Autonomie Und Menschenwurde: Origenes in Der Philosophie Der Neuzeit (Adamantiana) 9783402137116

Anhand exemplarischer Schlaglichter des neuzeitlichen Freiheitsdenkens zeichnet der zweite Band der Reihe das Nachleben

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Autonomie Und Menschenwurde: Origenes in Der Philosophie Der Neuzeit (Adamantiana)
 9783402137116

Table of contents :
Title
Vorwort
Inhalt
ORIGENES IN IDEALISMUS UND MODERNE
Margit Wasmaier-Sailer: Die Origenes-Rezeption in der theologischen Anthropologie Franz Anton Staudenmaiers
Klaus Müller: Schellings Natur- und Freiheitsphilosophie und ihr Verhältnis zu Origenes
Marco Rizzi: The revival of the Apokatastasis or, three ways to read Origen today
DAS FREIHEITSDENKEN DES ORIGENESIN DER NEUZEIT
Alfon Fürst: Autonomie und Menschenwürde. Die origeneische Tradition
Eberhard Schockenhoff: Die Wirkungsgeschichte des Origenes
Theo Kobusch: Die Idee der Freiheit. Origenes und der neuzeitliche Freiheitsgedanke
ORIGENISMUS UND HUMANISMUS
Rudolf B. Hein: Der Gewissensbegriff John Colets im Spiegel origeneischen Gedankenguts
Christian Hengstermann: Die Seele zwischen Tier und Gott. Die origeneische Freiheitsanthropologie bei Erasmus von Rotterdam
Peter Walter: Inquisitor, non dogmatistes. Die Rolle des Origenes in der Auseinandersetzung des Erasmus von Rotterdam mit Martin Luther
ORIGENES UND DER PLATONISMUS DER SCHULEVON CAMBRIDGE
Douglas Hedley: The Cambridge Platonists and the “Miracle of the Christian World”
Ulrike Weichert: „Erforscht die Schriften!“ (Joh. 5,39) Origeneische Hermeneutik in George Rusts Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions
Sarah Hutton: Origen and Anne Conway
ORIGENES IN IDEALISMUS UND MODERNE
Die Origenes-Rezeption in der theologischen AnthropologieFranz Anton Staudenmaiers
Schellings Natur- und Freiheitsphilosophieund ihr Verhältnis zu Origenes
The Revival of the Apokatastasis
Or, Th ree Ways to Read Origen Today
Editionen der frühneuzeitlichen Autoren
Register

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ISBN: 978-3-402-13711-6

AUTONOMIE UND MENSCHENWÜRDE Alfons Fürst, Christian Hengstermann (Hg.)

Mit ihrer Betonung der moralischen Autonomie des Menschen und seiner unveräußerlichen Würde als Abbild Gottes und ihrer universalen Hoffnungsperspektive hat die Theologie des Origenes (185–253/54) nachhaltig Einfluss auf das neuzeitliche Denken ausgeübt: Im europäischen Humanismus, im Platonismus der Schule von Cambridge und in der klassischen deutschen Philosophie wird das origeneische Freiheitsdenken auf vielfältige Weise rezipiert und weiter entfaltet. Anhand exemplarischer Schlaglichter aus der neuzeitlichen Philosophie- und Theologiegeschichte zeichnet der zweite Band der Reihe „Adamantiana“ das Nachleben des Alexandriners bis zur Gegenwart nach. Origenes selbst erweist sich so als ein bedeutender geistiger Stammvater des neuzeitlichen Gedankens der Autonomie und Menschenwürde.

Alfons Fürst, Christian Hengstermann (Hg.)

AUTONOMIE UND MENSCHENWÜRDE Origenes in der Philosophie der Neuzeit

ADAMANTIANA 2

Adamantiana Band 2

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ADAMANTIANA Texte und Studien zu Origenes und seinem Erbe Texts and Studies on Origen and His Legacy

Herausgegeben von / Edited by Alfons Fürst Wissenschaftlicher Beirat / Advisory Board Sarah Hutton (Aberystwyth), James Michihiko Kuyama (Tokio), Olivier Munnich (Paris), Marco Rizzi (Mailand), Martin Wallraff (Basel)

Band 2

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AUTONOMIE UND MENSCHENWÜRDE Origenes in der Philosophie der Neuzeit

Herausgegeben von Alfons Fürst und Christian Hengstermann

Münster 2012

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© 2012 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG, werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, 2012 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-13711-6

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Vorwort Die in diesem Band versammelten Beiträge gehen auf eine Tagung zurück, die unter dem Titel, den auch das Buch trägt, im Februar 2010 in Münster stattgefunden hat. Sie wurde veranstaltet vom Projekt „Kantische und postkantische Normativität im interkulturellen Menschenrechtsdiskurs“ (Klaus Müller und Christian Hengstermann) des Exzellenz-Clusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ in Zusammenarbeit mit der „Forschungsstelle Origenes“ (Alfons Fürst) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die auf der Tagung gehaltenen und hier abgedruckten Vorträge sind ergänzt um die Aufsätze von Christian Hengstermann und Ulrike Weichert sowie um einen Aufsatz von Marco Rizzi, den er auf einer vorausgehenden Tagung der „Forschungsstelle Origenes“ in Münster gehalten hat, der sich aber thematisch harmonisch in diesen Band einfügt. Allen Beteiligten gilt der herzliche Dank der Herausgeber für die Teilnahme an der Tagung und die Bereitschaft, ihre Vorträge zu Aufsätzen auszuarbeiten. Mit den hier präsentierten Aufsätzen über Origenes in der Philosophie der Neuzeit bildet der zweite Band der Reihe „Adamantiana“ eine Art Fortsetzung des ersten Bandes. Ist jener dem Wirken des Origenes und seinem Nachleben, en gros gesprochen, im ersten Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung gewidmet, beleuchtet dieser Stationen seiner Wirkungsgeschichte im zweiten Jahrtausend, allerdings erst von der Neuzeit bis in die Gegenwart (Origenes im abendländischen Mittelalter wird hier nicht behandelt – das wäre ein eigenes, lohnendes Feld). Beide Eröffnungsbände zusammen umreißen damit programmatisch, wozu die neue Reihe „Adamantiana“ dienen soll: der Erforschung des Wirkens des Origenes in seiner Zeit und seines Erbes bis in die Gegenwart. Der vorliegende Band setzt dabei den Akzent dezidiert auf das, was im Vorwort zum ersten Band als eines der Ziele dieser Arbeit benannt ist, nämlich den Beitrag des Origenes zur Philosophiegeschichte aufzuhellen.

Münster, im Herbst 2011

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Alfons Fürst und Christian Hengstermann

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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DAS FREIHEITSDENKEN DES ORIGENES IN DER NEUZEIT

Alfons Fürst Autonomie und Menschenwürde. Die origeneische Tradition . . . . . . . . .

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Eberhard Schockenhoff Die Wirkungsgeschichte des Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Theo Kobusch Die Idee der Freiheit. Origenes und der neuzeitliche Freiheitsgedanke . . 67

ORIGENISMUS UND HUMANISMUS

Rudolf B. Hein Der Gewissensbegriff John Colets im Spiegel origeneischen Gedankenguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Christian Hengstermann Die Seele zwischen Tier und Gott. Die origeneische Freiheitsanthropologie bei Erasmus von Rotterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Peter Walter Inquisitor, non dogmatistes. Die Rolle des Origenes in der Auseinandersetzung des Erasmus von Rotterdam mit Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . 169

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ORIGENES UND DER PLATONISMUS DER SCHULE VON CAMBRIDGE

Douglas Hedley The Cambridge Platonists and the “Miracle of the Christian World” . . . . 185 Ulrike Weichert „Erforscht die Schriften!“ (Joh. 5,39). Origeneische Hermeneutik in George Rusts Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Sarah Hutton Origen and Anne Conway . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

ORIGENES IN IDEALISMUS UND MODERNE

Margit Wasmaier-Sailer Die Origenes-Rezeption in der theologischen Anthropologie Franz Anton Staudenmaiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Klaus Müller Schellings Natur- und Freiheitsphilosophie und ihr Verhältnis zu Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Marco Rizzi The Revival of the Apokatastasis. Or, Three Ways to Read Origen Today . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Editionen der frühneuzeitlichen Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Register Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antike Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühneuzeitliche Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namen und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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DAS FREIHEITSDENKEN DES ORIGENES IN DER NEUZEIT

Autonomie und Menschenwürde Die origeneische Tradition

ALFONS FÜRST, MÜNSTER

Die in der Neuzeit entwickelten Konzepte von Autonomie und Menschenwürde können als Kerngedanken des modernen menschlichen Selbstverständnisses bezeichnet werden. Sie bilden nicht nur die Grundlage für ethische Diskurse und Theorien, sondern fundieren auch freiheitliche, demokratische Rechtssysteme und Staatsverfassungen. Die anthropologischen, kosmologischen und metaphysischen Intuitionen, die diesen Konzepten zugrundeliegen, sind allerdings nicht erst in der Neuzeit gleichsam entdeckt worden, sondern schöpfen aus Traditionen, die deutlich weiter in die Geschichte zurückreichen. Es dürfte zu einem tieferen Verständnis der Begriffe ‚Autonomie‘ und ‚Menschenwürde‘ beitragen, den geistesgeschichtlichen Hintergründen ihrer Entstehung nachzugehen. Eine solche Fragestellung ist nicht nur historisch interessant, sondern liefert auch einen Beitrag zum Verstehen der diesbezüglichen Entwicklungen in der Neuzeit und zur Architektonik gegenwärtiger philosophischer und theologischer Debatten über Autonomie und Menschenwürde. Die These dazu, um die die Beiträge dieses Bandes versammelt sind, lautet: Das Denken des antiken christlichen Theologen Origenes hat bei der Entstehung des neuzeitlichen Autonomie- und Menschenwürdegedankens eine wichtige Rolle gespielt und bildet einen (nicht den einzigen) Nährboden für die diesbezüglichen frühneuzeitlichen Entwicklungen.1 Das Freiheitsdenken des Origenes, in dem

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Dies war auch die Leitthese der Tagung, die im Februar 2010 von den Herausgebern an der Universität Münster veranstaltet wurde und deren Beiträge hier abgedruckt sind. Siehe dazu den Tagungsbericht von Alfons Fürst/Christian Hengstermann, Autonomy and Human Dignity. A Symposium at Muenster University about Origen in Early Modern Philosophy, in: Adamantius 16 (2010) 600–603.

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Alfons Fürst

er gegen deterministische Anthropologien und Kosmologien die Selbstbestimmung des Menschen verteidigte, hat maßgeblich zur Ausbildung des Gedankens einer inkommensurablen menschlichen Würde beigetragen. Origenes entfaltete die sittliche Autonomie biblisch von der Gottebenbildlichkeit des Menschen und philosophisch von der inneren Gesetzlichkeit seiner Vernunft her und verknüpfte beides in der Weise auf das Engste miteinander, dass sich der Mensch kraft des Logos in ihm, der universal gültige sittliche Maximen enthält, selbst Gesetz ist. Dieser Freiheitsbegriff ist insofern autonom, als wahre Freiheit darin besteht, gemäß dem inneren Wesensprinzip der Seele zu handeln, also weder völlig bindungslos zu sein noch heteronom von äußeren, dem Selbst des Menschen fremden Einflüssen gesteuert zu werden. Zugleich ist er insofern theonom fundiert, als das wahre Leben der Seele der Logos, das Prinzip der wahren Freiheit Christus ist, an dem der Mensch teilhat und auf den hin seine Freiheit ausgerichtet ist. Der göttliche Logos ist, individuell und universal zugleich, das Form- und das Finalprinzip des menschlichen Selbst und jeder vernünftigen Entität. Dieses teleologische Konzept von Autonomie verbindet die Freiheitsmetaphysik des Origenes mit den an Kant anknüpfenden Autonomie-Ethiken der klassischen deutschen Philosophie des 18. Jahrhunderts. Diese These ist markant  – was sie auch gar nicht verhehlen will  – und hat Folgen für unsere Vorstellung von der Geistesgeschichte in der Neuzeit. Wenn sie richtig ist, dann ist der Autonomiegedanke der Neuzeit kein Produkt der angeblich antichristlichen  – freilich in Frankreich und England, jedoch nicht in Deutschland antikirchlichen2 – Aufklärung, sondern der philosophischen Selbstreflexion des Christentums (die freilich, wie erneut einzuschränken ist, weithin auf massive kirchliche Widerstände und Ablehnung gestoßen ist). Deren Auftakt bildete im 3. Jahrhundert die Freiheitsmetaphysik des Origenes, die eine vielfältige, aufgrund der Verketzerung ihres Urhebers allerdings meist subkutane und daher oft nicht wahrgenommene Wirkung auf die Geistesgeschichte der folgenden Jahrhunderte ausgeübt hat (Teil I: Das Freiheitsdenken des Origenes in der Neuzeit). In ihr gründet insbesondere die Idee der unverlierbaren Würde des Menschen, der sein Wesen und sein Geschick in Freiheit selbst bestimmt, wie sie nach der Wiederentdeckung des Origenes im Humanismus (Teil II: Origenismus und Humanismus) in der Aufklärung konzipiert wurde. So steht das Denken des Origenes im Hintergrund der Platoniker von Cambridge, die in ihrer Auseinandersetzung mit den neuen experimentellen Naturwissenschaften des 17. Jahrhunderts und partikularen theologischen und kirchlichen Traditionen speziell im englischen Puritanismus die Basisintuitionen des Platonismus wie des Origenismus hochhielten (Teil III: Origenes und der Platonismus der Schule von Cambridge). 2

Siehe dazu aus der neueren Forschung zur Aufklärung in Deutschland: Angela Borgstedt, Das Zeitalter der Aufklärung, Darmstadt 2004, 34–48.

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Autonomie und Menschenwürde

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Auch zwischen der Autonomie-Ethik Kants und des Deutschen Idealismus und der Freiheitsethik des Origenes gibt es Zusammenhänge, deren Spuren sich noch nachidealistisch ausmachen lassen. Im 20. Jahrhundert schließlich werden Elemente des origeneischen Freiheitsdenkens auch über theologische und philosophische Kreise hinaus rezipiert (Teil IV: Origenes in Idealismus und Moderne).

1. Das Freiheitsdenken des Origenes in der Neuzeit Die Schriften des Origenes waren eine wichtige Inspirationsquelle für die gedanklichen Neuaufbrüche des Humanismus bis hin zu Lessings Rede vom „ewigen Evangelium“ und von der „Erziehung des Menschengeschlechts“ (Schockenhoff 49 f.). Den Auftakt hierzu bildete die im Jahre 1496 postum veröffentlichte Rede Picos della Mirandola „Über die Würde des Menschen“ (De hominis dignitate).3 Die von Pico darin entworfene Anthropologie beruht auf der Freiheitsphilosophie des Origenes und der ihm folgenden christlichen Theologen der Antike.4 Da in mehreren Beiträgen auf Pico bzw. diese Rede verwiesen wird (Schockenhoff 52–54; Kobusch 74 f.; Hein 81 f.; Hengstermann 144; Walter 169), dürfte es trotz ihrer Bekanntheit angezeigt sein, auf diesen grundlegenden Text einleitend etwas näher einzugehen. Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) verfasste diesen Text als Eröffnungsrede für die geplante Disputation seiner 900 Thesen, die er im Dezember 1486 in Rom veröffentlicht hatte.5 Da Papst Innozenz VIII. im Februar 1487 die Disputation untersagte, weil einigen Thesen das Odium der Häresie angehängt wurde – später wurden alle Thesen kirchlich verurteilt –, wurde die Rede nie gehalten und erst zwei Jahre nach Picos Tod veröffentlicht. Ihrem ursprünglichen Zweck entsprechend, besteht sie zum größeren Teil aus einer Apologie einiger seiner Thesen und einer Verteidigung von Sinn und Recht einer Disputation 3

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Giovanni Pico della Mirandola, De hominis dignitate. Über die Würde des Menschen, übers. von Norbert Baumgarten, hg. und eingel. von August Buck (PhB 427), Hamburg 1990. Der lat. Text in dieser Ausgabe stammt aus: G. Pico della Mirandola, De hominis dignitate, Heptaplus, De ente et uno, e scritti vari, a cura di Eugenio Garin, Florenz 1942, 102–164. Im Detail nachgewiesen von Theo Kobusch, Die Würde des Menschen – ein Erbe der christlichen Philosophie, in: Rolf Gröschner/Stephan Kirste/Oliver Lembcke (Hg.), Des Menschen Würde – entdeckt und erfunden im Humanismus der italienischen Renaissance (Politika 4), Tübingen 2008, 235–250. Ausgaben: Giovanni Pico della Mirandola, Conclusiones sive Theses DCCCC, Romae anno 1486 publice disputandae sed non admissae, texte établi et annoté par Bohdan Kieszkowsi (THR 131), Genf 1973; Giovanni Pico della Mirandola, Conclusiones nongentae. Le novecento Tesi dell’anno 1486, a cura di Albano Biondi (Centro internazionale di cultura „Giovanni Pico della Mirandola“. Studi Pichiani 1), Florenz 1995.

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Alfons Fürst

darüber.6 Dem voraus geht der Entwurf einer Ethik,7 der auf den einführenden Seiten beruht, auf denen Pico seine Thesen zur Freiheit des Menschen skizzierte.8 In dieser Skizze griff Pico den zentralen Gedanken der origeneischen Freiheitsmetaphysik auf und gab ihm die Gestalt, die für die neuzeitliche Entwicklung grundlegend wurde: Der Mensch bestimmt kraft seines Geistes und seiner Freiheit seine Stellung im Kosmos selbst. Im Unterschied zu allem anderen Seienden ist das Bewundernswerteste am Menschen, das ihn im höchstem Maße auszeichnet,9 dass er ein „Geschöpf von unbestimmter Gestalt“ (indiscretae opus imaginis) ist.10 Seine „Natur“ (natura) ist nicht von vorneherein festgelegt; er kann (und soll) sie vielmehr nach seinem eigenen Ermessen selbst bestimmen, „damit du“, wie Pico in einer fingierten Rede den Schöpfer Gott zu seinem Geschöpf Mensch sagen lässt, „wie dein eigener, in Ehre frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer dich selbst zu der Gestalt ausformst, die du bevorzugst. Du kannst zum Niedrigeren, zum Tierischen entarten; du kannst aber auch zum Höheren, zum Göttlichen wiedergeboren werden, wenn deine Seele es beschließt.“11

Das ist die auf Origenes zurückgehende12 dynamische Vorstellung vom Menschen zwischen Tier und Gott, wie sie Erasmus aufgreifen wird (Kobusch 71 f.), hier dezidiert versehen mit dem Akzent auf der gestaltungsoffenen Natur des Menschen und auf seiner freien Wahl bzw. Entscheidung, id habere quod optat, id esse quod velit – „das zu haben, was er wünscht, das zu sein, was er will“.13 Sein Wesen ist dem Menschen nicht vorgegeben, sondern seiner Freiheit und Eigentätigkeit aufgegeben. Die Natur des Menschen ist „ein entwurfsoffener Prozess“ (Schockenhoff 53). Der Mensch „ist, wozu er sich macht“ (Kobusch 75):14 „Wir sind unter der Bedingung geboren worden, dass wir das sind, was wir sein wollen“ (hac nati sumus conditione, ut id simus quod esse volumus).15 In solcher Radikalität ist Freiheit als ontologisches Konstituens menschlichen Seins erst wieder bei Søren Kierkegaard und Jean Paul Sartre gedacht worden (Schockenhoff 55–57; Kobusch 70). Dies geschah dann freilich in neuen Kon6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 33–67 (ebd. 38 spricht Pico selbst von defensio). Ebd. 10–33. Ebd. 2–11. Danach fragt Pico zu Beginn seiner Ausführungen: ebd. 2 f. Ebd. 4 f. Ebd. 4–7, das Zitat 6 f. Vgl. bes. Origenes, in Hiez. hom. 3,8 (GCS Orig. 8, 355 f.), ferner in Gen. hom. 5,4 (GCS Orig. 6, 62). Vgl. dazu Kobusch, Würde des Menschen (wie Anm. 4) 245 f. Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 6 f. (Übersetzung leicht modifiziert). Kobusch zitiert seinerseits aus Ernst Cassirer, „Über die Würde des Menschen“ von Pico della Mirandola, in: Studia Humanitatis 12 (1959) 48–61, hier 49. Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 10 f.

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Autonomie und Menschenwürde

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texten: Origenes konzipierte Freiheit im teleologischen Rahmen der Hoffnung auf ein definitives Gelingen, nicht Scheitern ihrer Entscheidungen (Schockenhoff 60 f.) und sah sie als geschenkte und somit bedingte Freiheit an. Auch nach Pico verfügt der Mensch über „freie Wahl“ (libera optio), weil „der Vater“ (Gott) sie ihm in seiner „gütigen Großzügigkeit“ gegeben hat; diese Gabe besteht nicht einfach nur in der Freiheit, zwischen Alternativen wählen zu können – wiewohl diese ein Aspekt von Freiheit ist, der nicht selbstverständlich ist, wie etwa die Geschichte von politischer Freiheit oder Unfreiheit zeigt  –, sondern ist vor allem eine Aufgabe, nämlich „nach dem Höchsten“ zu streben.16 Demgegenüber entwarf Sartre nicht eine schöpfungstheologisch begründete und teleologisch in eine Hoffnungsperspektive eingebettete Autonomie, sondern ging von einer unbedingten Freiheit aus (Kobusch 70). Was indes gleichsam die menschliche Seite angeht, kommen Origenes und Pico durchaus mit Sartre in dem Gedanken überein, dass die dynamische Freiheit darüber entscheidet, wer und was der Mensch ist, nicht eine statische Natur. So sehr in Picos Thesen und Denkbewegung Gedanken des Origenes deutlich werden, so schwer ist es doch herauszufinden, von welchen origeneischen Werken oder Stellen genau er sich inspirieren ließ. Die Werke des Origenes waren zu dieser Zeit noch nicht in der Breite durch Editionen und Übersetzungen erschlossen, wie das in den auf Pico folgenden Jahrzehnten erfolgen sollte (mehr dazu unten). In seiner Bibliothek, einer der umfangreichsten Privatsammlungen der Zeit, besaß er folgende Schriften des Origenes: Die Apologie gegen Kelsos in der lateinischen Übersetzung, die Cristoforo Persona 1481 in Rom veröffentlicht hatte (dazu unten); exegetische Arbeiten „in Ios.“, die nur die Josuahomilien sein können, wobei freilich nicht klar ist, ob er über alle vorhandenen verfügte oder nur über einige; und schließlich ein Brief, bei dem es sich vermutlich um den Brief an Gregor den Wundertäter über den Wert heidnischer Bildung für das Studium der Bibel handelt.17 In der Apologie gegen Kelsos konnte Pico so gut wie alle zentralen Argumente und Konzepte des Origenes lesen und damit über seine philosophische Theologie bestens informiert sein. In der Erläuterung der dreizehn als häretisch inkriminierten Thesen (Apologia) vom Mai 1487, in der Pico 16

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Ebd. – Da Pico hier explizit von Freiheit, Autonomie und Menschenwürde als einer Gabe Gottes redet, kann man ihm nicht Selbsterlösung ohne Gnade unterstellen, wie Buck das in der Einleitung (wie Anm. 3) xix–xx, tut. Diese Fehldeutung hängt auch damit zusammen, dass Buck die Rede rein philosophisch interpretiert und die enge Verschränkung von Theologie und Philosophie darin ignoriert. Demgegenüber hat Engelbert Monnerjahn, Giovanni Pico della Mirandola. Ein Beitrag zur philosophischen Theologie des italienischen Humanismus (VIEG 20), Wiesbaden 1960, „die religiös-theologische Ausrichtung“ (ebd. vii) dargestellt. Siehe Pearl Kibre, The Library of Pico della Mirandola, New York 1936 (Nachdruck 1966) 35 und dazu die Nr. 215, 495 und 512 im Verzeichnis.

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Alfons Fürst

Origenes ausgiebig verteidigte,18 rekurrierte er sodann auf folgende Schriften: De principiis, Römerbriefkommentar, Tituskommentar, eine Numerihomilie, De resurrectione, De anima und auf den Dialog zwischen Origenes und dem Valentinianer Candidus.19 Diese Texte waren in der lateinischen Überlieferung der Werke des Origenes zugänglich, teils allerdings nur noch in wenigen Fragmenten und Testimonien (De resurrectione und der Dialog mit Candidus; rätselhaft ist, was mit De anima gemeint sein soll20), teils als Texte, die eigentlich anderen gehören, wenn mit dem Tituskommentar der des Hieronymus gemeint ist, der weithin aus Origenes geschöpft ist. Aufgrund dieser direkten Kenntnis origeneischer Werke ist es nicht abwegig, nach Gedankengängen in Picos Rede über die Würde des Menschen zu forschen, die denen des Origenes entsprechen.21 Auch da ist Vorsicht walten zu lassen, weil Pico Quellen in sehr großem Umfang herangezogen hat.22 Das entspricht dem Programm des consensus omnium bzw. der prisca theologia in der Platonikerschule von Florenz, aus der Pico kommt; Origenes gilt hier als ein Exponent eines großen und alten Konsenses.23 Viele Gedanken lassen sich daher nicht nur, aber doch auch bei Origenes finden. Deutlich zu greifen ist die Denkweise des Origenes besonders darin, dass Pico auf der Basis der Würde des Menschen als eines Wesens, das sich in Freiheit selbst bestimmt, eine sehr stark philosophisch geprägte christliche Spiritualität entwirft. Der Weg der Seele, den Pico skizziert, entspricht ziemlich genau dem christlich-platonischen Konzept des Origenes: Pico „unterscheidet  … verschiedene Stufen eines zur vollkommenen ‚dignitas‘ 18

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Separatausgabe: Henri Crouzel, Pic de la Mirandole et Origène, in: BLE 66 (1965) 81– 106. 174–194. 272–288; Neuausgabe dieser Artikelserie in einem Buch mit Ergänzungen: Une Controverse sur Origène à la Renaissance. Jean Pic de la Mirandole et Pierre Garcia, textes présentés, traduits et annotés par Henri Crouzel, préface du Henri de Lubac (De Pétrarque à Descartes 36), Paris 1977 (Text mit frz. Übersetzung: ebd. 95–181). – Die inkriminierte Behauptung, es sei besser begründbar zu glauben, Origenes sei erlöst, als zu glauben, er sei verdammt, ist die Nr. IV 29 in der Abteilung Conclusiones numero quingentae secundum opinionem propriam seiner 900 Thesen (p. 67 Kieszkowsi [wie Anm. 5]; p. 92 Biondi [wie Anm. 5]: Rationabilius est credere Origenem esse salvum, quam credere ipsum esse damnatum) und die sechste der dreizehn als häretisch inkriminierten (vgl. p. 146–149 Biondi). Monnerjahn, Pico della Mirandola (wie Anm. 16) 186 mit Anm. 99 (auf S. 228). Man könnte an Origenes, princ. II 8 (GCS Orig. 5, 152–163), denken, ein Traktat, der mit De anima überschrieben ist – doch warum wird er eigens neben De principiis erwähnt? Einflüssen des Origenes auf Pico näher nachgegangen ist erstmals Monnerjahn, Pico della Mirandola (wie Anm. 16) 185–190. In den von ihm detailliert aufgelisteten Parallelen stammen die Belege für Origenes fast alle aus der Apologie gegen Kelsos. Zu Picos Quellen siehe Buck, Einleitung (wie Anm. 3) xiii–xiv. Siehe Max Schär, Das Nachleben des Origenes im Zeitalter des Humanismus (BBGW 140), Basel/Stuttgart 1979, 109–111 zur Bedeutung des Origenes bei Marsilio Ficino (1433– 1499).

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Autonomie und Menschenwürde

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führenden geistigen Itinerariums. Es beginnt mit der Ethik, welche die Leidenschaften in Schach hält; darauf folgt die Dialektik, welche die Vernunft von jeglicher Verfinsterung befreit; beide Disziplinen zusammen bewirken die Reinigung der Seele. Die gereinigte Seele ist dann für die Lehren der Metaphysik empfänglich und schließlich auf der letzten Stufe des Weges aufgeschlossen für die von der Theologie gewährte volle Erkenntnis Gottes und des Universums.“24 Nach Origenes führt der Weg der Seele „von der Reinigung von Affekten und falschen Handlungen über die stufenweise Erkenntnis des Logos zur Vollkommenheit in der Einheit mit Gott“.25 Und wenn Pico die „reinigenden Künste“ als „Ethik und Dialektik“ bezeichnet und die „Betrachtung der göttlichen Dinge im Licht der Theologie“ als „Epoptik“ (ἐποπτεία),26 dann greift er damit eine Einteilung und mit letzterem Terminus eine Begrifflichkeit auf, die gleichermaßen philosophische wie christliche Wurzeln hat, insofern sie im spätantiken Platonismus üblich war und von Clemens von Alexandria und Origenes in die christliche Theologie eingeführt wurde.27 Zweimal nennt Pico in der Rede Origenes namentlich, beidemale beim Thema nicht schriftlich fixierter Geheimlehren.28 An der ersten Stelle wird er als Referenz neben Esra und Hilarius aufgeführt, doch während für diese beiden in den Anmerkungen der Ausgabe von Baumgarten/Buck Referenztexte angegeben werden,29 sind solche für Origenes nicht notiert. Das dürfte auch schwierig werden. Zum einen hat sich Origenes, einigen esoterisch klingenden Stellen zum Trotz,30 doch gegen mündliche, nur wenigen Eingeweihten vorbehaltene Geheimtraditionen gewandt, wie sie zu seiner Zeit in christlich-gnostischen Kreisen üblich waren, und sich statt dessen für die Verkündigung auch anspruchsvoller ‚Lehren‘ an alle Menschen ohne Ausnahme engagiert.31 Zum anderen wird Ori-

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So die Zusammenfassung von Buck, Einleitung (wie Anm. 3) xx; vgl. auch Monnerjahn, Pico della Mirandola (wie Anm. 16) 187. Alfons Fürst, Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte (AKG 115), Berlin/Boston 2011, 107. 157, im Anschluss an Karen Jo Torjesen, Hermeneutical Procedure and Theological Method in Origen’s Exegesis (PTS 28), Berlin/ New York 1986, 70–107. Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 22 f. Siehe dazu Fürst, Studien (wie Anm. 25) 95–98. Vgl. etwa Origenes, in Cant. comm. prol. 3,1 (GCS Orig. 8, 75 bzw. SC 375, 128); 3,5–7 (8, 76 bzw. 375, 132); 3,14–16 (8, 77 f. bzw. 375, 136–138). Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 56 f. 58–61. Ebd. 80 f. Anm. 93: 4 Esra 14,3–6 bzw. Hilarius, tract. in Ps. 2 (PL 9, 262 f. bzw. CChr.SL 61, 37 f.). Vgl. Origenes, Cels. V 19 (GCS Orig. 2, 20); VI 6 (2, 75 f.); in Lev. hom. 9,10 (GCS Orig. 6, 438). Siehe dazu Adele Monaci Castagno, Art. Esoterico/essoterico, in: dies. (Hg.), Origene. Dizionario. La cultura, il pensiero, le opere, Rom 2000, 144–150, hier 144–146. Cels. III 54 (GCS Orig. 1, 249 f.); VII 60 f. (2, 209–211).

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genes zwar immer wieder ein esoterisches Glaubenswissen unterstellt, das er vor der großen Menge einfacher Christen verborgen gehalten habe,32 doch beruht das auf einem Missverständnis seiner pädagogisch-didaktischen Überlegungen zu unterschiedlichen Graden von moralischer Reife und intellektueller Einsicht unter Christen, denen ein Exeget, Katechet oder Prediger in der Gestaltung und inhaltlichen Füllung seiner Ausführungen Rechnung zu tragen hat.33 Wenn Pico daher Origenes im Zusammenhang von geheimen Lehren anführt, dürfte sich das aus einem Konnex erklären, der sich bei Anne Conway wieder finden wird (dazu unten): Pico bezeichnete die „wahre Auslegung des Gesetzes, die Mose von Gott übergeben worden war“ und die mündlich tradiert wurde, als „Kabbala“ (Cabala).34 Wie später Henry More und andere, nicht zuletzt Ralph Cudworth,35 war Pico davon überzeugt, dass Origenes aus der prisca theologia, die man postulierte und auch in der Kabbala zu entdecken meinte, geschöpft hat. So wird verständlich, warum Origenes damit in Verbindung gebracht wird. Philosophisch bildete der Begriff des Willens einen entscheidenden Faktor in der Entwicklung des Freiheitsbegriffs. Nicht allein Origenes, sondern viele Kirchenväter behaupteten die Priorität des Willens gegenüber dem Natur- und Wesenhaften und etablierten dadurch das Moralische und die moralische Autonomie bzw. Freiheit (Kobusch 67 f.). Zentrum und Organ dieser Freiheit ist der Wille. Origenes entwickelte ein neues Konzept von Freiheitsphilosophie, in dem der freie Wille als Ursache von Gut und Böse angesehen wird, ja noch mehr: Ein Geistwesen wie der Mensch hat sein Sein in dem, was es kraft seines Willens in Freiheit aus sich selbst macht.36 Die Freiheit bestimmt das Wesen, der Mensch wird durch seinen Willen, was er ist. Dieser ‚Wille‘ ist dabei nicht willkürlich, sondern auf das Wollen (und Tun) des Guten gerichtet.37 Damit werden auch Unter-

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Paradigmatisch für die esoterische Origenes-Deutung steht das Buch von Franz Heinrich Kettler, Der ursprüngliche Sinn der Dogmatik des Origenes (BZNW 31), Berlin 1966. Vgl. etwa Origenes, princ. III 6,6 (GCS Orig. 5, 287 f.). Siehe dazu auch Fürst, Studien (wie Anm. 25) 176–179. Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 60 f. Diesen großen Konsens nachzuweisen dient das lange IV. Kapitel in Ralph Cudworth, The True Intellectual System of the Universe, London 1678 (Nachdruck Stuttgart 1964), 183–770 (= A New Edition by Thomas Birch, 4 Bde., London 1820, I p. 389 – III p. 208). Der Vorgänger des Origenes in Alexandria, Clemens, hat dies wohl als erster betont formuliert: „Ja wahrlich, der Gnostiker“, d. h. der vollkommene Christ in der Terminologie des Clemens, „schafft und bildet sich selbst (ἑαυτὸν κτίζει καὶ δημιουργεῖ) und formt ferner auch die, die auf ihn hören, indem er Gott ähnlich wird (ἐξομοιούμενος θεῷ)“: strom. VII 13,3 (GCS Clem. Al. 32, 10). Siehe dazu jüngst Matyáš Havrda, Grace and Free Will According to Clement of Alexandria, in: JECS 19 (2011) 21–48, der diesen Satz seinen Ausführungen als Motto voranstellt. Im Zitat aus Clemens (siehe die vorige Anm.) kommt das in dem Hinweis darauf zum Ausdruck, dass diese Selbstwerdung damit koinzidiert, Gott ähnlich zu werden.

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schiede in der Welt erklärbar: Sie sind nicht von außen vorgegeben, sondern Folge und Ausdruck von autonomen Freiheitsentscheidungen, damit aber nicht nur vom Individuum zu verantworten, sondern auch beeinflussbar und veränderbar. Auch Gott wird in dieser Metaphysik als Freiheit gedacht – als „ungeschaffene Freiheit“ (libertas ingenita), wie Origenes als erster formulierte –, die eine „Freiheit der Liebe“ (caritatis libertas) ist (Kobusch 73).38 Zu einem solchen Gott passt, wie Anne Conway betonen wird, nur ein Konzept von Allerlösung (mehr dazu unten), weshalb Freiheitsdenken und Apokatastasis innerlich zusammenhängen. In einem kleinen Überblick hat Theo Kobusch (Bonn) zahlreiche Stationen der Wirkung dieser Gedanken vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zusammengetragen (Kobusch 74–80). Als im vorliegenden Band nicht behandeltes Beispiel können dem – um auf ein späteres Kapitel schon hier vorauszugreifen – Cudworth’ Traktate über Freiheit und Notwendigkeit hinzugefügt werden. Ralph Cudworth gehörte zu den führenden Köpfen der später so genannten „Cambridge Platonists“ (mehr zu diesen unten). In den drei Manuskripten unterschiedlicher Länge über Freiheit und Notwendigkeit, von denen als einziges das kürzeste, der „Traktat über den freien Willen“ (A Treatise of Freewill), 1731 postum publiziert wurde,39 findet sich genau die eben skizzierte Idee des Willens als Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Unter ‚Wille‘ bzw. ‚freiem Willen‘ versteht Cudworth nicht einfach ein willkürliches Wählen zwischen verschiedenen beliebigen Möglichkeiten, sondern ein Wollen des Guten. In seinem Streben nach dem Guten formt der Wille die ganze Person, ja ist die ganze Person,40 „denominates the whole man as such“, wie Cudworth es in einem der Manuskripte formulierte, „determines all ye passive capability of every man’s nature, and makes every man such as he is“.41

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Origenes, in Lev. hom. 16,6 (GCS Orig. 6, 502) bzw. in Gen. hom. 7,4 (GCS Orig. 6, 74). Siehe dazu Christian Hengstermann, Christliche Natur- und Geschichtsphilosophie. Die Weltseele bei Origenes, in: Alfons Fürst (Hg.), Origenes und sein Erbe in Orient und Okzident (Adamantiana 1), Münster 2011, 43–75, hier 56 f., und Fürst, Studien (wie Anm. 25) 155. Neuausgabe: Ralph Cudworth, A Treatise Concerning Eternal and Immutable Morality, with A Treatise of Freewill, ed. by Sarah Hutton, Cambridge 1996, 153–209. Siehe ebd. ix. xxv. xxxii: British Library Add. Mss. 4978–4982. Hutton, ebd. xxvii: „… the will is the whole person.“ Add. Ms. 4979, fol. 6, zit. aus Hutton, ebd. Weiteres zur Autonomie-Ethik von Cudworth, die auf der Fähigkeit zur freien Selbstbestimmung fußt, bei Stephen Darwall, The British Moralists and the Internal ‚Ought‘ 1640–1740, Cambridge 1995, 109–148, der sich ausdrücklich auf die erst postum bzw. noch nicht publizierten Manuskripte zur Willensfreiheit bezieht; Christian Hengstermann, Platonismus und Panentheismus bei Ralph Cudworth, in: Frank Meier-Hamidi/Klaus Müller (Hg.), Persönlich und alles zugleich. Theorien der All-Einheit und christliche Gottrede (ratio fidei 40), Regensburg 2010, 192– 211, hier 202–207.

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Neben der Freiheitsmetaphysik des Origenes kreiste die Wiederentdeckung seines Denkens um die Apokatastasis, die Hoffnung auf „Wiederherstellung von Allem“ oder, im Konnex mit dem Freiheitsdenken formuliert, auf ein endgültiges Gelingen der Freiheitsentscheidungen aller Vernunftwesen. Seit dem Humanismus wurde in der christlichen Theologie zunehmend Bezug auf diese beiden Themenkreise genommen, was im 20. Jahrhundert zu direkter Anknüpfung an sein Denken führte, etwa durch Karl Barth und Karl Rahner, oder Jean Daniélou, Henri de Lubac und Hans Urs von Balthasar. Eberhard Schockenhoff (Freiburg) unterstreicht in seinem Beitrag die kirchengeschichtliche Bedeutung insbesondere der katholischen Origenes-Renaissance in der Gegenwart (Schockenhoff 65 f.). Im Kontrast zum verhängnisvollen Erbe Augustins (Schockenhoff 61–63) hat die Rückbesinnung auf die Theologie der Kirchenväter und besonders auf Origenes entscheidende Anstöße für die theologischen Neuaufbrüche im Katholizismus nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben.

2. Origenismus und Humanismus Pico hatte die Schriften und das Denken des Origenes einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ehe im 16. Jahrhundert die großen Ausgaben des Origenes erschienen. Neben der Rede über die Würde des Menschen hatte Pico dafür mit der eingehenden Verteidigung des Origenes gegen den Vorwurf der Häresie in der Apologie seiner Thesen gesorgt (Hein 92). Für die Verbreitung dieser neuen Origenes-Rezeption und der damit verbundenen Freiheitslehre nördlich der Alpen sorgte ein Engländer, John Colet (1467–1519), der einer der Lehrer des Erasmus war. Colet kannte Picos Rede über die Menschenwürde gut und zitierte mehrmals wörtlich aus ihr, und durch Colet (und Thomas Morus) lernte Erasmus Pico kennen und schätzen.42 Wie Rudolf B. Hein (Münster) in der ersten eingehenden Analyse von Spuren des Origenes bei Colet zeigt, kann man an dieser „Brückengestalt“ (Hein 131) sehen, wie das Denken des Origenes allmählich bekannt wird und gleichsam Fuß fasst. Colet war kein Origenist, aber sporadisch von Origenes beeinflusst. Er griff Gedanken des Origenes auf und setzte sich kritisch mit ihnen auseinander, so dass sich sowohl Verbindungslinien als auch Akzentverschiebungen erkennen lassen (Hein 100 f.), 42

Buck, Einleitung (wie Anm. 3) xxiv–xxv. – Zum Verhältnis zwischen Pico und Erasmus siehe Ivan Pusino, Der Einfluss Picos auf Erasmus, in: ZKG 46 (1928) 75–96; Jean Claude Margolin, Pic de la Mirandole et Érasme de Rotterdam, in: Gian Carlo Garfagnini (Hg.), Giovanni Pico della Mirandola. Convegno internazionale di studi nel cinquecentesimo anniversario della morte (1494–1994), 2 Bde. (Centro internazionale di cultura „Giovanni Pico della Mirandola“. Studi Pichiani 5), Florenz 1997, II, 551–576 (ebd. 552 f. eine kleine Sammlung überaus lobender Äußerungen des Erasmus über Pico).

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„ein gewisser Funken origeneischen Gedankengutes“ (Hein 131). In Colets Anthropologie, Kosmologie und Epistemologie ist wenig Origenes zu entdecken: Colet vertritt nicht die origeneische Trichotomie aus Geist, Seele und Fleisch, sondern die gängige Dichotomie von Geist und Körper (Hein 105) und vernachlässigt völlig das von Origenes betonte Freiheitsprinzip (Hein 110), weil er sich an Augustins pessimistischer Gnaden- und Erbsündenlehre orientiert (Hein 111 f.). Auch die sittliche Erkenntnisfähigkeit des Menschen sieht Colet dadurch massiv eingeschränkt (Hein 120). Deutlichere Bezüge zu Origenes gibt es allerdings im Gewissenskonzept. Das Gewissen fungiert als Zentralinstanz im Menschen, wozu sich eine Analogie in der Anthropologie des Origenes finden lässt, wenn er im Kommentar zu Röm. 2,14–16, der biblisch-paulinischen Zentralstelle für dieses Thema, das „Gewissen“ (conscientia) als „Geist“ (spiritus) bestimmt, der mit der Seele als „Erzieher“ (paedagogus) und „Führer“ (rector) verbunden ist.43 Auch Colet kennt den „Geist“ (den er aber offenbar irrtümlich als mens bestimmt, nicht als spiritus) als „Forum für das göttliche Lebensgericht im Menschen“, auch wenn er seiner Kompetenz nicht so viel zutraut wie Origenes (Hein 130). Colets Bedeutung liegt nicht zuletzt darin, eine Mittlergestalt zu sein: Vermittelt durch ihn und andere, besonders Jean Vitrier, wurde Origenes von Erasmus von Rotterdam (1469–1536) entdeckt. Angesprochen wurde Erasmus vor allem von dem neuen Programm einer lebensnahen Theologie als Anleitung zu einem christlichen Leben und dies in Verbindung mit platonischer Philosophie einerseits, Paulusauslegung andererseits (Hengstermann 144). Origenes ist für Erasmus das Ideal christlicher pietas und die Personifikation seines eigenen Vollkommenheitsideals (Hengstermann 139–142). Erstmals entfaltet hat Erasmus dieses Ideal im „Dolch des christlichen Kämpfers“, wie man den doppeldeutigen – und natürlich im übertragenen, spirituellen Sinn gemeinten  – Titel Enchiridion militis Christiani eigentlich besser übersetzt statt des üblichen „Handbüchlein“, einem „Schlüsselwerk der neuzeitlichen Origenes-Renaissance“ (Hengstermann 166), verfasst 1501 und erschienen zuerst 1503, dann bis zu seinem Tod in mehr als fünfzig Ausgaben und Übersetzungen.44 Origenes wird darin sowohl offen 43

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Origenes, in Rom. comm. II 7(9–10) (p. 136–138 Hammond Bammel). Vgl. sel. in Ps. 30,6 (PG 12, 1300), wo der Geist als der mit der Seele verbundene συνειδός bezeichnet wird; princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 178). Siehe dazu jetzt Josef Lössl, Origenes und die Begriffe „Naturgesetz“ und „Gewissen“ nach Röm. 2,14–16. Exegesegeschichtliche Perspektiven, in: Alfons Fürst (Hg.), Origenes und sein Erbe in Orient und Okzident (Adamantiana 1), Münster 2011, 77–100, hier 98 f. Erasmus von Rotterdam, Enchiridion. Handbüchlein eines christlichen Streiters, übertr. und hg. von Werner Welzig, Graz/Köln 1961, mit Korrekturen übernommen in: Erasmus von Rotterdam, Epistola ad Paulum Volzium/Brief an Paul Volz – Enchiridion militis Christiani/Handbüchlein eines christlichen Streiters, übers., eingel. und mit Anmerkungen versehen von Werner Welzig (Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften 1), Darmstadt 1968, 55–375; der lat. Text in der letztgenannten Ausgabe stammt aus: Deside-

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als auch indirekt rezipiert, vor allem seine trichotomische Anthropologie – der Mensch bestehe aus Geist, Seele und Fleisch  –, die Erasmus explizit nach Origenes darstellt (Origenicam hominis sectionem) (Hengstermann 152 f.),45 und die Allegorese als Methode der Schriftauslegung:46 Von den altkirchlichen Exegeten empfiehlt Erasmus vor allem „die, die den Buchstaben am weitesten hinter sich lassen“, nämlich Origenes, Ambrosius, Hieronymus und Augustinus; Paulus gilt ihm als Begründer der christlichen Allegorese, dem Origenes folgte, „der in diesem Teil der Theologie wohl die Führung innehat“ (Hengstermann 164).47 Auch die Empfehlung des Platonismus als der besten Philosophie und die Beschreibung der Selbsterkenntnis als Anfang aller Weisheit48 kann man leicht mit Origenes in Verbindung bringen (Hengstermann 151).49 Im Enchiridion hat Erasmus die universale Freiheitsanthropologie des Origenes an die Neuzeit vermittelt. Christian Hengstermann (Münster) geht dem in seinem Beitrag im Blick auf den zentralen theologisch-philosophischen Gedanken nach: „Das göttliche Wort“ ist „das innere Wesensprinzip des Humanums“. Erst indem die Seele sich an das göttliche Wort, den Logos, angleicht, wird sie „zum Menschen im eigentlichen Sinne“ (Hengstermann 167). Diese Angleichung erfolgt sowohl über eine Grundentscheidung zwischen Gut und Böse, die jeder Mensch bewusst oder unbewusst immer schon getroffen hat,50 als auch über eine permanente sittliche Anstrengung, einen ununterbrochenen ‚Kampf ‘.51 Ohne beides ist der Mensch ein laues, verachtenswertes Adiaphoron52 oder ein wildes Tier (Hengstermann 156 f. 163. 167).53 Gleicht er sich jedoch dem Logos, dem „kosmischen Christus“ an, partizipiert der Mensch an der Universalität Gottes und gelangt auf diese Weise zum höchsten Ausdruck seiner Würde und Freiheit (Hengstermann 165 f.).

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rius Erasmus Roterodamus, Ausgewählte Werke, in Gemeinschaft mit Annemarie Holborn hg. von Hajo Holborn, München 1933 (Nachdruck 1964). Erasmus, EH 52–55 (p. 138–147 Welzig). Die Seitenangaben in der Übersetzung von Welzig beziehen sich auf den 1. Bd. der Ausgewählten Schriften. Ebd. 30 f. und 70–72 (p. 80–83 und 188–195). Ebd. 33 und 71 (p. 89 und 193). Vgl. Schär, Nachleben des Origenes (wie Anm. 23) 249. Erasmus, ebd. 32 f. bzw. 38–41 (p. 84 f. bzw. 100–108). Eine minutiöse Untersuchung origeneischer Einflüsse auf Entstehung, Inhalt und Sprache des Enchiridion liefert André Godin, Érasme lecteur d’Origène (THR 190), Genf 1982, 11–118. Zum (eher indirekten) Einfluss Picos auf das Enchiridion und andere Texte des Erasmus siehe Margolin, Pic de la Mirandole et Érasme (wie Anm. 42) 551 f. 560–567 (zum Thema der Menschenwürde und der Willensfreiheit). Siehe dazu bes. Erasmus, EH 57–60 (p. 154–161 Welzig). Ebd. 60 (p. 160): iugiter confligere oporteat. Ebd. 58 (p. 155): „Ein fauler Mensch will und will nicht.“ Ebd. (p. 157): Gott „speit die aus, die weder kalt noch warm, sondern lau sind“ (vgl. Offb. 3,16). Ebd. 53 (p. 143): „Der Geist lässt uns also zu Göttern werden, das Fleisch zu Tieren.“

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Die Wiederentdeckung und Rezeption des Freiheitsdenkens des Origenes ist freilich nicht bruchlos und widerspruchslos verlaufen. Origenes, der offiziell nach wie vor als Ketzer galt, wurde von zwei Seiten abgelehnt, die sich ansonsten feindlich gegenüberstanden: von konservativen Katholiken und von reformatorischer Seite (Walter 183). Paradigmatisch dafür steht der publizistisch ausgefochtene Disput zwischen Erasmus und Martin Luther (1483–1546) über den freien Willen. Eröffnet wurde er mit Erasmus’ „Gespräch oder Unterredung über den freien Willen“ (De libero arbitrio διατριβή sive collatio), die 1524 in mehreren Ausgaben an verschiedenen Orten erschien.54 Ende des Jahres 1525 kam Luthers Replik „Über den unfreien Willen“ (De servo arbitrio) auf den Markt,55 auf die Erasmus mit einer umfangreichen Gegenschrift „Unterredung ‚Hyperaspistes‘ gegen den ‚unfreien Willen‘ Martin Luthers“ (Hyperaspistes diatribae adversus servum arbitrium Martini Lutheri) reagierte, die in zwei Teilen erschien: der erste Teil 1526, der zweite 1527, jeweils in Basel.56 Dieser Disput war, wie Peter Walter (Freiburg) zeigt, einerseits ein Streit über die Interpretation des Augustinus, andererseits ein Streit über die Auslegung der Bibel, der vor allem anhand von Origenes’ Kommentar zum Römerbrief geführt wurde (Walter 172 f.). Erasmus’ Annotationes zum Römerbrief sind das wichtigste Dokument seiner Origenes-Rezeption neben dem Enchiridion und den Schriften über die Willensfreiheit. Während der junge Erasmus seine Exegese am Römerbriefkommentar des Origenes schulte, haben Luther und Melanchthon gerade diese Schrift des Origenes heftig abgelehnt.57 Im Kern drehte sich der Zwist um die Frage, wie frei der Wille tatsächlich ist, ob er so frei ist, dass er das Gute wirklich wollen und vollbringen kann. Das von Pico aufgegriffene Freiheitsdenken 54

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Kritische Edition: De libero arbitrio διατριβή sive collatio per Desiderium Erasmum Roterodamum, hg. von Johannes von Walter (QGP 8), Leipzig 1910 (Nachdruck 1935); Übersetzung: Erasmus von Rotterdam, De libero arbitrio διατριβή sive collatio/Gespräch oder Unterredung über den freien Willen – Hyperaspistes Diatribae adversus servum arbitrium Martini Lutheri liber primus/Erstes Buch der Unterredung ‚Hyperaspistes‘ gegen den ‚Unfreien Willen‘ Martin Luthers, übers., eingel. und mit Anmerkungen versehen von Winfried Lesowsky (Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften 4), Darmstadt 1969, 1–195. WA 18, 551–787 bzw. De servo arbitrio Martini Lutheri ad D. Erasmum Roterodamum, in: Hans-Ulrich Delius/Rudolf Mau/Günter Gloede (Hg.), Martin Luther Studienausgabe, Bd. 3, Berlin 1983, 170–356. Der Titel ist eine Junktur aus Augustinus, c. Iul. II 23 (PL 44, 689). Text: Desiderii Erasmi Roterodami opera omnia emendatiora et auctiora, 10 Bde., ed. Joannes Clericus, Leiden 1703–1706 (Nachdruck Hildesheim 1962), Bd. 10, 1249–1336 und 1337–1536; Übersetzung des ersten Teils: p. 197–675 Lesowsky (wie Anm. 54). Siehe dazu die wegweisende Darstellung von Thomas P. Scheck, Origen and the History of Justification. The Legacy of Origen’s Commentary on Romans, Notre Dame IN 2008, 129–172 (zu Erasmus) und 173–204 (zu Luther und Melanchthon), die allerdings von allzu starren konfessionellen Frontstellungen beeinträchtigt wird.

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des Origenes lebt ja von der Voraussetzung, dass „wir können, wenn wir wollen“, quando possumus si volumus, wie Pico in einer Nebenbemerkung formulierte.58 Augustinus hatte mit seiner These vom Zerfall eines einheitlichen Willens infolge der Sünde – Wille im antiken Sinne verstanden als Streben nach dem Guten – allerdings Bedenken daran angemeldet, ob der Wille des Menschen so intakt ist, dass er das grundsätzlich als Gutes Erkannte auch wirklich wollen und tun kann.59 Origenes und Pico und die ihnen folgende Denklinie der Neuzeit gehen davon aus, dass der Mensch über diese kreatürliche Fähigkeit verfügt. Augustinus und die vor allem seine Theologie rezipierenden Reformatoren hingegen betrachten den Willen als durch die Sünde derart korrumpiert, dass er ohne Einwirkung der göttlichen Gnade zu keiner einheitlichen Ausrichtung auf das Gute gelangen kann. Erasmus folgte hier dem Denken des Origenes, wie es im zentralen Kapitel zur Willensfreiheit in De principiis60 sowie im Römerbriefkommentar61 zu finden ist (Walter 173 f.), suchte aber gleichwohl nach einer Vermittlung mit der reformatorischen Position. Er zitierte Origenes nur selten ausdrücklich und folgte ihm nicht in jeder Einzelheit seiner Gedankengänge, vor allem nicht hinsichtlich der Präexistenz der Seelen und der Apokatastasis (Walter 179 f.). Formal und inhaltlich argumentierte er aber im Geiste des Origenes, indem er einerseits seinen Text als Diskussionsbeitrag verstanden wissen wollte62 und andererseits den freien Willen zwar als geschwächt, aber nicht als gänzlich verdorben ansah:

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Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 10 f. Siehe dazu Christoph Horn, Willensschwäche und zerrissener Wille. Augustinus’ Handlungstheorie in Confessiones VIII, in: Michael Fiedrowicz (Hg.), Unruhig ist unser Herz. Interpretationen zu Augustins Confessiones, Trier 2004, 105–122; Jörn Müller, Zerrissener Wille, Willensschwäche und menschliche Freiheit bei Augustinus. Eine analytisch motivierte Kontextualisierung von Confessiones VIII, in: PhJ 114 (2007) 49–72; ders., Willensschwäche in Antike und Mittelalter. Eine Problemgeschichte von Sokrates bis Johannes Duns Scotus (AMP.S1 40), Leuven 2009, 301–366. Origenes, princ. III 1 (GCS Orig. 5, 195–244), explizit aufgegriffen von Erasmus, lib. arb. IIIa 2–17 (p. 47–61 von Walter bzw. p. 92–121 Lesowsky); vgl. ebd. IIIc 1 (p. 68 f. von Walter bzw. p.  136–139 Lesowsky). Siehe dazu Schär, Nachleben des Origenes (wie Anm. 23) 275 f., v. a. aber Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 49) 449–558. Bes. Origenes, in Rom. comm. VII 14 (p. 623 f. Hammond Bammel), aufgegriffen von Erasmus, lib. arb. IIIa 3 f. (p. 48 f. von Walter bzw. p. 94 f. Lesowsky). Vgl. Erasmus, ebd. Ia 6 (p. 4 f. von Walter bzw. p. 8 f. Lesowsky). Der folgende Absatz, ebd. Ia 7 (p. 5 f. von Walter bzw. 10 f. Lesowsky) entspricht der Reflexion des Origenes über die Grenzen menschlicher Erkenntnis in princ. IV 3,14 (GCS Orig. 5, 345 f.); vgl. Schär, Nachleben des Origenes (wie Anm. 23) 276 f.; Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 49) 470 f., und für Origenes siehe dazu Fürst, Studien (wie Anm. 25) 11; ders., Origenes und seine Bedeutung für die Theologie- und Geistesgeschichte Europas und des Vorderen Orients, in: ders. (Hg.), Origenes und sein Erbe in Orient und Okzident (Adamantiana 1), Münster 2011, 9–25, hier 11–16.

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„Denn obwohl die Willensfreiheit durch die Sünde eine Verwundung erlitten hat, wurde sie dennoch nicht ausgelöscht, und obwohl sie zu hinken begonnen hat, so dass wir vor Empfang der Gnade geneigter zum Bösen sind als zum Guten, wurde sie dennoch nicht völlig beseitigt, es sei denn, dass die Größe der Verbrechen und die Gewohnheit zu sündigen gleichsam zur zweiten Natur geworden sind und bisweilen das Urteil des Verstandes so verdunkeln und die Willensfreiheit so beeinträchtigen, dass jenes ausgelöscht, diese völlig beseitigt zu sein scheint.“63

Im Enchiridion, wo Erasmus von „den drei Übeln, den Resten der Erbsünde“ sprach, drückte er sich schon ähnlich aus: „Wenn auch die Taufe den Fleck der Sünde abgewaschen hat, so bleibt dennoch ein Überbleibsel jener alten Krankheit, bald zum Schutz der Demut, bald als Gegenstand und Same der Tugend. Dies sind die Blindheit, das Fleisch und die Schwäche.“64

Auch Origenes hat anlässlich der Auslegung von Röm. 7, des christlichen locus classicus zur Willensschwäche, von einer „gewissen Schwäche“ (quaedam infirmitas) des Willens gesprochen: „Denn in denen, die anfangen umzukehren, findet sich eine gewisse Schwäche: Wenn jemand sogleich alles Gute vollbringen will, folgt dem Willen nicht unmittelbar die Ausführung.“65 Die Schwäche des Willens wird hier freilich als mangelnde Umsetzung einer grundsätzlichen Orientierung am Guten in einzelnen konkreten Handlungen verstanden, nicht als Unfähigkeit wie bei Augustinus, sich prinzipiell am Guten zu orientieren. Um Luther entgegenzukommen, minimierte Erasmus somit den Anteil des Menschen am Tun des Guten (Walter 180). „Hier können wir jene, welche es nicht gelten lassen, dass der Mensch etwas Gutes vermag, was er nicht Gott verdankt, auf diese Weise versöhnen, dass wir sagen, dass nichtsdestoweniger das ganze Werk Gott verdankt wird, ohne den wir nichts ausrichteten, und was der freie Wille an Wirkung beitrage, überaus gering sei und gerade das göttliches Geschenk sei, dass wir unser Augenmerk darauf richten, was zum Heil dient, oder mit der Gnade mitwirken können.“66 – „Ich billige die Meinung jener, die dem freien Willen einiges zuschreiben, aber der Gnade das meiste.“67

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Erasmus, lib. arb. IIa 8 (p. 25 f. von Walter bzw. p. 49 Lesowsky). EH 55 f. (p. 149 Welzig). Origenes, in Rom. comm. VI 9 (p. 511 Hammond Bammel); Übersetzung: Heither, FC 2/3, 275. Zu Origenes’ praktischem Konzept der Willensschwäche siehe die ausgezeichnete Analyse von Müller, Willensschwäche (wie Anm. 59) 242–284; ders., Willensschwäche und innerer Mensch in Röm 7 und bei Origenes. Zur christlichen Tradition des Handelns wider besseres Wissen, in: ZNW 100 (2009) 223–246 (zu Origenes ebd. 233–242). Erasmus, lib. arb. IV 7 (p. 81 f. von Walter bzw. p. 170 f. Lesowsky). Ebd. IV 16 (p. 90 f. von Walter bzw. p. 188 f. Lesowsky).

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Erfolgreich war Erasmus mit dieser Vermittlungsstrategie nicht, weil er gleichsam zwischen allen Stühlen saß. Auf eine weitere Leistung der Humanisten ist hinzuweisen, weil sie die materiale Voraussetzung für die neuzeitliche Wirkungsgeschichte des Origenes bildet: die von ihnen besorgten Editionen seiner Texte.68 Die lateinischen Übersetzungen des Hieronymus und des Rufinus, die es von seinen Homilien und von De principiis gab, waren zwar recht weit verbreitet, wie die hohe Zahl der Handschriften belegt;69 insbesondere Rufins Übersetzung von De principiis war kein unbekanntes Buch. Doch erst die editorische Arbeit an den lateinischen Texten und die Edition und Verbreitung seiner auf Griechisch erhaltenen Werke machten Origenes wirklich zugänglich. Die lateinische Übersetzung der Apologie gegen Kelsos durch Cristoforo Persona, den dritten Bibliothekar der Vatikanischen Bibliothek, 1481 in Rom70 wurde oben schon erwähnt; sie war von mäßiger Qualität,71 fand aber weite Verbreitung, wurde in Venedig 1514 nachgedruckt und schließlich von Merlin und Erasmus in ihre lateinischen Ausgaben der Werke des Origenes aufgenommen. Mit dieser ersten lateinischen Übersetzung einer Schrift des Origenes seit der Antike wurde ein bis dahin im Abendland völlig unbekanntes Werk des Alexandriners zugänglich, das erst zwischen 1450 und 1455 von Byzanz nach Rom gelangt war.72 „Venezianische Drucker waren es, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts fast das gesamte lateinisch erhaltene Werk des Alexandriners bekannt und zugänglich gemacht haben. In den Jahren von 1503 bis 1516 erschienen in der Lagunenstadt nicht weniger als acht selbständige Origenes-Editionen.“73

Als erste eigenständige Edition von Werken des Origenes erschien 1503 bei Aldus Manutius (Aldo Manuzio) in Venedig (Nachdruck 1512) eine Ausgabe der lateinischen Heptateuchhomilien (Genesis bis Richter),74 1506 dann durch Theophilus 68

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Siehe dazu Schär, Nachleben des Origenes (wie Anm. 23) passim, ferner Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 49) 7–9; Scheck, History of Justification (wie Anm. 57) 158–169. Siehe dazu Fürst, Studien (wie Anm. 25) 230 f., und bes. die umfassende Studie von Wilhelm Adolf Baehrens, Überlieferung und Textgeschichte der lateinisch erhaltenen Origeneshomilien zum Alten Testament (TU 42/1 = 3. Reihe 12/1), Leipzig 1916. Zu dieser Ausgabe: Schär, Nachleben des Origenes (wie Anm. 23) 112–126. Vgl. Schär, ebd. 116 f.; Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 49) 7. Vgl. Schär, ebd. 117 f.; Fürst, Studien (wie Anm. 25) 220. Schär, ebd. 143. Dazu Schär, ebd. 143–152, und bes. Edgar Wind, The Revival of Origen, in: Dorothy Miner (Hg.), Studies in Art and Literature for Belle da Costa Greene, Princeton NJ 1954, 412–424. Der anonyme Herausgeber hat die lateinische Übersetzung irrtümlich dem Hieronymus zugewiesen; sie stammt aber von Rufinus: Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 49) 8 mit Anm. 37.

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Salodianus ebenfalls in Venedig bei Simon de Luere (Simone da Lovere) der lateinische Römerbriefkommentar, den Merlin und Erasmus ebenfalls in ihre Ausgaben aufnahmen.75 Im Jahre 1512 brachte Jacques Merlin bei Jean Petit und Josse Bade in Paris die editio princeps aller bekannten lateinischen Werke des Origenes in vier Foliobänden heraus (Origenis Adamantii Opera omnia, nachgedruckt in Venedig 1516, dann wieder in Paris 1519, 1522, 1526, 1530 und schließlich in Lyon 1536),76 und erneut in Venedig (bei Lazaro Soardo) wurde 1514 Rufins lateinische Fassung von De principiis (sie war auch schon im vierten Band der Merlin’schen Ausgabe enthalten) durch Constantius Hyerothaeus (Costanzo Gerozio) in einer allerdings auf die Hälfte gekürzten Version separat ediert.77 Eine korrigierte Neuauflage der Ausgabe Merlins ist die nicht mehr ganz fertig gewordene Origenes-Ausgabe des Erasmus in zwei Folio-Bänden, die 1536 zwei Monate nach seinem Tod bei Hieronymus Froben in Basel erschien (Origenis Adamantii eximii scripturarum interpretis opera, quae quidem extant omnia; Nachdrucke 1545, 1557 und 1571); sie enthält auch die lateinische Übersetzung der erhaltenen Teile des Matthäuskommentars (Fragmentum commentariorum Origenis in Evangelium secundum Matthaeum), die Erasmus bei Froben bereits 1527 herausgebracht hatte.78 Nach einer weiteren lateinischen Ausgabe, der des Benediktiners Gilbert Génébrard in Paris 1574 (nachgedruckt 1604 und 1619), begann erst im 17. Jahrhundert die Edition griechischer Texte des Origenes: des Briefes an Julius Africanus 1602, der Apologie gegen Kelsos 1605, der Philokalie 1618 (und 1624), der neu entdeckten Jeremiahomilien 1623 und 1648, der Predigt über die ‚Hexe‘ von Endor 1629, der Aufforderung zum Martyrium 1674 und der Schrift über das Gebet 1686 (und 1694).79 Den Höhepunkt der neuzeitlichen Editionsarbeit an den griechischen exegetischen Schriften des Origenes bildete die zweibändige Ausgabe des gelehrten Pierre Daniel Huet in Rouen 1668 und in Paris 1679 (nachgedruckt in Köln 1685).80 Die erste Gesamtausgabe in vier Bänden besorgten die Brüder Charles und Charles Vincent Delarue in Paris 1733–1759 (nachgedruckt durch Jacques-Paul Migne, PG 11–17, Paris 1857–1863). Mit den Ausgaben des 16. und

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Dazu Schär, ebd. 153–160. Auch diese Übersetzung wurde irrtümlich dem Hieronymus statt dem Rufinus zugeschrieben: Godin, ebd. 8. Dazu Schär, ebd. 191–208; Godin, ebd. 417–421. Dazu Schär, ebd. 161–168. Dazu Schär, ebd. 284–294; Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 49) 560–630. Diese Informationen aus Ernst Rudolf Redepenning, Origenes. Eine Darstellung seines Lebens und seiner Lehre, 2 Bde., Bonn 1846 (Nachdruck Aalen 1966), II, 473 f. ΩΡΙΓΕΝΟΥΣ ΤΩΝ ΕΙΣ ΤΑΣ ΘΕΙΑΣ ΓΡΑΦΑΣ ΕΧHΓΗΤΙΚΩΝ ΑΠΑΝΤΑ ΤΑ ΕΛΛΗΝΙΣΤΙ ΕΥΡΙΣΚΟΜΕΝΑ. Petrus Daniel Huetius Graeca ex antiquis codicibus manu scriptis primus maxima ex parte in lucem edidit; quae iam extabant, varias eorum editiones inter se contulit; Latinas interpretationes partim a se, partim ab aliis elaboratas Graecis adiunxit; universa Notis et Observationibus illustravit, Rothomagi MDCLXVIII.

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17. Jahrhunderts war eine entscheidende Grundlage für die Rezeption des Origenes in der Neuzeit geschaffen.

3. Origenes und der Platonismus der Schule von Cambridge Eine zentrale Rolle hat das Denken des Origenes in einer in der deutschen Forschung wenig bekannten81 Epoche der Philosophiegeschichte gespielt: bei den Cambridger Platonikern. Die Mitglieder dieses Kreises am Emmanuel College und am Christ’s College in Cambridge vertraten in den blutigen Konflikten im England des 17. Jahrhunderts eine liberale Theologie und eine pazifistisch-tolerante Haltung. Ihr Denken stand in einem breiten philosophischen, vor allem platonischen Kontext, und sie verbanden eine tief fundierte akademische Systematik mit praktischer Ethik und lebenstauglichem Wissen.82 Die Platoniker von Cambridge verstanden sich selbst „als Hüter einer religiösen und philosophischen Tradition“83 – und damit auch einer theologischen Tradition, da sie diese von Philosophie nicht trennten –, die nach ihrer Vorstellung bis in älteste Zeiten zurückreicht und in allen Überlieferungen aufzufinden ist. Eine wichtige Inspirationsquelle für ihren „Denktypus“,84 in dessen Zentrum die unauflösliche Verbindung des Glaubens mit der Vernunft, von Theologie und Philosophie steht (Hedley 186 f.), bildete, neben der Bibel und neben Platon und Plotin, Origenes. In den Jahren zwischen 1658 und 1662 erlebte Origenes regelrecht eine Art von Renaissance in England, die gewiss auch durch die Ausgabe der Philokalie sowie der Apologie gegen Kelsos durch William Spencer 1658 angeregt und durch die englische Übersetzung ihrer ersten beiden Bücher durch James Bellamy – das Jahr der Publikation steht nicht fest: entweder 1660 oder erst 1710 – weiter gefördert wurde.85 Der Beitrag des Origenes zur Denkform der Cambridger Platoniker wird bislang allerdings nur wenig und oft gar nicht wahrgenommen, und so gibt

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Die Ausnahme ist das Standardwerk von Ernst Cassirer, Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge (SBW 24), Leipzig/Berlin 1932, erneut abgedruckt in: ders., Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance. Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge, Text und Anmerkungen bearb. von Friederike Plaga/Claus Rosenkranz (ECW 14), Hamburg 2002, 221–380. Vgl. Hutton, Cudworth (wie Anm. 39) x–xi. Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 224. Diesen zu erheben ist die Intention von Cassirer, ebd. 227. Vgl. Origen, Contra Celsum, transl. with an introduction and notes by Henry Chadwick, Cambridge u. a. 21965 (Nachdruck 1980), xxxii, und im Anschluss daran Wolfram Kinzig, Polemics reheated? The reception of ancient anti-Christian writings in the Enlightenment, in: ZAC 13 (2009) 316–350, hier 331.

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es nur sehr wenig Literatur dazu.86 Auch Ernst Cassirer erwähnt in seiner magistralen Darstellung der platonischen Renaissance in England und der Schule von Cambridge Origenes lediglich zweimal an einer Stelle,87 einmal in Verbindung mit Colet, einmal in Verbindung mit Erasmus, beide Male im Zusammenhang mit ihrem, unter anderem anti-augustinisch motivierten Rückgriff auf griechische Kirchenväter; zu Erasmus zitiert Cassirer dabei lediglich das allbekannte Bonmot aus einem Brief an Johannes Eck vom 15. Mai 1518, eine Seite Origenes lehre ihn mehr christliche Philosophie als zehn von Augustinus – Plus me docet Christianae philosophiae unica Origenis pagina quam decem Augustini.88 In Cassirers Einordnung der Platoniker von Cambridge in die Philosophie- und Theologiegeschichte89 – in der er sie zu Unrecht nicht als moderne Denker begreift (Hedley 186)90 – spielt Origenes allerdings keinerlei Rolle; von Plotin geht Cassirer direkt zur Florentinischen Akademie über.91 Dabei stand der Alexandriner für zentrale philosophischtheologische Anliegen und Gedanken der Cambridger, ja ihrer ganzen Denkweise, so offenkundig Pate, dass man, ungeachtet der zuweilen heftigen Kritik an einzelnen origeneischen Gedanken, auch von den Origenisten von Cambridge sprechen könnte. Ich illustriere dies an einigen vorläufigen Beobachtungen, die anhand von Cassirers Traktat gewonnen sind: Die Weite des Denkens der Platoniker von Cambridge äußert sich nicht nur in Toleranz gegenüber anderen Meinungen, sondern deutlich darüber hinausgehend vor allem darin, dass sie der Verschiedenheit einen eigenen Wert zusprechen. Benjamin Whichcote (1609–1683), der als „der eigentliche Begründer“ der 86

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Zu verweisen ist lediglich auf Marialuisa Baldi (Hg.), „Mind Senior to the World“. Stoicismo e origenismo nella filosofia platonica del Seicento inglese, Mailand 1996; Rhodri Lewis, Of „Origenian Platonisme“. Joseph Glanvill on the Pre-existence of Souls, in: Huntington Library Quarterly 69 (2006) 267–300; Sarah Hutton, Iconisms, Enthusiasm and Origen. Henry More Reads the Bible, in: Ariel Hessayon/Nicholas Keene (Hg.), Scripture and Scholarship in Early Modern England, Aldershot 2006, 192–207; Christian Hengstermann, Ralph Cudworth (wie Anm. 41). Siehe auch den Tagungsbericht von dems., Origen in Early Modern Cambridge. A Conference on the Cambridge Origenists and George Rust’s Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of his Opinions, in: Adamantius 17 (2011) 303–316. Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 304 f. Erasmus, ep. 844 (III p. 337 Allen). Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 290–322. Cassirer sprach freilich mit einer dafür unpassenden Kategorie von Einordnung in die „allgemeine Religionsgeschichte“ (ebd. 290). Graham A. J. Rogers, Die Cambridge-Platoniker und das neue Wissen, in: Theo Kobusch/Burkhardt Mojsisch (Hg.), Platon in der abendländischen Geistesgeschichte, Darmstadt 1997, 155–169, entwirft gegen Cassirer ein Bild von der Entwicklung im 17. Jahrhundert, nach dem die platonische Ontologie der Cambridger durchaus mit dem neuen naturwissenschaftlichen Denken kompatibel ist. Vgl. Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 301.

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Platonikerschule von Cambridge gilt,92 hat Recht und Notwendigkeit von Verschiedenheit ganz pointiert formuliert: „It is better for us, that there shou’d be Difference of Judgement; if we keep Charity: but it is most unmanly to Quarrel, because we Differ.“ – „Our Fallibility and the Shortness of our Knowledge should make us peaceable and gentle: because I may be Mistaken, I must not be dogmatical and confident, peremptory and imperious. I will not break the certain Laws of Charity, for a doubtful Doctrine or of uncertain Truth.“93

Mit dieser Einstellung erreichten die Cambridger Platoniker gerade das Gegenteil dessen, was sie bezweckten: Sie wurden heftig angefeindet und angesichts der ‚Weite‘ einer solchen Haltung mit dem Schimpfnamen ‚Latitudinarier‘ bedacht.94 Auch Origenes hat, ausgehend von 1 Kor. 11,19: „Denn es muss auch Spaltungen unter euch geben, damit die Bewährten offenbar werden unter euch“, voneinander abweichende Meinungen als unvermeidlich erachtet und ihnen eine positiven Wert zugesprochen. Auf Vorhaltungen des Kelsos, die Christen seien von Anfang an nur auf Streit und Spaltung aus gewesen, verweist Origenes darauf, dass es überall dort, wo es  – wie in der Medizin oder in der Philosophie  – um etwas Ernsthaftes und für das Leben Nützliches gehe, verschiedene Ansichten gebe, die auch miteinander im Widerstreit liegen. Die Sekten bzw. Häresien im Christentum seien nicht aus Streitsucht entstanden, sondern weil ein guter Teil der Gebildeten danach strebte, die Geheimnisse des Christentums zu verstehen. Diese aus Erkenntnisdrang entstehende Meinungsvielfalt könne der Einzelne sich sogar zunutze machen: Die intensive Auseinandersetzung mit ihnen sei eine Hilfe auf dem eigenen Weg zu mehr Einsicht, ja zum „weisesten Christen“ werde man nur durch sorgfältige Beschäftigung mit den diversen Ansichten.95 Diese Maxime hat Origenes in seiner eigenen theologischen Praxis im größtmöglichen Umfang umgesetzt, indem er in konstruktiver Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten, nicht nur christlichen Traditionen seine eigenen Gedankengänge formte. Bei aller metaphysischen Stringenz verkörpert er eine jeder starren Dogmatik abholde, hypothesenfreudige Theologie, die alternativen Konzepten ausdrücklich offen und lernbereit begegnet. Gerade für diese Weite und Offenheit seines Denkens ist er dann wieder und wieder angefeindet worden.96 In dieser Einstellung der Cambridger Origenisten bekundet sich „eine neue Grundschicht“, „eine andere Dimension des Religiösen“,97 die in folgendem Be92 93 94 95 96 97

Ebd. 241. Benjamin Whichcote, Moral and Religious Aphorisms (1703). Now re-published, with very large Additions, … by Samuel Salter, London 1753, Nr. 569 and 130. Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 250 f. Origenes, Cels. III 12 f. (GCS Orig. 1, 211–213). Siehe dazu Fürst, Studien (wie Anm. 25) 3. 13. Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 251.

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kenntnis Whichcotes zum Ausdruck kommt: „Non sum Christianus alicujus nominis.“98 Henry More (1614–1687), der mit dem Enchiridion ethicum das ethische Hauptwerk der Cambridger Platoniker verfasste,99 hat einem streng gläubigen puritanischen Kontrahenten im selben Sinn geantwortet: „… I am above all Sects whatsoever as Sects: For I am a true and free Christian; and what I write and speak, is for the Interest of Christ, and in behalf of the Life of the Lamb which is despis’d.“100 Man kann kaum umhin, beim Lesen dieser Sätze an das berühmte Selbstzeugnis des Origenes zu denken: Ego vero, qui opto esse ecclesiasticus et non ab haeresiarchae aliquo, sed a Christi vocabulo nuncupari et habere nomen, quod benedicitur super terram, et cupio tam opere quam sensu et esse et dici christianus, … – „Ich aber möchte ein Mann der Kirche sein und nicht nach dem Gründer irgendeiner Häresie genannt werden, sondern nach Christi Namen, der gepriesen ist auf Erden, und ich möchte diesen Namen tragen; ja, ich will in Tat und Denken Christ sein und heißen.“101

Unabhängig von der Frage, ob Whichcote und More in direkter Anlehnung an Origenes so geredet haben, drückt sich darin eine grundsätzliche Übereinstimmung ihrer religiösen und christlichen Haltung aus. Mit dem systematischen Hauptwerk des Cambridger Platonikerkreises, The True Intellectual System of the Universe von 1678,102 verfolgte Ralph Cudworth (1617–1685) das Ziel, die religiöse und sittliche Freiheit gegen jede Form von Fatalismus zu verteidigen. Er wandte sich darin gegen zwei Fronten (Hedley 186): gegen die sensualistische und mechanistische Erklärung geistiger Phänomene in der neuen materialistischen Philosophie des 17. Jahrhunderts sowie gegen die calvinistische Prädestinationslehre im Puritanismus, die den Wertbegriffen ‚gut‘ und ‚böse‘, ‚gerecht‘ und ‚ungerecht‘ dadurch jeden Sinn raubt, dass „sie sie aus der absoluten, durch kein inneres Gesetz gebundenen Willkür Gottes entspringen

Whichcote, Brief 2: Eight Letters: which passed between Dr. Whichcote … and Dr. Tuckney  … on several very interesting Subjects, in: Whichcote, Aphorisms (wie Anm. 93) 41–65, hier 53 (kursiv im Original), an seinen früheren Lehrer Anthony Tuckney (1599– 1670), der die angebliche Lauheit dieser Art von Christsein für höchst gefährlich hielt und Whichcote heftig angriff: Cassirer, ebd. 250. 275. 99 Henry More, Enchiridion ethicum, in: ders., Opera omnia, 3 Bde., London 1679 (Nachdruck Hildesheim 1966), Bd. II/1, 11–96. 100 Richard Ward, The Life of Henry More, hg. von Sarah Hutton u. a. (AIHI 167), Dordrecht/ Boston/London 2000, 115. 101 Origenes, in Luc. hom. 16,6 (GCS Orig. 92, 97 f.); Übersetzung: Hermann-Josef Sieben, FC 4/1, 189–191. Vgl. in Lev. hom. 1,1 (GCS Orig. 6, 281): ego ecclesiasticus sub fide Christi vivens et in medio ecclesiae positus – „Ich bin ein Mann der Kirche, lebe im Glauben an Christus und stehe mitten in der Kirche.“ 102 Siehe oben Anm. 35. 98

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lässt“.103 Die ethischen Werte von ‚richtig‘ und ‚falsch‘, ‚gut‘ und ‚schlecht‘ sind für Cudworth keine relativen Begriffe und gründen nicht auf Konvention.104 Das entspricht dem Programm der Theologie des Origenes, der gegen den Konventionalismus und Relativismus des Kelsos energisch für die absolute und universale Geltung der grundlegenden ethischen Normen eintrat.105 Eine weitere fundamentale Parallele zwischen Cudworth und Origenes besteht darin, dass Cudworth eine Analogie zwischen dem Verstehen eines Buches und dem Verstehen der Natur zieht: Der Verstand ist fähig, in beidem eine Bedeutung zu entdecken, die der Schöpfer in sie hineingelegt hat.106 Auch Origenes nahm eine Analogie zwischen einem Buch, der Bibel, und der Natur an, die darauf beruht, dass beide von demselben Prinzip der Rationalität der Wirklichkeit, griechisch: dem λόγος – den er mit dem Λόγος Christus identifizierte – bis ins kleinste Detail durchdrungen sind. Mit dieser Verbindung von Textdeutung und Weltdeutung als Wegen der Gotteserkenntnis legte Origenes die Grundlagen für eine wissenschaftliche Theologie.107 Nicht von ungefähr hat Cudworth seiner Hauptschrift ein Motto aus Origenes vorangestellt: Γυμνάσιον τῆς ψυχῆς Ἡ ἈΝΘΡΩΠΙ΄ΝΗ ΣΟΦΙ΄Α, Τέλος δὲ Ἡ ΘΕΙ΄Α – „Übungsstätte für die Seele ist die menschliche Weisheit, Ziel und Vollendung aber die göttliche“ (Hedley 185).108 Die enge Beziehung zwischen Mensch und Gott – der göttliche Logos wirkt als innerstes Lebensprinzip des Menschen – steckt auch im „Lieblingsspruch Whichcotes, den er wieder und wieder in seine Predigten einzuflechten pflegte“ und der, gebildet nach Spr. 20,27, „der gemeinsame Wahlspruch aller Denker der Schule von Cambridge“ wurde: „The spirit in man is the candle of the Lord lighted by God, and lighting men to God.“109 Nathaniel Culverwell (1618–1651) knüpfte daran eine Predigtreihe am Emmanuel College in den Jahren 1646/47, die 1652 publiziert und

103 Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 284. Vgl. auch Hutton, Cudworth (wie

Anm. 39) xvi–xvii. 104 Vgl. Hutton, ebd. xxi. 105 Vgl. Origenes, Cels. I 1 (GCS Orig. 1, 56); V 25–28 (2, 26–29). Dazu Fürst, Studien (wie

Anm. 25) 463–468, zu den gesellschaftlich-politischen Implikationen. 106 Ralph Cudworth, A Treatise Concerning Eternal and Immutable Morality IV 2,16 (wie

Anm. 39) 99 f. Vgl. dazu Hutton, Cudworth (wie Anm. 39) xxiii; Hengstermann, Ralph Cudworth (wie Anm. 41) 209 f. 107 Origenes, in Ps. prol. (?) frg., überliefert in philoc. 2,4 f. (p. 39 Robinson bzw. SC 302, 246). Siehe dazu Fürst, Studien (wie Anm. 25) 93–95; ders., Origen. Exegesis and Philosophy in Early Christian Alexandria, in: Josef Lössl/John Watt (Hg.), Interpreting the Bible and Aristotle. The Alexandrian Commentary Tradition Between Rome and Baghdad, Farnham/Burlington 2011, 13–31, hier 29–31. 108 Origenes, Cels. VI 13 (GCS Orig. 2, 83). 109 Benjamin Whichcote, The Exercise and Progress of a Christian, in: ders., The Works, 4 Bde., Aberdeen 1751, Bd. 1, 359–373, hier 371 (kursiv im Original). Die Zitate davor aus Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 253.

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dreimal nachgedruckt wurde.110 Das Denken des Origenes ist wesentlich davon geprägt, dass er Glaube und Vernunft, Jerusalem und Athen, konkret: Bibel und Philosophie zu einer engen Einheit verbunden hat, und zwar über den Gedanken, dass das Innerste im Menschen das ist, was Gott ist und was der Mensch Gott verdankt: Sein, Vernünftigsein, Gutsein. In der Tradition dieser Theologie haben die Platoniker und Origenisten von Cambridge ihr Konzept von Religion geformt: „Gegenüber einer Religion der Furcht wird jetzt eine Religion der Freiheit, gegenüber einer Religion der Selbsterniedrigung wird eine Religion des unbedingten Vertrauens gelehrt: ein Vertrauen, das keine bloße Zuversicht auf eine übermächtige Hilfe bedeutet, sondern eine innere Zuversicht auf die Kräfte des menschlichen Geistes und des menschlichen Willens in sich schließt.“111 Am eindrucksvollsten und schönsten hat John Smith (1616–1652) dieses religiöse Ideal beschrieben:112 „Religion  … does not consist in a few melancholy passions, in some dejected looks or depressions of mind; but it consists in freedom, love, peace, life and power; … it is full of a vigorous and masculine delight and joy, and such as advanceth and ennobles the soul, and does not weaken or dispirit the life and power of it.“113 – „The spirit of true religion is of a more free, noble, ingenuous an generous nature … Love … thaws all those frozen affections which a slavish fear had congealed and locked up, and makes the soul most chearful, free, and nobly resolved in all its motions after God.“114 – „The more high and noble any being is, the deeper radication have all its innate virtues and properties within it, and are by so much the more universal in their issues and actings upon other things: and such an inward living principle of virtue and activity, further heightened, and united, and informed with light and truth, we may call liberty. Of this truly noble and divine liberty, religion is the mother and nurse … The most generous freedom can never be taken in its full and just dimensions and proportion, but then, when all the powers of the soul exercise and spend themselves, in the most large and ample manner, upon the infinite and essential goodness, as upon their own most proper object. … true religion indeed is no art, but an inward nature that contains all the laws and measures of its motion within itself.“115

110 Nathaniel Culverwell, An Elegant and Learned Discourse of the Light of Nature, London

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1652 (Nachdrucke 1654, 1661 und 1669). Vgl. Lewis, „Origenian Platonism“ (wie Anm. 86) 271. Cassirer, ebd. 319. Noch ausführlicher zitiert ebd. 348–350. John Smith, The Excellency and Nobleness of True Religion, in: ders., Select Discourses, hg. von John Worthington, London 1660, neu hg. von Henry Griffin Williams, Cambridge 41859, 385–459, hier 458. 425. John Smith, A Discovery of the Shortness and Vanity of a Pharisaical Righteousness, in: ders., Select Discourses (wie Anm. 113) 361–384, hier 377. Smith, Excellency and Nobleness (wie Anm. 113) 404 f.

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Douglas Hedley (Cambridge) geht in seinem Beitrag weiteren spezifischen Einflüssen des Origenes auf die Cambridger Platoniker nach, und zwar anhand von drei Themen und drei Denkern. Für die Theorie der geistigen Sinne bzw. Wahrnehmung als angemessener Modus der Gotteserkenntnis rekurrierte Smith direkt auf Origenes (Hedley 188 f.), der dieses Konzept unter Rückgriff auf platonische Gedankengänge geschaffen hat.116 Die Junktur: „Θειότερόν τι πάσης ἀποδείξεως, ‚a most divine demonstration‘, as Origen speaks“,117 hat Smith wohl in Anlehnung an die Aussage in der Apologie gegen Kelsos formuliert, ὅτι ἔστι τις οἰκεία ἀπόδειξις τοῦ λόγου, θειοτέρα παρὰ τὴν ἀπὸ διαλεκτικῆς ἑλληνικήν, „dass es einen eigenen Nachweis für den Logos gibt, der göttlicher ist als der griechische auf der Basis der Dialektik“.118 Ein zweites Thema ist die Präexistenz der Seele, die von manchen Cambridgern in dieser Zeit vertreten wurde – das Hauptwerk dazu ist Joseph Glanvills anonym publizierte Schrift Lux Orientalis von 1662119 –, auffälligerweise allerdings nicht von Cudworth (Hedley 191). More verteidigte sie als Konsens der größten Philosophen aller Zeiten, darunter Origenes, „that Miracle of the Christian World“,120 wie er ihn nannte, „the greatest Light and Bulwark that antient Christianity had“.121 Das dritte Thema schließlich, die Trinität, steht im Kontext heftiger Debatten über sie, die unter anderem von den anti-trinitarischen Argumenten der ‚Sozinianer‘ bzw. ‚Unitarier‘ gespeist wurden (Hedley 192 f.). Cudworth verteidigte die Trinität als rationales Konzept vom Göttlichen, das bei platonischen Philosophen der Antike genauso zu finden sei wie bei den

116 Siehe dazu Karl Rahner, Le début d’une doctrine des cinq sens spirituels chez Origène,

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in: RAM 13 (1932) 113–145; vereinfachte und gekürzte deutsche Übersetzung: Die geistlichen Sinne nach Origenes, in: ders., Schriften zur Theologie XII. Theologie aus Erfahrung des Geistes, bearbeitet von Karl-Heinz Neufeld, Zürich/Einsiedeln/Köln 1975, 111–136; John Dillon, Aisthêsis Noêtê. A Doctrine of Spiritual Senses in Origen and in Plotinus, in: André Caquot/Mireille Hadas-Lebel/Jean Riaud (Hg.), Hellenica et Judaica. Festschrift für Valentin Nikiprowetsky, Leuven/Paris 1986, 443–455; erneut in: ders., The Golden Chain. Studies in the Development of Platonism and Christianity (Variorum. CS 333), Aldershot u. a. 1990, Nr. XIX. Smith, Select Discourses (wie Anm. 113) 4. Origenes, Cels. I 2 (GCS Orig. 1, 57). [Joseph Glanvill,] Lux Orientalis, or an Enquiry Into the Opinion of the Eastern Sages, Concerning the Praeexistence of Souls. Being a Key to Unlock the Grand Mysteries of Providence, in Relation to Mans Sin and Misery, London 1662. Siehe dazu Lewis, „Origenian Platonism“ (wie Anm. 86), bes. 276–280. Henry More, A Collection of Several Philosophical Writings, 2 Bde., London 1662 (Nachdruck New York/London 1978), I, The preface general xxi; lat. in: ders., Opera omnia II/2, London 1679 (Nachdruck Hildesheim 1966), Praefatio generalis 12. Ders., The Immortality of the Soul, London 1659, II 12,11 (ed. by Alexander Jacob [AIHI 122], Dordrecht/Boston/Lancaster 1987, 150). Vgl. Lewis, „Origenian Platonism“ (wie Anm. 86) 273.

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christlichen,122 und rekurrierte dafür unter anderem auf Origenes, von dessen heilstrinitarischem Konzept er klar angeregt war, das er allerdings nicht unkritisch aufgriff (Hedley 193 f.). Die Begeisterung für Origenes, die in diesen Texten zu spüren ist, entstammte teils dem Einfluss des Erasmus, teils dem Faible für kühne theologische Spekulation (Hedley 196).123 Mit ihrem platonisch-origeneischen Verständnis des christlichen Glaubens und ihrem religiös fundierten Autonomiebegriff waren die Cambridger Platoniker durchaus moderne Denker, die gleichsam eine Brücke zwischen der Philosophie des Renaissance-Humanismus und der Philosophie der Aufklärung bildeten. So lassen sich auch Einwirkungen auf spätere Denker feststellen, etwa Whichcotes auf Lessings Idee der Religion und seiner Wesensbestimmung des Christentums.124 Es ist vor allem der Moralphilosoph Anthony Shaftesbury (1671–1713) gewesen, der dabei als Vermittler fungierte;125 er war zum Beispiel ein wichtiger Referenzautor für Immanuel Kant (zu diesem unten). Insbesondere in seinem Kampf gegen eine heteronome, durch Drohungen mit Lohn und Strafe aufgezwungene Religion und Moral wusste Shaftesbury sich mit den Platonikern von Cambridge einig.126 Aus dem nicht fest umrissenen Kreis dieser englischen Platoniker und Origenisten werden im vorliegenden Band zwei Gestalten eigens behandelt, von denen der Mann, George Rust, für den formalen, die Hermeneutik betreffenden Einfluss des Origenes ausgewertet wird, die Frau, Anne Conway, für die inhaltliche Seite. Der Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions, der in London 1661 anonym erschien,127 doch George Rust (gest. 1670), einem Fellow 122 Weiteres dazu bei Douglas Hedley, The Platonick Trinity. Philology and Divinity in

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Cudworth’s Philosophy of Religion, in: Ralph Häfner (Hg.), Philologie und Erkenntnis. Beiträge zu Begriff und Problem frühneuzeitlicher „Philologie“ (Frühe Neuzeit 61), Tübingen 2001, 247–263. Cudworth, True Intellectual System (wie Anm. 35) 559 (= III p. 59 Birch). Vgl. Cassirer, Schule von Cambridge (wie Anm. 81) 325. Darüber ausführlich ebd. 344–380. Vgl. ebd. 369 und im Anschluss daran Daniel Pickering Walker, The Decline of Hell. Seventeenth-Century Discussions of Eternal Torment, Chicago/London/Toronto 1964, 10. 167–177. A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions. Written to the Learned and most Ingenious C. L. Esquire; and by him published, London, Printed in the year MDCLXI. Ich danke den Bibliothekaren in der Rare Books Collection der Firestone Library der Princeton University, wo ich ein Originalexemplar dieses Büchleins im August 2011 einsehen konnte. Reprographischer Nachdruck: A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions by George Rust. Reproduced from the Edition of 1661 with a bibliographical note by Marjorie Hope Nicolson (The Facsimile Text Society. Series III: Philosophy, vol. 3), New York 1933. Davor waren zwei Nachdrucke erschienen in: The Phenix: or a Revival of Scarce and Valuable Pieces, 2 Bde., London 1707, I, 1–85, und in: A collection of choice, scarce, and valuable tracts, 2 Bde., London 1721.

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von Christ’s College in Cambridge und späterem Bischof von Dromore in Irland, zugeschrieben werden kann, ist ein furioses Werk. Rust verteidigt darin Origenes gegen Vorurteile und gegen seine dogmatische Verurteilung, die er für ungerechtfertigt hält. Dargestellt als Antwort auf fünf Fragen eines fiktiven „C. L. Esquire“, den – was ebenfalls Fiktion ist – der Autor mit einem Vorwort an den Leser als Herausgeber auftreten lässt, bietet der Traktat weit mehr als eine Verteidigung des Origenes, nämlich  – noch vor Pierre Daniel Huets berühmten Origeniana von 1668,128 aber nach der Verteidigung des Origenes durch den Jesuiten Pierre Halloix von 1648129 – eine systematische Darstellung seiner zentralen Lehren oder besser: Gedankengänge. Zum ersten Mal wird damit nicht nur die Person des Origenes verteidigt, sondern  – und darin liegt die besondere Kühnheit dieses Textes – seine umstrittenen Lehren. So begnügt Rust sich denn auch mit einer knappen Auflistung der schon in der Antike kontroversen Meinungen zur Person des Origenes130 und der Einwände gegen seine Lehre131 – die wenigen Seiten bieten einen veritablen, sowohl kenntnisreichen als auch urteilssicheren Abriss des Ersten Origenismusstreits an der Wende zum 5. Jahrhundert –, um ausführlich seine zentralen Lehren bzw. Gedankengänge darzustellen.132 Diese bündelt er zu sechs Themenkreisen: Trinität, Präexistenz der Seele, Sünde und Fall der Seele in Körperlichkeit, Auferstehungsleib, Apokatastasis und Weltenzyklen, zu denen er im letzten Teil Einwände und deren Widerlegung vorbringt.133 Präzise wiedergegeben, liest sich Rusts Liste der Hauptlehren des Origenes wie folgt: „I. His doctrine concerning the Holy Trinity, amongst the hypostases whereof, they say, he puts an inequality. II. That the Souls of men do praeexsist. III. That through their fault and negligence they appear here inhabitants of the earth cloath’d with terrestrial bodies. IV. That the mystery of the Resurrection is this, that we shall be cloathed with heavenly or aethereal bodies.

128 Siehe oben Anm. 80. 129 Petrus Halloix, Origenes defensus sive Origenis Adamantii presb. amatoris Iesu vita, vir-

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tutes, documenta, item veritatis super eius vita, doctrina, statu, exacta disquisitio, Leodii MDCXLVIII. [Rust,] Letter of Resolution (wie Anm. 127) 3–5: „What opinion the Ancients had of the Worth, Spirit and temper of his Person“ (die Frage ebd. 3). Ebd. 6–13: „What they thought of his Doctrine“ (die Frage ebd. 3; ebd. 6 wiederholt mit „Doctrines“ im Plural). Ebd. 13 f.: „What his Dogmata are“ (ebd. 3 und 13) und 14–95: „By what Arguments he asserted them“ (die Frage ebd. 3). Ebd. 95–136: „By what his Adversaries endeavoured to confute them, and how I imagine an Origenist would answer to their Objections“ (die Frage ebd. 3; vgl. ebd. 95).

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V. That after long periods of time the damned shall be delivered from their torments, and try their fortunes again in such regions of the world as their Nature fits them for. VI. That the Earth after her Conflagration shall become habitable again, and be the mansion of men and other animals; and this in eternal vicissitudes.“134

Ein auffälliger Aspekt von Rusts Vorgehensweise, auf den Ulrike Weichert (Berlin) in ihrem Beitrag eingeht, ist die beständige Relativierung seiner eigenen Darstellung. Nicht nur in der kurzen Einführung,135 sondern auch im Herausgeberbrief von „C. L.“ an den Leser („To the Reader“) betont Rust, dass er zu einer solchen Darstellung erstens im Grunde nicht befähigt ist und dass sie daher zweitens unfertig und ungeschickt ausgefallen ist: „For neither are the foundations of my reasonings lay’d low enough, nor firmly setled, … nor is the order of my conceptions upon any of the Opinions such as it ought to be: … My Answers to Objections have the same carelesness in them, …; which must needs render my answer weak and obscure to strict logical readers. Many of my interpretations of Scripture are rather extravagant or pleasant then the serious confirmations of a weighty cause, … I am also much too short in most of the points debated.“136

Diese starke Relativierung, ja Abwertung des eigenen Textes, die mehr ist als understatement oder captatio benevolentiae, dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass der ‚Ketzer‘ Origenes nicht einfach direkt verteidigt werden konnte und ein solches Lavieren und Versteckspiel wohl Schutz vor Verfolgung bieten sollte (Weichert 211–213). Es lassen sich allerdings auch tiefere Hintergründe ausmachen, und zwar in der Pädagogik und in der protreptischen Hermeneutik des Origenes, mit der dieser den Leser an komplexe Sachverhalte schrittweise heranführen und zu selbstständigem Denken motivieren wollte (Weichert 210 f.). Dieses Verfahren, das Rust für seine Darstellung aufgreift, kann man einerseits mit der sokratisch-platonischen Maieutik verbinden (Weichert 209 f.) – wie Origenes ja überhaupt ein Philosophieren im Geiste des Sokrates und Platons pflegte137 – und andererseits mit der Denkform von Leo Strauss (Weichert 213–219). Dieser ging zwar von einer strikten Trennung von Theologie und Philosophie aus, wie sie Origenes und Rust gerade nicht kannten, doch wäre es wohl lohnenswert, diese protreptische Hermeneutik, die für gewöhnlich unter dem Begriff der Esoterik 134 Ebd. 14. 135 Ebd. 1 f.: Rust betont „my own inability“ und fürchtet, den Lehren des Origenes „through

my unskilful representation of them“ zu schaden (ebd. 2). 136 „C. L.“ zitiert hier im „Herausgeberbrief “ aus einem angeblichen Brief Rusts an ihn (ohne

Paginierung). Zum Schluss des Letters of Resolution entschuldigt Rust sich nochmals bei seinem Adressaten für die mangelhafte Ausführung (ebd. 135 f.). 137 Genaueres zum Origenes Socraticus bei Fürst, Origenes und seine Bedeutung (wie Anm. 62) 15 f.

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verhandelt wird,138 in der hier aufscheinenden historischen Tiefendimension einmal zum Gegenstand einer eingehenderen Untersuchung zu machen. Henry More, neben Ralph Cudworth das führende Mitglied der Cambridger Platoniker, sandte den Letter of Resolution – ohne den Autor zu kennen – an Anne Conway (1631–1679). Von dieser in ihrer Zeit höchst ungewöhnlichen Frau und bemerkenswerten Philosophin139 ist, neben Briefen,140 eine einzige Schrift erhalten: The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy, die sie während der letzten zwei Jahre ihres Lebens verfasste. Das englische Original ist verloren; postum und anonym erschienen 1690 in Amsterdam eine lateinische Übersetzung (Nachdruck London 1692) und zwei Jahre darauf 1692 in London eine daraus angefertigte Rückübersetzung in das Englische.141 Conway nennt in den Principles Origenes nicht namentlich, ist aber, wie Sarah Hutton (Aberystwyth) in ihrem Beitrag differenziert nachweist, von seinem Denken beeinflusst und verfügte wohl über eine direkte Kenntnis seiner Schriften, ohne dass wir freilich sicher sagen könnten, wie detailliert ihre Origenes-Kenntnisse waren.142 Im Besonderen vertrat Conway wie Rust und Glanvill, doch anders als More, Whichcote und Cudworth, die die Ewigkeit der Hölle und der Höllenstrafen nicht leugneten,143 die Apokatastasis – wohingegen More die Präexistenz der Seele verteidigte (Hutton 222–225), die Conway offenbar nur bedingt akzeptierte (Hutton 230) – und machte sie zum Schlüsselprinzip ihrer Ontologie (Hutton 227).144 Conway nimmt an, dass zu einem guten Gott nur die Erlösung von Allem passt; Strafen haben

138 Siehe dazu oben S. 15 f. 139 Sarah Hutton, Anne Conway. A Woman Philosopher, Cambridge 2004, hat ihr eine

wunderbar zu lesende Monographie gewidmet. 140 Ausgabe: The Conway Letters. The Correspondence of Anne, Viscountess Conway, Henry

141

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More, and their Friends (1642–1684), ed. by Marjorie Hope Nicolson, New Haven 1930. Revised edition: The Conway Letters, with an introduction and new material by Sarah Hutton, Oxford 1992. Die Ausgabe: Anne Conway, The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy, ed. with an Introduction by Peter Loptson (AIHI 101), The Hague/Boston/London 1982, enthält die lateinische Version von 1690 (ebd. 61–145) und die englische Fassung von 1692 (ebd. 147–231). Eine neue Übertragung in modernes Englisch bietet: Anne Conway, The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy, translated and ed. by Allison P. Coudert/Taylor Corse, Cambridge 1996. Vgl. auch Hutton, Anne Conway (wie Anm. 139) 69. Siehe dazu Walker, The Decline of Hell (wie Anm. 126) 9 f. 122–137. Sarah Hutton, Henry More and Anne Conway on Preexistence and Universal Salvation, in: Marialuisa Baldi (Hg.), „Mind Senior to the World“. Stoicismo e origenismo nella filosofia platonica del Seicento inglese, Mailand 1996, 113–125; vgl. ebd. 121: „So central is Lady Conway’s commitment to apocatastasis that it becomes the key principle of her ontology.“ Vgl. dies., Anne Conway (wie Anm. 139) 69 f.; Walker, ebd. 137–141.

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einen medizinischen Zweck, dienen also, wie bei Origenes,145 der Erziehung und Heilung (Hutton 230 f.): „… all degrees and kinds of sin have their appropriate punishments, and all these punishments tend toward the good of creatures, so that the grace of God will prevail over judgment and judgment turn into victory for the salvation and restoration of creatures … For the common notion of God’s justice, namely, that whatever the sin, it is punished by hellfire and without end, has generated a horrible idea of God in men, as if he were a cruel tyrant rather than an benign father towards all his creatures. If, however, an image of a lovable God was more widely known, such as he truly is and shows himself in all his dealings with his creatures, and if our souls could inwardly feel and taste him, as he is charity and kindness itself and as he reveals his intrinsic self through the light and spirit of our Lord Jesus Christ in the hearts of men, then, and only then, will men finally love God above everything and acknowledge him as the most loving, just, merciful God, fit to be worshipped before everything, and as one who cannot inflict the same punishment on all sinners.“146

Aufgrund des universalen Zuschnitts ihres Denksystems, in dem die freien Vernunftwesen ständig in Bewegung sind auf einem Weg, der ethisch wie ontologisch nach oben wie nach unten führen kann, hat Sarah Hutton Anne Conway zu Recht „an Origenist in spirit“ genannt.147 Die Vereinbarkeiten reichen dabei weiter als bei ihrem Mentor und Freund More (Hutton 228. 232). Nicht nur hat sie auf dessen dringende Empfehlung hin den Letter of Resolution gelesen – mit dessen Autor Rust sie befreundet war, ohne von seiner Autorschaft zu wissen –, sondern kannte angesichts etlicher Parallelen im Detail vermutlich sogar De principiis aus eigener Lektüre (Hutton 232). Ein eigenes Problem bildet die Abgrenzung von Einflüssen oder Parallelen, die man mit Origenes in Verbindung bringen kann, von der Kabbala. Die Erklärung, die Hutton dafür vorschlägt (Hutton 232–234), nimmt folgende Zusammenhänge an: Conway wurde von More zunächst mit Origenes vertraut gemacht. More aber war überzeugt, dass Origenes aus den alten mündlichen Überlieferungen geschöpft hatte, zu denen man im 17. Jahrhundert auch die Kabbala zählte. Als Conway dann später, nach 1670, unter dem Einfluss von Francis Mercury van Helmont (1614–1698)  – der die postumen Ausgaben ihrer Principles besorgte – die jüdische Kabbala in einer stark neuplatonisch eingefärbten Version (und das Quäkertum) entdeckte, fand sie dort Ideen wieder, für die sie aufgrund ihrer platonischen, von Origenes mitgeformten Philosophie

145 Von den vielen Stellen in den Schriften des Origenes dazu sind etliche gesammelt bei

Fürst, Studien (wie Anm. 25) 181. 146 Conway, Principles 6,8 f. (p. 37 Coudert/Corse). 147 Hutton, Preexistence and Universal Salvation (wie Anm. 144) 125, und dies., Anne Con-

way (wie Anm. 139) 71.

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prädisponiert war.148 Die Einflüsse, die Conway aus Origenes und aus der Kabbala zuflossen, müssen daher nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern können weitgehend zur Deckung kommen. Beides steht im Kontext der Theorie einer letztlich auf Mose zurückgehenden prisca theologia und philosophia perennis, zu der neben der Kabbala auch das hermetische und orphische Schrifttum und die Sibyllinischen Orakel gerechnet wurden und deren Spuren man in einem breiten Konsens aller religiösen, theologischen und philosophischen Traditionen aufzuweisen suchte;149 in den Cambridger Platonikerkreisen wurden dazu nicht zuletzt die Schriften des Origenes gezählt. Aufgrund dieser Gemengelage wäre es höchst aufschlussreich, die Denkform in Conways Principles mit der Denkform des Origenes zu vergleichen. Conways ganzes, höchst dynamisches monistisches Konzept von Körper und Geist erinnert nicht wenig an die Metaphysik des Origenes (Hutton 230). Stellenweise wirkt es sogar origenistischer als dieser selbst, wenn man etwa folgenden Satz liest, der von einer regelrecht physischen Tierwerdung des Menschen redet, während sich Origenes dieser metaphorischen Ausdrucksweise bedient hatte, um die ethische Depravation des Menschen zum Ausdruck zu bringen: „For when a human being has so greatly degraded himself by his own willful wrongdoing and has brought his nature, which had been so noble, to a lower state, and when that nature has demeaned itself in spirit to the level of a most foul brute or animal so that it is wholly ruled by lust and earthly desires and becomes like any beast, indeed, worse than any beast, what injustice is this if God compels him to bear the same image in his body as in that spirit into which he has internally transformed himself?“150

4. Origenes in Idealismus und Moderne Spuren des origeneischen Denkens über Autonomie und Menschenwürde finden sich bei vielen Denkern des Idealismus. Eine diesbezügliche Studie zu Immanuel Kant (1724–1804) wäre überaus wünschenswert. Eberhard Schockenhoff 148 Vgl. auch ebd. 71. 164 f. 169. 207. 149 Siehe dazu ausführlich ebd. 156–176 (bes. 169–171). Es ist daher eine Engführung, wenn

die Prägung der philosophischen Ideen Conways nahezu ausschließlich auf die Kabbalah, oder genauer: die nach Isaak Luria (1534–1572) benannte Lurianische Kabbalah zurückgeführt wird, wie das in der Einführung von Coudert/Corse (wie Anm. 141) xviii–xxii der Fall ist, auch wenn Conway in diese Form der Kabbalah eingeführt wurde (dazu Hutton, ebd. 164). 150 Conway, Principles 6,8 (p. 36 Coudert/Corse). Vergleiche dazu den oben in Anm. 12 notierten Text des Origenes zum Menschen zwischen Tier und Gott und diese Thematik bei Erasmus von Rotterdam im Beitrag von Christian Hengstermann.

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hat Origenes den „Kant der antiken Ethik“ genannt, weil er wie dieser sein auf Autonomie basierendes Vollkommenheitsideal auf „die unbedingte Geltung der sittlichen Ur-Kategorien von Gut und Böse, die einander kontradiktorisch gegenüberstehen“,151 und auf eine Grundentscheidung des freien Willens zwischen ihnen gründet, die allen Einzelhandlungen auf dem Weg des Lebens bewusst oder unbewusst voraus und zugrunde liegt.152 Bei Origenes wie bei Kant gründen der einzigartige Wert und die Würde des Menschen allein in der Fähigkeit, sich in Freiheit sittlich weiter zu entwickeln – auf dem Gedanken also, den Pico aus Origenes zum fundierenden Datum seiner Anthropologie gemacht hatte und so an die Neuzeit vermittelte.153 Die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen Origenes und Kant ist der universale Zuschnitt ihrer anthropologischen und metaphysischen Entwürfe. Origenes war der erste christliche Theologe, der die Universalität des Christentums radikal ernst genommen und philosophisch ausgewiesen hat. Kant übersetzte eine solche Philosophie in eine säkulare Autonomie-Ethik mit einer religiösen Hoffnungsperspektive. Beide Denker haben Kosmos und Geschichte so in der Freiheit des autonom agierenden Subjekts zusammengedacht, dass die Hoffnung auf das definitive Erreichen des Endzwecks von beidem verhindert, dass sittliches Bemühen in Absurdität endet (wie das in den alternativen Entwürfen von Camus und Sartre der Fall ist).154 Bei Origenes garantiert die Wiederherstellung von Allem (Apokatastasis) dem sittlichen Handeln des Einzelnen seine Sinnhaftigkeit. Bei Kant werden Kosmos und Geschichte von der Teleologie der Moral her begriffen: Jede einzelne moralische Handlung ist ein Beitrag zur Weltordnung im Ganzen, zum „Reich der Zwecke“ und zum „höchsten Gut“.155 151 Eberhard Schockenhoff, Zum Fest der Freiheit. Theologie des christlichen Handelns

152

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155

bei Origenes (TTS 33), Tübingen 1990, 240 f. Vgl. auch Müller, Willensschwäche (wie Anm. 59) 263. Für Origenes siehe Origenes, Die Homilien zum Buch Jesaja, eingel. und übers. von Alfons Fürst/Christian Hengstermann (OWD 10), Berlin/New York – Freiburg/Basel/Wien 2009, 114–116; Christian Hengstermann, The „Dignity of God’s Image“. Origen’s Metaphysics of Man, in: Alfons Fürst/Klaus Müller (Hg.), Natur und Normativität (Pontes 46), Berlin 2010, 45–62, hier 52; für Kant: Christian Hengstermann, Der Mensch: Endzweck von Geschichte und Kosmos. Immanuel Kants Begründung der Würde des Menschen als Anspruch an Ethik, Politik und Theologie (Pontes 28), Münster 2005, 64. Ich danke Christian Hengstermann sehr herzlich für diesen und die folgenden Hinweise zu Kant. Siehe oben S. 11–13. Siehe für Origenes Alfons Fürst, Origenes als Theologe der Geschichte. Exegese und Philosophie in der Geschichtstheologie des Origenes, in: ders., Studien (wie Anm. 25) 125–162, bes. 143–155. Zu Origenes siehe Hengstermann, Origen’s Metaphysics of Man (wie Anm. 152) 56. 59; zur kantischen Entfaltung des Gedankens eines Gemeinwesens aller Vernunftwesen und dem Zusammenhang mit dem Gottespostulat siehe ders., Endzweck (wie Anm. 152) 145– 162. 170–176.

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Die beiden Hauptthemen der neuzeitlichen Origenes-Renaissance, die Anthropologie der Freiheit, Autonomie und Menschenwürde und die notwendig damit verbundene Hoffnung auf ein universales Gelingen aller einzelnen Freiheitsentscheidungen in der Apokatastasis (mehr dazu unten im Fazit), spielen damit auch im Denken Kants eine tragende Rolle. Das ist der Grund dafür, weshalb der Titel des vorliegenden Bandes bewusst auf Kant anspielt. Es dürfte zwar zweifelhaft sein, dass Kant Origenes gelesen hat; manche Ideen dürften ihm, vermittelt über Shaftesbury, von den Cambridger Platonikern her zugeflossen sein (Hedley 191 f.). Doch ein Vergleich zwischen Origenes und Kant im Blick auf ihre jeweilige Denkform dürfte höchst interessant sein und neues Licht auf die systematische Bedeutung des Origenes werfen. Das Denken des Origenes mutet ausgesprochen modern an, und eben deswegen erscheint er ja heute als attraktiver historischer Gesprächspartner. Spuren des origeneischen Denkens bei Denkern des Idealismus und danach sind eher indirekt zu greifen und methodisch nur auf Umwegen zu ermitteln. Auf eine explizite Auseinandersetzung mit Gedankengut des Origenes trifft man in der nach-kantischen Epoche freilich in einer Tradition, wo man vielleicht nicht als erstes suchen würde, nämlich in der Tübinger Schule des 19. Jahrhunderts. Deren philosophische Basis bildete die Philosophie Hegels mit ihrem Programm einer „Versöhnung von Philosophie und Theologie“ (Wasmaier-Sailer 235), was nach deren Trennung durch die Aufklärung ihrer früheren Verschränkung entspricht, wie sie noch bei Pico und Erasmus, aber auch bei den Platonikern von Cambridge vorliegt. Ein Vertreter der Tübinger Schule war Franz Anton Staudenmaier (1800–1856), der in Freiburg im Breisgau Dogmatik und Dogmengeschichte lehrte. In seiner unvollendeten „Christlichen Dogmatik“, die von 1844 bis 1852 erschien, setzte er sich im dritten Band156 auch mit Gedanken des Origenes auseinander, speziell mit der Freiheitsanthropologie und darin besonders mit der Seelenlehre, also einem zentralen Thema der neuzeitlichen Origenes-Rezeption seit Erasmus (siehe oben zur trichotomischen Anthropologie im Enchiridion). Margit Wasmaier-Sailer (Münster) zeigt in ihrem Beitrag, wie differenziert Staudenmaier mit dem Erbe des Origenes umging. Er rezipierte Origenes im Rahmen einer konventionell katholischen Doktrin, war daher sehr kritisch gegen die Präexistenz der Seele eingestellt und vertrat den Kreatianismus als kirchliche Lehre (Wasmaier-Sailer 240); ferner bevorzugte er die gängige katholische Dichotomie (der Mensch bestehe aus Leib und Geist) gegenüber der origeneischen Trichotomie, oder genauer: Er interpretierte Origenes’ Trichotomie als Dichotomie, indem er systematisch an die Stelle der Seele das Bewusstsein setzte (WasmaierSailer 238 f. 250). Mit der Kirchenväter-Tradition rezipierte er allerdings die imago dei-Lehre des Origenes und schloss sich insbesondere an sein Freiheitsdenken, an 156 Franz Anton Staudenmaier, Die christliche Dogmatik, Bd. 3, Freiburg i. Br. 1848.

