Aufklärung Und Romantik ALS Herausforderung Für Katholisches Denken 3506766147, 9783506766144

»Soviel Aufbruch war nie« wie in Romantik, Aufklärung und Idealismus zwischen 1750 und 1850. In diesem aufgewühlten und

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Aufklärung Und Romantik ALS Herausforderung Für Katholisches Denken
 3506766147, 9783506766144

Table of contents :
Aufklärung und Romantik als Herausforderung für katholisches Denken
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINFÜHRUNG
Franz von Baader im Kontext
Über die „Kritische Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“: Ein Forschungsbericht
Das Erbe der Romantik
II. FRANZ VON BAADER IN NATURPHILOSOPHIE UND THEOLOGIE
Vis conjuncta fortior, vis separata debilior: Elementarphysik und Chemie beim frühen Baader
Empirische Forschung und Metaphysik in Baaders Naturphilosophie
Baader und der Thierische Magnetismus
Baaders Bemühungen um ein integral-theologisches Verständnis des Opfers und des Kultus in den 1830er Jahren
Baaders Konzept von Christlicher Philosophie. Aktualität und Grenzen
Franz von Baader und Hugo Ball: «Eine Konspiration in Christo»
III. FRANZ VON BAADER IM HORIZONT VON RELIGIONSPHILOSOPHIE UND MYSTIK
Portée et perspectives métaphysiques de la pensée de Jacob Boehme
Franz von Baader – Jacob Böhme: Eine innere Verwandtschaft
Baader und Saint-Martin
Baader, Hegel und Meister Eckhart
IV. FRANZ VON BAADER IM SPANNUNGSFELD DES DEUTSCHEN IDEALISMUS
Baader’s Realism: A meta-perspective on the sub-divisions of philosophy
Baader und Schelling. Bemerkungen zu ihrer Naturphilosophie
Schelling und die Eschatologie
Vermittlung bei Franz von Baader
Autorenverzeichnis
Namenregister

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Alberto Bonchino, Albert Franz (Hg.) Aufklärung und Romantik als Herausforderung für katholisches Denken

BAADERIANA Herausgegeben von

Alberto Bonchino und Albert Franz

Band 3 · 2015

Alberto Bonchino, Albert Franz (Hg.)

Aufklärung und Romantik als Herausforderung für katholisches Denken

Ferdinand Schöningh

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2015 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-506-76614-4

INHALTSVERZEICHNIS

I.

EINFÜHRUNG

ALBERT FRANZ Franz von Baader im Kontext .....................................................................

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ALBERTO BONCHINO Über die „Kritische Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“: Ein Forschungsbericht ................................................................................. 13 DAMIR BARBARIĆ Das Erbe der Romantik ............................................................................... 21

II.

FRANZ VON BAADER IN NATURPHILOSOPHIE UND THEOLOGIE

STEFANO POGGI Vis conjuncta fortior, vis separata debilior: Elementarphysik und Chemie beim frühen Baader ..................................... 39 GIAN FRANCO FRIGO Empirische Forschung und Metaphysik in Baaders Naturphilosophie ....... 48 KATHARINE WEDER Baader und der Thierische Magnetismus .................................................... 59 JORIS GELDHOF Baaders Bemühungen um ein integral-theologisches Verständnis des Opfers und des Kultus in den 1830er Jahren ........................................ 82 GÜNTER KRUCK Baaders Konzept von Christlicher Philosophie. Aktualität und Grenzen ............................................................................... 98 ECKHARD FÜRLUS Franz von Baader und Hugo Ball: «Eine Konspiration in Christo» ............ 111

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III.

INHALTSVERZEICHNIS

FRANZ VON BAADER IM HORIZONT VON RELIGIONSPHILOSOPHIE UND MYSTIK

MIKLOS VETÖ Portée et perspectives métaphysiques de la pensée de Jacob Boehme ....... 123 FERDINAND VAN INGEN Franz von Baader – Jacob Böhme: Eine innere Verwandtschaft ................ 139 WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN Baader und Saint-Martin ............................................................................. 150 THOMAS RENTSCH Baader, Hegel und Meister Eckhart ............................................................ 171

IV.

FRANZ VON BAADER IM SPANNUNGSFELD DES DEUTSCHEN IDEALISMUS

PAUL ZICHE Baader’s Realism: A meta-perspective on the sub-divisions of philosophy ............................................................. 181 JÖRG JANTZEN Baader und Schelling. Bemerkungen zu ihrer Naturphilosophie ................ 199 CLAUDIO CIANCIO Schelling und die Eschatologie .................................................................... 221 HANJO SAUER Vermittlung bei Franz von Baader .............................................................. 235 Autorenverzeichnis ..................................................................................... 248 Namenregister ............................................................................................. 250

I. EINFÜHRUNG

ALBERT FRANZ

Franz von Baader im Kontext

Noch immer, ja vielleicht mehr denn je, kennzeichnet das Schlagwort „Neue Unübersichtlichkeit“, das bereits 1985 von Jürgen Habermas in die Debatte geworfen worden ist, die Befindlichkeit von Philosophie und Theologie der Gegenwart.1 Wie auch immer man aber dazu stehen mag, um zur Sache zu kommen müssen wir nach Hintergründen, Herkünften und Ursachen eines solchen Schlagwortes fragen. Tun wir dies aber, dann entdecken wir bald, dass hierzu zumindest auch eine kritische Rückbesinnung auf die Aufklärung, die Romantik und den Deutschen Idealismus, also auf das späte achtzehnte und frühe neunzehnte Jahrhundert, unausweichlich ist. Dies ist wohl vor allem deshalb so, weil und insofern wir uns mit unserer aktuellen Unübersichtlichkeit erneut in einem vielschichtigen Spannungsfeld wiederfinden, das mit dem jener Jahrzehnte in vieler Hinsicht vergleichbar ist. Damals wie heute steht grundsätzlich, wenn auch in je unterschiedlichen Erscheinungsformen, ein rationalistisch-aufklärerisches Bewusstsein einer zugleich zunehmenden Vernunftskepsis gegenüber. Diese nach wie vor ungelöste Grundspannung dürfte einer der wesentlichen Gründe sein für die bei allem „modernen“ Wissenschafts- und Rationalitätspathos von heute unübersehbare, hartnäckig sich haltende „postmoderne“ Offenheit unserer Zeit für eine „Rückkehr der Götter“, für Mythos und Romantik, für neognostische Religiosität, bis hin zu Esoterik und quasi-mystischen Absonderlichkeiten.2 In diesem Sinn wiederholen wir heute in vielerlei Hinsicht Problemkonstellationen, nicht nur aber doch auch, des 19. Jahrhunderts, und es zeigt sich, dass diese noch lange nicht wirklich verarbeitet, geschweige denn positiv rezipiert worden sind, wohl aber gerade auch deshalb derzeit so massiv an die Oberfläche drängen. Von daher gewinnt das umfangreiche Werk des (katholischen) Frühromantikers Franz von Baader (1765-1841), eines Zeitgenossen und Mitträgers jener damaligen „Unübersichtlichkeit“, neues Interesse. Den einen, insbesondere denen, die Baaders Werk eher äußerlich in Blick nehmen, gilt es bislang in aller Regel als eher abseitiger Restaurationsversuch dezidiert katholischen Denkens. Relativ wenige, vertiefter eingedrungene „Baaderkenner“ zögern hinge1 2

J. Habermas, „Die Neue Unübersichtlichkeit“, in: Ders., Kleine politische Schriften V, Frankfurt a.M. 1985. Vgl. hierzu H. Freier, Die Rückkehr der Götter. Von der ästhetischen Überschreitung der Wissensgrenze zur Mythologie der Moderne, Stuttgart 1976; U.H.J. Körtner, Wiederkehr der Religion? Das Christentum zwischen neuer Spiritualität und Gottvergessenheit, Gütersloh 2006.

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ALBERT FRANZ

gen nicht, in ihm zumindest einen interessanten Versuch zu sehen, in Auseinandersetzung vor allem mit Kant, Hegel, Jacobi, Schelling, den beiden Fichtes, Feuerbach und Görres, und im expliziten Rückgriff auf die christliche, näherhin die katholische Tradition, dem schon damals als Problem empfundenen Auseinanderdriften von Geistes- und Naturwissenschaften, sowie von Religion bzw. Glauben und Denken, nicht aus restaurativer Gesinnung, sondern in kritischer Offenheit für die geistigen Entwicklungen seiner Zeit, entgegenzuwirken. So aber ist das uns von Baader hinterlassene wissenschaftliche Opus ein Forschungsgegenstand, ohne den unser Verständnis des 19. Jahrhunderts, also der jüngeren, uns – bewusst und unbewusst – prägenden Geschichte, und damit letztlich unsere Selbstwahrnehmung, eine wesentliche Lücke aufweisen würde.3 Um das Opus Franz von Baaders wissenschaftlich solide erfassen und begreifen zu können, ist es auf der einen Seite unumgänglich, die von Baader hinterlassenen Schriften historisch-kritisch aufzuarbeiten. Hierbei geht es konkret darum, das heute mehr oder weniger gängige, im Wesentlichen von der bereits 1860 vollendeten Hoffmannschen Gesamtausgabe geprägte, problematische Baaderbild zu korrigieren und die Baaderforschung auf eine wissenschaftlich solidere Basis als bisher zu stellen. Dies geschah bisher im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojektes zu Franz von Baader (vgl. dazu den Forschungsbericht von Alberto Bonchino in diesem Band), das im Laufe der kommenden Jahre weitergeführt und abgeschlossen werden soll. Auf der anderen Seite muss gerade historisch-kritische Forschung darauf bedacht sein, nicht auf sich selbst bezogen zu bleiben, sondern den historischen wie sachlichen Kontext, in dem sowohl Baader als auch sie selbst steht, zu berücksichtigen. Dies bedeutet ein zweifaches, das zugleich nicht voneinander getrennt und damit zerrissen werden darf: Zum einen geht es um den Kontext, in dem Baader selbst zu verorten ist, also um die geistigen, die philosophischen, theologischen und wissenschaftlichen „Konstellationen“, innerhalb welchen das Denken Baaders sich bewegt, und zum anderen geht es um die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Denkens Baaders bis in die Gegenwart, also darum, wie Baader heute verstanden und beurteilt wird, also mit welchem „Vorverständnis“ wir heute an Baader herangehen.4 Hier größere Klarheit zu gewinnen ist Absicht und Ziel des hiermit vorliegenden Sammelbandes von wissenschaftlichen Abhandlungen, die alle 3

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Einen informativen Ein- und Überblick über Franz von Baader gibt: P. Koslowski, Philosophien der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn u.a. 2001 sowie Ders. (Hg.), Die Philosophie, Theologie und Gnosis Franz von Baaders. Spekulatives Denken zwischen Aufklärung, Restauration und Romantik, Wien 1993. Im Unterschied zum hier vorliegenden Band geht es in beiden Büchern um Franz von Baaders Denken selbst, allerdings auf der problematischen Basis der Hoffmannschen Gesamtausgabe, weniger um den Kontext und die Wirkungsgeschichte Franz von Baaders. Vgl. hierzu D. Henrich, „Konstellationsforschung zur klassischen deutschen Philosophie. Motiv – Ergebnis – Probleme – Perspektiven – Begriffsbildung“, in: M. Mulsow, M. Stamm (Hrsg.), Konstellationsforschung, Frankfurt a.M. 2005, S. 15-30 (stw 1736).

BAADER IM KONTEXT

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Baaders Denken zum Gegenstand haben und so den gegenwärtigen Stand der Baaderforschung wiedergeben. Der thematische Schwerpunkt all dieser Beiträge ist jedoch weniger das Denken Baaders selbst – dieses soll in der und durch die historisch-kritische Textedition herausgearbeitet werden – als vielmehr dessen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte und damit die Stellung und Bedeutung des Denkens Baaders in der Theologie und Philosophie von damals und von heute. Es handelt sich hierbei um die formal-wissenschaftlich überarbeiteten und vereinheitlichten Vorträge anlässlich der Tagung „Franz von Baader: Philosophie und Theologie im Spannungsfeld von Technik, Naturwissenschaft und Geschichte“, die vom 3. bis 6.10.2013 in Dresden stattgefunden und eine Reihe von national wie international renommierten Baaderkennern und Baaderforschern zusammengeführt hat, um den gegenwärtigen Stand der Baaderforschung zu ermitteln und Baader sozusagen in die philosophischen Debatten von heute einzubringen. Die Tagung hat gezeigt, dass es eine durchaus lebendige Baaderforschung gibt, und zwar insbesondere weil und insofern eine Reihe von philosophischen und theologischen Forscherinnen und Forschern bei ihren Recherchen zum 18. und 19. Jahrhundert auf Franz von Baader gestoßen sind, nicht selten, um dann bei ihm zu bleiben und ihn vertieft zu bearbeiten. Um jedoch die Bedeutung Franz von Baaders für die Philosophie und die Theologie seit dem 19. Jahrhundert sachgemäß herauszuarbeiten und so Baaders Denken für den Diskurs der Gegenwart fruchtbar zu machen, ist es an der Zeit und von der Sache her unumgänglich, diese Einzelforschungen miteinander zu vernetzen und so zu einem sachbezogenen Austausch über Franz von Baader zu kommen. In diesem Sinn erste Schritte zu tun, war eine wesentliche Absicht der wissenschaftlichen Tagung, die hier dokumentiert wird. Die Tagung hat nicht zuletzt auch deutlich gemacht, wie komplex und umgreifend Baaders Werk ist. Zugleich ist einmal mehr deutlich zu Tage getreten, dass Baaders Denken weniger systematisch klar als aphoristisch spontan, nicht selten überraschend, ja irritierend assoziativ ist, gerade so aber auch besonders anregend und herausfordernd wirkt, sodass es kaum möglich scheint, einzelne Teilbereiche klar voneinander zu unterscheiden. Dennoch soll hier der Versuch gemacht und vorgestellt werden, einzelne Beiträge zu Baader nicht einfach nebeneinander zu stellen, sondern nach Themenfeldern zu ordnen, auf die Baader immer wieder zu sprechen kommt, und die als solche auch in den vorliegenden Beiträgen je unterschiedlich angesprochen werden. Somit geht es hier, dies sei noch einmal betont, weniger um historischkritisch orientierte Forschungsarbeit zu und an Texten von Baaders. Es geht vielmehr vor allem um das philosophische und theologische Umfeld, in dem Baader steht, aus dem er einerseits schöpft und das er andererseits zugleich mitprägt, und zwar durchaus bis heute. Die Beiträge dokumentieren somit den Stand heutiger Baaderrezeption und Baaderforschung, und zwar indem sie die unterschiedlichen Anstöße, die Baader für heutige Theologie und Philosophie bereit hält, herausarbeiten, gerade so aber nicht zuletzt auch das Desiderat ei-

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ALBERT FRANZ

ner kritischen Textedition als Basis weiterer Baaderrezeption immer wieder deutlich machen. Diese doppelte Zielrichtung kommt schon in der Einleitung zum Tragen, insofern hier einerseits, wie schon gesagt, über die aktuelle historisch-kritische Forschungsarbeit zu Baader, wie sie in Dresden derzeit erbracht wird, berichtet, und andererseits diese im umfassenden Horizont der „Romantik“ verortet wird (A. Bonchino und D. Barbarić). Im Hauptteil enthält der vorliegende Sammelband aktuelle wissenschaftliche Beiträge zu Franz von Baader, die das Sachgewicht dieses Denkens für damals, aber auch für heute aus unterschiedlicher Perspektive herausarbeiten. In diesem Sinn werden im ersten Themenfeld Baaders Naturphilosophie und Theologie im Kontext der damaligen Zeit in den Blick genommen und verortet (S. Poggi, G.F. Frigo, J. Geldhof, G. Kruck, E. Fürlus). Im zweiten Themenfeld befassen sich mehrere Beiträge mit der Baaderschen Mystik und Gnosis, also mit dem, was als Kern des Baaderschen Denkens zu bezeichnen ist (M. Vetö, F. van Ingen, W. Schmidt-Biggemann, K. Weder, T. Rentsch). Schließlich kommt im dritten Themenfeld der „Deutsche Idealismus“ zur Sprache, der in Franz von Baader einen kritischen Repräsentanten gefunden hat (P. Ziche, J. Jantzen, C. Ciancio, H. Sauer). Nicht nur darum also geht es hier in erster Linie, Franz von Baader der Vergessenheit zu entreißen, sondern darum, in kritischer Auseinandersetzung mit ihm und dem, was er hinterlassen hat, dazu beizutragen, die „Neue Unübersichtlichkeit“ von heute soweit irgend möglich zu überwinden.

ALBERTO BONCHINO

Über die „Kritische Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“: Ein Forschungsbericht

In der Philosophie, der Theologie und der Germanistik hat der Epochenbegriff „Deutsche Romantik“ ebenso wie die Bezeichnung „Deutscher Idealismus“ – wie Hans Jörg Sandkühler jüngst feststellt – «insofern zu unangemessenen Vereinfachungen geführt», als man die Periode «von Kants kritischer Philosophie (1781) über Hegels Enzyklopädie und Logik (bis 1831) bis zu Schellings Tod (1854) auf einen einzigen Nenner zu bringen» suchte.1 So wurden ideengeschichtliche Sachverhalte und wichtige Hintergründe (Zusammenhänge, Abhängigkeiten, Konflikte, Aus- und Einwirkungen) im geistigen Geschehen dieser Zeit, in der sich zahlreiche der Erinnerung würdige Persönlichkeiten engagierten, weithin ausgeblendet. Die deutsche Kultur- oder Philosophiegeschichte ist allein «mit den Namen Kant, Fichte, Schelling und Hegel nicht hinreichend umschrieben».2 Deswegen ist den herkömmlichen Methoden der „Begrenzung“, welche die Komplexität eines historisch-kulturellen Phänomens rekonstruieren, als ob es sich um einen einzigen monolithischen Gegenstand handelt, die Einführung von Verfahrensweisen vorzuziehen, welche „Öffnung“ intendieren, und so die jeweiligen Möglichkeitsbedingungen und Zusammenhänge mit in den Blick nehmen. Man versucht damit «unangemessene Vereinfachungen» zu vermeiden, so dass «das Ganze komplexer und widersprüchlicher Konstellationen» – im Sinn des von Dieter Henrich entwickelten Ansatzes – nicht aus dem Blick gerät.3 Die Epoche von 1790 bis 1850 ist absolut keine monotone, hinter das Selbstverständnis ihrer Protagonisten zurückfallende Zeit. Es ist vielmehr eine von außerordentlich vielseitigen und lebhaften Diskussionen geprägte Epoche ge-

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So H.J. Sandkühler, „Idealismus“, in Enzyklopädie Philosophie, hrsg. v. H.J. Sandkühler unter Mitw. von D. Borchers, A. Regenbogen, V. Schürmann, P. Stekeler-Weithofer, 3 Bde. u. CD-ROM, Hamburg 22010, Bd. 2, S. 1026-1040, hier S. 1028. Ebd. Ebd., wo auf die «programmatische und materialreiche Studie» von D. Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991 verwiesen wird; man vgl. auch D. Henrich, „Konstellationsforschung zur klassischen deutschen Philosophie. Motiv – Ergebnis – Probleme – Perspektiven – Begriffsbildung“, in: M. Mulsow, M. Stamm (Hrsg.), Konstellationsforschung, Frankfurt a.M. 2005, S. 15-30.

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ALBERTO BONCHINO

wesen, die auch durch zahlreiche, mittlerweile nahezu vergessene, aber damals bedeutende Akteure mitgestaltet wurde.4 In dieser Hinsicht hat die Forschung in den letzten Jahren – insbesondere dank der Edition vieler Quellen in kritischen kommentierten Ausgaben5 – zu einer langsamen, aber nachhaltigen Korrektur gängiger Romantikbilder in Literatur, Philosophie und Theologie geführt. So haben komplexere Zusammenhänge und verschlungenere Abhängigkeiten zu Tage treten können, als dies bis dahin möglich schien. Damit einhergehend hat sich das vormalig stark auf die philosophische und theologische Idealismusforschung begrenzte Interesse an Baader deutlich erweitert und ist weit darüber hinaus im Kontext kulturtheoretischer, ideen- und wissenschaftsgeschichtlicher Forschung angekommen.6 Damit fällt auch die für unser Baader-Forschungs- und Editionsprojekt wichtige, sonst meist vernachlässigte und im Hintergrund belassene Frage zusammen: Warum und wie kann das kritische Edieren an sich zu einem besseren Verständnis philosophischer, literarischer oder theologischer Phänomene und zur Erweiterung oder zu einer Korrektur des Forschungshorizontes beitragen? Oder noch allgemeiner gefragt, worin besteht eigentlich die Praxis des Edierens?7 Sucht man nach einer Antwort auf diese Frage, begegnen einem viele Herausforderungen und zwar auf ganz verschiedenen Ebenen. Man kann auf die verbesserten Editionstechniken hinweisen und deren Möglichkeiten und Grenzen diskutieren. Man kann aber auch in andere Richtungen schauen und direkt das Problem der Authentizität des Originals oder der Autorschaft thematisieren. Man kann über die Auswahl und die Kriterien editionswürdiger Texte oder über die Möglichkeit der Bewältigung neuzeitlicher Massenquellen debattieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Schwierigkeit, wie das Potential von Editionen über den kleinen Kreis der Eingeweihten hinaus bzw. an 4 5

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So etwa H.J. Sandkühler, „Idealismus“ (Anm. 1). Zu erinnern sei hier z.B. an die kritischen Editionen der Idealisten der „ersten Reihe“, also J. G. Fichte, G.W.F. Hegel, F.W.J. Schelling sowie von F.D.E. Schleiermacher, F.H. Jacobi und F. Schlegel, die in den letzten Jahrzehnten erfolgten bzw. zum Teil noch immer in Bearbeitung sind. Bis zum Ende der siebziger Jahre blieb die Baaderforschung im Wesentlichen ein auf den deutschen Sprachraum begrenztes Phänomen (vgl. L. Procesi Xella, Baader. Rassegna storica degli studi (1786-1977), Bologna 1977). Inzwischen kann von einer Internationalisierung des Interesses an Baader gesprochen werden. Eine durchaus profilierte Baaderforschung hat sich in den letzten Jahren in Frankreich (E. Susini, A. Faivre, X. Tilliette, J.F. Marquet), in Italien (C. Cesa, A. Klein, L. Procesi, C. De Pascale, F. Moiso, S. Poggi), in Belgien (J. Geldhof, E. Tourpe) sowie auch in Niederlande, Kroatien und in den USA entfaltet. Im Zusammenhang mit den folgenden Überlegungen vgl. P. Ziche, „Historisch-kritisches Edieren. Beispiele aus der Akademie-Ausgabe von Schellings Werke“, in: Akademie Aktuell. Zeitschrift der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1, 2007, S. 27-31 und W.G. Jacobs, „Materie – Materialität – Geist“, in: Editio, 23, 2009, S. 14-20. Für weitere Ausführungen vgl. auch B. Merta, A. Sommerlechner, H. Weigl (Hrsg.), Vom Nutzen des Edierens, Wien/München 2005 und A. Sell (Hrsg.), Editionen – Wandel und Wirkung, Tübingen 2007.

BAADERS KRITISCHE EDITION: FORSCHUNGSBERICHT

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die Öffentlichkeit insgesamt vermittelt werden kann: in der Lehre, gegenüber den finanzierenden Stiftungen oder Institutionen usw. Theoretische oder pragmatische, systematische oder auf bestimmte Probleme ausgerichtete Antworten auf diese Frage sind nicht selten unbequem, manchmal sogar ärgerlich, wenn sie von Leuten gestellt wird, welche geisteswissenschaftliche Forschung ohnehin für unnötig oder etwa für eine bloße Zierde der Gesellschaft halten. Denn über einen wirtschaftlich messbaren produktiven Mehrwert von Editionsarbeiten, reduziert auf Zahlen oder Leistungsverträge, ist kaum Rechenschaft zu geben, vor allem auch weil bekanntlich der Umfang solcher Arbeiten häufig über die geplanten Jahre und Kostenaufstellungen hinausgeht. Man könnte auf die Frage „Warum eine Edition?“ ganz einfach mit „ontologischem Realismus“ antworten: die Texte werden ediert, nur weil sie existieren. Aber genauer betrachtet, trifft die Frage nach dem Edieren mit der Beschaffenheit der geisteswissenschaftlichen bzw. historischen Forschung insgesamt zusammen. Von daher soll sie nicht denjenigen überlassen bleiben, welche sie in Mehrwert bzw. ohne jegliches humanistisches Kriterium bemessen. Die jüngst von dem Historiker Walter Pohl vorgebrachten Überlegungen – die hier im Folgenden wiedergegeben werden – weisen deutlich darauf hin, wie grundlegend die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht nur für unsere Kultur, sondern für Kultur insgesamt ist. «Unsere Gesellschaft – so Pohl – hat dafür im Lauf von Jahrhunderten außerordentlich differenzierte professionelle und methodische Standards entwickelt. Sie schließen einen Missbrauch der Vergangenheit zwar nicht aus, stellen aber Kriterien bereit, welche die kritische Reflexion solchen Missbrauchs erleichtern. Die Quellentexte der Vergangenheit und Gegenwart, mit denen Kulturwissenschaftler und Historiker arbeiten, konstituieren die Sprache, in der sich Geschichte, Kultur und Gesellschaft begreifen und damit überhaupt erst fassbar [...] werden».8 En detail zu schildern, wie dieses komplexe Wechselspiel von Text und Wirklichkeit abläuft und wie unterschiedliche Modelle dabei ineinander greifen, verbietet uns die Kürze dieses Beitrags – es sei aber noch mit Pohl bemerkt, dass «der historische Text nicht nur Auskunft über die je spezifische Wirklichkeit, die er beschreibt» gibt, sondern «an sich» schon «Quelle und Zugang zu der Art und Weise, wie er die Realität darstellt» und zugleich «entwirft, deutet, erfindet oder konstruiert» ist. „Edieren“ also bedeutet, «dass der methodisch sichere Umgang mit den Quellen, ihre Erschließung, Erforschung und Edition, nicht bloß eine hilfswissenschaftliche Tätigkeit ist, die der historischen Forschung eine bessere Quellengrundlage bieten soll». Editionsarbeit «kann sich zugleich selbst mit genuin historischen Fragestellungen nach dem Aussagewert eines Textes als Text und seiner Überlieferung auseinanderset-

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W. Pohl, „Von Nutzen und Methodik des Edierens“, in: B. Merta, A. Sommerlechner, H. Weigl (Hrsg.), Vom Nutzen des Edierens (Anm. 7), S. 349-354, hier S. 350.

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ALBERTO BONCHINO

zen und damit Wesentliches zu unserem Bild der vergangenen Zeit beitragen».9 Eine kritische Edition, eine Quellenedition bedeutet somit nicht nur Bewahrung der Vergangenheit, sondern auch Auseinandersetzung mit ihr, mit allen Konsequenzen. Deswegen fällt das Nachdenken über das jeweilige Edieren, zusammen mit der Reflexion über den Kern der «Identität der historischen und philosophischen Fächer überhaupt». Editionen dienen der «Selbstvergewisserung innerhalb dieser Disziplinen» und vermögen so «ohne Zweifel etwas Sinnvolles und Beständiges zu erarbeiten». Damit ist nicht gemeint, dass andere Arten von historischer oder systematischer Forschung demgegenüber weniger wissenschaftlich seien. Im Gegenteil. Die Tätigkeit des Edierens, der kritischen Erstellung eines Textes, soll sich gerade nicht anderen Zugängen und Zugriffen gegenüber verschließen.10 Im Lauf der Zeit haben sich editorische Kriterien und Interessen immer wieder gewandelt und erweitert. Paradigmatisch ist das erkennbar am Umgang mit den Textvarianten. Sie wurden in vielen Fällen bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts für wertlos erachtet, als könne ein Text keine unabhängigen Informationen geben und eine abweichende Textfassung nichts zur Rekonstruktion des Urtexts beitragen. «Doch gerade die Veränderungen», die ein Text im Laufe seiner Überlieferung erfährt, sind – wie Pohl feststellt – «als Quelle für die jeweilige Zeit oft sehr wertvoll»: denn «sie geben Auskunft über Veränderungen der Vorstellungen, über Identitätsbrüche» und andere zeitgenössische Entwicklungen. «Welcher Text in welcher Form interessant ist», hängt somit an den «Fragestellungen und Forschungsinteressen der jeweiligen Zeit, in der die Editionen in Angriff genommen werden». In diesem Sinn kann man sagen, wie Wilhelm G. Jacobs prägnant zusammengefasst hat: «Edition ist Wissenschaft der Gegenwart. Sie verdankt sich dem gegenwärtigen Leben, als Wissenschaft gegenwärtigen wissenschaftlichen und anderen Interessen».11 Dass heute zu leistende Editionsarbeit von aktuellen Forschungsinteressen mit geprägt ist, liegt also in der Natur der Sache. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die historische Forschung sich in zunehmendem Maße auch die technische Weiterentwicklung der Editionsarbeit zunutze machen kann. Erfahrungsgemäß sind diejenigen Editionen von größtem Erfolg gezeichnet, die in eine lebendige Forschungslandschaft um Text und Kontext eingebettet sind. Die Editionstechnik hat heute ohne Zweifel ein hohes Niveau erreicht. Je komplexer der Text und je problematischer die Überlieferungssituation, desto mehr editorische Grundsatzentscheidungen sind nötig. Ein Text ist in seiner «Sinneinheit» nicht tot. Er ist «Teil eines Lebens».12 Er enthält Spuren seiner Entstehung (Konzeptionen, Diskussionen, Kontroversen, Beauftragungen) und 9 10 11 12

Ebd. W. Pohl, „Von Nutzen und Methodik des Edierens“, in: B. Merta, A. Sommerlechner, H. Weigl (Hrsg.), Vom Nutzen des Edierens (Anm. 7), S. 353. W.G. Jacobs, „Materie – Materialität – Geist“, in: Editio (Anm. 7), S. 19. Ebd.

BAADERS KRITISCHE EDITION: FORSCHUNGSBERICHT

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Ausarbeitungen. Die Schriften von Baader sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür. „Kritische Edition“ bedeutet, dieses Leben zu «rekonstruieren». Allerdings ist eine Konstruktion gerade kein Leben.13 Editoren versuchen dennoch der Bewegung eines Textes durch die Zeit zu folgen und dabei einen sozusagen „kanonischen“ Text herzustellen, auf den man sich verlassen kann, wenn es auch notwendigerweise heißt, die Bewegung oder die Beweglichkeit des Textes zu reduzieren. Ein großes Problem beim Edieren der Schriften Baaders besteht gerade darin, diese Dynamik auf dem Blatt nachvollziehbar zu machen. Die Editionstechnik von heute hat dazu ein reiches Instrumentarium entwickelt (seien es Variantenapparate, Verweise auf Zitate im Text, seien es Erläuterungen, Sachkommentare, Parallelabdrucke und vieles andere mehr), doch wird dadurch zugleich die Benutzung des Edierten für den Leser oftmals gerade nicht leichter, sondern sogar immer schwieriger. Dies ist allerdings lediglich eine Seite des Problems. Hinzu kommt der technische Aufwand, den all das erfordert. Auftraggebern oder Institutionen ist oft kaum mehr begreiflich zu machen, wieviel Zeit in Arbeitsgänge fließt, welche für den Laien kaum mehr erkennbar und nachvollziehbar sind. Um genau in diesen Fluss des kritischen Edierens, in diesen Prozess Einblick zu geben, soll im Folgenden das Laboratorium der „Kritischen Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“ kurz vorgestellt und damit sollen auch die Kriterien, auf denen diese Ausgabe fußt, dargelegt werden. Die geplante vierbändige Baader-Ausgabe enthält insgesamt vierundzwanzig chronologisch angeordnete und kommentierte Texte von 1792 bis 1838.14 Die Bandbreite reicht von den Ideen über Festigkeit und Flüssigkeit, zur Prüfung der physikalischen Grundsätze des Hrn. Lavoisier (1792), Über das pythagoräische Quadrat in der Natur (1798), Die Begründung der Ethik durch die Physik (1813), den Heften der Fermenta Cognitionis (1822-1825) bis hin zu den Vorlesungen über speculative Dogmatik (1828-1838). Neben den wirkungsgeschichtlich einflussreichen frühen Arbeiten Baaders über die Anfänge der Romantik umfasst somit die Ausgabe diejenigen Werke, derentwegen er später zugleich für 13 14

W.G. Jacobs, „Materie – Materialität – Geist“, in: Editio (Anm. 7), S. 19. Band I, Texte zur Naturphilosophie (1792-1808) enthält folgende Schriften: 1. Ideen über Festigkeit und Flüssigkeit zur Prüfung der physikalischen Grundsätze des Herrn Lavoisier (1792), 2. Beiträge zur Elementar-Phisiologie (1797), 3. Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden (1798), 4. Ueber den Affect der Bewunderung und der Ehrfurcht (1804), 5. Ueber die Behauptung, dass kein übler Gebrauch der Vernunft sein könne (1807), 6. Ueber Starres und Fließendes (1808). Band II, Texte zu Mystik und Theosophie (1808-1818) enthält folgende Schriften: 1. Über die Analogie des Erkenntnis- und Zeugungstriebes (1808), 2. Ueber Kants Deduction der praktischen Vernunft und die absolute Blindheit der letzteren (1809), 3. Ueber die Begründung der Ethik durch die Physik (1813), 4. Gedanken aus dem großen Zusammenhang des Lebens (1813), 5. Ueber den Bliz als Vater des Lichts (1815), 6. Sur la notion du tems (1818). Band III, Texte zur Religionsphilosophie (1822-1825) enthält die sechs Hefte der Fermenta Cognitionis und Band IV, Texte zur Theologie (1828-1838) enthält die fünf Hefte der Vorlesungen über spekulative Dogmatik (18281838) und die kurzen Bemerkungen über das zweite Capitel der Genesis (1829).

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ALBERTO BONCHINO

eine überzeugende Alternative zur Spätromantik gehalten wurde.15 Abweichend von der Hoffmannschen Gesamtausgabe16 sind die Schriften nicht systematisch, sondern genetisch-chronologisch angeordnet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Baader selbst, so auch Hinweise in verschiedenen historischen Quellen,17 nie den Versuch unternommen hat, eine Gesamtausgabe anzufertigen, sich allerdings zweimal im Leben darum bemühte, seine bedeutendsten,18 aber vergriffenen und verstreuten Schriften unter chronologischen Kriterien zu sammeln und zu edieren.19 Der kritische Editionsprozess der „Kritischen Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“ durchläuft grosso modo die folgenden drei Phasen: 1) Die Aufnahme des zu edierenden Textes selbst in eine weiter zu bearbeitende Textdatei. 2) Der textkritische Vergleich verschiedener Ausgaben des betreffenden Textes. 3) Die sogenannte Kollationierung verschiedener Exemplare der scheinbar selben Ausgabe beziehungsweise desselben Druckes. In der „Kritischen Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“ wird als Textvorlage jeweils der am besten erhaltene Erstdruck der jeweiligen Schrift verwendet. Dieser wird (falls möglich) mit weiteren Exemplaren ein und derselben Auflage und mit den von Baader selbst verantworteten Zweit- sowie Drittdrucken verglichen. Die Edition lässt den Text des Erstdrucks unverändert. Die erheblichen Zusätze und Änderungen aus den späteren Drucken werden jeweils in Form von Korrekturen, Einschüben und Fußnoten im Variantenapparat angegeben. Redaktionelles Prinzip dieser Ausgabe ist es, die sprachliche Originalität der Texte durchweg zu erhalten. Grammatikalische Abweichungen vom heutigen Sprachgebrauch, zum Beispiel in der Wahl des Genus oder in der Deklination, werden nicht korrigiert. Orthographie und Lautstand wurden beibehalten und die Groß- und Kleinschreibung sowie die Getrennt- und 15 16 17 18

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Vgl. O. Pöggeler, „Idealismus und Romantik“, in: Hegel-Studien, 34, 1999, S. 135-157, hier S. 153. F.v. Baader, Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860. Hierzu vgl. R. Stölzle, „Zwei Briefe E.v. Lasaulx’ zur Charakteristik des Philosophen Dr. Baader“, in: Philosophisches Jahrbuch, 17, 1904, S. 446-448. Über die Schriften, welche Baader für die bedeutendsten hielt, haben wir u.a. durch einen interessanten Brief Baaders an den schwedischen Dichter und Literaturhistoriker Per Daniel Amadeus Atterbom Kenntnis. Hier schreibt Baader: «Wenn E.H.W. übrigens von mir folgende Schriften haben: [folgt Auflistung] so haben Sie alles, was ich über Philosophie geschrieben.» All die von Baader genannten Schriften (u.a. Beiträge zur Elementar-Phisiologie, Über das pythagoräische Quadrat in der Natur, Über Starres und Fließendes, Über die Analogie des Erkenntnis- und Zeugungstriebes, Über Kants Deduction der praktischen Vernunft, Über die Begründung der Ethik, Über den Bliz als Vater des Lichts, Sur la notion du tems u.s.w.) befinden sich in der „Kritischen Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“. Vgl. E. Susini, Lettres inédites de Franz von Baader, Bd. 4, Paris 1967, S. 156f. (dazu vgl. auch den Kommentar in Ders., Lettres inédites de Franz von Baader, Bd. 3, Wien 1951, S. 111). Die erste Sammlung kam 1809 mit dem Titel Beiträge zur dinamischen Philosophie im Gegensaze der mechanischen heraus. Sie wurde von den Zeitgenossen überaus positiv rezipiert. Die zweite, in zwei Bänden gefasste Sammlung hat Baader 1831-1832 unter dem Titel Philosophische Schriften und Aufsätze aufgelegt. Sie enthält weithin dieselben Texte wie die erste Sammlung, versieht diese allerdings mit neuen Zusätzen und einigen Veränderungen.

BAADERS KRITISCHE EDITION: FORSCHUNGSBERICHT

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Zusammenschreibung der Originale bleiben erhalten. Freilich wird das Schriftbild umgestaltet und werden Druckfehler berichtigt. In der Tat machen die oben genannten zwei Phasen (bzw. die interne Kollationierung der Erstauflagen, mit den weiteren Ausgaben) den Kern der kritischen Arbeit aus. Dabei ist einzugestehen, dass die erste Phase leider die mühsamste ist. Denn man kann den betreffenden Text entweder abtippen und dann mehrfach mit der Originalausgabe vergleichen. Oder man kann den Text elektronisch einscannen. Allerdings ist das Abtippen meist die einzige Möglichkeit, da manche Schriftarten (wie zum Beispiel die Frakturschrift) bisher elektronisch gar nicht zufriedenstellend erfasst werden können. Was die interne wie die externe Kollationierung anbetrifft, oder vielmehr den detaillierten Vergleich von Exemplaren derselben bzw. verschiedener Druckauflagen, welche die Bewegung, in der uns der Text überliefert wurde, in ihren inhaltlichen wie technischen Aspekten rekonstruiert, kann entweder maschinell oder mit einem Gerät (wie zum Beispiel dem sogenannten Hinman-Collator) oder digital, das heißt, mit den gegenwärtigen Softwares der neuen Generation (wie Juxta oder Collate) erledigt werden. Wegen der geringeren Kosten und der kürzeren Zeitdauer wurde es bei der Baader-Ausgabe so durchgeführt, dass verschiedene Personen je ein Exemplar der unterschiedlichen Ausgaben mitlasen, während der Referenztext laut und samt Zeichensetzung verlesen wurde, und die Abweichungen zum Referenztext in die kritische Edition schriftlich eintragen wurde. Andere Gründe und Umstände, die nicht nur pragmatisch, sondern auch inhaltlich zu verstehen sind, haben uns dazu bewogen, die Veränderungen der von den mehr oder weniger unkritischen Schülern und Epigonen Baaders herausgegebenen Sämtlichen Werke (die Hoffmannsche Ausgabe) nicht im Textapparat der „Kritischen Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“ zu dokumentieren. Zu einer wirklich kritischen Baader-Ausgabe gehört die Erschließung des Textes durch editorische Berichte und erklärende Anmerkungen, die den Text auf spezifische Bezüge hinterfragen und in eine erste Rekonstruktion von Kontexten münden. Es geht also um Zusammenhänge, die in den entsprechenden erklärenden Anmerkungen detailliert dokumentiert werden und dem Leser das fremde Textobjekt näher bringen sollen. Sie erfüllen in der Tat mehrere Aufgaben: Sie dokumentieren die Aktualität und den Umfang von Baaders Bezugnahmen auf die damalige philosophische Debatte und leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zur Bewertung der Philosophie insgesamt. Darüber hinaus liefern sie dem heutigen Publikum die nötigen Sachinformationen zum Verständnis der Texte. Dafür sind auch wissenschaftlich fundierte inhaltliche Einleitungen zu den einzelnen Texten vorgesehen, die ihrerseits durch ausführliche Anmerkungen zu entsprechenden Stellen im Text gestützt werden. Gehört Baader mit seinen frühen Arbeiten in die Anfänge der Romantik, stellt er später gleichzeitig eine Alternative zur Spätromantik etwa bei Fried-

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ALBERTO BONCHINO

rich Schlegel und Görres dar.20 Letzthin verstärkt sich das wissenschaftliche, aber nicht nur akademische Interesse insbesondere an seiner sogenannten «Theorie der Gesamtwirklichkeit»,21 die auf originäre Weise Theologie und Philosophie zusammenführt und eine spekulative Synthese darstellt, die zwischen Philosophie, Theologie und Naturwissenschaft immer noch gangbare Brücken schlägt. Gegenwärtige kultur- und ideengeschichtliche Hermeneutik versteht Baaders Denken als ein Spätmoment der okzidentalen Tradition der philosophia perennis. Insofern sich diese Tradition unserer geistigen Kultur in Transformations- und Beschleunigungsprozessen aufgelöst zu haben scheint, sehen manche Autoren in der Theosophie Baaders eine auch heute noch anschlussfähige Philosophie des Christentums, welche durch theologische Tradition und philosophische Spekulation die in der Moderne vollzogene Trennung von Vernunft und Glaube überwindet. Zunehmende Beachtung erfährt auf der Ebene der Wissenschaftsgeschichte die Auseinandersetzung Baaders mit Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, seine Beschäftigung mit den „revolutionären“ chemischen Theorien von Lavoisier sowie seine eigene romantische Naturphilosophie. Darüber hinaus findet vor allem Baaders Rückgriff auf die mystischen und hermetischen Strömungen der abendländischen Kultur- und Geistesgeschichte wissenschaftliches Interesse. Kaum bestreitbar ist es Baader, der Wesentliches zu einer Wiederentdeckung und Verbreitung der Schriften Meister Eckharts, vor allem aber Jacob Böhmes und Saint-Martins im 19. Jahrhundert beigetragen hat und den Philosophen des Deutschen Idealismus diese Traditionen vermittelt. Es ist nicht von ungefähr, dass die Theosophie in Baaders Zeit – unter anderem im Rückbezug auf kabbalistische Traditionen – einen großen Aufschwung erlebt.22 Baaders philosophische Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus gewinnt, auch dank seiner philologischen Recherchearbeit alter und seltener Editionen hermetischer, mystischer und theologischer Schriften, eine ganz eigene Gestalt, die schließlich einen wesentlichen Hintergrund für die naturphilosophischen Ansatzpunkte der deutschen philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts darstellt. Betrachtet man diese mannigfaltigen Lesarten der Texte Franz von Baaders, so wird deutlich, wie unverzichtbar eine sachkritische Auseinandersetzung mit seinem Denken auf Grundlage einer wissenschaftlich soliden Quellenausgabe ist. Nur so kann die wirkliche Bedeutung des Werkes Baaders für die heutigen Debatten fundiert herausgearbeitet und neu fruchtbar gemacht werden.

20 21 22

Wie oben Anm. 15. Vgl. P. Koslowski, Philosophien der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn 2001, S. 1. So R. Spaemann, Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne, Stuttgart 2007, S. 85.

DAMIR BARBARIĆ

Das Erbe der Romantik

Den folgenden Überlegungen seien zwei Sätze aus Herders Adrastea vorangeschickt: «Im Leben sowohl als in der Geschichte stoßen uns zuweilen Menschen auf, die aus einer andern Welt zu kommen, in eine andre Welt zu gehören scheinen; man nennt diese Seltenheiten der Natur romantische Charaktere. Sie lieben das Ungewöhnliche, und es gelingt ihnen; gemeine Zwecke, gemeine Mittel sind nicht die ihrigen».1

Im Vortrag wird versucht, den allgemeinen, geschichtlichen sowohl als sachlichen Horizont anzuzeigen, innerhalb dessen die deutsche Romantik in ihren grundsätzlichen Motiven und Bestrebungen verstanden werden kann. Bekanntlich ist das Wesen dieser Romantik schwer zu bestimmen. Sie ist, wie Oskar Walzel vor mehr als hundert Jahren festgestellt hat, «so reich, so vielfältig, dass sie, je näher man sie betrachtet, in eine um so größere Fülle von gegensätzlichen Einzelerscheinungen zu zerfallen droht»2. Die fast unübersichtliche Vielfältigkeit der Erscheinungsformen von Romantik widersetzt sich jedem Versuch, sie alle auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen. «Der romantische Geist ist vielgestaltig, musikalisch, versuchend und versucherisch, er liebt die Ferne der Zukunft und der Vergangenheit, die Überraschungen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbewusste, den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflexion», schreibt Rüdiger Safranski zu Recht in seinem vor kurzem erschienenen Romantikbuch.3 Bei Betrachtung der deutschen Romantik ist zunächst in Betracht zu ziehen, dass ihre kurze aber überaus intensive Geschichte alles andere als einheitlich war. Nach der ersten Jenaer Phase, die grundsätzlich unter dem Einfluss der Grundlehre Fichtes vom freien Setzen der Welt durch die produktive Einbildungskraft des schöpferischen Ich steht, kommt bald die Wendung zu der dem menschlichen Subjekt grundsätzlich unverfügbaren, dieses Subjekt aber von Grund auf bestimmenden Macht der in Märchen, Mythen und Volksliedern bewahrten Überlieferung. An diese hauptsächlich in Heidelberg stattfindende Phase schließt sich dann die späte Wiener Romantik, in der im geschichtlichen 1

2 3

J.G. Herder, „Adrastea (Auswahl)“, in: Ders., Werke. Zehn in elf Bänden, hrsg. v. G. Arnold, M. Bollacher, J. Brummack, C. Bultmann, U. Gaier, G.E. Grimm, H.-D. Irmscher, R. Smend, R. Wisbert, T. Zippert, Frankfurt a.M. 1984-2000, Bd. 10, S. 167. O. Walzel, Deutsche Romantik, Bd. 1, Leipzig/Berlin 51923, S. 1. R. Safranski, Romantik. Eine deutsche Affäre, Frankfurt a.M. 2009, S. 13.

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Zusammenhang der katholischen Restauration die politisch-sozialen Fragen in den Vordergrund rücken. Diese breite Palette der oft weit voneinander liegenden thematischen Kreise der Romantik gilt es zu beachten. In Hinsicht darauf erweist sich der geläufige Begriff der Romantik als zu eng. Nicht die Romantik als solche, sondern, wenn überhaupt, nur die Jenaer Frühromantik kann durch die kritische Ironie mit ihrer anscheinend unbeschränkten Willkür wesentlich gekennzeichnet werden. Diese Ironie wurde sehr schnell verlassen zugunsten der sich steigernden Suche nach der organischen Einheit und Ganzheit, nach der besonnenen Verknüpfung der Triebe und Leidenschaften zu einem geschlossenen Ganzen mit einem festen Mittelpunkt, worin die der zügellosen Freiheit müde gewordene Romantik die bergende Bindung und den sicheren Halt zu finden hoffte.4 Die heute vorherrschende Stellung zur Romantik ist – auch abgesehen von deren alltäglicher Geringschätzung als einer vielleicht interessanten und oft geistvollen, aber letztendlich nur spielerischen und der Wirklichkeit fernen Schwärmerei – grundsätzlich ablehnend, obwohl ihre geistigen Leistungen, vor allem in der Literatur und bildenden Kunst, selten wirklich in Frage gestellt werden. Die harte Behauptung, die Rudolph Haym 1870 in der Einleitung zu seiner monumentalen Monographie über die deutsche Romantik macht, dass sich nämlich das, «was man ‚romantisch‘ nennt», «im Bewusstsein der Gegenwart» «keinerlei Gunst» erfreut, wenn auch die Zeit hinter uns liegt, «in der die stimmführende Mehrheit unseres Volkes mit Leidenschaft und Hass dem Romantischen den Krieg machte und sich desselben gleichsam mit Feuer und Schwert glaubte erwehren zu müssen»5, hat auch heute wenig an Relevanz eingebüßt. Die beinahe allgemeine Zurückweisung der Romantik lässt sich im Wesentlichen auf drei gegen sie erhobene Vorwürfe zurückführen: Die Romantik treibe die Subjektivität bis zum Äußersten, sie mache keinen Unterschied zwischen Wirklichem und bloß Möglichem, und schließlich ästhetisiere sie das Leben, d.h. sie strebe danach, die Kunst an Stelle des wirklichen Lebens zu setzen. Solche und ähnliche Vorwürfe entstammen insgesamt, sei es bewusst oder nicht, der scharfen und unversöhnlichen Kritik, die Hegel an der Romantik bald nach ihrem Entstehen in Jena geübt hat. Nach dem ersten harten Angriff in seiner Phänomenologie des Geistes ist diese Kritik in der Einleitung zu seinen Vorlesungen über die Ästhetik mit auffallender Heftigkeit vorgebracht worden.6 Vor allem mit Friedrich Schlegel im Blick verallgemeinert Hegel dort die Ironie zur «Virtuosität eines ironisch-künstlerischen Lebens», und 4 5 6

Vgl. O. Walzel, Deutsche Romantik (Anm. 2), S. 58. R. Haym, Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes, Berlin 1870. ND Darmstadt 1961, S. 3. G.W.F. Hegel, „Vorlesungen über die Ästhetik I“, in: Ders., Werke [Theorie-Werkausgabe], auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe, hrsg. v. E. Moldenhauer und K.M. Michel, 20 Bde., Frankfurt a.M. 1986, Bd. 13, S. 93ff. Daraus auch die folgenden Zitate.

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schreibt dieser «Virtuosität» zu, sich selbst als «göttliche Genialität» zu erfassen, «für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schöpfen kann». Das ironische Subjekt kann aber nach Hegels Auslegung in diesem eitlen «Selbstgenuss» keine echte Befriedigung finden, so dass es ihn innerlich nach einem «Festem und Substantiellem» dürstet. Daraus entsteht in ihm «das Unglück und der Widerspruch», da es nämlich einerseits danach trachtet, diese «Einsamkeit und Zurückgezogenheit in sich», diese «unbefriedigte abstrakte Innigkeit» loszuwerden, und andererseits es doch nicht vermag, sondern an die Sehnsüchtigkeit festgebunden und gleichsam gebannt bleibt: «Die Befriedigungslosigkeit dieser Stille und Unkräftigkeit – die nicht handeln und nichts berühren mag, um nicht die innere Harmonie aufzugeben, und mit dem Verlangen nach Realität und Absolutem dennoch unwirklich und leer, wenn auch in sich rein bleibt – lässt die krankhafte Schönseelischkeit und Sehnsüchtigkeit entstehen».

So bleibt das romantische Subjekt nach Hegel zum «Sehnen» und dem «Gefühl der Nichtigkeit des leeren eitlen Subjekts, dem es an Kraft gebricht, dieser Eitelkeit entrinnen und mit substantiellem Inhalt sich erfüllen zu können», verdammt.7 In der Romantik ist laut Hegel der neuzeitliche Subjektivismus auf die Spitze getrieben. Das romantische Subjekt genießt seine leere Eitelkeit zunächst in der Willkürlichkeit der Negativität, d.h. in der formellen, leeren Freiheit endloser Verstandesreflexion, die in der Ironie alles Objektive und Substantielle zum bloßen Spielball dieser sich selbst genießenden Eitelkeit macht. Und auch wenn dieses Subjekt, vom dumpfen Gefühl der eigenen Leere und Mangelhaftigkeit angestachelt, in der schweifenden Sehnsucht über sich selbst hinaus verlangt, erlangt es nie das wahre Unendliche, sondern bleibt, sei es in verstandesmäßig abstrakter oder bloß gefühlsmäßiger, sehnsüchtiger Weise, dem Kreis der schlechten Unendlichkeit verhaftet.8 Es ist hier nicht möglich, diese verheerende Kritik auf ihre Richtigkeit und Angemessenheit hin zu prüfen. Kennt man Hegels spekulative Kraft, seine denkerische Tiefe und Unbestechlichkeit und die beinahe unfehlbare Sicherheit seines Urteils, scheint es fast unmöglich, diese Kritik schlicht als unbegründet und fehlgehend zurückzuweisen. Zweifellos verdient sie ernst genommen und sorgfältig überprüft zu werden. Für uns ist aber hier nur eines von Belang, nämlich festzustellen, dass alle bis zum heutigen Tag dauernden Formen der Romantikkritik, auf welchem Gebiet und in welchem konkreten Zusammenhang sie auch vorgebracht werden, sowohl Antrieb wie argumentative Mittel letztlich Hegel verdanken. 7 8

G.W.F. Hegel, „Vorlesungen über die Ästhetik I“, in: Ders., Werke (Anm. 6), Bd. 13, S. 96. Hierzu vgl. O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, München 1999, S. 218.

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Drei Beispiele seien hinreichend. Wenn Isaiah Berlin in seinem vielbeachteten Buch Die Wurzeln der Romantik die romantische Bewegung als den Versuch erklärt, der Wirklichkeit ein ästhetisches Modell überzustülpen und das Leben in Kunst umzumünzen, und an diesem Leitfaden sogar so weit kommt, Existentialismus und Faschismus als ‚Ableger‘ der Romantik zu bestimmen, begründet er dieses durchaus fragwürdige Verfahren durch die angebliche Grundannahme der Romantik, «dass alles von mir selbst zu schaffen wäre, dass ich alles Gegebene zerschmettern müsste oder dass ich all das, was eine bestimmte Struktur hat, zerstören müsste, um meiner ungezügelten Fantasie freien Lauf zu lassen». Das wieder beruhe auf der Voraussetzung, «dass Menschen bloßer Stoff sind, dass sie einfach eine Art Material sind, nicht anders als Farbe und Töne».9 Ähnlich verfährt Carl Schmitt, wenn er in seiner einflussreichen Schrift Politische Romantik ihr Wesen in der Produktivität findet, in der das Subjekt aus dem Nichts Welten setzt und vernichtet.10 Daran anschließend bestimmt Habermas in seinen Betrachtungen über den Philosophischen Diskurs der Moderne die Romantik als das Umkippen in das Andere der Vernunft und die Öffnung des Tors zur Welt der mythischen Ursprungsmächte.11 Die Hegelsche Provenienz dieser und vieler ähnlicher Ansichten liegt auf der Hand. Solche vereinfachenden und mit angeblich selbstverständlichen, in Wahrheit aber wenig durchdachten Formeln arbeitenden Ansätze gilt es durch den Hinweis auf einige geschichtliche Tatsachen in Frage zu stellen oder zumindest etwas lockerer und unsicherer zu machen. Zunächst bezieht sich diese Kritik, wie schon jene Hegels, ausschließlich auf die Frühromantik und lässt deren spätere, größtenteils davon stark abweichende Entwicklung außer Acht. Außerdem übersieht sie die Tatsache, dass ihr entscheidender Vorwurf, jener vom metaphysischen Solipsismus der den Launen eigener Willkür preisgegebenen Subjektivität, bereits im Umkreis der Jenaer Romantik erhoben wurde, und zwar oft von ihren bedeutsamsten Vertretern selbst. Dort ging es hauptsächlich um Versuche, den Abstand zu Fichte und seiner Lehre von der absolut produktiven Einbildungskraft zu betonen. So wirft Jacobi, der sonst in mancher Hinsicht den Romantikern nahesteht, ihrem spekulativen Vater Fichte in seinem damals vielbeachteten öffentlichen Brief vor, in seiner Lehre dem metaphysischen Solipsismus, ja sogar Nihilismus verfallen zu sein. Die Position Fichtes bestimmt er folgendermaßen:

9 10 11

I. Berlin, Die Wurzeln der Romantik, hrsg. v. H. Hardy, aus d. Engl. v. B. Wolf, Berlin 2004, S. 244-245. C. Schmitt, Politische Romantik, Berlin 21925 (Erstausg. 1919). J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt a.M. 1988.

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«Dadurch […], dass ich auflösend, zergliedernd, zum Nichts-Außer-Ich gelangte, zeigte sich mir, dass Alles Nichts war, außer meiner, nur auf eine bestimmte Weise eingeschränkten, freien Einbildungskraft».12

Auch Jean Paul, der trotz der auffälligen Verwandtschaft mit Grundtendenzen der Romantik zu ihr stets sicheren Abstand hielt, erhebt gegen Fichte die ähnliche Anklage eines grundsätzlichen, das ganze Universum im Ich auflösenden «Solipsismus» bzw. «Egoismus», auf dessen Spur sich die Romantiker als «poetische Nihilisten» weiterbewegen. Ihre zweideutige, sich selbst mit fragwürdiger Wollust verneinende Subjektivität zeigt sich Jean Paul als etwas durchaus Unbestimmtes. Streng genommen münde sie nicht einmal im Nichts ein, da auch dieser Grenzbegriff durch sein Gegenteil immer noch auf das Ganze des Bestehenden verweise. Bei Fichte und seinen Nachfolgern gehe es aber um etwas viel Schlimmeres, da ihr Solipsismus, folgerichtig weitergeführt, im vollständigen Verlust einer jeden Grundlage enden müsse. Wie es im dramatischen und den Schauer erregenden Crescendo am Schluss der Streitschrift heißt: «In der finstern unbewohnten Stille glüht keine Liebe, keine Bewunderung, kein Gebet, keine Hoffnung, kein Ziel – Ich so ganz allein, nirgends ein Pulsschlag, kein Leben, nichts um mich und ohne mich nichts als nichts – Mir nur bewusst meines höhern Nicht-Bewusstseins – In mir den stumm, blind, verhüllt fortarbeitenden Dämogorgon, und ich bin er selber – So komm’ ich aus der Ewigkeit, so geh’ ich in die Ewigkeit – – Und wer hört die Klage und kennt mich jetzt? – Ich. – Wer hört sie, und wer kennt mich nach Ewigkeit: – Ich. –»13

Die Gefahr eines weltfremden und unfruchtbaren Solipsismus war also den Romantikern aus nächster Nähe bekannt. Es gibt genug Zeugnisse dafür, dass sie alle, jeder auf seine Art und Weise, dieser Gefahr schmerzlich gewahr waren. Hier soll hinreichen, auf die aus tiefster Verzweiflung ausgesprochenen Sätze in Wackenroders Phantasien über die Kunst zu erinnern: «Die Kunst ist eine verführerische, verbotene Frucht; wer einmal ihren innersten, süßesten Saft geschmeckt hat, der ist unwiederbringlich verloren für die tätige, lebendige Welt. Immer enger kriecht er in seinen selbsteignen Genuss hinein, und seine Hand verliert ganz die Kraft, sich einem Nebenmenschen wirkend entgegenzustrecken».14

Den Romantikern waren also die verführerischen Irrwege des selbstgefälligen und narzisstischen Ästhetizismus nicht unbekannt. Oft haben sie verzweifelt den Weg aus den Sackgassen des Solipsismus gesucht. Haben wir dann das 12

13

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F.H. Jacobi, „Jacobi an Fichte“ (1799), in: Ders., Werke. Gesamtausgabe hrsg. v. K. Hammacher und W. Jaeschke. Bd. 2,1: Schriften zum Transzendentalen Idealismus, unter Mitw. v. C. Goretzki hrsg. v. W. Jaeschke und I.-M. Piske, Hamburg/Stuttgart 2004, S. 203. J. Paul, „Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana“, in: Ders., Sämtliche Werke, 1 Abt.: 6 Bde., hrsg. v. N. Miller, Nachworte v. W. Höllerer, München 1959ff., Bd. 3, S. 1011-1056, hier S. 1056. W.H. Wackenroder, L. Tieck, Phantasien über die Kunst, hrsg. v. W. Nehring, Stuttgart 2000, Kap. 18.

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Recht, die romantische Ironie wie auch die ganze romantische Grundstellung ohne weiteres zur bloßen Laune und zum unverantwortlichen, selbstverliebten Spiel zu erklären? Ich glaube nicht. Versuchen wir, dies des Näheren darzulegen. Der ironisierende Romantiker fühlt sich dem Gesetz unterworfen, sich immer wieder über sich zu erheben und über sich und den Dingen ungebunden zu schweben. Für Novalis ist die Erhebung des Menschen über sich selbst nichts anderes als Zweck der Zwecke der Poesie, worin er den höchsten Adel des Ich findet. Dasselbe hat auch Friedrich Schlegel im Blick, wenn er die Sokratische Ironie als einen Vorgang bestimmt, bei dem man sich über sich selbst hinweg setzt.15 Trotz des naheliegenden Anscheins lässt sich diese Erhebung über sich und das freie Schweben über allen Dingen nicht als narzisstischer Selbstbezug der eitlen weltfremden Subjektivität verstehen. Denn diese Erhebung ist, wie Schlegel weiter erklärt, nicht nur die freieste und unabhängigste aller menschlichen Verhaltensweisen, sondern «auch die gesetzlichste, denn sie ist unbedingt und notwendig». Zu Recht mahnt ein sonst so kritischer Interpret wie Nicolai Hartmann in diesem Zusammenhang zur Vorsicht und weist darauf hin, dass hinter der anscheinend bloß spielerischen und spottenden Ironie etwas anderes, viel ernsthafteres und tieferes stehen könnte, nämlich «das religiöse Leben», das den Romantikern «nicht an letzter Stelle […] neu erwacht» ist. In Bezug auf die Ironie vermerkt er: «Mag auch der Geist der Kritik, ja des Spottes in ihrem Kreise zu Hause sein, die Wahrheit ihrer Grundstimmung liegt nicht in ihm».16 Auch Walzels Erklärung der Ironie weicht in beträchtlichem Maß von deren geläufiger Auslegung ab. Nach ihm besteht ihr Wesen nicht in der launischen Willkür, sondern umgekehrt in einem tiefen und grundsätzlichen Verzicht. Sie ist in Wahrheit «das Ergebnis des verzichtenden Bewusstseins, dass der Vernunftmensch sein metaphysisches Bedürfnis nie ganz befriedigen, dass er, im Endlichen befangen, niemals das Unendliche ausschöpfen kann»17. Dem Gesagten ist darüber hinaus zu entnehmen, dass der romantischen Ironie von Anfang an ein latenter Zug zur Bindung und Selbstbeschränkung innewohnt. Ihre weitere Entwicklung in Richtung auf das Politische, Nationale, Gesellschaftliche und Religiöse, wobei sie zwar immer noch die Metaphysik des Unendlichen blieb, aber zugleich immer mehr zur Metaphysik der Geschichte und Gottes wurde, lässt sich sehr wahrscheinlich durch eben diesen Zug zur Bindung erklären. Es ist gewiss kein Zufall, dass Friedrich Schlegel 15

16 17

F. Schlegel: „Lyceums-Fragmente“, in: Ders., Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler unter Mitw. v. J.-J. Anstett und H. Eichner, 1 Abt. Bd. 2: Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801), hrsg. v. H. Eichner, München/Paderborn/Wien/Zürich 1967, S. 160 (Fr. 108). N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus, Berlin 31974, S. 161. O. Walzel, Deutsche Romantik (Anm. 2), S. 33.

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bereits in einem frühen Lyceums-Fragment gerade die Selbstbeschränkung zu dem für den romantischen Künstler Notwendigsten und Höchsten erklärt.18 Zum selben Ergebnis führt die genauere Betrachtung der romantischen Stellung zur Innen- und Außenwelt. Gehen wir zum Beispiel von Novalis’ bekanntem Spruch aus: «Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. – Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft».

Auf den ersten Blick scheint es einleuchtend zu sein, dass sich hier eine in sich verlorene Subjektivität zu Wort meldet, für die die Welt wie auch jedes weltliche Ding und sogar jeder andere Mensch, in voller Übereinstimmung mit Fichtes ursprünglichen Lehre, nichts anders ist als das Gesetzte seiner Einbildungskraft. Immerhin, gleich im Anschluss daran versichert Novalis, dieses In-sich-Gehen sei nur der erste, keineswegs schon der letzte und endgültige Schritt: «Der erste Schritt wird Blick nach Innen, absondernde Beschauung unseres Selbst. Wer hier stehn bleibt, gerät nur halb. Der zweite Schritt muss wirksamer Blick nach Außen, selbsttätige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt sein.»19

Freilich darf nicht verhehlt werden, dass dieser zweite Schritt ausschließlich im Blick und in der Beobachtung bestehen soll, wodurch alles wieder fragwürdig wird, insbesondere wenn eine andere Äußerung in Betracht gezogen wird, nach der „das Äußere“ nichts anderes sei als «ein in Geheimniszustand erhobenes Inneres».20 Trotzdem meine ich gezeigt zu haben, dass das romantische Schweben über sich und den Dingen nicht als weltabgewandt, sondern im Gegenteil als weltbezogen zu betrachten ist. In der Erhebung des Menschen über sich wird ihm «[d]ie Außenwelt […] durchsichtig und die Innenwelt mannigfaltig und bedeutungsvoll», so dass er sich dadurch «in einem innig lebendigen Zustande zwischen zwei Welten – in der vollkommensten Freiheit und dem freudigen Machtgefühl» befindet.21 Der Romantiker erhebt sich in der Ironie zum geheimnisvollen Zwischen, worin die anscheinende Getrenntheit und gegenseitige Unabhängigkeit von Innen- und Außenwelt zurücktreten und sogar verschwinden muss, um dem „magischen Idealismus“, d.h. dem unendlichen Geschehen der symbolischen Vermittlung und Durchdringung beider Welten, den Spielraum freizumachen. Die Erhebung über sich erweist sich demnach als ein in sich zwiefacher Vorgang, ein solcher nämlich, in dem sich der Romantiker von allen endlichen 18 19

20 21

F. Schlegel: „Lyceums-Fragmente“ (Anm. 15), S. 151 (Fr. 37). Novalis, „Vermischte Bemerkungen und Blüthenstaub“, in Ders., Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hrsg. v. P. Kluckhohn und R. Samuel. Bd. 2: Das philosophische Werk I, hrsg. v. R. Samuel i.Z.m. H.-J. Mähl und G. Schulz, Stuttgart 1965, S. 423. Vgl. N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 16), S. 191. Zitiert nach N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 16), S. 199.

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Wesen, auch von sich insofern er endlich ist, verabschiedet, um im selben Augenblick wieder darauf zurückzukommen, jetzt aber im alles verwandelnden Hinblick auf das Unendliche. «Die vollendete Spekulation führt zur Natur zurück», bemerkt Novalis in seiner Enzyklopädie.22 Im selben Zusammenhang spricht er von der «Selbsttötung» als «echte[m] philosophische[m] Akt» und «reale[m] Anfang aller Philosophie»23. Damit ist wohl nicht die empirische Selbstvernichtung gemeint, sondern der Abschied vom endlichen Selbst im Inneren des Menschen und dessen volle Befreiung zum Unendlichen. Da geht es um keine selbstgefällige Selbstspiegelung, sondern um eine schmerzvolle Selbstopferung des empirischen, endlichen Menschen, um dem höheren, ideellen und nach dem Unendlichen trachtenden den Platz zu überlassen.24 Dadurch entwindet sich der Mensch seiner angeborenen Beschränktheit, öffnet sich sowohl für das Äußerliche wie für das Unendliche, um sein Inneres damit zum Geschehen der unendlichen Vermittlung werden zu lassen. Diese sich über sich erhebende Öffnung für das Unendliche, worin der Schlüssel zum Wesen der Romantik liegt, ist allerdings nicht damit zu verwechseln, was Hegel als das ‚Romantische‘ im eigentlichen Sinne bestimmt. Denn das von ihm gemeinte Romantische hat ausschließlich die «innere Welt» zu seinem Inhalt, worin «[d]ie Innerlichkeit ihren Triumph über das Äußere [feiert] und lässt im Äußeren selbst und an demselben diesen Sieg erscheinen, durch welchen das sinnlich Erscheinende zur Wertlosigkeit herniedersinkt».25 Mit der echten Romantik hat all das wenig zu tun. Denn ihre unendliche Sehnsucht ist weder nach Innen noch nach dem als ein Jenseits verstandenen Unendlichen gerichtet. Sie wendet sich nicht von der Welt ab. Viel mehr geht es ihr darum, «das Gewöhnliche fremd zu machen», wie es bei Ludwig Tieck heißt,26 d.h. die nächsten Dinge und Ereignisse der Außen- sowie der Innenwelt in ihrer inneren, zunächst verborgenen Unendlichkeit zu fassen und darzustellen. Dieses Erblicken des im Endlichen liegenden Unendlichen oder mit Uhlands Worten dieses «Ahnen des Unendlichen in den Anschauungen»27, wird von Novalis die ‚Romantisierung‘ genannt: «Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Aussehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es».28

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Novalis, Werke und Briefe, hrsg. v. A. Kelletat, München 1953, S. 498. Zitiert nach N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 16), S. 192. Vgl. N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 16), S. 192. G.W.F. Hegel, „Vorlesungen über die Ästhetik I“, in: Ders., Werke (Anm. 6), Bd. 13, S. 113. L. Tieck, „Peter Lebrecht“ (1795/96), in: Ders., Werke in vier Bänden, nach dem Text der Schriften von 1828-1854, unter Berücksichtigung der Erstdrucke, hrsg. v. M. Thalmann, München 1963-1966, Bd. 1., S. 334. L. Uhland, „Über das Romantische“ (1807), in Ders., Werke, hrsg. v. L. Fränkel, 2 Bde., Leipzig/Wien 1893, Bd. 2, S. 348. Novalis, „Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen“ (1798), in Ders., Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs (Anm. 19), S. 545 [§ 105].

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Um diese nicht gleich einleuchtende und anscheinend paradoxe Konstellation des Näheren zu kennzeichnen, bestimmt Friedrich Schlegel den Romantiker auch als «Mittler». Der Mittler sei «derjenige, der Göttliches in sich wahrnimmt, und sich selbst vernichtend preisgibt, um dieses Göttliche zu verkünden, mitzuteilen, und darzustellen allen Menschen in Sitten und Taten, in Worten und Werken»29 . Besser als andere zeigt diese Bestimmung, wie weit die Romantik entfernt ist von aller Eitelkeit selbstgenießender Spielerei.30 Natürlich wäre es überheblich zu meinen, Hegels Romantikkritik könnte durch diese kurzen Überlegungen außer Kraft gesetzt werden. Es ist aber schon etwas getan, wenn durch sie die dieser Kritik entstammenden vielfältigen Vorurteile in Bezug auf die Romantik einigermaßen entkräftet werden. Was Hegel betrifft, so könnte die ungezügelte Schärfe seiner Kritik zum Teil der Ahnung der eigenen uneingestandenen Nähe zum abgründigen Wesen der Romantik entsprungen sein, was übrigens nicht weniger für Goethe gelten könnte. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass Friedrich Schlegel in seinen letzten Vorlesungen, aber auch sonst in seiner Spätzeit, etwa von den großen Kölner Vorlesungen an, Hegel denselben Vorwurf macht, den dieser ihm gegenüber immer wieder erhob, dass nämlich die absolute Vernunft als das zentrale Organ der ganzen Hegelschen Philosophie eine bloß negative, leere, abstrakte, damit auch gottlose, ja gegengöttliche Vernunft sei. In der Abwendung von solcher Vernunft, die «auch in ihrer höchsten Verfeinerung sich nur zu einer negativen Idee des Unendlichen zu erheben»31 vermag, bestimmt Schlegel seine eigene Philosophie, übrigens in unübersehbarer Entsprechung zu Ausführungen Schellings aus dieser Zeit, als den Versuch, «das tote Es, das notwendige Wesen der Vernunft, zum Er, zum lebendigen Gott» werden zu lassen, was aber nie mittels bloßer Vernunft, sondern nur auf dem Grund der ihr vorangehenden Liebe und Sehnsucht geschehen kann.32 Die Frage nach der Nähe und Ferne, die zwischen Hegel und der Romantik herrscht, scheint also nicht so einfach zu sein, wie Hegel es darzustellen be29 30

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F. Schlegel, „Ideen“ (Anm. 15), S. 260 (Fr. 44). Mit der ihm eigentümlichen Klarheit warnt auch Hartmann vor solch einseitiger und verkürzender Deutung. Vgl. N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 16), S. 175: «Schlegel ist tief durchdrungen von der mystischen Unsagbarkeit und Unfassbarkeit alles dessen, was letzter und eigentlicher Gegenstand des Gedankens ist. Und so ist der Witz, mit dem der Gedanke zum Schluss sich selbst ironisiert, sich aufhebt, gerade das tief berechtigte, grandiose Geständnis der eigenen Ohnmacht. Und damit ist er mittelbar die Rehabilitation des durch den Gedanken verkürzten und entstellten Irrationalen. Es ist ein ahnendes Sichherantasten an das Unnahbare, der Sprung des Gedankens ins Leere, der freilich nie auf festen Boden führt, wohl aber ein unmittelbares Bewusstsein dieses festen Bodens, nämlich des allein Realen, mit sich bringt, indem der Gedanke hier bewusst sich selbst preisgibt. Die Form dieses Sich-Preisgebens ist die Ironie, der Witz, das Lachen über sich selbst». Brief an den Bruder, Oktober 1791, zitiert nach E. Behler, Friedrich Schlegel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1966, S. 101. Zitiert nach Behler, Friedrich Schlegel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Anm. 31), S. 101 [s. auch Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler unter Mitw. v. J.-J. Anstett und H. Eichner, 1 Abt. Bd. 8, S. 450f.].

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müht ist. Um diese Vermutung entsprechend zu begründen, wäre es nötig, zunächst die für den Menschen kaum zu ertragende Leere der Sehnsucht, die sich ihm im entsetzlichen Gefühl der Langeweile meldet, als das wahre Wesen der Romantik nachzuweisen und sie weiter zum Leitfaden einer eingehenden Interpretation von Hegels Philosophie zu machen. Und all das vor dem Hintergrund der Anthropologie Kants, wo sowohl der Sehnsucht als auch der Langeweile, obwohl gleichsam untergründig, ganz zentrale Bedeutung zugemessen wird.33 Stattdessen versuchen wir abschließend in Anlehnung an das bisher Ausgearbeitete einige Schritte der Annäherung an das zu vermutende Wesen der Romantik zu machen. Schon in einem frühen Brief an seinen Bruder Wilhelm spricht Friedrich Schlegel von dem ihn wesentlich bestimmenden «verzehrenden Trieb nach Tätigkeit», den er «noch lieber […] die Sehnsucht nach dem Unendlichen» nennen möchte.34 Eben darin, in dieser Sehnsucht nach dem Unendlichen haben auch alle anderen Romantiker den letzten Beweggrund aller ihrer Bestrebungen erkannt. Es genügt nur an E.T.A. Hoffmann zu erinnern, der in seinem epochemachenden Essay über Beethovens Instrumentalmusik die Musik zur «romantischste[n] aller Künste erklärt», und zwar aus dem einzigen Grunde, dass sie nur das Unendliche als ihren «Vorwurf» hat. Das Wesen der Musik bestehe in der «unaussprechliche[n] Sehnsucht», im «Schmerz der unendlichen Sehnsucht» und im «unbestimmten Sehnen[]». Die Musik Beethovens sei eben deswegen groß und sogar unübertrefflich, weil sie mehr als irgendeine andere jene «unendliche Sehnsucht» zum Ausdruck bringt, «welche das Wesen der Romantik ist».35 Die Sehnsucht hat sich in der Romantik «zu einem allumschlingenden Bande, das Erkenntnis, Religion und Leidenschaft verknüpft», erweitert.36 Freilich wurde ihre Bedeutung im stürmischen Lauf der Romantik ständigen Wandlungen unterworfen. Sie wandelt sich etwa bei Friedrich Schlegel vom frei schwebenden Zurückweichen vor jedem bestimmten, damit auch begrenzten und endlichen Zustand zur sich selbst opfernden Aufgeschlossenheit, worin «die Seele ihr eigenes, beschränktes Ich» preisgibt, damit «das Ich Gottes in ihr wohnt und wurzelt und lebt».37 Trotz dieses denkwürdigen Bedeutungs-

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Hierzu vgl. D. Barbarić, „Zeit und Schmerz. Zur Anthropologie Kants“, in: J. Rupitz, E. Schönberger, C. Zehetner (Hrsg.), Achtung vor Anthropologie, Wien 1998, S. 304-312 sowie Ders., „Die Langeweile: ein Schlüssel zur Anthropologie Kants?“, in: V. Gerhardt, R.-P. Horstmann, R. Schumacher (Hrsg.), Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses, Band 4: Sektionen XI-XIV, Berlin/New York 2001, S. 323-330. Zitiert nach Behler, Friedrich Schlegel in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Anm. 31), S. 24. E.T.A. Hoffmann, „Beethovens Instrumentalmusik“, in: Ders., Kreisleriana, hrsg. v. H. Castein, Stuttgart 1993, S. 26-37, hier S. 29. O. Walzel, Deutsche Romantik (Anm. 2), S. 23. F. Schlegel, „Entwicklung des inneren Lebens. I Von der Seele“ (1823), in: Ders., Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler unter Mitw. v. J.-J. Anstett und H. Eichner, 1

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wandels zeigt sich «dieses reine Gefühl der unendlichen Sehnsucht» in Schlegels rückblickendem Selbstverständnis als der tiefste Beweggrund seines ganzen Handelns, wie es dem rührenden Bekenntnis einer seiner Vorlesungen zu entnehmen ist, das auch als seine abschließende Auseinandersetzung mit Hegel und seinem Lebensprojekt, die Philosophie zur Wissenschaft zu machen, verstanden werden kann38: «Wenn aber die Sehnsucht bleibt, auch nachdem die Zeit der jugendlich aufwallenden Gefühle schon mehr vorüber ist, wenn sie nur immer tiefer wird, durch kein irdisches Glück befriedigt, und durch kein irdisches Unglück entkräftet; wenn sie mitten im Kampfe des Lebens und im Drange der Welt, wie ein Licht suchendes Auge, aus den sturmbewegten Wellen im Meere der Zeiten, zum Himmel hinauf gewendet bleibt, ob sie nicht dort einen Stern der ewigen Hoffnung fände: dann ist dieses die echte Sehnsucht, welche auf das Göttliche gerichtet, und welche selbst göttlichen Ursprungs ist. Aus dieser Wurzel geht fast alles geistig Schöne und Große hervor, ja auch selbst diese Liebe zu dem geistigen Wissen, und inneren Verstehen des Lebens, die Philosophie hat keine andere Quelle, und man könnte dieselbe auch in dieser Beziehung ebenso passend die Lehre von der Sehnsucht, oder die Wissenschaft der Sehnsucht nennen».39

Freilich hängt die Bereitschaft, die romantischen Ansichten als echte Philosophie anzusehen und anzuerkennen, von der jeweiligen Auffassung der Philosophie ab. Wird die Philosophie als der systematische Zusammenhang von Begriffsbestimmungen und Argumentations- und Beweisketten verstanden, muss die Romantik außen vor bleiben. In diesem Fall wäre dem kritischen Urteil des aus der strengen Schule der Kantischen Philosophie kommenden Nicolai Hartmann kaum zu widersprechen: «Man kann sich nicht verhehlen, dass die philosophischen Versuche der Romantiker bei aller Genialität letzten Endes doch Verkleinerungen ihrer eigenen Ideen sind. In kühnen Bildern, Gleichnissen oder gewagten Aphorismen blitzt gelegentlich etwas vom wahren Gehalt dieser Ideen hindurch. Aber dieses Durchblitzen geschieht immer schon an der Grenzscheide von Philosophie und Dichtung. Auf dieser Grenzscheide bewegen sich mit Vorliebe die Romantiker – nicht immer zum Vorteil der beiden Gebiete».40

Es ist andererseits ebenso unbestreitbar, dass dieses Urteil unter der Voraussetzung eines umfassenderen Philosophiebegriffs anders lauten würde. Sei es so oder anders, für uns darf als nachgewiesen gelten, dass die Romantik auch

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Abt. Bd. 8: Studien zur Philosophie und Theologie, hrsg. v. E. Behler und U. StrucOppenberg, München/Paderborn/Wien/Zürich 1975, S. 616. Vgl. E. Behler, „Friedrich Schlegel und Hegel“, in: Hegel-Studien, 2, 1963, S. 203-250, hier S. 245ff. F. Schlegel, „Philosophie des Lebens“ (1827), in: Ders., Kritische Friedrich-SchlegelAusgabe, hrsg. v. E. Behler unter Mitw. v. J.-J. Anstett und H. Eichner, 1 Abt. Bd. 10: Philosophie des Lebens [...] und Philosophische Vorlesungen insbesondere über Philosophie der Sprache und des Wortes [...], hrsg. v. E. Behler, München/Paderborn/Wien/Zürich 1975, S. 33 (zweite Vorlesung). N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus (Anm. 16), S. 163.

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uns noch viel, und zwar ganz Wesentliches, zu sagen hat. Und wenn man, nachdem die geläufigen hartnäckigen Vorurteile in Bezug auf die Romantik durch das bisher Gesagte vielleicht etwas von ihrer Überzeugungskraft verloren haben, das Erbe der Romantik in Hinsicht auf die gegenwärtigen philosophischen Aufgaben bestimmen will, drängen sich zunächst drei thematische Komplexe in den Vordergrund, auf die im Folgenden in aller Kürze hingewiesen sei. Der mechanischen Naturauffassung, die sich im Laufe der neueren Geschichte als die einzig wahre durchgesetzt hat und nach der die Natur nur von ihrer körperlichen Seite, d.h. abgetrennt von der Seele als ihrer ideellen Seite, betrachtet wird, setzt die Romantik den Grundgedanken des Organismus entgegen, in dem zu Recht der «Schlüssel der romantischen Weltanschauung»41 erkannt wird. Für die Romantik ist die ganze Natur lebendig. Die Natur ist ein Organismus, in dem jeder seiner Teile auf eine ideelle Weise mit allen anderen Teilen und mit dem Ganzen der Natur auf das innigste verbunden ist: «Die gesamte Natur ist beseelt, belebt, fühlt und empfindet. Selbst das Anorganische wird nicht ausgelassen. […] Alles ist durchdrungen von einer Melodie, einem Rauschen und Wogen. Alles ist eins und hat teil an dem ewigen wogenden Leben des Kosmos».42

Noch in seinen späten Vorlesungen vertritt Friedrich Schlegel die Meinung, dass alles in der Natur «aus lebendigen Kräften besteht», dass in ihr «alles voll [...] von verborgnem Leben [und] nichts eigentlich an sich starr und tot» ist.43 Die Romantik zögert nicht, die mechanische Naturauffassung als das zu erkennen, was letztlich zum Tod der Materie und der Natur führt. Wenn Schelling, dessen systematisch ausgearbeitete Naturphilosophie die unübertreffliche Grundlage für die nicht selten zum Abstrusen und Willkürlichen entgleitende romantische Naturbetrachtung bildet, über die unter dem Angriff der mechanischen Naturphilosophie und Wissenschaft «bis in ihr Innerstes erstorbene Natur» spricht, ist diese Ansicht als repräsentativ für die Romantik im Ganzen anzunehmen. In der Tat gibt es «wohl keine zweite Epoche der Geistesgeschichte, die in so dezidierter Opposition zum mechanischen Welt- und Naturbild steht wie die Romantik».44 Ähnlich verhält es sich mit der Auffassung der Seele. Da die Seele nach der romantischen Grundansicht nicht nur dem Menschen, sondern auch der Natur innewohnt, kann das Wesen der Menschenseele nicht hauptsächlich im Bewusstsein und in der Vernunft bestehen, wie dies in der ganzen Neuzeit als selbstverständlich gilt. Da die Grundbestimmung des Menschen darin liegt, der Mittler zu sein und sich ständig über sich selbst zu erheben, ist seine Seele nicht in erster Linie als die selbstreflexive substantielle Vernunfteinheit zu 41 42 43 44

O. Walzel, Deutsche Romantik (Anm. 2), S. 15. K. Gloy, Das Verständnis der Natur, 2 Bde., München 1995-1996, Bd. 2, S. 105f. F. Schlegel, „Philosophie des Lebens“ (Anm. 39), S. 79 (Vierte Vorlesung). K. Gloy, Das Verständnis der Natur (Anm. 42), Bd. 2, S. 107.

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fassen, sondern als eine relativ diffuse dynamische Pluralität der Kräfte, die sich in ständiger spannungsvoller Auseinandersetzung und in einem nie aufhörenden inneren Dialog befinden. Das bezieht sich zwar vor allem auf die Dualität von endlichem und unendlichem Ich im Inneren des Menschen. Aber auch sonst ist die Seele des Menschen für die Romantik ein dynamisches Gefüge der zwar selbstständigen aber zugleich im spannungsvollen Zusammenspiel sich befindenden Grundkräfte wie Begehren, Wahrnehmen, Gedächtnis, Phantasie, Ahnung, Meinung, Urteilen, Hoffen… Als Vermittler zwischen Innen- und Außenwelt findet der Mensch sein wahres Selbst vor allem in seinem Herzen und fühlt sich durch seine Leidenschaften, Begierden, Triebe, in einem Wort durch das sogenannte Unbewusste, ebenso stark angeregt und geleitet wie durch die dem vernünftigen Wollen entspringenden bewussten Absichten. Im chaotisch fließenden symbolischen Raum der Romantik verdienen daher Traum, Parabel, Märchen, Wunder, Rätsel nicht weniger Beachtung als das rationale Verhalten; oft zeigen sie sich sogar als tiefsinniger, aufschlussreicher und bedeutsamer. Der dritte thematische Komplex bezieht sich auf die Kunst. Die Romantiker neigen dazu, in der Kunst das einzig wahre Leben zu sehen. Schillers berühmten Spruch, dass der Mensch nur dann der wahre Mensch ist, wenn er spielt, haben sie ohne Vorbehalt aufgenommen, und das von ihm gemeinte Spiel dabei als die Kunst in einem ganz umfassenden Sinne verstanden. «Lasset uns […] unser Leben in ein Kunstwerk verwandeln und wir dürfen kühnlich behaupten, dass wir dann schon irdisch unsterblich sind», ruft Wackenroder einmal aus.45 Und wieder ist es Schelling, der diese Grundhaltung im Namen aller anderen kühn und erhaben zum Ausdruck bringt. Vielleicht hat nie ein Philosoph so eindrucksvoll den unbedingten Vorrang der Kunst im Ganzen des Lebens vertreten. Sein frühes Hauptwerk System des transscendentalen Idealismus lässt er in dem begeisterten Satz gipfeln: «Die Kunst ist ebendeßwegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in Einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig sich fliehen muß».46

Was vom heutigen Standpunkt an der romantischen Kunstauffassung besondere Beachtung und Würdigung verdient, ist wohl die Tatsache, dass dort – ebenso wie in den großen spekulativen Systemen der Ästhetik im Deutschen Idealismus – die Kunst zum letzten Mal gesehen wurde aus dem Verhältnis 45 46

W.H. Wackenroder, L. Tieck, Phantasien über die Kunst (Anm. 14), Kap. 11. F.W.J. Schelling, „System des transscendentalen Idealismus“ (1800), in: Ders., Historischkritische Ausgabe. Im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. T. Buchheim, J. Hennigfeld, W.G. Jacobs, J. Jantzen u. S. Peetz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976ff. Reihe I: Werke, Bd. 9, hrsg. v. H. Korten, P. Ziche, Teilband 1, S. 328.

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zum Unendlichen, und zwar als dessen sinnliche Erscheinung und Offenbarung. Vor diesem Hintergrund wurden dann alle Einzelkünste, und zwar in voller Vielfältigkeit ihrer gegenseitigen Verhältnisse, als ‚Arten‘ bzw. ‚Zweige‘ der einen in sich architektonisch gegliederten Kunst gefasst. Freilich gibt es dabei einen beträchtlichen Unterschied zwischen den romantischen Künstlern und den Philosophen. Letztere bestehen – Hegel ganz ausdrücklich, Schelling etwas zögerlicher – auf dem Vorrang der Dichtkunst vor der Musik und innerhalb der Musik wieder der vokalen vor der rein instrumentalen, um auf diese Weise den letztendlich dem vernünftigen Denken entstammenden und in der Schatzkammer der Sprache gelagerten Bestand von Bedeutungen vor dem Versinken in das unbestimmte und unberechenbare Gefühlsmäßige des reinen, nur auf die Empfindung sich wendenden Tönens und Klingens zu bewahren. Die Romantiker hingegen halten gerade die Musik für die höchste und reinste romantische Kunst, da sie allein imstande ist, die unendliche Sehnsucht, als die einzig entsprechende Form, in der sich dem Menschen das Unendliche meldet, zur Darstellung zu bringen. Nur in der Musik glaubt der Romantiker den sonst verlorenen Faden wieder zu finden, der ihn mit der «unendliche[n] schöpferische[n] Musik des Weltalls»47 , wie es etwa bei Novalis heißt, in Verbindung hält. Kein Romantiker hat dieses unbedingte Vertrauen auf die heilende und rettende Kraft der Musik in so innigen und reinen Worten zum Ausdruck gebracht wie Wackenroder: «Die Musik ist der letzte Geisterhauch, das feinste Element, aus dem die verborgensten Seelenträume, wie aus einem unsichtbaren Bache ihre Nahrung ziehen; sie spielt um den Menschen, will nichts und alles, sie ist ein Organ, feiner als die Sprache, vielleicht zarter als seine Gedanken, der Geist kann sie nicht mehr als Mittel, als Organ brauchen, sondern sie ist Sache selbst, darum lebt sie und schwingt sich in ihren eignen Zauberkreisen».48

Mit diesem Hinweis auf das Erklingen der unendlichen Sehnsucht in der Musik darf auch unser Versuch der Besinnung auf das Erbe der Romantik seinen Ausklang finden. Jean Paul, dessen Abstand zur Romantik nicht zuletzt dadurch zu erklären ist, dass er von den in ihr erschlossenen Abgründen des Inneren wusste, schreibt in seinem letzten, erst länger nach seinem Tod von Robert Schumann – einem echt romantischen Musiker – veröffentlichten Manuskript unter dem Titel «Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele» Folgendes: «Dieses Innere der menschlichen Natur fängt besonders vor einer Kunst wach und laut zu werden an, deren Eigentümlichkeit und Auszeichnung vor jeder andern Kunst noch nicht recht erkannt wird; ich spreche eben nicht von Dichtkunst und Malerei, sondern von der Tonkunst. Warum vergisst man darüber, dass die Musik freudige und traurige Empfindungen verdoppelt[,] [...] eine höhere Eigen47 48

Novalis, „Die Christenheit oder Europa“ (1798), in: Ders., Werke und Briefe (Anm. 22), S. 409. W.H. Wackenroder, L. Tieck, Phantasien über die Kunst (Anm. 14), Kap. 10.

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tümlichkeit von ihr? Ihre Kraft des Heimwehs, nicht jenes nach einem alten verlassenen Lande, sondern nach einem unbetretenen, nicht nach einer Vergangenheit, sondern nach einer Zukunft?».49

Vielleicht wäre gerade in diesem merkwürdigen Heimweh nach der Zukunft das uns verpflichtende Erbe der Romantik zu erkennen. Safranski mag Recht haben: «Die Romantik ist eine Epoche. Das Romantische eine Geisteshaltung, die nicht auf eine Epoche beschränkt ist. […] das Romantische gibt es bis heute».50

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Jean Paul, „Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 13), Bd. 6, S. 1208. R. Safranski, Romantik (Anm. 3), S. 12.

II. FRANZ VON BAADER IN NATURPHILOSOPHIE UND THEOLOGIE

STEFANO POGGI

Vis conjuncta fortior, vis separata debilior. Elementarphysik und Chemie beim frühen Baader

1. Im September 1796 traf Wilhelm von Humboldt in Hamburg den aus England heimkehrenden Baader. Der Eindruck war nicht besonders positiv. Baader, so Humboldt, gehörte «zu den Menschen und Köpfen, die sich für überzeugt halten, dass man bisher auf einem ganz falschen und oberflächlichen Wege gegangen ist, die eigne und tiefere Ideen über das Wesen der Dinge zu besitzen meynen, die aber, gerade vielleicht wegen ihrer Tiefe, andern geradezu, besonders bei der Anwendung auf die leblose Natur, mystisch erscheinen». Humboldt gab sich dennoch «alle ersinnliche Mühe», um die Ansichten Baaders «einigermassen zu fassen». Das Unternehmen war schwierig – Baader drückt «sich überhaupt ebenso schnell als unbestimmt und unbehutsam» aus –, aber Humboldt war fähig, die wesentlichen Züge jenes «sonderbaren Ideenganges» zu charakterisieren. Baader scheint die leitenden Begriffe Humboldt mitgeteilt zu haben, die ein Jahr später, 1797, in den Beyträgen zur Elementarphysiologie veröffentlicht werden. In dieser Hinsicht gilt Humboldts Protokoll als hochinteressant.1 Sich an Kant anschliessend, hatte Baader den Unterschied zwischen den mechanischen Zentralkräften und den dynamischen Flächenkräften hervorgehoben. Baader, so Humboldt, betrachtete die Kantsche Behandlung dieser letzteren (in der Allgemeinen Naturgeschichte2) dennoch als ungenügend. Vom Standpunkt Baaders aus sollte man «das zusammengesetzte Moment der Central und Flächenkräfte» als die echte «Substanz der Körper» annehmen. Die Erforschung der Naturprozesse sollte sich keineswegs auf die mathematische 1

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W.v. Humboldt, „Tagebücher I“ (1788-1798), in Ders., Gesammelte Schriften, hrsg. v. A. Leitzmann, B. Gebhardt, W. Richter, 17 Bde., Berlin 1903-1936, Band 14, S. 342-344. F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 3, S. 203-246. I. Kant, „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt“ (1755), in: Ders., Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, I. Abteilung: Werke, 9 Bde., Berlin 1902-1923, Bd. 1, S. 215-368.

