (Göteborgs högskolas årsskrift, Bd. 42:3). 26, 74 – Determinismus und Indeterminismus in der modernen Physik. Historische und systematische Studien zum Kausalproblem, Text u. Anm. bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg 2004 [ECW 19]. 26, 74 – Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 21932. (Grundriß der philosophischen Wissenschaften). 164, 182 – Die Philosophie der Aufklärung, Text u. Anm. bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg 2003 [ECW 15]. 164, 182 – Die Platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge, Leipzig/Berlin 1932 (Studien der Bibliothek Warburg, Bd. 24). 169, 209 – Die Platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge, Text u. Anm. bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg 2002 [ECW 14, S. 221–380]. 169, 209 – Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik und Denkpsychologie, in: Jahrbücher der Philosophie. Eine kritische Übersicht der Philosophie der Gegenwart (3. Jahrgang), hrsg. in Gemeinschaft mit zahlreichen Fachgenossen v. Willy Moog, Berlin 1927, S. 31–92. 38 – Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik und Denkpsychologie, in: Aufsätze und kleine Schriften (1927–1931), Text u. Anm. bearb. v. Tobias Berben, Hamburg 2004 [ECW 17, S. 13–81]. 38 – Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte, Berlin 21918. 152 – Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte, Text u. Anm. bearb. v. Reinold Schmücker, Hamburg 2001 [ECW 7]. 152

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– Hermann Cohen und die Erneuerung der Kantischen Philosophie, in: Kant-Studien 17 (1912), S. 252–273. 27 – Hermann Cohen und die Erneuerung der Kantischen Philosophie, in: Aufsätze und kleine Schriften (1902–1921), Text u. Anm. bearb. v. Marcel Simon, Hamburg 2001 [ECW 9, S. 119–138]. 27 – Inhalt und Umfang des Begriffs, in: Theoria 2 (1936), S. 207–232. 47 – Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, Marburg 1902. 143, 200 – Leibniz’ System in seinen wissenschaftlichen Grundlagen, Text u. Anm. bearb. v. Marcel Simon, Hamburg 1998 [ECW 1]. 143, 200 – Le langage et la construction du monde des objets, in: Journal de Psychologie normale et pathologique 30 (1933), S. 18–44. 73, 115 – Le langage et la construction du monde des objets, in: Aufsätze und kleine Schriften (1932–1935), Text u. Anm. bearb. v. Ralf Becker, Hamburg 2004 [ECW 18, S. 265–290]. 73, 115 – Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache, Berlin 1923. 7, 82, 111–113 – Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache, Text u. Anm. bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg 2001 [ECW 11]. 7, 82, 111–113 – Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken, Berlin 1925. 7, 81 f., 93, 111 f. – Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken, Text u. Anm. bearb. v. Claus Rosenkranz, Hamburg 2002 [ECW 12]. 7, 81 f., 93, 111 f. – Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis, Berlin 1929. 7, 47, 82, 111 f. – Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil: Phänomenologie der Erkenntnis, Text u. Anm. bearb. v. Julia Clemens, Hamburg 2002 [ECW 13]. 7, 47, 82, 111 f. – Schiller und Shaftesbury, in: Publications of the English Goethe Society N. S. 11 (1935), S. 37–59. 153 – Schiller und Shaftesbury, in: Aufsätze und kleine Schriften (1932–1935), Text u. Anm. bearb. v. Ralf Becker, Hamburg 2004 [ECW 18, S. 333–352]. 153 – Sprache und Mythos. Ein Beitrag zum Problem der Götternamen, Leipzig/Berlin 1925 (Studien der Bibliothek Warburg, Bd. 6). 82, 85, 90 – Sprache und Mythos. Ein Beitrag zum Problem der Götternamen, Text u. Anm. bearb. v. Julia Clemens, Hamburg 2003 [ECW 16, S. 227–311]. 82, 85, 90 – Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Berlin 1910. 35, 46 f. – Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Text u. Anm. bearb. v. Reinold Schmücker, Hamburg 2000 [ECW 6]. 35, 46 f. – Zur Logik des Symbolbegriffs, in: Theoria 4 (1938), S. 145–175. 47

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Cederblad, Sven: Från Thorilds ungdom. Kring några nyfunna thorildiana, in: Samlaren 13 (1932), S. 124–189. 204 Condillac, Etienne Bonnot de: La langue des calculs (Œuvres, Bd. XXIII), Paris 1798. 165 Couturat, Louis: La logique de Leibniz d’après des documents inédits, Paris 1901. 175 Cudworth, Ralph: The True Intellectual System of the Universe: [The First Part; wherein all the Reason and Philosophy of Atheism is confuted; and its Impossibility demonstrated, London 1678]. 169 Dernburg, Heinrich: Pandekten, Bd. I: Allgemeiner Theil und Sachenrecht, 3., verb. Aufl., Berlin 1892. 95 Descartes, René: [Cogitationes privatae, in: Œuvres inédites, hrsg. v. Louis Alexandre Foucher de Careil, Paris 1859, S. 1–57.] 222 – Meditationen [= Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia, et animae humanae a corpore distinctio, demonstrantur. His adjunctae sunt variae objectiones doctorum virorum in istas de Deo et anima demonstrationes; cum responsionibus auctoris, in: Œuvres, hrsg. v. Charles Adam u. Paul Tannery, Bd. VII, Paris 1904, S. 1–561]. 15 – [Méditations métaphysiques, in: Œuvres, hrsg. v. Charles Adam u. Paul Tannery, Bd. IX, Paris 1904, S. 1–72.] 216 – Regulae ad directionem ingenii, [in: Œuvres, hrsg. v. Charles Adam u. Paul Tannery, Bd. X, Paris 1908, S. 349–488]. 222 Diderot, Denis: Briefe über die Blinden und Taubstummen [= Lettre sur les sourds et muets, à l’usage de ceux qui entendent et qui parlent, adressée a M***, in: Œuvres complètes, hrsg. v. Jean Assézat, Bd. I, Paris 1875, S. 343–428]. 182 – Von der dramatischen Dichtkunst [= De la poésie dramatique. A mon ami Monsieur Grimm, in: Œuvres complètes, hrsg. v. Jean Assézat, Bd. VII, Paris 1875, S. 299–394]. 228 Dilthey, Wilhelm: Aus der Zeit der Spinozastudien Goethes, in: Gesammelte Schriften, Bd. II: Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation. Abhandlungen zur Geschichte der Philosophie und Religion, Leipzig/Berlin 1914, S. 391–415. 144 – [Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte, Bd. I, Leipzig 1883.] 110 Dryden, John: Of Dramatick Poesie, an Essay, London 1693. 223 f. Encyclopédie, [ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de lettres, hrsg. v. Denis Diderot u. Jean le Rond d’Alembert, 36 Bde., Lausanne/Bern 1780–1782]. 209 Fridholm, Roland: Thorild och antiken, Diss., Göteborg 1940. 121 Fustel de Coulanges, Numa-Denis: La cité antique. [Étude sur le culte, le droit, les institutions de la Grèce et de Rome, Paris 41872]. 66