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seine Auffassung vom menschlichen Geist und an seinen Begriff von der Würde des Menschen an (Wasmaier-Sailer 237. 250 f.). Damit führte Staudenmaier zentrale Gedanken des Origenes in die katholische Dogmatik ein, was zu seiner Zeit alles andere als selbstverständlich war. In diesem Sinne kann er als früher Vorläufer der katholischen Origenes-Rezeption des 20. Jahrhunderts verstanden werden. In chronologischer Folge wäre Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775– 1854) eigentlich vor Staudenmaier zu behandeln. Weil sich Klaus Müller (Münster) aufgrund der genannten methodischen Probleme Schelling allerdings über Autoren des 20. Jahrhunderts nähert, wird sein Beitrag nach dem über Staudenmaier eingeordnet. Schelling hat Origenes gelesen, und Spuren seines Denkens sind in seinen Werken unbestreitbar vorhanden (Müller 253 f. 273). Zwar sind keine direkten Abhängigkeiten oder Einflüsse nachweisbar, dafür aber „die Präsenz origeneischer Intuitionen“ zu folgenden Themen: „das Grundverhältnis von Einem und Vielem, das geschichtliche Hervortreten des Endlichen in Gestalt eines Abfalls, die darin implizierten Probleme des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Freiheit sowie der Theodizee und schließlich die christologisch vermittelte Wiederversöhnung von allem in Gott, die Apokatastasis“ (Müller 254). Um der philosophischen Bedeutung des Verhältnisses zwischen Origenes und Schelling bei diesen Themen auf die Spur zu kommen, schlägt Müller zu zwei Themenkreisen, der Naturphilosophie und der Freiheit, zwei weite Bögen. Mit Alfred Döblin (1878–1957) führt der link vom Panpsychismus zur Weltseele bei Origenes (Müller 267 f.), mit Jürgen Habermas (geb. 1929) vom „Spinozismus der Freiheit“ in Schellings Freiheitsschrift von 1809 zum Verhältnis von Freiheit und Determinismus (Müller 269. 270 f.). Der Bezug dieser Autoren auf Schelling ist so geartet, dass darin der origeneische Einfluss deutlich wird. Das Hauptmotiv dabei ist „Versöhnung“ (Müller 254. 259), ein Aspekt, der schon bei Erasmus (Hengstermann 149) und Staudenmaier (Wasmaier-Sailer 235) eine Rolle spielte. Wie der Aufsatz von Müller ist der abschließende Beitrag von Marco Rizzi (Mailand) einer über Origenes-Rezeption außerhalb der Theologie: in der Philosophie, in der Literatur, in der Soziologie und bei einem Logiker. Rizzi stellt einen Themenkreis ins Zentrum, der seit der humanistischen Wiederentdeckung des Origenes zentral war: das Nachdenken über Anfang und Ende von Welt und Menschheit, mithin die origeneische Apokatastasis. Erklärtes Ziel des italienischen Theologen und Publizisten Vito Mancuso (geb. 1962) ist es, Gedankengut des Origenes über theologische Kreise hinaus zu vermitteln (Rizzi 276). Mit der Entgegensetzung von Origenes und Augustinus beim Thema der Erlösungshoffnung (Rizzi 276 f.) erweist Mancuso sich als Erbe der humanistischen und reformatorischen Debatten. Der österreichisch-amerikanische Soziologe Peter L. Berger (geb. 1929) erörtert die Apokatastasis unter der Frage nach der Strafe für Sünden. Mit der griechischen Tradition fasst er wie Origenes Strafe als Therapie

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auf (Rizzi 278 f.). Im 20. Jahrhundert verstärkt sich das Problem freilich durch Stichworte wie „Holocaust“ und „Hitler“. Die Hoffnung auf Erlösung Aller bzw. von Allem wird damit keine so einfache Option, auch wenn Berger ihr zuneigt (Rizzi 279 f.). Schließlich ventilierte der geniale Mathematiker und Logiker Kurt Gödel (1906–1978), der von 1941 bis 1970 einen mathematischen Gottesbeweis ausgearbeitet hat, Ideen zu einem Leben nach dem Tod, die denen des Origenes eigentümlich ähneln. In Briefen aus Princeton in New Jersey an seine Mutter Marianne aus dem Jahr 1961 verstand er als Leben nach dem Tod einen Prozess des Erkenntnisfortschritts in künftigen Welten (Rizzi 281 f.). Es dürfte interessant sein, einige hochkarätige Aussagen aus diesen Briefen zu zitieren, die Gödel nur thetisch formulierte, ohne sie näher zu erklären. Die Gedanken darin sind aber so klar, dass sie aus sich verständlich sind: „Du stellst in Deinem letzten Brief die schwerwiegende Frage, ob ich an ein Wiedersehen glaube. Darüber kann ich nur folgendes sagen: Wenn die Welt vernünftig eingerichtet ist u. einen Sinn hat, dann muss es das geben. Denn was sollte es für einen Sinn haben eine Wesen (den Menschen) hervorzubringen, der ein so weites Feld von Möglichkeiten der eigenen Entwicklung u. der Beziehungen zu andern hat, u. ihn dann nicht einmalen 1/1000 davon erreichen zu lassen … Wie ein anderes Leben zu denken ist? Darüber gibt es natürlich nur Vermutungen. Aber es ist interessant, dass gerade die moderne Wissenschaft Stützen dafür liefert. Denn sie zeigt, dass diese unsere Welt mit allen Sternen u. Planeten, die darin sind, einen Anfang gehabt hat u. aller Wahrscheinlichkeit nach, ein Ende haben wird. Warum soll es aber dann nur diese eine Welt gebe u. da wir uns in dieser Welt eines Tages vorgefunden haben, ohne zu wissen wieso u. wohin, so kann dasselbe auf dieselbe Weise auch im einer anderen sich wiederholen. Die Wissenschaft bestätigt jedenfalls den im letzten Buch der Bibel vorausgesagten Weltuntergang u. lässt Raum für das, was dann folgt: ‚Und Gott schuf einen neuen Himmel u. eine neue Erde‘.“157 „Insbesondere muss man sich vorstellen, dass das ‚Lernen‘ zum grossen Teil erst in der nächsten Welt stattfinden wird, nämlich dadurch, dass wir uns an unsere Erlebnisse in dieser Welt erinnern u. diese erst dann wirklich verstehen werden, so dass unsere hiesigen Erlebnisse sozusagen nur das Rohmaterial für das Lernen sind … Wenn man einwendet, es sei unmöglich, dass wir uns in einer andern Welt an die Erlebnisse in dieser erinnern, so ist das ganz unberechtigt, denn wir könnten ja in der andern Welt schon mit diesen latenten Erinnerungen geboren werden. Ausserdem muss man natürlich annehmen, dass unser Verstand dort wesentlich besser sein wird als hier, so dass wir alles Wichtige mit derselben untrüglichen Sicherheit erkennen werden, wie 2 x 2 = 4, wo eine Täuschung

157 Kurt Gödel, Brief vom 23. Juli 1961 an Marianne Gödel, in: ders., Collected Works IV.

Correspondence A–G, ed. by Solomon Feferman/John W. Dawson Jr. u. a., Oxford 2003, 428–430.

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objektiv ausgeschlossen ist. So können wir dann auch absolut sicher sein, alles wirklich erlebt zu haben, woran wir uns erinnern.“158 „Was ich Dir schrieb, ist ja nichts als eine anschauliche Darstellung u. so zu sagen eine ‚Adaptierung‘ Anpassung an unsere heutiger Denk von gewissen theologischen Lehren, die seit 2000 Jahren gepredigt werden, allerdings mit vielem Unsinn gemischt. Wenn man liest, was so im Laufe der Zeit in den verschiedenen Kirchen als Dogma behauptet wurde muss man sich freilich wundern. Z. B. hat nach katholischem Dogma der allgütige Gott die meisten Menschen ausschliesslich zu dem Zweck geschaffen, um sie für alle Ewigkeit in die Hölle zu schicken, nämlich alle ausser den guten Katholiken, die ja auch von den Katholiken nur ein Bruchteil sind … Was ich theologische Weltanschauung nenne, ist die Vorstellung, dass die Welt u. alles in ihr Sinn u. Vernunft hat, u. zwar einen guten u. zweifellosen Sinn. Daraus folgt unmittelbar, dass unser Erdendasein, da es an sich höchstens einen sehr zweifelhaften Sinn hat, nur Mittel zum Zweck für eine andere Existenz sein kann.“159

Ob Gödel bei den zweitausend Jahre alten theologischen Lehren, auf die er sich berief, an Origenes dachte, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht der Kerngedanke dieser Briefe erstaunlich nahe an Origenes’ Idee aufeinander folgender Welten, die der weiteren Erziehung und Reifung des Menschen auf Vollkommenheit hin dienen.160 Von allen drei Genannten wird Gedankengut des Origenes aufgegriffen, um Fragen zu bedenken, wie sie gegenwärtig von Seiten natur- und humanwissenschaftlichen Denkens an religiöse Überzeugungen gestellt werden (Rizzi 282 f.) – die neuzeitliche Konstellation, die zur Zeit der Cambridger Platoniker im 17. Jahrhundert nachhaltig begonnen hat. Auch dieser Zugang lässt sich mit Origenes in Verbindung bringen, denn es ist Origenes gewesen, der das biblisch-christliche Traditionsgut explizit im Kontext nicht-christlicher Traditionen denkerisch erschlossen und es auf diese Weise zum Partner im intellektuellen Diskurs der Zeit gemacht hat.161

158 Brief vom 12. September 1961, in: ebd. 434–436. 159 Brief vom 6. Oktober 1961, in: ebd. 436–438. Schreibfehler und Korrekturen stehen in allen

drei Briefen so im Original. 160 Genaueres mit Stellenangaben dazu bei Fürst, Studien (wie Anm. 25) 172 f., bes. Origenes,

princ. II 11,6 (GCS Orig. 5, 189–191): Das Leben nach dem Tod bzw. das Paradies als „Stätte der Erziehung“, ja als „Hörsaal“ und „Schule der Seelen“ (auditorium vel schola animarum). 161 Dargestellt von Alfons Fürst, Origenes  – der Schöpfer christlicher Wissenschaft und Kultur. Exegese und Philosophie im frühen Alexandria, in: ders., Studien (wie Anm. 25) 81–114.

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5. Fazit Fragt man nach den prägenden Themen dieser Origenes-Rezeption in der Neuzeit, lässt sich zweierlei feststellen: Der eine Schwerpunkt liegt klar auf der Anthropologie. Auch hier bildet Pico della Mirandola den Auftakt, denn in der Einleitung zu seiner Rede über die Würde des Menschen fragte er danach, was den Menschen auszeichne, „warum der Mensch das am meisten gesegnete und daher ein jeder Bewunderung würdiges Lebewesen ist und was für eine Stellung es schließlich ist, die ihm in der Reihe des Universums zuteil geworden ist“.162 Damit schlug er den Grundton für die ganze folgende Denklinie an, gleichsam eine anthropologische Justierung theologisch-philosophischen Denkens. Der Mensch rückt ins Zentrum des Nachdenkens.163 Darin befand er sich zwar schon seit der sokratisch-platonischen Hinwendung zur delphischen Aufforderung: „Erkenne dich selbst!“ als Ausgangs- und Zielpunkt allen Philosophierens, doch reflektierten Philosophie und Theologie nunmehr verstärkt seine Sonderstellung in der Natur mit der Absicht, dem Menschen Orientierung für sein Leben zu geben, bis hin zur kritischen Neufundierung dieser Denkbemühung in Kants vier berühmten Fragen: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“164 Kant selbst hat die ersten drei Fragen der letzten zu- und untergeordnet, da sein eigentliches Interesse dem Menschen galt, den er als Zweck an sich erfasste: „Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion, und die vierte die Anthropologie. Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen.“165 Der „wichtigste Gegenstand“ in der Welt, auf den der Mensch alle „erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten“ anwenden kann, „ist der Mensch: weil er sein eigener letzter Zweck ist“.166 Die Begriffe ‚Autonomie‘ und ‚Menschenwürde‘ sind die neuzeitlichen Chiffren für diese ‚Denkungsart‘ (um einen weiteren kantischen Begriff aufzugreifen), für die der spätantike christliche 162 Pico, Würde des Menschen (wie Anm. 3) 2 f. 163 Vgl. Manfred Schulze, Der Streit um den Menschen in Humanismus und Reformation.

Pico della Mirandola – Erasmus von Rotterdam – Martin Luther. Ein Essay, in: Martin Heimbucher/Joachim Lenz (Hg.), Hilfreiches Erbe? Zur Relevanz reformatorischer Theologie. Festschrift für Hans Scholl, Bovenden 1995, 76–96, hier 76: „Humanismus und Reformation haben den Menschen mit heißem Begehren gesucht wie in der philosophischen und theologischen Tradition seit Jahrhunderten nicht mehr.“ 164 Immanuel Kant, Logik, in: ders., Werke in sechs Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 62005, III, 448 (A 25). Zur philosophischen (und theologischen) Tradition dieser Frage nach dem Menschen siehe jetzt den konzisen Überblick von Thomas Pröpper, Theologische Anthropologie, 2 Bde., Freiburg/Basel/Wien 2011, I, 14–19. 165 Kant, ebd. 166 Ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: ders., Werke (wie Anm. 164) VI, 399 (BA III). Vgl. Pröpper, Anthropologie (wie Anm. 164) I, 14 mit Anm. 16.

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Theologe Origenes mit seiner Begründung der Freiheitsanthropologie und Freiheitskosmologie eine bahnbrechende Weichenstellung vorgenommen hat. Der andere Schwerpunkt greift zwar über den Menschen hinaus, ist aber untrennbar mit dieser Akzentsetzung verbunden. In kosmologischen Dimensionen wird nach Anfang und Ende von Welt und Geschichte gefragt, vor allem aber nach dem Ende, mit Origenes formuliert: nach der Wiederherstellung von Allem (die Apokatastasis). Der Blick besonders auf das Ende ist von der Anthropologie nicht zu trennen. Gerade ein starker Freiheitsbegriff erfordert eine ihm entsprechende universale Ontologie, in der die Möglichkeit der Realisierung von Freiheit zumindest als Hoffnungsperspektive gedacht wird. Sieht man die Würde des Menschen in seiner Freiheit und Autonomie und damit in seiner Fähigkeit zur sittlichen Weiterentwicklung, gehört die Hoffnung auf ein Gelingen der Lebensentwürfe, die sich daraus ergeben, unbedingt dazu – wenn die ganze Vorstellung nicht im Absurden enden soll.167 Nicht aus einem Camus’schen Sisyphos mit all seinem heroischen Stolz trotz oder gerade wegen seiner ständig scheiternden und doch immer aufs Neue unternommenen Mühen, den ich mir – bei aller Faszination für Camus’ emphatische Betonung des Glücks innerweltlicher Freiheit und Solidarität – in seiner Trostlosigkeit kaum als glücklichen Menschen vorstellen kann,168 sondern aus der im strengen Sinne universalen Hoffnung – für Camus das Übel schlechthin – auf die schlussendliche Sinnhaftigkeit aller individuellen Freiheitsentscheidungen oder zumindest aus der Suche nach dieser erwächst der immense Drang zur Gestaltung (nicht zum Erleiden) des eigenen Daseins, der ein Grundmerkmal der Neuzeit sein dürfte. Theologisch steht er im Zusammenhang mit einem lebenspraktischen Christentum und einer lebenspraktischen Theologie, wie sie von Colet und Erasmus und im Platonismus von Cambridge entworfen wurde. Nicht zuletzt darin steckt das Erbe des Origenes, der eine hoch philosophische Theologie von großer systematischer Tiefe in universalen kosmischen

167 Dazu ein Fündlein am Wegrand: Dieser Konnex ist auch das Thema in Jonathan Swifts

(1667–1745) in den 1730er Jahren entstandenen, aber erst in den 1770er Jahren postum publizierten Gedicht „On the Day of Judgement“; siehe dazu Hermann J. Real, „An horrid Vision“. Jonathan Swift’s „(On) the Day of Judgement“, in: John Irwin Fischer/Hermann J. Real/James Woolley (Hg.), Swift and his contexts (AMS studies in the eighteenth century 14), New York 1989, 65–96. Ich danke Hermann J. Real für den Hinweis auf diesen Text und eine Kopie seines Aufsatzes dazu. 168 Vgl. den berühmten Schlusssatz von Albert Camus, Der Mythos von Sisyphos. Ein Versuch über das Absurde, Düsseldorf 1956, 101: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Zur Position Camus’ vgl. Pröpper, Anthropologie (wie Anm. 164) I, 36–42.

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Dimensionen entworfen hat, in deren Zentrum gleichwohl immer die Frage nach einem guten und glücklichen Leben stand.169

169 „Das Wissen, das die Menschen zu einem guten und glücklichen Leben aufruft“, ist das

Thema seiner Theologie, wie er zu Beginn von De principiis sagt: Origenes, princ. I praef. 1 (GCS Orig. 5, 7): scientiam quae provocat homines ad bene beateque vivendum. Dieses Wissen empfängt ein Christ „nirgendwo anders her als von eben den Worten und der Lehre Christi“ (non aliunde quam ab ipsis Christi verbis doctrinaque suscipiunt): ebd. (5, 7); Übersetzung: p.  83 Görgemanns/Karpp. Erasmus hat diesen Gedanken in seinem Enchiridion aufgegriffen, EH 89 (p. 240 f. Welzig): „Wer zu Christus strebt, … kann sich nirgendwo anders her als einzig von Christus ein Vorbild der Frömmigkeit holen“ (animus ad Christum anhelantis  … nec aliunde quam ab uno Christo pietatis exemplum petatur) (Übersetzung leicht modifiziert). Ausweislich des Registers fehlt diese Analogie im Buch von Godin.

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Die Wirkungsgeschichte des Origenes EBERHARD SCHO CKENHOFF, FREIBURG

Origenes war schon zu Lebzeiten umstritten. Sein Bild schwankt zwischen der rückhaltlosen Bewunderung der Kühnheit seines Denkens und der Klarheit seiner Schriftauslegung, die zu dem Beinamen Adamantios, der „Diamantene“, führte,1 und schroffer Ablehnung, die sich aus denselben Gründen speiste. Seine Wirkung innerhalb von Philosophie und Theologie, ja der europäischen Geistesgeschichte überhaupt ist ähnlich zwiespältig wie die des Joachim von Fiore, dessen chiliastische Spekulationen über das Dritte Zeitalter des Heiligen Geistes trotz ihrer kirchlichen Verurteilung einen wichtigen Anstoß zur Entwicklung des utopischen Denkens der Neuzeit gaben.2 Origenes vereinte sowohl in seiner Person wie in seinem Werk spannungsvolle Gegensätze, die das widersprüchliche Bild der Nachwelt von ihm prägten. Die gegensätzlichen Rezeptionsstränge finden Anhaltspunkte in der nur durch Gegensatzpaare zu beschreibenden Theologie des Origenes; sie werden mit größerem zeitlichen Abstand jedoch zunehmend verselbstständigt und aus dem komplexen Gesamtwerk herausgelöst.3 Origenes wollte ein Mann der Kirche sein, der nicht nur zu den Gebildeten unter den Verächtern des Christentums sprechen, sondern auch die einfachen Gläubigen erreichen wollte, auch wenn er ihnen einen anspruchsvollen geistiggeistlichen Weg des Voranschreitens in der Glaubenserkenntnis und christlichen Lebenspraxis zumutete. Er war auf der einen Seite wissenschaftlicher Theologe und kühner Systemdenker, auf der anderen aber auch Schriftausleger, Prediger und geistlicher Schriftsteller. Die Origenes-Forschung zerfiel bis ins 20. Jahrhundert hinein in zwei Richtungen, je nachdem, ob sie stärker den Systematiker und dogmatischen Theologen oder mehr den Exegeten und Seelsorger Origenes zum Ausgangspunkt der Interpretation seines Denkens nahm. Es ist jedoch nicht nur dessen inhaltliche Weite und die hohe, nach antiken Maßstäben unvorstellbare

1 2 3

Vgl. Eusebius, hist. eccl. VI 14,10 (GCS Eus. 2, 552). Vgl. Henri de Lubac, La posterité spirituelle de Joachim de Fiore, 2 Bde., Paris 1978. 1981. Vgl. Christoph Markschies, Origenes. Leben – Werk – Theologie – Wirkung, in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Klassiker der Theologie, München 2005, 43–60, bes. 57 f.; erneut in: ders., Origenes und sein Erbe. Gesammelte Studien (TU 160), Berlin/New York 2007, 1–13.

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literarische Produktivität des Origenes; auch die tastende, erprobende und vorläufige Art seines Problemdenkens wurden später zum Grund vieler Missverständnisse. Während Origenes als Exeget bis ins hohe Mittelalter hinein in hohem Ansehen stand, galt er nach seinen Verurteilungen auf dogmatischem Gebiet als ein gefährlicher Ketzer.

1. Verurteilung und Weiterwirken in der Antike und im Mittelalter Die erste Krise Ende des 4. Jahrhunderts führte zwar zu einer Verurteilung einzelner Lehrsätze, die scheinbar im Widerspruch zur christlichen Glaubenslehre standen (wenn man sie als dogmatische Festlegungen und nicht als hypothetische Erwägungen verstand), doch blieben die Auswirkungen dieser ersten Verurteilung zunächst auf Palästina beschränkt. Zum Verhängnis wurde Origenes, dass im späten 4. Jahrhundert ein Mönch aus seinem Schülerkreis, Evagrius Ponticus aus Ägypten, ein hochspekulatives System ausbildete, das den Konflikt um die neuralgischen Streitpunkte der origeneischen Theologie, vor allem um die Theorien vom Abfall der Geister und der Vielzahl der Welten sowie um die Lehre von der Wiederverkörperung aller geistigen Wesen verschärfte. Als Reaktion auf diese zweiten „origenistischen Wirren“ erließ das 2. Konzil von Konstantinopel im Jahr 553 n. Chr. neun Anathematismen, die die kosmologischen, christologischen und eschatologischen Spekulationen des Evagrius betrafen, aber als Lehren des Origenes verurteilt wurden. Daraufhin ordnete Kaiser Justinian die Vernichtung aller Werke des Origenes an, ein zerstörerischer Akt der Barbarei, der im Urteil Henri de Lubacs selbst durch die Errichtung der Hagia Sophia nicht kompensiert wird.4 Seit dem sind uns, abgesehen von Fragmenten, nur noch einzelne längere oder kürzere Passagen seiner Frühschrift De principiis, die Streitschrift Contra Celsum, mehrere Bücher seiner Kommentare zum Matthäus- und Johannesevangelium und zwanzig Jeremia-Homilien im Original erhalten, dazu einige kleinere Texte (eine Predigt über die Wahrsagerin von Endor, eine Aufforderung zum Martyrium und ein Traktat über das Gebet, zwei Briefe). Die Kenntnis aller anderen Werke und auch wichtiger Teile der Prinzipienschrift verdanken wir nur der Übersetzungstätigkeit des Hieronymus und des Rufinus, die Origenes aus entgegengesetzten Motiven ins Lateinische übertrugen: Hieronymus wollte, indem er die heterodoxen Tendenzen im origeneischen Denken in aller Schärfe herausstellte, den Nachweis erbringen, dass dessen Verurteilung durch die Kirche zurecht erfolgte. Rufinus war dagegen von der entgegengesetzten Absicht geleitet: Er wollte die Orthodoxie des Origenes retten und drängte daher die ‚schwierigen‘ Stellen seines Werkes in den Hintergrund, um die 4

Vgl. Henri de Lubac, Meine Schriften im Rückblick (ThRom 21), Freiburg 1996, 197.

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kirchliche Gesinnung des Origenes und den orthodoxen Charakter seines Denkens besser hervortreten zu lassen. Eine wichtige methodische Vorentscheidung, vor der auch die gegenwärtige Origenes-Forschung steht, betrifft die Frage, wie hoch die Authentizität der lateinischen Überlieferungstradition gegenüber dem Corpus der griechisch erhaltenen Schriften und Fragmente zu gewichten ist. Die synodalen, reichskirchenrechtlich gültigen Verurteilungen, die Origenes seit dem 6. Jahrhundert widerfuhren, bewirkten, dass sein Denken fortan nur noch im Zerrspiegel litaneiartig wiederholter Anathematismen oder im Brennglas der origenistischen Kontroversen zur Kenntnis genommen wurde. Sein eigenes Denken wurde dadurch bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Bei den lateinischen und griechischen Theologen herrschte bis ins Mittelalter eine widersprüchliche, geradezu schizophrene Rezeption vor: Mit Hieronymus sagten sie „ja zu dem gelehrten Exegeten Origenes, aber nein zu dem gefährlichen Denker und dem von der Kirche verurteilten Ketzer“.5 Obwohl orthodoxe Theologen vom Rang eines Athanasius, eines Maximus Confessor oder der Kappadokier Basilius und Gregor von Nazianz stark von Origenes inspiriert waren, galt dieser das ganze Mittelalter hindurch als Ketzer und Ahnherr verschiedenster Irrlehren. Allenfalls Arius oder Pelagius hätten ihm den Ehrenplatz unter den Häresiarchen streitig machen können. Verbreitet war die Vorstellung, Origenes – neben und vor Augustinus der bis dahin größte Theologe der Kirche – befinde sich als Ketzer oder gar als Apostat in der Hölle. Das vernichtende Urteil über den Theologen und ‚Systematiker‘ Origenes schloss freilich nicht aus, dass sein exegetisch-homiletisches Werk im Schutz von Pseudonymität und Anonymität Eingang in die großen Bibelkommentare der Scholastik und die spirituelle Tradition der mittelalterlichen Mönchstheologie fand. So konnten auch die schärfsten Verurteilungen des Origenes nicht verhindern, dass sein Denken in einer zweiten, gewissermaßen nicht-offiziellen und unterirdischen Wirkungsgeschichte zu allen Zeiten präsent blieb. Im europäischen Humanismus gehört der Alexandriner bereits wieder zu den wichtigen Inspirationsquellen gedanklicher Neuaufbrüche; ebenso wird er zum Referenzpunkt bedeutsamer Kontroversen wie der zwischen Pico della Mirandola und Pierre Garcia über die Orthodoxie seines Denkens6 oder der Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther über dessen These vom unfreien Willen, in der sich der Humanist Erasmus als ein sorgfältiger Leser des Origenes zu erkennen gibt. In der Zeit der deutschen Aufklärung bezeugen Autoren wie Leibniz und Lessing ihre Vertrautheit mit origeneischem Denken; Lessings Rede vom „ewi5 6

Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, hg., übers., mit krit. und erl. Anmerkungen versehen von Herwig Görgemanns/Heinrich Karpp (TzF 24), Darmstadt 31992, 27. Vgl. Henri Crouzel, Une controverse sur Origène à la Renaissance. Jean Pic de la Mirandole et Pierre Garcia (De Pétrarque à Descartes 36), Paris 1977.

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gen Evangelium“ und der „Erziehung des Menschengeschlechts“ schöpft daraus wichtige Motive.

2. Kronzeuge für die Erneuerung der Theologie seit der Aufklärung Die historische Erforschung des Werkes seit Pierre Daniel Huet (1630–1721) und die im Humanismus einsetzenden Editionsarbeiten tragen ebenso dazu bei, die Erinnerung an den Theologen Origenes wachzuhalten und ihm die gebührende Reputation zurückzugeben. Hinter dem neu erwachten historischen Interesse steht zugleich das Anliegen, um Verständnis für sein kühnes theologisches Forschen zu werben und die umstrittenen Einzellehren seines Denkens, vor allem die angebliche Wiederverkörperungslehre und die Annahme einer Allversöhnung durch die Einordnung in das Gesamtwerk zu entschärfen. Wie selbstverständlich die Bezugnahme auf Origenes seit dem Humanismus wieder möglich ist, belegt der Umstand, dass eine der ersten Gesamtausgaben im Jahr 1513 – wenige Jahre bevor in Deutschland die Reformation beginnt – in Rom mit päpstlichem Druckprivileg erscheinen konnte.7 Solche historische Apologie schafft die Grundlagen dafür, dass sich im 19. Jahrhundert Theologen und Religionsphilosophen wie Friedrich Schleiermacher und John Henry Newman von ihm beeinflussen lassen. Für den protestantischen Theologen und Dogmengeschichtler Adolf von Harnack war Origenes ein herausragender Autor in der Literatur des Urchristentums, der ihm als wichtiger Beweis seiner These von der Hellenisierung des Christentums diente. Auch wenn er diese als Überfrachtung der biblischen Botschaft von der Güte und Menschenfreundlichkeit des göttlichen Vaters, die ihm als Quintessenz des Evangeliums galt, durch die griechische Philosophie ansah, bestätigt sein Urteil den außergewöhnlichen Rang, den Origenes unter den Kirchenvätern einnimmt. Erst im 20. Jahrhundert kommt es jedoch zu direkten Wiederanknüpfungen an Origenes. Das innovatorische Potential seines Denkens zeigt sich auf protestantischer wie auf katholischer Seite an den großen Namen, die sich von ihm inspirieren lassen. Im Bereich der protestantischen Theologie ist neben Ernst Troeltsch und Paul Tillich vor allem Karl Barth zu nennen, im Raum der katholischen Glaubenswelt gewinnen Theologen wie Henri de Lubac, Hugo und Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar und Jean Daniélou in der Begegnung mit Origenes die entscheidenden Anstöße, die den Neuaufbruch der katholischen Theologie nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichen. Während Origenes im 7

Vgl. Max Schär, Das Nachleben des Origenes im Zeitalter des Humanismus (BBGW 140), Basel 1979, 160–171; die erste Gesamtausgabe erschien ein Jahr zuvor durch Jacques Merlin; vgl. ebd. 189 f.

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protestantischen Denken seit Schleiermacher wieder als ein „Ahnherr der wissenschaftlichen Universitätstheologie mitteleuropäischer Prägung“ geschätzt ist, wird er im katholischen Bereich „zum Kronzeugen einer kritischen Wendung gegen die Neoscholastik und für eine Modernisierung katholischer Dogmatik“.8 Die neue Phase der Origenes-Rezeption ist dadurch gekennzeichnet, dass nunmehr wichtige Denkmotive seines Werkes zu Kristallisationspunkten theologiegeschichtlicher Forschung und systematisch-konstruktiver Neuaufbrüche werden. Um auf katholischer Seite die thematische Breite und innovatorische Kraft der Bezugnahme auf Origenes zu erfassen, könnte man von dem großen Werk ausgehen, das Henri de Lubac auf dem Höhepunkt der Krise um die Nouvelle Théologie zum Schriftverständnis des Origenes vorlegte. Es wurde von Hans Urs von Balthasar übersetzt und spielte eine wichtige Rolle bei der Rehabilitation de Lubacs.9 Ebenso könnte man von der Eucharistielehre des Origenes ausgehen, deren Wirkungsgeschichte und ökumenisches Konfliktpotenzial Lothar Lies dargestellt hat.10 Durch die gesamte Theologiegeschichte hindurch bis in die Gegenwartstheologie hinein hat Origenes seine tiefsten Spuren jedoch durch seine Überlegungen zur Universalität der göttlichen Liebe und des göttlichen Heilswillens hinterlassen, die unter dem Stichwort der Apokatastasis-Lehre (wörtlich: Wiederherstellung aller Dinge oder Allversöhnung) bekannt sind. Nach dem generellen Überblick über die Wirkungsgeschichte des Origenes im philosophischen und theologischen Denken soll nunmehr sein Einfluss an zwei inhaltlichen Themenfeldern aufgezeigt werden: der Apokatastasis-Lehre im Raum der Theologie und der Verwandlung der griechischen Lebensphilosophie durch die Vorordnung der konkreten Existenz eines Seienden gegenüber seinem Wesen.

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Markschies, Origenes (wie Anm. 3) 13. Vgl. Henri de Lubac/Hans Urs von Balthasar, Geist aus der Geschichte. Das Schriftverständnis des Origenes, Einsiedeln 1968; die französische Originalausgabe: Histoire et Esprit. L’intelligence de l’Ecriture d’après Origène, erschien im Jahr 1950, zu den Umständen der Entstehung dieser Studie vgl. de Lubac, Schriften im Rückblick (wie Anm. 4) 198. Vgl. Lothar Lies, Origenes’ Eucharistielehre im Streit der Konfessionen. Die Auslegungsgeschichte seit der Reformation (IThS 15), Innsbruck 1985, und ders., Origenes’ Eucharistieauffassung zwischen den Konfessionen, in: ders. (Hg.), Origeniana Quarta (IThS 19), Innsbruck 1987, 471–483.

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3. Die Freiheit als innere Wesensbestimmung des Menschen und als Motor der Weltgeschichte a) Ein Zeuge für das Nachwirken des Origenes im Humanismus: Pico della Mirandola Im Humanismus war Origenes wieder zu einem hochgeschätzten Autor geworden, der bewusst als Antipode des Augustinus verstanden wurde, um dessen dominierende Autorität zu begrenzen. Dabei spielen zwei Kristallisationspunkte des origeneischen Denkens, seine Konzeption der göttlichen Vorsehung, näherhin das Paideia-Motiv der Erziehung des Menschengeschlechts (Lessing) und seine Lehre von der Freiheit, Verantwortung und Schuldfähigkeit des Menschen (Erasmus von Rotterdam), eine besondere Rolle. Deutliche Anklänge an das origeneische Freiheitsdenken, die sich bis in Einzelmotive hinein verfolgen lassen, finden sich in der Rede, die Giovanni Pico della Mirandola zur Eröffnung einer geplanten Disputation verfasste, zu der er mit der Veröffentlichung von 900 Thesen am 7. Dezember 1486 die Gelehrten der Universitäten Europas nach Rom einlud. Dieses Vorhaben des damals erst 24-jährigen adeligen Privatgelehrten stieß in Rom jedoch auf den Widerstand kurialer Kreise, was zur Folge hatte, dass Papst Innozenz VIII. zunächst dreizehn Thesen verwarf und, als sich Pico zu deren Verteidigung anschickte, kurzerhand die ganze Disputation untersagte. Die Rede wurde daher erst postum durch den Neffen ihres Verfassers unter dem Titel „Über die Würde des Menschen“ veröffentlicht. Der Verfasser der Rede begründet die einzigartige Würde des Menschen von dessen Mittelpunkt-Stellung im Kosmos her. Als ein geschlossenes Ganzes, in dem sich die gesamte Schöpfung widerspiegelt, steht der Mensch dem Universum gegenüber; als Mikrokosmos wiederholt sich in ihm wie in einer Synthese der gesamte Makrokosmos, den er kraft seines Geistes und seiner Freiheit zugleich überragt, so dass er seinen Ort und seine Stellung im Kosmos in freier Entscheidung selbst bestimmen kann. Nachdem der Schöpfer den Menschen in den Mittelpunkt der Welt stellte, redete er ihn Pico zufolge mit diesen Worten an: „Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, … damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem eigenen Willen und Entschluss erhalten und besitzen kannst. … Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen. In die Mitte der Welt habe ich dich gestellt, damit du von da aus bequemer ringsum betrachten kannst, was es auf der Welt gibt. Weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen habe ich dich geschaffen, und weder sterblich noch unsterblich dich gemacht, damit du wie ein Former und Bildner deiner selbst nach eigenem Belieben und aus eigener Macht zu der Gestalt dich ausbilden kannst, die du bevorzugst. Du kannst nach unten hin

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ins Tierische entarten, du kannst aus eigenem Willen wiedergeboren werden nach oben in das Göttliche.“11

Diese stilisierte Rede des Schöpfers an den Menschen als seine mit Freiheit und Vernunft begabte geistige Kreatur ist ein sprechendes Zeugnis für das Weiterwirken origeneischer Gedankenmotive, die sich wie in einem Brennglas in ihm sammeln. Typisch origeneisch sind nicht nur die Gegenüberstellung des himmlischen und des irdischen Menschen sowie die Annahme, dass der Mensch seinen Rang unter allen Kreaturen selbst bestimmen muss, so dass er aus eigenem Willen sowohl in eine tierische Existenz abgleiten wie auch sich zu einer göttlichen Lebensweise erheben kann. Auf Origenes geht auch die Annahme einer ontologisch offenen, unbestimmten Wesensstruktur zurück, kraft derer der Mensch seinen stets gefährdeten Rang unter allen Kreaturen selbst festlegen und jederzeit wieder verändern kann. Während alle anderen Wesen vom Schöpfer eine fest umrissene Natur zugewiesen bekamen, deren Grenzen sie nicht überschreiten können, ist dem Menschen die eigene Natur nur als ein entwurfsoffener Prozess vorgezeichnet, durch den er im Gebrauch seiner Freiheit und Vernunft die eigene Wesensgestalt festlegt. Seine besondere Stellung im Kosmos gründet in dem einzigartigen Vorzug, dass ihm sein Wesen nicht vorgegeben, sondern in Freiheit und zur Eigentätigkeit aufgegeben ist. Auch der besondere Ehrentitel des Menschen, der diesen als „Former und Bildner seiner selbst“ (tui ipsius … plastes et pictor) anspricht, findet bei Origenes eine Parallele. Die Metapher vom Ausformen und Ausbilden der eigenen Gestalt verweist auf das bekannte paulinische Töpfergleichnis, in dem die Menschen jedoch nur die Rolle von beliebig formbarem Ton spielen, aus dem der Schöpfer „Gefäße der Ehre“ oder „Gefäße der Unehre“ macht.12 Die Auslegung, die Origenes in seiner Auseinandersetzung mit den gnostischen Naturspekulationen der paulinischen Metapher vom Töpfer und den Tongefäßen gibt, weist jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Er verbindet das paulinische Gleichniswort mit seiner Theorie vom Vorherwissen Gottes und der aus seiner Weltzyklenlehre herkommenden Idee der vorangehenden Ursachen (causae praecedentes). Wenn Gott als Töpfer die einzelnen Menschen zu verschiedenen Gefäßen formt, dann geht er dabei nicht willkürlich vor, als ob diese Menschen beliebig formbares Material in seiner Hand wären. Vielmehr folgt er, indem er sie zu Gefäßen der Ehre oder zu Gefäßen der Unehre formt, den vorangehenden Ursachen, durch die die Menschen sich selbst zur Ehre oder Unehre bestimmten. Origenes denkt bei dem etwas dunklen Begriff der vorangehenden Ursachen an die guten und bösen Taten der Menschen, die diese in einer früheren Lebenszeit erbracht hatten und 11 12

Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate. Rede über die Würde des Menschen, Lateinisch/Deutsch, hg. v. Gerd von der Gönna, Stuttgart 1997, 9. Vgl. Röm. 9,24 und 2 Tim. 2,20 f.

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die Gott nun kraft seines alle Zeiträume und Welten umfassenden Vorherwissens berücksichtigt. Die Menschen sind daher keinesfalls ein willenloses, beliebig zum Guten wie zum Schlechten hin formbares Tonmaterial, wie das Bild vom Töpfer und seinen Gefäßen zunächst nahelegt. Vielmehr bedarf es, damit einer zu einem Gefäß der Ehre oder einem solchen der Unehre wird, eines Zusammenspiels von menschlicher Freiheit und dem göttlichen Allwissen, aus dem der jeweilige Rang des Menschen oder sein Hinneigen zum Besseren oder Schlechteren hervorgeht.13 Die genannte Umdeutung der Töpfermetapher findet sich bei Origenes auch ohne die Theorie von den vorausgehenden Ursachen und deren Verankerung in der umstrittenen kosmologischen Spekulation über die Vielzahl der Welten. In den Homilien zum Buch Numeri deutet Origenes das Verhältnis des Gefäßes zu seinem Töpfer von dem paulinischen Wort her, dass derjenige, der sich selbst in seinen Taten und in seinem Denken von allem rein hält, ein „geheiligtes, für den Herrn brauchbares und zu jedem guten Werk taugliches Gefäß“14 werde. Ein solcher Mensch macht sich, indem er sich von allem Bösen rein hält, selbst zu einem „Gefäß der Ehre“.15 Er ist gewissermaßen sein eigener Töpfer, der zunächst ein Bild seines geplanten Tuns entwirft, um sich dann zu einem so oder so beschaffenen Gefäß zu gestalten. Das Gefäß, das entsteht, und derjenige, der es formt, stehen sich nicht mehr wie Ton und Töpfer gegenüber, sondern es ist ein und derselbe Mensch, der in freier Entscheidung über sich selbst und die eigene Existenzweise verfügt.16 Origenes erreicht die eigenwillige Uminterpretation des Gleichnisses vom Ton und dem Töpfer, die Pico im Geist des Humanismus aufgreift, um die besondere Stellung des Menschen im Kosmos zu erläutern, auf einem doppelten Weg: indem er entweder Gott oder den Menschen selbst mit dem Töpfer gleichsetzt. Selbst dort, wo er den Menschen als von Gott geformt betrachtet, betont er, dass die Menschen vom Schöpfer nicht nach Zufall und Willkür geformt werden, sondern entsprechend der Vorgabe, die sie von sich aus darbieten. Indem er in der zweiten Auslegungsvariante den Menschen zugleich als formbaren Ton und formenden Schöpfer anspricht, deutet er die paulinische Metapher noch tiefgreifender um. Der Mensch erscheint nun als ein Selbstbildner, der sein plastisches Wesen, das ihm vom Schöpfer zur Ausgestaltung und Fortbestimmung überlassen blieb, durch seine eigenen Entscheidungen zum Guten oder zum Schlechten hin ausformt.17 13 14 15 16 17

Vgl. Origenes, princ. III 1,20–24 (GCS Orig. 5, 234–244). 2 Tim. 2,11.21. Vgl. 2 Tim. 2,20 f. Origenes, in Num. hom. 9,6 (GCS Orig. 7, 62): In quo ostendere videtur quod et vas ipsum quod fit et per quem fit, unus atque idem homo sit. Vgl. Eberhard Schockenhoff, Zum Fest der Freiheit. Theologie des christlichen Handelns bei Origenes (TTS 33), Mainz 1990, 109 f.

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b) Ein Ausblick in die Philosophie des 20. Jahrhunderts: Jean-Paul Sartre Man muss in der Philosophiegeschichte weit nach vorne, bis zu Søren Kierkegaards Theorie der ethischen Selbstwahl des Menschen im 19. und zu Jean-Paul Sartres Analysen der Unentrinnbarkeit der menschlichen Freiheit im 20. Jahrhundert ausgreifen, um der Radikalität wieder zu begegnen, mit der Origenes die Freiheit als ontologische Auszeichnung des Menschen, als inneres Konstituens menschlichen Seins, denkt. In seinem Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ analysiert Sartre den unbedingten Ausgriff der Freiheit auf das menschliche Dasein, der an keiner irgendwie gearteten Grenze halt macht, die ihm durch die ontologische Natur oder eine metaphysische Wesensbestimmung des Menschen gezogen wäre. Immer heißt „Sein soviel wie sich wählen: Nichts kommt ihm von außen oder von innen entgegen, das es empfangen oder annehmen könnte“.18 Mit jeder Faser seiner Existenz ist der Mensch Wählender und Handelnder, stets geht das Sich-Wählen-Müssen dem Sein, geht die sich entwerfende Existenz dem Wesen voraus. Das menschliche Dasein ist „völlig, ohne Hilfe irgendwelcher Art preisgegeben der untragbaren Notwendigkeit, bis in die kleinste Kleinigkeit hinein, sich sein zu machen“.19 Bereits diese beiden Zitate lassen anklingen, dass für Sartre die Freiheit nicht nur eine Auszeichnung des Menschen, sondern eine unentrinnbare Last und ausweglose Überforderung darstellt. Die unaufhörlichen Möglichkeiten der Umgestaltung des anfänglichen Sich-Entwerfens der Freiheit berauben nicht nur den Akt der Grundwahl (choix fondamental) seiner Konsistenz und inneren Folgerichtigkeit; sie laden der menschlichen Existenz eine Bürde auf, die zu tragen ihre eigenen Möglichkeiten übersteigt. Die von uns entworfenen Möglichkeiten unseres Seinkönnens werden von unserer künftigen Freiheit beständig widerrufen, weil jeder einzelne Akt des Sich-Wählens je für sich und deshalb grundlos, ohne Rechtfertigung geschieht.20 Alles Sich-Entwerfen-Müssen weist, weil es frei und ohne Nezessität geschieht, auf die Möglichkeit anderer Entwürfe hin, deren bloße Wählbarkeit die jetzt getroffene Wahl wieder zunichte machen kann. Zudem kann der Mensch sich in der Wahl zwischen unterschiedlichen Existenzentwürfen – zum Beispiel der Entscheidung eines jungen Mannes, der nach der Okkupation Frankreichs durch die deutsche Armee vor der Wahl steht, ob er für seine alte Mutter sorgen oder sich dem Widerstand gegen die Besatzungsmacht anschließen soll – nicht mehr von rationalen Gründen leiten lassen, in deren Licht er die

18 19 20

Jean-Paul Sartre, L’ être et le néant, Paris 1943, 516; zitiert nach der Übersetzung von Bernhard Waldenfels, Phänomenologie in Frankreich, Frankfurt a. M. 1983, 96. Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, bearb., hg. und übers. von Justus Streller, Hamburg 1952, 561. Vgl. ebd. 589 f.

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Vorzugswürdigkeit einer der beiden Möglichkeiten erkennt. Er kann der Alternative nicht entrinnen, sie aber auch nicht durch ein rationales Erwägen oder kritisches Befragen der eigenen Motive auflösen, sondern nur in einer grundlosen Wahl entscheiden, indem er eine der beiden Alternativen ergreift. Auf diese Weise ist die Freiheit gezwungen, sich selbst zu entwerten, so dass sie im Ganzen sinnlos wird: „Eine solche Wahl ohne Stützpunkt, die sich ihre Motive selbst diktiert, kann absurd erscheinen und ist es tatsächlich“.21 Indem meine künftige Freiheit unaufhörlich und unabwendbar die Entscheidungen meiner vergangenen Freiheit untergräbt, scheitert diese an sich selbst. Ihre einzelnen Wahlakte sind ebenso absurd wie die menschliche Existenz im Ganzen, weil es für denjenigen, der handeln muss, zu keinem Zeitpunkt eine Möglichkeit gibt, sich nicht entscheiden zu können, und weil diese ausweglose Entscheidung „jenseits aller Gründe ist“.22 Die Freiheit des Sich-Entwerfen-Müssens zum alleinigen Angelpunkt einer Lehre vom Menschen und seinem Dasein in der Welt zu machen, führt in letzter Konsequenz dazu, dass die Freiheit sich selbst aufzehrt. Am Ende steht dann nicht eine vernünftige Weltordnung als ein vom Subjekt her konstituierter Freiheitsentwurf, sondern ein absurder Ausgang der Geschichte, die von jeder erreichten Höhe wieder in die Tiefe stürzen kann. Der homo faber sui ipsius ist zugleich, so zeigen die Existenzauslegungen Sartres mit unerbittlicher Konsequenz, der von seiner Freiheit überforderte, der in einer selbstentworfenen Welt überlebte, der erschöpfte Mensch.23 Auch Origenes’ Lehre von der menschlichen Freiheit und seine Spekulation über die möglichen Wiederverkörperungen des Geistes, der sich aufgrund freier Wahl jederzeit zum Irdischen oder zum Himmlischen kehren kann, sprengt die Kategorien einer festen, unverlierbaren Natur des Menschen, die sein Wesen bestimmt. Vielmehr existiert der Mensch Origenes zufolge als ein offener Entwurf seiner Freiheit, deren Wahlakte sein jeweiliges Wesen festlegen. Wenn man in der dynamischen Anthropologie des Origenes überhaupt von der „Natur“ des Menschen oder von seinem „Wesen“ sprechen will, dann müssen diese Begriffe aus ihrem üblichen ontologischen Kontext herausgelöst und konsequent als Variablen der Freiheit gedacht werden. Der ontologische Rang des Menschen ist nicht durch sein statisches Wesen festgelegt, so dass er in der Hierarchie der Wesen immer den gleichen Platz oberhalb des Tierreiches, aber unter den Engeln einnehmen müsste. Er kann vielmehr, indem er durch seine Taten den himmlischen Menschen in sich ausbildet, selbst ein Himmlischer werden oder aber irdisch bleiben; er kann zum Engel werden oder herabstürzen auf die Stufe eines Tieres.

21 22 23

Ebd. 829. Ebd. Vgl. Waldenfels, Phänomenologie in Frankreich (wie Anm. 18) 549 f.

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An dieser Stelle berühren sich die origeneische Freiheitslehre und die Spekulation um die Vielzahl der Welten miteinander. Im Systementwurf von De principiis bleibt der Aufstiegsweg der Seele unabschließbar. Die Rückkehr der geistigen Wesen in die Einheit des Ursprungs, aus dem sie einst in freier Hinwendung zum Bösen herausfielen, bleibt stets vorläufig, so dass ein erneuter Abfall vom Guten jederzeit möglich ist, der wiederum einen weiteren Weltenzyklus in Gang setzt. Anders als bei Sartre, dessen Analysen am Ende zur These von der unentrinnbaren Absurdität der Freiheit führen, sieht Origenes den durch die freien Entscheidungen der Menschen in seiner Richtung bestimmten Weltlauf jedoch nicht als sinnlos an. Die hypothetischen Erwägungen über das offene Ende der Geschichte und den erneuten Absturz freier Wesen ins Böse finden in seinem Denken gewissermaßen ein entgegengesetztes Widerlager, das durch seine Überlegungen zur Ewigkeit der Hölle und seine Hoffnung auf die Apokatastasis gebildet wird. Diese hat sein Nachwirken so nachhaltig geprägt, dass Origenes in der europäischen Geistesgeschichte vor allem als der Denker der Apokatastasis gilt, obwohl diese Lehre, die eine wichtige Rolle bei seiner Verurteilung spielte, von Kirchenvätern wie Clemens von Alexandrien, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Maximus Confessor, ja ursprünglich selbst von Hieronymus (vor der Kontroverse mit Rufinus von Aquileja um die Rechtgläubigkeit des Origenes) in ähnlicher Form vertreten wurde.24

4. Die Hoffnung auf die Wiederherstellung aller Dinge in Gott a) Das Selbstgericht des Sünders Allerdings war Origenes der erste Theologe der Kirche, der die Existenz einer ewigen Hölle und die Annahme einer endgültigen Verdammung leugnete. Bereits in seiner Jugendschrift De principiis deutet er die Androhung eines ewigen Feuers25 von dem Wort des Propheten Jesaia her: „Gehet hin in dem Licht eures Feuers und in den Flammen, die ihr euch selbst angezündet habt.“26 Demnach entzündet jeder Sünder die Flammen seines eigenen Feuers selbst durch die Sünden, die er begangen hat; er wird nicht in ein schon bestehendes Feuer geworfen, das ein anderer angezündet hätte. Vielmehr bietet er selbst durch seine schlechten Taten und bösen Gedanken dem Feuer Nahrung und Stoff, das in ihm brennt.

24 25 26

Vgl. die Nachweise bei Hans Urs von Balthasar, Was dürfen wir hoffen?, Einsiedeln 1986, 50 f. Vgl. Mt. 25,21. Jes. 50,11.

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„Die Seele sammelt, wie ich meine, eine Menge von schlechten Handlungen und ein Übermaß von Sünden in sich an, und zu gegebener Zeit bricht diese ganze Ansammlung von Übeln aus und entzündet sich zur Strafe und zur Pein.“27

An dieses Selbstgericht des Sünders habe auch Paulus gedacht, so mutmaßt Origenes, wenn er vom Gewissen der Heiden spricht, deren Gedanken sich untereinander anklagen.28 „Der menschliche Geist selbst, das Gewissen, hat durch göttliche Kraft alles in sein Gedächtnis aufgenommen, er hat beim Sündigen in sich selbst gewisse Zeichen und Figuren eingeprägt, und so wird er alles Hässliche, Schändliche oder gar Gottlose, das er getan hat, vor seinen Augen ausgebreitet sehen, sozusagen eine Geschichte seiner Untaten. Dann wird das Gewissen selbst durch seinen eigenen Stachel getrieben und gepeinigt; es wird Ankläger und Zeuge gegen sich selbst.“29

Das Selbstgericht der Sünder meint für Origenes jedoch nicht nur ihre gegenwärtigen Gewissensqualen; vielmehr verweist es auch auf das Ende der Welt, das eintreten wird, wenn jeder entsprechend dem Maß seiner Sünden bestraft wird. Obwohl Origenes wiederum nur hypothetisch spricht und jede Festlegung vermeidet,30 gibt er seiner Hoffnung Ausdruck, dass am Ende alle, selbst die verstocktesten Sünder, die nur in „einem besonders harten Reinigungsprozess wiederhergestellt“31 werden, in die ursprüngliche Einheit mit Gott zurückkehren. Dafür beruft er sich zum einen auf den griechischen Grundsatz, dass das Ende der Dinge ihrem Anfang entsprechen muss,32 zum anderen auf den Glauben der Kirche, „dass Gottes Güte durch seinen Christus die ganze Schöpfung zu einem einzigen Ende führen wird, in dem auch die Feinde unterworfen werden.“33 Wenn in Psalm 110,1 davon die Rede ist, dass dem Kyrios als dem Herrn der Geschichte nach seiner Inthronisation zur Rechten des Höchsten alle seine Feinde als Schemel unter die Füße gelegt werden, oder wenn Paulus von der großen Unterwerfung spricht, in der Christus „alles“ unterworfen sein wird,34 wirft dies schwierige 27 28

29 30

31 32 33 34

Origenes, princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 177); Übersetzung: p. 429 Görgemanns/Karpp. Vgl. Röm. 2,15 f. – Vgl. dazu jetzt auch Josef Lössl, Origenes und die Begriffe „Naturgesetz“ und „Gewissen“ nach Röm. 2,14–16. Exegesegeschichtliche Perspektiven, in: Alfons Fürst (Hg.), Origenes und sein Erbe in Orient und Okzident (Adamantiana 1), Münster 2011, 77–100. Origenes, princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 177); Übersetzung: p. 429 Görgemanns/Karpp. Vgl. ebd. I 6,1 (5, 78): „Dabei sprechen wir unsererseits mit großer Behutsamkeit, mehr als Untersuchende und Erörternde denn als fest und sicher Behauptende“; Übersetzung: ebd. 215. Ebd. I 6,3 (5, 84); Übersetzung: ebd. 227. Ebd. I 6,2 (5, 79 f.). Ebd. I 6,1 (5, 79); Übersetzung: p. 215 Görgemanns/Karpp. Vgl. 1 Kor. 15,27.

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Fragen auf, die Origenes nur probeweise erörtert, aber nicht selbst beantworten kann. Wenn Christus die ganze Schöpfung zum Vater zurückführen wird, lässt sich die Frage nicht mehr abweisen, ob dann auch die Teufel, die verstockten und boshaften Wesen durch die wohltätigen Einflüsse Anderer oder aufgrund ihrer eigenen Willensänderung in die Einheit des Endzustandes mit aufgenommen sein werden.

b) Die Ewigkeit der Hölle und die Apokatastasis Origenes enthält sich ausdrücklich einer definitiven Antwort, doch deutet er an, dass er einer zustimmenden Lösung zuneigt.35 Die späteren Stellungnahmen des Origenes sind allerdings nicht eindeutig. In seinem Kommentar zum Johannesevangelium verteidigt er sich gegen den Vorwurf, die Höllenstrafen aufgehoben zu haben, spricht aber zugleich von der universalen Herrschaft des Logos, die mit dem Wort „Apokatastasis“ bezeichnet werde.36 An einer wichtigen Stelle seines Römerbriefkommentars, die uns allerdings nur in der lateinischen Übersetzung des Rufinus überliefert ist, erläutert Origenes, worauf sich die Hoffnung auf einen finalen Weltzustand, in dem Gott alles in allem sein wird,37 gründet. Dadurch korrigiert er zugleich die Theorie von der Vielzahl der Welten, nach der es am Ende jeder Periode zu einem erneuten Abfall kommt. Nicht jedes Ende und jede erreichte Einheit muss von der Art sein, dass darin bereits der Grund für einen erneuten Abfall in die Verschiedenheit angelegt ist. Als christlicher Theologe kennt Origenes in der Ankunft des Logos unter den Menschen auch ein einmalig Neues, das sich der unabgeschlossenen Abfolge der Welten gegenüber behauptet und über die Einheit des ersten Anfangs hinausweist. In der Ankunft des Logos erreicht das erzieherische Handeln Gottes an den Menschen seine höchste und letzte Etappe. Diese bedeutet einen bleibenden Neuanfang, der sich gegenüber der gesamten Sukzessivfolge des Kommenden behauptet. In der Kontroverse, die Origenes mit Kelsos um die Wahrheit des Christentums führt, lehnt er die Theorie der ewigen Wiederkehr des Gleichen mit dem Hinweis ab, dass dann Jesus immer wieder in eine Vielzahl von Welten kommen müsse, um jedes Mal von Neuem das zu vollbringen, was er doch ein für allemal vollbracht hat.38

35 36 37 38

Vgl. princ. I 6,3 (GCS Orig. 5, 83): „Ich halte es aber für möglich …“; Übersetzung: p. 227 Görgemanns/Karpp. Vgl. in Ioh. comm. I 16,91 f. (GCS Orig. 4, 20). Vgl. 1 Kor. 15,28. Vgl. Origenes, Cels. IV 67 (GCS Orig. 1, 337).

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c) Die unendliche Kraft des Kreuzes Christi und die menschliche Freiheit Der Grund der Hoffnung auf eine universale Versöhnung am Ende der Zeiten, in der sich auch die Willensregungen der hartnäckigen Sünder zum Guten kehren, liegt für Origenes in Gottes unendlicher Liebe, deren Kraft im Kreuz Christi sichtbar wurde. Sie ist das einzige „Heilmittel zur Gesundheit“, das nicht nur in dieser Weltzeit, sondern für alle Äonen ausreicht, um Menschen und Engel in die verlorene Einheit mit Gott zurückzuführen: „Dass der geistbegabten Natur immer die Willensfreiheit bleibt, leugnen wir nicht. Doch wir behaupten, dass das Kreuz Christi und sein Tod, den er am Ende der Zeit auf sich nahm, eine solche Kraft haben, dass sie nicht nur für die gegenwärtige, sondern auch für die zukünftige Welt und sogar für die vergangenen Zeiten zum Heil ausreicht.“39

Auf die Kraft der Liebe Gottes, die im Kreuz offenbar wurde, gründet Origenes die Hoffnung auf einen endgültigen Sieg des Guten, der von keinem weiteren Abfall mehr bedroht ist, weil er die menschliche Freiheit ohne äußeren Zwang von innen her erfüllt: „Was aber in der zukünftigen Welt die Willensfreiheit so bindet, dass sie nicht mehr in Sünde fallen kann, das lehrt uns der Apostel mit kurzen Worten: ‚Die Liebe kommt nie zu Fall‘ (1 Kor. 13,8). Darum nämlich wird die Liebe als größer bezeichnet, größer als Glaube und Hoffnung (vgl. 1 Kor. 13,13), weil sie allein bewirken wird, dass man nicht mehr sündigen kann. Wenn nämlich die Seele zu solcher Vollkommenheit aufgestiegen ist, dass sie Gott aus ganzem Herzen, ganzer Seele und mit allen ihren Kräften liebt und auch den Nächsten wie sich selbst, wo ist dann noch Raum für die Sünde?“40

Die Liebe kann einen freien Willen so fesseln, dass die ganze Kraft seines Wollens erfüllt ist, so dass ein Abfall aus der Einheit mit Gott, wie Luzifer ihn am Anfang aus freier Entscheidung beging, nicht mehr möglich ist. Wenn Gott der Freiheit jedes einzelnen geistigen Wesens „alles“ geworden ist, bleibt kein Rest unerfüllter Sehnsucht mehr, der wiederum zum Grund der freien Hinneigung zum Bösen werden könnte. Das ist der endgültige Sieg des Guten, der den offenen Entwurf der Geschichte, mag diese noch so häufig in den Abgrund des Bösen zurückgefallen sein, zu einem absoluten Ende führt und das Weltendrama in sein ewiges Schlussfinale einmünden lässt. So versucht Origenes an beidem, der Freiheit des menschlichen Willens und der Hoffnung auf die Errettung der Bösen in der Wiederherstellung aller Dinge am Ende der Zeiten, festzuhalten. Auch für ihn ist ein 39 40

In Rom. comm. V 10 (p. 450 f. Hammond Bammel); Übersetzung: Heither, FC 2/3, 183. Ebd. (p. 451); Übersetzung: ebd. 183–185.

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Größeres als die Freiheit geistiger Wesen denkbar, aber dieses Größere ist nicht die Notwendigkeit eines kosmologischen Geschehens wie im antiken Fatalismus oder in der deterministischen gnostischen Naturenspekulation, sondern die je größere Freiheit der Liebe Gottes, die niemals aufhört.41

d) Origenes und Augustinus: Ringen um die Gerechtigkeit Gottes Allein die Hoffnung auf den eschatologischen Sieg der Liebe Gottes kann, so deuten die Überlegungen des Origenes an, ein Ende der Geschichte heraufführen, das die menschliche Freiheit nicht außer Kraft setzt und zugleich der Gutheit Gottes als Herrscher über alles würdig ist.42 Man kann den theologiegeschichtlichen Stellenwert der Erörterungen, die Origenes anstellt, um die Möglichkeit einer Überwindung des Bösen am Ende der Geschichte auszuloten, nur ermessen, wenn man sie mit der Antwort vergleicht, die später Augustinus auf diese Fragen geben wird. Diese Antwort führt zu einem Wendepunkt in der Kirchengeschichte, da sie nach Form und Inhalt in die entgegengesetzte Richtung zielt und die kirchliche Glaubenswissenschaft auf Jahrhunderte hin festlegt.43 Wo Origenes um einen positiven Ausgang der Geschichte ringt, ist für Augustinus im Negativen nicht einmal mehr ein Zweifel über das endgültige Schicksal der Bösen denkbar. Indem der Bischof von Hippo mit aller Entschiedenheit auf der „Wirklichkeit nicht nur der Hölle, sondern auch ihrer zahlreichen Insassen“ insistiert, verschließt er jede Möglichkeit für die Bösen und Ungerechten, der ewigen Verdammung zu entkommen.44 Augustinus schaut nicht mehr zitternd und hoffend auf das göttliche Gericht, sondern er weiß bereits mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit um den Ausgang dieses Gerichts. Das einzige theologische Problem, das sich für Augustinus angesichts einer ewigen Hölle und der endgültigen Verdammung selbst persönlich unschuldiger Kinder noch stellt, ist die Frage, wie diese mit der Gerechtigkeit Gottes vereinbar sein können. Selbst diese wahrhaft bedrängende Frage ist für Augustinus jedoch kein wirkliches Problem, an dem das theologische Denken scheitern könnte, da mit Adams Fall die ganze Menschheit unermessliche Schuld auf sich geladen hat, so dass Gott am Jüngsten Tag an der kleinen Zahl der Geretteten seine Barmherzigkeit, an der großen Menge der auf ewig Verdammten dagegen nur seine Gerechtigkeit erweisen wird. Anders als Origenes versteht Augustinus die Rede vom

41 42 43 44

1 Kor. 13,8. Vgl. Origenes, in Ioh. comm. VI 58,296 (GCS Orig. 4, 166) und zum Ganzen Hermann Josef Vogt, Das Kirchenverständnis des Origenes (BoBKG 4), Köln 1974, 344–346. Von Balthasar, Was dürfen wir hoffen? (wie Anm. 24) 52. Ebd.

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ewigen Feuer als eine realistische Aussage über das tatsächliche Schicksal, das die Sünder erleiden werden. Den zahlreichen Schriftstellen, auf die Origenes sich stützt, um an der Denkbarkeit einer universalen Versöhnung festzuhalten, stellt Augustinus kurzerhand die Tatsache gegenüber, dass der Herr die Übeltäter „ins ewige Feuer verweist,  … wo sie gepeinigt werden von Ewigkeit zu Ewigkeit“.45 Selbst mit 1 Tim. 2,4, dem locus classicus für die Annahme des universalen Heilswillens Gottes, glaubt Augustinus leichtes Spiel zu haben, indem er dieser Paulusstelle durch eine Unterscheidung einen anderen Sinn beilegt, bei der es einem fast den Atem verschlägt. Das fürbittende Gebet der Kirche für die Sünder, dessen ist sich Augustinus gewiss, wird nicht für alle erhört werden. Deshalb bittet sie nur solange für die Feinde Gottes, wie diese noch „im Leibe“ sind und sich daher bekehren können. Dagegen ist das Gebet der Kirche post mortem wirkungslos, weshalb die Kirche auch nicht für jene bittet, die „bis zu ihrem Tod ein unbußfertiges Herz behalten haben.“ Für die Bekehrung des Teufels kann die Kirche ohnehin nicht beten, und aus demselben Grund ist es „schon jetzt verwehrt, für verstorbene Ungläubige und Gottlose zu beten, wenn es sich auch um Menschen handelt“.46 Könnte man sich auf das Gebet der Kirche hin durch die Verdienste anderer retten lassen, ohne sich durch die innere Wandlung des eigenen Lebens selbst bekehrt zu haben, so würde „die menschliche Bequemlichkeit sich im Gefühl der Sicherheit wiegen“, was die Sünder zu gefährlicher Nachlässigkeit verleiten würde.47 Die Schriftstellen, die seiner unerbittlichen Logik entgegenstehen und vom Erbarmen, der Güte und der Liebe Gottes handeln, deklariert Augustinus als „unklar“, so dass sie gegenüber der unbedingten Gewissheit nicht ins Gewicht fallen, die ihm allein feststeht: dass nämlich „der göttliche Richterspruch seiner Kraft nicht entleert und abgeschwächt werden darf “.48 Die Sorge, dass die Kraft Gottes nicht entleert werde, die Origenes im Blick auf die Macht seiner im Kreuz sichtbar gewordenen Liebe äußert, bewegt auch Augustinus im Blick auf Gottes gerechten Richterspruch am Jüngsten Tag – jedoch in einer der Hoffnung des Origenes diametral entgegengesetzten Weise. Wo dieser auf die Bekehrung auch der hartnäckigen Sünder hofft, ist die Sorge des Augustinus allein darauf gerichtet, jeden Zweifel am Ausgang des göttlichen Gerichts für die Bösen für immer auszuschließen. Hans Urs von Balthasar beschreibt die Weichenstellung, die Augustinus für das theologische Verständnis der christlichen Hoffnung vornahm, mit lapidaren Worten: „Die Türe ist zugeschlagen und vielfach und sorgsam verriegelt; und für die Theologie der Nachwelt ist sie lange verschlossen geblieben“.49

45 46 47 48 49

Augustinus, civ. XXI 23 (CChr.SL 58, 788). Ebd. XXI 24 (58, 789 f.). Ebd. XXI 27 (58, 804 f.). Ebd. XXI 23 (58, 787). Von Balthasar, Was dürfen wir hoffen? (wie Anm. 24) 56.

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In der nachfolgenden Theologiegeschichte wiederholt sich die Weggabelung, die Augustinus durch seine Abkehr von der durch Origenes vorgezeichneten Linie vieler griechischer und lateinischer Kirchenväter vorgegeben hatte. Ein Strang führt vom spätmittelalterlichen Augustinismus über die Reformatoren Luther und Calvin zu den Jansenisten und zu François Fénelon; das gemeinsame Interesse dieser Autoren richtet sich darauf, angesichts einer ungeheueren Vielzahl von Verdammten, einer massa damnata aus allen Generationen der Menschheitsgeschichte, entgegen allem menschlichen Begreifen-Können Gottes eherne Gerechtigkeit zu erweisen. Der Ausweg einer Hoffnung, die darauf setzt, dass der Ausgang des göttlichen Weltgerichts für jeden noch offen ist, blieb ihnen verschlossen, nicht zuletzt aufgrund ihrer Spekulationen über die doppelte Prädestination post et ante praevisa merita, die sie im sicheren Wissen um den unerbittlichen Richterspruch Gottes zu seiner Rechtfertigung entwickelten. Allein Fénelon trug seine Theorie vom amour pur als hypothetische Überlegung vor, nach der eine Seele Gott auch dann lieben müsste, wenn dieser im Gericht die ewige Verdammung für sie bereit hielte. Das befremdliche Konstrukt einer reflektierten Einwilligung in die eigene Verdammung bleibt bei Fénelon durch die Mahnung im Lot, niemand dürfe es als erwiesen ansehen, dass er von Gott verlassen ist.50

5. Die Rückeroberung der inneren Weite christlicher Hoffnung Die andere Strömung christlicher Theologie versuchte sich unter äußersten begrifflichen Anstrengungen von den Hypotheken des augustinischen Erbes zu befreien, die wie ein dunkler, schwerer Schleier über der göttlichen Tugend der Hoffnung lasteten. Hans Urs von Balthasar hat im 4. Band seiner „Theodramatik“ (1983) und in dem kleinen Bändchen „Was dürfen wir hoffen?“ (1986) die einzelnen Stationen der „Gegenbewegung gegen das Übergewicht der augustinischen Tradition“ nachgezeichnet, die das verschlossene Tor wieder öffnet und jenseits aller spekulativen Gewissheiten, im einzig sicheren Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit, einen Ausblick der Hoffnung für sich selbst und für alle Mitmenschen erlaubt. Die Hoffnung für andere war bereits bei den mittelalterlichen Autoren aufgrund der radikalen Interiorisierung und Individualisierung des Hoffnungsgutes zum Problem geworden, die sich in dem augustinischen Grundsatz aussprach, dass die Hoffnung sich nur auf solche Güter richten könne, die den Hoffenden selbst betreffen.51 Schon Thomas konnte die axiomatische Gültigkeit dieses Satzes nur dadurch einschränken, dass er die Hoffnung mit der 50 51

Vgl. François Fénelon, Instruction Pastorale sur le Livre „Explications des Maximes des Saints“, Nr. 3 und 10, in: ders., Œuvres Complètes II, Paris 1848, 288. 293 f. Vgl. Augustinus, ench. 8 (CChr.SL 46, 52).

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Liebe verband, die dem Nächsten Gutes wünscht. Auf der Basis dieses durch die Vereinigung der Liebenden ermöglichten Wohlwollens ist es dann auch möglich, für den Nächsten ewiges Leben zu erhoffen: „Und ebenso wie es die gleiche Tugend der Liebe ist, durch die einer Gott, sich selbst und den Nächsten liebt, ist es auch die gleiche Tugend der Hoffnung, mit der einer für sich selbst und für andere hofft“.52

In der gegenwärtigen Philosophie der Hoffnung hat Gabriel Marcel das Band zwischen Hoffnung und Liebe noch enger geknüpft, indem er jede Hoffnung eines selbstgenügsamen, in sich verschlossenen Ich zurückwies: „Denn es kann keinen Partikularismus der Hoffnung geben; die Hoffnung verliert jeden Sinn und jede Kraft, wenn sie nicht die Aussage eines ‚Wir alle‘, eines ‚Alle zusammen‘ besagt.“53 Für sich allein zu hoffen wäre für Marcel der unerträgliche Ausdruck eines Egoismus, der in die Verzweiflung und Einsamkeit der Hölle führt, die Marcel eine „pervertierte Ewigkeit“, eine „contre-éternité“ nennt.54 Wahre Hoffnung dagegen entspringt aus der Gemeinschaft, die Menschen untereinander verbindet, nicht allein zu der Ich-Du-Kommunikation, die noch immer im geschlossenen Kreis des privaten Glücks verbleibt, sondern in einer universalen Offenheit für alle Menschen, die Maß an der Liebe Gottes selbst nimmt. Von Balthasar zählt der Reihe nach die Zeugnisse aus der Geschichte der christlichen Mystik auf, in der Mechthild von Hackeborn, Angela von Foligno, Therese von Lisieux, Maria-Magdalena Pazzi, Theresa von Avila und Marie de l’Incarnation die dunklen Nächte ihrer Seele stellvertretend für andere durchleiden. Sie tun dies im Bewusstsein, dass die Seligkeit des Himmels unvollkommen bleibt, solange auch nur ein einziger Sünder davon ausgeschlossen ist – bis hin zu der demütigen Selbstverleugnung, die sich bereit erklärt, die Verdammung eines anderen, wenn sie denn unvermeidlich sein sollte, stellvertretend auf sich zu nehmen.55 In seiner eigenen Lösung folgt von Balthasar Maurice Blondel, dessen Theorie der „Grundwahl“ der Verantwortung des Menschen höchste Bedeutung zuspricht und daher an dem Gedanken einer endgültigen Selbstverschließung des Sünders 52 53

54 55

Thomas von Aquin, s. th. II-II 17,3. Gabriel Marcel, Structure de l’Espérance, in: DViv 19 (1951) 71–80, hier 80; zitiert nach der Übersetzung von von Balthasar, Was dürfen wir hoffen? (wie Anm. 24) 65. Zum Zusammenhang von Hoffnung und Intersubjektivität im Denken Marcels vgl. Peter-Felix Ruelius, Mysterium spes. Gabriel Marcels Philosophie der Hoffnung und ihre Relevanz für die Eschatologie (Studien zur systematischen und spirituellen Theologie 14), Würzburg 1995, 263 f. Marcel nach von Balthasar, ebd. 51. Vgl. von Balthasar, ebd. 86.

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Die Wirkungsgeschichte des Origenes

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als möglicher Folge seiner freien Entschiedenheit gegen Gott unbedingt festhalten muss. Deshalb wendet sich von Balthasar in dem Bemühen, die Hoffnung und das fürbittende Gebet der Kirche für alle Menschen zu denken, zugleich gegen die „billige Hoffnung“ einer auf Kosten der göttlichen Gerechtigkeit erkauften Apokatastasis-Spekulation, wie er sie in Karl Barths dramatischer Tausch-Christologie gegeben sieht, nach der Christus stellvertretend für die Sünder die Verdammung erleidet, damit diese durch ihn errettet werden. Der Mut der christlichen Hoffnung richtet sich für von Balthasar ebenso wie für Origenes darauf, dass jeder Mensch in Furcht und Zittern auf das im Kreuz Christi geschehene Wunder blickt, das er, nachdem er um das Heil aller anderen bittet, auch auf sich selbst anzuwenden wagt, wenn alles Verdammenswerte, das ihm anhaftet, im Gericht „ausgebrannt“ wird.56

6. Die theologiegeschichtliche Auslegung des Origenes Kommen wir anhand dieses Längsschnitts durch die Theologie der christlichen Hoffnung zurück auf ihren Anfang bei Origenes. In seinem Denken, noch stärker in seinen bibeltheologischen und exegetischen Reflexionen als in der systematischen Spekulation des Frühwerks, liegen die wesentlichen Bausteine bereit, die in der gegenwärtigen Eschatologie zu einem neuen Gesamtbild der letzten Dinge zusammengefügt werden: die Hölle als Selbstgericht des Sünders, die Einheit von Gottes Barmherzigkeit mit seiner Gerechtigkeit, die ‚ewige‘ Bedeutung der menschlichen Freiheit und ihrer Willensakte, die stets gegenwärtige Versuchbarkeit des Menschen durch das Böse und das Vertrauen in die unendliche Kraft des Kreuzes Christi. Besser als durch jedes Zitat eines einzelnen Autors lässt sich dieses Gesamtbild mit den Worten nachzeichnen, die Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe salvi wählt, um die christliche Hoffnung und die Rolle des Gerichts hervorzuheben: „Das Gericht Gottes ist Hoffnung, sowohl weil es Gerechtigkeit wiewohl weil es Gnade ist. Wäre es bloß Gnade, die alles Irdische vergleichgültigt, würde uns Gott die Frage nach der Gerechtigkeit schuldig bleiben – die für uns entscheidende Frage an die Geschichte und an Gott selbst. Wäre es bloße Gerechtigkeit, würde es für uns alle am Ende nur Furcht sein können. Die Menschwerdung Gottes in Christus hat beides – Gericht und Gnade – so ineinandergefügt, dass Gerechtigkeit hergestellt wird: Wir alle wirken unser Heil ‚mit Furcht und Zittern‘.57 Dennoch lässt die Gnade uns alle hoffen und zuversichtlich auf den Richter zugehen, den wir als unseren ‚Advokaten‘, Parakletos, kennen.“58 56 57 58

Vgl. ders., Theodramatik. 4. Bd.: Das Endspiel, Einsiedeln 1983, 293. Phil. 2,12. Vgl. 1 Joh. 2,1. Zitiert aus: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 179, Bonn 2007, 59.

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Die beiden Spurrinnen, in denen wir den theologiegeschichtlichen Einfluss des Origenes anhand zweier Kristallisationspunkte seines Denken, seiner radikalen Freiheitslehre und seiner Eschatologie, verfolgten, führten zu einem paradoxen Ergebnis: Obwohl Origenes mehrfach verurteilt und sein Werk zu großen Teilen vernichtet wurde, gehört er zu den wenigen Vordenkern und wirklichen Anregern der Theologie, die durch die Fragen, die sie stellten, und die vorläufigen Problemlösungen, die sie entwarfen, für die Folgezeit prägend wurden. Von Balthasar, der durch die Verarbeitung zahlloser Origenes-Stellen in seinem eigenen Werk Entscheidendes zur Rehabilitation des großen Alexandriners und zur „Rekatholisierung des Origenesbildes“ leistete,59 wagt sogar die Behauptung: „Es gibt in der Kirche keinen Denker, der so unsichtbar-allgegenwärtig geblieben wäre, wie Origenes.“60 Obwohl dem als Häretiker Gebrandmarkten das offene Gespräch der Nachwelt über seine Theologie lange Zeit versagt blieb, war er zu allen Epochen höchst einflussreich und wirkmächtig. „Origenes und seine Bedeutung für die Geschichte des christlichen Denkens zu überschätzen, ist kaum möglich. Ihn an die Seite von Augustinus und Thomas stellen heißt, ihm den Platz einräumen, der ihm in dieser Geschichte zukommt.“61 Dieser Einschätzung ist nichts hinzuzufügen außer dem Bedauern über die vielen Umwege, die anderen durch seine Verurteilung abgenötigt wurden. Der Theologiegeschichte und der kirchlichen Glaubenslehre wären viele Irrwege und Sackgassen erspart geblieben, aus denen sie sich nur unter großen Mühen und Opfern befreien konnten, wenn sie in entscheidenden Weichenstellungen nicht Augustinus, sondern Origenes gefolgt wären.

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Werner Löser, Im Geiste des Origenes. Hans Urs von Balthasar als Interpret der Theologie der Kirchenväter (FTS 23), Frankfurt a. M. 1976, 85. Hans Urs von Balthasar, Origenes. Geist und Feuer. Ein Aufbau aus seinen Schriften, Salzburg/Leipzig 1938 (Nachdruck: CMe 43, Freiburg 1991), 11. Ebd. 12.

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Die Idee der Freiheit Origenes und der neuzeitliche Freiheitsgedanke

THEO KOBUSCH, B ONN

1. Die Etablierung des Moralischen – die Innovation des Origenes1 Es ist eine bedeutende Sache, die sich durch die Entwicklung des Willensbegriffs in der christlichen Antike vollzieht. Hier erst entsteht das eigentliche Bewusstsein von dem, was wir das Moralische nennen. Denn durch die Kirchenväter gewinnt der Begriff des Willens seine Kontur, sein Profil, seine Definition. Mag die προαίρεσις in der Ethik des Aristoteles und auch in der stoischen Ethik, besonders bei Epiktet, eine wichtige, ja eine zentrale Funktion haben, so kann doch nicht geleugnet werden, dass sie in einer bestimmten Abhängigkeit von der Natur gesehen wird. Gerade hinsichtlich dieses Verhältnisses vollzieht sich bei den Kirchenvätern eine grundlegende Änderung, die von geradezu epochaler Bedeutung ist. Denn hier wird dem Reich der „Naturen“, nicht nur der physischen, das Reich des Willens (προαίρεσις) gleichrangig gegenübergestellt, ja sogar seine Priorität gegenüber allem Natur- oder Wesenhaften behauptet. Hier vollzieht sich so auch die Etablierung des Moralischen als eines eigenständigen Bereichs. Was durch das gesamte Mittelalter terminologisch streng als das Physische und Moralische unterschieden und noch bei Autoren wie Rousseau als „être naturel“ und „être morale“ oder auch bei Hegel unter dem Titel des Natürlichen und Moralischen auseinander gehalten wurde, das wird hier bei den Kirchenvätern erstmals bewusst. Die christliche Philosophie – wie sich das christliche Denken seit dem 4. Jahrhundert selbst nennt  – hat gewissermaßen von Anfang an das Besondere der menschlichen Freiheit im Reich des Geschaffenen hervorgehoben.2 Freiheit, das 1

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Der erste Teil dieser Studie entspricht dem, was ich an anderen Stellen schon dargelegt habe. Zur spätantiken Willenslehre vgl. auch Theo Kobusch, Der Begriff des Willens in der christlichen Philosophie vor Augustinus, in: Jörn Müller/Roberto Hofmeister Pich (Hg.), Wille und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike (Beiträge zur Altertumskunde 287), Berlin/New York 2010, 277–300. Hom. Clem. 2(βʹ),15,1 (GCS Ps.-Clem. 1, 40 f.): ἔνθεν γοῦν ὁ θεὸς  … ποιήσας οὐρανὸν καὶ γῆν, ἡμέραν καὶ νύκτα, φῶς καὶ πῦρ, ἥλιον καὶ σελήνην, ζωὴν καὶ θάνατον. μόνον δὲ ἐν τούτοις αὐτεξούσιον τὸν ἄνθρωπον ἐποίησεν, ἐπιτηδειότητα ἔχοντα δίκαιον ἢ ἄδικον γενέσθαι.

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Theo Kobusch

ist für die griechischsprachige Patristik moralische Autonomie. Nur der durch eigenen Willen Gute ist wirklich gut, während der heteronom Bestimmte nicht wirklich gut sein kann, „weil er nicht durch eigenen Willen ist, was er ist“.3 Die Lehre von der menschlichen Freiheit gelangt in ein neues Stadium ihrer Entwicklung durch die Auseinandersetzung der christlichen Philosophie mit den Gnostikern und Manichäern. Allen voran ist hier Origenes zu nennen. Er hat dem Thema der Freiheit innerhalb der antiken Philosophie einen neuen Standort gegeben. Es ist die Angel, um die sich das christliche Denken dreht. Die Neuartigkeit dieser Freiheitsphilosophie in der Antike ist gewissermaßen auch terminologisch nachweisbar. Gegenüber den gnostischen „Natur“-Theoretikern, die alles auf feste Prinzipien und Naturen zurückführen, hat Origenes die Freiheit als das bestimmende Element der Welt des Geistigen angesehen. In diesem Sinne wird nicht die „Natur“, sondern der „freie Wille“ (προαίρεσις ἑκούσιος) für die Ursache der moralischen Schlechtigkeit gehalten.4 Origenes unterscheidet in diesem Sinne das Reich des fest „Konstituierten“ (κατασκευή) und Dinghaften von dem, was „aufgrund einer Veränderung und eigenen Willens so geworden und, mit einem Neologismus ausgedrückt, seine Natur geworden ist“.5 Offenbar hat Origenes hier die Vorstellung der so genannten „zweiten Natur“ vor Augen, die durch den Willen begründet wird. Der Wille ist Zentrum und Organ der Freiheit. Sie ist in einer Willenshandlung besonders deutlich zu erkennen: in der Zustimmung. Die Zustimmung, schon bei den Stoikern das Innerste der Freiheit, kann so nach Origenes nur auf den Willen, nicht auf eine physische Konstitution zurückgeführt werden.6 Bei Ephräm dem Syrer macht die Zustimmung als Leistung des Willens sogar das Eigentliche

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Ebd. 11(ιαʹ),8,1 (1, 157): ταῦτα λέγοντες ἀγνοεῖτε τί ἐστιν τὸ αὐτεξούσιον καὶ πῶς δυνατόν ἐστιν ἀγαθοὺς τῷ ὄντι εἶναι. ὅτι ὁ ἰδίᾳ προαιρέσει ὢν ἀγαθὸς ὄντως ἀγαθός ἐστιν, ὁ δὲ ὑφ᾽ ἑτέρου ἀνάγκης ἀγαθὸς γενόμενος ὄντως οὐκ ἔστιν, ὅτι μὴ ἰδίᾳ προαιρέσει ἐστὶν ὅ ἐστιν. ἐπεὶ οὖν τὸ ἑκάστου ἐλεύθερον ἀποτελεῖ τὸ ὄντως ἀγαθὸν καὶ δεικνύει τὸ ὄντως κακόν. Origenes, in Matth. comm. X 11 (GCS Orig. 10, 12). In Ioh. comm. XX 21,174 (GCS Orig. 4, 353): εἶναί τινα τῇ ὑποστάσει ἐκ κατασκευῆς, ἀλλὰ ἐκ μεταβολῆς καὶ ἰδίας προαιρέσεως τοιοῦτον γεγενημένον, καὶ οὕτως, ἵνα καινῶς ὀνομάσω, πεφυσιωμένον. Zur gnostischen Lehre von den konstituierten Naturen vgl. auch Cels. V 61 (GCS Orig. 2, 64 f.). Ähnlich die ob ihrer Authentizität zweifelhaften sel. in Ps. 35 (PG 12, 1313): Δῆλον ἐκ τῶν εἰρημένων, ὡς ὁ παράνομος οὐκ ἐκ κατασκευῆς ἐστι τοιοῦτος· τὸ γὰρ μὴ βούλεσθαι σύνεσιν ἔχειν ἐπὶ τῷ ἀγαθὰ ποιεῖν αὐτεξουσίου. In Ioh. comm. XIII 10,63 (GCS Orig. 4, 234 f.): Ἀλλὰ καὶ ἐπαινεῖ τὴν Σαμαρεῖτιν ὡσὰν ἐνδειξαμένην τὴν ἀδιάκριτον καὶ κατάλληλον τῇ φύσει ἑαυτῆς πίστιν, μὴ διακριθεῖσαν ἐφ᾽ οἷς ἔλεγεν αὐτῇ. Εἰ μὲν οὖν τὴν προαίρεσιν ἀπεδέχετο, μηδὲν περὶ φύσεως αἰνιττόμενος ὡς διαφερούσης, καὶ ἡμεῖς ἂν συγκατεθέμεθα· εἰ δὲ τῇ φυσικῇ κατασκευῇ ἀναφέρει τὴν τῆς συγκαταθέσεως αἰτίαν, ὡς οὐ πᾶσιν ταύτης παρούσης, ἀνατρεπτέον αὐτοῦ τὸν λόγον.

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Die Idee der Freiheit

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der Handlung aus.7 Der eigentliche Unterschied zwischen Natur und Wille besteht darin, dass das Ding-, Wesen- oder Naturhafte als so Konstituiertes auch erschaffen wurde, während das Willensmäßige, das Origenes als die Substanz der Geistwesen versteht, sein Sein in dem hat, was es aus sich selbst gemacht hat. Hier ist jene wirkungsmächtige Grundthese des Origenes erkennbar, durch die er sich nicht nur von den gnostischen Naturtheoretikern, sondern vom gesamten griechischen Wesensdenken distanziert. Die Freiheit ist nicht die Äußerung einer bestimmten Natur oder eines festgelegten Wesens, sondern sie bestimmt das Wesen selbst. Jean Daniélou hat mit Recht gesagt: „Pour lui, c’est la liberté qui détermine l’essence, et je n’ai pas besoin de signaler combien cette théorie est moderne.“8 Diese Lehre des Origenes von der das Wesen bzw. die Natur bestimmenden Freiheit ist keine Außenseiterposition. Sie hat das christliche Denken des 4. Jahrhunderts tief beeinflusst. Da ich die unmittelbare Wirkungsgeschichte des Gedankens anderswo dargestellt habe, mögen hier nur zwei Hinweise genügen: Didymus der Blinde, ein Schüler des Origenes, hat sie als einer der ersten aufgenommen. Gegen die Manichäer ist der Satz gerichtet, dass überhaupt kein Vernunftwesen von Natur gut oder schlecht ist: „Niemand ist wesensmäßig schlecht, sondern aufgrund des Willens.“9 In seiner Schrift gegen die Manichäer hebt er hervor, dass auch der Teufel nicht von Natur aus schlecht ist, sondern aufgrund der Hinwendung seines Willens zum Schlechten. Für den Griechischsprachigen deutet sein Name schon darauf hin, dass er kein böses Wesen, sondern ein böser Wille ist.10 Entsprechendes gilt für den Menschen: Alle Menschen sind nach Didymus gerade darin eines Wesens, dass niemand vom Wesen her, von Natur aus oder kraft seiner Konstitution gut oder böse ist, sondern allein aufgrund seines autonomen und freien Willens.11 7

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Ephräm der Syrer, Reprehensio sui ipsius et confessio (I p.  330 Phrantzoles): Ναί, ἀδελφοί, αἱ συγκαταθέσεις ὡς ἔργα κρίνονται, ὅτι ἐκ προαιρέσεως ἡ ὑπόστασις τῶν πράξεων συνίσταται. Jean Daniélou, Origène, Paris 1948, 204. Didymus, Ps. 20 f., Codex p. 54,18 (I p. 218 Doutreleau/Gesché/Gronewald): οὐδεὶς κατὰ οὐσίαν κακός ἐστιν, ἀλλὰ κατὰ προαίρεσιν. Man. 4 (PG 39, 1092): Ἀλλ᾽ οὐδ᾽ αὐτὸς ὁ διάβολος κατὰ φύσιν κακὸς, ἀλλ᾽ ἐκ τροπῆς τοῦ ἰδίου αὐτεξουσίου. Ebd. 11 (39, 1097): Τὸ γὰρ διάβολος ὄνομα, οὐκ οὐσίαν, ἀλλὰ προαίρεσιν δηλοῖ. Vgl. auch Johannes Chrysostomus, diab. 2 (PG 49, 259): Ἀφείσθω ὁ διάβολος ὁ σφόδρα πονηρὸς οὐ φύσει, ἀλλὰ προαιρέσει καὶ γνώμῃ· ὅτι γὰρ οὐκ ἔστι φύσει πονηρὸς ὁ διάβολος, ἀπ᾽ αὐτῶν τῶν ὀνομάτων μάνθανε. Didymus, Ps. 35–39, Codex p.  232,20 f. (IV p.  20 f. Gronewald): τὸ αὐτεξούσιον οὖν κατασκευάζει ὁ λόγος καὶ τὸ αὐτόνομον καὶ ἐλεύθερον τῆς προαιρέσεως, | ὅτι οὐδεὶς ἐκ κατασκευῆς παράνομός ἐστιν, οὐδεὶς ἀγαθὸς κατ᾽ οὐσίαν ἐστίν· πάντες γὰρ ὁμοούσιοί ἐσμεν οἱ ἄνθρωποι. | [π]αρὰ δὲ τὴν ἡμετέραν αἵρεσιν ἢ φυγὴν ἢ φαῦλοι ἢ σπουδαῖοί ἐσμεν. Vgl. auch ebd. p.  276,15 f. (IV p.  232): παρίσταται δὲ ἐκ τῆς τοιαύτης λέξεως ὅτι αὐτεξούσιός ἐστιν ὁ ἄνθρωπος· εἰ γὰρ ἐκ κατα|σκευῆς ἦν ἀγαθός, ἐν τῇ τοῦ ἐπουρανίου ἀεὶ ἐπορεύετο, εἰ κατ᾽ οὐσίαν ἦν κακός, ἐν τῇ τοῦ χοικοῦ.

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Theo Kobusch

Gregor von Nyssa sagt ganz im Sinne des Origenes die programmatischen Worte: „Und wir sind gewissermaßen die Väter unserer selbst, indem wir uns selbst als die hervorbringen, die wir sein wollen, und uns durch unseren Willen nach dem Modell bilden, welches wir wollen.“12 Jérôme Gaith hat in seiner bedeutenden Interpretation der Freiheitslehre des Nysseners mit einem gewissen Recht darauf hingewiesen, dass man hier und anderswo den Sartre der christlichen Antike zu hören meine.13 Allerdings muss bewusst bleiben, dass es sich im Falle der spätantiken Positionen nicht um unbedingte, selbstschaffende Freiheit handelt, sondern um die von Gott geschenkte, insofern bedingte Freiheit, durch die das Selbst sich moralisch gestalten kann. Auch Johannes Chrysostomus hat sich die Grundidee dieser Tradition zu eigen gemacht. Sie kommt schon in dem Satz zum Ausdruck, dass der Mensch nicht von Natur aus gut oder böse ist, sondern dies jeweils durch seinen Willen wird.14 Und mögen auch die Naturgesetze unerschütterlich wirksam sein, so dass der Wolf von Natur aus wild ist und nie zahm werden wird, so ist doch „das in mir nicht von Natur aus, sondern sowohl wild wie auch zahm werde ich, wenn ich es will. Denn ich bin nicht durch die Natur gebunden, sondern mir ist die Ehre der Freiheit des Willens zuteil geworden.“15 Ja, Chrysostomus treibt diese Idee sogar auf die Spitze. Denn in seinem Werk wird erstmals die These von der Priorität des Willens gegenüber der Natur nachweisbar, etwa in der Formulierung, dass die Freiheit das Wichtigere sei gegenüber dem Wesen, denn der Mensch ist mehr Freiheit als Wesen, d. h. als Natur. Des Menschen Liebe und Hass richten sich ja auch nicht auf den Menschen als solchen, sondern auf den bestimmten, der so oder so ist.16 Die Sobestimmtheit des Menschen wird aber durch seinen Willen konstituiert. Während nämlich der eine Mensch sich vom anderen, insofern sie 12

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Gregor von Nyssa, vit. Mos. II (GNO 7/1, 34): … ἐχόντων ἐν τῇ τρεπτῇ φύσει θεωρηθείη. Τὸ δὲ οὕτω γεννᾶσθαι οὐκ ἐξ ἀλλοτρίας ἐστὶν ὁρμῆς, καθ᾽ ὁμοιότητα τῶν σωματικῶς τὸ συμβὰν ἀπογεννώντων, ἀλλ᾽ ἐκ προαιρέσεως ὁ τοιοῦτος γίνεται τόκος. Καὶ ἔσμεν ἑαυτῶν τρόπον τινὰ πατέρες, ἑαυτοὺς οἵους ἂν ἐθέλωμεν τίκτοντες καὶ ἀπὸ τῆς ἰδίας προαιρέσεως εἰς ὅπερ ἂν ἐθέλωμεν εἶδος, ἢ ἄρρεν ἢ θῆλυ, τῷ τῆς ἀρετῆς ἢ κακίας λόγῳ διαπλασσόμενοι. Vgl. auch ebd. (7/1, 56) sowie hom. in Eccl. 6 (GNO 5, 380): ἑαυτῶν γὰρ τρόπον τινὰ πατέρες γινόμεθα, ὅταν διὰ τῆς ἀγαθῆς προαιρέσεως ἑαυτοὺς πλάσωμέν τε καὶ γεννήσωμεν καὶ εἰς φῶς προαγάγωμεν. Jérôme Gaith, La conception de la liberté chez Grégoire de Nysse, Paris 1953, 71 f. Johannes Chrysostomus, in 1 Thess. hom. 2 (PG 62, 478): Οὐ γάρ ἐστιν ἡμῶν ἡ ψυχὴ οὔτε ἀγαθὴ φύσει οὔτε κακὴ, ἀλλὰ προαιρέσει καὶ τοῦτο κἀκεῖνο γίνεται. Laz. 6 (PG 48, 1042): ὁ λύκος οὐδέποτε δύναται γενέσθαι ἥμερος, φύσει γὰρ ἔχει τὸ ἄγριον. Οὐ λύονται οὖν οἱ νόμοι τῆς φύσεως, οὐδὲ σαλεύονται, ἀλλὰ μένουσιν ἀκίνητοι. Ἐπὶ ἐμοῦ τοῦτο οὐκ ἔνι, ἀλλὰ καὶ ἄγριος γίνομαι ὅταν βούλωμαι, καὶ ἥμερος ὅταν θέλω· οὐ γὰρ φύσει δέδεμαι, ἀλλ᾽ ἐλευθερίᾳ προαιρέσεως τετίμημαι. Hom. in Col. 8 (PG 62, 352): Τῆς γὰρ οὐσίας ἡ προαίρεσις κυριωτέρα, καὶ τοῦτο μᾶλλον ἄνθρωπος, ἢ ἐκεῖνο. Οὐ γὰρ ἡ οὐσία ἐμβάλλει εἰς γέενναν, οὐδὲ εἰς βασιλείαν εἰσάγει, ἀλλ᾽ αὐτὴ ἡ προαίρεσις, καὶ οὐδένα οὔτε φιλοῦμεν, οὔτε μισοῦμεν ᾗ ἄνθρωπος, ἀλλ᾽ ᾗ

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beide die Natur des Menschen haben, gar nicht unterscheidet und auch die eine Seele von der anderen, insofern sie Seele ist, nicht unterschieden ist, sind sie doch jeweils von dem je anderen durch den Willen unterschieden. Der Wille ist gewissermaßen das Individuationsprinzip für den inkarnierten Geist.17 Die Radikalität dieser Lehre vom Willensprimat zeigt sich besonders da in Origenes’ Werk, wo es um die Erklärung der Unterschiede im Reich der Vernunftwesen geht. Die Vernunftwesen sind nämlich alle, was sie sind, durch die Bewegung ihres eigenen Willens geworden. Während die Gnostiker davon ausgingen, dass Gott die verschiedenen Naturen, auch die geistigen, als solche erschaffen hat, hat Origenes alle Unterschiede in dieser Welt gerade nicht auf den Willen des Schöpfers als Ursache zurückgeführt. Vielmehr sind die verschiedenen Stufen auf die Freiheit der Vernunftwesen als Ursache zurückzuführen. Im Reich der Freiheit, so will Origenes sagen, kann es keine von außen gesetzten Unterschiede geben, sondern nur die von der Freiheit selbst durch „Fortschritt“ oder „Nachlässigkeit“ verursachten Verschiedenheiten.18 Ein weiteres Gebiet, auf dem sich diese neue Freiheitsphilosophie unmittelbar auswirkt, ist die Seelenwanderungslehre. Origenes hat die alte, wörtlich verstandene Lehre von der Seelenwanderung in Tierkörper, die „Metensomatosis“ genannt wird, abgelehnt.19 Platon hat, wo er so zu sprechen scheint, nur Bilder gebraucht, um zu sagen, dass der Mensch aus Freiheit zu einem tierischen Menschen werden kann. „Es gibt viele Menschen, die keine Menschen sind, sondern Tiere, so dass es deswegen den Menschen Schlange, den Menschen Wolf gibt, der Israelit aber ist ‚Mensch Mensch‘.“20 Der „Mensch Mensch“ ist der wahre Mensch, der göttliche. Es ist kein Zufall, sondern symptomatisch, dass dieser origeneische Begriff des „Menschen Menschen“ in der Renaissancezeit als Leitbegriff aufgenommen worden ist.21 Die Vertierung des Menschen besagt, dass der Wille die

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τοιόσδε ἄνθρωπος. Vgl. auch Anna 1 (PG 54, 636): Οὐχ ἁπλῶς ἡμῖν ταῦτα εἴρηται, ἀλλ᾽ ἵνα μάθῃς, ὅτι προαίρεσις φύσεως δυνατωτέρα. Hom. in 1 Cor. 13 (PG 61, 110): Τέως γὰρ ἡ ὕλη ὑπόκειται κοινὴ πρὸς ἅπαντας οὖσα. Ψυχὴ γὰρ ψυχῆς οὐδὲν διαφέρει, καθὸ ψυχὴ, ἀλλ᾽ ἡ προαίρεσις δείκνυσι τὴν διαφοράν. Ὥσπερ γὰρ σῶμα σώματος, καθό ἐστι σῶμα, οὐδὲν διενήνοχεν, ἀλλ᾽ ὅμοιόν ἐστι καὶ τὸ τοῦ Παύλου καὶ τῶν πολλῶν, οἱ δὲ κίνδυνοι φαιδρότερον ἐργάζονται τοῦτο ἐκείνου· οὕτω δὴ καὶ ἐπὶ ψυχῆς; hom. in Eph. 10 (PG 62, 76): ἄνθρωπος δὲ ἀνθρώπου οὐκέτι φύσει, ἀλλὰ προαιρέσει διέστηκε. Origenes, princ. II 9,6 (GCS Orig. 5, 169 f.); ebd. I 8 (5, 94–105) zeigt, dass die Lehre gegen die Gnostiker gerichtet ist. In Rom. comm. VI 8 (p. 503 Hammond Bammel); vgl. ebd. V 1 (p. 378). Sel. in Hiez. 14,4 (griechischer Text zitiert in GCS Orig. 8, 356 Anm.). Vgl. etwa Carolus Bovillus, Liber de Sapiente, hg. von Raymond Klibansky, abgedruckt in: Ernst Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance (SBW 10), Leipzig/Berlin 1927 (Nachdruck Darmstadt 51963), 302 und die Kap. 31 f. (ebd. 368– 372).

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Macht über sich selbst verliert, so dass er im sittlichen Elend versinkt. Denn es ist die Eigenart der Tiere, „aus bloßer Natur“ oder „aufgrund der Konstitution“ zu handeln.22 Origenes lehnt die wörtlich verstandene Seelenwanderungslehre auch gegenüber Kelsos ab – der in „vielen Dingen platonisieren will“ –, weil hier die Vertierung der Seele als eine wesenhafte Veränderung nach Art eines Dinges gedacht und so die Eigenart der Willensbewegung nicht erkannt wird. Die christliche Philosophie meint deswegen mit der Veränderung ins Unvernünftige den Leichtsinn und die Nachlässigkeit des Willens.23 Die origeneische Lehre von der Vertierung der Seele erscheint so als eine kritische Uminterpretation der platonischen Theorie, die sich notwendig aus der Freiheitslehre ergibt. Sie ist bei den Vätern allgemein aufgenommen worden. Zum Beispiel spricht auch Gregor von Nyssa davon, dass jemand, der den Charakter des Menschlichen in seinem Leben nicht bewahren kann, „durch seinen Willen“ eine Art Tierwerdung erfährt und in diesem Sinne hündisch wird.24 Offenbar war es auch Origenes, der den späteren Platonismus zu einer Revision der Schullehre veranlasst hat. Denn Porphyrios und Jamblich haben – nach einem weitgehend übereinstimmenden Bericht bei Nemesios und Aineas von Gaza – die Vertierung der Seele in einem moralischen Sinne umgedeutet. Da sich nach dem späteren Neuplatonismus alles Seiende in artlich festgelegten Grenzen bewegt und eine Überschreitung dieser ontologischen Grenzen nicht möglich ist, kann, wie Porphyrios und Jamblich meinen, Platon mit der Tierwerdung der Seele nicht einen Wechsel von einem vernunftbegabten in ein unvernünftiges Lebewesen, sondern nur ihre sittliche Depravation gemeint haben, so dass zu einem Esel zu werden bedeutet, in der Art eines Esels das menschliche Leben zu führen.25 22 23

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Origenes, Cels. IV 86 (GCS Orig. 1, 357). In Matth. comm. XI 17 (GCS Orig. 10, 64): Ἄλλοι μὲν οὖν ὑπολαμβανέτωσαν, ξένοι τοῦ ἐκκλησιαστικοῦ λόγου, μεταβαίνειν τὰς ψυχὰς ἀπὸ σωμάτων ἀνθρωπίνων ἐπὶ σώματα κύνεια κατὰ τὴν διάφορον κακίαν. Ἡμεῖς δὲ μηδαμῶς τοῦτο εὑρίσκοντες ἐν τῇ θείᾳ γραφῇ, φαμὲν ὅτι κατάστασις λογικωτέρα μεταβάλλει εἰς ἀλογωτέραν, ἐκ πολλῆς ῥᾳθυμίας καὶ ἀμελείας τὸ τοιοῦτον πάσχουσα· ὁμοίως δὲ καὶ ἀλογωτέρα προαίρεσις παρὰ τὸ τοῦ λόγου ἠμεληκέναι ἐπιστρέφει ποτὲ εἰς τὸ λογικὴ εἶναι; vgl. Cels. IV 83 (GCS Orig. 1, 352–354). Gregor von Nyssa, in Ps. tit. (GNO 5, 175): ὁ γὰρ νῦν δι᾽ ἀσεβείας κύκλῳ περιπατῶν καὶ μὴ ἐμβιοτεύων τῇ πόλει μηδὲ τὸν ἀνθρώπινον ἐπὶ τοῦ ἰδίου βίου χαρακτῆρα φυλάσσων, ἀλλὰ ἀποθηριούμενος διὰ τῆς προαιρέσεως καὶ κύων γενόμενος οὗτος καὶ τότε τῆς ἄνω πόλεως ἐκπεσὼν ἐν λιμῷ τῶν ἀγαθῶν κολασθήσεται. Aineas von Gaza, dial. (p. 12 Colonna): Ἐπιγενόμενοι δὲ Πορφύριός τε καὶ Ἰάμβλιχος, ὁ μὲν πολυμαθής, ὁ δὲ ἔνθους γενόμενος, καὶ τοὺς πρὸ αὐτῶν σοφίᾳ περιφρονοῦντες καὶ ἐρυθριῶντες τὸν Πλάτωνος ὄνον καὶ λύκον καὶ ἰκτῖνον καὶ κατανοήσαντες ὡς ἄλλη μὲν λογικῆς ψυχῆς ἡ οὐσία, ἄλλη δ᾽ ἀλόγου καὶ ὅτι οὐ μετανίστανται, ἀλλ᾽ ὡσαύτως ἔχουσιν αἱ οὐσίαι, οἷαι τὸ πρῶτον προῆλθον· οὐ γὰρ τὸ λογικὸν τῇ ψυχῇ συμβεβηκὸς ὡς μεταχωρεῖν, ἀλλ᾽ οὐσίας διαφορὰ βεβαίως ἱδρυμένης καὶ ὅλως ἀδύνατον τὸν λόγον εἰς ἀλογίαν μετατίθεσθαι, εἰ μὴ καὶ τὸ ἄλογον φήσουσιν ὑφαρπάζειν τοῦ λόγου τὴν φύσιν· ταῦτα ὀψέ ποτε διαλογισάμενοι, ὑπερπηδήσαντες τὰ ἄλωγα τῶν ζῴων, μεταβάλλοντες, οὐκ εἰς

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Diese Uminterpretation ist im späteren Platonismus weitgehend übernommen worden. Hierokles von Alexandrien zum Beispiel hat sich für sie in besonderer Weise eingesetzt.26 Schließlich ist der Ansatz dieser Freiheitsphilosophie auch in der Gotteslehre unübersehbar. Origenes nennt zum ersten Mal Gott die „ungezeugte Freiheit“27 – ein Gegenbild zum unbewegten Beweger des Aristoteles. Die göttliche Freiheit aber will nichts anderes neben sich als Freiheit. Das geht aus Origenes’ Bemerkung hervor, Gott wolle zwar, dass der Mensch das Gute tue, allerdings nur unter der Bedingung der Freiheit. Deswegen ist der christliche Gott kein gewalttätiger Gott.28 Das Ziel menschlichen Lebens und Handelns aber ist das himmlische Jerusalem. Origenes nennt es auch die „Mutter der Freiheit“ oder das „Paradies der Freiheit“.29 Wird nun Gott in diesem Sinne als vollendete Freiheit gedacht, so wirft dies auch ein neues Licht auf die Frage, ob Gott leiden könne. Begreift man nämlich Gott als eine Natur oder Substanz im Sinne des Aristoteles, der von außen Eigenschaften hinzugefügt werden können, dann ist in der Tat ein Leiden Gottes nicht denkbar. Wenn aber Gott die vollendete Freiheit ist, die auch „Liebe“ genannt werden kann, dann ist das Leiden Gottes nicht mehr eine ihm zukommende Affektion, sondern der Ausdruck der Liebe.30 Ihr Gegenstand ist der Mensch als solcher. Origenes hat die in der Vernunftnatur begründete Gleichheit aller Menschen herausgestellt31 – ein Vorschein jener Idee des „Menschen als Menschen“,

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ὄνον φασὶν ἀλλ᾽ εἰς ὀνώδη ἄνθρωπον ἀναβιῶναι τὸν ἄνθρωπον, οὐδ᾽ εἰς λέοντα ἀλλ᾽ εἰς λεοντώδη ἄνθρωπον· οὐ γὰρ τὴν φύσιν ἀλλὰ τὴν τῶν σωμάτων μορφὴν μεταμπίσχεσθαι. Nemesius von Emesa, nat. hom. 2 (p. 35 Morani): ὁμοίως δὲ καὶ Θεόδωρος ὁ Πλατωνικὸς ἐν τῷ Ὅτι ἡ ψυχὴ πάντα τὰ εἴδη ἐστί, καὶ Πορφύριος ὁμοίως. Ἰάμβλιχος δέ, τὴν ἐναντίαν τούτοις δραμών, κατ᾽ εἶδος ζῴων ψυχῆς εἶδος εἶναι λέγει ἤγουν εἴδη διάφορα· γέγραπται γοῦν αὐτῷ μονόβιβλον [ἐπίγραφον] Ὅτι οὐκ ἀπ᾽ ἀνθρώπων εἰς ζῷα ἄλογα οὐδὲ ἀπὸ ζῴων ἀλόγων εἰς ἀνθρώπους αἱ μετενσωματώσεις γίνονται, ἀλλ᾽ ἀπὸ ζῴων εἰς ζῷα καὶ ἀπὸ ἀνθρώπων εἰς ἀνθρώπους. καί μοι δοκεῖ μᾶλλον οὗτος ἕνεκα τούτου καλῶς κατεστοχάσθαι μὴ μόνον τῆς Πλάτωνος γνώμης, ἀλλὰ καὶ τῆς ἀληθείας αὐτῆς, ὡς ἔστι καὶ ἐκ πολλῶν μὲν καὶ ἄλλων ἐπιδεῖξαι, μάλιστα δὲ ἐκ τούτων. Zu den Schwierigkeiten dieses Textes vgl. die Untersuchung von Heinrich Dörrie, Kontroversen um die Seelenwanderung im kaiserzeitlichen Platonismus, in: Hermes 85 (1957) 414–435, hier 426–431. Neben den bei Dörrie, ebd. 432–435, genannten Autoren vgl. auch Hierokles von Alexandria, Περὶ προνοίας καὶ εἱμαρμένης, bei Photios, bibl. 214, 172 b 39 f. (III p. 128 Henry). Origenes, in Lev. hom. 16,6 (GCS Orig. 6, 502): libertas ingenita. In Hier. hom. 20,2 (GCS Orig. 32, 178): ὁ θεὸς οὐ τυραννεῖ, ἀλλὰ βασιλεύει, καὶ βασιλεύων οὐ βιάζεται, ἀλλὰ πείθει, καὶ βούλεται ἑκουσίως παρέχειν ἑαυτοὺς τοὺς ὑπ᾽ αὐτῷ τῇ οἰκονομίᾳ αὐτοῦ, ἵνα μὴ κατὰ ἀνάγκην τὸ ἀγαθόν τινος ᾖ, ἀλλὰ κατὰ τὸ ἑκούσιον αὐτοῦ. In Ex. hom. 8,1 (GCS Orig. 6, 217). In Gen. hom. 7,4 (GSC Orig. 6, 74): caritatis libertas. In Cant. comm. III 7,22 (GCS Orig. 8, 189): Omnes enim homines, sicut iam diximus, secundum hoc, quod similes [homines] nobis sunt, similiter diligendi sunt: immo omnis rationabilis natura a nobis utpote rationabilibus aequaliter diligenda est.

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die in der Aufklärung, zum Beispiel bei Christian Wolff, zur Begründung der Menschenrechte entfaltet wird. Schließlich sei an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen, ohne dass es ausgeführt werden könnte, dass Origenes’ Freiheitslehre sich auch bei der Interpretation der berühmten biblischen Rede vom Menschen als dem „Bild und Gleichnis Gottes“ ausgewirkt hat. Denn Origenes macht bei dieser Gelegenheit auf zwei Elemente der menschlichen Freiheit aufmerksam, auf ein „verlierbares“ und ein „unverlierbares“, die für das Freiheitsverständnis überhaupt von Bedeutung zu sein scheinen. Auch dieser Gedanke steht am Anfang einer großen Tradition.32

2. Die Rezeption der Freiheitslehre des Origenes in Renaissance und Früher Neuzeit Die Geschichte des Origenismus ist, wie die des Augustinismus, eine unendliche Geschichte. Eine durchgehende Rezeptionsgeschichte der Gedanken des Origenes, von den Streitigkeiten des 4. Jahrhunderts über das Mittelalter, die Renaissance und besonders vom 17. Jahrhundert bis in unsere Tage, bleibt ein großes Desiderat der Forschung. Hier, wo ja die Freiheitslehre im Fokus des Interesses steht, möchte ich mich auf wenige Punkte, ja auf einen einzigen Gedanken bei der Rezeption in der Renaissance und in der Frühen Neuzeit konzentrieren. Was die Renaissancephilosophie angeht, so ist nicht nur in Giovanni Picos della Mirandola Rehabilitierungsversuch Disputatio de salute Origenis von 1487 ein wichtiges Rezeptionselement zu sehen. Vor allem atmet seine berühmte Rede De hominis dignitate den Geist der origeneischen Freiheitsphilosophie. Dass der Mensch in die Mitte der Welt gesetzt wurde, damit er seinen Platz und sein Aussehen selbst bestimmen könne, während alles andere in festen, von der Natur festgelegten Grenzen eingeschränkt ist, dass der Mensch dabei „umsichtig“ (circumspiceres) vorgehen muss, damit er das wahrhaft Gute in der Welt entdecke, wo er sich selbst doch zum Tier erniedrigen wie auch zum Gott erheben kann, und schließlich: dass sich Pico dafür auf die epopteia beruft, die, wie Origenes selbst im Proömium seines Kommentars zum Hohelied erläutert hat, eine bestimmte Art der Metaphysik meint – dies alles beruht, wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe, auf dem Fundament der Philosophie des Origenes und der ihm

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Vgl. Theo Kobusch, Bild und Gleichnis Gottes: Elemente menschlicher Freiheit. Zur Geschichte der Unterscheidung beider Begriffe, in: Iñigo Atucha u. a. (Hg.), Mots médiévaux offerts à Ruedi Imbach (Textes et Études du Moyen Âge 57), Turnhout 2010, 143–151.

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folgenden Patristik.33 Ernst Cassirer hat die These Picos zusammengefasst: „Er (sc. der Mensch) ist, wozu er sich macht.“34 Zweifellos ist es eine moderne These, insofern sie in der Moderne vielfach modifiziert aufgenommen worden ist.35 Pico ist jedoch kein Einzelfall. Er ist vielmehr nur der deutlichste Repräsentant eines Rehabilitierungsversuchs des Alexandriners. Berühmt ist auch das aus dem Jahr 1518 stammende Wort des Erasmus, dass ihn eine einzige Seite des Origenes mehr über christliche Philosophie belehre als zehn Seiten von Augustinus. Die positive Rezeption des origeneischen Denkens ist in der Renaissancezeit breit belegbar.36 Der berühmte Ausspruch des Erasmus zeigt darüber hinaus, dass die klassische Entgegensetzung des augustinischen und origeneischen Denkens der allgemeinen Einstellung der Zeit entsprach. Augustinus steht für die Gnadentheologie, für Prädestination, für das servum arbitrium, Origenes für Freiheit und Toleranz. Ablesbar ist diese Gegenüberstellung sogar im Protestantismus selbst: Während Luther und Calvin aus augustinischer Sicht an Origenes kein gutes Haar lassen, nimmt Ulrich Zwingli, von Giovanni und Gianfrancesco Pico della Mirandola sowie Erasmus beeinflusst, Grundgedanken der Freiheitslehre des Origenes auf. Erkennbar ist das auch daran, dass die Letztgenannten alle im Sinne des Gedankens der Toleranz die These von einem universalen Christentum, auch vor Christus, vertreten haben, deren Substanz zwar schon älter ist, am wirkungsträchtigsten aber von Origenes verbreitet wurde.37 Interessanterweise findet sich diese These auch im Colloquium Heptaplomeres des Jean Bodin – wenn er denn der Autor des 33

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Vgl. Theo Kobusch, Die Würde des Menschen – ein Erbe der christlichen Philosophie, in: Rolf Gröschner/Stephan Kirste/Oliver Lembcke (Hg.), Des Menschen Würde  – entdeckt und erfunden im Humanismus der italienischen Renaissance (Politika 4), Tübingen 2008, 235–250. Zur epopteia bzw. inspectiva vgl. ders., Die Begründung eines neuen Metaphysiktyps durch Origenes, in: Wolfgang Artur Bienert/Uwe Kühneweg (Hg.), Origeniana Septima. Origenes in den Auseinandersetzungen des 4. Jahrhunderts (BEThL 137), Leuven 1999, 61–68; ders., Christliche Philosophie. Die Entdeckung der Subjektivität, Darmstadt 2006, 138–151; ders., Contemplation intérieure. Vers la métaphysique contemplative d’Origène au XIIe siècle, in: Christian Trottmann (Hg.), Vie active et vie contemplative au Moyen Âge et au seuil de la Renaissance (CEFR 423), Rom 2009, 91–109, hier 91–104. Ernst Cassirer, „Über die Würde des Menschen“ von Pico della Mirandola, in: Studia Humanitatis 12 (1959) 48–61, hier 49. Vgl. Theo Kobusch, Die Würde des Schöpferischen. Von der Selbsterschaffung des Menschen, in: Günter Abel (Hg.), Kreativität, Hamburg 2006, 419–443. Vgl. Max Schär, Das Nachleben des Origenes im Zeitalter des Humanismus (BBGW 140), Basel/Stuttgart 1979; das Erasmus-Zitat: ebd. 268. Vgl. Theo Kobusch, Universales Christentum. Zur christlichen Idee einer universalen Religion, in: Claudia Bickmann/Markus Wirtz/Hermann-Josef Scheidgen (Hg.), Religion und Philosophie im Widerstreit? (Studien zur interkulturellen Philosophie 18), 2 Bde., Nordhausen 2008, II, 465–490.

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Werkes ist –, das oft als eines der ersten Dokumente der Toleranz angesehen wird. Es atmet im Ganzen den Geist des Origenes.38 Berühmt ist darin der Satz, der von Erasmus stammt und von Toralba, dem Vertreter der natürlichen Religion, zitiert wird: „Es fehlt nicht viel, dass ich sage, heiliger Sokrates, bitte für uns.“39 Vor allem aber ist die Freiheitslehre des Alexandriners im Hintergrund der Auseinandersetzung um die Willensfreiheit erkennbar. In der 1524 erschienenen Schrift De libero arbitrio hat sich Erasmus auf Origenes’ Interpretation des 9. Kapitels des Römerbriefes (u. a. im berühmten dritten Buch von De principiis) berufen, das schon immer mit der These von der Willensfreiheit schwer vereinbar schien. Die Auslegung des Römerbriefes hat Origenes ja bisweilen, so zum Beispiel bei dem Humanistenkritiker Natalis Beda, den Vorwurf des Pelagianismus eingebracht. Für den Theologen Johannes Cochläus dagegen, der 1525 eine gegen Melanchthon gerichtete Streitschrift De libero arbitrio hominis verfasste, ist Origenes’ Erklärung mustergültig, insofern sie die Lehre von der Freiheit des Willens zu bewahren sucht. Cochläus verweist darüber hinaus auf eine eigens dem Thema der Willensfreiheit gewidmete Schrift des Origenes, wenngleich sie nicht ins Lateinische übersetzt worden sei.40 Für die Rezeption der origeneischen Freiheitsphilosophie ist auch die Kolportierung der Lehre von der ἀποκατάστασις πάντων, d. h. der liebenden Wiederbringung der ganzen Schöpfung, einschließlich Luzifers, von entscheidender Bedeutung. Dieter Breuer hat in einem herausragenden Artikel die Weitergabe dieses Grundgedankens des Origenes, vor allem im deutschen Sprachraum, verfolgt.41 Die Tatsache, dass Origenes’ Grundgedanken an den Rändern der Reformationsbewegung  – die selbst im Zeichen des augustinischen Denkens durchgeführt wurde  –, bei den Täufern und so genannten Spiritualisten (Sebastian Franck, Caspar Schwenckfeld) aufgenommen und auch von den englischen Anhängern Jakob Böhmes fortgeführt, vom Lüneburger Superintendenten Johann Wilhelm Petersen an Gottfried Wilhelm Leibniz, aber vielleicht auch an Friedrich Gottlieb Klopstock weitergegeben wurde, dessen „Messias“-Epos den Geist des origeneischen Wiederbringungsgedankens atmet, dass auch Christoph Martin

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Vgl. auch Ralph Häfner, Die Präsenz des Origenes in Jean Bodins Colloquium heptaplomeres, in: Günter Gawlick/Friedrich Niewöhner (Hg.), Jean Bodins Colloquium Heptaplomeres (Wolfenbütteler Forschungen 67), Wiesbaden 1996, 73–97. Jean Bodin, Colloquium Heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis, hg. von Ludwig Noack, Schwerin 1857 (Nachdruck Stuttgart/Bad Cannstatt 1966), 305. Das Zitat bezieht sich auf Erasmus von Rotterdam, Colloquia familiaria, in: Ausgewählte Schriften 6, hg. von Werner Welzig, Darmstadt 1967, 86. Zu Erasmus’ und Cochläus’ Origenesrezeption vgl. die Informationen bei Schär, Origenes im Zeitalter des Humanismus (wie Anm. 36) 273–298. Dieter Breuer, Origenes im 18. Jahrhundert in Deutschland, in: Seminar. A Journal of Germanic Studies 21 (1985) 1–30.