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Berechnung der mechanischen Bewegungen der Körper beschränken. Die «innere Natur» dieser letzteren – d.h. der chemischen und der organischen Kräfte, welche die Körper von innen treiben – sollte im Gegenteil als das Hauptobjekt eines gründlichen Studiums der Natur betrachtet werden. Baader sprach sich also für eine «Stofflehre» aus, war aber noch nicht in der Lage, deren Begriff und die Forschungsmethode genau zu präzisieren. Eine Erfüllung dieses Verlangens nach einer solchen Präzisierung ließ noch lange auf sich warten. Baaders Kenntnisse in der Chemie waren jedenfalls als «sehr mässig» zu betrachten. Es folgte daraus, dass nach Meinung Baaders – der die Verwerfung des «Antiflogistische[n] System[s]» befürwortete – «Oxygene, Calorique, Säuren […] schlechterdings keine Stoffe, sondern Kräfte» seien und «schlechterdings ihrer Natur nach, nicht bloss wegen ihrer Feinheit […], nicht gewogen werden» könnten. Nicht nur: «Der Uebergang vom Festen zum Flüssigen, und von diesem zum Gas geschehe durchaus durch Sprung und nicht nach Maassgabe des gradweise zunehmenden Wärmestoffs durch Grade u.s.w.». «Raisonnements dieser Art – Wilhelm von Humboldt konnte nicht umhin, seine hochkritische Meinung zu äussern – können nur hohe Weisheit oder baarer Unsinn seyn».3

2. Es ist aus guten Gründen zu vermuten, dass auch die Lektüre der nur fünfzig Seiten umfassenden Beyträge zur Elementarphysiologie Humboldt zu keiner wohlwollenden Meinung über Baader veranlasst haben. Unbestreitbar ist aber, dass die Abhandlung Baaders in den naturphilosophischen Debatten des 18. und 19. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielt. In dieser Hinsicht lohnt es sich, der Entwicklung der Baaderschen «Raisonnements» zu folgen. Baader hält an seiner Überzeugung fest, dass «das maschinistische System» die «menschliche Vernunft» und «ihre Cultur» unter den «Verstandesgesetze[n] in wahrer Sclaverei niederhielt». Im Gegenteil «musste jedem auffallen», dass «die chemischen Naturoperationen zu einer anderen und höheren Ordnung, als die mechanischen gehören dürfen». Es ist eine wirkliche, tiefe «Naturandacht», welche die «chemischen Naturoperationen» inspiriert, weil die Chemie ins Innere der Natur schaut. Die äußere Anschauung leidet an einer wesentlichen Beschränkung: es sind nur Gestalten – d.h. Äußerungen eines Inneren –, die ins Auge fallen.4 Als Äußerungen dürfen jene Gestalten auf keinen Fall als etwas selbstständiges betrachtet werden. Sie sind vielmehr als eine Art «Grenze» zu betrachten. Eine Grenzfläche trennt Körper voneinander 3 4

W.v. Humboldt, „Tagebücher I“ (1788-1798), in Ders., Gesammelte Schriften (Anm. 1), S. 342. F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 236.

VIS CONJUNCTA FORTIOR, VIS SEPARATA DEBILIOR

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und ermöglicht zugleich ihre gegenseitige Berührung und gewissermassen auch ihre Durchdringung, wenn wir z.B. vor allem auf die «Einigung der Elementarkräfte in Bildung eines einzelnen Körpers» achten. Als erstes grundlegendes Prinzip gilt eine Art von sozusagen innerer Kraft, mit anderen Worten ein dynamisches Prinzip, eine lebendige Potenzierung.5 Um die Anschauungen Baaders genauer zu bestimmen, sind wir gezwungen, einen Schritt zurück zu gehen. Die Auseinandersetzung mit den naturphilosophischen Schriften Kants – in erster Linie mit den Metaphysische[n] Anfangsgründe[n] der Naturwissenschaft, aber auch mit den vorkritischen Schriften, wie den Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte – bildet einen unentbehrlichen Bezugspunkt für Baader. Baader bezog sich besonders auf die „Erklärungen“ und die „Anmerkungen“ zur Dynamik in den Metaphysische[n] Anfangsgründe[n] der Naturwissenschaft. Kant hatte eine absolute und eine relative Undurchdringlichkeit der Materie und folglich eine mathematische und eine dynamische Erfüllung des Raumes behauptet. Kant hatte die Annahme einer absoluten Undurchdringlichkeit als unbegründete Annahme einer echten qualitas occulta verworfen. Die Undurchdringlichkeit beruht in der Tat «auf einem physischen Grunde»: «die ausdehnende Kraft macht sie selbst, als ein Ausgedehntes, das seinen Raum erfüllt, allererst möglich». «Da aber diese Kraft, so Kant, einen Grad hat, welcher überwältigt, mithin den Raum der Ausdehnung verringert, d.i. in denselben bis auf ein gewisses Maß von einer gegebenen zusammendrückenden Kraft eingedrungen werden kann, doch so, daß die gänzliche Durchdringung, weil sie eine unendliche zusammendrückende Kraft erfordern würde, unmöglich ist: so muß die Erfüllung des Raums nur als relative Undurchdringlichkeit angesehen werden». Der Materie «als Materie überhaupt, die einen Raum erfüllt», kommt eine «wesentliche Elastizität» zu. Dies war für Kant ein unentbehrliches Postulat. Es folgte also, dass die Undurchdringlichkeit den Hauptcharakter der Materie bildet. Die Materie übt immer eine «expansive Kraft» aus: es hängt nur vom unserem Standpunkt ab, ob jene Kraft als eine repulsive oder anziehende beurteilt werden kann.6

3. Gleich in den ersten Zeilen seiner Beyträge äußert Baader seine Zustimmung zu den Thesen Kants. Ein Körper – oder, mit anderen Worten, eine materielle Substanz, auch ein Raum-Individuum – soll immer als eine Raumerfüllung

5 6

F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 215-216. I. Kant, „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ (1786), in: Ders., Gesammelte Schriften (Anm. 2), Bd. 4, S. 465-565.

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(und niemals als ein Punkt) betrachtet werden.7 Jedes einzelne materielle System besteht also aus den Verhältnissen zwischen den Körpern als RaumIndividuen, als Raumerfüllungen, in welchen sich zugleich eine Kraft äußert. «So wie die Elementargeometrie von strahlenden Puncten (Linien), von Flächen und von geometrischen Körpern handelt, so muss – präzisiert Baader in einer erklärenden Anmerkung – die Elementarphysik von Puncten oder strahlenden Kräften […], von Flächenkräften, und von den eigentlichen mechanischen, welche sich zu den beiden übrigen verhielten, wie das Gewicht zum Maass und zur Zahl, als drei Arten der Kraftäußerung, drei Arten der Gemeinschaft oder Wechselwirkung handeln, welche zugleich die drei Stufen der Verkörperung und Entkörperung derselben sind, […] und welche man freilich nur sehr dunkel im Sinne hatte, als man von drei Formen der Materie sprach». Der Begriff der Materie – davon war Baader tief überzeugt – benötigte eine dringliche Präzisierung. Es gibt in der Tat absolut keinen Grund, von «einer gewissen allgemeinen Grundmaterie» zu reden. Wir sind berechtigt, nur von der einzelnen, wirklichen Materie jedes Körpers zu sprechen, von einer Materie, die «entsteht und vergeht», und die entsteht und vergeht «in diesem wahren Sinne, täglich, stündlich und augenblicklich.» Die Kraft kommt vor der Materie, ohne Kraft keine Materie. Wir sind gezwungen, diese einfache aber unwiderrufliche Tatsache anzuerkennen: «Ob aber die Energie dieser Grundkräfte als der Zeugungskräfte und Wurzeln alles Räumlichvorhandenen einzeln oder im vereinten Momente stets dieselbe bleibt, – dieses ist eine Frage, die weder metaphysisch durch den tautologen Satz des Bleibens der Substanz, noch empirisch, durch die Wage, beantwortet werden kann.» Aber die Tatsache bleibt unumstößlich. «Nähme man aber – setzte Baader, sich ausdrücklich an Kants Metaphysische Anfangsgründe anlehnend, fort – auch die unveränderliche Ständigkeit des Totalmoments der Aeusserungen der Grundkräfte an, so würden sich an jedem einzelnen Körper diese Kräfte einzeln oder vereint doch nie anderes, als gradweise (dynamisch) schätzen und messen lassen». Es gibt keine Möglichkeit, eine «mechanische Construction des Körpers als Raumerfülltheit» zu bestimmen. Man «bedarf nicht etwa bloss zur Bildung organischer Körper, sondern aller Körper überhaupt eines anderen Princips, als des eigentlich nichtssagenden Dings eines blossen Naturmechanismus, der zur Construction einer Luftblase (als Raumerfüllung von specifischer Beschaffenheit), eines Sandkorns oder eines Grashalms gleich ungeschickt und unfähig sich erweiset». Ein «solcher blinder Naturmechanismus in der Physik» wäre keineswegs «der Vernunft minder empörend, als sein Halbbruder oder Vater, der blinde Zufall, in der Philosophie überhaupt».8

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F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 205-206. F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 233-236.

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4. Schon im Jahr 1792 – in seinem der «Prüfung der Grundsätze des Herrn Lavoisier» gewidmeten Aufsatz – hatte Baader die naturphilosophischen Ideen Kants gebilligt und die Einsicht verteidigt, «dass man weder Grund hat, den flüßigen Körpern allen Zusammenhang abzuleugnen, noch überhaupt den Unterschied des Festen und Flüßigen auch nur in das Mehr oder Minder desselben zu setzen». Es war diese Einsicht – hob Baader hervor –, die wir Herrn Kant verdanken, «der uns mit ihr, wie ich glaube, zuerst den richtigen Character der Fluidität gab». Baader war mit Kants Kritik an der atomistischen Auffassung der Festigkeit oder der Starrheit als einfachen, ursprünglichen Phänomenen einverstanden. Mit sehr guten Gründen hatte Kant gezeigt, «dass feste und flüßige Körper sich wohl durch den Grad der Verschiebbarkeit ihrer Theile, keineswegs aber durch den Grad ihres Zusammenhanges unterscheiden»: «Zusammenhang und Elasticität sind […] jedem Flüßigen eigen».9 Es ist also im Gegenteil eine ursprüngliche Fluidität, die den echten Charakter jedes Körpers erklärt. Wir sind nicht berechtigt, die Körper als vollendete «Raumerfüllungen» zu betrachten. Wir sind vielmehr immer verpflichtet, die Körper in ihrem beständigen Verhältnis mit anderen Körpern zu beobachten. Nur von diesem Standpunkt aus ist es möglich, zu einer begründeten Erklärung des «Natur-Wunder[s] des Entstehens (Hervorgebrachtwerdens), Erhaltens und Verschwindens einzelner (gewirkter) Individuen» zu gelangen. Wenn wir also die Bewegung eines starren Körpers «mit mässiger Geschwindigkeit inner einem flüßigen (weichen, d.i. weichenden)» beobachten, «so wird letzterer ihm nur ein Minimum von Widerstand = 0 entgegenzusetzen vermögen». Wenn aber die Schnelligkeit höher wird, steigt im Verhältnis dazu auch der Widerstand des weichenden Körpers. Dieser letztere gilt also «als momentan sich bildende Einheit (ein räumlich mechanisches Du oder Individuum)». Es ist also klar, dass eine «objective Einheit (Individuum) [...] nur in Bezug auf und für die subjective vorhanden und für diese allerdings wahr» ist. Der Sachverhalt wird noch deutlicher, wenn wir «eine einzeln inner einem stehenden Flüßigen gebildete (geballte) Welle» beobachten. Jene Welle kann in der Tat «ein momentanes Entstehen ähnlicher Gebilde veranlassen, diese mögen nun so ephemerisch als möglich im Flüßigen bestehen, und dieses gibt denn zu einer dynamischen Construction eines motus intestinus gleich einem Pulsiren durch wechselweise von einzelnen Stellen aus vorgehende Contraction und Expansion des Flüßigen Anlaß, als einer Undulation, ohne dass man zu atomistischen Fictionen von präexistirender und bleibend fortdauernden discreten Körperchen […] seine Zuflucht zu nehmen, d.h. ohne dass man dem Flüßigen seine Flüßigkeit und Stätigkeit ins Angesicht abzuleugnen 9

F.v. Baader, „Ideen über Festigkeit und Flüssigkeit zur Prüfung der physikalischen Grundsätze des Herrn Lavoisier“ (1792), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 191, 193-194, 196.

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brauchte». Auf diesem Weg – hob Baader hervor – bleibt «nicht mehr so ganz unbegreiflich [...], wie derlei momentan inner einem Flüßigen entstandene Bildungen, anstatt wieder eben so augenblicklich zu zerfliessen, unter besonderen Umständen sich inner sich selbst zu gründen (dynamisch und chemisch zu centriren) und so eine erfahrbare Fortdauer ihres vom Mutterstoff oder Mutterkörper sich ablösenden Daseins zu gewinnen vermögen». Für die dynamischen und chemischen Kräfte, die sich im Innern «centriren», gilt jede «äußere (räumlich-berührende) Ursache bloss als Reiz, Funke oder Same».10

5. Im Prinzip ist die Erfahrung jeder Manifestation der Kräfte in der Natur immer eine direkte Erfahrung – sowohl im Äußeren als auch im Inneren. Auf Grund einer Reihe von Erfahrungen dieser Art kommt unser Begriff der Kraft «überall nur durch eine Synthesis eines Mannigfaltigen des äußeren und inneren Sinnes (Extension und Intension) zu Stande, und weiset sich sohin als ein Janus bifrons». Unsere erste, grundlegende Erfahrung jeder Kraftäußerung ist immer eine unmittelbar gefühlte. «Hiebei», betont Baader nachdrücklich, sich an Fichte und besonders an Leibniz anlehnend, «ist das Reale, der Grund und Träger oder Leiter stets nur Gefühl, also etwas, das auch der innere Sinn vernimmt, und der Antagonismus des wechselnden Eintritts desselben x im innern und des Austritts (Verschwindens) aus dem äußeren Sinn (so wie viceversa) ist bekannt». Aber es handelt sich immer um einen sonderbaren Antagonismus. Hätte man in der Tat «auf die Verschiedenheit des Verfahrens bei Constructionen in äußerer und innerer Anschauung überall mehr reflectirt, so würde man auch in der Erklärung mancher Naturerscheinungen weiter gekommen sein». Es ist notwendig, das Verfahren jeder Untersuchung dem spezifischen Charakter des zu untersuchenden Naturprozesses anzupassen. «Was z.B. – präsizierte also Baader – in der äußeren Anschauung durch blosse Addition und Subtraction (mechanisch) geschieht, das geschieht in der inneren dynamisch durch Multiplication und Exponentiation, durch Division und Wurzelausziehen. Folglich ist es auch kein Wunder, wenn der maschinistisch erklärende Physiker mit seiner todten Arithmetik, mit seinem blossen mechanischen Neben-und Zu-und Voneinander, es weder der Natur, noch dem dynamisch construirenden Naturforscher mit ihrer lebendigen (dynamischen) Arithmetik (ihrem In-und Auseinander), wovon jene bloss der Schatten ist, je gleich thun kann». In der diesbezüglichen Anmerkung hob Baader die «Verkehrtheit unserer mathematischer Lehrbücher» hervor, d.h. «dass sie mit der todten begriffslosen Addition und Subtraction beginnen, anstatt mit der lebendigen Potenzirung und Wurzelextraction zu beginnen». Die Hauptgefahr blieb 10

F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 219-221.

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immer dieselbe: «[N]ur den Schatten jenes grossen Grundsatzes: vis conjuncta fortior, vis separata debilior» zu fassen. Und die Gefahr zeigt sich in allen ihren problematischen Folgerungen, wenn «man bei Constructionen der äußeren Anschauung stehen bleibt, oder was noch schlimmer ist, wenn man, sie auf den inneren Sinn übertragend, die Natur beider unkenntlich macht». Der große Grundsatz «vis conjuncta fortior, vis separata debilior» spricht also von einer durchgehenden «Einigung der Kräfte», die in der Tat «bloss durch Gliederung, d.h. durch eine systematische Vertheilung der einzelnen Functionen (eine division of labour) zu Stande» kommt. Das «erste und nächste Beispiel» darüber wird selbstverständlich von der «Einigung der Elementarkräfte in Bildung eines einzelnen Körpers», d.h. vom Phänomen des Lebens geliefert, d.h. von einer Erscheinung, die von uns unmittelbar gefühlt wird. Die Rolle, die in dieser Hinsicht von einer dynamischen Physiologie gespielt wird, ist eine zentrale, entscheidende Rolle. Eine dynamische Physiologie hat also die Aufgabe, die unnützlichen, wenn nicht gefährlichen Abstraktionen des «bloss mechanisch construirenden Physiker[s]» zu verwerfen und zu tilgen: «Dem bloss mechanisch construirenden Physiker entgehen übrigens sowohl die Flächenkräfte, als die durchdringenden, und seine Constructionen müßen darum eben so unvollständig und unbefriedigend ausfallen, als z.B. eine Geometrie ausfallen müßte, die bloss Stereometrie wäre». Zugleich scheint es aber auch problematisch, die Körper nur vom Standpunkt der in ihnen wirkenden Grundkräfte aus zu betrachten. In der Tat kann der Körper «nun hiebei nicht als selbständige vollendete (collective) Einheit, nicht als einzelnes Object oder Individuum erscheinen, sondern gleichsam wie zerlegt als nichtindividualisirter Stoff oder Gefühl».11

6. Der Übergang zur Chemie wird also unvermeidlich, denn eine Antwort auf die den wirklichen Grund der Individualität des Körpers betreffenden Fragen erweist sich als dringlich. Nach dem mechanischen und dem dynamischen «Antagonismus» der Körper gibt es also eine dritte Art jenes «Antagonismus»: den chemischen. In diesem Fall ist die «Einwirkung des Körpers» – genauer die Wechselwirkung der Körper – eine solche, «wo nemlich der eine vom anderen völlig in sich aufgenommen und durchdrungen wird, und zwar so, dass entweder der eine auch nach geschehener Aufnahme des andern seine isolirte Existenz im Raume fort erhält, oder nicht, in welchem Falle ein neues Individuum oder mehrere neue Individua hervortreten». In einer längeren Anmerkung erkannte Baader dennoch an, dass dieser chemische «Antagonismus» einer ausführlichen Erklärung bedürfte, einerseits 11

F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 214ff., 225, 224 Anm.

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für das, was die mögliche Durchdringung der Körper verursachen könnte, andererseits für das, was als die Wirkungsweise der chemischen Kräfte betrachtet werden könnte. Auch in diesem Fall bezog sich Baader – wie früher auf den Satz «vis conjuncta fortior, vis separata debilior» – noch immer auf einen «alten Satz», nämlich: «corpora non agunt (chemice) nisi soluta». Das Hauptproblem lag genau in der solutio, an der Lösung. Baaders Meinung nach behauptete also jenes alte Motto «nichts geringeres, als dass diese Aufnahme (als assimilirende Zubildung oder totale wechselseitige Umbildung) nicht anders, als durch die Mittelstufe dynamischer Aufschliessung geht». Als Paradigma gilt jedenfalls die sogenannte «Intussusception». Aber in der Tat gilt die Intussusception nur als eine Art von regulativem Ideal. Sie ist die «Umschliessung […] als Neben- und Aussereinander, als Anhäufung, von der wahren Intussusception spezifisch unterschieden». Aber zugleich ist es auch unbestreitbar, dass «sie als Theilung, die man sich so weit als möglich vorstellen kann, der wahren Intussusception jedesmal vorgeht, so wie der Ausscheidung, und darum manchmal als wahre Continuität erscheint, da sie doch nur (chemische) Contiguität ist, und sich als solche auch beim Versuche beweist». Die einzige Art und Weise, die Wirkungsweise der im Prozess tätigen Kräfte «zu erläutern», scheint also «die chemischen Kräfte als Flächenkräfte» darzustellen. Die chemischen Kräfte verhalten sich daher «zu einander wie die elektrischen». «Zwei in Berührung gerathene Körper werden sohin so lange neue Flächen wechselweise einander darbieten, und die hiezu nöthige Configuration etc. so lange fortsetzen, bis bei einem bestimmten Verhältnisse das Gleichgewicht zwischen eigenem und wechselseitigen Berührungsquantum erreicht ist, und in dieser Stufe wechselseitiger Zertheilung werden nun beide Materien eben so inne stehen, als etwa zwei Feder-Elektrometer von entgegengesetzter Elektricität in einander sich verwickelnd an einander kleben».12 Baader zeigte sich auf diesem Weg zu weiteren verpflichtenden Annahmen gezwungen. Dies galt vor allem für die wiederholte Bestätigung einer sonderbaren Impenetrabilität der Materie, die als «das Vermögen, die Einung mit Unterschiedenheit zugleich zu erhalten» charakterisiert wurde. In der Tat gesellte sich bei Baader die Treue zum Spruch von Saint-Martin, nach welchem la matière se combine, mais elle ne s’unit pas, zu der unerschütterlichen Überzeugung, dass als die einzige wirkliche Natur nur die immaterielle Natur zu betrachten ist. Nur in der immateriellen Natur ist die Sichtbarkeit möglich, wo im Gegenteil eben die «Impenetranz» der «materialisirten Natur» diese letztere zur Undurchsichtigkeit verurteilt. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass hier das klare Echo einer alten Tradition zu bemerken ist, der Tradition der Alchemie und der Theosophie mit ihrer Auffassung von der Natur und der Materie. Dieses Echo hatte sicherlich auch Wilhelm von Humboldt bemerkt.

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F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 224-225.

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Das war vielleicht der Hauptgrund seiner Kühle, seiner skeptischen und kritischen Haltung gegenüber dem Ungestüm des jungen Bayern.

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Empirische Forschung und Metaphysik in Baaders Naturphilosophie

1. Einleitung In der Neuzeit überleben neben dem von Francis Bacon (1561-1626)1, Galileo Galilei (1564-1642)2 und René Descartes (1596-1650)3 eingeführten Modell der Erforschung der Natur, das, wenn auch auf verschiedene Weise, danach strebt, die Natur iuxta propria principia4 zu erkennen, in erneuerten Formen auch antike Modelle, die in der Renaissance wiederholtes Interesse gefunden haben. Für diese ist die Natur vor allem lebendiger Ausdruck des Göttlichen, das sie beseelt und harmonisch ordnet (Makrokosmos) und dessen Mittelpunkt und wunderbarer Spiegel der Mensch ist.5 Es handelt sich um verschiedene, wenn auch durch gemeinsame Doktrinen verbundene Bewegungen, die hinsichtlich der Natur eine Art physica sacra oder mystica naturalis entwickeln, eine, um es mit Antoine Faivre zu sagen, «von einem Glauben oder von einem Wissen religiösen Charakters erleuchtete Annäherung an die Naturphänome1

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18. März 1789 notiert Baader in seinem Tagebuch: «Homo enim, Naturae minister et interpres, tantum facit et intelligit, quantum de Naturae ordine opere vel mente observaverit; nec amplius scit aut potest. Neque enim ullae vires Causarum catenam solvere aut perfringere possunt; neque Natura aliter, quam parendo vincitur. Itaque intentionis geminae illae, humanae scilicet Scientiae et Potentiae vere in idem coincidunt […]. Baco in Distributione Operis.» Vgl. Seele und Welt. Franz Baader’s Jugendtagebücher 1786-1792, hrsg. v. D. Baumgardt unter Mitw. v. M. Jarislowky, Berlin [1928], S. 163 bzw. F.v. Baader, Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 11, S. 182f. Baader bezieht sich hier auf Bacons De dignitate et augmentis scientiarum (London 1623) und Novum organum sive indica vera de interpretatione naturae (London 1620). Vgl. G. Galilei, Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo, tolemaico e copernicano, Firenze 1632. Vgl. R. Descartes, Principia philosophiae, Amsterdam 1644. So lautet das Hauptwerk des Naturphilosophen der Renaissance Bernardino Telesio (15091588) programmatisch: De rerum natura iuxta propria principia (Napoli 1586). Auch Baader vertritt die Überzeugung, dass «der einzelne Organismus als Mikrokosmus das Gestirngetrieb in sich reproducirt […].» F.v. Baader, „Ueber die Thunlichkeit oder Nichtthunlichkeit einer Emancipation des Katholicismus von der Römischen Dictatur in Bezug auf Religionswissenschaft“ (1839), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 68. Ferner s. W. Kranz, „Kosmos“, in: Archiv für Begriffsgeschichte, 2, Teil 1, 1955, S. 7-113, Teil 2, 1957, S. 115-282; C. Haebler, „Kosmos. Eine etymologisch-wortgeschichtliche Untersuchung“, in: Archiv für Begriffsgeschichte 11, 1967, S. 101-118 und T. Leinkauf, C. Steel (Hrsg.), Platons Timaios als Grundtext der Kosmologie in Spätantike, Mittelalter und Renaissance, Leuven 2005.

EMPIRISCHE FORSCHUNG UND METAPHYSIK IN BAADERS NATURPHILOSOPHIE

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ne», wonach die Natur in sich die «Signatur des Göttlichen» sichtbar macht, sodass es zwischen ihr und der biblischen Erzählung keinen Widerspruch geben kann.6 Die Bewegung, die am Ende des 18. Jahrhunderts neue Formen der Naturphilosophie hervorbringen wird (und zu deren Gestaltung Baaders erste Schriften unbestreitbar beigetragen haben), strebt danach, diese Tradition zu reaktivieren und zu erneuern, indem sie versucht, neue Kenntnisse der modernen Naturwissenschaft in eine neue und verstärkte physica sacra einzufügen. Die Spekulationen Baaders über die Natur, die offen und oft kritisch gegenüber den neuen wissenschaftlichen Entdeckungen waren, lassen sich auch als eine «Reaktion gegen die Entheiligung der Welt» lesen,7 erzeugt von dem tendenziellen (und in einigen Fällen laut verkündeten) Materialismus der modernen Wissenschaft mit der Aufgabe der Doktrin eines schöpferischen und erhaltenden Eingreifens Gottes und dem Ausschluss jedes teleologischen Elements bei der Erklärung der Naturphänomene. Franz Hoffmann bemerkt, dass Naturalismus und Materialismus nach Baader im Widerspruch mit ihren eigenen Voraussetzungen stehen, weil für sie die Natur, die sie an die Stelle Gottes setzen, «in ihrem innersten Wesen undurchdringbar und unerforschlich sei».8 Auf der anderen Seite weist Baader auch die Position eines Pantheismus zurück, der nach Spinoza (Deus sive Natura) zwischen Gott und der Natur (und dem Menschen) eine substantielle Identität postuliert: «Hier genügt, nur abermal zu sagen, dass wir eine Weltansicht, welche die Paulinische All-in-Eins-lehre zur Alleinslehre verkehrt, so dass Gott, = allen Geschöpfen, nur die Summa Summarum derselben d.h. ihr Collectivbegriff, nicht ihr wahrer Inbegriff wäre, für irrational erklären, weil nach solcher der Schöpfer (als Centrum) und die geschaffene Welt (als Peripherie) zwei Hälften einer Substanz ausmachten, welche gleich einem Centaurus halb Gott und halb Nichtgott (Geschöpf) wäre, womit nebenbei auch das Selbstbewusstsein der intelligenten Creatur lügen gestraft würde».9 6

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Vgl. A. Faivre, „Introduction“, in: Ders., Philosophie de la Nature. Physique sacrée et théosophie XVIIIe-XIXe siècle, Paris 1996, S. 7 und auch „Franz von Baader et les philosophes de la Nature“, in: ebd., S. 25-75. Ferner vgl. P. Koslowski, „Franz von Baader. Spekulative Dogmatik als christliche Gnosis“, in: Ders. (Hrsg.), Gnosis und Mystik in der Geschichte der Philosophie, Zürich/München 1988, S. 243-259. A. Faivre, „Introduction“, in: Ders., Philosophie de la Nature (Anm. 6), S. 10. Das Phänomen lässt sich auch als eine Vorwegnahme der wissenschaftlich-neutralen «Entzauberung der Welt» von Max Weber deuten. Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 51985, S. 308. F. Hoffmann, „Einleitung“, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 9, XXVf. Anm. Vgl. auch F.v. Baader, „Ueber Materialismus“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 69-72. F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 9, S. 22. Und Baader fährt fort: «In welchen monströsen, übrigens sehr alten Irrthum (wie zum Theil bereits Kant bemerkte) Spinoza in neueren Zeiten nur darum wieder verfiel, weil selber die dreifache Relation des Schöpfers zum Geschöpf, nemlich die Extramundanität des

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2. Die Wirklichkeit als ‚Strom von Kräften‘ Schon in seinem ersten Werk, in dem er noch die Gültigkeit der Theorie des Phlogiston vertritt,10 und unabhängig von Immanuel Kant (1724-1804)11, wendet sich Baader gegen die von Descartes12 und Isaac Newton (1642-1726)13 verfochtene mechanistische und atomistische Naturauffassung,14 welche die Phänomene isoliert und vermeint, alles allein mit Hilfe der Bewegung erklären zu können. In Wirklichkeit liefert die mechanistische Wissenschaft nur die Beschreibung eines Phänomens, aber wenn sie es erklären will, dann muss sie ein anderes Phänomen zu Hilfe rufen, sodass sie in einen Kreislauf gerät, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Erkenntnis der Ursache der Bewegung ist jedoch nicht auf der Ebene der Physik zu finden, sondern nur auf metaphysi-

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ersteren, seine Intramundanität und seine Assistenz in Bezug auf letzteres nicht zusammen reimen konnte, oder das: Alles in Einem, Eines in Allem, und Eines bei Allem.» (Ebd.) Vgl. F. Baader, Vom Wärmestoff, seiner Vertheilung, Bindung und Entbindung vorzüglich beim Brennen der Körper. Eine Probeschrift, Wien/Leipzig 1786 bzw. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 1-180. Vgl. I. Kant, „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ (1786), in: Ders., Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, I. Abteilung: Werke, 9 Bde., Berlin 1902-1923, Bd. 4, S. 465-565. Vgl. F. Baader, „Ueber den Solidären Verband des intelligenten und des nichtintelligenten Seins und Wirkens“ (1837), in: Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 297: «Die besonders durch Cartesius in Schwung gekommene geistlose Auffassung der Natur musste die naturlose Auffassung des Geistes, und die gottlose Auffassung beider zur Folge haben; […] weil man erstens nicht klar einsah, dass Geist und Natur sich wie das Centrum zu seiner Peripherie verhalten, durch, mit und in welch’ letzterer das Centrum allein nur sich zu offenbaren und aus seinem Mysterium hervorzugehen (sich hervorzubringen) vermag, und weil man zweitens Gott als dem absoluten Geist und Centrum seine von ihm untrennbare Peripherie (Wesenheit oder Natur) ableugnete, die Ueberwesentlichkeit Gottes (als Wesens aller Wesen) für Wesenlosigkeit nehmend […]». Vgl. F.v. Baader, „Beyträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 207 Anm.: «Dem bloss maschinistisch erklärenden Physiker scheinen d[ie] dynamischen Nachforschungen freilich entbehrliche Speculationen, wo nicht gar Schwärmereien. […] So z.B. erklärt das Newton’sche Emanationenssystem das Licht und Sehen dadurch, dass es uns solches mit verschlossenem und resignirtem Augsinn im Finstern (als Anprall discreter Körperchen) d.h. mit der Hand greifen lehrt». Aber schon im Tagebuch (1793): «Licht – Newtons Emanationssystem völlig absurd, denn das Licht ist ohne vollkommene Continuität in seinen einfachsten Phänomenen gar nicht vorstellebar». Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 286. Baader hieß die Naturphilosophie Schellings willkommen – insbesondere Von der Weltseele (1798) «als den ersten Boten eines nahenden Frühlings, d.h. als die erste erfreuliche Äusserung der von dem Todtenschlaf der Atomistik wieder aufwachenden Physik», weil «die Naturphilosophie einmal den Dualismus der Natur (ihren innern Zwiespalt) richtig gefasst hat, und also bereits zwei Gegenden in der einen grossen Welt sowohl als in jeder einzelnen kleinen (deren Polarität) anerkennt […]». Vgl. F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 249. Über Übereinstimmugen und Verschiedenheiten der zwei Naturphilosophien vgl. M.E., Zovko, Natur und Gott. Das wirkungsgeschichtliche Verhältnis Schellings und Baaders, Würzburg 1996, S. 29-78.

EMPIRISCHE FORSCHUNG UND METAPHYSIK IN BAADERS NATURPHILOSOPHIE

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scher Ebene erreichbar («causa latet, vis est notissima»15): Es gibt keine wahre Physik, die nicht auf eine Metaphysik Bezug nimmt, da die Welt der Phänomene nicht die ganze natürliche Wirklichkeit ausmacht. Nach Baader gibt es somit eine (Natur-)Philosophie, die «von keiner anderen als der materiellen Sensibilität weiss, und […] alles nicht materiell Sensible und doch Natürliche für nicht natürlich oder übersinnlich und übernatürlich hält. Diese Naturphilosophie, so viel sie auch vom Geist spricht, ist doch nur materialistisch, [… und] hat also keine Vorstellung von jenem DoublePhysique, wie S[aint-]Martin sich ausdrückt, als Physique supérieur primitif et immatériel und als Physique oder Sensible secondaire, oder richtiger von einer Matière primitive und secondaire (somit von einer matière pénétrante und einer matière pénétrée) […]».16

Für Baader leisten die Naturgesetze nichts anderes, als eine Reihe von Ähnlichkeiten zu vereinigen, die sich in mehreren Phänomenen auffinden lassen: Generalisationen wie die künstlichen Systeme, mit denen die Naturwissenschaftler arbeiten, sind nützlich, aber nicht mehr, und sie bewahren uns nicht vor Fehlern.17 Doch die Wirklichkeit besteht nicht allein aus Phänomenen: Dieser äußeren Naturwelt entspricht eine innere Naturwelt, dem «nexus phaenomenorum» entspricht der «nexus rerum», zu dessen Kenntnis wir allerdings nicht mit den Sinnen, sondern nur mit Hilfe rationaler Reflexion gelangen können: «Zusammenhang der Dinge – nexus rerum. – Das ist nun schon einmal – mit Erlaubnis der Herren Fatalisten – eine sehr unphilosophische Sprache. Zusammenhang der Erscheinungen – nexus phaenomenorum – hätten Sie sagen sollen. Denn nur letzteren erfahren wir, sehen wir. Der Zusammenhang der Dinge ist bekanntlich nur im Innern der Sache und kann also nur vom sinnenden, forschenden Geiste enträthselt und erkannt werden». 18

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Vgl. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 313. F.v. Baader, „Der Morgenländische und Abendländischen Katholizismus mehr in seinem innern wesentlichen als in seinem äussern Verhältnisse dargestellt“ (1841), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd.10, S. 100. F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 1, S. 303: «Der Begriff des Systems fällt somit ganz mit jenem des Organismus oder des Lebens zusammen, nur dass der Begriff der Einheit als Vollendtheit und Integrität auch jener der Alleinigkeit, der concreten Unicität, des Unum ist, nicht der abstracten Unitas. Jede Einung als Folge der Innewohnung eines Einzigen gliedert oder macht das Viele selber wieder zu lauter Einzigen, Unersetzbaren, kein Surrogat oder Aequivalent Habenden […]». F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 135. Und Baader fügt hinzu: «Der sogenannte Zusammenhang der Erscheinungen in der Erscheinungswelt um mich ist eben nur unläugbar, als nothwendig und leicht erklärbar. Im Grunde ist er weiter nichts, als die natürliche Folge des beständigen, nie und nirgend unterbrochenen Stroms sinnlicher Eindrücke in meine äussern und innern Organe, welches denn bewirkt, dass freilich keine einzige Erscheinung in demselben isolirt auftritt, sondern stets in

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Das Experiment dient Baader dazu, um eine Theorie zu veranschaulichen, nicht um eine Hypothese zu verifizieren: Der Naturphilosoph ist ein «Mittler» zwischen einer physischen und einer übersinnlichen Welt.19 Noch vor Schelling setzt Baader eine «Weltseele» oder einen «Weltgeist» voraus, als belebende und klärende Grundlage der Natur in ihrem äußeren wie in ihrem inneren Bild.20 Die Weltseele verbürgt einen höheren, ‚homogenisierenden‘ Rahmen der verschiedenen Systeme, in die sich die Naturprozesse gliedern, und begründet eine ‚Naturhermeneutik‘ mittels Analogie und Affinität, denn «[o]hne Affinität kein Ganzes, keine Welt, nicht einmal gedenkbar; unser Erdball ein wüstes, ewig todtes Chaos, ein Brei ohne Gestaltung und Form, hiemit ein wahres Unding».21 Baaders Kritik am Mechanismus geht eben von der Widerlegung der Formel der Bewegung aus, die er gibt: MC, wobei M die Masse bedeutet und C die Bewegung22, eine vom mathematischen (phoronomischen) Standpunkt korrekte Formel, aber nicht vom physikalischen, bei dem man eine dritte Kraft postulieren muss, die er E nennt («spezifische Energie») und die im umgekehrten Verhältnis zur Geschwindigkeit steht. Die spezifische Energie der den Körpern eigenen Bewegungen ist die Schwere, verstanden sowohl als Bewegung als auch als Trägheit: Die trägen Körper widerstehen als Massen den Körpern, die sie in Bewegung zu versetzen suchen, nur weil sie schwer sind.23 Die spezifische Trägheit steht in Beziehung zu der spezifischen Schwere und zusammen bilden sie die Substanz jeglicher Materie. Sie ist ein Ausdruck von Kraft, mittels welcher jede besondere Materie zu einer Stabilität, zu einer Unabhängigkeit gelangt; in der Tat

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genauer, inniger Verbindung mit der nächst vorhergehenden und nächstfolgenden Erscheinung.» (Ebd.) F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 187: «Ein denkendes – nichtmechanisches – und freithätiges Mittel heisst nun aber mit allem Rechte ein Mittler, und das Zueignen dieses Mittels kann nun abermals nicht mechanisch geschehen, und der müsste vom nexus rerum sehr unphysikalische oder unpsychologische Begriffe haben, der hier ein anderes Commercium, als das, was unter freithätigen, denkenden Wesen nur allein stattfindet […]». Im Wärmestoff beschreibt Baader sie als «eine selbständig elastische, allverbreitete, zarte und unsichtbare Materie, die in immerwährender Bewegung und Thätigkeit als Allgebieterin und Allzerstörerin auf und in unserem Erdballe, folglich als eigentliche Weltseele mit ihrem alles durchdringenden Hauche ihn überall durchströmt und alles belebt.» Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. ), Bd. 3, S. 30. F.v. Baader, „Vom Wärmestoff“ (1786), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 33: «Die sogenannte sinnliche, materielle Natur ist Symbol und Copie der inneren, geistigen Natur. Jede Handlung, That Gottes in der belebten und sogenannten leblosen Natur, der Natur und Bibel ist semantisch, symbolisch, Erfüllung und Aufschluss des Vorhergegangenen, und Keim und Siegel des Zukünftigen». Vgl auch F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 17861793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 77: «Alles wirkt durch Analogie». F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 251f. F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 256.

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«müssen wir die Schwere als unmittelbare Aesserung des allen einzelnen oder für sich beweglichen Körpern inwohnenden, sich in jedem derselben individualisirenden, und sie alle ununterbrochen stellenden, tragenden und systematisch (als Princip a priori) ordnenden Individuums betrachten».24

Das Modell ist das einer zentralen Kraft, die ausstrahlend ihre eigene Peripherie erzeugt.25 Das materielle Universum wäre gänzlich träge, wenn es nicht in seinem Inneren ein aktives Prinzip (wirkendes Principium) hätte, da man ja mit dem «Principium der Reaction» allein nicht über den Zustand der Ruhe oder des «statischen Gleichgewichts» hinausgeht: «Wer haben will, dass diese ungeheuere Maschine wirklich ohne Beitritt irgend einer fremden, neuhinzukommenden Kraft, welche positive Ueberwucht bewirkte, sich von selbst bewege, der irrt auf dieselbe Weise, wie der PerpetuumMobile-Projectant». 26

Auch die Theorie, nach der ein ursprünglicher, die ‚Maschine des Universums‘ in Bewegung setzender Impuls genügen würde, damit diese sich dann in Bewegung hält, ist in sich widersprüchlich, denn es ist nicht genug, die erste Bewegung zu geben, man muss auch garantieren, dass sie sich dauernd erneuert und weiter wirkt, «und diese Erneuerung kann, wie wir aus mechanischen Gesetzen wissen, nicht anders, als durch Erneuerung der überwiegenden Kraft, also durch unaufhörlichen Beistand und Einfluss derselben gedacht und bewirkt werden».27 Für Baader erklären die «compressiven» und «expansiven» Kräfte allein nicht die Schwere ohne eine dritte Kraft, die den ersten beiden Grundlage ist und sie vereint: das «Erde-Princip».28 Das Verdienst und die Grenze der kantschen Auffassung von der Materie in den Metaphysische[n] Anfangsgründe[n] besteht darin, die beiden Kräfte der Anziehung und der Repulsion postuliert,29 aber nicht gesehen zu haben, dass es eine einigende Kraft braucht, wie 24 25

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F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 257. Antoine Faivre hat treffend (wenn auch in einem anderen Kontext) von «einem organizistischen und dynamischen Polymorphismus» gesprochen. Vgl. A. Faivre, Philosophie de la Nature (Anm. 6), S. 33. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 172. Ebd. F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 258 und 264. In den Beiträgen zur Elementar-Physiologie (1797) hatte er betont: «Hr. Kant war auch hier der Erste, der, auf dem neueingeschlagenen Wege, das in jedem Körper als für sich vollendeter Raumerfüllung gegebene und geeinte Vielerlei einzelner Grundkräfte zu zerlegen (dynamisch zu scheiden) anfing, um so der Lösung des grossen Problems: einer dynamischen Construction des Körpergebildes, sich nähern zu können. Er hatte nun zwar die Construction selbst nicht vollendet […].» Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 206 Anm. In einem Brief vom 4. Dezember 1815 schreibt Baader, dass Kant «zwar in das Land des Lebens hinübersah, aber noch diesseits dieses gelobten Landes (mit Moses) in der Wüste des todten Chemismus sterbe» musste. Vgl. F.v. Baader, „Briefe“, in: Ders., Sämtliche Werke

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die antike Elementarphysik und die alchemisch-magische Tradition wohl gesehen hatten, die neben Wasser und Feuer die Erde setzten.30 Jede Trennung oder Opposition postuliert das, was zusammenhaltend diese Unterscheidung gestattet. Jede Dualität verweist auf eine Dreiheit. Die Wirklichkeit lässt sich nicht mit zwei Kräften allein erstellen, es braucht eine dritte, wie die dreifache Dimension des Raumes beweist. Auf der Ebene der ganzen Natur können wir beobachten, dass im Pflanzenreich das Prinzip des Wassers herrscht, im Tierreich das des Feuers und im Mineralreich das der Erde, und dass die Materie im allgemeinen als salzig charakterisiert ist, brennbar und erdig.31 Baader hat sofort verstanden, welche Rolle die neue Chemie in der Erklärung der phänomenalen Prozesse spielen konnte.32 Dabei dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, dass das Substrat der Wirklichkeit ein Feld von immer untereinander in Spannung stehenden Kräften ist, ein «Strom» von Kräften, eine «chaotische Bewegung»33, aus der die verschiedenen Bildungen und Erzeugungen entstehen: «[D]as ganze Leben ist ein solcher angestrengter, fortgesetzter, und zuletzt wieder überwältigter Kampf. Mitten in dem Strome des Elementarreiches bildet sich gleichsam eine eigene centrische, kreisende Bewegung, die zum Theil jenem Strome seine Herrschaft entreisst».34

3. Gott – Natur – Mensch Der Strom der Kräfte spiegelt eine von einem Zentrum ausstrahlende und eine dauernde und ‚flüssige‘ Totalität bildende dynamische Metaphysik wider, auf der Überzeugung gründend, dass «in der Physik, Alles auf Bewegung zurückzuführen» ist.35 Darum erfordert eine echte Erkenntnis der Natur ihre Einord-

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(Anm. 1), Bd. 15, S. 283. Zu Baaders Naturphilosophie vgl. J. Sauter, Baader und Kant, Jena 1928, S. 261-340. F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 263. F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 264. Vgl. S. Poggi, „Fisica degli elementi e cosmologia: Baader“, in: Ders., Il genio e l’unità della natura. La scienza della Germania romantica (1790-1830), Bologna 2000, S. 183-209. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 287f. Vgl. auch ebd., S. 323: «Auf ähnliche Art ist der Lebenssaft eine chaotische Flüssigkeit, in der und aus der sich das rigide Gerüste und der feste Behälter der Organisation erzeugte, und welches sie fasst.» F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 288. Vgl. auch ebd., S. 344. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 316. Und weiter wird Baader betonen: «In mundo non datur vacuum, non datur saltus. – Alles ist voll, dynamisch verbunden, gedrängt und sich drängend. Wo ein einzelnes Wesen sich auch hervordränge, es muss das Ganze tragen, auf das Ganze wirken mit jeder seiner Bewegungen und die Rückwirkung des Ganzen empfangen. Völlige Continua, Fluida sind diese Medien (des Raums und der Zeit); also keine Welle die andere störend, alle inein-

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nung in die Kosmologie und in die Kosmogonie, und die Erkenntnis der ontologischen Realität der Natur garantiert die Gültigkeit der Physik. Gewiss, man muss «die immaterielle, primitive Natur» von der materiellen unterscheiden (Folge des Sündenfalls36): Die erste ist nicht vergänglicher Natur, die zweite wirkt als «Leibwerdung»37, als «Corporisation»38 der ersten. Doch wenn die Materie Folge des Sündenfalls ist,39 dann ist unser Geist nicht «naturlos», sondern «naturfrei»,40 während die «Beleibung»41 des Geistes ein gleichzeitig «leibhaftes» und «lebhaftes» Werden ist.42 Die Pole dieses Prozesses sind Gott und die Natur und der Mensch als ihre Verwirklichung,43 denn nach dem Zitat der Tabula smaragdina, das Baader lieb war: «Vis ejus integra est, si conversa fuit in terram (in corpus)»,44 ist die Natur das «Kleid» Gottes, seine trübe Enthüllung, die uns jedoch mittels Analogien und Symbolen «Aufschluss über das ewigschaffende, ordnende Dasein eines unsichtbaren Weltgeist in der sichtbaren Welt» gibt.45 Weshalb die Na-

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andergreifend, wie die Licht-, Ton- und Wasserwellen, – unbegreiflich, aber sichtbar» (ebd., S. 349). Vgl. F.v. Baader, „Ueber die sich so nennende rationelle Theologie in Deutschland“ (1833), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 502f. Anm.: «Wenn man sagt, dass der Mensch, von Gott und dem gottinnigen Leben […] sich zur Natur abkehrend, in diese abfiel, so muss erstens nicht meinen, dass er hiemit seinen Zweck (seine Vereinigung mit der Natur) erreicht habe, weil er es in der Abkehr von Gott doch nur zu einer unbefriedigbaren Natursucht zu bringen vermag, was auch vom zweiten Abfalle (aus der Natur in sich oder in den Egoismus) gilt, in welchem der Mensch gleichfalls sich nicht wahrhaft findet und hat, sondern nur eine tantalische Selbstsucht in sich entzündet, somit selbstsüchtig wird, wie er im ersten Abfalle natursüchtig geworden». F.v. Baader, „Ueber die Thunlichkeit oder Nichtthunlichkeit einer Emancipation des Katholicismus von der Römischen Dictatur in Bezug auf Religionswissenschaft“ (1839), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 63. F.v. Baader, „Ueber den Begriff der Zeit“ (1818, a. d. Fr. v. T. Edel geb. Hoffman), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 88. F.v. Baader, „Ueber die sich so nennende rationelle Theologie in Deutschland“ (1833), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 503. F.v. Baader, „Rüge einiger Irrthümer, welche noch in allgemeinem Credit stehen, und tiefere Fassung des Begriffs der Natur“ (1834), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 324. F.v. Baader, „Ueber den Blitz als Vater des Lichtes“ (1815), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 41. F.v. Baader, „Briefe“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 586 Anm. F.v. Baader, „Briefe“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, 75f. «Jener Fundamentalsatz aller wahrhaften Religion, Poesie und Physik (vis ejus integra, si conversus fuerit in terram seu corpus) will nemlich sagen, 1) dass die Natur als werkzeuglicher Wirker oder gleichsam Schaffer der Schiedlichkeit und Formation in der normalen Leibwerdung sich vollendet, und 2) dass auch der Geist, vermöge seines solidären Verbandes mit der Natur, durch seine Befreiung von ihr sich zwar vollendet, dass er aber diese seine Natur zugleich vollendet, sie oder seinen glorificirten Leib als seinen Schmuck und seine Waffe anzieht, nicht mehr aber als seine Last, Schmach, Kette und als seinen Verführer an sich trägt». Vgl. F.v. Baader, „Vorlesungen über die Lehre Jacob Böhme’s mit besonderer Beziehung auf dessen Schrift: Mysterium Magnum“ (1833) in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 13, S. 198. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 63.

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turforschung, aufgefasst – wie man gesehen hat – als eine Gesamtheit von dynamischen, polarisierenden Strukturen, religiöse Valenzen annimmt. Interpret dieser Enthüllung ist der Mensch: Baader scheut sich nicht, zu behaupten, dass der Anthropomorphismus der Schlüssel zur Deutung des Ganzen ist:46 Es ist nämlich Aufgabe des Menschen, Geist und Natur im universellen Kreislauf des göttlichen Lebens zu verbinden.47 Von Jacob Böhme übernimmt er das Bild des circulus vitae48, das seinerseits den alten Spruch anklingen lässt, wonach Deus est sphaera, cuius centrum ubique, circumferentia nusquam,49 und er spricht von dem «ganzen lebendigen Kreislauf der Schöpfung»50. Das Zentrum (A) stellt Gott dar, die Kraft, ewig in Bewegung in ihrer Ruhe, die alles bewegt und durchdringt, die immer, als räumliches Zentrum dank ihrer Allgegenwart und als zeitliches Zentrum dank ihrer Ewigkeit, alle Segmente des Kreises in sich vereint, sie erschafft und erhält. Das göttliche Sein, das alles umgibt, ewig schöpfend, wahre Weltseele, teilt sich als lebendes Zentrum in die einzelnen Teile, ohne sich jedoch in ihnen zu verlieren, sondern nur sich in ihnen enthüllend.51 Schöpfer und Schöpfung bilden eine communio vitae, welche die vita propria der einzelnen Kreaturen nicht aufhebt, die das Vorhandensein des Ganzen in jeder von ihnen ist, ohne die Unterschiede zu beseitigen. Baader deutet diesen Prozess als Inkarnation, als Ausgang, Herabstieg der Kreaturen, dem als wahrer Sinn und Zweck des Lebens der Wiederanstieg zum universellen Zentrum entspricht. Der gewaltsame Bruch des gemeinsamen Lebens ist der Ursprung des Bösen, welches das or46

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«Der Mensch spürt überall den Ursachen nach, – d.i., da er nur sich selbst, seinen Willen als das Handelnde, das wahre Primum movens wahrhaft erkennt und innig fühlt, so sucht er auch überall ein ähnliches Ich. – Seinesgleichen. – Er ist ein geborener Geisterseher. Daher der ewige Anthropomorphismus in aller Sprache, – Poësie – und Philosophie, dieser grosse Schlüssel, der Alles aufschliesst». Vgl. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 185. «Der Mensch als vermittelnd beide (Geist und Natur) ist darum […] von beiden unterschieden und steht im Aspect des Princips, nemlich Gottes als der Ureinheit beider. Somit ist der Mensch berufen zur Vermittelung zwischen der Geister- (Engel-) Welt und der Naturwelt und nur mittelst der Inwohnung im Menschen vermag Gottes Inwohnung im Universum (in der Geister- und der Naturwelt) sich zu vollenden». Vgl. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 195. Vgl. F.v. Baader, „Ueber die Nothwendigkeit einer Revision der Wissenschaft natürlicher, menschlicher und göttlicher Dinge, in Bezug auf die in ihr noch mehr oder minder geltend machenden Cartesischen und Spinozistischen Philosopheme“ (1841), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 274. Vgl. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 371 und auch „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 8, S. 128 und 282. F.v. Baader, „Vom Wärmestoff“ (1786), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 40, mit einem Hinweis an J.G. Herder, Ideen zur Philosophie einer Geschichte der Menschheit, 4 Teile, Riga/Leipzig 1784-1791, Teil 2 (1785), S. 325. Hierzu vgl. J. Siegl, Franz von Baader. Ein Bild seines Denkens und Wissens, München 1957, S. 23 und A. Faivre, „Âme du Monde et divine Sophia chez Franz von Baader“, in: Ders., Philosophie de la Nature (Anm. 6), S. 91-133.

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ganische Band zwischen dem Ganzen und den Teilen in eine atomistische Beziehung verwandelt.52

4. Äußere und innere Welt Eine rein phänomenbezogene Perspektive ist widersprüchlich, weil jede Erscheinung «die Wirkung ihres Gegenstandes (x) oder vielmehr der Verhältnissausdruck desselben mit meinem Organ» ist.53 Der Gegenstand ist die Ursache der Erscheinung, die Wirkung ist «das Zeichen». Zwischen den Dingen und unseren Sensationen gilt die Theorie der Spiegelung nicht, da die Empfindung eines außerhalb von ihr bestehenden Dinges nicht ihr Bild ist: «Nun aber hat die Erscheinung (die Sensation) so wenig Aehnliches mit dem Obiect (x), das erscheint, als die Gesichtszüge mit dem Zorn, den sie ankünden, Aehnlichkeit haben».54 Wie es eine doppelte Physik gibt, so gibt es auch eine zweifache Form von Kenntnis: die sinnliche und die intellektuelle. Ihre Wahrheit ist nicht von irgendeiner Form von coincidentia rerum et intellectus gegeben, sondern von Korrektheit und Kohärenz des Systems, das diese Wirklichkeiten überträgt: ein Zug, der an die Auffassung Hobbes’ von der Wahrheit erinnert, denn Baader behauptet: «Das Kriterium für sinnliche Wahrheit ist die Passbarkeit in die Reihe sinnlicher Phänomene des äussern und innern Sinnes. Für geistige Wahrheit kann es kein anderes sein, als die Passbarkeit mit den Operationen unserer intellectuellen Kraft».55

Die Beziehung zwischen den beiden Momenten ist also nicht von der Art einer Spiegelung, auch wenn Baader an einigen Punkten von «Urbild» und «Copie» spricht, von gleichen strukturellen Modellen, die auch in ihren Variationen eine Beziehung von analoger Art garantieren können. Die semantische Komplexität jedes Phänomens, das eben als solches auf ein tiefes ‚Substrat‘ verweist, bedingt eine hermeneutisch komplexe Weise, die mit Hilfe der Analogie und der Symbole die «Geheimarbeiten der grossen Allkünstlerin Natur» entziffern

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«Es ist nur eine Hoffart, ohne Leib (Natur) sein wollen. In diesem Sinne war der erste hochmüthige Geist auch der erste Supernaturalist […] Könnte man dieses ewige Band trennen, könnte man Gott naturlos, die Natur gottlos machen, so verschwänden beide, und anstatt des sich offenbarenden, exoterischen Gottes bliebe nur ein esoterischer, ein Gott in Potentia übrig. Man kann darum Gott nicht verleugnen, ohne zugleich seine ewige Natur, und diese nicht, ohne zugleich Gott zu verleugnen, und die Theophobie oder Gottesscheue ist überall von Naturscheue oder Naturhass begleitet». Vgl. F.v. Baader, „Gedanken aus dem grossen Zusammenhang des Lebens“ (1813), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, 15f. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 367. Ebd. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 294.

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kann.56 Die lebenden Formationen der Natur, was sind sie anderes als «Buchstaben» des «großen Buches der Natur», das eine «Naturschrift oder natürliche Hieroglyphenschrift»57 einschließt, die uns seine Geheimnisse und intimsten Verbindungen enthüllen kann. Der Naturforscher weiß jetzt, dass er sich auf einen Weg begibt, der ihn dazu führen wird, das zu erfahren, was jenseits der Phänomene liegt, das, woher diese ausströmen; dass er jene Schwelle überschreitet, die das Natürliche und das Göttliche verbindet und es ihm gestattet zu behaupten, dass: «Nur eine Wahrheit gibt es in der Welt, wie Gott nur Einer ist und Christus durch Ihn und in Ihm! Ich mag also den ewigen Streit zwischen Religion und Philosophie, Natur und Bibel oder Schrift gar nicht anhören, und es eckelt mir vor jedem Versuch, diesen Streit beizulegen, Gott und Newton, Christum und illustrissimum Wolffium und Herrn Prof. X etc. mit und unter einander zu vereinen und beide Parteien gleichsam miteinander […] auszugleichen».58

5. Fazit Mit seiner Reflexion über die Natur zielt Baader darauf, jene kosmische Einheit zu erfassen, welche die göttlichen, die menschlichen und die natürlichen Dinge in einem innersten Zusammenhang vereint. Was die Natur betrifft, beabsichtigt er, ihr Wesen als lebende und rationale Wirklichkeit zu zeigen, ein chiffriertes Buch, das sich dem Menschen bietet, um ihm die göttlichen Geheimnisse zu enthüllen. So steht dem Menschen die Rolle des Vermittlers zwischen Gott und Welt zu, und deshalb die Aufgabe einer moralischen und geistigen ‚Sorge‘ gegenüber der Natur und den anderen Menschen.

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Vgl. F.v. Baader, „Vom Wärmestoff“ (1786), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 40, und ebd., S. 60: «Form, Figur, sichtbare Bildung, Gestaltung eines Dinges! Nur am lebendigen (organischen) Wesen wird sie uns sichtbar. Ist sie etwas anderes, als Buchstabe seines innern Wesens, Hieroglyphe?» Hierzu s. D. Baumgardt, Franz von Baader und die philosophische Romantik, Halle (Saale) 1927, S. 92 und E. Susini, Franz von Baader et le Romantisme mystique, 2 Teile, Paris 1942, Teil 1, S. 87. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 61. F.v. Baader, „Tagebücher aus den Jahren 1786-1793“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 11, S. 67.

KATHARINE WEDER

Baader und der Thierische Magnetismus

1. Franz von Baader hat sich nachweislich mit dem ‚Thierischen Magnetismus‘ bzw. – mit dem nach seinem ‚Entdecker‘ Franz Anton Mesmer (1734-1815) – sogenannten Mesmerismus auseinandergesetzt, und zwar in Theorie und Praxis. Belegt sind eigene Beobachtungen wie auch die Kenntnis einschlägiger Schriften.1 Eine Briefäusserung Baaders vom 30. Juli 1812 führt in medias res: «Wenn nun das Gute + a, das Böse – b nicht mehr von sich zu scheiden, sich nicht mehr von ihm frei zu machen, es nicht mehr unter sich zu bringen vermag (als dienender Grund, denn als solcher ist es nicht böse), so muss ein analoges freies A + dem + a zu Hilfe kommen, als Heiland, als Erlöser, indem dieses + A, die Action – b an sich ziehend, sie absorbirend, gleichsam als diese Sündenlast auf sich nehmend, das + a befreit. Auf solche Weise wirkt der Magnetiseur auf die Somnambule, die mit ihm en rapport ist, auf solche Weise wirkt jede Medicin, jeder physische, materielle Heiland, auf solche Weise befreit uns der grosse Magnetiseur durch seinen Rapport von dem Rapport mit dem Teufel. –»2

Um den sogenannten «Rapport» zwischen Magnetiseur und stereotyp weiblichem Somnambuler zu erläutern,3 rekurriert Baader auf physikalische Polaritäten und Kraftübertragungen zwischen geladenen und neutralen Körpern. Indem ein mit einem positiven Überschuss geladener – insofern ein «freies A +» verkörpernder – Magnetiseur die negative Kraft der Somnambulen «an sich ziehend» aufnimmt, kann er diese heilen. Vermutlich ist ein Gesetz angespro1

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Dieser Aufsatz basiert auf Aufarbeitungen in meiner Dissertation: Kleists magnetische Poesie. Experimente des Mesmerismus, Göttingen 2008, insbes. S. 59-74. Vgl. schon die allerdings differenzierungsbedürftige Einordnung im Vorwort des Herausgebers, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 4, S. XLII-LII. An Dr. v. Stransky, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 243f. Schon den Begriff des ‚Rapports‘ hat Mesmer wohl aus der zeitgenössischen Experimentalphysik auf seine Heilkunde übertragen. Die Teilnehmenden eines Experiments bildeten eine Kette, indem sie einander berührten bzw. eben miteinander ‚in Rapport‘ gesetzt wurden, und so den von einer Elektrisiermaschine erzeugten Strom weiterleiteten. Vgl. H.F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewußten. Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie von den Anfängen bis zu Janet, Freud, Adler und Jung, a. d. Amerik. v. G. TheusnerStampa, Zürich 2005 [amerik. Erstausgabe 1970, dt. 1973], S. 222f.

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KATHARINE WEDER

chen, das die moderne Physik als Influenz bezeichnet und das um 1800 jedes experimentalphysikalische Lehrbuch als «Verteilungselektrizität» beschreibt: Ein elektrisch geladener Körper, den man in die Nähe eines unelektrischen Körpers bringt, führt dazu, dass sich auf der dem geladenen Körper zugekehrten Seite die dem geladenen Körper entgegengesetzte Elektrizität sammelt. Wird die Nähe zwischen den Körpern zu gross, springt der Funken über und das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Anders als bei der schon bekannten Reibungs- sowie Berührungselektrizität hat die zeitgenössischen Physiker die berührungslose Fernwirkung eines elektrisierten Körpers besonders erstaunt.4 Der Rückgriff auf die Verteilungselektrizität zur Erklärung des magnetischen Rapports bietet sich insofern an, als auch dort Fernwirkungen beobachtet wurden, ohne dass das Medium der Kommunikation nachvollziehbar geworden wäre. Der Bezug auf naturwissenschaftliche Gesetze ist zeittypisch: Zu einem erneuten Aufschwung des Thierischen Magnetismus nach 1800 führten besonders auch naturwissenschaftliche Innovationen und nicht allein das ‚Okkultismus‘-Interesse von Vertretern der literarischen und naturphilosophischen Romantik. Neue Erkenntnisse über die Wirkungsweise der in der zeitgenössischen Physik, (Elektro-)Chemie, Physiologie und Anthropologie kontrovers diskutierten ‚Imponderabilien‘ schienen die mesmeristische, an alte Traditionen anknüpfende Prämisse zu bestätigen, dass ein den physikalischen Polaritäten, Anziehungen und Abstossungen entsprechender Bezug auch in der organischen und psychisch-geistigen Sphäre existiert. Die oft fluidal konzipierten Materien wurden deshalb als gewichtslos angenommen, weil ihr behaupteter Zutritt zu ponderablen Körpern bei diesen zu keiner messbaren Gewichtsveränderung führt – Baader sieht ein entsprechendes Agens «durch ein Minimum von Masse und ein Maximum von Kraft»5 wirken. Das Konzept der unwägbaren, aber fluidal gedachten Materien integriert physisch-psychische Komponenten, die später als unvereinbar gelten sollten. Auch bei Baader finden sich die moralische und physische Komponente ineinander verschränkt, etwa indem die Plus- und Minuspolaritäten als gut und böse angesehen und die Vorgänge zwischen den beiden Körpern nicht nur als physikalische Kraftübertragung, sondern als helfende Befreiung oder Erlösung gefasst werden. Wenn für Baader einerseits der Arzt-Magnetiseur der «physische, materielle Heiland» ist und andererseits Christus bzw. Gott «der grosse Magnetiseur», so wird die Heilkraft des Arzt-Magnetiseurs zur christlichen Erlösungsmacht überhöht, zugleich aber relativiert, vermag doch das A+ nur 4

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Dazu R. Borgards, „‚Allerneuester Erziehungsplan‘. Ein Beitrag Heinrich von Kleists zur Experimentalkultur um 1800 (Literatur, Physik)“, in: M. Krause, N. Pethes (Hrsg.), Literarische Experimentalkulturen. Poetologien des Experiments im 19. Jahrhundert, Würzburg 2005, S. 75-101. F.v. Baader, „Ueber den verderblichen Einfluss, welchen die rationalistisch-materialistischen Vorstellungen auf die höhere Physik, so wie auf die höhere Dichtkunst und die bildende Kunst noch ausüben“ (1834), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 300 Anm.

BAADER UND DER THIERISCHE MAGNETISMUS

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«gleichsam» den Rapportpartner von seiner Sündenlast zu befreien. Schon 1804 nennt Baader «die Erregung – zum Beispiel der elektrischen, magnetischen Form etc. – durch Vertheilung» das «unter tausend Gestalten wiederkehrende Phänomen, was in Deutschland die Naturphilosophie wieder weckte» und sucht in zeittypischer moralisch-physischer Überlagerung «dasselbe Phänomen auf eine Theorie des Bewusstseins anzuwenden».6 Und im Kontext des magnetischen Somnambulismus verweist Baader 1834 darauf, «dass das, was man in der psychischen Region Ekstase nennt, bereits in den niedrigen Regionen der Natur auf seine Weise hervortritt. Wenn z.B. ein nicht elektrisch seiender Körper in die Wirkungsphäre eines elektrischen tritt, ohne jedoch durch Mittheilung selbständig zu werden, so kann man diese Art des Elektrischseins (welche bei dem Wiederaustritt des Körpers aus seinem Rapport mit dem elektrischen spurlos erlischt) die elektrische Ekstase nennen».7

Deutlicher als im Eingangsbeispiel rekurriert Baader hier auf das Gesetz der Verteilungselektrizität, wobei es zwischen den Rapportpartnern aber nicht bis zum Überspringen des Funkens kommt; der zunächst unelektrische Körper gerät «in die Wirkungssphäre eines elektrischen» und befindet sich so in «Rapport mit dem elektrischen», wird am Ende aber nicht «durch Mittheilung selbständig». Die Stichworte „Somnambulismus“ und „Ekstase“ führen uns – neben dem Kontext naturwissenschaftlicher Innovationen, die dem Thierischen Magnetismus Auftrieb gaben – zu einer weiteren, für Baader bedeutsamen historischen Einbettung: In der verzögerten Rezeption des Mesmerismus in Deutschland seit 1787 finden sich magnetische und somnambule Praktiken und Theoriefragmente vereinigt. Spektakulärer als die konvulsivischen ‚Krisen‘ von Mesmers Magnetisierten waren die Phänomene des künstlich erzeugten Somnambulismus, seit der Marquis de Puységur diesen 1784 an seiner ersten Versuchsperson, dem Bauern Victor Race, und an vielen Nachfolgern beobachtet hatte – namentlich das veränderte, oft geschärfte Bewusstsein der Somnambulen in der ,Clairvoyance‘, die Amnesie nach dem Erwachen, der ‚sympathetische Rapport‘ zwischen den Beteiligten, nämlich die Beeinflussbarkeit der Somnambulen durch den Magnetiseur und deren telepathische Fähigkeiten, außerdem die Begabung der Somnambulen zur Autodiagnose oder gar zur Fremddiagnose bei Rapportpartnern.8 Wie die beiden Schriften Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner (1817/18) sowie Fragment aus der Geschichte einer magnetischen Hellseherin (1818) bereits im Titel anzeigen, gilt Baaders Inter6 7

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F.v. Baader, „Ueber den Affect der Ehrfurcht und der Bewunderung“ (1804), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 1, S. 28f. F.v. Baader, „Ueber den verderblichen Einfluss, welchen die rationalistisch-materialistischen Vorstellungen auf die höhere Physik, so wie auf die höhere Dichtkunst und die bildende Kunst noch ausüben“ (1834), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 300 Anm. Zusammenfassend J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen. Literarisierung des Mesmerismus in der Romantik, Stuttgart/Weimar 1995, S. 27 mit weiterführender Literatur.

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esse, stärker als den physischen Konvulsionen der Magnetisierten, den psychischen Phänomenen des Somnambulismus.9 Um dieser erweiterten Perspektive Rechnung zu tragen, ist der Begriff des Thierischen bzw. animalischen Magnetismus oder des Lebensmagnetismus Baader adäquater als derjenige des Mesmerismus, der eine Verengung auf Mesmers Konzepte implizieren mag. Beispielhaft für verschiedene Facetten von Baaders Position gehe ich im Folgenden von Überlegungen im Brief an den Naturphilosophen Gotthilf Heinrich von Schubert vom 15. Januar 1816 aus, den Baader 1809 persönlich kennengelernt hat und dessen bekanntlich insbesondere für die Literaten der Romantik wirkmächtige Vorlesungs-Ausarbeitungen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft von 1808 paradigmatische Deutungsmuster des animalischen Magnetismus in der Romantik enthalten.10 Im zweiten Teil wird Baaders Verständnis anhand des von ihm vielerorts postulierten Zusammenhangs von imago, magia und magnes noch profiliert.

2. Der erwähnte Brief an Schubert vom 15. Januar 1816 steht ganz im Zeichen von Baaders Lektüredrang aufgezeichneter «Aussagen»11 von Somnambulen, deren spezifisches Artikulationsvermögen den faszinierten Beobachtern «sowohl zum Gegenstand als auch zum Medium der Experimente»12 wurde. Wie Baader hervorhebt, sind die Somnambulen fähig, ihre Erfahrungen erweiterter oder jedenfalls veränderter Wahrnehmung und Erkenntnis «ja selbst zur Sprache»13 zu bringen und den «Umstehenden hievon Kunde zu geben»14, sie also an ihren Einblicken in sonst Verborgenes teilhaben zu lassen. Im Brief an Schubert hält Baader erklärend fest: «Es ist nemlich wohl keinem Zweifel unterworfen, dass die gemeine Clairvoyance, per abstractionem (temporalem) spiritus siderei nostri particularis a suo corpore element. et immersionem seu reductionem in spiritum sider. universalem [durch temporäre Entbindung unseres partikularen Astralgeists von seinem elementarischen Körper und Versenkung oder Rückführung in den universellen 9

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Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, 1-40 bzw. 41-60. Baader konzentriert sich auf die letzten neun Tage einer mehrwöchigen Kurgeschichte, die «in psychischer Hinsicht» (ebd., S. 44) am interessantesten waren. Vgl. dazu J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen (Anm. 8), insbes. S. 98-105. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 284. H. Neumeyer, „Magnetische Fälle um 1800. Experimenten-Schriften-Kultur zur Produktion eines Unbewußten“, in: M. Krause, N. Pethes (Hrsg.), Literarische Experimentalkulturen (Anm. 4), S. 251-285, hier S. 261, hat auf diese – gegenüber den auf die Erforschung körperlicher Reflexe abzielenden Experimenten Mesmers – veränderte Versuchsanordnung im Puységurismus hingewiesen. An v. Meyer, 16. Januar 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 286. F.v. Baader, „Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner“ (1817/18), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 13.

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Astralgeist], zu erklären ist, woraus sich die Centralitas (universalitas, ubiquitas in spatio et tempore) sphaerae cognitionis et activitatis hujus spiritus particularis [die Zentralität (Gesamtheit, Allgegenwart in Raum und Zeit) der Erkenntnissphäre und der Tätigkeit dieses partikularen Geistes] begreifen lässt, so lange selber [= der partikulare bzw. individuelle Astralgeist] nemlich von seiner localen Bindung im elementarischen Körper in seinen Muttergeist entzückt sich befindet. Bei göttlicher Clairvoyance ist es der Lichtgeist (Sophia), welcher dasselbe leistet. – Jung hat jenen spiritum sidereum für unser ewiges Seelenorgan genommen, und also den zerstörlichen Sternengeist mit dem ewigen Lichtgeist vermengt. Natürlich erscheint aber jener Sternengeist […] in jener Verzückung zweizüngig, dem Guten und der Hölle offen etc. Alle actio in distans eines Menschen auf Andere (Lebende oder Verstorbene), alles Imaginiren geschieht übrigens nur durch jenen spiritum [sidereum] […] als die natürliche Chiffre und lebendige Signatur».15

Symptomatisch ist der kritische Bezug auf den Spätpietisten Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, dessen offenbarungsreligiös grundierte Theorie der Geisterkunde (1808) sich signifikant von naturphilosophisch motivierten Überlegungen zum Magnetismus Schuberts unterscheidet, an den Baaders Brief gerichtet ist. Jung-Stilling glaubt unumstösslich an die Existenz einer Geisterwelt, während Schuberts Bürge Schelling diese argumentativ aus der Dynamik seiner naturphilosophischen Potenzenlehre ableitet. Jung-Stilling benutzt den Thierischen Magnetismus nur dazu, um in rein hypothetischen Analogieschlüssen Einblicke ins Jenseits zu thematisieren.16 Baaders Kritik besteht denn auch darin, Jung-Stilling vermische die vergängliche und die ewige Komponente der menschlichen Seele. Baader reiht sich – darin durchaus übereinstimmend mit Jung-Stilling – in jene neuplatonisch inspirierte Tradition ein, nach der die Menschenseele zwei Komponenten hat, erstens nämlich eine «natürliche Seele […], welche nicht eingehaucht, sondern mit dem und in dem Leibe geschaffen ward», während der Mensch die zweite Komponente durch den «Eintritt einer Licht- und heiligenden Seele oder eines Lichtgeistes in seine natürliche Seele und Leib» erhält, wie es «in der Genesis heisst, dass der Mensch durch Gottes unmittelbaren An- oder Einhauch zu einer lebendigen Seele ward».17 Der «spiritus siderum», den Baader mit einem explizit «Paracelsus»18 entlehnten Begriff zur Erklärung der magnetischen Clairvoyance heranzieht, ist in diesem Modell der «natürlichen Seele» zuge15 16

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F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 285, Hervorh. im Original, Übersetzung K.W. Vgl. K. Weder, Kleists magnetische Poesie (Anm. 1), S. 93f. mit Bezug auf G. Oesterle, „Vision und Verhör. Kleists Käthchen von Heilbronn als Drama der Unterbrechung und Scham“, in: C. Lubkoll, G. Oesterle (Hrsg.), Gewagte Experimente und kühne Konstellationen. Kleists Werk zwischen Klassizismus und Romantik, Würzburg 2001, S. 303-328, hier bes. S. 308f. Zu Schubert vgl. J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen (Anm. 8), S. 124f. F.v. Baader, „Ueber den Paulinischen Begriff des Versehenseins des Menschen im Namen Jesu vor der Welt Schöpfung“ (1837), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 350. An Schubert, 15. Januar 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 284, Hervorh. im Original.

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ordnet, weshalb für ihn gilt: «Als das Geschöpf der Zeit ist er selbst zeitlich (vergänglich), ob er schon oft lange den Elementarleib überlebt, und er ist keineswegs jener ewige unzerstörliche Leib der Auferstehung etc».19 – nebenbei wird hier klar, dass Leiblichkeit nicht mit Materialität gleichgesetzt ist. In Baaders Schriften wird der «Astralgeist» mit dem identifiziert, was Jacob Böhme (1575-1624) als «zeitliche» oder «irdische Tinctur» – wiederum gemäss der doppelten Ausrichtung des Geschaffenen auf die Natur und auf Gott hin – im Gegensatz zur «ewigen» oder «himmlischen Tinctur» konzipiert hatte.20 Die Beschaffenheit des verschieden bezeichneten animalmagnetischen Agens gab viele Rätsel auf. Bei der typischen Parallelisierung des Agens mit den Imponderabilien ist eine Tendenz zur Vergeistigung bzw. eine Differenzierung in immer noch feiner stoffliche Substanzen oder in ein sozusagen fast rein geistig gefasstes Grundwesen und seine Trägersubstanzen nachweisbar, um welche die Zeitgenossen gedanklich und sprachlich ringen.21 Dem liegt ein graduelles Modell von Geist und Materie zugrunde, welches den Dualismus der cartesianischen Substanzentrennung aufbricht. Bekanntlich setzt auch Baader nicht einfach die geistige der sinnlichen Welt entgegen; ebenso wie den Materialismus kritisiert er auch allen einseitigen Spiritualismus. Seine Konzeption von Körperlichkeit und Geistigkeit ist dabei eher nicht graduell, vielmehr denkt Baader in Bezug auf Seele und Leib in beidseitigen Doppelungen einer immateriellen und materiellen bzw. geistigen und nichtgeistigen Dimension.22 Auch das animalmagnetische Agens kennzeichnet diesen – es geradezu zum Vermittler prädestinierenden – materiell-geistigen Doppelcharakter, etwa wenn die «Erscheinungen der magnetischen Clair-voyance» Baader zur Hypothese führen, dass das «vermittelnde Agens oder Medium nicht ein bloss physisches, sondern ein physisch-psychisches ist».23 Diese Doppelung denkt er auch als materiell-äussere und seelisch-innere Komponente des Agens, und der bei den Mesmeristen verbreitete «Gebrauch des Worts: Fluider Materie»24 gilt ihm in einer späten Briefäusserung von 1835 als Spie19 20

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An v. Meyer, 2. März 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 306. F.v. Baader, „Ueber den verderblichen Einfluss, welchen die rationalistisch-materialistischen Vorstellungen auf die höhere Physik, so wie auf die höhere Dichtkunst und die bildende Kunst noch ausüben“ (1834), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 301 Anm. Ferner auch F.v. Baader, „Ueber den Paulinischen Begriff des Versehenseins des Menschen im Namen Jesu vor der Welt Schöpfung“ (1837), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 336 Anm. Zum Nachweis vgl. K. Weder, Kleists magnetische Poesie (Anm. 1), S. 29-44, insbes. S. 35f. Vgl. C. Weder, „Teufelskunst. Das Diabolische als Kategorie ästhetischer Theorie bei Franz von Baader und Wilhelm Michel“, in: Colloquium Helveticum, 36, 2005, S. 293-309, hier S. 295. F.v. Baader, „Ueber Divinations- und Glaubenskraft“ (1822), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 71. An Dr. H., 25. Juni 1835, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 703. Vermutlich handelt es sich bei Baaders Briefpartner um den Arzt Henri-Marie Husson, der als Berichterstatter die Erfahrungen über den Lebensmagnetismus und Somnambulismus (Hamburg

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gel einer bereits zu materialistischen Auffassung (die er natürlich Mesmer vorwirft): «Wir haben es hier […] nicht mit einer Materie, als solcher, d.h. mit ihrer Aeusserlichkeit (Festigkeit, oder Flüssigkeit etc.) zu thun, sondern mit dem ihr Innern (Seelischen), d.h. mit dem Siderismus, unter welche Benennung schon der geniale Ritter kurz vor seinem Tode sowohl die elektrischen und unorganischmagnetischen als die lebensmagnetischen Processe etc., im Sinne der Alten (z.B. Paracelsus) […] wieder brachte».25

Typischerweise folgt Baader hier dem Naturforscher Johann Wilhelm Ritter, dessen Studien streng empirisch abgestützt sind und zugleich hochspekulative Folgerungen enthalten.26 Der psychischen Komponente kommt dabei nach Baader eindeutig das Primat zu, weshalb er statt «Nervenfluidum» die Bezeichnung «Sternengeist»27 bevorzugt. Wenn Baader in den Fermenta Cognitionis von einer «universellen Lebensattraction» oder einem «Lebensocean»28 als Basis des magnetischen Rapports ausgeht, so ist das Modell eines fluidal gefassten Agens darin zumindest impliziert. Baaders Wiederaufnahme des für Paracelsus aus dem Firmament, von den Gestirnen stammenden Astralgeists jedes Individuums verweist auf die naturmagische Spekulation der frühen Neuzeit zurück, der diese traditionsreiche Lehre der Mikrokosmos-Makrokosmos-Analogie zugrunde liegt. Mit dem Denkmodell eines in erhöhte Tätigkeit versetzten und vom Körper freiwirkenden, teil- und gradweise in sein universelles Pendant eingehenden Astralgeistes werden Baader die zentrale Wahrnehmung der Somnambulen,29 ihre pro-

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1835) veröffentlicht hat. Wohl bezieht sich Baader auf ebendiese «Schrift für die magnetische Praxis» (ebd., S. 704 und vgl. auch den gegenüber Hoffmann am selben 25. Juni 1835 erwähnten «Brief an H. Prof. H., welcher mir seine Schrift über Magnetismus letzthin geschickt hat», ebd., S. 527). Für diesen Hinweis danke ich Alberto Bonchino. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 703, Hervorh. im Original. Vgl. schon W.D. Wetzels, Johann Wilhelm Ritter. Physik im Wirkungsfeld der deutschen Romantik, Berlin 1973. An Dr. H., 25. Juni 1835, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 703. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 263 (3. Heft, 1823), innerhalb von Überlegungen zur Wirksamkeit des Astralgeists, die unten im Text genauer erläutert werden. Zur Zentralität (und typischerweise gegen die verbreitete, für Baader aber zu materialistische Hypothese zweier antagonistischer Nervensysteme, des Cerebral- und des Gangliensystems, und die Erklärung der aussergewöhnlichen Erscheinungen aufgrund einer Verschiebung der Aktivitäten und Kompetenzen der beiden Nervensysteme) vgl. auch F.v. Baader, „Religionsphilosophische Aphorismen“ (undatiert), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 300: «In der magnetisch-kataleptischen Ekstase ist es nur der siderische Geist (Astralgeist, von der Seherin von Prevorst Nervengeist genannt), welcher vom Leibe mehr oder minder los (nemlich: von seiner vereinzelnden Bindung an die einzelnen Leibes-Werkzeuge) nur noch mehr am Gangliensystem leiblich festsitzt, welches Festsitzen zu jener flachen (noch jetzt geltenden) Vorstellung einer Versetzung der Seele aus dem Gehirne in den Bauch, aus dem Cerebral-Nervensystem in die Ganglien-Nerven, Veranlassung gab. Man begreift aber leicht, dass die Seele mit einem solchen von seiner peripherisch-leiblichen Bindung mehr oder minder freien also central gewordenen siderischen Geist anders empfinden, schauen und wirken

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phetischen und telepathischen Fähigkeiten sowie Entrückungen an einen anderen Ort erklärbar.30 Baaders Erläuterungen gegenüber Schubert finden sich einen Tag später mit nurmehr lateinischen Einsprengseln als sechster der numerierten Lehrsätze zum magnetischen Somnambulismus im Brief an den – sowohl mit Mesmers als auch mit Puységurs Praktiken vertrauten31 – Theosophen Christian Daniel von Meyer (1736-1824) vom 16. Januar 1816 wieder, an dessen Erfahrungen mit der Strassburger Somnambulen Frau von Ratzenried Baader regen Anteil nahm:32 «6. Das Wesentliche der Krisis besteht also in der Abstraction des siderischen Geistes und seiner (temporären) Immersion (Verzücktsein) in den allgemeinen Welt- oder Sternen-Geist. Daher die erweiterte (centrale) Raum- und ZeitSchranken durchbrechende Seh- und Wirkungs-Sphäre eines solchen verzückten individuellen Spiritus astralis».33

Was in diesen Briefstellen als „Verzückung“ angesprochen ist, trägt oft auch den Begriff der „Ekstase“ – titelgebend für die Schrift Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner (1817/18), die denn auch Ausführlicheres dazu enthält34 und deren drittes Stück eben dem Briefpartner von Meyer gewidmet ist.35 Die animalmagnetischen Experimente widerlegen nach Baader die altüberlieferte Hypothese, in ekstatischen Zuständen trete «schon nothwendig ein Sein und Schauen in einer andern Region oder Welt

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wird, als mit dem leiblich gebundenen, und dass es unverständig ist, die eine Wirkungsweise mit der anderen zu vermengen oder durch sie erklären zu wollen.» Entsprechend erwähnt Baader die «Mobilität der Gefühls-, Empfindungs-, Schauungs- und Wirkungs-Region» (Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 6, S. 116 Anm.) bzw. die «perceptio und actio in distans» der Somnambulen (ebd. Bd. 3, S. 346 Anm.). Vgl. H. Schott (Hrsg.), Der sympathetische Arzt. Texte zur Medizin im 18. Jahrhundert, München 1998, S. 241. Zur Identifizierung dieses Briefpartners, den Baader «Major v. Meyer» (Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 280) oder Carl Major von Meyer nennt (Bd. 16, S. 331, Eintrag „Meyer, Johann Friedrich von“, seines als Bibel-Meyer bekannten Neffen) vgl. E. Susini, Lettres inédites de Franz von Baader. Notes et commentaires, Bd. III, Wien 1951, S. 460f. und zur in Baaders Briefen nur mit Initialen genannten Frau von Ratzenried ebd., S. 461-466. Die Briefe an von Meyer sind zum Thema des Thierischen Magnetismus ergiebig, wie auch Baaders Korrespondenz mit «Z.» (das ist der Frankfurter Arzt Johann Carl Passavant, vgl. E. Susini, ebd., S. 20f.), an Gotthilf Heinrich von Schubert und Franz Ritter von Stransky. Die Hinweise auf die Nachweise bei Susini verdanke ich Alberto Bonchino. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 290. Der Begriff des Astralgeists fällt in dieser Schrift nicht. Baader spricht von «der theilweisen Entbindung der Psyche» oder vom freiwirkenden «Geist», der aber mit den Briefstellen zum Astralgeist spezifiziert werden kann. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 8 und S. 13. Ebendort als «Carl von Meyer» benannt (F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 17). Zum Nachweis des tatsächlichen Vornamens vgl. E. Susini, Lettres inédites (Anm. 32), S. 470f. Das Fragment aus der Geschichte einer magnetischen Hellseherin (1818), das insbesondere Baaders eigene Beobachtungen einer Somnambulen belegt, wurde in die vom Neffen Johann Friedrich von Meyer herausgegebenen Blätter für höhere Wahrheit aufgenommen. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 41-60.

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als der gegenwärtigen»36 ein, der Unterschied zwischen Ekstase und Normalzustand liege nicht notwendig im Bezugsobjekt, sondern primär in der Art des Bezugs: «Der Clairvoyant befindet sich nemlich und sieht unmittelbar in dieselbe Welt hinein, in die er leiblich (mittelst seiner Körpersinne) schaute; wohl aber befindet er sich nun auf eine ganz andere (magische) Weise mit ihr in Gemeinschaft, und ohne die Vermittelung der hiezu sonst ihm dienenden Körperorgane».37

Dieses den Gesetzen von Raum, Zeit und Kausalität der körperlich-sinnlichen Gemeinschaft enthobene magische Verhältnis, in das die Somnambule eintritt, ist dabei vom Organismusgedanken der romantischen Naturphilosophie geprägt, gemäß dem «jedes einzelne Glied in allen, und alle in jedem einzelnen Gliede leben»,38 und zwar eben durch jenen universellen Astralgeist, der das Ganze durchdringt und die Teile verbindet. Die magische Gemeinschaft schliesst auch den Magnetiseur mit ein, weshalb die Somnambule seine Gedanken lesen kann. Die vielfältigen Fernwirkungen «eines Menschen auf Andere (Lebende oder Verstorbene)»,39 die Baader durch den entbundenen Astralgeist ermöglicht sieht, überwinden gemäss dieser Aussage gar die Grenze zwischen Leben und Tod – eine Annahme, die sich nur in spekulativen Varianten, etwa wie bei Baader findet. Er rechnet mit «Erscheinungen von kürzerer oder längerer, bestimmterer oder dunklerer Fortdauer einer Lebensgemeinschaft Verstorbener in und mit andern lebendigen oder auch leblosen Objecten, in denen der Astralgeist des Verstorbenen einmal Wurzel gefasst hatte: – Erscheinungen, die man theils zu hoch fasst, und ihnen eine grössere Dignität gibt, als sie haben, theils aber, weil man sie mit dem abstrahirenden Verstande unbegreiflich findet, zu wenig beachtet».40

So umkreist Baader die für ihn angemessene Deutung solcher Gemeinschaften Romantik-typisch weder als allzu natürliche noch als schlechthin übernatürliche.41 36 37

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F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 3. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 3, Hervorh. im Original. Vgl. auch an Schubert, 9. April 1817, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 321: «Das wichtige Resultat des th. Magnetismus ist eben, sich durchs Factum überzeugt zu haben, dass der Mensch von einer und derselben Welt (z.B. der äusseren niedrigeren) eine doppelte Anschauung (die sinnliche und die magische) haben kann.» F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 5. An Schubert, 15. Januar 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 285. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 266 (3. Heft, 1823). Zur Charakterisierung des animalischen Magnetismus als «changierend zwischen Natur und Übernatürlichem» gemäss Schubert vgl. J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen (Anm. 8), S. 240. Analog empfiehlt Baader in einer späten Schrift, man müsse sich «jenes doppelten Irrthums» entledigen, «von welchen der eine den magnetischen Zustand zu niedrig, der andere zu hoch fasst». F.v. Baader, „Der morgenländische und abendländische Katholicismus mehr in seinem inneren wesentlichen als in seinem äusseren Verhältnisse dargestellt“ (1841), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 139.

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Die erweiterte Wahrnehmung und Tätigkeit, welche die Clairvoyante auszeichnet, ist mit Blick auf die besonders unter Naturphilosophen verbreitete Vorstellung einer Transzendierung des somnambulen Ich für Baader zu spezifizieren.42 Im Brief an Schubert unterscheidet er die «gemeine» von «göttlicher Clairvoyance», wobei hier ungesagt bleibt, ob Letztere ausser Gott selbst auch dem Menschen in Ausnahmezuständen überhaupt zukommen kann.43 Keineswegs sei der Ekstase generell «jene höhere Dignität, welche dieser Zustand nur in seltnern Fällen und nur mittelbar, nicht unmittelbar, erhält»44 zuzuschreiben. Wie gesehen unterscheidet sich die gemeine Clairvoyance vom Normalzustand durch den magischen statt sinnlich-körperlichen Bezug auf «dieselbe Welt»,45 die Somnambule wird in keine andere Sphäre transzendiert. Noch wo sich solches andeutet,46 ist die Transzendierung des somnambulen Ich zu relativieren, sie bleibt unvollständig und von kurzer Dauer, möglich wird höchstens «ein flüchtiger Silberblick über den homme miracle, […] der in diesem irdischen Geschirr als Asche in der Todesurne noch stille liegt und seine Palingenesie, mehr oder minder wahr, in solchen Momenten antici-

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Zum Aspekt einer Transzendierung des somnambulen Ich vgl. bes. H. Neumeyer, „Magnetische Fälle um 1800. Experimenten-Schriften-Kultur zur Produktion eines Unbewußten“, in: M. Krause, N. Pethes (Hrsg.), Literarische Experimentalkulturen (Anm. 4), S. 251-285, hier S. 264-270. Andernorts scheint die Entgrenzung zur «wahren Clairvoyance» doch angedeutet, in der «das göttliche Ich» bei «einem tiefen Schlaf unserer creatürlichen Selbstheit oder Ichheit» erwacht. Ähnlich, wenngleich mit kategorischer Differenzmarkierung zu Christus: «Wenn nemlich ein einzelnes Individuum bloss durch sein Siderique (denn bei Mesmer war wohl das Céleste nicht offen) schon eine so gewaltige kosmische (universelle) Kraft zeigt, was lässt sich von einem Menschen erwarten, in dem das himmlische Gestirn (der himmlische Sternengeist – Sophia – Vierge) offen steht, – was – von Christus, dem Gottmenschen?» Alle Zitate im Brief an v. Meyer, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 286f., Hervorh. im Original. F.v. Baader, „Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner“ (1817/18), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 3. Ebd. Etwa wenn Baader mit der Möglichkeit rechnet, der entbundene Astralgeist könne sich – statt sich mit niedrigeren oder gleichgeordneten Naturen zu verbinden, wie letzteres etwa die Auffassung deutlich macht, die Somnambule sei auf den aktiven individuellen Astralgeist des Magnetiseurs angewiesen, um weiterhin körperlich-sinnlich wahrzunehmen und tätig zu bleiben (vgl. etwa „Ueber eine Behauptung Swedenborg’s, den Rapport des irdisch-lebenden Menschen mit Geistern und Abgeschiedenen betreffend“ (1832), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 206) – mit dem Lichtgeist als der höchsten Komponente im Menschen verbinden: «In einem höheren Sinne kann und soll aber dieser Astralgeist selbst, unvermittelt von seiner räumlich auseinander gehaltenen Bindung an den äusseren Sinnenapparat &c., dem höheren oder Lichtgeiste im Menschen als ein solches Sinnen- und OperationsInstrument dienen, und hier ist es, wo die wahre [so ist anzunehmen: göttliche gemäss oben zitierter Briefstelle] Clairvoyance eintritt.» F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 269 (3. Heft, 1823). Was sie genau beinhaltet, bleibt an dieser Stelle jedoch wiederum ungesagt.