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Geijer, Erik Gustav: Thorild. Tillika en filosofisk eller ofilosofisk bekännelse, in: Samlade skrifter, hrsg. v. John Landquist, Bd. III, Stockholm 1925, S. 34–152. 119, 125, 127 – [Thorild. Tillika en filosofisk eller ofilosofisk bekännelse, in: Samlade skrifter, Bd. V, Stockholm 1852, S. 223–362, zit. v. Ljunggren, Svenska vitterhetens häfder.] 206 Goethe, Johann Wolfgang von: Werke, hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 4 Abt., insges. 133 Bde. in 143 Bdn., Weimar 1887–1919. 60, 131 – Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 9. Juni 1785, in: Werke, 4. Abt., Bd. VII, S. 62–64. 136 – Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 6. Januar 1813, in: Werke, 4. Abt., Bd. XXIII, S. 226–228. 141 – Dichtung und Wahrheit (Werke, 1. Abt., Bde. XXVI–XXIX). 131, 135, 140, 197, 209, 234 – Die Leiden des jungen Werther, [in: Werke, 1. Abt., Bd. XIX, S. 1–191]. 205 – Faust. Eine Tragödie. Erster Theil (Werke, 1. Abt., Bd. XIV). 71, 94, 142, 192 f., 199, 205 – [Faust. Eine Tragödie. Zweiter Theil (Werke, 1. Abt., Bd. XV).] 60 – Maximen und Reflexionen. Nach den Handschriften des Goethe- und Schiller-Archivs, hrsg. v. Max Hecker (Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. XXI), Weimar 1907. 104, 142 – [Versuch über die Dichtungen, in: Werke, 1. Abt., Bd. XL, S. 204–241.] 207 Hägerström, Axel: Är gällande rätt uttryck av vilja?, in: Festskrift tillägnad Vitalis Norström på 60-årsdagen den 29 Januari 1916, Göteborg 1916, S. 171–210. 59, 103 – Art. »Hägerström«, in: Filosofiskt lexikon, unter Mitw. v. Bertil Hammar u. a. bearb. v. Alf Ahlberg, Stockholm 21931, S. 85–88. 41 – Axel Hägerström, in: Raymund Schmidt (Hrsg.), Die Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. VII, Leipzig 1929 [sep. pag.]. 6, 9, 11, 14, 17, 23, 30, 37–39, 49–51, 53, 58 f., 69, 107 – Botanisten och filosofen. Om kunskapsfilosofiens nödvändighet, Stockholm 1910. 14, 43 f., 47 f., 97, 106, 108 – Das Prinzip der Wissenschaft. Eine logisch-erkenntnistheoretische Untersuchung, Bd. I: Die Realität, Uppsala 1908 (Skrifter utgifna af K. Humanistika Vetenskaps-Samfundet i Uppsala, Bd. 12:3). 6, 12–14, 19, 22, 30, 37, 40 f., 43, 47, 49, 51 f., 56, 69, 72 – Der römische Obligationsbegriff im Lichte der allgemeinen römischen Rechtsanschauung, Bd. I, Uppsala/Leipzig 1927 (Skrifter, utgivna av K. Humanistika Vetenskaps-Samfundet i Uppsala, Bd. 23). 83, 86, 108 – Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, in: Litteris 5 (1928), S. 20–40 u. 81–99. 102

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– Kants Ethik im Verhältnis zu seinen erkenntnistheoretischen Grundgedanken systematisch dargestellt, Uppsala/Leipzig 1902. 28, 31 f. – Kritiska punkter i värdepsykologien, in: Festskrift tillägnad E. O. Burman på hans 65-årsdag den 7 Oktober 1910, Uppsala 1910, S. 16–75. 55 – Om moraliska föreställningars sanning, Stockholm 1911. 54 f., 58, 64, 76 f. – Om sociala vidskepelser, in: Tiden. Månadsskrift för socialistisk kritik och politik 5 (1913), S. 321–332. 80 – Social teleologi i marxismen, Uppsala 1909 (Uppsala universitets årsskrift 1909). 70 – Stat och rätt. En rättsfilosofisk undersökning I, Uppsala 1904. 29, 55, 59 – Till frågan om den objektiva rättens begrepp. I. Viljeteorien, Uppsala/Leipzig 1917 (Skrifter utgifna af K. humanistiska vetenskaps-samfundet i Uppsala, Bd. 19:2). 22, 55, 59, 92, 103 f. – Vergleich zwischen den Kraftvorstellungen der Primitiven und der modernen Naturvölker. Zugleich ein Beitrag zur Psychologie der Magie, in: Festskrift tillägnad professor emeritus Arvi Grotenfelt på hans 70-årsdag 10. 4. 1933, Porvoo 1933 (Ajatus. Filosofisen yhdistyksen vuosikirja, Bd. 6), S. 63–84. 84, 96, 103 Hamann, Johann Georg: Aesthetica in nuce. Eine Rhapsodie in Kabbalistischer Prose, in: Schriften, hrsg. v. Friedrich Roth, Bd. II, Berlin 1821, S. 255–308. 193, 203 – Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 14. November 1784, in: Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften, hrsg. v. Carl Hermann Gildemeister, Bd. V: Johann Georg Hamann’s Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Jacobi, Gotha 1868, S. 13–19. 202 Harnack, Otto: Goethe in der Epoche seiner Vollendung 1805–1832. Versuch einer Darstellung seiner Denkweise und Weltbetrachtung, 2., umgearb. Aufl., Leipzig 1901. 153 Hartmann, Eduard von: System des transzendentalen Realismus. [Kritische Grundlegung des Transcendentalen Realismus = 2, erw. Aufl. von »Das Ding an sich und seine Beschaffenheit«, Berlin 1875]. 22 Hartmann, Nicolai: Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin/Leipzig 1921. 38 Haym, Rudolf: Herder nach seinem Leben und seinen Werken dargestellt, 2 Bde., Berlin 1880 u. 1885. 144, 184, 188, 198 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes, [hrsg. v. Johann Schulze (Werke. Vollständige Ausgabe duch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. II), Berlin 1832]. 15 – Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, hrsg. v. Karl Ludwig Michelet, Bd. III (Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. XV), Berlin 1836. 137 Herbart, Johann Friedrich: [Allgemeine Metaphysik, nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre. Zweiter, systematischer Theil, in:

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Sämmtliche Werke, hrsg. v. Gustav Hartenstein, Bd. IV, Teil 2, Hamburg/Leipzig 21886, S. 1–519.] 46 Herder, Johann Gottfried: Sämmtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan, 33 Bde., Berlin 1877–1913. 133 – Abhandlung über den Ursprung der Sprache, welche den von der Königl. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1770 gesezten Preis erhalten hat, in: Sämmtliche Werke, Bd. V, S. 1–154. 173 – Brief an Johann Georg Hamann vom 24. August 1776, in: Briefe an Joh. Georg Hamann, hrsg. v. Otto Hoffmann, Berlin 1889, S. 116–121. 189 – Erläuterungen zum Neuen Testament aus einer neueröfneten Morgenländischen Quelle, in: Sämmtliche Werke, Bd. VII, S. 335–470. 188 – Fragmente einer Abhandlung über die Ode, in: Sämmtliche Werke, Bd. XXXII, S. 61–85. 193 – Gott. Einige Gespräche, in: Sämmtliche Werke, Bd. XVI, S. 401–580. 144, 188 – Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Erster und zweiter Teil (Sämmtliche Werke, Bd. XIII). 177 f. – Kalligone. Vom Angenehmen und Schönen. Erster Theil, in: Sämmtliche Werke, Bd. XXII, S. 1–122. 194 – Kritische Wälder. Oder Betrachtungen über die Wissenschaft und Kunst des Schönen. Viertes Wäldchen über Riedels Theorie der schönen Künste, in: Sämmtliche Werke, Bd. IV, S. 1–198. 186, 194 – Maximum s. Archimetria. Berlin 1799, in: Sämmtliche Werke, Bd. XX, S. 367–371 u. 409. 171 – Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Eine Sammlung von Fragmenten, in: Sämmtliche Werke, Bd. I, S. 131–531. 201 – Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, in: Sämmtliche Werke, Bd. XXI, S. 1–190. 173 – Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. Bemerkungen und Träume, in: Sämmtliche Werke, Bd. VIII, S. 165–333. 132 f., 171–173, 176, 178, 180, 182–186, 190, 194, 199, 212 Hertz, Heinrich: Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt (Gesammelte Werke, hrsg. v. Philipp Lenard, Bd. III), Leipzig 1894. 15 Hesiod: [Opera et dies, in: Carmina, bearb. v. Alois Rzach, Leipzig 21908, S. 51–95.] 94 Hobbes, Thomas: [Leviathan, sive de materia, forma, et potestate, civitatis ecclesiasticae et civilis, in: Opera philosophica, quae latine scripsit, omnia. Ante quidem per partes, nunc autem, post cognitas omnium objectiones, conjunctim et accuratius edita, Bd. I, Amsterdam 1668, S. 83–172.] 57 Hoffmann, Ernst: Die Sprache und die archaische Logik, Tübingen 1925 (Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, Bd. 3). 91 d’Holbach, Paul Henri Thiry: Système de la nature, [ou des loix du

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monde physique et du monde moral, 2 Bde., neue Aufl., London 1775]. 126, 139 f. Hölderlin, Friedrich: [Sokrates und Alkibiades, in: Gedichte (Hölderlins Werke in vier Teilen, hrsg. v. Marie Joachimi-Dege, Teil 1), Berlin u. a. o. J. (1908), S. 116.] 219 Hume, David: An Enquiry concerning Human Understanding, in: Essays. Moral, Political, and Literary, hrsg. v. Thomas Hill Green u. Thomas Hodge Grose, neue Aufl., Bd. II, London/New York/Bombay 1898, S. 1–135. 107 – [A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects, hrsg. v. Lewis Amherst Selby-Bigge, Oxford 1896.] 177 Husserl, Edmund: Logische Untersuchungen, [2 Bde., Halle a. d. S. 1900 f.]. 22 Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke, 6 Bde., Leipzig 1812–1825. 128 – Allwills Briefsammlung (Werke, Bd. I). 207 – Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn (Werke, Bd. IV). 128 James, William: The Principles of Psychology, Bd. II, London 1901. 103 Kant, Immanuel: Werke, in Gemeinschaft mit Hermann Cohen u. a. hrsg. v. Ernst Cassirer, 11 Bde., Berlin 1912–1921. 6, 152 – Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Werke, Bd. IV, hrsg. v. Artur Buchenau u. Ernst Cassirer, S. 167–176. 207 f. – Brief an Marcus Herz vom 15. Oktober 1790, in: Sämtliche Werke, Bd. X, hrsg. v. Ernst Cassirer, S. 55 f. 6 – Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: Werke, Bd. IV, hrsg. v. Artur Buchenau u. Ernst Cassirer, S. 149–166. 75 – Kritik der praktischen Vernunft, hrsg. v. Benzion Kellermann, in: Werke, Bd. V, hrsg. v. Otto Buek, S. 1–176. 70, 163 – Kritik der reinen Vernunft, hrsg. v. Albert Görland (Werke, Bd. III). 12, 19 f., 25 f., 31–34, 39, 44, 46, 49, 60 f., 76, 93, 124, 152, 162, 186, 213 – [Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. Otto Buek, in: Werke, Bd. V, hrsg. v. Otto Buek, S. 233–568.] 62, 214 – Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, in: Werke, Bd. IV, hrsg. v. Artur Buchenau u. Ernst Cassirer, S. 1–139. 8, 18, 24, 60 – Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Werke, Bd. VI, hrsg. v. Artur Buchenau, Ernst Cassirer u. Benzion Kellermann, S. 355–398. 101 Karitz, Anders: Tankelinjer hos Thorild. Ungdomsårens filosofi, Diss., Lund/Leipzig 1913 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt.1, Bd. 9, Nr. 5). 121, 143, 153, 174, 190 – Thorild och hans filosofi, in: Till Thorilds minne, S. 69–107. 121