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Wielands antilukrezisches Lehrgedicht „Die Natur der Dinge“ sich auf Origenes’ Lehre von der Apokatastasis beruft – dies alles hat die Verbreitung der Freiheitsidee des Origenes in einzigartiger Weise gefördert. Hinzu kommt, dass auch Gottfried Arnold und Friedrich Christoph Oetinger das Denken des Origenes im Ganzen, nicht nur die Apokatastasis-Lehre, rezipiert und verkündet haben. Besonders Oetinger hat jene Idee des Origenes aufgenommen, die zu seinen Eigentümlichkeiten zu zählen ist und ihn als Gegner eines Dualismus erscheinen lässt: dass auch die Leiblichkeit eine Erscheinungsweise der Freiheit ist. Bei Oetinger ist dieser Grundgedanke in dem berühmten Satz festgehalten, dass Leiblichkeit das Ende der Wege Gottes ist. Zu den Verdiensten des genannten Artikels von Breuer gehört nicht zuletzt, dass auch ein Einfluss auf die größte deutschsprachige Dichtung der Zeit, auf Johann Wolfgang Goethes „Faust“ als wahrscheinlich gelten kann. Während Versuche, einen solchen Einfluss auch auf John Miltons Paradise Lost auszumachen, als gescheitert angesehen werden müssen,42 scheint im Hintergrund der Faustdichtung Goethes, der schon früh begeistert den Origenes aufnahm („kein Abbé wird den Origenes verkleinern“), die origeneische Grundidee einer allversöhnenden „höchsten Liebeshuld“ zu stehen.43 Auf diese und andere Weise gelangte Origenes’ Freiheitsidee schließlich auch zum Denken der klassischen deutschen Philosophie. Doch es gibt noch einen weiteren, für das Schicksal des neuzeitlichen Denkens schlechthin entscheidenden Diskurs, in dem die Freiheitsphilosophie des Origenes von prägender Bedeutung ist. Das ist der englische Deismus und der Platonismus der Cambridger Schule, die beide die nominalistischen Vorstellungen von einem Willkürgott, der über dem moralischen Gesetz stünde, kritisieren und darin in Gottfried Wilhelm Leibniz, Hermann Samuel Reimarus und Immanuel Kant berühmte Gesinnungsgenossen fanden. Die englischen Deisten, allen voran Herbert of Cherbury, aber auch Anthony Collins, Matthew Tindal und Thomas Morgan haben in absoluter Einmütigkeit mit den deutschen Aufklärern die in der Spätscholastik weit verbreitete Position, Gott könne de potentia absoluta nicht nur die Naturgesetze, sondern auch die Sittengesetze jederzeit außer Kraft setzen, als mit dem moralischen Gottesbegriff unvereinbar abgelehnt. Sie haben das durchgehend an der Erzählung vom Isaakopfer im Buch Genesis (Gen. 22) exemplifiziert.44 Ein Gott, der in so unmensch42 43 44

Vgl. Harry F. Robins, If this be Heresy. A Study of Milton and Origen (Illinois Studies in Language and Literature 51), Urbana IL 1963. Vgl. Breuer, Origenes im 18. Jahrhundert (wie Anm. 41) 22–29. Vgl. Theo Kobusch, Analogie im Reich der Freiheit? Ein Skandal der spätscholastischen Philosophie und die kritische Antwort der Neuzeit, in: Jan A. Aertsen/Martin Pickavé (Hg.) „Herbst des Mittelalters“? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts (MM 31), Berlin/New York 2004, 251–264; ders., Paradoxon und religiöse Existenz, in: Paul

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licher Weise die Freiheit des Menschen beschädigt, wie es in dieser Erzählung nach der Deutung der spätscholastischen Philosophie unterstellt wird, kann, wie Leibniz gesagt hat, kaum mehr vom Teufel unterschieden werden. Der Satz, der im Hintergrund der spätscholastischen Philosophie steht: Stat pro ratione voluntas – „Anstelle der Vernunft steht der Wille“, ist denn auch nach Leibniz in Wahrheit der Wahlspruch eines Tyrannen, nicht eines Gottes, der die Freiheit des Menschen will. Während Platon die Frage, ob das Gute gut sei, weil es die Götter wollen, oder ob die Götter es wollen, weil es gut ist, im letzteren Sinne beantwortet hatte, haben Gabriel Biel, der „letzte Scholastiker“, und andere die gegenteilige Antwort gegeben: Das Gute ist gut, weil Gott es so will. Das ist die Position des Moralpositivismus. Sie setzt voraus, dass die moralischen Begriffe in Bezug auf Gott und die endliche Freiheit einen verschiedenen Sinn haben oder analoger Natur sind. Genau in diesem Punkte widersprechen die Deisten der spätscholastischen Meinung: „Aber wenn die Schrift Gott Verstand, Weisheit, Wille, Güte, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit beilegt, dann müssen diese Worte im strengen und eigentlichen Sinne, d. h. in ihrer gewöhnlichen Bedeutung, verstanden werden.“45 Deswegen kann zum Beispiel Sokrates, insofern er einen richtigen Begriff von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes hatte, ganz im Sinne Justins, aber doch auch des Origenes, ein Christ genannt werden. Collins zitiert auch direkt Origenes, um die Übereinstimmung von Platonismus und Christentum zu belegen.46 Wenn er darüber hinaus auf die dem Erzbischof von Canterbury, John Tillotson, in den Mund gelegte Lehre Bezug nimmt, dass die dem Christen zukommenden Pflichten nichts anderes als Pflichten der natürlichen Vernunft sind, dann steht auch hier des Origenes These von der natürlichen Sittlichkeit im Hintergrund.47 Hinter der deistischen Kritik an der spätscholastischen Willkürgott-Vorstellung steht eine allgemeine Überzeugung, die auch Leibniz teilt, nämlich die Überzeugung von der Univozität der moralischen Begriffe. Im Reich der Freiheit kann es keine qualitativen Unterschiede geben. Nur ein quantitativer, d. h. gradueller Unterschied ist hinsichtlich der Freiheit denkbar. Leibniz hat das als die große Differenz zum spätscholastischen Denken herausgestellt: Die Spätscholastik nimmt einen wesentlichen Unterschied zwischen der menschlichen und der göttlichen Freiheit an, die neuzeitliche Kritik daran geht von einem graduellen

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Geyer/Roland Hagenbüchle (Hg.), Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, Tübingen 22002, 455–480. Anthony Collins, A Discourse of Free-Thinking, hg., übers. und eingel. von Günter Gawlick, mit einem Geleitwort von Julius Ebbinghaus, London 1713 (Nachdruck Stuttgart/Bad Cannstatt 1965), 50. Zu Sokrates vgl. Collins, ebd. 123, zu Origenes ebd. 127. 162. Ebd. 173. Zu Origenes’ entsprechender Lehre vgl. Kobusch, Christliche Philosophie (wie Anm. 33) 41. 56 f.

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Unterschied aus. Leibniz könnte sich dabei auf die alte, schon bei Duns Scotus und dann auch Descartes gebräuchliche Redeweise von den „Stufen der Freiheit“ (gradus libertatis) berufen. Origenes kann als der Ursprung dieser Vorstellung angesehen werden. Denn Origenes hat zwar, wie auch schon Clemens von Alexandrien, die stoische Rede von der Identität der menschlichen und göttlichen Tugend kritisiert, aber er will damit keinen wesentlichen Unterschied zwischen beiden kenntlich machen, sondern nur auf die Gradualität der menschlichen und göttlichen Freiheit hinweisen, d. h. auf Stufen der Tugend und übrigens auch des Glücks.48 Diese These des Origenes ist offenkundig auch bei Ralph Cudworth aufgenommen, nach dem der göttliche Wille nicht als irrationale Willkür, die das Gute und Gerechte erst festlegte, zu denken ist, sondern als die Gerechtigkeit und Güte selbst in Vollendung, d. h. als das absolut Beste, als der Inbegriff des Gerechten und Guten.49 Cudworth ist es auch innerhalb des Cambridger Platonkreises, der am ausführlichsten des Origenes Lehre von den allein durch den Willen und nicht durch die „Konstitution“ bedingten, verschiedenen Rängen der Seelen und der Engel diskutiert. Zwar lehnt Cudworth die dem Origenes zugeschriebene Vorstellung von einem endlosen Umlauf und einer nie endenden Transmigration der Seelen ab, aber er stimmt doch immerhin seinem „Prinzip“ der Freiheit zu, das hinter der Theorie vom endlosen Auf und Ab der Seelen stecke.50 Innerhalb des Cambridger Platonismus scheint Cudworth am deutlichsten die Freiheitslehre des Origenes rezipiert zu haben. Henry More, der von Leibniz „Platoniker und Origenist“ genannt wird,51 scheint sich mehr auf die Platonismen des Origenes bezogen zu haben. George Rust, der irische Bischof, hat in seinem Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions, bei dem er sich 48

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Vgl. Origenes, Cels. VI 48 (GCS Orig. 2, 119): Εἶτα ἐὰν μὲν τὴν αὐτὴν ἀρετὴν λέγοντες ἀνθρώπου καὶ θεοῦ οἱ ἀπὸ τῆς Στοᾶς φιλόσοφοι μὴ εὐδαιμονέστερον λέγωσιν εἶναι τὸν ἐπὶ πᾶσι θεὸν τοῦ ἐν ἀνθρώποις κατ᾿ αὐτοὺς σοφοῦ, ἀλλ᾿ ἴσην εἶναι τὴν ἀμφοτέρων εὐδαιμονίαν, Κέλσος οὐ καταγελᾷ οὐδὲ χλευάζει τὸ δόγμα; ebd. IV 29 (GCS Orig. 1, 298): ὥστε καὶ ἡ αὐτὴ ἀρετὴ ἀνθρώπου καὶ θεοῦ. Clemens von Alexandria, strom. VII 14 (GCS Clem. Al. 3², 63): Οὐ γάρ, καθάπερ οἱ Στωϊκοί, ἀθέως πάνυ τὴν αὐτὴν ἀρετὴν ἀνθρώπου λέγομεν καὶ θεοῦ. Ralph Cudworth, The True Intellectual System of the Universe, London 1678 (Nachdruck Stuttgart/Bad Cannstatt 1964), 874: „Wherefore the Deity is not to be conceived, as meer Arbitrariness, Humour, or Irrational Will and Appetite Omnipotent … but as an Overflowing Fountain of Love and Goodneß, Justly and Wisely dispensing it self … The Will of God, is Goodneß, Justice and Wisdom; or Decorousness, Fitness and Ought it self, Willing; so that the τὸ βέλτιστον, that which is Absolutely The Best, is νόμος ἀπαράβατος, an Indispensable Law to it, because its Very Essence.“ Ebd. 566–570. Briefwechsel zwischen Leibniz und Remond. 1713–1716, in: Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, hg. von Carl I. Gerhardt, Bd. III, Berlin 1887 (Nachdruck Hildesheim 1960), 646: „M. Morus etoit Platonicien et Origeniste“.

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weitgehend auf Mores Schrift The Immortality of the Soul stützt, Origenes in sechs Punkten verteidigt und insbesondere die Frage der Präexistenz und des durch „Nachlässigkeit“ bedingten Abstiegs der Seelen in irdische Körper berücksichtigt. Was jedoch auch in Rusts Letter of Resolution im Zusammenhang mit der Freiheitsthematik zum Ausdruck kommt, ist Origenes’ Gottesbegriff. Denn indem die These von der göttlichen Liebe, wie bei den Cambridger Platonikern generell, entfaltet wird, wird Origenes’ Lehre vom Gott der ungezeugten Freiheit rezipiert, die in Vollkommenheit gedacht nichts anderes als Liebe ist. Dass diese Liebe sogar – entsprechend der Hoffnung des Origenes – dem Satan zu verzeihen bereit ist, das finden wir bei Smith und Cudworth, bei Rust wie auch bei More.52 Die Geschichte des Origenismus findet ihre Fortsetzung auf dem Kontinent. Nachdem Pierre Bayle in dem berühmten Artikel „Origène“ im Dictionnaire historique et critique die Rolle der kritisch auf Origenes antwortenden Manichäer übernommen hatte, hat Jean Le Clerc unter dem Pseudonym Theodor Parrhasius in seinen Parrhasiana, die 1699 in erster und 1701 in zweiter Auflage erschienen, im Kap. VI einem Origenisten die Verteidigung des Origenes in den Mund gelegt, damit – wie Bayle das anschaulich in einer späteren Auflage referiert – „ein Origenist den Manichäern das Maul stopfen könne“.53 Bayle hat auch darauf noch einmal seine Manichäer kritisch antworten lassen. In der 1743 erschienenen, von Johann Christoph Gottsched unternommenen deutschen Übersetzung des Bayleschen Wörterbuches werden im Art. „Origenes“ die Bayleschen Bemerkungen jeweils mit Zitaten aus Leibniz’ Théodicée (1710) im Sinne eines kritischen Origenisten unterfüttert.54 Leibniz, der Origenes gegen das spätscholastische Missverständnis der Freiheit in Dienst genommen hatte, tritt hier in den Dienst des Origenismus. Leibniz’ Théodicée aber aus dem Geist des Origenes zu verstehen, das bleibt eine Aufgabe.

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Vgl. Konstantinos Apostolu Patrides (Hg.), The Cambridge Platonists, Cambridge u. a. 1969, 37. Pierre Bayle, Art. Origène, in: Dictionnaire historique et critique 11, Paris 1820, 243–266, hier 244. Ders., Art. Origenes, in: Pierre Bayle, Historisches und Critisches Wörterbuch. Nach der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt; auch mit einer Vorrede und verschiedenen Anmerkungen versehen von Johann Christoph Gottsched, Bd. III, Leipzig 1743 (Nachdruck Hildesheim 1977), 546–557.

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ORIGENISMUS UND HUMANISMUS

Der Gewissensbegriff John Colets im Spiegel origeneischen Gedankenguts RUD OLF B. HEIN O.PRAEM., MÜNSTER

Als Cosimo de’Medici dem Florentiner Gelehrten Marsilio Ficino (1433–1499) im April 1463 seine Villa in Careggi bei Florenz zur Verfügung stellte, wurde ein platonisches Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das die Geistesgeschichte Europas verändern sollte. Im Mittelpunkt von Ficinos Wirken stand nicht nur die Übersetzung der platonischen Grundschriften, sondern ihre kunstvolle Vereinigung mit christlichem Gedankengut zu einer Theologia Platonica,1 die dem Menschen nicht zuletzt aufgrund seiner Gottebenbildlichkeit eine besondere, herausgehobene Stellung im Kosmos zuwies. Dieses aus platonischen Grundgedanken entwickelte anthropologische Freiheitskonzept findet sich schließlich auf den Punkt gebracht durch die Oratio des jungen Grafensohnes Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494). Veröffentlicht 1496, zwei Jahre nach dem Tod Picos, stellt jene berühmt gewordene Einleitung der für 1487 geplanten, jedoch nie gehaltenen Disputation seiner 900 Thesen ein flammendes Plädoyer für die Freiheit und Würde des Menschen dar, so dass man sie im Nachhinein (1557) mit dem Titel De dignitate hominis überschrieb.2 Der darin ausgedrückte (und mit Konditionen bzw. Modifikationen versehene)3 Freiheitsgedanke korrespondiert mit origeneischen Konzepten, auf die Pico 1 2

3

Vgl. Paul Oskar Kristeller, Studien zur Geschichte der Rhetorik und zum Begriff des Menschen in der Renaissance (Gratia 9), Göttingen 1981, 70. Kristeller, ebd. 74 f., bemüht sich zu betonen, dass die Oratio bereits in den Augen Picos mehr als nur eine pompöse rhetorische Eröffnung oder eine geschickte captatio benevolentiae darstellte. Pico selbst bezieht sich auf seine Oratio in mehreren seiner Briefe und verwendet ihre Grundgedanken in seinem Hauptwerk Heptaplus (1489) anlässlich eines Genesis-Kommentars. Man sollte nicht unterschlagen, dass die Oratio in ihren wesentlichen, zumeist zitierten Teilen eine Rede Gottes an den Adam vor dem Sündenfall wiedergibt, also das prälapsari-

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in seinem Werk auch immer wieder bewusst Bezug nimmt und die ihn so zu einem der ersten ‚Wiederentdecker‘ des Alexandriners nach fast tausend Jahren4 und zu einem glühenden Verteidiger seiner theologischen Qualitäten werden lassen.5 Indem sie das metaethische Konzept von Autonomie in und durch menschliche Freiheit aufgreifen, tragen Pico und Ficino mit ihrer Theologia Platonica Schlüsselgedanken des Origenes in die Neuzeit, deren Rezeption im vorliegenden Artikel an einer exemplarischen Stelle untersucht werden soll. So soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern die origeneisch geprägten Ansätze des italienischen Humanismus bezüglich der ‚Autonomie und Menschenwürde‘ im Norden des Europas der Renaissance Widerhall gefunden haben. Dabei ist der Begriff ‚Renaissance‘ als zeitgeschichtliche Epoche (1450–1600) zu fassen, deren geistesgeschichtliche Strömungen mit Vokabeln wie ‚Humanismus‘ oder ‚Reformation‘ charakterisiert werden.6 Die Suche nach einem Verbindungsglied zwischen jener Ideenwelt Picos bzw. Ficinos und der aufkeimenden philosophisch-theologischen Neuorientierung im nordeuropäischen Raum mit ihrem Hauptvertreter Erasmus müsste eine Gestalt zutage fördern, die zu beiden Seiten geistige und biographische Kontaktpunkte aufweist. Sie müsste nicht notwendigerweise dem Lager der Humanisten zuzurechnen sein. Unsere Suche führt unweigerlich zu jenem besonderen Vertreter der englischen Renaissance, den einerseits freundschaftliche, wenn auch nicht immer freundlich-einvernehmliche Beziehungen mit solchen Größen wie Erasmus von Rotterdam oder Thomas More verbanden und dem andererseits indirekte biographische Kontakte zu den erwähnten Florentinern nachzuweisen sind. Die Rede ist von John Colet (1467–1519), dem späteren Dompropst (Dean) von St.  Paul’s in London (ab 1505), der seine Zeitgenossen mehr durch sein homiletisches und exegetisches Wirken als vermittels seiner Schriften zu beeindrucken vermochte.7

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sche Potential des Menschen hervorhebt. Seine Entfaltungsmöglichkeiten nach dem Sündenfall sind an Konditionen geknüpft. Vgl. Kristeller, ebd. 74: „… die Vortrefflichkeit des Menschen wird nur dann verwirklicht, wenn er die höheren Formen des moralischen und intellektuellen Lebens, die ihm offen stehen, wählt …“ Vgl. Henri Crouzel (Hg.), Une controverse sur Origène à la Renaissance. Jean Pic de la Mirandole et Pierre Garcia (De Petrarque à Descartes 36), Paris 1977, 41–46. Vgl. Edgar Wind, The Revival of Origen, in: Dorothy Miner (Hg.), Studies in Art and Literature for Belle da Costa Greene, Princeton 1954, 412–424, hier 415 f. In der Apologia des Pico, einer Verteidigung seiner von Innozenz VIII. verurteilten dreizehn Thesen, nimmt die Disputatio de Origenis Salute etwa ein Fünftel des Gesamtumfangs ein. Vgl. dazu Paul Oskar Kristeller, Humanism, in: Charles Bernard Schmitt (Hg.), The Cambridge History of Renaissance Philosophy, Cambridge 1988, 113–137, hier 114 f. Vgl. auch ders., The Place of Ethics in Renaissance Thought, in: ders., Studies in Renaissance Thought and Letters 2 (SeL 166), Rom 1985, 167–184, hier 170. Noch Jahre nach seinem Tod, um 1566, behauptete Thomas Harding (1516–1572) in kontroverstheologischer Absicht an den Bischof von Salisbury gerichtet: „As for John Colet, he

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Nicht zuletzt seit seiner Italienreise (1492–1496),8 die fast schon eine Pilgerfahrt zu den geistigen Zentren der Renaissance darstellte, sowie durch die Freundschaften zu William Grocyn (1446?–1519),9 Thomas Linacre (1460?–1524),10 Thomas More11 und auch zu Erasmus von Rotterdam erwarb er sich die Achtung der Humanisten und Intellektuellen des Landes, blieb jedoch hinsichtlich seines (kirchen-)politischen und öffentlichen Wirkungskreises beschränkt. Erst 1876, durch die Neuedition und erstmalige Übersetzung seiner Werke seitens des Surmasters (stv. Direktors) der von ihm gegründeten St. Paul’s School, Joseph H. Lupton, vermochten die Gedanken und Konzepte Colets ihre Strahlkraft in das viktorianische Zeitalter hinein zu entfalten, wo man in ihm nicht zuletzt seit Frederic Seebohm12 einen Vorläufer der englischen Reformation bewunderte.

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hath never a worde to shew, for he wrote no workes“: Thomas Harding, A Reioindre to M. Jewels Replie, Antwerpen 1566, 44v, zit. nach John B. Gleason, John Colet, Berkeley u. a. 1989, 341. Zu Colets Lebzeiten wurde nur ein einziges Werk veröffentlicht, nämlich die Convocation Sermons (1511). Vgl. dazu Sears Jayne, John Colet and Marsilio Ficino, Oxford 1963, 3 Anm. 4. Diese Datierung ist umstritten und folgt Jonathan Arnold, Dean John Colet of St. Paul’s. Humanism and Reform in Early Tudor England (International Library of Historical Studies 49), London/New York 2007, 23, sowie Gleason, ebd. 62 (Rückkehr im Januar 1496, Reise über Orléans und Paris). Seit 1481 Theologieprofessor (reader of divinity) am Magdalen College in Oxford, bereiste er zwischen 1488 und 1491 Padua, Florenz und Rom. In Korrespondenz mit Erasmus stehend, soll er nach dem Zeugnis des Rotterdamers die griechische Sprache bereits vor seiner Italienreise unterrichtet haben. Grocyns Patenkind William Lily wurde von Colet zum ersten Direktor (high master) seiner St.  Paul’s School erwählt. Vgl. dazu Arnold, Colet (wie Anm. 8) 22. Nachdem er 1484 zum Fellow von All Souls College, Oxford erwählt worden war, bereiste auch er Italien (1487–1492), wo man ihn als Schüler von Angelo Poliziano in Florenz wieder traf. Dort soll er Griechisch gelernt haben. Er erwarb in Padua den Grad eines Doktors der Medizin und kehrte anschließend wieder nach England zurück, wo ihn Freundschaften mit diversen englischen Humanisten verbanden. Colet bat seinen Freund, eine lateinische Grammatik für die St. Paul’s School zu erstellen, die sich allerdings als schwer handhabbar und unpraktikabel erwies. Erst eine von Erasmus überarbeitete Neuversion konnte den gewünschten Zweck für die Schüler erfüllen. Vgl. dazu Gleason, Colet (wie Anm. 7) 230. Es ist davon auszugehen, dass John Colet einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Spiritualität Thomas Mores ausgeübt hat, der durch seine Predigten und Vorlesungen nach Meinung einiger Biographen zur prägenden Gestalt seiner frühen Londoner Jahre geworden war. Vgl. Brian Byron, Loyalty in the Spirituality of St. Thomas More (Bibliotheca humanistica & reformatorica 4), Nieuwkoop 1972, 145: „The most dominant influence during More’s formative years was probably John Colet, the Dean of St. Paul’s.“ Vgl. auch Henri Meulon, Lettre de More à John Colet (Londres, 23 Octobre 1504), in: Moreana 22 (1969) 13–16, hier 13. Frederic Seebohm traf 1867 mit seinem Buch: The Oxford Reformers John Colet, Erasmus, and Thomas More. Being a history of their fellow-work, London 31897, absolut den Nerv seiner Zeit, die den Versuch, die englische Reformation losgelöst vom Wirken Hein-

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Seine Bedeutung als bahnbrechender Theologe sollte zu jener Zeit dadurch unterstrichen werden, dass man seinen in Oxford gehaltenen exegetischen Vorlesungen entscheidenden Anteil an der Geistesentwicklung des Erasmus zuschrieb, der durch seine nüchterne, am Literalsinn orientierte Schriftauslegung wesentliche Impulse für seine eigenen biblischen Studien empfangen habe.13 Gleichzeitig meinte man in Colet den Vorläufer einer „rational Christianity“14 entdecken zu können, die die moralische Auferbauung ihrer Adressaten viel eher in den Mittelpunkt stellte als endlose theologisch-mystische Spekulationen und Wunderberichte.15 Diese deutlich vom Zeitgeist geprägte Skizzierung des Renaissance-Theologen wurde durch seine Aufnahme in John Richard Greens Short History of the English People ab 1874 quasi zum populärwissenschaftlichen Allgemeingut,16 das weit bis ins 20. Jahrhundert weiterwirkte und auch die Fachwelt nicht unberührt ließ.17 Mit wachsender Kritik an dieser zeitgeistbestimmten Rezeption stellte sich im Verlauf der letzten fünfzig Jahre die Frage nach einer Neuinterpretation des Werkes und des Wirkens Colets. 1989 gelang John Gleason der minutiöse Nachweis, dass an der bislang immer behaupteten revolutionären ‚historischen Exegese‘,18 die insbesondere den Literalsinn und damit auch die Zeitumstände in den Blick nehmen sollte, etliche Abstriche zu machen seien. Eine historische Sensibilität sei, so Gleason, überhaupt nur an wenigen Stellen in Colets Paulusbriefkommentaren nachweisbar,19 während vielmehr diejenigen Passagen überwögen, die eine

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richs VIII. zu reflektieren, enthusiastisch begrüßte. Colet avancierte auf diese Weise zu einem heroischen, von aller politischen Verstrickung in die Annullierungsaffäre des Königs unbelasteten Prediger und Vordenker der Reformation auf englischem Boden. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 8. Ebd. 9. Vgl. Seebohm, Reformers (wie Anm. 12) 33–35. Immer wieder verwendet Seebohm das Bild eines zentimeterlangen (Bibel-)Abschnitts, der durch die scholastischen Exegeten in einen neun Tagesreisen langen Faden gesponnen wurde. Gerade dies habe Colet durch seine stringente, an den tatsächlichen Bedürfnissen seiner Hörer orientierte Methodik zu verhindern gewusst. John Richard Green, Short History of the English People, London 21888 (Nachdruck London 1909), 304–315, bes. 304. Vgl. beispielsweise die Lebensbeschreibung Colets durch Leland Miles, Colet and the Platonic Tradition (Fishers with Platonic Nets 2), Lasalle 1961, viii–xii. Sie schließt mit folgenden bezeichnenden Worten (ebd. xii): „Here then was a great non-conformist, a man who refused to be cowed by formidable opposition, a man who insisted on principle regardless of the consequences to himself. He might not have been the most systematic thinker in English intellectual history; but in his writings, his school, and his reform activities, he made contributions which are still discernible and operative in English literature, philosophy, and education – not to mention the English Church.“ Vgl. Ernst Cassirer, Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge (SBW 24), Leipzig 1932, 9 f. 74. Vgl. auch Seebohm, Reformers (wie Anm. 12) 29– 42. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 127 f.

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kritische historische Perspektive gänzlich vermissen ließen.20 Damit erscheine er weniger als ein Visionär neuzeitlich gefasster historisch-kritischer Exegese denn als „homiletic exegete“,21 der in monastischer Tradition stehend eine Verbindung von Schriftstudium, Gebet und spirituellem Wachstum erstrebe. Auch auf der inhaltlich-theologischen Ebene vermag Colet offenkundig nicht mit Revolutionärem aufzuwarten: Seine theologischen Akzentsetzungen (zum Beispiel hinsichtlich der Soteriologie, des Papstamtes22 oder der Sakramententheologie23), die er, wie gesagt, in homiletischer Gewandung und in mündlicher Form darbot, streben keineswegs in kritischen Punkten einen offenen Bruch mit der Orthodoxie an. Damit taugt Colet auch nicht zum Proto-Reformator, wie ihn die viktorianischen ‚Wiederentdecker‘ gerne hätten sehen wollen.24 So stellt sich die berechtigte Frage: Was macht aus heutiger Sicht eine intensive Betrachtung der theologischen Konzeptionen und der historischen Gestalt Colets so lohnenswert, dass er sich als ‚Verbindungsmann‘ zum italienischen Humanismus mit seinen philosophischen Akzentuierungen und theologischen Anliegen eignet? War es in erster Linie die persönliche Strahlkraft, die Ernsthaftigkeit und sittliche Integrität, die seinem homiletischen Wirken weitaus größeren Nachdruck verliehen hatte, als es seinen zu Lebzeiten von ihm selbst zurückgehaltenen Schriften vergönnt war? Davon mag der Convocation Sermon von 1510 ein (in der Neuzeit) viel beachtetes25 beredtes Zeugnis ablegen. In einer umfangreichen Predigt von geradezu origeneischer Länge stellte Colet den verwunderten Klerikern und Bischöfen der Erzdiözese Canterbury26 ihre eigenen Verfehlungen, ihre Prozesssucht und Geldgier vor Augen.27 Auch die kritischen Ansprachen des Dom20

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Vgl. ebd. 128–130. Gleason listet 16 Punkte auf, die zum Teil auf einen fehlenden textkritischen Sinn des Exegeten Colet hindeuten, wie zum Beispiel die Nichtbeachtung der begründeten Zweifel Grocyns an der Authentizität der Texte des Areopagiten Dionysius. Gleason verweist auf die Unvollständigkeit seiner diesbezüglichen Auflistung. Vgl. ebd. 133. Vgl. Ernest W. Hunt, Dean Colet and His Theology, London 1956, 69 f. Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 196. Vgl. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 178: „John Colet was a visionary. As a clerical reformer, however, he failed: he could not implement his idealistic and unrealistic ecclesiology … Thus, he cannot be called a reformer or a proto-Protestant; nor did he belong to a circle of humanist reformers, either in Oxford or in London.“ Vgl. Green, History (wie Anm. 16) 310. Sie hatten aufgrund der Agenda ihrer Kirchenversammlung einen scharfen Angriff auf die Häretiker erwartet sowie eventuell einen Hinweis bezüglich der Frage, ob sich der Klerus an den Kriegskosten gegen Frankreich beteiligen sollte. Vgl. dazu Hunt, Colet (wie Anm. 22) 74. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 182–184, hält dies für weniger außergewöhnlich, als es die Colet-Forscher bislang herausgestellt haben. Er beruft sich dabei auf spätmittelalterliche Prediger (zum Beispiel auf William de Melton im selben Jahr, also 1510, vor der Kirchenversammlung von York), die ebenfalls bei ähnlichen prominenten Anlässen scharfe Töne

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propstes in Gegenwart Heinrichs VIII. mögen in die gleiche Richtung deuten.28 Nicht weniger beeindruckend im Sinne persönlich forcierter Reformbestrebungen und eines gewissen humanistischen Impetus muss die Stiftung der St. Paul’s School (1509) auf entsprechende Kreise gewirkt haben. Sie kann beinahe als Gemeinschaftsprojekt von Colet und Erasmus bezeichnet werden.29 All diese Punkte mögen auf historisch-biographischer Ebene Colet zum ‚Verbindungsmann‘ im obigen Sinne qualifizieren, doch dürfte in theologischer bzw. geistesgeschichtlicher Hinsicht seine Beeinflussung durch den Neuplatonismus30 hervorzuheben sein, der auf englischem Boden mit ihm frühzeitig nachweisbar ist und in den folgenden Theologengenerationen Kreise zog. Dieser Einfluss geht mit einem verstärkten Interesse für die griechischen Kirchenväter einher, zu denen auch Origenes zu zählen ist. Von diesem mehr als anfanghaften Interesse zeugt nicht zuletzt Colets reichhaltig mit Randnotizen versehenes persönliches Exemplar der Epistolae Ficinos (Venedig 1495), mit dem er in  – sehr sporadischer – brieflicher Verbindung stand.31 Dem jungen Gelehrten aus England waren neben der Theologia Platonica des Florentiners auch dessen Übersetzungen Platons und Plotins sowie des Corpus Hermeticum bekannt.32 Gleichzeitig war er mit Picos Hauptwerken Apologia (1482) und De Ente et Uno (1490) sowie selbstverständlich auch mit der Oratio vertraut, die er in seinen Werken zitierte.33 Damit sind nicht wenige Anhaltspunkte zusammengetragen, die der Vermutung Raum geben, John Colet habe Elemente des philosophisch-ethischen Au-

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anschlugen, ohne jedoch entsprechende Aufregung bei den Hörern hervorzurufen. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 110–113, ist dezidiert anderer Meinung, wobei er sich allerdings nicht auf Quellen, sondern auf eigene Forschungen zum ekklesiologischen Aussagegehalt von Colets Predigt beruft. Vgl. Green, History (wie Anm. 16) 314. Obwohl Erasmus zum Zeitpunkt der Errichtung der St. Paul’s School auf dem Festland weilte, engagierte er sich für das Projekt auf Bitten Colets durch die Abfassung von Schulbüchern und Lehrstücken, unter denen De duplici copia verborum ac rerum (veröffentlicht 1512) herausragt. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 229. Selbstverständlich herrscht in der Forschung keineswegs Einigkeit darüber, in welchem Maße man Colet zu einem kohärenten Vertreter eines Neuplatonismus florentinischer Prägung stilisieren kann. Während Miles, Colet (wie Anm. 17), in seiner Gesamtheit den Nachweis platonischen Gedankengutes in der Schöpfungstheologie, Anthropologie, Soteriologie, Gnoseologie und Ekklesiologie des Londoner Dompropstes erbringen will, äußert sich beinahe zeitgleich Jayne, Colet (wie Anm. 7) 54, skeptischer. Neuere Forscher wie Gleason, ebd. 133 f. 164, stellen den homiletischen Impetus Colets in den Vordergrund, der den systematisch-theologischen klar übertöne. Vgl. die detaillierte Analyse der Korrespondenz zwischen Ficino und Colet im Hinblick auf ihre Datierung und Sequenz bei Gleason, ebd. 47–52. Auf die Details dieser für die Datierung zahlreicher Colet-Schriften hoch relevanten Diskussion kann ich an dieser Stelle nicht eingehen. Vgl. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 25. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 338. Dort werden die Referenzstellen aufgeführt.

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tonomiekonzeptes des Origenes – sei es aus dem Originaltext, sei es durch die Vermittlung von Ficino oder Pico – in sein eigenes Denken integriert. Inwieweit der Dompropst tatsächlich Autonomie und Menschenwürde von origeneischen Wurzeln her in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückte, wird im Folgenden zu prüfen sein. Damit steht die Zielrichtung dieser Untersuchung fest. Es geht darum, die biographischen Entwicklungslinien nachzuzeichnen, die für den Geisteshorizont Colets wesentlich sind und die seinen Kontakt mit dem Gedankengut des Origenes beeinflusst haben könnten. Diese offenbaren sich bereits in den frühen Jahren seiner familiären Prägung und Schulausbildung, zur Zeit seiner Universitätsstudien und seines dortigen Dozentenwirkens, auf der Studienreise nach Italien sowie im Zuge der Formation eines ‚humanistischen Netzwerkes‘. Weiterhin sind die methodischen Besonderheiten Colets im Umgang mit den Originalquellen herauszustellen, die für die Hintergrundanalyse seiner Schriften maßgeblich sind. Schließlich sollen am Beispiel des Gewissenskonzepts Verbindungslinien, aber auch Abgrenzungen zu genuin origeneischen Konzepten aufgezeigt werden, und zwar in anthropologischer bzw. schöpfungstheologischer Hinsicht, auf dem Gebiet der Gnoseologie, also das sittliche Erkenntnisvermögen betreffend, sowie in Bezug auf das ‚Gewissen‘ als richtende bzw. gebietende Instanz. Eine Kurzdarstellung der bislang bekannten (meist von Joseph Lupton eruierten) Bezüge Colets auf Motive des Origenes soll der Vollständigkeit halber angefügt werden. Diese stehen nicht im Zusammenhang mit der Gewissensthematik, daher die Ausgliederung in einen eigenen Anhang.

1. John Colet: Biographische Entwicklungslinien eines exzentrischen Neuplatonikers und Origenes-Eklektizisten a) Familiäre Prägung und Schulausbildung Es wird gemeinhin angenommen, dass John Colet im Januar des Jahres 1467 geboren wurde,34 und zwar als ältester Sohn des angesehenen Händlers Henry Colet und seiner Gattin aus adeligem Haus, Dame Christian geb. Knyvet. Als Mitglied der wohlhabenden Tuchhändlergilde (Mercers) hatte er es binnen weniger Jahre zu einem ansehnlichen, stetig wachsenden Vermögen gebracht. Sowohl sein Geschäftserfolg im Großhandel als auch seine Umsicht in diplomatischen Angelegenheiten35 ließen ihn zu hohen Ämtern aufsteigen (fünfmaliger Gilde34 35

Vgl. Germain Marc’Hadour, Le doyen John Colet, in: Moreana 22 (1969) 69–78, hier 71. Vgl. auch Gleason, Colet (wie Anm. 7) 16. An dieser Stelle wird in der Regel sein mutiger Schritt erwähnt, als alleiniger Bürge für das Handelsabkommen (magnus intercursus) zwischen Heinrich VII. und dem Erzherzog

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meister, zweimaliger Bürgermeister der City of London, Ritterschlag, Mitglied des Parlaments). Es bestehen aufgrund der Vielzahl an Aufgaben, die aus diesen Ämtern resultieren, durchaus Anhaltspunkte dafür, dass der junge Colet seinen Vater nicht allzu oft zu Gesicht bekam. Seine Mutter, die sich anscheinend einer robusten Konstitution erfreute (sie überlebte ihren ältesten Sohn um 4 Jahre), wurde durch das Schicksal einer fortwährenden Serie von Fehlgeburten und früh verstorbenen Kindern hart getroffen. John war das älteste von insgesamt 22 Kindern (elf Jungen und elf Mädchen), von denen außer ihm nur ein weiterer Sohn, Richard, das Erwachsenenalter erreichte.36 Dieser starb um 1503. Es bedarf keines großen psychologischen Feingefühls, um sich vorstellen zu können, dass eine solche „Prozession von Wiegen und Särgen“,37 die vor den Augen des heranwachsenden Händlersohnes Jahr für Jahr vorüberzog, auch in seiner Seele tiefe Spuren hinterlassen musste. Seine Mutter scheint mit diesem traurigen Schicksal besser fertig geworden zu sein als er selbst, der wohl recht bald den Wunsch verspürte, als Kleriker ein dezidiert zölibatäres Leben zu führen. Es ist auffällig, dass er als der ältere Sohn diesen Weg wählte, noch bevor der Vater den jüngeren Bruder Richard in seine beruflichen Fußstapfen setzen konnte.38 Zumindest scheint es nicht undenkbar, dass sich der junge John mit seiner Berufswahl gegen den Widerstand eines wohlhabenden Vaters, der im Begriff stand, ein Familienimperium aufzubauen, hat durchsetzen müssen. Gemäß seiner gesellschaftlichen Stellung wurde ihm zunächst eine sehr gute und durchaus traditionelle Ausbildung zuteil, die ihn wahrscheinlich an die Schule der Mercer’s Company, die Hospital School of St.  Thomas of Acon (eine Hospitallergründung),39 führte.40 Dort trat er im Alter von sechs Jahren ein und verblieb bis zur Beendigung der achten Klasse. Auf dem Lehrplan standen sola

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von Flandern aufzutreten, nachdem die Corporation of London ausgefallen war und so den König desavouriert hatte. Vgl. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 18. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 15 f. Gleason, ebd. 16, spricht eindrucksvoll, einem unvollendeten Manuskript von White Kennett folgend, von einer „procession of cradles and coffins“. John begann das Philosophie- und Theologiestudium wahrscheinlich im Herbst 1481, als sein Bruder Richard etwa 2–3 Jahre alt war. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Familie aufgrund der tragischen Vorgeschichte keinesfalls sicher sein, dass er das Mannesalter überhaupt erreichen würde und damit die Rolle des Stammhalters einnehmen könnte. Es handelt sich allerdings nicht um den weithin bekannten Hospitallerorden vom Heiligen Johannes zu Malta (Malteser), sondern den englischen Hospitallerorden des Heiligen Thomas von Canterbury oder auch Thomas von Acre (Gründung des Ordens zur Zeit des dritten Kreuzzuges in Akkon). Die Schule befand sich im Haus des Großmeisters, der spätestens ab 1458 dort residierte. Der Orden versank in die Bedeutungslosigkeit, so dass die Mercer’s Company nach Auflösung des Ordens durch Heinrich VIII. 1538 den Besitz und die Schule übernehmen konnte. Sie brannte 1666 nieder. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 36; Arnold, Colet (wie Anm. 8) 19.

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utilia et necessaria, d. h. zunächst die Grundkenntnisse zum Erlernen der religiösen Basistexte (Credo, Katechismus) erst in englischer, dann in lateinischer Sprache. Als Übungstext für den Lateinunterricht fungierten die später als Disticha Catonis berühmt gewordenen Verse aus spätrömischer Zeit, deren Hauptzweck darin bestand, Grammatikübungen bereitzustellen und dabei zugleich Alltagsweisheiten in Versform zu vermitteln – ein Kompendium praktischer Ethik, stoisch angehaucht, gegossen in etwa 130 Hexameter, das den jungen Bürgerssöhnen im späteren Leben Nutzen bringen sollte.

b) Universitätsstudien und erstes Dozentenwirken Nach Abschluss der (Latein-)Schule St. Thomas of Acon zwischen der Ironmongers Lane und Cheapside (London) sandte die Familie (nach diversen Auseinandersetzungen?) den Ältesten 1481 wahrscheinlich zunächst nach Cambridge zum Studium der Philosophie und der Theologie. Dort ist für das akademische Jahr 1484–85 ein John Colet als questionista bezeugt, d. h. er bereitete sich auf die Baccalaureatsprüfungen vor. 1488 erscheint er abermals als inceptor, also als fertig examinierter Magister Artium.41 Es kann davon ausgegangen werden, dass Colet in diesen Jahren einen eher scholastisch geprägten Lehrplan zu absolvieren hatte.42 Ob sich in diesem Umfeld die erste Gelegenheit bot, mit den Schriften Plotins und Platons in Kontakt zu kommen, wie es Erasmus in seiner 1521 für Justus Jonas komponierten Lebensbeschreibung behauptete,43 darf mit Recht bezweifelt werden. Zunächst war er aufgrund seines Magistergrades verpflichtet, zwei Jahre in Cambridge zu lehren.44 Ob er danach ab 1490 in Oxford seine Studien fortsetzte, um den Doktorgrad zu erwerben, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit ermitteln. Sollte er jedoch diesen (damals nicht ungewöhnlichen) Weg von Cambridge (bis zum M. A.) nach 41 42

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Vgl. W. Robert Godfrey, John Colet of Cambridge, in: ARG 65 (1974) 7–9. Joseph B. Trapp, Erasmus, Colet and More. The Early Tudor Humanists and Their Books (The Panizzi Lectures 1990), London 1991, 120. Trapp untersucht in dieser interessanten Studie die den erwähnten Humanisten verfügbaren Quellenwerke aus der Perspektive eines Archivars und bemerkt zur scholastischen ‚Vorbildung‘ Colets lapidar: „There can be no doubt that Colet knew his Scholastics well. He had, after all, been through the university mill, at Cambridge.“ Im gleichen Tenor schreibt auch Hunt, Colet (wie Anm. 22) 7 f. Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 514,263–515,270 Allen): Adolescens apud suos quicquid est scholasticae philosophiae, diligenter perdidicit, ac titulum assequutus est qui septem liberalium artium scientiam profitetur. Quarum nulla erat in qua ille non fuisset gnaviter ac feliciter exercitatus: nam et libros Ciceronis avidissime devorarat, et Platonis Plotinique libros non oscitanter excusserat, nec ullam mathematices partem intactam reliquit. Post tanquam avidus bonarum rerum negociator adiit Galliam, mox Italiam. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 42.

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Oxford gemacht haben, so wird er dort wahrscheinlich mit William Grocyn zusammengetroffen sein. Dieser unterrichtete (rein privat) Griechisch und hatte, wie oben bemerkt, Italien bereist, ist also in jedem Fall zum inneren Zirkel der frühen englischen Humanisten zu zählen. Thomas Linacre befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in Padua, kommt also nicht als ‚Kontaktperson‘ in Frage. Ob sich die Aussage des Erasmus, vorausgesetzt, sie ist historisch korrekt wiedergegeben, auf diese ‚Zwischenperiode‘ 1490–1492 in Oxford bezog und die Einflussnahme Grocyns vermuten lässt, bleibt dahingestellt. Die spätere Nähe Colets zu Grocyn45 erleichtert allerdings die Vermutung, der um zwanzig Jahre ältere Humanismusbegeisterte habe den angehenden jungen Doktor der Theologie mit seinen Reiseberichten und philosophischen Trouvaillen quasi angesteckt und den Wunsch in ihm geweckt, jene Stätten in Italien und auf dem Kontinent selbst aufzusuchen.

c) Studienreise nach Italien und Rückkehr Von dieser konjektiven Schlussfolgerung her scheint es erklärbar, dass Colet nach Ende des Sommersemesters im Herbst 1492, mit den Empfehlungsschreiben und den Goldmünzen seines Vaters bestens ausgestattet, in Richtung Rom aufbrach, wo er spätestens im September eintraf. Sein Aufenthalt in der Ewigen Stadt währte nur verhältnismäßig kurz, bis etwa Mai 1493. Er wohnte wahrscheinlich im English Hospice, in dessen Mitgliedslisten sich für 1493 sein Name findet.46 Anschließend, vermutlich um dem heißen römischen Sommer zu entfliehen, schlug er sein Quartier im nördlich gelegenen Florenz, quasi in der Hauptstadt des italienischen Humanismus, auf. Was in dieser Stadt genau geschah, wen er dort traf oder predigen hörte47 und wie lange er dort verweilte, wird sich in Ermangelung von Dokumenten nicht zweifelsfrei ermitteln lassen. Eines scheint jedoch sicher: Der bis dato unbekannte englische Student traf nie mit Marsilio Ficino zusammen, der als angesehener Gelehrter in seiner Villa etwa acht Kilometer vom Stadtzentrum entfernt in Careggi residierte.48 Seine Theologie und die Gedankenwelt der 45 46 47

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Vgl. dazu die Präzisierungen bei Gleason, ebd. 44. Vgl. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 22. Es ist von frühen Forschern wie Seebohm sogar vermutet worden, dass Colet mit Savonarola zusammengetroffen sei, der ebenfalls in den betreffenden Jahren als Prediger aktiv war. Vgl. Seebohm, Reformers (wie Anm. 12) 21 f. Der immer wieder kritische Gleason, Colet (wie Anm. 7) 46, bemerkt dazu trocken: „One wonders, however, whether Colet’s Italian was up to Savonarola’s sermons.“ Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 18–20; Jayne, Colet (wie Anm. 7) 18. Dieser Linie folgen Gleason, ebd. 51 f., und Arnold, Colet (wie Anm. 8) 23. Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens mit Pico, der erst am 17.11.1494 in Florenz verstarb, wird von beiden

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Florentiner Neuplatoniker scheint er sich jedoch mit glühendem Eifer erarbeitet zu haben. Erasmus von Rotterdam lässt in seiner Lebensbeschreibung durchscheinen, wie der Autorenkanon in Colets italienischen Jahren zusammengesetzt war: „Dort [sc. in Italien] widmete er sich gänzlich dem Studium der Heiligen Schriften; vorher allerdings begab er sich mit großer Energie auf eine Pilgerschaft durch die theologische Literatur, wobei er sich besonders an den Schriften der frühen Kirchenväter erfreute, wie Dionysius, Origenes, Cyprian, Ambrosius, Hieronymus. Unter den alten Kirchenvätern hat er keinen so bevorzugt wie Augustinus. Andererseits vernachlässigte er auch nicht vollständig die Lektüre des Scotus und Thomas sowie anderer Autoren dieser Art, wenn sich die Gelegenheit ergab.“49

Damit muss ein besonderer – womöglich weiterer – Schwerpunkt seines Aufenthaltes in Italien auf den Väterstudien gelegen haben, wobei Origenes ausdrücklich und unmittelbar nach Pseudo-Dionysius erwähnt wird. Der sicherlich nicht über jeglichen Verdacht der Parteilichkeit erhabene Seebohm will Origenes gar als Studienschwerpunkt der Italienreise betrachtet wissen,50 dem sich Colet in be-

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letztgenannten Autoren nicht in Betracht gezogen. Es sind dafür auch keine eindeutigen biographischen Belege auffindbar. Joseph B. Trapp, Art. John Colet, in: Peter G. Bietenholz (Hg.), Contemporaries of Erasmus, Bd. 1, Buffalo/London 1986, 324–328, hier 324, bezweifelt noch wenige Jahre vor Gleason grundsätzlich die Reise Colets nach Florenz und stellt damit auch das Zusammentreffen mit Ficino bzw. Pico in Frage. Auf gleicher Linie liegt Hunt, Colet (wie Anm. 22) 8. Zur heftig umstrittenen Datierung des spärlichen Briefwechsels zwischen Colet und Ficino vgl. Gleason, ebd. 47–52, der die Briefe noch in Florenz selbst verfasst sehen will. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 515,270–275 Allen): Ibi [sc. in Italia] se totum evolvendis sacris autoribus dedit; sed prius per omnia literarum genera magno studio peregrinatus priscis illis potissimum delectabatur, Dionysio, Origene, Cypriano, Ambrosio, Hieronymo. Atque inter veteres nulli erat iniquior quam Augustino. Neque tamen non legit Scotum ac Thomam aliosque huius farinae, si quando locus postulabat (Übersetzung: R. B. H.). Seebohm, Reformers (wie Anm. 12) 41: „In the free critical method of interpretation and thorough acknowledgement of the human element in Scripture, as well as in the AntiAugustinian views already alluded to, there is evidence equally abundant in confirmation of the statement, that he has acquired when abroad a decided preference for Origen and Jerome over Augustine.“ Dieses doch recht interessante Urteil über die Kirchenväterrezeption Colets erwächst aus einer Interpretation der ep. 1211 des Erasmus, die der Vokabel iniquior einen klar negativen Duktus attestiert und damit Augustinus gegenüber den anderen Kirchenvätern abwertet (vgl. ebd. Anm. 49). Joseph H. Lupton, A life of John Colet, D. D., London 21909, 56 f., hält dagegen, indem er auf Augustinus-Referenzen im Werk Colets eingeht, aus denen das Ansehen des Bischofs von Hippo beim Dompropst deutlich wird. Jenes iniquior des Erasmus sei dann im Sinne von ‚besonders zugetan‘ zu interpretieren; vgl. auch Miles, Colet (wie Anm. 17) 18. Es bleibt aber selbst am Ende dieser Diskussion

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sonderer Weise zugewandt habe. In jedem Fall aber gehören, wie bereits erwähnt, die Hauptwerke Ficinos51 und Picos52 in diese (von Erasmus begonnene) Aufzählung.53 Giovanni Pico della Mirandola war es auch, der mit seiner (Colet wohl bekannten) Apologia die Schriften und das Denken des Origenes einer breiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich machte.54 Da ein allgemeines Interesse an dem griechischen Kirchenvater in Europa frühestens seit der Edition der Homilienübersetzungen des Hieronymus durch Aldus Manutius 1503 bzw. eher noch später, also ab 1510 nachweisbar ist,55 können die Kontakte Colets mit dem Kirchenvater als außergewöhnlich betrachtet werden.56 Man muss sich gleichzeitig vor Augen halten, dass die Lektüre seiner Schriften seitens der kirchlichen Autoritäten keineswegs unumstritten war. Auf der anderen Seite jedoch sollte man das Interesse des jungen Engländers am Werk des Alexandriners nicht überhöhen – seine Kenntnisse stammen höchstwahrscheinlich aus denjenigen Werken Picos,57 die er in jenen Jahren voller Bewunderung studierte. Colet kehrte 1496 nach England zurück, wobei noch ein Aufenthalt in Orléans und in Paris belegt sind.58 Paris bot dem Pico-Begeisterten eine Art Heimstatt durch einen aktiven Zirkel an Bewunderern und geistigen Jüngern.59 Es ist also nicht deplaziert, die Ergebnisse der Studienreise Colets in folgender Weise zu resümieren:

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die Frage, aus welchen Quellen („evidence“) sich das Urteil Seebohms hinsichtlich einer Bevorzugung des Origenes speist. Vgl. Trapp, Erasmus (wie Anm. 42) 137. Vgl. dazu ebd. 132, wo Trapp bemerkt, dass Colet die durch Picos Neffen herausgegebenen Opera Omnia zur Verfügung standen (er plädiert für die Edition von 1496 oder 1498). Dort findet sich schließlich auch die viel gerühmte Oratio. Siehe oben Anm. 32 und 33. Vgl. Robert Peters, John Colet’s Knowledge and Use of Patristics, in: Moreana 22 (1969) 45–59, hier 51. Dort legt er dar, dass der venezianische Drucker Aldus Manutius (1449– 1515) sich um die erste Ausgabe des Origenes bemüht habe, die 1503 erschien und Fra Egidio di Viterbo gewidmet war. Vor diesem Datum kann Colet die Schriften des Origenes nur aus den Werken des Pico studiert haben. Vgl. Wind, Revival (wie Anm. 5) 412. Vgl. Trapp, Erasmus (wie Anm. 42) 133: „The vogue for Origen comes in the 1510s, after the publication of the Latin editio princeps of 1512, though Latin manuscripts of some of his works had been long available. Rufinus’s adaptation of the De principiis was not an uncommon book, and Christoforo Persona’s Latin translation of the Contra Celsum had been published in 1481. St. Jerome’s translation of Origen’s Homilies into Latin was printed by Aldus in Venice in 1503. Some Origen was therefore available to Colet in Latin.“ Vgl. dazu ausführlicher Wind, ebd. 413 f. Vgl. Peters, Knowledge (wie Anm. 54) 51: „… it must have required considerable courage to refer and purport to quote Origen in the Oxford of 1496–9.“ Vgl. ebd. sowie Arnold, Colet (wie Anm. 8) 25; Gleason, Colet (wie Anm. 7) 73; Trapp, Erasmus (wie Anm. 42) 133. Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 515,268–270 Allen). Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 60.

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„The most we know about Colet’s travel is the knowledge with which he returned. Unaccomplished in Greek, unlike his English humanist colleagues Linacre and Grocyn, he was nevertheless, entranced by the humanism and Neoplatonism of the Italian philosophers Pico della Mirandola (1463–94) and Ficino. Armed with this new philosophy, he returned to Oxford and began his writing.“60

Den Schwerpunkt seiner Kirchenväterstudien sehen viele Forscher mit Erasmus allerdings bei Augustinus.61 Es ist nicht ausgeschlossen, dass Colet, der seine Dissertationsstudien ab 1496 in Oxford wieder aufnimmt, die begonnenen Linien des Neuplatonismus und der Väterstudien fortführt.62 Erfüllt mit paränetischem Eifer, begibt er sich nach seiner Rückkehr in sein Heimatland sogleich daran, den neuen Impulsen paränetischen Ausdruck zu verleihen, indem er mit seinen Paulusvorlesungen einen großen Hörerkreis in Bann zieht.63 Dabei zitiert er auch Origenes, was bei seinen Hörern sicherlich Verwunderung hervorgerufen haben dürfte.64 Seine Auslegungsmethode, die sich eher am antiochenischen Modell der patristischen Zeit orientiert als am System der Scholastik65 und von daher zunächst den Literalsinn zu erfassen sucht, bevor sie mit ganz eigenen (neuplatonischen) Allegorien arbeitet, erscheint für seine Zeitgenossen attraktiv und ungewöhnlich.66 Als Kronzeuge für die Popularität seiner Vorlesungen fungiert Erasmus selbst.67

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Arnold, Colet (wie Anm. 8) 23. Vgl. ebd. 56. Vgl. auch Peter Iver Kaufman, Augustinian Piety and Catholic Reform. Augustine, Colet and Erasmus, Macon GA 1982, 3. 52 f. Vgl. Hunt, Colet (wie Anm. 22) 8. Vgl. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 23. Vgl. Hunt, Colet (wie Anm. 22) 17 f. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 152. Während die scholastische Tradition in ihrer Bibelexegese den zu kommentierenden Schrifttext in eine buchstäbliche, tropologische, allegorische und anagogische Bedeutung aufspaltete, stellt Colet in bewusstem Gegensatz dazu nunmehr den Literalsinn in den Vordergrund, der zuweilen auch mit Hilfe von historischen Betrachtungen zu ermitteln ist. Diese treten allerdings, wie Gleason gezeigt hat, hinter seiner paränetischen Intention zurück, die auf eine spirituelle Verwandlung (durch Reinigung und Erleuchtung) seiner Hörer abzielt. Er prägt dafür den Ausdruck living wisdom; vgl. Gleason, ebd. 164. Obwohl es Colet oft an systematischer Strukturiertheit im Umgang mit dem Text mangelt, schält sich sein soteriologisches Analyseparadigma deutlich heraus. Vgl. Bernard O’Kelly/Katherine A. L. Jarrott, John Colet, Commentary on First Corinthians. A New Edition of the Latin Text, with Translation, Annotations, and Introduction, lat. – engl. (MRTS 21), Binghamton NY 1985, 28–31; Trapp, Erasmus (wie Anm. 42) 122 f. mit einem Beispiel zum historischen Bewusstsein des Dompropstes; Arnold, Colet (wie Anm. 8) 26, der ebenfalls die äußergewöhnliche Methodik von Colets Paulusvorlesungen herausstellt. Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 515,285–292 Allen). Diese sicherlich nicht unbedacht formulierte Stelle aus der Colet-Biografie des Erasmus übergeht Gleason allerdings mit der lapidaren Bemerkung, der Rotterdamer habe den paulinischen

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d) Formation eines humanistischen ‚Netzwerks‘ Als Erasmus im Sommer 1499 zum ersten Mal englischen Boden betritt, scheint er ein Empfehlungsschreiben an Colet mit sich geführt zu haben, und es dauert nicht lange, bis vermittels des gemeinsamen Interesses an der neutestamentlichen Exegese der Grund für eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden gelegt ist,68 die trotz aller Meinungsverschiedenheiten69 bis zum Tode Colets andauern sollte. Zu den begeisterten Anhängern des Exegeten gehört auch der vielseitig interessierte junge Jurist Thomas More, der sich dem Humanistenzirkel von Oxford-London70 angeschlossen hatte und nun die mit neuplatonischen Gedanken durchsetzten Schriftkommentare bzw. Predigten Colets aufmerksam verfolgt. Der junge Rechtsanwalt, seit 1511 mit Colet Mitglied der Juristenvereinigung Doctor’s Commons, entwickelt im Laufe der Jahre ebenfalls ein freundschaftliches Verhältnis zum hageren Dompropst, das stark von Bewunderung geprägt war. Von daher ist es durchaus möglich, dass sich More, wenn er auch nicht persönlich zugegen war, über den Inhalt dieser Vorträge informieren konnte (das Manuskript zum Commentarium in 1 Cor. wurde vermutlich schon vor 1505 fertiggestellt).71 Nach 1505, als Dompropst Colet seine vielbeachteten Predigten in Londons Kathedrale

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Vorlesungen Colets lediglich acht von 357 Zeilen gewidmet, und schließt daraus auf ihre eher relative Bedeutung für die Hörer der Zeit: Gleason, ebd. 67. 171–173. Der Briefwechsel zwischen Colet und Erasmus erstreckt sich über die Jahre 1499 bis 1517 und umfasst 23 Briefe, sieben davon stammen vom Londoner. Sie berühren auch exegetische Streitfragen wie die der Interpretation des Opfers Abels, den Gott nach Colets paulinisch gefärbter Meinung allein wegen seines Glaubens bevorzugt habe; vgl. dazu die Schilderung in Gleason, ebd. 106 f. Erst der dritte Besuch des Erasmus auf englischem Boden 1511–1516 (mit Unterbrechungen), geprägt vom beiderseitigen Engagement für die St. Paul’s School, scheint die Freundschaft vollends gefestigt zu haben. Hier sind vor allem die (von Erasmus so betitelten) Disputatiuncula über die Gefühlsregungen Jesu vor seiner Passion zu nennen. Sie offenbaren einiges von der Geisteshaltung und den exegetischen Methoden Colets während seiner Zeit in Oxford. Vgl. dazu die ausführliche Erörterung in Gleason, ebd. 95–125. Dieser Humanistenzirkel, dem auch Colet spätestens seit seiner Rückkehr aus Italien angehörte, umfasste unter anderen: William Grocyn, Thomas Linacre, Thomas Lupset (1495?–1530, als Page in Colet’s Haushalt tätig), William Lily (1468?–1522, erster Direktor der St. Paul’s School), William Latimer (1467?–1545, studierte ebenfalls Griechisch in Italien, Fellow von All Souls College, Oxford) sowie Richard Pace (1482?–1536, Diplomat und ebenfalls Student in Italien, der später in Oxford weilte). – Vgl. Trapp, John Colet (wie Anm. 48) 327. Dort findet sich eine vollständige Aufzählung sämtlicher Mitglieder dieses schwer zu umreißenden Zirkels. Vgl. O’Kelly/Jarrott, Commentary on First Corinthians (wie Anm. 66) 19; zur neuen Methodik Colets vgl. auch Kenneth Charlton, Education in Renaissance England, London 1965, 58–60. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 92, setzt auch die Erstellung des ersten Römerbriefkommentars, sechzehn Kapitel umfassend, in dieser späteren Oxforder Periode (1499–1505) an. Er geht davon aus, dass nach den Vorlesungen Manuskripte unter Colets

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hielt, zählte More mit Sicherheit nicht selten zu seinen aufmerksamsten Zuhörern.72 Colet breitete dort anhand des Lesungstextes seine (zum Teil neuplatonische) Philosophie aus und betätigte sich als Moralist durch seine scharfe Kritik an den Zuständen der ekklesialen Strukturen. Auf diese Weise wurde Colet nicht nur der Spiritual Mores, sondern auch sein theologischer Lehrer.73 Es ist höchst wahrscheinlich Colets vielfältigem Einfluss auf More zu verdanken, dass dieser Pico zu seinem Vorbild wählte und dessen Vita übersetzte.74 Anfang 1500 verließ Erasmus die Insel, tief beeindruckt von der Gelehrsamkeit und den humanistischen Idealen von vier Personen: Linacre, der sich durch sein bestechend scharfes Urteil auszeichne, Grocyn, dessen Bildung er bewundere, More, der mit seiner herzlichen und freundschaftlichen Art die Menschen für sich gewinnen könne, sowie Colet, der die Beredsamkeit Platons selbst verkörpere.75 Diese Eindrücke von den humanistischen Blüten Englands scheinen ihn nachhaltig bewegt zu haben. In diesem Zusammenhang mag es nicht verwundern, dass Erasmus seine ausführliche Lebensbeschreibung Colets, die er nach dem Tod des Freundes im Juni 1521 für den jungen Justus Jonas quasi als biographisches Lehrstück verfasste, als Doppelbiographie konzipierte. Zunächst stellt er seinem Adressaten nämlich den Guardian des Franziskaner-Observantenklosters von Saint-Omer, Jean Vitrier (1456?–1516) vor Augen, bevor er sich dem Londoner Dompropst widmet. Vitrier scheint Erasmus an das Studium des Origenes herangeführt zu haben, denn als der Rotterdamer 1536 eine kurze Lebensbeschreibung des Origenes zusammenstellt, orientiert er sich am Modell des ‚idealen Predigers‘: an Vitrier. Dieser wird auch für die allzeit fühlbare Gegenwart des Alexandriners im Enchiridion Militis Christiani (1501) verantwortlich gemacht.76 Es ist also anzunehmen, dass beide Männer in dieser Zeit (um 1501) in engem Kontakt zueinander standen und das Studium des Origenes pfleg-

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Anhängern kursierten, die schließlich vom Meister selbst bearbeitet und für private Zwecke ediert wurden; vgl. ebd. 70 (bezüglich der privaten Edition). Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) ix–x; Byron, Loyalty (wie Anm. 11) 146, bemerkt dazu: „Naturally the young More was influenced by the opinions of Colet, particularly those expressed from the pulpit.“ Vgl. Byron, ebd. 145. Vgl. ebd. 146. Vgl. Erasmus, ep. 118 an R. Fisher v. 5.12.1499 (I p.  273,17–274,25 Allen): Coelum tum amoenissimum tum saluberrimum hic offendi; tantum autem humanitatis atque eruditionis, non illius protritae ac trivialis, sed reconditae, exactae, antiquae, Latinae Graecaeque, ut iam Italiam nisi visendi gratia haud multum desyderem. Coletum meum cum audio, Platonem ipsum mihi videor audire. In Grocino quis illum absolutum disciplinarum orbem non miretur? Linacri iudicio quid acutius, quid altius, quid emunctius? Thomae Mori ingenio quid unquam finxit natura vel mollius, vel dulcius, vel felicius? Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 263. Siehe dazu ausführlich in diesem Band den Beitrag von Christian Hengstermann.

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ten.77 Durch die Verknüpfung der Lebensläufe von Vitrier und Colet im Brief an Jonas78 werden beide zu Suchenden nach dem spirituellen Sinn der biblischen Texte wie das große Vorbild Origenes. Dieser bildet – quasi im Verborgenen der erasmianischen Anspielungen und Briefkomposition – das Urbild eines allegorischen Exegeten, Katecheten und Predigers, dem beide als Abbilder durch ihr Werk und Wirken folgen. Erst 1505 verlässt Colet Oxford, wobei noch nicht einmal gesichert ist, dass er zuvor formell zum Doctor of Divinity promoviert worden war.79 Am 2. Juni 1505 wird er – vermutlich durch die nicht gänzlich irrelevante Einflussnahme des Königs, der seinem Vater besonders gewogen war – zum Dompropst der Londoner St. Paul’s Cathedral gewählt. Seine neue Position fordert den 1498 zum Priester Geweihten auf allen Fronten heraus. Colet verschreibt sich der Reform des saturierten Klerus, den er  – in gleicher Weise wie auch die Laien  – durch seine eifernden, in der Landessprache gehaltenen Predigten zur Rückbesinnung auf die Urideale des Christentums motivieren will.80 Durch seine bereits erwähnte Rede vor der Vollversammlung des höheren Klerus der Erzdiözese Canterbury in St. Paul’s 1510/11 wird er sich im Episkopat nicht nur Freunde gemacht haben. Aufgrund weiterer heftigst attackierter Reformbemühungen im Kathedralklerus81 zieht er sich gar den Häresievorwurf seines alternden Bischofs Fitzjames zu.82 Unbeirrt von solchen Zwischenfällen fährt Colet fort, für seine Ideale einzustehen und diese auch im konkreten Leben zu verwirklichen. Ein prominentes Beispiel für diese Haltung ist, wie gesagt, die 1509 vollzogene Stiftung einer neuen Domschule (der St.  Paul’s School), die, mit seinem eigenen Kapital finanziert, einen humanistischen Lehrplan verschrieben bekommt83 und insgesamt 153 Jungen in 77 78

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Vgl. Gleason, ebd. 114. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 514,244–247 Allen), schreibt an der Nahtstelle beider Lebensbilder: Habes vere gemmeum Vitrarium nostrum, ignotum mundo, celebrem et claro in regno Christi. Nunc Coletum huic simillimum accipe. Alterum alteri depinxeram, et uterque alterius videndi desiderio flagrabat, atque hac gratia Vitrarius in Angliam traiecerat. Vgl. Trapp, John Colet (wie Anm. 48) 325. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 72, bemerkt in einem Manuskript die Selbstbezeichnung Colets als Sacrae Theologiae Professor, die offensichtlich eine vorherige Promotion voraussetzte. Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) x. Vgl. die präzise und eindrückliche Schilderung bei Arnold, Colet (wie Anm. 8) 65–87. Statt den erwarteten Angriff auf die Lollarden zu leisten, hatte Colet seine verbalen Attacken auf die versammelte Zuhörerschaft gerichtet und ihre eigenen Glaubensabweichungen an den Pranger gestellt. William Warham, der Erzbischof von Canterbury, vermochte jedoch die Anklagen Fitzjames’ ins Leere laufen zu lassen. Eine inhaltliche Übersicht des Convocation Sermon gibt Hunt, Colet (wie Anm. 22) 82 f., die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Reformanliegen des Dompropstes erfolgte bereits ebd. 25–31. Nähere Angaben zum Lehrplan der St.  Paul’s School, den Colet eigens hierfür entwarf, gibt Hunt, ebd. 2–6. Es wurden hierin besonders lateinische Autoren der nachklassischen

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den klassischen Sprachen Griechisch und Latein sowie in der christlichen Lehre unterweisen soll. Am 16.9.1519 stirbt John Colet an der grassierenden sweating sickness (einer Art englischen Grippe), weiterhin in Amt und Würden als Dompropst und berufenes Mitglied des königlichen Privy Council.84 Da die Datierung seiner hinterlassenen, zum größten Teil unveröffentlichten Schriften einer bis heute andauernden Debatte unterliegt, sei an dieser Stelle auf die m. E. am präzisesten recherchierte Chronologie John Gleasons verwiesen.85

2. Methodische Besonderheiten Bereits eine oberflächliche Lektüre des biographischen Abrisses durch Erasmus lässt deutlich erkennen, dass John Colet offenkundig über einen wachen, äußerst diskussionsfreudigen und aufnahmebereiten Geist verfügte,86 der sich allerdings einer akribischen Systematik und analytischen Exaktheit nur ungern beugte, sondern als Ziel stets die homiletische Unterweisung seiner Zuhörer vor Augen hatte: „Niemals habe ich einen fruchtbareren Geist gesehen, und aus diesem Grunde freute er sich besonders, mit ähnlich begabten Geistesgenossen Kontakt zu pflegen; er beschränkte sich allerdings auf solche Themen, die uns auf die Unsterblichkeit des ewigen Lebens vorbereiteten.“87 Sein gesamter Werdegang, sein wissenschaftliches und priesterliches Streben  – so stellt es zumindest Erasmus glaubwürdig dar, und so wird es auch in Colets Schriften ersichtlich – scheint auf die Vorbereitung für ein Leben bei Gott in Unsterblichkeit ausgerichtet gewesen

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Periode berücksichtigt, die die Prosa des Neuen Testaments in Versform gebracht hatten. Gleichzeitig zählte aber auch die Institutio Christiani hominis des Erasmus zum Lehrkanon. Vgl. dazu Trapp, Erasmus (wie Anm. 42) 116 f. Zu diesem Lebenslauf vgl. Trapp, John Colet (wie Anm. 48) 324–328. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 92. Als weiteres, keinesfalls unerhebliches, allerdings nicht eigenständiges Werk zählen die Randnotizen in Colets Exemplar (1495) von Ficinos Epistolae, ediert von Jayne, Colet (wie Anm. 7) 84–132. Vgl. die oben in Anm. 49 zitierte eindrucksvolle Auflistung der nach dem Zeugnis des Erasmus von Colet studierten Autoren, zu denen Thomas von Aquin und Duns Scotus hinzugezählt werden. Es werden im Folgenden sogar kanonistische und profanliterarische Studien erwähnt. Erasmus setzt diese Liste ganz bewusst an den Beginn seiner Lebensbeschreibung Colets, um seinem Adressaten (Justus Jonas) die umfassende Bildung des Londoners exemplarisch vor Augen zu stellen. Den Zweck dieses Bildungsunterfangens nennt er allerdings gleich im Anschluss: Et horum evolvendis scriptis linguam expolivit, iam tum se praeparans ad praeconium sermonis Euangelici: Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 515,279 f. Allen). Beispiele zur Diskussionfreude Colets finden sich ebd. (IV p. 516,309–318. 517,323–327). Ebd. (IV p.  520,413–415): Nunquam vidi ingenium felicius, atque ob id similibus ingeniis unice delectabatur: sed ad haec se malebat demittere quae praepararent ad immortalitatem vitae futurae (Übersetzung: R. B. H.).

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zu sein. Diesem zentralen Anliegen sieht sich der spätere Dompropst als Priester und damit auch als Prediger verpflichtet. Er will die Menschen mit klaren, pointierten Worten, mit eindrücklichen Ermahnungen und erschreckenden Bildern wachrütteln, auf den rechten Weg bringen.88 Gleason hat in diesem Zusammenhang den Terminus living wisdom geprägt, eine lebendige, überlebens-relevante Weisheit, deren Vermittlung an die ihm anvertrauten Menschen er als seine Aufgabe betrachtet.89 Sein Hauptinstrument zur Erfüllung dieses Anliegens, besser: dieser Mission ist die Auslegung der Heiligen Schrift, wobei er – aufgrund der Parallelität der paränetischen Anliegen – nicht selten die Paulusbriefe dazu heranzieht, wie bereits oben dargelegt wurde. Colets spärlich rezipierter Brief an den Abt von Winchcombe, Richard Kidderminster – übrigens der einzige, den der Autor bewusst der Nachwelt überlieferte90 – gibt deutlich Auskunft über sein Anliegen und seine Methode. In diesem Schreiben an den interessierten Ordensmann legt der Autor ihm das Programm seiner Paulusvorlesungen in Oxford (1499–1505) dar, indem er nicht etwa auf zeitkontextuelle Aspekte von Röm. 1 eingeht, sondern seinen Adressaten auffordert herauszufinden, wie viele und welche „goldenen Maximen“ (aureae sententiae) allein aus dem ersten Kapitel des Römerbriefes zu extrahieren seien.91 Nach dieser ermunternden (und ernst gemeinten) Aufforderung geht Colet mit eigenem Beispiel voran und präsentiert eine Liste dieser „goldenen Maximen“ in Form einer Aneinanderreihung von Aphorismen, die für ihn den Kerngehalt dieses Römerbriefkapitels ausmachen. Dabei liegt der inhaltliche Schwerpunkt offensichtlich auf der paulinischen Soteriologie, die Colet mit einem Appell abschließt: „Es liegt an dem, der den rechten Weg kennt, diesen den anderen aufzuzeigen und sie immer wieder auf diesen Weg zurückzurufen, damit er sich nicht selbst wie auch die anderen der Gefahr (des Verderbens) preisgibt.“92 Folgt man einmal der keineswegs abwegigen Annahme, dass der Autor diesen Appell als an sich selbst und an alle Prediger gerichtet verstand, dann offenbart Colet in dieser Bemerkung 88 89 90

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Vgl. Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 79 f. Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 152. 176 f. – Siehe oben Anm. 66. Vgl. Gleason, ebd. 172. Colet ließ diesen Brief zwischen die von ihm in Auftrag gegebenen Manuskripte der Enarratio in Epistolam B. Pauli ad Romanos und der Enarratio in Epistolam B. Pauli ad Corinthos transkribieren. Zu Beginn des Briefes erwähnt er, dass es nicht seine Gewohnheit sei, Briefe aufzubewahren, geschweige denn zu veröffentlichen. Diese bewusste Ausnahme jedoch solle dazu dienen, ein gewisses Gedächtnis an ihn für die Nachwelt zu bewahren. Vgl. Colet, ep. 1 an John Kidderminster (Samuel Knight, Life of Dr. John Colet, Dean of St. Paul’s, London 1724, 311–314). Vgl. ebd. 312: Vir optime, morem tibi gerem: Aperi libellum tuum, et in primo Capite Epistolae quae est ad Romanos solo, quot et quante et quam aureae sententiae colligi possunt, experiamur. Vgl. auch Gleason, ebd. 173. Colet, ebd. 313: Est cognoscentis rectam viam, aliis monstrare viam, et ad viam incessanter revocare, ne ipsi cum aliis periclitentur (Übersetzung: R. B. H.).

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sein Selbstverständnis als Theologe: Er zeigt sich fest entschlossen, sich auf die Suche nach jenem Wissen um den rechten Weg zu begeben, zunächst durch das eigene Studium der göttlichen Offenbarung, der Heiligen Schrift, dann aber auch mit Hilfe erfahrener, kenntnisreicher, erleuchteter Exegeten, zu denen für ihn insbesondere die Kirchenväter zählen. Die in seinen Augen unangetastete Autorität des Paulusschülers Dionysius Areopagita nimmt aufgrund ihrer (für Colet feststehenden) geschichtlichen Nähe zum Apostel eine Sonderstellung ein.93 Diese eigene Suche nach dem rechten Weg bringt aber auch, wie das obige Zitat belegt, eine sittliche Verpflichtung der Belehrung und Ermahnung der anderen Christen mit sich und enthält somit keinen wissenschaftlicherkenntnistheoretischen,94 sondern einen primär paränetischen Impuls.95 Dieser wiederum bestimmt die Auswahl der Methodik, die aus dem eben erwähnten Briefbeispiel in Ansätzen ersichtlich wird: Colet gräbt aus (effodere), er extrahiert (eruere), er entlehnt (depromere) und schmiedet (excudere) aus den Heiligen Schriften, was auf den ersten Blick nicht sichtbar hervortritt, was allerdings, in dieser Weise eruiert und in Predigtform gegossen, zur sittlichen Unterweisung seiner Zuhörer (und Leser) dient.96 Damit ist die gezielte Verwendung einer allegorischen Methodik keineswegs prinzipiell ausgeschlossen, sondern wird ebenfalls dem homiletischen Zweck untergeordnet in Betracht gezogen.97 Es mag diesem spezifischen Interesse Colets an der homiletisch vermittelten, sittlich und soteriologisch relevanten Unterweisung seiner Zuhörer geschuldet sein, dass er von der Veröffentlichung seiner Schriften, die nach dem sehr wohlwollenden Zeugnis des Erasmus deutliche stilistische Mängel und auch dogmatisch fragwürdige Schlussfolgerungen aufwiesen, zu Lebzeiten Abstand nahm.98 Wenn nun die Schriften Colets am Beispiel des Gewissenskonzeptes auf ihre Bezüge zu origeneischem Gedankengut analysiert werden, so hat man stets dieses methodischen Vorbehalts gewahr zu sein, der aus seiner spezifischen Zielsetzung, ja Mission resultiert. Colet kommt von daher in noch viel geringerem Maße das 93 94

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Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 200. Vgl. Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 74, der auf die terminologischen Schwächen von De Sacramentis hinweist, einer weiteren Schrift Colets, die keinen wissenschaftlichen Anspruch besitzt. Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 516,298–306 Allen). Hier berichtet Erasmus von den ersten Amtshandlungen seines Freundes als Dompropst von St. Paul’s, die darauf hinausliefen, eine neuartige Predigtkultur einzuführen: An einzelnen Festtagen wurde in der Kathedrale ebenso gepredigt wie auch in der königlichen Kapelle und an anderen Orten. Weiterhin achtete Colet in seiner Privatkapelle auf die Auswahl der Predigttexte im Sinne einer fortlaufenden Reihe (zum Beispiel Matthäusevangelium, Credo, Vaterunser). Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 175. Vgl. Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 96 f. Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 523,512–525 Allen).

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Prädikat eines Systematikers zu als Erasmus von Rotterdam. Er betrachtete seine Quellen gleichsam als Steinbruch für die Verdeutlichung seiner theologischen Grundanliegen. Ähnlich wie man es im Brief an Kidderminster anhand des ersten Römerbriefkapitels verfolgen kann, kopierte Colet kleinere Merksätzchen, so genannte topoi, in seine Notizbücher, die er dann an geeigneter Stelle wieder anbringen konnte. Dabei ließ er sich von der eigenen Faszination für einen Gedanken, eine Allegorie oder einen Ausdruck leiten, dem er bei seiner ausgedehnten Lektüre begegnete. Ausführungen, die ihm unklar vorkamen oder nicht in das eigene Argumentationsschema passten, wurden schlicht übergangen.99 Ein weiteres Beispiel dieser von italienischen Humanisten entwickelten Methodik der topoi gibt uns Erasmus, der davon berichtet, dass Colet alle Aussprüche Christi in Gruppen zu dreien zusammengefasst habe, um sie zu einem späteren Zeitpunkt für ein Breviloquium zu verwenden.100 Der von Colet selbst mit Randnotizen versehene Text der Epistolae-Ausgabe Ficinos von 1495 lässt ebenfalls das selektive Interesse seines Bearbeiters erkennen.101 Damit ist es nahezu unmöglich, die Quellen exakt zu rekonstruieren, die den Schriften Colets zugrundeliegen. Nur in sehr vereinzelten Fällen zitiert er den Autor des von ihm vorgetragenen Gedankens – selbstverständlich ohne das Werk zu nennen. In den fünf Manuskripten seiner Werke beispielsweise nimmt er an mindestens sechs Stellen102 ausdrücklich auf Origenes Bezug, wodurch der Alexandriner nach Augustinus bei Colet zum meistzitierten Kirchenvater avanciert.103 Daraus ist jedoch aus den genannten Gründen des methodischen Umgangs mit seinen Quellen keineswegs eine inhaltliche Prioriätensetzung bzw. theologische Abhängigkeit Colets ablesbar. Die Tatsache, dass er an einzelnen Stellen ausdrücklich auf Origenes rekurriert, macht Colet noch längst nicht zum Verfechter einer origeneischen Theologie. Verbindungslinien zwischen beiden,

99 Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 195. 100 Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 522,507–508 Allen): Omnia fere

Christi dicta miro ingenio revocarat ad terniones, unde et librum instituerat scribere. 101 Vgl. Jayne, Colet (wie Anm. 7) 84–132. Man sieht an den Randnotizen klar die Interes-

senslage ihres Verfassers, der sich solche Sätze herausschreibt wie: Deus est sapientia oder Nam viva vox plus efficit quam mutus magister (ebd. 87). Sie sind zum Teil Merksätze für seine eigenen theologischen Forschungen, zum anderen aber auch Hilfen zur Orientierung im Originaltext. 102 Mit dieser Angabe folge ich Gleason, Colet (wie Anm. 7) 72. Peters, Knowledge (wie Anm. 54) 51, spricht von sieben Referenzen. 103 O’Kelly/Jarrot, Commentary on First Corinthians (wie Anm. 66) 17, folgen Lupton, der Origenes mit sieben Referenzstellen noch vor Augustinus mit sechs auflistet. Ich möchte mich allerdings der unabhängigen Neubearbeitung durch Gleason, ebd., anschließen, der ebd. 335 acht Augustinus-Stellen anführt und damit Origenes mit sechs auf Platz zwei verweist.

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aber auch dezidierte Akzentverschiebungen werden im Folgenden aufzuzeigen sein und bedürfen der näheren kritischen Analyse.

3. Anthropologie im schöpfungstheologischen und kosmologischen Kontext Es wäre demnach zu simpel, würde man John Colet lediglich als einen nordeuropäischen Anhänger der Florentiner Akademie mit einem patristischen Faible klassifizieren und seine Lehre als Abklatsch der Gedanken Picos bzw. Ficinos interpretieren. Denn so weitgehend auch die Bewunderung war, die Colet über die Kirchenväter hinaus für die italienischen Humanistengrößen hegte, so fundamental waren die Differenzen bezüglich der theologischen Zielaussagen. Colets augustinische Grundorientierung ging nämlich nicht selten mit einer Präferenz für eine christlich-mystische Hermeneutik dionysischer Prägung einher,104 wodurch seine neuplatonische Grundtendenz deutlich hervorscheint. Er scheint zudem von einer viel größeren Radikalität als die italienischen Renaissancehumanisten geprägt gewesen zu sein. Diese hatten sich größtenteils bemüht, die unterschiedlichsten philosophischen und auch theologischen Lehrkonstrukte zumindest wohlwollend zu berücksichtigen, wenn nicht gar zu integrieren (wie es Pico in seiner Apologia versucht hatte). Auch vermisst man bei Colet die Hochschätzung der Italiener für den großen scholastischen Lehrer Thomas, sondern stößt im Gegenteil auf eine deutliche Ablehnung.105 Auch bezüglich der Rezeption paganer philosophischer Impulse herrscht bei Colet allenfalls die Sicht des Clemens von Alexandrien vor, der die antike (= pagane) Philosophie als Magd der christlichen Theologie bezeichnet hatte, die sich ihrer Herrin gänzlich zu unterwerfen und die man gegebenenfalls von Irrtümern zu reinigen habe.106 In dieser Haltung entdeckt man abermals den hermeneutisch-paränetischen Impuls des Londoners: Um die Menschen als pastor auf den rechten Weg zu führen, fühlt er sich als Jäger, der den Spuren des Apostels (oder eines anderen Autors)

104 Vgl. dazu Hunt, Colet (wie Anm. 22) 103–130. 105 Vgl. Hunt, ebd. 9. Colet warf dem Aquinaten mangelnde Ehrfurcht vor den göttlichen

Geheimnissen vor und wandte sich gegen seine vermeintliche wissenschaftliche Arroganz, die gesamte christliche Lehre durch Definitionen festschreiben und abdecken zu wollen. Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 520,427–444 Allen). 106 Vgl. Leland Miles, John Colet. An Appreciation, in: Moreana 22 (1969) 5–11, hier 6. Miles unterscheidet drei Grundtypen von Verhältnisbestimmungen zwischen paganer und christlicher Philosophie: den liberal-synkretistischen Zugang der Florentiner Akademie, das Unterwerfungsmodell des Clemens von Alexandrien sowie die strikte Verbannung jeglicher ‚heidnischer‘ Elemente aus dem christlichen Lehrgebäude, die von Tertullian propagiert wurde.

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entlang seiner Schriften folgt107 und dabei die sekundären Autoren als Wegweiser benutzt (und entsprechend auswählt). So wenig ein solches Vorgehen eine systematische Abhandlung bestimmter theologischer Themenkomplexe (wie der Soteriologie, Ekklesiologie, Christologie oder Ethik) hervorbringen kann, so wenig lässt sich andererseits daraus der Vorwurf eines chaotischen Eklektizismus ableiten. Wie Erasmus aus seiner persönlichen Beobachtung zu berichten weiß, scheint der Dompropst einen ausgeprägten Ordnungssinn gehabt zu haben,108 der auch in seinen Schriften durchscheint und der anscheinend auch seine Vorliebe für die Schemata des Pseudo-Dionysius beeinflusst hat. Auf seiner ‚Pirsch‘ nach der versteckten Bedeutung der Heiligen Schriften scheint Colet von den mystisch anmutenden Einsichten der „Himmlischen Hierarchien“, die er für ein authentisches Werk des Paulus-Schülers Dionysius hielt,109 geradezu hingerissen gewesen zu sein. Diese wiederum mischen sich mit Versatzstücken aus Ficinos Epistolae und Picos Heptaplus, wenn er den von Gott geschaffenen Kosmos als in vier Welten eingeteilt begreift: die spirituelle Himmelswelt, die körperliche Himmelswelt (die Welt der Gestirne), die sublunare (irdische) Welt und schließlich die Welt des Menschen.110 Jeder dieser kosmischen (Bestand-)Teile ist wiederum in zehn Sphären untergliedert, wobei die höchste (zehnte) Sphäre das Urbild des Schöpfers repräsentiert. Aufgrund ihrer Gottebenbildlichkeit steht sie jeweils mit den anderen drei höchsten Sphären in einer Art mystischen Verbindung: So ist beispielsweise Gott selbst als dux der spirituellen Himmelswelt (neunte Sphäre: Seraphim; achte Sphäre: Cherubim; siebente: Throne; sechste: Herrschaften; fünfte: Kräfte; vierte: Mächte; dritte: Fürsten; zweite: Erzengel; erste: Engel)111 zu betrachten, die Sonne als oberste (und zehnte) Sphäre der körperlichen Himmelswelt,112 das Rund des Mondes als perfectio der körperlichen Welt darunter.113 Die Ordnung der neun

107 Vgl. Colet, in Rom. En. c. 11 (I p. 175 Lupton): Quod quidem nunc faciam, Pauli vestigia

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sequens, sicuti supra fecerim. Etiamsi nonnunquam vagatus fuero abieroque a proposito, quatenus clarius exponendi ratio exposcet, revocabo me tamen, et sic ad viam redibo, ut a Pauli semita tandem nihil videar dissessisse. Itaque quae reliqua sunt ad hunc modum exordiamur. Vgl. auch Gleason, Colet (wie Anm. 7) 168. Vgl. Erasmus, ep. 1211 an Jodocus Jonas v. 13.6.1521 (IV p. 517,330–333 Allen): Quicquid erat domesticae supellectilis, quicquid apparatus in cibis, quicquid in vestibus, quicquid in libris, nitidum esse volebat; de magnificentia non laborabat. Dies mag als einzelne Stellungnahme zu seinem Stil der Haushaltsführung noch nicht ausreichen, von daher soll die durchdachte und geordnete Gründung der St. Paul’s School ebenso angeführt werden: vgl. ebd. (IV p. 517,337–518,370). Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 153. Vgl. die Zusammenfassung dieses weit verbreiteten Gedankens bei O’Kelly/Jarrot, Commentary on First Corinthians (wie Anm. 66) 52. Vgl. Colet, in 1 Cor. En. c. 12 (p. 246 O’Kelly/Jarrott). Vgl. ebd. (p. 248). Vgl. ebd.: Que decima regio illa in concavo lune quasi centrum et perfectio est omnium.

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restlichen Sphären, die ihrem (göttlichen) Leitbild folgen, ist eine absteigende: von Stabilität, Weisheit und Liebe über eine gleichförmige Bewegung, Licht und Wärme zu Chaos, Feuchtigkeit und Hitze. Die letztgenannte, die menschliche Welt, ist insofern separat zu betrachten, als sich durch den Sündenfall die Orientierung an Gott, der höchsten Sphäre, verkehrt hat. Damit sei die neunstufige Ordnung innerhalb des Menschengeschlechts durcheinandergeraten. Erst mit dem Kommen Christi sei die Möglichkeit eröffnet worden, sich erneut an der zehnten Sphäre zu orientieren: „In der neunfältigen Ordnung und in jeglicher Reihenfolge der Dinge folgen alle Teile unumgänglich ihren Führern der zehnten Ordnung, außer den Menschen. Um sie zu dieser neunfältigen Ordnung zurückzuführen, die der Gestirnenordnung nach dem Vorbild der himmlischen (übernatürlichen) Ordnung und damit der göttlichen Wahrheit gleichgestaltet ist, wollte der Ordner aller Dinge selbst Mensch werden. Damit wollte er zum Haupt, zum Mittelpunkt, zur Idee, zum Firmament, zum Ersten Prinzip, zur Vollkommenheit, zum Gott aller Menschen werden, so dass jeder (Mensch) – jeweils nach dem Maß der eigenen Kräfte – die Möglichkeit besitze, ihn nachzuahmen, und so in die wunderbare neunfältige Ordnung einzutreten. Und die Erstlingsgabe bzw. die Zehntabgabe dieser Ordnung war das unversehrte Opferlamm, der Zehnte und das Haupt dieser Ordnung Jesus.“114

Damit wird zwar implizit festgestellt, der Mensch sei ursprünglich als Ebenbild Gottes erschaffen worden, jedoch beinhaltet das gesamte Konstrukt der Kosmologie Colets, so wie es in seinem Korintherbriefkommentar ausgebreitet wird, eine soteriologische Komponente, nämlich die Notwendigkeit des Leitbildes Christi für die Restitution der menschlichen Ordnung. Gleichzeitig impliziert seine Kosmologie, die er auch in den Letters to Radulphus – seinem Genesiskommentar – erläutert, eine strenge hierarchische Ordnung alles Seienden vom Immateriellen zum Materiellen.115 Je größer die Partizipation an der Materie, desto weiter entfernt vom göttlichen Urbild ist die jeweilige Welt zu denken.116 Damit gerät der Mensch als per se an die Materie gebundenes Wesen in eine schwierige Lage: 114 Ebd. (p. 250): In serie rerum novinariis ordinibus, facile suos duces decumanos sequuntur

queque, exceptis hominibus. Qui ut redigantur in novemplicem ordinem, ad similitudinem celestium, ad exemplar supercelestium, ad veritatem Dei; ordinator ipse rerum omnium voluit homo esse, et caput et centrum et idea et firmamentum et primum et perfectio, et Deus hominum; ut illum imitati, quisque pro impartitis viribus pulchra serie ab illo dependeant ordine novemplici; cuius primitie et decima oblatio perfecta hostia erat decimus ille et ordinis capud, Iesus (Übersetzung: R. B.H). 115 Vgl. ep. ad Radulphum III (IV p. 175 f. Lupton) sowie ebd. II (IV p. 171). Colet bezieht sich hier ausdrücklich auf Picos Hexameron. 116 Vgl. ebd. (IV p. 171): Motus autem, sensus, et corruptio, ex participacione materiae est. Deus ergo, ille primus mundus, incorruptibilis, insensibilis, et penitus immobilis, omnino est expers materiae. Reliqui autem mundi quantum habent potenciae passionisque, tantum improbae materiae secum confusum habent.

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Colet betont zwar in gut humanistischer Manier, dass er ein Kosmos im Kleinen sei, eine Art Reduktion des gesamten Universums,117 unterlässt es aber tunlichst, seine daraus resultierenden Möglichkeiten im positiven Sinne aufzuzeigen. Vielmehr schickt er der kosmologischen Betrachtung der Stellung des Menschen eine theologisch-anthropologische Reflexion ganz anderer Art voraus: „Der Mensch an sich und in sich selbst, in seiner Schwachheit, Dummheit und Verdorbenheit, in seinen Worten, Werken und Unternehmungen – das heißt, alles, was zu ihm selbst und zur Gänze zum Menschen gehört, ist nichts als schwach, dumm, böse, eitel, verdorben, nichtig. Des Menschen Vermögen ist die Schwachheit, seine Weisheit nichts als Dummheit, sein Wille nichts als Boshaftigkeit, sein Handeln nichts als Zerstörung, sein Wirken nichts als Vernichtung – dieser Mensch, so sage ich, wird in seiner Gänze mit einer Stimme und mit der Weisheit des Heiligen Geistes in der gesamten Heiligen Schrift und der göttlichen Überlieferung verurteilt.“118

Mit diesem im Voraus angestimmten Klagelied auf die menschliche Verderbtheit gewinnt jeglicher Ansatz einer Ode auf die Würde des Menschen einen bitteren Beigeschmack.119 Damit stehen sich die Gedanken der Diffusion Gottes in seiner Schöpfung, der die Gottebenbildlichkeit des Menschen impliziert,120 und die fast schon ma117 Vgl. in 1 Cor. En. c. 12 (p. 250 O’Kelly/Jarrott): Et quia homo, minor mundus, compre-

hensio est totius universitatis, qui anime potentiis novem angelos refert, luculentiore corpore celum, infimo mundum sublunarem; in quo novinaria distinctio crassi humoris est, in quo ossa infime terre locum habent … Vgl. auch O’Kelly/Jarrott, Commentary on First Corinthians (wie Anm. 66) 55. 118 Colet, ebd. (p. 236): Homo ipse per se, et infirmitas eius, stulticia, improbitas, verba, operationes, effectus – hoc est, quicquid hominis est absolute et ipsius, cuius nihil est nisi infirmum, stultum, malum, vanum, perditum, nihili, cuius potentia infirmitas est, sapientia stulticia, voluntas malicia, operatio demolitio, effectus destructio  – hic (inquam) totus homo uno ore et Spiritus sapientia in universa sacra Scriptura et divina condemnatur (Übersetzung: R. B. H.). 119 Wer meint, er sei mit dieser verbalen Eruption bereits auf den Gipfel der Plakativität geschleudert worden, möge sich durch folgendes Zitat aus der Expositio B. Pauli ad Romanos eines Besseren belehren lassen: Nulla erat hominis natura integra et incorrupta; nulla ratio serena; nulla voluntas recta. Quicquid inter se egerunt ipsi, stultum et improbum erat. Quicquid jusserint faciendum, vel non faciendum prohibuerint, erat instabile et variatum, erat tenebrecosum, erat inutile et nocivum. Religio eorum merae nugae erant; quinimmo detestabilis insania. Hic erat fructus perditi et profligati Adam, fructus marcidus et male olens in naribus Dei. Homo desertus et longe projectus a Deo habuit in se rationem nimirum corpori servientem; corpus libidini; libidinem dominantem. Dominatio servilis erat in hominibus, et maxime apud eos domini maxime servi erant, succumbentes et inservientes passionibus ignominiae; eo miseriores ipsi quo magis irriteti tenebris sub principe tenebrarium imperarunt tenebricosis homunculis (in Rom. Expos. c. 4 [IV p. 258 f. Lupton]). Vgl. zu dieser negativen anthropologischen Tendenz im Denken Colets: Gleason, Colet (wie Anm. 7) 194; Hunt, Colet (wie Anm. 22) 11; Arnold, Colet (wie Anm. 8) 39. 120 Vgl. Gleason, ebd. 204.

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nische Betonung der ursündlichen Verderbtheit121 in einer solch problematischen Weise gegenüber, dass ein scharfer Dualismus vorprogrammiert scheint: Obwohl Colet mit Pseudo-Dionysius eine strahlenartige Emanation Gottes im geschaffenen Universum postuliert,122 bleibt zu erklären, warum er von vornherein die Erde als dunkel und dem Bösen zugewandt beschreibt,123 was sozusagen schöpfungsimmanent eine naturhafte Distanz des an Materie gebundenen Menschen zu seinem Schöpfer implizieren würde. Diese wird durch die Ursünde um ein Vielfaches verstärkt, so dass eine erneute Emanation des göttlichen Lichtes in Gestalt Christi, des Sohnes (Son) und der Sonne (Sun)124 notwendig wird. Damit wird die anthropologische Grunddisposition, die von der Feindschaft zwischen Fleisch und Geist bestimmt ist, zwar nicht aufgehoben, doch es wird dem Menschen in Christus ein leuchtendes Vorbild vorangestellt,125 das ihm hilft, sich aus seinen karnalen Fesseln zu befreien. Man beachte: Der neuplatonische Dualismus Colets sieht parallel zu Paulus ein dichotomisches Seelenschema (Fleisch – Geist) vor, was nicht zuletzt darin deutlich wird, dass Erasmus sich in einem Brief bewogen fühlt, sein von Origenes entlehntes trichotomisches Seelenschema (Leib – Seele – Geist) zu rechtfertigen.126 Diese nicht unerhebliche Abweichung vom anthropologischen Grundkonzept des Origenes soll den Übergang zu einem – zugegeben lücken- und ansatzhaften  – Vergleich der neuplatonischen Ansätze Colets mit dem Gedankengebäude des Alexandriners markieren. Origenes entwirft in diesem Punkt, wie schon angedeutet, eine Dreiteilung der menschlichen Verfasstheit in Geist, Seele und Leib.127 Diese entnimmt er einerseits den paulinisch-dualistischen Vorgaben, an121 Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 118 f. Vgl. dazu als weiteres Beispiel in Rom. Expos. c. 4

(IV p. 256 f. Lupton). 122 Vgl. Miles, ebd. 119. Als Quellentext vgl. dazu cael. hier. I (III p. 165 f. Lupton). 123 Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 194. 124 Man beachte das geniale Wortspiel im Englischen! Die lateinische Bezugsstelle lautet: Sic

et talibus viis mirabili benignitate bonus Deus voluit humiles homines ad suam altitudinem revocare, restaurareque tandem ad veritatem et lucem ipsam, qui ipse est noster Iesus, qui est benedictus in secula (cael. hier. I [III p. 167 Lupton]). Vgl. dazu auch Miles, Colet (wie Anm. 17) 120, sowie Arnold, Colet (wie Anm. 8) 47. 125 Vgl. in 1 Cor. En. c. 12 (p. 250 O’Kelly/Jarrott). 126 Vgl. Gleason, Colet (wie Anm. 7) 104. Er bezieht sich auf die Disputatiuncula zwischen Colet und Erasmus; vgl. Erasmus, Disputatiuncula (LB V, 1288A): Quod autem, mi Colete, tres hominis facio partes spiritum, carnem et animam, ne clames meum esse commutum. Hieronymum sequor auctorem. Hieronymus secutus est Origenem. Qrigenes Paulum. Paulus, mirum ni divinum Spiritum. 127 Vgl. Henri Crouzel, L’ anthropologie d’Origène. De l’archē au telos, in: Ugo Bianchi/ Henri Crouzel (Hg.), Arché e Telos. L’ antropologia di Origene e di Gregorio di Nissa. Analisi storico-religiosa (SPMed 12), Mailand 1981, 36–49, hier 36. Vgl. dazu Origenes, princ. III 4,2 (GCS Orig. 5, 265–267).

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dererseits einem Freiheitspostulat, das er aus der Schöpfungstheologie heraus entwickelt.128 Wenn der Mensch einen freien Willen hat, weil er als Ebenbild Gottes geschaffen wurde129 und damit das göttliche Urbild repräsentiert, dann muss dieser Wille auch einen Sitz im Menschen haben, wo er diese Freiheit verwirklichen kann. Die Kategorie des Leiblichen (oder auch Somatischen), die sich mit der Schlechtigkeit verbindet,130 scheidet dafür ebenso aus wie die Kategorie des Geistigen, die zurückstrebt zu ihrem Schöpfer und damit eine durch den Willen unbeeinflussbare Tendenz besitzt. Von daher postuliert Origenes eine gesonderte Kategorie, die Seele, die sich sowohl dem Leiblichen als auch dem Geistigen zuwenden kann.131 Sie bildet quasi die Potentialität des Menschen ab, indem ihr oberer, dem Geist (πνεῦμα) zugewandter Teil, die Vernunft (νοῦς/ἡγεμονικόν bzw. principale mentis/cor), zum Schöpfer hinaufstrebt, während der untere, dem Leib (σῶμα) zugewandte Teil, das Fleisch (σάρξ/sensus carnis), zur Verderbnis herabsinkt.132 Dieses Ausgespannt-Sein des Menschen zwischen der Rückkehr zur vollendeten Gottähnlichkeit und dem vollständigen Absinken in die Gottferne macht seine Sonderstellung im Kosmos aus, die durch die Grundkategorie der Freiheit wesentlich mitbestimmt wird.133 Damit ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen Schöpfungsrealität, Urgrund seiner Würde und Auftrag für sein Handeln zugleich: „Dass er hier sagt: ‚Nach dem Bilde Gottes schuf er ihn‘ und von der ‚Ähnlichkeit‘ schweigt, deutet auf nichts anderes hin, als dass (der Mensch) zwar die Würde des ‚Bildes‘ bei der ersten Schöpfung empfing, die Vollendung der ‚Ähnlichkeit‘ ihm aber für das Ende aufgespart ist.“134

128 Vgl. ebd. I praef. 4 (5, 9–11). 129 Vgl. Hugo Rahner, Das Menschenbild des Origenes, in: ErJb 15 (1947) 197–248, hier 211;

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Harald Holz, Über den Begriff des Willens und der Freiheit bei Origenes, in: NZSTh 12 (1970) 63–84, hier 71. Origenes bezieht sich hier auf Gal. 5,19–21: princ. III 4,2 (GCS Orig. 5, 266). Vgl. Henri Crouzel, Die Spiritualität des Origenes. Ihre Bedeutung für die Gegenwart, in ThQ 165 (1985) 132–142, hier 140. Vgl. Crouzel, ebd.; Rahner, Menschenbild (wie Anm. 129) 212, dazu princ. I 5,3 (GCS Orig. 5, 64). Vgl. Rahner, ebd. 211. Origenes, princ. III 6,1 (GCS Orig. 5, 280): Hoc ergo quod dixit ‚ad imaginem dei fecit eum‘ et de similitudine siluit, non alius indicat nisi quod ‚imaginis‘ quidem dignitatem in prima conditione percepit, ‚similitudinis‘ vero ei perfectio in consummatione ei servata est: scilicet ut ipse sibi eam propriae industriae studiis ex dei imitatione conscisceret, quo possibilitate sibi perfectionis in initiis data per ‚imaginis‘ dignitatem in fine demum per operum expletionem perfectam sibi ipse ‚similitudinem‘ consummaret; Übersetzung: p. 643 Görgemanns/ Karpp.

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Der Mensch befindet sich also in einer Bewegung, die ihn von der ursprünglich intakten Gottebenbildlichkeit durch das sittliche Bemühen und die Gnadenwirkung Gottes wieder dorthin zurückführt.135 Die treibende Kraft hierzu liefert der Heilige Geist, der die Wiederherstellung des inneren Menschen (der Seele, die sich mit dem Geist verbindet) befördert, indem er die Knechtschaft des Leiblichen zu lösen hilft.136 „Dieser Prozess der Formung des Menschenbildes ist indessen … bei Origenes nicht wie bei Plotin und bei den Gnostikern ein kosmischer Prozess des notwendigen Entströmens und Rückkehrens aus dem Göttlichen ins Göttliche, sondern Drama (wir wissen kein besseres Wort dafür): das heißt ein sittlicher Vorgang, gründend in der freien Liebe des erlösenden Logos und in der freien Entscheidungskraft des Menschengeistes …“137 Es wird also bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung der Anthropologie des Origenes deutlich, welch zentrale Stellung die Kategorie der Freiheit für ihn einnimmt, die dem Schöpfungswillen Gottes entspringt und auf ihm gründet. Es verwundert daher nicht, dass der Alexandriner diese Grundkategorie in seiner gesamten Kosmologie verankert, die längst nicht eine solche Differenzierung erfährt wie die des Pseudo-Dionysius (der Colet im Wesentlichen folgt). Ihm sind zwar aus Kol. 1,16 Engelordnungen bekannt, die er auch in sein theologisches System integriert,138 jedoch scheint er an einem zahlenmäßig geordneten kosmischen Generalentwurf kein Interesse gehabt zu haben.139 Er vergleicht die gesamte Schöpfung mit einem Lebewesen, „das wie von einer Seele von Gottes Kraft und Planung beherrscht wird“.140 Dadurch wird den einzelnen Gliedern, die verschiedene Bewegungen ausführen und verschiedene Funktionen erfüllen, aber keineswegs die Freiheit genommen, ganz gleich, ob es sich um Engelwesen oder andere Vernunftwesen handelt.141 Auch an anderer Stelle betont er, dass die Gutheit den Engelwesen ebensowenig naturhaft mitgegeben sei wie die Bosheit den dämonischen Mächten.142

Vgl. Rahner, Menschenbild (wie Anm. 129) 206 f. Vgl. Origenes, in Rom. comm. VII 2 (p. 565,115–566,132 Hammond Bammel). Rahner, Menschenbild (wie Anm. 129) 217. Vgl. Origenes, princ. I 5,1 (GCS Orig. 5, 69). Wir finden allenfalls die Behandlung der Frage nach der Vernunftbegabtheit der Himmelskörper ebd. I 7,2–5 (5, 86–91). 140 Ebd. II 1,3 (5, 108): … ita et universum mundum velut animal quoddam immensum atque immane opinandum puto, quod quasi ab una anima virtute dei ac ratione teneatur; Übersetzung: p. 289 Görgemanns/Karpp. 141 Vgl. ebd. II 1,2 (5, 107). 142 Vgl. ebd. I 5,3 (5, 71–73): Secundum nos vero nihil est in omni rationabili creatura, quod non tam boni non tam mali sit capax. Vgl. ebd. I 8,3 (5, 99). 135 136 137 138 139

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„Es gibt also keine Natur, die nicht das Gute wie das Böse aufnehmen könnte, außer der Natur Gottes, die der Quell alles Guten ist, und der Natur Christi; denn er ist die ‚Weisheit‘, diese kann aber die Torheit nicht aufnehmen …“143

Damit stößt Origenes die Tür weit auf für eine von Gott durchwirkte, auf Freiheit gründende Schöpfungsordnung, die jedem Vernunftwesen einen Raum offen lässt, in dem sich eine Freiheitsdynamik verwirklicht, die letztlich von der Gutheit des göttlichen Schöpfungsplans umfangen wird: Durch sein pädagogisches Werben um die rechte Verwirklichung dieser Freiheit lenkt Gott die dynamische Verschiedenheit der geistigen Bewegungen in seiner Schöpfung zu einem Ziel hin. Dieses Ziel wird als plenitudo und perfectio beschrieben.144 An dieser kreatürlichen Harmonie hat der Mensch insofern Anteil, als er sich der Weisheit Christi, dem Urbild der Schöpfung,145 anvertraut und sich von seinem Licht auf den Weg zum Vater führen lässt.146 Origenes arbeitet an dieser Stelle in christologischer Hinsicht ebenso mit der Lichtmetaphorik wie nach ihm Colet, allerdings in differenzierterer Form, da er den Sohn als splendor des göttlichen Lichtes beschreibt, der aus dem Licht selbst hervorgehe, ohne von ihm getrennt und unterschieden zu sein. Insofern besitzt Christus eine pädagogische Funktion, nämlich die schwachen Augen der Sterblichen an die Helligkeit des göttlichen Lichtes zu gewöhnen, sie also sanfter, d. h. ohne unmittelbare Zwangseinwirkung an Gott heranzuführen und damit die Freiheit der Menschen zu respektieren. Damit ergibt sich ein mehrstufiges Aufstiegsschema für den Menschen: Er hat das Sein von Gott, dem Schöpfer, empfangen, wird durch den Logos (den Sohn) im rationalen Seelenteil (νοῦς) sittlich unterwiesen bzw. erleuchtet und schließlich durch den Heiligen Geist in den gnadenhaften Stand der Teilhabe am Göttlichen erhoben.147 Dieses Schema spiegelt sich wider im Vollkommenheitsideal des Origenes, das sich auf die Pneumatiker bezieht und zunächst eine Stufe der asketischen Vorbereitung bzw. Reinigung,148 dann der Erkenntnis und  – damit 143 Ebd. (5, 100): Nulla ergo natura est, quae non recipiat bonum vel malum, excepta dei natura,

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quae bonorum onmium fons est, et Christi: sapientia enim est, et sapientia stultitiam utique recipere non potest; Übersetzung: p. 259 Görgemanns/Karpp. Vgl. ebd. II 1,2 (5, 107): Deus vero per ineffabilem sapientiae suae artem omnia, quae quoquomodo fiunt, ad utile aliquid et ad communem omnium transformans ac reparans profectum, has ipsas creaturas, quae a semet ipsis in tantum animorum varietate distabant, in unum quendam revocato operis studiique consensum, ut diversis licet motibus animorum, unius tamen mundi plenitudinem perfectionemque consumment, atque ad unum perfectionis finem varietas ipsa mentium tendat. Vgl. Crouzel, Spiritualität (wie Anm. 131) 132 f. Vgl. Origenes, ebd. I 2,8 (5, 38 f.). Vgl. ebd. I 2,7 (5, 37). Vgl. ebd. I 3,8 (5, 60–62). Vgl. Walther Völker, Das Vollkommenheitsideal des Origenes. Eine Untersuchung zur Geschichte der Frömmigkeit und zu den Anfängen christlicher Mystik (BHTh 7), Tübingen 1931, 22–196.

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eng verbunden  – der Praxis als Verwirklichung des Tugendideals vorsieht, bis schließlich eine Schau Gottes, eine mystische Einigung, erreicht werden kann. Origenes sieht solche Menschen „in die Ordnung der Engel erhoben“, sie sind filii dei und filii lucis,149 weil sie sich den Einflüssen der Finsternis widersetzt haben und somit vollkommen ‚geistig‘ (pneumatisch) geworden sind.150 Dem Freiheitspostulat zufolge ist selbstverständlich auch der gegenteilige Weg denkbar: Die Seele sinkt zum Leiblichen herab – das aber dadurch nicht als zum Inbegriff des Bösen degeneriert dargestellt wird151  – und nimmt vernunftlose, tierische Züge an.152 Dieses origeneische Motiv des Auf- oder Abstiegs des Menschen in Freiheit bildet den Zentralgedanken der Oratio des Pico,153 den Colet in dieser Form allerdings bewusst nicht aufgreift. Seine Bestrebungen richten sich viel eher darauf, den Raum der Freiheit so eng wie nur möglich erscheinen zu lassen, um die Gnaden- und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen umso deutlicher hervorzuheben.154 Auch für ihn gibt es die Möglichkeit eines dreistufigen Aufstiegs in Form einer Reinigung (purificatio),155 der sich eine gnadenhaft geschenkte Erleuchtung (illuminatio) anschließt, bis er schließlich in einer Vollendung (perfectio) gipfelt.156 Dieses von Origenes stammende und von Pseudo-Dionysius abgewandelte Aufstiegsschema wendet Colet fast universell in seinen Schriften an: Es wird zunächst auf die Schöpfungsordnung,157 dann auf die Kirche158 und auf das bischöfliche Amt (das das priesterliche Wirken Christi auf Erden widerspiegelt)159 bezogen und schließlich auf den Menschen selbst, dem dieser Aufstieg allerdings nicht aus eigener Kraft offen steht, sondern durch Christus vermittelt wird.160 So bleibt am

149 Origenes, princ. I 8,4 (GCS Orig. 5, 101 f.): Tertius vero creaturae rationabilis ordo est eorum

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spirituum, qui ad humanum genus replendum apti iudicantur a deo, id est animae hominum, ex quibus per profectum etiam in illum angelorum ordinem quosdam videmus assumi, illos videlicet, qui ‚filii dei‘ facti fuerint vel ‚filii resurrectionis‘, vel hi, qui derelinquentes tenebras dilexerint lucem et facti fuerint ‚filii lucis‘ … Vgl. auch Rahner, Menschenbild (wie Anm. 132) 220. 224. 229 f. Vgl. Origenes, princ. II 1,3 (GCS Orig. 5, 109). Vgl. ebd. I 8,4 (5, 105). Vgl. Giovanni Pico della Mirandola, De hominis dignitate/Über die Würde des Menschen, übers. von Norbert Baumgarten, hg. und eingel. von August Buck (PhB 427), Hamburg 1990, 6. Vgl. Colet, De corp. Christ. myst. (IV p. 186 f. Lupton). Vgl. Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 57 f. Vgl. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 47; Miles, Colet (wie Anm. 17) 47; Kaufman, ebd. 104. Vgl. Colet, Sacr. (p. 272 Gleason). Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 120; Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 102. Kaufman bezieht sich auf Colet, Eccl. hier. V 3 (III p. 248 Lupton). Vgl. ebd. II 2 (III p. 206). Vgl. ebd. IV 3 (III p. 231 f.). Vgl. auch die erhellenden Ausführungen von Hunt, Colet (wie Anm. 22) 111–120.

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Ende in Analogie zu Origenes auch bei Colet die Perspektive der ‚Vergöttlichung‘ des Menschen,161 die für ihn letztlich eine ekklesiologische ist.162 Da es nahezu unmöglich ist, alle schöpfungstheologischen Zusammenhänge zusammenzutragen, die sich zwischen Colet und Origenes durch die indirekte Vermittlung des Pseudo-Dionysius und des Pico ergeben, sei es mir gestattet, an diesem Punkt innezuhalten und die fundamentale Differenz in der Betonung (Origenes) bzw. bewussten Vernachlässigung (Colet) des Freiheitsprinzips sowie der damit verbundenen Annahme eines trichotomischen (Origenes) bzw. dichotomischen (Colet) Seelenschemas hervorzuheben. Der von Origenes entworfene Bogen einer ursprünglich guten und geordneten Schöpfung, die sich durch das pädagogische Wirken Christi wieder ihrem Schöpfer und göttlichen Urbild annähert, ist bei Colet nur in Fragmenten erkennbar.163 Parallelen – allerdings mit veränderten Schwerpunktsetzungen – ergeben sich beim Modell des anthropologischen Aufstiegs mit dem Ziel einer perfectio bzw. mystischen unio, dem metaphorischen Instrumentarium (Lichtmetaphorik zur Beschreibung der göttlichen Gegenwart, Dunkelheitsmetaphorik für das von Gott Abgekehrte)164 und schließlich auch bei der Konzeption vom Menschen als Kosmos im Kleinen.

4. Sittliches Erkenntnisvermögen Wie wir gesehen haben, beruht die Anthropologie Colets auf den Fundamenten des neuplatonischen Leib-Seele-Dualismus,165 indem sie zwischen der ewigen, guten, unsterblichen menschlichen Seele und dem zeitlichen, bösen und sterb-

161 Vgl. Colet, De corp. Christi myst. (IV p. 190 Lupton): Deus homo factus medium erat quo

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homines dii fierent; cujus deitate deificantur omnes. Discripsit in sua ipsius persona rectam vivendi racionem hominibus. Vgl. Arnold, Colet (wie Anm. 8) 57; Gleason, Colet (wie Anm. 7) 209. Ein Beispiel mag Colets Frühschrift De Corpore Christi Mystico (1505–1511) darstellen: Sie will den Weg der Vereinigung der zerstreuten Menschheit mit Gott durch das Wirken Christi und des Heiligen Geistes nachzeichnen und beginnt mit folgenden Worten: Homines ex quibus ecclesia componitur, propria eorum et caduca et carnali natura, omnino a se disparsim dissipantur (IV p. 185 Lupton). Damit stellt er die postlapsarische Verfassung der Menschheit in den Vordergrund und lässt den Anfang des besagten Bogens weg, der die ursprüngliche geschöpfliche Harmonie fokussieren würde. Als weiteres Beispiel möchte ich eine Stelle aus der Expositio Ep. B. Pauli ad Romanos anführen, in der Colet deutlich macht, dass die Verderbtheit und Sündenneigung bereits mit dem Fall der Engel in die Welt gekommen ist (vgl. in Rom. Expos. c. 4 [IV p. 256 f. Lupton]). Abermals stellt der Londoner Prediger das verderbliche Wirken des Teufels als des Verführers des Menschen in den Mittelpunkt seiner schöpfungstheologischen Ausführungen. Vgl. dazu auch Rahner, Menschenbild (wie Anm. 129) 206. Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 70.