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pirt»;47 «[d]er unsterbliche Geistmensch»48 wird nur unvollkommen und vermittelt offenbar,49 etwa wenn Baader annimmt, dass der Mensch «in dieser Corporisation von der höheren (oder noch tieferen) Welt nur durch das Medium jener magischen Anschauung der niederen Welt (als ihrem Spiegel) Kunde erhalten kann».50 Und auch unter dem Aspekt des erwähnten spezifischen Artikulationsvermögens von Somnambulen weist Baader relativierend darauf hin, dass «bei dieser Uebersetzung von der Ursprache manches unübersetzbar bleibt» und daher «das, was uns die Somnambüle mittheilt, sich nur wie ein Traum zum rein magischen Schauen verhält, und desswegen stets den Charakter der Duplicität an sich trägt».51 Symptomatisch dafür, dass «der Spiritus astralis des Menschen entbunden oder frei gemacht wird von seiner elementaren Localität», beobachtet Baader u.a. «Stillstand des Elementarlebens, Katalepsie, Sinnenlosigkeit des Leibes [d.h. die temporäre Ausschaltung der äusseren Sinnestätigkeit, K.W.] etc. z.B. bei magnetischem, künstlichem oder spontanem Schlaf».52 Personen in solch ekstatischen Zuständen, die «in vielen Krankheiten, z.B. den kataleptischen, im magnetischen oder magischen Schlafe u.s.f.»53 auftreten, werden in Fallgeschichten stereotyp mit der Formel «als todt»54 beschrieben.55 Übereinstimmend mit seinem Briefpartner Schubert fällt auch bei Baader der Aspekt des nur Scheinbaren weg,56 wenn er darin eine tatsächliche «Anticipation des Zustandes nach dem Tode […] als der Lösung des Bandes der Seele und des Leibes»57 sieht. Die lebensmagnetischen Phänomene – insbesondere die höchsten 47

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F.v. Baader, „Der morgenländische und abendländische Katholicismus mehr in seinem inneren wesentlichen als in seinem äusseren Verhältnisse dargestellt“ (1841), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 139. F.v. Baader, „Randglossen zu Schuberts Die Symbolik des Traumes, 2. Aufl. 1821“ (undatiert), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 14, S. 357. «Der gemeine Somnambulismus erhebt uns nicht weiter, als in die siderische und Sternenregion, und nur durch ihn vermittelt bis in die himmlische oder zieht uns bis in die höllische hinunter». An v. Meyer, 16. Januar 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 289. An Schubert, 9. April 1817, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 321. F.v. Baader, „Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner“ (1817/18), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 13, Hervorh. im Original. Der Rapport mit dem in der Körperwelt verankerten Magnetiseur sieht Baader funktional als Ermöglichung dieser ja auch körperlichen Sprachfähigkeit an; der Rapport befähigt die Somnambule, «jenes ihr magisches oder Fernsehen in ihr körperliches (nicht zwar vollständig und nicht ohne des ersteren Beschränkung) mit herüber zu nehmen, in letzteres gleichsam zu übersetzen» (ebd.), ohne Rapport würden die Beobachter gar nichts (wie auch immer Unvollständiges) über ihre visionären Einblicke erfahren können. An v. Meyer, 16. Januar 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 289f. F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 1, S. 266. An v. Meyer, 16. Januar 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 290. Für Quellennachweise vgl. K. Weder, Kleists magnetische Poesie (Anm. 1), S. 173. Zum Nachweis für Schubert vgl. K. Weder, Kleists magnetische Poesie (Anm. 1), S. S. 93. F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 1, S. 266.

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magnetischen Zustände eben verstanden als Transzendierung des somnambulen Ich – bestätigen Baaders Ansicht, im Tod kein definitives Ende, sondern den Übergang auf eine höhere Daseinsstufe zu sehen.58 Diese Spekulationen schöpfen sich aus Baaders naturphilosophischem Systemdenken und liegen weit entfernt von der experimentellen Praxis der Mediziner-Magnetisten des ersten Aufschwungs in Deutschland in den Jahren 1787-1791.59 Schliesslich enthält die Briefstelle an Schubert auch zum naturphilosophischen Heilungs- und Versöhnungspotenzial insbesondere der romantischen Varianten des Thierischen Magnetismus einen relativierenden Hinweis, wenn Baader den in magnetischer Ekstase in erhöhte Tätigkeit versetzten und vom Körper entbundenen Astralgeist als «dem Guten und der Hölle offen» beschreibt. Die magnetische Ekstase wird bei Baader zwischen Auszeichnung und Gefährdung ambivalent gehalten. Wie gesehen erscheint der Mensch unter der Perspektive des Astralgeists als unabgeschlossen und gegen aussen durchlässig. Baader unterstreicht vielerorts die Gefährdung, die mit dieser Öffnung einhergeht: Der Mensch in seiner Teilhabe an den Gesamtzusammenhängen ist auf diese Weise nicht nur guten, sondern auch bösen Einflüssen ausgesetzt bzw. preisgegeben, wie die «alle Symptome der satanischen Besessenheit» aufweisenden Peinigungen Somnambuler in zahlreichen Fallgeschichten illustrieren – «wehe dem Magnetiseur, der nicht den rechten Ableiter gegen solche Höllengeister in sich hat»,60 warnt Baader in erneuter Anleihe eines physikalischen Begriffs. «Die Ursache der Gefahr beim Magnetismus» besteht darin, die als Schutz verstandene Bindung der Seele an den Körper verfrüht zu lösen: «Unser Körper und unsere Körpersinne wurden uns gegeben, um uns von den Mächten des Abgrunds geschieden zu halten; denn die Leibwerdung des Menschen war seine erste Taufe, nachdem er aus dem Abgrunde wieder emporgehoben worden durch die Hand der Liebe. – Wenn man also diese Armure [= Rüstung, K.W.] ihm vorzeitig nimmt, und den inneren Menschen bloss setzt, so

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«Anstatt also mit jener stupiden Meinung sich zu begnügen, dass mit dem irdischen Tode für Menschen und Thiere alles aus sei, anstatt sich einzubilden, dass über diesen Tod hinaus absolut nichts mehr zu beobachten, zu erforschen, ja zu experimentiren sein könnte, und dass folglich auch der Opfertod nichts wirkte und bedeutete, hätte eine nur etwas aufmerksamere Beachtung der allgemeinsten Naturprocesse die Philosophen zu aller Zeit, besonders aber in neueren Zeiten, nachdem ihnen mit dem Lebensmagnetismus ein Schlüssel mehr gegeben ward, vom Gegentheil überzeugen sollen.» F.v. Baader, „Vorlesungen über eine künftige Theorie des Opfers oder des Cultus“ (1836), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 7, S. 383. Als exemplarischer Vertreter kann der Heilbronner Arzt Eberhard Gmelin gelten. Zur Einordnung Gmelins vgl. J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen (Anm. 8), S. 86-92. Zum Aspekt des Experimentators vgl. insb. H. Neumeyer, „Magnetische Fälle um 1800. ExperimentenSchriften-Kultur zur Produktion eines Unbewußten“, in: M. Krause, N. Pethes (Hrsg.), Literarische Experimentalkulturen (Anm. 4), S. 251-285, hier S. 259-264. An Schubert, 15. Januar 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 285.

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sind es gewiss die finstern Mächte zuerst, die sich seiner bemächtigen, wenn anders der Magnetiseur nicht Priester Melchisedech ist. –»61

In für Baader charakteristischer theologischer Einbettung und in Anklang an den in magischer Tradition stehenden Topos der Doppelrolle des ArztPriesters wird hier wegen der Preisgabe des Magnetisierten an alle Arten äusserer Einflüsse ein Magnetiseur gefordert, dessen Eigenschaft als heiliger Vermittler zwischen Mensch und Gott dem alttestamentarischen ersten Priester Melchisedech gleichkommt.62 Ähnliches verlangt Baader in einer späten Schrift von 1841, wenn er unter verschiedenen Einwänden zum Mesmerismus folgenden als berechtigt hervorhebt: «Bedeutender ist der gegen den Magnetismus gemachte Einwurf, dass er die Seele von der sie schirmenden Hülle (Organisation) losmache und gleichsam ihre Wurzel allen äusseren Einflüssen promiscue preis gebe, wie ein unreifes Kind, aus dem Leibe der Mutter gesetzt, das äussere kosmische Leben nicht ertrüge. Woraus denn freilich vorerst folgt, dass jeder, auch der spontane Magnetismus, der Assistenz des guten d. i. des göttlichen Willens oder des Gebets bedarf, welches, wie gesagt, überall den Rapport mit dem göttlichen Willen und Thun öffnet».63

Gemessen an Mesmers Standardsituation hat sich die Rolle des Magnetiseurs signifikant verschoben: Statt mit ‚magnetischen Strichen‘ entlang des Körpers die Blockade des alldurchwirkenden Fluidums in den Nervenbahnen des Magnetisierten zu lösen und ihn ins kosmische Gleichgewicht zurückzuführen, muss der Magnetiseur die «finstern Mächte», die sich des entblössten «inneren Menschen» vordringlich bemächtigen wollen, durch Gebet abzuwehren suchen oder, um die gleichsam aus dem Ruder geratene Situation in kontrollierbare Bahnen zurückzulenken, den freiwirkenden Astralgeist – an dessen Entbindung er zumindest beim künstlich hervorgerufenen Somnambulismus ur-

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Beide Zitate im Brief an Dr. v. Stransky, 26. Januar 1813, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 250, Hervorh. im Original. Zum Topos Arzt-Priester in Bezug auf Mesmer selbst (!) vgl. J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen (Anm. 8), S. 45-47. F.v. Baader, „Der morgenländische und abendländische Katholicismus mehr in seinem inneren wesentlichen als in seinem äusseren Verhältnisse dargestellt“ (1841), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 140. Vgl. analog: «Die materielle Gebundenheit hat nemlich den Zweck, in ihrer Normalität (Gesetzlichkeit) den gefallenen, seines ursprünglichen Leibes beraubten, und hiemit tiefern, desorganisirenden Einflüssen ausgesetzten Menschen, von diesen Einflüssen abzuschliessen. So wie man ein Kind im Mutterleibe, welches noch die Kräfte und Organe nicht gewonnen hat, deren es bedarf, um die äussere Welt zu ertragen, falls man es seiner Hüllen beraubte, desorganisirt nennen müsste. Hierauf beruht das Zweideutige des Somnambulismus und die Pflicht des Magnetiseurs, in den magischen Kreis des Somnambulen nicht anders zu treten, als nachdem er in sich einen höhern rectificirenden Rapport eröffnet hat.» F.v. Baader, „Ueber den verderblichen Einfluss, welchen die rationalistischmaterialistischen Vorstellungen auf die höhere Physik, so wie auf die höhere Dichtkunst und die bildende Kunst noch ausüben“ (1834), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 300. Vgl. im Weiteren ebd., Bd. 7, S. 115; Bd. 12, S. 426; Bd. 15, S. 342.

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sächlich beteiligt war – wieder «in die Körpersphäre zurückbann[en]».64 Da es jedoch einem Magnetiseur kaum möglich sein dürfte, die Heiligkeit des Priesters Melchisedech zu erreichen, liegt Baaders Skepsis gegenüber mesmeristischen Praktiken auf der Hand, was der vom künstlich hervorgerufenen unterschiedene «spontane» Magnetismus implizieren mag. Baader verurteilt das künstliche Forcieren von etwas, das zum Zeitpunkt des irdischen Todes auf natürliche Weise eintritt und wohl erst dann angemessen ist: Den als «Desorganisation oder Anticipation des Todes» verstandenen «Zustand» der magnetischen Ekstase «mit Wissen und Willen (an sich und andern) hervorzubringen, ist möglich, aber gefährlich und vermessen.»65

3. Die noch unerläuterte letzte Passage des Briefauszugs an Schubert vom 15. Januar 1816 bringt das «Imaginieren» als zentralen Begriff für Baaders Verständnis des Thierischen Magnetismus ins Spiel: «Alle [eben z.B. magnetisch Ekstatischen mögliche] actio in distans eines Menschen auf andere […], alles Imaginiren geschieht übrigens nur durch jenen spiritum [sidereum] […] als die natürliche Chiffre und lebendige Signatur».66

Vielerorts in seinen Schriften setzt Baader die drei lateinischen Begriffe «Imago», «Magia» und «Magnes» (bzw. «Magnetes») miteinander in Beziehung.67 Das dritte Stichwort des Magnets schliesst den Mesmerismus ein, so zitiert Baader in den Fermenta cognitionis (3. Heft, 1823) den Fachbegriff des «magnetischen Rapport[s]» und resümiert, man werde «wohl nie etwas von dieser Erscheinung verstehen, wenn man den in den vorhergehenden §§. nachgewiesenen Zusammenhang der Begriffe Magia, Imago und Magnes nicht versteht.»68 Diesem als Schlüssel zum Rapportverständnis deklarierten Konnex gilt es im Folgenden noch genauer auf die Spur zu kommen. Das Konzept der Imagination mittels des von Baader ausdrücklich als «Medium aller natürlichen Magie»69 bezeichneten Astralgeists spezifiziert die gemeinte «magia» zur «magia naturalis»,70 die sich bekanntlich mit (verborge64 65 66 67 68 69 70

F.v. Baader, „Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner“ (1817/18), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 13. An Schubert, 9. April 1817, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 321. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 285. Dem begrifflichen Dreigestirn ist im Register ein eigener Eintrag mit zahlreichen Belegstellen gewidmet, vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 16, S. 259. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 268 (3. Heft, 1823). An v. Meyer, 2. März 1816, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 306. Wenn dieser Astralgeist als die «lebendige Signatur» gefasst wird, so verweist dies auf die Signaturenlehre als Teil der magia naturalis. Vgl. M. Bergengruen, Nachfolge Christi – Nachahmung der Natur. Himmlische und natürliche Magie bei Paracelsus, im Paracelsismus

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nen) Naturkräften wie Elektrizität und Magnetismus beschäftigte und die als frühe Form der modernen Naturwissenschaft insbesondere vom 15.-17. Jahrhundert populär gewesen ist.71 Baader sieht Jacob Böhmes Diktum «von der Nothwendigkeit des Wiederoffenbarwerdens der Magia naturalis» in Hinblick auf die «Erscheinungen des sogenannten thierischen Magnetismus» auch in seiner Gegenwart als gültig, wobei «Gott es für gut befand, diese Wunder der Magie […] zu unseren Zeiten öffentlich bekannt werden zu lassen».72 Es geht also um die Aufschlüsselung verborgener Naturkräfte; mit seinem Plädoyer für die Magia naturalis – etwa bei Agrippa von Nettesheim (1486-1535) als eine Art von Universalwissenschaft verstanden, welche Physik, Mathematik und Theologie umfasste – wendet Baader sich wohl zudem gegen die Ausdifferenzierung der einzelnen Wissenschaften seiner Gegenwart und die Gefahr fragmentierter Erkenntnis. An jener Stelle in den Fermenta Cognitionis fährt Baader mit seiner Erklärung fort, indem er die Begriffe nun verbalisiert und Magnetisieren mit Imaginieren gleichsetzt: «Denn Magnetisiren ist nicht minder und mehr, als Imaginiren, und der durch selbes erzeugte Rapport gründet in einer Constellation (18.), d. h. der Magnetiseur (sei dieser nun wer er wolle, denn nicht immer tritt solcher als Mensch auf) ist in der Regel das active Gestirn, der Magnetisirte (ob somnambul oder nicht) das ihm entsprechende passive, obschon diese Pole sich oft auch umkehren. Ist nun aber die Gestirnnatur des Astralgeistes (im Menschen) wie immer einmal aufgeschlossen (eradiirend worden), so begreift man, dass selbe auch in niedri-

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und in der Barockliteratur (Scheffler, Zesen, Grimmelshausen), Hamburg 2007, insbes. S. 160-172 mit Verweis auf Forschungsliteratur. Vgl. J. Iwersen, Lexikon der Esoterik, Düsseldorf/Zürich 2001, S. 145 (Eintrag „Magie“). Zum magisch-naturphilosophischen Entwicklungsstrang als der einen bedeutenden Linie in der Geschichte der abendländisch-christlichen Magie, die über die Alchemie zur modernen Naturwissenschaft führt vgl. in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, hrsg. v. R.W. Brednich, Bd. 9, Berlin/New York 1999, Sp. 2-13 (Eintrag „Magie“), hier insbes. Sp. 3f. Zur in den 1970er Jahren aufgearbeiteten Rolle der Magia naturalis bei der Herausbildung der Naturwissenschaften vgl. in: Ästhetische Grundbegriffe, hrsg. v. K. Barck et al., Bd. 3. Stuttgart/Weimar 2001, S. 724-760 (Eintrag „Magisch/Magie“), hier S. 728. Alle Zitate aus dem Brief an v. Meyer, 4. Dezember 1815, in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 15, S. 280. Auch in den Vorlesungen über die Lehre Jacob Böhme’s mit besonderer Beziehung auf dessen Schrift: „Mysterium Magnum“ (1833) wird der Somnambulismus der natürlichen oder synonym verstandenen ‚siderischen‘ Magie zugeordnet, was wiederum den Konnex zum Astralgeist schafft: «Zwischen dieser göttlichen und dieser höllischen Magie steht übrigens die sogenannte natürliche oder siderische in der Mitte, welche gleichfalls durch die Entwickelung und Belebung eines Geistbildes, aber eines nichtintelligenten d. i. eines siderischen oder astralischen wirkt, von welcher Magie wir im Somnambulismus, im Traumleben und sonst Beispiele sehen.» F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 13, S. 223.

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geren Naturen (Baquets, Baguettes und Bagues) sich zu spiegeln und sich zu objectiviren vermag».73

Zur Einordnung des Zitats kann an das im ersten Teil erläuterte Konzept des Astralgeists angeknüpft werden, wobei hier das zentrale Stichwort der „Constellation“ hinzukommt, auf welcher der durch Imaginieren erzeugte Rapport zwischen Magnetiseur und Magnetisiertem gründe. Die von Baader zuvor im § 18 erläuterte «Lehre der Alten „über die Constellation“» besagt in Baaders Worten, «dass die imaginirende Begierde keineswegs ausschliessend im Menschen und Thiere lebt, sondern dass die Wurzel der Natur selber nur Begehren und Imaginiren ist, wenn gleich dieses Wurzelleben sich auf mannigfaltige Weise, jedoch überall, manifestirt […]».74

Demnach wird «die imaginirende Begierde» als eine universelle und ursprüngliche Wirkkraft gefasst. Die Urväter dieser altüberlieferten Tradition sahen75 «diesen imaginirenden Bildungstrieb besonders im Gestirn wirksam, durch dessen Conjunction mit dem entsprechenden Bildungstrieb der Erde und der Elemente sie eine geistige Substanz (§.12. Idea formatrix, welche ihnen weder verständig noch unsterblich war) entstehen liessen, und welche (als Geistbild) in dem Elementarstoffe sich ihr entsprechendes äusseres Gebilde weckte, trug und erhielt».76

Die Konstellation bezeichnet hier keinen Zusammenhang zwischen einzelnen Sternen am Himmel, sondern bezieht sich gemäss des altüberlieferten, magischen Praktiken zugrunde gelegten Konzepts der MikrokosmosMakrokosmos-Analogie auf den Zusammenhang zwischen einem Gestirn am Himmel und der «Gestirnnatur» eines einzelnen Menschen bzw. eben seines «Astralgeistes».77 Durch den Magnetiseur scheint dieser imaginierende Bil73 74 75

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F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 268 (3. Heft, 1823), Hervorh. im Original. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 266 (3. Heft, 1823). Mit Blick auf den heilkundlichen Aspekt ist folgender Eintrag in einer zeitgenössischen Enzyklopädie erhellend: «Schon die Egypter verschmolzen das Studium der Astrologie auf das Innigste mit der Cultur der Medicin, und ihre Prognostik der Krankheit beruhte größtentheils auf der Lehre von der Constellation. Ptolemaeus (Tetrabibl.– L. I. cap. 3.) sah noch alte astrologische Tafeln, welche unter dem Namen ‚der ärztlichen Wegweiser‘ bekannt waren, weil in ihnen die Astrologie als das wahre Fundament der praktischen Medicin dargestellt wurde.» Die Herausgeber halten dies allerdings für eine überkommene Theorie, wenn sie «von den Fesseln der Astrologie» sprechen, deren sich die «griechischen Aerzte» ebenfalls noch nicht entledigt hätten. S. Stichwort „Astrologia“ in: Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, hrsg. v. C.F. von Gräfe et al., Bd. 3, Berlin 1829, S. 607. Zu den Verbindungen des Mesmerismus zur astrologisch-magischen Medizin vgl. J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen (Anm. 8), S. 43-54. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 266f. (3. Heft, 1823). Die Brücke zum Mesmerismus schlägt Baader wiederum in der anschliessenden Frage: «Welcher Mensch ist übrigens so verstockt gegen die stille „Magie“ der Natur (besonders

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dungstrieb wirksam zu werden, der den magnetischen Rapport herstellt, indem – wie wir gleich sehen werden: wechselseitig bei beiden Rapportpartnern – «die Gestirnnatur des Astralgeistes» «aufgeschlossen (eradiirend)» wird, wobei eben gilt: «Die theilweise Entbindung des partiellen Astralgeistes coincidirt endlich nothwendig mit einem theil- oder grad-weisen Eintritt desselben in den universellen».78 Daneben vermag der individuelle Astralgeist auch – wie im magnetischen Rapport – in andere Menschen oder aber «in niedrigeren Naturen […] sich zu objectivieren», etwa im (nach dem Modell der Leidener Flasche, also eines frühen Kondensators, konstruierten sogenannten) Baquet, das als Speicher des animalmagnetischen Fluidums angesehen und zum wichtigsten Requisit der magnetischen Behandlungen wurde.79 In einem solchen Modell der All-Sympathie ist die Eigenmacht des Magnetiseurs zurückgenommen, er ist selbst ein Werkzeug universeller Wirkkräfte, weshalb Baader zum Magnetiseur in einer Klammerbemerkung präzisiert, «(sei dieser nun wer er wolle, denn nicht immer tritt solcher als Mensch auf)». Ebenso relativiert er das stereotype Machtverhältnis zwischen aktivem Magnetiseur und passiver Somnambule, indem er ebenso mit einer Umkehrung der «Pole» – in wiederum zeittypischer Anleihe eines elektromagnetischen Begriffs – rechnet. Exemplarisch erläutert Baader die Vorgänge der Rapportherstellung in seinen Vorlesungen über Societätsphilosophie (1831/32): «Wenn sich eine in mein Inneres eindringbare Macht mir naht, so ist der erste Erfolg, den ich in mir von ihr gewahre, die Sollicitation oder Erregung einer in mir sichbefindenden jener analogen Macht a, weil A nicht anders sich als Macht in mir geltend oder effectiv machen kann, als damit, dass sie sich in einem ihr in mir Entsprechenden als Basis des Rapports fasset. Insofern ich nun frei bin, vermag ich mich der Formation dieser Fasslichkeit jener geistigen Gestalt (imago magnes) in mir zu entziehen oder mich ihr zu überlassen, womit ich also mittelbar die Attraction von Seite des A nichteffectiv oder effectiv zu machen vermag, und es ist nur nicht bis dahin hinreichend bemerkt worden, dass hierin, nemlich in dem Entstehenlassen oder Nichtentstehenlassen meiner Fasslichkeit für jede Potenz A bereits der erste Act der Freiheit besteht. […] Ich sage: Formation, denn die Macht A kann sich auf keine andere Weise in mir fassen, als in-

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gewisser Objecte und Situationen derselben), dass er sich nicht wenigst in einzelnen Momenten von ihrem bis tief in sein Naturgemüth reichenden, imaginirenden, einen magnetischen Rapport oder Congress sollicitirenden Wirken überzeugt hätte?» Vgl. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 267 (3. Heft, 1823). Dass Baader Magie in Anführungsstriche setzt, mag ähnlich wie die häufige Parallelisierung von magisch und magnetisch darauf hindeuten, dass Baader – bei aller Skepsis gegenüber materialistischmechanistischen Modellen – ältere Magiekonzepte mit den zeitgenössischen Forschungsergebnissen zum Magnetismus verschränken möchte. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 267 (3. Heft, 1823). Für Baader können dabei das Baquet und weitere Gegenstände «dem erweckten Astralgeiste des Menschen als einzelne äussere, d.h. von seinem Leib unterschiedene SinnenManifestations- und Operations-Apparate (Instrumente) dienen», bieten ihm also einen erweiterten Wahrnehmungs- und Aktionsradius. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 269 (3. Heft, 1823).

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dem sie mich zu ihrem geistigen Bilde macht (sei es auch nur im astralischen Geistbild) und durch diese Einbildung oder Signatur ihr Besitz- und Eigenthumsrecht auf mich nicht nur bezeichnet, sondern effectiv macht, wesswegen die Worte: imaginatio, magia und magnes im Grunde dasselbe bedeuten».80

Wichtige Aspekte des begrifflichen Dreigestirns sind anhand des Zitats nochmals zu bündeln: Erstens der Aspekt der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Welt, den bereits die Lehre über die «Constellation» bzw. den «Astralgeist» erhellt hat: Das Ich erscheint nicht als gegen aussen abgeschlossenes Individuum, sondern eine – an Magneten beobachtbare – Attraktion kann von aussen her auf das Ich einwirken.81 Gegen die Vereinzelung steht die – (natur-)magischen Weltbildern zugrundeliegende – Überzeugung einer All-Verbundenheit. Zweitens der Aspekt der Hervorbringung von etwas, das Moment der Wirksamkeit:82 Die «Macht» oder «Potenz», welche dem oben erläuterten «imaginierenden Bildungstrieb»83 entspricht, möchte sich im Ich «geltend oder effectiv machen». Voraussetzung dazu ist in charakteristischem Analogiedenken, dass eine der äusseren entsprechende innere Macht erregt wird «als Basis des Rapports».84 Baader setzt dabei gegen den Absolutismus der magnetischen Zwingkraft einen «Act der Freiheit»; das Ich ist in der Lage, seine «Fasslichkeit» oder «Receptivität»85 für die eindringende Macht entstehen zu lassen oder sich ihr auch zu entziehen. Durch gelungene «Einbildung», d.h. indem die Potenz das Ich «zu ihrem geistigen Bilde macht», (präziser zu ihrem «astralischen Geistbild»), kann sie infolgedessen ihre Wirksamkeit und ihren 80 81

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F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 14, S. 99f., Hervorh. im Original. Das Imaginieren geschieht auf der Basis der an Magneten beobachtbaren Wirkkräfte der Attraktion und Repulsion (worauf eben der von Baader immer wieder postulierte Zusammenhang von magnes und imago verweist). Vgl. etwa auch in F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 9, S. 227 Anm. (fünftes Heft, 1838): «Der Process des Imaginirens ist der, dass das Imaginirende seinen Begierdegeist (in Folge der Attraction) in das, worein es imaginirt, spendet, worin derselbe den Samen empfängt oder zum Samenbild wird», Hervorh. K.W. Hier interessiert die Attraktion, da es um Rapportherstellungen geht. Zur gleichzeitigen Annahme einer «repellierende[n] Imagination» vgl. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 260 (3. Heft, 1823). Beide Aspekte, nämlich jener der Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Welt, welche das Imaginieren ermöglicht, sowie jener des Hervorbringens (der «Bildung»), finden sich auch im folgenden Zitat vereinigt: «Dass alle Bildung das Resultat einer Conjunction eines Aeusseren und Inneren ist, beweiset schon die Imagination.» F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 8, S. 113 Anm. (1. Heft, 1828). F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 266 (3. Heft, 1823). Analog spricht Baader wie gesehen mit Blick auf kosmische Vorgänge von einer «Conjunction mit dem entsprechenden Bildungstrieb der Erde und der Elemente», die der «besonders im Gestirn wirksam[e] [...] imaginierende Bildungstrieb» vollzieht. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 266 (3. Heft, 1823). F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 263 (3. Heft, 1823).

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Einfluss auf das Ich erreichen, womit sie «ihr Besitz- und Eigenthumsrecht» also «nicht nur bezeichnet, sondern effektiv macht» und eine die Magie kennzeichnende Verquickung repräsentativer und performativer Verfahren vollzieht.86 Zugleich mag sich hier auch die mit solcher fremden Verfügungsgewalt verbundene Gefährdung andeuten, wovor Baader wie gesehen andernorts explizit warnt. Zurück zu den Fermenta Cognitionis, wo die Kette dieser Vorgänge folgendermassen beschrieben wird: Laut Baader zielt «jede Attraction auf essentiale Wesenserzeugung (eines lebhaften Geistbildes)»87 ab – hier ist der Konnex zur imago also wieder – und sie kann nur erfolgreich sein unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Wechselseitigkeit zwischen den Rapportpartnern hergestellt wird: «Die gelungene Imagination ist nemlich immer wechselseitig als magische Vermählung (Magia, Magnes, Imago)»,88 wie Baader die beim Imaginieren häufig herangezogene Zeugungsmetaphorik mit dem Bildspendebereich des Begehrens zwischen Mann und Frau zu einer metaphorischen Ehe fortführt. Und weiter: «Was durch eine solche [= gelungene, d.h. wechselseitige, „attrahierende“] Imagination erzeugt wird, ist eben jenes lebhafte Bild als Idea formatrix» – ein nicht auf die Intelligenzien beschränkter Vorgang: «und dieses gilt von jeder Region des Lebens, denn dieses Geistbild braucht nicht eben verständig zu sein, so wie ich als Intelligenz auch durch Imagination in eine niedrigere Natur eine solche geistige Substanz zu erzeugen vermag».89

Diese «Idea formatrix» bringt später – wie gesehen – «(als Geistbild) in dem Elementarstoffe» ein «ihr entsprechendes äusseres Gebilde» hervor; das innere Erzeugen einer «geistige[n] Substanz» geht demnach der Einprägung und Veränderung in der Körperwelt notwendig voraus, ja bedingt diese.90 In erwartbarem Rekurs auf Paracelsus und Böhme, die eben der Magia naturalis verpflichtet sind, referiert Baader an anderer Stelle deren Auffassung, dass jede gelungene Imagination «eine wahrhaft innere Generatio (Eingeburt)

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Vgl. M. Gamper, C. Weder, „Explorative Wissenspoetik und literarische Form“, in: M. Gamper (Hrsg.), Experiment und Literatur. Themen, Methoden, Theorien, Göttingen 2010, S. 96178, hier insbes. S. 175. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 260 (3. Heft, 1823). F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 259f. (3. Heft, 1823). Alle Zitate aus F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 260 (3. Heft, 1823). Imagination «im höchsten Sinne» (vgl. in Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 16, S. 257, Eintrag „Imagination“) gilt in Bezug auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Auf diesen wichtigen Fluchtpunkt kann hier lediglich verwiesen werden. F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 267 (3. Heft, 1823).

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ist, welche die Operatio bedingt».91 Die einbildende Kraft gilt Baader als Ursprung aller Hervorbringung, Entstehung, Bildung, Gestaltung oder wie die Begriffe alle heissen, mit denen er die behauptete Effektivität und Potenz der Imagination in den Bezügen und Wechselbeziehungen zwischen Geist und Materie, Mensch und Welt vielerorts in seinen Schriften umkreist.92 Er propagiert «die Wirksamkeit und Macht der Imagination oder Magie in ihrem Bezug zum Geist und zur Natur in allen Regionen des Lebens», welche Jacob Böhmes Naturphilosophie und derjenigen «von seinem Vorfahrer Paracelsus» zugrunde liege und welche endlich gebührend zu beachten er den Philosophen seiner Zeit anempfiehlt,93 ja umfassender den zeitgenössischen Wissenschaften inklusive Theologie, das «nur dem Dichter noch erlaubt gewesene Wort: Magie (magia, Magnet, imago)»94 sei – nicht zuletzt angesichts spektakulärer Ekstasen magnetischer Schlafredner bzw. Wechsel- und Fernwirkungen zwischen Rapportpartnern – für die Wissenschaften zurückzugewinnen.95 Es sei eine Rückbesinnung auf Paracelsus und Böhme nötig, die «im Verbande der 91

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F.v. Baader, „Ueber die Incompetenz unserer dermaligen Philosophie zur Erklärung der Erscheinungen aus dem Nachtgebiete der Natur“ (1837), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 307. Vgl. zum Aspekt des Hervorbringens auch folgende Definition der «Magie der Imagination»: «Jenes Imaginiren ist ein Sichcopiren, Sichdupliren, Gleichniss- oder Bild-Zeugen, Spiegeln &c., so wie ein Entwickeln, Expandiren dieses Einerzeugten oder Gefassten, durch welche Expansion (in ein Auge oder eine Sphäre) der Wille sich in Leib schliesst.» F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 8, S. 116 Anm. (1. Heft, 1828). Baader geht davon aus, «dass all unsere innere und äussere Bildung durch Imagination (Lust, Begierde &c.) bedungen ist.» Ebd., S. 100. F.v. Baader, „Vorlesungen über J. Böhme’s Theologumena und Philosopheme“ (1847), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 3, S. 380. F.v. Baader, „Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner“ (1817/18), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 12. Baaders Kunstideal gründet auf dem altüberlieferten Topos des Dichters als Sehers – in der visionären Kraft liegt die Parallele zum magnetisch Ekstatischen. Zu Baaders Kunstideal vgl. C. Weder, Erschriebene Dinge. Fetisch, Amulett, Talisman um 1800, Freiburg 2007, S. 257-264. Wo Baader über die Kunst und die Ästhetik spricht, in welchem die Einbildungskraft ja eine Hauptrolle spielt, ist zu fragen, ob er von der Imagination mittels des Astralgeists ausgeht. Zu bejahen wohl dort, wo in der Imagination des Künstlers die «schaffende Macht der Natur» (F.v. Baader, „Ueber den Paulinischen Begriff des Versehenseins des Menschen im Namen Jesu vor der Welt Schöpfung“ (1837), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 405) wirksam wird bzw. die «psychisch-plastische Imagination der Natur» sich «fortsetzt» (F.v. Baader, „Ueber die Incompetenz unserer dermaligen Philosophie zur Erklärung der Erscheinungen aus dem Nachtgebiete der Natur“ (1837), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 308 Anm.). So behauptet er in den Vorlesungen über die Lehre Jacob Böhme’s mit besonderer Beziehung auf dessen Schrift: „Mysterium Magnum“ (1833), «dass die Theologie sowie die Physik als Naturphilosophie darum seit lange an Tiefe und Lebendigkeit verloren haben, weil sie beide die Bedeutung und den Begriff der Imagination nicht mehr erkannten und also auch von der Magie nichts mehr verstunden, welche sowohl im Verkehr des Menschen mit Gott, als mit der Natur wirksam ist, und ich finde es um so nöthiger, mich über diesen Gegenstand weiter zu erklären, da die ganze Theosophie und Naturphilosophie J. Böhme’s, wie seines Vorfahrers, des Paracelsus, hauptsächlich auf der lebendigen Erkenntniss der Magie beruht, oder auf der Vermittelung des magischen Rapports durch das Bild, die Imago oder die Idea.» F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 13, S. 219, Hervorh. K.W.

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Begriffe der Magia, der Imaginatio und des Magnes den Schlüssel zu aller geistigen und natürlichen Genesis nachwiesen»96 bzw. «in der Imagination den Anfang und die Wurzel alles Hervorbringens»97, die Auffassung «von diesem innersten Anfang des Lebensprocesses (von der Imagination)»98 gilt es zu revitalisieren. In diesem Sinne also geht Baader von «der schöpferischen, im Subject sowohl wie ausser ihm real producirenden Einbildung» gegenüber dem Begriff einer «impotenten, nichts producirenden Einbildung» aus,99 also einer Auffassung der Einbildungskraft als blossem Illusionsapparat. Unermüdlich propagiert er die «plastische creative Bildungsmacht der Imagination», die es zu erkennen gälte, statt wie die Mesmerismus-Skeptiker «nur subjektive Phantasterei» anzunehmen.100 Anders als die Standardargumentation insbesondere der Mesmerismus-Gegner, welche die vieldiskutierten magnetischen Phänomene aus der erregten Einbildungskraft der magnetisierten Personen als rein subjektive Phantasiebilder erklären, versteht Baader die Kraft der Imagination in hermetisch-magischer Tradition, wobei die einbildende Kraft der Seele mittels des Astralgeists in ihrer Umwelt wirksam wird.101

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F.v. Baader, „Ueber die Vernünftigkeit der drei Fundamenlaldoctrinen des Christenthums vom Vater und Sohn, von der Wiedergeburt und von der Mensch- und Leibwerdung Gottes“ (1839), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 10, S. 31 Anm. F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 9, S. 218 (fünftes Heft, 1838). F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 9, S. 182f. (fünftes Heft, 1838). Das Zitat findet sich innerhalb der Schrift Ueber die Incompetenz unserer dermaligen Philosophie zur Erklärung der Erscheinungen aus dem Nachtgebiete der Natur (1837), wo der Ignoranz-Vorwurf auch die Psychologie umfasst: «Ich behaupte also, dass, falls unsere Physiker und Psychologen z.B. nur den Begriff der Imagination in demselben Umfang und in derselben Tiefe gefasst hätten, in welchen namentlich Paracelsus und J. Böhme denselben in den höheren wie in den niedrigeren Regionen des Lebens fassten, und falls sie hiemit von der schlechten Vermengung der impotenten, nichts producirenden Einbildung mit der schöpferischen, im Subject sowohl wie ausser ihm real producirenden Einbildung sich frei gehalten hätten, – auch ihre Theorien der Natur und des Geistes nicht so flach, dürr und unlebendig, somit unpraktisch geblieben oder geworden sein würden, als solche dermalen wirklich sind.» F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 4, S. 307, Hervorh. im Original. F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 9, S. 183 (fünftes Heft, 1838). Barkhoff, der auf die – von Mesmer selbst verleugnete und von seinen Gegnern ausschliesslich gegen ihn gerichtet wahrgenommene – hermetisch-magische Tradition als Bezugssystem des Mesmerismus hingewiesen hat, fasst diesen Kontext wie folgt zusammen: «Der magia naturalis war die einbildende Kraft der Seele ein selbstverständlicher Bestandteil der Wechselbeziehungen zwischen Geist und Materie, Mensch und Welt, ihre Rolle bei der Entstehung und Heilung körperlicher Krankheiten eine Gewißheit. Für Paracelsus, Agrippa von Nettesheim und van Helmont hatte der Begriff der Einbildung noch seine ursprüngliche Bedeutung: die Einprägung einer neuen Form durch geistige Kräfte, die individuell die Körperwelt verändern, ihr mit Hilfe des spiritus mundi und als individuelle spiritus ihre Ideen ein-bilden können.» J. Barkhoff, Magnetische Fiktionen (Anm. 8), S. 67, Hervorh. im Original.

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Es lässt sich resümieren: Baaders aphoristische Schreibweise, die einer systematisierenden Darstellung seines Denkens entgegenläuft,102 gilt auch für seine Auseinandersetzung mit dem Thierischen Magnetismus. Der Titel Fermenta Cognitionis für eine Schrift, die wichtige Denkanstösse zu dieser Modeströmung einschliesst, ist programmatisch zu lesen: Der in Paragraphen eingeteilte Text steht in auffälliger Spannung zum Titel und spiegelt eine Systematisierung vor, die er gerade nicht einlöst. In den Fermenta Cognitionis wie auch in den halböffentlichen Briefen präsentiert Baader fernab systematischer Abhandlungen und Lehrbücher vielmehr die titelgebenden Gärstoffe des Denkens, die «bei Lesern, denen es hiezu nicht an Empfänglichkeit mangelt»,103 den individuellen Erkenntnisprozess antreiben sollen und also Gärungsmittel für die Erkenntnis sind. In diesem Sinne gelange ich angesichts der weit verstreuten, teilweise schwer verständlichen bzw. auch widersprüchlichen Aussagen zu (m)einem vorsichtigen Fazit: Bei aller Skepsis hat der Thierische Magnetismus Baader wohl deshalb fasziniert, weil sich in ihm verborgene Naturkräfte zu manifestieren versprachen. Baaders Interesse ist insofern erwartbar, als er unermüdlich zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Natur vermitteln wollte, das Dynamische dem Mechanischen vorzog, sich nicht auf das Sichtbare beschränken, sondern auch das Unsichtbare zu erforschen anstrebte.104 Attraktiv waren für ihn die vielfachen Grenzüberschreitungen zwischen Körperlichem und Geistigem, Einzelwesen und Gesamtnatur, ja gar Lebenden und Verstorbenen und die Teilhabe an grösseren Wirkungszusammenhängen, die der Thierische Magnetismus verhiess. Insbesondere das Konzept des Astralgeists (und ein darauf basiertes Verständnis von Imagination), das im Zeichen von Anti-Materialismus und Anti-Mechanizismus steht, bietet Baader dabei eine Erklärungsgrundlage, die zwischen dem allzu Natürlichen und dem schlechthin Übernatürlichen angemessen vermittelt. Mit Blick auf die wissensgeschichtlich bedeutsame Verschiebung in den Erklärungsmodellen, die über einen relativ langen Zeitraum hinweg stattfindet und anhand der Stationen der Sympathielehre, des Mesmerismus, des Somnambulismus, der Hypnose, der Suggestionstherapie und der Psychoanalyse verfolgt und systematisch als Verschiebung von aussen nach innen, vom Wirken dämonischer, magischer oder fluidaler Kräfte zur Zwingkraft des individuellen Nicht-Bewussten gesehen werden kann,105 lässt sich Baaders Position situieren: Wie das Modell des Astralgeists klar macht, verdanken sich für 102

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Vgl. S. Ackermann, „Franz von Baader“, in: T. Bach, O. Breidbach (Hrsg.), Naturphilosophie nach Schelling, Stuttgart-Bad Cannstadt 2005, S. 41-59, hier S. 43. Vgl. zu dieser Zitatanleihe Baaders Bestimmung des Rezeptionszwecks der Schrift Ueber den Blitz als Vater des Lichtes (1815) bzw. der Sätze aus der Begründungslehre des Lebens (1820), in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2, S. 98. Vgl. etwa S. Ackermann, „Franz von Baader“ (Anm. 102), S. 41-59, insbes. S. 44 und 47. Vgl. K. Weder, Kleists magnetische Poesie (Anm. 1) S. 105f. sowie die dort angegebene Forschungsliteratur, insbes. das breit rezipierte, zu vielen Nachfolgestudien anregende, zu sehr auf Kontinuitäten hin ausgerichtete Buch von H.F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewußten (Anm. 3).

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Baader die Ausnahmezustände der magnetischen Ekstase der All-Sympathie mit (im positiven Fall) gar visionären Einblicken ins metaphysisch gefasste Naturgeheimnis und nicht demjenigen Phänomen, das später Suggestion heissen wird und als auf allein innerpsychische Kräfte rückführbar gilt. Somit weist Baader mehr in die sympathetisch-naturmagische Spekulation der Frühen Neuzeit zurück als auf die Psychologie Sigmund Freuds voraus.

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Baaders Bemühungen um ein integraltheologisches Verständnis des Opfers und des Kultes in den 1830er Jahren

Die Kategorie des Opfers ist schon jahrhundertelang problematisch in der Theologie, besonders insofern sie auf die Eucharistie angewendet wird. Einerseits gibt es in der christlichen Tradition – und eigentlich schon in der Bibel – eine scharfe und dauerhaft gültige Kritik des Kultes und des Opfers, vor allem aber ihrer Äußerlichkeit. Letztendlich ist nichts weniger als das jüdischchristliche Gottesbild dafür verantwortlich: Was könnten Menschen einem allmächtigen Gott, der als Schöpfer alles erst den Menschen geschenkt hat, wirklich opfern? Andererseits ist klar, dass schon sehr früh das zentrale Ritual des christlichen Gottesdienstes, die Eucharistie, mithilfe von Opferterminologien gedeutet worden ist.1 Zudem hat das Konzil von Trient sich massiv über das Opfer ausgesprochen, teilweise als eine Verteidigungsreaktion gegen die Kritik und die Herausforderungen der Reformation. Die Entwicklung der katholischen Theologie der Eucharistie vom späten 16. bis zum 20. Jahrhundert ist zweifelsohne stark von diesem tridentinischen Erbe geprägt. Die Fragen, die ich in diesem Beitrag behandeln werde, sind, wie Baader sich zu diesem Erbe verhält, was seine Stellung im Hinblick auf den Opfercharakter der Eucharistie ist, ob seine theologischen Ideen hierzu sich mit seinen fundamentaltheologischen Standpunkten vereinbaren lassen und schließlich, worin die Relevanz seiner Einsichten für die heutige Eucharistietheologie bestehe. Könnte man demnach, insofern Baader als ein herausragender Repräsentant der Romantik gilt,2 bestätigen, was Helmut Hoping in seiner rezenten Monographie zur Theologie und Liturgie der Eucharistie schreibt, nämlich dass es ihm «nicht so sehr um eine Veränderung der Liturgie [ging], sondern um ein vertieftes Verständnis, das eine bessere Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie ermöglicht?»3

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R.J. Daly, Christian Sacrifice. The Judeo-Christian Background before Origen, Washington 1978. Für eine ideenhistorische Positionsbestimmung des Baaderschen Denkens vgl. P. Koslowski (Hrsg.), Die Philosophie, Theologie und Gnosis Franz von Baaders. Spekulatives Denken zwischen Aufklärung, Restauration und Romantik, Wien 1993. H. Hoping, Mein Leib für euch gegeben. Geschichte und Theologie der Eucharistie, Freiburg/Basel/Wien 2011, S. 308. Es fällt auf, dass Hoping hier einen Zusammenhang zwischen

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Um eine befriedigende Antwort auf diesen Fragenkomplex formulieren zu können, ist es notwendig, in verschiedenen Etappen vorzugehen. Erstens soll die nachtridentinische katholische Eucharistietheologie kurz geschildert werden, damit wir über einen konkreten Ansatzpunkt und Interpretationsrahmen für den Vergleich mit Baader verfügen. Zweitens gehe ich auf die Texte Baaders selbst ein. Im Vordergrund stehen seine Vorlesungen über eine künftige Theorie des Opfers oder des Cultus aus dem Jahr 1836.4 Baader hat sich aber während der 1830er Jahren auch in anderen, meistens kleineren Schriften über die Eucharistie und das Opfer ausgesprochen.5 Drittens versuche ich, Baaders Gesichtspunkt in Verbindung mit neuen theoretischen Ansätzen innerhalb der katholischen Eucharistietheologie zu bringen. Wie es in anderen theologischen Bereichen der Fall ist, werden wir, wenn auch nur vorsichtig, schließen können, dass Baader dank seiner integral-theologischen Methode und seiner tiefsinnigen Feinfühligkeit viele spätere Entwicklungen antizipiert hat und darum eine wertvolle Stimme in aktuellen theologischen Debatten sein könnte. Das kann aber nicht kritiklos geschehen.

1. Das Opferverständnis der nachtridentinischen katholischen Eucharistietheologie Ziemlich kritisch hat sich der amerikanische Theologe Edward Kilmartin über die theologischen Entwicklungen nach dem Konzil von Trient geäußert. Er spricht von der Mittelmäßigkeit der neuzeitlichen Theologie des eucharistischen Opfers. «The problem with all theologies of the Mass of the post-Reformation period originates in the search for the grounds of sacrifice in the rite itself, and not in the representation of the sacrifice of the cross. Catholic theology did not take seriously enough the fact that ‚sacrifice‘ in the history-of-religions sense was abolished with the Christ-event. In the Christ-event, sacrificial activity on the part of the creature is reduced to the obedience of Jesus before the Father, even unto death».6

Kilmartin behauptet, dass es eine theologische genauso wie liturgische Engführung gab, insofern nur noch die Konsekration, die „Einsetzungsworte“ kritisch betrachtet wurde. Demzufolge entwickelte sich ein dinghaftes Denken,

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der Romantik und der Liturgischen Bewegung annimmt. Ob und inwieweit es richtig ist, einen solchen Zusammenhang zu postulieren, wäre zu prüfen; unlogisch ist es aber keineswegs. Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 7, S. 271-416. J. Geldhof, „Baader sur l’eucharistie“, in: L. Boeve, J. Geldhof, T. Knieps (Hrsg.), God’s Sacramental Presence in the Contemporary World, Leuven 2010, S. 115-129. Ferner s. auch P. Koslowski, „Die Geschichte der Welt als Selbstopfer Gottes. Theorie des Opfer bei Franz von Baader“, in: R. Schenk (Hrsg.), Zur Theorie des Opfers. Ein interdisziplinäres Gespräch, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995, S. 307-321. E.J. Kilmartin, The Eucharist in the West. History and Theology, ed. by R.J. Daly, Collegeville 2004 [1998], S. 184.

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das vornehmlich anhand neoscholastischer Methoden und Kategorien operierte, aber gerade so die ursprüngliche Dynamik der Eucharistie selbst untergrub. Dies führte zu einem christologischen, manchmal christozentrischen Fokus, der mit der genuin ekklesiologischen Dimension der Eucharistiefeier nicht mehr vermittelbar schien. «Ultimately, from the standpoint of the Christological dimension of the Eucharist, these post-Tridentine attempts failed to offer a solution to the problem of the intimate relation of the sacrament of Christ’s somatic presence to the liturgical presence of his once-for-all historical sacrificial act of the cross».7

Im deutschen Sprachgebiet wird diese ideenhistorische Analyse und deren theologische Konsequenz von Alexander Gerken in dessen einflussreicher Studie Theologie der Eucharistie von 1973 veröffentlicht. Gerken hebt hervor, dass in der Nachfolge des Trienter Konzils eine fast ausschließliche Aufmerksamkeit für den Opferbegriff und seine Anwendung auf die Eucharistie ein reicheres Verständnis dieses Sakraments stark behinderten. Insbesondere die Dimension der «kommemorativen Aktualpräsenz» wurde viel zu wenig beachtet. Gerken zieht die Schlussfolgerung, «dass dem Konzil von Trient die Möglichkeit gefehlt hat, in der kommemorativen Aktualpräsenz des Kreuzesopfers den Grund für den Opfercharakter der Messe zu sehen».8 Es ist aber nach Gerken genau der Gedanke der Vergegenwärtigung Christi im breitesten Sinne, der der Eucharistie ihre tiefste Bedeutung verschafft. Deswegen soll es in der Eucharistietheologie nicht um einzelne Kapitel gehen, sondern um eine Gesamtdarstellung des christlichen Glaubens: «Die Verteidigungsposition des Konzils führte […] zu einer Sanktionierung der vom Hochmittelalter überkommenen Lehre, nicht aber zu einer gründlichen theologischen Aufarbeitung der von der Reformation aufgeworfenen Probleme. Der Weg zu dieser Aufarbeitung – insbesondere in bezug auf den Opfercharakter der Messe – war durch das Auseinanderreißen der verschiedenen eucharistischen Traktate für die nachtridentinische katholische Theologie sogar erschwert worden».9

Die größte Schwierigkeit der nachtridentinischen Messopfertheorien liegt also darin, dass sie «im Ritus der Messe als solcher und nicht in der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers den Grund dafür sehen [wollen], daß die Messe ein Opfer ist».10 Aus dieser kurzen Skizzierung der Eucharistietheologie nach dem Trienter Konzil ergibt sich eine vierfache Kriteriologie, mit der wir kritisch auf Baader zugreifen: (i) Inwieweit bezieht Baader die Eucharistie als den Kern des christlichen Gottesdienstes auf den Gesamtinhalt des Glaubens? (ii) Wie wichtig ist für Baader ein „religionshistorisches“ Verständnis des Opfers, das ei7 8 9 10

E.J. Kilmartin, The Eucharist in the West (Anm. 6), S. 186f. A. Gerken, Theologie der Eucharistie, München 1973, S. 144. A. Gerken, Theologie der Eucharistie (Anm. 8), S. 147. A. Gerken, Theologie der Eucharistie (Anm. 8), S. 150.

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nem rein theologischen Verstehen entgegengesetzt ist? Sieht er also eine Kontinuität oder eine Diskontinuität zwischen einem allgemeinen und einem spezifisch christlichen Opferbegriff? (iii) Wie deutet Baader den Zusammenhang von Kreuzopfer und Messopfer? (iv) Welche Rolle spricht Baader der Gemeinschaftsdimension der Eucharistiefeier zu und wie bezieht er dementsprechend die Kirche in seine Bemühungen um ein richtiges Eucharistieverständnis ein?

2. Baaders Entwicklung eines integral-theologischen Begriffs des Opfers 2.1 Einführende Notiz zu Baaders integral-theologischer Methode11 Der Begriff „integral-theologisch“ muß näher erklärt werden, damit seine Anwendung auf Baaders Opfer- und Eucharistiebegriff in möglichst klarerem Licht erscheint. Natürlich ist hier auf die zentrale Rolle der Kategorie der „Vermittlung“ und auf die für das romantische Denken grundlegende Metapher vom „Organismus“ hinzuweisen.12 Baader versteht die Theologie als eine Disziplin, die immer imstande sein sollte, die innere Kohärenz des Glaubens, verstanden sowohl als die Handlung eines Glaubenden als auch als ein System von Glaubenswahrheiten, aufzuzeigen, und dies ad intra sowie ad extra. Der christliche Glaube zeichnet sich dadurch aus, dass er sich einsehen und auslegen lässt. Und er lässt sich auslegen und einsehen durch eine Vielzahl von miteinander verbundenen Kanälen. Peter Koslowski hat gezeigt, dass Baaders Denken als eine umfassende «Theorie der Gesamtwirklichkeit» aus bewusst christlicher Perspektive zu deuten ist. Für Baader ist «der Zusammenhang zwischen der spekulativen Metaphysik und der dogmatischen Theologie im Sinne der Lehre von den Tatsachen und Ereignissen der Heilsgeschichte» in der Tat «unauflöslich.»13 Das wird besonders deutlich in seinen Betrachtungen über den Kultus, das Opfer und die Eucharistie. Mit dem französischen Fundamentaltheologen und Jesui11

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Für eine vertiefte Erörterung von Baaders philosophisch-theologischem Verfahren (und einem Vergleich mit dem späten Schelling) verweise ich auf meine Arbeit: Revelation, Reason and Reality. Theological Encounters with Jaspers, Schelling and Baader, Leuven et al. 2007, S. 76-101. H. Sauer, Ferment der Vermittlung. Zum Theologiebegriff bei Franz von Baader, Göttingen 1977; R.J. Betanzos, Franz von Baader’s Philosophy of Love, ed. by M.M. Herman, Wien 1998, S. 32f.: «The key to the entire Romantic worldview is the organic idea, the belief that reality is a living whole, all members of which – despite their diverse characteristics and functions – are immediately related to a common center and through that center to each other. With regard to its organicism, there is no question about the utterly Romantic quality of Baader’s thought». P. Koslowski, „Religiöse Philosophie und spekulative Dogmatik. Franz von Baaders Theorie der Gesamtwirklichkeit“, in: Ders. (Hrsg.), Die Philosophie, Theologie und Gnosis Franz von Baaders (Anm. 2), S. 289-325, hier S. 308. Vertiefter hat sich Koslowski zu seiner BaaderInterpretation geäußert in seiner umfangreichen Monographie Philosophien der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn et al. 2001.

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ten Paul Valadier kann man wohl sagen, dass bei Baader das eine nie ohne das andere gedacht wird, «jamais l’un sans l’autre,»14 nie Theologie ohne Philosophie, nie Geist ohne Materie, nie Himmel ohne Erde, nie Glaube ohne Vernunft, nie Ewigkeit ohne Geschichte, nie der Mensch ohne Gott, nie Äusserlichkeit ohne Innerlichkeit, nie Gnade ohne Natur etc. Hanjo Sauer hat im Kontext einiger Anspielungen auf Baaders Eucharistielehre denn auch richtig darauf hingewiesen, dass für Baader das «sakramentale Inkorporationsprinzip» als Präzisierung des «wahrhaft christlichen Assoziationsprinzips» in Bezug auf die Eucharistie von entscheidender Bedeutung ist.15 «Im Sakrament der Eucharistie wird damit jene wahrhaft organische Verbindung deutlich und wirklich»,16 von der bei näherer Betrachtung die ganze Wirklichkeit durchzogen ist. «Das Interesse der Bildung des Organismusbegriffs war das, die der Vermittlung nicht als abstrakte zu fassen, sondern zu „verleiblichen“ und als gefüllte und verleiblichte in das Denkgeschehen von Welt und Mensch einzubringen. […] Der Organismusbegriff gibt den Verständnisrahmen, das Interpretationsprinzip und die kritische Instanz ab für das Verständnis, die Interpretation und die Kritik der konkreten gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeit»17

aber auch – so würde ich hinzufügen – für das Verständnis, die Interpretation und die kritische Würdigung des Sakraments der Eucharistie.

2.2 Opfer als anthropologisches und gottesdiensthistorisches Phänomen In der neunzehnten (und letzten) Vorlesung seines Zyklus über das Opfer und den Kult versucht Baader seine Theorie einigermaßen zu strukturieren. Einerseits wendet er eine heilsgeschichtliche Perspektive an, indem er über das levitische und das prophetische Opfer und über das Opfer des Kreuzestodes des Gottessohnes spricht. Andererseits ist diese dreifaltige Struktur nicht nur der religiösen Geschichte der Menschheit attestiert, sondern auch der individuellen spirituellen Entwicklung eines jeden Menschen. Die Absicht aller Opfer ist nichts weniger als die Versöhnung mit Gott. «In der That ist nun dieser Wiedergeburts- oder Reintegrationsprocess der Sinn und die Bedeutung aller jener figurativen Opfer […], die sich nur, nachdem die

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P. Valadier, Un christianisme d’avenir. Pour une nouvelle alliance entre raison et foi, Paris 1999, S. 187ff. und 228f. Auch für Baader wäre eine solche „Allianz“ von höchster Bedeutung. H. Sauer, Ferment der Vermittlung (Anm. 12), S. 128. Ebd., S. 129. Ebd., S. 129.

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Zeit hiezu eingetreten war, in die innere Region zurück zogen und sich auf innerliche Weise in jedem einzelnen Menschen noch immer fortsetzen sollen».18

Es ist sehr wichtig, dass Baader einen Unterschied macht zwischen verschiedenen Gestalten des Opferaktes.19 Das macht es ihm möglich, sich kritisch gegenüber bestimmten Formen des Opfers zu positionieren. Baader weiß, dass es eine Spannung gibt zwischen einem allgemeinen Verständnis des Opfers und einer christlichen Deutung des Begriffs. Darum warnt er seine Zuhörer sowohl «gegen die Vermengung des Begriffes der geistigen Menschwerdung mit jenem der leiblich-irdischen als gegen beider ihre Trennung».20 Das Opfer darf, so Baader, nicht wegerklärt werden, weder durch Spiritualisierung noch durch Entmaterialisierung, aber es kann auch nicht als eine bloß äusserliche Reaktion oder als bloße Interaktion mit der materiellen Wirklichkeit gesehen werden. Dies hat zunächst mit der Christologie Baaders und seiner soteriologische Deutung der Menschwerdung zu tun. Gott wurde nach Baader Mensch, «weil der Mensch diese Unterwerfung und Reintegration der Erde als der Conditio sine qua non der Vollendetheit und Reintegration der gesammten Schöpfung nicht leistete, dessen Werk für und mit ihm selber zu vollführe».21

Baader ist der Überzeugung, dass das Phänomen des Opferns, das er übrigens mit dem des Kultes völlig gleichstellt,22 inhärent mit dem Menschen als einem religiösen Wesen verbunden ist; Opferpraktiken sind «so alt als das Menschengeschlecht»23 und deswegen typisch für den Menschen als solchen. Zudem ist Baader sich darüber bewusst, dass hier sogar ein bestimmter «Anthropomorphismus» im Spiel ist, der sich in vielfältigen religiösen Abbildungen ausdrückt und sich in allen Zeiten und Kulturen manifestiert.24 Wer also nicht einsieht, dass der Kult genauso wesentlich zur condition humaine gehört wie die Kultur, die Moral und die Natur, versteht den Menschen selbst nicht: «Es ist der crasseste Unverstand, zu meinen, das Erdenleben und das ethische Leben des Menschen stehe in keinem solidären Nexus und ebenso die dem Menschen auferlegte Cultur in keinem solchen mit seinem Cultus».25

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F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 410. Vgl. auch ebd., S. 276, wo er bündig sagt, dass der Zweck des Kultus und des Opfers «die Reintegrirung des Verhaltens des Menschen zu Gott ist.» In den Vorlesungen betont er dies immer wieder. In der vierten Vorlesung verdeutlicht Baader, dass er sich auf die Gestalten des Opfers in unserer «Zeitregion» beschränkt, d.h. dass er Spekulationen über die Gestalt des Opfers in der ‚Vorzeit‘ aus seinen Erwägungen ausschließt. Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 304. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 289. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 293. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 276, 286, 296, 302 und 366. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 296. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 403ff. Dieser Anthropomorphismus muss aber in Hinsicht auf das Christentum umgewandelt werden. Vgl. ebd. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 331.

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Die Universalität des Opfers leitet Baader auch aus den ersten Kapiteln des biblischen Buches Genesis ab. Dem Menschen wurde eine gewisse Macht über die Tiere geschenkt «und mit der ersten Familie sehen wir bereits das Opfer im Gebrauche».26 Baader verweist außerdem auf verschiedene Völker, von denen eine Opferpraxis zu seiner Zeit bekannt war, wie z.B. die Römer, die Inder, die Ägypter und natürlich die Hebräer.27 Es ist ihm klar, dass die Feste der letzteren mit dem Jahreskreis und insbesondere mit der Aufeinanderfolge der Jahreszeiten verknüpft waren und dass sie also eine ernstzunehmende kosmische Dimension eröffnen.28 In diesem Kontext muss daran erinnert werden, dass das Band des Menschen mit der Natur von herausragender Wichtigkeit für Baaders religiöse Anthropologie ist.29 Baader ist der Meinung, dass die Opfer der alten Völker eine allgemeine Bedeutung für den Menschen als solchen beinhalten, nämlich einen essentiellen Schritt in der Wiedergutmachung mit Gott, der genau darin besteht, dass der Mensch sich wieder intensiv mit der ihn umgebenden Natur, von der er entfremdet war, vereint. Sie üben also einen bleibenden Einfluss auf den umfassenden, durch die Geschichte hindurch sich realisierenden Prozess der Vereinigung des Menschen mit Gott aus. Genauso deutlich aber ist, «dass das Opfer und der Cultus, welche ursprünglich dem Menschen zu seinem Heile gegeben waren, frühe genug theils so sehr sich vermannigfaltigten, theils ihrem ersten Zwecke nicht entsprechend lange vor der Zeit, die ihnen bestimmt war, in Nullität verfielen, theils endlich zu criminellen Missbräuchen verkehrt werden konnten».30

Wegen dieser inhärenten Möglichkeit von Idolatrie drängte sich also von innen heraus eine Säuberung des Opfers und des Kultes auf.31 Selbstverständlich wird damit auf das Christusmysterium angespielt, dessen Auftrag und Bedeutung Baader in abstrakten Begriffen so umschreibt: «Dieses ist das Gesetz der Derivation und Compensation aller in solidärem Verbande seiender oder in sie getretener Wesen, dass nemlich der Befreier, den Ge26 27

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F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 315. Baader sieht übrigens im jüdischen Volk einen «Repräsentanten und Figur des ganzen Menschengeschlechtes», Israel ist «das contrahirte Bild der gesammten Menschheit (de l’hommegénéral)». F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 349. Im Rahmen dieses Beitrages gehen wir nicht auf die Einzelheiten von Baaders Theorie (z.B. über die verschiedenen Stufen der Entwicklung, die Bedeutung des Lammes und des Rindes als Opfertiere, die Beschneidung u.s.w.) ein. In für sein Denken typischen Worten sagt Baader z.B.: «Das hier gerügte Nichtverständniss der Materie wurzelt übrigens in der Nichterkenntnis des Verbandes des Geistes und der Natur. Da nemlich beide in ihrem Urstand und Bestand in solidum verbunden sind, so kann man weder von einer absoluten Naturlosigkeit des Geistes, noch von einer solchen Geistlosigkeit der Natur, wohl aber von einem normalen und abnormen Verhalten beider sprechen». F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 376. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 327. In der achten und neunten Vorlesung unterscheidet Baader drei Stufen von Idolatrie. Darauf gehen wir hier nicht ein (s. Anm. 28).

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bundenen befreiend, der Nichtversetzte den Versetzten wieder zurecht setzend, seine eigene Freiheit und normale Gesetztheit suspendirt und die Wiederaufhebung dieser Suspension vom Befreiten erwartet».32

Eine solche Dynamik kann aber nur gedacht werden aufgrund eines bestimmten Gottesbildes. Dementsprechend spricht Baader von einer «goldenen Kette von Barmherzigkeit und Licht» und sagt, «dass es die Liebe war, welche den zeitlichen Kreis der Dinge geöffnet und geleitet und welche ihn wieder geschlossen hat».33 Nichts weniger als die göttliche Liebe selbst ist das «primum und ultimum movens aller Opfer».34 Im nächsten Abschnitt ist es deswegen nur konsequent, dass Baaders Gottesbild und das große soteriologische Schema, das der ganzen Geschichte eine Richtung und Sinn einräumt, herausgearbeitet wird.

2.3 Die Stellung von Opfern in der Heilsgeschichte Für ein adäquates Verständnis von Baaders Gottesbild ist es notwendig, auf den Begriff der Offenbarung zu verweisen. Wesentlich steht die Offenbarung für eine grundlegende Differenz Gottes zur Welt und zum Menschen. Nichts was aus der Welt und der Natur oder aus dem Geist und Vernunft des Menschen herauskommt, kann mit der göttlichen Offenbarung identisch sein. Immer hat und behält sie eine ontologische Priorität,35 ohne welche sie nicht mehr transzendent wäre. Allerdings kommt der Offenbarungsbegriff als solcher in Baaders Vorlesungen zur Opfertheorie nicht explizit vor, aber der Gedanke einer notwendigen Anteriorität Gottes, die den Sinn von allem erschließt, ist gewiss gegenwärtig und wird auf das Phänomen des Kultes angewendet.36 Aber nicht nur diese Differenz und ontologische „Vorherigkeit“ ist zu erwähnen. Denn Baaders Gottesbild ist zutiefst nicht von Entfremdung oder Unterschiedenheit gekennzeichnet, sondern vom Streben nach Vereinigung. Diese kulminiert im Begriff der Liebe Gottes, im Gottesbegriff als Liebe. Liebe ist nicht etwas, was Gott zur Verfügung hat und was er nach seinem Belieben 32

33 34 35 36

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 343. In ähnlichen Worten sagt Baader im gleichen Band auf S. 356: «Denn dieses ist das Gesetz der organischen Derivation und Compensation, dass durch dasselbe der Befreier seine eigene Freiheit von der widerstehenden Macht insolange suspendirt, als lange letztere, der hiemit Luft gemacht wird, sich nicht selber, hiemit aber hinwieder ihren Befreier frei macht». F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 345. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 357. Hierzu s. P. Koslowski, Philosophien der Offenbarung (Anm. 13) und J. Geldhof, Revelation, Reason and Reality (Anm. 11). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 298: «Da nemlich alles, was nur einen Namen unter den Menschen erhalten soll, sich ihm selber offenbaren oder ihm geoffenbart werden musste, so muss dasselbe für den Cultus oder für die allgemein unter allen Menschen aller Zeiten eingeführten religiösen Gebräuche gelten».

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verbreiten kann, sondern Liebe ist das, was er ist.37 Dass und wie Baader dieses Verständnis des Wesens Gottes auf das Phänomen des Opferns bezieht, ist vielbedeutend. Die Liebe Gottes ist die Kraft, durch welche die ganze Wirklichkeit transformiert werden kann und soll.38 Sie und nichts anderes ist es, was den Opferpraktiken ihren Sinn gibt. «Es ist die zwar vom lebendigen Begriffe Gottes untrennbare Barmherzigkeit und Liebe desselben, welche der Opfernde sich gleichsam zuzuleiten d.i. jene Hindernisse wegzuräumen bestrebt ist, welche diese Zuleitung und diesen Descensus für ihn hemmten».39

Deshalb besteht die Wahrhaftigkeit des Opfers letztendlich in seiner Vereinbarkeit mit der Liebe Gottes. Und letztere ist so radikal, dass sie sich nicht mit irgendwelcher Feindschaft versöhnen lässt. «Nur Jener, welcher der göttlichen Impassivität und Imperturbabilität in dem Maasse theilhaftig geworden, dass er seinen Feind liebt, – versteht, dass und wie Gott von keinem Feind und keiner Feindschaft weiss, weil kein auf sein Liebesherz abgeschossener Pfeil die feurige Wagenburg um letzteres durchdringen kann».40

Jede Assoziation des Opfers mit Aggressivität, Gewalt und Zerstörung wird also ausgeschlossen. Wichtiger aber ist, dass die Liebe Gottes in den tiefsten Schichten der menschlichen Seinsweise wirkt und von da aus, immer präsent und operativ, zur endgültigen Vereinigung beiträgt. «Da nun alles Leib- und Lebhaftsein der Glieder vom Haupte ausgeht, so kann das Gottesbild in jedem einzelnen Menschen nur in seiner Dependenz vom Haupte, somit in einer effectiven Präsenz des letzteren im ersteren als solches subsistiren, und diese Effectivität seiner Präsenz muss also sein irdisch Gestorbensein wie dieses jene beweisen».41

Mit diesen Worten wird implizit auf das Christusereignis verwiesen. Christus spielt also eine absolut zentrale Rolle im großen Drama der Heilsgeschichte, das Baaders Denken von Grund auf charakterisiert.42 Durch den Fall geriet der Mensch, «einem verbrecherischen Könige vergleichbar»,43 in eine von Gott entfremdete Position, die von einem tiefen Elend durchzogen ist und aus der er sich nicht mehr selber befreien kann.44 Nur eine von Gott initiierte Rettungsinitiative kann die Reintegration des Menschen und durch ihn die der ganzen 37 38 39 40 41 42 43 44

Am Rande sei vermerkt, dass einige Ideen aus Benedikts XVI. Enzyklika Deus caritas est (2005) Baaders Intuitionen sehr ähnlich sind. Vgl. R.J. Betanzos, Franz von Baader’s Philosophy of Love (Anm. 12). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 333. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 283. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 365. J. Geldhof, Revelation, Reason and Reality (Anm. 11), S. 135-142. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 300. Dieser Gedanke ist dominant anwesend in den Vorlesungen über eine künftige Theorie des Opfers und des Cultus. Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 279 (der Fall erscheint auf der ersten Seite der ersten Vorlesung) und S. 286, 289f., 350, 405.

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Schöpfung, die mit ihm „solidarisch“ verbunden ist,45 bewerkstelligen. Christus hat genau das vollzogen: als Sohn des Vaters hat er die schon in der Geschichte und der Natur anwesende Tendenz zur Wiedervereinigung mit Gott besiegelt und die Möglichkeit geschaffen, wieder völlig mit ihm versöhnt zu werden. «[D]ie Freiheit eines an die Sünde bereits gebundenen und ihr verfallenen Menschen [ist] eben nur durch eine solche Assistenz eines absolut sündefreien und darum allein von ihr befreienden Wesens denkbar».46

Mehr als das Leben eines einfachen Menschen ist also das Christusereignis ein allumfassendes Mysterium. Es umfasst die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, und tut es dies in jeder Zeit. «Diese drei Momente (des auf Erden dagewesenen, des unsichtbar daseienden und des als Weltrichter wiederkommenden Christus) hat der Theolog in concreto zu fassen, denn, wer einen dieser Momente leugnet, leugnet sie alle drei, und wer einen beweiset, hat sie alle drei bewiesen».47

Christus ist es also, der durch sein Opfer alle Menschen wieder mit sich selbst und mit Gott effektiv einigt. Mit einer deutlich eucharistischen Metapher drückt Baader das so aus: «Kein Mensch vermochte mehr, wie man sagt, mit dem anderen sein Herz oder sein nicht mehr flüssiges geistiges Herzblut zu theilen und es bedurfte des Eintrittes eines so mächtigen Solvens, um die wahre Blutsverwandtschaft zwischen allen Menschen wieder effectiv geltend zu machen und um die gemeinsame Circulation wieder herzustellen».48

Nun ist das Opfer Christi nicht nur einmalig und endgültig, sondern auch, genau indem es ein Opfer ist, gekennzeichnet durch die dreifache Struktur der Zeit. Baader behauptet nämlich, dass schon die ältesten Opfer der Menschheit die Absicht hatten, die Menschen in ihrer Gegenwart zugleich mit ihrer Vergangenheit und Zukunft in Verbindung zu setzen. «Diese primaire Epoche [der Sühneopfer durch das Schlachten eines Lammes, J.G.] bot aber drei bei allen späteren Epochen wiederkehrenden Charaktere dar, indem sie zugleich erinnernd (commemorativ) an das Gerufensein des gefallenen Menschen zum Erdenleben, vergegenwärtigend (actuell) das Berufensein des Volkes zum Geistleben und prophetisch hindeutend auf die künftige vollendete Wiedergeburt in Gottes Gesetz war».49 45 46 47 48 49

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 285. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 367. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 306. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 362. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 318. Der Text geht weiter: «Denn der Mensch erlangt seine vollständige Reunion mit Gott nur damit, dass er in allen dreien Regionen mit Ihm zugleich verbunden, von allem in diesen drei Regionen ihn von Gott entfernt Haltenden entbunden, d.h. von seiner dreifachen Versetztheit gegen Gott in seine dreifache normale Gesetztheit restituirt wird.»

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Diese unverkennbare Betonung der anamnésis ist im Hinblick auf Baaders Theologie der Eucharistie hervorzuheben, denn sie bedeutet, dass die Eucharistie selbst – in einem starken Sinn – teil hat am Christusereignis, also verschiedene Bedeutungsebenen in sich enthält. In der Eucharistie, im Christusmysterium wird fortgesetzt, worum es schon im Alten Testament ging. So sind z.B. Weihnachten, Ostern und Pfingsten durch Christus mit der Geschichte Israels, ja mit der ganzen Schöpfung verbunden.50 Die Zeit selbst kann Träger werden, und ist für Baader ein objektiver und effektiver Träger des Christusmysteriums.51 In diesem Kontext ist es von Bedeutung, dass Baader den alttestamentlichen Propheten eine konstitutive und kontinuierliche Rolle in der auf Christus hinführenden Heilsgeschichte zuschreibt. In gewissem Sinn wurde die schroffe Materialität der Tieropfer einer früheren Entwicklungsphase auf eine höhere Ebene gehoben. Die Propheten markieren den Übergang zu einer Spiritualisierung des Opfers, dessen Blutlosigkeit wesentlich ist für den christlichen Gottesdienst. «Zugleich wirkte aber das Blut der Propheten auch heilsamer als jenes der levitischen Opfer auf das Volk, denn wie das Blut der reinen Thiere die Region des Geistes öffnete, so konnte der durch das Blut und Wort der Propheten naturfrei, nicht naturlos gewordene Geist dem Volke die Pforte der göttlichen Region öffnen».52

Die Öffnung dieser «höheren (immateriellen) Region» ist «der Zweck des Opfers.»53 Für Baader ist es wichtig, dass es hier nicht um einen radikalen Bruch oder eine Umkehr geht. Im Gegenteil, er spricht über eine «innere wachsthümliche Continuität des alten und neuen Bundes» und präzisiert, dass «das letzte Blutopfer auf Golgotha dieser Weise des Cultus und Opfers [i.e. der Epoche der Propheten] ein Ende machte, […] zwar nicht durch eine revolutionistische Abolition des Gesetzes, sondern durch eine evolutionistische Erfüllung desselben».54 50

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53 54

Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 323: «Von der Richtigkeit der hier gegebenen Deutung der drei religiösen Hauptfeste des alten Bundes und ihres Verbandes sowohl mit der Geschichte des Geistmenschen im Grossen wie im Einzelnen überzeugt man sich übrigens erst vollständig, wenn man die Einsicht gewonnen hat, dass und wie dieselbe in den drei Hauptfesten des neuen Bundes (im Weihnachtsfeste, im Osterfeste und Pfingstfeste) nur in einer höheren Bedeutung wiederkehren.» Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 324: «Man versteht die Zeit als Evolution und Revolution nicht, wenn man nicht einsieht, dass in ihr jeder einzelne Moment oder Abschnitt zugleich actual, commemorativ und prophetisch oder figürlich für ein künftiges Geschehenwerden ist.» F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 358. Und auch ebd.: «Das vergossene Blut der Propheten ward nun […] jene Basis, auf welcher der Geist zugleich schrecklicher und heilsamer als jener des Thierblutes wirkte.» F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 381. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 297. In dieser Sprache spürt man freilich die klassische theologische Position, dass das blutige Opfer Christi am Kreuz alle früheren (und späteren) Schlachtopfer aufhebt.

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Wenn dies alles aber so ist – dass Gott Liebe ist, dass er darum den gefallenen Menschen die Möglichkeit der Reintegration in die göttliche Sphäre anbietet, dass dieser Prozess in verschiedenen Stufen die ganze Heilsgeschichte bestimmt, und dass schließlich diese Überlegungen den Sinn des Opfers ausmachen –, dann ist noch gar nicht erklärt, wie ein konkreter Mensch sich wirklich zu diesem umfassenden Schema verhält. Baader ist sich dessen bewusst, weswegen er sich veranlasst sieht, an mehreren Stellen den Begriff der Partizipation, der Teilnahme zu thematisieren. Die Opfer der Heilsgeschichte und insbesondere das Opfer Christi zielen auf «eine Wesensunion», ein «Theilhaftwerden (nicht Theilwerden) seiner Natur und seines Wesens mit dem göttlichen Wesen».55 «D.h. wir treten in die eine permanente Oblation ein und machen uns ihrer theilhaft, wie wir, in die eine permanente Consecration eintretend, dieser theilhaft werden».56 Wichtig ist, dass Baader dieses Teilhaftwerden auch körperlich verankert sieht. Darin liegt die Bedeutung der mehr als metaphorischen Bedeutung des Aktes des Essens. Durch das buchstäbliche Einnehmen von Nahrung wird eine Lebensenergie schöpfende Einigung des Essenden mit dem Essen verwirklicht.57 Wie Nahrung im Körper aufgenommen wird, so muss auch das Wort Gottes in der konkreten Daseinsweise des Menschen absorbiert werden. Baader zufolge wird das erhabenste Beispiel dieser „centralen Alimentation“ von Christus selber „Seine himmlische Speise“ genannt, «welche darin bestände, dass Er seines Vaters als Senders Willen thue».58

2.4 Die Anwendbarkeit des Opferbegriffs auf die Eucharistie Eine weitere Frage ist, wie Baaders Gedanken um Opfer, die Heilsgeschichte und die Liebe Gottes sich auf die Eucharistie beziehen. Der Kern dessen, was er darüber zu sagen hat, ist in der sechzehnten und siebzehnten seiner Vorlesungen zu lesen und er kommt ganz am Ende der neunzehnten (und letzten) Vorlesung noch einmal darauf zurück. Baader betont die Wirksamkeit, Reichweite und Effektivität des Opfers Christi, die sich anders in die historische Wirklichkeit hineingestellt hat als frühere Opfer. «Als aber endlich die grosse Heilsepoche eingetreten war, so trat auch, wie wir vernahmen, der wahrhafte Geist des Opfers in seiner Totalität ein, welcher sich 55 56

57

58

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 368. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 395 (Kursivschrift im Original). Auch diese Sprache verrät Elemente der klassischen Eucharistietheologie (nämlich eine Verbindung von oblatio und immolatio). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 370 und 382. Vgl. auch, wenn klarer auf die eucharistischen Gaben und den Leib Christi angewendet, das Bild der Anthropophagie (ebd., S. 392). Für eine Besprechung von dieser Gedankenlinie vgl. meinen Aufsatz „Baader sur l’eucharistie“ (Anm. 5), S. 123-125. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 391.

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nicht wie früher auf das Heil eines einzelnen Volkes beschränkte, nicht wie im Prophetenalter bloss lehrte und drohte, sondern welches sich als ein die ganze Menschheit als eine Familie umfassendes und ergreifendes operirendes Gesetz erwies».59

Durch Jesus den Christus sind alle Menschen also Brüder und Schwestern geworden und stehen in einem ganz anderen Verhältnis zu Gott und zueinander als zuvor. Sie treten «in das Gesetz des Erlösers […], seinen Nächsten wie sich d.i. in Gott zu lieben,» wobei Baader hinzufügt, dass lediglich dieses Gesetz «der Schlüssel zum grossen Werke des Christs»60 ist. Letztendlich geht es also um die Realisierung, um die Wiederherstellung eines Liebesbundes, der von Christus gestiftet worden ist. «Christus spricht öfter von seinem Bewegtsein zum Mitleid im innersten (z.B. Matth. 15, 32) und der Primus motor ist hier eben der im Innersten Seiende, also der Lebendigste, nemlich Gott als Liebe. Da der Mensch durch den Fall stumm geworden ist d.h. die Redekraft und Ansprache zu dieser centralen Liebe verlor, so musste und konnte freilich nur durch die Incarnation ihm wieder die Zunge gelöst und das Vermögen (der Geist) wiedergegeben werden, zum Vater wieder zu rufen, hiemit aber jene in seiner Effectivität gehemmte, höchste, centrale Sympathie zwischen Gott und den Menschen wieder sich effectiv zu machen».61

Man könnte also sagen, dass die Eucharistie, insofern sie an dieser Wirklichkeit teilhat und für konkrete Menschen sogar konstituiert, die höchste Form von Lobpreis darstellt. Diese doxologische Deutung dessen, was in der Eucharistie geschieht, könnte von Baaders Bekanntschaft mit dem orientalischen Christentum und der byzantinischen Tradition insbesondere beeinflusst sein. Die Textstellen sind aber zu wenig aussagekräftig, um dies als eine sichere Schlussfolgerung ziehen zu können. Weiter ist auch noch hervorzuheben, dass Baader nicht nur eine doxologische Dimension in seinen Gedanken über Eucharistie und Opfer einwebt, sonder auch eine anamnetische. Hier erscheint wieder die dreifache Figur von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die auch schon in der Deutung der alttestamentlichen Opfer auftauchte. «Wenn, wie die Schrift lehre, die Eucharistie den Zweck hat, den Tod und die Auferstehung des Christs der Gemeinde zu verkünden, und dieses Sacrament somit ab origine ein sociales ist, so ist doch auch dieses Opfer wie jedes andere erinnernd (commemorativ), actuell (vergegenwärtigend) und vorbedeutend zugleich».62

Und so «muss man die Eucharistie als jenes Institut betrachten, mittelst dessen die Menschen sich innerlich wie äusserlich, seelisch wie leiblich, als Glieder desselben 59 60 61 62

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 415. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 415. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 334. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 388.

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Leibes in, durch und mit ihrem gemeinschaflichten Haupte organisch verbinden, und somit wahrhaft associiren».63

3. Die Fruchtbarkeit von Baaders Einsichten zum Opfercharakter der Eucharistie Ist nun Baader im Lichte dessen, was wir über seine Opfertheorie und sein Eucharistieverständnis vernommen haben, ein typischer Vertreter der nachtridentinischen Theologie, so wie Gerken und Kilmartin ihn charakterisiert haben? Einerseits ist klar, dass in Baaders Sprache und Denken Elemente vorkommen, die dieser Ideenkonstellation entnommen sind. Die Gedanken, dass der Kreuzestod Christi das letzte blutige Opfer einer ganzen Reihe darstellte und letztere auch ersetzte, dass ein sündenfreies Wesen geopfert werden musste, damit der sündige Mensch von seinen Sünden befreit werden konnte (Anselm), und dass die Kommunion als Vernichtung der Opfergabe zu verstehen ist (Bellarmin), sind alle in seinen Überlegungen enthalten.64 Andererseits ist Baaders assoziatives Denken viel reicher und kann keineswegs auf diese Aussagen verengt werden. In diesem Sinn nimmt es gewiss Schwerpunkte vorweg, die erst im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts und vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil Gemeingut geworden sind. Zum Schluss dieses Beitrages möchte ich also kurz die These ausarbeiten, dass Baader in der heutigen Eucharistietheologie eine relevante Stimme sein könnte. Das tue ich durch den Hinweis auf einige Ähnlichkeiten und das Aufzeigen einiger Punkte, die ein Baaderischer Blickwinkel an heutige Debatten anschließen könnte. In seinem Aufsatz als Antwort auf die Frage «Ist die Eucharistie ein Opfer?,» der ursprünglich aus dem Jahr 1967, also von der Periode unmittelbar nach dem Konzil, datiert ist, sagt Joseph Ratzinger: «In dem wahrhaft sich selbst in die Waagschale werfenden Menschen Jesus ist der Sinn des Kultes erfüllt und so zugleich der bisherige Kult abgetan: Er selbst ist der Kult und in diesem Verständnis das Abendmahl ein Opfer, das wir danksagend empfangen, das in unserem Gedanken wahrhaft in unsere Mitte tritt».65

Über die zentrale Rolle Christi in der Heilsgeschichte, die Betonung seiner Hingabe statt irgendeiner Genugtuung und die reale An- und Einschließung der Menschheit durch die Eucharistie stimmen die beiden bayerischen Autoren überein. Schwieriger ist es zu bestimmen, wo Baader seinen Platz finden würde in der Diskussion, die Michon Matthiesen kürzlich mit Robert Daly angestoßen 63 64 65

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 389. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 7, S. 297, 367, 381 und 383. J. Ratzinger, „Ist die Eucharistie ein Opfer?“, in: Ders., Theologie der Liturgie. Die sakramentale Begründung christlicher Existenz, in: Gesammelte Schriften, hrsg. v. G.L. Müller, Bd. 11, Freiburg/Basel/Wien 32010, S. 259-270, hier S. 268.

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hat. Daly beansprucht ein (einzig) wahres Verständnis des christlichen Opferbegriffes und pfropft es sozusagen der Trinität auf. Seiner Meinung nach ist das christliche Opferverständnis radikal von anthropologischen oder religionshistorischen Deutungen unterschieden (und zu unterscheiden). Sein Paradigma enthält nicht die Bereitschaft, irgendetwas aufzugeben zwecks etwas Wichtigeren und schon gar nicht den Sündenbockmechanismus,66 wie spiritualisiert auch immer, sondern fokussiert nur die wechselseitige Liebe des Vaters und des Sohnes sowie die Aufnahme der Welt und der Kirche in die intratrinitarische Liebe.67 In ihrer Studie über Maurice de la Taille hat Matthiesen Dalys Theorie kritisiert, sie schaue zu sehr über das „wirkliche“ Opfer hinweg und neige so zu sehr zu einer Spiritualisierung.68 Obwohl ich nicht denke, dass Matthiesen hier der Komplexität und Originalität von Daly gerecht wird,69 gibt es hier tatsächlich ein Problem. Dieses Problem könnte mit einem Bezug zu Baader wenigstens teilweise gelöst werden. Es hat nämlich mit der dem Eucharistieverständnis zugrunde liegenden Metaphysik zu tun. Weder für Daly noch für Matthiesen ist es einfach und selbstverständlich, im Opfer mehr als eine Metapher zu sehen.70 Trotzdem ist eine „wirkliche“ Teilnahme an der Eucharistie und an dem, worum es in der Eucharistie geht, nicht nur eine Konsequenz ihrer Theorien, sondern deren Voraussetzung. Zweifelsohne ist die Wiederentdeckung und Wiederbegründung solcher christlichen Überzeugungen in einer kohärenten Metaphysik eine der größten Herausforderungen für die heutige Theologie. Hier könnte Baader ein Lehrer 66

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Bekanntlich ist die Ersetzung dieses Mechanismus durch das Christusereignis ein wichtiger Bestandteil der Theorie des französischen Anthropologen und Literaturkritikers René Girard. Für die theologische Konstruktion Dalys ist Girard übrigens eine wichtige Quelle. Siehe in diesem Kontext auch den rezenten Essay von A. Angenendt, Die Revolution des geistigen Opfers. Blut – Sündenbock – Eucharistie. Freiburg/Basel/Wien 2011. R.J. Daly, Sacrifice Unveiled. The True Meaning of Christian Sacrifice, London/New York 2009. Daly beruft sich für die Ausarbeitung seiner Theorie auf ein auffälliges Zitat von Kilmartin: «[S]acrifice is not, in the first place, an activity of human beings directed to God and, in the second place, something that reaches its goal in the response of divine acceptance and bestowal of divine blessing on the cultic community. Rather, sacrifice in the New Testament understanding – and thus in its Christian understanding – is, in the first place, the selfoffering of the Father in the gift of his Son, and in the second place the unique response of the Son in his humanity to the Father, and in the third place, the self-offering of believers in union with Christ by which they share in his covenant relation with the Father». E.J. Kilmartin, The Eucharist in the West (Anm. 6), S. 381-382; R.J. Daly, ebd., S. 229 und 7f. M.M. Matthiesen, Sacrifice as Gift. Eucharist, Grace, and Contemplative Prayer in Maurice de la Taille, Washington 2013, S. 19: «In sum, Daly’s insistence, first, on the spiritualization of sacrifice as ethical activity, and second, on the re-scoping of ‘sacrifice’ as a Trinitarianbased dynamic of self-offering, effectively dismisses the ritual-sacrificial context of the Eucharist.» Für eine kritische Auseinandersetzung mit Daly vgl. meinen Beitrag: „The Eucharist and the Logic of Christian Sacrifice“, in: Worship, 87, 2013, S. 293-308. Für eine tiefsinnige Interpretation des Opfers als Metapher, vgl. D.N. Power, „Words That Crack: The Uses of ‘Sacrifice’ in Eucharistic Discourse“, in: R.K. Seasoltz (ed.), Living Bread, Saving Cup. Readings on the Eucharist, Collegeville 1987, S. 157-175.

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sein, dessen Konzeption nicht unvermittelt zu übernehmen ist, aber doch einige Hinweise für eine künftige Theorie und Praxis enthält.

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Baaders Konzept von Christlicher Philosophie. Aktualität und Grenzen

Betrachtet man zunächst eine mit Blick auf Baader zeitgenössische Einschätzung des Terminus „Christliche Philosophie“ durch den eher unbekannten Trierer Theologen und Philosophen Franz Xaver Biunde – bevor man sich Baaders eigenem Konzept zuwendet –, dann fällt in diesem Kontext sofort auf, dass der zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchaus gebräuchliche und verbreitete Begriff der christlichen Philosophie keineswegs unumstritten war. Als Philosoph und eben auch als Theologe unterzieht Biunde besonders unter Bezugnahme auf Franz Xaver von Baader diesen Terminus in der „Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie“ als einem der bekannten publizistischen Organe der Zeit einer kritischen Reflexion.1 Die Absicht von Biunde besteht darin, den Terminus „Christliche Philosophie“ als ein hölzernes Eisen zu entlarven, der «an sich» «ein Unding» bezeichnet. Die Fehlerhaftigkeit des sprachlichen Ausdrucks ist dabei für den genannten Kritiker eine doppelte. Einmal im Blick auf die Theologie und einmal im Blick auf den «Zunamen» «christliche» Philosophie: Während es die Theologie nicht ohne «Zunamen» oder Attribut geben kann, insofern sie als rationale oder positive sich auf eine Voraussetzung als Inhalt (in der genannten Form die Vernunft oder eine bestimmte Religion) bezieht, ist dies für die Philosophie seiner Auffassung nach nicht möglich. Denn von christlicher Philosophie zu sprechen, setzt nach der Auffassung Biundes voraus, dass entweder das Subjekt, das philosophiert, oder der Inhalt des Philosophierens mit dem Christentum verbunden ist. Aber weder eine Philosophie, die unter Christen kursiert, noch eine Philosophie, die sich im Christentum bloß findet, können den Anspruch einer wirklich „christlichen Philosophie“ im emphatischen Sinn erfüllen. Eine Philosophie, die von Christen geteilt wird, ist nämlich noch nicht zwangsläufig christlichen Inhalts und eine Philosophie, die im Christentum niedergelegt ist, ist ein Widerspruch für den Inhalt selbst, weil es hier doch um Lehren göttlichen, d.h. übernatürlichen Ur1

Der Anlass für Franz Xaver Biundes Überlegungen unter dem Titel „Gibt es eine christliche Philosophie? Eine philosophische Andeutung“ in der Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie (8. Heft, 1833, S. 1-13) ist eine Reflexion, in der es ausgehend von dem Titel der Zeitschrift darum geht, das Zueinander von Philosophie und Theologie näher zu bestimmen.

BAADERS KONZEPT VON CHRISTLICHER PHILOSOPHIE

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sprungs und Inhalts geht und nicht um Lehren aus der Vernunft, durch die die Philosophie nach der Meinung des Autors ausgezeichnet ist. Lässt sich damit nach Biunde keine Philosophie konstruieren, die den Inhalt des Christentums zum Gegenstand hat, so bleibt für das Verständnis des Terminus „christliche Philosophie“ nur eine einzige Möglichkeit übrig, die der Kritiker Baader und seinem Verständnis von christlicher Philosophie zuschreibt: Es geht dabei nicht unmittelbar um christliche Inhalte in der Philosophie, sondern um das Philosophieren von einem christlichen Standpunkt her. Es wird dabei nach dieser Positionsbeschreibung entweder der Inbegriff des Christlichen und weniger ein einzelner Inhalt zum Objekt der Philosophie gemacht, oder es wird das christliche Lehrsystem a priori philosophisch erweitert. Während der erste Fall die Bedeutung des Begriffs „Philosophie des Christentums“ umschreibt, scheint die Philosophie im zweiten Fall über das Christentum hinausgehen zu wollen. Zu beiden und damit auch zu Franz von Baader bemerkt der Kritiker nur lakonisch: Die Philosophie, die das Christentum zu ihrem Objekt macht, steht selbst auf rein rationalem Boden und ist damit nicht originär christlich. Aus diesem Grund kann auch keine Lehre erzeugt werden, die „über“ das Christentum hinausgeht, weil dessen Lehre übernatürlich und nicht begreiflich ist, so dass es auch kein zusätzliches „Lehrsystem“ zum Christlichen durch die Philosophie geben kann. Ist für Biunde die Quelle des Christentums daher die Offenbarung und ihr Inhalt entsprechend dem Begriff der Theologie eine „Gottes-Lehre“, so ist damit zugleich der Grund der Kritik einer christlichen Philosophie bzw. einer Philosophie des Christentums benannt. Vor diesem Hintergrund kann dann auch keine Brücke zwischen der Philosophie und dem Christentum geschlagen werden. Es kann also aufgrund der „Quellenlage“ und des Inhalts des Christlichen noch nicht einmal philosophisch erschlossen werden, dass die Philosophie dem Christentum nicht widerspricht. Auch in diesem zweiten Punkt geht Baader nach der Auffassung des genannten Kritikers also in die Irre. Die Behauptung der Kompatibilität des Christentums und der Philosophie zur Vermeidung eines Widerspruchs zwischen beiden beruht selbst nämlich auf einer unausgewiesenen und problematischen Voraussetzung: Entweder modelliert man die Philosophie nach den Lehren des Christentums, um einen Widerspruch zu vermeiden, oder man philosophiert a priori, um ohne „Einfluss des Christentums“ Resultate zu produzieren, die dem Christentum nicht widerstreiten. Im ersten Fall ist aber der Unterschied zwischen der Philosophie und dem Christentum verschwunden, so dass beide nicht mehr als voneinander unterschiedene Reflexionen ein- und desselben Inhalts begriffen werden können. Im zweiten Fall – in einer ursprünglich apriorischen philosophischen Reflexion – ist das originär Christliche durch das Absehen von ihm nicht zum Thema zu machen bzw. zumindest nachträglich mit ihm in Beziehung zu setzen, um ihre Vereinbarkeit aufzuweisen. Wie von einer autonomen Philosophie zum Christentum mit seiner Quelle und seinem Inhalt jedoch eine Brücke geschlagen werden soll, ist für den Autor gerade nicht einsichtig. Aus diesem Grund

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ist auch die Forderung, dass die Philosophie dem Christentum nicht widerstreiten dürfe, eine Forderung, die weder von der Seite des Christentums noch von der Seite der Philosophie einzulösen ist. Die Unterschiedlichkeit der Quellen des Christentums und der Philosophie und die Eigenart des christlichen Inhalts legen also nahe, dass weder von einer christlichen Philosophie noch von einer Philosophie des Christentums gesprochen werden kann, die das Christentum, wenn schon nicht befördert, ihm dann aber wenigstens nicht widerspricht. Damit wird Biunde aber zu einem Kritiker eines philosophisch erschlossenen bzw. erschließbaren Christentums, das mit der Philosophie nichts gemein hat, deren Nichtwidersprüchlichkeit mit dem Christentum aufgrund von dessen Quellen und dessen Inhalt aber auch nicht erwiesen werden kann. Mit dieser pointierten Absetzung von Philosophie und Christentum ist aber zugleich auch die Umschreibung der Bedingungen verbunden, die eine christliche Philosophie, wenn sie diesen Namen verdienen soll, erfüllen muss: Von einer christlichen Philosophie ist also erstens zu erwarten, dass sie den einen Inhalt des Christlichen trotz oder gerade in seiner göttlichen Quelle und seinem übernatürlichen Inhalt der philosophischen Vernunft zugänglich macht, so dass in „zwei Formen“ ein Inhalt präsentiert wird. Mit dieser Forderung als Bedingung geht zweitens einher, dass genau dadurch gezeigt werden kann, dass der philosophisch begriffene Inhalt dem Inhalt des Christentums nicht widerspricht. Nachdem damit das Profil einer christlichen Philosophie durch die Benennung von zwei Bedingungen freigelegt ist, wird es nun darum gehen, Baaders Konzept als aktuelle Antwort und exemplarisches Beispiel vor dem Hintergrund der geschilderten Bedingungen zunächst darzustellen. Daran schließt sich – wie im Titel schon angedeutet – eine kritische Reflexion auf die Grenzen dieses Vorhabens Franz von Baaders an.