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Kellgren, Johan Henrik: Den nya skapelsen, [eller inbildningens verld, in: Samlade skrifter, Bd. II, hrsg. v. Sverker Ek u. Allan Sjöding, Stockholm 1939, S. 303–307]. 218 Krantz, Émile: Essai sur l’esthétique de Descartes, Paris 1882. 222 Lamm, Martin: Upplysningstidens romantik. Den mystiskt sentimentala strömningen i svensk litteratur, 2 Bde., Stockholm 1918 u. 1920. 120, 132, 136, 141, 145, 148, 161, 185, 187, 198, 203 f., 215 Lange, Friedrich Albert: Geschichte des Materialismus [und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, Iserlohn 1866]. 28 Lange, Konrad: Das Wesen der Kunst. Grundzüge einer realistischen Kunstlehre, 2 Bde., Berlin 1901. 112 Lanson, Gustave: L’influence de la philosophie cartésienne sur la littérature française, in: Revue de métaphysique et de morale 4 (1896), S. 517–550. 222 Lavater, Johann Kaspar: Physiognomische Fragmente, [zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe, 4 Bde., Leipzig/Winterthur 1775–1778]. 197 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, 7 Bde., Berlin 1875–1890. 149 – Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie, übers. v. Artur Buchenau, durchges. u. mit Einl. u. Erl. hrsg. v. Ernst Cassirer, Bd. II, Leipzig 1906 (Philosophische Bibliothek, Bd. 108). 146 – [5. Schreiben an Samuel Clarke, in: Philosophische Schriften, Bd. VII, S. 389–420.] 155 – Brief an Pierre Varignon, in: Hauptschriften, Bd. II, S. 556–559. 200 – Brief an Burcher de Volder vom 24. März/3. April 1699, in: Hauptschriften, Bd. II, S. 287–294. 226 – Brief an Burcher de Volder vom 21. Januar 1704, in: Philosophische Schriften, Bd. II, S. 261–265. 226 – Brief an Burcher de Volder vom 21. Januar 1704, in: Hauptschriften, Bd. II, S. 334–341. 226 – Brief Nr. 14 an Christian Wolff, in: Briefwechsel zwischen Leibniz und Christian Wolf. Aus den Handschriften der Koeniglichen Bibliothek zu Hannover, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Halle 1860, S. 56–58. 102 – Die »Monadologie«, in: Hauptschriften, Bd. II, S. 435–456. 226 – Erwiderung auf die Betrachtungen über das System der prästabilierten Harmonie in der zweiten Auflage des Bayleschen »Dictionnaire historique et critique« (Artikel: Rorarius), in: Hauptschriften, Bd. II, S. 382–405. 175 – Metaphysische Abhandlung, in: Hauptschriften, Bd. II, S. 135–188. 146 – [Scientia generalis. Characteristica, in: Philosophische Schriften, Bd. VII, S. 1–247.] 150 – Specimen dynamicum pro admirandis naturae legibus circa corporum

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vires et mutuas actiones detegendis et ad suas causas revocandis. Pars I, in: Mathematische Schriften, hrsg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Bd. VI, Halle 1860, S. 234–246. 143 – [Specimen inventorum de admirandis naturae generalis arcanis, in: Philosophische Schriften, Bd. VII, S. 309–318.] 149 – Von der Weisheit, in: Deutsche Schriften, hrsg. v. Gottschalk Eduard Guhrauer, Bd. I, Berlin 1838, S. 420–426. 149 – Von der Weisheit, in: Hauptschriften, Bd. II, S. 491–496. 149 Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent, in: Julius von Tarent und die dramatischen Fragmente, Stuttgart 1889 (Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahhunderts, in Neudrucken hrsg. v. Bernhard Seuffert, Bd. 32), S. 1–127. 130 Le Roy, Georges: La psychologie de Condillac, Paris 1937. 165 Lessing, Gotthold Ephraim: Sämtliche Schriften, hrsg. v. Karl Lachmann, 3., aufs neue durchges. u. verm. Aufl., besorgt durch Franz Muncker, 23 Bde., Bde. I–XI: Stuttgart 1886–1895, Bde. XII–XXI: Leipzig 1897–1907, Bde. XXII–XXIII: Berlin/Leipzig 1915 u. 1924. 64, 224 – An den Herrn Marpurg, über die Regeln der Wissenschaften zum Vergnügen; besonders der Poesie und Tonkunst, in: Sämtliche Schriften, Bd. I, S. 248–255. 226 – Briefe, die neueste Litteratur betreffend, in: Sämtliche Schriften, Bd. VIII, S. 1–285. 228 f., 232 – [Das Christenthum der Vernunft, in: Sämtliche Schriften, Bd. XIV, S. 175–178.] 64 – Das Neueste aus dem Reiche des Witzes, als eine Beylage zu den Berlinischen Staats- und Gelehrten Zeitungen. 1751, in: Sämtliche Schriften, Bd. IV, S. 385–475. 232 – Das Theater des Herrn Diderot. Aus dem Französischen. Erster Theil, in: Sämtliche Schriften, Bd. VIII, S. 286 f. 228 – Das Theater des Herrn Diderot. Aus dem Französischen übersetzt. Zweyte, verbesserte Ausgabe, in: Sämtliche Schriften, Bd. VIII, S. 287–289. 228 – Hamburgische Dramaturgie, in: Sämtliche Schriften, Bd. IX, S. 179–406 u. Bd. X, S. 1–221. 227, 229, 231, 233 – [Laokoon: oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie. Mit beyläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte. Erster Theil, in: Sämtliche Schriften, Bd. IX, S. 1–177.] 112, 234 – Theatralische Bibliothek, in: Sämtliche Schriften, Bd. VI, S. 1–391. 224 Lévy-Bruhl, Lucien: Das Denken der Naturvölker, übers., hrsg. u. eingel. v. Wilhelm Jerusalem, Wien/Leipzig 1921. 89 – Les fonctions mentales dans les sociétés inférieures, Paris 1910 (Travaux de l’année sociologique). 89 Ljunggren, Gustaf: Svenska vitterhetens häfder efter Gustaf III:s död, Bd. I: Kellgren. Leopold. Thorild, Till och med 1792, Lund 1873. 121, 127, 135, 206

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Marc-Wogau, Konrad: Bemerkungen zu der Besprechung Ernst Cassirers in Theoria, Jahrg. II, H. 2, S. 207 ff., in: Theoria 2 (1936), S. 335–342. 47 – Der Symbolbegriff in der Philosophie Ernst Cassirers, in: Theoria 2 (1936), S. 279–332. 47 Metzger, Hélène: Attraction universelle et religion naturelle chez quelques commentateurs anglais de Newton, 3 Bde., Paris 1938 (Actualités scientifiques et industrielles, Bde. 621–623/Philosophie et histoire de la pensée scientifique, Bde. 4–6). 140 Mommsen, Theodor: [Zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker, Leipzig 1905.] 98 de Montesquieu, Charles de Secondat: Lettres persanes, [in: Œuvres, Bd. IV, neue Aufl., Paris 1788, S. 5–414]. 65 Nilsson, Albert: Thomas Thorild. En studie över hans livsåskådning, Stockholm 1915. 121, 132, 143, 153, 174, 206, 215 – Thorild ännu en gång, in: Edda 15 (1921), S. 1–43 u. 212–238. 123, 142, 190, 216 Norden, Eduard: Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Leipzig/Berlin 1913. 86 Nyblaeus, Axel: Den filosofiska forskningen i Sverige. Från slutet af adertonde århundradet, framstäld i sitt sammanhang med filosofiens allmänna utveckling, Bd. I, Lund 1873. 120, 187 Oldenberg, Hermann: Die Religion des Veda, Stuttgart/Berlin 21917. 94 Osthoff, Hermann: [Das verbum in der nominalcomposition im deutschen, griechischen, slavischen und romanischen, Jena 1878.] 114 Otto, Walter Friedrich: Die Manen oder Von den Urformen des Totenglaubens. Eine Untersuchung zur Religion der Griechen, Römer und Semiten und zum Volksglauben überhaupt, Berlin 1923. 66 Pascal, Blaise: Fragment d’un traité du vide, [in: Pensées. Publiées dans leur texte authentique avec un commentaire suivi, hrsg. v. Ernest Havet, Paris 1897, S. 585–597]. 224 Petzäll, Åke: Logistischer Positivismus, Göteborg 1931 (Göteborgs högskolas årsskrift 37, 1931:3). 11 Phalén, Adolf: Zur Bestimmung des Begriffs des Psychischen, Uppsala/ Leipzig 1914 (Skrifter utgifna af K. humanistiska vetenskaps-samfundet i Uppsala, Bd. 16). 22 Planck, Max: Die Einheit des physikalischen Weltbildes, in: Wege zur physikalischen Erkenntnis. Reden und Vorträge, Leipzig 1933, S. 1–32. 84 Platon: Opera omnia uno volumine comprehensa, hrsg. v. Gottfried Stallbaum, Leipzig/London 1899. 5 – Apologia Sokratus, [in: Opera omnia, S. 7–16.] 67