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lichen Körper einen Trennstrich zieht,166 so dass an einigen Stellen gar der Körper als Gefängnis der Seele erscheint.167 Dies hat die Ausgrenzung der sinnlichaffektiven Vermögen aus dem seelischen hin zum leiblichen Bereich zur Folge,168 wodurch schließlich der Wille (der bei Colet etwa die Bedeutung von passio bekommen hat) als dunkler und niederer Teil der Seele seinen Platz finden muss.169 Eine Überwindung dieser fundamentalen Dualität, also die Beherrschung der fleischlich-voluptativen durch die seelischen Kräfte,170 kann in den Augen Colets faktisch nicht mittels eigener Anstrengung geleistet werden, sondern bedarf fast unumgänglich der gnadengewirkten göttlichen Hilfe.171 Wie an diesem Beispiel schon sichtbar wird, ist Colets Denken dominiert von einer an Augustinus orientierten172 pessimistischen Gnaden- und Erbsündenlehre.173 Der Sündenfall hat 166 Vgl. Colet, in 1 Cor. En. c. 7 (p.  154 O’Kelly/Jarrott): Nam si anima, spiritus noster

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vitalis, lucidus, bonus, eternus, et immortalis, potest esse in hoc corpusculo nostro finito, temporali, malo, tenebrecoso, et moribundo … Vgl. in Rom. En. VIII (I p. 153 Lupton): Quem ut possideamus, interea dum hic sumus et manemus in hac vana et umbratili vita, hoc fumoso corpusculo obfuscati, omnia sunt pacienter ferenda nobis, et spe summa standum … Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 84. Vgl. Colet, in Rom. En. c. 12 (I p. 185 f. Lupton). Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 75. Vgl. ebd. 87. Auf diese Weise kommt es zur angestrebten inneren Harmonie: Die eingegossene Gnade lässt die Seelenkraft Vernunft über den Körper mit seinen Begierden triumphieren, so dass dem Menschen wahrhaft gutes Handeln ermöglicht wird. Diesem platonischen Gedanken der Harmonie verlieh Pico in seiner Oratio bereits Ausdruck, gestand aber dem Menschen eine sehr viel aktivere Rolle zu, indem er das Studium der Moralphilosophie, Dialektik und Naturphilosophie für die friedliche Beilegung des Kampfes der affektiven und rationalen Kräfte empfahl; vgl. Pico, Oratio (p. 12–14 Baumgarten/Buck). Vgl. auch Eugene Rice, John Colet and the Annihilation of the Natural, in: HThR 45 (1952) 141–163, hier 144; H. C. Porter, The gloomy Dean and the Law. John Colet 1466–1519, in: Gareth Vaughan Bennett/John Dixon Walsh (Hg.), Essays in Modern Church History. FS Norman Sykes, London 1966, 18–43, hier 41. Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 83–110, stellt Colets Ekklesiologie gänzlich in einen augustinischen Rahmen. Joseph H. Lupton, John Colet, Opuscula quaedam theologica, London 1876 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966) xlvi, der sich große Verdienste um die Edition der Werke Colets erworben hat, bemerkt, dass der Dompropst bezeichnenderweise gerade die paulinische Briefliteratur kommentiert (und hier besonders den Römerbrief sowie den Ersten Korintherbrief) – wie schon sein Vorbild Augustinus. Es drängen sich weiterhin Parallelen zu den Römerbriefkommentaren Luthers auf, in denen ebenfalls der augustinische Topos des Aufweises der völligen Zerrüttung der menschlichen Natur zum Tragen kommt. Dem Leser der Kommentare bzw. Expositionen Colets begegnen, wie wir bereits gesehen haben, auf Schritt und Tritt Belege für diesen anthropologischen Pessimismus. Miles, Colet (wie Anm. 17) 91, spricht von einer „almost fanatic emphasis on man’s fallen state and imperative need of grace.“ Das folgende Beispiel liefert in Fortsetzung der oben angeführten ein weiteres Mosaiksteinchen: Atque adhuc in hoc mundo, qui totus positus est in maligno, quod tot malis circumvenimur et eisdem pene obruimur, nulla est quidem alia causa nisi quod

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den Menschen, so betont Colet immer wieder, in einen aus eigener Kraft unüberwindlichen Strudel des Übels gezogen.174 Der damit einhergehende ontische Defekt konnte nur durch göttliches Heilshandeln in Form einer ‚Neuschöpfung‘ (als solche bezeichnet Colet die Erlösungstat Christi) behoben werden.175 Doch selbst nach dieser erlösenden Transformation des Menschen bleibt sein sittliches Handeln vom Vorbehalt der Konkupiszenz belastet,176 so dass wahrhaft gute Akte immer auch vom Gnadenwirken des Heiligen Geistes vorbereitet177 bzw. begleitet178 werden müssen. Gleichzeitig wird dadurch das Ziel und der Bezugspunkt allen (sittlich guten) Handelns evident: Der Mensch ist dazu aufgerufen, Gott in der Person Christi zu imitieren und an ihm sein Handeln zu messen.179 Soweit die

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stulti et ceci non querimus contrarium suo contrario vincere, sed volumus potius malum malo augere; non cernentes, cum malum malo rependimus, augere nos malum, non repellere (in Rom. En. c. 13 [I p. 200 Lupton]). Weitere Beispiele finden sich bei Hunt, Colet (wie Anm. 22) 11. Vgl. De corp. Christ. myst. (IV p. 186 Lupton): Interea autem antequam venerat haec racio justificandi homines, et reformandi in justiciam intrinsicam, ut interna lege Dei juste vivant; profecto ubique humanum genus solutum, vagum, dispersum, sine ordine, deforme, sine bonitate, inefficax justitiae fuit; quum, deserti a Deo, quisque, quo sua se contulit natura, illuc decidit. Vgl. auch Porter, Dean (wie Anm. 171) 40. Vgl. in Rom. En. c. 12 (I p.  183–185 Lupton). Hier lässt sich Colet detailliert über den soteriologischen Vorgang der Neuschöpfung aus. Ein Ausschnitt: Christus ipse autor naturae propositum habuit in hominibus ipsam naturam exprimere, et ad naturae ordinem et pulchritudinem quae ab ordine deciderint redigere, reformareque humanum genus, quod erat morbis et transgressionibus totum deforme, fedum et detestabile. Colet führt ferner an, dass eine Neuschöpfung des dem Bösen verfallenen Menschen schwieriger sei und größere Überwindung erfordere als die ursprüngliche Schöpfungstat. Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 93. Vgl. Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 81. Vgl. Colet, in 1 Cor. En. c. 13 (p. 258 O’Kelly/Jarrott): Nam hoc consilio plane agit Spiritus Dei, et versat materiam carnalemque hominem, ut is ad perfectum forme habitum perducatur. Inter versandum vero afficit hominem prius, et disponit, et preparat congruis qualitatibus que antecedunt … Der geheiligte Mensch wird als Mitarbeiter des Heiligen Geistes betrachtet, beide zusammen sind dann die Urheber der guten Werke: Quod si quando coeat cum Spiritu, cumque eo evadat unum, illi adherens, tunc fecundatus ipse homo quoque in Spiritu, una cum eo parens est bonorum operum, que non solum Spiritui sed homini in Spiritu attribuantur, qui amatus, redamans et adherens Deo, unus est spiritus (ebd. [p. 264]). Ebd. c. 12 (p. 238) werden die sittlich perfekten Menschen cooperatores Dei genannt. Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 121. In 1 Cor. En. c. 7 (p. 168–170 O’Kelly/Jarrott) führt Colet seinen Lesern vor Augen, dass die Aufforderung Christi, ihm nachzufolgen, um gerettet zu werden, aufgrund dieser Kondition eine zwingende innere Notwendigkeit (necessitatem rei) und damit den Charakter einer Vorschrift (preceptum) erhalte: Quod consilium versus optimum, propterea quod oportet audiant omnino qui salvi esse volunt omnes, et id necessario quod consulitur sponte agant, propter eam, inquam, necessitatem rei, peculiari verbo vocatur preceptum (ebd. [p. 170]). Vgl. auch Kaufman, Piety (wie Anm. 61) 67 f.

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Ausführungen zu den grundlegenden Strukturen des moral-theologischen Ansatzes von Colet. Es ist nun angeraten, sich dem (sittlichen) Erkenntnisvermögen zuzuwenden, das ebenso wie bei Pico erst über den Umweg der allgemeinen Gnoseologie entschlüsselbar wird. So nennt Colet drei Quellen der Erkenntnis und die dazugehörigen Erkenntnisvermögen bzw. -mittel. Sie ist zunächst auf die Gotteserkenntnis bezogen, wird aber dann auch auf die sittliche Erkenntnis hin erweitert: 1. Die sinnlich erfahrbare materielle Schöpfung, die von allen Menschen mittels der sensitiven Vermögen erfasst werden kann; 2. die spirituelle, von Engeln bewohnte Schöpfung, deren Eigenheiten den Israeliten mittels der mosaischen Offenbarung zugänglich sind; 3. der Sohn Gottes selbst, der sich den Christen auf direktem Wege offenbart.180 Es versteht sich aus der Art dieser Aufzählung nahezu von selbst, dass Colet diese Erkenntnisquellen in die hierarchische Ordnung des Pseudo-Dionysius gebracht hat, auf deren unterster Stufe die Wahrheitserfassung der paganen Philosophen steht, die allein mit Hilfe ihrer natürlichen ratio anhand der sie umgebenden geschöpflichen Ordnung einige Prädikate Gottes erschließen konnten.181 Doch selbst diese Erschließung ist der Selbstoffenbarung Gottes zu verdanken und daher ein gnadenhaft gewährter Akt.182 Damit bleibt jede Erfassung transzendenter Wahrheiten aus der kontingenten Schöpfung bruchstückhaft und begrenzt. Insofern warnt Colet alle Anhänger der nichtchristlichen Philosophien davor, sich einzubilden, der Mensch könne allein mit Hilfe seiner ratio die Wahrheit erfassen183 und sich in 180 Vgl. Colet, in Rom. Expos. c. 1 (IV p. 213 Lupton): Tribus viis et rationibus docuit Deus ho-

mines: per suam creaturam sensibilem; per spiritalem et angelicam; per Deum ipsum Filium suum sibi coeternum. Per creaturam sensibilem demonstravit se omni creaturae, id est, omni homini. Per angelicos spiritus multo manifestius et per verba ostendit se electis Judeis. Per Filium factum hominem multo clarissime et familiarissime aperuit se electissimis Christianis. Dieser Gedanke wird bereits im Proömium angerissen: ebd. prooem. (IV p. 201). 181 Miles, Colet (wie Anm. 17) 123, zieht sogar Parallelen zum Gedankengut Platons, was m. E. etwas weit hergeholt erscheint. 182 Vgl. Colet, in Rom. Expos. prooem. (IV p. 201 Lupton): Philosophorum sapientia, quatenus aliquid veri cognoverint, ex revelatione Dei erat. Deus enim, inquit Paulus, illis revelavit quod notum est Dei. Bereits im nächsten Satz offenbart Colet den Hintergrund seiner Aussage, den heidnischen Philosophen überhaupt eine sittlich relevante Erkenntnis zugestanden zu haben: Non solum committere malum, sed quoque modum consentiri committenti, mortale est. 183 Vgl. in 1 Cor. En. II (p. 98 O’Kelly/Jarrott): Humanis viribus, facultate rationis quantum maxime potentis, spiritu huius mundi, adminiculis humane doctrine ac eloquentie quibusquumque et quantisquumque accumulatis, non valet homo aspirare ad ea que Deus in sua absoluta ratione et voluntate longe supra omnem rationem molitur et prestat. Que solus Divinus Spiritus novit, et qui eodem Spiritu afflati sunt … Vgl. auch O’Kelly/Jarrott, Commentary on First Corinthians (wie Anm. 66) 50 f. Selbstverständlich bleibt durch das

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der Gewissheit seiner scientia beruhigt zurücklehnen.184 Doch auch die zweite Stufe bringt keine wesentlichen Erkenntnisverbesserungen mit sich: Ähnlich wie die Heiden hätten selbst die Juden die ihnen zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen in theologischer Hinsicht nicht genutzt und Gott nicht erkannt.185 Davon bleibe ihre sittliche Verantwortlichkeit unberührt – sie fallen trotz dieser Erkenntnismöglichkeiten der Verurteilung anheim. Das hierarchisch geordnete gnoseologische Schema mit der dritten Stufe abschließend, betont Colet, das Gesetz Gottes könne vollständig nur aus der christlichen Offenbarung heraus erschlossen werden.186 Dennoch lässt er an einer Stelle durchscheinen, dass es auch auf der untersten Stufe der Wahrheitserkenntnis in ethischer Hinsicht so etwas wie ein grundlegendes sittliches Erkenntnisvermögen gibt, mit dessen Hilfe der Mensch eine innere Lebensregel ausbilden könne: „Es besitzt nämlich jeder einzelne ein Licht und eine gewisse angeborene Lebensregel … Das Gesetz ist nichts anderes als ein klares Prinizp, welches das Rechte vom Unrechten unterscheidet, indem es hier verurteilt, dort gutheißt. Alle haben ein eingeborenes Gesetz, nämlich ihr Gewissen.“187

Die neuplatonische Lichtthematik aufgreifend,188 postuliert Colet also im Rück-

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Prinzip der Co-Kausalität die Verantwortlichkeit menschlichen Handelns und Erkennens gewahrt. Zum Problem der Willensfreiheit bei Colet vgl. Jayne, Colet (wie Anm. 7) 73 f. Vgl. auch Gleason, Colet (wie Anm. 7) 144, für weitere Beispiele. Vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 131 f. Colet schlägt eine distinkt augustinische Richtung ein, wenn er der scientia allein den Charakter weltlicher Gelehrsamkeit zugesteht und im Gegensatz hierzu die sapientia als gnadengewirktes Illuminativwissen darstellt. Thomas hingegen hatte auch den (ohne besondere Gnadeneinwirkung) erworbenen habitus der ratio speculativa, sich mit den höchsten Wahrheiten zu befassen, als sapientia bezeichnet. Für Colet bleibt eine solche ‚menschliche‘ Weisheit der göttlichen entgegengesetzt. Vgl. dazu Porter, Dean (wie Anm. 171) 41. Vgl. Colet, in Rom. Expos. prooem. (IV p. 201 Lupton): Cognoverunt gentiles Deum ex creaturis: Judei cognoverunt Deum ex lege et eloquiis Dei. Deus enim sese docuit tum per creaturas quae ennarrant gloriam Dei, tum per eloquia. Hi duo sunt libri Dei. Creaturarum liber propositus apertus erat philosophis gentilium: liber eloquiorum Dei traditus erat magnatibus Judeorum. Tamen ambo, cognoscentes Deum, non sicut Deum glorificaverunt, nec ut sapientes in Deo vixerunt. Negligentes impii in omne genus flagitii corruerunt, pereuntes in ipsis, et facientes et consentientes facientibus. Vgl. ebd. c. 4 (IV p. 262 f.). Vgl. dazu Porter, Dean (wie Anm. 171) 42. Colet, ebd. c. 2 (IV p. 219): Habet enim unusquisque lumen et innatam quandam vivendi regulam … Lex nihil aliud est quam lucida ratio, discernens equum et iniquum; hoc condemnans, illud approbans. Omnes habent legem innatam, conscientiam (Übersetzung: R. B. H.). Vgl. dazu die exzellent ausgeführte Studie von Robert A. Greene, The Spark of Conscience in the English Renaissance, in: JHI 52 (1991) 195–219, hier 198. An dieser Stelle geht er auf die Lichtmetapher ein. Zur Idee der sittlich relevanten Illumination bei Ficino vgl. Rudolf B. Hein, „Gewissen“ bei Adrian von Utrecht (Hadrian VI.), Erasmus von Rotter-

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griff auf den zu kommentierenden Text (Röm. 2,12a)189 ein nicht näher definiertes sittliches Erkenntnisvermögen, das es dem Menschen gestatte, generell Gut von Böse zu unterscheiden. Eine konzeptuelle Ähnlichkeit zur scholastischen synderesis ist zwar in gewisser Hinsicht gegeben, aber keinesfalls so offenkundig wie beispielweise bei Ficino. Colet lässt seinen Leser nicht nur im Unklaren darüber, wer der Träger dieses Vermögens ist (die ratio?), er konsterniert ihn zusätzlich durch eine verworrene Terminologie, indem er zunächst ein natürliches Urteilsvermögen (hoc condemnans, illud approbans) mit anführt, all dies als lex bezeichnet und zum Schluss diese lex innata mit conscientia gleichsetzt. Wie auch immer, offenkundig traut der Londoner Dompropst dem ‚Naturgesetz‘ und damit auch dem hierauf bezogenen Erkenntnisvermögen nicht viel zu, denn man greife schließlich auf die verdorbene menschliche Natur zurück. Dies zeige sich beispielsweise an der unheilvollen ‚naturgesetzlichen‘ Institution des Eigentums: Der Mensch sei eigentlich von Gott dazu bestimmt, alle Güter dieser Welt mit den anderen zu teilen. Die Abgrenzung von meum und tuum sei aber aufgrund der konkupiszenten Habgier notwendig geworden.190 In ähnlich abschätziger Weise beurteilt Colet auch die Vorschriften des positiven (menschlichen) Rechts,191 selbst die seiner eigenen zivilen Rechtsordnung, in der Gnade und Vernunft in Bezug auf die Etablierung von Rechtsnormen in eine scharfe Opposition träten: „Was aber die weltlichen Gesetze des alten, verdorbenen Menschen betrifft, so führen diese keinesfalls zum Heil der Christen. Die menschliche Vernunft ist der Gnade feindlich und entgegengesetzt eingestellt: Wenn Menschen ihr eigenes Gesetz errichten, so sind sie nicht dem Gesetz Gottes untertan. Dies gilt auch für das staatliche Recht dieses Königreiches, ein Recht, das aus lächerlichen Entscheidungen sich ständig streitender Männer besteht. Es wird in der Kirche Gottes durch das Recht des Glaubens und der Liebe ausgeklatscht und ausgepfiffen.“192

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dam und Thomas More. Ein Beitrag zur systematischen Analyse des Gewissensbegriffs in der katholischen nordeuropäischen Renaissance (StM 10), Münster 1999, 143. Es ist natürlich zu fragen, ob an dieser Stelle nicht eher ein zögerliches Zugeständnis des Kommentators an den Text vorliegt als eine wirkliche Überzeugung Colets. Vgl. Colet, in Rom. Expos. c. 4 (IV p. 259 f. Lupton): Reliqua hominum turba in universo mundo vixerunt sine gracia, in natura labefactata, et corrupta lege quae vocatur naturae; non simplicis, sanctae et inviolatae (nam haec innocentia erat solum in paradiso), sed vitiatae et corruptae. Quae lex corruptioris naturae jus est gentium; quo usi sunt gentes ubique locorum. Quo jure meum et tuum introductum est, proprietas sane et privatio, bonae et simplicis naturae maxime contraria, quae velit omnium rerum communitatem. Vgl. ebd. (IV p. 260): Sub hoc vocabulo, videlicet sub lege naturae hominis, comprehendo etiam jus gentium, civile, communem consuetudinem, statuta, decreta hominum, et id genus; preterea quicquid sit corruptelae a corrupta hominis natura ingenioque profectum. Ebd. (IV p. 263): Civilia vero jura veteris hominis corrupti ad sanitatem Christianorum non pertinent. Humana ratio inimica et adversaria est graciae: legem suam constituentes legi

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Wahres (d. h. gottgemäßes) sittliches Verhalten ist daher nur möglich unter Einbeziehung des Gnadengeschehens der christlichen Offenbarung.193 Es bleibt also auf der positiven Seite hinsichtlich des Inhalts dieses grundlegenden oder auch naturhaften sittlichen Erkenntnisvermögens lediglich beim allgemeinen malum est vitandum.194 Bei aller Untüchtigkeit des Menschen, von Natur aus eine klare Erkenntnis des von Gott allgemein eingeforderten Sittengesetzes zu entfalten und so wahrhaft gute Werke ohne äußere Gnadenhilfe zustandezubringen, gesteht Colet ihm einen gewissen appetitus naturalis in bezug auf das Gute zu. Ähnlich wie beim Erkenntnisvermögen erwähnt er dieses Bestreben allein im Hinblick auf das sittliche Formalprinzip bonum est apprehendum, malum est vitandum.195 Wieder lässt sich an dieser Stelle ein Bedeutungsmoment der scholastischen synderesis entdecken. Doch darüber hinaus stößt man auf der Suche nach konkreteren sittlichen Antrieben (wie sie uns von Thomas her geläufig sind) in gleicher Weise wie auch bei Ficino ins Leere. Da der Materialgehalt des Guten weder erkannt noch erstrebt wird, bleibt dieser appetitus ähnlich wie die oben skizzierte sittliche (Formal-)Erkenntnis fruchtlos bzw. sittlich wertlos. Wie erwartet, erleichtert uns Colet durch die Botschaft, dass Christus mit seiner den Menschen vorgelebten Offenbarung dieser bedauernswerten Situation ein Ende bereitet habe.196

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Dei non sunt subjecti. Jus etiam regni hujus municipale, quod jus est altercantium hominum ridiculae sententiae, in ecclesia Dei per legem fidei et charitatis exploditur et exsibillatur (Übersetzung: R. B. H.). Vgl. in 1 Cor. En. c. 10 (p.  219 O’Kelly/Jarrott). Daneben betont Colet, dass es vor Christus einige herausgehobene Persönlichkeiten gegeben habe, die den ‚besseren‘ (= göttlichen) Gesetzen gefolgt seien – allerdings mit dem Beistand des Heiligen Geistes: Ab hac miseritudine et infelici vita ac calamitosis legibus et statu flebili hominum, exempti sunt excellentes illi et egregii viri … attractu divinae graciae; ut super fluctibus mundi in Spiritu Dei vivant legibus melioribus, et jure divino reformati in novitatem spiritus (ut inquit Paulus) probent quae sit voluntas Dei bona, beneplacens, et perfecta; sperent in juris antistite Jesu Christo (in Rom. Expos. c. 4 [IV p. 260 f. Lupton]). Die Andeutungen, die sich aus dem oben zitierten Text hinsichtlich einer lex innata ergeben, werden von Colet nicht weiter expliziert und sind m. E. allein der Paraphrase des Paulus-Textes (Röm. 2,12–16) zu verdanken. Vgl. Colet, in 1 Cor. En. c. 7 (p.  140 O’Kelly/Jarrott): Deum et Christum et Paulum velle, idem etiam omnes homines debere cupere, ut quam maxime possint sequantur meliora, deteriora quam maxime possint fugiant. Non enim est sane mentis qui sponte minus bonum eligit, si maiori bono potiri potest. Vgl. ebd.: Quid autem hominibus bonum malumve sit, antequam Christus docuit, universo mundo fuit incognitum. Is primus faciem et vultum boni ostendit, non tam verbis quam re ipsa, non foris sed in se ipso, in sua ipsius vita in qua bona et vera vivendi ratio describebatur. Es ist bemerkenswert, wie stark hier der imitatio-Aspekt durchschlägt: Die Offenbarung in Christus besteht im Gegensatz zum mosaischen Gesetz nicht so sehr in kodifizierten göttlichen Verfügungen, sondern im lebendigen Beispiel des Offenbarers selbst, das so einen normativen Charakter erhält.

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Ein ähnlicher ‚christologischer Vorbehalt‘ gilt dementsprechend auch für die Vollform der (sittlichen) Erkenntnis, die auf eine Vereinigung mit Gott abzielt und die Erkenntnismöglichkeiten der ratio übersteigt. Diese vollzieht sich abermals in jenem von Colet so oft fokussierten dreistufigen Prozess, der die Beteiligung der ratio transzendiert, indem er dem aktiven Gnadenwirken Gottes (das sich in unterschiedlicher Weise manifestiert) die entscheidende Rolle zuweist.197 So muss sich der menschliche Geist zunächst aller fleischlichen Fesseln entledigen und auf diese Weise zu einer purificatio gelangen,198 bevor er in den Status der illuminatio versetzt werden kann. In diesem Zustand überschreitet der Mensch die Grenzen seiner ratio und wendet sich in gläubigem Verständnis Gott zu. Nur vermittels des gnadenhaft eingegossenen illuminativen Glaubens kann er eine wahre sapientia ausbilden, die ihn zu klarem Wissen und rechtem Handeln führt.199 Das Ziel dieser Bewegung aber ist die perfectio, die in einer Liebeseinheit zwischen Geschöpf und Schöpfer ihre Erfüllung findet. Der Liebende erfährt einen Transformationsprozess hin zur Person des Geliebten, der viel unmittelbarer ist als jegliche intellektuelle Annäherung.200 Erst in diesem Zustand der mystischen Vereinigung mit dem wahrhaft Guten ist es dem Menschen möglich, ganz und wahrhaft gut zu handeln. Die angestrebte Gesetzestreue ist nun durch die von Liebe getragene imitatio verwirklicht.201 Ein ähn197 Vgl. Cael. hier. III (III p. 173 f. Lupton). 198 Vgl. in Rom. Expos. c. 2 (IV p. 224 f. Lupton): Oportet ergo privetur his involucris, denude-

turque omnino, simplexque extet simplicitate Dei; abscisa et longe abjecta omni carnalitate, omni rudiori imaginatione, denique omni ratiotinatione vaga et fluenti; ut sic expedita et libera in se mens facilime coeat cum Deo, concipiatque ex Deo, in Deoque fecundata pareat copiosam prolem justiciae. 199 Vgl. in 1 Cor. En. I (p. 80 O’Kelly/Jarrott): Illi quos Paulus vocatos et electos in illam gloriam appellat, quorum mentes presentia divinitatis illustrantur, voluntates corriguntur; qui fide cernunt clare sapientiam Christi, et amore eiusdem potentiam fortiter apprehendunt. Vgl. auch in Rom. En. c. 9/10 (I p. 165 f. Lupton). Dazu vgl. Miles, Colet (wie Anm. 17) 44. O’Kelly/Jarrott, Commentary on First Corinthians (wie Anm. 66) 43, stellen heraus, dass mit dem Licht der gläubigen Erkenntnis (Gnosis) immer auch die Wärme der Gutheit (Praxis) verbunden ist. Colet lässt keinen Zweifel daran, dass die Eingießung des Lichtes allein von Gott ausgeht, also ein Gnaden- und Heilsereignis darstellt; vgl. in 1 Cor. En. II (p. 94–96 O’Kelly/Jarrott). Diese moralische Akzentuierung des Begriffs von sapientia unterscheidet Colet von Ficino, der die sapientia intellektualistisch bestimmt hatte; vgl. Jayne, Colet (wie Anm. 7) 72 f. 200 Vgl. in Rom. En. c. 8 (I p. 155–157 Lupton). Colet greift an dieser Stelle zurück auf eine Äußerung Ficinos in der Theologia Platonica XIV 8 (Opera Omnia, Basel 1576 [Nachdruck Turin 1962], 324 f.), die er allerdings modifiziert wiedergibt. Weitere Beispiele bei Hunt, Colet (wie Anm. 22) 116 f. 201 Vgl. in Rom. Expos. c. 4 (IV p. 261 f. Lupton): Hac credentes justificantur, ut bene agant in charitate. Haec lex fidei, lex Dei; qui voluit homines in se solo confidere, pendereque ab illo uno confidenter, ut salvos faciat sperantes in se. Hanc fidutiam justiciae et salutis habemus per Iesum Christum, idoneum mediatorem. Hominem sibi confidere suisque viribus adhere-

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liches Schema begegnet bei Pico,202 doch werden im Vergleich Schwerpunktverschiebungen deutlich.203 Vergleicht man diese gnoseologischen Grundaussagen Colets mit denen des Origenes, so lassen sich an zwei fundamentalen Stellen die Unterschiede deutlich herausarbeiten, die jedoch nicht konträr, sondern als gezielte Schwerpunktverlagerungen des Londoners zu deuten sind: 1. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen wird bei Origenes durch den Sündenfall nicht gänzlich korrumpiert oder annulliert, d. h. die Teilhabe des Menschen am göttlichen Urbild ist unverlierbar.204 Sie ist sehr wohl durch die Sünde verdunkelt worden, aber in ihren Umrissen immer noch erkennbar und damit gnoseologisch wirksam. In ethischer Hinsicht müssen diese im Menschen grundgelegten Keime der Gottebenbildlichkeit zur weiteren Entfaltung, zum Wachstum gebracht werden, was beispielsweise durch die Annäherung an Christus geschehen kann, der diese Keime als Logos vollständig zur Entfaltung gebracht hat.205 Er übernimmt die Rolle des Erziehers und Pädagogen in diesem Prozess.206 Somit ergibt sich einerseits aufgrund der ontologischen Verbindung die grundsätzliche Möglichkeit der Gotteserkenntnis durch die Werke der Schöpfung außerhalb einer gesonderten göttlichen Offenbarung,207 andererseits ein der menschlichen Natur inhärentes Verlangen nach sittlicher Vervollkommnung. 2. Die Annahme eines trichotomischen Seelenschemas führt, verbunden mit dem Freiheitspostulat des Origenes, zu einer Ausgestaltung dieser Vervollkommnungsperspektive – auch im Hinblick auf die sittlich relevante Erkenntnis: Die Seele als Inbegriff menschlicher Entscheidungs- und Handlungsfreiheit vermag sowohl den Ratgeber des Leiblichen als auch den des Geistigen ins Haus zu lassen208 und sich mit letzterem jenem ‚inneren Menschen‘ anzuvertrauen, der den Abbildcharakter trotz aller ursündlichen Korrumpierung immer noch in sich trägt.209 Je mehr sich die Seele ihres vornehmeren Teils, der Vernunft (νοῦς/

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re, ruina est; Deo credere resurrectio est. Credentes si imitentur Christum Iesum, Deus hanc justiciam coronabit. Vgl. auch cael. hier. c. 7 (III p. 178 Lupton). Vgl. Hein, Gewissen (wie Anm. 188) 156 f. Die den intellectus affizierende illuminatio bewirkt in der Sicht Picos bereits eine Vereinigung der höchsten menschlichen Seelenvermögen mit Gott, während Colet der illuminatio eine Perfektionierung der rationalen Vermögen zuschreibt, die der letztlich entscheidenden Liebesunion lediglich vorausgeht. Vgl. Crouzel, L’ anthropologie (wie Anm. 127) 40; ders., Spiritualität (wie Anm. 131) 134; Holz, Begriff (wie Anm. 129) 79. Vgl. Crouzel, Spiritualität (wie Anm. 131) 135. Vgl. beispielsweise Origenes, princ. III 1,15 (GCS Orig. 5, 221 f.). Vgl. ebd. I 1,6 (5, 21). Quia ergo mens nostra ipsum per se ipsam deum sicut est non potest intueri, ex pulchritudine operum et decore creaturarum parentem universitatis intellegit. Vgl. in Rom. comm. I 21(28) (p. 90,84–91,101 Hammond Bammel). Vgl. Rahner, Menschenbild (wie Anm. 129) 216 f.

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ἡγεμονικόν bzw. principale mentis/cor) bedient, umso mehr schreitet sie in ihrer perfektionierenden Bewegung hin zum Geist (πνεῦμα) voran,210 verschmäht die Ablenkungen der körperlichen Begierden und ist bereit, die der Schöpfung inhärente Ordnung zu erkennen. Origenes spricht in diesem Zusammenhang von einem „natürlichen Gesetz“ (lex naturalis), das allen Menschen ins Herz gelegt sei und dessen „Tafeln“ sich mit zunehmendem Alter (bzw. Vernunftreife) im Innern des Gewissens (conscientia)211 ausdehnten.212 Damit stellt er mit diesem Begriff von συνείδησις/συνειδός einen Raum im Menschen vor, in welchem die sittliche Erkenntnis angesiedelt ist, der aber nicht von Geburt an in vollem Umfang offen steht, sondern im Zuge jener sittlichen Vervollkommnung (der Vernunft) ausgeweitet und herangebildet werden muss.213 Diesen Gedanken faltet der Alexandriner bei seiner Exegese von Röm. 2,14–16 weiter aus, indem er zunächst den Materialgehalt der sittlichen (Natur-)Erkenntnis folgendermaßen bestimmt: a) möglicherweise die Erkenntnis Gottes als des einzigen Schöpfers; b) das Verbot des Mordes und des Ehebruchs; c) das Verbot des Stehlens und des Meineids; d) sicher aber die Goldene Regel in negativer Formulierung.214 Allein die Vielzahl der auf diese Weise naturhaft zu erschließenden sittlichen Normen und Erkenntnisgegenstände lässt eine positivere Einschätzung des menschlichen Erkenntnisvermögens vermuten, als dies bei Colet der Fall ist. Diese (nach dem Zeugnis des Paulus in Röm. 2,15) ins Herz geschriebenen Gesetze unterscheidet Origenes im Folgenden vom (positiven) Gesetz des Mose und den Gesetzen des Evangeliums. Ein gutes Beispiel hierzu findet sich in einem Fragment der Katene zur Genesis: Weil er das mosaische Gesetz noch nicht kennen konnte, befolgte Abraham das ins Herz geschriebene Gesetz in gleicher Weise

210 Vgl. ebd. 209. 211 Selbstverständlich stammt dieser lateinische Terminus aus der Übersetzung des Rufinus.

Johannes Stelzenberger, Syneidesis bei Origenes (AMT 4), Paderborn 1963, 14, weist ebenfalls auf diesen Umstand hin und lässt offen, ob Origenes im Originaltext mit Philon von Alexandrien die aus συνειδένει substantivierte Form συνειδός oder das aus den neutestamentlichen Schriften bekannte συνείδησις verwendet. 212 Vgl. Origenes, in Rom. comm. V 6 (p. 414,43–48 Hammond Bammel): … quae lex ab illo qui ab initio creavit hominem ita in principali cordis eius adscripta est, ut opportuno tempore cum iam paginae ipsae menti adoleverint, vel potius ut scriptura nominavit ubi tabulae cordis carnalis coeperint augmento aetatis aperiri, diffundi incipiat per interna conscientiae et replere rationibus sensus. Vgl. auch ebd. III 2 (p. 207,94–208,105). 213 Vgl. Stelzenberger, Syneidesis (wie Anm. 211) 42 f. Vgl. dazu Origenes, ebd. III 2 (p. 209,121–210,138). Dieser ‚Raum‘ innerhalb der menschlichen Seele wird auch – recht konsequent – mit der Vokabel ‚Herz‘ (cor) bezeichnet. 214 Vgl. ebd. II 7 (p. 134,7–135,18).

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wie die Heiden.215 Merkwürdigerweise verweist er hinsichtlich dieses ‚Naturgesetzes‘ weniger auf die offenkundigen inhaltlichen Parallelen zum Dekalog als auf das Evangelium, welches das „von Natur aus Angemessene“ beinhalte.216 Ein Stufenmodell göttlicher Selbstoffenbarung scheint dem Alexandriner ausdrücklich nicht bekannt zu sein, kann aber aus diesen Andeutungen erschlossen werden. Als Träger dieser Erkenntnis bestimmt er – wie schon angedeutet – den vernunftbegabten, also höheren Teil der Seele, der in seiner Tätigkeit bisweilen mit der Vokabel ‚Herz‘ umschrieben werde, wie er scharfsinnig anmerkt.217 Es sei aber hinzugefügt, dass er für das sittlich relevante Erkenntnisvermögen den Terminus συνείδησις/συνειδός an dieser Stelle vermeidet, was darauf hindeutet, dass auch in seinem Fall (wie bei Colet) keine durchreflektierte, konsequent applizierte Terminologie vorliegt, sondern eine an den biblischen Texten orientierte. An einzelnen Stellen verwendet er συνείδησις/συνειδός als Zeugnisinstanz einer solchen sittlich relevanten Erkenntnis, was allerdings der Bedeutung ‚Richter‘ sehr nahe kommt.218 Es lässt sich auf dem Hintergrund dieser Ausführungen also durchaus nachverfolgen, an welchen Stellen Colet hinsichtlich seines Ansatzes zum sittlichen Erkenntnisvermögen vom origeneischen Gedankengut ins Pessimistische hinein abwich, nämlich in erster Linie bei den anthropologischen Voraussetzungen der sittlichen Erkenntnis, die Colet als nahezu gänzlich korrupt betrachtet. Damit ist der Materialgehalt sittlicher Erkenntnis stark eingeschränkt: Da selbst die Gotteserkenntnis durch einen gnadenhaften Akt des Schöpfers gewährt wird, verbleibt für die allgemeine Erkenntnis lediglich das sittliche Formalprinzip bonum faciendum, malum vitandum. Jegliche sittliche Erkenntnis besitzt im pessimistischen theologischen Konzept Colets selbstverständlich keine Heilsrelevanz und dient eher dem Aufweis der eigenen Sündhaftigkeit.

5. Sittliche Urteilsinstanz: Gebieter und Richter Es ist nun an der Zeit, sich dem Terminus conscientia bei Colet zuzuwenden, um seiner Auffassung von ‚sittlicher Urteilsinstanz‘ näher gewahr zu werden. Hierbei muss sich die Analyse fast ausschließlich auf seinen Kommentar zu Röm. 2,12–

215 Vgl. in Gen. frg. E 68 Metzler (OWD 1/1, 248). 216 Vgl. in Rom. comm. II 7 (p. 135,14–16 Hammond Bammel): Magis tamen mihi videntur

haec quae in corde scripta dicuntur cum evangelicis legibus convenire ubi cuncta ad naturalem referuntur aequitatem. 217 Vgl. auch ebd. (p. 136,36 f.): Sed sciendum est rationabilem animae virtutem cor solere nominari. 218 Vgl. Stelzenberger, Syneidesis (wie Anm. 211) 43.

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16219 stützen, worin er dezidiert auf die conscientia zu sprechen kommt, während er an anderer prominenter Stelle (beispielsweise anlässlich von 1 Kor. 10,23–29) die Gewissensthematik geradezu umgeht.220 Die Heiden, so paraphrasiert Colet den paulinischen Tenor in Röm. 2,12, würden durch den aufrichtigen Entscheid ihrer conscientia verurteilt, und zwar gemäß einem inneren Gesetz, das sich wohl mit Hilfe des sittlichen Erkenntnisvermögens (Lichtmetapher) herangebildet habe: „Weil jene ohne das Gesetz der Juden gesündigt haben, werden sie auch ohne das Gesetz zugrundegehen; es wird sie nämlich das Gesetz und das rechte Urteil ihres Gewissens verurteilen. Es besitzt nämlich jeder Einzelne ein Licht und eine gewisse angeborene Lebensregel. Wenn jemand von dieser (Lebensregel) abweicht, wird jener durch sein Gewissen verurteilt werden.“221

Versucht man, das terminologische Verwirrspiel ein wenig aufzulösen, so existiert für Colet in der conscientia eine Instanz, die mit ihrem rectum dictamen222 im Nachhinein über die sittliche Qualität einzelner Handlungen bzw. die Gutheit der Person urteilt. Die Erkenntnisgrundlage für dieses Urteil stammt von jener innata regula, einem inneren Licht sittlicher Erkenntnis. Dieses Licht erfüllt als regulatives Prinzip Gesetzesfunktion, und zwar im Menschen selbst. Damit kann auch die conscientia insofern als lex innata bezeichnet werden, als sie dieses regulative

219 Vgl. Colet, in Rom. Expos. c. 2 (IV p. 218–220 Lupton). 220 Nachdem sich Colet unter Bezugnahme auf 1 Kor. 10,20 f. über die Schädlichkeit der paga-

nen Philosophie ausgelassen hat, interpretiert er die ‚gewissensrelevanten‘ Verse 23–29 auf die christliche Nächstenliebe hin, die immer zuerst den Vorteil des anderen verfolgen sollte. Eine Verletzung des eigenen Gewissens ist deshalb in den Augen Colets nichts weiter als eine offensio, die es zu vermeiden gilt. Er fasst zum Schluss die paulinischen Anliegen jener Verse knapp zusammen: In cibis nihil discretionis est. In omnibus habendam considerationem eorum quibuscum vivimus. Offensio vitetur. Gratia prestetur. Omnia in gloriam Dei. Gloria Dei est in bonitate ecclesie, in Christo (in 1 Cor. En. c. 10 [p. 218 O’Kelly/Jarrott]). 221 Es ist m. E. auffällig, dass Colet den ockhamistisch geprägten Ausdruck dictamen (conscientiae) wählt, den er zusätzlich mit dem Adjektiv rectum qualifiziert. Scheinbar schimmert die scholastische Grundausbildung Colets an solch unbedeutenden und durch die (neu-) platonische Lehre nicht abgedeckten Stellen dann doch durch. Präzisere Parallelen zwischen den beiden Engländern bezüglich einzelner Definitionselemente lassen sich aber nicht ziehen, zumal Colet viel zu wenig differenziert auf das Gewissensphänomen eingeht. Vgl. dazu Hein, Gewissen (wie Anm. 188) 118–121. 222 In Rom. Expos. c. 2 (IV p. 219 Lupton): Quia quicumque sine lege Judeorum peccaverunt, sine lege peribunt; condemnante eos lege rectoque dictamine conscientiae suae. Habet enim unusquisque lumen et innatam quandam vivendi regulam; a qua si exorbitaverit, conscientia illum condemnabit sua (Übersetzung: R. B. H.).

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Prinzip vor oder nach der Handlung zur Ausführung bringt.223 Sie ist grundsätzlich allen Menschen mitgegeben. Die Evaluierung dieses Urteilsspruchs wird unten im Verbund mit den übrigen Bedeutungen von conscientia zu behandeln sein. Wenn Colet im Verlauf seines Kommentars die conscientia als lex innata bezeichnet,224 so kann dies einerseits den Materialgehalt der (natürlichen) sittlichen Erkenntnis selbst meinen, wobei sich im Anschluss an die zuvor gemachten Beobachtungen fragen ließe, welche allgemeinen, selbsteinsichtigen sittlichen Normen denn über das sittliche Formalprinzip hinaus darin enthalten sind. Andererseits besteht die Möglichkeit, in der conscientia eine Instanz zu erblicken, die die lex im konkreten Handeln zur Anwendung bringt, und zwar nicht nur in Form eines posteriorischen Urteilsspruchs, sondern auch als intima ratio vor einer Handlung, insofern sie gebietet, was im einzelnen zu tun ist. Diese Möglichkeit legt sich insofern nahe, als Colet im Text fortwährend den Juden wie den Heiden eine normative innere Instanz zugesteht (ipsi sibi sunt lex), die sich in einem intrinsecus dictamen rationis225 manifestiert.226 Das schriftlich fixierte mosaische Gesetz (Stufe 2 der allgemeinen Erkenntnis) fungiert dabei für die Juden ebenso gleichsam als Stimulans wie jenes innere Vernunfturteil bei den Heiden (Stufe 1 der allgemeinen Erkenntnis), indem es der ermahnenden, gebietenden, verurteilenden Tätigkeit der conscientia durch sittlich relevante Information neue Schärfe gibt. Colet will damit die paulinische Aussage unterstreichen, dass die sittliche Integrität des eigenen Lebens allein und nicht die Volks- bzw. Gruppenzugehörigkeit für die Rechtfertigung ausschlaggebend ist.227 Sein Augenmerk richtet sich 223 Colet, in Rom. Expos. c. 2 (IV p. 219 Lupton): Lex nihil alius est quam lucida ratio, discer-

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nens equum et iniquum; hoc condemnans, illud approbans. Omnes habent legem innatam, conscientiam; Judei preterea scriptam legem, admonitricem conscientiae. Vgl. ebd.: … quia lex est conscientia scripta, conscientia autem lex innata. M. E. schlägt sich an dieser Stelle abermals die scholastische Vorbildung Colets nieder. Durch die nicht von Paulus her beeinflusste Wahl des Ausdrucks dictamen rationis nennt er  – bewusst oder unbewusst  – den Fachterminus bzw. das Synonym Ockhams für die gebietende conscientia. Wie in Hein, Gewissen (wie Anm. 188) 118 f., dargelegt, gibt bei Ockham die recta ratio in Form eines dictamen rationis spezifische Anweisungen an den Willen, was er wählen soll, um eine sittlich gute Handlung zustandezubringen. Vgl. die ähnliche, nur weniger konkrete Beobachtung oben in Anm. 222. Vgl. Colet, in Rom. Expos. c. 2 (IV p. 219 Lupton): Quum enim gentes, quae legem non habent – illam Judeorum a Moyse traditam – naturaliter ea, quae legis sunt, faciunt, innata vivendi regula lumineque naturali, quod est omni scripta lege antiquius; ejusmodi legem non habentes – illam Judeorum stimulatricem conscientiae – ipsi sibi sunt lex, intrinseco dictamine rationis; qui ostendunt opus legis scriptum in cordibus suis. Nam sic intima ratio diffinivit faciendum; quia dicit, opus legis scriptum in cordibus. Vgl. ebd. c. 2 (IV p. 219): Nam sic intima ratio diffinivit faciendum; quia dicit, opus legis scriptum in cordibus. Ex hoc agnoscere possumus opus legis esse mentale et spiritale; siquidem opus in corde et mente: quod qui facit justificabitur, non qui ostendit opus legis in corpore tantum.

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von daher weniger auf die terminologische Schärfe seines Gewissenskonzepts, das zwischen sittlicher Erkenntnis, dem vorauseilenden sowie dem nachfolgenden (Gewissens-)Urteil nicht klar zu unterscheiden weiß, als vielmehr auf den (homiletisch bedeutsamen) Erweis allgemeiner Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit. Das Zugeständnis einer sittlich gebietenden Instanz lässt die Frage aufkommen, wie es dann mit dem allein auf natürlicher Erkenntnis basierenden Gewissensurteil der ‚Heiden‘ (= aller derjenigen, die nicht über das jüdisch-christliche Offenbarungskorpus verfügen) steht. Hier verlässt man schließlich den Boden metaethischer Erwägungen und wendet sich der normativ-ethischen Problematik der Evaluierung von Gewissensurteilen zu. Die Argumentationslinie Colets bei dieser Fragestellung präsentiert sich weder überraschend noch schwer nachvollziehbar: Kein Mensch, auch nicht der ‚erleuchtete‘ Heide, könne für sich beanspruchen, ohne die Unterstützung der göttlichen Offenbarung ein gänzlich gutes (= Gott wohlgefälliges) Leben geführt zu haben,228 so dass einzelne sittlich gute Handlungen – mehr oder minder als Ausnahmefall – zwar mit Hilfe des natürlichen sittlichen Erkenntnisvermögens und der conscientia vollbracht werden könnten, dies aber keinesfalls für eine Rechtfertigung ausreiche.229 Damit deutet sich schon an, dass Colet dem Urteil der conscientia keine wirkliche (Heils-) Relevanz zugesteht. Wie auch immer der Urteilsspruch dieser inneren Instanz ausfällt, der Mensch soll sich auch im diesseitigen Leben stets und eigentlich vor dem Gericht Gottes fürchten.230 Mit dieser an 1 Kor. 4,4 angelehnten Äußerung führt Colet seinen Lesern vor Augen, dass der Schuldspruch der conscientia zwar einen Hinweis auf die bevorstehende Verurteilung durch das Endgericht liefert,231 dass es aber letztlich Christus selbst vorbehalten bleibt, die wahren Intentionen

228 Vgl. in Rom. En. II (I p. 138 Lupton): Verum in hoc loco animadvertendum est, Paulum

non significare gentes, ullumve gencium sine lege recte vixisse, quum ejus est proculdubio sentencia neminem nisi ex fide Christi recte vivere, et justum esse posse. 229 Daher spricht Colet lediglich von der hypothetischen Möglichkeit, dass der eine oder andere Heide der göttlichen lex gemäß gelebt hat: His verbis quae facit de gentibus, Paulus non significat illas naturaliter suapteque natura fecisse quae legis erant; quod erat impossibile sine gracia. Nec quisquam erat gentium, quantacumque pietate preditus, qui id assequutus est, ut prestaret in se quod lex Moysaica voluit … testans, si quando gentes ex lege vixerint (qui non vixerint quidem secundum legem; sed statuamus sic fuisse in aliquo gentium, ut videamus vim legis; atque loquamur ac si res sic se habuisset; dicamusque si quando gentes ad legis normam vixerint) – legem illam tum in vita habuisse … (in Rom. Expos. c. 2 [IV p. 220 Lupton]). 230 Vgl. ebd. (IV p. 219): Quamobrem dum hic vivitur, tuae nimium non conscientiae, sed time judicium Dei; qui altius inspicit penitrantiusque intuitur quam tumetipse. 231 Vgl. ebd. (IV p. 220): In foro tuae ipsius mentis agitur causa tua, O homo, in die illa luculenta Christi in quo omnia patebunt. Accusator et defensor et judex eris ipse. Quod si te condemnaveris, tunc multo te magis condemnabit Dominus, qui judicabit occulta hominum.

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des Menschen ans Tageslicht zu bringen – womit Colet gleichzeitig die Introspektivkompetenz der conscientia in Frage stellt. Es wundert nicht, wenn er in diesem Zusammenhang eine nicht verurteilende conscientia nur dann als Zeichen von Rechtschaffenheit gelten lässt, insofern es sich um eine aufrichtige (simplex) und wahre (vera) conscientia handelt, die nur höchst selten bei einigen Menschen (sowohl Christen als auch Heiden) anzutreffen sei.232 An dieser Stelle spricht er auch von der Zeugnisfunktion der paulinischen συνείδησις: Ein aufrechtes, rechtgeleitetes Gewissen (ein Ausnahmefall) legt positives Zeugnis ab vom Heilszustand des Menschen233 und weist damit über die reine Urteilsfunktion hinaus. Das Gros der Menschen, so müsste man daraus schließen, dürfte im Falle eines solchen ‚inneren Freispruchs‘ einem irrenden Gewissensurteil erliegen. Konsequent weitergedacht, müsste der ethische Ansatz Colets in einen theonomen Moralpositivismus münden: Der von seinen natürlichen Erkenntnisfähigkeiten her deutlich eingeschränkte und durch die Konkupiszenz in seinem sittlichen Streben pervertierte Mensch hat überhaupt keine andere Möglichkeit, sittlich gut zu handeln, als sich völlig dem Gnadenwirken Gottes zu überantworten und sich von der (christlichen) Offenbarung leiten zu lassen. Colet postuliert daher, wie bereits gezeigt, die sittliche Verpflichtung für alle Menschen, sich auf den Weg der imitatio Dei zu begeben.234 An die Christen ist demgemäß die Forderung nach einer imitatio Christi gerichtet, die letztlich eine deontologische Normierung (nämlich durch das Gebot Christi, ihm nachzufolgen) aufweist. So hat das Gebot der Nächstenliebe darin seine Berechtigung, dass es die Liebe Gottes zu den Menschen abbildet und so Ausdruck einer imitatio ist.235 Dennoch finden sich bei Colet durchaus teleologische Begründungsmuster, die zentrale sittliche Normen betreffen: Jeder einzelne Christ sei verpflichtet, gegenüber dem Nächsten, der Gesellschaft und der Kirche das Prinzip der caritas (also des tätig werdenden gegenseitigen Wohlwollens) walten zu lassen, insofern er von den anderen nach den gleichen Prinzipien behandelt zu werden 232 Vgl. ebd. (IV p. 219): Quem conscientia non condemnat sua, is justus est: – ea (inquam)

conscientia, quae simplex et vera est; quae rara est in hominibus. 233 Vgl. ebd.: Testimonium reddente illis conscientia ipsorum. – Proverbium vetus est, Conscien-

tia mille testes. 234 Vgl. O’Kelly/Jarrott, Commentary on First Corinthians (wie Anm. 66) 48. Der ‚Weg‘

ist für Colet die ratio vivendi, die alle Menschen zu verfolgen verpflichtet sind, indem sie ihre sensuelle bzw. rationale Schwachheit nach besten Kräften beseitigen, damit Laster wie Eitelkeit, Neid, Streitsucht etc. eingedämmt werden. Gefordert wird also eine purificatio im Sinne Picos, die im Gegensatz zu Colets Begriff von purificatio sowohl die sensuelle als auch die rationale Dimension mit einschließt und der menschlichen Anstrengung eine bedeutendere Rolle zugesteht. 235 Colet, in Rom. En. c. 13 (I p. 204 Lupton): Nam amantes mutuo conamur referre divinum amorem, qui est infinitus, et ex amore ad divinam unitatem accedere, quae est ipsa unitas et simplicitas.

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wünsche (Goldene Regel).236 Ferner überrascht Colet seine Leser mit dem utilitaristisch anmutenden Satz: „Ebenso hat sich dieser (Satz) herausgebildet: In der Kirche ist das allein erlaubt, was (wirklichen) Nutzen bringt.“237 (Positive) Gesetze innerhalb der Kirche werden also mit ihrem Nutzen für die einzelnen Glieder begründet. Dabei zählt selbstverständlich der Gesamtnutzen und damit das Unparteilichkeitsprinzip,238 das zu verfolgen die Einhaltung der Nächstenliebe gebietet und zugleich auch motiviert, denn schließlich gereiche ein altruistisches Verhalten einem selbst zum Nutzen.239 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass im Denken des englischen Humanisten John Colet zwar das Grundgerüst einer typisch ‚florentinisch-humanistischen‘ Gewissenslehre angelegt ist (fundamentales sittliches Erkenntnis- und Strebevermögen, gebietende und richtende Urteilsinstanz mit der Bezeichnung conscientia), dass sich bezüglich der Evaluierung dieser Phänomene aber die ohnehin schon pessimistische Einschätzung Picos bei Colet weiter verstärkt. Er macht keinen Hehl aus seinem Misstrauen gegenüber der ‚natürlichen‘ Fähigkeit des Menschen, sittliche Universalprinzipien zu erkennen und mit Hilfe der inneren Urteilsinstanz im Leben durchzusetzen. Seine Vorstellung von einem wahrhaft sittlich integren Leben ist unumgänglich verknüpft mit der Vorbedingung der gnadenhaften Aufrichtung ursündlicher Zerrüttung. Es wäre geradezu vermessen, von Origenes das zu erwarten, was Colet in seinen sporadischen Ausführungen zum ‚Gewissen‘ als Urteilsinstanz vermissen lässt, nämlich eine systematische Analyse der einzelnen ethischen Funktionen (Gebieter und Richter, eventuell Zeuge) sowie eine darauf abgestimmte Terminologie. Oftmals lässt sich diese aufgrund der Übersetzungen des Rufinus nicht mehr exakt rekonstruieren und wechselt zwischen den griechischen Termini συνείδησις und dem substantivierten Partizip συνειδός (abgeleitet von συνειδέναι) sowie in einigen besonderen Fällen συναίσθησις (sittlich qualifiziertes Bewusstsein).240 Auch wird das griechische καρδία synonym zu συνείδησις im Sinne eines ‚gott-

236 Vgl. ebd.: Quem nos omnes debemus imitari, sicut ille Christum, et ante omnia servare in

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nobismet ipsis, quisque in se et omnes in societate et ecclesia Christiana, quod ab aliis querimus; amorem videlicet mutuum et charitatem, quae satis magna et accumulata esse non potest. In 1 Cor. En. c. 10 (p. 218 O’Kelly/Jarrott): Item id excuditur: id tantum licere in ecclesia quod expedit (Übersetzung: R. B. H.). Vgl. ebd.: Item, quemque in ecclesia alius comodum debere querere, non suum. Hec charitas est in alios, non in nos: charitas non querit que sua sunt. Et hic dicit: Nemo quod suum est querit, sed quod alterius. Conquisitione sui cuiusque proprie utilitatis vel primum interemptio ecclesie est. Vgl. ebd.: Aliorum utilitatis studium in primis et omnium habunde, est, tametsi non quesita, utilitas. Vgl. Stelzenberger, Syneidesis (wie Anm. 211) 14. 54 f.

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bezogenen Inneren‘ gebraucht.241 In der lateinischen Übersetzung finden sich Vokabeln wie conscientia, cor, sensus oder conscientia peccatorum – übrigens auch dort, wo keines der griechischen Synonyme verwandt wurde.242 Von daher ist es ratsamer, vornehmlich die Phänomene des ‚Gewissens‘ als gebietender und richtender Urteilsinstanz in den Blick zu nehmen, als sich im semantischen Gestrüpp der Terminologie zu verfangen. Als präziser Beobachter des menschlichen Seelenlebens scheint Origenes mit den verschiedenen Phänomenen vertraut zu sein, die im Deutschen mit dem Wort ‚Gewissen‘ bezeichnet werden, unter anderem sicher auch mit der richterlichen Instanz im Menschen. Gerade sein Kommentar zu Röm. 2,14–16 reflektiert die Anspielungen des Apostels auf die richterliche Gewissensfunktion. Dabei gerät auch er in die Fänge biblischer Homonymien, wenn er sich über die Differenzen der Bedeutungen von cor, anima und conscientia Gedanken macht.243 Er geht dieses Problem mit exegetischem Scharfsinn an und definiert zunächst ‚Herz‘ (cor/ καρδία) anhand der zu kommentierenden Paulusstellen Röm. 2,15 sowie 2 Kor. 3,3 als virtus rationalis animae, also als Vernunftbestandteil der Seele, der sowohl eine Erkenntnis- als auch ein Erinnerungsvermögen besitzt.244 Zum nächsten Terminus weiter schreitend, bringt Origenes biblische Beispielstellen bei, die die Verwendung von conscientia (im griechischen Original wird συνείδησις gestanden haben) belegen und skizzieren. Dabei entdeckt er deren urteilende Funktion und auch Kompetenz: „Vom Gewissen heißt es anderswo, dass es zurechtweist, nicht zurechtgewiesen wird, dass es den Menschen beurteilt, selbst aber keinem Urteil unterliegt, wie Johannes sagt: ‚Wenn unser Gewissen uns nicht anklagt, haben wir Zuversicht gegenüber Gott‘ (1 Joh. 3,21).“245

Dieses Gewissensurteil vollzieht sich im Rahmen der dem Menschen grundsätzlich zugestandenen Freiheit und erstreckt sich sowohl auf bereits vollzogene Taten, die positiv zu bewerten sind (deren sittliche Gutheit feststeht), als auch auf negativ zu bewertende Akte.246 In diesem Zusammenhang wird auf Freude und Vgl. ebd. 18. Vgl. ebd. 14 Anm. 9. Vgl. Origenes, in Rom. comm. II 7 (p. 136,38–41 Hammond Bammel). Vgl. ebd. (p. 136,33–37): Quod autem dicit in cordibus non est putandum quia in membro corporis quod cor appellatur lex scripta dicatur. Unde enim caro aut tantos prudentiae sensus possit emittere aut tanta memoriae receptacula continere? Sed sciendum est rationabilem animae uirtutem cor solere nominari. 245 Ebd. (p. 136,41–137,45): Haec enim conscientia et alibi dicitur quia reprehendat non reprehendatur et iudicet hominem non ipsa iudicetur sicut ait Ioannes: ‚Si conscientia inquit nostra non reprehendat nos fiduciam habemus ad Deum‘; Übersetzung: Heither, FC 2/1, 231. 246 Vgl. ebd. (p. 137,46–49): Quia ergo tantam eius video libertatem quae in bonis quidem gestis gaudeat semper et exsultet, in malis vero non arguatur sed ipsam animam cui cohaeret reprehendat et arguat … 241 242 243 244

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Tadel als Effekte dieser unterschiedlichen Urteile verwiesen. In einem weiteren Nebensatz ordnet der Alexandriner diese Instanz (conscientia, im Originaltext vermutlich συνείδησις) dem Geist (spiritus/πνεῦμα/anima in paulinischem Sinne) zu.247 Damit ist sie der Seele als Erzieher, Mahner und Führer an die Seite gestellt. Auf diese Weise hebt er ihre paränetische und auch judikative Funktion zugleich hervor. Allein dieses Beispiel (an prominenter Stelle) mag illustrieren, was eingangs behauptet wurde: Origenes kennt sämtliche Gewissensphänomene, doch gelingt es ihm im Rahmen seiner eigens angekündigten Begriffsbestimmung nur unvollkommen, diese Phänomene sachlich und terminologisch klar zu differenzieren. Festzuhalten bleibt die anthropologische Verankerung des gebietenden und richtenden Gewissens im Geist,248 was sie zu einem Bindeglied oder auch Forum der göttlichen Gegenwart werden lässt und ihr eine besondere Würde bzw. Bedeutung verleiht – beispielsweise in Abgrenzung zum (sittlichen) Erkenntnisvermögen, das unter anderem mit der Vokabel ‚Herz‘ lediglich der Vernunft zugeordnet wird.249 Verweilen wir einen Moment beim Konzept des anklagenden oder auch richtenden Gewissens. Auch wenn dies nicht unbedingt ein Schwerpunkt in den origeneischen Schriftkommentaren und -homilien darstellt, so ist dem Alexandriner auch dieses Phänomen hinlänglich bekannt, das sich allerdings erst dann im Menschen bemerkbar macht, wenn er zu einer gewissen sittlichen Reife (grundsätzliche Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse) gelangt ist. Er nennt es vis mandati und spielt damit auf die innere Bindung an eine als gültig akzeptierte Norm an: „Sobald aber die Kraft des Gebotes, das heißt das anklagende Gewissen, sich in ihm bemerkbar macht, sagt man, dass die Sünde zum Leben gekommen ist, die vorher in ihm tot war.“250 Die Funktion des richtenden Gewissens stellt sich Origenes weniger nach dem Muster eines Vernunfturteils vor (auch wenn die Vernunft in der Erfassung der sittlichen Prinzipien sicherlich eine Rolle spielen dürfte), sondern als eine Art belastendes Selbstzeugnis der eigenen Verfehlungen,251 das sich im Laufe des Lebens mit immer neuen Beispielen anrei-

247 Vgl. ebd. (p. 137,49–52): … arbitror, quod ipse sit spiritus qui ab apostolo esse cum anima

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dicitur secundum quod in superioribus edocuimus velut paedagogus ei quidam sociatus et rector ut eam vel de melioribus moneat, vel de culpis castiget et arguat. Vgl. auch ebd. (p. 137,52–138,69). Vgl. oben Anm. 217. In Rom. comm. III 2 (p. 208,102–105 Hammond Bammel): … cum vero discretionem boni malique acceperit uenisse ei dicitur lex et dedisse mandata; ubi autem inest vis mandati, hoc est conscientia redarguens, peccatum quod prius in eo mortuum erat dicitur revixisse; Übersetzung: Heither, FC 2/2, 59. Vgl. Stelzenberger, Syneidesis (wie Anm. 211) 47 f., mit den dort angeführten Beispielen.

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chert.252 Damit ist es Richter und Zeuge zugleich: Es zeichnet die (von der richterlichen Instanz) sittlich bewerteten Taten im Innern auf253 und tritt am Tag des Endgerichts als Zeuge auf.254 Richter dieses Endgerichts allerdings ist Christus,255 dem damit  – vom Vater verliehen  – die ultimative jurisdiktionelle Kompetenz zukommt. Dennoch spricht aus dem richtenden Urteil des Gewissens im Geist (mens) des Menschen Gott selbst: „Es ist nämlich nicht folgerichtig zu sagen, dass Gott auf Bergen und Felsen oder an irgendwelchen Orten auf dieser Erde spricht. Er spricht vielmehr im Geist des Menschen, in seinem vernunftgemäßen Denken, in der Mitte seines Herzens, dort, wo die Taten, die Gott nicht entsprechen und ihm feindlich sind, durch das anklagende Gewissen als Schuld angelastet werden.“256

So wird die conscientia nicht nur zu einer richtenden Instanz, sondern im Gesamtbild des Lebens zu einem Ort der heilsrelevanten Innenschau,257 die allerdings im Angesicht Gottes vollzogen wird. Damit sind klare evaluative Linien ersichtlich: Durch die Verortung der Urteils- und Zeugnisinstanz ‚Gewissen‘ im Geist (πνεῦμα/spiritus) wird dieser eine besondere Bedeutung und Würde zugesprochen, die selbstverständlich nicht über die richterliche Autorität Christi hinausgeht, aber sehr wohl auf das göttliche Endgericht verweist, ihm gleichsam ein Forum bietet. Es ist auffällig, dass Origenes nur an sehr vereinzelten Stellen einen positiven Urteilsspruch des Ge-

252 Vgl. Origenes, princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 178): … tunc et ipsa conscientia propriis stimulis

agitatur atque conpungitur et sui ipsa efficitur accusatrix et testis. 253 Vgl. in Rom. comm. II 7 (p. 139,80–86 Hammond Bammel). Cum enim sive bona sive

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mala cogitamus velut in ceris ita in corde nostro tam bonarum quam malarum cogitationum notae quaedam et signacula relinquuntur, quae in occulto nunc pectoris posita in illa die revelari dicuntur a nullo alio nisi ab eo qui solus potest occulta hominum scire; quorum signorum vel quarum notarum causas non latere Deum etiam nostra conscientia contestabitur. Vgl. princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 178): … cum etiam mens ipsa vel conscientia per divinam virtutem omnia in memorem recipiens, quorum in semet ipsa signa quadam ac formas, cum peccaret, expresserat, et singulorum, quae vel foede ac turpiter gesserat vel etiam impie commiserat, historiam quandam scelerum suorum ante oculos videbit expositam: tunc et ipsa conscientia propriis stimulis agitatur atque compungitur et sui ipsa efficitur accusatrix et testis. Vgl. in Rom. comm. II 7 (p. 139,87–89 Hammond Bammel). Ebd. VII 16 (p. 633,100–104): Neque enim consequenter Deus loqui in montibus et rupibus et quibuscumque terrenis locis dicetur; sed loquitur Deus in mente hominis, in sensu rationabili et in principali cordis; et ubicumque indigni et alieni a Deo actus conscientia redarguente culpantur …; Übersetzung nach Heither, FC 2/4, 175. Vgl. Stelzenberger, Syneidesis (wie Anm. 211) 60.

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wissens durchscheinen lässt.258 Offenkundig erreichen in seinen Augen nicht viele Menschen den begehrenswerten Status der Anklagefreiheit. Blickt man einmal auf Origenes’ Schilderungen der psychischen Effekte des richtenden Gewissens, so wird diese These nur bestätigt: In mannigfachen Bildern malt er seinen Lesern und Hörern die Qualen (und damit die Folgen) des richtenden Gewissensspruches aus. Von einem kaum auszuhaltenden Glühen in den Knochen ist ebenso die Rede wie von Würmern, die das Fleisch zernagen, von brennenden Martern, von bohrenden Schmerzen oder Stacheln,259 kurz, einem (inneren) Feuer, das sich der Sünder selbst entfacht habe.260 Sein Vokabular zur Beschreibung dieser peinigenden Tätigkeit des Gewissens ist in Anlehnung an die biblischen Vorbildtexte mehr als reichhaltig und farbig.261 All dies deutet darauf hin, dass jene so lebendig beschriebene Erfahrung des ‚schlechten Gewissens‘ (also der richtenden Funktion der συνείδησις) für den Menschen Origenes eine durchaus reale und nicht nur rein theologisch reflektierte gewesen sein muss – ganz im Gegensatz zu Colet, der Beschreibungen dieser Art (so gut sie auch immer in sein Argumentationsschema passen würden) in seinen Werken fast gänzlich vermissen lässt. – Der Gerechtigkeit halber soll nicht verschwiegen werden, dass Origenes auch die Freuden eines guten Gewissens bekannt sind, das angesichts der guten Taten in Jubel ausbricht.262 Selbstverständlich ist dem Alexandriner auch das Phänomen des vorauseilenden Gewissens oder auch der gebietenden Urteilsinstanz vertraut, wenn er nämlich mit Paulus darüber nachdenkt, was es bedeutet, dass Gottes Gesetz ins Herz der Menschen geschrieben ist: „Vom Gesetz Gottes heißt es, es sei nicht mit Tinte geschrieben worden, sondern mit dem Finger Gottes, das heißt mit sei258 Dort ist meist von einem Nichtvorhandensein eines negativen Gewissensurteils die Rede.

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Vgl. Stelzenberger, ebd. 56. Ein ausdrücklicheres Beispiel liefert Origenes, in Rom. comm. VII 16 (p. 633,106–109 Hammond Bammel): Si vero emundet se quis ab his et purificet et pax Dei quae superat omnem mentem cor eius incipiat custodire, ibi, hoc est in cordis secreto, pacificus effectus filius Dei conscientia adstipulante vocabitur. Vgl. die Beispiele bei Stelzenberger, ebd. 49. Vgl. Origenes, princ. II 10,4 (GCS Orig. 5, 177): Per quos sermones hoc videtur indicari, quod unusquisque peccatorum flammam sibi ipse proprii ignis accendat, et non in aliquem ignem, qui antea iam fuerit accensus ab alio vel ante ipsum substituerit, demergatur. Vgl. die Beispiele bei Stelzenberger, Syneidesis (wie Anm. 211) 51–53, bes. 51 f.: „In teilweise schon angeführten biblischen Bildern und Wendungen zeichnet er dessen [sc. des nachfolgenden Gewissens] Äußerungen in Verbal-Formen wie anklagen (accusare), niederschlagen (affligere), treiben (agitare), würgen (angere), überführen (arguere), besudeln (coinquinare), aufrufen (contestari), abschrecken (deterrere), quälen (discruciare), geißeln (flagellare), graben (fodere), richten (iudicare), beißen (mordere), entblößen (nudare), beschweren (onerare), schlagen (pulsare, percutere), verunreinigen (polluere), tadeln (reprehendere), bespritzen (respergere) …“ Vgl. Origenes, in Rom. comm. II 7 (p. 137,46–48 Hammond Bammel). Vgl. dazu Stelzenberger, ebd. 56.

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nem Geist, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern auf Tafeln des Herzens.“263 Das mit dem Finger Gottes ins menschliche Herz geschriebene Gesetz ist letztlich die Erkenntnisgrundlage der Mahnungen, die seitens der conscientia an den Menschen ergehen,264 die ihn immer wieder von der Sünde zurückrufen und ihn im Falle der Nichtbeachtung der Bestrafung anheimfallen lassen.265 Damit wohnt der conscientia/συνειδός auch eine gebietende Funktion inne, die vornehmlich in Bildern des Mahnens skizziert wird.266 Eine bewusste Missachtung dieser auf das zukünftige Handeln bezogenen Mahnungen hat negative Folgen für den Heilszustand des Menschen. Damit ist die Befolgung der gebietenden Autorität des Gewissens zwar ein notwendiger, aber noch immer kein hinreichender Indikator für die sittliche Integrität und Rechtfertigung des Menschen. Ihre hohe Kompetenz wird allerdings aus diesem Zusammenhang sichtbar. Trotz aller Abweichungen lässt sich somit auch eine Kongruenz zwischen Colet und Origenes in der ‚Gewissenslehre‘ beobachten. Der Londoner Dompropst bewegt sich auf dem gesicherten Pfad der patristischen Tradition, wenn er die gebietende und richtende Funktion des Gewissens auf der Basis eines ins Herz geschriebenen Gesetzes, einer lex innata, beschreibt. Ihre Missachtung ist stets ein Indiz für den in Gefahr geratenen Heilszustand des Menschen, während ihre Beachtung keinesfalls Heilssicherheit gewähren kann, denn letztlich fungiert Christus selbst als maßgebliche Urteilsinstanz über die Integrität des Menschen. All dies ist gleichzeitig scholastisches Traditionsgut, das bei Colet in seiner Bezeichnung des inneren ‚Gebieters‘ als intrinsecus dictamen rationis durchscheint und sich sogar auf nominalistische Traditionslinien (Ockham?) eingrenzen lässt. Eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit dem origeneischen Ansatz – selbstverständlich wesentlich von den Paulustexten (hier: Röm. 2,15) geprägt – scheint Colet dort zu liefern, wo er von der mens als dem Forum für das göttliche Lebensgericht im Menschen spricht.267 Bei der Evaluierung der Urteilsinstanz, also im Bereich der normativen Ethik, wo es darum geht, die Autorität des Gewissens gegen andere Autoritäten abzuwägen, gehen die Positionen freilich erneut auseinander. Wenn auch einiges an Skepsis hinsichtlich der Heilsrelevanz des Gewissensspruches (oder -zeugnisses) beim Alexandriner spürbar bleibt, setzt er durch die anthropologische Verortung 263 Ebd. II 9 (p. 148,23–25): … quia et lex Dei non refertur atramento scripta sed digito Dei, qui

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est spiritus eius, et non in tabulis lapideis sed in tabulis cordis; Übersetzung: Heither, FC 2/1, 251. Vgl. in Matth. frg. 102 II (GCS Orig. 12/1, 58). Vgl. in Num. hom. 20,4 (GCS Orig. 7, 197). Vgl. Stelzenberger, Syneidesis (wie Anm. 211) 46. Vgl. die Bemerkung Colets, zitiert oben in Anm. 231, mit Origenes’ Beschreibung dieses ‚inneren Seelengerichts‘ oben in Anm. 254. Die Übertragung des Rufinus in De principiis verwendet ebenso wie Colet die Vokabel mens für dieses Forum.

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des urteilenden Gewissens im Geist gänzlich andere Maßstäbe als der ratio-orientierte Londoner, der eben dadurch seinem Misstrauen gegenüber einer ‚naturhaft‘ vorhandenen Vernunft freien Lauf lassen kann.268 Wie man auf der einen, der origeneischen Seite die existenzielle Verbundenheit mit einem Phänomen spürt, das die Präsenz des Göttlichen im Menschen repräsentiert und durch seine Warnungen erzieherische Arbeit leisten kann, so überdeutlich wird auf der anderen Seite die Zurückhaltung Colets vor jedwedem Zugeständnis an die Kompetenz einer Urteilsinstanz, die positive Rückschlüsse auf seine sittliche Autonomie zuließe. Als Teil der in sich verdorbenen menschlichen Natur könne weder das Erkenntnisvermögen noch die Urteilsinstanz ‚Gewissen‘ etwas Nennenswertes zum Aufstieg des Menschen in Richtung perfectio beitragen. Dies bleibe im Wesentlichen der Gnade Gottes und dem erzieherischen Vorbild Christi überlassen. Vertraut man sich diesem allerdings vorbehaltlos an, kann eine Vergöttlichung des Menschen gelingen. Zusätzlich erscheint im Gedanken des eingeborenen Lichtes, der innata regula, bei Colet ein Brückenglied zum Autonomie- und Freiheitskonzept des Origenes. Es wäre also geradezu vermessen und allen Textzeugnissen zuwiderlaufend, würde man Colet einen glühenden Anhänger des Origenes nennen; die Unterschiede auf anthropologischem und soteriologischem Gebiet scheinen zu offenkundig. Doch bleibt andererseits, um die neuplatonische Terminologie aufzugreifen, ein gewisser Funken origeneischen Gedankengutes in den paränetisch geformten Darlegungen des Dompropstes erhalten, ein Funken, der sich auch im Gewissensbegriff wiederentdecken lässt und die Auswahl Colets als ‚Brückengestalt‘ im Sinne der anfänglichen Fragestellung rechtfertigt.

Anhang: Origenes-Parallelen bei John Colet In diesem kleinen Anhang möchte ich all diejenigen Stellen anführen, die der Colet-Forschung als Origenes-Parallelen bekannt sind. Sie sind hauptsächlich den Hinweisen Luptons zu verdanken, in einigen Sonderfällen jedoch auch basierend auf Colets Angaben selbst.

268 Vgl. Porter, Dean (wie Anm. 171) 42. Das ‚Gesetz der Natur‘ ist und bleibt für Colet

das ‚Gesetz des falschen Rates‘: Reliqua autem turba fluctuans in mari iniquitatis, oblita Dei, ignora viae, perversa voluntate stultissimas et iniquitatissimas leges condiderunt. Religio eorum idolatria erat, cultusque vanitatis. Justicia eorundem injusticia erat.  … Nulla erat hominis natura integra et incorrupta; nulla ratio serena; nulla voluntas recta. Quicquid inter se egerunt ipsi, stultum et improbum erat. Quicquid jusserint faciendum, vel non faciendum prohibuerint, erat instabile et variatum, erat tenebrecosum, erat inutile et nocivum (in Rom. Expos. c. 4 [IV p. 258 f. Lupton]). Deutlicher kann man es nicht mehr formulieren.

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1. Parallele: Expositio Epistolae B. Pauli ad Romanos, Einleitung In seiner skeptischen Einschätzung des allgemeinen menschlichen Erkenntnisvermögens liefert Colet gleich zu Beginn seines zweiten Römerbriefkommentars ein gutes Beispiel. „Die Weisen dieser Welt, die philosophierten, als sie das Buch der Schöpfung studierten, konnten deutlich darin lesen, dass es einen Gott gibt, allmächtig und ewig. Und der Ausdruck ‚denn was man von Gott erkennen kann‘ meint entweder, was diese haben von Gott erkennen können, oder aber was jeder Mensch aus den geschaffenen Dingen heraus über Gott erkennen kann. Sie wussten es in jedem Fall, dass er als Schöpfer und Urheber allen Seins zu betrachten sei: Von ihren Sinnen ausgehend gelangten sie zum Verstand und schließlich zu Gott selbst. Aber in ihrer Gottvergessenheit verehrten sie ihn nicht, obwohl sie ihn kannten.“269

Damit steht der Erweis der Schuldhaftigkeit jener Philosophen (oder gar aller Heiden?) im Vordergrund, die Gott nicht verehrten, obwohl sie ihn sehr wohl erkannt hatten. Auf ähnlicher Linie liegt Origenes, der allerdings nicht die heidnischen Philosophen anklagt, sondern diejenigen, die trotz der (Er-)Kenntnis der Wahrheit nicht zur Verehrung Gottes finden. Diese grundlegende Erkenntnis Gottes sei jedem Menschen gegeben durch das Erschließen aus der Schöpfung.270 Man sieht an dieser Stelle deutlich die kontextuelle Abhängigkeit zwischen Colet und Origenes, allerdings lassen sich keine direkten Textparallelen erkennen. 2. Parallele: Expositio Epistolae B. Pauli ad Romanos, cap. 2 In seinem zweiten, ausführlicheren Römerbriefkommentar kommt Colet im zweiten Kapitel auf die innere Beschneidung des Christenmenschen und seine Berufung zu sprechen. Er parallelisiert den Weg der Bekehrung des Christen mit dem Zug der Israeliten durch die Wüste, der letztlich auf dem Berg Sinai seinen Gipfelpunkt (Aufstiegsschema) durch die Begegnung mit Gott erlebe. Die Parallele ist daraufhin insofern verschoben, als Colet den Berg als Begegnungsstätte 269 Colet, in Rom. Expos. prooem. (IV p. 203 Lupton): Sapientes mundi, illi qui philosophati

sunt contemplantes in libro creaturarum, illic plane legerunt Deum unum et omnipotentem et eternum. Atque vel quod illi de Deo cognoverunt notum est Dei, vel quodcunque de Deo cognosci potest ab hominibus, indicantibus creaturis. Cognoverunt saltem illum esse creatorem ac factorem omnium; et profecti a sensu venerunt in intellectum et in Deum: sed impii cognitum Deum non coluerunt (Übersetzung: R. B. H.). 270 Vgl. Origenes, in Rom. comm. I 19 (p. 83,23–84,67 Hammond Bammel): In Deum ergo et in homines peccat qui veritatem in iniquitate detinet. Quam veritatem agnovisse credendi sunt homines naturalibus et a Deo animae insitis rationibus; quibus tantum prudentiae concessum est ut quod notum est Dei, id est quod agnosci de Deo potest per coniecturam creaturae ex his quae videri possunt invisibilia eius agnoscerent. Hoc ex pacto iustum erit iudicium Dei etiam erga eos qui ante adventum Christ, cum potuerint Deum agnoscere, ab eius cultu declinantes ad imagines hominum adorandas et animalium deverterunt.

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Gottes mit Abraham (Isaakopfer) betrachtet: Der Mensch müsse, so Colet, selbst nach Erlangung eines rechtschaffenen Geistes wie Abraham bereit sein, seinen alten Menschen auf dem Altar gänzlich zu opfern. Dazu bemüht der Londoner die Aussagen Pauli aus Röm. 12,1, wo von einem Selbstopfer des Apostels die Rede ist. Dies nun wird mit dem Motiv des Isaakopfers verdeutlicht: „… so dass (Gott) zumindest jenen Bock als Opfer annehme, der sich mit den Hörnern im Dornengestrüpp verfangen hatte, nämlich seinen Leib, den alten Menschen, der durch die Dornen, d. h. die Sorgen dieser Welt festgehalten wird.“271 Origenes kommentiert ebenfalls die Aussagen des Paulus aus Röm. 12,1, indem er das Selbstopfer spirituell deutet. Hier geht es nicht mehr um die Opferung von unvernünftigen Tieren, sondern um ein spirituelles Opfer durch Selbstreinigung. Dieses differenziert Origenes unter Bezugnahme auf seine Levitikushomilien: Die Taube stehe für die schlüpfrigen Gedanken, die vorbeiflögen, das Kalb für den Stolz, der Ziegenbock für die sinnlichen Begierden und schließlich auch der Widder für den Jähzorn.272 Damit grenzt Origenes das Bild sehr viel deutlicher ein als Colet, der es auf den gesamten Menschen ausweitet und in einen Zusammenhang mit dem Opfer Abrahams stellt. 3. Parallele: Expositio Epistolae B. Pauli ad Romanos, cap. 3 Colet fragt in diesem Abschnitt mit Paulus (Röm. 3,2) nach der den Juden spezifischen Offenbarung Gottes. Was gäbe ihnen einen Grund, sich zu rühmen? Ihnen seien nicht nur die schriftlich festgehaltenen (dekalogischen) Gesetze Gottes, sondern auch die Worte Gottes selbst (eloquia dei) anvertraut worden. Diese fasst Colet mit Origenes (er nimmt ausdrücklich auf ihn Bezug) als spirituelle Interpretation des mosaischen Gesetzes. Er konkretisiert diese Aussage im Sinne Picos,273 indem er die Geheimwissenschaft der Schriftdeutung, die Kabbala, mit einer solchen spirituellen Interpretation identifiziert: „Einen großen Vorteil in jeglicher Hinsicht, so sagt es Paulus, habe der Jude: hauptsächlich deswegen, weil ihnen die Worte Gottes anvertraut worden seien. Sie waren die ersten, zu

271 Colet, in Rom. Expos. c. 2 (IV p. 225 f. Lupton): … accipiatque postremo arietem illum in

vepribus herentem cornubus, id est, corpus suum, et veterem hominem, tentum spinis, id est, sollicitudinibus hujus mundi (Übersetzung: R. B. H.). 272 Origenes, in Rom. comm. IX 1 (p. 83,38–44 Hammond Bammel): De quibus singulis cum in librum Levitici aliqua diceremus pro viribus explanare tentavimus, quomodo unusquisque rationabili obsequio cultus Dei si superbiam corporis sui vincat immolet vitulum, si iracundiam superet arietem iugulet, si libidinem vincat holocaustum offerat hircum, si vagos et lubricos cogitationum resecet volatus columbas et turtures immolaverit. 273 Wir finden diesen Gedanken weiter ausgebreitet in Pico, Apologia (Opera Omnia, Basel 1557 [Nachdruck Hildesheim 1969], I, 175–177). Vgl. auch Colet, Eccl. hier. V 1 (III p. 237 Lupton), wo Colet aus dieser Passage zitiert.

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denen Gott viele Male und auf vielerlei Weise gesprochen habe und denen auch die Worte (eloquia) Gottes anvertraut bzw. übergeben worden sind. Mit dieser ist, wie Origenes sagt, nicht nur das schriftlich fixierte Gesetz gemeint, sondern auch dessen geistliche Deutungen, empfangen von Mose, weitergegeben an siebzig weise Männer und bekannt als die Wissenschaft der Kabbala und der Aufnahme.“274

Ein Blick in den Römerbriefkommentar des Origenes offenbart recht rasch, dass hier keineswegs von der Kabbala die Rede ist. Er bemerkt lediglich recht scharfsinnig, dass die eloquia Dei von der schriftlichen Überlieferung zu unterscheiden seien. Damit habe Gott ein besonderes (Glaubens-)Verständnis der Juden für seine direkte Wort-Offenbarung vorausgesetzt.275 Der Schritt, diese Art von speziellem Verständnis als spirituelle Deutungsmethode aufzufassen, dürfte wohl für Pico nur ein geringer gewesen sein, der dann diese ‚geistliche Deutung‘ mit der Kabbala identifizierte. 4. Parallele: Expositio Epistolae B. Pauli ad Romanos, cap. 4 Hier vollzieht Colet anhand eines origeneischen Gedankens und Mt. 3,9 die Umdeutung von Röm. 4,17: Paulus hatte eigentlich die göttliche Verheißung an Abraham in den Mittelpunkt gestellt, der deswegen zum Vater vieler Völker geworden sei, weil er dem Gott geglaubt habe, der die Toten lebendig macht und eine schöpferische Gewalt besitzt. Diese schöpferische Gewalt, ins Dasein zu heben, was vorher nicht existent war, deutet Colet mit dem Verweis auf Mt. 3,9 (Gott könne aus Steinen Kinder Abrahams erwecken) auf die Rechtfertigung der Heiden: „… dem Gott, der die Toten lebendig macht und so aus Ungläubigen Gläubige werden lässt – Gott hat nämlich die Macht, aus Steinen Kinder Abrahams zu schaffen – und er ruft die, die nicht sind, (ins Glaubensdasein) wie auch diejenigen, die (gläubig) sind, weil alle sich vor Gott gleich gebärdeten. Die, die nicht sind, das bezeichnet die Heiden; die, die sind, deutet auf die Juden. So kann Gott aus verdorbenen Menschen ehrenwerte schaffen …“276 274 Colet, in Rom. Expos. c. 3 (IV p.  232 Lupton): Multum, inquit, per omnem modum et

amplius habet Judeus. Primum quidem quia credita sunt illis eloquia Dei. Illi primi fuerant quibuscum loquutus est Deus multipharie multisque modis; quibusque etiam credita et commissa fuerant eloquia Dei; non solum litteralis lex, ut velit Origenes, sed etiam spiritalia interpretamenta a Moyse per septuaginta sapientes successive dirivata; quae scientia capulae et receptionis dicebatur (Übersetzung: R. B. H.). 275 Origenes, in Rom. comm. II 10 (p. 108,90–109,98 Hammond Bammel): Sed et hoc ipsum quod dicit: ‚quia credita sunt illis eloquia dei‘; considerandum est quia non dixerit litteras esse creditas sed eloquia Dei. Unde via nobis datur intelligendi quod his qui legunt et non intelligunt et qui legunt et non credunt littera sola sit credita illa de qua dicit apostolus quia littera occidit; eloquia autem Dei illis sint credita qui intelligentes et credentes his quae Moses scripsit credunt et Christo sicut et Dominus dicit ‚quia si credidissetis et ipsi Moysi crederetis utique et mihi; de me enim ille scripsit‘. 276 Colet, in Rom. Expos. c. 4 (IV p. 268 Lupton): Ante Deum, inquit, non ante homines; cui credidisti, et propter tuam credulitatem et confidentiam in Deo, qui vivificat mortuos, et facit

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In seiner Erörterung von Röm. 4,17 kommt auch Origenes auf den Ruf Gottes an „das, was nicht ist“, zu sprechen. Dabei bestimmt er das Sein hier als AnteilHaben an Gott: „Zu den Seienden, das heißt zu denen, die Anteil an ihm, dem Seienden, haben, sind Abraham, Isaak und Jakob und die anderen Heiligen zu zählen. Weil aber die Heiden durch den Glauben zum Glauben Abrahams kommen, darum verkündet der Apostel mit Folgerichtigkeit, dass Gott ‚das, was nicht ist‘, gerufen hat ‚wie das, was ist‘.“277

An dieser Stelle ist meines Erachtens besonders klar zu erkennen, wie Colet die Gedanken des Origenes aus dem Zusammenhang reißt und in neue – biblisch assoziierte – Kontexte einbettet, ohne jedoch den übergreifenden Gedanken gänzlich zu zerstören. Der Bezug auf Mt. 3,9 erscheint bei Origenes nicht, allenfalls später eine Erweiterung dieses Gedankens im Hinblick auf 1 Kor. 1,28, wo es darum geht, dass die Heiden (= das, was nicht ist) erwählt wurden, um die Juden (= das, was ist) zuschanden zu machen.278 5. Parallele: Enarratio in Epistulam B. Pauli ad Romanos, cap. 10 Zum Schluss des zehnten Kapitels seines ersten, weitaus kürzeren Römerbriefkommentars kommt Colet mit Röm. 10,16–21 auf die Schuldhaftigkeit der Juden zu sprechen, die das Wort Gottes gehört, ihm aber nicht geglaubt und es angenommen hätten. Diese offenkundige Ablehnung der von Gott oftmals angebotenen Wahrheit habe einen Sturz zufolge, der sich mit dem Stolpern über einen Stein vergleichen lasse. Jesus Christus sei dieser Stein des Anstoßes für die Juden, während er für die Erlösten eine Art steinerne Barriere darstelle, die sie vor dem Abgleiten in die Hölle bewahre: credulos ex incredulis: – potens est enim Deus de lapidibus facere filios Abraae: – et vocat ea quae non sunt, tanquam ea quae sunt; quia omnes se pariter habent apud Deum. Qui non sunt significat gentiles; qui sunt significat Judeos. Potest Deus viles honorabiles facere (Übersetzung: R. B. H.). 277 Origenes, in Rom. comm. IV 5 (p. 308,174–182 Hammond Bammel): Qui vero longe est ab eo nec participium eius sumit ne esse quidem dicitur, sicut eramus non gentes priusquam ad agnitionem veritatis divinae veniremus; et ideo dicitur Deus vocare ea, quae non sunt, tamquam quae sunt. Inter eos enim qui sunt, id est qui participationem habent eius, qui est, Abraham et Isaac et Iacob et ceteri sancti numerantur. Quod si gentes credendo in fidem veniunt Abrahae, consequenter pronuntiavit apostolus quod Deus vocaverit ea quae non sunt tamquam quae sunt; Übersetzung: Heither FC 2/2, 221. 278 Vgl. ebd. (p. 310,202–209): Sicut erga stulta mundi elegisse dicit Deum hoc est gentes ut confunderet sapientes sine dubio Iudaeos et infirma mundi ut confundat fortia, eodem ordine in hoc loco dicit et de his quae non sunt ut ea quae sunt destruat; et non esse gentes, esse autem Iudaeos ostendit, id est qui in lege erant, sed legem non implebant, ut destruerentur, et inducerentur illi qui non erant in lege, et Abrahae fidei credulitatis merito iungerentur.

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„Er [sc. Paulus] deutet an, dass sie [sc. die Juden] in ihrer Trägheit und Ignoranz die angebotene Wahrheit abgelehnt und sich so, indem sie über den Stein des Anstoßes gestolpert waren, verletzt hätten. Auf diese Weise haben sie es nicht zugelassen, dass Christus, Stein des Anstoßes, für sie zu einem Hindernis vor dem Abgleiten in die Tiefe geworden wäre und ihrer Schlechtigkeit im Wege gestanden hätte.“279

Der Gedanke einer Umdeutung der petra scandali als Fels, der den Weg zur Verdammnis blockiert oder das Abgleiten dorthin verhindert, stammt eindeutig aus origeneischem Gedankengut und wird im Römerbriefkommentar entfaltet. Dort überlegt sich der Alexandriner, inwiefern der Begriff des lapis offensionis et petra scandali auf Christus angewandt werden kann. Ein negatives ‚Zu-Fall-Kommen‘ sei von der Würde des Erlösers her nicht denkbar, von daher müsse an ein Hindernis auf dem breiten Weg ins Verderben gedacht werden: „So wurde er für sie [sc. die Juden] zum Stein des Anstoßes und zum Felsen des Hindernisses, weil er sie nicht auf dem breiten Weg gehen ließ, der zum Verderben führt.“280 Die folgenden Parallelen sind im allgemeinen Kontext bis hinein in einzelne Formulierungen nachweisbar: 1. Parallele: Enarratio in Epistulam B. Pauli ad Romanos, cap. 11 Zu Beginn seiner Auslegung von Röm. 11 nimmt Colet in einer seltenen Ausnahme ausdrücklich Bezug auf Origenes: „Der Heilige Paulus hat bereits vorausgesagt, dass die Juden eines Tages durch den Geist Gottes gereinigt würden; wann aber dies geschehen würde und welche bzw. wie viele von ihnen (zur Reinigung) gerufen würden, das weiß Gott allein – wie Origenes uns sagt.“281 Tatsächlich findet sich derselbe Gedanke im Römerbriefkommentar des Origenes. Darin wundert sich der Alexandriner über die an Jes. 59,20 angelehnte Weissagung des Paulus, dass auch Israel nach seiner Verblendung auf eine Erlösung hoffen kann. Er bemerkt scharfsinnig, wie Paulus für diese autoritative Aussage den Jesajatext verändert hat. Dann folgt der von Colet aufgegriffene Gedanke: „Wer aber das 279 Colet, in Rom. En. c. 10 (IV p. 172 Lupton): … quos significat crassitate mentis et igno-

rancia oblatam veritatem repudiasse, et recalcitrantes ad lapidem offensionis lesisse se, non sinentes ut Christus, petra scandali, id est, petra objecta labentibus in profundum, viciis eorum obstaret; sed calcitrantes, et quasi pedibus petentes lapidem, ut e via tolleretur, ne suum precipitem casum ad mortem impediat, ita graviter se offenderunt, et sibi ipsi tantum volnus inflixerunt (Übersetzung: R. B. H.). 280 Origenes, in Rom. comm. VII 17 (p. 639,137–140 Hammond Bammel): Sed et multa his similia dicens et arguens eos impedire coepit vias perditionis eorum et effectus est eis lapis offensionis et petra scandali, non sinens eos ingredi viam latam quae ducit ad mortem; Übersetzung: Heither, FC 2/4, 187. 281 Colet, in Rom. En. c. 11 (I p.  172 Lupton): Itaque Judeos spiritu Dei purgatus fore vidit Paulus et predixit: quod quando erit, et qui et quot eorum accersientur, ut ait Origenes, solus Deus novit (Übersetzung: R. B. H.).

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Der Gewissensbegriff John Colets

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ganze Israel ist, das gerettet werden soll, oder wer auch die Fülle der Heiden darstellt, das weiß Gott allein und sein einziger Sohn, vielleicht auch diejenigen, die seine Freunde sind.“282 Abermals tut sich hier zwar eine enge kontextuelle, nicht aber eine direkte semantische Abhängigkeit auf. Colet rekurriert  – womöglich aus dem Gedächtnis – auf einen Gedanken des Origenes, der in unterschiedliche Richtungen weiter entwickelt wird. 2. Parallele: Letter to Radulphus 4 In seinem vierten und letzten Brief an (den fiktionalen?) Radulphus, der den mosaischen Schöpfungsbericht zum Kernthema hat, kommt Colet auf die Frage der Schöpfungsabfolge zu sprechen. Eigentlich stehe der Gedanke einer göttlichen Allmacht einer Schöpfung in mehreren Etappen entgegen, da Gott ohne weiteres den gesamten Kosmos mit einem einzigen Akt hätte ins Dasein rufen können. Der eigentliche Grund für den in sieben Tagesabschnitte unterteilten Schöpfungsbericht liege in einem pädagogischen Ansinnen des Verfassers Mose begründet: „Aber als guter und frommer Poet – so nennt ihn Origenes in seiner Abhandlung gegen Kelsos – wäre Mose eher geneigt, etwas zu erfinden, das in einem gewissen Grade der göttlichen Allmacht unwürdig sei, wenn es zu gleicher Zeit den Menschen angenehm und nützlich sei.“283 Trotz dieser im Vergleich zu anderen Bezügen doch recht präzisen Quellenangabe handelt es sich um keine exakte Textparallele, sondern eine Verschmelzung zweier Abschnitte, nämlich Cels. I 18 und 19. Im erstgenannten wird Mose zunächst als trefflicher Redner bezeichnet, der im Blick auf seine Hörer pädagogisch geschickt und rhetorisch gewandt vorgehe. Nicht zuletzt dieser Nutzen für die Menschen habe seine Texte im Gegensatz zu denen der paganen Dichter (auf die Kelsos sich bezieht) vor der Vergessenheit bewahrt.284 Im zweiten Abschnitt ist dann schließlich von einer „reinen und frommen Seele“ in bezug auf Mose die Rede,285 der dem Schöpfergott in ganzer Hingabe diene. Anhand dieser von Colet eindeutig als solcher identifizierten Parallele lässt sich abermals der eher assoziative Umgang mit dem origeneischen Quellentext belegen. Es ist davon auszugehen, dass Colet entweder sein Notizbuch gar nicht erst zur Hand nahm und aus dem Gedächtnis zitierte oder vielmehr dass seine Aufzeichungen zur späteren Wiederverwendung nur vage Exzerpte umfassten. 282 Origenes, in Rom. comm. VIII 11 (p. 702,68–70 Hammond Bammel): Quid autem sit iste

omnis Israhel qui salvus fiet vel quae erit ista plenitudo gentium Deus solus noverit et unigenitus suus et si qui forte amici eius sunt; Übersetzung: Heither, FC 2/4, 305. 283 Colet, ep. ad Radulphum IV (IV p. 182 Lupton): Sed more boni piique poetae, qualem illum in libro quem contra Celsum scripsit, vocat Origenes, effingere aliquid voluit nonnihil indignum Deo, modo idem commodum et utile hominibus esse possit (Übersetzung: R. B. H.). 284 Vgl. Origenes, Cels. I 18 (GCS Orig. 1, 68). 285 Ebd. I 19 (1, 69): καθαρᾷ καὶ εὐσεβεῖ ψυχῇ Μωϋσέως.

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Quellenangaben John Colet Ep. 1 an John Kidderminster, lat., hg. von Samuel Knight, in: ders., Life of Dr. John Colet, Dean of St. Paul’s, London 1724, 311–314. Enarratio in Epistolam B. Pauli ad Romanos, engl.-lat., hg. und übers. von Joseph H. Lupton, London 1873 (Nachdruck Ridgewood NJ 1965); zit. als: in Rom. En. (I Lupton). De Corpore Christi Mystico, engl.-lat., hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opuscula Quaedam Theologica, London 1876 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 185–195; zit. als: De corp. Christ. myst. (IV Lupton). Enarratio in Primam S. Pauli Epistolam ad Corinthios, lat.-engl., hg. und übers. von Bernard O’Kelly/Catherine A. L. Jarrott, Commentary on First Corinthians. A New Edition of the Latin Text, with Translation, Annotations, and Introduction (MRTS 21), Binghamton NY 1985; zit. als: in 1 Cor. En. (O’Kelly/Jarrott). In Principium Genesios/Epistolae ad Radulphum, engl.-lat., hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opuscula Quaedam Theologica, London 1869 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 165–182; zit. als: Ep. ad Radulphum (IV Lupton). Epistolae B. Pauli ad Romanos Expositio Literalis, engl.-lat., hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opuscula Quaedam Theologica, London 1876 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 197–281; zit. als: in Rom. Expos. (IV Lupton). Opus de Caelesti Dionysii Hierarchia, engl.-lat., hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opus de Sacramentis Ecclesiae, London 1867 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 163– 196; zit. als: Cael. hier. (III Lupton). Opus de Ecclesiastica Dionysii Hierarchia, engl.-lat., hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opus de Sacramentis Ecclesiae, London 1867 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 197–272; zit. als: Eccl. hier. (III Lupton). De Sacramentis, lat.-engl., hg. von John Gleason, in.: ders., John Colet, Berkeley u. a. 1989, 270–333; zit. als: Sacr. (Gleason).

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Die Seele zwischen Tier und Gott Die origeneische Freiheitsanthropologie bei Erasmus von Rotterdam

CHRISTIAN HENGSTERMANN, MÜNSTER

1. Das Ideal erasmischer pietas – Der Prediger und Exeget Origenes Im Jahre 1536 erschien postum die von Erasmus von Rotterdam besorgte Ausgabe der Werke des großen alexandrinischen Kirchenvaters Origenes.1 An ihr hatte der Humanistenfürst bis kurz vor seinem Tode gearbeitet.2 Die De vita, phrasi, docendi ratione et operibus Origenis betitelte Vorrede,3 eine Biographie des Autors, gefolgt von kurzen Einführungen zu seinen Schriften und einer abschließenden Würdigung seiner Leistung als Lehrer und Prediger, stellt nicht nur eine eindrucksvolle literarische Reverenz gegenüber dem hoch verehrten Kirchenvater dar. Mehr noch als andere Schriften des Rotterdamers fasst sie im Spiegel der Vita und der Schriften des Origenes zugleich das theologische Selbstverständnis ihres Verfassers zusammen:4 In Leben und Werk erscheint der Alexandriner als Personifikation des erasmischen Ideals christlicher pietas.5 1

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Strenggenommen handelte es sich hierbei weniger um eine Neuedition als eine korrigierte Neuauflage der von Jacques Merlin besorgten editio princeps von 1512, an der Erasmus zuvor wiederholt Kritik geübt hatte. Zur Werkausgabe des Erasmus siehe Max Schär, Das Nachleben des Origenes im Zeitalter des Humanismus (BBGW 140), Basel/Stuttgart 1979, 289–294, sowie das ausführliche Kapitel in dem gleichermaßen grundlegenden wie umfassenden Standardwerk zur erasmischen Origenes-Rezeption aus der Feder von André Godin, Erasme lecteur d’Origène (THR 190), Genf 1982, 593–660. Siehe dazu das bei Erasmus, epist. 3134 (XI p. 343 Allen), erhaltene bewegende Zeugnis eines Freundes: „Ganz war dieser allergelehrteste Mann mit der Wiederherstellung des griechischen Origines [sic] befasst. Ihm hatte er sich, als ihn die Gewalt des Todes bereits aufs ärgste bedrängte, so vollkommen verschrieben, dass er nicht eher davon abließ, als bis der Tod selbst ihm beim Schreiben die Feder entwand.“ Die Übersetzungen hier und im Folgenden stammen, soweit nicht anders vermerkt, vom Verfasser. Abgedruckt in: LB 8, 425–440A. Wie Godin, Erasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 631–660, in seiner psychologisch höchst eindringlichen Detailanalyse im Einzelnen belegt, gilt für die Origenes-Vorrede in besonderer Weise, was Johan Huizinga, Erasmus. Eine Biographie, Reinbeck bei Hamburg 1993, 48, im Blick auf das gesamte umfangreiche Œuvre des Rotterdamers meint konstatieren können: Darin sei eine „Naivität“ am Werk, „die seine Schriften, auch wo er selbst verbergen oder bemänteln will, oft zu Konfessionen macht“. Die (von Huet und anderen

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Origenes, so der Beginn des erasmischen Enkomions, habe von Kindesbeinen an „nichts Niedriges“ (nihil humile)6 im Sinn gehabt und als Prediger seine Gemeinde zu den erhabensten Geheimnissen der Schrift emporgeführt. In seinem brennenden Verlangen nach dem Martyrium, von dem die Mutter ihn nach der bei Eusebius überlieferten Episode nur durch das Verstecken seiner Kleidung abhalten konnte,7 erweist sich für Erasmus bereits der junge Origenes als Vorbild christlichen Glaubens, das die Pflichten der religiösen pietas konsequent über die natürlichen gegenüber Vater und Mutter gestellt habe: „In diesem Jungen aber“, so der Rotterdamer voller Bewunderung, „besiegte die eine fromme Pflicht (pietas) die andere und triumphierte die religiöse Inbrunst über das natürliche Gefühl, und die Kraft des Glaubens schlug die Schwachheit des Fleisches.“8 Letzteres habe sich auch in der von ihm praktizierten strengen Askese gezeigt, die, ebenfalls Ausdruck „leidenschaftlichster Begeisterung für den Glauben“ (ardentissimum pietatis studium),9 Grund für die bekannte „Jugendsünde“,10 die Selbstkastration, gewesen sei. Es verwundert nicht, dass der Humanist Erasmus im Weiteren auch die gediegenen philologischen Kenntnisse des Grammatiklehrers Origenes ausführlich würdigt. So habe sich der beim Märtyrertod des Vaters erst Siebzehnjährige auch hier den Apostel Paulus, der ebenfalls „niemandem zur Last“ habe fallen wollen,11 zum Vorbild genommen und als Grammatiklehrer den Lebensunterhalt der mittellos zurückgebliebenen Familie bestritten. Anders als heute, so führt der Rotterdamer anerkennend aus, habe sich die Tätigkeit des Sprachlehrers damals jedoch nicht auf die geistlose Vermittlung von Paradigmen und Konjugationen beschränkt, sondern eine umfassende Kenntnis im Bereich der artes liberales und insbesondere der Literaturwissenschaft erfordert. Im Verbund mit der strengen

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späteren Herausgebern scharf kritisierte) Vorrede erweist sich so als überaus persönliche Apologia pro vita sua des sterbenden Humanistentheologen, in der dieser, ob beabsichtigt oder nicht, beinahe Detail für Detail sein eigenes Leben und Schaffen reflektiert. Zum pietas-Begriff, der als Schlüsselkategorie der erasmischen philosophia Christi auch für die Origenes-Rezeption des Rotterdamers in Früh- wie Spätwerk leitend ist, siehe die sorgfältige semantische Analyse in der Einleitung von John W. O’Malley, CWE 66, Toronto/Buffalo/London 1988, ix–li, bes. xvi–xxi, und den umfassenden Überblick bei Erika Rummel, Desiderius Erasmus, London/New York 2004, 39–53. LB 8, 425B. Erasmus kommentiert dies ebd. 424 f. mit aphoristischem Witz: „So blieb der Martyriumsanwärter zuhause, nicht aufgrund der Furcht vor dem Tode, die ihn nicht zurückzuhalten vermochte, sondern aus Scham.“ Ebd. 426B. Das Lob des jungen Origenes enthält in nuce den Grundgedanken des erasmischen Vollkommenheitsideals, die pneumatische Überbietung der psychisch-sarkischen Existenz des Menschen. Siehe dazu ausführlich unten S. 159–162. Ebd. 428C. So die erasmische Apologie ebd. 428A. C. Ebd. 426C.

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Askese habe ihm die große Gelehrsamkeit alsbald eine solche Reputation unter Christen wie Heiden eingebracht, dass viele voller Liebe zu ihm sich und ihr Leben regelrecht einer Origenis imitatio12 verschrieben hätten. Die gelehrte pietas seines Vorbildes sieht Erasmus vor allem in dessen zahllosen colloquia familiaria,13 seinen Predigten, dokumentiert. In ihnen, so Erasmus bewundernd, sei es Origenes mit großer Meisterschaft gelungen, alle Menschen, darunter auch einfachere Geister, in den Lehren des Evangeliums zu unterweisen. Schwierige Dinge habe er stets mit allgemeinverständlichen Begriffen darzustellen gewusst,14 wie seine Diktion überhaupt angenehm unprätentiös gewesen sei.15 Unter weitgehendem Verzicht auf gelehrte Philosophenzitate fügten sich seine Predigten meist zu kunstvollen Collagen biblischer Zitate zusammen, die dem begeisterten Prediger – voller Inbrunst habe er nämlich über Dinge gesprochen, die er aufrichtig „geliebt“ habe16 – stets das Interesse der Gemeinde gesichert hätten.17 Ja, in all den Bibelauslegungen des christusbegeisterten Exegeten habe sich, und auch hier sieht Erasmus den Alexandriner als höchste Personifikation seines pneumatisch-christologischen Vollkommenheitsideals, das Wirken des Heiligen Geistes selbst gezeigt: Origeni ingenium, so der Rotterdamer mit einer abgewandelten Horaz-Stelle,18 Origeni dedit ore rotundo/πνεῦμα loqui, praeter Christum nullius avaro.19 Mit seiner Vorrede zur postumen Origenes-Werkausgabe verbeugt sich der sterbende Humanist vor einem Denker, der ihm „gleichsam“, so hatte er 1504 in

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Ebd. 427A. Erasmus bezeichnet die Homilien ebd. 430A als Colloquia, um eine Zeile darauf in Anspielung auf seine bekannten Sammlungen literarischer Gespräche auch das Adjektiv familiaris zu verwenden. Auch hier zeigt sich die Identifikation des neuzeitlichen humanistischen Literaten mit dem Philosophenprediger der christlichen Antike. Vgl. ebd. 430A sowie insbesondere 437E. Vgl. ebd. 437F. So hat Erasmus vor allem den Prediger vor Augen, wenn er über den Schriftsteller Origenes ebd. 438C urteilt: „Überall ist er voller Eifer und Leben, überall glüht er. Er liebte nämlich, worüber er sprach, und über Dinge, die wir lieben, macht es uns auch Freude zu reden. Hierin hat jener unerschöpfliche Eifer dieses Mannes und seine stets unerschöpfliche Kraft ihren Ursprung.“ Der erasmische Bericht hat auch hier ausgesprochen idealisierenden Charakter. Wie aus einigen Bemerkungen im erhaltenen Predigtwerk des Origenes erhellt, ist seine Gemeinde durchaus nicht immer willens gewesen, ihrem Philosophenprediger bei seinen zumeist höchst anspruchsvollen Bibelexegesen zu folgen. So beklagt Origenes wiederholt die fehlende Aufmerksamkeit seiner Gemeinde, so etwa in Is. hom. 5,2 (GCS Orig. 8, 265). Siehe auch die in Origenes, Die Homilien zum Buch Jesaja, eingel. und übers. von Alfons Fürst/Christian Hengstermann (OWD 10), Berlin/New York – Freiburg/Basel/Wien 2009, 248 Anm. 92, gesammelten Parallelstellen in anderen Homilien. Horaz, art. poet. 323 f. LB 8, 437D.

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einem Brief an seinen englischen Freund John Colet bekannt, „gewisse Quellen der theologischen Wissenschaft erschlossen“ und ihm „ihre Methode vor Augen geführt“,20 ihn also überhaupt in die Anfangsgründe der Theologie als Wissenschaft eingeführt hatte.

2. John Colet, Jean Vitrier … und Johann Poppenruyter – Die Entdeckung des Origenes Die Anfänge der erasmischen Origenes-Begeisterung verbinden sich mit drei Personen, die allesamt eine Form des Namens Johannes tragen. Neben dem erwähnten englischen Theologen John Colet, durch den Erasmus zum erstenmal in größerem Maße mit den Schriften des Alexandriners in Berührung kommt, ist es vor allem der streitbare flandrische Franziskaner-Prediger Jean Vitrier, der in ihm die Liebe zum homiletischen Werk des Origenes weckt. Die Ausschweifungen des deutschen Geschützgießers Johann Poppenruyter, die ihm die betrogene Ehefrau bei einem Aufenthalt auf Schloss Tournehem klagt, sind schließlich der konkrete geschichtliche Anlass für den ersten Entwurf einer Theologie aus origeneischem Geiste, das im Enchiridion militis Christiani entfaltete Programm einer christlichen pietas in der Welt. Der berühmte Brief an Jodokus Jonas vom 13. Juni 1521,21 eine meisterhafte Doppelbiographie,22 mit der Erasmus seinen beiden zu Vorbildern christlicher pietas23 stilisierten theologischen Lehrern Colet und Vitrier ein literarisches Denkmal gesetzt hat, stellt zugleich ein zentrales Dokument der humanistischen 20

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Epist. 181 (I p.  405 Allen). Aus dem zitierten Brief geht hervor, dass sich Erasmus bis 1504 eine umfassende Origenes-Kenntnis angeeignet hatte: „Das Werk des Origenes“, so schreibt er unmittelbar vor dem oben zitierten Passus, „habe ich zu einem Gutteil studiert und von seiner Anleitung, so will ich meinen, nicht wenig profitiert.“ Ebd. 1211 (IV p. 507–527). Neben der neueren englischen Übersetzung von Roger A. B. Mynors, CWE 8, Toronto/Buffalo/London 1988, 225–244, verdienen in diesem Zusammenhang vor allem die mit hilfreichen Stellenkommentierungen versehenen Übertragungen von Joseph Hurst Lupton, Erasmus, The Lives of Jehan Vitrier and John Colet, London 1883, sowie von Jean Godin, Erasme, Vies de Jean Vitrier et de John Colet, Paris 1982, Erwähnung. Mynors, CWE 8, 225, etwa nennt den Brief eine „admirable composition“. Das Leitmotiv der pietas, die theologische Mitte der an Plutarch angelehnten literarischen Doppelbiographie Vitriers und Colets, verbindet den Brief mit der späteren OrigenesDarstellung der postumen Werkausgabe. So schließt der Brief mit einem Vergleich zwischen den beiden christlichen Vorbildern, die Erasmus in einer thematischen Rekapitulation als vere syncereque Christiani feiert: An Vitrier und Colet solle er, Jodokus Jonas, sich im Blick auf die vera pietas ein Beispiel nehmen (epist. 1211 [IV p. 526 Allen]). Die Siegespalme gebührt nach Erasmus freilich dem ersten: „In Colet aber“, so schreibt er abschließend, „gab es Dinge, die zeigten, dass er ein Mensch gewesen ist. In Vitrier habe

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Origenes-Renaissance dar. Ihren ersten Protagonisten, den späteren Dompropst der Londoner St. Paul’s Kathedrale John Colet, lernte Erasmus hiernach bei seiner ersten Englandreise im Jahre 1499 kennen und schätzen.24 Unter der Ägide Colets und anderer Oxford-Platoniker wie William Grocyn und Thomas Linacre wurde England, mit dem den sokratischen Ironiker und Moralphilosophen Erasmus zeit seines Lebens eine enge geistige Wahlverwandtschaft verbinden sollte,25 zu dem Ort, an dem seine eigene Theologie, wie seine dort entstandene Disputatiuncula mit Colet, sein erstes im engeren Sinne theologisches Werk, bezeugt, erste Gestalt annahm. So machten ihn die überaus populären Römerbrief-Vorlesungen, die der noch unpromovierte junge Oxforder Theologiedozent unter großem Zuspruch hielt, mit einer neuen christlichen Theologie vertraut, die in Abkehr vor einer als weltfremd empfundenen Scholastik vor allem praktische Anleitung zu einem christlichen Leben geben wollte. Quellen dieser neuen Theologie waren neben Paulus selbst nicht zuletzt die Kirchenväter, allen voran, so Erasmus in dem

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ich niemals etwas gesehen, das auf irgendwelche Weise noch den Eindruck menschlicher Begehrlichkeit gemacht hätte“ (ebd. 527). Zwar gilt die Begegnung mit Colet, wie auch Wilhelm Ribhegge, Erasmus von Rotterdam, Darmstadt 2010, 38, jüngst schreibt, allgemein als „Schlüsselereignis“ in der Vita des Rotterdamers. Dennoch lässt sich, wie aus der Darstellung von Germain Marc’Hadour, Erasme et John Colet, in: Jean-Claude Margolin u. a. (Hg.), Colloquia Erasmiana Turonensia (De Pétrarque à Descartes 24), 2 Bde., Paris 1972, 761–767, und der ausgewogenen Darstellung bei Christine Christ-von Weldel, Erasmus von Rotterdam. Anwalt eines neuzeitlichen Christentums (Historia profana et ecclesiastica 5), Münster 2003, 57–61, hervorgeht, der genaue Einfluss, den Colet auf die Theologie des jungen Erasmus ausübt, insgesamt nur schwer bestimmen. Noch diffiziler ist es, seine Bedeutung für die Anfänge der erasmischen Origenes-Begeisterung zu ermessen, zumal Colets eigene Beeinflussung durch den Alexandriner, wie Rudolf Hein in diesem Band ausführlich aufzeigt, zumeist indirekter Natur ist und im Ganzen schwer fassbar bleibt. Der folgende Umriss beschränkt sich daher auf die einschlägigen Äußerungen im Brief an Jonas und die allgemeine Rolle Colets als Vermittler einer erneuerten platonischen Theologie im Geiste der Kirchenväter, an die Erasmus in einer Art literarischen Colet-aemulatio anknüpft. Roland Herbert Bainton, Erasmus of Christendom, London 1969, 73–98, fasst die Bedeutung, die Colet im Blick auf das theologische Programm des Erasmus im Allgemeinen und dessen origeneische Kontur im Besonderen zukommt, wohl treffend zusammen, wenn er die Darstellung der ersten Englandreise des Rotterdamers unter die Leitbegriffe „Neoplatonism and Piety“ stellt. Léon-Ernst Halkin, Erasmus von Rotterdam. Eine Biographie, Zürich 21992, 43–61, nennt England treffend die „zweite Heimat“ des Erasmus, und Frederick Seebohm, The Oxford Reformers, London 31887, ordnet ihn trotz mancher unausgewogener These mit gewissem Recht dem Kreis der „Oxford-Reformer“ um John Colet und Thomas More zu. Höchst anregend ist der Ansatz von J. A. K. Thomson, Erasmus in England, in: VBW 9 (1930–1931) 64–82, der die literarische Figur sokratischer Ironie, die Erasmus insbesondere im Austausch mit Thomas More perfektioniert und über die er großen Einfluss auf die englische Literatur ausgeübt hat, als Ausdruck einer profunden geistigen Wahlverwandtschaft mit der englischen Mentalität wertet.