1. Baaders Konzept einer christlichen Philosophie als aktuelle Antwort auf der Basis der geschilderten zwei Bedingungen Geht man zur Beschreibung der Baaderschen Intention einer ‚christlichen Philosophie‘ zunächst von seinem Philosophiebegriff aus, bei dem die Philosophie von ihrem Begriff her als Liebe zur Weisheit gekennzeichnet ist, dann gilt der Sache nach, dass die Individuen «die Anerkennung der objectiven Existenz einer (bereits fertigen) Weisheit (d.i. eines Weisen und Weisenden) so wie der Nothwendigkeit der Subjection des Menschen unter eine solche Weisheit und des Sichweisenlassens von ihr»2 für die Philosophie unterstellen. 2

F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 1, S. 169. Eine gute und affirmative Einführung in das Denken Franz von Baaders gibt u.a. P. Koslowski, „Franz Xaver von Baader – personalistische Theorie der

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Die Philosophie setzt also für Baader ihrem Begriff nach eine Weisheit voraus, die der Mensch nicht aus sich produziert, sondern die er als Weisheit vorfindet und in die sich der Mensch eben durch die Philosophie einführen lässt. Unter dieser Bedingung als Definition aus ihrem Begriff muss sich der Mensch deshalb auch mit Notwendigkeit unter die Philosophie stellen, wenn er selbst „weise“ oder Philosoph sein will, da diese Weisheit eben nicht sein Produkt, sondern eine Vorgabe für ihn ist. In diesem Sinn gilt dann für den Menschen im Angesicht der Philosophie, dass der Mensch «nichts schlechthin hervor[bringt], sondern er nur ein schon Vorhandenes fort[setzt]. Sein Denken ist Nachdenken, sein Thun Auswirken einer Gabe, die er nur in Unterwerfung unter den Geber, diesen also anerkennend, erkenntlich, empfängt. Denken ist nicht ein undankbares Nehmen oder Aufheben der Speise. Wahre Philosophie ist demnach religiöse Philosophie, und irreligiöse Philosophie ist unwahre, falsche, lügenhafte Philosophie».3 Mit diesem Verständnis von Philosophie auf der Basis ihres Begriffs scheint Baader aber schon hinsichtlich der ersten der genannten Bedingungen für das produktive Zueinander von Philosophie und Christentum zu scheitern: Wenn der Mensch die Weisheit als Inhalt von der Philosophie anzunehmen hat, also diese nicht selbst produziert, ist der Inhalt des Wissens offensichtlich nicht aus der Vernunft des Menschen entsprungen, sondern als vorausgesetzter Inhalt gesetzt. Erst dadurch kann der beschriebene Inhalt für Baader auch mit einem religiösen identifiziert werden, insofern der Empfang des Inhalts als Gabe einen Geber voraussetzt, der in der Theologie Gott genannt wird. Damit scheint die philosophische Seite der Erschließung eines Inhalts im Rahmen der ersten genannten Bedingung aber schon von Baader negiert zu werden, weil der Inhalt nicht selbst aus und mit der Vernunft entwickelt wird. Wenn dann darüber hinaus nicht explizit klar wird, in welcher Beziehung die vorgefundene und anzueignende philosophische Weisheit im Blick auf den göttlichen Inhalt und speziell das Christentum steht, dann scheint auch die zweite Seite der ersten Bedingung nicht erfüllt zu sein. Mit diesem Verständnis von Philosophie wird also einerseits nicht deutlich, wie die philosophische Vernunft sich zum Christentum verhält, andererseits bleibt genauso unaufgeklärt, ob es sich bei der vorausgesetzten Weisheit der Philosophie überhaupt um einen religiösen bzw. genauer christlichen Inhalt handelt. Kann nicht festgestellt werden, in welcher Beziehung der vorgefundene Inhalt zum Christentum steht, dann kann

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Gesamtwirklichkeit und Dekonstruktion der Systemphilosophie des Deutschen Idealismus“, in: M. Knapp, T. Kobusch (Hrsg.), Querdenker. Visionäre und Außenseiter in Philosophie und Theologie, Darmstadt 2005, S. 199-211. Zur aktuellen Debatte vgl. man G. Kruck, „Christian Hermann Weiße und Franz von Baader. Zur Begründung einer christlichen Philosophie“, in: P. Koslowski (Hrsg.), Die Philosophie, Theologie und Gnosis Franz von Baaders. Spekulatives Denken zwischen Aufklärung, Restauration und Romantik, Wien 1993, S. 111127. F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 169f.

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auch nicht – als Einlösung der zweiten Bedingung – die Widerspruchsfreiheit von Philosophie und Christentum nachgewiesen werden. Dass dieser Inhalt als philosophische Weisheit, als religiöse Philosophie im Unterschied zur irreligiösen Philosophie, von Baader ausgegeben wird, ist denn auch nicht mehr als eine unbewiesene Behauptung, die mit dem vorgestellten Inhalt einfach unmittelbar verbunden wird, ohne sie explizit – an dieser Stelle zugegebenermaßen – auszuweisen. Scheitert Baader also schon an seinem Verständnis von Philosophie, was die herausgearbeiteten Bedingungen für eine christliche Philosophie angeht, bevor er überhaupt zum Christentum im Sinne seines philosophischen Bedenkens dieser Religion schreiten kann? Die erste Aufgabe angesichts der formulierten Bedingungen besteht also darin, Baaders Konzept als Konzept einer autonomen Vernunft auszuweisen. Erst dann kann der explizit religiöse Bezug dieses Konzeptes und seine besondere christliche Bedeutsamkeit erläutert werden. Nur durch eine solche Vorgehensweise lassen sich die geschilderten Bedenken ausräumen und Baaders Entwurf als Konzept einer christlichen Philosophie begreifen. Wie gelangt man nun aber konkret von dem bereits aufgeführten philosophischen Ausgangspunkt Baaders, «dass nur das Autorität für den Menschen hat, was nicht sein Selbstgemächte ist»4, zu dem Standpunkt, dass nur das als vernünftig und damit als Philosophie ausgegeben werden kann, was gerade „ein Selbstgemächte der Vernunft“ ist? Ein Indiz in dieser Hinsicht liefert Baaders Charakteristik der bereits erwähnten irreligiösen Philosophie, die er gerade wegen dieses näher zu erläuternden Wesenszuges ablehnt: Entscheidend für Baader ist, «dass die irreligiöse Philosophie, wie der irreligiöse Liberalismus unserer Zeit z.B. gleich Anfangs den entgegengesetzten Weg von der religiösen einschlägt, indem sie mit einer falschen Unabhängigkeit und Freiheit beginnt und mit einer schlechten Unterwürfigkeit endet, wogegen letztere von einer legitimen Unterwürfigkeit und Abhängigkeit zu einer wahren Freiheit führt».5

Nach Baader ist der Gegensatz von irreligiöser und religiöser Philosophie offensichtlich darin begründet, dass beide in unterschiedlicher Richtung sowohl erkenntnistheoretisch als auch ontologisch verfahren: Während die irreligiöse Philosophie von der Freiheit des Menschen als Prinzip ausgeht und das aus ihr resultierende – aus Freiheit produzierte – Seiende erkenntnistheoretisch und ontologisch erschließt, geht die religiöse Philosophie offenbar vom selbständigen Seienden aus und leitet daraus die wahre Freiheit des Menschen ab. Was Baader im ersten Fall am Ende als Diktat des Seienden über die Freiheit des 4

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F.v. Baader, „Ueber das durch unsere Zeit herbeigeführte Bedürfnis einer innigen Vereinigung der Wissenschaft und der Religion“ (1824), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 85. F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 177f.

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Menschen einstuft, insofern dessen Freiheit dann immer durch das Seiende bedingt bzw. beschränkt ist, bedeutet im zweiten Fall im Ausgang von der Unterwürfigkeit unter das Seiende als das Vorausgesetzte die für Baader adäquate Erkenntnis und seinsmäßige Beschreibung der Freiheit des Menschen. Baader kritisiert also an der irreligiösen Philosophie, dass diese sich statt im Sinne eines reditus, eines seins- und erkenntnismäßigen Rückgangs, auf die Vernunft stellt und sich damit in einer Weise verhält, «welche anstatt von ihrem Begründenden aus und in und an ihm fortzugehen, (welches Fortgehen eben ein Fortgeschehen oder Geschichte ist), sich von diesem erst loszumachen, sofort aber gegen dasselbe zu erheben»6 trachtet. Wie aber ist eine vernunftgemäße Orientierung in eins mit einem reditus zusammenzudenken und zugleich damit zu wissen, dass es sich um das Begründende der Vernunft selbst in erkenntnis- und seinsmäßiger Hinsicht handelt? Baader bedient sich bei seiner Antwort des Prinzips des zureichenden Grundes in Kombination mit bzw. im Ausgang von der (seienden) Selbsterfahrung des Menschen: Nimmt der Mensch seine eigene Kontingenz gerade in der scheinbaren Unmittelbarkeit seiner Selbstgegebenheit wahr, ist mit der Unmittelbarkeit der Evidenz der Selbstgewissheit des Ich in seiner Selbstwahrnehmung – so Baaders Behauptung – aber gerade die Einsicht seiner „Nichtselbstmächtigkeit“ verbunden. Damit bedarf dieses Ich eines es selbst tragenden zureichenden, d.h. ihm angemessenen Grundes, weil eben alles Kontingente eines Grundes bedarf. Für Baader ist mit diesem Gedanken ein vernünftiger erkenntnistheoretischer und ontologischer Begründungsregress verbunden, der von der Selbsterfahrung des Menschen als Faktizität ausgehend nach deren Grund fahndet und so den Menschen in dem ihn Begründenden gemäß eben seiner kontingenten Selbsterfahrung festmacht: «Wir behaupten darum, dass es eine der Grundüberzeugungen des Menschen ist, dass er, als schauend und erkennend, sich in einem ihn Schauenden Erkennenden, als wollend in einem ihn Wollenden, als wirkend in einem ihn Wirkenden begriffen weiss».7

Die Suche nach einem adäquaten Grund seiner selbst führt den Menschen also aufgrund seiner erkannten seinsmächtigen „Ohnmächtigkeit“ zu einem Grund, der als Grund von Mensch und Welt der eigenen Selbsterfahrung des Menschen auf „absolute“ Weise entspricht.8 Mit dieser Suche nach einem zurei6 7

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F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 172. F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“ in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 8, S. 339 (3. Heft, 1833). Franz von Baader schreibt entsprechend in seiner Religionsphilosophie: «Der Begriff der Identität des Erkennenden und Erkannten lässt sich auf jenen der Identität des Hervorbringenden und Hervorgebrachten zurückführen.» F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Phi-

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chenden Grund ist der vernünftige Ansatz der Philosophie im Ausgang vom Seienden (des Menschen) als Rückgang zugleich mit einer religiösen Dimension verbunden. Der vom Menschen her erschlossene Grund seiner und der Welt ist als erkannter und seiender Grund für beide an ihm selbst absolut, weil sich sonst ein weiterer reditus mit der Suche nach einem nächsten Grund anschließen würde, der den ersten in der beschriebenen Hinsicht begründet. Kommt die Vernunft so im Rahmen der Philosophie zu einem Grund ihrer und der Welt, der für sich in der dargestellten Weise absolut (und damit auch „einer“) ist, dann ist aus der Philosophie mit ihrem Begründungsunternehmen eine religiöse Philosophie geworden. Die Philosophie ist damit grundsätzlich im Ausgang vom Selbstbewusstsein des Menschen und seiner Selbsterfahrung religiös. Jede Philosophie, die sich auf der Spitze ihrer Begründung im Ausgang vom genannten Faktum aber dieser Begründung verschließt, trägt zwangsläufig einen irreligiösen Charakter in sich und mündet in der Radikalisierung dieses Ansatzpunktes als Fixierung der mit ihm verbundenen Einsicht in den Atheismus. Das beste Beispiel in dieser Hinsicht ist nach Baader René Descartes, der die Selbsterfahrung als Selbstgewissheit des Menschen eben gerade gegen den dargestellten vernünftigen Rückgang in der Begründungssuche immunisiert, für sich selbst absolut setzt und damit im Atheismus endet. Was sich an diesem Beispiel zeigt, ist die grundsätzliche Einsicht Baaders, dass prinzipiell das cogito ergo sum von Descartes entsprechend der vorgestellten Begründungsstrategie in ein cogitor ergo sum umgewandelt werden muss. «In demselben Sinne hat dagegen des Cartes […] durch sein: „Cogito, ergo sum, – ergo est Deus“ den Atheismus angebahnt, weil der Mensch nicht anders sagen kann und soll, als: Ich bin gesehen (durchschaut, begriffen), darum sehe (begreife) ich, ich bin gedacht, darum denke ich, ich bin gewollt (verlangt, geliebt), darum bin ich wollend, verlangend und liebend, weil endlich der Mensch wie jede intelligente Creatur nur als gedachtwerdend selber denkt, nur als hörend spricht, nur als gewollt will, als gewirkt selber wirkt.»9

Was also Baader gegen Descartes als ursprüngliche begründungstheoretische Einsicht im Rahmen einer so gestalteten religiösen Philosophie festhält ist, dass die Unmittelbarkeit der Selbstgewissheit die Unmittelbarkeit der Abkünf-

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losophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 185. F.v. Baader, „Ueber das Verhalten des Wissens zum Glauben“ (1833), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 349ff. Baaders Ablehnung des Deutschen Idealismus schließt an diese Kritik an: Insofern der Idealismus das Subjekt und die Subjektphilosophie zum Prinzip von Philosophie stilisiert und daraus zugleich die Wirklichkeit und das Seiende ableitet, dieses demnach nicht als das „Vorgegebene“ im Sinne der Spätphilosophie Schellings hinnimmt, beansprucht der Deutsche Idealismus, speziell Hegel einen Standpunkt für die und der Philosophie, der irreligiös und atheistisch ist, gerade weil er in den Augen Baaders unbegründet auf das Prinzip der subjektiven Selbstgewissheit setzt, ohne dies durch einen zureichenden Grund zu begründen.

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tigkeit von einem zureichenden „einen“ Grund an sich trägt, weil mit der Selbstgewissheit erkannt wird, dass diese sich seinsmäßig nicht trägt. Mit dieser Erkenntnis kehrt sich zugleich aber die Blickrichtung um: Weil das Ich begründet ist, kann es nun seinerseits begründend tätig sein. Aus dem Rückgang in den eigenen Grund folgt die Erkenntnis der wahren Spontaneität als Freiheit aufgrund der Einsicht in den wahren Grund für diese Spontaneität des Menschen. Dem reditus entspricht also ein exitus im Sinne einer wechselseitigen Beziehung von Gott und Mensch bzw. Mensch und Gott in ihrer Freiheit. Mit diesem Schritt hat Baader nun aber nicht nur den Schritt von einer vernünftigen Philosophie zu einer religiösen getan, sondern zugleich einen ersten Schritt im Rahmen der ersten genannten Bedingung, dass ein Inhalt in zwei Formen präsentiert wird, auch wenn es sich noch nicht ausdrücklich um einen christlichen Inhalt handelt und somit die Konturen einer christlichen Philosophie noch nicht freigelegt sind. Dieser Schritt – wird er ausdrücklich dargelegt – besteht in folgender Überlegung: Wenn es vernünftig erwiesen ist, dass zur Selbstbegründung des Menschen ein absoluter Grund unmittelbar gehört und sich daher die Blickrichtung vom Begründeten zum Begründenden, vom Menschen zu Gott, zu drehen hat, dann steht nicht nur die Philosophie plötzlich vor der Theologie oder die Philosophie wird religiöse Philosophie, sondern ein Inhalt erscheint in zwei Formen: Der absolute Grund der Philosophie wird zum benannten aber noch „unbekannten“ Gott der Theologie und dies über die vermittelnde Tätigkeit der Reflexion im Rahmen einer religiösen Philosophie. Auch an dieser Stelle und nicht erst ausdrücklich beim Verhältnis von Philosophie und Christentum ist schon zu bemerken, dass der eine Inhalt in zwei Formen nicht zu einem Widerspruch für die beiden Formen führt: Was auf der einen Seite als zureichender „einer“ Grund für den Menschen und die Welt im Rahmen der Philosophie angesehen wird, wird im Kontext der Theologie als „creator“ oder Schöpfer bestimmt. Beide Bestimmungen haben den gleichen Inhalt und sind widerspruchslos ineinander zu übersetzen: Die Absolutheit und Exklusivität des Grundes für die Welt und den Menschen im Sinne seiner Unabhängigkeit von anderem ist die Bestimmung, die in Verbindung mit dem als frei zu denkenden Grund die eine Bestimmung für die Theologie und die Philosophie gleichermaßen ist. Wie lässt sich nun in einem solchen Konzept explizit die Brücke zu einer „christlichen Philosophie“ schlagen, so dass die Philosophie und das Christentum in einem Inhalt in zwei Formen übereinkommen, ohne sich zu widersprechen? Im Ausgang von den dargelegten Überlegungen schlägt Baader diese Brücke – wie nicht anders als schon bei seiner grundsätzlichen Begründung zu

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erwarten – über die Anthropologie.10 Diese stellt über mehrere Stufen hinweg das Verbindungsglied zwischen einer religiösen Philosophie und einer christlichen Philosophie mit den Inhalten des Christentums dar. In einer ersten Stufe wird das Verhältnis von Gott und Mensch oder das Verhältnis von Grund und Begründetem gemäß seiner grundsätzlichen Relation mit den Begriffen der Durchwohnung, Beiwohnung und Innewohnung näher bestimmt: «Aber anders ist dieses Gegebensein, wenn das Niedrigere von dem Höheren bloss durchwohnt, unterworfen, sich befindet, in welchem Falle die Erkenntnis die unvollständigste ist und ohne alle Mitwirkung (des Wollens oder Glaubens) des auf diese Weise Erkennenden geschieht. Freier schon wird diese Erkenntnis, wenn Gott sich gleichsam zu dem Geschöpfe insoferne herablässt, inwiefern er diesem gegenüber tritt. Noch freier und ganz vollständig wird diese Erkenntnis Gottes sein, wenn Gott ihr innewohnt, oder, nach der Schriftsprache, wenn Gott dem Menschen innewohnt».11

Steigen für Baader also mit den Begriffen der Durchwohnung, Beiwohnung und der Innewohnung die Grade des Freiheitsverhältnisses in der Beziehung von Grund und Begründetem, insofern mit der Erkenntnis des Erwirktseins durch bzw. von etwas die Mächtigkeit im eigenen Erwirken aufgrund der Differenz von Grund und Begründetem steigt, dann ist die höchste Form dieses Verhältnisses theologisch gesprochen mit der similitudo des Menschen im Blick auf den ihn begründenden Gott erreicht. Die Ebenbildlichkeit des Begründeten und des Grundes spiegelt sich also in der (erkenntnis- und seinsmäßigen) Innewohnung Gottes im Menschen. «Mit dieser Einsicht, dass der Schöpfer Geist ist, und dass selbst die creatürlichen Geister nur durch Teilhaftsein dieses Urgeistes auch in ihrer Sphäre als freie Causalitäten sich zu äussern vermögen, hat die religiöse Philosophie festen Grund und Boden gewonnen …»12

Auf diesem Grund und Boden – so ist Baader überzeugt – ist er in der Lage, eine „speculative Dogmatik“ des Christlichen auszubilden, das Christentum zum Gegenstand einer Philosophie zu machen, die das Attribut christlich verdient. 10

11 12

Die Bedeutung, die Baader der Anthropologie beimisst, wird etwa durch das folgende Zitat deutlich umrissen: «Die Logiker, Ethiker und Physiker, von den Gesetzen des Denkens, Wollens und Wirkens uns sprechend, hätten also vor allen Dingen uns die Bedeutung und den Sinn des Wortes: Gesetz, erklären und uns zeigen sollen, dass man hierunter nichts Anderes verstehen darf, als das Gesetztsein (Locirtsein) des denkenden, wollenden, wirkenden Menschen von und in einem ihm höheren Wesen (dem Urgeiste), dessen Denken, Wollen und Wirken der Mensch nur in einer niedrigeren, äussern Region abbildlich fortzusetzen hat, so wie dasselbe ihm unüberwindlich vorgewiesen wird.» F.v. Baader, „Ueber das Verhalten des Wissens zum Glauben“ (1833), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 370. F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 193. F.v. Baader, „Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatze der irreligiösen älterer und neuerer Zeit“ (1827), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 219.

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Bedenkt man nämlich in einem zweiten Schritt, dass diese grundsätzliche Ebenbildlichkeit als Entsprechung des Grundes und des Begründeten, von Gott und Mensch, durch Adam gestört und durch Christus wiedererlangt ist, „imago“ und „similitudo“ für den Menschen coram deo also auseinanderfallen, dann ordnet sich für Baader der grundsätzlich christliche Inhalt in die dargelegte Anthropologie und das geschilderte Grundverhältnis von Gott und Mensch ein. Dem Christentum wird also über die Anthropologie eine Dignität verliehen, die es als Form des Verhältnisses von Grund und Begründetem erscheinen lässt: Wie der Mensch sein Verhältnis zu seinem Grund in der (religiösen) Philosophie durch eine adäquate Reflexion gemäß des Dargelegten zurückgewinnen muss und nur so nicht in die irreligiöse Philosophie oder den Atheismus abgleitet, so muss der Mensch theologisch nach der Adamssünde sein Verhältnis zu Gott durch Christus wiedergewinnen. Es handelt sich also auch beim spezifischen christlichen Inhalt um zwei Formen eigentlich „einer“ anthropologischen Grundüberlegung, die den Inhalt der religiösen Philosophie mit einem Inhalt der christlichen Philosophie anreichert bzw. die den zuerst genannten näher bestimmt und begründet: Wie die Autonomie des Menschen nur mit und durch die Einsicht in sein wahres Begründetsein zu sichern ist, so ist seine Erlösung als verwirklichte, wahre Freiheit im Sinne dieser Autonomie in genau diesem Zusammenhang nur durch den Rückgriff (den reditus) auf die christliche Adam-Christus-Typologie zu gewährleisten. Die Adam-Christus-Typologie sichert damit als theologische, dass sich die Freiheit als philosophische Bestimmung des Menschen im Sinne seiner wahren Autonomie im Kontext des Verhältnisses von Grund und Begründetem realisiert. Als Inhalt geht es unter christlichen Vorzeichen dabei um die Freiheit des Menschen, die als dessen philosophische Bestimmung auf die Bedingungen ihrer Geltung hin von der Seite der Theologie untersucht bzw. begründet wird. Beide Formen – Theologie und Philosophie – explizieren so einen Inhalt und widersprechen sich deshalb nicht, so dass die Philosophie und das Christentum einen Inhalt nach Baader präsentieren, damit die genannten Bedingungen erfüllen und deshalb berechtigterweise von einer nach Baader „christlichen Philosophie“ gesprochen werden kann.

2. Kritische Reflexion des Baaderschen Ansatzes – die Grenzen von Baaders Entwurf einer „religiösen und/oder christlichen Philosophie“ Was damit zunächst als gelungenes Konzept einer „religiösen“ bzw. spezieller einer „christlichen Philosophie“ aussieht, insofern die Philosophie und das Christentum einen Inhalt in unterschiedlichen Formen teilen und dabei sich nicht widersprechen, entpuppt sich bei näherer Betrachtung begründungstheoretisch doch eher als defizitär.

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Die scheinbare Inhaltsidentität beider Formen löst sich nämlich schon bei näherer Betrachtung am für das Christentum zentralen Punkt der Adamssünde und der damit verbundenen Christologie und ihrer vermeintlichen Entsprechung zur philosophischen Anthropologie auf: Im Rahmen der AdamChristus-Typologie gilt das „pro nobis“ und „für alle“ der Tat Christi als stellvertretendes Handeln exemplarisch und exklusiv nur durch die Person Jesu Christi. Während also die Theologie bei der Wiedergewinnung der Ebenbildlichkeit des Menschen als Erlösung auf die Tat Jesu Christi setzt, ist es das Anliegen einer religiösen Philosophie, diese Wiedergewinnung jedem und jeder einzelnen selbst aufgrund ihrer eigenen Reflexion anheim zu stellen. Damit stehen sich aber nicht mehr zwei „gleiche inhaltliche Gedanken“ in zwei unterschiedenen Formen gegenüber: Die Tat eines Einzelnen und die Tat jedes Menschen gleichen sich noch nicht einmal mehr in ihrem Ziel, denn das „für uns“ bzw. das „für alle“ ist nicht mit der „Selbstbefreiung“ als Einsicht eines jeden Menschen zu verwechseln. Dass die Wiedergewinnung des grundsätzlich wahren Verhältnisses von Grund und Begründetem bzw. die Einsicht in dieses Verhältnis mit der Erlösung durch Jesus Christus gleichgesetzt werden kann, ist zudem nicht einfach nur vorauszusetzen bzw. zu glauben, wird von Baader aber auch nicht inhaltlich belegt. Lösen sich damit am Punkt der Anthropologie erneut eine religiöse Philosophie und eine christliche Theologie voneinander, so kann selbst ein dabei nicht feststellbarer Widerspruch durch die Unterschiedlichkeit der Inhalte nicht das positive Zueinander beider Disziplinen in einem Inhalt ersetzen. In der Folge lässt sich für Baader von seinem Anspruch her aufgrund der vorgetragenen Kritik denn auch nur noch von einer „religiösen Philosophie“ und nicht mehr von einer „christlichen Philosophie“ sprechen. Wie steht es nun aber mit dem um das Christentum verminderten Anspruch einer „religiösen Philosophie“ bei Franz von Baader? Im Zentrum des Baaderschen Gedankens einer religiösen Philosophie stand der unmittelbare (erkenntnistheoretische und seinsmäßige) Rückgriff auf ein Begründendes im Zusammenhang der unmittelbaren Selbstevidenz des Subjektes. Die religiöse Philosophie konnte sich in diesem Kontext nur als religiöse gegenüber einer irreligiösen oder atheistischen Philosophie profilieren, indem beide Unmittelbarkeiten verbunden wurden und gegen die genannten Tendenzen ins Feld geführt werden konnten. Gott oder das Absolute als Grund des Menschen hatte unmittelbar seinen Grund am Menschen. Aber auch diese Koinzidenz der beiden Unmittelbarkeiten scheint erkenntnistheoretisch eben nicht unmittelbar bestätigt werden zu können, was Baaders Position nicht unerheblich schwächt: Die Selbstgewissheit des Ich unterscheidet sich als unmittelbare Selbstgewissheit von dem Gedanken seines Begründetseins. Als Ich, das Ich sagt, ist das Ich seiner bewusst und sonst nichts. Die Selbstgewissheit des Ich hat also keinen anderen Inhalt als eben jene pure Selbstgewissheit, die gerade mit kei-

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nem anderen in Verbindung gebracht ist. Der Gedanke des Begründetseins aufgrund der mangelnden eigenen Selbstbegründung ist also ein Gedanke, der gerade nicht mit dem Gedanken der unmittelbaren Selbstgewissheit unmittelbar verbunden ist. Kann der Gedanke der notwendigen Begründung des Ich als zweiter Gedanke zum Gedanken seiner Selbstgewissheit durchaus im Subjekt aufkommen, dann braucht dieser Gedanke zusätzlich aber noch eines dritten Gedankens – nämlich des Prinzips des zureichenden Grundes –, damit daraus unter der Zusatzbedingung, dass es keinen infiniten Regress geben darf, der Gedanke eines Absoluten wird, das für das Ich aufkommt. Damit scheint die von Baader beanspruchte Unmittelbarkeit der Selbstgewissheit in Verbindung mit der Unmittelbarkeit der Selbstbegründung aber in eine Reihe von Gedanken zerlegt zu sein, die gerade der behaupteten Unmittelbarkeit widerspricht. Man könnte nun einwenden und zu bedenken geben, dass selbst die Auflösung der Gedanken in eine Gedankenkette am Argument nichts ändere, das Argument also durch seine „Verlängerung“ keinen Schaden nehme.13 Baaders religiöse Philosophie bleibt so sicher bestehen, was nur zugleich bestehen bleibt, ist gegen Baaders Intention erstens eine Philosophie, die nicht unmittelbar religiös ist und die an der Selbstgewissheit des Denkens ansetzt. Die Philosophie und die „religiöse Philosophie“ sind aufgrund der dargelegten Gedanken und der Kritik aber wieder „zwei Paar Schuhe“ geworden. Was darüber hinaus eine religiöse Philosophie allerdings unter der Aufspreizung ihrer Gedanken durchaus in die Krise führen kann, sind die Zusatzannahmen, die zum Schluss auf das Absolute von einer solchen Philosophie gemacht werden müssen: Dass das Prinzip des zureichenden Grundes gilt, kann noch als logische Prämisse für „Erklärungen“ unbestritten behauptet werden. Dass allerdings die Zusatzannahme des infiniten Regresses begründungstheoretisch unzulässig bzw. nicht zu rechtfertigen ist, damit ein für sich absoluter Grund im Angesicht der Welt und des Menschen gedacht werden kann, der so zudem „einer“ ist, gilt es zu bedenken. Warum sollte nämlich nicht ein Begründungsregress 13

An dieser Stelle kann auf den Ansatz von Klaus Müller als weiterführenden Ansatz hingewiesen werden: Man vgl. z.B. K. Müller, Glauben – Fragen – Denken, 3 Bde., Münster 20062009, Bd. 2: Weisen der Weltbeziehung (2008), S. 155-159 und 196-209. Müllers Kernargument ließe sich (freilich nicht ohne Verkürzungen) im Rahmen der Gotteslehre in etwa folgendermaßen skizzieren: 1. Im Bewusstsein seiner selbst muss sich das selbstbewusste Subjekt nach dem Aufkommen und dem Grund von Bewusstsein fragen und entdeckt, dass sein eigener Grund nicht in ihm selbst liegen kann. 2. Das Bewusstsein seiner selbst kann sich nicht ohne einen Grund denken, der in ihm selbst liegt, aber nicht mit ihm identisch ist und der unter der Zusatzannahme des ausgeschlossenen Regresses ermittelt ist. 3. Also gibt es einen Grund im Bewusstsein, der nicht mit ihm identisch, der für sich dem Selbstbewusstsein ähnlich, zugleich aber auch Grund nicht „nur“ des Selbstbewusstseins ist. Ob dieses gedacht Absolute auch existiert, wird von Müller so rekonstruiert, dass er selbst „nur“ beansprucht, einen Entwurf mit „Letztbegründung ohne Beweisanspruch“ vorgelegt zu haben.

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der adäquate Modus für „Erklärungen“ sein? Von der „Erklärung“ als Begründung von etwas her lässt sich weder ein Regress noch ein Abbruch logisch als vorrangig und ausgezeichnet für sich jeweils begründen. Damit scheint aber der „Erklärungsgrund“ Gott auch seiner absoluten „Seinsmächtigkeit“ und nicht nur seiner erkenntnistheoretischen Ableitbarkeit beraubt. Kann die Grundsuche durchaus auch unendlich weiterlaufen und gibt es vielleicht keinen letzten Grund, dann erweist sich auch jener „eine“ seinsmächtige und gesuchte Urgrund möglicherweise als Fiktion. Baaders Konzept einer „religiösen Philosophie“ weist damit unter Umständen nicht rechtfertigbare Zusatzannahmen auf und basiert so vielleicht auf „reiner Spekulation“. Als Antwort auf die philosophische Rechtfertigung des Christentums und als „christliche Philosophie“ kann Baaders Konzept wohl eher nicht gelesen werden.

ECKHARD FÜRLUS

Franz von Baader und Hugo Ball: «Eine Konspiration in Christo» 1. Hugo Ball Der Schriftsteller Hugo Ball, geboren am 22. Februar 1886 in Pirmasens als Sohn eines Schuhfabrikanten, gestorben am 14. September 1927 in Sant’Abbondio-Gentilino bei Lugano, ist der Gründer des Cabaret Voltaire, des Ausgangspunktes des Züricher Dadaismus, dessen herausragender Protagonist und geistiger Vater er ist. In diesem meinem Beitrag möchte ich Hugo Ball in seiner leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit Franz von Baader vorstellen und aufzeigen, dass es sich bei Franz von Baader und Hugo Ball durchaus um zwei wesensverwandte Personen handelt. Obwohl der Züricher Dadaismus im Leben Hugo Balls nur eine Episode von insgesamt acht Monaten darstellt, ist dieser Abschnitt grundlegend für die Wiederentdeckung seines Werks in den sechziger Jahren.1 Hugo Balls Bedeutung für die Kunstgeschichtsschreibung des Dadaismus kann kaum überbewertet werden, doch sie steht im krassen Gegensatz zum Widerhall auf seine politisch-theologischen Schriften, die schlechterdings in Vergessenheit geraten sind. Bernd Wacker, Leiter der Karl-Rahner-Akademie in Köln, hat recht, wenn er feststellt: «Selbst die gründliche Auseinandersetzung mit der politischen Theologie Carl Schmitts konnte nicht verhindern, dass Balls Werk auch unter Katholiken lange Jahre bestenfalls als ‚Geheimtip‘ gehandelt wurde».2 Bekannt ist Hugo Ball heute noch als Verfasser einiger Lautgedichte. Folgt man den Eintragungen Hugo Balls in seiner tagebuchartigen Publikation Die Flucht aus der Zeit,3 die sich auf Franz von Baader beziehen, dann datiert seine Auseinandersetzung mit den Schriften Franz von Baaders vom 17. November 1915 bis zum 5. Juli 1920, d.h. sie fällt in die Zeit seiner Immigration in die Schweiz, der Gründung des Cabarets Voltaire und der Galerie Dada bis zu seiner Rückkehr zum Katholizismus. Ihren Niederschlag findet sie wesentlich in den beiden Büchern Zur Kritik der deutschen Intelligenz von 1919 und Die Flucht aus der Zeit von 1927. In Zur Kritik der deutschen Intelligenz hatte Hugo Ball dem Romantiker und Mystiker Baader ein eigenes Kapitel gewidmet. In der überarbeiteten Fassung dieses Buches, das 1924 im 1

2 3

So H.B. Schlichting, „Anarchie und Ritual. Hugo Balls Dadaismus“, in: B. Wacker (Hrsg.), Dionysius DADA Areopagita. Hugo Ball und die Kritik der Moderne, Paderborn 1996, S. 4168, hier S. 41. B. Wacker, „Einführung“, in: Ders. (Hrsg.), Dionysius DADA Areopagita (Anm. 1), S. 7-12, hier S. 9. H. Ball, Die Flucht aus der Zeit, hrsg. v. B. Echte, Zürich 1992.

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ECKHARD FÜRLUS

Verlag Duncker & Humblot unter dem Titel Die Folgen der Reformation erschien, sucht man den Namen Franz von Baader vergeblich. Aus den Eintragungen wie auch aus den Anmerkungen zum dritten Kapitel in Zur Kritik der deutschen Intelligenz wird offenbar, dass es wesentlich Über die Vernünftigkeit der drei Fundamentallehren des Christentums,4 die Tagebücher aus Franz von Baaders Sämtliche[n] Werke[n]5 und das von Franz Hoffmann herausgegebene Buch Franz von Baader als Begründer der Philosophie der Zukunft6 gewesen sind, welche Balls Lektüre der Schriften Baaders ausmachen.

2. Zur Kritik der deutschen Intelligenz Das Buch Zur Kritik der deutschen Intelligenz von Hugo Ball erschien am 17. Januar 1919. Das dritte Kapitel dieses Buches ist überschrieben Franz von Baader und die christliche Renaissance in Frankreich und Russland.7 Worum geht es in diesem Buch? Der Literaturwissenschaftler und Herausgeber des Buches, Hans Dieter Zimmermann, nennt Zur Kritik der deutschen Intelligenz einen polemischen Essay, entwickelt aus einer Reihe von Artikeln, die Ball in den Jahren 1917 und 1918 für die Berner Freie Zeitung geschrieben hatte.8 Allerdings lässt sich die Beschäftigung mit den Themen, die die Grundlage des Buches bilden, weiter zurückverfolgen bis zum November 1914. Es ist die Zeit von Balls intensiver Beschäftigung mit der Reformation und dem Augsburger Religionsfrieden, mit Revolutionsbewegungen und dem Anarchismus. Das Buch Zur Kritik der deutschen Intelligenz ist eine Abrechnung mit Deutschland und dem Ersten Weltkrieg, eine polemische Kampfschrift gegen den Missbrauch des Geistes durch Macht und Politik. Vor allem aber ist das Buch das Ergebnis der intensiven Auseinandersetzung Balls «mit der deutschen Staatsidee» sowie der Geschichte und Politik der letzten vier Jahrhunderte, in denen er «die Gründe für die Katastrophe des Weltkrieges zu finden»9 glaubte. Es ist ein Versuch, die geistigen Ursachen aufzudecken, die zur Isola4

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Vgl. F.v. Baader, „Ueber die Vernünftigkeit der drei Fundamentaldoctrinen des Christenthums vom Vater und Sohn, von der Wiedergeburt und von der Mensch- und Leibwerdung Gottes“ (1839), in: Ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 10, S. 17-52. Vgl. F.v. Baader, „Tagebücher“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 11. Vgl. F. Hoffmann (Hrsg.), Franz von Baader, als Begründer der Philosophie der Zukunft. Sammlung der von Jahre 1851 bis 1856 erschienenen Recensionen und literarischen Notizen über Franz von Baader’s sämmtliche Werke, Leipzig 1856. Vgl. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz, hrsg. von H.D. Zimmermann, in: Ders., Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zu Darmstadt i.Z.m. der Hugo-Ball-Gesellschaft, Bd. 5, Göttingen 2005, S. 141. Vgl. H.D. Zimmermann, „Nachwort. Ein unglücklicher Patriot“, in: H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 473-512, hier S. 473. Ebd.

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tion der Mittelmächte Deutsches Reich und Österreich-Ungarn und zum Ersten Weltkrieg führten. Ball spannt in diesem Buch den Bogen von der Reformation über den Deutschen Idealismus bis zum pangermanischen Imperialismus des deutschen Kaisers Friedrich Wilhelms II. und seiner Generalität. 1919 war Deutschland im Begriff, sich eine demokratische Verfassung zu geben.10 Mit dem Buch Zur Kritik der deutschen Intelligenz, das er den Führern der moralischen Revolution gewidmet hatte, wollte Ball einen Beitrag für die streitende Demokratie leisten. Zugleich ist das Buch ein Plädoyer für die künstlerische Revolte, die eine Geste der absoluten Weigerung enthält, ein Aufruf für eine Lebensform, die der Verwendbarkeit widersteht, für eine Hingabe an den Gegensatz all dessen, was brauchbar und nutzbar ist, und eine Kampfansage Hugo Balls «gegen vergangene, gegenwärtige und zukünftige alldeutsche Arroganz».11 Man muss dabei im Auge behalten, dass die Auseinandersetzung mit anarchistischer Literatur und Anarchismus bei Hugo Ball sehr viel ausgeprägter ist als bei den meisten anderen Dadaisten und bereits während der Studienzeit beginnt. Auch das Fundament des Dadaismus ist anarchistisch. Dada operiert mit den Trümmern der überlieferten Werte einer bürgerlichen Welt, deren Selbstzertrümmerung im Ersten Weltkrieg längst begonnen und zu katastrophalen Ergebnissen geführt hatte. Hugo Ball ist allerdings kein Anarchist im politischen Sinne. «Niemals», schreibt er, «würde ich das Chaos willkommen heißen, Bomben werfen, Brücken sprengen und die Begriffe abschaffen».12 Der Freie Verlag, in dem das Buch Zur Kritik der deutschen Intelligenz erschien, listete die positiven Leitfiguren auf, die von der akademischen Intelligenz angepriesen und von Hugo Ball angeprangert wurden, und zitierte in seiner Anzeige aus einer Besprechung (von Ernst Bloch) in Die Weltbühne, Berlin: «All jene, die die deutsche Schuld als ihre eigene, sittlich-geistige Angelegenheit mitfühlen, seien auf das Buch von Hugo Ball: „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“ [...] aufmerksam gemacht. Es trennt durchaus auf. Es zerschlägt, was Vielen allzu gewohnt war. Ball steht selbst dieser Zeit des Zusammenbruchs und der identischen Ahnung weit voran. Er hat, wie niemals ein Deutscher bisher, die geheimern Causalitäten des blasphemischen Staates an sich begriffen. [...] Müntzer statt Luther, Baader statt Hegel, Weitling statt Marx stehen auf und bringen Deutschland der Welt zu, der aufblühenden Welt Rousseaus, Péguys, Tolstois, der unaufhaltsamen „Konspiration in Christo“. Ball, ein Deutscher er-

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Sebastian Haffner hat darauf hingewiesen, dass die Geschichte des Deutschen Reiches mit drei Kriegen begann und mit zwei ungeheuren Kriegen endete, deren zweiter sich aus dem ersten ergab. «So ist die Geschichte des Deutschen Reiches fast eine Kriegsgeschichte, und man könnte versucht sein, das Deutsche Reich ein Kriegsreich zu nennen». Vgl. S. Haffner, Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick, München 1989, S. 10. H. Richter, Dada Profile, Zürich 1961, S. 19. H. Ball, Die Flucht aus der Zeit (Anm. 3), S. 34.

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staunlichster Prägung, hat das grobe, abseitige, dem Satan offene, paradoxale Winterland moralisch zerschlagen [...]».13

Das erste Kapitel der Kritik ist ein Angriff gegen den nach Ball wichtigsten Verfechter deutschen Wesens, Martin Luther. Ihm wirft er vor, die Gläubigen dem Einfluss des Papstes entrissen und der Macht der Fürsten überantwortet zu haben. Ist Luther für Hugo Ball der Initiator von Entpolitisierung und Untertanengeist, so sieht er im Protestantismus die Erbsünde der deutschen Intelligenz, die sich in religiösem und moralischem Verfall äußere. Im zweiten Kapitel erläutert Ball seine Sicht auf Kant, der sich als braver Untertan verhalten und das Instrument seiner Kritik nicht gegen Staat und Gesellschaft gerichtet habe. Das Kapitel endet mit einer Polemik gegen Hegel und den von ihm benutzten Begriff der Weltseele als ein «Gott-Ersatzmittel»14. Im dritten Kapitel geht Ball auf den Kommunismus ein, den er als ursprünglich christliche Idee lobt, dann auf den Einfluss des Christentums im Russland des 19. Jahrhunderts. Hier bringt er zum ersten Mal die Philosophie des fast vergessenen Baader ins Spiel. Den Philosophen Kant und Hegel setzt Ball den bayerischen Mystiker entgegen. Das vierte Kapitel schließlich ist eine Auseinandersetzung bzw. Abrechnung mit dem Gründer der deutschen Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle, mit Karl Marx, mit Otto von Bismarck, August Bebel und schließlich mit der Philosophie Friedrich Nietzsches.

3. Die gotische Ordnung der Dinge In einem weiteren Abschnitt thematisiert Hugo Ball die Mystik und die Gotik. Wesen und Werk der Mystiker erläutert Ball beispielhaft an Blaise Pascal und Franz von Baader. Er schreibt: «Alle grossen Katholiken waren Mystiker. Sie säkularisierten die Transzendenz der Kirche, um sie dem Leben zuzuwenden: Pascal und Baader. Was ist Geist? Gewissen, auf die Kultur angewandt. Was ist Kultur? Eintreten für die Ärmsten und Geringsten, als solle aus ihnen das Höchste und aller Himmel sich gebären. Der Geist der Musik und ihre Ordnung, ins Irdische übersetzt: das ist die Aktion solcher Männer».15

Der Literaturkritiker Ulf Eisele schreibt dazu: «Vom deutschen Idealismus und dem durch ihn sanktionierten Nationalismus führt der Weg allzu gerade zu den imperialistischen Plänen des deutschen Generalstabs von 1914. […] Um die Kette rationalistischer Hybris, die die deutsche Geschichte durchzieht, aufzubrechen, wird an die Stelle der offiziellen Heroen eine Ahnenreihe der großen Religiösen und Moralisten gesetzt. Dem zum Dä13 14 15

Abgedruckt in H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 463f. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 234. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 172.

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mon stilisierten Luther tritt die Lichtgestalt Thomas Müntzers entgegen. Nicht die Bibelexegese, sondern der Bauernkrieg, die verdrängte Revolution, wird zum Hauptereignis der Epoche erhoben. Franz von Baaders ‚Philosophie der Liebe‘ sticht Hegels Vernunftreligion aus, und der Sozialismus à la Ball beruft sich nicht auf Marx, sondern auf Bakunin und Wilhelm Weitling. Die Gegenwart als ein Zeitalter vollendeter Sündhaftigkeit erfordert „die Revision unserer intellektuellen Geschichte“ und die Rückbesinnung auf eine Leidensfähigkeit, die ihr „höchstes Glück im Opfer sieht“».16

Im weiteren Verlauf lässt Hugo Ball keinen Zweifel daran, dass er Franz von Baader und Georg Christoph Lichtenberg «nächst Kant» für die beiden größten deutschen Philosophen hält, und hebt als eine ihrer Gemeinsamkeiten hervor, dass beide «in die englische Schule» gegangen seien.17 René Descartes hält er vor, das ganze Wissen aus dem Bewusstsein abgeleitet und darüber vergessen zu haben, dass es sich in theologischen Dingen um ein un- und überbewusstes Wissen handelt, das eine höhere Stufe repräsentiert. Gegen ihn und die zweifelnden Philosophen der Aufklärung, gegen Kant und Hegel propagiert Hugo Ball die gotische Ordnung, eine im Mittelalter verortete, kathedralengleiche Ordnung der Dinge, die er folgendermaßen beschreibt: «Die gotische Ordnung der Dinge bringt die weltliche ins Wanken, wirft sie um und lässt eine neue Kausalität erstehen, die über die Gegenwart lächelt und ferne Jahrhunderte grüsst. Die gotische Ordnung der Dinge, die ihre Parodie bekämpft in der politischen, und ihre Afterparodie in der polizeilichen. Was sagen Eigenschaften wie Kühnheit, Kindlichkeit und Phantastik aus über solche Geister? Ihre tiefe Symmetrie, das, was Walter von der Vogelweide „die maasse“ nennt, sieht sich im Widerspruch mit dem bestehenden Irrwisch; das ist ihr Leiden, ihr Witz, ihre Tragik. Sie treten hervor, und alle Pseudologie ist gerichtet. Franz von Baader und Schopenhauer waren Geister von dieser Art».18

Hölderlin war einer der ersten, der die geistige Einheit der Nation, wenn auch nur hymnisch, wiederherzustellen suchte. Nach Hugo Ball ist die Romantik «eine Literatur und Musik gegen Luther und Kant, gegen die individualistische und aufgeklärte Charakterbildung und Philosophie. Eine Konspiration, wenn man will, eine Freimaurerei. Franz von Baader und Goethe tragen die religiöse Ureinheit des Mittelalters und seine Symbolik des Abgrunds herein in die Neuzeit».19 Ball will den «Zusammenbruch dieses Philisterreichs»; er will «zurück zur scholastischen Philosophie und liturgischen Mystik! Zurück in die Zeit vor der Reformation!»20 16 17 18 19 20

U. Eisele, „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“, in: Kindlers Neues Literaturlexikon, hrsg. von W. Jens, 20 Bde. u. 2 Supplementbde., München 1988-1998, Bd. 2, S. 107. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 184. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 172. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 346, Anm. 146. Ebd.

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4. Franz von Baader in Zur Kritik der deutschen Intelligenz Franz von Baader und die christliche Renaissance in Frankreich und Russland ist der Titel des dritten Kapitels dieses Buches.21 In einer Eloge auf die Französische Revolution hält er als deren Folge und unverlierbaren Besitz die Menschenrechte, die Rechte des Volkes und jedes ihrer Individuen, die Rechte der Nation und die Abschaffung aller knebelnden, hemmenden despotischen Gewalt fest. Ball führt aus, dass die Demokratie nicht bestehen kann aus einer Freiheit in Gott zusammen mit einer Unfreiheit im Gesetz. Dies sei «schlimmste deutsche Tradition, auf die politische Freiheit zu verzichten unter Hinweis auf die berühmte intelligible „Freiheit in Gott“, und die Revolution von 1793 zu verwerfen, weil sie zur Zeit ihres Ausbruchs „die Religion abschaffte“.»22 Ball erkennt im 19. Jahrhundert zwei Persönlichkeiten, die den Kampf gegen die doktrinäre Macht antichristlicher Tendenzen aufgenommen hätten, nämlich Friedrich Nietzsche – individualistisch, und Michail Bakunin – kollektivistisch. Dabei sei Friedrich Nietzsche vom individualistischen Renaissance-Ideal geleitet gewesen, und Michail Bakunin habe sich als Bannerträger der Revolution der Masse, der kollektivistischen Sozietät gegeben. Ball zieht daraus das Fazit: «Nietzsches Irrtum war, dass er glaubte, den Kampf gegen die Theologie exaltieren zu müssen zum Kampf gegen das Christentum selbst. So geriet er in Feindschaft mit dem italienischen, russischen und französischen Geiste[]. Und ebenso setzte Bakunin sich in Widerspruch mit der gesamten christlichen Intelligenz[], indem er seinen Sturmlauf gegen den theologischen Staat ausdehnte auf die Gottesidee und den Idealismus[]. Beide suchten die lügnerische Autorität samt der heiligen auszurotten und trieben, indem sie nicht nur die Götzen, sonder auch die Götter bekämpften, dem Abgrund zu».23

Ihnen stellt Ball den Philosophen Franz von Baader gegenüber, der als Einziger in Deutschland bewusst und mit mächtigen Argumenten für das Christentum und die Einheit des Göttlichen gegen die antichristlichen Philosophen eingetreten sei. Franz von Baader habe gegen die pantheistischen und rationalistischen Allerweltshumanisten und Schwärmer gekämpft, gegen Kant, Hegel und gegen Schelling, dessen Naturphilosophie ihm nur «ein Ragout mit allerhand, auch christlichen Ingredienzien» gewesen sei.24 Ball preist den «lebendigen Enthusiasmus fürs Gute»,25 den er bei Baader entdeckt; er stellt ihn in eine Reihe mit Thomas von Aquin und Franz von Assisi, mit Mystikern des Mittelalters, mit Jacob Böhme und Blaise Pascal. Ball 21 22 23 24

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Wie oben Anm. 7. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 243. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 251. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 252. Vgl. F.v. Baader, „Briefe“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 15, S. 465f. (Baader an Hegel, 30. Mai 1830). H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 252. Vgl. F.v. Baader, „Tagebücher“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 4), Bd. 11, S. 194.

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nennt ihn den «einzige[n] christliche[n] Philosophen grossen Stiles, den Deutschland gehabt» habe. Was ihn auszeichne, sei die Tatsache, dass er in Gott die Ursozietät gesehen habe und weder die Tradition noch die Schrift, weder die guten Werke noch den Glauben verworfen habe. Im Vergleich mit Baader habe Hegel lediglich in Übereinstimmung mit dem Protestantismus und dem absolutistischen Preußentum geschrieben: «Durch die Staats- und Rechtslehre seiner platten Servilität war er Lutheraner und Napoleonist, ohne Ahnung des Göttlichen, das er verhöhnte».26 Am Ende des Buches Zur Kritik der deutschen Intelligenz distanziert sich Ball entschieden von Nietzsches Philosophie, die ihn in seinen jungen Jahren einmal inspiriert und zu einer Dissertation angeregt hatte. Wer ist der Gegenspieler von Friedrich Nietzsche? Hugo Ball selbst, so könnte man sagen, allerdings der Hugo Ball der 20er Jahre, der in seinem Buch Byzantinisches Christentum ein Programm der Menschenliebe entwickelt, das demjenigen Nietzsches diametral entgegengesetzt ist. Nietzsches Philosophie wird von Ball als problematisch angesehen. Hans Dieter Zimmermann unterstreicht, dass bei Nietzsche, wie im Fall von Karl Marx, die möglichen Konsequenzen der Philosophie Ball recht gegeben haben; er zitiert aus einer Rezension von Kurt Flasch, in der es heißt: «Nietzsches Verteidigung der Sklaverei, sein eugenisches Programm und sein Anti-Feminismus sind seine eigenen Thesen, sie sind mehr als ein metaphorisches Spiel. Ohne Nietzsche zum Vorläufer Hitlers zu machen […]. Es ist keine Kleinigkeit, wenn ein Denker in rationaler Argumentation die Gemeinsamkeit der menschlichen Natur aufgibt zugunsten männlicher Herrenmenschen. Nietzsche opfere die Allgemeinheit argumentativer und ethischer Verbindlichkeit zugunsten des Machtwillens der Wohlgeratenen.»27

5. Schluss Anders als bei den künstlerischen Dada-Abenden im Cabaret Voltaire ist Hugo Ball politisch ein Individualist und ein «Einzelgänger, der sich auf Einzelgänger beruft», denen wie auch ihm nur eine geringe Wirkung beschieden war. Hans Dieter Zimmermann hat sie in seinem Nachwort aufgelistet: «[D]er radikale Theologe Thomas Müntzer, der Luther als Fürstenknecht angriff, wurde enthauptet, der mystische Philosoph Franz von Baader, dem nicht nur etliche Romantiker verpflichtet sind, wurde verdrängt, der christliche Sozialist Wilhelm Weitling wurde vergessen, der gewaltfreie Anarchist Michail Bakunin wurde mundtot gemacht, der sozialistische Politiker Kurt Eisner wurde ermordet wie Gustav Landauer, den Ball ebenfalls schätzte. Das ist die positive Linie der 26

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H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 253 und 254. Aus K. Flaschs Besprechung des Buches von D. Losurdo, Nietzsche. Il ribelle aristocratico, Torino 2000, in der FAZ, 23.10.2003, zit. nach H.D. Zimmermann, „Nachwort. Ein unglücklicher Patriot“ (Anm. 8), S. 490f.

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deutschen Geschichte, auf die Hugo Ball sich gegen Ende des Ersten Weltkriegs beruft.»28

Die von Ball skizzierte negative Entwicklungslinie von Luther, Friedrich dem Großen, Kant, Hegel zu Otto von Bismarck und Nietzsche kann einerseits als ein Beleg für Balls Bestreben nach weitreichender Begründung verstanden werden und andererseits als eine fundamentale Kritik an den Gelehrten im Reich, «die mitunter sogar auf die heldenhaften Germanen (Hermann der Cherusker) zurückgriffen, um die deutsche Redlichkeit und Tapferkeit zu belegen.»29 Für Joachim Fest gehört sie allerdings zu den waghalsigen Ahnenreihen, «die über Bismarck und Friedrich den Großen bis zurück zu Luther oder ins Mittelalter reichten und gelegentlich sogar den Germanenfürsten Arminius erfaßten, der im Jahre 9 n.Chr. in der Schlacht vom Teutoburger Wald die lateinische Durchdringung des deutschen Raumes verhindert habe».30 Doch es ist Balls Ziel, den Apologeten des Krieges ihre Fetische aus der Hand zu nehmen; daher sein «harter Angriff gegen Luther und Kant, gegen Preußens Könige und gegen Bismarck. Diese Themen wurden ihm von seinen Gegnern vorgegeben, und er zeigt: mit Recht nennen sie diese Namen, denn das Werk dieser Großen trug mit zum deutschen Verhängnis bei.»31 Hugo Ball hatte Baader im Zusammenhang mit der christlichen Spiritualität der Romantik «einen Montblanc in dieser Richtung» genannt.32 Am 5. Mai 1918 notiert er: «Sucht man nach Überresten der Heiligenlehre, so findet man sie bei Baader, Novalis, Schopenhauer, Wagner; sogar bei Nietzsche noch. Vor allem aber in der Romantik. Seltsamerweise hat sie hier ein irdisches Gepräge, was wohl darauf hindeutet, dass sie unter dem Zwange der Aufklärung zwar nicht auszurotten war, aber ein Alibi suchen musste».33

Auch gibt es hier Hinweise dafür, dass Baader «tiefe Verbindungen mit dem orthodoxen Geist Russlands»34 hatte schaffen wollen.35 Seinen eigenen Stand28 29 30 31 32 33 34

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H.D. Zimmermann, „Nachwort. Ein unglücklicher Patriot“ (Anm. 8), S. 477. H.D. Zimmermann, „Nachwort. Ein unglücklicher Patriot“ (Anm. 8), S. 484. J. Fest, „Zwischenbetrachtung: Deutsche Katastrophe oder deutsche Konsequenz?“, in: Ders., Hitler. Eine Biographie, Frankfurt a.M. 1973, S. 511-529, hier S. 515f. H.D. Zimmermann, „Nachwort. Ein unglücklicher Patriot“ (Anm. 8), S. 484. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 225. H. Ball, Die Flucht aus der Zeit (Anm. 3), S. 221f. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 225. Diese Äußerung ist fast identisch mit dem Zitat aus Th.G. Masaryk, Russland und Europa in der nachfolgenden Fußnote. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 225. Ball beruft sich hier (ebd., S. 347 Anm. 156) auf einen Text von Th.G. Masaryk, Russland und Europa. Studien über die geistigen Strömungen in Russland, 2 Bde., Jena 1913 und führt dann zum dritten Kapitel Zur Kritik der deutschen Intelligenz (ebd., S. 357 Anm. 33) aus: «„Die Abhängigkeit der Slavophilen von der deutschen Philosophie [...] erscheint immer grösser. Baader hat mit Russland längere Zeit eine intime Verbindung gehabt; in einer Denkschrift an den Kaiser Alexander I., an den Kaiser von Österreich und den König von Preussen hat er 1814 die Grundlinien der Heiligen Allianz vorgearbeitet und wahrscheinlich die Be-

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punkt bezüglich der Kirche hat Hugo Ball in der Kritik der deutschen Intelligenz folgendermaßen umrissen: «Wir glauben nicht an die sichtbare Kirche, aber an eine unsichtbare und wer in ihr kämpfen will, ist ihr Glied. Wir glauben an eine heilige christliche Revolution und an die unio mystica der befreiten Welt. Wir glauben an die küssende Verbrüderung von Mensch, Tier und Pflanze; an den Boden, auf dem wir stehen und an die Sonne, die über ihm scheint.»36

Die von Ball 1919 beschriebene, unsichtbare Kirche der im Geist miteinander Verbundenen ist als Idee einigen deutschen Romantikern wie Novalis, E.T.A. Hoffmann, Schelling und eben auch Baader verpflichtet. Für Ball ist Gott «die Freiheit des Geringsten in der geistigen Kommunion aller. Gott ist All-Güte, All-Liebe, All-Mitleid, All-Weisheit, höchster Gedanke, nie zu erreichen und stets zu erstreben. Gott ist die Qual und die Sehnsucht erdgebundener Menschen».37 In ihr wirken die Prinzipien der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiter, die Ball tief christlich und göttlich nennt. In sein Tagebuch notiert er am 5. Juni 1919: «Woran ich nach Hermann Bahr all glaube: an eine neue Romantik im Geiste Franz von Baaders; an eine Konspiration in Christo; an eine heilige christliche Revolution und eine unio mystica der befreiten Welt; an eine neue Verbindung Deutschlands mit der alten Spiritualität Europas; an eine Rebellion nicht gegen die natürlichen Grundlagen der Gesellschaft und des Gewissens, sondern für diese Grundlagen aus universalem Gewissen; an eine soziale civitas Dei; an eine Wiedervereinigung der in Bereitschaft stehenden orientalischen Kirche mit der okzidentalen; nicht zuletzt an ein Deutschtum, das den Sinn dieses Krieges erfül-

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gründung derselben gefördert. Die Denkschrift (Über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bündnis einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik) war dem Fürsten Golizyn, dem Freunde Alexanders I. und damaligen Minister für geistliche Angelegenheiten, gewidmet, und er erhielt längere Zeit eine ansehnliche monatliche Remuneration dafür (140 Rubel). Alexander I. beauftragte Baader 1815, ein religiöses Werk für den russischen Klerus zu verfassen. Baader wollte in Petersburg eine archäologische Akademie gründen, durch welche er die innigere Verbindung von Religion, Wissenschaft und Kunst und auch die Aussöhnung der drei Kirchen fördern wollte. Er begab sich 1822 nach Russland, musste aber vor Riga umkehren, weil sein enthusiastischer Gönner und Reisebegleiter, Baron Yxküll, Benjamin Constant besucht hatte und in Ungnade fiel. Diese Unvorsichtigkeit kostete Baader auch seine Remuneration“. Um Baaders Entwurf für die Heilige Allianz nicht mit den reaktionären und knebelnden Massnahmen zu verwechseln, die Metternich später praktizierte, muss man den Inhalt dieses Entwurfs kennen. „Der von den drei Monarchen von Russland, Preussen und Österreich persönlich geschlossene Bund setzt in der Urkunde vom 26. September 1815 fest, dass sich die Monarchen nur von den Vorschriften der christlichen Religion, nämlich der Gerechtigkeit, der christlichen Liebe und des Friedens werden leiten lassen; sie wollen, weil nach der Heiligen Schrift alle Menschen Brüder sind, künftig als Brüder handeln, ihre Untertanen sollen sich als Glieder einer Nation betrachten: die Monarchen sehen sich nur als Bevollmächtigte der göttlichen Vorsehung an, um die drei Zweige derselben Familie zu regieren, und erkennen keinen anderen Souverän an, als Gott, Christus, das Lebenswort des Allerhöchsten.“ (Russland und Europa, Bd. 1, S. 80).». H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 226. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 321 und H.D. Zimmermann, „Nachwort. Ein unglücklicher Patriot“, in ebd., S. 491.

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len wird: die Einordnung einer gegen die Sozietät rebellierenden Nation. Ich ersehe aus dieser Zusammenstellung, daß ich mir Mühe gab, die verschiedenen europäischen Parolen von gestern und heute zusammenzuschließen und dabei den patriotischen Fehler beging, sie sämtlich in Deutschland, und zwar in einem einzigen Anlauf verwirklicht zu wünschen».38

Bezeichnend für Hugo Ball ist das Vorwort zur Kritik der deutschen Intelligenz, wo er am 24. Dezember 1918 formuliert: «Um die deutsche Denkart in ihrem ganzen Relief hervortreten zu lassen, suchte ich das Gegenbild aufzustellen, das kein anderes sein konnte, als ein konsequent christliches, wie es im Bewusstsein führender europäischer Geister seit hundert Jahren zu einer universalen Renaissance strebt. Und da ich den religiösen Despotismus für das Grab des deutschen Gedankens hielt, versuchte ich, das neue Ideal außerhalb des Staates und der historischen Kirche in einer neuen Internationale der religiösen Intelligenz zu begründen. Es kennzeichnet die Freiheit, dass sie so wenig verwirklicht werden kann, wie Gott zu verwirklichen ist. Es gibt keinen Gott ausser in der Freiheit, wie es keine Freiheit gibt ausser in Gott».39

Im Sommer 1920 kehrte Hugo Ball in die katholische Kirche zurück. Auf Franz von Baader, über den Ball in Die Flucht aus der Zeit aus der Erinnerung schreibt40 und den er mit wenigen Sätzen zitiert, geht er in seinen späteren Texten nicht wieder ein. Ball «weiß, daß Müntzer, Baader, die Romantik und Schopenhauer keine Gegenspieler zu Luther, Kant, Hegel und Bismarck sind. Welchen Einfluß hatten sie? Gar keinen. Aber gerade das betonen zu lassen, ist wichtig. Ich war noch zu sehr im Nationalismus befangen».41 In den folgenden Jahren widmet sich Hugo Ball einem intensiven Studium der Literatur der Kirchenväter und der Viten von Johannes Klimakos, Dionysius Areopagita, Antonius und Symeon Stylites, die Eingang finden werden in sein Buch Byzantinisches Christentum.

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H. Ball, Die Flucht aus der Zeit (Anm. 3), S. 235f. H. Ball, Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz (Anm. 7), S. 140. So schreibt Ball in einem Eintrag vom 18. Dezember 1916: «Franz von Baader bezeichnet sehr gegensätzlich im Anschlusse an Bacon die Religion, und also das Christentum als die höhere Dichtkunst. Es gibt bei Baader Stellen – ich habe sie nur in Erinnerung –, wo von fiktiven Wahrheiten die Rede ist; so wie ein Gedicht wahr ist, ohne daß man es in der Wirklichkeit nachweisen kann.“ H. Ball, Die Flucht aus der Zeit (Anm. 3), S. 139f. H. Ball, Die Flucht aus der Zeit (Anm. 3), S. 272.

III. FRANZ VON BAADER IM HORIZONT VON RELIGIONSPHILOSOPHIE UND MYSTIK

MIKLOS VETÖ

Portée et perspectives métaphysiques de la pensée de Jacob Boehme

1. Liminaire Dans les années 1930, on a publié en Allemagne un ouvrage sur l’histoire de la cordonnerie, et parmi les cordonniers célèbres du passé figurait en place de choix Jacob Boehme. Malheureusement, l’historiographie philosophique a été moins généreuse avec lui que celle de la cordonnerie. On le mentionne ici et là, dans des introductions, des notes en bas de page, mais si d’excellentes monographies ont été consacrées à sa pensée, rares sont les Histoires de la Philosophie qui le traitent comme un penseur important. Effectivement, Boehme n’apparaît dans la conscience philosophique occidentale qu’avec l’idéalisme allemand, et avec l’unique – mais signifiante – exception des grands penseurs slavophiles, il ne se retrouve quasiment nulle part ailleurs. Or nous pensons que Boehme – en dépit d’un manque de culture philosophique, d’une spéculation où le conceptuel ne parvient pas à s’affranchir de l’imagé – possède une importance unique dans l’histoire de la pensée. Selon la vulgate des ‘Histoires de la philosophie’, il y eut certes entre la Scolastique médiévale et le Rationalisme classique quelques figures intéressantes, mais la philosophie moderne a commencé avec Descartes, avec le Cogito, bref, avec un tournant vers le sujet. Or précisément, cette vision de l’historiographie nous semble déficiente et d’une certaine manière, les débuts de la philosophie moderne ne sont pas à chercher dans le Discours de la méthode et les Méditations, mais dans les somptueux traités boehmiens où le philosophus teutonicus narre inlassablement l’histoire dramatique de Dieu et de l’homme, décrit avec profondeur et éclat les mystères de la multiplicité, de la liberté, du mal. Les grandes figures de la spéculation post-kantienne, elles, ont été au clair concernant l’importance de Boehme1. Il a été «découvert» par l’écrivain romantique L. Tieck, mais c’est surtout Hegel et Schelling qui le lisent avec ferveur et en reçoivent d’inspirations fécondes. Hegel l’appelle «le premier

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Pour le thème ‘Boehme et les postkantiens’, nous nous permettons de renvoyer à nos travaux De Kant à Schelling II, Grenoble 2000, p. 255-272 (une traduction allemande de cet ouvrage est en préparation chez Walter de Gruyter) et “Jacob Böhme et l’idéalisme postkantien” in: Nouvelles Études sur l’Idéalisme Allemand, Paris 2009, p. 17-31.

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philosophe allemand»2 et si l’on en croit Baader, il le considère le plus grand de tous les philosophes3. Quant à Schelling, il porte un témoignage fervent de l’importance de Boehme et de ses disciples4, et on ne saurait assez insister sur la forte présence des notions boehmiennes de Grund et d’Ungrund dans les Recherches sur la liberté humaine, probablement son ouvrage le plus important. Or l’apparition tardive de cette pensée n’est pas un accident de l’histoire. D’aucuns pensent qu’avant l’Idéalisme Allemand, la philosophie n’était pas mûre pour sa «réception»5. Effectivement, c’est l’Idéalisme Allemand qui permettra l’appropriation et le sauvetage de ses notions théologico-philosophiques sur le plan de la conceptualité philosophique. Le kantisme a accompli un certain nombre de ruptures d’avec la tradition de la métaphysique occidentale. Mais les postkantiens, sans très bien s’en rendre compte eux-mêmes, ne cessent d’innover par rapport à la Critique, certains diraient, ils ne cessent pas de la trahir… Or ces trahisons seront fécondes. Elles reviennent à du neuf, mais du neuf qui renoue, certes sur un autre plan, dans un autre registre métaphysique, avec les grandes aspirations de l’ontologie classique, cependant aussi et surtout elles déploient des thématisations qui paraissaient jusqu’alors interdites au concept. L’idéalisme postkantien advient à partir de la généralisation de l’Ansatz transcendantal chez Fichte où le sujet a priori s’approfondit, si l’on veut, se décante dans le Moi, principe et ressort de la métaphysique tout entière. Or ce seront Hegel et Schelling qui procèderont à cette réinterprétation radicale du kantisme où le transcendantal s’élargit et se transpose en une nouvelle ontologie. La spéculation de cette postérité de Fichte, sans pour autant revenir expressément sur les gardes-fou de la pensée du Moi, se meut désormais dans la sphère de l’être. De l’être qu’elle repense, qu’elle réarticule à l’aune d’une logique spéculative qui entend rendre intelligible le devenir, conceptualiser le particulier naguère considéré comme une simple et indigente diffraction de l’universel. Et tout cet élargissement de la raison, cette absolutisation du savoir philosophique se fait en une connexion explicite et efficace avec le théologique. Si la Critique a cru devoir limiter la connaissance pour donner de 2

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G.W.F. Hegel, Leçons sur l’histoire de la philosophie, trad. fr. P. Garniron, t. 6, Paris 1985, p. 1304 (éd. all. Werke [Theorie-Werkausgabe: auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe], éd. par E. Moldenhauer et K.M. Michel, 20 volumes, Frankfurt a.M. 1971, vol. 20, p. 94). Dans ses Leçons sur l’histoire de la philosophie, Hegel consacre autant de pages à Boehme qu’à Fichte et davantage de pages qu’à Leibniz. F.v. Baader, Sämtliche Werke, éd. par F. Hoffmann et al., 16 volumes, Leipzig 1851-1860 (réimpr. Aalen 1963), vol. 13, p. 81. Cf. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke, éd. par K.F.A. Schelling, 14 volumes, Stuttgart/Augsburg 1856-1861, vol. 7, p. 120. C.H. Weisse, “Boehme und seine Bedeutung für unsere Zeit”, in: Zeitschrift fur Philosophie und spekulative Theologie, 1845, p. 157 sq. Ou encore: les pensées de Boehme sont «comme la graine de la plante aquatique qui disparaît dans le courant des temps pour, une fois bien enracinée, redresser sa floraison au-dessus de la surface de l’eau». F.v. Baader, Sämtliche Werke (cf. supra n. 3), vol. 13, p. 162.

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la place à la foi, les systèmes postkantiens, ces «philosophies absolues» professent une véritable illimitation du savoir qui revient également à reprendre en concept les grands mystères du Christianisme. La philosophie depuis ses lointains commencements helléniques a eu des rapports complexes et tourmentés avec la religion. Elle a voulu traiter des sujets que la Religion n’était pas capable de conceptualiser. Elle aspirait donc à s’émanciper de la Religion, mais fort paradoxalement, cette émancipation s’était imposée finalement le plus fortement dans le contexte des systèmes qui se situaient à l’intérieur, dans la construction conceptuelle propre des Sommes théologiques. Les Sommes contiennent des théologies naturelles où la pensée s’évertue à mettre entre parenthèses le donné révélé et à présenter en concept les vérités ultimes. Cependant l’effondrement du rationalisme scolastique conduira vers des empirismes puis vers un idéalisme critique où manque toute référence à la positivité religieuse. Cette positivité fêtera son retour, plus précisément, son entrée véritable en philosophie chez Hegel, Schelling et leurs disciples. Or c’est cette positivité, ces grands thèmes de la Révélation chrétienne qui pénètrent et animent la spéculation boehmienne tout entière6. Nous pensons avec Hegel et Schelling et surtout avec Baader que «le système de Boehme»7 contient l’essentiel des thèmes qui permettront la refondation de la métaphysique dans l’époque postkantienne. De même qu’il continue à avoir des potentialités pour un renouvellement fécond de cette onto-théologie combien décriée, mais hors de laquelle on ne saurait guère concevoir la métaphysique… Parmi les grands philosophèmes – ou théologoumènes – boehmiens, trois nous semblent particulièrement signifiants en vue de continuer à penser la métaphysique. D’abord, l’interprétation du mal selon sa positivité irréductible, du mal surgi de la subjectivité humaine mais qui affecte également la réalité cosmique. Par la suite, le particulier, le déterminé en tant que réalités intelligibles sui generis, toute la gamme des entités concrètes, qui sans porter atteinte à l’essence, ne doivent pas pour autant être conçues comme ses diffractions indigentes. Et finalement – c’est la visée implicite mais essentielle de toute la spéculation boehmienne – le réel doit être pensé ou plutôt repensé à l’aune de l’intégration de la potentialité, du devenir dans l’actualité. Désormais l’Être n’est pas qu’un chiffre de la Nature, du Donné, il est plutôt un univers de l’Avènement avec des promesses de la Nouveauté elle-même. Autant dire que l’Être-Actualité qui trop longtemps s’imposait comme ens ne-

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Critiqué par des autorités ecclésiastiques de son temps, Boehme s’était écrié: «Je n’ai jamais désiré de connaître quelque chose du mystère divin; j’ai cherché seulement le cœur du Christ» Epist. Theos. 12, 6. Nous citons dans ce qui suit les œuvres de Boehme d’après l’édition: J. Böhme, Sämtliche Schriften, 11 volumes, fac-similé de l’édition de 1730, introduction de W.E. Peuckert, Stuttgart 1955-1961. Pour chaque ouvrage, nous indiquons en chiffres arabes, le chapitre et le paragraphe, enfin le volume et la page de l’édition indiquée. Nous donnons les titres en latin, les textes sont en allemand. Ici cf., vol. 9, p. 44. F.v. Baader, Sämtliche Werke (cf. supra n. 3), vol. 13, p. 173.

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cessarium, doit être entrevu à l’horizon de la liberté, une conception qui permettra le penser à partir de l’Amour.

2. Le mal L’ontologie classique, d’origine hellénique est celle de l’actualité-nécessité sans faille. Le boehméisme la «subvertira» à partir de la relecture, de la refonte de la potentialité, mais cette refonte s’accomplit aussi à partir et à travers la réinterprétation du mal. La philosophie classique enseigne l’identité essentielle de l’Être et du Bien, voire de l’Être et de la Vérité. L’avènement du mal ne saurait représenter à ses yeux qu’une attaque frontale contre ces magnifiques identités et si dans son évolution au sein de la pensée chrétienne, la métaphysique hellénique apparaît fatalement comme théodicée, elle est originellement et originairement ontodicée. La construction de l’ontodicée détermine les stratégies qu’emploie la métaphysique pour penser le mal. L’objet intentionnel de la volonté est le bien, donc on ne saurait opter en connaissance de cause pour le mal. Autant dire que le mal et la volonté mauvaise qui le choisit sont rejetés dans les ténèbres extérieures de l’irrationalité, de l’inintelligibilité. Mais l’onto-théologie ne se satisfait pas d’ériger le mal en catégorie par excellence du non-intelligible: depuis les Néo-Platoniciens, elle le repousse également en dehors ou plutôt en deçà de l’Être. L’Être étant le Bien, tout ce qui est est bon, d’où la conclusion évidente que ce qui est mal, en tant qu’il est mal, en tant qu’il est mauvais, n’est pas. Depuis Proclus, la philosophie ne cesse de décliner l’étrange litanie des négations d’être, de réalité, voire de possibilité du mal. Sans doute, il y a des voix, même puissantes, pour formuler des objections, mais pour l’essentiel, la métaphysique croit résoudre «le problème» du mal en en récusant la réalité. Or le cordonnier de Görlitz ne saurait se satisfaire de ces ratiocinations savantes, il déploie une doctrine où le mal, sans pour autant devenir une donnée ontologique primordiale, reçoit une fondation dans l’être, où, tout en se délimitant résolument contre dualisme et manichéisme, la philosophie parviendra penser la positivité de la malignité. Contrairement aux philosophies classiques qui déjà sur le plan de la Weltanschauung quasiment baignent dans le limpide, le paisible, l’intuition fondatrice du Boehméisme discerne le terrible au sein même du cosmique. Boehme perçoit d’une manière aiguë le dynamisme de la vie, mais la Vie lui paraît porteuse de périls, de menaces. La Vie n’est ni l’équivalent ni un échantillon suprême de l’être de par son essence intelligible et bonne. La Vie chez cet Héraclite allemand8 est animée, ressourcée, maintenue par le Feu et le théosophe de retrouver cette racine de l’igné jusqu’aux profondeurs mêmes de

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F.W.J. Schelling, Philosophie de la Révélation, trad. fr. J.-F. Marquet et J.-F. Courtine, Paris 1989, t. 1, p. 130 n. (éd. all. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (cf. supra n. 4), vol. 13, p. 106 n.)

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la divinité9. Or l’igné ne signifie pas simplement de la combustion, de la destruction donc une opposition univoque, en fait primitive, simpliste, au bien. La vie est le moment culminant du devenir, cependant le devenir n’est pas simplement chiffre de la potentialité, il implique également des torsions et des ruptures. C’est une puissance immense qui désire persister et progresser, mais se trouve de par sa nature en proie au déchirement, à l’indétermination et son cortège: selon son acception «positive»: la vie et tout ce qui est de la vie, est ténébreuse et angoissée.10 La Vie et la Nature dont elle est la manifestation, l’instance par excellence, n’ont rien de la placidité apollonienne des platonismes, elles exsudent la menace, car elles sont soumises au Courroux, au Terrible. Avec l’intuition du Terrible, de la conception de la Colère comme véritable catégorie ontologique, une brèche s’esquisse dans l’homogénéité apollonienne de l’Être. En réalité, toutefois il s’agit moins de l’ouverture d’une brèche que d’une modification d’accent, de couleur et les phénomènes du mal continuent à se situer dans un univers du Donné. Toutefois, Boehme sait ne pas s’arrêter à cette naturalisation supérieure du mal et se sert d’une autre catégorie biblique, de la vanité pour progresser dans la subversion de l’ontologique propre à son génie. Selon l’Épître aux Romains, depuis la Chute ce monde est sous le signe de la «vanité» (8, 19). Or vanité ne désigne pas une ostentation inoffensive mais une condition d’instabilité qui, tout en épousant des significations du rêve, de l’illusion, indique avant tout la fragilité, la précarité d’un univers voué, voué en conséquence de la Transgression, à la destruction11 . Le philosophème-théologoumène de vanité constitue un jalon signifiant sur la voie du descellement du donné. D’une part, elle suggère l’eidos du subjectif – ou du pré-subjectif – essentiel pour toute théorie du mal. D’autre part, elle mine quasiment de l’intérieur l’ontologie du donné. Elle montre avec éclat la fragilité des étants, mais une fragilité qui n’est pas un simple dégradé ou instance de la contingence. Si la contingence dénote une faille dans l’identité de l’être et de la nécessité, la vanité approfondit cette faille par l’intuition de la noncoïncidence de l’être et du bien. Toutefois, le thème de la vanité ne fait pour ainsi dire qu’introduire un nouveau discours sur le mal, il ne suffit pas encore – et de loin – pour le penser en métaphysique. La vanité dénote une instabilité, annonce des diverses figures d’impermanence malsaine, mais elle ne satisfait qu’à moitié aux deux grandes exigences métaphysiques, à savoir le caractère advenu du mal et sa vérité d’être un phénomène de registre, de niveau, bref, d’ordre et non pas d’être. 9

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Cf. «Le Seigneur ton Seigneur est un feu dévorant» Hebr. 12, 29 in De Triplici Vita 2, 58, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 3, p. 30 et Psychologia Vera 1, 25, cf. id., vol. 3, p. 13. Sex Puncta Theosophica 7, 10-12, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 51 sq. et Sex Puncta Theosophica 9, 9: «alles Leben stehet in Gift», cf. id., vol. 4, p. 67. Mysterium Magnum 10, 9, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 7, p. 55 et De Signatura Rerum 14, 71 et passim, cf. id. vol. 6, p. 212 sqq.

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Sans doute, le boehméisme est irrréductiblement opposé à l’ontologie du donné, et il persiste dans ses tentatives pour dissocier l’être et le bien. Or le cordonnier de Görlitz est un penseur chrétien et pour la pensée chrétienne, la création est œuvre de la bonté de Dieu et tout ce qui est créé est bon, y compris le feu de l’enfer et le serpent du Jardin d’Eden (avant qu’il n’ait été infecté par le diable).12 Voilà donc un optimisme théologique mais qui finalement se montre radicalement différent de son frère cadet, l’optimisme ontologique. Quand l’ontodicée pour pouvoir avaler la couleuvre de l’existence, de la réalité effective de divers échantillons du mal, se voit forcée de les réduire au non-être, en attendant d’en faire des serviteurs du bien, la théosophie biblique de Boehme, professe sans qualification ni ratiocination la bonté suprême de la création. Et pour rendre justice à la vérité, à la réalité du mal, elle se voit «condamnée» à préconiser un ordre de l’être renversé, une transposition du donné qui le fait exister sous le signe de la malignité. Boehme ne cesse d’annoncer le terrible et le ténébreux, mais il se trouve conduit par la logique de ses positions à enseigner que même le monde des ténèbres n’est pas mauvais en lui-même. Les ténèbres, c’est l’enfer, mais l’enfer n’est vraiment infernal que pour ceux qui ont été jetés en lui et non pas pour ceux qui y sont nés. Il y a une différence – selon les développements subtils des Six Points Théosophiques – entre les diables et les démons. Les diables sont des anges rebelles qui furent précipités dans l’enfer et y souffrent, tandis que l’abîme «a ses créatures /=les démons/ mais elles sont de la même essence courroucée. Elles n’éprouvent pas de peine; pour elles la lumière serait de la peine. Mais aux diables déchus qui au commencement furent créés dans le monde de la lumière, à eux, les ténèbres causent de la peine».13 Originellement – pense Boehme – les ténèbres furent créées comme le contraire de la lumière et en tant que telles, elles appartenaient à l’ordre universel14. Tout est bon selon son essence, et chaque chose serait bonne, si elle était restée dans le principe où elle était créée15. Le mal paraît alors comme la manifestation ou la conséquence d’un changement d’ordre mais qui ne revient pas à un simple déplacement ou transposition. Le changement qui met notre univers sous le signe de la malignité est un renversement violent du donné mondain aussi bien qu’un déchirement, une 12 13

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Mysterium Magnum 20, 14, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 7, p. 135 sq. Sex Puncta Theosophica 2, 36, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 23. Boehme distingue également Lucifer qui est créé et Satan qui ne serait pas une créature, mais «un fondement infernal», cf. Quaestiones Theosophicae 11, 6 et 4, 6, cf. id., vol. 9, p. 31 et p. 14 sq. «Dans la vie des ténèbres, il n’y a pas de tristesse, mais ce qui est de la tristesse avec nous sur terre… est de la puissance et de la joie selon la propriété des ténèbres, de même que l’angoisse est la vie du poison», Sex Puncta Theosophica 9, 13, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 67 sq. De Triplici Vita 13, 1, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 3, p. 252 sq. et De Electione Gratiae 8, 8, cf. id., vol. 6, p. 103.

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aliénation de soi-même. La figure paradigmatique du mal est le diable. Or précisément, dans le diable la modification d’ordre apparaît comme fausseté16. Toutefois, on ne saurait assez insister: la fausseté n’est pas une simple absence du vrai, mais une opposition active à la vérité17. L’ange de par sa nature créée porte «une image de Dieu» qui par la chute n’est pas simplement perdue, mais se trouve remplacée par une image «infernale». L’Écriture appelle le diable, père du mensonge (Jn 8, 44): l’existence même de Lucifer est un mensonge car il veut paraître comme principe propre d’un univers autonome quand en réalité, il n’est qu’un parasite du monde des ténèbres créé par Dieu. La vie du mal est mensongère du fait de sa prétention à l’autonomie par rapport à Dieu et aux autres. Le mensonge est la forme même de l’existence diabolique qui prétend que c’est l’autre qui est mauvais. Dans le monde du diable «chaque figure – écrit Boehme – est un menteur pour elle-même, et l’une dit à l’autre qu’elle est méchante et ennemie, que c’est l’autre qui est la cause de son angoisse et de son courroux. Chacune pense en elle-même: si seulement l’autre n’existait pas, tu aurais du calme; et pourtant chacune d’elles est mauvaise et fausse… le mensonge est leur vérité. Quand elles profèrent des mensonges, elles énoncent leurs propres figures et leurs propriétés».18 La profonde dialectique de cette dernière phrase exprime l’accomplissement, la culmination du mal. Le mal projette sa propre négativité vicieuse dans un autre, et de cette façon, il dit la vérité sur soi-même sous forme précisément du mensonge19. Le mensonge est une manifestation éclatante de la positivité du mal. Et cette positivité apparaîtra selon sa plénitude par une référence de la malignité à la subjectivité. L’orgueil est une figure par excellence du vice et en méditant sur la chute du diable, cette catastrophe primitive qui a soumis le monde sinon à l’emprise, mais au moins à la puissante influence du mal, Boehme déclare que le diable voulut être son propre Dieu20. Il «voulut monter au-delà de la divinité dans l’orgueil». Évidemment, ce fut impossible, et il finit par retourner en lui-même21. Le retour en soi-même est cet enfoncement, cette abimation qui enferme un être en soi-même et de ce fait, le ferme également devant les autres, finalement le tourne contre les autres. Au lieu de vivre et de progresser avec les autres, l’égoïste s’arrête, se contracte et prend une position contre eux, se condamnant soi-même à l’isolation. 16 17

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Cf. Mysterium Magnum 22, 7, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 7, p. 149 et Sex Puncta Theosophica 3, 6, cf. id., vol. 4, p. 29. Sex Puncta Theosophica 9, 6 et 5, 11, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 66 sqq. et p. 42. En commentant Boehme, Baader écrira: «Finsterniss ist nicht blosse Abwesenheit des Lichtes, sondern terror lucis», cf. F.v. Baader, Sämtliche Werke (cf. supra n. 3), vol. 13, p. 90. Sex Puncta Theosophica 9, 2-3, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 66. H. Grunsky, Jacob Böhme, Stuttgart 1956, p. 225 sq. De Triplici vita 4, 61, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 3, p. 72 et Aurora cap. 13 et 14, cf. id., vol. 1, p. 166 sqq. et p. 187 sqq. De Tribus Pricipiis 14, 85, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 2, p. 192.

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3. Le particulier La conception boehmienne du mal permet de rendre justice à sa positivité et discerne et établit la continuité entre ses aspects ou si l’on veut ses composants moraux et métaphysiques. Toutefois, cette refonte de la doctrine du mal aura d’importantes conséquences pour les catégories, les concepts fondamentaux de la métaphysique en général. La philosophie classique de l’Occident, cette philosophie hellénique, fait preuve d’une cécité profonde devant le particulier ; en réalité, pour elle la détermination, la différenciation signale une limitation de l’intelligibilité. Et dans la droite ligne de cette dé-considération, le sensible, le corporel, en fait, la matière tout entière, se trouve sous le signe de l’indigence, de la nullité, en dernière instance d’un non-être malheureux, sinon vicieux. Or cette dépréciation de la matérialité, de la particularité ne s’était insinuée que pour ainsi dire subrepticement dans la pensée chrétienne qui d’une part est sous le signe de la valeur ultime de la corporéité: sa catégorie fondatrice est l’Incarnation, l’Incarnation qui conduit selon sa logique immanente à la résurrection de la chair. Et qui d’autre part, sait pertinemment que la lutte est à livrer contre des puissances et des principautés qui ne sont pas d’ordre matériel, contre le diable qui n’est pas un être de chair. Sans doute, de grandes figures de la pensée chrétienne, théologiens et écrivains spirituels, n’avaient jamais perdu de vue la positivité du mal comme la vérité et la valeur du corps, mais la philosophie scolastique était quasiment dépourvue de moyens de défense devant la dépréciation antique de tout ce qui paraissait d’intelligibilité limitée. Boehme ne sous-estime, certes pas le rôle du corporel dans les faiblesses et les passions de l’homme, il ne confond pas la puissance de la matière avec la vigueur de l’esprit, mais en vertu de l’inspiration théologique de sa spéculation, il met en valeur la positivité du mal qui n’a rien à voir avec la matière. Le cordonnier de Görlitz s’occupe beaucoup du diable, «il a fort à faire avec lui»,22 mais il sait rappeler la vérité élémentaire: l’Ennemi de la Race Humaine n’a pas de corps23! Quant aux relations entre matière et mal, le discours boehmien, conduit par un instinct, par un discernement métaphysique très sûr, sait dissocier clairement le mal et la matière. Voire, il explique que la matière a plutôt un rôle important, irremplaçable dans le combat contre les puissances du mal. Ces puissances sont d’ordre spirituel, et leur emprise sur l’homme, être de chair, est quasiment entravée, brouillée par le corps. Le mal est un feu qui veut se propager, mais la lourdeur de la chair, les contraintes de la matière en ralentissent la progression, en tamisent la combustion, bref, en affaiblissent l’œuvre de destruction.24 Au lieu d’être un châtiment, la matière est plutôt

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G.W.F. Hegel, Leçons sur l’histoire de la philosophie (cf. supra n. 2), p. 1307 (éd. all. Werke (cf. supra n. 2), vol. 20, p. 97). Cf. De Triplici Vita 8, 22, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 3, p. 150. Comme le dira Baader avec profondeur: ceux qui attribuent la captivité pécheresse de l’homme à la matière, confondent le prisonnier avec le cachot: la matière est le cachot qui

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l’œuvre de la miséricorde qui voulait protéger le Premier Homme et ses descendants, elle est le vêtement qui les couvre, l’enveloppe qui les protège25. Cette apologie de la matière représente un jalon, un moment signifiant dans la genèse de la pensée moderne et elle ne provient pas que des considérations morales-spirituelles. Le mal advient dans un univers qu’anime, voire domine le conflit. Et si le conflit n’est pas à assumer et à célébrer d’une manière univoque, il ne joue pas moins un rôle essentiel dans la recomposition du paysage métaphysique de l’Occident. Le conflit brise la belle simplicité de l’intelligible, il subvertit la coïncidence immémoriale de l’être et de l’harmonie. Le conflit conduit à des ruptures et à des reconfigurations. Il se diffracte pour ainsi dire dans des réalités particulières, des réalités qui ne sont très souvent que des fragments, des éclats, mais qui vont en se solidifiant et aboutissent à un remembrement de l’être selon la différenciation et la détermination. Pour la tradition de la philosophia perennis, l’infinité et les universaux ont une supériorité éclatante par rapport aux divers accidents que représentent les particuliers. Et la tradition s’accomplit en Spinoza pour conclure: toute détermination est négation! Or, pour la métaphysique boehmienne – selon la formule du «grand disciple», Baader26 – «Omnis determinatio… est positio»27. Aux yeux de la théosophie chrétienne, la perfection dépend de la détermination. Après tout, Dieu lui-même qui est personne, est l’être le plus déterminé qui soit! La détermination semble relever du monde de la fixité, de la rigueur, de la structure, elle semble mal s’accommoder avec la vitalité exubérante de l’univers boehmien. Toutefois si l’auteur de la Vie Ternaire a un engouement, une sympathie passionnée pour la fécondité, la surabondance, la multiplicité débordante des naissances, il n’approuve, il ne corrobore ni ne célèbre le multiple que là où cela conduit à l’expression de la différenciation. Cette philosophie-théologie poétique fête la richesse des figures du réel, et elle reconnaît et apprécie «ces figures» selon «leur distribution et déploiement»,28 c’est dire selon leur multiplicité articulée. Or la reconnaissance de la légitimé métaphysique du particulier, la rupture avec la tradition immémoriale des Platonismes qui n’envisagent l’individu, le particulier qu’en fonction de l’universel auquel il participe et seulement dans la mesure où il y participe, ne revient pas qu’à la reconnaissance de la réalité et de l’intelligibilité du particulier en tant que tel, en et pour lui-même. Le boehméisme considère le réel tout entier comme un immense livre où le sens s’articule et se révèle à travers ces mots et ces lettres que sont les êtres indivi-

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empêche que le prisonnier n’échappe et ne dévaste l’univers, cf. F.v. Baader, Sämtliche Werke (cf. supra n. 3), vol. 13, p. 121. Cf. Sex Puncta Theosophica 7, 19, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 52 sq. A. Koyré, La philosophie de Jacob Boehme, Paris 1929 (réimpr. 1979), p. 319 n. 3. F.v. Baader, Sämtliche Werke (cf. supra n. 3), vol. 13, p. 232 et vol. 9, p. 312. De Electione Gratiae 4, 16, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 6, p. 40.