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– Phaidon, [in: Opera omnia, S. 21–43]. 5 – [Phaidros, in: Opera omnia, S. 573–591.] 57 – [Politeia:] De republica, in: Opera omnia, S. 289–384. 5, 75, 191 – Theaitet, [in: Opera omnia, S. 51–75]. 56 Pope, Alexander: [Intended for Sir Isaac Newton. In Westminster Abbey, in: Select Poetical Works, Leipzig 1848 (Collection of British Authors, Bd. 152), S. 302.] 191 Protagoras: Fragm. 1, zit. nach: Hermann Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch, Bd. I, Berlin 21906. 155 Reinhold, Ernst (Hrsg.): Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, nebst einer Auswahl von Briefen Kant’s, Fichte’s, Jacobi’s und andrer philosophirender Zeitgenossen an ihn, Jena 1825. 164, 167 Sauer, August (Hrsg.): Stürmer und Dränger, Bd. I: Klinger und Leisewitz (Deutsche National-Litteratur. Historisch kritische Ausgabe, unter Mitw. v. Bernhard Arnold u. a. hrsg. v. Joseph Kürschner, Bd. LXXIX), Berlin/Stuttgart o. J. 235 Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke. Säkular-Ausgabe in 16 Bänden, in Verb. m. Richard Fester u. a. hrsg. v. Eduard von der Hellen, Stuttgart/ Berlin o. J. [1904–1905]. 154 – An die Freude, in: Sämtliche Werke, Bd. I, S. 4–7. 158 f. – Die Freundschaft, in: Sämtliche Werke, Bd. II, S. 26 f. 154 – Philosophische Briefe, [in: Sämtliche Werke, Bd. XI, S. 108–138]. 153–156 Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. [Offenes Sendschreiben an Herrn Dr. Ernst Häckel, a. o. Professor der Zoologie und Director des zoologischen Museums an der Universität Jena, Weimar] 21873. 113 Schmidt, Erich: Lessing. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, Bd. II, Berlin 1892. 228 Scholz, Heinrich: Einleitung, in: Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn (Neudrucke seltener philosophischer Werke, hrsg. von der Kantgesellschaft, Bd. VI), hrsg. v. Heinrich Scholz, Berlin 1916, S. IX–CXXVIII. 129, 138 Schück, Henrik/Warburg, Karl Johan: Illustrerad svensk litteraturhistoria, Bd. IV, 3., vollst. umgearb. Aufl., hrsg. v. Henrik Schück, Stockholm 1928. 203, 208 Segerstedt, Torgny Torgnysson: Moral Sense-skolan och dess inflytande på svensk filosofi, Lund/Leipzig 1937 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt. 1, Bd. 33, Nr. 8). 171, 190 – The Problem of Knowledge in Scottish Philosophy (Reid – Stewart – Hamilton – Ferrier), Lund 1935 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt. 1, Bd. 31, Nr. 6). 23 f. Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, III. Earl of: [The Moralists, a Phi-

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losophical Rhapsody. Being a Recital of Certain Conversations, on Natural and Moral Subjects, in: ders., Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times, Bd. II, 2., korr. Aufl., o. O. 1714, S. 177–443.] 170 Simplicius, Cilicius: [In Aristotelis Categorias commentaria, hrsg. mit Unterstützung der Preußischen Akademie der Wissenschaften v. Carolus Kalbfleisch (Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. VIII), Berlin 1907.] 43 Spinoza, Baruch de: Opera quae supersunt omnia, hrsg. v. Karl Hermann Bruder, 3 Bde., Leipzig 1843–1846. 38, 154 – Ethica ordine geometrico demonstrata, in: Opera quae supersunt omnia, Bd. I, S. 149–416. 15, 38, 43, 78, 131, 136, 154, 163, 188, 190, 215 – Theologisch-politischer Traktat [= Tractatus theologico-politicus. Continens dissertationes aliquot, quibus ostenditur libertatem philosophandi non tantum salva pietate et reipublicae pace posse concedi, sed eandem nisi cum pace reipublicae ipsaque pietate tolli non posse, in: Opera quae supersunt omnia, hrsg. v. Karl Hermann Bruder, Bd. III, Leipzig 1846, S. 1–271]. 190 – [Tractatus politicus, in quo demonstratur, quomodo societas ubi imperium monarchium locum habet, sicut et ea ubi optimi imperant, debet institui, ne in tyrannidem labatur et ut pax libertasque civium inviolata maneat, in: Opera quae supersunt omnia, Bd. II, S. 43–136.] 77 Spranger, Eduard: Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee, Berlin 1909. 197 Stammler, Rudolf: Theorie der Rechtswissenschaft, Halle a. d. S. 1911. 58 – Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung. Eine sozialphilosophische Untersuchung, Leipzig 1896. 58 f. Stein, Karl Heinrich von: Die Entstehung der neueren Ästhetik, Stuttgart 1886. 224 Tegen, Einar: Den moderna straffrättens principer. Några ord i den Lundstedt-Thyrénska frågan, in: I filosofiska frågor, S. 94–107. 7 – I filosofiska frågor, Uppsala/Stockholm 1927. 7 – Kritisk objektivism. En grundståndpunkt och en kritik, in: Theoria 2 (1936), S. 27–57. 7, 37 – Nya riktlinjer inom rättsfilosofi och straffrätt. Med anledning av den Lundstedt-Thyrénska striden, in: I filosofiska frågor, S. 108–145. 7 Thomas, Walter: Le poète Edward Young (1683–1765). Étude sur sa vie et ses œuvres, Diss., Paris 1901. 227 Thorild, Thomas: Samlade skrifter, hrsg. v. Erik Gustav Geijer, Bd. II, Uppsala 1820. 186 – Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, 2 Bde., Uppsala 1874. 134 – Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, 2 Bde. (Svenska författare, utgivna av Svenska vitterhetssamfundet, hrsg. v. Stellan Arvidson u. Casimir Fontaine, Bd. XV), Stockholm 1933–1934. 119