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genannten Brief, „Dionysius, Origenes, Cyprian, Ambrosius und Hieronymus“,26 an denen der sittenstrenge Dozent, wie er schreibt, „die größte Freude“ gehabt habe.27 Hinzu traten Platon, den Erasmus in den vom Geist des Atheners beseelten Paulus-Vorlesungen28 geradezu selbst zu hören meinte,29 sowie der spätantike Neuplatonismus und die neugegründete florentinische Akademie,30 mit der John Colet auf seiner Italienreise in Kontakt gekommen war. Die florentinische Platonschule, mit der Erasmus über Colet in Berührung kam, hatte Origenes als Gewährsmann der eigenen prisca theologia bereits praktisch rehabilitiert31 und mit Pico della Mirandola zudem einen der bedeutendsten neuzeitlichen Apologeten des verketzerten alexandrinischen Kirchenvaters hervorgebracht.32 So sind es vermutlich vor allem Colets Paulus-Exegese und sein im Rekurs auf Platon und die Kirchenväter entworfenes Programm einer erneuerten lebensnahen christlichen Theologie gewesen, die der erasmischen Rezeption des Origenes den Weg bereitet haben.33 An Letzteren dürfte Erasmus auch gedacht haben, als er in der Rückschau über die bevorzugte Lektüre seines gelehrten englischen Freundes befand: „Es gab kein häretisches Buch, das er nicht mit Aufmerksamkeit studiert hätte.“34 26 27 28

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Epist. 1211 (IV p. 515 Allen). Ebd. Von daher lässt sich diese zunächst überraschende Bemerkung – Bainton, Erasmus of Christendom (wie Anm. 24) 79, etwa kommentiert ironisch: „This is rather a startling statement since Colet was lecturing on Paul“ – erklären: Wie die erasmische Pauluslektüre im Enchiridion (siehe unten S. 158 f.), so hatte auch die Exegese des Ficino-Bewunderers Colet eine unverkennbare platonische Prägung. So das berühmte Diktum in epist. 118 (I p. 273 Allen). Bainton, Erasmus of Christendom (wie Anm. 24) 79–83, bietet einen luziden Überblick über das Denken der Oxford-Platoniker und ihr Verhältnis zur Schule von Florenz. Eine neuere Darstellung der neuzeitlichen Platonrenaissance, deren Zusammenhang mit der (wohl nicht von ungefähr) zeitgleichen Wiederentdeckung des Origenes eine eingehende Untersuchung verdiente, bietet Christopher S. Celenza, The revival of Platonic philosophy, in: James Hankins (Hg.), The Cambridge Companion to Renaissance Philosophy, Cambridge 2007, 72–96. Dies zeigt Schär, Nachleben des Origenes (wie Anm. 1) 109–111, anhand der zahlreichen Ehrbekundungen gegenüber dem Platoniker Origenes im Werk Marsilio Ficinos auf. Vermutlich hat Colet selbst den Alexandriner, wie Schär, ebd. 246, mutmaßt, über die Platoniker Ficino und Pico entdeckt. Erwähnung verdient insbesondere Picos Verteidigung des Origenes, die den bei weitem umfangreichsten Abschnitt seiner Apologie bildet. Eine mit Einleitung und Kommentar versehene zweisprachige Ausgabe bietet Henri Crouzel (Hg.), Une controverse sur Origène à la Renaissance. Jean Pic de la Mirandole et Pierre Garcia (De Pétrarque à Descartes 36), Paris 1977. Vgl. hierzu abschließend die Zusammenfassung bei Halkin, Erasmus von Rotterdam (wie Anm. 25) 45: „Durch Colet stößt er auf den Neuplatonismus des Marsilio Ficino. Er lernt eine moderne Theologie und eine Form der Bibelauslegung schätzen, die in diametralem Gegensatz zu den fruchtlosen Spekulationen an der Sorbonne stehen.“ Epist. 1211 (IV p. 532 Allen).

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Gleiches trifft unzweifelhaft auch auf die erste Person der Doppelbiographie zu, den flandrischen Franziskanerprediger Jean Vitrier, der dem Verfasser bis zur Werkausgabe von 1536 gleichermaßen als eigentlicher Origenes redivivus35 seiner Zeit und als „vollendete Verkörperung der philosophia Christi“36 galt: Ihrer Vermittlung galten das Leben und Werk des flandrischen Origenisten, allen voran seine höchst lebendigen Predigten.37 Auch Vitrier hatte mit großem Eifer eine Reihe von Kirchenvätern studiert, darunter Ambrosius, aus dessen Werk er ganze Passagen auswendig wiederzugeben vermochte, sowie Cyprian und Hieronymus. Dennoch, so fährt Erasmus fort, „gab es unter den theologischen Autoren keinen, dessen Geist er so sehr bewundert hätte wie den des Origenes“.38 In diesem Zusammenhang gibt der Rotterdamer auch eine aufschlussreiche Anekdote wieder, in der sich sein flandrischer Freund, auf seine Begeisterung für den heterodoxen Kirchenvater angesprochen, mit großer Leidenschaft zu dem, wie er sagt, vom Heiligen Geist selbst inspirierten alexandrinischen Prediger und Exegeten bekennt: „Und als ich ihn neckte und mich verwundert gab, dass er an den Schriften eines Häretikers Freude habe, da antwortete er mit erstaunlichem Eifer: ‚Es kann gar nicht anders sein, als dass in dem Herzen, das eine solche Fülle von so überaus gelehrten und leidenschaftlichen Schriften hervorgebracht hat, der Heilige Geist gewohnt hat.‘“39

Den charismatischen Guardian des Franziskanerkonvents zu St. Omer hatte Erasmus im Jahre 1501 kennen gelernt, als er sich bei dem vergeblichen Versuch, die Schlossherrin von Tournehem, Anna van Borssele, als Mäzenin für sich zu gewinnen, abwechselnd bei seinem Freund Jakob Batt auf Schloss Tournehem selbst, in 35

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Dies hat André Godin, De Vitrier à Origène. Recherches sur la patristique érasmienne, in: Colloquium Erasmianum, Mons 1968, 47–57, in eindrucksvoller philologischer Detailarbeit belegt. So weisen, wie die von Godin, ebd. 49–51, zusammengestellte Synopse zeigt, die Lebensbeschreibungen in der Origenes-Vorrede und dem Vitrier-Teil von Brief 1211 eine Vielzahl auffälliger Übereinstimmungen in Diktion und Ausdruck auf. So die treffende Zusammenfassung des im Brief entworfenen Vitrier-Bildes bei Bainton, Erasmus of Christendom (wie Anm. 24) 85. Wie das spätere Lob des Origenes in der Vorrede zu der von ihm besorgten Gesamtausgabe zeigt, lässt sich im Geist des Rotterdamers das eine nicht vom anderen trennen: Sein Ideal christlicher pietas bestimmt sein Bild vom Alexandriner, wie ihm dieser umgekehrt spätestens seit der Begegnung mit Jean Vitrier als höchste Personifikation des frommen Christenmenschen gilt. Vitriers Werk, das aus einem Gebetsmanuale und insgesamt 23 Homilien besteht, hat André Godin wieder entdeckt und in einer verdienstvollen kritischen Edition mit Einleitung und Kommentar zugänglich gemacht: Spiritualité Franciscaine en Flandre au XVIe siècle. L’homéliaire de Jean Vitrier. Texte, Étude thématique et sémantique par André Godin. Préface par Alphonse Dupront (THR 116), Genf 1971. Epist. 1211 (IV p. 508 Allen). Ebd.

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der Abtei Saint-Bertin und auf Schloss Courtebourne aufgehalten und vor allem an einem (unvollendet gebliebenen) Römerbriefkommentar und der Vervollkommnung seiner Griechischkenntnisse gearbeitet hatte.40 Wie John Colet, so war auch Jean Vitrier ein höchst unbequemer Geist, der im Namen einer innerlich-existentiellen Christus-Frömmigkeit paulinischer Prägung unnachgiebig gegen das veräußerlichte Weltchristentum einer gleichermaßen evangeliumsfernen wie raffgierigen Kirchenhierarchie opponierte, der äußere Riten und finanzielle Belange, wie er wähnte, weit mehr galten als das Heil der ihr anbefohlenen Seelen.41 So fuhr er etwa die bischöflichen Gesandten, die in dem vom berüchtigten Papst Alexander VI. ausgerufenen zweiten Erlassjahr des Jahrhunderts Geld, das eigentlich für karitative Zwecke vorgesehen war, eintreiben und ihn mit einer Geldspende für ein geplantes Bauprojekt bestechen sollten, kurzerhand an: „Fort von hier, ihr Simonisten, und nehmt euer Geld mit! Haltet ihr mich etwa für einen, der für Geld die Wahrheit des Evangeliums zu unterdrücken bereit wäre? Wenn diese eurem Profit im Wege steht, so muss mir doch die Sorge um die Seelen mehr am Herzen liegen als die um euren Gewinn!“42

Wiederholt wurde der resolute Seelsorger infolgedessen der Häresie bezichtigt und zu seinem Bischof zitiert, bis sich die Kirchenoberen schließlich ihres Kritikers entledigten und ihn in ein abgelegenes Frauenkloster versetzten. Von aufgebrachten Nonnen, die offenbar ein ihm feindlich gesonnener Bischof gegen ihn aufgestachelt hatte, wäre Vitrier bei seinem beherzten Engagement für eine evangeliumsgemäße, innerliche Frömmigkeit sogar beinahe zu Tode gebracht worden. Medium seiner protoreformatorischen Botschaft eines verinnerlichten Christentums war die Schriftauslegung in der Predigt, mit der er viele Menschen, darunter auch Erasmus selbst, in den Bann zu ziehen vermochte. Wenn es darum gegangen sei, von Christus zu sprechen, so verleiht Erasmus seiner Begeisterung für die Predigt des Franziskanerguardians auch 20 Jahre später noch Ausdruck, habe es ihm niemals an Worten gefehlt.43 In gewisser Weise sei sogar „sein ganzes

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Einen mit geographischen Informationen und hilfreichem Kartenmaterial versehenen Überblick über die im Einzelnen zuweilen verwirrenden Stationen der für die Anfänge der erasmischen Origenes-Rezeption höchst bedeutenden Flandernreise bietet Jean Hadot, Érasme à Tournehem et à Courtebourne, in: Colloquia Erasmiana Turonensia (wie Anm. 24) 87–96. Zu Vitriers Konflikten mit der kirchlichen Obrigkeit siehe ausführlich Godin, Spiritualité Franciscaine (wie Anm. 35) 9–11, sowie ders., Jean Vitrier et le „cénacle“ de Saint-Omer, in: Colloquia Erasmiana Turonensia (wie Anm. 24) 781–805, hier 784 f. Epist. 1211 (IV p. 512 Allen). Vgl. ebd. 510.

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Leben nichts anderes als eine heilige Predigt“ gewesen,44 angetrieben von dem „brennendsten Verlangen, die Menschen zur lauteren Philosophie Christi zu führen“.45 Wie die Homilien des Origenes, seine vorrangige Quelle, so hätten sich auch die Predigten Vitriers – vor der Bibelauslegung habe er stets lange Zeit die von ihm vollständig memorierten Paulusbriefe meditiert46 – durchweg durch eine von aller scholastischen Begriffsdistinktion freie, leicht fassliche Sprache ausgezeichnet, die den Hörer unmittelbar angesprochen habe.47 Von ihm erbat sich Erasmus bei seinem Aufenthalt im Blick auf sein Projekt einer Paulusauslegung auch ein Exemplar der Predigten des Origenes,48 das sich in seinem Besitz befand, und durch Vitrier war es bis zu seinem Lebensende in erster Linie der Homilet und Exeget Origenes, dessen Auslegung der Heiligen Schrift allgemein und der Paulus-Briefe speziell sein theologisches Denken prägen sollte.49 Mit dem dritten Johannes verbindet sich der geschichtliche Anlass für die erste Schrift des Erasmus, in der die Begegnung mit dem griechischen Kirchenvater ihren literarischen Niederschlag findet: Während er seine Griechischkenntnisse 44 45 46

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Ebd. Ebd. 509. Vgl. ebd.: „In einem vertraulichen Gespräch (familiari colloquio) fragte ich ihn einmal, auf welche Weise er sich geistig einstimme, wenn er sich auf das Predigen vorbereite. Er pflege, so gab er zur Antwort, Paulus zur Hand zu nehmen und nicht eher mit der Lektüre aufzuhören, als bis er in seinem Herzen ein Glühen verspüre. In diesem Zustand verweilte er und richtete zusätzlich noch leidenschaftliche Gebete an Gott, bis man ihn daran erinnerte, dass es Zeit sei anzufangen.“ Vgl. ebd. Hierin besteht für Erasmus auch die Seelenverwandtschaft zwischen Jean Vitrier und Origenes: Der eine wie der andere ist ihm, wie Godin, De Vitrier à Origène (wie Anm. 35) 48 f. 52, herausstellt, vor allem evangelicus concionator. Ebd. 52 bestätigt Godin den origeneischen Grundcharakter der von ihm edierten Predigtsammlung Vitriers: „Tous les traits origéniens de Vitrier lui sont propres: ils éclatent presque à chaque page de l’homéliaire manuscrit.“ Zu nennen sind nach dems., Jean Vitrier et le“cénacle“ de Saint Omer (wie Anm. 41) 782, insbesondere das Ethos eines innerlich pneumatischen Christentums und die paulinische Unterscheidung zwischen Kindern und Fortgeschrittenen im Glauben. Einen ersten analytischen Überblick über die Leitthemen der perspektivenreichen Homiliensammlung bietet ders., Spiritualité Franciscaine (wie Anm. 37) 52–79. Von besonderer Bedeutung für Erasmus waren nach dems., Jean Vitrier et le „cénacle“ de Saint Omer (wie Anm. 41) 782 Anm. 4, die Römerbriefauslegungen in den Predigten Nr. 6 und Nr. 21 (Godin, L’homéliaire de Jean Vitrier [wie Anm. 37] 130–136. 205–212). Vgl. epist. 165 (I p. 375 Allen): „Außerdem wünsche ich mir sehr, dass mir, sofern es möglich ist, zugleich die Homilien des Origenes, die der Guardian besitzt, zugesandt werden.“ Noch im Spätwerk des Ecclesiastes (LB 5, 857A) empfiehlt Erasmus dem angehenden Prediger, wie Godin, De Vitrier à Origène (wie Anm. 35) 56, abschließend darlegt, nachdrücklich die intensive Lektüre der Homilien des Origenes. Zudem ist es auch hier (LB 5, 987C) noch Vitrier, der dem Rotterdamer als Personifikation des von ihm skizzierten origeneischen Predigt- und Frömmigkeitsideals gilt. Siehe dazu ausführlich ders., Érasme et le modèle origénien de la prédication, in: Colloquia Erasmiana Turonensia (wie Anm. 24) 807–819.

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vertiefte und an einer Auslegung des Römerbriefes arbeitete, machte Erasmus auf Schloss Tournehem die Bekanntschaft einer Frau, die ihm ihr Leid über ihren untreuen Ehemann klagte und ihn, den humanistischen Chorherrn und Priester, um Hilfe bat. Bei der fraglichen Person handelt es sich vermutlich um den deutschen Geschützgießer Johann Poppenruyter, der nach allen Berichten nicht nur den Frauen, sondern auch dem weltlichen Profit und Ansehen überaus zugetan war. Für ihn verfasste der Rotterdamer 1503 eine theologische Programmschrift, die ihm  – ein erfolgloses Unterfangen, wie sich herausstellen sollte  – den Weg zu einem christlichen Leben in der Welt weisen sollte.50 Das Enchiridion militis Christiani,51 ein, wenn nicht sogar das theologische Hauptwerk des Rotterdamers, ist die Frucht seiner von Colet und insbesondere von Vitrier angestoßenen ersten intensiven Auseinandersetzung mit der christlichen Philosophie des alexandrinischen Theologen.52 Die prosopographische Konstellation, die hinter diesem Werk 50

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Zur wahrscheinlichen Identifikation des nicht namentlich genannten historischen Adressaten mit Johann Poppenruyter und den näheren geschichtlichen Umständen der Entstehung der Schrift siehe Otto Schottenloher, Erasmus, Johann Poppenruyter und die Entstehung des Enchiridion militis christiani, in: ARG 45 (1954) 109–116. Ausgangspunkt für eine Würdigung des origeneischen Einflusses im Enchiridion sind das ihm gewidmete umfangreiche Kapitel in der Studie von Godin, Erasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 33–118 (teilweise wieder aufgegriffen in: ders.: The Enchiridion Militis Christiani. The Modes of an Origenian Appropriation, in: Erasmus of Rotterdam Society Yearbook 2 [1982] 47–79), sowie die entsprechende Analyse im großen dreibändigen Werk von Gerhard J. Fokke, Christus verae pacis auctor et unicus scopus. Erasmus and Origen, Diss. Löwen 1977, 258–523. Die noch immer maßgeblichen Gesamtinterpretationen, die Studien von Alfons Auer, Die vollkommene Frömmigkeit des Christen. Nach dem Enchiridion militis Christiani des Erasmus von Rotterdam, Düsseldorf 1954, und von ErnstW. Kohls, Die Theologie des Erasmus (ThZ.S I), 2  Bde., Basel 1966, I, 69–190 (konzis zusammengefasst in ders., The Principal Theologial Thoughts in the Enchiridion Militis Christiani, in: Richard L. DeMolen [Hg.], Essays on the Works of Erasmus, New Haven/ London 1978, 61–82), sind für die vorliegende Thematik aus unterschiedlichen Gründen von Belang. So kranken zwar die wenigen diesbezüglichen Äußerungen im Werk Auers am zugrundeliegenden Zerrbild der origeneischen Theologie, das durchweg von althergebrachten Missverständnissen wie der Lehre von den angeblich ursprünglich körperlos geschaffenen Seelen (67) oder der vermeintlichen Marginalisierung der geschichtlichen Welt (90) geprägt ist. Gleichwohl ist Auers höchst gehaltvolle Studie für das Thema der erasmischen Origenes-Rezeption von nicht geringer Bedeutung. Zum einen erweisen sich nämlich die von Auer herausgearbeiteten Bezüge zu Hieronymus, wie an entsprechender Stelle vermerkt wird, durchweg als vermittelte Origenes-Rezeption. Zum anderen stellt der Verfasser die origeneische Grundprägung des Enchiridion, ohne sie als solche zu erkennen, mit großer Prägnanz heraus. Kohls, Principal Thoughts, spricht eine Reihe zusätzlicher Aspekte an, die für eine Würdigung der erasmischen Origenes-Lektüre insgesamt bedeutsam sind, allen voran den Gedanken der Kenosis (68 f.) sowie die Grundstruktur eines heilsgeschichtlichen Exitus-Reditus-Schemas (70–72). Prägnant fasst Raymond Marcel, L’Enchiridion militis christiani. Sa genèse et sa doctrine. Son succès et ses vicissitudes, in: Colloquium Erasmianum (wie Anm. 35) 613–656,

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steht, ist für seine Anlage insgesamt von größter Bedeutung: In der Tradition der von Denkern wie John Colet und Jean Vitrier propagierten praktisch-existentiellen Frömmigkeit aus paulinischer und patristischer Quelle will Erasmus eine christliche Theologie entwerfen, die nicht nur und nicht vornehmlich den Priester oder Mönch, sondern auch einen Johann Poppenruyter, den Typus des Menschen in der Welt, ansprechen will. Hierin liegt die eigentliche Bedeutung des schmalen Büchleins, das, oftmals neuaufgelegt und in viele andere europäische Sprachen übersetzt,53 ein bedeutsames Werk in der Geschichte der insbesondere von Erasmus herbeigeführten humanistischen Origenes-Renaissance darstellt: Durch das (in der Neuausgabe von 1518) vielgelesene Enchiridion wird nicht nur die gelehrte christliche res publica litterarum, deren bedeutendster Exponent sein Verfasser war, sondern auch die allgemeine christliche Welt bald offen, bald indirekt mit dem Denken des verketzerten Theologen Origenes bekannt gemacht.

3. Der geistige Kampf und die Würde des Menschen – Origenes im Enchiridion militis Christiani „Versöhnung“54 und „Verinnerlichung“55 sind die Leitkategorien des im Enchiridion56 entfalteten Programms christlicher pietas, das man treffend als „existentielle

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hier 617, den im Enchiridion dokumentierten intellektuellen Durchbruch des christlichen Philosophen Erasmus zusammen, wenn er schreibt: „Il fallait donc fonder la théologie sur une nouvelle philosophie. La théologie, Érasme l’avait découverte en écoutant Colet commenter saint Paul, il devait découvrir la philosophie, dont il avait besoin, en écoutant Vitrier qui, dit-il en exégèse, ‚admirait, avant tous les Pères, le génie d’Origène‘.“ Ein Überblick über die verschiedenen Auflagen und Übertragungen des Werkes findet sich ebd. 630–645. O’Malley, CWE 66, xx, spricht von einer „reconciliatory or moderating quality“ des erasmischen pietas-Ideals und führt hierzu treffend aus: „‚Pax et concordia‘ or ‚pax et unanimitas‘ is not merely an important doctrine of his pietas but a quality that pervades it. The reconciliation of husband and wife, the reconciliation of warring countries, the reconciliation of the classics and the Bible, and, as with many of the scholastics as well, the reconciliation of nature and grace were all parts of the pattern.“ Bainton, Erasmus of Christendom (wie Anm. 24) 80 f., führt die erasmische „religion of inwardness“ auf seine richtungsweisende Begegnung mit den Oxforder Platonikern um John Colet zurück. Im Folgenden wird nach der von Hajo Holborn (in Gemeinschaft mit Annemarie Holborn) herausgegebenen kritischen Ausgabe zitiert: Desiderius Erasmus Roterodamus, Ausgewählte Werke (VKEGR 1), München 1933, 1–137. Eine zuverlässige deutsche Übersetzung liegt mit dem ersten Band der Auswahlausgabe von Werner Welzig vor: Desiderius Erasmus, Ausgewählte Schriften, 8 Bde., Darmstadt 21990 (Sonderausgabe 1995). Von besonderer Bedeutung ist schließlich die mit einer ausführlichen Einleitung und mit hilfreichen Kommentaren versehene französische Übertragung: Érasme, Enchiridion militis Christiani, introduction et traduction par André-Jean Festugière, Paris 1971.

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Theologia vitae“,57 „ethischen Idealismus“58 oder als Entwurf zu einem „Universalismus der Frömmigkeit“59 bezeichnet hat: Gegenüber dem praktischen christlichen Leben, so der Grundgedanke seiner im Geiste des Origenes entworfenen neuen christlichen Philosophie, ist die in den zahllosen scholastischen Folianten der Zeit niedergelegte spekulative Theologie ebenso belanglos wie die kirchliche Ständestruktur und ihre vielfältigen Riten und Frömmigkeitspraktiken. Wie bereits der Doppelsinn des Titels – enchiridion bedeutet sowohl „Handbuch“ wie auch „Handdolch“60 – zeigt, macht sich das Werk des Erasmus die leitende Perspektive der origeneischen „Anthropologie des geistigen Kampfes“61 zu eigen: Das „Leben der Menschen“, so schärft er seinem Adressaten Poppenruyter gleich zu Beginn des Vigilandum esse in vita überschriebenen ersten Kapitels ein, ist „ein fortwährender Kampf “62 gegen unzählige Dämonen, mit denen es keinen zeitweiligen Waffenstillstand, geschweige denn einen dauerhaften Frieden geben kann. So arglistig nämlich ist der Feind, dass der christliche Streiter anders als sein weltliches Pendant niemals ruhen und seine Waffen, das Gebet und vor allem das Wissen, mit dem er die Schrift zu ergründen vermag, auch nicht für einen kurzen Moment beiseite legen darf.63 Der Krieg zwischen Gott und dem Teufel, wie er im Innern eines jeden Menschen wütet,64 ist unausweichlich. Als Tugend in Person kann Gott nämlich niemals Frieden mit den Lastern halten.65 Wie Origenes,66 so vertritt auch Erasmus ein ethisches tertium non datur, das jedem Menschen eine existentielle Grundentscheidung abnötigt:

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Kohls, Principal Theological Thoughts (wie Anm. 51) 77. Cornelis Augustijn, Erasmus von Rotterdam. Leben – Werk – Wirkung, München 1986, 51. Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 94. Zum Wortspiel im Titel siehe etwa Huizinga, Erasmus (wie Anm. 4) 67. L’ anthropologie d’Origène dans la perspective du combat spiritual, in: RAM 31 (1955) 364– 385, lautet der programmatische Titel der Darstellung des origeneischen Menschenbildes, in der Henri Crouzel seine zahlreichen einschlägigen Arbeiten zum Thema konzis zusammenfasst. EH 22. Vgl. ebd. 28 f. In der konsequenten Verinwendigung der Satansfigur wie des geistigen Kampfes allgemein sieht Bainton, Erasmus of Christendom (wie Anm. 24) 88, mit Recht einen tiefgreifenden Unterschied zwischen Erasmus und Luther: „All of this sounds very much as if for Erasmus the assailant was the Devil, but Satan was for him largely a metaphor. He did not, like Luther, think of the Devil as a personalized foe with whom he could even engage in a dialogue. The Christian warfare takes place within the breast of each individual.“ Vgl. EH 38. Zum ethischen Kontradiktionsprinzip bei Origenes siehe ausführlich Fürst/Hengstermann, OWD 10, 113–115.

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„Es gibt nur zwei Wege: den einen, der über den Dienst an den Leidenschaften zum Tode führt, den anderen, der durch die Abtötung des Fleisches zum Leben führt. Was bleibst du an dir selber hängen? Es gibt keinen dritten Weg. Du musst einen von den beiden gehen, ob du willst oder nicht.“67

Der Mensch, so machen die eindringlichen Darstellungen des geistigen Kampfes klar, ist ein Wesen der Krisis, das nicht umhin kann, in die Dienste des einen oder des anderen Heerführers, Christi bzw. der Pflicht und Tugend oder Satans und der Affekte und weltlichen Ambitionen, zu treten. Dabei wird der Rotterdamer nicht müde, seinem Adressaten seine mit der Taufe eingegangene Verpflichtung gegenüber Christus einzuschärfen: Mit der Taufe, jenem Eid und Sakrament des Christenmenschen,68 ist er, der Adressat, unwiderruflich in den Kriegsdienst Christi getreten, „der dir“, so sein Verweis auf Schöpfung und Erlösung, „das Leben geschenkt und wiedergegeben hat“.69 Mehr noch: Während dem Streiter Satans als Sold der ewige Tod gewiss ist,70 stellt Christus seinem miles Christianus als Lohn für seinen unermüdlichen Kriegsdienst nicht weniger als das ewige Leben in Aussicht.71 Der Frontverlauf des im Innern des Christen ausgefochtenen Ringens metaphysischer Mächte erschließt sich dem christlichen Streiter im γνῶθι σαυτόν, das Erasmus mit der philosophia perennis als caput sapientiae bezeichnet und mit Origenes auch in der Schrift selbst, namentlich im Hohenlied, angemahnt findet.72 Das „Erkenne dich selbst!“ offenbart den Menschen als getriebenes Wesen, das durch seine ontologisch unbestimmte Mittelnatur unweigerlich

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EH 58 f.; Übersetzung: p. 157 Welzig. Wie Godin, Erasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 65 f., und Kohls, Principal Theological Thoughts (wie Anm. 51) 61, zeigen, handelt es sich hierbei um einen zentralen Gedanken der im Enchiridion vorausgesetzten erasmischen Tauftheologie. EH 24; Übersetzung: p. 63 Welzig. Vgl. ebd. Vgl. ebd. 25. Wirkmächtiger locus classicus des Gebots der Selbsterkenntnis ist die Formulierung im Augengleichnis des platonischen Alcibiades maior (132 c 9–133 c 17), des ersten Platondialogs im spätantiken cursus Platonicus, durch den das delphische Wort zur Grundlage jeder Ethik in der von Platon begründeten philosophischen Tradition wird. Godin, Erasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 35, verweist in diesem Zusammenhang auf eine Stelle in den Exodushomilien des Origenes, doch dürfte, wie nicht zuletzt Erasmus’ eigener Rekurs auf diese biblische Schrift nahelegt, der Hoheliedkommentar Quelle dieses ersten Imperativs seines an Origenes angelehnten christlichen Vollkommenheitsideals sein. Da die von Theodor Laelius und Johannes Andreae de Bussis besorgte maßgebliche Hieronymus-Ausgabe von 1468, worauf Schär, Nachleben des Origenes (wie Anm. 1) 112 f., aufmerksam macht, auch den von Rufinus übersetzten Origenes-Text enthielt, ist sehr wahrscheinlich, dass der Rotterdamer bereits vor seiner von Colet und Vitrier angestoßenen intensiven Beschäftigung mit dem Werk des Alexandriners mit diesem für die Geschichte der abendländischen Spiritualität und Mystik so wichtigen Bibelkommentar des Origenes vertraut gewesen ist.

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dazu genötigt ist, sich entsprechend dem oben dargelegten moralphilosophischen Kontradiktionsprinzip zwischen dem Aufstieg zu göttlichen Höhen und dem Fall in tierische Niederungen zu entscheiden. In der eigentlichen begrifflichen Entfaltung des inneren geistigen Kampfes, der dem Werk den Titel gibt, gibt sich Erasmus ausdrücklich als Anhänger des Alexandriners zu erkennen, dessen Vorstellung vom Menschen er in dem eigens als Origenes-Referat gekennzeichneten siebten Kapitel des Werkes73 ausführlich darstellt.74 Das für die Würdigung des erasmischen Origenismus wichtige siebte Kapitel steht an zentraler Stelle des Werkes. Zusammen mit der unicus scopus-Christologie im vierten Canon und dem pneumatischen Imperativ des per visibilia ad invisibilia im fünften stellt die Origenes-Paraphrase die inhaltliche Mitte des gesamten Werkes dar, in dem einerseits die Anthropologie der sechs vorangegangenen Kapitel rekapituliert75 und andererseits die konkreten Maximen christlichen Lebens theoretisch grundgelegt werden: Das trichotomische Seelenschema des Origenes stellt die anthropologische Grundlage für das in den anschließenden Verhaltens-canones und Affekt-remedia konkretisierte christliche Vollkommenheitsideal dar.76 Im Rekurs vor allem auf den von ihm sorgfältig studierten Römerbriefkommentar des Origenes bietet Erasmus im Rahmen dessen eine ausführliche Darlegung der „origeneischen Einteilung des Menschen“ (Origenica hominis sectio), der Trichotomie von Geist (spiritus), Seele (anima) und Fleisch (caro),77 wie sie im Zentrum der biblisch-philosophischen Anthropologie des Alexandriners steht.78 Dieser kommt nach Erasmus apostolische Autorität zu. So 73

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Es gereicht dem französischen Origenes-Forscher Henri Crouzel zur Ehre, dass er dieses Kapitel des Enchiridion als Titel der Origenes-Sekundärliteratur in seine umfangreiche Bibliographie critique d’Origène (IP 8), Steenbrugge u. a. 1971, 85, aufgenommen hat. Von daher ist es nicht nachvollziehbar, weshalb Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 69, Hieronymus als Hauptgewährsmann annimmt, zumal sein höchst gelungenes Referat gerade ein Drittes, die Seele des trichotomischen Menschenbildes nach Origenes, voraussetzt: „So hat auch Hieronymus den Menschen gesehen: nie gesichert, immer in die Mitte gestellt zwischen die Gefahr des Absturzes und die Möglichkeit des Aufstiegs, unausweichlich zu einem der beiden hingetrieben, zum Fleisch oder zum Geist, und in dieser Verbundenheit selbst zu Geist sich erhebend oder zu Fleisch entartend, in eins verbunden mit Gott oder der Welt.“ Godin, Erasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 34–43, überschreibt seine Analyse dieser zentralen Partien des Enchiridion daher treffend „une anthropologie d’Origène“. So ist es a priori wenig wahrscheinlich, Erasmus habe in einem so übersichtlichen Handbuch wie dem Enchiridion zwei gleichsam konkurrierende anthropologische Entwürfe vorstellen wollen. Plausibler ist die Ansicht von Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 77 f., wonach das Referat der origeneischen Trichotomie dem Zweck dient, „die von ihm vorgetragene dichotomische Auffassung noch klarer zu machen“. EH 52. Dies herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst insbesondere von Crouzel, L’ anthropologie (wie Anm. 61).

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findet sich zu Beginn des Referats zum erstenmal im Werk des Rotterdamers die enge Verknüpfung des von ihm verehrten griechischen Kirchenvaters mit dem Apostel Paulus, die sich bis in die Vorrede zur postum erscheinenden Werkausgabe durchhalten wird: Das trichotomische Seelenschema, so führt Erasmus gleich zu Beginn des Kapitels aus, ist den paulinischen Briefen selbst entnommen.79 Darüber hinaus findet es sich aber auch an anderen Stellen der Schrift.80 In einem konzisen Referat erläutert Erasmus sodann die drei von Origenes angenommenen Bestandteile der menschlichen Natur: Das „Fleisch“ bzw. der „Körper“ ist der „niederste Teil“ des Menschen, dem der Teufel selbst „das Gesetz der Sünde“ eingeschrieben hat. Im „Geist“ andererseits drückt sich die „Ähnlichkeit mit der göttlichen Natur aus“. Ihm ist das „Gesetz der Tugend“ zugeordnet, durch das der Mensch „mit Gott eins“ zu werden vermag.81 Binnen weniger Sätze fügt Erasmus die beiden für das biblisch-platonische Menschenbild des Origenes leitenden Wortfelder zusammen. Je nach Kontext bestimmt dieser den Menschen nämlich bald im Rückgriff auf die Begriffstrias in 1 Thess. 5,23 als zwischen Fleisch und Geist stehende Seele, bald im Zuge seiner berühmten platonisierenden Exegese von Gen. 1,25 f. als unvollkommenes Abbild (imago), das seine Vollendung in der graduellen Angleichung (similitudo) an sein Urbild, den Logos, und in der eschatologischen Vereinigung mit ihm sucht. Mehr noch: Erasmus trägt bereits in den ersten Sätzen seiner Origenes-Paraphrase dem heilstrinitarischen Rahmen des origeneischen Vollkommenheitsideals82 Rechnung, wenn er seine hieran an79

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Bei der Abfassung des siebten Kapitels dürfte ihm vor allem die Römerbriefauslegung des Origenes und näherhin wohl, wie Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 228 Anm. 81, annimmt, die prägnante Zusammenfassung des trichotomischen Schemas in Rom. comm. I 7 (p. 58 Hammond Bammel) vor Augen gestanden haben: „Die Seele kann also weder zu dem gerechnet werden, was dem Fleisch nach ist, noch gehört sie zu dem Bereich, in dem er als Sohn Gottes in Kraft bestimmt wird dem Geist der Heiligung nach … Er [sc. Paulus] weiß, dass die Seele immer eine Mitte zwischen Geist und Fleisch (mediam … inter spiritum et carnem) ist, dass sie sich entweder mit dem Fleisch verbinden und mit dem Fleisch eins wird oder sich dem Geist anschließt und eins wird mit dem Geist“; Übersetzung nach Heither, FC 2/1, 99. Obwohl die zwei angeführten Belegstellen, namentlich Jes. 26,9 und Dan. 3,86, lediglich zwei der drei Bestandteile, „Seele“ und „Geist“, anführen, resümiert Erasmus dort (EH 52) interessanterweise: „Aus diesen Stellen schließt er [sc. Origenes] nicht ohne Grund (non absurde) auf einen dreifachen Aufbau des Menschen“; Übersetzung nach p. 141 Welzig. Ebd. Der von Hans Urs von Balthasar, Origenes. Geist und Feuer. Ein Aufbau aus seinen Schriften, Salzburg/Leipzig 1938 (Nachdruck: CMe 43, Freiburg 1991), 26, geprägte Begriff „Heilstrinitarismus“ ist die wohl geeignetste Bezeichnung für die origeneische Heilsmetaphysik im Ganzen. Seine ausführlichste Entfaltung findet Origenes’ streng heilsgeschichtlicher Ansatz, wonach die inner- und extratrinitarische Wirklichkeit in strenger Korrespondenz aufeinander bezogen werden, in princ. I 3 (GCS Orig. 5, 48–65), wo das gesamte christliche Leben von der Erschaffung der Wirklichkeit durch den Vater über die vom Logos gewirkte Zurechnungsfähigkeit der Vernunftwesen bis zu deren Heiligung im Geist

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gelehnte Vorstellung christlicher pietas ebenfalls trinitätstheologisch fasst:83 Über das göttliche Pneuma hat der Mensch auch am Urbild seiner Vernunftnatur, dem „Wort des Vaters, das aus seinem innersten Herzen strömt“,84 teil. Ihm schließlich, dem Vater, wird der Mensch in der Teilhabe an Sohn und Geist gleich.85 Zugleich gründet auch bei Erasmus die unverlierbare Zugehörigkeit des Menschen zum allumfassenden Leib Christi, seines und aller Menschen „Haupt“, in der Partizipation am Wort, wie sie dem Vernunftwesen als Teil seiner von Gott geschaffenen Natur zukommt: In der im Pneuma beschlossenen imago Dei findet sich ein unverlierbares Moment des göttlichen exitus, der seinerseits die Möglichkeitsbedingung für den reditus in einem Leben christlicher Vollkommenheit darstellt.86 Mit der ursprünglichen Teilhabe des Menschen an der imago Dei, am Logos, verbindet sich zudem die unauslöschliche Gegenwart Gottes in der Seele des Gläubigen: Christus bzw. der trinitarische Gott, an dem er den Menschen über sich teilhaben lässt, ist das „wahre Leben“ der nach seinem Bild geschaffenen Seele.87 So schärft Erasmus seinem Adressaten wiederholt die origeneische Definition „Leben, das ist Gott“88 ein, und wie seinem theologischen Vorbild, so gilt auch ihm die Indiffe-

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in die nach dem exitus-reditus-Schema gedachte Schöpfungs- und Erlösungsbewegung des trinitarischen Gottes selbst hineingenommen wird. Auf diesen oft vernachlässigten Aspekt der erasmischen Theologie weisen Kohls, Principal Theological Thoughts (wie Anm. 51) 73, und Fokke, Christus verae pacis auctor (wie Anm. 51) 267. 340, zu Recht mit Nachdruck hin. EH 75; Übersetzung: p. 205 Welzig. Die dichte metaphysische Ausführung atmet durchweg origeneischen Geist: „Da er [sc. Christus] die höchste Aufrichtigkeit und Wahrheit ist, kann es keine Unähnlichkeit zwischen dem Urbild des göttlichen Herzens und dem davon hergeleiteten Bild der Rede geben. Wie nichts dem Vater ähnlicher ist als der Sohn, das Wort des Vaters, das aus seinem innersten Herzen strömt, so ist Christus nichts ähnlicher als das Wort Christi, das aus seinem Innersten dringt.“ Wie Godin, Érasme et le modèle origénien de la prédication (wie Anm. 49) 808–811, zeigt, handelt es sich bei diesem der origeneischen Logos-Christologie entlehnten Gedanken um eine Schlüsselidee der erasmischen philosophia Christi, die auch das spekulative Fundament seiner späteren Predigtlehre im Ecclesiastes bildet. Ohne den origeneischen Hintergrund zur Kenntnis zu nehmen, fasst Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 105, die im engeren Sinne theologischen Grundlagen des erasmischen Vollkommenheitsideals prägnant zusammen: „Christus, dem Vater gegenüber imago, wird uns gegenüber archetypus. Dem archetypus aber sind wir zugleich verbunden als dem ‚Haupt‘, und indem wir dem Haupt gleichförmig werden (capiti conformes esse curemus), vollendet sich in uns die ‚imago patris‘.“ So mit Recht Kohls, Principle Theological Thoughts (wie Anm. 51) 74: „In this relationship between the original image and its imitation, Christians stand in the Reditus.“ Dies ist die Grundthese der wichtigen Origenes-Studie von Gerhard Gruber, ΖΩΗ. Wesen, Stufen und Mitteilung des wahren Lebens bei Origenes (MthST 23), München 1962. Siehe etwa EH 26.

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renz angesichts offenkundigen Unrechts als Indiz für das Sterben einer Seele,89 die ohne die lebensstiftende Gegenwart ihres urbildlichen Seinsprinzips in Handeln und Denken dahinsiechen und vergehen muss.90 Andererseits erscheint auch bei Erasmus das Handeln gemäß der Tugend, die Überwindung der körperlichen Affekte im Akt eines „der-Welt-Sterbens“ (mori mundo),91 als Begegnung der Seele mit Christus, dem diese sich in der Entscheidung für die Tugend ganz anvertraut: „Wag nur, dir selbst zu misstrauen“, so umschreibt der Rotterdamer die dem miles Christianus abverlangte existentielle Grundentscheidung in Termini einer origeneisch geprägten Gnadenlehre, „wage es, alle deine Sorgen ihm aufzuladen. Lass ab, dich auf dich selbst zu stützen, und mit ganzem Vertrauen wirf dich auf ihn, und er wird dich auffangen.“92 Auch an anderer Stelle rückt Erasmus Freiheit und Gnade aneinander, wenn er das sittliche Bemühen als wechselseitige Annäherung von Gott und Mensch begreift.93 Der höchste Vollzug des pneumatischen Wesensprinzips des Menschen, seiner eigentlichen Freiheit, ist mithin zugleich Akt der im Geist und im Wort wirksamen göttlichen Gnade. Dem inneren Streben des unvollkommenen Abbildes nach der Seinsfülle des Urbildes,94 wie es im göttlichen Element der origeneischen Begriffstrias, dem 89 90

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Vgl. ebd. Zum origeneischen Motiv des eigentlichen, d. h. seelischen Todes, der sittlichen Indifferenz, siehe ausführlich Gruber, ΖΩΗ (wie Anm. 87) 9–36. Vgl. EH 26: „Du siehst, dass dein Bruder Ungerechtigkeit leiden muss, aber dein Herz rührt sich nicht, wenn nur deine Habe unversehrt ist. Warum fühlt deine Seele hier nichts? Doch offenbar, weil sie tot ist. Weshalb ist sie tot? Weil ihr das Leben, das ist Gott, fehlt“; Übersetzung: p. 69 Welzig. EH 59. Ebd. 58; Übersetzung: p. 157 Welzig. Vgl. ebd. 88. Zur Gnadenlehre des jungen Erasmus siehe die sehr differenzierte Darstellung bei Auer, Vollkommene Frömmigkeit 69–71, sowie die prägnante Zusammenfassung der frühen erasmischen Position ebd. 106: „Erasmus weiß, dass die imago Dei nur von Gott selbst gestaltet wird – freilich nicht ohne ernste menschliche Mitwirkung.“ Im Blick auf den anthropologischen Grundoptimismus, wie ihn das Enchiridion bei aller Betonung des Gnadenprius auszeichnet, hat das Urteil von Seebohm, Oxford Reformers (wie Anm. 25) 175, daher noch immer Geltung, „that its tone was as moderate and anti-Augustinian upon the great questions of free will and grace, and in this respect as decidedly opposed to the extreme Augustinian views adopted by the Protestant Reformers, as anything that Erasmus ever afterwards wrote during the heat of the controversy.“ Vgl. hierzu auch die Kritik von Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 107, der einerseits die von Erasmus vorgenommene Verknüpfung vom Sein der imago und dem Sollen der similitudo positiv würdigt, andererseits aber mit Recht ein Defizit in der vom Praktiker Erasmus nur unzureichend geleisteten systematischen Durchdringung dieses Zusammenhangs konstatiert: „Er hat das Sollen vom Sein her begründet. Aber sein Hauptanliegen war doch stets das Sollen. Seine Frage ging nach dem personalen Vollzug, nach der sittlichen Verwirklichung der Seinsordnung. Er ist dem Imago-Gedanken spekulativ nicht nachgegangen.“ Wie Henri Crouzel, Die Spiritualität des Origenes. Ihre Bedeutung für die Gegenwart, in: ThQ 165 (1985) 132–142, hier 133 f., herausstellt, liegt in

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Pneuma, zum Ausdruck kommt, steht mit der Sarx eine diesseitsgerichtete Lebensmaxime gegenüber. Anders als bei Origenes, bei dem der Widerstreit von Geist und Körper mit der individuellen Verfehlung jedes einzelnen der präexistenten Geistwesen seinen Anfang nimmt, sieht Erasmus in der natürlichen Dialektik von Geist und Körper eine Folge des Sündenfalls, mit dem die ursprünglich zwischen beiden herrschende „glückliche Eintracht“ verloren gegangen ist.95 Die Seele selbst definiert Erasmus dabei mit Origenes als Substanz „natürlicher Empfindungen und Bewegungen“,96 die als unbestimmte „Mitte“ zwischen dem Geist und dem Fleisch steht und an sich selbst zunächst „unentschieden und unbestimmt“ ist.97 Sie ist eine an sich qualitätslose „dritte Welt“,98 in der die beiden Seinssphären des unsichtbaren Gottes und der körperlichen Welt zur spannungsvollen Einheit kommen.99 Erst das Ethos, die existentielle Grundentscheidung für

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der mit den Mitteln des (neu)platonischen Exemplarismus geleisteten systematischen Entfaltung der imago-similitudo-Dynamik das eigentliche philosophische Verdienst des Origenes. Von daher ist Auer, ebd. 106, auch hier zu korrigieren, wenn er anstelle der von Erasmus selbst als solche kenntlich gemachten Origenes-Rezeption nur einen (über John Colet vermittelten) allgemeinen Einfluss seitens der griechischen Patristik annimmt. EH 41. Es ist charakteristisch für die Origenes-Aneigung des Erasmus, dass er heterodoxe Elemente der spekulativen Theologie des Alexandriners, wie in diesem Fall die Lehre vom Fall der präexistenten Seele, stillschweigend übergeht. Diese „selektive Lektüre“ prägt, wie André Godin, Une lecture sélective d’Origène à la Renaissance. Erasme et le Peri Archon, in: Henri Crouzel/Gennaro Lomiento/Josep Rius-Camps (Hg.), Origeniana (QVetChr 12), Bari 1975, 83–95, anhand der Auseinandersetzung mit Martin Luther aufzeigt, auch seine spätere Origenes-Rezeption. EH 52. Im De anima überschriebenen Traktat der Prinzipienschrift (II 8 [GCS Orig, 5, 152– 163]) definiert Origenes die Seele zunächst als substantia φανταστική et ὁρμητική (5, 152), dann präzisierend als substantia rationabiliter sensibilis et mobilis (5, 154). Zentral für die origeneische Seelenkonzeption ist die in dem hinzugefügten rationabiliter zum Ausdruck gebrachte teleologische Hinordnung des Psychischen auf das vernünftig Pneumatische. EH 52. Ebd. 67. Siehe dazu auch die prägnante Zusammenfassung bei Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 67: „Die beiden Teile der Gesamtwirklichkeit, mundus intelligibilis und mundus visibilis, strömen in eins zusammen im Menschen. Er ist das Wesen der Mitte, das beide Welten in sich vereinigt.“ In seine anschließende Kritik des origeneischen Spiritualismus, die auf den oben angesprochenen grundlegenden Missverständnissen des Alexandriners beruht, flicht Auer, ebd. 67 f., einige systematische Überlegungen ein, die sich bis in die Terminologie der „Mitte“ hinein als Zusammenfassung des origeneischen Heilstrinitarismus lesen lassen: „Gott ist die Mitte alles Seins. Er umgreift alles; er umschließt alle Möglichkeit und alle Wirklichkeit. Und er schafft sich innerhalb des Geschöpflichen ein Abbild dieses Allumfassens. Dieses Abbild ist der Mensch. Auch er umgreift in sich alles Sein, Sichtbares und Unsichtbares. Er ist Mitte und Umschließung wie Gott selbst, aber nicht absolut, sondern im Raum des Geschaffenen. Innerhalb dieses Raumes ist der Mensch Mitte, in der Oben und Unten sich begegnen.“ Zu ganz analogen Überlegungen, wie Origenes sie in den wenig bekannten Jesajahomilien anstellt, siehe ausführlich Fürst/ Hengstermann, OWD 10, 132–158.

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die Gesetzmäßigkeit der einen oder der anderen Welt, gibt der an sich gestaltlosen Seele ihre Form: „Der Geist“, so führt der Rotterdamer seinem Leser die Extrema der menschlichen Entwicklung vor Augen, „lässt uns also zu Göttern werden, das Fleisch zu Tieren.“100 In überaus pointierten Formulierungen füllt der Rotterdamer das formale Schema mit Inhalt, wenn er „Geist“ und „Körper“ seinem dezidiert praktischen Anliegen entsprechend nicht vornehmlich als ontologische Größen, sondern als innere Gesetzmäßigkeiten und Grundausrichtungen des Lebens auffasst,101 zwischen denen die Seele nicht umhin kann zu wählen: „Der Geist strebt nach dem Himmlischen, das Fleisch nach dem Angenehmen, die Seele nach dem Notwendigen. Der Geist hebt uns zum Himmel, das Fleisch drückt uns nieder zur Hölle; der Seele wird nichts zugeschrieben. Alles Fleischliche ist hässlich, alles Geistige ist vollkommen, alles Seelische ist unentschieden und unbestimmt.“102

Die Lehre von der Dichotomie der Gesetze, zwischen denen die Seele entscheiden muss, erklärt auch die Parallelität von di- und trichotomischen anthropologischen Aussagen im Enchiridion. Der Mensch, so schreibt Erasmus etwa zu Beginn des vierten Kapitels, ist ein „eigenartiges Lebewesen, aus zwei oder drei sehr verschiedenen Teilen zusammengesetzt, der Seele nach göttlich, dem Körper nach wie ein stummes Vieh.“103 Sowenig wie bei Origenes selbst, der sich ohne ersichtliche Bemühung um terminologische Strenge ebenso der traditionelleren dualistischen Redeweise wie der genaueren trichotomischen bedient, stellt das Nebeneinander beider Schemata bei Erasmus einen Widerspruch in der Sache dar. Vielmehr geht es beiden um den geistigen Kampf, der den Menschen vor die Entscheidung zwischen einer allumfassenden Christusnachfolge einerseits und einem Leben weltlicher Ambitionen andererseits stellt. Diese grundsätzliche Wahl allein bestimmt sein Wesen. Bestätigung findet die Lehre von der anthropologischen Trichotomie und der Dichotomie der sittlichen Gesetzmäßigkeiten, zwischen die sich die an sich unbestimmte Seelen-Mitte gestellt findet, einerseits in der  – recht interpretierten – Heiligen Schrift. So führen uns nach Erasmus bereits die ersten Seiten der 100 EH 53; Übersetzung: p. 141–143 Welzig. Diese allgemeine anthropologische Einschätzung

des Erasmus deckt sich mit der Picos in seiner berühmten Oratio de hominis dignitate. Erasmus fügt hier (wie Pico vor ihm) zwei zentrale Aspekte des origeneischen Denkens zusammen, namentlich die Doktrin von der ὁμοίωις θεῷ und die „Tiertheologie“. 101 Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 68, bezeichnet Körper und Geist treffend als „zwei starke, sich widerstrebende Tendenzen“. 102 EH 52; Übersetzung: p. 143 Welzig. 103 Ebd. 41; Übersetzung: ebd. 109. So gibt Marcel, Enchiridion (wie Anm. 52) 623, den Eindruck vieler Leser wieder, wenn er ausruft: „Deux ou trois parties! Érasme ne semble pas très fixé.“

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Genesis warnend die „Eva in uns“ vor Augen, „durch welche“, so seine höchst origeneische Exegese, „die betrügerische Schlange unser Gemüt zu tödlichen Begierden reizt“,104 und die Geschichte um die Brüder Jakob und Esau, die bereits im Mutterbauch miteinander streiten, bezweckt nichts anderes als die Veranschaulichung dieses fortwährenden inneren Kampfes.105 Andererseits lehrt aber auch die heidnische Philosophie bereits die natürliche Dialektik von Pneuma und Sarx: „Was die Philosophen Vernunft nennen, das heißt bei Paulus bald Geist, bald innerer Mensch, bald Gesetz des Gewissens. Was jene als Leidenschaft bezeichnen, das nennt er bisweilen Fleisch, bisweilen Körper, bisweilen äußeren Menschen, bisweilen Gesetz.“106

Die Dynamik des Humanums, das kraft seiner Gottebenbildlichkeit einerseits auf Gott hingeordnet ist und das andererseits in seiner ontologischen Unbestimmtheit gleichermaßen zu himmlischer Geistigkeit wie zu tierischer Verrohung fähig ist, übersetzt Erasmus im Enchirdion in zwei eng miteinander verflochtene formale Imperative. Im Vokabular seines – ebenfalls unverkennbar origeneisch imprägnierten – Platonismus107 stellt er zum einen ein universalgültiges „Grundgesetz der christlichen Frömmigkeit“108 auf, nach dem die „vollkommene Frömmigkeit allein darin“ besteht „zu versuchen, von den sichtbaren Dingen, die beinahe immer unvollkommen oder etwas Mittleres sind, entsprechend der oben beschriebenen Einteilung des Menschen zu den unsichtbaren fortzuschreiten.“109 Zum anderen soll nach der christozentrischen Lehre vom unicus scopus,110 mit dem der Rotterdamer an die ἐπίνοια-Doktrin seines theologischen Vorbildes anknüpft, EH 23; Übersetzung: p. 59 Welzig. Vgl. ebd. 71. Ebd. 47; Übersetzung: p. 127 Welzig. Nicht zuletzt unter dem Eindruck John Colets hat Erasmus Platons Dialoge selbst gelesen, allen voran die Politeia, der er die Analogie von Staat und Mensch entlehnt, und den Timaios, dessen anthropologische Partien er in einiger Ausführlichkeit ausschreibt. Im Rückgriff auf Festugière, Enchiridion (wie Anm. 56) 47, der bereits auf die christliche Prägung der in Canon 5 dargelegten platonischen Kosmologie aufmerksam macht, konstatiert Godin, Erasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 55, einerseits eine allgemeine Beeinflussung des erasmischen Platonismus durch die entsprechende von Origenes, Augustinus und Pseudo-Dionysios begründete große Tradition eines christlichen Idealismus. Godin ist aber ebenfalls beizupflichten, wenn er, ebd. 56–59, im Blick auf die Lichtmetaphysik und die Homonymie-Lehre andererseits auch einen spezifisch origeneischen Einfluss annimmt. 108 So der Titel der umfassenden Analyse des fünften Canons bei Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 80–95. 109 EH 67; Übersetzung nach p. 181 Welzig. 110 Ebd. 89–99. Als Bezeichnung für das Ziel eines Bogenschützen fügt sich auch der scopusBegriff in die militärische Metaphorik des Enchiridion ein. Vgl. dazu Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 96 f. 104 105 106 107

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nichts anderes als Christus selbst, der unicus archetypus111 des Menschen, Ziel und Formprinzip all seiner psychischen Vollzüge sein. Christus ist nämlich nicht nur selbst „Geist und Liebe“,112 sondern, wie Erasmus im Rückgriff auf die nach Origenes ursprünglichste Daseinsweise des Sohnes deutlich macht, als „Urheber der Weisheit“ bzw. „Weisheit“ oder „Wahrheit selbst“113 die im pneumatischen Gebot genannte intelligible Welt in Person. In ihm, so führt Erasmus in einer Kurzfassung seiner origeneischen ἐπίνοια-Lehre114 aus, erhält die im pneumatischen Imperativ gebotene Frömmigkeit eines Ringens mit Affekt und Welt eine personale Dimension: „Du sollst Christus aber nicht für ein leeres Wort halten, sondern für nichts anderes (nihil aliud) als die Liebe, die Aufrichtigkeit, die Geduld, die Reinheit, kurz für alles das, was er gelehrt hat. Erkenne, dass der Teufel nichts anderes (nihil aliud) ist als das, was dich davon abhält. Zu Christus strebt, wer zur Tugend allein hingezogen wird. Wer den Lastern dient, der gibt sich dem Teufel gefangen.“115

Die doppelte sittliche Gesetzlichkeit, wie sie Erasmus den anthropologischen Grunddaten des inwendigen Gottes-Pneumas und der Logos-Ebenbildlichkeit entnimmt, schreibt einerseits die im trichotomischen Seelenschema ausgedrückte Hinfälligkeit der psychischen res mediae fest, bei denen der Mensch nur um den Preis des Verrats an seinem eigentlichen Wesen verweilen kann: Sie sind stets

111 EH 89. 112 Ebd. 88. 113 Ebd. 38. Erasmus führt dort weitere thematisch analoge Christus-ἐπίνοιαι an, wenn er den

Logos als das „wahre Licht“ bezeichnet und als den ehrt, „der allein die Nacht der weltlichen Torheit vertreibt“. Hier wie auch bei den späteren Christus-Epitheta „Glanz des väterlichen Ruhmes“, „Erlösung“, „Rechtfertigung“ sowie „Gottes Kraft“ ist die origeneische Prägung höchst evident. 114 Siehe dazu ausführlich Fokke, Christus verae pacis auctor (wie Anm. 51) 339 f. 115 EH 63; Übersetzung: p. 169 Welzig. Mit dem nihil aliud des zitierten Passus verbindet sich die traditionelle Debatte um die vermeintliche Reduktion des Christentums zu einer bloßen Moralphilosophie, wie sie Erasmus bereits zu Lebzeiten vorgeworfen wird. Siehe dazu die differenzierten Referate bei Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 116–120 (zum erstmalig von Martin Luther erhobenen Moralismusvorwurf), sowie Godin, Erasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 46–53 (zum nihil aliud speziell). Wie Godin, ebd. 47, zeigt, ist hier die Origenes-Rezeption des Rotterdamers von höchstem Belang, erweist sie doch das kontrovers diskutierte nihil aliud als „la résurgence d’un thème typiquement origénien“, mit dem weder bei Origenes noch bei Erasmus einer Reduktion Christi auf die von ihm gepredigte Ethik das Wort geredet wird. Vielmehr fasst bereits Auer, ebd. 119, die (gut origeneische) Stoßrichtung des erasmischen Vollkommenheitsideals allgemein und der damit verbundenen ethischen ἐπίνοια-Doktrin speziell zutreffend zusammen, wenn er dem Rotterdamer attestiert: „Er weitet die Frömmigkeit aus in die Sittlichkeit. Dabei wird nicht Frömmigkeit zu Sittlichkeit, wohl aber Sittlichkeit zu Frömmigkeit.“

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nur Mittel, das der Mensch zum Zwecke der invisibilia des trinitarischen Gottes „gebrauchen“, niemals aber für sich „genießen“ darf.116 Sofern sie, zu endgültigen Lebenszielen verabsolutiert, nicht auf die pneumatische Wirklichkeit Christi hin transzendiert und allein um ihretwillen erstrebt werden, sind sie unmoralisch.117 Andererseits hält das per visibilia zugleich die relative Werthaftigkeit der irdischen Dinge fest: Obwohl an sich indifferent, sind die sichtbaren Dinge für die dem Christenmenschen abverlangte vollkommene Frömmigkeit unerlässlich. Zum einen nämlich vermag der Mensch die einfache intelligible Welt ausschließlich via analogiae, d. h. über die Vermittlung der nach ihrem Urbild geschaffenen komplexen sinnlichen Wirklichkeit zu begreifen.118 Der Aufstieg aus tierischer Niedrigkeit und seelischer Behäbigkeit setzt also, wie der Platoniker Erasmus ausführt, die sinnliche Welt als Medium der höheren Erkenntnis, mit der die Seele ihre Flügel wiedererlangt und sich aus den Niederungen ihres Erdendaseins erhebt, notwendig voraus. So redet er seinem Adressaten ins Gewissen, er möge doch „nicht mit den unreinen Tieren auf der Erde kriechen, sondern stets auf Flügeln schweben“, um dann seine exemplaristische Erkenntnistheorie, die das trichotomische Seelenschema ergänzt, wie folgt zu erläutern: „Platon meint, dass diese in den Seelen, von der Glut der Liebe hervorgelockt, wieder zu wachsen beginnen. Steige, wie auf den Stufen der Jakobsleiter, vom Körper zum Geist, von der sichtbaren Welt zur unsichtbaren, vom Buchstaben zum Geheimnis, von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen zu den intelligiblen, von den zusammengesetzten zu den einfachen.“119

Zum anderen, und auch hier greift Erasmus auf ein Denkmodell des Origenes, namentlich auf dessen „Hylemorphismus der Seele“,120 zurück, verhalten sich Christus bzw. Pneuma zum Seelischen wie Form und Stoff: Die Vielfalt der psychischen media, die konkrete Lebenswirklichkeit des Christenmenschen, fungiert im erasmischen Vollkommenheitsideal insgesamt als „Stoff, an dem wir Tugend

116 So die treffende augustinische Reformulierung des erasmischen Grundgesetzes bei Auer,

ebd. 81. 117 Vgl. EH 63. 118 Vgl. ebd. 67 f. 119 Ebd. 88; Übersetzung nach p. 239–241 Welzig. Das ne humi reptare, in dem Erasmus noch

in der Vorrede zur Origenes-Ausgabe das eigentümliche Verdienst des Alexandriners sieht, weist auch die erasmische Phaidros-Lektüre als von Origenes beeinflusst aus. Zur origeneischen Deutung des berühmten platonischen Seelen-Mythos, der für seine Präexistenz- und Apokatastasis-Lehre von großem Belang ist, siehe ausführlich Maria-Barbara von Stritzky, Die Bedeutung der Phaidrosinterpretation für die Apokatastasislehre des Origenes, in: VigChr 31 (1977) 282–297. 120 Gruber, ΖΩΗ (wie Anm. 87) 207.

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und Frömmigkeit realisieren müssen“.121 Ihre Vielheit, so das geistlich-christologische Grundgesetz christlicher Frömmigkeit, soll auf das unsichtbare Pneuma hin überstiegen und vom unicus scopus, Christus, geprägt und durchformt werden. Entsprechend dem umfassenden Charakter des von ihm propagierten Frömmigkeitsprinzips, das die strikte Trennung von Welt und Kirche überwinden soll, wendet Erasmus das pneumatisch-christologische Doppelgesetz auf sämtliche Bereiche der menschlichen Lebenswirklichkeit an. Zum ersten entspricht dem trichotomischen Schema im Ethischen ein traditioneller Rationalismus, nach dem der pneumatischen Vernunft die Herrschaft über die sarkischen Leidenschaften und Affekte gebührt. In großer Ausführlichkeit legt Erasmus seine Konzeption einer christlichen Metriopathie, wie sie auch von Origenes und Hieronymus, seinen vorrangigen patristischen Referenzautoren, vertreten wird,122 im Rückgriff auf die platonische Analogie von Staat und Seele dar: Gleich den Philosophenkönigen des idealen platonischen Gemeinwesens muss der Geist über die Vielfalt der körperlichen Affekte herrschen und ihnen sein Gesetz auferlegen. In Abgrenzung vom stoischen Apathie-Ideal gilt es also, über die „natürlichen Empfindungen und Bewegungen“ der Seele einerseits zu gebieten und sie andererseits im Lichte des höheren Vermögens positiv zu gestalten.123 Gleiches gilt für den Stand und die soziale Position des frommen Christenmenschen, auf die das universalgültige Gebot des unicus scopus ebenfalls Anwendung findet.124 Im Zuge einer 121 So treffend Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 92. Siehe auch die ebd. 100

angeführten Stellen, an denen Erasmus die res mediae ausdrücklich im Vokabular einer hylemorphistischen Seelenlehre als „Materie“ u. ä. bezeichnet. Die Rolle der „Form“ kommt dementsprechend der pneumatischen Gesetzlichkeit zu, die sich mit Kohls, Principal Theological Thoughts (wie Anm. 51) 75, als „divine molding force“ beschreiben lässt. 122 Auch hier ist Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 72 f., einerseits beizupflichten, dass Erasmus in Abgrenzung vom stoischen Ideal vollständiger Apathie das konkurrierende peripatetische der Metriopathie verficht. Andererseits folgt der Rotterdamer auch hier nicht allein Hieronymus, sondern zugleich Origenes, der keineswegs, wie Auer meint, eine „radikale Ausrottung der Affekte“ gelehrt hat. Zu diesem althergebrachten Missverständnis der origeneischen Ethik siehe die ausführliche Widerlegung bei Walther Völker, Das Vollkommenheitsideal des Origenes. Eine Untersuchung zur Geschichte der Frömmigkeit und zu den Anfängen christlicher Mystik (BHTh 7), Tübingen 1931, 229–235. 123 Siehe etwa EH 45–47. Die erasmischen Darlegungen zu den Affekten sind durchweg sehr traditionell gehalten. Insbesondere der umfängliche letzte Teil des Werkes, in dem Erasmus dem Leser remedia für einzelne Affekte an die Hand gibt, bietet wenig thematisch Relevantes. Vielmehr rezipiert der Autor hier über weite Strecken ein populärphilosophisches Traditionsgut, das seinen antiken paganen und christlichen Vorbildern, darunter Origenes, über die Schul- und Religionsgrenzen hinaus gemeinsam ist. 124 Die universale Gültigkeit des Gebotes und seine damit verbundene systematische Relevanz für die Verhältnisbestimmung von Kirche und Gesellschaft expliziert Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 98, höchst treffend wie folgt: „Und weil alles und jedes auf die religiöse Mitte hingeordnet sein kann und muss, darum ist hier die Überwindung jener unheilvollen Zweigleisigkeit mitgefordert, die Religion und Leben in zwei ge-

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ethischen Kasuistik,125 die das trichotomische Schema des Origenes auf originelle Weise konkretisiert, exemplifiziert der Rotterdamer die vom Christen verlangte pneumatische Überbietung von Sarx und Psyche unter anderem an den Beispielen des Richterstandes und der Ehe. So ist nach Erasmus etwa das rein pflichtgemäße Handeln des Richters an sich ein seelisches medium, das im Amtsmissbrauch zur Befriedigung sadistischer Gelüste eine fleischliche Degeneration und im gerechten, aber schweren Herzens gesprochenen Urteil über eine geschätzte Person eine geistige Überbietung findet. Desgleichen ist die Liebe zur Ehefrau als solche psychisch und ohne jeden sittlichen Wert. Sarkisch wird sie, wo sie allein der Befriedigung körperlicher Triebe dient, pneumatisch, wo im Bilde der Frau Christus selbst, der Inbegriff von Tugend und Weisheit, geliebt wird.126 Das pneumato-christologische Doppelgesetz ist für alle nach Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen ein und dasselbe. Von daher ist es nur konsequent, dass Erasmus auf der Grundlage der anthropologischen Begriffstrias sämtlichen äußerlichen Erscheinungsformen christlicher Frömmigkeit den intrinsischen Wert abspricht: Gegenüber der allein im Innern des Christen stattfindenden pneumatischen Überbietung seiner leiblichen Existenz und seines gesellschaftlichen Lebens, dem Kern des erasmischen Ideals christlicher Vollkommenheit, sind etwa die Zugehörigkeit zum Kleriker- oder Mönchsstande oder fromme Praktiken wie die Verehrung von Reliquien und dergleichen allesamt indifferent und belanglos. Das Ziel nämlich, Christi Geist, der als unicus scopus das Leben des nach seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen im Kleinen wie im Großen prägen soll, ist allen Christen gleichermaßen als Berufung aufgegeben und prinzipiell erreichbar: „Es gibt keinen Grund, irgendeine Lebensform von diesem Ziel auszuschließen. Die christliche Vollkommenheit liegt in der Regung des Herzens, nicht in der Lebensform, in den Gesinnungen, nicht in Speisen oder liturgischen Gewändern.“127 Der spätere Übersetzer der Werke Lukians und Autor des „Lobs der Torheit“ erweist sich bereits im Frühwerk des Enchiridion als Satiriker in trennte, beziehungslos nebeneinander oder gar feindlich gegeneinanderstehende Welten auseinanderreißt und das religiöse Leben in eine unwirkliche Ferne von der konkreten Lebenswirklichkeit abdrängt.“ 125 EH 54 f. 126 Das Schema erinnert nicht zufällig an das spätere Lob des Origenes in der Vorrede zu der vom Rotterdamer besorgten Werksausgabe: Im Verlangen nach dem Martyrium für Gott, so wird er dort schreiben, triumphiert die pneumatische pietas des Glaubens über die natürliche der Liebe zur Familie. Allerdings ist der Schwerpunkt im Ehebeispiel ein anderer: Während dort die beiden Pflichten in Widerstreit geraten, ist die Ehe hier Medium der pneumato-christologischen pietas. Ein Widerspruch liegt freilich nicht vor: Nach Erasmus (und Origenes) gilt es, zunächst alles Irdische um Christi willen zu überwinden und unter das paulinische „als ob nicht“ zu stellen, um es dann, in einem zweiten Schritt, im Lichte des unicus scopus zu gestalten und insgesamt auf diesen hin transparent zu machen. 127 EH 12; Übersetzung: p. 29 Welzig.

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der Tradition des Kirchenvaters Hieronymus, wenn er in diesem Sinne die „Pest der mittelmäßigen Religiosität“,128 wie er sie etwa in dem ohne lebenspraktische Konsequenzen bleibenden täglichen Gottesdienstbesuch oder im geistlosen Reliquienkult der Zeit am Werk zu sehen meint, entschlossen anprangert. Gott, so Erasmus im Sinne der origeneischen Lehre vom wertlosen Seelen-medium, „speit die aus, die weder kalt noch warm, sondern lau sind.“129 So ist der tägliche Gottesdienstbesucher, der keine Notiz vom Leid seines Nächsten nimmt, für ihn noch „im Fleisch das Sakramentes“,130 d. h. in dessen sittlich indifferentem visibile, das es im pneumatischen Handeln erst mit religiösem Wert zu füllen gilt.131 All die geschäftigen Wallfahrer und selbstgefälligen Geistlichen schließlich, denen ihr Stand oder die bloß äußerliche religiöse Praxis die Summe ihres Christentums sind, dienen letztlich lediglich „ihrem Bauch“.132 In seinem beherzten Protest gegen ein substanzloses äußerliches Christentums schrickt Erasmus auch nicht davor zurück, im Blick auf das häufige Unverständnis, wie es die Apostel vor der vom scheidenden Erlöser angekündigten Ankunft des Geistes vielfach an den Tag legen, Christi „Fleisch“ und „körperliche Gegenwart“ selbst als „hinderlich“ oder „unnütz für das Heil“ zu bezeichnen.133 Und im gleichen Sinne kann er von Christi jungfräulicher Geburt durch Maria sagen: „So sehr nützt das Fleisch ohne Geist nichts, dass es seiner jungfräulichen Mutter nicht einmal genützt hätte, ihn aus ihrem Fleische geboren zu haben, wenn sie nicht auch mit ihrem Geiste seinen Geist empfangen hätte.“134

„Wenn“ aber sogar „die körperliche Gegenwart Christi unnütz ist für das Heil“, so sein kühner a fortiori-Schluss, „wie dürfen wir es dann wagen, in etwas Körperlichem die vollkommene Frömmigkeit zu sehen?“135 Dennoch lehnt Erasmus die sichtbaren Stände und Riten der Kirche nicht rundweg ab. Vielmehr sieht er in ihnen „Anzeichen oder Hilfsmittel der Frömmigkeit“, und als solche „sind sie“, so räumt er entsprechend seinem kosmolo128 129 130 131

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Ebd. 16; Übersetzung: ebd. 39. Offb. 3,16, zitiert ebd. 58 f.; Übersetzung: ebd. 157. Vgl. ebd. 73 f. Es verwundert kaum, dass es, wie Augustijn, Erasmus von Rotterdam (wie Anm. 58) 44–46, anhand zeitgenössischer Berichte zeigt, vor allem der fünfte Kanon war, der mit seiner überaus scharfen Kritik an einem veräußerlichten kirchlichen Christentum viele Leser irritierte: Stellte das dort entfaltete Programm eines verinnerlichten Christentums nicht letztlich mit den genannten Frömmigkeitspraktiken auch die Institution selbst infrage? Röm. 16,18, zitiert in EH 66. Ebd. 76. Ebd. 75; Übersetzung: p. 205 Welzig. Ebd. 76; Übersetzung: ebd. 207.

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gisch-gnoseologischen Exemplarismus ein, „den Kindern in Christus fast notwendig, bis sie erwachsen und zu reifen Menschen geworden sind.“136 Allerdings ruht der Akzent auch hier auf der Vorläufigkeit des sichtbaren medium, das es im Sinne der anthropologischen Teleologie zum Göttlichen pneumatisch zu übersteigen gilt. So hält bereits die Vorrede denen, die sich im Vertrauen auf Kirchbesuch und Wallfahrt von jedem weiteren Aufstieg zum Pneuma dispensieren zu können meinen, ein emphatisches origeneisches „Lasst uns erwachsen werden!“137 entgegen: Ebenso wenig wie ein leiblicher Vater wünsche sich Gott, „dass seine Söhne ewig Kinder bleiben, damit er mehr nach Belieben über sie verfügen kann“. Nein, auch er wolle sie letztlich zur „Freiheit Christi“138 fortschreiten sehen! Gleiches trifft auch auf die Heilige Schrift zu, die ihrem Leser allein in der pneumatischen Überbietung ihres Buchstabens, ihrer Sarx, Begegnung mit dem in ihr inkarnierten Christus sein kann. Von daher empfiehlt Erasmus seinem Adressaten mit besonderem Nachdruck die Vertreter eines allegorischen Schriftverständnisses, allen voran Origenes, der abermals unmittelbar nach Paulus selbst Erwähnung findet: „Bei denen, die die göttliche Schrift auslegen, halte dich vor allem an jene, die den Buchstaben am weitesten hinter sich lassen. Das tun nach Paulus vor allem Origenes, Ambrosius, Hieronymus und Augustinus.“139 Der Paulus-Schüler Origenes, der, wie Erasmus an anderer Stelle ergänzt, „in diesem Teil der Theologie wohl die erste Stellung innehat“,140 fungiert als Gewährsmann eines alternativen hermeneutischen Paradigmas, einer pneumatischen Exegese, die in Opposition zur platonvergessenen scholastischen Methodik und in Einklang mit dem erasmischen Programm christlicher Innerlichkeit das in der Schrift verborgene „glühende Geheimnis“ offen legen will.141 An die Stelle einer äußerlichen philologischen Erschließung muss demnach eine existentiell-anagogische treten, die den Menschen zu einem innerlich-existentiellen Verständnis des Schriftwortes führt: „Selig also die“, so Erasmus im Rückgriff auf das jesajanische Verstockungsmotiv, „die innen das Wort Gottes hören. Glücklich die, zu denen der 136 Ebd. 137 So bringt Alfons Fürst, Lasst uns erwachsen werden! Ethische Aspekte der Eschatologie

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des Origenes, in: ThPh 75 (2000) 321–338; erneut in: ders., Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte (AKG 115), Berlin/Boston 2011, 163–184, die pädagogische Stoßrichtung des origeneischen Vollkommenheitsideals auf den Punkt. EH 17; Übersetzung: p. 43 Welzig. Ebd. 33; Übersetzung: ebd. 89. Ebd. 71; Übersetzung nach ebd. 193. Ebd. Die beiden von Erasmus angeführten Gründe für die von ihm diagnostizierte Krise der Bibelhermeneutik seiner Zeit, die Missachtung des biblischen Symbolismus und die Vorherrschaft einer aristotelischen Hermeneutik, hängen eng miteinander zusammen. So ist es nach Erasmus gerade die Platonvergessenheit der scholastischen Schulphilosophie, die den Blick auf das Geheimnis der Schrift, ihr Pneuma, verstellt.

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Herr im Inneren spricht.“142 Vorbild des Exegeten ist dementsprechend der Brunnenbauer Isaak bzw. Christus, den er typologisch repräsentiert:143 Wie er muss der Schriftausleger die von den Philistern bzw. von den irdischen Affekten und Leidenschaften verschütteten Brunnen offen legen und dem Menschen so die in seinem eigenen Innern sprudelnden „Quelladern des lebendigen Wassers“144 zugänglich machen. Das pneumatisch-christologische Doppelgesetz erschöpft sich freilich nicht in der Innerlichkeit der Affektaskese und der Christusfrömmigkeit in Lebensführung und Schriftbetrachtung. Origenes steht schließlich vor allem dort Pate, wo Erasmus den von ihm aufgestellten pneumatischen Imperativ im Sinne eines christologischen Universalismus auslegt, nach dem nicht das Wohl eines Einzelnen oder einer religiösen Elite, sondern das der in Christus geeinten Schöpfung Ziel christlicher pietas ist.145 Christus ist nämlich nicht nur Inbegriff der Tugend, sondern auch, und hier macht sich Erasmus die origeneische Vorstellung vom „kosmischen Christus“146 zu eigen, Haupt der nach seinem Bild geschaffenen Vernunftschöpfung.147 Desgleichen ist für Erasmus auch in den unsichtbaren mundus intelligibilis, nach dem der Christ streben soll, zugleich „die Schar der Engel und frommen Seelen“148 eingeschlossen. Aus dieser sozial-universalen Dimension des christologisch-pneumatischen Doppelgesetzes leitet Erasmus die Forderung ab, im Sinne christlicher Nächstenliebe „alle als Glieder eines Körpers zu betrachten, alle für eins in Christus anzusehen“ und sich stets vor Augen zu halten, „dass auch wir gleich ihm, der weder für sich geboren wurde noch für sich gelebt hat noch 142 Ebd. 86; Übersetzung: ebd. 235. Zur origeneischen Deutung des prophetischen Versto-

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ckungsmotivs und seinen Hintergründen siehe ausführlich Fürst/Hengstermann, OWD 10, 45–74. Ebd. 8 f. Ebd. Auf diesen wichtigen Aspekt der erasmischen Origenes-Rezeption macht Fokke, Christus verae pacis auctor (wie Anm. 51) xxiii, aufmerksam. So der Titel der gehaltvollen Studie von James A. Lyons, The Cosmic Christ in Origen and Teilhard de Chardin. A Comparative Study, Oxford 1982, die der universal-kosmischen und geschichtsphilosophischen Dimension der origeneischen Christologie gewidmet ist. Vgl. hierzu ausführlich Auer, Vollkommene Frömmigkeit (wie Anm. 51) 109 f. Ohne den Einfluss des Origenes als solchen zu würdigen, gibt Auer, ebd. 114, eine luzide Zusammenfassung des origeneischen Christus-Universalismus, wie Erasmus ihn im Enchiridion verficht: „Die Ausrichtung der gesamten Wirklichkeit der Welt und des Menschen, ihres Seins und ihres Werdens, auf Christus als das einzige Ziel ist von Erasmus nicht gelegentlich und am Rande gefordert. Seine Forderung ist eine seinsgerechte, wirklichkeitsgemäße: sie stammt aus der Wahrheit, aus dem klaren Blick in das Sein. Christus ist Anfang, Mitte und Ziel.“ Origenes entfaltet diesen Gedanken vor allem in den von der Forschung bislang vernachlässigten Jesaja-Homilien (siehe insbesondere die Predigten 1 und 4 sowie die ausführliche Interpretation bei Fürst/Hengstermann, OWD 10, 132–161). EH 68; Übersetzung: p. 183 Welzig.

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für sich gestorben ist, sondern sich ganz für uns hingegeben hat, dass auch wir so dem Vorteil unserer Brüder und nicht dem eigenen dienen“.149 Ziel des geistigen Gesetzes ist mithin also eine grundsätzliche Revolution der Denkungsart, mit der das begrenzte Selbst auf den universalen Christus hin transzendiert werden soll. Wenn alles Sinnen und Trachten des Menschen nicht länger auf das partikulare Eigeninteresse, sondern auf das Wohl der in Christus zusammengefassten Menschheit, seines universalen Körpers, gerichtet ist, so hat der Mensch die im christlichen Vollkommenheitsgesetz gebotene Angleichung an seinen Archetypus Christus erreicht: „Wenn du nichts liebst außer in Christus, wenn du deinen Besitz für das Gemeingut aller Menschen hältst, wenn dich endlich die Mühseligkeiten aller bedrücken wie deine eigenen, so bringst du dein Opfer sinnvoll dar, nämlich geistig. Wenn du spürst, dass du gewissermaßen zu Christus verwandelt wirst und immer weniger in dir selbst lebst, so danke dem Geist, der allein lebendig macht.“150

In der Fähigkeit zur Angleichung an die Universalität Gottes, wie sie dem Menschen mit dem Pneuma in seinem Innern unverlierbar gegeben ist, besteht schließlich die unveräußerliche Würde des dynamisch-zielgerichteten Humanums: Die Verwandlung zum Gottwort selbst, wie sie in der pneumatischen Überbietung von Welt und Körper geschieht, ist zugleich theologische Chiffre für den überragenden Wert der dynamischen Freiheitsnatur des Menschen.

4. Das Enchiridion – Das Menschenbild des Origenes in der neuen Zeit Das vielgelesene Enchiridion des Erasmus von Rotterdam ist ein Schlüsselwerk der neuzeitlichen Origenes-Renaissance, in dem sich die für die Wiederentdeckung des Alexandriners maßgebliche Personenkonstellation verdichtet. So haben im Enchiridion nicht nur die von der Väterlektüre geprägte Paulus-Auslegung und der christliche Platonismus John Colets, sondern vor allem das reformatorische Anliegen und die tiefe Christus-Innnerlichkeit des flandrischen Paulus- und Origenes-Jüngers Jean Vitrier ihren literarischen Niederschlag gefunden. Zugleich fügt das programmatische Werk die verschiedenen Origenes-Renaissancen, die seiner Abfassung vorangehen, zu einer in sich stimmigen theologischen Einheit zusammen, über die zentrale Aspekte der christlichen Philosophie des Origenes, allen voran die Radikalität seines freiheitsmetaphysischen Ansatzes, in das neuzeitliche Denken Eingang finden: Die Seele, so macht sich der Rotterdamer den Grund149 Ebd. 82 f.; Übersetzung: ebd. 225. 150 Vgl. ebd. 73; Übersetzung: ebd. 199.

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gedanken seines Freiheitsdenkens zu eigen, ist ontologisch eine Nichtentität. Erst in der Verwirklichung sittlicher Freiheit, wie sie sich in der Angleichung an das göttliche Wort, das innere Wesensprinzip des Humanums, vollzieht, wird die Seele zum Menschen im eigentlichen Sinne. Ohne sittliches Bemühen ist sie für den Origenes-Anhänger Erasmus nichts als ein wildes Tier oder, beinahe schlimmer noch, ein verachtenswertes Adiaphoron. Auf der Grundlage seines origeneischen Platonismus, den er auf die Formel eines formalen und universalgültigen Gesetzes bringt, entwickelt Erasmus so eine Theologie der Freiheit, die ihm zu Recht den Ehrentitel „Anwalt eines neuzeitlichen Christentums“151 eingebracht hat. An die Stelle eines uniformen Ideals christlicher pietas, das in seinen anspruchsvollen Forderungen einer elitären Minderheit vorbehalten bliebe, tritt darin das seinem Gehalt nach nicht weniger elitäre Ethos einer individuell verschiedenen Angleichung an das Gotteswort, die jedem Christenmenschen unabhängig von seinem Stand in Welt und Kirche als höchste Berufung obliegt. Gleiches gilt für das Gebot allgemeiner Nächstenliebe, wie Erasmus es aus seiner origeneischen Christologie ableitet. Der christologische Universalismus, der Teil des jedem Menschen eingeschriebenen pneumatischen Gesetzes ist, erweist die gnadengewirkte Selbstverwirklichung der Seele im christusgemäßen Ethos als Handeln im Sinne christlicher Nächstenliebe. Der politische Aspekt, der den origeneischen Platonismus aufgrund seines kirchlich-sozialen Rahmens in der Spätantike vom plotinischen absetzt und den Alexandriner selbst in gewisser Weiser zum treueren der beiden großen Platondiadochen macht,152 hat bei Erasmus im Universalisierungsgebot, nach dem sich der Mensch anstelle partikularer Eigeninteressen die Perspektive des allumfassenden Christus-Hauptes zu eigen machen soll, seine Entsprechung.153 In der Verknüpfung der origeneischen Freiheitsphilosophie, wie sie im trichotomischen Seelenschema und der heilstrinitarischen Ethik des Werkes zum Ausdruck kommt, mit dem christologischen Universalismus, nach dem christliche Vollkommenheit nicht weniger als die gemeinschaftliche Vollendung aller Vernunftwesen in Staat und Kirche zum Ziel hat, liegt schließlich das eigentümliche Verdienst der wegweisenden neuzeitlichen Origenes-Relecture, wie sie Erasmus von Rotterdam im Enchiridion militis Christiani vorträgt. 151 So der Titel des wichtigen Werkes von Christ-von Wedel, Erasmus von Rotterdam (wie

Anm. 24). Ähnlich urteilt Halkin, Erasmus von Rotterdam (wie Anm. 25) 325–332, wenn er die „Botschaft des Erasmus“ unter das treffende Motto „Von der Kritik am Christentum zum kritischen Christentum“ stellt. 152 So die schlüssige These von Eberhard Schockenhoff, Zwei unterschiedliche Denkwege am Ausgang der Antike, in: Robert J. Daly (Hg.), Origeniana Quinta (EThL 105), Leuven 1992, 284–295. Von hierher ließe sich allgemein nach dem Konnex zwischen dem theologischen Origenismus und dem politischen Pazifismus des Erasmus fragen. 153 Auf die politische Dimension der im Enchiridion entfalteten Theologie macht Fokke, Christus verae pacis auctor (wie Anm. 51) 264 f., mit Recht aufmerksam.

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Inquisitor, non dogmatistes Die Rolle des Origenes in der Auseinandersetzung des Erasmus von Rotterdam mit Martin Luther

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Origenes war seit 1512, als der französische Theologe Jacques Merlin bei dem bedeutenden Drucker Josse Bade in Paris die editio princeps seiner in lateinischer Sprache vorliegenden Werke in vier Foliobänden herausbrachte, zugänglich wie kaum je zuvor seit der Antike.1 Der Herausgeber und der Verleger sahen sich jedoch genötigt, ihren Protagonisten gegen die Kritik zu verteidigen, die diesen von Anfang an begleitete. Die Mahnung des Decretum Gelasianum, nur diejenigen Werke des Alexandriners zu lesen, an denen Hieronymus nichts auszusetzen gehabt habe, hatte es bis in das Corpus Iuris Canonici geschafft. Merlin und Bade führen die Irrtümer, die sich ohne Zweifel in den Werken des Origenes finden, auf böswillige Interpolatoren zurück und nehmen damit eine Argumentationsfigur auf, die sich bei Rufinus von Aquileja an der Wende vom 4. zum 5. und bei Giovanni Pico della Mirandola2 gegen Ende des 15. Jahrhunderts findet. Sie haben sich jedoch nicht dazu verleiten lassen, die vermeintlich interpolierten bzw. durch Versehen der Abschreiber verderbten Stellen zu tilgen oder zu verbessern, sondern sich mit Hinweisen wie cave und caute lege begnügt, die sie jedoch nicht überall anbrachten, wo es nötig gewesen wäre. Zwei oder möglicherweise 1

2

Vgl. André Godin, Érasme lecteur d’Origène (THR 190), Genf 1982, 417–421. Da in diesem grundlegenden Werk alle wünschenswerten Informationen enthalten sind, kann, um den Apparat nicht allzu sehr aufzublähen, hier und im Folgenden auf Einzelnachweise verzichtet und darauf verwiesen werden. Da von Godin nicht genannt, sei auf die für das Verhältnis Picos zu Origenes wichtige Studie von Engelbert Monnerjahn, Giovanni Pico della Mirandola. Ein Beitrag zur philosophischen Theologie des italienischen Humanismus (VIEG 20), Wiesbaden 1960, bes. 185–190, hingewiesen. Zum Verhältnis des Erasmus zu Pico vgl. Jean Claude Margolin, Pic de la Mirandole et Érasme de Rotterdam, in: Gian Carlo Garfagnini (Hg.), Giovanni Pico della Mirandola. Convegno internazionale di studi nel cinquecentesimo anniversario della morte (1494–1994) (Centro internazionale di cultura „Giovanni Pico della Mirandola“. Studi Pichiani 5), Florenz 1997, II, 551–576, bes. 560–567 zum Thema der Willensfreiheit. Vgl. auch Manfred Schulze, Der Streit um den Menschen in Humanismus und Reformation, in: Martin Heimbucher/Joachim Lenz (Hg.), Hilfreiches Erbe. Zur Relevanz reformatorischer Theologie. Festschrift für Hans Scholl, Bovenden 1995, 76–96.

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drei Nachdrucke dieser Ausgabe innerhalb eines Jahrzehnts belegen, dass eine auf irgendeine Weise als gefährlich gekennzeichnete Lektüre sich besonders gut verkauft. In Paris entbrannte in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein Streit zwischen dem Herausgeber dieser Origenes-Ausgabe und dem präpotenten Syndikus der Theologischen Fakultät und Prinzipal des Collège de Montaigu, Noël Béda, der den Humanisten im Allgemeinen und dem Verteidiger des Origenes, Merlin, im Besonderen eine mangelnde Zuverlässigkeit in Fragen der Orthodoxie unterstellte. Schließlich gelang es Béda 1526, ein  – im Übrigen unwirksames  – Druckverbot der Sorbonne für Merlins Werke zu erreichen. Die Auseinandersetzung blieb nicht auf Paris begrenzt. Béda legte sich auch mit Erasmus an, dem er vorwarf, sich auf Origenes zu stützen, der seinerseits dem Erzketzer Arrius [sic] vorgearbeitet habe. Im Gefolge des Origenes und des Pelagius habe Erasmus in seiner Auseinandersetzung mit Luther den freien Willen in exzessiver Weise betont, die bleibende Sündigkeit der Getauften, die guten Werke und die Bußinstitutionen der katholischen Kirche gering geachtet und es verabsäumt, die von Luther kritisierten kirchlichen Praktiken wie Heiligenkult, Fasten, Ordensgelübde und Bußwerke sowie das Fegefeuer zu verteidigen.3 Erasmus lässt sich nicht beirren und wiederholt gegenüber Béda, was er schon Johannes Eck gegenüber geäußert hatte, dass er aus einer Seite des Origenes mehr geistlichen Gewinn erziele als aus zehn Seiten Augustins bzw. dass er für die Schriftauslegung den einen Origenes zehn orthodoxen Vätern vorziehe.4 Dabei verhehlt Erasmus keineswegs, dass man bei Origenes dogmatische Schwierigkeiten haben könne, die er teilweise auf dessen Platonismus zurückführt. Dass er ein Häretiker gewesen sei, bestreitet er jedoch. Denn dazu hätte er formell definierte Glaubenswahrheiten hartnäckig leugnen müssen, was er nicht getan habe.5 Für Erasmus ist Origenes nicht nur wegen seiner Lebensweise vorbildlich, sondern auch in seinem exegetischen Forschergeist, der sich nicht mit Vordergründigem zufrieden gab, sondern die Heilige Schrift immer wieder neu untersuchte, um die Wahrheit zu ergründen.6 Genau dies unternahm Erasmus in seiner Schrift De libero arbitrio διατριβή sive collatio,7 in deren Einleitung er der Hoffnung Ausdruck verleiht, durch solche 3 4 5 6 7

Vgl. Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 428. Vgl. die Stellen ebd. 430 f. Zum Häresieverständnis der Frühen Neuzeit vgl. Peter Walter, Art. Häresie. 1. Begriff. 2. Katholische Kirche, in: Enzyklopädie der Neuzeit 5 (2007) 186–189. Vgl. Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 433–439. Basel: Johannes Froben 1524. Bis zum Erscheinen einer neuen kritischen Edition bleibt die Ausgabe Johannes von Walters maßgeblich: De libero arbitrio διατριβή sive collatio per Desiderium Erasmum Roterodamum, hg. von Johannes von Walter (QGP 8), Leipzig 1910 (Nachdruck 1935). Diese Edition liegt auch der zweisprachigen Ausgabe zugrunde: Erasmus von Rotterdam, De libero arbitrio διατριβή sive collatio/Gespräch oder Unterre-

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Untersuchung der Heiligen Schrift, vor allem durch den Vergleich von anscheinend einander widersprechenden Aussagen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Dabei gebraucht er zur Beschreibung seines Vorgehens eine Charakterisierung, die Hieronymus für Origenes gegeben hatte, die er jedoch auf signifikante Weise abwandelt. Hieronymus hat sich, als man ihm vorwarf, Origenes gelobt zu haben, damit verteidigt, dass er den nicht zu tadelnden interpres vom durchaus problematischen dogmatistes unterscheide.8 Erasmus sagt von sich, dass er als inquisitor, nicht als dogmatistes handle.9 Natürlich meint er mit inquisitor nicht den Ketzerriecher, sondern eine Art, Theologie zu treiben, die der des Origenes nahe kommt, dem ein Kenner bescheinigt, „théologie en recherche“ zu betreiben.10

1. Die Auseinandersetzung des Erasmus mit Martin Luther um den freien Willen – ein kurzer Überblick über die Kontroverse Erst nach langem Zögern und vielfachem Drängen von katholischer Seite hat Erasmus sein Werk über den freien Willen verfasst, in dem er auch nach Auffassung Luthers den Kern der reformatorischen Lehre getroffen hat.11 Erasmus greift

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dung über den freien Willen – Hyperaspistes Diatribae adversus servum arbitrium Martini Lutheri liber primus/Erstes Buch der Unterredung ‚Hyperaspistes‘ gegen den ‚Unfreien Willen‘ Martin Luthers, übers., eingel. und mit Anm. versehen von Winfried Lesowsky (Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften 4), Darmstadt 1969, 1–195. Im Folgenden wird die Ausgabe von Walters mit Angaben von Kapiteleinteilung und Seitenzahl zitiert. Da Lesowsky die erstere übernommen hat, können Zitate in seiner Übersetzung leicht gefunden werden. Hieronymus, ep. 84,2 (CSEL 55, 122,5 f.): laudavi interpretem, non dogmatisten, ingenium, non fidem, philosophum, non apostolum. Erasmus, De libero arbitrio Ia 6; 5: disputatorem agam, non iudicem, inquisitorem, non dogmatisten. Henri Crouzel, Qu’a voulu faire Origène en composant le Traité des Principes?, in: BLE 76 (1975) 161–186. 241–260, hier 248, zit. nach Alfons Fürst, Hieronymus. Askese und Wissenschaft in der Spätantike, Freiburg/Basel/Wien 2003, 32. Zur Position des Hieronymus in der Auseinandersetzung um Origenes zu seiner Zeit vgl. ebd. 30–36. Es kann hier nicht darum gehen, auf diese Debatte einzugehen, die immer wieder neu zum Gegenstand theologischer Forschung und Auseinandersetzung wird. Es sei nur auf die zuletzt erschienenen Werke verwiesen: Georges Chantraine, Érasme et Luther, libre et serf arbitre. Étude historique et théologique (CSyc.H 5), Paris 1981; Marjorie O’Rourke Boyle, Rhetoric and Reform. Erasmus’ Civil Dispute with Luther (HHM 71), Cambridge MA 1983; Roberto Torzini, I labirinti del libero arbitrio. La discussione tra Erasmo e Lutero (Pansophia 4), Firenze 2000; Peter Heinrich, Mensch und freier Wille bei Luther und Erasmus. Ein Brennpunkt reformatorischer Auseinandersetzung unter besonderer Berücksichtigung der Anthropologie, Nordhausen 2003; Gerhard O. Forde, The Captivation of the Will. Luther vs. Erasmus on Freedom and Bondage, Grand Rapids MI 2005. Reizvoll ist auch die Darstellung des Philosophiehistorikers Kurt Flasch, Kampfplätze

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dazu eine Aussage aus der Assertio Luthers von 1520 auf, in der dieser die in der Bannandrohungsbulle Exsurge Domine vom 15. Januar desselben Jahres aus seinen Schriften exzerpierten Irrtümer nicht nur nicht zurücknimmt, sondern bekräftigt und dadurch den Tatbestand der Häresie erfüllt. Einschlägig ist Artikel 36, der auf eine Aussage der Heidelberger Disputation zurückgeht: Liberum arbitrium post peccatum res est de solo titulo, et dum facit, quod in se est, peccat mortaliter.12 In der Einleitung seiner Schrift (in der Ausgabe von Walters Abschnitt I) wirft Erasmus die Frage nach der rechten Auslegung der Bibel auf, die von Luther als einzige Autorität in theologischen Streitfragen anerkannt wird. Im ersten Hauptteil, der eigentlichen collatio, stellt er die Bibelstellen zusammen, die für (Abschnitt II) bzw. gegen den freien Willen (Abschnitt III) sprechen, um im zweiten Hauptteil, der διατριβή (Abschnitt IV), auf dieser Basis das Problem philosophisch und theologisch zu diskutieren. Erasmus macht deutlich, dass es für ihn, der wie Luther jede Selbsterlösung des Menschen ausschließt, durchaus einen freien Willen gibt. Dieser ist auf Grund des Sündenfalls der ersten Menschen keineswegs ausgelöscht, wie Luther annimmt, sondern lediglich geschwächt und durch die Erlösung in Jesus Christus wiederhergestellt. Die Leugnung des freien Willens ist für Erasmus weniger ein Unrecht gegenüber den Menschen, deren Schwachheit er nicht bestreitet, sondern vielmehr gegenüber Gott, der den Menschen erlöst und dadurch gleichsam neu geschaffen hat. Gottes Gnade und menschlicher freier Wille verhalten sich zueinander wie Erst- und Zweitursache. Gott regt den freien Willen an und führt ihn zur Vollendung, aber er nimmt ihm die Entscheidung nicht ab, das Heilsangebot anzunehmen oder die Annahme zu verweigern. Ohne einen solchen freien Willen wäre verantwortliches moralisches Handeln unmöglich. Am Ende überlässt Erasmus, entsprechend der Gattung der διατριβή, dem Leser die Entscheidung in der Streitfrage, die für ihn, im Gegensatz zu Luther, die Glaubensgemeinschaft nicht sprengen muss: CONTULI, penes alios esto iudicium.13 In der Tat waren die von Erasmus bzw. Luther bezogenen Positionen, die auf einer unterschiedlichen Augustinusinterpretation gründen, auch in der Vergangenheit eingenommen worden, etwa von spätmittelalterlichen Augustiner-Theologen wie Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto, ohne dass dies die Kirche gespalten hätte.14 Luther nimmt in seiner kämpferischen Gegenschrift De servo

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13 14

der Philosophie. Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire, Frankfurt a. M. 2008, 243–273: „Menschenwürde oder Allmachtstheologie. Erasmus gegen Luther“. Martin Luther, Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum, in: WA 7, 91–151, hier 142. Vgl. auch DH 1486 mit Verweis auf die Heidelberger Disputation. Erasmus, De libero arbitrio IV 17; 92 (Hervorhebung im Original). Vgl. Christoph P. Burger, Erasmus’ Auseinandersetzung mit Augustin im Streit mit Luther, in: Leif Grane/Alfred Schindler/Markus Wriedt (Hg.), Auctoritas Patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert (VIEG Beih. 37), Mainz 1993, 1–14.

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arbitrio15 den Fehdehandschuh auf. Er bestreitet die theologische Kompetenz des Erasmus, den er als Skeptiker bezeichnet, und versucht dessen Bibelinterpretation Schritt für Schritt zu widerlegen. Erasmus antwortete Luther mit seinem umfangreichen „Schutzschild“ (Hyperaspistes).16 Der erste Teil, den er in weniger als zwei Wochen geschrieben und zum Druck befördert haben will, um auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1526 damit präsent zu sein, geht hauptsächlich auf die Einleitung von De servo arbitrio ein und beschäftigt sich mit Luthers Stellungnahme zur Frage der Auslegungsbedürftigkeit der Bibel. Auch wenn Erasmus mit Luther von deren Klarheit überzeugt ist, sofern es um ihren zentralen Inhalt Jesus Christus geht, widerspricht er Luthers Auffassung hinsichtlich der Rolle der Kirche im Auslegungsprozess. Die Auseinandersetzungen mit den Reformatoren haben Erasmus gezeigt, dass die Berufung auf die Schrift allein weder diachron noch synchron die Einheit der Auslegung wahren kann. Im wesentlich umfangreicheren zweiten Teil, der länger auf sich warten ließ und erst im Herbst 1527 erschien, versucht Erasmus, die Argumente Luthers Schritt für Schritt zu widerlegen, was das Buch schwer lesbar macht. Erasmus lässt Luther ausführlich zu Wort kommen und tritt in einen Dialog mit ihm ein. Als entscheidender Unterschied zwischen beiden zeigt sich das Gottesbild. Für Erasmus ist Luthers Lehre vom verborgenen und offenbaren Gott ein Konstrukt zur Rechtfertigung seiner theologischen Paradoxien. Nach diesem Schlagabtausch war der Bruch zwischen beiden endgültig.

2. Die Rolle des Origenes in der Schrift De libero arbitrio des Erasmus Wenn man den ausdrücklichen Zitaten vertraut, dann hat Erasmus nur an wenigen Stellen von De libero arbitrio auf Origenes zurückgegriffen. In der Einleitung verweist er allgemein auf patristische und scholastische Gewährsleute; unter den ersteren befindet sich natürlich auch Origenes (Ib 2; 12). Ausdrücklich nimmt Erasmus lediglich in dem Teil auf Origenes Bezug, in dem es darum geht, diejenigen Aussagen der Heiligen Schrift richtig zu interpretieren, in denen ein freier Wille vermeintlich abgelehnt wird (IIIa 2 f.; 47 f., IIIa 16; 58 f.). Erasmus greift hier 15

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De servo arbitrio Martini Lutheri ad D. Erasmum Roterodamum, Wittenberg: Hans Lufft 1525, in: Hans-Ulrich Delius/Rudolf Mau/Günter Gloede (Hg.), Martin Luther. Studienausgabe, Bd. 3, Berlin 1983, 170–356. Hyperaspistes diatribe adversus Servum Arbitrium Martini Lutheri, Basel: Johannes Froben 1526; Hyperaspistae liber Erasmi Roterodami secundus […], Basel: Johannes Froben 1527; Joannes Clericus (Hg.), Desiderii Erasmi Roterodami opera omnia emendatiora et auctiora, 10 Bde., Leiden 1703–1706 (Nachdruck Hildesheim 1962), Bd. 10, 1249–1336. 1337–1536; Teil I mit deutscher Übersetzung in Lesowsky, Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften 4 (wie Anm. 7) 197–675.

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explizit auf das einschlägige Kapitel III 1 Περὶ αὐτεξουσίου von De principiis17 zurück. Johannes von Walter, dem wir die bislang vorliegende kritische Ausgabe von De libero arbitrio verdanken, hat darüber hinaus noch einige Stellen ausfindig gemacht, an denen Erasmus auf Origenes anspielt oder diesen zitiert, ohne ihn zu nennen. Zumeist handelt es sich auch hierbei um De principiis, selten um den Kommentar zum Römerbrief. André Godin schließlich hat in seinem grundgelehrten Werk über die Origeneslektüre des Erasmus in minuziöser philologischer Kleinarbeit gezeigt, was dieser nicht nur hinsichtlich der Auslegung einiger schwieriger Stellen, sondern sowohl für seine theologische Grundhaltung im Allgemeinen als auch für seine Einschätzung des Problems der Willensfreiheit im Besonderen dem alexandrinischen Kirchenvater verdankt. Zugleich hat er herausgearbeitet, wo Erasmus Origenes nicht folgt, ohne sich freilich ausdrücklich von diesem zu distanzieren.

a) Direkte Zitate und indirekte Bezüge In dem Teil von De libero arbitrio, in dem Erasmus die Schriftstellen untersucht, die gegen einen freien Willen sprechen, nimmt er ausdrücklich Bezug auf Origenes, und er nennt hier zum einzigen Mal im ganzen Werk den Titel der Schrift, auf die er sich bezieht: De principiis.18 Die erste Stelle ist der locus classicus der Bestreiter des freien Willens: Induravitque dominus cor Pharaonis[,] et non audivit eos (Ex. 9,12).19 Das Problem, wie es gedacht werden kann, dass der gerechte und zugleich gute Gott das Herz eines Menschen verstockt, um durch dessen Bosheit seine Macht zu zeigen, löst Erasmus, indem er die umfangreiche Erklärung des Origenes kurz zusammenfasst. Dieser weist erstens darauf hin, dass ein und dieselbe natürliche Ursache unterschiedliche Wirkungen haben kann, die von der Beschaffenheit des Materials abhängen, auf das die Ursache trifft. So bringt derselbe Regen auf guter Erde reiche Frucht hervor, auf unkultivierter hingegen Dornen und Disteln.20 Dieselbe Sonne schmilzt Wachs und härtet Schlamm.21 Und so führt nach den Worten des Erasmus die göttliche Großmut, die die Sünder 17 18

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Origenes, princ. III 1 (GCS Orig. 5, 195–244). Vgl. Erasmus, De libero arbitrio IIIa 2; 47, worauf Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 476 Anm. 118, ausdrücklich hinweist. Diese Feststellung wird ein wenig durch die Tatsache relativiert, dass Erasmus zumindest das Werk Luthers, auf das er sich hauptsächlich bezieht, mit der Angabe des Titelstichworts Assertio eindeutig identifiziert (Ia 1; 1). Zur Interpretation dieser Stelle durch Origenes vgl. Lorenzo Perrone (Hg.), Il cuore indurito del Faraone. Origene e il problema del libero arbitrio (Origini 3), Genua 1992. Vgl. Origenes, princ. III 1,10 (GCS Orig. 5, 209–211). Während Origenes hierfür auf Hebr. 6,7 f. verweist (5, 210), unterlässt es Erasmus, diesen biblischen Bezug zu nennen. Vgl. ebd. III 1,11 (5, 212).

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duldet, die einen zur Buße und macht die anderen umso verstockter in ihrer Bosheit. Erasmus erklärt den Unterschied ziemlich präzise: Gottes Erbarmen zeigt sich bei denen, die Gottes Güte erkennen und umkehren. Diejenigen aber, denen eine Frist zur Buße eingeräumt wird, die Gottes Güte jedoch missachten und zu Schlimmerem voranschreiten, werden verhärtet. Origenes führt zweitens den Sprachgebrauch (συνήθεια) als Erklärungsmöglichkeit an: „Oft sagen milde Herren zu Sklaven, die durch ihre Milde und Langmut verdorben sind: ‚Ich habe dich schlecht gemacht‘.“22 Erasmus fasst auch dies zusammen, mit dem bezeichnenden Unterschied, dass er das von Herren und Sklaven Gesagte auf das Verhältnis von Vater und Sohn überträgt. Als drittes Argument nennt Origenes den prophetischen Sprachgebrauch und führt als Beispiel Jes. 63,17 f. an.23 Erasmus verkürzt einerseits das Zitat auf V. 17 (Quare errare nos fecisti, domine, de viis tuis, indurasti cor nostrum, ne timeremus te?), erweitert aber andererseits mit ausdrücklicher Bezugnahme auf den Jesaja-Kommentar des Hieronymus die Palette der Beispiele (Hos. 4,14; Ps. 88(89),13).24 Mit Jer. 20,7 (Seduxisti me et seductus sum, fortior me fuisti et invaluisti) nimmt er den Faden des Origenes25 wieder auf. Auch die Überlegung, dass Ärzte Wunden ganz bewusst offen halten, damit das Sekret abfließen kann, verdankt Erasmus Origenes.26 Einen weiteren Beleg entnimmt er dem Kommentar des Origenes zum Römerbrief, wo Paulus das Beispiel des Pharao anführt, zu dem Gott gesagt hat: Quia ad hoc ipsum te suscitavi, ut ostendam in te virtutem meam et ut annuncietur nomen meum in universa terra (Röm. 9,17 = Ex. 9,16).27 Gott hat nicht gesagt: Quia ad hoc ipsum te feci; denn dann hätte der Pharao nicht anders gekonnt. Nach Origenes hat Gott den Pharao vielmehr dazu bestimmt, durch sein allein ihm zuzuschreibendes Handeln für andere zum warnenden Beispiel zu werden.28 Erasmus unterstreicht die Güte des Schöpfers noch, indem er Gott durch Gen. 1,31 näher qualifiziert: deus, qui contemplatus est omnia opera sua et erant valde bona (IIIa 3; 48). Wenn Erasmus im Folgenden erklärt, dass Gott die Bosheit des Pharao zu seiner Ehre und zum Heil seines Volkes benutze, um deutlich zu machen, dass sich diejenigen Menschen, die sich Gottes Willen widersetzen, vergeblich bemühen, dann verdeutlicht er dies durch einen Vergleich: Kluge Könige oder Familienväter nutzen die Grausamkeit von Leuten, die sie hassen, um Böse zu strafen (IIIa 4; 22 23 24 25 26 27

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Ebd. (5, 213); Übersetzung: p. 499 Görgemanns/Karpp. Ebd. III 1,12 (5, 214). Vgl. Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 477. Vgl. Origenes, princ. III 1,12 (GCS Orig. 5, 214). Vgl. ebd. III 1,13 (5, 217 f.). Origenes, in Rom. comm. VII 14 (p. 623 f. Hammond Bammel). Der Text entspricht nicht ganz dem, den Erasmus zitiert, IIIa 1; 46: Idcirco autem posui te, ut ostendam in te fortitudinem meam et narretur nomen meum in omni terra. Vgl. Origenes, ebd. (p. 623 f.).

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48 f.). Auch diesen Vergleich hat er dem Römerbriefkommentar des Origenes entnommen, der damit die Verstockung des Pharao erklärt.29 Erasmus zieht daraus den Schluss, dass dem menschlichen Willen keineswegs Gewalt angetan werde, wenn Gott durch seinen geheimen Ratschluss die Unternehmungen der Menschen zu einem anderen Ziel lenke, das ihrer eigenen Absicht nicht entspricht. Er fährt fort: Wie Gott die Unternehmungen der Bösen zum Wohl der Guten lenkt, so erreichen die der Guten das, was sie erstreben, nur, wenn Gott ihnen beisteht. Dies illustriert er mit Röm. 9,16: Igitur non volentis neque currentis, sed miserentis est dei. „Gottes Barmherzigkeit geht unserem Wollen voraus, begleitet es bei seinen Unternehmungen und gewährt ihnen einen glücklichen Ausgang. Und doch wollen wir, laufen wir, erreichen wir, jedoch so, dass wir alles Unsrige Gott zuschreiben, dem wir vollständig gehören“ (IIIa 4; 49). André Godin hat auch hierfür eine Parallele im Römerbriefkommentar des Origenes ausgemacht.30 Wenn Erasmus im Anschluss daran auf das Problem des Vorauswissens (praescientia) Gottes zu sprechen kommt, dann nimmt er einen Gedanken aus dem Römerbriefkommentar des Origenes auf, der Vorauswissen und Vorherbestimmen Gottes unterscheidet.31 Aber Erasmus beruft sich nicht auf ihn, sondern auf den von ihm in bibelphilologischen Fragen geschätzten Lorenzo Valla (IIIa 5; 49).32 Die Unterscheidung, dass etwas vorauszuwissen noch nicht bedeutet, es zu verursachen, verdeutlicht Erasmus am Beispiel einer Sonnenfinsternis, deren Vorhersage nicht mit deren Verursachung zu verwechseln sei. Damit ist das Problem der göttlichen Prädestination (voluntas ac destinatio dei) aber noch keineswegs gelöst, dem Erasmus sich im Folgenden zuwendet. Er führt dazu die Unterscheidung zwischen dem Wollen einer Handlung und deren Zulassen ein: Wenn jemand etwas Künftiges im Voraus weiß und es nicht verhindert, obwohl dies in seiner Macht stünde, dann will er es in gewisser Weise (aliquo modo). Diesen Willen Gottes zu ergründen, steht dem Menschen jedoch nicht zu, wie Erasmus mit Bezug auf die in umgekehrter Reihenfolge angeordneten Verse Röm. 9,18 f. (voluntati eius quis resistit, si miseretur cui vult, si indurat quem vult) und 9,20 (O homo, tu quis es, qui respondeas Deo?) verdeutlicht, wobei er sich zu deren Aus-

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Vgl. ebd. (p. 623). Vgl. ebd. (p. 622); vgl. Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 478 f. Vgl. Origenes, ebd. VII 6 (p. 591 f.). Vgl. Lorenzo Valla, Über den freien Willen/De libero arbitrio, lateinisch-deutsche Ausgabe, hg., übers. und eingel. von Eckhard Kessler (Humanistische Bibliothek II 16), München 1987, 80. Es ist hier nicht der Ort, die Vermutung Godins zu diskutieren, Erasmus habe die Argumentation Vallas für seine Zwecke zurechtgebogen. Godin verweist stattdessen auf die eindeutigen Aussagen des Origenes in dieser Frage: Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 479 f. Zu Valla vgl. die erhellenden Ausführungen von Mario Fois, Il pensiero cristiano di Lorenzo Valla nel quadro storico-culturale del suo ambiente (AnGr 174), Rom 1969, 180–194.

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legung sowohl auf De principiis als auch auf den Römerbriefkommentar des Origenes zu stützen scheint. Origenes erklärt die Verweigerung einer Antwort mit dem Aufbegehren dessen, der sie stellt,33 und Erasmus übernimmt diese Deutung (IIIa 6; 49 f.). Nun greift Erasmus den Ausgangspunkt dieser Überlegungen wieder auf, die Verstockung des Pharao. „Gott wollte den Untergang des Pharao“ – nach dem Vorhergehenden muss man sagen: er ließ den Untergang zu – „und er tat dies gerechterweise, und es war“ – wie man wiederum ergänzen muss: wegen der Folgen für Israel – „gut so, dennoch wurde der Pharao nicht von Gottes Willen gezwungen, hartnäckig gottlos zu sein“ (IIIa 6; 50). Godin hat nachgewiesen, dass auch dieser Gedanke im Römerbriefkommentar des Origenes begegnet.34 Im Folgenden nimmt Erasmus trotz seiner Abneigung gegen die scholastische Theologie von dieser geprägte Unterscheidungen auf wie diejenige zwischen Erst- und Zweitursache, zwischen den unterschiedlichen Weisen von Notwendigkeit usw. (IIIa 8 f.; 51–53), die hier nicht zu behandeln sind.35 Schließlich kommt er wieder auf die Verstockung des Pharao zurück und begründet diese mit dessen eigener Schuld. Gott ließ sie zu und ermöglichte sie mittels seines concursus, mittels dessen er gute wie böse Taten im Sein erhält, deren Güte oder Bosheit aber nicht von Gott, sondern vom Menschen kommen (IIIa 10; 53). Godin ist es gelungen, dafür eine signifikante Parallele in De principiis zu finden.36 Zum dritten und letzten Mal zitiert Erasmus Origenes ausdrücklich, wenn er Ez. 11,19 (Auferam cor lapideum ab eis et immittam eis cor carneum) als der Lehre vom freien Willen nicht widersprechend zu interpretieren sucht. Origenes erklärt diese Aussage durch den Vergleich mit einem Schüler, der sich einem Lehrer anvertraut und von diesem angeleitet aus seiner Unwissenheit herausfindet.37 Es ist bezeichnend für den Philologen Erasmus, dass er die auf Bildung allgemein bezogene Aussage des Origenes auf den Erwerb eines korrekten Latein einschränkt: Eximam tibi linguam istam barbaricam et inseram Romanam (IIIa 16; 58). Einige Anspielungen auf Origenes finden sich nach Godin auch in den Teilen IIIb und IIIc, in denen es gleichfalls um die rechte Auslegung von Schriftstellen geht, die gegen den freien Willen zu sprechen scheinen. Im ersten dieser beiden Teile setzt sich Erasmus mit Luthers Argumenten auseinander. Auf den mit Spr. 16,4 (Omnia propter semet ipsum operatus est dominus, etiam impium ad diem malum) formulierten Einwand38 antwortet Erasmus mit einer Aussage, die nach Godin voll und ganz der Position des Origenes entspricht: deus non condidit ul33 34 35 36 37 38

Vgl. Origenes, princ. III 1,22 (GCS Orig. 5, 239 f.); Godin, ebd. 480. Vgl. Origenes, in Rom. comm. VII 14 (p. 623,105–107 Hammond Bammel); Godin, ebd. Vgl. dazu Godin, ebd. 480 f. Vgl. Origenes, princ. III 1,20 (GCS Orig. 5, 234 f.); Godin, ebd. 480. Vgl. ebd. III 1,15 (5, 222). Godin, ebd. 485, hält die Formulierung des Erasmus für missverständlich. Vgl. Luther, Assertio, WA 7, 144.

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lam naturam ex se malam et tamen sic sua ineffabili sapientia temperat omnia, ut mala quoque vertat in bonum nostrum et in gloriam suam (IIIb 6; 65).39 In IIIc, in dem weitere Schriftstellen geprüft werden, häufen sich noch einmal die indirekten Bezugnahmen auf Origenes. Gleich im ersten Abschnitt ist vom Zusammenwirken des Menschen mit der göttlichen Gnade die Rede: „Der menschliche Wille tut nicht nichts, auch wenn er das, was er erreicht, nur mit Hilfe der Gnade erlangt. Da der Beitrag, den wir leisten, sehr klein ist, wird alles Gott zugeschrieben.“40 Das nachfolgende Beispiel vom Seemann, der seine Rettung aus schwerer See Gott zuschreibt, obwohl er selbst darum gekämpft hat, weist auf De principiis hin, wo sich, wie bereits Johannes von Walter erkannt hat, nicht nur dieses Beispiel, sondern auch die von Erasmus vorgelegte Argumentation findet.41 Freilich fällt auf, dass Erasmus bei aller Übereinstimmung mit seiner Vorlage bis in die Formulierungen hinein die Anteile Gottes und der Menschen anders gewichtet als Origenes. Teilte dieser Gott „das Meiste“ (plurimum) zu, so Erasmus „alles“ (totum). Den Anteil des Menschen, den Origenes nicht quantifizierte, minimiert Erasmus (minimum).42 Dies erinnert an Augustinus, der in seinem Kommentar zum Galaterbrief dem Menschen jegliches Rühmen aufgrund von Verdiensten seiner Werke ab-, ihm jedoch durchaus ein minimum an Mitwirkung mit der göttlichen Gnade zuspricht.43 Die Lösung, die Erasmus im letzten Teil seines Werkes formuliert, in dem er aus dem Schriftbefund systematische Konsequenzen zieht, geht in dieselbe Richtung. Wir kommen darauf zurück.