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duels. Si, dans le leibnizisme, les essences possèdent une impulsion, une tendance immanente pour passer à l’existence, dans l’Aurore, dans les Trois Principes ou encore dans Mysterium Magnum, c’est l’être qui aspire à se révéler, à s’annoncer, à se dire, plus précisément, se révéler, s’annoncer et se dire dans et à travers des êtres particuliers. Le particulier est désormais intelligible, pas seulement en lui-même, mais en tant qu’expression de l’universel. Dans la vie du grand Tout, il ne s’agit pas seulement de mouvement et de production mais aussi de l’annonciation et de révélation; pas seulement de la naissance d’êtres autonomes, mais de la révélation de l’engendrant dans l’engendré et par l’engendré. L’engendrant inscrit sa «signature» dans l’engendré qui n’est jamais un simple être-là, mais un neuf qui présente à sa manière une image de l’ancien. L’avènement du particulier est une révélation qui conduit à l’actualisation de ce qui n’était jusqu’alors que potentiel, et qui contribue aussi au déploiement, dans un certain sens, à l’accomplissement même de l’être qui se révèle29.

4. Actualité, liberté, amour Boehme parle des êtres, des figures en qui la nature, voire Dieu se révèle comme dans des «bouches»30: l’engendré est la bouche de son engendrant, il annonce voire, il énonce son principe et sa racine. Or la bouche qui parle n’est pas un simple canal à travers lequel les paroles du principe seraient communiquées et annoncées. Contrairement au simple écoulement de l’eau dans un tuyau qui n’affecte pas cette conduite, les paroles qui sont formées et puis énoncées par une bouche humaine engagent leur locuteur et agissent sur lui. En disant et en se disant, celui qui se révèle se trouve affecté, subit une modification, vit un mûrissement. En se servant de la notion de la révélation, en nommant les figures de l’être, ses bouches, le boehméisme opte résolument pour un anthropomorphisme que la philosophie classique n’a cessé d’exécrer et de condamner. L’homme n’est qu’un des nombreux étants de ce monde, rien ne justifie alors qu’il prétend à posséder une espèce de monopole pour le discours sur l’être. L’anthropomorphisme serait naïf au mieux, illégitime, voire blasphématoire au pire et ce ne sont que des pensées marginales, paraphilosophiques qui avaient la naïveté ou l’audace d’y recourir. Or cette condamnation est tout simplement intenable. Les ontologies classiques tiennent à l’utilisation des catégories universelles, abstraites, toutefois pourquoi les notions décantées à partir de l’observation de la nature, des généralisations des structures et des processus de la pensée rendraient davantage justice à une universalité formelle que des concepts élaborés dans le contexte d’une réflexion sur l’homme, cet étant exceptionnel qui est comme la quintessence des au29 30

Cf. Quaestiones Theosophicae 3, 6, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 9, p. 8. De Signatura Rerum 1, 16, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 6, p. 7.

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tres êtres et le seul capable de penser l’Être? À partir du Cogito cartésien, la philosophie moderne s’engage sur la voie d’un anthropomorphisme caché, mal-occulté dont les hauts moments sont la Monade leibnizienne, le Moi de Fichte et plus récemment, le Dasein de Heidegger. Cette présence de l’anthropomorphisme est irrécusable et la question n’est pas si on peut ou si on doit l’éviter mais plutôt: dans quelle direction et avec quelle finalité métaphysique doit-il être pratiqué? Hegel dira que dans la pensée de Boehme, c’est le principe de l’intériorité, prétendu principe protestant, qui déploie ses richesses31. L’intériorité n’est qu’une expression subtile, un avatar tardif et transposant de l’anthropomorphisme qui provient de deux sources dans cette philosophie religieuse. L’homme est «un petit Dieu» lit-on dans l’Aurora, le premier ouvrage boehmien.32 Un énoncé qui reçoit un peu plus tard sa formulation inverse, son pendant: «l’être éternel est semblable à un homme».33 Les origines et les préoccupations proprement religieuses, chrétiennes de cette philosophie favorisent l’anthropomorphisme: après tout si l’on en croit ce grand historien de la philosophe, cet interprète subtil du kantisme qu’était Émile Boutroux, la fin principale de la pensée boehmienne serait de rechercher les conditions de la construction d’un Dieu personnel34! En fait, il ne s’agit pas seulement de la déduction du Dieu personnel. La théosophie du cordonnier de Görlitz est profondément influencée par la méditation sur les mystères chrétiens, autant dire que ces catégories de la religion positive pénètrent et réarticulent les thèses traditionnelles des théologies naturelles. Les mystères christiques se rapportent à un être personnel, à un être historique, et si Boehme ne tentera jamais l’inclusion, l’intégration de l’histoire dans sa métaphysique, la catégorie fondatrice de l’histoire, à savoir la liberté est toujours présente à l’horizon de sa réflexion. Une lecture quelque peu perspicace de l’anthropomorphisme boehmien nous fait réaliser que l’emploi des images puisées de la vie psychologique et morale de l’homme s’oppose, certes, aux exigences conceptuelles de la métaphysique classique, mais les véritables menaces et périls de cette métaphysique se situent sur le plan du déploiement de la grande intuition conceptuelle de la liberté. Nous pensons que la liberté constitue quasiment l’aire où se joue le destin historique si l’on veut historial du boehméisme. C’est en concevant temps et liberté sur le plan de la spéculation que le boehméisme anticipe la subversion de la métaphysique classique, celle du «dogmatisme» et qu’elle contient les promesses et les prémices d’un renouvellement de l’ontologie. Cependant c’est précisément dans la mesure où il ne parvient pas à dégager la liberté de ce même monde ontologique qu’il ne constitue qu’une tentative, certes suprême, de rompre avec la philosphiie classique. Une tentati31

32 33 34

G.W.F. Hegel, Leçons sur l’histoire de la philosophie (cf. supra n. 2), p. 1304 (éd. all. Werke (cf. supra n. 2), vol. 20, p. 94). Aurora 26, 74, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 1, p. 395. De Triplici Vita 6, 48, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 3, p. 117. É. Boutroux, Études d’histoires de la philosophie, Paris 1897, p. 229 sqq.

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ve qui n’a pas pu «réussir» mais qui demeure néanmoins l’anticipation et la projection d’une refonte véritable de la métaphysique. La métaphysique moderne, celle qu’inaugure la Critique de la Raison Pure est quasiment fondée sur le temps, plus précisément sur la réhabilitation du temps qui, principe-racine du savoir a priori, apparaît comme le ressort véritable de la connaissance. Or Jacob Boehme ne comprend pas le temps. Ou plutôt s’il le comprend, il le comprend très différemment des grands penseurs de la temporalité, de Kant, de Husserl, de Heidegger. Le théosophe continue à avoir une vision péjorative du temps. Sans doute, il rompt avec l’aplatissement du temps en instant présent qui depuis Aristote avait dominé la philosophie occidentale, mais il le remplace avec une théorie où tempus devient chiffre de la destruction. C’est dire que le Philosophe Allemand professe l’antique doctrine de l’irréalité foncière du temps mais comme aggravée: le temps n’est pas seulement le chiffre de l’évanescence de ce monde, il est aussi et surtout le facteur et le moteur actifs de l’impermanence des êtres. La philosophie moderne situe résolument le temps dans la sphère de la subjectivité, plus précisément, de la subjectivité transcendantale, or Boehme en fera un chiffre de la Nature. Dans une formule à l’apparence mais seulement à l’apparence très classique, ce grand moraliste qu’était le cordonnier de Görlitz, déclare: «l’homme droit n’a aucun temps».35 Or si l’homme droit n’a et ne doit rien à voir avec le temps, c’est que la droiture, la justice, la bonté connotent précisément la condition d’avoir vaincu et dépassé le temps. Pour Boehme, le temps relève de la Nature, cependant la nature n’est ni un royaume harmonieux et paisible ni la sphère des essences mais le chiffre même d’un tourbillon cosmique. Le boehméisme souscrit à la conception immémoriale du «il n’y a rien de neuf sous le soleil», cependant l’absence du neuf ne renvoie pas ici à une simple répétition, mais à une destruction sauvage. S’emparant d’une formule d’origine biblique, de «la roue de la naissance» (Jc 3, 6),36 le théosophe accomplit une synthèse extraordinaire des deux grandes visions péjoratives du temps. À savoir de sa cyclicité répétitive et de sa violence destructrice. La Roue de la Naissance est une expression emblématique pour la NatureTemps comme catégorie métaphysique. Elle correspond à l’intuition d’un mouvement circulaire, d’un tourner-en-rond stérile, et en tant que tel, sa vérité n’est pas seulement d’ordre topographique. Les êtres de la nature progressent sur la voie qui leur est prescrite par leur essence, ils avancent et d’une certaine manière, rien ne saurait les dévier de cette progression. Toutefois, la vérité de cet avancement est cyclique, plus précisément, il n’est figure que de la Répétition. Chaque individu et chaque force de la nature parcourent le chemin qui leur est propre. Les bêtes et les plantes naissent, croissent, se reproduisent, puis disparaissent. De la naissance vers la mort, ils traversent toute une variété 35 36

De Triplici Vita 18, 3, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 3, p. 334. Cf. Sex Puncta Theosophica 4, 16, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 36 sq. et Mysterium Magnum 3, 15, cf. id., vol. 7, p. 14 sq.

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de crises et d’accomplissements, mais crises et accomplissements jouent quasiment le même rôle chez chacun de ces êtres; ils ne représentent aucune nouveauté, seulement une reprise de ce que leur dit leur essence, une répétition, un pendant fidèle des moments d’existence de leurs congénères. La loi de la répétition qui préside à la vie des êtres naturels semble quelque chose de régulier, de paisible, en réalité, c’est une force violente qui est à l’œuvre dans tous ces redits. Les êtres du monde sont condamnés à dire et à vivre la même vérité, ils n’ont aucune latitude pour innover. La Nature, c’est l’absence de la nouveauté, ou plutôt son adversaire implacable. En dépit de ses apparences mouvementées, dramatiques, la vie qu’elle concède à ses rejetons n’est qu’une parodie de nouveauté. Et Boehme de s’emparer d’une figure en provenance de la mythologie antique pour traduire l’opposition à la nouveauté, donc à la subsistance et à l’autonomie de ce qui advient. Hésiode décrit Kronos qui, craignant que ces enfants ne se révoltent contre lui, les avale dès leur venue au monde. L’image sanglante, terrifiante de cette divinité – Boehme en utilise la version latine Saturne – dévorant ses enfants37 n’est finalement qu’une traduction dramatique de la vision cyclique, répétitive de la Nature-Temps, ne pouvant ni ne voulant engendrer de la nouveauté. Elle a comme concomitant, l’intuition d’une fébrilité, d’une impermanence violente qui règne dans le monde de la nature. Si rien de neuf n’arrive sous le Soleil, c’est qu’en dernière instance, ce qui arrive n’est pas vraiment. Boehme parle de «la fantaisie» à l’œuvre dans la Nature,38 et effectivement, les êtres de la nature ne possèdent pas de réalité sui generis, ils ne font pour ainsi dire que miroiter pour un instant avant de retomber dans le sein de cette Nature dont ils n’ont jamais été effectivement scindés. Cette vision de la nature, de cette «roue folle, délirante»,39 de cette répétitivité fatale couplée d’impermanence fiévreuse impressionne, fascine la postérité, mais même les lecteurs les mieux intentionnés et ceux qui doivent beaucoup au Cordonnier de Görlitz, finiront par mettre en lumière les carences et les traverses de sa théosophie. Schelling dont les Recherches sur la liberté humaine sont profondément influencées par Boehme, l’inclut dans sa Contribution à Histoire de la Philosophie Moderne,40 mais il finira par rappeler l’impuissance de cette spéculation à transcender les limites d’un système de la nécessité. Sans doute, ce discours puissant, dramatique repousse dans l’ombre les analyses et les démonstrations abstraites des traités dogmatistes. Tout est mouvement, dynamisme, fécondité dans ces développements, mais en dernière instance, le dynamisme n’est toujours que celui des processus nécessaires, la 37 38

39 40

De Triplici Vita 11, 55, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 3, p. 213 et De Signatura Rerum 9, 9 et passim., cf. id, vol. 6, p. 98 sq. De Electione Gratiae 4, 29 sqq., cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 6, p. 44 sqq. Mysterium Magnum 22, 62, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 7, p. 161. F.W.J. Schelling, Contribution à l’histoire de la philosophie moderne, trad. J.-F. Marquet, Paris 1983, p. 203-211 (éd. all. Sämmtliche Werke (cf. supra n. 4), vol. 10, p. 184-192).

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fécondité ne revient pas à l’avènement du neuf. La spéculation boehmienne se revêt d’une imagerie magnifique, mais sa théologie n’est finalement qu’une théogonie, non pas la narration des nouveautés qui font irruption dans l’Être mais le récit de processions nécessaires. Boehme lui-même est «une nature théogonique» qui reprend inlassablement une chronique de l’ontogenèse, réitère les développements analogues dans ses ouvrages successifs. Et sa philosophie, reflet fidèle des processus naturels, ignore, elle aussi, la liberté véritable, reste incapable de s’arracher au tourbillon du devenir, ne parvient pas à décrocher la liberté de la nature. Et suprême condamnation de la part de l’auteur de la philosophie positive, l’absence de liberté véritable dans cette métaphysique de la Nature, invite à l’assimiler au discours de la logique hégélienne, une spéculation qui reste en deçà de l’existence et de la liberté.41 Sans doute, la condamnation schellingienne n’est pas sans justification, car le dynamisme des processus que décrit la théosophie ne connote pas encore une véritable fécondité novatrice. Boehme, même quand il discourt expressément sur la liberté, ne parvient pas vraiment la dissocier de la puissance de la Nature. Toutefois, il y a des indices – et plus que des indices – d’une autre conception de la liberté dans son oeuvre, d’une vision qui rend justice à sa réalité sui generis, à sa différence par rapport à ce donné suprême qu’est la Nature. Sans verser dans une théologie négative quelconque, sans apparaître comme un précurseur lointain des dénonciations de l’anti-ontologie militante de la Phénoménologie contemporaine, Boehme sait – avant Kant – distinguer la liberté du monde du théorique, voire de l’ontologique. La liberté relève du monde de la volonté, or «la volonté libre est mince comme un rien»,42 voire la liberté stricto sensu «n’a pas d’être».43 La liberté n’a ni extension ni poids, elle ne relève pas de l’aire physique ni finalement de l’univers ontologique, bref, elle n’est pas du monde de la Nature. Qui plus est, contrairement à la Nature dont les mouvements fiévreux et violents ne sont que des épiphénomènes trompeurs d’un enfoncement en soi radical, d’un égoïsme ultime, la liberté est le ressort d’un dépassement de soi, d’une sortie de soi. Sans doute, la tendance à se révéler n’est pas sans ambiguïté: après tout, il peut s’agir ici simplement d’une espèce de désir instinctif de se donner de l’être, de la consistance. Autrement dit: la surabondance conduit, certes, à la fécondité, mais la fécondité n’est pas encore pour autant une œuvre de la nouveauté. Boehme est toutefois conscient du haut enjeu métaphysique de cette problématique et sa réflexion situera la liberté dans la mouvance du bien, du bien qui est diffusion de soi, une diffusion de soi qui communique de l’être à d’autres, et qui ne saurait être conçue comme un simple flux ou effusion. Le théosophe ne cesse de rappeler que la liberté aspire à la manifestation, mais il saura nuancer ou plutôt rectifier 41

42 43

F.W.J. Schelling, Philosophie de la Révélation (cf. supra n. 8), p. 147 sq. (éd. all. Sämmtliche Werke (cf. supra n. 4), vol. 13, p. 123 sqq.) Mysterium Magnum 27, 4, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 7, p. 214 et Mysterium Magnum 16, 17: «Die freie Lust… ein dunne Nichts», cf. id., vol. 7, p. 104. De Signatura Rerum 14, 27, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 6, p. 201.

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son discours. La notion de la liberté ne pourrait pas s’épuiser dans une lecture d’ordre ontologique de la manifestation, elle doit se ressourcer auprès de ses racines morales. Si la liberté est effectivement aspiration à la révélation, c’est dans la mesure où elle ne saurait se contenter d’être «la puissance d’indifférence»44 des philosophies classiques et du sens commun. La liberté d’indifférence se cantonne – et s’en vante – dans une neutralité, dans une inaction parfaites quand la manifestation aboutit au merveilleux avènement des réalités, des choses et des êtres. Et cet avènement, cette fécondité est évidemment du bien. Or Boehme ne se contente pas de professer un enseignement qui simplement impliquerait le rapprochement de la liberté du bien, il va jusqu’à énoncer expressis verbis cette conclusion ultime. Il ne suffit pas d’enseigner que la liberté conduit au bien, voire que son exercice et son accomplissement authentiques sont bons, il faut aller jusqu’à annoncer: «le bien est un façonnement (Fassung) de la liberté».45 Autant dire que la liberté aboutit au bien, mais aussi – et c’est peut-être encore plus important – que le Bien implique, contient selon sa structure métaphysique la liberté. Avec ce ressourcement du bien à partir de la liberté, cette introduction de la liberté au cœur même du bien, on dépasse les métaphysiques anti-ontologiques à visée apophatique pour présenter une réflexion où la philosophia prima se situe dans un registre moral, mais avec comme catégorie propre, l’amour, non pas la justice. ‘L’intégration’ de la liberté dans le bien se répercutera sur la conception de Dieu qui, dans cette spéculation d’où la notion même de l’Être est absente finira par s’accomplir dans l’Amour. Sans doute, aucun texte de Boehme ne mentionne exlicitement la liberté de Dieu,46 mais Dieu qui est le bien, en fait «l’unique bien en dehors de la nature», Dieu qui est un synonyme du Bien47 est essentiellement Amour. Boehme ne se sert nulle part des formules comme «Dieu ou l’Amour», mais les définitions crépitent où l’amour dénote l’essentiel, le proprement divin de Dieu. L’amour est «au centre de la divinité»,48 «le cœur de Dieu»;49 ou encore: «seul dans l’amour que Dieu s’appelle Dieu»50 voire, Dieu n’est vraiment Dieu que selon la lumière de l’amour.51 44 45 46

47 48 49 50 51

Sex Puncta Theosophica 3, 14-15, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 31. De Signatura Rerum 3, 12, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 6, p. 20. En revanche, on rencontre la formulation: «Die Freiheit (welche Gott heisset)», De Signatura Rerum 14, 24, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 6, p. 200 et aussi: «die klare Gottheit stehet... in der Freiheit ausser der Natur», De Incarnatione Verbi II 3, 4 etc., cf. id., vol. 4, p. 127. De Electione Gratiae 2, 19, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 6, p. 189. Epistolae Theosophicae 17, 2, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 9, p. 71. De Tribus Principiis 25, 47, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 2, p. 443. Mysterium Magnum 26, 10, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 7, p. 200. Cf. O. Kile, Die theologischen Grundlagen von Schellings Philosophie der Freiheit, Leiden 1965, p. 39. Il y a même un texte pour dire: «die Liebe… ihre Grösse ist grösser als Gott» De Vita Mentali 26, cf. J. Böhme, Sämtliche Schriften (cf. supra n. 6), vol. 4, p. 151 (Weg zu Christo: Vom übersimmlichen Leben, im Gespräch eines Meisters und Jüngers).

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L’amour comme perspective ultime de la spéculation dans une pensée où l’être n’a pas de rôle, au moins pas de rôle explicite, confirme avec éclat que le boehméisme est une philosophie anticipatrice de l’idéalisme allemand, et s’il partage certaines servitudes avec la Logique hégélienne, il contient tous «les ingrédients» d’une métaphysique désireuse d’aller au-delà de l’actualité impuissante car indivise de certains systèmes néo-scolastiques. Il fournit également des sauvegardes devant les tentations de la Gnose heideggerien, sans pour autant tomber dans l’apophatisme de la Phénoménologie française. Sans doute, cette théosophie imagée ne saurait constituer qu’une source d’inspiration indirecte pour un renouvellement de la métaphysique, pour un renouvellement qui entend conserver les immenses acquis de la Tradition. Le plus grand de tous les disciples de Baader, s’était désigné lui-même non pas philosophe de métier mais «professeur de l’amour».52 C’est en tant qu’enseignement sur l’Amour, non pas comme un simple thème de Weltanschauung, mais comme une véritable catégorie de Première Philosophie que l’héritage de Boehme pourra révéler toute sa fécondité pour l’avènement d’un nouvel avatar de la philosophia perennis.

52

F.v. Baader, Sämtliche Werke (cf. supra n. 3), vol. 15, p. 627.

FERDINAND VAN INGEN

Franz von Baader – Jacob Böhme: Eine innere Verwandtschaft

Es ist nicht ohne Absicht, dass Baader über das zweite Heft der Fermenta cognitionis ein Zitat aus einem Trauer- und Trostpsalm gesetzt hat, gleichsam als Motto: «Mein Geist muss forschen» (Ps 77,7). Es wird durch zwei BöhmeZitaten ergänzt, aus denen die Stichworte hier wiedergegeben seien: «Ein gross Elend ist es, dass der Mensch so blind wird, dass er doch nicht mag erkennen, was Gott ist, so er doch in Gott lebt, und sind noch Menschen, die solches verbieten, man solle nicht forschen, was Gott sei...» «O Blindheit und eigene Vernunft! Wer hat uns das Forschen verboten? [...] sonst kann niemand Gott forschen, ist Gott nicht in seinem Geiste. Es darf’s niemand verbieten».1

Dies soll zweierlei signalisieren. Erstens den für Baader selbstverständlichen Bezug des Wissens auf die Religion, zweitens die unverwandte Blickrichtung auf Jacob Böhme, die Baader hier «seinen Hauptzweck» nennt, mit der Begründung der notwendigen Hinführung zu den Schriften «unseres Jacob Böhme, dieses wahren Philosophus per Ignem und Reformators der Religionswissenschaft [...]».2 In ähnlichen Lobestönen hat der Herausgeber Franz Hoffmann auf Böhmes «weltgeschichtliche Bedeutung» verwiesen. Sie liege «in seiner Wissenschaft, oder genauer in der Genialität, die ihn [...] in eine Tiefe schauen liess, aus welcher er Ideen ans Licht brachte, die bestimmt waren, die Wissenschaft von Grund aus umzugestalten, womit indess freilich erst in unserer Zeit kaum der Anfang gemacht worden ist.»3 Der Philosoph und Theologe Franz von Baader hat immer alles daran gesetzt, seinen nahezu sakrosankten Gewährsmann gegen den Vorwurf des Pantheismus, des Spinozismus und der Auffassung, das Böse sei notwendig, zu verteidigen. Dass dabei auf den „einfachen Handwerker“ und dessen unvollkommene Darstellungsweise verwiesen wird, ist fast selbstverständlich und 1

2 3

Aus der „Menschwerdung Christi“ (Kap. 5 § 27), in: J. Böhme, Sämtliche Schriften, Faksimile-Neudruck der Ausgabe 1730 in elf Bänden neu herausgegeben von W.-E. Peuckert, Stuttgart 1955-1961, Band IV, S. 44f. bzw. „Erste Schutzschrift wider Tilken“ (Numero VI § 472), in: ebd., Band V, S. 76. Die Orthographie wurde beibehalten. F.v. Baader, Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 2, S. 199. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 196 Anm.

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braucht keiner weiteren Darlegung, um so mehr da der Herausgeber es zur Genüge besorgt hat, solche und ähnliche Missverständnisse auszuräumen.4 Stattdessen soll zunächst auf die beiden kleinen Schriften hingewiesen werden, die Baaders Meinung über das „verkommene“ theologische Wissen mit höchster Klarheit formulieren: Ueber das Verhalten des Wissens zum Glauben und Ueber den Zwiespalt des religiösen Glaubens und Wissens als die geistige Wurzel des Verfalls der religiösen und politischen Societät in unserer wie in jeder Zeit.5 In der ersteren Abhandlung geht es um die «Doctrin des Christenthums» als die «Basis unserer Societät», die Baader im Gegensatz zu dem «in der Christenheit eingerissenen Unglauben» (oder auch der «Unwissenschaft in der Religion») als Rettung aus der Not des Nichtwissens darstellt. Baader argumentiert mit dem menschlichen Auge: «dass wir Alles in Gott sehen sollten, nämlich in jenem göttlichen Auge, dessen der Mensch im Fall zwar verlustig wurde, das sich ihm aber wieder öffnete, so dass es nur seine Schuld ist, wenn er von diesem Auge keinen Gebrauch macht».6 Daraus könne gefolgert werden, dass der Mensch nur sagen kann: «Ich bin gesehen (durchschaut, begriffen), darum sehe (begreife) ich» – das Selbstbewusstsein wird zur Grundlage des Gottesbewusstseins. Die zweite kleine Abhandlung präzisiert Unglauben und Unwissen genauer: Der Verfall sei die Folge der «sogenannten Reformation».7 Abhilfe verspreche nur «Wiederbelebung und Erstarkung beider zugleich und von ihrer gemeinschaftlichen Mitte heraus, d.h. [...] das religiöse Wissen überall und in allen Zweigen des Erkennens aufzuhelfen».8 Der Protestantismus – der aus dem «Zerwürfnis des religiösen Wissens und Glaubens hervorgegangen» sei – wird als die geschichtliche Wurzel des heutigen (damaligen) Übels betrachtet, es könne «inficirend» wirken.9 Noch einmal lasse ich den Herausgeber zu Worte kommen: «Wir müssen ernstlich auf der Behauptung beharren, dass bis jetzt Niemand so tief in das Verständnis Böhme’s eingedrungen ist, als Baader, dass diejenigen unter den jüngeren Forschern, welche sich über die Missverständnisse Schel4

5 6 7 8 9

«Dass J. Böhme, ein schlichter und armer Handwerksmann ohne alle gelehrte und höhere Schulbildung, stets mit der Sprache zu ringen hatte, um seine gewaltigen Anschauungen sich und Anderen klar zu machen, und dass er in diesem Ringen nicht leicht überall glücklich sein konnte, dass man eine streng begriffliche und methodische Darstellung eigentlich bei ihm gar nicht suchen darf, wie er sich denn bei seinen Darstellungen, so bewundernswürdig sie auch oftmal und in vielen Rücksichten sind, selber nie genug that, das Alles kann doch im Grunde nicht eben Wunder nehmen. Sicher aber hat ein solcher Geist und Schriftsteller noch weit mehr Anspruch bei der Auslegung seinr Meinungen auf die Nachsicht des Beurtheilers und besonders auf das höchste Maass der Umsicht und Vorsicht in der Deutung seiner Worte und seiner Ausdrucks- wie Darstellungsweise, als [...]». F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 147f. Anm. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 339-356 bzw. S. 357-372. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 348. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 360. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 361. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 364.

FRANZ VON BAADER – JACOB BÖHME: EINE INNERE VERWANDTSCHAFT

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lings, Hegels, Feuerbachs, Baur’s etc. erhoben haben, dies unter dem Voranleuchten der hellglänzenden Fackel tieferen Eindringens, die Baader vorangetragen, vollbracht haben».10 .

Tatsächlich ist die enge Beziehung zwischen Wissen und Religion bereits auf dem Titelblatt von Böhmes Erstlingsschrift deutlich fassbar: Morgen-Röte im Aufgangk. Das ist: Die Wurtzel oder Mutter Der Philosophiae, Astrologiae und Theologiae (etc.). Und es dürfte Baaders Selbstverständnis entsprechen, dass auch Böhme den freien Entscheidungswillen des Menschen hervorhebt. Die freie Wahl ist von besonderer, ja von wesentlicher Bedeutung, wo es um die Wahl zwischen gut und böse geht. Das ist bekanntlich Baaders Standpunkt: «Man sieht [...] auch klar ein, dass bei einer [...] freien Wahl zwischen Gutem und Nichtgutem, im Falle einer bereits in der Creatur vorhandenen Neigung zum Letztern, wenigst für den Moment der Wahl, eine Wiederbefreiung des bestimmenden Einflusses der letztern bösen Neigung, ein Innehalten und gleichsam Zumschweigenbringen derselben statt findet, und dass eine solche momentane Wiederbefreiung der Creatur natürlich nicht ihr eigen Werk oder Thun sein kann; mit andern Worten: dass die Zeit in dieser Hinsicht der Creatur eine Gnaden- (Erlösungs-) Zeit ist, indem ihre Ur- und Grundlüge, die sie mit einemmale in sich sprach, und hiemit, sich allein überlassen, in alle Ewigkeit fort nur Böses aussprechen konnte, ihr in dieser Zeit gleichsam en detail in jeder einzelnen Anwendung wieder vorgehalten und vorgelegt, und ihr zugleich die Freiheit gegeben wird, jede denselben [...] wieder zurückzunehmen oder neuerdings zu bestätigen».11

Es ist nicht schwer, bei Böhme ähnliche Gedanken zu finden. Es sei zunächst auf die Schrift Von der Gnadenwahl verwiesen, die nicht umsonst als die klarste und präziseste Darlegung seiner metaphysischen Ausführungen gilt. Wir werden darauf noch einmal zurückkommen müssen, denn Baader hat ihren Inhalt gründlich rezipiert. Für die Frage nach dem Bösen und Guten setzt Böhme immer wieder beim Teufel und bei Adams Fall ein. Der Teufel ist für die Zerstörung der ursprünglichen Zusammenhänge verantwortlich. Dadurch wurde die in Gottes Gewalt stehende, in der «Szienz» vorhandene Eigenheit vom Teufel „abgerissen“: «Die Szienz [...] brach sich von gottes krafft vnd licht abe / vnd wolte ein eignes sein / sie wolte ein eigner würckender Gott nach den eigentschafften der Natur sein / vnd in Böse vnd gutt würcken / vns solches gewürcke im reiche der heiligen krafft gottes offenbaren / Dises war ein wider wille in götlicher krafft vnd eigentschaft / vnd umb dises willen wart könig Lucifer vnd auch Adam aus dem Reiche der heiligen krafft aus gestossen / Lucifer ins reich der fantasey in die fünsternis / vnd Adam in die vngleicheit der Creation [...] das also zu hant aller Creaturen eigenschaften in Böse vnd gutt in ihme auff wachten / vmb welchs

10 11

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 385 Anm. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 154.

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willen gott hat das Entliche gerichte gesetzt / in spiritu mundi / das Böse vom gutten zu scheiden». (Gw 6. Kap., S. 75)12

Was also ursprünglich in Gott, d.h. im „Wort“, in beiden Möglichkeiten der Entscheidung und der Unterscheidung («das machen Böses vnd guttes») zusammen war, wurde restlos geschieden. «Vnd darff keine Creatur sagen / das ihr ein wille von aussen gegeben werde / sondern der wille zu bösem vnd gutten entstehet in der Creatur. [...] Vnd Nicht sagen / thue ich edwas Böses / so mus ichs thun / den ich bin der bösen neiglichkeit / so sol Er wissen / das der Seelen Szientz / welche sich hat können ins böse fassen / sich auch hat können eben ins gutte fassen / vnd das Gott keine vrsache an des Menschen / noch teuffels val ist / hat ihn auch nicht darein gezogen / so viel Er got heisset». (Gw 6. Kap., S. 77)13

So sind die Dinge klargestellt, und meint der Mensch, über den tieferen Grund des Wissens zu verfügen: «So spricht die vernunft / Gott regiret das / das es also gehet / Das ist war / Aber die vernunft ist Blint / vnd Sihet nicht wo mitte / und wie das zu gehet». Denn der Mensch sieht nicht die ursprünglichen Zusammenhänge der Dinge, und seine Vernunft «verstehet nicht das entschiedene wortt in eigenschaften/ darinen dises Regiment stehet». Wie sollte der Mensch auch? Das «entschiedene wortt in eigenschaften» bedeutet ja: das Wort der Scheidung der Eigenschaften, auch «schiedligkeit der krefte» genannt. Es ist also von Grund auf falsch, den Ursprung des Bösen bei und in Gott zu suchen – «der teuffel war die gröste vrsache daran». (Gw 6. Kap., S. 78)14 Böhme fügt noch einmal, fast überflüssiger Weise, hinzu: «Den Gott kan nichts als guts geben / den Er ist alleine das einige gutte / vnd wandelt sich nimmer mehr in einiges Böse / Er kan auch nicht / sonst wehre Er nicht mehr Gott / Aber in dem wortte seiner offenbarung / da die gesteltnis vrstendet [d.h. die Natur Gestalt annimmt] / als da Natur vnd Creatur vrstendet / Alda entstehet die würckung in bösen vnd gutten». (Gw 6. Kap., S. 76)15

Bei dem Wort der blinden Vernunft («die vernunft ist Blint») denkt man wohl sofort an Baaders Argumentation, in dem Sinn, dass auch er von der ursprünglichen Einheit von Geist und Natur ausgeht. Sie seien als Gottes absolutes Wesen einheitlich verbunden – bis der Mensch in seiner geschöpflichen Freiheit sie dramatisch verwirrt und einem fatalen Ablauf zuführt. Ist bei Baader der fehlende Mensch für das losgebrochene Böse verantwortlich, ist es bei Böhme ebenfalls der Mensch, – aber dieser, so betont Böhme, wurde vom Teufel verführt: 12

13 14 15

Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 68 (Gw Kap. 6 § 22). Im Text am Ende des Zitats wird auf den Originaltext Von der Gnadenwahl in J. Böhme, Die Urschriften, hrsg. v. W. Buddecke, Bd. 2, Stuttgart 1966, S. 9-166 bzw. auf die Reclam-Ausgabe Von der Gnadenwahl, hrsg. v. R. Pietsch, Stuttgart 1988 hingewiesen. Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 70 (Gw Kap. 6 § 30). Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 71 (Gw Kap. 6 § 33). Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 69f. (Gw Kap. 6 § 28).

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«Der Mensch [...] wart vom teuffel betrogen / das Er fihl / Den als fürst Lucifer [...] fihl / vnd aus seinem königlichen Locus aus gestossen wart / so wart Adam an seine stette geschaffen / vnd weil der Lucifer nicht war bestanden / so schuff gott Adam nach dem leibe in Materialisch wesen». (Gw 6., S. 72)16

Aber Böhme verbindet mit diesem Schöpfungsakt sogleich auch den rettenden Christus: «Vnd alda hat sich auch der heilige Nahme Jesu als Balde in den Menschen mitte ein geleibet / zu einem wider gebärer [d.h. einer Wiedergeburt Gottes] / den der Christus in Adam solte den königlichen Stuel Luciferis besitzen / weil Er sich hatte von Gott gewant. Vnd dohehr kompt auch der grosse Neit / das der teuffel dem Menschen gram ist [...]». (Gw, ebd.)17

Hier knüpft offenbar Baader an, wenn er bemerkt: «[...] so begreift man denn auch, dass die Freiheit der Wahl, welche ein bereits gefallener und in der Zeit lebender Geist übt, von jener, welche selber in seinem primitiven, unentschiedenen oder Unschuldstande ausübte, wohl unterschieden werden muss, so wie man sich hiedurch überzeugt, dass das Vermögen der freien Willkür durch seine successive Ausübung im Zeitleben wirklich aufgewendet wird, bei guter Verwendung die Unmöglichkeit des Rückfalls ins Böse (dessen Wahl), bei nicht guter die Unmöglichkeit einer fernern Wahl des Guten zur Folge habend».18

Es wird folglich deutlich unterschieden zwischen dem Menschen im «Unschuldstande» und dem «bereits in der Zeit lebende[n] Geist». Auch das lässt sich von Böhme her leicht verstehen, und zwar von seinem Verständnis des „Mysterium Magnum“ („das große Geheimnis“) her, das zu verstehen ist als die überseiende Wirklichkeit Gottes, wo Gott in der „ewigen Stille“ wohnt. Man kann das bekanntlich „das Nichts“ nennen oder auch „das Alles“. Erst mit dem Aussprechen des „Wortes“ (FIAT) ist die «schiedlichkeit der kreffte» in der „ewigen Natur“ schrittweise zur Weltschöpfung geworden («Die Natur ist in der stillen ewigkeit werckzeug» und «der ewige wille [=Gott] offenbaret sein wortt durch die Natur»). Erst nach einem weiteren Schritt und durch eine Zwischenstufe hindurch, wo Gott sein „Model“, «in einem spigel / da gott von ewigkeit in seiner weisheit gesehen hat / was werden köntte» (Gw 5, S. 60)19, ist der Mensch erschaffen worden. Man kann es mit Böhme auch so formulieren: Der göttliche Ungrund enthält eine unendliche Fülle von Möglichkeiten; diese schaut der „Ewige Eine“ im Spiegel der göttlichen Weisheit. Dies ist die «Offenbarung des unoffenbaren Gottes durch seine ewige Natur in sich selbst»20. In Von der Gnadenwahl wird aus der Ebenbildlichkeit Gottes und des Menschen das Fazit gezogen: «Also ist vns das Bilde gottes des Menschen 16 17 18 19 20

Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 65f. (Gw Kap. 6 § 12). Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 66 (Gw Kap. 6 § 13). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 154f. Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 53 (Gw Kap. 5 § 12). R. Pietsch, „Nachwort“, in: Von der Gnadenwahl, hrsg. v. R. Pietsch, Stuttgart 1988, S. 260.

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/ von ewigkeit zu betrachten / so wol die gantze Creation / wie gott alle dinge von ewigkeit gesehen hat im spiel seiner weisheit». (Gw, 5, S. 61)21 Es ist dieser Weg, der von der Schöpfung des Menschen und seinem Fall über den Teufel und dessen ewigen Gegenspieler Christus den Erlöser zur Tugend und Wahrheit führt, wie es Baader fasst: «Nicht also die bloss deistische oder theistische Idee eines Gottes, wie Einige sagen, oder ein derlei Glaube an selben, wie Andere behaupten, sondern der Glaube an einen Befreier, Erlöser, Christ, ist es, der dem Menschen die Erforschung nach Wahrheit sowohl als das Erringen der Tugend möglich, d.h. sein eigen Thun hiebei effectiv macht. [...] Wäre die Wahrheit, wäre „das moralische d.i. göttliche Gesetz“ nicht wieder Mensch worden, und hätte sich dieses moralische Gesetz in seiner und durch seine Menschwerdung nicht das Naturgesetz subjicirt, so könnte es auch kein aufrichtiges, zweifelloses Streben nach Wahrheit, keine aufrichtige moralische Gesinnung geben [...] und mit dieser Ueberzeugung die Zuversicht, durch Anschliessen und Theilhaftwerden an und mit jenem Individuum, in welchem diese Menschwerdung des moralischen Gesetzes begonnen, diesen Process in sich und Andern (per infectionem vitae) fortsetzen zu können».22

Mit Name und Bild des Christus ist das an dieser Stelle bereits einen Schritt über Böhme hinaus. Baader schont hier seine Opponenten nicht: «[...] es ist dringend an der Zeit, dem heuchelnden, betrügenden [...] Deisten und Theisten seine Larve abzuziehen und ihn zum Geständnisse eines Nicht- oder Antichristen zu nöthigen».23 Man erinnert sich, dass Böhme vom Teufel häufig als dem «Lügengeist seit jeher» spricht (nach Joh 8,44: «er ist ein Lügner und ein Vater derselben»). Auch Baader spricht – wie Böhme – von der mittelbaren Erschaffung des Menschen. Dieser erste Akt wurde oben eine „Zwischenstufe“ genannt: «Die Creaturen entstehen auch nicht unmittelbar aus, und bestehen nicht unmittelbar in diesem ungründlichen Gott, (Verstand, Urstand), sondern unmittelbar nur aus (in) dessen geoffenbarten Eigenschaften, (jenem dreifachen Wesen, Spiegel, Idea oder, wie die Schrift sagt, Weisheit), und jede Creatur erhält mit ihrem Entstehen ihr Gesetz, d.h., sie wird in eine Region oder Stelle gesetzt, in welcher sie sich fixiren und der Manifestation Gottes dienen soll».24

Die Weisheit wird daher als «zuerst ausgesprochenes Wort», erläutert Baader anschließend, «als Mitwirkerin (Organ) bei der Schöpfung» genannt.25 Immer von neuem wiederholt Böhme die Idee des Schöpfungsprozesses, den er als Begierde und Willenstrieb zu einer creatio versteht, für ein dynamisch-schöpferisches Wesen selbstverständlich und notwendig. Sehr klar fasst er das in seiner Signaturenlehre, weshalb die Stelle hier wiedergegeben sei: 21 22 23 24 25

Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 54 (Gw Kap. 5 § 12). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 159. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 160. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 246. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 247.

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«Wir verstehen / daß außer der Natur eine ewige Stille vnd Ruhe sey / als das Nichts / vnd dann verstehen wir / daß in dem ewigen Nichts / ein ewiger Wille vhrstände / das Nichts in Etwas einzuführen / daß sich der wille finde / fühle vnd schawe / dann im nichts wehre der wille jhme nicht offenbahr / so erkennen wir aber / daß sich der Willen selber suche / vnd in sich selber finde / vnd sein suchen ist eine Begierde / vnd sein finden ist der Begierde wesen / darinnen sich der Wille findet. [...] dann die Begierde macht wesen / vnd nicht der Wille [...] vnd mag [...] keine offenbahrung geschehen / als nur durchs wesen der begierde / vnd je mehr der wiedergefaste willen der offenbahrung begehret / je mehr vnd strenger zeucht die begierde in sich».26 (De signatura rerum, 2. Kap., S. 521)

Es ist daher das Sehnen nach Offenbarung als der Trieb zur Imagination, der die ewige Geburt Gottes anregt und damit den ganzen Prozess der Weltschöpfung in Gang setzt. Der Ungrund wird zur Imagination bewegt, «daß sich derselbe durch seine eigene Lust in eine Imagination einführet / modelt und bildet» (An Paul Kaym II).27 Diese Dynamik spiegelt sich in ihren Grundzügen bei Baader, dort nämlich, wo die Rede ist von der Konturierung des Seelenprozesses. Es kommen überall, ähnlich wie bei Böhme, Korrespondenzen und Analogien bzw. Entsprechungen in den Blick, die den inneren Prozess, parallel zum dynamischen Prozess von Gottes Selbstoffenbarung erkennen lassen. Auch der Mensch kennt solchen Vorgang, macht sich ein Bild, das eine wesentliche innere Schau darstellt, als das sichtbar gewordene Innere. Baader drückt es prägnant in den Fermenta aus: «Jedes Bild ist Wesen dem, dessen Bild es ist».28 Auf die Imagination folgt das Offenbaren, wie Gott sich zunächst durch die Idee (Sophia) spiegelt und dann durch sein Wort ins Leben ruft, der Geist ist so der gebildete Wille. Gott offenbart, verleiblicht sich also, in der Natur. Wer folglich Gottes Wesen in der Natur erforschen will, muss zuvor vom Geist erleuchtet werden, d.h. die Wiedergeburt erfahren haben. In diesem Punkt äußert Böhme sich unmissverständlich: «Dan in deinem fleisch und blute kanstu solches nicht ergreiffen. [...] Allein in dem H. Geiste/ der in Gott ist / und auch in der gantzen Natur [...] / kanstu forschen biß in den gantzen leib Gottes».29 Das hat eine biblische Grundlage, wie etwa 1 Kor 2,10: «Uns aber hat es Gott offenbaret durch seinen Geist. Denn der Geist erforschet alle ding / auch die tieffe der gottheit». Die Verleiblichung Gottes in der Natur findet sich übrigens schon bei Paracelsus, sie ist also traditionelles Erbgut, dessen Böhme sich in Görlitz ohne Schwierigkeit aneignen konnte. Die Hinwendung zur Natur als Mittel zur Gotteserkenntnis war in Böhmes geistiger Umgebung keine Seltenheit. Bei Valentin Weigel heißt es, der 26

27 28 29

Vgl. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 10 (Sg Kap. 2 § 7). Im Text am Ende des Zitats wird die Angabe nach J. Böhme, De Signatura Rerum, hrsg. v. F. van Ingen, Frankfurt a.M. 2009 angegeben. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 8 (Von Christi Testament Kap. 1 § 5). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 315. Vgl. J. Böhme, Morgen-Röte im Aufgangk, hrsg. v. F. van Ingen, Frankfurt a.M. 2009, Kap. II, S. 56 bzw. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 1, S. 31 (Kap. 2 § 12).

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Mensch erkenne sich «auß dem obern Firmament als durch einen Spiegel», bei Oswald Crollius in ähnlichem Sinn: «Die eusserliche Welt ist die Theoretische Anatomi / vnd gleichsamb ein Spiegel in welchem die kleine / das ist / der Mensch / gesehen wirdt».30 Baader verwendet das Gedankenbild vom Glauben als einem „geistigen Gottesbild“ als den ersten Schritt auf dem Weg zur Wiedergeburt und zur wahren Erkenntnis. Das geht jeweils nur unter Schmerzen: «Darum muss auch der Mensch seinen bereits zu Geist gestalteten Willen aus seinem irdischen Schatz, worin er ihn zur Gestalt brachte, wieder herausziehen, hiezu die Gestalt im Feuer (Pein) zerschmelzen lassen und in Willen refluidisiren, damit er diesen in Gottes Mysterium eingeben kann. Wie nemlich diese Gestaltung in Lust geschah, so muss die Entstaltung in Schmerz geschehen».31

Die dynamische Bildlichkeit trifft natürlich auch auf Anderes zu, das man bei Baader als Grundlage seiner philosophischen Gedanken und Ausführungen wiederfindet. Es war wohl die wichtigste Anregung für seinen schöpferischen Geist. So sagt er etwa selber, dass Böhme «die Kreisbewegung des Lebens des Absoluten» seiner Philosophie zugrunde liegt: «indem er diese Sich Suchend von Sich ausgehen, Sich aber Selber hiedurch findend ewig wieder in Sich zurück gehen lässt.»32 Dem entspricht bei Böhme der Gedanke, dass der Ewige Wille aus den Bildern („Ideen“) auswählt, ein „Bild“ fixiert („Imagination“) und sich dann in ein „Wesen“ einbildet – so entstehe durch ‚Selbstschwängerung‘ ein „Leib“ („Corpus“) in einem endlos dynamischen Prozess: «Er gebäret von Ewigkeit in Ewigkeit sich selber in sich».33 Mit der Selbstfassung des Ungrundes im „Grund“ konstituiert sich das ewige Selbst und erfährt Gott sich selber. Auf gleiche Art und Weise wird der Mensch erschaffen. Wie Moses sagt, heißt es in Von der Gnadenwahl: «Gott schuff den Menschen in seinem Bilde / Ja zum Bilde Gottes schuff Er ihn». Das erläutert Böhme folgendermaßen: «Er verstehet die Szientz in der krafft / da sich von ewigkeit alle dinge in der Szientz in der Temperatur in den krefften haben im Geiste der weisheit Gottes ingemodelt / nicht als Creaturen / sondern gleich wie ein schatten oder für Modlung in einem spigel/ da gott von ewigkeit in seiner weisheit gesehen hat / was werden köntte / mit welcher bildung der Geist gottes in der weisheit gespilet hat. In dem ingefasten Model [...] / welches Model keine Creatur / sondern als ein schatten einer Creatur gewesen / hat Gott den Creaturlichen Menschen geschaffen».34 (Gw 5, S. 60)

30 31 32 33 34

V. Weigel, Nosce te ipsum, Neustadt 1618, S. 4; O. Crollius, Basilica Chymica, Francofurtum 1629, S. 11. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 156f. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 332. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 7, S. 5 (Kap. 1 § 2). J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 6, S. 53f. (Kap. 5 § 12).

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Offenbart Gott sich in der Schöpfung, so geht deren Erkenntnis aber von dem Menschen aus, denn er, der Mensch, stellt im liber naturae die Krone der Schöpfung dar. Und so gelten bei Böhme auch hier jene Korrelationen, die durch die ganze Schöpfung, Mensch und Natur mit Einschluss Gottes umfassend, als Strukturelemente angesehen wurden. Das hatte Paracelsus so gesehen und in der knappen Formel ausgedrückt: «[...] weswegen wir billig Götter und Söhne des Allerhöchsten geheißen werden. Denn in uns ist das Licht der Natur, und das Licht ist Gott».35 Der Gedanke wird dann ebenfalls von Böhme in der Morgen-Röte reflektiert (XXII. Kap.).36 Wenn der Mensch sich nach Erleuchtung und Wiedergeburt sehnt, muss er sich in Gott „imaginieren“: «So [...] die Seele ihre Imagination für sich ins Licht erhebet, in die Sanftmühtigkeit und Demüthigkeit, [...] so wird sie vom Verbo Domini gespeiset, und holet ihre Kraft, Leben und Stärcke im Verbo Domini, welches ist das Hertze Gottes [...]. Und in dieser Imagination ist sie ein Engel und Gottes Kind, und siehet die ewige Gebärung des unauflöslichen Bandes: und von diesem hat sie Macht zu reden, denn es ist ihr eigen Wesen».37

Worauf es hier nach Böhmes eigener Erfahrung ankommt, ist das Einführen des menschlichen Willens in Gottes Willen und „Majestät“.38 In der Erleuchtung werde dann die Seele «gantz sehnend und lüstern, und zeucht in ihrem Begehren immer GOttes Kraft, das ist, GOttes Leib in sich».39 Solche Erhebung in «das Majestätische Licht» zieht das Inqualieren mit Gottes Wesen nach sich, wodurch die Seele für den Augenblick nicht nach dem Geist, sondern substantiell selber göttlich wird: «Sie isset GOttes Fleisch, und Christi Leib, und von solchem Essen wächset ihr auch GOttes Leib, daß sie also GOttes Leib hat, und ist GOttes Kind; nicht alleine Gleichniß, sondern Kind, aus GOttes Essentz, in Gotte geboren, und lebet in Gott».40

35

36 37 38

39 40

Paracelsus, „Astronomia magna oder die ganze Philosophia Sagax der grossen und kleinen Welt“, in: Ders., Werke, besorgt v. W.-E. Peuckert, 5 Bde., Darmstadt 1965-68, Bd. 3, S. 145. (Vgl. auch Ed. Huser, Bd. X, Basel 1591, S. 106 und Ed. Sudhoff, Bd. 12, München 1929, S. 120: «Darumb wir billich Götter geheissen werden unnd Söhne des Allerhöchsten. Dann in uns ist das Liecht der Natur und das Liecht ist Gott.») J. Böhme, Morgen-Röte im Aufgangk, hrsg. v. F. van Ingen, Frankfurt a.M. 2009, S. 400ff. bzw. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 1, S. 319ff. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 2, S. 33 (Kap. 4 § 21) (Von den drey Prinzipien). Vgl. auch P. Deghaye, „Baader und Böhme. Der anthropologische Standpunkt“, in: P. Koslowski (Hrsg.), Die Philosophie, Theologie und Gnosis Franz von Baaders. Spekulatives Denken zwischen Aufklärung, Restauration und Romantik, Wien 1993. S. 243-273. Ferner H.J. Görtz: Franz von Baaders ‚Anthropologischer Standpunkt, Freiburg/München 1977. J. Böhme, Sämtliche Schriften (Anm. 1), Bd. 3, S. 89 (Kap. 13 § 1) (Viertzig Fragen von der Seelen). Ebd.

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Das ist Böhmes Verständnis der mystischen Idee der „Vergottung“ (theosis), die sich so auch bei Paracelsus und Weigel, aber ebenfalls – wenn auch etwas seltener – bei Luther und Johann Gerhard findet. Im Zusammenhang mit der Herrlichkeit der Seele heißt es bei Böhme an eben der Stelle: «Diese Welt im Aesseren ist ein Gleichniß der inneren Welt». Das ist bei Böhme wortwörtlich zu nehmen, denn Gottes Wesen könne aus dem Menschen herausgelesen werden: Imago Dei bedeutet ihm Strukturgleichheit. Baader weist im Umkreis seiner Böhme-Lektüre („Viertzig Fragen“) auf genau diese Gedankenführung hin.41 Von hier ist es nicht mehr weit zu der Baaderschen apodiktischen Formulierung: «Die Weltschöpfung ist ein Nachbild des ewigen immanenten göttlichen Lebensprocesses».42 Und dann, zusammenfassend, «Man kann die christliche Religion ‚die Religion der Idee‘ par excellence nennen, weil sie im Begriff der Menschwerdung Gottes die Idee (der Einheit oder Einigung [...]) par excellence darstellt».43 Das einzusehen und als Lebensprogramm umzusetzen, ist für Baader deshalb die Antwort der menschlichen Intelligenz: «Die ganze Lebenszeit ist nun dem Menschen gegeben, um nach und nach alle jene Hilfen, so wie sie sich nacheinander ihm darbieten zur Anneigung mit ihm, sich eigen zu machen, und eben sich hiemit zu restauriren, d.i., die Mittel zu seinen Titeln wieder zu erlangen. Denn sich restauriren oder zu seinem Princip wieder kehren kann wohl nichts anders heissen, als in den Besitz alles dessen wieder gelangen, was zur Erfüllung seines Gesetzes erforderlich ist, und dieses Gesetz des Menschen ist kein anderes, als dass er das sprechende und wirksame Bild und Gleichnis Gottes (sein working model) sei».44

Wie bei Böhme ist bei Baader die Rückführung der Seele in Gott als die Reintegration der Menschenseele in die ursprüngliche Ganzheit Gottes der Angelpunkt der Argumentationen und ihre praktische Schlussfolgerung. Für Baader hatte das weitgehende Konsequenzen, die Böhmes Menschenbild zur Voraussetzung haben: Das Bild des Menschen – die Menschenseele als die Stätte der Gottesbegegegnung und Gottesgeburt – reicht ins Überzeitliche hinein, wo in der Dreierreihe von Gotteserkenntnis, Selbsterkenntnis und Wiedergeburt der Inbegriff der höchsten Menschenwürde erkannt werden kann. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Gott und Mensch bilden den Kern von Böhmes und Baaders Anthropologie. Auf der Grundlage des von Böhme angewandten Gesetzes der Analogie, das das Grundprinzip seiner Offenbarungslehre darstellt, hat Baader mit letzter Konseqeunz seinen religiösen Anthropomorphismus entwickelt: Im Abbild sei das unsichtbare Urbild zu erkennen.45 41 42 43 44 45

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 253ff. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 195. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 205. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 169f. Vgl. P. Deghaye: „Baader und Böhme“ (Anm. 38) und H.-J. Görtz: Franz von Baaders‚ Anthropologischer Standpunkt (Anm. 38).

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Baaders Denken in Analogien erkennt in der ‚Geburt‘ des Gedankens das «Analogon der Schöpfung aus dem Nichts». Sie erfolgt durch die „Magia“ des göttlichen Willens, die „Mutter der Ewigkeit“: «Die magische Leibwerdung des Geistes findet im innergöttlichen Leben statt. Die Böhmische ‚Magia‘ wirkt aber auch in der Seele des Menschen. Sie gibt der Seele ‚Fleisch und Blut‘, freilich ein ‚inneres Fleisch‘, ein ‚inneres Blut‘. Die Seele, die an sich ‚keine Substanz oder Wesen ist‘, wird zur ‚Göttlichen Wesenheit‘. Aus dem Nichts der Seele, die in ihrem Urstand nur die ‚Magia‘ als reiner unsubstantialistischer Wille ist, ist ein Etwas geworden. Dieses Etwas ist ein geistlicher Leib [...]. In Böhmes Sprache heißt dieser Leib die ‚Bildniß‘» (Deghaye).46 Selbsterkenntnis führt zur Gotteserkenntnis, denn im Erkennen des Selbst finde man das Bild Gottes. Ist man in der Wiedergeburt „der göttlichen Natur teilhaftig“ geworden (2 Petr 1,4), gelange man zur wahren Erkenntnis. Damit ist auch Baaders Anthropologie in ihren Hauptzügen konturiert. Denn sie gründet auf der Idee der Wiedergeburt des Menschen, die zugleich die „Gottesgeburt im Seelengrund“ (Deghaye) bedeutet. So erkenne der Mensch sich selbst als Bild Gottes. Man würde meine Ausführungen völlig mißverstehen, würde man diese als Nachweise der Unselbständigkeit und Abhängigkeit Baaders verstehen. Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Er hat zahlreiche Anregungen aus Böhmes Schriften übernommen, sie gründlich durchdacht und verarbeitet. Nicht selten auch hat er seine Böhme-Lektüre zur aktuellen Warnung seiner Zeitgenossen genutzt. Das ist etwa der Fall, als er auf die Warnung einzugehen scheint, man solle sich hüten, der Natur zu trauen – er formuliert darauf eine eigene Antwort: «[...] dass nemlich mit dem Glauben an Gott dem Menschen auch der Glaube an die Natur verloren geht, und dass gegen den von Gott abgefallenen König der Natur auch diese (sein Reich) sich empört hat. Indessen fühlt doch jeder, dass weder das Verhalten zur Natur, wobei der Mensch mit ihr gebrochen hat und ihr so wenig, als sie ihm traut, noch jenes einer poetischen Scheinharmonie [...] weder das der pfiffigen Industrie, [...] noch endlich das blinde Sichhingeben, sei dieses nun sentimentaler, sei es heroischer, sei es brutaler Art, an die Wahlverwandtschaften dieser Natur, dass keine von allen diesen Verhaltungsweisen des Menschen (als Gottesbild und Gottgesandten) ihren Wohlthäter und Beseliger gewahrt und erfährt. Wer dieses paradiesische Verhältnis dem Menschen ausredet, der tilgt in ihm die Religion in der Wurzel».47

46 47

P. Deghaye: „Baader und Böhme“ (Anm. 38), S. 249. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 186f. und auch S. 191, § 31 (Anfang).

WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN

Baader und Saint-Martin

Seit Fritz Liebs Darstellung von Franz von Baaders Jugendgeschichte ist bekannt, dass Baader nicht ohne den Hintergrund des Martinismus verstanden werden kann.1 Diese theosophisch-politische, hochkonservative Strömung der Gegenaufklärung lieferte seit dem Wilhelmsbader Freimaurerkongress von 1782 das Grundmodell konservativer politischer Theologie und mystischer Naturphilosophie. Dabei spielten die Logen eine Hauptrolle, denn hier wurde theologische Mystik, politische Programmatik und spirituelle Naturphilosophie gleichermaßen gepflegt. Baader hat sich seit seiner Jugend mit der Lehre des Martinismus intensiv beschäftigt; neben Lavaters Pontius Pilatus und seinen Aussichten in die Ewigkeit ist Kleukers Magikon, ein Kompendium von Saint-Martins Lehre, seine regelmäßige Lektüre gewesen.2 Um Baaders Naturphilosophie, Theologie und politische Theorie zu verstehen, ist es deshalb sinnvoll, einige Haupttopoi und einige biographische Informationen zu SaintMartin und zu seiner Wirkung zu skizzieren.

1. Martines de Pasqually3 und der Traité de Réintégration Saint-Martins Spiritus Rector war Martines de Pasqually, eine schillernde Figur, über deren Biographie Uneinigkeit besteht; sicher ist allerdings, dass er seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mehrere Logen in Frankreich gründete und sich dabei auf jenseitige Offenbarungen berief, die die Rituale legitimierten. Seine wichtigste Logenordnung war die der Élus Coens (erlesene Priester), die er 1754 entwarf und auf Vorstellungen eines mystisch-Salomonischen Priestertums zurückführte. Saint-Martin, verabschiedeter Offizier der französi1

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Nach F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte, München 1926, S. 143-209. Es handelt sich bei dem vorliegenden Text um eine Zusammenfassung der Ausführungen in meinem Buch Politische Theologie der Gegenaufklärung, Berlin 2004. H. Ratjen (Hrsg.), Johann Friederich Kleuker und Briefe seiner Freunde, Göttingen 1842, S. 204. F.v. Baader, „Briefe“, in: Ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 15, S. 188f. Die Schreibweisen des Namens variieren, vgl. R. le Forestier, La Franc Maçonnerie occultiste au XVIII siècle, Paris 1970, S. 421ff. Nach F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte (Anm. 1), S. 164 war er wahrscheinlich kein Jude, sondern stammte aus einer in Grenoble ansässigen Familie Pasqualis, dagegen hält René le Forestier (ebd.) eine jüdische Abstammung für möglich. Zu Martines de Pasqually s. G. de Rijnberk, Un Thaumaturge au XVII Siècle: Martines de Pasqually. Sa vie, son œuvre, son ordre, Lyon 1938. ND in: L.-C. De SaintMartin, Œuvres complémentaires II, Hildesheim 1982.

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schen Armee, Sekretär Martines’ nötigte seinen Meister, seine angeblich himmlischen Offenbarungen aufzuschreiben. Martinez de Pasqually hielt dem Druck nicht stand, seine Offenbarungen zu Ende aufzuzeichnen – wie hätte das auch geschehen können? –, und floh nach 1772 Martinique, wo er 1774 starb.4 Der unvollendete Traité de Réintégration wurde erst lange nach seinem Tode veröffentlicht,5 aber er zirkulierte als Handschrift einer geheimen Offenbarung unter den konservativen Freimaurern. Baader hat 1821 ein Manuskript erworben6. Saint-Martin schlachtete den Traité de Réintégration unmittelbar nach dem Tode seines Meisters für seine eigenen Werke aus, vor allem für Des Erreurs et de la Vérité (1775) und für das Tableau naturel des Rapports qui existent entre Dieu, l’homme et l’univers (1782). Martines de Pasqually erzählt im Traité de Réintégration eine gnostische Vorwelt- Sündenfalls- und Heilsgeschichte mit den folgenden Haupttopoi, die Saint-Martin sämtlich übernimmt: 1. Schöpfung. Die in Gott vereinten Prinzipien «Absicht, Wille und Rede» (intention, volonté, parole) werden im Schöpfungswort (verbe) gebündelt; so wird das Wort zum Befehl und zur Tat: so ist alle Schöpfung verwirklicht worden. 2. Engelshierarchie und Engelssturz: Aus Gott emanieren zehn Geister – wohl eine Reminiszenz an die kabbalistischen Sephiroth, die zugleich als Engelshierarchie interpretiert werden. Einige dieser Geister fallen von ihrem Schöpfer ab. Hier wird das Motiv des Engelssturzes variiert, durch den die Hölle entsteht. Das spirituelle Universum verliert so seine Integrität. Zum Schutz der himmlischen Integrität wird die materielle Welt geschaffen, die die höllisch bösen Geister von den himmlischen trennt. Das ist die besondere Bedeutung der Materie: Sie bindet die bösen Geister. 3. Adam, der kosmische Urmensch. Als Wächter dieser Trennung der guten Welt von der bösen durch die Materie wird der kosmisch-spirituelle Adam geschaffen. Er ist frei, und insofern ist er Gottes Ebenbild. Dieser Adam beerbt die lange, auf Plato zurückgehende Tradition des kosmischen Urmenschen. 4. Sündenfall. Der spirituelle Adam, Ebenbild Gottes, missbraucht seine Freiheit, in dem er sich von bösen Geistern verführen lässt und sich deshalb von Gott abwendet. So verliert er seine «forme glorieuse». Statt als Gottmensch zu herrschen, wird er als tierähnliches Wesen den bösen Geistern und

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W. Schmidt-Biggemann, Politische Theologie der Gegenaufklärung (Anm. 1), S. 24-35 (dort weitere Literatur). Die erste vollständige Ausgabe ist die Édition Chacornac, dite „de Philippon“, von 1899: Martinez de Pasqually, Traité de la réintégration des êtres dans leurs premières propriétés, vertus et puissances spirituelles et divines, Paris 1899 (Bibliothèque Rosicrucienne 5). Seither sind mehrere neue Ausgaben erschienen, darunter die Édition Dumas, dite „du Bicentenaire“, hrsg. v. R. Dumas, Paris 1974, und die Edition „d’après le manuscrit de Saint-Martin“, hrsg. v. R. Amadou, Paris 1995. Das besagte Manuskript erschien ebd. 1993 als Faksimile. E. Susini, Lettres inédites de Franz von Baader, Bd. 1, Paris 1942, S. 354 (Nr. 133).

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den elementaren und planetarischen Kräften ausgesetzt. Das ist Pasqually’s Version des Sündenfalls. 5. Erlösungsplan. Gott erbarmt sich des gefallenen Menschen und entwikkelt einen Erlösungsplan. Besondere Auserwählte werden zu Propheten dieses Plans bestellt; sie weisen auf das Erscheinen Christi hin. Die biblischen Patriarchen sind Manifestationen der göttlichen Gerechtigkeit; sie zeigen, dass sich Gott um die gefallene Welt kümmert. 6. Christi Blutopfer. Christi Blut erlöst alle Welt: Die Ausgießung des Blutes Christi ist Bestätigung aller dieser Typen, die vorausgingen. Die Ausgießung des Blutes macht die Erde erzittern, im Erdbeben wird der Bund Gottes fühlbar.7 Hier wird an die hebräische Assonanz von Adom (Blut/rot) und Adam (Adam/Erde) angeknüpft, die auch ein Motiv der christlichen Kabbala ist.8 7. Freimaurer als Agenten der Heilsgeschichte. Die Verwirklichung der Erlösung ist die Aufgabe des Menschen, sofern er sich seiner inneren Erlösung bewusst wird: Die Repräsentanten dieses Menschen sind die Freimaurer. Ihr Auftrag ist die Verwirklichung des Heils der Menschen durch die Vernichtung des Bösen. Diese Erlösung kann nur in der Bestrafung für die Ursünde bestehen, darin, die Macht der bösen Geister zu unterdrücken.

2. Saint-Martin: Erlösung und Strafe Der wichtigste Propagator der Lehre Martines de Pasqually’s wurde Claude Louis de Saint-Martin. Er arbeitete die Spekulationen seines Lehrers philosophisch auf und wurde als Philosophe inconnu der wichtigste philosophische Gegner der Aufklärung in Frankreich. 1743 geboren, ging er jung zum Militär, um philosophische und theologische Studien treiben zu können. 1768 begegnete er Martines de Pasqually9, von dem er sich 1771 trennte. Er gab die theurgische Praxis auf, in die ihn Pasqually eingeführt hatte und begann seine philosophische Schriftstellerei. Seine Werke erschienen ab 1775: Des erreurs et de la vérité hat er nach eigenen Angaben im Winter 1773 im Hause von Jean Baptiste Willermoz geschrieben; sie sind unmittelbar an den Traité de réintégration angelehnt,10 Tableau naturelle des rapports entre Dieu, l'homme 7 8 9 10

Vgl. F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte (Anm. 1), S. 150. Vgl. W. Schmidt-Biggemann, Geschichte der christlichen Kabbala, Bd. 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, S. 117 (Kap. 2: Robert Fludd). F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte (Anm. 1), S. 146. In seiner Autobiographie schreibt er: «C’est à Lyon que j’ai écrit le livre intitulé Des Erreurs et de la vérité. Je l’ai écrit par désoeuvrement et par colère contre les philosophes. Je fus indigné de lire dans Boulanger que des religions n’avaient pris naissance que dans la frayeur occasionée par des catastrophes de la nature. J’écrivis d’abord une trentaine de pages que j’ai montrai au cercle chez M. Willermoz, et l’on m’engagea à continuer. Il a été composé ver la fin de 1773 et le commencement de 1774, en quatre mois de temps et auprès du feu de la cuisine, n’ayant pas de chambre où je pusse me chauffer». Zitiert nach R. Amadou (Hrsg.), Les Lecons de Lyons aux Élus Coens, Paris 1999, S. 102. Deutsche Übersetzung der Erreurs von

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et l'univers (1782). L’Homme de désir (1790), Ecce homo (1792), Le nouvel homme (1792), L’esprit des choses (1800), Le Ministère de l’homme esprit (1800). In den achziger Jahren des 18. Jahrhunderts begann Saint-Martin bei dem Straßburger Kaufmann und Logenbruder der strikten Observanz Friedrich Rudolf Salzmann11 Deutsch zu lernen, um Jacob Böhme im Orginal lesen zu können. Von 1800 an erschienen Saint-Martins Böhme-Übersetzungen ins Französische.12 1803 stirbt der weithin berühmte Philosophe inconnu.13 Die Lehre Saint-Martins entfaltet die Spekulationen von Martines de Pasqually. Auch Saint-Martin geht von der Primordialschöpfung und dem Sündenfall der ganzen Schöpfung aus. Im Gegensatz zu Pasqually beschreibt er aber nicht das himmlische Drama des Sündenfalls, sondern konzentriert sich auf die Aufgabe des Urmenschen. Er beschreibt das Amt des Urmenschen so: Der Urmensch tritt mit den guten geistigen Gewalten, die in der Materie gebannt sind, in Beziehung, entlarvt damit zugleich die bösen Geister, die an die Materialität gebunden sind und den guten Geistern entgegenwirken. Seine Bekehrungsbotschaft an die guten Geister lautet, ihre Bindung an die Materie aufzugeben und sich an ihrer eigenen Geistigkeit zu orientieren. Dieser Prozess bedeutet zugleich – und das ist entscheidend – die Abkehr von der an die Materialität gebundenen Selbstbezogenheit und damit die Unterordnung unter das erste, göttliche Prinzip. Die Vergeistigung ist ein Selbstopfer, nämlich das Opfer der sinnlichen Selbstbezogenheit, das zur Umkehr und zur Rückkehr des gefangenen Geistes in seine eigentliche Heimat führt. Dieser erlöste Geist senkt sich dann in die Welt zurück und ist als innerer, höherer Mensch für jeden einzelnen Erlösten erfahrbar. Der geistige «innere Mensch» symbolisiert die Erfahrung, die jeder Einzelne vom allgemeinen, typologisch verstandenen «Agent universel» hat. Der «Agent universel» vertritt die Sophia, den ersten philonischen Adam, den kabbalistischen Adam Kadmon und den kosmologischen Christus. Nun handelt es sich hier keineswegs allein um eine auf innere Spiritualität eingeschränkte Variante der spirituellen Logos-Kosmologie. Die Mustergeschichte der Erlösung hat für Saint-Martin eine politische und eine apokalypti-

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M. Claudius (1782); Herder lehnt die Erreurs energisch ab, Lavater ist begeistert, Nicolai rezensiert die Übersetzung in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek (1783, S. 143-148) vernichtend, auch Goethe lehnt das Buch ab. Johann Friedrich Kleuker resümiert es 1784 gemeinsam mit dem Tableau naturel in seinem Magikon oder das geheimes System einer Gesellschaft unbekannter Philosophen (1784). Zu Salzmann vgl. A.L. Salomon, Friedrich Rudolf Salzmann. Son rôle dans l’histoire de la pensée religieuse en Strasbourg, Paris 1932 und A. Faivre, Kirchberger et l’illuminisme du dix-huitième siècle, La Haye 1966, S. 102 Anm. 1. Aurora oder Morgenröthe im Aufgang: L’Aurore naissante, ou la Racine de la Philosophie (Paris 1800); Drei Prinzipien göttlichen Wesens: Les trois Principes de l’Essence divine (Paris 1802). Aus Saint-Martins Nachlaß wurden zwei weitere Übersetzungen gedruckt: La triple Vie de l’Homme (Vom dreifachen Leben des Menschen) und Quarante Questions sur l’Ame, suivie de Six Points et des Neuf Textes (Vierzig Fragen von der Seele, Sechs theosophische Punkte und Neun Texte), Paris 1807. R. Amadou, Louis-Claude de Saint-Martin et le Martinisme, Paris 1946.

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sche Komponente. Solange die Erlösung, das ist die Vergeistigung aller Dinge und zumal die des Menschen nicht vollkommen ist, muss die Politik zur Überwindung des Bösen beitragen. Das geschieht in zweierlei Weise, in der Beförderung des Guten-Wahren und in der Strafjustiz. Die Beförderung des Gut-Wahren ist die Aufgabe des Urmenschen als des «Agent universel», dem alle anderen Agenten, die Propheten, die Weisen und natürlich auch die Freimaurer typologisch zugeordnet sind. Der «Agent universel» ist also nicht allein der Erlöser von innen, der «Christus in uns», wie ihn die origenistisch-pietistische Tradition kennt,14 sondern er ist als politische Macht interpretiert. Sein Repräsentant ist der Souverän, der die Justizhoheit hat. Die Justiz des Souveräns, die Gerechtigkeit und Strafe umfasst, ist also die politische Macht, die gegen die Sünde und das Böse schützt und die Guten und Erlösungsfähigen zur Spiritualisierung führt. Aufgabe dieses «Agent universel» ist die Bestrafung des bösen, antigöttlichen Prinzips, das sich mit dem Sündenfall durchgesetzt hat. Strafe heißt Vernichtung des bösen Prinzips. Es ist durchaus eine Machtinstanz, die den Agent universel vertritt, und sie kommt der freimaurerischen Gruppierung zu, die sich selbst aristokratisch im Richteramt über gut und böse sieht. Bei Saint-Martin findet sich in Des erreurs et de la vérité eine ausführliche Beschreibung des christologischen Strafrechts. «Justice» bedeutet das Richteramt der Guten und ihre Strafkompetenz, nicht die Rationalität der Moral. «Eines der wesentlichen Attribute dieses guten Prinzips ist die Justiz, so dass die Straftaten keinen einzigen Augenblick seiner Gegenwart aushalten, und die Strafe ist ebenso prompt wie unvermeidlich; in diesem guten Prinzip liegt eben die absolute Notwendigkeit der Bestrafung».15 Dem Repräsentanten des adamitischen kosmischen Ur-Menschen wird das Amt zu strafen zugesprochen, denn er ist der Wächter gegen das Böse. Dieses Wächteramt ist im geschichtlichen Prozess der allmählichen Erlösung der Welt, und das ist die Zeit der prinzipiell irdischen Politik, vom politischen Repräsentanten des Ur-Menschen, dem Souverän, übernommen.16 Während näm14

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Vgl. G. Arnold, Das Geheimniß der göttlichen Sophia oder Weißheit, beschrieben und besungen, Leipzig 1700. Ferner s. D.P. Walker, The Decline of the Hell. Seventeenth Century Discussions on Eternal Torment, Chicago 1964. L.-C. de Saint-Martin, „Erreurs et de la vérité“, in: Œuvres Majeures I, hrsg. v. R. Amadou, Hildesheim 1975, S. 331: «[…] la Justice étant un des attributes essentiels de ce Principe bon, les crimes ne peuvent soutenir un seul instant sa présence, & la peine est aussi prompte qu’indispensable; c’est là ce qui prouve la nécessité absolue de punir, dans ce Principe bon». Unter dem Titel: „Du Pouvoir Souverain“ wird in den Erreurs et de la vérité die Gewinnung der Souveränität, die die politische Gleichheit des existierenden Königs mit dem ewigen Urmenschen in der gefallenen Zeitlichkeit ausmacht, als Unterwerfung der depravierten Untertanen unter das Erste Prinzip beschrieben. Vgl. L.-C. de Saint-Martin, „Erreurs et de la vérité“, in: Œuvres Majeures I (Anm. 15), S. 282f.: «On doit donc dire que celui qui s’en préservera le mieux, aura le moins lassé défigurer l’idée de son Principe, & se sera le moins éloigné de son premier état. Or, si les autres hommes n’ont pas fait les mêmes efforts, qu’ils n’aient pas les mêmes succès, ni les mêmes dons; il est clair que celui qui aura tous ces avantages sur eux, doit leur être supérieur, & les gouverner.

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lich im Status der paradiesischen Unschuld Freiheit und Gleichheit unter den Menschen herrschen, ist im postlapsarischen Zustand der Ungleichheit Unterwerfung unter die Souveränität geboten, die die Justiz verwirklicht. Richten – das heißt entscheiden zwischen Gut und Böse – und Strafen sind ein Akt des Souveräns. «In seinem ersten Ursprung spürte der Mensch physisch diese Wahrheit und wurde feierlich mit dem Recht zu strafen ausgestattet; darin bestand sogar die Ähnlichkeit mit seinem Ersten Prinzip; und nur aufgrund dieser Ähnlichkeit war die Justiz exakt und sicher; waren seine Rechte reell und erleuchtet, und sie wären niemals verändert worden, wenn er sie hätte bewahren wollen. Seinerzeit hatte er, sage ich, tatsächlich das Recht über Leben und Tod der Übeltäter in seinem Reich».17 Diese Justizsicherheit und die Herrschaft des Guten über das Böse sind den einzelnen Menschen mit dem Sündenfall abhanden gekommen. In der Periode nach dem Sündenfall zeigt sich das Böse in der Gesellschaft als Verbrechen. Die unkontrollierbare geschlechtliche Sinnlichkeit des Menschen ist ein Indiz dieser Herrschaft des Bösen – eine Reminiszenz an die Doppelgeschlechtlichkeit des Urmenschen, die mit dem Sündenfall verloren ging; deshalb ist die Geschlechtlichkeit selbst ein Symptom des Status der Sünde. Das Verbrechen, das durch die unkontrollierte Sinnlichkeit zustande kommt, muss wiederum sinnlich bestraft werden. Durch die körperliche Strafe, die in der Vernichtung der Sinnlichkeit kulminiert, wird die Sinnlichkeit, die den Willen auf sich selbst hin und vom Göttlichen ablenkt, vernichtet. Die physische Vernichtung des Bösen wird in der Justiz inszeniert und verwirklicht; in ihr kommt die göttliche Gerechtigkeit (justice) in ihrer Realität setzenden Macht zur Erscheinung. Die Strafe ist so die Manifestation der «Justice» und damit auch die Repräsentation des Agent universel. «Die Ursache der Verbrechen liegt in der

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Premiérement il leur sera supérieur par le fait même, parce qu’il y aura entr’eux & lui une différence réelle fondée sur des facultés & des pouvoirs dont la valeur sera évidente; il le sera en outre par nécessité, parce que les autres hommes s’étant moins exercés, & n’ayant pas recueilli les mêmes fruits, auront vraiment besoin de lui, comme étant dans l’indigence & dans l’obscurissement de leur propres facultés. S’il est un homme en qui cet obscurissement aille jusqu’à la dépravation, celui qui se sera préservé de l’un & de l’autre, devient son maître non seulement par le fait & par nécessité, mais encore par devoir. Il doit s’emparer de lui, & ne lui laisser aucune liberté dans ses actions, tant pour satisfaire aux loix de son Principe, que pour la sûreté & l’exemple de la Société; il doit enfin exercer sur lui tous les droits de l’esclave & de la servitude; droits aussi justes & aussi réels dans ce cas-ci, qu’inexpliquables & nuls dans toute autre circonstance. Voilà donc quelle est la véritable origine de l’empire temporel de l’homme sur ses semblables, comme les liens de sa nature corporelle ont été l’origine de la première société». (Ebd., S. 282-283.) L.-C. de Saint-Martin, „Erreurs et de la vérité“, in: Œuvres Majeures I (Anm. 15), S. 331. «L’homme, dans sa première origine, éprouva physiquement cette vérité & fut solemnellement revêtu de ce droit de punir; c’est même là ce qui faisoit sa ressemblance avec son Principe; c’est aussi en vertu de cette ressemblance que sa Justice étoit exacte & sûre; que ses droits etoient réels, éclairés, & n’auraient jamais été altérés, s’il avoit voulu les conserver; c’est alors, dis-je, qu’il avoit véritablement le droit de vie & de mort sur les malfaiteurs de son Empire».

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Sinnlichkeit, und dieses Prinzip beherrscht und leitet die Sinne. Deshalb müssen die Strafen des Menschen in der Gesellschaft so sinnlich sein wie es seine Straftaten sind, deshalb muss die Justiz sinnliche Mittel ergreifen, um ihre Entscheidungen in die Realität umzusetzen wie auch um ihre Urteile zu vollstrecken. In dieser Funktion bedient sie sich der Stimme des Menschen, allerdings nur, wenn er sich dazu würdig erwiesen hat. Dem Menschen trägt sie auf, die Justiz seinesgleichen zu verkünden, und ihn zu ihrer Befolgung anzuhalten. Wenn daher der Mensch durch sein Wesen auch zum Träger des Schwertes wird, das die Straftaten rächt, so verkünden doch seine Funktionen, daß dieses Recht zu strafen in einer anderen Hand wohnt, dessen Werkzeug er allein sein kann».18 Die Strafe wird erst am Ende aller Dinge, wenn der Vergeistigungsprozeß der Welt vollendet ist, überflüssig sein. Hier zeigt sich die Eschatologie der Geschichtstheologie. Am Ende wird auch die zeitliche Herrschaft in der Welt vergehen. Die materielle Welt wird insgesamt im Prozeß der Vergeistigung aufgelöst werden. Wie der biblische Prophet Maleachi, die stoische Tradition oder Nikolaus von Kues geht auch Saint-Martin vom Weltenbrand als Endgericht aus. Mit der Vergeistigung der Welt, die wie durch das «Feuer des Schmelzers und die Lauge der Wäscher» (Maleachi 3, 2) sich vollzieht, wird die Zeitlichkeit aufhören, die Materie wird im geistigen Zentralfeuer verbrannt. Die Säfte des Bluts werden im Reinigungsfeuer von ihrer groben Materialität gereinigt und spiritualisiert. Dann werden die Lebensgeister und die göttlichen Schöpfungsfunken von ihrer Materialität befreit, und die ursprüngliche Schöpfung wird wieder entstehen. Die Ungläubigen werden einem furchtbaren Los entgegengehen, die Gläubigen aber werden mit einem neuen Astralleib versehen19 und in der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit wiederhergestellt. 18

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L.-C. de Saint-Martin, „Erreurs et de la vérité“, in: Œuvres Majeures I (Anm. 15), S. 334: «Cependant cette cause étant au dessus des choses sensibles, quoiqu’elle les dirige & qu’elle y préside; & les punitions de l’homme en société devant être sensibles comme le sont ses crimes, il faut qu’elle emploi des moyens sensibles pour manifester ses décisions, de même que pour faire exécuter ses jugements. C’est la voix de l’homme qu’elle emploie pour cette fonction, quand toutefois il s’en est rendu digne; c’est lui qu’elle charge d’annoncer la Justice à ses semblables, & de la leur faire observer. Ainsi, loin que l’homme soit par son essence le dépositaire du glaive vengeur des crimes, ses fonctions mêmes annoncent que ce droit de punir réside dans une autre main dont il ne doit être que l’organe.» L.-C. de Saint-Martin, „Tableau naturel des Rapports qui existent entre Dieu, l’homme et L’univers. Seconde partie“, in: Œuvres Majeures II, hrsg. v. R. Amadou, Hildesheim 1980, S. 220f.: «Là [c’est à-dire à l’éternité], comme les Anges dans le Ciel, il ne sera pas marqué du nombre de réprobation exprimé aujourd’hui par la différence des sexes; parce que le Principe animal, celui don l’action génératrice et constitutive porte spécialement sur la production des sexes, sera retourné vers sa source, et n’agira plus matériellement. Il y aura cependent des corps, mais comme ces corps seront animés par une action plus vivante que celle de la matière, ils n’auront de caracterisées que les parties de notre forme qui servent de siège à l’esprit, et qui le manifestent, ou celles qui peuvent être employées a l’exercice pur de ses fonctions».

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An diesem «großen Sabbat» werden die Menschen wieder königliche Priester – élus coëns – werden und die gereinigte neue und zugleich paradiesisch alte Erde besitzen und beherrschen.20 Saint-Martin interpretiert diesen theologischen Synergismus des Menschen an der Realisierung der Heilsgeschichte, wie ihn Martines de Pasqually in seinem Traité de Réintégration als geschichtstheologische Spekulation gefasst hatte, als politisches Programm. Die christologische und soteriologische Aufgabe der Freimaurerei besteht für ihn darin, dass die Rückwendung zur Geistigkeit durch Vernichtung des Bösen und der Materialität mit den politischen Mitteln des Schreckens und der Strafe vollzogen wird. Schrecken und Strafe reinigen das Blut von den bösen Zusätzen falscher Materialität; das archaische Opfer der Strafe wird als Versöhnungsangebot für die beleidigte Gottheit verstanden.

3. Johann Friedrich Kleuker21 3.1 Ideengeschichtliche Biographie Die Wirkung Saint-Martins war in Deutschland durch den großen Wilhelmsbader Freimaurerkongress 1782 nachgerade institutionalisiert worden; an dieser Wirkung hatte der Osnabrücker Schulrektor Johann Friedrich Kleuker nolens volens einen erheblichen Anteil. Für den deutschen Zusammenhang war es charakteristisch, dass die Auseinandersetzung mit den Lehren Saint-Martins sich naturphilosophisch und philologisch-historisch vollzog. Johann Friedrich Kleuker war der historische Philologe, der die theosophischen Spekulationen Saint-Martins auf ihre kabbalistischen Grundlagen hin interpretiert und in die allgemeine, philologisch gerade entdeckte persisch-indische Religionsge20

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L.-C. de Saint-Martin, „Tableau naturel“ (Anm. 19), S. 223f.: «Le Grand-Prêtre de la Loi antérieure au temps, le même qui a présidé invisiblement aux Cultes de tous les peuples de la terre, puisqu’il n’en est aucun qui n‘annonce des traces de la vérité; le même qui a dû présenter aux hommes, au milieu de temps, le tableau de leur Etre, et la réunion de toutes les vertus Divines que le crime avoit fait subdiviser pour nous, sera aussi celui qui présidera à ce culte futur et postérieur au temps, puisqu’étant le seul Agent universel de la Sagesse suprême, il peut seul distribuer l’universalité des graces qu’elle destine à tous ses enfants. Il habitera donc au milieu des Lévites choisis, qui comme lui ayant vaincu la corruption, seront jugés dignes de remplir dans le Temple les fonction saintes. Là, il les verra apporer sans relâche autour de lui, les offrandes de leur louanges et de leur amour; et versant lui-même sur ces offrandes son onction vivifiante, ilen fera exhaler des parfuns odorans et nombreux, qui répandront la sainteté dans toute l’étendue de cette auguste enceinte». Kleuker wurde 1749 in Osterode im Harz geboren, studierte in Göttingen u.a. bei Christian Gottlob Heyne und wurde 1778 Rektor des Gymnasiums von Osnabrück. Er erhielt 1798 einen theologischen Lehrstuhl an der damals dänischen Universität Kiel. Als theologischer Lehrer war er freilich nicht sonderlich erfolgreich; er entwickelte sich immer mehr zum Spezialisten für Exegese. Seine mystisch-spekulativen und seine religionsgeschichtlichen Interessen verblassten im Professorenamt, auch wenn er weiterhin die rationale Theologie bekämpfte (vgl. Über das Ja und Nein der biblischen-christlichen und der reinen Vernunft-Theologie, Hamburg 1819). 1827 starb er in Kiel.

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schichte integrierte. Die philosophische Suggestion der von Martines de Pasqually und Saint-Martin erzählten Urgeschichte von Sünde und Erlösung verführte aber vor allem den spekulativsten Kopf der süddeutschen Romantik, Franz von Baader, dazu, die Theologie des Opfers, Naturphilosophie und Politik in einer neuen Verbindung zu präsentieren. Die französische Interpretation der Urgeschichte veränderte sich im Verlauf der Französischen Revolution und mit den Napoleonischen Kriegen, die Frankreich am schließlich verlor. Die Franzosen argumentierten aus der Position der Schuldigen, die sich für die Katastrophe der Revolution und der folgenden Kriege verantwortlich fühlten. Das war naturgemäß bei den Deutschen nicht der Fall. Franzosen und Deutsche teilten allerdings in ihrer Geschichtsinterpretation dieselbe Topik: Gewalt, Opfer und Weltgeschichte waren bei beiden die bestimmenden Themen. Gleichwohl sind die Entstehungsbedingungen und die Interpretationsmuster so verschieden, dass man vor die Zeit der Revolution zurückgehen muss, um den Konstituierungsprozess der antirevolutionären politischen Theologie in in Deutschland begreifen zu können. 1784, zwei Jahre nach dem Freimaurerkongress in Wilhelmsbad, erschien ein Buch mit dem suggestiven Titel Magikon oder das geheime System einer Gesellschaft unbekannter Philosophen unter einzelne Artikel geordnet, durch Anmerkungen und Zusätze erläutert und beurtheilt, und dessen Verwandtschaft mit älteren und neueren Mysteriologen gezeigt. Es handelte sich um eine Zusammenfassung der Philosophie Saint-Martins, Verfasser war der Rektor des Ratsgymnasiums zu Osnabrück Johann Friedrich Kleuker. Das Magikon war ein Auftragswerk für den für den Leiter des Wilhelmsbader Kongresses, den Herzog Ferdinand von Braunschweig, und diente zur Orientierung über die Philosophie Saint-Martins.22 Kleuker hatte ein weites Spektrum philosophisch-theologischer Interessen, er repräsentierte einen christlich-pietischen Synkretismus, der überkonfessionell alle Religionen zu umfassen beanspruchte. 1749 in Osterode im Harz geboren, studierte er in Göttingen u.a. bei Christian Gottlob Heyne und kam 1775 auf Empfehlung Herders als Prorektor nach Lemgo, drei Jahre später wurde er Rektor des Gymnasiums von Osnabrück. Weder die klassischphilologische Ausbildung bei Heyne noch die Philosophie der Aufklärung konnten ihn in seiner pietistisch-gläubigen Grundeinstellung erschüttern. Seine spätere Gegnerschaft gegen die kantische Philosophie und gegen jede Form 22

Vgl. Kleuker an Hamann in: J.G. Hamann, Briefwechsel, Bd. 6, Frankfurt a.M. 1975, S. 175 (Nr. 904) und ferner auch F. Aschoff, Der theologische Weg Johann Friedrich Kleukers (1749-1827), Frankfurt a.M./Bern et al. 1991, S. 99. Dazu vgl. auch den Brief Kleukers an den Frankfurter Bürgermeister, Philologen und Kabbalisten Johann Friedrich von Meyer (1772-1849) vom 31.3.1818: «In Ansehung des µαγικον war ihre Vermuthung gegründet: der verewigte Ferdinand von Braunschweig (der Held des 7jährigen Krieges) gab gewissermassen dazu die erste Veranlassung. Es war übrigens von erst an meine Art, alle Quellen der Erkenntnis, die wirklichen und die dafür gehaltenen, zu versuchen.» Zit nach J. Fabry, Le Theosophe de Francfort Johann Friedrich von Meyer (1772-1849) et l’ésotérisme en Allemagne au XIX siècle, Frankfurt a.M./Bern et al. 1989, Bd. 1, S. 489.

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eines theologischen und politischen Rationalismus war deshalb von Jugend auf programmiert; und eine theosophisch-philosophische Lehre wie die SaintMartins kam seiner Überzeugung durchaus entgegen, zumal er seine Frömmigkeit mit der Geschichtstheologie der philosophia perennis verband. Er hatte 1778 gegen H.S. Reimarus’ bibelkritische Fragmente,23 Einige Belehrungen über Toleranz, Vernunft, Offenbarung, Theologie verfaßt,24 1776-1777 Anquetil du Perrons Zend Avesta ins Deutsche übersetzt und 1781 in zwei Bänden ausführlich kommentiert25. 1777 veröffentlichte er seine Übertragung von Pascals Pensées26 sowie den Biblischen Prediger Salomo verdeutscht und kommentiert.27 Er war Spezialist in vergleichender Religionswissenschaft: 1778 erschien seine Übersetzung von Howells merkwürdige(n) historische(n) Nachrichten von Hindostan und Bengalen nebst einer Beschreibung der Religionslehren, der Mythologie, Kosmogonie, Fasten und Festtage der Gentoos und einer Abhandlung über die Metempsychose. Aus dem Englischen. Mit Anmerkungen, und einer Abhandlung über die Religion und Philosophie der Indier begleitet. Im selben Jahr veröffentlichte er den ersten Band seiner Platon-Übersetzung, die er 1797 mit dem 6. Band vollendete. 1797 erschien auch seine letzte religionskundliche Übersetzung: Das brahmanische Religionssystem im Zusammenhange dargestellt und aus seinen wissenschaftlichen Grundbegriffen erklärt. Kleuker war also für eine Philosophie wie den symbolischen Eklektizismus Saint-Martins recht gut vorbereitet. Freilich war die Verbindung zur Lehre des Philosophe inconnu die er im Magikon darstellte, nur ein Zwischenstadium 23

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[Hermann Samuel Reimarus,] „Von Duldung der Deisten. Fragment eines Ungenannten“, in: Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Dritter Beytrag. Von Gotthold Ephraim Lessing, Braunschweig 1774, S. 195-226. „Ein Mehreres aus den Papieren des Ungenannten, die Offenbarung betreffend“, in: Ebd., Vierter Beiytrag, Braunschweig 1777, S. 261-544. Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger. Noch ein Fragment des Wolfenbüttelischen Ungenannten, hrsg. v. G.E. Lessing, Braunschweig 1778. Der gesamte Text: H.S. Reimarus, Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, hrsg. v. G. Alexander, 2 Bde., Frankfurt a.M. 1972. Vollständiger Titel: Einige Bemerkungen über Toleranz, Vernunft, Offenbarung, Theologie. Wandrung der Israeliten durchs rothe Meer und Auferstehung Christi von den Toten; veranlaßt durch einige Fragmente in den Lessingschen Beyträgen zur Geschichte und Litteratur (Viert. Beytr.) nebst noch einer Nachschrift und neuen Zusätzen, die Lessingsche Duplik (Braunschweig 1778) betreffend, Frankfurt 1778. Anhang zum Zend Avesta. Bd. 1 in 2 Theilen: wovon der erste verschiedene Abhandlungen von Herrn Anquetil du Perron über wichtige Gegenstände der persischen Religion, Philosophie und Geschichte; der zweyte Herrn Fouchers historische Abhandlung über die Religion der Perser enthält, Leipzig/Riga 1783. Der zweite Band hat drei Teile. Der dritte Teil enthält Persica, das ist: Vollständige Sammlung und Erklärung dessen, was die Griechischen und Lateinischen Schriftsteller von Zoroaster, den Lehren und heiligen Gebräuchen der Magier und Perser berichten, verglichen mit den authentischen Angaben der Zen-Urkunden, Leipzig/Riga 1783. J.F. Kleuker, Gedanken Pascals mit Anmerkungen und Gedanken, Bremen 1777. J.F. Kleuker, Salomos’ Schriften. Erster Teil, welcher den Prediger Salomo enthält, Leipzig 1777.