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– Thomas Thorilds bref, hrsg. v. Lauritz Weibull, Bd. I, Uppsala 1899 (Skrifter utgifna af svenska literatursällskapet, Bd. 19/1). 132 – Thomas Thorilds bref, hrsg. v. Lauritz Weibull, Bd. II, Uppsala 1900 (Skrifter utgifna af svenska literatursällskapet, Bd. 19/2). 157 – Thomas Thorilds bref, hrsg. v. Lauritz Weibull, Bd. III, Uppsala 1902 (Skrifter utgifna af svenska literatursällskapet, Bd. 19/3). 126 – (20 Mars 1782.) Öfver anmärkningen til authorn af Passionerna, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 473–478. 234 – Allblick, oder die Wichtigkeit von allem, erkannt durch die Gradation als Real-Philosophie und Universalmethode der Natur und des Lebens, in: Till Thorilds minne, S. I–XXXIV. 151, 235 – Anmärkningar, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 283–290. 178 – Anmärkningar, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 350–357. 178 – Anmerkung z. S. 45, 65, 82, in: Die Gelehrtenwelt, Bd. II, S. 115–118. 220 – [Maximum seu] Archimetria, [o. O. 1799]. 161, 171, 216 – Brief an Sven Erland Heurlin vom 12. Oktober 1780, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 17–20. 132, 136, 190 – Brief an Sven Erland Heurlin, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 34–37. 156 – Brief an Sven Erland Heurlin vom 8. Mai 1781, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 44 f. 141 – Brief an Sven Erland Heurlin vom 4. Juni 1781, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 49–52. 136 – Brief an Sven Erland Heurlin vom 28. September 1781, in: Thomas Thorilds bref, Bde. I u. II, S. 62–65. 157, 184 – Brief an Sven Erland Heurlin vom 6. Juni 1782, in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 77–79. 210 – Brief an Sven Erland Heurlin vom 1. August 1782, in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 83–85. 219 – Brief an Anders Hylander (1778), in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 5 f. 133, 190 – Brief an Anders Hylander, in: Thomas Thorilds bref, Bd. I, S. 6 f. 206 – Brief an Carl Gustaf af Leopold (1784), in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 112–114. 206 – Brief an Carl Gustaf af Leopold vom 7. Juli 1785, in: Thomas Thorilds bref, Bd. II, S. 116–118. 210 – Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 25. Februar 1800, in: Ernst Reinhold (Hrsg.), Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, S. 286–289. 167 – Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 18. März 1800, in: Ernst Reinhold (Hrsg.), Karl Leonhard Reinhold’s Leben und litterarisches Wirken, S. 289–294. 164, 167

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– Brief an Pehr Tham vom 10. Juli 1787, in: Thomas Thorilds bref, Bd. III, S. 141 f. 126 – Brief an Pehr Tham vom 30. Juli 1787, in: Thomas Thorilds bref, Bd. III, S. 142. 126 – Brief an Pehr Tham, in: Thomas Thorilds bref, Bd. III, S. 147–153. 213 – Den Nye Granskaren. 1784, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 3–110. 126, 205, 208, 213, 215, 218, 231 – Deus deissimus, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. II, S. 145–167. 137 f., 141, 143 – Die Gelehrtenwelt, 2 Bde., o. O. o. J. 156, 161, 164, 166, 171, 208, 216, 220 – Die Verrückung, oder das Orakel-Spiel der Weltnarrheit genannt Weltweisheit, in: Die Gelehrtenwelt, Bd. II, S. 26–49. 156, 166 – Dygd och plikt, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 367–370. 143 – Dygd. Skönhet. Harmoni, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 269 f. 149 – En kritik öfver kritiker. Med utkast till en lagstiftning i snillets verld, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 119–191. 147, 151, 195 f., 198, 211, 219 – En pantheists anmärkningar vid Reimarus. Naturliga religionens förnämsta sanningar, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 320–342. 133, 175, 178–181, 189 – Filosofiska betraktelser, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 434–464. 159 – Filosofiska betraktelser. Till en vän, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 291–314. 144 f., 164 – För och mot, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 168. 157 – (Har naturen en oordning?), in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. II, S. 192–196. 184 – Idéer öfver sällheten, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 273–275. 149 – Inbildningens nöjen, prosaisk ode, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 57–72. 126, 175, 203 – Karakter, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 278–281. 142, 148, 151, 164, 205 – Kritik öfver Montesquieu, in: Samalde skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 111–118. 212 – Min religion, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 282 f. 206 – Naturen och des onda, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. II, S. 175–191. 184 – Om efterhärmning, ett fragment af den höga kritiken. Till upplysning för alla de läsare, som icke vilja bedragas, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 213–229. 232, 236

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– Passionerna, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 35–56. 126, 140 f., 144, 147, 151, 157 f., 162, 165, 174, 184, 195–197, 203, 220 – Programm zum neuen Jahrhundert: über das Heidenthum der Gelehrten, in: Die Gelehrtenwelt, Bd. I, S. 1–16 [sep. pag.]. 164 – Skönheten och critiken, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Erik Gustav Geijer, Bd. II, S. 316. 186 – Tal hållet för Götheborgs landskap; vår-termin 1778, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 297–316. 156, 158, 185, 189 – Till folket, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Erik Gustav Geijer, Bd. II, S. 183–224. 212 – Til Sällskapet Utile Dulci, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. I, S. 467–471. 119, 206, 231 – True Heavenly Religion restored, and demonstrated upon Eternal Principles. With a Call to Christians of Higher Sense, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Stellan Arvidson, Bd. II, S. 351–417. 201, 204, 217, 235 f. – Upplysning om handelns sanna frihet, om vigten af principer uti allt och om publikens höga rätt att döma, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. II, S. 257–273. 206 – Utdrag af en dagbok, in: Samlade skrifter, hrsg. v. Per Hanselli, Bd. I, S. 327–336. 134, 148, 150, 184, 205, 213, 234 – Vis poetica seu Pathos, [Diss., Greifswald 1801]. 196 Thurnwald, Richard: Art. »Totenkultus. A. Allgemein«, in: Reallexikon der Vorgeschichte, hrsg. v. Max Ebert, Bd. XIII, Berlin 1929, S. 363–409. 65 f. Till Thorilds minne, den 1 Oktober 1908 af litteraturhistoriska seminariet i Lund, Lund 1908 (Lunds universitets årsskrift, N. F., Abt.1, Bd. 4, Nr. 1). 121, 151 Unger, Rudolf: Hamann und die Aufklärung. Studien zur Vorgeschichte des romantischen Geistes im 18. Jahrhundert, Bd. I, Jena 1911. 203, 230 Usener, Hermann: Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Bonn 1896. 90 Vannérus, Allen: Hägerströmstudier, Stockholm 1930. 6, 43, 80 Voltaire: Œuvres complètes, hrsg. v. Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat de Condorcet u. Jacques Joseph Marie Decroix, 70 Bde., Paris 1820–1826. – Gedicht über das Erdbeben in Lissabon [= Poème sur le désastre de Lisbonne, en 1755 (1756), in: Poésies, Bd. I (Œuvres complètes, Bd. XII), Paris 1824, S. 171–192]. 210 – [La] pucelle [d’Orleans (Œuvres complètes, Bd. XI), Paris 1821]. 210 – Lettres sur les Anglais, ou lettres philosophiques, in: Mélanges historiques, Bd. I (Œuvres complètes, Bd. XXVI), Paris 1824, S. 5–157. 3