39 40

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Vgl. mit entsprechenden Belegen aus Origenes Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 486. Erasmus, IIIc 1; 68: Nec interim nihil agit nostra voluntas, quamquam non assecutura, quod conatur, nisi adiutrice gratia; sed quoniam minimum hoc est, quod per nos agitur, totum deo transcribitur. Origenes, princ. III 1,19 (GCS Orig. 5, 232 f.): ita etiam nostra perfectio non quidem nobis cessantibus et otiosis efficitur, nec tamen consummatio eius nobis, sed deo, cuius in ea plurimum est operis, adscribetur. Vgl. auch die Auflistung weiterer Anspielungen bei Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 486 f. Godin, ebd. 488 Anm. 148, sieht die Position des Erasmus, die sich in diesem Punkt von der des Origenes unterscheidet, durch den Wunsch motiviert, Luther und seinen Anhängern entgegenzukommen. Augustinus, exp. Gal. 38 (CSEL 84, 106 f.): Formatur autem Christus in credente per fidem in interiore homine vocato in libertatem gratiae miti et humili corde, non se iactante de operum meritis, quae nulla sunt, sed ab ipsa gratia meritum aliquod inchoante, quem possit dicere minimum suum, id est seipsum, ille qui ait: Cum enim fecistis uni ex minimis meis, mihi fecistis.

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b) Selektive Übernahme Auch bei den anderen loci classici für die Unfreiheit des Willens greift Erasmus auf Origenes zurück, um die damit verbundenen Probleme zu lösen. Bei ihnen wird aber anders als bei der Verstockung des Pharao deutlich, dass Erasmus Origenes nicht in allem folgt, etwa bei der Interpretation der von Paulus in Röm. 9,13 zitierten Stelle Mal. 1,2 f.: Iacob dilexi, Esau autem odio habui. Diese ist nach Erasmus nicht im buchstäblichen, sondern im übertragenen Sinn (tropologia) zu verstehen. „Gott liebt weder, wie wir lieben, noch hasst er jemanden, da er solche Affekte nicht besitzt“ (IIIa 11; 54). Godin hat für die von Erasmus vorgeschlagene tropologische Deutung Parallelen sowohl im Römerbriefkommentar des Origenes als auch in De principiis ausgemacht.44 Beim Vergleich mit diesen Parallelen fällt auf, dass Erasmus die in De principiis III 1,22 vorgetragene – und von Hieronymus kritisierte – Auffassung des Origenes von einer Präexistenz der Seelen und deren Verdiensten45 nicht übernommen hat, die sich in dessen Römerbriefkommentar auch nicht findet.46 Dies gilt auch für Röm. 9,21–23, wo Paulus wie die Propheten (vgl. Jes. 45,9; Jer. 18,6) den Menschen im Verhältnis zu Gott mit dem Ton in der Hand des Töpfers vergleicht. Dieses Bild schließt nach Erasmus den freien Willen keineswegs aus, zumal auch Paulus in 2 Tim. 2,20 f., wo er das Bild vom irdenen Geschirr wieder verwendet, davon ausgehe, dass es einen solchen gebe. Das zentrale Argument, dass Paulus sich nicht widersprechen könne, teilt Erasmus mit Origenes, der es auf die beiden genannten, sich anscheinend widersprechenden Stellen anwendet.47 Wieder lässt Erasmus in diesem Zusammenhang alle anstößigen Aussagen des Origenes über die Präexistenz der Seelen und ihre geistlichen Fortschritte sowie dessen kosmologische Spekulationen weg.48 Während Erasmus hier stillschweigend umstrittene Themen des Origenes übergeht, erwähnt er in der gleichzeitig mit De libero arbitrio veröffentlichten Predigt über die Unermesslichkeit der göttlichen Gnade, in der er seine Auffassung von Gnade ohne Bezugnahme auf den Streit mit Luther darstellt, die für Origenes typische Lehre von der ἀποκατάστασις πάντων, freilich ohne deren Urheber mit Namen zu nennen sowie mit der Kautele, dass sie von den rechtgläubigen Vätern

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Vgl. Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 482 f. Vgl. Origenes, princ. III 1,22 (GCS Orig. 5, 238–240). Die Kritik des Hieronymus (ep. 124,8) findet sich jeweils in den Anm. p. 548–552 Görgemanns/Karpp. Vgl. in Rom. comm. VII 15 (p. 625,11–626,19 Hammond Bammel). Vgl. princ. III 1,21 (GCS Orig. 5, 236) und das gesamte Kap. (5, 235–238); Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 483 f. Vgl. Godin, ebd. 484 mit Bezug auf Origenes, ebd. III 1,23 (5, 240–242). Auch hier findet sich die Kritik des Hieronymus (ep. 124,8) in den Anm. p. 552–556 Görgemanns/Karpp.

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abgelehnt worden sei. Er erwähne sie nur, um zu zeigen, was überaus gebildete Schriftausleger der Barmherzigkeit Gottes zutrauen.49

c) Der freie Wille bei Erasmus und Origenes Im letzten Teil seines Werkes formuliert Erasmus die von ihm favorisierte Lösung: Mihi placet illorum sententia, qui nonnihil tribuunt libero arbitrio, sed gratiae plurimum (IV 16; 90). In etwas abstrakterer theologischer Sprache klingt dies so: Cum autem rerum omnium tres sint partes: initium, progressus et summa, duas extremas tribuunt [sc. diejenigen nicht Genannten, denen Erasmus sich anschließt] gratiae, tantum in progressu fatentur aliquid agere liberum arbitrium, sic tamen, ut ad idem opus individuum simul concurrant duae causae, gratia dei et hominis voluntas, sic tamen, ut gratia sit causa principalis, voluntas secundaria, quae sine principali nihil possit, cum principalis sibi sufficiat (IV 8; 82 f.).

Unter den Beispielen, mit denen Erasmus dies verdeutlicht, findet sich auch dasjenige eines Vaters, der seinem Kind, das noch nicht richtig laufen kann, einen Apfel zeigt, und dieses, während es die ersehnte Frucht zu erreichen sucht, stützt und ihm schließlich den Apfel als Lohn für seine Anstrengung gibt. Quid hic sibi vindicabit infans? Et tamen egit nonnihil, nec habet tamen, quod de suis viribus glorietur, cum se totum debeat patri (IV 9; 84). Bis in die sprachlichen Nuancen (nonnihil, plurimum, totum) hinein entspricht diese Lösung derjenigen, die Erasmus am Ende von Abschnitt III in Anlehnung an, aber auch in signifikanter Abweichung von Origenes gegeben hat. Es liegt auf der Hand, dass Erasmus den Anteil des Menschen auf diese Weise minimiert hat, um Luther entgegenzukommen, mit dem er sich in der Ablehnung der Werkgerechtigkeit einig ist.50 Aber auch formal verdankt Erasmus Origenes entscheidende Hinweise. Sein Vorgehen, dunkle Schriftstellen durch klare zu interpretieren, geht zwar nicht ausschließlich auf den Alexandriner zurück, sondern entspricht einem auch von 49

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Erasmus, De immensa Dei misericordia, in: Erasmi Roterodami opera omnia (wie Anm. 16) Bd. 5, 568 C/D: Nec defuere qui tantum tribuerent misericordiae Divinae, ut impios etiam Daemones ac damnatos homines crederent aliquando post longas seculorum periodos recipiendos in gratiam. Haec opinio, quamquam magno nititur auctore, tamen ab orthodoxis Patribus reprobata est: quae tantum ad hoc a nobis recitatur, ut declaremus, quam magnificam de Dei misericordia conceperint opinionem eruditissimi Viri, qui noctes diesque versati sunt in Sacris Voluminibus, quae fere nihil aliud canunt, efferunt, celebrant, quam Dei misericordiam. Zur Apokatastasis-Auffassung des Origenes, die im Register von Godin nicht aufscheint und demnach bei Erasmus wohl keine große Rolle zu spielen scheint, vgl. Gustave Bardy, Art. Origène, in: DThC 11/2 (1932) 1489–1565, hier 1548–1553; Henri Crouzel, Les fins dernières selon Origène (CStS 320), Aldershot 1990, Nr. XII–XIV. Vgl. De libero arbitrio IV 15; 88 f.

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Augustinus und Hieronymus, um nur diese zu nennen, auf die Erasmus sich an anderer Stelle zusammen mit Origenes beruft, angewandten Prinzip, das auf die hellenistische Homerexegese zurückgeht und von dem sich auch Luthers sacra scriptura sui ipsius interpres ableitet.51

3. Die Rolle des Origenes in Martin Luthers De servo arbitrio und in der Replik des Erasmus Es ist hier nicht der Ort, umfassend auf die Reaktion Luthers auf Erasmus einzugehen; lediglich die Art und Weise, wie er die Verwendung des Origenes durch Erasmus kommentiert, soll untersucht werden. Luther bezieht sich lediglich auf die Stellen, an denen Erasmus den Alexandriner ausdrücklich zitiert,52 die der Argumentation des Erasmus zugrundeliegende origeneische Textur scheint er nicht erkannt zu haben. Nur an einer Stelle, an der Luther die trichotomische Anthropologie des Origenes anspricht, scheint eine darüber hinausgehende Kenntnis aufzublitzen. Luther verweist auf die fabula Origenis, nach der die Seele zwischen Leib und Geist angesiedelt und nach beiden Seiten hin beweglich sei.53 Aber auch dieser Bezug gründet nicht in einer vertieften Beschäftigung mit dem Alexandriner, sondern verdankt sich einem Hinweis des Erasmus in dessen Anmerkungen zum Neuen Testament.54 Ansonsten bezieht sich Luther ausschließlich auf die exegetische Methode des Origenes, die er lediglich indirekt zu kennen scheint und rundweg missbilligt.55 Entsprechend seinem in De servo arbitrio entwickelten Prinzip von der claritas scripturae lehnt Luther jede tropologische Deutung der Heiligen Schrift ab, die Erasmus im Gefolge des Origenes anwandte, um einander widersprechende Stellen der Bibel kohärent zu interpretieren. Luthers Verdikt trifft neben Hieronymus hauptsächlich Origenes: Verum Hieronymus (et) suus Origenes istis nugis repleverunt orbem, (et) authores fuerunt pestilentis huius 51 52

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54 55

Vgl. Peter Walter, Theologie aus dem Geist der Rhetorik. Zur Schriftauslegung des Erasmus von Rotterdam (TSTP 1), Mainz 1991, 190. Vgl. Michael Beyer/Hans-Ulrich Delius u. a., Ort-, Personen- und Zitatenregister, in: Hans-Ulrich Delius (Hg.), Martin Luther. Studienausgabe, Bd. 6, Leipzig 1999, 287–404, hier 375. Dieses Register bezieht sich nur auf ausdrückliche Zitate und Nennungen des Origenes. Luther, De servo arbitrio (wie Anm. 15) 342,27 f.: Nota est (et) mihi fabula Origenis de triplici affectu, quorum unus caro, alius anima, alius spiritus illi dicitur, Anima [sic] vero medius ille, in utram partem vel carnis vel spiritus vertibilis. Vgl. Giancarlo Pani, „In toto Origene non est verbum unum de Christo“. Lutero e Origene, in: Adamantius 15 (2009) 135–149, hier 147. Die Ablehnung der exegetischen Methode des Origenes und des Hieronymus ergibt sich für Luther aus deren Stellung zur Frage der Rechtfertigung sola fide. Vgl. die reich dokumentierte Darstellung von Pani, ebd., bes. 135–137.

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exempli, ne simplicitati scripturarum studeretur.56 Kein Kirchenschriftsteller habe die Heilige Schrift unpassender (ineptius) und sinnloser (absurdius) behandelt als diese beiden,57 und natürlich Erasmus in deren Gefolge.58 Gemessen an dem Umfang des zweiteiligen Hyperaspistes des Erasmus, der in der Leidener Ausgabe 286 Kolumnen in Folio umfasst, begegnet Origenes hier relativ selten. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass Luther dessen Autorität abgelehnt hat. Erasmus ist noch immer auf Verständigung aus und möchte nicht tauben Ohren predigen. Deshalb sucht er nach Belegen bei anderen, von Luther anerkannten Kirchenvätern wie Johannes Chrysostomus,59 Ambrosius, Theophylakt und insbesondere Augustinus, der den freien Willen keineswegs wie Luther rundum geleugnet, sondern nur dessen Anteil gegenüber der Gnade als gering angesehen habe.60 Bisweilen hilft er sich auch, indem er den Namen des Origenes verschweigt, wenn er seine Position übernimmt.61 Gegen die grundsätzlichen Angriffe Luthers auf die Orthodoxie des Alexandriners verteidigt Erasmus diesen zum einen mit dem Hinweis auf seine Vorgehensweise (inquirens scripsit ista, non definiens) und zum anderen, indem er ihn geschichtlich einordnet. Zu seiner Zeit seien viele Fragen noch nicht entschieden gewesen, die nun geklärt seien.62 Den übermäßigen Gebrauch der Allegorese durch Origenes kritisiert er auch an anderer Stelle.63 Wenn es um die rechte Auslegung der tropologischen Redeweise der Bibel geht, die von der Allegorese zu unterscheiden ist, wird Erasmus grundsätzlich. Luther leugne die Existenz von Tropen immer dann, wenn diese seinen Gegnern entgegenkämen, während er diese selber bevorzuge, wenn sie ihm nützten.64 Objicit nobis Lutherus quod tropis ac sequelis satagimus, ut Deum defendamus esse justum ac bonum, verum ipse multo longius petitis tropis & collationibus hoc agit, ne videatur bonus aut justus.65 Auch wenn Erasmus Luther durch die Heranziehung anderer Autoritäten zu überzeugen versucht, verschweigt er dennoch seine Verehrung für den Exegeten Origenes nicht: Quis est omnium Origene diligentior in connectendis Scripturae partibus et observando, unde orsus, quid pergat, quo

56 57 58

59 60 61 62 63 64 65

Luther, De servo arbitrio (wie Anm. 15) 302,31–33. Vgl. ebd. 272,10–12. In seinem Großen Galaterkommentar von 1535 stellt Luther diese Genealogie ausdrücklich her: Et Origenes et Ieronymus confirmarunt et Erasmus confirmat. Ipsi lacerant Paulum … (Luther, In epistolam S. Pauli ad Galatas commentarius, in: WA 40/I, 302,4 f.). Vgl. dazu auch den Beitrag von Theo Kobusch in diesem Sammelband, oben S. 70 f. Zum Augustinismus Luthers vgl. Pani, Lutero e Origene (wie Anm. 54) 138 f. (Lit.). Vgl. Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 532–534. Vgl. ebd. 535. Vgl. Walter, Theologie aus dem Geist der Rhetorik (wie Anm. 51) 225. Vgl. Godin, Érasme lecteur d’Origène (wie Anm. 1) 534 f. Erasmus, Hyperaspistes II, in: Erasmi Roterodami opera omnia (wie Anm. 16) Bd. 10, 1405C.

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Inquisitor, non dogmatistes

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evadat Spiritus?66 Von seiner mit Hilfe des Origenes gewonnenen Überzeugung nimmt Erasmus auch am Ende der Auseinandersetzung mit Luther nichts zurück.

Schluss Erinnern wir uns noch einmal an die Vorwürfe, die Noël Béda gegen Erasmus erhob. Dieser habe mit Origenes und Pelagius den freien Willen in exzessiver Weise betont und Luthers Kritik an kirchlichen Gebräuchen zu wenig widersprochen. Abgesehen davon, dass der Vorwurf einer exzessiven Betonung des freien Willens Erasmus nicht trifft, fällt auf, dass der konservative Kritiker des Erasmus und Luther sich in der Ablehnung des Origenes einig sind. Die erasmische Hochschätzung des Origenes wurde im 16. Jahrhundert weder von konservativ katholischer noch von reformatorischer Seite geteilt. Es bedurfte der geistigen Freiheit und Unabhängigkeit eines Erasmus, um die Leistung des Origenes sowohl in exegetischer als auch in systematischer Hinsicht zu schätzen, ohne ihm immer zu folgen. In seiner Grundhaltung jedenfalls, eine „théologie en recherche“ zu betreiben, ist der „lecteur d’Origène“ Erasmus dem alexandrinischen Kirchenvater in hohem Maße verpflichtet.

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Ebd. 1410C.

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ORIGENES UND DER PLATONISMUS DER SCHULE VON CAMBRIDGE

The Cambridge Platonists and the “Miracle of the Christian World” D OUGLAS HEDLEY, CAMBRID GE

Thomas Gale, Regius Professor of Greek and Fellow of Trinity College, seems to have coined the term ‘Neoplatonism’ in 1670. This revival of Platonism was a period of philosophical and theological speculation and it was a renaissance that had a strong European dimension. The philosophy of the Cambridge Platonists constitutes a fascinating bridge between Renaissance Florence and the emergence of Neoplatonic elements of German Idealism and Romanticism in Tübingen and Jena in the late 18th and early 19th centuries. Lorenz von Mosheim’s seminal translation of Cudworth’s System was an important connection between the Cambridge Platonists and German Idealists.1 Cambridge University during the turbulent years from Charles I’s accession to the throne of Great Britain in 1625 to the appearance of Ralph Cudworth’s opus maximum The True Intellectual System of the Universe in 1678 constitutes a remarkable period in the history of Platonism. It represents one of the high points of creative philosophical speculation within the living Platonic tradition. The motto of that work is drawn from Origen that human wisdom is the training of the soul – its goal being Divine wisdom: Γυμνάσιον τῆς ψυχῆς ἡ ἀνθρωπίνη σοφία, τέλος δὲ ἡ θεία.2 This quotation neatly captures the humanism and theological aims not just of Cudworth, but of the Cambridge Platonists in general.

1

2

See Danielle Montet/Franck Fischbach (eds.), La Grèce au miroir de l’Allemagne. Iéna, après Rome, Florence et Cambridge (Kairos 16), Toulouse 2000. See also Michael Franz, Schellings Tübinger Platon-Studien (Neue Studien zur Philosophie 11), Göttingen 1996, 21–28. Origen, Cels. VI 13 (GCS Orig. 2, 83).

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Contrary to the impression conveyed by Cassirer in his otherwise significant The Platonic Renaissance in England, the Cambridge Platonists were modern thinkers.3 Cambridge is a significant stage in the Platonic tradition because of their subtle and often vexatious negotiation with some of the decisive and specific developments of the modern period: the experimental scientific method, biblical criticism and the social changes (civil war, execution of the monarch). In 1644 the Earl of Manchester systematically ousted the leading Royalists in the University of Cambridge. Emerging out of the Puritan stronghold of Emmanuel College, several of the ‘Platonists’ became Masters of Cambridge Colleges during the civil war. Ralph Cudworth (1617–1689) was appointed Master of Clare in 1645; Benjamin Whichcote (1609–1683) became Provost of King’s in 1651. These ‘philosopher kings’ were not unscathed by the convulsions of the age. Whichcote was evicted from King’s College during the Restoration, and More and Cudworth were fortunate not to be evicted by the Restoration regime. Nor was the thought of these Platonists uncontested. Samuel Parker’s A Free and Impartial Censure of the Platonick Philosophy published in 1666 was a public critique of the Cambridge Platonists. The ‘Cambridge Platonists’ (the terminology is derived from John Tulloch in the 19th century) were a number of broadly aligned thinkers who differed on specific philosophical and theological tenets.4 Ralph Cudworth became Master of Christ’s in 1650, where he was a colleague of Henry More (1614–1687). These two leading figures were learned Platonists, Erasmian humanists who were convinced of the profound relevance of ancient culture for contemporary life. They were deeply interested in the new science of Descartes, Hobbes and Spinoza as well as Bacon, Boyle and the Royal Society. Rejecting the aridity of university Scholasticism, they tried to build a philosophy that was opposed to both the positions of Descartes and Hobbes. Both Cudworth and More were, however, ‘moderns’ in relation to natural philosophy; they supported post-Galilean science, and indeed argued for an atomistic theory of matter. However, they rejected a purely mechanistic natural philosophy. In its place, they proposed that spirit is the fundamental causal principle in the operations of nature.5 They were philosophical theologians who believed in the compatibility of reason and faith and tried to integrate philosophy and theology and they were all concerned with providing 3

4 5

Ernst Cassirer, The Platonic Renaissance in England, translated by James P. Pettegrove, London 1953 (Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge, Berlin 1932). John Tulloch, Rational Theology and Christian Philosophy. Vol. 2: The Cambridge Platonists, Edinburgh/London 21847. There are valuable essays on such questions in: Graham Alan John Rogers/Jean-Michel Vienne/Yves Charles Zarka (eds.), The Cambridge Platonists in Philosophical Context. Politics, Metaphysics and Religion (AIHI 150), Dordrecht et al. 1997.

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convincing reasons for the existence of a transcendent God and the immortality of the soul. Cudworth and More had a largely optimistic view of human nature and placed great emphasis on the freedom of the will in opposition to the doctrine of the double predestination of the Calvinists. They were moderate dualists who rejected the radical dualism of res extensa and res cogitans in Descartes. They insisted that mind is ontologically prior to matter and the truths of the intelligible realm superior to empirical knowledge. On the question of grace they agreed with St. Thomas Aquinas that Gratia non tollit naturam sed perficit. Like Thomas, they also held to the priority of Divine goodness over voluntaristic accounts of Divine sovereignty. Salvation, for these thinkers, is neither juridical-forensic nor quasi-financial redemption but the restoration to a living relationship with God. Scripture is not to be judged primarily as words, characters or ink but through the quickening life of the spirit. The Cambridge Platonists, unlike many of their medieval forebears, had access to the works of Plato and late Antique Platonism. Furthermore, 17th century Cambridge was the site of great critical and philosophical interest in Neoplatonic texts. Iamblichus’ De Mysteriis and John Scot Eriugena’s Periphyseon were edited by Thomas Gale of Trinity College. Eriugena’s striking claim that conficitur inde veram esse philosophiam veram religionem, conversimque veram religionem esse veram philosophiam could be taken as a motto for the Cambridge Platonists.6 John Everard of Clare College (1584?–1641) – who probably translated the Theologia Germanica in 1628 as The Golden Book of German Divinitie – also Englished Cusa’s De visione Dei. Alongside Franck’s Von dem Baum des Wissens Gutes und Boeses, he rendered the Mystical Divinity of Denys the Areopagite, and parts of Tauler and Meister Eckhart in English.7 Thus, a writer like Henry More or Ralph Cudworth had access to a deep vein of Neoplatonic thought through the Patristic and Medieval periods as well as the Renaissance strand of Ficino. The role of Origen ought to be appreciated within his context.8 William Spencer’s 1658 edition of Contra Celsum and the anonymous publication in 1661 of A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions and Joseph Glanvill’s openly Origenistic Lux Orientalis of 1662 showed that Cambridge had within a few years become a centre of enthusiasm for the Alexandrian philosopher-theologian. Henry More in his “Preface General” of his A Collection of Several Philosophical Writings of that year extolled Origen as the “Miracle of the Christian World”.9 6 7 8 9

PL 122, 557. Rufus Matthew Jones, Spiritual Reformers in the 16th and 17th centuries, London 1914, 239–252. Daniel Pickering Walker, The Decline of Hell. Seventeenth-Century Discussions of Eternal Torment, Chicago 1964, 6–8. Henry More, The Preface General, in: A Collection of Several Philosophical Writings, London 1662, iii–xxvii, here xxi.

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I wish to highlight the specific influence of Origen by concentrating upon three different thinkers who picked up upon different aspects of Origen’s legacy: John Smith (1616–1652), Henry More and Ralph Cudworth, respectively. Smith’s use of the language of ‘spiritual sensation’ reveals a deeply Origenistic strand. Smith’s appropriation of the Origenistic idea of spiritual sensation has a momentous reception history in figures like the puritan New England Divine Jonathan Edwards (1703–1758) and John Wesley, founder of Methodism (1703–1791). More’s espousal of the idea of the pre-existence of the soul reflects an even more contentious part of Origen’s heritage, and one which helped shape early modern debates about the self. Finally, Cudworth’s bold attempt to defend a subtle form of the subordinationism of the hypostases, while rejecting Arianism, shows that Origen’s legacy was still immensely important in seventeenth-century controversies about the Trinity.

1. Spiritual Sensation For the Cambridge Platonists, God is enigmatically present in the world in accordance with St Paul’s “For now we see through a glass darkly, but then face to face” (I Corinthians 13:12). Apart from the eschatological dimension of Paul’s utterance, we find a great interest in the idea of the enigmatic quality of the world which can only be properly understood with the spiritual ‘eye’ or ‘touch’. John Dillon has convincingly argued that Origen’s references to sensing the Divine are drawing upon philosophical ideas of an intellectual or noetic parallel to sense perception. Such a distinction mirrors the Platonic tenet of the contrast between the veil of the outward and the eternal inward reality which can be apprehended by the soul.10 If the greatest truths are enigmatic and veiled, knowledge is the ascent from the sensible to the intelligible and in this ascent the epistemic constraints of empirical knowledge are transcended. John Smith, one of the most brilliant of the group, died young. But his Select Discourses is a remarkably eloquent plea for this idea of the enigmatic presence of the Divine which must be ‘sensed’ by the soul. He seems to be drawing upon Origen explicitly: “It is but a thin, aiery knowledge that is got by meer Speculation, which is usher’d in by Syllogisms and Demonstrations; but that which springs forth from true Goodness, is Θειότερόν

10

John Dillon, Aisthêsis Noêtê. A Doctrine of the spiritual Senses in Origen and Plotinus, in: André Caquot/Mireille Hadas-Lebel/Jean Riaud (eds.), Hellenica and Judaica. Hommage à Valentin Nikiprowetzky, Leuven/Paris 1986, 443–455, here 443–445.

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τι πάσης άποδείξεως, ‘a most divine demonstration’ as Origen speaks, it brings such a Divine Light into the Soul, as is more clear and convincing than any Demonstration.”11

Derek Michaud has argued on the basis of the editions of Origen known to have been available to Smith, that the “quote” here is most likely a paraphrase taken from Origen’s Contra Celsum I 2.12 The idea of spiritual sensation is also linked with the biblical hermeneutics of Clement of Alexandria and Origen that refused to interpret any part of scripture in a manner unworthy of God’s goodness. It is also with this spiritual sense that one can apprehend the “‘more Inward, Mystical Meaning’ of Scripture”.13

2. The Pre-existence of the Soul The doctrine of the pre-existence of the soul seems to contradict Scripture and George Rust admits that Origen employed a subtle spiritual hermeneutics in order to combine the tenet with the Genesis narrative.14 Glanvill saw the absence of the doctrine in Scripture as failing to invalidate the doctrine of pre-existence, which could be defended through divinely-given reason. Indeed, it could be thought that the capacity of the human soul for a noetic sensibility  – a non-discursive awareness of spiritual truths suggests to some mind a pre-existence or “A spark or ray of divinity/Clouded in earthy fogs, yclad in clay”.15 Origen was accused of teaching reincarnation by Epiphanius of Salamis and this seems to have influenced Jerome, who thought he spotted reincarnation in the works of Origen, especially in the De principiis. The Alexandrian Church suspected Origen of heresy in 400 AD and ultimately, in 553 at the Second Council of Constantinople Origen’s works were condemned. Apokatastasis or the restitution of all things and the pre-existence of the soul are easier to accept for a Christian than reincarnation. Critics of the Platonic legacy tend to regard the first two doctrines as blurring the boundary between creator and created. The employment of the language and imagery of the Phaedrus and the Phaedo, so characteristic and

11 12

13

14 15

John Smith, Select Discourses, London 1660, 4. Derek Michaud, The Patristic Roots of John Smith’s “True Way or Method of Attaining to Divine Knowledge”, in: AAR Mysticism and Greek Orthodox Studies Group, November 3, 2000: www.aarmysticism.org/documents/Michaud08.pdf. Sarah Hutton, Iconisms, Enthusiasm and Origen. Henry More Reads the Bible, in: Ariel Hessayon/Nicholas Keene (eds.), Scripture and Scholarship in Early Modern England, Aldershot 2006, 194–207, here 196. [George Rust,] A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions, London 1661, 44. Henry More, The Praeexistency of the Soul, London 1647, 3,1 f., in: The Complete Poems of Dr. Henry More, ed. by Alexander Balloch Grosart, Edinburgh 1878, 119.

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central for third-century Alexandrian Platonism, would suggest transmigration of souls and destruction of the body. However, the use of these myths of the fall of the soul in Origen or Plotinus needs to be treated with care. In Plato himself it is far from obvious how or whether these ‘myths’ should be translated into philosophical concepts.16 It is easy to see how Jerome, however, could pick up upon those passages in the On First Principles that seem to draw upon the myths of Plato in a very literal manner. In the middle of the seventeenth century in Cambridge there was a very vigorous debate about the soul, inspired by the public presentation of Charles Hotham’s Ad philosophiam teutonicam manuductio of 1647.17 Hotham was a friend of More’s and studied by Locke. Hotham discusses the (largely Calvinist) creationist view of the soul (that each soul is formed by God at some point between conception and birth) and the (largely Lutheran) traducionist view: that souls were generated from parent to offspring. Hotham proposed a combination of the two positions.18 More disliked creationism as implicating God in an excessive inference in the created order, while traducionism seemed almost materialistic: souls are emerging out of natural physical processes.19 More, in particular, thinks that the pre-existence of the soul was easier to render compatible with Divine justice. In 1659 Henry More in his The Immortality of the Human Soul, so Farre Forth as it is Demonstrable from the Knowledge of Nature and the Light of Reason argued for a consensus of the great philosophers of all ages: Chaldeans, Egyptians and Cabbalistical Jews as well as the great Hellenes, and including Origen, “the greatest Light and Bulwark that ancient Christianity had”.20 Indeed: “This consequence of our soul’s Pre-existence is more agreeable to reason than any other hypothesis whatever and has been received by the most learned philosophers of all ages … and as this hypothesis is rational in itself, so has it gained the suffrage of all philosophers of any note that have held the soul of man to be incorporeal and immortal. … Let us cast our eyes therefore into what corner of the world we will, that has been famous for wisdom and literature and the wisest of these nations you shall find the assertors of this opinion … for this hypothesis of the soul’s pre-existence was deemed a vision of Truth by the most awakened souls in the world. … And if testimonies please you; be assured of this, that there 16 17 18

19 20

For a powerful account of this see John Alexander Stewart, The Myths of Plato, London 1905, and Douglas Hedley, Living Forms of the Imagination, London 2008. Rhodry Lewis, Of “Origenian Platonisme”. Joseph Glanville on the Pre-existence of Souls, in: The Huntington Library Quarterly 69 (2006) 267–300. Victor Nuovo, Reflections on Locke’s Platonism, in: Douglas Hedley/Sarah Hutton (eds.), Platonism at the Origins of Modernity. Studies on Platonism and Early Modern Philosophy (AIHI 196), Dordrecht et al. 2008, 207–223, esp. 216 f. See Terryl Lynn Givens, When Souls had Wings. Pre-Mortal Existence in Western Thought, Oxford 2010, 1 f. Henry More, The Immortality of the Soul, London 1659, 247.

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was never any philosopher that held the soul spiritual and immortal but he held also that it did pre-exist.”21

The doctrine of the pre-existence of the soul is affirmed by a number of great Cantabrigians of the age: Glanvill’s Lux Orientalis; or, An Inquiry into the opinions of the Eastern Sages Concerning the Praeexistence of the Soul of 1662 and Rust’s A Letter of Resolution concerning Origen and the Chief of His Opinions of 1661. Other figures affirming the tenet include Thomas Vaughan (1621?–1695) and Thomas Traherne (1637–1674).22 In 1667 Edward Warren wrote his attack upon the Platonist “ranters”: No Praeexistence; or, A Brief Dissertation against the Hypothesis of Humane Souls, Living in a State Antecedaneous to This.23 Indeed, not all of the Platonists at Cambridge supported the idea. Cudworth rejects the “Offensive Absurdities” of the doctrine of the pre-existence of the soul.24 The great problem at stake for More is the apparent injustice and suffering in the world: very pressing in England after the horrors and turbulence of civil war and the great political upheavals of the execution of a monarch, a republic and then the restoration of monarchy. Gnosticism had an answer in its postulation of a wicked demiurge. Origen affirms the central ethical theistic tenet that God cannot be to blame. Rather, the inequalities and sufferings must be ‘deserved’ and earned or acquired in a previous existence. The doctrine of the fall in Origen’s system is based upon a reflection about evil as a fact of experience and an ethical monotheism. Origen makes it clear that Genesis 3 only appeals to the imagination or Vorstellung and needs to be brought to the Begriff.25 Origen allegorises the Genesis account into a narrative describing certain mysteries. Thus, rather than a collective fall, we have, on the Alexandrian’s account, individual falls by which we find ourselves in this “muddy vesture of decay,” as Shakespeare has it. This is the idea of a pre-natal inclination to sin. It is the earliest version of the transcendental as opposed to historical account of the fall. But the doctrine finds its way into the 18th and 19th centuries in the Religion of Kant and Schelling’s enigmatic 1809 Freiheitsschrift. Both Kant and Schelling employ the idea of a transcendental Fall prior or outside the temporal. Such noumenal or atemporal freedom bears an

21 22 23 24 25

Ibid. 240. 245 f. See also id., Divine Dialogues III 31, London 21713, 261. 263. Givens, When Souls had Wings (as n. 19) 170–176. Edward Warren, No Praeexistence; or, A Brief Dissertation against the Hypothesis of Humane Souls, Living in a State Antecedaneous to This, London 1667. Ralph Cudworth, The True Intellectual System of the Universe, London 1678, 44; cf. ibid. 43. 798. Norman Powell Williams, The Ideas of the Fall and of Original Sin. A historical and critical study, London 1924, 210–219.

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obvious relation to Origen’s legacy, albeit expressed in rather different conceptual terms.26

3. Unity and Trinity I wish to conclude my reflections upon the influence of Origen by referring to Cudworth’s discussion of the Trinity in his True Intellectual System of the Universe. The topic reveals both sides of the Cambridge Platonists: the historicalphilological concern and the engagement with contemporary issues. Cudworth’s references to Origen are to be found alongside very detailed references to ancient philosophy and Patristic sources. Yet this erudition and argument was hardly employed for narrowly antiquarian purposes. The doctrine of the Trinity was the subject of a heated controversy in England owing to the particular prominence of anti-Trinitarians in 17th century England.27 Indeed there were very considerable contemporary public figures with deep anti-Trinitarian sympathies such as Newton or Locke. Newton’s successor as the Lucasian Professor, William Whiston, was dismissed from his chair and Fellowship at Clare College for espousing Arianism. Even Hobbes had contributed to the debate about the doctrine. This was not an arcane theological debate, but an explosive and controversial question in public life. The doctrine of the Trinity was also a domain where the metaphysical problem of unity as developed in the commentary tradition on Plato’s Parmenides became intertwined with the Christological and Trinitarian concerns of the early Church. In trying to explicate the unity of the Divine hypostases, the more philosophically-minded Fathers of the Church drew upon Platonic-Aristotelian concepts and the tradition of speculation concerning unity within Middle and Neoplatonism. Knowledge of the Neoplatonic and Patristic tradition is employed adroitly by the learned Dr Cudworth.28 Another significant factor is that of Socinianism or, as it became later known, Unitarianism. As a movement, ‘Socinianism’ has it roots in the Italian humanist Fausto Sozzini (i. e. Faustus Socinus) and the anti-Trinitarian movement which found theological expression in the Racovian Catechism of 1605. From 1610 onwards we find a considerable impact of Socinian literature in 26

27 28

Christoph Schulte, Radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche, Munich 21991. See also Margit Wasmaier-Sailer, Die Origenes-Rezeption in der theologischen Anthropologie Franz-Anton Staudenmaiers, in this volume. See Maurice Wiles, Archetypal Heresy. Arianism through the Centuries, Oxford 1996, 62–157. Benjamin Carter, “The little Commonwealth of Man”. The Trinitarian Origins of the Ethical and Political Philosophy of Ralph Cudworth (Studies in Philosophical Theology 42), Leuven 2011, 132–160.

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England and Dutch intellectual life. The controversies surrounding the Trinity have particular impact in England because of the status of the Church of England as standing between a variety of Protestant groups, including Socinians and Arians, and the claims of Roman Catholicism. It had to defend the Trinity against the logical, moral, metaphysical and theological objections of Unitarians, against the challenge that the doctrine was as unreasonable as transubstantiation. Cudworth played an important – and not uncontroversial – role in these debates of the later part of the seventeenth century. A contemporary, John Turner, attacks Cudworth as “an Arian, a Socinian or a Deist”.29 Further, given the philosophical views about religion found among the Platonists and especially the commitment to the harmony of philosophy and theology, it is perhaps not surprising that the doctrine of the Trinity should occupy such a considerable section of Cudworth’s True Intellectual System of the Universe. The Socinians argued that the Trinity was an unnecessary and unscriptural addition to Christianity. Cudworth addresses this challenge by claiming that the dogma of the Trinity was a rational principle and could be found in an imperfect form in the philosophical tradition stretching back to Parmenides, Pythagoras and Plato of the Divine principle as goodness, wisdom and power.30 Cudworth describes Origen as “thoroughly skilled in all the Platonick Learning”.31 He repeatedly uses Origen as an authority, even though he is critical on particular points of detail. In particular Origen’s view of the identity of the Trinitarian persons as constituted in a “Consent” of will or agreement is attacked by Cudworth for failing to do adequate justice to the full unity of perichoresis or circumincession of the Divine persons.32 Cudworth’s use of Origen in his reflections on the Trinity is generally positive, and his own construal of the relationship between Platonism and the Christian Trinity is quite remarkable and ingenious. Whereas Nicaea tends to be viewed now, as Friedo Ricken famously puts it, as a “crisis for early Christian Platonism”,33 Cudworth presents a very different stance. Cudworth rejects the position that Ar29

30 31 32 33

John Turner, A Discourse Concerning the Messias, London 1685, xix. clxii. See Philipp Dixon, Nice and Hot Disputes. The Doctrine of the Trinity in the Seventeenth Century, London 2003, and Douglas Hedley, Persons of Substance and The Cambridge Connection. Some Roots and Ramifications of the Trinitarian Controversy in seventeenth-century England, in: Martin Mulsow/Jan Rohls (eds.), Socinianism and Arminianism. Antitrinitarians, Calvinists and Cultural Exchange in Seventeenth-century Europe (Brill’s Studies in Intellectual History 134), Leiden 2005, 225–240. For Cudworth on Pythagoras, True Intellectual System (as n. 24) 371; on Parmenides, ibid. 383–390; Plato, ibid. 402–408. Ibid. 568. Ibid. 559. Friedo Ricken, Nikaia als Krisis des altkirchlichen Platonismus, in: ThPh 44 (1969) 321– 341; id., Das Homousios von Nikaia als Krisis des altkirchlichen Platonismus, in: Bernhard

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ius was a Neoplatonist and that Nicaea represented a rejection of Neoplatonic subordinationism.34 In order to do this, he has to distinguish the true Platonic position from inferior versions, especially those proposed by late Neoplatonists. The descending hierarchy of deities among the followers of Iamblichus represents an inappropriate blurring of the Platonic division between the noetic and the physical cosmos and a betrayal of true Platonic monotheism. Genuine Platonists, according to Cudworth, cannot accept a created hypostasis. Even if Platonic creation is not temporal, it holds to the division between the divine and the created order. Petavius failed to appreciate that ‘to create’ for the Platonists was not to be limited to a temporal act.35 The “jumbled confusion of God and creature” in Arianism was, in Cudworth’s mind, in opposition to the genuinely Platonic contrast between the material and the intelligible world.36 The Trinity of Arius is “a kind of paganic and idolatrous Christianity”.37 Cudworth also uses Petavius, however, in a more positive manner and argues that homoousios meant sameness of kind rather than numerical identity.38 (Cudworth holds to the Platonic priority of universal structures or types rather than individual items or tokens. The distance between God and world is primarily one of ontology rather than some quasi-spatial remoteness. Finite individuals can participate in the Divine intellect: the mind of God is not an individual instance of perfection but is Being itself). The shift of the ideas from an intermediate world between the transcendent source and the physical cosmos could reinforce the role of the ideas and the logos. As Athanasius said of Arianism: if there was a time without the son, then the source was barren.39 The doctrine of the logos becomes the key to the Divine mind as the infinitely creative plenitude of the Triune Godhead. Cudworth thus uses the authority of Athanasius to elaborate a view of the Trinity as co-equal persons. Athanasius is “commonly accounted the rule of orthodoxality” in this point.40 But Athanasius holds in common with the pagan Platonists that members of the Trinity do not share the same numerical essence and differ in “Dignity as well as Order”.41 Cudworth criticizes two extremes, both of

34 35 36 37 38 39 40 41

Welte (ed.), Zur Frühgeschichte der Christologie. Ihre biblischen Anfänge und die Lehrformel von Nikaia (QD 51), Freiburg/Basel/Wien 1970, 74–99. George Christopher Stead, The Platonism of Arius, in: JThS 15 (1964) 16–31. Cudworth, True Intellectual System (as n. 24) 576. Ibid. 579. Ibid. 620. David W. Dockrill, The Fathers and the Theology of the Cambridge Platonists, in: StPatr XVIII, Leuven 1982, 427–439, here 433. Arthur Hilary Armstrong/Robert Austin Markus, Christian Faith and Greek Philosophy, London 1960, 24. Cudworth, True Intellectual System (as n. 24) 599. Ibid. 598.

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which he thinks are erroneous. Firstly, that of Sabellianism, where the difference between the persons is merely nominal. Secondly, the position of the Cappadocians. Cudworth taxes and chastises Gregory of Nyssa, Cyril of Alexandria, Maximus the Confessor and John Damascene for a view of the consubstantiality of the Trinity which denied subordination. But these Fathers held a view of consubstantiality in which “the three persons of the Trinity were but three independent and coordinate individuals under the same ultimate species or specific essence of the Godhead”,42 which was Cudworth’s definition of Tritheism. Cudworth’s discussion of the Trinity is within the context of a discussion of monotheism. Any essentially social model of the Trinity collapses by prioritizing plurality over the unity of the Divine. While ad extra the persons of the Trinity are equal and all uncreated, infinite and eternal, for Cudworth some form of subordinationism ad intra is requisite for a coherent account of the Trinity that does not simply become tritheism:43“… the Christian Trinity, though there be very much of Mystery in it, yet is there nothing at all of plain Contradiction to the Undoubted Principles of Humane Reason.”44 The remarkable correspondence between Platonism and Christianity45 lies primarily in the principle of the logos or nous as the creative dimension of the Divine: the eternal self-reflective world of the forms. God is not just transcendent unity and absolute being but creative intelligence.46 Cudworth sees the distinctively Platonic position as the rejection of merely nominal distinction between these aspects of the Divine while maintaining the unity of the Divine.47 This is closely related to Cudworth’s strident anti-voluntarism. The logos must be consubstantial with the Father: there is nothing arbitrary about the wisdom that emerges from the Divine goodness. If the logos were created – as in Arianism –, his goodness could be the result of a Divine fiat rather than grounded in the very nature of the supreme source. Origen’s vision of the Father as Goodness itself and the Son beholding that source is clearly inspiration for Cudworth.48

42 43 44 45 46

47 48

Ibid. 603 f. See Leslie Armour, Trinity, Community and Love. Cudworth’s Platonism and the Idea of God, in: Hedley/Hutton, Platonism at the Origins of Modernity (as n. 18) 113–129. Cudworth, True Intellectual System (as n. 24) 560. Cf. ibid. 623. John Dillon, Origen’s Doctrine of the Trinity and Some later Neoplatonic Theories, in: id., The Golden Chain. Studies in the Development of Platonism and Christianity, Aldershot 1990, 239 f. See Douglas Hedley, Pantheism, Trinitarian Theism and the Idea of Unity. Reflections on the Christian Concept of God, in: RelSt 32 (1996) 61–77. Jean-Louis Breteau, Origène était-il pour Cudworth le modèle du philosophe chrétien?, in: Marialuisa Baldi (ed.), “Mind Senior to the World”. Stoicismo e origenismo nella filosophia platonica del Seicento inglese, Milan 1996, 127–148, esp. 132–135.

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Cudworth’s defence of Origen rests upon an interpretation of Platonism that was more interested in the spirit than the letter of Platonic metaphysics, and upon his view of the Nicene Fathers that brought them, not Arius, into a natural kinship with Platonism. But notwithstanding this elaborate and original defence of Plato Christianus, Cudworth insists that the Fathers based their Trinitarian doctrine on Scripture: “Arius did not so much Platonize as the Nicene Fathers and Athanasius: who notwithstanding made not Plato, but the Scripture, together with reason deducing natural consequences therefrom, their foundation.”49

And like Origen, Cudworth sees his Platonism as aligned to his reverence for Scripture. The basis for belief in the Trinity is not Plato but Scripture. In this sense, it would be utterly mistaken to see Cudworth as an early deist. However, his view of Scripture was clearly indebted to the searching and nuanced biblical hermeneutics of the great Alexandrians: Philo, Clement and Origen, a reading of Scripture which laid great weight upon the intellectual coherence of the text and its spiritual power.

Conclusion Cambridge has a history of theological radicalism and innovation. Erasmus worked in Queens’ College Cambridge from 1510–1515, and a few years later in the White Horse Tavern Cranmer Ridley and Latimer, later the leading figures of the English Reformation, were reading and discussing Luther. The enthusiasm for Origen was both part of the Erasmian legacy in Cambridge and the legacy of the theological audacity of speculation. A theologically literate visitor to the chapel of Emmanuel College will be struck by the Victorian stain glass windows in which the Cambridge Platonists Benjamin Whichcote and John Smith are represented as the inheritors of Origen and Eriugena. This arrangement of the stain-glass windows bore the mark of Fenton J. A. Hort, the 19th century biblical scholar. His colleague Brooke Westcott was another great admirer of Origen and the Cambridge Platonists. In its great ages, Cambridge Theology has been more Greek than Latin, trying to bring theology back to “her old loving muse, the Platonick philosophy”.50 This is connected with the ambiguous legacy of Augustine. Augustine is one of the most philosophically sophisticated adherents of Platonism among the Church 49 50

Cudworth, True Intellectual System (as n. 24) 579. Brooke Voss Westcott, Essay in the History of Religious Thought in the West, London 1891, 195–252. 362–397.

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Fathers but also one of the most conflicted, especially in his later phase where his attacks on the Pelagians seem to drive him into denying freedom. While teaching the identity of God and truth, he seems to present a vision of an arbitrary and cruel God.51 The question of divine goodness, especially in relation to the question of predestination is the key problem. In the useful phrase of Lesek Kolakowski, if God “owes us nothing”, then the problems of theodicy recede. Neither his goodness nor his existence are challenged by the existence of evil. Yet for the Platonists, this Augustinian strand of Christianity – so deeply rooted in Luther, Calvin and Pascal – was in conflict with the principle of divine goodness. Origen became a representative of a Christian humanism that insisted upon man’s freedom and God’s goodness in a way that was not compromised by radical Augustinianism.

51

Werner Beierwaltes, Deus est veritas. Zur Rezeption des griechischen Wahrheitsbegriffes in der frühchristlichen Theologie, in: Ernst Dassmann/Karl Suso Frank (eds.), Pietas. Festschrift für Bernhard Kötting, Münster 1979, 15–29. For the arbitrary side of Augustine, see Kurt Flasch, Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo. Die Gnadenlehre von 397. Deutsche Erstübersetzung von Walter Schäfer (ExCl 8), Mainz 1990.

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„Erforscht die Schriften!“ (Joh. 5,39) Origeneische Hermeneutik in George Rusts Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions

ULRIKE WEICHERT, BERLIN

Mit dem fiktiven „Brief zur Aufklärung über Origenes und seine Hauptlehren“ möchte George Rust1 dem Leser ein übersichtliches Kompendium der origeneischen κύριαι δόξαι vorlegen, um den Kirchenvater aus Alexandria gegen die vielen Vorurteile zu verteidigen, die ihn als Ketzer in der Geschichte diskriminiert haben.2 In der Vorrede mahnt der Autor jedoch, dass die Themen so weitreichend und kühn seien, dass es schwierig sein werde, in der Öffentlichkeit unvoreingenommen Gehör zu finden und sie durch eine so unbedeutende Darstellung überzeugen zu können.3 Im Brief sollen daher lediglich die „Hauptlehren“ rekonstruiert werden, um durch eine objektive Darstellung dem Leser die Chance zu geben, die Vorurteile gegen die origeneischen Lehren zu überwinden. So werden gleich zu Beginn der Vorrede zum Letter of Resolution sowohl der fiktive Adressat und Herausgeber des Briefes, der „gelehrte und höchst geistvolle Edelmann C. L.“, als auch der Leser aufgefordert, das Werk „mit nüchterner Sachlichkeit“ zu bewerten

1

2

3

Die Zuschreibung des Werkes an George Rust beruht auf einem Hinweis im Vorwort zu Jeremiah White, The Restoration of All Things. Or, A Vindication of the Goodness and Grace of God, to be manifested at last, in the Recovery of his Whole Creation out of their Fall, London 1712, Preface to the first edition, das den Autor des Briefes, ohne Rust namentlich zu nennen, mit dem des Discourse of Truth identifiziert: „But the most full and pregnant testimony to this doctrine we shall collect, and that pretty largely, from that ingenious letter of resolution concerning the opinions of Origen printed Anno 1661, known among the learned to have been written by a Bishop of the Church of England, famous for his excellent tract, De veritate.“ Zum Einfluss des Origenes im England des 17. Jahrhunderts vgl. David W. Dockrill, The Fathers and the Theology of the Cambridge Platonists, in: StPatr XVIII, Leuven 1982, 427–439. Vgl. [George Rust], A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions, London 1661, Vorrede „To the Reader“ (o. S.). Im Folgenden beziehen sich die hier verwendeten deutschen Zitate aus Rusts Letter of Resolution auf die Übersetzung von Christian Hengstermann, die in einem der folgenden Adamantiana-Bände erscheinen wird. Zitiert wird nach der Originalpaginierung des Werkes.

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und sich nicht „allzu voreilig ein Vorurteil gegen ihn [sc. Origenes] zu eigen zu machen.“4 Rust ist der Überzeugung, dass Origenes zu Unrecht als Ketzer verurteilt wurde. Ihm sei fälschlicherweise vorgeworfen worden, durch seine „griechische Gelehrsamkeit“ der Hybris verfallen zu sein, etwas Unerforschliches zu erforschen, weswegen „seine Lehren voller Gift seien und im Widerspruch zur Schrift ständen.“5 Er habe sich in seinen Bibelexegesen bemüht, „keinen Teil der Schrift, gleich wie diffizil, unerklärt zu lassen.“6 Zudem sei er sehr sorglos mit seinen Deutungen gewesen, weswegen seine Lehren falsch und mit dem Glauben des Evangeliums unvereinbar seien.7 Gegen diese Vorurteile stellt Rust Origenes als Kenner der Heiligen Schriften dar, der in fortwährendem Studium stets danach gestrebt habe, diese noch besser verstehen und erklären zu können. Die Ressentiments gegen die Lehren des Origenes seien von der gesamten christlichen Welt für wahr gehalten worden, während die rachsüchtigen Ursprünge dieser Aversionen verdeckt geblieben seien.8 Merkwürdig ist allerdings, dass Rust gleich zu Beginn formale und inhaltliche Unzulänglichkeiten seiner eigenen Schrift auflistet. Er entschuldigt sich mehrfach dafür, dass weder „die Fundamente [s]einer Argumente tief genug gelegt oder hinreichend fest gefügt“ seien noch die „Anordnung [s]einer Ausführungen über irgendeine seiner Lehren so“ sei, „wie sie eigentlich sein sollte“ – nämlich eine „folgerichtige Komposition.“9 Der Autor begründet dies damit, dass seine Feder willkürlich gelenkt worden sei. Rust schwächt sein Schreiben selbst ab, indem er seine Schriftauslegungen als „phantastisch“ oder „schön zu lesen“ abwertet, weswegen diese nicht als eine „ernsthafte Bestätigung für eine gewichtige Sache“ betrachtet werden könnten.10 Auch seien die meisten diskutierten Themen viel zu kurz dargestellt11 und strotzten vor Fehlern, obwohl er beabsichtigt habe, „hohe und erhabene Geheimnisse vor unverbesserlichen Vorurteilen zu verteidigen.“12

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[Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 1. Ebd. 7. Ebd. 3. Vgl. ebd. 3 f. Vgl. ebd. 13. Ebd. Vorrede. Der Autor habe sich des Weiteren „an kein genaues methodisches Vorgehen gehalten, sondern nahm Gedanken so, wie und wann sie [ihm] kamen“ (ebd.). Er äußere sich „ganz unstrukturiert zum Ganzen“ ohne System oder Methode (vgl. ebd. 21). Vgl. ebd. Vorrede. Vgl. ebd. Ebd. Rust warnt sogar indirekt über sein fiktives Konstrukt des Herausgebers C. L. vor einer Veröffentlichung seiner brieflichen Abhandlung, gerade da sein Text so viele Mängel enthalte, die den Autor als dumm und lächerlich erscheinen lassen würden. Auch gegen Ende entschuldigt sich Rust für die nachlässige Verknüpfung der Sätze und räumt leicht

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In seiner Rekonstruktion der origeneischen Gedanken ist sich Rust jedoch gewiss, die Heilige Schrift auf seiner Seite zu haben, um sich so überhaupt auf eine Diskussion mit den Gegnern des Origenes einlassen zu können.13 Trotzdem ist er vorsichtig genug, seine Argumentation für Origenes als reine Darstellung der Positionen und keinesfalls als „eine Zustimmung zu den Lehrmeinungen des Origenes“14 aussehen zu lassen. Es scheint, als wolle sich der Autor auf diese Weise von seiner Schrift distanzieren und somit eine Identifizierung mit den Gedanken des Textes vermeiden.

1. Rusts methodische Vorgehensweise im Letter of Resolution Rust beschreibt seine eigene Vorgehensweise als eine Bearbeitung von „Anweisungen“, die ihm von einem fiktiven Briefpartner auferlegt worden seien. Dieser erwarte von ihm „eine schriftliche Darstellung, nicht aber eine strenge und genaue Erörterung dieser Dinge …, die bei den mit philosophischen Beweisen bestätigten ersten Grundprinzipien ansetzen und in entsprechender Ordnung zu eben den Schlussfolgerungen, die dieser Vater vorbringt, fortschreiten müsste.“15 Seinem eigenen Plan schwebt hingegen eine Metaphysik more geometrico gemäß seinem Vorbild Descartes vor. Das entspricht dem Wissenschaftsideal seiner Zeit, das ausschließlich auf Axiomen fundiert ist, die clare et distincte einsehbar sind.16 Während Descartes die Metaphysik neu begründen will, besteht das Anliegen des Autors „nur“ darin, die Vorurteile einer theologischen Orthodoxie zu überwinden, indem er eine vorurteilsfreie Darstellung der verhöhnten Positionen des Origenes gibt, die zu deren Akzeptanz führen soll. Den Autor selbst motivierten sowohl die eigene Neugier als auch eine „unruhige Seele“ dazu, die vielfach verfemten Lehren „jenes frommen Kirchenvaters, des gelehrten Origenes,“ kennen zu lernen.17 Gerade in den Augen jener Leser jedoch, die Descartes’ Methode

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korrigierbare Fehler mit der Bemerkung ein, er sei nicht willens gewesen, einen so langen Brief noch einmal neu zu schreiben (vgl. ebd. 136). Rust selbst ergänzt an kritischen Stellen zur origeneischen Trinitätslehre Bibelzitate und vervollständigt Origenes in seiner Argumentation (vgl. ebd. 18–20). Ebd. Vorrede. Ebd. 21. Vgl. Descartes, Med. III (AT VII, 35). Die Seele des Adressaten habe vor dem Lesen der Schrift im Argen gelegen ([Rust], Letter of Resolution [wie Anm. 3] Vorrede), so dass das Lesen und Nachvollziehen ihm keine Freude bereitet, sondern er vielmehr einen „eindringlichen, stechenden Schmerz“ im Herzen empfunden habe. Diese Spannungen hätten sich im Erkennen der Ordnung und Zusammenfügung der Prinzipien und Schlussfolgerungen gelegt, so dass sich „beständige Ruhe und dauerhafter Frieden“ (ebd.) ganz seiner bemächtigten. Dies veranlasste ihn, den Brief „als Wohltat“ für andere zu veröffentlichen.

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kennen und daher eine strenge Logik erwarten, so schreibt Rust selbst, müsse der Letter of Resolution schwach und unklar erscheinen.18 Vielmehr solle es daher im Letter „um einige allgemeine Hinweise zu den Prinzipien naturphilosophischer wie metaphysischer Art“ gehen, die „im ungezwungen lockeren Briefstil vorgetragen“19 werden und den Leser auf Grund dieses oberflächlichen Charakters zu weiteren Nachforschungen über diese Dinge veranlassen. Besonders deutlich wird dies in der umstrittenen origeneischen Lehre von der Präexistenz der Seelen, für die Rust ein striktes Vorgehen more geometrico sogar explizit ausschließt. Stattdessen wolle er bloß Spekulationen anstellen, die er in seiner Abhandlung nicht beweist, sondern als gegeben voraussetzt. Allerdings verweist er für eine methodisch präzisere Nachforschung auf die Schriften von Henry More.20 Trotzdem bleibt der Widerspruch irritierend, dass der Autor zwar einerseits der strengen cartesischen Methode verpflichtet sein möchte, andererseits jedoch auf eigene Fehler und Mängel hinweist. Diese scheinbare Unstimmigkeit löst der Autor im weiteren Verlauf, indem er an den „aufrichtigen Geist“ und „jene edle, wohlmeinende Denkart“ des Lesers appelliert.21 Rust richtet sich demnach bewusst gegen diejenigen, die „teils aus Frömmigkeit und Demut … die Worte, die sie Studium und Lektüre gelehrt haben, wie Papageien nachplappern“ und so „mit größter innerer Unbeschwertheit und Zufriedenheit“22 jedwede Argumentation auf den allmächtigen Willen Gottes zurückführen können, ohne selbst einen Gedanken auf grundlegende Probleme verwendet zu haben. Mit diesen Bemerkungen können die argumentativen Mängel als Hinweis an den Leser gedeutet werden, sich sein eigenes, vernünftiges Urteil zu bilden, für das die Widersprüche oder zu kurzen Ausführungen im Text als Anreiz dienen. Aus der Einleitung ließe sich somit schließen, dass der Autor zwar eine ideale, nämlich axiomatische Methode vor Augen hat, sie im Folgenden jedoch nicht anwendet. Erst auf den zweiten Blick unter Einbeziehung von Origenes’ Verständnis von Hermeneutik und unter Berücksichtigung des Appells an die Vernunft des Lesers lässt sich aus dieser scheinbaren „Unsystematik“ eine methodische Hinführung zum selbstständigen Streben nach Wissen erkennen.

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Vgl. ebd. Ebd. 23. Vgl. ebd. 22. Vgl. ebd. 25. Ebd. 32.

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2. Rusts Epistemologie der unterschiedlichen Erkenntnisstufen In dem Abschnitt über die Präexistenz der Seelen führt Rust mit einem Verweis auf den Anfang von De principiis an,23 dass die Heiligen Schriften von Gott selbst inspiriert worden und als Einheit aufzufassen sind. „Nichts“, so Rust, „was dem widerspreche, könne man zulassen, ohne dadurch einen wesentlichen Bestandteil unserer Religion preiszugeben.“24 In schwer verständlichen Passagen der Heiligen Schriften sei die Wahrheit vom Heiligen Geist bewusst verschleiert worden, um die Wahrheitssuchenden zu eifrigem, selbstständigem Nachforschen anzutreiben.25 Der Abschnitt ist grundlegend für Rusts Hermeneutik, die sich sowohl an Origenes selbst als auch an Henry More orientiert und auf dem Zusammenhang zwischen Kosmologie, Anthropologie und Erkenntnistheorie basiert.26 Grundlegend für das Verständnis der Thematik sei Origenes’ Auffassung davon, wie der Mensch Wissen erlangen könne. Der Mensch sei dabei bloß mit der potentiellen Anlage zur Erkenntnis des Guten ausgestattet, so dass Bildung und Erziehung für den weiteren Erkenntnisweg von nicht zu vernachlässigender Bedeutung seien.27 Rust wie auch Origenes gehen davon aus, dass es ebenso wie geometrische auch moralische Axiome gebe, die dem menschlichen Geist a priori eingeschrieben sind.28 Mit diesen „klarsten und natürlichsten Ideen unseres Geistes“ verweist Rust auf die κοιναὶ ἔννοιαι, von denen er annimmt, dass sie potentiell erkennbar seien.29 Missverständnisse sowie Meinungen, die ganz offensichtlich in eklatantem Widerspruch zu diesen κοιναὶ ἔννοιαι stehen, resultieren dabei 23 24 25 26

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Vgl. ebd. 22. Ebd. Vgl. ebd. Ein besonders kritischer Punkt in der Ketzerdebatte um Origenes ist seine Lehre von der Präexistenz der Seelen. So empfiehlt Henry More seiner Schülerin Anne Conway den Letter of Resolution mit der Warnung, dass dies „ein gefährliches Buch sei und es daher vom Vizekanzler einigen Tadel erhalten habe“: The Conway Letters. The Correspondence of Anne, Viscountess Conway, Henry More and their Friends (1642–1684), ed. by Majorie Hope Nicolson. Revised Edition with an Introduction and New Material, ed. by Sarah Hutton, Oxford 1992, 194. More erwähnt, dass dabei vor allem die origeneische Lehre der Präexistenz der Seelen sehr kritisch betrachtet wurde. Obwohl in der Heiligen Schrift an keiner Stelle ausdrücklich gelehrt wird, wann die Seele zuerst geschaffen wurde und ins Dasein trat, gebe es doch einige biblische Hinweise, die ihre Präexistenz nahe legten. [Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 40, verweist dabei auf Joh. 17,4. Als Konsequenz daraus müsse der Mensch dem Bösen in Zeiten verfallen sein, in denen diese Erziehung zum Guten vernachlässigt wurde. Zumindest könne man nicht davon ausgehen, dass sich jemand als guter und aufrichtiger Mensch erweise, wenn sein gesamtes Umfeld durch das Böse geprägt sei. Trotzdem sei eine Seele auch in einer solchen Zeit nicht unausweichlich zum Bösen und zur Gottlosigkeit verurteilt (vgl. ebd. 25 f.). Vgl. ebd. 26. Vgl. ebd. 57. Origenes selbst verweist darauf in Cels. I 4 (GCS Orig. 1, 58 f.).

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für Rust aus der Beschaffenheit der menschlichen Seele, die sich vorrangig zum Bösen neige, bis sich der Mensch das erste Mal des vernünftigen „herrschenden Vermögens“30 bediene und dadurch eine gewisse Selbstbeherrschung erlange.31 Wie Origenes geht Rust von einer in sich ungestalteten Seelenpotentialität aus, die in ihrer Ausgangslage in größter Reinheit und natürlicher Harmonie vorgelegen habe. Da die Seele ihren Sinn für das Gute und Angemessene verloren habe, sei sie in Unordnung geraten, die jedoch niemals soweit führe, dass der Mensch seine Vernunftnatur verliere und zum Tier degradiert werden könne.32 Die von Natur aus vernünftige Seele sei vielmehr bestrebt, die innere, harmonische Einheitlichkeit wieder zurückzuerlangen. Dabei gelte es, alle seelischen Impulse und Vorstellungen gemäß der origeneischen Idee des einheitlichen Mannes (εἷς ἀνήρ)33 in sich zu vereinigen und ein Leben zu führen, das von dem Logos und der Rationalität des Menschen geleitet wird.34 Die daraus resultierende Frage dabei ist, wieso Menschen auf das erstrebenswerte Ideal verzichten und sich mit rein körperlichem Glück zufrieden geben. Wie kann es sein, dass die lux intelligibilis trotz der Vernunftnatur der Seele nicht gesehen wird? Rust wie auch Origenes gehen von einer transhistorischen Vernunft aus, die allen Vernunftwesen gleichermaßen zukomme. Der Grund für Missverständnisse und Fehlhandlungen sei daher nirgends anders zu finden als in der Zuwendung zu Körper und Welt, die sich durch alle geistigen und seelischen Vorgänge zieht und diese negativ beeinflusst. Solange sich die Menschen ausschließlich durch das grobe Medium des Körpers um Wahrheitserkenntnis bemühen, hängen sie Denkfehlern und Verirrungen an. So seien der Seele zwar unzweifelhaft jene wahren Vorstellungen (κοιναὶ ἔννοιαι) eingeschrieben, doch werde ihre Erkenntnis fehlgeleitet, wenn sich der Mensch zu sehr an weltlichen Dingen orientiere. Dieser Punkt führt zu Origenes’ Analogie von Welt- und Bibelverständnis und legt die Grundlage für seine Verknüpfung von Philosophie und Exegese.35 30 31 32

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Hiermit meint Rust das hegemonikon. Vgl. [Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 35. Vgl. ebd. 54. Existierte die Seele nicht bereits vor ihrem irdischen Dasein, wäre nicht nachvollziehbar, wie sich in kürzester Zeit eine so ausgeprägte Neigung zum Bösen ausbilden könnte. Origenes, in Regn. hom. lat. 4 (GCS Orig. 8, 5–7). Rust beschreibt das Denken mancher Menschen als einen „wunderbar erhabenen Drang nach großen und ungewohnten Dingen.“ Einen Menschen mit solchen seelischen Eigenschaften und Gaben zeichnet er mit dem Begriff „Geistesgröße“ aus. Vgl. [Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 71. Der Verknüpfungspunkt ist dabei, dass beide auf dem Prinzip der Rationalität durch die Annahme basieren, dass „der Schöpfer der Welt zugleich der Schöpfer der Schrift ist“: Alfons Fürst, Origenes – der Schöpfer christlicher Wissenschaft und Kultur. Exegese und Philosophie im frühen Alexandria, in: ders., Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte (AKG 115), Berlin/Boston 2011, 81–114, hier

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So hätten die a priori vorliegenden κοιναὶ ἔννοιαι zwar Bibelexegeten eigentlich den rechten Weg weisen müssen. Doch – hier beginnt Rust Bezug auf die Hermeneutik zu nehmen – Schriftausleger ließen sich „von irgendwelchen Wörtern, die sie lasen, in die Irre führen … und [gaben] sehr haltlose und lachhafte Dinge von sich“.36 In der Auslegung der Schrift verursache die Missachtung der Vernunft Fehldeutungen, die auf die „irdische Konsistenz“ des Körpers zurückzuführen seien.37 Die weltliche Ausrichtung des jeweiligen Menschen erzeuge unterschiedliche Einsichten und Erkenntnisse, worauf sich die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn stützt, die Rust vor allem durch Henry More nahe gebracht wurde. More, neben Ralph Cudworth der bedeutendste und publizierfreudigste Vertreter der Cambridge Platonists, war jahrelang Rusts Tutor und Freund am Cambridger Christ’s College. Für Rust entspricht Mores kabbalistisch ausgelegte Schöpfungslehre der origeneischen Herangehensweise.38 Damit bezieht er sich auf die Art der Auslegung, die einerseits dem Geist des Verfassers der Schöpfungsgeschichte formale Vollkommenheit unterstellt und andererseits ihrem literarischen Anspruch gerecht wird, der auf inhaltliche Erkenntnis der mosaischen Lehre zielt. Henry More legt in seiner Conjectura Cabbalistica39 die drei ersten Kapitel der Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis mittels einer literalen, einer philosophischen und einer moralischen bzw. geistigen (spiritual) Interpretation aus.40 Begründet wird der mehrfache Schriftsinn darin, dass sich die Bedeutung der Schrift an der Fassungskraft der Leser orientiert. Der literale Sinn richte sich demnach an diejenigen, deren Denken sich auf die Ehrfurcht gegenüber Gott und den Gehorsam gegenüber den Gesetzen richten soll. Die philosophische Kabbala hingegen erhalte die „nobelsten Wahrheiten sowohl theologischer als auch na-

36 37 38 39

40

94 f. Das Bemühen um Verständnis der biblischen Texte rekurriere daher auf dasselbe Prinzip wie das Bemühen, die natürlichen Dinge verstehen zu wollen. [Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 130. Vgl. ebd. 67. Vgl. ebd. 45. Henry More, Conjectura Cabbalistica or, A Conjectural Essay of Interpreting the mind of Moses, in the Three first Chapters of Genesis, according to a Threefold Cabbala. Viz. Literal, Philosophical, Mystical, or, Divinely Moral, London 1653, erneut in: ders., A Collection of Several Philosophical Writings, 2 Bde., London 1662 (Nachdruck New York/London 1978), Bd. II. Mit dem vieldeutigen und traditionellen Begriff „Cabbala“ bezieht sich More auf seine eigene dreifache Auslegung. Der Begriff ist angelehnt an die jüdische Kabbala und meint ursprünglich eine mündlich weitergegebene Lehrtradition, die sich als Auslegung der Tora versteht. More möchte mit seiner Interpretation zeigen, dass das „heilige Mysterium der Trinität“ nicht aus der heidnischen Tradition von Pythagoras und Platon, sondern bereits von Mose stammt (ebd. 1). Vgl. ebd. „The Epistle Dedicatory“ (o. S.): „For as many as are born of the Spirit, and are not mere sons of the Letter, know very well how much the more inward and mysterious meaning of the text makes for the reverence of the Holy Scripture and advantage of Godliness; whenas the urging of the bare literal sense has either made or confirmed many an Atheist.“

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türlicher Art“, während die moralische Kabbala „uns mit aller Kraft von unseren Neigungen wegführt hin zu dem, was wirklich gut und gerechtfertigt ist, und uns mit Begeisterung bezüglich des wahren Weges zu Tugend und Gottähnlichkeit anleitet.“41 Dabei richtet sich More gegen eine eindeutige Abgrenzung der drei Schriftsinne. So sei die literale Kabbala nicht ganz so „schlicht und festgelegt“,42 wie es ihre dreigliedrige Einordnung zunächst vermuten lasse. Zwar sei sie durch traditionelle Doktrinen und einführende Einleitungen charakterisiert, doch zugleich von jener geistigen Inspiration durchdrungen, die das gesamte Werk vereinheitlicht. Dieser Einheitsgedanke ist es, den auch Origenes in De principiis, vor allem im Kapitel „Wie man die göttliche Schrift lesen und verstehen soll“, betont43 und der aus der Problematik resultiert, wie mit widersprechenden Textstellen innerhalb der Heiligen Schriften umzugehen ist.44 Denn selbst wer die Texte sorgfältig zu prüfen verstehe, treffe an unzähligen Stellen auf Rätsel und „dunkle Worte“.45 Voraussetzung für jegliches Verständnis sei dabei immer der Glaube an die göttliche Inspiration der Schrift. Origenes macht von Anfang an klar, dass der Abfassung der Heiligen Schriften ein Systementwurf geistiger Inspiration vorgegeben sei.46 Er schreibt deshalb gleich zu Beginn, allerdings „in aller Kürze“,47 „dass die von ihm [sc. Jesus] weissagenden Schriften von Gott eingegeben sind und dass

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Ebd. 4. Vgl. ebd. 1. Zu Origenes’ allegorischer Schrifthermeneutik vgl. Richard Patrick Crosland Hanson, Allegory and Event. A Study of the Sources and Significance of Origen’s Interpretation of Scripture, London 1959; Brian Edward Daley, Origen’s „De principiis“. A Guide to the Principles of Christian Scriptural Interpretation, in: John F. Petruccione (Hg.), Nova et Vetera. Patristic Studies in Honor of Thomas Patrick Halton, Washington D. C. 1998, 3–21; Rudolf Voderholzer, Die Einheit der Schrift und ihr geistlicher Sinn. Der Beitrag Henri de Lubacs zur Erforschung von Geschichte und Systematik christlicher Bibelhermeneutik (SlgHor.NF 31), Einsiedeln/Freiburg i. Br. 1998. Eine hermeneutische Debatte über die spirituelle Dimension der allegorischen Bibelexegese im Vergleich zur historisch-kritischen Methode entfachte die Schrift von Henri de Lubac, Histoire et Esprit. L’intelligence de l’Écriture d’après Origène, Paris 1950 (dt.: Geist aus der Geschichte. Das Schriftverständnis des Origenes, übertr. und eingel. von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1968). Vgl. auch Henri de Lubac, Typologie, Allegorie, geistiger Sinn. Studien zur Geschichte der christlichen Schriftauslegung (ThRom 23), Einsiedeln/Freiburg i. Br. 1999. Origenes’ Hermeneutik umfasst daher eine Hinführung zum angemessenen Textverständnis, die nötig ist, da „viele Irrtümer … daraus entstanden [sind], dass die große Menge den (sachgemäßen) Weg nicht gefunden hat, wie man die heiligen Schriften studieren soll“: princ. IV 2,1 (GCS Orig. 5, 305); Übersetzung: p. 697 Görgemanns/Karpp. Vgl. ebd. IV 2,3 (5, 310); Übersetzung: ebd. 707. Vgl. ebd. Ebd. IV 1,1 (5, 293) sowie 3,15 (5, 347).

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die Aufzeichnungen  … mit aller Kraft und Vollmacht abgefasst sind.“48 Seine Aufmerksamkeit gilt dabei vor allem Widersprüchen, die er als vom göttlichen Logos beabsichtigt erachtet und die daher als Schlüssel zu einer mehrdeutigen Textebene dienen können.49 Der geistige Sinn ist immer textimmanent in den Schriften vorhanden und begründet die Einheit der einzelnen Schriften.50 Statt eine allgemeine, universelle Hermeneutik des Textes als Methode zu entwickeln, differenziert Origenes zwischen unterschiedlichen noetischen Entwicklungsstufen, die dem Grad des Fortschritts der Seele auf ihrem Weg zur Vollkommenheit entsprechen. Für Rust stimmen daher die origeneische und moresche Hermeneutik überein, und er nimmt in seinem Letter of Resolution Bezug auf den mehrfachen Schriftsinn.51 Laut Rust muss man sich stets bemühen, dem „inneren Zusammenhang der Allegorie nachzugehen“,52 anstatt ein Detail aus dem Zusammenhang zu reißen. Er lobt an dieser Stelle More dafür, dass er in seinen „Kabbalistischen Hypothesen“ die innere Schlüssigkeit bewahrt habe, ohne dem buchstäblichen Sinn Gewalt angetan zu haben.53

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Ebd. IV 1,6 (5, 301); Übersetzung: p. 687 Görgemanns/Karpp. Origenes bezieht sich dabei auf 2 Tim. 3,16. Das Licht war im mosaischen Gesetz durch eine „Decke“ verborgen gewesen und leuchtete mit dem Kommen Jesu auf. Vgl. princ. IV 1,6 (GCS Orig. 5, 302). Vgl. ebd. IV 2,9 (5, 321). Unter Bezugnahme auf die göttlichen Autoritäten des Alten und Neuen Testaments, Mose und Christus, verweist Origenes auf die Einheit und durchgehende göttliche Inspiration der Bibel und auf die Erfüllung der Weissagung. Nur so lasse sich die konsistente Einheit der gesamten Bibel bewahren. Vgl. ebd. IV 1,1 (5, 293). Ronald Heine bemerkt vor allem bezüglich Origenes’ Johanneskommentar, dass er in seiner eigenen exegetischen Praxis selbst kaum von drei, sondern allenfalls von zwei Bedeutungsstufen spricht. Während Origenes die literale und die geistige Ebene diskutiere, schenke er der mittleren jedoch kaum Beachtung (vgl. ebd. IV 2,5 [5, 314]). Es gebe ausführliche Diskussionen, die mit der literalen Ebene anfangen und enden, jedoch nicht auf die höheren Bedeutungsebenen eingehen. Daraus lässt sich laut Heine schließen, dass der einzige Grund für Origenes’ Diskussion der literalen Bedeutung der sei, dass es überhaupt eine höhere Bedeutungsebene gibt. Origenes gehe auf die buchstäbliche Ebene nur deshalb ein, um sie hinter sich zu lassen, nicht um eine erbauliche Deutung aus ihr abzuleiten: Origen, Commentary on the Gospel according to John, Books 1–10, transl. by Ronald E. Heine (FaCh 80), Washington D. C. 1989, 12. Eine einleuchtende Erklärung gibt Karen Torjesen, Hermeneutical Procedure and Theological Method in Origen’s Exegesis (PTS 28), Berlin/NewYork 1986, 70–107, die den von Heine vernachlässigten philosophisch-pädagogischen Aspekt der Seelenbildung durch Exegese hervorhebt und nicht von eindeutig trennbaren Bedeutungsebenen des Textes ausgeht, sondern die geistige und seelische Entwicklung des Lesers betont. Vgl. etwa die Genesis-Auslegung in [Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 45. 51 f. Ebd. 104. Vgl. ebd.

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3. Origeneische Hermeneutik als Protreptik In seiner Hermeneutik lehnt Origenes eine ausschließlich wortwörtliche Auslegung ab und verweist auf einen textimmanenten geistigen Schriftsinn, der allerdings nur fortgeschrittenen Lesern zugänglich sei.54 Origenes verändert demnach das Verhältnis zur Lesart der Schrift, indem er ihre autoritative Literalität mit seiner Inspirationslehre verknüpft und dadurch erweitert. Er lehrt, die ganze Bibel als Buch tiefer liegender Geheimnisse gerade beim Auftauchen von Paradoxien und Widersprüchen zu verstehen. Origenes beschreibt jedoch nicht konkret, welche Regeln in schwierigen Passagen anzuwenden sind. Es bedarf vielmehr eines langen und sorgfältigen Studiums, um ihren geistigen Sinn erfassen zu können.55 Origenes will damit sagen, dass der eigentliche, tiefere Sinn der Bibel nicht für jeden Beliebigen zugänglich sei,56 sondern nur jenen Belehrbaren, die in den Texten versinken und ihrem geistigen Sinn nachforschen. Daher greift Origenes den Appell aus Joh. 5,39 auf: „Erforscht die Schriften!“57 und meint damit ein ernsthaftes und aufmerksames Streben, die Heiligen Schriften in ihrem geistigen Sinn verstehen zu wollen. Dieser ist für Origenes nicht bloß eine willkürliche Ergänzung zum wortwörtlichen Sinn, sondern verweist auf die antike Vorstellung von Philosophie als Lebensform, die eine praktische Dimension aus geistigen Übungen und steter Prüfung des eigenen Verhaltens beinhaltet.58 Die allegorische Auslegung ist demnach eng mit einer moralischen Haltung verknüpft, die dazu anleiten soll, sich so weit wie möglich dem göttlichen Logos zu nähern und ihm ähnlich zu werden. Da für Origenes der Heilige Geist Autor der Schrift ist, muss die Herangehensweise an die Schrift des Geistes, von dem sie stammt, würdig, wenn nicht ihm gleichwertig sein. Der Exeget müsse von dem gleichen Geist durchflutet sein, der den Autor der Schriften beim Schreiben inspiriert habe.59 Unter der Annahme des mehrfachen Schriftsinnes als einer Hinführung des Geistes zu einer for54

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Für ein angemessenes Verständnis des geistigen Schriftsinns unterscheidet Origenes die hermeneutische Methode der literarischen, wortwörtlichen Auslegung von der Allegorese. Entscheidend war für Origenes dabei, dass er Beispiele für die Anwendung der allegorischen Methode in der Heiligen Schrift selbst fand, nämlich bei Paulus. Dieser weist im Brief an die Galater darauf hin (vgl. Gal. 4,21–24), dass „alle diejenigen es [sc. das Gesetz] nicht verstehen, die in dem Geschriebenen keine ‚Allegorien‘ annehmen“: Origenes, princ. IV 2,6 (GCS Orig. 5, 316); Übersetzung: p. 717 Görgemanns/Karpp. Vgl. ebd. IV 2,4 (5, 314). Vgl. ebd. IV 1,7 (5, 303). Ebd. IV 3,5 (5, 331). Vgl. dazu auch Fürst, Origenes – der Schöpfer christlicher Wissenschaft (wie Anm. 35) 100 f. Vgl. Origenes, princ. IV 3,6 (GCS Orig. 5, 333). Dies zeigt sich in Origenes’ eigener Exegese, in der er selbst sehr exakt und sorgfältig gearbeitet und dadurch einen wissenschaftli-

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schenden Lebensweise wird verständlich, warum Origenes die Verschriftlichung eines philosophisch-theologischen Systems mit kanonisierbaren, dogmatischen Lehrsätzen vermeiden möchte. Die Gefahr wäre recht hoch, dass unzureichend Gebildete eine von ihm vorgelegte Exegese des höheren Sinnes missverstehen würden. Origenes war jedoch zugleich ein philosophischer Lehrer, der dezidiert allen Christen in ihren unterschiedlichen Stufen der Erkenntnis den Sinn der Schriften erschließen wollte – je nach ihrem jeweiligen Fassungsvermögen. Für diesen pädagogischen Aspekt spricht auch, dass Origenes überhaupt systematische Schriften wie De principiis verfasst und seine Erkenntnisse nicht allein der mündlichen Unterweisung überlassen hat. Es versteht sich keinesfalls von selbst, dass Überlegungen, wie sie in De principiis erörtert werden, von großen Denkern veröffentlicht werden. Bekannt ist, dass Philosophen wie Origenes’ Vorgänger Pantänus, sein Lehrer Ammonius und sein Zeitgenosse Plotin ihr Wissen nicht schriftlich festhielten oder sich erst, wie im Falle des Letzteren, im fortgeschrittenen Alter dazu durchringen konnten. Zwar weist De principiis eine große inhaltliche Geschlossenheit auf, doch folgt die Darstellung nicht unbedingt einer geradlinigen Abfolge, wie man sie von einer systematischen Schrift erwarten würde. Görgemanns und Karpp heben die Anzahl an Abhandlungen hervor, „die ihr Thema weder ausschließlich, noch erschöpfend behandeln“,60 weswegen das Werk unter die philosophische Gattung des Protreptikos, als erzieherische Anleitung zum Glauben, eingeordnet werden kann.61 Origenes versichert mehrfach, dass er der Vollständigkeit halber Fragen aufwerfe, gewisse Lösungen und Probleme zu erwägen gebe, ohne jedoch eine eindeutige, systematisierte Lehre anbieten zu wollen. Dies erinnert stark an die frühen sokratischen Dialoge, die Fragen aufwerfen, jedoch in Aporien enden. Es ist das fragende, andeutende Problemdenken, dem es mehr um das Fragen an sich geht als um deren Beantwortung durch ein dogmatisches System, das relativ schnell eingeprägt werden kann, ohne jedwede philosophische Erkenntnis erlangt zu haben. Origenes will seine Schüler vielmehr zum „geistigen Schriftverständnis“ anleiten und ihnen die philosophische Lebensweise durch Exegese aufzeigen, anstatt ihnen bloß eine Lehre zu präsentieren. Der Weg wird dabei zum Ziel, den geistigen Zugang zum Logos selbst zu finden. Dieses Streben nach Wissen, das erweckt werden soll, bestimmt dabei sein Menschbild so sehr, dass sich Origenes

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chen Standard im christlichen Glauben begründet hat. So bewertet Heine, FaCh 80, 3, in seinen einleitenden Worten Origenes’ Exegese des Johannesevangeliums. Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, hg., übers., mit krit. und erl. Anmerkungen vers. von Herwig Görgemanns/Heinrich Karpp (TzF 24), Darmstadt 31992, 15. So klassifiziert Origenes auch das Johannesevangelium: in Ioh. comm. I 3,18 (GCS Orig. 4, 7).

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auch das Leben nach dem Tod als „Schule der Seelen“62 vorstellt. De principiis ist seiner literarischen Form nach somit als eine „komplexe Zwischenform“63 zwischen einem pädagogischen und einem systematischen Lehrbuch zu verstehen. Es wäre daher viel zu kurz gegriffen, Origenes als Esoteriker zu deuten, der eine Art Geheimlehre vornehmlich der mündlichen Unterrichtung vorbehalten hätte, wie es beispielsweise in der pythagoreischen Tradition üblich war. So bezieht sich Origenes’ Menschenbild und die damit verbundene Erkenntnistheorie gerade nicht auf eine Geheimhaltung von Wissen aus Gründen elitärer Exklusivität. Wie Platons Sokrates geht es ihm um den pädagogischen Aspekt, nicht all sein Wissen in formelhaften Lehrsätzen auszubreiten.64 Dementsprechend setzt der an griechischem Denken geschulte Origenes die Messlatte von De principiis sehr hoch, um die Gefahr einer allzu raschen Bekehrung ohne Einsicht zu vermeiden, spricht aber gleichzeitig, wie Jesus, in Gleichnissen, um auch christliche „Anfänger“ zu erreichen.65 Die Philosophie, die Origenes lehrt und zu der er hinführen möchte, ist die geistige und sittliche Hingabe an den Logos, die zur „Angleichung an Gott“ führen soll. Durch biblische Exegese und Überlegungen der Vernunft soll der Mensch zur divina scientia aufsteigen.66 Origenes verbindet somit das Fundament des christlichen Glaubens mit der wissenschaftlichen Herangehensweise der antiken Philosophie.

4. Rusts Hermeneutik als pädagogische Protreptik und Schutz vor Verfolgung George Rust hebt die protreptische Hermeneutik als zentralen Aspekt im Denken des Origenes hervor. So preist er die „lobenswerte“ wissenschaftliche Neugier und macht das pädagogische Streben nach Wissen zu seiner eigenen Herangehensweise im Letter of Resolution.67 Origenes’ Lehre sei nicht immer mit ausreichend erklärenden Schriftbelegen vermittelt, und er bitte stets zu bedenken, dass die inspirierten Verfasser der Schrift die pädagogische Absicht hatten, den meisten durch Verwendung von Gleichnissen verständlich zu sein, um sie zum

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Princ. II 11,6 (GCS Orig. 5, 189–191). Görgemanns/Karpp, Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien (wie Anm. 60) 17. Zur Reflexion auf das Scheitern von pädagogischer Wissensvermittlung siehe vor allem Platons zweiten und siebten Brief sowie die Dialoge Phaidros und Menon. So Alfons Fürst, Lasst uns erwachsen werden! Ethische Aspekte der Eschatologie des Origenes, in: ders., Studien (wie Anm. 35) 163–184, hier 182. Vgl. Origenes, princ. I praef. 1. 3 (GCS Orig. 5, 7 f. 9). Vgl. [Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 81.

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Christentum hinzuführen.68 Unter diesem Aspekt lässt sich auch Rusts eigene Vorgehensweise erklären: Wie Origenes greift er meist auf leicht fassbare Schriftstellen zurück, um auf diese Weise selbst einfachen Gemütern Einsicht in das Gute oder Gerechte zu ermöglichen. Alle weiteren Überlegungen zu schwieriger verständlichen Themen bleiben denen überlassen, die aufgrund ihres geistigen Entwicklungsgrades zu selbstständigen Nachforschungen und Überlegungen fähig sind.69 So ruft Rust in dem Abschnitt über die Auferstehung den Leser explizit dazu auf, nachdem er die grundlegenden Eigenschaften der Seele aufgeführt und nur einige davon bewiesen hat, auf denen Origenes seine Lehre begründet habe, die übrigen zu beweisen, da sie sich entweder von selbst erklären oder er dem Leser zutraut, selbstständig an kritischen Passagen Beweise finden zu können. Rust will es dem Leser überlassen, von sich aus möglichst gute Argumente für das im Letter skizzierte Denken des Origenes zu finden. Rust liefert meist nur biblische Schriftbelege, die er als Zeugnis benutzt.70 Die grundlegende, philosophische Argumentation bleibt jedoch aus, wodurch er den Leser zur eigenen Beweisführung und Exegese motivieren will. Vor diesem Hintergrund erklären sich Rusts eingangs selbst erwähnten scheinbaren Mängel. Er habe in der Darlegung der Seelenlehre eine Reihe weiterer, sehr plausibler Überlegungen späterer Autoren übergangen, weil er einerseits befürchten musste, dass ihre Herangehensweise für unvoreingenommene Leser höchst gefährlich gewesen wäre. Außerdem habe er die Dinge fortgelassen, die sich seinem Geist nur als plötzlicher Einfall und nicht als wohlbedachte Überlegung aufgedrängt haben.71 Auf ein und derselben Seite schreibt er jedoch, dass er den Letter „mit flinker Hand“ niedergeschrieben habe und er daher befürchten müsse, dass ihm aufgrund seiner unorganisierten Arbeitsweise manches entgangen sei, was der Verteidigung von Origenes’ Lehre geholfen hätte. Letztendlich sei er nur per Zufall auf die einschlägigen Origenes-Stellen gestoßen,72 und ihn habe – so behauptet er nun – „keinerlei persönliches Gefühl und Interesse angetrieben“,73 den Letter zu konzipieren. Rusts Vorgehensweise motiviert daher einerseits den Leser zum eigenständigen Nachvollziehen der Argumente. Andererseits bietet sie einen gewissen Schutz 68

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Vgl. ebd. Auch für die Rhetorik der Apostel gerade im Hinblick auf ihre philosophischen Lehren sei es notwendig gewesen, sich einer anschaulicheren und konkreteren Sprechweise zu bedienen, damit sich auch die noch Ungebildeten leicht von ihr überzeugen konnten (vgl. ebd. 120 f.). Vgl. ebd. 88. Vgl. ebd. 56. 60 f. 64 sowie 66. Vgl. ebd. 94 f. Vgl. ebd. 95. Ebd. 135 f.

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vor möglicher Verfolgung, da es sich bei Origenes selbst im 17. Jahrhundert noch um einen höchst umstrittenen Autor handelt. So erwähnt Rust vorsichtig bezüglich Mores Deutung der Schrift, dass die genannten Stellen über die Lehre von der Präexistenz der Seelen nicht notwendigerweise so ausgelegt werden müssen, wie Origenes es tut, sondern auch andere plausible Deutungen zugelassen werden könnten.74 Rust überlässt auf diese Weise einerseits dem Leser, andererseits sich selbst Deutungsspielraum, da er sich auf keine definitive Zustimmung zu Origenes festlegen lassen möchte. Rust verweist darauf, dass selbst die heiligsten und klügsten Personen zwar vernünftige Lehren angenommen, sich aber aus Furcht nicht zu ihnen bekannt hätten, wenn sie ungewöhnlich oder nicht allgemein verbreitet gewesen seien, insbesondere wenn deren Referenzen von den Verfassern der Heiligen Schriften nicht explizit mitgeteilt wurden.75 Die dogmatische Lehre des christlichen Glaubens wäre demnach sehr dünn, wenn sie nur auf eindeutig nachvollziehbaren Interpretationen der Schrift basierte. Rust verlangt daher aus Gründen der Fairness, die Lehrmeinung des Origenes und seine Deutung der von ihm herangezogenen Schriften nicht sofort abzulehnen, sondern sie so lange als wahr gelten zu lassen, bis sie durch bessere Argumente ersetzt werden.76 Gegen Ende des Letter of Resolution bittet Rust erneut um Nachsicht, sollte er Origenes’ Lehre an irgendeiner Stelle geschadet haben – sei es durch ungeschickte Darlegung der Argumente oder gar durch Auslassung gewichtiger Schritte, die zur Überzeugung führen.77 Zwar bemüht sich Rust im gesamten Letter darum, Distanz zum umstrittenen Autor Origenes zu wahren, gleichzeitig appelliert er an die Neugier fähiger Leser, die „Auslassung gewichtiger Stellen“ aus sich selbst heraus, mit der eigenen Vernunft zu vervollständigen. Die so oft erwähnte Unordnung und viel zu kurze Darlegung der Argumentation dienen Rust daher als bewusst eingesetztes Mittel und stellen keinen Widerspruch zu seiner als vorbildlich bezeichneten cartesischen Methodik dar. Diese Vorgehensweise dient Rust vielmehr als Schutzmechanismus, der ihn vor Verfolgung und der Brandmarkung als Ketzer bewahren soll. Gleichzeitig folgt sie dem pädagogischen Ziel, den Leser dazu zu veranlassen, die als fehlend gekennzeichneten fundamentalen Argumentationsschritte selbst zu ergänzen. 74 75 76 77

Vgl. ebd. 93. Achronologische Nummerierung im englischen Quellentext. Vgl. ebd. 93. Vgl. ebd. 94 f. Rust kritisiert hierbei die Quellenlage der Origenes-Übersetzungen, die so entstellt und ungenau und mit solch geringem Sachverstand angefertigt seien, dass er nie sicher sein konnte, ob das, was er lese, Gedanken des Origenes oder eines anderen Autors seien (vgl. ebd. 95). Andererseits schreibt er weiter oben, er habe, wenn er zufällig etwas in den Schriften fand, dieses kritisch nach dem Maß seiner Urteilskraft daraufhin geprüft, ob es von Origenes stamme oder eine Fälschung sei.

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George Rust setzt sich in seinem Letter of Resolution nicht nur mit philosophischen und theologischen Inhalten des Origenes auseinander, sondern auch mit dem formalen Aspekt seiner Hermeneutik als pädagogischer Protreptik. Nur so lässt sich bei Rust der scheinbare Widerspruch erklären, dass er einerseits auf die strenge Einheitlichkeit und Vollkommenheit der Heiligen Schriften rekurriert, selbst jedoch in seiner Schrift zu Uneinheitlichkeit und fehlenden Argumentationsschritten neigt.

5. Die Hermeneutik autoritativer philosophischer Schriften von Leo Strauss Ende des 4. Jahrhunderts entbrannte der Streit um die ‚ketzerischen‘ Werke des Origenes vor allem durch Epiphanius und Hieronymus. Dieser Origenes-Streit entschied das Schicksal des Werkes De principiis, das mehr als die anderen Schriften des Kirchenvaters zu beanstandende Lehren enthielt und im 6. Jahrhundert dazu führte, dass seine Schriften von Seiten der Kirche verboten wurden.78 Nach einem Versuch, die Werke in der Renaissance wieder zugänglich zu machen, wurde die allegorische Texthermeneutik mit ihrem mehrfachem Schriftsinn auch von dem Reformator Martin Luther abgelehnt. Luthers Formel sola scriptura geht davon aus, dass der Literalsinn sämtliche Sinndimensionen bereits enthalte und der geistige Sinn nicht allegorisch verborgen liege. So kommt letztendlich Augustinus das Lob des philosophischen Hermeneutikers Heidegger zu, „die erste ‚Hermeneutik‘ großen Stils“ entwickelt zu haben.79 Eine Hermeneutik jedoch, die unterschiedliche Erkenntnisstufen hinsichtlich der Entwicklung der menschlichen Seele berücksichtigt und aus pädagogischen Gründen einen mehrfachen Schriftsinn als für philosophische Schriften notwendig erachtet, wurde im letzten Jahrhundert von dem politischen Philosophen Leo Strauss wieder entdeckt. Während einerseits Verfechter der objektiven Wissenschaften den wortwörtlichen Sinn geschriebener Aussagen verabsolutieren und sich andererseits ‚psychische‘ Hermeneutiker wie Schleiermacher auf den Geist 78 79

Zum Nachleben des Origenes vgl. Görgemanns/Karpp, Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien (wie Anm. 60) 25–32. Martin Heidegger, Ontologie (Hermeneutik der Faktizität). Frühe Freiburger Vorlesungen. Sommersemester 1923 (Gesamtausgabe Bd. II. Abteilung: Vorlesungen. Bd. 63), hg. von Käte Bröcker-Oltmanns, Frankfurt a. M. 1988, 12. Heidegger bezieht sich vor allem auf Augustinus, De doctrina christiana. Es ist der Sorgecharakter von Augustinus, der Heideggers Sorge um das Sein ähnelt, die Verstehen existentiell notwendig macht. Das Dasein sucht nach dem Sinn von Sein und wird in diesem Bemühen um Verständnis fundamental beunruhigt. Dank Heidegger (und letztendlich auch Gadamer) stellt sich Hermeneutik nicht länger als eine bloße Methode, sondern als ein zentrales Element des Daseins dar.

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und die Aussageabsicht des Autors hinter dem physischen Text konzentrieren, gelang es Strauss, durch eine Kombination beider Positionen eine Hermeneutik des mehrfachen Schriftsinns wieder zu beleben. Anhand der Lektüre mittelalterlicher Schriften von al-Farabi, Avicenna und Maimonides innerhalb der Spannungsfelder von Glauben und Wissen, Christentum und Judentum bzw. Islam sowie des Konflikts zwischen dem einzelnen Denker und der politischen Gesellschaft rekonstruierte er die Darstellungsform des esoterischen Schreibens und konnte mittels seiner Interpretationen von vielen antiken philosophischen Werken einen heuristischen Mehrwert aufzeigen.80 Mit Hilfe von Strauss’ Hermeneutik, die auf einem mehrfachen Schriftsinn basiert, lassen sich sowohl Origenes’ als auch Rusts Herangehensweise an die Bibel nicht nur besser einordnen, sondern auch ihre Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer pädagogischen Absicht erneut herausstellen. Während zu den Hauptmaximen der origeneischen Hermeneutik eine ganzheitliche und einheitliche Deutung der Heiligen Schrift gehört, stellt sich diese Grundannahme bei Strauss als ein absoluter „Vorgriff auf Vollkommenheit“ dar. Diese Herangehensweise sowie der Terminus entsprechen dem antiken „hermeneutischen Zirkel“, der auch eine fundamentale Rolle in der Hermeneutik Heideggers und Gadamers spielt.81 So ist Verstehen, wie Gadamer es in „Wahrheit und Methode“ expliziert hat, immer an eine Sinnerwartung gebunden. Diese folgt dem hermeneutischen Zirkel, das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen zu verstehen. Die Sinnerwartung ist unabdingbar und zunächst rein formaler Art. Sie tritt allerdings laut Gadamer erst dann hervor, wenn der Inhalt eines Textes mit der jeweiligen Sinnerwartung des Lesers gerade nicht übereinstimmt. Diese Inkongruenz löst den Wunsch nach Verständnis aus. Gadamer bestimmt daher die Sinnerwartung als notwendige Antizipation des Verstehens und bezeichnet diesen Vorgang als „Vorgriff auf Vollkommenheit“. Dieser leitet das Verstehen, und alles Verstehen liegt ihm wiederum zugrunde. Die Unterstellung von vollkommenem Sinn besagt, dass nur das verständlich ist, was eine vollkommene Einheit von Sinn darstellt. Deutlich wird dies allerdings erst, wenn der Leser an einer Stelle eines Textes an dieser Annahme zu zweifeln beginnt, weil sie unzureichend ist – sei es durch dem eigenen Vorverständnis widersprechende, paradoxe oder unlogische Aspekte. Dies führt zu dem Bestreben, den Text als Aussage in einem jeweiligen historischen oder psychologischen Kontext zu deuten, um ihm auch weiterhin einen inhaltlichen Wahrheitsanspruch unterstel-

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Am bekanntesten und umstrittensten sind seine Arbeiten zu Platon, Xenophon sowie Aristophanes in den Werken The City and Man (1964) sowie Socrates and Aristophanes (1966). Vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (Gesammelte Werke Bd. 1), Tübingen 61990, bes. 296–312.

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len zu können.82 So ist auch das Verständnis überlieferter Texte zunächst nur auf Grund jener Sinnerwartungen möglich, die in dem jeweils eigenen Vorverständnis begründet liegen. Vollkommenheit müsse sich demnach, so Gadamer, sowohl auf die Form als auch auf den Inhalt beziehen. Verstehen entspringt einem Vorverständnis, das wiederum aus dem „Zu-tun-haben mit der gleichen Sache“ entspringt. „Sache“ meint dabei nicht das „Ding an sich“, sondern vielmehr den zu verstehenden Sachverhalt.83 Wer verstehen will, muss zunächst unterstellen, dass das Gesagte oder Geschriebene formal verständlich ist und einen Wahrheitsanspruch hat. Zu diesem kann wiederum begründend Stellung genommen werden, die zustimmend oder ablehnend sein kann. Gadamers Hermeneutik beruht jedoch auf dem Konzept der Horizontverschmelzung, unter dem, streng genommen, der „Vorgriff auf Vollkommenheit“ nur abgeschwächt verstanden werden kann.84 Da der jeweils eigene kontextuelle Horizont als Ganzes stets implizit mitläuft, kann Verstehen erstens nicht als rein aktiver Akt, sondern als mehr oder weniger unbewusstes Geschehen begriffen werden.85 Zweitens impliziert das Konzept eine gegenwärtige Bestimmtheit des Verstehens, so dass ein rein historisch verstandener Text aus dem „Anspruch, Wahres zu sagen, förmlich herausgedrängt“86 wird, wenn es der Verstehende aufgibt, „in der Überlieferung für einen selber gültige und verständliche Wahrheit zu finden“.87 Ein absolutes Verständnis eines „Vorgriffs auf Vollkommenheit“ wurde von Gadamers Freund Leo Strauss in seinem Werk Persecution and the Art of Writing

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Vgl. ebd. 299. Der Interpret geht demnach mit einem Vorverständnis auf die Sache zu und hat mit ihr zu tun. Verstehen ist daher keine Objektivierung oder Distanzierung von einer Sache, sondern vielmehr ein angestrebter Einklang mit der zu verstehenden Sache. Das „Zu-tun-haben mit der gleichen Sache“ meint jedoch nicht, dass man inhaltlich mit dem Sachverhalt einverstanden sein muss, der zur Verhandlung steht. Zu der Kritik von Leo Strauss an Gadamers Verständnis von Vollkommenheit vgl. Ulrike Weichert, Der unvollkommene „Vorgriff auf Vollkommenheit“. Die Auseinandersetzung Hans-Georg Gadamers mit Leo Strauss, in: Madeleine Kasten/Hermann Paul/Rico Sneller (Hg.), Hermeneutics and the Humanities. Dialogues with Hans-Georg Gadamer, Leiden 2011, 97–125. Unter „Horizont“ versteht Gadamer den Wirklichkeitszugang, der immer in einen Kontext eingebettet ist. Der Verstehende versteht immer durch einen unverfügbaren, geschichtlich gewordenen Horizont. „Das Verstehen ist nicht so sehr als Handlung der Subjektivität zu denken, sondern als ein Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln“: Gadamer, Wahrheit und Methode (wie Anm. 81) 295. Ebd. 287. Ebd.

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konzipiert.88 Der Aufsatz beschreibt eine tiefenhermeneutische Herangehensweise an Texte, die Strauss in eine exoterische Oberfläche und eine esoterische Tiefenschicht unterteilt. Dabei ist die Esoterik als textimmanent zu erachten und keinesfalls als eine allein dem mündlichen Unterricht vorbehaltene, elitär motivierte Geheimlehre. Die populären Ansichten der jeweiligen Zeit sind dabei exoterisch,89 während die Lehre des Philosophen esoterisch durch eine Rhetorik verschlüsselt ist, die die unterschiedlichen Adressaten mitbedenkt. Der Schlüssel zum Textverständnis erfolgt über den „notwendigen Anreiz“ (neccessary incentive), dem Text Wahrheit zu unterstellen.90 Das Verstehen esoterischer Texte wird von Strauss daher durch das Axiom ermöglicht, „dass gedankenlose Menschen unachtsame, nachdenkliche Menschen jedoch aufmerksame Leser sind.“91 Will der Autor einen nachdenklichen, philosophischen Adressatenkreis erreichen, so müsse er nichts anderes tun, als so zu schreiben, dass nur ein sehr aufmerksamer Leser den tiefer liegenden Sinn verstehen kann. Ein esoterischer Text kann somit aus sich selbst verstanden werden. Strauss hat ein sehr hohes Bild von einem philosophischen Autor und seinem Werk, das der „logographischen Notwendigkeit“ entspricht. Diese stammt aus einer Passage aus Platons Phaidros über den Aufbau der guten Rede.92 Eine Schrift sei dann gut, wenn jeder Teil der geschriebenen Rede unabdingbar für das Ganze sei. Eine Stelle, die in einem bestimmten Teil im Gesamtstück auftritt, ist somit genau die Stelle, an der sie notwendig auftreten muss. Der Verfasser von geschriebenen Texten ist sich dieser schriftstellerischen Notwendigkeit völlig bewusst und entwirft sein Werk entsprechend. Die Komposition einer Schrift ist demnach ein unverzichtbarer Teil ihrer Aussage. Ein philosophischer Autor ist in der Lage, sein Werk durch unterschiedliche Ebenen zu verschlüsseln. Entsprechenden Wert muss der Leser daher auf den Aufbau und vor allem auf das dramaturgische Setting legen. Kein Wort – „wie klein auch immer oder scheinbar unbedeutend es sein mag“93 – wäre folglich fehl am Platz oder unnötig, sondern ist stets vom Autor beabsichtigt. 88

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Erstveröffentlicht 1941 in der Zeitschrift Social Research. 1952 veröffentlichte Strauss den Sammelband Persecution and the Art of Writing, der dem Aufsatz drei Fallbeispiele hinzufügte, an denen er seine Tiefenhermeneutik veranschaulicht. Der Sammelband enthält Interpretationen zu Werken von Maimonides, Halevi und Spinoza. Vgl. Leo Strauss, Persecution and the Art of Writing, Chicago 21988, 192. Ebd. 154. Der Möglichkeit, dass jene aufmerksamen Leser den gesellschaftskritischen Text des Autors bei der Obrigkeit denunzieren könnten, stellt Strauss ein zweites Axiom entgegen: Eine solche Literatur wäre undenkbar, „wenn das sokratische Diktum, dass Wissen Tugend ist und folglich nachdenkliche Menschen ihrem Wesen nach vertrauenswürdig und nicht bösartig sind, gänzlich falsch wäre“ (ebd. 25). Vgl. Platon, Phaidr. 264 b; vgl. Leo Strauss, The city and man, Chicago 61997, 53. Ebd. 54.

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Ginge der Leser davon aus, dass der Autor keine Wahrheit zu vermitteln beabsichtigte, würde er Widersprüche, die als hinweisende „Stolpersteine“ dienen, entweder übergehen oder ihn als inkonsequenten Autor abwerten. Auf keinen Fall würde er die Mühe auf sich nehmen, Paradoxien oder Widersprüchen im Text nachzugehen.94 Nur der Leser, der davon ausgeht, dass der vorliegende Text gemäß der „logographischen Notwendigkeit“ komponiert sei und eine Wahrheit beinhalte, ist in der Lage, den philosophischen Kern zu verstehen. Wer hingegen Gadamers Konzept folge, den Text immer nur anders verstehen zu können, schließt schon die Möglichkeit, die Absicht des Autors verstehen zu können, von vornherein aus. Wenn der Interpret die Intention des philosophischen Autors verstehen will, muss er sich selbst zum Nachvollziehen der Argumente animieren und die Denkbewegung des philosophischen Autors selbst denken. Das esoterische Schreiben funktioniere letztendlich deswegen, weil es naturgegebene Hürden zur Philosophie gebe, die zu allen Zeiten die gleichen seien.95 Die Kunst des verschlüsselten Schreibens liegt dem generellen Charakter der Philosophie zugrunde. Des Weiteren ist das verschlüsselte Schreiben aus sozialer Verantwortung motiviert, da die Wahrheit für viele keineswegs erbaulich und daher möglicherweise gefährlich sei. Es bedarf daher einer „Sokratischen Rhetorik“, die Strauss den Überlegungen in Platons Phaidros entnimmt, der eine Seelenprüfung vorausgehen muss und mit deren Hilfe der Redner – auch im Medium Schrift – adressatengerecht sprechen kann.96 Diese Rhetorik orientiert sich fundamental daran, wer belehrt werden soll. Im Phaidros zielt sie darauf, bestimmte Inhalte bestimmten Menschen auf bestimmte Art mitzuteilen.97 Diese Einteilung differenziert sich nicht über Schwierigkeitsstufen, wie beispielsweise Schleiermacher annimmt, sondern umfasst unterschiedliche Inhalte, die unterschiedlichen Naturen vermittelt werden können. „Sokratische Rhetorik“ im Phaidros berücksichtigt die unterschiedliche, natürliche Beschaffenheit der Seelen, auf die ein Philosoph als Psychagoge einzugehen hat. Es geht dabei darum, Un- und Missverständnissen vorzubeugen und letztendlich den Fortbestand der Philosophie abzusichern. Die

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Vgl. Strauss, Persecution (wie Anm. 89) 152. Vgl. ebd. 155. Vgl. ders., On Tyranny, Ithaka NY 1968, 38. Strauss’ Kernaussage bezüglich der Kunst des Schreibens ist, dass Philosophie der Rhetorik bedarf. Dass ein solches Verständnis radikal Sokrates’ Ablehnung der traditionellen, sophistischen Rhetorik widerspricht, macht eigentlich eine korrigierende Umbenennung der verantwortungsbewussten „Sokratischen Rhetorik“ in eine „Platonische Rhetorik“ notwendig, wie Strauss selbst in seinem Aufsatz „Farabi’s Plato“ die „Socratic attitude“ von der fundamental anderen „Platonic attitude“ unterscheidet: ders., Farabi’s Plato, in: Louis Ginzberg Jubilee Volume of the American Academy for Jewish Research, New York 1945, 357–393. Platon, Phaidr. 271 d–e.

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esoterisch-exoterische Schreibweise basiert auf einer Pädagogik, die dem Menschen als zoon logon echon zwar vernünftiges Potential zuschreibt, das dieser jedoch nur durch sorgfältiges und ernsthaftes Streben nach Wahrheit, das vom philosophischen Eros beflügelt ist, verwirklichen kann. Die Kunst des esoterischen Schreibens weist daher auch auf die Verantwortung hin, die der Autor gegenüber der philosophischen Erziehung trägt. Betrachtet man Rusts und letztendlich Origenes’ Hermeneutik unter der Strauss’schen Herangehensweise an einen mehrfachen Schriftsinn, so fällt zunächst in den Blick, dass sich Rust und Origenes nicht auf philosophische, sondern auf die theologischen Quellen der Heiligen Schriften beziehen. Leo Strauss’ Lebenswerk hingegen durchzieht eine scharfe Trennung zwischen Offenbarungsglaube und Philosophie, die er zugespitzt als das „theologisch-politische Problem“ bezeichnet. Glauben und Philosophie stellen für ihn zwei unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zur Wahrheit dar, die sich gegenseitig ausschließen.98 Philosophie in diesem strengen Sinne dürfe sich nicht auf menschliche Meinungen oder übermenschliche Autoritäten berufen, sondern könne Wahrheit einzig und allein elenktisch durch die Vernunft begründen. Zwar verweist Strauss im Rückblick auf die Ausführungen im Vorwort von Karl Barths „Der Römerbrief “99 darauf, dass eine Hermeneutik, die sich um das Verständnis des biblischen Geistes durch das historisch-kritische Verstehen hindurch bemühe, auch für Nichttheologen von großer Wichtigkeit sei.100 Hinsichtlich seines Œuvres darf daraus jedoch allein die prinzipielle hermeneutische Grundsituation abgeleitet werden, nicht jedoch ein konkreter Ansatz, die Intention Gottes philosophisch aus der Heiligen Schrift verstehen zu können.101 Ganz anders sieht dies jedoch bei Origenes und Rust aus. Bei beiden spielt die Vernunftnatur im Glauben eine große Rolle. Während Strauss mit den Chiffren „Athen“ und „Jerusalem“ in strengster Form die philosophische der religiösen Lebensweise gegenüberstellt, kann es hingegen als Origenes‘ Leistung anerkannt werden, Philosophie und christlichen Glauben zusammengebracht und das Fundament für eine christliche Kultur geschaffen zu haben, die auf der wissenschaft-

Vgl. Leo Strauss, The Mutual Influence of Theology and Philosophy, in: Faith and political philosophy. The correspondence between Leo Strauss and Eric Voegelin. 1934–1964, Columbia 2004, 217–233, hier 232: „There seems to be no ground common to both, and therefore superior to both.“ 99 Vgl. Karl Barth, Der Römerbrief, München 61933, V. 100 Vgl. Leo Strauss, A Giving of Accounts. Jacob Klein and Leo Strauss, in: ders., Jewish Philosophy and the Crisis of Modernity. Essays and Lectures in Modern Jewish Thought, hg. von Kenneth Hart Green, Albany 1997, 457–466, hier 460. 101 Vgl. Till Kinzel, Platonische Kulturkritik in Amerika. Studien zu Allan Blooms The Closing of the American Mind (Schriften zur Literaturwissenschaft 18), Berlin 2002, 89. 98

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lichen Basis der Antike beruht.102 Glauben und Wissen schließen sich demnach nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig. Ihre Bibelhermeneutik setzt wie die Strauss’sche einen „Vorgriff auf Vollkommenheit“ voraus, jedoch ist der Verfasser der einheitlichen Konzeption der Heiligen Schrift kein philosophischer Autor, sondern der Heilige Geist. Die Bibelhermeneutik Rusts und Origenes’ unterscheidet sich demnach im Wesen des Verfassers und in der daraus resultierenden Haltung, nicht jedoch im Anspruch an die Vollkommenheit des Textes und dem langwierigen und sorgfältigen Streben nach einer auf Vernunft gegründeten Erkenntnis einer textimmanenten Wahrheit. Auf diese Weise integrieren Origenes und Rust das philosophische Element, das Streben nach Wahrheit, durch die „lobenswerte Neugierde“103 in die pädagogische Hermeneutik des mehrfachen Schriftsinnes bei theologischen Exegesen. Darum erfolgt ein steter Appell zum Nachforschen und kritischen Hinterfragen von Argumentationsschritten, die auch Dinge des Glaubens behandeln. Da das menschliche Dasein eine „Schule der Seelen“104 darstellt, kann es keine bessere Ausbildung und keinen besseren Weg zur Eudaimonie geben, als – gemäß Joh. 5,39 – die Schriften sorgfältig und mit Muße zu erforschen.

102 Vgl. Fürst, Origenes – der Schöpfer christlicher Wissenschaft und Kultur (wie in Anm. 35)

82. 103 [Rust], Letter of Resolution (wie Anm. 3) 81. 104 Origenes, princ. II 11,6 (GCS Orig. 5, 190).

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Origen and Anne Conway SARAH HUT TON, ABERYST WY TH

1. Introduction Anne Conway is an obvious figure to include in any history of the reception of Origen, since the metaphysical treatise which makes her name as a philosopher contains many echoes of Origen, particularly in her emphatic denial of the eternity of hell punishments and her theory of the restitution of all souls to their original purity. But there are questions to ask about the nature and extent of her debt to Origen, particularly in the light of the fact that her philosophy also contains clear echoes of Christian kabbalist doctrines. Much recent scholarship on Anne Conway has focused on the influence of kabbalism. In this paper, I want to take a step away from that – though not completely, because it is impossible to discuss her account of the restoration of all things without reference to kabbalah. My paper will focus on Anne Conway’s Origenism, considering the extent of her knowledge of Origen and the relevance of Origen to her philosophy.1

2. A Letter of Resolution Concerning Origen Let us begin in 1661, at the point in time when Origen is first mentioned in her correspondence with Henry More. On September 14th of that year, her friend and erstwhile philosophy tutor, Henry More wrote to tell her about a new book which had just been published and to offer to send it to her. “There is a letter concerning Origen his Opinions, I know not whether your Ladiship has yett seen it or noe. I phancy you might take some pleasure in perusing it. I can not imagine who should be the Author of it, it is a pretty odd Book, but has some thinges very consyderable in it. If you have not yett seen it, and desire to read it, I will send you one.”2 1 2

On Anne Conway, see Sarah Hutton, Anne Conway. A Woman Philosopher, Cambridge 2004. The Conway Letters. The Correspondence of Anne, Viscountess Conway, Henry More and their Friends (1642–1684), ed. by Majorie Hope Nicolson. Revised Edition with an Introduction and New Material, ed. by Sarah Hutton, Oxford 1992, 192.

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The book in question was A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions, which was published anonymously in London in 1661, with a preface by one “C. L.” It deals with Origen’s six “chief opinions:” namely the hypostasised Trinity, the pre-existence of souls, the corporeality of fallen souls, the incorporeality of the redeemed, universal salvation, and the doctrine of periodic renewal. The authorship of the Letter of Resolution is unknown, though its provenance was probably Cambridge. It is normally attributed to More’s associate, George Rust. But this attribution is uncertain.3 Whoever wrote it was certainly familiar with Henry More’s theological views, for it mentions him in connection with the pre-existence of the soul. More is, in fact, the only contemporary named in the book, and there are other indications that it came from Cambridge Platonist circles. It is, therefore, quite likely that he knew very well who the author was.4 As the author of A Letter of Resolution notes, Henry More was particularly associated with the doctrine of the pre-existence of the soul. For More, the attraction of the doctrine of pre-existence was that it was a plausible way of defending the goodness and justice of God by accounting for the punishment of apparently innocent souls. Through it, More found an answer to the problem of how to reconcile God’s justice, as manifest in his providential design, with the problem of sin and free will.5 He subscribed to pre-existence from the beginning of his career. One of the poems in his early Philosophical Poems (1647) was entitled The Preexistence of the Soul. He also defends the doctrine in his Immortality of the Soul (1659) and in his Explanation of the Grand Mystery of Godliness (1660) Book 1, chapter 8. Two years later, More defended pre-existence again in his A Collection of Several Philosophical Writings (1662). And he expounded it for a lay public in his Divine Dialogues (1668), a work in which the doctrine is treated allegorically as the “golden key” in a dream of one of the interlocutors, Bathynous.

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5

Daniel Pickering Walker, The Decline of Hell. Seventeenth-Century Discussions of Eternal Torment, London 1964, 124 f. A Letter of Resolution concerning Origen and the Chief of His Opinions, London 1661, 22, links the doctrine of pre-existence to “Mr More of Cambridge.” There is also mention (84) of an “inferiour spirit of the world [which] acts not by choice but fatally … stored with an universal seminality,” which recalls More’s Spirit of Nature, and a “conciliating principle of souls and matter,” not unlike More’s concept of “vital congruity” between soul and body. In “The Preface General” to Henry More, A Collection of Several Philosophical Writings, London 1662, iii–xxvii, here xxii, More specifically denies authorship of the Letter of Resolution. Cf. Sarah Hutton, Henry More and Anne Conway on Preexistence and Universal Salvation, in: Marialuisa Baldi (ed.), “Mind Senior to the World.” Stoicismo e origenismo nella filosofia platonica del Seicento inglese, Milan 1996, 113–126. More did not, apparently, subscribe to the doctrine of universal salvation. See Walker, Decline of Hell (as n. 3) 127–134.