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seiner philosophischen und religiösen Entwicklung. Zwar steht die Preisschrift Über die Emanationslehre der Kabbala28 im Zusammenhang mit dem Magikon, aber mit der Neuen Prüfung der vorzüglichsten Beweise für die Wahrheit und den göttlichen Ursprung des Christentums, wie der Offenbarung überhaupt29 konzentrierte er sich immer stärker auf christliche Apologetik gegen die fortschreitende Rationalisierung der Theologie, vor allem im Gefolge der kantischen Philosophie, deren entschiedener Gegner er blieb. Die fünf Bände seiner Ausführlichen Untersuchung der Gründe für die Aechtheit und Glaubwürdigkeit der schriftlichen Urkunden für das Christentum30 qualifizierten ihn für einen theologischen Lehrstuhl an der damals dänischen Universität Kiel, den er 1798 erhielt31. Dass er als theologischer Lehrer nicht sonderlich erfolgreich war, wurde bereits gesagt.32

3.2 Magikon Keines der Bücher Kleukers hat so viel Erfolg gehabt wie sein Magikon.33 Es stellt zunächst ausführlich – durchaus nicht ohne wohlwollende Distanz – die Lehre Saint-Martins dar und ordnet sie im zweiten Teil in ihren philosophieund theologiegeschichtlichen Kontext ein. Kleuker steht dieser synkretistischen Philosophie mit kritischer Sympathie gegenüber. Er fasst den Martinismus als spekulatives Christentum auf, das sich auf theosophische und kabbalistische Motive stützt. Er macht allerdings 28

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Über die Natur und den Ursprung der Emanationslehre bei den Kabbalisten. Oder Beantwortung der von der Hochfürstlichen Gesellschaft der Alterthümer in Cassel aufgegebenen Preisfrage: Ob die Lehre der Kabbalisten von der Emanation aller Dinge aus Gottes eigenem Wesen, aus der Griechischen Philosophie entstanden sey, oder nicht? Eine Schrift, welche den von der H.G.d.A. ausgesetzten Preis erhalten hat, Riga 1786. Zum geistesgeschichtlichen von Kleukers Kabbala-Schrift vgl. auch P. Koslowski, Philosophien der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn 2001, S. 186-193. Neue Prüfung und Erklärung der vorzüglichsten Beweise für die Wahrheit und den göttlichen Ursprung des Christenthums, wie der Offenbarung überhaupt. Aus Veranlassung neuerer Schriften, und insbesondere des Hierokles (Halle 1785), 3 Teile, Riga 1787, 1789, 1794. Ausführliche Untersuchung der Gründe für die Ächtheit und Glaubwürdigkeit der schriftlichen Urkunden des Christenthums, Bd. 1, Leipzig 1793; Bd. 2, Münster 1795; Bd. 3, Hamburg 1799; Bd. 4, Hamburg 1799-1800; Bd. 5, Hamburg 1798. Genaueres über die Berufung Kleukers nach Kiel bei F. Aschoff, Der theologische Weg Johann Friedrich Kleukers (Anm. 22), S. 189-193. S.o. Anm 21. J.F. Kleuker, Magikon oder das geheime System einer Gesellschaft unbekannter Philosophen unter einzelne Artikel geordnet, durch Anmerkungen und Zusätze erläutert und beurtheilt, und desses Verwandtschaft mit ältern und neuern Mysteriologien gezeigt. In zwei Theilen, Frankfurt und Leipzig 1784, ND Schwarzenburg 1980 (hier zitiert). Zum Magikon vgl. den aufschlußreichen Aufsatz von A. Faivre: „De Saint-Martin à Baader: le Magikon de Kleuker“, in: Ders., Mystiques, Théosophes et Illuminés au Siècle des Lumières, Hildesheim 1976, S. 1-30. Zur frühen Wirkung Saint-Martins in Deutschland vgl. F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte (Anm. 1), S. 172-188.

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auch von Anfang an deutlich, dass es sich beim Martinismus nicht um eine theologisch abgesicherte dogmatische Lehre handelt, sondern um eine unkritische Adaptation der Grundmuster der philosophia perennis. Kleuker beurteilt Saint-Martins Lehre durchaus zutreffend als synkretistischen undogmatischen theosophischen Pietismus, fern von aller philologisch-historischen Wissenschaftlichkeit. Es würden, stellt er fest, die einzelnen Motive nicht isoliert, identifiziert und in ihrer Herkunft diskutiert. Vor allem aber vermisst er eine kritische Distanz Saint-Martins zu seinem Gegenstand. Vielmehr würden die alten Topoi wie Offenbarungen neu erzählt und dadurch die historischen Distanzen vergessen gemacht. Statt historisch zu analysieren, werde allein die unveränderte Typologie reproduziert. Zu Beginn des zweiten Teils seines Magikon, der die Lehren Saint-Martins kommentiert, ordnet Kleuker Saint-Martins Philosophie historisch ein. Er sieht sie zu Recht in der Tradition der «älteren hebräischen Kabbala und christlichen Theosophie.»34 Kleuker stützt sich hier für sein Konzept der Kabbala, die er noch ins Altertum zurückdatiert, auf Johann Georg Wachters Elucidarius Cabbalisticus von 1706; später wird er seine eigenen Ideen über die «Emanationslehre der Kabbalisten» veröffentlichen.35 Die christliche Theosophie, die er als Weisheit beschreibt, in der man «von Gott gelehrt gleichsam alles im Widerstrahl des göttlichen Lichts erkennt», findet Kleuker vor allem in der Tradition der Kirchenväter; und diese stehen nach seiner Ansicht der Kabbala seit der Zeit der Gnosis und des Neuplatonismus nahe. «Daher die große Übereinstimmung der christlichen Theosophie, so dass jene in ihren wesentlichen Teilen nur ein erweiterter, bereicherter und christlich modifizierter Kabbalismus ist.»36 Das ist die historisch-theologische Perspektive, aus der Kleuker den SaintMartinismus sieht: Für Eingeweihte, für theologie- und philosophiegeschichtlich Versierte sind die Traditionen von Kabbala und Theosophie zugänglich; für Ungelehrte und Uneingeweihte bleiben sie opak. Kleuker fasst seinen Stoff im ersten, Saint-Martin referierenden Teil seines Magikon nach Haupttopoi zusammen. Er behandelt stichpunkthaft Gott, Weltall, Mensch, Religion, Sagen der Urwelt, Symbolische Weisheit, Geheimnisse, Wissenschaften, schließlich die Hauptsinnbilder und Allegorien. Dem Charakter eines Resümees entsprechend, wiederholen sich naturgemäß Gedanken Saint-Martins. Allerdings erscheinen sie bei Kleuker in neuer, philologischhistorischer Wertung. Der zweite Teil des Magikon enthält den Kommentar und die Kritik: 1. Über die Natur und den Wert des Martinistischen Systems, 34 35

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J.F. Kleuker, Magikon (Anm. 33), S. 102. J.F. Kleuker, Magikon (Anm. 33), S. 103; er bezieht sich auf J.G. Wachter, Elucidarius Cabbalistiscus [...], Halle 1706, Kap. IV, § 24. Vgl. W. Schmidt-Biggemann, Geschichte der christlichen Kabbala, Bd. 3, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, S. 214-242. J.F. Kleuker, Magikon (Anm. 33), S. 104. Zu Kleuker und seiner Konzeption der Kabbala vgl. W. Schmidt-Biggemann, Geschichte der christlichen Kabbala (Anm. 35), S. 347-378.

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2. Besondere Bemerkungen über das System der Martinisten und deren einzelne Hauptlehren. Für Kleukers Darstellung des Martinismus sind folgende Topoi zentral: a) Gott und Weltall. Gott ist trinitarisch konzipiert. Das Universum ist als Sophia präkonzipiert und zahlenförmig geordnet. Es gliedert sich in einen göttlichen, eine intellektuellen und eine sinnlichen Bereich. Diese drei Regionen heißen «Quadrate» und sind miteinander durch das unermessliche «Pan» verbunden. Das Quadrat ist das geometrische Symbol des Tetragramms. b) Der Mensch. Der ursprünglich geschaffene Primordial-Mensch, der ungeschlechtliche Adam, fällt in Sünde. Zur Erlösung vom Sündenfall wird Christus als erster Agent Gottes in die Welt gesandt; seit seiner Ankunft verbessert sich die Welt kontinuierlich. c) Gesellschaft, Politk und Erziehung. Die Staatsgewalt ist die Instanz, die diese Verbesserungsaufgabe durch Erziehung und Strafrecht übernimmt. Die Freimaurer sind die Elite, die diese Aufgabe erfüllen muss. d) Wissenschaften und Zahlen. Die pythagoreischen Zahlen 1-10 bilden die die Ordnung der Welt vor. In dieser Zentrierung auf Haupttopoi, die Kleuker vornahm, wurde SaintMartins weitschweifig und redundant formulierte Theosophie thesenhaft verfügbar. In dieser Fassung entfaltete sie ihre erste Wirkung.

4. Baader 4.1 Biographisches 1804 schrieb der damals 39jährige Franz Baader an Johann Friedrich Kleuker, der damals schon Professor in Kiel war: «Es sind nun bereits 12 Jahre, seitdem ich E.H. Werk (Magikon) zum erstenmal las, auch hat mich dieses Buch auf meinen, beständig seit dieser Zeit fortwährenden Reisen nie wieder verlassen.»37 Tatsächlich war die Bekanntschaft noch älter38, aber die Selbstcharakterisierung ist zutreffend: Mit Kleukers Magikon wurde für den jungen Baader Saint-Martins Philosophie faßlich; und er konnte seine theologischen und naturphilosophischen Interessen am Modell des Martinismus weiterentwickeln. Franz von Baader, 1765 geboren, begann 1786, vor allem unter dem Einfluss des katholischen Erweckungspädagogen Johann Michael Sailer, Tage-

37 38

Vgl. H. Ratjen (Hrsg.), Johann Friederich Kleuker und Briefe seiner Freunde (Anm. 2), S. 204 oder F.v. Baader, „Briefe“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), S. 188f. Im Tagebuch vom 31. Jan. 1787 schreibt er, er könne in den Erreurs et de la Vérité «mit Claudius und dem Verfasser des Magikons jene Satanslehre [die in der Polemik gegen die Erreurs vor allem in Pfennigers Magazin geäußert worden war] nicht nur nicht finden, sondern das öftere Lesen jenes Buches macht mich allemal mit neuer Freude zur Bibel zurückkehren». Vgl. Seele und Welt. Franz Baader’s Jugendtagebücher 1786-1792, hrsg. v. D. Baumgardt unter Mitw. v. M. Jarislowky, Berlin [1928], S. 116.

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buch zu führen.39 Der 21 jährige interessierte sich nach einer religiösen Krise entschieden für Theologie und spirituelle Physik. Seine Leitbilder waren zunächst Herder40, und von diesem insbesondere die Älteste Urkunde des Menschengeschlechts, danach Lavater, vor allem der Pontius Pilatus, Nathanael und die Aussichten in die Ewigkeit,41 und schließlich, diese Einflüsse zusammenfassend und überlagernd, Saint-Martin, dessen Erreurs et de la vérité und Tableau naturel er im Original und in der Zusammenfassung durch Kleuker las. Bei allem blieb die Bibel für ihn die entscheidende Offenbarungsquelle; freilich las er sie im Sinne von Saint-Martins Typologie auf ihren «mystischen Sinn» hin, der Natur- und Gesellschaftsphilosophie gleichermaßen betraf. Baader studierte mit Unterstützung der bayerischen Regierung von 1788-92 in Freiberg/Sachsen an der Bergakademie. 1792 ging er für vier Jahre nach England und begegnete dort dem Elend des Proletariats und dem Frühsozialismus.42 Beides beeindruckte ihn zutiefst. 1796 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde in München Münz- und Bergrat. Er blieb, wenn auch mit wechselvoller Karriere, sein Leben lang leitender Beamter der bayerischen Bergbau und Hüttenverwaltung. Baader führte eine Art Doppelleben: Neben seinen Dienstgeschäften verstärkte er auch seine Lektüre Saint-Martins, vor allem vertiefte er sich in die Werke Böhmes. 1798 schreibt er, noch ganz im Banne Saint-Martins und Kleukers, Über das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden43. Ab 1809 erschienen seine Aufsätze in rascher Folge. Sie zeigen eine enge Verwandtschaft zwischen Spekulation und Naturphilosophie vor dem Hintergrund Saint-Martins und Böhmes.44 Mit dem Ende der napoleonischen Herrschaft beginnt er, seine politische Theorie zu propagieren. Er versucht, mit gleichlautenden Schreiben die späteren Mitglieder der Heiligen Allianz, den Kaiser von Österreich, den russischen Zaren und den König von Preußen theologisch-politisch zu beeinflussen45. Die Ideen dieser Schrift veröffentlicht er 1815 in einer Broschüre: Ueber das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürfniss einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik.46 Am russischen Hof haben 39 40 41 42 43 44

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Hierzu vgl. H. Graßl, Aufbruch zur Romantik. Bayerns Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte 1765-1785, München 1968, S. 392ff. F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte (Anm. 1), S. 32-73. F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte (Anm. 1), S. 124-136. Er liest und exzerpiert W. Godwin, Enquiry concerning political justice and its influence on general virtue and happiness, London 1793. Vgl. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 3, S. 247ff. 1821 hat er auch ein Manuskript des Traité de réintégration von Martines de Pasqually erworben und berichtet darüber begeistert an Fr. Schlegel und Varnhagen von Ense, vgl. E. Susini, Lettres inédites (Anm. 6), S. 347ff. (Nr. 129) und S. 354ff. (Nr. 133). F.v. Baader, Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, hrsg. v. J. Sauter, Jena 1925, S. 590f. und 877. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 6, S. 11-28. Metternich hat Baaders politischen Ideen als «lauttönendes Nichts» verspottet. Zit. nach F.v. Baader, Sätze aus der erotischen Philosophie und andere Schriften, hrsg. v. G.-K. Kaltenbrunner, Frankfurt a.M. 1966, S. 14.

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seine Ideen wohl gewirkt; denn der Katholik Baader wurde vom orthodoxen Zaren beauftragt, ein theologisches Lehrbuch für die Orthodoxie zu schreiben47; zugleich wurde er zum offiziellen Korrespondenten des russischen Ministers für geistliche Angelegenheiten Golizyn ernannt.48 Er konnte sich also Hoffnung machen, als politischer Ratgeber gehört zu werden. Diese Aussicht stürzte ihn in sein russisches Abenteuer, wobei allerdings nur bis zum preußischen Memel kam. Wahrscheinlich ist er weniger auf eigene Initiative als auf den Rat russischer Freunde hin nach Petersburg aufgebrochen; die Reise endete jedenfalls kläglich. Baader plante die Gründung einer religiösen Akademie, die die «Reunion der Religion und Wissenschaft» zum Ziel hatte49; die also sein Lebenswerk institutionell krönen sollte. Im Gepäck hatte er Arbeiten, «unter welchen der erste Theil meines seit mehreren Jahren mich beschäftigenden Werkes über Religion, welcher die Theorie des Opfers enthält,50 der vorzüglichste war»51 . Er bat um Urlaub aus München und reiste im Spätsommer 1822 mit dem estnischen Baron Yxküll nach Riga, wo er einen Brief des Ministers Golizyn erhielt, der ihm riet, zunächst auf dem Gut Yxkülls zu bleiben. Er reiste nach Memel und wartete dort sieben Monate vergeblich auf einen Pass. Vornehmlich in dieser Zeit des erzwungenen Wartens entstanden die Fermenta cognitionis52, sechs Hefte mit hochspekulativen Entwürfen zur Theologie, Philosophie und Mystik auf der Grundlage der Theosophie Böhmes und Saint-Martins, die dem Minister Golizyn gewidmet sind. Mit dem Sturz Golizyns 1824 und dem Tod Alexanders I. 1825 zerschlugen sich Baaders theologisch-politische Pläne. Die Rückkehr Baaders nach München im Jahr 1824 war, wie man sich vorstellen kann, kein Ruhmeszug. Überhaupt war Baader seit 1820 auch in Bayern weitgehend kaltgestellt worden. Als 1826 die Universität von Landshut nach München wechselte, bekam er zwar den Titel eines Professors und hatte 47

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Vgl. E. Susini, Lettres inédites (Anm. 6), S. 470 (Nr. 4) und an Conrad Schmidt am 10. März 1816 in: ebd. S. 292 (Nr. 93): «Meine kleine Schrift (über die Verbindung von Religion mit Politik) hat der Herr gesegnet, und der von Ihm berührte Russische Kaiser hat mir in Folge dieser Schrift den ehrenvollen Auftrag gegeben, für den Russischen Clerus ein Lehrbuch der Natur- und Gottesweisheit zu schreiben, von dem der Erste Band hoffentlich noch dieses Jahr erscheinen wird.» (Der Band erschien natürlich nicht!) Vgl. Hoffmanns Biographie in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 15, S. 63. Fürst Alexander Nikolajewitsch Golizyn (1733-1843), Mitarbeiter Alexanders I., mit dem er den Übergang vom Rationalismus zum Pietismus vollzog. Alexander ernannte ihn 1803 zum Oberprokurator des Heiligen Synode, 1817 zum Minister für geistliche Angelegenheiten und Volksaufklärung. 1824 mußte Golizyn vor der erstarkenden kirchlichen Opposition weichen. S. Sudhoff (Hrsg.), Der Kreis von Münster, 2 Bde., Münster 1962-1964, Bd. 1, S. 200; Bd. 2, S. 145. Vgl. Hoffmanns Biographie in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 15, S. 96 und F.v. Baader, Schriften zur Gesellschaftsphilosophie (Anm. 45), S. 597. Die Vorlesungen über eine Theorie des Opfers erschienen zuerst 1836 in Münster. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 15, S. 98 und F.v. Baader, Schriften zur Gesellschaftsphilosophie (Anm. 45), S. 612. Fermenta Cognitionis, Heft 1-5, Berlin 1822-1824 und Heft 6 (Proben religiöser Philosopheme älterer Zeit), Leipzig 1825.

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Lehraufgaben zu erfüllen, aber eine ordentliche Professur mit den zugehörigen akademischen Rechten wurde ihm vorenthalten. Bei dieser Zurücksetzung spielte wohl auch seine mangelnde katholische Orthodoxie eine Rolle. Er war nicht ultramontan katholisch; vielmehr Ökumeniker, der die Einheit der Kirchen – der katholischen, evangelischen und orthodoxen anstrebte. Das hatte er in Russland zu erreichen versucht.53 Er hätte sich diese Ökumene auch in einer Nationalkirche vorstellen können, aber hier hatte er Görres zum Gegner.54 Deshalb war er in den letzten Jahren seines Lebens politisch und kirchlich isoliert. Man hat ihm die Sterbesakramente bei seinem Tode am 23.5.1841 zwar nicht verweigert. Aber Franz Hoffman, Baaders Biograph und der Herausgeber der Sämtlichen Werke, sah sich noch genötigt, eine Erklärung von Baaders letztem Beichtvater an seine Biographie anzuhängen, in der seine Katholizität herausgehoben wurde.

4.2 Saint-Martins Urgeschichte und Böhmes Theosophie als Hintergrundmodelle von Baaders Philosophie Baader hat kein zusammenfassendes systematisches Werk geschrieben; seine Werke werden verständlich vor dem Hintergrund der Geschichtstheologie Saint-Martins. Er hat die Schriften Saint-Martins und Martinez de Pasqually’s Traité de réintégration ausführlich exzerpiert und kommentiert.55 SaintMartins Modell der Vereinigung von Natur und Religion, die Urgeschichte von Sündenfall und innerer Erlösungssehnsucht, war ihm so präsent und seit seiner Jugend selbstverständlich, dass er sie in seinen Schriften voraussetzte und je neu, selbständig und originell explizierte.

4.2.1 Gottesbegriff Baaders Gottesbegriff ist dynamisch und an der Trinitätstheologie orientiert; dass er im dogmatischen Sinne trinitarisch sei, kann man nicht sagen. Vielmehr nimmt Baader die Sophienmystik in seinen Gottesbegriff hinein; dadurch bekommt sein Gott eine eher quaternische Konstitution. Die klarste Darstellung dieser Theorie, die Böhmes Sophienmystik originell neuinterpre53

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F.v. Baader, „Der Morgenländische und Abendländischen Katholizismus mehr in seinem innern wesentlichen als in seinem äussern Verhältnisse dargestellt“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 10, S. 89-254. F.v. Baader, „Vom Segen und Fluch der Kreatur. Drei Sendschreiben an Herrn Prof. Görres“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 7, S. 71-154. Der gesamte Band 12 der Sämtliche Werke (Anm. 2) enthält ausschließlich Exzerpte aus Saint-Martin und Kleuker. Der Band 4 (S. 115-132) eine Zusammenfassung des Traité de la Réintégration.

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tiert, hat Baader 1818 in einem kleinen Aufsatz Über die Vierzahl des Lebens geliefert. Er verbindet das Trinitätsdogma mit der Schöpfungstheologie. Der Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht, ist sowohl der innertrinitarische als auch der, der die Schöpfung im Sinne der primoridalen Weisheit – eben Böhmes Sophia – vor der Entstehung aller äußeren Welt im göttlichen Gedanken grundlegt: «Nach der allgemeinen und richtigen Vorstellung des Urternars ist der Vater (das Urzeugende) im Sohn (Wort) als gleichsam das Innerlichste und Geistigste der Gottheit in seiner ersten Peripherie oder Hülle, und derselbe Vater geht von (durch) dem Sohn als Geist (Kraft) aus. Nicht so allgemein obschon eben so richtig ist aber das Erkenntniß, daß 1) diese Zeugung des Sohnes selbst schon ein (und zwar urerster) Ausgang des Vaters, wie schon eo ipso ein Eingang zugleich ist, und 2) daß der Ausgang des Geistes nach zween verschiedenen Richtungen zugleich geschieht, nämlich nach innen (immanent) und nach aussen, daß folglich ein Auf- und Absteigen Statt findet.»56

4.2.2 Engelsschöpfung und Sturz, zweite Schöpfung, Rolle des doppelgeschlechtlichen Urmenschen und Sündenfall Baader geht selbstverständlich von einer eigenen Engelwelt aus, die von Gott geschaffen ist, von der sich ein Teil gegen Gott empört und aus dem Angesicht Gottes verbannt wird: Die Geschichte des Teufels. In seinen Vorlesungen zu Böhmes Gnadenwahl von 1829 beschreibt er als Folge des Engelsfalls die Dreiteilung der Welt57 : Die ursprüngliche primordiale Welt ist mit dem Sündenfall vergangen, jetzt entsteht eine zweite Schöpfung, die das durch den Engelsaufstand und -sturz entstandene Böse bannen soll. Die finstere Welt ist das Symbol der Bosheit von Lucifers gefallener Natur, die sich im bösen, Materie verbrennenden Höllenfeuer zeigt. Als Bollwerk zwischen «Lichtwelt» und «Finsterleib» ist die äußere Welt gesetzt, in der der doppelgeschlechtlichungeschlechtliche Ur-Mensch als Repräsentant Gottes angesiedelt ist. Aber der Urmensch versagt bei seiner Aufgabe, das in die Materie gebannte Böse zu zähmen. Infolge dieser Sünde wird er geschlechtlich und verliert sich an die Materie. Jetzt entsteht die Aufgabe des Neuen Menschen: Der in Christus erlöste Mensch soll das Versagen des Urmenschen kompensieren, die Natur erlösen, die Politik reformieren und so die Wiederkunft des Herrn beschleunigen.

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F.v. Baader, Philosophische Schriften und Aufsätze, Münster 1831, S. 286f. F.v. Baader, „Aus Privatvorlesungen über J. Böhme’s Lehre mit besonderer Beziehung auf dessen Schrift: Von der Gnadenwahl“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 13, S. 57158, hier S. 129.

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4.2.3 Erlösung und Opfer Die Erlösung beginnt mit dem Sündenfall. Jetzt wird die Liebe Gottes wirksam. Die göttliche Liebe restauriert den alten Adam zunächst innerlich und macht ihn zum christologischen Typus. Die Liebe kommt mit Jesus als der Inkarnation des Geistig-Göttlichen in die historische Zeit. Die Erlösung von der Ursünde geschieht durch das Opfer. Die Notwendigkeit des Opfers ist der Fluch an der Materie58 . Die lebendige Materie ist im Blut manifestiert; das Blut gilt sowohl als Repräsentant des Bösen als auch als natürliche Gegenwart des göttlichen Lebens. Die natürliche Theologie, die Baader durch die Religionsphänomenologie bestätigt sieht, zeigt, dass das Blut in einem Opfer, dem Akt der absoluten Unterwerfung unter das Göttliche, hingegeben werden muss. Dieser Unterwerfungsakt macht die Sünde der Insubordination offenbar und stellt die Materie wieder unter die Herrschaft des Geistes. Die höchste Form dieser Unterwerfung ist das blutige Selbstopfer Christi. Der Kreuzestod ist der Typus des Opfergehorsams schlechthin. Christus ist das höchste Opfer, nämlich Gottes Sohn, er hat sich stellvertretend für alle dargebracht; ein höheres Opfer ist undenkbar. Deshalb wird im Gottesdienst je neu an dieses Opfer erinnert, es wird kultisch gegenwärtig gesetzt. Alle Versuche, in einem Opfer einen höheren Gehorsam zu zeigen, wären Christus gegenüber blasphemisch. Mit Christi blutigem Kreuzesopfer sind die Blutopfer überflüssig geworden.

4.2.4 Das androgyne Urbild Die Sophia, die Fülle der göttlichen Herrlichkeit, ist doppelgeschlechtlich; in der Adaptation dieser alten, philonischen These stimmen Baader, Saint-Martin und Böhme überein. Die Sophia ist die Liebe des kosmischen Adam, sie ist das innere Bild jedes Geschöpfes, nach dessen Ideal sich alle gute Entwicklung richtet. Dem Menschen wird sein inneres Bild als Gewissen bewusst. Auf dieser Basis einer innerlichen Humanität entwickelt sich nun die Idee vom Licht-Leib, der als inneres Bild Grund der Schönheit ist; es ist die erste Sichtbarkeit, in der der primordiale Gedanke, den Gott von jedem Geschöpf hat, zur Erscheinung kommt. Dieser Leib entspricht dem verklärten Leib des auferstandenen Christus. Er ist die Form aller Natur, in der sich Vollkommenheit, Schönheit und Gutes vereinigen. Jedem gutwillig Reinen kommt diese Teilhabe am Göttlichen zu, unbewusst ebenso wie bewusst. Der Gedanke fin58

F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 187 (erstes Heft): «Der Mensch brachte nemlich durch seinen Fall den Fluch (Flucht des Paradieses oder ersten Elementes) in die Erde und in die äussere Natur. Es ist also seine Pflicht gegen die Erde, sie von diesem Fluch wieder zu befreien. Versteht man nun unter dieser Befreiung vom Fluch und unter der Entwickelung des Segens in der äusseren Natur die Alchimei, so ist diese nicht Vorwitz, sondern des Menschen Pflicht.»

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det sich schon früh in Baaders Tagebüchern (24. Juni 1786) und er stammt aus seiner Herder-Lektüre. Baader verbindet diesen Gedanken vom inneren Urbild mit der Idee der Androgynie. Diese hat nicht nur ästhetische, sondern gesellschaftspolitische Implikationen. Hier kehrt sich das Konzept einer radikalen Innerlichkeit politisch nach außen. Die Androgynie des Urmenschen ist das Symbol einer gesellschaftlichen, weil geschlechtlichen Versöhnung. Die ästhetische doppelgeschlechtliche Idealgestalt wird zum Vorschein der paradiesischen Harmonie; sie ist in dieser Welt repräsentiert als Vergeistigung der Liebe in der Ehe. Zum anderen symbolisiert die androgyne Sophia die menschliche herrschaftsfreie Gemeinschaft. Die von Gott eingesetzten herrschenden königlichen Familien sollen diese Ehe und diese Gemeinschaft vorleben und politisch fördern. Ziel der guten Gesellschaft ist nämlich die Wiederherstellung der Doppelgeschlechtlichkeit im Sakrament der Ehe. Die Ehe symbolisiert die Wiederherstellung des androgynen Urbildes, das als Sakrament zugleich christologische, versöhnende Bedeutung bekommt: «Die höhere Bedeutung der Geschlechtsliebe als nicht mit dem Fortpflanzungs-Triebe identisch ist folglich, wie gesagt, keine geringere, als dass sie dem Manne, wie dem Weibe behilflich sein soll, sich innerlich (in Gemüth und Geist) zum ganzen Menschenbild zu ergänzen, d.i. zum ursprünglichen Gottesbild; wie denn das Christentum als diese Reintegration des Menschen (sei es mit, sei es ohne Ehe) bezweckend eben nur Menschentum ist, so wie Unmensch und Unchrist Eines sind. Endlich sieht man aus dem Gesagten auch ein, wie in der Liebe die Unlust (das Kreuz) von der Lust nicht zu trennen ist, weil das innere, neue Gebilde nicht ohne Zerstörung des alten Gebildes möglich ist, und eben die abstracte, innerlich festgehaltene, – der Liebe nicht geopferte, – Mannheit und Weibheit (welche ja, wie wir vernommen haben, als solche selbstsüchtig sind, und der Liebe widerstreiten) dieses Kreuz sind, welches die Liebenden im Zeitleben eines von dem andern zu tragen und zu ertragen haben».59 Die Politik beruht auf der Gemeinschaft; diese hat ihr Ziel in der Wiederherstellung der Ungeschlechtlichkeit des Urmenschen. Für die Gemeinschaft heißt das, dass die Ehe als spirituelle Liebe, nicht allein als sinnliche Vereinigung begriffen wird, und daß die Ehe zur Grundlage einer neuen gesellschaftlichen Spiritualität wird.60 Die Einheit der Menschen im Spirituellen, im geistigen Adam, berechtigt die Menschen zur «freien Assoziation», das heißt zur liebenden persönlichen und gesellschaftlichen Verbindung; sie verpflichtet die Herrscher, diese Spiritualität vorzuleben und zu fördern. Das ist der Kern von Baaders gesellschaftspolitischer Forderung an die heilige Allianz. 59

60

F.v. Baader, „Ueber den verderblichen Einfluss, welchen die rationalistisch-materialistischen Vorstellungen auf die höhere Physik, so wie auf die höhere Dichtkunst und die bildende Kunst nich ausüben“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 3, S. 309f. Zum Topos der Wiederherstellung der Sophia vgl. F.v. Baader, „Ueber eine bleibende und universelle Geisterscheinung hinieden“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 4, S. 209219, besonders S. 213f.

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4.2.5 Die Heilige Allianz Erlösung und Vergeistigung sind für Baader der Zweck der Weltgeschichte; und diesem Ziel dient die Politik, die der Heilsgeschichte dienen und die Wiederkehr Gottes in Herrlichkeit beschleunigen muss. Baader sah seine Aufgabe darin, diesen Prozess publizistisch zu unterstützen. Er setzte seinen Hoffnungen nicht in die Universalität des Katholizismus, sondern in die Ökumene von östlichem und westlichem Christentum. Diese Ökumene konnte im engen Sinne nicht mehr konfessionell-kirchlich verfasst sein. Hier war zwar eine höchste geistliche Autorität erfordert, aber sie war nicht an die Souveränität einer einzigen Institution gebunden, deren Lehren unfehlbar waren. Eine solche Institution musste, so Baaders Idee, erst eigentlich entstehen. Diesen Prozess stellte sich Baader als religiöse Vergeistigung der Politik vor, als Theokratie. Den rechten Zeitpunkt für die Verwirklichung seiner politischen Theologie glaubte er 1814/15 gefunden zu haben, als das Napoleonische Reich zusammenfiel. Er verfasste 1814 eine Denkschrift, die er an den König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., den Zaren Alexander I. und den österreichischen Kaiser Franz I. schickte, die wenig später die Heilige Allianz bildeten. Baader stellt in dieser Denkschrift eine sakramentale Figur des Staates und der Weltgeschichte vor. Sie beginnt mit der Theorie des Opfers. Das Opfer führt zur Umkehr in die Liebe. Diese Umkehr ist sakramental im Weg von Abrahams Menschenopfer bis zum vorbildhaften Opfer Gottes in Jesus Christus typisiert; Abrahams Gehorsam wird durch Christus in Liebe umgewandelt. Christus ist das Sakrament, das die Liebe repräsentiert, die den harmonischen Verkehr aller Menschen innerhalb ihrer Völker möglich macht. Ohne diese versöhnende Liebe müssen die Völker in Despotie und Sklaverei leben. Das Reich der Liebe wird durch die wahre Ehe repräsentiert, die die Grundlage eines guten Staats ist. Im Liebesstaat wird die Freiheit der erlösten Christen dazu führen, dass sie die Zeugungskraft nicht allein familiär, zur symbolisch-institutionellen Wiederherstellung der natürlichen Sophia nutzen, sondern dass die geistlichen Kräfte auch durch den freien Verkehr einen harmonisch-religiösen Staat erzeugen, der eschatologischen Charakter hat: «Einer Religion, die sich als Bothschaft des nahe gekommenen Reiches Gottes unter den Menschen ankündete, wird man doch ihre weltbürgerliche (politische) Tendenz nicht absprechen können, und wenn schon dieses Reich nicht von dieser Welt ist, so kömmt es doch für und in sie.»61 Für dieses Liebes- und Freiheitsreich wirbt Baader bei den Majestäten der Heiligen Allianz, es ist für ihn eine neue «Stufe zur Annäherung einer wahren

61

F.v. Baader, „Ueber das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürfniss einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 6, S. 25.

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WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN

Theokratie», die gegen die «Dämonokratie» der französischen Revolution gerichtet ist.62 Der Beweis dafür, dass dieses Projekt einer Theokratie tatsächlich das Glück in der Welt befördern und die Wiederkunft des Herrn beschleunigen könnte, steht allerdings noch aus – auch hier zeigt sich die Heilsgeschichte vor allem als Parusieverzögerung.

62

Ebd., S. 26.

THOMAS RENTSCH

Baader, Hegel und Meister Eckhart

Mein Forschungsinteresse im Blick auf die drei großen Namen des Titels ist im wesentlichen systematisch ausgerichtet. Es gibt zwar historisch belegbare Beziehungen der drei Autoren, deren genaue Klärung historischer Erforschung der Quellen obliegt. Philosophisch weitreichender aber ist die Frage nach den Wahrheits- und Geltungsansprüchen der kritischen Reflexion der drei Philosophen insbesondere im Kontext ihrer philosophischen Theologien. Näherhin ist zu fragen: Welche Bedeutung kommt der rationalen Mystik im Blick auf Aufklärung und Moderne zu? Lässt sich auch Hegels Grundgedanke der Vermittlung und Versöhnung noch in dieser Tradition verorten, und zwar bei gleichzeitiger Reflexion von Negativität und Transzendenz?1 Ferner: Für alle drei Philosophen ist eine vorgängige Perspektive der Einheit (bei und in aller Verschiedenheit) prinzipiell leitend, am prägnantesten und modernsten, ja am fortschrittlichsten sicher bei Baader, der die Einheit von Natur und Menschenwelt in geradezu ökologischer Perspektive denkt, oder zum Beispiel als vorgängige Einheit der Geschlechter, die bei ihm zu konkreten Konsequenzen der Emanzipation und Gleichstellung der Frauen führt, zur wechselseitigen Ergänzung von Mann und Frau «zum ganzen Menschenbild»2. Die Perspektive der Einheit führt bei Baader auch zum Projekt der ökumenisch und synodal verfassten Weltkirche, zur «Freiheit der Intelligenz» und zum Projekt eines versöhnten, gesamteuropäischen «Gemeinwesen[s] [...] wahrer Freiheit und Gleichheit»3. Diese hochaktuellen, progressiven Konzeptionen sieht Erwin Hinder als Modelle einer Sozialutopie aus der Romantik, deren christlichsoziale Grundlagen sich der «christlich vermittelten Grundkraft der Liebe als Gestaltungs- und Evaluationsprinzip eines Sozialorganismus kommunikativer Freiheit»4 verdanken. Auch durch Jacob Böhmes Denken wird Baader zu universalistischen Entwürfen motiviert.

1 2 3 4

Vgl. T. Rentsch, Transzendenz und Negativität. Religionsphilosophische und ästhetische Studien, Berlin 2011. H.-R. Schwab, „Franz von Baader“, in: L. Bernd (Hrsg.), Metzler Philosophen Lexikon – Von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen, Stuttgart et al. 2003, S. 47-49, hier S. 48. Ebd. Vgl. E. Hinder, Das christlich-soziale Prinzip bei Franz von Baader. Die christlich vermittelte Grundkraft der Liebe als Gestaltungs- und Evolutionsprinzip eines Sozialorganismus kommunikativer Freiheit. Modell einer Sozialutopie aus der Zeit der Romantik, Frankfurt a.M. 2001.

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THOMAS RENTSCH

Mir geht es um eine systematische Frage, die sich um Baader, Hegel und Meister Eckhart zentrieren lässt, die dennoch auch unabhängig von diesem speziellen und spannenden Kontext zu den Grundfragen der Philosophie gehört, seit ihrem Beginn und bis heute: Worin besteht die Einheit der Welt, der Wirklichkeit, bzw. worin besteht die Einheit der Vernunft? Die Frage leitet auch Kants gesamtes Denken a primis fundamentis, und sie leitet auch das Denken seines Lehrers und Vorbilds Leibniz. Das heißt, was Baader in der Romantik progressiv fortführt, hat seine Vorgestalt in zentralen Entwürfen von Neuzeit und Aufklärung. An dieser Stelle wird in der Forschung oft gern ein Warnschild erhoben, das gegen pauschalisierende Modelle einer philosophia perennis gerichtet ist. In der Tat: oberflächliche Modelle sind auf jeden Fall zu vermeiden. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es eine (oft geradezu kryptische) Tiefenstruktur der okzidentalen Rationalität gibt. Ihr ist Hegel in seiner Phänomenologie, in seiner Geschichtsphilosophie wie in seiner Geschichte der Philosophie auf der Spur. Noch Heideggers fundamentalontologische Seinsgeschichte stellt eine solche Unternehmung dar. Der stärkere Einbezug der rational-mystischen Tradition seit dem Neuplatonismus Plotins und des Pseudo-Dionysius hätte im übrigen dazu beigetragen, die von Heidegger vermisste ontologische Differenz bereits im okzidentalen Denken zu finden. Es geht mir um eine systematische Erneuerung der Einheitsreflexion, die Thematisierung des Denkens der Einheit bei Baader, Hegel und Meister Eckhart ist dazu paradigmatisch sehr geeignet. Donata Schoeller hat in ihrer Schrift Gottesgeburt und Selbstbewusstsein5 dieses Denken der Einheit bei Hegel und Eckhart analysiert und in Absetzung zu anderen Ansätzen differenziert herausgearbeitet. Sie bezieht sich dabei auch auf Baaders Schrift Revision der Philosopheme der Hegel’schen Schule, bezüglich auf das Christentum. Nebst zehn Thesen aus einer religiösen Philosophie.6 In diesem Text, so kann man durchaus begründet sagen, ringt Baader mit Hegel, und dies unter ständigem Rekurs auf Böhme, den philosophus teutonicus, aber auch im Rekurs auf Kant, Fichte und Schelling. Es geht Baader, und dies ist systematisch zentral, um ein subtiles differentialistisches Verständnis der Dialektik, um ein Verständnis, das weder schematisch-triplizistisch7 noch dualistisch-antithetisch ist, «wesswegen man sich nur darüber, wie auch Hegel bemerkt, wundern muss, wie Kant auf den alle Wahrheit der Erkenntnis bezweifelnden und an ihr verzweifelnden Einfall kommen konnte, Wesen und Erscheinung oder Form gänzlich und zwar so trennen zu wollen, als ob beide auf einander ganz keinen

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D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein. Denken der Einheit bei Meister Eckhart und G.W.F. Hegel, Berlin 1992. F.v. Baader, „Revision der Philosopheme der Hegel’schen Schule, bezüglich auf das Christentum. Nebst zehn Thesen aus einer religiösen Philosophie“, in: Ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 9, S. 289-436. Vgl. F.v. Baader, „Revision der Philosopheme der Hegel’schen Schule“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 6), Bd. 9, S. 305f. Anm.

BAADER, HEGEL UND MEISTER ECKHART

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Bezug hätten»8. Baader rechnet diese Metakritik der Kantischen Erkenntniskritik der Dialektik Hegels an, um dann aber seinerseits eine Kritik noch gegen Spinoza, Hegel und Feuerbach zu richten, die alle die Dimension der Ewigkeit bzw. des Absoluten verfehlen. Diese Kritik konzentriert sich in Baaders Kritik an Hegels Verständnis des Christentums: «Und so declariert dann Hegel das an und für sich Sein der freien Creatur nicht wie die Schrift und mit ihr J. Böhme als ein Theilhaftsein (nicht Theilsein) an Gottes an und für sich Sein, sondern als ein mehr oder minder widerspenstiges Material, an dem Gott [...] sich realisiert, welche Realisierung ihm ausserdem mangelte»9, «Hegel vermengt den Begriff des Durchdringens mit jenem der Tilgung des Durchdrungenen»10. Gegen die «Confundierung des Einsseins und des Einigseins mit Gott» zitiert Baader erstaunlicherweise Goethe: «Einig sollst du zwar sein, doch Eines nicht mit dem Ganzen,/Durch die Vernunft bist du Eins, einig mit ihm durch dein Herz»11. Baader setzt seine Kritik an pantheistischatheistischen Tendenzen ganz tief im Verständnis der Dialektik selbst an: «Indem [...] der Hegelianismus die Creatur aus Gott (als Centrum) ohne Vermittelung entstehen lässt, so lässt er jene auch unmittelbar in Gott wieder vergehen»12. Damit verfehlt er, christlich-religiös gesagt, die vorgängig schaffende Liebe Gottes13 , philosophisch-platonisch gesagt, die inkommensurable, produktive Höhe der Idee, trotz all ihrer Genetizität, trotz aller Materialität und Evolution14 Baader versucht, die Liebe Gottes noch als Grund zu denken, das Commercium Dei cum hominibus wirklich zu denken als Basis, als Grund von allem.15 Immer führt er, das sei unterstrichen, Kants kritische Reflexion mit, der ja den guten Willen ebenfalls schlechthin auszeichnet, wobei aber der Ort der Bedingung seiner Möglichkeit unklar bleibt.16 Es geht Baader um das Anerkennen des Unbegreiflichen. Ich sehe hier auch mögliche Bezüge zu Heidegger und Wittgenstein. Baader schreibt: «Das Gottesleugnerische in der Hegel’schen Begriffslehre ist die Leugnung des Affects der Bewunderung»17. 8 9 10 11

12 13 14 15 16

17

Ebd., S. 308. Ebd., S. 326f. Ebd., S. 327 Anm. Ebd., S. 329. Freilich geht das Distichon Schöne Individualität auf Friedrich Schiller zurück. Vgl. „Tabulae Votivae“ in: Musen-Almanach für das Jahr 1797, Tübingen 1797, S. 152-182, hier S. 169. Ebd., S. 334. Ebd., S. 335. Ebd., S. 354f. Ebd., S. 358. Ich sehe hier Anknüpfungspotentiale an die Systematik meiner philosophischen Prototheologie: Können wir diese – im Kantischen Sinne nicht nur transzendentalen, sondern transzendenten – Möglichkeitsbedingungen als nicht irrational, sondern als transrational verstehen? Diesen Rekonstruktionsansatz würde ich gern weiterverfolgen und ihn als die Kernproblematik rekonstruieren, um die Baader sprachlich ringt. Vgl. T. Rentsch, Gott, Berlin/New York 2005. F.v. Baader, „Revision der Philosopheme der Hegel’schen Schule“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 6), Bd. 9, S. 359 Anm.

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«Das Bewundern als Anerkennen eines über mir Seienden (als Centrum und Mitte) somit mir Unbegreiflichen bedingt also mein Begreifen oder mein Centrumsein, und falls ich mich diesem Bewundern entziehe, sei es dass ich mich selber oder ein Niedrigeres zu bewundern strebe, so werde ich stupid, in dem ich das Erhebungsvermögen über das von mir zu Begreifende verliere»18. Dann spricht Baader vom «Nichtmehrgetragensein», vom «Nichtmehrgegründetsein»19, was sich meines Erachtens existentiell-praktisch gut verstehen lässt. Auch die zehn Kernthesen, die er im Folgenden entwickelt, lassen sich im Kontext der Hegel-Kritik und der Meister Eckhart-Rezeption verstehen. Ich stelle die zehn Thesen kurz vor: I. Die Religion ist dem Menschen eben so natürlich als nothwendig II. Die Religion ist aber auch so alt als der Mensch III. Es ist nur eine Religion, welche Einheit ihre Mannigfaltigkeit nicht ausschließt IV. Durch die Religion (den Cultus) erhält sich also der Mensch nicht allein im lebendigen Gefühle und Bewusstsein seiner Bedürfnisse einer höheren Beseligung und Erleuchtung, sondern er erhält sich hiermit in der Empfänglichkeit für selbe, folglich im wirklichen Empfangen derselben V. Sollte der Mensch des primitiven Lichtes wieder fähig werden und dieses ertragen können, so musste selbes sich zu den Medien herablassen, in welchen der Mensch sich befand, und denselben Weg gehen, durch welchen der Mensch gesunken war, weil ihm sonst Alles zu blitzend und zu fremd gewesen wäre VI. Weil der Mensch zum Werke der Restauration oder Regeneration selber mitwirken muss, so musste ihm gleich anfangs die Erkenntnis des Verhaltens seines jetzigen Zustandes zu seinem vergangenen und zukünftigen ertheilt werden VII. Diese Wissenschaft der Geschichte des Menschen und der mit solcher verbundenen Geschichte der Natur überlieferten diese Agenten den Fähigsten und hiemit Würdigsten jeder Zeit, womit die ältesten Traditionen oder Erblehren entstanden VIII. Die ursprüngliche Geschichte des Menschen ist darum der alleinige Gegenstand der ursprünglichen Mythologie und Symbolik IX. Aus jenen Ueberlieferungen der Weisen und ihrer Schüler entstanden die so berühmten Mysterien der alten Welt, mit aller Verschiedenheit und Alteration derselben in den verschiedenen Völkern 18 19

Ebd. Ebd., S. 360 Anm. 2.

BAADER, HEGEL UND MEISTER ECKHART

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X. Die vollständigste und zuverlässigste Geschichte des Göttlichen und Menschlichen, der göttlichen Offenbarung und der durch himmlische oder unter Menschen selbst erweckten Agenten Gottes findet sich in den Schriftlichen Denkmalen der Hebräer, so wie in den Schriften des neuen Bundes.20

Die Erläuterung dieser Thesen ist wiederum systematisch ohne Rekurs auf Hegels Vergeschichtlichung der Transzendentalphilosophie und ohne die dialektische Rezeption des Verständnisses der Trinitätstheologie bei Meister Eckhart durch Baader nicht möglich. Ich skizziere diese Voraussetzungen nur im Blick auf durchzuführende Forschungen. Es geht mir um eine hermeneutische Methodologie, die Baaders Platon-Rezeption,21 seine Descartes-Kritik22 und sein Verständnis von Eckhart, Leibniz, Goethe und Hegel23 rekonstruiert. Wie verhält sich diese Ebene seines Denkens zu seinem Verständnis des Christentums, und wie zu seinem Verständnis der Ethik Kants, die er mit dem Begriff der Gnade in Beziehung setzt (wie schon Kant dies in der Religionsschrift tut)?24 Die gesamte Problematik bündelt sich, knapp gesagt, in der Frage nach dem Verhältnis von Trinitätstheologie und Dialektik, und zwar im Kontext des Platonismus, der rationalen Mystik, der Transzendentalphilosophie Kants und der Dialektik Hegels.25 Die Problematik zielt damit, ob wir wollen oder nicht, auf ein Zentrum der Genesis der okzidentalen Rationalität. Die Auseinandersetzung Baaders mit Hegel lässt sich nur verstehen, wenn die theologische Dimension der Einheitsthematik mit der Trinitätstheologie verbunden wird. Donata Schoeller zeigt, dass die Einheitsfrage bereits im Tübinger Stift für die Diskussionen der drei Freunde Hölderlin, Schelling und Hegel prägend war. Sie wählten sich das Losungswort „Hen Kai Pan“, und unter dieser Prämisse erfolgte auch ihre Rezeption von Böhme, Spinoza, Kant und den «mittelalterlichen Mystikern»26. Die Rezeption des mystischen Einheitsdenkens bei Hegel erfolgt dabei rein rational oder strikt antipsychologistisch, nicht auf der Ebene affektiver Empfindung, wie es auch Meister Eckhart betont: «Je weniger du empfindest und je fester du glaubst, um so löblicher ist dein Glauben».27 Dennoch ist die zu denkende Einheit konkret, sie umfasst die lebendige Fülle des Seienden. In diesem Kontext ist Hegels Diktum zu verstehen, das Wahre sei das Ganze. Die Geschichte der Einheitsspekulation führt zurück auf 20 21 22 23 24 25 26

27

F.v. Baader, „Revision der Philosopheme der Hegel’schen Schule“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 6), Bd. 9, S. VIII (aus der Inhaltsanzeige des neunten Bandes). Vgl. ebd., S. 382. Vgl. ebd., S. 381 Anm. Vgl. ebd., S. 426f. Vgl. ebd., S. 425. Vgl. ebd., S. 367 Anm. 2 und S. 413-417. Vgl. T. Haering, Hegel. Sein Wollen und Sein Werk (Leipzig 1929), ND Aalen 1963, S. 40, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 28 Anm. 4. Vgl. Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, hrsg. u. übers. von J. Quint, Stuttgart 1936f.: Deutsche Werke, Bd. 5, S. 270, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 31.

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Pseudo-Dionysius Areopagita und über Meister Eckhart zu Nikolaus von Kues. Stets geht es darum, alle Unterschiede und Differenzen der Wirklichkeit, das Andere, in die Einheit zu integrieren, ohne sie zu tilgen oder zu nivellieren.28 Bereits in Eckharts trinitarischer Einheitskonzeption kommt der Vernunft und der Sprache bei der Explikation der Struktur dieser Einheit eine fundamentale Bedeutung zu. Mensch und Gott kommen in der Menschwerdung Gottes zum «admirabile Commercium»29. Man könnte systematisch hier von einer Gleichursprünglichkeit von Fundamentalanthropologie und Fundamentaltheologie hinsichtlich der Sinnkonstitution sprechen. Hier wird der (transzendentale und transzendente) Ort der ursprünglichen Synthesis von Sinn und Sein ausgezeichnet. Bei Hegel heißt es: «Ohne Welt ist Gott nicht Gott», «der Geist, der nicht erscheint, ist nicht».30 Im Kontext steht auch das wichtige Eckhart-Zitat, das Hegel in seiner Religionsphilosophie als Beispiel für die «auf das innigste gefasste Tiefe» des göttlichen Wesens anführt: «Das Auge, mit dem mich Gott sieht, ist das Auge, mit dem ich ihn sehe; mein Auge und sein Auge ist eins. In der Gerechtigkeit werde ich in Gott gewogen und er in mir. Wenn Gott nicht wäre, wäre ich nicht; wenn ich nicht wäre, so wäre er nicht. Dies ist jedoch nicht not zu wissen, denn es sind Dinge, die leicht missverstanden werden können».31 Es ist der Geistbegriff Hegels und dessen Werden zu sich selbst, mit dem er diese Wechselseitigkeit von Gott und Mensch in Eckharts Denken aufnimmt, ebenso der Begriff der Liebe, bei der es auch um unterschiedene Einheit geht:32 «Dies, dass es so ist, ist nun der Geist selbst, oder nach Weise der Empfindung ausgedrückt, die ewige Liebe».33 In diesem Zusammenhang entwickelte Meister Eckhart wie Hegel bereits an die Schöpfungstheologie anschließend Grundgedanken, die sich der späteren Prozesstheologie (etwa eines Whitehead) nähern. Hegel schreibt, dass «Gott, das ewig an sich und für sich Sei-

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Vgl. D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 47ff. Vgl. A.M. Haas, Geistliches Mittelalter, Freiburg (Schweiz) 1984, S. 306, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 63 Anm. 25. Vgl. G.W.F. Hegel, „Vorlesungen über die Philosophie der Religion I“, in: Ders., Werke [Theorie-Werkausgabe], auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe, hrsg. v. E. Moldenhauer und K.M. Michel, 20 Bde., Frankfurt a.M. 1986, Bd. 16, S. 192 und S. 34, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 67 Anm. 36 und 37. Vgl. G.W.F. Hegel, „Vorlesungen über die Philosophie der Religion I“, in: Ders., Werke (Anm. 30), S. 209, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 67f. und Anm. 41. Vgl. D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 68-72. Vgl. G.W.F. Hegel, „Vorlesungen über die Philosophie der Religion II“, in: Ders., Werke (Anm. 30), Bd. 17, S. 221, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 72 Anm. 57.

BAADER, HEGEL UND MEISTER ECKHART

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ende, sich ewig erzeugt als seinen Sohn, sich von sich unterscheidet»,34 Eckhart lehrt, «dass der Sohn in der Gottheit, das Wort im Anfang, immer geboren wird, immer geboren ist (in principio semper nascitur, semper natus est)».35 Es gibt mithin bei beiden eine sich in der christlichen Tradition verstehende, aber diese rational rekonstruierende dichte Entsprechung von Transzendenz und Immanenz – sie gehören in der Sinnkonstitution untrennbar zusammen,36 ebenso wie Theologie und Anthropologie,37 Jenseits und aktuelle Gegenwart. So betont Hegel in der Enzyklopädie, dass das Absolute eben nicht «weit jenseits liegt», sondern – «gerade das ganz Gegenwärtige ist»38. Endlichkeit und Unendlichkeit gehören zusammen. Es ist also durchaus nachvollziehbar, warum Hegel das kolportierte «da haben wir es ja, was wir wollen» nach Baaders Präsentation von Texten Meister Eckharts geäußert hat. In diesem Sinne interpretiert auch Cyril O’Regan Baaders Rezeption von Eckharts Grundbegriffen der „Gottesgeburt“ und des „Fünkleins“ der Seele: «The Gottesgeburt points to a divine action that constitutes the human self as son in the same way as the eternal logos; the Fünklein names the real self as co-eternal with the divine and always and already participating in it.»39 In diesem Kontext, so O’Regan, muss die Differenz von Baader und Hegel und ihrem Meister Eckhart-Verständnis angesetzt werden, bei der es um die «unüberbrückbare Differenz»40 von Ewigem und Endlichem, Gott und Mensch geht. Gibt es eine fundamentale Differenz des Verständnisses des Einswerdens des Menschen und Gottes bei Meister Eckhart und Hegel einerseits, bei Baader andererseits? Erst die genaue Rekonstruktion der drei Ansätze in ihrem Bezug zueinander kann diese Frage klären. Wie wird die Negation des Absoluten jeweils gedacht? Wie wird Einheit, das Umgreifende, jeweils konzipiert? Wie wird Schöpfung, wie Trinität, in diesem Kontext reflektiert? Auch die Forschungen von Haas zur Mystik als Aussage41 sind hier sehr wichtig. Denn die von mir anvisierte Kernproblematik der Einheitsfrage führt systematisch zur transzendentalen Dialektik, wie auch immer wir sie 34

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Vgl. G.W.F. Hegel, „Vorlesungen über die Philosophie der Religion II“, in: Ders., Werke (Anm. 30), Bd. 17, S. 223, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 73 Anm. 61. Vgl. Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, hrsg. u. übers. von J. Quint, Stuttagrt 1936f.: Lateinische Werke, Bd. 3, S. 9, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 73 Anm. 62. Vgl. D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 90. Vgl. D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 95 und Anm. 61. Vgl. G.W.F. Hegel, „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830)“, in: Ders., Werke (Anm. 30), Bd. 8, S. 85, zitiert nach D. Schoeller, Gottesgeburt und Selbstbewußtsein (Anm. 5), S. 105 Anm. 92. C. O’Regan, „Hegelian Philosophy of Religion and Eckhartian Mysticism“, in: D. Kolb (Hrsg.), New perspectives on Hegel’s Philosophy of Religion, New York 1992, S. 109-129, hier S. 113f. Ebd., S. 114. Im Original deutsch. Vgl. A.M. Haas, Mystik als Aussage. Erfahrungs-, Denk- und Redeformen christlicher Mystik, Frankfurt a.M. 1996.

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aufnehmen und begrifflich – bzw. ontologisch, theologisch, oder sprachphilosophisch – zu fassen versuchen. Die Problematik, um die Eckhart, Kant, Baader und Hegel auch sprachlich ringen, ist philosophisch keineswegs dadurch überholt, dass deren theologische Kontexte scheinbar nicht mehr im Zentrum der modernen und spätmodernen Reflexion stehen.42 Bei genauerem Blick auf heutige Autoren zeigt sich, dass die Frage nach der Einheit, und damit nach Grenze und Grund, bei wichtigsten Autoren der Moderne fortgesetzt und unausgesetzt reflektiert wird. Auf Jaspers’ Begriff des Umgreifenden habe ich mich schon bezogen. Im «Anrennen gegen die Grenzen der Sprache», um auf «das Mystische» und auf «Gott» zu weisen, bei Wittgenstein; im Denken des «Seins» und des «letzten Gottes» bei Heidegger; im Denken des «ganz Anderen» und des «Nichtidentischen» bei Horkheimer und Adorno; im Denken von «Differenz» und «Spur» bei Derrida.

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Vgl. T. Rentsch, Philosophie des 20. Jahrhunderts. Von Husserl bis Derrida, München 2014.

IV. FRANZ VON BAADER IM SPANNUNGSFELD DES DEUTSCHEN IDEALISMUS

PAUL ZICHE

Baader’s Realism: A meta-perspective on the sub-divisions of philosophy1

1. «Thoren erschrecken vor Namen»: Baader and the established labels in philosophy While his disciples hailed Franz von Baader as the greatest philosopher of his time,2 he also was bound to remain an outsider in the history and historiography of philosophy. It is directly evident that Baader does not fit the standard sub-divisions of philosophy. He can even be made into a paradigm figure for questioning the idea that there are (or that at his time, there were) any standard ways of sub-dividing philosophy. The fact that Baader was both an eccentric figure and, at the same time, a highly visible key player in tightly-knit discussion networks makes him an ideal test-case for raising the issue as to how we have to structure the field of philosophy in its entirety. Baader becomes even more interesting for an analysis of the dynamics of philosophy’s selfreflection by the sheer duration of his and his followers period of activity. Baader and the Baader-reception span a period starting with Kant – who is directly addressed in Baaders’s first writings, and continues to remain important for Baader throughout his career – and ranging all the way down to mid-19thcentury materialism and to philosophico-theological debates in the second half of the 19th century. Baader can and could easily be seen as a misfit in all standard sub-divisions of philosophy. Franz Hoffmann,3 Baader’s most devoted disciple and most

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This paper was written in the context of the NWO(Netherlands organisation for scientific research)-project “Thinking classified. Structuring the world of ideas around 1800”. The NWO’s support is gratefully acknowledged; I am very grateful for comments by Timmy de Goeij, Tom Giesbers, Peter Sperber, and Dirk van Miert. – All translations are my own; for the passages quoted in the main text, I also give the German original. Witness the eulogies by Franz Hoffmann in all his publications on Baader, and his entry on Baader in the Allgemeine Deutsche Biographie (vol. 1, 1875, p. 713-725, www.deutschebiographie.de/sfz45575.html, 14-8-2015). Franz Hoffmann, 1804-1881; born in Aschaffenburg, a place to which virtually all authors to be discussed here are somehow affiliated. His active career was mainly pursued in Würzburg. In how far a network of authors and institutions centering around Aschaffenburg/Frankfurt (with an important role for Karl Theodor von Dalberg, archbishop in Mainz and strongly in-

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successful spokesman, includes in his entry on Baader in the Allgemeine Deutsche Biographie a long list of movements that Baader does not belong to: «exclusive sensualism as well as exclusive ideologism, exclusive empiricism as well as exclusive aprioricism, scepticism and blind faith, one-sided realism as well as one-sided idealism, naturalism as well as panlogism, atomism and monadology, pantheism4 as well as deism, absolutizing the state and the church, revolutionism as well as fossilized conservatism».5

Despite the obvious difficulty to localize Baader in the spectrum of available theories in philosophy, Hoffmann, too, ventures to capture Baader’s philosophy in terms of larger movements, directly warning us in a cautionary remark that his positioning of Baader was bound to be surprising: «Only fools are afraid of labels» («Thoren erschrecken vor Namen»).6 This only alerts the reader’s attention even more towards Hoffmann’s labelling of Baader, and what Hoffmann has to say about Baader is indeed surprising. Baader is characterized as representing a «higher, religious, theosophical rationalism» that, other than ordinary forms of rationalism, is based upon human reason in its «true, ‘healthy’, normal state», not – as the typical rationalisms of the philosophical tradition do, according to Hoffmann – upon an impoverished, abstracted, lifeless construction that, by virtue of its being thus abstracted, can only grasp an equally impoverished truth. Two points spring out directly. The most conspicuous aspect of this characterization of Baader is certainly the combination of rationalism with theosophy which will require a far-reaching revision of the concept of reason. This is also implied in ascribing the attitude of a common sense approach, of a «‘healthy’» usage of reason, precisely to

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volved in the scientific and cultural developments of his time) was relevant for the discussions to be reconstructed here, remains an issue for further study. For more detail on Baader’s stance as regards pantheism, cf. F. Hoffmann, Franz von Baader in seinem Verhältniß zu Hegel und Schelling. Eine Beleuchtung von drei Recensionen der ersten Ausgabe von Baader’s Kleinen Schriften, Leipzig 1850, p. XXI, where Hoffmann discusses a «pantheistischen Idealismus und Realismus» whose differences do not really matter when compared to the really crucial difference, namely that setting apart all of these positions from theism. These ideas become further illustrated (loc. cit., p. XXII) with references to the writings of Friedrich Rückert and Johann Jakob Wagner, thereby extending the group of realists yet further. – The status of Hoffmann’s text is complex; originally written as an introduction to the second edition of Baader’s Kleine Schriften (18471, 18502), it is also part of an ongoing polemical debate around Baader’s works. The very fact that the introductions to the collected works of Baader both form an on-going polemical dispute and a systematic discussion of his ideas is revealing as to the status of the discussion: polemics and the sober work of editing and arguing cannot be separated. F. Hoffmann, “Baader”, in: Allgemeine Deutsche Biographie (vol. 1, 1875, p. 713-725, www.deutsche-biographie.de/sfz45575.html, 14-8-2015): «Daher verwirft er den ausschließlichen Sensualismus wie den ausschließlichen Ideologismus, den ausschließlichen Empirismus wie den ausschließlichen Apriorismus, den Scepticismus wie den blinden Glauben, den einseitigen Realismus wie den einseitigen Idealismus, den Naturalismus wie den Panlogismus, die Atomistik wie die Monadologie, den Pantheismus wie den Deismus, die Verabsolutirung des Staates wie der Kirche, den Revolutionismus die den erstarrten Conservatismus». F. Hoffmann, Baader in seinem Verhältniß (cf. supra n. 4), p. XX.

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this full notion of reason and, consequently, to a form of reason that grasps the truths of religion. Healthiness in reasoning becomes hereby detached from the connotations of standard common-sense empiricism or sensualism. Although Hoffmann finds himself arguing against a plethora of positions that he finds all inadequate, he nevertheless continues to offer different labels for Baader’s thinking. The higher rationalism can also be labelled as a «spiritual-realist theism» («spiritual-realistischen Theismus»)7 or, most succinctly, as an Idealrealismus: «Schelling tried to reconcile idealism and realism in a universal system, but he failed already in that [*; the footnote refers, besides to Baader’s own philosophy, to Herbart and G.F.Taute8] the realist element, without him realizing it, gained supremacy over the idealist one. Hegel realized this mistake and hoped to install the perfected system of ideal-realism by placing the realist element in the proper relation to the idealist element, but he failed by letting the realist element quietly be absorbed by the idealist one. Krause elevated himself above the double-faced absorption of the ideal by the real and the real by the ideal; in his philosophy, however, the ideal and real are placed on equal footing, the spirit is not powerfully superior to the natural. Only Baader has in principle solved the problem of presenting the proper relationship between the ideal and the real, the spiritual and natural, and has founded the genuine and true ideal-realism which will, presumably, conquer the minds only slowly, but therefore only the more irreversibly».9

This characterization of Baader as an «ideal-realist» is shared by many other commentators. Some examples may suffice. The theologian Johann Nepomuk Ehrlich writes: «Alle specul. Theologen Bayerns [...] huldigen dem Idealrealismus d.h. dem Trinarismus (der Synthese v. Idealism u. Realism) Baaders d.h. des rediviven Philosophus teutonicus (Jac. Boehme)».10 In similar termi7 8 9

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F. Hoffmann, “Baader” (cf. supra n. 5). Gottfried Friedrich Taute (1794-1862) Herbartian philosopher, became known mainly because of his work in the philosophy of religion. See F. Hoffmann, Beleuchtung der neuesten Urtheile über Baader’s Lehre (again written as an introduction to a volume of Baader’s works), taken up, with the original pagination, in the collection of Hoffmann’s introductions to the Baader-edition: F. Hoffmann, Acht philosophische Abhandlungen über Franz von Baader und seine Werke, Leipzig 1857, p. IX-X: «Schelling versuchte den Idealismus und Realismus in einem universellen Systeme zu versöhnen, scheiterte aber schon dadurch [*], dass das realistische Element unvermerkt die Herrschaft über das idealistische gewann. Hegel gewahrte diesen Fehler und hoffte das vollendete System des Idealrealismus dadurch zu begründen, dass er das realistische Element in das richtige Verhältniss zum idealistischen stellte, scheiterte aber, indem ihm das realistische Element unter der Hand in dem idealistischen unterging. Krause erhob sich über die doppelseitige Absorption des Realen durch das Ideale und des Idealen durch das Reale, aber das Ideale und das Reale stehen sich bei ihm gleichberechtigt gegenüber, der Geist ist nicht die energische übergreifende Macht des Natürlichen. Nur Baader hat das Problem des richtigen Verhältnisses des Idealen und des Realen, des Geistigen und des Natürlichen im Princip gelöset und den ächten und wahren Idealrealismus begründet, der vermuthlich nur langsam, aber dafür um so unhintertreiblicher die Geister sich erobern wird». E. Mann, Idee und Wirklichkeit der Offenbarung. Methode und Aufbau der Fundamentaltheologie des Güntherianers Johann Nepomuk Ehrlich (1810-1864), Frankfurt a.M. 2010, p. 239.

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nology, the anonymous author of a pamphlet Ueber die Haltlosigkeit unserer bisherigen wissenschaftlichen Systeme from 1858 calls ideal-realism, with explicit reference to Baader, the only acceptable position for a Christian thinker.11 While the label “ideal-realism” has already been used by Fichte to describe the new positioning of a radically idealist attitude as the ultimately real basis of any construction of reality, Baader clearly does not intend to argue in the wake of Fichte’s arguments. Indeed, he very strongly opposes an idealist reading of Kant, and shares key ideas with a broader realists’ movement that starts being formed in this period. The caveat emphasized so strongly by Hoffmann, namely that the realist ingredient in an ideal-realism must by no means be understood as a naturalization of mind (or spirit), is, from the point of view of these realists, quite superfluous. They all start from the conviction that a genuine form of realism needs to acknowledge the reality of super-natural powers; “realism” in this period needs to be kept apart from any form of materialism. The issue of where to place Baader and his philosophy with respect to existing forms of philosophy clearly was a pressing issue for the protagonists in this debate. Baader seems to have invited polemical discussions on this issue, just as he himself and his followers never shrunk from arguing polemically against other philosophers. In this paper, some of the ideas that lead to assigning Baader to, or distancing him from, larger philosophical movements will be further explored, with a particular emphasis on the realist agenda of Baader and his followers. By referring to Baader himself, and to two of his most interesting followers, Karl Joseph Windischmann and Franz Joseph Molitor, it will be discussed how Baader and his interpreters engaged with the problem of understanding the dynamics of philosophy on a larger scale. Importantly, the debates around Baader highlight two points of rather general interest for the history of philosophy. They help to clarify the scope of realist movements in the period under consideration, and they drastically reveal that the subdivisions of philosophy are a field of contestation at least up to the time in which Hoffmann promoted Baader, i.e. to the 1860ies. Philosophy was, to a surprising extent, still an open field awaiting the surveyors that would give it its final shape.

2. Aspects of Realism in Baader Some general features of Baader’s philosophy have already become visible. He asks us not to be afraid to combine rationalism and theosophy, and likewise not to shrink back from integrating spiritualism and realism, in both cases 11

Anonymous, Ueber die Haltlosigkeit unserer bisherigen wissenschaftlichen Systeme und die im Bedürfniß der Zeit liegende Nothwendigkeit, sich allgemeiner der Lehre Franz von Baader’s zuzuwenden, Elberfeld 1858, p. 10. This text was occasioned, as is stated on the titlepage, by Hoffmann’s Acht philosophische Abhandlungen.

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with the strategic aim to support a theistic philosophy. These strategic aims also help to align the opponents against which he and his followers position themselves: The most important ones being pantheism, materialism, idealism and abstractive reasoning. The first important step to be taken in a Baaderian philosophy requires an enriched concept of direct perception to fight off the dangers inherent in abstraction, idealism and materialism. This strategy links Baader to other realist programmes as they were proposed by authors such as Herder, Jacobi, Reinhold and many others.12 A conception of “reason” that is at the same time “healthy”, i.e. close enough to common sense ideas about God, man and the world and strongly dominated by an ideal of direct perception, and that yet does not lead into sensualism lies at the heart of this realists’ movement around 1800.13 Baader explicitly refers to one of the shibboleths of this movement in one of his early writings, namely to the idea that the very word «Vernunft» derives from «Vernehmen», from – as Baader directly translates – a «Hören».14 This etymological argument – which is supported by the authority of Grimm’s Wörterbuch, has been prominently used by, among others, Herder and Jacobi.15 The clear link to perceptive faculties is emphasized by Baader in the title of the paper; the etymologization of «Vernunft» in terms of 12

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An in-depth study of this realists’ movement is still lacking. For a first orientation, see P. Ziche, “Editorischer Bericht”, in: F.W.J. Schelling, System des transscendentalen Idealismus (1800), ed. by H. Korten, P. Ziche, in: Id. Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, ed. by T. Buchheim, J. Hennigfeld, W.G. Jacobs, J. Jantzen, S. Peetz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976-. Reihe I: Werke, vol. 9/1,2, Stuttgart-Bad Cannstatt 2005, v. 9/2, p. 33-41. The most extensive study is V. Pluder, Die Vermittlung von Idealismus und Realismus in der Klassischen Deutschen Philosophie. Eine Studie zu Jacobi, Kant, Fichte, Schelling und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, strongly focussing on the idealist authors. See also P. Valenza, “Wege des Realismus – Herder, Reinhold und Bardili im Vergleich”, in: M. Heinz (ed.), Herders “Metakritik”. Analysen und Interpretationen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, p. 127-148. See the very detailed study on Herder’s early epistemological position in M. Heinz, Sensualistischer Idealismus. Untersuchungen zur Erkenntnistheorie des jungen Herder (1763-1778), Hamburg 1994. F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction der practischen Vernunft, und die absolute Blindheit der letztern”, in: Id., Philosophische Schriften und Aufsätze, vol. 1., Münster 1831, p. 5-27, here p. 5. In a note, Baader states that he has written this paper «vor zwölf Jahren in England», which cannot be true; it first appeared 1809 in his Beiträge zur dinamischen Philosophie im Gegensaze der mechanischen (Berlin 1809). The phrase «vor zwölf Jahren» is taken over unchanged from this version to that in the Schriften und Aufsätze which leads to ca. 1797 as the time in which this paper was written. See the chapter on Was ist Vernunft? in part 2 of J.G. Herder, “Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft”, in: Id., Sämmtliche Werke, ed. by B. Suphan, vol. 21, Berlin 1881; F.H. Jacobi, “Jacobi an Fichte” (1799), in: Id. Werke. Gesamtausgabe ed. by K. Hammacher, W. Jaeschke, vol. 2,1: Schriften zum Transzendentalen Idealismus, ed. by W. Jaeschke, I.-M. Piske and C. Goretzki, Hamburg 2004. p. 191-255, here p. 201. – On Herder’s notion of “Vernunft”, see M. Heinz, “Vernunft ist nur Eine. Untersuchungen zur Vernunftkonzeption in Herders Metakritik” in: Id. (ed.), Herders “Metakritik”, (cf. supra n. 12), p. 163-194, and H. Adler, “Herder’s concept of Humanität”, in: H. Adler, W. Köpke (eds.), A Companion to the Works of Herder, Rochester, N.Y. 2009, p. 93-116, here 105-108.

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the faculty of auditory perception return in the title, negatively, in charging Kant’s moral philosophy with «blindness». These points are developed in what Baader presents as an original discussion of Kant’s practical philosophy, in a paper, entitled «Kants Deduction der practischen Vernunft, und die absolute Blindheit der letztern» that Baader communicated to Jacobi,16 stating that at this moment he, Baader, was ignorant of the debates concerning Kant in Germany. Modelling the function of reason on the basis of perceptive faculties marks a clear departure from Kant’s philosophy where reason, for finite beings, is precisely that faculty that can only function on the basis of autonomy. Baader, again just like the other realists in his time, devotes great efforts to working out a comprehensive analysis of man’s cognitive and emotional faculties, all centered around models of perception. In particular, he requires us to understand reason itself as a form of “sense”, a «Vernunftsinn» that Baader directly links to the Greek term «Logos», to the faculty of hearing, and to language.17 Generically, these all fit together in a «faculty of perception» («Wahrnehmungsvermögen»)18 that underlies, as a basis/foundation («Grund»), a source of power/force («Kraftquelle») all further synthesizing processes of reason. What we need in matters philosophical and religious just as in matters scientific and everyday is, in an almost untranslatable phrase, a «inne werden» «with absolute certainty» («mit absoluter Gewißheit»).19 Innewerden, a term also employed by Herder,20 means more than just “becoming aware”. While this certainly captures some of the implications of Innewerden, it leaves out the aspects of internalizing, as it were, and of Innigkeit (again, difficult to translate: “intimacy” might be the best candidate) that also inhere in the term “Innewerden”. Baader does indeed give an example that shows that even natural science can be shifted towards this realm of direct awareness: I immediately perceive gravitational force in its action upon me and my environment, and do not derive my knowledge about gravitation from the Newtonian «formula of the understanding» («Verstandesformel»).21 This paves the way for integrating also dreams, revelatory experiences, soothsaying, magnetism and animal magnetism into a comprehensive analysis that can view itself as also providing the basis for established science.22

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F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 5 footnote. See, again, M. Heinz, Sensualistischer Idealismus (cf. supra n. 13), on the importance that Herder accords to notions of “sense”, sensibility, perception. F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 7-8. F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 12. E.g. in Herder, “Metakritik” (cf. supra n. 15), p. 43. F.v Baader, Ueber Kants Deduction (cf. supra n. 14), p. 14. As an example, take the discussion of Jacob Böhme in F.v. Baader, Fermenta Cognitionis. Drittes Heft, Berlin 1823, that broadens so as to include, among other phenomena, (animal) magnetism, somnambulism, «Divinationskraft». Similar arguments recur over and over again in his writings.

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Baader’s, and others’, search for more basic and comprehensive faculties is in all cases directed towards a unification of the various faculties that were discussed in the philosophical literature of the time. At the same time, this unification has to provide the ultimate basis for these faculties, thereby assuming that all authors so far, including Kant, had failed to arrive at the proper basis for their analysis of the human mind and of its relationship with reality. Baader takes up Kant’s transcendental question as to the possibility of synthetic judgements a priori, and presents this «Vernunftsinn» as a transcendental23 condition for the possibility of this type of judgements, in other words, the «Vernunftsinn» functions as an explanation for the very functions of reason. Missing or misconceiving this faculty leads to the blindness that Baader denounces in the title of his paper. Kant himself, according to Baader, fell victim to this sensory deprivation; Kant’s attempt to present a new analysis of reason and of its foundational role for cognition and morality leads to reason’s becoming, in a rather denigrating term, «stockblind» («blind as a bat»).24 The crucial idea that Baader, and many other realists besides him, distil from their etymologizing argument concerning the term “Vernunft” (reason) is that reason is bound to be passive and has to be likened to a perceptive faculty. As soon as reason is conceived as an essentially active faculty, it is thought of as acting on its own account, and following its own standards. No guarantee can then be given that reason can ever get hold of undistorted reality; even stronger: If reason acts according to human standards, it will never be able to grasp anything beyond the human, and will thus be a fortiori incapable to understand a reality that is independent of or transcends the human faculties. Making reason into an active faculty, starting from and controlled by the subject’s autonomy, leads to solipsism, empirical idealism, constructivism, abstractive thinking, nihilism, or a «philosophical self-negation» («philosophische Selbstverleugnung») which amounts – not being sincere enough to admit the selfdestructive force of this turn towards the subject – to «affectation and charlatanism» («Affectation und Charlatenerie»)25 (even stronger terms are used in this polemical debate, as will be quoted later in this paper). Truth needs to be revealed, not made. Missing this point induces one to pursue a «rational idealism» («Vernunftidealism»), which is precisely the position that Baader ascribes to Kant.26 Baader also charges Kant with not having seen the full potential of the remedies that can be found within the critical philosophy itself, in particular in the Third Critique’s emphasis on symbolic cognition.27 It 23

24

25 26 27

Indeed, he charges Kant with not arguing transcendentally at all, but merely «logical», thereby implying that only his own style of arguing can count as being genuinely transcendental; F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 7. F.v. Baader, “Über Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 6; in the German original, he likens reason’s blindness explicitly to that of the mole. F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 20-21. F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 8. F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 8.

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would be worthwhile to study comparatively the Third Critique’s prominence in philosophical movements as different – though, as the joint reference to the Third Critique already indicates – also closely interacting philosophical movements as Baader’s “higher realism” and the radicalization of idealism in the hands of Fichte or Schelling. From here onwards, Baader’s typical train of thought unfolds itself. The «Vernunftreales» has to be grasped under a unity of content and form, and needs to be understood dynamically, thereby combining a Fichtean idea of the form-content unity with notions from contemporary philosophy of nature. The emphasis on forms of symbolic cognition warrants the transition to Kant’s practical philosophy (after all, this was to be the topic governing Baader’s paper). Kant’s practical philosophy is introduced under the auspices of giving a proof for the existence of God on the basis of God’s becoming perceptible not in the sublime experiences of the enormousness of the cosmos or the moral law, but «in the restful murmur and whisper of conscience» («im stillen Säuseln oder Lispeln des Gewissens»).28 Again, what stands out here is Baader’s emphasis on a receptive attitude that is metaphorically described in auditory metaphors. Kant’s own proofs for the existence of God are totally different from the attentive listening to our conscience’s spiritual murmur. It is in taking the attitude of the attentive listener that we also overcome what Baader sees as Kant’s nihilism – without using this term here29 –: the «only rationally real» («Vernunftreales») in Kant’s philosophy can only be understood as an «empty breeze» («nichtigen Lufthauch»).30 The metaphorical texture is dense here; in a receptive listening, the gentle breeze becomes very real indeed, while a constructive attitude disperses it. These ideas link Baader’s philosophy directly to authors such as Jacobi or Herder, but also to Jacob Böhme. In his Fermenta Cognitionis, Baader sketches the outlines of a «theory of finding» («Theorie des Findens») as deriving from Böhme.31 Importantly, this focus on a faculty of perception does not lead to a purely emotional construction of philosophy or of religion. The directness involved in receptive finding truth must not be mistaken for a form of irrationalism, and Hoffmann very rightly emphasizes Baader’s rationalism. Indeed, Baader explicitly opposes a «stale pietism» that turns religion purely into a matter of the heart.32

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F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 10. – See also F. Hoffmann, Baader in seinem Verhältniß (cf. supra n. 4), p. XX; F.v. Baader, Fermenta Cognitionis. Zweites Heft, Berlin 1823, p. 18: proofs for the existence of God are «affected». On Baader and nihilism, see E. Benz, Franz von Baader und der abendländische Nihilismus, s.l. 1949; W. Müller-Lauter, “Nihilismus”, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, ed. by J. Ritter, K. Gründer, vol. 6, Basel 1984, col. 846-853, here col. 849. F.v. Baader, “Ueber Kants Deduction” (cf. supra n. 14), p. 14. F.v. Baader, Fermenta Cognitionis. Fünftes Heft, Berlin 1824, p. 58. See e.g. F.v. Baader, Fermenta (cf. supra n. 31), p. 35-6.

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The relations between various forms of philosophy, past, present, and future, remain extremely delicate here. Baader can refer affirmatively to Hegel’s ideas on «meaningful intuition» («sinnvolles Anschauen»), and he is perfectly aware that his arguments require us to revise the notion of “objectivity” so as to cover not only external objects.33 A similar revision is required for the notion of a “law” in morality and in nature. Baader points towards a notion of “law” understood in terms of a «co-efficiency» («Mitwirken») in which those agents that are subjected to laws become parts of a dynamic interaction.34 In a number of key ideas, Baader agrees completely with other realists of the years around 1800: the focus on receptive faculties, the introduction of completely new faculties, the insistence on a notion of “full” and nonabstractive experience, the conviction that only this form of full and receptive experience can help us develop a truly religious philosophy are widely shared among realists around 1800. One of the great challenges that Baader introduces into this discussion is the extent to which mystical traditions can become part of the argument, and how they can, consequently, be integrated so as to form a “theosophical rationalism”. The second important issue, in the present context, concerns the question how these ideas can be used to characterize philosophy as a whole. In a number of writings by Baader-followers, this question is given particular emphasis: how does a Baaderian vision of philosophy shape our understanding of the dynamics of philosophy, past, present, and future?

3. Baader and the Dynamics of Philosophy: Windischmann and Molitor 3.1 Windischmann: “The Spirit of religiosity within science” Baader-inspired authors tended to view their own period as a period of great promises; the philosophers that later historiography came to regard as the important innovators – Kant, Fichte, Schelling, Hegel – were thought of as, at its best, paving the way for the crucial turn towards the better in philosophy which has only been completed in the works of Baader. Karl Joseph Windischmann (1775-1839), trained in medicine before embarking upon a career in philosophy, history and medicine in Aschaffenburg and Bonn, was an early discussion partner and bibliographical supporter of Schelling in topics such as Neo-Platonism, Plotinus, Timaios, and Jacob Böhme. Windischmann presents a characteristic argument placing Baader in the centre of a dynamical history of philosophy. He does so, in particular, in his Kritische Betrachtungen über die Schicksale der Philosophie in der neueren Zeit und den Eintritt einer neuen Epoche derselben with which he intends to open the enormous project of an «extensive history and critique not only of the newer, but also of the 33 34

F.v. Baader, Fermenta (cf. supra n. 31), p. 22-24, referring to § 11 of the Enzyklopädie. F.v. Baader, Fermenta Cognitionis. Viertes Heft, Berlin 1823, p. 24-27

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middle and old philosophy».35 Windischmann also acts as the spokesman of Joseph de Maistre, another of Baader’s prime reference figurers. Windischmann’s treatise on the new philosophy first appeared as a Beilage to the translation of de Maistre’s36 Abenstunden zu St. Petersburg, thereby establishing yet another link to Baader. Windischmann emphatically adopts the catholic point of view,37 and opposes the typical reaction from protestant critics which denounces this standpoint as being a form of mysticism. As a treatise in the history of philosophy, his text is particularly interesting because Windischmann integrates medieval discussions about realism (as opposed to nominalism) into his analysis of the philosophical debates of his own time.38 What is crucial to see is that, according to Windischmann, the strong polar opposition between realism and nominalism is a polemical overreaction that leads to denying more constructive forms of interaction between the individual and the universal.39 What needs to be rediscovered is the «spiritual communion with and mediation of the immediate» («geistige Einigkeit und Vermittlung des Unmittelbaren»);40 both realism and nominalism, when taken in isolation, degenerated into becoming forms of «Schwärmerei», i.e. into issues of unrestrained enthusiasm.41 His charges against Kant are similar to those already stated in the writings of Hoffmann and Baader. Kant’s attempt «to take seriously the subjective» («mit dem Subjectiven Ernst zu machen»), laudable as it is in its seriousness, is nevertheless bound to remain superficial because Kant refuses, under the dominating influence of the empirical point of view, to see the «inner truth» («innere Wahrheit») that, however, does not reside within the subject’s faculties or transcendental structures.42 What Kant cannot accept, is that the «An sich» can only reside in the realm of the «objective». Kant, thus, only perpetuates earler dualistic ideas, all his claims concerning unity of apperception and 35 36

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K.J.H. Windischmann, Kritische Betrachtungen über die Schicksale der Philosophie in der neueren Zeit und den Eintritt einer neuen Epoche in derselben, Frankfurt a.M. 1825, p. IV. On Baader and de Maistre, see W. Schmidt-Biggemann, Politische Theologie der Gegenaufklärung. Politische Theologie der Gegenaufklärung. De Maistre, Saint-Martin, Kleuker, Baader, Berlin 2004. – The 1824-translation of de Maistre’s works was prepared by Moritz Lieber, 1790-1860, whom the Neue Deutsche Biographie (entry “Lieber, Ernst”, vol. 14, 1985, p. 477-8, www.deutsche-biographie.de/sfz51132.html, 14.8.2015) only vaguely mentions as «Advokat, Politiker, Teehändler» and being active in church politics. Lieber studied in Aschaffenburg – again, Aschaffenburg seems to have played an important role in bringing together ideas and people – and become one of the founders of the German Zentrumspartei. For a more extensive biography, see the entry by M. Berger, “Lieber, Moritz Joseph Josias”, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, vol. XXI, Nordhausen 2003, col. 824830. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. V. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 6-9. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 7. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 8. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 9. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 83-4.

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systematic unity notwithstanding;43 note that this is precisely what Hegel and Schelling charge Kant with as early as 1801-2.44 What Kant denied, according to Windischmann, was the possibility or even the necessity of a «sensory experience for the unconditional» («sinnliche Erfahrung für das Unbedingte»),45 and he thereby loses the «knowledge of the unconditional» («Wissen vom Unbedingten») that is, however, required, for the purpose of practical philosophy. Interestingly, this form of criticism reads Kant from a strongly epistemological perspective, asking for a form of knowledge that is adequate for both theoretical and practical philosophy. This is clearly inadequate, given Kant’s emphasis on knowledge’s being limited to matters of theoretical cognition, and on keeping the realm of practical philosophy apart from any knowledge claims. It is also a rather strange way of arguing by means of epistemology against a one-sidedly intellectualist view of philosophy. Negatively charged terms such as «obstinacy» («Eigensinn») and «selfconceit» («Selbstdünkel») abound in Windischmann’s analysis of Kant.46 Windischmann gets personal; Kant is described as succumbing to a «saddening idiocy of the mind» («traurige Geistesblödheit») during his later year, with Windischmann implicitly insinuating that this sorry state of the late Kant was a result of his arrogant self-conceit in philosophical matters. Taken together, these tendencies lead to a «painful contrast» («schmerzliche Contrast»)47 in Kant’s oeuvre that Windischmann, the medical man, describes in term of a crisis, a disease: The autocratic fixation upon human subjectivity and the daring glimpses into the essence of God stand, unrelated and thus conflicting even more painfully, next to each other. «Self-idolization» («Selbstvergötterung») and pantheism (becoming more or less identical), the abstractions of common sense reasoning, and empiricism’s becoming a purely sensual way of knowing are the results of this crisis.48 What we need, instead, is a «living and completely intimate companionship with truth» («lebendigen und ganz vertrauten Umgang mit der Wahrheit»). As is the case in any disease, the crisis itself is going to lead to a form of regeneration which we see approaching in the new epoch in philosophy – combining monastic ideals of «austerity, discipline, obedience, modesty of mind» («Strenge, Zucht, Gehorsam und Bescheidenheit des Geistes») with a «genetical understanding» («genetisches Begreifen»), and an adequate notion of «mind/spirit» («Geist»).49 43 44

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K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 84-5. Cf., for instance, G.W.F. Hegel, “Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie“, ed. by H. Buchner, O. Pöggeler, in: Id., Gesammelte Werke, ed. by RheinischWestfälischen Akademie der Wissenschaften, vol. 4, Hamburg 1968, p. 313-414, e.g. p. 325. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 91. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 91. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 113. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 114. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 117.

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Interestingly, Windischmann goes on to devote quite some space to developing an adequate concept of logic, and in particular to Hegel’s Wissenschaft der Logik. It needs to be stressed that quite generally, Hegel plays a rather more important role in Baaderian and post-Baaderian discussions than Schelling – this is rather surprising, and in need of further explanation, when looking at the great importance accorded to Baader in Schelling’s philosophy of nature and at the prominent references to Baader Schelling’s Freiheitsschrift.50 In the case of logic, too, Windischmann opposes any form of a one-sided intellectualism. The intimate companionship that we are asked to enter into in all our cognitive undertakings is also possible and necessary with regard to logic, and Hegel is praised for having at least raised this issue. The logic that Windischmann postulates needs to incorporate a «faith in truth» («Glaube an die Wahrheit»),51 and can then lead to the «spirit of religiosity in science, as the fundamental condition for its flourishing» («Geist der Religiösität in der Wissenschaft als Gundbedingung ihres Gedeihens»). Baader and the Baaderdisciples by no means display an anti-scientistic attitude; they give a prominent place to a revision of science itself, including the science of logic. Logic, properly understood, is the best «medicina mentis».52 All of the core notions of philosophy seem to be under discussion, in a network of coalitions and polemical exchanges. Many tensions emerge: Criticizing intellectualism with epistemological arguments; searching for unity, but in a strongly polemical fashion; positioning Hegel, so frequently seen as being the arch-rationalist of 19th-century philosophy, against Schelling; engaging conservative arguments for generating a dynamics for the future of philosophy. These are not the idiosyncrasies of an individual authors of tokens of insufficient reflection, but prominent features of a large-scale debate, and these tensions therefore should be read as highlighting the urgency with which a clarification of these issues was sought for.

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See the editor’s introduction in F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, ed. by T. Buchheim, Hamburg 1997, p. XLV-XLVIII. – On the affirmative relationship between Baader and Hegel, see O. Briese, Konkurrenzen. Philosophische Kultur in Deutschland 18301850. Porträts und Profile, Würzburg 1998, p. 90-100 and A. Bonchino, “Sulla dialettica religiosa e irreligiosa. Note intorno alla polemica antihegeliana di Franz von Baader dopo il 1830”, in: Annuario filosofico, 29, 2013, pp. 120-138. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 132. K.J.H. Windischmann, Betrachtungen (cf. supra n. 35), p. 150.

BAADER’S REALISM: A META-PERSPECTIVE

193

3.2 Molitor: At the “turning point” towards the future of philosophy53 Franz Joseph Molitor, another Baader-pupil and an author who gave the label “realism” a particularly prominent place in his writings, perfectly illustrates these features of the discussions in the early 19th century. Modern philosophy has arrived at a crucial turning point, and the reconciliation of idealism and realism is this turning point’s crucial issue – that is the main thrust of Franz Joseph Molitor’s Wendepunkt des Antiken und Modernen from 1805.54 Molitor (1779-1860) presents an approach very similar to what has been sketched so far, with some important addenda. The first one concerns issues of religious confessions: while Molitor remained a Christian (the Allgemeine Deutsche Biographie states his confession as katholisch), he spent most of his working life in a Jewish institution, and devoted his most extensive writings to analyzing Jewish philosophy and theology. It is clearly too simplistic to view the debate about religion’s objectivity as an exclusively catholic issue. Molitor is among the first authors who publish widely under the title of “realism”; he does so both in editing a short-lived Zeitschrift für eine künftig aufzustellende Rechtswissenschaft nach dem Princip eines transscendentalen Realismus in 1802, and in his Wendepunkt whose subtitle announces a Versuch den Realismus mit dem Idealismus zu versöhnen.55 Molitor, too, sketches a perspective on philosophy’s history and on its future prospects. He embeds this analysis, both in his Wendepunkt and in a separate book on Ideen zu einer künftigen Dynamik der Geschichte from the same year,56 into a universal theory of the dynamics of philosophy’s development that is strongly influenced by Schelling-type philosophy of nature. His argument concerning the dynamics of philosophy’s history departs from strong apprehensions against the «standpoint of reflection»,57 not unlike Hegel and 53

54

55 56 57

A direct exchange of ideas between Baader and Molitor is documented, e.g., in Baader’s Sendschreiben to Molitor: F.v. Baader, Ueber den Paulinischen Begriff des Versehenseyns des Menschen im Namen Jesu vor der Welt Schöpfung, Würzburg 1837. This text opens a series of Sendschreiben the third of which is directed to Hoffmann, thus tying together Baader’s addressees into a closely connected group. Walter Benjamin frequently brings Baader and Molitor together when discussing traditions in Jewish mysticism. – On Molitor, see, e.g., K. Koch, Franz Joseph Molitor und die jüdische Tradition. Studien zu den kabbalistischen Quellen der “Philosophie der Geschichte”, Berlin 2006. Carl Prantl’s entry on Molitor in the Allgemeine Deutsche Biographie (vol. 22, 1885, p. 108110: URL: www.deutsche-biographie.de/sfz64329.html, 13-1-2015) states that Baader exerted considerable influence on Molitor’s book from 1805. – Molitor first studied law before turning to philosophy and, in 1806, entering the governing board of a Philantropinum in Frankfurt, a Jewish school established with the support of K.T. von Dalberg – yet another link to the philosophico-theological culture in Aschaffenburg/Frankfurt. He also taught philosophy for some time. F.J. Molitor, Der Wendepunkt des Antiken und Modernen. Oder Versuch den Realismus mit dem Idealismus zu versöhnen, Frankfurt a.M. 1805. F.J. Molitor, Ideen zu einer künftigen Dynamik der Geschichte, Frankfurt a.M. 1805. See, e.g., F.J. Molitor, Ideen (cf. supra n. 56), p. 12.