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– Lettres sur Spinoza (Œuvres complètes, Bd. XXXIV), Paris 1821. 129 Weibull, Lauritz: Thomas Thorild. Hans ungdom och studentår i Lund, Lund 1896. 184 Wolff, Christian: Theologia naturalis, methodo scientifica pertractata, Bd. II, Frankfurt/Leipzig 1737. 129, 138 Wölfflin, Heinrich: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. [Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 1915]. 113 Young, Edward: Conjectures on Original Composition. In a Letter to the Author of Sir Charles Grandison, in: The Works of the Author of the Night-Thoughts, Bd. V, neue Aufl., London 1767, S. 109–186. 201, 223–225, 227, 231 f. – On Lyrick Poetry, in: Ocean. An Ode. Occasioned by his Majesty’s Late Royal Encouragement of the Sea-Service. To which is prefix’d an Ode to the King: and a Discourse on Ode, London 1728, S. 14–29. 227

PERSONENREGISTER

Adam, Charles 216 Addison, Joseph 223 Ahlberg, Alf 41 Alkibiades 219 Anaximander 88 Antisthenes 43 Archimedes 36 Aristoteles 9, 15 f., 43, 82, 88, 91, 137, 167, 175 f., 211, 231 Arnauld, Antoine 24 Arnold, Bernhard 235 Arvidson, Stellan 119, 125 f., 132 f., 137, 139 f., 143, 156 f., 159–161, 175, 178, 181, 184, 189 f., 196, 201, 230, 234 Assézat, Jean 228 Augustinus, Aurelius 30 Avenarius, Richard 10 Bacon, Francis 102, 143, 224 Bastian, Adolf 66 Batteux, Charles 231 Baumgarten, Alexander Gottlieb 202 Bayle, Pierre 128, 175 Beaumarchais, Pierre Augustin Caron de 3, 129 Beethoven, Ludwig van 159 Berkeley, George 24 Boltzmann, Ludwig 22 Bonnet, Charles 173, 177 f. Boström, Christopher Jacob 120 Boyle, Robert 224 Bray, René 222 Bruder, Karl Hermann 38, 154 Buchenau, Artur 8, 101, 207 Büchner, Ludwig 26 Bühler, Karl 114 Buek, Otto 62 Buffon, Georges Louis Leclerc de 173

Burman, Erik Olof

55

Calvin, Johannes 169 Campanella, Tommaso 84 Carnap, Rudolf 11 Cassirer, Ernst 6–8, 47, 101, 152, 207 Cederblad, Sven 204 Cheselden, William 182 Clarke, Samuel 155 Cohen, Hermann 6, 10, 27–29, 152 Comte, Auguste 10 Condillac, Etienne Bonnot de 160, 164 f., 173, 181 f., 187, 193, 202 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat de 3, 129 Corneille, Pierre 164 Couturat, Louis 175 Cromwell, Oliver 183 f. Cudworth, Ralph 169 Dante Alighieri 176 Dareios 64 Darwin, Charles 113 Decroix, Jacques Joseph Marie 3, 129 Demokrit 78, 99 Demosthenes 224 f. Dernburg, Heinrich 95 Descartes, René 3, 9, 15 f., 23, 30, 79, 139, 162, 187, 216, 222, 224 f. Diderot, Denis 182, 209, 228 Diels, Hermann 155 Dilthey, Wilhelm 110 f., 144 Dryden, John 223 f. Dubos, Jean-Baptiste 228 Eberhard, Johann August

189

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Personenregister

Ebert, Max 65 Ek, Sverker 218 Ellis, Robert Leslie 224 Epikur 168, 218 f. Euklid 89 Ferrier, James Frederick 23 Fester, Richard 154 Fichte, Johann Gottlieb 9, 16, 40, 164, 217 Fontaine, Casimir 119 Fontenelle, Bernhard Le Bovier de 224 Foucher de Careil, Louis Alexandre 222 Fremling, Matthaeus 190 Fridholm, Roland 121 Fustel de Coulanges, NumaDenis 66 Galilei, Galileo 168 Gassendi, Pierre 162, 167 f., 187 Geijer, Erik Gustav 119, 125, 127, 186, 206, 212 Gerhardt, Carl Immanuel 102, 143, 149, 226 Gildemeister, Carl Hermann 202 Gleim, Friedrich Wilhelm 128 Goethe, Johann Wolfgang von 60, 71, 94, 104, 129, 131 f., 134–136, 139–142, 144, 152 f., 185, 190, 192 f., 197, 199, 201, 205, 207, 209, 220, 234 Görland, Albert 12, 152 Gottsched, Johann Chistoph 226–229 Grandison, Charles 224 Green, Thomas Hill 107 Grimm, Frédéric-Melchior 228 Grose, Thomas Hodge 107 Grotenfelt, Arvi 84 Guhrauer, Gottschalk Eduard 149 Gustaf III. 121

Haller, Albrecht von 180 Hamann, Johann Georg 189, 193, 202 f., 211, 230 Hamilton, William 23 Hammar, Bertil 41 Hanselli, Per 134, 142, 144 f., 147, 149, 164, 178, 205 f., 212, 232 Harnack, Otto 153 Hartenstein, Gustav 46 Hartley, David 182 Hartmann, Eduard von 22 Hartmann, Nicolai 38 Havet, Ernest 224 Haym, Rudolf 144, 184, 188, 198 Heath, Douglas Denon 224 Hecker, Max 104, 142 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 9 f., 14–16, 26, 58, 103, 109, 113, 137 f., 217 Hellen, Eduard von der 154 Helmholtz, Hermann von 26 Helvétius, Claude Adrien 183 Heraklit 88, 127, 160 Herbart, Johann Friedrich 46 Herbert von Cherbury, Edward 206 Herder, Johann Gottfried 129, 131–134, 139, 144, 152, 171–173, 176–203, 211 f., 220, 229, 233, 236 Herodot 64 Hertz, Heinrich 15 Herz, Markus 6 Hesiod 94 Heurlin, Sven Erland 132, 136, 141, 148, 156 f., 184, 190, 210, 218 f. Hippokrates 89 Hobbes, Thomas 57, 167–170 Hoffmann, Ernst 91 Hoffmann, Otto 189 d’Holbach, Paul Henri Thiry 139 f. Holberg, Ludvig von 120