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The recipient of More’s letter concerning A Letter of Resolution was Lady Anne Conway (1630–1679), one of the very few women philosophers of the seventeenth century. She was tutored by Henry More and wrote a short metaphysical treatise which was published after she died in Latin translation as Principia philosophiae antiquissimae et recentissimae (1690). An English translation as The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy appeared two years later (1692) – I shall say more about this book later.6 More gave as his reason for recommending A Letter of Resolution to Anne Conway, and also for offering to send a copy to her, his belief, as he told her, that she “might take some pleasure in perusing it.”7 He added that he was “persuaded it will please you better than any Romance.”8 He obviously thought not only that the subject would interest her, but that A Letter of Resolution would find in her a sympathetic reader. More probably had another reason for engaging the interest of a sympathetic reader of A Letter of Resolution to Anne Conway, namely that he wished to secure her support in the controversy brewing about Origen in the university where he held his post, Cambridge. For in the next letter he wrote to her, he told her not just his own high opinion of the book, but also that it was considered “a dangerous book” by the academic establishment, on account of its “unsound opinions.”9 “It is a book that has witt and learning in it, but our Vice Chancellour10 lookes upon it as a dangerous book, and therefore did in some sort censure it in the Consistory, and one of the unsound of the opinions of Origen was the Praeexistence of the soule, which was conceiv’d to be repugnant with the incarnation of Christ. This is all that I have heard alleg’d against it.”11

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[Anne Conway], Principiae Philosophiae Antiquissimae & recentissimace de Deo, Christo & Creatura id est de Spiritu & materia in genere, printed in: Opuscula philosophica quibus continetur, Principiae Philosophiae Antiquissimae & recentissimace ac philosophia vulgaris refutata quibus junctur sunt C. C. problemata de revolutione animarum humanorum, Amsterdam 1690. English translation by ‘J. C.’ , The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy: Concerning God, Christ, and the Creature; that is, concerning Spirit and Matter in General, London 1692. My references are to The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy, transl. and ed. by Allison P. Coudert/Taylor Corse, Cambridge 1996. Nicolson, Conway Letters (as n. 2) 192. Ibid. 195. Ibid. 194. Theophilus Dillingham, Vice Chancellor in 1655, was reinstated in March 1661. Nicolson, Conway Letters (as n. 2) 194.

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By contrast with the negative views of the university authorities, who thought the doctrine of the pre-existence of the soul was inconsistent with the doctrine of the incarnation, More commented: “[F]or my own part I confess I do not see how a praeexistent soule is not as capable of incarnation as a newly created one, or they all preexisting, how the Messia’s soul may not enter a body as well as the rest, for if there could seem any incongruity in nature, yett that birth being miraculous it will give a stop to all occasion of doubting.”12

And he noted with a touch of irony that even the Jews could see that there was no inconsistency. “The short sighted Rabbins,” he commented, “were in more speciall manner earnest for the pre[ex]istence of the soule of the Messias above all other souls, and yett their expectation was that he should come in the flesh.”13

However, the disapproval of the Vice Chancellor did not augur well for the Cambridge Platonists, for whom Origen was a particularly important theologian – especially for Henry More who regarded him as the “Miracle of the Christian World.”14 The university authorities in Restoration England were evidently alarmed that Origen was enjoying something of a Renaissance at this time, especially in More’s university, Cambridge. For between 1658 to 1662, there was a flurry of Origenist publications. Besides A Letter of Resolution, William Spencer’s translation Origenes Contra Celsum libri octo was published in Cambridge in 1658.15 This was followed by Joseph Glanvill’s Lux Orientalis or, An enquiry into the opinion of the Eastern sages concerning the praeexistence of souls being a key to unlock the grand mysteries of providence, in relation to mans sin and misery (1662). More himself returned with a forceful defence of Origen, in “The Preface General” to his A Collection of Several Philosophical Writings in 1662. It is quite possible that A Letter of Resolution, which contains a summary of Origen’s doctrines, was intended as a ‘taster’ or ‘primer’ to prepare the ground for the reception of these and other works. It is even possible that, like More’s Divine Dialogues, it was designed to reach a wider readership beyond specialists in divinity. Since A Letter of Resolution links the doctrine of pre-existence to Henry More, and this doctrine is singled out for disapproval by the Vice Chancellor, it is easy to see that Henry More was considered to be at the centre of the revival of Origen in Cambridge. 12 13 14

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Ibid. 194. Ibid. Henry More, The Preface General (as n. 4) xxi. More also praises Origen in section XVI of the Praefatio generalis of his Opera philosophica, in: Opera omnia, London 1679, II/2, 1–26, here 12. Spencer incorporates the notes of David Hoeschelius. On Origen in England, see Walker, Decline of Hell (as n. 3) 93–177, and Baldi, Mind Senior (as n. 5).

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Within a short time of the publication of A Letter of Resolution, More found himself being “railed and blustered against for an Heretick.”16 He and Ralph Cudworth were accused of heresy, he told Lady Conway. The main issue was what was perceived as their laxity in doctrine, that is their “latitudinarianism.”17 More’s ‘latitude’ in point of doctrine meant not just his championship of freedom of conscience, but his Platonising Christianity, the most dangerous manifestation of which was the doctrine of the pre-existence of the soul. The controversy was not confined to the university, but involved the upper echelons of the newly-restored Church of England, where his championship of Origen, especially the doctrine of the pre-existence of the soul, was regarded with suspicion. For example, Seth Ward, Bishop of Exeter, disapproved of his theology,18 while Samuel Parker, censor to the Archbishop of Canterbury, targeted the Cambridge Platonists in his A Free and Impartial Censure of the Platonick Philosophie, published in 1666. Parker published a second attack aimed specifically at More (though without naming him) entitled An Account of the Nature and Extent of Divine Domination and Goodnesse, Especially as they refer to the Origenian Hypothesis Concerning the Preexistence of Souls (1666). Two years later, More was refused license to print the first volume of his Divine Dialogues until he had changed his account of the pre-existence of the soul in order to represent it as hypothetical rather than true. In the face of this hostility, More’s continued championship of the doctrine of preexistence is remarkable. He was prepared to be conciliatory, and to defer publicly to the ecclesiastical authorities,19 knowing full well that this was necessary if he wanted to publish his views.

3. Anne Conway and Origen Of course, at the time when More wrote to Anne Conway about A Letter of Resolution, she did not need any introduction to Henry More’s theological opinions. As the sometime pupil and now friend of Henry More, she was well aware of his predilection for the Origenist pre-existence of the soul. She had encountered it in his poem The Preexistence of the Soul (1647), his Immortality of the Soul (1659) and his Explanation of the Grand Mystery of Godliness (1660). He had, in fact, dedicated to her his Conjectura Cabbalistica, a work which treats the Book of Genesis

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Nicolson, Conway Letters (as n. 2) 220. Cf. Marjorie Hope Nicolson, Christ’s College and the Latitude Men, in: MPh 27 (1929/30) 35–53. Edmund Elys to Henry More, 12th June 1669. Cambridge, Christ’s College MS 21, letter no. 14, Letters on Several Subjects, London 1694. More, The Preface General (as n. 4) xxvi.

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as a multiple allegory of moral and philosophical truth, echoing Origen’s allegorical reading of scripture. Lady Conway, then, could not but be aware of More’s Origenism. We also have good evidence that she was not a passive recipient of More’s views, but was someone engaged with the very problems for which More found solutions in Origen – especially his wish to defend the goodness and justice of God and the beneficence of divine providence. This evidence comes from an undated letter in which she sent More a set of four queries, which, she says, were prompted by her reading of his poem The Preexistence of the Soul. In response to this letter, she raised a whole set of questions to which she asked him to reply, urging him “Please to deliver your Opinion freely and fully.” She wrote as follows: “Upon the Reading of your Poem of the Praeexistence of the Soul, and serious thinking of it, I desir’d to be satisfied in Four Particulars, which are these. First, Whether God did create the Matter for the Enjoyment of Souls, since they fell by it? Secondly, Whether the Soul could Enjoy the Matter without being Clothed in Corporeity; and if it could not, how it can be the Fall of the Soul that makes it Assume a Body? Thirdly, Upon Supposition most of the Souls fell; Why did not all Assume Bodies together: And how Adam can be said to be the first Man, and all Men to Fall in him, since they Fell before: And how the Souls of Beasts and Plants came into Bodies? Fourthly, How Man can be Restor’d, to what he Fell from; And why the Devils that Fell; cannot? Why Christ’s Death should Extend more to One than to the Other?”20

Abstruse though these questions may seem when taken out of context, they all flow from the doctrine of the pre-existence of the soul. They all relate to issues which Henry More addresses in his Immortality of the Soul. Most of them are questions arising from problems which Anne Conway’s metaphysical principles either solve or avoid. However, as I shall argue later, the solution she comes up with in her Principia philosophiae are rather different answers to More’s, since it entails positing monism of substance and rejecting mainstream Christian eschatology. The date of Anne Conway’s letter to More is uncertain, but it was probably written at a fairly early stage of their acquaintance, in the early 1650s, when More was tutoring Anne Conway in Cartesian philosophy – the philosophical education which set her on course to become a philosopher. At this point in her life, she had not formulated her philosophical system. But she was very interested in religious and ethical questions. Her undated letter to More indicates that she was 20

Richard Ward, The Life of Henry More, ed. by Sarah Hutton et al. (AIHI 167), Dordrecht/ Boston/London 2000, 169. This letter was omitted from The Conway Letters. It is reprinted in Sarah Hutton, On an Early Letter by Anne Conway, in: Pina Totaro (ed.), Donne, filosofia e cultura nel Seicento, Rome 1999, 109–115.

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interested in the problem of evil, and this may well be one reason why More recommended A Letter of Resolution to her in 1661. Lady Conway’s knowledge of Origen at an early point in her intellectual formation invites the question of what the relationship of Origenism is to her philosophy and whether Origenism was in any way foundational for it. There is also the question of what relationship (if any) there was between Christian kabbalism and Origenism in her philosophy. We might even speculate as to whether her philosophy would have been radically different if she had not encountered Van Helmont and the Lurianic kabbalah, or, to put it another way, what kabbalism had to offer which Origenism did not. That is beyond the brief of this conference. I shall focus on the first two questions, and only incidentally address the third.

4. Origen and Anne Conway’s Principia philosophiae To judge by her Principia philosophiae and her correspondence with More, Anne Conway did not share the views of the new church establishment. On the contrary, her treatise has strong affinities with Origenist thought, although she does not actually mention Origen’s name – she does, however, make reference to “the most knowledgeable and judicious among Christians.”21 Her treatise is a philosophical account of religious truth set out as a Neoplatonic hierarchy, which is sustained by emanative causation – these features put Anne Conway in the camp of Christian Platonist philosophy and, therefore, part of the same philosophical family as Origenes Adamantius. More specifically, Conway’s system presupposes not just the compatibility of reason with faith, but the integration of philosophy and theology. It is, moreover, predicated on the primacy of divine goodness and justice, and posits the freedom of created things to direct their own actions. Her Principia philosophiae is a theodicy in which all things are restored, ultimately to their pristine purity. It is, furthermore, theodicy, specifically designed as a philosophical apology for religion: Where Origen addressed his apology to pagans, Anne Conway’s was directed to Jews and Muslims. However, this common ground with Origen does not of itself make it an Origenist work: Analogues may be found in other forms of Neoplatonism, especially kabbalism, to which (unlike Origen) her treatise makes direct reference. Any assessment of its Origenism is complicated by the fact that the syncretic nature of her thinking inclines her to perceiving equivalences and parallels between different philosophies and beliefs. In its very conception, as combining the most ancient with the most modern, her philosophy is presented as a perennial philosophy, containing the elements fundamental to all true philosophies. This is particularly true 21

Conway, Principles 1,7 (p. 10 Coudert/Corse).

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of her idea of the restoration of all created spirit to its original purity which has correspondence with both Origen’s idea of universal salvation (ἀποκατάστασις) and the kabbalist doctrine of redemption (tikkun). The echoes of Origen may also be explicable through common sources – especially Platonism and the Bible, a heady cocktail of which is to be found in both. However, the centrality of universal salvation to her theodicy and her denial of the eternity of hell punishments are strikingly reminiscent of Origen.

5. More, Conway and Origen’s “Chief Opinions” One way of assessing the Origenism of More and Conway is to take as the test of Origenism the “Chief ” of Origen’s opinions, as set out in A Letter of Resolution. These are: “I. His doctrine concerning the Holy Trinity, amongst the hypostases whereof, they say, he puts an inequality. II. That the Souls of men do praeexsist. III. That through their fault and negligence they appear here inhabitants of the earth cloath’d with terrestrial bodies. IV. That the Mystery of the Resurrection is this that we shall be cloathed with heavenly or aetherial bodies. V. That after long periods of time the damned shall be delivered from their torments, and try their fortunes again in such regions of the world as their Nature fits them for. VI. That the Earth after the Conflagration shall become habitable again, and be the mansion of men and other animals; and this in eternal vicissitudes.”22

On the basis of these six criteria, Henry More was certainly an Origenist on counts II, III and IV: the pre-existence of souls, and, by consequence, the corporeal investiture of fallen souls. He also believed that, according to the theology of the “new birth,” our bodies will be transformed on resurrection in some kind of aetherial state, which may be linked to his revival of the doctrine of the vehicle of the soul. He defends a Platonised Trinity not unlike Origen’s notion of the Trinity, insisting on equality of persons. However, he does not subscribe to universal salvation or maintain that divine history plays out in eternal cycles of fiery destruction and renewal. On the same ‘test’ of essential Origenism, Anne Conway is a more thoroughgoing Origenist than More. However, to recognise this, we need to understand something of her metaphysical system contained in her Principia philosophiae.

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A Letter of Resolution (as n. 4) 14.

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This posits a tripartite hierarchy of being (or species) deduced from the nature of God: The three levels of this hierarchy (or species, as she calls them) are God himself, Christ or “Middle Nature” and creatures. The third species is created existence and consists of an infinity of spirit particles, or monads, differentiated from the other species by their infinite number and inherent mutability. Created existence comprises an ongoing cycle of change, a falling away from and return to good, which corresponds to a degeneration from spirit to body. Since she was a substance monist, Anne Conway does not conceive of body or matter as a separate substance into which a soul descends or even as pure privation in a Plotinian sense. The degeneration of the soul does not entail a falling into body, as if into a material receptacle, but degeneration takes the form of modifications which manifest themselves in increasing corporeality. This falling away from original goodness does not involve a change of substance, but a change of mode (a process we might compare to congealing rather than transformation). These cyclical processes are predicated on monism of substance. Regeneration of the creatures occurs as the obverse process of degeneration: “… if a man lives a pure and holy life on this earth, like the heavenly angels, … he is elevated to the rank of angels after he dies and becomes like them … However, a man who lives such an impious and perverse life that he is more like a devil raised from hell than like any other creature, if he dies in such a state without repenting … does he not justly become like the devils …?”23 “But if someone lives neither an angelic nor a diabolical life but rather a brutish or animal live, so that his spirit is more like the spirit of beasts than any other creature … he also (at least as regards his external shape) changes his corporeal shape into that species of beast to which he is most similar in terms of the qualities and conditions of his mind.”24

The driver of this dynamic is sin and punishment for sin. For Anne Conway, corporeality is the state of fallen spirit; it is also a state of punishment. Nevertheless, sinfulness never loses the possibility of good. The very pain caused by bodily states is restorative. “Since a creature cannot proceed infinitely toward evil nor fall into inactivity or silence or utter eternal suffering, it irrefutably follows that it must return toward the good. All creatures bear some resemblance to their creator, even in their fallen state, and the greater its suffering, the sooner its return and restoration.”25

23 24 25

Conway, Principles 6,7 (p. 35 Coudert/Corse). Ibid. (p. 36). Ibid. 7,1 (p. 43).

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And that possibility becomes realisable through corporeality or in-corporation. “[A]ll pain and torment stimulates the life or spirit existing in everything which suffers … this must necessarily happen because through pain and suffering whatever grossness or crassness is contracted by the spirit or body is diminished; so the spirit imprisoned in such grossness or crassness is set free and becomes more spiritual, and, consequently, more active and effective through pain.”26

Body itself is living, like God, and not “dead” matter. This harsh doctrine that body is not simply the consequence of sin, but punishment for sin, and painful punishment at that, is mitigated by the claim that the pain and suffering it brings will result in purification and regeneration. So where does this leave us with the “chief opinions” of Origen? a) Pre-existence (II) For Anne Conway, creation itself is not a single event at the beginning of time, but a continuous action, since God is an eternal creator. So it follows that all events in the created universe are continuous. Souls can be said to pre-exist bodies, not in the sense that there was a time when souls were not in bodies, but in the sense that soul or spirit is the original substance of all things, preceding any bodily state. Pre-existence of the soul is not, therefore, an original state obtaining at the beginning of time, but the universal condition of all things at their creation. Insofar as she regards soul as the pure state of monads preceding incorporation, Conway may be said to subscribe to pre-existence of the soul. b) The decline into body (III) and the return to an aetherial condition (IV) Again, for Anne Conway sin and redemption are not occurrences at single points in the life of an individual soul or at particular points in history, but part of an on-going process. Since Conway regards corporeality as the consequence of degeneration through sin, she may also be said to hold to a theory of “incorporation” which corresponds to the second of Origen’s “chief opinions” itemised in A Letter of Resolution, according to which souls are “cloath’d with terrestrial bodies” as a consequence of “their fault and negligence.” Likewise, the purified soul sheds the “crassness” of body and becomes more spiritual. There are striking parallels with Origen in the respect that they both conceive of the process of sin and redemption in both moral and ontological terms. Both correlate moral condition and physicality in such a way that the more sinful the soul, the more bodily it becomes, while the greater the degree of virtue, the more aetherial it becomes. It is also striking that, like Origen, she sees the dynamic of moral corruption and purification as a process of metamorphosis, where a human being can transform 26

Ibid.

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into a lower being (animal or even plant or stone), while an animal can, through successive cycles of rebirth, transform into a human.27 c) Universal Salvation (V) Central to Anne Conway’s theodicy is her theory of universal redemption. The fundamental premise underpinning this is Conway’s conception of God as wise and good and just. Since God is “charity and kindness itself,” it is entirely inconsistent with His nature to punish His creatures perpetually: “For the common notion of God’s justice, namely that whatever the sin, it is punished by hell fire, and this without end, has generated a horrible idea of God in all men, as if he were a cruel tyrant rather than a benign father to all his creatures.”28 Punishment for sin is, therefore, proportional, physically appropriate and ameliorative. The greater the sin, the greater the punishment. Minor offences are punished more lightly than major ones.“[T]he justice of God … assigns the due and appropriate punishment for each kind and degree of wrongdoing nor does it demand hellfire and damnation for every single wicked sin and transgression.”29 Furthermore, punishment for sin should be ameliorative or, as Anne Conway puts it, “medicinal.”30 The purpose of punishment is to further the end of redemption: “[A]ll degrees and all kinds of sin have their appropriate punishments, and all these punishments tend toward the good of the creatures, so that the grace of God will prevail over judgment and judgment turn into victory for the salvation and restoration of the creatures.”31 d) Cycles of renewal through conflagration (VI) Although the process of degeneration and restoration in Conway’s system can be described as a cycle, she does not propose distinct periodic cycles such that all created things move in unison. There are as many cycles as there are creatures. Nor is the created universe in Anne Conway’s system subject to periodic renewal through conflagration (VI). It would be inconsistent with divine justice to have everything annihilated in this way. Nevertheless, she does conceive of fiery renewal figures as a punishment for certain sins. The sins of Sodom, she says, were

27 28 29 30

31

Ibid. 6,7 (p. 35). Ibid. 6,9 (p. 37). Ibid. 6,8 (p. 36). Ibid. 6,10 (p. 38): “Just as all the punishments inflicted by God on his creatures are in proportion to their sins, so they tend, even the worst, to their good and to their restoration and they are so medicinal as to cure these sickly creatures and restore them to a better condition.” Ibid. 6,8 (p. 37). In princ. III 6 (GCS Orig. 5, 279–291), Origen regards hell punishments as part of a process of purgation from sin.

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punished by fire, since fire is an appropriate form of punishment both in terms of equity and physically. “But the sins of the world, like those of Sodom, which had to be destroyed by fire, appear to be more like the sins of the devil than anything else because of their hostility, malice, cruelty, fraud, and cunning. Therefore their appropriate punishment is fire, which is the original essence of those so noble yet degenerate spirits, and by this same fire they must be degraded and restored.”32

e) The Trinity (I) Anne Conway’s account of the Trinity is radically heterodox, and she is certainly open to the charge that she introduces inequality of persons. Conway, in fact, recasts the whole notion of the Trinity, because she saw it as an obstacle to conversion, especially of Jews and Muslims. Although she recognises the divinity of Christ and retains the idea of a triune deity, in place of “three distinct persons,” each of them a distinct substance, she conceives of God as one substance, in which wisdom (or word or image “by which he knows himself as well as all other things”) and will (“through which he maintains and brings into actual being that which was hidden in the idea”) are united as properties or manifestations.33 “Wisdom and will in God are not entities or substances distinct from him but, in fact, distinct modes or properties of one and the same substance. And this is that very thing which those who are the most knowledgeable and judicious among Christians understand by the Trinity. If the phrase concerning the three distinct persons were omitted – for it is a stumbling block and offense to Jews, Turks, and other people, has truly no reasonable sense in itself, and is found nowhere in Scripture – then all could easily agree on this article.”34

There are distinct echoes of Origen here in the perceived relationship of wisdom and will within the godhead, as also her conception of the word as image of the divine. I might add that, like Origen, Anne Conway conceives of God as light (so, too, do the kabbalists). In her account of God as the first “species” in her hierarchy, her recasting of the Trinity is not, of itself, subordinationist. However, her conception of Christ as a separate species, created by God, inevitably renders Christ subordinate and unequal to God. There are, of course, important differences of detail, but these do not absolve her of the charge made against Origen, as reported in A Letter of Resolution that “he puts an inequality” amongst the hypostases of the Holy Trinity. 32 33 34

Conway, ibid. 6,10 (p. 38). Ibid. 1,7 (p. 10). Ibid.

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To sum up this brief survey, Conway’s philosophy is certainly compatible with Origen. Her agreement with Origen extends far beyond the Origenism of her mentor, Henry More. And there is parallel of detail, which suggests that she had direct knowledge of Origen’s De principiis.

6. “The abstruse Philosophy of the Jewes” Finally, let us return to the question of the relationship between Origen and kabbalah in Anne Conway’s thought. As all recent commentators note, Conway’s Principia contains a strong strand of Christian kabbalism. In my book on Anne Conway, I myself called attention to parallels between Anne Conway’s account of redemption through a process of restoration or purgation and the Lurianic doctrine of redemption (tikkun) which explains suffering as a purgative. Another affinity between her system and Lurianism is that both posit monism of spirit from which all created things are constituted. There are several specific kabbalistic echoes in her terminology, for example when she calls souls “sparks” of the divine, using a kabbalistic term (nizzuzuth).35 But there are also parallels with Origen here, notably the broader doctrine of redemption as spiritual and physical restoration through a purgative suffering. Since Anne Conway’s acquaintance with Origen’s teachings predates her exposure to the kabbalah and Quakerism, it is not unreasonable to suggest that Anne Conway’s familiarity with Origen predisposed her to a positive view of the Quakerism and kabbalism which she encountered in her later years.36 While this is broadly true, I want to suggest that Conway’s Origenism was not simply a pallid earlier parallel of views which she presented later in kabbalist guise. The relationship between her Origenism and her kabbalism is integral. Origenism leads to kabbalism in two ways. First of all, her sympathy with a particular Origenist outlook made her receptive to kabbalism. Secondly, Origen was believed to be indebted to the ancient theology of the Jews, i. e. kabbalism. And the clue lies with Henry More’s invocation of Jewish belief in pre-existence in his letter to her regarding A Letter of Resolution. When, in this letter, More invoked rabbinical learning in opposition to the university Vice Chancellor, More clearly felt he had history on his side, as far as ancient authorities for the doctrine of pre-existence were concerned. In his Immortality of the Soul, he had already delivered himself of the view that he considered pre-existence of the soul to be a doctrine which antedated Origen. It was part of “the abstruse Philosophy of the Jewes, which they call their Cabbala,” and it 35 36

Ibid. 6,11 (p. 39). Hutton, Anne Conway (as n. 1) 71.

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was held by the greatest thinkers of antiquity, including “Moses, the greatest Philosopher certainly that ever was in the world; to whom you may adde Zoroaster, Pythagoras, Epicharmus, Empedocles, Cebes, Euripides, Plato, Euclide, Philo, Virgil, Marcus Cicero, Plotinus, Iamblicus, Proclus, Boethius, Psellus, and severall others which it would be too long to recite.”37 Besides Origen, it was also held by such “Christians, as Boethius, Psellus, and the late learned Marsilius Ficinus.”38 From early on, therefore, Anne Conway was exposed to the claim that Origenist doctrines had an ancient Jewish origin. Both she and Henry More believed that the most ancient repository of Jewish learning was to be found in Jewish esoteric traditions, in kabbalah. In 1661, when the Letter of Resolution was published, More’s and Conway’s direct acquaintance with kabbalist texts was limited. But this was to change when, through Francis Mercury van Helmont, they encountered the texts which were being translated by Knorr von Rosenroth for the collection he published as Kabbala denudata (1679). The impact of this encounter is clear in Anne Conway’s Principia. In the light of More’s reference to the Jewish doctrine of the soul of the Messiah, it is significant that the hottest topic for discussion in Anne Conway’s circle in the late 1670s was the soul of the Messiah. In the course of these, Henry More had a hard time trying to refute the Quaker leader, George Keith, who was now a member of it. Keith explained the interaction of Christ with all things, by claiming, through his theory, that the soul of the Messiah was extended. And he did so on the basis of his interpretation of the Lurianic kabbalah. Anne Conway was probably writing her Principia philosophiae while these debates were going on. She did not see things quite the way Keith did – her theory of the “intimate presence” of Christ as “Middle Nature” is philosophically far more sophisticated. But the point of this example is to show that her kabbalistical studies may be linked to the Origenist themes which occur in her earlier discussions with Henry More. And these were coloured by More’s claims that Origenist theology had antecedents in “the abstruse Philosophy of the Jewes.” Of course, the topic in this particular example (the soul of the Messiah) is not directly relevant to the theory of universal redemption. But the interest in it shown by members of her circle does, I think, support the view that she brought what might be called an Origenist perspective to her interpretation of the kabbalah. Her encounter with Lurianic kabbalism was confirmatory rather than foundational. And this would be as true of the doctrine of universal restoration of all things as of the question of the pre-existence of the soul.

37 38

Henry More, The Immortality of the Soul II 12,11 (ed. by Alexander Jacob [AIHI 122], Dordrecht/Boston/Lancaster 1987, 150). Ibid.

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ORIGENES IN IDEALISMUS UND MODERNE

Die Origenes-Rezeption in der theologischen Anthropologie Franz Anton Staudenmaiers MARGIT WASMAIER-SAILER, MÜNSTER

1. Franz Anton Staudenmaier – Vertreter der Tübinger Schule Franz Anton Staudenmaier, geboren am 11. September 1800 in Donzdorf/Württemberg, gestorben am 19. Januar 1856 in Freiburg, studierte unter Johann Sebastian Drey, Johann Adam Möhler und Johann Baptist von Hirscher Katholische Theologie an der neu gegründeten Katholisch-Theologischen-Fakultät der Universität Tübingen. Nach Priesterweihe und kurzer Seelsorgetätigkeit kehrte er an die Universität zurück, wo er unter anderem Studien zur Theologie der Patristik und des Mittelalters betrieb, deren Ergebnisse er in der Schrift „Die Lehre vom göttlichen Ebenbild im Menschen“ publizierte. 1830 wurde er an die Universität Gießen berufen, 1837 folgte sein Ruf an die Universität Freiburg. Staudenmaier lehrte Dogmatik und Dogmengeschichte; sein Interesse galt philosophisch-theologischen Grundlagenfragen. Zu den Hauptwerken Staudenmaiers zählt neben der „Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems“ aus dem Jahr 1844 die 1846 erschienene „Philosophie des Christentums“ sowie seine unvollendet gebliebene „Christliche Dogmatik“, die er in den Jahren 1844 bis 1852 vorlegte.1 Der Titel des ersten Werkes deutet schon an, wo Staudenmaier intellektuell zu verorten ist: Zeitlebens beschäftigte er sich kritisch mit der Philosophie Hegels. Bei seinem Versuch, ein System christlicher Philosophie als umfassendes Wahrheitssystem zu entwickeln, orientierte sich Staudenmaier maßgeblich an Hegels Anliegen einer Versöhnung von Philosophie und Theologie. Hegels Identifikation von Philosophie und Theologie ging ihm jedoch zu weit, barg sie für ihn doch die Gefahr des Pantheismus, dessen Konsequenz Staudenmaier in einem Atheis1

Vgl. Raimund Lachner, Art. Franz Anton Staudenmaier, in: BBKL 10 (1995) 1235–1241.

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mus und Materialismus sah. Demgegenüber wollte Staudenmaier das Verhältnis von Philosophie und Theologie als zwar untrennbar, aber auch unvermischbar verstanden wissen – untrennbar, insofern beide die absolute Wahrheit als Urgegenstand hätten; unvermischbar, insofern die Theologie nur philosophisch nach dem Grund ihrer Möglichkeit fragen könne und die Philosophie die Wahrheit der Offenbarung nicht aus sich selbst ableiten könne, beide als Disziplinen sui generis also nicht aufeinander reduzierbar seien.2 Wirft man einen Blick auf die drei Lehrer Staudenmaiers, so hat man es mit drei Hauptvertretern der so genannten „Tübinger Schule“ zu tun, die es sich zur Aufgabe machte, einen unkritischen Rationalismus als Erbe der Aufklärung zu überwinden.3 Idealistische und romantische Einflüsse sind bei den Vertretern der Tübinger Schule unverkennbar. Johann Sebastian Drey, ihr Gründer, distanzierte sich vom aufklärerischen Rationalismus in Anlehnung an Schelling und Schleiermacher. Über Johann Baptist von Hirscher wurde der Einfluss des Moraltheologen Johann Michael Sailer in Tübingen wirkmächtig, ein Einfluss, der sich im Werk Staudenmaiers nachweisen lässt. Der Kirchenhistoriker Johann Adam Möhler schließlich muss Staudenmaier die Kirchenväter nahegebracht haben. Möhler selbst, zunächst stark an aufklärerischem Denken orientiert, bezeugt in einem Brief an einen Freund die geistige Wende, zu der für ihn die Entdeckung der Kirchenväter geführt hat: „… nun gebe ich mich Dir selbst; das Bild meines innersten und eigentlichsten Seins, die getreue Darstellung meiner Anschauungen von Christhentum, Christus und unserer Kirche … Könntest du aber in mein Inneres schauen, durchaus umgestaltet würdest Du es in seinen religiös-christlichen Anschauungen entdecken. Ich hatte früher nur das Wort, nur den Begriff von Christus, wenigstens habe ich jetzt einen ganz anderen … Das ernste Studium der Väter hat in mir Vieles aufgeregt. In diesem entdeckte ich ein so lebendiges, frisches, volles Christentum.“4

In der Tat hat sich Möhler aus einer kirchenhistorischen Perspektive intensiv mit Origenes auseinandergesetzt, eine Auseinandersetzung, die sein Schüler Staudenmaier in systematischer Perspektive fortgeführt hat. Eine Origenes-Kenntnis muss mit Sicherheit bei vielen bekannteren und unbekannteren Vertretern des 2

3 4

Vgl. Albert Franz, Franz Anton Staudenmaier (1800–1856), in: Emerich Coreth/Walter Neidl/Georg Pfligersdorffer (Hg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. Bd. 1: Neue Ansätze im 19. Jahrhundert, Graz/Wien/Köln 1987, 109–124, hier 122–124. Vgl. Josef Rupert Geiselmann, Die katholische Tübinger Schule. Ihre theologische Eigenart, Freiburg/Basel/Wien 1964. Johann Adam Möhler, Brief vom September 1825, in: ders., Gesammelte Aktenstücke und Briefe, hg. von Stephan Lösch, Bd. I, München 1928, 251 f.

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Idealismus vorausgesetzt werden. Meine Wahl fiel deswegen auf Franz Anton Staudenmaier, weil sich bei ihm diese Kenntnis in einer expliziten Auseinandersetzung belegen lässt, und zwar vor allem im dritten Band seiner 1848 erschienenen „Christlichen Dogmatik“, in der Staudenmaier die Grundzüge einer theologischen Anthropologie entfaltet.5 Die für die Thematik des vorliegenden Bandes relevanten Themenfelder sind (1) Staudenmaiers Stellungnahme zur origeneischen Seelenauffassung, (2) seine Kritik an der Präexistenzlehre des Origenes, (3) die Übernahme der Unterscheidung von Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit des Menschen, (4) die Anknüpfung an Origenes’ Freiheitsbegriff und (5) die Rezeption der origeneischen Verhältnisbestimmung von Intelligenz und Wille.

2. Die origeneische Seelenauffassung und Staudenmaiers Geist-Leib-Dichotomie Im dritten Band seiner „Christlichen Dogmatik“ befasst sich Staudenmaier in einem ersten Abschnitt mit der Schöpfungslehre und in einem zweiten Abschnitt mit der Welt, wie sie sich in Geist, Natur und Mensch verwirklicht. Staudenmaier beginnt seine Anthropologie, auf die ich mich hier konzentriere, mit der Bestimmung des Menschen von seinen Bestandteilen her und geht in diesem Zusammenhang auch auf Origenes ein. Nach Staudenmaier ist der Mensch „die Synthese von Geist und Natur, und als diese das Band, durch welches sich zwei Welten, die des Geistes und die der Natur, mit einander zu einem Ganzen organisch verknüpfen“.6 Der Mensch sei somit ein zwei Reichen angehörendes Wesen, und seine Bestimmung liege in der Einheit von Natur und Geist – diese Bestimmung mache ihn zur „Mitte der Creaturen“.7 Es ist die Dichotomie von Geist und Leib, die Staudenmaier als echt biblische Lehre vom Menschen vertritt – eine Trichotomie von Geist (πνεῦμα), Seele (ψυχή) und Leib (σῶμα) weist er zurück. Biblische Stellen, die eine solche Trichotomie nahelegten, verwendeten den Begriff der Seele nicht im Sinne eines Mittleren zwischen Geist und Leib, sondern im Sinne einer „Entelechie des Leibes“.8 Die Seele werde an diesen Stellen somit eigentlich dem Leib zugeordnet, wenn auch als dessen Formprinzip.9 Eine Trichotomie von Geist, Seele und Leib

5 6 7 8 9

Franz Anton Staudenmaier, Die christliche Dogmatik, Bd. 3, Freiburg i. Br. 1848. Ebd. 354 (Hervorhebung getilgt). Ebd. 355. Ebd. 359. Vgl. ebd. 354–359.

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liege auf den ersten Blick auch bei Clemens von Alexandrien und Origenes vor; sie erweise sich bei näherem Hinsehen jedoch als eine Dichotomie: „Löst sich bei Clemens Alexandrinus die scheinbare Trichotomie allenthalben in die Dychotomie auf; so läßt sich ein Aehnliches auch bei Origenes nachweisen. Die Trichotomie glaubte man bei ihm zu finden, weil er von der Seele als von einem Mittleren zwischen Geist und Fleisch spricht.10 Dieses Mittlere soll als ein von ihm wirklich Angenommenes keineswegs in Abrede gestellt, es soll vielmehr nur erklärt werden. Diese Erklärung fordert aber im Interesse der Sache eine Voraussetzung. Diese besteht darin, daß Origenes den Menschen, in welchem die Seele jenes Mittlere ist, nicht in seinem ursprünglichen und wahren, sondern in seinem gefallenen Zustande betrachtet. Der von Gott abgefallene Geist erkaltet, und der erkaltete Geist wird oder ist Seele. Die Seele aber als erkalteter Geist ist in sofern nicht ein erstorbener Geist, als der geistige Same stets in der Seele bleibt, und durch dieses Bleiben in ihr die stete Möglichkeit darbietet, als Geist aus dem Falle erhoben, restaurirt zu werden.11 Ist aber die Seele nach dieser Ansicht nur der durch die Sünde verkümmerte Geist; so gibt es nicht drei Bestandtheile der menschlichen Natur, sondern zwei, die Seele als erkalteter, verkümmerter Geist, und der Leib.“12

Staudenmaier kann sich mit guten Gründen auf De principiis II 8,3 berufen, erwägt Origenes dort doch die Möglichkeit, dass die Seele nicht mehr sein wird, wenn sie gerettet ist, und dass sie noch nicht war, als sie noch nicht verloren, sondern noch reine Vernunft war. Dennoch lässt sich die Seele aus der origeneischen Anthropologie nicht in der von Staudenmaier skizzierten Weise herauskürzen. Die Seele hat bei Origenes eine eigenständige und damit bleibende Bedeutung – 10

11

12

Staudenmaier bezieht sich auf Origenes, in Rom. comm. I 7 (p. 58 Hammond Bammel); in Matth. comm. XIV 3 (GCS Orig. 10, 279); in Matth. comm. ser. 57 (GCS Orig. 11, 131 f.); princ. III 4,1 f. (GCS Orig. 5, 263–267); in Ioh. comm. XXXII 18,218–228 (GCS Orig. 4, 455 f.). Staudenmaier bezieht sich auf princ. II 8,3 (GCS Orig. 5, 155–161), wo es heißt (5, 157 f.): „Wenn nun also das Heilige als feurig, hell und heiß bezeichnet wird, das Gegenteil aber als kalt, und wenn es heißt, dass bei den Sündern ‚die Liebe erkalte‘ (Mt. 24,12), so ist zu fragen, ob vielleicht auch die Bezeichnung ‚Seele‘ (ψυχή) davon hergenommen ist, dass sie von einem göttlicheren und höheren Zustand ‚erkaltet ist‘ (ψύχεσθαι); das heißt davon, dass sie von ihrer natürlichen und göttlichen Wärme erkaltet ist und so zu ihrem jetzigen Zustand und ihrer jetzigen Bezeichnung gekommen ist“; und weiter (5, 158 f.): „Es ist nun zu untersuchen, ob die Seele, wie wir sie jetzt nennen, die durch den Abfall und die Abkühlung von dem Leben im Geiste entstanden ist, auch noch die Fähigkeit zum Aufstieg hat zu dem, was sie zu Anfang war. Dies, glaube ich, ist vom Propheten gesagt in den Worten (Ps. 114[115],7): ‚Kehre zurück, meine Seele, zu deiner Ruhestätte.‘ … Ausgangsund Endpunkt von alledem ist die Vernunft (νοῦς). Der νοῦς wird durch seinen Fall zur Seele, und die Seele wiederum wird, wenn sie mit Tugenden ausgestattet ist, zum νοῦς“; Übersetzung: p. 391–393 und 393–395 Görgemanns/Karpp. Staudenmaier, Die christliche Dogmatik (wie Anm. 5) 365 f. (Hervorhebungen im Original).

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als Organ gleichsam, in dem sich Fall und Aufstieg des Menschen ereignen.13 Dies wird in Staudenmaiers Auslegung nicht hinreichend gewürdigt. Abgesehen davon erliegt er bei dem Versuch, die origeneische Trichotomie als Dichotomie zu deuten, einem Missverständnis. Sein Erklärungsversuch setzt stillschweigend den höchsten Teil der origeneischen Trichotomie, den Geist im Sinne des πνεῦμα, und die wiederhergestellte Seele, den Geist im Sinne des νοῦς, gleich. Den origeneischen Gedanken, dass der νοῦς durch den Fall zur Seele und umgekehrt die Seele durch ihren Aufstieg zum νοῦς wird, bezieht er in der Folge fälschlich auf die Trichotomie von σάρξ, ψῡχή und πνεῦμα. Er kommt so zu dem Ergebnis, die ψῡχή sei lediglich ein vom πνεῦμα abgeleiteter Begriff und die Natur des Menschen damit auf σάρξ und πνεῦμα reduzierbar.14 Auch wenn Staudenmaier die Vorstellung von der Seele als Mittleres zwischen Leib und Geist zurückweist, so ist deren systematischer Ort bei ihm gewissermaßen doch besetzt, und zwar durch den Begriff des Bewusstseins, das er folgendermaßen bestimmt: „Indem wir hier das Bewußtsein im weitern Sinne nehmen, ist es uns ebenso der Eine Grund und der allgemeine Träger derjenigen Zustände und Thätigkeiten, die aus der Natur des erkennenden, wollenden und fühlenden Geistes hervorgehen, als es uns das Wissen um diese Zustände und Thätigkeiten, so wie das Wissen um alle jene innern und äußern Verhältnisse ist, in die der menschliche Geist durch sein Wesen und durch seine Bestimmung gesetzt ist.“15

Das Bewusstsein umfasst nach Staudenmaier die Vermögen des Fühlens, Denkens und Wollens und damit auch diejenigen Vermögen, die bei Origenes der Seele zugeordnet waren. Das Bewusstsein sei jedoch nicht psychisch aufzufassen, sondern rein geistig. Es sei „der in sich gesammelte Geist“.16

13

14

15 16

Hugo Rahner hat in seinem Aufsatz: Das Menschenbild des Origenes, in: ErJb 15 (1947) 197–248, hier 213 f., eindrücklich die Rolle der Seele bei der Rückkehr des Menschen zu Gott dargelegt: „In diesem Kampf nun befindet sich die Psyche. Sie ist mitten hinein gestellt zwischen den Nous und das Soma, zwischen Geist und Fleisch. Und wie sie durch den Geist noch immer in Verbindung steht mit der himmlischen Welt der nie abgefallenen Himmelsgeister, so berührt sie mit ihrem Leib die Region der Dämonen: es stehen ihr in ihrer kämpfenden und verzichtenden Entscheidung die Engel und die Teufel zur Seite. Das Drama des Aufstiegs kann beginnen, der ganze Kosmos des Geschaffenen steht als Spieler auf der Bühne, und im Mittelpunkt des Geschehens steht die Anima, die sich mit der immer noch wirkkräftigen und vom erlösenden Logos neu gestärkten Gabe des αὐτεξούσιον, der freien Wahlmöglichkeit, nun zu entscheiden hat zwischen Geist oder Fleisch.“ Diesem Missverständnis erliegt auch Rahner in dem oben zitierten Aufsatz. Was er als „Nous“ bezeichnet, wäre durch „Pneuma“ zu ersetzen. Ich bedanke mich bei Christian Hengstermann für den Hinweis auf dieses Missverständnis. Staudenmaier, Die christliche Dogmatik (wie Anm. 5) 536. Ebd. 538.

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3. Präexistenz oder Schöpfung des menschlichen Geistes? Nachdem Staudenmaier den Menschen von seinen Bestandteilen her bestimmt hat, befasst er sich mit der Frage nach dem Ursprung des menschlichen Geistes und diskutiert in diesem Zusammenhang drei Theorien: den Präexistentianismus, den Traduzianismus und den Kreatianismus. Kurz zusammengefasst behauptet der Präexistentianismus im Anschluss an Platon, dass der menschliche Geist vor diesem Leben bereits existiert habe und infolge eines jenseitigen Abfalls zur Läuterung und Strafe in den diesseitigen Körper eingekerkert worden sei.17 Der etwa von Tertullian vertretene Traduzianismus behauptet, dass mit der Fortpflanzung des Leibes die Fortpflanzung des Geistes einhergehe, wobei der Geist aus dem Geist und der Leib aus dem Leib entstehe.18 Nach dem Kreatianismus stamme der Mensch leiblich-seelisch zwar vom Menschen und letzten Endes vom Stammvater Adam ab; der Geist aber habe im Gegensatz zum Traduzianismus seinen Ursprung in Gott. Außerdem trete der menschliche Geist im Gegensatz zum Präexistentianismus erst dann in die Existenz, wenn durch menschliche Fortpflanzung die Bedingungen für die irdische Existenz gegeben seien.19 Staudenmaier, der sich für den Kreatianismus als die eigentlich kirchliche Lehre ausspricht, wirft dem Traduzianismus einen Materialismus vor, insofern dieses Konzept den Ursprung des Geistes in der menschlichen Fortpflanzung verorte.20 Den Präexistentianismus, zu dessen Vertretern Staudenmaier vor allem Origenes, Kant und Schelling rechnet, verwirft Staudenmaier ebenso nachdrücklich: „Merkwürdig ist in Absicht auf das Gegenwärtige die Lehre des Origenes, welche sich an die Platonisch-Philonische Anschauung anschließt … Diese seine Vorstellung spricht er aber in Folgendem aus. Es gibt zwei Schöpfungen, eine erste, ursprüngliche, und eine zweite, der ersten später folgende. Die erste Schöpfung ist die Schöpfung der unsichtbaren, übersinnlichen Welt, mit Einem Worte: die Schöpfung der Geisterwelt, welche am Göttlichen, ohne es jedoch selbst zu sein oder zu werden, Theil nimmt.21 Lag in der Endlichkeit und Creatürlichkeit der Geister die Möglichkeit des Abfalles, welche Möglichkeit bei der absolut guten Gottheit allein nicht Statt hat;22 so gab es neben dieser Möglichkeit noch eine andere, 17 18 19 20 21

22

Vgl. ebd. 414 f. Ebd. 434–436 bezieht sich Staudenmaier auf Tertullian, an. 19 (CSEL 20, 330–332), meint aber wohl an. 27 (20, 344–346). Vgl. ebd. 450 f. Vgl. ebd. 440 f. Staudenmaier bezieht sich auf Origenes, princ. II 3,5 (GCS Orig. 5, 120); II 5,4 (5, 137–139); II 9,1 (5, 163–165); II 9,6 (5, 169 f.); III 3 (5, 256–263); III 5,1–4 (5, 271–275); III 6,1.3 (5, 279– 283. 283–285); IV 3,6 (5, 331–333); in Ioh. comm. I 17,95–98 (GCS Orig. 4, 21); exhort. mart. 47 (GCS Orig. 1, 43 f.). Staudenmaier bezieht sich auf princ. I 2,4 (GCS Orig. 5, 31–33); I 5,3 (5, 71–73); I 5,5 (5, 75– 78); I 6,2 (5, 79–82); I 8,3 (GCS Orig. 5, 99–101); in Ioh. comm. II 4,34–41 (GCS Orig. 4, 57 f.); Cels. VI 44 (GCS Orig. 2, 114 f.).

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und zwar jene, die in der Freiheit der Geister lag. Der creatürliche Geist ist frei, und hat in seiner Freiheit die Macht der Selbstbestimmung, das αὐτεξούσιον, das mit der Macht der Intelligenz, dem λογικόν, ursprünglich zugleich gegeben ist.23 Mit dieser Freiheit und der in ihr gegründeten Macht der Selbstbestimmung geht die Zurechnungsfähigkeit, so wie die wirkliche Zurechnung selbst, Hand in Hand. Die Möglichkeit des Abfalls ist aber zur Wirklichkeit geworden. Ein großer Theil der geistigen Naturen ist von Gott durch einen Act des freien Willens abgefallen, über dessen nähern Verlauf man nichts Bestimmtes mehr ermitteln kann. Dem Abfall folgte die Strafe. Die Strafe selbst aber verhält sich nach Maaßgabe der Schuld der Abgefallenen. Die allgemeine Strafe besteht aber darin, daß sofort die materielle Welt geschaffen, und die abgefallenen Geister in sie nach dem Grade ihres Vergehens eingeschlossen wurden … Die unkirchliche Lehre des Origenes von der Präexistenz des Menschen konnte, wie mancher andere seiner Irrthümer, nur das bekannte Schicksal haben. Die neuere Zeit hat die Lehre von der Präexistenz der Seele und von einem jenseitigen Handeln in ganz eigenthümlicher Weise wiederholt. Und zwar ist dieß von Kant und Schelling geschehen.“24

Die origeneische Lehre von den zwei Schöpfungen nimmt mit der ersten Schöpfung eine reine Geisterwelt, mit der zweiten Schöpfung die materielle Welt an. Die Geister der Menschen haben dieser Lehre zufolge schon in der ersten Welt existiert und dort am Göttlichen partizipiert. Aber als endliche und freie Geschöpfe seien sie durch einen Willensakt von Gott abgefallen und zur Läuterung je nach dem Maß ihrer Abkehr von Gott in Materie gebannt worden. Diese Lehre erkennt Staudenmaier wieder im ersten Stück von Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“,25 wo Kant den menschlichen Hang zum Bösen thematisiert und einen vermeintlichen Widerspruch in diesem Begriff aufdeckt. Die dort angesprochene Schwierigkeit betrifft die Definition eines Hanges als sittlich und damit als Tat einerseits und die Definition eines Hanges als Maxime und damit als jeder Tat vorhergehenden Bestimmungsgrund andererseits. Die Spannung zwischen beiden Definitionen bezieht sich also auf das zeitliche Verhältnis von Tat und Maxime. Kant löst diese Spannung auf, indem er im Hang zum Bösen eine zweifache Bedeutung unterscheidet, die Entscheidung für eine gesetzeswidrige Maxime als peccatum originarium einerseits und die dieser Maxime entsprechende Tat als peccatum derivativum andererseits. Den in der Maxime begründeten Hang zum Bösen ordnet Kant der intelligiblen Welt zu und damit der Welt, die bloß durch Vernunft ohne alle Zeitbedingung erkennbar sei. Den in der Tat bzw. 23

24 25

Staudenmaier bezieht sich auf orat. 29,13 (GCS Orig. 2, 387 f.); princ. I 5,2 f. (GCS Orig. 5, 70–73); I 8,3 (5, 99–101); II 3,3 (5, 117–119); II 9,6 (5, 169 f.); III 1,1–5 (5, 195–201); Cels. III 70 (GCS Orig. 1, 262 f.); IV 3 (1, 275 f.); V 21 (2, 22 f.); in Num. hom. 20,3 (GCS Orig. 7, 195). Staudenmaier, Die christliche Dogmatik (wie Anm. 5) 419 f. (Hervorhebungen im Original). Vgl. Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, hg. von Bettina Stangneth (PhB 545), Hamburg 2007, 37–39, zitiert in Staudenmaier, ebd. 420 f.

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im Laster begründeten Hang zum Bösen ordnet Kant der phänomenalen, also der empirischen und das heißt auch zeitlich wahrnehmbaren Welt zu. Was für Staudenmaier ausschlaggebend gewesen sein dürfte, bei Kant eine Präexistenz des menschlichen Geistes anzunehmen, dürfte Kants Aussage sein, dass der erste Hang – das peccatum originarium – angeboren und dennoch unsere eigene Tat sei. Staudenmaier versteht das Verhältnis von intelligibler und phänomenaler Tat somit als ein zeitliches, wobei die in der intelligiblen Welt getroffene Entscheidung der ausgeführten Tat in der phänomenalen Welt vorausgehe. Diese Lesart lässt Staudenmaier auch bei Schelling eine Präexistenz des menschlichen Geistes annehmen, wenn dieser nämlich in seiner Freiheitsschrift im ausdrücklichen Anschluss an Kant von einer vorzeitlichen intelligiblen Tat als Grund des angeborenen Hanges zum Bösen spricht. „Diese allgemeine Beurteilung eines seinem Ursprung nach ganz bewußtlosen und sogar unwiderstehlichen Hangs zum Bösen als eines Aktus der Freiheit weist auf eine Tat, und also auf ein Leben vor diesem Leben hin, nur daß es nicht eben der Zeit nach vorangehend gedacht werde, indem das Intelligible überhaupt außer der Zeit ist.“26

In der Tat spricht Schelling von einem „Leben vor diesem Leben“, aber der Zusatz, dass das Intelligible „außer der Zeit“ sei, macht Staudenmaiers zeitliche Interpretation der intelligiblen Tat und damit ein wörtliches Verständnis der Präexistenz des menschlichen Geistes doch zumindest fraglich. Staudenmaiers Kritik an der von Origenes und seiner Meinung nach auch von Kant und Schelling vertretenen Präexistenzlehre ist im Wesentlichen folgende: Sollten die Menschen vor diesem Leben schon existiert haben, so müssten sie sich daran erinnern können. Von einem Leben vor diesem Leben hätten wir jedoch kein Bewusstsein; wo aber kein Bewusstsein sei, sei auch kein Geist, und damit werde die Annahme der Existenz unseres Geistes vor dem irdischen Leben hinfällig.27

4. Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit des Menschen Hat sich Staudenmaier bezüglich der origeneischen Präexistenzlehre recht kritisch geäußert, so orientiert er sich in hohem Maße an dessen imago-Dei-Lehre. Zum Unterschied zwischen Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit Gottes hat sich laut Staudenmaier besonders klar Origenes ausgesprochen28 – er meint die Stelle in De principiis III 6,1, wo es heißt: 26

27 28

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, hg. von Thomas Buchheim (PhB 503), Hamburg 1997, 387, zitiert in Staudenmaier, ebd. 422–424. Vgl. Staudenmaier, ebd. 424–426. Vgl. ebd. 485.

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„Das höchste Gut, zu dem die Vernunftwesen insgesamt streben, und das auch das Ziel von allem heißt, wird von vielen Philosophen folgendermaßen definiert: das höchste Gut sei, Gott ähnlich zu werden, soweit es möglich ist. Aber dies ist, wie ich glaube, weniger von ihnen selbst erfunden als aus den heiligen Büchern übernommen. Denn hierauf weist vor allen (anderen) Mose hin, wenn er bei dem Bericht über die erste Erschaffung des Menschen sagt (Gen. 1,26): ‚Und Gott sprach: Lasset uns den Menschen machen nach unserem Bild und unserer Ähnlichkeit.‘ Und er fügt hinzu (Gen. 1,27 f.): ‚Und Gott schuf den Menschen, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Weib schuf er sie, und segnete sie.‘ Dass er hier sagt: ‚nach dem Bilde Gottes schuf er ihn‘ und von der ‚Ähnlichkeit‘ schweigt, deutet auf nichts anderes hin, als dass (der Mensch) zwar die Würde des ‚Bildes‘ bei der ersten Schöpfung empfing, die Vollendung der ‚Ähnlichkeit‘ ihm aber für das Ende aufgespart ist; er sollte sich selbst durch eigenen Eifer diese Ähnlichkeit durch Nachahmung Gottes erwerben; nachdem ihm zu Anfang die Fähigkeit zur Vervollkommnung kraft der Würde des ‚Bildes‘ gegeben war, sollte er schließlich am Ende selber durch eigenes Wirken die vollkommene ‚Ähnlichkeit‘ verwirklichen.“29

Die Unterscheidung von Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit, die Staudenmaier mit zahlreichen Zitaten aus der Theologiegeschichte belegt, aber eben besonders klar bei Origenes ausgedrückt findet, fasst er im nahtlosen Anschluss an diese Tradition folgendermaßen: Werde mit der Ebenbildlichkeit des Menschen, die in seiner Geistigkeit bestehe, eine Anlage bezeichnet, so werde mit der Ähnlichkeit die gottgefällige Entwicklung dieser Anlage in einem tugendhaften Leben bezeichnet. Während der Mensch die mit seiner Geistnatur gegebene Ebenbildlichkeit nie verlieren könne, müsse er die Gottähnlichkeit durch ein religiös-sittliches Leben erlangen, wie er diese auch durch die Sünde verlieren könne.30 Die Ebenbildlichkeit des Menschen bestehe deswegen in seiner Geistigkeit, weil Gott wesenhaft Geist sei.31 Den menschlichen Geist bestimmt Staudenmaier dabei als „eine von Gott geschaffene, mit der Kraft der Intelligenz, des Willens und des Gemüthes ausgerüstete, sich in sich und in seiner Bestimmung bewegende, mit unsterblichem Leben begabte Substanz“. Als solcher sei er, wie der Geist überhaupt, „das realisirte Wesen der Idee selber“.32 Was die den Geist konstituierenden Kräfte angeht, so liege das Vermögen der Intelligenz in der Erkenntnis, 29

30

31

32

Origenes, princ. III 6,1 (GCS Orig. 5, 280); Übersetzung: p.  643–645 Görgemanns/ Karpp. Zu Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit siehe auch in Gen. hom. 1,13 (GCS Orig. 6, 15–18) und in Ioh. comm. XX 22,182 f. (GCS Orig. 4, 355). Vgl. Staudenmaier, Die christliche Dogmatik (wie Anm. 5) 482–490. Zur ebenfalls origeneischen Identifikation der Ebenbildlichkeit mit der Geistigkeit des Menschen siehe ebd. 460. Vgl. ebd. 461: „Die spätern Nachweisungen werden es ergeben, daß die Bestimmungen, welche die göttliche Offenbarung über das göttliche Ebenbild im Menschen gibt, genau jene Bestimmungen sind, die dem Geiste gelten. Allerdings sollte es sich von selber verstehen, daß, wenn Gott Geist ist, das Ebenbildliche von ihm nur wahrhaft wieder im Geistigen bestehen könne“ (Hervorhebung im Original). Ebd. 468 (Hervorhebung getilgt).

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das Vermögen des Willens im sittlichen Handeln. Das Vermögen des Gefühls aber liege in der Vereinigung von Erkennen und Wollen und somit letztlich in der Einheit des Bewusstseins.33 Wenn Staudenmaier den menschlichen Geist als „das realisirte Wesen der Idee“ bezeichnet, dann ist dies von seiner Ideenlehre her zu verstehen, welche die göttlichen Ideen als die „Wesens- und Lebensgedanken von den Dingen“ und das wirkliche Sein als „die verwirklichte Idee Gottes von dem Sein“ bestimmt.34 Der existente kreatürliche Geist ist nach Staudenmaier „die vollzogene Verwirklichung eben der göttlichen Idee von ihm“.35 Sein Wesen ruhe in der Tiefe des göttlichen Begriffs von ihm, und zwar von ihm als einem Individuum wie als einem Gattungswesen.36 Von der so gefassten Ebenbildlichkeit des Menschen her entwickelt Staudenmaier seine Gedanken zur Bestimmung und Würde des Menschen: „Die Bestimmung des Menschen besteht darin, sich nach der Idee seines Wesens, nach dem vollständigen Begriff seiner göttlichen Ebenbildlichkeit, d. i. nach der ganzen Summe der in ihn von Gott gelegten Anlagen zu erkennen und sofort mit Freiheit zu vollziehen. Besteht in der gottgefälligen Entwicklung der gesammten Anlagen nach den in sie eingeschlossenen Verhältnissen zur Gottheit und zur Welt zugleich die Ähnlichkeit mit Gott; so ruhet in Beidem zumal die Würde des Menschen … Es verhält sich mit der Bestimmung des Menschen nicht anders, als mit der Bestimmung eines jeden anderen Wesens, sofern es nämlich die Bestimmung eines jeden Wesens ist, das in der Wirklichkeit zu sein, was es nach seiner ewigen göttlichen Idee ist … Dieß aber findet dadurch Statt, daß der Mensch sich selber so denkt und will, wie ihn Gott gedacht und gewollt hat.“37

Indem der Mensch den göttlichen Gedanken von sich und der Welt denke und indem er den göttlichen Willen selbst wolle und vollziehe, werde er Gott ähnlich.38 Darin liege seine Bestimmung. Seine Würde aber liege in der „Einheit dessen, was 33

34 35 36

37 38

Vgl. ebd. 470 f. Zum Gefühl im Besonderen vgl. ebd. 545: „Das Gefühl, das auf die eben angezeigten Weisen durch sein Erscheinen und Wirken sein Dasein offenbart, ist nicht nur die Mitte zwischen Denken und Wollen, sondern gleichsam das eigentlich Identische von Beidem, das, was in dem einen wie in dem andern ist, in Beidem sich hat und genießt. So ist es, wie die Wurzel, so auch die Einheit des Bewußtseins. Durch das Gefühl geht das Denken in das Wollen, und das Wollen in das Denken über“ (Hervorhebungen im Original). Ebd. 561 (Hervorhebung im Original). Ebd. 480. Vgl. ebd. 404 f., wo sich Staudenmaier mit Thomas gegen Platon dafür ausspricht, nicht nur Ideen des Allgemeinen, sondern auch des Individuellen zu setzen. Dies ist in diesem Zusammenhang von daher bedeutsam, als es einen Unterschied macht, ob die göttliche Idee vom Menschen sich auf ihn nur als Gattungswesen oder auch als Individuum bezieht. Ebd. 490 f. (Hervorhebungen getilgt). Ebd. 493.

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der Mensch sowohl nach seiner göttlichen Anlage als nach seiner erreichten Bestimmung ist“,39 und damit weder nur in der Anlage oder nur in der gottgefälligen Entwicklung, sondern eben in beidem. Staudenmaier fasst seine Überlegungen zur Würde des Menschen so zusammen: „Wir können uns mit Rücksicht auf eben diese Darstellung auch so ausdrücken, die Würde des Menschen bestehe in der lebendigen Einheit des Ebenbildes und der Aehnlichkeit Gottes.“40 Staudenmaier schließt an diese Überlegungen zur Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit des Menschen den Gedanken an, dass die Bestimmung des Menschen nicht in einer symbolischen Darstellung der göttlichen Eigenschaften aufgehe, sondern in ihm als Selbstzweck liege. Wogegen Staudenmaier sich wendet, ist die Auffassung des Menschen als eines bloßen Organs der Gottheit, das nicht um seiner selbst, sondern nur um der Gottheit willen existiere. Er meint damit pantheistische Systeme, die den Menschen zu einem untergeordneten Moment des göttlichen Lebens machten und ihn damit seiner Selbstzwecklichkeit beraubten. Umgekehrt wäre es nach Staudenmaier aber auch verfehlt, wenn behauptet würde, der höchste Zweck des endlichen Geistes lasse sich woanders denn in Gott erreichen.41 „Allein der von Gott dem Menschen verliehene Selbstzweck ist von Natur so beschaffen, daß er seinen höchsten Inhalt und sein tiefstes Wesen in dem allgemeinen Weltzweck findet und hat, in Gott nämlich, mit dem ethisch Eins zu sein gerade die Seligkeit des Menschen ausmacht, so daß geistig in Gott leben, in ihm sich bewegen und sein, für ihn die höchste Seligkeit ist. Nur in diesem Zusammenhange beider Zwecke, oder vielmehr, nur in der Einheit dieser beiden Zwecke begreifen wir den eigentlichen und wahren Zweck des menschlichen Lebens.“42

Die Bestimmung des Menschen zur Gottähnlichkeit schließt somit seine Selbstzwecklichkeit nicht aus, sondern setzt sie voraus. Umgekehrt findet die Selbstzwecklichkeit in der Gottähnlichkeit ihre höchste Bestimmung.

5. Wahlfreiheit und ideale Freiheit Mit dem Gedanken der Selbstzwecklichkeit des Menschen ist aufs Engste der Gedanke verknüpft, dass der Mensch frei ist – gerade auch seinem Schöpfer gegenüber. Staudenmaier entfaltet seine Überlegungen zur Freiheit des Menschen 39 40 41 42

Ebd. 495. Ebd. 495 f. (Hervorhebung im Original). Vgl. ebd. 497–499. Ebd. (Hervorhebung im Original).

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unter ausdrücklichem Bezug auf Origenes. Unter anderem bezieht er sich auf die Vorrede von De principiis, wo es heißt: „Auch dies ist in der kirchlichen Verkündigung festgelegt, dass jede vernünftige Seele begabt ist mit Freiheit der Entscheidung und des Willens; außerdem, dass sie zu kämpfen hat gegen den Teufel und seine Engel und die feindlichen Mächte (Eph. 6,12); denn diese streben danach, sie mit Sünden zu beladen, wir aber versuchen, wofern wir richtig und bedachtsam leben, uns von solchen Gebrechen zu befreien. Daraus ergibt sich außerdem folgerichtig die Einsicht, dass wir nicht der Notwendigkeit unterworfen sind, so dass wir unausweichlich, auch gegen unseren Willen, Böses oder Gutes zu tun gezwungen wären. Wenn wir nämlich Herren unserer Entscheidung sind, so können uns wohl vielleicht irgendwelche Mächte anfechten und zur Sünde drängen und andere uns zum Heil unterstützen; doch werden wir nicht mit Notwendigkeit gezwungen, richtig oder böse zu handeln.“43

Die Freiheit des Willens besteht für Staudenmaier „im Vermögen der Selbstbestimmung und Selbstentscheidung, d. i. im Vermögen der Wahl“.44 Dass der Mensch wählen könne zwischen Gut und Böse und nicht aus irgendwelchen Notwendigkeiten heraus dem einen oder dem anderen zu folgen habe, sei nicht nur in der Schrift fest verankert, sondern zeige sich auch in verschiedenen Einsichten, zum Beispiel im Phänomen der Reue, also in dem Bewusstsein oder Wunsch, dass man in einer bestimmten Situation anders hätte handeln sollen, was impliziere, dass man es auch hätte tun können;45 oder in der Erkenntnis, dass der Mensch qua 43

44 45

Origenes, princ. I praef. 5 (GCS Orig. 5, 12); Übersetzung: p. 90–92 Görgemanns/Karpp, zitiert in Staudenmaier, ebd. 628. Eine weitere wichtige Bezugsstelle ist princ. III 1,3 f. (5, 198): „Nun liegt das Eintreffen eines bestimmten äußeren (Ereignisses), welches in uns diese oder jene Vorstellung hervorruft, zugestandenermaßen nicht in unserer Macht; aber die Entscheidung, das Ereignis so oder anders zu verarbeiten, ist einzig und allein Sache der Vernunft in uns; und diese aktiviert uns auf Grund der (in ihr liegenden) Voraussetzungen entweder zu jenen Antrieben, die uns zum Schönen und Angemessenen veranlassen, oder sie führt uns fehl auf den entgegengesetzten Weg. Wenn aber einer sagt, eben das äußere (Ereignis) sei so, dass er nicht in der Lage sei, ihm Widerstand zu leisten, eben wegen seiner besonderen Art: so soll er auf seine eigenen Affekte und Regungen achtgeben, ob nicht sein Leitvermögen Wohlgefallen, Zustimmung und Neigung zu dieser bestimmten (Handlung) entwickelt aus bestimmten Beweggründen“; Übersetzung: p. 469 Görgemanns/Karpp. Vgl. Staudenmaier, ebd. 651. Staudenmaier, ebd. 614 (Hervorhebung getilgt). Vgl. ebd. 617: „Willst du, so kannst du die Gebote halten, und wohlgefällige Treue beweisen“ (Hervorhebung im Original). Staudenmaier übernimmt damit den Kantischen Grundsatz: „Denn ungeachtet jenes Abfalls erschallt doch das Gebot: wir sollen bessere Menschen werden, unvermindert in unserer Seele; folglich müssen wir es auch können …“: Kant, Religion (wie Anm. 25) 58 (Hervorhebung im Original). Der Grundsatz des „Du kannst, was du sollst“ kann unbeschadet seines Freiheitsdenkens insofern nicht undifferenziert auf Origenes angewandt werden, als dieser mit der Willensschwäche in seinem Römerbriefkommentar ein Phänomen behandelt, bei dem der Mensch gerade nicht tun kann, was er soll und eigentlich auch will. Vgl. hierzu den Aufsatz von Jörn Müller, Willensschwäche

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Intelligenz und Willen über der Natur stehe, da er anders als die Pflanze oder das Tier von sich aus etwas wollen könne und nicht nur durch Instinkt und Wachstumsgesetze bestimmt werde. Bei den Vätern der Kirche werde diese Wahlfreiheit mit dem Begriff des αὐτεξούσιον zum Ausdruck gebracht. Dass der Mensch in seiner Wahl zwischen dem Guten und dem Bösen schlechthin keiner Notwendigkeit unterliege, impliziere dabei auch stets, dass selbst göttliche Einwirkungen und Handlungen diese Macht der Selbstbestimmung nicht aufheben könnten.46 Wenngleich die Freiheit des Menschen darin bestehe, zwischen Gut und Böse zu wählen, so erschöpfe sich der Begriff der Freiheit darin doch nicht. Es sei nämlich nicht gleichgültig, wie sich der Mensch entscheide – die Bestimmung und der Zweck der Freiheit liege zu jeder Zeit im Guten, in dem, was sein soll. Der Zweck der Freiheit, insofern sie Wahlvermögen ist, ist nach Staudenmaier die „ideale Freiheit“ – letztere aber „diejenige, in und durch welche der Mensch nach allen Seiten derjenigen göttlichen Idee seines eigenen Wesens entspricht, in welche zugleich seine göttliche Bestimmung, und zwar diese als die erreichte und vollendete, aufgenommen ist“.47 Der zweistufige Freiheitsbegriff von „Freiheit als Vermögen“ einerseits und „Freiheit als Zustand“ andererseits,48 entspricht der inneren Teleologie der Freiheit – eine Teleologie, die auch schon im Zusammenhang mit der Bestimmung des Menschen zur Gottähnlichkeit sichtbar geworden ist. In der Tat fallen ideale Freiheit und Gottähnlichkeit von ihrer Definition her ineins: Wenn der Mensch das ist, was er nach der ewigen göttlichen Idee ist, dann ist er nach Staudenmaier wahrhaft frei und in dieser Erfüllung seiner Bestimmung Gott ähnlich. Staudenmaier expliziert den Gedanken der Gottähnlichkeit somit im Begriff der idealen Freiheit, die mit Staudenmaier abschließend so zusammengefasst werden soll: „Frei ist demnach nicht, wer noch der Sünde dient. Verhält sich aber dieses so; so wird am freiesten Derjenige sein, welcher der Sünde gar nicht mehr dienen kann, weil er das Gute zur alleinigen Herrschaft in sich gebracht hat. Diese Freiheit ist die wahre Freiheit, die vera libertas, die nämlich, in und durch welche er frei vom Laster, frei von der Liebe vergänglicher Dinge, und frei von der Herrschaft der Ungerechtigkeit, des Todes und des Teufels ist. Durch diese Freiheit tritt der Mensch in seine wahre von Gott geschaffene Natur ein …“49

46 47 48 49

und innerer Mensch in Röm 7 und bei Origenes. Zur christlichen Tradition des Handelns wider besseres Wissen, in: ZNW 100 (2009) 223–246. Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Theo Kobusch. Zur Wahlfreiheit vgl. Staudenmaier, ebd. 614–635. Ebd. 642 (Hervorhebung getilgt). Zur Bestimmung der Freiheit zum Guten vgl. ebd. 635– 641; zur idealen Freiheit vgl. ebd. 642–647. Zu dieser Unterscheidung vgl. ebd. 207–217. Ebd. 645 (Hervorhebungen im Original).

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6. Der menschliche Geist: Intelligenz und Wille Die Frage, wie der Mensch die ideale Freiheit erreichen könne, führt Staudenmaier zu einer Verhältnisbestimmung von Intelligenz und Wille – eine Verhältnisbestimmung, in der er ein weiteres Mal Origenes folgt:50 „Der durch göttliche Schöpfung hervorgegangene menschliche Geist ist als der intelligente zugleich auch der freie. Dieses Bei- und Ineinandersein von Intelligenz und Freiheit folgt daraus, daß der Mensch Geist, als Geist aber jenes Wesen ist, das, wie es von Gott in der ewigen Idee gedacht und gewollt ist, eben so selber wieder denkt und wieder will. Der menschliche Geist erkennt demnach in sich, neben und mit der Intelligenz auch den Willen, und zwar diesen als den freien. Dadurch begreift er sich als sittliches Wesen, dem eine sittliche Aufgabe zu Theil geworden, und zwar die, die von der Vernunft vorgehaltene Idee des Guten zu verwirklichen. Für das wirkliche Handeln und in demselben sind Intelligenz und Wille zwar durch kein nothwendiges Band mit einander verbunden (wodurch sofort der geistige Zwiespalt möglich wird): sie sollen aber verbunden durch Freiheit, und zwar in der Art sein, daß der Wille die von der Intelligenz begriffene Wahrheit und die in und mit derselben gesetzte Idee des sittlichen Lebens zum Vollzug bringt.“51

Intelligenz und Wille machen laut Staudenmaier zusammen das Wesen des Geistes aus; es gebe demzufolge keinen Geist, der entweder nur Intelligenz oder nur Wille wäre. Dass Intelligenz und Wille wesensmäßig zusammengehören, bedeute allerdings nicht, dass ihre Verbindung im Handeln eine notwendige wäre, da der Mensch aufgrund seiner Freiheit jederzeit wider besseres Wissen – wider die von der Vernunft vorgehaltene Idee des Guten52 – handeln könne. Staudenmaier führt diese Wesensbestimmung des menschlichen Geistes als Intelligenz und Wille ausdrücklich auf Origenes zurück, der diese „mit allem Rechte für einen ausgemachten Bestandtheil der kirchlichen Verkündigung“53 halte. Die jeweilige Aufgabe von Intelligenz und Wille spezifiziert Staudenmaier folgendermaßen: „Damit aber ein Ineinandersein und ein Ineinandergreifen des theoretischen und des praktischen Geistes sich um so gewisser und leichter ermögliche, ist in der Thätigkeit des theoretischen Geistes die des praktischen gewissermaßen schon, freilich in einer die letztere

50 51 52

53

Zum Verhältnis von Intelligenz und Wille vgl. ebd. 647–660. Ebd. 647 (Hervorhebungen getilgt). Die Idee des Guten fasst Staudenmaier, ebd. 649, folgendermaßen: „Die Idee des Guten lebt im Innern des Menschen. Ihr entspricht in demselben Innern die Idee eines ewigen Gesetzes. Der Wille dieses Gesetzes ist aber das Gute selber wieder, d. i. seine Erfüllung durch die Freiheit“ (Hervorhebungen im Original). Ebd. 648. Staudenmaier bezieht sich auf Origenes, princ. I praef. 5 (GCS Orig. 5, 12) sowie ebd. I 8,3 (5, 99–101) und II 9,6 (5, 169 f.).

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nicht aufhebenden Weise, vorausgenommen. Es geht nämlich der Wahl des Guten oder des Bösen das mit einem Urtheile verbundene Unterscheiden des Guten und des Bösen voraus, und gewiß zu keinem andern Zwecke, als, damit das Handeln der Freiheit sich nach dem die Wahrheit erkennenden Geiste richte, so daß in der Handlung nur das Urtheil der Wahrheit zur Erscheinung kommt, wie darauf schon Origenes treffend hinweist.“54

Die Intelligenz vermag demzufolge qua Urteilskraft das Gute und das Böse zu unterscheiden; der Wille vermag das von der Vernunft Erkannte zu vollbringen. Die Tätigkeit des theoretischen Geistes nimmt insofern die Tätigkeit des praktischen Geistes voraus, als sie der letzteren das sittlich Gebotene vorschreibt. Der theoretische Geist hebt den praktischen insofern nicht auf, als sich der Wille eben immer gegen das von der Vernunft Erkannte entscheiden kann. Staudenmaier bezieht seine Überlegungen auf De principiis III 1,3, wo es heißt: „Das vernunftbegabte Lebewesen jedoch hat zu der Vorstellungskraft hinzu noch Vernunft, welche die Vorstellungen beurteilt und die einen verwirft, die anderen annimmt, auf dass das Lebewesen auf Grund von letzteren gelenkt werde. Im Wesen der Vernunft liegen nun die Voraussetzungen für die Erkenntnis des (sittlich) Schönen und Hässlichen. Wenn wir diesen folgen und das Schöne und Hässliche erkennen, wählen wir das Schöne und meiden das Hässliche. Deshalb verdienen wir Lob, wenn wir uns dem Tun des Schönen hingeben, und Tadel, wenn wir das Gegenteil tun.“55

Daraus, dass der Wille das Gegenteil von dem vollbringen könne, was die Vernunft für das Handeln vorschreibt, ergibt sich nach Staudenmaier als Aufgabe für den Menschen, dass er Vernunft und Wille in sich zur Einheit bringe, woran die „Würde und Bedeutung des menschlichen Lebens selbst schlechthin geknüpft“ sei.56 Vollziehe der Mensch aber auf diese Weise sein inneres Wesen und damit das, was er nach der göttlichen Idee sei, so erreiche er sich in seiner Idee. Die Vollendung in ihr sei aber auch sogleich die Einheit von Intelligenz und Wille.57 Damit fasst Staudenmaier die Bestimmung und Würde des Menschen noch einmal von einer anderen Seite her: als zu vollziehende Einheit von Intelligenz und Wille, von Vernunft und Freiheit.

54 55 56 57

Staudenmaier, ebd. 659 (Hervorhebung im Original). Origenes, princ. III 1,3 (GCS Orig. 5, 197 f.); Übersetzung: p.  467–469 Görgemanns/ Karpp, zitiert in Staudenmaier, ebd. 659. Staudenmaier, ebd. 652. Vgl. ebd. 655.

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7. Zusammenfassung Ein Durchgang durch die theologische Anthropologie Franz Anton Staudenmaiers weist diesen als Vertreter des Deutschen Idealismus und als genauen Kenner des origeneischen Werkes gleichermaßen aus. An Staudenmaier lässt sich so exemplarisch die Verknüpfung beider Denkrichtungen zeigen. Die tiefe Übereinkunft Staudenmaiers mit Origenes angesichts des Würdebegriffs, des Freiheitsdenkens und der Auffassung vom menschlichen Geist lässt die Kritik an der Präexistenzlehre und die Relativierung der Seele als Mittleres zwischen Leib und Geist in den Hintergrund treten. Wenn Staudenmaier den menschlichen Geist als Schöpfung Gottes am Beginn des irdischen Lebens betrachtet, so besteht zweifelsohne ein Konflikt mit der origeneischen Vorstellung von der Präexistenz des Geistes. Ob Kant und Schelling auch als Vertreter der Präexistenzlehre anzusehen sind, möchte ich zumindest zur Diskussion stellen – gerade die von Staudenmaier herangezogenen Stellen legen eine solche Interpretation nicht unbedingt nahe. Wenn Staudenmaier die Seele als Mittleres zwischen Leib und Geist zurückweist und damit in der origeneischen anima nicht wie Hugo Rahner den Hauptakteur im Aufstieg zu Gott sieht,58 so ist dieser Konflikt dahingehend zu entschärfen, dass bei Staudenmaier das Bewusstsein des Menschen – als Intelligenz, Wille und Gefühl – die Rolle der Seele übernimmt. Die Verknüpfung origeneischen und idealistischen Denkens zeigt sich in besonderer Weise in der Begründung der menschlichen Würde. So ist die origeneische Unterscheidung von Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit maßgeblich für Staudenmaiers Bestimmung der Menschenwürde als gottgegebene, unverlierbare Anlage einerseits und als gottgefällige Entwicklung dieser Anlage in einem tugendhaften Leben und aus freier Entscheidung andererseits. Die Würde als immer schon von Gott Gegebenes und vom Menschen in seinem Leben doch erst Einzuholendes ist somit nie einseitig nur als Verdienst des Menschen zu begreifen, wie umgekehrt die Freiheit des Menschen stets unhintergehbar bleibt. Beide Momente des Würdebegriffs scheinen mir für eine heutige Rezeption wesentlich: Dass die Menschenwürde ungeschuldet ist, entzieht diese menschlichem Zugriff und damit jeglicher – eigenen oder fremden – Abstufung. Dass der Mensch eben diese gottgegebene Würde verfehlen, aber in einem sittlichen Leben auch zum vollen Ausdruck bringen kann, wird im höchsten Maße der Freiheit des Menschen gerecht. An den origeneischen Freiheitsbegriff knüpft Staudenmaier vor allem im Zusammenhang mit der Wahlfreiheit als Möglichkeitsbedingung der Sittlichkeit an. Staudenmaier übernimmt von Origenes auch die Zuordnung von Intelligenz und Wille als wesentliche, aber im Handeln nicht notwendig schon bestehende, son58

Vgl. oben Anm. 13.

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Origenes-Rezeption in der Anthropologie Staudenmaiers

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dern erst zu vollziehende Einheit. Wenn es an der Vernunft sei, das Gute und das Böse zu unterscheiden und dem Handeln die Richtung vorzugeben, dann sei es am Willen, der Vernunft im Handeln tatsächlich zu folgen. Dass wir uns den Einsichten der Vernunft auch verweigern könnten – wenn auch um den Preis eines inneren Zwiespalts –, mache unsere Wahlfreiheit aus. Mit der „idealen Freiheit“ und der „Einheit von Intelligenz und Wille“ benennt Staudenmaier das, was der Mensch wählen soll und wozu er bestimmt ist. Er reformuliert den Gedanken der Gottähnlichkeit somit einerseits als vera libertas – als Freiheit von Sünde und Laster –, andererseits als vernunftgemäßes, der Idee des Guten folgendes Handeln. Darin nämlich vollziehe der Mensch sein inneres Wesen, das, was er nach seiner ewigen göttlichen Idee sei. Wenn der Mensch sich aber so denke und wolle, wie Gott ihn denke und wolle, werde er ihm ähnlich.

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Schellings Natur- und Freiheitsphilosophie und ihr Verhältnis zu Origenes KLAUS MÜLLER, MÜNSTER

1. Über die Bande spielen: Methodologische Prolegomena Reinhold Niebuhr schrieb 1964 in einem biographischen Essay über seinen Kollegen Paul Tillich: „If Karl Barth is the Tertullian of our day, abjuring ontological speculations for fear that they may obscure or blunt the kerygma of the Gospel, Tillich is the Origen of our period, seeking to relate the Gospel message to the disciplines of our culture and to the whole history of culture.“1

Das mag im ersten Moment hagiographisch leicht überdehnt klingen, und überdies findet sich keine Spur, dass Tillich intensiv mit Origenes beschäftigt gewesen wäre oder den Alexandriner auffällig oft zitiert hätte. Dennoch verfügt Niebuhrs Epitheton über einen sachhaltigen Kern. Auf diesen aber stößt man erst, wenn man sich die frühesten akademischen Qualifikationsarbeiten Tillichs vornimmt, seine philosophische Dissertation von 19102 und seine theologische Lizentiatsarbeit von 1912.3 Denn beide Schriften setzen sich mit Schelling auseinander und intonieren Motivcluster, die sich durch Tillichs gesamtes Œuvre ziehen und in der Tat eine origeneische Koloratur tragen in der Art, wie sie Geist und Natur, Geschichte und Mystik ineinander verweben. Auf ähnlich indirekte Weise – gleichsam über die Bande spielend – muss vorgehen, wer dem Verhältnis von Schellings Natur- und Freiheitsphilosophie zu Origenes auf die Spur kommen will. Dass es dieses Verhältnis gibt, steht außer Frage: Schon der junge Tübinger Stiftler kannte nicht nur griechisch-philosophi1

2

3

Reinhold Niebuhr, Biblical Thought and Ontological Speculation in Tillich’s Theology, in: Charles W. Kegley/Robert W. Bretall (Hg.), The Theology of Paul Tillich (LLT 1), New York 1964, 216–227, hier 217. Paul Tillich, Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien, in: ders., Frühe Werke (GW Erg.-Bd. 9), hg. von Gert Hummel/Doris Lax, Berlin/New York 1998, 154–272. Ders., Mystik und Schuldbewusstsein in Schellings philosophischer Entwicklung, in: ders., Frühe Hauptwerke (GW 1), hg. von Renate Albrecht, Stuttgart 1959, 11–108.

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sche, sondern genauso spätantike christliche Quellen in reichem Maß. Das verraten auch markante Spuren von Origenes-Lektüre, sei es von Exzerpten, sei es von Originaltexten in Auswahl und Übersetzung.4 Aber direkte Abhängigkeiten oder Einflüsse nachzuweisen, ist im Grunde nicht möglich. Nicht zufällig gibt es zum Verhältnis Origenes-Schelling kaum Untersuchungen,5 obwohl immer wieder auf die Präsenz origeneischer Intuitionen bei Schelling verwiesen wird.6 Eben diese prekäre Gemengelage nehme ich nun zum Anlass, über eine indirekte Methode an das Verhältnis Schelling-Origenes heranzukommen in einer Weise, die sich nicht auf die Aufzählung einiger weniger gemeinsamer Topoi beschränkt. Diese Topoi sind schnell bilanziert: das Grundverhältnis von Einem und Vielem, das geschichtliche Hervortreten des Endlichen in Gestalt eines Abfalls, die darin implizierten Probleme des Verhältnisses von göttlicher und menschlicher Freiheit sowie der Theodizee und schließlich die christologisch vermittelte Wiederversöhnung von allem in Gott, die Apokatastasis.7 Mit einer solchen Aufzählung ist freilich philosophisch noch keine Verständigungskraft verbunden. Für eine solche rufe ich statt dessen Stimmen in den Zeugenstand, die von Schelling her verstanden werden müssen, aber diese Ressourcen zugleich so entfalten, dass dabei der origeneische Einschlag deutlicher zur Geltung kommt, als das bei Schelling selbst der Fall ist. Freilich setzt das voraus, dass ich dem jeweils eine kurze Skizze zu Schelling selbst vorausschicke. Ich gehe zuerst auf die Perspektive der Naturphilosophie ein, dann auf das Problem der Freiheit.

2. Natur oder: Schelling mit Alfred Döblin lesen – und auf Origenes treffen Die großen Nachkantianer Hölderlin, Fichte, Hegel, Schelling verbindet schon in ihrer Jugendzeit und frühen Freundschaft ein gemeinsames Motiv, das sich transversal über ganz verschiedene Dimensionen erstreckt. Das Motiv heißt „Versöhnung“: Befeuert von einem revolutionären Pathos, rufen sie nach einer Versöhnung von Individuum und Gesellschaft, Vernunft und Glaube, Theorie und 4

5 6

7

Vgl. dazu Karl Hunstorfer, F. W. J. Schelling und Origenes. Ein problemgeschichtlicher Vergleich, Diss. Innsbruck 1990, 296 Anm. 17; Michael Franz, Schellings Tübinger Platon-Studien (NSP 11), Göttingen 1996, 212. Die einzige mir bekannte Monographie ist die ungedruckt gebliebene Dissertation von Hunstorfer, Schelling (wie Anm. 4). Vgl. dort auch 3. 316. Vgl. etwa Wilhelm Schmidt-Biggemann, Schellings „Weltalter“ in der Tradition abendländischer Spiritualität. Einleitung zur Edition der Weltalter-Fragmente, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Weltalter-Fragmente (Schellingiana 13/1), hg. von Klaus Grotsch, Stuttgart/Bad Canstatt 2002, 1–78, hier 7. 52. Vgl. zu dieser Topoiliste Hunstorfer, Schelling (wie Anm. 4) 207. 289 f. 293. 297–313.

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Praxis, Wissenschaft und Kunst, Moral und Leben. In einer neuen Volksreligion sollen alle Differenzen und Zerspaltungen vermittelt und versöhnt werden.8 Das „Älteste Systemprogramm“ mit seiner bis heute nicht wirklich geklärten Autorschaft (ob Hölderlin, Schelling, Hegel oder noch ein anderer) ist das große Manifest dieses Programms. Und es ist Schelling, bei dem sich in dieses Programm ganz früh und dann durch sein ganzes Werk hindurch das Motiv der Natur so zentral wie bei keinem anderen seiner Zeitgenossen einfädelt. Das hat im Wesentlichen drei Gründe: (a) Dahinter steht, dass auch Schelling an dem partizipiert, was Odo Marquard für das Aufkommen der modernen Anthropologie verantwortlich macht: dass die Enttäuschung über den Gang der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung seit der Französischen Revolution alle geschichts- und fortschrittsphilosophischen Hoffnungen zerfallen lässt und den Blick auf die Natur als das Verlässlichere lenkt: „[D]ie philosophische Wende zur Natur wird erzwungen durch einen Schwächezustand der in ‚weltbürgerlicher Absicht‘ geschichtlichen Vernunft: Ohnmacht der Vernunft etabliert die Macht des zur Vernunft Anderen, der Macht der Natur.“9

(b) Schelling verteidigt vehement die Natur und das Materielle gegen seine radikale Unterwerfung, ja Marginalisierung bei Fichte im Kontext von dessen um das unbedingte sittliche Sollen zentrierten Subjekttheorie.10 Und (c): Die eben erwähnte Fichte-Kritik steht im ausgreifenderen Zusammenhang von Schellings Subjekt- und Selbstbewusstseinstheorie, die ihrerseits einen Abstoßpunkt bei Kant hat, von dem aus dann die Natur unmittelbar und zentral ins Spiel kommt, nämlich die adäquate Formulierung und Ingebrauchnahme eines Begriffs des Unbedingten. Das ist der entscheidende Punkt für den Zugang zu Schellings Form der Naturphilosophie und muss darum etwas detaillierter erläutert werden: Die erste Generation der Nach-Kantianer hat  – unerachtet ihrer Bewunderung des Königsbergers – mehrere fundamentale Defizite bei Kant gesehen, die sie mit Kant gegen Kant über ihn hinaus zu korrigieren trachtete. Schelling an

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10

Vgl. dazu auch Rüdiger Safranski, Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007, bes. 150–171. Odo Marquard, Über einige Beziehungen zwischen Ästhetik und Therapeutik in der Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts, in: Manfred Frank/Gerhard Kurz (Hg.), Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen (stw 139), Frankfurt a. M. 1975, 341– 377, hier 345 f. Friedrich W. J. Schelling, Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre. Eine Erläuterungsschrift der ersten (1806), in: Schellings Werke. Münchner Jubiläumsdruck, nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. von Manfred Schröter, 3. Haupt-Bd.: Schriften zur Identitätsphilosophie 1801–1806, München 1958, 595–720.

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Hegel am 6.1.1795: „Kant hat die Resultate gegeben, die Prämissen fehlen noch. Und wer kann die Resultate verstehen ohne Prämissen?“11 Diese Defekte betreffen (a) das Verhältnis von Anschauung und Denken (was kommt für deren Zusammenspiel auf?), (b) das Verhältnis von theoretischer und praktischer Vernunft (was gewährleistet die Einheit dieser Vernunftdimensionen?) und (c) den Sinn der Begriffe von Subjekt und Objekt (wenn Erkenntnis nur bis zur Erscheinung, nie zum Ding an sich kommt, was weiß sie dann im Fall der Erkenntnis des Subjekts eigentlich?). Für die Nach-Kantianer verbindet sich die Entdeckung eben dieser Lücken bei Kant auf engste Weise mit einer theologischen Herausforderung: Theologisch steht neuzeitlich die Frage nach einem angemessenen Gedanken vom Absoluten im Raum. Gleichzeitig sind da die eben umschriebenen Lücken im Fundament der Kantischen Konzeption. Korrigieren lassen diese sich nach Überzeugung der Beteiligten letztlich nur, wenn es einen Ausweg aus der Befangenheit allen Erkennens in Erfahrung und Erscheinung gibt. Sollte es einen solchen Ausweg geben, dann kann er nur mit einem nicht nochmals hintergehbaren, also einem absoluten – wörtlich übersetzt von allen Bedingungen unabhängigen – Wissen zu tun haben. Nach Kant kann eine solche Geltungsquelle nur noch auf Seiten des Subjekts gesucht werden. Also muss die Subjektinstanz daraufhin untersucht werden, inwiefern sie etwas Absolutes impliziert oder auf ein solches bezogen ist. Tut sie das aber wirklich, folgt daraus nicht nur, dass Erkenntnis möglich ist, die den Erscheinungsbereich überschreitet und zu den Dingen an sich kommt. Vielmehr greift dieses Resultat, wenn es denn eintritt, zugleich auf die erstgenannte theologische Dimension unmittelbar über. Denn wenn im Rahmen der Erkenntnisproblematik etwas Absolutes ins Spiel kommt, betrifft das notwendig auch die theologische Absolutheitsfrage. Der Grund dafür ist verblüffend einfach: Wenn es etwas Absolutes gibt, dann gibt es nur Eines. Zwei Absolute sozusagen nebeneinander sind nicht denkbar. Sie müssen, wenn dieses Phänomen auftritt, entweder eines das andere implizieren oder schlichtweg identisch sein. Anders gesagt: Nachkantisch kommt es zu einem Ineinandergleiten der theologisch wie gleichermaßen erkenntnistheoretisch heraufbeschworenen Absolutheitsfrage. Wie im Fall kommunizierender Röhren hat, was in einem Bereich geschah, den anderen unmittelbar beeinflusst. Der gesuchte Überstieg kann nur in Gestalt einer radikalisierten Analyse und Konzeption des Kantischen Kerns von Subjektivität, also des „Ich denke“ des Selbstbewusstseins gewonnen werden. Dabei muss, weil all unser Wissen bedingt ist, auch das Wissen um sich in einem Unbedingten wurzeln. Mit Fichte (aber auch Jacobi und Reinhold) kann Schelling zeigen, dass keine Form von Refle11

Georg W. F. Hegel, Briefe von und an Hegel. Bd. 1: 1785–1812, hg. von Johannes Hoffmeister/Friedhelm Nicolin, Hamburg 31969, 14.

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xionstheorie Selbstbewusstsein aufklären kann und dieses darum in einer präreflexiven Vertrautheit mit sich fundiert sein muss, die zugleich Bekanntschaft mit Identität ist. Diese Präreflexivität fasst Schelling noch radikaler als Fichte: Er treibt ihr jeglichen Hauch von Reflexivität, Gegensatz und Objektsein aus, so dass das, woraus Selbstbewusstsein – sich selbst unverfüglich – aufkommt, ein nie zu Vergegenständlichendes, durch kein Ding Bestimmtes und Bestimmbares und darin ein Un-Be-Dingtes sein muss, das sich wegen seiner Unmittelbarkeit und Unbestimmtheit nur einer Anschauung erschließt. Da alle sinnliche Anschauung auf Gegenstände gerichtet ist, hier aber ein nicht-sinnliches Anschauen vorliegen muss, handelt es sich notwendig um eine intellektuelle (intellektuale) Anschauung – eine Einsicht, gewonnen rein aus der Formanalyse des Begriffs des Unbedingten.12 Wolfgang Wieland resümiert das eindringlich so: „Wenn jede äußere Beziehung, in der das Unbedingte stände, schon seine Unbedingtheit beeinträchtigte, so kann es, wie sich gezeigt hat, für das endliche Bewusstsein niemals die Möglichkeit geben, das Unbedingte zu objektivieren. Das Unbedingte kann daher nur in einer Beziehung zu sich selbst stehen. Es kann nicht hervorgebracht werden, sondern es kann sich nur selbst zu dem machen, was es ist. Schon die gnoseologische Relation, in die sich das endliche, gegenständliche Bewusstsein zu ihm stellen könnte, beeinträchtigte die Unbedingtheit. Insofern kann die intellektuale Anschauung nur ‚Selbstbeschauung‘ des Absoluten sein. In der Sprache der Tradition, vor der sich Schelling in dieser [frühen; K. M.] Zeit noch ängstlich hütet, würde dies heißen, dass Gott selbst der einzige Theologe ist.“13

Dieses Unbedingte oder Absolute (weil von allem Dinglichen Abgelöste) kann nur dann an sich, also unverfüglich und zugleich in Bezug auf das Ich, also für mich, sein, wenn Bewusstsein auf jegliches Bewussthabenwollen des Absoluten Verzicht tut (und es dennoch darin weiß!): „Suche das An-sich nicht außer dir oder dich außer ihm, so wird es auch unmittelbar aufhören bloß für dich zu sein.“14 Maurice Merleau-Ponty beschreibt die intellektuale Anschauung bei Schelling treffend als ein Erleben, das „einer noch nicht in Ideen zerlegten Wahrnehmung gleichzusetzen ist und in der alle Dinge ‚Ich‘ sind, weil das ‚Ich‘ noch nicht zum Subjekt der Reflexion geworden ist.“15 Für Schelling selbst nimmt dieses Erleben, wenn 12 13 14

15

Vgl. Wolfgang Wieland, Die Anfänge der Philosophie Schellings und die Frage nach der Natur, in: Frank/Kurz, Schelling (wie Anm. 9) 237–279, hier 246–249. Ebd. 251. Friedrich W. J. Schelling, Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, in: Schellings Werke. Münchner Jubiläumsdruck, nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. von Manfred Schröter, 1. Erg.-Bd.: Zur Naturphilosophie 1792–1803, München 1962, 385–562, hier 408 f. Maurice Merleau-Ponty, Der Naturbegriff, aus: ders., Vorlesungen I (PPF 9), Berlin 1973, zitiert nach Frank/Kurz, Schelling (wie Anm. 9) 280–291, hier 286.

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es eintritt, die Form einer monistischen All-Einheits-Mystik an, die gleichwohl differenzsensibel bleibt, aber den ephemeren Charakter der Differenz gewahrt: „Jeder ist von Natur getrieben, ein Absolutes zu suchen; aber indem er es für die Reflexion fixieren will, verschwindet es ihm. Es umschwebt ihn ewig, aber er kann es nicht fassen. Es ist nur da, inwiefern ich es nicht habe, und inwiefern ich es habe, ist es nicht mehr. Nur in Augenblicken, wo in diesem Streit die subjektive Tätigkeit sich mit jenem Objektiven in unerwartete Harmonie setzt, tritt es vor die Seele. Solche Augenblicke beschreiben dann diejenigen, denen sie zu Theil werden, als Augenblicke religiöser Weihe.“16

Schelling bezieht auf diesen unverfüglichen gründenden Grund von Subjektivität das berühmte  – später von Heidegger bis Vattimo ventilierte  – Paulinische ὡς μή („als ob nicht“) aus 1 Kor. 7,29, um die Weise des Zugangs zum Absoluten zu charakterisieren. Schon für Fichte war klar, dass das präreflexive Vertrautsein mit sich unbeschadet seiner Unbedingtheit/Absolutheit ein bestimmtes ist, sofern es nicht um irgendeine Erfahrung, sondern um eben die des Ichs und keine andere geht. Bestimmung aber geschieht durch Unterscheidung, Gegensatz, Negation (Spinoza: Omnis determinatio negatio est). Das heißt: Ich und Nicht-Ich sind gleichursprünglich und durch Einschränkung aufeinander bezogen. Darum kann das Ich kein Absolutum sein. Das Absolutum aber, welches Selbstbewusstsein darum begründen muss, kann nicht seinerseits (selbst)bewusst verfasst sein (denn das ergäbe einen regressus ad infinitum), ist darum als etwas Nicht-Bewusstes zu fassen, innerhalb dessen zwei gegenläufige Tendenzen (Tätigkeit/Produktivität und Passivität) wirksam sind, die in der Sphäre des endlichen Bewusstseins als Ich und Nicht-Ich zur Darstellung kommen. „Ich und Nicht-Ich sind selbst erst Produkte dieses ursprünglicheren Antagonismus im Innern des Geistes.“17 Das, was damit allem Sich-bewusstWerden  – als notwendig Bewusstloses  – vorausgehen muss, nennt Schelling „Natur“, so dass Naturphilosophie „die Vorgeschichte des Selbstbewusstseins“18 zur Darstellung zu bringen trachtet. Der Natur im Sinn dieses aller Entzweiung Vorausliegenden werden dabei die im Gedanken der intellektualen Anschauung gefassten Prädikate des Absoluten zugeschrieben.19 So greifen Natur- und Transzendentalphilosophie ineinander:

16 17 18 19

Schelling, Fernere Darstellungen (wie Anm. 14) 409 Anm. 2. Manfred Frank, Eine Einführung in Schellings Philosophie (stw 520), Frankfurt a. M. 2 1995, 87. Wieland, Anfänge (wie Anm. 12) 255. Vgl. ebd. 269.

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„Nicht also wir kennen die Natur, sondern die Natur ist a priori, d. h. alles Einzelne in ihr ist zum Voraus bestimmt durch das Ganze oder durch die Idee einer Natur überhaupt. Aber ist die Natur a priori, so muß es auch möglich sein, sie als etwas, das a priori ist, zu erkennen …“20

Und an anderer Stelle heißt es bei Schelling: „Mit dem ersten Bewußtseyn einer Außenwelt ist auch das Bewußtseyn meiner selbst da, und umgekehrt, mit dem ersten Moment meines Selbstbewußtseyns thut sich die wirkliche Welt vor mir auf. Der Glaube an die Wirklichkeit außer mir entsteht und wächst mit dem Glauben an mich selbst; einer ist so nothwendig als der andere; beide – nicht spekulativ getrennt, sondern in ihrer vollsten, innigsten Zusammenwirkung – sind das Element meines Lebens und meiner ganzen Thätigkeit.“21

Unüberhörbar bringt sich darin das eingangs erwähnte Motiv der Versöhnung zur Geltung, das nicht nur Mensch und Natur zu vereinen trachtet, sondern – sozusagen performativ – auch das philosophische Nachdenken darüber, das reflexiv und diskursiv verfasst ist, aufheben will, sofern es überhaupt erst durch den Antagonismus von Mensch und Natur freigesetzt worden ist. Diese Selbstrücknahme vollzieht sich in Beantwortung der Frage, „wie eine Natur gedacht werden muss, wenn sich in ihr die Subjektivität erheben und gegen sie stellen kann. Die Subjektivität soll sich an die Natur als an ihren eigenen Ermöglichungsgrund erinnern und auf diesem Wege die Entzweiung überwinden.“22

Verblüffender Weise ebnet diese Kritik der Reflexivität zugleich den Weg zur Dimension des Empirischen. Wegen des in ihr wirksamen Antagonismus, durch den Selbstbewusstsein überhaupt als solches geschichtlich aufkommt, ist diese Natur von Wesen eine tätige, lebendige: ein Organisches – und das ist ein Zentralbegriff der Schellingschen Naturphilosophie überhaupt. Ein Weiteres kommt hinzu: „… was ursprünglich Gegenstandsein und Lebendigsein besagt, kann sich das Ich nur in Bezug auf seinen eigenen Leib verständlich machen, denn nur ‚in mir ist jene nothwendige 20

21 22

Friedrich W. J. Schelling, Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie oder über den Begriff der spekulativen Physik und die innere Organisation eines Systems dieser Wissenschaft, in: Schellings Werke. Münchner Jubiläumsdruck, nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. von Manfred Schröter, 2. Haupt-Bd.: Schriften zur Naturphilosophie 1799–1801, München 1958, 269–326, hier 279. Ders., Ideen zu einer Philosophie der Natur, in: Schellings Werke, 1. Erg.-Bd. (wie Anm. 14) 77–350, hier 224 f. Wieland, Anfänge (wie Anm. 12) 260.

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Vereinigung des Idealen und Realen, des absolut Thätigen und des absolut Leidenden … ursprünglich, ohne mein Zuthun da, und eben darin besteht meine Natur‘ [Schelling: I/2, 37]. In der Leiblichkeit des Menschen kann also jene dem bewussten Ich vorausliegende transzendentale Naturgeschichte gesehen werden.“23

Unter dem Vorzeichen einer Heuristik des Leib-Seele/Bewusstseins-Konnexes und der für ihn charakteristischen Selbstaffektion schreibt Schelling der Natur insgesamt so etwas wie eine Art von Selbstbezüglichkeit zu: Für Organismen leuchtet das spontan ein (es gibt ein „Wie-es-für-diesen-Organismus-ist-erzu-sein“, und Reproduktion ist für ihn eng verschränkt mit Reflexion in einem weiteren, buchstäblicheren Sinne). Das Modell funktioniert auch weit in den anorganischen Bereich hinein: etwa im Fall des „Wachsens“ von Kristallen, die von sich aus selbstreproduktiv neue Strukturen ausbilden. Unter Preisgabe des Teilchenmodells der Physik wird solche Selbstreferenz zur Grundform von Ontologie. Natur wird (in einem streng transzendentalphilosophischen Sinn) als Subjekt begriffen.24 In der analytischen Philosophie des Geistes führt das unter Voraussetzung der Irreduzibilität der Erste-Person-Perspektive zum Denkexperiment des Panpsychismus. Für diesen Bezug der Schellingschen Naturphilosophie auf das Empirische, der in der Regel eher kontrovers diskutiert wird,25 gibt es allerdings so etwas wie einen Test der Tragfähigkeit: eine Deduktion (Konstruktion) der Materie: „Durch die Tendenz zur Selbstanschauung begrenzt der Geist sich selbst. Diese Tendenz aber ist unendlich, reproduciert ins Unendliche fort sich selbst … Der Geist hat also ein nothwendiges Bestreben, sich in seinen widersprechenden Tätigkeiten anzuschauen. Dieß kann er nicht, ohne sie in Einem gemeinschaftlichen Produkte darzustellen, d. h. ohne sie permanent zu machen. Daher erscheinen sie auf dem Standpunkte des Bewußtseyns als ruhende Tätigkeiten, d. h. als Kräfte, die nicht selbst thätig, nur dem äußern Anstoß entgegen wirken. – Die Materie ist nichts anderes als der Geist im Gleichgewicht seiner Thätigkeiten angeschaut. Jenes gemeinschaftliche Product ist nothwendig ein endliches. In der Handlung des Producirens erst wird der Geist seiner Endlichkeit inne. Da er im Produciren völlig frei ist, so kann der Grund seines beschränkten Producirens nicht in seiner jetzigen Handlung 23

24

25

Michael Blamauer, Subjektivität und ihr Platz in der Natur. Untersuchung zu Schellings Versuch einer naturphilosophischen Grundlegung des Bewusstseins (Ursprünge des Philosophierens 12), Stuttgart 2006, 84. Vgl. dazu Hermann Krings, Natur als Subjekt. Ein Grundzug in der spekulativen Physik Schellings, in: Reinhard Heckmann/Hermann Krings/Rudolf W. Meyer (Hg.), Natur und Subjektivität. Zur Auseinandersetzung mit der Naturphilosophie des jungen Schelling (Problemata 106), Stuttgart/Bad Canstatt 1985, 111–127, hier bes. 126 f. Vgl. etwa Wieland, Anfänge (wie Anm. 12) 270–274, mit Franz von Kutschera, Wege des Idealismus, Paderborn 2006. Zu Details vgl. auch die einschlägigen Beiträge in Heckmann/Krings/Meyer, Natur und Subjektivität (wie Anm. 24).

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liegen. In dieser Handlung also beschränkt er nicht sich selbst, er findet sich beschränkt, oder, was dasselbe ist, er fühlt sich beschränkt.“26

Die Konstitution der Materie vollzieht sich in einer unbewussten, nicht-egologischen Sphäre; in der selbstbewusst-objektiven Sphäre interpretiert das Ich „nachträglich sein eigenes Handeln als Fremdbestimmung, d. h. als etwas Äußerliches, das es nötigt[,] so und nicht anders wahrzunehmen“.27 Geist und Natur werden in diesem Konzept streng als Eines gedacht:28 „Das Naturprodukt selbst müssen wir uns allerdings unter dem Prädicat des Seyns denken. Aber dieses Seyn selbst ist von einem höheren Standpunkt angesehen nichts anderes als eine continuirlich-wirksame Naturthätigkeit [also ein Geist-Prozess; K. M.], die in ihrem Produkte erloschen ist.“29

Oder in anderen Worten: „Der beiden Principien ewiger Gegensatz und ewige Einheit erzeugt als Drittes und als vollständigen Abdruck des ganzen Wesens jenes sinnliche und sichtbare Kind der Natur, die Materie.“30 Unter dieser Voraussetzung involviert Materie als lebendiger Grund und „allgemeine[s] Samenkorn des Universums“31 bereits alles, was sich nachfolgend organisierend entfaltet. Im Licht der oben erläuterten Bestimmungen des allem Bewusstsein Vorausgehenden als eines Unbedingten und Absoluten (und seiner theologischen Konnotationen) wird nachvollziehbar, wie rasch eine etwas undifferenziertere Lektüre der Schellingschen Naturphilosophie zum Pantheismus-Vorwurf führen konnte, obwohl der in der Sache keinerlei Anhalt hat, wenn man den Ansatz seines Einheitsdenkens im Blick behält. Gleichwohl hat sich Schelling seit 1809 (Freiheitsschrift) und dann vehement seit 1811/12 besonders gegenüber Jacobi des Pantheismusverdachts erwehren müssen. In Wirklichkeit war freilich schon seit dem „Ältesten Systemprogramm“ klar, dass die monistische Semantik in ganz anderer Funktion stand: In der gesuchten neuen Volksreligion sollte Bewusstsein so

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29 30 31

Friedrich W. J. Schelling, Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre I–IV, in: Schellings Werke. Münchner Jubiläumsdruck, nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. von Manfred Schröter, 1. Haupt-Bd.: Jugendschriften 1793–1798, München 1958, 267–376, hier 304 f. Blamauer, Subjektivität (wie Anm. 23) 94. Vgl. Friedrich W. J. Schelling, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, in: Schellings Werke. Münchner Jubiläumsdruck, Nachlaßband, hg. von Manfred Schröter, München 1946, 100. Ders., Erster Entwurf eines Systems zur Naturphilosophie, in: Schellings Werke, 2. HauptBd. (wie Anm. 20) 1–268, hier 13. Ders., Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erläuterung des allgemeinen Organismus, in: Schellings Werke, 1. Haupt-Bd. (wie Anm. 26) 413–652, hier 439. Ders., Ideen zu einer Philosophie der Natur (wie Anm. 21) 230.

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gedacht sein, „dass es einer äußeren Sicherung der Freiheit nicht mehr bedarf “.32 Einige Passagen aus den „Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie“ (1806) machen das auf eine Weise fassbar, die keines weiteren Kommentars bedarf. „1. Es gibt keine höhere Offenbarung weder in der Wissenschaft noch in Religion oder Kunst als die der Göttlichkeit des All: ja von dieser Offenbarung fangen jene erst an und haben Bedeutung nur durch sie. … 3. Wo das Licht jener Offenbarung schwand, und die Menschen die Dinge nicht aus dem All, sondern aus einander, nicht in der Einheit, sondern in der Trennung erkennen, und ebenso sich selbst in der Vereinzelung und Absonderung von dem All begreifen wollten: da seht ihr die Wissenschaft in weiten Räumen verödet, mit großer Anstrengung gereinigte Fortschritte im Wachstum der Erkenntnis, Sandkorn zu Sandkorn gezählt, um das Universum zu erbauen; ihr seht zugleich die Schönheit des Lebens verschwunden, einen wilden Krieg der Meinungen über die ersten und wichtigsten Dinge verbreitet, alles in Einzelheit zerfallen. … 46. Die Vernunft ist kein Vermögen, kein Werkzeug, und lässt sich nicht brauchen: überhaupt gibt es nicht eine Vernunft, die wir hätten, sondern nur eine Vernunft, die uns hat. … 48. Die Vernunft hat nicht die Idee Gottes, sondern sie ist diese Idee, nichts außerdem. Das Licht hat nicht die Idee der Körper, wohl aber ist es diese Idee. Wie man nun bei dem Licht nicht fragen kann, woher ihm seine Klarheit komme, da es eben die Klarheit selbst ist, so kann man von der Vernunft nicht fragen, woher ihr die Idee Gottes komme, da sie eben selbst diese Idee ist. … 52. In keiner Art der Erkenntnis kann sich Gott als Erkanntes [als Objekt] verhalten: als Erkanntes hört er auf Gott zu seyn. [Wir sind niemals außer Gott, so dass wir ihn uns fürsetzen könnten als Objekt.] Sondern wie das Gefühl des Schwerseyns selbst das Seyn in der Schwere ist, so ist die Erkenntnis Gottes selbst das Seyn in Gott.“33

Das alles gehört gleichsam zur theologischen Rückseite der bis ins elementar Empirische ausgreifenden Naturphilosophie. Entgegen einem verbreiteten Klischee ist ab 1800 die Naturphilosophie durch das Aufkommen der sich neu ausbildenden Naturwissenschaften nicht verschwunden. Vor allem von Schelling gingen Anstöße aus, deren Wirkung auf die nachfolgende Philosophie, Anthropologie (als neue eigenständige Disziplin), Theologie und Medizin gar nicht überschätzt werden können und dezidiert auch

32 33

Wieland, Anfänge (wie Anm. 12) 263. Friedrich W. J. Schelling, Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie, in: Schellings Werke. Münchner Jubiläumsdruck, nach der Originalausgabe in neuer Anordnung hg. von Manfred Schröter, 4. Haupt-Bd.: Schriften zur Philosophie der Freiheit 1804– 1815, München 1958, 74–131, hier 74. 82 f. 84.

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für eine Vermittlung empirischer Wissenschaften und der Philosophie in Anspruch genommen wurden.34 Besonders verblüffend mag in diesem Zusammenhang das Auftreten der Medizin sein. Marquard bietet starke Indizien auf, die es rasch erklären: Die aus der Enttäuschung über den Zerfall geschichtsphilosophischer Hoffnungen geborene Wende zur Natur beschränkt sich nicht auf die Anerkenntnis von deren Wirkmacht und nicht einmal auf ihre Verklärung, wie sie für Schelling in der Ästhetik als der Aufgipfelung der Philosophie stattfindet; Letzteres geschieht deswegen, weil sich für das Subjekt nur in dieser Abmilderung durch die ästhetische Anschauung die Macht, ja Übermacht des Unbewussten reflektieren, ja aushalten lasse. Weil diese Ästhetisierung als Antwort auf die Frage, wie man mit der Natur leben könne, nicht ausreiche, komme es zu einer „Wende der Philosophie zur Medizin und … der Medizin zur Philosophie“.35 Marquard exemplifiziert diese Transformation von Philosophie in Therapeutik für die Wegstrecke von Schelling bis Freud. Ich verlängere diese Linie um einen Schritt, der nicht nur einen großen Vergessenen der Literatur ins Spiel bringt, sondern auch einem systematischen Moment Gerechtigkeit widerfahren lässt, das Marquard kommentarlos ausgeschieden hat: die theologische Komponente. Es geht um den Dichter Alfred Döblin. Für unseren Zusammenhang besonders bedeutsam macht, dass er – anders als Freud – die Naturproblematik in jener religiös-theologischen Einbettung belässt, die sie bei Schelling besitzt, ohne das wissenschaftliche Niveau Freuds zu unterbieten: Auch Döblin ist praktizierender Nervenarzt, bevor er in die Profession des Literaten wechselt, und hat seine medizinische Kompetenz und Erfahrung in sein dichterisches Schaffen mitgenommen. Dort ist es zusammen mit älteren philosophischen Motiven zum Wurzelboden seiner religiös konturierten Naturphilosophie geworden, die schließlich in eine dezidierte religiös-theologische Option mündete. Es war ein Ereignis wie ein Donnerschlag und mit entsprechendem Nachhall: Bei der Feier seines 65. Geburtstags gibt der exilierte, von vielen hoch verehrte Dichter seine Konversion bekannt:36 Alfred Döblin war 1941 katholisch geworden. Die Reaktionen: peinliche Berührung bis Entsetzen. Bert Brecht hält das minutiös in seinem „Arbeitsjournal“ fest, formt daraus dann ein Gedicht, das in seiner ideologischen Intoleranz selber zum Skandal wird.37 Und Günter Grass erklärt, er 34

35 36 37

Vgl. dazu den Quellenband von Thomas Bach/Olaf Breidbach, Naturphilosophie nach Schelling (Schellingiana 17), Stuttgart/Bad Cannstatt 2005. Nachfolgend wähle ich – nicht zuletzt unter dem Vorzeichen theologischen Interesses – einige exemplarische Positionen aus. Marquard, Beziehungen (wie Anm. 9) 351; vgl. ebd. 351–358. Vgl. dazu Christian Heidrich, Die Konvertiten. Über religiöse und politische Bekehrungen, München/Wien 2002, 141–156. Vgl. Bert Brecht, Peinlicher Vorfall, in: ders., Gesammelte Werke. Bd. 10: Gedichte, Frankfurt a. M. 1968, 861.

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könne dem literarischen Avantgardisten Döblin, den er wörtlich als seinen Lehrer bezeichnet, nicht mehr folgen, weil diesen der Glaube geschlagen habe.38 Andere tendierten dazu, die Konversion des gebürtigen Juden zum Katholizismus als Resultat einer durch Schicksalsschläge ausgelösten Nervenkrise des ehemaligen Psychiaters zu erblicken. Ein Blick in das Œuvre des Dichters freilich belehrt eines ganz anderen. Die Konversion war keineswegs ein unvorhergesehenes Geschehen in Döblins Biographie, sondern Ergebnis Jahrzehnte langen Ringens um die religiöse Frage. Schon in der ersten literarischen Arbeit des 18jährigen von 1896 – Skizzen mit dem Titel „Modern – Ein Bild aus der Gegenwart“ – wird sie intoniert, damals allerdings kritisch als „leidige“ Angelegenheit. Diese Tendenz verschärft sich bis hin zu dem 1919 veröffentlichten explizit atheistischen Manifest „Jenseits von Gott!“, in dem Döblin in kaum zu überbietender Schärfe mit der theistischen Gottesidee bricht, dem „Gespenst“ und der „Leiche“ namens „Gott“ den Abschied gibt, um freilich dazu zu sagen, dass sich dahinter etwas Bedrängendes geltend macht, das er nicht loswerden kann und das ihn mit Gewissheit als Realität beansprucht. Schon lange ist bekannt, dass in dieser Zeit des Ringens und der Kirchen- und Theismuskritik für Döblin nicht nur Motive asiatischer Spiritualität bedeutsam waren, sondern mindestens ebenso sehr die Auseinandersetzung mit Spinoza, den er seit seiner Gymnasialzeit kannte und Zeit seines Lebens schätzte.39 Dieses frühe Erbe, zusätzlich angereichert um Momente aus Hegel und Schelling, hält er fest, als ihm ab 1933 in den damit einsetzenden Katastrophenerfahrungen die Gestalt des gekreuzigten Jesus näher und näher kommt, bis er dann in ihm den Christus Gottes zu erblicken beginnt. Dieser Durchbruch aber hat Döblin keineswegs in eine religiöse Ruhezone geführt. Die Kritik am traditionellen Theismus blieb, wurde jetzt zudem durch den Vorwurf an die christlichen Kirchen, zumal die protestantischen, verschärft, die Gestalt Jesu mit ihrem Ungeheuerlichen und Beseligenden unter Wert zu behandeln. Diese Verschränkung von Theismuskritik und biblisch-christlicher Tradition führt dazu, dass er in seinen Werken „Der unsterbliche Mensch“ von 1946, der Autobiographie „Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis“ von 1949 und dem erst 1980 erstmals veröffentlichten „Der Kampf mit dem Engel“, in denen er breit über seinen religiösen Weg Auskunft gibt, klar eine Position bezieht, die man heute als „panentheistisch“ bezeichnet. Eine Passage aus der „Schicksalsreise“ markiert paradigmatisch das Problem, das sich ihm stellte:

38 39

Vgl. Günter Grass, Über meinen Lehrer Döblin, in: Akzente 14 (1967) 290–309, hier 291. Vgl. Monique Weyembergh-Boussart, Alfred Döblin. Seine Religiosität in Persönlichkeit und Werk (AKML 76), Bonn 1969, 148–151. 171. 212.