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Schelling, and the idea of approaching absolute unity in an infinite process. As against reflection, he insists on revealing a form of genuine unity. Here, Schellingian motives and traditions which might be thought at odds with Schelling’s philosophy come together: He places enormous confidence in a «natural feeling» («natürliches Gefühl») and natural reason, going as far as to state «reason does never err» («Vernunft irrt daher nie»).58 All forms of error are introduced by the distorting influence of reflection (clearly a non-Hegelian point!), and need to be repaired. To this purpose, he offers a range of strategies. Any solipsist or relativist stance can be prevented by not starting from individuals, but from «humankind» («Menschheit»; again one of the key terms of Herder, but also of crucial importance in Kant’s moral philosophy).59 As against reflection’s distorting, one-sidedly intellectualist influence, he – just as Baader himself, Hoffmann, or Windischmann – introduces a faculty he calls «organic sense» («organische[r] Sinn») which is in turn founded upon a «dark intimation» («dunkle Ahndung») in which transcendent dimensions reveal themselves to us.60 On a more metaphysical level, finally, we need to identify freedom and necessity or, which amounts to the same, make the ideal into something real61 in order to thus reject reflection’s tendency to separate the concrete world from the realm of ideas and ideals. Historically, this programme derives from taking Schelling’s philosophy of identity beyond its immanent limitations, combining the «dynamics of nature» with the «realm of freedom».62 This integrative programme lies in the immanent logic of Schellingian philosophy of identity, although Schelling himself did not work it out in a consistent fashion. One of the most important advantages of this integration, for Molitor, is its strongly anti-atheist character, and the few steps that have already taken in this direction, give him hope that the philosophy of his time, and that of the future, is indeed going to be an «objectively religious» form of philosophy.63 Some thirty years later, he is still engaged with the same issues. In his Philosophie der Geschichte, Molitor distinguishes between a formal way of further developing an ideal-realism, and a movement that intends to give «real content» («realen Inhalt») to philosophy. Baader remains the key figure in this realist, content-directed programme for philosophy: «Those latter philosophers [i.e. those interested in questions of content] aimed at purifying speculation from the pantheistic and naturalist elements that still, to a higher or lesser degree, adhered to it. At the same time, they intended to further pursue the insights into the hyperphysical realm that had already been gained 58 59 60 61 62 63

F.J. Molitor, Ideen (cf. supra n. 56), p. 3. F.J. Molitor, Ideen (cf. supra n. 56), p. 13. F.J. Molitor, Ideen (cf. supra n. 56), p. 20-21. F.J. Molitor, Ideen (cf. supra n. 56), e.g. p. 6, 29, 31. F.J. Molitor, Ideen (cf. supra n. 56), p. 52. F.J. Molitor, Ideen (cf. supra n. 56), p. 84.

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and to unlock via philosophy the truths of revealed religion with a higher degree of clarity, such that the rational could be unified with the positively given, and that science could be guided towards its long-awaited rebirth. This new and splendid direction for speculation has been opened, in particular, by the rich genius of Franz von Baader».64

Molitor restates his reconciliatory project in his Wendepunkt in continuously varying terms, not only as that of combining realism with idealism. An alternative version, directly related to his reading of Schelling, first distinguishes a «sacred mysticism» of the ancient philosophers from the «difference-free intuition» of modern philosophy in order to then state that these two traditions, however, can be combined. What he calls Schelling’s mysticism is an example for this combination,65 and he finds further support in Schelling’s Philosophy and Religion from 1804, thereby becoming one of the first authors to discuss the development that led Schelling towards this text. However, he also engages in critical discussions with Schelling, in particular charging him with an inadequate, because finite, concept of sensibility.66 What is required, just as in the initial statements about Baader’s higher rationalism, is the «quiet bliss» («stilles Entzücken»)67 of harmonious unity which, however, does not exclude the toilsome labour of analysis.

4. Some systematic issues Individually and jointly, the protagonists presented here are all busy with drawing boundaries, sub-dividing the field of philosophy into camps, and in joining forces with fellow thinkers in their joint opposition against opposing schools; however, these demarcationist efforts, again and again, do not work with full precision and clarity, and they frequently are completely at odds with a latter-day understanding of the key concepts involved in drawing the boundary lines. The basic direction seems clear: All of the authors discussed here want to direct philosophy towards a form of theism, thereby opposing all forms of atheism, including pantheism.68 The discussion kindled by these ideas 64

65 66 67 68

F.J. Molitor, Philosophie der Geschichte oder über die Tradition, part 2, Münster 1834, p. 50-1: «Diese letzteren bestrebten sich, die Speculation von den immer noch mehr oder weniger anklebenden pantheistischen und naturalistischen Elementen völlig zu reinigen, den bereits gewonnenen Blick in die hyperphysische Welt weiter zu verfolgen und durch die Philosophie die Wahrheiten der geoffenbarten Religion in höherer Klarheit aufzuschließen, solchergestalt das [Orig.: des] Rationale mit dem Positiv gegebenen, zu vereinigen, und so die Wissenschaft zu ihrer längst geahneten Wiedergeburt zu führen. Diese neue großartige Richtung in der Speculation hat in der Fülle seines reichen genialen Geistes vorzüglich Franz v. Baader eröffnet». F.J. Molitor, Der Wendepunkt (cf. supra n. 55), p. 53. F.J. Molitor, Der Wendepunkt (cf. supra n. 55), p. 55. F.J. Molitor, Der Wendepunkt (cf. supra n. 55), p. 121. The importance of this theist idea is lying on the surface everywhere in the texts presented here; see, e.g., F. Hoffmann, Baader in seinem Verhältniß (cf. supra n. 4), p. CXXIII, CXXVII: even though Schelling aimed at combining theism and pantheism, he did not arrive

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reveals some pretty striking features in the young and intense debate about idealism and realism. The first thing to notice, again, are the obvious difficulties that our authors face in their attempt to arrive at clear ascriptions of labels to philosophical positions. Three examples: The strong religious agenda shared by all authors discussed so far explains their opposition against all forms of pantheism – philosophically, however, this is far from self-evident. Spinoza has been the archrealist (“dogmatist”) in many of the idealists’ own writings, and dogmatism is fiercely criticized in these texts (but that does not withhold Schelling, for instance, to ascribe great importance to Spinoza). One might have expected that the realist opposition would draw a more affirmative picture of Spinoza (as has been the case, for instance, in Jacobi). However, what we frequently find is a blending of traditional religiously motivated Anti-Spinozism (in the form of an Anti-Pantheism) with a realism-inspired critique of idealist thinking. Secondly, we may look at issues in the philosophy of nature. All authors discussed so far oppose naturalism and materialism, as did, for instance, Schelling. Still, this opposition is not sufficient to join them together into one group. The same holds for a dynamic philosophy of nature that all protagonists presented here share with Schelling: While the dynamic stance is of enormous importance, it is insufficient to fully determine their position.69 A final example: Mysticism pervades all texts discussed so far, and is to be found also in Schelling’s writings from as early as 1802 onwards. At the same time, strong claims are made as to the rationality of the arguments exchanged, and the arguments developed. This, then, raises two problematic issues, namely the discriminative potential of a reference to mysticism, and the possibility to adequately characterize a mysticism-prone form of rationality. For the historian of philosophy and of science, Baader’s and his followers’ vision as to the large-scale dynamics of philosophy holds great interest. We see numerous labels for ways of philosophizing employed in the polemical exchanges of this time, often used differently by both sides of the debate, and often with further, equally clarifying as complicating, qualifications. “Rationalism” is an example: With the proper qualifications in the term “reason”, theist or theosophical positions can feel justified in labelling themselves as rationalists. The same holds for “empiricism”. When Schelling in his later writings intends to develop a “higher empiricism”,70 one of his key intentions is to estab-

69 70

at an adequate notion of theism. Hoffmann desires to get more information about Schelling’s more recent turns in the philosophy of religion; the unavailability of his philosophy from the 1840ies is lamented throughout in the texts of the (ideal-)realists. According to the pamphlet on the Haltlosigkeit (cf. supra n. 11; and infra p. 6), it has been under the influence of Baader that Schelling turned towards theism. On Hegel as a materialist, see F. Hoffmann, Baader in seinem Verhältniß (cf. supra n. 4), p. XLIII, XL. P. Ziche, “‘Höherer Empirismus’. Passive Wissenschaft, letzte Tatsachen und experimentelle Philosophie bei F.W.J. Schelling”, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealis-

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lish that there must not be any gap between experiences of revelation in religious matters, and those experiments with which we intend to scrutinize nature. This gives us two negative conclusions. First: The content of these labels – “rationalism”, “realism”, “empiricism” being prominent examples – was by no means fixed at this period. Second: The classical analysis of the clash between the Enlightenment and a Counter-Enlightenment, as developed by Isaiah Berlin in terms of a controversy between rational and irrationalist attitude, does not capture the dynamics of the debate in the early decades of the 19th century.71 On the positive side, the texts presented here display, in a nutshell, a number of conditions for those sub-divisions of philosophy gaining crucial importance. Kant clearly is a key figure, and three aspects of his philosophy resp. the reception of his ideas stand out, all of them being interestingly open to either a positive or a negative reading: The enormous importance he ascribed to philosophy in clarifying the role of any other form of science within the system of academic disciplines, and the enormously increase in selfesteem that this move gave to philosophers; the role he gave to human beings in his critical philosophy – over and over again, Kant has been understood as placing the individual human being, with his individual set of capacities, into the focal position, and it is little wonder that this gave rise to highly diverse reactions such as a cult of the great genius, a psychologization of Kantian philosophy, or the charge of falling victim to cardinal vices such as superbia; the great importance, thirdly, that he ascribed in his critical demarcation of the domain of philosophy to the relationship between knowledge and faith. All of these ideas return and are critically addressed in the writings of Baader and his followers. The texts by Windischmann and Molitor, in particular, translate the urgency of these ideas into a genre that is directly geared towards clarifying sub-divisions within the field of philosophy: They all engage in projects that are intended to study the dynamics and processuality of philosophy at large. These projects clearly build forth upon the important historiographical projects of the 18th century, and find their parallels in – to give only the most prominent examples – Hegel’s and Schelling’s philosophical historiography of philosophy. Again, Kant’s First Critique with its brief, but very visibly placed chapter on the “History of Pure Reason” should be seen as a crucial text. After all, it is in this chapter that labels such as “empiricism” and “rationalism” are

71

mus/International Yearbook of German Idealism, 8, 2010: “Philosophie und Wissenschaft/Philosophy and Science”, Berlin/Boston 2012, p. 165-184. I. Berlin, “The Counter-Enlightenment”, in: Id., Against the Current. Essays in the History of Ideas, ed. by H. Hardy, London 1997, p. 1-24. It remains to be studied whether there might have been an important change between earlier Enlightenment/Anti-Enlightenment debates, and the discussions investigated here. The links between the movements studied by Berlin (in whose paper, next to his main protagonist, Hamann, also Jacobi and de Maistre play an important role) suggests that there is indeed far more continuity than difference.

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given a clear meaning, and are placed in clear oppositions, in an attempt to understand the development of reason on the most general level. The discussions reconstructed here, then, do not only embark upon the project of clarifying a notion of realism; they at the same time function as metadebates about the far more general question as to how, on the basis of which concepts and with which models in mind, philosophy should be sub-divided. It is fascinating to see that many of the issues discussed here remain on the agenda throughout the 19th century, and that they also continue to be controversial. Three examples may suffice to support the claim that the early-19thcentury debates and meta-debates on idealism and realism, and on empiricism and rationalism, were of pervasive importance. First, take the notion of objectivity. As Daston and Galison have shown, this crucial notion, in its being distinguished from subjectivity, «shifted its position and import» throughout the 19th century.72 Second, look at the discussions on direct perception in the second half of the 19th century. It is more than just tempting to investigate typical late-19th-century notions such as Einfühlung (empathy) or Gefühlsgewißheit as building forth on the debates, resp. the conceptual openness, that we encounter in the discussions around Baader. And indeed, references back to Jacobi can be found in a number of late-19th and early-20th-century authors dealing with issues in epistemology and philosophy of science, frequently with a positivist background.73 How clear is it, finally, that a debate between materialism and spiritualism typically is a post-1848 debate, as is claimed in an eponymous volume on Materialismus und Spiritualismus from 2000?74 These examples clearly indicate how immensely fruitful the debates around 1800 became in setting the agenda for meta-debates on forms of philosophy.

72

73 74

L. Daston, P. Galison, Objectivity, New York 2007, p. 207. The Baader-case offers interesting arguments against another claim by Daston and Galison, namely that the epistemologicalethical goal of objectivity can be distinguished from the «metaphysical aim of truth» (p. 210). One example: T. Ziehen, Erkenntnistheorie auf psychophysischer und physikalischer Grundlage, Jena 1913, p. 2. A. Arndt, W. Jaeschke (eds.), Materialismus und Spiritualismus. Philosophie und Wissenschaften nach 1848, Hamburg 2000. Arndt himself discusses the «prehistory» of the relationship between «ontological monism and dualism» with particular emphasis on Kant, Hegel, Jacobi and Schelling (A. Arndt, “Ontologischer Monismus und Dualismus. Zur Vorgeschichte des Problems”, in: loc. cit., p. 1-21); talking in terms of a «prehistory», however, also downplays the importance of these discussions for a conceptualization of the very problem.

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Baader und Schelling. Bemerkungen zu ihrer Naturphilosophie

1. Baader und Schelling teilen die Ausgangssituation ihrer naturphilosophischen Überlegungen. Sie sei in aller Kürze dreifach umschrieben. Zum ersten kennzeichnet sie ein epochaler „Stimmungswandel“, der insbesondere für die deutschsprachigen Intellektuellen gilt. Goethe ist ein guter (und zugleich höchst einflussreicher!) Zeuge. In Dichtung und Wahrheit beschreibt er exemplarisch das Ungenügen seiner Generation an der Naturerklärung zumal der französischen Aufklärer: «System der Natur ward angekündigt, und wir hofften also wirklich etwas von der Natur, unserer Abgöttin, zu erfahren. [...] Allein wie hohl und leer ward uns in dieser tristen atheistischen Halbnacht zu Mute, in welcher die Erde mit allen ihren Gebilden, der Himmel mit allen seinen Gestirnen verschwand.»1

In dem berühmten (wohl von Goethe stammenden) Fragment Die Natur kommt die Naturbegeisterung und -emphase exemplarisch zum Ausdruck. Der Autor feiert die ewig schaffende, hervorbringende und wieder in sich zurücknehmende, lebendige, im beständigen Werden und Verwandeln begriffene, unendlich verschiedene und doch immer identische Natur: «Sie ist alles. [...] Alles ist immer da in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht. Gegenwart ist ihr Ewigkeit. [...] Sie ist ganz und doch immer unvollendet. So wie sie’s treibt, kann sie’s immer treiben».2

Der Mensch – ausgesprochen im dichterisch emphatischen „Wir“ – ist von ihr «umgeben und umschlungen – unvermögend aus ihr herauszutreten und unvermögend tiefer in sie einzudringen. [...] Die Menschen sind all in ihr und sie in allen.» Der letzte Absatz nimmt einen bezeichnenden Tonfall an:

1

2

J.W. Goethe, „Dichtung und Wahrheit“, in: Ders., Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, 21 Bde. in 33, hrsg. v. K. Richter, H.G. Göpfert, N. Miller u. G. Sauder, München 1985-1998, Bd. 16, S. 524. Vgl. auch ebd., Bd. 13. 2, S. 66: «Natur! du ewig keimende / Schaffst Jeden zum Genuß des Lebens [...]». J.W. Goethe, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2. 2, S. 477-479.

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«Sie hat mich herein gestellt sie wird mich auch heraus führen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten. Sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr. Nein, was wahr ist und was falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst.»3

Natürlich ist es erstaunlich, wie der Verfasser die Differenz zur Natur, aus der er spricht, zugleich verleugnet («Ich sprach nicht von ihr»), aber wesentlich erstaunlicher und bedeutender scheint die Inanspruchnahme einer Einheitserfahrung doch anderer Art als die Tradition sie sonst kennt; und es ist gar nicht zu verkennen, dass diese Erfahrung eine erotische ist: «Ihre (d.i. der Natur) Krone ist die Liebe. Nur durch sie kommt man ihr nahe.» Dies „Nahekommen“ (oder Erkennen) freilich ist zugleich und „systematisch“ (wenn man hier so sagen darf) auch ein Sich-Nahekommen eben der Natur mit sich selbst: «Sie liebet sich selber und haftet ewig mit Augen und Herzen ohne Zahl an sich selbst. Sie hat sich auseinander gesetzt um sich selbst zu genießen. Immer läßt sie neue Genießer erwachsen unersättlich sich mit zu teilen.»4

In diesem Zusammenhang wenigstens zu erwähnen ist natürlich auch die Metamorphose der Pflanzen von 1798: «Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung / Dieses Blumengewühls über dem Garten umher; / [...]. / Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern; / Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, / Auf ein heiliges Rätsel.» 5

Mit einem einzigen Wort ist das Rätsel freilich nicht zu lösen; in ihrem Werden vielmehr muss die Pflanze betrachtet werden, denn erst im Gang der Ausfaltung und Verwandlung des Samens bis hin zur Blüte (den das Gedicht beschreibt) enthüllt sich jenes geheime Gesetz, auf das die Erscheinung von Ähnlichkeit und zugleich individueller Gestalt aufmerksam macht: «Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand, / Und zusammen zieht es sich schnell; die zärtesten Formen, / Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt. / Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen, / Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar. / Hymen schwebet herbei [...]».6

Die (regelmäßige, fortschreitende) Metamorphose, die «Umwandlung einer Gestalt in die andere» steigt – gleichsam eine geistige Leiter – hinauf: «zu jenem Gipfel der Natur, der Fortpflanzung durch zwei Geschlechter».7 Liebe al3 4

5 6 7

Ebd. Ebd., vgl. auch die Studie nach Spinoza, ebd. S. 479-482, und die Erläuterung zu dem aphoristischen Aufsatz „Die Natur“ in J.W. Goethe, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 18. 2, S. 358360. J.W. Goethe, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 13. 1, S. 150-152. Ebd. Die Metamorphose der Pflanzen. Einleitung 6 in J.W. Goethe, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 12, S. 30; vgl. F.W.J. Schelling, „Von der Weltseele – eine Hypothese der höhern Physik zu Erklärung des allgemeinen Organismus“, in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. T.

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so ist das geheime Gesetz. Im Werden zeigt es sich, im Trennen und im (zeugenden) Vereinen: «Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte; / Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an, / Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge / Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.»8

Es ist die Liebe selbst, die in ihrer höchsten, menschlichen Gestalt in der Rede des Liebenden jenes heimliche Gesetz zur Sprache bringt und damit zu sich und zugleich zu einer höheren Welt findet: «Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe / Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf, / Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschaun / Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt.»9

In der liebenden Übereinstimmung des Menschenpaars mit sich kommt der Prozess der Natur, der Gang der Ausdifferenzierung zu seinem, sich in gewisser Weise transzendierenden («finde die höhere Welt») Ende. In ihm genießt (um Goethes Ausdruck aufzugreifen) die Natur sich selbst, als zugleich eine und zwei (-geschlechtliche), als in gewisser Weise androgyne Natur.10 In den großen (1827 in die Sammlung Gott und Welt aufgenommenen) Gedichten Wiederfinden (1815) und Weltseele (um 1802) hat Goethe den Gedanken der „Metamorphose“ aufgenommen.11 Hier ist es der (Welt-) Schöpfungsprozess – der Prozess von Trennung und Scheidung zum einen und von Ausbreitung und Verstreuung ins Unermessliche zum anderen –, der eingeholt und vollendet wird im Wiederfinden der Liebenden («Und ein zweites Wort: Es werde! / Trennt uns nicht zum zweitenmal») und in ihrem liebenden «sel’gen Wechselblick» (der Blick des «ersten Paars»). Wir können Goethe hier nicht weiter verfolgen; aber halten die Grundfigur (die symbolische Form) fest: die Figur von Scheidung und Differenzierung, die zugleich die Figur eines Übergangs in eine höchste, lebendige und „personale“ Einheit, eben die des zweigeschlechtlichen Paares ist. In der Personalität der Vereinigung liegt das Moment des Transzendierens über die naturale Begegnung hinaus. W. von Humboldt, der unter seinen Zeitgenossen in gewisser Weise singulär über den hier thematischen Sachverhalt handelt, bringt jenes Moment zur Sprache, wenn er von den Kräften der beiden Geschlechter spricht,

8 9 10

11

Buchheim, J. Hennigfeld, W.G. Jacobs, J. Jantzen u. S. Peetz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976ff. Reihe I: Werke, Bd. 6, S. 221. J.W. Goethe, Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 13. 1, S. 150-152. Ebd. Der Terminus „androgyn“ verweist auf Baader (siehe unten S. 217f.); im Übrigen ist die strukturelle Ähnlichkeit von Goethes Sicht der Scheidung einer indifferenten Einheit, die zu höchster Einheit führt, mit Schellings Gedanken der Potenzierung bemerkenswert. Wiederfinden: 1815, das Gedicht erschien zuerst in West-östlicher Divan 1819; Weltseele: um 1802, das Gedicht erschien zuerst 1804 unter dem Titel Weltschöpfung. Vgl. J. Jantzen, „Editorischer Bericht“, in: F.W.J. Schelling, Von der Weltseele (Anm. 7), S. 40-44.

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«aus deren Händen die Natur ihre letzte Vollendung empfängt. Dieser erhabenen Bestimmung genügen sie aber nur dann, wenn sich ihre Wirksamkeit gegenseitig umschlingt, und die Neigung, welche das eine dem andren sehnsuchtsvoll nähert, ist die Liebe. So gehorcht daher die Natur derselben Gottheit, deren Sorgfalt schon der ahndende Weisheitssinn der Griechen die Anordnung des Chaos übertrug.»12

Zum anderen: Parallel zum emphatischen Verstehen der phänomenalen Wirklichkeiten der Natur vollzieht sich ein tiefgreifender Wandel in der Auffassung und Theorie der – wenn man so will – zugrundeliegenden materiellen Prozesse. Das cartesisch geprägte Modell einer atomistischen (Kausal-) Mechanik wird Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend von newtonschen Vorstellungen verdrängt, für die der Begriff der Kraft konstitutiv ist.13 Das gilt für das Verständnis organischer Lebensprozesse (wie Reproduktion, Irritabilität, Sensibilität) ebenso wie für die Theorien der Chemie und damit im Zusammenhang dann vor allem für die Theorien der sogenannten Imponderabilien – also Wärme, Licht, Elektrizität, Magnetismus; zu ihrer Erklärung werden zwar stoffliche Substanzen (Fluida) angenommen, die indes als solche (z.B. als „Wärmestoff“) nicht darstellbar sind (sozusagen eine Hypothese bilden), sondern sich vielmehr nur in der Prozessualität, Veränderung, Anziehung und Abstoßung anderer zeigen. Die Imponderabilien sind wesentlich (und in ihrer Erscheinung) Bewegung, (polares) Spannungsverhältnis, Zustandsveränderung. Die newtonsche Annahme von konstitutiven (attraktiven und repulsiven) Kräften beansprucht also gegenüber einem atomistisch mechanischen Ansatz (ohne intrinsisches Bewegungspotential) erhebliche Plausibilität – gerade, um ihre Erscheinung zu erklären.14 Dass im Übrigen Newtons Behauptung der Gravitationskraft auch auf heftigste Kritik stoßen und – zumal wegen der Implikation einer actio in distans – als Rückfall in eine „überholte“ Metaphysik gelten konnte, sei hier nur nebenbei erwähnt.15

12

13

14

15

Wilhelm von Humboldt: Ueber den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluss auf die organische Natur (1794), in Ders., Gesammelte Schriften, hrsg. v. A. Leitzmann, B. Gebhardt, W. Richter, 17 Bde., Berlin 1903-1936, Bd. 14, S. 311-334, hier S. 334; vgl. Ders., Ueber die männliche und die weibliche Form (1795), in: ebd., S. 335-369. Zu Humboldt vgl. J. Jantzen, „Physiologische Theorien“, in: M. Durner, J. Jantzen, F. Moiso, Wissenschaftshistorischer Bericht zu Schellings naturphilosophischen Schriften 1797-1800. Ergänzungsband zu Band 5 bis 9 von F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), S. 375-668, hier S. 666ff. Zur „Naturwissenschaft“ um 1800, vgl. generell M. Durner, J. Jantzen, F. Moiso, Wissenschaftshistorischer Bericht (Anm. 12). Vgl. M. Durner, J. Jantzen, F. Moiso, Wissenschaftshistorischer Bericht (Anm. 12); für Newtons Nachwirkung insbesondere wichtig das Scholium generale der Principia (1713) und die Queries der Optics (1704), insbesondere Querie 31; zur „Chemie“ vgl. Isabelle Stengers: „Die doppelsinnige Affinität: Der newtonsche Traum der Chemie im achtzehnten Jahrhundert“, in: M. Serres (Hrsg.), Elemente einer Geschichte der Wissenschaften [Paris 1989], Frankfurt a.M. 1994, S. 527-567. Vgl. z.B. E.J. Dijksterhuis, The Mechanization of the World Picture [Amsterdam 1950], Princeton 1986, 479ff.

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Schellings frühe Naturphilosophie16 ist gleichsam ein Kompendium der zeitgenössischen Diskussion, die nicht zuletzt darin besteht, zwischen den grundsätzlichen theoretischen Annahmen und einer sich ständig und zum Teil einschneidend verändernden Empirie wechselseitig zu vermitteln; einer Empirie, die sich dem Labor im engeren Sinn ebenso verdankt (etwa bei Lavoisier) wie Beobachtungen im großen Labor der Natur selbst (etwa der Alpen in der Beschreibung von de Saussure u.a.). Dazu nur wenige Stichworte: Die neue (Sauerstoff-) Chemie klärt den Verbrennungsprozess und macht die Annahme eines elementaren „Brennstoffs“ (Phlogiston) obsolet; damit wird ein grundlegender Wandel der Chemie eingeleitet, der an die Stelle elementarer Stoffe (Wärme-, Lichtstoff, elektrische bzw. magnetische Fluida) elementare Prozesse setzt.17 Die Entdeckung der sogenannten tierischen Elektrizität durch Galvani („Galvanismus“) gibt der Debatte der – zumal seit Haller – als zentral begriffenen (Muskel-) Irritabilität (und Nervenreizung) ein ganz neues Niveau, insofern sich hier offenbar elektrisches, chemisches und physiologisches Phänomen zu überlagern scheint und auf eine Einheit des (organischen und anorganischen) Naturprozesses verweist – wobei dieser, eben in seiner Komplexität, in gewisser Weise als paradigmatisch erscheinen mag.18 Aber auch die Frage nach der spezifischen Natur des Organischen wird vertieft; Blumenbachs Begriff des Bildungstriebs ist natürlich fokussiert auf die zentrale Frage der Reproduktion des Organismus, ist aber doch zunächst neutral gegenüber den traditionellen und wissenschaftlich elaborierten Zeugungs- und Vererbungstheorien (von Präformation und Epigenesis); so wird der Blick freigegeben auf die organische Natur als solche bzw. auf „Lebenskraft“ als solche (nicht als eine spezifische Lebenskraft wie etwa des Muskels), die in strenger Unterscheidung zur unbelebten Natur nicht mechanisch oder chemisch zu reduzieren ist, sondern eben die Differenz zwischen beiden Naturen bezeichnet.19 Eben der Begriff der Kraft ist es aber nun auch, der das Dilemma, zwischen den Theorien von Präformation und Epigenesis nur schwer entscheiden 16

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„Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797), in: F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 5; „Von der Weltseele – Eine Hypothese der höhern Physik zur Erklärung des allgemeinen Dualismus“ (1798), in: F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 6; „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799), in: F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 7. Vgl. M. Durner, „Theorien der Chemie“, in: M. Durner, J. Jantzen, F. Moiso, Wissenschaftshistorischer Bericht (Anm. 12), S. 3-161. A. von Arnim gibt ein gutes Beispiel für den Wandel der Anschauungen; im Blick auf Kants Konstitution der Materie in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft (1786) macht er den Vorschlag, die jeweils qualitativen Unterschiede der Materie (die spezifische Materie) durch ungleiche Potenzen der repulsiven und attraktiven Kraft zu denken; vgl. F. Moiso: „Magnetismus, Elektrizität, Galvanismus“, in: M. Durner, J. Jantzen, F. Moiso, Wissenschaftshistorischer Bericht (Anm. 12), S. 314. Vgl. F. Moiso, „Magnetismus, Elektrizität, Galvanismus“ (Anm. 17), S. 165-372. Vgl. J. Jantzen, „Physiologische Theorien“ (Anm. 12), S. 375-668, besonders 636ff.; zu Blumenbach vgl. auch J.W. von Goethe, „Bildungstrieb“ (1820), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 12, 100-102.

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zu können,20 ansatzweise zugunsten der Epigenesis auflöst: «mit dem kleinstmöglichen Aufwande des Übernatürlichen [wird] alles Folgende vom ersten Anfange an der Natur» überlassen.21 Zum dritten. Die philosophische Problematik, wie sie von der zeitgenössischen Wissenschaft, der Chemie vor allem und der Biologie, impliziert wird, ist erheblich.22 Sie betrifft ihre theoretischen Voraussetzungen, d.h. zum einen den Sachverhalt, genauer: die Konstruktion der Materie, und zum zweiten, gleichsam am anderen Ende der Stufenleiter der Natur, die epistemologische Möglichkeit einer Erkenntnis des Lebendigen bzw. des Organismus.23 a) Eine Konstruktion der Materie – „Konstruktion“ im Sinn einer «Zergliederung des Begriffs» – unternimmt Kant exemplarisch in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft (1786).24 Es geht um die metaphysische Aufgabe, den Begriff des Gegenstandes der mathematischen Physiker (d.i. vor allem natürlich Newton), d.h. der Materie, «a priori zur Anwendung 20

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Das Dilemma, dass beide Theorien das Übernatürliche zur Erklärung der Fortpflanzung benötigen, beschreibt Immanuel Kant in Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763); vgl. I. Kant., Werke in sechs Bänden, hrsg. v. W. Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. 1, S.617-738, hier S. 679f. (A 96f.) I. Kant, „Kritik der Urteilskraft“ (1790), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 5, S. 545 (§ 81: A 374f.). Vgl. ebd.: «In Ansehung dieser Theorie der Epigenesis hat niemand mehr, so wohl zum Beweise derselben, als auch zur Gründung der echten Prinzipien ihrer Anwendung, zum Theil durch die Beschränkung eines zu vermessenen Gebrauchs derselben, geleistet, als Herr Hofr. Blumenbach. Von organisierter Materie hebt er alle physische Erklärungsart dieser Bildungen an. Denn, daß rohe Materie sich nach mechanischen Gesetzen ursprünglich selbst gebildet habe, daß aus der Natur des Leblosen Leben habe entspringen, und Materie in die Form einer sich selbst erhaltenden Zweckmäßigkeit sich von selbst habe fügen können, erklärt er mit Recht für vernunftwidrig; läßt aber zugleich dem Naturmechanism unter diesem uns unerforschlichen Prinzip einer ursprünglichen Organisation einen unbestimmbaren, zugleich doch auch unverkennbaren Anteil, wozu das Vermögen der Materie (zum Unterschiede von der, ihr allgemein beiwohnenden, bloß mechanischen Bildungskraft) von ihm in einem organisierten Körper ein (gleichsam unter der höheren Leitung und Anweisung der ersteren stehender) Bildungstrieb genannt wird.» Vgl. J.F. Blumenbach, Über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäfte, Göttingen 1781, 2. Auflage 1789. Zur Bedeutung von „Chemie“ vgl. R. Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, Frankfurt a.M. 1984; der Terminus „Biologie“ zuerst (als Ausdruck für Physiologie, Morphologie und Psychologie) bei K.F. Burdach, Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst, Leipzig 1800, S. 62; dann bei G.R. Treviranus, Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur, Bd. 1, Halle 1802; J.B. de Lamarck, Recherches sur l’organisation des corps vivants, Paris 1802, S. 6. Das sind, nebenbei bemerkt, systematisch schwierige Begriffe; sie stellen keine apriorischen Verstandesbegriffe dar, aber sie sind auch nicht einfach Erfahrungsbegriffe, weil sie das Begreifen von Erfahrung regulativ ermöglichen; zu „regulativ“ vgl. I. Kant, „Kritik der Urteilskraft“ (1790), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 5, S. 519ff. (B 342ff.) (Naturorganisation); I. Kant, „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 2, S. 546f. (A 618): «In der Tat ist auch Ausdehnung und Undurchdringlichkeit (die zusammen den Begriff von Materie ausmachen) das oberste empirische Principium der Einheit der Erscheinungen, und hat, so fern als es empirisch unbedingt ist, [!, J.J.] eine Eigenschaft des regulativen Prinzips an sich.» I. Kant, „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ (1786), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 5, S. 16 (A XII).

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auf äußere Erfahrung tauglich machen, als des Begriffs der Bewegung, der Erfüllung des Raums, der Trägheit u.s.w.»25 Die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft entwerfen also eine metaphysische Körperlehre; alle Bestimmungen, die von einem allgemeinen Begriff der Materie gegeben werden können – «was a priori von ihr gedacht, was in der mathematischen Konstruktion dargestellt, oder in der Erfahrung, als bestimmter Gegenstand derselben, gegeben werden mag» –, werden kategorial systematisiert,26 so dass sich – unter der Grundbestimmung der Bewegung – die vier Hauptstücke Phoronomie, Dynamik, Mechanik und Phänomenologie ergeben.27 Der Dynamik kommt dabei besondere Bedeutung zu28: Sie bestimmt Materie als «das Bewegliche, so fern es einen Raum erfüllt. Einen Raum erfüllen heißt allem Beweglichen widerstehen, das durch seine Bewegung in einen gewissen Raum einzudringen bestrebt ist. Ein Raum, der nicht erfüllt ist, ist ein leerer Raum.»29 Der Widerstand, den die ihren Raum erfüllende Materie leistet, ist Bewegung (gegen eine andere, andrängende Bewegung) und hat als solche notwendig eine bewegende Kraft zu ihrer Ursache. Also gilt: Eine «Materie erfüllt einen Raum, nicht durch ihre bloße Existenz, sondern durch eine besondere bewegende Kraft»30. Dies ist der entscheidende Gedanke; er erlaubt es, Materie als Realität zu denken und d.h. ihre Erfahrbarkeit zu begründen. Dazu gleich, zuvor: Materie als Raumerfüllung besteht in der Zurückstoßung bzw. als Zurückstoßungskraft; als solche ist sie Ausdehnungskraft, durch sie erfüllt die Materie ihren Raum, wobei die Kraft als ein Kontinuum gedacht werden muss: Unter ihr bzw. über ihr muss eine (bis ins Unendliche) kleinere bzw. größere Kraft gedacht werden.31 Materie als Zurückstoßungskraft ist allerdings noch unvollständig gedacht; denn diese allein hätte keinen Grund, irgendwo aufzuhören, sie würde «sich ins Unendliche zerstreuen» und «eigentlich (würde) gar keine Materie dasein»32. Die Materie fordert also zu ihrer Existenz Kräfte, die der ausdehnenden entgegengesetzt sind, die sie mit anderen Worten zusammendrücken, die nun aber nicht in irgendeiner anderen entgegengesetzten Materie gesucht werden können (da eine solche ja auch erst zu konsti25 26 27 28

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Ebd., S. 17 (A XIII). Ebd., S. 20f. (A XVIff.). Ebd., S. 22 (A XXI). Die Phoronomie ist «reine Größenlehre der Bewegung, in welcher die Materie nach keiner Eigenschaft mehr als der bloßen Beweglichkeit gedacht wird». Ebd., S. 45 (A 30). Die Mechanik betrachtet «die Kraft einer in Bewegung gesetzten Materie [...], um diese Bewegung einer anderen mitzuteilen» (ebd., S. 100, A 106). Die Phänomenologie betrachtet die Materie als das Bewegliche, «so fern es, als ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann» (ebd., S. 122, A 138), d.h. die Modalität der Bewegung in Ansehung der Phoronomie, der Dynamik, der Mechanik. Ebd., S. 47 (A 31). Ebd., S. 48 (A 33); vgl. Kants Bemerkung: «Allein der Satz des Widerspruchs treibt keine Materie zurück, welche anrückt, um in einen Raum einzudringen, in welchem eine andere anzutreffen ist» (ebd., S. 49, A 34). Ebd., S. 50f. (A 36f.). Ebd., S. 63 (A 54).

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tuieren ist). Eine ursprüngliche, der zurückstoßenden entgegengesetzte, d.h. Annäherung bewirkende Kraft muss also angenommen werden, und zwar als zur Möglichkeit von Materie überhaupt gehörig (nicht einer besonderen Gattung): «Also kommt aller Materie eine ursprüngliche Anziehung, als zu ihrem Wesen gehörige Grundkraft, zu»33. Dabei macht Kant deutlich: «Durch bloße Anziehungskraft, ohne Zurückstoßung, ist keine Materie möglich»34, denn ohne Repulsion müssten alle Teile der Materie sich nähern und schließlich in einem mathematischen Punkt zusammenfallen.35 Materie als Raumerfüllung wird also als Verhältnis der beiden Grundkräfte (Attraktion und Repulsion) begriffen; woraus natürlich folgt, dass auch das Verhältnis von Materien (Körpern) untereinander eben durch diese Kräfte bestimmt ist. Der dynamische Begriff der Materie setzt an die Stelle eines mathematischatomistischen Begriffs von absoluter Undurchdringlichkeit («ein leerer Begriff») den Begriff der repulsiven Kraft und zieht zugleich – «gegen alle Vernünfteleien einer sich selbst mißverstehenden Metaphysik» – Anziehung als Grundkraft hinzu, um die Möglichkeit des Begriffs von Materie zu erklären und damit die Erfahrbarkeit von Materie zu begründen (als das Reale der Gegenstände der äußeren Sinne).36 Es geht also nicht bloß um die Bestimmung des Raums (Ort, Ausdehnung, Figur), sondern um das sogenannten Solide. Die Dynamik zeigt nun aber, dass es sich dabei um einen leeren (und also aus der Naturwissenschaft zu verbannenden) Begriff handelt. Der Gegenstand kann als solcher nur begriffen werden durch die Annahme einer, und zwar repulsiven, Kraft, die allerdings durch eine zweite «negative», und zwar attraktive, Kraft limitiert wird. Darum ist das Reale des Gegenstands der äußeren Sinne, soweit es in der Dynamik im Begriff der Limitation gedacht wird, prinzipiell graduell gedacht; das Reale, d.h. die Raumerfüllung, ist das, was es ist, immer als ein (in platonischer Formulierung) Mehr und Weniger, und generiert eben als ein solches die Realität in der Empfindung als graduelle, intensive Größe.37 Aber das heißt nun auch, dass ein Raum als durchgängig erfüllt und doch in verschiedenem Grad erfüllt angenommen werden kann.38 Materie ist mithin schon immer unterschiedlich da. Mit der Konstruktion von Materie (um diesen Ausdruck einmal zu verwenden) ist also zugleich spezifische Verschiedenheit

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Ebd. und Lehrsatz 5 (ebd., S. 62, A 53): «Die Möglichkeit der Materie erfordert eine Anziehungskraft als die zweite wesentliche Grundkraft derselben». Zur Einführung der Anziehungskraft vgl. auch in ebd. S. 49 (A 35). Kant bezieht sich natürlich auf Newton. Ebd., S. 65 (A 57). Ebd., S. 66 (A 58). Ebd., S. 82f. (A 81f.). Siehe Die Antizipationen der Wahrnehmung in I. Kant, „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 2, S. 208ff., besonders S. 209f. (A 166ff.) und 214 (A 175f.). I. Kant, „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ (1786), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 5, S. 83 (A 82).

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von Materie konstruiert worden (und zwar ohne leere Zwischenräume annehmen zu müssen). Kant ist sich der Problematik offensichtlich bewusst, wenn er sogleich einschränkt und davor warnt, über das hinauszugehen, was den allgemeinen Begriff einer Materie überhaupt möglich macht und «die besondere oder so gar spezifische Bestimmung und Verschiedenheit derselben [d.h. einer Materie] a priori erklären zu wollen»39. Für einen kurzen Moment werden nun die Grundkräfte zweifelhaft: Die mathematisch-mechanische Erklärungsart gewinnt hinsichtlich der spezifischen Mannigfaltigkeit der Materie Plausibilität; wenn dagegen «der Stoff selbst in Grundkräfte verwandelt wird (deren Gesetze a priori zu bestimmen, noch weniger aber eine Mannigfaltigkeit derselben, welche zu Erklärung der spezifischen Verschiedenheit der Materie zureichte, zuverlässig anzugeben, wir nicht im Stande sind), uns alle Mittel abgehen, diesen Begriff der Materie zu konstruieren, und, was wir allgemein dachten, in der Anschauung als möglich darzustellen.»40

Andererseits allerdings erkauft die bloß mathematische Physik ihren Vorteil mit dem leeren Begriff absoluter Undurchdringlichkeit und der «Einstreuung der leeren Räume», ganz abgesehen davon, dass sie der Materie eigene Kräfte aufgeben muss.41 Auf die spezifische Verschiedenheit der Materie kommt Kant etwas später systematisch zurück; es geht um das Problem der chemischen Durchdringung von Materien bzw. ihrer vollständigen Auflösung: Sie ist unbegreiflich – «auf Rechnung der Unbegreiflichkeit der Teilbarkeit eines jeden Kontinuum überhaupt ins Unendliche». Aber wenn man (notgedrungen) von einer vollständigen Auflösung absieht, bleibt man bei «Klümpchen» und Zwischenräumen stehen.42 39

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Ebd., S. 84 (A 83); Kant fährt fort: «Der Begriff der Materie wird auf lauter bewegende Kräfte zurückgeführt, welches man auch nicht anders erwarten konnte, weil im Raum keine Tätigkeit, keine Veränderung, als bloß Bewegung gedacht werden kann. Allein wer will die Möglichkeit der Grundkräfte einsehen? sie können nur angenommen werden, wenn sie zu einem Begriff, von dem es erweislich ist, daß er ein Grundbegriff sei, der von keinem anderen weiter abgeleitet werden kann (wie der der Erfüllung des Raums), unvermeidlich gehören, und dieses sind Zurückstoßungs- und ihnen entgegenwirkende Anziehungskräfte überhaupt.» Hier gründet Schellings Vorwurf, Kant behandle den Materiebegriff analytisch, d.h. erkenne die beiden Grundkräfte nur als Attribute der als solcher vorausgesetzten Materie. Ebd., S. 85 (A 85). Ebd. Ebd., S. 94f. (A 98f.); Kant überlegt übrigens, ob nicht in «vegetabilischen und animalischen Operationen» besondere Materien erzeugt werden: zwar gemischt, aber doch nicht wieder zu scheiden (vgl. dazu I. Kant, „Kritik der Urteilskraft“ (1790), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 5, S. 482, A 283); auch der Wärmestoff deutet auf eine besondere chemische Durchdringung hin, «wo die eine der beiden Materien durch die andere eben nicht zertrennt und im buchstäblichen Sinn aufgelöset wird», denn eine Verteilung des Wärmestoffs in leeren Zwischenräumen erklärt ja nichts, die feste Substanz bliebe kalt. Zur Problematik unendlicher Teilbarkeit siehe auch I. Kant, „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ (1786), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 5, S. 56, 59f. (A 44, 48ff.)

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Die Situation ist aporetisch: Die spezifische Verschiedenheit der Materien muss entweder mechanisch («durch die Verbindung des Absolutvollen mit dem Absolutleeren») oder dynamisch (durch die Verbindung der beiden Kräfte) erklärt werden.43 Kant neigt der dynamischen Erklärung zu, da es immerhin denkbar ist, die spezifische Verschiedenheit von Materien als Verschiedenheit von Dichtigkeit zu denken, und da dazu die Hypothese eines leeren Raums nicht notwendig ist.44 Kant bleibt unentschieden. Den Beschluss der Dynamik (wie auch der metaphysischen Körperlehre überhaupt45) macht die Frage nach der Zulässigkeit leerer Räume in der Welt; deren Möglichkeit ist nicht – auch nicht unter der Annahme der Kräfte! – zu bestreiten; aber ihre Wirklichkeit anzunehmen, berechtigt keine Erfahrung – weder ein Schluss aus derselben noch eine Hypothese zu ihrer Erklärung: «Denn alle Erfahrung gibt uns nur komparativ-leere Räume zu erkennen», wobei diese sich aus der Gradualität der Materie bzw. ihrer Repulsiv- (Ausspannungs-) Kraft erklären lassen.46 b) Den Begriff des Organismus, den zweiten Schlüsselbegriff der Naturphilosophie, diskutiert Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft (1790). Ein organisiertes Wesen lässt sich nicht allein durch naturgesetzliche Kausalität erklären; es ist «nicht bloß Maschine: denn die hat lediglich bewegende Kraft; sondern [es] besitzt in sich bildende Kraft, und zwar eine solche, die [es] den Materien mitteilt, welche sie nicht haben (sie organisiert): also eine sich fortpflanzende bildende Kraft, welche durch das Bewegungsvermögen (den Mechanism) nicht erklärt werden kann.»47

Die organische Natur ist von sich selbst Ursache und Wirkung; sie organisiert sich selbst: «Ein organisiertes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist. Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuschreiben.»48

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Ebd., S. 96 (A 100). Ebd., S. 97f. (A 103f.). Kant legitimiert die «dynamische Erklärungsart» durch die Widerlegung des atomistischen Postulats, «daß es unmöglich sei, sich einen spezifischen Unterschied der Dichtigkeit der Massen ohne Beimischung leerer Räume zu denken»; verschiedene Dichtigkeit lässt sich nach Kant aber auch durch die Annahme der graduell verschiedenen repulsiven Kraft zumindest denken (ebd., S. 97f., A 102-104), so dass keine Notwendigkeit für die atomistische Annahme besteht. Gleichwohl bleibt die grundsätzliche Problematik, zwischen Atomistik (und der Annahme eines Leeren) und Dynamik (und der Annahme eines labyrinthischen Kontinuums) nicht eigentlich, d.h. prinzipiell entscheiden zu können. Ebd., S. 135 (A 158). Ebd., S. 99 (A 105). I. Kant, „Kritik der Urteilskraft“ (1790), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 5, S. 486 (A 289). Ebd., S. 488 (A 292).

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Aber der Begriff einer Kausalität der Natur nach der Regel der Zwecke kann nicht aus der Erfahrung genommen werden und ist zur Möglichkeit von Erfahrung auch nicht notwendig. Wir beobachten Zwecke der Natur als absichtliche nicht eigentlich; wir kennen die Kausalität, die der Organisations- und Zweckbegriff vorstellt, nur von uns als Subjekt bzw. müssen sie für uns postulieren – als eine als Freiheit zu bestimmende Kausalität. Eine objektive Realität können wir für Naturzwecke nicht annehmen; Freiheit können wir der Natur nur unterstellen. Auch wenn es einen Newton der Natur, der die Erzeugung auch nur eines Grashalms nach Naturgesetzen, «die keine Absicht geordnet hat»49, nie geben wird – so gilt doch, dass der Begriff des Naturzwecks, d.h. der (Selbst-) Organisation wohl notwendig ist in Ansehung der Natur, aber er ist kein konstitutives, sondern ein regulatives Prinzip unserer Erkenntnis der Natur. Wir erkennen den Organismus, als ob er sich selbst organisiert, denn ihn selbst kennen wir nicht.50

2. Schellings Naturphilosophie arbeitet sich an Kants Begriffen der Materie und des Organismus ab.51 In den Ideen (1797) übernimmt er die Kantische Grundannahme: Materie bedeutet Raumerfüllung, muss also unter der Bedingung von Kräften – Repulsion und Attraktion – gedacht werden. Schellings Materiebegriff ist strikt dynamisch; die Kräfte sind nicht – so wie es bei Kant scheinen mag – Eigenschaften von Materie, sondern konstituieren diese bzw. haben «nur als Bedingungen der Möglichkeit der Materie Realität».52 Explizit geht Schelling über Kant hinaus, indem er eine transzendentale Beglaubigung für die Annahme der Kräfte gibt; dass alles Objekt der äußeren Sinne als solches notwendig Materie im dynamischen Sinn ist, hängt mit der Anschauung zusammen, die ursprünglich – noch ehe sie Gegenstand des Verstandes ist – Produkt von Tätigkeit und Leiden, Streben und Einschränkung, Anschauen

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Ebd., S. 516 (A 334). «[...] so wird der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Produkten ein für die menschliche Urteilskraft in Ansehung der Natur notwendiger, aber nicht die Bestimmung der Objekte selbst angehender, Begriff sein, also ein subjektives Prinzip der Vernunft für die Urteilskraft, welches als regulativ (nicht konstitutiv) für unsere menschliche Urteilskraft eben so nothwendig gilt, als ob es ein objektives Prinzip wäre.» Ebd., S. 521f. (A 340). Vgl. J. Jantzen, „Die Philosophie der Natur“, in: H.J. Sandkühler (Hrsg.), F.W.J. Schelling, StuttgartWeimar 1998, S. 82-108, hier 86f. Für Schelling hinzuzunehmen ist noch die intensive (und unter Kantischen Auspizien stehende) Rezeption von Platons Timaios, die auf ihre Weise sowohl die Materie- wie die Organismusproblematik deutlich macht; vgl. hierzu und zum Folgenden J. Jantzen, „Die Philosophie der Natur“ (Anm. 50). F.W.J. Schelling, „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797), in: Ders., Historischkritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 5, S. 195

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und Angeschautem ist.53 Die Struktur der Anschauung ist die der Materie, so dass also die Annahme von Kräften nicht abstrakt oder analytisch ist; vielmehr müssen wir sie machen, wenn wir eine erste Wirklichkeit, das ist die Anschauung eines Materiellen, unserer Subjektivität denken wollen. Auch in dem zweiten Schritt, der die Grundbestimmungen der erscheinenden, also gegenständlichen Materie konstruiert, orientiert Schelling sich an Kant. Realität erhält der Gegenstand dann, wenn er als Qualität empfunden wird: «Nur durch seine Qualität ist jedes einzelne Object dieses bestimmte Object.»54 Schelling kommt es seit seinem Kommentar zu Platons Timaios auf den Begriff der Qualität als Realität in der Empfindung, d.h. als intensive Größe an.55 Er ermöglicht einen einheitlichen Begriff von Realität; der intensiv verfassten Realität in der Empfindung entspricht die als Verhältnis der Kräfte intensiv, graduell, verfasste Realität der Materie, die das Subjekt affiziert. Damit ist ein objektiver Begriff von Qualität bzw. spezifischer Materie gewonnen. Zweifach geht Schelling damit über Kant hinaus. Zum einen eröffnet er die Möglichkeit von Chemie als Wissenschaft (und nicht bloßer Experimentalkunst wie bei Kant), und zum anderen scheint die aporetische Situation überwunden, mit der das Dynamik-Kapitel der Metaphysischen Anfangsgründe endet (siehe oben): «Alle Qualität der Körper beruht auf dem quantitativen (gradualen) Verhältniß ihrer Grundkräfte».56 Das Problem in den Metaphysischen Anfangsgründen, dass Konstruktion der Materie und Konstruktion der spezifischen Verschiedenheit von Materie gleichsam ineinander übergehen, bleibt nun allerdings auch in Schellings Reformulierung in den Ideen (1797) bestehen, da Materie prinzipiell durch das Verhältnis der Kräfte gedacht wird. Denkt man sich einmal einen Punkt, in dem sich Repulsion und Attraktion „ausgleichen“ (einen mit Schelling gesagt «Indifferenzpunkt»), kann man sich die Qualitäten (= spezifische Materie) als Verschiebung des Punktes nach rechts oder links auf einer Linie vorstellen; der Indifferenzpunkt wird sozusagen in ein anderes Kräfteverhältnis potenziert. Aber noch immer wird ein Kräfteverhältnis, d.h. ein Kontinuum gedacht, und insofern wird tatsächlich nur die Möglichkeit, nicht die Wirklichkeit von Qualität gedacht. Im Ersten Entwurf einer Philosophie der Natur (1799) bestimmt Schelling Qualität grundlegend neu. Er denkt sie jetzt in der Begrifflichkeit von «Hemmungs-

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Ebd., S. 213ff.; siehe auch F.W.J. Schelling, „Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur“ (1796), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 4, S. 88ff. F.W.J. Schelling, „Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur“ (1796), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 4, S. 108; vgl. F.W.J. Schelling, „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 5, S. 249f. I. Kant, „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 2, S. 546f. (A 618); gemeint ist: als Prinzip systematischer (Natur-) Erkenntnis, ebd., S. 545 (A 616). F.W.J. Schelling, „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797), in: Ders., Historischkritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 5, S. 287

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punkten» und – an Leibniz erinnernd – «ersten Aktionen».57 Damit wird – in der Terminologie des Ersten Entwurfs – eine ursprüngliche absolute und unbedingte, d.h. nicht erscheinende Naturtätigkeit vorausgesetzt, die in einem Punkt gehemmt bzw. fixiert werden muss, damit sie in einem Produkt zur Wirklichkeit und Erscheinung wird. Dieses Produkt muss bestimmt, genauer: qualitativ bestimmt sein; der Hemmungspunkt (die erste bestimmende Aktion) muss also selbst qualitativ bestimmt sein, darf aber noch nicht raumerfüllend als Materie gedacht werden. Die Bedingung der Erscheinung von Qualität in einem Produkt ist mithin eine ihr unmittelbar vorangehende Wirklichkeit, eine reine Intensität. Schelling sieht seinen System-Entwurf von 1799 als dynamische Atomistik; der Ausdruck enthält in nuce die Problematik der Naturphilosophie in ihrem spezifischen Anschluss an Kant. Waren in den Ideen Möglichkeit und Wirklichkeit in der Unentschiedenheit der Konstruktionen von Materie und spezifischer Materie selbst unentschieden, so ist jetzt der (diskreten) Wirklichkeit des qualitativ bestimmten Produkts die bloße Möglichkeit einer absoluten Naturtätigkeit (eines Kontinuums) vorausgesetzt. Der Versuch, eine Vermittlung bzw. einen Umschlag im Begriff des „Hemmungspunkts“ zu denken, ist indessen offensichtlich problematisch. Nach dem Ersten Entwurf modifiziert Schelling die Konstruktion der Materie in höchst bemerkenswerter Hinsicht. In Allgemeine Deduction des dynamischen Processes (1800) geht Schelling von wirklicher, dreidimensionaler Raumerfüllung aus; er fasst sie auf als dynamischen Prozess, d.h. als Genesis spezifischer Materie, also der Qualitäten. Das sind die magnetischen, elektrischen und die chemischen Eigenschaften des Körpers. Schelling begreift sie als Kategorien; durch sie kommt die bloße Raumerfüllung zur (Erfahrungs-) Wirklichkeit des erscheinenden Körpers.58 Die Momente des dynamischen Prozesses (man erkennt in ihnen die Imponderabilien der zeitgenössischen Wissenschaft wieder) sind ihrerseits Potenzierungen einer vorgängigen Raumerfüllung; d.h. Potenzierungen der Momente eines Prozesses erster Ordnung, der logisch vor aller Realität der Erfahrung ist, aber eben von den drei Momenten (Kategorien) des dynamischen Prozesses her erschlossen werden kann. Raumerfüllung (d.i. der Prozess erster Ordnung) denkt Schelling noch immer in der Begrifflichkeit der beiden Grundkräfte von Attraktion und Repulsion, aber er übt nun prinzipielle Kritik an der bloßen Annahme, «die Existenz der Materie beruhe auf dem Gegensatz zweier Kräfte», es müsse «noch überdieß deutlich gemacht werden, wie es denn vermöge jener zwei Kräfte mög-

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F.W.J. Schelling, „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 7, S. 84-90 Magnetismus = Kohäsion, Elektrizität = Dualität (negative und positive Elektrizität, die als Mehr-und-Weniger alle Empfindung bestimmt), chemischer Prozess = Auflösung (und Gestaltung der Körper bzw. Stoffe).

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lich sey, daß ein Raum wirklich erfüllt werde.»59 Denn die beiden Kräfte für sich lassen sich nur in ihrer Einheit oder in ihrem Getrenntsein denken; aber weder Einheit noch Getrenntsein der Kräfte geben Realität, sondern nur Momente von Realität: als Linie und Fläche, als erste und zweite Dimension.60 Gedacht werden muss mithin eine Synthesis von Einheit und Getrenntsein der Kräfte; d.h. ein gemeinschaftliches Drittes, das «nicht durch ein bloßes Hinzufügen, sondern durch ein wirkliches Durchdringen oder Multipliciren der Produkte durch einander entstehend gedacht werden muß.»61 Zu den beiden ersten Dimensionen kommt so die dritte hinzu, «und das eigentliche Vermittelungsglied, durch welches die beiden Kräfte zugleich als nicht-identisch und doch als vereinigt für die Anschauung gesetzt werden können, ist (nicht die Linie oder die Fläche sondern) der Raum selbst, d.h. die nach drei Dimensionen ausgedehnte Größe. [...] Nun können aber nicht beide Kräfte als entgegengesetzte doch in Bezug auf den Raum als identisch gesetzt werden, ohne eben dadurch den Raum undurchdringlich zu machen.»62 Der erfüllte Raum – Materie – ist also das Vermittlungsglied zwischen Repulsiv- und Attraktivkraft; das Gemeinschaftliche der Kräfte.63 Gleichsam „von selbst“ (also nur durch die beiden Kräfte zu denken!) ergibt es sich indessen nicht. «[...] daß aber umgekehrt Kräfte, die sich entgegengesetzt sind, doch ein gemeinschaftliches darzustellen gezwungen werden, dieß ist nur durch eine dritte aus beiden zusammengesetzte Kraft begreiflich, welche um dieses Problem zu lösen, den Raum undurchdringlich macht, d.h. welche selbst durchdringend, oder in der dritten Dimension wirkt.»64

Die (Re-) Konstruktion der Materie bzw. der Raumerfüllung (= Prozess erster Ordnung) führt zur Annahme einer dritten Kraft: der Schwerkraft, denn sie ist es, die die allgemeine Schwere möglich macht; eben in dem Phänomen der Schwere gibt die Schwerkraft sich kund, und zwar als eine konstruierende Kraft: Sie ist Möglichkeit der Schwere und gibt beständig die Bedingung, unter welcher die Attraktivkraft wirkt, d.h. das Naturprodukt sich erhält.65 Im Phänomen der Schwere ragt sozusagen real ein Moment des Prozesses der er59 60 61 62

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F.W.J. Schelling, „Allgemeine Deduction des dynamischen Processes“ (1800), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 8, S. 318; vgl. die Kant-Kritik in ebd., S. 318ff. Zur Konstruktion von Linie (= potenziert Magnetismus) und Fläche (= potenziert Elektrizität) vgl. ebd., S. 303ff. Identitätsphilosophisch ausgedrückt: Identität von Identität und Differenz. F.W.J. Schelling, „Allgemeine Deduction des dynamischen Processes“ (1800), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 8, S. 324. Ebd., S. 325. Ebd., S. 326. Ebd., S. 330; vgl. ebd.: «Es ist Ein und dasselbe, was das Product construirt, und die Schwere möglich macht; daher die Phänomene der Schwere Phänomene der stets erneuerten Schöpfung.» Ähnlich schon in F.W.J. Schelling, „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 7, S. 271: «So macht diese Kraft [d.i. Schwerkraft] gleichsam das verbindende Mittelglied der Kräfte, welche die Natur als Gerüste, und derjenigen, welche sie als dynamische Organisation unterhalten.»

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sten Ordnung (der Konstruktion der Materie) in den dynamischen Prozess hinein und kommt im chemischen Prozess zu seiner spezifischen Erfahrungsrealität.66 Schelling fasst den dynamischen Prozess als Potenzierung eines vorgängigen Prozesses der Grundkräfte auf, der in der Synthesis der Kräfte zu einem Gemeinschaftlichen bzw. in der Generierung eines raumerfüllenden Dritten besteht. In ihm (wenn man so sagen kann) sind die Kräfte – als Repulsion und Attraktion von Massen – wirklich, ebenso wie dies Dritte (der Kräfte) als raumerfüllende Schwerkraft (Materie) wirklich ist.67 Dabei ist streng zu beachten, dass die Unterscheidung der Momente «zum Behuf der Spekulation» zwar genetisch sein muss, aber keineswegs eine zeitliche Folge bedeutet. Im Begriff der Materie, des Dritten oder Gemeinschaftlichen der Kräfte, ist dabei – und dies ist das Entscheidende – eine reale, eben materielle Kontinuität der beiden Prozesse gedacht; eine Kontinuität, die allererst die logische Kontinuität ermöglicht, die im Begriff der Potenzierung gedacht wird. Noch wichtiger scheint es, dass im Begriff des Dritten Wirklichkeit gedacht wird – in einem ursprünglichen Sinn: als materielle Wirklichkeit vor aller begrifflichen Bestimmtheit (d.h. als unvordenkliche Realität), als primum existens, das als solches eben wesentlich ein In-Wirklichkeit-Kommen, ein Werden ist (und also nicht – wie auch immer – vorausgesetzt und bestimmt ist).68

3. Schellings Weiterentwicklung der Konstruktion der Materie folgt sicher aus systematischen, schon früh angelegten Ansätzen (etwa in der Auseinandersetzung mit Kant); aber sie ist doch ohne den Einfluss Baaders schwerlich denkbar.69

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Zur weiteren Konstruktion mit dem Licht als konstruierende Kraft des dynamischen Prozesses und dessen Potenzierung in die organische Natur siehe J. Jantzen, „Die Philosophie der Natur“ (Anm. 50), S. 103ff. Der Prozess bedeutet in gewisser Weise Selbstgenerierung: Die Kräfte werden wirklich in ihrem Produkt; eben dies Produkt, die Schwerkraft, erzeugt sich als Schwere (die im potenzierten dynamischen Prozess dann als spezifisches Gewicht erscheint). Hier ist ferner nur darauf hinzuweisen, dass die Konstruktion der Materie durch die zwei Kräfte und ihre Synthesis in einer dritten Kraft für Schellings Denken von weitreichender Bedeutung ist; sowohl identitätsphilosophisch (vgl. oben Anm. 61) als vor allem auch für die spätere Weltalter-Philosophie, die in ihren grundsätzlichen formalen Überlegungen mit dem Schema zweier entgegengesetzter Kräfte und ihrer Synthesis als Grund (erste Natur) des Seyenden folgenreich arbeitet (in aller Kürze F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. v. K.F.A. Schelling, 14 Bde., Stuttgart/Augsburg 1856-1861, Bd. 8, S. 218). Siehe F.W.J. Schelling, „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 7, 248, 268, 270 und F.W.J. Schelling, „Allgemeine Deduction des dynamischen Processes“ (1800), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 8, S. 207f., 264, 268.

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Baader hatte schon früh – in der Auseinandersetzung mit der Wärmestofftheorie und der Wärmetheorie Crawfords und dann vor allem im Zusammenhang mit der Sauerstoff-Chemie Lavoisiers – die dynamische Naturerklärung zu befestigen versucht.70 Die Rezeption von Kants Metaphysischen Anfangsgründen spielt dabei die entscheidende Rolle.71 Kant, so Baader, war der erste, der die in jedem Körper raumerfüllend gegebene Vielheit von Kräften zu unterscheiden begann, um sich «einer dynamischen Construction des Körpergebildes nähern zu können», aber vollenden konnte er sie nicht, da sie mit zwei Grundkräften eben nicht zu vollenden ist. Baader kündigt einen künftigen eigenen Versuch zu einer Konstruktion mit drei Kräften an, «auf deren Vorhandensein schon die dreifache Dimension der vollendeten Raumerfüllung leitet».72 Indessen verweisen schon die beiden kurzen Erläuterungen, die Baader hier gibt, auf das Eigentümliche seiner Konstruktion bzw. Überlegung. Er begreift die drei Kräfte als «drei, jeder vollendeten Raumerfülltheit gleichsam innewohnende, Natur-Seelen, deren jede bei günstigen Umständen zur herrschenden werden kann und sich sodann in Figur und Gebärde (bildend oder bewegend) äussert.» Zugleich verschwindet damit «die eine oder die andere Grundkraft» und geht über in «Latenz».73 Baader sieht den raumerfüllenden Körper von vornherein im Paradigma einer lebendigen und beseelten, aber keineswegs statischen, Einheit.74 Baader macht nicht Schellings Differenzierung eines ersten Prozesses (der Raumerfüllung) von einem zweiten dynamischen Prozess (der Qualitäten bzw. Kategorien), und er differenziert auch nicht zwischen „anorganischen“ und „organischen“ Körpern. Die zweite Bemerkung, die Baader gibt, verdeutlicht dies sogleich: Die Kräfte gehen ihre Synthesis nur gezwungen ein, und insofern ist dem Körper die Korruptibilität und Verwesung zur Unform, zu Chaos und Nicht-Einheit vorgezeichnet und nur durch eine entgegengesetzte Tendenz der Natur aufgehalten bzw. umgewandelt. Baader spricht von einem «einenden Princip a priori», vergleichbar dem Prinzip der «Gemüthseinheit», nach dem – gleichsam als vierte Kraft – der «Progressus von Thesis, Antithesis (oder Analysis) und Synthesis fort-

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Vgl. F. Baader, Vom Wärmestoff, seiner Vertheilung, Bindung und Entbindung vorzüglich beim Brennen der Körper, 1786 (später von Baader eine «Jugendsünde» genannt), Ideen über Festigkeit und Flüssigkeit zur Prüfung der physikalischen Grundsätze des Herrn Lavoisier, 1792; vgl. auch die Bemerkung des Herausgebers in: F.v. Baader, Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 3, S. 202. F.v. Baader „Beiträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 203-246. Ebd., S. 206; vgl. auch Baaders Hinweis auf F.A.C. Gren (Phlogiston als Einheit von Wärmeund Lichtmaterie, hierzu vgl. M. Durner, „Theorien der Chemie“ (Anm. 17), S. 83) und Paracelsus’ Ternar von Sal, Mercurius und Sulphur. Baader verweist auf „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 249-268. Ebd. Vgl. die platonische Dreiteilung der Seele.

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geht» und plädiert explizit für die Anwendung teleologischer Maximen auch für die Chemie als Stoffbildungslehre.75 Baader versteht den sogenannten unbelebten Körper nach Analogie des belebten Körpers bzw. erkennt zwischen ihnen keinen prinzipiellen Unterschied. Die Begrifflichkeit von Spontaneität und Rezeptivität, von Heteronomie und Autonomie trifft den unbelebten Körper nicht weniger als den belebten, und ebenso gilt auch die Rede von einer synthetischen Einheit des Bewusstseins für den Körper (der Bewusstseins-Einheit entspricht eine RaumerfüllungsEinheit durch eigene Bewegung); die Bewegung des Körpers schließlich entspringt ihm selbst (wie dem Gemüt des Lebendigen) auf Veranlassung eines äußeren Reizes.76 Bemerkenswert ist, dass Baader hier den vorkritischen Kant heranzieht: «Es steckt etwas Großes, und, wie mich dünkt, sehr Richtiges in dem Gedanken des Herrn von Leibniz [...]. Äußere Dinge können wohl die Bedingung enthalten, unter welcher sie sich auf eine oder andere Art hervortun, aber nicht die Kraft, sie würklich hervorzubringen.»77 Baaders Kritik ist aufschlussreich. Kants Fehler sei es, die «innere Tätigkeit» mit dem «Tun des Subjekts» zu vermengen: «Was aber hier [d.i. Kant] von der Denkkraft als Gemüths-Einheit bildendem und erneuerndem Princip gesagt wird, gilt allgemein von allen Principien der Synthesis eines Mannigfaltigen, ihre Spontaneität und Einheit mag sich im Phänomen so beschränkt und relativ wie möglich weisen.»78 In der Person des Menschen sind die drei Kräfte wirksam und gegenwärtig als vernehmender Geist, empfindender Leib und fühlende Seele; in der materiellen Erscheinungswelt entspricht ihnen die Trias von Luft (Geist), Wasser (Leib) und Blut (Seele), die wiederum die dreifache Bildung von «Conspiration des Geistes (des Luftigen)», «Cohärenz des Leibes (des Festen)», «Confluenz der Seele (des Fliessenden)» zeigt.79 Es ist offensichtlich, dass Baader mit der rigiden Ablehnung „mechanistischer“, „maschinistischer“ (auch „transfusionistischer“) Betrachtungsweisen zugunsten eines grundlegenden Dynamismus dreidimensionale Körper, d.h. individuelle «Raum-Einheiten» als be75

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F.v. Baader „Beiträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 207. Baader verwendet zur Verdeutlichung das Symbol des gleichseitigen Dreiecks, in dessen Zentrum ein Punkt das Prinzip vorstellt. Eine vierte Kraft thematisiert Baader in „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 266ff. F.v. Baader „Beiträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 209ff. I. Kant, „Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen“ (1763), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 1, S. 814 (A 63). F.v. Baader „Beiträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 212. Bemerkenswert Baaders Gedanke, die eigene, autonome Kausalität durch «Zwischenzeit und Zwischenhandlung zwischen Einwirkung und Effect oder Rückwirkung» zu bestimmen: «da tritt auch ein neuer Realgrund, eine objective, innere, einzelne Zeitquelle hervor». F.v. Baader „Beiträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 215.

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lebt ansieht, indessen nicht belebt im Sinne einer Lebenskrafttheorie, sondern ursprünglich lebendig als die Einheit von drei Kräften. Diese Einheit kann „selbstlos“ sein oder „selbstisch“. Aber die Unterscheidung ist nicht von grundsätzlicher Art. Im Fall des „Selbst“ (be-)schließt sich das Wesen zur Figur, zentrieren sich Äußerliches und Inneres in einer Mitte; im anderen Fall bleibt das Wesen ohne solche Mitte. Aber jeweils gilt, dass mit dem Prozess der Verknüpfung eines Mannigfaltigen zur Einheit eines Gebildes (einer Figur) eben die Funktion des Lebens, zu formen, erfüllt wird. Es ist also nicht zufällig, wenn Baader die Relation zwischen Körpern in Ausdrücken einer personalen Ich-Du-Beziehung beschreibt.80 Um – vorläufig – zu resümieren, halten wir fest: Prinzipiell ist, so Baaders Überzeugung, die mechanische Konstruktion eines Körpers als Raumerfülltheit nicht möglich, also nicht nur im Fall organischer Körper, sondern auch im Fall eines «Sandkorns»81. In Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden (1798) bekräftigt Baader die Konstruktion des raumerfüllenden Körpers durch drei Kräfte bzw. Prinzipien: «Es ist also an der Zeit [d.i. nach Schellings Weltseele] auch dieses dritte Princip in der Natur anzuerkennen als das den Trage- und Haltpunct Erzeugende am Hebel der Natur, und diese hiemit selber gründend oder constituirend.»

Das dritte Prinzip, der «Haltepunct», lässt die beiden Grundkräfte von Repulsion und Attraktion (Kompression und Expansion) wirklich werden, indem es sie auseinander hält und zugleich eint; es zwingt sie, «auf einen Punct hin zu wirken und die Erscheinung der Materie hervorzubringen.»82 Allerdings führt Baader hier nun ein viertes Prinzip ein, da die «drei Elemente sich selber überlassen doch in alle Ewigkeit nichts anfangen würden»; es bliebe bei einem relativen Gleichgewicht, einem Null und ewiger Ruhe des großen Hebels der Natur. Erst ein Anstoss von außen, ein «Anhauch von oben» bringt «Leben und Bewegung in die todte Bildsäule des Prometheus, und der Puls der Natur (das Wechselspiel ihres Dualismus) schlägt, – Alles, was da ist und wirkt,

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Ebd., S. 219ff.; 227ff. Hier bezieht Baader sich auf: I. Kant, „Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte [...]“ (1746), in: Ders., Werke in sechs Bänden (Anm. 20), Bd. 1; bezeichnenderweise fügt er in seine Zitate bzw. Paraphrasen ein „Ich“ und „Du“ ein. – Angemerkt sei hier, wie wünschenswert eine genaue Darstellung von Baaders KantRezeption ist. Ebd., S. 236. F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 249-268, hier S. 263; vgl. ebd.: «Das eine Princip hebt nemlich die Action an, ein anderes beschränkt oder moderirt sie, und ein drittes realisirt oder führt sie aus. – Zahl, Maass und Gewicht der Alten.» Zu beachten ist die Bestimmung des dritten Princips als Gewicht. Vgl. F.W.J. Schelling, „Allgemeine Deduction des dynamischen Processes“ (1800), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 8, S. 334ff.

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lebt also nur vom Einhauch, vom Athmen dieses all-belebenden Princips – der Luft.»83

Das vierte Prinzip bzw. die vierte „Weltgegend“ fungiert in gewisser Weise als erlösende Kraft; Baader spricht auch von «absoluter Spontaneität». Das erinnert an Schellings Weltalter, an die rotatorische Bewegung der drei Prinzipien (Potenzen), die jeweils in «blinder Sucht und Begierde» Anspruch darauf machen, «das Seyende zu seyn» und doch notwendig in ihrem Umtrieb gleichsam gefangen bleiben. Sie bedürfen der «Befreiung und Erlösung [...] durch ein anderes, das außer ihr [d.i. der blinden Sucht und Begierde, zu sein], völlig unabhängig von ihr, und über sie erhaben ist.» Schelling spricht von dem «weder Seyenden noch Nichtseyenden», von der «ewigen Freiheit» oder der «lauteren Gottheit».84

4. Die Grundthese der drei Kräfte behält Baader auch später bei, wenn er etwa generell Form und Stoff oder spezieller Starres und Flüssiges in einem Dritten vereinigt sieht, in dem beides als solches untergegangen bzw. „latent“ geworden ist. Jenes Dritte lässt Starres bzw. Flüssiges nicht zu ihrer gegenseitigen Ausschließung kommen; es hält sie „nieder“, gibt ihnen Bestand und Leben und ist selbst das „eigentlich Reale“. In dieser Realität gelten sie als „Produkt“ (als solche und für sich sind sie bloß „Edukt“). «Starres und Flüssiges haben, jedes dieselben zwei Factoren der lebendigen Substanz in sich, und es befindet sich in jedem der eine Factor, nur überwiegend und den anderen niederhaltend, so dass jener auswärts, dieser einwärts gekehrt ist, also beide von einander gekehrt (rücklings) stehen, da sie doch nur zu einander gekehrt oder in Eintracht die lebendige Substanz constituiren. Hierauf beruht nun die Erweckbarkei des Lebens im Starren und Flüssigen [...].»

Baader spricht in dieser höchst aufschlußreichen Anmerkung von einem «allgemeinen Gesetz für alle Halbkräfte der Natur». Er verweist auf Elektrizität und Geschlechtskraft. Ihr Hervortreten unterliegt derselben Bedingung, die auch generell für das Starre und das Flüssige gilt: Nicht geeint in einem Dritten, bleiben sie Gegensatz ohne die eigentliche Realität (eben Halbkräfte); dies Dritte nennt Baader hier «die verschlossene Androgyne», «der eigentliche Träger des einen und des andern Geschlechts.»85 83 84

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Ebd., S. 266f. F.W.J. Schelling, „Weltalter“, in: Ders., Sämmtliche Werke (Anm. 68), Bd. 7, S. 232f. Vgl. F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 267, wo Baader offenbar ähnlich die Umtriebigkeit der drei Prinzipien beschreibt, die in ihrem Widerstreit nicht zur Einheit kommen (wollen). F.v. Baader, „Ueber das pythagoräische Quadrat in der Natur oder die vier Weltgegenden“ (1798), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 273.

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Die Gegensätze (etwa Starres und Flüssiges, Feuer und Wasser) geben in ihrem Latent- bzw. Geeintsein dem Körper das Wesen; ihre Latenz bzw. Vereinigung macht den Bestand der Wesenheit aus. Wenn sie indessen als solche erscheinen, zeigen sie sich sogleich als feindlicher Gegensatz, hervorgegangen aus dem Untergang der individuellen Wesenheit. Umgekehrt fällt ihr Verschwinden als Gegensatz «(gleichsam als Vereinung der gespaltenen Geschlechts- oder Halbkräfte) mit dem Aufgang oder Wachsthum des lebendigen Wesens zusammen.» In der Latenz sind die Gegensätze der lebendigen Substanz inhärent und insofern aufgehoben. Der Prozess des Lebendigen besteht dann in einer Doppelbewegung, in der ein Gegensatz aus der Latenz herausstrebt und der andere bestrebt ist, in die Latenz zurückzufallen. Baader denkt – schwierig genug! – diesen Prozess der Vereinigung (des Latentwerdens) der Gegensätze in der lebendigen Substanz und ihrer gegenstrebigen Trennung durch einen Antagonismus von Organismus und Anorganismus.86 Paradigmatisch für den Prozess selbst scheint aber nun die Trennung der Geschlechter («Charakter des bloss heteronomen Lebens») und ihre Vereinung zum androgynen (und autonomen) Wesen zu sein, in dem die Trennung aufgehoben ist. In gewisser Weise handelt es sich um die dynamische Bewegung par excellence.87 Es geht nicht bloß darum wie in der mechanischen Bewegung, wechselseitig in den Raum eines anderen einzudringen, sondern darum «das andere sich zum Raume selbst zu machen», wobei dies andere (Attrahierte) sich (dem Attrahierenden) selber öffnet und «gleichsam depotenziert»88. Das dynamische Selbstbewegungsvermögen eines jeden Beweglichen äußert sich in einem «Sichöffnungs- und Sichverschließungsact» gegen eine andere «Region» bzw. ein anderes Wesen; es ist wie ein «Ja und Nein oder Aus und Ein des Willens»89. Aus diesem Akt ergibt sich auch allererst die Realität des Ortes – als einem Anderen einen Ort und Raum, eine Stätte geben, wobei im Übrigen nicht die Masse dieses Anderen das Wesentliche, „Herrschende“ ist; das sind vielmehr die «gegen diese Masse zarten und subtilen, ihr nicht fasslichen und von ihr nicht sperrbaren, leise sie durchwehenden Kräfte und Wesen».90 Baader beschreibt, so scheint es, die dynamische Bewe86

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Ebd., S. 275: «Kurz, wie gäbe es, oder äusserte sich überhaupt Organismus, der nicht aus, an, entgegen und über der verborgenen Wurzel eines Anorganismus hervorsprosste»; problematisch ist natürlich, wie ein „Anorganismus“ gedacht werden kann! Dazu „Ueber den Begriff der dynamischen Bewegung im Gegensatze der mechanischen [...]“ (1809), in: F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 279-286. F.v. Baader, „Ueber den Begriff der dynamischen Bewegung im Gegensatze der mechanischen [...]“ (1809), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 280. Ebd., S. 281. Ebd., S. 280f.; ebenso wohl auch Zeit, vgl. F.v. Baader „Beiträge zur Elementar-Physiologie“ (1797), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 3, S. 213. Die Ausdrucksweise in „Ueber den Begriff [...]“ erinnert an die Anfangsworte in Baaders „Über den Begriff der Zeit“ (1818), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 2, S. 71: «Die vollendete, in sich sich beschließende, Bewegung oder Veränderung des Lebens kreist in den drei Momenten des Ausgangs, des Bestandes und des Wiedereingangs, oder mit andern Worten: der Hervorbringung (des Her-

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gung durchaus als geschlechtliches Leben; als Befangenheit des Menschen in seine «Elementarnatur». Dem ging ein anderer Zustand in einer höheren, ihm sozusagen eigentlichen Region zuvor. Und insofern ist «das Sicheinziehen, Zurück- und Herausziehen, das Sichverleugnen, Sichvernichten und Latentmachen in einer (niedrigeren, engeren) Sphäre und Region [...] nemlich die einzig natürliche Conditio sine qua non, um in die höhere, weitere erhoben zu werden».

Nach seinem Fall, auf den Baader anspielt, bleibt dem Menschen, der den ewigen Naturgesetzen unterworfen ist, nichts anderes übrig «als jenes oben angedeutete», um seiner Ausgeschiedenheit aus der höheren Region zu begegnen. Aber dies bedeutet nicht Aufgabe seiner Existenz und Persönlichkeit; das «Creaturgewordensein» ist nicht die Sünde, sondern diese besteht in der Selbstsucht, nicht der Selbstheit.91 In Ueber die Analogie des Erkenntniss- und des Zeugungs-Triebes (1808) nimmt Baader die Redeweise seiner Abhandlung über die dynamische Bewegung auf. Zeugungskraft und -lust nennt er doppelgeschlechtlich («so auch die Erkenntnislust»). Und mehr und deutlicher noch: «Alles, was da lebt und leibet, geht aus dieser Androgynenlust hervor, sie ist die geheime, undurchdringliche, magische Werkstätte alles Lebens, das geheime Ehebett [...]».92

Den Satz wird man deuten dürfen als eine Art von Resümee des Gedankengangs seit 1797. Baader versteht die Grundlegung der Naturwissenschaft durch die dynamische Konstruktion der Materie bei Kant und dann vor allem bei Schelling als – wenn man so sagen darf – a priorischen Beleg der Lebendigkeit der Natur noch bzw. gerade in ihrer bloßen Materialität, eben der Kräfte, die Baader nach Kant und Leibniz als „lebendige Kräfte“ begreift. Mit der Auffassung solcher Lebendigkeit ist nun auch die Auffassung des natürlichen Lebens als eines geschlechtlichen Lebens gegeben. Die beiden Grundkräfte, von Baader bisweilen auch als „Halbkräfte“ bezeichnet, sind zeugende Kräfte; sie sind zeugend in ihrer Einheit (in welcher sie in Latenz übergehen), d.h. in einem Dritten ihrer selbst, das nun wiederum ihre Wirklichkeit bzw. Wirksamkeit bedeutet als ein Gemeinschaftliches, das nun wieder die Kräfte und damit „Regionen“ oder „Wesenheiten“ freisetzt. Dies Dritte, das Gemeinschaftliche (mit Baader auch „autonom“ zu nennende), ist offenbar mit dem Ausdruck des Androgynen gemeint, und dessen Lust ist es, sich zu erzeugen – in die Trennung der Geschlechter (die Baader auch „heteronom“ nennt). Im

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absteigens), der Erhaltung (Konservation) und der Wiederausgleichung (als Wiederaufsteigens).» Ebd., S. 284ff. Zu beachten ist die außerordentlich vorsichtige Sprache Baaders. F.v. Baader, „Ueber die Analogie des Erkenntniss- und des Zeugungs-Triebes“ (1808), in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 70), Bd. 1, S. 39-48, hier S. 45f.

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Blick auf die lebendige Natur gewinnt die alte (theosophische) Überzeugung eines sich zeugenden und gebärenden Absoluten eine neue Bedeutung.

5. Drei Hinweise mögen das „Resümee“ als Anhang ergänzen. Zum einen ist natürlich an die anfänglich skizzierte Naturauffassung Goethes zu erinnern, die Baader nun in einem größeren Zusammenhang sehen lässt. Zum anderen sei auf Schellings Überlegungen zur menschlichen Freiheit (1809) hingewiesen. Ihr zentraler Gedanke kreist um die Differenz und (Selbst-) Bezogenheit von Grund und Existenz; damit sind gleichsam die beiden Grundkräfte des Seienden (zumal des Menschen) bezeichnet; sie sind einander entgegengesetzt und doch zugleich aufeinander bezogen (wie negative und positive Größen). Und beide sind in ihrer Entgegensetzung und Bezogenheit wieder bezogen auf ein Drittes, das Schelling Ungrund nennt und das man (mit Baader) die Latenz von Grund und Existenz nennen könnte. Wie auch immer der Aufbruch der Latenz, des Ungrunds, in die beiden Kräfte gedacht werden kann – im Höchsten der Liebe, d.i. wahrer Gleichgültigkeit, kommen sie wieder überein. Zum dritten. Schelling arbeitet sich nicht zuletzt auch am Problem des Organismus ab (siehe oben). Wie bei der Konstruktion der Materie geht es auch hier um die Überwindung Kantischer Positionen und gleichsam um eine Rückgewinnung Platons. Schelling bestreitet Kants Behauptung einer Sonderrolle der Urteilskraft. Ein früh formulierter Schlüsselsatz lautet: «Der Gegenstand ist nichts anders, als unsre selbsteigne Synthesis, und der Geist schaut ihn ihm nichts an, als sein eignes Product.»93 Von hier aus findet nun Kants These, die Natur werde notwendig als Organismus erkannt, ihre Begründung (und muss nicht einem „als ob“ vindiziert werden). In der Stufenfolge der Natur erkennt sich der Geist, und nur indem er sich erkennt, erkennt er auch tatsächlich die Natur. Der naturphilosophische Gang, der von der Konstruktion der Materie zum reproduzierenden, irritablen und sensiblen Organismus führt, ist hier nicht zu wiederholen. Für Baader dagegen ist der Organismus kein besonderes Problem, da eine Differenz von organischer und anorganischer Natur nicht besteht und mit der Grundannahme dynamischer Kräfte von vornherein ausgeschlossen ist. 93

F.W.J. Schelling, „Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur“ (1796), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 4, S. 106. – Vgl. im Übrigen Schellings Bemerkungen zur Zweigeschlechtlichkeit in F.W.J. Schelling, „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe (Anm. 7), Bd. 7, S. 102ff., 208f. und in F.W.J. Schelling, „Würzburger System“, in: Ders., Sämmtliche Werke (Anm. 68), Bd. 6, S. 406ff.

CLAUDIO CIANCIO

Schelling und die Eschatologie

1. Es ist bekannt, dass eine starke eschatologische Prägung den Geist und das Denken der Romantik durchdrungen hat, folglich auch den von Schelling. Man denke nur an das bekannte und emblematische Fragment Schlegels: «Der revolutionäre Wunsch, das Reich Gottes zu realisieren, ist der elastische Punkt der progressiven Bildung, und der Anfang der modernen Geschichte. Was in gar keiner Beziehung aufs Reich Gottes steht, ist in ihr nur Nebensache».1 Es handelt sich um eine eschatologische Gesinnung, die sich in unterschiedlichen Formen darbietet, Formen, die alle in der Entwicklung des Denkens Schellings vorhanden sind und im Wesentlichen drei sind: der Gedanke eines unendlichen Fortschreitens der Geschichte, der Gedanke der Möglichkeit, das Endliche ins Absolute zu erheben und der Gedanke einer Vollendung der Geschichte als vollkommene und harmonische Verwirklichung der Möglichkeiten des Seins. Diese letztgenannte Form wird wiederum einerseits gedacht als Rückkehr zum Ursprung, andererseits dagegen als über ihm stehend. Die beiden ersten Formen sind das Ergebnis einer Säkularisierung der christlichen Eschatologie und als solche werden sie eher grundlegende Elemente und inspirierende Prinzipien des modernen Rationalismus. Bei Schelling stellt sich die Eschatologie sowohl in jenen beiden Formen dar, als auch in ihrer christlichen Form und wird auf diese Art nicht nur inspirierendes Motiv, sondern auch ausdrückliches Thema des philosophischen Denkens. Das letztendliche Ergebnis der Philosophie Schellings ist, wie ich versuchen werde aufzuzeigen, eine Synthese der beiden Modalitäten. Beim jüngeren Schelling sowie bei vielen seiner Zeitgenossen drückt sich der eschatologische Geist vor allem in der Möglichkeit aus, die Endlichkeit durch ein Erheben ins Absolute zu transzendieren. Andererseits ist die geschichtliche Dimension der Eschatologie nicht gänzlich auszuschließen. Bezeichnend ist die progressive Vision der Geschichte und ihr Ausgang, wie sie 1

F. Schlegel, „Athenäums-Fragmente“, in: Ders., Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler unter Mitw. v. J.-J. Anstett und H. Eichner, 1 Abt. Bd. 2: Charakteristiken und Kritiken I (1796-1801), hrsg. v. H. Eichner, München/Paderborn/Wien 1967, S. 201 (Fr. 222).

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in der Abhandlung Antiquissima de prima malorum humanorum origine aus dem Jahre 1792 enthalten ist, da sich dort beobachten lässt, dass, so wünschenswert es auch sein mag, ins Paradies zurückzukehren, doch die ungeheuerlichen Mühen unseres Lebens uns in einen Zustand einer noch großartigeren und wahrhaftigeren Glückseligkeit versetzen müssen.2 In Vom Ich (1795) vertritt Schelling hingegen «das höchste Gesetz für das endliche Wesen ist dieses: Sey absolut-identisch mit dir selbst»,3 auf diese Weise das Absolute realisierend. Diese Identität wird in Begriffen angegeben, die wir genau genommen als eschatologisch bezeichnen können, weil sie im Sinne von Errettung gedacht ist: durch den Einklang des Ich und des Nicht-Ich kommt es zur Erhebung ins Absolute und führt zur Glückseligkeit. Es ist jedoch eine Eschatologie, die die Merkmale Kants und Fichtes bewahrt. Ist der Endzweck des endlichen Ich, ebenso wie der Welt, das Aufgehen im Absoluten, gilt dennoch: «zu diesem Endzweck findet nur unendliche Annäherung statt – daher unendliche Fortdauer des Ichs, Unsterblichkeit».4 Die Deklination der Eschatologie in die modernen Begriffe des unendlichen Fortschritts kennzeichnet auch die Philosophische Briefe und gelangt bis zum System des transcendentalen Idealismus. Tatsächlich scheint in den Philosophischen Briefen (1795) das Hauptthema eher das des Ursprungs als des Endes zu sein (im Übrigen behandelten auch die allerersten theologischen Schriften überwiegend dieses Problem). Die radikale Lösung des Problems der Wiederzusammenführung des Endlichen mit dem Unendlichen, wie hier von Schelling vorgeschlagen, liegt im Erkennen, dass es das Endliche nicht vom Unendlichen getrennt gibt: «Die Philosophie kann zwar vom Unendlichen nicht zum Endlichen, aber umgekehrt vom Endlichen zum Unendlichen übergehen. Das Streben, keinen Uebergang vom Unendlichen zum Endlichen zuzulassen, wird eben dadurch zum verbindenden Mittelglied beider, auch für die menschliche Erkenntnis. Damit es keinen Uebergang vom Unendlichen zum Endlichen gebe, soll dem Endlichen selbst die Tendenz zum Unendlichen beiwohnen, das ewige Streben, im Unendlichen sich verlieren».5 Das ontologische Modell des siebten Briefes sieht eine Beziehung zum Unendlichen vor, in Form eines Unendlichkeitsprozesses. Im neunten Brief unterstreicht Schelling, wie die Idee des Unendlichkeitsprozesses den Kritizismus kennzeichnet; betrachtet man nämlich das Absolute als verwirklicht oder realisierbar, verfällt man dem Dogmatismus. Das reicht aber dennoch nicht, die Frage nach dem Ursprung aus dem Weg zu räumen oder, besser, nach jenem Heraustreten oder Trennen vom Unendlichen, das eben die Bedingung des unendlichen Prozesses der Zu2

3 4 5

F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Ausgabe. Im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. T. Buchheim, J. Hennigfeld, W.G. Jacobs, J. Jantzen u. S. Peetz, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976ff. Reihe I: Werke, Bd. 1, S. 93. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. von K.F.A. Schelling, 14 Bde., Stuttgart/Augsburg 1856-1861, Bd. 1, S. 199. Ebd., S. 201. Ebd., S. 314-315.

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sammenführung mit ihm ist. Im dritten Brief bemerkt Schelling in Bezug auf den Kontrast zwischen Dogmatismus und Kritizismus, dass an dessen Ursprung «das Heraustreten aus dem Absoluten; denn über das Absolute würden wir alle einig sein, wenn wir seine Sphäre niemals verliessen»6 steht. Dieses Problem der Trennung vom Absoluten, grundsätzliches Problem auch um die Eschatologie darzustellen, bleibt zunächst im Hintergrund, aber nur wenige Jahre später ist Schelling gezwungen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Mit dem System des transcendentalen Idealismus (1800) tritt eine vielschichtigere, weniger schematische Auffassung der Geschichte zutage. Gedacht als Geflecht von Notwendigkeit und Freiheit,7 ist die Geschichte nicht unendliches Annähern, sondern eher fortschreitende und einheitliche Offenbarung des Absoluten, ohne im Übrigen dadurch abgeschlossene Objektivierung werden zu können: «Gott ist nie, wenn Seyn das ist, was in der objektiven Welt sich darstellt; wäre er, so wären wir nicht; aber er offenbart sich fortwährend».8 Das Absolute als reine Identität des Bewussten und des Unbewussten ist unzugänglich; die Geschichte jedoch ist eine Offenbarung davon, allerdings nie abgeschlossen, außer im letzten Moment. Der geschichtliche Prozess wird nach dem triadischen Abfolgeprinzip der Weltalter unterteilt. Die geschichtlichen Zeitalter wären: jenes, in dem die übergeordnete Macht als Schicksal erscheint; jenes, in dem, was zuvor als Schicksal erschien, zum Naturgesetz wird; und letztlich jenes der vollkommendsten Offenbarung Gottes, in dem, was zuvor als Schicksal oder Natur erschien, sich nun als Vorsehung offenbart. «Wenn diese Periode beginnen werde, wissen wir nicht zu sagen. Aber wenn diese Periode seyn wird, dann wird auch Gott seyn».9 Das Ende der Geschichte wird von Schelling auch als Herrschaft des Verstandes definiert, «der goldenen Zeitalter des Rechts, wenn alle Willkür von der Erdeà verschwunden ist, und der Mensch durch Freiheit an denselben Punkt zurückgekehrt seyn wird, auf welchen ihn ursprünglich die Natur gestellt hatte, und den er verliess, als die Geschichte begann».10 Es ist interessant zu bemerken, wie das Eschaton als Rückkehr zum Ursprung gedacht würde, sicherlich nicht identisch mit dem Ursprung, da von der Freiheit vermittelt. In der Zeit der Identitätsphilosophie scheint das vorherrschende eschatologische Modell aufs Neue das der Erhöhung des Endlichen zum Absoluten zu sein und der bevorzugte Weg ist der philosophische, dennoch verflicht sich dieses Modell mit der geschichtlichen Perspektive, noch in der Form der unendlichen Progressivität. Somit bestehen gleichzeitig zwei Modelle der Eschatologie, deren Verschiedenheit erst beim späten Schelling klar hervortritt. In der Abhandlung Ueber das Verhältnis der Naturphilosophie zur Philosophie 6 7 8 9 10

Ebd., S. 294. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 3, S. 588, 590. Ebd., S. 603. Ebd., S. 604. Ebd., S. 589.