Personenregister

Hölderlin, Friedrich 219 Homer 176, 181, 224 f., 232, 236 Horaz 148 Humboldt, Wilhelm von 113, 197, 220 Hume, David 23 f., 61, 106–108, 155, 162, 177, 187, 193, 202, 209 Husserl, Edmund 22 Hylander, Anders 133, 190, 206 Jacobi, Friedrich Heinrich 128 f., 136, 141, 164, 202, 207, 213 James, William 103 Jerusalem, Wilhelm 89 Joachimi-Dege, Marie 219 Kalbfleisch, Carolus 43 Kant, Immanuel 5 f., 8, 12, 17 f., 20, 23–33, 39, 44, 46, 49, 55, 58–62, 69–71, 75, 79, 93, 100 f., 112, 129, 152, 157, 162–164, 175, 186, 207–209, 212–214, 234 Karitz, Anders 121, 123, 143, 153, 161, 174, 190 Kellermann, Benzion 70, 101, 163 Kellgren, Johan Henrik 119, 121, 127, 197, 206, 218 Kelsen, Hans 102 Kepler, Johannes 84 Klinger, Friedrich Maximilian 235 Klopstock, Friedrich Gottlieb 176, 183, 196, 229 f. Konfuzius 143 Krantz, Émile 222 Kürschner, Joseph 235 Lachmann, Karl 64, 224 Lambert, Johann Heinrich 187 Lamm, Martin 119 f., 123, 131 f., 135 f., 141, 145, 148, 161, 185, 187, 198, 203 f., 215 f., 218 Landquist, John 119 Lange, Friedrich Albert 28, 103 Lange, Konrad 112

263

Lanson, Gustave 222 Lavater, Johann Caspar 185, 197 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 9, 16, 60, 79, 102, 121 f., 125, 132, 143–146, 148–150, 152 f., 155 f., 160, 162, 174–176, 186 f., 192, 198–200, 202, 209, 211 f., 225 f., 229, 236 Leisewitz, Johann Anton 130, 235 Lenard, Philipp 15 Leopold, Carl Gustaf af 119, 121, 127, 206, 210 Le Roy, Georges 165 Lessing, Gotthold Ephraim 64, 112, 128 f., 152, 224, 226–228, 230–236 Leukipp 99 Lévy-Bruhl, Lucien 89 Linné, Carl von 145, 154 Ljunggren, Gustaf 120 f., 127, 135, 161, 206 Locke, John 3, 60, 160, 162, 173, 182, 187, 192, 202, 209, 212 Lossius, Johann Christian 182 Luther, Martin 206 Mach, Ernst 10, 21 Malebranche, Nicole 24 Mandrin, Louis 184 Marc-Wogau, Konrad 47 Marpurg, Friedrich Wilhelm 226 Mendelssohn, Moses 128 f., 207, 228 Metzger, Hélène 140 Michelet, Karl Ludwig 137 Mill, John Stuart 10, 41, 106 Milton, John 181, 183, 224 Molyneux, William 182 Mommsen, Theodor 98 Montanus, Erasmus 120 Moog, Willy 38 Montaigne, Michel Eyquem de 185

264

Personenregister

Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède et de 65 Müller, Johannes 26 f. Muncker, Franz 64, 224 Natorp, Paul 10 Newton, Isaac 3, 140 f., 157, 165, 191 f., 224 Nietzsche, Friedrich 54 Nilsson, Albert 121, 123, 131 f., 142 f., 153, 161, 174, 190, 206, 215 f. Norden, Eduard 86 Norström, Vitalis 59 Nyblaeus, Axel 120, 123, 161, 187 Oldenberg, Hermann 94 Ossian 181 Osthoff, Hermann 114 Otto, Walter Friedrich 66 Pascal, Blaise 224 Petzäll, Åke 11 Phalén, Adolf 7, 22 Planck, Max 22, 84 Platon 4 f., 9, 15 f., 43 f., 56 f., 67, 75, 78, 88 f., 91 f., 137, 143, 169, 175, 191 Plotin 169 Pope, Alexander 191 f. Price, Richard 23 Protagoras 55, 155, 160 Reid, Thomas 23 f. Reimarus, Hermann Samuel 133, 175, 178–182, 189 Reinhold, Ernst 164, 167 Reinhold, Karl Leonhard 164, 167 Robinet, Jean Baptiste 182 Roth, Friedrich 193 Rousseau, Jean-Jacques 125, 130, 140, 197, 205 f., 236 Rzach, Alois 94

Sauer, August 235 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 16, 26, 109, 126, 217 Schiller, Friedrich 104, 142, 152–154, 156–159, 210 Schleicher, August 113 Schlick, Moritz 11 Schmidt, Erich 228 Schmidt, Raymund 9 Scholz, Heinrich 129, 138 Schopenhauer, Arthur 32 Schück, Henrik 203, 208 Segerstedt, Torgny Torgnysson 23, 171, 190 Selby-Bigge, Lewis Amherst 177 Seuffert, Bernhard 130 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, III. Earl of 125, 144 f., 153, 170 f., 190, 202, 209, 221, 236 Shakespeare, William 176, 183, 223 f., 232 Simplicius, Cilicius 43 Sjöding, Allan 218 Sokrates 67, 143, 213, 219 Solon 143 Sophie von Sachsen, Großherzogin 60, 131 Sophokles 176 Spedding, James 224 Spinoza, Baruch de 15 f., 38, 43, 77–79, 121 f., 125, 128–145, 154, 160, 163, 184, 186, 188–190, 215, 217, 236 Spranger, Eduard 197 Stallbaum, Gottfried 5 Stammler, Rudolf 58 f. Stein, Karl Heinrich von 224 Stewart, Dugald 23 Sulzer, Johann Georg 171, 189 Suphan, Bernhard 133 Swedenborg, Emanuel 204 Tannery, Paul 216 Tegen, Einar 7, 37 Tegnér, Esaias 126, 151, 236

Personenregister

Tetens, Johann Nicolaus 162 Thales von Milet 88 Tham, Pehr 126, 213 Thomas, Walter 227 Thurnwald, Richard 65 f. Unger, Rudolf 203, 230 Usener, Hermann 90 Vannérus, Allen 6, 43, 83 Varignon, Pierre 200 f. Volder, Burcher de 226 Voltaire 3, 129, 209 f.

265

Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von 183 Warburg, Aby 82, 169 Warburg, Karl Johan 203, 208 Wasa, Gustav 206 Weibull, Lauritz 126, 132, 184 Wölfflin, Heinrich 113 Wolff, Christian 14, 102, 129, 137 f., 152, 173, 176 f., 185, 187–189, 192, 202, 212 Young, Edward 125, 201, 223–225, 227, 229–232, 236