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„Die Natur ist herrlich, sie ist ja Gottes Natur, aber sie ist von Gott so fern wie eben das Geschaffene fern vom Schöpfer ist. Aber der Umstand, dass Gott in die Natur, und besonders in die Natur des Menschen eintrat und die Gestalt eines Menschen annehmen konnte, zeigte, wie nah ihm diese Natur war.“40

Welche Rolle auf dem Weg dorthin spinozanische Motive spielten, wird an den Fassungen des Gott-Welt-Verhältnisses deutlich, die sich konstant in den genannten Schriften durchhalten. So heißt es etwa (in dem kurz nach der katholischen Taufe niedergeschriebenen) Werk „Der unsterbliche Mensch“, dass wir zwar Individuen seien, „aber in einem größeren mächtigeren Leib“41 existierten. Gegen „die primitive Idee des Maschinisten“42 denkt er den Daseinsgrund als ein Surplus gegenüber Geistigkeit und Körperlichkeit, einen „Urgrund-Geist … vor allen Körpern, und Körperlichkeit geht aus ihm hervor wie unsere Geistigkeit“.43 Der Urgrund „ist das Urmeer der Wahrheit, das uns wie einen dünnen Nebel aushaucht. Wir sind seine Geschöpfe. Wir sinken wieder ein in das Meer, wann nimmt das Meer uns wieder an sich? Das ist unsere Sehnsucht. Können wir mehr Realität finden, wenn wir uns in der Welt ausbreiten, uns in ihr Getriebe stürzen, kämpfen, raufen und gewinnen? Kaum. … Nur aus dem Urgrund, aus dem wir selbst stammen, quillt die Wahrheit und kann das Mehr an Wahrheit fließen, nach dem wir verlangen.“44

Diese ursprüngliche Geistigkeit des Daseinsgrundes sichert für Döblin auch dessen Personalität, ohne den dabei ins Spiel kommenden Anthropomorphismus zu übersehen.45 Die Differenz von Schöpfung und Schöpfer, teils emphatisch betont,46 wird mit dem Einheitsgedanken buchstäblich zusammengezwungen, wenn Döblin in der Inkarnation wie einst bei der Schöpfung „die Wand zwischen Gottheit und Geschöpfen“47 bersten sieht und ihm die Welt weder als ein „innergöttlicher“ noch als ein „unabhängiger außergöttlicher Vorgang“48 gilt. Das wird besonders klar, wenn er in klassisch panentheistischer Manier von einer Rückwirkung der Schöpfung auf den Schöpfer spricht.49 Und im Christusereignis drückt sich für ihn der unendliche Urgrund in endlicher Gestalt aus – und zwar 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Alfred Döblin, Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis (dtv 12225), in Verbindung mit den Söhnen des Dichters hg. von Anthony W. Riley, München 1996, 282. Ders., Der unsterbliche Mensch. Ein Religionsgespräch, Olten/Freiburg i. Br. 1980, 37. Ebd. 51. Ebd. 55. Ebd. 89. Vgl. ebd. 161. Vgl. ders., Der Kampf mit dem Engel. Religionsgespräch (Ein Gang durch die Bibel), Olten/Freiburg i. Br. 1980, 308 f. Ebd. 333. Ebd. 339. Vgl. ders., Mensch (wie Anm. 41) 226; Kampf (wie Anm. 46) 308. 505.

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so, dass dabei von ihm Phänomene ausstrahlen, die nur dem Urgrund möglich seien,50 so etwa das souveräne Verfügen über die Materie, wie es sich in Wundern und im Osterereignis geltend macht,51 so immer wieder in der Spätschrift „Der Kampf mit dem Engel“, die übrigens gerade bei eben diesem Punkt der Stofflichkeit auf Spinozas Attributenlehre zurückkommt und sie wie die frühen Idealisten kritisch-produktiv fortführt.52 Die naturphilosophische Seite dieser Positionierung freilich hatte Döblin schon knapp zwei Jahrzehnte vor dem Erscheinen seiner ersten autobiographischen Schrift („Der unsterbliche Mensch“) in der 1928 erschienenen, heute nahezu vergessenen Monographie „Das Ich über der Natur“53 publik gemacht, die er faktisch als Vorbereitung auf sein berühmtestes Werk, „Berlin Alexanderplatz“, schrieb und in einem weiteren Werk mit dem lapidaren Titel „Unser Dasein“54 eine Art Fortsetzung finden ließ. Schon die Programmangabe im Vorwort des „Ich“-Buches bringt auf den Punkt, worum es Döblin zu tun ist: „Es wird von der lebenden Natur gesprochen, wie sie überall seelische Zeichen hat. Ihre wahrhafte, bis in das sogenannt Anorganische gehende Beseeltheit wird gezeigt, und wie der Mensch, sein personales, einzelnes Ich, hier hinein verschlungen ist. Wir sind da wohl aufgehoben – und hinfällig. Dann aber zeigt sich, dass die Verschlingung uns nicht völlig erfasst. Was als Beseeltheit in der Natur erscheint, wirkt sich allgemein lebendig mit Ordnung, Zahl, mathematischen Gesetzen, mit Zweck, Gliederung aus und erweist so seine Herkunft von einem Ur-sinn [sic], Ur-geist [sic], seine Lagerung in solchem Geist. Der ist aber auch in uns fühlenden, planenden Wesen tätig. Mit dieser Bindung sind wir vor dem Aufgehen in der Natur bewahrt. Hier ist auch Vernichtung, Zugrundegehen, Umwandlung nichts. Alles wird erst etwas durch seine Bedeutung. Und ganz allgemein verleiht nicht die physikalische, chemische, die zeitlich-räumliche dynamische Natur den Dingen Realität und Dasein, sondern erst der Zusammenhang mit dem Ur-Sinn, Ur-Ich.“55

Bereits hier  – und später im Text noch viel mehr  – wird der Kontrast zu dem Schopenhauer-Freudschen Pessimismus gegenüber dem Leben spürbar, der darin gründet, dass unerachtet der Hilflosigkeit des Menschenwesens gegenüber den Naturgewalten dem Ich das „Urwesen“56 (anderer Name für Ur-Sinn) nahe sei und sogar aus ihm spreche.57 Wer dahinter ein Votum für das argwöhnt (oder 50 51 52 53 54 55 56 57

Vgl. ders., Mensch (wie Anm. 41) 201 f. Vgl. ders., Kampf (wie Anm. 46) 536. 601. 609. Vgl. ebd. 399. Ders., Das Ich über der Natur, Berlin 1–41928. Ders., Unser Dasein, Olten/Freiburg i. Br. 1964. Ders., Ich (wie Anm. 53) 7 f. Ebd. 236. Vgl. ebd. 231–237.

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erhofft), was heute „Intelligent Design“ heißt, muss sich schnell eines Besseren belehrt sehen: Er sehe keinen „Former“,58 schreibt Döblin, denn in der Natur würde nichts zu Form, sondern nur immer schon Geformtes umgeformt, egal ob es sich um den Menschen, um Kohlensäure oder Wasser handle.59 Alles, was wir als Einzelwesen gewahren, stehe darum in einem holistischen System von Verknüpfungen, und da sich die Einzeldinge als beseelt zeigten, „so kann dies dem Ganzen, in dem sie auftreten, nicht fehlen. Ja, noch mehr, noch tiefer [sic; muss wohl heißen: tieferer; K. M.] Sinn, Seele, Ich wird das Ganze sein als die einzelnen, vereinzelten Wesen, deren Seele, Sinn erst von dem Ganzen aus erschöpfend und wirklich gefunden werden kann.“60

Nur beiläufig  – weil der Sache nach eingehender Analyse wert  – sei an dieser Stelle bemerkt, dass der junge Theologe Joseph Ratzinger, als er sein bekanntestes Buch, die „Einführung in das Christentum“,61 niederschrieb, eine im Kern analoge Position bezog, wenn er dort alles Sein, auch Materie, letztendlich als Gedachtsein bestimmt und auf „Geist als Urwirklichkeit“62 zurückführt – nur, dass er vor der idealistischen Konsequenz dieses Gedankens zurückschreckt, die Döblin, ohne mit der Wimper zu zucken, übernimmt.63 Bedürfte diese denkerische Konstellation nicht zuletzt wegen Döblins Wendung zum Katholizismus, in die er seine naturphilosophische Option unverkürzt mitnahm, intensiver weiterer Erkundung, so muss eine ganze andere Verbindungslinie zumindest noch genannt werden, weil sie gleichsam in die Herzmitte aller Anthropologie hinführt, aber dort denkerische Alternativen ins Spiel bringt, deren wirkliche Reichweite bislang wohl kaum im Ansatz vermessen worden ist: Döblins „Ich“-Buch und Spuren in vielen seiner literarischen Werke sprechen von der Beseeltheit alles Seienden bis ins Anorganische hinein. Auch dieses Motiv teilt er mit Schelling. Und bei beiden handelt es sich um keinen esoterischen Ausreißer, sondern um die Konsequenz ihrer Antwort, wie sich eine Welt darstellen muss, in der so etwas wie Freiheit soll vorkommen können.64 Verblüffenderweise findet diese Denkfigur mittlerweile an völlig unerwartetem Ort Widerhall: Im Kontext der sprachanalytischen Rehabilitierung des Subjektgedankens wird die Konzeption eines Panpsychismus etwa von dem aus dem Physikalismus kom58 59 60 61 62 63 64

Ebd. 39. Vgl. ebd. 40 f. Ebd. 54 f. Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (dtv 4094), München 21972. Ebd. 105. Vgl. Döblin, Ich (wie Anm. 53) 64. Vgl. Wieland, Anfänge (wie Anm. 12) 245.

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menden Thomas Nagel erwogen.65 Auch wenn er diese Überlegungen (wie viele andere einschlägige Wortmeldungen auch) als „hoffnungslos unakzeptabel“66 qualifiziert, billigt er ihnen zu, das hyperklassische Leib-Seele-Problem in eine Theorieperspektive zu ziehen, in der es von all den Hypotheken freigestellt wäre, die es in seinen klassischen Lösungsversuchen vom Dualismus über den idealistischen und materialistischen Monismus bis hin zum Hylemorphismus belasten. Dem korrespondiert bei Origenes sozusagen eins zu eins dessen Rezeption des platonischen Gedankens der Weltseele. In De principiis II 1,3 nimmt er dieses Theorem auf, um die göttliche Leitung der Welt zu erläutern: „Obgleich also die Weltordnung im Ganzen in verschiedene Amtsbereiche gegliedert ist, darf man doch nicht glauben, sie sei unharmonisch und widersprüchlich. Wie unser Leib einer ist, aber aus vielen Gliedern zusammengefügt (vgl. 1 Kor. 12,12) und von einer Seele zusammengehalten wird, so muss man, meine ich, auch das Weltganze gleichsam als ein ungeheuer großes Lebewesen ansehen, das wie von einer Seele von Gottes Kraft und Planung beherrscht wird. Das wird, meine ich, auch in den heiligen Schriften angedeutet, wenn es bei dem Propheten heißt (Jer. 23,24): ‚Bin ich es nicht, der Himmel und Erde füllt? Spricht der Herr‘ und wiederum (Jes. 66,1): ‚Der Himmel ist mein Thron, die Erde der Schemel meiner Füße.‘ Ferner, wenn der Erlöser sagt (vgl. Mt. 5,34 f.), man solle nicht schwören, ‚weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel‘. Schließlich, wenn Paulus in der Rede vor den Athenern sagt (Apg. 17,28): ‚In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.‘ Denn inwiefern leben wir, bewegen wir uns und sind wir in Gott außer darum, dass er mit seiner Kraft die Welt umfasst und zusammenhält? Und inwiefern ist der Himmel Gottes Thron und die Erde seiner Füße Schemel, wie der Erlöser selbst sagt, es sei denn darum, dass im Himmel wie auf Erden seine Kraft alles erfüllt, wie er es auch sagt (Jer. 23,24): ‚Bin ich es nicht, der Himmel und Erde füllt? Spricht der Herr.‘ Dass also Gott, der Vater des Alls, die ganze Welt mit der Fülle seiner Kraft erfüllt und zusammenhält, wird nach diesen Ausführungen, glaube ich, jeder leicht zugeben.“67

Ausweislich des hier erfolgenden intensiven Versuchs einer biblischen Legitimation lag Origenes viel daran, das Weltseele-Theorem festhalten zu können. Daniel Dombrowski ist der Ansicht, dass er dieses auch notwendig brauchte, um die intendierte Synthese antiker und christlicher Weisheit gewinnen zu können, aber genauso auch, um die Gedanken der Sorge Gottes für die einzelnen Geschöpfe wie denjenigen einer wirklichen Einheit des Universums zur Geltung zu bringen.68

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Thomas Nagel, Panpsychismus, in: ders., Über das Leben, die Seele und den Tod (Philosophie 3), Königstein i.Ts. 1984, 200–214. Ebd. 212. Origenes, princ. II 1,3 (GCS Orig. 5, 108); Übersetzung: p. 289 Görgemanns/Karpp. Vgl. Daniel A. Dombrowski, Nature as Personal, in: Philosophy and Theology 5 (1990) 81–86, hier 83.

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Ähnliche Koinzidenzen lassen sich in Bezug auf den zweiten Kristallisationspunkt des Schellingschen Denkens ausmachen: das Problem der Freiheit.

3. Freiheit oder: Mit Habermas auf Schelling blicken – und erneut Origenes begegnen Schon in seiner philosophischen Initiationsphase hatte sich Schelling emphatisch jenem Programm eines „Spinozismus der Freiheit“69 verschrieben, das als das verbindende Grundmotiv der Frühidealisten gelten muss. In der Folgezeit wurde ihm das Problem der Freiheit nachgerade zur Obsession. Ihre Kulmination erlebt diese mit der Freiheitsschrift von 1809. Hans Urs von Balthasar hat dieses Opus 1937 das „titanischste Werk des deutschen Idealismus“70 genannt, Heideggers 1936 einsetzende Auseinandersetzung mit ihm71 hat es nachfolgend in jene prominente Stellung gebracht, die es ausweislich einer nicht abreißenden Kette von Publikationen seither hat. Das „idealistische Grundgeheimnis“,72 die Frage, wie das Viele aus dem Einen hervorgeht und dieses Viele gegenüber diesem es freisetzenden Grund gleichwohl ein in eigener Instanz Freies sein kann, hat das Denken bis heute nicht mehr losgelasssen. „Spinozismus“ und „Pantheismus“ steht gern auf den Warntafeln, die in diesem Zusammenhang schnell hochgehalten werden.73 Auch das nachfolgende „Weltalter“-Projekt Schellings, das sich bis ca. 1827 hinzog, hat in all dem nicht zu befriedigenden Resultaten geführt. Guido Vergauwen bringt diese Klärungsversuche auf den Nenner: „Die göttliche Freiheit braucht zu ihrer Verwirklichung das ‚Andere Gottes‘ – das relativ Nichtseiende der Schöpfungs-Urbilder oder die mit der Ewigkeit koexistierende Zeit – so dass eine dem Denken Schellings eigentümliche Spannung zwischen Freiheit und Notwendigkeit bestehen bleibt. Das Unendliche ‚braucht‘ das Endliche, um sich darin zu offenbaren und sich gerade darin als Unendliches behaupten zu können.“74

An dieser Stelle mache ich einen Riesensprung – von Schelling aus nach vorne gesehen, von uns aus zurück, um erneut zu Origenes zu kommen. Der Sprung führt zu der Dissertation, mit der Jürgen Habermas 1954 die Arena des philosophischen 69 70 71 72 73 74

Dieter Henrich, Hegel im Kontext (Edition Suhrkamp 510), Frankfurt a. M. 41988, 40. Hans Urs von Balthasar, Apokalypse der deutschen Seele. Studien zu einer Lehre von den letzten Haltungen. Bd. 1: Der deutsche Idealismus, Einsiedeln/Freiburg 31998, 240. Martin Heidegger, Schelling. Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809), Frankfurt a. M. 1988. Balthasar, Apokalypse (wie Anm. 70) 240. Vgl. dazu Guido Vergauwen, Absolute und endliche Freiheit. Schellings Lehre von Schöpfung und Fall (SF N. F. 51), Freiburg i. d.Schw. 1973, 101–189. Ebd. 258.

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Disputs betrat. „Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken“75 heißt die Arbeit, die bis heute nur in hektographierten Kopien vorliegt. Und in ihr geht es um eben nichts anderes als das soeben intonierte Thema: die Wirklichkeit der Freiheit im Horizont des Verhältnisses von Absolutem und Endlichem – origeneischer kann es kaum zugehen. Darum auch hier wieder: „Schelling on Origen“  – über die Bande, diesmal die Habermas’schen, gespielt. Klar, dass Habermas unbeschadet seines akademischen Erstlings nie ein Schellingianer war, geschweige denn sein wollte.76 Und dennoch ist das, was er in jüngster Zeit gerade zum Thema Freiheit vorträgt, ohne diesen Hintergrund kaum verständlich – und dies auf eine Weise, dass daraus erneut ein indirektes Licht auf das intrikate Verhältnis von Schelling und Origenes fällt. Habermas spricht sich in einschlägigen Wortmeldungen aus letzter Zeit zum Thema „Freiheit“ weder für den Inkompatibilismus aus noch für den Kompatibilismus: weder also für die These, dass, wenn Freiheit wirklich sein soll, entgegen der vermeintlich geschlossenen Kausalität der Weltprozesse in dieser Lücken – und seien diese noch so subtil – aufgewiesen werden müssten. Noch spricht er sich für den Kompatibilismus aus, die Position mithin einer Vereinbarkeit von Freiheit und naturalem Determinismus, weil er dessen szientistischer These nicht zustimmen kann, dass das Universum „als Gegenstandsbereich nomologisch verfahrender Naturwissenschaften … hinreichend bestimmt ist.“77 Einschlägige Konzepte leiden für Habermas daran, dass sie unbemerkt zwischen der Beobachter- und der Teilnehmerperspektive, also dem neurologischempiristischen und dem mental-rationalen Sprachspiel, wechseln und damit insinuieren, „dass die Handlungsmotivation durch verständliche Gründe eine Brücke zur Handlungsdetermination durch beobachtbare Ursachen baut“.78 Das aber überspielt, dass man aus Sicht des jeweils Handelnden die eine Beschreibung gegen die andere nicht austauschen kann79  – d. h. die Erste-Person-Perspektive wird (um es mit dem Fachterminus der Wissenschaftstheorie zu sagen) verschmiert. Und dabei wird zudem übersehen, dass der ultimative Beobachterstandpunkt, der sozusagen von weit draußen das Universum zu beschreiben und dabei das Freiheitsbewusstsein des Individuums zur Fiktion zu erklären versucht, 75 76 77

78 79

Jürgen Habermas, Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Bonn 1954. Vgl. ebd. 381–391. Ders., Das Sprachspiel verantwortlicher Urheberschaft und das Problem der Willensfreiheit: Wie lässt sich der epistemische Dualismus mit einem ontologischen Monismus versöhnen?, in: Hans-Peter Krüger (Hg.), Hirn als Subjekt? Philosophische Grenzfragen der Neurobiologie (DZPh Sonder-Bd. 15), Berlin 2007, 263–304, hier 281. Ders., Freiheit und Determinismus, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze (stw 1918), Frankfurt a. M. 2005, 155–186, hier 162. Vgl. ders., Sprachspiel (wie Anm. 77) 283.

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seinerseits eine Fiktion ist, weil er unterschlägt, dass es Erkennen immer nur auch unter Einbezug der Teilnehmerperspektive etwa in Gestalt von Rechtfertigung geben kann.80 Eben dagegen hält Habermas an einem epistemischen (nicht ontologischen) Dualismus der Beschreibungsperspektiven als unhintergehbar fest und sucht ihn in einen „‚weichen‘ Naturalismus“,81 d. h. einen ontologischen Monismus einzubetten. „Weich“ meint dabei: Die dazu ins Spiel gebrachte Ontologie muss so etwas wie eine Interaktion von Natur und Geist zulassen. Und das soll dadurch erreicht werden, dass zum einen das Aufkommen jenes methodologischen Dualismus seinerseits einem evolutionären Lernprozess zugeschrieben wird.82 Das ist der erste Zug dessen, was Habermas (kantkritisch) gerne als „Detranszendentalisierung“83 der Erkenntnistheorie bezeichnet. Zum anderen  – das ist deren zweiter Zug  – leitet Habermas das dann natürlich durch den epistemischen Dualismus gestellte Problem mentaler Verursachung über sein wohl vertrautes Großparadigma einer universalpragmatisch konstituierten kommunikativen Vernunft, d. h. er geht von der Möglichkeit einer Programmierung der Gehirne durch objektiven Geist aus, wie er „nur dank seiner Verkörperung in akustisch oder optisch wahrnehmbaren materiellen Zeichensubstraten, also in beobachtbaren Handlungen und kommunikativen Äußerungen, in symbolischen Gegenständen oder Artefakten“84 existiert. Damit ist die von den Naturalisten gern als Karikatur präsentierte Figur einer immateriellen Entität, die mit materialen Prozessen interagieren soll, ausgeschaltet. Stattdessen wird das Ich als eine aus dem Zusammenspiel von Teilnehmer- und Beobachterperspektive hervorgehende soziale Konstruktion bestimmt, die keine Illusion repräsentiert, sondern eine intersubjektiv greifbar werdende Instanz, in deren Bewusstsein von sich „sich gleichsam der Anschluss des individuellen Gehirns an kulturelle Programme [reflektiert; K. M.], die sich nur über gesellschaftliche Kommunikation, also verteilt über die Kommunikationsrollen von Sprechern, Adressaten und Beobachtern reproduzieren“.85

Damit ist in der Tat gegenüber den Naturalisierungsprogrammen eine starke Intuition von Bewusstsein und Freiheit verteidigt – aber ich befürchte, sie ist noch nicht stark genug. Ein erstes Indiz für ein ziemlich tief reichendes Defizit erblicke ich darin, dass auch in diesem Ich als Sozialkonstrukt das „sich“, dieses Moment

80 81 82 83 84 85

Vgl. ebd. 287. Ders., Freiheit und Determinismus (wie Anm. 78) 171. Vgl. ebd. 175. Ebd. 171. Vgl. auch ders., Sprachspiel (wie Anm. 77) 298–304. Ders., Freiheit und Determinismus (wie Anm. 78) 179 f. Ebd. 186.

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von Selbstbezüglichkeit auftritt, und zwar nur als in Anspruch genommenes, aber nicht hergeleitet oder aufgeklärt. Dass man das zum Ichbewusstsein basal gehörende Wissen von sich, will man es verstehen, zwar nicht ohne, aber auch nicht allein durch intersubjektive Prozesse aufklären, sondern als unhintergehbar ansetzen muss, ist Gegenstand eines Streits zwischen Habermas und seinem Freund und Kollegen Dieter Henrich, der schon Jahrzehnte dauert. Nach meiner Einschätzung hatte Henrich dabei auch seit je die besseren Argumente, zuletzt hat er sie in seinem großen Werk „Denken und Selbstsein“ – gerade auch mit Blick auf die Freiheitsthematik – eindrücklich entfaltet.86 Die Instabilität, die sich aus dieser Unterbestimmung der Subjektposition bei Habermas einstellt, wird besonders dort greifbar, wo er schließlich versucht, dem „weichen“ Naturalismus oder – man könnte auch sagen – Monismus eine identifizierbare Kontur zu geben. Bezeichnenderweise leitet er das mit einer Ortsbestimmung ein, die aus einer Erinnerung an Kants transzendentale Wende inklusive einer pragmatischen Anreicherung einerseits, einem skeptischen Vorbehalt gegenüber dem transzendentalen Idealismus andererseits resultiert.87 „Idealismus“ steht dabei (a) für die Überzeugung von einer fundamentalen Erkennbarkeit und Verständlichkeit alles Wirklichen. Und das impliziert (b) die Annahme, dass alle Wirklichkeit im Letzten etwas Geistiges ist, weil wir wirklich bis zum Grunde nur uns und unser geistiges Leben selbst erkennen, denn nur da steht uns ein unmittelbarer Bezug zum Erkannten offen,88 was einschließt, dass die Naturwissenschaften ihren realistischen Erkenntnisanspruch einbüßen. Habermas will also mit seiner Ortsbestimmung sagen: Zwischen einem sprach- und handlungstheoretisch angereicherten Kant einerseits und der Vermeidung eines starken Idealismus andererseits, die aber doch so etwas wie eine idealistische Restintuition bewahrt, müsste jene gesuchte Ontologie verankert sein. Diese eher formale Markierung wird sofort einsichtig, wenn man sie ins Medium der Freiheitsproblematik übersetzt: „Der Naturalismus erklärt den Anschein zunehmender Freiheitsgrade als Artefakt von Beobachtern, die organisches Verhalten mit zunehmender Komplexität der biologischen Systeme immer schlechter voraussagen können.“89

Exakt so nimmt sich „Freiheit“ unter völliger Ausklammerung der Teilnehmerperspektive aus. Und das ist entschieden zu wenig.

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Dieter Henrich, Denken und Selbstsein. Vorlesungen über Subjektivität, Frankfurt a. M. 2007, hier bes. Kap. V. Vgl. Habermas, Sprachspiel (wie Anm. 77) 295. Vgl. von Kutschera, Idealismus (wie Anm. 25) 252–261. Habermas, Sprachspiel (wie Anm. 77) 301.

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Schellings Natur- und Freiheitsphilosophie

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Hier setzt dann natürlich die kritische Gegenbewegung eines vom Primat der Teilnehmer-, also Erste-Person-Perspektive dirigierten Denkens an, d. h. die Bewusstseinsphilosophie und – diese in ihrer stärksten Version genommen – der Idealismus. Dieser Ansatz beschreibt das Ganze der Wirklichkeit ausgehend von der Selbsterfahrung im Paradigma der Selbstbezüglichkeit, also des Selbstbewusstseins – das ist sozusagen die Grund- und Vollform von Wirklichkeit. Alles, was in vorreflexem Bewusstsein lebt, ist sozusagen auf halbem Wege befindliche Selbstreferenz, endliches und damit kontingentes Selbstbewusstsein ist so etwas wie ein weltliches Bild des Grundes, aus dem es hervorgeht und der gemäß dieser Bildlogik absoluter, bei sich seiender Geist sein muss. Genau das ist die Perspektive der schellingschen und nachschellingschen Naturphilosophie gewesen, die auf diese Weise zu einem gleichsam wirklichkeitsgeladenen Begriff endlicher Freiheit gelangt. Weil alles Bild Gottes ist, ist in diesem Bild auch Gottes Selbstständigkeit abgebildet, die sich als Selbststand des Seienden geltend macht: „Das ausschließend Eigenthümliche der Absolutheit ist, daß sie ihrem Gegenbild mit dem Wesen von ihr selbst auch die Selbständigkeit verleiht. Dieses in-sich-selbst-Seyn, diese eigentliche und wahre Realität des … Angeschauten, ist Freiheit“, schreibt Schelling.90

Das klingt wie ein direktes Echo aus Origenes’ De principiis, wo es heißt: „Denn der Schöpfer gewährte den Intelligenzen, die er schuf, willensbestimmte, freie Bewegungen, damit in ihnen, insofern sie es mit ihrem eigenen Willen bewahrten, ein ihnen eigenes Gut entstünde.“91 So etwas ist Habermas natürlich viel zu viel. Darum bremst er vor diesen metaphysisch-theologischen Folgen solcher Naturphilosophie scharf ab, schiebt sie zwar keineswegs beiseite, hält ihr aber vor, die unhintergehbare Doppelung der Beobachter- und Teilnehmerperspektive zugunsten einer verabsolutierten Erste-Person-Perspektive zu überspringen.92 Einen zwingenden Grund für diesen Einhalt freilich gibt es nicht, jedenfalls nicht dann, wenn man für selbstbewusste Subjektivität im Gang von deren eigener Selbstinterpretation letzte Gedanken über das Ganze ihres Verfasst- und In-derWelt-Seins sowie die Frage nach dem Grund des für das Subjekt unverfüglichen Aufkommens seiner selbst zulässt  – also Metaphysik inklusive philosophischer Theologie für möglich hält. Habermas tut das natürlich nicht, denkt stattdessen an eine detranszendentalisierte Naturgeschichte, womit er eine große Erzählung vom Menschen als

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Schelling, Philosophie und Religion, in: Schellings Werke, 4. Haupt-Bd. (wie Anm. 33) 1–60, hier 29. Origenes, princ. II 9,2 (GCS Orig. 5, 165); Übersetzung nach p. 405 Görgemanns/Karpp. Ich danke Christian Hengstermann für den Hinweis auf diese Stelle. Vgl. Habermas, Sprachspiel (wie Anm. 77) 302.

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in das Universum einbegriffenes Naturwesen meint, die sich aus Elementen verschiedener humanwissenschaftlicher Disziplinen inspiriert, in die aber auch „Begriffe ‚von oben‘“93 eingehen würden, wie Habermas formuliert, d. h. nichtnaturalistische Grundbegriffe aus der Selbsterfahrung der Subjekt-Person, woraus eine Theorie entstehen könnte, mit der „… der Geist seine eigene Genealogie ‚einholt‘“.94 Ohne empirische Erkenntnisse wäre das natürlich nie möglich, aber zum anvisierten Ziel käme man mit ihnen nur, „wenn wir sie zugleich im Kontext ihrer eigenen Wirkungsgeschichte interpretieren“,95 um so aus dem Lernen über die Welt zugleich etwas über das Aufkommen lernenden Geistes zu lernen. Über diesen und ähnlichen Formulierungen bei Habermas liegt jedoch ein Widerschein von Schellings spätem Denken, „das im prinzipiellen Primat des Dynamischen, des Relationalen, des Individuellen, des Wirklichen mit der Klimax in der Geschichte, in der Konfrontation von theologischem und philosophischem Entwurf einer Deutung der Totalität von Sein und Denken, Einheit und Vielheit, Wirklichkeit und Vernunft, Welt und Gott, seine Eigentümlichkeit hat.“96

Das treibende Motiv dabei dürfte wohl der christliche Input – allem voran die Christologie und die Trinitätstheologie – gewesen sein, ohne den sich die Schellingschen Denkbewegungen nicht wirklich erklären ließen. Dass Origenes dabei eine meist von Ferne leitende, aber gleichwohl zentrale Rolle spielte, scheint mir außer Frage zu stehen, auch wenn seine Spuren – wie erläutert – an und in Schelling eher nur indirekt greifbar werden.

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Ebd. 303. Ebd. Ebd. 304. Harald Holz, Spekulation und Faktizität. Zum Freiheitsbegriff des mittleren und späten Schelling (APPP 65), Bonn 1970, 431.

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The Revival of the Apokatastasis Or, Three Ways to Read Origen Today

MARCO RIZZI, MAILAND

The “revival of Origen” in the second half of the 20th century is a well-established topic in modern Origenian scholarship and in the general domain of Patristic studies.1 Scholars have also investigated the presence of the idea of apokatastasis in some of the most prominent theologians of the last century; even when they do not use the exact term or quote Origen’s name explicitly, it is easy to find traces of his lasting impact in this regard, as Hans Urs von Balthasar did in the case of Karl Barth’s celebrated pamphlet The Humanity of God.2 According to the general aim of this book, in my paper I will deal with three contemporary authors (two of them still living), who, in my opinion, are quite significant for the spreading of such an Origenian legacy outside the strict boundaries of historiography or academic theology. I will begin with the youngest, least known and most peripheral one, and after tracing back a way to the 1960s I will come to discuss the most famous of the three; accordingly, I will sketch a route from the specific theological field to more general epistemological interests. In this way, even at the risk of sounding extravagant and scarcely scientific, I hope to widen a bit the landscape on which we can locate our historical or theological interests in Origen. Vito Mancuso is a 49-year-old Italian theologian, whose recent book L’ anima e il suo destino (The soul and its fate) was for a long time at the centre of public debate on Italian medias, having sold more than 120.000 copies in just one year and having been object of harsh criticisms by some exponents of the Catholic establishment, like the bishop and skilled theologian Bruno Forte or the Jesuits’ 1

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In short, see Charles Kannengiesser, A century in quest of Origen’s spirituality, in: Luigi Franco Pizzolato/Marco Rizzi (eds.), Origene maestro di vita spirituale/Origen master of spiritual life (SPM 22), Milan 2001, 3–19; Manlio Simonetti, Il cristianesimo antico, in: Gian Maria Vian (ed.), Storia del cristianesimo. Bilanci e questioni aperte, Rome 2007, 9–31, esp. 13–16. Karl Barth, Die Menschlichkeit Gottes (ThSt[B] 48), Zollikon/Zürich 1956; Hans Urs von Balthasar, Kleiner Diskurs über die Hölle, Einsiedeln 31999. On the Barth/von Balthasar confrontation, see Werner van Laak, Allversöhnung. Die Lehre von der Apokatastasis. Ihre Grundlegung durch Origenes und ihre Bewertung in der gegenwärtigen Theologie bei Karl Barth und Hans Urs von Balthasar (SThTSt 11), Sinzig 1990.

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influential journal La Civiltà Cattolica, in spite of the fact that former Cardinal Carlo Maria Martini wrote the preface to the book.3 For many years, Mancuso has been attempting to build up what he defines as “a lay theology,” i. e. a formal and rigorous discourse about God, capable of facing the challenges posed by contemporary philosophy and science. In short, we can consider his program a sort of updating – maybe in a less ingenuous way – of the evolutionistic theology and anthropology developed by Teilhard de Chardin in the 1960s. In view of this goal, Mancuso claims that the main aim of his treatise on the soul is to demonstrate “the beauty, the justice and fullness of sense of human life” so that we can suppose that “a future of personal life will arise after death from life itself, with no necessity of any intervention from the high.”4 In doing so, he operates a rethinking of the traditional church doctrines about the threefold novissima, Judgment, Paradise and Hell, which leads him to diverge from ecclesiastical teaching in many ways. Of course, it was precisely this point which ignited the fire of the polemics. Mancuso has been trained in traditional, neo-Thomistic Catholic theology, as is shown by the very structure of his book: this is divided into many chapters, but it is organized in a fairly systematic way around the traditional theological loci de anima: its existence, its origin, its immortality and salvation. But, as it can be expected, the largest part of the book (about the entire second half) deals with the fate of the soul in the afterlife. Origen’s name appears frequently in the couple of chapters devoted to Heaven and Hell, where Mancuso concentrates his attention exclusively on the doctrine of apokatastasis. Mancuso’s interest lies in finding within the Christian tradition an understanding of the final judgment and of the subsequent punishments which could function as an alternative to the western prevailing one of Augustine, who is charged with no less than “theological terrorism” on the ground of his negative anthropology and doctrine of predestination. In Mancuso’s view, the very Augustinian idea of a never-ending pain is no longer acceptable in the contemporary world, because it would implicate: first, the defeat of God’s salvation plan; second, an image of God that is irreconcilable with the Gospel; third and above all, a logical incoherence, since locating hell within eternity, which consists of order and harmony, implies locating the maximum of disorder and disharmony in it: a contradiction like affirming that darkness may exist within pure light, or coldness within warmth. So, two ways remain to escape from such a contradiction: the Origenian doctrine of apokatastasis (on which Man3

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Vito Mancuso, L’ anima e il suo destino, Milan 2007 (bishop Bruno Forte criticized the book in L’ Osservatore Romano [02.02.2008]; Corrado Marucci S. J. in La Civiltà Cattolica 3783 [02.02.2008] 256–265). Mancuso’s editorial case has been doubled by an interview book with influential Italian journalist Corrado Augias, which renewed polemics, but without obtaining the same impact on the public opinion: Corrado Augias/Vito Mancuso, Disputa su Dio e dintorni, Milan 2009. Mancuso, L’ anima (as n. 3) 1.

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cuso spends many pages to illustrate its fortune in ancient and modern, eastern and western Christianity), or the idea of the eternal death reserved for evil souls, which Mancuso reinterprets as a sort of entropic collapse of their constitutive energy. At this point, it is worth noting that Mancuso has quoted Origen only once and in passing when dealing with the idea of the pre-existence of the soul in the first chapters of the book, while he does not mention him at all when he discusses the second possibility reported above. Since Origen widely illustrates the former point in De principiis as one of the pivotal points of his theological system, we can ask why Mancuso is so strangely silent on this topic and why he reduces Origen’s position to a passive assumption of the Platonic legacy. Indeed, he seems to associate the ideas of pre-existence and of reincarnation (or metempsychosis) much too strictly in order to exclude both of them from the possible horizon of Christian theology; but in doing so, he fails to understand the intimate connection of pre-existence and apokatastasis in Origen’s thought and the exegetical foundation of the former on the Genesis narrative of the double creation of man. These are well-known issues, and it is obviously superfluous to deal with them here. Moreover, even the Alexandrian master hints at the possibility of the annihilation of souls, although hesitantly and only in a few places of his writings; but Mancuso unilaterally opposes Origen’s apokatastasis to annihilation. In this way, he makes Origen the champion of a more authentic and merciful concept of the Christian God, reversing Augustine’s notorious and sarcastic statement according to which Origen had attributed a human and dangerous goodness to God.5 For the historian, it is impossible not to see here Mancuso as an heir of Erasmus, who was the first to state the terms of the cyclically-emerging antinomy between Origen and Augustine.6 But by limiting Origen’s legacy to the modern world solely to the apokatastasis, Mancuso gives his readers only a partial and pale image of him: only the end of a film of which we ignore how and why it began and the intimate drama of which we cannot grasp. Mancuso declares honestly that he cannot bring himself to choose between the horns of the dilemma he has left open about the fate of the soul; he adds that he cannot subscribe to the way in which Pavel Florensky solves it, that is by accepting this very antinomy by faith. Everybody who reads and knows Origen does feel that he stands closer to Florensky than Mancuso imagines.

5 6

See Augustine, civ. XXI 17 (II p. 521 f. Dombart/Kalb). By chance, I observe that in the same 16th century Juan Valdes and his alumbrados were resolute supporters of the doctrine of the death of evil souls, but we find no mention of them in Mancuso’s book.

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The second thinker I am here taking into consideration is the well-known Austrian-American sociologist Peter Berger, who, nine years ago in 2003, published a Skeptical Affirmation of Christianity, under the title Questions of Faith – A Skeptical Affirmation of Christianity being the subtitle.7 Like most sociologists who began their career immediately after the Second World War, Berger was a prophet of the imminent end of the religious world that would soon be destroyed by the developing, all-encompassing secularization. By the late 1980s, Berger began to reconsider his position and recognized that religions  – and particularly old, structured religions – were and still are playing a significant role in the social domain, even if pluralism, globalization and growing individualism had deeply changed the way in which faith is experienced and lived by man. Thus, having admitted on the theoretical level that his prediction failed, Questions of Faith represents Berger’s palinodia to his Lutheran faith. Organized as a medieval (and Lutheran or Calvinist) catechism, commenting on the twelve articles of the Apostles’ Creed one by one, Questions of Faith sounds like an ecumenical, updated reading of the different Christian traditions (with hints at other religious experiences), even if Berger underlines in the preface that only an apt balance between skepticism and affirmation can define the acceptable way of being Christian in the post-secularized, but still modern world. In Berger’s opinion, we are now in the same situation as the early Christians who lived in the Greek-Roman world characterized by pluralism and abundance of religious opportunities, among which Christianity was possible only as a deliberate choice. Such an assumption leads Berger to ignore in his reflections the majority of contemporary theologians and reserve great space to ancient Christian writers, as shown by the name index of the book. Origen’s theology of apokatastasis is widely dealt with by Berger under the heading of the eleventh article of faith, “the remission of sins.” His knowledge of Origen’s thought depends upon Hans Urs von Balthasar’s interpretative anthology Geist und Feuer, which is openly quoted.8 Berger links the doctrine of the apokatastasis to that of the pre-existence of the souls and explains these features of the Origenian theological system by attributing to the Alexandrian master the will to mitigate the severe ecclesiastical teachings on sin and eternal damnation. But it is worth noting that Berger does not use apokatastasis to contrast the theoretical possibility and the actual justice of an eternal punishment, as shown by his treatment of the case of the Holocaust and of its protagonists

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8

Peter Berger, Questions of faith. A skeptical affirmation of Christianity, Malden 2004. About Berger’s sociology of religion, see Linda Woodhead/Paul Heelas/David Martin (eds.), Peter Berger and the study of religion, London 2001. Hans Urs von Balthasar, Geist und Feuer. Origenes: ein Aufbau aus seinen Schriften, Salzburg/Leipzig 1938.

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like Himmler or Hitler. Following in Hanna Arendt’s footsteps, Berger concludes that such a moral monstrosity does deserve a harsh condemnation, not simply a judgment. Rather, Berger evokes Origen and his statements on pre-existence and apokatastasis to face the radical issues posed by the antinomies of original and personal sin, of justice and mercy in God’s judgment, of man’s corrupted or redeemable nature. To escape from such aporias which sound unacceptable to modern ears, Berger puts the ancient Alexandrian writer side by side with the contemporary Russian-French Orthodox theologian Pavel Evdokimov as both representatives of the uninterrupted tradition of the eastern way of Christianity. Berger quotes Evdokimov’s The Ages of Spiritual Life to illustrate the Eastern attitude towards sinners: substantially, it has a therapeutic nature, aiming to treat the illness of the soul of which sin consists.9 So, in Berger’s view, the forgiving of sins is part of a process of healing and recovery of mankind and creation from the imperfect state into which they both have fallen. In such a framework, Origen’s combination of pre-existence and apokatastasis offers Berger the key to re-connect into a coherent picture the beginning and the end, creation and redemption, which he tries to harmonize with modern evolutive cosmology, even though he rejects too easy solutions and remains skeptical in his general attitude. Approaching the conclusion of the chapter, Berger asks himself whether it is really possible to forgive anybody and anything. His answer is doubtful and seems to incline to the negative. He recognizes that those who answer “yes” and act accordingly may be right, at least in the long run and from an eschatological point of view, so preserving the possibility of apokatastasis. But he also observes that such an answer pertains more to individuals like the positive characters in Dostoevsky’s tragic novels than to ordinary people, who are far from the status of the “foul saints” of the Russian novelist and have to deal with an approximate concept of justice within the actual world – and the sociologist cannot abstain from pointing out the social necessity of some form of coactive moral judgment to preserve society from chaos. Even from a theological point of view, a sort of eternal damnation seems necessary to him for the confirmation that God will exercise His justice in face of the evil, in order to repair the wrong and damage done; and it is not ours to comprehend the way in which such damnation could end even in a far eschatological future. But Berger cannot fully escape Origen’s fascination. The chapter ends with an anecdote: the record of a conversation with a Protestant theologian about Hitler’s salvation (among other things). The episode calls to mind Origen on the Devil; the conclusion sounds quite Origenian: “We cannot know. But I can imagine that, many aeons from now,

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See Pavel Nikolaevic Evdokimov, Les âges de la vie spirituelle. Des Pères du désert à nos jours, Paris 1964.

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an unattractive little dog will be running around in heaven. And one of the saved will pat it without much affection and say: ‘This used to be Hitler’.”10 Instead, the problem of human knowledge lies at the centre of the interest of the last, most prominent personality here taken into consideration: Kurt Gödel (died 1978). One of the greatest logicians of all times, he need not be introduced here. Gödel’s theological interests are in no way limited to his famous mathematical (rather than ontological) proof of God’s existence, which he elaborated during a long space of time between 1941 and February 1970, when he discussed it with Dana Scott, another logician at Princeton University.11 Although he was quite satisfied with this elegant and brilliant exercise in logic, Gödel refrained from making it public, because he feared that, if he did so, one would think that he actually believed in God, whereas, as he claimed, he had carried it out only as a logical investigation, “that is showing the possibility of a demonstration of this kind by classical assumption in a adequately axiomatic way.”12 Gödel’s proof circulated and was discussed within the circle of his students and became public after the publication of the third volume of his collected works in 1995, while his theological and metaphysical interests were already known, because he had discussed them in a conversation with Hao Wang, another logician, who published their record in 1974 with Gödel’s permission under the title From Mathematics to Philosophy.13 10 11

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Berger, Questions of faith (as n. 7) 155. The text is now published in Kurt Gödel, Collected works III. Unpublished Essays and Lectures, ed. by Solomon Feferman et al., Oxford/New York 1995, 388–404; for the story of Gödel’s proof, see the introductory note by Robert Merrihew Adams, in: ibid. 388–390. Adams, ibid. 389. Hao Wang, From Mathematics to Philosophy, London 1974. There is a large literature about Gödel’s work and philosophy; for a first survey that recognizes the aspects discussed here, see Hao Wang, Reflections on Kurt Gödel, Cambridge MA 1987. Pierre CassouNoguès, Les démons de Gödel. Logique et folie, Paris 2007, shows a completely unsympathetic approach to Gödel’s attitude toward religion by reducing his theological and philosophical interests to a sort of pathological mental insanity, witnessed by some of Gödel’s obsessions and by his death. But it is worth noting that a deep attention to issues like those rebuked to Gödel by Cassou-Noguès was widespread in European culture during the decisive years of Gödel’s educations and of the formation of his mind; for instance, we can think of the now astonishing work of Piotr Uspenski, Tertium Organum. A Key to the Enigmas of the World, London/New York 1922, a sort of updating of classical Gnostic thinkers like Plotinus, Böhme or Lao-tse by means of the principle of relativity, quantum physics and other early 20th century discoveries. This book played a decisive role, for example, in the birth of abstract painting, the most rationalistic way to approach visual arts, whose fathers (Kandinskij, Malevich, Mondrian) were all involved in theosophical studies and practices. Even a logician is first of all an intellectual, not something like a computer apart from his own times and cultural climate which surround him. A bit of attention and historical sensibility is necessary to understand how and how much such a formative context may have influenced Gödel’s human and scientific profile. Unfortunately, CassouNoguès seems to be lacking them in both.

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But some letters sent to his mother Marianne between July and September 1961 and published in 2003 in volume IV of the collected works14 allow us to appreciate also Gödel’s attitude towards religion and theology. Gödel was baptized as a Lutheran in Brno, at that time (1906) under the Austro-Hungarian Imperial government. His parents did not foster any religious interest and they were particularly disappointed by the influence of the Catholic Church in Austrian political affairs. Nevertheless, Gödel was quite sensitive to religious and theological issues and suggested to more than one of his pupils that he would like to complete his intellectual training by studying theology. His attitude towards religion is well summarized by a statement found in his Nachlass: “Die Religionen sind zum größten Teil schlecht, aber nicht die Religion.”15 We do not have the letters his mother sent to Gödel, because he destroyed them shortly before his death, as his wife Adele reported. But Gödel’s own letters are preserved in the Vienna Library, and from one of them we apprehend that his mother posed to Gödel “the weighty question” whether he believed in a hereafter in which they will meet again. Gödel’s answer goes straight to the point: “If the world is rationally organized and has a sense, then that must be so.” And he goes on, asking rhetorically what sense it would make to bring forth a being like man, with such a wide range of possibilities of individual development and of relationships to others, and not allow him to achieve even one in a thousand of them. In this letter Gödel does not venture to say how we can imagine the next life, but he affirms that modern science itself supports it by showing that our world, with all the planets and the stars, had a beginning and will have an end. At this point, he links a quotation of John’s Revelation (“And God created a new heaven and a new earth”) to an expression of what indubitably sounds like a statement of a possible apokatastasis: “But why then should there be only this one world? And since we one day found ourselves in this world …, the same thing can be repeated in the same way in another world too.” Having asked perhaps too much of his mother, who after all is not a philosopher, Gödel stops with this “stoic” concept of apokatastasis.16 But returning to his reflection in two subsequent letters, Gödel tries to further specify the sense of his thought, maybe responding to his mother’s simply pantheistic and unconsciously stoic view, according to which she worshiped the creation. In this way, Gödel approaches a vision of the afterlife as a process of knowledge in progress. His starting point is that knowledge is precisely what distinguishes man from any other creature; only man can arrive at a better existence 14 15 16

See Kurt Gödel, Collected works IV. Correspondence A–G, ed. by Solomon Feferman et al., Oxford 2003, 425–439. Gödel, ibid. 425. Ibid. 429–431.

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through learning, that is, his life has more meaning than the life of animals. But, the good scientist Gödel remarks, the only method of learning consists first in making mistakes, and since in this life this happens a lot, such learning will take place mostly in the next world, where we will be able to recall our experience and errors in this world and then really understand them.17 Gödel responds to the possible objection of those who may ask why God did not create man in such a way that he could make no mistake from the beginning, by affirming that such a question seems reasonable only on the basis of “the incredible state of ignorance about ourselves” in which we are. He also claims that he has taken his own point of view from religion in which, “if not also in the churches, lies much more reason than is usually thought.”18 And he concludes: “What I call the theological world-view is the idea that the world and everything in it has meaning and reason, and in fact a good and indubitable meaning. From that it follows directly that our earthly existence, since it in itself has a very doubtful meaning, can only be a means toward the goal of another existence.” But immediately before these lines, Gödel has given us the key to realize from what source he has taken inspiration for his view of an afterlife as an apokatastatic knowledge-in-progress. He thinks that today it may already be possible in a purely rational way to apprehend that such a theological world view is thoroughly compatible with all known facts; and he declares: “Two hundred fifty years ago the famous philosopher and mathematician Leibniz already tried to do that, and that is also what I have attempted in my last letters.”19 Gödel does not use the word apokatastasis or name Origen. In another place, Gödel defines himself as “theistic rather than pantheistic, following Leibniz rather than Spinoza.”20 Here, he may polemically point to his friend and colleague Albert Einstein who claimed to believe surely in God, but in Spinoza’s God. But the double reference to the author of the Fragment on apokatastasis fully inserts Gödel into the theological stream that sprang from Origen’s apokatastatic thought.21 Mancuso, Berger, Gödel: just three examples of different ways to read Origen’s apokatastasis today – and, of course, each of them differs from the others in terms of intellectual weight and depth. But we can find some points in common among them and take from them some final suggestions. First of all, and maybe quite surprisingly, they all insert Origen and apokatastasis into an intellectual program by means of which they aim to face the challenges posed to religion by modern 17 18 19 20 21

Ibid. 431. 433. 435. Ibid. 433. Ibid. 439. Ibid. 426. See Gottfried Wilhelm Leibniz, De l’horizon de la doctrine humaine (1693) – ἀποκατάστασις πάντων. La restitution universelle (1715), textes inédits, traduits et annotés par Michel Fichant, Paris 1991, 66–76.

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The Revival of the Apokatastasis

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science and scientific rationality. Naturally, the aspect of mercy implicit in such a doctrine plays an important role in Berger’s and Mancuso’s use of it as well (but not in Gödel’s, which is purely intellectual); we can wonder whether they are too much conditioned by our socio-cultural context, which seems to have banned conflict, pain and drama (or at least we try to console ourselves by thinking they represent an accident in history, more than the regular and ordinary phenomenon that they really are). Probably, a reborn Augustine could stand up and charge us with being too merciful with ourselves. But even such a charge can show that Origen is still very much in touch with our present and can be a resource for modern Christianity. Both Mancuso and Berger, then, make Origen close to other thinkers coming from the eastern orthodox tradition of today Christianity, Florensky and Evdokimov: we can suppose that Origen’s thought and especially his apokatastatic way of thinking and connecting beginning and end could be a bridge not only towards secularized modernity but also between Eastern and Western Christianity and churches. Paradoxically, the three thinkers here taken into consideration are all in a more or less problematic relation with their churches or, in Gödel’s case, with institutionalised religion at all. As we have seen, Gödel thought that churches represented the greatest danger to true religion. Berger does not hesitate to define himself as a heretic, at least in the etymological sense of the word: he assumes his points of view on religious and Christian topics eclectically without adhering necessarily to each and every point of ecclesiastical teaching. Mancuso seems the one best integrated within a church because of his specific Catholic theological education;22 but he, too, insists that ecclesiastical authority has condemned twice Origen and especially his doctrine of apokatastasis. In this way, Origen seems to be gaining a larger audience at the very heart of the modern world and of its concerns than within the church itself; and this is a really paradoxical fate for a man who proudly defined himself as a vir ecclesiasticus. Perhaps, it is time to wonder whether it may not be time for Origen to resume his right place within the living experience of Christian churches and not only as an object of historical interest.

22

Even if in the past few months his attitude toward the institutional Catholic Church has become harsher, but this fact seems more due to his new role of polemist and editorialist for the leftist Italian newspaper La Repubblica than a new trend in his thought.

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Editionen der frühneuzeitlichen Autoren John Colet Ep. 1 an John Kidderminster, hg. von Samuel Knight, in: ders., Life of Dr. John Colet, Dean of St. Paul’s, London 1724, 311–314. Enarratio in Epistolam B. Pauli ad Romanos, hg. und übers. von Joseph H. Lupton, London 1873 (Nachdruck Ridgewood NJ 1965). De Corpore Christi Mystico, hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opuscula Quaedam Theologica, London 1876 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 185–195. Enarratio in Primam S. Pauli Epistolam ad Corinthios, hg. und übers. von Bernard O’Kelly/Catherine A. L. Jarrott, Commentary on First Corinthians. A New Edition of the Latin Text, with Translation, Annotations, and Introduction (MRTS 21), Binghamton NY 1985. In Principium Genesios/Epistolae ad Radulphum, hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opuscula Quaedam Theologica, London 1869 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 165– 182. Epistolae B. Pauli ad Romanos Expositio Literalis, hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opuscula Quaedam Theologica, London 1876 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 197–281. Opus de Caelesti Dionysii Hierarchia, hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opus de Sacramentis Ecclesiae, London 1867 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 163–196. Opus de Ecclesiastica Dionysii Hierarchia, hg. und übers. von Joseph H. Lupton, Opus de Sacramentis Ecclesiae, London 1867 (Nachdruck Ridgewood NJ 1966), 197–272. De Sacramentis, hg. von John Gleason, in.: ders., John Colet, Berkeley u. a.1989, 270–333. Anthony Collins A Discourse of Free-Thinking, hg., übers. und eingel. von Günter Gawlick, mit einem Geleitwort von Julius Ebbinghaus, London 1713 (Nachdruck Stuttgart/Bad Cannstatt 1965). Anne Conway Principiae Philosophiae Antiquissimae & recentissimace de Deo, Christo & Creatura id est de Spiritu & materia in genere, printed in: Opuscula philosophica quibus continetur, Principiae Philosophiae Antiquissimae & recentissimace ac philosophia vulgaris refutata quibus junctur sunt C. C. problemata de revolutione animarum humanorum, Amsterdam 1690. The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy: Concerning God, Christ, and the Creature; that is, concerning Spirit and Matter in General, London 1692. The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy, ed. with an Introduction by Peter Loptson (AIHI 101), The Hague/Boston/London 1982.

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Editionen der frühneuzeitlichen Autoren

The Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy, transl. and ed. by Allison P. Coudert/Taylor Corse, Cambridge 1996. The Conway Letters. The Correspondence of Anne, Viscountess Conway, Henry More, and their Friends (1642–1684), ed. by Marjorie Hope Nicolson, New Haven 1930. Revised edition: The Conway Letters, with an introduction and new material by Sarah Hutton, Oxford 1992. Ralph Cudworth The True Intellectual System of the Universe, London 1678 (Nachdruck Stuttgart/Bad Cannstatt 1964). Systema intellectuale huius universi, Joannes Laurentius Moshemius … ex anglico latine vertit, recensuit, variisque observationibus dissertationibus illustravit et auxit, Jena 1733. The True Intellectual System of the Universe. A New Edition by Thomas Birch, 4 Bde., London 1820. A Treatise Concerning Eternal and Immutable Morality, with A Treatise of Freewill, ed. by Sarah Hutton, Cambridge 1996. Nathaniel Culverwell An Elegant and Learned Discourse of the Light of Nature, London 1652 (Nachdrucke 1654, 1661 und 1669). Erasmus von Rotterdam Desiderii Erasmi Roterodami opera omnia emendatiora et auctiora, 10 Bde., ed. Joannes Clericus, Leiden 1703–1706 (Nachdruck Hildesheim 1962) [LB]. Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami denuo recognitum et auctum per Percy Stafford Allen, 12 Bde., Oxford 1906–1958. De libero arbitrio διατριβή sive collatio per Desiderium Erasmum Roterodamum, hg. von Johannes von Walter (QGP 8), Leipzig 1910 (Nachdruck 1935). Ausgewählte Werke, in Gemeinschaft mit Annemarie Holborn hg. von Hajo Holborn (VKEGR 1), München 1933 (Nachdruck 1964). Enchiridion. Handbüchlein eines christlichen Streiters, übertr. und hg. von Werner Welzig, Graz/Köln 1961. Enchiridion militis Christiani, introduction et traduction par André-Jean Festugière, Paris 1971. Ausgewählte Schriften, 8 Bde., hg. von Werner Welzig, Darmstadt 1967–1980 (21990 = Sonderausgabe 1995). Marsilio Ficino Theologia Platonica, in: ders., Opera Omnia, Basel 1576 (Nachdruck Turin 1962). Traktate zur Platonischen Philosophie, übers. und mit Erläuterungen vers. von Elisbeth Blum/Paul Richard Blum/Thomas Leinkauf, Berlin 1993.

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Editionen der frühneuzeitlichen Autoren

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Joseph Glanvill Lux Orientalis, London 1662. Thomas Harding A Reioindre to M. Jewels Replie, Antwerpen 1566. Martin Luther Studienausgabe, hg. von Hans-Ulrich Delius/Rudolf Mau/Günter Gloede, Berlin 1979 ff. [StA]. Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Bd. 1 ff., Weimar 1883 ff. [WA]. Henry More A Collection of Several Philosophical Writings, 2 Bde., London 1662 (Nachdruck New York/London 1978). Conjectura Cabbalistica, London 1653. Divine Dialogues, London 21713. Enchiridion ethicum, in: ders., Opera Omnia II/1, London 1679 (Nachdruck Hildesheim 1966), 11–96. The Immortality of the Soul, London 1659, ed. by Alexander Jacob [AIHI 122], Dordrecht/ Boston/Lancaster 1987. Opera philosophica, in: ders., Opera omnia II/1.2, London 1679 (Nachdruck Hildesheim 1966). The Praeexistency of the Soul, London 1647, in: The Complete Poems of Dr. Henry More, ed. By Alexander Balloch Grosart, Edinburgh 1878, 117–128. Giovanni Pico della Mirandola Apologia, in: ders., Opera quae extant omnia, Basel 1601. Conclusiones sive Theses DCCCC, Romae anno 1486 publice disputandae sed non admissae, texte établi et annoté par Bohdan Kieszkowsi (THR 131), Genf 1973. Conclusiones nongentae. Le novecento Tesi dell’anno 1486, a cura di Albano Biondi (Centro internazionale di cultura „Giovanni Pico della Mirandola“. Studi Pichiani 1), Florenz 1995. Une Controverse sur Origène à la Renaissance. Jean Pic de la Mirandole et Pierre Garcia, textes présentés, traduits et annotés par Henri Crouzel, préface du Henri de Lubac (De Pétrarque à Descartes 36), Paris 1977. De hominis dignitate, Heptaplus, De ente et uno, e scritti vari, a cura di Eugenio Garin, Florenz 1942. De hominis dignitate. Über die Würde des Menschen, übers. von Norbert Baumgarten, hg. und eingel. von August Buck (PhB 427), Hamburg 1990. Oratio de hominis dignitate. Rede über die Würde des Menschen, hg. von Gerd von der Gönna, Stuttgart 1997.

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Editionen der frühneuzeitlichen Autoren

George Rust A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions by George Rust. Reproduced from the Edition of 1661 with a bibliographical note by Marjorie Hope Nicolson (The Facsimile Text Society. Series III: Philosophy, vol. 3), New York 1933. John Smith Select Discourses, ed. by John Worthington, London 1660. Fourth edition corrected and revised by Henry Griffin Williams, Cambridge 1859. John Turner A Discourse Concerning the Messias, London 1685. Lorenzo Valla Über den freien Willen/De libero arbitrio, hg., übers. und eingel. von Eckhard Kessler (Humanistische Bibliothek II 16), München 1987. Jean Vitrier Spiritualité Franciscaine en Flandre au XVIe siècle. L’homéliaire de Jean Vitrier. Texte, Étude thématique et sémantique par André Godin. Préface par Alphonse Dupront (THR 116), Genf 1971. Richard Ward The Life of Henry More, ed. by Sarah Hutton u. a. (AIHI 167), Dordrecht/Boston/London 2000. Benjamin Whichcote Moral and Religious Aphorisms (1703). Now re-published, with very large Additions, … by Samuel Salter, London 1753. The Works, 4 Bde., Aberdeen 1751.

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Register Bibel Die Anordnung der biblischen Bücher des Alten Testaments folgt der Reihenfolge in der Septuaginta, da Origenes nach dieser zitiert hat. Die Seitenangaben beziehen sich sowohl auf den Text als auch auf die Fußnoten.

Genesis 1,25 f. 1,26.27 f. 1,31 22

153 242 175 77

Exodus 9,12 9,16

174 175

Psalmen 88(89),13 114(115),7

175 238

Sprichwörter 16,4 20,27

177 30

Hosea 4,14

175

Maleachi 1,2 f.

179

Jesaja 26,9 45,9 50,11 59,20 63,17 f. 66,1

153 179 57 136 175 268

Jeremia 18,6

179

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20,7 23,24

175 268

Ezechiel 11,19

177

Matthäus 3,9 5,34 f. 24,12 25,21

134, 135 268 238 57

Johannes 5,39 17,4

8, 199, 208, 219 203

Römerbrief 1 2,12 2,12–16 2,14–16 2,15 2,15 f. 3,2 4,17 7 9,13 9,16 9,17 9,18 f. 9,21–23 9,24 10,16–21 11

98 115, 121 116, 120–121 19, 58, 119, 126 119, 126, 130 58 133 134, 135 23 179 176 175 176 179 53 135 136

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290 12,1 16,18 Erster Korintherbrief 1,28 4,4 7,29 10,20 f. 23–29 11,19 12,12 13,8 13,13 15,27 15,28

Register 133 163

135 123 258 121 28 268 60, 61 60 58 59

Zweiter Korintherbrief 3,3

126

Galaterbrief 4,21–24 5,19–21

208 106

Epheserbrief 6,12

245

Philipperbrief 2,12

65

Kolosserbrief 1,16

107

Erster Timotheusbrief 2,4 Zweiter Timotheusbrief 2,11 2,20 f. 2,21 3,16

62

54 53, 54, 179 54 207

Titusbrief 2,20 f.

179

Hebräerbrief 6,7 f.

174

Erster Johannesbrief 2,1 3,21

65 126

Origenes Das Register der Origenesstellen folgt dem Abkürzungsverzeichnis der Werke des Origenes in Origenes, Werke mit deutscher Übersetzung (OWD) 1/1, Berlin/New York – Freiburg/Basel/Wien 2010, xv–xvi.

Genesiskommentierung frg. E 68 Metzler

120

9,10 16,6

15 17, 73

Genesishomilien 1,13 5,4 7,4

243 12 17, 73

Numerihomilien 9,6 20,3 20,4

54 240 130

Exodushomilien 8,1

73

Samuelhomilien lat. 4

204

Levitikushomilien 1,1

29

Psalmenkommentierung prol.

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30

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Register 30,6 35

19 68

Hoheliedkommentar prol. 3,1.5–7.14–16 III 7,22

15 73

Jesajahomilien 5,2

141

Jeremiahomilien 20,2

73

Ezechielkommentierung 14,4

71

Ezechielhomilien 3,8

12

Matthäuskommentar X 11 XI 17 XIV 3

68 72 238

Matthäuskommentarreihe 57

238

Matthäuskommentierung frg. 102 II

130

Lukashomilien 16,6 Johanneskommentar I 3,18 I 16,91 f. I 17,95–98 II 4,34–41 VI 58,296 XIII 10,63 XX 21,174 XX 22,182 f. XXXII 18,218–228 Römerbriefkommentar I7 I 19 I 21(28) II 7(9–10)

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29

209 59 240 240 61 68 68 243 238

153, 238 132 118 19, 119 f., 126–129

II 9 II 10 III 2 IV 5 V1 V6 V 10 VI 8 VI 9 VII 2 VII 6 VII 14 VII 15 VII 16 VII 17 VIII 11 IX 1 Über die Prinzipien I praef. 1 I praef. 3 I praef. 4 I praef. 5 I 1,6 I 2,4 I 2,7.8 I3 I 3,8 I 5,1 I 5,2 f. I 5,3 I 5,5 I 6,1 I 6,2 I 6,3 I 7,2–5 I8 I 8,3 I 8,4 II 1,2 II 1,3 II 3,3.5 II 5,4 II 8 II 8,3 II 9,1 II 9,2 II 9,6 II 10,4

291 130 134 119, 127 135 71 119 60 71 23 107 176 22, 175–177 179 128 f. 136 137 133

46, 210 210 106 246, 248 118 240 108 153 108 107 240 106–108, 240 240 58 58, 240 58 f. 107 71 107 f., 240, 248 109 107 f. 107, 109, 268 240 240 14, 156 238 240 273 71, 240, 248 19, 58, 128 f.

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292 II 11,6 III 1 III 1,3 III 1,3 f. III 1,1–5 III 1,10 III 1,11 III 1,12.13 III 1,15 III 1,19 III 1,20 III 1,20–24 III 1,21 III 1,22 III 1,23 III 3 III 4,1 f. III 4,2 III 5,1–4 III 6 III 6,1 III 6,3 III 6,6 IV 1,1 IV 1,6 IV 1,7 IV 2,1.3 IV 2,4 IV 2,5 IV 2,6 IV 2,9 IV 3,5 IV 3,6

Register 43, 210, 219 22, 174 249 246 240 174 174 f. 175 118, 177 178 177 54 179 177, 179 179 240 238 105 f. 240 231 106, 240, 242 f. 240 16 206 f. 207 208 206 208 207 208 207 208 208, 240

IV 3,14 IV 3,15 Apologie gegen Kelsos I1 I2 I4 I 18.19 III 12 f. III 54 III 70 IV 3 IV 29 IV 67 IV 83.86 V 19 V 21 V 61 VI 6 VI 13 VI 44 VI 48 VII 60 f.

22 206

30 32, 189 203 137 28 15 240 240 79 59 72 15 240 68 15 30, 185 240 79 15

Über das Gebet 29,13

240

Aufforderung zum Martyrium 47

240

Philokalie 2,4 f.

30

Antike Autoren Aineas von Gaza Dialogus p. 12 Colonna

Enchiridion 8 Expositio epistulae ad Galatas 38

Augustinus De civitate dei XXI 17 XXI 23.24.27

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63

72

Contra Iulianum II 23

178 21

277 62

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Register Clemens von Alexandrien Stromateis VII 13,3 VII 14 (Pseudo-)Clementinen 2,15,1 11,8,1 Didymus der Blinde Contra Manichaeos 4. 11 Expositio in Psalmos 20 f. (Codex p. 54,18) 35–39 (Codex p. 232,20 f.) 35–39 (Codex p. 276,15 f.)

16 79

67 68

Hilarius von Poitiers Tractatus in Psalmos 2 (CChr.SL 61, 37 f.)

15

Johannes Chrysostomus De Anna sermones 1 (PG 54, 636)

71

De diabolo tentatore homiliae 2 (PG 49, 259)

69

In epistulam ad Colossenses homiliae 8 (PG 62, 352)

70

In epistulam primam ad Corinthios homiliae 13 (PG 61, 110)

71

In epistulam ad Ephesios homiliae 10 (PG 62, 76)

71

69

69 69 69

Ephräm der Syrer Reprehensio sui ipsius et confessio I p. 330 Phrantzoles

69

Eusebius von Caesarea Historia ecclesiastica VI 14,10

47

Gregor von Nyssa Homiliae in Ecclesiasten 6 (GNO 5, 380)

70

De titulis psalmorum GNO 5, 175

72

De vita Moysis II (GNO 7/1, 34. 56)

293

70

In epistulam primam ad Thessalonicenses homiliae 2 (PG 62, 478) 70 De Lazaro homiliae 6 (PG 48, 1042)

70

Nemesius von Emesa De natura hominis 2 p. 35 Morani

73

Photios Bibliotheke 214, 172 b 39 f.

73

Hierokles von Alexandria siehe Photios Hieronymus Epistulae 84,2 124,8

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Tertullian De anima 19. 27

240

171 179

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294

Register

Frühneuzeitliche Autoren Die Ausgaben, nach denen die Stellen im Register notiert sind, sind unter den Editionen frühneuzeitlicher Autoren (oben S. 285 ff.) verzeichnet. Von manchen Werken wurden in den einzelnen Beiträgen verschiedene Ausgaben benutzt. John Colet De Corpore Christi Mystico (ed. Lupton) IV p. 185 IV p. 186 IV p. 186 f. IV p. 190 Epistula 1 an John Kidderminster (ed. Knight) p. 312. 313 Epistula ad Radulphum (ed. Lupton) II (IV p. 171) III (IV p. 175 f.) IV (IV p. 182)

110 112 109 110

98

103 103 137

Epistolae B. Pauli ad Romanos Expositio Literalis (ed. Lupton) prooem. (IV p. 201) 113 f. prooem. (IV p. 203) 132 c. 1 (IV p. 213) 113 c. 2 (IV p. 218–220) 121 c. 2 (IV p. 219) 114, 121–124 c. 2 (IV p. 220) 123 c. 2 (IV p. 224 f.) 117 c. 2 (IV p. 225 f.) 133 c. 3 (IV p. 232) 134 c. 4 (IV p. 256 f.) 105, 110 c. 4 (IV p. 258 f.) 104, 131 c. 4 (IV p. 259 f.) 115 c. 4 (IV p. 260 f.) 116 c. 4 (IV p. 261 f.) 117 c. 4 (IV p. 262 f.) 114 c. 4 (IV p. 263) 115 c. 4 (IV p. 268) 134 Enarratio in Epistolam B. Pauli ad Romanos (ed. Lupton) c. 2 (I p. 138) c. 8 (I p. 153)

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123 111

c. 8 (p. 155–157) c. 9/10 (p. 165 f.) c. 10 (I p. 172) c. 11 (I p. 172) c. 11 (I p. 175) c. 12 (I p. 183–185) c. 12 (I p. 185 f.) c. 13 (I p. 200) c. 13 (I p. 204)

117 117 136 136 102 112 111 112 124 f.

Enarratio in Primam S. Pauli Epistolam ad Corinthios (ed. O’Kelly/Jarrott) c. 1 (p. 80) 117 c. 2 (p. 94–96) 117 c. 2 (p. 98) 113 c. 7 (p. 140) 116 c. 7 (p. 154) 111 c. 7 (p. 168–170) 112 c. 10 (p. 218) 121, 125 c. 10 (p. 219) 116 c. 12 (p. 236) 104 c. 12 (p. 238) 112 c. 12 (p. 246. 248) 102 c. 12 (p. 250) 102, 104 f. c. 13 (p. 258. 264) 112 Opus de Caelesti Dionysii Hierarchia (ed. Lupton) c. 1 (III p. 165 f. 167) c. 3 (III p. 173 f.) c. 7 (III p. 178)

105 117 118

Opus de Ecclesiastica Dionysii Hierarchia (ed. Lupton) II 2 (III p. 206) 109 IV 3 (III p. 231 f.) 109 V 1 (III p. 237) 133 V 3 (III p. 248) 109 De Sacramentis (ed. Gleason) p. 272

109

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Register Anthony Collins A Discourse of Free-Thinking (ed. Gawlick) p. 50 p. 123 p. 127 p. 162 p. 173 Anne Conway Principles (ed. Coudert/Corse) 1,7 6,7 6,8 6,8 f. 6,9.10 6,11 7,1 Ralph Cudworth A Treatise Concerning Eternal and Immutable Morality (ed. Hutton) IV 2,16 (p. 99 f.) The True Intellectual System of the Universe p. 43. 44 p. 183–770 p. 371 p. 383–390 p. 402–408 p. 559 p. 560 p. 566–570 p. 568 p. 576 p. 579 p. 598. 599 p. 603 f. p. 620 p. 623 p. 798 p. 874 Erasmus von Rotterdam Colloquia familiaria (ed. Welzig) p. 86

adamantiana - band02 - seiten001-307.indd 295

78 78 78 78 78

227, 232 229, 231 38, 231 37 231, 232 233 229, 230

30

191 16 193 193 193 33, 193 195 79 193 194 194, 196 194 195 194 195 191 79

76

295

Disputatiuncula (LB 5) 1288A

105

Ecclesiastes (LB 5) 857A 987C

147 147

Enchiridion (ed. Holborn) 8 f. 12 16 17 22 23 24. 25 26 28 f. 30 f. 32 f. 33 38 38–41 41 45–47 47 52 52–55 53 54 f. 55 f. 57–60 58 58 f. 59 60 63 66 67 67 f. 68 70–72 71 73 73 f. 75 76 82 f. 86 88 89–99 89

165 162 163 164 150 158 151 154 150 20 20, 164 150, 159 20 156 f. 161 158 152 f., 156 f. 20 20, 157 162 23 20 20, 155 151, 163 155 20 159 f. 163 156, 158 160 165 20 20, 158, 164 166 163 154, 163 163 f. 166 165 155, 159 f. 158 46, 159

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296 Epistulae (ed. Allen) Ep. 118 I p. 273 f. I p. 273 Ep. 165 I p. 375 Ep. 181 I p. 405 Ep. 844 III p. 337 Ep. 1211 IV p. 507–527 IV p. 508 IV p. 509 IV p. 510 IV p. 512 IV p. 514 IV p. 514 f. IV p. 515 IV p. 516 IV p. 517 IV p. 520 IV p. 522 IV p. 523 IV p. 526 IV p. 527 IV p. 532 Ep. 3134 IX p. 343

Register

95 144 147 142 27 91, 142 145 147 146 f. 146 96 89 92, 93, 97, 144 97, 99 97 97, 101 100 99 142 143 144

IIIa 4 IIIa 5 IIIa 6.8 f. 10 IIIa 11 IIIa 16 IIIb IIIb 6 IIIc IIIc 1 IV 7 IV 8.9.15 IV 16 IV 17

175 f. 176 177 179 173, 177 177 178 177 f. 22, 178 23 180 23, 180 172

De vita, phrasi, docendi ratione et operibus Origenis (LB 8) 424 f. 425–440A 425B 426B.C 427A 428A.C 430A 437D.E.F 438C

140 139 140 140 141 140 141 141 141

139

Marsilio Ficino Theologia Platonica XIV 8 (p. 324 f.)

117

Hyperaspistes (LB 10) II (1405C) II (1410C)

182 183

Thomas Harding A Reioindre to M. Jewels Replie 44v (p. 341 Gleason)

De immensa Dei misericordia (LB 5) 568C/D

180

De libero arbitrio (ed. von Walter) Ia 1 174 Ia 6 22, 171 Ia 7 22 Ib 2 173 IIa 8 23 IIIa 1 175 IIIa 2–17 22 IIIa 2 f. 173 IIIa 2 174 IIIa 3 175 IIIa 3 f. 22

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82 f.

Martin Luther De servo arbitrio StA 3, 272 StA 3, 302 StA 3, 342

182 182 181

Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum WA 7, 142 WA 7, 144

172 177

Großer Galaterkommentar WA 40/1, 302

182

14.01.2012 11:47:50

Register Henry More A Collection of Several Philosophical Writings The Preface General I p. xxi 32, 187, 224 I p. xxii 222 Conjectura Cabbalistica The Epistle Dedicatory II p. 1 II p. 4

205 205, 206 206

Divine Dialogues III 31 (p. 261. 263)

191

Explanation of the Grand Mystery of Godliness I8

222

The Immortality of the Soul p. 150 Jacob (II 12,11) p. 240. 245 f. More p. 247 More Letters to Anne Conway (ed. Nicolson/Hutton) p. 192 p. 194 p. 195 p. 220 Opera philosophica Praefatio generalis XVI (p. 12)

32, 233 191 190

221, 223 223 f. 223 224

32, 224

The Praeexistency of the Soul (ed. Grosart) 3,1 f. (p. 119)

189

Giovanni Pico della Mirandola Apologia I p. 175–177

133

Conclusiones sive Theses DCCCC (ed. Kieszkowski) p. 67 (= p. 92 Biondi)

14

De hominis dignitate (ed. Baumgarten/Buck) p. 2–11

12

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p. 2 f. p. 4–7 p. 6 p. 9 (ed. von der Gönna) p. 10–33 p. 10 f. p. 12–14 p. 22 f. p. 33–67 p. 56 f. 58–61 p. 60 f.

297 12, 43 12 109 53 12 12, 13, 22 111 15 12 15 16

George Rust A Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of His Opinions „To the reader“ (o. S.) 35, 199, 200, 201, 202 p. 1 f. 35 p. 1 200 p. 2 35 p. 3–5 34 p. 3 f. 200 p. 3 34, 200 p. 6–13 34 p. 7 200 p. 13 f. 34 p. 13 34, 200 p. 14–95 34 p. 14 34, 228 p. 18–20 201 p. 21 200, 201 p. 22 202, 203, 222 p. 23 202 p. 25 f. 203 p. 25 202 p. 26 203 p. 32 202 p. 35 204 p. 40 203 p. 44 189 p. 45 205, 207 p. 51 f. 207 p. 54 204 p. 56 211 p. 57 203 p. 60 f. 64. 66 211 p. 67 205 p. 71 204 p. 81 210, 211, 219

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298 p. 84 p. 88 p. 93 p. 94 f. p. 95–136 p. 95 p. 104 p. 120 f. p. 130 p. 135 f. p. 136

Register 222 211 212 211, 212 34 34, 211, 212 207 211 205 35, 211 201

John Smith (ed. Worthington/ Williams) Select Discourses p. 4 p. 377 p. 404 f. p. 425

32, 189 31 31 31

p. 458

31

John Turner A Discourse Concerning the Messias p. xix. clxii

193

Jean Vitrier L’homéliaire (ed. Godin) 6. 21 (p. 130–136. 205–212)

147

Benjamin Whichcote Discourses (The Works) I p. 371

30

Moral and Religious Aphorisms (ed. Salter) Nr. 130. 569 p. 53 (= Brief 2)

28 28

Namen und Sachen (Ab)Bild 10, 38, 40, 54, 74, 81, 96, 102–104, 106 f., 108, 110, 118, 124, 153–156, 158 f., 160, 162, 165, 232, 242–245, 250 f., 269, 273 Abel 94 Abraham 119, 133, 134 f. Absolute, das 79, 195, 236, 240, 256–261, 270, 273 Abstieg/Aufstieg 12, 20, 34, 38, 41, 48, 53, 56 f., 59 f., 79, 80, 81 f., 103, 106, 108–110, 111 f., 118, 131, 132, 152, 156, 160, 164, 172, 188, 190, 191, 210, 222, 226, 229, 231, 233, 238 f., 240 f., 246, 250, 254, 279 Absurde, das 39, 45, 56 f. Adam 61, 81, 104, 226, 240 Adiaphoron 20, 43, 52, 74, 151 f., 153, 156 f., 158, 159–161, 162, 163 f., 167, 181, 237 f., 250 Affekt 15, 38, 111 f., 115, 124, 133, 140, 151, 152, 155, 158 f., 161 f., 165, 179, 204 — Apathie 161 — Metriopathie 161

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Ägypten 48, 190 Ähnlichkeit (homoíosis) 15, 16, 20, 58, 106 f., 110, 117, 131, 153, 154, 155 f., 157, 166 f., 206, 208, 210, 242–245, 247, 250 f. Aineas von Gaza 72 Akrasie 22 f., 104, 140, 172, 246 Akt/Potenz 54, 55 f., 81 f., 103, 106, 108, 112, 113–120, 123, 154, 155, 156, 167, 203, 218, 239, 243–245, 246, 247, 248, 250 al-Farabi, Abu Nasr Muhammad 214 Allegorie 20, 93, 99, 164, 182, 191, 206, 207, 208, 213, 222, 226 Allmacht 79, 132, 137, 202 Älteste Systemprogramm, das 255, 261 Ambrosius von Mailand 20, 91, 144, 145, 164, 182 Ammonios Sakkas 209 Anagoge 93, 164 f. Analogie 30, 38, 53 f., 71, 78, 108, 110, 121, 126, 150, 158, 160, 161, 179, 204 f.

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Register Anfang/Prinzip/Ursprung 10, 20, 30, 45, 53 f., 57, 58, 59, 71, 103, 106 f., 121 f., 154, 156, 159, 165, 172, 174 f., 180, 186, 195, 237, 240 f., 243, 261, 265 Angela von Foligno 64 Anglikanische Kirche 84, 193, 225 Apokatastasis 17, 18, 22, 34, 36 f., 39 f., 41 f., 45, 51, 57–63, 65, 77, 160, 179, 180, 189, 221, 228, 231 f., 234, 254, 275–283 Apostel 163, 171, 211 Arendt, Hannah 279 Arianismus 188, 192, 193, 194, 195 Aristophanes 214 Aristoteles 67, 73, 164 Arius 49, 194, 196 Arnold, Gottfried 77 artes liberales 89, 140 Askese 108, 140 f., 165 Athanasius 49, 194, 196 Atheismus 205, 235 f., 264 Athen 31, 218, 268 Atomismus 186 Auferstehung 34, 109, 118, 228, 276 Aufklärung 10, 33, 40, 49, 50, 74, 77, 236 Augustinus 18, 19, 20, 21 f., 23, 27, 41, 49, 52, 61–63, 66, 74, 75, 76, 91, 93, 100, 101, 111, 114, 155, 158, 160, 164, 170, 172, 178, 181, 182, 196, 197, 213, 276, 277, 283 Autonomie siehe Freiheit Avicenna 214 Bacon, Roger 186 Bade, Josse 25, 169 Balthasar, Hans Urs von 18, 50, 51, 62, 63–65, 66, 153, 269, 275, 278 Barth, Karl 18, 50, 65, 218, 253, 275 Basel 21, 25 Basilius von Caesarea 49 Batt, Jakob 145 Bayle, Pierre 80 Béda, Noël 170, 183 Beda, Natalis 76 Bellamy, James 26 Berger, Peter L. 41 f., 278–280, 283 Bewegung (kínesis) 37, 71, 72, 103, 107, 108, 117, 119, 154, 156, 161, 231, 273 Bewusstsein/Selbstbewusstsein siehe Subjektivität Biel, Gabriel 78

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299

Bildung/Erziehung (paideía) 13, 16, 19, 35, 37, 43, 52, 59, 108, 110, 118, 127, 131, 137, 164, 203, 207, 209 f., 210–212, 213, 214, 218, 219, 281 f. Blondel, Maurice 64 Bodin, Jean 75 f. Boethius 234 Böhme, Jakob 76, 280 Borssele, Anna van 145 Böse, das 16, 20, 23, 39, 54, 57, 60, 61, 65, 69, 105, 108, 109, 112, 191 f., 197, 203 f., 227, 229, 241 f., 246 f., 249, 251, 279 Boyle, Robert 186 Brecht, Bertolt 263 Brunnen 165 Bussis, Johannes Andreae de 151 Buße 170, 175 Byzanz 24 Calvin, Johannes 63, 75, 197 Calvinismus 29, 187, 190, 278 Cambridge 26, 33, 89 f., 185, 186, 187, 190, 196, 205, 222, 223, 224 — Christ’s College 26, 34, 205 — Clare College 186, 187, 192 — Emmanuel College 26, 30, 186, 196 — King’s College 186 — Queens’ College 196 — Trinity College 185, 187 Camus, Albert 39, 45 Canterbury 78, 85, 96, 225 Cassirer, Ernst 26 f., 75, 186 Chaldäer 190 Chardin, Pierre Teilhard de 276 Chiliasmus 47 Cicero 89, 234 Clemens von Alexandria 15, 16, 57, 79, 101, 189, 196, 238 Cochläus, Johannes 76 Colet, John 18 f., 27, 45, 82–138, 142–144, 146, 148 f., 151, 156, 158, 166 Collins, Anthony 77, 78 Conway, Anne 16, 17, 33, 36–38, 203, 221–234 Corpus Iuris Canonici 169 Courtebourne 146 Cudworth, Ralph 16, 17, 29 f., 32, 36, 79 f., 185–188, 191, 192–196, 205, 225 Culverwell, Nathaniel 30 Cyprian von Karthago 91, 144, 145

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300

Register

Cyrill von Alexandria 195 Dämon 107, 150, 180, 239, 245 f. Daniélou, Jean 18, 50, 69 Decretum Gelasianum 169 Deismus 77 f., 193, 196 Dekalog 120, 133 Delarue, Charles 25 Delarue, Charles Vincent 25 Demiurg siehe Kosmos Denken (diánoia, nóesis) siehe Geist (noûs) Descartes, René 79, 186 f., 201 f., 212, 226 Determinismus 10, 17, 29, 41, 55, 61, 107, 177, 222, 246, 248, 250, 269, 270 Dialektik 15, 32, 111, 156–158, 269 Didymus von Alexandria 69 Dillingham, Theophilus 223 Döblin, Alfred 41, 263–267 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 279 Drey, Johann Sebastian 235, 236 Dualismus 77, 105, 110 f., 187, 268, 271 Eck, Johannes 27, 170 Eckhart, Meister 187 Edwards, Jonathan 188 Egidio di Viterbo 92 eigentliche/uneigentliche Rede siehe Analogie Ehe 119, 162 Eigentum/Besitz 115, 166 Eine, der/das (heis, hen); der/das Einfache (haploûn, haploûs); Eines/Vieles 41, 57, 58, 59, 60, 71, 109 f., 117, 160 f., 192–196, 261, 262, 265, 269, 274 einfache/vollkommene Christen 16, 47, 108 f., 141, 147, 208–211, 213 Einstein, Albert 282 Eklektizismus 102, 283 Empedokles 234 Empirie/Erfahrung 187, 188, 241, 259 f., 262 f., 270, 274 Ende/Ziel/Letztes 10, 13, 15, 30, 39, 42 f., 45, 59, 61, 65, 73, 108, 110, 117, 124 f., 152, 153, 156, 158 f., 159 f., 161, 162, 164, 165 f., 167, 209, 226, 243, 245, 247, 266, 279 Engel 56, 60, 79, 102, 104, 107, 109, 110, 113, 165, 229, 239 — Cherubim 102 — Erzengel 102

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— Fürsten 102 — Herrschaften 102 — Kräfte 102 — Mächte 102, 104 — Seraphim 102 — Throne 102 Entelechie 237 Ephräm der Syrer 68 f. Epicharmos 234 Epiktet 67 Epinoia (epínoia) 108, 158 f., 161, 162, 165 f. Epistemologie/Gnoseologie 19, 20, 22, 28, 42, 44, 45, 87, 99, 108, 113–120, 121–124, 125, 127, 132, 160, 187, 188 f., 203–207, 209, 219, 239, 244., 249, 256 f., 259, 262, 271, 272, 280, 282 f. Epiphanius von Salamis 189, 213 Epopteia (epopteía) 74 f. Erasmus von Rotterdam 12, 18, 19 f., 21–24, 25, 27, 33, 40, 41, 45, 49, 52, 75 f., 82 f., 84, 86, 89 f., 91 f., 93, 94–96, 97, 99, 100, 102, 105, 139–167, 170–183, 196, 277 Erbsünde 19, 23, 111 f., 191 Eriugena, Johannes Scotus 187, 196 Erlösung 17, 23, 36 f., 41, 51, 60 f., 65, 98 f., 109, 112, 117, 130, 136, 151, 153 f., 159, 163, 172, 175, 187, 222, 226, 228, 231, 233, 234, 276, 279 f. Erziehung siehe Bildung Esau 158, 179 Esoterik/Exoterik 15 f., 35 f., 133 f., 210, 214, 216–218, 234 Esra 15 Ethik 10 f., 15, 26, 29 f., 38 f., 67, 72, 78, 82, 89, 99, 108, 110–131, 149–152, 155, 159 f., 161–164, 167, 191, 203, 208, 230 f., 241, 243, 249, 250 f. Eucharistie 51 Euklid 234 Euripides 234 Eusebius von Caesarea 47, 140 Eva 158 Evagrius Ponticus 48 Evangelium 50, 119 f., 141, 146, 200, 253, 276 Evdokimov, Pavel 279, 283 Everard, John 187 Evolution 276, 279 Exegese siehe Heilige Schrift Exsurge Domine 172

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Register Fall siehe Abstieg/Aufstieg Fatalismus siehe Determinismus Fegefeuer 170 Fénelon, François 63 Feuer 57, 62, 129 Fichte, Johann Gottlieb 254, 255, 256 f., 258 Ficino, Marsilio 14, 81 f., 86 f., 90 f., 92 f., 97, 100, 101, 102, 114, 115, 116, 117, 144, 187 Fitzjames, Richard 96 Florensky, Pavel 277, 283 Florenz 81, 83, 90, 91, 185 — Florentinische Akademie 14, 27, 81, 101, 144 Forte, Bruno 275 f. Fortschritt 41 f., 45, 71, 179, 180, 207, 213, 255, 262, 281, 282 Franck, Sebastian 76, 187 Französische Revolution 255 Freiburg i. Br. 40, 235 Freiheit 9–11, 11–13, 14, 16–18, 19, 20, 21–23, 29, 31, 33, 38 f., 40, 41, 44 f., 52–57, 60 f., 65, 66, 67–80, 81 f., 106–110, 114, 118, 126, 131, 155, 164, 166 f., 171–180, 182, 187, 191 f., 197, 222, 225, 227, 239, 240–242, 244, 245–249, 250 f., 254, 260, 262, 267, 269–273 Freud, Sigmund 263, 266 Friede 26, 31, 129, 149, 150 Frühidealismus 269 Gadamer, Hans-Georg 213, 214 f., 217 Gale, Thomas 185, 187 Garcia, Pierre 49 Gebet 62, 65, 85, 147, 150 — Vaterunser 99 Geheimnis 160, 164, 191, 195, 208, 228, 269 Geist/Intellekt (noûs) 10, 16, 19, 23, 31, 42 f., 48, 53, 57, 60 f., 68 f., 71, 73, 102, 104, 106, 108, 111, 113, 115, 117, 118 f., 120, 122, 126, 127 f., 130 f., 132, 154, 156, 158, 159, 160, 161, 165, 186 f., 188, 189, 194, 195, 196, 203, 204 f., 228, 229 f., 233, 237–242, 243 f., 247, 248 f., 250 f., 253, 257, 258, 260 f., 262, 265–267, 271–274, 282 geistige Sinnlichkeit 32, 188 f., 257 f. Génébrard, Gilbert 25 Gerechtigkeit 37, 38, 61–63, 65, 79, 162, 174, 177, 180, 190 f., 222, 226, 227, 231, 276, 278 f.

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Gericht siehe Strafe Geschichte/Vorsehung 39, 44, 52, 56 f., 58 f., 60 f., 65, 148, 153, 165, 191 f., 222, 226, 228, 230, 253, 254, 255, 274 Gesetz (nómos) 10, 16, 28, 31, 70, 77, 114–117, 119 f., 121–123, 125, 126, 127, 129 f., 131, 133 f., 153, 157 f., 161 f., 165 f., 167, 205, 208, 241, 248 Gestirne 42, 102 f., 281 — Sonne 102, 105, 174, 176 Gewissen 19, 58, 114–116, 119–131, 158 — synderesis 115, 116 Glanvill, Joseph 32, 36, 187, 189, 191, 224 Glaube 31, 60, 65, 94, 117, 123, 134 f., 140, 147, 154 f., 162, 164, 178, 181, 206, 209, 210, 218 f., 259, 277 f. — Glaubensbekenntnis 278 Glück/Glückseligkeit (eudaimonía) 46, 64, 79, 204, 219, 245 Gnade 13, 19, 22, 36 f., 65, 107, 108, 109, 111– 117, 120, 124, 125, 131, 155, 167, 172, 178, 179, 180, 187, 231, 279, 283 — Synergismus 22 f., 107, 155, 167, 172, 178, 180 Gnosis 15, 53, 61, 68, 69, 71, 107, 191, 280 Gödel, Kurt 42 f., 280–283 Goethe, Johann Wolfang von 77 Goldene Regel 119, 124 f. Gott siehe Trinität/Vater (Gott Vater) Gottesdienst 150, 162 f. Gottesschau/Gotteserkenntnis 15, 22, 30, 32, 42, 45, 108 f., 113 f., 117–119, 120, 132, 160, 175, 188, 210, 262, 280, 282 f. Gottsched, Johann Christoph 80 Götze/Götzendienst siehe Idolatrie Grass, Günther 263 f. Gregor von Nazianz 49, 57 Gregor von Nyssa 57, 70, 72, 195 Gregor von Rimini 172 Gregor der Wundertäter 13 Grocyn, William 83, 85, 90, 93, 94, 95, 143 gut/Güte 13, 16, 17, 20, 21–23, 29 f., 31, 36 f., 39, 42 f., 46, 50, 53 f., 58, 60, 61, 68, 69, 70, 73, 78 f., 108, 112, 116, 117, 121, 123, 174 f., 177, 187, 188 f., 195, 197, 203, 222, 226, 227, 228 f., 231, 240, 246 f., 248 f., 251, 277 Habermas, Jürgen 41, 269–274 Halloix, Pierre 34

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Register

Harding, Thomas 82 f. Häresie 11, 18, 20 f., 28 f., 49, 77, 96, 145, 146, 170, 172, 189, 192, 199 f., 203, 213, 225 Harnack, Adolf von 50 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 40, 67, 235, 254, 255 f., 264 Heidegger, Martin 213 f., 258, 269 Heiden 13, 58, 101, 113, 114, 120, 121, 122–124, 132, 134 f., 137, 158, 161, 194, 205, 227 Heil siehe Erlösung heilig/Heiligkeit/Heiligung 54, 78, 112, 115, 153, 229, 238 Heilige Schrift 20, 21, 31, 35, 84 f., 91, 93, 98 f., 133 f., 141, 147, 157 f., 164 f., 170 f., 173, 180 f., 181 f., 187, 189, 196, 200, 201, 203, 204–209, 210, 213 f., 218 f., 225 f. Heiliger Geist siehe Pneuma Heinrich VIII. 88 Hellenisierung des Christentums 50 Helmont, Francis Mercury van 37, 227, 234 Herbert of Cherbury 77 Hermeneutik 30, 35, 93, 164 f., 180 f., 181 f., 204–219 Hermetik 38, 86 Hierokles von Alexandria 73 Hieronymus 14, 20, 24, 25, 48, 49, 57, 91, 92, 105, 144, 145, 148, 151, 152, 161, 163, 164, 169, 171, 175, 179, 181, 189, 190, 213 Hilarius von Poitiers 15 Himmler, Heinrich 279 Hirscher, Johann Baptist von 235 f. Hitler, Adolf 42, 279 f. Hobbes, Thomas 186, 192 Hoeschelius, David 224 Hoffnung 13, 40, 41, 45, 58–65, 136 f. Hölderlin, Johann Christian Friedrich 254 f. Hölle 33, 36 f., 42, 49, 57, 59, 61, 64 f., 135, 157, 187, 221 f., 224, 228, 229, 231, 276 homoousios 194 Hort, Fenton J. A. 196 Hotham, Charles 190 Huet, Pierre Daniel 25, 34, 50, 139 Hugolin von Orvieto 172 Humanismus 10, 11, 18–25, 33, 41, 44, 49, 50, 52, 54, 81–86, 90, 93, 94–97, 101, 125, 142 f., 149, 170, 185, 186, 197 Hyerothaeus, Constantius 25 Hypostase (hypóstasis) 34, 112, 188, 192–195, 222, 228, 232

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Idealismus 10, 11, 38–40, 150, 158, 185, 187, 236 f., 250, 266, 267, 268, 269, 272 f. Idee (idéa, eîdos, morphé, schéma, parádeigma) 10, 103, 106, 118, 153–155, 159, 160 f., 194, 195, 203 f., 232, 243–245, 247–249, 250 f., 257, 259, 262, 267, 269 Identität 30, 79, 193 f., 197, 235, 244, 256, 257 Idolatrie 131, 194 Individualität 63 f., 70 f., 150, 167, 180, 191, 194, 195, 230, 244, 265, 270 f., 274, 281 Inkarnation 59, 65, 103, 223 f., 265 innerer Mensch 107, 118, 158, 167, 204 Innozenz VIII. 11, 52, 82 Isaak 77, 133, 135, 165 Islam/Muslime 214, 227, 232 Israel 71, 113, 132, 136 f., 177 Jacobi, Friedrich Heinrich 256, 261 Jakob 135, 158, 160 Jamblich 72, 187, 194 Jansenismus 63 Jena 185 Jerusalem 31, 73, 218 Joachim von Fiore 47 Johannes Chrysostomus 70, 182 Johannes von Damaskus 195 Johannes zu Malta 88 Jonas, Jodokus/Justus 89, 95, 97, 142 Judentum/Juden 114, 121, 122, 133 f., 134 f., 135 f., 190, 214, 224, 227, 232, 233 f. Julius Africanus 25 Kabbala 16, 37 f., 133 f., 205 f., 221, 227, 228, 232–234 — Lurianische Kabbala 38, 227, 233 f. Kandinskij, Wassily 280 Kant, Immanuel 10, 11, 33, 39 f., 44, 77, 191 f., 240–242, 250, 255 f., 271 f. Karl I. 185 Kelsos 13, 24, 25, 26, 28, 30, 32, 59, 72, 137 Kenosis 148 Kidderminster, Richard 98 Kierkegaard, Søren 12, 55 Kirche 29, 62, 84 f., 109 f., 115, 124 f., 146, 161, 163 f., 167, 170, 173, 282 Klopstock, Friedrich Gottlieb 76 Kolakowski, Lesek 197 Kompatibilismus/Inkompatibilismus 270

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Register Konstantinopel 48 — Zweites Konzil von Konstantinopel 189 Kontradiktionsprinzip 39, 150–152 Körper siehe Leib Kosmos 12, 30, 39, 42 f., 45 f., 52, 58 f., 67–72, 102–105, 107 f., 110, 112, 113, 137, 155, 160, 165, 186, 194, 204, 230, 237, 240 f., 246, 255–263, 265–267, 268, 269, 270, 271, 281 — Mikrokosmos 52, 104, 110 — Weltseele 41, 107, 260, 267 f. Kreatianismus 40, 190, 240 Kreuz 60 f., 62, 65, 264 Laelius, Theodor 151 Laotse 280 Latimer, William 196 Latitudinarianismus 28, 225 Leben 10, 31, 45, 53, 64, 97 f., 123, 134, 143, 148, 150–155, 157, 161 f., 166, 187, 204, 229 f., 242, 243, 244 f., 248, 249, 250, 259, 266, 268, 272, 276, 282 Leclerc, Jean 80 Leib 19 f., 23, 34, 38, 40, 62, 77, 80, 104, 105– 107, 109, 110 f., 117, 118 f., 133, 153, 155–158, 160–162, 163, 181, 190, 204 f., 222, 224, 226, 229 f., 237–239, 240 f., 250, 259 f., 265, 268 Leibniz, Gottfried Wilhelm 49, 76, 77, 78 f., 80, 282 Lessing, Gotthold Ephraim 11, 33, 49, 52 Licht 15, 30, 31, 37, 57, 103, 105, 108 f., 110, 114, 117, 118, 121, 122, 131, 158, 159, 189, 204, 207, 232, 238, 262, 276 Liebe (agápe/éros) 17, 31, 37, 51, 60 f., 62, 63 f., 70, 73, 76, 77, 79, 80, 103, 107, 115, 117, 118, 121, 124 f., 159, 160, 162, 165, 167, 179, 218, 238, 247 Linacre, Thomas 83, 90, 93, 95, 143 Locke, John 190, 192 Logos 10, 15, 20, 30, 32, 58 f., 59, 107 f., 118, 130, 135 f., 153–155, 158 f., 164, 165 f., 167, 194 f., 204, 207, 208, 209, 210, 228, 232, 234, 236, 239 — Mittler 37, 41, 58 f., 65, 103, 105, 109, 110, 112, 151, 153–155, 165, 229, 234, 254 — Seele Jesu 163, 234 Lollarden 96 Lubac, Henri de 18, 48, 50 f. Luere, Simon de 25 Lukian 162

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Lukrez 77 Lupset, Thomas 94 Luria, Isaak 38 Lust siehe Affekt Luther, Martin 21, 23, 49, 63, 75, 111, 150, 156, 159, 170–173, 177, 178, 179, 180 f., 181–183, 190, 196 f., 213 Lutheraner 278, 281 Maimonides, Moses 214 Malevich, Kazimir 280 Mancuso, Vito 41, 275–277, 282 f. Manichäer 68, 69, 80 Manutius, Aldus 24, 92 Marcel, Gabriel 64 Maria 163 Marie de l’Incarnation 64 Marquard, Odo 255, 263 Martini, Carlo Maria 276 Materie 103–105, 112, 113, 161, 186 f., 194, 222, 226, 229, 230, 241, 255, 260 f., 266, 267, 271 Materialismus 29, 186, 190, 236, 240, 268 Maximus Confessor 49, 57, 195 Mechanismus 29, 186 Mechthild von Hackeborn 64 Medici, Cosimo de’ 81 Medizin 28, 37, 262 f. Melanchthon, Philipp 21, 76 Menschenrechte 74 Merleau-Ponty, Maurice 257 Merlin, Jacques 24 f., 169 f. Messias 224, 234, 264 Metapher siehe Analogie Metaphysik 10, 12, 15, 17, 18, 28, 38, 39, 44, 55, 74, 153 f., 158, 166 f., 192 f., 196, 201 f., 221, 223, 226, 228, 273 Metempsychose 48, 50, 56, 71–73, 79, 189 f., 277 Methodismus 188 Milton, John 77 Mitte 52 f., 74 f., 103, 128, 151 f., 153, 156, 161, 165, 190, 192, 229, 234, 237 f., 244, 250 Möhler, Johann Adam 235, 236 Mönchtum 48, 49, 85, 149, 162 Mondrian, Piet 280 Monismus 38, 226, 229, 233, 268, 271 f. Monotheismus 119, 191, 194 f. Moralpositivismus 77–79, 124

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Register

More, Henry 16, 29, 32, 36 f., 79 f., 186–188, 190 f., 202, 203, 205–207, 212, 221–228, 233 f. More, Thomas 18, 82 f., 94 f., 143 Morgan, Thomas 77 Mose 16, 38, 119, 134, 137, 205, 207, 234, 242 Mosheim, Lorenz von 185 Nachahmung/Nachfolge 45, 103, 105, 106, 116, 117 f., 124, 131, 141, 154, 157, 243 Nachlässigkeit 34, 62, 71 f., 80, 114, 203, 228, 230 Nagel, Thomas 268 Natur siehe Kosmos Naturalismus 186, 271 f. Naturwissenschaft 10, 27, 43, 186, 262, 270, 272, 276, 281, 283 Nemesius von Emesa 73 Neoscholastik 51 Newman, John Henry 50 Niebuhr, Reinhold 253 Nizäa 193 f. Nominalismus 77, 130 Nomos siehe Gesetz Notwendigkeit siehe Determinismus Nouvelle Théologie 51, 149 Ockham, Wilhelm von 130 Oetinger, Friedrich Christoph 77 Offenbarung 37, 60, 99, 113 f., 116, 118, 120, 123 f., 133 f., 218, 236, 243, 262, 269 Oikonomia (oikonomía) siehe Geschichte/ Vorsehung Ordnung siehe Kosmos Origenistische Streitigkeiten 34, 48 f., 66, 74, 213 Orphik 38 Oxford 83, 84, 85, 89 f., 92, 93, 94, 96, 98, 143 Pace, Richard 94 Pädagogik siehe Bildung/Erziehung Palästina 48 Panentheismus 264–266 Panpsychismus siehe Weltseele Pantänus 209 Pantheismus 235, 245, 261, 269, 282 Papsttum 85 Paris 25, 83, 92, 169, 170 — Sorbonne 144, 170

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Parker, Samuel 186, 225 Pascal, Blaise 197 Paulus 20, 58, 60, 99, 101, 105, 113, 117, 119, 126, 127, 129, 133–135, 136, 140, 143, 144, 153, 158, 164, 175, 179 Pazzi, Maria-Magdalena 64 Pelagianismus 76, 170, 183, 197 Pelagius 49, 170, 183 Peripatos 161, 192 Persona, Cristoforo 13, 24 Pétau, Denis 194 Petersen, Johann Wilhelm 76 Petit, Jean 25 Pflicht 78, 99, 114, 124, 127, 140, 151 f., 155, 158 f., 162, 165–167, 246, 249, 255 Pharao 174, 175, 176, 177, 179 Philister 165 Philon von Alexandria 119, 240 Philosophie 13, 20, 26, 28, 30 f., 35, 37 f., 44, 101, 113 f., 121, 132, 140, 145, 147, 151, 154, 158, 186 f., 190 f., 193, 204 f., 208–210, 213 f., 216–219, 226, 227, 235 f., 259, 263 Photios 73 Physikalismus 267 Pico della Mirandola, Gianfrancesco 75 Pico della Mirandola, Giovanni 11–18, 20– 22, 39 f., 44, 49, 52–54, 74 f., 81 f., 86 f., 90–93, 95, 101–103, 109–111, 113, 118, 124 f., 133, 134, 144, 157, 169 pietas 19, 45, 123, 140–142, 145, 147, 149–166, 167 Platon 26, 35, 71–73, 78, 86, 89, 95, 113, 144, 151, 158, 160, 187, 190, 192, 193, 196, 205, 210, 214, 216, 217, 234, 240, 244, 254 Platonismus 10, 14 f., 19, 20, 26 f., 31 f., 35, 37, 44, 45, 72 f., 77, 79 f., 81 f., 86, 93, 94 f., 101, 105, 110 f., 114 f., 143, 144, 151, 153, 156, 158, 160 f., 166 f., 170, 185 f., 187, 188, 189 f., 192, 193–196, 210, 217, 225, 228, 240, 268, 277 Plotin 26, 27, 32, 86, 89, 107, 188, 190, 209, 229, 234, 280 Pneuma 37, 104, 107, 108, 112, 113, 116, 130, 136, 141, 153, 154, 155, 160, 163, 166, 183, 187, 196, 203, 206, 208, 218 f. Pneumatiker siehe einfache/vollkommene Christen Poliziano, Angelo 83 Poppenruyter, Johann 142, 148–150 Porphyrios 72

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Register Prädestination 29, 63, 75, 175 f., 187, 197, 276 Präexistenz 22, 32, 34, 36, 40, 80, 156, 160, 179, 188, 188–192, 202, 203, 212, 222–224, 225 f., 228, 230, 233, 234, 237, 240–242, 250, 259, 277, 278 f. Prinzip siehe Anfang prisca theologia 14, 16, 38, 144 Proklos 234 Prophetie/Propheten 175, 179 Psellos, Michael 234 Pseudo-Clemens 67 Pseudo-Dionysius Areopagita 85, 91, 99, 101, 102, 105, 107, 109 f., 113, 144, 158, 187 Puritanismus 10, 29, 186, 188 Pythagoras 193, 205, 234 Pythagoreer 205, 210 Quäker 73, 233 f. Rabbinische Literatur 224, 233 Rahner, Hugo 250 Rahner, Karl 18, 50 Rationalismus 30, 113 f., 161, 201, 203, 236, 272, 280 Ratzinger, Joseph/Benedikt XVI. 65, 267 Rechtfertigung 63, 112, 122 f., 130, 134, 159, 181 Reformation 44, 50, 51, 76, 82–84, 169 Reimarus, Hermann Samuel 77 Reinhold, Karl Leonhard 256 Reinigung 15, 58, 93, 101, 108 f., 117, 124, 129, 133, 136, 230 Relativismus 29 f. res cogitans/res extensa 187 Restauration 186, 191, 224 Ridley, Cranmer 196 Rom 11, 13, 24, 30, 50, 52, 75, 90 Romantik 185, 236 Rosenroth, Christian Knorr von 234 Royal Society 186 Rufinus von Aquileja 57, 169 Rust, George 33–35, 36, 37, 79, 80, 189, 191, 199–205, 207, 210–215, 218–219, 222 Sailer, Johann Michael 236 Saint-Omer 95, 146 Sakrament 85, 151, 163 Salodianus, Theophilus 24 f. Sartre, Jean-Paul 12 f., 39, 55–57, 70

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Savonarola 90 Schau (theoría) siehe Gottesschau/Gotteserkenntnis Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 41, 191, 236, 240, 241 f., 250, 253–264, 267, 269 f., 273 f. Schicksal siehe Freiheit Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 50, 51, 213, 217, 236 Schopenhauer, Arthur 266 Schöpfung siehe Kosmos Schwenckfeld, Caspar 76 Seele 10, 12, 14 f., 19 f., 22, 30, 31, 32, 34, 36 f., 38, 40, 56, 57, 58, 60, 70–72, 79 f., 105–111, 118 f., 120, 126 f., 130, 148, 152–163, 166 f., 179, 181, 185, 187, 188 f., 189–192, 202, 203, 204, 207, 211, 212, 213, 217, 222–224, 225 f., 228–230, 231, 233, 234, 237–239, 241, 245 f., 250, 276 f., 278 f. — Geist (pneuma) 12, 15, 19 f., 30 f., 38, 40, 47, 52, 93, 96, 105–109, 113, 117, 118 f., 122, 127 f., 131, 133 f., 140, 141, 147, 150–152, 152–167, 179, 181, 189, 191, 204, 205–207, 208–210, 211, 213, 229 f., 233, 237–239, 240–242, 243 f., 245, 248 f., 250, 265 — Hegemonikon/Herz 37, 60, 106, 119 f., 122, 125–128, 129 f., 154, 155, 162, 174 f., 177, 204 — Trichotomie 19 f., 40, 105 f., 110, 118 f., 152–163, 167, 181, 237–239, 250, 258, 260, 267 f. Selbsterkenntnis siehe Subjektivität Scotus, Johannes Duns 79, 91 Sensualismus 29 Septuaginta 134 Shaftesbury, Anthony 33, 40 Shakespeare 191 Sibyllinische Orakel 38 Skepsis 132, 173, 272, 278, 279 Smith, John 31 f., 80, 188 f., 196 Soardo, Lazaro 25 Sodom 232 Sohn (Gottes) 105, 108, 113, 128, 137, 153 f., 159, 175, 194 f. Sokrates 35, 44, 76, 78, 143, 209 f., 216, 217 Sozinianismus 32, 192 f. Sozzini, Fausto 192

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Register

Spätscholastik 49, 77 f., 80, 84, 89, 93, 115 f., 121, 122, 130, 143, 147, 149, 150, 164, 177, 186 Spencer, William 26, 187, 224 Spinoza, Baruch de 41, 186, 216, 258, 264, 265, 266, 269, 282 Spiritualisten/Spiritualismus 76, 156 St. Omer 145 St. Paul’s School 83, 86, 96 Staudenmaier, Franz Anton 8, 40 f., 192, 235–251 Stoa 67, 68, 79, 89, 161, 281 Strafe 34, 36 f., 41 f., 57–59, 61–65, 123, 128– 130, 136, 175, 221, 222, 228, 229 f., 231 f., 239–241, 276, 278 f. Strauss, Leo 35, 213 f., 215 f. Streben 13, 17, 22, 28, 45, 97 f., 99, 106, 108, 116, 118, 124, 125, 155 f., 157, 159 f., 165, 176, 202, 204, 208, 209 f., 218, 219, 242, 258, 260 Subjektivität 20, 39, 44, 56, 151 f., 188, 215, 255–261, 267, 271–274 Substanz/substantiell 13, 16, 51, 53, 55, 56, 67, 68, 69, 70 f., 72, 73, 79, 105, 107 f., 156, 195, 226, 228–230, 232, 243 Sünde 19, 22 f., 34, 41 f., 57 f., 60, 62, 63, 64 f., 81 f., 103–105, 110, 111 f., 118, 120, 121, 123, 125, 127, 129 f., 153, 156, 159, 170, 172, 174 f., 191, 222, 229–232, 238, 243, 246 f., 251, 278 f. Swift, Jonathan 45 Symbol 164, 245, 271 Taufe 23, 151, 170 Tauler, Johannes 187 Teilhabe 10, 20, 103, 108 f., 118, 135, 194, 154, 241 Teleologie siehe Ende tertium non datur siehe Kontradiktionsprinzip Tertullian 240, 253 Teufel 59, 62, 69, 76, 78, 80, 110, 150 f., 153, 159, 226, 229, 232, 239, 245, 247, 279 Theodizee 191, 197, 222, 225, 228, 231 theologia naturalis 113, 132 Theonomie 10, 124 Theophylakt 182 Theresa von Avila 64 Therese von Lisieux 64

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Thomas von Aquin 63 f., 66, 91, 97, 101, 114, 116, 187, 244 Thomas von Canterbury 78, 85, 96, 225 Tier 12, 20, 38, 53, 56, 71 f., 74 f., 109, 152, 157 f., 160, 167, 204, 226, 229, 230 f., 246, 282 Tillich, Paul 50, 253 Tindal, Matthew 77 Tod 41 f., 43, 52, 60, 62, 97, 110 f., 113, 136, 139, 140, 151, 155, 158, 172, 210, 226, 247, 276, 277 Toleranz 26, 27 f., 75 f., 263 Toralba 76 Tournehem 142, 145, 148 Traduzianismus 190, 239 f. Traherne, Thomas 191 Transzendentalphilosophie 191 f., 258–260, 271–274 Trinität 32 f., 34, 153–154, 156, 160, 167, 188, 192–196, 201, 205, 222, 228, 232, 274 — Heilstrinitarismus 33, 153–154, 156, 167 — perichorese 193 Tritheismus 195 Troeltsch, Ernst 50 Tübingen 185, 235, 236 — Tübinger Schule 40, 236 Tugend 23, 31, 64, 79, 107, 109, 126, 128, 150 f., 153, 155, 159, 160, 162, 165, 175, 206, 216, 230, 238, 243, 250 Turner, John 193 Typos 149, 154, 159, 165, 166 Unbedingte, das siehe Absolute, das Unitarier siehe Sozinianismus Universalität 10, 20, 30, 31, 37, 38, 39 f., 45, 51, 59, 60, 62, 64, 75, 125, 150, 158, 161, 165 f., 167, 194, 222, 228, 231, 234, 271 Ursache siehe Anfang/Prinzip/Ursprung Urteil 23, 27, 115, 120–131, 162, 202, 249 Valdes, Juan 277 Valla, Lorenzo 176 Vater (Gott Vater) 13, 37, 50, 59, 108, 128, 153, 154, 164, 175 f., 180, 195, 231, 268 Vaughan, Thomas 191 Venedig 24, 25, 86 Verantwortung 52, 64 f., 114, 153 f., 172, 240 Vernunft siehe Geist/Intellekt

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Register Versöhnung 41, 50, 51, 60, 61, 77, 149, 222, 235, 254 f., 259 vital congruity 222 Vitrier, Jean 19, 95 f., 142, 145–149, 166 vollkommene Christen siehe einfache Christen Vollkommenheit 14 f., 19, 39, 43, 60, 80, 103, 106, 108–110, 117–119, 131, 140 f., 151, 152–155, 157–167, 194, 205, 207, 213, 214 f., 219, 243 Voluntarismus 12, 16 f., 29, 52–54, 68–72, 77, 78, 79, 187, 195, 202 Vorherwissen 53 f., 176 f. Vorsehung siehe Geschichte Vorstellung 117, 191, 204, 246, 249 Wahrheit 10, 16, 28, 29, 31, 59, 64, 71, 74, 78, 103, 105, 111 f., 113 f., 116, 117, 124, 125, 132, 135 f., 142, 146, 154, 159, 165, 170 f., 187–189, 190, 197, 203, 204, 205 f., 212, 214–219, 225, 227, 235 f., 238, 243, 245, 247, 248 f., 250, 265, 266, 273, 283 Wang, Hao 280 Ward, Richard 29, 226 Ward, Seth 225 Warham, William 96 Warren, Edward 191 Weg 14 f., 28, 37, 39, 47, 57, 63, 98 f., 101 f., 108, 110, 124, 132 f., 136, 148, 151, 203, 205, 206, 207, 209, 219 Weisheit (sophía) 20, 28, 30, 72, 78, 79, 93, 98, 100, 103, 104, 108, 113, 114, 117, 151, 159, 162, 178, 185, 190, 193, 195, 232, 268 Weltenzyklen 34, 42 f., 48, 53, 54, 57, 59, 231 f.

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Wert 27 f., 29 f., 39, 56, 116, 121, 126, 128, 160, 162 f., 166 Wesley, John 188 Westcott, Brooke 196 Whichcote, Benjamin 27, 28, 29, 30, 33, 36, 186, 196 Whiston, William 192 White, Jeremiah 199 Wiedertäufer 76 Wieland, Christoph Martin 76 f. Wieland, Wolfgang 257 Wille (prohaíresis) 12, 16 f., 21–23, 31, 39, 51, 52–54, 59, 60, 62, 65, 67–72, 75, 76, 78 f., 104, 106, 107, 111, 113, 116, 122, 131, 169, 170, 172–180, 182, 183, 187, 193, 195, 202, 222, 232, 241, 243 f., 246 f., 248 f., 250 f., 273 Willensfreiheit siehe Freiheit Willensschwäche siehe Akrasie William de Melton 85 Wissen siehe Epistemologie Wolff, Christian 74 Würde 9 f., 12, 13, 14 f., 20, 38 f., 40, 43–45, 52, 70, 81, 82, 87, 104, 106, 127, 128, 136, 166, 194, 243 f., 249, 250 Xenophon 214 Zarathustra 234 Ziel/Zweck siehe Ende Zurechnungsfähigkeit siehe Verantwortung Zustimmung (synkatáthesis) 68 f., 114 f., 122, 193, 246 Zwingli, Ulrich 75

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