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überhaupt (1804) wird auch das Christentum nur als «Weg zur Vollendung»11 gesehen, d.h. in Richtung Erhöhung der Seele zum Absoluten, weil es die Antithese von Gott und Welt setzt; in der Vollendung, auch das Christentum «hebt sich als Entgegengesetztes auf; dann ist der Himmel wahrhaft wieder gewonnen und das absolute Evangelium verkündet».12 In der Übernahme platonischer Motive sieht Schelling in der Philosophie den Weg der Läuterung und der Wiederversöhnung.13 «Der wahre Triumph und die letzte Befreiung der Seele liegt allein im absoluten Idealismus»,14 schließt Schelling. Wie von Balthasar festgestellt hat und dabei insbesondere auf die Vorlesungen von Würzburg Bezug nimmt (Propädeutik und System der gesamten Philosophie, beide von 1804), ist für Schelling die Ewigkeit eher Innerheit als Zukunft.15 So schreibt er im System: «Die Weisheit der Alten hat uns einen bedeutenden Wink hinterlassen, indem sie das goldene Zeitalter hinter uns verlegt, gleichsam um dadurch anzudeuten, dass wir es nicht durch endloses und unruhiges Fortschreiten und Wirken nach aussen, vielmehr durch eine Rückkehr zu dem Punkt, von dem jeder ausgegangen ist, zu der inneren Identität mit dem Absoluten zu suchen haben».16 In dieser Eschatologie scheint die geschichtliche Dimension nicht nur vollkommen außer Acht gelassen, es kommt auch zu einer eschatologischen Negation der persönlichen Identität mit einer Einschränkung der Unsterblichkeit im Hinblick auf die Idee der Seele, die in Gott ist.17 Wie von Balthasar noch deutlich betont, wird dann sein ästhetischer Charakter hervorgehoben. Weiterhin schreibt Schelling im System: «Die absolute Identität des Unendlichen mit dem Endlichen objektiv und gegenbildlich angeschaut, ist Schönheit».18 Wenn in dieser Phase des Schellingschen Gedankens die Eschatologie geschichtlich gedacht wird, so überwiegt eine kreisförmige Konzeption der Geschichte, nach der, wie in Bruno (1802) ausgedrückt wird, alle Dinge von der höchsten Einheit ausgehen und zurückkehren zu ihr.19 Ähnlich herrscht in Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803) der Gedanke einer Abfolge vor, nach der am Ursprung des Menschengeschlechts eine Durchdringung von Staat, Wissenschaft, Religion und Kunst steht und so wird es gleichermaßen bei der letzten Vollendung sein; andererseits wird die Geschichte dennoch weiterhin als ohne Ende gedacht.20 Ein ähnliches Schwanken besteht im Hinblick auf die persönliche Unsterblichkeit. 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 5, S. 120. Ebd. Ebd., S. 123. Ebd., S. 124. Vgl. H.U.v. Balthasar, Apokalypse der deutschen Seele, Bd. 1, Salzburg-Leipzig 1937, S. 232. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 6, S. 563f. Vgl. T. Griffero, Oetinger e Schelling, Segrate 2000, S. 35. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 6, S. 574. Vgl. ebd., S. 258. Vgl. ebd., S. 287 und 293.

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Diese Ambivalenzen sind noch nicht einmal in Philosophie und Religion (1804) gelöst, ein Text, dessen innovativer Charakter nicht geleugnet, aber auch nicht überbewertet werden kann. Auf der einen Seite bleibt eine wesentliche Abwertung der Endlichkeit, weshalb die Erlösung im Sich-frei-machen von der Eigenheit besteht, die als Konsequenz des Sündenfalls betrachtet wird. Die Endlichkeit ist Strafe und ist zur Vernichtung bestimmt.21 Die Erlösung besteht platonisch gesehen im Sich-wieder-Vereinigen mit der Idee, eine These, die später in Ueber das Verhaltnis der bildenden Künste zu der Natur (1807) bekräftigt wird, nach der die Seele im Menschen nicht die Ursache der Individualität ist, sondern das, wodurch er sich über die Egoität erhebt und wodurch er die Fähigkeit des Wissens und der Kunst erlangt; sie hat nichts mit der Materie zu tun, sondern mit dem Geist, mit dem Leben der Dinge.22 Ein bedeutender Unterschied zwischen dieser Perspektive und der des späten Schelling ist, dass hier der Weg durch den Tod im Hinblick auf die Erlösung nicht notwendig ist, während später der Tod als eben die Passage betrachtet wird, die eine wesentliche und entscheidende Veränderung in Richtung Rückkehr zur Einheit mit Gott bestimmt. Dennoch ist auch in Philosophie und Religion die geschichtliche Dimension für Schelling nicht einfach unbedeutend, denn der Sündenfall kann eine positive Bedeutung als Hilfsmittel für die vollendete göttliche Offenbarung haben, die sich im Laufe der Geschichte entfaltet.23

2. Beim mittleren Schelling wird die Eschatologie mehr und mehr ein wichtiges Thema seiner Philosophie, vor allem wird es die Frage nach dem Schicksal des Menschen nach dem Tod. Mehr als die Philosophische Untersuchungen sind diesbezüglich die unmittelbar nach dem Tode von seiner Frau Caroline erfolgten Schriften relevant, und zwar Clara und die Stuttgarter Privatvorlesungen (von 1810, wie vermutlich auch Clara). In Clara zeigt sich die Kraft der eschatologischen Forderung vor allem in der Klarheit, mit der die Lage der Welt als Ergebnis nicht nur eines Sündenfalls betrachtet wird (wie schon in Philosophie und Religion), sondern auch eines Sündenfalls, der nicht hätte geschehen sollen. Die Natur war nämlich dazu bestimmt, sich bis zum Menschen zu erheben, ohne den Bruch des Todes zu passieren: «Dann also wäre nach meiner Meinung kein Tod gewesen. Der Mensch hätte schon hier ein zugleich geistlich und leibliches Leben gelebt: die ganze Natur hätte sich in und mit ihm zum Himmel und zum unvergänglichen

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Vgl. ebd., S. 61f. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 7, S. 312. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 6, S. 63.

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und ewigen Leben erhoben».24 Das Böse besteht in einem regressiven Prozess der menschlichen Natur, die, anstatt sich zu erheben, am Grunde bleibt, d.h. dort, wo eigentlich nur die Bedingung ihrer Aktivität sein sollte. «Woher kommt Krankheit als aus Verdrossenheit zur Entwicklung, daher, dass die einzelne Kraft nicht mit dem Ganzen fort will, nicht dem Ganzen ersterben, sondern eigenwillig für sich seyn?».25 Ursprünglich war das Universum vollendet, nur auf Grund des Sündenfalls hat sich eine Trennung vollzogen: «Werde aber ausserdem angenommen, wofür so viele Gründe vorhanden seyen, dass, erst durch eine später eingetretene Verderbniss ein Theil des Weltalls ganz von der geistigen Natur getrennt worden: so sey nur destoweniger anzunehmen, dass, um diesen Theil nicht ganz versinken zu lassen, und ihn zugleich als Stoff für höhere Zwecke zu benutzen, durch einen neuen Scheidungsprocess dem nun erstorbenen das annoch Lebendige und Geistige entgegengesetzt, und so ein neuer Entwicklungsgang eingeleitet worden sey, durch welchen selbst aus dem verdorbenen Element noch immer himmlische Früchte erzeugt werden. Gerade dadurch also, dass in einem Theil des Universums die Macht des Aeusseren überhand genommen und das Innere ganz zurückgedrängt habe, sey der andere Theil desto freier, reiner und unvermischter zurückgeblieben, so dass erst zwei Welten geworden, da nach der anfänglichen göttlichen Bestimmung nur Eine seyn sollte, und wir jetzt in diese andere und reinere Welt durch den Tod übergehen müssen».26 Die Eschatologie von Clara ist aber nicht nur eine Eschatologie der einzelnen Seelen, auch wenn diese Dimension in ihr überwiegt. Da geistige Welt und sichtbare Welt einander angehören,27 wird die Schöpfung nicht zur Ruhe kommen, solange bis nicht nur der niedrigste zum höchsten erhoben wird, sondern auch umgekehrt.28 Die Eschatologie von Clara hat eigentlich auch eine geschichtliche Dimension, denn das Heil verlangt kein Heraustreten aus der Zeit, um sich mit dem Absoluten zu vereinen und ist eigentlich noch nicht einmal der letzte Moment eines dem Absoluten selbst notwendigen Prozesses. Im Gegenteil, sein Zum-Abschluss-kommen erfordert einen geschichtlichen Prozess und einen Prozess, der seinen Ursprung in einem Geschehen hat, dem Sündenfall, der an sich nicht notwendig ist. Die eschatologische Seligkeit entspricht der völligen Herrschaft der Seele, die als Zwischenelement betrachtet wird, zwischen Körperlichkeit und Geistigkeit, und diese Herrschaft wird stattfinden, wenn Körper und Geist Formen eines einzigen Lebens werden. Gegen den modernen Dualismus behauptet Schelling nicht nur, dass die Körperlichkeit keine Unvollkommenheit ist und dass das Leben des Geistes uns nicht genügt, sondern auch, dass es ein geisti24 25 26 27 28

Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 9, S. 32. Ebd., S. 36. Ebd., S. 98. Vgl. ebd., S. 99. Vgl. ebd., S. 107f.

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ges Wesen unserer Körperlichkeit gibt29 und eine körperliche Dimension des Geistes.30 Schelling beklagt diesbezüglich in den Weltaltern das Fehlen von mittleren Begriffen in der Philosophie seiner Zeit; ein Mangel, der dazu führt, dass, was nicht im höchsten Sinne geistig ist, schlichtweg als körperlich betrachtet wird (und in gleicher Weise werden Freiheit und Notwendigkeit, Intelligenz und Nichtintelligenz gegenübergestellt).31 Die Seele ist demzufolge das vereinende Prinzip von Körper und Geist, für das es keine Körperlichkeit ohne Geist und umgekehrt geben kann. Im Erdendasein ist die Seele körperlich, es überwiegt die Äußerlichkeit, ohne dass im Übrigen die geistige Dimension abwesend sei und in ähnlicher Weise ist nach dem Tod die körperliche Dimension nicht ausgeschlossen, sondern wird geistig.32 Das körperliche Element, ein obskurer Keim, ist das, was die Dimension der Besonderheit der Menschen ausmacht, eine Besonderheit, die sich nie verlieren wird, auch nicht, wenn die Seelen in Gott aufgenommen sein werden.33 Mit dem Tod geschieht «die Befreiung der inneren Lebensgestalt von der äusseren, die sie unterdrückt hält»,34 aber das vollkommene Leben wird jenes sein, in dem das Äußerliche vom Innerlichen durchdrungen ist.35 Der Tod bringt nicht eine Befreiung der Seele vom Körper mit sich, sondern erzeugt eher eine Verwandlung des Menschen im Sinne einer Vergeistigung des Lebens. Der Tod ist also ein Prozess der Verwesentlichung, reductio ad essentiam. Clara unterscheidet «einen feineren Leib, der in dem gröberen enthalten sey und sich im Tode von ihn trenne».36 Die These vom Tod als reductio ad essentiam bezieht sich, wie bekannt, auf die Theorie von Oetinger. Insbesondere in Clara finden wir einen Hinweis auf das Phänomen der Löslichkeit der Säuren: «Werden nicht mit Recht [...] jene auflösenden Wasser Geister genannt, und ist dieses Verschwinden der allerdichtesten und härtesten Körper nicht eine wichtige Auflösung des Körperlichen ins Geistige, also ein Tod zu nennen?».37 Außerdem stoßen wir auf die These, nach der alles Körperliche einen Impuls sich zu vergeistigen in sich trägt, wie z.B. der Duft der Blumen beweist38. In den Stuttgarter Privatvorlesungen finden wir den Oetingerschen Gedanken der Essentification: «Der Prozess, der im Tode vorgeht, ist wie wenn in der Natur aus einer Pflanze ihre Essenz gezogen wird, wie z.B. der Mellissen Geist aus der Melisse. Tod ist daher nicht Trennung sondern Essentification der Prinzi-

29 30 31 32 33 34 35 36 37 38

Vgl. ebd., S. 69. Vgl. ebd., S. 94. Vgl. F.W.J. Schelling, Die Weltalter: Fragmente, hrsg. v. M. Schröter, München 1946, S. 151. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 9, S. 51ff. Ebd., S. 68ff. Ebd., S. 55. Vgl. ebd., S. 58f. Vgl. ebd., S. 54. Ebd., S. 56. Ebd.

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pien».39 Weitere wichtige Hinweise, um die vom Tod ausgelöste Verwandlung zu erklären, sind die vom Hypnosezustand40, des Hellsehens41 und des Übergangsmoments vom Wachzustand in den Schlaf42. Die Lehre der Essentification bleibt eine These, die in der Philosophie der Offenbarung fast wörtlich wieder aufgegriffen wird.43 Besser als in Clara integrieren die Stuttgarter Privatvorlesungen persönliche Eschatologie und universale Eschatologie. Auch hier finden wir die These, nach der der Tod nicht eine Trennung vom physischen Leben generell mit sich bringt, sondern nur von diesem physischen Leben.44 Nach dem Tod geht der Mensch in sein wahres Wesen ein, «was auch hier schon Er selber war, und nur das bleibt zurück, was nicht Er selber war».45 In ihm gibt es keine Spaltungen mehr: entweder er ist völlig gut oder er ist völlig schlecht,46 eine These, die in der Philosophie der Offenbarung wieder aufgegriffen wird: «Kein Mensch erscheint in seinem Leben, ganz als der er Ist. Nach dem Tode ist er bloss noch Er selbst. Darin liegt das Erfreuliche des Todes für den einen, das Erschreckliche für den andern».47 Aber schon in den Stuttgarter Privatvorlesungen geht es um die Trennung von Guten und Schlechten, die überwunden werden soll: «Die Sünde ist nicht ewig, also auch ihre Folge nicht. Diese letzte Periode in der letzten ist die der ganz vollkommenen Verwirklichung - also der völligen Menschwerdung Gottes, wo das Unendliche ganz endlich geworden ohne Nachteil seiner Unendlichkeit. Dann ist Gott wirklich Alles in Allem, der Pantheismus wahr».48 Die Thesen zur persönlichen Eschatologie, wie sie in Clara und in den Stuttgarter Privatvorlesungen verfasst sind, werden in der Philosophie der Offenbarung, durch neue Argumentationen bereichert, wieder aufgegriffen. Zum Beispiel wird die These des Überlebens des ganzen Menschen und nicht nur einer seiner Teile durch das Bedürfnis gerechtfertigt, das Fortdauern der Identität des Bewusstseins zu gewährleisten.49 So wird auch die Idee weiter entwickelt, wie es sie schon in den Stuttgarter Privatvorlesungen50 gab, nach der das Leben des Menschen nach der Sünde in drei Phasen zerlegt wird.51 Die erste ist die des gegenwärtigen Lebens, ein einseitig natürliches Leben; die zweite ist die des Lebens nach dem Tod, ein Leben der Unbeweglichkeit, in 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

F.W.J. Schelling, Stuttgarter Privatvorlesungen, hrsg. v. M. Vetö, Torino 1973, S. 196. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 9, S. 66. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 7, S. 477. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 9, S. 64. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 207. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 7, S. 475. Ebd. Ebd., S. 477. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 207. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 7, S. 484. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 206. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 7, S. 482. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 211ff.

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der der Mensch an sich selbst gebunden ist, ein einseitig geistiges Leben; und schließlich die Phase der Auferstehung, in der der Mensch die freie Bewegung wiedererlangt und ein geistig-natürliches Leben hat, in dem das natürliche ins geistige erhoben ist. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen führt der Mensch gewiss auch ein geistiges Leben, das jedoch völlig vom natürlichen Leben abhängig ist, das das Gegenteil dessen ist, was es sein sollte: das geistige Leben sollte offenkundig sein, während das natürliche Leben verborgen sein sollte. Nun sind die beiden Mächte des Natürlichen und des Geistigen aufeinanderfolgend geworden und nicht einheitlich verbunden: deshalb lebt der Mensch nach dem Tod in einem einseitig geistigen Zustand. Es ist interessant, wie Schelling hervorhebt, dass der Tod nicht im Widerspruch steht zur Unsterblichkeit, sondern ein notwendiger Zustand ist: «der Mensch muss dem natürlichen Leben nach sterben», damit das geistige Leben zum Vorschein kommen kann.52 Der Unterschied zwischen der zweiten und der dritten Phase liegt in der Tatsache, dass in jenem das besondere Leben versagt, während es in diesem restauriert und mit dem universalen vereint wird.53 Um die Analyse des eschatologischen Themas beim mittleren Schelling abzuschließen, muss noch gesagt werden, dass auch in ihr, wie in der vorherigen Periode, die geschichtlich-universale Dimension der Eschatologie nicht fehlt, im besonderen in den Stuttgarter Privatvorlesungen und, noch früher, in den Philosophischen Untersuchungen; im Gegenteil, man spürt eine größere Bedeutung der Geschichte gegenüber der Natur,54 doch andererseits bleibt der Eindruck des vorhergehenden Ansatzes, wenn es stimmt, dass es sich um eine Eschatologie handelt, die der Protologie nichts hinzuzufügen scheint, d.h. sie besteht darin, die göttliche Ordnung wiederherzustellen, indem sie den Grund in den Hintergrund rückt.55

3. Das Thema der geschichtlichen Eschatologie bereitete sich jedenfalls im Gedanken des Schelling jener Jahre vor und hätte sich voll entfaltet, wäre der große Entwurf der Weltalter nicht schon mit dem ersten Buch zum Stillstand gekommen. Der Leitfaden dieses Entwurfs ist in den Schriften der darauffolgenden Jahre wiederzuerkennen, vor der Philosophie der Offenbarung, ohne dass es im Übrigen zu einer angemessenen Vertiefung gekommen wäre. Insbesondere in der Nachschrift Enderlein bezüglich der Erlanger Vorlesungen

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Ebd., S. 213. Vgl. ebd., S. 214f. These von X. Tilliette, Schelling. Biographie, aus d. Franz. v. S. Schaper, Stuttgart 2004, S. 181. Vgl. T. Griffero, Oetinger e Schelling (Anm. 17), S. 50.

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(1820/21),56 in der Nachschrift Lasaulx, System der Weltalter. Münchener Vorlesungen (1827/28)57 und in der Nachschrift Helmes, Grundlegung der positiven Philosophie (1832/33) begegnen wir der Idee der drei Äonen der Geschichte, von denen der erste und der dritte nicht wirklich geschichtliche Zeitalter sind, sondern eher vorweltliche und nachweltliche.58 Die andere bedeutende Idee, die wir in diesen Schriften finden, die die positive Philosophie einleiten (und die durch sie vollkommen bestätigt wird), ist, dass die weltliche Zeit, nur für sich genommen, keine wirkliche Zeit ist, da sie in sich weder Vergangenheit noch Zukunft hat.59 Zwischen Weltalter und Philosophie der Offenbarung tritt dann, wie Kasper60 richtigerweise unterstreicht, eine bedeutsame Wandlung in der Auffassung der Zeitlichkeit ein, und zwar wird der weltlichen Zeitlichkeit nicht einfach eine ewige Vergangenheit vorausgehen, denn die Ewigkeit selbst wird der Zeitlichkeit unterliegen. Genauer gesagt: in Gott gibt es eine absolute Ewigkeit, die von der Ewigkeit, die der Welt vorausgeht und die, die nach ihr kommt, unterschieden werden muss. Die erste, jene absolute, wird als überzeitlich definiert,61 die zweite hingegen ist schlichtweg vor und nach der Zeit. Die absolute Ewigkeit «kann nie ein Glied der Zeit werden, weil sie durch die Zeit gar nicht berührt wird, sondern von der Zeit unangerührt durch die Zeit selbst hindurch unbeweglich bleibt und besteht».62 Aber Gott ist nicht nur diese Ewigkeit, Gott ist Freiheit, Bewegung und Leben und eben deshalb auch Zeitlichkeit. Schelling denkt eher an eine ursprüngliche Artikulation Gottes, nach der ihm, als rein ewig Existierendes verstanden, sich seitens der Ewigkeit die Möglichkeit der Schöpfung oder die Schöpfung als möglich erweist (die sich, als reine Möglichkeit, mit der biblischen Figur der Weisheit identifiziert) – eine nicht bloß nebensächliche, sondern grundsätzliche Möglichkeit des Wesens Gottes. Der Schöpfungsakt setzt demnach nicht nur die absolute und reine Ewigkeit voraus, sondern auch jene andere Ewigkeit, «die vorweltliche Ewigkeit [...] in welcher [...] die Welt nur noch als Zukunft in der göttlichen Imagination oder im göttlichen Verstande enthalten ist».63 Es ist diese zweite Ewigkeit, die erlaubt, das göttliche Leben als Entwicklung verschiedener Figuren und als Ausübung der Freiheit zu denken. Die Idee einer ursprünglichen innergöttlichen Andersheit enthüllt hier 56 57 58 59

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Vgl. F.W.J. Schelling, Initia philosophiae universae. Erlanger Vorlesungen WS 1820/21, hrsg. v. H. Fuhrmans, Bonn 1969, S. 170ff. Vgl. F.W.J. Schelling, System der Weltalter. Münchener Vorlesungen 1827/28 in einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx, hrsg. v. S. Peetz, Frankfurt a.M. 1990, S. 210. Vgl. F.W.J. Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie (Nachschrift J.G.C. Helmes), hrsg. v. H. Fuhrmans, Torino 1972, S. 487. Vgl. F.W.J. Schelling, Einleitung in die Philosophie (Nachschrift H. Beckers), hrsg. v. W.E. Ehrhardt, Stuttgart 1989, S. 137 und Ders., Grundlegung der positiven Philosophie, hrsg. v. H. Fuhrmans, Torino 1972, S. 89ff. Vgl. W. Kasper, Das Absolute in der Geschichte, Mainz 1965, S. 261. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 108. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 13, S. 308. Ebd., S. 308f. und vgl. auch F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 108.

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ihre Fruchtbarkeit auch in Bezug auf die Frage der Zeit. Die Zeit ist möglich, weil Gott nicht nur reine Einheit und reine Ewigkeit ist, sondern er besteht aus einer reinen Einheit und einer reinen Ewigkeit, die in Beziehung stehen mit der Gesamtheit des Möglichen, d.h. mit der Potenz der Welt. Diese innergöttliche Andersheit erlaubt es uns, eine wahre weltliche Zeitlichkeit zu denken, d.h. dass sie aus wahrer Vergangenheit besteht, genauer gesagt aus Zeit, die qualitativ anders ist, aber ebenfalls Zeit und nicht absolute Ewigkeit; in gleicher Weise aus wahrer Zukunft, die sich ebenfalls nicht mit reiner und absoluter Ewigkeit identifiziert. Freiheit Gottes, echte Zeitlichkeit und Eschatologie im eigentlichen Sinne (eben als Perspektive einer echten Zukunft) stehen folglich in enger Beziehung.

4. Die These, nach der die weltliche Zeit leere Zeit ist, wenn sie als für sich selbst stehend betrachtet wird, ohne auf die qualitativ anderen Zeiten Bezug zu nehmen (die protologische und die eschatologische Zeit), d.h. wenn sie sich ohne wahre Vergangenheit und ohne wahre Zukunft auf stetiges, unnützes Wiederholen beschränkt, diese These in der Philosophie der Offenbarung ist die Voraussetzung für die neue Schellingsche Interpretation der Zeitlichkeit, wobei die eschatologische, ebenso wie die protologische Dimension, wesentlich ist; sie ist für Schelling aber auch Bedingung für den Sinn des philosophischen Unterfangens selbst. Der Mensch als Krönung der Natur repräsentiert deren Sinn und Zweck, aber er selbst erscheint in jener leeren und eintönigen Zeitlosigkeit ohne Zweck und zieht in diese Sinnlosigkeit nicht nur die Geschichte, sondern auch die Natur mit hinein. Genau diese vanitas vanitatum, die die Geschichte zu beherrschen scheint, lässt die grundlegende metaphysische Frage aufkommen, deren Antwort für Schelling eben die Offenbarungsphilosophie sein wird, zum Beweis, dass die Geschichte nicht zwecklos ist und wie sie zu einer Vollendung tendiert. Auf diese Weise haben wir einen engen Zusammenhang zwischen Eschatologie als Bedingung und als Thema der Philosophie. In der Tat handelt es sich um eine Philosophie, die der eschatologischen Frage entspringt und die in der christlichen Eschatologie den Lösungsschlüssel des Problems findet, in dem sie ihren Ursprung hat. Werner Kasper zufolge trägt eine Philosophie, die zur Reflexion über die Eschatologie wird, weil sie selbst einer eschatologischen Eingebung und Grundlage entspringt, einen Befreiungswillen in sich, da sie zur Vollständigkeit tendiert.64 Da sie in Zusammenhang mit dem Sündenfall steht, besser noch, da sie der Erfahrung der abgefallenen Welt entspringt, kann die Schellingsche Eschatologie eines der Probleme nicht umgehen, das wir als ausschlaggebend für die Eschatologie angegeben haben (oder zumindest für jene Eschatologie, die 64

Vgl. W. Kasper, Das Absolute in der Geschichte (Anm. 60), S. 315.

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nicht nur eine Theorie der fortschreitenden Entwicklung der Geschichte sein möchte), d.h. das Problem, ob der eschatologische Zustand der protologischen übergeordnet betrachtet werden müsse. Während im frühen Schelling der zukünftige Zustand dem ursprünglichen überlegen gedacht war, überwog nachfolgend die Auffassung, nach der Gleichheit zwischen Beginn und Ende besteht – eine Auffassung, die auch während der Periode der Identitätsphilosophie nicht verschwindet, selbst wenn mit Philosophie und Religion die Bedingungen für ihr Schwinden geschaffen werden. In den Erlanger Vorträgen ist die Überlegenheit des dritten Äons dann schon deutlich und, wie aus der Philosophie der Offenbarung hervorgehen wird, bringt dies eine Erwägung des Sündenfalles als felix culpa mit sich und vielleicht auch noch mehr. Kasper ist sehr entschieden in seiner Behauptung, dass Schelling in seiner letzten Philosophie die Notwendigkeit des Bösen nicht mehr bestätigt65 und er hat größtenteils Recht; dennoch bleibt die Notwendigkeit wie ein Schatten, denn am Grunde seines Systems bleibt die Überzeugung, dass sich alle Möglichkeiten verwirklichen müssen. Diesbezüglich und in Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen Protologie und Eschatologie weist die Philosophie der Offenbarung darauf hin: «Der Mensch im Paradies war unstreitig in der Wahrheit, aber diese Wahrheit war eine nicht selbst erworbene, also auch eine nicht geprüfte, und in Versuchung bestandene Wahrheit. Darum musste die Versuchung kommen, und der Mensch konnte derselben erliegen, und auf diese Art aus der Wahrheit fallen, nicht um sie auf ewig zu verlieren, sondern um sie einst nach vollendetem Irrweg als bestätigte, durch Erfahrung befestigte und nun nicht wieder verlierbare wieder zu gewinnen. Auf diese Art ist also der Irrthum in der That Voraussetzung der Wahrheit – zwar nicht der Wahrheit an sich oder der absoluten Wahrheit, aber doch der als solcher erkannt, als solcher befestigten Wahrheit».66 Diese Stelle hat eine bewundernswerte Ausgewogenheit, da sie der Versuchung die Notwendigkeit zuweist, dem Sündenfall jedoch nur eine Möglichkeit. Nichtsdestoweniger ist der Sündenfall die eigentliche Bedingung der erkannten Wahrheit, der als solches gesetzten Wahrheit, was den eschatologischen Zustand dem protologischen gegenüber höher stellt. Er ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis höher gestellt, sondern auch unter ontologischem Gesichtspunkt; eine Höherstellung, die Schelling mit den Worten ausdrückt, dass am Ende der Sohn in die Unterordnung dem Vater gegenüber zurückkehren wird, in der er sich vor dem Sündenfall befand, aber er wird sich ihm als autonome Person unterordnen: dann wird es tatsächlich nicht nur drei Persönlichkeiten geben, sondern drei Personen.67

65 66 67

Ebd., S. 308f. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 13, S. 183. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 65.

SCHELLING UND DIE ESCHATOLOGIE

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Tatsächlich ist in der Christologie Schellings die zweite Person aufgrund der Sünde des Menschen autonom geworden,68 aber durch die Menschwerdung verzichtet er, wie Paulus schreibt, auf seine göttliche Form, d.h. er verzichtet auf das Göttliche, das außerhalb von Gott gesetzt ist. Als autonome göttliche Form ist der Sohn der Anfang des Heidentums, das ans Ende seiner Entwicklung gelangt, eben weil der Sohn auf diese Form verzichtet. Dennoch verliert Christus durch die Menschwerdung nicht seine Außergöttlichkeit, er verzichtet nur darauf, diese Außergöttlichkeit als göttlich zu setzen, d.h. er verzichtet darauf, jene göttliche Form zu seinem Vorteil zu nutzen. Deshalb liegt bei Schelling die Menschwerdung weniger in einem Sich-binden Gottes an den Menschen, als eher im Verzicht des Sohnes auf die göttliche Form außerhalb Gottes, ein Verzicht, der im Übrigen seine wahre Göttlichkeit erkennen lässt, eine Göttlichkeit des Sohnes, der sich dem Vater unterordnet.69 Christus ist wohl weiterhin außerhalb von Gott, aber er passt sich dem Willen Gottes an.70 Ist der Sohn dann verherrlicht, kommt der Geist und leitet die Religion des Geistes ein und der Freiheit.71 In der Endzeit wird der Sohn dem Vater untergeben sein und der Vater wird dem Sohn jenes außergöttliche Wesen unterworfen haben, das er ihm übergeben hat (und zwar die Natur, die, Gott entfremdet, von einem allgemeinen Egoismus gekennzeichnet war, in der alles und jedes in sich selbst und von seinem Ziel entfernt war)72; dann wird Gott alles und in allem sein.73 In der jetzigen Zeit ist die Herrschaft des Christus schon gesetzt, wird jedoch in seiner Universalität erst am Ende zum Ausdruck kommen. Diese Zeit, die Zeit der Kirche – die Schelling in Petrus-, Paulusund Johanneskirche gliedert – ist schon, wie Kasper deutlich betont hat, Endzeit, die nur der äußeren Verwirklichung bedarf. Nicht nur die Zeit der Kirche des Johannes hat sich schon in Bewegung gesetzt, sondern allgemeiner sollte die Zeit der Kirche schon als eschatologische Zeit betrachtet werden.74 Das ist ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion über die Eschatologie. Auch hier ist Kasper derjenige, der der Frage mehr als jeder andere auf den Grund gegangen ist. Nach Kasper hätte sich die christliche Theologie dahingehend entschieden, die Zeit des Christus und der Kirche als Mittelpunkt der Zeit zu betrachten und nicht als Endzeit. Deshalb hätte sich die Erwartung auf eine neue Zeit gerichtet, die Zeit des Geistes. Das war insbesondere der Gedanke von Gioacchino da Fiore, dessen Auffassung sich dann im modernen Zeitalter in säkularisierter Form darbieten würde. Das Verdienst Schellings wäre, die säkularisierte Apokalyptik zur ursprünglichen christlichen Version zurückgebracht zu haben. Wenn er sich jenen Anschauungen der Geschichte 68 69 70 71 72 73 74

Vgl. ebd., S. 80. Vgl. die 30. Vorlesung der Philosophie der Offenbarung. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 224. Vgl. ebd., S. 237. Vgl. W. Kasper, Das Absolute in der Geschichte (Anm. 60), S. 312f. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke (Anm. 3), Bd. 14, S. 333. Vgl. W. Kasper, Das Absolute in der Geschichte (Anm. 60), S. 412ff.

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widersetzt, die die Zeit der Kirche nicht schon als Endzeit anerkennen, so widersetzt sich Schelling – wie Kasper nochmals betont – aber auch jener Leugnung der Zukunft, die gleichermaßen, wenn auch in verschiedener Weise, die Philosophie von Hegel und von Kierkegaard kennzeichnet. Interessant ist, dass auch Kasper, wie schon Pareyson, die Abhängigkeit Kierkegaards von Hegel unterstreicht: Kierkegaard wäre von Hegel abhängig in dem Sinne, dass in ihm die Dialektik des Absoluten zur Dialektik der Existenz würde: «Was Hegel von Gott, kann Kierkegaard vom Menschen sagen. Beides Mal bewegt sich das Denken dialektisch im Kreis, es gibt keine Zukunft, keine wahre Hoffnung».75 An einer anderen Stelle spricht Kasper auch von einem Platonismus Kierkegaards, stellt ihn neben Baader, Schleiermacher und den frühen Schelling: anstelle von Zukunftsoffenheit und Hoffnung tritt bei Kierkegaard die Gleichzeitigkeit.76 Koslowski77 beharrt auf einer ziemlich starken Abhängigkeit Kierkegaards von Baader und einer daraus folgenden Distanz zu Schelling im Hinblick auf die These der Gleichzeitigkeit des Christus. Bei Schelling herrscht die Geschichtlichkeit vor und deshalb – so können wir hinzufügen – rückt das eschatologische Geschehen in den Mittelpunkt. Vielleicht gelingt es nur Schelling, sich den eschatologischen Geist der Moderne anzueignen, indem er ihn desäkularisiert, seine ursprünglich offenbarungsgeschichtliche Dimension wieder aufgreift und ihn ins philosophische System integriert. Im Übrigen ist dies der gewagte Versuch, den der späte Schelling unternimmt, nicht nur hinsichtlich der Eschatologie, sondern der ganzen christlichen Offenbarung gegenüber. Letztendlich ist es ein Versuch der Vermittlung zwischen einem rationalistischen, modern-immanentistischen Wahrheitsverständnis einerseits, und der christlichen Forderung der Wahrheitstranszendenz und unerschütterlichen Geschichtlichkeit seiner Offenbarung andererseits. Ob der Versuch gelungen ist oder nicht, und nicht zuletzt ob und in welchem Sinn neben Schelling auch Franz von Baader einzubeziehen ist, steht noch zur Diskussion.

75 76 77

Vgl. ebd., S. 22. Vgl. ebd., S. 263. Vgl. P. Koslowski, Philosophien der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn 2001, S. 755, 758, 763f.

HANJO SAUER

Vermittlung bei Franz von Baader

1. Einführung „Vermittlung“ ist ein zentraler philosophischer und theologischer Begriff. Das lateinische Äquivalent „meditatio“ zielt auf die Bedeutung ab, ein Mittelstück zwischen unvermittelte Dinge einzuschieben. Verdeutlicht am Beispiel der mystischen Erfahrung bedeutet diese „meditatio“, die Trennung (und gleichzeitig die Verbindung) von Gott und der menschlichen Seele durch den Körper zu gewährleisten. In diesem Beispiel kommt dem Körper eine vermittelnde Funktion zu. Sehen wir uns zum Einstieg in den Gedankengang, was „Vermittlung“ bedeutet, ein Beispiel aus der bildenden Kunst an, nämlich die sogenannte Madrider Kreuzabnahme Rogiers van der Weyden, entstanden zwischen 1430-1435. Dargestellt ist auf der über zwei Meter hohen Bildtafel, die für einen Altar gedacht ist, eine Gruppe von trauernden Menschen. Josef von Arimathäa hält den Leichnam Jesu in den Armen, links eine Bildgruppe um Maria, der Mutter Jesu. Maria Kleopas trocknet ihre Tränen mit einem Schleier. Johannes und Maria Salome stehen der zu Boden Gesunkenen bei. Ganz rechts reagiert Maria Magdalena mit ungezügelter Verzweiflung. Marias Trauern unter dem Kreuz wird im Spätmittelalter als compassio aus Liebe gedeutet, die die passio Christi fortsetzt und Teilnahme am Opfer der göttlichen Selbsthingabe und so Annäherung an Gott selbst ermöglicht. Das Kunstwerk steht von der medialen Vermittlung her gesehen in einer komplexen Spannung, nämlich der zwischen dem äußeren Bild, das es darstellt einerseits, und dem inneren Bild, das es erzeugt, andererseits. Um diese Spannung zu verstehen, bedarf es eines Blicks auf die mittelalterliche Wahrnehmungstheorie: Die Vergegenwärtigung des heilsgeschichtlichen Ereignisses verstand man als imaginatio, als Leistung der Vorstellungskraft. Nimmt der/die Meditierende ein äußeres Bild wahr, bildet sich seine/ihre imaginatio. Die inneren Bilder werden geschätzt, die Einstellung zur äußeren Bildhaftigkeit ist ambivalent, denn äußere Bilder können täuschen. Wie bewältigt Rogier van der Weyden das Problem? Er betont die Medialität des Bildes, indem von ihm zwei Wirk-

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lichkeitsebenen eingezogen werden: einerseits der Realismus der Heiligen, die wahrnehmbar in der Welt anwesend sind, andererseits wird die „Illusion“ der Anschaulichkeit bewusst als Bild reflektiert und in einen Rahmen gesetzt: Die vergoldete Rückwand, das Halbtonnengewölbe und das Maßwerk in den Ecken – so dezent angedeutet, dass es erst auf den zweiten Blick sichtbar wird – charakterisieren das Gehäuse eines Altarschreins. In heutiger Sprache würden wir von einer souveränen Medienkompetenz sprechen, deren sich der Meister bedient.

2. Vermittlung bei Franz von Baader Baader gilt gemeinhin als Religionsphilosoph. Er entdeckte Meister Eckhart und Jacob Böhme, setzte sich mit Kant auseinander und wirkte auf Hegel und die philosophische Romantik. Gott, das «Axiom aller Axiome», zeige sich im Gewissen, der Glaube sei ein fundamentaler Zugang zur Realität überhaupt. Baader hatte Verbindung zum französischen Sprachraum (Saint-Martin, de Lamennais), war ein Vorläufer des Sozialkatholizismus und suchte einen Mittelweg zwischen Restauration und Revolution. Am 7. November 1798 schrieb Friedrich von Hardenberg in einem Brief an Schlegel über Franz von Baader die Verszeilen: «Seine Zauber binden wieder, was des Blödsinns Schwert geteilt».1 Mit diesen Verszeilen fasst Novalis in einen Gedanken, was die Faszination des Denkens, nämlich seinen „Zauber“, ausmacht: entgegen allem gewaltsamen Umgang mit der Wirklichkeit, der sich zugleich als „Blödsinn“ und Unvernunft entlarvt, Beziehungen zu knüpfen und Verbindungen herzustellen. Die Welt erscheint in diesem Horizont als ein Kosmos an reichem Beziehungsgeflecht, das sich nur dem kundigen Betrachter erschließt. Kundig ist, wer den rechten Sinn dafür schärft. Baader kann in diesem Zusammenhang auch von einem «inneren Sinn» sprechen. Denn in der Vermittlung von Innen und Außen kommt diesem «inneren Sinn»2 eine Schlüsselfunktion zu. In seinem Aufsatz Ueber den inneren Sinn im Gegensatze zu den äusseren Sinnen von 1822 schreibt Baader: «Kurz: es gibt ein inneres Schauen, welches nicht durch die äusseren Sinne vermittelt ist, und ein diesem inneren Schauen entsprechendes inneres Thun (Wirken ad extra), welches ebensowenig durch das äußere Tun vermittelt ist. Beides unterliegt der psychischen Beobachtung und dem Experiment [...]»3 Und weiter: «Die Basis, das Wesen oder Material (Werkzeug) der äusseren Sinne ist jenes 1 2 3

Zit. nach D. Baumgardt, Franz von Baader und die philosophische Romantik, Halle (Saale) 1927, S. 208. Vgl. F.v. Baader, „Ueber den inneren Sinn“, in: Ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. F. Hoffmann et al., 16 Bde., Leipzig 1851-1860, Bd. 4, S. 93ff. Vgl. F.v. Baader, „Ueber den inneren Sinn“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 4, S. 98 (im Original hervorgehoben). Im Folgenden werden die Hervorhebungen im Text, die möglicherweise auf den Herausgeber des Gesamtwerkes, Franz Hoffmann, zurückgehen, nicht mehr eigens deutlich gemacht.

VERMITTLUNG BEI FRANZ VON BAADER

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vergängliche Wesen dieser (äusseren) Welt (wie die Schrift es nennt), nicht aber die Basis des inneren Sinnes und Wirkens, und dieses letztere Wesen könnte sich inner dem ersteren wenigstens nicht bleibend entwickeln, ohne das vergängliche Wesen aufzuheben oder selbst vergehen zu machen, somit die äussere Sinnlichkeit bleibend in ihren künftigen Zustand der Unwesentlichkeit (Figürlichkeit) zu versetzen; denn nicht die Figur, sondern das Wesen dieser Welt vergeht, wie nicht die Figur, sondern das Wesen jener Welt in dieser entsteht und nach ihr bestehen wird».4

Die Gegenüberstellung von «außen» und «innen» dient Baader dazu, an ihr das Gegenüber von Materie und Geist, von Vergänglichem und Bleibendem zu demonstrieren. Der «innere Sinn» oder das «innere Schauen» partizipiert an der Fähigkeit des Geistes, den Dingen auf den Grund zu gehen, nämlich von ihrer Begründung zu wissen. Es überrascht, dass für Baader – entgegen dem üblichen Sprachgebrauch – das «Wesen» einer Sache nicht sein innerer geistiger und bleibender Gehalt ist, sondern zum äußeren Erscheinungsbild gehört. Baader stellt daher dem «Wesen» einer Sache seine «Figur» entgegen. In ihr sind das Bleibende und der innere Grund eines Dinges festgehalten. Denn was sich uns in dieser Welt als «Figur» darstellt, «wird in jener uns als Substanz sich bewähren; so wie umgekehrt, was in dieser Welt uns als Substanz sich zeigte, sich in jener als Figur zeigen wird, denn wenn schon, wie der Apostel sagt, das Wesen dieser Welt vergeht, so bleibt doch ihre Figur».5

Die Begriffe «Wesen» und «Figur» stehen also funktional zueinander im Verhältnis von Variabler und Invariabler. Figürlichkeit heißt: noch nicht zum eigenen Wesen gekommen zu sein, dennoch aber im Besitz eines Habitus, einer – wie Baader sie nennt – «idea formatrix» zu sein, die die Bewegung zum eigenen Wesen, zur «Substanz» vorzeichnet. Die Verknüpfung des Einzelnen mit dem Allgemeinen geschieht nicht in Beliebigkeit, sondern entsprechend der strengen Ordnung eines Systems, das im Einzelnen das Ganze wiederfindet. Das Denken geschieht als Kraft der Vermittlung. Es vermag selbst in Fragmentarität und Brüchigkeit noch die unerschöpfliche Fülle zu entdecken. Baaders Denken hat soteriologische Funktion. Entsprechend seinem Verständnis subsumiert er die Theologie unter den umfassenden Oberbegriff der Philosophie. Seinen Zeitgenossen erscheint er als eigenwilliger Einzelgänger; vielen gilt er als der „Philosoph par excellence“. Nach ihrem Urteil war er ein glänzender Gesprächspartner, sprühend von Ideen und Einfällen, voll von Phantasie und Intuition, fähig zu erstaunlicher Abstraktion und Formalisierung, neben bildhaft-farbigem Ausdrucksvermögen und beachtlichen Sprach4 5

Vgl. F.v. Baader, „Ueber den inneren Sinn“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 4, S. 101. F.v. Baader, „Vom Segen und Fluch der Creatur. Drei Sendschreiben an Herrn Professor Görres“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 7, S. 131 Anm.

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kenntnissen. Diesem Eindruck gegenüber fallen seine schriftstellerischen Fähigkeiten ab: Der Gedankengang ist oft sprunghaft und ungenau. Nach einer strengen Gliederung sucht man vergebens. Dem sprühenden Geist fehlt die Geduld und Beharrlichkeit, sich den mühsamen Regeln der Syntax zu beugen. Dennoch steckt hinter Baaders Denken die Kraft eines genialen Entwurfs. Sein Denken ist gekennzeichnet von Phantasie und Intuition. Für die philosophische Romantik ist Baader ein paradigmatischer Denker. Er protestiert gegen die einseitige Konstitution des Subjekts vom Begriff des „Geistes“ her, den er als Gegenbegriff zu „Natur“ versteht. Die Seele ist für ihn der Ort, an dem sich Intuition und analytische Vernunft, Gefühl und Vorstellungsvermögen, Spontaneität und distanzierte Vernunft unmittelbar und ursprünglich treffen. Aufgrund dieser Einsicht ist für Baader Vernunft neu zu konzipieren.

3. Der neue Vernunftbegriff Es wäre eine grobe Verzeichnung, die geistesgeschichtlichen Epochen von Aufklärung und Romantik mit den Adjektiven „rational“ und „irrational“ zu assoziieren. Der aufklärerische Rationalismus schlug keineswegs in einen Irrationalismus um. Vielmehr wurde ihm ein neuer Vernunftbegriff entgegengesetzt, der in einem unerhörten Maße bisher als schlechthin irrational und begrifflich unfassbar geltende Phänomene zu integrieren suchte. Mit dem Interesse für die dunklen, unauslotbar scheinenden Phänomene des Geistes, die am Rand des wachen Bewusstseins auftauchen, kommt auch eine neue Reflexion des Religiösen in Gang. Charakterisiert ist dieser Vernunftbegriff durch das freie Spiel der Gedanken, das im Namen genialer und unmittelbarer Intuition gegen die pedantischschulmeisterliche Konstruktionsmanier Protest erhebt und gleichzeitig mit einem ungeheuren Reichtum an Erfahrungsdimensionen rechnet. Baader schreibt: «Wir haben die Gedankenfreiheit verloren, doch bleibt die Hoffnung, sie wieder zu gewinnen. Die Erreichung der freien Gemeinschaft und freien Bewegung unseres Gedankens mit und in dem Centralgedanken in Gott ist die höchste Aufgabe des Lebens, der Religion und der Philosophie [...]».6

Dieses Neuheitserlebnisses bemächtigt sich der Romantiker wie in einem Rausch. Die Entdeckungen, Erfindungen und Errungenschaften der Neuzeit finden ihre Resonanz nun auch in den Tiefendimensionen des Individuums. Zum Leitbild der Romantik wird der Begriff der „Seele“. Gemeint ist jener Ort, an dem sich Intuition und analytische Vernunft, Gefühl und Vorstellungsvermögen, Spontaneität und distanzierte Reflexion unmittelbar und ursprüng6

F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 8, S. 105 (Zus. zum ersten Heft: „Zur Lehre vom Bilde“).

VERMITTLUNG BEI FRANZ VON BAADER

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lich treffen. Damit übernimmt der Begriff der Seele für das romantische Denken eine Vermittlungs- und Integrationsfunktion, dessen Symbolkraft bis in die Gegenwart hinein nachwirkt. Noch ist die folgenschwere Trennung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften nicht vollständig vollzogen. Die Bewegung in die Äußerlichkeit, also jene von innen nach außen, Symbol des Differenzierungsprozesses, der sich für die Analyse des Details interessiert, ist ausbalanciert durch den vermittelnden Integrationsprozess der Rückkehr ins Innere, zurück ins Zentrum. Wie sich Baader die Vermittlung von Figur und Wesen, von Natur und Geist, von Äußerem und Innerem vorstellt, lässt sich anhand eines erkenntnistheoretischen Schemas ins Bild fassen. «Es sei z.B. a der Träger, welcher das Bild von b produciren soll in folgende Figur: a----b Der erste Moment ist der der Einstrahlung von b in a und dadurch der Erregung von a zur Rückstrahlung. Dies ist der Moment der Lust. Durch diese Imagination bekommt a die Kraft, einen Willen zu zeugen nach b, indem die Imagination von b in a eine Schwängerung von a war oder eine Samenerzeugung; diesen erzeugten Samen wirft a in b zurück, und nun ist der Wille von a in b. In b und nach b wird der Wille von a gebildet. Wenn nun das Bild in b vollendet ist, so strahlt es zurück in a und gestaltet den Leib des Bildes, und nun ist das Bild vollendet. Es sind also drei Momente bei der Gestaltung des Bildes, der erste ist die Imagination (Geistbild), der zweite die Willensgestaltung (wesenhaftes Bild) und der dritte die leibhafte Gestaltung (leibliches Bild)».7

Wie im Bild die lebendige Vermittlung von Denken und Schauen, Geist und Natur geschieht, so leistet der Begriff die Identität von Gefühl und Vorstellung: «Endlich ist es wohl kein Widerspruch, wenn der Eine behauptet: der Begriff entsteht nur durch Aufhebung des Gefühls und der Vorstellung, und der Andere: dieser Begriff bestehe nur ununterbrochene Alimentation aus Gefühl und Vorstellung, wenn gleich Gefühl und Vorstellung vor und ausser dem Begriff nicht mit jenen nach dem und in dem erzeugten Begriff zu vermengen sind».8

Mit dem Entstehen des Begriffs wird Welt; diese wird durch den Begriff überhaupt erst offen-, begreif- und aussagbar. Wie jedoch der Begriff einerseits durch die Aufhebung des Gefühls und der Vorstellung entsteht, so andererseits nur durch die ununterbrochene Alimentation aus Gefühl und Vorstellung. Baader drückt dies aus, indem er vom «organischen Begriff» spricht: «Das Wort ‚aufheben‘ muss hier in demselben Sinne genommen werden, in dem man allein sagen kann, dass der organische Begriff sein Vitalfluidum in sich aufhebt, d.h. nicht etwa in sich auftrocknet (so dass die Psyche, wie jenes geflügelte Insect im Bernstein erstarrt, in ihrer Geburt stecken bleibt) sondern selbes 7 8

F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 8, S. 101f. (Zus. zum ersten Heft: „Zur Lehre vom Bilde“). F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 141 (Erstes Heft).

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in sich bewahrt, und sich ihm als seinem innersten Centrum subjicirt [unterwirft]. Was sich nemlich nach innen (oben) nicht demüthigt, offen oder fluid erhält, mag nach aussen nicht als fest und frei sich bewähren, was sich nicht aufheben lässt, kann nicht aufheben. Die Conkretheit des Begriffs ist darum noch dahin auszudehnen, dass dieser in seinem Entstehen weder erblindet (sein Anschauungsmoment tilgend), noch kalt und gefühllos (sein Gefühlmoment aufhebend) wird, so wie Christus von einem Wasser des ewigen Lebens spricht, dessen Annahme (Aufheben) den Quellbrunn desselben im Menschen erst eröffne».9

Am deutlichsten zeigt sich die Kraft der Sprache in der Dichtung als dem Ort, wo der Geist den Sinnen die Bilder vorführt: «Die Poesie malt zwar aus gesehenen Wirklichkeiten, aber nicht nach gesehenen Wirklichkeiten; die Schattenrisse ihrer Gemälde nimmt sie wohl nicht aus der wirklichen Welt. Uebrigens ist die Einbildungskraft, die Mutter der Poesie, ein Wunder aller Wunder; sie ist kein blosses Wort, sondern ein Mikrokosmos von Geheimkräften in uns. Herder nennt sie treffend und wahr die Blüthe der Sinnlichkeit, gleichsam das Medium, den Boten zwischen Körper und Geist in uns. Ob sie vom Geiste unzertrennlich ist? Ich glaube, sie ist ihrer Substanz nach eben jener innere Sinn, der in einer anderen Art des Seins erst vollends aufwacht, dessen Geheimkräfte nur hie und da bei disharmonischer Aufreizung sich offenbaren».10

Weil die Vernunft Teilhabe am Denken Gottes und damit an Gott selbst ist, spricht Baader mit dem Gottesbegriff das alle Teilhabe ermöglichende Allgemeine an, das als Allgemeines und daher Notwendiges die Vermittlung ins Allgemeine hinein leistet. Dies drückt sich auch in der Sprachform des Erkennens Gottes aus: «dass es nicht unsere Vernunft sei, welche in ihrer Selbstheit Gott erkenne, sondern dass unsere Vernunft nur mittelst des Theilhaftwerdens der Vernunft als durch eine Gabe Gottes zu seiner Erkenntniss gelange».11 «Gott als Selbstbewusstsein oder als Geist par excellence ist nicht bloss ein erkennbarer, der Erkenntniss Anderer gleichsam exponirter Gegenstand, der somit ohne sein Zuthun von einer Intelligenz ausser ihm erkennbar wäre, in welchem Falle man freilich Gott ohne Gott zu erkennen vermöchte, d.h. ohne dass Gott sich der Intelligenz offenbarte, öffnete, oder sich derselben frei exponierte, sondern Gott ist nur sich erkennend oder sich Gegenstand, und seine Erkenntniss ist darum der Creatur nicht anders, als durch Theilhaftwerden dieses Sich-erkennens Gottes möglich [...]».12

9 10 11

12

F.v. Baader, „Fermenta Cognitionis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 157 Anm. (Erstes Heft). F.v. Baader, „Tagebücher“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 11, S. 85f. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 1, S. 96 (Hoffmanns Zus. zur Schrift: „Ueber das durch unsere Zeit herbeigeführte Bedürfniss einer innigeren Vereinigung der Wissenschaft und der Religion“, 1824). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 5, S. 53f. („Recension von M. Bonald: Recherches philosophiques sur les prémiers objets des connoissances morales, Paris 1818“, 1825).

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So kann für Baader das Denken nicht verherrlicht werden als souveräne Kreativität, die sich ihre Welt schafft, sondern muss begriffen werden als aus der Not geboren, um die verzweifelte Situation einer aufgetretenen Antinomie neu zu überbrücken. Das Denken beginnt mit dem Aufbruch, dem Zerbrechen des Ganzen. Es setzt dort an, wo sich erkennendes Subjekt und sein Gegenstand gegenüberstehen, wo Subjekt und Objekt zu vermitteln sind. Gerade in dieser dialektischen Bewegung aber vollzieht sich das Denken, das einen Gegenstand zu dem seinen macht, sich an ihm und diesen an sich zu verstehen sucht und ebenso als «das in Eins sich sammelnde Vermögen»13 auf Vermittlung hinzielt. Baaders Interesse gilt dem Aufbau einer Begriffswelt, die sich nicht summarisch aneinanderreiht (als «Reihe von Begriffen»), sondern sich als «Kreis» von Begriffen um ein Zentrum aufbaut. Er sagt: «Da übrigens die wahrhafte Gnosis keine Reihe von Begriffen, sondern einen Kreis derselben bildet, so kommt es weniger darauf an, von welchen dieser Begriffe aus man im Vortrage der Wissenschaft anhebt, wohl aber darauf, dass man jeden derselben bis ins Centrum durchführt, aus welchem dieser Begriff nothwendig sodann auf alle anderen regressiv oder anticipirend wieder weiset und führt, welche Durchführung darum allein als die systematische in That und im Wesen sich erweiset».14

Die formale Erkenntnislehre Baaders reflektiert auf die Möglichkeitsbedingungen des fragenden und denkenden Subjekts und setzt gegen den cartesianischen Ansatz das Axiom «Cogitor (a Deo) ergo sum».15 So wird bei ihm bloße Subjektivität transzendiert. Der Gegenstandsbereich der Erkenntnis, aufgezeigt an den Begriffen von Materie, Natur und Geist und in der Dualität der Geschlechter symbolisiert, erweist sich als antinomisch strukturiert, damit aber als unvermittelt und der Vermittlung bedürftig. Insgesamt versteht Baader die Welt als Inbegriff unvermittelter, nämlich der Vermittlung bedürftiger Wirklichkeit. Eine solche Vermittlung wird modell- und symbolhaft greifbar im Gottesbegriff, dessen Ambivalenz von Evidenz und Ortlosigkeit durch die Dreizahl als Symbol der Vollkommenheit deutlich macht, dass Widersprüche nicht in Antinomien zerbrechen, sondern sich dialektisch und dynamisch entfalten. 13

14 15

F.v. Baader, „Briefe“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 15, S. 349 (Baader zitiert hier aus August Gottlieb Ferdinand Schirmer, Versuch einer wissenschaftlichen Würdigung des Supernaturalismus und Rationalismus, Berlin 1818, S. 1). F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 8, S. 11 (Erstes Heft). F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 12, S. 238. Baader kommt mehrfach auf dieses Axiom zurück. So sagt er: «Anstatt mit Cartesius zu sagen: Ich denke, also bin ich, sollte man sagen: Ich werde gedacht, darum denke ich, oder: ich werde gewollt (geliebt), darum bin ich», in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 8, S. 339 Anm. 1. Andernorts sagt er: «Ich habe jenem Satz [Cogito, ergo sum] den andern entgegengestellt: Cogitor, ergo cogitans sum», in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 12, S. 325.

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So bestimmt Baader entsprechend seinem erkenntnistheoretischen Grundsatz die Vernunft als Fähigkeit der Teilhabe des Geschöpfs am Denken Gottes, anders gesagt als Vermögen der Transzendenz. Vernunft und Freiheit machen das Wesen des Subjekts aus. Sie konstituieren jenen von diesem unablösbaren Prozess, in dem sich das Subjekt seiner selbst vergewissert und bewusst wird. Dies aber macht eben diesen Prozess aus, «dass die Menschen nur das gewiss wissen, was kein Mensch dem anderen sagt und sagen kann, und was ihnen allen von demselben, der nicht einzelner Mensch ist, gesagt wird. – Nennt man dieses in uns Sprechende und Unaussprechliche nun die Vernunft, so meint man nicht die Vernunft, die wir haben, sondern jene, die uns hat und haben soll, und welche wir also sicher nicht sind, weil wir sie verlieren können».16

Weil die Vernunft Teilhabe am Denken Gottes und damit an Gott selbst ist, spricht Baader mit dem Gottesbegriff das alle Teilhabe ermöglichende Allgemeine an, das als Allgemeines und daher Notwendiges die Vermittlung ins Allgemeine hinein leistet.

4. Die unvermittelte Welt In einer durchaus originellen Weise konzipiert Baader seine Theorie des Bösen – oder, was als synonym anzusehen ist: der Unvermitteltheit – und in Zusammenhang damit der Entstehung von Materie. Ernst Bloch würdigt diese Konzeption und formuliert mit einigem Pathos: «Was nun folgt, ist noch nie in eines Menschen Kopf gewesen. Anfänge davon sind nur um 1800 bei Saint-Martin dem französischen Magus, der ja deshalb auch le philosophe inconnu heißt, kamen aber über den Einfall nicht hinaus. Und das Seltsame betrifft gerade die Materie: Baader hat sie mit einem neuen, in ihrer ganzen langen Geschichte ungehörten Begriff bedacht. Der Begriff ist mythologisch von oben bis unten, indes schon deshalb bemerkenswert, weil hier zum ersten Mal, in Baaders Zubereitung, die Materie dem Idealismus keine – Verlegenheit ist. Freilich um den Preis, daß Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt wurden, um die Materie sozusagen evident zu machen, um sie zu konstruieren».17

Was Saint-Martin in den Satz gefasst hatte: «La matière fut créée afin que le mal ne puisse prendre nature»18 – wird zu einem konsequent durchgeführten Programm: Materialisation und Schöpfung gelten Baader als erste Funktion der Soteriologie. Entsprechend seiner Theorie des Bösen ist die „natura mali“ nicht als Substanz zu fassen. Sie besteht vielmehr – wie er sagt: 16

17 18

F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 9, S. 163 Anm. (Fünftes Heft). E. Bloch, Das Materialismusproblem. Seine Geschichte und Substanz, Frankfurt a.M. 1972, S. 263. E. Bloch, Das Materialismusproblem (Anm. 17), S. 265.

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«in einem haftenden Derangement der constitutiven Principien, wodurch die normale Subordination derselben aufgehoben, eine solche Creatur innerlich entstellt wird».19

Das aus seinem Zentrum getretene geistige Wesen würde unweigerlich dem Abgrund verfallen. Das Böse kann nämlich nicht tragendes Prinzip sein. Es ist im Grunde bloß: «Phantasei; Phantasei ist Idee, also ist das Böse Idee. Das Böse hat nicht bloss den Trieb, sich darzustellen, sondern es hat in sich auch ein Ideelles. Wenn das, was bloss Werkzeug sein sollte, nicht mehr dienen will, so fasst es einen Gedanken, eine Idee in sich, und hierin urständet sich das Böse».20

Der Materie wird also die soteriologische Funktion zugeschrieben, «bloss zu widerstehen und eine gesetzwidrige, in die Einheit einzudringen strebende, Action von selber abzuweisen».21

Bloch resümiert: «Die Materie ist also nicht, wie Gnosis und Kabbala annehmen, das Böse schlechthin oder durch und durch, sondern umgekehrt: gegen das Böse ist sie als Hülle geschaffen, ja ihr Schutz soll noch dies letzthin Positive, Gnadenzeit, Gnadenraum, Material der Bewährung bieten (eine Kategorie, die der Materie sonst sicher an keiner theologischen Wiege gesungen wurde)».22

Exemplarisch lässt sich diese Unvermitteltheit der Wirklichkeit an der Geschlechtsdifferenz von Mann und Frau darstellen. Mannheit und Weibheit – so Baaders Ausdrucksweise – befinden sich in einer unwahren, dem Ursprung gegenüber gebrochenen Form. Ihnen haftet das Wesen selbstischen Sicherhobenhabens, vom Zentrum isolierten Selbstseins an. Der eigentliche Akt der Begattung ist an sich und abstrakt gefasst – insofern damit der Versuch einer vom Zentrum isolierten Selbstbegründung von Natur geschieht, «so wenig ein Unions- oder Liebes-(Vermählungs-)Act», da «hier vielmehr gerade das Gegentheil des letzteren eintritt, nemlich die gegenseitige höchste Steigerung der Selbstsucht (Nichtliebe), welcher mit keiner Einigung, sondern mit einer Indifferenz, einem gleichgültigen Auseinanderfallen der entgleisten Pole, und eigentlich mit einem wahren wechselseitigen Ineinander-zu-Grunde-gehen endet, darum auch mit dem Schlummer als Bruder des Todes; und welcher Thieract gleichsam nur durch die Umarmung, d.h. durch die Liebe, seinen Exorcismus erhält».23 19 20 21

22 23

F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 9, S. 195, Anm. (Fünftes Heft). F.v. Baader, „Aus Privatvorlesungen über J. Böhme’s Lehre“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 13, S. 73. F.v. Baader, „Vom Segen und Fluch der Creatur. Drei Sendschreiben an Herrn Professor Görres“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 7, S. 113. E. Bloch, Das Materialismusproblem (Anm. 17), S. 267. F.v. Baader, „Bemerkungen über das zweite Capitel der Genesis“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 7, S. 237. Ausführlich wird dieser Gedanke dargelegt in: B. Sill, Androgynie

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Der Dualität des Geschlechts kommt damit in soteriologischer Sicht die nämliche Ambivalenz zu, wie sie für Materie und Natur insgesamt gilt: sie sind sich gegenseitig Möglichkeitsbedingung der Vermittlung, damit aber auch unvermittelter Geschiedenheit. Eben darin liegt die Möglichkeit der Transzendenz, aber auch ihrer Verfehlung.

5. Der Gottesbegriff als Modell der Vermittlung Vom Ganzen sprechen zu müssen, ohne dies im eigentlichen Sinn begrifflich und definitorisch tun zu können, macht die Problematik philosophischer wie theologischer Sprache aus. Indem Sprache sich und ihr unausgeschöpftes semantisches Potential kundtut, eröffnet sie den Raum des Fragbaren, des Wünschbaren und Werthaften und signiert diesen Raum mit semantischen Repräsentationen, die in die Richtung des Unsagbaren weisen. Das Potential vollkommener Vermittlung, des kategorial nicht mehr zu denkenden Wünschbaren und Werthaften, kommt im Gottesbegriff zur Sprache. Baader spricht in folgender Weise von ihm: «Gott, als ewiges Leben, ist ein ewiges Sein und ein ewiges Werden zugleich [...] ein ewig fortgehender Process».24 «Gott ist eben dadurch Process oder Genesis, dass Sein und Werden in Ihm immer zugleich sind, d.h. daß er seiend wird und werdend ist. Wenn man das Sein abstrahirte vom Werden, so wäre Gott ein todtes Sein; wenn man das Werden abstrahirte vom Sein, so legte man Geschichte d.h. einen Widerspruch in Gott».25

Diese Dialektik, die den gesamten Daseins- und Lebensraum einbegreift, ermöglicht es Baader, den Gottesbegriff als Symbol umfassender Vermittlung zu begreifen. Als solcher ist der Gottesbegriff nicht konstruierbar, denn: «Die Gott construirende Speculation wäre Ihn tödtend».26 Der Gottesbegriff ist nur eruierbar in seiner symbolischen Prägnanz. Denn der Gottesbegriff fungiert als Inbegriff von Sein und Leben, so dass wir Gott zu denken vermögen, nämlich: «in allen allgemeinen (Vernunft-) Ideen, und selbst wenn wir sein Dasein zu leugnen uns bestreben oder ohne und gegen ihn zu denken uns einbilden, so denken wir doch nur an und durch ihn; so wie er das Licht ist, das wir zwar nicht selbst sehen, wenn wir schon alles uns Sichtbare durch dasselbe sehen, und wie er das Leben ist, das uns Alles fühlen macht, wenn wir schon es selber nicht fühlen. Nur in diesem Sinne nannte sich Gott selbst den Deus absconditus, in der intellectuellen Welt unter dem Namen der Wahrheit, in der Physischen unter je-

24

25 26

und Geschlechtsdifferenz nach Franz von Baader. Eine anthropologisch-ethische Studie, Regensburg 1986. F.v. Baader, „Gedanken aus dem grossen Zusamenhange des Lebens“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 2, S. 21. F.v. Baader, „Aus Privatvorlesungen über J. Böhme’s Lehre“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 13, S. 65. F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 12, S. 462.

VERMITTLUNG BEI FRANZ VON BAADER

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nem der ersten Ursache, in der Gesellschaft unter dem der Macht (pouvoir, autorité) immer verborgen und doch immer gegenwärtig und in seiner Gegenwart anerkannt; ja, selbst im Grunde unseres Herzens verborgen und gegenwärtig in der Unermesslichkeit unserer Hoffnungen und unserer Furcht; denn irriger Weise behaupteten Einige, dass eben dieses Hoffen und Fürchten uns die Gottheit geschaffen habe (primos in orbe deos fecit timor), da im Gegentheile diese Gottheit es ist, welche jene Furcht und Hoffnung in uns schafft».27

Für Baader ist ein philosophisches (und selbstverständlich auch ein theologisches) Denken ohne den Gottesbegriff schlechterdings undenkbar. Ein solches Denken hätte seinen Grund verloren, in dem Sinne, dass es dessen nicht mehr gewahr würde. Weil sich aber Gott nicht als Gott im Raum der Welt offenbaren kann, sondern nur in der Vermittlung durch die Schöpfung, denkt Baader intensiv über diese Vermittlung nach. Ein Schlüsselbegriff ist für ihn in diesem Zusammenhang jener des Organismus, weil sich an ihm modellhaft jene Weise der Vermittlung vollzieht, die sich Baader eschatologisch auch für die Einheit von Gott und Welt vorstellt.

6. Das Prinzip des Organismus Baader stellt folgendes Prinzip auf: «Die Religion weiss [...] von keiner Vergeistigung des Leiblichen, die nicht zugleich Verleiblichung des Geistigen wäre».28 Diesem Prinzip entsprechend geht es in diesem letzten Punkt des Gedankengangs nun darum, wie diese im Gottesbegriff modellhaft aufgezeigte aufgezeigte Vermittlung welthaft Gestalt annehmen kann. Die Schöpfung ist bei Baader charakterisiert durch den Begriff der Geschichte: «Omne quod est in intellectu debuit esse in historia et omne quod est in historia debet esse in intellectu. [...] Wie wir darum jeden Menschen unverständig nennen, welcher seine eigene durchlebte Geschichte entweder vergisst oder nicht versteht, so kann wohl ein Volk oder ein Zeitalter nicht verständig genannt werden, welches entweder von seiner bürgerlichen und religiösen Geschichte sich losreisst, oder mit einer begrifflosen [...] Reproduction oder Conservation derselben sich begnügt [...]».29

Gilt Baader die Natur als Prinzip der Vielheit und Geist als Prinzip der Einheit, so scheint der wechselseitige Ausgleich beider in der Vermittlung des Einzelnen mit dem Ganzen auf. «In einer wahrhaft organischen Gemeinschaft solcher Personen würde das Allgemeine wirklich, und das Wirkliche (die einzelne Person) allgemein gegenwär27 28

29

F.v. Baader, Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 5, S. 102f. („Recension von M. Bonald: Recherches philosophiques sur les prémiers objets des connoissances morales, Paris 1818“, 1825). F.v. Baader, „Ueber den Paulinischen Begriff des Versehenseins des Menschen im Namen Jesu vor der Welt Schöpfung. Drei Sendschreiben an Molitor und Hoffmann“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 4, S. 339. F.v. Baader, „Vorlesungen über eine künftige Theorie des Opfers oder des Cultus“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 7, S. 350.

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tig sich bewähren, sowie inner einem organischen System jedes einzelne Glied in allen, und alle in jedem einzelnen Gliede leben».30

Vermittlung ist daher kein einmaliges Geschehen, sondern der «in sich zurücklaufende Process»31 , die wechselseitig sich bedingende «vita propria»32 der Glieder in ihrer gemeinsamen Einheit. Dieses «wahrhafte christliche Associationsprincip» wird zur Sprache gebracht in der Lehre von der Eucharistie: indem das Geschöpf seine Begründung in sich, nämlich seine eigene «Substanz» aufgibt, wird es fähig zur wahrhaften Substantiierung, sich neu begründen zu lassen. Die Denkkategorie, von der her und auf die hin Baader seine Eucharistielehre entwirft, ist eine gesellschaftlich-soziale. Er nennt das Sakrament «ab origine ein sociales» und schildert die Eucharistie «als jenes Institut [...] mittelst dessen die Menschen sich innerlich wie äusserlich, seelisch wie leiblich, als Glieder desselben Leibes, in, durch und mit ihrem gemeinschaftlichen Haupte organisch verbinden, und somit wahrhaft associiren».33

Dieser Begriff der Gesellschaft ist nach Baader nicht abstrakt zu fassen, sondern er konkretisiert das Spezifikum des Christlichen, denn «nur dadurch, dass wir alle von einem Haupte gespeisset werden und Kraft anziehen, sind wir im Stande, uns als Glieder untereinander selber zu speisen, und alle äussere Superiorität und Inferiorität oder Ungleichheit durch diese unsere gemeinsame Inferiorität nur im Haupte wieder innerlich aufzuheben oder auszugleichen, z.B. die äussere Geschlechtsdifferenz, die des Herrn und Dieners, des Regierenden und Regierten. Das Christenthum gibt nemlich in der Eucharistie diese wahre Gleichheit und Freiheit kund, und hebt jene alte despotische Sitte auf, welche ursprünglich im Orient zu Hause war, und von da sich über die ganze Erde verbreitete, wie sie denn noch jetzt unter den meisten verwilderten Völkern besteht, nach welcher nemlich das Weib nicht mit dem Mann, der Knecht nicht mit dem Herrn, der Regierte nicht mit dem Regenten an einem Tische von einer Speise essen dürfen. Und eben jenes dieser Sitte oder Unsitte entgegengesetzte wahrhafte und indissoluble, also sacramentale Incorporationsprinzip ist eigentlich das wahrhafte christliche Associationsprincip, von welchem unter den gleichsam wieder verwilderten Christen das Verständniss und der Sinn dermalen schier völlig erloschen scheint».34

Baader geht es – in Abgrenzung gegen die Gräuel der Französischen Revolution, aber auch in Abgrenzung gegen jede sich totalitär setzende autokratische 30

31 32 33 34

F.v. Baader, „Ueber die Ekstase oder das Verzücktsein der magnetischen Schlafredner“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 4, S. 4f. F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 8, S. 72 (Erstes Heft). F.v. Baader, „Vorlesungen über speculative Dogmatik“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 8, S. 111 (Erstes Heft). F.v. Baader, „Vorlesungen über eine künftige Theorie des Opfers oder des Cultus“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 7, S. 388f. F.v. Baader, „Alle Menschen sind im seelischen, guten oder schlimmen, Sinn unter sich: Anthropophagen“, in: Ders., Sämtliche Werke (Anm. 2), Bd. 4, S. 232.

VERMITTLUNG BEI FRANZ VON BAADER

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Regierungsform – um die «wahre Gleichheit und Freiheit» in der Gesellschaft. Sie sucht er mit dem Ansatz des christlichen «Associationsprincips» zu konzipieren. Resigniert stellt er gesellschaftliche Tendenzen fest, die sich nicht als sozialer Fortschritt, sondern nur als Form einer neuen «Verwilderung» deuten lassen. Die Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts in Europa (und noch mehr jene des 20. Jahrhunderts!) scheint Baader in seiner gesellschaftskritischen Analyse Recht zu geben. Es bedarf keiner Emphase, um zu verdeutlichen, wie dringlich Baaders Anliegen der Sache nach ist, auch wenn es heute mit anderen Kategorien und in einer anderen Sprache zu vermitteln ist: Gott zu denken in den Kategorien der Welt, die Welt zu verstehen von ihrem Ursprung her und ihrer Mitte in Gott. In Unbefangenheit und Kühnheit widmet sich Baader diesem Unternehmen. Er scheitert an der Größe seines Unterfangens35 und vermag dieses nicht in die geschichtliche und gesellschaftliche Wirklichkeit seiner Zeit hinein zu vermitteln. Sein Projekt bleibt uns weiterhin aufgegeben.

35

Mit dem Begriff des „Scheiterns“ ist nicht so sehr Baaders hochinspirierender Gedankengang gemeint, als vielmehr die ausgebliebene Wirkungsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Nachdem Baader in seiner Zeit als ungemein fruchtbarer Denker empfunden wurde, hat ihn die Nachwelt der kommenden Generationen nahezu vergessen. In den einschlägigen Publikationen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts taucht er kaum mehr auf.

AUTORENVERZEICHNIS

Prof. Dr. Damir Barbarić geb. 1952, Professor für Philosophie an der Universität Zagreb, Kroatien. Dr. Alberto Bonchino geb. 1974, Leiter des Forschungs- und Editionsprojekts „Kritische Edition ausgewählter Texte Franz von Baaders“ an der Technischen Universität Dresden. Prof. Dr. Claudio Ciancio geb. 1946, Professor für Philosophie an der Università del Piemonte Orientale „Amedeo Avogadro“, Italien. Prof. em. Dr. Albert Franz geb. 1947, Professor emeritus für Systematische Theologie (kath.) an der Technischen Universität Dresden. Prof. Dr. Gian Franco Frigo geb. 1941, Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität Padua, Italien. Dr. Eckhard Fürlus geb. 1953, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medientheorie der Universität der Künste in Berlin. Prof. Dr. Joris Geldhof geb. 1976, Professor für Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie an der Kath. Universität Leuven, Belgien. Prof. em. Dr. Ferdinand van Ingen geb. 1933, Professor emeritus für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Amsterdam, Niederlande. Prof. Dr. Jörg Jantzen geb. 1942, Professor für Philosophie an der Ludwig Maximilians Universität München. Prof. Dr. Günter Kruck geb. 1960, außerplanmäßiger Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Kath.-Theol. Fakultät der Johannes Gutenberg Universität in Mainz.

AUTORENVERZEICHNIS

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Prof. Dr. Stefano Poggi geb. 1947, Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität Florenz, Italien. Prof. Dr. Thomas Rentsch geb. 1954, Professor für Philosophie an der Technischen Universität Dresden. Prof. em. Dr. Hanjo Sauer geb. 1944, Professor emeritus für Fundamentaltheologie an der Katholischen Privatuniversität in Linz, Österreich. Prof. Dr. Wilhelm Schmidt-Biggemann geb. 1946, Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin Prof. em. Dr. Miklos Vetö geb. 1936, Professor emeritus für Philosophie an der Universität Poitiers, Frankreich. Dr. Katharine Weder geb. 1975, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schweizerischen Nationalfonds in Bern, Schweiz. Prof. Dr. Paul Ziche geb. 1967, Professor für Geschichte der modernen Philosophie an der Universität Utrecht, Niederlande.

Namenregister Kursiv gesetzte Zahlen beziehen sich auf Namensnennungen in den Anmerkungen

Abraham, 169 Ackermann, S. 80 Adam, 107f., 141, 143, 151-154, 162, 167, 169 Adler, H. 185 Adorno, T.W. 178 Agrippa von Nettesheim, H.C. 73, 79 Alexander I., Zar von Rußland 118, 164, 165, 169 Alexander, G. 159 Amadou, R. 151ff., 156 Angenendt, A. 96 Anquetil du Perrons, A.H. 159 Anselm von Canterbury 95 Anstett, J.-J. 26, 29ff., 221 Antonius Stylites 120 Aristoteles 134 Arndt, A. 198 Arnim, L. A. von 203 Arnold, Gottfried 21 Arnold, Günter 154 Aschoff, F. 158, 160 Baader, F.X. von (ubique) Bach, T. 80 Bacon, F. 48, 120 Bahr, H. 119 Bakunin, M. 115-117 Ball, H. 5, 111-120 Balthasar, H.U. von 224 Barbarić, D. 5, 12, 21-35, 248 Barck, K. 73 Bardili, C.G. 185 Barkhoff, J. 61ff., 67, 70f., 74, 79 Baumgardt, D. 48, 58, 162, 236 Baur, F.C. 141 Bebel, A. 114 Becker, H. 230 Beethoven L. van 30 Behler, E. 26, 29ff., 221 Bellarmin R. 95 Benedikt XVI, Papst 90 (s. auch J. Ratzinger)

Benjamin, W. 193 Benz, E. 188 Bergengruen, M. 72 Berger, M. 190 Berlin, I. 24, 197 Bernd, L. 171 Betanzos, R.J. 85, 90 Bismarck, O. von 114, 118, 120 Biunde, F.X. 98-100 Bloch, E. 113, 242f. Blumenbach, J.F. 203f. Boeve, L. 83 Böhme (Boehme), J. 6, 20, 56, 64, 73, 77ff., 116, 123-138, 139-149, 153, 163167, 171ff., 175, 183, 186, 188f., 236, 243f. Bonald, M. 240, 245 Bonchino, A. 5, 10, 12, 13-20, 65f., 192, 248 Borgards, R. 60 Boulanger, N.A. 152 Boutroux, É. 133 Brednich, R.W. 73 Breidbach, O. 80 Briese, O. 192 Buchheim, T. 33, 185, 192, 201, 222 Buchner, H. 191 Burdach, K.F. 204 Caroline (geb. Michaelis, verw. Böhmer, gesch. Schlegel) 225 Cartesius s. Descartes Castein, H. 30 Cesa, C. 14 Chacornac, H. 151 Christus 58, 60, 68, 83, 88, 90-94, 96, 107f., 119, 143f., 153f., 162, 166-169, 233f., 240 Ciancio, C. 6, 12, 221-234, 248 Claudius, M. 153, 162 Constant, B. 119 Courtine, J.-F. 126 Crollius, O. 146

NAMENREGISTER

Cusanus, N. (s. Kues) Dalberg, K.T. von 181, 193 Daly, R. 82f., 95f. Daston, L. 198 De Pascale, C. 14 Deghaye, P. 147f., 149 Derrida, J. 178 Descartes, R. 48, 50, 56, 64, 104, 115, 123, 133, 175, 202, 241 Dijksterhuis, E.J. 202 Dionysius Areopagita 120 (Pseudo-)Dionysius Areopagita 172, 176 Dumas, R. 151 Durner, M. 202f., 214 Echte, B. 111 Eckhart von Hochheim (Meister Eckhart) 6, 20, 171-178, 236 Ehrhardt, W.E. 230 Ehrlich, J.N. 183 Eichner, H. 26, 29ff., 221 Eisele, U. 114, 115 Eisner, K. 117 Ellenberger, H.F. 59, 80 Fabry, J. 158 Faivre, A. 14, 48f., 53, 56, 153, 160 Ferdinand von Braunschweig 158 Fest, J. 118 Feuerbach, L. 10, 141, 173 Fichte, 10, 13, 14, 21, 24f., 27, 44, 124, 133, 172, 184f., 188f., 191, 222 Fiore, G. da 233 Flasch, K. 117 Fludd, R. 152 Forestier, R. le 150 Fränkel, L. 28 Franz I (Kaiser) 169 Franz, A. 5, 9-12, 248 Franz von Assisi 116 Freier, H. 9 Freud, S. 81 Friedrich Wilhelm II. 113 Friedrich Wilhelm III. 169 Frigo, G.F. 5, 12, 48-58, 248 Fuhrmans, H. 230 Fürlus, E. 5, 12, 111-120, 248 Galilei, G. 48 Galison, P. 198 Gamper, M. 77 Geldhof, J. 5, 12, 14, 82-97, 248 Gebhardt, B. 39, 202 Gerhard, J. 148

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Gerhardt, V. 30 Gerken, A. 84, 95 Giesbers, T. 181 Girard, R. 96 Gloy, K. 32 Gmelin, E. 70 Goeij, T. de 181 Goethe, J.W. von 29, 115, 153, 173, 175, 199-201, 203 Golizyn, A.N. Fürst 119, 164 Goretzki, C. 25, 185 Göpfert, N. 199 Görres, J. 10, 20, 165 Görtz, H.-J. 147f. Gräfe, C.F. von 74 Graßl, H. 163 Gren, F.A.C. 214 Griffero, T. 224, 229 Grimm (Brüder) 185 Grimm, G.E. 21 Gründer, K. 188 Grunsky, H. 129 Haas, A.M. 176, 177 Habermas, J. 9, 24 Haebler, C. 48 Haering, T. 175 Haffner, S. 113 Hamann, J.G. 158, 197 Hammacher, K. 25, 185 Hardenberg, F. v. (s. Novalis) Hardy, H. 24, 197 Hartmann, N. 26, 27ff., 31 Haym, R. 22 Hauffe, F. (s. Prevorst) Hegel, G.W.F. 6, 10, 13, 14, 22ff., 28ff., 34, 104, 113-118, 120, 123ff., 130, 133, 141, 171-178, 183, 189, 191-194, 196, 197, 198, 234, 236 Heidegger, M. 133f., 138, 172f., 178 Heinz, M. 185f. Helmes, J.G.C. 230 Helmont, J.B. van 79 Hennigfeld, J. 33, 185, 201, 222 Henrich, D. 10, 13 Heraklit (Héraclite) 126 Herbart, J.F. 183 Herder, J.G. 21, 56, 153, 158, 163, 168, 185f., 188, 194, 240 Hermann der Cherusker 118 Hesiod (Hésiode) 135 Heyne, C.G. 157, 158 Hinder, E. 171 Hitler, A. 117 Hobbes, T. 57

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NAMENREGISTER

Hoffmann, E.T.A. 30, 119 Hoffmann, F. 10, 18f., 39, 48, 49, 59, 65, 83, 100, 112, 124, 139, 150, 164, 172, 181-184, 188, 190, 193, 194, 195f., 214, 236, 240, 245 Hohenheim, P.T.A.B. von (s. Paracelsus) Hölderlin, F. 115, 175 Höllerer, W. 25 Hoping, H. 82 Horkheimer, M. 178 Horstmann, R.-P. 30 Humboldt, W. von 39f., 46, 201f. Huser, J. 147 Husserl, E. 134 Husson, H.-M. 64 Ingen, F. van 6, 12, 139-149, 248 Iwersen, J. 73 Jacobi, F.H. 10, 14, 24f., 185f., 188, 191, 196, 197, 198 Jacobs, W.G. 14, 16f., 33, 185, 201, 222 Jaeschke, W. 25, 185, 198 Jantzen, J. 6, 12, 33, 185, 199-220, 222, 248 Jaspers, K. 178 Jean Paul 25, 34, 35 Jens, W. 115 Jesus (s. Christus) Johannes 233, 235 Josef von Arimathäa 235 Jung-Stilling, J.H. 63 Kaltenbrunner, G.-K. 163 Kant, I. 10, 13, 20, 30f., 39, 41ff., 49, 50, 53, 114ff., 118, 120, 123ff., 133f., 136, 158, 160, 172f., 175, 178, 181, 184, 186-191, 194, 197, 198, 203, 204-216, 219, 220, 222, 236 Kasper, W. 230-234 Kelletat, A. 28 Kierkegaard, S. 234 Kile, O. 137 Kilmartin, E.J. 83f., 95f. Klein, A. 14 Kleuker, J.F. 150, 153, 157-163, 165 Klimakos, J. 120 Kluckhohn, P. 27 Knapp, M. 101 Knieps, T. 83 Kobusch, T. 101 Koch, K. 193 Kolb, D. 177 Köpke, W. 185 Korten, H. 33, 185

Körtner, U.H.J. 9 Koslowski, P. 10, 20, 49, 82f., 85, 89, 100f., 147, 160, 234 Koyré, A. 131 Kranz, W. 48 Krause, K.C.F. 183 Krause, M. 60, 62, 68, 70 Kronos 135 Kruck, G. 5, 12, 98-110, 248 Kues, N. von 156, 176 Lamennais, F. de 236 Lamarck, J.B. de 204 Landauer, G. 117 Lasaulx, E. von 18, 230 Lassalle, F. 114 Lavater, J.C. 150, 153, 163 Lavoisier, A.L. de 20, 43, 203, 214 Leibniz, G.W. 44, 124, 132f., 172, 175, 211, 215, 219 Leinkauf, T. 48 Leitzmann, A. 39, 202 Lessing, G.E. 159 Lichtenberg, G.C. 115 Lieb, F. 150, 152, 160, 163 Lieber, E. 190 Lieber, M. 190 Losurdo, D. 117 Lubkoll, C. 63 Lucifer (Luzifer, Diable, Satan, Teufel) 59, 64, 70, 114, 128ff., 141f., 143f., 162, 166 Luther, M. 113-115, 117f., 120, 148 Mähl, H.-J. 27 Maistre, J. de 190, 197 Maleachi 156 Mann, E. 183 Maria (Mutter Jesu) 235 Maria Kleopas 235 Maria Magdalena 235 Maria Salome 235 Marquet, J.-F. 14, 126, 135 Marx, K. 113-115, 117 Masaryk, T.G. 118 Matthiesen, M.M. 95f. Melchisedech 71f. Merta, B. 14ff. Mesmer, F.A. 59-62, 64ff., 68, 71f., 74, 79f. Metternich, C.W.L. Fürst von 119, 163 Meyer, C.D. (Major) von 62, 64, 66, 68f., 72f. Meyer, J.F. von 66, 158 Michel, K.M. 22, 124, 176

NAMENREGISTER

Miert, D. van 181 Miller, N. 25, 199 Moiso, F. 14, 202f., 214 Moldenhauer, E. 22, 124, 176 Molitor, F.J. 184, 189, 193-195, 197 Moses 53, 146 Müller, G.L. 95 Müller, K. 109 Müller-Lauter, W. 188 Mulsow, M. 10, 13 Müntzer, T. 113, 115, 117, 120 Nehring, W. 25 Neumeyer, H. 62, 68, 70 Newton, I. 39, 50, 58, 186, 202, 204, 206, 209 Nietzsche, F. 114, 116-118. Novalis 26ff., 34, 118f., 236 O’Regan, C. 177 Oesterle, G. 63 Oetinger, F.C. 227 Paracelsus 63, 65, 77f., 79, 145, 147f., 214 Pareyson, L. 234 Pascal, B. 114, 116, 159 Pasqually, M. de 150-153, 157f. 163, 165 Passavant, J.C. 66 Paulus 49, 233 Peetz, S. 33, 185, 201, 222, 230 Péguy, C. 113 Pethes, N. 60, 62, 68, 70 Petrus 233 Peuckert, W.-E. 125, 139, 147 Pietsch, R. 142f. Piske, I.-M. 25, 185 Platon (Platonismus) 127, 131, 159, 173, 175, 206, 209, 210, 214, 220, 225, 234 Plotin (Neuplatonismus) 63, 126, 161, 172, 189 Pluder, V. 185 Pöggeler, O. 18, 23, 191 Poggi, S. 5, 12, 14, 39-47, 54, 249 Pohl, W. 15f. Power, D.N. 96 Prantl, C. 193 Prevorst (Seherin von) 65 Procesi, L. 14 Proclus 126 Ptolemaeus, C. 74 Puységur, A.M.-J. de Chastenet, Marquis de 61, 62, 66 Quint, J. 175, 177

253

Race, V. 61 Ratjen, H. 150, 162 Ratzenried, Frau von 66 Ratzinger, J. (s. auch Benedikt XVI.) 95 Reimarus, H.S. 159 Reinhold, C.L. 185 Rentsch, T. 6, 12, 171-178, 249 Richter, K. 199 Richter, H. 113 Richter, J.P.F. (s. Jean Paul) Richter, W. 39, 202 Rijnberk, G. de 150 Ritter, J. 188 Ritter, J.W. 65 Rousseau, J.-J 113 Rückert, F. 182 Rupitz, J. 30 Safranski, R. 21, 35 Sailer, J.M. 162 Saint-Martin, L.C. de 6, 20, 46, 51, 150167, 236, 242 Salomon, A.L. 153 Salzmann, F.R. 153 Samuel, R. 27 Sandkühler, H.J. 13f., 209 Satan (s. Lucifer) Saturn (Saturne) 135 Sauer, H. 6, 12, 85, 86, 235-247, 249 Sauder, G. 199 Sauter, J. 54, 163 Schaper, S. 229 Schelling, F.W.J. 6, 10, 13, 14, 29, 33f., 50, 52, 63, 85, 104, 116, 119, 123-126, 135ff., 172, 175, 183, 185, 188f., 191198, 199-220, 221-234 Schelling, K.F.A. 124, 213, 222 Schenk, R. 83 Schiller, F. 33, 173 Schirmer, A.G.F. 241 Schlegel, F. 14, 20, 22, 26, 27, 29-32, 163, 221, 236 Schlegel, W. 30 Schleiermacher, F.D.E. 14, 234 Schlichting, H.B. 111 Schmidt-Biggemann, W. 6, 12, 150-170, 190, 249 Schmidt, C. 164 Schmitt, C. 24, 111 Schoeller, D. 172, 175, 176f. Schönberger, E. 30 Schopenhauer, A. 115, 118, 120 Schott, H. 66 Schröter, M. 227 Schubert, G.H. 62ff., 66-70, 72

254 Schulz, G. 27 Schumacher, R. 30 Schumann, R. 34 Schwab, H.-R. 171 Seasoltz, R.K. 96 Sell, A. 14 Serres, M. 202 Siegl, J. 56 Sill, B. 243 Sommerlechner, A. 14ff. Spaemann, R. 20 Sperber, P. 181 Spinoza, B. 49, 131, 173, 175, 196 Stamm, M. 10, 13 Steel, C. 48 Stengers, I. 202 Stichweh, R. 204 Stölzle, R. 18 Stransky, F. Ritter von 59, 66, 71 Sudhoff, K. 147 Sudhoff, S. 164 Suphan, B. 185 Susini, E. 14, 18, 58, 66, 151, 163f. Swedenborg, E. 68 Symeon Stylites 120 Taute, G.F. 183 Telesio, B. 48 Thalmann, M. 28 Theusner-Stampa, G. 59 Thomas von Aquin 116 Tieck, L. 25, 28, 33f., 123 Tilliette, X. 14, 229 Timaios 189 Tolstoi, L.N. 113 Tourpe, E. 14 Treviranus, G.R. 204 Uhland, L. 28

NAMENREGISTER

Valadier, P. 86 Valenza, P. 185 Varnhagen von Ense, K.A. 163 Vetö, M. 6, 12, 123-138, 228, 249 Vogelweide, W. von der 115 Wachter, J.G. 161 Wackenroder, W.H. 25, 33f. Wacker, B. 111 Wagner, J.J. 182 Wagner, R. 118 Walker, D.P. 154 Walzel, O. 21ff., 26, 30, 32 Weber, M. 49 Weder, C. 64, 77f. Weder, K. 5, 12, 59-81, 249 Weigel, V. 145f., 148 Weigl, H. 14ff. Weischedel, W. 204 Weisse (Weiße), C.H. 101, 124 Weitling, W. 113, 115, 117 Weyden, R. van der 235 Wetzels, W.D. 65 Whitehead, A.N. 176 Willermoz, J.B. 152 Windischmann, K.J. 184, 189-192, 194, 197 Wittgenstein, L. 173, 178 Wolf, B. 24 Yxküll, B. Baron von 119, 164 Z. (s. Passavant) Zehetner, C. 30 Ziche, P. 6, 12, 14, 33, 181-198, 249 Ziehen, T. 198 Zimmermann, H.D. 112, 117, 118f. Zovko, M.-E. 50